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German Pages [1244] Year 1988
GENERELLE MORPHOLOGIE DER ORGANISMEN. ALLGEMEINE GRUNDZÜGE
DER O R G A N I S C H E N F O R M E N - W I S S E N S C H A F T , MECHANISCH BEGRÜNDET DURCH DIE VON
CHARLES
DARWIN
REF0RM1RTE DESCENDENZ-THEORIE, TON
ERNST
HAECKEL.
ERSTER BAND:
ALLGEMEINE
ANATOMIE
DER ORGANISMEN.
„E PCR S1 MÜOVE!« MIT ZWEI PROMORPHOLOGISCBEN TAFELN.
BERLIN. DRUCK UND VERLAG VON GEORG REIMER.
1866. PHOTOMECHANISCHER NACHDRUCK WALTER D E G R U Y T E R · BERLIN · N E W Y O R K 1988
ALLGEMEINE
ANATOMIE
DER ORGANISMEN.
KRITISCHE GRUNDZÜGE
DER MECHANISCHEN WISSENSCHAFT VON DEN E N T W I C K E L T E N FORMEN DER ORGANISMEN,
ERNST
HAECKEL,
DOCTOR DER PHILOSOPHIE UND MEDICIN, ORDENTLICHEM PROFESSOR DER ZOOLOGIE UND DIRECTOR DES ZOOLOGISCHEN I N S T I T U T E S UND DES ZOOLOOISCHEN MUSEUMS AN DER U N I Y E R S I T A E T JENA.
„E
PUR SI MUOVF. ! "
MIT ZWEI PROMORPHOLOGISCHEN TAFELN.
BERLIN. DRÜCK UND VERLAG VON GEORG REIMER. 1866. PHOTOMECHANISCHER NACHDRUCK WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW YORK 1988
„Die Natnr schafft ewig neae Gestalten; was da ist, war noch nie; was war, kommt nicht wieder: Alles ist neu, and doch immer das Alte. „Es ist ein ewiges Leben, Werden und Bewegen in ihr. Sie verwandelt sich ewig, und ist kein Moment Stillstehen in ihr. Für's Bleiben hat sie keinen Begriff, und ihren Fluch hat sie an's Stillstehen gehSngt. Sie ist fest: ihr Tritt ist gemeeseh, ihre Gesetze unwandelbar. Gedacht hat sie und sinnt beständig; aber nicht als ein Mensch, sondern als Natur. Jedem erscheint sie in einer eigenen Gestalt. Sie verbirgt sich in tausend Namen und Termen, und ist immer dieselbe. „Die Natur hat mich hereingestellt, sie wird mich auch herausführen. Ich vertraue mich ihr. Sie mag mit mir schalten; sie wird ihr Werk nicht hassen. Ich sprach nicht von ihr; nein, was wahr ist und wns falsch ist, Alles hat sie gesprochen. Alles ist ihre Schuld, Alles ist ihr Verdienst." Goethe.
ISBN 3 11 010185 8 © 1866/1988 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Printed in the Netherlands Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung, sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältig« oder verbreitet werden. Einband: C. F. Walter, Berlin
SEINEM THEUREN FREMDE UND COLLEGEN CARL GrEGENBAUR WIDMET DIESE
GRUNDZÜGE DER A L L G E M E I N E N ANATOMIE IN TREUER DANKBARKEIT
DER VERFASSER.
An Carl Gegenbaur, I n d e m ich den ersten Band der generellen Morphologie Dir, mein theurer Freund, den zweiten Band den drei Begründern der Descendenz - Theorie widme, will ich damit nicht sowohl die besondere Beziehung ausdrücken, welche Du als hervorragender Förderer der Anatomie, jene als Reformatoren der Entwickelungsgeschichte zu den beiden Zweigen der organischen Morphologie einnehmen, als vielmehr meiner dankbaren Verehrung gegen Dich und gegen Jene gleichmässigen Ausdruck geben. Denn wie es mir einerseits als eine Pflicht der Dankbarkeit erschien, durch Dedication der „allgemeinenEntwickelungsgeschichte" an C h a r l e s D a r w i n , W o l f g a n g G o e t h e und J e a n L a m a r c k das causale Fundament zu bezeichnen, auf welchem ich meine organische Morphologie errichtet habe, so empfand ich andererseits nicht minder lebhaft das Bedürfniss, durch Widmung der „allgemeinen Anatomie" an Dich, mein treuer Grenosse, die Verdienste dankbar anzuerkennen, welche Du um die Förderung meines Unternehmens besitzest.
Um diese Beziehungen in das rechte Licht zu stellen, müsste ich freilich eigentlich eine Geschichte unseres brüderlichen Freundschafts-Bündnisses schreiben, von dem Tage an, als ich Dich 1853 nach Deiner Rückkehr von Messina im Gutenberger Walde bei Würzburg zum ersten Male sah, und Du in mir die Sehnsucht nach den hesperischen Gestaden Siciliens wecktest, die mir sieben Jahre später in den Radiolarien so reiche Früchte tragen sollte. Seit jenem Tage hat ein seltener Parallelismus der Schicksale zwischen uns fester und fester die unauflöslichen Bande geknüpft, welche schon frühzeitig gleiche Empfänglichkeit für den Naturgenuss, gleiche Begeisterung für die Naturwissenschaft, gleiche Liebe für die Naturwahrheit in unseren gleichstrebenden Gemüthern vorbereitet hatte. Du warst es, der mich vor sechs Jahren veranlasste, meine akademische Lehrthätigkeit in unserem geliebten Jena zu beginnen, an der Thüringer Universität im Herzen Deutschlands, welche seit drei Jahrhunderten als das pulsirende Herz deutscher Geistes-Freiheit und deut-
sehen Geistes-Kampfes nach allen Richtungen ihre lebendigen Schwingungen fortgepflanzt hat. An dieser Pflanzschule deutscher Philosophie und deutscher Naturwissenschaft, unter dem Schutze eines freien Staatswesens, dessen fürstliche Regenten jederzeit dem freien Worte eine Zufluchtsstätte gewährt, und ihren Namen mit der Reformations-Bewegung, wie mit der Blüthezeit der deutschen Poesie untrennbar verflochten haben, konnte ich mit Dir vereint wirken. Hier haben wir in der glücklichsten Arbeitstheilung unser gemeinsames Wissenschafts-Grebiet bebaut, treu mit einander gelehrt und gelernt, und in denselben Räumen, in welchen G-oethe vor einem halben Jahrhundert seine Untersuchungen „zur Morphologie der Organismen" begann, zum Theil noch mit denselben wissenschaftlichen Hülfsmitteln, die von ihm ausgestreuten Keime der vergleichenden und denkenden Naturforschung gepflegt. Wie wir in dem harten Kampfe des Lebens Glück und Unglück brüderlich mit einander getheilt, so haben sich auch unsere wissenschaftlichen Bestrebungen in
so inniger und beständiger Wechselwirkung entwickelt und befestigt, in- täglicher Mittheilung und Besprechung so gegenseitig durchdrungen und geläutert, dass es uns wohl Beiden unmöglich sein würde, den speciellen Antheil eines Jeden an unserer geistigen Gütergemeinschaft zu bestimmen. Nur im Allgemeinen kann ich sagen, dass das Wenige, was meine rasche und rastlose Jugend hie und da Dir bieten konnte, nicht in Verhältniss steht zu dem Vielen, was ich von Dir, dem acht Jahre älteren, erfahrneren und reiferen Manne empfangen habe. So ist denn Vieles, was in dem vorliegenden Werke als meine Leistung erscheint, von Dir geweckt und genährt. Vieles, von dem ich Förderung unserer Wissenschaft hoffe, ist die gemeinsame Frucht des Ideen-Austausches, der uns ebenso daheim in unserer stillen Werkstätte erfreute, wie er uns draussen auf unseren erfrischenden Wanderungen durch die felsigen Schluchten und über die waldigen Höhen des reizenden Saalthaies begleitete. Manches dürfte selbst das
Product des erhebenden gemeinsamen Naturgenusses sein, welchen uns die malerischen Formen der Jenenser MuschelkalkBerge bereiteten, wenn sie im letzten Abendsonnenstrahl uns durch die Farben-Harmonie ihrer purpur-goldigen Felsenflanken und violett-blauen Schlagschatten die entschwundenen Zauberbilder der calabrischen Gebirgskette wieder vor Augen führten. Es dürfte befremdend erscheinen, einer „mechanischen Morphologie" solche Erinnerungen voranzuschicken. Und dennoch geschieht es mit Fug und Recht. Denn wie jeder Organismus, wie jede Form und jede Function des Organismus, so ist auch das vorliegende Werk weiter Nichts, als das nothwendige Product aus der Wechselwirkung zweier Factoren, der Vererbung und der Anpassung. Wenn dasselbe, wie ich zu hoffen wage, zur weiteren Entwickelung unserer Wissenschaft beitragen sollte, so bin ich weit entfernt, mir dies als mein freies Verdienst anzurechnen. Denn die persönlichen Eigenschaften, welche mir die grosse und schwierige
Aufgabe zu erfassen und durchzuführen erlaubten, habe ich zum grössten Theile durch Vererbung von meinen trefflichen Eltern erhalten. Unter den vielen Anpassungs-Bedingungen aber, welche in Wechselwirkung mit jenen erblichen Functionen das Werk zur Reife brachten, nehmen die angeführten Verhältnisse die erste Stelle ein. In diesem Sinne, mein theurer Freund, als mein Gesinnungs-Genösse und mein Schicksals-Bruder, als mein akademischer College und mein Wander-Gefährte, nimm die Widmung dieser Zeilen freundlich auf, und lass uns auch fernerhin treu und fest zusammenstehen in dem grossen Kampfe, in welchen uns die Pflicht unseres Berufes treibt, und in welchen das vorliegende Werk entschlossen eingreift — in dem heiligen Kampfe um die Freiheit der Wissenschaft und um die Erkenntniss der Wahrheit in der Natur.
Vorwort. V o n allen Hauptzweigen der Naturwissenschaft ist die Morphologie der Organismen bisher am meisten zurückgeblieben. Der ausserordentlich schnelle und reiche, quantitative Zuwachs an empirischen Kenntnissen, welcher in den letzten Jahrzehnten alle Zweige der Anatomie und Entwickelungsgeschichte zu einer vielbewunderten Höhe getrieben hat, ist in der That nicht mit einer entsprechenden qualitativen Vervollkommnung dieser Wissenschaften gepaart gewesen. Während ihre nicht minder rasch entwickelte Zwillingsschwester, die Physiologie, in den letzten Decennien mit ihrer dualistischen Vergangenheit völüg gebrochen und sich auf den mechanisch-causalen Standpunkt der anorganischen Naturwissenschaften erhoben hat, ist die Morphologie der Organismen noch weit davon entfernt, diesen Standpunkt als den einzig richtigen allgemein anerkannt, geschweige denn erreicht zu haben. Die Frage nach den bewirkenden Ursachen der Erscheinungen, und das Streben nach der Erkenntniss des Gesetzes in denselben, welche dort allgemein die Rieht-
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Vorwort.
schnür aller Untersuchungen bilden, sind hier noch den Meisten unbekannt. Die alten teleologischen und vitalistischen Dogmen, welche aus der Physiologie und Anorganologie jetzt gänzlich verbannt sind, finden wir in der organischen Morphologie nicht allein geduldet, sondern sogar noch herrschend, und allgemein zu Erklärungen benutzt, die in der That keine Erklärungen sind. Die meisten Morphologen begnügen sich sogar mit der blossen Kenntniss der Formen, ohne überhaupt nach ihrer Erklärung zu streben und nach ihren Bildungsgesetzen zu fragen. So bietet uns denn der gegenwärtige Zustand unserer wissenschaftlichen Bildung das seltsame Schauspiel von zwei völlig getrennten Arten der Naturwissenschaft dar: auf der einen Seite die gesammte Wissenschaft von der anorganischen Natur (Abiologie), und neben ihr die Physiologie der Organismen, auf der anderen Seite allein die Morphologie der Organismen, Entwicklungsgeschichte und Anatomie — jene monistisch, diese dualistisch; jene nach wahren bewirkenden Ursachen, diese nach zweckthätigen Scheingründen suchend; jene mechanisch, diese vitalistisch erklärend. Während die Physiologen in richtiger kritischer Erkenntniss den Organismus als eine nach mechanischen Gesetzen gebaute und wirkende Maschine ansehen und untersuchen, betrachten ihn die Morphologen nach D a r w i n ' s treffendem Vergleiche immer noch ebenso, wie die Wilden ein Linienschiff. Die vorliegenden Grrundzüge der „generellen Morphologie der Organismen" unternehmen zum ersten Male den Versuch, diesen heillosen und grundverkehrten Dualismus aus allen Gebietstheilen der Anatomie undEntwickelungsgeschichte völlig zu verdrängen, und die gesammte Wissenschaft von den entwickelten und von den entstehenden Formen der Or-
Vorwort.
XV
ganismen durch mechanisch-causale Begründung.auf dieselbe feste Höhe des Monismus zu erheben, in welcher alle übrigen Naturwissenschaften seit längerer oder kürzerer Zeit ihr unerschütterliches Fundament gefunden haben.
Der grossen
Schwierigkeiten und der vielen Gefahren dieses Unternehmens bin ich mir vollkommen bewusst.
Noch stehen alle allge-
meinen morphologischen Anschauungen in Zoologie und Botanik unter der Herrschaft eines gelehrten Zunftwesens, welches nur in der scholastischen Gelehrsamkeit des Mittelalters seines Gleichen findet. Dogma und Autorität, wechselseitig zur Unterdrückung jedes freien Gedankens und jeder unmittelbaren Naturerkenntniss verschworen, haben eine doppelte und dreifache chinesische Mauer von Vorurtheilen aller Art rings um die Festung der organischen Morphologie aufgeführt, in welche sich der allerorts verdrängte Wunderglaube jetzt als in seine letzte Citadelle zurückgezogen hat. Dennoch gehen wir siegejsgewiss und furchtlos in diesen Kampf.
Der Ausgang desselben kann nicht mehr zweifelhaft
sein, nachdem C h a r l e s D a r w i n
vor sieben Jahren den
Schlüssel zu jener Festung gefunden, und durch seine bewundrungswürdige Selections-Theorie
die von W o l f g a n g
G o e t h e und J e a n L a m a r c k aufgestellteDescendenz-Theorie zur siegreichen Eroberungs-Waffe gestaltet hat. Ein Werk, welches eine so umfassende und schwierige Aufgabe unternimmt, ist nicht das flüchtige Product vorübergehender Gedanken-Bewegungen, sondern das langsam gereifte Resultat langjähriger und inniger Erkenntniss-Mühen, und ich darf wohl sagen, dass viele der hier dargelegten Ansichten mich beschäftigt haben, seit ich überhaupt mit kritischem Bewusstsein in das Wundergebiet der organischen Formen-Welt einzudringen versuchte. Die allgemeinste Streit-
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Vorwort.
frage der organischen Morphologie, welche gewissermaassen das Feldgeschrei der beiden feindlichen Heere bildet,
das
Problem von der Constanz oder Transmutation der Species hat mich schon lebhaft interessirt, als ich vor nunmehr zwanzig Jahren, als zwölfjähriger Knabe, zum ersten Male mit leidenschaftlichem Eifer die „guten und schlechten Species" der Brombeeren und Weiden, Rosen und Disteln vergeblich zu bestimmen und zu unterscheiden suchte. Mit heiterer Genugthuung muss ich jetzt der kritischen Beängstigungen gedenken, welche damals mein zweifelsüchtiges Knabengemüth in die schmerzlichste Aufregung versetzten, da ich beständig hin und her schwankte, ob ich (nach Art der meisten sogenannten „guten Systematiker") die „guten" Exemplare allein in das Herbarium aufnehmen und die „schlechten" ausweisen, oder aber durch Aufnahme der letzteren eine vollständige Kette von vermittelnden Uebergangsformen zwischen den „guten Arten" herstellen sollte, welche die Illusion von deren „Güte" vernichteten.
Ich beseitigte diesen Zwiespalt
damals durch einen Compromiss, welchen ich allen Systematikern zur Nachahmung empfehlen kann: ich legte zwei Herbarien an, ein officielles, welches den theilnehmenden Beschauern alle Arten in „typischen" Exemplaren als grundverschiedene Formen, jede mit ihrer schönen Etikette beklebt, vor Augen führte, und ein geheimes, nur einem vertrauten Freunde zugängliches, in welchem nur die verdächtigen Genera Aufnahme fanden, welche G o e t h e treffend die „charakterlosen oder liederlichen Geschlechter" genannt hat, „denen man vielleicht kaum Species zuschreiben darf, da sie sich in gränzenlose Varietäten verlieren": Rubus, Salix, racium, Rosa, Cirsium etc.
Verbascum, Hie-
Hier zeigten Massen von Indivi-
duen, nach Nummern in eine lange Kette geordnet, den un-
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Vorwort.
mittelbaren Uebergang von einer guten Art zur andern. Es waren die von der Schule verbotenen Früchte der Erkenntniss, an denen ich in stillen Mussestunden mein geheimes, kindisches Vergnügen hatte. Jene vergeblichen Bemühungen, des eigentlichen Wesens der „Species" habhaft zu werden, leiteten mich seitdem bei allen meinen Formen-Beobachtungen, und als ich später das unschätzbare Glück hatte, in unmittelbarem Verkehr mit meinem unvergesslichen Lehrer J o h a n n e s Müller die empirischen Grundlagen und die herrschenden Anschauungen der dualistischen Morphologie nach ihrem ganzen Umfang und Inhalt kennen zu lernen, bildete sich bereits im Stillen jene monistische Opposition aus, welche in dem vorliegenden Werke ihren entschiedenen Ausdruck findet. Nicht wenig trug dazu auch der kritische Einfluss meines hochverehrten Lehrers und Freundes Rudolph Virchow bei, dessen ich hierbei dankbarst erwähnen muss. Als sein Assistent lernte ich in der „Cellular-Pathologie" des menschlichen Organismus jene wunderbare Biegsamkeit und Flüssigkeit, jene erstaunliche Veränderlichkeit und Anpassungsfähigkeit der organischen Formen kennen, welche für deren Verständniss so unendlich wichtig ist, und von der doch nur die wenigsten Morphologen eine ungefähre Idee haben. Man -ward nun begreifen, weshalb ich, um mich Bär's Ausdrucks zu bedienen, Darwin's That „mit so jubelndem Entzücken begrüsste, als ob ich von einem Alp, der bisher auf der Kenntniss der Organismen ruhte, mich befreit fühlte". Es fielen mir in der That „die Schuppen von den Augen". Durch eine Reihe von akademischen Vorträgen, welche sich abwechselnd über alle einzelnen Gebietstheile der organischen Morphologie, und ausserdem jährlich über das Geb
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Υ ο r w ο r t.
sammtgebiet der Zoologie erstreckten, war ich in die glückliche Lage versetzt, die in dem vorliegenden Werke begründeten Anschauungen schon seit längerer Zeit zu einem bestimmten Ausdruck vorbereitet und durch vielfache Betrachtung von allen Seiten mir selbst zu voller Klarheit gebracht zu haben. Gleichzeitig war ich bemüht, durch fortgesetzte specielle Detail-Untersuchungen mir den festen empirischen Boden zu erhalten, ohne welchen jeder generelle GedankenBau nur zu leicht zum speculativen Luftschloss wird. Während so die einzelnen Haupttheile der allgemeinen Anatomie und Entwickelungsgeschichte allmählig und langsam einer gewissen Reife entgegen gingen, wurde dagegen der wagnissvolle Plan, sie zu einem umfassenden, systematisch construirten Lehrgebäude der generellen Morphologie zusammenzufassen, erst vor verhältnissmässig kurzer Zeit in mir zum bestimmten Entschlüsse. Innere und äussere Gründe verschiedener Art zwangen mich, die Ausarbeitung des Ganzen schneller und in viel kürzerer Zeit zu vollenden, als ich ursprünglich gewünscht und beabsichtigt hatte. Ein grosser Theil des ersten Bandes war bereits gedruckt, ehe der zweite zum Abschluss gelangte. Ausserdem griffen schmerzliche Schicksale vielfach störend in die Arbeit ein. Diese und andere, hier nicht weiter zu erörternde Hindernisse mögen die mancherlei Nachlässigkeiten in der Form des Ganzen, kleine Ungenauigkeiten im Einzelnen , und mannichfache Wiederholungen entschuldigen, welche der kritische Leser leicht herausfinden wird. So gern ich auch in dieser Beziehung die Arbeit wesentlich verbessert und formell einheitlicher abgerundet hätte, so wollte ich doch deshalb die Herausgabe des Ganzen nicht um Jahre verzögern. Bis dat, qui cito dat! Auch lege ich jenen Mängeln insofern nur untergeordnete Bedeutung bei, als sie
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Vorwort.
der umfassenden Erkenntniss des grossen Ganzen der organischen Formenwelt, welche das Werk erstrebt, dem allgemeinen Ueberblick über die grossen Bildungsgesetze jenes herrlichen und gewaltigen Gestaltenreichs keinen Eintrag thun. Was die Form des ganzen Werkes betrifft, so erschien es mir unerlässlich, bei der völligen Zerfahrenheit und Zerrissenheit, dem gänzlichen Mangel an Zusammenhang und Einheit, die auf allen Gebietstheilen der Anatomie und Entwickelungsgeschichte hei*rschen, die strenge Form eines systematisch geordneten Lehrgebäudes zu wählen. Vorläufig kann allerdings dieser erste Versuch eines solchen weiter Nichts sein, als ein nach einem bestimmten Plan und auf festem Fundament angelegtes Gerüst, ein Fachwerk von Balken, welches statt geschlossener Wände und bewohnbarer Zimmer grösstentheils nur durchbrochenes Zimmerwerk und leere Räume enthält. Mögen andere Naturforscher dieselben ausfüllen und das Ganze zu einem wohnlichen Gebäude gestalten. Mir schien schon viel gewonnen zu sein, wenn nur erst jenes feste Gerüst aufgerichtet, und der Raum zur geordneten und übersichtlichen Aufstellung der massenhaft angehäuften empirischen Schätze gewonnen wäre. Natürlich musste auch die Behandlung und Ausführung der einzelnen Theile sehr ungleich ausfallen, entsprechend dem höchst ungleichmässig entwickelten Zustande unserer Wissenschaft selbst, von welcher viele der wichtigsten und interessantesten Theile, wie namentlich die Genealogie, noch fast unangebaut daliegen. Einzelne Capitel, in denen ich speciellere Studien gemacht hatte, sind eingehender ausgeführt; andere, in denen mir weniger eigenes Material zu Gebote stand, flüchtiger skizzirt. Das siebente und achte Buch dürfen bloss als aphoristische Anhänge gelten, die ich bei der hohen Wichtigkeit der darin b*
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Vorwort.
kurz berührten Fragen nicht weglassen mochte, deren specielle Ausführung aber, ebenso wie die des sechsten Buches, ich mir für eine andere Arbeit verspare. Dasselbe gilt, von der „genealogischen Uebersicht des natürlichen Systems der Organismen", welche ich als „systematische Einleitung in die allgemeine Entwickelungsgeschichte" dem zweiten Bande vorangeschickt habe. Da dieselbe eine kurze Uebersicht der speciellen Phylogenie giebt, gehört sie eigentlich nicht in die „ generelle Morphologiea der Organismen oder könnte hier nur als specielle Erläuterung des vierundzwanzigsten Capitels ihre Stelle finden. Da jedoch die meisten Zoologen und Botaniker der Gegenwart überhaupt nur ein geringes oder gar kein Interesse für allgemeine und umfassende Fragen haben, sondern lediglich den Cultus des Einzelnen und Speciellen betreiben, so werden dieselben wohl gerade auf diese specielle Anwendung der Descendenz - Theorie das grösste Gewicht legen, und desshalb schien es mir passend, sie dem zweiten Bande voran zu stellen. Sie dient zugleich zur Erläuterung der angehängten genealogischen Tafeln, dem ersten Versuche dieser Art, der hoffentlich bald viele und bessere Nachfolger finden wird. Der Entwurf der organischen Stammbäume, obwohl gegenwärtig noch äusserst schwierig und bedenklich, wird meines Erachtens die wichtigste und interessanteste Aufgabe für die Morphologie der Zukunft bilden. Besonderer Nachsicht bedarf der botanische Theil meiner Morphologie. Bei der ausserordentlich weit vorgeschrittenen Arbeitstheilung der neuesten Zeit ist die völlige Decentralisation aller biologischen Wissenschaftsgebiete zu dem Grade gediehen, dass es überhaupt nur nocli sehr wenige Zoologen und Botaniker im vollen Sinne des Wortes giebt, und statt
Vorwort.
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dessen auf der einen Seite Mastozoologen, Ornithologen, Malakozoologen, Entomologen, Mycetologen, Phycologen etc., auf der anderen Seite Histologen, Organologen, Embryologen, Palaeontologen etc. Unter diesen Umständen werden alle diese scholastischen, meist mit sehr langen Zöpfen versehenen Zunftgelehrten es für eine überhebliche Anmaassung erklären, dass „ein Einzelner" es noch wagt, das Ganze der organischen Formenwelt mit einem Blick umfassen zu wollen. Namentlich aber werden die „eigentlichen" Botaniker entrüstet· sein, dass ein Zoologe sich einen Einfall in ihr abgegränztes Gebiet erlaubt. Dass ich dieses Wagniss dennoch unternehme, hat seinen zwiefachen Grund. Einerseits zeigt mir die kühle oder ganz negative Haltung des bei weitem grössten Theiles der Botaniker gegenüber D a r w i n ' s Selections-Theorie — diesem wahren Prüfstein aller echten, d. h. denkenden Naturforschung — dass die Pflanzenkunde noch weit mehr als die Thierkunde unter der gedankenlosen Specialkrämerei gelitten hat, welche man als „exacte Empirie" zu verherrlichen liebt und dass man dort noch weit mehr als hier die grossen und erhabenen Ziele des WissenschaftsGanzen, das Bewusstsein ihrer Einheit und Zusammengehörigkeit verloren hat. Andererseits aber ist nach meiner festesten Ueberzeugung für alle fundamentalen Fragen der generellen Morphologie (wie überhaupt der gesammten Biologie), für alle tectologischen und promorphologischen, ontogenetischen und phylogenetischen Probleme, die gegenseitige Ergänzung der Zoologie und Botanik so äusserst werthvoll, ihre innigste Wechselwirkung so tinbedingt nothwendig, dass ich durch blosse Beschränkung auf mein zoologisches Fachgebiet mir selbst die beste Quelle des Verständnisses verstopft hätte. Wenn ich in vielen allgemeinen Fragen einen guten Schritt
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Vorwort.
weiter gekommen bin, so verdanke ich dies wesentlich der Vergleichung der thierischen und pflanzlichen Formen. Zweifelsohne würde der botanische Theil meiner Arbeit viel reichhaltiger und besser ausgefallen sein, wenn mir das Glück der Unterstützung eines Botanikers zu Theil geworden wäre, dessen offenes Auge auf das grosse Ganze der pflanzlichen Formenwelt und ihren genealogischen Causalnexus gerichtet ist. Da es mir aber nur dann und wann auf kurze Stunden gegönnt war, aus dem jugendfrischen und gedankenreichen Wissensquell meines hochverehrten Lehrers, A l e x a n d e r Braun in Berlin, Belehrung und Rath zu erholen, so blieb ich grösstenteils auf die mangelhafte empirische Grundlage beschränkt, welche ich mir durch leidenschaftliche Zuneigung zur Scientia amabilis in früherer Zeit erworben hatte, ehe ich durch den überwiegenden Einfluss von Johannes Müller zur vergleichenden Anatomie der Thiere herübergezogen wurde. Bei dem höchst unvollkommenen und niedrigen Entwickelungs-Zustande, auf welchem sich die allgemeine Anatomie und Entwickelungsgeschichte noch gegenwärtig befindet, musste der vorliegende Versuch, sie als einheitliches Ganzes zusammenzufassen, mehr eine Sammlung von bestimmt formulirten Problemen, als von bereits gelösten Aufgaben werden. Unter diesen Umständen schien es mir eines der dringendsten Bedürfnisse, besondere Aufmerksamkeit der scharfen Bestimmung und Umschreibung der morphologischen B e g r i f f e zuzuwenden. In Folge der allgemeinen Vernachlässigung der unentbehrlichen philosophischen Grundlagen ist in der gesammten Zoologie und Botanik eine so weitgehende Unklarheit und eine so babylonische Sprachverwirrung eingerissen, dass es oft unmöglich ist, sich ohne weitläufige Um-
Vorwort.
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Schreibungen über die allgemeinsten Grundbegriffe zu verständigen. Ueberall in der Anatomie und Entwickelungsgeschichte ist Ueberfluss an unnützen und Mangel an den unentbehrlichsten Bezeichnungen. Viele der wichtigsten und alltäglich gebrauchten Begriffe wie ζ. B. Zelle, Organ, regulär, symmetrisch, Embryo, Metamorphose, Species, Verwandtschaft u. s. w. haben gar keine bestimmte Bedeutung mehr, da fast jeder Morphologe, falls er sich überhaupt dabei etwas Bestimmtes denkt, etwas Anderes darunter versteht. In der Botanik und Zoologie, und ebenso in den einzelnen Zweigen dieser Wissenschaften, werden dieselben Objecte mit verschiedenen Namen und ganz verschiedene Objecte mit denselben Namen bezeichnet. Unter diesen Umständen war es unvermeidlich, eine ziemliche Anzahl von neuen Wörtern (dem internationalen Herkommen gemäss aus dem Griechischen gebildet) einzuführen, welche bestimmte und klare Begriffe fest und ausschliesslich bezeichnen sollen. Die dunkeln Schattenseiten der herrschenden organischen Morphologie habe ich mir erlaubt scharf zu beleuchten und ihre Irrthümer rücksichtslos aufzudecken. Möge man in meiner offenen Sprache nicht eitle Selbstüberhebung oder Verkennung der wirklichen Verdienste Anderer erblicken, sondern lediglich den Ausdruck der festen Ueberzeugung, dass nur durch unumwundene W a h r h e i t der Fortschritt in der Wissenschaft gefördert werden kann. Wenn ich auch alle meine Kräfte aufgeboten habe, um diesem ersten systematisch geordneten Versuche einer allgemeinen Anatomie und Entwickelungsgeschichte ein möglichst annehmbares Gewand zu geben, so bin ich mir doch wohl bewusst, dass das Erreichte weit, sehr weit hinter dem Erstrebten zurück geblieben ist. Das Werk soll aber auch nichts Fer-
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Vorwort.
tiges, sondern nur Werdendes bieten. Handelt es sich j a doch noch um definitive Sicherstellung des festen Gerüstes jenes erhabenen Lehrgebäudes, welches die organische Morphologie der Zukunft ausführen soll. Meine Anstrengungen werden hinlänglich belohnt sein, wenn sie frische Kräfte zur Verbesserung des Gegebenen anregen, und wenn dadurch mehr und mehr der Grundgedanke zur Geltung kommt, welchen ich für die erste und nothwendigste Vorbedingung jedes wirklichen Fortschritts auf unserm Wissenschafts-Gebiete halte: der Gedanke von der Einheit der gesammten organischen und anorganischen Natur, der Gedanke von der allgemeinen Wirksamkeit mechanischer Ursachen in allen erkennbaren Erscheinungen, der Gedanke, dass die entstehenden und die entwickelten Formen der Organismen nichts Anderes sind, als das nothwendige Product ausnahmsloser und ewiger Naturgesetze. Jena, am 14 t e n September 1866.
Ernst Heinrich Haeckel.
Inhaltsverzeichniss des ersten Bandes
der g e n e r e l l e n
Morphologie. Seite.
An Carl Gegenbaur Vorwort
VII XIII
Erstes Buch. Kritische und methodologische Einleitung in die generelle Morphologie der Organismen
1
Erstes Capltel: B e g r i f f nismen.
3
und A u f g a b e
der Morphologie
der
Orga-
Zweites Capltel: V e r h ä l t n i e s d e r M o r p h o l o g i e zu d e n a n d e r e n N a turwissenschaften L Morphologie and Biologie I L Morphologie und Physik (Statik nnd Dynamik) Π Ι . Morphologie nnd Chemie I V . Morphologie und Physiologie
8 8 10 12 17
Drittes Capltel: E i n t h e i l u n g d e r M o r p h o l o g i e in u n t e r g e o r d n e t e Wissenschaften I . Eintheilung der Morphologie in Anatomie und Morphogenie. . . . I I . Eintheilung der Anatomie und Morphogenie in vier Wissenschaften. Ι Π . Anatomie und Systematik I V . Organologie und Histologie V . Tectologie und Promorphologie , V I . Morphogenie oder Entwicklungsgeschichte V I I . Entwickelungsgeschichte der Individuen V I I L Entwickelungsgeschichte der Stämme I X . Generelle nnd specielle Morphologie
22 22 24 31 42 46 50 53 57 60
I n h a l t .
XXVI
Seile
Viertes Capitel: M e t h o d i k d e r M o r p h o l o g i e d e r O r g a n i s m e n . . . V i e r t e s C a p i t e l : E r s t e H ä l f t e : Kritik der naturwissenschaftlichen Methoden, welche sich gegenseitig nothwendig ergänzen müssen. I. Empirie and Philosophie (Erfahrung and Erkenntniss) II. Analyse und Synthese III. Induction und Deduction V i e r t e s C a p i t e l : Z w e i t e H ä l f t e : Kritik der naturwissenschaftlichen Methoden, welche sich gegenseitig nothwendig ausschliessen müssen I V . Dogmatik und Kritik. V . Teleologie und Causalität (Vitalismus und Mechanismus), . . . . V I . Dualismus und Monismus
63 63 63 74 79
88 88 94 105
Zweites Buch. Allgemeine Untersuchungen über die Natur und erste Entstehung der Organismen, ihr Yerhältniss zu den Anorganen, und ihre Eintheilung in Thiere und Pflanzen. . . , 109 Fünftes Capitel: O r g a n i s m e n u n d A n o r g a n e I.
Organische und anorganische Stoffe I, 1. Differentielle Bedeutung der organischen und anorganischen Materien I, 2. Atomistische Zusammensetzung der organischen und anorganischen Materien I, 3. Verbindungen der Elemente zu organischen und anorganischen Materien I, 4. Aggregatzustände der organischen und anorganischen Materien. II. Organische und anorganische Formen II, 1. Individualität der organischen und anorganischen Gestalten. . II, 2. Grundformen der organischen und anorganischen Gestalten. . HI. Organische und anorganische K r ä f t e III, 1. Lebenserscheinungen der Organismen und physikalische Kräfte der Anorgane I H , 2. Wachsthum der organischen und anorganischen Individuen. . H I , 3. Selbsterhaltung der organischen und anorganischen Individuen. III, 4. Anpassung der organischen und anorganischen Individuen. . H I , 5. Correlation der Theile in den organischen und anorganischen Individuen III, 6. Zellenbildung und Krystallbildung I V . Einheit der organischen und anorganischen Natur Sechstes Capitel: S c h ö p f u n g u n d I. H. ΙΠ. IV.
Selbstzeugung
Entstehung der ersten Organismen Schöpfung Urzeugung oder Generatio spontanea Selbstzeugung oder Autogonie
111 111 111 115 118 122 130 130 137 140 140 141 149 152 158 159 164 167 167 171 174 179
I n h a l t .
XXνπ Seite 191 191 195 198 203 206 209 209 210 212 215 215 216 218 220 220 222 223 226 230 232 234 238
Siebentes Cepitel: T h i e r e u n d P f l a n z e n I. Unterscheidung von Thier und Pflanze IL Bedeutung der Systemgruppen III. Ursprung des Thier- und Pflanzen - Reiches I V . Stämme der drei Reiche V. Characteristik der Stämme und Reiche VI. Character des Thierreiches VI, A. Chemischer Character des Thierreiches VI, B. Morphologischer Character des Thierreiches VI, V. Physiologischer Character des Thierreiches VII. Character des Protistenreiches VII, A. Chemischer Character des Protistenreiches VII, B. Morphologischer Character des Protistenreiches VII, C. Physiologischer Character des Protistenreiches ν Π Ι . Character des Pflanzenreiches. VIII, A. Chemischer Character des Pflanzenreiches ν Π Ι , B. Morphologischer Character des Pflanzenreiches V n i , C. Physiologischer Character des Pflanzenreiches IX. Vergleichung der drei Reiche X. Wechselwirkung der drei Reiche XI. Die Seele als Character der Thiere XII. Zoologie, Protistik, Botanik Uebersicht aller Zweige der Zoologie
Drittes Buch. Erster Theil der allgemeinen Anatomie. Generelle Tectologie oder allgemeine Structurlehre der Organismen 239 Achtes Capitel: B e g r i f f u n d A u f g a b e d e r T e c t o l o g i e I. Die Tectologie als Lehre von der organischen Individualität. . II. Begriff des organischen Individuums im Allgemeinen I I L Verschiedene Auffassungen des pflanzlichen Individuums I V . Verschiedene Auffassungen des protistischen Individuums V. Verschiedene Auffassungen des thierischen Individuums V I . Morphologische und physiologische Individualität
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.
241 243 245 251 255 265
Neuntes Capitel: M o r p h o l o g i s c h e I n d i v i d u a l i t ä t d e r O r g a n i s m e n . . I. Morphologische Individuen erster Ordnung: Piastiden oder Plasmastücke I, 1. Unterscheidung von Cytoden und Zellen I, 2. Zusammensetzung der Piastiden (Cytoden und Zellen) aus verschiedenen Formbestandtheilen A. Plasma (Protoplasma) Zellstoff. B. Nucleus (Cytoblastus) Zellkern
269 269 269 275 275 278
χχνιπ
I n h a l t .
C. Plasma-Producta />. Plasma and Nucleus ale active Zellsabstanz . . . . II. Morphologische Individuen zweiter Ordnung: Organe oder Werkstücke II, 1. Morphologischer Begriff des Organs II, 2. Eintheilung der Organe in verschiedene Ordnungen A. Organe erster Ordnung: Zellfusionen B. Organe zweiter Ordnung: Einfache oder homoplastische Organe C. Organe dritter Ordnung: Zusammengesetzte oder heteroplastische Organe D. Organe vierter Ordnung: Organ-Systeme E. Organe fünfter Ordnung: Organ - Apparate III. Morphologische Individuen dritter Ordnung: Antimeren oder Gegenstücke. . IV. Morphologische Individuen vierter Ordnung: Metameren oder Folgestücke V. Morphologische Individuen fünfter Ordnung: Personen oder Prosopen. VI. Morphologische Individuen sechster Ordnung: Stöcke oder Gormen.
Seite 279 287 289 291 291 296 298 299 301 302 303 322 318 326
Zehntes Capitel: P h y s i o l o g i s c h e I n d i v i d u a l i t ä t d e r O r g a n i s m e n . . I. Die Plastiden als Bionten. (Physiologische Individuen erster Ordnung.) I, A. Die Plastiden als actuelle Bionten I, B. Die Plastiden als virtuelle Bionten I, C. Die Plastiden als partielle Bionten II. Die Organe als Bionten. (Physiologische Individuen zweiter Ordnung.) II, A. Die Organe als actuelle Bionten II, B. Die Organe als virtuelle Bionten II, C. Die Organe als partielle Bionten . . . . ΙΠ. Die Antimeren als Bionten. (Physiologische Individuen dritter Ordn.). III, A. Die Antimeren als actuelle Bionten III, B. Die Antimeren als virtuelle Bionten III, C. Die Antimeren als partielle Biont η IV. Die Metameren als Bionten. (Physiologische Individuen vierter Ordn.). IV, A. Die Metameren als actuelle Bionten IV, B. Die Metameren als virtuelle Bionten IV, C. Die Metameren als partielle Bionten V. Die Personen als Bionten. (Physiologische Individuen fünfter Ordn·). V, A. Die Personen als actuelle Bionten V, B. Die Personen als virtuelle Bionten V, C. Die Personen als partielle Bionten VI. Die Stöcke als Bionten. (Physiologische Individuen sechster Ordn.). VI, A. Die Stöcke als actuelle Bionten VI, B. Die Stöcke als virtuelle Bionten VI, C. Die Stöcke als partielle Bionten
332 332
340 343 343 345 347 347 348 351 351 352 355 356 357 357 359 359 360 361 363 363
Elftes Capitel: T e c t o l o g i s c h e T h e s e n I. Thesen von der Fundamental - Structur der Organismen Π. Thesen von der organischen Individualität
364 364 866
I n h a l t .
XXIX Seite
III. IV. V. YI. VII.
Thesen Thesen Thesen Thesen Thesen
von von von vou von
den den der der der
einfachen organischen Individuen zusammengesetzten organischen Individuen. . . . physiologischen Individualität tectologischen Differenzirung und Centralisation. . Vollkommenheit der verschiedenen Individualitäten.
368 368 369 370 372
Viertes Buch. Zweiter Theil der allgemeinen Anatomie. G e n e r e l l e Promorphologie oder a l l g e m e i n e Grundformenlehre der Organismen 375 ZwSlftes Capltel: B e g r i f f 1. II. ΠΙ. IV. V. VI. VII. VIII.
.
377
Die Promorphologie als L e h r e von den organischen Grundformen. . Begriff der organischen Grundform im Allgemeinen Verschiedene Ansichten über die organischen Grundformen. . . . Die Promorphologie als organische Stereometrie Grundformen aller Individualitäten Promorphologische Bedeutung der Antimeren Systematische Bedeutung der Grundformen Promorphologie und Orismologie
und A u f g a b e der Promorphologie. .
377 379 381 387 390 392 394 396
Dreizehntes Capitel: S y s t e m d e r o r g a n i s c h e n
.
Grundformen
Erste H a u p t a b t h e i l u n g der organischen Grundformen: Lipostaura. Organische Grundformen ohne K r e u z a x e n u n d o h n e M e d i a n e b e n e (Sagittalebene). I. A x e n l o s e . Anaxonia. Spongilla-Form II. A x e n f e s t e . Axonia II, 1. Gleichaxige. Homaxonin. Kugeln. S p h a e r o z o u m - F o r m II, 2. Ungleichaxige. Heteraxonin 2, A. Vielaxige. Polyaxonin. Endosphärische Polyeder An. Irreguläre Vielaxige. Polyaxonin arrhythmn «, I. Ungleichvieleckige. Allopolygona. Rhizosphaera-Form. . . a, II. Gleichvieleckige. Isopolygona. Ethmosphaera - Form. . . . Ab. Reguläre Vielaxige. Polyaxonin rhythmica h, I. Icosaedra Aulosphaera- icosaedra-Form b, II. Dodecaedrn. F o l i e n - F o r m von Bucholzia maritima. . . . b, III. Octnedm. A n t h e r i d i e n - F o r m von Ohara 6, I V . Hexaedra. H e x a e d r o m m a - F o r m (Actinomma drymodes). . . 6, V . Tetraedr«. P o l l e n - F o r m von Corydalis sempervirens. . . . 2, B. Hauptaxige. Protaxonia Ha. Einaxige. Monaxonia η, I. Gleichpolige Einaxige. Haplopoln I, 1. Sphaeroide. Haplopola anepipeda. Coccodiecus-Form. . . I , 2· Cylinder. Haplopola amphepipeda. Pyrosoma-Form.. . ·
400
400 402 404 405 406 407 408 409 410 411 412 412 413 415 416 420 422 423 424
XXX
I n h a l t . Seile
α, Π. Ungleichpolige Einaxige. Diplopola II, 1- Eier. Diplopola anepipeda. Ovalina. II, 2. Kegel. Diplopola moncpipeda. Conulina. · II, 3.
Bh.
I. I,
1,
IL II,
II,
Kegelstumpfe.
Diplopola
nmphepipeda
Kreuzaxige. Stauraxonia Zweite Hauptabtheilung der organischen Grundformen: S t a u r a x o n i a (mit.Ausschluss der Zeugiten.) O r g a n i s c h e G r u n d f o r m e n m i t K r e u z a x e n und o h n e M e d i a n e b e n e (Sagittalebene): Doppel-Pyramiden oder Pyramiden (mit Ausschluss der Allopolen). (Strahlige oder reguläre Formen der meisten Autoren Gleichpolige Kreuzaxige. Homopoln. Doppelpyramiden 1. Gleichpolige Gleichkreuzaxige. Isoslaura. Reguläre Doppelpyramiden. 1, A. Vielseitige reguläre Doppelpyramiden. Isostanra polypleura. Heliodiscus-Porm 1, H. Quadrat-Octaeder. Isostanra octoplenra. Acanthostaurus-Porm. 2. Gleichpolige Ungleichkreuzaxige. Allostaura Amphithecte Doppel Pyramiden 1, A. Vielseitige amphithecte Doppelpyramiden. Allostaura polypleura. Amphilonche - Form. . 1, B. Rhomben - Octaeder. Allostanra octoplenra. Stephanastrum-Form. Ungleichpolige Kreuzaxige. Heteropoln. Pyramiden 1. Ungleichpolige Kreuzaxige. Homostaura. Reguläre Pyramiden. . . 1, A. Geradzahlige reguläre Pyramiden. Isopol a An. Geradzahlige Vielstrahler. Myriactinota. Aequorea-Form. . . Ah. Zehnstrahler. Decactinota. Aegineta-globosa-Form Ac. Achtstrahler. Oclactinota. Alcyonium-Form Ad. Sechsstrahler. Hexactinola. Carmarina-Form Ac. Vierstrahler. Tetractinota. Aurelia-Form 1, B. Ungeradzahlige reguläre-Pyramiden. Avisopola Ba. Ungeradzahlige Vielstrahler. Polyactinota. Brisinga-Form. . . Bh. Neunstrahler. Enneaclinota. Enneactis-Form Bc. Siebenstrahler. Heptactinota Trientalis-Form Bd. Fünfstrahler. Pentactinota. Ophiura-Form Be. Dreistrahler. Triactinota. Iris-Form 2. Ungleichpolige Ungleichkreuzaxige. Hetcrostanra. Irreguläre Pyramiden 2, A. Amphithecte Pyramiden. Antopola Aa. Vielseitige amphithecte Pyramiden: Oxystanra a, I. Achtreifige. Octophraijmn. Eucharis - Form а, II. Sechsreifige. Heraphragma. Flabellum-Form Ah. Rhomben-Pyramiden. Orthostaura б, I. Vierreifige. Tetraphragma. Saphenia-Form h, II. Zweireifige. Diphragma. Petalospyris-Form 2, B. Halbe amphithecte Pyramiden. Allopola (Zeugita) Dritte Hauptabtheilung der organischen Grundformen: Z e u g i t a (Allopola). O r g a n i s c h e G r u n d f o r m e n mit K r e u z a x e n u n d m i t e i n e r M e d i a n e b e n e (Sagittalebene). (Bilaterale oder symmetrische Forme nder meisten Autoren.)
426 426 428 429
430
430 436 437 438 440 446 447 450 452 459 465 466 467 468 469 469 471 471 472 472 473 474 475 479 481 482 485 488 489 492 495
495
Inhalt.
XXXI Seite
I. I, I, I, I, II. II,
II,
Schienige Grundformen. Amphipleura. (Hälften einer amphithecten Pyramide von 4 + 2 n Seiten.) 1. Siebenschienige. Hept amphipleura. Disandra-Form 2. Sechsschi enige. Hexamphipleurn Oculina- Form 3. Fünfschienige. Penl amphipleura. Spatangus - Form . 4. Dreischienige. Triamphipleura. Orchis-Form . Jochpaarige Grundformen: Zygopteura (Halbe Rhomben - Pyramiden oder gleichscfaenkelige Pyramiden.) . . 1. Zweipaarige. Tclrapleurn. Doppelt-gleichschenkelige Pyramiden. . 1, A. Gleichhälftige Zweipaarige. Eutetrapleurn An. Eutetrapleurn rndialia: mit drei Antimeren-Formen. Praya-Form. Ab. Eutelrapleura interradialia: mit zwei Antimeren-Formen. NereisForm 1, ß. Ungleichhälftige Zweipaarige. Oysletraplcura. Abyla-Form. 2. Einpaarige. Dipleurn. Einfach-gleichschenkelige Pyramiden. . . 2, A. Gleichhälftige Einpaarige: Etutiplenra. Homo-Form 2, B. Ungleichhälftige Einpaarige: Oysdipleurn. Pleuronectes-Form. .
Vierzehntes Capltel; G r u n d f o r m e n d e r nungen I. Grundformen der Piastiden II. Grundformen der Organe III. Grundformen der Antimeren IV. Grundformen der Metameren V. Grundformen der Personen VI. Grundformen der Stöcke
sechs
500 501 501 502 505 507 511 513 513 515 518 519 521 524
Individualitäts-Ord-
Fünfzehntes Capltel: P r o m o r p h o l o g i s c h e T h e s e n I. Thesen von der Fundamentalform der Organismen II. Thesen von dem Verhältniss der organischen zu den anorganischen Grundformen III. Thesen von der Constitution der individuellen Grondformeu. . . . IV. Thesen von den Mitten - Differenzen der Grundformen V. Thesen von den lipostauren Grundformen VI. Thesen von den stauraxonien Grundformen VII. Thesen von den zeugiten Grundformen VIH. Thesen von der Vollkommenheit der organischen Grundformen. . . IX. Thesen von der Hemiedrie der organischen Grundformen X. Thesen von der Krystallform organischer Individuen XI. Thesen von den Grundformen der sechs Individualitäts - Ordnungen.
528 528 531 533 535 537 538 540 540 541 543 544 545 547 548 550 551 552 552
Inhalt.
χχχπ
Anhang zum vierten Buche. Seile
I. Das promorphologische System als generelles Fonnensyetem. . . . II. Uebersicht der wichtigsten stereometriechen Grundformen nach ihrem verschiedenen Verhalten zur Körpermitte III. Tabelle zur Bestimmung der Grundformen IV. Uebersicht der realen Typen der Grundformen V. Tabelle über die promorphologischen Kategorieen Erklärung der Tafeln
554 555 556 557 558 559
Berichtigungen: Seite 45, Zeile 14 von oben, lies: Z e l l f u s i o n e n — statt: Zellenstöcke. „ 50, „ 10 von oben, lies: E n t w i c k e l u n g s g e s c h i c h t e — statt: Mor53, 57, 57, 59, 60, 137, 266, 411, 413, 413,
„ ,, „ „ „ „ „ „ „ „
15 von unten, lies: B u c h e — statt: Abschnitt. 1 von oben, lies: f ü n f t e n — statt: dritten. 3 und 6 von oben, lies: Z e u g u n g s k r e i s e — statt: Eiproducte. 2 voi, unten, lies: B i o n t e n — statt: Personen. 4 von oben, lies: G e n e a l o g i e - statt: Phylogenesis. 19 von unten, setze: u n m i t t e l b a r — vor: zugänglich. 7 von unten, streiche: S a l p e n k e t t e n . 17 von unten, lies: zwölf — statt: zwanzig. 10 von unten, lies: P y r a m i d e — statt: Octaeder. 9 von unten, setze: u n g l e i c h p o l i g e — vor: Hauptaxe.
Erstes Buch. Kritische und methodologische Einleitung in die generelle Morphologie der Organismen.
Ηaecke), Generelle Morphologie.
1
„Wenn wir Naturgegenstände, besonders aber die lebendigen, dergestalt gewahr werden, dass wir uns eine Einsicht in den Zusammenhang ihres Wesens und Wirkens zu verschaffen wünschen, so glauben wir zu einer solchen Kenntniss am besten durch Trennung der Theile gelangen zu können; wie denn auch wirklich dieser Weg uns sehr weit zu führen geeignet ist. Was Chemie und Anatomie zur Einund Uebersicht der Natur beigetragen haben, dürfen wir nur mit wenig Worten den Freunden des Wissens in's Gedächtniss zurückrufen. „Aber diese trennenden Bemühungen, immer und immer fortgesetzt, bringen auch manchen Nacht heil hervor Das Lebendige ist zwar in Elemente zerlegt, aber man kann es aus diesen nicht wieder zusammenstellen und beleben. Dieses gilt schon von vielen anorganischen, geschweige von organischen Körpern. ,,Es hat sich daher auch in dem wissenschaftlichen Menschen zu allen Zeiten ein Trieb hervorgethan, die lebendigen Bildungen als solche zu erkennen, ihre äusseren sichtbaren greiflichen Theile im Zusammenhange zu erfassen, sie als Andeutungen des Inneren aufzunehmen, und so das Ganze in der Anschauung gewissermaassen zu beherrschen. Wie nahe dieses wissenschaftliche Verlangen mit dem Kunst- und Nachahmungstriebe zusammenhänge, braucht wohl nicht umständlich ausgeführt zu werden. „Man findet daher in dem Gange der Kunst, des Wissens und der Wissenschaft mehrere Versuche, eine Lehre zu gründen und auszubilden, welche wir die M o r p h o l o g i e nennen möchten." G o e t h e (Jena, 1807).
Erstes Capitel. Begriff und Aufgabe der Morphologie der Organismen. „ W e i l ich für mich und Andere einen freieren Spielraum in der Naturwissenschaft, als man uns bisher gegönnt, zu erringen wünsche, so darf man mir und den Gleichgesinnten keineswegs verargen, wenn wir dasjenige, was unseren rechtmässigen Forderungen entgegensteht, scharf bezeichnen und uns nicht mehr gefallen lassen, was man seit so vielen Jahren herkömmlich gegen uns verübte." Goethe.
D i e M o r p h o l o g i e o d e r F o r m e n l e h r e der O r g a n i s m e n ist die g e s a m m t e W i s s e n s c h a f t von den i n n e r e n und ä u s s e r e n F o r m e n v e r h ä l t n i s s e n der b e l e b t e n N a t u r k ö r p e r , der Thiere und Pflanzen, im weitesten Sinne des Wortes. D i e A u f g a b e der o r g a n i s c h e n M o r p h o l o g i e ist mithin die E r k e n n t n i s s und die E r k l ä r u n g d i e s e r F o r m e n v e r h ä l t n i s s e , d. h. die Zurtickfilhrung ihrer Erscheinung auf bestimmte Naturgesetze. Wenn die Morphologie ihre eigentliche Aufgabe erkennt und eine Wissenschaft sein will, so darf sie sieh nicht begnügen mit der K e n n t niss der Formen, sondern sie muss ihre E r k e n n t n i s s und ihre E r k l ä r u n g erstreben, sie muss nach den G e s e t z e n suchen, nach denen die Formen gebildet sind. Es muss diese hohe Aufgabe unserer Wissenschaft desshalb hier gleich beim Eintritt in dieselbe ausdrücklich hervorgehoben werden, weil eine entgegengesetzte irrige Ansicht von derselben weit verbreitet, j a selbst heutzutage noch die bei weitem vorherrschende ist. Die grosse Mehrzahl der Naturforscher, welche sich mit den Formen der Organismen beschäftigen, Zoologen sowohl, als Botaniker, begnügt sich mit der blossen K e n n t n i s s derselben; sie sucht die unendlich mannichfaltigen Formen, die äusseren und inneren Gestaltungs-Verhältnisse der thierischen und pflanzlichen Körper auf und ergötzt sich an ihrer Schönheit, bewundert ihre Mannigfaltigkeit und erstaunt über ihre Zweckmässigkeit; sie beschreibt und unter1*
4
Begriff und Aufgabe der Morphologie der Organismen.
scheidet alle einzelnen Formen, belegt jede mit einem besonderen Namen und findet in deren systematischer Anordnung ihr höchstes Ziel. Diese Kenntniss der organischen Formen gilt leider noch heute in den weitesten Kreisen als wissenschaftliche Morphologie der Organismen. Man verachtet und verspottet zwar die früher fast ausschliesslich herrschende oberflächliche Systematik, welche sich mit der blossen Kenntniss der ä u s s e r e n Formenverhältnisse der Thiere und Pflanzen und mit deren systematischer Classification begnügte. Man vergisst dabei aber ganz, dass die gegenwärtig die meisten Zoologen und Botaniker beschäftigende Kenntniss der i n n e r e n Formenverhältnisse an sich betrachtet nicht um ein Haar höher steht, und ebenso wenig an und ftir sich auf den Rang einer erkennenden Wissenschaft Ansprach machen kann. Die anatomischen und histologischen Darstellungen einzelnerTheile von Thieren und Pflanzen, sowie die anatomisch-histologischen Monographieen einzelner Formen, welche sich in unseren zoologischen und botanischen Zeitschriften von Jahr zu Jahr immer massenhafter anhäufen und in deren Production von den Meisten das eigentliche Ziel der morphologischen Wissenschaft gesucht wird, sind ftir diese von ebenso untergeordnetem Werthe, als die im vorigen Jahrhundert vorherrschenden Beschreibungen und Classificationen der äusseren Species-Formen. Die Zootomie und die Phytotomie sind an sich so wenig wirkliche Wissenschaften, als die von ihnen so verachtete, sogenannte Systematik; sie haben, wie diese, bloss den Rang einer unterhaltenden Gemttths- und Augen-Ergötzung. Alle Kenntnisse, die wir auf diesem Wege erlangen, sind nichts als Bausteine, aus deren Verbindung das Gebäude unserer Wissenschaft erst aufgerichtet werden soll. Indem sich nun die grosse Mehrzahl der sogenannten Zoologen und Botaniker mit dem Aufsuchen, Ausgraben und Herbeischleppen dieser Bausteine begnügt, und in dem Wahne lebt, dass diese Kunst die eigentliche Wissenschaft sei, indem sie das Kennen mit dem Erkennen verwechselt, kann es uns nicht Wunder nehmen, wenn der Bau unseres wissenschaftlichen Lehrgebäudes selbst noch unendlich hinter den bescheidensten Anforderungen unserer heutigen Bildung zurück ist. Der denkenden Baumeister sind nur wenige, und diese wenigen stehen so vereinzelt, dass sie unter der Masse der Handlanger verschwinden und nicht von den letzteren verstanden werden. So gleicht denn leider die wissenschaftliche Morphologie der Organismen heutzutage mehr einem grossen wüsten Steinhaufen, als einem bewohnbaren Gebäude. Und dieser Steinhaufen wird niemals dadurch ein Gebäude, dass man alle einzelnen Steine inwendig und auswendig untersucht und mikroskopirt, beschreibt und abbildet, benennt und dann wieder hinwirft. Wir kennen zwar die üblichen Phrasen von den riesenhaften Fortschritten der organischen Naturwissenschaften, und
Begriff and Aufgabe der Morphologie der Organismen.
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der Morphologie insbesondere; die Selbstbewunderung, mit der man die quantitative Vermehrung unserer zoologischen und botanischen Kenntnisse alljährlich anstaunt. Wo aber, fragen wir, bleibt die denkende und erkennende Verwerthung dieser Kenntnisse? Wo bleibt der qualitative Fortschritt in der Erkenntniss? Wo bleibt das erklärende Licht in dem dunklen Chaos der Gestalten? Wo bleiben die m o r p h o l o g i s c h e n N a t u r g e s e t z e ? Wir müssen offen gestehen, in diesem rein quantitativen Zuwachs mehr Ballast, als Nutzen zu sehen. Der Steinhaufen wird nicht dadurch zum Gebäude, dass er alle Jahr um so und so viel höher wird. Im Gegentheil, es wird nur schwieriger, sich in demselben zurechtzufinden, und die Ausführung des Baues wird dadurch nur in immer weitere Ferne gerückt. Nicht mit Unrecht erhebt die heutige Physiologie stolz ihr Haupt Uber ihre Schwester, die armselige Morphologie. So lange die letztere nicht nach der Erklärung der Formen, nach der Erkenntniss ihrer Bildungsgesetze strebt, ist sie dieser Verachtung werth. Zwar möchte sie dann wenigstens auf den Rang einer descriptiven Wissenschaft Anspruch machen. Indessen ist diese Bezeichnung selbst ihr nicht zu gewähren. Denn eine bloss beschreibende Wissenschaft ist eine Contradictio in adjecto. Nur dadurch, dass der g e s e t z m ä s s i g e Zusamm e n h a n g in der F ü l l e d e r e i n z e l n e n E r s c h e i n u n g e n gefunden wird, nur dadurch erhebt sich die Kunst der Formbeschreibung zur W i s s e n s c h a f t der F o r m e r k e n n t n i s s . Wenn wir nun nach den Gründen fragen, warum die wissenschaftliche Morphologie noch so unendlich zurück ist, warum noch kaum die ersten Grundlinien dieses grossen und herrlichen Gebäudes gelegt sind, warum der grosse Steinhaufen noch roh und ungeordnet ausserhalb dieser Grundlinien liegt, so finden wir freilich die rechtfertigende Antwort theilweis in der ausserordentlichen Schwierigkeit der Aufgabe. Denn die wissenschaftliche Morphologie der Organismen ist vielleicht von allen Naturwissenschaften die schwierigste und unzugänglichste. Wohl in keiner andern Naturwissenschaft steht die reiche Fülle der Erscheinungen in einem solchen Missverhältnisse zu unseren dürftigen Mitteln, sie zu erklären, ihre Gesetzmässigkeit zu erkennen und zu begründen. Das Zusammenwirken der verschiedensten Zweige der Naturwissenschaft, welches ζ. B. die Physiologie in dem letzten Decennium auf eine so ansehnliche Höhe erhoben hat, kommt der Morphologie nur in äusserst geringem Maasse zu statten. Und die untrügliche mathematische Sicherheit der messenden und rechnenden Methode, welche die Morphologie der anorganischen Naturkörper, die Krystallographie, auf einen so hohen Grad der Vollendung erhoben hat, ist in der Morphologie der Organismen fast nirgends anwendbar. Zum grossen Theil aber liegt der höchst unvollkommene Zustand
6
Begriff und Aufgabe der Morphologie der Organismen.
unserer heutigen Morphologie der Organismen auch an dem unwissenschaftlichen Verfahren der Morphologen, welches wir in den obigen Sätzen bei weitem noch nicht so scharf gerügt haben, wie es gerügt zu werden verdiente. Vor Allem ist es die übermässige V e r n a c h l ä s s i g u n g s t r e n g e r D e n k t h ä t i g k e i t , der fast allgemeine Mangel an wirklich vergleichender und denkender Naturbetrachtung, dem wir hier den grössten Theil der Schuld beimessen müssen. Freilich ist es unendlich viel bequemer, irgend eine der unzähligen Thier- und Pflanzen-Formen herzunehmen, sie mit den ausgebildeten anatomischen und mikroskopischen Hülfsmitteln der Neuzeit eingehend zu untersuchen, und die gefundenen Formenverhältnisse ausführlich zu beschreiben und abzubilden; freilich ist es unendlich viel bequemer und wohlfeiler solche sogenannte „Entdeckungen" zu machen, als durch methodische Vergleichung, durch angestrengtes Denken das V e r s t ä n d n i s s der beobachteten Form zu gewinnen und die G e s e t z m ä s s i g k e i t der FormErscheinung nachzuweisen. Insbesondere in den letzten acht Jahren, seit dem allzufrühen und nicht genug zu beklagenden Tode von J o h a n n e s Müller (1858), dessen gewaltige Autorität bei seinen Lebzeiten noch einigermaassen strenge Ordnung auf dem weiten Gebiete der organischen Morphologie aufrecht zu erhalten wusste, ist eine fortschreitende Verwilderung und allgemeine Anarchie auf demselben eingerissen, so dass jede strenge Vergleichung der quantitativ so bedeutend wachsenden jährlichen Leistungen einen eben so jährlich beschleunigten qualitativen Kückschritt nachweist. In der That nimmt die d e n k e n d e Betrachtung der organischen Formen heutzutage in demselben Verhältnisse alljährlich ab, als die gedankenlose Production des Rohmaterials zunimmt. Sehr richtig sprach in dieser Beziehung schon Victor Carus vor nunmehr 13 Jahren die freilich wenig beherzigten Worte: „Wie es für unsere Zeit charakteristisch ist, dass fast alle Wissenschaften sich in endlose Specialitäten verlieren und nur selten zu dem rothen Faden ihrer Entwickelung zurückkommen, so scheut man sich auch in der B i o l o g i e (und ganz vorzüglich in der Morphologie!) vor A n w e n d u n g s e l b s t der u n g e f ä h r l i c h s t e n D e n k p r o c e s s e . " Neben der fast allgemein herrschenden Denkträgheit ist es freilich auch sehr oft die höchst m a n g e l h a f t e a l l g e m e i n e B i l d u n g , der Mangel an philosophischer Vorbildung und an Ueberblick der gesammten Naturwissenschaft, welcher den Morphologen unserer Tage den Gesichtskreis so verengt, dass sie das Ziel ihrer eigenen Wissenschaft nicht mehr sehen können. Die grosse Mehrzahl der heutigen Morphologen, und zwar sowohl der sogenannten „Systematiker," welche die äusseren Formen, als der sogenannten „vergleichenden Anatomen," welche den inneren Bau der Organismen beschreiben (ohne ihn zu vergleichen, und ohne über den Gegenstand überhaupt ernstlich nach-
Begriff und Aufgabe der Morphologie der Organismen.
7
zudenken!) hat das hohe und so weit entfernte Ziel unserer Wissenschaft völlig aus den Augen verloren. Sie begnügen sich damit, die organischen Formen (gleichgültig ob die äussere Gestalt oder den inneren Bau) ohne sich bestimmte Fragen vorzulegen, oberflächlich zu untersuchen und in dicken papierreichen und gedankenleeren Büchern weitläufig zu beschreiben und abzubilden. Wenn dieser ganz unnütze Ballast in den Jahrbüchern der Morphologie aufgeführt und bewundert wird, haben sie ihr Ziel erreicht. Wir erlauben uns diesen traurigen Zustand hier rücksichtslos und scharf hervorzuheben, weil wir von der Ueberzeugung durchdrungen sind, dass nur durch die Erkenntniss desselben und durch die offene Beleuchtung des dunkeln Chaos, welches die sogenannte Morphologie gegenwärtig darstellt, eine bessere Behandlung derselben, eine wirklich fördernde Erkenntniss der Gestalten angebahnt werden kann. Erst wenn man allgemein danach streben wird, den gesetzmässigen Zusammenhang in den endlosen Reihen der einzelnen Gestalt-Erscheinungen aufzufinden, wird es möglich werden, an das grosse und gewaltige Gebäude der Morphologie selbst construirend heranzutreten. Erst wenn die Kenntniss der Formen sich zur Erkenntniss, wenn die Betrachtung der Gestalten sich zur Erklärung erheben wird, erst wenn a u s dem b u n t e n Chaos der G e s t a l t e n sich die Gesetze i h r e r B i l d u n g e n t w i c k e l n w e r d e n , erst d a n n wird die n i e d e r e K u n s t d e r Morp h o g r a p h i e sich in die e r h a b e n e W i s s e n s c h a f t der Morphologie v e r w a n d e l n können. Man wird uns von vielen Seiten entgegnen, dass die Zeit dafür noch nicht gekommen, dass unsere empirische Basis hierzu noch nicht genug breit, unsere Naturanschauung noch nicht genug reif, unsere Kenntniss der organischen Gestalten noch viel zu unvollkommen sei. Dieser selbst von hervorragenden Morphologen getheilten Anschauung müssen wir auf das Entschiedenste entgegentreten. Niemals wird ein so hohes und fernes Ziel, wie das der wissenschaftlichen Morphologie ist, erreicht werden, wenn man dasselbe nicht stets im Auge behält. Will man mit der Construction des Gebäudes, mit der Aufsuchung von allgemeinen Gestaltungs-Gesetzen warten, bis wir alle existirenden Formen kennen, so werden wir niemals damit fertig werden; j a wir werden niemals auch nur zum Fundament einer wissenschaftlichen Formenlehre gelangen. Des Ausbaues und der Verbesserung bedürftig wird das Gebäude ewig bleiben; das hindert aber nicht, dass wir uns wohnlich darin einrichten, und dass wir uns der Gesetzmässigkeit der Gestalten erfreuen, auch wenn wir wissen, dass unsere Erkenntniss derselben eine beschränkte ist.
g
Verhältnies der Morphologie zu den anderen Naturwissenschaften.
Zweites Capitel. Verhältniss der Morphologie zu den anderen Naturwissen schaff en. „Eine höchst wichtige Betrachtung in der Geschichte der Wissenschaft ist die, dass sich aus den ersten Anfängen einer Entdeckung Manches in den Gang des Wissens beran- und durchzieht, welches den Fortschritt hindert, sogar öftere lähmt. So hat auch jeder Weg, durch den wir zu einer nenen Entdeckung gelangen, Einfluss auf Aneicht und Theorie. Was würden wir von einem Architecten sagen, der durch eine Seitenthüre in einen Palast gekommen wäre, und nun, bei Beschreibung und Darstellung eines solchen Gebftudes, Alles auf diese erste untergeordnete Seite beziehen wollte? Und doch geschieht dies in den Wissenschaften jeden Tag." Goethe.
I. Morphologie and Biologie. Den Begriff der Morphologie der Organismen haben wir im ersten Capitel dahin bestimmt, dass dieselbe die gesammte Wissenschaft von den inneren und äusseren Formenverhältnissen der belebten Naturkörper ist; wir haben ihr die Aufgabe gesteckt, diese Formen-Verhältnisse zu erklären und auf bestimmte Naturgesetze zurückzuführen. Wir haben nun zunächst den Umfang und Inhalt jenes Begriffs noch näher zu erläutern, indem wir das Verhältniss der Morphologie zu den anderen Naturwissenschaften ins Auge fassen. Indem die Morphologie der Organismen die Bildungs-Gesetze der thierischen und pflanzlichen Formen untersucht, bildet sie einen Theil der B i o l o g i e oder Lebenswissenschaft, wenn wir unter diesem Namen, wie es neuerdings geschieht, die g e s a m m t e W i s s e n s c h a f t v o n d e n O r g a n i s m e n oder belebten Naturkörpern unseres Erdballs zusammenfassen. ') Gewöhnlich wird die Morphologie als der eine der beiden ') Indem wir den Begriff der B i o l o g i e auf diesen umfassendsten und weitesten Umfang aasdehnen, schliessen wir den engen und beschränkten Sinn ans, in welchem man häufig (insbesondere in der Entomologie) die Biologie mit der Oecologie verwechselt, mit der Wissenschaft von der Oeconomie, von der Lebensweise, von den äusseren Lebensbeziehungen der Organismen zu einander etc.
I. Morphologie und Biologie.
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Haupttheile der Biologie betrachtet und ihr als zweiter Haupttheil der letzteren die Physiologie als die Wissenschaft von den Leistungen der Organismen gegenüber gestellt. Morphologie und Physiologie sind demnach als zwei coordinirte Disciplinen der allumfassenden Biologie untergeordnet. Da jedoch in dieser Beziehung sich sehr verschiedene Auffassungen geltend machen, und da sowohl das Verhältniss der Morphologie zur Biologie als dasjenige zur Physiologie vielfach verkannt wird, so erscheint es nothwendig dieses Verhältniss in nähere Erwägung zu ziehen und namentlich den Gebietsumfang der beiden coordinirten Wissenschaften scharf von einander abzugrenzen. Wir schicken voraus, dass dieser Versuch, wie jede ähnliche systematisirende Bestimmung, nur einen bedingten Werth hat, indem es niemals möglich ist, die einzelnen Wissensgebiete vollkommen scharf von einander abzugrenzen. Vielmehr greifen dieselben, der Natur der Dinge gemäss, überall so vielfältig in einander über, dass die Grenzbestimmung der einzelnen Lehrgebiete immer mehr oder weniger dem subjectiven Gutdünken des philosophischen Naturforschers überlassen bleiben muss. Ferner bedingt der beständige Fortschritt aller Wissenschaften, die ungleich schnelle Entwickelung und ungleich hohe Ausbildung der einzelnen Disciplinen, der jeweilige Grad des herrschenden Interesses fttr die eine oder die andere, dass der Umfang der einzelnen Wissensgebiete ebenso wie ihr Inhalt einer beständigen Veränderung unterworfen ist. Auch sind ja die Gesichtspunkte der einzelnen Zeiten ebenso wie diejenigen der einzelnen Philosophen verschieden, und mit der fortschreitenden Erkenntniss, mit der sich entwickelnden Denkweise ändert sich zugleich die Sprache und ändern sich deren Begriffe. Wir würden daher diese schwierigen allgemeinen Fragen gerne umgehen, wenn es nicht fttr eine klare Auffassung unserer eigenen Aufgabe nothwendig erschiene, den Umfang unseres morphologischen Forschungs-Gebiets scharf abzugrenzen und die grosse Verwirrung der Begriffe, welche hier herrscht, zu lichten. Schon die ganz verschiedene Bedeutung, welche selbst den Begriffen der Morphologie, Physiologie und Biologie zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Seiten der Jetztzeit (ζ. B. von den sehr verschiedenen Richtungen und Schulen in der Zoologie und Botanik) beigelegt worden ist, zwingt uns zu dieser Erörterung. Wollen wir zu einer festen Begriffsbestimmung dieser Wissenschaften gelangen, so ist es aber nöthig, von den allgemeinsten Kategorieen der naturwissenschaftlichen Disciplinen auszugehen. Zunächst ist hier das Verhältniss der Biologie zur Anorganologie, demnächst das Verhältniss der gesainmten Morphologie zur Physik und Chemie besonders zu berücksichtigen, und der Begriff dieser Wissenschaften seinem Umfang und Inhalt nach festzustellen. Denn wir müssen
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Verhältniss der Morphologie zu den anderen Naturwissenschaften.
gleichzeitig die Morphologie der unorganischen und der organischen Naturkörper vergleichend ins Auge fassen, um die Stellung zu bestimmen, welche die Moi-phologie der Organismen unter, neben und Uber den benachbarten Naturwissenschaften einnimmt. Π. Morphologie und Physik. (Statik und Dynamik.) Wenn wir als Eintheilungsprincip der gesammten Naturwissenschaft die Anwesenheit oder den Mangel derjenigen eigenthlimlichen Bewegungserscheinungen eines Theils der Naturkörper anwenden, welche man unter dem Begriffe des „ L e b e n s " zusammenfasst, so müssen wir die Gesammtwissenschaft von den Naturkörpern unserer Erde einteilen in die beiden Hauptzweige der Biologie und der Abiologie. Die B i o l o g i e oder Organismen-Lehre ist die Gesammtwissenschaft von den Organismen, oder den sogenannten „belebten" Naturkörpern, Thieren, Protisten und Pflanzen. Die A b i o l o g i e oder Anorganologie, die Anorganen-Lehre, ist die Gesammtwissenschaft von den Anorganismen (Abien) oder den sogenannten „leblosen" Naturkörpern, Mineralien, Wasser, atmosphärischer Luft etc. *) Wie diese beiden Hauptzweige der irdischen Naturwissenschaft, s ) welche ihren gesammten Inhalt bilden, Biologie und Abiologie, sich coordinirt gegenüber stehen, so werden wir auch zwischen den ihnen subordinirten Disciplinen eine Parallele herstellen können, welche uns für die Werthschätzung und Rangordnung der einzelnen Zweige einen schätzenswerthen Maassstab liefert. Wenn wir dagegen von den charaktistischen Lebenserscheinungen, welche die Organismen auszeichnen und von den Anorganen unterscheiden, zunächst absehen, so können wir an jedem Naturkörper drei verschiedene Qualitäten unterscheiden, nämlich 1, den S t o f f oder die Materie; 2, die F o r m oder die Morphe; 3, die K r a f t oder die Function. Hieraus würden sich als die drei Hauptzweige der Naturwissenschaft folgende drei Disciplinen ergeben: 1, die Stofflehre oder Chemie; 2, die Formlehre oder M o r p h o l o g i e (im weitesten Sinne des Worts); 3, die Kraftlehre oder P h y s i k . Die gesammte N a t u r , organische und anorganische, erkennen wir ') Gewöhnlich wird der Biologie als coordinirter anderer Hauptzweig der Naturwissenschaft die Mineralogie gegenübergestellt, welche jedoch nur die Wissenschaft von den festen (nicht von den tropfbar flüssigen und gasformigen) leblosen Naturkörpern umfasst. ') Von der Kosmologie, der Wissenschaft von den gesammten Weltkörpern, sehen wir hier ganz ab und beschränken uns auf die Betrachtung der irdischen Naturkörper.
Π. Morphologie und Physik.
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als ein S y s t e m von b e w e g e n d e n K r ä f t e n , w e l c h e d e r M a t e r i e i n h ä r i r e n und von dieser nicht trennbar sind. Wir kennen keine Kraft ohne Materie, ohne materielles Substrat, und keine Materie ohne Kraft, ohne Function. Die Gesammtheit der Functionen eines Theils der Materie oder eines Naturkörpers ist nichts Anderes, als die Gesammtheit der Bewegungs-Erscheinungen, welche an demselben als Resultanten auftreten aus seinen eigenen Kräften und den Kräften derjenigen anderen Naturkörper oder Theile der Materie, welche mit ihm in Wechselwirkung treten. Da die gesammte Natur nichts Anderes als ein System von bewegenden Kräften ist, so folgt hieraus, dass wirkliche Ruhe nirgends existirt und dass da, wo scheinbare Ruhe in einem Theile der Materie vorhanden ist, diese bloss die Resultante aus der Wechselwirkung der verschiedenen bewegenden Kräfte ist, die in diesem Theile der Materie zusammentreffen und sich das Gleichgewicht halten. Sobald das Gleichgewicht aufhört, sobald eine der bewegenden Kräfte über die Andern das Uebergewicht gewinnt, tritt die Bewegung als solche wieder in die Erscheinung. Man kann demgemäss jeden Naturkörper entweder im Zustande des G l e i c h g e w i c h t s der bewegenden Kräfte, d. h. im Momente der Ruhe, oder im Zustande der B e w e g u n g , d. h. im Momente des Uebergewichts einer oder mehrerer der bewegenden Kräfte untersuchen. Hierauf beruht die Eintheilung der gesammten Naturwissenschaft in eine s t a t i s c h e und in eine d y n a m i s c h e . Die S t a t i k oder Gleichgewichtslehre will die Gesetze erkennen, unter denen das G l e i c h g e w i c h t der B e w e g u n g e n zu Stande kommt und untersucht das Resultat dieses Gleichgewichts. Die D y n a m i k oder Bewegungslehre dagegen untersucht die Gesetze der B e w e g u n g e n , welche in die Erscheinung treten, sobald das Gleichgewicht aller der Materie inhärirenden Kräfte durch das U e b e r g e w i c h t einer oder mehrerer derselben vernichtet wird, und sucht das Resultat dieses Uebergewichts zu erklären. Setzen wir nun die Materie der Naturkörper als das ursprünglich Gegebene voraus und suchen das Verhältniss der F o r m der Materie zu den beständig in ihr thätigen bewegenden Kräften mit Rücksicht auf die eben gegebenen Erläuterungen näher zu bestimmen, so wird uns sofort klar, dass die jeweilige Form der Materie nichts Anderes ist, als das in die Erscheinung tretende Resultat des Gleichgewichts aller bewegenden Kräfte in einem bestimmten Momente. Die Formenlehre oder M o r p h o l o g i e der N a t u r k ö r p e r im weitesten Sinne des Wortes ist mithin die S t a t i k d e r M a t e r i e . Wenn nun nach dieser Ableitung d i e F o r m als d i e M a t e r i e im Z u s t a n d e des G l e i c h g e w i c h t s i h r e r b e w e g e n d e n K r ä f t e zu definiren ist, so erscheint sie streng genommen selbst schon als das
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Verhältnies der Morphologie zti den anderen Naturwissenschaften.
Resultat einer Function der Materie. Wir müssen daher, wollen wir die übliche Antithese von Form und Function festhalten, die Leistung, Kraft oder Function bestimmen als die Materie im Zustande der Bewegung, welche durch das Uebergewicht einer oder mehrerer ihrer bewegenden Kräfte Uber die anderen entsteht. Die Wissenschaft von den Leistungen oder Functionen, welche wir oben als Kraftlehre oder P h y s i k bezeichnet haben, würde dann wesentlich die D y n a m i k der M a t e r i e sein. Wenn wir von diesem Gesichtspunkte aus die Gesammtwissenschaft von den irdischen Naturkörpern eintheilen, wenn wir also von den eigenthümlichen „Lebenserscheinungen" ganz absehen und als Eintheilungsprincip lediglich die Anwesenheit oder den Mangel des Gleichgewichts der der Materie inhärirenden Kräfte betrachten, so spaltet sich die gesammte Naturwissenschaft in die beiden coordinirten Hauptzweige der Formenlehre oder Gleichgewichtslehre (Morphologie, Statik) und der Functionslehre oder Bewegungslehre (Physik, Dynamik).
III. Morphologie and Chemie. Von der so eben begründeten Anschauungsweise wird die Materie selbst als gegeben und "bekannt vorausgesetzt, und es wird mithin die Chemie oder Stoff lehre, welche wir oben als die erste von den drei Fundamental-Wissenschaften aufgeführt haben, nicht mit in Betracht gezogen. Es entsteht nun aber die Frage, welche Stellung die Chemie den beiden coordinirten Zweigen der Statik oder Morphologie und der Dynamik oder Physik gegenüber eigentlich einnimmt. Die Beantwortung dieser Frage ist für uns desshalb von grosser Wichtigkeit, weil auch ein Theil der Chemie als zur Morphologie der Organismen gehörig beansprucht worden ist. Offenbar liegen hier drei Möglichkeiten vor: Entweder ist die Chemie der beiden coordinirten Disciplinen, der Dynamik (Physik) und der Statik (Morphologie) übergeordnet, oder sie ist ihnen als dritter gleichwerthiger Zweig beigeordnet, oder sie ist ihnen beiden oder einer von ihnen untergeordnet. Jede dieser drei möglichen Auffassungen lässt sich von ihrem eigenthümlichen und besonderen Standpunkte aus rechtfertigen. I. Im e r s t e n F a l l e , wenn man, wie es von mehreren Seiten, namentlich von manchen Physiologen geschieht, Statik und Dynamik als die beiden coordinirten Hauptzweige der Naturwissenschaft auffasst, welche der Stofflehre untergeordnet sind und ihren Inhalt bilden, erscheint die Chemie im allgemeinsten Sinne, als die allumfassende Naturwissenschaft selbst, als die einzige Fundamentalwissenschaft, welche alle übrigen in sich begreift. Diese Auffassung lässt sich damit rechtfertigen, dass die Kenntniss des Stoffs der Untersuchung aller Formen, aller Bewegungserscheinungen vorausgehen muss, dass in der That alle
III. Morphologie und Chemie.
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Formen nur Erscheinungsweisen, Functionen des Stoffs, und zwar Gleichgewichtszustände der Materie sind, und dass andererseits alle die Functionen oder Kräfte, welche als Bewegungen in die Erscheinung treten, ebenso unmittelbar durch die Materie selbst bedingt sind, und von der Materie ausgehen. Da wir es hier nur mit Naturkörpern zu thun haben, welche den Baum erfüllen, und nicht mit den stofflosen Körpern der Mathematik, und da wir Naturkörper ohne Materie nicht kennen, so muss die Materie dieser Körper als gegeben voraus gesetzt werden, wenn wir ihre Formen und ihre Kräfte oder Leistungen untersuchen wollen. Von diesem Standpunkte aus (dem „materialistischen" im strengsten Sinne) ist die Chemie die allumfassende Naturwissenschaft, und Morphologie und Physik sind ihre beiden nächstuntergeordneten Hauptzweige. II. Im z w e i t e n F a l l e , wenn man, wie es gewöhnlich geschieht, Chemie, Physik (Dynamik) und Morphologie (Statik) als die drei coordinirten Hauptzweige der Naturwissenschaft auffasst, erscheint keiner der drei Begriffe hinsichtlich seines Umfangs vor den anderen beiden bevorzugt, und ihnen Ubergeordnet. Diese Anschauungsweise lässt sich damit begründen, dass, wie wir oben bereits gezeigt haben, zunächst bei der einfachsten Betrachtung jedes Naturkörpers Stoff, Form und Kraft als die drei allgemeinsten Grund-Eigenschaften desselben uns entgegentreten, welche gleichen Anspruch auf eine gesonderte und unabhängige wissenschaftliche Behandlung machen können. Dieser Forderung entspricht ζ. B. die gewöhnliche Untersuchungsweise und Vertheilung des Lehrstoffs in der Abiologie, indem meistens die Naturwissenschaft von den Änorganen in die drei coordinirten Lehrzweige der (anorganischen) Chemie, der Physik (im engeren Sinne) und der Mineralogie (im weitesten Sinne) gespalten wird. Wollte man dieselbe Eintheilung auch in der Biologie scharf durchführen (was aber niemals geschieht), so würde man als drei coordinirte Zweige derselben erhalten: 1, die Chemie der Organismen (organische Chemie im weitesten Sinne); 2, die (rein physikalische) Physiologie (Dynamik der Organismen); 3, die Morphologie der Organismen. Doch lässt sich die gegenseitige Abgrenzung dei Gebiete der Chemie, Physik und Morphologie als drei coordinirter Disciplinen weder in dem Bereiche der organischen, noch der unorganischen Naturwissenschaft so scharf thatsächlich durchfllhren, als diese Begriffsbestimmung es erfordert. III. Im d r i t t e n F a l l e , wenn man, wie es von Seiten vieler Biologen geschieht, die Chemie als eine Hülfswissenschaft betrachtet, und ihr einen Platz weder Uber, noch neben den beiden anderen Disciplinen der Statik und Dynamik gönnt, muss die Chemie den letzteren untergeordnet erscheinen, und es fragt sich dann nur, ob sie Beiden, oder
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Verhältaiss der Morphologie zu den anderen Naturwissenschaften.
ob sie einer von Beiden, — und im letzteren Falle, welcher von Beiden sie subordinirt ist. Thatsächlich machen sich hier nun sehr verschiedenartige, Auffassungen geltend. In der B i o l o g i e wird gewöhnlich, ja fast immer, die Chemie der Organismen als ein Theil der organischen Functionslehre, der Physiologie betrachtet; und die Übliche Definition der Physiologie bestimmt sie als die „Physik und Chemie der Organismen." In physiologischen Lehrbüchern und Lehrvorträgen spielt die Chemie eine eben so hervorragende Rolle, als die Physik. Dagegen wird die organische Chemie von der Morphologie nur selten, oder nur ganz beiläufig als eine innerhalb ihres Umfanges stehende Hülfswissenschaft in Anspruch genommen. Ganz anders gestaltet sich dagegen die Stellung der Chemie in der A b i o l o g i e , indem hier, wie erwähnt, gewöhnlich Chemie, Physik und Morphologie (Krystallographie etc.) als coordinate Disciplinen auftreten. Freilich lässt sich hier auch die Chemie als ein Inhaltstheil der Physik betrachten, indem man dieselbe als eine „Physik der Atome" auffasst. Die Beurtheilung dieses Verhältnisses wird verschieden ausfallen, j e nachdem man den herrschenden atomistischen oder den entgegengesetzten dynamischen Ansichten von der fundamentalen Constitution der Materie huldigt. Nach unserer Auffassung darf die Chemie, wenn man sie, wie dies in der Biologie thatsächlich geschieht, weder als Ubergeordnet noch als coordinirt der "Statik und Dynamik anerkennen will, nicht ausschliesslich einer von diesen beiden Disciplinen untergeordnet werden. Vielmehr müssen wir dann die Chemie ebenfalls in einen statischen und in einen dynamischen Zweig spalten, von denen jener der Morphologie, dieser der Physik zufällt. Die s t a t i s c h e C h e m i e , welche sich dann der Morphologie unterordnet, ist d i e C h e m i e der S u b s t r a t e , und begnügt sich mit der a n a l y t i s c h e n E r k e n n t n i s s d e r c h e m i s c h e n Z u s a m m e n s e t z u n g des Naturkörpers, dessen F o r m Object der Betrachtung ist. Auf dem anorganischen Wissenschaftsgebiete gehört hierher ζ. B. der chemische Theil der Mineralogie, ferner die Lehre von der chemischen Zusammensetzung des Wassers, der atmosphärischen Luft etc. Auf dem organischen Wissenschaftsgebiete dagegen ist diese statische Chemie deijenige Theil der „organischen" (fälschlich „physiologisch" genannten) Chemie, welcher häufig als „descriptive Chemie" bezeichnet und als „Chemie der Substrate" von der Physiologie, vollkommen mit Unrecht, in Anspruch genommen wird. Denn es ist klar, dass dieser statische Theil der Chemie entschieden zur Morphologie gerechnet werden muss; thatsächlich wird derselbe auch vielfältig von der Morphologie als wesentlicher Inhaltstheil benutzt, selten aber ausdrücklich als solcher in Anspruch genommen. Victor C a r u s , dessen Behandlung der Morphologie sich so hoch über die allgemein
ΙΠ. Morphologie trod Chemie.
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übliche erhebt, sagt in dieser Beziehung mit Recht, „dass die Kenntniss der chemischen Natur des l e b e n s f ä h i g e n Substrates einen integrirenden Theil der statischen Biologie ausmacht, insofern die während des L e b e n s auftretenden chemischen V o r g ä n g e , (welche das Object der Physiologie bilden) nicht verstanden werden können ohne das Verständniss der chemischen Mittel, die das Substrat mit sich bringt." Freilich wird gewöhnlich auch dieser Theil der Chemie von der Physiologie beansprucht ; so sehr aber auch praktische Gründe diese Annexion rechtfertigen (so vor Allem der Mangel an chemischen Kenntnissen bei den meisten Morphologen), so kann doch theoretisch dieselbe nicht zugestanden werden; vielmehr mllssen wir die Chemie der Substrate von unserem Standpunkt aus als rein s t a t i s c h der Morphologie zuweisen. So ist sie von S c h l e i d e n in seinen ausgezeichneten Grundzttgen der wissenschaftlichen Botanik als „vegetabilische oder botanische Stofflehre" der Lehre von der Pflanzenzelle und der Morphologie vorausgeschickt worden. Ebenso sollte auch die „thierische Stofflehre" als erstes Capitel der thierischen Morphologie vorausgehen. Indess fügen wir dieser theoretisch berechtigten Forderung zugleich die Entschuldigung bei, dass der unvollkommene Zustand dieses Theils der Wissenschaft, und vor Allem unsere höchst mangelhafte Kenntniss von dem Causal-Zusammenhang zwischen Stoff und Form allerdings zunächst eine Ausscheidung der statischen Chemie aus dem Arbeitsgebiet der Morphologie rechtfertigen, und dass wir selbst aus diesen Gründen auf eine allgemeine Darstellung der chemischen Substrate der Organismen in unserer generellen Morphologie grösstentheils verzichten werden. Die d y n a m i s c h e C h e m i e , welche sich der Physik unterordnet, ist die C h e m i e d e r P r o c e s s e und strebt nach der E r k e n n t n i s s d e r c h e m i s c h e n V e r ä n d e r u n g e n , des Stoffwechsels in den Naturkörpern, deren F u n c t i o n Object der Betrachtung ist. Auf dem Gebiete der Abiologie würde hierher der chemische Theil der Meteorologie und der Geologie gehören, die Lehre von den in der anorganischen Natur auftretenden Zersetzungsprocessen der Mineralien, des Wassers, der atmosphärischen Luft etc. Auf dem Gebiete der Biologie dagegen würden wir hierher die eigentliche „physiologische Chemie" im wahren Sinne des Worts rechnen müssen, d. h. die Lehre von den chemischen Processen der lebenden Naturkörper, die Lehre von den Veränderungen in ihrer chemischen Zusammensetzung, welche mit den Bewegungs-Erscheinungen, die wir Leben nennen, wesentlich verbunden sind. Dieser Theil der „Zoochemie" und „Phytochemie" ist es, welcher einen integrirenden und höchst wesentlichen Bestandtheil der Physiologie bildet, sobald wir die Chemie als der Statik und Dynamik subordinirt betrachten.
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Verhältniss der Morphologie zu den anderen Naturwissenschaften.
So gut wir nun auch nach dieser Erörterung im Stande sind, die beiden Hauptzweige der Chemie, den statischen und: dynamischen, den beiden selbstständigen Naturwissenschaften der Statik und Dynamik unterzuordnen, und so sehr sich einerseits die Vereinigung der Morphologie mit der Chemie der Substrate und andererseits die Verschmelzung der Physik mit der Chemie der Processe rechtfertigen lässt, so können wir doch nicht umhin, auch die beiden anderen, vorher angeführten Auffassungsweisen als ebenfalls in ihrer Weise berechtigt anzuerkennen. Es zeigt sieh hierin wieder der innige Zusammenhang, indem alle diese einzelnen naturwissenschaftlichen Disciplinen unter einander stehen; und es zeigt sich zugleich, dass alle unsere künstlichen Eintheilungs-Versuche subjectiver Natur sind und der beschränkten Stellung entspringen, welche das menschliche ErkenntnissVermögen dem inneren Wesen der Naturkörper gegenüber einnimmt. Mögen wir nun die Chemie als die oberste und umfassendste Naturwissenschaft betrachten, der die beiden gleichwertigen Disciplinen der Statik (Morphologie) und Dynamik (Physik) untergeordnet sind — oder mögen wir Chemie, Physik und Morphologie, entsprechend den drei Grundeigenschaften der Naturkörper, Stoff, Kraft und Form, als drei coordinirte Hauptlehren der Gesammtnaturwissenschaft ansehen — oder mögen wir endlich nur die Statik und Dynamik als solche betrachten, und die Chemie der Substrate mit der Morphologie, die Chemie der Processe mit der Physik als untergeordnete Disciplin vereinigen, stets wird uns tiberall das innige Wecbselverhältniss dieser verschiedenen Hauptzweige der Naturwissenschaft entgegentreten. Diese Beziehungen sind so innig, wie das Verhältniss, welches zwischen Stoff, Form und Kraft der Naturkörper selbst tiberall stattfindet. Wir sind als Menschen nicht vermögend, uns eine Materie ohne Kraft und ohne Form (sei letztere auch nur aus Aggregatszustand und Kaum zusammengesetzt) vorzustellen; ebenso wenig können wir eine Kraft begreifen, welche ausserhalb der Materie steht und nie als Form in die Erscheinung tritt; ebenso wenig endlich können wir uns einen Naturkörper (keinen mathematischen Körper!) denken, welcher bloss als Form und nicht zugleich als Stoff und Kraft uns entgegentritt. Auf dem organischen, wie auf dem anorganischen Gebiete müssen stets Stoff, Form und Kraft zusammenwirken, um uns den Naturkörper zur vollständigen Anschauung zu bringen. Ohne die innigen Wechselbeziehungen zwischen den eben behandelten Wissenschaften zu verkennen, erscheint doch behufs klaren Verständnisses eine scharfe Begriffsbestimmung und Abgrenzung ihres Gebiets sehr wünschenswerth. Vielleicht dürfte es sich nun in dieser Beziehung empfehlen, die Morphologie der Naturkörper im weitesten Sinne (mit Einbegriff der Chemie der Substrate) ausschliesslich mit
IV.
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Morphologie und Physiologie.
dem Namen der Statik oder der Morphonomie zu bezeichnen, und den Begriff der Morphologie (im engeren Sinne) auf die Formenlehre nach Ausschluss der statischen Chemie zu beschränken. Dann würde dem entsprechend der Begriff der Physik auf die Functionslehre im engeren Sinne (nach Ausschluss der dynamischen Chemie) zu beschränken sein, während wir unter Dynamik oder Phoronomie die Physik im weitesten Sinne (mit Einbegriff der Chemie der Processe) verstehen würden. Die gegenseitigen Beziehungen dieser verschiedenen Disciplinen würden durch folgendes Schema übersichtlich dargestellt werden können: GESAMMTWISSENSCHAFT VON
DES LEBLOSEN
UND BELEBTEN DER
NATURKÖRPERN
ERDE.
Chemie Morphonomie oder Statik (Morphologie im weiteren Sinne) Morphologie (im engeren Sinne)
r C h e m i e der~| L Substrate J
Phoronomie oder Dynamik (Physik im weiteren Sinne) ["Chemie der~i L Processe J
Physik (im engeren Sinne)
IT. Morphologie nnd Physiologie. Nachdem wir das Verhältnis der Morphologie im Allgemeinen zur Physik und zur Chemie bestimmt haben, ohne auf den Unterschied der organischen und anorganischen Naturkörper Rücksicht zu nehmen, kehren wir zurück zur Betrachtung des Verhältnisses, welches dieser Unterschied in den genannten Wissenschaften bedingt. Hierbei erscheint es sehr lehrreich, die entsprechenden Wissenschaftsgebiete des organischen und des anorganischen Körperreichs vergleichend in Parallele zu stellen, weil die einfacheren Verhältnisse der Anorgane uns viele Beziehungen klar enthüllen, welche durch die complicirteren Beschaffenheiten der Organismen vielfach verdeckt werden. Die Abiologie kann hier, wie in vielen anderen Fällen, der Biologie als Leuchte auf ihrem dunkelen und schwierigen Pfade dienen. Wie wir die Gesammtwissenschaft von den Naturkörpern der Erde in die drei Hauptzweige der Chemie, Statik (Morphologie) und Dynamik (Physik) gespalten haben, so ist diese Eintheilung auch auf die vom Gesichtspunkte des „Lebens" aus unterschiedenen beiden Disciplinen der Biologie (Organismenlehre) und Abiologie (Anorganenlehre) anwendbar. Es werden sich die so entstehenden kleineren Zweige in beiden Wissenschaften vollkommen coordinirt gegenüberstehen. Wenn wir nun, gemäss dem unter No. Π. im letzten Abschnitt entwickelten Standpunkt, Chemie, Morphologie und Physik als drei coordinirte Hauptwissenschaften betrachHaeckel,
Generelle Morphologie.
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lg
Verhältniss der Morphologie zu den anderen Naturwissenschaften.
ten, so erhalten wir durch ihre Spaltung in einen biologischen und in einen abiologischen Zweig folgendes Verhältniss von sechs coordinirten Disciplinen. 1, Die Chemie, und zwar die vereinigte Chemie der Substrate und der Processe, zerfällt in die beiden Aeste der anorganischen und organischen Stoiflehre. Da diese Begriffe in mehrfach verschiedenem und unbestimmtem Sinne gebraucht werden, so wird die anorganische Chemie besser als abiologische oder als Chemie der A n o r g a n e bezeichnet, die organische richtiger als biologische oder Chemie d e r Organismen. 2, Die P h y s i k oder Dynamik spaltet sich in die beiden Aeste der anorganischen ( A b i o d y n a m i k ) und der organischen Kraftlehre ( B i o d y n a m i k ) . Die anorganische oder abiologische Physik, welche die Leistungen der Anorgane untersucht, wird gewöhnlich als P h y s i k im engsten Sinne bezeichnet. Dagegen ist für die organische oder biologische Physik ( B i o d y n a m i k ) , welche die Functionen der Organismen erforscht, allgemein die Bezeichnung der P h y s i o l o g i e gebräuchlich. In dem beschränkten Sinne, in welchem letztere jetzt meistens aufgefasst wird, ist sie in der That lediglich eine „Dynamik der Organismen" und entspricht mithin vollkommen der Dynamik oder Physik der Anorgane. Es ist also der Begriff der heutigen Physiologie von beträchtlich geringerem Umfang und entsprechend grösserem Inhalt, als der Begriff der früheren Physiologie, welche nicht bloss die Function, sondern zugleich die Gestaltung der Organismen untersuchte und mit unserer heutigen Biologie identisch ist. So ist ζ. B. J o h a n n e s Müller's klassisches und unübertroffenes Werk, welches den bescheidenen Titel eines „Handbuchs der Physiologie des Menschen" führt, vielmehr eine umfassende allgemeine vergleichende Biologie der Thiere (und bis zu gewissem Grade selbst der Organismen, insofern auch die Biologie der Pflanzen darin vielfach vergleichend berücksichtigt wird). 3, Die M o r p h o l o g i e oder Statik endlich theilt sich in die beiden Aeste der anorganischen und organischen Formenlehre. Die anorganische oder a b i o l o g i s c h e F o r m e n l e h r e ( A b i o s t a t i k ) , umfasst die Krystallographie, die Lehre von der Form der tropfbaren und elastischen Flüssigkeiten im Gleichgewicht (Hydrostatik, Aerostatik etc.). Ihr steht coordinirt und parallel gegenüber die Morphologie der Organismen, die organische oder b i o l o g i s c h e F o r m e n l e h r e (Biostatik), deren allgemeine Darstellung Gegenstand des vorliegenden Werkes ist. Dass die sechs Wissenschaften, welche wir durch diese Eintheilung der Gesammtwissenschaft von den irdischen Naturkörpern erhalten, von dem oben sub II. erörterten Gesichtspunkte aus ihrem Range nach beigeordnet sind und neben einander stehen, liegt auf der Hand. Die
IV. Morphologie und Physiologie.
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biologische und die abiologische Chemie, die Physiologie und die Physik der Anorgane, die Morphologie der Organismen und der Anorgane, können in der That als sechs vollkommen coordinirte Naturwissenschaften angesehen werden. Dieses Resultat ist für uns insofern von grosser Bedeutung, als dadurch die c o o r d i n i r t e S t e l l u n g der o r g a n i s c h e n Morphologie g e g e n ü b e r u n d n e b e n der P h y s i o l o g i e fest bestimmt wird. Dieses nebengeordnete Verhältniss der beiden gleichwerthigen biologischen Disciplinen ist gerade in neuerer Zeit sehr oft völlig verkannt worden. Indem nämlich die Physiologie sich in den beiden letzten Decennien als exacte „Physik der Organismen" oder als (unpassend) sogenannte „physikalische Physiologie" ungemein rasch und vielseitig zu einer ganz selbstständigen Disciplin entwickelt hat, während sie vorher in scheinbar untergeordnetem Verhältnisse auf das Engste mit der Morphologie verbunden war, ist ihr Selbstbewusstsein dadurch so übermässig gestiegen, dass sie nunmehr auf die übemundene Morphologie stolz herabsieht and diese lediglich als ihre Dienerin, als eine untergeordnete Hülfswissenschaft betrachtet. Insbesondere nimmt die Physiologie sehr häufig für sich den höheren Rang einer e r k l ä r e n d e n Naturwissenschaft in Anspruch, während sie der Morphologie bloss den niederen Rang einer b e s c h r e i b e n d e n Disciplin zugesteht. Leider ist freilich diese Selbstüberhebung der Physiologie durch den traurigen Zustand und den zwar nicht extensiven, wohl aber intensiven Rückschritt der Morphologie nur zu sehr gerechtfertigt und begünstigt. Während die Physiologie auf streng naturwissenschaftlicher Basis Schritt für Schritt vordringt und ihr Ziel fest und klar im Auge behält, verliert die verwildernde Morphologie das Ihrige immer mehr aus dem Auge, und hat sich ebenso von einer denkenden Behandlung ihres Gegenstandes, wie von einer strengen Methode stets mehr und mehr entfernt. Während sie quantitativ immer mächtiger zu wachsen scheint, schreitet sie qualitativ immer weiter zurück. Aus jeglichem Mangel an denkender Erforschung und an fester Begriffsbestimmung dienen die meisten morphologischen Arbeiten mehr dazu, den Ballast der Wissenschaft zu häufen, statt ihren wirklichen Fortschritt zu fördern. Dieser traurige augenblickliche Zustand unserer morphologischen Wissenschaft kann ihren Werth zwar zeitweise in den Augen der heutigen Physiologie tief herabdrltcken; er vermag aber doch nicht, den coordinirten Rang, welcher der Morphologie neben der Physiologie gebührt, auf die Dauer verkennen zu lassen. Vielmehr müssen wir ausdrücklich behaupten, dass auch die Morphologie der Organismen, so gut wie ihre coordinirte Schwester, die Physiologie, nicht bloss eine beschreibende, sondern zugleich eine erklärende Wissenschaft ist, 2*
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Verhältnies der Morphologie zu den anderen Naturwissenschaften.
oder doch wenigstens sein soll. Beide verfolgen die hohe Aufgabe, die beobachteten Thatsachen zu erklären, d. h. auf allgemeine Naturgesetze zurückzuführen. D i e P h y s i o l o g i e o d e r B i o d y n a m i k b e s c h r e i b t u n d e r k l ä r t d i e L e i s t u n g e n (Functionen, B e w e g u n g e n , Kräfte) der Organismen. 1 ) D i e M o r p h o l o g i e b e s c h r e i b t u n d e r k l ä r t d i e F o r m e n (äussere Gestalt und innere formelle Zusammensetzung) der Organismen. D a s Ziel wenigstens liegt klar vor ihr, und wenn sie es zeitweise aus den Augen zu verlieren scheint, so ist e s die Schuld ihrer j e w e i l i g e n Vertreter. M o r p h o l o g i e u n d P h y s i o logie sind demnach vollkommen coordinirte Wissenschaften, in gleichem Maasse und auf gleicher Stufe der Biologie untergeordnet, deren Inhalt sie bilden. D i e s e s beigeordnete schwesterliche Verhältniss der Morphologie zur Physiologie wird auch durchaus nicht geändert, wenn wir die Chemie nicht (wie es so eben geschah) als coordinirt der Physik und Morphologie betrachten, sondern sie diesen beiden Disciplinen unterordnen, w i e es in der vorhergehenden Betrachtung (p. 13 sub III) geschehen ist. E s ergiebt sich dann nämlich, w e n n wir die biologische Chemie oder die Chemie der Organismen in die beiden Aeste der statischen und dynamischen Chemie spalten, dass wir die statische
') Wenn wir hier einerseits der Physiologie der Neuzeit zugestanden haben, dass sie die organische Morphologie an bewusster Erkenntniss ihres Zieles und an klarem Verständniss der allein richtigen Methode weit überflügelt hat, so müssen wir doch andererseits darauf aufmerksam machen, dass sie in anderen Beziehungen weit hinter der Morphologie zurück ist. Insbesondere ist hier der thierischen Physiologie sowohl die allgemeine V e r n a c h l ä s s i g u n g d e r E n t s t e h u n g s - V e r h ä l t n i s s e d e r F u n c t i o n e n (embryonale Entwickelung und Differenzirung der Lebens-Erscheinungen) als der noch auffallendere M a n g e l an v e r g l e i c h e n d e r B e t r a c h t u n g d e r F u n c t i o n e n (Ableitung der complicirten Lebens-Erscheinungen höherer aus den einfacheren Functionen der verwandten niederen Organismen) zum Vorwurfe zu machen. Von einer genetischen Physiologie kann heutzutage noch ebenso wenig, als von einer vergleichenden Physiologie die Rede sein; mindestens befinden sich Beide noch in der ersten Kindheit. Und doch ist die g e n e t i s c h e sowohl als die v e r g l e i c h e n d e Methode für die Physiologie ebenso unentbehrlich, als für die Morphologie, wo dies längst anerkannt ist. In keinem Gebiete der Physiologie wird sich diese Wahrheit schlagender zeigen, als in demjenigen Theile der Physiologie des Centrai-Nervensystems , welchen man gewöhnlich als „Psychologie" den nicht physiologisch gebildeten sogenannten „Philosophen" überlassen hat. Sobald man sich entschliessen wird, hier die genetische und die vergleichende Untersuchungsmethode in der weitesten Ausdehnung anzuwenden, wird dieses gänzlich uncultivirte und wüste Gebiet die reichsten und überraschendsten Früchte zur Reife bringen. Niemals aber wird man ζ. B. zu einer Psychologie des reifen Menschen gelangen, wenn man dieselbe nicht aus der genetischen Psychologie des Kindes, und aus der vergleichenden Psychologie der Wirbelthiere ableitet.
IV. Morphologie und Physiologie.
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Organochemie oder die Chemie der organischen Substrate nothwendig mit der Morphologie, sowie andererseits die dynamische Organochemie oder die Chemie der organischen Processe mit der Physiologie verbinden müssen. Es ergiebt sich dies klar und unzweifelhaft, wenn wir das oben (p. 17) begründete Schema von dem Verhältniss der Morphologie und Physik zur Chemie, gemäss der Unterscheidung der Organismen und Anorgane, in die folgenden beiden vollkommen parallelen Schemata spalten: I.
ABIOLOGIE ODER ANORGANOLOGIE.
(Gksammtwissenschaft von den leblosen oder anorganischen Naturkörpern der Erde.)
(A. Mineralogie.
B. Hydrologie.
C. Meteorologie).
A b i o l o g i s c h e Chemie. I (Chemie der Anorgane.) | Abiostatik | Abiodynamik oder anorganische Morphonomie oder anorganische Phoronomie. (Anorganische Morphologie im weiteren (Anorganische Physik im weiteren Sinne.) | Sinne.) Anorganische M o r p h o - f c h e m i e d Anorganische Physik f Chemi d logie im engeren Sinne. a n o r g a n i s c h e n anorganischen , ™ e n « ® r e n S u m e / S S Ä Ä L Substrate. J | _ P r e s s e . J ( . ^ ^ « β * » Petregraphie etc.)
II.
BIOLOGIE ODER LEBENSKUNDE.
(Gesammtwissenschaft von den belebten oder organisirteu Naturkörpern der Erde.)
(A. Zoologie.
B. Protistologie.
C. Botanik).
I B i o l o g i s c h e Chemie. I | (Chemie der Organismen.) | Biostatik Biodynamik oder organische Morphonomie. oder organische Phoronomie. (Organische Morphologie (Physiologie im weiteren Sinne.) im weiteren Sinne.) Morphologie der Organismen (im engeren Sinne).
Chemie der } I organischen Ι / Substrate (Organische Stofiflehre). )
[ Chemie der I organischen f ( Processe. ) (Physiologische ( Chemie.) J
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22
Eintheilnng der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften.
Drittes Capitel. Eintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften. „Indem sich jeder einzelne Wirkungskreis absondert, so vereinzelt, zersplittert sich auch in jedem Kreise die Behandlung. Nur ein Hauch von Theorie erregt schon Furcht; denn seit mehr als einem Jahrhundert hat man sie wie ein Gespenst geflohen und, bei einer fragmentarischen Erfahrung, sich doch zuletzt den gemeinsten Vorstellungen in die Arme geworfen. Niemand will gestehen, dass eine Idee, ein Begriff der Beobachtung zum Grunde liegen, die Erfahrung befördern, ja das Finden und Erfinden begünstigen könne." G o e t h e (1SH9).
I. Eintheilnng der Morphologie in Anatomie and Morphogenie. Nachdem wir den Begriff und die Aufgabe der Morphologie festgestellt und das Verhältniss betrachtet haben, welches dieselbe gegenüber anderen, thcils beigeordneten, theils übergeordneten Naturwissenschaften einnimmt, werden wir nun zunächst die verschiedenen untergeordneten wissenschaftlichen Disciplinen zu betrachten haben, in welche die Morphologie der Organismen selbst einzutheilen ist. Auch diese Auseinandersetzung wird uns nicht weniger Schwierigkeiten als die vorhergehende bereiten. Denn es wiederholt sich hier, und sogar in noch höherem Grade, als bei der vorhergehenden Erörterung, die merkwürdige Erscheinung, dass durchaus keine festen, klaren und unzweideutigen Begriffe Uber Inhalt und Umfang der einzelnen Wissenschaftszweige existiren, und dass, während Tausende von Arbeitern in allen diesen Disciplinen unaufhörlich thätig sind, kaum Einer von Hunderten sich über die eigentlichen Aufgaben und das letzte Ziel seiner Wissenschaft klar zu werden sucht. Indem wir die Begriffe der einzelnen untergeordneten Wissenschaften nach Inhalt und Umfang zu bestimmen suchen, aus denen sich die Morphologie der Organismen zusammensetzt, werden wir diese letztere Wissenschaft, ebenso wie bei allen folgenden Untersuchungen, in dem so eben näher bestimmten engeren Sinne fassen, in welchem die statische Organochemie oder die Chemie der organischen Substrate von der Morphologie ausgeschlossen wird. Es bleibt uns dann also als
I. Eintheilung der Morphologie in Anatomie and Morphogenie.
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Aufgabe lediglich die erklärende Betrachtung der organischen Formen an sich, ohne jede Rücksicht auf die ihnen zu Grunde liegenden chemischen Substrate und auf ihre stoffliche Zusammensetzung. Da unsere Aufgabe nun dahin geht, die verschiedenen Formen der Organismen nicht allein kennen zu lernen und zu beschreiben, sondern dieselben auch vergleichend zu untersuchen und ihre Bildung auf allgemeine Gesetze zurückzuführen, so würde sich als nächste Eintheilung der Morphologie vielleicht die Spaltung in eine b e s c h r e i b e n d e und in eine e r k l ä r e n d e Formenlehre darbieten. Diese Unterscheidung ist in der That theoretisch gemacht und häufig auch praktisch durchgeführt worden. Auf ihr beruht ζ. B. die Differenz zwischen der „ Z o o t o m i e " und der „ v e r g l e i c h e n d e n A n a t o m i e , " von denen sich die erstere auf die Beschreibung aller einzelnen thierischen Organisations-Verhältnisse beschränkt, während die letztere dieselben zu erklären, d. h. auf allgemeine Gesetze zurückzuführen strebt. Während die Zootomie in dem Labyrinthe der zahllosen Einzelformen und in der unendlichen Mannichfaltigkeit der einzelnen Organisationsweisen sich verliert und es bloss zu einer einfachen Aneinanderreihung der beobachteten Thatsachen bringt, weiss die vergleichende Anatomie den leitenden Ariadne-Faden durch alle verwickelten Windungen des Labyrinthes hindurch festzuhalten und schwingt sich dadurch zum beherrschenden Ueberblick des Ganzen empor. So wesentlich dieser Unterschied zwischen beiden Disciplinen aber auch ist, so ist er doch im Grunde nur ein Unterschied in der Methode und in der Intentisät der Erkenntniss. Die Z o o t o m i e verfährt a n a l y t i s c h und begnügt sich mit der K e n n t n i s s , die v e r g l e i c h e n d e A n a t o m i e verfährt s y n t h e t i s c h und strebt nach der E r k l ä r u n g der Erscheinungen; daher können wir eigentlich nur die letztere als wirklich wissenschaftliche Morphologie bezeichnen, welcher die erstere als untergeordnete Hülfswissenschaft nur das Material liefert. Die Spaltung der Morphologie in eine beschreibende (descriptive) und eine erklärende (philosophische) Formenlehre als zwei coordinirte Hauptzweige ist demnach zu verwerfen. Weit wichtiger ist für uns der Unterschied zwischen der w e r d e n den und der v o l l e n d e t e n Form der Organismen. Jedes Sein wird nur durch sein W e r d e n erkannt. Dieser wichtige Grundsatz ist in der wissenschaftlichen Morphologie längst thatsächlich vielfach berücksichtigt und darauf hin die Entwicklungsgeschichte der organischen Formen als einer der wichtigsten Zweige der letzteren anerkannt worden. Wir theilen diese Anerkennung so sehr, dass Avir der Wissenschaft von der werdenden und sich entwickelnden Form des Organismus den gleichen Werth, wie der Wissenschaft von der vollendeten Form zugestehen, und darauf hin die gesammte Morphologie in die
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Eintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften.
beiden coordinirten Zweige der A n a t o m i e und der M o r p h o g e n i e oder Entwickelungsgeschichte spalten. Π. Eintheilung der Anatomier nnd Morphogenie in vier Wissenschaften. Grössere Schwierigkeiten als die Unterscheidung bietet uns die weitere Eintheilung der genannten beiden Hauptzweige der Morphologie dar. Die Anatomie wird gewöhnlich in die beiden Zweige der gröberen Anatomie oder O r g a n o l o g i e und der feineren (mikroskopischen) Anatomie oder H i s t o l o g i e gespalten; der ersteren wird die Untersuchung der Zusammensetzung des Körpers aus seinen verschiedenen Organen zugewiesen, der letzteren die Erforschung der Zusammensetzung seiner Gewebe aus den Elementartheilen. Indess beruht diese Unterscheidung auf unvollständiger Basis der Erkenntniss und kann, wie wir unten zeigen werden, nicht in dieser Weise beibehalten werden. Um zu einer weiteren Eintheilung der Anatomie und der Morphogenie in untergeordnete Wissenschaftszweige zu gelangen, erscheint es nothwendig, die v e r s c h i e d e n e n Q u a l i t ä t e n der o r g a n i s c h e n F o r men, welche das Object jener Disciplinen bilden, eingehender zu betrachten. Diese stellen sich am deutlichsten und klarsten heraus, wenn man die anorganischen und organischen Formen mit einander vergleicht. Alle Naturkörper der Erde, Organismen und Anorgane, haben das mit einander gemein, dass sie uns entweder als bestimmt abgeschlossene räumliche Einheiten, als I n d i v i d u e n , unmittelbar entgegentreten, oder dass sie sich in mehrere derartige concrete Raumeinheiten oder Individuen zerlegen lassen. Diese Individuen, deren Form des Morphologen concretes und nächstes Object ist, sind nun bei Organismen und Anorganen von wesentlich verschiedener Qualität. Die a n o r g a n i s c h e n I n d i v i d u e n , wie ζ. B. die einzelnen Krystalle, die einzelnen amorphen Körner unkrystallinischer Verbindungen, die einzelnen Wassertropfen etc., zeigen sich fast stets durch und durch h o m o g e n , in sich gleichartig, aus Molekülen einer und derselben Art zusammengesetzt. Da sie im Inneren nicht aus ungleichartigen Theilen zusammengesetzt sind, so können wir, wenigstens im gröberen Sinne, keine Organe an denselben unterscheiden; und die ganze Morphologie dieser Körper wird sich daher wesentlich auf eine Untersuchung ihrer ä u s s e r e n Form beschränken. Von einer Organologie kann bei den Anorganen eben so wenig, als von einer Zusammensetzung des Körpers aus Individuen verschiedener Ordnung die Rede sein. *) ') Wir stellen hier absichtlich die wesentlichen Formunterschiede zwischen Organismen und Anorganen so scharf und durchgreifend gegenüber, wie dies
Π. Eintheilung der Anatomie und Morphogenie in vier Wissenschaften. 2 5
Ganz anders zeigen sich schon auf den ersten oberflächlichen Blick die organischen Individuen, wie ζ. B. die einzelnen Wirbelthiere. Diese Körper sind durch und durch h e t e r o g e n , in sich ungleichartig, aus Molekülen nicht nur, sondern auch aus gröberen Theilen von ganz verschiedener Art zusammengesetzt. Die ungleichartigen Theile, welche ihren Körper zusammensetzen, können wir, entweder in gröberem oder in feinerem Sinne, O r g a n e nennen. Diese Zusammensetzung des organischen Körpers aus verschiedenen Organen ist es, welche in der gewöhnlichen Anschauung den O r g a n i s m u s macht. Die Morphologie dieser Korper kann sich mithin unmöglich auf die Untersuchung ihrer äusseren Form beschränken, sondern sie muss neben dieser nothwendig ebenso auch die i n n e r e F o r m berücksichtigen, d. h. den Bau (die Structur) des Organismus, oder seine Zusammensetzung aus verschiedenen gleichartigen und ungleichartigen Theilen; sowie dann weiterhin die Form dieser Theile selbst, ihr gegenseitiges Lagerungs- und Verbindungs-Verhältniss, und endlich ihre eventuelle weitere Zusammensetzung aus verschiedenartigen Formtheilen, Gegenstand der organischen Morphologie sein wird. In diesem Sinne könnte man die Morphologie der Organismen auch als O r g a n o l o g i e im weitesten Sinne bezeichnen, oder besser noch als Merologie, als L e h r e von d e n T h e i l e n , oder als T e c t o l o g i e , als L e h r e von d e r Z u s a m m e n s e t z u n g d e s K ö r p e r s a u s u n g l e i c h a r t i g e n T h e i l e n . Gegen diesen wichtigsten Theil der Morphologie der Organismen tritt die Betrachtung ihrer äusseren Form ganz zurUck, oder erscheint vielmehr nur als ein secundäres Resultat der ersteren. Von anderem Gesichtspunkte aus könnten wir diesen wichtigsten Theil unserer Wissenschaft auch als L e h r e von d e n I n d i v i d u e n bezeichnen, da nämlich, wie das d r i t t e Buch zeigen wird, die constituirenden Theile der Individuen, die wir so eben als Organe verschiedener Ordnung unterschieden haben, selbst wieder im gewissen Sinne Individuen sind, so dass wir den ganzen individuellen Organismus als ein System von einheitlich verbundenen Individuen verschiedener Ordnung betrachten können. Ein zweiter wesentlicher Unterschied in der Form zwischen den organischen und anorganischen Individuen beruht darauf, dass die Form der a n o r g a n i s c h e n I n d i v i d u e n (wenn es nicht vollkommen unregelmässig gestaltete, ganz amorphe Körper sind) einer vollkommen exacten mathematischen Betrachtung ohne Weiteres zugänglich ist, und fast von allen Naturforschern geschieht. Im zweiten und sechsten Buche werden wir dagegen zeigen, dass diese Unterschiede keineswegs so absoluter Natur sind und dass auch hier wahre Uebergangsbildungen und Zwischenstufen vorkommen.
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Eintheüung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften.
dass mit der s t e r e o m e t r i s c h e n Ausmessung derselben die Aufgabe ihrer morphologischen Erkenntniss völlig gelöst ist. Die anorganischen Individuen sind fast immer von ebenen Flächen, geraden Linien und bestimmten messbaren Winkeln begrenzt. Die Hauptaufgabe der Krystallographie, welche den grössten Theil der abiologischen Morphologie ausmacht, ist daher die Ausmessung und Berechnung dieser relativ einfachen geometrischen Form-Verhältnisse. In vollem Gegensatz hierzu sind o r g a n i s c h e I n d i v i d u e n , deren Form einer s t e r e o m e t r i s c h e n Behandlung zugänglich ist, seltene Ausnahmen. Fast immer ist ihr Körper von gekrümmten Flächen, gebogenen Linien und unmessbaren sphärischen Winkeln begrenzt. Die Curven, welche hier sich finden, sind so zusammengesetzter und dabei meist scheinbar so unbestimmter Natur, dass ihre Ausmessung und Berechnung als ein unlösbares Problem erscheint. Zwar wird die stereometrische Behandlung der organischen Formen sehr häufig als Ziel einer späteren vollendeteren, exact-mathematischen Methode ihrer Untersuchung hingestellt. Indessen müssen wir unseres Theils diese weit verbreitete Ansicht als eine irrige bezeichnen. Es wird nämlich durch die u n b e g r e n z t e V a r i a b i l i t ä t aller organischen Formen, welche im sechsten Buche erläutert werden wird, bereits die Möglichkeit einer exacten geometrischen Behandlung, wie sie die Krystallographie durchführt, von vornherein ausgeschlossen. Da nämlich factisch schon nächstverwandte Individuen einer und derselben Species, ζ. Β. verschiedene Geschwister die von einem und demselben Elternpaar abstammen, in Beziehung auf äussere und innere Form unendlich viele, gröbere und feinere individuelle Verschiedenheiten zeigen, da niemals bei allen Individuen einer und derselben organischen Species sämmtliche gekrümmte Flächen, Linien und Winkel des Körpers und seiner einzelnen Theile absolut identisch, sondern stets nur a n n ä h e r n d gleich oder ähnlich sind, so ist eine derartige a b s o l u t e m a t h e m a t i s c h e B e t r a c h t u n g s w e i s e d e r o r g a n i s c h e n F o r m , wie sie gewöhnlich gefordert wird, g a r nicht m ö g l i c h ; und wenn man selbst die complicirten Curven etc. bei allen einzelnen Individuen berechnen und dann vergleichen könnte, so hätte eine solche mühsame Arbeit nicht das mindeste Interesse und die Arbeit selbst wäre eine wahre DanaidenArbeit. Dagegen ist eine anderweitige mathematische Betrachtungsweise der organischen Formen, welche der krystallographischen Methode ähnlich, aber doch wesentlich verschieden ist, allerdings möglich. Es lassen sich nämlich, wie das vierte Buch unseres Werkes zeigen wird, gewisse einfache s t e r e o m e t r i s c h e G r u n d f o r m e n der O r g a n i s m e n auffinden, welche unter den scheinbar ganz unzugänglichen Curvensystemen der unberechenbar complicirten Formen der organischen Individuen versteckt liegen. Diese neue L e h r e von den G r u n d -
Π. Eintheilung der Anatomie ond Morphogenie in vier Wissenschaften. 2 7
f o r m e n (Promorphen *) oder P r o m o r p h o l o g i e werden wir als einen besonderen und höchst wesentlichen Theil der Morphologie der Organismen auszubauen haben. Er wird uns das Aequivalent einer organischen Krystallographie sein. Die Betrachtung der Form der einzelnen Individuen verschiedener Ordnung, welche den Organismus zusammensetzen, wird sich stets an diese Betrachtung der geometrischen Grundformen als an ihr festes und sicheres Skelet anlehnen müssen. Wie dies zu verstehen ist, wird das v i e r t e B u c h zeigeu. Während die beiden wesentlichen eben hervorgehobenen Unterschiede in der Formbildung der Organismen und der Anorgane die v o l l e n d e t e F o r m betreffen, so finden wir zwei andere nicht minder bedeutende Differenzen zwischen beiden Hauptreihen von Naturkörpern in der E n t s t e h u n g der F o r m e n . Die Formen der anorganischen Individuen entstehen dadurch, dass sich die gleichartigen Moleküle der homogenen Materie, aus der sie bestehen, nach bestimmten physikalischen Gesetzen um einen bestimmten Mittelpunkt herum ansammeln. Die Form des Individuums (ζ. B. des Krystalls) ist hier zu jeder Zeit seiner Existenz dieselbe; sobald der Krystall überhaupt in bestimmter Form gebildet ist, bleibt diese mathematisch bestimmbare Form, so lange er besteht, dieselbe, mag das Individuum nachher noch so sehr an Grösse zunehmen. Jedes Wachsthum der Anorgane beruht bloss auf Apposition neuer Moleküle von aussen her. Weder die innere Gleichartigkeit der Substanz, noch die äussere charakteristische Form wird durch dieses Wachsthum irgendwie verändert. D a s a n o r g a n i s c h e I n d i v i d u u m e n t w i c k e l t s i c h nicht. Grundverschieden von dieser Wachsthums-Art der Anorgane durch äussere Apposition ist das W a c h s t h u m der O r g a n i s m e n , welches d u r c h i n n e r e I n t u s s u s c e p t i o n geschieht und welches nicht bloss eine Veränderung der Grösse, sondern auch der Form des organischen Individuums herbeiführt. D a s o r g a n i s c h e I n d i v i d u u m e n t w i c k e l t sich. Es durchläuft während seines Lebens eine Reihe von verschiedenen Formen. Wir können daher niemals die Form des concreten organischen Individuums aus einem einzigen gegebenen Formzustand wahrhaft erkennen, sondern müssen zu diesem Zwecke die ganze Kette von auf einander folgenden Formen untersuchen und vergleichen, welche das organische Individuum während der ganzen Zeit seines Lebens von Anfang bis zu Ende durchläuft. Diese Aufgabe löst die E n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t e oder die Embryologie, welche passender O n t o g e n i e heissen würde (siehe unten). Die allgemeinen Grundzüge dieser Wissenschaft werden wir im f ü n f t e n B u c h e festzu') προμορψή, ή, die Grundform, Vorform, Urform.
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Eintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften.
stellen haben. Die O n t o g e n r e wird immer einen wesentlichen und nicht zu entbehrenden Bestandteil der wissenschaftlichen Morphologie ausmachen. Durch sie wird die letztere mit der Physiologie auf das engste verbunden. Ein vierter und letzter sehr wesentlicher Unterschied zwischen den Formen der anorganischen und der organischen Individuen betrifft nicht die Beschaffenheit oder Entstehung der Form der concreten einzelnen Individuen, sondern diejenige der abstracten Einheiten, welche man Arten nennt. Unter dem Namen der A r t oder S p e c i e s fasst man gewöhnlich oberflächlich alle diejenigen Individuen zusammen, welche einander gleich oder ähnlich sind, d. h. welche in allen sogenannten w e s e n t l i c h e n Characteren übereinstimmen. Alle unorganischen Individuen, welche zu einer und derselben Art gehören, ζ. B. zu einer bestimmten Krystall-Art, haben vollkommen dieselbe Form (feste Krystallform) und dieselbe chemische Zusammensetzung. Die einzelnen Individuen jeder anorganischen Species unterscheiden sich lediglich durch ihre Grösse. Andererseits gehören alle anorganischen Individuen, welche entweder durch ihr chemisches Substrat oder durch ihre Form (Krystallform etc.) verschieden sind, verschiedenen Arten an. Die Form j e d e r a n o r g a n i s c h e n Art ist a b e r u n v e r ä n d e r l i c h , und die Kochsalzkrystalle, welche zu allererst auf unserer Erde entstanden sind, werden in keiner Beziehung verschieden von denjenigen gewesen sein-, die heutzutage sich bilden. Eine ganz andere Bedeutung hat der Begriff der Art oder Species für die Form der organischen Individuen. Hier ist das Kriterium der Species nicht die Gleichheit der Form aller Individuen, auch nicht einmal die Aehnlichkeit derselben. Denn in vielen Fällen sind Larven und Erwachsene, Männchen und Weibchen derselben Art so gänzlich verschiedene Formen, dass sie in keinem einzigen speciellen Formcharacter Ubereinstimmen, und dass man sie nur in eine einzige Species zusammenstellt, weil sie von einem und demselben gemeinsamen Stammvater abstammen. Nun sind aber diese „Arten" oder Species, welche der Inbegriff aller Descendenten einer einzigen Stammform sind, keineswegs unveränderlich. Es erzeugt nicht Gleiches nur Gleiches, wie gewöhnlich falsch gesagt wird, sondern Aehnliches erzeugt Aehnliches, und nach Verlauf eines gewissen Zeitraums gehen die organischen Species unter, während neue sich aus ihnen entwickeln. — Die F o r m j e d e r o r g a n i s c h e n S p e c i e s ist also d u r c h a u s v e r ä n d e r l i c h , und die Species selbst mithin keine abgeschlossene Einheit. Wohl aber ist eine solche reale und vollkommen abgeschlossene Einheit die S u m m e a l l e r S p e c i e s , welche a u s einer u n d d e r s e l b e n g e m e i n s c h a f t l i c h e n S t a m m f o r m a l l m ä h l i g s i c h e n t w i c k e l t h a b e n , wie ζ. B.
Π. Eintheilung der Anatomie und Morphogenie in vier Wissenschaften. 2 9
alle Wirbelthiere. Diese Summe nennen wir Stamm ( P h y l o n ) . l ) Die Untersuchung der Entwicklung dieser Stämme und die Feststellung der genealogischen Verwandtschaft aller Species, die zu einem Stamm gehören, halten wir für die höchste und letzte besondere Aufgabe der organischen Morphologie. Im s e c h s t e n Buche werden wir die Grundzüge dieser P h y l o g e n i e oder E n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t e der org a n i s c h e n Stämme (Kreise oder „Typen") festzustellen haben. Das Material zu dieser bisher gänzlich vernachlässigten Wissenschaft liefert uns vor Allem die P a l a e o n t o l o g i e , die Erkenntniss der ausgestorbenen Lebensformen, welche die Stammeltern und Blutsverwandten der jetzt lebenden Organismen sind. Die ganze Disciplin könnte aber auch als organische Verwandtschaftslehre oder G e n e a l o g i e bezeichnet werden, wie wir deren Bedeutung im sechsten Buche feststellen werden. Aus den vorausgehenden Erörterungen Uber die charakteristischen Qualitäten der organischen Formen haben sich uns nun bereits von selbst die speciellen einzelnen Aufgaben entwickelt, welche die Morphologie der Organismen als die erklärende organische Formenlehre zu lösen haben wird. Es wird jede der vier angeführten Qualitäten der organischen Form ihre gesonderte Behandlung verlangen, und es wird diese Aufgabe vier gesonderten Disciplinen zufallen. Wir werden zunächst als die beiden Hauptzweige, in welche sich die Morphologie der Organismen (nach Ausschluss der statischen Organochemie) spaltet, zu unterscheiden haben: I) die Wissenschaft von der v o l l e n d e t e n organischen Form oder die A n a t o m i e , und II) die Wissenschaft von der w e r d e n d e n organischen Form oder die Entwickelungsgeschichte, Morphogenie. Die A n a t o m i e (im weitesten Sinne) o d e r d i e g e s a n r m t e F o r m e n l e h r e d e s v o l l e n d e t e n O r g a n i s m u s , wird auch häufig als Organologie oder als Morphologie bezeichnet, und von Anderen wieder als ein Theil der Systematik betrachtet. Die verschiedenen hierüber herrschenden Ansichten, sowie die verschiedenen Eintheilungen der Anatomie in untergeordnete Disciplinen, werden wir sogleich einer gesonderten Betrachtung unterwerfen. Nach unserer Anschauung, die wir so eben entwickelt haben, spaltet sich die A n a t o m i e zunächst in zwei verschiedene Disciplinen: 1) die Lehre von der Zusammensetzung des Organismus aus gleichartigen und ungleichartigen Theilen, welche man passend entweder Zusammensetzungslehre oder Baulehre ( T e c t o l o g i e ) oder Lehre von den Theilen (Merologie) nennen könnte (drittes Buch), und II) die Lehre von den Formen der einzelnen Theile oder der einzelnen Individuen verschiedener Ordnung und insbesondere von ') ) das Muskelsystem (mit Muskeln, Sehnen, Fascien, Schleimbeuteln etc.), 4) das Nervensystem (mit Gehirn und Rückenmark, peripherischen Ganglien, Nervenfäden und Sinnesorganen), f>) dasGefässsystem (mitHerz, Blutgefässen, Lymphgefässen, Lymphdrlisen, Milz), 6) das Darmsystem (Darmcaual nebst den Drüsen, die aus ihm hervorwuchern, Speicheldrüsen, Leber, Pancreas, Lungen, Nieren etc.), 7) das Genitalsystem, dessen wesentlichste Bestandteile sich aus den Primordialnieren und ihren Adnexis entwickeln. Im Allgemeinen siud die Organ-Systeme bei den Thieren weit vollkommener entwickelt und differenzirt, als bei den Pflanzen. Je
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Morphologische Individualität der Organismen.
weiter die Centralisation der Personen geht, desto schärfer ist die Trennung der einzelnen Organ-Systeme, desto einheitlicher der Znsammenhang jedes Systems. Bei den höheren Pflanzen könnte man als derartige zusammenhängende Systeme vielleicht unterscheiden: 1) das Decken - System (mit Oberhaut, Haaren, Rinde etc.), 2) das Parenchym-System, ?>) das Gefässsystem (Gefässbündel etcA E. O r g a n e f ü n f t e r O r d n u n g : Organ - A p p a r a t e .
Obgleich dem Begriffe des Apparates, wie schon bemerkt, wesentlich eine physiologische Vorstellung zu Grunde liegt, und man also gewöhnlich unter einem Apparate einen Complex von einfachen und zusammengesetzten Organen versteht, die zu einem einheitlichen Ganzen behufs einer einzigen gemeinsamen Function verbunden sind, so können wir dennoch, wie oben gezeigt wurde, dem Begriffe des Apparates auch eine morphologische Bedeutung beilegen. Wir verstehen dann darunter einen einheitlich abgeschlossenen Complex von mehreren verschiedenartigen untergeordneten Organen (verschiedenen Systemen und Geweben angehörig), in welchen mehrere coordinirte Gewebe der Art verbunden sind, dass keins allein eine vorwiegende Bedeutung vor allen anderen beanspruchen kann. Wir dürfen diese Apparate um so eher als eine Ordnung von Organen höchsten Ranges anführen, als die morphologische Einheit des Ganzen in denselben meist nicht minder deutlich, oft sogar augenfälliger hervortritt, als in den einzelnen Systemen. Die Form-Einheit des Apparates beruht aber nicht, wie bei dem Systeme, auf dem ausschliesslichen Vorwiegen einer einzigen Gewebs-Form, sondern vielmehr auf einer räumlichen Sonderung, die schon bei der gröbsten Betrachtung des Organismus ins Auge springt. So befindet sich der Ernähruugsapparat fast ganz auf die Pleuroperitonealhöhle des Wirbelthieres beschränkt, der Gesichtsapparat auf den Inhalt der Augenhöhle, der Geruchsapparat auf die Nasenhöhle etc. Da nun ausser der räumlichen Sonderung und Einheit auch die morphologische Zusammensetzung jedes Apparates aus coordinirten und subordinirten Organen und Systemtheilen dem Ganzen ein einheitliches Gepräge giebt, so können wir, gestützt auf den innigen Zusammenhang und die Wechselwirkung von Form und Function, ebenso, wie es bei dem Begriffe des Organes im Allgemeinen bereits geschehen ist, die morphologische Einheit des Apparates von der physiologischen sondern und die erstere als Organ fünfter Ordnung hier in Betracht ziehen. Die sämmtlichen Organ-Apparate, welche man weiter in niedere oder besondere und in höhere oder allgemeinere gruppiren kann,
Π. Morphologische Individuen zweiter Ordnung: Organe.
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lassen sich auf drei Hauptgruppen vertheilen, entsprechend den drei Haupt-Functionegruppen, welche der Organismus besitzt: Erhaltung seiner selbst, Erhaltung der Art und Erhaltung der Beziehungen zur Aussenwelt. Hiernach werden wir beim Menschen und den Wirbelthieren Uberhaupt folgende Gruppen von Apparaten unterscheiden können: I. Apparate zur Erhaltung des Individuums (der Person): E r n ä h r u n g s - A p p a r a t (und als untergeordnete Apparate: Verdauungs-, Circulations-, Respirations- und Secretions-Apparate); II. Apparat zur Erhaltung der Art: F o r t p f l a n z u n g s - A p p a r a t (Genitalien); III. Apparate zur Erhaltung des Verkehrs mit der Aussenwelt: R e l a t i o n s A p p a r a t e : A. Bewegungs-Apparat (ans Muskelsystem oder activen und Kilochensystem oder passiven Locomotions-Organen zusammengesetzt). B. Seelen-Apparat (aus Nervensystem und Sinnesorganen zusammengesetzt, unter letzteren als einzelne Sinnes-Apparate die geschlossenen Einheiten der flinf Sinne: Auge (Gesicht), Ohr (Gehör), Nase (Geruch), Zunge (Geschmack), Hautdecke (Gefühl). Bei den Pflanzen werden wir ebenso allgemein Ernährungs-Apparate, Fortpflanzungsapparate und Relatiousapparate unterscheiden können.
III. Morphologische Individuen dritter Ordnung: A n t i m e r e n oder G e g e n s t ü c k e . (Homo typische Τ heile.)
Die vorhergehende Betrachtung der morphologischen Individuen erster und zweiter Ordnung, der Piastiden und der Organe, hat uns mit Ueberwindung grosser Schwierigkeiten in das verwickelte Labyrinth vou coordinirten und subordinirten Theilen eingeführt, aus welchen der ganze Organismus der höheren Thiere und Pflanzen als höhere Einheit zusammengesetzt wird. Eine genauere Betrachtung der höchst complicirten und kunstvollen Art und Weise, auf welche diese Zusammensetzung erfolgt, lässt uns alsbald erkennen, dass die stufenweise emporsteigende Complication des organischen Baues, wenigstens bei den höheren Pflanzen und Thieren, nicht allein nach den grossen Gesetzen der Aggregation und der Differenzirung (oder des Polymorphismus) erfolgt, sondern dass die verschiedenen coordinirten und subordinirten Theile sich derartig im Ganzen verflechten, gegenseitig räumlich durchwachsen und verbinden, und in so verwickelter Weise in einander eingreifen, dass wir zur Aufstellung ganz verschiedener morphologischer Einheiten gelangen, j e nachdem wir unseren Standpunkt auf verschiedenen Seiten nehmen und von diesem oder jenem gemeinsamen Tertium aus zwei Einheiten vergleichen. So kann also derselbe Nerv, derselbe Muskel als ein Complex von
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Morphologische Individualität der Organismen.
einfachen Organen erster und zweiter Ordnung, oder als ein heteroplastisches Organ, oder als ein Theil eines Organ-Systems, oder als ein Theil eines Organ-Apparates aufgefasst werden, und von jedem dieser verschiedenen Gesichtspunkte aus wird er eine verschiedene Beurtheilung erfahren. Schon hieraus geht hervor, dass die Organe (und ebenso die morphologischen Individuen niederer Ordnung überhaupt) sich nicht allein durch stufenweis fortgesetzte Aggregation und Arbeitsteilung zu den Individualitäten höherer Ordnung zusammenfügen, sondern dass hier complicirte Gesetze der Formbildung walten, um deren Erkenntniss man sich bisher noch kaum bemüht hat. Wie wenig auf diesem wichtigen und interessanten Gebiete der allgemeinen Morphologie noch geschehen ist, geht aber weiter namentlich daraus hervor, dass man die höheren Individualitäten, welche zunächst aus dem Zusammentreten der verschiedenen Organe hervorgehen, und die wir im Folgenden als Antimeren und Metameren untersuchen werden, Überhaupt noch keiner eingehenden Untersuchung und allgemeinen Vergleichung, ja häufig nicht einmal einer Erwähnung gewürdigt hat. Mindestens sind sie als besondere morphologische Individualitäten bisher nur selten oder nie anerkannt worden. Die Theile des Organismus, welche wir hier als A n t i m e r e n oder Gegenstücke, und M e t a m e r e n oder Folgestttcke unterscheiden, sind scharf ausgeprägte morphologische Individualitäten, welche einen Rang Uber den Organen einnehmen, während sie den höheren morphologischen Einheiten fünfter und sechster Ordnung beständig untergeordnet sind. In der bei weitem grössten Mehrzahl der OrganismenArten ist das einzelne physiologische Individuum nicht ein blosses Aggregat von Organen, sondern eine Einheit von mehreren Metameren und Antimeren. Fltr die Gesammtform des Organismus sind diese Theilstücke, welche als scharf ausgeprägte Formeinheiten in Vielzahl neben und hinter einander auftreten, von der allergrössten Bedeutung, und dennoch hat man sie bisher fast gar keiner Betrachtung gewürdigt; j a es existirt für die beiden wesentlich verschiedenen Individualitäten des Antimeres oder Metameres nicht einmal ein besonderer einfacher Name. Wo man sie bisher im concreten Falle der Verständigung halber hat erwähnen müssen, hat man Beide zusammen mit dem nichtssagenden oder doch vieldeutigen Ausdrucke des Segm e n t s oder Theilstücks oder Gliedes (Articulum), oder auch wohl des „homologen oder homonomen Theils" belegt. Die Metameren, als welche wir ζ. B. die einzelnen gleichartigen h i n t e r einander gelegenen Abschnitte des Wirbelthier- und des Gliederthier-Rumpfes, die einzelnen Stielglieder der Crinoideen-Stengel, die Stengelglieder der Phanerogamen ansehen, hat man insbesondere häufig „Glieder" und
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bei den Gliederthieren und Würmern „Ringe" oder Zoniten genannt. Die Antimeren, die n e b e n einander gelegenen Hauptabschnitte dagegen hat man, wenn ihrer nur zwei zugegen sind, wie bei den Wirbel-, Glieder- und Weich-Thieren, als „Körperhälften", wenn ihrer drei, vier, fünf oder mehr sind, wie bei den „Strahlthieren" und Phanerogamen-Bltlthen, als ..Strahlen" oder „Radialsegmente", oft aber ebenfalls als „Glieder" bezeichnet. Der einzige Naturforscher, welcher bisher diese beiderlei Theile vom allgemeineren Gesichtspunkte aus untersucht und auf die hohe Bedeutung derselben für die Gesetze der organischen Formbildung hingewiesen hat, ist der verdienstvolle B r o n n , welcher in seinen trefflichen „morphologischen Studien" (1858) diejenigen n e b e n einander gelegenen Hauptabschnitte, welche \vir A n t i m e r e n nennen, als h o m o t y p i s c h e Theile, diejenigen h i n t e r einander liegenden Abschnitte dagegen, welche wir Μ et am er en nennen, als h o m o n y m e Theile bezeichnet bat. In dem Capitel, in welchem er das wichtige von ihm entdeckte ..Gesetz der Zahlen-Reduction gleichnamiger Theile" behandelt, fasst er beiderlei Abschnitte als ..gleichgesetzliche" oder ..homonome" Körpertheile zusammen und giebt von Beiden eine kurze Definition, welche jedoch weder erschöpfend, noch hinreichend klar und genau ist. Wir werden diese Definition in dem nächsten Abschnitte, welcher von den Metameren handelt, wörtlich anführen und näher beleuchten, und wenden uns hier sogleich zur näheren Betrachtung derjenigen Formeinheiten des Organismus, welche wir allgemein als Antimeren bezeichnen wollen. Unter A n t i m e r e n oder G e g e n s t ü c k e n (den h o m o t y p i s c h e n O r g a n e n B r o n n ' s ) verstehen wir diejenigen n e b e n (nicht hinter) einander liegenden, als deutlich geschlossene Einheiten auftretenden Körperabschnitte oder „Segmente·', welche als gleichwertige Organcomplexe alle oder fast alle wesentlichen Körpertheile der Species (alle typischen Organe) in der Art zusammengesetzt enthalten, dass jedes Antimer die wesentlichsten Eigenschaften der Species als OrganComplex repräsentirt, und dass nur noch die Z a h l der Antimeren als das die Species-Form bestimmende Element hinzutritt. Bei den meisten höheren, sogenannten „bilateral-symmetrischen" Thieren (Wirbel-, Glieder-, Weich-Thieren) besteht der Körper demgemäss nur aus zwei Antimeren, den beiden Körperhälften nämlich, welche in der Medianebene verwachsen sind. Bei den sogenannten „Strahlthieren'*, sowie bei den allermeisten Geschlechts-Individuen (Blüthen) der Phanerogamen, ist dagegen der Körper aus so vielen Antimeren zusammengesetzt, als „Strahlen", d. h. Kreuzaxen, vorhanden sind, also d r e i bei den meisten Monocotyledonen und vielen Radiolarien, v i e r bei den meisten Medusen, den Rugosen und Cereanthiden, ferner auch H a e c k e 1, Generelle Morphologie.
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bei den meisten Würmern und bei sehr vielen Dicotyledonen, f ü n f bei den meisten Echinodermen und Dicotyledonen, s e c h s bei den meisten Anthozoen (Enallonemeu, die Rugosen ausgenommen, und Antipathiden) und bei einigen Medusen (Carmariniden). Sehr selten im Ganzen genommen ist der Körper aus mehr als sechs Antimeren zusammengesetzt. S i e b e n kommen nur ausnahmsweise vor, ζ. B. bei Luidia Savignyi unter den Seesternen, bei Trientalis europaea unter den Phanerogamen. A c h t Antimeren finden sich bei allen Ctenophoren und Octactinien (Alcyonarien), dagegen sehr selten bei den Phanerogamen (Mimusops unter den Sapotaceen). Ebenfalls selten treten neun, zehn, zwölf und zwanzig oder mehr Antimeren zur Bildung des Körpers zusammen. In der Regel sind die niedrigeren Zahlen der Antimeren innerhalb der Species constaut. Sobald aber mehr als sechs Antimeren auftreten, wird die Grundzahl (acht ausgenommen) innerhalb der Species schwankend und um so unbeständiger, j e höher die Zahl steigt. Dasselbe Verhältniss zeigt sieh auch bei den Metameren, ζ. B. wenn man die Insecten (mit wenigen, neun bis dreizehn Ringen) und die Myriapoden und Arachniden (mit sehr zahlreichen Metameren) vergleicht. Dies Verhältniss ist sehr wichtig ftir die Begründung des B r o n n ' s c h e n Gesetzes der Zahlenreduction gleichnamiger Theile. So unwesentlich es vom p h y s i o l o g i s c h e n Standpunkte aus erscheinen mag, ob der ganze Körper (die Person) aus zwei, drei, vier, füni oder mehr gleichen Körpertheilen zusammengesetzt ist, von denen jeder sänimtliche wesentliche Organ - Complexe oder typischen Organe des Körpers in der gleichen Zahl, Form, Structur und Lagerung enthält, und also für sich schon die Species repräsentiren könnte, so ausserordentlich wichtig ist die h o m o t y p i s c h e G r u n d z a h l , wie wir mit B r o n n die specifische A n t i m e r e n - Z a h l nennen können, für die m o r p h o l o g i s c h e Betrachtung des Körpers als Ganzen. Insbesondere wird durch die Antimeren jene Summe von Form-Eigenthümlichkeiten bedingt, welche man gewöhnlich als H a b i t u s bezeichne^ und welche oft eben so schwer zu definiren und näher zu bestimmen ist, als sie dem geübten Auge characterbestimmend, als p h y s i o g n o m i s c h e s Moment entgegentritt. Freilich ist uns der Causal-Nexus zwischen dem typischen Organisationscharacter und der homotypischen Grundzahl der .Organismen zur Zeit noch vollständig unbekannt. Dass er aber vorhanden ist, beweist die auffallende Constanz, welche die Antimeren-Zahl innerhalb der grossen Hauptabtheilungen des Thier- und Pflanzenreiches zeigt. Ohne Ausnahme" sind die Wirbelthiere und Weichthiere nur aus zwei, die Ctenophoren und Octactinien aus acht Antimeren zusammengesetzt und ganz vorherrschend ist unter den Echinodermen
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die Antimerenzahl fünf, unter den Monocotyledonen die Zahl drei. Diese Umstände sind sicher nicht bedeutungslos, und sie veranlassen uns, hier noch etwas näher auf das gegenseitige Verhältniss der Antimeren zu einander und zum Ganzen einzugehen. In letzterer Beziehung ist zunächst als besonders bestimmend für den H a b i t u s des Organismus hervorzuheben, dass die Antimeren entweder einander ganz g l e i c h , oder nur ä h n l i c h , und im ersteren Falle entweder s y m m e t r i s c h g l e i c h oder c o n g r u e n t sein können. A e h n l i c h nennen wir dieselben, wenn sie zwar in allen oder doch den meisten wesentlichen Formbeziehungen übereinstimmen und dieselbe Zahl von grösseren Organen in derselben relativen Lagerung verbunden besitzen, aber doch in untergeordneten Beziehungen, in der Grösse, der geringeren oder stärkeren Entwickelung, der äusseren Oberflächen - Gestaltung etc. mehr oder minder verschieden sind, so dass auch die Anzahl der kleinsten heterogenen Theilchen, welche sie zusammensetzen, auffallend ungleich ist. Aehnlich sind ζ. B. die beiden Hälften eines Pleuronectes: ähnlich ist der unpaare Strahl der symmetrischen Echinodermen den vier anderen Strahlen. G l e i c h dagegen sind zwei homotypische Theile, wenn sie nicht bloss in jenen wesentlichen, sondern auch in diesen untergeordneten Beziehungen (der Grösse, Entwickelungsstärke und Flächenbegränzung etc.) vollkommen übereinstimmen, so dass die Zahl der kleinsten heterogenen Theilchen in beiden Antimeren nicht merklich verschieden ist. G l e i c h e A n t i m e r e n sind entweder symmetrisch oder congruent. S y m m e t r i s c h sind zwei gleiche Antimeren, wenn die Lagerung der kleinsten heterogenen Theilchen in beiden zwar r e l a t i v d i e s e l b e , aber absolut entgegengesetzt ist, so dass sich die beiden Gegenstücke wie das Spiegelbild eines Körpers, oder wie Rechts und Links verhalten, und niemals sich wirklich decken und ersetzen können. Cong r u e n t dagegen sind zwei gleiche Antimeren, wenn die Lagerung der kleinsten heterogenen Theilchen in beiden nicht bloss relativ, sondern auch a b s o l u t d i e s e l b e ist, so dass sich die beiden Gegenstücke vollständig decken und sich gegenseitig ersetzen können. Congruent sind ζ. B. die vier Antimeren der Medusen, die sechs Antimeren der Antipathiden, die fünf Radialsegmente der sogenannten „regulären" fünfzähligen Blüthen (ζ. B. Primulaceen, Oxalis, Nicandra etc.). Symmetrisch sind die beiden Hälften der Wirbelthiere und der Gliederthiere; j e zwei von den vier paarigen Antimeren der symmetrischen Echinodermen (Clypeasler etc.), j e zwei von den vier paarigen Gegenstücken der sogenannten „irregulären" fünfzähligen Blüthen (ζ. B. der Papilionaceen, Veilchen etc.). Streng genommen kann eine analoge Differenz, wie sie zwischen congruenten und symmetrisch g l e i c h e n Antimeren stattfindet, auch 20*
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bei ä h n l i c h e n Antimeren nachgewiesen werden und wir k ö n n e n danach positiv ähnliche und negativ ähnliche Antimeren unterscheiden. P o s i t i v ä h n l i c h können solche Antimeren genannt werden, bei welchen diejenigen Organe und Organtheile, die in beiden Antimeren gleicherweise vorhanden sind, auch die gleiche relative und absolute Verbindung, das gleiche Lagerungs-Verhältniss zur Mittelebene oder Mittellinie des Körpers zeigen. N e g a t i v ä h n l i c h dagegen (oder symmetrisch-ähnlich) würden diejenigen ähnlichen Antimeren heissen, bei denen auch dieses Lageruugs-Yerhältniss absolut entgegengesetzt ist. Beispiele hierfür liefern die symmetrischen Seeigel (Clypeastriden, Spatangiden etc.). Bei diesen Echiniden sind die fünf Antimeren (Radien), welche bei den Cidariden congruent sind, sämmtlich nicht congruent, aber paarweise symmetrisch, so dass man zwei P a a r e von Kadien und einen unpaaren Radius unterscheiden kanu. Der ganze Körper k a n n in einen dorsalen und einen ventralen Abschnitt zerlegt werden. D e r dorsale (gewöhnlich sogenannte vordere) Abschnitt wird Trivium genannt, weil er den unpaaren Radius und das dorsale (vordere) Paar der paarigen Radien enthält, während der ventrale, das Bivium, das ventrale (hintere) Paar der Antimeren oder Radien enthält. Bezeichnen wir nun den unpaaren Radius mit A, die beiderseits an denselben angrenzenden Radien mit Β unci C, und die beiden (ventralen) Radien des Bivium mit D und E, so dass die linke Seite aus A A —, C und Ε, die rechte aus —, Β und D gebildet wird, so sind Β und u
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C unter sich symmetrisch gleich, ebenso D und Ε unter sich symmetrisch gleich; dagegen Β und D positiv ähnlich, Β und Ε negativ ähnlich, ebenso C und Ε positiv ähnlich, C und D negativ ähnlich. Genau dieselben gegenseitigen Formbeziehungen, wie diese fünf Antimeren der bilateralen Seeigel, zeigen die fünf Antimeren der sogenannten „irregulären" ftinfzähligen Geschlechts-Individuen (Blüthen) der Papilionaceen und Labiaten, der Veilchen, der „ strahlenden" Randblüthen vieler Umbelliferen, Compositen etc. Vollständiger Mangel einer Autimeren-Zusaminensetzung des Körpers findet sich nur bei sehr wenigen Organcomplexen, nämlich bei den absolut regulären und den absolut irregulären. E s giebt nur einen einzigen absolut regulären Körper und das ist die K u g e l , welche in geometrisch reiner F o r m den Körper gewisser Radiolarieu bildet (Thalassicolliden, Sphaerozoiden). Hier können wir die Antimerenzahl = oc setzen. Umgekehrt wird dieselbe = 0 bei sehr vielen Spongien, deren vollkommen unvegelmässiger oder „amorpher" Körper durchaus keine Abtheilung in gleichartige Organcomplexe zeigt, die man als Antimeren betrachten könnte. Dasselbe gilt von sehr vielen cryptogamen Pflanzen.
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Die verschiedene Art und Weise, in welcher die Antimeren zur Bildung des ganzen Körpers zusammentreten, ist flir den characteristischen Habitus, den man mit den Ausdrücken des „bilateralen" und des .strahligen" Typus bezeichnet, von der grössten Wichtigkeit. Bei den echten Bilateralthieren, den Dipleuren, deren Körper nur aus zwei Antimeren (.symmetrischen Körperhälften") besteht (Wirbel-, Glieder- und Weich-Thieren), legen sich die beiden Gegenstücke mit zwei einander zugekehrten Flächen, in einer E b e n e (Mittelebene) an einander. Bei den echten r Strahlthieren" dagegen, sowohl ganz regulären (Medusen, Asteriden) als bilateral symmetrischen (Ctenophoren, Spatangiden), bei denen mehr als zwei Antimeren („Radial-Segmente" oder . Strahlen -) zum Körper zusammentreten, berühren sich dieselben in einer L i n i e , der Haupt- oder Längsaxe und haben also sämmtlich eine Kante gemeinsam. Selten nur, ζ. B. bei vielen Radiolarien, deren Grundform die Kugel oder ein reguläres oder ein endosphärisches Polyeder ist, berühren sich die Antimeren nur in einem einzigen P u n k t e und haben demgemäss nur diesen Punkt gemeinsam. Eigenthümliche Verschiedenheiten bezüglich der Antimeren-Zusammensetzung der Person oder des Form-Individuums im engeren Sinne zeigen unter den phanerogamen Pflanzen häufig die geschlechtslosen Personen (Blattsprosse etc.) und die Geschlechts-Individuen (Blüthen-Sprosse). Die letzteren, als die morphologisch höher entwickelten und differenzirten, weisen uns meistens ganz dieselbe regelmässige und leicht erkennbare Zusammensetzung aus Antimeren auf, wie die allermeisten Thier-Personen. Es entsprechen ζ. B. in dieser Beziehung vollkommen die „ regulären" Echinodermen (Asteriden etc.) den regelmässigen fllnfzähligen Blüthen (Primulaceen, Oxalideen etc.), die „irregulären" Echinodermen (Spatangiden etc.) den unregelmässigen ftinfzähligen Blüthen (Papilionaceen, Labiaten, Umbelliferen etc.). Auch ist die Mannichfaltigkeit in der Art dieser Zusammensetzung, welche die characteristische Physiognomie der Blumen bestimmt, nicht minder gross, als bei den Thieren. Bei den Blattsprossen dagegen, den geschlechtslosen Individuen der Phanerogamen, sind diese CompositionsVerhältnisse, welche sich in der Blattstellung aussprechen, im Ganzen seltener eben so einfach, regelmässig und deutlich, wie bei den Blüthen. Es ist dies der Fall bei den Axorganen mit zweizeiliger, gegenständiger, kreuzständiger und wirtelständiger (quirliger) Blattstellung. Sehr häufig treten hier aber statt dessen sehr complicirte Verhältnisse auf, welche schwierig auf die einfache Zusammensetzung des geschlechtslosen Sprosses aus gegenständigen Antimeren zurückzuführen sind. Insbesondere wird die letztere häufig dadurch versteckt, dass die Blattorgane in einer enger oder weiter gewundenen S p i r a l e an der Axe heraufsteigen. Man pflegt gewöhnlich die Spiraltendenz in
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Morphologische Individualität der Organismen.
der Blattstellung der Phanerogamen u. 8. w. als eine primitive Eigenthümliehkeit derselben zu betrachten und die vorher angeführten Fälle von zweizeiliger, gegenständiger, kreuzständiger und wirtelständiger (quirliger) Blattstellung als abgeleitete Formen, welche durch secundären Zerfall laufender, continuirlicher Spiralen in abgesetzte, geschlossene Ringe entstanden seien. Indessen ist es vielleicht richtiger, umgekehrt die letzteren als die eigentlichen ursprünglichen Grundformen zu betrachten, welche aus einer gesetzmässigen Verbindung von Antimeren und Metameren (in ähnlicher Weise wie bei den „Strahlthieren" ζ. B. den Echinodermen) gebildet sind. Die Blattstellungs-Spiralen würden dann als abgeleitete Formen zu betrachten sein, secundär entstanden durch besondere Wachsthums-Verhältnisse der sich streckenden Metameren, welche in besonderen Beziehungen zu den Antimeren der benachbarten Metameren stehen. Wir glauben, dass für eine richtige Auffassung dieser schwierigen und verwickelten Verhältnisse die Vergleichung der analogen einfacheren Verbindung von Antimeren und Metameren bei den Strahlthieren sehr wichtig ist. Bei den meisten Echinodermen insbesondere finden wir in ganz analoger Weise, wie bei den meisten phanerogamen Personen, mehrere Antimeren (gewöhnlich fltnf) und zahlreiche Metameren (hinter einanderliegende Abschnitte der Hauptaxe, Stengelglieder etc.) zu einer complicirt gebauten Person verbunden. Das ursprüngliche, homotypische Verhältniss bei den Echinodermen ist aber immer die reguläre Zusammensetzung aus fünf Antimeren, deren Stücke in geschlossene, hinter einander liegende K r e i s e geordnet sind, -wie bei den meisten Geschlechts-Personen (Blüthen) der Phanerogamen; und nur ausnahmsweise, und offenbar erst in Folge secundärer Entwickelung, laufen diese Kreise in einander, indem sie sich zu continuirlichen S p i r a l e n verbinden, ζ. B. bei den spiraligen Reihen von Stachelhöckern vieler Echiniden, von Kelchtafeln vieler Crinoiden etc. Ebenso dürften vielleicht die Spiralen der Blattstellungen bei den meisten geschlechtslosen Personen (Blattsprossen) der Phanerogamen zu erklären sein. Wir führen die Antimeren oder Gegenstücke als morphologische Individuen d r i t t e r Ordnung auf, weil die echten, eigentlichen Antimeren in allen Fällen Organ-Complexe darstellen, also Einheiten, welche ^aus einer Vielheit von Form-Individuen zweiter Ordnung bestehen. Vielleicht dürfte es in mehrfacher Beziehung richtiger erscheinen, die Rangordnung der beiden Individualitäten zu wechseln und die A n t i m e r e n als die morphologischen Individuen z w e i t e r , die O r g a n e als die morphologischen Individuen d r i t t e r Ordnung aufzustellen. Hierfür könnte namentlich angeführt werden, dass auch bei vielen Organismen, welche noch keine distincten Organe besitzen, dennoch der Körper (eine einfache Plastide) bereits aus Antimeren zusammen-
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gesetzt erscheint, wie ζ. B. bei den Desmidiaceen, Diatomeen und vielen anderen Protisten; ferner, dass auch jedes einzelne Organ aus mehreren Antimeren zusammengesetzt scheinen kann, ζ. B. ein einfaches Blatt aus zwei, ein handförmiges (in drei, vier, fünf gleiche Lappen gespaltenes Blatt) aus drei, vier, fünf Antimeren etc. Indessen würde, streng genommen, diese Auffassung dazu führen, das Antimer sogar als morphologisches Individuum e r s t e r Ordnung hinzustellen, da j a die meisten einzelligen Organismen bereits deutlich aus zwei oder mehreren Antimeren zusammengesetzt erscheinen, mithin eine einzelne Plastide eine Einheit repräsentirt, welche aus einer Vielheit von Antimeren bestehen würde. Hier, wie auch sonst in vielen Fällen, scheint eine strenge Rangordnung der morphologischen Individualitäten nicht durchführbar zu sein, zumal wenn dieselben, wie es so oft geschieht, in verwickelter Weise in einander greifen. Wir können diese Rangordnung aber auch im vorliegenden Falle bestimmt dadurch feststellen, dass wir die Subordination der einzelnen Kategorieen in allen Organismen untersuchen und hieraus das allgemeine Gesetz ableiten; und auf dieser empirischen Grundlage erscheint uns die von uns gewählte Rangordnung als die richtigste. Der scheinbare Widerspruch löst sich, sobald wir scharf zwischen A n t i m e r e n und P a r a m e r e n (Gegenstücken und Nebenstücken) unterscheiden. In sehr vielen Fällen sehen wir, dass untergeordnete Theile, ζ. B. einzelne Organe, die Gesammtform sowohl als die characteristische Zusammensetzung des ganzen Organismus wiederholen. So wiederholt sich ζ. B. bei den Arthropoden die Gliederung des Rumpfes in deijenigen der Extremitäten, bei den Mimosen die Stengelgliederung in derjenigen der gefiederten Blätter. Ebenso sehen wir, dass die homotypische Zusammensetzung des ganzen Organismus sich häufig in einer analogen Zusammensetzung einzelner Theile oder Organe wiederholt. Letztere erscheinen oft in so regelmässiger und constanter Weise aus homotypischen Theilen zusammengesetzt, wie die ganze Person, ζ. B. die einfachen Blätter der Phanerogamen (also Organe!) aus zwei symmetrischen Hälften. Um nun jede Verwechselung dieser untergeordneten Gegenstücke mit den Antimeren des ganzen Organismus auszuschliessen, wollen wir die ersteren allgemein als homonome Theile, X e b e n s t ü c k e o d e r P a r a m e r e n bezeichnen. Solche sind also ζ. B. die beiden Hälften der dipleuren Blätter, die drei Blättchen von dreizähligen Blättern (ζ. B. vom Kleeblatt), die drei Arme der dreiarmigen Pedicellarien der Echinodermen, die fünf Zehen des menschlichen Fusses und des Wirbelthierfusses überhaupt. P a r a m e r e n oder Nebenstücke (homonome Theile) sind also allgemein entsprechende Theile, welche um eine Kreuzaxe oder Breitenaxe des Körpers (oder um die Hauptaxe eines einzelnen Körpertheils)
Morphologische Individualität der Organismen.
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herum neben einander liegen. A n t i m e r e n oder Gegenstücke dagegen sind entsprechende Theile, welche um die Hauptaxe (Längsaxe) des Körpers herum neben einander liegen. Parameren sind stets untergeordnete Theile eines Form-Individuums erster oder zweiter, Antimeren dagegen stets vierter oder fünfter Ordnung. Die Parameren verhalten sich demnach zu den Antimeren ganz analog, wie die sogleich zu besprechenden Epimeren zu den Metameren.
IT·
Morphologische Individaen vierter Ordnung. Metameren oder Folgestücke.
(Homodyname Theile oder allgemein homologe Theile.) Mehr Aufmerksamkeit, als den Antimeren, hat man bisher den Metameren geschenkt, obwohl dieselben gewöhnlich nicht in so constanter Zahl und in so begrenzter Form als gestaltbestimmende Einheiten zu einer Mehrheit zusammentreten, wie es bei jenen der Fall ist. Da dieselben aber häufiger als die Antimeren die Rolle von physiologischen Individuen spielen, und ausserdem in der Axe der Phanerogamen als Stengelglieder, im Rumpfe der Vertebraten und Articulaten, (dort innerlich als ,, W i r b e l s e g m e n t e h i e r äusserlich als Ringe oder Zoniten) sehr auffallend hervortreten, so hat man ihnen immerhin eingehendere Betrachtungen in einzelnen Stämmen gewidmet. Das Verhältniss der Metameren zu den Antimeren ist bisher unseres Wissens nur von dem trefflichen B r o n n näher zu bestimmen versucht worden, welcher sich in seinen morphologischen Studien (p. 410) folgendermaassen über diese beiderlei wesentlichen Formeinheiten ausspricht: „Man hat H o m o l o g i e genannt die vollkommene Uebereinstimmung der Theile verschiedener Pflanzen und Thiere in ihrer relativen ursprünglichen Lage, anderen Theilen gegenüber, ohne alle Rücksicht auf ihre Form. So sind die Vorderbeine aller Wirbelthiere homolog, mögen es nun Flossen, Flügel, Grab-Apparate, Gehfüsse oder Arme mit Händen sein. Wir haben früher (1850) Theile eines und desselben Thieres h o m o n o m (gleichgesetzlich) genannt, welche von einerlei Art oder nach einerlei Gesetz oder Plan gebildet sind, müssen aber jetzt der Deutlichkeit wegen noch genauer unterscheiden. Wir nennen homo t y p i s c h e solche Organe, welche nach der Grundform des Typus oder System-Kreises, wozu sie gehören, eine ganz identische Stelle im Individuum einnehmen und daher auch ihrer Zahl nach fest bestimmt sind. Sie werden daher in ihrer Lage in Bezug zur Hauptaxe des Organismus so weit übereinstimmen, dass sie den zwei Polen einer beliebigen Queraxe oder zweier gleicher Radien desselben entsprechen. Dann wird es also bei jedem höheren Thiere nur zwei homotypische Beine, Finger, Rippen, Zähne, und bei den Strahlthieren nur je vier, fünf, sechs homotypische Strahlen, Arme, Fühlergänge, Strahlenleisten und dgl.
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geben können. Wir wählen dagegen den Ansdrnck h o m o n y m (gleichnamig) für solche Forabestandtheile eines und des nämlichen Thieres oder Yegetabils, die, anch im gewöhnlichen Leben unter einerlei Namen zusammenbegriffen, und nach einerlei Plane gebildet, doch immer insofern in der Lage von einander abweichen, als sie an einer Haupt- oder StrahlenAxe h i n t e r , oder in dem Pole einer Quer-Axe n e b e n einander liegen. Zu den e r s t e n gehören alle Ringel eines Kerbthieres, alle successiven Fuss-, Zahnnnd Rippen-Paare eines Thieres, die successiven Paare oder alternirenden Individuen von Gliedern, Fiederästen, Pedicellen und Ranken am Arme eines Crinoiden etc. Zu den l e t z t e n gehören alle Fiuger und Zehen einer Hand und eines Fusses, dahin auch die successiv verschiedenen Cyclen von Strahlenleisten in einem Korallenbecher u. s. w. Die homotype Grundzahl ist bei den Strahlthieren 6, 5, 4, 3, bei den höheren Thieren 2. Für die homonymen Organe aber giebt es keine andere Grundzahl, als das Paar oder die Einheit." Das Yerhältniss zwischen gewissen, durch ähnliche Lagerung sich entsprechenden Theüen, welches B r o n n als H o m o n y m i e bezeichnet, ist auch von Andern nach R. O w e n „Allgemeine Homologie" oder „Homologie der Reihe" genannt. O w e n unterscheidet d r e i v e r s c h i e d e n e A r t e n d e r H o m o l o g i e : 1. H o m o l o g i e d e r R e i h e , wenn gleichartig gebildete und a u f e i n a n d e r f o l g e n d e Organe oder Theile des Körpers eines und desselben Thieres unter einander verglichen werden, also ζ. B. das Verhältniss der verschiedenen hinter einander liegenden Segmente eines Gliederthieres zu einander oder der verschiedenen Abschnitte der Wirbelsäule eines Wirbelthieres zu einander. 2. A l l g e m e i n e H o m o l o g i e , wenn ein Theil oder eine Reihenfolge von Theilen auf den gemeinsamen Grundtypus bezogen wird, und deren Erscheinung einen Begriff jenes Grandtypus in sich birgt, auf welchen eine Thiergruppe aufgebaut ist, so ζ. B. das Verhältniss der Schädelwirbel oder der Kreuzwirbel zum Grundtypus des Wirbels. 3. S p e c i e l l e H o m o l o g i e , wenn z w e i ( o d e r m e h r e r e ) c o r r e s p o n d s e n d e , durch bestimmte Lage und Yerhältniss zum Ganzen übereinstimmende Theile von z w e i (odermehreren) v e r s c h i e d e n e n T h i e r e n mit einander verglichen und auf den gleichen Grundtypus reducirt werden, ζ. B. der Flügel eines Yogels und die Brustflosse eines Fisciies. Versucht mau sich die etwas dunkeln Definitionen, die O w e n von seinen drei Arten der Homologie giebt, aufzuklären und durch Beispiele zu erläutern, so stellt sich alsbald heraus, dass die allgemeine Homologie und die Homologie der Reihe nicht zu unterscheiden sind, und dass die versuchte Unterscheidung beider nur darauf beruht, dass die gegenseitigen Beziehungen der beiden zu vergleichenden Theile in der letzteren beschränkter, weniger klar und allgemein aufgefasst sind, als in der ersteren. Die H o m o l o g i e d e r R e i h e begnügt sich mit einer unvollständigen und unklaren Erkenntniss, indem sie die beiden zu vergleichende Theile n u r u n t e r e i n a n d e r und ohne Hervorhebung des gemeinsamen Grundtypus vergleicht, während die a l l g e m e i n e H o m o l o g i e das gegenseitige Verhältniss schärfer und mit besonderer Beziehung zum ge m e i n s a m e n G r u n d t y p u s vergleicht. E s bleiben mithin nur zwei verchiedene Arten der
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Morphologische Individualität der Organismen.
Homologie übrig, allgemeine und specielle Homologie. T o n diesen fallt die a l l g e m e i n e H o m o l o g i e zusammen mit dem, was Bronn H o m o n y m i e nennt, während die s p e c i e l l e H o m o l o g i e diejenige Beziehung zweier zu vergleichender Theile bezeichnet, welche die vergleichende Anatomie kurzweg H o m o l o g i e nennt. Beide Ausdrücke sind rein m o r p h o l o g i s c h e r Natur und vergleichen lediglich die F o r m der beiden entsprechenden Theile, während diejenige physiologische Art der Tergleichung, welche sich auf die F u n c t i o n zweier correspondirender Theile bezieht, allgemein A n a l o g i e genannt wird. 1 ) Die Homonymie vergleicht zwei correspondirende Theile eines und desselben Thieres, während die Homologie zwei entsprechende Theile von zwei verschiedenen Thieren iu Vergleichung zieht.
Wollen wir den viel gebrauchten, aber auch viel missbrauchten Begriff der Homologie fernerhin mit Vortheil anwenden, so ist es nothwendig, ihn bestimmt zu präcisiren und stets nur in dem zuletzt erwähnten Sinne (von O w e n s s p e c i e 11 er H o m o l o g i e " ) anzuwenden, indem wir zwei oder mehrere e n t s p r e c h e n d e T h e i l e von zwei oder m e h r e r e n v e r s c h i e d e n e n O r g a n i s m e n in Bezug auf ihre gemeinsame Grundform vergleichend betrachten. Hierbei können wir schon im Voraus darauf hinweisen (was im sechsten Buche näher erläutert werden wird), dass eine solche w a h r e H o m o l o g i e nur stattfinden kann zwischen zwei Theilen, welche aus der g l e i c h e n u r s p r ü n g l i c h e n A n l a g e entstanden sind und sich erst im Laufe der Zeit durch D i f f e r e n z i r u n g von einander entfernt haben. Demgemäss können auch n u r zwei Theile homolog sein, welche z w e i T h i e r e n e i n e s u n d d e s s e l b e n S t a m m e s (oder Kreises, Phylon) angehören (ζ. B. zwei Wirbelthieren, oder zwei Gliederthieren); niemals kann aber eine wahre Homologie stattfinden zwischen zwei Theilen, welche zwei Thierformen von zwei verschiedenen Stämmen angehören, ζ. B. zwischen zwei Theilen eines Wirbelthiers und eines Gliederthiers, mögen dieselben auch noch so ähnlich zu sein scheinen. Auch den Begriff der H o m o n y m i e Bronn's (der mit Owen's ') Obgleich der Unterschied der H o m o l o g i e und A n a l o g i e ein so klarer und bestimmter ist, werden beide Ausdrücke dennoch sehr häufig verwechselt und durch die Vermischung beider Begriffe grosse Verwirrung angerichtet. Bs mag daher hier nochmals scharf hervorgehoben werden, dass beide Begriffe nur durch das gemeinsame Tertium der \ e r g l e i c h u n g mit einander zusammenhängen, dass sie z w e i v e r s c h i e d e n e A r t e n der V e r g l e i c h u n g sind. Die A n a l o g i e oder die p h y s i o l o g i s c h e V e r g l e i c h u n g kanu nur die entsprechende F u n c t i o n zweier Theile betreffen, während die H o m o l o g i e oder die m o r p h o l o g i s c h e V e r g l e i c h u n g stets nur die correspondirende F o r m zweier Theile betreffen kann. A n a l o g sind ζ. B. die Kiemen der Fische und die Lungen der Säugethiere, während h o m o l o g die Schwimmblasen der Fische und die Lungen der Säugethiere sind.
IV. Morphologische Individuen vierter Ordnung: Metameren.
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allgemeiner Homologie und Homologie der Reihe zusammenfällt) werden wir noch näher zu bestimmen und in zwei verschiedene Begriffe zu zerlegen haben. In Bronn's oben mitgetheiltem Sinne bezeichnet derselbe ganz allgemein die Beziehung zwischen zwei ähnlichen Theilen, die, „nach einerlei Plan gebildet, doch immer insofern in der Lage yon einander abweichen, als sie an einer Haupt- oder Strahlen-Axe h i n t e r , o d e r in dem Pole einer Quer-Axe n e b e n einander liegen." In dieser Definition sind schon wesentliche Differenzen der als „homonym" zusammengefassten Theile angedeutet. Denn es ist klar, dass wir nicht ohne Weiteres derartige hinter oder neben einander gelegene Abschnitte mit einander vergleichen können, gleichviel, ob sie in einer Haupt- ^Längs-) Axe oder in einer QuerAxe hinter einander oder neben einander liegen. Wir werden ζ. B. nicht die einzelnen Segmente des Gliederthier-Rumpfes (einer Hauptaxe) und diejenigen seiner Extremitäten (Seitenaxen) direct als einander gleichwerthig betrachten dürfen. Um uns über diese eben so schwierigen als wichtigen, bisher aber noch keiner scharfen Erörterung unterzogenen Verhältnisse der Formen-Zusammensetzung zu verständigen, ist es nöthig, aus dem vierten Buche einige Bestimmungen über die allgemeine Bezeichnung der wesentlichsten Axen vorauszunehmen; die Begründung derselben ist dort nachzusehen. Wir unterscheiden an den sogenannten bilateral-svmmetrischen Thieren (WirbelGlieder-, Weichthieren), deren Grundform wir unten als D i p l e u r e näher bestimmen werden, drei auf einander senkrechte Axen, welche den drei Dimensionen des Baumes entsprechen. Die erste oder Längsaxe (Axis longitudinalis), welche gewöhnlich von vorn nach hinten geht, betrachten wir als die H a u p t a x e ; ihr einer Pol ist der M u n d p o l (Polus oralis, Peristomii), ihr anderer der G e g e n m u n d p o l (Polus aboralis, Antistomii)· Die zweite Axe, welche vom Rücken zum Bauch geht, nennen wir D i c k e n a x e (Axis dorsoventralis); ihr einer Pol ist der R ü c k e n p o l (Polus dorsalis), ihr anderer d e r B a u c h p o l (Polus ventralis). Die dritte Axe, welche von Rechts nach Links geht, ist unsere B r e i t e n a x e (Axis lateralis); ihr einer Pol ist der r e c h t e , ihr anderer der l i n k e Pol. Bei den sogenannten „Strahlthieren" oder Radiaten, welche man auch oft als reguläre bezeichnet, ebenso bei den meisten Geschlechts-Individuen (Blüthensprossen) der Phanerogamen sind die bezeichneten drei Axen bald zu unterscheiden (wenn sie zur Formgruppe der Centrepipeden gehören), bald nicht. Im letztern Falle (bei den vollkommen „regulären" Strahlthieren und Blüthen) ist bloss die Längendimension durch eine Axe bestimmt und diese Hauptaxe ist die Längsaxe, welche vom Mundpol zum Gegenmundpol geht (ζ. B. beim Seestern vom Mund zum After, bei der Meduse vom Mund zur Mitte der Glockenwölbung, bei der regulären trichterförmigen Blüthe von der Mündung zum Grunde (Ansatz) der Blüthe. Die anderen Axen, welche durch die Zahl der „Strahlen" bestimmt werden, in der Mitte dieser „Strahlen, abschnitte* verlaufen und sich in der Hauptaxe kreuzen, fünf bei denEchino-
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Morphologische Individualität der Organismen.
dermen und den meisten Dicotyledonen - ßlüthen, vier bei den meisten Medusen und vielen Dicotvledonen, drei bei vielen Radiolarien und den meisten Monocyletodonen-Blüthen) nennen wir K r e u z a x e n (Stauri).
Eine der häufigsten Erscheinungen, welche der Organismus der höheren Thiere bezüglich seines Aufbaues aus untergeordneten Theilen darbietet, ist die G l i e d e r u n g oder S e g m e n t i r u n g desselben, d. h. die Bildung von hinter einander in einer Axe gelegenen Abschnitten, deren jeder im Wesentlichen dieselbe Anzahl von Organen in gleicher oder ähnlicher Lagerung, Zusammensetzung, Form etc. wiederholt. Diese Gliederung, wie sie am ausgesprochensten bei den Wirbelthieren, Gliederthieren und Echinodermen auftritt (während sie den Weichthieren in sehr characteristischer Weise abgeht), kann sowohl den Stamm (in der Längsaxe) als die seitlichen Anhänge des Stammes betreffen, welche entweder in der Breitenaxe (bei den Gliederthieren) oder in den Kreuzaxen (bei den Strahlthieren) hinter einander liegen. In beiden Fällen werden die S e g m e n t e von B r o n n als h o m o n y m e T h e i l e bezeichnet. Ganz denselben allgemeinen morphologischen Werth, wie den einzelnen S e g m e n t e n o d e r Z o n i t e n des W i r b e l und G l i e d e r - T h i e r - R u m p f e s , müssen wir auch den einzelnen S t e n g e l g l i e d e r n der P h a n e r o g a m e n zugestehen. Auch diese sind Wiederholungen homonymer Theile in der Hauptaxe. Und ebenso tragen wir kein Bedenken, die Gliederung, die sich in Seitentheilen (Blattorganen) der Phanerogamen ausspricht, ζ. B. in den gefiederten Blättern, der Gliederung der Seitenanhänge (Extremitäten) bei den Wirbel- und Gliederthieren gleichzusetzen. Für die richtige Werthschätzung der Rangstufe der subordinirten Formgruppen, aus denen sich der ganze Leib jener gegliederten Thiere und Pflanzen aufbaut, ist es aber durchaus nothwendig, diese beiden Fälle wohl zu unterscheiden. Wir werden daher den von B r o n n eingeführten Namen der H o m o n y m i e auf das Verhältniss der hinter einander liegenden Segmente beschränken, welche durch Gliederung eines nicht in der Hauptaxe liegenden Seitentheils entstehen, welcher also einer Breitenaxe oder Kreuzaxe entspricht; während wir dagegen die wechselseitige Beziehung derjenigen Segmente, welche durch Gliederung des Rumpfes selbst in der Hauptaxe (Längsaxe) entstehen, als H o m o d y n a m i e zu bezeichnen vorschlagen. Ferner werden wilder Kürze und Bequemlichkeit halber die S e g m e n t e d e r H a u p t a x e n oder die h o m o d y n a m e n T h e i l e M e t a m e r e n , die S e g m e n t e d e r K r e u z a x e n ( o d e r B r e i t e n a x e n ) oder d i e h o m o n y m e n T h e i l e E p i m e r e n nennen. H o m o n y m e O r g a n e in unserem Sinne oder E p i m e r e n sind also ζ. B. die Extremitäten-Abschnitte (ζ. B. Oberarm, Vorderarm, Carpus, Metacarpus, Phalangen der vorderen Extremität) der Wirbel-
IV. Morphologische Individuen vierter Ordnung: Metameren.
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thiere, ferner die sogenannten Glieder oder Segmente der Extremitäten (ζ. B. coxa, trochanter, femur, tibia, tarsus) der Gliederthiere, ferner die einzelnen Abschnitte der Armzweige (Pinnulae etc.) bei den Crinoiden, die einzelnen Nesselringe an den Tentakeln der Medusen u. s. w. Im Pflanzenreiche haben wir dem entsprechend als Epimeren oder homonyme Theile alle ähnlichen Gliederbildungen an den Blättern zu betrachten, ζ. B. die Fiedern der gefiederten Blätter etc. H o m o d y n a m e O r g a n e oder M e t a m e r e n sind dagegen: bei den Wirbelthieren die einzelnen Abschnitte des Rumpfes, deren jeder einem Urwirbel, und am ausgebildeten Thiere einem Wirbel nebst zugehörigen Organen entspricht (einem Kippenpaar, einem Ganglienpaar des Sympathicus, einem Paar austretender Intercostal-Nerven und Gefässe etc.; bei den Gliederthieren ebenso die hinter einander liegenden Segmente oder Glieder des Rumpfes, die bei den Gliederfüssern echon weit differenzirt (heteronom*, bei den Würmern dagegen noch sehr gleichartig (homonom) sind, so dass in jedem Stücke dieselben Organe sich wiederholen. Ebenso stark entwickelt wie bei den Wirbelund Glieder-Thieren ist die Honiodynainie oder Metameren-Bildung auch bei den Echinodermen; hier haben wir als Metameren zu betrachten: bei den Echiniden die hinter einander liegenden Plattenpaare jedes Ambulacrums, nebst entsprechendem Segmente des Ambulacralsystems, Nervensystems etc., bei den Asteriden die sogenannten Wirbelstücke oder Pseudovertebrae der Arme,') bei den Crinoiden die Stengelglieder des Stiels etc. Vollkommen diesen entsprechende Metameren sind im Pflanzenreiche die Stengelglieder der Phanerogamen. Die Metameren sind also subordinate Theile (Glieder) eines FormIndividuums fünfter, die Epimeren dagegen erster, zweiter oder dritter Ordnung. Die Metameren oder homodynamen Körperabschnitte haben als Gliederungen der Hauptaxe (Längsaxe) natürlich einen weit höheren morphologischen Werth als die Epimeren, welche nur als Gliederungen der Nebenaxen (Breitenaxe oder Kreuzaxen) auftreten. Auch werden wir unten sehen, dass die letzteren im Thierreiche niemals oder nur sehr selten der physiologischen Individualisation fähig sind, welche die ersteren sehr leicht und häufig erlangen. Die Metameren sind bei den niederen Formen des Thierstammes, in welchem sie auftreten, lediglich Multiplicationen der specifischen Form der betreffenden Art, Wiederholungen, welche ursprünglich so unabhängig sind, dass sie ') Auf den ersten Blick könnte man mehr geneigt sein, diese Theile der Echinodermen als Epimeren, als homonyme Theile zu betrachten. Indessen lehrt eine tiefere Erfassung der schwierigen Echinodermen-Homologien, dass wir dieselben mit grösserem Hechte als Metameren oder homonyme Theile auffassen. Vergl. hierüber das YI. Buch.
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Morphologische Individualität der Organismen.
sehr leicht sich von einander abtrennen und dass alsdann jedes einzelne Metamer jene Species-Form mehr oder weniger vollständig repräsentirt. Die Epimeren dagegen vermögen niemals in ähnlicher Weise die Species-Form zu vertreten, da sie eben nicht Wiederholungen des ganzen Organismus, sondern nur Multiplicationen von einzelnen seitlichen Theilen desselben, von Organen verschiedener Ordnung sind. Die Epimeren verhalten sich zu den Metameren ganz analog, wie die Parameren zu den Antimeren. Die sogenannte G l i e d e r u n g oder homodyname Zusammensetzung des ganzen Organismus (dessen physiologische Individualität in Form der Person auftritt), wie sie bei den Wirbelthieren, den meisten Gliederthieren, Echinodermen und den meisten Phanerogamen stattfindet, bekundet einen bedeutenden Fortschritt in der Organisation und wir können daher allgemein diese Organismen als höher und vollkommener bezeichnen, im Vergleich zu jenen, bei denen die Metameren-Bildung fehlt, und bei denen mithin das physiologische Individuum selbst nur den Werth eines Metameres erreicht, wie bei den niederen Würmern, den Mollusken etc. Besonders lehrreich für die richtige Auffassung der Homodynamie oder der Metameren-Bildung ist die allmählige Uebergangsreihe von ungegliederten zu gegliederten Formen, wie sie uns die niederen Würmer (besonders Cestoden) zeigen; hier zeigt sich auf das Klarste, wie dieselben Theile (Metameren), die in den niederen Formen als physiologische Individuen auftreten, in den höheren Formen nur den Rang von homodynamen Theilen haben. (Vergl. den IV. Abschnitt des zehnten Capitels).
V. Morphologische Individuen fünfter Ordnung: Personen oder Prosopen. (Sprosse oder Blasti.)
Wir gelangen nunmehr im aufsteigenden Stufengange unserer Betrachtung zu derjenigen höheren organischen Formeinheit, welche sowohl der gewöhnliche Sprachgebrauch der Laien, als auch die in der Zoologie (nicht aber in der Botanik!) allgemein herrschende Anschauungsweise als das Individuum κατ εξοχήν oder als das „eigentliche" Individuum aufzufassen pflegt. Obwohl eine unbefangene und tiefer eingehende Betrachtung der organischen Individualität zeigt, dass auch diese „eigentlichen" oder absoluten Individuen in der That nur relative sind, und auf keine andere individuelle Geltung Anspruch machen können, als sie auch dem Metamer und allen anderen, vorher aufgeführten Individuen niederen Ranges zukommt, und obwohl diese „eigentlichen" Individuen bei den meisten höheren Pflanzen und
Y.- Morphologische Individuen fünfter Ordnung: Personen.
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Coelenteraten nur als subordinirte Bestandteile einer noch höher stehenden Einheit, des Stockes erscheinen, so ist dennoch, ausgehend von der Individualität des Menschen und der höheren Thiere, die irrthümliche Auffassung der morphologischen Individuen fünfter Ordnung als der „eigentlichen" organischen Individuen eine so allgemeine geworden, und hat sich so fest in dem wissenschaftlichen sowohl als im Volks-Bewusstsein eingenistet, dass wir sie als die Hauptquelle der zahlreichen verschiedenartigeu Auffassungen und Streitigkeiten, die in Betreff der organischen Individualität herrschen, bezeichnen müssen. Um diese .eigentliche" Individualität, welche sich durch bestimmte morphologische Eigenschaften mit voller Sicherheit als ein „morphologisches Individuum fünfter Ordnung" scharf characterisiren lässt, ein für allemal von allen anderen organischen IndividualitätsFormen zu unterscheiden, wollen wir für dieselbe beständig die Beizeichnung der P e r s o n oder des P r o s o p o n ' ) beibehalten. Mit diesem Ausdrucke lehnen wir uns unmittelbar an den bestehenden Sprachgebrauch an, welcher j a insbesondere das menschliche Individuum sehr allgemein als . Person" bezeichnet. Die Botaniker gebrauchen zur Bezeichnung derselben morphologischen Individualität fünfter Ordnung den Ausdruck S p r o s s oder B l a s i u s , welcher sehr häufig irrtümlich durch den keineswegs gleichbedeutenden Ausdruck der Knospe (Gemma) ersetzt wird. Wir machen daher ausdrücklich darauf aufmerksam, dass im Sinne der besten Botaniker, und namentlich im Sinne derjenigen, welche die Individualität der Sprosse am eingehendsten und klarsten behandelt haben, wie A l e x a n d e r B r a u n , der Ausdruck Spross oder Blasius ausschliesslich in dem hier beibehaltenen Sinne für das m o r p h o l o g i s c h e Pflanzen-Individuum fünfter Ordnung gebraucht wird. Der Auedruck K n o s p e oder G e m m a , welcher so oft damit verwechselt wird, ist dagegen, wenn er einen scharf bestimmten Begriff bezeichnen soll, nur für diejenige rein p h y s i o l o g i s c h e Individualität irgend einer Ordnung anzuwenden, welche durch den bestimmten ungeschlechtlichen Fortpflanzungs-Modus der K n o s p e n b i l d u n g ( G e m m a t i o ) entsteht. Wie wir im siebzehnten Capitel noch näher ausführen werden, ist dieser wichtige Spaltungs-Process durch Gemmation bei organischen Individuen aller Ordnungen weit verbreitet, und es entstehen nicht bloss viele Sprosse durch Knospung, sondern auch viele Zellen, Organe, Metameren und Stöcke. Knospe oder Gemma bedeutet also in diesem correcten und fortan stets festzuhaltenden Sinne ausschliesslich ein durch Knospenbilduug erzeugtes Individuum irgend einer Ordnung. S p r o s s oder B l a s i u s dagegen nennen wir mit A l e x a n d e r B r a u n u. A. ausschliesslich d a s echte ') πρόςωπον,
το; Persona,
βλκστός, ό; der Spross.
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Morphologische Individualität der Organismen.
m o r p h o l o g i s c h e I n d i v i d u u m f ü n f t e r O r d n u n g . Der pflanzliche Spross, Blastos, ist also mit der thierischen Person, dem Prosopon, identisch und es könnte demnach die erstere Bezeichnung tiberflüssig erscheinen. Man kann sie aber mit Vortheil beibehalten für diejenigen Personen, welche nicht frei als Biouten leben, sondern als untergeordnete Bestandtheile der höheren Einheit, des Stockes (Cormus) auftreten. Wir werden also fernerhin die morphologischen Individuen fünfter Ordnung nur dann als Sprosse (Blasti) bezeichnen, wenn sie integrirende Bestandtheile eines Individuums sechster Ordnung (Cormus) sind, wie bei den meisten Phanerogamen und Coelenteraten; dagegen als Personen (Prosopa), wenn sie frei als selbstständige Bionten existiren, wie bei den Wirbelthieren, Arthropoden, und bei der sogenannten „einfachen Pflanze" d. h. einer Phanerogamen mit ganz einfacher gegliederter Axe, ohne alle Nebenaxen (Zweige, Ausläufer etc.). Wenn wir nun in diesem Sinrife die Bezeichnung der Person und des Sprosses fest beibehalten, so lässt sich deren Begriff als morphologisches Individuum fünfter Ordnung vollkommen scharf und bestimmt feststellen. Es besteht nämlich das echte Prosopon und der echte Blastos in allen Fällen aus einer V i e l h e i t v o n u n t e r g e o r d n e t e n I n d i v i d u e n der e r s t e n b i s v i e r t e n O r d n u n g . Jedes einzelne morphologische Individuum fünfter Ordnung ist also zusammengesetzt aus mindestens zwei Metameren, mindestens zwei Antimeren und ebenso stets aus einer Vielheit von Organen und einer Vielheit von Piastiden. Eine jede physiologische Individualität, welche diesem Begriffe nicht entspricht, wie ζ. B. die meisten Mollusken, welche nicht aus Metameren zusammengesetzt, sondern selbst ein Metamer sind, können wir nicht als Person anerkennen. Die Person oder das Prosopon in diesem Sinne ist das morphologische Substrat der physiologischen Individualität bei allen Vertebraten und Arthropoden, allen „gegliederten Thieren" überhaupt (also auch den gegliederten Würmern (Anneliden, Cestoden). Als Spross setzt dieselbe die Stöcke der meisten Coelenteraten und Phanerogamen und der höheren Cryptogamen zusammen. D a das richtige V e r s t ä n d n i s dieser wesentlichen Zusammensetzung des Sprosses aus Vielheiten von Individuen aller vier subordinirten Ordnungen von sehr grosser Bedeutung ist, wollen wir dasselbe an einigen Beispielen erläutern. Nehmen wir zunächst das W i r b e l t h i e r heraus, und als concreten Typus das am besten bekannte Wirbelthier, den M e n s c h e n selbst. D e r menschliche K ö r p e r besteht zunächst aus zwei Antimeren, einer rechten und linken H ä l f t e ; er lässt sich ferner zerlegen in eine Anzahl hinter einander gelegener homodynamer Abschnitte oder Metameren, die Reihe der einzelnen Wirbelsegmente, mit deren jedem sich zugleich ein Nervenpaar, ein Gefässpaar, ein gewisser Muskel- und K n o c h e n - A p p a r a t in der
Y. Morphologische Individuen fünfter Ordnung: Personen.
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ganzen Aasdehnung der Längsaxe (der Wirbelsäule) wiederholt. Jedes Metamer und jedes Antimer ist wieder zusammengesetzt aus einem Organcomplexe verschiedener Ordnungen. Die höchsten Organcomplexe, die Apparate, lassen sich zerlegen in Theile von Organsystemen, diese wiederum in heteroplastische Organe, welche ihrerseits theils aus homoplastischen Organen, theils aus Zellfusionen zusammengesetzt sind. In letzter Instanz zeigen sich endlich alle Organe, gleich den letzteren, aus einfachen Zellen aufgebaut·. Wir können also das Individuum des ganzen menschlichen Körpers, dessen morphologische und physiologische, vollkommen abgeschlossene und begrenzte Einheit unbestritten ist, nachweisen als eine höchst verwickelte Summe von morphologischen Individuen erster, zweiter, dritter und vierter Ordnung, welche auf die kunstvollste Weise zu einem harmonischen Ganzen, eines Form-Individuum fünfter Ordnung, verbunden sind. Wesentlich dieselbe Architectonik wie die Wirbelthiere, zeigen uns die A r t i c u l a t e n , bei denen nur die Zusammensetzung der Person aus den Metameren wegen ihrer äusserlichen Gliederung schon auf den ersten Blick viel auffallender erscheint als bei den innerlich gegliederten Vertebraten. Nur auf den niedersten Stufen des Articulaten-Kreises, bei den Infusorien und den nächstverwandten Turbellarien, Trematoden und solitären Cestoden (Caryophvllaeus), bei den Nematoden, Gephyreen und bei einigen anderen, nicht gegliederten Wurmgruppen erhebt sich das Bion nur zum vierten morphologischen Individualitäts - Range, zum Metamer. Bei den übrigen Würmern, sowie bei a l l e n A r t h r o p o d e n tritt eine Vielheit von solchen Metameren zur Bildung der Person zusammen. Der bald dipleure, bald tetrapleure Körper besteht hier allgemein aus zwei oder vier Antimeren, und einer Kette hinter einander gelegener Metameren, deren jedes einen verwickelt gebauten Complex von Organen darstellt, die ihrerseits wieder aus einem Vielheit von Piastiden zusammengesetzt sind. Dieselbe tectologische Composition finden wir bei allen E c h i n o d e r m e n wieder, wo jedes Antimer (deren gewöhnlich fünf sind) deutlich aus einer Kette hinter einander gelegenen Metameren zusammengesetzt ist. Diese Zusammensetzung ist bei den Holothurien oft nur innerlich (wie bei den Vertebraten), dagegen bei den Echiniden, Asteriden und Crinoiden innerlich und äusserlich scharf ausgesprochen. Weniger leicht ist die Gliederung der Personen bei den meisten C o e l e n t e r a t e n .zu erkennen, insbesondere bei vielen Anthozoen und Hydroidpolypen. Bei den Anthozoen, die gewöhnlich nicht für gegliedert gelten, wird die Zusammensetzung der Metameren theils durch äussere ringförmige Einkerbung (viele Actinien), theils durch äussere und innere scharfe Gliederung (ζ. B. sehr deutlich bei den Isidinen), theils durch Bildung horizontaler (auf der Längsaxe des Körpers senkrechter) Scheidewände (Dissepimenta) angedeutet. Die letzteren sind bald vollständig durchgehende Platten, welche die Person deutlich in eine Anzahl über (oder hinter) einander gelegener Metameren (Kammern, Stockwerke) scheiden (Tabulae, Planchers, Böden), bald unregelmässigere und theilweis unterbrochene Septa, welche innerhalb oder ausserhalb des „Kelches" (der Person) die Gliederung andeuten (Dissepimenta endothecalia und exothecalia). Bei den Stocken H a e c k e l , Generelle Morphologie.
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Morphologische Individualität der Organismen.
der Hydroidpolypen sind die Grenzen der Metameren meistens an den Ringelungen oder Gliederungen der Hauptsprossen und Seitensprossen (Personen) zu erkennen, welche die Stöcke zusammensetzen, bei den meisten Siphonophoren an der regelmässigen Wiederholung der Metameren („Individuen") an den primären und secundären Sprossen der Stöcke. Durch die Coelenteraten, und insbesondere die Hydromedusen, werden wir unmittelbar zu den P f l a n z e n hinübergeführt, unter denen uns die Phanerogamen und höheren Cryptogamen wesentlich dieselbe tectologische Zusammensetzung erkennen lassen. Diejenige Individualität, welche wir bei den Coelenteraten-Stöcken mit Recht als „Eiuzelthier" betrachten und der Person der Articulaten und Vertebraten an die Seite stellen, wird hier bei den höheren Pflanzen durch den Spross oder Blastus vertreten, d. h. durch diejenigen Theile des Pflanzenstockes, welche als eigene „Axen* oder „Seitenaxen," als selbstständige, aus einem Axenorgan (Stengel) und Blättern (Blattorganen) zusammengesetzten Theile, von der „Hauptaxe" der ursprünglichen Einzelpflanze seitlich abgehen. Mit seltenen Ausnahmen (Viscum) ist jeder dieser seitlichen Sprosse ebenso aus einer Anzahl von hinter einander gelegenen Metameren (Stengelgliedern, Internodia) zusammengesetzt, wie bei den meisten Coelenteraten und Articulaten und bei allen Yertebraten. Auch die verschiedene Art und Weise, in welcher diese gegliederten Sprosse zu der höhereu Individualität des Stockes zusammengesetzt sind, erscheint bei den Phanerogamen durchaus analog, wie bei den Coelenteraten, bei den Anthozoen und Hydromedusen. In der That ist es überraschend, dieselbe wesentliche Zusammensetzung der Person in der ganzen Organismen-Welt, vom Moose bis zum Baume, vom Bandwurm bis zum Menschen überall wieder zu finden. Stets ist das morphologische Individuum fünfter Ordnung, welches eine so grosse physiologische Rolle spielt, aus einer Vielheit von Metamereu und Antimeren zusammengesetzt, deren jedes wieder aus einem Orgau-Complex besteht. Niemand hat vielleicht dieser grossen Wahrheit sich mehr genähert als G o e t h e , dessen klarer Blick das innere Wesen der „organischen Naturen* ohne Mikroskop richtiger erkannte, als das mit dem Mikroskop bewaffnete Auge der gedankenlosen Naturforscher von Fach. l ) ') Ausser der p. 240 angeführten Stelle, in welcher G o e t h e die fundamentalen Gesetze der Aggregation und Differenzirung (Arbeitsteilung) lange vor B r o n n und M i l n e E d w a r d s ausspricht, und einzelnen anderen Stellen in der „Metamorphose der Pflanze" ist besonders nachfolgender, von E c k e r m a n n (Gespräche mit G ö t h e , 1837, Vol. II, p. 65) verzeichneter Ausspruch G ö t h e ' s sehr merkwürdig: „Grosse Geheimnisse liegen noch verborgen, manches weiss ich, von vielem habe ich eine Ahnung. Etwas will ich Ihnen vertrauen und mich wunderlich dabei ausdrücken. Die Pflanze geht von Knoten zu Knoten, und schliesst zuletzt ab mit der Blüthe und dem Samen. In der Thierwelt ist es nicht anders. Die Baupe, der Bandwurm geht von Knoten zu Knoten und bildet zuletzt einen Kopf; bei den höher stehenden Thieren und Menschen sind es die Wirbelknochen, die sich anfügen und anfügen, und mit dem Kopfe abschliessen, in welchem sich die Kräfte concentriren. Was so bei Einzelnen geschieht, ge-
V.
Morphologische Individuen fänfter Ordnung: Personen.
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In allen angeführten Fällen, also bei der grossen Mehrzahl aller Thiere und Pflanzen, und insbesondere bei fast allen vollkommeneren Formen beider Reiche, sehen wir die Person oder den Spross durch seine G l i e d e r u n g oder Articulation characterisirt, d. h. dadurch, dass eine Anzahl homodynamer Theile (Metameren) in der Hauptaxe (Längsaxe) des aus Antimeren zusammengesetzten Körpers h i n t e r einander liegen. Gewöhnlich kömmt diese Gliederung dadurch zu Stande, dass ein ursprünglich einfaches Metamer eine Kette von Terminalknospen treibt, welche durch unvollständige Scheidewände (Knoten, Nodi) getrennt werden und vereinigt bleiben. Wir k ö n n e n also diese ganz characteristische, typische Form der Person, welche bei den meisten höheren Thieren als Bion, bei den meisten Coelenteraten und Pflanzen als Theil des Stockes erscheint, definiren als eine Kette von hinter einander gelegenen Metameren, durch Terminalknospung entstanden. (Yergl. das siebzehnte Capitel). Nun existiren aber ausser diesen Metameren -Complexen, welche alle in ihrer gegliederten Kettenform übereinstimmen, noch andere Metameren-Colonieen, welche sich wesentlich durch den gänzlichen Mangel der Terminalknospung von den ersteren unterscheiden und dadurch ein so verschiedenes Ansehen erhalten, dass man dieselben allgemein mit den Form-Individuen sechster Ordnung, den echten Stöcken oder Cormen vereinigt hat. Es gehören hierher alle jene stockähnlichen Synusieen oder Colonieen, welche nicht aus gegliederten Personen, sondern aus ungegliederten Metameren zusammengesetzt sind. Dies ist der Fall nur bei sehr wenigen Pflanzen, ζ. B. bei Viscum, dagegen bei sehr zahlreichen Thieren, nämlich den meisten stockbildenden Mollusken. Gleich den echten Stöcken oder Cormen, mit denen sie allgemein (aber nicht mit Recht!) zusammengestellt werden, entstehen diese Pseudo-Cormen, welche insbesondere bei den Tunicaten und Bryozoen eine so mannichfaltige Entwickelung erreichen, durch l a t e r a l e K n o s p e n b i l d u n g . Die Knospen sind aber keine echten Sprosse, gleich den gegliederten Sprossen oder Blasien der meisten Pflanzen und Coelenteraten, sondern einfache ungegliederte Metameren, über deren morphologische Aequivalenz mit den frei lebenden „Einzelthieren" der höheren Mollusken kein Zweifel bestehen kann. Gleich diesen sind sie aus zwei Antimeren und aus vielen Organen und Plastiden zusammengesetzt, schieht auch bei ganzen Corporationen. Die Bieuen, auch eine Reihe von Einzelheiten, die sich an einander schliessen, bringen als Gesammtheit etwas hervor, das auch den Schluss macht und als Kopf des Ganzen anzusehen ist, die Bienenkönigin. Wie dieses geschieht, ist geheimnissvoll, schwer auszusprechen; aber ich könnte sagen, dass ich darüber meine Gedanken habe. So bringt ein Yolk seine Helden hervor, die gleich Halbgöttern zu Schutz und Heil an der Spitze stehen." 21*
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Morphologische Individualität der Organismen.
ohne dass eine Reihe homodynamer Theile in ihrer Längsaxe auf einander folgt, können also nur als einfache Metameren, als F o r m - I n dividuen vierter Ordnung aufgefasst werden. Da nun der morphologische Character der Person wesentlich in ihrer Zusammensetzung aus Metameren liegt, da j e d e einzelne Person eine Vielheit von eng verbundenen Folgestücken ist, so werden wir diese sogenannten ..Mollusken-Stöcke" der Tunicaten und Bryozoen, sowie die aequivalenten Pseudo-Cormen von Viscum und anderen . e i n fachen Pflanzenstöcken ohne Stengelglieder" nicht als echte Stöcke oder Cormen betrachten dürfen, sondern als einfache Personen. Die Richtigkeit dieser Auffassung, welche vielleicht Manchem paradox erscheinen könnte, wird durch den Vergleich mit den ähnlichen CoelenteratenColonieen vollkommen bestätigt, besonders aber durch die unbefangene Betrachtung derjenigen Mollusken-Stöcke, welche nicht durch die gewöhnliche F o r m der äusseren Lateral-Knospenbildung entstehen, sondern durch eine davon verschiedene Spaltungs-Art, theils durch eine innere Knospung, welche sich der terminalen Knospenbildung nähert (Salpen) theils durch Strahltheilung oder Diradiation (Ascidiae compositae, Botryllida). Bei den Salpen (ausgenommen Salpella pinnata etc.), bei welchen die an dem Knospenstock (Blastorganonι innerlich stattfindende Gemmation mehr oder weniger sich der terminalen nähert, entstehen Ketten, welche den niedersten Metameren-Ketten bei den Würmern (Cestoden) sehr ähnlich sind und gleich diesen deutlich eine einzige Person darstellen. Noch merkwürdiger aber sind die echten Personen derjenigen Tunicaten, bei welchen die Metameren (hier ebenfalls unrichtig „Einzelthiere" genannt) sich fast nach Art der Antimeren strahlig um ein gemeinsames Centraiorgan (Kloake) zusammenstellen. Dies ist bei den Botrylliden oder zusammengesetzten Ascidien der F a l l , an welche sich Salpella pinnata unmittelbar anschliesst. Ein solches sogenanntes „ System α von Einzelthieren ist offenbar nur eine einzige Person, und es wird dies dadurch noch bestimmter bewiesen, dass dieselben meistens noch zur Bildung echter Stöcke (Cormen) zusammentreten. Aber auch die verzweigten Personen der Bryozoen unterscheiden sich demnach nur dadurch von den vorher aufgeführten Personen der meisten Pflanzen und höheren Thiere, dass die Metameren-Colonie im letzteren Falle durch t e r m i n a l e , im ersteren durch l a t e r a l e Knospenbildung aus einem einfachenMetamere entsteht. Daher werden die Metameren-Synusieen hier nicht zu gegliederten Ketten, sondern zu verzweigten B ü s c h e n , ähnlich den echten Büschen oder Frutices der P h a n e r o g a m e n , wie man die von unten auf verästelten Cormen mit rudimentärem Hauptstamme zu nennen pflegt. Immerhin ist der äussere Formunterschied dieser MetamerenBüsche von den Metameren-Ketten so bedeutend, dass es nicht über-
Y . Morphologische Individuea fünfter Ordnung: Personen.
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flüssig erscheint, dieselben als z w e i verschiedene Arten von Form-Individuen fünften R a n g e s neben einander zu stellen; die letzteren kann man P r o s o p a c a t e n a t a , die ersteren P r o s o p a f r u t i c o s a nennen. Wollte man die bisherige Auffassung der Tunicaten- und BryozoenStöcke und der analogen gliederlosen Pflanzenstöcke (Viscum etc.) als echte Stöcke oder Cormen beibehalten, so würde dadurch sowohl der festbestimmte morphologische Character der Person als einer Vielheit r o n verbundenen Metameren, als auch der festbestimmte morphologische Character des Cormus als einer Vielheit von verbundenen Personen vernichtet werden, und wir würden uns ganz ausser Stande sehen, denselben durch irgend eine andere, klare und bestimmte Definition zu ersetzen. E s ist allerdings richtig, dass die sogenannten Stöcke der Mollusken, von Viscum etc., äusserlich den echten Stöcken der meisten Phanerogamen und der meisten Coelenteraten weit mehr gleichen, als den einfachen Sprossen derselben und den Personen der Articulaten und Vertebraten. Allein diese äussere Aehnlichkeit ist lediglich durch die gleiche Entstehungsweise, durch die laterale Knospung bedingt, und muss zurücktreten hinter der viel wichtigeren morphologischen Aequivalenz aller Personen als Complexen von Metameren. In den Ketten-Personen ist in der Regel der Zusammenhang der einzelnen Metameren (Zoniten, Internodien) ein viel innigerer als in den Busch-Personen, w o die einzelnen Metameren weit selbstständiger erscheinen. Allein bei den niederen Würmern und insbesondere bei den Cestoden wird auch die physiologische Selbstständigkeit der Internodien so gross, dass man dieselben desshalb irrig als Einzelthier, äquivalent eine Person, aufgefasst hat. Dieser Umstand zeigt deutlich w i e allein schon die grössere physiologische Selbstständigkeit eines organischen Individuums dazu verleiten kann, demselben einen höheren morphologischen R a n g zuzuschreiben, als dasselbe wirklich besitzt. W i r können demnach allgemein zwei verschiedene Formen morphologischen Individualität fünfter Ordnung unterscheiden:
der
I. K e t t e u - P e r s o n e n (Prosopa catenata), entstanden d u r c h t e r m i n a l e K n o s p e n b i l d u n g d e r M e t a m e r e n : „Eigentliche Individuen a oder Personen der Wirbelthiere, der meisten Gliederthiere (aller Arthropoden, Anneliden und vieler niederer Würmer, Bandwurmketten etc.), aller Echinodermen und der meisten Coelenteraten; gegliederte (aus Internodien zusammengesetzte) Sprosse der Pflanzen (der meisten Phanerogamen und höheren Cryptogamen). II. B u s c h - P e r s o n e n ( P r o s o p a f r u t i c o s a ) , entstanden d u r c h l a t e r a l e K n o s p e n b i l d u n g d e r M e t a m e r e n : · Sogenannte Stöcke (Pseudo-Cormen) der Mollusken (Tunicaten, B r y o z o e n ) , vieler Coelenteraten (ohne Rumpfgliederung) und einzelner Phanerogamen (ohne Stengelgliederung) Viscum etc., sowie vieler Cryptogamen.
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Morphologische Individualität der Organismen.
VI. Morphologische Individuen sechster Ordnung: S t ö c k e o d e r Cormen. Den höchsten Grad morphologischer Vollendung in der Zusammensetzung aus verschiedenen Individualitäten finden wir bei denjenigen Organismen, bei welchen eine Vielheit von Personen oder Sprossen sich zu der höheren Einheit des Stockes oder Cormus verbindet. Es ist dies die sechste und letzte Stufe, welche der Organismus in seiner fortschreitenden Structur-Verwickelung erreicht. U n t e r S t o c k o d e r Cormus v e r s t e h e n wir a u s s c h l i e s s l i c h d i e j e n i g e organische Formeinheit, welche aus einer Vielh e i t von P e r s o n e n o d e r F o r m - I n d i v i d u e n f ü n f t e r O r d n u n g z u s a m m e n g e s e t z t ist. In dieser ihrer Eigenschaft als untergeordnete Bestandtheile eines Stockes bezeichnen wir die Personen mit dem Namen der Sprosse oder Blasien. Wir schliessen also aus dem morphologischen Begriife des Cormus alle diejenigen stockähnlichen Bildungen aus, welche sowohl in der Botanik als in der Zoologie sehr oft als Stöcke bezeichnet werden, ohne wirkliche Cormen zu sein. Als solche Pseudo-Cormen haben wir im vorigen Abschnitt die sogenannten Stöcke der meisten Tunicaten und Bryozoen kennen gelernt, welche bloss den Rang der Personen besitzen, Solche falsche Stöcke sind ferner die sogenannten Stöcke vieler niederer Pflanzen und Protisten, bei welchen die Componenten des stockähnlichen Gebildes nicht Individuen fünfter, sondern erster Ordnung sind, einfache Cytoden oder Zellen (ζ. B. die Stöcke der Diatomeen, Volvocinen und vieler Thallophyten, besonders Algen). Alle diese S c h e i n s t ö c k e o d e r P s e u d o c o r m e n stimmen nur darin mit den echten Stöcken oder Cormen überein, dass sie (meistens ziemlich lockere) Verbindungen von Individuen einer subordinirten Ordnung darstellen, niemals aber von echten Individuen fünfter Ordnung. Es ist also lediglich die Zusammensetzung aus untergeordneten Individualitäten, meistens noch verstärkt durch eine äussere Aehnlichkeit, welche zu der allgemeinen Verwechselung der echten mit den Scheinstöcken geführt hat. Besonders die Art der äusseren Spaltung, nämlich die laterale Knospenbildung, welche Beiden gemeinsam ist, scheint jenen Mangel einer sehr wichtigen Unterscheidung bewirkt zu haben. Bei vielen Schemstöcken von Diatomeen, Flagellaten, Algen und Nematophyten sind es einzelne Piastiden, bei den vorher besprochenen Scheinstöcken von Viscum, von den Bryozoen und Tunicaten sind es einzelne Metameren, welche durch fortgesetzte lat rale Knospenbildung ganz ähnliche verzweigte Bildungen produciren, wie die stockbildenden Personen. Es ist aber für die allgemeine Morphologie von der grössten Wichtigkeit, den wesentlichen Unterschied zwischen diesen echten Stöcken
YL Morphologische Individuen sechster Ordnung: Stocke.
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sechster Ordnung und jenen falschen Scheinstöcken fünfter Ordnung (Personen) oder zweiter Ordnung (Organen) zu erkennen. Der Ausdruck Colonie o d e r G e m e i n d e ( S y n u s i e ) lässt sich auf alle diese stockartigen Verbindungen gemeinsam anwenden und bedeutet nichts als die Vereinigung einer Vielheit von Individuen niederer Ordnung zu einer morphologischen Einheit höherer Ordnung. Der e c h t e Stock o d e r Cornaus aber ist eine ganz bestimmte Art dieser Colonieen, nämlich nur diejenige, höchste und vollkommenste Art, welche aus Individuen fünfter Ordnung oder Personen zusammengesetzt ist. Da der Cormus die höchste und letzte von allen sechs Individualitäts-Ordnungen ist, so kann er niemals als integrirender Bestandt e i l einer höheren Ordnung auftreten, wie alle flinf untergeordneten Individualitäten und es fällt daher in gewissem Sinne stets die morphologische und physiologische Individualität in ihm zusammen. Da der morphologische Character der Person oder des Sprosses, wie wir vorher sahen, ein ganz bestimmter ist, so muss au«h gleicherweise derjenige des Stockes, welcher stets eine Vielheit von Sprossen ist, vollkommen fest bestimmt sein. Jeder Stock besteht demnach nicht allein aus einer Mehrheit von Personen, sondern auch natürlich aus einer Mehrheit von Metameren, Antimeren, Organen und Plastiden, weil ja jeder einzelne Spross allein schon eine Vielheit von diesen vier untergeordneten Individualitäten repräsentirt. Die echten Stöcke oder Cormen erreichen ihre höchste Entwickelung und weiteste Verbreitung im P f l a n z e n r e i c h e , wo die allermeisten Phanerogamen und höheren Cryptogamen sich zu festsitzenden Stöcken entwickeln. Nur sehr wenige Phanerogamen bleiben auf einer niedrigeren Stufe der Individualität stehen, wie ζ. B. Viscurn (als Busch - Person) und die „einfachen" (nicht verästelten) Pflanzen (als Ketten-Personen) auf der Stufe der Person. Ausnahmsweise kommen solche ganz einfache Personen (astlose Hauptsprosse mit einer einzigen einfachen Bllithe) auch bei solchen Species vor, die gewöhnlich einen verzweigten Stock bilden, ζ. B. Radiola millegrana, Erythraea pulchella, Saxifraga tridactylites. Constant auf der Stufe des Metameres (oder selbst des Antimeres?) bleibt das actuelle Bion bei Lemna stehen. Im P r o t i s t e n r e i c h e scheinen echte Stockbildungen im Ganzen sehr selten zu sein. Es lassen sich, wie oben bemerkt wurde, nur die Colonieen der Radiolarien (Polycyttarien) und der Spongien mit vielen Osculis (Clathria, Halichondria etc.) dahin rechnen. Jedoch verharrt auch hier, wie bei den meisten Protisten, die Individualität Uberhaupt auf einer so niederen Stufe der Differenzirung, dass man selbst gegen jene Deutung erhebliche Zweifel geltend machen könnte. Die meisten sogenannten Stöcke der Protisten (ζ. B. Diatomeen, Flagellaten)
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Morphologische Individualität der Organismen.
sind falsche Stöcke, die nur den morphologischen Rang von Individuen zweiter Ordnung (Organen) beanspruchen können. Viel weniger ausgedehnt und entwickelt, als bei den Pflanzen, ist die echte Stockbildung im Τ hi err ei c h e , wo dieselbe ausschliesslich auf wenige Formen des Mollusken-Stammes und auf viele Thiere des Coelenteraten-Phylum beschränkt bleibt. Gänzlich fehlt dieselbe im Stamme der W i r b e l t h i e r e und G l i e d e r t h i e r e . Was man bei den niedersten Gruppen der letzteren, bei den niederen Anneliden und den socialen Cestoden als Stöcke bezeichnet hat, sind in der That nur Ketten-Personen, (gleich den Arthropoden und Vertebraten) und was man „eigentliche Individuen" (äquivalent den Personen) genannt hat (Proglottiden oder Glieder) sind Metameren. Xur einige Anneliden stellen vorübergehend das Bild von echten Stöcken dar, so lange nämlich als mehrere durch terminale Knospung hinter einander entstandene Personen (Metameren-Ketten) mit einander vereinigt bleiben. Da dieselben" sich jedoch nach ihrer vollständigen Ausbildung alle vom elterlichen Thiere ablösen, bleiben sie niemals dauernd in dieser eigentümlichen Bildung eines „Ketten-Stockes" vereinigt. Was man bei dem Stamme der M o l l u s k e n , in den Klassen der Tunicaten und Bryozoen als Stockbildung bezeichnet bat, sind grösstentheils falsche Stöcke vom Range der Personen, und zwar gewöhnlich Busch-Personen (die meisten Bryozoen und Tunicaten), seltener Ketten-Personen (Salpen). Die sogenannten „ solitären" Tunicaten (Doliolum, solitäre Generation von Salpa, Phallusia etc.) sind Bionten vom Formen-Werthe der Metameren, wie alle höheren Mollusken. Echte Stöcke giebt es nur bei sehr wenigen niederen Mollusken, nämlich bei den Botrylliden oder „Ascidiae compositae," und bei den gegliederten Bryozoen. Bei den Botrylliden sind die Cormen aus den sogenannten „Systemen" zusammengesetzt. Jedes System ist ein morphologisches Individuum fünfter Ordnung, eine Person, zusammengesetzt aus mehreren (meist 5—10, oft aber auch über hundert) Metameren, welche hier aber nicht longitudinal, sondern radial, Antimeren ähnlich, um eine einzige gemeinsame Egestionsöffnung (Kloake) gruppirt sind. Gewöhnlich werden dieselben als „eigentliche" Individuen oder Einzelthiere betrachtet, verdienen aber vielmehr, wie vorher gezeigt wurde, als Metameren aufgefasst zu werden. Man könnte vielleicht geneigt sein, dieselben wegen ihrer radialen Zusammenordnung lieber nur als Antimeren aufzufassen. Allein offenbar ist hier diese Anordnung nicht yon maassgebender Bedeutung, da auch bei Salpa pinnata (und den ähnlichen Salpellen) die Metameren in einem Kreise um eine Längsaxe stehen, während sie bei den übrigen Salpen bald schief, bald ganz quer in regelmässig gegliederte Ketten gestellt sind. Die „Bryozoa articulata" aus der Gruppe der Chilostomen (Catenicelliden, Cellulariden und
VI. Morphologische Individuen sechster Ordnung: Stöcke.
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Salicornariden) zeichnen sich vor den übrigen Bryozoen dadurch aus, dass alle einzelne Zweige (Personen) des Stockes deutlich gegliedert, aus Metameren zusammengesetzt und mithin der Stock ein echter Cornaus ist. Dasselbe gilt auch von der Mehrzahl der C o e l e n t e r a t e n Stöcke, wo die Gliederung der Personen, ihre Zusammensetzung aus Metameren, sowohl bei den Anthozoen als Hydroidpolypen meist deutlich ausgesprochen ist. Doch kommen daneben auch vielfach falsche Scheinstöcke ohne Gliederbildung vor, zusammengesetzt aus Bionten vom Werthe der Metameren, welche sich zu Busch-Personen vereinigt haben. Die E c h i n o d e r m e n gelten gewöhnlich sämmtlich für „ e i n f a c h e Individuen", d. h. Personen und man nimmt an, dass ihnen Stockbildung gänzlich fehlt. Indessen ist es uns, wie wir im sechsten Buche näher zeigen werden, höchst wahrscheinlich, dass alle Echinodermen echte Cormen sind, nämlich Articulateii-Stöeke, entstanden durch radiale Verbindung von (meistens fünf) gegliederten Würmern, welche sich in ähnlicher Weise eine gemeinsame IngestionsöfFnung bildeten, wie die Botrylliden unter den zusammengesetzten Ascidien sich eine gemeinsame Egestionsöffnung (Kloake) gebildet haben. Diese Hypothese scheint uns sowohl in der anatomischen Verwandtschaft der Echinodermen und Würmer, als besonders in ihrer Entwickelungsgeschichte begründet zu sein. Es würden in diesem Falle die Echinodermen für die vollkommensten von allen Thierstöcken zu halten sein, bei denen die Centralisation des Cormus, die einheitliche Ausbildung dee ganzen Stockes ihren höchsten Grad erreicht hat. Die allermeisten Cormen entstehen, wie wir im achtzehnten Capitel sehen werden, durch laterale Knospenbildung von Personen und bleibende Vereinigung dieser Sprosse. Dahin gehören die allermeisten Stöcke der Phanerogamen und der Hvdroidpolypen. Auch sehr viele Anthozoenstöcke entstehen durch diesen Spaltungs-Modus. Andere Anthozoen, und zwar vorzugsweise die Astraeiden, entstehen durch unvollständige Längstheilung und Diradiation von Personen. Viel seltener, und bei den Phanerogamen, wie es scheint, nur als Monstrosität, findet sich die Selbsttheilung von Personen im Pflanzenreiche vor, wo sie zu der eigentümlichen Stockform führt, welche man Fasciation nennt (sehr eigentümlich ζ. B. bei der Hahnenkammpflanze, Celosia cristata, und bei einigen monströsen Cacteen. Mammillaria etc.). Die verschiedenen Formen der Stöcke sind ausserordentlich mannichfaltig und bieten in den beiden Stämmen der Cormophyten und Coelenteraten zahlreiche und oft sehr auffallende Analogieen dar. Hauptsächlich ist hierbei bestimmend die Eigentümlichkeit der ersten Person (Hauptspross, Blasius primarius) von welcher die Knospenbildung ausgeht, und ihr Verhältniss zu den übrigen Sprossen oder Seitensprossen (Blasti secundaria). J e stärker sich die llauptaxe im Ver-
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Morphologische Individualität der Organismen.
hältniss zu den Seitensprossen entwickelt, j e mehr sie Uber diese das Uebergewicht behält, desto entschiedener tritt der individuelle Character des Cormus hervor; j e weniger dies der Fall ist, desto mehr erscheint der ganze Stock nur als ein Aggregat von coordinirten Personen (Sympodium). J e nach der unterirdischen oder oberirdischen Entwickelung des Hauptsprosses (Blastus primarius) und j e nach dem gegenseitigen Verhalten des Hauptsprosses zu den Seitensprossen (Blasti secundarii), sowie nach der Differenzirung der letzteren in geschlechtslose und geschlechtlich entwickelte, lassen sich bei den Pflanzenstöcken zahlreiche, mit sehr verschiedenen Namen benannte Stockformen unterscheiden. Zunächst kann man als zwei Hauptgruppen allgemein einfache und zusammengesetzte Stöcke trennen. E i n f a c h e S t ö c k e (Cormi simp l i c e s ) nennen wir solche, bei denen entweder alle Sprosse sexuell sind, oder bloss der Hauptspross geschlechtslos, alle Nebensprosse aber geschlechtlich entwickelt sind, ζ. B. alle unverästelten einjährigen Gräser, jede einjährige verästelte Pflanze, bei welcher alle Aeste terminale Blüthen tragen, einfache Pflanzen mit einer einzigen Doldenblüthe, ζ. B. Androsace maxima, einfache, unverästelte, einjährige Compositen mit einem einzigen Blüthenköpfchen. Letztere finden sich ζ. B. bei Arnoseris pusilla, Anacyclus officinalis und ausnahmsweise bei Erigeron canadense, Chrysanthemum segetum etc. Zusammengesetzte S t ö c k e (Cormi c o m p o s i t i ) dagegen sind solche, bei denen nicht bloss der Hauptspross, sondern auch ein Theil der Nebensprosse geschlechtslos, der übrige Theil der Nebensprosse geschlechtlich differenzirt ist, wie dies bei den allermeisten Phanerogamen der Fall ist. Unter diesen unterscheiden die Botaniker dann weiter einjährige Stöcke oder Stengel (Caules) und mehrjährige zusammengesetzte Stöcke oder Stämme (Trunci). Ferner nennen dieselben solche Pflanzen, welche unterirdische Stämme und oberirdische Stengel haben, Stauden (Suffrutices), sodann Stämme, welche von unten auf verästelt sind, ohne Vorherrschen des Hauptstammes, Busche (Frutices), und endlich Stämme, deren untere Aeste bald absterben, so dass die oberen eine Krone bilden, Bäume (Arbores). Ganz ähnliche Unterschiede in der Stockbildung, wie diese bei den Phanerogamen eingeführten, Hessen sich dann auch bei den Coelenteraten machen, welche echte Stöcke bilden, bei den Anthozoen und Hydromedusen. Indessen sind hier auch verschiedene andere, namentlich die durch longitudinale Theilung entstandenen Stockformen zu berücksichtigen, welche im Pflanzenreiche entweder gar nicht oder nur bei den Thallophyten vorkommen. Ferner würde man hier insbesondere zu unterscheiden haben zwischen solchen Stöcken, welche gleich den meisten Phanerogamen aus Ketten-Personen, zusammenge-
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setzt sind, und solchen, welche bloss aus Busch-Personen bestehen. Zu letzteren, die man B u s c h - S t ö c k e ( C o r m i f r u t i c o s i ) nennen kann, gehören die Mollusken-Stöcke der Botrylliden und vieler Bryozoen, zu ersteren, die man Glieder-Stöcke ( C o r m i a r t i c u l a t i ) nennen kann, die meisten Coelenteraten-Stöcke. Da jedoch dieselben sehr schwierig zu classificiren und bisher nicht mit genügender Logik untersucht sind, so können wir auf eine Aufzählung derselben hier verzichten. Für eine naturgemässe Erkenntnis der echten Stöcke und ihres Verhältnisses zu den untergeordneten Form-Individuen, sowie für eine richtige tectologische Beurtheilung des Verhältnisses der sechs Individualitäts-Ordnungen zu einander ist keine Thiergruppe von solcher hohen Bedeutung, wie die der C o e l e n t e r a t e n , und insbesondere die Abtheilungen der Siphonophoren und der stockbildenden Corallenthiere (Anthozoen). Die vollkommene morphologische Parallele derselben mit den P h a n e r o g a m e n lässt sich durch alle sechs Ordnungen der morphologischen Individualität und sogar durch ihre untergeordneten Neben-Kategorieen hindurchführen. Als zusammengesetzter Stock entspricht der blühende Baum vollständig dem geschlechtsreifen Corallenstock. Beide sind aus einer Vielheit vom geschlechtlichen und ungeschlechtlichen P e r s o n e n aufgebaut. Jede Person, jeder Blüthenspross des Baums, jeder „Polyp- des Corallenstocks, besteht wiederum aus einer Vielheit von M e t a m e r e n oder Stengelgliedem (Blattkreise der Blüthe, Stockwerke der Polypen), und aus einer Vielheit von A n t i m e r e n („Strahlstücken.") Jedes Metamer und jedes Antimer ist eine Vielheit von O r g a u e n verschiedener Ordnung, von Epimeren (Glieder der einzelnen Blätter, der einzelnen Tentakeln) und von Parameren (Hälften der eudipleuren Blätter und Tentakeln). Endlich ist zuletzt jede dieser morphologischen Einheiten eine Vielheit oder Synusie v on mehreren verbundenen Form - Individuen erster Ordnung oder Piastiden.
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Physiologische Individualität der Organismen.
Zehntes Capitel. Physiologische Individualität der Organismen. „Dan Anerkennen eines Neben-, Mit- und Inemanderseind und Wirkens verwandter lebendiger Wesen leitet uns bei jeder Betrachtung des Organismus und erleuchtet den Stufenweg vom Unvollkommenen zum Vollkommenen." Goethe.
1. Die Piastiden als Bionten. Physiologische Individuen erster Ordnung. Jede der sechs wesentlich verschiedenen Formeinheiteu, welche wir im vorigen Capitel als sechs verschiedene Ordnungen der morphologischen Individualität unterschieden haben, tritt bei gewissen Organismen-Arten als physiologisches Individuum oder Bion auf. Wir haben mit diesem Ausdruck diejenige einheitliche Raumgrösse bezeichnet, welche als lebendiger Organismus, als centralisirte Lebenseinheit, vollkommen selbstständig längere oder kürzere Zeit hindurch eine eigene Existenz zu fuhren vermag; eine Existenz, welche sich in allen Fällen in der Bethätigung der allgemeinsten organischen Function äussert, in der Selbsterhaltung durch Stoffwechsel. Auch audere Lebensfunctionen, die Fortpflanzung oder die Erhaltung der Art, sowie die Vermittelung ihrer Beziehungen zur Aussenwelt, ζ. B. durch Ortsbewegungen, vermag das physiologische Individuum zu verrichten, ohne dass jedoch die Verrichtung dieser Functionen als nothwendig zum Begriffe des Bion betrachtet werden müsste. Das Bion oder Functions-Individuum
I. Die Plaatiden ale Bionten.
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ist demnach keineswegs, wie das morphologische Individuum, eine untheilbare Raumgrösse, die wir im Momente der Beurtheilung als unveränderlich anzusehen haben (untheilbar in dem Sinne, dass wir keinen Theil von ihr wegnehmen können, ohne ihren Character als Form-Individuum zu vernichten). Vielmehr ist das physiologische Individuum eine einheitliche, zusammenhängende Raumgrösse, welche wir als solche längere oder kürzere Zeit hindurch leben, d. h. sich in der allgemeinen Lebensbewegung, im Stoffwechsel, erhalten sehen, und welche wir also im Momente der Beurtheilung als veränderlich ansehen; auch können sich Theile von dem Functions-Individuum ablösen, ohne dass seine Individualität, d. Ii. sein Fortbestehen als selbstständige Lebenseinheit dadurch gefährdet wird, und wenn das Bion sich fortpflanzt, geschieht sogar diese Ablösung von Theilen, die sich zu neuen Bionten zu entwickeln vermögen, regelmässig. Wir können demnach den wichtigen Unterschied zwischen der morphologischen und physiologischen Individualität kurz dahin zusammenfassen: Das physiologische Individuum (Bionl ist eine e i n z e l n e o r g a n i s c h e R a u m g r ö s s e , welche als c e n t r a l i s i r t e Lebenseinheit der S e l b s t e r h a l t u n g f ä h i g und z u g l e i c h theilbar ist, u n d w e l c h e w e g e n d e r m i t d i e s e n F u n c t i o n e n v e r b u n d e n e n B e w e g u n g e n n u r a l s e i n e in v e r s c h i e d e n e n Zeitmomenten veränderliche erkannt w e r d e n kann. Das morp h o l o g i s c h e Individuum (erster bis sechster O r d n u n g ) dag e g e n ist eine einzelne o r g a n i s c h e R a u m g r ö s s e , welche als vollkommen abgeschlossene Formeinheit untheilbac i s t , u n d w e l c h e in d i e s e m i h r e n W e s e n n u r a l s e i n e i n einem b e s t i m m t e n Z e i t m o m e n t e u n v e r ä n d e r l i c h e e r k a n n t werden kann. Wie wir bereits oben zeigten (p. 26G) vermag jede der sechs morphologischen Individualitäten verschiedener Ordnung, welche im vorigen Capitel characterisirt wurden, die physiologische Individualität zu repräsentiren, und jedes Bion, welches als der reife Repräsentant der Species einen höheren morphologischen Individualitäts-Grad besitzt, muss, falls es sich aus einem befruchteten Ei oder einer unbefruchteten Plastide (Spore) entwickelt, während seines Entwickelungs-Cyclus alle vorhergehenden niederen Individualitäts-Grade durchlaufen haben. Dieses wichtige Yerliältniss wird im siebzehnten Capitel näher erläutert werden, woselbst auch das physiologische Individuum als die Einheit des individuellen Entwickelungs-Kreises eingehender wird gewürdigt werden. Hier ist unsere Aufgabe nur, nachzuweisen, dass in der That jede der sechs morphologischen Individualitäts-Stufen als Bion fungiren kann. Es wird jedoch, bevor wir in dieser Beziehung die sechs verschiedenen Ordnungen organischer Form-Einheiten durchgehen, noth-
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Physiologische Individualität der Organismen.
•wendig sein, zu unterscheiden zwischen drei wesentlich verschiedenen Erscheinungsweisen oder A r t e n d e r p h y s i o l o g i s c h e n I n d i v i d u a l i t ä t , welche allgemein als das actuelle Bion (oder das Bion im engeren Sinne\ das virtuelle oder potentielle Bion und das partielle oder scheinbare Bion bezeichnet werden können. I. A c t u e l l e s Bion o d e r p h y s i o l o g i s c h e s I n d i v i d u u m im e n g e r e n S i n n e ist j e d e s v o l l s t ä n d i g e n t w i c k e l t e o r g a n i s c h e Individuum, welches den höchsten Grad morphologischer I n d i v i d u a l i t ä t e r r e i c h t h a t , d e r ihm a l s r e i f e n , a u s g e w a c h s e n e n R e p r ä s e n t a n t e n d e r S p e c i e s z u k o m m t . Dieser Grad ist für jede organische Species ein bestimmter. Es ist also ζ. B. das actuelle Bion bei den Phanerogamen ein morphologisches Individuum sechster, bei den Wirbelthieren fünfter, bei den meisten Mollusken vierter, bei den Spongien (?) dritter, bei den Volvocinen zweiter, bei den einzelligen Algen erster Ordnung. II. V i r t u e l l e s Bion o d e r p o t e n t i e l l e s p h y s i o l o g i s c h e s I n d i v i d u u m ist j e d e s u n e n t w i c k e l t e o r g a n i s c h e I n d i v i d u u m , so l a n g e es noch n i c h t d e n h ö c h s t e n G r a d m o r p h o l o g i s c h e r I n d i v i d u a l i t ä t e r r e i c h t h a t , w e l c h e r ihm als r e i f e n , a u s g e w a c h s e n e n R e p r ä s e n t a n t e n der Species z u k o m m t , und zu w e l c h e m es s i c h e n t w i c k e l n k a n n . Dieser Grad ist zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen Stadien oder Perioden der individuellen Entwickelung ein verschiedener. Es ist also ζ. B. beim Menschen und bei den Wirbelthieren überhaupt das virtuelle Bion zuerst ein morphologisches Individuum erster (Ei), dann zweiter (Blastodenna), dann dritter (Embryonal - Anlage ohne Primitivstreif), dann vierter (Embryo mit Primitivstreif), dann endlich fünfter Ordnung (Embryo mit Primitivrinne und Urwirbelkettei. Bei den Anthozoen, welche Stöcke bilden, ζ. B. den Astraeiden, ist das virtuelle Bion im ersten Stadium der Entwickelung (als einfaches Ei) ein morphologisches Individuum erster, dann (als kugeliger Zellenhaufen) zweiter, dann (als protaxonier, noch nicht diradiirter Körper) dritter, darauf (als diradiirter Körper mit sechs Antimeren) vierter, dann (als Polyp mit gegliederter Hauptaxe, nachdem die horizontalen Böden, Tabulae, aus gebildet sind) fünfter, endlich (nachdem die Stockbildung durch Theilung oder Knospenbildung begonnen hat) sechster Ordnung. Bei den Phanerogamen lassen sich die gleichen sechs Stufen oder Ordnungen der morphologischen Individualität, welche das virtuelle Bion während seiner Entwickelung bis zum actuellen durchläuft, folgendermaassen ordnen: erste Stufe: Embryobläschen (Ei); zweite Stufe: Vorkeim (Proembryo); dritte Stufe: Keim (Embryo) ohne Cotyledonen; vierte Stufe: Keim (Embryo) mit Cotyledonen; fünfte Stufe: Keim (Embryo) mit Cotyledonen und Plumula (Internodien); nach dem Keimen: junge
I. Die Plaetiden ala Bionten.
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einfache Pflanze; sechste Stufe: verzweigte Pflanze (Stock). Jeder Organismus also, welcher als actuelles Bion ein morphologisches Individuum zweiter oder höherer Ordnung ist, muss vorher die vorhergehenden Individualitäts-Stufen als virtuelles Bion durchlaufen haben. Hier tritt mithin das virtuelle Bion als regulärer, in periodischem Cyclus sich wiederholender Entwickelungszustand auf und ist zuerst, als Ei oder Spore, eine einfache Plastide, ein Form-Individuum erster Ordnung, welches einen abgelösten Bestandteil des actuellen elterlichen Bion bildete. Es kann aber auch bei vielen Organismen jeder einzelne Körpertheil unter Umständen als virtuelles Bion auftreten, d. h. sich zum actuellen Bion entwickeln, wie es bei der Hydra der Fall ist und bei zahlreichen Pflanzenarten, wo viele einzelne Zellen oder Zellgruppen des Körpers eine so ausgezeichnete ReproductionsFähigkeit besitzen, dass sie sich, losgelöst vom elterlichen Organismus, vom actuellen Bion, selbst wieder zu einem solchen ergänzen und heranbilden können. III. P a r t i e l l e s Bion o d e r s c h e i n b a r e s p h y s i o l o g i s c h e s Individuum ist j e d e r Theil eines organischen Individuums w e l c h e r die F ä h i g k e i t b e s i t z t , n a c h s e i n e r A b l ö s u n g von dem p o t e n t i e l l e n oder a t u e l l e n Bion l ä n g e r e o d e r k ü r z e r e Zeit s i c h s e l b s t zu e r h a l t e n und a l s s c h e i n b a r e s s e l b s t s t ä n d i g e s Bion s e i n e E x i s t e n z u n a b h ä n g i g f o r t z u f ü h r e n , o h n e sich j e d o c h zum a c t u e l l e n Bion e n t w i c k e l n zu k ö n n e n . Das scheinbare oder partielle Bion vermag niemals, wie das virtuelle, sich zum Ganzen zu reproduciren und zum actuellen Bion durch selbstständiges Wacbstbum allmählich sich auszubilden. Vielmehr geht es zu Grunde, nachdem es eine Zeit lang sich erhalten, und bisweilen während dieser Zeit eine bestimmte Function (ζ. B. die Fortpflanzung) ausgeübt hat. So ist es ζ. B. mit dem Hectocotylus der Cephalopoden (einem Organ), mit der Proglottis der Cestoden (einem Metamer), mit dem männlichen Blüthen-Spross der Vallisneria (einer Person), welche sich von einem actuellen Bion höherer Ordnung abgelöst haben. Wie man sieht, ist der Begriff dieses partiellen oder scheinbaren Bion ein sehr weiter und unbestimmter, und es kommt ihm bei weitem nicht die hohe Bedeutung zu, wie dem wesentlich verschiedenen virtuellen und actuellen Bion. Doch haben die meisten früheren Versuche, die organische Individualität zu bestimmen, gerade auf das partielle Bion einen ausserordentlich hohen Werth gelegt, und es ist deshalb wohl nicht überflüssig, dasselbe als eine dritte Erscheinungsweise der physiologischen Individualität neben dem virtuellen und actuellen Bion aufzuführen. Wenn wir oben wiederholt den wichtigen Satz hervorhoben, dass jede der sechs morphologischen Individualitäten als Bion oder physio-
Physiologische Individualität der Organismen.
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logisches Individuum auftreten kann, so gilt dies von allen drei Erscheinungsformen des letzteren. Sowohl das actuelle, als das virtuelle, als endlich auch das partielle Bion kann durch jede der sechs morphologischen Individualitäts-Formen repräsentirt werden. Wir bekommen so achtzehn mögliche organische Lebenseinheiten, welche wir jetzt nach einander in aufsteigender Linie betrachten wollen. Wir werden zuerst von jeder morphologischen Individualitätsstufe das actuelle Bion als das wichtigste, uächstdem das virtuelle Bion und zuletzt das partielle Bion in Betracht ziehen. Wir beginnen mit dem morphologischen Individuum erster Ordnung, der Plastide. I. A.
Die P i a s t i d e n als a c t u e l l e
Bionten.
Die Cytoden und Zellen, welche wir oben als Piastiden oder Form - Individuen erster Ordnung zusammengefasst haben, sind von allen sechs Individualitätsstufen die bei weitem am meisten verbreitete, insofern alle Organismen, welche sich aus Eiern (Zellen) oder Sporen (Keimpiastiden) entwickeln, in ihrem ersten Jugendzustande als virtuelle Bionten den Formworth einfacher Plastulen besessen haben. Aber auch als actuelle Bionten sind die Cytoden und Zellen von sehr grosser Bedeutung, und es gehören hierher alle j e n e monoplastiden Organismen, welche man gewöhnlich als „einzellige" zu bezeichnen pflegt. Gegen diesen Ausdruck ist aber zu erinnern, dass es sowohl einfache Zellen, als auch einfache Cytoden giebt, welche selbstständige Species repräsentiien, und also den wirklichen Werth von actuellen Bionten besitzen. Die Zellen und Cytoden, als die beiden Hauptgruppen aller Plastiden-Formen, haben wir oben in j e zwei untergeordnete Gruppen geschieden, j e nachdem sie eine Membran (Schale) besitzen, oder nicht (p. 275). Wir erhielten so die vier Kategorieen der Gymnocytoden, Lepocytoden, Gymnocyten und Lepocyten. Alle vier Plastiden-Arten kommen als actuelle Bionten vor, besonders häufig im Protistenreiche, seltener im Pflanzenreiche. Einfache G y m n o c y t o d e n oder Urklumpen, also einfache Plasmaklumpen ohne Kern und ohne Schale oder Membran, finden sich als actuelle Bionten in dem Stamme der Moneren, wo die Protamoeben, Protogeniden und Vibrionen zeitlebens auf dieser niedrigsten Individualitätsstufe stehen bleiben. Wahrscheinlich gehört auch Actinophrys sol hierher, deren einfacher nackter Sarcode-Körper keine Kerne einschliesst. Weit zahlreicher und mannichfaltiger erscheinen die L e p o c y t o d e n oder Hautklumpen entwickelt, welche als actuelle Bionten zahlreiche Species des Protistenreiches und der niederen Pflanzen-Stämme, besonders der Algen bilden. Wir rechnen hierher alle sogenannten
I. Die Plaatiden ale Bionten.
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„einzelligen" Pflanzen und Protisten, welche keinen Kern besitzen, also in Wahrheit noch keine Zelle, sondern bloss eine Cytcde darstellen, einen Plasmaklumpen, welcher von einer Schale oder Membran total oder partiell umschlossen ist. Zu den merkwürdigsten der hierher gehörigen niederen Pflanzen sind diejenigen colossalen Siphoneen zu rechnen (Caulerpa, Bryopsis etc.), welche vollständig die differenzirten Formen höherer Pflanzen mit Wurzeln, Stengel, Aesten und Blättern nachahmeu, aber dennoch trotz ihrer beträchtlichen Grösse nur aus einer einzigen, sehr grossen Lepoeytode bestehen, einem kernlosen Plasmaschlauche, welcher von Cellulose-Haut umgeben ist und verschiedene „innere Plasmaproducte" einschliesst. Nicht minder merkwürdig sind die unendlich mannichfaltigen und zum Theil höchst complicirt gebauten Formen der Polythalamien und vieler anderen Rhizopoden, deren ganzer weicher Körper nur aus einem einzigen homogenen Plasmaklumpen ohne Kern besteht, und bei dem die Membran durch eiue gewöhnlich kalkige Schale von äusserst verwickelter Structur ersetzt wird. Man pflegt zwar meistens diese Acyttarien, und namentlich die Polythalamien, nicht als monoplastide Organismen aufzufassen, sondern als „vielzellige", und sagt, dass ihr nicht differenzirter weicher Protoplasmakörper „aus verschmolzenen Zellen" zusammengesetzt sei. Richtiger wäre aber wohl zu sagen, dass derselbe „noch nicht in Zellen differenzirt" sei, da bisher noch zu keiner Zeit des Lebens echte Zellkerne in dem Protoplasma-Leibe der meisten Acyttarien nachgewiesen sind. Einzelne Ausnahmen (Gromia) können sich immerhin trotzdem zu wirklicher Zellen - Differenzirung erheben, indem Kerne in dem Plasma auftreten. Diese sind dann schon FormIndividuen zweiter Ordnung. Unter den G y m n o c y t e n oder Urzellen, den einfachen nackten Zellen, welche als actuelle Bionten auftreten, sind vor Allen die echten Amoeben höchst bemerkenswerth, die merkwürdigen, in allen Gewässern so verbreiteten Formen, welche uns als selbstständige Species dauernd einen Form-Zustand repräsentiren, den wir bei vielen höheren Organismen nur als vorübergehenden Einbryonal-Zustand (virtuelles Bion) oder als integrirenden Bestandteil (partielles Bion) von Geweben (Blut, Lymphe) kennen. Neuerdings ist man zwar sehr geneigt, alle Amoeben als solche virtuelle oder partielle Bionten zu betrachten, und es ist in der That sein- schwierig, durch irgend welche Mittel den bestimmten Beweis zu liefern, dass nicht alle Amoeben blosse frei gewordene Gewebsbestandtheile oder Entwickelungszustände anderer Organismen sind; aber eben so schwer oder vielmehr unmöglich ist der Beweis des Gegentheils, und daher scheint uns immer noch die Annahme sicherer und hinlänglich gerechtfertigt, dass es wirklich auch Amoeben als selbstständige „Species", d. h. als actuelle Bionten giebt. Η a e c k e I, Geuerelie Morphologie. 92
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Physiologische Individualität der Organismen.
Insbesondere dürften hierher diejenigen Amoeben gehören, welche durch besondere constante und characteristische Structur-Verhältnisse ausgezeichnet sind, wie ζ. B. die Amoeba quadrilineata von C a r t e r . Weit häufiger und verschiedenartiger als die Urzellen, sind die Hautzellen oder L e p o c y t e n , welche als actuelle Bionten im Reiche der Protisten und der niederen Pflanzen auftreten. Es gehören hierher alle echt „einzelligen" Organismen mit Schale oder Membran, d. h. alle jene, bei welchen die reife ausgebildete Species den FormWerth einer einzigen einfachen und vollkommen selbstständigen, von einer Membran umgebenen Zelle hat. Jeder Organismus, welcher als actuelles Bion eine Hautzelle darstellt, muss also als solche aus drei wesentlichen Bestandtheilen zusammengesetzt sein, aus einem inneren Kern, einem diesen umschliessenden Plasmaklumpen und einer äusseren Membran. Dies ist der Fall bei vielen Protisten verschiedener Stämme, ζ. B. allen einkernigen Protoplasten (einzelligen Arcelliden und Gregarinen), vielen solitären Flagellaten (Cryptomonaden, Astasiaeen, Peridinien), allen solitären Diatomeen (ζ. B. Coscinodiscus, Navicula etc.). Aus dem Pflanzenreiche gehören hierher alle echten (d. h. kernhaltigen) einzelligen Algen, welche nicht zu Colonieen vereinigt, sondern solitär leben, ζ. B. Hydrocytium, und alle Desmidiaceen, welche als actuelle Bionten eine einzige Zelle mit einem einzigen Kerne bilden. Die Membran, welche den Character der Lepocyten ausspricht, kann entweder vollständig geschlossen sein, wie bei den letzterwähnten Algen und bei den Gregarinen, oder theilweise unvollständig, so dass das eingeschlossene Plasma aus den Spalten oder Löchern hervortreten kann, wie bei den Diatomeen (nach Max S c h u l t z e ' s neuesten Beobachtungen), Flagellaten (wo die Geissei aus einem Schalenspalt vortritt) und Arcelliden (wo die Pseudopodien aus der Schalenmündung vortreten). Die Membran oder Schale besteht bei den Diatomeen und vielen Peridinien aus Kieselerde, bei vielen Flagellaten aus Cellulose, bei anderen aus einer stickstoffhaltigen organischen Substanz. I. B.
Die P i a s t i d e n als v i r t u e l l e
Bionten.
Der Fall, dass die potentielle physiologische Individualität durch Piastiden oder Form-Individuen erster Ordnung repräsentirt wird, ist, wie vorher bemerkt, der häufigste von allen, insofern nicht allein sämmtliche so eben aufgezählte Organismen, welche als actuelle Bionten den Formwerth einer Plastide haben, diesen während der ganzen Zeitdauer ihrer Existenz besitzen, sondern auch alle höheren Organismen (zweiter bis sechster morphologischer Ordnung), welche sich aus einem einfachen Ei (Zelle) oder Spore (Keimplastide) entwickeln, in dieser ersten Zeit ihrer Existenz als einfache Piastiden, also als virtuelle
I. Die Plaetiden ale Bionten.
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Bionten erster Ordnung auftreten. Alle diese Keime von dem Formwerthe einer einfachen Plastide vermögen sich unmittelbar zu einem Organismus zu entwickeln, der als reifes Bion den morphologischen Werth eines Plastiden-Complexes besitzt. Solche virtuelle Bionten erster Ordnung sind also alle wirklich einzelligen Eier der Thiere (mithin die mehrzelligen Insecten-Eier ausgenommen?), ferner die Embryobläschen oder Keimbläschen (oder echten Eier) der Phanerogamen, die Archegonium-Centraizellen und die einfachen (monoplastiden) Sporen oder Keimpiastiden der Cryptogamen und vieler Protisten etc. Aber ausser diesen regulären Fortpflanzungszellen, welche auf dem ordinären Wege der Zeugungskreise die Erhaltung der Art bewirken, müssen auch alle jene einfachen Piastiden hierher gerechnet werden, welche, von irgend welchen Theilen eines actuellen Bion abgelöst, die Fähigkeit besitzen, sich unmittelbar wieder zu einem, dem-elterlichen gleichen Bion zu entwickeln, wie dies von einzelnen abgelösten Piastiden vieler Protisten und niederer Cryptogamen (selbst einzelner höherer Pflanzen, ζ. B. Bryophyllum) bekannt ist; ferner von der Hydra und anderen niederen Thieren. Die Piastiden, welche als virtuelle Bionten auftreten, sind bald echte (kernhaltige) Zellen (ζ. B. die echten Eier), bald kernlose Cytoden (ζ. B. viele Sporen und sogenannte ,,Sommer-Eier"). Meistens sind sie von einer Membran umgeben, selten hüllenlos. Nackte Eier finden sich ζ. B. bei vielen Medusen (Lizzia, Oceania etc.). Auch die ihren Hullen entschlüpften Schwärmsporen sind nackt. I. C. D i e P i a s t i d e n a l s p a r t i e l l e B i o n t e n .
Sehr viele Cytoden und Zellen, welche nicht, gleich den vorher erwähnten Piastiden, die Fähigkeit besitzen, losgelöst vom elterlichen Organismus, sich weiter zu entwickeln und zu einem actuellen Bion zu ergänzen, vermögen dennoch sich nach ihrer Ablösung vom zugehörigen Organismus längere oder kürzere Zeit am Leben zu erhalten, und dieselben Functionen, welche sie vorher, im Zusammenhang mit dem Ganzen ausübten, auch jetzt noch isolirt weiter zu führen. Viele Piastiden oder selbst Plastidentheile vermögen sogar ihre specielle Function erst nach der Ablösung vom actuellen Bion zu erfüllen, wie die Zoospermien. Alle diese morphologischen Individuen erster Ordnung würden wir hier als partielle oder scheinbare Bionten aufzuführen haben. Wir finden diese Erscheinung vorzüglich bei nackten, amoebenartigen Piastiden, welche sich durch ihre characteristischen Bewegungen auszeichnen, ζ. B. bei den farblosen Blutzellen der Thiere, den Zellen der Spongien etc. Diese vermögen oft tagelang nach ihrer Ablösung aus dem zugehörigen Organismus ihre Bewegungen fortzusetzen, und 22*
340
Physiologische Individualität der Organismen.
nach den neuesten Versuchen von R e c k 1 in gh au sen scheint es selbst, dass die Blutzellen höherer Thiere unter gewissen günstigen Bedingungen ausserhalb des Organismus sich nicht allein zu erhalten, sondern auch fortzupflanzen und bestimmte Veränderungen einzugehen fähig sind. Ebenso vermögen viele Flira merzeilen, besonders von niederen Thieren, noch lange Zeit, nachdem sie sich von dem zugehörigen Organismus abgelöst haben, ausserhalb desselben zu erhalten und ihre beständigen Bewegungen unvermindert fortzusetzen. Auch einzelne Pflanzenzellen, aus dem Zusammenhange des Parenchyma ausgelöst, vermögen unter Umständen sich lange Zeit lebensfähig zu conserviren, und nicht allein sich selbst zu erhalten, sondern auch durch Theilung sich zu vervielfältigen, ohne dass sie jedoch die Fähigkeit besässen, sich vollständig zu einem actuellen Bion zu entwickeln. Unter den isolirten Zellen der Phanerogamen scheinen besonders viele Pollenkörner einen hohen Grad von physiologischer Individualität zu besitzen. In noch auffallenderem Maasse findet sich dieselbe aber bei den beweglichen Zoospermien der Cryptoganien und der Thiere vor, welche sogar erst nach ihrer Ablösung vom actuellen Bion ihre eigentliche Function zu erfüllen beginnen.
][. Die Organe als Bionten. Physiologische Individuen zweiter
Ordnung.
Während die Piastiden als morphologische Individuen erster Ordnung sehr häufig zugleich die physiologische Individualität repräsentiren, so ist dies bei den Organen, als Form-Individuen zweiter Ordnung, ungleich seltener der Fall. Doch sind immerhin die Fälle, welche als solche sicher betrachtet werden können, viel häufiger, als es wohl beim ersten Gedanken an ihre Möglichkeit scheinen könnte. Es ist in dieser Beziehung vor Allein sehr wichtig, sich an die rein morphologische Bedeutung zu erinnern, in welcher wir oben den Begriff des Organes festgestellt haben (p. 291). Wir verstanden darunter allgemein „jede constante einheitliche Kaumgrösse von bestimmter Form, welche aus einer bestimmten Summe von mehreren Piastiden in constanter Verbindung zusammengesetzt ist, und welche nicht die positiven Charactere der Form-Individuen dritter bis sechster Ordnung erkennen lässt." Von der einfachen Plastide unterscheidet sich das Organ durch seine Zusammensetzung aus mehreren Plastiden, von den Antimeren und den anderen höheren Individualitäten durch den Mangel deijenigen characteristischen Eigenschaften, welche diese bestimmt kennzeichnen. Bei der unendlichen Mannichfaltigkeit in äusserer Form und innerer Zusammensetzung ist es nicht möglich, diese allerdings
Π. Die Organe als Bionten.
341
wesentlich negative Begriffsbestimmung durch eine allgemein gültige positive zu ersetzen. Vielmehr müssen wir jeden Piastiden-Complex, also jede aus zwei oder mehr Piastiden zusammengesetzte Formeinheit von bestimmter Grösse und Zusammensetzung ein Organ nennen, sobald dieselbe nicht den bestimmten Form-Character eines Individuums dritter oder höherer Ordnung trägt. Iu jedem Organismus, welcher einer höheren Ordnung angehört, ist es leicht, die untergeordneten Individualitäten als solche zu erkennen, die Metameren, Antimeren und Piastiden zu bestimmen. Organe werden wir hier also alle diejenigen einheitlichen Gestalterscheinungen nennen, welche keiner der fünf anderen Individualitäts-Ordnuugen angehören. In den tectologisch so bestimmt differenzirten Phanerogamen, Wirbelthieren, Articnlaten et«, werden wir daher niemals in Zweifel sein, welche Theile wir als Organe zu betrachten haben, und welche nicht. Schwieriger wird diese Unterscheidung aber bei vielen niederen Formen beider Reiche, besonders den Cryptogamen, und kaum möglich erscheint sie oft bei den Protisten. Hier kommt nun Alles darauf an, den morphologischen und den physiologischen Begriff des Organs scharf zu sondern. Lediglich der erstere giebt uns das FormIndividuum zweiter Ordnung. Das O r g a n a l s p h y s i o l o g i s c h e E i n h e i t kann ein integrirender Bestandteil von Form-Individuen aller sechs Ordnungen sein, und bedeutet weiter nichts als einen K ö r p e r t e i l , welcher eine bestimmte Verrichtung leistet. So ist ζ Β. an einer Flimmerzelle das Flimmerhaar ein Organ der Plastide, und ebenso an einer Nesselzelle die Nesselkapsel und der Nesselfaden. An jedem zusammengesetzten Organe sind die untergeordneten Theile, welche Plastiden-Complexe sind, zugleich „Organe des Organs." (Hierauf beruht die oben angeführte Unterscheidung der Organe von fünf verschiedenen Ordnungen). Jedes Antimer ist aus mehreren Organen zusammengesetzt, kann aber selbst als „Organ" einer Person erscheinen (ζ. B. die Arme der Seesterne). Ebenso kann man die Metamereu vom physiologischen Gesichtspunkte aus als „Organe der Person", und die Personen als „Organe des Stockes" bezeichnen, wie ζ. B. ersteres bei den Gliederwürmern, letzteres bei den Siphouophoren sehr häufig geschieht. In allen diesen Fällen leitet beim Gebrauche des Wortes Organ die Vorstellung von der physiologischen Leistung, welche dasselbe als integrirender Bestandt e i l eines anderen Körpers ausführt. Ganz anders verhält es sich mit dem m o r p h o l o g i s c h e n B e g r i f f e d e s O r g a n s . Dieser bedeutet stets nur eine solche untheilbare Formeinheit von constanter Grösse und Zusammensetzung, welche eine Mehrheit von Piastiden umfasst, und welche weder als Antimer, noch als Metamer, weder als Person, noch als Stock betrachtet werden kann. Solche Formeinheiten kommen nun in der That nicht nur ganz allgemein als constituirende Bestandtheile aller morphologischen Individuen dritter bis sechster Ordnung vor, sondern dieselben treten auch als physiologische Individuen vollkommen selbstständig auf, seltener freilich als actuelle, sehr allgemein aber als virtuelle und bisweilen in sehr auffallender Form als partielle Bionten.
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Physiologische Individualität der Organismen.
Von den fünf verschiedenen Stufen oder Ordnungen der Organe, welche wir oben unterschieden haben, treten am häufigsten die Organe erster und zweiter Ordnung, Zellfusionen und einfache Organe, seltener diejenigen dritter Ordnung (zusammengesetzte Organe) als Bionten auf. Niemals können dagegen, ihrer Natur nach, die Organe vierter und fünfter Stufe, die Organsysteme und Organ-Apparate, den Werth von physiologischen Individuen erhalten. Π. A. D i e O r g a n e a l s a c t u e l l e B i o n t e n .
Sobald man die ganz verschiedene physiologische und morphologische Bedeutung des Organbegriffs gemischt gebraucht, wie dies gewöhnlich geschieht, so wird man zu keiner klaren Anschauung Uber die wichtige Thatsache gelangen, dass auch morphologische Organe den Werth von actuellen Bionten besitzen, und als solche die reifen Formen selbstständiger Species repräsentiren können. E s ist dies nach unserer Ansicht bei allen denjenigen niederen Organismen der Fall, welche als reife Species-Form einen Plastiden-Complex darstellen, an welchem sich weder Antimeren noch Metameren unterscheiden lassen, und welche demgemäss weder Personen noch echte Stöcke (Cormen) sein können. Hierher gehören sehr viele Protisten und niedere Pflanzen, namentlich aber alle sogenannten „Colonieen von einzelligen Organismen". Uebrigens können als actuelle Bionten, wie bemerkt, nur Organe erster, zweiter und dritter Ordnung fungiren. Organe vierter und fünfter Stufe (Organ-Systeme und Organ-Apparate), wie wir deren Begriff oben morphologisch festgestellt haben, können ihrer Natur nach niemals die reife Species-Form repräsentiren. a. O r g a n e e r s t e r O r d n u n g o d e r Z e l l f u s i o n e n , also Plastiden-Complexe, welche aus mehreren verschmolzenen Zellen bestehen (sogenannte „vielkernige Zellen"), treten als actuelle Bionten verhältnissmässig selten auf, ζ. B. unter den Protisten bei denjenigen Rhizopoden (Gromia) und Protoplästen (Arcelliden), deren homogener Sarcode-Körper eine Mehrzahl von Kernen einschliesst. b. O r g a n e z w e i t e r O r d n u n g o d e r e i n f a c h e (homop l a s t i s c h e ) O r g a n e , also Piastiden-Complexe, welche aus einem Aggregate von mehreren gleichartigen, mehr oder weniger vollständig getrennten Piastiden (Cytoden oder Zellen) bestehen (sogenannte „Colonieen einzelliger Organismen"), sind als actuelle Bionten unter den Protisten und niederen Pflanzen sehr verbreitet. Die Piastiden, welche das Bion vom morphologischen Werthe eines einfachen Organs constituiren, sind bald Cytoden, bald Zellen. Cytoden-Colonieen dieser Art bilden viele niedere Algen und Nematophyten und einige F l a gellaten. Zellen-Colonieen dagegen werden vorzüglich von den socialen Protisten, von den coloniebildenden Diatomeen CCocconema, Gompho-
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Π. Die Organe als Bionten.
nemo, etc.) und vielen Flagellaten- Stöcken (Dinobryinen, Volvoemen, Hydromorinen etc.) gebildet. Gewöhnlich werden alle diese Synusieen ale echte Stöcke betrachtet. Da jedoch ihre constituir enden, unter eich nicht verschiedenen „feinzelthiere" nur den Werth von Piastiden besitzen, können wir dieselben nur als einfache Organe betrachten. c. O r g a n e d r i t t e r O r d n u n g o d e r zusammengesetzte ( h e t e r o p l a s t i s c h e ) O r g a n e , also Plastiden-Complexe, welche aus einem Aggregate von mehreren ungleichartigen, differenzirten Piastiden bestehen, und welche nicht die positiven morphologischen Charactere der Antimeren oder anderer Form-Individuen höherer Ordnung zeigen, kommen ebenfalls unter den niederen Pflanzen und Protisten nicht selten vor. Wir können als solche viele Thallophyten (sowohl Algen als Nematophyten) von ganz unregelmässiger Gesammtform betrachten, welche aus ungleichartigen Zellen zusammengesetzt sind. Ferner können die meisten Myxoinyceten, einige Rhizopoden (ζ. B. die Actinosphaeriden) und viele Spongien hierher gerechnet werden IX.
B.
Die O r g a n e als v i r t u e l l e
Bionten.
Als virtuelle Bionten zweiter Ordnung, welche also unter den morphologischen Begriff des Organs fallen, betrachten wir alle diejenigen selbstständig lebenden Plastiden-Complexe, welche nicht die positiven Charactere der Form-Individuen dritter bis sechster Ordnung besitzen, welche aber fähig sind, sich zu einer dieser IndividualitätsOrdnungen zu entwickeln. Diese Zustände glauben wir in allen denjenigen polyplastiden Entwickelungszuständen höherer Organismen zu finden, welche noch nicht in Antimeren sich differenzirt haben, wie ζ. B. in der ersten Embryonal-Anlage der Vertebraten, im Proembryo der Phanerogamen etc. Aber bei vielen niederen Organismen sind es auch einzelne, aus dem Zusammenhang des Ganzen entfernte PlastidenComplexe von unbestimmter Begrenzung (sogenannte „parenchymatische Individuen'·), welche sich zur actuellen Form der Species zu entwickeln vermögen. Solche sind ζ. B. viele Zellengruppen aus dem Leibe der Hydra und anderer Hydroidpolypen, einzelne Parenchymstücke aus den Blättern vieler Phanerogamen etc. Gleichwie die Functionen der actuellen, so können auch diejenigen der virtuellen Bionten durch Organe erster, zweiter und dritter Ordnung ausgeübt werden. a. O r g a n e e r s t e r O r d n u n g o d e r Z e l l f u s i o n e n treten als virtuelle Bionten verhältnissmässig sehr selten auf. Wir müssen als solche alle sogenannten „mehrkernigen Zellen" betrachten, welche, aus dem Parenchym-Verbande des Organismus ausgelöst, die Fähigkeit besitzen, sich zum Ganzen zu entwickeln. Solche „ B r u t z e l l e n M u t t e r zellen, welche eine Mehrheit von Kernen, also von Tochterzellen ein-
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Physiologische Individualität der Organismen.
schliessen, treten tlieils mehr regelmässig, theils mehr zufällig aus dem V e r b ä n d e des Ganzen zu Zeiten hervor, um sich selbstständig zu einem vollkommenen actuellen Bionten auszubilden. Dahin können w i r ζ. B. die Gemmulae der Spongien rechnen. Auch andere P o l y sporen (mehrkernige Keimzellen) können hierher gerechnet werden. Unter den Protisten und Thallophyten gilt dasselbe von manchen „ Brutzellen". b. O r g a n e z w e i t e r O r d n u n g o d e r e i n f a c h e O r g a n e ( H o m o p l a s t e n ) als virtuelle Bionten finden sich allgemein als vorübergehende Entwickelungsstadien bei allen höheren Organismen, w e l c n e sich aus einer Z e l l e (Ei oder Spore) entwickeln. W i r müssen a l s solche virtuelle Bionten vom Formen-Wertlie eines Organs zweiter Ordnung alle noch nicht differenzirten Furchungskugeln betrachten, welche aus der fortgesetzten Eitheilung entstanden sind, ferner alle „ E m b r y o n a l - A n l a g e n " und „ P r o e m b r y o n e n " , auch Embryonen, so l a n g e ihre Zellenmasse noch aus lauter gleichartigen Furchungsproducten besteht. Ebenso müssen wir hierher alle abgelösten Parenchymstücke von Organismen dritter bis sechster Ordnung rechnen, w e l c h e aus lauter gleichartigen Zellen bestehen und f ä h i g sind, sich zum actuellen G a n z e n zu entwickeln, ζ. B. eine Gruppe gleichartiger Zellen von Hydra. c. O r g a n e d r i t t e r O r d n u n g o d e r z u s a m m e n g e s e t z t e O r g a n e ( H e t e r o p l a s t e n ) finden sich als virtuelle Bionten ebenfalls bei allen höheren Organismen, w e l c h e sich aus einer Plastide (Ei oder Spore) entwickeln. E s gilt dies von denjenigen vorübergehenden Entwickelungszuständen, welche differenzirte Plastidencomplexe darstellen, die sich aber noch nicht in Antimeren oder Metameren differenzirt haben. A l s solche sind ζ. B. die Wirbelthier-Embryonen zu betrachten, wenn z w a r die drei Keimblätter in der E m b r y o n a l - A n l a g e differenzirt, aber die Antimeren noch nicht durch die Bildung des Primitivstreifens angedeutet sind. Auch der P h a n e r o g a m e n - E m b r y o gehört hierher, so lange die homotypische Zusammensetzung noch nicht durch das Hervorknospen der Cotyledonen bestimmt ist. Ferner k ö n n e n wir alle durch Knospung entstehenden Metameren, Sprossen u. s. w . so lange als virtuelle Bionten vom Formwerthe eines Organs dritter Ordnung betrachten, als ihre differenzirte Zellenmasse noch nicht die homotypische Zusammensetzung des Ganzen erkennen lässt. Endlich rechnen wir hierher alle aus einem höheren Organismus ausgelösten Parenchymstücke, welche aus ungleichartigen Piastiden bestehen und fähig sind, sich zum actuellen Ganzen zu entwickeln (ζ. B. Blattstücke mit Gefässbündeln, P a r e n c h y m und Oberhaut von Bryophyllum etc.).
Π. Die Organe als Bionten.
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II. C. D i e O r g a n e a l s p a r t i e l l e B i o n t e n .
Als partielle Bionten zweiter Ordnung betrachten wir alle Plastiden-Complexe vom morphologischen Werthe eines Organes, welche selbstständig, abgelöst vom zugehörigen Organismus, längere oder kürzere Zeit zu leben vermögen, ohne sich zum actuellen Ganzen entwickeln zu können. Es gehören also hierher alle selbstständig existirenden sogenannten „individualisirten Organe". Solche kommen ebenfalls unter allen drei niederen Ordnungen der Organe vor. a. O r g a n e e r s t e r O r d n u n g o d e r Z e l l f u s i o n e n vermögen verhältnissmässig selten als partielle Bionten sich zu erhalten, ζ. B. manche mehrkernige Brutzellen von Protisten, welche zwar abgelöst fortwuchern können, aber ohne sich weiter zu entwickeln. b. O r g a n e z w e i t e r O r d n u n g o d e r e i n f a c h e O r g a n e ( H o m o p l a s t e n ) müssen als partielle Bionten betrachtet werden, wenn sie als abgelöste Parenchynigruppen, welche aus gleichartigen Piastiden zusammengesetzt sind, ihre Existenz unabhängig vom zugehörigen Ganzen zu fristen vermögen, ohne sich zu einem solchen zu entwickeln. Es ist dies der Fall bei vielen zufällig abgelösten homoplastischen Parenchymstücken von niederen Thieren und Pflanzen. Solche unregelmässige Zellengruppen können oft nach ihrer Ablösung lange Zeit fortexistiren, und selbst sich durch Wachsthum vergrössern, ohne zu einer wirklichen Entwicklung zu gelangen. c. O r g a n e d r i t t e r O r d n u n g o d e r z u s a m m e n g e s e t z t e O r g a n e ( H e t e r o p l a s t e n ) bieten die am meisten ausgezeichneten Fälle von „individualisirten Organen 1 · dar, Fälle, welche nicht wie die der beiden vorigen Reihen, mehr zufällig und bedeutungslos, sondern regelmässig, und selbst durch specielle physiologische Beziehungen zu hoher Bedeutung erhoben, bei Organismen der verschiedensten (und auch höher stehender) Gruppen sich linden. Es lösen sich also in diesem Falle bestimmte Organe dritter Ordnung, welche aus differenzirten Zellen zusammengesetzt sind, vom actuellen Bion ab, um eine selbstständige Existenz, unabhängig von ersterem, weiter zu führen, wobei sie bisweilen noch bestimmte und selbst höchst wichtige Functionen für das Bion vollziehen. Unzweifelhaft den merkwürdigsten Fall von solchen hoch individualisirten Organen bieten uns die berühmten Hectocotylen der hectocotyliferen Cephalopoden dar (Argonaula, Philonexis, Tremoctopus). Bekanntlich ist der Hectocotylus, welcher anfangs für einen Parasiten, später für das rudimentäre Männchen der betreffenden Dintenfische gehalten wurde, Nichts als ein abgelöster Arm des kleinen Männchens, welcher selbstständig umherkriechend vollkommen das Bild eines actuellen Bion vorspiegelt und als solches selbst die wichtige Function der Begattung ausübt.
346
Physiologische Individualität der Organismen.
Nicht weniger vollständig als die frei umherschwimmenden Hectocot y l e n erscheinen die seltsamen beweglichen Hautlappen auf dem Bücken von T h e t i s individualisirt, welche sich so leicht vom Thiere ablösen und tagelang scheinbar selbstständig umher kriechen, dass sie früher ebenfalls als Epizoen (Verlumnus thelidicola) beschrieben wurden. Ebenso unvollkommen sind ferner die Pedicellarien der Echinodermen individualisirt, die auf beweglichen Stielen festsitzenden mehrklappigen Greifzangen, welche auch auf dem todten Thiere noch lange ihre automatischen Bewegungen fortsetzen. In eine Reihe mit diesen sind dann vielleicht auch die vogelkopfartigen Greiforgane (Avicularien) und die pendelnden Wedelorgane oder Vibracula, und die anderen ähnlichen, automatisch beweglichen Anhänge zu stellen, welche auf vielen Bryozoen-Stöcken sich finden, und ebenfalls unabhängig von den entwickelten Thieren, noch lange nach deren Tode ihre monotonen Bewegungen fortsetzen. Doch werden diese Anhänge von Anderen als rudimentäre Individuen betrachtet, die durch weit gehenden Polymorphismus stark degenerirt sind. Die definitive Entscheidung, ob derartige, mehr oder weniger unabhängige Anhänge von Colonieen mehr als polymorphe Individuen oder als individualisirte Organe aufzufassen sind, ist in diesen, wie in manchen anderen Fällen, ebenso für die allgemeine Morphologie wichtig, als ohne genaueste biologische Kenntniss der ganzen Species und ihrer vollständigen Entwickelungsgeschichte nicht zu geben. Viel seltener, als solche äussere Organe zeigen bisweilen isolirte innere Organe, welche aus dem actuellen Bion durch natürliche oder künstliche Einflüsse entfernt sind, Lebenserscheinungen, welche ihnen in auffallendem Maasse den Character der partiellen physiologischen Individualität verleihen. Dahin gehören ζ. B. die inneren Kiemen (sogenannten Wasserlungen) der Holothurien, der Schiundkopf der Planarien, das Herz vieler Amphibien und Reptilien, und viele andere contractile zusammengesetzte Organe niederer Thiere, welche noch tagelang nach ihrem Austritt aus dem Körper ihre automatischen Bewegungen selbstständig fortsetzen können. Sehr verbreitet scheint ferner die partielle Individualisation von Organen in dem Hydromedusen-Stamm zu sein. Man findet hier in verschiedenen Abtheilungen eine grosse Selbstständigkeit einzelner Körpertheile, welche, abgelöst vom Ganzen, entweder als virtuelle Bionten sich sogleich zum Ganzen entwickeln, oder doch als partielle Bionten längere Zeit hindurch sich isolirt zu erhalten und ihre Lebensbewegung fortzusetzen vermögen. So findet man ζ. B. im Meere sehr oft einzelne abgerissene Tentakeln von Ctenophoren und Hydromedusen, abgelöste Magenschläuche der letzteren, isolirte Wimperorgane (Schwimmplättchen) der ersteren, welche noch Tage lang ihre charac-
ΠΓ. Die Antimeren ale Bionten.
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teristischen Bewegungen mit unverminderter Kraft fortsetzen können. Einen hohen Grad individueller Selbstständigkeit erreichen ferner auch bei vielen Hydromedusen die Geschlechtsorgane, welche in manchen Familien (ζ. B. Tubulariden) die vollständigste Uebergangereihe von einfachen und sehr unvollkommenen Organen zu sehr hoch organisirten und ganz selbstständigen Medusen zeigen. Da jedoch diese individualisirten Geschlechtskapseln, welche als Medusen sich ablösen und frei umherschwimmen, durch ihre weitgehende tectologische Differenzirung bereits den morphologischen Werth von Metameren erlangt haben, und nicht bloss aus Parameren, sondern auch aus Antimeren zusammengesetzt sind, so können wir dieselben vom streng morphologischen Gesichtspunkte aus nicht mehr als Organe betrachten.
ΙΠ. Die Antimeren als Bionten. Physiologische Individuen dritter Ordnung. In noch höherem Grade als bei den Organen muss es bei den Antimeren seltsam und befremdend erscheinen, dass sie als physiologische Individuen eine selbstständige Existenz führen können. In der That sind auch hier die wirklich unzweifelhaften Fälle von physiologischer Individualisation weit seltener, und von den actuellen Bionten ist es selbst zweifelhaft, ob dieselben jemals durch Antimeren repräsentirt werden können. Sehr ausgedehnt findet sich aber unter den Antimeren die virtuelle, und bei manchen Organismen auch die partielle Individualisation vor. ΠΙ. A. D i e A n t i m e r e n a l s a c t u e l l e B i o n t e n .
Wenn man im Gedächtniss behält, dass die Antimeren oder Gegenstücke als Form-Individuen dritter Ordnung eigentlich nur durch ihr gegenseitiges Verhältniss zu einander, und zu dem Form-Individuum vierter oder fünfter Ordnung, welches sie zusammensetzen, bestimmt characterisirt werden, so muss es von vornherein sehr zweifelhaft erscheinen, ob dieselben jemals als actuelle Bionten auftreten können. In der That ist uns in allen drei organischen Reichen kein einziger sicherer Fall bekannt, dass die reife Form einer Species durch ein Form-Individuum repräsentirt wird, welches unzweifelhaft den Formwerth eines einzigen Antimeres hätte. Die allermeisten reifen SpeciesKepräsentanten sind entweder aus zwei Antimeren („Körperhälften") oder aus drei oder mehr Antimeren („ Strahlstücken") zusammengesetzt. Diejenigen Piastiden-Complexe aber, welche als actuelle Bionten ein Aggregat aus differenzirten Zellen darstellen, ohne aus zwei oder
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Physiologische Individualität der Organismen.
mehr Aiitimeren zusammengesetzt zu erscheinen, werden wir mit grösserem Rechte für Bionten zweiter, als für Bionten dritter Ordnung halten müssen. So haben wir denn auch die Spongien, die Mvxomyceten, viele Thallophyten etc., bei denen jener Fall eintritt, als actuelle Bionten vom morphologischen Werthe eines Heteroplasten oder zusammengesetzten Organs, und nicht eines Antimeres betrachtet. Nur dann könnten wir actuellen Bionten den Formwerth eines einzigen Metameres zuschreiben, wenn sie vollkommene morphologische Aequivalente von Theilen wären, welche bei verwandten Arten als unzweifelhafte Antimeren eines Metameres oder einer Person auftreten. Vielleicht wären gewisse Arten von Lemna als actuelle Antimeren zu betrachten. ΠΙ. B. D i e A n t i m e r e n a l s v i r t u e l l e B i o n t e n .
Während die actuellen Bionten vielleicht nie, die partiellen Bionten nur selten durch Antimeren repräsentirt werden, so ist dies dagegen bei den virtuellen oder potentiellen Bionten sehr häufig der Fall. Es müssen nämlich hierher alle Fälle von Fortpflanzung durch spontane Selbsttheilung und durch künstliche (zufällige) Theilung gerechnet werden, bei welchen die Theilungsebene den Körper eines actuellen Bion in seine Antimeren zerlegt, und wo die einzelnen Antimeren sich unmittelbar wieder durch Reproduction der übrigen Antimeren zu vollständigen Bionten ergänzen. Bei den eudipleuren Thieren, welche sich durch Längstheilung fortpflanzen (Infusorien) stellt also jede der beiden Körperhälften nach vollendeter Spaltung ein einziges Antimer dar, welches sich als virtuelles Bion zu einem vollständigen actuellen Bion durch Reproduction der anderen Hälfte zu ergänzen vermag. 1 ) Ebenso müssen wir bei den „ S t r a h l t h i e r e n b e i den Coelenteraten und Echinoderroen, jeden Strahl, d. h. jedes Antimer, als virtuelles Bion betrachten, wenn dasselbe, durch künstliche oder natürliche Spaltung abgelöst, unabhängig von den anderen sich zu einem actuellen physiologischen Individuum auszubilden vermag. Die interessanten Fälle von virtueller Individualisation der Antimeren, welche bei den Echinodermen vorkommen, sind um so merkwürdiger, als der Organismus gerade dieser „Strahlthiere" sonst in so hohem Grade die ') Ganz dieselbe Fortpflanzung durch einfache Längstheilung finden wir bei sehr vielen Protisten (Diatomeen, Protoplasten etc.) und niederen Pflanzen (Desmidiaceen, Euastrum etc.) wieder, bei denen ebenfalls jede Hälfte des Bion sich sofort nach vollendeter Spaltung wieder durch Wachsthum zum actuellen Bion ergänzt. Da aber hier das Bion nur den Werth einer einzigen Plastide (Zelle) besitzt, so können wir hier die Körperhälften, welche als virtuelle Bionten auftreten, nicht als Antimeren ansehen, sondern müssen sie als Parameren bezeichnen (s. oben p. 311).
ΠΙ. Die Antimeren ale Bionten.
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beatimmte Neigung zeigt, nur auf dem Wege geschlechtlicher Zeugung sich zu der bestimmten Form der Person oder des Form-Individuums fünfter Ordnung zu entwickeln. Es betreffen diese Fälle einige wenige Arten von Seesternen, welche einigen sonst nicht gerade besonders ausgezeichneten Gattungen angehören. Dasjenige Asterid, bei welchem am häufigsten ein Antimer sich zu individualisiren scheint, ist O p h i d i a s t e r m u l t i f o r i s M. et Tr., welcher im rothen und im indischen Meere vorkommt. E s ist dies ein kleiner, schlanker, Ophiuren ähnlicher Seestern mit kleiner Scheibe (Scheibenrad dius zum Armradius = 1 : 1 0 — 1 2 ) und sehr schlanken, cylindrischen, nach dem Ende zu verdünnten Armen (neunmal so lang wie breit). Die grosse Mehrzahl der Individuen liat 5 Arme; aber auch solche mit 4 und 6 Armen sind nicht selten; bisweilen steigt die Armzahl auf sieben. Die Madreporenplatte ist bei Individuen mit 4—5 Armen gewöhnlich doppelt, bei solchen mit 6—7 Armen gewöhnlich dreifach vorhanden. Gewöhnlich liegen die Madreporenplatten in benachbarten Interbrachialräumen. Die Arme sind selten von nahezu gleicher Länge, gewöhnlich 2—3 benachbarte länger, als die andern. Gar nicht selten aber findet man Individuen, bei denen 4 ganz kleine Arme am Ende eines einzigen sehr grossen sich befinden, und bei denen eine eigentliche Mittelscheibe kaum existirt.') Diese Fälle liefern uns evidente Beweise von der virtuellen Individualisation eines einzelnen Antimeres, welches sich durch Reproduction der vier übrigen Antimeren zu dem actuellen Bion vom morphologischen Werthe einer pentactinoten Person zu entwickeln vermag. Durch welchen Vorgang hier das einzelne Antimer zur Ablösung vom Ganzen und zur individuellen Entwickelung veranlasst wird, ist unbekannt, und wir wissen insbesondere nicht, ob die Ablösung Folge eines inneren Wachsthumsprocesses, also spontane Radialtheilung (wie bei dem gleich zu erwähnenden S t o m o b r a c h i u m ) oder Folge zufälliger, von aussen einwirkender Gewalt, also künstliche Theilung ist. Die verhältnissmässig grosse Anzahl der Exemplare von O p h i d i a s t e r m u l t i f o r i s , welche dieses ausgezeichnete Verhalten zeigen, lässt die Yerinuthung einer natürlichen, spontanen Radialtheilung gerechtfertigt erscheinen. Andererseits ist es leicht denkbar, dass die langen dünnen Arme von der kleinen Mittelscheibe leicht zufällig abreissen, und vermöge ausgezeichneter Reproductionskraft die ganze Scheibe reproduciren. Während bei den andern Seesternen die verstümmelte Scheibe die Arme wieder zu ersetzen vermag, kann also hier jeder einzelne Arm die ganze Scheibe sammt den andern Armen aus sich regeneriren. Es würde von
') Bei einem solchen Individuum, welches wir vor uns haben, ist der grosse Arm δ^"111 lang und an der Basis 4 m,n breit. Von den 4 kleinen Armen sind die beiden zunächst den grossen umgebenden 6 imn lang, an der Basis 2""" breit und die beiden dem grossen gegenüberstehenden 5""" lang, an der Basis ebenfalls 2""" breit. Eine Madreporenplatte ist nicht sichtbar, ebenso ein After nicht deutlich; dagegen auf der Ambulacralseite eine sehr kleine Mundöffnung, in welcher die 5 Ambulacralfurchen zueammenstoesen.
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Physiologische Individualität der Organismen.
hohem Interesse sein, diese merkwürdigen Fälle von potentieller Individnalisation eines Antimeres näher za untersuchen, und insbesondere durch Experimente am lebenden Thiere zu bestimmen, ob der Arm nur regenerationsfähig ist, wenn er noch ein zugehöriges Scheibenstück besitzt, oder ob auch der abgerissene Arm allein, ohne jede Theilnahme der Scheibe, diese Regeneration ausführen kann. Im letzteren Falle würde sich, streng genommen, nur ein Organ, im ersteren Falle das ganze Antimer, zum actuellen physiologischen Individuum gestalten. Ein zweiter Seestern, bei welchem der gleiche Fall häufig vorzukommen scheint, ist A s t e r a c a n t h i o n t e n u i s p i n u s , eine im Mittelmeer nicht seltene A r t , von welcher wir zahlreiche Exemplare im Hafen von Messina gesammelt haben. Sie hat 5—10, meistens 6 - 8 Arme, und wie der vorige Seestern, eine sehr kleine Scheibe, (Scheibenradius zum Armradius = 1:4—1). Madreporenplatten sind gewöhnlich 2— 3 vorhanden. Auch bei diesem Seestern fällt die grosse Zahl der Individuen auf, deren Arme von sehr ungleicher Länge sind. Doch fanden wir nur zwei Exemplare mit einem einzigen colossalen Arme, während die übrigen (in einem Fall 6, im andern 7) Arme noch ganz klein und offenbar eben erst hervorgesprosst waren. Drei Exemplare zeigten einerseits zwei starke und lange Arme neben einander, andererseits diesen gegenüber fünf sehr kurze Arme, in zwei Fällen ungefähr i , im dritten nur j so lang, als die beiden unter sich fast gleich langen grossen Arme. Ein Exemplar hatte 3 grosse Arme neben einander, diesen gegenüber 7 noch nicht halb so lange unter sich fast gleiche Arme. Nicht weniger als sieben Exemplare hatten einerseits 4 lange und dicke, andererseits 3—6 kurze und dünne Arme. Die übrigen beobachteten Exemplare, 11 an der Zahl, hatten 6—9 ziemlich gleich lange Arme, oder nur 1—3 kleine, offenbar in Regeneration begriffene Stummel zwischen den grösseren. Vergleicht man diese Fälle, so würden strenggenommen nur die beiden ersterwähnten neben die von O p h i d i a s t e r m u l t i f o r i s erwähnten Fälle zu stellen, und als Antimeren, die sich zu actuellen physiologischen Individuen mittelst Regeneration zu gestalten begannen, zu betrachten sein. In den anderen Fällen, wo offenbar ebenfalls gespaltene Personen vorlagen, die den verloren gegangenen, meist grösseren Theil der Scheibe regenerirten, haben wir es nicht mehr mit einem einzelnen, sondern bereits mit einer Mehrzahl von Antimeren zu thun, die gemeinsam ein physiologisches Individuum repräsentiren. Die grosse Anzahl der Fälle, in denen der ganze Seestern aus 2 sehr ungleichen Hälften, der einen mit 4 grossen, der anderen mit 3—6 kleinen Armen zusammengesetzt ist, lässt die Vermuthung aufkommen, dass es sich hier um einen Akt freiwilliger Halbirung (Dimidiatio spontanea), mit nachheriger Regeneration des Ganzen von jeder Hälfte aus handle. Indessen wird, angesichts des Mangels anderweitiger Beispiele spontaner Selbsttheilung bei den Echinodermen, sowohl hier bei A s t e r a c a n t h i o n t e n u i s p i n u s , als dort bei O p h i d i a s t e r m u l t i f o r i s , die Annahme vielleicht mehr Wahrscheinlichkeit für sich haben, dass die virtuellen Bionten, welche sich zu actuellen zu ergänzen vermögen, nicht einem natürlichen Selbsttheilungs-Acte in Folge innerer Wachsthumsverhältnisse, sondern einer künstlichen Spaltung durch zufallige äussere Einflüsse
ΠΙ. Die Antimeren ale Bionten.
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(Yerstümmelnng) ihren Ursprung verdanken. Ob aueh die merkwürdige Fähigkeit niederer Echinodermen ( S y n a p t a ) , sich selbst freiwillig in zahlreiche Stücke zu zerbrechen, mit diesen Vorgängen bei Seesternen zusammenzustellen sei, ist nicht zu entscheiden, da man nicht weiss, ob die einzelnen Stücke der S y n a p t a das Yermögen besitzen, als virtuelle Bionten sich zu einer vollständigen Person zu ergänzen. Wäre Dieses aber auch der Fall, so würden diese Theilstücke nicht den Formwerth von Antimeren, sondern von Metameren, oder von Metameren-Gruppen besitzen. Unter den Coelenteraten scheint einen ausgezeichneten F a l l von virtueller Individualisation der Antimeren das S t o m o b r a c h i u m m i r a b i l e darzubieten, eine Meduse, welche nach K ö l l i k e r durch wiederholte Strahltheilung in einzelne Strahlstücke zerfallen soll, die sich zur actuellen Medusen-Form zu ergänzen vermögen. Doch ist dieser merkwürdige Selbsttheilungs-Process in seinen einzelnen Beziehungen noch nicht näher untersucht, und es ist noch fraglich, ob die kleinsten Strahlstücke, welche durch fortgesetzte Diradiation entstehen, wirklich einzelne Antimeren, oder nicht vielmehr Antimeren-Gruppen sind. III. C. D i e A n t i m e r e n a l s p a r t i e l l e B i o n t e n .
Einzelne Theilstücke höherer Organismen, welche, abgelöst vom Ganzen, selbstständig fortzuleben vermögen, ohne sich zum actuellen Bion zu ergänzen, treten, wie wir vorher sahen, häufig in Gestalt von Organen, aber wohl nur selten in Gestalt von Antimeren auf. Man kann als solche partielle Bionten vom Formwerthe einzelner Antimeren ζ. B. einzelne abgerissene Seestern-Arme nebst zugehörigem Scheibenstücke betrachten, welche unter Umständen längere Zeit sich selbstständig zu erhalten fähig sind, ohne doch zu einem actuellen Bion sich vollständig entwickeln zu können. Doch sind diese Fälle selten und von keiner grossen Bedeutung. Auch bei einigen Hydromedusen kommen dergleichen vor.
IT. Die Metameren als Bionten. P h y s i o l o g i s c h e Individuen vierter Ordnung. Weit häufiger und allgemeiner, als die Antimeren, erhalten die Metameren oder Folgestücke den physiologischen Werth eines selbstständigen Bion. Es vermögen häufig isolirte Metameren als partielle Bionten ihre Existenz zu fristen (ζ. B. die Proglottiden der Bandwürmer). Ferner finden sich Metameren als virtuelle Bionten im Entwickelungskreise aller höheren Thiere und Pflanzen vor. Endlich giebt es grosse Abtheilungen des Thierreichs, ζ. B. die Mollusken, welche als actuelle Bionten fast allgemein nur den Formwerth von Metameren erhalten.
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Physiologische Individualität der Organismen. IV. Λ. Die M e t a m e r e n a l s a c t a e l l e B i o n t e n .
Dass in ansehnlichen Abtheilungen des Thierreichs das physiologische Individuum nicht, wie bei den meisten Thieren, den morphologischen Werth der Person, sondern den des Metameres, also nicht den Formwerth fünfter, sondern nur vierter Ordnung besitzt, ist bisher gänzlich übersehen, oder doch bei der herrschenden allgemeinen Unklarheit über den Individualitäts-Begriff nicht richtig erkannt worden. In der That erhebt sich aber die reife Species-Fonn als actuelles Bion sehr oft nicht zu derselben tectologischen Stufe, zur Höhe der Person, welche sie bei den Wirbelthieren, Arthropoden und Echinodermen erreicht, bleibt vielmehr vorher eine Stufe niedriger, auf der Metameren-Form, stehen. Es ist dies der Fall bei den meisten Thieren, welche als actuelle Bionten nicht selbst aus Metameren zusammengesetzt sind, also ζ. B. bei den allermeisten Mollusken (allen höheren und den „ solitären - ' niederen Formen), bei vielen niederen Würmern (Trematoden etc.) und bei vielen Coelenteraten (einem Theile der Hydromedusen, Ctenophoren etc.). Um diese neue Auffassung zu rechtfertigen, müssen wir von der Betrachtung des Articulaten-Stammes ausgehen, in welchem die niederen Formen auf der Metameren-Stufe Stehen bleiben, während die höheren Formen durch Aggregation von Metameren, die hinter einander liegen, MetamerenKetten, d. h. Personen bilden. Bei allen Arthropoden und bei allen, unmittelbar sich an sie anschliessenden, gegliederten Würmern (Anneliden, Cestoden) kann kein Zweifel sein, dass sie als reife Species-Repräsentanten (actuelle Bionten) den morphologischen Werth der Person, des Form-Individuums fünfter Ordnung, besitzen, ebenso gut wie die einzelnen Wirbelthiere. Wie bei letzteren, besteht ihr individueller Köiper aus einer Kette hintereinander gelegener Metameren, deren jedes aus zwei seitlichen Antimeren zusammengesetzt ist. Jedes Antimer ist wiederum aus einer Summe von zusammengesetzten und einfachen Organen construirt, und diese Organe selbst sind wieder Mehrheiten von Piastiden. Es besteht also bei allen Wirbelthieren und höheren Articulaten (Arthropoden und gegliederten Würmern) der ganze Körper des actuellen Bion aus einer Summe von subordinirten Form-Individuen erster bis vierter Ordnung, und ist mithin selbst ein Form-Individuum fünfter Ordnung, eine Person. Der einzige Unterschied zwischen den Wirbelthieren und Arthropoden einerseits, und den gegliederten Würmern andererseits, besteht darin, dass die Metameren bei letzteren unter einander sehr gleichartig und daher von einander sehr unabhängig, dagegen bei ersteren sehr ungleichartig (differenzirt) und daher vom Qanzen und von einander sehr abhängig sind. Wenden wir uns nun von den höheren Articulaten zu den niederen, so treffen wir hier wesentlich verschiedene Verhältnisse an. Bei allen Infusorien (die wir für eine Ausgangsgruppe der Articulaten halten), bei den ihnen nächstverwandten Turbellarien, bei den Trematoden und .Nematoden
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IV. Die Metameren ale Bionten.
ist der Körper des actuellen Bion weder äusserlich noch innerlich gegliedert und es beweist die gesammte Structur desselben hinreichend, dass er nicht einem ganzen Anneliden-Bion, sondern nur einem einzelnen Metamere desselben morphologisch aequivalent, mithin nicht ein Individuum fünfter, sondern vierter Ordnung ist. Diese Auffassung wird aufs Bestimmteste bestätigt durch die interessante Gruppe der Bandwürmer, bei denen die höheren Formen den gegliederten Anneliden, die niederen den ungegliederten Trematoden morphologisch äquivalent sind. Die meisten Cestoden, insbesondere die. meisten Taeniaden, Tetraphyllideen und viele Pseudophyllideen erscheinen als eine schar! gegliederte Kette von „Segmenten" oder „Einzelthieren." Jedes der letzteren (Proglottis) ist zweifelsohne einerseits einem einzelnen „Segmente" eines Anneliden, andererseits einem ganzen ungegliederten Trematoden morphologisch gleichwertig. Das letztere wird namentlich durch die merkwürdigen einfachen, ungegliederten oder solitären Bandwürmer der Caryophyllideen - Familie bewiesen, welche auch als actuelle Bionten nur den Werth einer einzelnen Proglottis und eines einzelnen Trematoden besitzen. Ebenso wie bei Caryophyllaeus entwickelt sich bei einigen Tetraphyllideen ( E c h e n e i b o t h r i u m minimum) jede Proglottis selbstständig zu einem actuellen Bion, indem sie sich frühzeitig vom Scolex ablöst und isolirt zur Geschlechtsreife heranwächst. Die ganze Bandwurmkette (Strobila) der socialen Cestoden ist mithin einem ganzen Annelid morphologisch vollkommen aequivalent, also ein Form-Individuum fünfter Ordnung. Die gewöhnliche Ansicht, dass der „ganze Bandwurm" (ζ. B . von Taenia, Bothrioeephalus) ein echter Stock, d . h . ein FormIndividuum sechster Ordnung sei, ist falsch, und dadurch bedingt, dass man niemals gehörig die ganz verschiedenen Ordnungen der morphologischen Individualität unterschieden hat. Das letztere ist hier allerdings zum Theil auch dadurch erschwert worden, dass die Zusammensetzung des gegliederten Körpers aus Metameren bei vielen Würmern sehr undeutlich wird, ζ. B . bei vielen Pseudophyllideen unter den Cestoden, bei den meisten Acanthocephalen (wo jedoch Echinorhynchus agilis u n d E. moniliformis sehr deutlich gegliedert ist), bei den meisten Nemertinen (wo die Zusammensetzung aus einer Metamerenkette aber auch bisweilen äusserlich durch ringförmige Einschnürungen oder Zeichnungen und stets innerlich durch die Wiederholung der hinter einander gelegenen Darmtaschen und Genitaldrüse η sehr deutlich ausgesprochen ist), und bei den Hirudineen (wo sie durch das gegliederte Benchmark und die Wiederholung der Schleifencanäle etc. ebenfalls unzweifelhaft dargethan ist). Wir können demgemäss allgemein unter den Würmern hinsichtlich ihrer tectologischen Ausbildung zwei Stufen unterscheiden, nämlich solche, bei denen das actuelle Bion ein Metamer und solche, bei denen es eine Person ist. Unter letzteren können als zwei Untergruppen solche Würmer unterschieden werden, bei welchen der Zusammenhang der Metameren ein sehr lockerer und solche, bei welchen er ein inniger ist. E s wird dies durch folgende Zusammenstellung übersichtlich werden: Erste Gruppe der Würmer: U n g e g l i e d e r t e W ü r m e r : das actuelle Bion ist ein einziges M e t a m e r , also ein Fora-Individuum v i e r t e r Ordnung: die U a e c k e l , Generelle Morphologie.
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Physiologiche Individualität der Organismen.
solitären Bandwürmer: Caryopliyllaeue, Eeheneibothrium, alle Trematoden und Turbellarien (nach Ausschloss der Nemertinen), alle Nematoden (?) und Gephyreen (?) Zweite Gruppe der Würmer: G e g l i e d e r t e W ü r m e r : das actuelle Bion ist eine Kette von Metameren, also ein Form-Individuum f ü n f t e r Ordnung, eine P e r s o n . Erste Abtheilung: die durch terminale Kuospung entstandenen Metameren bleiben innig verbunden uud sind oft äusserlich nicht zu unterscheiden: U n d e u t l i c h g e g l i e d e r t e W ü r m e r : Sociale Bandwürmer aus der Psendophyllideen-Familie (Ligula, Triaenophorus), Nemertinen, Acanthocephalen (?), Hirudineen, Sagitta (mit zwei Metameren). Zweite Abtheilung: die durch terminale Knospung entstandenen Metameren trennen sich schärfer von einander, und sind auch äusserlich deutlich zu unterscheiden: D e u t l i c h g e g l i e d e r t e ' W ü r m e r : Sociale Bandwürmer aus den Familien der Taeniaden und Tetraphyllideen, einige Acanthocephalen (Echinorhynchusayili.* uud E. moniliformis), die meisten Anneliden.
Unzweifelhaft ist also bei den gegliederten Würmern das actuelle Bion, wie bei den Wirbelthieren und Arthropoden, eine Person, ein morphologisches Individuum fünfter Ordnung, bei den ungegliederten Würmern dagegen ein Metamer, ein Form-Individuum vierter Ordnung. Das letztere gilt nun auch von allen M o l l u s k e n , mit Ausnahme der socialen „ stockbildenden" Tunicaten und Bryozoen. Ueberall fehlt hier gänzlich die Gliederung, die Zusammensetzung aus einer Kette hinter einander gelegener Metameren, und es bleibt also das sogenannte Einzelthier, welches aus zwei Antimeren zusammengesetzt ist, stets auf der vierten Individualitätsstufe stehen, bildet selbst ein einziges Metamer. Es wird dies sofort klar, wenn wir die Mollusken mit den ungegliederten Würmern vergleichen, au die sie sich unmittelbar anreihen. Bekanntlich sind einige Schnecken (Gasteropoden) den niederen Würmern sehr nahe verwandt, und insbesondere schliessen sich die niedersten Opisthobranchien unmittelbar an die Turbellarien an, von denen sie oft (Rhodope) kaum zu unterscheiden sind. Die Tectologie der actuellen Bionten ist hier wesentlich die gleiche, wie dort. Ganz so verhalten sich aber auch in der Zusammensetzung des Körpers aus zwei Antimeren und dem gänzlichen Mangel jeder Gliederung alle anderen, nicht „stockbildenden" Mollusken, nämlich erstens alle Cephaloten oder kopftragenden Mollusken (Cephalopoden, Cochleen) und zweitens alle „ Einzelthiere" unter den kopflosen Mollusken oder Acephalcn (alle Lamellibranchien und Brachiopoden, und unter den Tunicaten die Ascidiae simplices, die Appendicularien, Doliolum und die solitären Generationen der Salpen. Alle diese Mollusken haben als ausgebildete reife Species-Repräsentanten nur den morphologischen Rang eines Metameres. Dasselbe gilt endlich auch von allen actuellen Bionten unter den Coelenteraten, welche nicht aus Metameren zusammengesetzt sind, also von allen Ctenophoren, allen Medusen und allen denjenigen
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Γν. Die Metameren ale Bionten/
Polypen (Hydroidpolypen sowohl als Anthozoen), welche nicht gegliedert, d. h. nicht mit Böden oder Dissepimenten versehen, oder äusserlich wenigstens geringelt sind. Alle diese ungegliederten „Einzelthiere" der Coelenteraten, mögen sie nun aus vier Antimeren bestehen, wie die meisten Medusen, oder aus acht, wie alle Ctenophoren und Alcyonarien (Octactinien), oder aus sechs, wie die Zoantharien, haben als actuelle Bionten nur den morphologischen Werth eines einzigen Metameres, und sind also, gleich den Mollusken, Trematoden und Proglottides nicht ..eigentliche Individuen" (d. h. Personen), wofür man sie gewöhnlich anzusehen pflegt. Unter den Pflanzen erreichen zahlreiche Cryptogamen als actuelle Bionten nur den Metameren-Werth, nämlich alle diejenigen, welche nur aus mehreren Antimeren, nicht aus mehreren Metameren zusammengesetzt sind, wie das bei vielen Thallophyten der F a l l ist. Selten dagegen findet sich dieser Fall bei den Phanerogamen, wo nur die „einfachen Pflanzen ohne Stengelglieder" dahin gerechnet werden können, ζ. B. Lemna. Auch diese ist als actuelles Bion ein einfaches Metamer, falls man nicht wenigstens gewisse Formen derselben richtiger als actuelle Antimeren betrachten muss. I V . B.
Die Metameren als virtuelle
Bionten.
Nicht minder grosse Bedeutung als die actuelle, besitzt die virtuelle Individualität der Metameren. Wir raltssen nämlich nach den oben angeführten Grundsätzen alle Entwickelungszustände von Personen oder Sprossen für virtuelle Metameren halten, welche bereits aus zwei oder mehreren Antimeren, aber noch nicht aus Metameren zusammengesetzt sind. Demgemäss ist ζ. B. der Wirbelthier-Embryo ein virtuelles Bion in Metameren-Form von dem Momente an, wo durch Auftreten des Primitivstreifens die Sonderung in zwei Antimeren eintritt, bis zu dem Momente, wo durch Erscheinen der Urwirbel die Sonderung in eine Kette von mehreren Metameren geschieht. Ebenso ist der Arthropoden-Embryo so lange ein einfaches Metamer, als nicht die Gliederung oder Segmentirung erscheint. Der Bandwurm-Scolex aus den Familien der Taeniaden, Tetraphyllideen etc. ist so lange ein virtuelles Metamer, als er nicht Proglottiden erzeugt. Gleicherweise ist der Phanerogamen - Embryo so lange ein Metamer, als nicht durch Gliederung der Plumula die Anlage einer Metameren - Kette gebildet wird. In allen diesen Fällen ist der vorübergehende Entwickelungszustand der Person ein virtuelles Bion vom morphologischen Werthe eines einfachen Metameres, von dem Momente an, wo das Bion aus zwei oder mehreren Antimeren zus ammengesetzt erscheint, bis zu dem Momente, wo dasselbe durch Knospung (Gliederung) zu einer Metameren-Kette, d. h. zu einer Person wird.
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Physiologische Individualität der Organismen.
Weiterhin müssen wir dann aber auch als virtuelle oder potentielle Bionten alle diejenigen einzelnen Metameren, ζ. B. bei vielen Anneliden, betrachten, welche fähig sind, sich von der Kette des actuellen Bion abzulösen und selbstständig (durch terminale Knospung) zu einer Metameren-Kette (Person) zu ergänzen. IV. C. D i e M e t a m e r e n a l s p a r t i e l l e B i o n t e n .
Wie fllr die allgemeine Unterscheidung der actuellen und virtuellen, so liefern auch für das Verständniss der partiellen Bionten die Metameren als physiologische Individuen vierter Ordnung ausgezeichnet klare und treffende Beispiele. Wir können diese eben so wichtigen, als schwierigen, und bisher gänzlich vernachlässigten Verhältnisse der physiologischen Individualität nicht besser erläutern, als durch wiederholten Hinweis auf den Articulaten-Stamm, und insbesondere auf die Würmer, deren niedere Formen uns aufs klarste den Unterschied zwischen der actuellen, virtuellen und partiellen Erscheinung der physiologischen Individualität zeigen. Wie wir unter der Bandwürmer-Gruppe in dem ausgebildeten Caryophyllaeus und Echeneibothrium die besten Beispiele für die actuelle, in dem Scolex der Taeniaden für die virtuelle, so finden wir daselbst in den freien Proglottiden die klarsten Beispiele für die partielle Erscheinungsweise der physiologischen Individualität in der Form des Metameres. Die freien Proglottiden der Taenien, welche gewöhnlich irrthttmlich für „eigentliche Individuen", d. h. für Personen, gehalten werden, sind lediglich einzelne Metameren, welche bei vielen Cestoden-Arten (Taenia mediocanellaia etc.) in ausgezeichneter Weise als partielle Bionten eine selbstständige Existenz zu fristen vermögen. Als scheinbar selbstständige physiologische Individuen vermögen sich diese abgelösten FolgestUcke der Strobila (des actuellen Bion) längere oder kürzere Zeit zu erhalten und umher zu bewegen, ohne doch d£r Entwickelung zum actuellen Bion fähig zu sein. Sie leisten hier als individualisirte Metameren dasselbe, wie die Hectocotylen als individualisirte Organe, wie die männlichen Yallisnerien als individualisirte Personen. Wir können kein besseres Beispiel für den Character des partiellen Bion überhaupt anführen. Weniger vollständig als bei den Cestoden ist die Individualisation der Metameren als partieller Bionten bei vielen anderen Würmern (ζ. B. Anneliden), bei denen ebenfalls einzelne Segmente (Metameren) sich ablösen und längere oder kürzere Zeit selbstständig fortleben können, ohne doch die Fähigkeit zu besitzen, sich durch terminale Knospung zu einer Metameren-Kette, d. h. einer Person, zu ergänzen.
Υ. Die Personen als Bionten.
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Τ. Die Personen als Bionten. Physiologische Individuen fünfter Ordnung. Die Person oder das Prosopon ist von allen morphologischen Individualitäten, wie wir oben gesehen haben, insofern die hervorragendste, als sie bei der grossen Mehrzahl aller Thiere und Pflanzen als physiologisches Individuum auftritt, und zwar bei den meisten Thieren als achielles, bei den meisten Pflanzen als virtuelles und als partielles Bion. Da der Mensch, gleich allen anderen Wirbelthieren, im reifen Zustande (als actuelles Bion) den Formwerth eines morphologischen Individuums fünfter Ordnung hat, so wurde von ihm aus der Begriff des ..Individuums - auf die übrigen Organismen übertragen, und somit in der oben schon erläuterten Weise der Grund zu der allgemeinen Verwirrung gelegt, in welcher sich die Individualitätslehre bisher fand. Sobald wir einerseits scharf unterscheiden zwischen morphologischem und physiologischem Individuum, andererseits zwischen den verschiedenen Ordnungen der morphologischen Individualität, so lichtet sich dieses verworrene Dunkel, und es zeigt sich, dass die Person als Bion bei Weitem nicht die übermässige Bedeutung und Ausdehnung besitzt, welche man, von der beschränkten subjectiven Betrachtung des Menschen ausgehend, ihr allgemein zugeschrieben hat. Dadurch wird jedoch die hohe Bedeutung der Person, welche sie als die allgemeine Darstellungsform der physiologischen Individualität bei allen höheren Thieren besitzt, keineswegs gemindert. Wir haben oben (p. 325) als ζλνβϊ wesentlich verschiedene Formen der Person die Ketten-Person (Prosopon catenatum) und die Busch-Person (Prosopon fruticosum) unterschieden, erstere durch terminale, letztere durch laterale Knospenbildung von Metameren entstanden. Sowohl jene als diese können als actuelle, virtuelle und partielle Bionten zur Erscheinung kommen. V. A. D i e P e r s o n e n als a c t u e l l e B i o n t e n .
Die grösste Wichtigkeit als actuelle Bionten besitzen die Personen im Thierreiche, da die reife ausgebildete Repräsentativform der Species bei der grossen Mehrzahl aller Thiere durch morphologische Individuen fünfter Ordnung gebildet wird. Es ist dies der Fall beim Menschen und allen übrigen Wirbelthieren, bei allen Arthropoden, allen „gegliederten" Würmern (Anneliden, Nemertinen, den meisten Cestoden etc.), ferner bei allen Echinodermen und allen denjenigen Polypen (sowohl Anthozoen als Hydroidpolypen), welche keine echten „Stöcke" bilden, sondern als Einzelthiere leben, die durch horizontale (auf der Längsaxe senkrechte) Scheidewände oder Böden (Tabulae,
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Physiologische Individnalität der Organismen.
Diseepimenta), oder auch nur durch entsprechende ringförmige äussere Einschnürungen, in eine Reihe von über (hinter) einander liegenden Stockwerken oder Gliedern eingetheilt sind, ζ. B. viele Actinien, die unverästelten Personen einzelner Isidinen. Auch die Ketten der echten Salpen können hierher gerechnet werden. Bei allen diesen Thieren sind die actuellen Bionten entschiedene Ketten-Personen, d. h. aus einer Vielheit von Metameren zusammengesetzt, welche in einer einzigen Reihe in der Längsaxe des Körpers hinter einander liegen und durch terminale Knospung entstehen. Eben solche P r o s o p a c a t e n a t a sind im Pflanzenreiche die meisten sogenannten „einfachen Pflanzen" der Phanerogamen und Gefäss-Cryptogamen, d. h. aus mehreren Stengelgliedern zusammengesetzte Sprosse, welche keine Zweige (Seitensprosse) und nur eine einzige, einfache terminale Blüthe tragen, also keine echten Stöcke bilden. Unter den Phanerogamen sind es nur sehr wenige Species, deren actuelle Bionten constant als solche ganz einfache Personen auftreten, da die allermeisten Species entweder verzweigte (aus secundären geschlechtslosen Sprossen zusammengesetzte) Stöcke bilden, oder doch einen zusammengesetzten Blüthenstand (einen aus sexuellen Sprossen zusammengesetzten Stock) tragen. Dagegen kommen solche ganz einfache actuelle Personen häufiger als Ausnahme bei solchen Species vor, die gewöhnlich Stöcke bilden (ζ. B. Radiola linoides, Erythraea pulchella, Saxifraga tridactylites etc.). Viel seltener, als diese gegliederten Ketten-Personen, welche man auch Personen im engeren Sinne nennen kann, treten die Personen der anderen Hauptform, die Busch-Personen ( P r o s o p a f r u t i c o s a ) ale actuelle Bionten auf. Es ist hier, wie wir oben sahen, jede einzelne Person aus einer Vielheit von Metameren zusammengesetzt, welche niemals in einer Reihe (in der Hauptaxe) hinter einander, sondern in verschiedenen Höhen oder in gleicher Höhe neben einander liegen, und durch laterale Knospung eines Metameres entstehen. Dies ist verhältnissmässig häufig bei niederen Pflanzen (Thallophyten), aber nur sehr selten bei höheren Pflanzen der Fall, nämlich bei verzweigten Phanerogamen ohne Sprossgliederung (ζ. B. Viscum). Viel häufiger finden sich solche Busch-Personen als actuelle Bionten im Thierreiche, besonders bei den Mollusken, wo die meisten Bryozoen und eine Anzahl Tunicaten (viele zusammengesetzte Ascidien) hierher gehören, auch die Ketten der Salpellen (Salpa pinnala etc.) Ferner müssen wir als solche auch alle diejenigen falschen CoelenteratenStöcke betrachten, deren Hauptspross und deren Seitensprossen nicht gegliedert (geringelt oder tabulirt) sind, ζ. B. viele Coryniden unter den Hydroidpolypen und Perforaten unter den Anthozoen.
V. Die Personen ale Bionten.
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V. B. D i e P e r s o n e n a l s v i r t u e l l e B i o n t e n .
Wie die morphologischen Individuen fünfter Ordnung bei den meisten Thieren als actuelle, so treten sie bei den meisten Pflanzen als virtuelle Bionten auf. Wir nennen dieselben dann Sprosse oder Blasti. Bei den allermeisten Phanerogamen erscheint der Embryo, welcher die Eihttllen durchbricht, zunächst als eine einfache, gegliederte Pflanze, d. h. als eine Person, welche fähig ist, durch laterale Knospung Seitensprosse (ebenfalls Personen) zu treiben, und so einen echten Stock (Cormus) zu bilden. Da also bei den meisten Phanerogamen der Cormus das actuelle Bion ist, so kann die Person oder der Spross, aus deren Vielheit erstere besteht, nur das virtuelle Bion sein, und also nicht das „eigentliche Individuum", wie oft behauptet wurde. Die virtuelle Individualität der Pflanzen-Sprosse zeigt sich auch darin, dass die geschlechtslosen Personen, d. h. die n Blattsprosse" t fast immer die Fähigkeit besitzen, abgelöst vom Stocke, sich wiederum zu einem neuen Stocke zu entwickeln, indem sie durch laterale Knospung neue gegliederte Sprosse treiben, die zu einem Cormus vereinigt bleiben. Diese virtuelle Individualität der Sprosse ist fttr die künstliche Cultur der Pflanzen äusserst wichtig, weil auf derselben die so allgemein benutzte Möglichkeit beruht, die Pflanzen willkürlich auf ungeschlechtlichem Wege durch Ableger, Absenker etc. zu vermehren und durch Pfropfen, Oculiren etc. zu veredeln. Ganz in derselben Weise, wie bei den meisten Phanerogamen, treten die Personen als virtuelle Bionten bei sehr vielen Coelenteraten auf, nämlich "bei fast allen denjenigeu, welche echte Stöcke bilden, d. h. Colonieen von gegliederten Personen. Auch hier sind, wie bei den Pflanzen, gewöhnlich die einzelnen abgelösten Sprosse fähig, sich durch Bildung von Seitensprossen alsbald wieder zu neuen Cormen zu entwickeln. In den allermeisten Fällen sind die Personen, welche als virtuelle Bionten auftreten, Ketten-Personen. Aber auch Buschpersonen können dieselbe Function übernehmen. Es ist dies ζ. B. bei vielen Tunicaten, Bryozoen und diesen ähnlichen Coelenteraten-Colonieen der Fall, deren Pseudo-Cormen oder Buschpersonen sich zur Bildung echter Stöcke zu vervielfältigen vermögen, λνίβ ζ. B. bei den Botrylliden. Bei diesen zusammengesetzten Ascidien vermag jede Buschperson („System von Einzelthieren") sich zu einem zusammengesetzten Stocke zu entwickeln. Auch bei Thallophyten kommt dieser Fall vor. V. C. D i e P e r s o n e n a l s p a r t i e l l e B i o n t e n .
Weit geringere Bedeutung als die actuelle und virtuelle, hat fttr die Personen die partielle Individualität. Die Fälle, dass Personen eines Stockes sich spontan von diesem ablösen und ihre selbstständige
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Physiologische Individualität der Organismen.
Existenz fortführen, ohne sich selbst wieder zu einem Stocke zu entwickeln, sind verhältnissmässig selten. Gewöhnlich finden wir vielmehr, dass Personen (Sprosse), welche künstlich oder natürlich von einem Stocke abgelöst werden, virtuelle, und nicht bloss partielle Bionten sind. Ein ausgezeichnetes Beispiel von partieller Individualität bietet uns die merkwürdige Wasserpflanze Vallisneria spiralis, bei welcher die kurzgestielten männlichen Personen (Blüthensprosse) sich zur Blüthezeit vom Stocke trennen, um an die Oberfläche des Wassers zu gelangen und dort schwimmend die langgestielten weiblichen Personen zu befruchten. Dieser interessante Fall bietet die merkwürdigste Analogie mit den Medusen, den Proglottiden der Taenien und den Hectocotylen der Cephalopoden. In allen drei Fällen lösen sich geschlechtsreife Theile vom actuellen Bion ab, um als partielle Bionten selbstständig zu erscheinen. Bei Vallisneria sind es morphologische Individuen fünfter, bei den Medusen und den Proglottiden vierter, beim Hectocotylus zweiter Ordnung, welche diese scheinbare Selbstständigkeit erlangen. Einen geringeren Grad partieller Individualität zeigen uns die reifen Früchte der Phanerogamen (während die darin eingeschlossenen Samen virtuelle Bionten sind). Selbst die abgerissenen Einzelblüthen der Phanerogamen (Geschlechts-Personen), welche, in Wasser gesteckt, fortblühen, können hier aufgeführt werden. Dasselbe gilt auch von vielen Personen der Coelenteraten, welche abgelöst vom Stocke, noch eine Zeit lang fort vegetiren, ohne sich zu dem actuellen Bion des Stockes ergänzen zu können.
Tl. Die Stocke als Bionten. Physiologische Individuen sechster Ordnung. Da die Stöcke oder Cormen die morphologischen Individuen der letzten und höchsten Ordnung sind, so könnte es zunächst scheinen, als ob in allen Fällen, wo echte, aus einem Complex von mehreren Personen bestehende Stöcke überhaupt vorkommen, dieselben gleichzeitig auch physiologische Individuen sein müssten, und es ist dies in gewissem Sinne richtig. Denn da keine höhere morphologische Individualität Uber dem Stocke steht, so kann derselbe auch niemals als subordinirtes Form-Individuum einer solchen eingefügt sein. Indessen lässt sich doch bei den verschiedenen Cormus-Arten, und insbesondere bei den verschiedenen Formen der zusammengesetzten Stöcke insofern ein Unterschied hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur physiologischen Individualisation nachweisen, als nicht alle einfachen Stöcke, welche an jedem zusammengesetzten Cormus vereinigt sind, in gleichem Maasse als Bionten erscheinen können. Es wird dies sofort klar, sobald man
VI. Die Stöcke als Bionten.
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sich erinnert, dass auch die Blüthenstände der Phanerogamen als besondere Stöcke (als sexuelle Cormen) aufgefasst und von den geschlechtslosen Cormen (verzweigten blüthenlosen Aesten) unterschieden werden müssen. In Beiden verhält sich die physiologische Individualität verschieden. Es sind nicht alle Stöcke in gleichem Maasse fähig, als actuelle, virtuelle und partielle Bionten aufzutreten. VL A. Die S t ö c k e als a c t u e l l e Bionten.
Bei allen Arten von Organismen, welche überhaupt zur Stockbildung gelangen, wird die reife, ausgebildete und fortpflanzungsfähige Species-Form durch das morphologische Individuum sechster Ordnung repräsentirt. Es ist also hier jedes entwickelte und vollkommen ausgebildete Bion ein echter Stock (Cormus) in dem Sinne, wie wir diesen morphologischen Begriff oben festgestellt haben. Dies ist der Fall bei der grossen Mehrzahl aller Phanerogamen und bei sehr vielen Cryptogamen, unter den Thieren aber nur bei einer grossen Anzahl von Coelenteraten (vielen Hydromedusen und Anthozoen) und bei einer geringen Anzahl von Mollusken (Botrylliden und gegliederten Bryozoen). Alle verschiedenen Formen der Stöcke, welche wir oben unterschieden haben, kommen hier vor. Die einfachen Stöcke (Cormi simplices) sind jedoch im Ganzen viel seltener, als die zusammengesetzten (Cormi compositi). Die grösste Mannichfaltigkeit in der Ausbildung der Cormen als actueller Individuen wird einerseits durch das mehr oder minder bedeutende Uebergewicht des Hauptsprosses (Blasius primarius) über die Nebensprosse (Blasti secundarii) bedingt, andererseits durch die ausserordentlich verschiedenartig entwickelte Arbeitstheilung unter den Sprossen, welche den Cormus zusammensetzen. Unter den thierischen Cormen schliessen sich den Phanerogamen in dieser Beziehung am engsten die Siphonophoren-Stöcke an. Der höchst complicirte Aufbau der zusammengesetzten Phanerogamen-Stöcke aus zahlreichen Uber einander geordneten Generationen von einfachen Stöcken führt zur Bildung der colossalsten und gewaltigsten Bionten, welche die organische Natur hervorbringt. Dahin gehören die riesigen Coniferen, welche die grössteAusdehnung der organischen Längsaxe unter allen Landbewohnern zeigen, und unter denen ζ. B. Pitius trigonci, P. strobus, Araucaria excelsa etc. Stämme von gegen 300 Fuss Länge bilden; diese werden nur noch von den meerbewohnenden Algenriesen, der Macrocystis pyrifera etc. übertreffen, deren Hauptsprosse länger als 400 Fuss werden. Das Gewaltigste in der Entwickelung der Kreuzaxen leisten die imposanten Adansonien mit Stämmen von 30 Fuss Durchmesser. Als die Grossartigsten aller physiologischen Individuen müssen wir aber die Manglebäume (Rhizophora) und die indischen Feigenbäume (Ficus indica) betrachten, bei
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Physiologische Individualität der Organismen.
welchen durch bleibenden Zusammenhang zahlreicher zusammengesetzter Stöcke, die aus einem einzigen hervorgehen, diese alle zusammen ein einziges Bion darstellen, oft unter der Form eines ganzen Waldes. Die colossalen Stämme und Kronen dieser ßiesenbäume lassen als höchst zusammengesetzte Stöcke an Volum und Masse Alles weit hinter sich, was je einzelne Personen (ζ. B. Walfische) leisten können. In dieser Beziehung zeigt sich die höhere physiologische Ausbildungsstufe, welche durch Zusammensetzung der Personen zu Cormen erreicht wird, sehr deutlich. Das Thierreich bringt nur im niedersten Stamme, bei den Coelenteraten, ausserdem nur noch bei einigen Mollusken (bei den Botrylliden und gegliederten Bryozoen), actuelle Bionten von echter Cormus-Form hervor und steht also in dieser Beziehung eine Stufe tiefer, als das Pflanzenreich. Doch Ubertreffen auch hier die echten stockbildenden Formen durch colossale Massenentwickeluug bei weitem alle einzelnen Personen, wie schon die Anthozoen-Stöcke der Stldsee zeigen, die ungeheuren inselbildenden Corallen-Riffe. Der quantitative Nachtheil, den die physiologische Individualität der höheren Thiere durch mangelnde Stockbilclung erleidet, wird aber aufgewogen, j a weit überwogen durch den qualitativen Vortheil der freieren Beweglichkeit der Personen, welche bei allen höheren Thieren als actuelle Bionten fuDgiren. Ausserdem tritt dann hier noch an die Stelle der gebundenen Stockbildung die freiere Gemeinden- und Staaten-Bildung. Die Arbeitstheilung entwickelt sich hier in nicht minderem Maasse als dort, und die nothwendige Wechselwirkung der thierischeu Personen, die in Heerden, Familien, Gemeinden, Staaten beisammen leben, ist nicht weniger innig, als diejenige, welche zwischen Personen eines und desselben Stockes stattfinden muss. Der einzige Unterschied ist, dass hier ein materielles und continuirliches, dort ein ideelles und contiguirliches Band die Vielheit der Personen zur Einheit der Gemeinde zusammenhält. Wenn wir demgemäss auch die freien Staaten der Menschen und der anderen höheren Thiere niemals als morphologische Individualitäten auffassen können, so werden sie dennoch als actuelle Bionten in weiterem Sinne zu betrachten sein. Die mehr oder minder innigen Vereinigungen von vielen Personen, welche die actuelle physiologische Individualität der Gemeinde und des Staates bilden, sind bisher nicht näher von tectologischem Standpuncte aus als ideelle Aequivalente der Cormen, der Form-Individuen sechster Ordnung, untersucht worden.. Die Bildungs-Gesetze sind hier wie dort dieselben. Die Staaten der Menschen sind ebenso wie diejenigen der anderen Thiere nach den Gesetzen der Aggregation und des Polymorphismus gebildet. Auch die verschiedenen Staatsformen wiederholen sich bei den verschiedensten Thiergruppen. Viele Thiere,
VI.
Die Stöcke als Biontea.
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namentlich Arthropoden, und unter diesen besonders die Ameisen, Ubertreffen viele menschliche Staaten durch die reine Entwickelung der republicaniechen Staatsform, der höchsten und vollkommensten Synusie, welche grösste Freiheit mit vernünftigster Einheit verbindet. V I . B. D i e S t ö c k e a l s v i r t u e l l e
Bionten.
Da alle selbstständigen echten Stöcke zur Zeit der vollständigen Reife eo ipso auch actuelle Bionten sind, so können wir als potentielle oder virtuelle Bionten alle jene Stöcke betrachten, welche noch nicht zur vollständigen Keife, die sie später erreichen, gelangt sind* also alle Pflanzenstöcke, welche noch nicht geblüht, alle Polypenstöcke' welche noch nicht Geschlechtsproducte erzeugt haben. Ueberhaupt können alle einfachen Stöcke, welche sich zu zusammengesetzten zu entwickeln vermögen, als potentielle Bionten gelten. Ausserdem werden wir aber auch alle einfachen geschlechtslosen Stöcke, welche sich im Verbände zusammengesetzter Stöcke vorfinden, ζ. B. alle verzweigten blüthenlosen Aeste als virtuelle Bionten betrachten können, insofern sie, losgelöst vom Ganzen, fähig sind, sich selbstständig wieder zu einem zusammengesetzten Stock zu entwickeln. Ausgeschlossen sind hiervon die geschlechtlich differenzirten Stöcke (Inflorescentien oder Blüthenstände) der Phanerogamen, welche sich niemals zu einem zusammengesetzten Stocke als actuellem Bion ergänzen können. V I . G. D i e S t ö c k e a l s p a r t i e l l e
Bionten.
Als scheinbare oder partielle Bionten können wir nur diejenigen Stöcke betrachten, welche, abgelöst von actuellen zusammengesetzten Stöcken, nicht, gleich den so eben erwähnten, fähig sind, eich wieder durch Wachsthum zu ergänzen und zu einem vollständigen zusammengesetzten Cormus zu entwickeln, sondern nur längere oder kürzere Zeit nach ihrer Ablösung noch eine selbstständige Existenz zu fristen vermögen. Es ist dies der Fall ζ. B. bei den einfachen Stöcken, welche die zusammengesetzten Cormen der Siphonophoren bilden. Erstere vermögen sich von letzteren abzulösen und als partielle (aber nicht virtuelle) Bionten weiter zu leben. Ferner gehören hierher die geschlechtlich differenzirten Stöcke oder die sogenannten Blüthenstände (Inflorescentien) der Phanerogamen, welche, künstlich oder zufällig abgelöst vom Hauptstock, ebenso wie Einzelblüthen (Personen) noch eine Zeit lang weiter blühen, aber nicht wieder zum actuellen Bionten sich ergänzen können. Dieselben stehen dadurch in einem bemerkenswerthen Gegensatze zu den geschlechtslosen Personen der Phanerogamen (Blattsprossen), welche gerade umgekehrt die virtuelle Individualität in hohem Maasse und sehr allgemein besitzen.
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Tectologische Thesen.
Elftes Capitel. Tectologische Thesen. „Eine Erfahrung, die aus mehreren anderen besteht, ist offenbar von einer höheren Art. Auf solche Erfahrungen der höheren Art loszuarbeiten halte ich fiir höchste Pflicht des Naturforschers, und dahin weist uns das Exempel der vorzüglichsten Männer, die in diesem Fache gearbeitet haben."
Goethe.
I. Thesen von der Fundamental-Structur der Organismen. 1. Alle morphologischen Eigenschaften der Organismen, sowohl ihre anatomischen, als ihre Entwickelungs-Erscheinungen, und von den anatomischen Eigenschaften sowohl die tectologischen als die promorphologischen Verhältnisse, sind die nothwendigen Folgen mechanischer wirkender Ursachen.1) ') Indem wir am Schlüsse dieses dritten Buches und der folgenden drei Bücher eine Anzahl von allgemeinen Grundsätzen der organischen Morphologie in Form von „ T h e s e n " aussprechen, wollen wir damit nicht sowohl eine „ G e s e t z s a m m l u n g d e r o r g a n i s c h e n M o r p h o l o g i e · ' begründen, als vielmehr einen Anstoss und Fingerzeig zu einer solchen Begründung geben. Es liegt auf der Hand, dass wir gegenwärtig noch in keiner Weise befähigt sind, eine continnirliche Kette von morphologischen Gesetzen zu entwickeln, die nur einigermaassen auf unbedingte mathematische Gültigkeit und Anerkennung rechnen und sich eine lange Lebensdauer versprechen könnte. Eine Wissenschaft, die noch so sehr in primis cunabulis liegt wie die Morphologie der Organismen, muss noch bedeutende Metamorphosen durchmachen, ehe sie es wagen kann, für ihre allgemeinen Sätze den Bang von unbedingten ausnahmslos wirkenden Naturge-
Tectologische Theses.
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2. Jeder Organismus oder belebte Naturkörper ist eine materielle Raum grosse (Masseneinheit), welche als solche aus einer Summe von Massen-Atomen und zwischen denselben befindlichen Aether-Atomen zusammengesetzt ist. 3. Die Massen-Atome, welche jeden Organismus zusammensetzen, gehören mindestens vier verschiedenen Atom-Arten (chemischen Elementen oder Urstoffen) an, welche zu sehr verwickelten Verbindungen in demselben vereinigt sind. 4. Die chemischen Verbindungen, aus welchen jeder Organismus zusammengesetzt ist, sind theils constant«, welche allen Organismen gemeinsam zukommen, theils inconstante, welche einem Theile der Organismen besonders zukommen. 5. Die constanten, allen Organismen ohne Ausnahme zukommenden chemischen Verbindungen sind Kohlenstoff-Verbindungen aus der Gruppe der Eiweisskörper (Albuminate, Protein-Verbindungen), welche alle mindestens aus vier verschiedenen Atom-Arten: Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff zusammengesetzt sind; meistens zugleich noch aus Schwefel und oft aus Phosphor. 6. Die inconstanten, nur einem Theile der Organismen zukommenden chemischen Verbindungen sind theils organische (kohlenstoffhaltige) Verbindungen (Fette, Kohlenhydrate etc.), theils anorganische (kohlenstofffreie) Verbindungen (Alkali-Salze, Kalk-Salze, Kiesel-Verbindungen etc.). 7. Von den chemischen Verbindungen, welche das materielle Substrat jedes Organismus bilden, befindet sich immer wenigstens ein Theil (und zwar ausnahmslos ein Theil der constanten Eiweiss-Verbindungen) im festflttssigen Aggregatzustande (Imbibitions-Zustande). 8. Alle Eigenschaften der Organismen sind die unmittelbaren oder mittelbaren Wirkungen der chemischen Verbindungen, aus denen sie zusammengesetzt sind, und in letzter Linie der Massen-Atome und Aether-Atome, aus welchen jene chemischen Verbindungen zusammengesetzt sind. 9. Alle Eigenschaften der Organismen sind entweder physiologische setzen in Anspruch zu nehmen. Eine Anzahl solcher Gesetze glauben wir allerdings gefunden und in dem vorliegenden Werke begründet zu haben. Wir sind aber nicht im Stande, mit der erforderlichen Sicherheit zu sagen, welche von den hier formulirten allgemeinen Wahrheiten wirkliche Gesetze, welche bloss Segeln sind, welche davon eine ganz allgemeine, welche eine beschränktere Gültigkeit haben. Statt daher das Schlusscapitel jedes unserer vier morphologischen Bücher mit dem mehr versprechenden als leistenden Titel: „ T h e o r i e e n u n d G e s e t z e " zu schmücken, ziehen wir es vor, die Primordien derselben, gemischt mit einigen allgemeinen R e g e l n , als „ T h e s e n " zusammenzufassen, deren weitere Entwickelung zu Gesetzen wir von unsern Nachfolgern hoffen.
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Tectologische Thesen.
(Bewegungs-Erscheinungen der Massen-Atome und der aus ihnen zusammengesetzten Moleküle) oder morphologische (Lagerungs-Verhältnisse der Massen-Atome und der aus ihnen zusammengesetzten Moleküle). 10. Die Leistungen oder Functionen der Organismen (physiologische Eigenschaften oder Lebenserscheinungen) sind als Bewegungen (Anziehungen und Abstossungen) der Atome und Moleküle nur in einer Reihe von Zeitmomenten erkennbar und als solche Object der Physiologie (Biodynamik). 11. Die Formen oder Morphen der Organismen (morphologische Eigenschaften oder Lebensbilduugen) sind als Ruhezustände (Gleichgewichtszustände) der Atome und Moleküle nur in einem einzigen Zeitmomeute erkennbar und als solche Object der Morphologie (Biostatik). 12. Die Massen-Bewegungen (Anziehungen und Abstossungen der Atome und Moleküle in den organischen Verbindungen), welche wir Lebens-Erscheinungen nennen, erfolgen innerhalb jedes Organismus nach denselben ewigen und unabänderlichen Gesetzen der die gesammte Natur beherrschenden Notwendigkeit, wie alle BewegungsErscheinungen in der anorganischen Natur; alle sind mithin die n o t wendigen Folgen wirkender Ursachen (nach dem allgemeinen CausalGesetz). 13. Die Ruhezustände (Gleichgewichts-Zustände) der Atome und Moleküle in den organischen Verbindungen, welche wir Lebens-Formen nennen, werden durch dieselben ewigen und unabänderlichen Gesetze der absoluten Nothwendigkeit bedingt, wie alle gesetzmässigen Formen in der anorganischen Natur (Krystalle); alle sind mithin die nothwendigeu Folgen wirkender Ursachen (nach dem allgemeinen CausalGesetz). 14. Die Masse-Bewegungen der organischen Atome und Moleküle, deren Endresultat die Lebens-Formen sind, gehen immer aus von den niemals fehlenden, sehr beweglichen und veränderlichen Eiweiss-Verbindungen, welche die „active" organische Materie oder den „ Lebensstoff" im engeren Sinne bilden.
II. Thesen von der organischen Individualität. 15. Jeder einzelne Organismus als lebendige Masseneinheit erscheint in der Form einer einheitlich abgeschlossenen und selbstständigen Raumgrösse, welche ganz oder theilweise von festflüssiger organischer Materie gebildet wird und eine einheitliche Summe von Leistungen (Lebens-Erscheinungen) ausführt.
Tectologische Thesen.
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16. Jeder einzelne Organismus, vom morphologischen Standpunkte aus betrachtet und bloss hinsichtlich seiner formellen Individualität als Einheit untersucht, erscheint als ein morphologisches Individuum. 17. Jeder einzelne Organismus, vom physiologischen Standpunkte aus betrachtet und bloss hinsichtlich seiner functionellen Individualität als Lebens-Einheit untersucht, erscheint als physiologisches Individuum oder Bion.1) 18. Das Bion oder das physiologische Individuum als Lebenseinheit ist an ein materielles Substrat gebunden, welches entweder ein einziges einfaches morphologisches Individuum oder ein einheitlicher Complex (Synusie, Colonie) von zwei oder mehreren, innig verbundenen einfachen morphologischen Individuen ist. 19. Jeder einheitliche Complex (Synusie oder Colonie) von zwei oder mehreren, innig verbundenen einfachen morphologischen Individuen, welcher ein natürliches Ganze, eine selbstständige Formeinheit bildet, ist als ein morphologisches Individuum zweiter oder höherer Ordnung zu betrachten. 20- Alle morphologischen Individuen, welche im Thierreiche, im Protistenreiche und im Pflanzenreiche als materielle Substrate der Biouten, als Träger der einheitlichen Lebens-Erscheinung auftreten, lassen sich in sechs subordinirte Stufen oder Ordnungen gruppiren, welche wir, von unten nach oben aufsteigend, mit folgenden morphologisch bestimmten Ausdrücken bezeichnen: 1) das Plasmastück (Plastis); 2) das "Werkstück (Organon); 3) das Gegenstück (Antimeros); 4) das Folgestück (Metameros); 5) die Person (Prosopon); 6) der Stock (Cormos). 21. Jede einzelne Form-Einheit höherer Ordnung ist eine Vielheit (Synusie oder Colonie) von mehreren vereinigten Formeinheiten der vorhergehenden niederen Ordnungen. 22. Nur die Plastide (entweder Cytode oder Zelle) als das morphologische Individuum erster und niederster Ordnung ist demnach ein wirklich einfaches Form-Individuum; alle übrigen morphologischen Individuen (zweiter bis sechster Ordnung) sind stets zusammengesetzte Individuen oder Colonieen (Synusieen, Coniplexe). ') Um den schleppenden und vielsylbigen Ausdruck des „physiologiechen Individuums" zu vermeiden, haben wir denselben durch den kurzen und bezeichnenden Ausdruck des B i o n ersetzt, (ό βίος, τό ό>·). Entsprechend würde sich das morphologische Individuum kurz a l s M o r p h o n bezeichnen lassen (ή μορφή, τό or). Wir haben indessen den Gebrauch dieser Bezeichnung hier vermieden, um nicht allzuviele neue Kunstausdrücke (deren wir ohnehin schon eine grosse Anzahl zur Bezeichnung neuer Begriffe bedürfen) in die organische Morphologie einzuführen. Da jede der sechs verschiedenen morphologischen Individualitäten ihre eigene bestimmte Bezeichnung besitzt, so kommt der Ausdruck „morphologisches Individuum" überhaupt viel seltener zur Anwendung.
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Tectologische Thesen. Ill- Thesen von den einfachen organischen Individuen.
23. Die Plastide oder das Plasmastück, als das einzige einfache organische Individuum, ist das allgemeine Form-Element aller Organismen, die gemeinsame Grundlage aller Thiere, Protisten und Pflanzen ohne Ausnahme. 24. Jede lebende Plastide ohne Ausnahme besteht aus einem zusammenhängenden Stucke einer festflüssigen Eiweiss - \ T erbindung (Plasma), welche den eigentlich activen Lebensstoff repräsentirt, indem sie in beständiger chemischer Umsetzung begriffen ist, und dadurch die Lebens-Bewegungen veranlasst. 25. Alle die endlos mannichfaltigen und verschiedenartigen morphologischen und physiologischen Eigenschaften der Organismen sind lediglich die unmittelbaren oder mittelbaren Wirkungen der endlos mannichfaltigen und verschiedenartigen atomistischen Zusammensetzung der Eiweiss-Verbindungen, welche als individuelle Plasmaklumpen das Plasma der Piastiden bilden. 26. In allen Piastiden ist das Plasma entweder der einzige active Bestandtheil (das „ Lebenselement"), oder es hat sieh im Innern des Plasma ein zweiter activer Bestandtheil aus demselben differenzirt, der Kern oder Nucleus, welcher aus einer von dem Plasma verschiedenen Eiweiss-Verbindung besteht. 27. Die Zellen, als Piastiden mit Plasma und Kern, sind demnach als eine höhere Entwickelungsstufe, von den unvollkommeneren Cytoden, den einfachen Plasmaklumpen ohne Kern zu unterscheiden. 28. Alle Formbestandtheile der Piastiden, und also der Organismen überhaupt (als einfacher Piastiden oder Plastiden-Complexe), welche nicht actives Plasma oder activer Kern sind, werden als passive oder secundäre von jenen activen oder primären Plastiden-Theilen gebildet, entweder äusserlich (Zellenmembranen und Intercellular-Substanzen) oder innerlich (innere Plasma-Producte). IT- Thesen von den zusammengesetzten organischen lndividnen29. Alle morphologischen und physiologischen Eigenschaften der zusammengesetzten organischen Individuen (zweiter bis sechster Ordnung) sind die nothwendige Wirkung der sie constituirenden einfachen Individuen (Piastiden) und zwar iu letzter Instanz ihrer activen Bestandtheile (Plasma und Kern). 30. Die Composition der zusammengesetzten Individuen aus Aggregaten von einfachen Individuen erfolgt in den Organismen aller drei Reiche (Thieren, Protisten und Pflanzen) nach denselben einfachen Gesetzen.
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Tectologische Thesen.
31. Dae Organ (in rein morphologischem Sinne, als das morphologische Individuum zweiter Ordnung) ist ein Complex von zwei oder mehreren vereinigten Plastiden (Cytoden oder Zellen). 32. Das Antimer oder der homotype Stücktheil ist ein Complex von zwei oder mehreren vereinigten Organen. 33. Das Metamer oder der homodyname Sttlcktheil ist ein Complex von zwei oder mehreren vereinigten Antimeren. 34. Die Person oder das Prosopon ist ein Complex von zwei oder mehreren vereinigten Metameren. 3ö. Der Stock oder Cormus ist ein Complex von zwei oder mehreren vereinigten Personen.
V· Thesen von der physiologischen Individualität. 36- Jede bestehende Art oder Species von Organismen ist aus allen physiologischen Individuen zusammengesetzt, welche unter nahezu gleichen Yerbältnissen oder doch unter sehr ähnlichen Existenz-Bedingungen eine nahezu gleiche oder doch sehr ähnliche Formenreihe während ihrer individuellen Entwickelung durchlaufen. 37. Für jede Art oder Species von Organismen ist die Stufe der morphologischen Individualität, welche das vollständig reife und ausgebildete physiologische Individuum repräsentirt, eine constante, welche wir mit dem Ausdruck des actuellen Bion bezeichnen. 38. Wirklich einfache Organismen-Species können bloss die Monoplastiden genannt werden, d. h. diejenigen Arten, bei welchen das actuelle Bion sowohl, als alle Entwickelungsstadien desselben, den Formen-Werth einer einzigen Plastide (entweder einer Cytode oder einer Zelle) besitzen.1) 39. Alle Organismen-Arten, welche als actuelle Bionten aus zwei oder mehreren Plastiden zusammengesetzt sind, und demgemäss den Form-Werth eines morphologischen Individuums zweiter bis sechster Ordnung haben, können als zusammengesetzte Organismen-Species oder Polyplastiden bezeichnet werden. 40. Alle Organismen, welche als actuelle Bionten durch morphologische Individuen zweiter bis sechster Ordnung dargestellt werden (also alle zusammengesetzte Organismen-Species), durchlaufen während ihrer individuellen Entwickelung die vorhergehenden niederen Individualitätsstufen, von der ersten an. ') Monoplastiden sind also sowohl alle echt „einzelligen" (monocyten) Organismen (ζ. B. die solitären Diatomeen), als auch alle „kernlosen einzelligen" (also monocytoden) Organismen, ζ. B. Caulerpa nnd andere kernlose Siphoneen. H a e c k e l , Generelle Morphologie.
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Tectologieche Thesen.
41. So lange das Bion sich auf einer morphologischen Individualitätsstufe befindet, welche niedriger ist, als diejenige, welche es später als actuelles Bion erreicht, muss dasselbe entweder als virtuelles oder als partielles bezeichnet werden. 42. Als virtuelles oder potentielles Bion muss das physiologische Individuum unterschieden werden, wenn dasselbe die Fähigkeit besitzt, sich zu der höheren morphologischen Individualitätsstufe zu entwickeln, welche dem actuellen Bion seiner Species eigentümlich ist 43. Als partielles oder scheinbares Bion dagegen muss das physiologische Individuum angesehen werden, wenn es zwar die Fähigkeit besitzt, als selbstständige Lebenseinheit längere oder kürzere Zeit zu existiren, nicht aber sich zu der morphologischen Individualitätsstufe zu entwickeln, welche dem actuellen Bion seiner Species eigentümlich ist. 44. Sowohl die actuellen, als die virtuellen, als die partiellen Bionten können als materielles Substrat jede der sechs morphologischen Individualitäts-Ordnungen haben. 45. Alle physiologischen Individuen, gleichviel welche morphologische Individualitäts-Ordnung ihr materielles Substrat bildet, sind in allen ihren Leistungen und Form-Verhältnissen auf die morphologischen Individuen erster Ordnung, die Piastiden (Cytoden und Zellen) als „Elementar-Organismen" zurückzuführen, da jedes Bion entweder selbst eine einfache Plastide (Monoplastis) oder ein Aggregat (Synusie, Colonie, Complex) von mehreren Piastiden ist (Polyplastis). 46. Sämmtliche physiologische und morphologische Eigenschaften eines jeden polyplastiden Organismus erscheinen mithin als das nothwendige Gesammtresultat aus den physiologischen und morphologischen Eigenschaften aller Piastiden, welche denselben zusammensetzen. VI. Thesen von der tectologischen Differenzirung und Centralisation. 47. Die Structur oder der Bau (die innere Form) der Organismen ist das Verhältniss der einzelnen constituirenden Bestandtheile der Organismen zu einander und zum Ganzen. 48. Bei den monoplastiden Organismen, welche als actuelle Bionten stets auf der ersten morphologischen Individualitätsstufe stehen bleiben, ist demnach die Structur durch das Verhältniss der (activen) constituirenden Plasma-Moleküle und der von ihnen producirten anderen (passiven) Stoff-Moleküle zu einander und zum Ganzen bestimmt. 49. Bei den polyplastiden Organismen hingegen, welche als actuelle Bionten die zweite oder eine noch höhere morphologische Individualitätsstufe erreichen, ist die Structur durch das Verhältniss bestimmt, welches die constituirenden morphologischen Individuen von
Tectologische Thesen.
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allen untergeordneten, and in letzter Instanz von der ersten Individualitäts-Stufe zu einander und zum Ganzen einnehmen. 50. Die verschiedenen Grade der morphologischen Vollkommenheit, welche die verschiedenen Organismen-Arten zeigen, sind theils durch ihre tectologischen, theils durch ihre promorphologischen Eigenschaften bedingt,, also weder allein durch die Structur, noch allein durch die Grundform.1) 51. Die verschiedenen Grade der Vollkommenheit der Organismen sind, insofern sie unmittelbar auf den Structur-Verhältnissen beruhen, durch mehrere verschiedene tectologische Momente bestimmt, welche wesentlich auf dem gegenseitigen Verhältniss der aggregirten morphologischen Individuen verschiedener Ordnung zu einander und zum Ganzen beruhen. 52. Der Organismus ist um so vollkommener, je höher der morphologische Individualitäts-Grad ist, zu welchem er sich erhebt, je grösser also die Zahl der untergeordneten Individualitätsstufen ist, welche ihn zusammensetzen. 53. Der Organismus ist, falls er aus gleichartigen Piastiden zusammengesetzt ist, um so vollkommener, je grösser die Anzahl der constituirenden Piastiden ist. ') Wir haben es im Vorhergehenden vermieden, die verwickelte Frage von der „Vollkommenheit und Unvollkommenheit, der höheren nnd niederen Stellang, der zusammengesetzten und einfachen Natur" der verschiedenen Organismen-Arten speciell zu erörtern, deren Behandlung bei den verschiedenen Autoren das klarste Bild von der chaotischen Verwirrung und dem Mangel fester Begriffsbestimmungen in der organischen Morphologie liefert. Nicht allein hat man fast allgemein versäumt, die ganz verschiedene Art der Vollkommenheit oder Auebildungsstufe zu unterscheiden, welche durch die Differenzirung der Structur, und diejenige, welche durch die Differenzirung der Grundform bedingt ist; sondern man hat oft selbst nicht zwischen physiologischer und morphologischer Vervollkommnung unterschieden. Ferner hat in dieser schwierigen Ffage der Umstand sehr verhängnissvoll die Verwirrung vermehrt, dass man nicht allein in jeder kleineren, sondern auch in den grösseren Organismen-Gruppen bestrebt war, alle existirenden Formen in einer einzigen aufsteigenden Stufenleiter der Vollkommenheit hinter einander zu ordnen. Diese Vorstellung ist aber grundfalsch, da wegen der allgemeinen „Divergenz der Charactere" überall die verwandten Formen und Formengruppen in das baumförmige Schema von coordinirten und subordinirten, niemals in das leiterförmige Schema von bloss subordinirten Ausbildungsstufen geordnet werden müssen. Allein schon aus diesem Umstände, der im sechsten Buche näher erläutert wird, ist es sehr wichtig, die verschiedenen A r t e n oder Modi der Vollkommenheit, des zusammengesetzteren und einfachen Baues, der höheren und niederen Stellung, scharf zu unterscheiden. Das Wichtigste ist hierbei zunächst die Trennung der wesentlich verschiedenen tectologischen und promorphologischen Differenzirung, des Ausbildungsgrades der Structur und der Grundform.
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Tectologieche Thesen.
54. Der Organismus ist, falls er aus ungleichartigen Piastiden zusammengesetzt ist, um so vollkommener, j e ungleichartiger die constituirenden Piastiden sind (Gesetz der Differenzirung der Piastiden). 55. Jede morphologische Individualität irgend einer Ordnung ist um so vollkommener, je ungleichartiger die in Mehrzahl vorhandenen Individuen der nächst tieferen Ordnung sind, welche sie constituiren, je grösser also deren Polymorphismus (Arbeitstheilung, Differenzirung) ist. 56. Der Organismus ist um so vollkommener, je abhängiger die gleichartigen Individualitäten, welche ihn zusammensetzen, von einander und vom Ganzen sind, und je mehr also der ganze Organismus centralisirt ist, und alle subordinirten Individualitäten beherrscht (Gesetz der Centralisation). 57. Jedes einzelne Form - Individuum irgend einer Ordnung ist dagegen um so vollkommener, je unabhängiger dasselbe von seinen coordinirten Genossen (den anderen Form-Individuen derselben Ordnung) und je unabhängiger es zugleich von dem übergeordneten Ganzen ist (Gesetz der individuellen Autonomie). 58. Der Organismus ist um so vollkommener, je höher zwischen allen untergeordneten Individualitäten, welche ihn zusammensetzen, der Grad der Arbeitstheilung und der Grad der Wechselwirkung ist, je grösser mithin die Differenzirung und die Centralisation des ganzen Organismus ist.
VII. Thesen von der Vollkommenheit der verschiedenen Individualitäten. 59. Die Form-Individuen erster Ordnung, die Piastiden (Cytoden und Zellen), sind allgemein um so vollkommener, je grösser die Anzahl der constituireuden Plasinamoleküle ist, je differenter ihre atomistische Zusammensetzung und folglich ihre physiologische Function ist, je abhängiger mithin dieselben von einander und von der ganzen Plastide sind, und je mehr die ganze Plastide centralisirt und von dem etwa übergeordneten Organe unabhängig ist. 60. Die Form-Individuen zweiter Ordnung, die Organe, sind allgemein um so vollkommener, je grösser die Anzahl ihrer constituirenden Piastiden ist, je differenter deren chemische Zusammensetzung und folglich auch ihre physiologische Function ist, je abhängiger mithin die Piastiden von einander und vom ganzen Organ sind, und je mehr das ganze Organ centralisirt und von dem etwa Ubergeordneten Antimer unabhängig ist. 61. Die Form-Individuen dritter Ordnung oder Antimeren sind allgemein um so vollkommener, je grösser die Anzahl der constituirenden Organe, je differenter deren histologische Zusammensetzung, und
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folglich auch ihre physiologische Function ist, j e abhängiger mithin die Organe von einander und vom ganzen Antimer sind, und j e mehr das g a n z e Antimer centralisirt und von dem etwa übergeordneten Metamer unabhängig i s t . ' ) 62. Die Form-Individuen vierter Ordnung, die Metameren oder Folgestücke, sind allgemein um so vollkommener, j e differenzirter, j e ungleichartiger ihre homotypische, organologiache und histologische Zusammensetzung, und folglich auch j e vielseitiger ihre physiologische Function i s t , j e abhängiger mithin die constituifenden Piastiden, Organe und Antimeren von einander und vom ganzen Metamer sind, und j e mehr das ganze Metamer centralisirt und von der etwa übergeordneten Person unabhängig ist. 63. D i e Form-Individuen fünfter Ordnung, die Personen oder Prosopen, sind allgemein um so vollkommener, j e differenzirter, j e ungleichartiger ihre h o m o d y n a m e , homotypische, organologische und histologische Zusammensetzung, uud folglich auch j e vielseitiger ihre physiologische Function ist, j e abhängiger mithin die constituirenden Piastiden, Organe, Antimeren und Metameren v o n einander und vom ganzen Prosopon sind, und j e stärker die ganze Person centralisirt und von dem etwa übergeordneten Stocke unabhängig ist.
') Die vielfachen tectologischen Schwierigkeiten, welche bei den höheren Organismen dadurch entstehen, dass die verschiedenen morphologischen Individualitäten sich auf das Vielfältigste durch einander weben und oft in der verwickeltsten Weise verbinden, sind zum Theil von uns schon in den vorhergehenden Capiteln besprochen worden. Besonders leicht können in dieser Hinsicht Täuschungen durch die gegenseitige Dnrchflechtung der Metameren und Antimeren, sowie der Organe, welche als Epimeren und Parameren in ihrer gegenseitigen relativen Lagerung ähnliche Complicationen zeigen, hervorgerufen werden (vgl. p. 311, 316). Zum Theil liegt auch hierin der Grund, dass die homotypen und homodvnamen Verhältnisse bisher überhaupt so wenig berücksichtigt und nicht gehörig aufgeklärt worden sind. Was das wichtige tectologische Verhältniss der Antimeren zu den Metameren betrifft , so wollen wir hier schliesslich noch ausdrücklich hervorheben, dass wir bei der Tectologie der Personen, insofern sie deren Zusammensetzung aus Antimeren betrifft, stets die Zahl der Antimeren, ebenso wie bei den Metameren, und unabhängig von der Anzahl der letzteren bestimmen, weil diese hierbei ohne Einfluss ist. Strenggenommen müssten wir einem Wirbelthier, welches aus vierzig Metameren besteht, achtzig Antimeren zuschreiben, weil jedes Metamer aus zwei Antimeren besteht. Wir schreiben aber der ganzen Person hier nur zwei Antimeren zu, weil die gleiche homotype Zusammensetzung sich in allen homodynamen Abschnitten wiederholt. Ebenso schreiben wir einer fünfstrahligen Blüthe mit sechs fünfgliederigen Blattkreisen (Metameren) oder einem fünfarmigen Crinoid mit sechs Metameren nicht dreiesig, sondern fünf Antimeren zu. Die Beachtung dieser Bestimmung ist besonders von grosser Bedeutung für die richtige Erkenntniss der Grundformen.
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Tectologische Thesen.
64. Die Form-Individuen sechster Ordnung, die Stöcke oder Cormen, sind allgemein um so vollkommener, je differenzirter, je ungleichartiger ihre prosopologische, homodyname, homotypische, organologische und histologische Zusammensetzung, und folglich auch je vielseitiger ihre physiologische Function ist, je abhängiger mithin die constituirenden Piastiden, Organe, Antimeren, Metameren und Personen (Sprosse) von einander und vom ganzen Stocke sind, und je stärker also der ganze Stock centralisirt ist.
Viertes Buch Zweiter Theil der allgemeinen Anatomie.
Generelle Promorphologie oder
Allgemeine Grundformenlehre der Organismen. (Stereometrie der Organismen.)
»Freudig war seit vielen Jahren Eifrig so der Geist bestrebt, Zu erforschen, zu erfahren, Wie Natur im Schaffen lebt. Und es ist das ewig Eine, Das sich vielfach offenbart; Klein das Grosse, gross das Kleine, Alles nach der eignen Art, Immer wechselnd, fest eich haltend, Nah und fern, und fern und nah So gestaltend, umgestaltend — Zum Erstaunen bin ich da." Goethe.
L Die Froinorphologie ale Lehre von den organischen Grundformen. 3 7 7
Zwölftes Capitel. Begriff und Aufgabe der Promorphologie. „Was man an der Natnr Geheimnissvolles pries, Das wagen wir verständig zn probiren, Und was sie sonst organisiren liess, Das lassen wir krystallisiren." Goethe.
1. Die Froinorphologie als Lehre von den organischen Grundformen. Die P r o m o r p h o l o g i e oder G r u n d f o r m e n l e h r e der Organismen ist die gesammte W i s s e n s c h a f t von der ä u s s e r e n Form der o r g a n i s c h e n I n d i v i d u e n , und von der stereom e t r i s c h e n G r u n d f o r m , welche d e r s e l b e n zu G r u n d e liegt, und auf deren Erkenntniss durch Abstraction sich jede wissenschaftliche Darstellung einer organischen Form stutzen muss. Die Aufg a b e d e r o r g a n i s c h e n P r o m o r p h o l o g i e i s t mithin die E r k e n n t n i s s und die E r k l ä r u n g der o r g a n i s c h e n individuellen Gesammtform durch i h r e s t e r e o m e t r i s c h e Grundform d. h. die Bestimmung der idealen Grundform durch Abstraction aus der realen organischen Form, und die Erkenntniss der bestimmten Naturgesetze, nach denen die organische Materie die äussere Gesammtform der organischen Individuen bildet. Begriff und Aufgabe der organischen Promorphologie, wie wir sie hier feststellen und bereits oben (p. 30, 46, 49) im Allgemeinen erörtert haben, sind bisher noch nicht Gegenstand von eingehenden morphologischen Untersuchungen gewesen. Die Vorwürfe, welche die
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Begriff und Aufgabe der Promorphologie.
meisten Zoologen und Botaniker hinsichtlich der allgemeinen Vernachlässigung der Tectologie verdienen, gelten in noch höherem Maasse hinsichtlich der Promorphologie. Nur sehr wenige Naturforscher haben versucht, in der scheinbar gesetzlosen und ganz unberechenbaren Formenmannichfaltigkeit des Thier- und Pflanzenreichs nach der Erkenntniss allgemeiner Gesetze zu streben, nach denen diese Formen gebildet sind. Nur Einzelne haben den wenig berücksichtigten Versuch gemacht, mathematisch bestimmbare Grundformen aufzufinden, welche die nothwendige Gesetzlichkeit auch in den complicirtesten Bildungen der organischen Naturkörper verrathen; aber auch diese sind meistens bald vor den grossen Schwierigkeiten zurückgeschreckt, welche einer mathematischen Erkenntniss der organischen Formen entgegenstehen, und welche bei jedem tieferen Eindringen in das ßäthsel ihrer höchst complicirten Bildungen die erstere unmöglich erscheinen lassen. Die anorganische Morphologie ist in dieser Beziehung der organischen unendlich voraus. Derjenige Wissenschaftszweig, welcher dort der organischen Promorphologie entspricht, ist die Krystallographie, und es ist bekannt, welchen hohen Grad wissenschaftlicher Vollendung, vorzüglich durch strenge Anwendung der rein mathematischen Methode, diese „Promorphologie der Anorgane" erlangt hat. Von der Krystallographie lernen wir, dass die Erkenntniss des Wesens der Form nicht durch die blosse Beschreibung der realen Form des Individuums, sondern durch die Construction seiner idealen Grundform gewonnen wird. Der wissenschaftlichen Mineralogie genügt nicht die genaueste äusserliche Beschreibung eines individuellen Krystalles, wenn nicht das Verhältniss seiner verschiedenen Axen und deren Pole zu einander erörtert und daraus die ideale stereometrische Grundform des Krystalles, sein „System" erkannt ist. Bei den Organismen dagegen begnügt man sich fast allgemein mit der blossen Beschreibung entweder der äusseren Oberflächen oder der inneren Structur, und vernachlässigt die ideale stereometrische Grundform, welche auch hier unter der verwickelten individuellen Form verborgen liegt, entweder gänzlich, oder glaubt genug gethan zu haben, wenn man sie entweder als „bilateral-symmetrische" oder als „radial-reguläre" bezeichnet. Wir befinden uns also hier beim Eintritt in die Promorphologie in der seltsamen Lage, die Wissenschaft, deren GrundzUge wir darstellen wollen, nicht allein in den ersten embryonalen Anfängen schlummernd, sondern sogar nicht einmal als selbstständige individuelle Disciplin anerkannt zu finden. Die Promorphologie der Organismen, welche nach unserer Ueberzeugung ein so wichtiger Bestandtheil der organischen Morphologie ist, dass wir ihn sogar der Tectologie als anderen ebenbürtigen Hauptzweig der Anatomie gegen-
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Überstellen, ist in der That als solcher bisher noch von keinem Naturforscher anerkannt, und selbst von den wenigen denkenden Männern, welche ihm ihre Aufmerksamkeit zuwandten, nicht in gehörigem Maasse cultivirt und hervorgehoben worden. Wenn wir daher im Folgenden die Fundamente der organischen Promorphologie für die gesammte Formenwelt der drei organischen Reiche festzustellen versuchen, so haben wir nicht allein mit der grossen Schwierigkeit des Gegenstandes an sich zu kämpfen, sondern in noch höherem Maasse mit den \ 7 orurtheilen der Zeitgenossen, welche grösstenteils diesem ersten Versuche einer „organischen Stereometrie" in erhöhtem Maasse die Ungunst der Beurtheilung zuwenden werden, die unsere morphologischen Reformversuche überhaupt zu erwarten haben. Es erscheint desshalb nothwendig, ehe wir die bisher unternommenen promorphologischen Versuche Uberblicken, den Begriff der organischen Grundform selbst, wie er uns persönlich vorschwebt und im Folgenden speciell untersucht ist, in seiner allgemeinen Bedeutung kurz zu erörtern und festzustellen.
II. Begriff der organischen Grundform im Allgemeinen. Unter organischer Grundform oder Promorphe verstehen wir allgemein denjenigen mathematischen Körper, welcher der äusseren Form jedes organischen Individuums erster bis sechster Ordnung zu Grunde liegt, und welcher mit dieser letzteren in allen wesentlichen Verhältnissen der formbestimmenden Körperaxen und ihrer beiden Pole übereinstimmt. Die ideale stereometrische Grundform sowohl als die reale Form des organischen Individuums, in welcher die erstere verkörpert ist, sind also lediglich durch ihre fest bestimmten Axen und deren beide Pole erkennbar und einer mathematischen Bestimmung fähig. Mithin sind nur diejenigen organischen Individuen von dieser stereometrischen Erkenntniss ausgeschlossen, bei denen wegen absoluten Mangels jeder bestimmten Axe auch eine stereometrische Grundform nicht ausgesprochen ist, nämlich die absolut unregelmässigen oder amorphen Gestalten, welche wir in der Formengruppe der Axenlosen (Anaxonia) zusammenfassen. Diese „axenlosen" organischen Individuen verhalten sich zu der grossen Mehrzahl der „axenfesten" oder Axonien ebenso, wie die amorphen Anorgane zu den Krystallen. Doch lässt sich auch fttr die Anaxonien eine stereometrische Behandlungsweise finden, wie im ersten Abschnitt des dreizehnten Capitels gezeigt werden wird. Die ideale stereometrische Grundform, welche wir in jedem realen organischen Form-Individuum erster bis sechster Ordnung verkörpert
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Begriff and Aufgabe der Promorphologie.
finden, ist eine absolut b e s t i m m t e , eine vollkommen c o n s t a n t e . und daher g e s e t z m ä s s i g e . In dieser Gonstanz der idealen stereometriechen Grundform, d. h. in ihrem nothwendigen causalen Zusammenhange mit den formbildenden Ursachen der realen organischen Form, kurz in ihrer Gesetzmässigkeit, liegt der hohe Werth, den dieselbe für eine wissenschaftliche Erkenntniss und Darstellung der realen organischen Formen besitzt. Es wird nämlich dadurch möglich, alle wesentlichen Form-Verhältnisse jedes organischen Körpers durch den einfachsten Ausdruck mit mathematischer Sicherheit zu bezeichnen. Die einfache Angabe der stereometrischen Grundform jedes morphologischen Individuums gentigt vollkommen, um alle characteristischen Form-Eigenschaften desselben mit einem einzigen Wort zu bezeichnen, an welches dann die Beschreibung der äusseren Einzelheiten sich ohne Mühe anschliessen lässt. In dieser Beziehung ist die Promorphologie der wahre mathematische Grundstein der mechanischen Morphologie der Organismen im Allgemeinen und der descriptiven Jlorphographie im Besonderen. Die F o r m jedes Körpers, als die Summe aller äusseren Grenzflächen, Grenzlinien und Grenzwinkel desselben, ist im Allgemeinen nichts Anderes als das Lagerungsverhältniss der constituirenden Bestandtheile des Körpers, oder, genauer ausgedrückt, das Resultat aus der Zahl und Grösse, der gegenseitigen Lagerung und Verbindung, der Gleichheit oder Ungleichheit aller constituirenden Bestandtheile des Körpers. Wenn wir nun diese allgemeine Definition der Form jedes Körpers auf die ideale organische Grundform übertragen, welche einem morphologischen Individuum bestimmter Ordnung zu Grunde liegt, so zeigt sich auch diese wesentlich als das nothwendige Resultat der Zahl und Grösse, Lagerung und Verbindung, Gleichheit oder Ungleichheit der constituirenden Formbestandtheile, d. h. zunächst der morphologischen Individuen der nächst niederen Ordnung. Schon hieraus ist klar, dass die stereometrische Grundform jedes morphologischen Individuums nicht bloss aus der Oberflächen - Betrachtung seines Aeusseren erkannt werden kann, dass vielmehr dazu eine vollständige Erkenntniss seiner inneren Zusammensetzung aus den subordinirten Formindividuen niederer Ordnung unentbehrlich ist. Obgleich also die Promorphologie wesentlich die Aufgabe hat, die äuss e r e Form jedes gegebenen morphologischen Individuums geometrisch zu erklären, kann sie diese Aufgabe doch nur lösen durch die vorhergegangene tectologische Erkenntniss seiner i n n e r e n Form, seiner Structur. Aus diesem Grunde muss also stets die tectologische Erkenntniss jedes organischen Form-Individuums seiner promorphologischen vorausgehen.') ') Wie wichtig die tectologische Erkenntniss der inneren Structur für das
Π. Begriff der organischen Grundform im Allgemeinen.
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Die organische Grundform ist also keineswegs eine willkührliche Abstraction, welche wir durch beliebige Hervorhebung oder willkührliche Ergänzung einzelner Begrenzungs-Flächen, Linien oder Winkel des organischen Körpers erhalten, sondern sie ist der nothwendige und unveränderliche Ausdruck des constanten Lagerungs-Verhältnisses aller constituirenden Bestandteile der organischen Form zu einander und zum Ganzen. Jedes organische Form-Individuum besitzt also in jedem gegebenen Zeitmomente nur eine einzige constante geometrische Grundform.
III.. Verschiedene Ansichten über die organischen Grundformen. Die allgemeine Existenz constanter 'stereometrischer Grundformen in allen realen morphologischen Individuen ist bisher nicht in dem Sinne, wie wir sie so eben bestimmt haben, anerkannt worden. Zwar haben einige wenige denkende Morphologeu, unter denen namentlich B r o n n , J o h a n n e s M ü l l e r , B u r m e i s t e r , G. J ä g e r hervorzuheben sind, versucht, die verwickelten Thierformeu auf einfache geometrische Grundformen zurückzuführen. Indessen galt es doch bei der Mehrzahl der organischen Morphologeu, und zwar bei den Botanikern noch mehr, als bei den Zoologen, als feststehendes Dogma, dass eine solche Reduction entweder gar nicht oder nur in höchst beschränktem Maasse möglich sei. Vergleicht man in dieser Beziehung die einleitenden Bemerkungen, welche selbst die besseren zoologischen und botanischen Lehrbücher über die allgemeine Form der Thiere und Pflanzen geben, so wird man meistens weiter Nichts finden, als die kurze Angabe, dass der Körper der Organismen, sowohl der Thiere als der Pflanzen, von höchst complicirten gekrümmten Flächen und krummen Linien begrenzt werde, während die reinen Formen der anorganischen Naturkörper, der Krystalle, sich durch ebene Flächen und grade Linien scharf unterscheiden sollen. Es wird sogar diese Differenz als eine der wesentlichsten aufgeführt, welche die beiden grossen Hauptabtheilungen der Naturkörper, organische und anorganische, trennen; auch wird oft noch hinzugefügt, dass eine mathematische Bestimmung der Form, eine Reduction auf einfache geometrische Grundformen, wie sie bei den Kristallen so leicht durchzuführen, und Aufgabe der promorphologische Verstäuduiss der äusseren Form ist, mag das Beispiel der Ctenophoren zeigen. Vielfach wird als deren Grundform das JSi oder das Ellipsoid angegeben, welches aber nur die Grundform der Hautdecken ist; die Promorphe des Ganzen ist vielmehr die achtseitige amphithecte Pyramide. Ebenso ist bei den Cidariden (den regulären Seeigeln) die Grundform nicht die Kngel (diese ist bloss die Grundform der Schale!), sondern die fünfseitige reguläre Pyramide.
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Begriff nod Aufgabe der Promorphologie.
Krystallographie sei, bei den Thieren und Pflanzen auf unüberwindliche Hindernisse stosse. Entweder sollen geometrisch reine Formen, wie die meisten Krystalle (aber auch nur annähernd!) darstellen, im Organismus gar nicht vorkommen, oder ihre Regelmässigkeit soll sieh darauf beschränken, dass die eine Gruppe der Formen symmetrisch oder bilateral, d. h. aus zwei gleichen Hälften zusammengesetzt, die andere Gruppe dagegen regulär oder radial, d. h. aus mehr als zwei gleichen Stücken zusammengesetzt sei. Dem entsprechend werden sämmtliche organische Formen von den meisten Morphologen indrei grosse Gruppen gebracht: I. absolut unregelmässige Formen (nicht halbirbar); II. regelmässige (oder strahlige) Formen (in zwei oder mehreren Richtungen halbirbar); HI. symmetrische (oder zweiseitige) Formen (nur in einer einzigen Richtung halbirbar). Am wenigsten hat bisher die Frage nach der stereometrischen Grundform des Organismus die Botaniker beschäftigt, obschon in vielen Pflanzen dieselbe überraschend rein und scharf ausgesprochen ist, allerdings mehr in einzelnen Theilen (ζ. B. symmetrischen Blättern, pyramidalen Früchten, tctraedrischen und dodecandrischen Pollen-Zellen), als in ganzen Pflanzen höherer Form-Ordnung. S c h l e i d e n sagt bloss: „ R e g e l m ä s s i g nennt man bei der Pflanze solche Formen, die sich mit v i e l e n S c h n i t t e n durch eine angenommene Axe in zwei gleiche Theile theilen lassen, s y m m e t r i s c h dagegen solche, die nur durch e i n e n e i n z i g e n S c h n i t t in zwei gleiche Theile, die sich dann wie rechte und linke Hand verhalten, getheilt werden können." E. Meyer nennt die ersteren (die regulären Formen) c o n c e n t r i s c h e , die letzteren ebenfalls s y m m e t r i s c h e , und unterscheidet als eine dritte Form die d i a p h o r i s c h e n (unseren Dysdipleura entsprechend), bei welcher rechte und linke Hälfte einen organischen Gegensatz (durch ungleiches Wachsthum) bildet, durch welchen ihre Symmetrie theilweis wieder aufgehoben wird. Auch H u g o von Mohl hat in seiner Dissertation „über die Symmetrie der Pflanzen" (1836) nur diese drei verschiedenen Grundformen betrachtet und mit besonderer Rücksicht auf ihre Beziehungen zum Wachsthume und zur Differenzirung (besonders bei den niederen Pflanzen) erläutert, obwohl seine schönen Untersuchungen Uber den Pollen (1834) ihn hätten veranlassen können, die Frage auch von einem weiteren Gesichtspunkte aus zu behandeln und namentlich die rein stereometrische Grundform vieler Zellen hervorzuheben. Er behandelt aber nur die Symmetrie des Thallus, des Stengeis und Blattes und die allmähligen Uebergänge der symmetrischen einerseits in die regulären („concentrischen") andererseits in die diaphorischen (asymmetrischen, unsere dysdipleuren) Formen. Weit allgemeiner und eingehender, als die Botaniker, haben sich die Zoologen mit den organischen Grundformen hinsichtlich ihrer Ein-
IIL Verschiedene Ansichten über die organischen Grandformen.
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theilung in irreguläre, reguläre und symmetrische beschäftigt. Hier ist sogar vielfach die Ansicht verbreitet, dass man symmetrische oder Bilateral-Thiere und reguläre oder Strahl-Thiere als zwei Hauptgrundformen des Thierreiches unterscheiden könne. Zu den bilateralen oder symmetrischen Thieren, bei denen der Körper aus zwei gleichen oder ähnlichen Theilhälften besteht, werden von den meisten Zoologen die drei Stämme der Vertebraten, Articulaten und Mollusken gerechnet, zu den regulären oder strahligen Thieren dagegen, bei denen der Körper aus drei oder mehr gleichen Theilen besteht, die beiden Stämme der Echinodermen und Coelenteraten. Einige Autoren stellen zu den Strahlthieren als einen dritten Stamm auch noch die bunte Collectivgruppe der „Protozoen", während Andere die Gruppe der Strahlthiere auf die Echinodermeu und Coelenteraten beschränken und die Protozoen als eine dritte, unregelmässige oder unsymmetrische Gruppe des Thierreiches aufstellen, bei welcher gleiche Theile überhaupt nicht zu unterscheiden seien. Eine weitere Unterscheidung von thierischen Grundformen, als diese zwei oder drei, ist gewöhnlich nicht zu finden, ebenso wenig eine ausführlichere Erörterung der wichtigen Unterschiede, welche diese Differenzen im ganzen Körperbau bedingen. Von den meisten Zoologen wird diese Frage, welche die wichtigsten Grundsätze der allgemeinen Morphologie berührt, und die ganze Auffassung der organischen Form wissenschaftlich reguliren muss, vielmehr als eine gleichgültige Nebensache vernachlässigt. Derjenige Naturforscher, welcher sich mit diesen morphologischen Grundfragen am eingehendsten beschäftigt hat, ist B r o u n , auf dessen treffliche Arbeiten wir nachher zurückkommen. Ausserdem sind B u r m e i s t e r und G. J ä g e r unter den wenigen Zoologen hervorzuheben, welche auf diese Verhältnisse mehr Gewicht gelegt und darauf sogar eine Eintheilung des ganzen Thierreiehes basirt haben. Die „Strahlform" der Radiaten hat neuerdings A g a s s i z besonders betont. B u r m e i s t e r ' ) theilt das ganze Thierreich nach der dreifach verschiedenen Grundform in drei verschiedene Hauptabtheilungen: I. Irreguläre, II. Reguläre, III. Symmetrische Thiere, und definirt dieselben folgenderniaassen: I. I r r e g u l ä r e T h i e r e (1. Infusorien. 2. Rhizopoden). N i c h t h a l b i r b a r . „Die Oberfläche ist in ihrem Abstände vom Mittelpunkt ohne alles bestimmte Gesetz; d. h. die verschiedenen Punkte der Uberfläche verhalten sich in ihren Distanzen vom Mittelpunkt verschieden, sie folgen absolut keiner angebbaren Regel." II. R e g u l ä r e T h i e r e (1. Polypina, 2. Medusina, 3. Radiata). N a c h m e h r als einer e i n z i g e n R i c h t u n g halbirbar. „Die Oberfläche verhält sich zum Mittelpunkt gesetzlich, aber das Gesetz ist nicht für alle Punkte dasselbe, sondern nur für gewisse, nach e n d l i c h e m Zahlenwerthe bestimmbare. Alle natürlichen Formen dieser Kategorie lassen sich nicht nach un') B u r m e i s t e r , Zoonomische Briefe, 1856, I. Bd., p. 26—36.
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Begriff and Aufgabe der Promophologie.
endlich vielen, sondern nur nach einer beschränkten Zahl von Bichtangen in zwei gleiche Hälften theilen, und die Zahl dieser Bichtangen hängt ab von der Anzahl der gleichen Abstände ihrer äusseren Oberflächenbestandtheile vom Mittelpunkt." III. S y m m e t r i s c h e T h i e r e (1. Mollusca, 2. Arthrozoa. 3. Vertebrata.) N u r n a c h einer e i n z i g e n R i c h t u n g h a l b i r b a r . „Die erste und wichtigste Eigentümlichkeit derselben besteht darin, dass sie keinen blossen Mittelpunkt haben, wonach die Distanzen der Oberfläche sich bestimmen, sondern statt des Punktes eine Linie, eine sogenannte Axe. Gegen diese Axe stellen sich die Oberflächenpunkte stets paarig weit ab, so dass sie von ihr nach entgegengesetzten Seiten hin in gleichen Entfernungen sich befinden. Beide Hälften der symmetrischen Körper verhalten sich wie die Hälften unseres Leibes, die linke und die rechte." Diesen Ansichten B u r m e i s t e r s (1856) schliesst sich im Wesentlichen ein Aufsatz von G u s t a v J ä g e r „Ueber Symmetrie und Regularität als Eintheilungs-Principien des Thierreichs" an 1 ), worin derselbe die Erscheinungsweisen der „regulären" und „symmetrischen" Thiere näher zu erklären und zu definiren versucht. J ä g e r adoptirt B u r m e i s t e r s Eintheilung des Thierreichs in drei grosse Hauptgruppen; die irregulären Thiere (Infusorien, Rhizopoden) neDnt er a x e n l o s e , die regulären oder radiären (Polypen, Medusen, Echinodermen) e i n a x i g e , die symmetrischen oder bilateralen (Weich-, Glieder-, Wirbel-Thiere) z w e i a x i g e Thiere. Diese Hervorhebung der A x e n des Thierkörpers, auf welche zuerst B r o n n hingewiesen hatte, ist von wesentlicher Bedeutung; doch ist die weitere daran geknüpfte Erörterung und die darauf gegründete Benennungsweise keine glückliche. J ä g e r unterscheidet drei Paare von Flächen am Thierkörper, entsprechend den drei Dimensionen des Raumes. Diegleichen Flächen bezeichnet er als p a r a l l e l e , die verschiedenen als p o l a r e . Demnach ist „ein symmetrischer Körper ein solcher, der zwei Polpaare und ein Parallelenpaar hat. Ein regulärer Körper ist ein solcher, der ein Polpaar und zwei Parallelenpaare hat." Das einaxige, reguläre oder radiäre Thier „hat nur ein unpaares sogenanntes Axen-Organ und alle anderen Organe sind in der Mehrzahl in einer zur Axe senkrechten Ebene." Bei dem zweiaxigen, symmetrischen oder bilateralen Thiere dagegen „sind alle Organe, die in der Axenebene liegen und alle aus einem solchen Organe in der Richtung der Axenebene sich secundär entwickelnden Organe unpaar. Dagegen muss die Zahl aller, nicht in der Axenebene liegenden Organe durch zwei dividirbar sein." Wenngleich manche fundamentale Unterschiede zwischen den radialen und bilateralen Thieren hiermit ganz richtig bezeichnet sind, so ist doch die weitere Erörterung derselben und namentlich ihre embryologische Begründung wenig glücklich, ebenso wenig die Behauptung, dass diese drei Hauptgruppen des Thierreiches in ihrer Grundform den drei Hauptabtheilungen des Pflanzenreiches entsprechen, indem die Cryptogamen ') Sitzungsberichte der mathematisch - naturwissenschaftlichen Klasse der Wiener Akademie. 1857. Bd. XXIV, p. 338.
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mit den axenlosen Irregulärthieren, die Monocotylen mit den einaxigen B e · gulärthieren nnd die Dicotvlen mit den festsitzenden symmetrischen Thieren nnd namentlich mit den Brachiopoden zusammenstimmen sollen. Doch ist andererseits als ein Verdienst J ä g e r s hervorzuheben, dass er, namentlich den Behauptungen derjenigen Autoren gegenüber, welche alle Echinodermen und Polypen als bilateral-symmetrische Thiere betrachtet wissen wollten, die radial-reguläre Grundform dieser Thiere aufrecht erhält. Weit umfassender und eingehender als B u r m e i s t e r und J ä g e r , und mit weit tieferem Verständniss für die wirklichen maassgebenden Hanptunterschiede der Grundformen hat der verdienstvolle B r o n n die vorliegenden Fragen behandelt, und das Wichtigste darüber schon 15 Jahre früher (1841) festgestellt. Wie B r o n n zu den wenigen Zoologen unserer Zeit gehörte, welche über dem Einzelnen das Ganze nicht vergessen und neben dem Unterscheidenden auch das Gemeinsame der Naturgestalten zu erkennen streben, so war er durch seine umfassenden allgemeinen Kenntnisse und durch seine denkende und vergleichende Betrachtungsweise der Natur vorzugsweise zur Lösung der vorliegenden Aufgaben befähigt. Doch ist er hierbei im Einzelnen, und namentlich in dem Versuche, einfache geometrische Grundformen für die verschiedenen Thiergestalten aufzustellen, nicht so weit gekommen, als es der richtige Weg, den er einschlug, hätte vermüthen lassen sollen. Die Grundzüge von B r o n n s allgemeinen morphologischen Anschauungen sind schon in seiner trefflichen „Geschichte der Natur" (1841)') niedergelegt, ausführlich erörtert dagegen in den „morphologischen Studien" 2 ) und mit besonderem Scharfsinn bezüglich der Strahlthiere weiter ausgeführt in dem zweiten Bande seiner Klassen nnd Ordnungen des Thierreichs (Actinozoen, 1860), insbesondere in den „Rückblicken auf die neun Strahlthierklassen" (p. 413—423). Β r ο η η adoptirt zwar ebenfalls die übliche Eintheilung der Thierformen in die oben genannten drei Hauptgruppen, welche er als Amorphozoen, Actinozoen und Hemisphenozoen bezeichnet, erörtert jedoch die wesentlichen Unterschiede nnd characteristischen Eigenschaften derselben weit eingehender, als es je von anderer Seite geschehen ist. Am wenigsten zutreffend erscheint die allgemeine Auffassung der Grundformen der Protozoen, oder der irregulären (axenlosen) Thiere, von denen er vier Klassen (1. Spongiae, 2. Polycystina, 3. Uhizopoda, 4. Infusoria) unterscheidet, und die er als f o r m l o s e T h i e r e , A m o r p h o z o a bezeichnet, ein Ausdruck, der nur in dem Sinne zugelassen werden kann, dass „deren Form sich auf keinen g e m e i n s a m e n Grundansdruck zurückführen lässt." Vortrefflich dagegen sind B r o n n s Erörterungen über die Grundform der A c t i n o z o e n oder der regulären (einaxigen) Strahlthiere (Coelenteraten und Echinodermen) und deren verschiedene Modificationen. Die Grundform der radialen oder regulären Actinozoen ist nach B r o n n , wie bei der grossen Mehrzahl aller Pflanzenformen, ein E i oder ein Kegel (Ooid oder Conoid), als diejenige einfachste geometrische Grundform, welche ') H. B r o n n , Geschichte der Natur, I. Bd. 1841, p. 4; II. Bd. 1843, p. 2, 5. 5) H e i n r i c h Georg Bronn, Morphologische Studien über die Gestaltungegesetze der Naturkörper. Leipzig. 1858, p. 39—80. Η a e c k e I , Generelle Morphologie.
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sich von allen anderen unterscheidet durch eine einzige, mit zwei verschiedenen Polen versehene Hauptaxe „während alle möglichen wagerechten (in einer und derselben Ebene liegenden) Axen, die wir uns rechtwinklig zur vorigen liegend vorstellen können, unter sich gleich und gleichpolig sein würden. Denken wir uns in verschiedenen Höhen über einander ganze Wirte 1 von solchen gleichen und gleichpoligen Queraxen, so werden die oberen Wirtel um so mehr an den Eigenschaften des positiven Poles der ungleichpoligen Hauptaxe theilnehmen, je näher sie ihm sind; und die unteren Wirtel mehr den Eigenschaften des negativen Poles entsprechen." Als wesentlicher Unterschied der Ooid- (oder Conoid-)Formen der Pflanzen von denjenigen der Strahlthiere wird dann hervorgehoben, dass bei den ersteren die Entwickelung der regelmässig um die Hauptaxe gruppirten Theile in Spirallinien, bei den letzteren dagegen in concentrischen Parallelkreisen (oder in Meridianlinien) fortschreitet. Die spiral entwickelte OoidForm der Pflanzen, wie sie sich ζ. B. sehr rein ausgeprägt am ConiferenZapfen (Strobilus) zeigt, wird daher als Zapfen-Ei oder S t r o b i l o i d - F o r m bezeichnet, die concentrisch oder radial entwickelte Ooid-Form der Strahlthiere dagegen, wie sie sich ζ. B. in Actinia zeigt, als Strahlen-Ei oder Actinioid-Form. „Die Actinioid-Form der Actinozoen (Coelenteraten und Echinodermen) geht mit vollkommen werdendem Locomotions-Yermögen allmählig in die hemisphenoide über, welche aber keineswegs mit solcher fortschreitenden Vervollkommnung gleichen Schritt hält." Als H e m i s p h e n o i d - F o r m oder Halbkeil bezeichnet B r o n n die bilateral-symmetrische Grundform der zweiaxigen Thiere oder der Weich-, Kerb- und WirbelThiere. „Die Grundform dieser drei oberen Thierkreise ist also vorn und hinten verschieden, unten und oben verschieden, rechts und links gleich. Man kann sie wie in den meisten Krystallen, auf drei unter rechtem Winkel sich schneidende Axen beziehen, welche aber nicht, wie dort gewöhnlich, gleichpolig sind, sondern wovon die zwei wichtigsten, die Längen- und die Höhen-Axe, verschiedene und nur die Quer-Axe gleiche Pole besitzen. Sehen wir uns nach einer geometrischen Form um, welche die genannten Eigenschaften in sich vereinigt, so finden wir den passenden Ausdruck dafür etwa in einem der Länge nach halbirten Keile, einem solchen nämlich, der auf wagerechter Grundfläche ruhend, oben rückwärts ansteigt, mithin unten und oben, hinten und vorn verschieden, und nur rechts und links gleichseitig ist." (Morpholog. Stud. p. 70). Die wichtigsten Erörterungen über diesen Gegenstand, welche wir nun ausser B r o n n s Arbeiten noch anzuführen haben, welche jedoch nur einen einzelnen Theil desselben behandeln, sind die geistvollen Untersuchungen von J o h a n n e s M ü l l e r „über den allgemeinen Typus der Echinodermen" 1 ) und von F r i t z M ü l l e r „über die angebliche Bilateralsymmetrie der Rippenquallen" 2 ). Diese vortrefflichen Arbeiten beziehen sich gerade auf die
') J o h a n n e s M ü l l e r , über den Bau der Echinodermen. Berlin 1854 (Abh. der Berl. Akad.) s ) F r i t z M ü l l e r , Archiv für Naturgesch. ΧΧΥΠ. Jahrg. Bd. I, p. 320.
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Grnndformen derjenigen Thiere — einerseits der bilateral-radialen Echinodermen, andererseits der symmetrisch-regulären Coelenteraten — welche einer allgemeinen Unterscheidung der radialen und der bilateralen Thiere die grössten Schwierigkeiten entgegensetzen, indem sie von den einen Zoologen zu jenen, von den anderen zu diesen gerechnet werden. So viel Scharfsinn aber auch in jenen Arbeiten zu einer präciseren Bestimmung dieser zweifelhaften Mittelformen aufgewendet erscheint, so kann das Resultat derselben doch nicht als befriedigende Lösung der schwierigen Frage bezeichnet werden. Der Grund dieser Erscheinung ist vorzugsweise darin zu suchen, dass die Betrachtung von den F l ä c h e n des Thierkörpers ausgegangen ist und auf diese das meiste Gewicht gelegt hat, statt vor Allem die A x e n und deren P o l e aufzusuchen, welche die maassgebenden Grundzüge der Thiergestalt bestimmen und welche die Flächenbeschaffenheit selbst erst bedingen. Auch sind hier so wenig als in den meisten anderen promorphologischen Versuchen die A n t i m e r e n gehörig berücksichtigt, deren Zahl und Verbindung, Gleichheit oder Ungleichheit vor Allem die Grundform constituirt. F r i t z Müller kommt daher zu dem irrthümlichen Resultate, dass die Grundform der Ctenophoren zweistrahlig sei. J o h a n n e s M ü l l e r stellt als ideale Grundform der Echinodermen eine Kugel auf, welche eine bestimmte Axe mit zwei verschiedenen Polen und eine bestimmte Meridianebene besitzt, durch welche sie in zwei symmetrisch gleiche Theile zerfallt, sowie fünf Radialfelder, durch welche ihre Oberfläche in ein Bivium und ein Trivium zerfallt. Eine solche Kugel ist aber in Wahrheit keine Kugel, sondern eine halbe zehnseitige amphithecte Pyramide. Immerhin sind die trefflichen Bemerkungen von F r i t z M ü l l e r über die Grundformen der Rippenquallen und von J o h a n n e s M ü l l e r über die Grundformen uud die Homologieen der Echinodermen sehr zu beachten, schon allein desshalb, weil sie das nothwendige Ziel einer scharfen stereometrischen Erkenntniss der organischen Formen richtig erkannten und dasselbe in der festen Bestimmung einer allgemeinen Grundform suchten, wenn sie es auch nicht erreichten. Es ist dies um so mehr anzuerkennen, als sich die meisten Morphologen bisher der Erkenntniss dieses Zieles verschlossen, und statt danach zu streben, die organischen Formen mit der grössten Willkührlichkeit bezeichnet haben.
IV. Die Promorphologie als organische Stereometrie. Die Forderung, dass die organische Morphologie die allein absolut sichere Methode der mathematisch-philosophischen Erkenntniss einzuschlagen und dass sie insbesondere auch die Betrachtung der organischen „Form an sich" nach dieser stereometrischen Methode zu beginnen habe, ist schon wiederholt und mit Recht von denkenden Naturforschern gestellt und von den vorher genannten auch zu erfüllen versucht worden. Insbesondere hat die neuere Physiologie, seitdem sie den allein möglichen mechanisch-causalen Weg bei Erforschung 25*
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Begriff und Aufgabe der Promorphologie.
der dynamischen Lebens-Processe eingeschlagen hat, wiederholt die Notwendigkeit ausgesprochen, dass auch die organische Morphologie bei Untersuchung der statischen Lebens-Substrate, der organischen Formen, denselben Weg verfolgen müsse. Indessen erschien diese Forderung immer eben so leicht ausgesprochen, als schwer zu erfüllen. Der theoretischen Nothwendigkeit schien sich stets die praktische Unmöglichkeit gegenüber zu stellen. Der Grund dieser Erscheinung liegt nach unserer Ansicht wesentlich darin, dass man meistens nicht nach einer Erkenntniss der stereometrischen Grundform, sondern nach einer absoluten mathematischen Erkenntniss der gesammten äusseren Form des Organismus, nach einer genauen Ausmessung und Berechnung aller Einzelnheiten seiner Oberfläche strebte. Diese ist aber in der That entweder (in den meisten Fällen) ganz unmöglich, oder da, wo sie ausführbar ist,-von ganz untergeordnetem Werthe. Die Gründe dafür haben wir bereits oben (p. 26, p. 13t») erörtert. Sie liegen theils in der absoluten und unbegrenzten Variabilität der Organismen, theils in ihrem festflüssigen Aggregatzustande. Wollte man dennoch eine sorgfältige stereometrische Ausmessung und Berechnung aller der unendlich verwickelten und vielfältig gekrümmten Flächen, Linien und Winkel versuchen, welche auch die meisten einfacheren, festflüssigen organischen Formen begrenzen, so würde eine derartige geometrische Bestimmung weder von theoretischem Interesse noch von praktischer Bedeutnng sein. Auf eine solche absolute mathemalische Bestimmung der Oberflächen-Formen können wir daher, namentlich auch angesichts der individuellen Ungleichheit und Variabilität aller Organismen vollständig verzichten. Anders verhält sich die theoretische Bedeutung und der praktische Werth der stereometrischen Grundform, deren Erkenntniss für den organischen Morphologen dieselbe Wichtigkeit, wie ftlr den anorganischen Krystallographen besitzt. Diese ist wesentlich unabhängig von allen Einzelheiten der Oberflächen-Begrenzung und richtet ihr Augenmerk vor Allen auf die formbestimmenden Axen des Körpers und deren Pole. Die Methode der Kristallographie zeigt uns hier den allein möglichen und richtigen Weg. Kein Krystallograph würde jemals zu der Aufstellung von einigen wenigen geometrischen Grundformen ftlr die mannichfaltigen vielflächigen Krystkllkörper der Mineralien gelangt sein, wenn er bei der Betrachtung der Krystallflächen stehen geblieben wäre und sich mit der, wenn auch noch so sorgfältigen Ausmessung derselben begnügt hätte. Zur Entdeckung der einfachen Grundform des Krystalles oder seines „ Systems" gelangt vielmehr der Mineralog nur dadurch, dass er die i d e a l e n A x e n des Krystallkörpers aufsucht, mit Bezug auf welche sämmtliche Theilchen desselben
Γν. Die Promorphologie ale organische Stereometrie.
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eine bestimmte Lagerung einnehmen, und dass er die gleiche oder verschiedene Beschaffenheit dieser Axen und ihrer Pole erwägt. Ganz ebenso muss auch der Morpholog zu Werke gehen, der einfache geometrische Grundformen für die unendliche Mannichfaltigkeit der Thier- und Pflanzengestalten auffinden will, und gerade in dieser vorwiegenden Berücksichtigung der Axen des organischen Naturkörpere und seiner P o l e ist das Verdienst der bahnbrechenden Arbeiten von B r o n n und der späteren von J ä g e r zu suchen. Wie die nachfolgenden Untersuchungen beweisen werden, führt eine scharfe Erfassung der Axen und ihrer Pole nicht allein sicher, sondern auch einfach und leicht zu der Entdeckung der einfachen geometrischen Grundform, der Urgestalt oder des Modells, des organisirten Krystalls gewissermaassen, welcher der augenscheinlich ganz unberechenbaren Gestalt der allermeisten Thier-, Protisten- und Pflanzen-Gestalten zu Grunde liegt. Erst wenn diese mathematisch bestimmte Grundform, dieses constante . Krvstallsystem a des organischen Individuums gefunden ist, welches mit einem einzigen Worte alle wesentlichen Grundverhältnisse der Gestalt ausspricht, kann sich daran die wissenschaftliche Darstellung der individuellen Einzelheiten der Form anschliessen. Man misst dann zunächst die Länge der verschiedenen Axen und den Abstand der einzelnen Oberflächentheile von denselben und von ihren Polen, und kann so erforderlichenfalls eine mathematisch genaue Beschreibung des Ganzen entwerfen. Als eines der wichtigsten Ergebnisse, welche uns diese stereometrische Betrachtungsweise der organischen individuellen Form geliefert hat, ist schon oben hervorgehoben worden, dass die herrschende Ansicht von der fundamentalen morphologischen Differenz der anorganischen und organischen Naturkörper ein unbegründetes Dogma ist (p. 137—139). Wenn in den meisten Handbüchern die Grundformen der mineralischen Krystalle einerseits, die der Thiere und Pflanzen andrerseits als vollkommen und im Grunde verschieden bezeichnet werden, so ist dies ganz irrig. Es giebt Organismen, insbesondere unter den Rhizopoden, welche zwar nicht in der Flächen-Ausbildung, wohl aber in der die Flächenform bestimmenden Axenbildung von regulären Krystallen gar nicht zu unterscheiden sind. J a es lassen sich sogar unter den Radiolarien viele Thierformen nachweisen, deren ganzes Skelet gewissermassen weiter nichts als ein System von verkörperten Krystallaxen ist, und zwar gehören diese organisirten Krystallformen den verschiedenen Systemen an, welche auch der Mineralog unterscheidet. So finden wir ζ. B. in Haliomma hexacanthum und Actinomma drymodes das reguläre Hexaeder des tesseralen Krystallsystems, in Acanthostaurus hastatus und Astromma Aristotelis das Quadrat-Octaeder des tetragonalen Krystallsystems, in Tetrapyle octa~
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Begriff und Aufgabe der Promorphologie.
cantha und Stephanastrum rhombus das Rhomben-Octaeder des rhombischen Krystallsystems vollkommen regulär verkörpert. Man braucht bloss die Spitzen der betreffenden Axen durch Linien zu verbinden und durch j e zwei benachbarte Linien eine Fläche zu legen, um ip der That die entsprechenden Octaeder-Formen zu erhalten. Wie wir nun in diesen Fällen unmittelbar durch die objective Betrachtung in der organischen Gestalt eine einfache stereometrische Grundform erkennen, welche nicht von derjenigen eines Krystallsystems zu unterscheiden ist, so finden wir auch in den andern concreten Gestalten der organischen Individuen (bloss die amorphen Anaxonien ausgenommen) unmittelbar eine einfache stereometrische Form als ideale Grundform durch die constanten Beziehungen der Axen und ihrer Pole constant ausgesprochen, und wir können demnach in der That die Promorphologie als Stereometrie der Organismen ansehen. Die detaillirte Beschreibung jeder organischen Form muss zunächst diese Grundform aufsuchen, die Maassverhältnisse ihrer Axen bestimmen und an dieses mathematische Skelet der Form die Darstellung der Einzelnheiten überall anfügen.
V. Grundformen aller Individualitäten. Alle bisherigen Versuche, die organischen Grundformen zu bestimmen, hatten entweder ganz ausschliesslich oder doch vorwiegend die actuellen Bionten als die concreten Repräsentanten der Species im Auge, welche durch morphologische Individuen aller sechs Ordnungen repräsentirt werden können. Wie man aber diese sechs Ordnungen selbst, als subordinirte Kategorieen von Individualitäten meist nicht gehörig unterschieden hat, so hat man auch meistens nicht daran gedacht, die Grundform der subordinirten Individualitäten zu bestimmen, welche als constituirende Bestandteile von Form-Individuen höherer Ordnung auftreten. Und doch ist diese stereometrische Bestimmung der einzelnen Theile fllr jede scharfe Erkenntniss der organischen Form ebenso unerlässlich wie diejenige des Ganzen. Während man also ζ. B. bei den „Strahlthieren" (Echinodermen, Coelenteraten) bestrebt war, die strahlige (reguläre) oder bilaterale (symmetrische) Grundform oder den Uebergang der ersteren in die letztere an der realen Form des ganzen Thieres (des actuellen Bion) zu erkennen, hat man sich nicht um die ideale Grundform der constituirenden Metameren, Antimeren, Organe und Piastiden bekümmert, und doch hat jede dieser Individualitäten so gut ihre constante Grundform, wie das ganze actuelle Bion, welches bei den Echinodermen ein FormIndividuum fünfter Ordnung, eine Person ist. Wir werden also bei
V. Grundformen aller Individualitäten.
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jeder genauen Beschreibung einer organischen Form, die vollständig sein soll, die stereometrische Grundform nicht allein des ganzen Form-Individuums höherer Ordnung, welches das actuelle Bion repräsentirt, sondern auch aller subordinirten Individuen, welche dasselbe constituiren, aufzusuchen und dann erst die Beschreibung der Einzelnheiten der äusseren Form jedes Individuums anzuschliessen haben. Ebenso werden wir dann nicht allein, wie es bisher geschehen ist, bloss die Grundform des ausgebildeten actuellen Bion, sondern auch diejenige seiner individuellen Entwickelungsstufen aufzusuchen haben. Erst dadurch wird der volle Einblick in die mathematische Gesetzlichkeit der organischen Form-Entwickelung gewonnen. Dieselben Species, welche als actuelle Bionten eine sehr differenzirte und vollkommene Grundform besitzen, zeigen auf ihren früheren Entwickelungs-Zuständen meist eine Reihe von niederen und unvollkommenen Grundformen. Die Erkenntniss dieser auf einander folgenden Stufenleiter von allmählig sich differenzirenden Formen, ist für das Yerständiiiss der Promorphologie nicht minder lehrreich, als für das der Embryologie und der Ontogenie überhaupt. So finden wir ζ. B., dass die sogenannten „bilateralen" Seeigel, welche als actuelle Bionten die bilaterale Strahlform (Amphipleuren-Form) besitzen, in früherer Zeit die vollkommen reguläre Strahlform (Homostauren-Form) zeigen, während ihre Larven (Ammen) sich durch die sehr wesentlich verschiedene rein bilateral-symmetrische Form (Zygopleuren-Form) auszeichnen. Offenbar ist hier das volle Yerständniss der Grundform nur dann möglich, wenn man dieselbe durch alle Entwickelungs-Zustände hindurch verfolgt. Am leichtesten erkennbar und am deutlichsten ausgesprochen ist die stereometrische Grundform der Organismen allerdings meistens in den Personen, den Form-Individuen fünfter Ordnung, welche bei den meisten Thieren als materielles Substrat für das actuelle Bion dienen und bei den meisten Pflanzen den Stock zusammensetzen. Wir werden daher diese auch in dem dreizehnten Capitel, welches die stereometrischen Grundformen systematisch, gleich den Krystallsystemen, zu ordnen versucht, vorzugsweise berücksichtigen. Doch ist es sehr wichtig, auch alle anderen Individualitäts-Ordnungen promorphologisch zu untersuchen, wie dies im vierzehnten Capitel geschehen wird, und es wird sich dann zeigen, dass die wesentlichen tectologischen Unterschiede, durch welche wir die sechs Ordnungen der morphologischen Individuen von einander trennen, auch in promorphologischer Beziehung begründet sind. Die tectologische Stufenreihe der organischen Vollkommenheit ist übrigens von der promorphologischen Scala wohl zu unterscheiden.
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Begriff mid Aufgabe der Promorphologie.
Yl. Promorphologische Bedeutung der intimeren. Wenn von allen morphologischen Individualitäten vorzugsweise diejenigen fünfter Ordnung, die Personen, und demnächst die Metameren, zur ersten Ubersichtlichen Erkenntniss der Grundformen geeignet erscheinen, so liegt dies besonders daran, dass bei ihnen in besonderem Maasse die Gesammtform des Ganzen als das notwendige Resultat der Zusammensetzung aus den integrirenden Bestandteilen, nämlich den Form-Individuen dritter Ordnung oder den Antimeren erscheint. Indem die Antimeren, als die neben einander liegenden Bestandteile, welche das Metamer und die Person constituiren, eine bestimmte Mitte, entweder einen Mittelpunkt (Centrostigmen) oder eine Mittellinie (Centraxonien) oder eine Mittelebene (Centrepipeden) gemein haben, in welcher sie sich berühren, bestimmen sie hierdurch und durch ihre Zahl zunächst die Axen, von denen die Grundform des Ganzen abhängig ist. Ferner bestimmen die zusammengehörigen Antimeren, welche neben einander um die gemeinsame Mitte des Metameres oder der Person herumliegen, durch ihre Gleichheit (Congruenz und Symmetrie) oder Ungleichheit (positive und negative Aehnlichkeit, vergl. p. 308), sowie durch ihre eigene stereometrische Grundform, die Beschaffenheit (Gleichheit oder Ungleichheit) der beiden Pole der constanten Axen, welche die Grundformen des Metamers oder der Person bedingen. In dieser Beziehung besitzen also die Antimeren eine ganz hervorragende Bedeutung; ihr vollkommenes Verständniss muss der promorphologischen Erkenntniss des Ganzen vorausgehen. Nehmen wir ζ. B. eine vollkommen regelmässige vierstrahlige M e d u s e her, deren Grundform bei bloss oberflächlicher Betrachtung eine Halbkugel oder ein Kugelsegment zu sein scheint (ζ. A. Aurelia, Thaumantias), so finden wir durch sorgfältige tectologische Untersuchung ihrer Antimeren, dass ihre Grundform (ebenso wie bei den regulären „vierzähligen" Blüthen (ζ. B. von Paris, Erica) eine r e g u l ä r e v i e r s e i t i g e P y r a m i d e ist. Zunächst wird erstens durch die Nebeneinanderlagerung der vier Antimeren um eine gemeinsame H a u p t a x e (Längsaxe) die Centraxonform und zwar die S t a u r a x o n f o r m des Metameres (der ganzen Meduse) bestimmt, sodann zweitens durch die e u d i p l e u r e Grundform der Antimeren die Heteropolie der Hauptaxe, und somit die einfache P y r a m i d e n f o r m der Meduse, ferner drittens durch die C o n g r u e n z der vier Antimeren die Gleichheit der Kreuzaxen und somit die r e g u l ä r e Pyramidenform des Ganzen (Homostaurie) und endlich viertens durch die Anzahl der Antimeren, durch die homotypische Grundzahl Vier, die Grundform der Meduse als eine v i e r s e i t i g e reguläre Pyramide {Tetractinoten-
VL Promorphologische Bedeutung der Antimeren.
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Fonn). Nach dem bisherigen morphologischen Verfahren bedurfte es einer zeilenlangen Beschreibung, um diese allgemeine Grundform (noch dazu meist ganz unvollständig) zu eruiren, während jetzt nach unserer promorphologischen, auf das Antimeren-Verständniss gegründeten Darstellungs-Methode durch das einzige Wort „Tetractinot" alle wesentlichen formellen Eigenschaften der Meduse, ihre gesammte typische Grundform ausgedrückt ist, an welche sich unmittelbar die detaillirte Darstellung der formellen Einzelnheiten anlehnen kann. Die promorphologische, auf die Tectologie gegründete Erkenntniss der Grundfohn liefert uns so das mathematisch bestimmte und klare ideale Skelet der organischen Form, welches wir mit dem realen Fleische der concreten Detail-Schilderung zu überkleiden haben. Jedes andere Beispiel zeigt eben so treffend wie das angeführte den hohen Werth, welchen unsere tectologische und promorphologische Analyse des organischen Individuums für das wahre philosophischanatomische Verständniss desselben besitzt. Dieses gründet sich wesentlich auf die Erkenntniss der Zusammensetzung der individuellen Form aus den homotypischen Theilen, welche durch ihre Zahl, Gleichheit, Grundform etc. die Beschaffenheit der maassgebenden Axen des Ganzen und ihrer Pole bedingen. Hieraus ergiebt sich auch, warum alle bisherigen promorphologischen Versuche zu keinem erspriesslichen Resultate gelangen konnten. Da sie die Antimeren selbst entweder gar nicht oder doch nicht genügend berücksichtigten, so konnte auch von der Grundform kein klares Verständniss erreicht werden. Ganz denselben hohen Werth, welchen die Antimeren als die die Grundform bestimmenden Theile für die morphologischen Individuen vierter und fünfter Ordnung (Metameren und Personen) haben, besitzen die P a r a m e r e n für die Form-Individuen erster und zweiter Ordnung (Piastiden und Organe). Wir haben oben alle jene Theile von einzelnen Organen oder von einzelnen Piastiden als Parameren oder Nebenstücke bezeichnet (p. 311), welche in analoger Weise um eine gemeinsame Mitte dieser Form-Individuen zweiter und erster Ordnung herum liegen, wie die Antimeren oder Gegenstücke um die Mitte der Metameren und Personen. Dieselbe Grundform, welche die letzteren zeigen, besitzen auch die ersteren, und es ist hier wie dort die Beschaffenheit der homotypischen und homonomen Theile, welche die maassgebenden Axen und deren Pole bestimmt. So wird ζ. B. die eudipleure Form der meisten pflanzlichen Blätter (Organe) durch die Zahl, Gleichheit und Grundform der beiden constituirenden Parameren, der symmetrisch gleichen, dysdipleuren Blatthälften bedingt. Ebenso wird die octopleure Allostauren-Form (Rhomben-Octaeder), welche die Grundform von Stephanastrum, von vielen Pollen-Zellen etc. ist, durch die Zahl, Gleichheit und Grundform der vier constituirenden
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Begriff und Aufgabe der Promorphologie.
Parameren, der vier congruenten Quadranten der vierseitigen Doppelpyramide bestimmt Die wesentlichen Momente, welche sowohl bei den Parameren als bei den Antimeren die Axen und Pole, und somit die Grundform der aus ihnen zusammengesetzten höheren Formeinheit bestimmen, sind also: 1) die Zahl der Antimeren (homotype Zahl) oder Parameren (homonome Zahl); 2) die G l e i c h h e i t (Congruenz oder Symmetrie) oder U n g l e i c h h e i t (positive oder negative Aehnlichkeit) der Antimeren oder Parameren; 3) die gegenseitige L a g e r u n g und Verbindung der Antimeren oder Parameren; 4) die stereometrische G r u n d form der Antimeren oder Parameren selbst. Da mithin die Parameren als die für die Grundform bestimmenden Bestandteile der Piastiden und der Organe (sowie auch der Antimeren selbst), durchaus dieselbe promorphologische Bedeutung haben, wie die Antimeren, welche die Promorphe der Metameren und Personen bestimmen, so gilt Alles, was wir im folgenden Capitel von den Antimeren anführen, ganz ebenso auch von den Parameren. Wir heben dies ausdrücklich hervor, da wir bei unserer systematisch - promorphologischen Untersuchung immer nur die Antimeren in dieser Beziehung erörtern werden. Die Grundform der Stöcke oder Cormen, als der Form-Individuen sechster und höchster Ordnung, wird ebenso durch die Zahl, Gleichheit, Lagerung und Grundform der Personen oder Sprosse bestimmt, wie die Promorphe der Metameren und Personen durch die entsprechenden Verhältnisse der Antimeren. VII. Systematische Bedeutung der Grundformen. Ein Grundfehler aller bisherigen Untersuchungen der zoologischen Grundformen liegt in der falschen Voraussetzung, dass die verschiedenen Grundformen, welche sich aus der realen Form der actuellen thierischen Bionten ableiten lassen, vollkommen einigen wenigen grossen Hauptabtheilungen des Thierreiches entsprechen. So entstand die vielfach angenommene Eintheilung des Thierreiches in die drei Grundformen der irregulären Amorphozoen, der regulären Strahlthiere und der symmetrischen Bilateralthiere. Nun ist aber, wie schon die so verschieden aufgefassten Abtheilungen der bilateralen Echinodermen und der Ctenophoren lehren, diese Voraussetzung eine ganz unberechtigte. Weder alle sogenannten bilateral-symmetrischen Thiere, noch alle radial-regulären besitzen eine gemeinsame stereometrische Grundform. Schon ein Blick auf die verschiedene Höhe ihrer systematischen Entwickelung und die entsprechend verschiedene Ausbildung der Grundform in verschiedenen Lebensaltern genügt, um diesen Irrthum zu widerlegen. Aber selbst wenn man nur die actuellen Bionten be-
ΥΠ. Systematische Bedentang der Grnndformen.
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rücksichtigt, finden wir hier in einem und demselben Stamme, ζ. B. bei den Coelenteraten, eine ganze Reihe von verschiedenen Grundformen neben einander vor. In noch weit höherem Grade wird dies durch die Protisten bewiesen. Unter diesen und insbesondere unter dem gestaltenreichen Stamme der Rhizopoden kommen die verschiedensten Grundformen neben einander, und zwar bei sonst nächstverwandten Thierarten vor, die einer und derselben Familie, oft selbst einer und derselben Gattung angehören. Die vielgestaltige Classe der Radiolarien umfasst mehr verschiedene organische Grundformen, als sonst im ganzen Thierreiche überhaupt vorkommen. Der Name Amorphozoen, mit dem ziemlich häufig die Protozoen, und insbesondere die Rhizopoden und Infusorien bezeichnet werden, konnte in dieser Beziehung nicht unpassender gewählt werden. Nichts ist irriger, als die gebräuchliche Angabe, dass die Grundform der Rhizopoden und der Protozoen überhaupt nicht zu bestimmen, ohne bestimmte Grundlage oder ganz unregelmässig sei. Gerade unter diesen niedersten Protisten begegnen wir reineren und weit leichter auf geometrische Formen zu reducirenden Gestalten, diese sind regelmässiger, fester, von schärferen Linien und einfacheren Flächen begrenzt, als es in den meisten höheren Thierklassen der Fall ist. Wollte man die Protozoen, und die Rhizopoden insbesondere, ihrer Grundform nach bezeichnen, so wäre der Ausdruck Myriomorpha oder Polymorphozoa weit besser als der Name Amorphozoa. Es sind nicht die formlosesten, sondern die formreichsten Körper der gesammten Organismen-Welt. Wenn man diesen letzteren Umstand gehörig würdigt, gelangt man auch zur Einsicht in eine andere wesentliche Ursache, welche bisher eine selbstständige Entwickelung der Promorphologie verhindert hat. Offenbar liegt diese darin, dass die bisherigen Morphologen viel zu wenig die Organismen der niedrigsten Stufen berücksichtigt und fast ausschliesslich die höher organisirten Formen, einerseits Coelenteraten und Echinodermen, andererseits Mollusken, Würmer, Gliederfltsser und Wirbelthiere in den Kreis der Betrachtung gezogen haben. Hätte man, statt die Rhizopoden, Infusorien und übrigen Protozoen unter dem Colleetivbegriff der „formlosen" Thiere zusammenzufassen, die einzelnen, meist so auffallenden Formen derselben etwas genauer betrachtet, und was gerade hier eben so leicht als lohnend ist, die geometrische Grundform derselben zu abstrahiren versucht, man würde sicher schon längst zu ganz anderen Einblicken in die vielfältigen Grundformen des Thierreiches gelangt sein, als sie durch die ganz schematische Scheidung in axenlose irreguläre, einaxige reguläre und zweiaxige symmetrische Thiere gewährt werden. Schon allein die sehr" regelmässigen und scharf umschriebenen Formen der
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Begriff und Aufgabe der Promorphologie.
Acyttarien, insbesondere der Polythalamien, hätten auf diesen Weg' hinführen können. Keine Abtheilung des Thier- und Pflanzen-Reiches ist aber in dieser Beziehung instructiver, an Formen reicher und leichter auf ganz bestimmte stereometrische Grundformen reducirbar, als diejenige der Radiolarien. Der eingehenden Beschäftigung mit dieser gestaltenreichsten aller Organismen-Gruppen verdanken wir es hauptsächlich, dass wir zur Unterscheidung der im Folgenden aufgestellten Grundformen geführt wurden. Diese Grundformen sind hier zum grossen Theil in solcher Reinheit verkörpert und mit so mathematischer Strenge ausgeführt, dass ein einziger Blick auf eine naturgetreue Abbildung genügt, um sich von dem unzweifelhaften Character der bestimmten stereometrischen Grundform sofort zu überzeugen. Da die Radiolarienklasse in dieser Beziehung die lehrreichste von allen Organismen-Gruppen, zugleich aber noch sehr wenig in weiteren Kreisen bekannt ist, so erlauben wir uns hier, speciell auf die naturgetreuen Abbildungen zu verweisen, welche von den verschiedensten Radiolarien-Formen durch E h r e n b e r g , J o h a n n e s M ü l l e r und uns selbst gegeben worden sind.')
VH1. Promorphologie nnd Orismologie. Der hohe Werth, welchen wir einer scharfen stereometrischen Bestimmung der organischen Grundformen zuschreiben müssen, und welcher uns bewegt, die Promorphologie als selbstständige coordinirte Wissenschaft der Tectologie an die Seite zu stellen, ist unseres Erachtens vorzüglich in der theoretischen Wichtigkeit der damit verbundenen monistischen Erkenntniss begründet, dass die äusseren Formen der Organismen nicht willkührliche Phantasiegebilde eines anthropomorphen Schöpfers, sondern mechanische Producte einer Summe von wirkenden Ursachen sind, und dass dieselben ebenso mit absoluter Nothwendigkeit aus der tectologischen Zusammensetzung ihrer constituirenden Bestandtheile folgen, wie die anorganische Krystallform aus der atomistischen Zusammensetzung der krystallisirenden Materie und deren Wechselwirkung mit ihrer Umgebung. Insbesondere sind
') E h r e n b e r g , Mikrogeologie. Leipzig 1854. J o h a n η es M ü l l e r , Abhandlungen der Berliner Akademie. 1858. E. H a e c k e l , Monographie der Radiolarien. Berlin 1862. Die Abbildungen von Radiolarien aller Familien, welche ich in dem Atlas von 35 Kupfertafeln gegeben habe, der meine Monographie begleitet, sind mittelst der Camera lucida nach der Natur entworfen und liefern concrete Beispiele für fast alle Grundformen, welche ich im System des folgenden Capitels anführen werde. Ich habe daher dieselben in Klammern (Rad.) citirt.
V 111. Promorphologie and Orismologie.
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es die morphologischen Individuen erster Ordnung, die Piastiden, welche sich in dieser Beziehung den Krystallen Tollkommen gleich verhalten. Die einzigen Form-Unterschiede, welche sich zwischen den Krystallen und den Piastiden zeigen, sind durch den festflüssigen Aggregatzustand der letzteren und ihre „ererbten" Eigenschaften bedingt, nie wir im fünften Capitel gezeigt haben. Bei den morphologischen Individuen zweiter und höherer Ordnung ist die Grundform wiederum das nothwendige Resultat ihrer Zusammensetzung aus den subordinirten Individualitäten. Dieses wichtige Gesetz müssen wir als das monistische Grundgesetz der organischen Promorphologie betrachten. Ausser dieser hohen theoretischen Bedeutung besitzt aber unserer Ansicht nach die Promorphologie noch einen sehr bedeutenden praktischen Werth. Wir finden diesen vorzüglich darin, dass von ihr eine gründliche Reform der descriptiven Morphologie, der systematischen Morphographie ausgehen wird, und dass namentlich die in der letzteren gebräuchliche Orismologie dadurch eine philosophische Läuterung erfahren wird. Jeder Morphologe muss oder könnte bei einigem Nachdenken wissen, in welchem traurigen Zustande sich gegenwärtig die gesammte organische O r i s m o l o g i e oder Terminologie (wie sie gewöhnlich mit einer Vox hybrida bezeichnet wird) befindet. Dies gilt vorzüglich von dem allgemeinen Theile derselben, welcher die Gesammtform der organischen Individuen und die Beziehungen ihrer verschiedenen Theile zur Aussenwelt zu bezeichnen hat. D a s s hier nicht ällein zwischen allen verschiedenen systematischen Gebieten die grösste Discrepanz, sondern auch auf einem und demselben Gebiete die grösste Uneinigkeit zwischen den verschiedenen Autoren herrscht, ist allbekannt; wir brauchen bloss an die Coelenteraten zu erinnern. Diese chaotische Verwirrung erklärt sich aber ganz natürlich aus der mangelhaften Bestimmung der stereometriscben Grundform und der unvollkommenen Unterscheidung der Form-Individuen verschiedener Ordnung, vorzüglich der Antimeren. Sobald man diese scharf unterscheidet und ihre constanten Beziehungen stets im Auge behält, so ergiebt sich leicht eine strenge und allgemein anwendbare Bezeichnung der verschiedenen Körpertheile und Körperregionen. Ein Hauptfehler der gegenwärtig noch herrschenden Orismologie oder Terminologie auf dem descriptiven Gebiete der Morphologie liegt darin, dass man überall morphologische und physiologische Bezeichnungen bunt durch einander gebraucht, und ohne sich bewusst zu werden, dass d e r s e l b e B e g r i f f e i n e n w e s e n t l i c h v e r s c h i e d e n e n I n h a l t und U m f a n g b e s i t z t , j e n a c h d e m man b l o s s a n seine m o r p h o l o g i s c h e oder b l o s s an seine p h y s i o l o g i s c h e B e d e u t u n g d e n k t . Die meisten Bezeichnungen sind weder das Eine
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Begriff und Aufgabe der Promorphologie.
noch das Andere, sondern ein willktthrliches Gemisch von Beiden, und daher entspringt die allgemeine Confusion und die auffallenden Widersprüche, welche gegenwärtig selbst über die wichtigsten und alltäglichen morphologischen Begriffe herrschen. Man denke nur an die „Wasserlungen" der Holothurien! So ist es nicht allein mit den einzelnen Organen, sondern auch mit den Regionen des Körpers und mit den Seiten, welche seine Oberflächen begrenzen. Nichts hat in dieser Beziehung die klaren promorphologischen Grundverbältnisse mehr verhüllt, als die mangelhafte Unterscheidung der Axen und ihrer Pole und eine willklthrlich wechselnde Benennung derselben. Die Ausdrucke Vorn und Hinten, Oben und Unten ζ. B. werden hier sehr allgemein statt der Bezeichnungen Oral und Aboral, Dorsal und Ventral gebraucht. Ebenso bedient man sich oft der Ausdrücke horizontale und verticale Axe statt longitudinale und dorsoventrale Axe. Die ersteren Bezeichnungen sind aber aus der allgemeinen Morphologie ganz zu verbannen, da sie physiologischen Ursprungs sind und sich wesentlich auf die Bewegungsrichtung des Organismus oder auf die Stellung, welche derselbe zur Erdaxe oder zum Horizont gewöhnlich einnimmt, beziehen. Diese ist eben bei verschiedenen Arten eine ganz verschiedene, und selbst bei einem und demselben Individuum zu verschiedenen Zeiten seines Lebens ganz entgegengesetzt, während die morphologischen Beziehungen der Körpertheile zu einander constant sind, und also allein als Basis der Orismologie dienen können. So ζ. B. ist dieselbe Axe (Hauptaxe oder Längsaxe), welche beim Menschen, beim Pinguin, bei den Seeigeln und Seesternen, bei den festsitzenden Mollusken und Strahlthieren vertical steht, umgekehrt horizontal bei den meisten frei beweglichen Thieren und den kriechenden Pflanzen. Der erste Pol dieser Axe, der orale oder Mundpol (Peristomium), liegt vorn bei den meisten frei beweglichen, hinten bei den rückwärts kriechenden Thieren, oben bei den meisten festsitzenden Thieren und Pflanzen, unten bei den kriechenden Cephalopoden, Seeigeln, Seesternen etc. Bei den Holothurien, welche zuerst auf der Mundseite mit verticaler Hauptaxe, später auf der Bauchseite mit horizontaler Hauptaxe kriechen, ist die Peristomseite, welche anfangs die untere ist, nachher die vordere, und die Antistomseite, welche zuerst die obere ist, später die hintere. Bei den Cephalopoden ist der Kopf unten und die Hauptaxe vertical, wenn sie kriechen, dadagegen der Kopf hinten und die Hauptaxe horizontal, wenn sie schwimmen. Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, dass es wirklich ganz unmöglich ist, die physiologischen Bezeichnungen Vorn und Hinten, Oben und Unten etc. in der Weise, wie es noch jetzt allgemein in der Morphologie geschieht, beizubehalten, ohne die
V ill. Promorphologie and Orismologie.
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vorhandene Confusion noch mehr zu steigern, und dass es vielmehr durchaus nothwendig ist, statt deren die ganz bestimmten, unzweifelhaften und constanten Bezeichnungen einzuführen, welche die generelle Promorphologie von den constanten und bei allen Organismen fest bestimmten Verhältnissen der Axen und ihrer Pole entnimmt. Durch diese rein morphologische, mathematisch-philosophische und auf die generelle Promorphologie gegründete Orismologie wird es allein möglich werden, ein gegenseitiges Verständniss der Naturforscher auf allen Gebietsteilen der organischen Morphologie herbeizuführen, und den grossen Uebelstand aufzuheben, dass gegenwärtig jeder Specialforscher in seinem beschränkten Gebiete ganz beliebig identische Theile bei verschiedenen Organismen mit verschiedenen Ausdrücken, und verschiedene Theile mit identischen Ausdrücken belegt. Jede strenge Orismologie oder Terminologie der Organismen kann sich nur auf die morphologische Erkenntniss der Homologieen, nicht auf die physiologische Erkenntniss der Analogieen gründen, und in dieser Beziehung ist unsere einzig feste Basis fill* die Bezeichnung der verschiedenen Körperregionen und für eine generelle Topographie der Organismen die Promorphologie.
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System der organischen Grundformen.
Dreizehntes Capitel. System der organischen
Grundformen.
„Dich im Unendlichen zu finden, Musst unterscheiden und dann verbinden." Goethe.
Erste Klasse der organischen Grundformen.
Axenlose. (A centra.
AnaxonJa.
Organische Formen ohne constante
Realer
Typus:
Mitte).
Spongilla.
Sämmtliche individuelle. Formen der Organismen zerfallen hinsichtlich ihrer stereometvischen Grundform zunächst in zwei grosse Hauptgruppen: Axenlose ( A n a x o n i a ) und Axenfeste ( A x o n i a ) . Die Axenlosen lassen durchaus keine feste bestimmbare Grundform erkennen und sind absolut unregelmässig, während die Axenfesten irgend eine deutliche, bezeichnungsfähige stereometrische Grundform bestimmen lassen. Bei den Axonien ist eine bestimmte ideale Mitte des Körpers vorhanden, eine centrale Raumgrösse, zu welcher die übrigen Körpertheile eine bestimmte Beziehung zeigen. Diese M i t t e ( C e n t r u m ) kann ein Punkt (bei den Homaxonien und Polyaxonien) oder eine Linie (bei den Protaxonien mit Ausnahme der allopolen Heterostauren), oder eine Ebene (bei den allopolen Heterostauren) sein. Bei den Anaxonien fehlt eine solche Mitte vollständig. Man kann daher die Axonien oder Axenfesten auch als C e n t r o m o r p h a bezeichnen, als Gestalten mit einer bestimmten Mitte, und die Anaxonien als A c e n t r a , als Gestalten, bei denen eine solche Mitte nicht bestimmbar ist. Dieser fundamentale Unterschied der beiden obersten und allgemeinsten Hauptgruppen von Formen der organisirten Materie
Axenloee Grundformen. Anaxonia.
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ist derselbe, der auch die beiden zunächst unterscheidbaren und wichtigsten Hauptabtheilungen von Formen der nicht orgaaisirten Materie characterisirt; auch diese letztere erscheint entweder amorph oder in einer bestimmten Form, die j e nach dem Aggregatzustande verschieden ist. Das tropfbar flüssige Abion oder Anorgan nimmt im vollkommenen Gleichgewichtszustande die Form des kugeligen Tropfens, der Kugel an; geht dasselbe aber durch Krystallisation aus dem tropfbaren in den festen Aggregatzustand über, so nimmt es die regelmässige, stereometrisch bestimmbare Gestalt des Krystalls an. Es entsprechen mithin die Axonien oder Centromorpheu der organischen Körperwelt den Kugeln, Sphaeroidalformen, Krystalloiden und Krystallen der anorganischen Körperwelt, wie die Anaxonien oder Acentren der ersteren den Amorphen der letzteren vergleichbar sind. Man hat daher auch wohl die anaxonien Organismen, welche auf den niedersten Organisationsstufen sehr verbreitet sind, insbesondere bei den Protisten (Protozoen) als „ Gestaltlose u oder Amorphozoa bezeichnet. Doch ist dieser an sich richtige Name desshalb schlecht verwendbar, weil man darunter in der Regel nicht allein wirklich formlose Organismen, wie die Amoeben und Halisarcen, sondern auch eine Menge bestimmt geformter Species begriffen hat. Gewöhnlich wird der Begriff Amorphozoa als gleichbedeutend mit Protozoa gebraucht und umfasst als solcher die Spongien, Rhizopoden, Infusorien und Protoplasten. Und doch enthalten gerade diese Thierklassen eine grössere Anzahl und Mannichfaltigkeit von geometrisch bestimmbaren Grundformen, als alle übrigen Abtheilungen des Thierreichs züsammen genommen. (Vergl. p. 395). Die organischen Grundformen, welche wir als wirklich echte Anaxonien oder Acentren im eigentlichen Sinne des Wortes bezeichnen müssen, sind im Ganzen viel seltener, als man gewöhnlich annimmt. Die Personen, Metameren und Antimeren, also die FormIndividuen fünfter, vierter und dritter Ordnung sind selten oder eigentlich niemals wirklich acentrisch oder anaxon, da schon durch ihre tectologische Qualität bestimmte Axen in ihnen ausgesprochen sind. Häufig sind dagegen vollkommen anaxonie Formen bei den FormIndividuen erster und zweiter Ordnung, den Piastiden und Organen, ferner bei denen sechster Ordnung, den Stöcken (ζ. B. vielen Corallenstöcken). Meist sind die anaxonien Plastiden und Organe integrirende Bestandteile von Form-Individuen dritter und höherer Ordnung. Sehr viele Zellen und Cytoden im pflanzlichen und thierischen Parenchym sind ebenso vollkommen acentrisch, wie viele innere Organe der Thiere und äussere Organe der Pflanzen. Viel seltener sind dagegen wirklich anaxonie Formen als materielles Substrat von actuellen Bionten zu finden, so bei den erwähnten Stöcken, ausserdem He«ekel, Generelle Morphologie. οg
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System der organischen Grundformen.
fast nur im Protistenreiche, bei denjenigen Stämmen der Organismenweit, die auch in anderer Beziehung auf der tiefsten Stufe der Organisation stehen. Vor Allem sind hier die einfachsten Anfänge des Protistenreiches, Protogenes und Protamoeba zu nennen, die höchst wichtigen und interessanten Moneren, welche als vollkommen structurlose und homogene, nackte Plasmaklumpen jeder bestimmten Form entbehren, und vermöge der Fähigkeit der Moleküle ihres festflüssigen Eiweisskörpers, nach allen Richtungen hin ihre gegenseitige Lage frei zu ändern, alle möglichen unbestimmbaren Formen zeitweise annehmen können (vergl. p. 138, 134). An diese vollkommen formlosen Moneren schliessen sich unmittelbar die echten Amoeben (mit Kern und contractiler Blase) an, deren stets sich verändernde Körperform ebenfalls absolut unregelmässig ist, ferner einige nah verwandte Protoplasten mit formlosem Panzer (Cyphidiumj, einige Flagellaten und Myxomyceten und einige beschalte Rhizopoden niedersten Ranges, die Gattung Squamulina und Acemulina unter den kalkschaligen Polythalamien (wenigstens die typische Art derselbe«, A. acinosa). Die mannichfaltigste Entwickelung der Anaxonform im Grossen findet sich in der Klasse der Spongien, die zum grössten Theile dieser Grundform angehören dürfte. Will man einen concreten Ausdruck für die acentre oder anaxonie Körperform haben, so mag man sie als K l u m p e n ( B o l u s ) bezeichnen. Eine Zerlegung derselben in corresponclirende Theile, welche eine bestimmte Beziehung auf eine gemeinsame Mitte haben, ist niemals möglich, da j a diese Mitte selbst fehlt, und weder ein Mittelpunkt, noch eiue Mittellinie (Axe), noch eine Mittelebene jemals erkennbar ist. Doch lässt sich eine streng geometrische Ausmessung auch dieser amorphen Formen, falls dieselbe erforderlich ist, leicht dadurch herbeiführen, dass man einen willklihrlich im Innern des anaxonien Körpers angenommenen Mittelpunkt durch gerade Linien mit allen Punkten der Oberfläche verbindet, welche ungefähr den Ecken von polygonalen Grenzflächen entsprechen. Dadurch zerfällt der ganze Körper in eine Anzahl von irregulären Pyramiden, welche sich geometrisch untersuchen lassen. Zweite Klasse der organischen Grundformen.
Axeiifeste. (Centromorphu.
Axonia.
Siereometrisch bestimmbare organische constanlen Mitte.)
Formen
mit
einer
Alle organischen Formen, welche nicht absolut unregelmässig sind, lassen stets eine feste Mitte, ein C e n t r u m , erkennen, in welchem bestimmte A x e η zusammentreffen oder durch welches mindestens
Axenfeste Grundformen.
Azonia.
403
eine bestimmte Axe geht. Wir nennen sie deshalb allgemein Axenfeste (Axonien) oder Mittenfeste (Centromorphen). Sämmtliche Theile des Körpers nehmen gegen diese Mitte und gegen diese Axen eine bestimmte Lage ein, so dass die ganze Gestalt niemals absolut irregulär, sondern stets entweder regulär (einaxig, J ä g e r ) , oder symmetrisch (zweiaxig, J ä g e r ) im weitesten Sinne des Wortes ist. Es kann also stets mindestens e i n e Halbirungs-Ebene durch den Körper gelegt werden, welche denselben in zwei congruente oder symmetrisch gleiche oder doch symmetrisch ähnliche Hälften theilt. Die Mitte, auf welche sich alle Körpertheile beziehen, kann entweder ein Punkt (Stigma), oder eine Linie (Axon), oder eine Fläche (Epiphania) sein; letztere ist gewöhnlich eine Ebene (Epipedum). Nach diesem Verhalten können wir alle Axenformen in drei wesentlich verschiedene Hauptgruppen zusammenstellen: I. C e n t r o s t i g m a ; d i e M i t t e i s t e i n P u n k t ; alle Axen gehen durch diesen M i t t e l p u n k t ( S t i g m a c e n t r a l e ) ; dies ist der Fall bei allen Homaxonien und bei allen Polyaxonien. II. C e n t r a x o n i a ; d i e Mitte i s t e i n e L i n i e , und zwar gewöhnlich eine gerade Linie; diese Linie ist die H a u p t a x e ( A x o n p r i n c i p a l i s ) ; alle übrigen Axen müssen durch diese Hauptaxe gehen; dies findet statt bei allen Protaxonien, mit Ausnahme der Zeugiten oder allopolen Heterostauren; es gehören also hierher alle Monaxonien, alle homopolen Stauraxonien und von den heteropolen Stauraxonien alle Homostauren und die autopolen Heterostauren. III. C e n t r e p i p e d a ; die Mitte ist eine Fläche und zwar gewöhnlich eine ebene Fläche oder Ebene. Diese Ebene ist die M e d i a n e b e n e ( S u p e r f i c i e s s a g i t t a l i s ) und in derselben liegt die Hauptaxe und eine der beiden darauf senkrechten Riehtaxen, während die andere zugleich auf der Medianebene senkrecht steht. Es ist dies der Fall bei sämmtlichen Zeugiten oder allopolen Heterostauren, die man desshalb auch Centrepipeda nennen kann; dahin gehören alle amphipleuren und zygopleuren Formen (bilateral-symmetrische im Sinne der meisten Autoren). Wenn wir diejenigen durch den Körper gelegten Ebenen, die denselben entweder in zwei congruente oder in zwei symmetrisch gleiche oder in zwei symmetrisch ähnliche Hälften zerlegen, H a l b i r u n g s e b e n e n nennen, so ist bei den C e n t r e p i p e d e n nur eine einzige Halbirungsebene vorhanden und diese ist identisch mit der Medianebene. Der Körper besteht hier aus zwei symmetrisch gleichen oder zwei symmetrisch ähnlichen, aber niemals aus zwei congruenten Theilstücken. Bei den C e n t r a x o n i e n sind mehrere, mindestens zwei Halbirungsebenen vorhanden, welche aber sämmtlich durch die Hauptaxe gehen mlissen, und welche diese Mittellinie gemeinsam haben. Der Körper besteht hier stets entweder aus zwei congruenten Theilstücken oder aus mehr als zwei Theilstücken,· von denen mindestens 26*
Syetera der organischen Grundformen.
404
z w e i und zwei congruent sind. Bei den C e n t r o s t i g m e n endlich sind mehrere, mindestens drei Halbirungsebenen vorhanden, welche alle nur einen Punkt, den Mittelpunkt, gemeinsam haben, sonst aber in allen möglichen Bichtungen des Raumes liegen können. D e r Körper besteht hier stets aus mehreren, mindestens aus vier congruenten oder doch nahezu congruenten, seltener bloss ähnlichen Theilstttcken. Nach diesen fundamentalen und sehr wichtigen Unterschieden in den Beziehungen aller Körpertheile zu einer gemeinsamen Mitte zerfallen also die sämmtlichen Centromorphen oder Axonien in die drei principalen Formengruppen der Centrostigmen, Centraxonien und Centrepipeden (Zeugiten). Wenn wir nun die weiteren Unterschiede der zahlreichen Grundformen, die hierher gehören, richtig erkennen und würdigen wollen, so müssen wir zunächst die Eigenschaften der A x e n ihres Körpers und demnächst der P o l e dieser A x e n näher bestimmen. In dieser Beziehung lassen sich nun sämmtliche Axonien oder Centromorphen in zwei Hauptgruppen vertheilen, in G l e i c h a x i g e ( H o m a x o n i a ) und in U n g l e i c h a x i g e < H e t e r a x o n i a ) . Bei den ersteren sind alle A x e n , die sich durch die Mitte des Körpers legen l a s s e n , absolut gleich, bei den letzteren dagegen ungleich. Die Zahl der gleichen A x e n , die durch die Mitte gelegt w e r d e n k ö n n e n , ist zugleich bei ersteren unendlich gross, bei letzteren beschränkt. Die Honiaxonforni kann nur eine einzige sein, die K u g e l , während die Heteraxonform äusserst mannichfaltig differenzirt ist. Die Homaxonien und die Heteraxonien, als die beideu ursprünglichsten und allgemeinsten Formarten der organisirten. ceutromorplien Materie, entsprechen zugleich den beiden ursprünglichsten und allgemeinsten Gestaltungsw e i s e n , in w e l c h e n der nicht organisirte geformte Stoff im flüssigen und im festen Aggregatzustauile auftreten k a n n , der K u g e l und dem Krystall. D i e K u g e l f o r m , welche das Anorgan im tropfbar flüssigen Aggregatzustande und im vollkommenen Gleichgewicht als Tropfen z e i g t , ist dieselbe, welche der homaxonie Organismus insbesondere auf der ersten Formstufe als festfliissige Plastide so oft annimmt. D i e Heteraxonform der Organismen lässt sich stets auf gewisse einf a c h e geometrische Grundformen zurückführen, welche den Krvstallformen der festen Mineralien entsprechen und zum Theil sogar mit diesen identisch sind. Erste Unterklasse der Axonien oder Centromorphen. Gleichaxige. Slereomelrischc
Realer
Typus:
Homaxonia· Grundform:
Sphaeroz-oum
Kugel.
(oder
VolvoxJ.
D i e Eigenschaften d e r K u g e l , welche die einzig mögliche Homaxonform und zugleich der einzige
absolut reguläre' Körper ist, sind
Gleichaxige Grundformen. Homaxonia.
405
so bekannt, dass dieselben hier nicht erörtert zu werden brauchen. Da alle Punkte der Oberfläche gleich weit vom Mittelpunkte entfernt sind, so ist eine Unterscheidung bestimmter Axen nicht möglich. Die unendlich vielen Axeu, welche sich durch den Mittelpunkt der Kugel legen lassen, sind sämmtlich absolut gleich. Die rein geometrische Kugelform ist in der Organism enwelt vielfach verkörpert, vorzüglich in den Form-Individuen erster Ordnung, den Piastiden (sowohl Cytoden als Zelleu). Bei sehr vielen Thieren, Protisten und Pflanzen ist diejenige Plastide, welche als virtuelles Bion das ganze physiologische Individuum potentia repräsentirt, das Ei oder die Spore, eine vollkommen reguläre Kugel. Aber auch im entwickelten Organismus behalten viele Zellen, als Individuen erster Ordnung, die geometrische Kugelform bei, so ζ. B. viele Blut-Zellen, Pollen-Zellen etc. Femer stellen viele Organe oder Form-Individuen zweiter Ordnung die Kugelform ganz regelmässig dar, so ζ. B. die Centralkapseln vieler Eadiolarien, die Sporaugien vieler Cryptogamen etc. Selbst actuelle Bionten vom Formwerth eines Organs behalten bisweilen die reine Kugelform bei, so die Colouieen vieler frei im Wasser schwimmender oder schwebender Organismen, ζ. B. Spliaerozoum, Voltox, Pandorina etc. Sehr selten nur ist die reine Kugelform in Individuen vierter, fünfter und sechster Ordnung verkörpert. Unter den Radiolarien gehören dahin die meisten Colliden, namentlich die Thalassicolliden (Thalassicolla, Thalassolampe) und die Thalassosphaeriden (Physematium, Thalassosphaera, Ihalassoplancta) (Rad. Taf. I—III), ferner die kugeligen Individuen der meisten Radiolarien-Colonieen, namentlich der Sphaerozoiden (Collozoum, Sphaeroz-oum, Rhaphidozoumbei denen überdies oft noch die Colonieen selbst, sowie alle einzelnen Formelemente innerhalb der sphärischen Centraikapsel die Kugelform rein bewahren ( H a e e k e l , Monographie der Radiolarien, Taf. ΧΧΧΠ—XXXV.) Die S p h a e r o z o i d e n dürften demgemäss am passendsten als die concreten Repräsentanten der Homaxonform bezeichnet werden. Zweite Unterklasse der Axonien oder Centromorphen.
Ungleichaxige.
lleteravonia.
Heteraxonien oder ungleichaxige Centromorphen nennen wir alle diejenigen organischen Formen, welche eine endliche Anzahl von bestimmten Axen unterscheiden lassen, die von allen übrigen, durch das Centrum gelegten Axen verschieden sind. Hierher gehören alle diejenigen Gestalten der organisirten Materie, die im Allgemeinen den Krystallformen des nicht organisirten Mineralstoffes vergleichbar und in der That zum Theil von ihnen nicht zu unterscheiden sind. Wie bei den Krvstallcn geschieht, werden wir der Betrachtung der Ober-
406
System der organischen Grundformen.
flächen und ihrer Beziehungen nur einen secundären Werth beilegen können und in erster Linie, um die Grundformen der verschiedenen Heteraxonien zu bestimmen, die Axen des Körpers und deren Pole aufsuchen und ihre Gleichheit oder Ungleichheit (Differenzirung) berücksichtigen müssen. In dieser Beziehung zerfällt nun die ganze Masse der ungleichaxigen Organismen abermals in zwei grosse Lager. Bei den Einen ist eine bestimmte Hauptaxe des Körpers erkennbar, welche von allen Axen bestimmte Verschiedenheiten zeigt; bei den Anderen dagegen sind alle bestimmbaren Axen von gleichem Werthe oder es sind wenigstens mehrere (mindestens drei) Hauptaxen vorhanden, die vor den übrigen, unbedeutenderen Axen sich auszeichnen, unter sich aber nicht verschieden sind. Die letzteren, die Heteraxonien mit zwei oder mehreren Hauptaxen, nennen wir V i e l a x i g e , P o l v a x o n i a , wogegen die ersteren, die Ungleichaxigen mit einer einzigen Hauptaxe, am passendsten als H a u p t a x i g e , P r o t a x o n i a , bezeichnet werden. Bei den Polyaxonien ist, wie bei den Homaxonien, die Mitte des Körpers noch ein P u n k t , während dieselbe bei den Protaxonien eine L i n i e , oder (bei den allopolen Heterostaurenj eine E b e n e ist. Erste Ordnung der Heteraxonien:
Vielaxige. Stereometrische
Grundform:
Polvaxonia. EndnsphaeriscJics
Polyeder.
Die allgemeine Grundform der Polyaxonien ist ein e n d o s p h ä r i s c h e s P o l y e d e r , d. h. ein Polyeder, dessen Ecken sämmtlich eine einzige Kugelfläche berühren. Das Centrum dieser Kugel ist zugleich der Mittelpunkt des Polyeders, und die Axen des Polyeders erhalten wir dadurch, dass wir alle Ecken desselben mit dem Centrum durch gerade Linien verbinden. Keine einzelne von diesen Axen ist vor den übrigen so ausgezeichnet, dass sie als Hauptaxe bezeichnet werden könnte. Es schliesst sich diese vielaxige Grundform offenbar zunächst an die absolut regelmässige Kugelform an und unter den ßadiolarien giebt es eine Anzahl von Bionten, welche eben so gut den Einen wie den Anderen zugerechnet werden könnten. Unter den Piastiden zeigen insbesondere viele Pollen Körner diese Grundform sehr rein. Form-Individuen vierter Ordnung bildet dieselbe sehr häufig in der Radiolarienklasse, und zwar bei actuellen Bionten. Ausserdem scheint die Polyaxon-Gestalt nur sehr selten als Grundform der Organismen aufzutreten. Wie in der Stereometrie die Polyeder in reguläre u.nd irreguläre eingetheilt werden, so können wir diese Einteilung auch auf diejenigen
Endosphaer-polyedrische Grundformen.
Polyaxonia.
407
Organismen anwenden, in denen die Polyaxonform realisirt ist. Dabei halten wir für das reguläre Polyeder die geometrische Definition fest, dass sämmtliche dasselbe begrenzende Flächen reguläre und congruent© Polygone sind. Bekanntlich beweist die Stereometrie, dass nur fünf Arten von absolut regulären Polyedern möglich sind, nämlich: 1) das Tetraeder: 2) das Octaeder; 3) das Icosaeder; 4) das Hexaeder; 5) das Dodecaeder. Alle übrigen Polyeder sind als irreguläre zu bezeichnen. Die uuregelmässigen endosphaerischen Polyeder oder die P o l y a x o n i a a r r h y t h m a sind unter den Radiolarien-Bionten und unter den Pollen-Zellen weit zahlreicher verkörpert, als die regelmässigen Polyeder oder die P o l y a x o n i a r h y t h m i c a . Doch kommen auch alle Arten der letzteren bisweilen in geometrisch reiner Form realisirt in organischen Individuen „vor. Erste
UnterordnuDg
Irreguläre Vielaxige. Stereometrische
Grundform:
der Polvaxonien:
Polyaxonia arrhythma.
Irreguläres
endosphaerisches
Polyeder.
Zu den arrhythmen Polyaxonien müssen wir alle diejenigen endosphärischen Polyeder rechnen, deren Grenzflächen theilweis ungleich, nicht sämmtlich reguläre und congruente Polygone sind. Es gehören hierher sehr zahlreiche Pollenkömer, auch einige kugelige Sporen und Eier mit irregulär netzförmiger Oberfläche, ferner von den Radiolarien die meisten Species aus den formenreichen Familien der Ethmosphaeriden, Aulosphaeriden, Cladococciden, Ommatiden, Collosphaeriden, und viele einzelne Formen aus anderen Radiolarien-Familien. Bei allen diesen polyaxonien Radiolarien besteht der geformte Theil des Körpers aus einer weichen kugeligen Centralkapsel und aus einer kugeligen Kieselschale, welche die erstere concentrisch umschliesst und welche sich häufig als ein System von mehreren concentriechen, durch Radialstäbe verbundenen, kugeligen Kieselschalen innerhalb oder ausserhalb der Centralkapsel wiederholt. Da die Kugeln meistentheils ganz regelmässig gebildet, genau concentrisch um den gemeinsamen Mittelpunkt geordnet und durch regelmässige Radialstäbe verbunden sind, so könnte man vielleicht geneigter sein, diese Formen noch den Homaxonien zuzuzählen. Doch sind die Kieselschalen stets von Gitterlöchern durchbrochen, die meistens sehr regelmässig vertheilt und von gleicher oder fast gleicher Grösse sind. Durch die Mittelpunkte dieser Gitterlöcher und das Centrum der Kugel lassen sich Axen legen, die verschieden sind von denjenigen, welche durch das Centrum und durch die Knotenpunkte des Kieselnetzwerks zwischen den Gitterlöchern gelegt werden können. Auch sind sehr häufig diese letzteren Axen in Form radialer Kieselstacheln verkörpert und oft
System der organischen Grundformen.
408
sehr mächtig entwickelt. Man braucht bloss die Spitzen dieser Kieselradien durch Linien zu verbinden, und durch die benachbarten Linien Flächen zu legen, um ein endosphärisches Polyeder zu erhalten. Ausserdem ist oft schon durch die Form der Gitterlöcher oder durch die Verbindungsweise der sie begrenzenden Zwischenbalken, oft auch durch besondere Sculptur der Gitterschale die Grundform des arrhythmen endosphärischen Polyeders deutlich genug ausgesprochen. Die Zahl und Form seiner Grenzflächen ist so mannichfaltig und verschiedenartig, dass sich im Allgemeinen nichts Bestimmtes darüber sagen lässt. Die merkwürdigste Formähnlichkeit mit diesen polyaxonien Radiolarien zeigen zahlreiche Pollen-Körner von Phanerogamen, oft in einer so überraschenden Weise, dass man beide gänzlich verschiedene Objecte verwechseln könnte. Insbesondere ist es der Pollen von Malvaceen, welcher kaum von den Kieselschalen gewisser Ethmosphaeriden und Collosphaeriden zu unterscheiden ist. Die Pollenzellen von Sida abutilon und Phlox undulata besitzen genau dieselbe complicirte Sculptur, wie die Schale von Ethmospkaera, Heliosphaera etc. Die grosse Menge verschiedener, meist durch grosse Zierlichkeit und Schönheit der Architectur ausgezeichneter Formen, welche die arrhythmen polyaxonien Radiolarien aufzuweisen haben, können wir im Allgemeinen in zwei verschiedene Gruppen ordnen. Bei den Einen sind die polygonalen Grenzflächen des endosphärischen Polyeders alle von einerlei Art, d. h. alle von der gleichen Anzahl von Seiten und Winkeln begrenzt; bald sind alle Flächen des Polyeders dreieckig, bald sechseckig u. s. w.; diese können daher I s o p o l y g o n a heissen. Bei den Anderen sind dagegen die Grenzflächen des Polyeders sämmtlich oder doch theilweis nicht von einerlei Art; die Zahl der Seiten und Winkel ist wenigstens bei einigen polygonalen Grenzflächen verschieden von der der andern. Diese im Allgemeinen unregelmässigeren Formen können als A l l o p o l y g o n a bezeichnet werden. Erste Gattung der arrhythmen Polyaxonien.
Ungleichvieleckige.
Allopolygona.
Stereometrie che Grundform: Irreguläres endosphaerisches Polyeder mit ungleichvieleckigen Seiten. Bealer
Typus:
Rhizosphaera
(Taf. II, Fig. 15).
Diejenigen endosphärischen Polyeder, deren Seitenflächen nicht alle ein und dieselbe Anzahl von Seiten und Winkeln haben, und welche wir hier als Allopolygone zusammenfassen, bilden die Grundform der Bionten bei zahlreichen Radiolarien aus verschiedenen Familien. Es gehören dahin die Gattungen Cyrtidosphaera und Arach-
Eodosphaer-polyedrische Grundformen.
Polyaxonia.
409
nosphaera von den Ethmosphaeriden (Rad. Taf. X, Fig. 2, 3, Taf. XI, Fig. 2—4), ein Theil der Cladoeocciden (Taf. ΧΠΙ, XIV), Actinelius von den Acanthometriden, ferner viele Ommatiden, ζ. Β. Haliomma capillaceum, Η. erinaceus (Taf. Χ Χ Ι Π , Fig. 2—4), ferner von den Sponguriden die Gattungen Hhizosphaera (Taf. XXV), Spongodictyum (Taf. XXVI, Fig. 4—6), dann die Polycyttarien-Gattung Collospkaera (Taf. XXXIV) und viele andere subsphärische Radiolarien. Dieselbe Form, oft kaum zu unterscheiden, zeigen viele Zellen des pflanzlichen Pollens. Wo bei diesen Formen die endosphärische Polyeder-Form nicht schon in der Gitterbildung der Schale deutlich ausgesprochen ist, da wird sie sofort klar, sobald man die Spitzen der benachbarten Radialstacheln durch Linien verbindet und durch j e zwei benachbarte Linien eine Fläche legt.
Zweite Gattung der arrhythmen Polyaxonien.
Gleichvieleckige. Stereometrische
Realer
Isopolygona.
Grundform: Irreguläres gleichvieleckigen
Typus:
Ethmosphaera
endosphaerisclies Seiten.
Polyeder
mit
(Taf. II, Fig. 16).
Noch deutlicher und bestimmter, als bei den Allopolvgonen, tritt die endosphärische Polyeder-Form bei denjenigen Grundformen auf, die wir Isopolygone nennen, weil die Anzahl der Seiten und Winkel, welche ihre Seitenflächen begrenzen, bei allen Flächen dieselbe ist. Viele von diesen nähern sich schon sehr dem regulären Polyeder, indem die Mehrzahl ihrer Grenzflächen aus ganz ähnlichen oder theilweis selbst congruenten (oder doch fast congruenten) regulären Polygonen gebildet wird, und nur die wenigen Grenzflächen, welche zwischen die congruenten zur Vervollständigung der Kugelform n o t wendig eingeschaltet werden müssen, um ein Weniges von jenen verschieden sind. Die Zahl der Seiten und Winkel ist in allen Polygonen stets die gleiche. J e nachdem die Polygone Dreiecke, Vierecke, Sechsecke u. s. w. sind, liesse sich hier eine Anzahl von untergeordneten Grundformen unterscheiden (trigonale, tetragonale, hexagonale Arten der Isopolygone). In höchst ausgezeichneter Weise tritt die Isopolygon-Form in vielen Pollen-Körnern und in den Kieselschalen vieler Radiolarien'mit kugeliger Centraikapsel auf. Unter den letzteren ist besonders die zierliche Aulosphaera hervorzuheben, die eine besondere, sehr merkwürdige Familie der Radiolarien bildet (Rad. Tai. X, Fig. 4, 5; Taf. XI, Fig. ö). Die kugelige Gitterschale, von 1—2'""' Durchmesser, ist hier aus lauter dreieckigen Maschen zusammengesetzt, die g r ö s s t e n t e i l s congruente gleichseitige Dreiecke
System der organischen Grundformen.
410
sind; nur einzelne sind ein wenig grösser oder kleiner, als die übrigen. In jedem Knotenpunkt steht ein radialer Stachel. Verbindet man die Spitzen aller Stacheln, die säintntlich gleich lang sind, durch Linien und legt durch diese Linien Ebenen, so erhält man ein zweites grösseres endosphärisches Polyeder, welches dem inneren kleineren concentrisch ist und dessen Maschen ebenfalls sämmtlich annähernd gleichseitige und congruente Dreiecke sind. Bisweilen scheint sich die Zahl der congruenten Dreiecke auf zwanzig zu beschränken und dann geht die Form in die des regulären Icosaeders Uber. Bei vielen ßadiolarien ist die isopolygone Gitterkugel aus einer grossen Anzahl von Sechsecken zusammengesetzt, die ebenfalls grösstenteils regulär und congruent oder doch wenigstens subregulär sind, so bei Ethmosphaera, Heliosphaera inermis, H. tenuissima (Taf. IX, Fig. 1, 2; Taf. XI, Fig. 1), ferner bei vielen Cladococciden (Taf. XIII, XIV), vielen Ommatiden (Taf. XXIV, Fig. 1, 4, 5; etc. Ganz dieselbe ausgezeichnet zierliche und regelmässige Form findet sich bei vielen Pollenzellen, namentlich von Malvaceen. Besonders ist der Pollen von Phlox undulata und Sida abutilon durch seine merkwürdige Aehnlichkeit mit der Kieselschale von Ethmosphaera überraschend. Ferner ist unter den ßadiolarien sehr ausgezeichnet die merkwürdige Diplosphaera gracilis, deren Kieselskelet aus zwei conceutrischen endosphaerischen Polyedern besteht, einem inneren mit subregulären sechseckigen und einem äusseren mit subregulären quadratischen und rechteckigen Grenzflächen (Taf. X, Fig. 1). Doch muss diese, wie viele andere ähnliche arrhythme Polyaxonformen aus verschiedenen ßadiolarien - Familien, wegen der zwanzig nach Müller's Gesetz vertheilten radialen Hauptstacheln vielmehr zu den Isostauren (homopolen Stauraxonien) gerechnet werden, welche die Grundform des Quadrat-Octaeders haben.
Zweite Unterordnung der Polyaxonien.
Reguläre Vielaxfge. Stereometrische
Grundform:
P o l y a x o n i a rhythmica. Reguläres
endosphärisches
Polyeder.
Viel seltener als die arrhythmen oder irregulären sind die rhythmischen oder regulären Polyaxonien in organischen Individuen zu finden. Sie verdienen aber desshalb ein besonderes Interesse, weil sie nächst der Kugel die regelmässigsten aller Körper sind. Solche vollkommen regelmässige, in geometrischem Sinne reguläre Polyeder, die unter den Mineralformen als Krystalle des regulären oder tesseralen Systems sehr häufig vorkommen, sind uns aus der OrganismenWelt nur bekannt von den Pollen-Körnern vieler Phanerogamen, von den Antheridien der Characeen und von den Kieselschalen einiger
Regulärpolyedrische Grundformen.
Polyaxonia rhythmica.
411
Radiolaiien. Unter letzteren finden sie sich ganz scharf und klar ausgebildet bloss in der Familie der Ommatiden, in einzelnen Arten der Gattungen Ealiomma und Aclinomma, ferner bei Aulosphaera und in der Spicula einiger Sphaerozoiden. Alle fünf Arten von regulären Polyedern, welche die Geometrie als die einzig möglichen absolut regulären Polyeder nachweist, sind in gewissen organischen Formen realisirt, nämlich: 1) das Icosaeder; 2) das Dodecaeder; 3) das Octaeder; 4) das Hexaeder; ö) das Tetraeder. Erste A r t der rhythmischen Polyaxonien.
Regelmässige Zwaiizigflächner. Stereometrische
Realer
Grundform:
Typus:
Icosaedra regularia.
Reguläres Polyeder mit zwanzig
Aulosphaera
icosaedra
dreieckigen
Seilen.
(Taf. Π, Fig. 17).
Das reguläre Icosaeder, de?sen Grenzflächen zwanzig gleichseitige und congruente Dreiecke sind, ist von allen regulären Polyedern am seltensten in organischen Formen verkörpert, nämlich, so viel uns bekannt, nur in einem einzigen Radiolar, in Aulosphaera icosaedra1) und vielleicht auch in einigen Pollenkörnern, deren kugelige Schale von zwanzig kreisrunden Poren durchbohrt ist, welche die Mitte von ebenso vielen gleichseitig dreieckigen Feldern bilden. Die zwanzig Antimeren, welche das reguläre Icosaeder zusammensetzen, sind zwanzig congruente gleichseitig dreieckige Pyramiden, deren Kanten bei Aulosphaera in sehr zierlicher Weise durch die feinen radialen Sarcodefäden angedeutet werden, welche von der Oberfläche der kugeligen Centralkapsel nach den Knotenpunkten der Gitterschale gehen und sich in die zwanzig radialen Stacheln hinein fortsetzen. Die Seiten der Basis sind von drei gleichen tangentialen Kieselröhren gebildet. Wir haben Aulosphaera bereits vorher unter den Isopolygonen aufgeführt, weil bei den beiden uns genauer bekannten Arten, A. trigonopa und A. elegantissima, die kugelige Gitterschale gewöhnlich eine weit grössere Anzahl von subregulären congruenten Dreiecken zeigt, als zwanzig. Doch ist es wohl möglich, dass auch diese beiden Arten im Jugendzustande vorübergehend die Icosaeder-Form mit zwanzig Maschen zeigen, welche A. icosaedra vielleicht permanent besitzt (vergl. Ead. p. 357, Taf. X, Fig. 4, 5; Taf. XI, Fig. 5, 6). ' ) Die Form, welche ich hier als Aulotphaera icosaedra bezeichne, kann ich leider nicht mit voller Sicherheit als eine selbstständige „gute A r t " aufführen, da ich nur ein vollständiges Exemplar derselben beobachtet habe. Abgesehen von der geringen Grösse und den zwanzig Netzmaschen war dieses zierliche Wesen nicht von den gewöhnlichen Exemplaren der Aulosphaera trigonopa, die viel zahlreichere Maschen besitzen, verschieden, ist also vielleicht nur ein Jugendsuetand derselben.
412
System der organischen Grandformen.
Zweite Art der rhythmischen Polyaxouien.
Regelmässige Zwölfflächner. Dodecaedra regularia. Stereometrische
Realer
Grundform:
Typus:
Pollenvon
Reguläres
Polyeder
Buckolzia
mit zwölf
maritima,
fünfeckigen
Seiten.
(Taf. II, Fig. 18).
Das reguläre Dodecaeder oder das Pentagonal-Dodecaeder, dessen Grenzflächen zwölf gleichseitige und congruente Fünfecke sind, findet sich in stereometrisch reiner Form in den Pollenkörnern vieler Phanerogamen verkörpert, so namentlich von Buckolzia maritima, Ritina brasiliensis, Banisteria versicolor, Futnaria spicata, Polygonum amphibiutn etc. Die zwölf fünfeckigen Seitenflächen sind bisweilen vollkommen eben, nur von einem centralen kreisrunden Loche durchbohrt, und dann ist die reine geometrische Form so vollkommen in diesen zierlichen Zellen verkörpert, als man es nur erwarten kann. Die Kanten sind bisweilen durch einen erhöhten Rand ausgezeichnet. Das andere Mal ist die ganze Pollenzelle kugelig und das PentagonalDodecaeder als Grundform nur durch eine sehr zarte und vollkommen regelmässige Linienzeichnung der Kugeloberfläche angedeutet. Bisweilen entsteht dann ein reales Dodecaeder durch Eintrocknen des Pollenkorns. Die idealen zwölf Parameren der dodecaedrischen Plastide sind 12 congruente fünfseitige reguläre Pyramiden, welche man dadurch erhält, dass man die Ecken mit dem gemeinsamen Mittelpunkt durch Linien verbindet. Das Pentagonal-Dodecaeder ist als organische Grundform auch desshalb von Interesse, weil es zugleich eine hemiedrische Form des tesseralen oder regulären Krystallsystems ist. Dritte Art der rhythmischen Polyaxonien.
Regelmässige Achtflächner. Stereometrische
Realer
Grundform:
Typus?
Reguläres
Antheridien
Octaedra regularia.
Polyeder
mit acht dreieckigen
von Chara
Seiten.
(Taf. II, Fig. 19).
Das reguläre Octaeder, dessen Grenzflächen acht gleichseitige und congruente Dreiecke sind, bildet viel seltener, als das PentagonalDodecaeder, die Grundform organischer Gestalten; auch viel seltener, als die folgende Form, der Würfel, obgleich es mit diesem die gleichen Axen-Verhältnisse theilt. Wir kennen- das reguläre Octaeder als stereometrische Grundform nur bei einigen wenigen pflanzlichen Plastiden, bei einzelnen Parenchymzellen, einigen Pollenkörnern, und am deutlichsten bei den Antheridien von Chara, obwohl auch hier nicht so rein, als die vorige und die folgende Grundform. Von besonderem Interesse ist aber das reguläre Octaeder desshalb, weil es zugleich die Grundform des regelmässigsten und einfachsten Krystallsystems
Regulär-polredrische Gnrodformen. Polyaxonia rhythmica.
413
ist, des tesseralen oder regulären Systems, in welchem u. Α. Kochsalz und Alaun krystallisiren. Sein wesentlicher Charakter wird bestimmt durch drei auf einander senkrechte Axen, welche alle drei gleich und gleichpolig sind, so dass keine von ihnen als Hauptaxe unterschieden werden k a n n ; entsprechend können auch die sechs Pole nicht verschieden sein. Das reguläre Octaeder nähert sich am meisten von allen Lipnstauren den Stauraxonien, indem wir bloss eine der drei Axen nach beiden Seiten gleichmässig zu verlängern oder zu verkürzen brauchen, um daraus das Quadrat-Octaeder (die Grundform der octopleuren Isostauren) zu erhalten. Wenn alle drei Axen des regulären Octaeders ungleich lang werden, aber gleichpolig bleiben, geht dasselbe in die Grundform des Rhomben-Octaeders (der octopleuren Allostauren) über. Von dem regulären Würfel, mit welchem das reguläre Octaeder die gleichen Axenverhältnisse tlieilt. unterscheidet sich dasselbe als organische Grundform wesentlich dadurch, dass der erstere aus sechs, das letztere dagegen aus acht Antimeren oder Parameren zusammengesetzt ist. Diese acht congruenten Antimeren finden sich an den Antheridien von Char α auf die zierlichste Weise in acht gleichseitig dreieckigen platten tafelförmigen Zellen verkörpert, welche ganz gleich den acht Seitenflächen des regelmässigen Octaeders zusammengefügt sind. Ihre gezackten Ränder, welche nach Art einer Knocliennaht in einander greifen, bezeichnen die zwölf Kanten des Octaeders. Die dreieckigen Seitenflächen sind so stark liervorgewölbt, dass das ganze Organ eine rothe Kugel bildet. Von dem Umkreis der am stärksten gewölbten Mitte jedes Dreiecks laufen äusserst zierliche Strahlenfurcheu nach den drei gezackten Rändern hin. Uebrigens dürfen wir, streng genommen, an den Antheridien von Ohara bloss der achtzeiligen Schale die reguläre Octaeder-Form vindiciren; das ganze Organ, mit Rücksicht auf seinen Inhalt, ist als Quadrat-Octaeder zu betrachten, da eine Hauptaxe durch die Structur des Inhalts ausgesprochen ist.
Vierte A r t der rhythmischeil
Polyaxonien.
Regelmässige Würfel. Hexaedra l-egularia. Stereumelrische Realer
Grundform. Typus·.
Reguläres Actinomma
Polyeder drymodes
mit sechs quadratischen
Sei Im.
( T a f . II, Fig. 20).
Das reguläre Hexaeder oder der Würfel (Cubus, Tessera), dessen Grenzflächen sechs eongruente Quadrate sind, bildet die stereometrische Grundform von vielen freien Piastiden; er erscheint sehr rein ζ. B. bei vielen Pollen - Zellen (Baselia alba), aber auch bei zahlreichen
414
System der organischen Grundformen.
Parenchymzellen (ζ. B. kubischen Epithelialzellen). Seltener ist der Würfel die Grundform von ganzen actuellen Bionten, welche den Formwerth von Metameren haben, nämlich von mehreren sechsstacheligen Radiolarien aus der Ommatiden-Familie. Als geometrische Grundform von organischen Individuen ist der Würfel in mehrfacher Beziehung von besonderem Interesse, besonders auch desshalb, weil er zugleich die einfachste abgeleitete Form des regulären oder tesseralen Krystallsystems ist. Gleich der Grundform desselben, dem regulären Octaeder, besitzt der Würfel drei auf einander senkrechte Axen, welche alle drei unter sich gleich und gleichpolig sind. Sie verbinden die Mittelpunkte j e zweier gegenüber liegender Quadratflächen. Keine dieser drei maassgebenden Axen kann demnach als Hauptaxe (Längsaxe), Sagittalaxe (Dickenaxe) oder Lateralaxe (Breitenaxe) unterschieden werden. Ebenso sind ihre sechs Pole nicht verschieden. Die drei idealen Richtaxen oder Euthynen, welche den Grundcharacter der wichtigsten organischen Formengruppe, der Zeugiten, bestimmen, erscheinen hier zum ersten Male angedeutet, aber noch nicht differenzirt. Obgleich das reguläre Octaeder und das reguläre Hexaeder in allen Axen-Verhältnissen völlig übereinstimmen, so dass sie beide als Grundform des regulären Krystallsystems betrachtet werden können, müssen wir doch Beide in der organischen Promorphologie mindestens insofern als verschiedene Unterarten einer und derselben rhythmischen Polyaxonien-Art unterscheiden, als das Antimeren-Verhältniss in Beiden ein verschiedenes ist. Die organischen Individuen mit Würfelform erscheinen aus s e c h s t e t r a c t i n o t e n A n t i m e r e n (oder Parameren) zusammengesetzt, deren jedes eine reguläre vierseitige Pyramide darstellt. (Bei den cubischen Radiolarien ist die Hauptaxe (Längsaxe) jedes tetractinoten Antimeres durch einen starken radialen Kieselstachel verkörpert.) Dagegen erscheinen die organischen Individuen, welche das reguläre Octaeder als Grundform haben, aus a c h t t r i a c t i n o t e n A n t i m e r e n (oder Parameren) zusammengesetzt, deren jedes die Form einer regulären dreiseitigen Pyramide besitzt. Dieser wichtige promorphologische Unterschied ist hinreichend, um alle regulär-polyedrischen organischen Individuen, welche aus sechs tetractinoten Antimeren (oder Parameren) bestehen, als h e x a e d r i s c h e von denjenigen, welche aus acht triactinoten Antimeren (oder Parameren) bestehen, als o c t a e d r i s e h e n , zu trennen. Ausser den rein cubischen Pollenzellen (ζ. B. von Basella alba) und den rein cubischen Epithelialzellen finden wir das reguläre Hexaeder besonders ausgezeichnet verkörpert in mehreren äusserst zierlichen Gitterpanzern von kieselschaligen Radiolarien aus der Ommatiden-Familie. Es gehören hierher zwei Arten der Gattung
Regulär-polyedrische Grundformen.
Polyaxonia rhythmica.
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Aclinomma (A. drymodes, Rad. Taf. XXIV, Fig. 9 und A. asteracanthion, Rad. Taf. ΧΧ1Π, Fig. f>, ß), ferner wahrscheinlich viele Arten der Gattung Haliomma (mit Sicherheit jedoch nur H. hezacanthum bekannt, J. M ü l l e r , Abhandl. Taf: IV, Fig. ή). Bei allen diesen Ommatiden besteht der ganze Körper aus mehreren concentrisehen regulären Gitterkugeln, welche durch sechs sehr starke und grosse Radialstacheln verbunden sind, die von der innersten Kugel ausgehen und Uber die Oberfläche der äussrrsten mindestens noch um die Länge ihres Radius vorragen. Diese shells mächtigen, sehr regelmässig gebildeten und am Ende zugespitzten. Kieselstacheln, welche unter einander völlig gleich sind, liegen in drei auf einander senkrechten Kugeldurchmessem, welche den drei gleichen Axen des regulären Octaeders oder den drei gleichen Flächenaxen des Würfels entsprechen. Verbindet man die Spitzen der sechs Stacheln durch gerade Linien und legt durch je zwei benachbarte Linien eine Ebene, so sind die acht so entstehenden Ebenen gleichseitige und congruente Dreiecke und der ganze Körper ist ein reguläres Octaeder. Legt man dagegen durch die sechs Stachelspitzen Ebenen, auf denen die Radial stacheln senkrecht stehen, so sind die so entstehenden Ebenen congruente Quadrate und der ganze Körper ist ein Würfel. Durch die feinere Sculptur des Kieselskelets wird diese absolut reguläre Grundform ebenso wenig gestört, als durch die Form der Weichtheile; diese letzteren bestehen nur aus der kugeligen (den Kieselkugeln concentrischen) Centraikapsel, welche unterhalb der äusseren Gitterkugel liegt, und aus der formlosen Schleimhülle der Sarcode, welche die Centralkapsel umgiebt. Mit Rücksicht auf die höchst ausgezeichnete und vollkommen reguläre Grundform dieser merkwürdigen Radiolarien wird man es vielleicht vorziehen, dieselben als besondere Gattung (Hexaedromma) von den übrigen Ommatiden abzutrennen. F ü n f t e A r t der rhythmischen P o l y a x o u i e u .
Regelmässige Yierflächuer. Stereometrische
Realer
Grundform:
Reguläres
Tetiaedra regularia.
Polyeder
mit vier dreie kigen
Typus: Pollen von Corydalis (Taf. II, Fig. 21, 22).
Seiten.
sempervirens.
Das reguläre Tetraeder, dessen Grenzflächen vier gleichseitige und congruente Dreiecke sind, und welches die wichtigste hemiedrische Form des tesseralen Kristallsystems ist, bildet zwar bei keinem uns bekannten Organismus die Grundform eines actuellen Bionten, gleich dem Würfel; dagegen erscheint das Tetraeder sehr häufig und stereometrisch rein als Grundform einfacher Piastiden, besonders wieder bei vielen Pollen-Zellen. Als Beispiel kann der Pollen vieler Arten
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System der organischen Grundformen.
von Corydalis angeführt werden, namentlich C. sempermrens, (Taf. Π, Fig. 21). Hier ist jedes einzelne Pollenkorn ein reguläres Tetraeder. Anderemale verbinden sich vier Pollen-Zellen zur geometrischen Tetraeder-Form, ζ. B. bei Erica multißora, Drimys Wintert etc. Das Tetraeder ist stets aus vier congruenten Antimeren oder Parameren zusammengesetzt, deren jedes eine reguläre dreiseitige Pyramide bildet (Triactinoten-Form). Die Hauptaxe (Längsaxe) jeder Pyramide ist zugleich eine Flächenaxe des Tetraeders. Diese vier Flächenaxen finden sich in höchst merkwürdiger Weise rein verkörpert in den anorganischen Skeletbildungen einiger Protisten, den seltsamen Kiesel-Spicula nämlich, welche als Hülle von schlitzenden Stacheln die Centraikapseln mehrerer Sphaerozoiden umgeben. Die Grundform des regulären Tetraeders ist hier schon von J o h a n n e s M ü l l e r in den vierschenkeligen Nadeln mehrerer Sphaerozoen erkannt worden (Abhandl. p. 54, Taf. VIII, Fig. 2, 3). Bei Rhaphidozoum acuferum findet sich zwischen den einfachen linearen Nadeln ..eine zweite Art der Spicula, eine vierschenkelige Nadel, deren Schenkel unter gleichen Winkeln in einem Punkt zusammentreffen, gleich den Flächenaxen eines einzigen Tetraeders." (Rad. Taf. XXXII, Fig. 9—11). Bei Sphaeroz-oum punclatum und S. ovodimare ..bestehen die Spicula aus einem Mittelbalken, dessen entgegengesetzte Enden in drei divergirende Schenkel auslaufen, welche sowie der Mittelbalken gleich den Flächenaxen eines Tetraeders gestellt sind. Stellt man sich zwei Tetraeder mit einer der Flächen vereinigt vor, so haben sie eine der Flächenaxen gemeinsam, die anderen Flächenaxen frei auslaufend. Genau so sind die Schenkel der Spicula gestellt. Die Spicula gleichen also den Flächenaxen zweier vereinigter Tetraeder.·· (Ead. Taf. XXXIII, Fig. 6, 7.) Man braucht in der That bei diesen Sphaerozoiden bloss die Spitzen der Spicula-Schenkel durch Linien zu verbinden, und durch diese Linien Flächen zu legen, um das regulär Tetraeder zu erhalten. Es sind also hier beim Tetraeder, wie beim Hexaeder von Actinomma, nicht die Grenzflächen oder Kanten, sondern die A x e n des regulären Polyeder, welche als reguläre zusammengestellte Kieselnadeln die rhythmische Polyaxonform unverkennbar bezeichnen·. (Vergl. Taf. II, Fig. 20 und 22). Zweite Ordnung der Heteraxonien:
Ilauptaxige. Organische
Formen
Protaxonia.
mit einer
constanten
Hauptaxe.
Der kleinen Gruppe der Polyaxonien steht als andere, ungleich mannichfaltigere und wichtigere Hauptabtheilung der Heteraxonien die grosse gestaltenreiche Gruppe der P r o t a x o n i e n gegenüber, die sich durch die Differenzirung einer einzigen irgendwie ausgezeichneten
Hauptaxige Grundformen.
Protaxonia.
417
Hauptaxe bestimmt von den Polyaxonien unterscheiden. Sämmtliche Polyaxonien, wie verschieden auch die Zahl und Gestalt der Grenzflächen des Polyeders sein mag, stimmen doch darin überein, dass dies Polyeder ein endosphaerisches ist, dass also sämmtliche Ecken der Grenzflächen stets eine einzige Kugelfläche berühren, und dass das Centrum dieser Kugel die Mitte des Polyeders ist. Es sind daher auch alle Hauptaxen, deren mindestens drei vorhanden sein müssen, von gleicher Länge. Dadurch und durch die Eigenschaft, dass ihre Mitte ein P u n k t ist, schliessen sich die Polyaxonien den Homaxonien unmittelbar an. Bei den P r o t a x o n i e n dagegen kann die Grundform niemals ein endosphaerisches Polyeder, ebenso wenig als eine Kugel sein. Wenn die Grundform der Protaxonien ein reguläres oder irreguläres Polyeder ist. so liegen die Ecken desselhen niemals in einer Kugelfläche; wenn die Grundform von einer gekrümmten Fläche begränzt wird, so ist diese niemals eine ganze Kugel, sondern nur ein Theil einer Kugel (Kugelsegnient, Halbkugel), oder ein Sphaeroid (Ellipsoid, Linse), oder ein Ei u. s. w. Bei allen Protaxonien ist die Mitte des K ö r p e r s n i c h t mehr ein P u n k t , sondern eine L i n i e oder (bei den allopolen Heterostauren) eine Ebene. Diese Linie oder Ebene ist gänzlich verschieden von allen anderen Linien oder Ebenen, Welche wir durch den Körper legen können; alle Theile des Körpers nehmen gegen diese Mittellinie oder Mittelebene eine bestimmte characteristische Lage ein, und alle Halbirungs-Ebenen des Körpers müssen durch diese mediane Linie oder Ebene hindurchgehen. Bei den Protaxonien mit M i t t e l l i n i e ( C e n t r a x o n i a ) sind mehrere, mindestens zwei Halbirungs-Ebenen des Körpers vorhanden; bei den Protaxonien mit M i t t e l e b e n e ( C e n t r e p i p e d a oder Heterostaura allopola) ist nur eine einzige Halbirungsebene vorhanden und diese fällt mit der Mittelebene zusammen. Die H a u p t a x e (Axon p r i n c i p a l i s ) , welche die Protaxonien als solche characterisirt und von allen bisher betrachteten Grundformen trennt, ist bei den Centraxonien mit der Mittellinie identisch und liegt bei den Centrepipeden in der Mittelebene. Obgleich es schwer ist, die Hauptaxe für alle Protaxonien im Allgemeinen näher zu characterisiren, da sie in den einzelnen Abtheilungen dieser Formenklasse sehr verschiedene Eigenschaften zeigt, so ist es doch in jedem einzelnen Falle immer möglich, und meistens sehr leicht, dieselbe zu bestimmen. Wo überhaupt nur eine einzige Körperaxe bestimmt ausgeprägt ist, wie bei den Monaxien, da ist diese einzige Axe natürlich zugleich die Hauptaxe. Wo der Körper aus mehr als zwei congruenten Antimeren besteht, wie bei allen homopolen Stauraxonien und bei den homostauren Heteropolen, da ist die Hauptaxe stets diejenige Linie, welche allen Antimeren gemeinsam ist und in welcher sie sich Haeckel, Generelle Morphologie. 27
418
System der organischen Grundformen.
berühren. Wo man durch den Körper drei verschiedene auf einander senkrechte ideale Kreuzaxen legen kann, wie bei den Heterostauren, da ist die Hauptaxe eine von diesen drei Axen, die den drei Dimensionen des Raumes entsprechen. In diesem letzteren Falle ist es stets die L ä n g e n d i m e n s i o n , welche durch die Hauptaxe bestimmt wird und wir können sie daher auch L ä n g s a x e ( A x o n l o n g i t u d i n a l i s ) nennen. Meistens ist die Längsaxe läuger, als alle anderen Axen, nicht selten aber auch bedeutend kürzer, so dass wir sie nicht allgemein als die längste aller Axen characterisiren dürfen. Auch die Beschaffenheit ihrer beiden P o l e erlaubt keine allgemeine Bestimmung der H a u p t a x e . Bei der grossen Mehrzahl aller Protaxonien unter den Thieren ist ein Kopf oder doch ein Kopfende vom Körper abgegliedert und der eine Pol der Hauptaxe liegt dann in diesem Kopfende. Bei der grossen Mehrzahl der übrigen, den kopflosen Protaxonien, ist am einen Ende des Körpers oder doch in dessen Nähe ein Mund vorhanden und dann liegt der eine Pol der Hauptaxe im Munde (bei den Homostauren im Mittelpunkt des Mundes) oder doch in dessen Nähe. Auch bei vielen mundlosen Protaxonien, ζ. B. den meisten protaxonien Radiolarien, ist doch eine Mündung des Gehäuses vorhanden, welche in mehrfacher Beziehung die Stelle des Mundes vertritt. Diesem Pole entspricht bei den Blüthensprossen der Pflanzen die offene Mündung der Blüthe, und also allgemein bei allen festsitzenden protaxonien Pflanzen-Individuen der freie, nicht angewachsene Theil. Kein anderes Organ geht so constant, als die Mündung durch die ganze Protaxonien-Reihe hindurch und es ist desshalb das Passendste, den ersten Pol der Hauptaxe als M u n d p o l ( P o l u s p e r i s t o m i u s s. p o l u s o r a l i s ) und die Körperseite, in der er liegt, als M u n d s e i t e ( P e r i s t o m i u m , S u p e r f i c i e s o r a l i s ) zu bezeichnen. Für den entgegengesetzten zweiten Pol der Hauptaxe ist es weniger leicht, eine allgemein passende positive Bezeichnung zu finden. Bei der grossen Mehrzahl der protaxonien Thiere liegt der After in demselben oder doch in dessen Nähe, und man könnte ihn danach Afterpol nennen. Da jedoch bei sehr Vielen der After ganz fehlt, oder weit vom zweiten Axenpol entfernt, oft näher dem Mundpol, liegt, da ferner bei den festsitzenden protaxonien Pflanzen-Individuen das dem Mundpole entgegengesetzte Ende das angewachsene, basale ist (beim Hauptspross die Wurzel), so dürfte der andere Pol der Hauptaxe am zweckmässigsten als G e g e n m u n d p o l ( P o l u s a n t i s t o m i u s s. p o l u s a b o r a l i s ) und die Körperseite, in der erliegt, als G e g e n m u n d s e i t e ( A n t i s t o m i u m , S u p e r f i c i e s a b o r a l i s ) bezeichnet werden. Die sehr zahlreichen und verschiedenartigen Grundformen, welche in der umfangreichen Gruppe der Protaxonien vereinigt sind, lassen
Hauptaxige Grundformen.
419
Protaxonia.
sich sämmtlich in zwei grosse Hauptabtheilungen zusammenstellen, in einaxige und kreuzaxige Grundformen, M o n a x o n i e n und S t a u r a x o n i e n . Wenn wir die auf derHauptaxe senkrechten Ebenen, welche wir durch den Körper aller Protaxonien legen können, als Q u e r e b e n e n ( P l a n a t r a n s v e r s a l i a ) u n d sämmtliche gerade Linien, welche in diesen Ebenen durch die Hauptaxe gelegt werden können, als Q u e r a x e n ( A x o n e s t r a n s v e r s a l e s ) bezeichnen, so sind bei den Monaxonien sämmtliche Queraxen, die in einer und derselben Querebene liegen, gleich, während bei den Stauraxonien (entweder in einigen oder in allen Querebenen) ein Theil der Queraxen von den Übrigen, die mit ihnen in einer und derselben Ebene liegen, verschieden ist. Von diesen differenzirten Queraxen bezeichnen wir diejenigen, welche characteristisch ausgeprägt sind, und gegen welche die benachbarten ungleichen Queraxen eine bestimmte symmetrische Lage einnehmen, als K r e u z a x e n ( S t a u r i ) . Bei den einaxigen Protaxonien sind sämmtliche Querebenen Kreise, während bei den kreuzaxigen mindestens eiu Theil der Querebenen keine Kreise, sondern Vielecke oder Ellipsen oder noch complicirtere Formen sind. Wenn wir diejenigen Ebenen, die sich durch die Hauptaxe legen lassen, allgemein als M e r i d i a n e b e n e n ( P l a n a m e r i d i a n a ) bezeichnen, so finden wir bei den Monaxonien alle Meridianebenen gleich, bei den Stauraxonien dagegen einen Theil der Meiidianebenen von den übrigen verschieden. Diejenigen Meridianebenen der Stauraxonien, welche durch die Kreuzaxen gehen und diesen entsprechend besonders ausgezeichnet sind, nennen wir K r e u z e b e n e n ( P l a n a s t a u r o t a ) . Bei den Stauraxonien ist der Körper stets aus einer bestimmten Anzahl von Antimeren oder Parameren zusammengesetzt, welche sich in der Hauptaxe berühren, während bei den Monaxonien deren Zahl unendlich ist. Die Zahl der Kreuzaxen bestimmt die Zahl der Antimeren, indem wir als Kreuzaxen sowohl diejenigen Queraxen bezeichnen müssen, welche in den Medianebenen der einzelnen Antimeren, als auch diejenigen, welche in den Grenzebenen j e zweier benachbarter Antimeren liegen.') ') Bei allen Stauraxonien nennen wir diejenige Hälfte einer Kreuzaxe, welche in der Medianebene eines Antimeres liegt, S t r a h l , R a d i u s ; diejenige Hälfte einer Kreuzaxe, welche in der Grenzebene zweier Antimeren liegt, Z w i e c h e n s t r a h l , I n t e r r a d i u s . Diejenigen Meridianebenen, in denen 2 Strahlen liegen, und welche mithin zugleich die Meridianebenen zweier Antimeren sind, werden mit Vortheil (ζ. B. bei der Anatomie der Coelenteraten etc.) als S t r a h l e n , e b e n e n ( P l a n a r a d i a l i a ) bezeichnet, diejenigen Meridianebenen dagegen, in welchen zwei Zwischenstrahlen liegen, und welche mithin zugleich die Grenzflächen zweier Antimeren-Paare sind, als Z w i s c h e n s t r a h l e n e b e n e n ( P l a n a i n t e r r a d i a l i a ) . Eine dritte Art der Meridianebenen sind diejenigen, in denen
27*
420
System der organischen Grundformen.
Erste Unterordnung der Protaxonien.
Eineiige. (Protaxonien
Monaxonia. ohne
Kreuzaxen.)
Die Unterordnung der einaxigen Protaxonien umfasst nur solche Grundformen, welche bei einer deutlich ausgeprägten graden Längsaxe oder Hauptaxe ohne jede Andeutung einer bestimmten Kreuzaxe sind, bei denen mithin alle Queraxen einer jeden Querebene gleich, und also alle Querebenen Kreise sind. Da nun in solchen Körpern auch sämmtliche Meridianebenen gleich sein müssen, so kann man sie sich aus unendlich vielen congruenten Antimeren zusammengesetzt denken, die alle nur eine grade Grenzlinie, die Hauptaxe, gemein haben. Die Grenzflächen der monaxonien Formen müssen entweder sämmtlich gekrümmte Flächen sein, oder es können nur diejenigen Grenzflächen, welche senkrecht auf der Hauptaxe stehen, und welche also den Querebenen parallel laufen, Ebenen sein. Da wir nur 2 Pole
ein Strahl und ein Zwischenstrahl liegt, und welche H a l b s t r a h l e n e b e η en ( P l a n a s e m i r a d i a l i a ) heisseu mögen. Die Kreuzaxen. welche in den Semiradialebenen liegen, sind weder radial, noch interradial, sondern semiradial, indem die eine Hälfte der Kreuzaxe ein Strahl, die andere ein Zwischenstrahl bildet. Die Zahl der Antimeren muss nun bei den Stauraxonien stets gleich der Zahl der Kreuzaxen oder der Kreuzebenen sein. Es gilt dies Gesetz für alle Stauraxonien, obwohl dasselbe als Resultat aus verschiedenen Factoren folgt, je nachdem die homotypische Grundzahl grade oder ungrade ist. Wenn die Antimeren-Zahl grade ist, (4, 6, 8 und aligemein = 2 n ) , wie ζ. B. bei den Coelenteraten, so wird jede Kreuzaxe entweder von 2 Radien oder von 2 Interradien gebildet und es sind daher stets 2 Arten von Kreuzebenen vorhanden, welche regelmässig mit einander abwechseln, so dass zwischen j e 2 radialen eine interradiale liegt. So haben wir ζ. B. bei den vierzähligen Dicotyledonen-Blüthen und ebenso bei den gewöhnlichen Medusen ί auf einander senkrechte Radialebenen, welche bei letzteren durch die Mittellinien zweier benachbarter Radialcanäle, und 2 ebenfalls rechtwinkelig gekreuzte Interradialebenen, welche durch die in der Mitte zwischen jenen liegenden Interradiallinien bestimmt werden und welche die ersteren unter Winkeln von 45° kreuzen. Es sind also zusammen 4 Kreuzebenen vorhanden und dem entsprechend auch 4 Antimeren. Wenn dagegen die Antimeren-Zahl ungrade ist (3, 5und allgemein = 2n— 1), ζ. B. bei den Echinodermen, den fünfzähligen Dicotyledonen-Blüthen, so wird jede Kreuzaxe zur Hälfte von einem Radius, zur Häifte von einem Interradius gebildet, und es sind daher alle Kreuzebenen von einerlei A r t , semiradial; jede einzelne ist halb radial, halb interradial. So fällt also ζ. B. bei den Echinodermen die Fünfzahl der Kreuzebenen, deren jede zur Hälfte radial, zur Hälfte interradial ist, zasammen mit der Fünfzahl der Antimeren, aus denen der Körper zusammengesetzt ist. Wir werden unten, bei der allgemeinen Betrachtung der Stauraxoniendieses Yerhältnise noch näher erörtern.
Einaxige Grundformen. Monaxonia.
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der Hauptaxe haben, so können auch nur 2 ebene Grenzflächen an den Monaxonien vorkommen. Diese Ebenen, welche Kreise sein müssen, kann man als G r u n d f l ä c h e n oder Polebenen bezeichnen (Plana polaria). Die eine polare Grenzfläche ist die orale oder Peristomfläche; die audere die aborale oder Antistomfläche. Die zusammenhängende gekrümmte Grenzfläche der Monaxonform bezeichnen wir allgemein als M a n t e l ( P a l l i u m ) . Es sind nun im Allgemeinen in Bezug auf die Flächenbegrenzung der Monaxonien nur 3 Fälle möglich. Es wird nämlich I, die ganze Oberfläche des Monaxons nur von dem Mantel begrenzt; es ist k e i n e ebene Grenzfläche (Polebene) vorhanden. Dies ist der Fall bei den Sphaeroidfonnen ^Ellipsoid, Linse, Doppelkegel, Ei). II. Das Monaxon wird von dem Mantel und e i n e r Polebene begrenzt; diese letztere entspricht stets dem ersten (oralen) Pol der Hauptaxe, ist also die Peristomfläche und wird allgemein als B a s i s bezeichnet; ihr gegenüber liegt am zweiten (aboralen) Pol der Hauptaxe der Scheitel oder die Spitze ( A p e x ) des Monaxons. Zu dieser Monaxonform gehört das Hemisphäroid, sowie jedes durch eine Querebene geschnittene Sphaeroid (Ellipsoid. Linse), ferner der Kegel und das abgestutzte Ei. III. Das Monaxon wird vom Mantel und von zwei Polebenen begrenzt; von diesen letzteren wird auch hier die am Oralpol gelegene oder die Peristomfläche als Basis, die am Aboraipol gelegene oder die Antistomfläche als abgestutzte Spitze (Apex) oder genauer als A p i c a l e b e n e bezeichnet. Es gehört hierher vor Allem der Cylinder, dann diejenigen Formen, welche aus den Monaxonformen der zweiten Gruppe durch Abstumpfung entstehen (dadurch, dass durch den Apex eine der Basis parallele Ebene gelegt wird), also der Kegelstumpf (abgestumpfte, abgestutzte oder abgekürzte Kegel), das an beiden Polen abgestumpfte Sphaeroid etc. Die organisirten Formen, welche zur Monaxonform gerechnet werden müssen, sind im Thier-, Protisten- und Pflanzenreiche weit verbreitet als sphäroide (ellipsoide und linsenförmige), eiförmige, halbkugelige, kegelförmige und doppelkegelförmige, ferner als abgestumpft kegelförmige und cylindrische Gestalten. Doch gehört die grosse Mehrzahl der so gebildeten Formen nicht zu den selbstständigen Bionten, sondern zu morphologischen Individuen niederer Ordnungen, welche einem Bion untergeordnet sind. Bei den höheren Thieren und Pflanzen, deren Bionten den Rang von Personen oder Stöcken haben, sind es vorzugsweise Piastiden (Cytoden und Zellen) und demnächst Organe, welche das Monaxon zur Grundform haben. Niemals sind Antimeren aus der Monaxon-Form gebildet, verhältnissmässig selten nur Metameren und Personen. Dagegen giebt es viele Stöcke (ζ. B. Bäume und Corallenstöcke, welche sehr deutlich diese Grundform zei-
422
System der organischen Grundformen.
gen. Als Grundform selbstständiger Bionten erscheint das Monaxon in den letztgenannten Fällen, eben so aber auch bei niederen Form-Individuen in einzelnen Klassen sehr häufig, so namentlich unter den Rhizopoden, insbesondere kalkschaligen Monothalamien und Polythalamien und kieselschaligen Radiolarien (Cyrtiden, Disciden, Ommatiden) und bei vielen niederen Pflanzen (Algen und Pilzen). Wenn wir bei der Eintheilung der Monaxonien zunächst von dem schon erörterten dreifachen Verhältnisse der Oberflächen-Begrenzung absehen und uns in erster Linie wieder an die Axen und ihre Pole wenden, so tritt uns als das einfachste und naturgemässeste EintheilungsPrincip die Gleichheit oder Verschiedenheit der beiden Pole der Hauptaxen entgegen. Bei den Gleichpoligen oder Einfachpoligen (Monax o n i a h a p l o p o l a ) sind die beiden Pole der Hauptaxe und die ihnen entsprechenden Polflächen gleich, bei den Ungleichpoligen oder Zweifachpoligen ( M o n a x o n i a d i p l o p o l a ) verschieden. Zu den ersteren gehören die Sphaeroidformen (Ellipsoid, Linse), der Doppelkegel und der Cylinder, zu den letzteren die Hemisphaeroidformen und überhaupt die abgestutzten Sphaeroidformen, ferner der Kegel und das Ei. Von Wichtigkeit ist für die Betrachtung der Monaxonien diejenige Querebene, welche durch den Halbirungspunkt der Hauptaxe geht, und welche wir allgemein als A e q u a t o r i a l e b e n e (Planum aequatoriale) bezeichnen; die Queraxen, welche in der Aequatorialebene liegen, heissen A e q u a t o r i a l a x e n . Durch die Aequatorialebene wird der Körper der haplopolen Monaxonien in 2 congruente, derjenige der diplopolen dagegen in 2 ungleiche Stücke zerlegt. Die einfachste etereometrische Grundform der H a p l o p o l e n ist der C y l i n d e r , diejenige der D i p l o p o l e n der K e g e l . Erste Familie der Monaxonien.
Gleichpolige Eiuaxige. Stereometrische
Grundformen:
Sphaeroid,
Haplopola. Doppelkegel,
Cylinder.
Die Formengruppe der gleichpoligen Einaxigen, oder der H a p l o p o l e n , wie wir sie kurz nennen wollen, deren Körper durch die Aequatorialebene und ebenso durch jede Meridianebene in 2 congruente Hälften getheilt wird, ist nur selten zu der Bildung von morphologischen Individuen höherer, sehr , häufig dagegen zur Bildung von Individuen niederer Ordnung (Piastiden und Organen verschiedener Stufen) verwendet. Als untergeordnete Modificationen dieser Grundform können wir 2 Formengruppen unterscheiden, je nachdem die Oberfläche des Körpers bloss von einer gekrümmten Fläche (Mantel) oder zugleich von 2 gleichen Ebenen (Grundflächen) begrenzt wird. Formen mit nur einer Ebene als Grenzfläche können hier nicht vor-
Gleichpolige einaxige Grandformen.
Haplopola.
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kommen, da hierdurch allein schon die Verschiedenheit der beiden Pole bedingt ist; diese gehören alle zu den Diplopolen. Die Haplopol-Formen ohne ebene Grenzfläche ( A n e p i p e d a ) werden durch die verschiedenen Arten des S p h a e r o i d s (Ellipsoid, Linse etc.) und durch den basalen Doppelkegel vertreten. Die Homopolformen mit 2 ebenen Grenzflächen ( A m p h e p i p e d a ) werden durch den g r a d e n Cylinder und die davon abgeleiteten Formen, den apicalen Doppelkegel u. s. w. repräsentirt. Erste Unterfamilie der haplopolen Monaxonien: Gleichpolige Einaxige ohne Grenzebene. Haplopola anepipeda. Stereometrische Realer
Grundform:
Typus:
Sphaeroid. Coccodiscus.
Die anepipeden Haplopolen treten in 2 verschiedenen Hauptformen auf, nämlich in der einfacheren Form des basalen geraden Doppelkegels und in der complicirteren Form des Sphaeroids. Unter g e r a dem b a s a l e m D o p p e l k e g e l verstehen wir diejenige stereometrische Form, welche aus 2 congruenten mit ihrer Basis vereinigten geraden Kegeln zusammengesetzt ist. Jede Meridianebene dieses Körpers ist ein Rhombus. Ton der Grundform des basalen geraden Doppelkegels können, wie von der des einfachen geraden Kegels, 3 verschiedene Arten unterschieden werden, je nachdem die Hauptaxe eben so lang, länger oder kürzer, als die Aequatorialaxe ist. Bei den r e c h t w i n k e l i g e n geraden basalen Doppelkegeln ist die Hauptaxe ebenso lang, bei den s p i t z w i n k e l i g e n länger und bei den s t u m p f w i n k e l i g e n kürzer als die Aequatorialaxe. Daher ist beim Diploconus rectus basalis o r t h o g o n i u s jede Meridianebene ein Quadrat, beim o x y g o n i u s ein Rhombus mit spitzen, und beim a m b l y g o n i u s ein Rhombus mit stumpfen Apicalwinkeln oder Polarwinkeln. Die Grundform des geraden basalen Doppelkegels findet sich nur selten in organischen Formen realisirt vor, und tritt selbst bei den Form-Individuen niederster Ordnungen (Piastiden und Organen) nur in wenigen Fällen deutlich erkennbar hervor. Um so häufiger findet sich die andere Hauptform der anepipedenHomopolen, das S p h a e r o i d , im Organismus verkörpert. Die Sphaeroid-Form gehört zu den einfachsten organischen Grundformen und ist am nächsten der Homaxonform der Kugel verwandt, aus der wir sie dadurch ableiten, dass wir eine einzige Axe der Kugel sich nach beiden Polen hin gleichmässig verlängern oder verkürzen lassen, so dass beide Pole dieser Hauptaxe gleich weit vom Mittelpunkt entfernt bleiben, und dass die Aequatorialebene den ganzen Körper in zwei c o n g r u e n t e H e m i s p h a e r o i d e
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System der organischen Grundformen.
theilt. Wenn die Hauptaxe des S p h a e r o i d s länger ist als die Aequatorialaxe, so nennen wir dasselbe E l l i p s o i d , wenn sie kürzer ist, L i n s e . Wenn der abgerundete Aequatorialrand der Linse sich zuschärft, so wird dadurch der Uebergang zur Form des basalen graden Doppelkegels bedingt. Die Meridianebene des Sphäroids ist eine Ellipse. Die Verwendung der Sphaeroidform zur Bildung von morphologischen Individuen erster und zweiter Ordnung, Piastiden und Organen, ist so allgemein verbreitet uud mannichfaltig, dass es nicht nöthig ist, besondere Beispiele anzuführen. Auch die virtuellen Bionten höherer Organismen, ζ. B. die Jugendzustände der Personen, treten häufig als ellipsoide oder linsenförmige Embryonen auf. Selten dagegen ist die reine Sphaeroidform in erwachsenen Individuen (actuellen Bionten) verkörpert, am meisten wiederum bei den Radiolarien, und namentlich unter den Ommatiden, Disciden und Sponguriden; so als Ellipsoid ζ. Β. bei Haliomma ocatnm, bei Haliommatidium Miilleri und Η fenestratum (wenn man von den 20 radialen Stacheln absieht), ferner in Perichlamydium, Chilomma Saturnus (?), Coccodiscus Darwinii (Rad. Taf. XXVIII. Fig. 11.) Zweite Unterfamilie der haplopolen Monaxonien.
Gleichpolige Einaxige mit zwei Greuzebenen. amphepipeda. Stereometrische
Realer
Grundform:
Typus:
Haplopola
Cylinder.
Pyrosoma.
Die gleichpoligen Einaxigen mit zwei Grenzebenen sind entweder in der einfachen stereometrischen Grundform des geraden Cylinders oder in complicirteren, durch gleichpolige Modification des Cylinders entstehenden Formen verkörpert. Der g e r a d e C y l i n d e r der Geometrie, dessen Meridianebene ein Rechteck ist, und dessen Axe (Hauptaxe) senkrecht im Mittelpunkt der beiden congruenten und parallelen kreisrunden Grundflächen steht, ist äusserst häufig in ganz reiner Form im Organismus realisirt, selten allerdings als das materielle Substrat von actuellen Bionten, um so häufiger dagegen von Individuen niederer Kategorieen, welche ein höheres actuelles Bion zusammensetzen, besonders Piastiden und Organen. Unter den Cytoden und Zellen finden wir die reine Cylinderform bei sehr vielen langgestreckten Protisten (Diatomeen), einzelligen Algen und den einzelnen Fadenzellen der Nematophyten; ebenso auch vielfaltig im Parenchym höherer Organismen. Unter den Zellfusionen ist die Cylinderforni besonders häufig, so bei den Nervenprimitivröhren und Capillarröhren der Thiere, den Spiralgefässen der Pflanzen. Von
Gleichpolige einaxige Grundformen.
Haplopola.
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den Organen sind es besonders die einfachen, selten die zusammengesetzten Organe (ζ. B. Tentakeln und Extremitäten), die mehr oder minder rein die Cylinderform zeigen. Auch bei höheren Thieren erscheint bisweilen der gesammte Körper, genauer ausgedrückt, die Hautbedeckung, cylindrisch geformt, so ζ. B. unter vielen Tunicaten (Salpen und am reinsten in Doliolum), in den Doliolum ähnlichen Gehäusen der Pkronima etc. Ferner sind ganze Colonieen bisweilen mehr oder minder cylindrisch, ζ. B. von einigen Pyrosomen. Sehr allgemein ist der reine Cylinder die Grundform der Metameren, ζ. B. bei den Stengelgliedern der Phanerogamen und Anthozoen. Unter den Rhizopoden findet sich auch die reine Cylinderform in actuellen Bionten nicht selten verkörpert, ζ. B. unter den kalkschaligen Polythalamien in vielen Soritiden (Cyclolina, OrbituKtes, Sorites, Amphisorus), unter den kieselschaligen Radiolarien in vielen Disciden und Sponguriden ζ. B. Tremalodiscus, Spongodiscus, Spongocyclia cycloides etc. (Rad. Taf. XII, Fig. 14, 15; Taf. XXIX, Fig. 1—3). Will man der bequemeren Bezeichnung halber verschiedene Arten von graden Cylindern unterscheiden, so wird man als Maassstab das Längen-Verhältniss der Hauptaxe zur Aequatorialaxe (die hier dem Durchmesser der Grundflächen gleich ist) benutzen müssen und wird im Allgemeinen drei Arten unterscheiden können: 1. Q u a d r a t c y l i n d e r , deren Hauptaxe der Aequatorialaxe gleich und deren Meridianebene folglich ein Quadrat ist; 2. V e r l ä n g e r t e C y l i n d e r , deren Hauptaxe länger, und 3. V e r k ü r z t e C y l i n d e r , deren Hauptaxe kürzer als die Aequatorialaxe ist. M o d i f i c i r t e g e r a d e C y l i n d e r , an denen die beiden sich polar entsprechenden Hälften in gleicher Weise verändert sind, am häufigsten durch Krümmungen der Mantelfläche, Einschnürungen beiderseits der Aequatorialebene u. s. λν. finden sich im Organismus und namentlich unter den Individuen erster Ordnung, den Zellen, noch ungleich häufiger vor, als die geometrisch reinen geraden Cylinder. Es gehören dahin alle unter den anepipeden Haplopolen aufgeführten Formen, sobald man ihre beiden Spitzen (Apicalpole) durch zwei gleiche Querebenen abstumpft, die gleich weit von der Aequatorialebene entfernt sind. Die meisten hierher gehörigen Formen, deren Maunichfaltigkeit unendlich gross ist, dürften der genaueren geometrischen Bestimmung sehr grosse und zum Theil unüberwindliche Schwierigkeiten entgegensetzen. Als eine der einfachsten hierher gehörigen Formen, wollen wir hier nur den g e r a d e n a p i c a l e n D o p p e l k e g e l anführen, welcher sich von dem vorhin erläuterten basalen dadurch unterscheidet, dass die beiden congruenten geraden Kegel nicht mit ihrer Basis, sondern mit ihren Spitzen vereinigt sind; die Axen bei
System der organischen Grundformen.
426
der Kegel liegen in einer Geraden. In fast geometrisch reiner Form ist der gerade apicale Doppelkegel in manchen Fischwirbeln, ferner im Kieselmantel von Diploconus fasces verkörpert (Rad. Taf. XX, Fig. 7). Wie verschieden auch die Krümmungen der Mantelflächen bei dem „modificirten geraden Cylinder" sich gestalten mögen, so stimmen doch alle hierher zu zählenden Formen darin mit dem geraden Cylinder überein, dass der Körper durch die Aequatorialebene in zwei congruente Hälften getheilt wird. Zweite Familie der Monaxonien.
Ungleichpolige Einaxige: Diplopola. Stereometrische
Grundformen:
Halbkugel,
Kegel, abgestumpfter
Kegel.
Die Formengruppe der Diplopolen oder der ungleichpoligen Einaxigen, deren einfachste geometrische Grundform der K e g e l ist, findet sich häufiger, als diejenige der Haplopolen, zur Bildung höherer Form Individuen (Stöcke und Personen), ausserdem aber auch vorzugsweise zur Bildung von Form-Individuen niederer Ordnung, Plastiden und Organen, verwendet. Da die beiden Pole der Hauptaxe hier stets verschieden sind, so wird der Körper durch die Aequatorialebene niemals in zwei congruente Hälften getheilt, und es lassen sich die beiden Polflächen, die bei den Homopolen noch congruent waren, zum ersten Male unterscheiden: Der Mundpol ist der Mittelpunkt des Peristome oder der A r e a o r a l i s , der Gegenmundpol das Centrum des A n t i s t o m s oder der A r e a a b o r a l i s . Die verschiedenen Formen der heteropolen Monaxonien lassen sich in drei Gruppen bringen, je nachdem der Körper bloss von der gekrümmten Mantelfläche, oder zugleich noch von einer oder von zwei ebenen Flächen (Grundflächen, Polebenen) begrenzt wird. Die einfachste Grundform der Gestalten ohne ebene Grenzfläche ( A n e p i p e d a ) ist das Ei, diejenige der Μ ο n e p i p e d e n (mit einer Polebene) der einfache g e r a d e K e g e l , diejenige der A m p h e p i p e d e n endlich (mit zwei Grenzebenen) der g e r a d e a b g e s t u m p f t e Kegel. Erste Unterfamilie der diplopolen Monaxonien.
Ungleichpolige Einaxige ohne Grenzebene. Diplopola anepipeda. Stereometrische
Grundform:
Ei.
Realer Typus. Ovulina. Der einfachste regelmässige Körper, welcher nur von einer einzigen gekrümmten Fläche umschlossen ist und eine einzige Axe mit zwei differenten Polen besitzt, ist das Ei. Der Grad der Krümmung des Mantels kann ein höchst verschiedener sein; immer aber ist derselbe dadurch beschränkt, dass jede Querebene des Körpers ein Kreis
Ungleichpolige einaxige Grundformen.
Diplopola.
427
bleiben mass; daher müssen auch stets alle Meridian-Ebenen des Eies congruent sein. Die Individuen niederster Ordnung, die Zellen und Cytoden, stellen so häufig die reine Eiform dar, dass wir von einer speciellen Anführung von Beispielen absehen können. Ebenso sind auch Organe und Colonieen sehr häufig eiförmig. In actuellen Konten ist die Eiform sehr häufig unter den Rhizopoden verkörpert; in der Klasse der kalkschaligen Acyttarien sind es die artenreichen Gattungen Ovulina, Pliialina, Amphorina unter den Monothalamien, die Gattung Glandulma und andere Nodosariden unter den Polythalamien, welche manniehfaltige Eiformen repräsentiren; in der Klasse der kieselschaligen Radiolarien gilt dasselbe von der den letzteren entsprechenden Familie der Cyrtiden, namentlich den Monocyrtiden (Carpocanium etc.); im Protoplasten - Stamme wiederholt sie sich in Difßugia proteiformis, D. oblonga u. A. Sehr wichtig ist die Eiform ferner als die Promorphe sehr vieler Pflanzenstöcke, aller derjenigen nämlich, bei welchen die Zweige eines starken Hauptsprosses so ungleichmässig um denselben herumstehen, dass daraus keine Pyramidenform sich ableiten lässt. Man kann sich die Eiform dadurch entstanden denken, dass auf beiden Seiten einer Kreisebene (Aequatorialebene) unendlich viele Kreisebenen, welche der ersteren concenlrisch und parallel, aber von ungleicher Grösse sind, über einander gelegt werden. Die Linie, welche die sämmtlichen Mittelpunkte verbindet, giebt die Hauptaxe, deren beide Pole gleich weit von der Aequatorialebene entfernt sind. Bei der reinen regulären Eiform nimmt der Durchmesser (die Queraxe) der einzelnen parallelen Kreisebenen nach jedem der beiden Pole hin allmählig ab und wird in demselben gleich Null. Die Abnahme des Durchmessers ist aber nach den verschiedenen Polen hin verschieden und wächst in verschiedenem Grade beiderseits einer Querebene, welche der Aequatorialebene parallel auf einer Seite derselben liegt. Die abgeleiteten Eiformen oder die M o d i f i c a t i o n e n d e r E i f o r m , welche in den Organismen ebenfalls sehr häufig verkörpert sind, unterscheiden sich von der reinen geometrischen Eiform dadurch, dass die Abnahme des Durchmessers der parallelen Kreisebenen nach jedem Pole hin nicht gleichmässig, sondern ungleichmässig erfolgt. Es können daher hier auf der äusseren Oberfläche des Eies abwechselnde ringförmige Einschnürungen und Wülste auftreten. Will man verschiedene Arten der Eiform unterscheiden, so wird man als drei Hauptgruppen von Eiern aufstellen können: 1) S p h a e r o i d e E i e r , deren Hauptaxe gleich der Aequatorialaxe ist; 2) V e r l ä n g e r t e E i e r , deren Hauptaxe länger, und 3) V e r k ü r z t e E i e r , deren Hauptaxe kürzer, als die Aequatorialaxe ist. Alle drei Eiformen kommen in Plastiden und Organen sehr häufig vor, am häufigsten aber das verlängerte Ei.
428
System der organischen Grandformen. Zweite Unterfamilie der diplopolen Monaxonien:
Ungleichpolige Einaxige mit einer Grenzebene.
Diplopola
monepipeda. Stereometrische
Grundform:
Kegel,
Halbkugel.
Realer Typus: Conulina. Eine derjenigen Grundformen, welche am häufigsten zur Bildung von Piastiden und Organen, aber auch von Stöcken verwendet wird, ist diejenige reguläre Diplopolen-Form, deren Oberfläche von einer gekrümmten und von einer ebenen Fläche begrenzt wird. Als einfachste geometrische Form dieser Gruppe kann man entweder den geraden K e g e l oder die Halbkugel bezeichnen. Bei beiden ist die Ebene, welche dem Mundpol entspricht, und welche wir daher Area o r a l i s nennen, ein Kreis. Die Meridianebene des geraden Kegels ist das gleichschenkelige Dreieck, diejenige der Halbkugel der Halbkreis. Der g e r a d e Kegel (Conus) ist als Grundform von Piastiden und Organen äusserst häufig. Auch echte Stöcke zeigen die Kegelform oft mehr oder minder rein, wie dieselbe ζ. B. in einem sehr grossen Theil der phanerogamen Pflanzenstöcke (sehr rein in vielen Coniferen) nicht zu verkennen ist. Im letzteren Falle ist die Kegelform das materielle Substrat des actuellen Bion, ebenso auch bei vielen Rhizopoden, namentlich bei den Xodosariden (Conulina u. m. a.) unter den Polythalamien, bei den Cyrtiden (Cornutella, Eucecryphalus u. A.) unter den Radiolarien. Die äussere Körperform, bedingt durch die Bildung des Mantels (der Hautdecke), spiegelt die gerade Kegelform auch da sehr häufig vor (ζ. B. bei vielen Coelenteraten und Echinodermen), wo durch die innere Zusammensetzung des Körpers (aus einer bestimmten Zahl congruenter Antimeren) die homostaure Stauraxonform (reguläre Pyramide) angezeigt wird. Alle verschiedenen Formen, die in die Gruppe des geraden Kegels gehören, lassen sich auf eine der drei Arten des geraden Kegels zurückfahren, die auch in der Geometrie nach dem Längenverhältniss der Höhe des Kegels zum Durchmesser der Grundfläche bestimmt werden. Diese drei Arten sind: 1. der rechtwinkelige gerade Kegel (Conus o r t h o g o n i u s ) , dessen Axe (Hauptaxe) gleich dem Durchmesser der Grundfläche (Area oralis) ist; II. der spitzwinkelige (Conus oxygonius), dessen Axe länger, und HI. der stumpfwinkelige gerade Kegel (Conus a m b l y g o n i u s ) , dessen Axe kürzer als der Durchmesser der Grundfläche ist. Die H a l b k u g e l ( H e m i s p h a e r a ) ist weniger häufig als der Kegel in rein geometrischer Form verkörpert. Um so häufiger ist die
Ungleichpolige einaxige Grundformen.
Diplopola.
429
Form des H e m i s p h a e r o i d s , wenn wir darunter einestheils alle Kugelsegmente verstehen, die kleiner oder grösser als eine Halbkugel sind, andererseits alle Formen, welche wir aus dem Sphaeroid (Ellipsoid, Linse1» oder aus dem Ei dadurch erhalten, dass wir dasselbe durch eine Querebene (eine der Aequatorialebene parallele Ebene) schneiden. Die äussere Gestalt des Mantels der meisten Hydromedusen und Ctenophoren (abgesehen von der pyramidalen Grundform, die dem ganzen Bion vermöge seiner radialen Zusammensetzung aus Antimeren zukommt) dürfte auf solche höchst manuichfaltige Hemisphaeroid-Bildungen, zum Theil auch auf reine Hemisphären, zurückzuführen sein. Wenn man verschiedene Arten des Hemisphaeroids (den Ausdruck im allgemeinsten Sinne genommen) unterscheiden will, so dürften folgende aufzuführen sein: 1) das hohe Kugelsegment (grösser als die Halbkugel); 2) das flache Kugelsegment (kleiner als die Halbkugel1!; 3) das Hemiellipsoid (das Ellipsoid halbirt); 4) das abgestumpfte Ellipsoid (das Ellipsoid durch eine der Aequatorialebene parallele Ebene (Querebene) geschnitten); 5) die halbe Linse (Hemiphacoid); 6) die abgestumpfte Linse (die Linse durch eine Querebene geschnitten, welche der Aequatorialebene parallel läuft); 7) das Halbei oder Hemiooid (das Ei durch die Aequatorialebene halbirt); 8) das abgestumpfte Ei (das Ei durch eine Querebene geschnitten, welche der Aequatorialebene parallel läuft). Dritte Unterfamilie der diplopolen Monaxonien.
Uugleichpolige Einaxige mit zwei Grenzebeiien. amphepipeda. Stereometrisch* Realer
Grundform: Typus:
Diplopola
Kegelstumpf. Nodosaria.
Die am höchsten differenzirte Monaxonform wird von denjenigen heteropolen Monaxonien dargestellt, die ausser der gekrümmten Fläche (Mantel) von zwei verschiedenen ebenen Flächen (Grundflächen) umschlossen sind. Die einfachste geometrische Grandform dieser amphepipeden Diplopolen ist der g e r a d e K e g e l s t u m p f oder der abgestumpfte gerade Kegel, also ein gerader Kegel, dessen Spitze durch eine der Grundfläche (Area oralis) parallele Ebene (Area aboralis) abgeschnitten ist. Die Schnittebene oder Antistomfläche ist bei den meisten hierher gehörigen Formen ein kleinerer Kreis, als die ihr parallele Basalebene oder Peristomfläche. Ausser dem geraden abgestumpften Kegel und den Formen, welche man durch Vertiefung oder Hervorwölbung seiner Mantelfläche davon ableiten kann, sind hierher auch diejenigen d o p p e l t a b g e -
430
System der organischen Grundformen.
s t u m p f t e n S p h a e r o i d f o r m e n zu rechnen, welche man dadurch erhält, dass man die verschiedenen Modificationen des Sphaeroids (Ellipsoid, Phacoid), ebenso auch das Ei gegen beide Pole hin durch zwei Ebenen schneidet (abstumpft), welche ungleichen Abstand von der ihnen parallelen Aequatorialebene haben. Auch diese Formen sind ebenso wie der gerade Kegelstumpf in den Gestalten der FormIndividuen erster, zweiter und sechster Ordnung, bei den Piastiden, Organen und Stöcken (namentlich Anthozoen-Stöcken und PflanzenStöcken) sehr häufig nachzuweisen. Wie bei den letzteren, so bilden sie die Grundform von actuellen Bionten auch einigen Arten von Nodosaria und Difflugia, vielen Flagellaten und anderen Protisten. Eine nähere Betrachtung ihrer unendlich vielen Modificationen hat kein besonderes Interesse.
Zweite Unterordnung der Protaxonien:
Kreuzaxige. Stereomut risclie Grundformen:
Stauraxonia. Doppelpyramidun
oder
Pyramiden.
(Protaxonien mit Kreuzaxen.)
Die kreuzaxigen Grundformen oder Stauraxonien, welche die andere Hauptabtheilung der Protaxonien bilden, sind ungleich wichtiger und interessanter als die Monaxonien, schon durch die unendliche Mannichfaltigkeit verschiedener Formen, welche den verschiedenen Differenzirungsmöglichkeiten bestimmter Kreuzaxen ihren Ursprung verdanken. Der Gestalten-Reichthum aller bisher untersuchten Grundformen ist unbedeutend gegenüber den ausserordentlich manniebfaltigen Thier- und Pflanzen-Formen, die der Stauraxonien-Gruppe angehören. Mit der zunehmenden Möglichkeit der Formbeugung in den verschiedensten Richtungen wächst freilich auch die Schwierigkeit der Erkenntniss ihrer Grundform, woraus sich erklärt, dass bisher die geometrische Grundform, welche allen Stauraxonien zu Grunde liegt, nicht erkannt worden ist. Die Stauraxonien unterscheiden sich von den Monaxonien, wie wir schon oben bei der allgemeinen Characteristik der Protaxonien und ihrer beiden Hauptabtheilungen erörtert haben, vor Allem dadurch, dass neben der Hauptaxe, welche Beiden gemeinsam ist, auch noch andere bestimmt differenzirte Körperaxen hervortreten, welche auf der ersteren senkrecht stehen und welche verschieden sind von den zwischen ihnen in derselben Querebene liegenden indifferenten Axen (Queraxen). Die Z a h l dieser differenten Axen, welche wir K r e u z a x e n ( S t a u j i ) genannt haben, ist s t e t s g l e i c h d e r Z a h l der P a r a m e r e u o d e r d e r A n t i m e r e n , die hier ein beschränktes
Kreuzartige Grundformen.
Stauraxonia.
431
Maass hat, während sie bei den Monaxonien = oc war. Es ist oben auch bereits nachgewiesen worden, warum dieser Satz allgemeine Gültigkeit hat. obwohl die Kreuzaxen und die durch sie gelegten Meridian-Ebenen (Kreuzebenen) von zweierlei oder eigentlich von dreierlei Art sind, je nachdem die Antimerenzahl gerade oder ungerade ist. Bei der grossen Wichtigkeit, welche dieses bisher noch nicht beachtete Verhältniss fttr das Verständniss der Stauraxonform hat, müssen wir dasselbe ausführlich begründen. Wir halten uns dabei ausschliesslich an die Antimeren, welche als morphologische Individuen dritter Ordnung die Metameren und Personen zusammensetzen. Dasselbe, was von den Antimeren, gilt aber auch von den Parameren, welche eine entsprechende Rolle bei den Form-Individuen zweiter und erster Ordnung (Organen und Piastiden) spielen. Die K r e u z a x e n der Stauraxonien liegen entweder erstens in der Medianebene eines Antiineres (einer halben Radialebene), oder zweitens in der Grenzebene zwischen zwei benachbarten Antimeren (einer halben Interradialebene), oder endlich drittens, halb in einer radialen, halb in einer interradialen Kreuzebene. Um das Verhältniss der Kreuzaxen zu den Antimeren näher zu bestimmen, ist es nöthig, die in sehr verschiedenem Sinn gebrauchten Begriffe des Radius und Interradius festzustellen. (Yergl. Taf. I nebst Erklärung). S t r a h l ( R a d i u s ) nennen wir diejenige Hälfte einer Kreuzaxe, welche in der Medianebene eines Antiineres liegt; Z w i s c h e n s t r a h l ( I n t e r r a d i u s ) dagegen difgenige Hälfte einer Kreuzaxe, welche in der Grenzebene zweier Antimeren liegt. In jedem einzelnen Falle construirt man den R a d i u s des Antiineres einfach dadurch, dass man in der Medianebene des Antiineres (in der Meridianebene, die man durch die Mittellinie des Antiineres und durch die Hauptaxe des Metameres oder der Person gelegt hat) ein Perpendikel auf dem Halbirungspunkte der Hauptaxe errichtet, den I n t e r r a d i u s dagegen dadurch, dass man auf demselben Punkte ein Perpendikel in der Grenzebene j e zweier Antimeren errichtet. Die Medianebene jedes Antimeres ist daher die Hallte einer radialen, die Grenzebene zweier Antimeren dagegen die Hälfte einer interradialen Meridianebene. Es können nun die K r e u z a x e n ( S t a u r i ) und die durch sie gelegten Meridianebenen, die wir K r e u z e b e n e n ( P l a n a c r u c i a t a s. s t a u r o t a ) genannt haben, von dreierlei Art sein: I. die s t r a h l i g e K r e u z a x e ( S t a u r u s r a d i a l i s ) oder die S t r a h l a x e ist aus zwei diametral gegenüberliegenden Radien gebildet; II. die z w i s c h e n strahlige Kreuzaxe (Staurus i n t e r r a d i a l i s j oder die Z w i s c h e n s t r a h l a x e wird aus zwei diametral .gegenüberliegenden Intelradien gebildet; III. die h a l b s t r a h l i g e K r e u z a x e ( S t a u r u s s e m i r a d i a l i s ) oder die H a l b s t r a h l a x e ist aus einem Radius und
432
System der organischen Grundformen.
einem diametral gegenüberliegenden Interradius zusammengesetzt. Diesen drei Formen der Kreuzaxen entsprechend können wir auch die drei Arten von Kreuzebenen (Meridianebenen, die durch die Kreuzaxen gelegt werden können) unterscheiden: 1) die S t r a h l e b e n e (strahlige oder radiale Kreuzebene), P l a n u m r a d i a l e , ist aus den Medianebenen zweier diametral gegenüberliegender Antimeren zusammengesetzt; 2) die Ζ w i s c h e n s t r a h J e b e n e (zwischenstrahlige oder interradiale Kreuzebene), P l a n u m i n t e r r a d i a l e , besteht aus den diametral entgegengesetzten Grenzebenen zweier Antimeren-Paare; 3) die H a l b s t r a h l e b e n e (halbstrahlige oder semiradiale Kreuzebene), P l a n u m s e m i r a d i a l e , ist aus der Medianebene eines Antimeres und aus der diametral gegenüberliegenden Grenzebene eines Antimeren-Paares zusammengesetzt. (Yergl. Taf. I nebst Erklärung). Wenn wir diese wesentlichen Unterschiede der drei Arten ron Kreuzaxen und der ihnen entsprechenden drei Arten von Kreuzebenen festhalten und nun die Zahl derselben mit der Zahl der Antimeren vergleichen, so ergiebt sich ohne Weiteres in allen Fällen das allgemeine Gesetz: die Z a h l d e r A n t i m e r e n ( o d e r die h o m o t y p i s c h e G r u n d z a h l ) ist g l e i c h der Z a h l d e r K r e u z a x e n (oder der Kreuzebenen), gleichviel ob diese Zahl gerade (2n) oder ungerade (2n—1) ist. Wenn die Antimeren-Zahl gerade ist ( = 2 n ) , wie bei den meisten Coelenteraten, so sind die Kreuzaxen von zweierlei Art, und es ist die Hälfte der Kreuzaxen (und Kreuzebenen) radial, die Hälfte interradial, so dass strahlige und zwischenstrahlige alterniren. So sind ζ. B. bei den Carmariniden (den sechsstrahligen Geryoniden) drei radiale Kreuzebenen vorhanden, in denen die sechs Radialcanäle und die sechs radialen Eandbläschen liegen, und drei interradiale Kreuzebenen, in denen die sechs interradialen Randbläschen und Mantelspangen liegen; zusammen also sechs Kreuzebenen, gleich der Antimeren-Zahl. (Taf. I , Fig. 1). Ebenso finden wir bei den hexactinoten Anthozoen drei radiale Kreuzebenen, in denen die sechs primären Fächer der perigastrischen Höhle, und drei interradiale, in denen die sechs primären Septa der Leibeswand liegen, die jene trennen. Wenn die homotypische Grundzahl dagegen ungerade (2n — 1) ist, wie bei den meisten Echinodermen, so sind alle Kreuzebenen von einerlei Art, nämlich semiradial, und es ist die Hälfte jeder Kreuzaxe ein Radius, die Hälfte ein Interradius (Taf. I, Fig. 6). So sind ζ. B. bei allen Seesternen mit fünf Antimeren fünf Kreuzebenen vorhanden, deren jede zur Hälfte aus der Medianebene eines Armes, zur Hälfte aus der Grenzebene zweier Arme gebildet wird. Als Zusatz müssen wir diesem wichtigen Gesetze hinzufügen, dass bei einem sehr kleinen Theile der Stauraxonien, und zwar nur bei einem kleinen Theile der Centrepipeden oder der allopolen Hetero-
Ereuzaxige Grundformen.
Stauraxonia.
433
stauren, namentlich bei einem Theile der Pentamphipl euren (ζ. B. den irregulären Echinodermen (Spatangiden etc.) eine scheinbare Ausnahme darin besteht, dass, streng genommen, die Zahl der Kreuzebenen doppelt so gross wird, als die Zahl der Antimeren, indem die Radien nicht genau diametral den Interradien gegenüberstehen, sondern einen stumpfen Winkel mit ihnen bilden. Indessen scheint es passender, diese an sich unbedeutende Abweichung dadurch auszudrücken, dass man sagt, es seien die Kreuzebenen in diesem Falle aus zwei unter einem stumpfen Winkel zusammenstossenden Hälften zusammengesetzt, oder sie seien in einem Winkel geknickt. Für die allgemeine Morphologie der Stauraxonien ist diese unbedeutende Ausnahme von keinem Werthe. Bei der Eintheilung der Stauraxonien in untergeordnete Formengruppen muss die Gleichheit oder Verschiedenheit der Kreuzaxen und ihrer Pole, sowie weiterhin die Zahl der Kreuzaxen, als maassgebende Richtschnur benutzt TVerdeu. Wichtiger aber noch als diese Verhältnisse ist die gleiche oder ungleiche Beschaffenheit beider Pole der Hauptaxe und wir können demgemäss bei den Stauraxonien zunächst, wie bei den Monaxonien, zwei coordinirte Hauptgruppen von Formen bilden, homopole mit gleichen, und heteropole mit verschiedenen Polen und Polflächen der Hauptaxe. Bei den homopolen Stauraxonien, welche den haplopolen Monaxonien entsprechen, sind Peristom- und Antistomfläche gleich. bei den heteropolen (entsprechend den diplopolen) ungleich. Bei den ersteren wird der Körper durch die Aequatorialebene (die Querebene, welche senkrecht auf der Hauptaxe durch deren Halbirungspunkt gelegt ist) in zwei congruente Hälften getheilt; bei den heteropolen Stauraxonien dagegen in zwei ungleiche Stücke. Wenn wir nach dieser Erörteruug der allgemeinen characteristischen Eigenschaften der S t a u r a x o n i e n uns im Gebiete der Stereometrie nach dem einfachsten Körper umsehen, der alle diese Eigenschaften besitzt, so finden wir denselben in der g e r a d e n P y r a m i d e und zwar müssen wir als die geometrische Grundform der h e t e r o p o l e n Stauraxonien die e i n f a c h e g e r a d e P y r a m i d e , als diejenige der h o m o p o l e n d i e g e r a d e D o p p e l p y r a m i d e bezeichnen. Wir begegnen also auch hier demselben allgemeinen Formgesetze, \vie bei den Monaxonien, dass die weniger differenzirten homopolen und haplolen Formen (Doppelkegel, Sphaeroid) zusammengesetzt erscheinen aus zwei congruenten und mit einer Polebene vereinigten Individuen der entsprechenden heteropolen und diplopolen Form (Kegel, Hemisphaeroid). Die Hauptaxe der Stauraxonien ist identisch mit derjenigen Linie, die in der Stereometrie kurzweg als Axe der geraden Pyramide bezeichnet wird; es ist dies das Perpendikel, welches von der Spitze Ilaeckel, Generele Morphologie. 28
434
System der organischen Grandformen.
der Pyramide auf die Grundfläche gefällt wird und welches in den Mittelpunkt der Grundfläche trifft. Die Grundfläche der meisten Stauraxonien ist entweder ein reguläres oder ein amphithectes Polygon, Unter r e g u l ä r e m V i e l e c k verstehen wir, wie in der Geometrie, ein solches, dessen Seiten sämmtlich gleich sind und gleiche Winkel mit einander bilden. A m p h i t h e c t e s ' ) P o l y g o n nennen wir ein Vieleck mit gerader Seitenzahl, welches durch zwei auf einander senkrechte ungleiche Durchmesser, die sich gegenseitig halbiren, in vier congruente Polygone zerlegt wird, und in welchem daher je vier Seiten und ebenso j e vier Winkel unter einander gleich sind. Alle Diagonalen des amphithecten Polygons kreuzen sich in dem Mittelpunkte desselben; die an beiden Enden jeder Diagonale gelegenen Seiten sind paarweise gleich und parallel, daher auch die beiden Winkel, deren Scheitel durch die Diagonale verbunden werden, gleich sind. Genau betrachtet sind von den vier congruenten Polygonen, aus denen jedes amphithecte Polygon besteht, nur je zwei gegenüberliegende a b s o l u t c o n g r u e n t , dagegen je zwei benachbarte s y m m e t r i s c h c o n g r u e n t , d. h. sie müssen umgeklappt (Rechts in Links verwandelt) werden, um sich vollständig zu decken. Die beiden ungleichen, sich gegenseitig halbirenden und rechtwinkelig gekreuzten Durchmesser des amphithecten Polygons, welche dasselbe in congruente Polygone zerlegen, bezeichnen wir aus später zu erörternden Gründen als R i c h t d u r c h m e s s e r , oder R i c h t a x e n ( E u t h y n i ) , oder i d e a l e K r e u z a x e n desselben. Diese verbinden entweder die Halbirungspunkte zweier Gegenseiten oder als Diagonalen die Scheitel zweier Gegenwinkel. (Vgl. Taf. I, Fig. 2, Fig. 8 nebst Erklärung). Diejenigen geraden Pyramiden, deren Grundflächen amphithecte Polygone sind, nennen wir a m p h i t h e c t e P y r a m i d e n . Die Betrachtung dieser Pyramiden ist von grosser Wichtigkeit, da diese Grundform weit verbreitet ist. Eine achtseitige amphithecte Pyramide ist ζ. B. die Grundform der Ctenophoren (Fig. 8), eine sechsseitige die Grundform der Madreporen (Fig. 2). Die Hauptaxe dieser Stauraxonien ist diejenige Linie, die auch in der Stereometrie kurzweg als „ Axe der Pyramide" bezeichnet wird, d. h. diejenige Linie, welche die Spitze mit dem Mittelpunkt der Grundfläche verbindet. Die Spitze der Pyramide ist ihr aboraler, die Grundfläche ihr oraler Pol. Die beiden, auf einander senkrechten Meridianebenen, welche sich durch die Hauptaxe ') άμψίβηχτος, von zwei Seiten her geschärft, zweischneidig. Man könnte das amphithecte Polygon auch bilateral oder symmetrisch im weitesten Sinne des Wortes nennen, wenn nicht diese Begriffe in so verschiedenem Sinne gebraucht würden, dass sie alle Bedeutnng verloren haben.
Kreuzaxige Grundformen. Stanraxonia.
43&
der amphithecten Pyramide und durch die beiden Richtdurchmesser oder idealen Kreuzdurchmesser ihrer Basis legen lassen, nennen wir die R i c h t e b e n e n ( P l a n a e u t h y p h o r a ) oder i d e a l e n K r e u z e b e n e n , im Gegensatze zu den r e a l e n K r e u z e b e n e n , die durch die Kanten der Pyramide und durch die Hauptaxe gelegt werden können. Die beiden rechtwinkelig gekreuzten Perpendikel, welche wir auf der Hauptaxe in deren Halbirungspunkten errichten können und welche in den beiden idealen Kreuzebenen der amphithecten Pyramide liegen, sind ihre beiden R i c h t a x e n ( E u t h y n i ) oder i d e a l e n K r e u z a x e n , während die r e a l e n K r e u z a x e n (oder Kreuzaxen im engeren Sinne) diejenigen im Halbirungspunkte der Hauptaxe auf derselben errichteten Perpendikel sind, die in den realen Kreuzebenen liegen und durch die Kanten der Pyramide gehen. Die drei verschiedenen, auf einander senkrechten Axen, von denen eine (die Hauptaxe) ungleichpolig, jede der beiden anderen (der idealen Kreuzaxen) gleichpolig ist, sind die drei Axen, welche den Character der amphithecten Pyramide bestimmen. Dieselben entsprechen den drei Dimensionen des Raunies, und zwar betrachten wir die Hauptaxe ein für allemal als Längsaxe, ihren Apicalpol als aboralen, ihren Basalpol als oralen Pol, während wir die beiden idealen Kreuzaxen als Dickenaxe (Dorsoventralaxe) und Breitenaxe (Lateralaxe) unterscheiden. Durch die beiden idealen Kreuzebenen wird die amphithecte Pyramide in vier gleiche rechtwinkelige Pyramiden zerlegt, von denen j e zwei gegenüberliegende congruent, je zwei benachbarte symmetrisch gleich sind (Vergl. Taf. I, Fig. 2, Fig. 8). Die r e g u l ä r e P y r a m i d e , die einem Theile der Stauraxonien zu Grunde liegt, ist, wie die Geometrie erklärt, eine Pyramide, deren Grundfläche ein reguläres Vieleck und deren Seitenflächen sämmtlich gleichschenkelige und congruente Dreiecke sind. Die reguläre Pyramide mit gerader Seitenzahl kann als eine amphithecte Pyramide betrachtet werden, deren beide ideale Kreuzaxen gleich geworden sind, und die folglich durch die beiden idealen Kreuzebenen in vier absolut congruente rechtwinkelige Pyramiden zerlegt wird. Die vorhergehenden Erörterungen Uber die wichtigsten Theile der regulären und der amphithecten Pyramide, als der allgemeinen Grundform der Stauraxonien, gelten sowohl von der einfachen Pyramide der heteropolen, als von der doppelten Pyramide der homopolen Stauraxonien; die letztere können wir in allen Fällen betrachten als ein Aggregat von zwei congruenten und mit ihren Grundflächen vereinigten geraden Pyramiden. Sowohl unter den einfachen (heteropolen) als unter den doppelten (homopolen) geraden Pyramiden giebt es reguläre und amphithecte Formen, die ersteren mit gleichen, die letzteren mit ungleichen idealen Kreuzaxen. 28*
436
System der organischen Grundformen.
Erste Familie der Stauraxonien:
Gleichpolige Kreuzaxige. Stereometrische
Grundform:
Homopola. Doppelpyramide.
Die gleichpoligen Kreuzaxigen bilden nur eine kleine Formengruppe gegenüber der grossen Mehrzahl der heteropolen Stauraxonien. Es gehört hierher eine ziemlich grosse Anzahl von Protisten, insbesondere Diatomeen und Eadiolarien (viele Acanthometriden, Ommatiden und Disciden), die wegen der geometrisch reinen Ausprägung der Grundform und wegen ihrer Uebereinstimmung mit gewissen Krystallformen von besonderem Interesse sind. Die Grundform ist eine gerade, entweder reguläre oder amphithecte Doppelpyramide, von sehr verschiedener Seitenzahl. Demgemäss ist auch die Zahl der Antimeren sehr verschieden. Wenn diese Zahl Vier ist, so ist die Grundform ein Octaeder. Die Hauptaxe, deren beide Pole und Polarflächen stets gleich sind, ist bald grösser, bald kleiner als die Kreuzaxen. Die homopolen Stauraxonien zerfallen in zwei Gruppen, Isostaura und Allostaura, je nachdem die beiden idealen Kreuzaxen gleich oder ungleich sind. Die Grundform der Isostauren (mit gleichen idealen Kreuzaxen) ist die reguläre Doppelpyramide, die Grundform der Allostauren dagegen (mit ungleichen idealen Kreuzaxen) die amphithecte Doppelpyramide. Die gemeinsame Grundfläche der beiden vereinigten congruenten Pyramiden, aus denen der Körper der homopolen Stauraxonien zusammengesetzt wird, ist bei den ersteren ein reguläres, bei den letzteren ein amphithectes Polygon. Wenn wir von den realen Kreuzaxen und der ihnen entsprechenden Antimeren-Zahl der homopolen Stauraxonien absehen und bloss ihre idealen Kreuzaxen ins Auge fassen, so werden wir überrascht durch die Uebereinstimmung ihrer Grundform mit derjenigen von gewissen Krystallen. Wir brauchen bloss die Pole der Hauptaxe und der beiden idealen Kreuzaxen durch Linien zu verbinden und durch j e zwei benachbarte Verbindungslinien eine Fläche zu legen, um die Krystallform des Octaeders zu erhalten, welche durch drei auf einander senkrechte und sich halbirende gleichpolige Axen bestimmt wird. Wenn alle drei Axen verschieden sind, wie bei den Allostauren, so ist die Aequatorialebene ein Rhombus und die Grundform das Rhomben-Octaeder des rhombischen Krystallsystems. Wenn die beiden idealen Kreuzaxen gleich sind, und bloss die Hauptaxe verschieden, wie bei den Isostauren, so ist die Aequatorialebene ein Quadrat und die Grundform das Quadrat-Octaeder des tetragonalen Krystallsystems. Wenn endlich alle drei Axen gleich sind, so ist die Grundform das reguläre Octaeder des tesseralen Systems; diese Form gehört aber
Diplopyramidale Grandformen.
Homopola.
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nicht mehr hierher, da die Hauptaxe hier nicht differenzirt ist; wir haben sie daher oben bei den rhythmischen Polyaxonien betrachtet; sie soll hier nur nochmals erwähnt werden, um die nahe Berührung dieser verschiedenen Grundformen in ihren extremsten Ausläufern, dem absolut regulären Polyaxon und dem beinahe absolut regulären Stauraxon, zu zeigen. Das Quadrat-Octaeder der homopolen Stauraxonform könnten wir aus dem regulären Octaeder der rhythmischen Polyaxonform ganz einfach dadurch entstehen lassen, dass wir eine der drei gleichen Axen des letzteren nach beiden Polen hin gleichmassig ein wenig verlängern und dadurch zur Hauptaxe erheben. Wie wir bei den genannten Krystallsystemen ebensowohl wie das Octaeder, auch die gerade prismatische Säule als Grundform ansehen dürfen, so kann dies auch bei den ihnen entsprechenden homopolen Stauraxonformen geschehen. Es würde dann die Grundform der Isostauren, welche dem Tetragonalsystem entspricht, die quadratische Säule sein, ein rechtwinkeliges Parallel-Epipedum mit quadratischer Basis. Die Grundform der Allostauren, welche dem rhombischen System entspricht, würde die rhombische Säule sein, ein gerades Parallel-Epipedum mit rhombischer Basis. In der That finden wir auch diese beiden prismatischen Formen in gewissen Radiolarien vollkommen rein verkörpert. Während die heteropolen Stauraxonien bisher fast allein Object promorphologischer Betrachtungen gewesen sind, hat man die homopolen noch fast gar nicht berücksichtigt; und doch gehören sie aus den angeführten Gründen zweifelsohne zu den merkwürdigsten und lehrreichsten organischen Grundformen.
Erste Unterfamilie der homopolen Stauraxonien:
Gleichpolige Gleichkreuzaxige. Stereometrische
Grundform:
Reguläre
Isostaura. Doppelpyramide.
Die homopolen Stauraxonien mit gleichen Kreuzaxen oder I s o s t a u r e n haben zur Grundform die r e g u l ä r e D o p p e l p y r a m i d e , oder wenn man bloss die beiden idealen Kreuzaxen berücksichtigt und von den realen absieht, das Q u a d r a t - O c t a e d e r . Es entspricht also diese Formengruppe im Ganzen den K r y s t a l l f o r m e n d e s t e t r a g o n a l e n o d e r q u a d r a t i s c h e n K r y s t a l l s y s t e m s , in welchem unter Anderen Zinnerz, Rutil, Blutlaugensalz, schwefelsaures Nickeloxyd u. s. w. krystallisiren. Wir können die Isostauren naturgemäss in zwei Gruppen bringen; j e nachdem die homotypische Grundzahl Vier oder eine andere Zahl ist. Bei den o c t o p l e u r e n I s o s t a u r e n oder den achtseitigen regu-
438
System der organischen Grandformen.
lären Doppelpyramiden (mit vier Antimeren), die also das verkörperte Quadrat - Octaeder sind, fallen die beiden gleichen radialen realen Kreuzaxen mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammen und schneiden sich unter rechten Winkeln, wesshalb man sie auch Ο rthog o n i e n nennen könnte. Bei den p o l y p l e u r e n I s o s t a u r e n oder den vielseitigen regulären Doppelpyramiden (mit drei, fünf, sechs oder mehr Antimeren) schneiden sich die (drei, fünf, sechs oder mehr) radialen oder semiradialen realen Kreuzaxen unter spitzen Winkeln und es fällt · daher wenigstens ein Theil von ihnen nicht mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammen; sie könnten den Orthogonien als O x y g o n i e n gegenübergestellt werden. Erste Gattnng der isostauren Stauraxonien:
Vielseitige reguläre Doppelpyraniiden. Stereometrische
Grundform:
Realer
Typus:
Reguläre
Doppelpyramide
Heliodiscus
Isostaura polypleura. mit 6 oder 8 + 2 η Seiten.
(Taf. II, Fig. 23, 24).
Die homopolen Stauraxonien, welche der Gruppe der polypieuren oder oxygonien Isostauren angehören, haben als Grundform eine reguläre Doppelpyramide mit sechs, zehn, zwölf oder mehr (allgemein 8 + 2n) congruenten Seitenflächen. Die Antimeren-Zahl muss demnach drei, fünf, sechs oder mehr sein. Ebenso gross ist die Zahl der realen Kreuzaxen (3,5 oder 5 + n), welche entweder gar nicht oder nur zum Theil mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammenfallen und daher stets unter spitzen Winkeln sich kreuzen (Oxygonia). Es gehören hierher also alle regulären Doppelpyramiden mit Ausschluss der achtseitigen. Ebenso gut als die reguläre Doppelpyramide könnten wir auch das r e g u l ä r e P r i s m a als Grundform der polypieuren Isostauren betrachten, also ein Prisma, dessen Seitenflächen Rechtecke und dessen Grundflächen reguläre Vielecke sind. Auch hier würde das vierseitige reguläre Prisma (die quadratische Säule), welches die Grundform der octopleuren Isostauren ist, auszuschliessen sein. Es würde also die Zahl der Seitenflächen des regulären Prisma mindestens drei, nächstdem fünf, sechs oder mehr betragen müssen. Als eine besonders merkwürdige Art der polypieuren Isostauren könnte die z w ö l f s e i t i g e r e g u l ä r e D o p p e l p y r a m i d e o d e r das H e x a g o n a l - D o d e c a e d e r hervorgehoben werden, weil dieselbe zugleich die Grundform des hexagonalen Krystallsystems ist, welches durch drei gleiche unter 60 0 sich schneidende Kreuzaxen characterisirt ist, die senkrecht auf dem Mittelpunkt der Hauptaxe stehen. Diese Form ist sehr rein in gewissen Pollen-Zellen verkörpert, ζ. B. von Passiflora angwtifolia, Heliotropium grandiflorum etc. (Vgl. Taf. Π, Fig. 23).
ßegnläre diplopyramidale Grandformen.
Is ostaura.
439
Von allen Organismen sind es wiederum vorzüglich die ßadiolarien, dann die Diatomeen und sehr viele Pollenkörner, welche die polypleure Isostauren-Form rein ausgeprägt zeigen, bald als reguläre Doppelpyramide, bald als reguläres Prisma; bald kann ebensogut die eine als die andere Grundform daraus abgeleitet werden. Diejenigen Radiolarien, bei denen die Doppelpyramide deutlicher hervortritt, gehören meistens den Familien der Ommatiden, Disciden und Sponguriden an. Die radialen oder semiradialen Kreuzaxen, welche von dem Halbirungspunkte der Hauptaxe zu den Ecken der vereinigten regulär-polygonalen Grundflächen der beiden congruenten Pyramiden gehen und die mithin in dieser Grundfläche (der Aequatorialebene) selbst liegen, sind hier gewöhnlich in Form starker und langer radialer Kieselstacheln verkörpert, die sich im Centrum unter gleichen spitzen Winkeln schneiden. Der Mittelkörper, von dessen Aequator diese Radien ausgehen, ist bald eine biconvexe Linse (Heliodiscus), bald ein verkörperter gerader Cylinder (Stylodictya, Stylospongia). Um die reguläre Doppelpyramide rein zu erhalten, braucht man bloss die Spitzen der Radialstacheln mit den beiden Polen der Hauptaxe durch gerade Linien zu verbinden, welche den Mantel des cylindrischen oder sphaeroiden linsenförmigen Mittelkörpers berühren. Die regulären Doppelpyramiden in der Form vieler Pollenkörner sind sehr leicht zu erkennen und haben eine sehr verschiedene Seitenzahl, ζ. B. 16 bei Collomia grandiffora, 30 bei Monnina xalapensis, 32 bei Poligala chamaebuxus. Die Zahl der Stachelradien, welche die homotypische Grundzahl bestimmt und halb so gross ist, als die Zahl der congruenten Seitenflächen der Doppelpyramide, scheint bei den meisten hierher gehörigen RadiolarienSpecies constant zu sein. In der schönen Gattung Heliodiscus (zur Ommatiden - Familie gehörig) finden wir H. phacodiscus mit 12 Radien (Bad Taf. X V I I , Fig. 5—7), H. Humboldtii mit 18Radien ( B h r e n b e r g , Microgeol. Taf. X X X V I , Fig. 27); bei H. sol scheinen deren 24 und bei H.
amphidiscus 16 vorhanden zu sein. St-ylospongia Huxleyi ist durch 10 Radien ausgezeichnet (Rad. Taf. X X V I I I , Fig. 7). In anderen Fällen variirt die Antimeren-Zahl innerhalb der Species, oder nimmt mit dem Alter und Wachsthum des Thieres zu, so bei Stylodictya multispina (Rad. Taf. X X I X ?
Fig. 5), wo zwischen 24 und 40, gewöhnlich 28, und bei Stylodiclya arachnia (J. M ü l l e r , Abhandl. Taf. I, Fig. 8), wo zwischen 8 und 16, gewöhnlich 12 Radien und ebenso viele Antimeren vorhanden sind. Nächst den Radiolarien finden wir die vielseitige reguläre Doppelpyramide als Grundform vieler Diatomeen und Desm^iaceen, ferner sehr zahlreicher Pollenkörner wieder. Unter letzteren ist besonders häufig die
sechsseitige (ζ. B. Pollen von Caryocar brasiliense, Scorzonera pratensis). Zehnseitig ist der Pollen vieler Violen, zwanzigseitig von Symphytum. Als Radiolarien, in denen das r e g u l ä r e P r i s m a rein verkörpert ist, sind hier vor Allen 3 höchst merkwürdige Formen zu nennen, und zwar
System der organischen Grandformen.
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ist bei allen drei das reguläre Prisma ein dreiseitiges, die Grundflächen also gleichseitige Dreiecke. Das zur Familie der Acanthodesmiden gehörige Prismatium tripleurum (Taf. I I , Fig. 24) zeigt diese stereometrische Form so rein verkörpert, dass wir auf die von uns gegebene Beschreibung und Abbildung dieses seltsamen Protisten speciell verweisen müssen (Rad. p. 2T0, Taf. IV, Fig. 6). Das Kieselskelet desselben besteht lediglich aus 9 dünnen Stäben, welche in ihrer Lagerung und Verbindung in der That vollkommen den 9 Kanten des regulären dreiseitigen Prisma entsprechen. Weniger in die Augen fallend, aber eben so rein, tritt uns das reguläre dreiseitige Prisma in einigen Sponguriden und Disciden entgegen, nämlich in Dictyocoryne enchitonia (Rad. p. 468), und in mehreren, mit 3 gleichen Armen versehenen Arten von Eiichitonia, so namentlich E. Leydigii und E. Kölliheri (Rad. p. 510, 511; Taf. X X X I , Fig. 4—'T). F ü r die erste oberflächliche Betrachtung scheinen die Kieselskelete dieser Thiere dünne gleichseitig-dreieckige Scheiben zu sein. Sobald mau sie aber auch von dem schmalen Rande her betrachtet, erkennt man, dass es reguläre dreiseitige Prismen mit sehr verkürzter Hauptaxe sind. Die radialen Mittellinieu der 3 gleichen, unter gleichen Winkeln von dem cylindrischen Mittelkörper abstehenden Arme, und die interradialen Verlängerungen dieser 3 Mittellinien, die sich unter Winkeln von 60° schneiden, sind die semiradialen Kreuzaxen des regulären dreiseitigen Prisma. Endlich scheint dieselbe Grundform auch in dem höchst merkwürdigen Coelodendrum erkennbar zu sein, dessen Gestalt jedoch nicht hinlänglich genau bekannt ist (vergl. Rad. p. 360—364, Taf. X I I I , Fig. 1, 2, Taf. X X X I I , Fig. 1). Zweite Gattung der isostauren Stauraxonien.
Quadrat-Octaeder. Stereometrische Realer
Grundform:
Typus:
Isostaura octopleura.
Reguläre
Acantkostaurus
Doppelpyramide mit 8 Seite». (Taf. II, Fig. 25, 26).
Unter allen Arten der Doppelpyramiden ist es diejenige mit acht gleichen Seitenflächen, welche die einfachsten Verhältnisse darbietet und sich unmittelbar an das reguläre Octaeder der rhythmischen Polyaxonform anschliesst. Die Grundform dieser octopleuren Isostauren ist das Q u a d r a t - O c t a e d e r d e s q u a d r a t i s c h e n o d e r t e t r a g o nalen Krystallsystems. Die beiden radialen realen Kreuzaxen fallen mit den beiden gleichen idealen Kreuzaxen zusammen und schneiden sich unter rechten Winkeln, daher man diese Formen auch O r t h o g o n i a nennen kann. Diese Kreuzaxen sind die Diagonalen des Quadrates, welches die Aequatorialebene des Octaeders bildet. D i e Hauptaxe ist bei den hierher gehörigen Thierformen sehr verschieden entwickelt, bald länger, bald bedeutend kürzer als die beiden unter einander gleichen radialen Kreuzaxen. Die Organismen, welche die Grundform des Quadrat-Octaeders
•Quadrat - octaedrische Grundformen. Isoetaura octoplenra.
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deutlich ausgeprägt zeigen, und also unmittelbar an die Krystallformen des tetragonalen Systems sich anschliessen, gehören grösstenteils wieder der Radiolarien-Klasse an. Gewöhnlich ist bei denselben die reine stereometrische Krystallform des Organismus desshalb so klar ausgesprochen, weil sie radiale, sehr entwickelte Kieselstacheln besitzen, die durch ihre Lagerung vollkommen den Axen des QuadratOctaeders entsprechen, und die man geradezu als verkörperte Krystallaxen ansehen darf. Auch unter den Diatomeen und Desmidiaceen (Taf. II, Fig. 25) ist das Quadrat-Octaeder sehr verbreitet (ζ. B. Staurastrum dUatatumferner bei vielen Pollenkörnern (ζ. B. Annona tripetala, Phyllidrum lanuginosum). Vor Allen merkwürdig und höchst wichtig fttr die Frage von der Formenverwandtschaft der Krystalle und der Organismen sind hier aber diejenigen Radiolarien, welche z w a n z i g nach M ü l l e r s G e s e t z e s y m m e t r i s c h vertheilte R a d i a l s t a c h e l n besitzen. (Taf. II, Fig. 26). Wir haben dieses höchst interessante Stellungsgesetz, welches zuerst von J o h a n n e s M ü l l e r entdeckt wurde, und welches wir ihm zu Ehren benannt haben, in unserer Monographie der Radiolarien weitläufig erörtert und als ein in dieser Thierklasse sehr weit verbreitetes nachgewiesen (1. c. p. 40—45) und müssen hier auf die dort gegebenen ausführlichen Erläuterungen und zahlreichen Abbildungen verweisen (ζ. B. Taf. IX, Χ, XV—XXIV). M ü l l e r ' s G e s e t z von d e r S t e l l u n g d e r 20 s y m m e t r i s c h v e r t h e i l t e n R a d i a l s t a c h e l η d e r R a d i o l a r i e n lässt sich am kürzesten folgendermaassen formuliren: „Zwischen 2 stachellosen Polen stehen 5 Gürtel von je 4 radialen Stacheln; die 4 Stacheln jedes Gürtels sind gleich weit von einander und auch gleich weit von demselben Pole entfernt, und alterniren so mit denen der benachbarten Gürtel, dass alle 20 zusammen in 4 Meridian-Ebenen liegen." Zur Bezeichnung der einzelnen Stachelgürtel haben wir nach M ü l l e r ' s Vorgange das Bild des Erdglobus gewählt und die stachellose Axe der Erdaxe gleichgesetzt, die beiden stachellosen Pole dieser Hauptaxe den beiden Polen der Erdaxe. Es fällt dann der mittlere, unpaare von den ö Stachelgürteln in die Aequatorialebene und demgemäss sind die 4 Stacheln, welche in dieser liegen und 2 rechtwinklig gekreuzte aequatoriale Durchmesser darstellen, als A e q u a t o r i a l s t a c h e l n zu bezeichnen. In denselben beiden (auf einander senkrechten) MeridianEbenen, wie die 4 aequatorialen, liegen auch die 8 Radialstacheln, welche zu je Vieren die beiden Pole umgeben, und deren Spitzen in die Polarkreise des fingirten Erdglobus fallen würden; sie heissen desshalb P o l a r s t a c h e l n . Zwischen den beiden Zonen der 8 polaren und der unpaaren Zone der 4 aequatorialen Stacheln liegen die beiden mit ihnen alternirenden Zonen der 8 T r o p e n s t a c h e l n , in zwei senkrecht gekreuzten (interradialen) Meridianebenen, welche zwischen den beiden ersten (radialen) Meridianebenen in der Mitte liegen; die Spitzen von je 4 Tropenstacheln fallen in einen Wendekreis. Um eine allgemein gültige Bezeichnung für die 20 nach diesem merkwürdigen Gesetz vertheilten Stacheln durchzu-
442
System der organischen Grundformen.
führen, haben wir die 5 Gürtel mit folgenden Buchstaben bezeichnet: die 4 Stacheln des nördlichen Polarkreises mit a, die 4 Stacheln des südlichen mit e, die 4 aequatorialen Stacheln mit c , die 4 Stacheln des nördlichen Wendekreises mit b, die 4 Stacheln des südlichen mit d. Ferner haben wir die 4 Stacheln eines jeden Gürtels der Reihe nach (bei einem Umgang von Osten nach Westen) mit den Zahlen 1, 2, 3, 4 bezeichnet. Wenn wir diese allgemein gültigen Bezeichnungen festhalten, so liegen I . in der ersten Radialebene (ersten Meridianebene) a l c l e l e 3 c 3 a 3 ; I I . in der ersten Interradialebene (zweiten Meridianebene) b l d l d3 b 3 ; I I I . in der zweiten Radialebene (dritten Meridianebene) a 2 c 2 e2 e4 c 4 a 4; I Y . in der zweiten Interradialebene (vierten Meridianebene) b 2 d2 d4 b4. Die zahlreichen weiteren merkwürdigen Modificationen der Körperbildung, welche dieses Gesetz namentlich auch in der Architectur der gitterschaaligen Ommatiden nach sich zieht, haben wir in unserer Monographie der Radiolarien ausführlich erörtert und durch genaue Abbildungen erläutert, namentlich an Acanthometrn bulbosa, A. Miilhri, A fragilis (Taf. X V , Fig. 2 , 3 , 4), Xiphacuntha spinulosa (Taf. X V I I , Fig. 4), Acanthostaxirus hastatns (Taf. X I X , Fig. 5), Dorataspis bipennis, 0. polyancistra (Taf. X X I , Fig. 1, 2) und vielen Anderen. Indem wir auf die Beschreibung dieser Arten verweisen, wollen wir hier nur dasjenige nachtragen, was auf die octaedrische Grundform Bezug hat uud was dort nur beiläufig erwähnt wurde. (Vgl. auch Tat'. I I , Fig. 26 nebst Erklärung.) E s ist klar dass für unsere Frage vor Allen die 4 unter rechten Winkeln zusammenstossenden Aequatorialstacheln von Interesse sind, welche als Verkörperungen der Richtaxen, der beiden auf einander senkrechten Durchmesser der Aequatorialebene (Diagonalen der quadratischen Grundfläche der Pyramiden) anzusehen sind und als solche die Orientirung des übrigen Körpers bestimmen. Da diese beiden Axen bei den einen Radiolarien gleich, bei den andern ungleich sind, so dürfen wir sie als ideale Kreuzaxen (Dicken- und Breiten-Durchmesser) ansehen, während die stachellose Hauptaxe, die constant von jenen Beiden verschieden ist, als Längsaxe oder eigentliche Hauptaxe zu betrachten ist. Bei allen Radiolarien, welche 20 nach M ü l l e r ' s Gesetze symmetrisch vertheilte Radialstacheln tragen, lässt sich die octaedrische Grundform ganz einfach und bestimmt dadurch nachweisen, dass man die Spitzen der benachbarten polaren und aequatorialen Stacheln durch Linien verbindet und durch diese Linien Flächen legt. Sind die beiden radialen Kreuzaxen (Aequatorial-Stachel-Paare) gleich, so entsteht dadurch das Quadrat-Octaeder der Isostauren, die Grundform des tetragonalen Krystallsvstems; sind die beiden radialen Kreuzaxen ungleich, so entsteht das rhombische Octaeder der Allostauren, die Grundform des rhombischen Krystallsystems. Im letzteren Falle haben wir von den beiden ungleichen Kreuzaxen (Aequatorial-Durchmessern) in unserer Monographie die längere und stärkere (oft auch durch besondere Bildung ausgezeichnete) als verticale (oder longitudinale), dagegen die kürzere und schwächere als horizontale (oder transversale) bezeichnet. Doch ziehen wir es jetzt vor, um Uebereinstimmung mit der hier consequent durchgeführten Nomenclatur zu gewinnen, die eine, (und zwar
Quadiat-octaedrieche Grundformen. Isostaura octopleura.
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die verticale) als Dickenaxe (Dorsoventral - Durchmesser), die andere (die horizontale) als Breitenaxe (Lateral-Durchmesser) zu bezeichnen. Bestimmend für diese Wahl ist iusbesondere, "dass bei einer merkwürdigen Acanthostanride, der Amphilonche anomala (Taf. X V I , Fig. 8), die beiden Pole der längeren oder Dickenaxe ungleich werden, so dass sich Rücken- und Bauchseite differenzirt, während die beiden Pole der schwächeren oder Breitenaxe (Rechts und Links) gleich bleiben. Das Quadrat - Octaeder des tetragonalen Krystallsystems ist als organische Grundform am weitesten verbreitet unter denjenigen Radiolarien, welche der umfangreichen Familie der Acanthometriden angehören. Hier ist dasselbe für die ganzeu Unterfamilien der Astrolithiden und Acanthostauriden (mit Ausnahme der Gattung Amphilonche), die bestimmende Grundform (Rad. Taf. XV — XX). Vorzüglich scharf tritt seine Grundform da hervor, wo die beiden gleichen Kreuzaxen besonders ausgezeichnet sind, wie bei den Gattungen Acanthostaurus
(Taf. X I X ,
Fig. 1—5),
LUhoptern
und Staurolithium
(Taf. X X ,
Fig. 1, 6). Ebenso ist unter den Ommatiden die Grundform des QuadratOctaeders leicht nachzuweisen bei allen Arten von Dorataspis (Taf. XXI, X X I I , Fig. 1), bei Aspidomma hystrix und mehreren Arten von Haliommatidium, von Haliomma und von Actmomma. Dasselbe gilt endlich auch von vielen Radiolarien mit 20 nach Müllems Gesetz vertheilten Radialstacheln ans der Familie der Ethmosphaeriden, so ζ. B. von Diplosphuera gracilis (Taf. X ,
F i g . 1), Hcliosphaera
actinota,
H. echinoides,
M. elcgans
(Taf. I X ,
Fig. 3—5) und vielen Anderen. Wir haben im Vorhergehenden den Beweis, dass das Quadrat-Octaeder die Grundform derjenigen Radiolarien sei, welche 20 nach M ü l l e r ' s Gesetz vertheilte gleiche Radialstacheln besitzen, einfach dadurch geführt, dass wir die Spitzen der 4 Aequatorialstacheln unter einander und mit der Spitze der (in den entsprechenden Meridianebenen liegenden) 8 Polarstacheln durch Linien verbanden und durch je 2 benachbarte Verbindungslinien eine Ebene legten. So entstand das reine Quadrat-Octaeder ohne jede Hülfsconstruction. Wir haben aber dabei die 8 Tropenstacheln, welche in den beiden interradialen Meridianebenen liegen, vernachlässigt und über deren Bedeutung für die Grundform der Isostauren ist hier noch einiges nachzutragen. E s muss hier unterschieden werden zwischen denjenigen Radiolarien mit 20 nach M ü l l e r ' s Gesetz vertheilten Radialstacheln, bei denen diese sämmtlich gleich, und denjenigen, bei denen entweder eines oder beide Paare der Aequatorialstacheln (Radialaxen) durch besondere Grösse oder Form ausgezeichnet ist. Diejenigen, bei denen jene Auszeichnung bloss das eine Paar (die verticalen Stacheln der Dorsoventralaxe) trifft, während die übrigen 18 unter sich gleich sind, werden wir sogleich unter den Allostauren näher betrachten. Diejenigen Radiolarien dagegen, bei denen jene Aaszeichnung beide Paare betrifft , verdienen hier noch besondere Berücksichtigung. (Vergl. Taf. II, Fig. 26). Wir finden in diesem Falle 16 unter sich gleiche, kleinere Stacheln (8Polar· und 8 Tropenstacheln), und 4 unter sich gleiche, grössere Stacheln (4 Aequatorialstacheln), die letzteren liegen in den beiden radialen Kreuz-
444
System der organischen Grundformen.
axen, die mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammenfallen. Die Radiolarien, die sich durch diese Differenzirung der Aequatorialstacheln auszeichnen, gehören fast alle der gestaltenreichen Familie der Acanthometriden a n , und zwar den beiden Subfamilien der Acanthostauriden und Astrolithiden. Bloss durch bedeutendere Grösse (Länge, Dicke und Breite) sind die 4 Aequatorialstacheln von den 16 übrigen verschieden bei den Gattungen Acanthnstavriis (Rad. Taf. X I X , Fig. 1—4) und StovrolUUum (Rad. Taf. X I X , Fig. 6); dagegen zeichnen sie sich zugleich durch besondere F o r m vor den anderen 16 aus bei den Gattungen Lonchosiaurus (Taf. X I X , Fig. 5) und Lithoptera (Taf. X X , Fig. 1, 2). Bei allen diesen Acanthometriden ist die Hauptaxe des Quadrat-Octaeders kürzer als jede der beiden radialen Kreuzaxen und es erreicht die Spitze der Tropenstacheln nicht die Seitenflächen des Octaeders. Die Tropenstacheln sind kürzer, als die Flächenaxen des Octaeders (die Perpendikel, welche vom Mittelpunkt auf die Seitenflächen gefällt werden). E s kann demnach kein Zweifel sein, dass diese Formen als die reinsten Repräsentanten der Octopleuren zu betrachten sind. Anders verhält es sich, genau genommen, bei denjenigen Radiolarien, wo die 20 nach M ü l l e r s Gesetz vertheilten Radialstacheln sämmtlich gleich, weder durch Grösse noch durch Form verschieden sind. E s ist dies der Fall bei allen Arten von Acnnthometra (Rad. Taf. X V ) , Xiphacantha (Taf. X V I I , Fig. 3, 4), Doratiispis (Taf. X X I ) , Asthrolithium (Taf. X X , F i g . 3—5) Haliommatidium, Asp'tdommu, bei vielen Arten von Haliomma und Actinomma aus der Familie der Ommatiden, von Heliosphaera (Taf. I X , Fig. 3—5) und Diplosphuera (Taf X , Fig. 1) aus der Familie der Ethmosphaeriden und bei vielen anderen Radiolarien. Hier ist die H a u p t a x e des Quadrat-Octaeders länger als jede der beiden radialen Kreuzaxen und es ragt die Spitze der Tropenstacheln weit über die Seitenflächen des Octaeders hinaus. Die Tropenstacheln sind also länger, als die F l ä chenaxen des Octaeders oder die vom Mittelpunkt auf die Seitenflächen gefällten Perpendikel. Wenn wir nun hier, nachdem wir durch Verbindung der Spitzen der aequatorialen und polaren Stacheln das Quadrat - Octaeder construirt haben, auch die Spitzen der Tropenstacheln mit den beiden Polen der H a u p t axe des Octaeders durch gerade Linien verbinden und durch diese Verbindungslinien und die benachbarten Octaeder-KantenEbenen legen, so erhalten wir eine sechzehnseitige Doppelpyramide, deren 16 Seitenflächen u n g l e i c h s e i t i g e Dreiecke sind! Von diesen 16 Dreiecken sind 8 unter sich absolut congruente und diese sind den übrigen 8, welche ebenfalls unter sich absolut congruent sind, s y m m e t r i s c h g l e i c h , d. h. man muss sie umklappen, Rechts und Links vertauschen, damit sie sich decken können. In jeder achtseitigen Hälfte der Doppelpyramide sind je 2 anstossende Seitenflächen symmetrisch-gleich, je 2 alternirende und eben so je 2 gegenüber liegende dagegen congruent. Wir können diese F o r m als sechzehnseitige regulär - amphithecte Doppelpyramide bezeichnen, da sie in der That ein vollkommenes Mittelding zwischen der regulären und der amphithecten Doppelpyramide ist. W e n n wir die eine der beiden idealen Kreuzaxen (die mit den radialen realen Kreuzaxen zusam~
Quadrat-octaedrische Grundformen.
Isostaura octopleura.
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menfallen) ein wenig verlängern oder verkürzen, so erhalten wir die reine a m p h i t h e c t e , wenn wir dagegen die beiden interradialen Kreuzaxen den radialen Kreuzaxen gleich lang machen, die reine r e g u l ä r e sechszehnseitige Doppel pyramide. Die Aequatorialebene der regulär - amphithecten Doppel-Pyramide (die Grundfläche der Einzeln-Pyramide) ist das r e g u l ä r a m p h i t h e c t e P o l y g o n , d . h . das (2nseitige) Polygon, dessen sämmtliche Seiten gleich, dessen sämmtliche Winkel aber nur paarweise (alternirend) gLeich, paarweise (je 2 benachbarte) ungleich sind. Vom regulären Polygon unterscheidet sich das regulär-ainphithecte Vieleck durch die Ungleichheit der Winkel, vom amphithecten Polygon durch die Gleichheit der Seiten. E s entsteht nun die F r a g e : Ist die eigentliche Grundform der Radiolarien, welche 20 g l e i c h e , nach M ü l l e r s Gesetz vertheilte Radialstacheln besitzen, das Q u a d r a t - O c t a e d e r , oder die sechszehnseitige regulär-amphithecte Doppelpyramide? Im erstereu Falle würde der Körper aus vier congruenteu Antimeren, im letzteren aus acht Antimeren bestehen, von denen je zwei anstossende symmetrisch-gleich, je zwei alternirende congruent sind. Für beide Ansichten Hessen sich Beweise beibringen. Vergleicht man aber diese Formen mit den nächst verwandten, deren 4 Aequatorialstacheln sich durch besondere Entwickeluug vor den 16 schwächeren Radialstacheln auszeichnen (Acantlw/itdiinis, Lilhopleru etc.) und erwägt man die übrigen die homotypische Grundzahl bestimmenden Gründe, so erscheint es bei weitem passender, das Quadrat-Octaeder als die eigentliche Grundform in allen diesen Fällen zu betrachten und als die Autimeren-Zahl V i e r zu bestimmen. Es kann nur als ein Umstand von secundärer Bedeutung betrachtet werden, dass die 4 Antimeren im einen Falle (bei Lilhopleru, Lonchostaurus etc., mit 16 kleineren und 4 grösseren Stacheln) aus 2 congruenten, im anderen Falle dagegen (bei Avunlhometrti. Dorutuspis etc., mit 20 gleichen Stacheln) aus 2 symmetrisch gleichen Hälften zusammengesetzt sind. Die realen Kreuzaxen, welche durch die Meridianebenen der Tropenstacheln gehen, können nur die Bedeutung von interradialen, nicht aber von radialen Kreuzaxen beanspruchen. Den octopleuren Isostauren mit 20 nach Müllers Gesetz vertheilten Radial stacheln, bei denen wir durch die einfachste geometrische Construction das Quadrat - Octaeder des tetragonalen Krystallsystems als Grundform nachweisen können, schliessen sieh noch einige andere, sehr merkwürdige Radiolarien an, bei denen dieselbe Grundform in einer anderen Modification oder einer abgeleiteten F o r m , insbesondere der quadratischen Säule, (dem regulären vierseitigen Prisma) ebenso unverkennbar ausgeprägt ist. E s ist dies der Fall bei dem von E h r e n b e r g beschriebenen Spouguriden Divlyo coryne tetras (Rad. p. 469) und bei dem schönen, von ihm abgebildeten Disciden Astrommu ArisMelis (Microgeologie, Taf. X X X V I , Fig. 32.) Die aus kieseligem Schwammwerk gebildeten quadratischen Scheiben dieser Radiolarien sind in der That Nichts anderes, als vierseitige reguläre Prismen mit sehr verkürzter Hauptaxe. Die beiden auf einander senkrechten Ebenen, welche man durch die verkürzte Hauptaxe und die Mittellinien der 4 rechtwinkelig gekreuzten Arme von Astrommu AristoleUs legen kann, sind
System der organischen Grandformen.
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die beiden radialen Kreuzebenen, welche die quadratische Säule in 4 coii. gruente Antimeren (rechtwinkelige dreiseitige Prismen) zerlegen. Die Mittellinien der 4 Arme selbst fallen mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammen.
I n Dictyocoryne
tetras ist ebenso d a s vierseitige, wie in D.
euchitoniu
das dreiseitige reguläre Prisma unverkennbar. Dieselbe Grundform ist endlich auch, wenngleich sehr versteckt, noch in dem merkwürdigen Zygostephanus Mulleri zu erkennen (Rad. Taf. XII, Fig. 2). Bei diesem kleinen Acanthodesmiden besteht das Kieselskelet aus 2 gleichen elliptischen Kieselringen, die senkrecht auf einander stehen und sich in ihren beiden Berührungsstellen gegenseitig halbiren. Die längsten Durchmesser der beiden gleichen Ellipsen sind die beiden gleichen idealen (radialen) Kreuzaxen; der kürzeste Durchmesser, in dem die beiden gleichen Ellipsen sich schneiden, und der also beiden gemeinsam ist, stellt die Hauptaxe dar. Auch hier also haben wir 3 aufeinander senkrechte gleichpolige Axen ausgesprochen, von denen 2 gleich, die dritte ungleich ist, mithin die Grundform des quadratischen Kristallsystems. Endlich ist zu erwähnen, dass die quadratische Säule auch die Grundform von zahlreichen einzelnen Piastiden bildet, insbesondere einzelner Desmidiaceen (ζ. B. Slaiirastrum
(Hiatalum
Desinidium
quadrangulare)
und-Dia-
tomeen, sowie vieler Pollenzellen (sehr rein ζ. B. von Fiel« tricolor). Zweite Unterfamilie der homopolen Stauraxonien:
Gleichpolige Ungleichkreuzaxige. Stereometrische
Grundform:
Amphithecte
Allostaura. Doppelpyramide.
Die homopolen Stauraxonien mit ungleichen Kreuzaxen, welche wir kurz Allostauren nennen wollen, haben als bestimmte Grundform die a m p h i t h e c t e D o p p e l p y r a m i d e , oder, wenn man bloss die beiden idealen Kreuzaxen berücksichtigt und von den realen absieht, das R h o m b e n - O c t a e d e r . Es entspricht "mithin diese Gruppe von Organismen-Formen im Ganzen den K r y s t a l l f o r m e n d e s r h o m b i s c h e n S y s t e m s , in welchem unter Anderen J o d , Schwefel, Arragonit, Salpeter etc. krystallisiren. Die Allostauren zerfallen, j e nachdem die homotypische Grundzahl Vier oder eine andere Zahl ist, in zwei Gruppen, welche den beiden Abtheilungen der Isostauren vollkommen entsprechen. Bei den o c t o p l e u r e n A l l o s t a u r e n oder den achtseitigen amphitheeten Doppelpyramiden (mit 4 Antimeren), die also Rhomben-Octaeder sind, fallen die beiden ungleichen Strahlaxen (die beiden radialen realen Kreuzaxen) mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammen und schneiden sich unter rechten Winkeln (daher sie auch O r t h o g o n i a heissen können). Bei den p o l y p l e u r e n A l l o s t a u r e n oder den vielseitigen amphitheeten Doppelpyramiden, die den letzteren als O x y g o n i e n gegenüberstehen, schneiden sich die Strahlenaxen (die radialen realen Kreuzaxen) unter spitzen Winkeln, da die Zahl derselben mindestens
Amphithecte diplopyramidale Grundformen.
Allostaura.
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drei beträgt und sie demgemäss gar nicht oder nur zum Theil mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammenfallen können. Da die homotypische Grundzahl hier stets eine gerade sein muss (2n), so ist die Hälfte der realen Kreuzaxen radial, die Hälfte interradial, Das Minimum der Antimeren-Zahl ist daher sechs, demnächst acht, zehn, zwölf u. s. w. (2 n). Wie bei den Isostauren "können wir auch bei den Allostauren die octopleuren als eine specielle Form der polypleuren auffassen und zwar als die einfachste und dem regulären Polyeder am nächsten stehende Form derselben. Erste G a t t u n g der allostauren Stauraxonieu.
Vielseitige amphithecte Doppelpyramiden. polypleura. Stereometrisclw
Realer
Grundform:
Amphithecte
Typus:
Amphilonche
Allostaura
mit 8 -f- 4 η Seiten. (Taf. II, Fig. 27, 28).
Doppelpyrumide
Die homopolen Stauraxonien, welche die Abtheilung der polypleuren (oder oxygonien) Allostauren repräsentiren, haben zur Grundform die vielseitige a m p h i t h e c t e D o p p e l p y r a m i d e , deren allgemeine Eigenschaften wir oben bereits erläutert haben. Da die achtseitige amphithecte Doppelpyramide oder das Rhomben-Octaeder als die speciellc einfachste Form, welche die besondere Gruppe der octopleuren Allo>tauren bildet, ausgeschlossen ist, und da die Antimerenzahl der amphithecten Doppelpyramide stets eine gerade sein muss, so muss dieselbe mindestens aus sechs, demnächst aus acht, zehn, zwölf und allgemein aus 4 + 2 η Antimeren zusammengesetzt sein. Die Zahl der Seitenflächen, doppelt so gross als die der Antimeren, muss mindestens zwölf, demnächst sechszehn, zwanzig u. s. w., kurz im Allgemeinen 8 + 4 n betragen. Da mindestens drei radiale Kreuzaxen vorhanden sein müssen, so können dieselben entweder gar nicht oder nur zum Theil mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammenfallen und müssen sich unter spitzen Winkeln schneiden (Taf. H, Fig. 27, 28). Die polypleure Allostauren - Form ist unter allen homopolen Stauraxonien die seltenste und findet sich nur in wenigen Formen von Pollenkörnern und in wenigen Radiolarien deutlich verkörpert. Wahrscheinlich dürfte hierher der merkwürdige Diploconus fasces zu ziehen sein, unter dessen Doppelkegelform '), durch die Yertheilung ') Diploconus fasces, eines der seltsamsten und in promorphologischer Beziehung räthselhaftesten Radiolarien, welches in unserer Monographie (p. 404, Taf. X X , Fig. 7, 8) ausführlich erläutert ist, haben wir zwar oben wegen der reinen apicalen Doppelkegelform seines Kieselmantels bei den amphepipeden homopolen Monaxonien erwähnt. Allein durch die symmetrische Yertheilung der radialen Stacheln wird doch die Grundform der amphithecten und zwar der
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System der organiechen Grundformen.
der radialen Stacheln angedeutet, die Grundform der zwölfseitigen amphithecten Doppelpyramide versteckt zu sein scheint. Viel deutlicher jedoch erscheint die Grundform der amphithecten Doppelpyramide\ und zwar der s e c h z e h n s e i t i g e n , bei denjenigen Radiolarien ausgeprägt, bei welchen zwanzig nach Müller's Gesetz symmetrisch vertheilte Radialstacheln vorhanden sind, und bei welchen achtzehn von diesen Stacheln gleich, zwei aber (die beiden gegenständigen Stacheln der einen Aequatorialaxe) durch viel bedeutendere Grösse (Amphilonche) und oft auch durch besondere Gestalt (Amphibelone) vor den übrigen achtzehn ausgezeichnet sind (Rad. Taf. XVI). Es sind diese Radiolarien wesentlich verschieden von denjenigen oben unter den octopleuren Isostauren betrachteten Formen,, welche ebenfalls zwanzig nach Müller's Gesetz vertheilte Stachelradien besitzen, bei denen aber alle zwanzig g l e i c h sind, oder die v i e r Stacheln der b e i d e n aequatorialen Kreuzaxen von den übrigen sechzehn verschieden, unter sich aber gleich sind. Bei diesen allen sind die beiden radialen Kreuzaxen, welche mit den beiden idealen zusammenfallen, g l e i c h ; dagegen sind sie bei Amphilonche, Amphibelone und den anderen Radiolarien, die wir als amphithecte Doppelpyramiden ansehen müssen,
zwölfseitigen Doppelpyramide (mit 6 Antimeren) bestimmt angedeutet. Wenn wir das gewaltige Stachelpaar, welches die verkörperte A x e des Doppelkegels bildet, als Hauptaxe auffassen, so wird die eine radiale reale Kreuzaxe, welche mit der einen idealen zusammenfällt, durch 2 gegenständige kurze radiale Cylinderstäbe repräsentirt, welche senkrecht auf der Hauptaxe in deren Halbirungspunkte stehen (in der vereinigten Spitze der beiden congruenten Kegel). Diese beiden Radialstäbe, welche die erste Kreuzaxe bilden, liegen mithin in der Aequatorialebene. Die andere ideale Kreuzaxe, die auf der ersten senkrecht steht, ist stachellos. Beiderseits der Aequatorialebene sind 8 kurze cylindrische Radialstäbe symmetrisch vertheilt, die in 2 auf einander senkrechten Meridianebenen liegen, und zwar bilden diese 8 Radien jederseits der Aequatorialebene einen Gürtel von 4 Radialstäben, deren Enden gleich weit von einander und gleich weit von jedem Pole der Hauptaxe entfernt sind. Die beiden rechtwinkelig gekreuzten Meridianebenen, in deren jeder 4 von diesen Radien liegen, sind als 2 radiale Kreuzebenen (zweite und dritte) zu betrachten, während die erste radiale Kreuzebene diejenige Meridianebene ist, welche durch die Hauptaxe und die erste Kreuzaxe gelegt wird. Diese erste Radialebene bildet mit jeder der beiden anderen einen Winkel von 4 5 ° . Als zweite und dritte radiale (reale) Kreuzaxen sind die Durchschnittslinien der zweiten und dritteu Meridianebene mit der Aequatorialebene aufzufassen. Die zwölfseitige amphithecte Doppelpyramide erhalten wir nun einfach dadurch, dass wir die beiden P o l e der Hauptaxe mit den 6 Polen der 3 radialen Kreuzaxen durch grade Linien verbinden, und durch j e zwei benachbarte Verbindungslinien eine Ebene legen. Diese Doppelpyramide wird durch die 3 radialen Kreuzebenen in 6 Antimeren zerlegt, deren jedes aus 2 gleichen, mit der Basis vereinigten dreiseitigen Pyramiden zusammengesetzt ist. Die Basis der beiden gegenständigen Doppelpyramiden, die
Amphithecte diplopyramidale Grundformen.
Allostaura.
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u n g l e i c h . Diejenige Kreuzaxe, welche durch die grösseren und oft besonders geformten beiden Stachelradien besonders ausgezeichnet ist, wird am besten als d o r s o v e n t r a l e oder D i c k e n a x e , die andere darauf senkrechte Kreuzaxe, deren beide Stachelradien nicht von den sechszehn übrigen verschieden sind, als l a t e r a l e oder B r e i t e n a x e angesehen.') Die eigentliche Hauptaxe, um welche sich der ganze Stachelcomplex bilateral gruppirt, und welche die Axe der amphithecten Doppelpyramide darstellt, ist auch hier stachellos, und daher kürzer als die beiden radialen Kreuzaxen. Ausser den genannten artenreichen Acanthometriden-Gattungen (Amp]tilonchc und Amphibelone, Rad. Taf. X V I . gehören hierher auch einige nächstverwandte Ouimatiden - Arten, namentJich Haliommutidium Mülleri und H. fencslratum (Rad. Taf. X X I I , Fig. 10—12). Bei allen diesen Radiolarien
durch die zweite (stachellose) ideale Kreuzaxe halbirt werden, ist ein gleiehschenkeliges Dreieck, die Basis der 4 anderen ein ungleichseitiges Dreieck. Von diesen 4 Doppelpyramiden, deren Basen von den 3 realen radialen Kreuzaxen begrenzt werden, sind je 2 anstossende symmetrisch gleich, je 2 gegenständige congruent. Die Aequatorialebene der zwölfseitigen amphithecten Doppelpyramide ist demgemass ein Sechseck, in welchem je 2 Gegenseiten gleich und parallel und von den 3 Diagonalen, welche die gleichen Gegenwinkel verbinden, 2 gleich, die dritte von diesen verschieden ist. Ausserdem sind die beiden anstossenden Seiten, welche den AVinkel am Ende der ungleichen Diagonale einschliessen, gleich, dagegen die beiden anstossenden Seiten, welche den Winkel am Ende jeder gleichen Diagonale einschliessen, ungleich. In unserer Monographie der Badiolarien haben wir eine andere Deutung der merkwürdigen Gestalt des Dip loconus fasces versucht, indem wir bemüht waren, eine Homologie mit gewissen Acanthometriden (namentlich Ampkilonche heteracantha) nachzuweisen und dadurch die Verbindung mit den übrigen Badiolarien herzustellen, von denen dieses seltsame Wesen sonst so bedeutend abweicht. Wir haben dort das grosse Stachelpaar, welches die A s e des Doppelkegels bildet, nicht als Hauptaxe, sondern als dorso-ventrale Kreuzaxe betrachtet und als Hauptaxe, wie bei Aviphilonche, die stachellose A x e , welche auf jener und auf der lateralen Kreuzaxe senkrecht steht. Als Aequatorialebene musste daher dort diejenige Ebene bezeichnet werden, die wir hier als erste radiale Rreuzebene betrachtet haben. E s würde nach dieser Deutung als die eigentliche Grundform des Diploconus fasces nicht die z w ö l f s e i t i g e amphithecte Doppelpyramide mit 6 Antimeren, sondern die sechszehnseitige mit 8 Antimeren, gleichwie bei Ampkilonche, anzusehen sein. Indess will uns jetzt jene frühere Deutung als die gezwungenere und die hier gegebene als die natürliche erscheinen. ') Die stärkere dorsoventrale Kreuzaxe habe ich in meiner Monographie der Badiolarien als verticale (oder longitudinale) Hauptaxe. die schwächere laterale Kreuzaxe als horizontale (oder transversale) Hauptaxe bezeichnet. Diese Bezeichnungen können nicht mit Vortheil beibehalten werden. Als L o n g i t u d i n a l a x e können wir nur die s t a c h e l l o s e H a u p t a x e bezeichnen, obwohl dieselbe hier, wie auch sonst oft. bedeutend kürzer, als die beiden idealen Kreuzaxen ist. H a e c k e l , Generelle Morphologie.
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System der organischen Grundformen.
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wird die Grundform des Körpers durch 3 auf einander senkrechte ungleiche, aber gleichpolige Axen bestimmt,, die stachellose Hauptaxe und die beiden mit verschiedenen Stechelradien versehenen radialen Kreuzaxen. Wenn wir die Pole dieser 3 ungleichen Axen, die sich alle gegenseitig unter rechten Winkeln halbiren, durch Linien verbinden und dann durch je 2 benachbarte Linien Ebenen lagen, so erhalten wir die stereometrisch reine Form des Rhomben-Octaeders, die Grundform des rhombischen Erystallsystems. Wenn wir aber die Pole jener 3 Axen nicht unter einander, sondern mit den Spitzen der nächstliegenden Tropenstacheln durch grade Linien verbinden und durch je 2 benachbarte Verbindungslinien Ebeuen legen, so erhalten wir eine sechszehnseitige amphithecte Doppelpyramide (Taf. I I , Fig. 27). E s könnte demnach auch hier wieder zweifelhaft erscheinen, ob wir als die eigentliche Grundform jener Radiolarien eine amphithecte Doppelpyramide mit 8 Antimeren und 16 Seitenflächen, oder eine solche mit 4 Antimeren und 8 Seitenflächen (die specielle Art des Rhomben-Octaeders) zu betrachten haben. Auch in diesem Falle (wie oben im analogen Falle der Isostauren mit 20 Stachelradien), dürfte die letztere Auffassung mehr ansprechen, sobald man den realen Kreuzaxen, welche durch die beiden Meridianebeneu der Tropenstacheln gehen, nur die Bedeutung von interradialen, nicht von radialen Kreuzaxen zugesteht. Unter den wenigen Pollenkörnern, welche die polypleure Allostauren - Form besitzen, sind besonders diejenigen einiger Labiaten hervorzuheben, welche sehr deutlich die zwölfseitige amphithecte Doppelpyramide ausgeprägt zeigen, ζ. B. von Satureju rupestris, Salvia glutinosa (Faf. II, Fig. 28).
Zweite Gattung der allostauren Stauraxonien.
Rhomben-Octaeder. Stereometrische Realer
Grundform: Typus:
Allostaura octopleura.
Amphithecte Doppelpyramide mit acht
Stephanastrum
Seiten.
(Taf. Π, Fig. 29, 30).
Die achtseitigen amphithecten Doppelpyramiden, welche die specielle Form des Rhomben-Octaeders repräsentiren, verhalten sich zu den allgemeineren Formen, den polypleuren (mit mindestens zwölf und überhaupt mit 8 + 4 η Seitenflächen), ganz ebenso, wie die octopleuren Isostauren zu den polypleuren. In beiden Fällen, bei den Isostauren, wie bei den Allostauren, liegt eine wesentliche Differenz der octopleuren und der polypleuren Formen darin, dass bei den octopleuren nur zwei radiale Kreuzaxen vorhanden sind, die sich unter rechten Winkeln schneiden und mit den beiden idealen Kreuzaxen zusammenfallen, während bei den polypleuren mehr als zwei radiale (oder semiradiale) Kreuzaxen existiren, die sich unter spitzen Winkeln schneiden. Wie die Organismen, welche zu den octopleuren Isostauren gehören, in der Grundform nicht von den Krystallen des quadratischen
Rhomben-octaedrische Grundformen.
Allostaura octopleura.
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Systems, so sind diejenigen, welche den octopleuren Allostauren zuzurechnen sind, nicht von den Krystallen des rhombischen Systems verschieden. Es sind daher die Organismen, deren Grundform das Rhomben-Octaeder der letzteren ist, von besonderem Interesse. Wir finden das Rhomben-Octaeder als organische Grundform vor Allen bei sehr zahlreichen Diatomeen, sodann bei vielen Pollen-Zellen (ζ. B. bei dem Pollen von Betoperone oblongata, Barleria longifolia) und endlich bei sehr zahlreichen Desmidiaceen (z. B. Euastrum, Taf. II. Fig. 29). In ausgezeichneter Weise finden wir das rhombische Krystallsystem ferner bei mehreren Radiolarien ausgebildet. Von diesen zeichnen sich die meisten hierher gehörigen Formen wiederum durch sehr starke Verkürzung der Hauptaxe aus, so dass von den drei auf eineinander senkrechten bestimmten Axen die Hauptaxe (Längsaxe) die kürzeste, die dorsoventrale Kreuzaxe (Dickenaxe) die längste ist und die laterale Kreuzaxe (Breitenaxe) zwischen Beiden in der Mitte steht. Ton mehreren Acanthometriden und einigen Ommatiden (Haliommatidium Mülleri, H. feneslratnm) ist so eben bereits nachgewiesen worden, dass ihre Grundform, strenggenommen, nicht die sechszehnseitige, sondern die achtseitige amphithecte Doppelpyramide ist. Die anderen Radiolarien, welche die Grundform des rhombischen Krvstallsystems sehr rein und deutlich ausgeprägt besitzen, und welche grösstentheils den Familien der Ommatiden, Disciden und Sponguriden angehören, zeigen dieselbe theils mehr als reines Rhomben-Octaeder, theils als rhombische Säule (geradem Prisma mit rhombischen Grundflächen), theils als rectanguläre Säule (gerades Prisma mit rechteckigen Grundflächen). D i e r h o m b i s c h e S ä u l e , ein vierseitiges Prisma, dessen Seitenflächen 4 congruente Rechtecke, die Grundflächen Rhomben sind, ist in höchst ausgezeichneter Weise in dem merkwürdigen Stephanastrum rhombus verkörpert, einem fossilen Discid aus dem Radiolarien - Mergel von Barbados, welches E h r e n b e r g in seiner Microgeologie (Taf. X X X V I , Fig. 33) abgebildet hat. In diesem zierlichen Organismus, einer der interessantesten Rhizopodengestalten, sind nicht allein die rectangulären Seitenflächen der rhombischen Säule, sondern auch die rechtwinkelig gekreuzten ungleichen Diagonalen ihrer rhombischen Grundflächen und sogar die beiden, durch diese Diagonalen zu legenden Kreuzebenen (welche mit den idealen zusammenfallen) durch schwammig-gekammerte Kieselbalken in stereometrisch reiner Form verkörpert. Die Aequatorialebene dieses Protisten liefert zugleich das geometrisch reine Bild der Aequatorialebene des Rhomben- Octaeders und ihrer Diagonalen (Vergl. Taf. II, Fig. 30, nebst Erklärung). Die r e c t a n g u l ä r e S ä u l e , ein vierseitiges Prisma, dessen Seitenflächen ebenso wohl als die Grundflächen Rechtecke sind, also ein von 6 Rechtecken begrenzter Körper, in welchem je 2 gegenüberstehende Rechtecke congruent, je 2 anstossende ungleich sind, findet sich ebenfalls unter den Radiolarien in geometrisch reiner Form verkörpert, so in der merkwürdigen SpongocycUa orthogonu (Rad. Taf. X X V I I I , Fig. 3). Auch die seltsame 29*
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System der organischen Grundformen.
Telrupyle oclucuntha, ein Onimatid, welchem J o h a n n e s M ü l l e r eine ganze Tafel seiner Radiolarien - Abhandlung gewidmet hat (Taf. II, Fig. 12, 13; Taf. III) zeigt dieselbe Grundform. Ueber Spongocycliu ullipticu (Rad. Taf. X X V I I I , Fig: 2) kann ebenso wohl die rectangaläre, als die rhombische Säule construirt werden. Endlich sind die drei ungleichen gleichpoligen Axen, welche sich gegenseitig unter rechten Winkelu halbiren und weiche den Character des rhombischen Krystallsystems bestimmen, auch in einigen Radiolarien vorhanden, welche scheinbar sehr eigenthümliehe Formen bilden, »o namentlich in Didymouyrtis und Ommatuspurks (Rad. p. 439, p. 444; Taf. XXIF, Fig. 14—16).
Zweite Familie der Stauraxonieu.
Uligleichpolige Kreuzaxige. Stereometrisclui
Grundform:
Ileteropola.
Pyramide
( T a f . I).
Obgleich die im vorigen Abschnitt betrachteten homopolen Stauraxonien von hohem morphologischem Interesse sind wegen der unzweifelhaften Identität ihrer Grundform mit derjenigen zweier Kristallsysteme, so sind sie dennoch, gleich allen anderen im Vorhergehenden untersuchten Grundformen, bisher gar nicht oder doch fast gar nicht beachtet werden, weil sie gewöhnlich nur bei morphologischen Individuen niederster (erster und zweiter! Ordnung vorkommen, und weil sie als materielles Substrat von aktuellen Bionten nur auf eine verhältnissmässig kleine Reihe von niederen Organismen, insbesondere Radiolarien, beschränkt sind. Die bisherigen Untersuchungen über die allgemeinen Grundformen der Organismen haben sich vielmehr ausschliesslich mit solchen Gestalten beschäftigt, welche der Formeugruppe der heteropolen Stauraxonien angehören, die wir kurz die H e t e r o p o l e u nennen wollen. Allerdings ist diese Formengruppe, zu deren Betrachtung wir jetzt Ubergehen, insofern von Uberwiegeuder Wichtigkeit, als sie die Grundformen für die actuellen Bionten aller höheren Thiere und Pflanzen liefert, und mithin auch die grössten und am meisten auffallenden Formen der ganzen Organismen-Welt. Indessen wird doch durch den Umstand, dass die Metameren und Personen fast sämmtlicher Wirbelthiere, Arthropoden, Würmer, Mollusken, Echinodermen und Coelenteraten, sowie fast aller Plianerogamen und höheren Cryptoganien der heteropolen Stauraxonform angehören, eine besondere Dignität dieser Grundform an sich noch keineswegs bedingt. Vielmehr hoffen wir durch die voi hergehenden Untersuchungen den Beweis geliefert zu haben, dass die bisher ganz vernachlässigten Grundformen der homopolen Stauraxonien, der Monaxonien, Polyaxonien u. s. w. für die allgemeine Morphologie von
Pyramidale Grundformen.
Heteropola.
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mindestens eben so grosser Bedeutung sind, und es wird sich weiterhin auch zeigen, dass eine intensive Untersuchung dieser niederen und einfacheren Formen hier, wie überall, das Verständniss der höheren und complicirteren Verhältnisse wesentlich erleichtert und oft allein eröffnet. Gewiss dürfen wir die Thatsache nicht gering anschlagen, dass die Grundformen der grossen Mehrzahl aller morphologischen Individuen erster und zweiter Ordnung (Piastiden und Organe) den im Vorhergehenden untersuchten niederen und einfacheren PromorphenGruppen angehören. Sind j a doch alle Form-Individuen dritter und höherer Ordnung erst aus jenen aufgebaut. Aber selbst insofern müssen jene ein besonderes und ihnen bisher versagtes Interesse fordern, als es unter allen vorstehend aufgeführten Promorphen nur sehr wenige, vielleicht keine einzige giebt, welche nicht bei gewissen (wenn auch oft nur wenigen) Organismen-Arten das materielle Substrat für das actuelle Bion bildet. Wenn wir in dieser Beziehung die Resultate unserer vorhergehenden Untersuchungen mit den bisher über die Grundformen der niederen Organismen, und namentlich der Rhizopoden. herrschenden Ansichten vergleichen, so kommen wir zu dem überraschenden Resultat, dass die Natur fast alle möglichen regelmässigen Grundformen, welche durch die verschiedene Zahl und Differenzirung der möglichen Form-Axen und ihrer Pole entstehen können, in den actuellen Bionten bestimmter organischer Species verkörpert hat, und dass gerade diejenigen Protisten-Gruppen die ausgesprochensten und regelmässigsten stereometrischen Grundformen in eben so grosser Reinheit als Mannichfaltigkeit zeigen, welche bisher unter dem negativen Collectivbegriff der „Ges t a l t l o s e n ' · oder A m o r p h o z o e n zusammengefasst wurden. Dieser Collectivgruppe stellte man bisher allgemein nur zwei andere Grundformgruppen gegenüber, die der regulären oder Strahlformen und die der symmetrischen oder Bilateralformen. Als Radiaten odei reguläre Thiere fassten die Zoologen gewöhnlich alle Coelenteraten und Echinodermen zusammen, als Bilateralien oder symmetrische Thiere V dagegen die Würmer, Glieder-, Weich- und Wirbelthiere. Ebenso unterschieden die Botaniker allgemein nur „regelmässige (radiale) Formen, die sich mit vielen Schnitten durch eine angenommene Axe in zwei gleiche Theile theilen lassen und symmetrische (bilaterale), die nur durch einen einzigen Schnitt in zwei gleiche Theile (die sich dann wie rechte und linke Hand verhalten) getheilt werden können" ( S c h l e i d e n ) . Alle diese regulären und symmetrischen Formen zusammen, welche bisher fast allgemein für die beiden einzigen unterscheidbaren Grundformen der Organismen gehalten wurden, bilden unsere Formengruppe der heteropolen Stauraxonien. Der einzige Naturforscher, welcher neuerdings den ernstlichen '
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System der organischen Grundformen.
Versuch gemacht hat, die Thierformen auf geometrische Gestalten zurückzuführen, B r o n n , hat flir die Grundform der regulären oder radialen Thiere und der meisten Pflanzen das E i oder den K e g e l (Ooid oder Conoid, auch Actinioid), also unsere diplopole Monaxonform, erklärt, flir die Grundform der symmetrischen oder bilateralen Thiere eine besondere Art des K e i l e s oder einen H a l b k e i l (Sphenoid, Hemisphenoid). Wir werden im Folgenden den Nachweis liefern (und haben ihn zum Theil schon oben geliefert), dass die gemeinsame Grundform beider Hauptgruppen die einfache P y r a m i d e ist. und zwar lässt sich als die Grundform der wirklich regulären Strahlformen die r e g u l ä r e P y r a m i d e , als die Grundform der irregulären Strahlformen und der sämmtliehen bilateral-symmetrischen Formen theils die ganze, theils die halbe a m p h i t h e c t e P y r a m i d e näher definiren. Die allgemeinen Eigenschaften der P y r a m i d e sind aus der Stereometrie bekannt. Sie ist ein Polyeder, welches über einem Vieleck als Grundfläche (Basis) von lauter Dreiecken als Seitenflächen (Pleura) dergestalt umschlossen wird, dass dieselben in einem einzigen Punkte, der Spitze (Apex), zusammenlaufen. Für die nachfolgenden Betrachtungen ist es in mancher Hinsicht bequemer und anschaulicher, statt der ganzen Pyramide als die allgemeine Grundform der heteropolen Stauraxonien die abgestumpfte Pyramide aufzustellen, d. h. eine Pyramide, deren Spitzentheil durch eine Ebene abgeschnitten ist, die der Basis parallel läuft. Da jedoch durch die Pyramidenform wesentlich nur die Differenzirung mehrerer Kreuzaxen und die Verschiedenheit beider Pole der Hauptaxe des Körpers ausgedrückt werden soll, so ist es flir die nachfolgenden Untersuchungen ganz gleichgültig, ob wir unter Apex oder Apicalfläche die wirkliche Spitze der ganzen Pyramide oder die Schnittfläche der abgestumpften Pyramide (die der Basis parallele Ebene des abstumpfenden Schnittes) verstehen. Wir werden diesen letzteren Theil, die Apicalfläche oder den A p e x ein flir allemal als die Gegenmundseite ( A r e a a b o r a l i s , A n t i s t o m i u m ) , die Grundfläche oder B a s i s der Pyramide dagegen als die Mundseite ( A r e a o r a l i s , P e r i s t o m i u m ) betrachten, und ferner die Axe der Pyramide oder das von der Spitze auf die Grundfläche gefällte Loth als die H a u p t a x e oder L ä n g s a x e ( A x i s lo n g i t u d i n a l i s , Axon p r i n c i p a l i s ) des Körpers ansehen. D i e Z a h l d e r S e i t e n f l ä c h e n d e r P y r a m i d e i s t g l e i c h der Z a h l der A n t i m e r e n , a u s d e n e n d e r K ö r p e r d e r h e t e r o p o l e n Stauraxonien z u s a m m e n g e s e t z t ist, und diese homotypische G r u n d z a h l i s t w i e d e r g l e i c h d e r Z a h l der K r e u z a x e n , w e l c h e s i c h in d e r Mitte b e g e g n e n . Wenn die homotypische Grundzahl gerade ist (2n), wie bei den Coelenteraten, bei den vierzähligen Blüthensprossen der Phanerogamen, so ist die Hälfte der
Pyramidale Grundformen.
Heteropola.
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Kreuzaxen (n) radial, die Hälfte (n) interradial. Wenn dagegen die homotypische Grundzahl ungerade ist (2n—1), wie bei den Echinodermen, bei den dreizähligen und flinfzäbligen Blüthensprossen der Phanerogamen, so sind sämmtliche Kreuzaxen (2n—1) zur Hälfte radial, zur Hälfte interradial. Diesen drei Arten der Kreuzaxen entsprechen die drei Arten der Meridianebenen, welche man durch die Kreuzaxen und die Hauptaxen legen kann; die radialen, interradialen und semiradialen Kreuzebenen, die wir bereits oben erläutert haben (p. 432). Dort ist auch die Construction der Kreuzaxen bereits ausgeführt; die S t r a h l a x e (Radius) erhalten wir einfach dadurch, dass wir in der Medianebene eines Antlmeres, die Z w i s c h e n s t r a h l a x e (Interradius) dadurch, dass wir in der Grenzebene zweier Antimeren ein Perpendikel auf der Hauptaxe in deren Halbirungspunkt errichten. Die H a l b s t r a h l a x e (Semiradius) wird aus einem Radius und dem gegenüber liegenden Interradius gebildet. Die M i t t e l l i n i e n der A n t i m e r e n sind bei den heteropolen Stauraxonien, wie bei den homopolen, scharf durch die P y r a m i d e n k a n t e n bezeichnet; die Grenzlinien der Antimeren dagegen liegen in den Seitenflächen der Pyramide. Als S t r a h l f l ä c h e ( A r e a r a d i a l i s ) lässt sich bei vielen heteropolen Stauraxonien ein bestimmter Theil zweier zusammenstossender Pyramidenseiten (beiderseits der Kante) bezeichnen (ζ. B. die Ambulacra petaloidea der Echinodermen, die Blumenblätter (Petala) der polypetalen Phanerogamen). Ihr steht gegenüber die Z w i s c h e n s t r a h l f l ä c h e ( A r e a i n t e r r a d i a l i s ) , welche den Raum zwischen je zwei Strahlflächen (in einer Pyramidenseite) ausfüllt (ζ. B. die Interambulacra der Echinodermen, die mit den Blumenblättern alternirenden Kelchblätter (Sepala) und Staubblätter (Antheren) der polypetalen Phanerogamen). Wenn wir demnach bei der besonderen praktischen Wichtigkeit der heteropolen Stauraxonform sämmtliche allgemein unterscheidbaren Körpertheile ihrer stereometrischen Grundform, der Pyramide (und zwar am anschaulichsten der abgestumpften Pyramide) als solcher nochmals zusammenfassen und mit bestimmten Ausdrücken scharf bezeichnen, so ergiebt sich folgende Uebersicht: I. Der Körper aller heteropolen Stauraxonien wird begrenzt von 4 + η Flächen, welche den Flächen einer einfachen, geraden, abgestumpften Pyramide entsprechen, nämlich: 1) der Oralfläche oder Peristomseite (Basis der Pyramide); 2) der Aboraifläche oder Antistomseite (der Basis parallele Schnittfläche der abgestumpften Pyramide oder Apicalfläche); 3) 2 + n Seitenflächen (Paralleltrapezen der abgestumpften Pyramide). An jeder Seitenfläche kann ein mittlerer interradialer und zwei seitliche radiale Theile unterschieden werden. H. Die Antimeren sind allgemein vierseitige (abgestutzte) Pyramiden,
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System der organischen Grundformen.
welche sämmtlich eine Kante (die Hauptaxe) gemein haben. Jedes der Antimeren wird begrenzt von sechs Flächen, nämlich: 1) dem zwischen zwei Interradialebenen befindlichen Stttck der Peristomseite; 2) dem entsprechenden Stück der Antistomseite; 3) und 4) einer Area radialis und zwei halben, die letztere beiderseits begrenzenden Areae interradiales (also einer Kante und den dieselbe einschliessenden zwei halben Seiten der ganzen Pyramide); δ) und 6) zwei benachbarten halben Interradialebenen. Die Medianebene des Antimeres ist die zwischen letzteren liegende halbe Radialebene. ΓΠ. Im Inneren der Pyramide haben wir zur Orientirung folgende Linien; 1) die Hauptaxe (Längsaxe, Axon), welche die Mitte des Apex mit der Mitte der Basis verbindet; 2) den Basalpol derselben (Peristompol); 3) den Apicalpol derselben (Antistompol); 4) die realen Kreuzaxen (Stauri), welche vom Halbirungspunkt der Hauptaxe, auf der sie senkrecht stehen, ausgehen und entweder a) radial, oder b) interradial, oder c) semiradial sind, je nachdem entweder a) beide Pole der realen Kreuzaxe auf die Mittellinie eines Antimeres (Pyramidenkante), oder b) beide Pole auf die Grenzlinie zweier Antimeren (Pyrainidenseite) treffen, oder endlich c) der eine Pol auf eine Mittellinie, der andere auf eine Grenzlinie trifft; 5) die (realen) Kreuzebenen, welche durch die Hauptaxe und jede der Kreuzaxen gelegt weiden und demgemäss auch entweder a) radial, oder b) interradial, oder c) semiradial sind; 6) die Aequatorialebene, in welcher die sämmtlicben Kreuzaxen liegen und welche demgemäss die senkrecht auf ihr stehende Hauptaxe halbirt. Sie läuft parallel der Basis und theilt den ganzen Körper in ein orales oder Peristomsttick und ein aborales oder Antistomstück. Der Zerfall der Pyramidenformen oder heteropolen Stauraxonien in zwei Hauptgruppen. von Grundformen wird durch dasselbe maassgebende Verhältniss, wie bei den Doppelpyramiden der homopolen Stauraxonien, bedingt, nämlich durch die Gleichheit oder Ungleichheit der radialen oder semiradialen Kreuzaxen. Bei den H o m o s t a u r e n sind sämmtliche radiale oder semiradiale Kreuzaxen gleich, während bei den H e t e r o s t a u r e n entweder alle oder ein Theil derselben verschieden sind. Die Grundform der ersteren ist daher die r e g u l ä r e Pyramide, diejenige der letzteren die i r r e g u l ä r e , und zwar meistens die a m ρ h i th e c te Ρ y r a m i d e, bald die ganze, bald die halbe. Wie wir die heteropolen Stauraxonien aus den homopolen einfach dadurch ableiten können, dass wir die letzteren durch einen in der Aequatorialebene liegenden Schnitt halbiren, so gilt dasselbe auch von clen entsprechenden beiden Hauptabtheilungen der beiden Gruppen. In der That sind die isostauren Homopolen (als reguläre Doppelpyramiden) nichts Anderes als zwei congruente, mit den Basen vereinigte liomostaure Heteropolen (reguläre Pyramiden) und ebenso kann man die allostauren Homopolen
Pyramidale Grundformen.
Heteropola.
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(als amphithecte Doppelpyramiden) ansehen als eine Zwillingsform von zwei congruenten heterostauren Heteropolen; doch ist der letztere Vergleich dahin näher zu bestimmen, dass bloss die Grundform der a u t o p o l e n Heterostauren eine g a n z e , diejenige der a l l o p o l e n dagegen eine h a l b e amphithecte Pyramide ist; wir müssten daher die ersteren nochmals halbiren, um aus ihnen die Grundform der letzteren zu erhalten. Der Parallelismus der beiden Hauptabtheilungen in beiden Formgruppen spricht sich weiterhin namentlich auch darin aus, dass bei den Heterostauren (Heteropolen) wie bei den Allostauren (Homopolen) durch die Differenzirung der realen Kreuzaxen zugleich auch die beiden idealen Kreuzaxen (dorsoventrale und laterale)) bestimmt werden, während diese bei den Homostauren (Heteropolen) noch nicht differenzirt, und so wenig als bei den Isostauren (Homopolen) irgendwie zu bestimmen sind. Unsere Homostauren entsprechen den gewöhnlich sogenannten „regulären Strahlthieren*, also absolut regulären Radiaten mit congruenten Antimeren, ζ. B. den meisten Medusen, Anthozoen, Astenden etc. Dagegen umfassen unsere Heterostauren theils die Uberwiegende Mehrheit der sogenannten bilateral-symmetrischen" Thiere (mit Ausschluss der Allostauren), theils die sogenannten „irregulären oder symmetrischen Strahlthiere" (ζ. B. die Spatangiden, Zaphrentinen), theils endlich die sogenannten ..zweistrahligen Thiere" (Ctenophoren und Verwandte). Wie im Thierreiche, so gehört auch im Pflanzenreiche die grosse Mehrzahl aller Form-Individuen dritter und fünfter Ordnung (Antimeren und Personen) der heteropolen Stauraxon-Form au. Die meisten Phanerogamen - Personen, sowohl die geschlechtlich differenzirten (Blttthensprosse) als die geschlechtslosen (Blattsprosse), ebenso die meisten Thier-Personen lassen sich ohne Schwierigkeit auf die Grundform der Pyramide reduciren. Dasselbe gilt von den meisten Antimeren, welche diese Personen zusammensetzen. Dagegen ist die heteropole Stauraxonform weniger verbreitet unter den Form-Individuen vierter und sechster, und am wenigsten unter denen erster und zweiter Ordnung. Daher ist sie auch unter den Protisten selten. Die Erkenntniss, dass in der That die Pyramide als die stereometrische Grundform aller Heteropolen betrachtet werden muss, und dass demgemäss die überwiegende Mehrzahl aller thierischen und pflanzlichen Personen und Antimeren sich auf eine Pyramide als gemeinsame Promorphe zurückführen lässt, ist eben so wichtig, als sie in vielen Fällen schwer zu gewinnen, und daher auch bis jetzt allgemein nicht gewonnen ist. Verhältnissmässig am leichtesten und sichersten gelangt man zu dieser werthvollen Ueberzeugung, welche die schwierigsten Formverhältnisse erklärt, durch die promorphologische
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System der organischen Grandformen.
Untersuchung der Strahlthier-Personen, sowohl der Echinodermen als der Coelenteraten. Und doch ist selbst hier den trefflichsten Morphologen die pyramidale Grundform verborgen geblieben. Nichts ist vielleicht in dieser Beziehung bezeichnender, als die kritische Betrachtung der andauernden Bemühungen des grossen J o h a n n e s Müller, die Grundformen und die Homologieen der Echinodermen zu verstehen. Trotz seiner unübertroffenen Kenntniss dieser ebenso interessanten als schwierigen Thiergruppe, trotz seiner extensiv und intensiv bewundernswürdigen Anstrengungen, das morphologische Verständniss derselben zu begründen, und eine wahre „ P h i l o s o p h i e d e r E c h i n o d e r m e n " zu gewinnen, gelang es ihm dennoch nicht, den Schlüssel zur Lösung des Räthsels zu finden. Dieser Schlüssel liegt eben in der Erkenntniss, dass die Grundform der regulären Echinodermen eine fllnfseitige reguläre Pyramide, diejenige der „bilateral-symmetrischen" Echinodermen dagegen die Hälfte einer zehnseitigen amphithecten Pyramide ist.') Sobald man von dieser Erkenntniss ausgeht, so lösen sich die schwierigen Homologieen der Echinodermen in einer ebenso klaren als überraschend einfachen Weise, wie wir an einem anderen Orte ausführlich zeigen werden. Das Wichtigste und Erste muss auch hier, wie bei allen promorphologischen Untersuchungen, die Erkenntniss der maassgebenden Axen und ihrer Pole sein, und dann die Untersuchung der Differenzirungs-Verhältnisse zwischen den verschiedenen Axen und ihren Polen, woraus sich dann die Construction der Pyramiden- Seiten von selbst ergiebt. Nichts ist aber gefährlicher und weniger erspriesslich, als von der Oberflächen-Betrachtung auszugehen und diese, ohne Rücksicht auf die Axen und ihre Pole, zur Basis der promorphologischen Reduction zu machen. Sucht man die Grundform von Personen oder Metameren (Form-Individuen fünfter oder vierter Ordnung) auf, so ist zunächst das Wichtigste die Erkenntniss ihrer Zusammensetzung aus Antimeren, und dann deren Differenzirung. Ist dagegen ein Antimer selbst das promorphologische Object, so müssen zunächst die Epimeren und Parameren, welche dasselbe constituiren, erkannt werden. Das letztere gilt auch, wenn es sich um Form-Individuen zweiter und erster Ordnung (Organe und Piastiden) handelt. ') J o h a n n e s M ü l l e r stellte statt der fünfseitigen regulären Pyramide, die er nicht erkannte, als Grundform der Echinodermen eine K u g e l mit einer bestimmten Axe auf, deren beide Pole (Mundpol und Apical-Pol) verschieden sind, und von deren Mundpol fünf Radien ausstrahlen, die als mehr oder minder vollständige Meridiane zum Apical-Pol verlaufen. Eine solche „Kugel" ist aber in der That nichts Anderes als eine fünfseitige reguläre Pyramide, und die fünf „Meridiane" oder Oberflächen - Radien (Ambulacra) sind die fünf Kanten der Pyramide.
Pyramidale Grundformen.
Heteropola.
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Ebenso klar und deutlich, wie bei den Personen der meisten Echinodermen und Coelenteraten, ist die Pyramide als heteropole Stauraxon-Grundform bei den meisten Geschlechts-Personen (BlüthenSprossen) der Phanerogamen ausgeprägt, und durch die Zahl der „Glieder der Blüthenblattkreise u (d. h. der Antimeren) leicht zu bestimmen. Viel schwieriger ist dagegen diese Erkenntniss bei den geschlechtslosen Personen der Phanerogamen, den Blattknospen. Wenn hier der Stengel deutlich dreikantig oder vierkantig ist, oder wenn die Blätter deutlich in drei oder Tier Meridianebenen (Kreuzebenen) über einander stehen, ζ. B. bei regelmässig gegenständigen, wechselständigen und kreuzständigen Blättern, so lässt sich auch hier leicht die Zusammensetzung aus drei oder vier Antimeren nachweisen. Es ist dies aber sehr häufig nicht der Fall, indem die einzelnen Blattkreise an den verlängerten Stengelgliedern des Blattsprosees nicht, wie bei den Bllithensprossen mit verkürzten Stengelgliedern, so über einander stehen, dass die entsprechenden Blätter in Meridianebenen fallen, sondern vielmehr Spiralen bilden. 1 ) In diesen Fällen sind die Kreuzaxen, welche dort durch die einzelnen Blätter der geschlossenen Blattkreise bezeichnet werden, oft sehr schwer wahrzunehmen. Vielleicht werden dieselben in manchen Fällen durch die Zahl der Markstrahlen und der mit ihnen alternirenden Gefassbtindel des Stengels bestimmt, welche bei vielen Phanerogamen den Stengel sehr regelmässig in Antimeren zu zerlegen scheinen; deren finden sich ζ. B. bei Clematis sechs, bei Sapindaceen fünf, bei Bignoniaceen vier vor. Es würde also der Spross im ersten Falle als eine sechsseitige, im zweiten als eine ftlnfseitige, im dritten als eine vierseitige reguläre Pyramide zu betrachten sein. Erste Unterfamilie der heteropolen Stauraxouien.
Ungleichpolige Gleichkreuzaxige.
Houiostaura.
(Strahlformen, reguläre Formen der meisten Autoren.) Stereometrische
Grundform:
Reguläre
Pyramide
(Taf. I, F i g . 1, 4, 6, 9).
Die wichtige Formengruppe der homostauren heteropolen Stauraxonien, welche wir ein fur alle Mal kurz die H o m o s t a u r e n nennen wollen, umfasst die überwiegende Mehrzahl der sogenannten „Strahl') Gewöhnlich wird für alle Blattstellungen der Phanerogamen die Spirale als das Ursprüngliche angesehen und die geschlossenen Blattkreise als ringförmig zusammengezogene einzelne Umläufe der Spirale. Indessen dürfte die Entwickelungsgeschichte vielleicht umgekehrt zeigen, dass die geschlossenen Blattkreise das primäre und die Spiralen das secundär daraus abgeleitete Verhältniss darstellen, wie es bei sehr vielen Blütheneprossen deutlich zu sehen ist.
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System der organischen Grundformen.
formen oder regulären Formen" in dem Sinne wenigstens, in welchem die meisten Morphologen diesen vieldeutigen unb vielfach missbrauchten Ausdruck verstehen. Die reguläre einfache Pyramide, welche die stereometrische Grundform aller Homostauren ist, bildet mehr oder minder rein ausgesprochen die Promorphe vorzüglich in den FormIndividuen fünfter Ordnung, den Personen (Sprossen), bei der Mehrzahl der sogenannten „ Strahlthiere" und der Phanerogamen. E s gehört hierher also die Majorität der Personen unter den sogenannten „Strahlthieren" oder Radiaten , nämlich der bei weitem grösste Tbeil aller Coelenteraten, und ein sehr grosser Theil der Echinodennen. Jedoch können nur die streng „ regulären * Strahlthiere hierher gerechnet werden. Daher sind ausgeschlossen und zu den Heterostauren zu stellen die sogenannten „irregulären" oder bilateral-symmetrischen Echinodermen, und von den Coelenteraten alle Ctenophoren, der grösste Theil der Siphonophoren und ein kleiner Theil der Anthozoen und Hydromedusen. Aus dem Protistenreiche gehört hierher ein Theil der Strahlrhizopoden oder Radiolarien, sowie viele einzelne Formen aus anderen Stämmen. Aus dem Pflanzenreiche endlich müssen wir wohl die Mehrzahl der Sprosse (Personen) der Phanerogamen und viele Cryptogamen-Formen zu den Homostaureu rechnen, obwohl hier sehr häufig eine scheinbar homostaure Stauraxonform sich bei genauerer Untersuchung als heterostaure ausweist. Die allgemeinen Eigenschaften der regulären Pyramide sind aus der Stereometrie so bekannt und auch zum Theil schon im Vorhergehenden speciell erörtert, dass wir hier nur die wichtigsten Eigentümlichkeiten dieser Grundform mit Bezug auf ihre Construction im Thier- und Pflanzen-Organismus kurz zu wiederholen brauchen und die Art ihrer Anwendung zu bestimmen haben. Als die B a s i s oder G r u n d f l ä c h e ( A r e a b a s a l i s ) der regulären Pyramide, welche hier stets ein reguläres Polygon bildet, haben wir bei den homostauren Thier-Formen die M u n d s e i t e oder P e r i s t o m f l ä c h e des Körpers ( A r e a o r a l i s , P e r i s t o m i u n i ) zu betrachten, bei den regulären Echinodermen und Coelenteraten also diejenige Seite, in welcher sich der Mund, bei den homostauren Radiolarien (Cyrtiden) diejenige Seite, in welcher sich die Mündung des Kieselgehäuses befindet. Bei den Phanerogamen -Bllithen entspricht der Pyramiden-Basis ebenfalls die Mündung der Blüthe, die meist glockenartig geöffnet ist, bei den Frucht-Individuen der Cryptogamen (ζ. B. Mooskapseln) die Mündung der Frucht, aus der die Sporen hervortreten. Bei den Sprossen (Personen) aller Pflanzen überhaupt werden wir also stets den freien terminalen Pol (Vegetationsspitze), beim Stock mithin das der Wurzel entgegengesetzte Ende als basale oder orale Seite (Peristomium) zu betrachten haben. Als der A p e x oder die S p i t z e n f l ä c h e ( A r e a
Regulär-pyramidale Grandformen.
Homostaura.
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a p i c a l i s ) dagegen, d. h. als die Spitze der ganzen oder die (der Basis parallele) Schnittfläche der abgestumpften regulären Pyramide stellt sich bei den homostauren Thier-Formen die der Mundseite entgegengesetzte Körperseite dar, welche wir allgemein als G e g e n m u n d s e i t e oder A n t i s t o m f l ä c h e ( A r e a ab o r a l is, A n t i s t o m i u m ) bezeichnet haben; bei den homostauren Radiolarien (Cyrtiden) ist dies die Spitze des Gehäuses, bei den Echinodermen der sogenannte Scheitel oder das Apicalfeld, in welchem häufig der After liegt; bei den festsitzenden Coelenteraten ist es die angewachsene Körperfläche, bei den frei schwimmenden die fast immer nach oben gekehrte gewölbte Scheitelfläche, die in der Regel fälschlich Rücken genannt wird. Bei denjenigen Phanerogamen - Blüthen und CryptogamenSporangien, welche die reguläre Pyramide zur Grundform haben, ist es allgemein die angewachsene oder mittelst eines Stieles festsitzende Seite, welche der Mündung gegenüber liegt und der Aboraifläche oder dem Apex entspricht. Bei den Sprossen (Personen) der Pflanzen Uberhaupt werden wir demnach stets den festsitzenden Pol des Axenorgans als apicale oder aborale Seite (Pyramidenspitze) zu betrachten haben, beim einfachen Spross und beim Hauptspross der Stöcke die AVurzel, bei den Seitensprossen das Ende, welches am Hauptspross befestigt ist. (Ueber die Pyramiden-Basis vergl. Taf. I, Fig. 1, 4, 6, 9). Durch die Zahl der Seiten des regulären Polygons, welches die Basis bildet, oder durch die gleiche Zahl der Seitenflächen der regulären Pyramide wird die hötaotypisehe Grundzahl der Homostauren bestimmt, welche drei oder mehr sein kann. Die Seitenflächen sind sämmtlich congruente gleichschenkelige Dreiecke. Die Kreuzaxen sind entweder (bei ungerader Grundzahl) sämmtlich gleich (semiradiale) oder (bei gerader Grundzahl) alteruirend gleich (radiale und interradiale). AVenn wir als Grundform die a b g e s t u m p f t e reguläre Pyramide annehmen, so ist die Hauptaxe (in der Geometrie einfach die .Axe" der regulären Pyramide genannt) die Linie, welche die Mittelpunkte der basalen und apicaleü Ebene verbindet; wenn wir dagegen als Grundform die g a n z e reguläre Pyramide betrachten, so ist die Hauptaxe das Perpendikel, welches von der Spitze auf die Grundfläche gefällt wird und in deren Mittelpunkt trifft. Die Antimeren sind im ersteren Falle abgestumpfte, im letzteren ganze vierseitige Pyramiden, deren Basis ein Trapez ist, das durch jede der beiden Diagonalen in zwei ungleiche gleichschenkelige Dreiecke zerlegt wird. Die Kanten der regulären Pyramide sehen wir ein für alle Mal als die Mittellinien der Antimeren-Oberfläche an, als welche sie in der That bei den meisten hierher gehörigen Thier- und Pflanzeuformen vorspringen. Die Grenzlinien der Antimeren-Oberfläche dagegen entsprechen den Mittellinien, welche die Seitenflächen der
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System der organischen Grundformen.
regulären Pyramide halbiren und in zwei congruente rechtwinkelige Dreiecke zerlegen. Die Formengruppe der Homostauren zerfällt in so viele FormenArten, als die Zahl der Pyramiden-Seiten (und also die homotypische Grundzahl) betragen kann. Diese Zahl ist zwar a priori unbegränzt, in der That aber findet sich nur eine sehr geringe Menge von Grundzahlen in der Natur verwirklicht vor. Bei der ttbergrossen Mehrzahl aller Homostauren, sowohl im Thier- als im Pflanzenreich, sind nur drei, vier, fünf oder ein niederes Multiplum, meist nur das Doppelte dieser Grundzahlen, namentlich sechs und acht, seltener zehn Antimeren vorhanden Weit seltener, und nur ausnahmsweise, ist eine andere Grundzahl nachweisbar, ζ. B. sieben bei einigen Phanerogamen (Trienlalis, Septas), elf bei einigen Seesternen. In diesen Fällen ist aber meistens entweder die Grundzahl innerhalb der Species schwankend, wie bei einigen Seesternen, oder es lässt sich, wie bei einigen Phanerogamen, aus der Entwickelungsgeschichte oder der Verwandtschaft mit nächststehenden Blüthen von anderer Grundzahl (meistens fünf) der Nachweis führen, dass die Siebenzahl oder die andere Zahl, welche nicht auf drei, vier oder fünf durch Division zurückftthrbar ist, nicht die primitive Grundzahl, sondern erst secundär durch Variation und Anpassung aus den letztgenannten entstanden ist. Wo scheinbar höhere Grundzahlen vorkommen, lassen sie eich entweder aus dem letztgenannten Verhältnisse, oder aus einer Multiplication von drei, vier oder fünf ableiten. Wir dürfen es daher als ein wichtiges Gesetz der allgemeinen Promorphologie aussprechen, dass die homot y p i s c h e G r u n d z a h l o d e r die A n t i m e r e n - Z a h l d e r Homos t a u r e n (die Seitenzahl der regulären Pyramide) s t e t s d r e i , v i e r o d e r f ü n f , o d e r ein M u l t i p l u m (meist nur das Duplum) v o n d i e s e n d r e i G r u n d z a h l e n beträgt, und dass, wo andere Primzahlen als Grundzahlen vorkommen, wie die Sieben bei Septas, Trienlalis etc. der Nachweis entweder der Inconstanz dieser Grundzahl, oder aber ihrer secundären Entstehung durch Abortus aus einer jener drei Grundzahlen fast immer geführt werden kann. Bei sehr vielen Homostauren, wo die Antimeren-Zahl ein Mult i p l u m von drei, vier oder fünf zu sein scheint, lässt sich aus der Entwickelungsgeschichte oder aus der Zahl einzelner (namentlich innerer) Organe der Nachweis führen, dass doch die ursprüngliche Grundzahl, die e i n f a c h e , drei, vier oder fünf ist, und dass erst später eine Multiplication derselhen (meistens nur eine Duplication) eingetreten ist. Dies ist ζ. B. der Fall bei sehr vielen PhanerogamenBlüthen, wo häufig in einer und derselben Blüthe ein Blätterkreis die einfache Grundzahl zeigt, während andere Blätterkreise derselben ein verschiedenes Multiplum dieser Zahl repräsentiren. So sind ζ. B.
Regulär-pyramidale Grundformen. Homoetaura.
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bei Butomus sechs Kronenblätter, sechs Griffel, sechs Frachtkapseln, aber 9 Staubfaden und drei Kelchblätter vorhanden. Bei Paris finden sich vier Kelchblätter, vier Kronenblätter, vier Griffel, vier Frucht, knoten und acht Staubfäden. Ebenso lassen sich von homostauren Thieren viele ähnliche Fälle anführen. Bei vielen Medusen sind vier Radialcanäle, vier Mundlappen, acht ßandbläschen und zwölf oder vierundzwanzig, bisweilen auch achtzehn Tentakeln vorhanden. In allen diesen Fällen ist die niedrigste Zahl offenbar als Grundzahl und die Multipla derselben als secundäre Vervielfältigungen zu betrachten. Bei den sechszähligen polycyclischen Anthozoen lässt sich der Beweis dafür durch die Entwickelungsgeschichte fahren, indem erst sechs, dann zwölf, vierundzwanzig u. s. w. Scheidewände und Leibesabtheilungen nach einander auftreten. Wohl zu unterscheiden von diesen sind diejenigen Fälle, wo ein M u l t i p l u m von d r e i , v i e r o d e r f ü n f die u r s p r ü n g l i c h e homot y p i s c h e G r u n d z a h l bildet, die entweder zeitlebens einfach bleibt oder ebenfalls wieder multiplicirt werden kann. Auch dieser Fall ist im Thier- und Pflanzen-Reiche sehr häufig. Wahrscheinlich ist es aber stets nur das D u p l u m , niemals das Triplum oder ein höheres Multiplum von drei, vier oder fünf, welches als ursprüngliche primitive Antimeren-Zahl auftritt. Sechs Autimeren finden sich schon in ursprünglicher Anlage bei den Madreporarien, acht bei den Alcyonarien, zehn bei einigen Radiolarien und Phanerogamen-Blüthen. Da hier schon die erste Anlage des Körpers als ein Aggregat von sechs, acht, zehn Antimeren erscheint, so können wir als homotypische Grundzahl hier nicht drei, vier, fünf, sondern nur das Duplum derselben ansehen. Die Erkenntniss der homotypischen Grundzahl bei den Homostauren wird in vielen Fällen dadurch mehr oder minder erschwert, dass diese Zahl in verschiedenen Metameren einer Person (ζ. B. in verschiedenen Blattkreisen eines Sprosses) eine verschiedene zu sein scheint. Aeusserst häufig ist dieser Fall bei den phanerogamen Blüthen, wo nur in seltenen Fällen alle Blattkreise der Blüthe dieselbe Grundzahl zeigen, und wo namentlich die weiblichen Genitalien in der Regel von einer grösseren oder geringeren Reduction betroffen werden. Solche Fälle, wo die Zahl der Kelchblätter, der Blumenblätter, der Staubfäden, der Stengel, der Fruchtblätter ganz dieselbe ist, finden sich ζ. B. bei Triplaris, Lechea unter den dreizähligen, bei Ilex,
Potamogeton
unter den vierzähligen,
bei Linum,
Crassula
unter den fünfzähligen Blüthen. In der Regel zeigt die Zahl der Kronen- und der Kelchblätter die homotypische Grundzahl am sichersten an, während die Zahl der weiblichen Genitalien (Stempel, Fruchtblätter) meistens vermindert, die Zahl der männlichen (Staubfäden)
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System der organischen Grundformen.
dagegen umgekehrt multiplicirt ist. Ganz entgegengesetzt den bomostauren Pflanzen verhalten sich in dieser Beziehung die homostauren Thiere, bei denen in der Regel in sämmtlichen Organkreisen dieselbe Grundzahl oder ein Multiplum derselben ausgeprägt ist. .Zahl-Reductionen in einzelnen Kreisen sind hier seltene Ausnahmen und fast immer mit Uebergang der homostauren in die heterostaure Grundform verbunden. So finden sich ζ. B. bei den dreizähligen Cyrtiden einzelne, wo die Kieselschale aus drei, die Centralkapsel aus vier Antimeren besteht, während in der Regel auch die letztere drei Antimeren zeigt. Es ist von hohem Interesse, dass es auch bei den Thieren vorzugsweise die Genitalien sind, die zuerst von der Reduction betroffen werden, so dass sich ζ. B. unter den fttnfzähligen Echinodermen bei den Holothurien nur ein einziges, bei vielen Seeigeln nur vier Geschlechtsorgane finden, während die übrigen Organkreise sämmtlich die Fünfzahl zeigen. Angesichts der im Vorhergehenden erörterten Verhältnisse werden wir die verschiedenen Arten der Homostauren-Form, deren Anzahl durch die Anzahl der verschiedenen homotypischen Grundzahlen bedingt und demnach a priori unbeschränkt ist, in Wirklichkeit auf einige wenige Fälle zurückfuhren können. Von den vielen möglichen Grundzahlen werden nur drei, vier, fünf. sechs, acht, zehn als wirklich angewandte übrig bleiben, und als seltene Ausnahmen sieben und neun. Die seltenen Fälle, wo eine höhere Grundzahl sls zehn auftritt, werden wir zusammenfassen können, da in diesen Fällen die Grundzahl innerhalb der Species selbst eine schwankende ist. Es lassen sich diese verschiedenen Arten der Homostauren-Form naturgemäss in zwei Formen-Gattungen gruppiren, solche nämlich mit mit g e r a d e r und solche mit u n g e r a d e r G r u n d z a h l . Es ist dieses Verhältniss, welches an sich unbedeutend erscheinen könnte, desshalb von grosser Bedeutung, weil mit der geraden oder ungeraden Antimeren-Zahl gewisse sehr wichtige Unterschiede in den Axen-Verhältnissen verbunden sind, die auf die Bildung der ganzen Gestalt den grössten Einfluss üben. Es mag hier vorläufig nur daran erinnert werden, dass die Homostauren mit ungerader Grundzahl, ζ. B. drei, fllnf, weit häufiger und entschiedener in die Heterostauren-Fonn übergehen und sich differenziren, als die Homostauren mit gerader Gruudzahl (ζ. B. vier, sechs). Unter den Thieren sind es die dreizähligen Radiolarien (Cyrtiden), die fünfzähligen Echinodermen (Psolus, Spatangus etc.) -unter den Pflanzen die dreizähligen Gramineen und Orchideen, die fünfzähligen Leguminosen, Umbelliferen, Labiaten, Violaceen und viele Andere, welche eine Reihe der merkwürdigsten Uebergänge von der reinsten Homostaurie (radialen Regularität) zur vollkommensten Heterostaurie (bilateralen Symmetrie) sehr deutlich ausgeprägt zeigen.
Regulär-pyramidale Grundformen.
Homostanra.
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Die H o m o s t a u r e n mit g e r a d e r G r u n d z a h l (2n) nennen wir I s o p o l e n , weil bei ihnen die beiden Pole jeder Kreuzaxe gleich sind; beide Pole treffen entweder auf die Mittellinie zweier gegenüber liegender Antimeren oder auf die Grenzlinie zweier gegenständiger Antimeren-Paare. Daher sind hier, wie schon oben ausgeführt wurde, zweierlei Kreuzaxen und Kreuzebenen vorhanden, die mit einander regelmässig abwechseln, η radiale und η interradiale. Jede radiale Kreuzebene ist die Medianebene zweier diametral gegenüberstehender Antimeren, deren jedes durch sie in zwei symmetrisch gleiche dreiseitige Pyramiden zerfallt. Jede interradiale Kreuzebene ist die Grenzebene von zwei congruenten Antimeren-Paaren. Am häufigsten von den hierher gehörenden homotypischen Grundzahlen ist vier, demnächst sechs, dann acht, sehr selten zehn oder mehr (10 + 2n). Die H o m o s t a u r e n mit u n g e r a d e r G r u n d z a h l (2n—1) können wir im Gegensatz zu den Isopolen passend als A l l o p o l e n bezeichnen, weil bei ihnen die beiden Pole jeder Kreuzaxe ungleich sind; der eine Pol trifft auf die Mittellinie eines Antimers, der andere auf die Grenzlinie des gegenüber liegenden Antimeren-Paares. Daher sind hier alle (2 η—1) Kreuzaxen und Kreuzebenen von einerlei Art, jede einzelne halb radial, halb interradial. Jede einzelne semiradiale Kreuzebene ist zur Hälfte die Medianebene eines Antimeres, zur Hälfte die Grenzebene des gegenüberliegenden Antimeren - Paares. Am häufigsten kommt hier als homotypische Grundzahl fünf vor, demnächst drei, sehr selten sieben, neun oder mehr (9 + 2uj. Erste Gattung der homostauren Stauraxonien:
Geradzahlige reguläre Pyramiden. JStereometrische
Grundform·.
Reguläre
Pyramide
Isopola. mit 2 η Seiten.
Die allgemeine Promorphe aller isopolen Homostauren ist die r e g u l ä r e P y r a m i d e mit g e r a d e r S e i t e n z a h l , wie nach den vorausgehenden Erörterungen keines weiteren Beweises bedarf. Die characteristischen Axen-Verhältnisse dieser Formengattung lassen sich kurz dahin reeapituliren, dass wenn die homotypische Grundzahl = 2 η ist, η unter sich gleiche radiale Kreuzaxen (und Kreuzebenen) mit η davon verschiedenen, aber unter sich ebenfalls gleichen, interradialen Kreuzaxen (und Kreuzebenen) alterniren. Jedes der 2 η Antimeren ist eine (ganze oder abgestumpfte) rechtwinkelige vierseitige Pyramide, deren Basis ein doppelt gleichschenkliges Trapez ist (ein Trapez, das durch die eine Diagonale in zwei gleichschenkelige ungleiche Dreiecke zerlegt wird). Von den vier Seitenflächen des Antimeres sind j e zwei anstossende symmetrisch-congruent. Jede der vier Haeckel,
Generelle Morphologie.
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466
System der organischen Grundformen.
Seitenflächen enthält einen rechten Winkel. Die beiden äusseren Seitenflächen sind die Hälften zweier anstossender Seiten der regulären Pyramide; die beiden inneren Seiteuflächen sind die Hälften von zwei benachbarten interradialen Kreuzebenen. Wir zerfallen die FormenGattung der isopolen Homostauren in fttnf Formenspecies, j e nachdem die Grundzahl vier, sechs, acht, zehn, oder mehr (10-j-2n) beträgt. Je geringer die Grundzahl, desto vollkommener ist im Allgemeinen die Organisation, desto höher die Stellung des Organismus. Erste Art der isopolen Homostaureu: Geradzahlige Vielstrahler.
Myriactiiiota.
Stereometrische Grundform: Reguläre Pyramide mit 10 + 2nSeiieit.
Realer
Typus:
Aequorea.
Wir fassen unter dem Namen der Myriactinoten alle diejenigen isopolen Homostauren zusammen, deren gerade Grundzahl mehr als zehn, also mindestens zwölf, vierzehn, sechszehn u. s. w., allgemein 10 + 2 n , beträgt. Es rechtfertigt sich diese Zusammenstellung einerseits dadurch, dass mehr als zehn Antimeren bei Homostauren Uberhaupt selten sind, und dass auch da, wo sie vorkommen, die homotypische Grundzahl innerhalb der Species meistens schwankend und nur selten constant ist. Dazu kommt noch, dass in vielen dieser Fälle die einen Individuen der Species eine gerade, die anderen eine ungerade Antimeren-Zahl zeigen. Es findet also in der Myriactinotenund Polyactinoten-Form eine unmittelbare Berührung der Isopolenund Anisopolen-Form statt. Aus dem Pflanzenreiche sind uns sichere Beispiele myriactinoter Formen nicht bekannt. Dagegen finden sich dieselben bei einer Anzahl von Seesternen, von niederen Hydromedusen und von Radiolarien aus der Cyrtiden-Familie. Von den letzteren ist namentlich das merkwürdige Litharachnium tentorium (Rad. Taf. IV, Fig. 7—10) mit zwanzig Antimeren zu nennen, welches die Grundform einer regulären zwanzigseitigen Pyramide mit ausgehöhlten Seitenflächen in zierlichster Ausführung zeigt. Unter den Seesternen findet sich die höchste Antimeren-Zahl bei Asteracanthion helianthus mit zwanzig bis dreissig und selbst mit vierzig Strahlen; an ihn schliesst sich Echinaster solaris mit vierzehn bis zwanzig (bisweilen aber auch mit einundzwanzig) Armen. Zwölf bis vierzehn Antimeren (oft aber auch nur zehn bis elf) finden sich bei Solaster papposus, zwölf bei Asteracanthion aster. Viel häufiger ist die isopole Polyactinoten-Form bei den niederen Hydromedusen, wo nicht allein viele Hydroidpolypen, sondern auch viele craspedote Medusen, namentlich aus den Familien der Aequo-
Regulär-pyramidale Grandformen.
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Homostaura.
riden und Aeginiden, eine sehr hohe Antimerenzahl besitzen, die freilich meist inconstant ist und häufig innerhalb der Species mit ungeraden Zahlen wechselt. Die meisten Aequoriden haben eine sehr hohe Grundzahl (hundert oder einige hundert); bei Rhegmatodes tenuis finden sich dreissig, bei R. floridanus sechszehn bis vierundzwanzig, bei Aeqiiorea globosa dreissig bis zweiunddreissig, bei A. mucilaginosa stets vierundzwanzig Antimeren. Die auffallendsten Zahlenverhältnisse bietet die am niedrigsten organisirte Medusen-Familie der Aeginiden, wo nur bei wenigen Arten die Grundzahl eine niedere und constante (meist acht) ist. Es beträgt die Antimeren-Zahl dreissig bei Aegineta corona, achtzehn bei A. sol maris, sechszehn bei A. gemmifera, A. prolifera u. v. a., ebenso sechszehn bei Cunina rhododactyla, C. albescens (vierzehn bis sechszebn), C. complanata. u. Α . ; ferner vierzehn bei Aegineta flarescens, zwölf bei A. rosea, A. dodecagona und Anderen. Bei Cunina Köllikeri findet sich der merkwürdige Umstand, dass die eine Generation acht, die andere, welche im Magen der ersteren durch Knospung entsteht, zwölf Antimeren besitzt; ebenso hat Cunina rubiginosa (Eurystoma rubiginosuiri) zehn, seine Knospenbrut (Stenogaster complanatus) sechszehn Antimeren. Zweite A r t der isopolen Homostauren:
Zehustrahler. Stereomelrische
Realer
Decaetinota.
Grundform:
Zehnseitige
Typus:
Aegineta
reguläre
Pyramide.
globosa.
Die zehnseitige reguläre Pyramide, als die Grundform der isopolen Homostauren mit zehn Antimeren, ist im Ganzen sehr selten, und noch weniger als die Polyactinoten-Form, im Organismus ausgeführt. Die wenigen Repräsentanten der Decactinoten-Form gehören meistens der Hydromedusen-Klasse und namentlich der AeginidenFamilie an, so die zuletzt erwähnte Cunina rubiginosa, ferner C. globosa, C. lativentris (zehn bis zwölf), Aegineta globosa und einige Andere. Bisweilen kommen auch unter den Seesternen mit variabler Antimeren-Zahl einzelne Exemplare mit zehn Strahlen vor, so bei Solaster papposus, S. endeca u. e. a. Unter den phanerogamen Blüthen und Früchten sind uns keine unzweifelhaften Repräsentanten der Decactinoten-Form bekannt, da die allermeisten, und vielleicht alle scheinbar zehnstrahligen Formen, in der That fünfstrahlige sind, bei denen nur einer oder der andere Blätterkreis (namentlich die Staubfäden, seltener, bei Phytolacca ζ. Β., auch die Staubwege) verdoppelt sind; dies gilt ζ. B. von den meisten Caryophyllinen und allen anderen Phanerogamen, welche L i n n 6 ' s Klasse der Decandria bilden.
30*
468
System der organischen Grundformen.
Dritte Art der isopolen Homostauren:
Achtstrahler.
Octactinota.
Stereometrische Grundform: Achtseitige reguläre Pyramide. Realer
Typus:
Alcyonium
Coder
Mimusops).
Die Grundform der isopolen Homostauren mit a c h t A n t i m e r e n ist weit häufiger und constanter, als die Decactinoten-Form und ist namentlich als die gemeinsame Grundform aller A l c y o n a r i e n oder octactinien Polypen von Wichtigkeit. Diese formenreiche, von B r o n n als M o n o c y e l i a o c t a c t i n i a bezeichnete Ordnung der Anthozoen, welche aus den drei grossen Familien der Alcyoniden, Gorgoniden und Pennatuliden zusammengesetzt ist, hat stets acht vollkommen gleiche Tentakeln, welche den Mund in einem einfachen regelmässigen Kreise umgeben, und acht denselben entsprechende Kammern der perigastrischen Höhle, welche durch acht gleiche und gleichweit von einander entfernte Septa getrennt sind. Hier ist also die OctactinotenForm ganz rein Uberall ausgeprägt und nicht auf die TetractinotenForm zurllckführbar. Alle acht Antimeren werden als solche getrennt angelegt, und sind von Anfang an einander gleichwerthig. Dasselbe gilt auch von einigen wenigen Medusen aus der Aeginiden-Familie, ζ. B. Aeginela hemisphaerica, Ctmiiia discoidalis, auch von einigen Seesternen mit variabler Antimeren-Zahl, unter denen achtstrahlige Exemplare nicht selten sind, so von Asteriscus australis, Solaster endeca (acht bis zehn) und Asteracmithion tenuispinus (sechs bis acht Strahlen). Dagegen lassen sich zahlreiche Hydromedusen, die auf den ersten Blick aus acht Antimeren zusammengesetzt zu sein scheinen, auf die Grundform der Tetractinoten zurückfuhren und durch Duplication einzelner Organkreise aus diesen ableiten. Es geht dies schon daraus hervor, dass hier j e zwei anstossende Antimeren nur symmetrisch-gleich und nur j e zwei alternirende congruent sind, während hei den echten Octactinoten alle 8 Antimeren vollkommen congruent sein müssen. Diese Bemerkung gilt auch von den meisten, wenn nicht von allen phanerogamen Blüthen, die durch die Achtzahl der Staubfäden (Octandria) zu den Octactinoten zu gehören scheinen. Die meisten derselben lassen als ursprüngliche Grundzahl vier oder fünf nachweisen. Nur Chlor α unter den Gentianeen, Mimusops unter den Sapotaceen, und einige wenige Andere dürften wirklich aus acht Antimeren zusammengesetzt sein. Bei den meisten regulären Blüthen mit acht Staubfäden sind nur vier Blumenblätter und vier Kelchblätter vorhanden, ursprünglich also offenbar nur vier Antimeren. Die scheinbaren acht Antimeren, durch den doppelten Antherenkreis angedeutet, sind in der That nur Parameren, von denen j e zwei ein Antimer bilden.
Regulär-pyramidale Grandformen. Homost&nra.
469
Vierte Art der isopolen Homostauren:
Sechsstrahler. Stereometrische
Realer
Typus:
Grundform:
Hexactiuota.
Sechsseitige reguläre
Carmarina
(oder
Achras).
Pyramide.
Taf. I, Fig. 1.
Die Grundform der regulären sechsseitigen Pyramide ist noch viel weiter als die der achtseitigen verbreitet. Es ist diese Grundform allgemein nachzuweisen bei der grossen Mehrzahl der Anthozoen (Polypen), nämlich bei den Antipatharien oder Antipathiden ( B r o n n ' s Monocyclia hexactinia), bei den Malacodermen (mit Ausschluss der Paranemata oder Cereanthiden, also bei den Actiniden im weiteren Sinne), endlich bei den allermeisten Sclerodermen (mit Ausschluss der Kugosen, also bei den Eporosen, Perforaten, Tubulosen und Tabulaten). Bei allen diesen Anthozoen ist die ursprüngliche einfache Antimeren-Zahl sechs; in einem späteren Lebensstadium wird sie (mit Ausnahme der stets einfach bleibenden Antinatharien) oft scheinbar (!) verdoppelt oder höher multiplicirt, indem zwischen die sechs primären Septa mehrere Systeme von secundären, tertiären etc. Septis eingeschaltet werden. Ausser den meisten Anthozoen ist die homotypische Sechszahl auch noch bei einigen anderen Coelenteraten ausgeprägt, nämlich bei den Carmariniden (Carmarina, Geryonia, Leuckarlia) aus der Familie der Rüsselquallen, bei Willia aus der Familie der Oceaniden und bei einigen Aeginiden (Aegineta paupercula). Endlich sind auch einige wenige Seestern-Arten (darunter mehrere, wie es scheint, constant) durch sechs Strahlen ausgezeichnet, so Asteracanthion gelatinosus, A. polaris, Echinaster eridanella u. e. a. Von den phanerogamen Bliithen dürfte auf den ersten Blick die grosse Mehrzahl der Hexandria Linne's und ein grosser Theil anderer Monocotyledonen zu den Hexactinoten zu gehören scheinen. Indessen lehrt hier eine genauere Vergleichung, dass die eigentliche AntimerenZahl derselben drei ist. Nur einige wenige Dicotyledonen, namentlich Achras, Canarina, Loranthus (?), einige Arten von Lythrum und Sedum etc. dürfen als echte Hexactinoten betrachtet werden, weil in allen Blattkreisen der Blüthe die Sechszahl wiederkehrt. Fünfte Art der isopolen Homostanren:
Vierstrahler. Stereomelrische Grundform:
Realer
Typus:
Tetractinota.
Vierseitige reguläre Pyramideoder
Aurelia
(oder
Paris).
Quadrat-Pyramide.
Taf. I, Fig. 9.
Die Quadratpyramide oder das halbe gleichseitige Octaeder, die Grundform der isopolen Homostauren mit vier Antimeren, ist von allen Formarten der isopolen Homostauren die am meisten verbreitete.
470
System der organischen Grandformen.
Es ist dies die Grundform der grossen Hydromedusen-Klasse, namentlich aller höheren Medusen (Acraspeden) und auch der meisten niederen (Craspedoten), von denen nur ein Theil der Siphonophoren-Ordnung, sowie die im Vorhergehenden einzeln aufgeführten Medusen, namentlich Aequoriden, Carmariniden und Aeginiden, ferner viele Hydroidpolypen, Ausnahmen bilden. Dann gehört auch noch ein anderer Theil der Coelenteraten hierher, nämlich die gewöhnlich zur AnthozoenKlasse gestellten Calycozoen (Lucernarien) und Rugosen (Cystiphylliden, Stauriden, Cyathaxoniden und Cyathophylliden, letztere mit Ausnahme der Zaphrentinen), endlich auch die meist zu den Malacodermen-Polypen gestellten Paranemata (Cereanthiden). Als sehr wichtig ist hier aber besonders hervorzuheben, dass auch schon unter den W ü r m e r n einzelne Formen vorkommen, die ebenso aus vier absolut congruenten Antimeren zusammengesetzt sind, wie die Medusen, und die desshalb streng genommen ebenfalls zu den Tetractinoten gerechnet werden müssen. Es sind dies diejenigen B a n d w ü r m e r , besonders aus der Gruppe der T e t r a p h y l l i d e e n (Phyllobothriden, Phyllacanthiden, Phyllorhynchiden) und auch die Scolex-Metameren vieler anderer Cestoden, bei denen nicht nur die vier Saugnäpfe oder Hakenrüssel, die den Peristompol gleich vertheilt umgeben, congruent sind, sondern auch der Excretionsapparat durch vier (oder acht) ganz gleiche Hauptstämme vertreten ist. Unter den phanerogamen Blüthen ist die Tetractinoten-Form ebenfalls sehr weit verbreitet und es dürfte wohl die Mehrzahl der Dicotyledonen mit vierspaltigem oder vierblättrigem Kelche und mit vierspaltiger oder vierblättriger Blumenkrone hierher zu rechnen sein, mag nun die Staubfädenzahl vier (Tetrandria) oder acht (Octandria) betragen. Als Beispiele von sehr reiner Ausbildung der TetractinotenForm mögen hier Paris quadrifolia, Epimedium, Erica und verschiedene andere Ericeen, und aus der (gewöhnlich dreizähligen) Monocotyledonen-Gruppe die streng vierzählige Aspidistra angeführt werden. Unter den Cryptogamen scheint die vierseitige reguläre Pyramide die Grundform von sehr vielen Früchten zu sein, so ζ. B. von den Vierlingsfrüchten vieler Algen etc. Die Aequatorialebene dieser Grundform ist das Quadrat. Die durch die Diagonalen des Quadrats-bestimmten beiden radialen Kreuzebenen, welche sich rechtwinkelig schneiden, können den beiden Richtebenen der orthostauren Autopolen und insbesondere der Tetraphragmen verglichen werden, mit welchen letzteren diese einfachste Form der isopolen Homostauren durch vielfache Uebergänge allmählig verbunden ist. Sobald, wie es bei einigen Medusen (Saphenia, Stomotoca) geschieht, zwei 'gegenständige Antimeren sich durch Entwickelung irgend eines besonderen Organes vor den beiden mit ihnen
Regulär-pyramidale Grundformen. Horn ost aura.
471
alternirenden auszeichnen, oder (wie bei den Cruciferen) durch mangelhaftere Entwickelung hinter letzteren zurückbleiben, so ist der Uebergang aus der Quadrat-Pyramide der Tetractinoten in die Rhomben-Pyramide der Tetraphragmen bewerkstelligt. Zweite Gattung der homostauren Stauraxonien:
Ungeradzahlige reguläre Pyramiden. Stereometrische
Grundform:
Reguläre
Pyramide
Anisopola. mit 2η—1
Seifen.
Die Grundform der anisopolen Homostauren oder der heteropoleü Stauraxonien mit ungerader Antimerenzahl ist die r e g u l ä r e P y r a m i d e m i t u n g e r a d e r S e i t e n z a h l , wie schon oben erörtert -worden ist. Die Axenverhältnisse dieser Formgattung sind dadurch characterise.. dass, wenn die homotypische Grundzahl = 2 n — 1 ist, eben so viele unter sich gleiche Kreuzaxen vorhanden sind, und dass jede von diesen 2 η — 1 Kreuzaxen zur Hälfte aus einem Radius, zur Hälfte aus einem Interradius besteht. Jedes der 2 n — 1 Antimeren ist eine (ganze oder abgestumpfte) rechtwinkelige vierseitige Pyramide, deren Basis ein doppelt-gleichschenkeliges Trapez ist (ein Trapez, dessen beide Diagonalen senkrecht aufeinander stehen, und von denen die eine die andere halbirt, ohne von dieser selbst halbirt zu werden). Von den vier Seitenflächen jedes Antimeres, deren jede einen rechten Winkel enthält, sind j e zwei anstossende symmetrisch-congruent. Die beiden äusseren Seitenflächen sind die Hälften zweier anstossenden Seiten der regulären Pyramide; die beiden inneren Seitenflächen sind die interradialen Hälften von zwei benachbarten semiradialen Kreuzebenen. Das Formen-Genus der allopolen Homostauren zerfällt in fünf Formen-Species, je nachdem die Grundzahl 9 + 2n oder neun, sieben, fünf, drei beträgt. Je niedriger die homotypische Grundzahl, desto vollkommener ist die Grundform. Erste Art der anisopolen Homostaaren:
Ungeradzahlige Vielstrahler. Stereometrisclie
Grundform:
Realer
Reguläre
Typus:
Polyactinota.
Pyramide
mit 9 + 2 η Seiten.
Brisinga.
In der Gruppe der Polyactinoten fassen wir alle diejenigen anisopolen Homostauren zusammen, deren ungerade Grundzahl mehr als neun, also mindestens elf, dreizehn, fünfzehn u. s. w., allgemein 9 + 2n beträgt. Es sind diese Homostauren von den Myriactinoten nicht scharf zu trennen, da bei vielen hierher gehörigen Species die Grundzahl variabel, bald gerade, bald ungerade ist. Selten ist eine
472
System der organischen Grundformen.
höhere Grundzahl als neun bei allen Individuen einer Species constant. Ueberhaupt sind im Ganzen höhere ungerade Zahlen sehr selten, und noch seltener als höhere gerade Grundzahlen. Aus dem Pflanzenreiche sind uns solche nicht bekannt. Im Thierreiche findeu sie sich bei denselben Strahlthiergruppen, die wir schon unter den isopolen Myriactinoten hervorgehoben haben, einerseits bei einigen Seesternen, andererseits bei einigen Medusen aus den Familien der Aeginiden und Aequoriden. Es sind hier dieselben Arten von Aequoriden und Aeginiden hervorzuheben, die Uberhaupt eine höhere und dabei variable Antimerenzahl besitzen und daher ebensowohl häufig eine gerade als eine ungerade Grundzahl zeigen. Abgesehen hiervon aber scheinen einzelne Species sich durch eine constante ungerade Grundzahl, die höher als neun ist, auszuzeichnen. So sollen mehrere Arten von Mesonema constant aus siebzehn Antimeren zusammengesetzt sein, Phorcynia striata aus dreizehn, Cunina lativentris aus elf ^bisweilen jedoch auch aus zehn oder zwölf), C. vitrea aus neun bis elf Strahlstücken u. s. w. Unter den Seesternen zeichnet sich Asleriscus rosaceus durch die constante Zusammensetzung aus fünfzehn Antimeren aus. Ebenso ist die merkwürdige Brisinga etidecacnemos, welche den Uebergang von den Asterien zu den Ophiuren bildet, durch den constanten Besitz von elf Armen ausgezeichnet. Einundzwanzig Strahlen finden sich bisweilen bei Echinaster solaris, der meist vierzehn bis zwanzig besitzt. Zweite Art der anisopolen Homostauren:
Neunstrahler. Stereometrische
Grundform:
Enneactinota. Neunseitige
reguläre
Pyramide.
Realer Typus: Luidia senegalensis. Von allen homotypischen Grundzahlen unter zwölf scheint neun am seltensten realisirt zu sein. Constant oder doch fast constant finden sich neun Antimeren bei einigen Seestern-Arten vor, so namentlich bei Luidia senegalensis M. Tr. und Luidia maculata M. Tr. Ebenso finden sich bei Solaster endeca fast immer neun ^selten acht oder zehn) Strahlenarme. Neun Strahlen kommen auch bei Asteriscus australis vor, welcher deren gewöhnlich acht hat. Dritte Art der anisopolen Homostauren:
Siebenstrahler. Stereometrische
Grundform:
Heptactinota.
Siebenseitige
reguläre
Pyramide
Realer Typus: Trientalis Coder Luidia Savignyi). Wie schon oben bemerkt wurde, sind die Grundzahlen neun und sieben von allen niederen Zahlen am seltensten in organischen Formen ausgeprägt. Die siebenseitige reguläre Pyramide findet sich daher
Regulär-pyramidale Grandformen.
Homoetaura.
473
als Grundform von Personen sowohl im Thier- als im Pflanzenreiche nur selten deutlich ausgebildet vor. Von den Thieren ist uns nur ein einziges Beispiel von constanter Siebenzahl bekannt, der schöne siebenstrahlige Seestern Luidia Samgnyi. Auch unter den Pflanzen ist sieben als constante homotvpische Grundzahl sehr selten und nur bei einigen wenigen Phanerogamenblüthen rein durchgebildet, ζ. B. bei einigen Species von Sempertivum und bei der naheverwandten Crassulaceen-Gattung Septas, die einen siebentheiligen Kelch, sieben Blumenblätter, sieben Staubfäden, sieben Griffel und sieben Fruchtblätter besitzt. Von den deutschen Phanerogamen gehört nur eine einzige Art hierher, die Trientalis europaea, welche ebenfalls sieben Kelchblätter, eine siebentheilige Krone und sieben Staubfäden (nur einen Griffel und eine Beere) hat, bei der aber bisweilen die B1 lithe auch fünf bis acht Antimeren besitzt. Die übrigen Phanerogamen, welche wegen sieben Staubfäden zu den Heptandria gestellt werden, haben meist die homotypische Grundzahl fünf (ζ. B. Aesculus) oder vier (ζ. B. Saururus) und es ist hier die Siebenzahl durch theilweises Fehlschlagen des verdoppelten Staubblattkreises bedingt. Vierte Art der anisopolen Homostauren: Füiifst rahler. Stereometrische
Realer
Typus:
Grundform:
Ophiura
Peiitactinota. Fünfseitige
reguläre
Coder Primula)
Pyramide.
Taf. I, Fig. 6-
Die Pentactinoten-Form, die Grundform der anisopolen Homostauren mit fünf Antimeren, ist von allen regulären Pyramiden mit ungerader Seitenzahl bei weitem die häufigste. Nicht nur ist der ganze umfangreiche Stamm der Echinodermen fast constant aus fünf Antimeren zusammengesetzt; sondern es gilt dies auch für die bei weitem überwiegende Mehrzahl aller Dicotyledonen-Blüthen. Doch geht allerdings bei einem sehr grossen Theile beider Abtheilungen die streng reguläre Form vielfach in die bilateral-symmetrische (amphipleure) bis zu deren vollkommenster Ausbildung über, so dass es oft sehr schwierig ist, die Grenze zwischen der fünfseitigen regulären und der halben amphithecten Pyramide zu bestimmen. Als s t r e n g r e g u l ä r e f ü n f s e i t i g e Pyramiden haben wir von den Thieren nur einen Theil des Echinodermen-Stammes zu betrachten, und zwar 1) einen sehr kleinen Theil der Crinoiden-Klasse und zwar nur aus der Subclasse der Brachiaten, ζ. B. Eucalyptocrinus, Cupressocrinus etc.; 2) die grosse Mehrzahl der Asteriden, namentlich sämmtliche Ophiuren und Euryalen, und die Mehrzahl der Asterien; 3) einen sehr kleinen Theil der Echiniden (die Palaechiniden und einige Cidariden). Diesen absolut regulären Echinodermen schliesst sich
474
System der organischen Grundformen.
eine sehr grosse Anzahl von „subregulären" an, bei denen Zyg-\ > /^^PPrro t i s t aa!!!! ' ' nemaceae te IJ : IV Infusoria? /
2. Hermaphroditismus der Organe
Einige Rhizocarpeen (Pi- '
(Zwitterbildung zweiter Ordnung-!. 3. Hermaphroditismus der Antimeren (Zwitterbildung dritter Ordnung) 4. Hermaphroditismus der Metamereu (Zwitterbildung vierter Ordnung).
lularia, Marsilea).
1
Synapta, Gasteropoda pulmonata.
Die meisten
zwitterigen , Die meisten zwitterigen ζ. B . j Thiere, ζ. B . TremaLiliaceen, Primulaceen. i toden, Cirripedien. Phanerogamen ,
Sehr
wenige
zwitterige ; Die meisten zwitterigen ζ. B . Thiere, z . B . Trematoden, Cestoden, Planarien, Mollusken.
Phanerogamen, Canna.
5. Hermaphroditismus der Prosopen (Zwitterbildung fünfter Ordndngl (Monodinia.)
Die meisten zwitterigen | Wenige zwitterige Thiere, ζ. B . Tardigraden, CirPhanerogamen , ζ. B. i ripedien. Liliaceen, Primulaceen. ι
6. Hermaphroditismus der Cormen (Zwitterbildung sechster Ordnung). (Monoecia.)
Viele
II.
Bäume
Quercus).
(Betula,
v
i
Viele Was- |
serpflanzen (Myriophyl· lum, Typha).
Wenige Corallenstöcke (Anthozoen). Die meisten Siphonophorenstöcke.
Gonochorismus der sechs Individualitäts-Ordnungen.
1. Gonochorismus der Piastiden ' Die meisten (alle?) se(Geschlechtstrennung erster Ord- I zuell differenzirten nung). | Pflanzen.
Die meisten (alle ?)
' Die meisten sexuell diffe2. Gonochorismus der Organe (Geschlechtstrennung zweiter Ord- j renzirten Pflanzen. nung).
Die meisten sexuell diffe-
xuell
se-
differenzirten
Thiere. renzirten Thiere.
3. Gonochorismus der Antimeren | Einige zwitterige Phane- Einige Anthozoen mit al(Geschlechtstrennung dritter Ordtogamen, z . B . Canna. ternirend männlichen u. nung). weiblichen Antimeren 4. Gonochorismus der Metameren ' Die meisten Phaneroga(Geschlechtstrennung vierter Ord- i men, ζ. Β. Liliaceen, nung). Primulaceen.
Sagitts. Die meisten Mollusca cephalota. (Alle Cephalopoden etc.)
! Alle monoecischen und 5. Gonochorismus der Prosopen dioecischen Phaneroga(Gescblechtstrennung fünfter Ord- ! nung). ' men. (Diclinia.)
Die meisten Vertebraten und Arthropoden (ausgenommen Tardigraden und Cirripedien.)
6. Gonochorismus der Cormen (Geschlechtstrennung sechster Ordnung). (Dioecia.)
Die meisten Corallenstöcke (Anthozoen). Wenige Sipbonophorenstöcke (ζ. B . Diphyes quadrivalvis).
! Viele Bäume (Salix, Populus). Viele Wasserpflanzen (Hydrocharis, Vallisneria).
72
Entwickelungegeschichte der physiologischen Individuen.
IV. Verschiedene Functionen der Entwickelung. „Die Entwicklungsgeschichte des Individuums ist die Geschichte der wachsenden Individualität in jeglicher Beziehung." In diesen wenigen treffenden Worten spricht B ä r das allgemeinste Resultat seiner classischen Untersuchungen und Beobachtungen über die Entwickelungsgeschichte der Thiere aus (1. c. S. 263). In der That ist das Wachsthum der Individuen diejenige organische Function, welche den wichtigsten Entwickelungsvorgängen zu Grunde liegt. Selbst die Zeugung, mit der jede individuelle Entwickelung beginnt, ist im Grunde, wie wir sahen, unmittelbar mit dem Wachsthum zusammenhängend und in den allermeisten Fällen (die Generatio spontanea ausgenommen) die directe Folge des Wachsthums über das individuelle Maass hinaus. Obgleich wir also allgemein das Wachsthum als die bedeutendste Fundamentalfunction der ontogenetischen Processe bezeichnen können, müssen wir dennoch, wenn wir den Begriff der Ontogenesis in dem weitesten oben festgestellten Umfange fassen, und nicht nur die Anaplase, sondern auch die Metaplase und Cataplase darunter verstehen wollen, neben dem Wachsthum noch einige andere organische Functionen unterscheiden, welche zwar ebenfalls Ernährungsvorgänge sind und schon als solche mit demselben zusammenhängen, aber doch wesentlich von ihm verschieden sind. Es sind dies namentlich die Erscheinungen der Differenzirung, welche wir im neunzehnten Capitel noch eingehender betrachten werden, und die Vorgänge der Degeneration oder Entbildung. Wir können demnach allgemein als verschiedene „Functionen der Ontogenesis" folgende vier Processe unterscheiden: l ) d i e Z e u g u n g ; 2) d a s W a c h s t h u m im e n g e r e n S i n n e ; 3) d i e D i f f e r e n z i r u n g ; 4) d i e D e g e n e r a t i o n . Alle vier Processe, auf welche sich sämmtliche übrigen ontogenetischen Vorgänge zurückführen lassen, sind physiologische, d . h . physikalisch - chemische Functionen, welche unmittelbar mit der allgemeinen organischen Fundamentalfunction der E r n ä h r u n g zusammenhängen. 1. D i e Z e u g u n g ( G e n e r a t i o ) . Die Entstehung des organischen Individuums durch Zeugung ist der erste und fundamentalste Process, mit welchem jede individuelle Entwickelung beginnt. Da wir ihre verschiedenen Formen im Vorhergehenden bereits betrachtet haben, so heben wir hier bloss nochmals hervor, dass die Zeugung nicht allein als der erste Entstehungsakt die Ontogenesis jedes organischen Individuums einleitet, sondern auch das Wachsthum der Individuen zweiter und höherer Ordnung dadurch bewirkt, dass beständig die Individuen erster Ordnung, welche dieselben zusammensetzen, durch wiederholte Zeugungsakte sich vermehren.
IV.
Verschiedene Functionen der Entwickelung.
73
2. Das W a c h s t h u m (Crescentia). Das Wachsthum im engeren Sinne (Crescentia) zeigt sich äusserlich allgemein in einer G r ö s s e n z u n a h m e des I n d i v i d u u m s , einer totalen oder partiellen Vermehrung seines Volums und seiner Masse. Das innere Wesen dieser unmittelbar mit der Ernährung zusammenhängenden Function haben wir bereits im fünften Capitel eingehend erläutert (Bd. I, S. 141—149)i Wir führten dort aus, dass das Wachsthum sowohl der organischen als der anorganischen Individuen wesentlich darin beruht, dass das vorhandene Individuum, ein festflüssiger oder fester Körper, als Attractionscentrum wirksam ist, und aus einer umgebenden Flüssigkeit bestimmte Moleküle anzieht, welche in dieser gelöst sind, und welche er aus dem flüssigen in den festflüssigen Aggregatzustand überführt. Die Anziehung der Moleküle geschieht mit einer bestimmten, durch die chemische Wahlverwandtschaft des Körpers bedingten Auswahl. Das Wachsthum der organischen und anorganischen Individuen ist durchaus analog und beruht in beiden Fällen auf den physikalischen Gesetzen der Massenbewegung, Anziehung und Abstossung. Der wesentliche Unterschied im Wachsthum beider Gruppen von Naturkörpern besteht darin, dass das Wachsthum des festflüssigen organischen Individuums durch Intussusception nach innen, dasjenige des festen anorganischen Individuums (Krystalls) durch Apposition von aussen erfolgt. Wenn wir im Folgenden vom Wachsthum im engsten Sinne, oder vom „einfachen Wachsthum" (Crescentia simplex) der Organismen sprechen, so verstehen wir darunter lediglich diesen Process, die Vergrösserung (Volumvermehrung) durch Aufnahme neuer Moleküle. Diese einfache Wachsthumsfunction wird eigentlich nur von den Individuen erster Ordnung (Piastiden) geübt. Denn das Wachsthum aller Individuen zweiter und höherer Ordnung ist erst das mittelbare Resultat des einfachen Wachsthums der Individuen erster Ordnung, und kann insofern als „zusammengesetztes W a c h s t h u m " (Crescent i a composita) unterschieden werden, als es stets auf einer Verbindung der beiden angeführten Entwickelungsfunctionen, Zeugung und W a c h s t h u m der P i a s t i d e n , beruht. Wir können es daher als allgemeines Gesetz aussprechen, dass das Wachsthum der morphologischen Individuen erster Ordnung ein d i r e c t e s oder einfaches, das Wachsthum der morphologischen Individuen zweiter und höherer Ordnung dagegen ein i n d i r e c t e s oder zusammengesetztes ist, zusammengesetzt aus den beiden zusammenwirkenden Functionen der Zeugung und des Wachsthums der constituirenden Piastiden. Obwohl die Entwickelungsfunction des Wachsthums vorzugsweise in dem Stadium der Anaplase wirksam erscheint, setzt dieselbe dennoch ihre Thätigkeit auch noch während der Stadien der Metaplase und Cataplase beständig fort, da
74
Entwickelungsgeschichte der physiologischen Individuen.
die Deckung der Substanzverluste, welche durch die Lebensfunctionen herbeigeführt werden, in letzter Instanz immer wieder durch die Ernährung und das Wachsthum der Piastiden bewirkt wird. 3. Die D i f f e r e n z i r u n g (Divergentia) oder A r b e i t s t h e i l u n g (Polymorphismus). Die dritte wichtige Fundamentalfunction, welche bei der Entwickelung der organischen Individuen wirksam ist, und auf welcher alle höhere Entwickelung, alle Vervollkommnung derselben beruht, bezeichnet man allgemein mit dem Namen der Differenzirung oder Arbeitstheilung. Man versteht bekanntlich unter diesem wichtigen Processe ganz im Allgemeinen eine H e r v o r b i l d u n g u n g l e i c h a r t i g e r Theile aus g l e i c h a r t i g e r G r u n d l a g e , welche durch Anpassung derselben an ungleiche Existenzbedingungen bewirkt wird. Im neunzehnten Capitel werden wir die Divergenz des Charakters, welche dieser ungleichartigen Entwickelung von ursprünglich gleichartigen Theilen zu Grunde liegt, näher zu erläutern und auf die Gesetze der Anpassung und Vererbung zurückzuführen haben. Hier sei daher nur so viel bemerkt, dass wir den Begriff der Differenzirung im weitesten Sinne fassen. Gewöhnlich wird derselbe nur auf die Bionten oder physiologischen Individuen angewandt. Wie wir aber das Verständniss von deren Entwickelung nur dadurch erlangen können, dass wir die Ontogenesis der morphologischen Individuen aller Ordnungen erkennen, so verstehen wir auch den Polymorphismus der Bionten nur dadurch, dass wir die Differenzirung aller untergeordneten Individualitäten erkennen, welche die höheren zusammensetzen. Ja wir gehen noch weiter, und leiten die divergente Entwickelung der Individuen erster Ordnung, der Plastiden, von einer Arbeitstheilung der Eiweissmoleküle des Plasma ab, welches die active Piastiden-Substanz bildet. Wir führen mit einem Wort die morphologische und physiologische Differenzirung auf die chemische Arbeitstheilung der Moleküle zurück. Aus diesem Molekularvorgang resultiren alle höheren Differenzirungs-Processe, welche die divergente Entwickelung der vollkommenen Organismen möglich machen. So allgemein nun auch diese Function in der ganzen organischen Welt und ganz besonders bei der Metaplase wirksam ist, so ist es doch sehr bemerkenswerth, dass bei den einfachsten Organismen, den Moneren, dieselbe fehlt. Bei diesen homogenen und structurlosen Protisten, welche sich zunächst an die Krystalle anschliessen, beschränkt sich die Ontogenesis auf die beiden Functionen der Zeugung und des Wachsthums, ohne dass eine Differenzirung eintritt. Die Moneren schliessen sich in dieser, wie in mehreren anderen Beziehungen näher an die anorganischen Krystalle, als an die übrigen Organismen an (vergl. das fünfte Capitel).
IV.
Verschiedene Functionen der Entwickelung.
75
4. D i e E n t b i l d u n g ( D e g e n e r a t i o ) . Unter Entbildung oder Degeneration verstehen wir hier diejenige Veränderung der organischen Individuen, deren Resultat eine Beschränkung oder Verminderung oder eine gänzliche Vernichtung ihrer physiologischen Function zur Folge hat, und welche sich stets auch in entsprechenden morphologischen Veränderungen ihrer Form und oft in Verminderung ihres Volums kundgiebt. Es ist dieser Process also dem des Wachsthums gewissermaassen entgegengesetzt und wie das letztere die Grundlage der Anaplase, so bildet die Degeneration das Fundament der Cataplase. Wir betrachten die Rückbildung, welche oft der Entwickelung im engeren Sinne geradezu entgegengesetzt wird, dennoch als einen Theil derselben, da wir oben gezeigt haben, dass sich diese Vorgänge nicht scharf trennen lassen, und dass die vollständige Ontogenie alle Stadien der individuellen Existenz zu begreifen hat. Wir nennen die Degeneration, welche oft auch als „Rückbildung" bezeichnet wird, „ E n t b i l d u n g " , um sie scharf von der eigentlichen R ü c k b i l d u n g oder Cataplase zu unterscheiden, von der sie nur einen Theil darstellt. Die Rückbildung betriiFt den ganzen Organismus in seiner Totalität, die Entbildung nur einzelne Theile desselben. Durch den Abschluss der Rückbildung wird die Existenz des organischen Individuums vernichtet, durch den Abschluss der Entbildung dagegen nicht; vielmehr verliert dasselbe durch letztere nur einzelne Theile. Jede Entbildung eines Individuums zweiter oder höherer Ordnung ist verbunden mit einer Rückbildung einer Anzahl von Individuen erster Ordnung (Plastiden), welche das erstere zusammensetzen. Aber nicht jede Entbildung einer Plastide ist zugleich ihre Rückbildung. Es kann ζ. B. eine einzelne, stark differenzirte Pflanzenzelle einen Entbildungs-Process (ζ. B. Verlust bestimmter Fortsätze oder Inhaltstheile der Zelle) vollständig von Anfang bis zu Ende durchmachen, ohne dass dadurch ihre Rückbildung eintritt. Wir müssen also diese beiden Processe, die totale Rückbildung des Bionten und seine partielle Entbildung wohl unterscheiden, wenngleich immer die Rückbildung der Individuen zweiter und höherer Ordnung auf einer Entbildung eines Theiles ihrer constituirenden Plastiden beruht. Im Ganzen sind die Vorgänge der Entbildung oder Degeneration noch sehr wenig untersucht, da man sie meistens gar nicht als Theile der Entwickelungsgeschichte betrachtet hat. Nur in der pathologischen Physiologie des Menschen, wo sie von grosser praktischer Bedeutung sind, haben dieselben eine eingehendere Untersuchung (besonders von V i r c h o w ) erfahren. Es gehören dahin besonders die Processe der fettigen Degeneration, der Erweichung, Verkalkung, amyloiden Degeneration etc., kurz alle diejenigen, welche man als N e c r o b i o s e zusammengefasst hat. Bei den Pflanzen gehö-
76
Entwicklungsgeschichte der physiologiechen Individuen.
ren dahin die Verdickungen der Zellwände, die Bildung der lufthaltigen Spiralgefässe durch Verschmelzung und Degeneration von Zellen etc. Für die Cataplase und namentlich auch für die regressive Metamorphose im engeren Sinne sind diese Vorgänge der Degeneration von der grössten Bedeutung und verdienen ein weit eingehenderes Studium, als ihnen bisher zu Theil geworden ist. Werfen wir nach dieser kurzen Uebersicht der vier verschiedenen F u n c t i o n e n der individuellen Entwickelung auf dieselbe noch einen vergleichenden Rückblick, so sehen wir, dass dieselbe im Grossen und Ganzen den verschiedenen S t a d i e n der individuellen Entwickelung entsprechen, so jedoch, dass gewöhnlich keine der ersteren ausschliesslich für sich allein eines der letzteren bildet. Es betheiligt sich die Zeugung und das Wachsthum vorzugsweise an der Anaplase, die Differenzirung vorzugsweise an der Metaplase und die Degeneration vorzugsweise an der Cataplase. Eine genauere Betrachtung der drei Entwickelungsstadien wird uns dies noch bestimmter nachweisen.
V.
Verschiedene Stadien der Entwickelung. 1.
A n a p l a s i s oder A u f b i l d u n g (Evolutio). (Aetas juvenilis.
Juventus.
Adolescentia.
Jugendalter.)
Wir haben oben (S. 18) im Allgemeinen drei Stadien oder Perioden der individuellen Entwickelung unterschieden, die Aufbildung, Umbildung und Rückbildung, und werden nun versuchen, den Charakter derselben etwas schärfer zu bestimmen. Das erste Stadium derselben, die Aufbildung oder Anaplase, ist dasjenige, welches der Entwickelung (Evolutio) im gewöhnlichen Sinne des Wortes entspricht. Es umfasst die aufsteigende oder fortschreitende Reihe von Formveränderungen, welche das organische Individuum von dem Momente seiner Entstehung an bis zur erlangten Reife durchläuft. Im weiteren Sinne kann man diese Periode als das Jugendalter (Juventus, Aetas juvenilis) des Individuums bezeichnen. Auch der Ausdruck Adolescentia wird dafür gebraucht, der aber deshalb zweideutig ist, weil er von Anderen (nicht mit Recht) zur Bezeichnung des reifen Alters (Maturitas) verwandt wird. Die Entwickelungsfunctionen, welche das Stadium der Anaplase vorzugsweise charakterisiren, sind die Vorgänge der Zeugung und des W a c h s t h u m s . Wie diese beiden Processe mit der Ontogenese aller organischen Individuen' ohne Ausnahme verbunden sind, so ist auch das Aufbildungsalter das einzige, welches allen Organismen ohne Ausnahme zukömmt. Bei den niedersten Organismen, den Moneren, beschränkt sich die gesammte Entwickelung des Individuums auf diese beiden Functionen, auf seine Entstehung durch Zeugung (entweder Ar-
Y.
Verschiedene Stadien der Entwickelung.
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chigonie oder Monogonie) und auf sein Wachsthum. Hierin stimmen diese einfachsten Bionten wesentlich mit den Krystallen überein, deren Entwickelung ebenfalls auf die beiden Momente ihrer Entstehung (durch einen der Archigonie ganz analogen Vorgang) und ihres Wachsthums beschränkt bleibt. Bei den allermeisten Organismen kömmt aber später noch die dritte Function der D i f f e r e n z i r u n g hinzu, durch welche das anfangs gleichartige Individuum in ein ungleichartiges umgewandelt wird. Diese Differenzirung tritt schon bei den meisten deijenigen Organismen ein, welche zeitlebens auf der niedersten morphologischen Stufe der Plastide stehen bleiben. Sie erreicht aber ihre eigentliche Bedeutung und eine entschiedenere Wirksamkeit erst dann, wenn durch Synusie von mehreren Piastiden ein Form-Individuum zweiter oder höherer Ordnung entsteht. Die relative Ausdehnung und Bedeutung des Jugendalters ist bei den Individuen verschiedener Ordnung und bei den Bionten verschiedener Stämme und Klassen ausserordentlich verschieden und man kann daher nicht allgemein bestimmte untergeordnete Perioden desselben unterscheiden. Bei denjenigen Individuen, welche durch geschlechtliche Zeugung entstehen, zerfällt dasselbe stets in die beiden Abschnitte der embryonalen Jugend und der freien Jugend. So lange das jugendliche Individuum in den Eihüllen eingeschlossen ist, heisst es Embryo, sobald es dieselben verlassen hat, entweder Junges (Juvenis, Pullus) oder Larve (Larva); letzteres, wenn es noch eine wirkliche Metamorphose (durch Abwerfen provisorischer Theile) durchzumachen hat, ersteres, wenn dies nicht der Fall ist. Bei denjenigen Individuen, welche sich mit Metamorphose entwickeln, kommt also auch die vierte Entwickelungsfunction, die D e g e n e r a t i o n zur Geltung, indem lediglich durch diesen Process der Verlust der provisorischen Theile oder Larven-Organe bedingt wird. Sonst ist die Entbildung oder Degeneration diejenige von den vier ontogenetischen Functionen, welche am wenigsten von allen bei der Anaplase in Wirkung tritt. Bei sehr zahlreichen organischen Individuen ist das Stadium der Anaplase das einzige Entwickelungsstadium, welches sie durchlaufen, da sie weder zur Reife, noch zur Rückbildung gelangen. Solche Individuen sind ζ. B. die Furchungskugeln, die Embryonalzellen und überhaupt alle in lebhafter Vermehrung begriffenen Piastiden. Aber auch viele Individuen höherer Ordnung giebt es, welche weder einer Metaplase noch einer Cataplase unterworfen sind, und bei denen mithin die ganze Zeit der individuellen Existenz sich auf das Jugendalter beschränkt. Dies ist ζ. B. der Fall bei allen Individuen, welche, sobald sie durch Wachsthum eine bestimmte Grenze erreicht haben, sich theilen und durch Zerfall in mehrere neue Individuen untergehen. Insbesondere ist dies bei den niederen Organismen sehr allgemein der Fall.
78
Entwickelungageschichte der physiologischen Indiyiduen.
Aber auch die meisten pflanzen, selbst die höchst entwickelten, sind den meisten Thieren gegenüber dadurch ausgezeichnet, dass sehr Viele von ihren Individualitäten (besonders die geschlechtslosen Sprosse und die Stöcke) ein unbegrenztes Wachsthum besitzen und also nie eigentlich in das Keife-Alter übertreten. Bei den Thieren sind viele niedere Formen durch die relativ bedeutendere Länge der Juventus ausgezeichnet. 2.
Metaplasie oder Umbildung (Transvolutio). (Maturita?.
Adultas.
Aetas matura.
Reifealter.)
Das mittlere der drei individuellen Entwickelungsstadien, die Periode der Reife oder Maturität, ist, wie wir schon oben zeigten, in keiner allgemein gültigen Weise scharf von den beiden andei'en zu trennen. Einerseits geht es ebenso allmählig aus dem Jugendalter hervor, wie es sich andererseits in das Greisenalter verliert. Allgemein kann man nur den A b s c h l u s s des W a c h s t h u m s als den bezeichnenden B e g i n n d e r R e i f e ansehen. Der Organismus gilt meistens für „reif oder „vollendet", wenn er „ausgewachsen" ist. Bei den geschlechtlich entwickelten Organismen pflegt man aber als das eigentliche Kriterium des Reifealters die F o r t p f l a n z u n g s f ä h i g k e i t anzusehen, die vollständige Ausbildung der Geschlechtstheile oder die G e s c h l e c h t s r e i f e . Wir haben indess schon oben (S. 19) gezeigt, dass dieses Kriterium zwar in vielen Fällen, aber keineswegs allgemein anwendbar ist, da sehr häufig der Abschluss des Wachsthums nicht mit der Geschlechtsreife zusammenfällt. Viele Thiere (ζ. B. Coelenteraten) und noch mehr Pflanzen (aus vielen Gruppen) pflegen sich sowohl geschlechtlich als ungeschlechtlich schon lange fortzupflanzen, ehe ihr Wachsthum seine Grenze erreicht hat; andere umgekehrt erst längere Zeit, nachdem schon diese Grenze überschritten ist. Ueberdies giebt es zahlreiche organische Individuen, die sich niemals fortpflanzen, und die dennoch ein entschiedenes Alter der Reife erreichen. Wollen wir daher anders den Begriff der Maturität irgendwie scharf gegen den der Juventus abgrenzen, so müssen wir sagen: das organische Individuum (aller Ordnungen) ist reif, sobald es ausgewachsen ist, sobald es seine volle individuelle Grösse erreicht hat. Nicht minder schwierig, meistens sogar noch weit schwieriger, ist andererseits die Abgrenzung des Reifealters von dem der Rückbildung. Auch hier hat man bei denjenigen Individuen, welche sexuell differenzirt sind, besonders das Aufhören der Geschlechtsthätigkeit als den Beginn der Cataplase betrachtet. Indessen ist hier dieses Kriterium noch weniger anwendbar, da viele Organismen noch die volle Zeugungsfähigkeit besitzen, während bereits entschiedene Rückbildung eingetreten ist, andere umgekehrt dieselbe schon lange vorher verlieren. Auch erleiden viele Individuen eine Rückbildung, welche niemals geschlechts-
V.
Verschiedene Stadien der Entwickelung.
79
reif werden, und andere verlieren ihre Zeugungsfähigkeit, ohne sich rückzubilden. Hier scheint also nichts Anderes übrig zu bleiben, als das Ende der Reife und den Beginn der Rückbildung durch das Auftreten von entschiedenen D e g e n e r a t i o n s - P r o c e s s e n einzelner integrirender Bestandtheile zu bestimmen, welche an dem ausgebildeten Organismus in voller Function waren. Die Entwickelungsfunction, welche das Stadium der Metaplase vorzugsweise charakterisirt, ist die D i f f e r e n z i r u n g . Wie das Wachsthum für die Anaplase, wie die Degeneration für die Cataplase, so ist die Differenzirung der Theile für die Metaplase das vorzugsweise charakteristische Moment, und strenggenommen die einzige plastische Function derselben, welche dem Individuum selbst zu Gute kommt. Wenn die Ernährungsvorgänge, welche das W a c h s t hum veranlassen, während der Metaplase noch fortdauern, so führen dieselben nicht mehr zur Vergrösserung des Individuums, sondern zu seiner F o r t p f l a n zung, zur Erzeugung neuer Individuen, und diese Thätigkeit erscheint, wie bemerkt, bei sehr vielen (aber nicht bei allen!) organischen Individuen zunächst als die am meisten auffallende Aeusserung der Reife. Man kann also sagen, dass zwar das Wachsthum an dem reifen und „ausgewachsenen" Individuum noch fortdauert, aber nicht mehr eine Yolumvermehrung desselben, sondern nur eine Ablösung der überschüssigen Wachsthumsproducte, eine Abspaltung der Keime von neuen Individuen zur Folge hat. Eigentliche Degenerationsvorgänge sind im Alter der Reife unter normalen (nicht pathologischen) Verhältnissen gewöhnlich ausgeschlossen und ihr Eintreten bezeichnet bereits den Beginn der Cataplase. Das Maturitäts-Stadium tritt, wie schon bemerkt, keineswegs bei allen organischen Individuen ein, fehlt vielmehr allgemein da, wo die individuelle Existenz mit dem Abschluss des Wachsthums selbst beendigt ist. Die Zeitdauer der Reife steht bei den höheren Thieren häufig (aber nicht immer) in einem gewissen Verhältniss zur Vollkommenheit derselben, so dass die Maturität, gegenüber der Juventus und Senectus, um so länger dauert, je vollkommener das Thier ist. Anderemale nimmt aber auch bei sehr vollkommenen Organismen die Anaplase einen weit längeren Zeitraum in Anspruch, als die Metaplase, so ζ. B. bei sehr vielen metabolen Insecten. 3. C a t a p l a s i s oder R ü c k b i l d u n g (Involutio). (Senilitas.
Aetas senilis.
Deflorescentia.
Deerescentia.
Greisenalter.)
Das letzte der drei individuellen Entwickelungsstadien, die Periode der Abnahme oder Rückbildung, ist dasjenige, welches im Allgemeinen die geringste Bedeutung hat und daher bis jetzt auch nur sehr wenig sowohl in physiologischer als morphologischer Beziehung berücksichtigt
80
Entwickelungsgeschichte der physiologischen Individuen.
ist. Bei sehr vielen organischen Individuen fehlt es ganz und nur bei verhältnissmässig wenigen nimmt dasselbe eine längere Zeit der individuellen Existenz ein. Dennoch kann man dasselbe in vielen Fällen deutlich als einen besonderen letzten Lebensabschnitt unterscheiden, und bei vielen höher entwickelten Organismen ist es von nicht geringer physiologischer Bedeutung und sein Verlauf sowohl für die richtige Beurtheilung der allgemeinen Lebensvorgänge, wie der partiellen Degenerationserscheinungen, von hohem Interesse. Der Charakter des Greisenalters liegt im Allgemeinen in einer Abnahme theils der gesammten Lebensthätigkeit des Individuums, theils besonderer physiologischer Leistungen und namentlich der Fortpflanzungsfunctionen. Mit dieser Decrescenz der Functionen geht eine entsprechende rückschreitende Veränderung auch der Formverhältnisse Hand in Hand, welche allerdings oft mehr im Allgemeinen zu bemerken, als im Einzelnen scharf nachzuweisen ist. Doch können wir das morphologische Kriterium für den Beginn der Deflorescenz und ihre Abgrenzung von dem Reifealter nur darin finden, dass D e g e n e r a t i o n s p r o cesse an einzelnen Theilen des I n d i v i d u u m s auftreten, welche an dem erwachsenen Organismus sich beständig in ihrer Integrität erhalten hatten. Es ist also ganz besonders die Entwickelungsfunction der Entbildung oder D e g e n e r a t i o n , welche für dieses dritte und letzte Hauptstadium der individuellen Entwickelung charakteristisch ist. Das Individuum, welches während der Metaplase lediglich in Differenzirungs- und Fortpflanzungsprocessen sich bewegt hatte, beginnt die Cataplase mit dem Eintritt degenerativer Processe in einzelnen Theilen. Bei der menschlichen Person, wo wir das Greisenalter besonders genau kennen, sind es insbesondere fettige und kalkige Degenerationen, Erweichungen und Verhärtungen der Gewebe etc., welche in den verschiedensten Organen das Signal der beginnenden Rückbildung, des Greisenalters geben. Das Wachsthum und die Zeugungsfähigkeit haben schon vorher aufgehört oder dauern doch nur kurze Zeit fort. Selten ist aber die Grenze zwischen den beiden Perioden der Reife und der Decrescenz scharf zu ziehen, und bei sehr vielen Organismen können wir letztere als besondere Periode schon deshalb nicht unterscheiden, weil bereits unmittelbar mit dem Aufhören des Wachsthums oder mitten in der vollen Reife plötzlich die Vernichtung der individuellen Existenz eintritt, entweder durch S e l b s t t h e i l u n g oder durch den Tod. Sämmtliche Form Veränderungen der organischen Individuen, welche während der Cataplase auftreten, sind ebenso wie alle Form Veränderungen, welche während der Metaplase und Anaplase vor sich gehen, die nothwendigen Wirkungen von physiologischen Ernährungsveränderungen, und als solche auf mechanische, physikalisch-chemische Ursachen zurückführbar. Der specielle Verlauf jener ontogenetischen
TT.
81
Verschiedene Arten der Zengnngskreise.
Formveränderungen wird mit causaler Notwendigkeit durch den Verlauf der Wechselwirkung von Vererbung und Anpassung bedingt, welche die paläontologische Entwickelung der Vorfahren des Individuums bestimmte und leitete.
VI. Verschiedene Arten der Zeugungskreise. In den vorhergehenden drei Abschnitten dieses Capitels haben wir die verschiedenen Formen der Zeugung, die verschiedenen Functionen der Ontogenesis und die verschiedenen Stadien derselben kennen gelernt, und es erübrigt nun noch, einen Ueberblick über die verschiedenen Zeugungskreise zu gewinnen, welche durch die mannichfaltigsten Combinationen der verschiedenen Zeugungs- und Entwickelungsarten bei den verschiedenen Individualitäten zu Stande kommen. Als Z e u g u n g s k r e i s (Cyclus g e n e r a t i o n i s ) haben wir oben die genealogische I n d i v i d u a l i t ä t e r s t e r Ordnung bezeichnet, den geschlossenen Kreis oder die volle Summe aller der organischen Formen, welche aus einem einzigen physiologischen Individuum hervorgehen, von dem Zeitpunkte an, wo dasselbe erzeugt wurde, bis zu dem Zeitpunkte, wo dasselbe selbst wieder die gleiche organische Form entweder direct oder indirect (durch Einschaltung verschiedener Generationen) erzeugt hat. Diese geschlossene Entwickelungseinheit, eine ringförmige Kette von Formzuständen, deren Ausgangspunkt und Ende gleich ist, erscheint für uns von grosser Bedeutung als die concrete Grundlage der höheren Entwickelungseinheit, welche wir Art oder Species nennen. Der Zeugungskreis ist diejenige individuelle Einheit (das genealogische Individuum erster Ordnung), aus deren Vielheit die höhere Einheit der Art oder Species (das genealogische Individuum zweiter Ordnung) zusammengesetzt ist. In dieser Beziehung ist auch der Zeugungskreis von einigen Autoren nicht passend als „Artindividualität" bezeichnet worden. Dieser Ausdruck muss der Species selbst vorbehalten bleiben, während man den Zeugungskreis, um jenes Verhältniss auszudrücken, das Glied der Art nennen könnte. In der That setzt sich die genealogische Einheit der Species in ganz ähnlicher Weise aus einer Vielheit von subordinirten Zeugungskreisen zusammen, wie die morphologische Einheit der Person aus einer Vielheit von subordinirten Gliedern oder Metameren. Wir haben oben im Allgemeinen zwei verschiedene Hauptformen von Zeugungskreisen oder Generationscyclen aufgestellt, welche sich durch den Mangel oder die Anwesenheit der geschlechtlichen Differenzirung unterscheiden. Diejenige einfachere Hauptform der Zeugungskreise, welche bloss aus Wachsthumsvorgängen und einem einzigen ungeschlechtlichen Zeugungsakt, oder aber aus einer Reihe von ungeH » e c k e l , Generelle Morphologie, 11.
g
82
Entwicklungsgeschichte der physiologischen Individuen.
schlechtlichen Zeugungsakten zusammengesetzt ist, haben wir den S p a l t u n g s k r e i s o d e r d a s S p a l t u n g s p r o d u c t benannt ( C v c l u s monogenes), und den Entwickelungsvorgang innerhalb desselben Mon o g e n e s i s oder Entwickelung mit ausschliesslich monogener Zeugung. Die entgegengesetzte höhere Hauptform der Zeugungskreise, welche stets von einem geschlechtlichen Zeugungsakte ausgeht und zu diesem zurückkehrt, haben wir als E i k r e i s o d e r E i p r o d u c t (Cvclus a m p h i g e n e s ) unterschieden, und den Entwickelungsprocess innerhalb desselben a l s A m p h i g e n e s i s oder Entwickelung mit geschlechtlicher Zeugung. Indem wir von diesem Hauptunterschiede in der Entstehung der Zeugungskreise ausgehen, können wir unter jeder cler beiden Hauptformen v i e r untergeordnete Formen von Generationscvclen unterscheiden. Der m o n o g e n e Z e u g u n g s k r e i s zerfällt in die beiden Entwickelungsarten der S c h i z o g e n e s e und S p o r o g e n e s e , je nachdem er mit einfacher Spaltung (Theilung oder Knospenbildung) oder mit Sporenbildung abschliesst. Unter beiden Genesis - Arten können wir wieder als zwei Unterarten d i e m o n o p l a s t i d e und die p o l y p l a s t i d e trennen, je nachdem die reife Speciesform (das zeugungsfähige Bion) eine einfache Plastide (Form-Individuum erster Ordnung) oder einen Plastiden-Complex (Form-Individuum zweiter Ordnung) darstellt. Der a m p h i g e n e Z e u g u n g s k r e i s zerfällt ebenfalls in zwei untergeordnete Entwickelungsarten, die M e t a g e n e s e (mit Generationswechsel) und die H y p o g e n e s e (ohne Generationswechsel). Unter der Metagenese unterscheiden wir die beiden subordinirten Formen des p r o d u c t i v e n und des s u c c e s s i v e n Generationswechsels, je nachdem der amphigene Cvclus aus mehr als zwei, oder nur aus zwei Bionten besteht. Unter der Hypogenese endlich, bei welcher der Eikreis nur durch ein einziges Bion gebildet wird, können wir als zwei untergeordnete Formen die m e t a m o r p h e und die epim or ρ he Hypogenese unterscheiden, erstere mit, letztere ohne postembryonale Metamorphose. Indem wir auf den folgenden Seiten eine systematische Uebersicht und eine allgemeine Charakteristik der verschiedenen Arten der Zeugungskreise zu geben versuchen, erinnern wir ausdrücklich daran, dass die ontogenetischen Erscheinungen, welche den Inhalt der individuellen Entwickelungsgeschichte bei allen Organismen bilden, nur zu verstehen sind durch die Erkenntniss ihres causalen Zusammenhanges mit der parallelen Phylogenie, mit der Entwickelungsgeschichte des gesammten Stammes (Phylon), und speciell aller Vorfahren, von welchen das Individuum in continuirlicher Erbfolge abstammt. Die Reihe von Formveränderungen, welche den Zeugungskreis jedes individuellen Organismus constituiren, ist die kurze und schnelle Recapitulation der wichtigsten Formveränderungen, welche die gesammte Reihe seiner Vorfahren während ihrer langsamen paläontologischen Entwickelung in langen Zeiträumen durchlaufen hat.
ΥΠ.
System der verschiedenen Arten der Zeugungskreise.
83
VIL System der verschiedenen Arten der Zeugungskreise. Schizogenesis monoplastidis. Reifes, spaltungs- Die einfachsten monoplastiden Schizogenesis. fShiges Bion Protisten (Moneren, ProtoplaSpaltungskieis eine einfache sten, Flagellaten, Diatomeen) oder Spaltproduct Plastide. und die einfachsten „einzelli(Cyclus monogegen" Algen. Monogeuesis. nes) durch TheiEntwickelung Schizogenesis polyplastidis. lung oder KnosReifes, spaltungs- Viele polyplastide Protisten (Flaohne geschlechtlipenbildung erfühiges Bion che Zeugung. gellaten, Diatomeen etc.) und zeugt. eine PlastidenAlle Bionten der einige „mehrzellige", nicht Colonie. Species entstehen sporenbildende niedere Pflandurch ungezen. schlechtliche ZeuSporogenesis monoplastidis. gung. GeneraProtisten Reifes, sporenbil- Viele monoplastide tions - Cyclus ist (Protoplasten, Acyttarien, Fladendes Bion eine Sporogenesis. ein Spaltungskreis gellaten) und „einzellige Pflaneinzige Plastide. Spaltungskreis (Cyclus monozen", ζ. B. Codiolum, Hydrooder Spaltproduct genes i. cytium. (Cyclus monogenes) durch Spo' Sporogenesis polyplastidis. Reifes, sporenbilrenbildung erViele polyplastide Protisten (Fladendes Bion eine zeugt. gellaten , Radiolarien (?), MyPlastidenxocystoden, Myxomyceten) und Colonie. viele niedere Pflanzen (Desmidiaceen und andere Algen).
• Metagenesis productive. Aphis, Daphniden , viele WürEikreis aus mehr mer (Platyelminthen etc.), viele • Metagenesis. als zwei Bionten, Mollusken (Tunicaten, Brvozoen), die meisten HydromeEikreis oder Ei- zusammengesetzt. dusen, viele Cryptogamen, Amphigenesis. product (Cyclns Phanerogamen mit BrutknosEntwickelung mit amphigenes) aus pen. zwei oder mehr geschlechtlicher • Metagenesis successiva. Bionten zusamZeugung. Eikreis aus zwei Die Mehrzahl der Echinodermen mengesetzt. Entweder ein und einige Würmer (PilidiumBionten zusamTheil der Bionten Nemertine, Actinotrocha - Simengesetzt• punculide). oder alle Bionten der Species entstehen durch geschlechtliche Zeugung. Generations-Cyclus ist ein Eikreis (Cyclus amphigene.O.
Hypogenesis. Eikreis oder Eiproduct (Cyclus amphigenes) aus einem einzigen Bionten bestehend.
Postembryonale • Hypogenesis metamorpha. Entwickelung mit Amphibien und einige Fische. Die Mehrzahl der Articulaten echter Metamorund Mollusken (Cochleen und phose. . Lamellibranchien).
Hypogenesis epimorpha. |Alle allantoiden und die meisten Postembryonale anallantoiden Wirbelthiere. Entwickelung Cephalopoden. Ametabole Insecten. Wenige andere Wirohne echte Metabellose. Die meisten Phanemorphose. rogamen. Einige Cryptogamen (Fucaceen etc.).
6*
84
Entwickelungsgeschichte der physiologischen Individuen.
Viii.
Allgemeine Charakteristik der Zeugungskreise. I. M o n o g e n e s i s . E n t w i c k e l u n g ohne Amphigonie. (Ontogenesis der Spaltungsproducte.)
D e r Z e u g u n g s k r e i s i s t ein m o n o g e n e r G e n e r a t i o n s c y clus. A l l e B i o n t e n , w e l c h e die S p e c i e s r e p r ä s e n t i r e n , e n t s t e h e n durch u n g e s c h l e c h t l i c h e F o r t p f l a n z u n g . Die Bionten, welche die Species zusammensetzen, entwickeln niemals Geschlechtsorgane und pflanzen sich niemals durch befruchtete Eier fort. Das Spaltungsproduct oder der Spaltungskreis, die Formenreihe, welche die Species innerhalb ihres ungeschlechtlichen Fortpflanzungscyclus (von der vollständigen Spaltung bis zur vollständigen Spaltung oder von der Spore bis zur Spore) durchläuft, wird stets nur durch ein physiologisches Individuum (Bion) repräsentirt. Die Entwickelung ist entweder ausschliessliches Wachsthum, oder mit Differenzirung verbunden. Je nachdem der Fortpflanzungsprocess einfache Spaltung (Theilung oder Knospenbildung) oder Sporenbildung ist, unterscheiden wir Schizogenesis und Sporogenesis. 1,1.
Schizogenesis.
Entwickelang des Spaltungsproductes ohne Sporenbildung.
Monogene E n t w i c k e l u n g m i t S p a l t u n g ( T h e i l u n g o d e r K n o s p e n b i l d u n g ) und m i t e i n f a c h e m oder z u s a m m e n g e s e t z tem W a c h s t h u m , ohne S p o r e n b i l d u n g . Der m o n o g e n e Z e u g u n g s k r e i s b i l d e t ein e i n z i g e s B i o n e r s t e r oder h ö h e r e r Ordnung. Der Organismus, welcher entweder einer einzigen oder einem Complex von mehreren Piastiden entspricht, pflanzt sich ausschliesslich durch einfache Spaltung (Theilung oder Knospenbildung) fort. Die dadurch erzeugten Theilstücke ergänzen sich durch Wachsthum zu der elterlichen Form, aus deren Spaltung sie entstanden sind. Ist die Spaltung stets vollständig, so sind die Bionten der Species Monoplastiden; ist sie abwechselnd unvollständig, so entstehen Polyplastiden. 1A.
Schizogenesis
monoplastidis.
Monogene Entwickelung einer einfachen P l a s t i d e , mit e i n f a c h e m Wachsthum. F o r t p f l a n z u n g durch v o l l s t ä n d i g e S p a l t u n g . Der m o n o g e n e Z e u g u n g s k r e i s b i l d e t e i n Bion e r s t e r Ordnung (eine e i n f a c h e P l a s t i d e ) . Die monoplastide Schizogenese ist die einfachste und ursprünglichste von allen verschiedenen Arten der Fortpflanzung und Entwickelung. Sie findet sich bloss bei den jetzt noch lebenden Organismen
V All. Allgemeine Charakteristik der Zeugungskreiee.
85
niederster Stufe vor, bei den Moneren, vielen einzelligen Protoplasten und Flagellaten, den einzelligen Diatomeen, vielleicht auch einigen einzelligen Algen. Die Fortpflanzung ist hier möglichst einförmig, indem sie stets beschränkt bleibt auf die einfache Selbsttheilung oder Knospenbildung der Individuen. Ebenso beschränkt sich die Entwickelung der durch Theilung entstandenen neuen Individuen auf einfaches Wachsthum bis zu dem Maasse, welches die Species vor der Theilung als erwachsenes Individuum besass. Diese einfachste Art der Zeugung und Entwickelung ist für uns insofern von besonderem Interesse, als sie höchst wahrscheinlich die ursprüngliche Fortpflanzungsweise der autogenen Moneren darstellt, aus denen sich zuerst alle organischen Phylen entwickelt haben. Eigentlich kann hier von Entwickelung kaum die Rede sein, da die einzige Veränderung des werdenden Organismus eine Grössenveränderung ist, die Form der Species aber in allen Stadien dieselbe bleibt, Mehr als alle anderen Organismen schliessen sich diese einfachsten Moneren den anorganischen Krystallen an, so auch darin, dass ihre Entwickelung bloss Wachsthum ist. Das physiologische Individuum (Bioij) ist hier jederzeit nur ein einfachstes morphologisches Individuum erster Ordnung, eine einfache Cytode oder eine einfache Zelle. IB.
Schizogenesis
polyplastidis.
Monogene E n t w i c k e l u n g e i n e r P l a s t i d e n - C o l o n i e , m i t z u s a m m e n g e s e t z t e m W a c h s t h u m und u n v o l l s t ä n d i g e r Spaltung. F o r t p f l a n z u n g d u r c h v o l l s t ä n d i g e S p a l t u n g . D e r monogene Z e u g u n g s k r e i s b i l d e t ein B i o n z w e i t e r o d e r h ö h e r e r Ordnung. Diese Form der Ontogenesis schliesst sich zunächst an die vorige an, und unterscheidet sich nur dadurch, dass die Theilung der einfachen Bionten nicht stets vollständig, sondern auch unvollständig ist, so dass dieselben zu einer Plastiden-Colonie vereinigt bleiben. Der einfachste derartige Fall findet sich bei den Monerenstöcken der Vibrioniden, welche durch Gliederung Ketten von vollkommen homogenen und structurlosen Gymnocytoden herstellen. Durch diese Articulation entstehen hier Individuen zweiter Ordnung, Piastiden-Colonieen, welche sich dadurch fortpflanzen, dass sich die einzelnen Glieder ablösen und selbstständig durch Articulation zu neuen Ketten entwickeln. Die Entwickelung besteht also auch hier wesentlich, wie bei der Schizogenese, in dem Wachsthum der homogenen Organismen und in der Kettenbildung durch unvollständige Theilung. Indessen kommt hier zu der einfachen Grössenveränderung doch schon die Formveränderung der Species, welche durch die Kettenbildung der einfachen Individuen selbst bewirkt wird. An die einfachste Form der Gemeindebildung bei den Moneren schliesst sich auch die Familienbildung derjenigen Diatomeen
86
Entwickelungsgeschichte der physiologischen Individuen.
an (Bacilhiria, Fragillaria etc.), bei denen ebenfalls die durch unvollständige Theilung entstandenen Individuen vereinigt bleiben. Diese Piastiden-Gemeinden pflanzen sich einfach dadurch fort, dass die einzelnen Zellen-Individuen sich ablösen und durch abermalige unvollständige Theilung gleich wieder zu neuen Gemeinden entwickeln. Ausser bei den Protisten, bei welchen die polyplastide Schizogonie unter mehreren Stämmen sehr verbreitet ist, findet sich dieselbe auch noch bei niederen Pflanzen (Algen und Nematophyten) vor. 1,2.
Sporogenesis.
Entwickelung des Spaltungsproductes mit Sporenbildung.
Monogene E n t w i c k e l u n g mit S p o r e n b i l d u n g , m i t e i n f a c h e m oder z u s a m m e n g e s e t z t e m W a c h s t h u m , und mit D i f f e r e n z i r u n g . Der m o n o g e n e Z e u g u n g s k r e i s b i l d e t ein e i n z i g e s Bion e r s t e r oder h ö h e r e r Ordnung. Der Organismus, welcher entweder einer einzigen oder einem Complex von mehreren Piastiden entspricht, erzeugt Keimkörner (Sporen), welche sich von ihm ablösen und sich durch Wachsthum und Differenzirung zu der elterlichen Form entwickeln. Die Spore ist meistens eine Monospore (eine einfache Plastide), seltener eine P o l y s p o r e (ein Piastiden - Complex). 2Α.
Sporogenesis
monoplastidis.
Monogene E n t w i c k e l u n g einer e i n f a c h e n P l a s t i d e , mit e i n f a c h e m W a c h s t h u m und D i f f e r e n z i r u n g . F o r t p f l a n z u n g durch Sporenbildung. Der m o n o g e n e Z e u g u n g s k r e i s b i l d e t ein Bion e r s t e r Ordnung (eine e i n f a c h e P l a s t i d e ) . Die monoplastide Sporogenese scheint unter den einfachsten Organismen-Arten erster morphologischer Ordnung weit verbreitet zu sein. Sie besteht darin, dass Species, welche nicht den Rang der einfachen Plastide überschreiten, in ihrem Inneren Keimkörner (Sporen) erzeugen, welche aus der elterlichen Plastide heraustreten und sich ausserhalb derselben zu ihres Gleichen entwickeln. Da in diesem Falle die Keimkörner oder Sporen stets nicht allein an Grösse, sondern auch an Form von der elterlichen Plastide sich unterscheiden, so besteht hier die Entwickelung des Bionten nicht allein mehr in einer Veränderung der Grösse, sondern auch der Form. Mithin beschränkt sich die Ontogenese nicht auf ein einfaches Wachsthum, sondern ist mit einer Formveränderung verbunden, welche bereits den Namen der Differenzirung verdient. Wir finden diese einfache Sporogenese unter verschiedenen Stämmen sowohl des Protisten- als des Pflanzenreiches, unter den Protisten besonders bei den Protoplasten, Acyttarien, Flagellaten, unter den Pflanzen bei „einzelligen Algen" (z.B. Codiohim, Hydrocytivm).
ΥΙΠ. 2B.
Allgemeine Charakteristik der Zeugun gskrei se. Sporogenesis
87
polyplastidis.
Monogene Entwickelung einer Plastiden-Colonie, mit z u s a m m e n g e s e t z t e m W a c h s t h u m , D i f f e r e n z i r u n g und unv o l l s t ä n d i g e r Spaltung. F o r t p f l a n z u n g durch S p o r e n b i l d u n g . D e r m o n o g e n e Z e u g u n g s k r e i s b i l d e t e i n Bion z w e i ter o d e r h ö h e r e r Ordnung. Die polyplastide Sporogenese ist, wie die monoplastide, unter den einfacheren Organismen des Protisten- und Pflanzenreiches weit verbreitet. Sie besteht darin, dass Species, welche den Rang einer einfachen Plastide überschreiten und durch unvollständige Theilung Plastiden-Colonieen oder selbst differenzirte Piastiden-Aggregate (Formindividuen zweiter und höherer Ordnung) darstellen, in ihrem Inneren Keimkörner (Sporen) erzeugen, welche sich ausserhalb des elterlichen Plastidenstockes durch fortgesetzte unvollständige Theilung und Differenzirung wieder zu gleichen Piastidenstöcken entwickeln. Dies ist der Fall bei vielen mehrzelligen oder stockbildenden Protisten, bei den Protoplasten, Flagellaten, Myxocystoden, Myxomyceten, wohl auch vielen Rhizopoden (vielleicht bei den Radiolarien). Unter den niederen Pflanzen ist dieser Fortpflanzungsmodus ebenfalls sehr verbreitet, namentlich bei den niederen Algen (Desmidiaceen etc.). Bei den letzteren werden zum Theil selbst von einer Piastiden-Species verschiedene Sporen-Arten gebildet. Die Entwickelung der aus der Spore austretendeu Plastide besteht hier in Wachsthum, unvollständiger Theilung und Differenzirung der Theilproducte. Die Differenzirung erreicht jedoch auch bei dieser vollkommensten Form der Monogenesis niemals dieselbe Höhe, wie bei der Amphigenesis. Π.
A m p h i g e n e s i s .
Entwickelung
mit
Amphigonie.
(Ontogenesis der Eiproducte.)
Der Zeugungskreis ist ein amphigener Generationscyclus. E n t w e d e r ein T h e i l der B i o n t e n , oder a l l e Bionten, w e l c h e die Species r e p r ä s e n t i r e n , e n t s t e h e n durch g e schlechtliche Fortpflanzung. Alle Bionten oder ein Theil der Bionten, welche die Species zusammensetzen, entwickeln weibliche und männliche Geschlechtsorgane und pflanzen sich durch befruchtete Eier fort. Das Eiproduct oder der Eikreis, die Formenreihe, welche die Species innerhalb ihres geschlechtlichen Fortpflanzungscyclus (vom Ei bis wieder zum Ei) durchläuft, wird entweder durch ein einziges oder durch mehrere physiologische Individuen (Bionten) repräsentirt. Die Entwickelung ist niemals
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Entwicklungsgeschichte der physiologischen Individuen.
bloss einfaches Wachsthum, sondern stets mit Differenzirung und häufig mit Metamorphose verbunden. Je nachdem das Eiproduct von einem einzigen oder von mehreren Bionten repräsentirt wird, unterscheiden wir die Entwickelung der Eiproducte in Hypogenesis und Metagenesis. Beide können mit und ohne Metamorphose verlaufen. II, 1.
Metagenesis.
Entwickelung des Eiproductes mit Generationswechsel.
Amphigene E n t w i c k e l u n g mit monogener E n t w i c k e l u n g von Bionten i n n e r h a l b j e d e s Z e u g u n g s k r e i s e s abwechselnd. Der amphigene Z e u g u n g s k r e i s ist aus zwei oder m e h r e r e n Bionten z u s a m m e n g e s e t z t , von denen m i n d e s t e n s eines s t e t s g e s c h l e c h t l i c h , das a n d e r e n i c h t g e s c h l e c h t l i c h d i f f e r e n z i r t ist. Das Eiproduct oder der Eikreis wird durch zwei oder mehrere verschiedene physiologische Individuen (Bionten) repräsentirt. Aus jedem befruchteten Ei entsteht eine Formenkette, welche sich mindestens in zwei physiologische Individuen spaltet und dadurch mindestens einmal unterbrochen wird, ehe sie mit der Geschlechtsreife abschliesst. Es ist also stets die geschlechtliche mit der ungeschlechtlichen Fortpflanzung innerhalb des Formenkreises der Species combinirt. Der echte Generationswechsel oder die Metagenesis besteht in allen Fällen aus einer Verbindung von geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Zeugung, in der Weise, dass die periodisch wiederkehrende Formenkette des regelmässigen Zeugungskreises mindestens aus zwei Bionten besteht, einem ungeschlechtlich und einem geschlechtlich erzeugten physiologischen Individuum. Bei allen Organismen mit echtem Generationswechsel entspringt aus dem befruchteten Ei ein Individuum, welches zunächst bloss auf ungeschlechtlichem Wege, durch Theilung, Knospung oder Keimbildung sich fortpflanzt, und die so erzeugten Individuen werden entweder alle oder theilweis wieder geschlechtsreif, oder sie erzeugen selbst wieder auf ungeschlechtlichem Wege eine oder mehrere folgende Generationen, deren letzte endlich wieder Geschlechtsproducte erzeugt. Hiermit ist der regelmässige Cyclus von Generationen geschlossen. Das geschlechtlich erzeugte Individuum kann zwar in manchen Fällen auch selbst wieder geschlechtsreif werden (ζ. B. Anneliden), aber doch erst, nachdem es eines oder mehrere neue Bionten auf ungeschlechtlichem Wege erzeugt hat. Die unmittelbar aus dem befruchteten Ei entspringende Generationsform, welche auf irgend einem ungeschlechtlichen Wege die nächste Generation erzeugt, wird allgemein als Amme (Altrix) bezeichnet. Die Amme als Zwischenform, welche bei dem Generationswechsel in den continuirlichen Entwickelungslauf des Eiproductes eingeschaltet ist, unterscheidet sich von der
ΥΙΠ.
Allgemeine Charakteristik der Zeugungskreise.
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Larve, welche als Zwischenform bei der Metamorphose sowohl in die Hypogenese als in die Metagenese eingeschaltet werden kann, dadurch, dass die Amme wirklich selbstständige neue Keime von Bionten, die Larve dagegen nur provisorische Organe entwickelt. Die geschlechtslose Amme geht beim Generationswechsel zu Grunde, ohne in das physiologische Individuum, welches geschlechtsreif wird, überzugehen, während die geschlechtslose Larve bei der Metamorphose unmittelbar in die letztere übergeht. I'm die äusserst verwickelten und mannichfaltigen Vorgänge des Generationswechsels in ihrem eigentlichen Wesen richtig zu erfassen, ist es nothwendig, die oben aufgestellte Charakteristik desselben stets im Sinne zu behalten. Der echte Generationswechsel oder die Metagenesis, wie wir sie hier scharf bestimmen, ist wesentlich dadurch charakterisirt und von allen anderen Entwickelungsarten unterschieden, dass der Zeugungskreis nicht aus einem einzigen physiologischen Individuum oder Bion besteht, sondern aus zwei oder mehreren Bionten zusammengesetzt wird. Sowohl bei allen Formen der Monogenesis, wie bei der Hypogenesis ist es ein und dasselbe physiologische Individuum, an welchem der ganze Generationscyclus, dort ungeschlechtlich als Spaltungskreis, hier geschlechtlich als Eikreis, von Anfang bis zu Ende abläuft. Bei der Metagenesis dagegen finden wir stets mindestens zwei (Echinodermen), gewöhnlich aber mehrere physiologische Individuen, zu einem einzigen Zeugungskreis verbunden. Dieser metagenetische Zeugungskreis hat das Eigenthümliche, dass er aus einem monogenen und einem amphigenen zusammengesetzt ist. Der eine Theil der Bionten wird ungeschlechtlich, der andere geschlechtlich erzeugt. Durch diese scharfe Charakteristik der Metagenese trennen wir dieselbe bestimmt von ähnlichen, aus ungeschlechtlichen und geschlechtlichen Zeugungsakten zusammengesetzten Entwickelungsprocessen, auf welche man neuerdings ebenfalls den Begriff des Generationswechsels ausgedehnt hat, welche sich aber wesentlich dadurch unterscheiden, dass der ganze Zeugungskreis, vom Ei bis wieder zum Ei, an einem und demselben physiologischen Individuum abläuft. Dies ist ζ. B. bei dem sogenannten Generationswechsel der Phanerogamen der Fall, welcher nach unserer Ansicht als Hypogenesis aufgefasst werden muss. "Wir werden dies im nächsten Abschnitte zu begründen suchen, wo wir allgemein die dem Generationswechsel ähnlichen Entwickelungsvorgänge, welche sich aus geschlechtlichen und ungeschlechtlichen Zeugungsakten zusammensetzen, aber an einem einzigen Bion ablaufen, als G e n e r a t i o n s f o l g e oder S t r o p h o g e n e s i s von der echten Metagenesis unterscheiden werden, mit welcher wir uns hier allein beschäftigen. Obgleich noch nicht ein halbes Jahrhundert verflossen ist, seitdem der Dichter A d a l b e r t C h a m i s s o 1819 den Generationswechsel der
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Entwickelungsgeschichte der physiologischen Individuen.
Salpen entdeckte, und noch nicht ein Vierteljahrhundert, seitdem J. S t e e n s t r u p 1842 diese Entdeckung mit den inzwischen aufgefundenen ähnlichen Fortpflanzungsvorgängen bei den Hydromedusen, Trematoden etc. verglich und sie unter dem Namen des Generationswechsels zusammenfasste, ist dennoch seit dieser kurzen Zeit die Thatsache der Metagenesis als eine weit im Thier- und Pflanzenreiche verbreitete festgestellt worden. Doch hat man neuerdings sein Gebiet allzusehr ausgedehnt, indem man auch alle verschiedenen Formen der eben erwähnten Strophogenesis damit vereinigte. Erstere ist aber nur eine Theilerscheinung der letzteren. Die echte Metagenesis, bei welcher der amphigene Zeugungskreis aus zwei oder mehreren, theils geschlechtlich, theils ungeschlechtlich erzeugten Bionten zusammengesetzt ist, findet sich vor: I) im Thierreiche: Unter den Arthropoden bei den Blattläusen, Cecidomyien, Rotatorien, Phyllopoden, Daphniden etc.; unter den Würmern bei den Anneliden (Protula, Syllis, Sabella, Nais etc.), Gephyreen (Actinotrocha), Nematoden (Ascaris nigrovenosa), Platyelminthen (Nemertinen, Trematoden, Cestoden); unter den Mollusken bei den Tunicaten und Bryozoen; unter den Echinodermen fast allgemein; unter den Coelenteraten vorzüglich bei den Hydromedusen in der mannichfaltigsten Form; II) im Protistenreiche bei den Schwämmen, indem die ungeschlechtliche Biontenbildung durch Gemmulae mit der geschlechtlichen durch befruchtete Eier (fälschlich sogenannte „Schwärmsporen") alternirt; III) im Pflanzenreiche bei vielen Cryptogamen, insbesondere sehr allgemein bei den Gefäss-Cryptogamen: Farmen, Lycopodiaceen, Equisetaceen und Moosen. Dagegen fehlt die echte Metagenesis bei den meisten Phanerogamen (mit Ausnahme derjenigen, welche durch Brutknospen [Zwiebeln und Bulbillen] neue Bionten auf monogenem Wege erzeugen). Ebenso fehlt sie allen Wirbelthieren und allen höheren Mollusken (Cephalopoden, Cochlen, Lamellibranchien, Brachiopoden), sowie der grossen Mehrzahl der Arthropoden. Nicht allein eine sehr ausgedehnte Verbreitung, sondern auch eine unerwartete Mannichfaltigkeit in der speciellen Ausführung des metagenetischen Entwickelungsmodus haben uns die fleissigen Untersuchungen der letzten beiden Decennien eröffnet; so zwar, dass in dieser Beziehung die Entwickelung mit Generationswechsel unendlich viel mannichfaltiger erscheint, als alle anderen Entwickelungsformen zusammengenommen. Es ist hier nicht der Ort, auf diese zahlreichen und in vieler Hinsicht verschiedenen Modificationen der Metagenese näher einzugehen, und es ist auch die Masse der bis jetzt bekannten verschiedenartigen Thatsachen noch keineswegs in der Weise geordnet, dass ein zusammenhängender Ueberblick möglich wäre. Wir wollen daher hier nur einige derjenigen Seiten des Generationswechsels betrachten,
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welche sich auf die Individualitätsfrage beziehen, und nur diejenigen Modificationen hervorheben, welche uns auf einer wesentlich verschiedenen causalen Entstehung zu beruhen scheinen, und die deshalb von ganz verschiedenem morphologischem Werthe sind. Ein sehr wichtiges, bisher nicht hervorgehobenes Moment, welches sich auf die Entstehung, auf die paläontologische Entwickelung des Generationswechsels bezieht, lässt nach unserer Auffassung alle verschiedenen Formen der Metagenese in zwei entgegengesetzte Reihen vereinigen, welche den entgegengesetzten Formen der Sporogonie entsprechen und welche wir demgemäss als progressive und regressive Reihe unterscheiden können. Der f o r t s c h r e i t e n d e G e n e r a t i o n s w e c h s e l ( M e t a g e n e s i s p r o g r e s s i v a ) findet sich bei denjenigen Organismen, welche gewissermaassen noch auf dem Uebergangsstadium von der Monogonie zur Amphigonie sich befinden, deren frühere Stammeltern also niemals ausschliesslich auf geschlechtlichem Wege sich fortpflanzten. Dies ist wahrscheinlich bei der grossen Mehrzahl der bekannten Formen von Metagenesis der Fall, ζ. B. bei den Trematoden, Hydromedusen etc. Hier haben immer, seitdem die geschlechtliche Zeugung aus der ungeschlechtlichen sich hervorbildete, ungeschlechtliche und geschlechtliche Generationen neben einander bestanden und mit einander abgewechselt. Niemals ist die-Species in der Lage gewesen, sich ausschliesslich durch Amphigonie fortzupflanzen. Das Gegentheil zeigt uns der r ü c k s c h r e i t e n d e Generationswechsel ( M e t a g e n e s i s r e g r e s s i v a ) , welchen wir als einen R ü c k s c h l a g d e r A m p h i g o n i e in d i e M o n o g o n i e auffassen. Diese merkwürdige Entwickelungsweise glauben wir bei denjenigen höheren Organismen mit Generationswechsel zu finden, deren nächste Verwandte sich allgemein auf rein hypogenem W e g e , durch ausschliessliche Amphigonie fortpflanzen, und bei welchen ausserdem die ungeschlechtlich erzeugten Keime (Monosporen, „Sommereier") in besonderen Keimstöcken oder Sporocarpien entstehen, welche offenbar rückgebildete Eierstöcke sind. Dies ist der Fall bei den meisten Insecten mit Generationswechsel (Aphiden, Cocciden), wahrscheinlich auch bei den Bryozoen, Rotatorien, Daphniden, Phyllopoden etc. Die unverkennbare Homologie, welche die Sporen („Sommereier") dieser Thiere mit den echten Eiern („Wintereiem") der geschlechtlich entwickelten Generation, die keimbildenden Sporocarpien (Keimstöcke) mit den echten Ovarien (Eierstöcken) der letzteren zeigen, scheint uns diese Formen des Generationswechsels, welche also in einem regelmässigen W e c h s e l v o n A m p h i g o n i e und P a r t h e n o g o n i e bestehen, nicht anders erklären zu lassen, als durch die Annahme, dass die früheren Stammeltern der betreffenden Organismen ausschliesslich auf geschlechtlichem Wege sich fortpflanzten und erst später in den ungeschlechtlichen Propagationsmodus noch
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Entwickelungsgeschichte der physiologischen Individuen.
früherer Zeit zurückfielen, aus welchem sich die sexuelle Zeugung erst differenzirt hatte. Offenbar ist die biologische Bedeutung dieser beiden Metagenesis-Arten eine gänzlich entgegengesetzte, und wie wahrscheinlich ihre paläontologische Entstehung grundverschieden war, so lässt sich vermuthen, dass auch ihre Zukunft es sein wird. Die p r o g r e s s i v e M e t a g e n e s e der Hydromedusen, Trematoden etc. wird sich allmählig zu reiner H y p o g e n e s e erheben können, wie es bei nahe verwandten Formen (ζ. B. Pelagia, Polystomeen) bereits der Fall ist. Die r e g r e s s i v e M o n o g e n e s e der Insecten, Crustaceen etc. wird dagegen umgekehrt zu reiner M o n o g e n e s e zurücksinken können, wie es bei den Psychiden thatsächlich stattgefunden hat. Von einem anderen Gesichtspunkte aus kann man die verschiedenen Formen des Generationswechsels in zwei andere Gruppen zusammenstellen, welche wir kurz als productive und successive Metagenese unterscheiden wollen. Diese Unterscheidung ist namentlich insofern interessant, als der successive Generationswechsel gewöhnlich als metamorphe Hypogenese aufgefasst wird und als Uebergangsbildung zu letzterer betrachtet werden kann. Je nachdem nämlich der metagenetische Zeugungskreis bloss aus zwei oder aus mehreren Bionten zusammengesetzt ist, können wir allgemein Generationswechsel mit und ohne Vermehrung der sexuellen Bionten unterscheiden. Bei dem productiven Generationswechsel, zu welchem die grosse Mehrzahl der Fälle gehört, producirt der ungeschlechtliche Zeugungsakt eine Mehrheit von physiologischen sexuellen Individuen, bei dem successiven dagegen (wie er bei den Echinodermen erscheint) nur ein einziges. Im letzteren Falle ist daher das Eiproduct nur aus zwei, im ersteren aus mehr als zwei Bionten zusammengesetzt. II, 1A.
Metagenesis
productive
Generationswechsel mit Z u s a m m e n s e t z u n g des amphig e n e n C y c l u s a u s m e h r a l s zwei p h y s i o l o g i s c h e n I n d i viduen. Bei den allermeisten Formen des Generationswechsels erzeugt die ungeschlechtliche Generation, welche aus dem befruchteten Ei entstanden ist, zwei oder mehrere (nicht bloss ein einziges) Individuen, welche entweder selbst oder in ihren ungeschlechtlich erzeugten Nachkommen wieder zur Geschlechtsreife gelangen. Es besteht das Eiproduct hier mindestens aus drei Bionten, nämlich einem geschlechtlich erzeugten und zwei ungeschlechtlich erzeugten. Gewöhnlich ist aber die Zahl der letzteren sehr gross, so dass das Eiproduct aus einer beträchtlichen Anzahl von physiologischen Individuen zusammengesetzt und die Species in ungleich stärkerem Grade vervielfältigt wird, als es bei der bloss sexuellen Fortpflanzung der Fall wäre. Entweder werden die
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durch Theilung, Gliederung, Knospung entstandenen Individuen selbst wieder geschlechtsreif oder sie erzeugen selbst erst eine oder mehrere Generationen, deren letzte wiederum Geschlechtsorgane erhält. Die Formen der verschiedenen Generationen sind bald nur sehr wenig (ζ. B. bei den Aphiden), bald ausserordentlich stark verschieden (ζ. B. bei den Hydromedusen). Ebenso ist der Grad und die Art der Metamorphose , welche die verschiedenen Generationen während ihrer Entwickelung erleiden, äusserst verschieden. Die Ammen, welche auf ungeschlechtlichem Wege zeugen, bleiben gewöhnlich geschlechtslos, seltener werden sie selbst nachträglich geschlechtsreif (ζ. B. bei den Anneliden, bei Hydra). Gewöhnlich schliessen sich geschlechtliche und ungeschlechtliche Zeugung als gleichzeitige Functionen eines und desselben Individuums aus. Sehr selten kommen beide gleichzeitig neben einander vor 1 ). Die Zahl der ungeschlechtlichen Generationen und ihr Verhältniss zu den geschlechtlichen ist sehr verschieden, namentlich bei den Pflanzen. Man pflegt gewöhnlich die ungeschlechtliche Generation allgemein als die erste und niedere anzusehen und die geschlechtsreif werdende Generation als die zweite und höhere. Bei den Thieren ist dies wohl meistens der Fall. Bei den Pflanzen dagegen kann, wie besonders A l e x a n d e r Braun gezeigt hat, auch die erste und niedere 1 ) Eine der merkwürdigsten Formen des Generationswechsels, bei welcher dasselbe Individuum gleichzeitig durch geschlechtliche und ungeschlechtliche Zeugung sich fortpflanzt, und bei welcher ausserdem die geschlechtsreif werdenden, ungeschlechtlich erzeugten Formen gänzlich von der elterlichen geschlechtsreifen Form abweichen, habe ich im vorigen Jahre unter dem Namen der A l l o e o g e n e s i s bei einer Geryoniden - Meduse aus dem Mittelmeer beschrieben. Bei Geryonia (Carmarina) hastata nämlich, einer sechsstrahligen Meduse, welche der Geryonia proboscidalie nahe steht, sprossen aus dim in der Magenhöhle befindlichen Zungenkegel, und zwar bei beiden Geschlechtern zu derselben Zeit, wo sie reife Geschlechtsproducte in ihren Genitalien entwickeln, zahlreiche achtstrahlige Knospen hervor, welche sich zu der sechzehnstrahligen Cunina rhododactyla entwickeln, einer gänzlich von Geryonia verschiedenen Medusen-Form , welche der Familie der Aeginiden angehört. Die Aeginiden galten bisher für eine von den Geryoniden gänzlich verschiedene Medusen-Familie, so dass sie selbst in verschiedene Ordnungen der Hydromedusen-Classe gestellt wurden. Gegenüber der mehrfach geäusserten Vermuthung, dass hier ein Parasitismus und kein Generationswechsel vorliege, bemerke ich wiederholt und ausdrücklich, dass sich das Hervorwachsen der achtstrahligen CuninaKnospen aus der Zunge der sechsstrahligen Geryonia Schritt für Schritt mit solcher Sicherheit verfolgen lässt, dass ich einen Parasitismus bestimmt in Abrede stellen muss. Dieser Verdacht wird auch durch die wichtige Thatsache widerlegt, welche das paradoxe Verhältniss wenigstens einigermaassen aufzuklären im Stande ist, dass die sechsstrahligen Larven der Geryonia hastata, deren Metamorphose ich von den frühesten Stadien bis zur geschlechtsreifen Form verfolgt habe, in wesentlichen Grundzügen ihres Baues mehr der achtstrahligen Cunina rhododactyla, als der entwickelten sechsstrahligen Geryonia gleichen. Vergl. £ . B a e c k e l , Beiträge zur Naturgeschichte der Hydromedusen. Leipzig 1865 (Abdruck aus der Jenaischen Zeitschrift für Medicin und Naturwissenschaft I. und II. Band) und die vorläufige Mittheilung in den Monatsberichten der Berliner Akademie vom 2. Februar 1865.
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Entwickelungsgeschichte der physiologischen Individuen.
Generation geschlechtsreif werden, und häufig entwickelt sie allein Geschlechtsorgane, während die zweite und höhere Generation nur zur geschlechtslosen Zeugung (durch Sporen) gelangt, so namentlich bei den Equiseten und Farmen. Wir bemerken dazu, dass man natürlich als erste (niedere) Generation stets diejenige betrachten muss, welche in der paläontologischen Entwickelung der Species oder des Stammes zuerst aufgetreten ist; als zweite (höhere) diejenige, welche erst später im Laufe der Erdgeschichte sich aus der ersteren entwickelt hat. Sehr wahrscheinlich müssen auch diese Fälle des Generationswechsels (bei den Equiseten, Farrnen etc.), gleichwie diejenigen der Insecten, Crustaceen etc. ganz oder theilweis als M e t a g e n e s i s r e g r e s s i v a aufgefasst werden. Offenbar erklärt sich das Paradoxe ihrer Erscheinung, welches in der Entstehung der morphologisch vollkommneren Form durch die physiologisch unvollkommnere Zeugungsart liegt, am besten durch die Annahme, dass die früheren Stammeltern dieser Organismen sich ausschliesslich geschlechtlich fortpflanzten, und dass diese Form der Metagenese erst secundär aus reiner Hypogenese hervorgegangen ist. Da die geschlechtliche Differenzirung sich bei Bionten von sehr verschiedenem morphologischen Range entwickelt, so wird auch echter productiver Generationswechsel bei Organismen vorkommen können, deren Bionten durch verschiedene Grade der morphologischen Individualität repräsentirt werden. In der That ist dies der Fall, und wir können danach Metagenesis von mindestens drei verschiedenen Ordnungen (Metameren, Personen und Stöcken) unterscheiden. Die niederste Form, M e t a g e n e s i s der M e t a m e r e n , findet sich in ausgezeichneter Weise bei denjenigen Thieren, bei welchen das Bion zeitlebens die Metamerenstufe nicht überschreitet, bei den niederen Mollusken und Würmern, besonders ausgezeichnet bei den Bryozoen, Tunicaten, Trematoden und einigen wenigen Bandwürmern. Bei den Mollusken (Tunicaten und Bryozoen) erfolgt die ungeschlechtliche Zeugung theils durch Knospenbildung, theils durch Sommereier oder Sporen (Keimbildung). Bei den Würmern erfolgt sie theils ebenfalls durch Sporogonie oder Keimbildung (Trematoden), theils durch Knospenbildung (Echeneibothrium minimum). Die M e t a g e n e s i s der P e r s o n e n ist besonders unter den Arthropoden und Würmern verbreitet. Die ungeschlechtliche Zeugung erfolgt hier theils durch Knospenbildung (Cestoden, Anneliden), theils durch Sporenbildung („Sommereier" der Rotatorien, Phyllopoden, Daphniden, Cocciden, Aphiden etc.). Bei den Cestoden geht die Metagenesis der Metameren (Echeneibothrium) allmählich in diejenige der Personen über (Taenia). Vergl. fed. I, S. 353. Als M e t a g e n e s i s der Cormen endlich kann der Generationswechsel vieler Cryptogamen (Farrne etc.) angesehen werden. Hier ist es meistens die höhere (zweite) Generation, welche sich ungeschlechtlich fortpflanzt, und zwar durch Sporen.
VITT. Allgemeine Charakteristik der Zeugungekreise. II, IB.
Metagenesis
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successive.
Generationswechsel mit Zusammensetzung des amphig e n e n C y c l u s a u s zwei p h y s i o l o g i s c h e n I n d i v i d u e n . Diejenige Form des Generationswechsels, bei welcher der vollständige Generationscyclus nur aus zwei Bionten zusammengesetzt ist, einem geschlechtlichen und einem ungeschlechtlichen Bion, hat nur einen sehr beschränkten Verbreitungsbezirk in der Organismen weit, ist aber wegen der hierbei stattfindenden Complicationen von ganz besonderem Interesse. Es findet sich diese merkwürdige Form der Metagenesis fast ausschliesslich bei den Echinodermen, und ist erst neuerlich auch bei einigen Würmern (Xemertinen und Sipunculiden) aufgefunden worden. Die Echinodermen-Entwickelung (wobei wir von den seltenen, in diesem Stamme vorkommenden und jedenfalls durch paläontologische Abkürzung der Metagenese entstandenen Ausnahmsfällen einfacher Hypogenesis hier ganz absehen) wird gewöhnlich bekanntermaassen als Metamorphose aufgefasst, obwohl sie sich wesentlich von allen übrigen Formen der Metamorphose unterscheidet. Aus dem Ei entwickelt sich zunächst eine bewimperte Amme, gewöhnlich Larve genannt, welche zu einem barok geformten mit· bewimperten Fortsätzen versehenen eudipleuren Gerüste auswächst. Diese geschlechtslos bleibende Amme hat einen Darmcanal mit Mund, Magen und After; später entwickelt sich in ihr noch ein innen wimpernder sackförmiger Schlauch, welcher durch einen Porus der Rückenfläche ausmündet. Ihre ganze eudipleure Körperform ist so wesentlich von (1er gewöhnlich pentactinoten Form des geschlechtsreif werdenden Echinoderms verschieden, dass die Zusammengehörigkeit der beiden verschiedenen Formen erst vor zwei Jahrzehnden von J o h a n n e s M ü l l e r erkannt worden ist. Im Inneren der eudipleuren sogenannten Larve, welche aber viel mehr den Namen einer Amme verdient, entwickelt sich nun das junge pentactinote Echinoderm in höchst eigenthümlicher Weise durch innere Knospung, indem der Keim der neuen Person um den Darm der Amme (Larve) herum angelegt wird und so einen Theil des Darms der ersteren, sowie die aus dem Wimperschlauch und Rückenporus (Madreporenplatte) hervorgebildete Anlage des Ambulacralsystems in seinen eigenen Körper mit hinübernimmt. Das Ammengerüste, welches verhältnissmässig nur von sehr geringer Grösse ist, bleibt bald ganz hinter dem mächtig wachsenden und vom Ammendarm aus sich weiter entwickelnden jungen pentactinoten Echinodenn zurück und zerfällt in Trümmer, indem es von innen heraus durch dieses verdrängt wird. Sehr wichtig ist dabei noch der Umstand, dass bei manchen Asteriden und Echiniden die fünf Antimeren des Echinoderms in ihrer ersten Anlage als fünf getrennte Blastemstücke (Zellenhaufen mit Kalkskelet) rings um Darm
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Entwicklungsgeschichte der physiologischen Individuen.
und Wassercanal herum angelegt werden, und erst nachträglich zu einer einzigen Person zusammenwachsen. Es führt uns dies zu der einzigen Erklärung dieser merkwürdigen und in mehr als einer Beziehung so paradoxen Entwickelungsweise hin, welche uns für jetzt möglich scheint, nämlich, dass ursprünglich fünf getrennte eudipleure Personen durch innere Knospung in der wurmförmigen eudipleuren Amme hervorgesprosst sind, welche sich erst secundär zu einer Wurmcolonie oder einem Articulatenstock verbunden haben. Da wir diese Hypothese, welche uns zur Annahme einer gemeinsamen Wurzel des Echinodermen- und Articulaten-Stammes führt, im sechsten Buche noch näher zu begründen haben, so wollen wir dieselbe hier nur insofern betonen, als sie auch unsere Auffassung der Echinodermen-Metamorphose als wirklicher Metagenese rechtfertigt. Gewöhnlich wird bekanntlich diese höchst merkwürdige Art der Entwickelung als Metamorphose und die ungeschlechtliche Zwischenform als Larve bezeichnet. Sie unterscheidet sich aber von der echten Metamorphose dadurch, dass die Zwischenform nicht bloss durch den Besitz besonderer Organe von ihrer geschlechtlichen Stammform verschieden ist, sondern ein von dieser in jeder Beziehung gänzlich verschiedenes Bion darstellt. Während das sexuelle Echinoderm meistens die reine Pentactinotenform und später häufig die Pentamphipleurenform zeigt, meistens also aus fünf, immer aber aus mehr als zwei Antimeren zusammengesetzt ist, zeigt die Amme die Eudipleurenform oder die Eutetrapleurenform und besteht also bloss aus zwei oder vier Antimeren. Auch entsteht die erstere in der letzteren durch einen Neubildungs-Process, der in der That nur als innere Knospung bezeichnet werden kann. Zwar nimmt sie einen Theil des Darmcanals aus der Amme mit; allein alle anderen Organe werden selbstständig, neu, und nach einer von der Larve völlig verschiedenen Grundform angelegt und ausgebildet, so dass man diesen Process keinesfalls als "einfache Metamorphose im strengeren Sinne auffassen kann. Andererseits unterscheidet sich freilich dieser Entwickelungscyclus von den übrigen Formen des Generationswechsels dadurch, dass nur e i n e s , nicht m e h r e r e Bionten von der ungeschlechtlichen Form (Amme) erzeugt werden; indess kann dieser Unterschied doch im Grunde nicht für so wesentlich gelten, dass wir deshalb diesen Modus überhaupt nicht als Metagenese auffassen sollten. Jedenfalls muss zugegeben werden, dass das Eiproduct aus zwei verschiedenen Bionten zusammengesetzt ist, während auch bei den extremsten Formen der echten Metamorphose das Eiproduct trotz alles Formenwechsels dennoch stets deutlich nur ein einziges Bion repräsentirt und dieses Bion, immer einfach, ein und dasselbe bleibt. Wenn unsere Ansicht, dass die Echinodermen mit den Articulaten in genealogischem Zusammenhange stehen, richtig ist, so erscheint die Auffassung des ausgebildeten pentactinoten Echinoderms
Vili.
Allgemeine Charakteristik der Zeugungskreise.
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als eines aus fiinf Articulaten-Personen zusammengesetzten Stockes ganz natürlich; und dann kann kein Zweifel sein, dass ihre Entwickelung wirkliche, echte und zwar productive Metagenese ist, welche erst durch paläontologische Abkürzung der Ontogenese zu einer Art Metamorphose zusammengezogen ist. Immerhin wird es uns aus diesen Gründen am natürlichsten erscheinen, die ganz eigenthümliche Entwickelungsweise der Echinodermen (zumal sie in einigen Fällen in die einfache Metamorphose übergeht) als einen besonderen Generationsmodus" aufzufassen, der zwischen Metamorphosis und Metagenesis in der Mitte steht, und für den aus diesem Grunde vielleicht der Name der Metamorphogenesis am passendsten erscheinen dürfte, falls man nicht lieber denselben als successive (nicht productive) Metagenese dem echten productiven Generationswechsel anschliessen will. Die Würmer, bei denen eine ähnliche Entwickelung, wie bei den Echinodermen, vorkömmt, gehören den Klassen der Nemertinen und Gephyreen an. Bei den Nemertinen ist es die eigenthümliche, einem Federhut ähnliche Ammenform des Pilidinm. welche die Rolle der barok gestalteten Echinodermen-Larven übernimmt. Wie bei den letzteren entwickelt sich die Person {Aturdvs), welche die zweite geschlechtsreif werdende Generation repräsentirt, durch einen eigenthümlichen inneren Keimungsprocess in der Umgebung des Darms der frei umher schwimmenden Amme, zwischen Darm und Leibeswänd. Die kahnformige Bildungsmasse umwächst den Darm des Pilidinm. den sie sich ebenso aneignet, wie das pentactinote Echinoderm den mittleren Darmtheil der eudipleuren Larve (Amme) und durchbricht endlich den Ammenleib, um als selbstständige, von dem letzteren sehr verschiedene Wurmform weiter zu leben und sich zur Geschlechtsreife zu entwickeln. In ähnlicher Weise entwickelt bei den Gephyreen die frei umher schwimmende gewöhnlich als Larve aufgefasste Ammenform Actinotroc/ia einen von ihr sehr verschieden geformten Sipunculiden. Gleich dem Pilidinm und den Echinodermen-Ammen schwimmt auch die AcUnotrncha mittelst eigenthümlicher bewimperter Lappen und Fortsätze frei im Meere umher und ernährt sich, mit Mund und Darmcanal ausgerüstet, als selbstständiges Bion einer ersten geschlechtslosen Generation. An ihrer Bauchseite entwickelt sich ein langer gewundener Schlauch, der den Darm der Amme in sich aufnimmt, sich umstülpt und zur Leibeswand des Sipunculiden wird, während der übrige Theil des Ammenkörpers theils durch letztere verdrängt wird, theils zerfällt. In allen diesen Fällen ist nicht daran zu zweifeln, dass die sogenannte Larve und das ausgebildete Thier ganz verschiedene Bionten sind. Man pflegt die hier angeführte Entwickelung gewöhnlich als „Metamorphose" zu bezeichnen, weil die zweite, geschlechtsreif werH a e c k e l , Generelle Morphologie. II.
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Entwickelungsgeschichte der physiologischen Individuen.
dende Generation aus der ersten, geschlechtslosen, einen Körpertheil, nämlich ein Stück des Darmcanals (und bei den Echinodermen auch die Anlage des Ambulacralsystems), in sich aufnimmt. Allein bei jeder Form der geschlechtslosen Zeugung geht ein kleinerer oder grösserer Theil (bei der inneren Keimbildung oft ein sehr bedeutender Theil) des zeugenden Individuums in das erzeugte über, und der einzige Unterschied ist der, dass hier das übernommene Stück bereits ein Theil eines differeiizirten Organes ist. Dieser Umstand scheint uns aber ganz unerheblich gegenüber der viel wichtigeren morphologischen Thatsache, dass der Leib der geschlechtlich sich entwickelnden Thiere von Anfang an als eine selbstständige Person auftritt, deren ganze tectologische Anlage von der der geschlechtslosen Elternform verschieden ist und sich selbstständig diiferenzirt. Wir fassen demgemäss mit Victor Car u s die sogenannte „Metamorphose" der Echinodermen und die verwandte Entwickelung einiger Nemertinen und Sipunculiden als Generationswechsel auf und betrachten die paradoxen „Larven" der Echinodermen (PIuteus, Bipinnuria etc.), Nemertinen (Pilidinm) und Gephyreen (Actinotrochu) als wirkliche Ammen (Altrices). Der wesentlichste Unterschied von der gewöhnlichen Metagenese liegt darin, dass die monogene Zeugung hier nicht, wie bei der letzteren, mit einer Vermehrung der physiologischen Individuen verbunden ist. Jedoch ist dieser Unterschied, wie auch J . M ü l l e r selbst hervorgehoben hat, ganz unwesentlich, und wir drücken denselben hinreichend dadurch aus, dass wir die Metagenese ohne Vermehrung der Bionten als bloss successive von der mit Vermehrung der Bionten verbundenen productiven trennen. Endlich könnte den angeführten Beispielen von successiver Metagenese vielleicht auch noch die höchst merkwürdige Entwickelung der Musciden angeschlossen werden, welche uns durch Weismann's ausgezeichnete Untersuchungen in neuester Zeit bekannt geworden ist. Bei der postembryonalen Entwickelung dieser Fliegen, welche man bisher allgemein als „Metamorphose" auffasste, zerfallen sämmtliche Organe der Larve, theils vollständig, theils histolytisch. Bei dieser von Weismann so genannten Histolyse lösen sich die histologischen Elemente zu einem Blastem auf, indem sie der fettigen Degeneration erliegen und einen structurlosen Trümmerhaufen, theils aus Fett- theils aus EiweissMolekülen bestehend, bilden, aus dem neue Elementartheile selbstständig sich herausbilden. Bei den Nervencentren und den Malpighi'schen Gefässen scheinen die Kerne der Zellen zu persistiren und den Anstoss zur Bildung neuer Zellen und Zellenderivate zu geben; am Darme scheinen selbst die Kerne zu zerfallen. In der fettig-albuminösen Detritusmasse entstehen durch freie Zellbildung (Generatio spontanea aus organischem Blastem) neue Zellen, aus denen sich der Fliegenleib vollständig neu aufbaut. Allerdings aber ist insofern eine etwelche Con-
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tinuität zwischen der zerfallenen Larve und der neu sich bildenden Fliege, der Imago, gewahrt, als es kein Stadium während der Puppen-Entwickelung giebt, in dem nicht entweder noch Larvenprgane vorhanden oder aber bereits Theile der Fliege neugebildet sind. Die Auflösung des Larvenkörpers geschieht allmählich und ihr parallel geht eine Reihe von Neubildungsprocessen, die auch darin mit der Neubildung des Echinoderms in der Amme grosse Aehnlichkeit haben, dass im Inneren des Ammen- oder Larvenkörpers mehrere getrennte indifferente Zellenhaufen entstehen, welche sich selbstständig differenziren und erst nachträglich zur Person verbinden. Hierin und besonders in dem Umstände, dass während der Fliegen-Umbildung kein Wachsthum stattfindet, sieht W e i s m a n n den bestimmenden Grund, dieselbe nicht als Metagenese, sondern als Metamorphose aufzufassen, und wir schliessen uns ihm an, indem wir auf den letzteren Umstand das Hauptgewicht legen. Das Wachsthum, und zwar das über die individuelle Grenze hinaus schreitende Wachsthum, welches zur Ablösung neuer selbstständiger Keime vom Individuen führt, ist das charakteristische Moment im Fortpflanzungsprocess, und aus diesem Grunde betrachten wir die Musciden-Neubildung, welche ohne Wachsthum erfolgt, nur als eine höchst vollendete Metamorphose; die Neubildung der Echinodermen dagegen, welche mit beständigem Wachsthum über das individuelle Ammenmaass hinaus verknüpft ist, als Metagenese. II, 2.
Hypogenesis.
Elitwickelung des Eiproductes ohne Generntionswechscl.
Amphigene E n t w i c k e l u n g a u s s c h l i e s s l i c h die Zeugungskreise bildend. Der amphigene Zeugungskreis besteht stets nur aus einem einzigen Bion, welches g e s c h l e c h t l i c h e r z e u g t ist und selbst g e s c h l e c h t s r e i f wird. Das Eiproduct oder der Eikreis wird durch ein einziges physiologisches Individuum (Bion) repräsentirt. Aus jedem befruchteten Ei entsteht eine einfache Formenkette, welche continuirlich bis zur Geschlechtsreife durchgeführt wird. Jeder individuelle Formzustand ist ein Glied dieser Kette und das unmittelbare Resultat einer am vorhergegangenen Zustande oder Gliede stattgefundenen Differenzirung. Es ist also niemals die geschlechtliche mit der ungeschlechtlichen Fortpflanzung innerhalb des Formenkreises der Species combinirt. Die einfache geschlechtliche Fortpflanzung oder die ausschliessliche Entwickelung der Bionten aus befruchteten Eiern, welche wir hier mit dem Namen der Hypogenese belegen, findet sich vorzugsweise bei den höheren und vollkommeneren Classen des Thier- und Pflanzenreiches, und bei den höchsten Abtheilungen der niederen Classen. Insbesondere ist sie die ausschliessliche Entwickelungsform bei allen noch jetzt 7*
100
Entwickelungsgeschichte der physiologischen Individuen.
lebenden Gliedern des Vertebraten-Stammes, bei der grossen Mehrzahl aller Arthropoden, bei allen höheren Weichthieren (Cephalopoden, Cephalophoren, Lamellibranchien, Brachiopoden) und vielen höheren Würmern, sowie bei der grossen Mehrzahl der Phanerogamen. Dagegen kommt sie bei den Echinodermen, Hydromedusen und Cryptogamen nur selten, bei den Protisten vielleicht niemals vor. In allen Fällen durchläuft bei dieser einfach continuirlichen Entwickelung das physiologische Individuum, welches aus dem befruchteten Eie entspringt, eine einzige ununterbrochene Formenreihe, welche mit der Production von Geschlechtsorganen ihr Ziel erreicht. Jeder Zustand der Species ist das unmittelbare Differenzirungsproduct des nächst vorhergegangenen Zustandes. Niemals wird diese zusammenhängende Kette von epigenetisch aus einander hervorgehenden Zuständen durch einen ungeschlechtlichen Zeugungsakt unterbrochen, welcher ein zweites selbstständiges Bion producirt. Man hat freilich auch viele Wachsthums- und Differenzirungsakte, welche im Bion während der hypogenetischen Entwickelung vor sich gehen, als ungeschlechtliche Zeugungsakte (Knospung, Theilung etc.) bezeichnet, und es ist dies vollkommen richtig. Allein alle diese ungeschlechtlichen Zeugungsakte produciren nicht neue physiologische, sondern nur morphologische Individuen, und diese letzteren sind niemals von dem Range, welchen die Species in ihrer geschlechtsreifen vollendeten Form erreicht, sondern stets morphologische Individuen niederen Ranges. So ist ζ. B. bei der Epigenese der Wirbelthiere schon die Furchung des Eies ein Akt der Theilung von Plastiden, die Entstehung der Urwirbel ein Akt der terminalen Knospenbildung von Metameren, das Hervorsprossen der Extremitäten ein Akt der lateralen Knospung von Organen, das Hervorsprossen der Zehen ein Akt der Diradiation, und das Wachsthum, sowie das Entstehen jedes neuen Organes ist mit Theilungsakten von Piastiden verknüpft. Allein alle diese ungeschlechtlichen Zeugungsakte führen zusammen nur zur Entwickelung eines einzigen Bion, welches als morphologisches Individuum fünfter Ordnung die reife und vollendete Species-Form repräsentirt, und diese Person pflanzt sich nur auf geschlechtlichem Wege fort. Das Eiproduct ist demnach in allen Fällen echter Hypogenesis ein einziges physiologisches Individuum. Man pflegt gewöhnlich die einfache Entwickelung aus befruchteten Eiern, welche wir Hypogenesis nennen, einzutheilen in eine Entwickelung mit und ohne Verwandlung, und wir werden, dieser Eintheilung folgend, Hypogenesis metamorpha, mit Metamorphose, und Hypogenesis epimorpha, ohne Metamorphose unterscheiden. Wir halten dabei den Begriff der Metamorphose, wie wir ihn oben definirt haben, fest, als die Entwickelung ausserhalb der Eihüllen mit Production provisorischer Organe, welche durch den Verwandlungsprocess verloren gehen.
Vill.
Allgemeine Charakteristik der Zeugungskreise.
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II, 2A. H y p o g e n e s i s m e t a m o r p h a . Amphigene Entwickelung ohne Generationswechsel, mit post embryonaler Metamorphose. Das physiologische Individuum, welches aus dem befruchteten Ei hervorgeht, entwickelt sich ausserhalb der Eihüllen zur Geschlechtsreife, nachdem es provisorische Theile abgeworfen hat. Der wesentliche Charakter der postembryonalen Metamorphose, welche man gewöhnlich schlechtweg als Metamorphose bezeichnet, liegt, wie wir oben zeigten, darin, dass das Bion nach dem Verlassen der Eihüllen provisorische Organe besitzt oder erhält, welche es verliert, ehe es sich zur Geschlechtsreife entwickelt 1 ). So lange das den Eihüllen entschlüpfte Individuum solche provisorische Organe besitzt, wird dasselbe als L a r v e (Larva, Nympha) bezeichnet. Der Verlust dieser Organe ist der eigentliche Akt der Verwandelung, durch welchen die Lax-ve entweder zum jungen Bion (Juvenis) oder, wenn dabei die Geschlechtsorgane sich entwickeln, zum reifen und vollendeten Bion (Adultum) wird. Das Verhältniss der Larven zu den jungen und reifen Bionten ist bei den verschiedenen Organismen ein ausserordentlich ver* schiedenes, je nach der Grösse, Ausdehnung und Form der provisorischen Organe. Es Hessen sich hiernach eine Masse von verschiedenen Formen bei der Metamorphose ebenso wie beim Generationswechsel unterscheiden. Indessen ist die Masse der in dieser Beziehung bekannten Thatsachen ebenso ungenügend geordnet, als umfangreich, so dass es vorläufig noch nicht möglich ist, in übersichtlicher Zusammenstellung das Verhältniss der einzelnen Metamorphosen-Arten zu einander zu erörtern. Eine zukünftige kritische und denkende Vergleichung derselben wird hier ebenso wie beim Generationswechsel eine sehr reiche Fülle leichterer und tieferer Modifikationen zu unterscheiden haben. Für uns genügt hier die Anführung einiger weniger Beispiele. Als den extremsten Grad der Metamorphose müssten wir vor allen die zuletzt als successive Metagenese aufgeführte Entwickelungsweise bezeichnen, falls wir der herrschenden Anschauung gemäss diesen Entwickelungsprocess, welcher zwischen productiver Metagenese und Metamorphose die Mitte hält, der letzteren und nicht der ersteren anreihen wollten. Warum wir diese höchstgradige „Metamorphose" der Echinodermen, Nemertinen etc. für wirkliche Metagenese halten, haben wir soeben entwickelt; ebenso warum wir die daran zunächst sich anschliessende postembryonal Entwickelung der Musciden für wirkliche Metamorphose halten. Freilich geht diese so weit, dass fast die ganze embryonale Entwickelung des physiologischen Individuums wieder von vorn anJ ) Ueber die verschiedene Bedeutung des Begriffs der M e t a m o r p h o s e bei deu verschiedenen Autoren vergl. oben S. 23 — 2 6 , sowie V i c t o r C a m s , System der thierischen Morphologie S. 264.
102
Entwicklungsgeschichte der physiologischen Individuen.
fängt, und dass eigentlich nicht einzelne Organe, sondern alle Organsysteme, mithin die ganze Larve selbst als provisorische Form aufgefasst werden muss. So sehr nun auch diese extremste Form der Metamorphose bei den Fliegen von der Metamorphose sich zu entfernen scheint, so ist sie dennoch in der That durch eine lange und allmähliche Kette von Uebergangsformen mit dem geringeren und zuletzt dem ganz geringen Grade der Metamorphose verbunden, und zwar von Uebergangsformen, welche alle in derselben Insecten-Classe vorkommen. Während noch bei den Schmetterlingen, den Käfern und den meisten anderen Insecten mit sogenannter vollkommener Verwandlung gewöhnlich drei scharf getrennte Abschnitte der postembryonalen Umbildung sich unterscheiden lassen (Larve, Puppe und Imago), finden wir dagegen bei den Insecten mit sogenannter unvollkommener oder halber Verwandelung den Process der Metamorphose auf verschiedene Häutungen und auf die Entwickelung der Flügel etc. beschränkt. Die Formunterschiede der verschiedenen Häutungszustände sind bald so bedeutend, dass die Häutung noch als unvollkommene Metamorphose bezeichnet werden kann, bald so gering, dass sie unmittelbar in die epimorphe Hypogenese übergeht. Auch bei den übrigen Articulaten und überhaupt bei der grossen Mehrzahl aller "Wirbellosen sehen wir die Hypogenese mit Metamorphose verbunden, so bei den meisten Crustaceen, Würmern, Mollusken, Coelenteraten; sehr häufig treten hier zugleich sehr verwickelte Formfolgen dadurch ein, dass sich die Metamorphose mit der Metagenese verbindet. Unter den Wirbelthieren ist die postembryonale Metamorphose auf den Amphioxus, die Cyclostomen und Amphibien beschränkt. II, 2 B.
Hypogenesia
epimorpha.
Amphigene Entwickelung ohne G e n e r a t i o n s w e c h s e l und ohne postembryonale Metamorphose. Das physiologische Individuum, welches aus dem befruchteten Ei hervorgeht, entwickelt sich ausserhalb der Eihüllen zur Geschlechtsreife, ohne provisorische Theile abzuwerfen. Die epimorphe Hypogenese, die postembryonale Entwickelung ohne Verwandlung, ist diejenige Entwickelungsform, welche vorzugsweise für die Ontogenie der grössten und höchst entwickelten Organismen, sowohl im Pflanzenreich, als im Thierreich, geeignet erscheint, vielleicht schon deshalb, weil hier alle provisorischen Formzustände innerhalb der Eihüllen durchlaufen und alle provisorischen Organe während des embryonalen Lebens rückgebildet werden und verloren gehen. Der Embryo durchbricht hier also die Eihüllen schon in der ausgebildeten wesentlichen Form des reifen Thieres und alle postembryonalen Veränderungen beschränken sich auf die Entwickelung der Geschlechtsorgane
V 111. Allgemeine Charakteristik der Zeugungekreise.
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und auf das blosse Wachsthum, welches allerdings dadurch, dass es in verschiedenen Körpertheilen verschieden rasch fortschreitet und verschieden lange dauert, immerhin ziemlich beträchtliche Proportionsunterschiede in der Grösse und dadurch auch in der Form des vollendeten und des werdenden Individuums hervorzurufen vermag. Wir finden diese Hypogenese ohne Metamorphose bei den allermeisten Wirbelthieren (mit Ausnahme der Amphibien, Cyclostomen und Leptocardierj, also bei allen Säugern, Vögeln, Reptilien und echten Fischen. Unter den Mollusken besitzen sie fast nur die Cephalopoden, welche sich auch in anderen Entwickelungsverhältnissen wesentlich von den übrigen Mollusken unterscheiden. Unter den Articulaten ist die epimorphe Hypogenese im Ganzen selten, ebenso unter allen übrigen Wirbellosen. Obgleich man diesen Entwickelungsmodus gewöhnlich für einen sehr einfachen zu halten pflegt, ist er doch, entsprechend schon der hohen Organisationsstufe, welche die betreffenden Thiere erreichen, umgekehrt für einen der complicirtesten zu erachten, und vom phylogenetischen Standpunkte aus für eine Art der Ontogenese, welche erst durch lange dauernde „Abkürzung der Entwickelung" entstanden ist. Im Pflanzenreiche finden wir die epimorphe Hypogenese ebenso wie im Thierreiche als die fast ausschliessliche Entwickelungsform aller höheren und grösseren Organismen wieder (mit Ausnahme der höheren Cryptogamen). Wir finden dieselbe vor bei den höheren Algen (Fucaceen), ferner fast allgemein bei den Phanerogamen, nur diejenigen ausgenommen, welche durch frei sich ablösende Brutknospen (Bulbi und Bulbilli) auf monogenem Wege neue Bionten erzeugen (echte Metagenesis). Warum wir den Zeugungskreis der Phanerogamen nicht als echte Metagenesis anerkennen können, werden wir sogleich bei Betrachtung der Strophogenese näher begründen. Die ganze Formenfolge vom Ei bis zum Ei bildet hier eine einzige geschlossene Entwickelungskette und erscheint als ununterbrochene Differenzirungsreihe von successiven Formzuständen eines einzigen Bion, ganz wie bei den höheren Thieren. Es könnte demnach nur die Frage entstehen, ob wir die Ontogenese der Phanerogamen als metamorphe oder als epimorphe auffassen sollen, d. h. ob mit ihrer postembryonalen Entwickelung eine Metamorphose verbunden ist oder nicht. Dass die sogenannte „Metamorphose der Pflanzen", und der Phanerogamen insbesondere, wesentlich eine Differenzirungserscheinung ist, und keine Verwandlung in dem Sinne, in welchem der Begriff der Metamorphose von den Zoologen fast allgemein und täglich gebraucht wird, haben wir bereits oben (S. 23) gezeigt. Es könnte sich also nur fragen, ob sich ausserdem noch bei den hypogenen Pflanzen eine echte Metamorphose in dem vorher festgestellten Sinne findet, d. h. eine postembryonale Entwickelung mit Verlust provisorischer Theile. Als solche „provisorische Theile" könnte
104
Entwickelungsgeschichte der physiologischen Individuen.
man bei den Phanerogamen die Cotyledonen oder Keimblätter auffassen; und wenn man diese Auffassung gelten lässt, so würde die Hypogenesis der Phanerogamen nicht als epimorphe, sondern als metamorphe Entwickelung zu betrachten sein, und der Verlust der Keimblätter als Akt der Verwandelung. Die Keimpflanze, d. h. die dem Samen entkeimte, aus den Eihüllen hervorgebrochene junge Pflanze wäre dann als „Larve" zu betrachten, so lange sie noch die Cotyledonen („Larvenorgane") besitzt. Man pflegt den Entwickelungsmodus der epimorphen Hypogenese, wie er den meisten höheren Thieren und Pflanzen zukommt, gewöhnlich als einen „sehr einfachen" zu bezeichnen, gegenüber der metamorphen Hypogenese und der Metagenese. Indessen übersieht man dabei, dass die Entwickelungsvorgänge, welche hier innerhalb des Eies verborgen verlaufen, viel complicirtere und aus grösseren Reihen differenter Zeugungsakte zusammengesetzt sind, als bei denjenigen anscheinend äusserlich mehr zusammengesetzten Entwickelungsreihen, welche beim Generationswechsel etc. auftreten. Wahrscheinlich sind auch die scheinbar einfachsten Formen der epimorphen Hypogenese durch paläontologische „Abkürzung der Entwickelung" secundär aus viel verwickeiteren Generationsreihen von metagenetischer Form hervorgegangen, in ähnlicher Weise, wie es die sogleich zu besprechende Strophogenese ahnen lässt.
IX. Metagenesis und Strophogenesis. (Generationswechsel und
Generationsfolge.)
Die Charakteristik des echten Generationswechsels oder der Metagenesis, welche wir oben festzustellen versuchten, hob als das wesentlichste Moment dieses Entwickelungsmodus die Zusammensetzung des Zeugungskreises aus zwei oder mehreren successiven Bionten hervor, welche theils auf geschlechtlichem, theils auf ungeschlechtlichem Wege entstehen. Es wird also hier die Species durch zwei oder mehr verschiedene, theils sexuelle, theils esexuelle Bionten oder physiologische Individuen vertreten, von denen die ersteren die immittelbaren Erzeugnisse der letzteren sind. Wie schon dort hervorgehoben wurde, hat man neuerdings den Begriff des Generationswechsels viel weiter ausgedehnt, indem man auch ähnliche Entwickelungsreihen von höheren Organismen und insbesondere von den Phanerogamen hereinzog. Allerdings ist der Zeugungskreis, welchen die Stöcke der Phanerogamen durchlaufen, in mancher Hinsicht der echten Metagenesis sehr ähnlich, aber dennoch unserer Ansicht nach in anderer Beziehung wesentlich verschieden, und gerade derjenige Charakter, den wir oben als den entscheidenden hingestellt
IX.
Metagenesis und Strophogenesis.
105
haben, fehlt denselben. Bei allen Phanerogamen-Stöcken entspringt aus der geschlechtlichen Zeugung ein Spross (Blasius), also ein Form-Individuum fünfter Ordnung, welches durch wiederholte ungeschlechtliche Zeugungsakte, nämlich durch unvollständige äussere Knospenbildung, zahlreiche andere Sprosse erzeugt, die zu einem Stocke oder Cormus vereinigt bleiben. Dieser Cormus ist aber ein einziges Form-Individuum sechster und höchster Ordnung, und als solches zugleich das physiologische Individuum (Bion), welches als concrete Lebenseinheit die Art repräsentirt oder das Speciesglied bildet. Da nun dieser Stock selbst wieder geschlechtsreif wird, oder da, genauer ausgedrückt, unmittelbar aus den integrirenden Bestandtheilen dieses Stocks, nämlich aus den geschlechtlich differenzirten Personen (Blüthensprossen) der Same amphigen erzeugt wird, welcher dem Stocke selbst den Ursprung giebt, so haben wir den ganzen Zeugungskreis als einen einfachen hypogenen Generationscyclus aufzufassen. In der That haben wir vom Ei bis zum Ei die vollkommen geschlossene Formenkette des einen physiologischen Individuums, welches als Stock aus einem Ei entsteht, und selbst wieder Eier zeugt. Der gewöhnliche Zeugungskreis der Phanerogamen ist also eben so gut ein einfacher hypogener, wie derjenige der Wirbelthiere. Die Ansicht , dass der Entwickelungskreis der Phanerogamenstöcke auf einem echten Generationswechsel beruhe, würde dann richtig sein, wenn der Spross (Blasius) das physiologische Individuum derselben wäre 1 ). Dies ist aber nicht der Fall, wie wir im dritten Buche gezeigt haben. Vielmehr ist der Spross, welcher als Form - Individuum fünfter Ordnung bei den Wirbelthieren in der That das physiologische Individuum bildet , bei den Phanerogamen nur ein untergeordneter Bestandteil des Stockes oder Cormus, welcher hier als Form-Individuum sechster Ordnung die physiologische Individualität repräsentirt. Und da der letztere sich allerdings durch ungeschlechtliche Zeugungsakte e n t w i c k e l t , aber lediglich durch geschlechtliche Zeugungsakte f o r t p f l a n z t , so ist unzweifelhaft der gewöhnliche Generationscyclus der Phanerogamen keine Metagenesis, sondern einfache Hypogenesis, wie bei den Wirbelthieren. Der Unterschied zwischen Beiden besteht nur darin, dass die physiologische Individualität hier durch ein morphologisches Individuum fünfter, dort aber sechster Ordnung, repräsentirt *) Die Ansicht, dass der Spross das „eigentliche" Individuum der Pflanze sei, ist, wie wir im dritten Buche sahen, insofern richtig, als der Spross der thierischen Person morphologisch vollkommen entspricht, insofern aber unrichtig, als er bei den stockbildenden Pflanzen nicht das physiologische Individuum ist. Die in morphologischer Beziehung vollkommen richtige Ansicht von der Aequivalenz des pflanzlichen Sprosses und der thierischen Person ist am ausführlichsten von A l e x a n d e r B r a u n begründet worden in seinen an gedankenvoller Naturbetrachtung so reichen Schriften über die „Verjüngung in der Natur", „das Individuum der Pflanze" etc., wo auch die Ansicht vom Generationswechsel der Phanerogamen am treffendsten ausgeführt ist.
106
Entwickelungegeechichte der physiologischen Individuen.
wird. Als echten Generationswechsel, als wirkliche Metagenesis können wir bei den Phanerogamen nur jene Falle auffassen, in denen sich Brutknospen (Bulbi, Bulbilli etc.) selbstthätig vom Stocke ablösen und also wirklich monogen erzeugte neue Bionten bilden (ζ. B. Lilivm b>i(biferum, Denfaritt bulbi/era etc.). Die Yergleichung des scheinbaren Generationswechsels der Phanerogamen mit dem echten Generationswechsel der Cryptogamen und der höheren Thiere führt uns unmittelbar zu einer Betrachtung, welche sowohl für das Verständniss des zusammengesetzten Baues der höheren Organismen überhaupt, als auch besonders ihrer Entwickelungsverhältnisse von der grössten Bedeutung ist. Bei den Phanerogamen, wie sie uns besonders A l e x a n d e r B r a u n ' s klare Betrachtungsweise tectologisch erläutert hat, ist es nämlich ganz richtig·, dass der Stock (Cormus), also das morphologische Individuum sechster Ordnung, als einfaches Bion durch eine Reihe von ungeschlechtlichen Zeugungsprocessen untergeordneter morphologischer Individualitäten entsteht, welche endlich mit der Erzeugung geschlechtlicher Keime in den Blüthensprossen abschliessen. Verfolgen wir den gewöhnlichen PhanerogamenCormus auf seinem Lebenswege von der Theilung des Eies (Keimbläschen) an, so können wir eine Reihe von ungeschlechtlichen Zeugungsakten verschiedener Ordnungen unterscheiden, welche endlich mit der Eibildung den amphigenen Zeugungskreis vollendet. Ganz dasselbe finden wir aber auch, wenn wir die einzelnen Entwickelungsakte der höheren Thiere, ζ. B. der Wirbelthiere, vergleichen, deren Ontogenesis doch allgemein und ohne Widerspruch als einfache Hypogenesis, als Amphigenesis ohne Generationswechsel, aufgefasst wird. Auch hier stossen wir von der Theilung (Furchung) des Eies an auf eine ganze Reihe von ungeschlechtlichen Zeugungsakten, welche endlich mit der Geschlechtsreife den amphigenen Zeugungskreis abschliesst. Die im nächstfolgenden Abschnitte aufgestellte Parallele zwischen den ontogenetischen monogenen Zeugungsakten der Vertebraten und Dicotyledonen wird diese Uebereinstimmung anschaulicher erläutern und sogar bis zu einem Grade nachweisen, welcher wahrhaft erstaunlich ist. Bei den "Wirbelthieren ebenso wie bei den Phanerogamen durchläuft das Bion während seiner ontogenetischen Entwickelung die ganze Reihe von untergeordneten morphologischen Individualitäten, welche derjenigen vorausgehen, in der es schliesslich als reifes Bion die Species repräsentirt. Jede höhere Individualitäts-Ordnung wird durch einen besonderen ungeschlechtlichen Zeugungsakt von der vorhergehenden nächst niederen erzeugt, und auch innerhalb des Entwickelungslaufes jeder einzelnen Individualitäts-Ordnung, finden wir noch massenhaft wiederholte monogene Zeugungsakte der Plastiden, welche die Organe etc. constituiren. Dennoch wird es Niemand einfallen, diese Entwickelungs-
IX.
Metagenesis and Strophogenesis.
107
reihe, die aus einer ganzen Kette von verschiedenen, monogen aus einander hervorgehenden, untergeordneten Generationen besteht, als echte Metagenesis betrachten zu wollen. Denn die ganze Zeugungskette verläuft Schritt für Schritt im ununterbrochenen Zusammenhange an einem und demselben physiologischen Individuum oder Bion. Der einzige Unterschied zwischen der Hypogenese der höchsten Pflanzen und Thiere ist der, dass die letzteren (Yertebraten, Arthropoden) nicht die letzte und höchste, die sechste Stufe der morphologischen Individualität erreichen, sondern vorher auf der fünften stehen bleiben. Der Cormus ist aber ebenso die specifische Form des reifen Bion bei den Phanerogamen, wie die Person bei den Yertebraten und Arthropoden. Ganz ähnliche Reihen von eng verketteten ungeschlechtlichen Zeugungsakten begleiten die Ontogenesis bei allen Organismen, die nicht als Bionten auf der ersten Stufe der Plastide stehen bleiben. Bei den höheren Mollusken ζ. Β., deren physiologische Individualität stets auf der vierten Stufe des Metameres stehen bleibt, können wir ganz ebeu solche Zeugungsreihen unterscheiden, ohne dass wir auch hier von einer echten Metagenese sprechen können. Die Cephalopoden, Cochleen, Lamellibranchien etc. verhalten sich in dieser Beziehung ganz ähnlich zu den Wirbelthieren, wie diese ihrerseits zu den Phanerogamen. Wir glauben daher nicht zu irren, wenn wir alle diese ungeschlechtlichen Zeugungsketten, die an einem einzigen, geschlechtlich erzeugten und selbst geschlechtsreif werdenden Biou verlaufen, von dem echten Generationswechsel, der stets an zwei oder mehreren Bionten abläuft, unterscheiden, und schlagen vor, dieselben allgemein mit dem Namen der G e n e r a t i o n s f o l g e o d e r S t r o p h o g e n e s i s zu bezeichnen. Es kann demnach der scheinbare Generationswechsel der Phanerogamen als Strophogenesis von Cormen, die individuelle Entwickelung der Yertebraten und Arthropoden als Strophogenesis von Personen, diejenige der höheren Mollusken als Strophogenesis von Metameren bezeichnet werden. Will man diese Auffassung bis zu ihren letzten Consequenzen verfolgen, so muss eigentlich alle Amphigenesis von polyplastiden Organismen als Strophogenesis aufgefasst werden, da alles „zusammengesetzte Wachsthum" derselben mit Zeugungsakten von Piastiden verbunden ist. Die objective Betrachtung der Strophogenesis und ihr Vergleich mit der Metagenesis ist äusserst wichtig und lehrreich, besondere auch für das Verständniss der Parallele zwischen der Ontogenese und Phylogenese. Es ist leicht möglich, dass viele Processe, die wir jetzt zur Strophogenese rechnen müssen, in früheren Zeiten der Erdgeschichte wirkliche Metagenese waren und erst nachträglich durch „Abkürzung der Entwickelung" zusammengezogen wurden. In welcher Weise wir uns die Entstehung der höheren Organismen durch Strophogenese ungefähr denken, mag das nachfolgende Beispiel zeigen.
108
X.
Entwickelungsgeschichte der physiologischen Individuen.
Parallele Strophogdnesis der dicotyledonen Phanerogamen und der Vertebraten. I.
Dicotyledonen.
Erster Zeugungs-Akt: Das Bion entsteht als Pflanzen-Ei (Embryobläschen) im Embryosack durch E m p l a s m o g o n i e . Erste Generation: D a s B i o n i s t e i n Form-Individuum erster Ordnung, eine einfache Plastide: P f l a n z e n - E i (Embryobläschen , Keimbläschen). Zweiter Zeugungs-Akt: Das Bion wird durch fortgesetzte T h e i l u n g zum einfachen Organ: Proembryo. Zweite Generation: D a s B i o n i s t ein K ö r p e r v o m m o r p h o lo g i s e h e n W e r t h e e i n e s e i n f a c h e n O r g a n s (aus einer Zellenart zusammengesetzt) oder ein Form - Individuum zweiter Ordnung: Vorkeim oder Proembryo. Dritter Zeugungs-Akt: Das Biou (jetzt Proembryo) erzeugt durch S p a l t u n g (lat e r a l e K n o s p e n b i l d u n g ) ein neues Individuum zweiter Ordnung: eigentlicher Keim oder Embryo. Da Embryo und Proembryo aus differenten Piastiden bestehen, erscheint das ganze Bion jetzt als „zusammengesetztes Organ". Dritte Generation: D a s B i o n i s t e i n m o r p h o l o g i s c h e s I n d i v i d u u m zweit e r O r d n n a g (ein z u s a m m e n g e s e t z t e s O r g a n ) , welches sich auf Kosten des elterlichen Proembryo entwickelt: K e i m oder eigentlicher E m b r y o . Vierter Zeugungs-Akt: Das Bion (jetzt Embryo) erzeugt durch Waehsthum, Differenzirung und unvollständige laterale K n o s p e n b i l d u n g zwei neue Individuen zweiter Ordnung (Organe), die beiden Cotyledonen (rechtes und linkes Keimblatt). Durch die gegenständige Stellung derselben und die zwischen beiden sich erhebende Axenspitze (Terminalknospe) zerfällt' der Embryo in zwei Form - Individuen dritter Ordnung (Antimeren) und wird dadurch selbst zu einem Individuum vierter Ordnung: Metamer.
Π.
Vertebraten.
Erster Zeugung»-Akt: Das Biou entsteht als Thier-Ei durch Z e l l e n t h e i l u n g (?) im Eierstock. Erste Generation: D a s B i o n i s t e i n Form-Individuum erster Ordnung, eine einfache Plastide: T h i e r - E i (Ovum, Ovulum). Zweiter Zeitgungs - Akt: Das Bion wird durch fortgesetzte T h e i l u n g zum einfachen Organ: Blastoderms. Ztne&e Generation: D a s B i o n i s t e i n K ö r p e r vom m o r p h o l o g i s c h e n W e r · t h e e i n e s e i n f a c h e n O r g a n s (aus eiuer Zellenart zusammengesetzt) oder ein F o r m - I n di v i d u u m z w e i t e r Ordnung: Keimhaut oder Blastoderma. Dritter Zeugungs-Akt: Das Bion (jetzt Blastoderma) erzeugt durch S p a l t u n g ( T h e i l u n g ) drei neue Individuen zweiter Ordnung: die drei Keimblätter, welche in der Mitte eich verdicken und zur EmbryonalAnlage (Doppelschild) verwachsen. Da die drei Keimblätter aus differenten Piastiden bestehen, erscheint das Ganze jetzt als „zusammengesetztes Organ". Dritte Generation: D a s B i o n i s t e i n morphologisches Individuum zweit e r O r d n u n g (ein z u s a m m e n g e s e t z t e s O r g a n ) , welches sich auf Kosten des elterlichen Blastoderma entwickelt: D o p p e l s c h i l d oder Embryonalanlage, eigentlicher E m b r y o . Vierter Zeugungs-Akt: Das Bion (jetzt Embryo) erzeugt durch Wachsthum, Differenzirung und unvollständige L ä n g s t h e i l u n g zwei neue Individuen zweiter Ordnung (Organe), die beiden Medullarplatten oder Bückenwülste (rechte und linke Bückenplatte). Durch die gegenseitige Stellung derselben und die zwischen Beiden sich vertiefende Axenrinne (Primitivrinne) zerfällt der Embryo in zwei Form-Individuen dritter Ordnung (Antimeren) und wird dadurch selbst zu einem Ihdividuum vierter Ordnung: Metamer.
X. Parallele Strophogenesis der Fhanerogamen und Yertebraten.
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Vierte Generation: D a s B i o n i s t e i n morphologisches Individuum viert e r O r d n u n g ( M e t a m e r ) , welches aus z w e i Form - Individuen dritter Ordnung ( A n t i m e r e n ) zusammengesetzt ist: der e u d i p l e u r e E m b r y o mit den beiden Cotyledonen, welche denselben in linke und rechte SeitenhSlfte theilen und die drei Richtaxen bestimmen.
Vierte Generation: D a s B i o n i s t e i n morphologisches Individuum viert e r O r d n u n g ( M e t a m e r ) , welches aus z w e i Form - Individuen dritter Ordnung ( A n t i m e r e n ) zusammengesetzt ist: der e u d i p l e u r e E m b r y o mit der Primitivrinne und den beiden Medullarwülsten, welche denselben in linke und rechte Seitenhälfte theilen und die drei Bichtaxen bestimmen.
Fihißer Zeugungs-Akt: Das Bion (jetzt eudipleurer Embryo mit Cotyledonen) erzeugt durch wiederholte T e r m i n a l k n o s p e n b i l d u n g eine Kette von unvollständig getrennten Metameren, den Stengelgliedern (Internodieu). welche als „Plumula" die Grundlage eines Form - Individuums fünfter Ordnung bilden, des Sprosses (Blastos).
Fünfter Zeugungs-Akt: Das Bion (jetzt eudipleurer Embryo mit Primitivrinne und Medullarwülsten) erzeugt durch wiederholte T e r m i n a l k n o s p e n b i l d u n g eine Kette von unvollständig getrennten Metameren, den Urwirbeln, welche als „Urwirbelsäule" die Grundlage eines Form-Individuums fünfter Ordnung bilden, der Person (Prosopon).
Fünfte Generation: D a s B i o n a l s eudipleurer Embryo mit Cotyledonen und Plumula i s t e i n m o r p h o l o g i s c h e s I n d i v i d u u m f ü n f t e r O r d n u n g (Spross) und verlässt als solcher die Eibüllen, um sich ausserhalb derselben weiter zu entwickeln. Die junge einfache Pflanze besteht als Spross aus einem einzigen. aus Stengelgliedern zusammengesetzten Axorgan und aus seitlichen Blattorganen (Cotyledonen· und Blattanlagen der Plumula), welche durch ihre Stellung die Grundform bestimmen.
Fünfte Generation: Das Bion als eudipleurer Embryo mit Medullarrohr und Urwirbelsäule i s t e i n m o r p h o l o g i s c h e s I n d i v i d u u m f ü n f t e r O r d n u n g (Person) und hat als solcher den höchsten Grad der morphologischen Individualität erreicht, welcher im Wirbelthier-PhyIon vorkommt. Er verlässt als solcher die Eihüllen und entwickelt sich dnreh einfache Hypogenese weiter bis zum geschlechtsreifen Bion.
Sechster Zevgungs-Akt: Das Bion (jetzt vollständiger Spross [Blastos] oder einfache Pflanze) erzeugt durch l a t e r a l e K n o s p e n b i l d u n g neue Sprosse (Blasten), welche mit ihm in Verbindung bleiben und so ein Form - Individuum sechster und letzter Ordnung herstellen, einen Stock (Cormus). Sechste Generation: D a s B i o n als „zusammengesetzte Pflanze" oder S t o c k (Cormus) ist ein m o r p h o l o g i s c h e s I n d i v i d u u m s e c h s t e r O r d n u n g und hat als solches den höchsten Grad der morphologischen Individualität erreicht, welcher überhaupt vorkommt. Er entwickelt sich durch einfache Hypogenese (durch zusammengesetztes Wachsthum und Differenzirong) weiter bis zum geschlechtsreifen Bion.
110
Entwickelungsgeechichte der morphologischen Individuen.
Achtzehntes Capitel.
Entwicklungsgeschichte der morphologischen Individuen. „Betrachten wir alle Gestalten, besonders die organischen. so finden wir, dass nirgend ein Bestehendes, nirgend ein Rahendes, ein Abgeschlossenes vorkommt, sondern dass vielmehr Alles in einer stäten Bewegung schwankt. Das Gebildete wird sogleich wieder umgebildet, und wir haben uns, wenn wir einigermassen zum lebendigen Anschaun der Natur gelangen wollen, selbst so beweglich und bildsam zu erhalten, nach dem Beispiele, mit dem sie un* vorgeht" Goethe.
I.
Ontogenie der Piastiden.
Individuelle Entwickelungsgeechichte der Plasmastücke. Die Ontogenie der Piastiden oder Plasmastücke, der morphologischen Individuen erster Ordnung, ist die allgemeine Basis der gesammten individuellen Entwickelungsgeschichte. Da jeder Organismus als Bion oder physiologisches Individuum entweder durch eine einzige Plastide oder durch einen Complex von mehreren vereinigten Piastiden, also durch ein Form-Individuum zweiter bis sechster Ordnung repräsentirt wird, so lässt sich die Entwickelung desselben stets auf die Genesis der Piastiden zurückführen. Wie alle physiologischen Functionen des Organismus bei den monöplastiden Bionten die Functionen einer einzigen Plastide, bei den polyplastiden Bionten aber in letzter Instanz nichts Anderes sind, als das Resultat der Functionen aller Piastiden, welche denselben als Aggregat zusammensetzen, so gilt dies natürlich auch von denjenigen Lebenserscheinungen, auf welchen alle organische Entwickelung beruht, von der Zeugung, dem Wachsthum, der DifFerenzirung und Degeneration. Die Reihe von continuirlichen Formveränderungen, welche der concrete, sinnlich wahrnehmbare Ausdruck dieser Lebensbewegungen und das reale Object der individuellen Entwickelungsgeschichte ist, lässt sich demgemäss in letzter Instanz ebenfalls als das nothwendige Gesammtresultat aller derjenigen Formver-
I.
Ontogenie der Piastiden.
Ill
Änderungen ansehen, welche an den constituirenden Piastiden, den Cytoden und Zellen, verlaufen. Dieses wichtige Gesetz gilt sowohl von der Structur als von der Grundform aller Individuen zweiter bis sechster Ordnung. Sowohl die tectologischen als die promorphologischen Verhältnisse jedes Individuums, welches einer der fünf höheren Individualitäts-Ordnungen angehört, sind unmittelbar abhängig von den bestimmenden Verhältnissen der nächstniederen constituirenden Individualitäts-Ordnung, und also in letzter Instanz allemal von den Piastiden. Wie die vollendete Form, so muss sich auch die werdende verhalten, und so ist in der That die Entwickelung aller zusammengesetzten Individuen, vom Organ bis zum Cormus, unmittelbar bedingt durch die Plastidogenesis. Diese Andeutungen mögen genügen, um wiederholt auf die ausserordentlich hohe und fundamentale Bedeutung hinzuweisen, welche die Plastidogenie für die Entwickelungsgeschichte aller FormIndividuen zweiter bis sechster Ordnung und somit für die gesammte Ontogenie besitzt. Die physiologischen F u n c t i o n e n , auf denen die Entwickelung der Piastiden beruht, sind dieselben wie bei allen übrigen Individualitäten, nämlich Vorgänge der Zeugung, des Wachsthums, der Differenzirung und der Degeneration (vergl. S. 72—76). Da von den drei letzteren Entwickelungsfunctionen sich sehr wenig Allgemeines aussagen lässt, was nicht schon im Vorhergehenden erwähnt wäre, so werden wir auf dieselben sowohl hier bei den Piastiden, als auch nachher bei den FormIndividuen zweiter bis sechster Ordnung, nur einen flüchtigen Seitenblick werfen, und dagegen vorzugsweise die Entstehung der Individuen durch verschiedene Arten der Zeugung berücksichtigen, welche wesentlichere und allgemeiner zu unterscheidende Differenzen bei den verschiedenen Organismen zeigt. Nächst der Zeugung ist es vorzüglich die Differenzirung, welche das meist« Interesse darbietet, jedoch im Einzelnen schon zu viel tiefgreifende Verschiedenheiten selbst bei nächstverwandten Organismen zeigt, als dass eine allgemeine vergleichende Behandlung derselben schon jetzt sehr fruchtbar erscheinen könnte. Wir werden aus diesen Gründen auf eine gleichmässig eingehende Behandlung aller vier verschiedenen Entwickelungsfunctionen bei dem ganz allgemeinen und flüchtigen Ueberblicke, den die Entwickelungsgeschichte der morphologischen Individuen gegenwärtig zu gewähren vermag, verzichten müssen. Dasselbe gilt in noch höherem Grade von den drei verschiedenen S t a d i e n d e r E n t w i c k e l u n g , welche wir im Vorhergehenden unterschieden haben, der Aufbildung (Anaplasis), der Umbildung (Metaplasie) und der Rückbildung (Cataplasis). Welche grossen Schwierigkeiten auch bei der allgemeinsten Betrachtung einer scharfen Trennung dieser drei Stadien entgegenstehen, ist daselbst bereits erwähnt. Die Ontogenie der Individuen aller verschiedenen Ord-
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Entwickelungsgeechichte der morphologischen Individuen.
nungen legt uns diese Hindernisse überall in unseren "Weg, wenngleich an verschiedenen Stellen in verschiedenem Maasse. Die mechanische Entwickelungsgeschichte der Zukunft, welche strenger den Causalnexus der ontogenetischen Erscheinungen erfasst haben wird, kann mit mehr Aussicht auf Erfolg den allgemeinen Versuch einer durchgreifenden Trennung und vergleichenden Darstellung der verschiedenen Stadien der Ontogenesis unternehmen, als es uns gegenwärtig möglich sein würde. Wir verzichten daher hier vollständig auf eine scharfe Charakteristik der ontogenetischen Stadien, und wenden uns bloss zu ihren allgemeinen Functionen. Die P l a s t i d o g e n i e 1 ) oder die Entwickelungsgeschichte der Plastiden ist, wie die gesammte Plastidologie oder die sogenannte Histologie eine noch sehr junge Wissenschaft, welche erst seit der Begründung der Zellentheorie durch Schleiden (1837) und Schwann (1839) ihr noch weit entferntes Ziel mit Bewusstsein zu verfolgen beginnen konnte. Allerdings ist nun in den drei seitdem verflossenen Decennien durch die reichen empirischen Beiträge zahlloser Einzelforscher die Histologie rasch zu einem ungeheuren Umfang angeschwollen. Indessen ist der wirklich wissenschaftliche Kem, das bleibend werthvolle Endresultat dieses colossalen Materials verhältnissmässig nur ein sehr geringes, da man allgemein viel zu einseitig bestrebt war, Einzelheiten zu sammeln, ohne an die allgemeinen Gesetze zu denken, die sich aus ihnen ergeben sollen. Den meisten Mikroskopikern war es hauptsächlich darum zu thun, möglichst viele neue und seltsame Zellenformen aufzufinden und in der Darstellung und Benennung dieser Formen dieselbe Formenspielerei zu treiben, welche sie bei den makroskopischen descriptiven „Systematikern" verachteten. Nur eine geringe Anzahl von Histologen hat bisher gründlich vergleichende und denkende Beobachtungsreihen angestellt und nur sehr Wenige sind bisher bestrebt gewesen, in dem Chaos der unendlich mannichfaltigen Zellenformen das Gemeinsame ihrer Bildungsgesetze zu erkennen. Daher hat man auch der Entwickelungsgeschichte der Piastiden verhältnissmässig viel weniger Aufmerksamkeit, als ihrer Anatomie geschenkt, zumal dieselbe eine weit intensivere Beobachtung und denkendere Betrachtung erforderte, als bei den Meisten beliebt, und als zu der blossen Beschreibung der 1 ) Die Entwickelungsgeschichte der morphologischen Individuen erster Ordnung oder der Piastiden (Cytoden und Zellen) wird gewöhnlich als Entwickclungsgeschichte der Gewebe oder als H i s t o g e n i e bezeichnet. Jedoch ist der Begriff des „Gewebes", wie wir im neunten Capitel gezeigt haben, keiner scharfen Definition fähig; da man unter den einfachen oder niederen Geweben nur die verschiedenen Formen („Arten") der Plastiden, unter den zusammengesetzten oder höheren Geweben aber bereits Individuen zweiter Ordnung oder Organe (Zellfusionen, Zellstöcke, einfache Organe etc.) versteht. Schon aus diesem Grunde erscheint es passend, den gebräuchlichen Namen der Histogenie durch den schärfer und umfassender bezeichnenden Begriff der P l a s t i d o g e n i e zu ersetzen.
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fertigen Elementartheile erforderlich ist. Und doch ist der hohe Werth, den die Entwickelungsgeschichte der Organismen für das Yerständniss ihrer Structur, den die Kenntniss des Werdens fiir die Erkenntniss des Gewordenen besitzt, nirgends von solcher fundamentalen Bedeutung, als bei den organischen Individuen erster Ordnung, aus denen sich alle höheren erst zusammensetzen. Als den wesentlichen, charakteristischen und nie fehlenden Formbestandtheil aller Plastiden haben wir im neunten Capitel ein zusammenhängendes Plasmastück oder einen Plasmaklumpen nachgewiesen, d. h. ein individuelles Aggregat von Molekülen jener complicirt zusammengesetzten, festflüssigen Eiweiss-Verbindung, welche wir in allen Fällen als den eigentlichen „Lebensstoff1', als das materielle active Substrat der Lebensbewegungen betrachten müssen. Besteht der ganze active Piastidenkörper bloss aus einem solchen Plasmaklumpen, so nennen wir ihn Cytode; hat er sich dagegen in einen centralen Kern und eine peripherische Plasma-Substanz differenzirt, so nennen wir ihn Zelle. Wie alle Functionen, alle activen Lebenserscheinungen der Plastiden, so geht auch ihre Entwickelung, so gehen auch die Functionen der Zeugung und des Wachsthums, der Differenzirung und der Degeneration lediglich von jenem activen Bestandteile aller Plastiden aus, bei den Cytoden also allein vom Plasma, bei den Zellen vom Plasma und zugleich vom Kern. Die Entwickelungsgeschichte der Cytoden sowohl als der Zellen muss daher alle Formveränderungen, welche an diesen Form-Individuen erster Ordnung vor sich gehen, als das nothwendige Resultat der Bewegungs-Erscheinungen zu erkennen suchen, welche von den Molekülen der Eiweiss-Verbindungen ausgehen, die sowohl das Plasma, als den Nucleus constituiren. Sowohl die Anaplase, die Entstehung und Aufbildung der Plastiden, als ihre Metaplase und Cataplase, ihre Umbildung und Rückbildung, werden in erster Linie immer durch chemisch-physikalische Veränderungen jener activen Albuminate bewirkt, denen alle anderen Gewebsbestandtheile als passive „PlasmaProducte" gegenüberstehen (vergl. Bd. I, S. 279). Die Plastidogenesis beginnt mit der E n t s t e h u n g der P l a s t i den durch Zeugung. Sowohl bei den Cytoden als bei den Zellen wird diese in der Regel durch Spaltung, und zwar meistens durch Zweitheilung vorhandener Plastiden bewirkt. Die Zellen können immer nur entweder aus vorhandenen elterlichen Zellen oder aus Cytoden erzeugt werden, wogegen die Cytoden ausser der parentalen Zeugung auch durch Urzeugung oder Archigonie entstanden sein müssen. Bei der ausserordentlich hohen Bedeutung, welche diese ersten Anfänge der organischen Entwickelung für die gesammte Ontogenie haben, wollen wir hier nochmals kurz darauf zurückkommen, und die Genesis der Cytoden und der Zellen gesondert ins Auge fassen. E a e c k e l , Generelle Morphologie, II.
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Entwicklungsgeschichte der morphologischen Individuen.
Die C y t o d e n , als die niedrigsten aller organischen Individuen, deren activer Körper lediglich aus einem einfachen, nicht differenzirten Plasmastücke besteht, sind für uns hier deshalb von besonderer Bedeutung, weil ihre einfachsten Formen, die homogenen, structurlosen Moneren, die einzigen Organismen sind, welche wir uns durch Urzeugung entstanden denken können. Mit diesen muss nothwendig das Leben auf unserer Erde zu irgend einer Zeit zum ersten Male begonnen haben, und zwar mit derjenigen Form der Archigonie, welche wir oben als Autogonie erörtert haben (Bd. I, S. 179). Wie wir dort ausführten, müssen wir uns die A u t o g o n i e oder Selbstzeugung der Moneren als einen physikalisch-chemischen, der Krystallisation analogen Akt denken, durch den in einer Flüssigkeit, welche (analog einer Mutterlauge) die zur Constitution der complicirten Eiweiss-Verbindungen gehörigen Stoffe gelöst enthält, diese unter bestimmten Bedingungen wirklich zur Bildung von Eiweiss-Molekülen zusammentreten. Durch die Aggregation einer Summe von solchen Eiweiss-Molekülen zu einem individuellen, räumlich begrenzten, und lebenden, d. h. sich ernährenden (und durch Spaltung fortpflanzenden) Körper entsteht autogon eine Cytode einfachster Art, ein Moner. Die Hypothese dieser Autogonie ist für uns ganz unentbehrlich. Denn die allgemein angenommene Erdbildungstheorie von K a n t und L a p l a c e involvirt selbstverständlich die Annahme, dass das Leben auf der Erde zu irgend einer Zeit einmal einen Anfang hatte, und diesen Anfang können wir uns nicht als „Schöpfung", sondern nur als Urzeugung (Generatio spontanea), und Zwar nur als Autogonie denken. Die noch jetzt lebenden Moneren, die Protamoeben, Protogeniden, Vibrionen, Protomonaden etc. führen uns die wahrscheinliche, oder doch die mögliche Beschaffenheit jener autogonen Cytoden unmittelbar vor Augen (vergl. S. 33). Ob ausser der Autogonie, durch welche nothwendig die ersten lebenden Organismen auf unserer Erde, die autogonen Moneren, entstanden sein müssen, auch die andere Form der Urzeugung, die P l a s m o g o n i e , zur Entstehung von elternlosen Cytoden die Veranlassung gegeben hat, und vielleicht noch giebt, ist nicht festgestellt. Die Plasmogonie unterscheidet sich von der Autogonie, wie wir oben sahen (S. 34), dadurch, dass die eiweissartigen Kohlenstoß1-Verbindungen, aus welchen die Cytoden entstehen, bereits in bildungsfähigem Zustande in der Bildungsflüssigkeit (Cytoblastema) gelöst sind. Wenn die Bildung der Gährungspilze, wie sie nach S c h l e i d e n und S c h w a n n in gährenden Flüssigkeiten durch Archigopie erfolgen sollte, richtig wäre, so würde dieser Vorgang als eine echte Plasmogonie aufzufassen sein. Obgleich durch das herrschende Dogma von der Unmöglichkeit der Urzeugung jetzt allgemein zurückgedrängt, existirt diese Plasmogonie vielleicht heute dennoch thatsächlich, selbst in weiterer Ausdehnung.
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Jedenfalls schliesst sich die empirisch festgestellte Emplasmogonie der Zellen, welche sogleich noch zu erwähnen ist, unmittelbar an dieselbe an. Bie weitere Entwickelung der archigonen Cytoden können wir uns zunächst nur denken als ein einfaches Wachsthum derselben bis zu einem gewissen Maasse. Wie die Autogonie im Ganzen der Krystallisation, so haben wir auch dieses Wachsthum der Moneren dem Wachsthum der Krystalle oben eingehend verglichen (Bd. I, S. 142 ff.). Der wesentliche Unterschied zwischen beiden liegt nur darin, dass bei den festen Krystallen das Wachsthum durch Apposition, bei den festflüssigen Moneren dagegen durch Intussusception erfolgt. Wenn das Wachsthum des Moneres bis zu einem Maasse fortschreitet, welches die Cohäsion aller Eiweiss-Moleküle zu einer einzigen Masse nicht mehr gestattet, so zerfällt dasselbe in mehrere; es entstehen durch Spaltung der elterlichen Cytode zwei oder mehrere neue, kindliche Cytoden; das Wachsthum geht über in die Fortpflanzung. Die S p a l t u n g der Cytoden, welche gegenwärtig der gewöhnliche Vorgang ihrer Vermehrung ist, besteht allgemein darin, dass die Cytode (gleichviel ob sie autogon oder durch Spaltung aus einer anderen Cytode entstanden ist) in zwei oder mehrere Cytoden zerfällt, sobald sie die Grenze ihres individuellen Wachsthums überschreitet. Sobald die Cohäsion der Eiweiss-Moleküle, welche durch Intussusception von der wachsenden Cytode aufgenommen und dem Attractionscentrum zugeführt werden, nicht mehr ausreicht, die gesammte Masse als Individuum zusammenzuhalten, bilden sich zwei oder mehrere neue Attractionscentra, um welche sich die Plasma-Moleküle in zwei oder mehreren getrennten Haufen sammeln. Die äussere Form der CytodenSpaltung ist sehr mannichfaltig. Am häufigsten ist die Theilung, seltener die Knospenbildung derselben. Bei der Theilung zerfällt die ganze Cytode entweder in zwei (Dimidiatio) oder in mehrere (Diradiatio) gleiche Theile, die entweder gleich bleiben oder sich nachträglich differenziren können. Bei der Knospenbildung dagegen spaltet sich in Folge localen, partiellen Wachsthums ein einzelnes Stück der Cytode als Knospe von der elterlichen Cytode ab. Bei vielen niedersten, besonders monocytoden Organismen-Arten (Protisten, Algen) scheint dieser einfachste Zeugungsmodus der Spaltung die einzige Propagationsform der Cytode zu sein. Bei anderen dagegen vermehrt sich die Cytode auch durch Keimbildung oder Sporogonie. Es bilden sich dann im Inneren der Cytode mehrere selbstständige (centralisirte) Plasmaklumpen, welche als „Keimkörner" oder Sporen aus dem elterlichen Körper heraustreten und sich ausserhalb desselben zu neuen Individuen seines Gleichen durch Wachsthum ergänzen. Sehr häufig geht dieser Sporogonie der Cytoden eine Con8*
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j u g a t i o n o d e r C o p u l a t i o n derselben voraus: Zwei selbstständige Cytoden verschmelzen mit einander und in dem verschmolzenen Plasma entstehen Keimkörner, wie bei der Keimbildung; so ζ. B. bei manchen Pilzen und kernlosen Algen. Dieser Vorgang ist wesentlich von der einfachen Sporogonie dadurch verschieden, dass nicht die einzelne Plastide für sich, sondern erst in Verbindung mit einer anderen, fortpflanzungsfähig wird. Er bereitet die geschlechtliche Zeugung vor oder kann auch schon als deren Beginn betrachtet werden. Die Z e l l e n , oder die kernhaltigen Piastiden, können eigentlich niemals unmittelbar, gleich den kernlosen Cytoden, durch Urzeugung oder Archigonie entstehen, da ihre Zusammensetzung aus zwei differenten Materien, Kern und Plasma, immer bereits einen stattgefundenen Differenzirungsprocess voraussetzt. Diejenige Form der Zellenentstehung, welche sich der Archigonie am nächsten anschliesst, ist die sogenannte „ f r e i e Z e l l e n b i l d u n g " , welche besser als „ e m p l a s m a t i s c h e Z e l l e n b i l d u n g oder E m p l a s m o g o n i e " bezeichnet wird. Es besteht dieser wichtige und merkwürdige Modus der Cytogonie darin, dass in einer formlosen Eiweissmasse, ζ. B. in derjenigen, welche durch Histolyse der Fliegenlarve entsteht, ferner im Plasma des Embryosacks der Phanerogamen, durch Aggregation von Plasma-Molekülen sich Kerne bilden, welche als Attractionscentra auf das umgebende Plasma wirken, sich mit einer Plasmahülle, oft noch äusserlich mit einer Membran umgeben, und so zu Zellen werden. Der wesentliche Unterschied zwischen dieser Emplasmogonie und der wirklichen Urzeugung in einer organischen Bildungsflüssigkeit (Plasmogonie) liegt darin, dass bei letzterer das productive Plasma ausserhalb, bei ersterer innerhalb eines bestehenden Organismus liegt. Allein der Entstehungsprocess eines individuellen, lebendigen, activen Plasmakörperchens durch Aggregation von Plasma-Molekülen, bedingt durch einfache physikalische Gesetze der Massen-Anziehung und Abstossung, ist in beiden Fällen derselbe. Ebenso wie wir dadurch bei der empirisch festgestellten Emplasmogonie mitten im structurlosen Plasma geformte Kerne (die Centra der Zellen) entstehen sehen, ebenso können wir uns dadurch bei der hypothetischen Plasmogonie mitten in dem structurlosen Cytoblastem geformte Cytoden einfachster Art entstehend denken, welche durch einen nachfolgenden Differenzirungsprocess von Kern und Plasma zu Zellen werden. Die unmittelbare E n t s t e h u n g von Z e l l e n a u s C y t o d e n durch Differenzirung von Kern und Plasma, wie wir sie hier hypothetisch als ursprünglichen Entstehungsmodus der ersten Zellen voraussetzen, scheint übrigens, auch abgesehen von jener Emplasmogonie, thatsächlich noch jetzt weit verbreitet zu sein. Wenn die von den meisten Embryologen noch gegenwärtig behauptete Thatsache wirklich richtig ist, dass in
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dem ersten Entwickelungsstadium des thierischen Eies gewöhnlich das Keimbläschen oder der Eikern nicht unmittelbar in die beiden Kerne der zwei ersten Furchungskugeln sich spaltet, sondern vielmehr in dem Plasma (Dotter) der Eizelle sich vorher auflöst, so wird diese letztere dadurch zur Cytode, und wenn sie durch Neubildung eines neuen Kernes im Plasma wiederum zur Zelle wird, so müssen wir diesen Vergang zweifelsohne als eine „ E n t s t e h u n g einer Zelle aus einer Cytode durch D i f f e r e n z i r u n g von P l a s m a und Kern" ansehen. Die S p a l t u n g der Zellen ist der gewöhnliche Vorgang ihrer Entstehung. Sie besteht allgemein darin, dass die Zelle (gleichviel ob sie durch Differenzirung aus einer Cytode oder durch Spaltung aus einer anderen Zelle entstanden ist), in zwei oder mehrere Zellen zerfällt, sobald sie die Grenze ihres individuellen Wachsthums überschreitet. In den allermeisten Fällen, wahrscheinlich sogar immer, geht der Spaltung der ganzen Zelle eine Spaltung des Kernes vorher, so dass der ganze Spaltungsvorgang der Zelle in zwei Akte zerfällt: I) Spaltung des Kernes, II) Spaltung des Plasma, welches den Kern umgiebt. Es entstehen also zunächst in der sich theilenden einfachen Zelle, deren einer Kern einen einheitlichen Lebensheerd repräsentirt und das Ganze als Individuum zusammenhält, zwei oder mehrere Kerne, indem der eine ursprüngliche Kern sich theilt. Jeder der neuen Kerne wirkt sofort als Attractionscentrum auf die nächstgelegenen, zunächst ihn umschliessenden Piasmatheile, welche sich um ihn ansammeln und so die Spaltung der ganzen Zelle herbeiführen. Trotz der grossen Mannichfaltigkeit, welche die Spaltung der Zellen bei den verschiedenen Organismen-Arten zeigt, kann man dennoch alle verschiedenen Formen derselben entweder als Theilung (Divisio) oder als Knospenbildung (Gemmatio) auffassen. Die T h e i l u n g der Zellen, welche besonders im Thierreiche sehr allgemein verbreitet ist, wird eingeleitet durch Theilung des Zellenkernes. Erst nachher zerfällt auch das Plasma und somit die ganze Zelle in zwei oder mehrere gleiche Theile, die entweder gleich bleiben oder sich nachträglich differenziren können. Leicht zu verfolgen ist die Zweitheilung bei den Blutzellen der Embryonen, bei vielen Epithelzellen, Furchungskugeln etc. Es sammelt sich um jeden der durch Theilung des ursprünglichen Kernes neugebildeten Kerne eine gleiche Quantität von Plasma an; die beiden Kerne weichen auseinander, und zwischen ihnen entsteht eine Spaltungsebene, welche auch die beiden Plasmahälften von einander trennt. Offenbar wirken hier die Kerne als active Attractionscentra auf das umgebende Plasma ein. Die Spaltungsebene ist entweder ideal und führt zu einer vollständigen räumlichen Trennung beider Theilproducte, oder sie ist real und wird durch eine Scheidewand gebildet, welche (gewöhnlich von der Membran der Mutterzelle aus-
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wachsend) die beiden Tochterzellen trennt und zugleich in Contiguität vereinigt erhält. Wenn die Zellenmembran oder die äussere Hülle der Mutterzelle bei ihrem Zerfall in Tochterzellen ungetheilt bleibt, wie ζ. B. bei den Knorpelzellen, Furchungskugeln und vielen Pflanzenzellen, hat man diese unwesentliche Modification der Zellentheilung als einen besonderen Modus der Zellenvermehrung unter dem Namen der endogenen Z e l l e n b i l d u n g unterschieden. Seit jedoch neuerdings die richtige Auffassung von der secundären Bedeutung der Zellenmembran allgemeiner geworden ist, hat jener Modus seinen früheren Werth verloren. Gewöhnlich ist die Zellentheilung Z w e i t h e i l u n g , und zwar bald indefinite, bald longitudinale, bald transversale, bald diagonale Halbirung. Selten ist S t r a h l t h e i l u n g der Zellen (Diradiation), wobei dieselben gleichzeitig in drei oder mehrere gleiche Stücke zerfallen, ζ. B. die F.pithelialcylinder im Darme der Froschlarven. Die K n o s p e n b i l d u n g der Zellen ist besonders im Pflanzenreiche sehr verbreitet: die ganze Zelle zerfällt hierbei zunächst in zwei oder mehrere ungleiche Theile, die entweder ungleich bleiben oder nachträglich gleich werden können; so ζ. B. bei allen Pflanzenzellen, bei denen das Wachsthum einseitig in einer bestimmten Richtung fortschreitet, und die Gipfelzellen, welche sich von den vorhergehenden Mutterzellen abschnüren, zu diesen sich gleich anfänglich wie Knospen verhalten. Es sammelt sich hier um jeden der durch Theilung des ursprünglichen Kernes neugebildeten Kerne eine ungleiche Quantität von Plasma an. Von den Botanikern wird zwar auch diese Spaltungsart der Zelle gewöhnlich als „Zelltheilung" bezeichnet. Indessen können wir dieselbe nur dann mit vollem Rechte so nennen, wenn das Wachsthum, welches die Theilung der Mutterzelle einleitet, ein totales ist, und wenn diese dann in zwei oder mehrere gleiche, coordinirte Tochterzellen von gleichem Alter und Werthe zerfällt. Wenn dagegen, wie es bei der sogenannten Theilung der Pflanzenzellen sehr häufig der Fall ist, das einleitende Wachsthum nur ein einseitiges oder partielles ist, und wenn demgemäss die beiden Theilproducte (Tochterzellen) von ungleichem Alter und Werthe sind, die eine der anderen subordinirt, so müssen wir folgerichtig diesen Process als Knospenbildung auffassen, und die jüngere Tochterzelle, welche sich von dem älteren Reste der Mutterzelle abschnürt, als Knospe. Dies ist ζ. B. sehr klar bei der von den Botanikern sogenannten Zelltheilung der Algenfaden und der Fadenzellen der Nematophyten (Pilze und Flechten). Auch der Unterschied von terminaler und lateraler Knospenbildung der Zellen tritt bei den langgestreckten Fadenzellen dieser Thallophyten sehr schön hervor. Nicht minder deutlich ist dies an den langgestreckten cylindrischen Zellen vieler Phanerogamen (ζ. B. Haaren) zu unterscheiden. Viel seltener als bei den Pflanzen ist die Fortpflanzung der Zellen durch
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Knospenbildung bei den Thieren, wo als bekanntestes Beispiel gewöhnlich die Eier der Nematoden angeführt werden. Während die Entstehung der Zellen durch Spaltung (entweder Theilung oder Knospenbildung) die bei weitem häufigste Zeugungsart der Zellen ist, und zwar namentlich bei den Parenchymzellen der Thiere und Pflanzen, findet sich endlich daneben noch ein anderer Zeugungsmodus von Zellen, welcher vorzüglich für viele Protisten wichtig ist und hier auch oft allein die Fortpflanzung der Art vermittelt (ζ. B. bei vielen Protoplasten und Flagellaten, auch bei eizelligen Algen). "Wir glauben denselben als K e i m b i l d u n g o d e r S p o r o g o n i e der Zellen (und zwar als Monosporogonie oder Keimplastidenbildung) bezeichnen zu können. Es bilden sich in der zeugenden Zelle neben dem Kerne oder nach dessen Auflösung selbstständig im Plasma neue Kerne. Jeder neugebildete Kern wirkt wieder als Anziehungsmittelpunkt auf die benachbarten Plasma-Moleküle, welche dadurch von dem elterlichen Plasma abgelöst und zu neuen Zellen werden. Diese treten als Sporen aus der berstenden Mutterzelle hervor (ζ. B. Hydrocytien, Gregarinen, Flagellaten). Nicht selten geht dieser Sporogonie eine C o n j u g a t i o n o d e r Cop u l a t i o n d e r Zellen voraus, welche ebenfalls vorzüglich bei den Protisten und bei den niederen Algen verbreitet ist. Sie unterscheidet sich von allen vorhergegangenen Zeugungsformen der Zellen wesentlich dadurch. dass nicht die einzelne Zelle für sich vermehrungsfähig ist, sondern erst nach ihrer Verbindung mit einer anderen Zelle. Es verschmelzen zwei Zellen theilweis oder völlig mit einander, die Kerne der beiden verschmolzenen Zellen lösen sich gewöhnlich auf, und in dem verschmolzenen Plasma entstehen, wie bei der Keimbildung, neue Kerne, um welche sich Plasma-Portionen ansammeln. Es sind also diese kindlichen Zellen durch die Verbindung zweier elterlichen erzeugt. Ist die Verschmelzung der beiden zeugenden Zellen vollständig, wie bei den Gregarinen, so nennen wir sie Copulation. Ist sie unvollständig, wie bei den Desmidiaceen, Conjugation. Wir erblicken darin den ersten Schritt zur geschlechtlichen Zeugung. Da das Wesen der letzteren lediglich in der Notwendigkeit beruht, dass Plasma-Stofife von zwei verschiedenen elterlichen Individuen sich vereinigen müssen, um die neuen kindlichen Individuen zu erzeugen, so können wir die Copulation der Piastiden, welche gleicherweise bei den Zellen, wie bei den Cytoden stattfindet, in der That als „ g e s c h l e c h t l i c h e Z e u g u n g d e r P l a s t i d e n " von den drei vorher aufgeführten ungeschlechtlichen Zeugungsformen trennen fvergl. oben S. 62). Das W a c h s t h u m der P i a s t i d e n , welches wir als die zweite fundamentale Entwickelungs-Function hier unmittelbar auf die Zeugung folgen lassen, besteht in allen Fällen darin, dass die Plastide durch
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Aufnahme neuer Stoff-Moleküle von aussen und Assimilation derselben ihr Volum vermehrt, sich vergrössert. Das Wachsthum der morphologischen Individuen erster Ordnung ist daher stets ein e i n f a c h e s W a c h s t h u m (Crescentia s i m p l e x , primaria) und, wie wir oben zeigten (S. 73), wesentlich von dem z u s a m m e n g e s e t z t e n W a c h s thum verschieden, durch welches sich die Form-Individuen zweiter bis sechster Ordnung vergrössern. Diese letzteren wachsen stets nur mittelbar, indirect, durch die wiederholten Zeugungsprocesse und das unmittelbare Wachsthum der constituirenden Piastiden. Aus diesem Grunde können wir die C r e s c e n t i a composita (secundaria) aller Organe, Antimeren, Metameren, Personen und Stöcke lediglich als die secundäre, nothwendige Folge des primären, unmittelbaren Wachsthums der Piastiden ansehen. Dieses letztere aber, welches demnach als der einzige unmittelbare Wachsthumsprocess aller organischen Körper erscheint, ist in seinen einfachsten Formen nicht wesentlich von dem Wachsthum der Krystalle verschieden und lässt sich auf. einfache Vergrösserung des Individuums durch Anziehung fremder Theile zurückführen (vergl. Bd. I, S. 141). Die D i f f e r e n z i r u n g s - P r o c e s s e der P i a s t i d e n sind für die gesammten Differenzirungs-Erscheinungeu aller übrigen Individualitäten (zweiter bis sechster Ordnung) von ebenso hervorragender und fundamentaler Bedeutung, wie das einfache Wachsthum der ersteren für das zusammengesetzte Wachsthum der letzteren. In der That sind sämmtliche Divergenz-Erscheinungen, alle Akte der Arbeitstheilung oder des Polymorphismus, welche wir während der individuellen Entwickelung an den Organen, Antimeren, Metameren, Personen und Stöcken auftreten· sehen, nichts weiter, als die unmittelbaren Wirkungen und die nothwendigen Resultate der gesammten Differenzirungs-Processe, welche an den constituirenden Piastiden (Cytoden und Zellen) ablaufen. Die "Veränderungen aber, welche wir an diesen letzteren schnell und in kurzer Zeit vor unseren Augen vor sich gehen sehen, sind nichts Anderes, als kurze Wiederholungen der gleichen Veränderungen, welche die Voreltern dieser Piastiden langsam und in langen geologischen Perioden während ihrer paläontologischen Entwickelung durchlaufen haben. Diese Veränderungen sind lediglich durch die mechanisch wirkenden Ursachen der Anpassung und Vererbung bedingt, und durch natürliche Züchtung im Kampfe um das Dasein erworben. Man pflegt in der neueren Histologie die sämmtlichen Differenzirungs-Processe der Piastiden als „Metamorphose der Zellen" (richtige;· Piastiden) zusammenzufassen. Diese Metamorphose der Piastiden, wie wir sie während des schnellen Laufes der individuellen Entwickelung Schritt für Schritt verfolgen können, ist nicht, wie sie von den Meisten angesehen wird, ein räthselhafter, auf unbekannten Ursachen beruhender, ganz
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eigentümlicher Lebensakt. Vielmehr ist sie eine mechanisch-physiologische Function, causal begründet in den Naturgesetzen der Anpassung und der Vererbung, welche auf Ernährungsfunctionen beruhen. Der physiologische Polymorphismus oder die Arbeitsteilung, welche im Laufe zahlreicher Generationen sich unter den alten Vorfahren der betreffenden Plastiden allmählich durch natürliche Züchtung im Kampfe um das Dasein ausgebildet h a t , lässt die Spuren seiner phylogenetischen oder paläontologischen Entwickelung uns noch heutzutage in der Metamorphose oder morphologischen Differenzirung der heutigen Plastiden erkennen. Wie uns nun diese Erwägung — und sie allein! — das richtige Verständniss für die Differenzirung der Plastiden oder die sogenannte Zellenmetamorphose eröffnet, so liefert sie uns zugleich den Schlüssel für die Erklärung der Differenzirungs-Phänomene an sämmtlichen übrigen Individualitäten (zweiter bis sechster Ordnung). Auf die unendlich mannichfaltigen Vorgänge der Differenzirung der Plastiden im Einzelnen einzugehen, oder auch nur die verschiedenen Modificationen ins Auge zu fassen, welche dieselben bei der Ontogenie der Individuell in den verschieden grösseren Organismengruppen darbieten, ist hier nicht der Ort. Wir wollen daher nur ganz kurz Folgendes hervorheben. Gänzlicher Mangel von Differenzirung findet sich bei den Moneren, jenen einfachsten aller Organismen, welche bloss aus einem homogenen und structurlosen Plasmaklumpen bestehen. Bei diesen beschränkt sich die ganze Ontogenie des Individuums auf seine Entstehung durch den Zeugungsakt und auf sein einfaches Wachsthum. Nachdem dies eine bestimmte Grenze erreicht hat, zerfällt das Moner, ohne sich differenzirt zu haben, in zwei Moneren u. s. w. Ganz ebenso verhalten sich auch die embryonalen Cytoden und Zellen der meisten Organismen, sowohl die eigentlichen „Furchungskugeln", als die aus diesen zunächst hervorgehenden indifferenten Plastiden. Die Vermehrung derselben geht so rasch vor sich, dass sie durch Spaltung in kindliche Plastiden zerfallen, ehe noch irgend welche Differenzirung eingetreten ist. D i e D i f f e r e n z i r u n g d e r C y t o d e n , der kernlosen Plastiden, ist im Ganzen bei weitem weniger mannichfaltig, als diejenige der Zellen. Zunächst äussert sie sich meistens in einer partiellen oder totalen Encystirung der Cytode; diese bildet sich eine unvollständige oder vollständige Schale oder Hülle, d. h. die Gymnocytode wird zur Lepocytode, zum kernlosen Schlauche oder Hautklumpen. Eine vollständige Hülle, ein geschlossenes Säckchen, bilden sich ζ. B. die langgestreckten fadenförmigen Cytoden (sogenannten Fadenzellen) der Nematophyten. Eine unvollständige Hülle (und zwar meistens eine sehr complicirt gebaute Kalkschale mit vielen Oeffnungen) bilden sich die Cytoden, welche die actuellen Bionten der meisten Acyttarien repräsentiren
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(Polytbalamien und Athalamien). Andere Differenzirungs-Processe der Cytoden können zur Bildung von festgeformten Inhaltsbestandtheilen („inneren Plasma -Producten") führen, ζ. B. von Fettkörnern, Pigmentkörnern, Cellulose-Fäden, welche das Plasma der Cytode durchsetzen (ζ. B. bei Cuulerpa) etc. Der wichtigste aber von allen Differenzirungsprocessen, welche die Cytode treffen können, ist die Divergenz des Plasma in zwei verschiedene Eiweisskörper, in einen inneren Kern (Nucleus) und ein äusseres Plasma (Protoplasma) im engeren Sinne. Dadurch wird die Cytode zur Zelle. Die D i f f e r e n z i r u n g d e r Z e l l e n , der kernhaltigen Piastiden, übertrifft an unerschöpflicher Mannichfaltigkeit bei weitem diejenige der Cytoden. Die Ursache dieser weit grösseren Entwickelungsfähigkeit liegt offenbar zunächst und ursprünglich in dem wichtigen Gegensatze und der beständigen Wechselwirkung von Nucleus und Plasma, deren Differenzirung die Zelle von der homogenen Cytode so wesentlich unterscheidet. Indem der Zellenkern als hauptsächlicher Träger der Fortpflanzungs- und somit der Vererbungs-Erscheinungen, das Plasma der Zelle dagegen als das besondere Substrat der Ernährungs- und somit der Anpassungs-Erscheinungen wirksam ist, vermögen Beide zusammen durch diese Arbeitstheilung weit mehr zu leisten, als es dem homogenen, nicht differenzirten Plasma der kernlosen Cytode für sich allein möglich ist. Die unendlich mannichfaltigen Differenzirungs-Producte der Zellen, welche durch die fundamentale und höchst wichtige Arbeitstheilung des Nucleus und Plasma entstehen, haben wir im neunten Capitel als Plasma-Producte im weitesten Sinne zusammengefasst, und auf zwei natürliche Gruppen, innere und äussere Plasma-Producte, vertheilt. Als äussere Plasma-Producte, welche man gewöhnlich als „Ausscheidungen" des Plasma zu betrachten pflegt, fassten wir die sogenannten „Zellenmembranen" und „Intercellularsubstanzen" zusammen, welche in keiner Weise scharf von einander getrennt werden können. Als innere Plasma-Producte bezeichneten wir den sogenannten „Zellsaft" und „Zellinhalt", kurz alle diejenigen, theils formlosen, theils geformten Producte des Plasma, welche durch Differenzirung desselben in seinem Inneren abgelagert werden (vergl. Bd. I , S. 279—289). Die D e g e n e r a t i o n d e r P i a s t i d e n ist ebenso die Grundlage sämmtlicher organischen Degenerationsprocesse bei allen zusammengesetzten morphologischen Individuen (zweiter bis sechster Ordnung), wie die Differenzirung der letzteren immer auf eine Differenzirung der ersteren sich zurückführen lässt. Es sind also auch in dieser Beziehung die Piastiden die wahren „Elementar-Organismen", und obwohl mau gerade ihren regressiven Veränderungen bisher am wenigsten Aufmerksamkeit geschenkt hat, verdienen sie dieselbe doch in nicht geringerem Grade als die progressiven Vorgänge des Wachsthums und der
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Ontogenie der Piastiden.
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Differpnzirung. Denn auf der Degeneration der Piastiden beruhen alle cataplastischen Vorgänge, welche wir an den organischen Individuen aller Ordnungen wahrnehmen, und in letzter Folge also auch der Tod, welcher durch die Häufung derselben herbeigeführt wird. Ebenso wie das Wachsthum der Piastiden die Anaplasis, die Differenzirung derselben die Metaplasie, so veranlasst vorzüglich die Degeneration der Piastiden die Cataplasis, nicht allein der Piastiden selbst, sondern auch aller Form-Individuen zweiter bis sechster Ordnung, welche aus denselben zusammengesetzt sind. Die Degenerations-Processe der Piastiden schliessen sich unmittelbar an ihre Differenzirungs-Erscheinungen an und sind in keiner Weise scharf von diesen zu unterscheiden. Sehr oft ist die Degeneration eines bestimmten Theiles einer Plastide mit einer correspondirenden progressiven Metamorphose eines anderen Theiles derselben verbunden, und beide Functionen greifen nach dem Gesetze der Wechselbeziehung der Entwickelung in einander. Es tritt also bereits bei den Piastiden der Fall ein, der sich bei den Form-Individuen aller Ordnungen wiederholt, dass die Degeneration eines Theiles nicht nothwendig die vollständige Rückbildung des Ganzen nach sich zieht, sondern vielmehr unter Umständen auch der progressiven Entwickelung eines anderen Theiles und dadurch dem Ganzen zu Gute kommen kann. Für viele Piastiden ist sogar der Degenerations-Process die nothwendige Bedingung für die vollständige Entfaltung ihrer specifischen Function, wie es ζ. B. bei den verholzten Pflanzenzellen und bei den lufthaltigen Spiralgefässen der Phanerogamen, bei den Drüsenzellen, Pigmentzellen und Knochenzellen der Thiere der Fall ist. Die Mannichfaltigkeit der physiologischen und der entsprechenden morphologischen Processe, auf denen die verschiedenen DegenerationsErscheinungen der Plastiden beruhen, ist zwar jedenfalls weit geringer, als diejenige der progressiven Differenzirungsvorgänge. Doch ist es sehr schwer, darüber schon gegenwärtig etwas Allgemeines auszusagen, da die ersteren noch viel weniger, als die letzteren, von einem allgemeinen und vergleichenden Gesichtspunkte aus untersucht worden sind. Am meisten hat man sich mit denselben in der pathologischen Physiologie der Wirbelthiere, und speciell in der Pathologie des Menschen beschäftigt, weil hier die physiologischen Degenerationsprocesse der Plastiden durch eine gefahrbringende, besorgnisserregende Steigerung ihrer Quantität und Intensität zu pathologischen Erscheinungen werden und als Ursachen der „Krankheiten" eine höchst bedeutende praktische Wichtigkeit erlangen. Unter den hier herrschenden DegenerationsPhänomenen, welche vorzüglich durch R u d o l f V i r c h o w ' s bahnbrechende Untersuchungen richtiger und schärfer erkannt worden sind, scheint das wichtigste die fettige Entbildung zu sein (Verfettung, fet-
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Entwicklungsgeschichte der morphologischen Individuen.
tige Entartung der Piastiden), demnächst die kalkige Entbildung (Verkalkung), die amyloide und colloide Degeneration, die verschiedenen Formen der Erweichungen (Malaciae, Emollities) und Verhärtungen (Indurationes, Scleroses), die Pigmentirung etc. Alle diese pathologischen Processe, auf welchen die Degeneration aller Form-Individuen höherer Ordnung beruht, haben ihre normalen Paradigmata in rein physiologischen Vorgängen. Bei den Pflanzen scheint der wichtigste Degenerationsprocess der Piastiden die Bildung der Verdickungsschichten der Cellulose-Kapsel zu sein, in welcher sich die meisten pflanzlichen Plastiden encystiren, der entsprechende Schwund des Protoplasma, und die partielle und endlich totale Ersetzung desselben durch andere Stoffe, ζ. B. in den Spiralgefässen durch Luft. Alle Formveränderungen, welche wir bei der individuellen Entwickelung der Piastiden wahrnehmen, sowie alle Entwickelungsfunctionen, auf welchen dieselben beruhen, also alle Processe der Zeugung und des Wachsthums, der Differenzirung und der Degeneration von Piastiden, welche bei der Plastidogenesis zusammenwirken, sind lediglich entweder unmittelbar durch Anpassung an neue Existenzbedingungen erworbene Veränderungen, oder zusammengedrängte, schnelle, durch die Gesetze der Anpassung und Vererbung bedingte Wiederholungen der ursprünglichen paläontologischen Erscheinungen, welche in langen Zeiträumen durch viele Generationen hindurch langsam zur Entstehung der gegenwärtig existirenden specifischen Piastiden -Formen geführt haben. Alle Erscheinungen, welche die individuelle Entwickelung der Piastiden begleiten, erklären sich lediglich entweder aus der unmittelbaren Anpassung an die dabei wirksamen Existenzbedingungen oder aus der paläontologischen Entwickelung der Vorfahren der betreffenden Plastiden. Die gesammte Ontogenie der Piastiden, insofern sie nicht unmittelbar durch neue Anpassungsbedingungen modificirt wird, ist eine kurze Recapitulation ihrer Phylogenie.
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Ontogenie der Organe.
Individuelle Entwickelungsgeschichte der "Werkstücke.
Die Ontogenie der Organe oder Werkstücke, der morphologischen Individuen zweiter Ordnung, ist derjenige Theil der individuellen Entwickelungsgeschichte, welcher bisher bei weitem am meisten Berücksichtigung gefunden hat. Sowohl in der Zoologie als in der Botanik bestehen die meisten Fortschritte, welche die Ontogenie gemacht hat, in der Vermehrung unserer Kenntnisse von der Entwickelung der Organe. Erst neuerdings hat man begonnen, neben der Organogenese auch die Plastidogenese eingehender zu berücksichtigen. Dagegen ist die Ontogenese der Form-Individuen dritter bis sechster Ordnung bis-
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Ontogenie der Organe.
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her gewöhnlich sehr zu Gunsten jener beiden Kategorieen vernachlässigt worden. Dies hat seinen natürlichen Grund in der hervorragenden physiologischen Bedeutung der Organe und Piastiden. Dasselbe Uebergewicht, welches diese Form-Individuen erster und zweiter Ordnung bisher in der Anatomie und Physiologie besassen, übten sie nicht minder in der Morphogenie aus. Bei der unendlichen Mannichfaltigkeit, welche die verschiedenen Organe bei den verschiedenen Organismen ebenso in ihrer Entwickelung, wie in ihren anatomischen Verhältnissen zeigen, ist es sehr schwierig, die allgemeinen Bildungsgesetze, welche die Genesis der Organe leiten, in kurzen Zügen zusammenzufassen. Es lässt sich hier kaum etwas Anderes aussagen, als dass die gesammte Organogenesis unmittelbar bedingt ist durch die Entwickelung der constituirenden Plastiden, und dass die ganze Mannichfaltigkeit, welche wir in den physiologischen Entwickelungsfunctionen der Zeugung und des Wachsthums, der Differenzirung und Degeneration bei den Piastiden wahrgenommen haben, unmittelbar auch bei der Entwickelung der Organe wirksam ist, welche in allen Fällen einen einheitlichen Complex von eng verbundenen Plastiden darstellen. Dies gilt auch von allen fünf Ordnungen von Organen, welche wir im neunten Capitel unterschieden haben (Bd. I, S. 291). Sämmtliche Organe erster bis fünfter Ordnung, die Zellfusionen oder „höheren Elementartheile" (S. 296), die Homoplasten oder einfachen Organe (S. 298), die Heteroplasten oder zusammengesetzten Organe (S. 299), die Organsysteme (S. 301) und endlich die Organapparate (S. 302) zeigen uns in ihrer gesammten Entwickelung lediglich das nothwendige Resultat der Entwickelungsfunctionen ihrer constituirenden Plastiden (Cytoden und Zellen), und zwar lediglich der vier Functionen der Zeugung, des Wachsthums, der Differenzirung und Degeneration. Die E n t s t e h u n g d e r O r g a n e , mit welcher die Organogenesis beginnt, geht theils aus von vorhandenen Organen, theils von einzelnen Plastiden. Im letzteren Falle haben wir dieselbe auf einfache Zeugungsakte der Plastiden zurückzuführen. Die Cytoden oder Zellen, welche durch diese Generationsakte (Theilung, Knospung etc.) sich vermehren, bleiben zu einem Complex (Colonie, Synusie) vereinigt und bilden dadurch unmittelbar ein Organ. Im ersteren Falle, wenn die Zeugung der Organe von einem bereits vorhandenen Organe ausgeht, kommen ebenfalls die verschiedenen Formen der ungeschlechtlichen Zeugung in Betracht, welche wir oben unterschieden haben. Doch ist im Ganzen die -Knospenbildung hier bei weitem häufiger und allgemeiner wirksam, als die Theilung. Die K n o s p e n b i l d u n g ist der allgemeinste Spaltungsmodus, durch welchen Organe aus bestehenden Organen hervorgehen, und zwar ist
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Entwickelungsgeschichte der morphologischen Individuen.
dieselbe in der Mehrzahl der Fälle laterale, seltener terminale Gemmation. Durch l a t e r a l e K n o s p e n b i l d u n g entstehen z.B. die meisten Extremitäten (Beine, Arme, Tentakeln etc.) der Thiere, die meisten Blätter der Pflanzen. Durch t e r m i n a l e Knospung dagegen entstehen meistens die einzelnen Abschnitte (Epimeren) dieser Extremitäten, ζ. B. Oberschenkel, Unterschenkel und Fuss am Beine, die einzelnen Fiederpaare und die entsprechenden Blattstiel-Glieder an den gefiederten Blättern. Die Th ei l u n g , und zwar bald die vollständige, bald die unvollständige Theilung ist im Ganzen bei der Organogenese seltener wirksam, als die Knospenbildungi Doch lassen sich als unvollständige Theilungsprocesse auch viele Zeugungsweisen von Organen auffassen, welche man gewöhnlich in der Entwickelungsgeschichte als Differenzirung der Organe zu betrachten pflegt. Die Theilung der Organe, durch welche neue Organe in Mehrzahl entstehen, ist entweder Zweitheilung oder Strahl theilung. Durch Z w e i t h e i l u n g oder Dimidiation eines Organs entstehen ζ. B. die meisten zweispaltigen oder zweitheiligen Extremitäten der Thiere und Blätter der Pflanzen. Ebenso entstehen durch S t r a h l t h e i l u n g oder Diradiation die meisten dreispaltigen oder mehrspaltigen (handformigen oder palmatifiden) Extremitäten der Thiere (ζ. B. die fünfzehigen Wirbelthierfüsse) und Blätter der Pflanzen (ζ. B. die dreizähligen Kleeblätter). Die Theilung ist im Ganzen der häufigere Entstehungsmodus bei denjenigen Organen, welche wir Parameren, die Knospenbildung dagegen bei denjenigen, welche wir Epimeren genannt haben (vergl. Bd. I, S. 311, 316). Als einen besonderen, sehr eigenthümlichen und zunächst an die Copulation oder Conjugation der Piastiden sich anschliessenden, wenn auch nur entfernt analogen Process, welcher besonders bei der Entstehung von zusammengesetzten Organen und Organapparaten eine sehr bedeutende, bisher jedoch sehr wenig berücksichtigte Rolle spielt, haben wir endlich noch die E n t s t e h u n g von Organen durch sec u n d ä r e V e r e i d i g u n g von p r i m ä r g e t r e n n t e n Organen hervorzuheben. In der Ontogenie der Wirbelthiere ist dieser Process mehrfach und in sehr merkwürdiger Form wirksam, besonders bei mehreren sogenannten „Verwachsungen von Blättern". Was die Entstehung der Organe verschiedener Ordnung betrifft, so gestalten sich auch bei diesen im Einzelnen die verschiedenen Zeugungsprocesse so äusserst mannichfaltig, dass sich kaum etwas weiteres Allgemeines darüber aussagen lässt. Die Zellfusionen (z.B. die quergestreiften Muskelfasern, die Nervenfasern der höheren Thiere, die Gefässe der höheren Pflanzen) entstehen theils durch einfache Spaltungsprocesse, theils durch einen der Copulation zuzurechnenden Verschmelzungsprocess von Piastiden. Unter den Spaltungsprocessen ist
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Ontogenie der Organe.
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hier im Ganzen die unvollständige Theilung häufiger als die Knospenbildung, und zwar ist unter den verschiedenen Theilungsformen die Dimidiation allgemeiner, als die Diradiation, unter den Knospungsformen die terminale häufiger als die laterale Knospenbildung. Die H o m o p l a s t e n oder die e i n f a c h e n O r g a n e , also Organe zweiter Ordnung, welche aus einer einzigen Gewebsform (Piastiden-Art) zusammengesetzt sind, können auf den verschiedensten Wegen der Spaltung entweder aus einer einzelnen Plastide oder aus einem bereits existirenden Homoplasten hervorgehen. Welche Formen der Theilung und Knospenbildung hier im Ganzen die vorherrschenden sind, lässt sich bei der ausserordentlichen Verschiedenheit derselben in den einzelnen Organismen-Arten nicht sagen. Im Allgemeinen scheint die Knospung häufiger als die Theilung zu sein, obwohl beide sehr oft vereinigt zusammenwirken. Dasselbe gilt ebenso auch von den H e t e r o p l a s t e n oder den z u s a m m e n g e s e t z t e n O r g a n e n , welche sich als Organe dritter Ordnung von der vorigen durch die Zusammensetzung aus zwei oder mehreren verschiedenen Gewebsformen (Piastiden-Species) unterscheiden. Doch dürfte bei diesen im Allgemeinen die Knospung und besonders die laterale Knospung der bei weitem häufigste Zeugungsmodus sein. Selten ist hier die terminale Gemmation und die Theilung, und unter der letzteren wieder die Zweitheilung seltener als die Strahltheilung. Die Organe vierter Ordnung, die O r g a n - S y s t e m e , entstehen vorzüglich durch Differenzirungsprocesse, welche sich, wenigstens in sehr vielen Fällen, als unvollständige Theilung von Organen erster bis dritter Ordnung nachweisen lassen. Viel seltener als die Theilung ist die Knospenbildung bei der Entstehung von Organ-Systemen wirksam. In dieser Beziehung ihnen ähnlich verhalten sich auch im Ganzen die Organe fünfter Ordnung, die O r g a n - A p p a r a t e . Doch ist bei deren verwickelter Entstehung die Knospenbildung von bereits existirenden Organen oft nicht minder wesentlich, als ihre Theilung. Ferner sind die Organ -Apparate in ontogenetischer Beziehung dadurch ausgezeichnet, dass häufig zu ihrer Bildung mehrere primär getrennte Organe secundär in Verbindung treten, durch einen mehr oder minder innigen Verschmelzungsprocess, welcher den Vorgängen der Conjugation und Copulation im weiteren Sinne zugerechnet werden kann. So ζ. B. treten bei der Entwickelung des Gesichts-Apparates der Wirbel thier^ eine Anzahl von ganz verschiedenen und vorher völlig getrennten Organen secundär zur Augenbildung zusammen. Der nervöse Theil des optischen Apparates wächst aus der Gehirnblase nach aussen hervor, während der lichtbrechende Theil umgekehrt von der äusseren Haut aus nach innen hineinwächst und den ersteren in sich hineinstülpt. Die Verbindung beider, einem Conjugationsprocesse analog, ist nachher so innig, als ob eine Differenzirung eines einzigen, ursprünglich einheitlichen
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Entwickelungsgeschichte der morphologischen Individuen.
Organes stattgefunden hätte. Derartige Entstehung von complicirt gebauten Organen durch secundäre, innige Verbindung mehrerer primär getrennter Organe kommt übrigens nicht allein bei den Organ-Apparaten, sondern auch, wie oben erwähnt, bei anderen Organen verschiedener Ordnung (besonders Organ-Systemen und Heteroplasten) nicht selten vor. D a s W a c h s t h u m d e r O r g a n e , welches in der Organogenie nach der Zeugung derselben zunächst in Betracht kömmt, ist, wie schon oben bemerkt wurde, wesentlich von dem Wachsthum der Piastiden verschieden. Die letzteren allein, als die Form-Individuen erster Ordnung, besitzen ein einfaches oder primäres, unmittelbares Wachsthum, indem das Volum jeder wachsenden Plastide durch Attraction und Assimilation neuer, von aussen aufgenommener Massen-Moleküle vergrössert wird. Bei den Organen dagegen, sowie bei allen anderen FormIndividuen höherer (dritter bis sechster) Ordnung ist das Wachsthum nur ein mittelbares oder secundäres, indem es lediglich das Resultat der Vermehrung und des Wachsthums der constituirenden Piastiden ist. Wir haben diesen mittelbaren Wachsthumsmodus ein für allemal als z u sammengesetztes Wachsthum (Crescentia composita, sec u n d a r i a ) bezeichnet, weil sich derselbe aus zwei verschiedenen Processen zusammensetzt, nämlich aus dem einfachen Wachsthum der constituirenden Piastiden und aus der Vermehrung derselben durch fortgesetzte Zeugung. Das Wachsthum sämmtlicher Organe, und ebenso das Wachsthum sämmtlicher morphologischen Individuen höherer (dritter bis sechster) Ordnung ist also in der That weiter nichts, als die unmittelbare und nothwendige Folge der Vermehrung der constituirenden Piastiden am Volum (durch einfaches Wachsthum) und an Zahl (durch Zeugung). Die D i f f e r e n z i r u n g s - P r o c e s s e d e r O r g a n e bilden das Object des bei weitem grössten Theiles der gegenwärtig existirenden Ontogenie. Sowohl in der Zoologie als in der Botanik mussten diese Entwickelungsvorgänge vor allen anderen die Aufmerksamkeit und das Interesse der Beobachter erregen, und daher kommt es, dass dieser kleine Zweig der Ontogenie vor allen anderen cultivirt und sogar häufig als Entwickelungsgeschichte κατ εξοχήν bezeichnet wurde. So ist ζ. B. die sogenannte „Metamorphose der Pflanze", welche den grössten Theil der Ontogenese bei den Phanerogamen bildet, nichts weiter, als die Differenzirung der Blatt-Organe. So ist der grösste Theil der menschlichen Embryologie im Wesentlichen die Lehre von den Differenzirungs - Processen der Organe, welche den Körper des menschlichen Embryo zusammensetzen. Ebenso war bei den meisten anderen individuellen Entwickelungsgeschichten von Thieren und Pflanzen das Augenmerk der Beobachter bisher ganz vorwiegend, und oft ausschliesslich, auf die „Entwickelung der ungleichartigen Körpertheile aus gleichartiger Grund-
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Ontogenie der Organe.
läge" gerichtet, d. h. mit anderen Worten, auf die Differenzirung oder Divergenz der Organe. Da fast jede individuelle Entwickelungsgeschichte die Richtigkeit dieser Behauptung bestätigt, so haben wir nicht nöthig, dieselbe hier durch Beispiele zu belegen. Ein näheres Eingehen auf die unendlich mannichfaltigen Differenzirungs-Processe der Organe im Einzelnen ist hier nicht am Orte. Eine umfassende und allgemeine Erörterung derselben, eine kurze Uebersicht ihrer wichtigsten Modificationen ist aber zur Zeit noch ganz unmöglich, da man bisher noch nicht versucht hat, die embryonalen Differenzirungs-Processe der Organe bei den verschiedenen Organismen-Gruppen vergleichend zusammenzustellen und nach allgemeinen Gesichtspunkten zu ordnen. Das Einzige, was wir demnach hier darüber zu bemerken haben, worauf wir aber besonders aufmerksam machen wollen, ist der allgemeine Causalnexus, welcher überall zwischen der ontogenetischen und der phylogenetischen Differenzirung der Organe besteht. Alle DifferenzirungsVorgänge der Organe, welche während des raschen Laufes der individuellen Entwickelung auftreten, können nur dann richtig verstanden werden, wenn man sie als die kurzen Recapitulationen der Arbeitstheilungen betrachtet, welche langsam, im Verlauf langer Zeiträume, unter dem beständigen Einfluss der natürlichen Züchtung im Kampfe um das Dasein, sich bei den Vorfahren oder parentalen Generationen der gegenwärtig existirenden Organe allmählich herangebildet haben. Es gilt also von der Differenzirung oder dem Polymorphismus der Organe ganz dasselbe, wie von der Arbeitsteilung oder der Divergenz der Plastiden, auf welche letztere ohnehin die erstere immer unmittelbar zurückzuführen ist. Denn thatsächlich ist die Differenzirung der Organe lediglich das unmittelbare und nothwendige Resultat von der Differenzirung der constituirenden Piastiden, wie dieselbe andererseits auch allen Differenzirungs-Processen der Form-Individuen höherer Ordnung mittelbar zu Grunde liegt. Die D e g e n e r a t i o n der Organe hängt, wie diejenige der Plastiden, unmittelbar mit ihrer Differenzirung zusammen und ist oft gar nicht von letzterer zu trennen. Vielmehr greifen der regressive Entwickelungsprocess der ersteren und der progressive der letzteren oft so vielfältig in einander, dass sie gemeinsam die wichtigsten Veränderungen herbeiführen. Auch ist die Degeneration eines bestimmten Theiles eines Organes oft von entschiedenem und überwiegendem Vortheil für die progressive Entwickelung der übrigen Theile und dadurch des Ganzen, so dass durchaus nicht jede partielle Degeneration eines Organes zu einer Cataplase des Ganzen führt. Ebenso wie bei den FormIndividuen höherer Ordnung oft die Rückbildung einzelner Organe oder anderer subordinirter Form-Individuen einen Fortschritt in der Ausbildung des Ganzen bezeichnet, so sehen wir oft die Vervollkommnung Ha e c k e 1, Gesorelle Morphologie, Π.
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Entwickelungsgeschichte der morphologischen Individuen.
eines zusammengesetzten Organes wesentlich an die Degeneration einzelner einfacher Organe und Piastiden, welche dasselbe constituiren, gebunden. Die natürliche Züchtung im Kampfe um das Dasein bewirkt nicht allein progressive, sondern auch regressive Veränderungen, wenn die letzteren dem ganzen Organismus nützlicher sind, als die ersteren, so namentlich bei der Anpassung an einfachere Existenzbedingungen, ζ. B. Parasitismus. So sind auch im Laufe der paläontologischen Organogenese die sogenannten „rudimentären Organe" entstanden, welche als die Fundamente der Dysteleologie von so hervorragender Bedeutung sind. Alle Fonnveränderungen, welche wir bei der individuellen Entwickelung der Organe wahrnehmen, sowie alle Entwickelungsfunctionen, auf welchen dieselben beruhen, also alle Processe der Zeugung und des Wachsthums, der Differenzirung und Degeneration von den constituirenden Piastiden (und bei den zusammengesetzten Organen auch von den subordinirten Organen), welche bei der Organogenesis zusammenwirken, sind lediglich zusammengedrängte, schnelle, durch die Gesetze der Anpassung und Vererbung bedingte Wiederholungen der ursprünglichen paläontologischen Erscheinungen, welche in langen Zeiträumen durch viele Generationen hindurch langsam zur Entstehung der gegenwärtig existirenden specifischen Organ-Formen geführt haben. Alle Erscheinungen, welche die individuelle Entwickelung der Organe begleiten, erklären sich lediglich aus der paläontologischen Entwickelung ihrer Vorfahren. Die gesammte Ontogenie der Organe ist eine kurze Recapitulation ihrer Phylogenie.
TTT, Ontogenie der Antimeren. Individuelle Entwickelungsgeschichte der Gegenstücke.
Die Ontogenie der Antimeren oder Gegenstücke (homotypen Theile), der morphologischen Individuen dritter Ordnung, ist bisher noch äusserst wenig berücksichtigt worden; ja man hat selbst bei vielen Organismen, besonders Thieren, deren Organogenese und Histogenese sehr genau untersucht worden ist, auf die Antimerogenese gar keine Rücksicht genommen. Diese einseitige Vernachlässigung der morphologisch so wichtigen Antimeren erscheint nicht mehr auffallend, sobald man bedenkt, wie die gesammte Morphologie der Antimeren in Folge ihrer geringen oder uns doch unbekannten physiologischen Bedeutung bisher entweder gar keine oder nur beiläufige und oberflächliche Berücksichtigung gefunden hat. Da nicht einmal die vollendete Form der Antimeren, welche für die typische Gesammtform der Metameren und Personen so grosse Bedeutung besitzt, von der Anatomie untersucht worden ist, so dürfen wir noch weniger erwarten, dass die werdende Form
TTT Ontogenie der Antimeren.
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der Antimeren in der Morphogenie Berücksichtigung gefunden hat. Sowohl letztere als erstere erwarten ihre volle und gerechte Würdigung erst von der Morphologie der Zukunft. Soweit wir aus unseren eigenen Untersuchungen über die homotypischen Theile und aus dem Wenigen, was die embryologische Literatur beiläufig darüber liefert, die Ontogenie der Antimeren beurtheilen können, so scheint dieselbe im Ganzen nach sehr einfachen und bei den verschiedenen Organismen sehr gleichförmigen Gesetzen zu verlaufen. Die E n t s t e h u n g der A n t i m e r e n beruht fast immer auf einfachen Spaltungsprocessen von Organen, und zwar besonders auf unvollständiger Längstheilung und Strahltheilung; vielfach kann aber auch die Entstehung der Antimeren als einfache DifFerenzirung eines Organes aufgefasst werden. Bei den zahlreichen Organismen, deren Grundform die reguläre oder die amphithecte Pyramide, oder überhaupt eine Strahlform ist, und bei denen die Antimerenzahl drei oder mehr ist, entwickeln sich die Antimeren durch den Spaltungsprocess, den wir oben allgemein als D i r a d i a t i o n bezeichnet haben und welcher für die ursprüngliche Entstehung der sogenannten strahligen oder regulären Formen (mit mehr als zwei Antimeren) von der grössten Bedeutung ist (S. 42). Die Diradiation oder Strahltheilung besteht, wie wir sahen, allgemein darin, dass drei oder mehr gleichartige Theile oder Organe aus einer gemeinsamen einfachen Grundlage heraus in der Weise hervorwachsen, dass sie von einander und von einer gemeinsamen Axe oder einem gemeinsamen Mittelpunkte gleichen Abstand haben, wenn auch bei weiterer Entwickelung dieser Abstand und die ursprünglich gleiche Beschaffenheit der Theile oder Organe selbst ungleich wird. Solche nach verschiedenen Richtungen von einem gemeinsamen Centrum aus divergirende gleichartige Theile sind unsere Gegenstücke oder Antimeren. (In gleicher Weise entwickeln sich auch meistens diejenigen untergeordneten Theile von Piastiden und Organen, welche wir wegen ihrer (den Antimeren ähnlichen) Strahlform Parameren genannt haben.) Die Entwickelung der Antimeren durch Diradiation ist an vielen Geschlechtspersonen der Phanerogamen (Blüthensprossen) und an einzelnen Metameren und Personen der Hydromedusen, und der Coelenteraten überhaupt, leicht wahrzunehmen. Aus der einfachen kegelförmigen oder cylindrischen Monaxon-Form des unentwickelten Bion, welches noch den Formwerth eines Organs besitzt, wachsen rings um den Oralpol der Hauptaxe, in gleichem Abstand von demselben, und in gleichem Abstand von einander, die peripherischen Organe hervor (Blüthenblätter der Phanerogamen, Tentakeln der Coelenteraten), welche durch ihre Zahl und Stellung die homotypische Grundzahl und die stereometrische Grundform der Person bestimmen. Es lässt sich dieses 9*
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Entwicklungsgeschichte der morphologischen Individuen.
Hervorwachsen der peripherischen Theile der radialen Antimeren aus der Peripherie einer monaxonen Form weder als einfache Differenzirung ihrer Peripherie, noch als einfaches Hervorknospen der Organe auffassen, sondern als eine Verbindung beider Processe, welche eine unvollständige radiale Theilung des ganzen Körpers bewirkt, und welche wir passend mit dem Ausdrucke der Diradiation oder Strahltheilung zu bezeichnen glauben. Die näheren Verhältnisse dieses wichtigen Vorganges sind für die Entwickelung der Gesammtform sowohl bei den Metameren, als bei den Personen äusserst wichtig, aber bisher noch sehr wenig untersucht. Eines der wichtigsten hierauf bezüglichen Gesetze ist, dass alle Antimeren eines Kreises ursprünglich gleich sind, in gleicher Beschaffenheit aus der Peripherie der Person hervorsprossen. Die Verschiedenheiten, welche sich bei den Antimeren eines und desselben Kreises später finden, und bei den Amphipleuren - Formen später so auffallend hervortreten (ζ. B. in den Pentamphipleuren-Formen der „bilateralen" Spatangiden und Clypeastriden, der Leguminosen und Violaceen etc., in den Triamphipleuren-Formen der Orchideenblüthen, vieler Radiolarien etc.), entstehen erst nachträglich durch Differenzirung der ursprünglich gleichartigen Antimeren. Der Gruppe der „strahligen" Organismen, mit drei oder mehreren Antimeren, steht gegenüber als eine andere Hauptgruppe diejenige der zweiseitigen oder dipleuren Organismen, deren Körper nur aus zwei symmetrisch gleichen Antimeren zusammengesetzt ist. Wie bei jenen ersteren die Antimeren durch unvollständige Strahltheilung, so entstehen dieselben bei diesen letzteren durch unvollständige L ä n g s theilung. Wir haben diesen Spaltungsprocess oben gewissermaassen als den einfachsten Fall der Strahltheilung hingestellt (S. 42); beide Spaltungsformen haben das mit einander gemein, dass die Theilungsebenen mit der Längsaxe oder Hauptaxe des Körpers zusammenfallen. Diese Auffassung wird durch die Entwickelungsgeschichte gerechtfertigt, da in der That die Entstehung der beiden Antimeren bei den dipleuren Formen, welche durch Längstheilung erfolgt, sich unmittelbar an die Entstehung der drei oder mehr Antimeren bei den strahligen Formen anschliesst, welche durch Diradiation erfolgt. Der einzige Unterschied ist, dass im ersteren Falle eine einzige, im letzteren zwei oder mehrere Theilungsebenen entstehen, welche mit der Hauptaxe des Körpers zusammenfallen. Man könnte vielleicht zunächst mehr geneigt sein, die Entstehung der zwei symmetrisch-gleichen Antimeren bei den dipleuren Formen allgemein als einen zweiseitigen Differenzirungsprocess aufzufassen, gleichwie die Entstehung der drei oder mehr Antimeren bei den strahligen Formen zunächst oft mehr ein Knospungsprocess zu sein scheint. Indessen glauben wir, dass diese Betrachtungsweise mehr der äusserlichen Erscheinungsweise als dem inneren Wesen der Anti-
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Ontogenie der Antimeren.
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merogenese entspricht, da doch in der That durch dieselbe das vorher einfache Form-Individuum zweiter Ordnung vollständig in zwei oder mehrere Form-Individuen dritter Ordnung zerfällt. Mögen diese Spaltungsproducte auch noch so innig vereinigt bleiben, so sind doch stets die Grenzebenen, welche dieselben trennen, und welche sich als interradiale Kreuzebenen in der Längsaxe schneiden, so haarscharf ausgesprochen, dass über die Zugehörigkeit sämmtlicher Körpertheile zu den einzelnen Antimeren gar kein Zweifel stattfinden kann. Allerdings wird bei den höheren Thieren, deren Grundform die dipleure ist, die Entstehung der beiden Antimeren in der Regel als eine b i l a t e r a l e oder z w e i s e i t i g e D i f f e r e n z i r u n g der einfachen Körperanlage aufgefasst. Gewöhnlich tritt dieselbe schon in sehr früher Zeit des embryonalen Lebens als Gegensatz von rechter und linker Körperhälfte hervor. Bei den Wirbelthieren ζ. B. wird sie schon durch das erste Auftreten des Primitivstreifes ( B ä r ) oder der Axenplatte ( R e m a k ) gegeben, welche die kreisförmige und bereits in drei Blätter gesonderte Embryonalanlage in die beiden correspondirenden Hälften oder Antimeren (rechte und linke Körperhälfte) spaltet. Sobald hier durch das erste Erscheinen des Primitivstreifes in der Medianlinie der Embryonalanlage die Längsaxe oder Hauptaxe derselben ausgesprochen ist, so entwickeln sich fortan die beiden dadurch geschiedenen Körperhälften, rechte und linke, in entgegengesetzter Richtung. Gewiss lässt sich diese absolut entgegengesetzte, aber relativ gleiche Entwickelung der beiden symmetrisch-gleichen Körperhälften von einem gewissen Gesichtspunkte aus als eine „bilaterale" oder richtiger d i p l e u r e D i f f e r e n z i r u n g auffassen, insofern bereits vorhandene und gleichartig angelegte Theile eine verschiedene, und zwar eine diametral entgegengesetzte Richtung der Entwickelungs-Bewegung einschlagen. Andererseits aber glauben wir dieselbe doch mit noch grösserem Rechte, und mit mehr Vortheil für das tectologische und promorphologische Verständniss, als u n v o l l s t ä n d i g e L ä n g s t h e i l u n g auffassen zu können, weil in der That das vorher einfache Individuum zweiter Ordnung oder das „Organ" dadurch in zwei Individuen dritter Ordnung oder Antimeren zerfällt. Allerdings ist die dichotome Spaltung meistens nicht äusserlich durch eine mehr oder minder tiefgehende Furche ausgesprochen. Allein die longitudinale Halbirungsebene geht als eine i d e a l e , interradiale Grenzebene der beiden entgegengesetzten Körperhälften so vollständig durch den ganzen Körper hindurch, wie es nur bei der realen Scheidewand zwischen zwei durch Längstheilung entstehenden" Zellhälften der Fall sein kann. Wir glauben daher, dass sich in den allermeisten Fällen die Entstehung der Antimeren als unv o l l s t ä n d i g e T h e i l u n g auffassen lässt, entweder als Längstheilung (bei Organismen mit zwei Antimeren) oder als Strahltheilung (bei Organismen mit drei und mehr Antimeren).
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Entwickelungsgeschichte der morphologischen Individuen.
Während in allen diesen Fallen die Antimeren durch innere Trennung von zwei oder mehreren vorher vereinigten Theilen entstehen, so giebt es nun auch andererseits einige merkwürdige Fälle, in denen umgekehrt die Antimeren durch äussere Vereinigung von zwei oder mehreren vorher getrennten Theilen entstehen. Wir meinen die Formen, welche durch den eigentümlichen Verwachsungsprocess der Conj u g a t i o n entstehen, z.B. bei der Algengruppe der Conjugaten (Desmidiaceen und Zygnemaceen). Indem hier zwei gleiche Individuen, welche den Formwerth eines Organes hatten, mit einer entsprechenden Körperstelle verwachsen, erhalten dieselben offenbar an dem so entstehenden Doppelkörper durch ihre Verbindung den Formwerth von zwei Antimeren und der Doppelkörper selbst erscheint nunmehr als ein FormIndividuum vierter Ordnung, als ein Metamer. Durch einen Vorgang, welcher dieser C o n j u g a t i o n sehr nahe steht, wenn er nicht ursprünglich damit identisch ist, entstehen die Antimeren auch bei einigen Echinodermen. Wir meinen nämlich jene Fälle von Astenden-Entwickelung, bei denen die fünf Antimeren des Seestern-Körpers als fünf getrennte Anlagen um den Darmcanal der Amme herum isolirt durch innere Keimbildung entstehen und erst nachträglich mit ihren centralen Enden in Verbindung treten, um die Mittelscheibe des Seestern-Körpers herzustellen. Wir erblicken in diesem Umstände ein sehr wichtiges Argument für unsere, im sechsten Buche näher begründete Vermuthung, dass der pentactinote EchinodermenKörper ursprünglich durch secundäre Verbindung oder Conjugation von fünf einzelnen zygopleuren Wurmkörpern entstanden ist, welche im Inneren des elterlichen Wurms (dessen Reste noch in der Amme persistiren) getrennt von einander hervorkeimten und erst nachträglich mit ihrem einen Ende sich verbanden. Dann wären die fünf Strahlstücke, welche wir gegenwärtig als Antimeren betrachten, ursprünglich Personen und das ganze Echinoderm eigentlich ein Stock gewesen. Das W a c h s t h u m der Antimeren, welches ihre gesammte weitere Entwickelung bedingt, beruht wesentlich auf der Entwickelung der nächst untergeordneten Individualitäten, der Organe und der diese constituirenden Piastiden. In letzter Linie sind es fortgesetzte Zeugungsakte von Piastiden, verbunden mit Volumvermehrung derselben, welche das Wachsthum der Organe und dadurch dasjenige der Antimeren bedingen. Die D i f f e r e n z i r u n g s - P r o c e s s e , welche während der weiteren Ontogenie der Antimeren eintreten, sind ausserordentlich mannichfaltige und von der hervorragendsten Bedeutung für die Entwickelung der Grundform. Wie wir im vierten Buche gezeigt haben, ist es in den meisten Fällen lediglich die Differenzirung der Antimeren, welche die niedere Grundform des jüngeren Organismus in die höhere Pro-
TTT Ontogenie der Antimeren.
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morphe des aasgebildeten hinüberführt. So entsteht namentlich durch Differenzirung der einfacheren Homostauren-Form die vollkommnere Grundform der Heterostauren. Die Autopolen-Form entwickelt sich durch Differenzirung der Antimeren aus der Isopolen-Form, ζ. B. die Octophragmen-Form der Ctenophoren aus der octactinoten Grundlage, die Hexaphragmen-Fonn der Madreporen aus der hexactinoten Grundlage. In gleicher Weise geht aus der triactinoten Anlage der Gramineen-Blüthe die triamphipleure Form der ausgebildeten Blüthe hervor, aus der pentactinoten Anlage des jugendlichen Spatangus, der Compositen- und Leguminosen-Blüthe die pentamphipleure Form der Erwachsenen. Ebenso entwickelt sich unter den Zygopleuren durch Differenzirung der Antimeren die dystetrapleure Schwimmglocken-Form der Abyla aus ihrer eutetrapleuren und zuerst sogar tetractinoten Grundlage, und ebenso die dysdipleure Form der Pleuronectiden aus der eudipleuren allgemeinen Wirbelthier-Form. Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, welche ausserordentlich hohe Bedeutung die Differenzirung der Antimeren für die Promorphologie besitzt, und wie dieser bisher gänzlich vernachlässigte Theil der Entwickelungsgeschichte lediglich schon wegen seiner promorphologischen Bedeutung einer der interessantesten werden wird. Die D e g e n e r a t i o n d e r A n t i m e r e n , bisher ebenfalls gänzlich ausser Acht gelassen, ist oft von nicht geringerem promorphologischen Interesse als ihre Differenzirung, und wirkt oft, mit letzterer unmittelbar verbunden, mächtig bestimmend auf die Grundform ein. Am klarsten und leichtesten nachzuweisen ist dies bei der PhanerogamenBlüthe, wo sehr allgemein in einzelnen Metameren (Blattkreisen) der Blüthe das eine oder andere Antimer durch Degenerations -Processe rückgebildet wird, und dann, obwohl ursprünglich angelegt, dennoch späterhin völlig verschwindet. Die Botaniker pflegen diese Entbildung der Antimeren, welche wesentlich modificirend auf die Grundform der Blüthe, und insbesondere auf die homotypische Grundzahl des betreffenden Metameres einwirkt, als Abortus oder Fehlschlagen zu bezeichnen. So schlägt ζ. B. in dem männlichen Metamere (Staubfadenkreise) der Labiaten-Blüthe, welches pentactinot angelegt und eutetrapleurisch ausgeführt ist, fast immer ein Antimer fehl, bisweilen aber (Salvia, Lycrjpus) sogar drei. So schlagen auch bei den pentactinot angelegten, später aber pentamphipleurisch ausgeführten Holothurien nicht selten zwei Antimeren fehl und bloss drei werden ausgebildet. Alle Form Veränderungen, welche wir bei der individuellen Entwickelung der Antimeren wahrnehmen, sowie alle Entwickelungsfunctionen, auf welchen dieselben beruhen, also alle Processe der Zeugung und des Wachsthums, der Differenzirung und Degeneration von Plastiden und Organen, welche bei der Antimerogenesis zusammenwirken,
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Entwickelungsgeschichte der morphologischen Individuen.
sind lediglich zusammengedrängte, schnelle, durch die Gesetze der Anpassung und Vererbung bedingte Wiederholungen der ursprünglichen paläontologischen Erscheinungen, welche in langen Zeiträumen durch viele Generationen hindurch langsam zur Entstehung der gegenwärtig existirenden, specifischen Antimeren-Formen geführt haben. Alle Erscheinungen, welche die individuelle Entwickelung der Antimeren begleiten, erklären sich lediglich aus der paläontologischen Entwickelung ihrer Vorfahren. Die gesammte Ontogenie der Antimeren ist eine kurze Recapitulation ihrer Phylogenie.
IV. Ontogenie der Metameren. Individuelle Entwickelungsgeecliichte der Folge stücke.
Die Ontogenie der Metameren oder Folgestücke, der morphologischen Individuen vierter Ordnung, hat sowohl die Entwickelung der Gesammtform bei denjenigen Organismen zu untersuchen, welche als actuelle Bionten durch ein einzelnes Metamer repräsentirt werden (ζ. B. die meisten Mollusken), als auch die Entwickelung derjenigen homodynamen Körperabschnitte, welche als subordinirte Metameren, zu einer Colonie verbunden, die Individuen fünfter Ordnung, die Personen oder Sprosse zusammensetzen. Diese Fälle sind bisher nicht gleichmässig in der Entwickelungsgeschichte berücksichtigt worden. Der erstere hat eine sehr eingehende, der letztere dagegen nur eine sehr oberflächliche Berücksichtigung gefunden; und doch ist dieser von keiner geringeren Bedeutung als jener. Da, wo die Metameren als actuelle Bionten, als die concreten Repräsentanten der Species auftreten, ist die Ontogenie der Metameren zugleich im weiteren Sinne die Entwickelungsgeschichte der gesammten Körperform der reifen Species-Repräsentanten; dies ist der Fall bei den meisten Mollusken, vielen niederen Würmern (Trematoden etc.) und Coelenteraten. Hier ist daher die Metamerogenie zugleich derjenige Theil der individuellen Entwickelungsgeschichte, welchen man als „die Lehre von der Entwickelung der äusseren Körperform oder der Gesammtform" zu bezeichnen pflegt. Wo dagegen die Metameren nur als subordinirte „Glieder" eines Form-Individuums fünfter Ordnung, einer Person auftreten, und wo man sie deshalb gewöhnlich nicht in ihrem individuellen Formwerthe anerkannt hat, da hat auch gewöhnlich ihre Entwickelung nur sehr wenig selbstständige Berücksichtigung gefunden. Dies gilt insbesondere von denjenigen Personen, bei denen die homodyname Zusammensetzung aus einer Metamerenkette nur innerlich deutlich ausgesprochen ist, wie bei den Vertebraten und meisten Echinodermen, weniger von denjenigen, bei welchen dieselbe äusserlich scharf hervortritt, wie bei den Gliederfüssern, Gliederwürmern, Phanerogamen und den Cryptogamen mit gegliedertem
IV.
Ontogenie der Metameren.
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Stengel. Gewöhnlich ist die Metamerogenese hier einestheils mit der Organogenese, anderntheils mit der Prosopogenese vereinigt abgehandelt worden. Ihre besondere selbstständige Behandlung erscheint uns aber auch hier von grosser Wichtigkeit, namentlich für das Verständniss der paläontologischen Prosopogenese. Die E n t s t e h u n g der Metameren beruht zunächst und unmittelbar immer auf Spaltungs-Processen, und zwar entweder von schon bestehenden Metameren, oder von untergeordneten Individualitäten erster bis dritter Ordnung. Wenn die Zeugung des entstehenden Metameres von einem schon existirenden, elterlichen Metamer ausgeht, so ist der gewöhnliche Spaltungsmodus derjenige der Knospenbildung, seltener der Theilung. Der bei weitem häufigste Zeugungsmodus, durch welchen Metameren aus bestehenden Metameren entstehen, ist die terminale Knospung. Auf diese Weise bilden sich in den allermeisten Fällen die Metameren, welche den Rumpf der Wirbelthiere, Gliederthiere und Echinodermen, sowie den gegliederten Stengel der Phanerogamen und höheren Cryptogamen zusammensetzen. Die Endknospenbildung ist hier meistens omniparental, seltener uniparental. Bei der gewöhnlichen, omniparentalen Knospung entsteht jedes neue Metamer aus dem nächstvorhergehenden. Bei der selteneren uniparentalen Knospung dagegen entstehen alle Metameren aus einem einzigen (so ζ. B. bei der Strobila der Acraspeden und Cestoden). Im letzteren Falle ist das letzte Glied der Kette das Zweitälteste, im ersteren dagegen das jüngste. Viel seltener entstehen bei den Thieren Metameren durch lat e r a l e Knospung, so ζ. B. bei den Tunicaten und Bryozoen, und bei vielen Coelenteraten; sehr häufig dagegen bei den Pflanzen. Die Entstehung der Metameren durch Theilung ist im Ganzen viel seltener als diejenige durch Knospung, vorzüglich bei den subordinirten Metameren, welche Ketten-Personen bilden. Am häufigsten ist sie noch bei denjenigen Metameren, welche selbstständig als actuelle Bionten auftreten, wie ζ. B. bei den Infusorien, einigen Coelenteraten und Cryptogamen. Gewöhnlich ist die Theilung hier Längstheilung oder Quertheilung. Die letztere schliesst sich unmittelbar an die Endknospenbildupg an, und in manchen Fällen ist es schwer zu entscheiden, ob die Gliederung oder Articulation, durch welche neue Metameren entstehen, Quertheilung (Articulatio divisiva) oder Endknospenbildung (Articulatio gemmascens) ist. Wenn die Entstehung der Metameren nicht unmittelbar von bestehenden Metameren ausgeht, sondern von subordinirten Individuen nächst niederer Form-Ordnungen, so ist dieser Akt gewöhnlich als D i f f e r e n z i r u n g oder als u n v o l l s t ä n d i g e T h e i l u n g eines Organs aufzufassen, und fällt dann zusammen mit demjenigen Processe, den wir im vorhergehenden Abschnitte als den gewöhnlichen Entste-
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Entwicklungsgeschichte der morphologischen Individuen.
hungsmodus der Antimeren hingestellt haben. Wie wir dort sahen, können wir ganz wohl den radialen oder bilateralen DifferenzirungsProcess, durch welchen ein Form-Individuum zweiter Ordnung, ein Organ, in zwei oder mehrere Antimeren zerfällt, als unvollständige Theilung des Organs auffassen, und zwar als Längstheilung, wenn dadurch bloss zwei, als Strahltheilung, wenn dadurch drei oder mehrere Metameren entstehen. Dieser wichtige, aber bisher wenig beachtete Process ist nun stets zugleich mit der Entstehung eines Metameres verbunden. Denn indem das Form-Individuum zweiter Ordnung (Organ) in zwei oder mehrere, vereinigt bleibende Form-Individuen dritter Ordnung (Antimeren) zerfällt, wird aus dem ersteren eo ipso zugleich ein Fonnindividuum vierter Ordnung oder ein Metamer. So wird also ζ. B. die Embryonal-Anlage des Wirbelthieres, welche den Form-Werth eines Organs besitzt, durch das Auftreten des Primitivstreifes nicht bloss in zwei Antimeren getheilt, sondern zugleich selbst in ein Metamer verwandelt. Das W a c h s t h u m der Metameren, welches ihre gesammte weitere Entwickelung bis zur erreichten vollen Grösse bedingt, beruht wesentlich auf der Entwickelung der nächst untergeordneten Individualitäten, der Antimeren. In letzterer Linie sind es fortgesetzte Zeugungsakte der Piastiden, verbunden mit Volumvermehrung derselben, welche das Wachsthum der Organe und Antimeren und dadurch zugleich dasjenige der Metameren bedingen. Die D i f f e r e n z i r u n g s - P r o c e s s e der Metameren, welche ihr Wachsthum und ihre weitere Entwickelung begleiten, sind ausserordentlich mannichfaltige. Bei denjenigen Organismen, welche als actuelle Bionten durch Metameren repräsentirt werden, wie ζ. B. bei den Infusorien, Trematoden, allen höheren und den meisten niederen Mollusken, entstehen dadurch die verschiedenen „Species" - Formen. Bei denjenigen Organismen, bei welchen die Metameren als subordinirte Glieder zur höheren Einheit der Person verbunden sind, wird ebenfalls die Formen-Mannichfaltigkeit der Species durch die Vielseitigkeit in der Differenzirung der Metameren, ausserdem aber auch der Vollkommenheitsgrad der Personen durch den Differenzirungsgrad der constituirenden Metameren bedingt. Hierauf beruht also ζ. B. wesentlich die höhere Vollkommenheitsstufe, welche die „heteronom gegliederten" Arthropoden gegenüber den „homonom gegliederten" Anneliden, und ebenso die heteronom gegliederten „Bliithensprosse" der Phanerogamen gegenüber den homonom gegliederten „Blattsprossen" einnehmen. Weiterhin ist es dann vorzugsweise die polymorphe Differenzirung der Metameren, welche überhaupt eine höhere organische Vervollkommnung des Organismus ermöglicht. Dies zeigen sehr deutlich die „gegliederten" Wirbelthiere, Gliederthiere und Echinodermen gegenüber den „un-
IV.
Onto genie der Metameren.
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gegliederten" Mollusken etc. Aber auch innerhalb jeder kleineren Abtheilung ist der Vollkommenheitsgrad der Personen wesentlich durch den Differenzirungsgrad der Metameren bedingt, wie es insbesondere bei den verschiedenen Wirbelthier-Abtheilungen durch die maassgebende Differenzirung der Wirbelabschnitte, bei den verschiedenen Dicotyledonen-Gruppen (Monochlamydeen, Dichlamydeen) durch den bestimmenden Differenzirungsgrad der Blattkreise der Blüthe sehr deutlich dargethan wird. Die D e g e n e r a t i o n der Metameren, gleich derjenigen der Antimeren bisher meist gar nicht berücksichtigt, ist ebenfalls von sehr bedeutendem morphologischen Interesse. Wir erinnern bloss daran, dass dieser Process allein schon in vielen Fällen höchst eigentümliche Bildungen hervorzubringen vermag, und zwar sowohl regressive als progressive Formen. Lediglich cataplastisch wirkt natürlich die Degeneration immer auf die einzelnen Metameren, welche dadurch auf eine niedere Bildungsstufe zurücksinken. So ist es namentlich sehr deutlich bei parasitischen Species, Welche als actuelle Bionten durch einzelne Metameren repräsentirt werden, ζ. B. bei der in Synapta schmarotzenden Entoconcha mirnbilis, bei vielen parasitischen ungegliederten Würmern etc. In solchen Organismen dagegen, bei denen die Metameren bloss als subordinate Glieder einer Person erscheinen, kann die Degeneration einzelner Metameren nicht bloss cataplastisch wirken (wie ζ. B. bei den parasitischen Crustaceen), sondern auch umgekehrt anaplastisch. Ja es kann sogar der höhere Vollkommenheitsgrad einer Form gegenüber niederen verwandten Formen wesentlich durch die Entbildung eines oder mehrerer Metameren bedingt sein. Es scheint dies damit zusammenzuhängen, dass die regressive Entwickelung, die Cataplase einzelner Metameren in einer langen Metamerenkette, unmittelbar (durch Wechselbeziehung der Entwickelung) die progressive Entwickelung, die Anaplase anderer Metameren in derselben Kette begünstigt. Dies sehen wir ζ. B. sehr ausgezeichnet bei vielen geschwänzten Thieren. Die Reduction des Schwanzes gilt in vielen Fällen (aus verschiedenen Gründen) für eine Vervollkommnung; daher werden allgemein die brachyuren Deacopoden als vollkommener angesehen gegenüber den unvollkommneren Macruren, ebenso der Mensch und die anderen ungeschwänzten Affen gegenüber den geschwänzten Affen. Die Rückbildung des Schwanzes, welche hier offenbar wesentlich zur Vervollkommnung führte, ist nichts Anderes, als die Degeneration einer Anzahl von Metameren. Alle Formveränderungen, welche wir bei der individuellen Entwickelung der Metameren wahrnehmen, sowie alle Entwickelungs-Functionen, auf welchen dieselben beruhen, also alle Processe der Zeugung und des Wachsthums, der Differenzirung und der Degeneration von
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Entwickelungsgeschichte der morphologischen Individuen.
Piastiden, Organen und Antimeren, welche bei der Metamerogenesis zusammenwirken, sind lediglich zusammengedrängte, schnelle, durch die Gesetze der Anpassung und Vererbung bedingte Wiederholungen der ursprünglichen paläontologischen Erscheinungen, welche in langen Zeiträumen durch viele Generationen hindurch langsam zur Entstehung der gegenwärtig existirenden specifischen Metameren-Formen geführt haben. Alle Erscheinungen, welche die individuelle Entwickelung der Metameren begleiten, erklären sich lediglich aus der paläontologischen Entwickelung ihrer Vorfahren. Die gesammte Ontogenie der Metameren ist eine kurze Recapitulation ihrer Phylogenie.
V. Ontogenie der Personen. Individuelle Entwickelungsgeschichte der Prosopen.
Die Ontogenie der Personen oder Prosopen, der morphologischen Individuen fünfter Ordnung, hat bei den höheren Thieren sowohl, wo die physiologische Individualität allgemein in der Ausbildung der Person ihr Ziel erreicht, als bei den Coelenteraten und den höheren Pflanzen, wo dieselbe als Spross oder Gemma gewöhnlich mit anderen Personen oder Sprossen zu Stöcken verbunden ist, eine ausgedehntere Bearbeitung und eine gerechtere Würdigung gefunden, als die Ontogenie der Metameren und Antimeren. In der Botanik spielt die „Entwickelungsgeschichte der Knospen", d. h. der Sprosse, schon längst eine hervorragende Rolle, und ebenso in der Zoologie die entsprechende „Entwickelungsgeschichte der Gesammtform oder der äusseren Körperform", besonders bei den am meisten in dieser Beziehung untersuchten und am längsten bekannten Wirbelthieren und Gliederthieren. Da bei allen Wirbelthieren und Echinodermen, den meisten Articulaten und vielen anderen Thieren das actuelle Bion durch die Person oder das morphologische Individuum fünfter Ordnung repräsentirt wird, so schliesst hier die Ontogenie der Species mit der Prosopogenie ab, während bei den meisten Pflanzen und bei den Coelenteraten, wo sich die morphologische Individualität des Bion bis zur sechsten und letzten Ordnung, dem Stock, erhebt, die Prosopogenie der Cormogenie sich unterordnet. Bei den letzteren kann daher dieselbe nicht als der Schlussstein und das letzte Ziel der gesammten Embryologie und Metamorphologie betrachtet werden, wie bei den ersteren. Die E n t s t e h u n g der Personen beruht zunächst und unmittelbar immer auf Spaltungs-Processen und zwar geht diese Spaltung entweder von bereits existirenden Personen, oder von der nächst untergeordneten Individualität des Metameres aus. Alle Personen müssen entweder durch Spaltung von Personen oder von Metameren entstehen. Die Form-Individuen vierter und fünfter Ordnung verhalten sich in
V. Ontogenie der Personen.
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dieser Beziehung ganz gleich. Der gewöhnliche Spaltungsmodus ist bei beiden die Knospung, seltener die Theilung. Wenn neue Personen von bereits bestehenden Personen unmittelbar erzeugt werden, so ist der gewöhnliche Zeugungsmodus die Knospenbi l d u n g , und zwar meistens die laterale, seltener die terminale Knospung. Durch L a t e r a l k n o s p e n b i l d u n g entstehen namentlich die allermeisten pflanzlichen Personen, welche bei den Phanerogamen und höheren Cryptogamen (mit wenigen Ausnahmen) zu Colonieen vereinigt die Stöcke oder Cormen zusammensetzen. Ebenso ist es laterale Knospung, durch welche die Personen entstehen, die die meisten Coelenteratenstöcke zusammensetzen. Personen, welche aus vorhandenen Personen unmittelbar durch T e r m i n a l k n o s p u n g entstehen, sind viel seltener, so ζ. B. manche Anneliden. Es entstehen dadurch, so lange die in einer gemeinsamen Längsaxe hinter einander liegenden Personen vereinigt bleiben, die seltsamen, aber meist rasch sich auflösenden Kettenstöcke, ζ. B. von Autolytns, Syllis, Nais etc., welche sich ebenso zu den Personen verhalten, wie die Ketten-Personen zu den Metameren. Viel seltener, als durch Knospung, gehen Personen aus existirenden Personen durch Theilung hervor, und zwar meistens durch Längstheilung, seltener durch einen anderen Modus der Division. Am weitesten verbreitet finden wir diesen Modus der Propagation bei den Anthozoen, und insbesondere bei den Turbinoliden und Astraeiden. Durch fortgesetzte unvollständige Längstheilung entstehen hier die seltsamen Corallenstöcke der Maeandrinen, Manicinen, Coelorien, Stellorien etc., bei denen die Grenzen der einzelnen Personen so verwischt sind, dass ihre Trennung, und selbst die Erkenntniss der Centra der Einzelthiere ganz unmöglich wird. Wenn die Entstehung der Personen nicht unmittelbar von bestehenden Personen ausgeht, sondern von subordinirten Individuen der nächst niederen Ordnung, von Metameren, so ist dieser Zeugungsakt stets eine u n v o l l s t ä n d i g e K n o s p e n b i l d u n g von Metameren. Denn da der morphologische Charakter der Person oder des Prosopon in der bleibenden Vereinigung von zwei oder mehreren Metameren liegt, so muss jede unvollständige Knospenbildung eines Metameres, d. h. jede bleibende Vereinigimg (Synusie) von zwei oder mehreren, durch Knospung aus einem einzigen entstandenen Metameren, eo ipso bereits als eine Person betrachtet werden. Ist die unvollständige Knospenbildung der Metameren lateral, so entstehen dadurch Buschpersonen (Prosopa fruticosa), wie bei den meisten sogenannten Stöcken der Tunicaten und Bryozoen. Ist dagegen die unvollständige Knospenbildung der Metameren terminal, so entstehen dadurch Ketten-Personen (Prosopa catenata). Dieser letztere Zeugungsmodus ist äusserst verbreitet; denn es entstehen durch denselben die Personen der Wirbelthiere, Glie-
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Entwickelungsgeschichte der morphologischen Individuen.
derthiere, Echinodermen etc., und alle Pflanzensprosse, welche nicht unmittelbar durch Lateralknospung aus bereits existirenden Pflanzensprossen hervorgehen. Der Wirbelthier-Embryo ist ein einfaches Metamer, so lange noch keine Urwirbel an ihm differenzirt sind. Sobald durch den Differenzirungs-Process der Urwirbel, welcher ursprünglich offenbar eine Form der unvollständigen Terminalknospung ist, die ürwirbelsäule, eine Metameren-Kette entstanden ist, ist das einfache Metamer dadurch bereits zur Person geworden. Ebenso wird die einfache ungegliederte Keimpflanze der Phanerogamen, welche gleichfalls Metameren-Rang besitzt, zur Person, sobald das zweite Stengelglied durch Terminalknospung aus dem ersten hervorgegangen ist. Das Wachsthum der Personen, welches ihre gesammte weitere Entwickelung bis zur erreichten vollen Grösse bedingt, beruht wesentlich auf der Entwickelung der nächstuntergeordneten Individualität, der constituirenden Metameren, und zwar auf einer Zunahme derselben sowohl an Grösse und Vollkommenheit, als an Zahl. Die Grössenzunahme und Differenzirung der Metameren dauert meistens noch lange fort, nachdem die volle Zahl derselben bereits erreicht ist, insbesondere bei den Thieren, weniger bei den Pflanzen. In letzter Linie sind es fortgesetzte Zeugungsakte der Piastiden, verbunden mit Volumvermehrung derselben, welche das Wachsthum der Organe, Antimeren und Metameren, und dadurch zugleich dasjenige der Personen bedingen. Die D i f f e r e n z i r u n g s - P r o c e s s e der Personen, welche das Wachsthum und die weitere Entwickelung derselben begleiten, sind ausserordentlich mannichfaltige. Bei denjenigen Organismen, welche als actuelle Bionten durch Personen repräsentirt werden, also bei allen Wirbelthieren, Gliederfüssern und Echinodermen, bei den meisten Würmern etc., beruht die unendliche Mannichfaltigkeit der Species zunächst auf der unbeschränkten Differenzirungs-Fähigkeit der Personen, welche ihrerseits zunächst wieder durch die reiche Differenzirung der constituirenden Metameren und Antimeren bedingt ist. Bei denjenigen Organismen dagegen, bei welchen die Personen als Sprosse integrirende subordinirte Bestandtheile der höheren Einheit des Stockes oder Cormus sind, bedingt die Differenzirung der Personen nicht allein die specifische Verschiedenheit der Arten, sondern auch den Vollkommenheitsgrad der Cormen. Je grösser dann die Differenzirung oder die Arbeitstheilung der verschiedenen Personen ist, desto vollkommener ist der Stock, wie es z.B. die polymorphen Stöcke der Siphonophoren und Phanerogamen sehr deutlich zeigen. Bei denjenigen Thieren, bei welchen viele polymorphe Personen zwar nicht zu der realen Formeinheit des Stockes, aber doch zu der idealen Functionseinheit der Gemeinde, der Heerde oder des Staates verbunden sind, ist es ebenfalls wesentlich der Differenzirungsgrad der Personen, welcher die Vollkom-
V. Ontogenie der Personen.
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menheit des idealen staatlichen Organismus bedingt. Je grössere Freiheit hier den einzelnen Individuen behufs ihrer selbstständigen Entwicklung und Differenzirung gegeben ist, desto vollkommener ist auch der Staat. Daher erhebt sich der republikanische Staat über den monarchischen nicht nur hinsichtlich seiner Gesammtleistung, sondern auch hinsichtlich der vollkommenen Entwickelung der constituirenden Personen. Dies zeigt deutlich der republikanische Ameisenstaat gegenüber dem monarchischen Bienenstaat. Dieselben Gesetze, welche in dieser Beziehung die Entwickelung der menschlichen Staatenbildung leiten, gelten in gleicher Weise für die Gemeinden und Staaten der übrigen Thiere. Die D e g e n e r a t i o n der P e r s o n e n wirkt, ebenso wie diejenige der Metameren, bloss dann ausschliesslich rückbildend, wenn sie einzelne Personen an sich betrifft. Auch hier treten die Wirkungen dieser Entwickelungsfunction besonders dann deutlich hervor, wenn Personen durch Anpassung an niedere Existenzbedingungen zu allgemeiner Rückbildung veranlasst werden. Am auffallendsten zeigen diese Verhältnisse unter den Thieren die parasitischen Arthropoden, und namentlich die Cnistaceen, wo fast alle Ordnungen ausgezeichnete Beispiele von dieser Cataplase durch Parasitismus liefern. Unter den Pflanzen nehmen wir dasselbe bei den parasitischen Orobanchen, Cuscuten etc. nicht minder deutlich wahr. Bei den Thieren genügt häufig schon für den Eintritt entschiedener Degenerations-Processe der Uebergang von der frei beweglichen Lebensweise der umherschweifenden jugendlichen Person zu der festsitzenden Lebensweise der Erwachsenen. Bei denjenigen Personen dagegen, welche als polymorphe Glieder einer höheren Einheit, sei es nun der realen Formeinheit des Stockes oder der idealen Formeinheit des Staates vereinigt leben, kann ebenso, wie wir es vorher von den Metameren gezeigt haben, die Degeneration einzelner Personen der vollkommenen Ausbildung anderer und selbst des Ganzen zum "Vortheil gereichen. Auch dieses Gesetz der Wechselbeziehung der Entwickelung gilt ebenso für die Staaten der Menschen und der höheren Thiere, wie für die Stöcke der Pflanzen und Coelenteraten. Bei den letzteren ist ζ. B. die Degeneration der passiven Schutz-Individuen, der Deckstücke, von Yortheil für die höhere Entwickelung der activen Schutz-Individuen, der Nesselfäden. Ebenso ist in den menschlichen Staaten die Degeneration der Aristokratie ζ. Β., die Rückbildung der Adelskasten und Priesterkasten, von Yortheil für die vollkommnere und freiere Entwickelung der von diesen unterdrückten niederen Volksklassen, und dadurch zugleich des ganzen Staates. Eine eingehendere vergleichende Beobachtung zeigt auch hier wieder überall, dass dieselben Entwickelungsgesetze die Staatenbildung der Menschen und der anderen höheren Thiere, wie die Stockbildung der niederen Thiere und der Pflanzen beherrschen.
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Entwickelungsgeschichte der morphologischen Individuen.
Alle Formveränderungen, welche wir bei der individuellen Entwicklung der Personen wahrnehmen, sowie alle Entwickelungs - Functionen, auf welchen dieselben beruhen, also alle Processe der Zeugung und des Wachsthums, der Differenzirung und Degeneration von Plastiden, Organen, Antimeren und Metameren, welche bei der Prosopogenesis zusammenwirken, sind lediglich zusammengedrängte, schnelle, durch die Gesetze der Anpassung und Vererbung bedingte Wiederholungen der ursprünglichen paläontologischen Erscheinungen, welche in langen Zeiträumen durch viele Generationen hindurch langsam zur Entstehung der gegenwärtig existirenden specifischen Personen-Formen geführt haben. Alle Erscheinungen, welche die individuelle Entwickelung der Personen begleiten, erklären sich lediglich aus der paläontologischen Entwickelung ihrer Vorfahren. Die gesammte Ontogenie der Personen ist eine kurze Recapitulation ihrer Phylogenie.
VI.
Ontogenie der Stöcke.
Individuelle Entwickelungsgeschichte der Cormen.
Die Ontogenie der Cormen oder Stöcke, der morphologischen Individuen sechster Ordnung, ist der beschränkteste von allen sechs Theilen der Ontogenie, weil einerseits die Bildung echter Stöcke auf die Phanerogamen und höheren Cryptogamen, die Coelenteraten und wenige andere Thiere beschränkt ist, andererseits aber die morphologischen Verhältnisse derselben im Ganzen viel weniger Mannichfaltigkeit zeigen, als diejenigen der fünf untergeordneten Individualitäts-Ordnungen. Auch hat bisher die Zoologie der Entwickelungsgeschichte der Stöcke nur sehr geringe Aufmerksamkeit zugewendet, selbst bei denjenigen Thieren, welche, wie die Siphonophoren und Anthozoen, am meisten dazu auffordern. Viel ausgedehntere Berücksichtigung hat die Cormogenesis in der Botanik gefunden, besonders in der Lehre von der Sprossfolge und von der Entwickelung der Blüthenstände. Doch steht auch hier die Cormogenie noch keineswegs auf gleicher Stufe der Ausbildung, wie die Prosopogenie. Die E n t s t e h u n g der Cormen oder der echten Stöcke zeigt, wie es schon ihre einfacheren promorphologischen Verhältnisse vermuthen lassen, trotz aller Mannichfaltigkeit im Einzelnen, doch im Ganzen grosse Uebereinstimmung. Der allgemeine Entwickelungsprocess, durch welchen zunächst unmittelbar alle Stöcke entstehen, ist die unv o l l s t ä n d i g e S p a l t u n g von P e r s o n e n , und zwar ist diese Spaltung allermeistens Knospenbildung, viel seltener Theilung. Die u n v o l l s t ä n d i g e Knospenbildung von Personen, durch welche die allermeisten Stöcke entstehen, ist fast immer l a t e r a l e Knospenbildung. So entstehen die Stöcke der allermeisten Coelen-
VI.
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Ontogenie der Stöcke.
teraten und höheren Cryptogamen und aller Phanerogamen. Die grösste Mannichfaltigkeit in der gegenseitigen Lagerung, Verbindung, Grösse, Zahl und Differenzirung der Personen, welche durch Lateralknospung den Stock zusammensetzen, findet sich bei den sexuellen Stöcken der Phanerogamen, den sogenannten Blüthenständen. Durch t e r m i n a l e K n o s p e n b i l d u n g von Personen können zwar auch Stöcke entstehen, aber diese persistiren nicht, sondern stellen nur eine schnell vorübergehende Vereinigung von mehreren Personen dar, welche nachher getrennt weiter leben. Dies ist der Fall bei den provisorischen Kettenstöcken der Anneliden, ζ. B. Antohjtus. SyUis. Nais etc. Die u n v o l l s t ä n d i g e T h e i l u n g von Personen ist als Entstehungsmodus von Stöcken viel seltener und beschränkter, als die unvollständige Knospung. Sie findet sich bei den Anthozoen unter den Coelenteraten, vorzugsweise bei den Astraeiden und Turbinoliden, ferner bei niederen Cryptogamen. Unter den Phanerogamen kommt sie nur ausnahmsweise, als Fasciation vor, nicht unter normalen Verhältnissen. Die incomplete Personentheilung, durch welche Cormen entstehen, ist fast immer Längstheilung, seltener Strahltheilung (bei einigen Astraeiden), oder Stücktheilung. Das W a c h s t h u m d e r S t ö c k e , welches ihre gesammte weitere Entwickelung bedingt, beruht wesentlich auf der Entwickelung der nächst untergeordneten Individualitäten, der constituirenden Personen, und zwar vorzugsweise auf einer fortdauernden Zunahme derselben an Zahl und Grösse. Dieses Wachsthum ist bei den Cormen viel weniger beschränkt, als bei allen übrigen Individualitäten; j a , in vielen Fällen scheint dasselbe sogar unbeschränkt zu sein. Während wir bei den Form-Individuen der fünf niederen Ordnungen, von der Plastide bis zur Person, fast immer eine bestimmte Wachsthumsgrenze antreffen, welche für die betreffende Organismen-Art charakteristisch ist, so fehlt diese bei sehr vielen Stöcken gänzlich. Es hängt dieses unbegrenzte Wachsthum der Cormen in vielen Fällen damit zusammen, dass der Cormus beständig am einen Ende der Längsaxe abstirbt, während er am anderen Ende fortwächst, so namentlich bei den unterirdischen kriechenden Stöcken (Wurzelstöcken, Rhizomen) vieler Pflanzen, und bei den ähnlichen Formen vieler Corallenstöcke. Bei den letzteren kommt dazu noch der Umstand, dass die abgestorbenen Skelettheile zahlloser früherer Generationen untrennbar mit denen der jüngsten und allein lebenden Generation von Anthozoen, die sich auf der Oberfläche des Corallenstocks befindet, zusammenhängen, und dass bei eintretenden langsamen Senkungen des Meerbodens das an der Oberfläche beständig fortdauernde Wachsthum des sinkenden Corallenstocks das Volum desselben zum Umfange von grossen Inseln anzuschwellen vermag. In letzter Instanz sind es natürlich auch hier die unaufhörlich fortgesetzHieckel,
Generelle Morphologie, Π.
IQ
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Entwickelungsgeschichte der morphologischen Individuen.
ten Zeugungsakte der Piastiden, verbunden mit Volumvermehrung derselben , welche das Wachsthum der Organe, Antimeren, Metameren und Personen, und dadurch zugleich dasjenige der Cormen bedingen. D i e D i f f e r e n z i r u n g s - P r o c e s s e d e r S t ö c k e , welche das Wachsthum und die weitere Entwicklung derselben begleiten, sind im Ganzen viel weniger auffallende und mannichfaltige, als bei den Personen und bei den anderen subordinirten Individualitäten. Es geht dies schon hervor aus der grossen Einfachheit und geringen Mannichfaltigkeit der Grundformen, welche die meisten Stöcke vor den übrigen Individualitäten auszeichnet. Ferner zeigt sich dieser geringe Differenzirungsgrad deutlich in dem Umstände, dass die Gesammtform des Stockes nur selten für die betreffenden Organismen-Species charakteristisch ist, und nur in wenigen Fällen als diagnostisches Merkmal benutzt werden kann. Daher haben auch die Stöcke allgemein in der Systematik eine viel geringere Berücksichtigung gefunden, als die Personen. Offenbar ist es die festsitzende Lebensweise der allermeisten Stöcke, welche diesen geringen Differenzirangsgrad grösstentheils bedingt. Dies zeigt schon die verhältnissmässig grosse Differenzirung der frei beweglichen Siphonophorenstöcke. Am einförmigsten und am wenigsten mannichfaltig differenzirt zeigen sich die Stöcke der Anthozoen und die geschlechtslosen (nicht blühenden) Phanerogamen - Stöcke. Je weiter die Arbeitsteilung unter den constituirenden Personen geht, desto grösser wird die Differenzirung des Stockes. Die höchste Entwickelung zeigen in dieser Beziehung die polymorphen Cormen der Siphonophoren. Unter den Pflanzen zeigt sich die mannichfaltigste Differenzirung in der Bildung der Geschlechtsstöcke bei den Phanerogamen, in der Form der Blüthenstände oder Inflorescentien. Dass im Uebrigen die Differenzirung der Cormen als realer Bionten sechster Ordnung nach denselben Entwickelungsgesetzen erfolgt, wie die Differenzirung der Staaten als idealer Bionten sechster Ordnung, und dass sowohl hier wie dort die Differenzirung der höhereu Einheit unmittelbar durch diejenige der constituirenden Personen bedingt ist, haben wir schon im vorhergehenden Abschnitte gezeigt. D i e D e g e n e r a t i o n d e r S t ö c k e ist an sich, ebenso wie ihre Differenzirung, von viel geringerer Bedeutung als diejenige der Personen. Da die Stöcke, abgesehen von dem Unterschiede der einfachen und zusammengesetzten Cormen (vergl. Band I, S. 330), niemals als untergeordnete Form-Individuen eine höhere Individualität zusammensetzen, und da es mithin reale morphologische Individuen siebenter Ordnung bei keiner Organismen-Species giebt, so kann die Degeneration einzelner Stöcke auch niemals in der Weise zur Differenzirung und correspondirenden Entwickelung einer höheren Individualität beitragen, wie es bei den Personen,, Metameren etc. der Fall war. De-
TT. Ontogenie der Stöcke.
147
generation von Stöcken durch Anpassung an einfachere Existenzbedingungen sehen wir an vielen parasitischen Pflanzenstöcken eintreten. Sehr häufig ist an den Stöcken partielle Degeneration zu beobachten, so namentlich bei den durch unbeschränktes Wachsthum ausgezeichneten Cormen. Oft geht hier die Degeneration des einen Endes der Hauptaxe (ζ. B. bei den kriechenden Rhizomen) gleichen Schritt mit den fortschreitenden Zeugungs- und Wachsthums-Processen am anderen Ende derselben, so dass wir an einem und demselben Stocke vorn anaplastische, in der Mitte metaplastische und hinten cataplastische Processe gleichzeitig vorfinden x ). Alle Formveränderungen, welche wir bei der individuellen Entwickelung der Stöcke wahrnehmen, sowie alle Entwickelungsfunctionen, auf welchen dieselben beruhen, also alle Processe der Zeugung und des Wachsthums, der Differenzirung und Degeneration von Piastiden, Organen, Antimeren, Metameren und Personen, welche bei der Cormogenesis zusammenwirken, sind lediglich zusammengedrängte, schnelle, durch die Gesetze der Anpassung und Vererbung bedingte Wiederholungen der ursprünglichen paläontologischen Erscheinungen, welche in langen Zeiträumen durch viele Generationen hindurch langsam zur Entstehung der gegenwärtig existirenden specifischen Stock-Formen geführt haben. Alle Erscheinungen, welche die individuelle Entwickelung der Stöcke begleiten, erklären sich lediglich aus der paläontologischen Entwickelung ihrer Vorfahren. Die gesammte Ontogenie der Stöcke ist eine kurze Recapitulation ihrer Phylogenie. Die vier Entnkkelungsfunctioneu 721 sind also bei den Stücken dieselben, wie bei allen untergeordneten Form-Individuen. Vielleicht könnte au diese noch als eine f ü n f t e E n t w i c k e l u n g s f u n c t i o n die V e r w a c h s u n g (Concrctcentia) angeschlossen werden, d. b. die secundäre Verbindung von mehreren primär getrennten Individuen, durch welche zugleich ein Form - Individuum nächst höherer Ordnung entsteht. Bei den S t ö c k e n zeigt sich dieser Vorgang in dem Verschmelzen von zwei oder mehreren, in unmittelbarer Berührung befindlichen Baumstämmen (sehr häufig an den Oelbäumen in Südeuropa zu beobachten). sowie in dem Zusammenhange der Wurzeln der verschiedenen Tannenbäume eines Waldes. Bei den P e r s o n e n ist eine gleiche Verwachsung nicht selten unter den Coelenteraten (besonders Antliozoen) und Pflanzen zu beobachten, sowohl an freien Personen, als an Sprossen der Stöcke. Als Concrescenz von M e t a m e r e n könnte die Doppelbildung von Diploxoon paradoxum, als Verwachsung von A n t i m e r e n die oben (S. 134) erwähnten Fälle von Asteriden - Entwickelung angesehen werden. Auch die Entstehung der gamopetalen Blumenkrone aus der polypetaleu beruht auf einer secundären Concrescenz von Antimeren. Endlich würden als Concrescenz von Form-Individuen zweiter und erster Ordnung die oben angeführten Vorgänge von Verwachsung, Conjugation.und Copulation der O r g a n e (S. 127) und der P l a s t i d e n (S. 119, 62) hierher gezogen werden können. Doch sind uns im Ganzen diese Verschmelzungs - Processe noch zu wenig bekannt, als dass wir die C o n c r e s c e n z als eine besondere fünfte Entwickelungsfunction ansehen könnten.
10*
148
Die Descendenz- Theorie und die Selections-Theorie.
Neunzehntes Capitel.
Die Descendenz - Theorie und die Selections - Theorie. „Diess also hätten wir gewonnen, ungescheut behaupten zu dürfen, dass alle vollkommneren organischen Naturen, worunter wir Fische, Amphibien, Vögel, Säugethiere und an der Spitze der letzten den Menschen sehen, a l l e n a c h E i n e m l ' r b i l d e g e f o r m t s e i e n , d a s n u r in s e i n e n s e h r b e s t ä n d i g e n T h e i l e n m e h r oder w e n i g e r h i n - und h e r w e i c l i t , und sich noch täglich d u r c h F o r t p f l a n z u n g aus- und umbildet.·1 G o e t h e 1796.
I. Inhalt und Bedeutung der Descendenz - Theorie. Alle Organismen, welche h e u t z u t a g e die Erde bew o h n e n und w e l c h e s i e zu i r g e n d e i n e r Z e i t b e w o h n t h a ben, sind im L a u f e s e h r l a n g e r Z e i t r ä u m e durch a l l m ä h l i c h e U m g e s t a l t u n g und l a n g s a m e V e r v o l l k o m m n u n g a u s einer g e r i n g e n Anzahl von g e m e i n s a m e n S t a m m f o r m e n ( v i e l l e i c h t s e l b s t a u s einer e i n z i g e n ) h e r v o r g e g a n g e n , welche a l s h ö c h s t e i n f a c h e U r o r g a n i s m e n vom W e r t h e einer e i n f a c h s t e n P l a s t i d e ( M o n e r e n ) durch A u t o g o n i e aus u n b e l e b t e r M a t e r i e e n t s t a n d e n sind. In diesem Satze formuliren wir den Inhaltskern der DescendenzTheorie 1 ), jener äusserst wichtigen Lehre, die wir bereits an verschiedenen Stellen unserer allgemeinen Anatomie als den unentbehrlichen Grundgedanken der gesammten wissenschaftlichen Biologie, und der organischen Morphologie insbesondere bezeichnet haben (vergl. besonders das vierte, sechste und siebente Capitel). Wie wir bereits in den einleitenden Bemerkungen zur allgemeinen Entwickelungsgeschichte hervorhoben, wird diese letztere erst durch die Descendenz-Theorie zur 1) Die D e s c e n d e n z - T h e o r i e oder Abstammungs - Lehre wird von anderen Autoren auch oft als T r a n s m u t a t i o n s - oder T r a n s f o r m a t i o n s - T h e o r i e (Umwandlungsoder Umbildungs-Lehre) bezeichnet. Diese verschiedenen Ausdrücke sind identisch.
I.
Inhalt und Bedeutung der Descendenz - Theorie.
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eigentlichen Wissenschaft, indem dadurch ihre empirischen Kenntnisse zu philosophischen Erkenntnissen werden. Ohne die Abstammungslehre ist die Morphogenie nur eine empirische Sammlung von Thatsachen, welche erst in den von der ersteren enthüllten wirkenden Ursachen ihre Erklärung finden. Wir durften daher den wichtigen Grundsatz aussprechen: „ d i e D e s c e n d e n z - T h e o r i e i s t d i e w i s s e n s c h a f t l i c h e B e g r ü n d u n g der g e s a m m t e n E n t w i c k e l u n g s g e s c h i c h t e durch d a s a l l g e m e i n e C a u s a l g e s e t z " (S. 9). Da es von der grössten Wichtigkeit ist, diese fundamentale Vorstellung stets im Gedächtnisse zu behalten, und da dieselbe seltsamer Weise von den meisten Naturforschern, sowohl Anhängern, als Gegnern, theils nicht genug gewürdigt, theils ignorirt, theils nicht begriffen wird, so müssen wir hier nochmals ausdrücklich auf das bereits oben darüber Gesagte verweisen (S. 6—12). Was speciell die Bedeutung der Abstammungslehre für die M o r p h o l o g i e der O r g a n i s m e n betrifft, so erblicken wir diese vorzüglich darin, dass sie die letztere als eine m o n i s t i s c h e o d e r m e c h a n i s c h e W i s s e n s c h a f t auf die Lehre von den „ w i r k e n d e n U r s a c h e n " (Causae efflcientes) begründet und dadurch dieselbe auf eine Stufe mit den gesammten übrigen Naturwissenschaften erhebt. Bisher stand die organische Morphologie in der That ganz ausserhalb der letzteren, und steht hier bei den Gegnern der Descendenz-Theorie noch heute. Der widerspruchsvolle und absolut verwerfliche Dualismus der letzteren scheidet die gesammte Naturwissenschaft in zwei vollkommen getrennte und schroff entgegengesetzte Wissenschaftsgebiete, in eine mechanische und eine vitalistische Hälfte. Die mechanische oder monistische Naturwissenschaftshälfte, welche das gesammte Gebiet der Abiologie (oder Anorganologie, Bd. I, S. 21) und zugleich die Physiologie der Organismen (Biodynamik) umfasst, erklärt die empirischen Thatsachen mechanisch, aus physikalisch - chemischen Verhältnissen, aus wirkenden Ursachen (Causae ejficientes). Die vitalistische oder dualistische Naturwissenschaftshälfte dagegen, welche das gesammte Gebiet der organischen Morphologie oder Biostatik (Anatomie und Entwickelungsgeschichte Bd. I, S. 30) umfasst, erklärt die empirischen Thatsachen teleologisch, aus unbekannten vitalistischen Verhältnissen, aus zweckthätigen Ursachen (Causae finales; vergl. Bd. I, S. 94—105). Der unlösliche Widerspruch, welcher in diesem Dualismus liegt, tritt so handgreiflich zu Tage, dass man ihn für längst überwunden halten sollte, zumal neuerdings die mechanische Natur der Physiologie (allerdings gewöhnlich diejenige des Central-Nervensystems ausgenommen!) allgemein anerkannt ist. Man sollte meinen, dass die Morphologie der Organismen schon längst nothwendig der Physiologie auf das mechanisch - causale Gebiet des Monismus hätte folgen müssen. Dennoch ist dies thatsächlich nicht der Fall.
150
Die Descendenz-Theorie und die Selections-Theorie.
Die tiefen Wurzeln, welche der vitalistisch-teleologische Dualismus im Laufe von Jahrtausenden in dem menschlichen Gehirne geschlagen hat, sitzen hier bei der grossen Masse der Menschen noch fest und unerschüttert. Sowohl die gesammte Morphologie der Organismen, als auch die Physiologie des Central-Nervensystems, die Psychologie, wird von den Meisten noch immer dualistisch aufgefasst, während die gesammte übrige Physiologie und die gesammte Abiologie von denselben Leuten monistisch behandelt wird. Dieser unhaltbare Zwiespalt, welchen allerdings schon consequentes Denken in seiner ganzen Absurdität enthüllen sollte, wird von der Descendenz- Theorie vollständig vernichtet. Sie zeigt uns, das die gesammte Morphologie der Organismen eben so wie die Physiologie und die Abiologie auf mechanich-causaler Basis beruhen muss, und dass die Ursachen sämmtlicher Naturerscheinungen, auch der am meisten zusammengesetzten organischen EntwickelungsPhänomene, lediglich mechanische, wirkende Ursachen, niemals finale, zweckthätige Ursachen sind. Diesen äusserst wichtigen Punkt glauben wir nicht genug hervorheben zu können. Er ist die unangreifbare Citadelle der wissenschaftlichen Biologie. Wenn man dieses fundamentalen Punktes stets eingedenk ist, so wird man die unermessliche Bedeutung der Abstammungslehre niemals unterschätzen. Es giebt in der That nur noch eine einzige Theorie, welche sich in diesen Beziehungen mit ihr messen kann, die Gravitations-Theorie der Weltkörper. Was diese für die anorganische, das leistet die Descendenz-Theorie für die organische Natur. Nur durch sie werden alle biologischen Zweige der Naturwissenschaft auf mechanischer Basis causal begründet, und dadurch mit allen abiologischen Zweigen zu einer monistischen Gesammtwissenschaft vereinigt. Nur durch sie gelangen wir zu der Ueberzeugung von der Einheit der organischen und anorganischen Natur, von der absoluten Nothwendigkeit, welche dieselbe beherrscht, von dem allgemeinen Causalgesetz, welches dieselbe mechanisch regiert. Nur durch sie lösen wir die letzte und höchste Aufgabe, welche B ä r der Entwickelungsgeschichte, und dadurch zugleich der gesammten Morphologie der Organismen gesteckt hat: „ d i e Z u r ü c k f ü h r u n g d e r b i l d e n d e n K r ä f t e d e s o r g a n i s i r t e n Körpers auf die a l l g e m e i n e n K r ä f t e des W e l t g a n z e n " (S. 12).
Π. Entwickelungsgeschichte der Descendenz-Theorie. Eine umfassende oder auch nur einigermassen vollständige Entwickelungsgeschichte der Descendenz-Theorie zu schreiben, ist weder hier am Ort, noch gegenwärtig schon an der Zeit. Diese schöne und interessante Aufgabe wird erst später gelöst werden können, wenn die un-
IL
Entwickehrngsgeechichte der Descendenz - Theorie.
151
ermessliche Bedeutung der Abstammungslehre praktische Anwendung im Leben der gesammten Wissenschaft gefunden und wenn dieselbe die gesammte menschliche Weltanschauung auf mechanischer Basis refonnirt haben wird. Zuvor müssen die nothwendigen Consequenzen der Descendenz-Theorie allgemein anerkannt werden: die vollständige Einheit der gesammten organischen und anorganischen Natur und die alleinige Geltung der mechanisch-wirkenden Ursachen in allen Naturerscheinungen. die vollständige Einheit von Kraft und Stoff und die alleiuige Geltung der chemisch-physikalischen Nothwendigkeits-Gesetze in allen wahrnehmbaren Vorgängen, die vollständige Einheit der Structur und Abstammung des Menschen und der übrigen Wirbelthiere, und die alleinige Geltung der causal - mechanischen Nothwendigkeits-Herrschaft auch in der gesammten Anthropologie, die Psychologie nicht ausgenommen. Erst wenn diese nothwendigen Consequenzen der Abstammungslehre in Wissenschaft und Leben als unwiderlegliche, auf empirischer Basis begründete Naturwahrheiten anerkannt sein werden, erst wenn durch ihre reformatorische Kraft menschliche Wissenschaft und menschliches Leben aus ihrem gegenwärtigen niederen und rohen Zustande auf eine höhere Stufe der Entwickelung erhoben sein werden, wird eine vollständige „Entwickelungsgeschichte der Descendenz-Theorie" an der Zeit sein. Für uns kann hier nur die Aufgabe vorliegen, die ersten Stadien dieses weltbewegenden Entwickelungsvorganges, in denen wir uns noch gegenwärtig befinden, in ihren wesentlichsten Momenten zu fixiren, und mit unparteiischer Hand den Lorbeerkranz auf das Haupt jener kühnen Geisteshelden zu legen, welche zuerst mit gewaltiger Hand den Grundstein zur Descendenz-Theorie gelegt und die Zwingburg des herrschenden teleologisch-vitalistischen Wunderglaubens in Trümmer geschlagen haben. Dieser schönen Pflicht aber können wir uns um so weniger entziehen, als schon gegenwärtig nicht nur unter den Gegnern, sondern auch unter den Anhängern der Descendenz-Theorie die Stimmen über Verdienst und Antheil ihrer Begründer sehr getheilt sind. Zunächst scheint es uns hier nöthig, hervorzuheben, dass keiner von denjenigen Recht hat, welche den Ruhm die Descendenz-Theorie begründet zu haben, einem einzelnen Naturforscher ganz allein vindiciren möchten. Weder D a r w i n , noch W a l l a c e , weder G o e t h e , noch O k e n , weder G e o f f r o y S. H i l a i r e , noch L a m a r c k können ausschliesslich für sich allein diesen Ruhm beanspruchen. Vielmehr gilt von der Descendenz-Theorie dasselbe, wie von allen anderen epochemachenden Entdeckungen und Fortschritten des Menschengeistes, dass sie ein Kind ihrer Zeit sind, und dass sie mehr oder minder bestimmt geahnt und angedeutet wurden, ehe der selbstbewusste Genius sie an das Tageslicht förderte und mit voller Klarheit scharf formu-
152
Die Descendenz-Theorie und die Selections-Theorie.
lirte. Wie die Entwickelungsbewegung der gesammten organischen Natur eine continuirliche Kette von successiv fortschreitenden Differenzirungs-Processen ist, die mit absoluter Notwendigkeit aus einander hervorgehen, so waltet auch in dem geistigen Entwickelungsgange der denkenden Menschheit, der nur ein Theil jener grossen Kette ist, dasselbe Nothwendigkeits-Gesetz. Sobald die Zeit der Reife für eine neue grosse Idee gekommen, sobald die Hülle des herrschenden Dogma zu eng für den wachsenden Menschengeist geworden, muss mit Notwendigkeit diese Hülle gesprengt werden und der Häutungs-Akt stattfinden, gleichviel ob dieser oder jener grosse Genius den ersten Anstoss zum Durchbruch giebt. Unnütz und wirkungslos ist ein solcher Anstoss zwar nie; wohl aber kann er nur unbedeutende Resultate erzielen und scheinbar wirkungslos vorübergehen, wenn er vor der vollen Reifezeit erfolgt. Die Gültigkeit dieses Naturgesetzes, die wir bei allen grossen geistigen Metamorphosen der fortschreitenden Menschheit bestätigt finden, zeigt sich auch in der Entwickelungsgeschichte der Descendenz-Theorie. Durch G o e t h e und L a m a r c k ein halbes Jahrhundert zu früh ins Dasein gerufen, blieb sie fast ohne Wirkung. Erst der Reifegrad, den in den folgenden fünfzig Jahren die gesammte Biologie durch das colossale Wachsthum ihrer empirischen Kenntnisse erlangt hatte, lieferte den fruchtbaren und empfänglichen Boden zur Aufnahme der Ideen von D a r w i n und W a l l a c e . Je mehr in allen Zweigen der Biologie, und besonders in der Physiologie, durch die allseitig zunehmende Ausdehnung unserer Erfahrungskenntnisse die monistische Naturauffassung an Boden gewann, desto mehr musste sie sich auch Geltung in der organischen Morphologie erwerben, und zum Angriff auf das herrschende teleologische Dogma der Species - Schöpfung vorbereiten. So finden wir denn auch, namentlich von hervorragenden deutschen Biologen, in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts wiederholt den Grundgedanken der Descendenz-Theorie, die Abstammung der verwandten Species von gemeinsamen Stammformen, ausgesprochen, so besonders von B ä r 1 ) , der durch seine classischen Untersuchungen über die gemeinsamen Entwickelungsformen der verschiedenen Thierclassen, von S c h l e i d e n 8 ) , der durch seine philosophische Untersuchung des Species-Begrififes, und von "Victor C a r u s , der durch sein „System der thierischen Morphologie" (S. 5) mit Notwendigkeit zur Auflehnung gegen das bestehende
1) C. E. y. B ä r , Das allgemeinste Gesetz der Natur in aller Entwickelung (1834) in „Reden" etc., Petersburg 1864, und besonders die vortrefflichen beiden Aufsätze „Zwei Worte über den jetzigen Zustand der Naturgeschichte." Königsberg 1821. 2) S c h l e i d e n , Grundzüge der wissenschai'tl. Botanik III. Aufl. 1850, II. Thl. S. 515. Ueber Species und Specification.
Π.
Entwickelungsgeechiclite der Descendenz - Theorie.
153
Dogma hingeführt wurde. Doch gelangten dieselben nicht zu einer bestimmten und vollständigen Formulirung der Abstammungslehre1). Wenden wir uns nun zu denjenigen Naturforschern, welche in engerem Sinne als die Begründer der Abstammungslehre bezeichnet zu werden verdienen, so glauben wir vor Allen Lamarck u n d G e o f f r o y S. H i l a i r e in Frankreich, G o e t h e und Oken in Deutschland, Darwin und W a l l a c e in England hervorheben zu müssen2). Das Ver1) einigen unsers Vergl.
Ebenso wie in Deutschland von B ä r . S c h l e i d e n und C a r u s , wurden auch von englischen und französischen Naturforschern im vierten und fünften Decennium Jahrhunderts mehrfach Andeutungen im Sinne der Descendenz - Theorie gemacht. D a r w i n ' s Vorrede zur deutschen Uebersetzung seines Werkes.
2) Die Descendenz - Theorie ist ein Kind unseres Jahrhunderts, und ihr Geburtsj a h r , durch L a m a r c k ' s fundamentales Werk bezeichnet, ist 1809. Allerdings hatte G o e t h e seine wichtigsten darauf bezüglichen Ideen schon im letzten Decennium des vorigen Jahrhunderts (1790. 1796) niedergeschrieben: doch wurden sie (abgesehen von der Metamorphose der Pflanze, die bereits 1790 erschien) erst später veröffentlicht. Was den ersten Ursprung der Transmutations - Theorie und ähnlicher Ideen betrifft, so haben allerdings schon einzelne hervorragende Naturforscher früherer Jahrhunderte, und selbst schon mehrere bedeutende Philosophen des Alterthums mehr oder minder bestimmt den Gedanken ausgesprochen, dass die verschiedenartigen, aber doch von einem gewissen Zuge von Familienähnlichkeit zusammengehaltenen Arten der Organismen entweder aus einander oder ans einem gemeinsamen Grundtypus, einer uralten Stammform, durch allmähliche Umbildung entstanden seien. Und in der That wird dieser Gedanke durch einen synthetisch vergleichenden Ueberblick der ungleichen und doch so ähnlichen organischen Formen, durch einen weiter eingehenden Rückblick auf ihre zeitliche Entwickelnng, durch eine aufmerksame Erwägung der individuellen Unterschiede von mehreren Kindern eines und desselben Elternpaars, dem denkenden Menschen so nahe gelegt, dass es nicht der entwickelten biologischen Wissenschaft bedurfte, um von der Wahrheit desselben durchdrungen zu werden. Indessen sind die einzelnen Aeusserungen dieses Gedankens, welche vor dem neunzehnten Jahrhundert gethan wurden, theils so unbestimmt und allgemein gehalten, theils in so phantastischer Form ausgesprochen, dass sie in keiner Weise gegen die Verdienst« L a m a r c k s und seiner Nachfolger Prioritätsansprüche erheben können. Die Einheit des Bauplanes in den verwandten Organismen („l'unite de composition organique'·) wurde zwar schon von der vergleichenden Anatomie des vorigen Jahrhunderte als ein Grundgesetz anerkannt, aber doch niemals auf ihre gemeinsame Abstammung als mechanische Ursache bezogen. Wir finden diesen monistischen Einheitsgedanken schon beim Vater der Naturgeschichte, A r i s t o t e l e s , ausgesprochen, welcher im Anfang seiner Geschichte der Thiere sagt, dass man zwischen verschiedenen und doch ähnlichen Thieren eine „Analogie" finden könne; die Vogelfeder entspricht nach ihm der Fischschuppe, und die Theile. welche die verschiedenen Individuen zusammensetzen, sind ,,ετερο κα\ τά αυτά". In der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts bezeichnet B e i ο η die homologen Theile des menschlichen und des Vogel-Skelets mit denselben Buchstaben und sagt ausdrücklich, dass diese gleiche Bezeichnung zeigen solle: „combien l'affinite est grande des uns et des autres." Auch der grosse N e w t o n konnte nicht zweifeln, dass die thierischen Körper nach demselben Gesetz der einheitlichen Bildung gebaut sind, wie die Weltkörper. H e r d e r hebt in seinen berühmten „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" die Einheit des Organisationstypus in der unendlichen Mannigfaltigkeit der lebenden Wesen hervor, und ähnlich äusseren sich in Frankreich B u f f o η und V i c x d Ά ζ y r.
154
Die Descendenz-Theorie und die Selections - Theorie.
dienst, die Grundgedanken der Species-Transmutation und der sich daraus unmittelbar ergebenden Folgerungen zuerst klar und bestimmt als wissenschaftliche Theorie ausgesprochen zu haben, gebührt jedenfalls dem grossen französischen Naturforscher J e a n L a m a r c k , dessen merkwürdige Philosophie Zoologique (1809), als die erste, systematisch abgerundete und offen bis zu allen Consequenzen verfolgte Darstellung der Abstammungslehre den Beginn einer neuen Periode in der geistigen Entwickelungsgeschichte der Menschheit bezeichnet 1 ). 1) J . B. P. A. L a m a r c k (Jean Baptiste Pierre Antonie, geboren 1744. gestorben 1829) P h i l o s o p h i e Z o o l o g i q u e ou Exposition des considerations relatives ä l'histoire naturelle des animaux; ä la diversity de leur organisation et des facultes, qu'ils en obtiennent; aux causes physiques, qui maintiennent en eux la vie et donnent lieu aux inouvemens, qu'ils executent; enfin, k Celles qui produisent, les unes le sentiment, et les autres l'intelligence de ceux qui en sollt doues." IX Tomes. Paris, Dentu, 1809. In neuer Form entwickelte L a m a r c k dieselbe Lehre 1815 im ersten Bande seiner berühmten „Histoire naturelle des animaux sans vertibres". Da die „Philosophie Zoologique" wenig bekannt ist, und es von hohem Interesse ist, zu sehen, wie weit L a m a r c k der ihn nicht verstehenden Zeit vorausgeeilt war, so geben wir hier die wichtigsten von seinen kühnen Sätzen wörtlich wieder. Die Capitel, in denen sie sich finden, sind durch römische Ziffern bezeichnet. P r e m i e r e P a r t i e : I. L e s d i s t r u b u t i o n s s v s t e m a t i q u e s , les classes, les ordres, les families, les genres, et la nomenclature, n e s o l l t q u e d e s p a r t i e s de l ' a r t (!). II. La connaissance des rapports entre les productions naturelles connues, fait la base des sciences naturelles, et donne de la solidite a la distribution generelle des animaux. III. L e s e s p e c e s se s o n t f o r m i e s s u c c e s s i v e m e n t , n ' o n t q u ' u n e C o n s t a n c e r e l a t i v e , et ne s o n t i n v a r i a b l e s , q u e t e m p o r a i r e m e n t (!). IV. Les actions des animaux ne s'executent que par des mouvemens excites; et il n'est pas vrai, que tons les animaux jouissent du sentiment, aiusi que de Ia faculte d'exicuter des actes de volenti (!). V. La connaissance des rapports, qui existent entre les diffirens animaux, est le seul flambeau qui puisse guider dans l'etablissement de leur distribution, en sorte que son usage en fait disparaitre I'arbitraire. VI. La progression dans la composition de l'organisation subit, ςλ et l ä . dans la serie generale des animaux, des anomaliees operees par l'influence des circonstances d'habitation, et par eelle des habitudes contractees. VII. L a d i v e r s i t y d e s c i r c o n s t a n c e s i n f l u e s u r l ' i t a t d e l ' o r g a n i s a t i o n , la f o r m e g e n e r a l e , et l e s p a r t i e e s d e s a n i m a u x (!). VIII. L a n a t u r e , a y a n t f o r m e s l e s a n i m a u x s u c c e s s i v e m e n t , a η i c e s s a i r e m e η t c o m m e n c e p a r les p i n s s i m p l e s , et n'a p r o d u i t q u ' e n d e r n i e r l i e u c e u x q u i o n t l ' o r g a n i s a t i o n l a p l u s c o m · p o s e e (!). S e c o n d e P a r t i e : I. Les animaux sont essentiellement distingues des vegetaux par l'irritabilite. II. L a v i e en e l l e - m e m e n ' e s t q u ' u n p h e n o m e n e p h y s i q u e (!). T o m e s e c o n d . III. Les mouvemens organiques, ainsi que ceux qni constituent les actions des animaux, ne s'executent que par Taction d'une cause excitatrice. IV. L'irritabiliti est une faculty- exclusivement propre aux parties souples des animaux. V. Le tissue cellulaire est la matrice generale de toute organisation (!). VI. Au moyen de generations directes ou spontanees, formies au commencement de l'echelle, soit animate, soit vigitale, la nature est parvenue a donner progressivement l'existence ä tous les autres corps vivans (!). VII. I I n ' e s t p a s v r a i q u e l e s c o r p s v i v a n s a i e n t lä f a c u l t e de r e s i s t e r a u x l o i s et a u x f o r c e s a u x q u e l l e s t o u s l e s c o r p s » o n v i v a n s s o n t a s u j e t t i s , e t q u ' i l s se r i g i s s e n t p a r d e s l o i s q u i l e u r s o n t p a r t i c u l i e r e s (!). VIII. La vie donne generalement a tous les corps qui la
Π.
Entwicklungsgeschichte der Descendenz-Theorie.
155
L a m a r c k hatte durch das sorgfältigste Studium der wirbellosen Thiere, insbesondere der lebenden Mollusken und ihrer auffallenden Verwandtschaft mit den fossilen Formen der Tertiärzeit, sich die Vorstellung eines genealogischen Zusammenhanges derselben erworben, und er bildete diese systematisch aus, indem er die Abstammung aller höher organisirten Thiere und Pflanzen von einer Anzahl höchst einfacher, durch Urzeugung entstandener Stammformen annahm. Aus diesen haben sich nach ihm im Laufe der Zeit die unendlich mannigfach gebildeten verschiedenen Arten oder Species in ganz ähnlicher Weise entwickelt, wie es die „Rassen" der Hausthiere und Culturpflanzen unter unseren Augen thun. Die Ursachen der allmählichen Umbildung suchte L a m a r c k theils in der Einwirkung der äusseren Lebensbedingungen, theils in der Kreuzung und Bastardirung der Arten, vorzugsweise aber in der Wirkung der Gewohnheit, in dem Gebrauche und Nichtgebrauche der Organe. Für diese allmählige Transformation der Organe nahm L a m a r c k sehr lange Zeiträume (geologische Perioden) in Anspruch. Die Kategorieen der botanischen und zoologischen Systeme erklärte er für künstliche Abgrenzungen, welche nur den Differenzgrad der natürlichen Blutsverwandtschaft bezeichnen. Besonders interessant aber ist es, dass L a m a r c k bereits die wichtigste und weitgreifendste Consequenz der Umwandelungslehre vertrat, und die Transmutation des Aifen in den Menschen behauptete, welche nach seiner Ansicht vorzüglich durch die veränderte Lebensweise der Affen und insbesondere durch die Gewohnheit des aufrechten Ganges und die damit verbundene Differenzirung der vorderen und hinteren Extremitäten erfolgte 1 ). possedent des facultas qui Ieur sout communes. corps v i v a u s . I.
IX. Toute faeulte particuliere k certains
provient d'uu Organe special qui y donne lieu.
Troisifeme
partie.
Le Systeme nerveux est particulier a certains auimaux. et parmi ceux qui le posse-
dent . ou le trouve dans des differens etats de composition et de perfectionnenment (!). II.
Le
idees.
fluide et
nerveux
tous
les
est
actes
l'agent
d'une action sur le fluid nerveux. physique au moral (!).
singulier
d ' i η t e 11 i g e η c e (!).
par l e q u e l
en
forment
est un penchant qui entraine,
faisant naitre des besoins,
et qui fait executer des
actions, sans la participation d'aucune pensee, ni d'aucun acte de volonte. lonte
n'est jamais
veritablement
l i b r e (!).
n'est
VI. L a
vo-
VII. Tous les actes de l'entende-
ment exigent un Systeme d'organes particulier pour pouvoir s'executer. son
les
IV. Le sentiment interieur est le lieu qui reunit le
V. L'instinct dans les animaux,
que des sensations provoquent
se
III. Le sentiment est le produit
VIII. L a
autre c h o s e qu'un d e g r e a c q u i s d a n s la n e c t i t u d e
rai-
desjuge-
m e η s (.'). 1) Allerdings zog sich L a m a r c k
„dadurch die entschiedenste Missachtung N a p o -
l e o n s d e s E r s t e n z u . den er durch seine übrigen systematischen, wirklich classischen Untersuchungen
kaum versöhnen konnte. 14
So erzählt W . K e f e r s t e i n in einer höchst
lesenswerthen Kritik der Transmutations - Lehre, Darwins gewiss
welche für den Standpunkt der Gegner
sehr bezeichnend ist (Göttiuger gelehrte Anzeigen 1 8 6 2 , V. S. 198).
ein wahres Olück für unsere Wissenschaft,
E s ist
dass D a r w i n von diesem schreck-
156
Die Descendenz - Theorie und die Selections-Theorie.
Wie weit der grosse L a m a r c k seiner Zeit vorauseilte, geht am schlagendsten daraus hervor, dass sein Werk an den allermeisten Zeitgenossen spurlos vorüber ging. C u v i e r hielt es in seinem Bericht über die Fortschritte der Naturwissenschaften nicht der Mühe werth, L a m a r c k s Buch, welches seine ganze Wissenschaft von Grund aus umgestaltete, auch nur mit einem Worte zu erwähnen, obwohl die unbedeutendsten Kleinigkeiten in jenem Berichte Aufnahme fanden. Merkwürdig ist es aber, dass auch die Schule der französischen Naturphilosophen, die sich bald nach jener Zeit entwickelte, von dem Einfluss L a m a r c k s wenig berührt worden zu sein scheint. Selbst der bedeutendste derselben, E. G e o f f r o y S . H i l a i r e , scheint viele der wichtigsten Ideen seines grossen Vorgängers gar nicht verstanden oder doch ihren Werth nicht erkannt zu haben. Zwar nimmt er auch im Wesentlichen die Abstammungslehre an, allein ohne sie so klar und bestimmt, wie L a m a r c k , zu präcisiren. Als die Hauptursache der allmählichen Umänderung der organischen Welt betrachtet er gewisse Veränderungen in der Beschaffenheit (Wärme, Dichtigkeit, Wassergehalt, Kohlensäuregehalt etc.) der Atmosphäre. Diese äusseren Einflüsse sind gewiss auch von hoher Wichtigkeit, aber an unmittelbarer Tragweite nicht mit den viel bedeutenderen Wirkungen der Uebung und Gewohnheit zu vergleichen, denen L a m a r c k mit Recht eine allgemeine und ausserordentlich hohe Bedeutung zuschrieb. Während der letztere sich in der scharfen Hervorhebung der „wirkenden Ursachen" als einziger formbildender Elemente entschieden als mechanisch erklärenden Monisten zeigt, sehen wir dagegen G e o f f r o y durch die stärkere Betonung eines gemeinsamen B a u p l a n e s aller Organismen sich mehr zu einem teleologischen Dualismus hinneigen. Wir haben bereits oben (Bd. I, S. 69) den Conflikt erwähnt, welcher später zwischen G e o f f r o y und C u v i e r im Schoosse der Pariser Akademie ausbrach, und wobei es sich wesentlich um die Transmutations -Theorie handelte. Die letztere unterlag den unmittelbar anschaulichen und greifbaren Argumenten C u v i e r s , welcher sich einfach auf die Behauptung empirisch feststehender Thatsachen beschränkte, und den über die Erfahrung hinausgreifenden Speculationen der Naturphilosophen keinerlei Einfluss zugestand. Im Grunde leugnete C u v i e r damit nicht nur die Berechtigung einzelner inductiver und deductiver Schlüsse, durch deren Anwendung liehen Schicksale L a m a r c k s Nichts gewusst hat! Sonst hätte er vielleicht gewaltige Angst bekommen, möglicherweise sich die „entschiedenste Missachtung" N a p o l e o n s d e s D r i t t e n zuzuziehen, und würde dann wahrscheinlich seine Theorie der ,.Natural selection" gar nicht veröffentlicht haben! Und ob jetzt N a p o l e o n d e r D r i t t e durch D a r w i n s ,,systematische, wirklich classische" M o n o g r a p h i e d e r C i r r i p e d i e n so leicht zu versöhnen wäre, wie N a p o l e o n d e r E r s t e durch L a m a r c k s „Historie naturelle des a n i m a u x s a n s v e r t f e b r e s " , muss dem vergleichenden Psychologen in der That sehr zweifelhaft sein!
IL
Entwickelungsgeschichte der Descendenz - Theorie.
157
er selbst so grosse Resultate erzielt hatte, sondern auch den hohen Werth, welchen die Theorie überhaupt, als Ausdruck für allgemein gültige Naturgesetze, behaupten muss. Durch jenen anerkannten Sieg C u v i e r s (entschieden am 22. Februar 1830) wurde nicht nur das seit L i n n £ herrschende Dogma von der Constanz der Species aufs neue befestigt, und die Uniwandelungslehre in den Bann gethan, sondern es wurde zugleich die einseitig empirische Richtung der organischen Morphologie herrschend, welche in den nächsten drei Decennien allgemein für die allein berechtigte galt, und welche sich mit der Kenntniss der nackten morphologischen T h a t s a c h ß n begnügte, ohne sich um die Erkenntniss der ihnen zu Grunde liegenden U r s a c h e n und G e s e t z e zu bekümmern. Unter den deutschen Naturphilosophen, welche sich unabhängig von der französischen Schule entwickelten, haben wir vor allen G o e t h e und O k e n als entschiedene Anhänger der monistischen Naturbetrachtung und der damit verknüpften Transmutations-Theorie hervorzuheben. Mit besonderem Stolze dürfen wir Deutschen hier W o l f g a n g G o e t h e als einen der wenigen Naturforscher hervorheben, welcher sich am eifrigsten „im Stillen um die Analogieen der Geschöpfe und ihre geheimnissvollen Verwandtschaften bemüht hat", und welcher am tiefsten in das eigentliche "Wesen dieser Verwandtschaft eingedrungen ist. Wir Deutschen pflegen in der Regel unseren grössten Dichter, um den uns alle Nationen beneiden müssen, nicht als Naturforscher zu betrachten, und weil er in seiner „Farbenlehre" auf einen Irrweg gerathen war, das viel tiefere Verständniss der organischen Natur gänzlich zu übersehen, welches sich in einem wahrhaft überraschenden Grade an zahlreichen Stellen von G o e t h e ' s Werken ausspricht. Wir glauben, es wird hinlänglich aus den goldenen Worten G o e t h e ' s hervorleuchten , mit denen wir den Eingang in die Bücher und Capitel dieses Werkes geziert haben. Freilich hat G o e t h e nicht, wie viele andere sogenannte Naturforscher, dicke Bände von Beschreibungen organischer Naturkörper hinterlassen; freilich war er nicht mit alle dem gedankenlosen systematischen und anatomischen Wüste, der unsere zoologische und botanische Literatur erfüllt, in Einzelnen vertraut; freilich hat er nicht Bücher mit Verhandlungen über die alberne Streitfrage angefüllt, ob diese oder jene Thier- oder Pflanzenform als Genus, als Species, oder als Varietät anzusehen sei. Wenn wir aber als Naturforscher nicht bloss den grossen Tross der gedankenlosen Naturbeschreiber ansehen dürfen, sondern auch die hervorragenden Männer, welche mit rastlosem und kühnem Forschungstriebe bis in die innersten Geheimnisse des Naturlebens hineingedrungen sind, welche mit tiefinnerem Verständnisse das WTesen der Erscheinungen von dem Zufälligen zu sondern verstanden, welche die unermessliche Complication der Lebens-
158
Die Descendenz - Theorie und die Selections-Theorie.
bewegungen in ihrer zartesten und höchsten Blüthe zu würdigen wussten, so dürfen wir gewiss mit Recht G o e t h e nicht nur als den grössten deutschen Dichter, sondern auch als einen der grössten Naturforscher verehren 1 ). Erst, in neuerer Zeit sind wir auf diese bewundernswürdige Seite des begabtesten deutschen Geistes aufmerksamer geworden, besonders seitdem H e l m h o l t z 2 ) , O s c a r S c h m i d t 3 ) , L e w e s 4 ) und V i r c h o w 5 ) „ G o e t h e als Naturforscher" gefeiert haben. Kein anderer Mensch hat es vermocht, das tiefste Verständniss der Erscheinungen der lebendigen Natur in so vollendeter dichterischer Form auszusprechen, als dies unser G o e t h e so viel und so mannichfaltig gethan hat. Jene seltene Objectivität, jene klare „Gegenständlichkeit", welche einen hervortretenden Charakterzug von G o e t h e ' s Wesen bildeten, und seine herrlichen Dichtungen überall beleben, befähigten ihn zugleich in besonderem Maasse, seine geliebte „lebendige Natur41 selbst in ihrem innersten Wesen zu erkennen und darzustellen. Allein abgesehen von den vielen wundervollen Gedanken, welche G o e t h e über die Natur im Ganzen und insbesondere über die Natur des Lebendigen, dieses „köstlichen herrlichen Dinges" ausgesprochen hat, finden wir speciell hier doppelte Veranlassung, seine grossen Verdienste um die organische Morphologie besondere hervorzuheben. Seine Metamorphose der Pflanzen, in welcher er das Blatt als das einfache, unendlich mannichfaltig differenzirte und metamorphosirte Grundorgan der verschiedenartigsten pflanzlichen Organe nachwies und so die Entwickelungsgeschichte der Pflanzen begründete, seine Wirbeltheorie des Schädels, worin er denselben als zusammengesetzt aus mehreren typischen, eigenthümlich metamorphosirten Wirbeln erkannte, dürfen wir 1) Was die Deutschen leider so oft erfahren, dass ihre Verdienste eher im Auslande, als daheim gewürdigt werden, hat auch G o e t h e als Naturforscher erfahren müssen. G e o f f r o y S. H i l a i r e in Frankreich, E i c h a r d O w e n in England haben seine ausserordentlichen naturwissenschaftlichen Verdienste früher, als die deutschen Landsleute, gebührend hervorgehoben. Letzterer sagt: ,,Durch seine Entdeckung des Zwischenknochens in der oberen Kinnlade des Menschen hat G o e t h e für alle derartigen Untersuchungen, welche die durchgehende Einheit der Natur erweisen, die Führung genommen, und die naturphilosophischen Anschauungen in seinen berühmten anatomischen Abhandlungen haben die werthvollen Arbeiten verwandter Geister, eines O k e n . B o j a n u s ^ M e c k e l , C a r u s und anderer bedeutender Forscher auf diesem Gebiete in Deutschland hervorgerufen." 2) H. H e l m l i o l t z , „Ueber. Goethe's naturwissenschaftliche Arbeiten" in der Kieler „Monatsschrift für Wissenschaft und Literatur" 1853 , I , S. 383. 3) O s c a r S c h m i d t , Goethe's Verhältniss zu den organischen Naturwissenschaften. Berlin 1853. 4) G. H. L e w e s , Goethe's Leben und Schriften, aus dem Englischen übersetzt von J. F r e s e . Berlin 1858. (Die bei weitem beste Biographie Goethe's.) 5) R u d o l f V i r c h o w , Goethe als Naturforscher, und in besonderer Beziehung auf Schiller. Berlin 1861.
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Entwickelungsgeschichte der Descendenz - Theorie.
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geradezu für morphologische Entdeckungen ersten Ranges erklären, welche ihm schon allein einen bleibenden Namen in unserer Wissenschaft sichern. Und wie charakteristisch ist es, dass die Kleinigkeitskrämer der Wissenschaft auch hierin den grossen Genius, der seiner Zeit so weit vorausgeeilt war, völlig verkannten, und dass erst eine viel spätere Zeit diesen grossen Entdeckungen die verdiente Anerkennung erringen musste! Dabei müssen wir noch besonders hervorheben, dass G o e t h e zu diesen höchst bedeutenden Entdeckungen keinesweges bloss durch glückliche Einfalle und geistvolle Combination zufällig sich darbietenden Beobachtungen gelangte, sondern auf Grund anhaltender und sorgfältiger, viele Jahre hindurch mit rastlosem Eifer fortgesetzter selbstständiger Untersuchungen1). „Freudig war seit vielen Jahren Eifrig so der Geist bestrebt, Zu erforschen, zu erfahren, Wie Natur im Schaffen lebt!"
Es ist bekannt, mit welchem unermüdlichen Fleisse, fast ganz auf seine eigene Kraft angewiesen, G o e t h e als originaler Autodidact in die verschiedensten Fächer der Naturwissenschaft eindrang, und wie er durch keine Hindernisse, durch keine Missgunst der engherzigen Fachgelehrten sich in seiner emsigen Arbeit stören liess. Weniger bekannt aber sind die herrlichen Früchte dieser Arbeit, besonders auf dem Gebiete der organischen Morphologie, und wir wollen daher hier nochmals ausdrücklich hervorheben, dass er, auch abgesehen von der Metamorphose der Pflanzen und von der Wirbeltheorie des Schädels, mehrere grosse allgemeine Gesetze entdeckte, die gegenwärtig, späteren Naturforschern zugeschrieben, als fundamentale Grundsätze der organischen Morphologie gelten, so insbesondere die Gesetze von der Arbeitstheilung und Differenzirung, von der Subordination der verschiedenen Individualitäten, von der Correlation der Theile u. s. w. (vergl. 1) Für das lebendige Iuteresse und die e c h t n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e , e m p i r i s c h - p h i l o s o p h i s c h e M e t h o d e , mit der G o e t h e seine anatomischen Beobachtungen anstellte, ist unter den osteologischen Entdeckungen besonders diejenige des Z w i s c h e n k i e f e r s sehr merkwürdig. Bekanntlich bestritten die vergleichenden Anatomen zu G o e t h e ' s Zeit, dass der Mensch, gleich den übrigen Säugethieren, einen Zwischenkiefer besitze, und fanden hierin einen der wesentlichsten anatomischen Unterschiede des Menschen von den letzteren und namentlich von den Affen. G o e t h e wies anatomisch nach, dass dieser Unterschied nicht existire, und dass der Mensch so gut sein „Os intermaxillare" habe, als die übrigen Säuger; und er wies dies nach gegenüber den bedeutendsten vergleichenden Anatomen seiner Zeit, welche weder seine wichtige Entdeckung anerkennen wollten, noch auch den hohen theoretischen Werth derselben begriffen. Besonders charakteristisch dabei war aber die echt philosophische Methode, mittelst welcher G ο e t b e diese Entdeckung machte, nicht durch zufälliges Finden, sondern durch bewusstes , planmässiges Suchen, e i n M u s t e r v o n e c h t e r I n d u c t i o n u n d D e d u c t i o n . Der Mensch „ m u s s t e " einen Zwischenkiefer haben und so fand er sich!
160
Die Descendenz - Theorie und die Selections - Theorie.
die citirten Schriften, besonders L e w e s und Vir chow). Was späterhin Cuvier und G e o f f r o y , B ä r und J o h a n n e s M ü l l e r , M i l n e E d w a r d s und B r o n n hierüber im Einzelnen gesagt und empirisch begründet haben, ist im Allgemeinen und Wesentlichen bereits lange zuvor von W o l f g a n g G o e t h e klar und kurz ausgesprochen worden (vergl. Bd. I, S. 240). Das Wichtigste aber, was wir von G o e t h e als Naturforscher hier hervorheben müssen, und was unseres Erachtens noch Niemand gebührend gewürdigt hat, ist, dass wir ihn als den s e l b s t s t ä n d i g e n B e g r ü n d e r der D e s c e n d e n z - T h e o r i e in D e u t s c h l a n d feiern dürfen. Zwar führte er dieselbe nicht, wie L a m a r c k , in Form eines wissenschaftlichen Lehrgebäudes aus, und er versuchte nicht, wie D a r win, physiologische Beweise für die gemeinsame Abstammung der Organismen aufzufinden; aber die Idee derselben schwebte ihm klar und bestimmt vor; alle seine morphologischen Arbeiten waren von diesem monistischen Gedanken der ursprünglichen Einheit der Form und der Abstammung durchdrungen, und wir finden den Grundgedanken der Abstammungslehre vor L a m a r c k und vor dem neunzehnten Jahrhundert nirgends klarer und schärfer ausgesprochen als bei G o e t h e , welcher ihn (schon 1796!) für die Wirbelthiere in den oben angeführten merkwürdigen Worten aussprach: „ D i e s s also h ä t t e n wir g e w o n n e n , u n g e s c h e u t b e h a u p t e n zu d ü r f e n , d a s s alle v o l l k o m m n e r e n o r g a n i s c h e n N a t u r e n , w o r u n t e r wir F i s c h e , A m p h i b i e n , V ö g e l , S ä u g e t h i e r e and an der Spitze der letzten den Menschen s e h e n , a l l e nach E i n e m U r b i l d e g e f o r m t seien, d a s nur in s e i n e n s e h r b e s t ä n d i g e n T h e i l e n mehr oder w e n i g e r h i n - u n d h e r w e i c h t , und sich noch täglich durch Fortpflanzung a u s - u n d umbildet 1 )." Wenn je der dichterische Genius in Wahrheit auf den Flügeln der Phantasie seiner Zeit weit vorausgeeilt war, so ist es gewiss hier der Fall, wo wir G o e t h e mit der vollsten Klarheit und Bestimmtheit auf der Höhe einer Anschauung sehen, die eben so wohl zu den wichtigsten Errungenschaften des menschlichen Forschungsgeistes gehört, als sie noch weit entfernt ist, die allgemeine Anerkennung einer fundamentalen Wahrheit gefunden zu haben. Als der bedeutendste der deutschen Naturphilosophen wird gewöhnlich nicht G o e t h e , sondern L o r e n z Oken angesehen, welcher allerdings nicht nur an speciellen Kenntnissen auf dem ganzen Gebiete der Naturwissenschaft ersterem weit überlegen war, sondern auch durch den Ausbau eines speciell durchgeführten naturphilosophischen Systems sich eine weit allgemeinere Geltung als Naturforscher erwarb. Verglei1) G o e t h e , Vorträge üt^er die drei ersten Capitel des Entwurfs einer allgemeinen Einleitung in die vergleichende Anatomie, ausgehend von der Osteologie (1796).
Π.
Entwickelungsgeschichte der Descendenz - Theorie.
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chen wir jedoch seine Arbeiten mit denen von G o e t h e , so finden wir bei dem letzteren nicht nur tieferes Verständniss der organischen Natur, und insbesondere der Morphologie der Organismen, sondern auch grössere Vorsicht und Umsicht in der Aufstellung allgemeiner Gesetze, und selbst eine schärfere und klarere Beurtheilung der Einzelheiten in den organischen Fonnverhältnissen. Ο k e n verlor sich, bei allen seinen Verdiensten, doch nur allzuleicht und allzutief in unbestimmten und mystischen naturphilosophischen Träumereien, und brachte noch dazu diese phantastischen Einbildungen in einer so dunkeln orakelhaften Weise vor, oft so leichtfertig die empirische Basis verlassend, dass die bald emporkommende exact-empirische Schule Cu vi er's sich gar nicht mehr um ihn bekümmerte. Um aber doch gerecht zu sein, müssen wir hervorheben, dass manche Grundgedanken Ο k e n ' s vollkommen richtig waren und selbst seiner Zeit weit vorauseilten. Dem U r s c h l e i m , welchen Ο k e n als das allgemeine active Substrat der Lebenserscheinungen in den Organismen erkannte, schrieb er, als dem allgemeinen activen Träger der Lebensbewegungen, wesentlich dieselben Eigenschaften zu, die wir heutzutage vom Protoplasma oder Plasma kennen. Ferner sprach O k e n mit Bestimmtheit aus, dass alle Organismen aus sehr kleinen, mikroskopischen, aus solchem Urschleim bestehenden Bläschen zusammengesetzt seien, welche er Mile oder Infusorien nannte, und denen er wesentlich alle dieselben Eigenschaften zutheilte, die wir heute den Zellen vindiciren. Die ersten Organismen sollten als solche einfache Urschleim - Bläschen frei im Meere durch Urzeugung entstanden sein, und aus diesen sich durch Fortpflanzung, Synthese und Metamorphose alle höheren Organismen allmählich entwickelt haben. Kein Organismus sollte selbstständig erschaffen, alle allmählich entwickelt sein. Wie man hieraus sieht, sprach O k e n sowohl die Grundzüge der Zellen-Theorie, als auch der Transmutations-Lehre deutlich schon zu einer Zeit aus, wo jene noch gar nicht vorhanden, und diese noch nicht in Geltung war 1 ). Die Niederlage, welche C u v i e r in seinem Kampfe mit G e o f f r o y 1830 öffentlich der Naturphilosophie und speciell der Descendenz "Theorie bereitet hatte, war scheinbar so gründlich und wurde so allgemein anerkannt, dass in der nun folgenden Periode, beinahe volle drei Decenifien hindurch, von einer Umwandlung der Species, ja überhaupt von einer Entstehung derselben, fast nirgends mehr die Rede war. Diese Frage galt für ein unauflösliches Problem, dessen Lösung jenseits der Grenzen der Naturwissenschaft liege. Um eine Theorie zu vermeiden, welche noch nicht hinlänglich bewiesen und begründet erschien, um 1) Diese Bemerkung gilt besonders von einigen früheren Arbeiten O k e a ' s , in denen sich zum Theil sehr treffende Bemerkungen und Belege für die Entwickelungs - Theorie linden. Späterhin verlor er sich immer mehr in phantastischen Träumereien. Ha β ekel, Generelle Morphologie, H. II
162
Die Descendenz - Theorie und die Selections - Theorie.
als allgemeine Basis der Biologie zu dienen, warf man sich einem Dogma in die Arme, dessen einzige Stärke in seiner Unbegreiflichkeit und seiner Unvereinbarkeit mit allen allgemeinen Entwickelungserscheinungen der Natur bestand. Dieses Dogma von der Constanz und absoluten Selbstständigkeit der Species, welches nunmehr zur Basis der organischen Morphologie erhoben wurde, konnte natürlich Nichts erklären , sondern musste bei jedem Erklärungsversuche auf lauter Widersprüche und übernatürliche Eingriffe in den gesetzlichen Gang der Natur, auf „Wunder" stossen. Und diese metaphysischen Vorstellungen wurden um so beliebter und mächtiger, als man dadurch jeder Anstrengung des Nachdenkens über die Ursachen überhoben wurde, und als eine Menge äusserlicher, egoistischer Motive diese Vorstellungen kräftigst unterstützten. So kam es, das man sich in der organischen Morphologie allmählich daran gewöhnte, auf eine natürliche Erklärung ihrer Erscheinungen überhaupt zu verzichten, und die blosse Beschreibung derselben als Wissenschaft anzusehen. So entstand zugleich die sich rasch erweiternde Kluft zwischen der Physiologie und der Morphologie der Organismen. Während die Physiologie, in richtiger Erkenntniss ihres Zieles und der dahin führenden Methoden, sich immer ausschliesslicher einer monistischen, d. h. absolut mechanischen und wirklich causalen Beobachtung der Lebensvorgänge zuwandte, entfernte sich die Morphologie in gleichem Grade immer entschiedener von derselben, und warf sich einer dualistischen, d. h. durchaus vitalistischen und wirklich teleologischen Betrachtung in die Arme. So entstand das gedankenlos zusammengehäufte Chaos von zahllosen unzusammenhängenden Einzel-Beobachtungen, welches gegenwärtig die Morphologie der Organismen repräsentirt. So entschieden wir nun auch die dogmatische Einseitigkeit der seit 1830 als Alleinherrscherin anerkannten „exact-empirischen" Richtung der organischen Morphologie und ihres gänzlich unwissenschaftlichen Grundgedankens von einer selbstständigen Erschaffung aller einzelnen „Species" verurtheilen müssen, so sind wir doch weit entfernt davon, den hohen Werth zu unterschätzen, den die massenhafte Anhäufung des empirischen Rohmaterials zu dieser Zeit besass. Indem sich auf allen Gebieten der botanischen und zoologischen Morphologie, in der Histologie und Organologie, in der Embryologie und Palaeontologie, Beobachtung auf Beobachtung, Entdeckung auf Entdeckung thürmte, indem alle diese riesigen Massen von empirisch festgestellten Thatsachen ohne Ordnung und bunt durch einander gewürfelt sich häuften, wurde das Bedürfniss nach einer lichtvollen Ordnung und einer denkenden Verbindung derselben immer dringender, der stille oder ausgesprochene Wunsch nach der Auffindung leitender Gesetze in diesem Chaos immer allgemeiner. So bereitete sich, gerade durch die emsige Thätigkeit
Π.
EntwickelungBgeechichte der Descendenz - Theorie.
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der rein empirischen Morphologie, immer schneller die Zeit vor, in welcher eine philosophische Reform derselben, eine Erlösung von dem fesselnden Wüste der todten Thatsachen durch den befreienden Gedanken der lebendigen Ursachen, nothwendig eintreten musste. Diese Erlösung konnte nur erfolgen durch eine Wiederbelebung und Neubegründung der Descendenz-Theorie, und der Held, an dessen Namen sich diese Reformation in erster Linie knüpft, ist C h a r l e s Darwin. „ l i e b e r d i e E n t s t e h u n g der A r t e n im T h i e r - und P f l a n z e n r e i c h durch n a t ü r l i c h e Z ü c h t u n g oder E r h a l t u n g der v e r v o l l k o m m n e t e n R a s s e n im Kampfe ums D a s e i n " lautet der Titel des grossartigen Werkes, durch welches Charles D a r w i n 1 ) 1859 eine neue Periode zunächst der gesammten Morphologie und Physiologie, dadurch aber zugleich der Anthropologie und der gesammten menschlichen Wissenschaft überhaupt begründete. Indem wir nun in eine nähere Betrachtung von D a r w i n ' s Lehre eintreten, können wir nicht umhin zunächst der ausserordentlichen Bewunderung und der hohen Verehrung Ausdruck zu geben, mit welcher uns die Geistesthätigkeit dieses grossen Naturforschers erfüllt hat. Wenn man aufmerksam und nachdenkend Darwin's Buch liest und wieder liest, steigert sich die Verehrung des ausserordentlichen Mannes in immer höherem Grade, und man weiss wirklich nicht, was man mehr bewundern soll, die Fülle und Allseitigkeit seiner empirischen Kenntnisse, oder die Reinheit und Folgerichtigkeit seines philosophischen Verständnisses, den sittlichen Muth seiner tiefen Ueberzeugung, oder die ungeheuchelte Bescheidenheit, mit welcher er dieselbe ausspricht, die Innigkeit und Tiefe seiner Naturbeobachtung im Kleinen und Einzelnen, oder die Macht und Grösse seiner Naturanschauung im Grossen und Ganzen. 1) C h a r l e s D a r w i n , geboren 1808, wurde zu einer umfassenden und grossartigen Naturbetrachtung zunächst hingeleitet durch eine Erdumsegelung, welche er als Naturforscher an Bord des ..Beagle-' in den Jahren 1832 —1837 ausführte, und auf welcher er namentlich in Südamerika zahlreiche und verschiedenartige Eindrücke sammelte, die ihn auf die Erforschung des Problems von der Entstehung der Arten hinleiteten. Seit seiner Rückkehr war er mehr als zwanzig Jahre lang im Stillen, eifrigst beschäftigt, möglichst umfangreiche Mengen von Thatsachen zu sammeln. welche ihn zur Lösung jenes Problems hinführen könnten. Insbesondere beschäftigte er sich angelegentlich mit den höchst lehrreichen, von den Naturforschern meist ganz vernachlässigten, Veränderungen, welche die „Rassen" und „Arten" der Hausthiere und Culturpflanzen unter unseren Augen in Terhältnissmässig kurzer Zeit eingehen. Indem er das causale Wesen und den mechanischen Verlauf der Entstehung neuer Formen, die unsere künstliche Züchtung unter unseren Augen bewirkt, auf das gegenseitige Wechselverhältniss der Organismen im wUden Naturzustände übertrug, und in der geistvollsten Weise mit dem „Kampfe um das Dasein" zusammenwirken liess, entdeckte er die „natürliche Zuchtwahl", welche die Basis der ihm eigentümlichen Selections - Theorie ist. Hit weiterer Ausarbeitung derselben beschäftigt lebt D a r w i n gegenwärtig, leider sehr kränkelnd, auf seinem Gute DownBromley in Kent.
11 *
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Die Descendenz- Theorie und die Selections-Theorie.
Durch eine seltene Vereinigung dieser seltenen menschlichen Eigenschaften steht D a r w i n unendlich erhaben über der Mehrzahl seiner Gegner da, deren beschränkter Horizont gewöhnlich nicht ausreicht, um auch nur das von ihm entworfene einheitliche Gesammtbild der organischen Natur als Ganzes übersehen zu können. D a r w i n ' s epochemachendes Buch ist übrigens nur ein kurzer und in Eile vollendeter Auszug aus den umfangreichen Vorarbeiten, mit denen derselbe seit mehreren Decennien behufs der Herausgabe eines grösseren und mit den umfassendsten Beweismitteln ausgerüsteten Werkes über denselben Gegenstand beschäftigt ist. Von den berühmten englischen Naturforschern L y e l l und H o o k e r , welche seine hierauf bezüglichen Untersuchungen seit vielen Jahren kennen, wiederholt vergeblich zur vorläufigen Veröffentlichung seiner Theorie gedrängt, wurde D a r w i n endlich hierzu vermocht, als 1858 ein anderer englischer Naturforscher, A l f r e d W a l l a c e , ihm ein Manuscript zusendete, welches denselben Gegenstand in nahezu gleicher Weise behandelte. W a l l a c e , welcher seit vielen Jahren die Thierwelt des ostindischen Archipelagus an Ort und Stelle, und mit besonderer Beachtung ihrer geographischen und systematischen Verhältnisse studirt hatte, war dadurch, ganz unabhängig von D a r w i n , zu denselben Grundideen, wie der letztere, gelangt, und namentlich auch zu der Annahme, dass die Entstehung neuer Species durch unbegrenzte und divergente Abänderung der vorhandenen, von einem „natürlichen Auswahl-Process" (Natural Selection) geleitet werde. Dieser folgt mit Nothwendigkeit aus· der natürlichen Neigung aller Organismen, sich in geometrischer Progression zu vermehren, während ihre nothwendigen Existenz-Bedingungen (und besonders die unentbehrlichen Nahrungsmittel) nur in arithmetischer Progression wachsen. Es wird dadurch ein „Kampf um das Dasein" bedingt, welcher „züchtend" neue Species hervorbringt. Dieser Grundgedanke, welcher eine Uebertragung der Uebervölkerungs-Lehre von Mal t h u s auf das gesammte Thier- und Pflanzenreich ist, wurde sowohl von W a l l a c e als von D a r w i n , unabhängig von einander entwickelt, wie aus den beiden ersten hierauf bezüglichen Mittheilungen der beiden englischen Naturforscher zu ersehen ist, die gleichzeitig 1858 in den Schriften der Linn£'schen Gesellschaft veröffentlicht wurden 1 ). 1859 erschien dann das berühmte Buch von D a r w i n , welches nicht nur jenen Grundgedanken ausführlich begründet, sondern auch die gesammte Abstammungslehre in einem bisher ungeahnten Glänze unter Benutzung aller biologischen Argumente entwickelt. 1) A l f r e d W a l l a c e : über die Neigung der Spielarten, sich unbegränzt von ihrem ursprünglichen Vorbild zu entfernen; und C h a r l e s D a r w i n : über die Neigung der Arten, Spielarten zu bilden, und über die Fortdauer der Arten und Spielarten durch die natürlichen Mittel der Auswahl. Journal of the Linnean Society. August 1858.
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Entwickelungsgeschichte der Descendenz - Theorie.
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Nach uDserer Ansicht hat C h a r l e s D a r w i n als Reformator der Transmutations-Theorie zwei grosse und wesentlich verschiedene Verdienste. Erstens hat er die Abstammungslehre in einer weit strengeren und eingehenderen "Weise, als seine Vorgänger durchgeführt, und hat dazu das inzwischen massenhaft angehäufte Material aus allen Gebieten der Biologie in der umfassendsten Weise benutzt; und zweitens hat er durch die Aufstellung der S e l e c t i o n s - T h e o r i e der Umwandlungslehre einen causalen Beweisgrund geliefert, gegen welchen alle vorher noch möglichen Zweifel verstummen müssen. Was zunächst das erste Verdienst betrifft, so würde es allein schon genügen, D a r w i n als wirklichen Reformator der Abstammungslehre unsterblich zu machen. Mit bewunderungswürdigem Ueberblick des organischen Naturganzen und allseitiger Kenntniss aller einzelnen Gebietstheile desselben, hat derselbe die verschiedenartigen Thatsachen - Reihen zusammengestellt, welche Systematik und Verwandtschaftslehre, Anatomie und Entwickelungsgeschichte, Geologie und Palaeontologie, Physiologie der Zeugung und der geographischen Verbreitung uns liefern, und aus deren genereller Vergleichung allein schon die Descendenz-Theorie mit unabweisbarer Notwendigkeit folgen muss. Von der M o r p h o l o g i e , und zwar sowohl von der A n a t o m i e , als von der M o r p h o g e n i e zeigt D a r w i n 1 ) , dass alle ihre allgemeinen Resultate mit den Gesetzen der Descendenz - Theorie im vollsten Einklänge stehen, und dass die letztere allein im Stande ist, alle allgemeinen Gesetze der Systematik (Classification) und der vergleichenden Anatomie, und ebenso diejenigen der Ontogenie ( E m b r y o l o g i e ) und Phylogenie ( P a l a e o n t o l o g i e ) wirklich zu erklären. Dasselbe gilt von der P h y s i o l o g i e , deren gesammte Conservations- und Relations -Phaenomene (Bd. I, S. 238) mit der Descendenz - Theorie vollkommen übereinstimmen. Unter den Functionen der Relation sind dafür besonders wichtig die bisher so wenig berücksichtigten, vielfältigen Beziehungen der Thiere und Pflanzen zu einander und zu den umgebenden Existenzbedingungen, 1) Wenn wir die biologischen Erscheinungsreihen, welche ill D a r w i n ' s Werk bezüglich ihrer Bedeutung für die Transmutations - Theorie erläutert und zusammengefasst werden, und welche in verschiedenen Capiteln des Werkes in etwas lockerer Form geordnet auftreten. von strengerem biologischen Gesichtspunkt aus ordnen. so würden sich dieselben etwa folgendermaassen auf die verschiedenen Capitel (die wir durch die eingeklammerten römischen Ziffern bezeichnen) vertheilen· A. Morphologie (IX, X, XHI). a) A n a t o m i e (XIII); b) M o r p h o g e n i e : 1) Ontogenie (XIII), 2) Phylogenie (IX, X). B. Physiologie, a) P h y s i o l o g i e d e r N u t r i t i o n (Ernährungs-Functionen) (I, II, V); b) P h y s i o l o g i e d e r G e n e r a t i o n (Fortpflanzungs - Functionen) (IV, VI, VIII); c) P h y s i o l o g i e d e r R e l a t i o n (Beziehungs - Functionen) (ΙΠ, VII, X I , XII). Im XIV. Capitel giebt D a r w i n eine allgemeine Wiederholung und Zusammenfassung seiner Lehre, und im XV. Capitel begleitet der Uebersetzer des Werkes, der treffliche, der Wissenschaft zu früh entrissene B r o n n (einer der wenigen denkenden Morphologen) das Werk mit einem empfehlenden Nachwort.
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Die Desoendenz - Theorie und die Selections-Theorie.
wodurch die Anpassungen im Kampfe um das Dasein und die äusserst verwickelten Erscheinungen der geographischen Verbreitung bedingt werden. Auch diese lassen sich lediglich aus der Descendenz-Theorie erklären und begreifen, wie es Darwin schlagend nachweist. Das grösste Gewicht legte derselbe jedoch unter allen physiologischen Erscheinungsreihen auf die Abänderungen durch Anpassung und auf die F o r t p f l a n z u n g s - F u n c t i o n e n , welche sowohl in den Erscheinungen der Bastardbildung, als ganz besonders der Vererbung uns eine Reihe von Thatsachen lehren, die eben so von der grössten Wichtigkeit, als bisher fast ganz vernachlässigt sind. Indem D a r w i n diese Erscheinungen, auf denen die künstliche Züchtung beruht, in der geistvollsten Weise mit den complicirten Verhältnissen der Wechselbeziehung der Organismen, und besonders des Kampfes um das Dasein combinirt, gelangt er zur Aufstellung der auch von W a l l a c e in ähnlichem Sinne ausgedachten S e l e c t i o n s - T h e o r i e , deren ausführliche und auf breitester morphologischer und physiologischer Basis ausgeführte Begründung wir als das zweite grosse Verdienst von Darwin und als sein besonderes Eigenthum hier einer eingehenden Betrachtung zu unterwerfen haben.
ΙΠ. Die Selections - Theorie.
(Der Darwinismus.)
Die Lehre von der natürlichen Züchtung („Natural Selection") der Organismen oder von der „Erhaltung der vervollkommneten Rassen im Kampfe um das Dasein", welche wir im Folgenden immer kurz als die Z u c h t w a h l - L e h r e oder S e l e c t i o n s - T h e o r i e bezeichnen werden, ist von Charles Darwin z u e r s t aufgestellt und in so vollkommener Weise als die eigentlich causale oder mechanische Basis der gesammten Transmutations-Theorie nachgewiesen worden, dass die letztere erst durch die erstere als eine vollberechtigte und vollkommen sicher gestellte Theorie ersten Ranges ihren unvergänglichen Platz an der Spitze der biologischen Wissenschaften erhalten hat. Diese Sel e c t i o n s - T h e o r i e ist es, welche man mit vollem Rechte, ihrem alleinigen Urheber zu Ehren, als D a r w i n i s m u s bezeichnen kann, während es nicht richtig ist, mit diesem Namen, wie es neuerdings häufig geschieht, die gesammte D e s c e n d e n z - T h e o r i e zu belegen, die bereits von L a m a r c k als eine wissenschaftlich formulirte Theorie in die Biologie eingeführt worden ist, und die man daher entsprechend als L a m a r c k i s m u s bezeichnen k ö n n t e D i e D e s c e n d e n z - T h e o r i e fasst die gesammten allgemeinen (morphologischen und physiolo1) Die entgegengesetzte dogmatische Lehre von der absoluten Constanz und der selbstständigen Erschaffung der Species, kann eben so nach C u ν i e r, ihrem hervorragendsten Vertheidiger, C u v i e r i s m u s genannt werden.
HL
Die Selections-Theorie.
(Der Darwinismus.)
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gischen) Erscheinungsreihen der organischen Natur in ein einziges grosses harmonisches Bild zusammen, und zeigt, wie sich uns alle Züge desselben aus einem einzigen physiologischen Natur-Processe, aus der T r a n s m u t a t i o n d e r S p e c i e s , harmonisch und vollständig erklären. Die S e l e c t i o n s - T h e o r i e zeigt uns dagegen, wie dieser Process der Species-Transmutation vor sich geht, und warum derselbe nothwendig gerade so vor sich gehen muss, wie es thatsächlich geschieht; sie e r k l ä r t diesen physiologischen Process selbst, indem sie uns seine m e c h a n i s c h e n Ursachen, die C a u s a e e f f i c i e n t e s , kennen lehrt. Wenn daher L a m a r c k immer das Verdienst bleiben wird, die Abstammungslehre zuerst in die Wissenschaft als selbstständige Theorie eingeführt zu haben, so wird dagegen D a r w i n das nicht geringere Verdienst behalten, dieselbe nicht allein, entsprechend dem wissenschaftlichen Fortschritt eines halben Jahrhunderts, vielseitiger und umfassender ausgebildet, sondern das grössere und ebenso unsterbliche Verdienst, ihr durch die Aufstellung der Zuchtwahl-Lehre erst die causale, d. h. die unerschütterliche m e c h a n i s c h e B a s i s gegeben zu haben 1 ). Der Grundgedanke von D a r w i n ' s Selections-Theorie liegt in der W e c h s e l w i r k u n g z w e i e r p h y s i o l o g i s c h e r F u n c t i o n e n , welche allen Organismen eigenthümlich sind, und welche wir, ebenso wie die Ernährung und Fortpflanzung, mit denen sie unmittelbar zusammenhängen, als allgemeine organische Functionen bezeichnen können. 1) AVir heben hier absichtlich diese wesentliche Verschiedenheit der Verdienste von L a m a r c k und D a r w i n scharf hervor, weil der kleinliche Neid bald L a m a r c k und bald D a r w i n , am liebsten aber allen Beiden, das Verdienst der Aufstellung und Begründung der Descendenz - Theorie entreissen möchte. Aus mancherlei der Theorie günstigen Aeusserungen, welche in neuerer Zeit laut geworden sind, blickt nicht selten ein theils persönlicher« theils nationaler Egoismus hervor, welcher jenes Verdienst Anderen zuwenden möchte. Einige Franzosen haben hervorgehoben, dass j a L a m a r c k und G e o f f r o y schon ganz dasselbe, wie D a r w i n , gesagt hätten, und dass des letzteren Arbeit nur ein schwacher Abklatsch von jenen der ersteren sei. Diesen ist einfach zu entgegnen, dass sie D a r w i n ' s Werk gar nicht verstanden und die Selections-Theorie gar nicht begriffen haben. Einige Dentsche haben gleicher Weise behauptet, dass schon mehr als ein hervorragender deutscher Naturforscher die Descendenz - Theorie ausgesprochen habe, und dass diesen die Priorität vor D a r w i n gebühre. Auch dies ist nicht richtig. Dass der Grundgedanke der D e s c e n d e n z - T h e , o r i e ein alter ist, und dass er sich schon vielen denkenden Naturforschern früherer Zeiten mehr oder minder bestimmt aufdrängen musste, haben wir oben gezeigt, ebenso, dass von den neueren deutschen Naturforscher» mehrere Coryphaeen, namentlich B ä r und S c h l e i d e n , denselben betont haben. Keiner von ihnen aber hat ihn als selbstständige Theorie ausgebildet, wie dies von L a m a r c k und D a r w i n geschehen ist. Auch die merkwürdigen Aussprüche von G o e t h e , die allein neben letzteren genannt werden können, entbehren der ausführlichen Begründung. Was aber zweitens die S e l e c t i o n s - T h e o r i e betrifft, so ist deren Aufstellung und wissenschaftliche Durchführung D a r w i n ' s eigenthümliches Verdienst, nnd nur W a l l a c e könnte auf Theilnahme an demselben Anspruch erheben.
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Die Descendenz - Theorie und die Selections-Theorie.
Es sind dies die beiden äusserst wichtigen Leistungen der V e r e r b u n g und der A n p a s s u n g , welche nach unserer Ansicht wesentlich den beiden formbildenden Elementen entsprechen, die wir oben im zweiten Buche als inneren und äusseren Bildungstrieb einander gegenübergestellt haben. (Vergl. Bd. I, S. 154.) Die E r b l i c h k e i t oder der i n n e r e B i l d u n g s t r i e b (die innere Gestaltungskraft) äussert sich darin, dass jeder Organismus bei der Fortpflanzung seines Gleichen erzeugt, oder, genauer ausgedrückt, einen ihm (nicht gleichen, sondern) ä h n l i c h e n Organismus. Die A n p a s s u n g s f ä h i g k e i t oder der ä u s s e r e B i l d u n g s t r i e b dagegen (die äussere Gestaltungskraft) äussert sich darin, dass jeder Organismus durch Wechselwirkung mit seiner Umgebung einen Theil seiner ererbten Eigenschaften aufgiebt und dafür neue Eigenschaften annimmt, so dass er mithin dem Organismus, der ihn erzeugte, niemals absolut gleich, sondern nur ähnlich ist. Aus der allgemein stattfindenden Wechselwirkung dieser beiden gestaltenden Principien geht die ganze Mannigfaltigkeit der Organismenwelt hervor. Wäre die Erblichkeit eine absolute, so würden alle Organismen eines jeden Stammes einander gleich sein; wäre umgekehrt die Anpassung eine absolute, so würden alle Organismen völlig verschieden sein. Der factisch vorhandene Grad der Wechselwirkung zwischen beiden Bildungskräften bedingt den factisch vorhandenen Grad der Aehnlichkeit und Verschiedenheit zwischen allen Lebewesen. A l l e C h a r a c t e r e d e r O r g a n i s m e n (und zwar sowohl chemische, als morphologische, als physiologische Eigenschaften) s i n d e n t w e d e r d u r c h V e r e r b u n g , o d e r d u r c h A n p a s s u n g e r w o r b e n ; ein drittes formbildendes Element neben diesen beiden existirt nicht (vergl. Buch II, Capitel V). Die nächste Folge der Wechselwirkung zwischen der Vererbung und der Anpassung, und insbesondere der Vererbung der durch Anpassung erworbenen Abänderungen, ist die dadurch bewirkte Divergenz ihres Charakters oder die D i f f e r e n z i r u n g . Indem die Organismen auf ihre Nachkommen durch Vererbung nicht allein die von ihnen ererbten, sondern auch die von ihnen durch Anpassung erst erworbenen Eigenschaften (Abänderungen) übertragen, gehen ihre Nachkommen aus einander, divergiren, und indem diese Divergenz wegen der unbegrenzten Abänderungsfähigkeit oder Variabilität in einem gewissen Sinne keine Schranken hat, indem vielmehr der Organismus stets anpassungsfähig, also variabel bleibt, so können im Laufe zahlreicher Generationen aus einer und derselben ursprünglichen Stammform gänzlich verschiedene Nachkommen hervorgehen. Aus einer und derselben Art entstehen durch Anpassung an sehr verschiedene Lebensbedingungen im Laufe von Generationen sehr verschiedene Arten. Je mehr die Erblichkeit in der Generationsfolge überwiegt, desto con-
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Die Selections - Theorie.
(Der Darwinismus.)
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stanter ist die Art und desto längere Zeit erhält sie sich; je mehr die Anpassung überwiegt, desto variabler ist die Art und desto rascher entstehen aus ihr neue Arten. Die ganze unendliche Mannichfaltigkeit der organischen Formen wird also in letzter Instanz lediglich durch die Wechselwirkung dieser beiden physiologischen Functionen, der Anpassung und der Vererbung hervorgebracht. Sehr wichtig sind aber weiter die besonderen Verhältnisse, unter denen diese Wechselwirkung überall stattfindet, und von denen sie in hohem Maasse begünstigt wird. Die Summe dieser Verhältnisse nennt D a r w i n mit einem metaphorischen Ausdruck den „ K a m p f u m s D a s e i n " . Indem nämlich jeder Organismus den auf ihn einwirkenden äusseren Umständen entgegenwirkt, kämpft er mit denselben. Da nun alle Individuen einer Organismenart nicht absolut gleich, sondern bloss ähnlich sind, so verhalten sie sich den gleichen äusseren Einflüssen gegenüber verschieden. Ausser diesem Kampfe mit den Anpassungs-Bedingungen findet aber ferner auch überall ein Wettkampf zwischen den zusammenlebenden Organismen statt. Da nämlich alle Organismen eine weit zahlreichere Nachkommenschaft produciren, als sich zu erhalten im Stande ist, so werden von derselben diejenigen sich am leichtesten und besten erhalten, welche sich am leichtesten und besten den umgebenden Existenz-Bedingungen, dem äusseren Bildungstriebe anpassen. Es sterben daher die am wenigsten angepassten Individuen frühzeitig aus, ohne sich fortpflanzen zu können, während die am besten angepassten Individuen erhalten bleiben und sich fortpflanzen. Die ersteren werden von den letzteren in dem unvermeidlichen Wettkampfe um die Erlangung der unentbehrlichen, aber nicht für Alle ausreichenden Existenz-Bedingungen besiegt. Es kommt hier die oben erwähnte Populations-Theorie von M a l t h u s zur Anwendung. Diesen Sieg der befähigteren und besser angepassten Organismen im Kampfe um das Dasein nennt D a r w i n „ N a t u r a l s e l e c t i o n " oder n a t ü r l i c h e Z u c h t w a h l (natürliche Züchtung oder Auslese), weil der Kampf um das Dasein hier dieselbe auslesende, auswählende (züchtende) Wirkung auf viele ungleiche Individuen einer und derselben Art ausübt, welche bei der „künstlichen Züchtung" die absichtliche, zweckmässige Auswahl des Menschen übt. Die natürliche Selection wählt also im Kampfe um das Dasein diejenigen Individuen zur Fortpflanzung aus, welche sich am besten den Existenz-Bedingungen anpassen können, und da in den meisten Fällen diese Individuen die besseren, die vollkommneren sind, so ist im Allgemeinen (einzelne besondere Fälle ausgenommen!) damit zugleich eine zwar langsame, aber beständig wirkende V e r v o l l k o m m n u n g , ein F o r t s c h r i t t in der O r g a n i s a t i o n nothwendig verbunden. Da ferner der Kampf um das Dasein zwischen den zusammenlebenden In-
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Die Descendenz - Theorie und die Selections-Theorie.
dividuen einer und derselben Art um so heftiger (also auch um so gefährlicher) sein muss, je mehr sie sich gleichen, um so weniger heftig, je mehr sie von einander abweichen, so werden die am stärksten divergirenden oder von einander abweichenden Individuen am meisten Aussicht haben, neben einander fortzuexistiren und sich fortzupflanzen, und dadurch besonders wird allgemein die oben hervorgehobene Divergenz des C h a r a k t e r s begünstigt, welche uns die allgemeine Neigung der Organismen erklärt, immer mehr abzuändern, und immer mehr neue und mannichfaltige Arten zu bilden. Aus der unendlich verwickelten Wechselwirkung dieser inneren und äusseren formbildenden Verhältnisse, und aus den nothwendigen Folgerungen, welche sich unmittelbar daraus ableiten lassen, erklärt sich die ganze Mannichfaltigkeit der organischen Natur, welche uns umgiebt. Um dieses äusserst wichtige Verhältniss zu würdigen, müssen wir zunächst die beiden entgegenwirkenden Functionen der Vererbung und der Anpassung einer eingehenderen physiologischen Betrachtung unterwerfen, als es bisher geschehen ist.
IV.
Erblichkeit und Vererbung. (Atavismus, Hereditas.)
IV, A. T h a t s a c h e und U r s a c h e der V e r e r b u n g . Die E r b l i c h k e i t (Atavismus) als v i r t u e l l e K r a f t , und die V e r e r b u n g ( H e r e d i t a s ) als a c t u e l l e L e i s t u n g der organischen Individuen, sind allgemeine p h y s i o l o g i s c h e F u n c t i o n e n der Organismen, welche mit der fundamentalen Function der F o r t p f l a n zung unmittelbar zusammenhängen, und eigentlich nur eine Theilerscheinung der letzteren darstellen. Sie äussern sich in der Thatsache, dass jeder Organismus, wenn er sich fortpflanzt, Nachkommen erzeugt, welche entweder ihm selbst ähnlich sind, oder deren Nachkommen doch wenigstens (nach Dazwischentreten einer oder mehrerer Generationen) ihm ähnlich werden. Diese Erscheinung ist eine so allgemeine, und alltäglich zu beobachtende, dass sie, eben wegen dieser Allgemeinheit, als etwas Selbstverständiches gilt. Die wichtigen biologischen Schlüsse aber, welche aus dieser Thatsache hervorgehen, werden von der gewöhnlichen oberflächlichen Naturbetrachtung entweder übersehen oder doch nicht in ihrer vollen Bedeutung für die Charakterbildung der Organismen erkannt. Gewöhnlich werden nur auffallende Abweichungen von der Erblichkeit besonders hervorgehoben. Denn man findet es allgemein ganz „natürlich", dass das Kind Eigenschaften seiner Eltern theilt („erbt"), und dass der Baum dem elterlichen Stamme ähnlich ist, von dem er als Same oder als Knospe entnommen wurde. „Der
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Apfel fallt nicht weit vom Stamm." Der allgemeinste Ausdruck für das G r u n d g e s e t z der E r b l i c h k e i t dürfte in den Worten liegen: „ A e h n l i c h e s e r z e u g t A e h n l i c h e s " , oder genauer: „ J e d e s o r g a n i s c h e I n d i v i d u u m e r z e u g t bei der F o r t p f l a n z u n g dir e c t o d e r i n d i r e c t ein ihm ä h n l i c h e s I n d i v i d u u m . " Die U r s a c h e n der E r b l i c h k e i t sind ebenso wie die Gesetze ihrer vielfachen Modificationen, bisher noch äusserst wenig untersucht worden. Sie hängen aber offenbar direct mit den G e s e t z e n d e r F o r t p f l a n z u n g d e s O r g a n i s m u s z u s a m m e n und b e s t e h e n w e s e n t l i c h in e i n e r u n m i t t e l b a r e n U e b e r t r a g u n g von m a t e r i e l l e n T h e i l e n d e s e l t e r l i c h e n O r g a n i s m u s auf d e n k i n d l i c h e n O r g a n i s m u s , die mit jeder Fortpflanzung nothwendig verbunden ist. Alle, auch die verschiedenartigsten und scheinbar von den Fortpflanzungs - Erscheinungen unabhängigsten Yererbungs-Erscheinungen sind physiologische Functionen, welche sich in letzter Instanz auf die Fortpflanzungs-Thätigkeit des Organismus zurückführen lassen. Die Erblichkeit ist also keineSweges eine besondere organische Function. Vielmehr ist in allen Modificationen derselben das wesentliche causale Fundament die materielle Continuität vom elterlichen und kindlichen Organismus. „Das Kind ist Fleisch und Bein der Eltern." Lediglich die partielle Identität der specifisch - constituirten Materie im elterlichen und im kindlichen Organismus, die Theilung dieser Materie bei der Fortpflanzung, ist die Ursache der Erblichkeit. Wir haben im dritten Abschnitt des fünften Capitels gezeigt, dass die individuelle Form jedes Naturkörpers das Product aus der Wechselwirkung von zwei entgegesetzten Factoren, einem äusseren und einem inneren Bildungstriebe ist. Bei allen organischen Individuen, welche nicht durch spontane, sondern durch parentale Generation entstehen, ist d e r innere B i l d u n g s t r i e b oder die innere Gestaltungskraft (Vis plastica interna) i d e n t i s c h m i t d e r E r b l i c h k e i t (Bd. I, S. 155). IV, B. V e r e r b u n g und F o r t p f l a n z u n g . Die F o r t p f l a n z u n g (Propagatio) ist eine physiologische Function der Organismen, welche unmittelbar mit den allgemeinen organischen Functionen der Ernährung und des Wachsthums zusammenhängt, wie bereits im fünften und im siebzehnten Capitel ausgeführt wurde. Wir konnten dies allgemein mit den Worten ausdrücken: d i e F o r t p f l a n zung ist e i n W a c h s t h u m d e s O r g a n i s m u s über d a s i n d i v i d u e l l e M a a s s h i n a u s . Die Wachsthumserscheinungen der Organismen und die Eigenthümlicheiten, welche dasselbe von dem Wachsthum der Anorgane unterscheiden, haben wir dort bereits in Betracht gezogen. Insbesondere fanden wir dabei von hoher Wichtigkeit die verwickelte atomistische Zusammensetzung der activen lebendigen Ma-
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Die Descendenz-Theorie und die Selections-Theorie.
terien, der Kohlenstoff-Verbindungen, und namentlich der Eiweissstoffe, aus denen der lebendige Piastiden-Körper besteht; ferner ihre Imbibitionsfähigkeit, den festflüssigen Aggregatzustand, als Eigenschaften, welche die eigenthümliche Art des Wachsthums der Organismen durch „Intussusception" bedingen. Um diesen Vorgang des Wachsthums und die daraus erfolgende Function der Fortpflanzung richtig zu verstehen, ist es besonders vortheilhaft, die einfachsten aller Organismen ins Auge zu fassen, die M o n e r e n (Protogeves etc. Bd. I, S. 133,135), deren ganzer Körper einen einzigen einfachen, formlosen und durch und durch structurlosen Plasmaklumpen darstellt, ein Stück Eiweiss, welches sich durch Imbibition ernährt (assimilirt), wächst und durch Theilung fortpflanzt. Ein solches Moner theilt sich, sobald sein Wachsthum, die Aufnahme neuer Moleküle in das Innere des lebendigen Eiweissklumpens, denjenigen Grad übersteigt, welcher eine Cohäsion der Moleküle zu einer einzigen individuellen Plastide gestattet. So lange dieser Grad des Wachsthums, dieses Maass der Grössenzunahme nicht überschritten ist, vermögen sich die Plasma-Moleküle zu einem einzigen Klumpen zusammengeballt zu erhalten, indem (vielleicht in Folge ungleichen Wassergehalts in verschiedenen peripherischen Schichten des Moneres) eine bestimmte Gruppe (von vielleicht dichter beisammenstehenden Molekülen) die übrigen durch Attraction zusammenhält. Sobald aber dieses Maass der individuellen Grösse erreicht ist, und nun durch fortdauernde Aufnahme neuer Moleküle überschritten wird, so bilden sich statt des einen vorhandenen zwei oder mehrere neue Centraiheerde von dichter beisammenstehenden Molekülen, welche niui in der Weise als Attractionscentren auf die übrigen Moleküle einwirken, dass der ganze Plasmakörper in zwei oder mehrere selbstständige Individuen zerfällt. Wir heben diese einfachste Form der Fortpflanzung, durch Selbsttheilung, hier deshalb nochmals ausdrücklich hervor, weil dieselbe uns in der einfachsten und klarsten Weise die Thatsache der Vererbung als eine nothwendige Theilerscheinung der Fortpflanzung erklärt. Denn es müssen natürlich die Theilproducte, welche aus jenem einfachen Spaltungsprocess hervorgehen, die Eigenschaften des Ganzen, zu welchem sie sich alsbald wieder durch Reproduction ergänzen, „erblich" beibehalten. Wir finden unter den Protisten (Protoplasten, Rhizopoden, Diatomeen, Flagellaten etc.) zahlreiche „Species", welche entweder (Protavweba, Protogenes) zeitlebens auf dem einfachen Zustande eines Moneres verharren. oder doch höchstens den morphologischen Werth einer einfachen Plastide (bald Cytode, bald Zelle) erhalten, und welche als solche einfache (monoplastide) Organismen sich fortpflanzen. Hier finden wir es ohne Weiteres ganz natürlich, dass das Theilungsproduet, welches ζ. B. durch Halbirung entstanden ist, und sich als-
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bald durch Reproduction der anderen Hälfte wieder ergänzt, dem früheren Ganzen ähnlich oder fast gleich wird. Ganz dieselbe Auffassung lässt sich aber auch auf alle höheren Organismen anwenden. Wir wissen, dass alle ohne Ausnahme entweder einfache Piastiden oder individualisirte Aggregate von mehr oder weniger differenzirten Piastiden sind, und wir wissen, dass die Fortpflanzung dieser Piastiden immer in der allereinfachsten mechanischen Weise, und allermeist nach dem eben geschilderten Typus, durch einfache Theilung oder durch Knospenbildung geschieht. Wenn sich nun ein solcher höherer Organismus fortpflanzt, der eine Summe von Piastiden repräsentirt, der also nicht den Werth eines Individuums erster, sondern zweiter oder höherer Ordnung besitzt, so ist auch hier der Vorgang ein ganz ähnlicher. Auch hier muss uns die Vererbung der elterlichen Eigenschaften auf den kindlichen Organismus als die nothwendige Folge der Fortpflanzung erscheinen. Wie bei den monoplastiden Organismen ein Theil der constituirenden Plasma-Moleküle, so geht bei den polyplastiden ein Theil der constituirenden Piastiden vom zeugenden Organismus auf den erzeugten über. Die Vorgänge der Theilung, und somit auch der Vererbung, sind in beiden Fällen ganz ähnliche. Wie die Theilung der Moneren und der übrigen einfachen Piastiden dadurch zu Stande kömmt, dass eine gewisse Anzahl von Plasma-Molekülen sich um ein oder mehrere neue Attractionscentra gruppiren und nun die neu hineintretenden Moleküle sich ebenfalls um diese neuen Anziehungs-Mittelpunkte (Gruppen von dichter gestellten Molekülen) ansammeln, so geschieht auch bei den höheren, mehrzelligen Organismen die einfachste Art der Fortpflanzung, die Selbsttheilung, dadurch, dass eine oder mehrere Plastiden (Zellen oder Cytoden), welche vorher den übrigen coordinirt waren, sich von denselben sondern und als selbstständige AnziehungsMittelpunkte auftreten, zu denen die eintretende Ernährungsflüssigkeit vorzugsweise hingeleitet wird, und von denen aus nun der neue Plastidenbildungs-Process, das „zusammengesetzte Wachsthum" des Ganzen lebhaft ausgeht. So entstehen um die gesonderten Zellen gesonderte Zellgruppen, welche sich dann endlich mehr oder weniger vollständig trennen und so den Zerfall des elterlichen Organismus in zwei oder mehrere neue Individuen herbeiführen. Wie bei der Selbsttheilung der Piastiden (oder der Individuen erster Ordnung) einzelne stärker anziehende Plasma-Moleküle, so sind es bei der Selbsttheilung mehrzelliger Organismen (oder der Individuen zweiter oder höherer Ordnung) einzelne stärker anziehende Zellen, welche über die anderen coordinirten das Uebergewicht gewinnen, und so innerhalb des einen individuellen, centralisirten Organismus zwei oder mehrere neue Bildungscentra, Anziehungs-Mittelpunkte für die Ernährung herstellen. Diese neuen centralen Bildungsheerde, welche bereits die Anlagen der neuen
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Die Descendenz - Theorie und die Selections-Theorie.
Individuen sind und welche vollkommen selbstständig werden, sobald sie sich in die Restbestandtheile des elterlichen Organismus getheilt haben, müssen natürlich die wesentlichen, specifischen Eigenschaften desselben beibehalten, und wir finden es auch hier nicht wunderbar, dass diese kindlichen Individuen bei ihrer Ergänzung zum elterlichen die gleiche Ernährungsrichtung, und somit auch die gleiche Bildungsrichtung beibehalten. Wie nun die Vererbung der specifischen Eigenschaften durch die Fortpflanzung uns bei dieser einfachsten Form derselben, bei der monogenen Spaltung, und insbesondere bei der Selbsttheilung, als eine nothwendige Folge der partiellen Identität des kindlichen und parentalen Organismus ganz natürlich erscheinen muss, so gilt dies auch von allen anderen Arten der Fortpflanzung, welche wir im siebzehnten Capitel unterschieden haben. Mögen dieselben noch so sehr verschieden sein, so stimmen sie dennoch sämmtlich in der fundamentalen Erscheinung überein, dass ein (bald totales, bald partielles) Wachsthumsproduct des individuellen Organismus, und zwar stets ein grösserer oder kleinerer Theil des lebendigen bildungsfähigen Eiweissstoffes (Plasma der Piastiden) sich von demselben ablöst, um als neues Individuum selbstständig weiter zu leben. Da es dieselben S t o f f e sind, welche die active Grundlage des elterlichen und des kindlichen Organismus bilden, dieselben specifisch constituirten Eiweiss-Verbindungen, so können wir schon a priori erwarten, dass dieselben K r ä f t e (Lebenserscheinungen) und dieselben Formen an dem kindlichen ebenso wie an dem elterlichen Individuum haften werden. Dies sehen wir überall bestätigt a posteriori durch die Erscheinungen der Erblichkeit, welche einzig und allein in jener materiellen Continuität wurzeln. Bei den höheren Organismen erscheint es uns wunderbar, dass eine einzige einfache Zelle, das Ei, alle die äusserst complicirten morphologischen und physiologischen Eigenschaften des elterlichen Organismus auf den kindlichen zu übertragen vermag, und es scheint schwer zu begreifen, wie die Plasma-Moleküle des Eies und des Sperma lediglich vermöge ihrer specifischen materiellen Constitution diese äusserst verwickelten Complexe hoch differenzirter Eigenschaften sollen übertragen können. Indessen verliert sich diese Schwierigkeit, sobald wir an die unendliche Feinheit in der uns unbekannten Molekular-Structur und atomistischen Constitution des Plasma denken und an die wichtige Thatsache, dass die ganze individuelle Entwickelung eine continuirliche Kette von molecularen Bewegungs-Erscheinungen des activen Plasma ist. Der Anstoss zu dieser specifischen Bewegung wird bei dem FortpflanzüngsAkte zugleich mit dem materiellen Substrate selbst vom elterlichen auf den kindlichen Organismus übertragen, und die unmittelbare Continuität jener unendlich verschiedenartigen und complicirten Entwickelungs-
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Erblichkeit und Vererbung.
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Bewegungen ist die wirkende Ursache der unendlich verschiedenartigen und complicirten Yererbungs-Erscheinungen. IV, C. Grad der Vererbung. Da die materielle Continuität des elterlichen und des kindlichen Organismus bei den verschiedenen angeführten Arten der Fortpflanzung einen verschiedenen Grad der Ausdehnung und der Dauer zeigt, so lässt sich von vornherein schon erwarten, dass auch der G r a d d e r E r b l i c h k e i t bei denselben verschieden sein werde, und auch dies sehen wir überall durch die Erfahrung bestätigt. Je grösser im Verhältniss zum ganzen zeugenden Individuum der Theil desselben ist, der sich als überschüssiges Wachsthumsproduct von ersterem isolirt, desto grösser ist die Gemeinschaftlichkeit der materiellen Grundlage, desto grösser ist der Grad der Erblichkeit, d. h. die Uebereinstimmung in Form und Function des zeugenden und des erzeugten Organismus. Daher ist die letztere viel bedeutender bei der Theilung und Knospenbildung, wo ein verhältnissmässig grosser Theil sich von dem zeugenden Individuum ablöst, als bei der Keimzellen-Bildung und geschlechtlichen Zeugung, wo nur ein verhältnissmässig kleiner Theil aus dem elterlichen Organismus sich abscheidet. Ebenso ist die längere Dauer des Zusammenhanges beider Organismen hierbei von Einfluss. Je länger der materielle Zusammenhang beider dauert, je später sich das kindliche Individuum von dem elterlichen trennt, desto gleichartiger werden sich beide, als Theile eines und desselben materiellen Ganzen, ausbilden, und desto grösser wird der Grad der Erblichkeit, der biologischen Uebereinstimmung zwischen beiden sein. Dieser Umstand wirkt meist mit dem vorigen zusammen. Da auch diese Dauer des Zusammenhanges bei der Theilung und Knospenbildung grösser ist, als bei der Keimbildung und sexuellen Fortpflanzung, so wird auch aus diesem Grunde der Grad der hereditären Aehnlichkeit bei letzteren geringer, als bei ersteren sein. Die Beispiele hierfür sind bei denjenigen Organismen zahlreich, welche sich gleichzeitig auf geschlechtlichem und ungeschlechtlichem Wege fortpflanzen. Unsere veredelten Obstsorten ζ. B. können wir nur durch ungeschlechtliche Vermehrung (Ablösung von Knospen, Ablegern, Senkern etc.) fortpflanzen, wodurch die feinen individuellen Vorzüge des veredelten Baumes sich genau auf seine Nachkommen übertragen, während dieselben bei der geschlechtlichen Fortpflanzung (durch Samen) Nachkommen liefern, die sich weit von ihren Eltern entfernen und Rückschläge in die nicht veredelte wilde Stammform zeigen. Ebenso können sogenannte Spielpflanzen, mit sehr ausgeprägten, und namentlich mit plötzlich aufgetretenen individuellen Charakteren (ζ. B. die Blutbuche, die Rostkastanien mit gefüllten Blüthen, viele Trauerbäume oder Bäume mit hängenden Zweigen)
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nur auf ungeschlechtlichem, nicht auf geschlechtlichem Wege fortgepflanzt werden. Dagegen entstehen solche auszeichnende individuelle Bildungen, Monstrositäten etc., weit häufiger bei solchen Individuen, die sexuell, als bei solchen, die esexuell erzeugt siud. Allgemein lässt sich das Erblichkeits-Gesetz, welches diesen Erscheinungen zu Grunde liegt, folgendermaassen formuliren: „ J e d e V e r e r b u n g s - E r s c h e i nung der O r g a n i s m e n i s t d u r c h d i e m a t e r i e l l e C o n t i n u i t ä t z w i s c h e n e l t e r l i c h e m und k i n d l i c h e m O r g a n i s m u s b e d i n g t und der Grad der V e r e r b u n g (d. Ii. der Grad der morphologischen und physiologischen Aehnlichkeit zwischen elterlichem und kindlichem Organismus) s t e h t in g e r a d e m V e r h ä l t n i s s e zu der Z e i t dauer des c o n t i n u i r l i c h e n Z u s a m m e n h a n g e s z w i s c h e n zeug e n d e m und e r z e u g t e m I n d i v i d u u m , und in u m g e k e n r t e m V e r h ä l t n i s s zu dem G r ö s s e n u n t e r s c h i e d e z w i s c h e n Beiden." IV, D. C o n s e r v a t i v e und p r o g r e s s i v e V e r e r b u n g . (Vererbung ererbter und erworbener Charaktere.)
Die ausserordentliche Wichtigkeit der Erblichkeits-Erscheinungen für die Erklärung der organischen Form-Bildung konnte erst erkannt werden, seit man den Grundgedanken der Descendenz-Theorie erfasst hatte, und es hat sich daher auch die allgemeine Aufmerksamkeit den ersteren erst dann mehr zugewendet, als D a r w i n die letztere durch seine Selections-Theorie causal begründet hatte. Wir werden uns daher nicht wundern, dass vorher noch keine ernstlichen Versuche gemacht worden waren, die Masse der hierher gehörigen verschiedenartigen Erscheinungen zu ordnen und als „Erblichkeits-Gesetze" zu formuliren. Auch in den wenigen seitdem verflossenen Jahren sind hierzu keine umfassenderen Schritte gethan worden; und es ist dies erklärlich bei den grossen Schwierigkeiten, welche jeder geordneten Betrachtung des ungeheuren Chaos von ontogenetischen Thatsachen sich entgegenstellen. Die sehr zahlreichen und verschiedenartigen Beobachtungen über Vererbung, welche wir aus älterer und neuerer Zeit besitzen, sind grösstentheils nicht von streng naturwissenschaftlich gebildeten Beobachtern, sondern von Landwirthen, Gärtnern, Thierzüchtern u. dergl. mehr gesammelt worden, deren Angaben zum grossen Theil sehr ungenau und unzuverlässig sind. Auch war für diese bei Wiedergabe ihrer Beobachtungen meist nicht der theoretisch-wissenschaftliche, sondern vielmehr der praktisch-zweckdienliche Standpunkt maassgebend, und es ist daher sehr schwer, diese Angaben mit Sicherheit zu verwerthen. Die Zoologen und Botaniker aber, für welche die wissenschaftliche Erkenntniss der Vererbungserscheinungen schon längst die dringendste Pflicht hätte sein sollen, waren meist viel zu sehr mit der Species-Fabrication und der anatomischen Darstellung der vollendeten
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Erblichkeit und "Vererbung.
Formen in ihren todten Museen und Herbarien beschäftigt, als dass sie Zeit und Lust gehabt hätten, die Erblichkeits-Erscheinungen an den lebendigen Organismen zu studiren, und in der Erkenntniss des "Werdens der Formen das Verständniss der vollendeten zu gewinnen. Es gilt also von den Vererbungs-Gesetzen dasselbe, wie von den Anpassungs-Gesetzen, dass ihre wissenschaftliche Begründung der Zukunft angehölt. Vor Allem wird diese das äusserst werthvolle Material zu verwerthen haben, welches die Aerzte über die Vererbungen pathologischer Zustände gesammelt haben, und welches ebenfalls noch ganz ungeordnet ist. Wenn wir trotzdem hier den Versuch machen, die wichtigsten Gesetze der Vererbung und der Anpassung vorläufig zu formuliren, so wollen wir damit nur eine neue Anregung zur weiteren GesetzesErfor&hung, keinesweges aber eine vollständige Reihe von feststehenden Gesetzen geben. Wir müssen deshalb für diesen Versuch besondere Nachsicht beanspruchen. Bevor wir die verschiedenen Gesetze der Erblichkeit, welche sich mit einiger Sicherheit schon jetzt als besonders wichtig hervorheben lassen, einzeln formuliren, erscheint es nothwendig, den wesentlichen Unterschied zwischen zwei verschiedenen Hauptformen der Heredität hervorzuheben, nämlich zwischen der Vererbung ererbter und derjenigen erworbener Charaktere. Alle verschiedenen Erblichkeits-Erscheinungen lassen sich entweder der einen oder der anderen Kategorie unterordnen. Beide sind aber bisher in sehr ungleichem Maasse berücksichtigt worden. Die meisten Zoologen und Botaniker haben immer das grösste Gewicht auf Vererbung bereits ererbter Charaktere oder auf die cons e r v a t i v e V e r e r b u n g gelegt, und dagegen die Vererbung erworbener Charaktere oder die p r o g r e s s i v e V e r e r b u n g entweder gar nicht berücksichtigt oder doch nicht in ihrem ausserordentlichen morphologischen Werthe erkannt. Hieraus vorzüglich erklärt sich die Zähigkeit, mit welcher das falsche Dogma von der Constanz der Species selbst noch von Einsichtigeren festgehalten wird. Denn aus der einseitigen Berücksichtigung bloss der conservativen Vererbimg entspringt die irrige Vorstellung, dass alle Glieder einer Species durch eine bestimmte Summe von unveränderlichen Charakteren als ein natürliches Ganzes zusammengehalten werden, und dass ihre unbestreitbare Variation oder Abänderung bestimmte enge Grenzen nicht überschreitet. Erst durch die gerechte Würdigung der entgegengesetzten progressiven Vererbimg wird die unbegrenzte Veränderlichkeit der organischen Formen und die freie Transmutation der Species erkannt, aus welcher sich alle Thatsachen der organischen Morphologie erklären. Das Gesetz der c o n s e r v a t i v e n oder b e h a r r l i c h e n H e r e d i t ä t oder der V e r e r b u n g e r e r b t e r C h a r a k t e r e sagt aus, dass alle Descendenten ihren Eltern ebenso wie allen vorhergehenden GeneΗ » e e k e l , Generelle Morphologie, Π.
1Ο
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Die Descendenz - Theorie und die Selections-Theorie.
rationen gleichen. J e d e r O r g a n i s m u s v e r e r b t d i e s e l b e n morp h o l o g i s c h e n u n d p h y s i o l o g i s c h e n E i g e n s c h a f t e n auf s e i n e N a c h k o m m e n , w e l c h e er s e l b s t von s e i n e n E l t e r n und V o r f a h r e i i e r e r b t hat. In der einseitigen Auffassung, in welcher dasselbe gewöhnlich die dogmatischen Vorstellungen der Systematiker beherrscht, würde dasselbe lauten: A l l e Eigenschaften, welche der Organismus von seinen Eltern ererbt hat, und nur d i e s e , vererbt derselbe auch ebenso vollständig auf seine Nachkommen. Daher sind alle Generationen einer und derselben Species wesentlich gleich und die Abänderungen durch Anpassung überschreiten niemals bestimmte enge Grenzen. Die Species muss hiernach wirklich constant sein; denn „Gleiches erzeugt Gleiches". Wenn diese falsche Vorstellung in ihrer ganzen Einseitigkeit consequent festgehalten wird, 30 bleibt die erste Entstehung der erblichen Eigenschaften, welche durch die Fortpflanzung unverändert übertragen werden, vollständig unerklärt und man muss nothwendig zu der absurden dualistischen Vorstellung einer „Schöpfung der einzelnen Species" flüchten. Jede organische Art entsteht dann plötzlich zu irgend einer Zeit der Erdgeschichte lediglich durch den „Willen des Schöpfers", d. h. ohne Ursachen! Sie überträgt alle ihre „specifischen, wesentlichen Charaktere" unverändert auf ihre Nachkommen mittelst der Fortpflanzung (also durch wirkende Ursachen!), und nachdem sie eine bestimmte Reihe von Generationen hindurch sich in dieser Constanz erhalten hat, geht sie ganz unmotivirt wieder unter, ohne Ursachen! Dass diese Vorstellung von der einseitigen und ausschliesslichen Gültigkeit der conservativen Heredität grundfalsch ist, liegt auf der Hand. Zwar beherrscht dieselbe noch heute die ganze zoologische und botanische Systematik, weil die nicht monistisch gebildete Mehrheit der Morphologen daraus das Dogma von der Species - Constanz ableitet, welches sie für unentbehrlich hält. Allein es bedarf nur eines einfachen Hinweises auf die alltäglichen Züchtungs-Erfahrungen der Gärtner und Landwirthe, um sie zu widerlegen. Die ganze künstliche Züchtung (und ebenso die natürliche) beruht darauf, dass die conservative Heredität nicht ausschliesslich wirkt, sondern vielmehr beständig und überall neben und mit der progressiven Vererbung thätig ist. Das Gesetz der progressiven oder f o r t s c h r e i t e n d e n H e r e d i t ä t o d e r der V e r e r b u n g e r w o r b e n e r C h a r a k t e r e sagt aus, dass alle Descendenten von ihren Eltern nicht bloss die alten, von diesen ererbten, sondern auch die neuen, von diesen erst während ihrer Lebenszeit erworbenen Charaktere, wenigstens theilweis, erben. J e d e r O r g a n i s m u s v e r e r b t auf s e i n e N a c h k o m m e n n i c h t bloss die morphologischen und p h y s i o l o g i s c h e n E i g e n s c h a f t e n , w e l c h e er s e l b s t von s e i n e n E l t e r n e r e r b t , s o n -
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Erblichkeit und Vererbung.
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d e m auch einen T h e i l d e r j e n i g e n , welche er selbst während seiner individuellen Existenz durch Anpassung erw o r b e n h a t . Dieses äusseret wichtige Gesetz läuft dem vorigen in gewisser Beziehung beschränkend zuwider, und wenn man dasselbe in gleicher Weise wie jenes berücksichtigt hätte, so würde man längst das Dogma von der Species-Constanz, und damit die hinderlichste Schranke der monistischen Morphologie böseitigt haben. Obwohl die Thatsachen, auf welchen dieses fundamentale Gesetz unumstösslich fusst, alltäglich zu beobachten und allbekannt sind, haben sich dennoch die meisten Morphologen seiner Anerkennung auf das beharrlichste verschlossen. Freilich führen die nothwendigen Consequenzen desselben den vollständigen Ruin des unheilvollen Species-Dogma und des darauf begründeten teleologischen Dualismus unaufhaltsam herbei. Denn es ist klar, dass daraus zunächst die unbegrenzte Veränderlichkeit der Species folgt. Dass die einzelnen Individuen während ihrer beschränkten Lebenszeit, iii Folge der unendlich mannichfaltigen Abänderung ihrer Ernährung, den mannichfaltigsten und tiefgreifendsten Abänderungen unterliegen können, uud dass eine bestimmte Schranke dieser individuellen Abänderung nicht existirt, ist allgemein anerkannt; wenn nun zugleich das Gesetz von der progressiven Heredität als wahr anerkannt wird, — und es ist dies bei aufrichtiger Betrachtung mit offenen Augen nicht zu vermeiden — so folgt daraus unmittelbar, dass auch eine Schranke der Species-Transmutation nicht existirt, dass die Veränderlichkeit der Art unbegrenzt ist, weil jede neue, durch Anpassung erworbene Eigenschaft unter günstigen Umständen vom elterlichen Organismus auf den kindlichen vererbt werden kann. Und so ist es in der That. Die ganze Formen-Mannichfaltigkeit der Thier- und Pflanzenwelt, •wie sie uns gegenwärtig umgiebt, und wie sie sich während deren paläontologischer Entwickelung allmählich umgestaltet hat, liefert uns für diese Wechselwirkung von progressiver und conservativer Vererbung den deutlichsten Beleg. Denn das beständige Schwanken zwischen Erhaltung und Abänderung, zwischen Constanz und Transmutation, welches uns alle Thier- und Pflanzen - Species zeigen, erklärt sich uns einfach aus der Thatsache, dass die Vererbung der Charaktere niemals ausschliesslich eine conservative, sondern stets zugleich eine progressive ist. Wenn die conservative Vererbung der ererbten Charaktere allein herrschte, so würde die gesammte Organismen-Welt durchaus constant, zu allen Zeiten der Erdgeschichte dieselbe sein, und es würden nur soviel Species existiren, als ursprünglich „geschaffen" wurden (d. h. durch Archigonie entstanden). Dies wird durch die Palaeontologie widerlegt. Wenn umgekehrt die progressive Vererbung allein wirksam wäre, so würde die gesammte Organismen-Wrelt durch12 *
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Die Descendenz - Theorie und die Selections - Theorie.
aus inconstant sein, und es würden sich gar keine verschiedenen Species unterscheiden lassen. Es würden eben so viele Species als Individuen existiren. Auch dies wird durch die Palaeontologie widerlegt. Alle palaeontologischen und systematischen (anatomischen) Thatsachen erklären sich nur aus der Annahme eines fortwährenden Ineinandergreifens, einer beständigen Wechselwirkung der conservativen und progressiven Heredität. Eine eingehende physiologische Betrachtung der Ernährungs - und Fortpflanzungs-Verhältnisse der Organismen zeigt uns, dass dies gar nicht anders sein kann. Wir sahen, dass die Vererbung durch die Fortpflanzung vermittelt wird und in einer materiellen Continuität, einer partiellen Identität des elterlichen und kindlichen Organismus besteht. Andererseits werden wir bei der Betrachtung der Anpassung sehen, dass jede Anpassung auf einer Ernährungs-Veränderung beruht. Da nun die Ernährungs-Verhältnisse, d.h. überhaupt die gesammten Existenz-Bedingungen, im weitesten Sinne, überall und zu jeder Zeit verschieden sind, da jeder individuelle Organismus sich seinen speciellen Ernährungs-Bedingungen bis zu einem gewissen Grade anpassen muss und dadurch bestimmte Veränderungen erleidet, da endlich jede Veränderung nicht einen einzelnen Körpertheil ausschliesslich betrifft, sondern auf alle anderen Theile mit zurückwirkt, so muss auch bei der Fortpflanzung des Individuums stets ein, wenn auch noch so kleiner, Theil der erworbenen Veränderung mittelst der elterlichen Materie auf die kindliche übertragen werden und in dieser wirksam bleiben. Das Resultat dieser Untersuchung ist also die nothwendige Wechselwirkung von conservativer und progressiver Vererbung. Der Grad der Constanz jeder organischen Species wird durch den Antheil der conservativen Vererbung, der Grad der Abänderung jeder organischen Species durch den Antheil der progressiven Vererbung bedingt. IV, E. Ea.
Gesetze
Gesetze der
der
conservativen
Vererbung. Ver er
bung.
1. Gesetz der ununterbrochenen oder continuirlichen Vererbung. (Lex hereditati» continuae.J
Bei den meisten Organismen sind a l l e u n m i t t e l b a r auf einander f o l g e n d e n Generationen einander in allen morphol o g i s c h e n und p h y s i o l o g i s c h e n Charakteren entweder nahezu g l e i c h oder doch sehr ähnlich. Die ununterbrochene Conservation der specifischen Charaktere in allen auf einander unmittelbar folgenden Generationen einer und derselben Species ist die allgemeine Regel bei allen höheren Thieren und Pflanzen. Wenn wir die Kette der successiven Generationen mit den
IV. Erblichkeit und Vererbung.
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Buchstaben des Alphabets bezeichnen, so ist bei den meisten höheren Organismen Α = Β = C = D = Ε = F u. s. w. Die Gültigkeit dieses Gesetzes ist aber nicht allein allgemein anerkannt, sondern auch übertrieben worden, indem man die continuirliche Vererbung als das allgemeine Grundgesetz der Vererbung für alle Organismen ansah. Erst als man die weite Verbreitung des Generationswechsels kennen lernte, und als dasjenige, was man zuerst „als Ausnahme ansah, sich im Gange der Natur als die Regel" herausstellte, nämlich das Altemiren der Generationen bei den niederen Organismen entsprechend dem nächstfolgenden zweiten Gesetze, musste das Gesetz der continuirlichen Vererbung als das nicht ausschliesslich herrschende erkannt werden. Auf jener früheren allzuweit gehenden Verallgemeinerung desselben beruht auch die weit verbreitete, aber unbegründete Definition der S p e c i e s , als des „Inbegriffes aller Individueu von gleicher Abkunft , und derjenigen, welche ihnen eben so ähnlich, als diese unter sich sind." 2.
Gesetz der unterbrochenen oder verborgenen oder abwechselnden Vererbung. /'Lex hertditatis
intemtptae
t. latentis s.
alternanti».)
Bei v i e l e n O r g a n i s m e n s i n d n i c h t die u n m i t t e l b a r auf e i n a n d e r f o l g e n d e n G e n e r a t i o n e n e i n a n d e r in a l l e n m o r p h o l o g i s c h e n und p h y s i o l o g i s c h e n C h a r a k t e r e n e n t w e d e r n a h e z u gleich oder doch s e h r ähnlich; sondern n u r d i e j e n i g e n , welche d u r c h eine oder mehrere davon v e r s c h i e d e n e G e n e r a t i o n e n von e i n a n d e r g e t r e n n t sind. Die Vererbungserscheinungen, welche dieses wichtige Gesetz begründen, sind allbekannt. Die Kette der auf einander folgenden Generationen ist hier aus zwei oder mehreren verschiedenen Gliedern zusammengesetzt, die alterniren. Nur die mittelbaren Descendenten jedes Individuums sind demselben nahezu gleich oder nur sehr wenig verschieden, während die unmittelbaren Descendenten einen geringeren oder höheren Grad bemerkbarer Abweichung zeigen. In sehr vielen menschlichen Familien ζ. B. besitzen die Kinder, sowohl in psychischer als in somatischer Beziehung, eine weit auffallendere Aehnlichkeit mit ihren Grosseltern, als mit ihren Eltern. Dasselbe ist an den Hausthieren sehr oft zu beobachten. Es bleibt also hier ein Theil der am meisten auffallenden und das Individuum auszeichnenden (individuellen) Charaktere eine oder mehrere Generationen hindurch latent, ohne sichtbare Uebertragung durch die unmittelbare Fortpflanzung, um erst nach Verlauf derselben plötzlich wieder in einer entfernteren Generation zu Tage zu treten. Dieses Gesetz ist äusserst wichtig für die Erklärung des G e n e r a t i o n s w e c h s e l s , da offenbar ein sehr grosser (vielleicht der grösste)
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Die Descendenz - Theorie und die Selections - Theorie.
Theil der verschiedenen Metagenesis-Formen unmittelbar durch eine lange Zeit hindurch fortgesetzte und dadurch befestigte „latente Vererbung" entstanden ist. So lässt sich ζ. B. der Generationswechsel der Salpen sicher auf diese Weise erklären, indem sich allmählich die unmittelbar auf einander folgenden Generationen (Eltern und Kinder) mehr und mehr differenzirten, während die dritte Generation (Enkel) immer wieder in die erste Generation zurückschlug, so dass Enkel und Grosseltern einander constant gleich wurden. Wenn wir verschiedene Formen des Generationswechsels in dieser Beziehung vergleichen, so können wir mehrere verschiedene Modificationen der latenten Erblichkeit unterscheiden, zunächst je nachdem eine oder zwei oder mehrere Generationen überschlagen werden, ehe der ursprüngliche Charakter der Stammeltern sich wieder geltend macht. Bezeichnen wir die unmittelbar auf einander folgende Kette der Generationen mit den laufenden Buchstaben des Alphabets, so ist I, im ersten Falle, bei Ueberschlagung einer Generation (ζ. B. beim Generationswechsel der Salpen), A = C = Ε = G und ebenso Β = D = F = Η etc.; II, im zweiten Falle, bei Ueberschlagung zweier Generationen (ζ. B. beim Generationswechsel vieler Trematoden etc., einiger Arten von DnHnfwm) A = D = G und ebenso B = E = H, ferner C = F = J u . s. w. In denjenigen weiteren Fällen, wo mehr als zwei Generationen überschlagen werden, compliciren sich die Verhältnisse oft ausserordentlich. Wir wollen jedoch auf dieselben hier um so weniger eingehen, als fast noch nichts geschehen ist, um den Generationswechsel vom Gesichtspunkt der Vererbungsgesetze aus zu erklären. Wenn ein individueller Charakter eine längere Reihe von Generationen hindurch latent bleibt, und erst nach Einschaltung einer grösseren Anzahl verschieden gebildeter Zwischen-Generationen wieder zur Geltung kommt, so bezeichnet man diese Modification der latenten Erblichkeit als R ü c k s c h l a g . Bekanntlich spielt derselbe bei der Züchtung unserer Hausthiere und Culturpflanzen eine ausserordentlich grosse und wichtige Rolle, und es ist erstaunlich, welche ausserordentlich lange Reihe von Generationen verstreichen kann, ehe gewisse auszeichnende Charaktere einer alten Stammform wieder zur Geltung kommen. Dies gilt ζ. B. von den bisweilen auftretenden Streifen an unseren einfarbigen Pferden, welche als Rückschlag in ihre uralte gestreifte Stammform erklärt werden müssen. Dasselbe beobachtet man sehr häufig bei der „Verwilderung" domesticirter Formen, ζ. B. der Obstsorten, des Kohls etc. Regelmässig tritt dieselbe Erscheinung in vielen Formen des Generationswechsels (ζ. B. bei den Blattläusen, vielen Phanerogamen) auf, wo die geschlechtlich entwickelten Generationen nur periodisch auftreten, nachdem eine längere oder kürzere Reihe von Zwischen - Generationen eingeschaltet worden ist.
IV. Erblichkeit und Vererbung.
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3. Gesetz der geschlechtlichen Vererbung. (Lex hereditati»
sexi'alis.J
Bei a l l e n O r g a n i s m e n m i t g e t r e n n t e n G e s c h l e c h t e r n v e r e r b e n s i c h die p r i m ä r e n und s e c u n d ä r e n S e x u a l c h a r a k t e r e e i n s e i t i g f o r t ; d. h. es g l e i c h e n d i e m ä n n l i c h e n D e s c e n d e n t e n in d e r w e s e n t l i c h e n S u m m e d e r s e c u n d ä r e n S e x u a l - C h a r a k t e r e m e h r dem V a t e r , die w e i b l i c h e n m e h r d e r Mutter. Dieses Gesetz ist von grosser Bedeutung für die Conservation, Befestigung und weitere Differenzirung der Geschlechtsunterschiede, und besonders der secundären Sexualcharaktere, bei den amphigonen Organismen. Wir verstehen darunter diejenigen Unterschiede der beiden Geschlechter, welche dieselben, auch abgesehen von der Differenz der primären Sexualcharaktere (der unmittelbar die Fortpflanzung bewirkenden Geschlechtsorgane), unterscheiden. Solche secundäre Geschlechtseigen thümlichkeiten· sind sowohl unter den niederen als unter den höheren Thieren mit getrennten Geschlechtern sehr allgemein verbreitet : es gehören dahin ζ. B. die ausgezeichneten Unterschiede der gesammten Köperform und Grösse, welche die getrennten Geschlechter vieler Hydroidpolypen. vieler Insecten, Crustaceen etc. zeigen, ferner die auffallenden Differenzen in Grösse, in Färbung des Federkleides, in der Bildung gewisser Zierrathe (ζ. B. Hahnenkamm) der Vögel, ferner die meist bloss dem männlichen Geschlechte eigenen Geweihe, Hörner, Haarbüschel etc. der Wiederkäuer. Beim Menschen gehört dahin der Bart und die entwickeltere Muskelkraft , Willensthätigkeit und Denkthätigkeit des Mannes, die zartere Beschaffenheit und geringere Behaarung der Haut, die entwickeltere Empfindungsthätigkeit des Weibes. Alle diese nur einem der beiden Geschlechter zukommenden Eigentümlichkeiten werden von demselben nach dem obigen „Gesetz der sexuellen Vererbung" in der Regel nur auf das eine der beiden Geschlechter und zwar auf das entsprechende weiter vererbt. So bleiben im Laufe langer Generations-Reihen die männlichen Individuen den männlichen Vorfahren, die weiblichen Individuen den weiblichen Vorfahren gleich oder doch in allen wesentlichen Charakterzügen sehr ähnlich. 4. Gesetz der gemischten oder beiderseitigen Vererbung. (Lex hereditatis
mixtae r. amphigoruie.)
Bei a l l e n O r g a n i s m e n m i t g e t r e n n t e n G e s c h l e c h t e r n vererben sich die nicht sexuellen Charaktere gemischt fort, d. h. es g l e i c h e n die m ä n n l i c h e n D e s c e n d e n t e n zwar in den m e i s t e n und w i c h t i g s t e n C h a r a k t e r e n m e h r dem V a t e r , a b e r in e i n i g e n a u c h m e h r d e r M u t t e r , u n d e b e n s o g l e i c h e n
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Die Descendenz - Theorie und die Selections - Theorie.
d i e w e i b l i c h e n D e s c e n d e n t e n zwar in den m e i s t e n und w i c h t i g s t e n C h a r a k t e r e n m e h r der Mutter, aber in einigen a u c h mehr dem Yater. Dieses Gesetz scheint dem vorigen, dem der sexuellen Vererbung, in gewisser Beziehung zu widersprechen und es ist in der That eine Modification desselben. Es verhält sich zu jenem ähnlich, wie das Gesetz der latenten zu dem der continuirlichen Vererbung. Wahrscheinlich ist es sehr allgemein herrschend, allein gewöhnlich schwer zu constatiren, weil die betreffenden „gekreuzten" Charaktere, welche vom Vater auf die Tochter, von der Mutter auf den Sohn übergehen, meist untergeordneter Natur oder doch für unsere groben BeobachtungsMittel schwer oder gar nicht wahrzunehmen sind. Von der grössten Bedeutung ist das Gesetz der gemischten Vererbung für die Erscheinungen der B a s t a r d - Z e u g u n g und Kreuzung. Die HybridismusGesetze, welche gegenwärtig sich noch nicht scharf formuliren lassen, werden grossentheils auf dieses Gesetz zurückzuführen sein. Am deutlichsten gewahren wir die Wirkungen der gemischten Vererbung bei Betrachtung der Erblichkeits-Erscheinungen am Menschen selbst, welcher überhaupt für das Studium der gesammten Erblichkeitsgesetze weit interessantere und lehrreichere Beispiele liefert, als die meisten anderen Thiere. Es hängt dies theils ab von der grösseren individuellen Differenzirung des Menschen, theils von unserer grösseren Fähigkeit, die feineren Differenzen in Form und Function hier zu erkennen. Nun ist es allbekannt, wie allgemein in den menschlichen Familien die gemischte oder gekreuzte Vererbung herrschend ist, wie der eine Junge oder das eine Mädchen in dieser oder jener Beziehung bald mehr dem Vater, bald mehr der Mutter gleicht. Grade durch diese Mischung der Charaktere von beiden Geschlechtern in den Nachkommen wird die unendliche Mannichfaltigkeit der individuellen Charaktere in erster Linie bedingt. Bekannt ist, was Goethe in dieser Beziehung von sich aussagt: „Vom Vater hab ich die Statur, Des Lebens ernstes Führen; Vom Mütterchen die Frohnatur Und Last zu fabuliren."
5.
Oesetz der abgekürzten oder vereinfachten Vererbung. (Lex hereditati» abbreviatae s. aimplicatae.)
D i e K e t t e von e r e r b t e n C h a r a k t e r e n , w e l c h e in e i n e r b e s t i m m t e n R e i h e n f o l g e s u c c e s s i v während der i n d i v i d u e l len E n t w i c k e l u n g vererbt werden und nach einander a u f treten, wird im Laufe der Z e i t abgekürzt, i n d e m e i n z e l n e Glieder d e r s e l b e n a u s f a l l e n .
IV. Erblichkeit und Vererbung.
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Obgleich im Ganzen die individuelle Entwickelungsgeschichte jedes organischen Individuums eine kurze Wiederholung der langen paläontologischen Entwickelung seiner Vorfahren, die Ontogenie eine kurze Recapitulation der Phylogenie ist, so müssen wir dennoch als eine sehr wichtige Ergänzung dieses fundamentalen Satzes hinzufügen, dass diese "Wiederholung niemals eine ganz vollständige ist. Es finden bei jeder individuellen Entwickelungsgeschichte zahlreiche Abkürzungen und Vereinfachungen statt , indem nach und nach die vollständige Kette aller deijenigen Veränderungen, welche die Vorfahren des Individuums durchliefen, durch Ausfall einzelner Glieder immer kürzer zusammengezogen und dadurch immer unvollständiger wird. Wie F r i t z M ü l l e r in seiner ausgezeichneten und höchst nachahmungswürdigen Schrift über die Morphogenie der Crustaceen1) schlagend gezeigt hat, „wird die in der individuellen Enwickelungsgeschichte erhaltene geschichtliche Urkunde allmählich verwischt, indem die Entwickelung einen immer geraderen Weg vom Ei zum fertigen Thiere einschlägt , und sie wird häufig gefälscht durch den Kampf ums Dasein, den die frei lebenden Larven zu bestehen haben. Die Urgeschichte der Art (Phylogenie) wird in ihrer Entwickelungsgeschichte (Ontogenie) um so vollständiger erhalten sein, je länger die Reihe der Jugendzustände ist, die sie gleichmässigen Schritts durchläuft, und um so treuer, je weniger sich die Lebensweise der Jungen von der der Alten entfernt, und je weniger die Eigentümlichkeiten der einzelnen Jugendzustände als aus späteren in frühere Lebensabschnitte zurückverlegt oder als selbstständig erworben sich auffassen lassen." Je verschiedenartiger die Existenzbedingungen sind, unter denen das Individuum in den verschiedenen Zeitabschnitten seiner Entwickelung lebt, desto mehr wird dasselbe sich diesen anpassen müssen und dadurch von der Entwickelung seiner Vorfahren entfernen. Je heftiger der Kampf um das Dasein ist, den die jungen Individuen und die Larven zu bestehen haben, desto mehr ist es für sie von Vortheil, wenn sie möglichst rasch den vollendeteren späteren Zuständen sich nähern, und indem also die schneller sich entwickelnden, bei denen die Ontogenesis zufällig abgekürzt wird, oder bei denen einzelne F r i t z M ü l l e r . F ü r D a r w i n . Leipzig. W. Engelmann 1864. Wir können diese geistvolle und höchst wichtige Schrift, welche ein Muster denkender Naturforschung liefert, hier nicht erwähnen, ohne dieselbe als ein unübertroffenes Beispiel monistischcausaler Behandlung der Entwickelungsgeschichte besonders hervorzuheben, und ohne darauf aufmerksam zu machen, wie dieselbe durch die wichtige Verbindung der individuellen und der paläontologischen Entwickelungsgeschichte einige der schwierigsten und Terwiekeltsten - Fragen der thierischen Morphologie zu einer ebenso klaren als einfachen Lösung führt. Wenn die von F r i t z M ü l l e r meisterhaft durchgeführte Behandlung einiger der schwierigsten morphogenetischen Aufgaben erst allgemein geworden sein wird, so wird unsere Wissenschaft auf den gegenwärtigen Zustand der Morphologie als auf ein Stadium unbegreiflicher Gedankenlosigkeit zurückblicken.
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Die Descendenz - Theorie und die Selections - Theorie.
Abschnitte derselben ausfallen, dadurch einen Vortheil im Kampf um das Dasein erlangen, werden sie die langsamer sich entwickelnden überleben, und so ihre individuelle schnellere Entwickelungsweise als eine nützliche „Abkürzung oder Vereinfachung der Entwickelung" auf ihre Nachkommen vererben. Wenn diese Vereinfachung weit geht, so kann sie selbst bei nächst verwandten Arten eine sehr verschiedene Ontogenese bedingen. So ist ζ. B. nach F r i t z M ü l l e r s schöner Entdeckung die gemeinsame ursprüngliche Larvenform der Podophthalmen und vieler niederer Crustaceen, der Naupliim, bei den allermeisten stieläugigen Krebsen, wo derselbe späterhin in die Zoen-Form übergeht, durch Vereinfachung der Entwickelung verschwunden, und nur bei einigen Garneelen (Prunus) übrig geblieben. Bei den letzteren ist also nicht dieselbe Abkürzung der Vererbung (durch Ausfall des NaupliirsStadiums) eingetreten, wie bei den meisten anderen Podophthalmen. wo die 7aiph unmittelbar aus dem Ei kommt. In ähnlicher Weise erklärt uns die Abkürzung oder Vereinfachung der Entwickelung viele der wichtigsten ontogenetischen Erscheinungen, besonders bei den höheren Thieren und Pflanzen. Eb. 6.
Gesetze
der progressiven
Vererbung.
Gesetz der angepassten oder erworbenen Vererbung. fl.cr herertitnti« adaptable .s. aceommodato.e.)
Alle C h a r a k t e r e , welche der O r g a n i s m u s w ä h r e n d seiner individuellen Existenz durch Anpassung erwirbt, und welche seine Vorfahren nicht besassen, kann derselbe unt e r g ü n s t i g e n U m s t ä n d e n auf seine N a c h k o m m e n vererben. Gleichwie alle von den Voreltern ererbten, so können auch alle neu erworbenen Eigenschaften der Materie durch die Vererbung fortgepflanzt werden. Es giebt keine morphologischen und physiologischen Eigenthümlichkeiten, welche das organische Individuum durch die Wechselwirkung mit der umgebenden Aussenwelt erwirbt, mit einem Worte keine „Anpassungen", welche nicht durch Vererbung auf die Nachkommenschaft übertragen werden könnten. Dieses grosse Gesetz ist von der höchsten Wichtigkeit, weil darauf unmittelbar die Veränderlichkeit der Arten, die Möglichkeit, dass verschiedene neue Species aus einer vorhandenen hervorgehen, beruht. Wir kennen in der That keine einzige, in die Mischung, Form oder Function des Organismus eingreifende Veränderung, welche nicht unter bestimmten (uns gewöhnlich ganz unbekannten) Verhältnissen auf wenige oder auf viele Generationen hinaus vererbt werden könnte. Am leichtesten geschieht dies, wenn die Veränderung sehr langsam und allmählich erfolgt (wie ζ. B. bei Erwerbung chronischer Krankheiten, die viel leichter als acute vererbt werden).
ΙΥ. Erblichkeit und Vererbung.
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Am schwersten dagegen tritt die Vererbung der Veränderung ein, wenn die letztere ganz plötzlich (ζ. B. traumatisch) erfolgte 1 ). Gewöhnlich springen die Fälle, wo eine plötzlich angetretene Veränderung auf eine oder mehrere Generationen vererbt wird, sehr deutlich dann in die Augen, wenn die betreffende Veränderung eine ..monströse" ist, d. h. einzelne Theile des Organismus in ungewöhnlicher Zahl, Grösse, Form oder Farbe entwickelt zeigt, so ζ. B. die Fälle, in denen sechs Finger an jeder Hand mehrere Generationen hindurch beim Menschen vererblich blieben, ferner die berühmten Stachelschwein - Menschen aus der Familie L a m b e r t , wo eine eigentümliche schuppenähnliche monströse Hautbildung von E d w a r d L a m b e r t an (1735) sich durch mehrere Generationen auf die Nachkommen vererbte, und zwar bloss auf und durch die männlichen Nachkommen. Auch die häufigen Fälle von erblichem Albinismus gehören hierher, ferner die Fälle, wo ein einzelner Schafbock oder Ziegenbock mit keinem oder mit 4 — 8 Hörnern geboren wurde, und nun diesen individuellen Charakter auf seine Nachkommen übertrug. Viel wichtiger, als diese monströsen, auffallend vortretenden Abänderungen. welche durch die angepasste Vererbung übertragen werden, sind die unscheinbaren und geringfügigen Abänderungen, welche erst im Laufe von Generationen durch Häufung und Befestigung ihre hohe Bedeutung für die Umbildurg der organischen Form erhalten. Die gesammten Vorgänge der künstlichen Züchtung liefern in dieser Beziehung für das Gesetz der angepassten Vererbung eine lange Beweiskette. 7. Gesetz der befestigten Vererbung. (Lex hereditatis
constitntae.)
Alle C h a r a k t e r e , w e l c h e d e r O r g a n i s m u s w ä h r e n d s e i ner i n d i v i d u e l l e n E x i s t e n z d u r c h A n p a s s u n g e r w i r b t , und w e l c h e s e i n e V o r f a h r e n n i c h t b e s a s s e n , w e r d e n um so s i c h e r e r und v o l l s t ä n d i g e r a u f a l l e f o l g e n d e n G e n e r a t i o n e n v e r e r b t , j e a n h a l t e n d e r die c a u s a l e n A n p a s s u n g s - B e d i n g u n g e n e i n w i r k t e n , u n d j e l ä n g e r s i e noch auf die n ä c h s t f o l g e n d e n G e n e r a t i o n e n einwirken. Die grosse Bedeutung dieses Gesetzes ist wegen seiner ungemeinen praktischen "Wichtigkeit für die künstliche Züchtung allgemein anerl
) Gewöhnlich werden bekanntlich traumatische oder durch Verwundung entstandene Veränderungin nicht vererbt Cm so wichtiger ist es, die Fälle aufzubewahren, in denen dies doch bisweilen geschieht. So wurden kürzlich, wie mir Herr Hofrath S t ö c k h a r d t als sicherer Gewährsmann mittheilte, auf einem Gute in der Nähe von Jena mehrere schwanzlose Kälber geboren. deren Vater der Schwanz beim unvorsichtigen Zuschlagen eines Thores eingeklemmt und abgequetscht worden war.
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Die Descendenz- Theorie und die Selections-Theorie.
kann! Jeder Gärtner und Landwirth weiss, dass neu erschienene Abänderungen von Thieren und Pflanzen auf die Nachkommenschaft nur dann dauernd übertragen und befestigt werden können, wenn die Ursache, welche die Veränderung bedingte, entweder wiederholt, oder längere Zeit hindurch, am sichersten, wenn sie andauernd durch eine Reihe von vielen Generationen einwirkte. Ist dies nicht der Fall, so schlägt die veränderte Form in ihrer Nachkommenschaft sehr leicht wieder in die Stammform zurück. Die Befestigung aber ist um so tiefer, je länger die Ursache einwirkte. Jeder Organismus besitzt in dieser Beziehung einen gewissen Elasticitätsgrad. Wenn die Biegung der elastischen Form längere Zeit durch einen biegenden äusseren Einfluss erhalten wird, so bleibt sie nach dem Aufhören dieses Einflusses von selbst bestehen, während sie in den früheren, nicht gebogenen Zustand zurückschnellt, wenn der biegende Einfluss sie nur kurze Zeit zur Biegung zwang. Wie in einem künstlich gebogenen elastischen Metallstabe sich die Moleküle des Metalls bei längerer Dauer der Biegung so anordnen, dass sie auch nach Aufhören derselben diese Anordnung beibehalten, dagegen in ihre frühere Anordnung zurückkehren, wenn die biegende Kraft nur kurze Zeit einwirkte, so verhalten sich auch die Moleküle des Eiweisses in einem Organismus, welcher durch die Anpassung „gebogen" wird. Die allgemeine Gültigkeit des Gesetzes von der „Befestigung der Vererbung" ist so bekannt, dass wir kaum Beispiele anzuführen brauchen. Jeder Landwirth kann eine neue Abänderung einer Thierform, jeder Gärtner eine neue Anpassung einer Pflanzenform nur dadurch „erhalten" und dauerhaft erhalten, d. h. befestigen, wenn er sorgfältig darauf achtet, dass die neue Form erst einige Generationen hindurch unter denselben Bedingungen erhalten und „rein", fortgepflanzt wird. Wenn hierbei nicht die nöthige Vorsicht angewendet wird, so schlägt die veränderte Form schon in den ersten Generationen wieder in die ursprüngliche Stammform zurück. Es steht also der Grad der Befestigung einer Veränderung (eines erworbenen Charakters) in gradem Verhältnisse zur Zeitdauer des verändernden Einflusses und zur Zahl der Generationen, durch welche er sich bereits vererbt hat. 8. Gesetz der gleichörtlichen Vererbung. (Lex hereditatü homotopae.J
Alle Organismen können die bestimmten Veränderungen irgend eines Körpertheils, welche sie während ihrer individuellen Existenz durch A n p a s s u n g erworben haben, u n d w e l c h e i h r e V o r f a h r e n n i c h t b e s a s s e n , g e n a u in d e r s e l b e n F o r m auf d e n s e l b e n K ö r p e r t h e i l i h r e r N a c h k o m m e n vererben. Auch dieses Gesetz der gleichörtlichen oder homotopen Vererbung
IV. Erblichkeit und Vererbung.
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hat im ganzen Thier - und Pflanzen-Reiche so allgemeine Geltung, dass man sich niemals über diese alltägliche Erscheinung wundert Und doch ist dieselbe von der grössten Bedeutung; denn es kann kaum etwas Wunderbareres und schwerer zu Erklärendes geben, als die allbekannte Thatsache, dass der Organismus einen localen Charakter, den er während seiner individuellen Existenz erworben hat, auch genau auf denselben Körpertheil seiner Nachkommen überträgt. In der That ist der unvermeidliche und nothwendige Gedanke äusserst schwierig zu verfolgen, dass das Zoosperm des Vaters und die Eizelle der Mutter, diese minimale Quantität einer formlosen Eiweiss-Verbindung, eine äusseret geringfügige und unbedeutende Abänderung, welche irgend ein Körpertheil der Eltern zu irgend einer Lebenszeit erfahren hat, genau auf denselben Körpertheil des Embryo oder selbst erst des erwachsenen Organismus überträgt, der sich aus jenem, vom Zoosperm befruchteten Eie epigenetisch entwickelt und erst allmählich zur specifischen Form differenzirt hat. Und doch sehen wir diese Thatsache alltäglich verwirklicht vor Augen. Sie giebt uns einen Begriff von der unendlichen Feinheit der organischen Materie und der unbegreiflichen Complication der in derselben stattfindenden Molecular-Bewegungen, zu deren richtiger Würdigung gegenwärtig weder das Beobachtungs - Vermögen unserer Sinne, noch das Denk-Vermögen unsere Verstandes ausreicht. In der auffallendsten Weise offenbart sich das Gesetz der homotopen oder gleichörtlichen Vererbung in den häufigen Fällen, in denen ein menschliches Individuum eine ihm eigentümliche, von seinen Voreltern nicht besessene, und äusserlich leicht wahrnehmbare Veränderung in der Grösse, Form, Farbe etc. eines bestimmten Organs zeigt, die sich gleicherweise an dem gleichen Organe seiner Nachkommen wiederholt. Sehr deutlich ist dies wahrzunehmen an den sogenannten „Muttermalen" oder „Leberflecken", localen Pigmentanhäufungen an den verschiedensten Stellen der Haut, die sehr häufig bei allen oder doch bei einigen Nachkommen dieses Individuums Generationen hindurch an genau derselben Stelle der Haut wieder erscheinen. Dasselbe zeigen sehr auffallend die gefleckten Spielarten unserer Hausthiere und Culturpflanzen, bei denen unter gewissen Bedingungen dieser oder jener auffallende Pigmentfleck, der unvermittelt in einer Generation zum ersten Male aufgetreten ist, nun in ganz gleicher Form, Grösse und Farbe an derselben Stelle des Körpers der Nachkommen wieder auftritt. Ferner ist dasselbe bekanntlich in ausgezeichneter Weise an vielen pathologischen Erscheinungen wahrzunehmen. Eine krankhafte Veränderung eines inneren oder äusseren Organs, (ζ. B. eine Hypertrophie, Atrophie, chronische Entzündung), welche von einer einzelnen Person während ihres Lebens erworben ist, kehrt sehr oft in genau derselben
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Die Descendenz- Theorie und die Selections-Theorie.
Form an demselben Organe der Nachkommenschaft wieder. Wenn wir aber vom weiteren Standpunkte aus das Gesetz der homotopen oder gleichörtlichen Vererbung betrachten, so erkennen wir darin, wie in dem folgenden Gesetze der homochronen' oder gleichzeitlichen Vererbung, eines der ersten und wichtigsten Grundgesetze der gesammten Embryologie und der Ontogenie überhaupt. 9. Gesetz der gleichzeitlichen Vererbung. f / j t x hereditatis
homorhronae.J
Alle O r g a n i s m e n können die bestimmten V e r ä n d e r u n g e n , w e l c h e sie zu i r g e n d e i n e r Z e i t i h r e r i n d i v i d u e l l e n E x i s t e n z d u r c h A n p a s s u n g e r w o r b e n h a b e n , und w e l c h e ihre Vorfahren n i c h t b e s a s s e n , g e n a u in d e r s e l b e n L e b e n s z e i t auf ihre N a c h k o m m e n vererben. Dieses Gesetz ist gleich dem vorigen von der äussersten Wichtigkeit für die Erklärung der allgemeinen Erscheinungen der Embryologie und der Ontogenie überhaupt. D a r w i n , der zuerst hierauf hingewiesen hat, nennt dasselbe das „ G e s e t z d e r V e r e r b u n g i n c o r r e s p o n d i r e n d e m L e b e n s - A l t e r . " Bequemer ist der kürzere Ausdruck: Gesetz der gleichzeitlichen (oder homochronen) Vererbung. Auch die Wirkungen dieses Gesetzes sind, wie die des vorigen, so alltäglich zu beobachtende, und so allgemeine, dass sie eben desshalb noch niemals besondere Bewunderung erregt und zu eingehender Untersuchung Veranlassung gegeben haben. Und doch sind auch sie von der grössten biologischen Bedeutung, und gehören zu den wunderbarsten und am schwersten zu erklärenden Erscheinungen, welche überhaupt in der Natur vorkommen. Denn ist nicht wirklich die allbekannte Thatsache äusserst wunderbar, dass eine bestimmte Veränderung, welche der Körper eines Organismus zu irgend einer Zeit seines Lebens erlitten hat, genau zu derselben Zeit auch an seinen Nachkommen wiederkehrt? Auch hier können wir kaum begreifen, wie die feinen Molecularbewegungen des Plasma, welche solchen Veränderungen zu Grunde liegen, beim Zeugungsact in der Weise mittelst des Sperma oder des Eies auf den gezeugten kindlichen Organismus von den Eltern übertragen werden, dass sie eine ganz bestimmte Zeit hindurch an dem Kinde nicht zur Erscheinung kommen (also latent existiren) und erst dann bemerkbar werden, wenn der kindliche Organismus in dieselbe Lebensperiode eingetreten ist, in welcher der elterliche jene Veränderung erworben hat. Die Beispiele auch für diesen höchst wunderbaren Vorgang sind in der That zahllose, da die gesammte individuelle Entwickelungsgeschichte der Organismen als Illustration dieses Gesetzes angesehen werden muss. Besonders auffallende Beispiele liefert aber auch hier wieder der so fein differenzirte und so mannichfaltig abändernde mensch-
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Veränderlichkeit und Anpassung.
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liehe Organismus. Namentlich sind hier häufig und allbekannt viele merkwürdige Thatsacheu aus der Pathologie, wie ζ. B. die gleichzeitliche Vererbung von Krankheiten der Eruährungsorgane, des Darmes, der Leber, der Lungen etc. Alle diese Erkrankungen wiederholen sich gewöhnlich in den Familien, wo sie erblich werden, an den Nachkommen genau zu derselben Zeit, zu welcher die Eltern sie zum ersten Male erworben haben. Ferner sehen wir dasselbe Gesetz bestätigt an unseren Hausthieren und Culturpflanzen, wo ebenfalls sehr häufig auffallende äussere Veränderungen (ζ. B. in Form und Grösse einzelner Organe), die in späterer Lebenszeit erst von einem einzelnen Individuum erworben wurden, sich auf die Nachkommen desselben vererben, anfänglich aber latent sind, und erst dann sichtbar werden, wenn das entsprechende spätere Lebensalter erreicht ist. Wenn dagegen eine tiefe Veränderung der Organisation, wie es sehr häufig der Fall ist, bereits in sehr früher Lebenszeit des Individuums, während seiner embryonalen Entwickelung eintritt, so erscheint dieselbe auch an seinen Nachkommen zur selbigen frühen Zeit wieder, und es werden die letzteren, gleich dem ersteren, bereits mit dieser Veränderung geboren. Auch dieses äusserst wichtige, von den Erscheinungen der embryonalen Entwickelung (Ontogenese) induetiv abgeleitete Gesetz der homochronen Vererbung erlaubt gleich demjenigen der homotopen Vererbung die weiteste deductive Anwendung auf das Gebiet der parallelen palaeontologischen Entwickelung (Phylogenie) und es ergiebt sich hieraus ζ. B., warum die Kälber hörnerlos geboren werden und ihre Hörner erst später erhalten, warum die Kaulquappen zuerst in fischähnlicher Form existiren und erst später die ausgebildete schwanzlose Froschform annehmen u. s. w.
V. Veränderlichkeit und Anpassung. (Variabilitas.
Adaptatio.)
V, A. T h a t s a c h e u n d U r s a c h e d e r A n p a s s u n g . Die A n p a s s u n g s f ä h i g k e i t (Adaptabilitas) oder V e r ä n d e r l i c h k e i t (Variabilitas) als v i r t u e l l e K r a f t , und die A n p a s s u n g (Adaptatio) oder A b ä n d e r u n g (Variatio) als a c t u e l l e L e i s t u n g der organischen Individuen, sind allgemeine p h y s i o l o g i s c h e F u n c t i o n e n der Organismen, welche mit der fundamentalen Function der E r n ä h r u n g unmittelbar zusammenhängen und eigentlich nur eine Theilerscheinung der letzteren darstellen. Sie äussern sich in der Thatsache, dass jeder Organismus sich während seiner individuellen Existenz in einer von den Erblichkeits- Gesetzen unabhängigen Weise, lediglich durch den Einfluss der ihn umgebenden Existenzbedingungen,
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Die Descendenz - Theorie und die Selections - Theorie.
verändern, sich den letzteren anpassen und also Eigenschaften erwerben kann, welche seine Voreltern nicht besassen. Diese Erscheinung ist, wie die Erblichkeit, eine so allgemeine und alltäglich zu beobachtende, dass sie, eben wegen dieser Allgemeinheit, von der gewöhnlichen oberflächlichen Naturbetrachtung entweder gar nicht in Betracht gezogen oder doch in ihrer fundamentalen Bedeutung für die Charakterbildung des ganzen Organismus bei weitem unterschätzt wird. Am bekanntesten, weil von unmittelbarer praktischer Bedeutung, sind diejenigen Erscheinungen der Veränderlichkeit und Anpassung, welche als Angewöhnung, Erziehung, Dressur, Erkrankung u. s. w. so vielfältig in das Culturleben des Menschen eingreifen. Alle diese Erscheinungen beruhen auf V e r ä n d e r u n g e n der Organismen, die durch ihre Anpassungsfähigkeit bedingt sind. Der allgemeinste Ausdruck für das G r u n d g e s e t z d e r A n p a s s u n g dürfte sich in dem Satze finden lassen: „ K e i n o r g a n i s c h e s I n d i v i d u u m b l e i b t d e n a n d e r e n a b s o l u t gleich." D i e U r s a c h e n d e r V e r ä n d e r l i c h k e i t und die Gesetze ihrer vielfachen Modificationen sind, ebenso wie diejenigen der Erblichkeit, bisher noch äusserst wenig untersucht. Sie hängen aber offenbar direct zusammen mit den Gesetzen der Selbsterhaltung und speciell mit den G e s e t z e n d e r E r n ä h r u n g d e s O r g a n i s m u s ; und bestehen wesentlich in einer m a t e r i e l l e n W e c h s e l w i r k u n g z w i s c h e n T h e i l e n d e s O r g a n i s m u s u n d der i h n u m g e b e n d e n A u s s e n w e i t . Alle, auch die verschiedenartigsten und scheinbar von der Ernährungsfunction unabhängigsten Anpassungs-Erscheinungen sind physiologische Functionen, welche sich in letzter Instanz als Ernährungs-Veränderungen des Organismus nachweisen lassen. Wenn wir sagen, dass diese oder jene Veränderung des Körpers „durch Uebung, durch Gewohnheit, durch Wechselbeziehungen der Entwickelung" u. s. w. entstehe, so erscheint es zunächst, dass diese Ursachen der Anpassung ganz selbstständige organische Functionen seien. Sobald wir aber denselben näher nachgehen und auf den Grund derselben zu kommen suchen, so gelangen wir zu dem Resultate, dass alle diese Functionen ohne Ausnahme zuletzt wieder von der Ernährungs-Function abhängig sind. Die Veränderlichkeit oder Anpassungs-Fähigkeit ist also keinesweges eine besondere organische Function, wie dies sehr häufig angenommen wird. Vielmehr ist es sehr wichtig festzuhalten, dass alle Anpassungs-Erscheinungen in letzter Instanz auf ErnährungsVorgängen beruhen, und dass die materiellen, physikalisch - chemischen Processe der Ernährung ebenso die mechanischen Causae efficientes der Anpassung und der Abänderung sind, wie die materiellen physiologischen Processe der Fortpflanzung die bewirkenden Ursachen der Vererbung sind.
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Veränderlichkeit und Anpassung.
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Wie wir im dritten Abschnitt des fünften Capitels ausführten, ist die gesammte Form jedes individuellen Naturkörpers das nothwendige Resultat aus der Wechselwirkung zweier entgegengesetzter Potenzen, eines äusseren und eines inneren Bildungstriebes. Bei allen organischen Individuen ist der ä u s s e r e B i l d u n g s t r i e b oder die äussere Gestaltungskraft (Ms plastica externa) identisch mit der physikalischchemischen Wechselwirkung des Organismus und der umgebenden Aussenwelt, und insofern diese durch die Ernährung vermittelt wird, i d e n t i s c h mit der A n p a s s u n g . V,B.
A n p a s s u n g und E r n ä h r u n g .
Die E r n ä h r u n g (Nutritio), welche auf dem organischen Stoffwechsel beruht, haben wir im fünften Capitel des zweiten Buches als die allgemeinste und fundamentalste physiologische Function aller Organismen nachgewiesen, als diejenige, welche zum Bestehen aller Organismen ohne Ausnahme nothwendig ist, ünd als diejenige, aus welcher alle übrigen Functionen, auch die Fortpflanzung, unmittelbar oder mittelbar sich ableiten lassen. Die Ernährung ist zugleich diejenige physikalisch-chemische Leistung der Organismen, welche dieselben am durchgreifendsten von den Anorganen unterscheidet. D i e S e l b s t e r h a l t u n g d e r o r g a n i s c h e n I n d i v i d u e n ist nur durch den mit der E r n ä h r u n g u n z e r t r e n n l i c h v e r b u n d e n e n S t o f f w e c h s e l m ö g l i c h , während die Selbsterhaltung der anorganischen Individuen (Krystalle etc.) gerade umgekehrt nur durch den Ausschluss jedes Stoffwechsels, durch das Beharren in der durch das Wachsthum erlangten Form möglich ist. Die Existenz der a n o r g a n i s c h e n Individuen ist also an die C o n s t a n z der gegenseitigen Lagerung und Verbindung der Moleküle ihres Körpers, die Existenz der organischen Individuen gerade umgekehrt an den W e c h s e l der gegenseitigen Lagerung und Verbindung der Moleküle ihres Körpers geknüpft, und an den Ersatz der durch die Lebensthätigkeit verbrauchten Stofftheilchen durch neue Stofftheilchen. welche von aussen aufgenommen werden. Dieser S t o f f w e c h s e l , welcher allen Ernährungs-Erscheinungen zu Grunde liegt, ist nun zugleich die Ursache und die Grundbedingung aller der Veränderungen, welche der Organismus durch A n p a s s u n g eingeht. Wenn wir die letzten Ursachen des Stoffwechsels aufsuchen, so gelangen wir wiederum zu den eigenthümlichen, im fünften Capitel ausführlich erörterten chemischen und physikalischen Eigenschaften der „organischen" Materien, und vor allen der wichtigsten und complicirtesten dieser Kohlenstoff-Verbindungen, der Eiweisskörper oder Albuminate. Die ausserordentliche Imbibitionsfähigkeit dieser Materien, ihr starkes Vermögen, durch Quellung bedeutende Flüssigkeitsmengen zwiH a e c k e l , Generelle Morphologie, Π.
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sehen die Moleküle aufzunehmen, bedingt die Möglichkeit, beständig die durch die Lebensthätigkeit verbrauchten Stoffe nach aussen abzuführen, und dagegen neue brauchbare Stoffe von aussen einzuführen, zu assimiliren. Die complicirte und lockere Verbindung der Atome in diesen Albuminaten zu höchst zusammengesetzten und leicht zersetzbaren Atomgruppen bedingt ihre ausserordentliche Fähigkeit der Umsetzung, ihr ausgezeichnetes Vermögen, sich selbst zu verändern und verändernd, metabolisch auf die benachbarten Stoffe einzuwirken. Dadurch ist aber zugleich den umgebenden Materien der Aussenwelt Gelegenheit gegeben, vielfach ändernd auf diese Eiweiss - Verbindungen einzuwirken, und in dieser Wechselwirkung zwischen beiden beruhen die Vorgänge der Ernährung und die unmittelbar damit zusammenhängenden Vorgänge der Veränderung der organischen Formen, der Anpassung. Wir wissen, dass die complicirten Kohlenstoff - Verbindungen, der Eiweissgruppe die „lebendigen Materien" κατ (ξοχην, die vorzugsweise activen „Lebensstoffe" sind, dass von ihnen als individualisirten Albuminatstücken (Piastiden) die Bildung der übrigen organischen Materien ausgeht. Alle organischen Individuen sind entweder einfache (einzelne Piastiden) oder zusammengesetzte (Plastiden-Complexe). Das einfache Individuum bleibt entweder, als Moner, auf der untersten Stufe eines ganz einfachen, formlosen oder geformten Albuminatklumpens stehen (nackter Plasma-Klumpen oder Gymnocytode), oder es entwickelt sich der individualisirte Eiweissklumpen durch Differenzirung von Plasma und Hülle (Membran) zur Lepocytode, oder weiterhin durch Differenzirung von Plasma und Kern zur Zelle. Die wachsende Plastide vermehrt sich, wenn das Wachsthum die Grenze des individuellen Maases überschreitet, durch monogone Fortpflanzung, meistens durch Theilung oder Knöspung. Ist die Ablösung des neu erzeugten Individuums unvollständig, so entsteht ein zusammengesetzter polyplastider Organismus, ein Form-Individuum zweiter oder höherer Ordnung, welches aus mehreren morphologischen Individuen erster Ordnung zusammengesetzt ist. Alle die unendlich mannichfaltigen Formen und Functionen, welche wir an diesen zusammengesetzten Organismen wahrnehmen, sind bedingt durch unendlich mannichfaltige Modificationen in der Lagerung der Moleküle in jenen Piastiden oder Eiweissklumpen , welche als Individuen erster Ordnung die letzten wirksamen Lebenseinheiten sind. Jene unendlich verschiedenartige Lagerung der Moleküle ist wiederum in der verschiedenartigen Ernährung der Plastiden begründet, d. h. in der verschiedenartigen Wechselwirkung ihrer Plasma-Moleküle mit den verschiedenen Stoff-Molekülen ihrer Umgebung, und dieser unendlich complicirte und verschiedenartige Stoff-
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Veränderlichkeit und Anpassung.
Wechsel ist die wirkende Ursache der unendlich complicirten und verschiedenartigen Anpassungen. V, C. G r a d d e r A n p a s s u n g . Wenn wir die vorhergehenden, im fünften Capitel näher begründeten Erwägungen stets im Sinne behalten, so finden wir, dass alle die unendlich mannichfaltigen und s c h e i n b a r so äusserst z w e c k m ä s s i g e n Anpassungen der Formen und Functionen der Organismen in letzter Instanz nichts Anderes sind, als n o t h w e n d i g e Folgen des unendlich mannichfaltigen S t o f f w e c h s e l s , der unendlich mannichfaltigen Wechselwirkung zwischen den constituirenden Piastiden der Organismen und der sie umgebenden Aussen weit, den unendlich mannichfaltigen Existenz - Bedingungen. Es waltet also auch hier, wie überall in der Xatur, das allgemeine Causal-Gesetz. Jede Veränderung, jede Anpassung eines Organismus ist die nothwendige Folge aus dem Zusammenwirken von mehreren Ursachen, und zwar aus der Wechselwirkung der materiellen Theile des Organismus selbst und der materiellen Theile seiner Umgebung. Es muss demnach auch der G r a d d e r A b ä n d e r u n g oder Anpassung dem Grade der Veränderung in den äusseren Existenz-Bedingungen entsprechen, welche mit dem Organismus in Wechselwirkung stehen. Je grösser die \Terschiedenheit in den Existenz-Bedingungen ist, unter welchen der Organismus und unter welchen seine Eltern leben, desto intensiver wird die Einwirkung der ersteren sein, und desto grösser die Abänderung, d.h. die Differenz in der Beschaffenheit des kindlichen (angepassten) und des elterlichen Organismus. Ebenso wird diese Differenz (die Anpassung) um so stärker sein, je längere Zeit hindurch die umbildenden neuen Existenz-Bedingungen auf den kindlichen Organismus einwirken. Der Grad der Anpassung ist also mit Notwendigkeit causal bedingt durch den Grad und die Zeitdauer der Einwirkung veränderter Lebensbedingungen auf den Organismus. Der Grad der Wirkung steht in bestimmtem Verhältnisse zum Grade der Ursache. So einfach und selbstverständlich dieses Gesetz ist, so wird es dennoch vielleicht nirgends häufiger übersehen und ignorirt, als in der Lehre von den Abänderungen und Anpassungen der Organismen, von denen viele (und wohl die meisten!) Morphologen die Ansicht haben, das sie „von selbst", d. h. ohne bestimmte vorhergegangene Ursache entstünden, oder gar in Folge eines ausserhalb der Materie befindlichen „schöpferischen Gedankens". Den» gegenüber heben wir hier als oberstes Grundgesetz der Anpassung ausdrücklich folgenden Satz hervor: „ J e d e A n p a s s u n g s - E r s c h e i n u n g ( A b ä n d e r u n g ) d e r Organismen ist durch die m a t e r i e l l e W e c h s e l w i r k u n g zwis c h e n der M a t e r i e d e s O r g a n i s m u s u n d d e r M a t e r i e , w e l c h e d e n s e l b e n a l s A u s s e n w e l t u m g i e b t , b e d i n g t , und d e r
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G r a d d e r A b ä n d e r u n g (d.h. der Grad der morphologischen und physiologischen Ungleichheit zwischen dem abgeänderten Organismus und seinen Eltern) s t e h t in g e r a d e m V e r h ä l t n i s s e z u d e r Z e i t d a u e r und zu der I n t e n s i t ä t der m a t e r i e l l e n W e c h s e l w i r k u n g zwischen dem Organismus und den v e r ä n d e r t e n E x i stenz-Bedingungen der Aussenwelt." V, D. I n d i r e c t e u n d d i r e c t e A n p a s s u n g . Bevor wir den Versuch machen, diejenigen Erscheinungen der Anpassung, welche als mehr oder minder bedeutende allgemeine Gesetze der Variabilität sich schon gegenwärtig formuliren lassen, zu unterscheiden, ist es nothwendig, den Unterschied hervorzuheben, welcher zwischen zwei wesentlich verschiedenen Hauptformen der Anpassung, der directen und der indirecten Adaptation besteht. Zwar ist dieser Unterschied bisher noch kaum urgirt worden; doch erscheint er uns von solcher Bedeutung, dass wir glauben, alle verschiedenen Variabilitäts-Phaenomene entweder als Wirkungen der directen oder der indirecten Anpassung betrachten zu können. D i r e c t e A n p a s s u n g e n nennen wir solche, welche durch eine unmittelbare Ernährungs-Veränderung des Organismus zu irgend einer Zeit seiner individuellen Existenz veranlasst werden und noch während derselben durch bestimmte Veränderungen der Mischung, Function und Form in die Erscheinung treten. I n d i r e c t e A n p a s s u n g e n dagegen nennen wir diejenigen Ernährungs-Veränderungen des Organismus, welche erst in den von ihm erzeugten Nachkommen, also mittelbar, ihre Wirkung äussern, und bestimmte Veränderungen in der Mischung, Form und Function des kindlichen Organismus zur Erscheinung bringen, welche an dem unmittelbar betroffenen elterlichen Organismus nicht sichtbar wurden. Um diesen wichtigen Unterschied richtig zu würdigen, müssen wir zuerst die Grenzen und den Begriff der i n d i v i d u e l l e n E x i s t e n z , und namentlich deren B e g i n n scharf zu bestimmen suchen. So einfach und leicht diese Aufgabe zunächst erscheint, so zeigt doch eine eingehende Vergleichung bald, dass ihre Lösung oft äusserst schwierig und in vielen Fällen ganz unmöglich ist. Eigentlich müssten wir jedes durch Fortpflanzung erzeugte organische Individuum von dem Momente an für selbstständig erklären, in welchem es als selbstständiges Wachsthumscentrum* den übrigen Theilen des elterlichen Organismus gegenübertritt. Doch ist dieses Moment niemals scharf zu bezeichnen. Andererseits könnte man bei der u n g e s c h l e c h t l i c h e n F o r t p f l a n z u n g den Beginn der individuellen Existenz in das Moment setzen, in welchem das kindliche Individum sich von dem elterlichen räumlich vollständig trennt; bei der Theilung, Knospenbildung, Keim-
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Veränderlichkeit und Anpassung.
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bildung also in das Moment, in welchem aus einem Körper zwei oder mehrere räumlich getrennt werden, entweder durch eine vollständige Spaltungsebene oder durch Bildung einer realen Scheidewand. Allein in zahlreichen, nahe mit dieser vollständigen Trennung verbundenen Fällen erfolgt die räumliche Loslösung oder die Bildung eines voll·· ständigen realen Septum thatsächlich nicht, so ζ. B. bei der unvollständigen Theilung und Knospenbildung; und es ist dann oft ganz ebenso unmöglich, zeitlich wie räumlich, die Grenze des selbstständigen und unselbstständigen individuellen Lebens zu fixiren. Bei der g e s c h l e c h t l i c h e n F o r t p f l a n z u n g werden wir den Beginn der individuellen selbstständigen Existenz allgemein in das Moment der Befruchtung setzen können. In diesem Moment hört das Ei auf, ein reiner Bestandtheil des mütterlichen Organismus zu sein, und verschmilzt durch wahre materielle Vermischung mit dem väterlichen Sperma zu einem neuen Individuum, welches weder Ei noch Sperma allein, sondern eine wirkliche Verbindung von beiden, ein neuer, dritter Körper ist. Die weitere Entwickelung dieses befruchteten Eies zum selbstständigen kindlichen Individuum kann zwar äusserlich noch längere Zeit vom mütterlichen Organismus abhängig erscheinen (wie bei den lebendig gebärenden Thieren, den Phanerogamen etc., wo sich der Embryo innerhalb des mütterlichen Organismus bis zu einem gewissen Grade entwickelt. Allein durch das Moment der Befruchtung ist der Beginn der individuellen Entwickelungs-Bewegung, des selbstständigen 'Wachsthums und überhaupt der physiologischen Selbstständigkeit des neu erzeugten Organismus bestimmt bezeichnet, und der mütterliche Organismus, mag er mit dem kindlichen noch so eng (wie bei den Säugethieren) verbunden erscheinen, ist eben so gut, wie der väterliche, für den kindlichen doch nur A u s s e n w e l t , äussere ExistenzBedingung. Wenn daher der kindliche Organismus hier schon, noch während seiner embryonalen Entwickelung, Veränderungen erfährt (ζ. B. monströse Ausbildung einzelner Theile durch mechanische, experimentell herbeigeführte Störung der Entwickelung), so sind diese Veränderungen wirkliche d i r e c t e A n p a s s u n g e n . Wir haben sie als solche eben so gut zu bezeichnen, wie in denjenigen Fällen, in welchen der Beginn der individuellen selbstständigen Existenz mit einer vollständigen räumlichen Trennung des elterlichen und kindlichen Organismus verbunden ist (ζ. B. bei der vollständigen Theilung einzelliger Protisten, der Diatomeen etc., und der Zellen innerhalb mehrzelliger Organismen). Anders aber steht es in den eben berührten Fällen, in denen eine solche natürliche Begrenzung des Beginnes der individuellen Existenz nicht möglich ist Hier können wir nicht so scharf zwischen der directen und indirecten Anpassung unterscheiden, weil die Ernährung
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der beiden Organismen, des elterlichen und kindlichen, gemeinsam bleibt und wegen der fortdauernden Oontinuität beider (ζ. B. bei der Stockbildung durch unvollständige Knospenbildung) eine beständige nutritive Wechselwirkung zwischen beiden fortdauert. Der theoretische Unterschied zwischen der directen und indirecten Anpassung ist freilich auch hier klar. Im ersteren Falle beruht die morphologische und physiologische Abänderung stets in einer Veränderung der Ernährung des angepassten Individuums selbst; im letzteren Falle dagegen auf einer Ernährungs-Veränderung, welche sowohl allein vom kindlichen, als allein vom elterlichen Organismus, als endlich auch gemischt von beiden zusammen ausgehen kann. Im concreten einzelnen Falle wird es aber ganz unmöglich sein, die Grenze zwischen diesen drei abstracten Möglichkeiten scharf zu bestimmen, ebenso unmöglich, als die Grenze der nutritiven Selbstständigkeit zwischen dem continuirlich materiell zusammenhängenden elterlichen und kindlichen Organismus scharf festzustellen ist. Wie die Knospen, welche unvollständig getrennt zu einem Stocke verbunden bleiben, so verhalten sich in dieser Beziehung auch diejenigen kindlichen Organismen, welche durch Polysporogonie und durch Parthenogonie entstehen. Die letztere erscheint auch in dieser Beziehung als ein wahrer Uebergang von der ungeschlechtlichen zur geschlechtlichen Fortpflanzung. Bei den Bienen ζ. B., wo wir den Beginn der selbstständigen individuellen Existenz, also den Beginn zugleich der individuellen Entwickelung und Anpassung auf das Moment der Befruchtung für die aus befruchteten Eiern sich entwickelnden weiblichen Individuen (Königinnen und Arbeiterinnen) festsetzen können, ist dies für die aus unbefruchteten Eiern entstehenden männlichen Individuen (die Drohnen) nicht möglich. Ebenso müssen wir in zahlreichen anderen Fällen theils aus theoretischen, theils aus practischen Gründen darauf verzichten, den Beginn der individuellen Existenz, d. h. der virtuellen physiologischen Individualität des Organismus scharf zu fixiren, weil sich hier die Trennung der materiellen Continuität zwischen elterlichem und kindlichem Organismus entweder niemals vollständig, oder nur ganz allmählich und unmerklich vollzieht. Obwohl es also in diesen und in vielen anderen Fällen nicht möglich ist, die Grenze der nutritiven Selbstständigkeit des kindlichen Individuums scharf zu bestimmen, wird dadurch doch der Unterschied zwischen der indirecten und der directen Anpassung keinesweges aufgehoben. Denn es ist klar, dass der Begriff der i n d i v i d u e l l e n Anp a s s u n g eigentlich streng genommen nur auf diejenigen Fälle der Abänderung angewendet werden kann, in denen die Abänderung thatsächlich durch Wechselwirkung zwischen den s e l b s t s t ä n d i g e n Individuen und der Aussenwelt erfolgt. Nur in diesen Fällen ist es lediglich eine Veränderung in der Ernährung dieses einzelnen Individuums,
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welche der Anpassung zu Grunde liegt. In den zahlreichen Fällen dagegen, wo dieselbe ein nicht vollkommen selbstständiges Individuum betrifft, ist es unmöglich, zu sagen, wieviel von der erworbenen Veränderung auf Kosten einer Ernährungs-Veränderung des Individuums selbst kömmt, wieviel auf Kosten einer Ernährungs-Veränderung des elterlichen Organismus, welcher mit dem kindlichen noch in bleibender Wechselwirkung, in unmittelbarer materieller Continuität und beständigem Stoffaustausch verharrt. Diese Erwägung ist, wie D a r w i u zuerst gezeigt hat, von äusserster Wichtigkeit. Denn thatsächlich lehrt die Erfahrung, dass Ernährungs-Veränderungen, welche den elterlichen Organismus betreffen, und welche an diesem selbst nur eine geringe, oft in Form und Function nicht wahrnehmbare Mischungs-Veränderung hervorbringen, in ihrer Wirkung auf den kindlichen, von jenem erzeugten Organismus sehr bedeutende, in Form und Function oft äusserst auffallende Abänderungen hervorbringen. Obwohl also hier die wirkende Ursache bloss den elterlichen Organismus trifft, kommt sie doch nicht an diesem, sondern erst an dem kindlichen Organismus zur Erscheinung. Dieses wichtige Gesetz zeigt sich äusserst auffallend bei unseren Hausthieren und Culturpflanzen, bei denen wir nicht selten im Stande sind, durch ganz bestimmte Beeinflussung ihrer Ernährung ganz bestimmte Veränderungen in Form und Function zu erzielen, welche aber nicht an ihnen selbst , sondern erst an ihren Nachkommen in die Erscheinung treten. Dies gilt aber nicht nur für alle oben erwähnten Fälle von unvollständiger Trennung des elterlichen und kindlichen Organismus, sondern es gilt auch für alle Fälle von vollständiger Trennung und namentlich auch für alle Fälle von geschlechtlicher Fortpflanzung. Es zeigt sich hier die höchst merkwürdige und wichtige Thatsache, dass selbst leichte Ernährungs -Veränderungen, welche in den meisten Organen und Functionen des elterlichen Organismus keine bemerkbare oder nur eine ganz unbedeutende Abänderung bewirken, auf die Geschlechtsorgane desselben (nach dem Gesetz von der Wechselbeziehung der Organe) eine verhältnissmässig colossale Wirkung ausüben, und namentlich auf die noch nicht vereinigten Geschlechtsproducte (Sperma und Eier) so bedeutend einwirken, dass diese Einwirkung nach erfolgter Vereinigung derselben (Befruchtung) in Abänderungen der Form und Function des kindlichen Organismus äusserst auffallend hervortritt. Allerdings sind uns im Einzelnen diese höchst wichtigen nutritiven Wechselbeziehungen zwischen den Fortpflanzungsorganen und den übrigen Theilen des Organismus noch fast ganz unbekanut, und zum grössten Theil sehr räthselhaft. Allgemeine und sehr merkwürdige Beweise für deren Existenz besitzen wir aber sehr viele, wie ζ. B. die bekannten Veränderungen im Stimmorgan, in der Fettbildung und in
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Die Descendenz - Theorie und die Selections-Theorie.
den psychischen Thätigkeiten bei castrirten männlichen Thieren; /ferner die wichtige Thatsache, dass schon leichte Ernährungs-Störungen, und bei vielen wilden Thieren sogar schon der Verlust ihrer natürlichen Freiheit und das Leben in Gefangenschaft ausreichen, um sie vollständig unfruchtbar zu machen. So pflanzen sich ζ. B. die Affen und die bärenartigen Raubthiere, der Elephant, die Raubvögel, Papageven und viele andere Thiere, ebenso auch viele Pflanzen-Arten, in der Gefangenschaft und im Culturzustande niemals oder nur sehr selten fort, während andere dies regelmässig thun. Oft genügt schon übermässig reichliche Nahrung, um Sterilität (und zugleich vielfache Variationen) hervorzurufen. Ebenso wie die Sterilität, wird aber auch die Production einer sehr abweichenden und selbst monströsen Nachkommenschaft sehr oft lediglich durch derartige Ernährungs - Störungen des elterlichen Organismus bedingt, ohne dass er selbst bereits die auffallenden Charaktere seiner Kinder ausgebildet zeigt. Diese äusserst wichtige Erscheinung, welche wir bei allen Arten der Fortpflanzung beobachten, und welche uns wiederum den innigen Zusammenhang zwischen der Fortpflanzung und Ernährung vor Augen führt, lässt sich, streng genommen, nicht als individuelle Anpassung bezeichnen, insofern es nicht das selbstständige Individuum ist, welches die Abänderung durch Wechselwirkung mit der Aussenwelt erfährt. Vielmehr wird der Grund der Abänderung vermittelst der materiellen Grundlage des elterlichen Organismus in diejenige des kindlichen Individuums gelegt, schon bevor dasselbe sich überhaupt vom elterlichen Organismus irgendwie isolirt hat. Eine individuelle Ernährungs - Modification des letztern ist die eigentliche erste Ursache. Es wird also die Anlage zur Abänderung bereits im elterlichen Organismus (durch die Ernährung) bewirkt und von diesem auf den kindlichen Organismus (durch die Fortpflanzung) übertragen. In letzterer Hinsicht könnte man versucht sein, den Vorgang eher eine Erscheinung der Vererbung, als der Anpassung zu nennen. Allein der wesentliche Unterschied von der Vererbung liegt darin, dass bei dieser letzteren die (chemischen, physiologischen, morphologischen) Eigenschaften, welche der elterliche Organismus auf den kindlichen überträgt, bei dem elterlichen bereits wirklich entwickelt in die Erscheinung getreten waren und also nicht bloss potentia, sondern auch acta in ihm vorhanden waren. Im ersteren Falle dagegen sind jene Eigenschaften in dem elterlichen Organismus bloss potentia. nicht acta vorhanden, und zwar latent in dem Keime des kindlichen Organismus, bei dessen Entwickelung erst sie in die Erscheinung treten. Wir können daher diesen Vorgang seinem Wesen nach nicht als eine Erblichkeits - Erscheinung, sondern müssen ihn als eine Anpassungs-Erscheinung auffassen, wenngleich wir hervorheben müssen, dass er eine
V. Veränderlichkeit und Anpassung.
201
unmittelbare U e b e r g a n g s s t u f e z w i s c h e n d e n e n t g e g e n g e s e t z t e n und e n t g e g e n w i r k e n d e n E r s c h e i n u n g e n d e r V e r e r b u n g (die mit der Fortpflanzung) u n d d e r e i g e n t l i c h e n i n d i v i d u e l l e n A n p a s s u n g (die mit der Ernährung zusammenhängt), darstellt Um ihn von der letzteren, der actuellen oder directen Anpassung zu unterscheiden, wollen wir ihn ein für allemal als indirecte oder potentielle Anpassung bezeichnen. Alle Anpassungen, welche bei den Organismen vorkommen, gehören einer von diesen beiden Kategorieen an. Das Gesetz der i n d i r e c t e u oder p o t e n t i e l l e n A n p a s s u n g oder der Abänderung des Organismus durch Ernährungs - Modificationen seines elterlichen Organismus lässt sich demnach folgendermaassen fonnuliren: „ J e d e r O r g a n i s m u s k a n n d u r c h W e c h s e l w i r k u n g mit d e r u m g e b e n d e n A u s s e n w e l t n u t r i t i v e V e r ä n d e r u n g e n e r l e i d e n , w e l c h e n i c h t in s e i n e r e i g e n e n F o r m b i l d u n g , s o n d e r n e r s t m i t t e l b a r in der F o r m b i l d u n g s e i n e r N a c h k o m m e n s c h a f t , a l s i n d i r e c t e A n p a s s u n g , in die E r s c h e i n u n g t r e t e n . " D a s G e s e t z der d i r e c t e n o d e r a c t u e l l e n A n p a s s u n g oder der Abänderung des Organismus durch eigene, ihn selbst betreffende Ernährungs - Modificationen würde dagegen lauten: „ J e d e r O r g a n i s m u s k a n n d u r c h W e c h s e l w i r k u n g m i t der u m g e b e n den A u s s e n w e l t n u t r i t i v e V e r ä n d e r u n g e n e r l e i d e n , w e l c h e u n m i t t e l b a r in s e i n e r e i g e n e n F o r m b i l d u n g , a l s d i r e c t e A n p a s s u n g , in die E r s c h e i n u n g treten." Hierher gehören die meisten Fälle individueller Abänderungen, welche man gewöhnlich als Anpassung (im engeren Sinne) bezeichnet. Wenn wir nunmehr an die Betrachtung der verschiedenen Gesetze der indirecten und der directen Anpassung herantreten, welche wir gegenwärtig unterscheiden zu können glauben, so müssen wir zunächst leider dieselbe Bemerkung vorausschicken, welche wir so eben bei Besprechung der Erblichkeits- Gesetze gemacht haben, dass wir uns nämlich auf einem eben so ausgedehnten als wichtigen Gebiete der Biologie befinden, auf welchem fast noch Nichts geschehen ist, um die werthvollen daselbst verborgen liegenden Schätze zu heben. Zwar sind den Zoologen und Botanikern, seitdem L i n n e das systematische Studium der äusseren Morphologie begründete, zahllose Varietäten, Rassen, Spielarten und andere Abänderungs-Formen der sogenannten „guten Arten" bekannt geworden, und der grösste Theil der zoologischen und botanischen Literatur ist mit Beschreibung dieser zahllosen Abänderungsformen gefüllt und mit den unnützesten und hirnlosesten Streitigkeiten über die Frage, ob diese oder jene Form als „gute Art" oder bloss als Unterart, als Gattung oder als Varietät, als Rasse oder
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Die Descendenz - Theorie und die Selections - Theorie.
nur als individuelle Abänderung zu deuten sei. Da indessen die meisten hierauf bezüglichen Untersuchungen nur mit einem höchst beschränkten Materiale und mit einem noch mehr beschränkten Verstände angestellt sind, so haben dieselben keinen oder nur sehr geringen wissenschaftlichen Werth. Die meisten Botaniker und Zoologen, die ihr Leben mit solchen unnützen Spielereien zugebracht haben, sind ohne alle philosophische Basis zu Werke gegangen und haben sich weder die Mühe gegeben, über die eigentliche Bedeutung der Begriffe „Art, Unterart, Rasse, Abart, Varietät, Spielart etc." nachzudenken, noch über die Ursachen, durch welche die thatsächlichen Verschiedenheiten dieser subordinirten Kategorieen entstanden sind. An eine wissenschaftliche Untersuchung der Abänderungs - Gesetze hat aber vor D a r w i n fast noch Niemand gedacht und auch D a r w i n hat mehr Verdienst um die klare Hervorhebung der causalen Verhältnisse der Abänderungen, als um die ordnungsgemässe Unterscheidung ihrer verschiedenen Modificationen, die in diesem Chaos von ungeordneten Thatsachen allerdings eben so schwierig als wichtig ist. Unter diesen Umständen können wir eine vollständige Erkenntniss der mannichfaltigen Verhältnisse erst von der intelligenten Morphologie der Zukunft hoffen, welche bemüht sein wird, grade die feinen individuellen Unterschiede und die geringen Differenzen der Varietäten, Rassen etc. sorgfältig zu wägen und daraus zusammenhängende Entwickelungsreihen herzustellen, während die bisherige künstliche Systematik gracle das Gegentheil erstrebte und nur bemüht war, die Arten scharf zu trennen, indem sie die vorhandenen Zwischenformen bei Seite schob und ignorirte. Der folgende Versuch, die verschiedenen AbänderungsErscheinungen als geordnete Gesetze aufzuführen, kann unter diesen Umständen nur ein ganz provisorischer sein. V , E. G e s e t z e d e r A n p a s s u n g . Ε α. Gesetze der indirecten oder potentiellen
Anpassung.
1. Gesetz der individuellen Abänderung. (hex
variationis
individuals.)
Alle organischen Individuen sind von Beginn ihrer i n d i v i d u e l l e n E x i s t e n z an u n g l e i c h , w e n n a u c h o f t h ö c h s t ähnlich. Dieses wichtige Gesetz der individuellen Abänderung, welches wir auch das der angeborenen Ungleichheit nennen könnten, ist das allgemeinste, welches sich auf die Abänderungs - Verhältnisse bezieht und steht unmittelbar gegenüber dem allgemeinsten Vererbungs-Gesetze, wonach die unmittelbaren Descendenten der Organismen ihren Eltern entweder nahezu gleich oder doch sehr ähnlich sind. Beide Gesetze
Y. Veränderlichkeit und Anpassung.
203
widersprechen sich nicht. Denn wenn auch alle Individuen einer und derselben „Art" oder „Abart" noch so sehr ähnlich sein mögen, und wenn wir auch mit unseren besten Hülfsmitteln keine Unterschiede zwischen denselben wahrnehmen können, so haben wir doch Gründe genug zu der Annahme, dass niemals oder doch nur höchst selten und zufällig eine a b s o l u t e Gleichheit zweier ähnlicher Individuen stattfindet. Wir begründen dieses Gesetz inductiv auf die allgemein bekannte Ungleichheit der menschlichen Individuen von der Zeit ihrer Geburt an. Niemand wird behaupten, dass es jemals zwei Menschen gegeben habe, welche absolut gleich gewesen seien, welche absolut dieselbe Grösse, Form und Farbe, dasselbe Gesicht, dieselbe Zahl von Epidermiszellen, Blutzellen etc., dieselben Seelenbewegungen (Wille, Empfindung, Denken in absolut gleicher Form) besessen haben. Schon bei der Geburt sind allgemein individuelle Ungleichheiten vorhanden, wenn sie auch oft schwer zu erkennen sind und erst später deutlicher hervortreten. Wenn wir allerdings auch nicht in der Lage sind, dieses Gesetz scharf beweisen zu können, so sprechen dafür doch so allgemeine Gründe, dass in der That eigentlich wohl Niemand an seiner Geltung zweifelt. Denn man nimmt ja allgemein an, dass jeder Mensch ein bestimmtes Quantum von verschiedenen Eigenschaften (z. B. Talenten) mit „auf die Welt bringe", welche nicht erst nachträglich durch Anpassung erworben werden. Und dieses Quantum wird bei allen Individuen für verschieden gehalten. Was vom Menschen, das gilt auch von den übrigen Säugethieren, und es ist allen Menschen, die sich eingehend mit einer grösseren Anzahl von Individuen einer Art beschäftigt und dieselben genau und lange Zeit beobachtet haben (ζ. B. den Hirten von Vieh - Heerden, den Förstern, Ausstopfern) wohl bekannt, dass alle einzelnen Individuen einer und derselben Species, trotz der grössten Aehnlichkeit, dennoch individuelle Unterschiede zeigen. Dasselbe wissen alle systematischen Botaniker, welche Massen von Individuen einer und derselben Species eingehend verglichen haben. Dasselbe weiss Jedermann von allen Bäumen eines Waldes. Niemand wird ζ. B. behaupten, dass es jemals zwei Bäume von einer und derselben Art, ζ. B. zwei Apfelbäume oder zwei Rosskastanien gegeben habe, welche in allen Beziehungen, in der Zahl der Blätter und Blüthen, der Bildung der Rinde, der Verzweigung des Stammes, in der Zahl und Form aller constituirenden Zellen absolut gleich gewesen seien. Schon eine Betrachtung einer Baumschule lehrt hiervon das grade Gegentheil, und eine sorgfältige Vergleichung der jüngsten Samenpflanzen zeigt, dass sie schon von erster Jugend an individuelle Unterschiede zeigen. Nun könnte man zwar behaupten, dass diese absolute Ungleichheit aller organischen Individuen durch die universelle directe Anpassung erworben sei, und zum grossen Theile ist dies
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Die Descendenz - Theorie und die Selections-Theorie.
gewiss der Fall, da niemals zwei Individuen ihr ganzes Leben unter absolut denselben Existenzbedingungen zubringen. Allein D a r w i n hat gezeigt, dass wir hinreichende Gründe haben, die allgemeine individuelle Ungleichheit der Organismen auch theilweis als Folge einer indirecten Abänderung derselben anzusehen, hervorgebracht durch primitive Verschiedenheiten der von den Eltern erzeugten Keime. Hierfür spricht allein schon die allgemeine Ungleichheit aller Jungen eines und desselben Wurfes, aller Sämlinge einer und derselben Frucht. Diese kann nur dadurch bedingt sein, dass die Ernährungs-Bedingungen innerhalb des elterlichen Organismus für die sich bildenden Keime verschiedene waren. In der That müssen wir hier bis zu einer ursprünglichen Ungleichheit der Geschlechtsproducte, aus denen die kindlichen Individuen entstehen, zurückgehen, und auch diese anzunehmen, steht Nichts im Wege, da offenbar niemals zwei Piastiden eines und desselben Organismus unter a b s o l u t gleichen Verhältnissen entstehen und sich entwickeln. Für unsere groben und rohen Beobachtungsmittel wird freilich meistens die ursprüngliche individuelle Verschiedenheit der Organismen verborgen bleiben. 2. Gesetz der monströsen Abänderung. (Lex variationis
monstrosae.J
Alle Organismen sind u n t e r bestimmten, sehr abweichenden und u n g e w ö h n l i c h e n E r n ä h r u n g s b e d i n g u n g e n f ä h i g , e i n e N a c h k o m m e n s c h a f t zu e r z e u g e n , w e l c h e n i c h t in dem gewöhnlichen geringen G r a d e der individuellen Verä n d e r l i c h k e i t , s o n d e r n in e i n e m so a u s s e r o r d e n t l i c h e n u n d u n g e w ö h n l i c h e n G r a d e von d e n C h a r a k t e r e n d e s e l t e r l i c h e n O r g a n i s m u s abweicht, dass man d i e s e l b e n als Monstra oder Missbildungen b e z e i c h n e t Dieses noch sehr wenig bekannte, und auch hinsichtlich der zu Grunde liegenden Thatsachen noch sehr wenig untersuchte Gesetz ist, so viel wir bis jetzt wissen, nur von geringer, bisweilen vielleicht aber auch von sehr bedeutender Wichtigkeit für die Entstehung von neuen Arten. Es würden nämlich hieher wahrscheinlich alle diejenigen Fälle gehören, welche man als s p r u n g w e i s e A b ä n d e r u n g , p l ö t z l i c h e A u s a r t u n g , monströse Entwickelung u. s. w. bezeichnet. Bei den Menschen sowohl, als bei den andern im Culturzustande lebenden Thieren, ebenso bei den Culturpflanzen, sind solche monströse Abänderungen verhältnissmässig häufig und oft so bedeutend, dass sie nicht allein über den Charakter der Art und Gattung, sondern auch sehr oft über denjenigen der Familie und Ordnung weit hinausgreifen. Es gehören hierher ζ. B. die bekannten Fälle von Menschen mit sechs Fingern an jeder Hand und jedem Fuss, ferner die berühmten Sta-
V.
Veränderlichkeit und Anpassung.
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chelschweinmenschen mit schuppenartiger Epidermis, die cavicornien "Wiederkäuer-Monstra ohne Horner (von einer sonst gehörnten Art) oder mit 4 — 6 — 8 (statt der normalen zwei) Hörnern, dann der allgemeine Pigmentmangel der Haut (Leucosis) bei den Albinos der verschiedensten Thierarten, die ungewöhnlichen Grössenproportionen einzelner Körpertheile unter einander und zum Ganzen, ferner die zahlreichen höchst auffallenden und plötzlich entstehenden „monströsen" Abänderungen in Grösse, Farbe, Blätterzahl u. s. w. bei den Blüthen und Früchten unserer Culturpflanzen, viele „gefüllte Blüthen" etc. Aber nicht allein solche auffallende äusserliche, leicht erkennbare Missbildungen treten oft ganz plötzlich in einer Generation auf, sondern auch die wichtigsten Abweichungen von in der Lage, Grösse und Gestalt innerer Organe, so ζ. B. die ümkehrung von Rechts und Links bei dipleuren Thieren (Perversio viscerum des Menschen, links gewundene Individuen von regelmässig rechts gewundenen Schnecken u. s. w.). Die causale Entstehung der meisten dieser plötzlich auftretenden Monstrositäten ist uns mit Sicherheit nicht bekannt. In vielen Fällen sind es mechanische oder nutritive Störungen in der Entwickelung des Embryo, welche die „Missbildung" verursachen (dann also directe Anpassungen!), in sehr vielen anderen Fällen dagegen sind es sicher Nutritions - Störungen des elterlichen Organismus, welche auf das Genitalsystem desselben zurückwirken und die auffallende Abänderung des kindlichen Organismus schon im ersten Keime, im noch nicht befruchteten Ei oder im Sperma bedingen. In einigen Fällen lässt sich dies experimentell nachweisen. Hierbei tritt der ungeheure Einfluss, den die veränderte Ernährung des Organismus auf seine Fortpflanzungsorgane hat, besonders auffallend hervor. Wie bereits D a r w i n hervorgehoben hat, sind solche monströse Abweichungen, welche er als „generative" bezeichnet, fast durchgängig zuerst sehr unbeständig und zeigen dies besonders darin, dass, wenn sie sich mehrere Generationen hindurch vererben, der Grad der monströsen Ausbildung in verschiedenen Generationen und Individuen ein sehr verschiedener ist. Auch verschwinden sie oft eben so plötzlich wieder in einer Generation, wie sie in einer vorhergehenden entstanden sind. Indess gelingt es der künstlichen Züchtung doch oft, dieselben zu erhalten und durch generationenlange Pflege zu befestigen, wie es ζ. B. bei den vierhörnigen und sechshörnigen Schafen der Fall gewesen ist, bei dem berühmten hörnerlosen Bullen von Paraguay, von dem man eine ganze Rinderrasse erzog, bei dem krummbeinigen Schaafbock von S e t h W r i g h t in Massachusetts, der ebenfalls der Stammvater einer ganzen krummbeinigen Schaafrasse (der Otterschaafe) wurde u. s. w. Ebenso gut ist es nun denkbar und vielleicht in der That sehr oft geschehen, dass eine plötzliche und starke Veränderung in der Ernährung einer
206
Die Descendenz - Theorie und die Selections-Theorie.
Species im Naturzustande (ζ. Β. dadurch dass sich plötzlich das Klima einer Gegend ändert) auf die Generationsorgane plötzlich zurückwirkt, und zur massenhaften sprungweisen Erzeugung neuer monströser Formen führt, welche sich durch Inzucht fortpflanzen und eine neue „Art" bilden. So gut wir diesen Process bei wilden Pflanzen und Thieren in umgekehrter Reihenfolge, als plötzlichen „Rückschlag" verfolgen können, so gut ist es auch denkbar, dass dieselbe sprungweise Umbildung nach vorwärts eintritt und zur Bildung neuer Arten führt. So finden wir ζ. B. bei Lippenblüthen (und besonders häufig bei der bekannten Linnria vulgaris) nicht selten die auffallende „Monstrosität", welche mit dem Namen Prior in belegt wird, und welche offenbar als einfacher Rückschlag in die weit zurückliegende pentactinote (regulärstrahlige fünfzählige) Stammform der pentamphipleuren Lippenbliithe zu deuten ist. Wie wir hier plötzlich (oft an einzelnen Blüthen eines sonst Lippenblüthen tragenden Stockes) den weiten Sprung in die alte regulär - radiale Stammform zurück eintreten sehen, welche man als „Monstrum" bezeichnet, so kann auch umgekehrt ursprünglich die pentamphipleure Lippenblüthe, die wir jetzt als die „normale" ansehen, durch einen plötzlichen Sprung aus der ersteren als „Monstrum" entstanden sein. Besonders weit dürfte der Spielraum für die sprungweise Entstehung solcher monströser „Abarten", oder „Ausartungen", die sich dann unter günstigen Umständen zu „guten Arten" befestigten, bei den meisten Organismen hinsichtlich der Zahl der Antimeren und Metameren gewesen sein, wovon uns noch heute die grosse Variabilität der homotypischen und homodynamen Grundzahlen bei vielen Thier- und Pflanzen - Arten berichtet. Auch in Gruppen, in deren meisten Arten sich diese Grundzahlen fixirt haben, kommen einzelne Arten vor, bei denen dieselbe noch schwankt, so unter den fünfzähligen Echinodermen einzelne mit mehr als fünf (und dann mit einer schwankenden Anzahl!) Antimeren versehene Asteriden. Offenbar findet hier die Bestimmung der Grundzahl für jedes Individuum schon im ersten Anfang seiner Entwickelung statt. 3. Gesetz der geschlechtlichen Abänderung. (Lex
variationia
»exualis.J
Bei a l l e n O r g a n i s m e n m i t g e s c h l e c h t l i c h e r F o r t p f l a n zung vermag sowohl eine Er η ä h r u n g s - V e r ä n d e r u n g , welche auf die m ä n n l i c h e n , a l s e i n e s o l c h e , w e l c h e auf die weiblichen Geschlechtsorgane einwirkt, eine entsprechende Abänderung der geschlechtlich erzeugten Nachkommens c h a f t zu v e r a n l a s s e n , und es ä u s s e r t sich d a n n e n t w e d e r a u s s c h l i e s s l i c h oder doch vorwiegend die E r n ä h r u n g s V e r ä n d e r u n g der m ä n n l i c h e n G e n i t a l i e n in d e r A b ä n d e -
V.
Veränderlichkeit und Anpassung.
207
ruDg d e r m ä n n l i c h e i l , d i e j e n i g e d e r w e i b l i c h e n G e n i t a l i e n in d e r A b ä n d e r u n g d e r w e i b l i c h e n N a c h k o m m e n . Dieses Gesetz der sexuellen Abänderung hängt sehr eng mit demjenigen der sexuellen Vererbung zusammen. Bei der letzteren fanden wir, dass die Gesammtcharaktere jedes der beiden Geschlechter, und zwar sowohl die primären als die secundären Sexualcharaktere, sich meistens einseitig, also entweder vorwiegend oder fast ausschliesslich nur auf das entsprechende Geschlecht vererben, so dass Generationen hindurch sich einerseits die männlichen, andrerseits die weiblichen Descendenten mehr gleichen, als beide Reihen unter sich. Bei der sexuellen Abänderung finden wir dem entsprechend, dass jede Ernährungs-"Veränderung, welche eines der beiderlei Geschlechts - Organe betrifft und das andere nicht berührt, entweder vorwiegend oder selbst ganz ausschliesslich eine Veränderung bloss in demjenigen Geschlechte der Nachkommen hervorruft, welches dem veränderten Sexualsystem der Eltern entspricht ; während das audere Geschlecht nicht abändert. Wenn also ζ. B. bei den Hühner - Vögeln eine eingreifende Veränderung in der Ernährungsweise bloss den Hahn betrifft und auf dessen Hoden zurückwirkt, während die Henne und also auch ihr Eierstock nicht von derselben betroffen wird, so wird eine entsprechende, vielleicht monströse, Abänderung in der Bildung der von beiden geschlechtlich erzeugten Nachkommen nur an den Hähnen, nicht an den Hennen sichtbar werden. Im Ganzen ist diese Erscheinung noch sehr dunkel, sehr wenig beachtet, und meist auch sehr schwierig in ihrem ursächlichen Zusammenhang zu verfolgen, vielleicht aber von grosser Wichtigkeit für die Erklärung der Entstehung der secundären Sexualcharaktere. Ε b.
Gesetze der directen oder actuellen
Anpassung.
4. Gesetz der allgemeinen Anpassung. (Lex
adaptations
universalis. J
Alle o r g a n i s c h e n I n d i v i d u e n w e r d e n w ä h r e n d i h r e r i n d i v i d u e l l e n E x i s t e n z d u r c h A n p a s s u n g an v e r s c h i e d e n e L e b e n s - B e d i n g u n g e n - u n g l e i c h , wenn sie auch oft h ö c h s t ä h n l i c h bleiben. Dieses Gesetz bewirkt, im Verein mit demjenigen der individuellen Anpassung, die allgemeine Ungleichheit aller organischen Individuen. Durch die u n i v e r s e l l e Anpassung wird die e r w o r b e n e , durch die i n d i v i d u e l l e Anpassung dagegen die a n g e b o r e n e Ungleichheit "aller Einzelwesen bedingt. Die erstere lässt sich viel leichter nachweisen, als die letztere, denn während wir über die angeborene Verschiedenheit aller organischen Individuen noch so sehr im Unklaren sind, dass wir die allgemeine Gültigkeit des Gesetzes der
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Die Deecendenz - Theorie und die Selections - Theorie.
individuellen Abänderung nur mit sehr geringer Sicherheit und nur auf allgemeine Gründe gestützt, behaupten können, so ist das Gegentheil bei der erworbenen Ungleichheit der Fall, welche sich mit mathematischer Sicherheit aus dem allgemeinen Causal-Gesetze folgern lässt. Indem die äusseren Existenz-Bedingungen, wie allgemein anerkannt wird, umbildend auf den Organismus einwirken, indem ferner diese Existenz - Bedingungen für alle Individuen ungleich ( n i e m a l s a b s o l u t d i e s e l b e n ) sind, so müssen, selbst den unwahrscheinlichen Fall angeborener Gleichheit der Individuen angenommen, in Folge der allgemeinen Ungleichheit der einwirkenden Ursachen, im Laufe der individuellen Existenz stets mehr oder minder bedeutende Unterschiede in der Bildung der Individuen eintreten. So lässt sich, selbst ohne die bestätigenden Beweise der unmittelbaren Beobachtung, eine allgemeine Ungleichheit sämmtlicher organischen Individuen mit Sicherheit behaupten. Hinsichtlich der empirischen Bestätigung berufen wir uns auch hier wieder zunächst auf den Menschen selbst, von welchem es allgemein anerkannt ist, dass die verschiedene Lebensweise und Beschäftigung, der verschiedenartige Umgang mit anderen Menschen, kurz die für jedes Individuum allgemein verschiedenen Verhältnisse der Ernährung sowohl, als der Beziehungen zur Aussenwelt, individuelle Verschiedenheiten in der Bildung, dem Charakter, den somatischen und psychischen Eigenschaften veranlassen, welche um so grösser werden, je älter der Mensch wird, d. h. je länger jene verschiedenen Ursachen einwirken. Dasselbe gilt ebenso von den Individuen aller anderen Thiere und Pflanzen, wie schon oben bei Erläuterung des Gesetzes der angeborenen Ungleichheit bemerkt wurde. Bei den Pflanzen tritt gewöhnlich die individuelle Ungleichheit viel auffallender als bei den Thieren hervor, weil die Organe dort äusserlich, hier innerlich entfaltet werden. Wie wir aber oben bereits sagten, ist es ausserordentlich schwierig, zu sagen, wieviel Antheil an der thatsächlich existirenden Verschiedenheit der erwachsenen Individuen auf Rechnung der angeborenen Ungleichheit, wieviel auf Rechnung der erworbenen Ungleichheit zu setzen ist. D a r w i n scheint im Ganzen grösseres Gewicht der ersteren (dem Gesetz der individuellen Abänderung) zuzuschreiben, während wir glauben möchten, dass die letztere (das Gesetz der universellen Anpassung) eine allgemeinere und eingreifendere Wirksamkeit entfalte. 5.
Gesetz der gehäuften Anpassung. (Lex adaptationis
cumulativae.)
(Gesetz der Gewohnheit, der Uebung, der Akklimatisation, der Reaction etc.)
A l l e O r g a n i s m e n e r l e i d e n b e d e u t e n d e und b l e i b e n d e ( c h e m i s c h e , m o r p h o l o g i s c h e und p h y s i o l o g i s c h e ) Abän-
V.
209
Veränderlichkeit und Anpassung.
d e r u n g e n , w e n n e i n e an s i c h u n b e d e u t e n d e V e r ä n d e r u n g in d e n E x i s t e n z - B e d i n g u n g e n l a n g e Z e i t h i n d u r c h o d e r zu v i e l e n M a l e n w i e d e r h o l t auf s i e e i n w i r k t . In dem „Gesetze der gehäuften Anpassung" glauben wir mehrere, scheinbar sehr weit von einander entfernte Anpassungs-Gesetze vereinigen zu müssen, welche gewöhnlich als ganz verschiedene betrachtet werden, die wir aber nicht scharf zu trennen im Stande sind. Die Abänderungen nämlich, welche wir als g e h ä u f t e o d e r c u m u l a t i v e zusammenfassen, sind solche, welche von D a r w i n und vielen Anderen mehrfach unterschieden und wenigstens in zwei ganz verschiedene Kategorieen gebracht werden, nämlich: I) U n m i t t e l b a r e F o l g e n d e r E i n w i r k u n g d e r ä u s s e r e n E x i s t e n z b e d i n g u n g e n : Nahrung, Klima, Bodenbeschaffenheit, Umgebung etc. II) F o l g e n d e r G e w o h n h e i t o d e r A n g e w ö h n u n g (Uebung, Gebrauch oder Nichtgebrauch der Organe, Acclimatisation etc). Wir gestehen, dass wir unfähig sind, diese Kategorieen scharf zu scheiden und vielmehr glauben, dass die eigentliche ursächliche Grundlage bei allen diesen Anpassungs - Erscheinungen dieselbe ist, nämlich eine langsame aber andauernde Veränderung in der Ernährung des Organismus oder einzelner Theile, welche zwar zuerst und in jedem einzelnen Falle nur eine sehr unbedeutende Einwirkung auf die physiologische und morphologische Beschaffenheit der Organe ausübt, allein durch lang andauernde und oft wiederholte kleine Einwirkungen schliesslich sehr bedeutende Umbildungs-Resultate zu erzielen vermag. Wir wollen, um diese Anschauung zu stützen und womöglich zu beweisen, jede der beiden Kategorieen, die man unnützer Weise noch in verschiedene kleinere gespalten hat, gesondert für sich betrachten. Wir können die beiden verschiedenen Gruppen von Existenz - Bedingungen, welche durch cumulative Einwirkung gehäufte Anpassungen verursachen, als ä u s s e r e und i n n e r e Existenz-Bedingungen unterscheiden. I.
Gehnufte Anpassungen
durch die W i r k u n g e n ä u s s e r e r dingungen.
Existenz-Be-
(Anpassungen An die Nahrung.' das Klima, die Umgebung etc.)
Die Abänderungen der Organismen durch die sogenannte „unmittelbare Wirkung der äusseren Existenz-Bedingungen" oder den „unmittelbaren Einfluss der Aussenwelt" sind die bekanntesten von allen und sehr viele Naturforscher sind von jeher geneigt gewesen, denselben überhaupt a l l e Veränderungen zuzuschreiben, die wir an den Organismen wahrnehmeu. Jedermann weiss, dass die verschiedene Qualität der Nahrungsmittel, des Lichts, der Wärme, der Feuchtigkeit einen bestimmten Einfluss auf die Grösse, Farbe, Form und innere Beschaffenheit der Organismen, auf ihre morphologische Ausbildung und ihre physioHaeckel, Generelle Morphologie, II.
tΛ
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Die Descendenz-Theorie und die Selections - Theorie.
logische Function ausübt. Wir brauchen statt aller Beispiele hier bloss an die Thatsache zu errinnern, wie äusserst empfindlich der menschliche Organismus gegen diesen Einfluss der ,.Medien" ist, wie jede Veränderung des Klimas, der Nahrung (Diät), der Umgebung u. s. w. unmittelbar eine bestimmte Veränderung des Organismus hervorruft, welche sich in seinen Functionen noch deutlicher, als in seinen Formen äussert, und welche wir entweder als heilsame, oder als gleichgültige, oder als schädliche betrachten. Dasselbe nun, was wir Alle vom Menschen anerkennen, gilt ebenso auch von allen anderen Thieren und von allen Organismen überhaupt l ). Jeder ohne Ausnahme ist empfänglich für den Einfluss der verschiedenen Qualität und Quantität der unmittelbar eingeführten Nahrungsstoffe, des Klimas (den verschiedenen Grad von Licht, Wärme, Feuchtigkeit) u. s. w. Zunächst ist die Einwirkung derselben gewöhnlich nur an einer Abänderung der Function bemerkbar und erst später an einer Abänderung der Form des Organs, welche sich natürlich der Function entsprechend verändern muss. Man kann diese abändernden Einflüsse allgemein als die chemischen und physikalischen Agentien oder besser als die anorganischen Agentien zusammenfassen, im Gegensatz zu den organischen Agentien, welche bei der folgenden Art der Anpassung thätig sind. So wichtig diese Agentien sind, so ist dennoch gewiss ihr Einfluss gewöhnlich in so fern sehr überschätzt worden, als man sie meist viel zu ausschliesslich als die einzigen oder doch die vorzügliehsten Anpassungs - Bedingungen betrachtet hat, und insofern hat D a r w i n vollkommen Recht, wenn er denselben eine viel geringere Bedeutung beimisst. Indessen möchten wir ihren Einfluss doch nicht so gering, wie letzterer, schätzen, wenn wir daran denken, welche enormen Veränderungenz. B. allein unser Central-Nervensystem (die Vorstellungen des Wollens, Empfindens und Denkens) durch die Einwirkung des Klimas (Licht, Wärme, Feuchtigkeit), der verschiedenen Nahrungsmittel (alkoholische Getränke, Kaffee und Thee, Fleisch, Amylaceen etc.) zu erleiden hat; wie der Charakter ganzer Nationen durch das Klima und die Art der Nahrung bestimmt wird, wie wir bei unseren Hausthieren und Kulturpflanzen durch geringe Veränderungen der Nahrung und des 1) Die Beispiele für diese Thatsachen sind Uberall sehr leicht zu haben. Wir dürfen aber hier natürlich nur diejenigen Abänderungen durch den unmittelbaren Einfluss der Existenz - Bedingungen anführen, welche sich unmittelbar am einzelnen Individuum, nicht diejenigen, welche sich erst nach Generationen langer Einwirkung äussern. So ζ. B. verliert jede Pflanze, die man längere Zeit dem Einfluss des Sonenlichts entzieht, ihre grüne Farbe, indem die Chlorophyll-Bildung sistirt wird, welche nur unter dem Einflass des Sonnenlichts stattfinden kann. Jede mehrjährige Pflanze, die man längere Zeit einer erhöhten Temperatur aussetzt, wächst rascher und wird in einer bestimmten Zeit grösser, als es sonst der Fall ist. Jede stark behaarte Pflanze, die man von einem trocknen in einen feuchten Standort versetzt, verliert einen Theil ihrer Behaarung oder wird ganz kahl.
V.
211
Veränderlichkeit und Anpassung.
Klimas bedeutende Abänderungen in Form und Function hervorrufen können etc. 1 ). Nach unserer Ansicht liegt die falsche Auffassung, welche man diesem Einflüsse gewöhnlich hat angedeihen lassen, vorzüglich darin, dass man den Organismus dabei als ein ganz oder doch vorwiegend p a s s i v e s Wesen aufgefasst hat, wahrend doch in der That derselbe sich allen Einflüssen gegenüber zugleich a c t i v verhält. Jede A c t i o n e i n e s ä u s s e r e n A g e n s , gleichviel ob dasselbe Licht oder Wärme oder Wasser oder irgend ein anderes Nahrungsmittel, ein Medicament oder ein Gift ist; jede Action eines solchen unmittelbar auf die Ernährung des Organismus einwirkenden Agens, ruft eo ipso zugleich eine R e a c t i o n d e s O r g a n i s m u s hervor, die sich eben in der Modification der Ernähmngsthätigkeit und in dem activen (abwehrenden, indifferenten oder aufnehmenden) Verhalten der Ernährungs-Organe gegenüber den Medien und der Nahrung äussert, sowie in der Rückwirkung auf die Ernährung des Ganzen. Man fasst gewöhnlich, dieses Verhältniss ignorirend, den unmittelbaren Einfluss der äusseren Existenzbedingungen als einen einseitigen, bloss äusserlichen auf und berücksichtigt nicht die active Gegenwirkung des Organismus, durch welche allein die allmähliche Anpassung möglich i s t Diese vermögen wir aber nicht von der „Gewöhnung" zu unterscheiden, welche mau gewöhnlich als eine ganz verschiedene Art der Anpassung anzusehen pflegt. II.
Gehäufte Anpassungen
durch die W i r k u n g e n i n n e r e r Bedingungen.
Existenz.
ι Anpassungen durch Gewohnheit. Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe etc.1
Die Abänderungen der Organismen durch die sogenannte „Gewöhnung und Uebung, den Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe" etc. scheinen auf den ersten Blick von den vorher betrachteten hinsichtlich der bewirkenden Ursachen sehr verschieden zu sein und werden auch von D a r w i n und Anderen in dieser Weise aufgefasst Es scheinen dort äussere, hier dagegen i n n e r e , im Organismus selbst liegende Impulse zu sein, welche die Abänderung veranlassen, und man könnte die bewirkenden Ursachen insofern als i n n e r e E x i s t e n z - B e d i n g u n g e n jenen äusseren gegenüberstellen. Wie man aber dort die äusseren Einflüsse allein hervorhob und die innere Gegenwirkung des Organismus ignorirte, so hebt man hier umgekehrt die innere Gegenl i Wir
erinuern
in dieser
Bezichuug bloss an die vorzugsweise Fleisch
Engländer, und die vorzugsweise Kartoffeln essenden Irländer;
essenden
an die Fleisch essenden
Jägervölker und Nomaden, und an die Brot essenden Ackerbauvölker etc.
Neben
vielen
anderen Einflüssen ist hier sicher die A r t des vorwiegenden Nahrungsmittels nicht bloss i n d i r e c t , sondern auch d i r e c t auf die Charakterbildung äusserst wirksam.
14 *
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Die Descendenz-Theorie und die Selections - Theorie.
Wirkung allein hervor und ignorirt die äusseren Einflüsse, durch welche die erstere überhaupt erst hervorgerufen wurde. Man vergisst ganz, dass die scheinbar spontan von innen heraus geschehenden Wirkungen des Organismus, welche man als „Angewöhnung, Uebung, Gebrauch der Organe" etc. bezeichnet, nichts weniger als spontane sind, sondern erst hervorgerufen durch die Einwirkung (den „Reiz") der äusseren Existenz-Bedingungen, also erst eine Reaction, eine Gegenwirkung des Organismus, welche jenem äusseren Einflüsse adaequat ist und so lange fortdauert, als jener anhält. Untersuchen wir näher den Ursprung der falschen Vorstellungen, welche man sich vom Wesen der Gewöhnungs - Verhältnisse gemacht hat, so glauben wir als den Grundirrthum, welcher diese lange Kette unrichtiger Vorstellungen hervorgerufen hat, das falsche Dogma von der F r e i h e i t d e s W i l l e n s bezeichnen zu müssen. Man ging bei Untersuchung jener Verhältnisse aus von der Beobachtung des Menschen und anderer Thiere, und fand bald, dass die cumulativen Anpassungs-Thätigkeiten, welche wir als Gewöhnung, Uebung u. s. w. bezeichnen, ihren scheinbar letzten Grund in dem „freien Willen" der Thiere haben, welcher die Bewegungen bestimmt und durch Veranlassung bestimmter, oft wiederholter und anhaltender Bewegungen auch die Ursache der Functions-Modification und Form-Veränderung der Organe wird. Nun ist diese Ansicht von der cumulativen Wirkung der Willensbewegungen auf die Anpassung vollkommen richtig. Falsch ist nur das eine Glied der Schlusskette, dass der Wille „ f r e i " ist, und dass er der l e t z t e Grund der Gewöhnungs-Erscheinungen ist. Jede eingehende und objective Prüfung der freien Willenshandlungen an uns selbst und an anderen Thieren zeigt uns, dass der W i l l e n i e m a l s f r e i ist, vielmehr jede, und auch die scheinbar freieste Willenshandlung, die nothwendige Folge ist von einer langen und höchst verwickelten Kette von bewirkenden Ursachen, von Empfindungen, Denkbewegungen und anderen Ursachen, die alle selbst wiederum niemals frei, sondern in letzter Instanz causal bedingt sind e n t w e d e r durch die vorher besprochenen äusseren Existenzbedingungen (Licht, Wärme, Klima etc.) o d e r durch die der individuellen organischen Materie inhärenten (durch Vererbung erhaltenen) Kräfte. Dass diese Ansicht richtig ist, ergiebt sich mit Nothwendigkeit, wenn wir einzelne, aus scheinbar freiem Willen entsprungene und durch oftmalige Wiederholung (Cumulation) zur Gewohnheit gewordene Willenshandlungen (freiwillige Bewegungen) und die cumulativen Anpassungen 1 ), welche der Organismus in Abänderung der Form und Function 1) Beispiele solcher cumulativen Anpassungen durch „Uebung und Gewohnheit" sind so leicht überall in der lebendigen Natur aufzufinden, dass es überflüssig scheinen könnte ein einzelnes auszuwählen. Dennoch wollen wir wegen der so allgemeinen Verkennung
Y.
Veränderlichkeit und Anpassung.
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der ,,geübten" Theile dabei erlittten hat, scharf untersuchen und bis auf ihre letzten Gründe zu verfolgen streben. Es zeigt sich dann allemal, dass sie ganz ebenso wie die vorhin aufgeführten „Wirkunder Bolle, welche der ..freie Wille·· dabei spielt, eines anführen. Nehmen wir ζ. B. die ausserordentliche Abänderung in Grösse. Form. Zusammensetzung und Function (Kraft), welche eine Muskel durch andauernde Uebung zu erfahren im Stande ist. Nehmen wir einen Turner, der die Beugemuskeln des Armes durch fortgesetzte Uebung in kurzer Zeit um das Doppelte ihres Volums und das Vielfache ihrer Leistungsfähigkeit vermehrt. Der Uebungs - Act selbst. die oft wiederholte Bewegung des Muskels, veranlasst zunächst eine Veränderung in der Ernährung des Muskels, welche einen vermehrten Zufluss von Nährstoffen herbeiführt. Dadurch wächst der Muskel: er nimmt zu an Zahl der Muskelprimitivfasern. vielleicht auch an denjenigen chemischen Bestandteilen der Muskelsubstanz. welche vorzugsweise bei der Contraction thätig sind: er verbessert sich also wahrscheinlich nicht bloss quantitativ, sondern auch qualitativ, indem die im ungeübten Muskel abgelagerten Fette durch die Uebung verschwinden und durch die edleren Eiweisstoffe ersetzt werden. Jedenfalls ist diese durch den Gebrauch des Organs herbeitreführte Verbesserung desselben ein reiner Ernährungs - Process. also von den äusseren Existenz-Bedingungen der Nahrung abhängig. Aber auch, wenn wir auf die letzten Gründe der Uebung des Muskels zurückgehen, werden wir auf Ernährungs - Abänderungen als wirkende Ursachen hingeleitet. Die Willens - Bewegung, welche den Turner zur Uebung der Muskeln veranlasst, ist keineswegs „ f r e i " . sondern vielmehr die n o t wendige Wirkung von Ursachen, welche in seinem Central-Nervensystem liegen. Diese bewirkenden Ursachen sind bestimmte Vorstellungen, d. h. Functionen der Ganglienzellen, welche durch die Ernährung des Gehirns bestimmt, geregelt und modificirt werden. Diese Vorstellungen können theils unmittelbar im Nervencentrum in Folge veränderter Ernährungs-Verhältnisse entstehen, theils mittelbar, reflectirt nämlich von Empfindungen, die durch den unmittelbaren Einfluss der äusseren Existenz - Bedingungen (Licht, Wärme, Feuchtigkeit etc.) hervorgerufen werden. Die fortdauernde oder oft wiederholte Einwirkung der letzteren bedingt hier zunächst eine „Uebung" der empfindenden centripetalen Nerven, welche ebenso wie jene Uebung des Muskels, mit einer Ernährungs Veränderung des Organs verbunden ist. Diese Veränderung überträgt sieh im Nervencentrum entweder unmittelbar (reflectorisch) oder durch Einschaltung von Vorstellungen auf die motorischen oder centrifugalen Nerven. die ihrerseits wieder auf den Muskel wirken. Ueberall sind es aber in dieser zusammengesetzten Kette von Ursachen und Wirkungen zuletzt „Ernährungs-Abänderungen·' (Veränderungen in der gegenseitigen Lagerung, Zusammensetzung und Zahl der Stoff-Moleküle). welche die Action (eigentlich Reaction) und durch oft wiederholte Action die Uebung und die cumulative Anpassung des Organs bedingen. Ich habe eben absichtlich die Beugemuskeln des Arms erwähnt, weil ich an meinem eigenen Körper erfahren habe. welche colossale Veränderung die fortgesetzte Uebung in diesen Bewegungs - Organen. und durch Wechselwirkung der Theile auch im übrigen Organismus hervorzubringen im Stande ist. Der Umfang meiner ganz ungeübten Oberarme hatte sich innerhalb eines Zeitraumes von anderthalb Jahren durch fortgesetzte energische Turn-Uebungen fast genau verdoppelt. Dieses enorme Muskelwachsthum und die damit verbundene Uebung der Willens-Vorstellungen wirkte nun mächtig zurück auf die übrigen Vorstellungen meines Gehirns und insbesondere auf diejenigen des Denkens. Ihnen verdanke ich zum grossen Theile j zum grossen Theile allerdings auch anderen cumulativ einwirkenden Ursachen), dass die in meinem Gehirne vorherrschenden dualistischen und teleologischen Irrthümer immer mehr den monistischen und causalen Verstellungen wichen und ihnen zuletzt vollständig das Feld liesseu. Die letzten Gründe sind in diesem und ähnlichen Fällen, so befremdend diese Behauptung auch erscheinen mag. mechanische Anpassungen, und meistens cumulative Abänderungen in den Ernährungs - Verhältnissen.
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Die Descendenz-Theorie und die Selections-Theorie.
gen der äusseren Existenzbedingungen" nicht einseitige Wirkungen von (hier äusseren, dort inneren) Einflüssen sind, sondern vielmehr ausnahmslos „ W e c h s e l w i r k u n g e n z w i s c h e n dem O r g a n i s m u s u n d d e r A u s s e n w e l t " . Auch die scheinbar freie Willenshandlung, welche durch anhaltende oder oftmalige Wiederholung zur „Gewohnheit" wird, ist in der That Nichts als eine nothwendige Reaction, eine innere Gegenwirkung gegen den äusseren Einfluss der physikalisch und chemisch einwirkenden Existenz-Bedingungen. In letzter Instanz sind es auch hier, wie dort, E r n ä h r u n g s - A b ä n d e r u n g e n , welche durch die letzteren bewirkt werden, und welche erst indirect die Abänderung auf das Central-Nervensystem, den Willeu, etc. übertragen. Hier wie dort erblicken wir eine verwickelte Kette von causal bedingten und causal wirkenden Molekular-Bewegungen, bei welchen dadurch, dass die Moleküle oftmals wiederholt oder lange Zeit hindurch in einer neuen, aber immer in einer und derselben Richtung bewegt oder geordnet werden, endlich diese neue Anordnung oder Bewegungsrichtung der Moleküle zur bleibenden wird, d. h. eine feste Abänderung hervorruft. Dass diese theoretische Anschauung in der That die richtige ist, zeigt sich auch darin, dass wie bei der praktischen Beurtheilung der gehäuften Anpassungen sehr oft nicht im Stande sind, zu sagen, ob dieselben „durch unmittelbare Einwirkung der äusseren EzistenzBedingungen" oder aber durch „Uebung und Gewohnheit" bedingt sind. Dies ist ζ. B. bei den bekannten und wichtigen Vorgängen der A k k l i m a t i s a t i o n der Thiere und Pflanzen der Fall. Eine genaue Analyse dieser Erscheinungen beweist, dass die sogenannte „unmittelbare" Einwirkung auch hier allerdings immer die erste Ursache, aber niemals die unmittelbare Ursache der bewirkten Abänderung ist, dass diese vielmehr immer erst eine Folge der Gegenwirkung, der Reaction des Organismus ist. Auch dadurch wird diese Auffassung bestätigt, dass man bei der cumulativen Anpassung der Pflanzen fast immer ganz ausschliesslich oder doch vorwiegend die „unmittelbare Wirkung der äusseren Existenz-Bedingungen", bei der gehäuften Anpassung der Thiere dagegen ebenso ausschliesslich oder vorwiegend die „Uebung und Gewohnheit" als die wirkende Ursache betrachtet, wobei man wiederum durch die falsche Vorstellung geleitet wird, dass sich die Thiere durch einen freien Willen vor den Pflanzen auszeichnen, was wir bereits im siebenten Kapitel widerlegt haben. In Wahrheit ist es hier wie dort, sowohl wenn die cumulative Anpassung durch die scheinbar „unmittelbare" Wirkung der äusseren Bedingungen (des Lichts, der Wärme etc.), als wenn sie durch die scheinbar „freie" Wirkung der inneren Bedingungen (der Gewohnheit, Uebung etc.) hervorgerufen wird, d i e G e g e n w i r k u n g (Reaction)
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Veränderlichkeit und Anpassung.
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d e s O r g a n i s m u s gegen die E i n w i r k u n g d e r A u s s e n w e l t , welche umbildend, abändernd auf den Organismus einwirkt. Der Organismus verhält sich weder dort rein passiv, noch hier rein activ. Vielmehr verhält er sich in beiden Fällen reactiv, und diese R e a c t i o n ist in letzter Instanz stets eine von der E r n ä h r u n g abhängige Function. Das wesentlich wirksame Moment, welches wir aber noch dabei besonders hervorheben müssen, ist die H ä u f u n g o d e r C u m u l a t i o n d e r E i n w i r k u n g e n u n d G e g e n w i r k u n g e n , da sie allein bleibende Abänderungen hervorzurufen im Stande ist. Eine abändernde Ursache, welche nur einmal oder wenige Male, oder nur kurze Zeit hindurch auf den Organismus einwirkt, ζ. B. ein neues, wesentlich von den gewohnten verschiedenes Nahrungsmittel, ein Gift, eine Verwundung etc. vermag entweder gar keine bleibende Veränderung des Organismus hervorzurufen, oder nur dadurch, dass sie neue Molekular-Bewegungen in demselben veranlasst, welche (als Reaction) lange Zeit in demselben anhalten (z.B. bei einer traumatischen Affection). Auch in diesen, scheinbar nicht cumulativen Anpassungen ist es also dennoch im Grunde eine Cumulation von zahlreichen, oft wiederholten oder lange andauernden Molekular-Bewegungen, welche die bleibende Abänderung veranlasst. Für unsere Betrachtung sind aber diese Fälle einmaliger Einwirkung um so weniger wichtig, als die durch sie hervorgerufene Abänderung, auch wenn sie im Individuum bleibt, sich doch im Ganzen nur selten vererbt. Um so wichtiger dagegen ist die Wirkung der H ä u f u n g o d e r C u m u l a t i o n d e r R e a c t i o n , d. h. die Erscheinung, dass sehr gegeringe und unscheinbare Einwirkungen der Aussenwelt durch sehr oft wiederholte oder andauernde Einwirkung endlich die bedeutendsten und scheinbar in keinem Verhältniss stehenden Abänderungen, zunächst in der Ernährung des Organismus oder einzelner Organe, weiterhin in der Function derselben, und endlich auch, dieser entsprechend, in der Form der verändert ernährten Organe hervorrufen. Dies ist der Grundzug der cumulativen Anpassung, welche wir Uebung, Gewöhnung u. s. w. nennen, und hierin gleicht das Gesetz der gehäuften Anpassung dem oben erläuterten Gesetze der befestigten Vererbung. Wie mächtig dieses Gesetz der Angewöhnung wirkt, ist so allbekannt, dass wir keine weiteren Beispiele anzuführen und bloss an das bekannte Sprüchwort zu erinnern brauchen: C o n s u e t u d o a l t e r a n a t u r a . Wir wollen nur noch ausdrücklich hervorheben, dass der Nichtgebrauch der Organe, welcher rückbildend auf dieselben wirkt, nicht minder wichtig ist, als der Gebrauch der Organe, welcher ausbildend auf sie wirkt. Durch die Gewohnheit des Nichtgebrauchs entstehen ζ. B. die meisten rudimentären Organe, welche für die Dysteleologie so bedeutsam sind.
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Die Descendenz- Theorie und die Selections - Theorie.
6.
Gesetz der weehselbeziiglichen Anpassung. (Lex adaptationis corretativae.J
(Oesetz von den Wechselbeziehungen der Bildung, von der Compensation der Entwickelung, von der Correlation der Theile etc. ι
A l l e A b ä n d e r u n g e n , w e l c h e in e i n z e l n e n T h e i l e n des Organismus durch cumulative oder sonstige Anpassung e n t s t e h e n , w i r k e n dadurch auf den ganzen O r g a n i s m u s und oft b e s o n d e r s noch auf e i n z e l n e b e s t i m m t e T h e i l e d e s s e l b e n z u r ü c k , und b e w i r k e n hier A b ä n d e r u n g e n , welc h e n i c h t u n m i t t e l b a r d u r c h j e n e A n p a s s u n g b e d i n g t sind. Dieses Anpassungs - Gesetz ist eines der wichtigsten ufld ist in seinen Wirkungen schon längst anerkannt. Die vergleichende Anatomie musste auf dieses allgemein gültige Gesetz schon sehr frühzeitig aufmerksam werden, und so finden wir es denn von fast allen bedeutenden „vergleichenden Anatomen" hervorgehoben, oft unter sehr verschiedenen Namen, als das Gesetz von der Wechselbeziehung der Entwickelung, von der Correlation der Organe, von der Compensation der verschiedenen Körpertheile u. s. w. Besonders die Naturphilosophen, und vor Allen G o e t h e , haben auf die ausnehmende Wichtigkeit dieses Gesetzes beständig hingewiesen. Indessen haben die meisten Morphologen doch nur die fertige W i r k u n g dieses Gesetzes vor Augen gehabt, ohne sich dessen bewirkender U r s a c h e n bewusst zu werden. Diese können nur in dem Zusammenhange der Ernährungs-Erscheinungen des Organismus gefunden werden, und zwar in einer nutritiven W e c h s e l w i r k u n g zwischen allen Theilen des O r g a n i s m u s . Eine durch äussere Einflüsse, und namentlich durch die cumulative Anpassung bewirkte Veränderung in der Ernährung eines Organs wirkt stets verändernd zurück auf den gesammten Organismus, welcher ja eine geschlossene physiologische Ernährungs-Einheit darstellt Gewöhnlich aber sind es einzelne Theile, welche vorzugsweise durch jene rückwirkende Veränderung betroffen werden und demgemäss zunächst in ihrer Ernährung, weiterhin in ihrer bestimmten Function und Form, entsprechende Abänderungen erleiden. Vorzugsweise sind homologe und analoge Theile, wie ζ. B. die verschiedenen Theile des Hautsystems oder die verschiedenen Theile des Centrainervensystems von dieser wechselbezüglichen Anpassung abhängig, wie ζ. B. bei den Cavicornien (Rindern, Schaafen, Ziegen etc.) jede eintretende Veränderung in der Haarbildung gewöhnlich zugleich eine entsprechende Veränderung in der Ausbildung der Hörner, der Hufe etc. veranlasst. Ferner bewirkt eine Veränderung eines Sinnesorgans in der Regel eine compensatorische in den übrigen Sinnesorganen. Aber auch Theile die scheinbar in sehr geringem morphologischen und physiologischen
Ύ. Veränderlichkeit und Anpassung.
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Zusammenhange stehen, ζ. B. Hautsystem und Muskelsystem, stehen in compensatorischer Wechselbeziehung, wie denn bekanntlich bei den Cavicornien bestimmte Veränderungen in der Haarbildung (ζ. B. der Schaafwolle) auf die Qualität des Fleisches zurückwirken. Oft sind diese Wechselbeziehungen der merkwürdigsten Art; so ζ. B. sind Katzen mit blauen Augen allezeit taub; Vögel mit langen Beinen haben meist auch lange Hälse und Schnäbel; blonde Menschen mit hellen Haaren und heller Hautfarbe sind für gewisse innere Krankheiten, z.B. klimatische Fieber, Leberentzündungen etc. weit empfänglicher, als brünette mit dunklen Haaren und dunkler Hautfarbe; besonders merkwürdig ist die innige Wechselbeziehung zwischen den Geschlechtsorganen und dem Centrainervensystem, welche sich bekanntlich in einer Fülle der auffallendsten Wechselbeziehungen äussert. Wie sehr gerade das Genitalsystem auf die übrigen Organsysteme zurückwirkt, zeigt vielleicht kein Beispiel auffallender, als dasjenige der Castraten, bei welchen die künstliche Verhinderung der sexuellen Entwickelung eine entsprechende Hemmungsbildung des Kehlkopfes und eine compensatorische Entwickelung des Panniculus adiposus der Haut hervorruft. Ebenso befördert man bei den Pflanzen die Blattentwickelung durch Unterdrückung der Blüthenentwickelung. Dieser allgemeine Gegensatz zwischen den generativen und nutritiven Theilen gehört zu den wichtigstenErscheinungen, weche unter das Gesetz von der Correlation der Theile fallen. Lediglich eine Folge dieser Gegenwirkung, eine Folge der äusserst empfindlichen Reaction des Genitalsystems gegen die ErnährungsVeränderungen des übrigen Körpers ist das äusserst wichtige Gesetz der potentiellen Anpassung oder indirecten Abänderung, welches wir in den vorhergehenden Abschnitten erläutert haben. 7. Gesetz der abweichenden Anpassung. (Lex adaptationw
divergentis.J
(Gesetz von der ungleichartigen Abänderung gleichartiger Theile.)
G l e i c h e T h e i l e ( g l e i c h e I n d i v i d u e n e i n e r und d e r s e l ben I n d i v i d u a l i t ä t s - O r d n u n g ) , w e l c h e in M e h r z a h l in d e m Organismus verbunden sind, erleiden ungleiche Abänder u n g e n , i n d e m d i e s e l b e n in v e r s c h i e d e n e m G r a d e der cumulativen Anpassung unterliegen. Auch dieses Anpassungs-Gesetz ist von der grössten Wichtigkeit. Denn dieses ist es vorzüglich, welches in Wechselwirkung mit den Vererbungs- Gesetzen die grossen Erscheinungen der organischen Differenzirung, der divergenten Entwickelung gleichartiger Theile bewirkt, und dadurch in erster Linie bei der Erzeugung der unendlichen Mannichfaltigkeit organischer Formen mitwirkt. Hier haben wir die divergente Adaptation natürlich nicht in der grossartigen Wirksamkeit zu
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Die Deecendenz-Theorie und die Selections-Theorie.
betrachten, welche sie, in Verbindung mit der Erblichkeit, im Laufe von Generationen entfaltet, sondern nur insofern sie innerhalb des Laufes der individuellen Existenz wirksam ist. Da aber auf dieser beschränkten ontogenetischen Wirksamkeit des Divergenz - Gesetzes seine umfassendere Wirksamkeit als phylogenetisches Differenzirungs-Gesetz beruht, so müssen wir dasselbe hier gebührend hervorheben, um so mehr, als es in dieser Beziehung meist nicht gehörig gewürdigt wird. Das Gesetz der divergirenden oder abweichenden Anpassung behauptet, dass allgemein in den Organismen, welche eine Wiederholung von gleichartigen Theilen enthalten, diese das Bestreben haben, sich nach ganz verschiedenen Richtungen hin zu entwickeln, indem sie in verschiedenem Grade der cumulativen oder correlativen Anpassung unterliegen. Dieses Gesetz gilt von den Individuen aller Ordnungen, von der Plastide bis zur Person hinauf, und ist die Basis des berühmten Gesetzes der Arbeitstheilung, welches allgemein, bei den Individuen aller Ordnungen, von der ersten bis zur sechsten wirksam ist. Wir sehen also, dass in einem Organe oder Organismus, welcher anfangs aus vielen gleichen Piastiden besteht, im Laufe seiner individuellen Existenz eine Differenzirung derselben eintritt, indem die einen Cytoden oder Zellen in dieser, die andern in jener Weise abändern. So differenziren sich in allen Organen (Individuen zweiter Ordnung) die anfangs gleichen Zellen später durch divergirende Anpassung in verschiedene Gewebe, indem ζ. B. an einer aus lauter gleichen Zellen zusammengesetzten embryonalen Extremität die einen zu Muskeln, die andern zu Nerven, die dritten zu Gefässen etc. sich gestalten. Ebenso entstehen durch Differenzirung von mehreren ursprünglich gleichartigen Organen (ζ. B. den fünf Zehen des Wirbelthier-Fusses) später durch divergente Ausbildung ungleichartige Organe. Ferner differenziren sich in derselben Weise die ursprünglich gleichen Metameren des Gliederthier-Körpers; während sie bei den niedersten Würmern alle gleich bleiben, sehen wir bei den höheren Würmern und den Arthropoden eine divergente Entwickelung eintreten und zwar ebenso im Laufe der Ontogenese, wie der Phylogenese. Dasselbe gilt von den Antimeren, welche ursprünglich immer gleichartige Theile darstellen und erst secundär der divergenten Anpassung unterliegen. Ebenso differenziren sich endlich die gleichartigen Personen, welche zu Stöcken zusammentreten, durch divergente Anpassung (Arbeitstheilung) zu verschiedenen Personen. Dieses allgemeine Differenzirungs-Gesetz oder Divergenz-Gesetz ist in den vollendeten Folgen seiner ungeheuern und äusseret mannichfaltigen Wirkung von allen Naturforschern anerkannt. Viele haben auch seine causale Bedeutung und active Wirksamkeit während des Laufes der embryologischen, Wenige während des parallelen Laufes der palaeontologischen Entwickelung erkannt. Die Wenigsten aber sind
V. Veränderlichkeit und Anpassung.
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von der äusserst wichtigen Thatsache durchdrungen, dass alle Differenzirungen oder Divergenzerscheinungen, welche wir während jener laufenden Entwickelungsreihe beobachten, nur die gehäuften Folgen und Wiederholungen von zahllosen einzelnen divergenten Anpassungen sind, welche die individuellen Organismen während des Laufes ihrer individuellen Existenz allmählich erfahren haben. Die Ursachen der divergenten Anpassung liegen ganz einfach in dem N u t z e n , den die Arbeitstheilung oder Differenzirung, die ungleichartige Ausbildung von ursprünglich gleichartigen Theilen, einem jeden Organismus gewährt. Jeder Mensch weiss, dass er einen Nutzen davon hat, rechte und linke Hand ζ. B. in verschiedener Weise auszubilden. Indem von mehreren gleichen Organen (Individuen verschiedener Ordnung) Jedes nur eine einzige Function vorzugsweise ausbildet, und zwar durch cumulative Anpassung, wird die anfangs gleichartige Ernährung der gleichen Organe eine verschiedene, und es erfolgt schliesslich als Endresultat für den Organismus die vollendete Arbeitstheilung der Organe, auf welcher alle Vervollkommnung beruht. 8. Gesetz der unbeschränkten Anpassung. Lex adaptation^
infinitae.
Alle Organismen können z e i t l e b e n s , zu j e d e r Zeit ihrer E n t w i c k e l u n g u n d an j e d e m T h e i l e i h r e s K ö r p e r s , n e u e Anpassungen erleiden; und diese Abänderungsfähigkeit ist u n b e s c h r ä n k t , e n t s p r e c h e n d der unbeschränkten Mannichf a l t i g k e i t und b e s t ä n d i g e n V e r ä n d e r u n g d e r auf den Organismus einwirkenden Existenzbedingungen. Auch dieses Gesetz, mit welchem wir unsere Aufstellung der wichtigsten Anpassungs-Gesetze beschliessen, ist für die Umbildung der organischen Formen von nicht minderer Wichtigkeit, als alle vorhergehenden. Während die Aufstellung desselben von allen Physiologen, und von denjenigen Morphologen, welche einen weiteren Ueberblick über die gesammten Erscheinungen der organischen Natur besitzen, vielleicht für überflüssig, weil selbstverständlich, erachtet werden wird, muss dasselbe dagegen von denjenigen Morphologen, welche auf Grund ihrer beschränkten Naturanschauung die Species-Constanz vertheidigen, (und es ist dies leider noch heute die grosse Mehrzahl!) mit aller Macht bekämpft werden. Denn aus diesem grossen Grundgesetz allein schon, auch ohne Rücksicht auf die übrigen, muss die Unhaltbarkeit des Dogma .von der Species-Constanz folgen. Alle Species-Dogmatiker, auch die vernünftigeren, welche einen grossen Spielraum der Variabilität für jede Species zulassen, behaupten, dass dieser Spielraum innerhalb ganz bestimmter Grenzen beschränkt sei, und dass eine „Art", möge sie noch so sehr durch Anpassung an verschiedene Lebens-Be-
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Die Descendenz-Theorie und die Selections - Theorie.
dingungen abändern, sich immer innerhalb eines bestimmten, von dem Schöpfer uranfänglich in dem systematischen Cataloge seiner Baupläne festgestellten Formenkreises bewege. Indem der Schöpfer jede „Species" als geschlossene Einheit nach einem vorher von ihm ausgedachten Modelle, einem architectonischen Entwürfe schuf, gab er ihr zugleich die Fähigkeit mit, sich an bestimmte Lebensbedingungen bis zu einem gewissen Grade anzupassen, bestimmte er ihr einen geschlossenen Variabilitäts - Kreis, erlaubte ihr aber nicht, diese Grenze zu überschreiten. Diese unter der grossen Mehrzahl der Morphologen noch heute verbreitete Vorstellung ist eben so absurd, als alle übrigen Consequenzen, zu welchen das Dogma von der Species-Constanz n o t w e n dig hinführt. Indessen thut diese Absurdität der Geltung jener Vorstellung, da sie bereits durch Vererbung sich stark befestigt hat, keinen Eintrag. Um so mehr müssen wir uns hier auf das Entschiedenste dagegen erklären und das eben aufgestellte Gesetz von der unbeschränkten Anpassungsfähigkeit der Organismen auf das Bestimmteste aufrecht erhalten. In der That finden wir in der gesammten organischen Natur nicht eine einzige Erscheinung, welche der Annahme widerspricht, dass alle Organismen zu jeder Zeit ihres Lebens und an jedem Theile ihres Körpers eine neue Abänderung erleiden können, sobald sie neuen ExistenzBedingungen unterworfen werden. Dass immer neue Existenz-Bedingungen entstehen, dass die vorhandenen einer beständigen Veränderung unterworfen sind, dass die ganze Welt nicht still steht, sondern sich in einer beständigen Veränderung, und zwar in einer fortschreitenden Entwickelungs-Bewegung befindet, wird Niemand leugnen, der einen allgemeinen Ueberblick der uns umgebenden Erscheinungs-Welt besitzt, und bei dem nicht durch langjährige Anpassung an den beschränkten Gesichtskreis der degenerirten systematischen Morphologie sein Erkenntniss - Vermögen rudimentär geworden oder ganz verloren gegangen ist. Aus dieser beständigen, unaufhörlichen, wenn auch langsam und allmählich stattfindenden Umänderung der Aussenwelt, welche dem Organismus seine Existenz-Bedingungen vorschreibt, folgt nun schon unmittelbar eine entsprechende Umänderung der Organismen selbst, denn wo die Ursachen sich ändern, da kann auch die Wirkung nicht dieselbe bleiben. Entsprechend der überall und jederzeit stattfindenden Veränderung der Aussenwelt, mit welcher die Organismen in Wechselwirkung leben, muss auch überall und jederzeit eine Anpassung der letzteren an die erstere, also eine unbeschränkte Umgestaltung stattfinden. Diese kann zu jeder Zeit des Lebens und an jedem Theil des Organismus eintreten, da die umgestaltenden Kräfte, d. h. die Veränderungen der Existenz - Bedingungen zu jeder Zeit stattfinden und auf jeden Theil des Körpers mittelbar oder unmittelbar einwirken können.
Y. Veränderlichkeit und Anpassung.
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Selbstverständlich ist eine bestimmte Schranke der Anpassungsfähigkeit allgemein durch die ihr entgegenwirkende Erblichkeit gesetzt, durch den ,,Typus" des Stammes; allein i n n e r h a l b d i e s e s T y p u s , innerhalb der unveräusserlichen Charaktere des Phyton, ist eine Schranke nicht vorhanden, und die parasitischen Crustaceen ζ. B. scheinen auch jene Grenze der Typus - Charaktere zu überschreiten. Mit- der gleichen Notwendigkeit, mit welcher sich dieses Gesetz als eine unmittelbare Folgerung aus der grossen Erscheinung der beständigen Umänderung der Gesammtnatur (und speciell der anorganischen Natur) ableiten lässt, mit derselben Notwendigkeit drängt sich uns unmittelbar seine allgemeine Geltung auf, wenn wir die gesammten Erscheinungsreihen der organischen Natur von dem höheren allgemeinen Gesichtspunkte aus vergleichend betrachten. Die gesammte Phylogenie, die gesammte Physiologie der Organismen liefert eine übereinstimmende Kette von Beweisen für dasselbe. Die Phylogenie zeigt uns, wie ein und derselbe Stamm von organischen Formen, ζ. B. der der Wirbelthiere, aus einfacher Basis entspringend, sich nach allen Seiten reich verzweigt, wie die Mannichfaltigkeit seiner divergenten Aeste mehr und mehr im Laufe der Erdgeschichte zunimmt und wie dieselben noch in der Gegenwart eine unbegrenzte Fähigkeit zur Abänderung zeigen. Freilich ist diese Fähigkeit sehr verschieden. Die einen Species sind äusserst variabel, die anderen sehr constant, eine dritte Gruppe nur in mässigem Grade abänderungsfähig. Diese Thatsache entspricht aber vollkommen der ungleichen physiologischen Constitution und Lebensweise der verschiedenen Arten. Solche Arten, die nur unter ganz beschränkten Bedingungen existiren können, die sich bereits einer grossen Summe specieller Existenz-Verhältnisse angepasst haben (wie ζ. B. viele Parasiten), die also auch nur einen beschränkten Verbreitungs-Bezirk haben werden, können sich nur in geringem Grade und nur nach bestimmten eng begrenzten Richtungen hin verändern und neu anpassen. Solche Arten dagegen, die unter sehr verschiedenen Bedingungen existiren können, die sich nur einer kleinen Summe specieller Existenz-Verhältnisse angepasst haben (wie ζ. B. die Mäuse), die also auch einen weiteren Verbreitungs-Bezirk haben werden, können sich noch in hohem Grade und nach vielen verschiedenen Bichtungen hin verändern und neu anpassen. Wir können die letzteren Arten mit S n e l l 1 ) als ideale, die ersteren dagegen als praktische Typen bezeichnen. *) C a r l S n e l l , d i e S c h ö p f u n g d e s Men s e h e n . Leipzig 1863. Dieses Schriftchen ist sehr zu empfehlen wegen der anschaulichen Beweisführung, dass alle Entstehung organischer Formen nicht als S c h ö p f u n g , sodann nur als E n t w i c k e l u n g gedacht werden kann. Wenn auch die zoologischen Beispiele zum Theil nicht glücklich gewählt , und in der e i n z e l n e n genealogischen Speculation manche Irrthiimer sind, so
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Die Descendenz - TEeorie und die Selections-Theorie.
Dieser U n t e r s c h i e d z w i s c h e n d e n p r a k t i s c h e n o d e r e i n s e i t i g e n und den i d e a l e n oder v i e l s e i t i g e n O r g a n i s a t i o n s T y p e n gilt nicht allein von den einzelnen Arten, sondern auch von den Gattungen, Klassen und überhaupt von allen Zweigen des systematischen Stammbaumes. Wir können alle Kategorieen desselben allgemein in die beiden (natürlich nie scharf zu trennenden, sich aber doch im Ganzen gegenüber stehenden) Gruppen der idealen oder in weitem Umfang anpassungsfähigen Gestalten und der praktischen oder in engem Umfang adaptablen Gestalten scheiden. Ideale oder polytrope Typen sind ζ. B. unter den Echinodermen die Astericlen, unter den Articulaten die Anneliden, unter den Phanerogamen die Cupuliferen. Praktische oder monotrope Typen dagegen sind unter den Echinodermen die Crinoiden und Echiniden, unter den Articulaten die Cestoden und Insecten, unter den Phanerogamen die Palmen und Orchideen. Ferner sind ideale oder vielseitige Gruppen unter den Wirbelthieren ζ. B. die Selachier, die Eidechsen, die Halbaffen; praktische oder einseitige Gruppen dagegen sind die Teleostier, die Schildkröten, die Fledermäuse. Die idealen oder vielseitigen Gruppen passen sich weniger speciell bestimmten Bedingungen an und bleiben dadurch in höherem Grade entwickelungsfähig. Die praktischen oder einseitigen Gruppen passen sich dagegen ganz speciell bestimmten Bedingungen an, leisten auf diesem beschränkten Gebiete Grösseres, büssen dadurch aber die weitere Entwickelungsfähigkeit ein. Dieser höchst wichtige Unterschied ist auch unter den Individuen der menschlichen Gesellschaft überall und also auch in der Wissenschaft zu verfolgen. Die idealen und vielseitigen philosophisch gebildeten Köpfe, welche die Erscheinungen synthetisch vergleichen und denkend ordnen, sind es, welche die Menschheit im Ganzen weiter bringen, weil sie sie anpassungsfähig erhalten. Die praktischen und einseitigen Gelehrten dagegen, welche die Erscheinungen nur analytisch zergliedern, und welche sich nicht höheren Ideen anpassungsfähig erhalten, können jenen bloss das Material liefern, das sie zum Besten des Ganzen verwerthen. Wie der Mensch, als das am genauesten und am längsten untersuchte Thier, für alle allgemeinen biologischen Erscheinungen, und namentlich für die von uns hier untersuchten Gesetze der Vererbung und der Abänderung die besten und schlagendsten Beispiele liefert, so giebt er uns auch den sichersten Beweis für das grosse Gesetz der unbeschränkten Anpassung. In diesem Gesetze liegt die ganze unbegrenzte Entwickelungsfähigkeit des Menschengeschlechts eingeschlossen, und für uns speciell die tröstliche Aussicht, dass der vielgerühmte Culturzustand des neunzehnten Jahrhunderts sicher nach Verlauf weniverdienen doch viele a l l g e m e i n e Bemerkungen als höchst treffend besondere Beherzigung, nnri keineswegs die Verachtung, die manche Empiriker gegen dieselben ausgesprochen haben.
VI. Vererbung und Anpassung.
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ger Jahrhunderte, und vielleicht schon vor Beginn des zweiten Jahrtausends n. Chr. als der Zeitpunkt des Erwachens aus den scholastischen, halb barbarischen Yorurtheilen des Mittelalters und seiner Fortsetzung bis zur Gegenwart bezeichnet werden wird. Es hiesse an dem Werthe der Menschheit und dem ungeheuren Fortschritt, den sie bereits seit ihrer Divergenz von den übrigen Affen gemacht hat, verzweifeln, wenn man nicht die gleiche Fähigkeit der dauernden Anpassung und Vervollkommnung auch für alle kommenden Zeiten behaupten wollte. Wie aber im Gehirne des Menschen sich die unbegrenzte Anpassungsfähigkeit des Organismus auf das schlagendste bekundet, so gilt dieselbe auch als allgemeines Gesetz für alle übrigen Organismen.
VI. Vererbung und Anpassung. (Atavismus und Variabilität.) V e r e r b u n g und A n p a s s u n g s i n d d i e b e i d e n e i n z i g e n p h y s i o l o g i s c h e n F u n c t i o n e n · , w e l c h e in i h r e r b e s t ä n d i g e n Wechselwirkung die u n e n d l i c h m a n n i c h f a l t i g e n U n t e r s c h i e d e a l l e r O r g a n i s m e n b e d i n g e n , und zwar nicht bloss die morphologischen, sondern auch die davon nicht trennbaren physiologische Unterschiede. Alle Eigenschaften, welche wir an den einzelnen Organismen wahrnehmen, und durch welche wir sie von den andern unterscheiden, und zwar ebenso alle Eigenschaften der Form, wie des Stoffes und der Function, sind lediglich die nothwendigen Producte der Wechselwirkung jener beiden formenden Kräfte. Im Allgemeinen ist jeder ausgebildete Charakter, jedes entwickelte Merkmal, jede wesentliche Eigenschaft des Organismus ein Product b e i d e r Factoren, der auf der Fortpflanzung beruhenden Vererbung und der auf der Ernährung beruhenden Anpassung. Im Besonderen jedoch können wir von jedem einzelnen Merkmal sagen, dass es in seinem gegenwärtigen Zustande entweder vorwiegend durch Vererbung oder vorwiegend durch Anpassung erworben sei; und ursprünglich sind alle Charaktere entweder vererbte oder erworbene. Wir können also, und es ist dies von der grössten Wichtigkeit für die Systematik, alle Eigenschaften, alle Charaktere der Organismen in zwei gegenüberstehende Gruppen bringen: E r e r b t e E i g e n s c h a f t e n ( C h a r a c t e r e s h e r e d i t a r i i ) und durch Abänderung der vererbten erworbene, a n g e p a s s t e E i g e n schaften (Characteres adaptati). Während diese Vereinigung von ererbten und durch Anpassung erworbenen Charakteren sich bei allen Organismen findet, welche durch Fortpflanzung von elterlichen Organismen entstehen, existirt ein etwas anderes Verhältniss bei denjenigen Organismen, welche elternlos durch Selbstzeugung oder Autogonie entstanden, bei den structurlosen Mo-
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Die Descendenz-Theorie und die Selections-Theorie.
neren also, die im sechsten Capitel besprochen worden sind. Bei diesen fällt natürlich das Moment der Ererbung weg und an dessen Stelle tritt die unmittelbare physikalische und chemische Beschaffenheit der Materie, aus welcher das autogone Moner besteht. Diese ist es, welche hier der Anpassung entgegenwirkt, und welche zum erblichen Charakter wird, wenn das Moner sich fortpflanzt. Im Grunde ist aber dieser Unterschied nur sehr unwesentlich, da ja auch das Wesen der erblichen Eigenschaften in der unmittelbaren physikalischen und chemischen Beschaffenheit der Materie liegt, aus welcher der Organismus besteht. Wir kommen hier im Wesentlichen zurück auf den Unterschied der beiden in Wechselwirkung stehenden gestaltenden Kräfte, welche wir im fünften Capitel untersucht haben, auf den inneren und äusseren Bildungstrieb. Wir sprachen dort aus, dass jeder Organismus ein Product der Wechselwirkung dieser beiden Factoren ist, des i n n e r e n B i l d u n g s t r i e b e s , d. h. der physikalischen und chemischen Kräfte, welche der den Organismus constituirenclen Materie inhäriren, und des ä u s s e r e n B i l d u n g s t r i e b e s , d. h. der physikalischen und chemischen Kräfte, welche der den Organismus umgebenden Materie der Aussenwelt innewohnen und auf erstere einwirken. Offenbar ist jener nun bei allen Organismen, die durch Fortpflanzung entstanden sind, der in der V e r e r b u n g wirkende, dieser dagegen in allen Fällen der in der A n p a s s u n g und Abänderung wirkende Gestaltungstrieb. Wir können also das wichtige Gesetz, welches die gesammte Mannichfaltigkeit der Organismen-Welt auf die Wechselwirkung von nur z w e i g e s t a l t e n d e n K r ä f t e n zurückführt, in folgende Worte zusammenfassen: A l l e E i g e n s c h a f t e n oder C h a r a k t e r e der O r g a n i s m e n s i n d das P r o d u c t d e r W e c h s e l w i r k u n g v o n z w e i g e s t a l t e n d e n p h y s i o l o g i s c h e n F u n c t i o n e n , d e m i n n e r e n , auf d e r m a t e r i e l l e n Zusammensetzung des Organismus beruhenden und durch die Fortpflanzung v e r m i t t e l t e n Bildungstriebe d e r V e r e r b u n g , u n d d e m ä u s s e r e n , auf d e r G e g e n w i r k u n g des O r g a n i s m u s g e g e n die Aussenwelt b e r u h e n d e n und durch d i e Ernährung v e r m i t t e l t e n B i l d u n g s t r i e b e der Anp a s s u n g . In jeder Eigenschaft des Organismus kann aber der eine der beiden Bildungstriebe als die v o r z u g s w e i s e bewirkende Ursache erkannt werden, und in dieser Beziehung sind a l l e C h a r a k t e r e d e s O r g a n i s m u s i n e r s t e r I n s t a n z e n t w e d e r e r e r b t oder d u r c h Anpassung erworben. Aus Gründen, welche wir im sechsten Buche erörtern werden, bezeichnen wir die ererbten oder V e r e r b u n g s - C h a r a k t e r e als h o m o l o g e , die angepassten oder A n p a s s u n g s - C h a r a k t e r e als a n a loge. Eine Hauptaufgabe der gesammten Morphologie der Organis-
TL Vererbung und Anpassung.
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men beruht in der Erkenntniss dieses Unterschiedes, und wenn die Systematik und die vergleichende Anatomie immer in erster Linie bestrebt gewesen wäre, diesen Unterschied zu entdecken, so würde sie ihrer Aufgabe, der Erkenntniss der natürlichen Verwandtschaften der Organismen, schon unendlich näher sein. Denn es liegt auf der Hand, dass nur die homologen oder ererbten Charaktere uns auf die Erkenntniss der natürlichen Blutsverwandtschaft hinleiten können, während die analogen oder angepassten Charaktere nur geeignet sind, dieselbe uns zu verhüllen. Die ganze Kunst der vergleichenden Morphologie (die man nur künstlich in vergleichende Anatomie und Systematik trennt) beruht also darauf, zu erkennen, ob die Aehnlichkeit, welche zwei „verwandte" Organismen verbindet, eine Homologie· oder eine Analogie ist. Je mehr zwei verwandte Organismen gemeinsame Homologieen besitzen, desto enger sind sie verwandt; je mehr ihre Aehnlichkeit bloss auf Analogieen beruht, d. h. auf der Anpassung an gleiche oder ähnliche Lebens-Bedingungen, desto weniger sind sie verwandt. So stehen die Walfische durch Analogie den Fischen, durch Homologie den Menschen näher. Ebenso stehen die Insekten durch Analogie den Vögeln, durch Homologie den Würmern näher. Die beiden allmächtigen bewegenden Kräfte der Vererbung und der Anpassung, welche wir oben auf die physiologischen Functionen der Fortpflanzung und Ernährung zurückgeführt haben, sind in ihrer allgemeinen Wechselwirkung die beiden einzigen Factoren, welche die gesammte organische Welt gebildet haben und noch immerfort bilden. Sie haben an die Stelle der inneren Idee, des Schöpfers, des zweckmässigen Bauplanes zu treten, und wie alle die irrthümlichen Vorstellungen weiter heissen mögen, welchen die Teleologie und der Dualismus überhaupt die „Schöpfung" der Organismen zuschreibt. So einfach nun dieses grosse Gesetz ist, so fest wir überzeugt sind, dass diese beiden Factoren allein die organische Welt geschaffen haben, so ausserordentlich schwierig ist es im Einzelnen den Process ihrer Wechselwirkung zu verfolgen und von jeder einzelnen Function, von jeder einzelnen Formeigenschaft des Organismus zu sagen, wieviel davon Wirkung der Vererbung, wieviel Wirkung der Anpassung sei. Denn alle die verschiedenen Modificationen der Heredität und Adaptation, welche wir in den oben begründeten Gesetzen aufgeführt haben, treten im Organismus in eine so äusserst complicirte Wechselwirkung, dass es, wenigstens bei unseren jetzigen, noch höchst unvollständigen Kenntnissen,. äusserst schwierig ist, den Process der organischen Umbildung selbst zu verfolgen. Hier nun gelangen wir zur Betrachtung der ungemein wichtigen Gesetze, welche sich bis jetzt aus der Wechselwirkung der Vererbung und Anpassung haben ableiten lassen und deren Aufstellung das beH a e c k e l , Generelle Morphologie, II.
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Die Descendenz- Theorie und die Selections - Theorie.
sondere und höchst bewunderungswürdige Verdienst von C h a r l e s D a r win ist. Zunächst haben wir die wichtigen Vorgänge der natürlichen und künstlichen Züchtung oder Auslese (Selection) zu betrachten, welche den werthvollen Kem seiner Selections - Theorie bilden, und demnächst die weitgreifenden Gesetze der Divergenz oder Differenzirung, und des Fortschritts oder der Vervollkommnung, welche sich als Consequenzen aus dem Selections-Gesetz ergeben.
VII. Züchtung oder Selection. (Zuchtwahl, Auslese.)
Das erste und oberste Gesetz, welches die Entstehung neuer organischer Formen durch die Wechselwirkung von Vererbung und Anpassung regelt, ist das Gesetz der Züchtung oder Selection. Das Wesen des Züchtungs-Vorganges liegt darin, dass von zahlreichen neben einander lebenden ähnlichen, aber ungleichen Individuen von einerlei Art nur eine bestimmte Anzahl zur Fortpflanzung gelangt, und also seine individuellen Eigenschaften auf die Nachkommenschaft vererbt und dadurch erhält, während die anderen, nicht zur Fortpflanzung gelangenden Individuen derselben Art aussterben, ohne ihre individuellen Eigenschaften vererben und so in den Nachkommen erhalten zu können. Es findet also bei der Fortpflanzung aller Organismen von einerlei Art eine Auswahl oder Auslese, Selection, statt, welche die einen Individuen bevorzugt, indem sie ihnen gestattet, ihre individuellen Charaktere auf die Nachkommenschaft zu vererben, während sie die anderen Individuen benachtheiligt, indem sie ihnen dies nicht gestattet. Durch diese Auslese oder Zuchtwahl wird eine allmähliche Abänderung der ganzen Organismen-Art bedingt, indem die individuellen Charaktere des sich fortpflanzenden Bruchtheils der Art Gelegenheit erhalten, sich durch Vererbung zu befestigen und so immer stärker hervorzutreten. Der Vorgang der Züchtung oder Auslese ist von dem Menschen künstlich betrieben worden seit jener weit zurückliegenden Zeit, in welcher er, selbst erst dem niedersten Zustande thierischer Rohheit entwachsen, zum ersten Male anfing, Thiere und Pflanzen zu seinem Nutzen bei sich zu halten und fortzupflanzen 1 ). Dieser Process war von Anfang an mit einer, zunächst allerdings unbewussten Auslese oder Zuchtwahl (Selection) verbunden, indem der Mensch nur einen Bruchtheil der zu seinem Nutzen gezogenen Thiere und Pflanzen zur Fortpflanzung der Art benutzte» die übrigen dagegen in verschiedener ' ) Viel früher, als von den Menschen, ist der künstliche Züchtungs - Process wahrscheinlich schon von anderen Thieren betrieben worden, so ζ. Β. τοη den Ameisen, welche Sclaven halten, and welche die Blattläuse als ihr Melkvieh züchten.
VII.
Züchtung oder Selection.
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Weise zu seinem Nutzen verwandte. Nun wird der Mensch, sobald er den grossen Nutzen einsah, der ihm durch die Cultur der Thiere und Pflanzen erwächst, schon frühzeitig auf den Gedanken gekommen sein, nicht allein dieselben durch Fortpflanzung bloss zu erhalten, sondern auch, bei der offenbaren Ungleicheit der Individuen, die für seinen Vortheil tauglicheren Individuen allein zu erhalten, die übrigen, weniger tauglichen dagegen zu vernachlässigen. Er wird also bloss die ersteren, nicht die letzteren zur Fortpflanzung (Nachzucht) benutzt haben, und hiermit war bereits die Kunst der individuellen Auswahl, der Auslese zur Nachzucht erfunden, welche das Wesen der künstlichen Züchtung bildet. Indem nämlich der Mensch bei dieser Auswahl der tauglichsten Individuen zur Nachzucht Generationen hindurch diejenigen Individuen aussuchte, die einen bestimmten (für ihn vortheilhaften) Charakter oder eine neu erworbene Abänderung besonders deutlich zeigten, die anderen dagegen, die denselben weniger ausgesprochen oder gar nicht zeigten, ausschied, wurde nicht allein dieser erwünschte Charakter oder die neue Abänderung e r h a l t e n , sondern er wurde auch nach den Vererbungs-Gesetzen durch Häufung g e s t e i g e r t u n d b e f e s t i g t . Lediglich durch diese, Generationen hindurch fortgesetzte Auswahl bestimmter Individuen zur Fortpflanzung (Nachzucht) , lediglich durch diese andauernde künstliche Anslese oder Zucht*wahl, war der Mensch im Stande, die Wechselwirkung zwischen Vererbung und Abänderung so zu benutzen, dass er schliesslich die zahllosen Culturformen der Hausthiere und Nutzpflanzen erzeugte, die zum Theil von ihren natürlichen Vorfahren viel weiter verschieden sind, als es verschiedene sogenannte „gute Arten" und selbst verschiedene Gattungen im Naturzustande sind. Es ist nun D a r w i n ' s unschätzbares und besonderes Verdienst, nachgewiesen zu haben, dass einem ganz analogen Züchtungs-Vorgange auch die unendliche Mannichfaltigkeit der Thiere und Pflanzen im wilden Zustande ihre Entstehung verdankt, und dass überall und jederzeit in der vom Menschen unabhängigen Natur eine „natürliche Zuchtwahl" wirksam ist, welche der künstlichen vom Menschen betriebenen Auslese durchaus analog ist. Dasjenige auslesende Princip, welches in der Natur die auswählende willkürliche Thätigkeit des Menschen ersetzt, ist das von D a r w i n zuerst entdeckte, äusserst wichtige und complicirte Wechselverhältniss der Organismen zu einander, welches er mit dem Namen des „Kampfes um das Dasein" (Struggle for life) belegt. Die „natürliche Züchtung" (Natural selection), welche dieses beständig th'ätige Princip ausübt, wirkt durchaus analog der vom menschlichen Willen ausgeübten „künstlichen Züchtung" und erzielt durchaus ähnliche Resultate. Allein während die neuen Formen, welche die künstliche Züchtung hervorbringt, der menschlichen Auslese entspre15 *
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Die Descendenz - Theorie und die Selections - Theorie.
chend dem Nutzen des Menschen dienen, sind dagegen die neuen Formen, welche die natürliche Züchtung hervorbringt, dem Nutzen des abgeänderten Organismus selbst dienstbar. Auch wirkt aus gleich zu erörternden Gründen die letztere zwar langsamer, aber ungleich mächtiger, stetiger und allgemeiner, als die erstere. Um den äusserst wichtigen Process der natürlichen Züchtung, welcher das Skelet der ganzen Selections-Theorie bildet , richtig zu verstehen, wollen wir zuvor den besser bekannten, aber ganz analogen Vorgang der künstlichen Züchtung noch etwas näher ins Auge fassen. Doch können wir schon jetzt den wesentlichen Unterschied zwischen beiden analogen Erscheinungen in folgenden Worten zusammenfassen: D i e k ü n s t l i c h e Züchtung b e s t e h t darin, dass der p l a n m ä s s i g wirkende W i l l e d e s Menschen d i e F o r t p f l a n z u n g d e r j e n i g e n I n d i v i d u e n b e g ü n s t i g t , welche durch e i n e f ü r den V o r t h e i l des Menschen n ü t z l i c h e i n d i v i d u e l l e E i g e n t h ü m l i c h k e i t sich a u s z e i c h n e n . D i e n a t ü r l i c h e Z ü c h t u n g b e s t e h t darin, dass der p l a n l o s w i r k e n d e Kampf ums D a sein d i e F o r t p f l a n z u n g d e r j e n i g e n I n d i v i d u e n b e g ü n s t i g t , welche durch eine für ihren e i g e n e n V o r t h e i l n ü t z l i c h e individuelle Eigenthümlichkeit sich auszeichnen. VII, A.
D i e k ü n s t l i c h e Z ü c h t u n g (Selcctio artifiriatis). (Zuchtwahl oder Auslese durch den Willen des Menschen.)
Die Vorgänge der künstlichen Züchtung sind ebenso für die richtige Auffassung der Veränderlichkeit des Organismus von der grössten Wichtigkeit, als sie bisher von den allermeisten Zoologen und Botanikern in der bedauerlichsten Weise vernachlässigt sind. Die letzteren hatten meistens entweder mit den unnützen Species - Spielereien oder mit den gedankenlosen anatomischen Form-Beschreibungen so Viel zu thun, dass sie sich um die unendlich wichtigeren und interessanteren Vorgänge des Lebens selbst und die dabei stattfindende beständige Umbildung der organischen Formen gar nicht kümmerten, und insbesondere die unter ihren Augen vor sich gehenden Veränderungen der Organismen im Culturzustande gänzlich ignorirten. Auch warfen sie wohl gegen eine Vergleichung der Producte künstlicher und natürlicher Züchtung ein, dass jene eben künstliche, nicht natürliche seien, und bis zu welchem Grade der Thorheit sich diese grundlosen Einwürfe verstiegen, kann das Beispiel von A n d r e a s Wagner zeigen, welcher alles Ernstes behauptete, dass auf die Hausthiere und Culturpflanzen, welche so viel variabler, als die wilden Formen sind, überhaupt der Species-Begriff nicht anwendbar sei, weil dieselben gleich vom Schöpfer für den Culturgebrauch des Menschen geschaffen seien. Um nun zunächst dieses meist ganz irrig aufgefasste Verhältniss
ΥΠ.
Züchtung oder Selection.
229
des züchtenden Menschen zu den von ihm erzielten Producten klar festzustellen, müssen wir hervorheben, dass der Mensch keinesweges durch seine Züchtungskünste etwas ausserhalb der Natur der gezüchteten Thiere und Pflanzen Liegendes zu erzielen vermag. Vielmehr beschränkt sich die Thätigkeit des Menschen bei der künstlichen Züchtung lediglich darauf, dass er die Thiere und Pflanzen, welche er umändern oder „veredeln" will, unter neue einflussreiche ExistenzBedingungen versetzt, und dass er die dadurch hervorgebrachten Abänderungen sorgfältig ausliest, und durch Vererbung befestigt und steigert. So wenig man, wenn der Mensch Natron und Salzsäure zusammenbringt, sagen kann, er habe Kochsalz „künstlich geschaffen", so wenig kann man jemals bei der Züchtung sagen, der Mensch habe neue Formen ..künstlich geschaffen", sobald wenigstens damit ausgedrückt werden soll, dass er etwas ausser der Natur der gezüchteten Organismen Liegendes erreicht habe. So wenig die Krankheit , wie die älteren Aerzte glaubten, eine ,,vita praeter naturam" ist, sondern vielmehr lediglich die natürliche und nothwendige Reaction des Organismus gegen neue, störende, krankmachende Existenz-Bedingungen, so wenig sind die Resultate der künstlichen Züchtung „producta praeter naturam", sondern einzig und allein die natürliche nnd nothwendige Wirkung der neuen, umgestaltenden Existenz - Bedingungen, denen dör Mensch die abänderungsfähigen Organismen unter sorgfältiger Regelung der Ernährung und Fortpflanzung aussetzte. Alle Gesetze der Vererbung und alle Gesetze der Anpassung, welche wir oben erörtert haben, kommen bei der künstlichen Züchtung zur Anwendung, und die grosse und schwere Kunst des tüchtigen Züchters besteht darin, diese Gesetze richtig zu erkennen und zu handhaben, ihre Wirksamkeit passend zu regeln und die äusserst genaue Kenntniss der Züchtungs-Objecte sich zu erwerben, welche hierfür unentbehrlich ist. Für einen guten Züchter ist daher eine scharfe und sorgfältige Naturbeobachtung sowohl, als eine tiefe und auf langen intimen Verkehr gegründete Bekanntschaft mit der Physiologie der Ernährung und Fortpflanzung, und vor allem mit der unendlichen B i e g s a m k e i t des Organismus unentbehrlich. Er muss die kleinsten und unscheinbarsten individuellen Abweichungen einzelner Thiere und Pflanzen, welche seinem Vortheil entsprechen, erkennen, benutzen und durch sorgfältige Vererbung häufen, befestigen und steigern. Der Schlüssel für die Züchtungserscheinungen, sagt D a r w i n , liegt in des Menschen „ a c c u m . u l a t i v e m W a h l v e r m ö g e n , d. h. in seinem Vermögen, durch jedesmalige Auswahl derjenigen Individuen zur Nachzucht, welche die ihm erwünschten Eigenschaften im höchsten Grade besitzen, diese Eigenschaften bei jeder Generation um einen wenn auch noch so unscheinbaren Betrag zu steigern. Die Natur liefert allmählich
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Sie Deseendenz - Theorie und die Selections - Theorie.
mancherlei Abänderungen; der Mensch befördert sie in gewissen ihm nützlichen Richtungen. In diesem Sinne kann man von ihm sagen, er schaffe sich nützliche Rassen." Es kömmt also Alles darauf an, unter zahlreichen cultivirten Individuen von einer und derselben Art diejenigen heraus zu erkennen und zur Nachzucht auszulesen, welche irgend eine ganz unbedeutende Abänderung, ζ. B. eine neue Färbung, zeigen, die dem Wunsche des Züchters entspricht. Indem nun diese Individuen sorgfältig fortgepflanzt werden, und indem unter ihren Nachkommen immer diejenigen zur weiteren Fortpflanzung ausgewählt werden, welche jene Abänderung am meisten ausgesprochen zeigen, wird dieser Charakter, welcher anfänglich höchst unbedeutend und dem ungeübten Auge gar nicht erkennbar war, durch Vererbung befestigt, durch fortdauernde Anpassung gehäuft, und dadurch endlich so stark entwickelt, dass er zuletzt eine neue Rasse charakterisirt. Welche ausserordentlichen Erfolge der Mensch durch umsichtig verfahrende und andauernd wirkende Züchtung, durch sorgfältige und fortgesetzte Auslese erreichen kann, ist erstaunlich, und wenn die organischen Morphologen diese Thatsachen früher erkannt und richtiger gewürdigt hätten, so würden die unnützen und kindischen Streitigkeiten über die Differenz von Rasse und Varietät, Subspecies und Species, mit denen die systematische Literatur gefüllt ist, längst beseitigt sein. Jeder Zweig der Viehzucht und des Gartenbaues liefert uns für diese bewundernswürdige Biegsamkeit und für die in der That unbeschränkte Variabilität des Organismus so schlagende Belege, dass wir auf die Anführung einzelner Beispiele hier verzichten können; wir wollen nur an die unendlich mannichfaltigen künstlich erzeugten Umbildungen der Hunde, Pferde, Schweine, Rinder, Schafe, Kartoffeln, Erdbeeren, Aepfel, Birnen, Astern, Georginen u. s. w. erinnern. Das wichtigste allgemeine Resultat, zu welchem uns die bewunderungswürdigen Erfolge der planmässig betriebenen künstlichen Züchtung hinführen, lässt sich in folgende Worte zusammenfassen: D i e U n t e r s c h i e d e in p h y s i o l o g i s c h e n u n d m o r p h o l o g i s c h e n C h a r a k t e r e n der T h i e r e und Pflanzen, welche der Mensch d u r c h k ü n s t l i c h e Z ü c h t u n g bei verschiedenen N a c h k o m men eines und desselben O r g a n i s m u s h e r v o r z u b r i n g e n v e r m a g , sind oft viel b e d e u t e n d e r , als die U n t e r s c h i e d e in physiologischen und morphologischen C h a r a k t e r e n , welche die B o t a n i k e r und Zoologen bei den P f l a n z e n und T h i e r e n im N a t u r z u s t a n d e f ü r a u s r e i c h e n d e r a c h t e n , um d a r auf v e r s c h i e d e n e S p e c i e s oder s e l b s t v e r s c h i e d e n e G e n e r a zu b e g r ü n d e n *) Dieser hochwichtige Satz ist unbestreitbar, obwohl gegenwärtig noch viele Botaniker und Zoologen demselben ihre Zustimmung versagen werden. Wer aber selbst ein-
YIL
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Züchtung oder Selection.
ΥΠ, Β. D i e n a t ü r l i c h e Z ü c h t u n g (Selectio
naturalis).
(Zuchtwahl oder Aaslese durch den Kampf ums Dasein.)
Die Zuchtwahl, die auslesende Thätigkeit, auf welcher die Züchtung beruht, und welche bei der künstlichen Züchtung durch den „Willen des Menschen" geübt wird, dieselbe wird bei der natürlichen Züchtung durch das gegenseitige Wechsel-Verhältniss der Organismen geübt, welches D a r w i n als „Kampf ums Dasein" bezeichnet. Auf eine richtige Erfassung dieses Satzes und auf seine beständige Geltendmachung kömmt Alles an, wenn man Darwin's Entdeckung der „natürlichen Züchtung im Kampfe ums Dasein" richtig verstehen und in ihrer ungeheuren causalen Bedeutung würdigen will. Wir müssen daher deren wesentlichen Inhalt kurz erörtern, um so mehr, als auffallender Weise derselbe den gröbsten Missverständnissen und den albernsten Entstellungen ausgesetzt worden ist Der Kampf um das D a s e i n o d e r d a s B i n g e n um d i e E x i s t e n z o d e r die M i t b e w e r b u n g um das L e b e n (Struggle for life, am passendsten vielleicht als „.Wettkampf um d i e L e b e n s B e d ü r f n i s s e " zu bezeichnen) i s t e i n e s d e r g r ö s s t e n und m ä c h t i g s t e n N a t u r g e s e t z e , welches die g e s a m m t e OrganismenW e l t , die M e n s c h e n - W e l t n i c h t a u s g e s c h l o s s e n , r e g i e r t , mal mit unbefangenem Blick eine Thier - oder Pflanzen - Gruppe systematisch bearbeitet lrnt; wer da weiss, wie gänzlich willkürlich die Aufstellung der unterscheidenden Charaktere der Gattungen und Arten ist; wer dann die oft höchst unbedeutenden und oberflächlichen Unterschiede, welche zur Trennung der Species oder Genera benutzt werden, mit den oft höchst bedeutenden und tiefgreifenden Unterschieden zwischen vielen sogenannten künstlichen Bassen vergleicht, die von einer und derselben Stammform abstammen ; wer endlich Objectivität genug besitzt, diese und jene Unterschiede vergleichend wägen und messen zu können: der kann nicht in Zweifel darüber bleiben, dass der Differenz - Grad zwischen sogenannten Bassen oder Spielarten einer Art oft viel bedeutender ist, als der Differenz - Grad zwischen sogenannten „guten Arten" einer Gattung oder selbst zwischen verschiedenen „Genera·' einer Familie. Man vergleiche nur ζ. B. die zahllosen Arten von Salix. Rubus, Hieracium etc., welche durch die unbedeutendsten und schwankendsten ,,specifischen Charaktere" von einander nur ganz künstlich getrennt werden können, oder die verschiedenen Arten und Gattungen ζ. B. der Nagethiere (namentlich der Mäuse, Ilypudaeut etc.), bei welchen Genera und Species durch die kleinlichsten Unterschiede getrennt werden; und dann vergleiche man andererseits ζ. B. das Riesenpferd der Londoner Brauer und den Pony von Shetland, den Pariser Karrengaul und den englischen Benner; oder die unendlich mannichfaltigen Hunde · Bassen, Windspiel und Dogge, Mops und Pudel. Dachshund und Neufundländer; oder die zahllosen Bassen und Varietäten unserer edlen Obstbäume etc. Es sind hier nicht bloss etwa Abänderungen in äusserer Körperform, Grösse, Färbung, Behaarung u. s. w., welche die Bassen trennen, sondern auch viel bedeutendere und tiefergreifende Abänderungen im Bau des Skelets und der Muskeln, und oft selbst im Bau der edelsten inneren Organe, welche zum Theil unmittelbar durch die künstliche Züchtung, zum Theil mittelbar durch Correlation der Theile entstanden sind. Wenn diese Bassen wild vorkämen, würden daraus die Systematiker verschiedene Genera machen.
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Die Descendenz - Theorie und die Selections-Theorie.
und welches allenthalben und zu jeder Zeit bei der unaufhörlichen Lebensbewegung der Organismen thätig ist. Da dasselbe überall unter unseren Augen wirksam ist, könnte es höchst auffallend erscheinen, dass vor D a r w i n Niemand dasselbe hervorgehoben und wissenschaftlich formulirt hat, wenn es nicht eine bekannte Thatsache wäre, dass die Menschen auf die nächstliegenden Beobachtungen immer zuletzt kommen und das Einfachste und Natürlichste am wenigsten begreifen wollen; eine Thatsache, für welche die Geschichte der organischen Morphologie und vor Allem ihrer wissenschaftlichen Grundlage, der Descendenz-Theorie, auf jeder Seite schlagende Beweise liefert. Die wesentliche Grundidee des Gesetzes vom Kampfe ums Dasein bildet die Erwägung, dass alle Organismen ohne Ausnahme durch Fortpflanzung eine unendlich viel grössere Anzahl von Individuen erzeugen, als unter den allgemein beschränkten Lebens-Verhältnissen der Organismen, innerhalb der bestimmten Grenzen ihrer nothwendigen ExistenzBedingungen, neben einander fortexistiren können. Die bei weitem überwiegende Mehrzahl aller organischen Individuen muss nothwendig in früherer oder späterer Zeit (die meisten in der frühesten Zeit) ihrer individuellen Existenz zu Grunde gehen, ohne zur Fortpflanzung gelangt zu sein. Die allermeisten Individuen unterliegen mannichfaltigen Hindernissen der Entwickelung, und gehen frühzeitig unter in dem „Wettkampfe", den sie mit ihres Gleichen um die Erlangung der unentbehrlichen Existenz-Bedingungen zu kämpfen haben. Nur verhältnissmässig wenige von den zahlreichen Nachkommen jedes organischen Individuums sind vor den übrigen in diesem Ringen um die Existenz bevorzugt, überleben dieselben und gelangen zur Reife und zur Fortpflanzung. Diese Wenigen werden aber offenbar, da alle Individuen ungleich sind, diejenigen sein, welche sich den für Alle nicht ausreichenden Existenz-Bedingungen am besten anpassen konnten und vor den übrigen eine ihnen vortheilhafte individuelle Eigenthümlichkeit voraus hatten. Wenn sich nun dieser Vorgang, diese „Auslese der Besten", d. h. die Auswahl der am meisten Begünstigten zur Nachzucht, Generationen hindurch wiederholt, so wird sich die individuelle Eigenthümlichkeit, der vortheilhafte Charakter, die nützliche Abänderung, welche den am meisten begünstigten Individuen jenen Vortheil im Wettkampfe verlieh, nicht allein erhalten, sondern auch befestigen und häufen. So entstehen aus einer individuellen Abänderung nach den Gesetzen der Vererbung und Anpassung im Verlaufe von Generationen neue Varietäten oder Rassen, welche sich allmählich zu neuen Species divergent entwickeln und immer weiter divergirenden Nachkommen den Ursprung geben können. So bringt der Kampf um^ Dasein durch natürliche Züchtung zunächst neue Varietäten, weiterhin aber auch neue Arten, Gattungen u. s. w. hervor.
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Bei der ausserordentlichen Wichtigkeit dieses Verhältnisses wollen wir auf einige der wichtigsten Seiten desselben noch specieller eingehen. Was erstens die Zahlenverhältnisse der Vermehrung aller Organismen betrifft, so ist es eine allen Zoologen und Botanikern bekannte Thatsache, dass die Zahl der m ö g l i c h e n Individuen, d. h. derjenigen, welche als Keime producirt werden, ohne sich zu entwickeln, in gar keinem Verhältnisse steht zu der Zahl der verschwindend geringen Zahl der w i r k l i c h e n Individuen, welche thatsächlich aus einzelnen Keimen zur Entwickelung gelangen. „Es giebt," sagt D a r w i n , „keine Ausnahme von der Regel, dass jedes organische Wesen sich auf natürliche Weise in dem Grade vennehre, dass, wenn es nicht durch Zerstörung litte, die Erde bald von der Nachkommenschaft eines einzigen Paares bedeckt sein würde1)." Die allermeisten organischen Individuen erzeugen während ihres Lebens Hunderte und Tausende, sehr Viele aber Hunderttausende und Millionen von Keimen, welche neuen Individuen den Ursprung geben könnten. Und doch gelangen nur verhältnissmässig äusserst Wenige von diesen Keimen, oft nur ein oder zwei, sehr häufig nur ein paar Dutzend, zur Entwickelung, und von diesen sich entwickelnden ist es wiederum nur ein ganz geringer Bruchtheil, welcher zur vollständigen Reife und zur Fortpflanzung gelangt. Diese unbezweifelbare und höchst wichtige Thatsache zeigt sich am schlagendsten darin, d a s s die a b s o l u t e A n z a h l d e r o r g a n i s c h e n I n d i v i d u e n , w e l c h e u n s e r e E r d e bev ö l k e r n , im G r o s s e n und G a n z e n d u r c h s c h n i t t l i c h d i e s e l b e b l e i b t , und d a s s nur die r e l a t i v e n Z a h l e n - V e r h ä l t n i s s e d e r e i n z e l n e n A r t e n zu e i n a n d e r b e s t ä n d i g s i c h ändern. Das Missverhältniss, welches überall zwischen der äusserst geringen Zahl der wirklich entwickelten Individuen und der äusserst grossen Zahl ihrer entwickelungsfähigen Keime besteht, äussert sich nicht allein in dieser merkwürdigen Thatsache von der durchschnittlichen Constanz der Individuen-Zahl überhaupt, sondern auch in dem eben' ) Die Zahlenverhältnisse der Furtpflanzung und Vermehrung jedes einzelnen Organismus liefern hierfür den Beweis. Zn welchen ungeheuren Zahlen die einfache geometrische Progression führt, zeigt das bekannte Beispiel vom Schachbrett und dem Weizenkorn. Schon L i n n e berechnete. dass. wenn eine einjährige Pflanze nur zwei Samen erzeugte (und es giebt keine Pflanze, die so wenig productiv wäre), und ihre Sämlinge gäben im nächsten Jahre wieder zwei u. s w . , sie in 20 Jahren schon eine Million Pflanzen liefern würde. Von dem Elephanten. der sich am langsamsten von allen Thieren zu vermehren scheint, hat D a r w i n das wahrscheinliche Minimum der natürlichen Vermehrung berechnet. Vorausgesetzt, dass seine Fortpflanzung erst mit 30 Jahren beginnt und bis zum 90sten Jahre dauert, und dass er in dieser ganzen Zeit nur 3 Paar Junge zur Welt bringt, würde nach 500 Jahren die Nachkommenschaft dieses einzigen Paares schon die ungeheuere Zahl von 15 Milliouen erreicht haben. Auch der Mensch, der sich doch nur langsam fortpflanzt, würde seine Anzahl schon in 25 Jahren verdoppelt haben.
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falls sehr auffallenden Umstände, dass die sehr verschiedene Anzahl der von den verschiedenen Arten producirten Keime gar keinen Einfluss hat auf die verschiedene Anzahl der wirklich entwickelten Repräsentanten dieser Arten. Organismen, die nur sehr wenige Keime erzeugen, sind in ungeheurer Zahl über die ganze Erde verbreitet; und andere Organismen, die äusserst zahlreiche Keime produciren, existiren umgekehrt in nur wenigen Individuen wirklich. Der EisSturmvogel (Procellaria glacialis). welcher von allen Vögeln der Welt der absolut zahlreichste sein soll, legt nur ein einziges Ei, und andere Vögel (ζ. B. gewisse Singvögel und Hühnervögel), welche zahlreiche Eier legen, existiren nur in sehr geringer Anzahl. Viele Orchideen, welche Tausende von Samen produciren, gehören zu den seltensten Pflanzen, und viele einköpfige Compositen, die nur eine geringe Anzahl von Samen erzeugen, zu den allerhäufigsten Pflanzen. Die menschlichen Bandwürmer, welche Millionen von Eiern erzeugen, sind viel weniger zahlreich, als die Menschen, welche nur eine geringe Anzahl von Eiern produciren. Die absolute Anzahl der Individuen, welche zu einer bestimmten Zeit von einer Species wirklich leben, ist also entweder gar nicht oder nur in ganz untergeordnetem Maasse abhängig von der Zahl der Keime, welche die Species producirt, dagegen fast ganz oder doch vorwiegend abhängig von der Quantität und Qualität der Existenz - Bedingungen, auf welche jeder Organismus angewiesen ist. Von diesen Existenz-Bedingungen der Organismen ist nun zunächst hervorzuheben, dass sie für alle Organismen -Arten ganz beschränkte sind. Kein Organismus kann auf allen Stellen der Erde leben. Vielmehr sind alle auf einen Theil der Erdoberfläche, und die allermeisten Arten auf einen sehr kleinen Theil derselben beschränkt. Mit anderen Worten, für jede einzelne Art giebt es nur eine bestimmte Anzahl von Stellen im Haushalte der Natur. Es ist durch die absolute Beschränkung der Existenz-Bedingungen ein absolutes Maximum von Individuen bestimmt, welche im günstigsten Falle auf der Erde neben einander leben können. Was die Natur der Existenz-Bedingungen selbst betrifft, so sind sie für jede einzelne Art äusserst complicirt, in den meisten Fällen aber uns ganz unzureichend bekannt oder sogar gänzlich unbekannt. Wir haben oben, als wir von den Existenz-Bedingungen der Aussenwelt sprachen, vorzugsweise die a n o r g a n i s c h e n im Auge gehabt, den Einfluss des Lichts, der Wärme, der Feuchtigkeit , der anorganischen Nahrung u. s. w. Viel wichtiger aber noch als diese und viel einflussreicher auf die Umbildung und Anpassung der Arten sind die o r g a n i s c h e n , d. h. d i e W e c h s e l b e z i e h u n g e n a l l e r O r g a n i s m e n u n t e r e i n a n d e r . Jede einzelne OrganismenArt ist abhängig von vielen anderen, welche mit ihr am gleichen Orte
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leben, und welche ihr entweder schädlich oder gleichgültig oder nützlich sind. Jeder Organismus hat unter den anderen Feinde und Freunde, solche die seine Existenz bedrohen und solche die sie begünstigen. Die ersteren können ihm Nahrung entziehen, ζ. B. Parasiten, die letzteren dagegen ihm Nahrung liefern, ζ. B. Nährpflanzen. Offenbar muss also die Zahl und Qualität aller organischen Individuen, welche an einem und demselben Orte beisammen leben, sich gegenseitig bedingen, und offenbar muss jede Abänderung einer einzelnen Art in Zahl und Qualität auf die übrigen, mit ihr in Wechselwirkung stehenden zurückwirken. Dass diese gegenseitigen Wechselbeziehungen aller benachbarter Organismen äusserst wichtige sind, und dass sie auf die Abänderung und Anpassung der Arten weit mehr Einfluss haben, als die anorganischen Existenz-Bedingungen, ist zuerst von D a r w i n mit aller Schärfe hervorgehoben worden. Leider sind uns nur diese äusserst verwickelten Wechselbeziehungen der Organismen meist gänzlich unbekannt , da man bisher, fast gar nicht auf dieselben geachtet hat, und so ist denn in der That hier ein ungeheures und ebenso interessantes als wichtiges Gebiet für künftige Untersuchungen geöffnet 1 ). Die O e c o l o g i e oder die Lehre vom Naturhaushalte, ein Theil der Physiologie, welcher bisher in den Lehrbüchern noch gar nicht als , ) Welch hohes Interesse dieser Zweig der Physiologie bietet, mag hier das von D a r w i n aufgeführte Beispiel von den Wechselbeziehungen der Katzen in England zum rothen Klee erläutern. Der rothe Klee, eine der wichtigsten Futterpflanzen Englands, kann allein dann Samen zur Entwickelung bringen. wenn seine Blumen von Hummeln besucht und bei dieser Gelegenheit befruchtet werden. Da andere Insekten den Nektar in diesen Blüthen nicht erreichen können, muss also die Fruchtbarkeit des Klee's von der Zahl der Bummeln in derselben Gegend abhängig sein, die ihrerseits durch die Zahl der Feldmäuse bedingt wird, welche die Nester uad Waben der Hummeln zerstören. Die Zahl der Feldmäuse steht wieder in umgekehrtem Verhältnisse zu der Zahl der Katzen, ihrer ärgsten Feinde. Und so kann denn, durch die Kette von Wechselbeziehungen zwischen Katzen, Feldmäusen, Hummeln und rothem Klee, der grosse Einfluss der Katzen auf den Klee daselbst nicht geleugnet werden. Das Beispiel lässt sich aber, wie C a r l V o g t gezeigt hat. noch sehr hübsch weiter verfolgen. Da der rothe Klee eines der wichtigsten und besten Nahrungsmittel für das englische Rindvieh ist, so beeinflusst seine Qualität und Quantität diejenige des Rindfleisches, welches bekanntlich für die gesunde Ernährung des englischen Volkes unentbehrlich ist. Da ferner die höchst entwickelten Functionen des letzteren, die Entwickelung seiner Iudustrie, seiner Marine, seiner freien staatlichen Institutionen durch die starke Entwickelung des Gehirns der Engländer bedingt ist, die wiederum von ihrer kräftigen Ernährung durch gutes Fleisch abhängig ist, so finden wir den rothen Klee von grossem Einfluss auf die gesammte Culturblüthe, durch welche gegenwärtig England in vielen Beziehungen an der Spitze aller Nationen steht. Wir haben hier also folgende interessante Kette von Wechselbeziehungen zwischen der englischen Cultur und den englischen Katzen: Viel Katzen, wenig Feldmäuse, viel Hummeln , viel Klee, viel Rindfleisch. wenig Krankheit des Menschen, viel Nervenentwickelung desselben, viel Gehirn - Differenzirung, viel Gedanken, viel Freiheit, viel Cultur.
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solcher aufgeführt wird, verspricht in dieser Beziehung die glänzendsten und überraschendsten Früchte zu bringen 1 ). Die Thatsache, dass zwischen allen Organismen, welche an einem und demselben Orte der Erde beisammen leben, äusserst zusammengesetzte Wechselbeziehungen herrschen, kann nicht geleugnet werden, ebensowenig die Thatsache, dass von den zahlreichen individuellen Keimen aller Organismen nur eine ganz geringe Anzahl zur Entwickelung und Fortpflanzung gelangt. Bringen wir nun diese unleugbaren Thatsachen mit den oben festgestellten Gesetzen der Vererbung und Abänderung in Zusammenhang, so folgt aus dieser Combination m i t a b s o l u t e r N o t w e n d i g k e i t die E x i s t e n z und W i r k s a m k e i t d e r n a t ü r l i c h e n Z ü c h t u n g . Denn da alle Individuen ungleich und abänderungsfähig sind, da nur eine beschränkte Anzahl der im Keime existirenden Individuen sich entwickeln kann, so muss nothwendig ein Kampf um das Dasein, d. h. ein Wettkampf zwischen den Organismen um die Erlangung der Existenz-Bedingungen stattfinden, in welchem die ungleichen Individuen ungleiche Stellungen und ungleiche Aussichten haben. Diejenigen Individuen, welche durch irgend eine individuelle Eigenthümlichkeit, irgend eine neu erworbene Abänderung, einen Vorzug vor den übrigen ihrer Art voraus haben, werden ihnen überlegen sein und sie besiegen. Sie allein werden zur Fortpflanzung gelangen und ihre Abänderung auf die Nachkommenschaft übertragen. Diese individuelle Eigenschaft wird sich auf die NachDie bisherige einseitige, wenn auch in einzelnen Zweigen bewunderungswürdig hohe Ausbildung der Physiologie veranlasst mich hier ausdrücklich hervorzuheben, dass die O e c o l o g i e , d i e W i s s e n s c h a f t v o n d e n W e c h s e l b e z i e h u n g e n d e r O r ganismen unter e i n a n d e r , und ebenso die Chorologie, die W i s s e n Schaft von d e r g e o g r a p h i s c h e n und t o p o g r a p h i s c h e n V e r b r e i t u n g der O r g a n i s m e n , i n t e g r i r e n d e B e s t a n d t h e i l e d e r P h y s i o l o g i e s i n d , obwohl sie gewöhnlich gar nicht dazu gerechnet werden. Nach meiner Ansicht muss die Physiologie in drei Hauptabschnitte zerfallen: I. P h y s i o l o g i e d e r E r n ä h r u n g (Nutrition); II. P h y s i o l o g i e d e r F o r t p f l a n z u n g (Generation); III. P h y s i o l o g i e d e r B e z i e h u n g (Relation). Zu dieser letzteren gehört die Oecologie als die Physiologie der Wechselbeziehungen der Organismen zur Aussenwelt und zu einander, und ebenso die Chorologie als die Physiologie der geographischen und topographischen Verbreitung (η χώρα, der Wohnort). Die Physiologie der Beziehungs - Verrichtungen der Thiere würde also nicht bloss die Functionen der Nerven, der Sinnesorgane, der Muskeln zu erörjtern haben , sondern auch die zusammengesetzteren Functionen, welche die oecologischen und chorologischen Erscheinungen verursacheil, und welche aus der eiuheitlichen Lebensthätigkeit des ganzen Organismus resultiren. D a die Ernährung die Erhaltung des Individuums, die Fortpflanzung die Erhaltung der Species (oder richtiger des Stammes) bewirkt, so kann man die Wissenschaft von diesen beiden Functionen auch als ..Conservations - Physiologie" oder Lehre von den Selbsterhaltungs-Verrichtungen der Organismen zusammenfassen, und ihr als underen Hauptzweig die „Relations-Physiologie" oder die Lehre von den Beziehungs-Verrichtungeu der Organismen gegenüberstellen. Vergl. Bd. I, S. 238.
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kommen in ungleichem Maasse vererben, und da von diesen wiederum diejenigen, welche dieselben am weitesten entwickelt zeigen, die im Kampfe bevorzugten sind, so werden sie abermals zur Fortpflanzung gelangen und ihren Vorzug weiter vererben. Indem sich dieser Process Generationen hindurch wiederholt, muss er nothwendig zunächst zur Erhaltung, dann aber weiter zur Befestigung, Häufung nnd immer stärkeren Entwickelung jenes ursprünglich erworbenen Charakters führen. Da nun offenbar die Mitbewerbung der ähnlichen Individuen, der Kampf zwischen den verschiedenen Repräsentanten einer und derselben Art um so heftiger und gefährlicher sein muss, je weniger sie verschieden sind, dagegen um so milder und schwächer, je verschiedener ihre Eigenschaften und Bedürfnisse sind, so werden die am meisten von einander abweichenden Formen einer und derselben Art sich am wenigsten bekämpfen, am leichtesten neben einander fortbestehen können, und hieraus folgt die wichtige Consequenz der natürlichen Züchtung, welche wir als D i v e r g e n z - G e s e t z oder Differenzirungs-Gesetz sogleich noch näher betrachten werden. Wie wir hieraus sehen, ist es eigentlich vor Allem die M i t b e w e r b u n g , d e r W e t t k a m p f zwischen den zusammenlebenden Individuen derselben Art und der nächstverwandten Arten, welcher durch „natürliche Züchtung" umbildend wirkt. Aehnliche oder nahezu gleiche Individuen, welche dieselben Bedürfnisse haben, denselben Existenz-Bedingungen unterworfen sind, machen sich die Erlangung derselben streitig und suchen sich gegenseitig in diesem Kampfe zu überflügeln. Es findet also in dieser Hinsicht ein wahrer Wettkampf statt, und dieser Wettkampf muss natürlich um so heftiger sein, je gleichartiger die Natur der mit einander ringenden Individuen und die Natur ihrer Lebensbedürfnisse ist. Daher werden zwar immer alle Organismen überhaupt, die an irgend einem Orte der Erde zusammenleben , sich vermöge ihrer nothwendigen Berührungen und Wechselbeziehungen mit einander im Kampfe befinden; der Kampf wird aber zwischen den verschiedenen Arten von sehr verschiedener Heftigkeit, am heftigsten und wirksamsten immer zwischen Individuen einer und derselben Art sein, welche nahezu die gleiche Form und die gleichen Lebensbedürfnisse haben. Wie die Gesetze der Vererbung und Anpassung auf den Menschen ganz ebenso wie auf alle anderen Organismen ihre Anwendung finden, so sehen wir auch das Gesetz der natürlichen Züchtung im Kampfe um das Dasein, welches auf der Wechselwirkung von Vererbung und Anpassung beruht, in der menschlichen Gesellschaft ganz ebenso wirksam wie in der übrigen Natur. Der Kampf ums Dasein, der Wettkampf der Individuen um die unentbehrlichen Lebensbedürfnisse, und die daraus hervorgehende natürliche Auslese, die Zucht-
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wähl der den Kampf am besten bestehenden Individuen ist es, welche die Differenzirung, Umbildung und Vervollkommnung der menschlichen Gesellschaft ganz ebenso wie der übrigen organischen Natur bedingt. Nur sind beim veredelten, hochcivilisirten Menschen die Wechselbeziehungen der zusammenlebenden Individuen und also auch die Bedingungen des Wettkampfes unendlich viel complicirter und mannichfaltiger als bei den übrigen organischen Individuen. Zwar sind auch bei den meisten Menschen, wie bei allen übrigen Organismen, die einzigen oder doch die letzten Triebfedern aller Handlungen die Triebe der Selbsterhaltung (Ernährung, Hunger) und die Triebe der Arterhaltung (Fortpflanzung, Liebe). Allein abgesehen von den niederen Menschenrassen und den niedrigst stehenden Individuen der höheren Menschenrassen, welche auf der tiefsten Stufe der thierischen Rohheit stehen geblieben sind, haben sich diese beiden Grundtriebe des Hungers und der Liebe bei den höher stehenden Menschen allgemein in hohem Maasse veredelt, höchst vielseitig entwickelt und differenzirt, so dass bei den höchst entwickelten Menschen besondere Zweige derselben sich zu besonderen, neuen, den übrigen Thieren fehlenden Trieben entwickelt haben; solche höchste menschliche Triebe sind vor allen der Anschauungstrieb (Trieb des Naturgenusses und Kunstgenusses), der Ehrgeiz und der edelste von allen, der Erkenntnisstrieb. So sehr nun auch diese neuen, nur bei dem höheren Menschen ausgebildeten Triebe denselben über die niederen erheben, so finden dennoch die Gesetze der Vererbung und Anpassung, und die Wechselwirkung derselben im Kampfe um das Dasein auch hier überall ihre Anwendung, und auch hier ist es die natürliche Züchtung, welche bei dem Wettkampfe der Bewerber um die Befriedigung jener Triebe dem am meisten bevorzugten d. h. dem talentvollsten und muthigsten oder scharfsinnigsten Kämpfer den Sieg verschafft. Auch hier muss der Kampf zwischen den nächstverwandten Individuen natürlich am heftigsten sein, und so werden ζ. B. zwei Künstler welche Marmorbilder schaffen, in der stärksten Mitbewerbung befindlich sein, während zwei Künstler, von denen der eine ein Bildhauer, der andere ein Maler ist, in viel geringerem Grade in Concurrenz sich befinden, und endlich zwei Künstler von denen der eine ein Bildhauer, der andere ein Musiker ist, kaum noch einen künstlerischen Kampf ums Dasein zu bestehen haben. Die f r e i e C o n c u r r e n z d e r M e n s c h e n , welche als Freihandel, Freizügigkeit etc. alle unsere Culturthätigkeit hebt, alle unsere Culturerzeugnisse veredelt, ist in der That nichts Anderes, als die n a t ü r l i c h e Z ü c h t u n g im K a m p f e um d a s D a s e i n . Wenn wir den B e g r i f f d e s „ K a m p f e s u m s D a s e i n " s c h a r f b e s t i m m t anwenden wollen, so müssen wir denselben beschränken auf die g e g e n s e i t i g e W e c h s e l w i r k u n g d e r O r g a n i s m e n , auf
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die n o t h w e n d i g e M i t b e w e r b u n g der O r g a n i s m e n um d i e mehr oder w e n i g e r u n e n t b e h r l i c h e n L e b e n s b e d ü r f n i s s e . Wir heben dies deshalb besonders hervor, weil D a r w i n den Begriff allerdings v o r z u g s w e i s e in dieser eigentlichen Hauptbedeutung gebraucht, gelegentlich aber auch in einer weiteren metaphorischen Ausdehnung, welche seiner Reinheit schadet und leicht zu Missverständnissen führt. Er nennt nämlich auch die Abhängigkeit der Organismen von organischen und anorganischen Existenz-Bedingungen einen „Kampf ums Dasein"; er sagt z . B . , dass Pflanzen und Thiere in Zuständen des Mangels m i t den nothwendigen Existenz-Bedingungen ringen; und nennt dies ein Ringen „um die Existenz", während man nur dasjenige Ringen als solches bezeichnen sollte, welches z w i s c h e n mehreren Organismen u m jene nothwendigen Lebensbedürfnisse statt findet1). Allerdings kann man sagen, und sagt in der That häufig: 1) D» es uns sehr wichtig erscheint, unter „Kampf ums Dasein" lediglich den W e t t k a m p f d e r i n M i t b e w e r b u n g s t e h e n d e n O r g a n i s m e n und nicht ihre Abhängigkeit τοη anorganischen Existenzbedingungen zu verstehen, so wollen wir die betreffende anders lautende Stelle D a r w i n s hier ausdrücklich widerlegen; er führt (1. c. p. 68) verschiedene Beispiele vom Kampfe ums Dasein in einer Reihe an, unter denen nach unserer Ansicht echte und unechte gemischt sind. Wir wollen die unechten in CursivBchri/t in [Klammern] einschalten. D a r w i n s Worte lauten: „Ich will voraussenden, dass ich den Aufdruck: Ringen ums Dasein in einem weiten und metaphorischcu Sinne gebrauche, in sich begreifend die Abhängigkeit der Wesen von einander, und, was wichtiger ist, nicht allein das Leben des Individuums, sondern auch die Sicherung seiner Nachkommenschaft. Man kann mit Recht sagen, dass zwei Hunde in Zeiten des Mangels um Nahrung und Leben mit einander kämpfen. [ Aber man kann auch sagen, eine Pflanze ringe am Rande der Wiiste um ihr Dasein mit der Trockniss, obwohl es angemessener wäre, zu tagen sie sei ton Feuchtigkeit abhängig.] Von einer Pflanze, welche alljährlich tausend Samen erzeugt, unter welchen im Durchschnitt nur einer zur Entwicklung kommt, kann man noch richtiger sagen, sie ringe ums Dasein mit anderen Pflanzen derselben oder anderer Arten. welche bereits den Boden bekleiden. [ Die Mistel ist abhängig vom Apfelbaum und einigen anderen Baumarten; doch kann man nur in einem weit ausholenden Sinne sagen, sie ringe mit diesen Bäumen * denn wenn su viele dieser Schmarotzer auf demselben Stamme wachsen, so icird er verkümmern und sterben.] Wachsen aber mehrere Sämlinge derselben dicht auf einem Aste beisammen, so kann man in Wahrheit sagen, sie ringen mit einander. Da die Samen der Misteln von Vögeln ausgestreut werden, so hängt ihr Dasein mit von dem der Vögel ab und man kann metaphorisch sagen, sie ringen mit anderen beerentragenden Pflanzen, damit die Vögel eher ihre Früchte verzehren und ihre Samen ausstreuen, als die der anderen. In diesen mancherlei Bedeutungen, welche in einander übergehen, gebrauche ich der Bequemlichkeit halber den Ausdruck: Ums Dasein ringen " Von diesen Beispielen sind nach unserer Ansicht die curtiv gedruckten und eingeklammerten Fälle nicht unter die echte Kategorie des eigentlichen Kampfes um das Dasein zu rechnen, weil sie nur die A b h ä n g i g k e i t d e s O r g a n i s m u s von gewissen Existenzbedingungen ausdrücken, welche zwar an sich umbildend, anpassend, aber ohne die Mitwirkung der Vererbung nicht züchtend auf den abhängigen Organismus wirken kann. D e r w i r k l i c h e K a m p f u m s D a s e i n kann nur ein W e t t k a m p f zwischen verachie-
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der Organismus kämpft mit Noth, ringt mit Hunger, Durst etc. Allein dieser Kampf wirkt höchstens a n p a s s e n d , aber nicht z ü c h t e n d . Erst wenn Anpassung und Vererbung z u s a m m e n w i r k e n , also im Laufe von Generationen, wirkt jenes anpassende Moment züchtend, und wird dann wirklich zum Kampf ums Dasein. Um die ungeheure Wichtigkeit, welche der Kampf ums Dasein für die Umbildung der ganzen organischen Natur besitzt, wahrhaft zu erkennen und seine unermessliche Bedeutung richtig zu schätzen, muss man nicht, wie es die meisten Biologen gegenwärtig ausschliesslich zu thun gewohnt sind, die einzelnen Lebensformen herausgreifen, und für sich betrachten; sondern man muss sie in ihrer Gesammtheit, in ihrer allgemeinen und stetigen Wechselwirkung vergleichend erfassen. Man muss in der Natur selbst diese unendlich verwickelten Wechselbeziehungen und das stete Ringen aller Individuen um die Existenz sorgfältig beobachtet haben, und man muss lange und eingehend darüber nachgedacht haben, wenn man den „Kampf um das Dasein" wirklich als das „natürlich züchtende", auslesende, Zuchtwahl übende Princip erkennen will. Und da diese nothwendigen Vorbedingungen meist nicht erfüllt sind, da die meisten Zoologen und Botaniker lediglich in der sorgfältigen analytischen Beobachtung des Einzelnen, und nicht in der ebenso wichtigen und nothwendigen synthetischen Betrachtung des Ganzen ihre Aufgabe finden, so können wir uns nicht wundern, dass der „Kampf ums Dasein" von den Meisten entweder gar nicht begriffen oder doch nur unvollkommen verstanden und nicht zur Erklärung der biologischen Erscheinungen als Causal "Moment benutzt wird. In dieser Beziehung sind D a r w i n s Worte äusserst beherzigenswerth: „Nichts ist leichter, als in Worten die Wahrheit des allgemeinen Wettkampfs ums Dasein zuzugestehen, und Nichts schwerer, als — wie ich wenigstens gefunden habe — dieselbe im Sinne zu behalten. Und bevor wir solche dem Geiste nicht tief denen Organismen sein, welche nm die Erlangung derselben Existenz-Bedürfnisse ringen, und kann daher wirklich z ü c h t e n d auch nur im Verlaufe von Generationen wirken, d . h . durch C o m b i n a t i o n v o n A b ä n d e r u n g u n d V e r e r b u n g . Wir können also in dem angeführten Beispiele nur die Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Mispelpflanzen, ferner diejenigen zwischen den Misteln und anderen beerentragenden Pflanzen als wirklichen Kampf ums Dasein bezeichnen, nicht aber diejenigen zwischen den Mispeln und den Bäumen, auf denen sie leben. Diese letztere Wechselbeziehung ist ein blosses Anpassungs- Verhältnis» und wird erst zum Kampfe ums Dasein, wenn sie in Verbindung mit der Vererbung züchtend wirkt. Ein echter „Kampf ums Dasein, d. h. ein wirklich züchtendes Bingen um die Existenz kann nur stattfinden zwischen mehreren Organismen, denen dasselbe Object Lebensbedürfniss ist, nicht aber zwischen dem Organismps und diesem Lebensbedürfniss selbst. Das Bingen zwischen letzteren kann nur eine einfache Anpassung des Individuums bewirken; erst das Bingen zwischen verschiedenen Individuen, welche diese Anpassung in ungleichem Orade erben, wird zum Kampf ums Dasein, der wirklich züchtend dieselben umgestaltet.
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eingeprägt, bin ich überzeugt, dass wir den ganzen Haushalt der Natur, die Vertheilungsweise, die Seltenheit und den Ueberfluss, das Erlöschen und Abändern in derselben nur dunkel oder ganz unrichtig begreifen werden." Wenn diese wahren Worte erst Geltung gefunden haben werden, wenn die Botaniker und Zoologen allgemein angefangen haben werden, den Kampf ums Dasein in der Natur eingehend zu beobachten und in seiner züchtenden, auslesenden Wirksamkeit Schritt für Schritt zu verfolgen, wenn die ungeheure Wichtigkeit, welche die züchtenden Wechselbeziehungen der Organismen als „wirkende Ursachen" der Umbildung der organischen Formen besitzen, allgemein anerkannt sein wird: dann wird die entwickeltere Generation der zukünftigen Naturforscher mit Bedauern und Verachtung auf die beschränkten und halbblinden Kleinigkeitskrämer zurückblicken, welche gegenwärtig allein die dürrsten und unfruchtbarsten Aussenseiten des weiten morphologischen Gebietes ausbeuten, ohne zu ahnen, welche unendlich lohnenderen und fruchtbareren ausgedehnten Arbeitsfelder im Inneren des uncultivirten Wissenschafts - Gebietes der Bearbeitung harren. Da jeder tiefere Blick in die organische Natur uns die äusserst verwickelten Wechselbeziehungen der Organismen offenbart, welche den Kampf ums Dasein und die natürliche Züchtung bedingen, so könnte es überflüssig erscheinen, besondere einzelne Falle ihrer Wirksamkeit hier anzuführen. Doch wollen wir als besondere schlagende Beispiele wenigstens zwei besondere Wirkungsweisen der natürlichen Auslese hervorheben, welche D a r w i n als sexuelle Zuchtwahl und als sympathische Färbung der Thiere anführt. Die s y m p a t h i s c h e F ä r b u n g der Thiere, welche vielleicht besser die s y m p a t h i s c h e F a r b e n w a h l oder die g l e i c h f a r b i g e Z u c h t w a h l (Selectίο concolor) genannt würde, äussert sich in der weit verbreiteten und sehr auffallenden Erscheinung, dass die äussere Färbu" ~ sehr zahlreicher Thiere in merkwürdiger Weise übereinstimmt mit der vorherrschenden Farbe ihrer gewöhnlichen Umgebung. So sind die Blattläuse und zahlreiche andere, auf grünen Blättern lebende Insecten grün gefärbt; die meisten Bewohner der gelben oder graubraunen Sand wüsten (ζ. B. die Antilopen, Springmäuse, Löwen etc.) gelb oder graubraun; die Colibris und Tagfalter, welche nur um die bunten glänzenden Blüthen schweben, bunt und glänzend, wie diese; die meisten Bewohner der Polargegenden sind weiss, wie der Schnee und das Eis, von dem sie umgeben sind (Eisbär, Eisfuchs, Schneehuhn etc.). Vom den letzteren sind sogar Viele (ζ. B. Polarfuchs und Schneehuhn) bloss im Winter, so lange der reine weisse Schnee die Landschaft bedeckt, weiss, dagegen im Sommer, wo derselbe theilweis abgeschmolzen ist, graubraun, gleich der entblössten Erde. Nun erklärt sich diese scheinbar so auffallende Erscheinung ganz einfach durch die WirkH a e c k e l , Generelle Morphologie, Π.
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samkeit der natürlichen Züchtung. Nehmen wir an, dass jede ThierArt ein veränderliches Farbenkleid besessen habe (wie es ja in der That der Fall ist) und dass verschiedene Individuen derselben Art in alle möglichen Farben-Nuancen hinein variirt haben, so haben offenbar diejenigen einen grossen Vortheil im Kampfe ums Dasein gehabt, deren Färbung sich möglichst enge an diejenige ihrer Umgebung anschloss. Denn sie wurden von ihren Feinden, die ihnen nachstellten, weniger leicht bemerkt und aufgespürt, und konnten umgekehrt , wenn sie selbst Raubthiere waren, sich ihrer Beute leichter und unbemerkter nähern, als die übrigen Individuen der gleichen Art, welche eine abweichende Färbung besassen. Die letzteren, weniger begünstigten, mussten allmählich aussterben, und den ersteren, mehr begünstigten das Feld räumen. Aus diesem Causal-Verhältnisse der sympathischen Farbenwahl ist, wie wir glauben, auch eine der merkwürdigsten, bisher aber noch wenig gewürdigten, zoologischen Erscheinungen zu erklären, nämlich die W a s s e r ä h n l i c h k e i t d e r p e l a g i s c h e n Fauna. Von allen den wundervollen und neuen Erscheinungen, welche den im Binnenlande erzogenen Zoologen bei seinem ersten Besuche der Meeresküste und beim ersten Anblick der unendlich mannichfaltigen Meeresfauna überraschen, erscheint vielleicht keine einzige so wunderbar, so auffallend, so unerklärlich, als die Thatsache, dass zahlreiche Seethiere aus den verschiedensten Classen und Ordnungen, ganz abweichend von den allermeisten Thieren der süssen Gewässer und des Binnenlandes, sich auszeichnen durch vollständigen Mangel der Farbe oder durch eine nur schwach bläuliche, violette oder grünliche Färbung, gleich der des Meerwassers, und dass diese farblosen Thiere dabei so vollkommen wasserhell und durchsichtig, wie Glas sind, oder wie das Meerwasser, in welchem sie leben; bei den Meisten erlaubt die vollständige glasartige Durchsichtigkeit des krystallhellen Körpers ohne Weiteres den vollständigsten Einblick in alle gröberen und feineren Verhältnisse der inneren Organisation. Zu dieser p e l a g i s c h e n F a u n a d e r G l a s t h i e r e , wie man collectiv alle diese ausschliesslich im Seewasser schwimmend sich bewegenden (nicht auf dem Grunde oder an der Küste lebenden) wasserklaren Seethiere nennen kann, gehören: von den F i s c h e n die Gruppe der Helmichthyiden (Lcptocephalvs, Helmickt/iyx. Tiliirus etc.); von den M o l l u s k e n sehr zahlreiche Repräsentanten verschiedener Classen (von den C e p h a l o p o d e n Lofignpsis, von den C e p h a l o p h o r e n PhyHirrhoe und die allermeisten P t e r o p o d e n und H e t e r o p o d e n ; von den T u n i c a t e n Pyrosoma, Doliohtm und sämmtliche Salpen); von den C r u s t a c e e n sehr zahlreiche Repräsentanten fast aller Ordnungen, vorzugsweise aber Copepoden und Amphipoden; von den Würmern die Alriope und Sagitta und zahlreiche
VII.
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Züchtung oder Selection.
Larven; von den E c h i n o d e r m e n die schwimmenden Larven; von den C o e l e n t e r a t e n endlich fast alle pelagischen Formen, also die ganze Classe der C t e n o p h o r e n und alle pelagischen Hydromedusen (Acraspeden, Craspedoten, Siphonophoren). Gewiss muss es äusserst merkwürdig und seltsam erscheinen, dass so zahlreiche und in ihrer ganzen Organisation so äusserst verschiedenartige Thiere der verschiedensten Classen, als es die genannten und viele andere pelagische Thiere sind, sämmtlich in dem so höchst auffallenden Charakter der glasartigen Durchsichtigkeit des wasserhellen Körpers übereinstimmen und sich dadurch so ausserordentlich in ihrem ganzen Habitus von ihren nächsten Verwandten entfernen, welche den Boden oder die Küsten des Meeres, oder das Süsswasser oder das Festland bewohnen. Grade in diesem offenbaren tatsächlichen Zusammenhange zwischen der wasserklaren Durchsichtigkeit der Glasthiere und ihrer pelagischen Lebensweise, ihrem beständigen Aufenthalte in dem durchsichtigen Wasser, müssen wir uothwendig auch ihre causale Erklärung suchen. Der letztere ist die bewirkende Ursache der ersteren. Offenbar ist allen diesen Glasthieren in dem unaufhörlichen Kampfe, den sie mit einander führen, die glashelle Körperbeschafifenheit vom äussersten Nutzen. Die Verfolger können sich ihrer Beute unbemerkter nähern, die Verfolgten können sich den ersteren leichter entziehen, als wenn Beide gefärbt und undurchsichtig, und also im hellen Wasser leicht sichtbar wären. Nehmen wir nun an, dass von diesen Glasthieren ursprünglich zahlreiche verschiedene Varietäten, verschieden hauptsächlich in dem Grade der Durchsichtigkeit und dem Mangel der Farbe, neben einander existirt hätten, so würden sicherlich die am meisten durchsichtigen und farblosen Individuen im Kampfe um das Dasein das Uebergewicht über die anderen errungen haben, und indem sie Generationen hindurch diese individuelle vorteilhafte Eigenthümlichkeit befestigten und verstärkten, schliesslich nothwendig zur Ausbildung der vollkommen glasartigen Körperbeschafifenheit gelangt sein. Dass letztere in der That auf diesem Wege, durch natürliche Züchtung entstanden ist, kann um so weniger zweifelhaft sein, als die nächsten Verwandten der pelagischen Glasthiere, welche nicht pelagisch an der Oberfläche des Meeres (oder in tieferen Wasserschichten) leben, sondern den Grund des Meeres oder die Küste bewohnen, die glasartige Körperbeschafifenheit nicht besitzen, sondern vielmehr undurchsichtig und entsprechend den bunten Felsen und Fucoideen gefärbt sind, zwischen und auf welchen sie leben. Zur besonderen Bestätigung dieser Auffassung kann auch noch der Umstand dienen, dass viele Seethiere nur in der Jugend, so lange sie als Larven pelagisch leben, glashell und farblos sind, dagegen später, wenn sie den Meeresgrund oder die Küste be16 *
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Die Oeseendenz-Theorie und die Selections - Theorie.
wohnen, undurchsichtig und bunt gefärbt werden, so ζ. B. die allermeisten Echinodermen, sehr viele Würmer etc. Die sexuelle Z u c h t w a h l oder g e s c h l e c h t l i c h e Auslese (Selectio sexual is) wird von Darwin als eine besondere Form der Auslese oder Selection aufgeführt, „welche nicht von einem Kampfe ums Dasein, sondern von einem Kampfe zwischen den Männchen um den Besitz der Weibchen abhängt". Indessen werden wir diese sexuelle Selection doch nur als eine Modification oder eine speciellere Weise des „Kampfes um das Dasein" aufzufassen haben, sobald wir uns erinnern, dass der letztere überhaupt den „Wettkampf um die Lebensbedürfnisse" bezeichnet. Nun ist aber die Fortpflanzung (die sich bei den höheren Thieren im Triebe der sexuellen „Liebe" äussert) ebenso ein Lebensbedürfniss, eine Existenz - Bedingung, wie die Ernährung (die sich bei den höheren Thieren im Triebe des „Hungers" äussert). Und daher werden wir auch den Wettkampf der Männchen um die Weibchen, welcher bei den meisten höheren Thieren in ähnlicher Weise, wie beim Menschen stattfindet, als einen Theil des Wettkampfes ums Dasein betrachten können. Dieser sexuelle Wettkampf ist äusserst wichtig und interessant; denn auf ihm beruht grossentheils die Entstehung der merkwürdigen secundären Sexualcharaktere, durch welche sich die beiden Geschlechter der höheren Thiere so oft unterscheiden. Die Auswahl oder Selection, welche bei der künstlichen Züchtung der durch den menschlichen Vortheil geleitete Wille des Menschen, bei der natürlichen Züchtung stets der Vortheil des gezüchteten Organismus selbst ausübt, wird bei der sexuellen Züchtung, welche nur ein Theil der letzteren ist, durch den V o r t h e i l d e s e i n e n G e s c h l e c h t s geübt. Darwin berücksichtigt hierbei nur das männliche Geschlecht, indem er die sexuelle Auslese allgemein als einen „ W e t t k ä m p f d e r M ä n n c h e n um den B e s i t z der Weibchen darstellt, dessen Folgen für den Besiegten nicht in Tod und erfolgloser Mitbewerbung, sondern in einer spärlicheren oder ganz ausfallenden Nachkommenschaft bestehen. Im Allgemeinen werden die kräftigsten, die ihre Stelle in der Natur am besten ausfüllenden Männchen die meiste Nachkommenschaft hinterlassen". Indessen glauben wir, dass die sexuelle Auslese auf b e i d e G e s c h l e c h t e r wirkt und dass es auch einen „ W e t t kampf der W e i b c h e n um den B e s i t z der Männchen" giebt, welcher entschieden ebenso umbildend und züchtend auf die Weibchen wirkt, als der von Darwin dargestellte auf die Männchen; dies lehrt schon das Beispiel des Menschen. Wir können daher allgemein die s e x u e l l e Selection als einen b e i d e G e s c h l e c h t e r u m b i l d e n d e n Z ü c h t u n g s p r o c e s s bezeichnen; der Wettkampf der Männchen um den Besitz der Weibchen, bei welchem das auslesende, züchtende Princip unmittelbar die Vorzüge der Männchen, mittelbar aber die
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dadurch bewirkte active Auswahl der Weibchen ist, und bei welchem also eigentlich die Weibchen wählend, auslesend wirken, kann die w e i b l i c h e Z u c h t w a h l (Selectio feminin») heissen; umgekehrt kann der Wettkampf der Weibchen um den Besitz der Männchen, bei welchem das auslesende züchtende Princip unmittelbar die Vorzüge der Weibchen, mittelbar die dadurch bewirkte active Auswahl der Männchen ist, und bei welchem also eigentlich die Männchen wählend, auslesend wirken, die m ä n n l i c h e Z u c h t w a h l (Selectio mascnlina) genannt werden; hier wählen die Männchen, dort die Weibchen. Die sexuelle Züchtung ist desshalb eine besonders interessante und wichtige Form der natürlichen Züchtung, weil sie auch im menschlichen Leben, wie bei den übrigen höheren Thieren, eine sehr bedeutend umgestaltende Wirkung auf beide Geschlechter ausübt. Die somatischen und psychischen Vorzüge des Weibes sind Producte der männlichen Zuchtwahl; die somatischen und psychischen Vorzüge des Mannes sind Producte der weiblichen Zuchtwahl. Diese auswählende, züchtende, umgestaltende Wechselwirkung beider Geschlechter ist äusserst wichtig, und wir glauben, dass ein sehr grosser Theil der vielen Vorzüge, welche den Menschen vor den übrigen Primaten auszeichnen, eine unmittelbare Wirkung der beim Menschen so sehr viel höher entwickelten sexuellen Zuchtwahl ist. Wie beim Kampfe um das Dasein überhaupt, so sind auch beim Kampfe um die Fortpflanzung die Kämpfe unter den höheren Thieren theils mittelbare Wettkämpfe, theils unmittelbare Vernichtungskämpfe der wetteifernden Nebenbuhler. Unmittelbare Vernichtungskämpfe der um den Besitz der Weibchen streitenden Männchen finden sich häufig bei den Säugethieren; die Mähne des Löwen, die Wamme des Stiers sind offenbar Schutzwaffen — das Geweihe des Hirsches, der Hauer des Ebers, der Sporn des männlichen Schnabelthiers, der Sporn des Hahns, der geweihähnliche Oberkiefer des männlichen Hirschkäfers etc. sind offenbar Angriffswaffen, welche durch Anpassung im unmittelbaren Vernichtungskampfe der um die Weibchen kämpfenden Männchen, durch natürliche Züchtung sich entwickelten. Ebenso wird allgemein die grössere Muskelkraft der männlichen Säugethiere von diesem Kampfe abzuleiten sein. Vom Menschen wurden diese Kämpfe besonders im Alterthum und Mittelalter ausgeübt, wo zahlreiche Duelle und Turniere von den Rittern ausgeführt wurden, und wo allgemein der Stärkere die Braut heimführte, und durch Vererbung seiner individuellen Körperstärke die Muskelkraft des männlichen Geschlechts häufen und befestigen half. Mittelbare Wettkämpfe um die Fortpflanzung finden namentlich häufig in sehr ausgezeichneter Weise bei den Vögeln und beim Menschen statt. Die Vorzüge, welche dem begünstigten Mitbewerber den
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Die Descendenz-Theorie und die Seleotions - Theorie.
Sieg verleihen, sind hier nicht, wie beim unmittelbaren Vernichtungskampfe, körperliche Stärke und besondere Waffen, sondern vielmehr andere individuelle Eigenschaften, welche die Neigung des anderen Geschlechts erwecken. Besonders kommen hier die Vorzüge körperlicher Schönheit und der Stimme (des Gesangs) und beim Menschen die feineren psychischen Vorzüge in Betracht. Die körperliche Schönheit ist insbesondere bei den Vögeln und Schmetterlingen sehr wirksam, und zwar meistens als weibliche Zuchtwahl, indem gewöhnlich das männliche Geschlecht es ist, welches durch Ausbildung besonderer Zierden, ζ. B. Federbüsche, Hautlappen, bunte Flecken etc. die besondere Aufmerksamkeit und Neigung der auswählenden Weibchen zu erregen sucht. Auf diese Weise ist wohl grösstentheils die ausgezeichnet schöne und mannichfaltige Färbung vieler männlichen Vögel und Schmetterlinge entstanden, deren Weibchen einfarbig oder unansehnlich sind. Ebenso sind zweifelsohne die mannichfaltigen Hautauswüchse und Körperanhänge entstanden, die besonders bei den Hühnervögeln so entwickelt vorkommen, der radbildende Schweif des Pfauen, des Truthahns, der Pfauentaube, die Fleischkämme und bunten Hautlappen oder Federbüsche und Haarbüsche auf dem Kopfe und an der Brust des Haushahns, des Truthahns und vieler anderer Hühnervögel. Beim Menschen kann der männliche Bart als eine auf diesem Wege erworbene Zierde gelten. Gewöhnlich ist es aber beim Menschen nicht die weibliche, sondern die männliche (active) Zuchtwahl, welche durch die Entwickelung körperlicher Schönheit geleitet wird, indem hier vorzugsweise das weibliche Geschlecht die körperlichen Zierden entwickelt, durch welche es die Bewerber des andern Geschlechts anzulocken sucht. Es ist bekannt, welcher Aufwand in unseren „hoch civilisirten" Gesellschaften von den Weibern entwickelt wird, um durch künstliche Zierrathe (Geschmeide, bunte Kleider, Kopfputz u. s. w.) die vorhandenen körperlichen Vorzüge zu erhöhen oder die mangelnden zu ersetzen, unci so durch möglichst starke Anziehung der wählenden Männer die übrigen Weiber iir der Mitbewerbung zu überwinden. Ausser der durch anziehende Formen und reizende Farben wirkenden körperlichen Schönheit ist es insbesondere die Entwickelung der modulirten Stimme zum Gesänge, welche von einem der beiden Geschlechter benutzt wird, um das andere anzulocken, und die vollkommneren Sänger sind es, welche in diesem Falle den Sieg über ihre Mitbewerber gewinnen und vor ihnen zur Fortpflanzung gelangen. Am stärksten ist diese Art der sexuellen Auslese bei den Singvögeln und beim Menschen entwickelt, vielleicht auch bei manchen Insecten, ζ. B. den Heuschrecken und Cicaden. Bei den Singvögeln ist es bekanntlich gewöhnlich das Männchen, welches durch eine ausserordentliche und höchst bewunderungswürdige Modulation der Stimme sich liebenswürdig zu machen
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und vor seinen Nebenbuhlern bei der Bewerbung um die Weibchen sich auszuzeichnen sucht. In dieser Beziehung kommen manche Singvögel nicht allein den besten menschlichen Sängern gleich, sondern sie übertreffen sie noch bedeutend, an Wohlklang, Umfang, Zartheit, Modulationsfähigkeit der Stimme und an Mannichfaltigkeit der Singweisen. Offenbar ist die hohe Differenzirung des Kehlkopfs, welche dieser herrlichen Function zu Grunde liegt, erst durch den musikalischen Wettkampf der Männchen um die WTeibchen entstanden, ebenso bei den Singvögeln, wie beim Menschen. Doch ist es gewöhnlich beim Menschen umgekehrt das weibliche Geschlecht, welches sich durch die vielseitigere und feinere Ausbildung des Stimmorgans auszeichnet, und durch einen schön modulirten Gesang die auswählenden Männer anzuziehen sucht. Diesem Umstände ist gewiss vorzugsweise die allgemeine Uebung und hohe Ausbildung des weiblichen Gesangs in unseren hochcivilisirten Gesellschaften zu verdanken. Die starke und vielseitige Differenzirung der beiden menschlichen Geschlechter, die sich aüf fast alle Theile des Körpers und seiner Functionen erstreckt, und welche gewiss eine Hauptbedingung für die fortschreitende Entwickelung der menschlichen Cultur ist, beruht also sicher zum grössten Theile auf sexueller Zuchtwahl, welche von beiden Geschlechtem gegenseitig ausgeübt wird. Wie nun aber der veredelte Mensch sich durch Nichts so sehr vor den übrigen Thieren auszeichnet, als durch die ausserordentlich weit gehende Differenzirung des Gehirns und der von diesem ausgehenden psychischen Functionen, so wird auch die sexuelle Zuchtwahl bei den höher stehenden, veredelten Menschenrassen vorzugsweise durch psychische Functionen vermittelt, und es ist dies um so mehr zu berücksichtigen, als sie offenbar in hohem Grade veredelnd auf das Gehirn selbst zurückwirkt Dadurch kommt es, dass bei den höchst entwickelten Menschen vorzugsweise die psychischen Vorzüge (und zwar die Vorzüge der höchsten psychischen Functionen, der Gedanken) des einen Geschlechts bestimmend auf die sexuelle Wahl des anderen einwirken, und indem so bestimmte psychische Vorzüge gleich den somatischen vererbt, durch Generationen hindurch befestigt werden, erlangen die beiderseitigen Vorzüge der beiden sich ergänzenden Geschlechter jenen hohen Grad der Veredelung, welcher in der harmonischen Wechselwirkung der beiden veredelten Geschlechter in der Ehe das höchste Glück des menschlichen Lebens bedingt. Gleich der sexuellen Zuchtwahl wirken auch die verschiedenen anderen Formen der natürlichen Auslese eben so auf den Menschen, wie auf alle übrigen Organismen, umbildend, vervollkommnend, veredelnd ein, und bringen als unscheinbare Ureachen die grössten Wirkungen hervor.
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Die Descendenz-Theorie und die Selections-Theorie.
VII, C. V e r g l e i c h u n g d e r n a t ü r l i c h e n u n d d e r k ü n s t lichen Züchtung. Dass die künstliche und natürliche Züchtung durchaus ähnliche physiologische Vorgänge sind, und dass beide Selectionen lediglich auf der Wechselwirkung zweier allgemeiner physiologischer Functionen, Vererbung und Anpassung, beruhen, haben wir oben bereits gezeigt. Auch die wesentlichen Unterschiede, welche beide Formen der Auslese von einander trennen, sind dort bereits berührt. Doch scheint es nicht überflüssig, die wichtigsten übereinstimmenden und trennenden Momente beider Auslese-Formen nochmals vergleichend hervorzuheben, da die unmittelbar daraus folgende Selectionstheorie die causale Grundlage der ganzen Descendenztheorie bildet, und da die meisten Naturforscher, wie aus ihren unverständigen Einwürfen hervorgeht, D a r w i n entweder gar nicht verstanden oder doch grossentheils missverstanden haben. I. Natürliche und künstliche Züchtung sind gleichartige physiologische Umbildungs-Vorgänge der Organismen, welche auf causal-mechanischem Wege, durch die Wechselwirkung der Vererbungs- und der Anpassungs-Gesetze, neue Formen und Functionen der Organismen hervorrufen. II. Die Regulirung und Modification der Wechselwirkung zwischen den beiden wirkenden Grundursachen, der Vererbung und der Anpassung, wird bei der natürlichen Züchtung durch den planlos wirkenden „Kampf ums Dasein", bei der künstlichen Züchtung durch den planmässig wirkenden „Willen des Menschen" ausgeübt. III. Die Umbildungen der Formen und Functionen der Organismen , welche die Züchtung hervorruft, fallen bei der natürlichen Züchtung zum Nutzen des gezüchteten Organismus, bei der künstlichen Züchtung zum Nutzen des züchtenden Menschen aus. IV. Die natürliche Züchtung wirkt sehr langsam und unmerklich umbildend, da das auslesende Princip, der Kampf ums Dasein, sich nur sehr langsam und unmerklich ändert, und selten plötzlich ganz neue Existenzbedingungen einwirken lässt. Die künstliche Züchtung dagegen wirkt verhältnissmässig sehr rasch und auffallend umbildend, da das auslesende Princip, der Wille des Menschen, sich oft sehr rasch und auffallend ändert, und oft plötzlich ganz neue Existenzbedingungen einwirken lässt. V. Die Veränderungen der Organismen, welche die natürliche Züchtung hervorbringt, wachsen sehr langsam, weil die abgeänderten Individuen sich leicht mit nicht abgeänderten kreuzen können und daher leicht wieder in die Form der letzteren zurückschlagen. Dagegen wachsen die Veränderungen, welche die künstliche Züchtung hervorbringt, sehr rasch, weil die Kreuzung der abgeänderten und der nicht abgeänderten Individuen, und dadurch der Rückschlag der ersteren in die Form der letzteren sorgfältig vermieden wird.
ΤΙΠ. Die Selections - Theorie und das Divergenzgesetz.
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VI. Die durch die natürliche Züchtung bewirkten Veränderungen der Organismen gehen meist sehr tief und bleiben dauernd, weil sie durch sehr langsame Häufung der Anpassungen allmählich entstehen; die durch die künstliche Züchtung bewirkten Veränderungen dagegen sind meist nur oberflächlich und verschwinden leicht wieder, weil sie durch sehr rasche Häufung der Anpassungen in kurzer Zeit entstehen.
VLLL. Die Selections - Theorie und das Divergenz - Oesetz. D i e D i f f e r e n z i r u n g (Dirergenlin) oder A r b e i t s t h e i l u n g (Polymorphismits) als nothwendige Wirkung der Selection. Die Welt steht niemals still, sondern sie ist fortwährend in Bewegung. Dieses grosse Gesetz der rastlosen Bewegung, welches in letzter Instanz auf den beständig wechselnden Anziehungs- und Abstossungs - Verhältnissen der materiellen Theilchen, auf der Wechselwirkung zwischen den anziehend wirkenden Masse-Atomen und den abstossend wirkenden Aether-Atomen beruht, ist überall und zu jeder Zeit wirksam, in der anorganischen, wie in der organischen Welt. In der letzteren finden wir die Atome, welche die Organismen zusammensetzen, beständig in Bewegung, indem sie die beiden grossen organischen Fundamental- Functionen der Ernährung und Fortpflanzung vermitteln. Mit der Ernährung finden wir die Anpassung, mit der Fortpflanzung die Vererbung verknüpft Indem die conservative Vererbung und die progressive Anpassung einander entgegenwirken, entsteht jener merkwürdige Kampf zwischen Beharrung und Veränderung, zwischen Constanz und Variabilität, der in allen Organismen beständig waltet. Durch das Uebergewicht der Constanz, der Erblichkeit, entsteht die scheinbare Gleichförmigkeit der Organismen - „Arten", welche oft viele Jahrhunderte, ja oft Jahrtausende hindurch kaum oder nur wenig sich ändern; durch das Uebergewicht der Variabilität, der Anpassungsfähigkeit, entsteht die Umbildung, die Transformation der Organismen - „Arten1', welche alle, auch die constantesten Arten nach längerer oder kürzerer Zeit in neue Species überführt. Die Wechselwirkung zwischen diesen beiden Functionen jedes Organismus führt dadurch zur Entstehung neuer bleibender Formen, dass sie sich zu gemeinsamer Thätigkeit mit der Wechselwirkung verbindet, welche wir zwischen allen um die Existenzbedingungen mit einander ringenden Organismen als „Kampf ums Dasein" kennen gelernt haben. Dadurch entsteht die natürliche Züchtung, welche zwar viel langsamer und allmählicher, als die künstliche Züchtung wirkt, aber um so tiefer eingreifende und fester bleibende Veränderungen in den Organismen hervorruft, und welche nach Verlauf von längeren Zeiträumen zu den grössten Umgestaltungen der Lebewelt führt.
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Die Deecendenz - Theorie und die Selections - Theorie.
Die ganze unendliche Mannichfaltigkeit der organischen Natur und das harmonische Ineinandergreifen ihres höchst complicirten Räderwerks, welches uns so leicht zu der falschen teleologischen Vorstellung eines „zweckmässig wirkenden Schöpfungsplanes" verführt, ist lediglich das nothwendige Resultat jener unaufhörlichen, mechanischen Thätigkeit des „Kampfes ums Dasein", welcher durch natürliche Züchtung umbildend wirkt. Um die ganze, ungeheuere Wichtigkeit dieses interessantesten Vorgangs richtig zu würdigen, müssen wir nun noch einige unmittelbare (Konsequenzen desselben besonders hervorheben, deren richtiges Verständniss für die mechanische Auffassung der organischen Natur von der grössten Bedeutung ist. Zu diesen unmittelbaren und nothwendigen Wirkungen rechnen wir in erster Linie die bekannten Erscheinungen der organischen Differenzirung und sodann diejenigen der organischen Vervollkommnung. D i e o r g a n i s c h e D i f f e r e n z i r u n g (Divergentia) oder Arb e i t s t e i l u n g (Polymorphismus) haben wir oben (S. 74) als eine der vier fundamentalen physiologischen Entwickelungs - Functionen aufgefasst, auf denen die gesammte Morphogenie beruht; und wir haben im achtzehnten Capitel gezeigt, dass der Differenzirungs-Process bei der Ontogenese aller morphologischen Individuen die hervorragendste Rolle spielt 1 ). Die drei anderen Entwickelungs-Functionen, die Zeugung, das Wachsthum und die Degeneration konnten wir unmittelbar auf die rein physiologischen (physikalisch-chemischen) Processe der Ernährung, als auf ihre mechanische Ursache zurückführen. Dasselbe gilt auch von dem Vorgange der Verwachsung oder Concrescenz, falls wir diesen als eine besondere fünfte Entwickelungsfunction auffassen wollten (S. 147 Anm.). Dagegen konnten wir die Entwickelungs-Function der Differenzirung oder Divergenz nicht unmittelbar als eine ' ) Das überaus wichtige und grossartige Gesetz der Arbeitsteilung oder des Polymorphismus ist als allgemeines organisches Gesetz zuerst am deutlichsten von G o e t h e ( 1 8 0 7 , vergl. Bd. I , S. 240) ausgesprochen und später besonders von B r o n n und von M i l n e - E d w a r d s ausgeführt und auf die gesammte Entwickelung der OrganisationsVerhältnisse angewendet worden. Neuerdings ist dasselbe von allen denkenden Zoologen und Botanikern so allgemein und widerspruchslos als das wichtigste Organisations-Gesetz anerkannt und auf allen einzelnen Gebieten der Biologie mit so glücklichem Erfolge durchgeführt worden , dass wir hier von einer weiteren Erörterung seiner einzelnen Thatsachen absehen und auf die besonderen Schriften verweisen können, welche dasselbe am ausführlichsten begründen. Die eingehendste Darstellung findet sich bei M i l n e - E d w a r d s (in seiner „Introduction & la Zoologie generale", Paris 1851) und bei B r o n n (in seinen vorzüglichen „Morphologischen Studien über die Gestaltungsgesetze der Naturkörper", 1858). B r o n n s Erörterungen sind sowohl intensiv als extensiv bedeutender. In seinem „Gesetze progressiver Entwickelung" ist die „Diö'erenzirung der Functionen und Organe·' als das wichtigste aller morphologischen Grundgesetze sehr ausführlich und gründlich sowohl bei den Pflanzen, als insbesondere bei den Thieren , und bei letzteren an allen einzelnen Organen in allen Classen nachgewiesen worden (Morpholog. Stud. p. 161—409).
ΥΙΠ. Die Selections - Theorie und das Divergenzgesetz.
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einfache Theilerscheinung der Ernährung und des Wachsthums auffassen. Die mechanische Erklärung dieser Function ist vielmehr nur möglich durch die Descendenz-Theorie, welche es klar zeigt, dass die Divergenz des Charakters keine besondere räthselhafte organische Erscheinung, sondern vielmehr eine nothwendige Folge der natürlichen Züchtung ist. Die Divergenz des C h a r a k t e r s o d e r die D i f f e r e n z i r u n g der Individuen folgt nothwendig unmittelbar aus der W e c h s e l w i r k u n g zwischen der V e r e r b u n g und der Anpass u n g , und zwar speciell aus dem vorher erörterten Umstände, dass d e r K a m p f u m s D a s e i n z w i s c h e n O r g a n i s m e n , d i e an e i n e m u n d d e m s e l b e n O r t e m i t e i n a n d e r um d i e L e b e n s b e d ü r f n i s s e r i n g e n , um so h e f t i g e r i s t , j e g l e i c h a r t i g e r sie s e l b s t , j e g l e i c h a r t i g e r also auch ihre B e d ü r f n i s s e sind. Umgekehrt können an einer und derselben Stelle des Naturhaushalts um so mehr Individuen neben einander existiren, je mehr ihr Charakter und ihre Bedürfnisse verschieden sind, je mehr sie „divergiren". So können ζ. B. auf einem Baume viel zahlreichere Käfer neben einander existiren, wenn die einen bloss von den Früchten, die anderen von den Blüthen, noch andere bloss von den Blättern leben, als wenn sie alle bloss von den Blättern leben können, und noch viel grösser wird jene Zahl, wenn daneben auch noch andere Käfer vom Holze oder von der Rinde oder von der Wurzel leben können. So können in einer und derselben kleinen Stadt sehr gut fünfzig Handwerker neben einander existiren, die zehn oder zwanzig verschiedene Professionen treiben, während sie unmöglich neben einander existiren könnten, wenn sie alle auf ein und dasselbe Handwerk angewiesen wären. Ferner können alle Concurrenten, die eine und dieselbe Profession treiben, um so besser neben einander bestehen, je mehr sich dieselben auf einzelne verschiedene Zweige ihres gemeinsamen Handwerks beschränken, und je mehr jeder ein einzelnes Specialfach nach einer bestimmten Richtung hin ausbildet. Mit einem Worte, die Concurrenz zwischen allen Organismen, welche an einem und demselben Orte neben einander sich die unentbehrlichen Lebensbedürfnisse zu erringen suchen, wird um so weniger heftig, um so weniger für jeden Einzelnen gefahrdrohend sein, je verschiedenartiger ihre Bedürfnisse und demgemäss ihre Eigenschaften, ihre Thätigkeiten und ihre Charaktere sind. Es wird also durch die natürlichen Verhältnisse des Kampfes um das Dasein überall die Ungleichartigkeit, die Divergenz der Charaktere der verschiedenen Individuen begünstigt, weil sie ihnen selbst vortheilhaft ist, und weil eine Anzahl von Individuen an einer und derselben beschränkten Stelle im Naturhaushalte um so leichter und besser neben einander existiren können, je stärker sie divergiren.
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Die Descendenz- Theorie und die Selections - Theorie.
Hieraus folgt dann unmittelbar weiter die höchst wichtige Thatsache, dass d e r K a m p f um d a s D a s e i n d a s E r l ö s c h e n d e r M i t t e l f o r m e n , den Untergang der verbindenden Zwischenglieder zwischen den Extremen, m i t N o t w e n d i g k e i t z u r F o l g e hat. Denn diese sind immer die am meisten gefährdeten, und wenn eine Art in zahlreiche Varietäten aus einander geht, so werden die am stärksten divergirenden die vorteilhafteste, die verbindenden Zwischenformen dagegen die gefährlichste Position im Kampfe um das Dasein einnehmen. Jede unbefangene und tiefere Betrachtung der Selections-Theorie zeigt uns, wie der Divergenz - Process der organischen Formen, das fortschreitende Auseinandergehen der divergirenden Extreme und das Erlöschen der verbindenden Mittelglieder und namentlich der gemeinsamen Stammformen der ersteren, unmittelbar und mit causaler N o t wendigkeit aus dem Kampfe um das Dasein und aus der Wechselwirkung zwischen Vererbung und Anpassung folgt. Wenn es wahr ist, dass alle Organismen den Gesetzen der Erblichkeit und Veränderlichkeit unterworfen sind — was Niemand leugnen kann — wenn es ferner wahr ist, dass alle Organismen sich überall und beständig im Kampfe um das Dasein befinden, — was eben so wenig geleugnet werden kann — so folgt hieraus von selbst und mit absoluter N o t wendigkeit die natürliche Selection, die Divergenz des Charakters und das Erlöschen der vermittelnden Zwischenformen. D a r w i n hat diese nothwendigen Folgerungen in dem vierten Capitel seines Werkes so meisterhaft und so ausführlich begründet , dass wir hier bloss darauf zu verweisen brauchen. Wir können aber die b i n d e n d e N o t h w e n d i g k e i t d i e s e s C a u s a l n e x u s z w i s c h e n D i v e r g e n z und S e l e c t i o n nicht genug hervorheben, weil sie uns die sicherste Gegenprobe für die Wahrheit der Selections - Theorie liefert. Die unendlich mannichfaltigen Erscheinungen der Divergenz sind allbekannte/ Thatsachen und werden von Niemand geleugnet. Sie erklären sich v o l l s t ä n d i g aus der Selectionstheorie, und n u r a l l e i n aus dieser. Ohne letztere sind sie vollkommen unverständlich. Wir können daher mit der vollsten Sicherheit aus den Thatsachen der Differenzirung auf die Richtigkeit der Zuchtwahllehre zurückschliessen. Wenn wir Nichts von Palaeontologie und Geologie, Nichts von Embryologie und Dysteleologie wüssten, so würden wir die Abstammungslehre schon allein desshalb für wahr erkennen müssen, weil sie a l l e i n uns die mechanisch-causale Erklärung der grossen Thatsache der Divergenz zu liefern vermag. Das Divergenz - Gesetz oder Differenzirungs-Princip, in dem Sinne wie D a r w i n dasselbe als die notwendige Folge der natürlichen Züchtung entwickelt, umfasst nur diejenigen Differenzirungs - Phänomene, welche zwischen physiologischen Individuen einer und derselben Art stattfinden, und zunächst zur Bildung neuer Varietäten, späterhin zur
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Bildung neuer Arten, Gattungen u. s. w. führen. D a r w i n begreift also unter seiner „ D i v e r g e n z d e s C h a r a k t e r s " eigentlich nur die physiologische D i f f e r e n z i r u n g der B i o n t e n , oder der physiologischen Individuen, welche die Zeugungskreise und dadurch die „Arten" zusammensetzen. Nach unserer Ansicht ist jedoch diese Divergenz der Species nicht verschieden von der sogenannten „ D i f f e r e n z i r u n g d e r O r g a n e " , d.h. von der Arbeitstheilung der untergeordneten Form - Individuen verschiedener Ordnung, welche die Bionten constituiren. Vielmehr glauben wir, in allen Differenzirungs - Erscheinungen ein und dasselbe Grundphänomen, die durch natürliche Züchtung bedingte physiologische Arbeitstheilung erblicken zu müssen, gleichviel ob dieselbe selbstständige physiologische Individuen betrifft, welche an einem und demselben Orte mit einander um das Dasein kämpfen, oder untergeordnete morphologische Individuen verschiedener Ordnungen, welche jene als constituirende Theile zusammensetzen. Die wesentliche Thatsache des Processes ist in allen Fällen eine H e r v o r b i l d u n g u n g l e i c h a r t i g e r F o r m e n a u s g l e i c h a r t i g e r G r u n d l a g e , und die mechanische Ursache derselben ist die natürliche Zuchtwahl im Kampf um das Dasein. Da die verschiedenen Organismen - Species, welche nicht durch Archigonie, sondern durch Differenzirung aus bestehenden Species entstanden sind, als Bionten durch morphologische Individuen aller sechs Ordnungen repräsentirt werden können, so folgt hieraus von selbst schon, dass alle sechs Individualitäts - Ordnungen, von der Plastide bis zum Cormus, dem Differenzirungs - Gesetze unterliegen. Dies gilt aber von allen diesen Ordnungen nicht allein dann, wenn sie als Bionten selbstständig leben, sondern ebenso auch, wenn sie als morphologische Individuen untergeordnete Bestandtheile eines Bion bilden. Wir haben bereits im achtzehnten Capitel hervorgehoben, dass die Differenzirungs-Processe in der individuellen Entwickelungs - Geschichte der morphologischen Individuen aller sechs Ordnungen die bedeutendste Rolle spielen, bei den Plastiden (S. 120), den Organen (S. 128), den Antimeren (S. 134), den Metameren (S. 138), den Personen (S. 142) und den Stöcken (S. 146). Alle Vorgänge der Arbeitstheilung, welche diese verschiedenen Individuen betreffen, gleichviel ob sie bloss morphologische oder zugeich physiologische Individuen sind, müssen wir als die mechanische Wirkung der natürlichen Züchtung im Kampfe um das Dasein betrachten. Diese bewirkte sehr langsam und allmählich, im Verlaufe sehr langer Zeiträume, die paläontologische Differenzirung der Individuen, von der die individuelle nur eine kurze und schnelle Eecapitulation ist. Den letztgenannten U n t e r s c h i e d z w i s c h e n d e r p a l ä o n t o l o g i s c h e n und d e r i n d i v i d u e l l e n D i v e r g e n z d e s C h a r a k t e r s
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müssen wir hier noch besonders betonen, da es von der grössten Wichtigkeit ist, sich dessen stets bewusst zu bleiben. Wie aber in der gesammten Entwicklungsgeschichte fast immer bloss die an sich unverständlichen individuellen, und nur selten die erklärenden paläontologischeü Entwickelungs-Processe berücksichtigt worden sind, so gilt dies auch von der Entwickelungs-Function der Differenzirung oder Arbeitstheilung. Die Thatsachen der individuellen oder ontogenetischen Differenzirung, wie wir sie während des raschen Laufs der individuellen Entwickelung des Organismus Schritt für Schritt unmittelbar verfolgen und direct beobachten können, sind zunächst nur durch die Gesetze der Vererbung (und vorzüglich durch die Gesetze der abgekürzten, der gleichzeitlichen und gleichörtlichen Vererbung) bedingt; und nichts weiter als zusammengedrängte Wiederholungen der paläontologischen oder phylogenetischen Differenzirung, welche im langsamen Verlaufe der paläontologischen Entwickelung der Vorfahren des betreffenden Organismus allmählich stattgefunden hat, und welche das unmittelbare Product der Wechselwirkung von Vererbung und Anpassung, der natürlichen Zuchtwahl im Kampfe um das Dasein ist. Als unmittelbare Resultate der Arbeitstheilung im Laufe der individuellen Entwickelung können nur diejenigen Divergenz - Erscheinungen angesehen werden, welche an dem betreffenden Individuum zum ersten Male, durch Anpassung an eine neue Existenz - Bedingung veranlasst, auftreten, und welche also, wenn sie durch angepasste Vererbung auf die Nachkommen dieses Individuums übertragen werden, der individuellen Entwickelungskette ein neues Glied einfügen. Ausser der primären paläontologischen (phylogenetischen) und der secundären individuellen (ontogenetischen) können wir übrigens noch eine dritte Art der Differenzirung unterscheiden, welche wir kurz mit dem Namen der s y s t e m a t i s c h e n o d e r s p e c i f i s c h e n D i f f e r e n z i r u n g bezeichnen wollen. Man pflegt nämlich auch die factisch bestehenden Unterschiede zwischen coexistenten verwandten Organismen als DifFerenzirungen zu unterscheiden. So sagt man ζ. B. in der zoologischen und botanischen Systematik sehr häufig bei Vergleichung verwandter Organismen-Gruppen, dass die eine mehr differenzirt oder polymorpher sei, als die andere, ζ. B. die Säugethiere mehr als die Vögel, die Crustaceen mehr als die Insecten, die Dicotyledonen mehr als die Monocotyledonen. Ebenso sagt man bei Vergleichung verwandter Zustände ζ. B. in der menschlichen Gesellschaft, dass der eine eine stärkere Differenzirung, einen höhern Grad der Arbeitstheilung zeige, als der andere, so ζ. B. die verschiedenen Culturzustände, Staatsformen, Lehranstalten der verschiedenen Völker u. s. w. Vorzüglich aber verfolgt die vergleichende Anatomie als ihre Hauptaufgabe die „Differenzirung der Organe", indem sie nachweist, wie ein
Vin. Die Selections - Theorie und das Divergenzgeeetz.
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und dasselbe Organ bei den verschiedenen Thieren ganz verschiedene Grade der Ausbildung, ganz verschiedene Stufen der „Differenzirung" darbietet Hierauf vorzüglich beruht die Unterscheidung der höheren und niederen, vollkommeneren und unvollkommeneren Organe. Der Begriff der Differenzirung wird in diesen Fällen meistens ziemlich unklar, und oft in sehr verschiedener Bedeutung angewendet. Sehr häufig gebraucht man denselben als gleichbedeutend mit Vollkommenheit oder Fortschritt. Doch ist dies, wie wir im folgenden Abschnitt zeigen werden, nicht richtig. Denn obwohl in sehr zahlreichen Fällen die Erscheinungen der Divergenz und des Fortschritts zusammenfallen, so ist dennoch nicht jede Differenzirung .ein Fortschritt, und nicht jeder Fortschritt ist eine Differenzirung. Andere denken dagegen, wenn sie von der Differenzirung coexistenter Formen im obigen „systematischen" Sinne sprechen, weniger an die Vollkommenheit, als an die Mannichfaltigkeit der verglichenen Formen. Doch zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass der Begriff der Mannichfaltigkeit ebenso wie der der Vollkommenheit, den Begriff der Differenzirung zwar in vielen, aber keineswegs in allen Fällen deckt. Denn die Insectenclasse ζ. B. ist weit mannichfaltiger und artenreicher als die CrustaceenClasse, und dennoch ist die letztere weit stärker differenzirt, als die erstere. Versuchen wir, den Begriff der systematischen oder specifischen Differenzirung, wie er bei Vergleichung verwandter und coexistenter (nicht successiver!) Formen so oft gebraucht wird, tiefer zu ergründen, so finden wir, dass derselbe eigentlich in den meisten Fällen wesentlich mit dem Begriff der phylogenetischen Differenzirung zusammenfällt, und dass er ebenso wie der letztere, auf der Vorstellung einer Hervorbildung ungleichartiger Formen aus gleichartiger Grundlage beruht. Während aber die Betrachtung der phylogenetischen Differenzirung den gesammten Entwickelungs - Process als solchen zu erfassen und alle einzelnen Zweige und Aeste der verzweigten Divergenz - Bewegung von der Wurzel an bis zu ihren letzten Ausläufern zu verfolgen hat, so begnügt sich die Betrachtung der systematischen Differenzirung mit der Vergleichung der verschiedenen Ausläufer oder einzelnen Aeste und Zweige; d. h. sie sucht nicht den ganzen paläontologischen Differenzirungs-Process, sondern nur die fertigen Resultate desselben, wie sie in der gleichzeitigen Coexistenz verschiedener „Arten" neben einander sich zeigen, zu erforschen, und vorzüglich den DivergenzGrad, welcher dieselben trennte, zu messen. Der gewöhnlichste Fehler, den man bei Untersuchung dieser systematischen Differenzirung begeht, liegt darin, dass man die verschiedenen coexistenten Zweige des Stammbaums als subordinirte Glieder einer einzigen leiterförmigen Reihe betrachtet, während sie in der
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That coordinirte Zweige eines ramificirten Baues sind. Hierauf beruht ζ. Β. der Irrthum der älteren Systematiker, welche die sätomtlichen Thiere oder Pflanzen in eine einzige Differenzirungs - Reihe zu ordnen trachteten. Statt also den Divergenz-Grad der verschiedenen Formen von der gemeinsamen Stammform zu messen, beschränkt man sich auf Messung des Unterschiedes, den sie von einander haben. Obgleich also die systematische oder specifische Differenzirung, welche die aus gemeinsamer Wurzel stammenden Arten als fertige Producte von einander scheidet, eigentlich nicht von der paläontologischen oder phylogenetischen Differenzirung verschieden ist, sondern nur das Resultat der letzteren darstellt, wollen wir sie dennoch als einen besonderen und dritten Divergenz-Modus hier hervorheben, dessen Beziehungen zu den beiden anderen und vorzüglich ihre dreifache Parallele im folgenden Buche noch näher erörtert werden sollen. Wie die paläontologische Differenzirung Object der Phylogenie, die embryologische Object der Ontogenie, so ist die systematische Differenzirung vorzugsweise Object der vergleichenden Anatomie. Der merkwürdige und höchst wichtige Parallelismus dieser drei Divergenz-Reihen erklärt sich vollkommen aus der Selections - Theorie. Alle die unendlich mannichfaltigen und wichtigen Naturerscheinungen, welche wir vom m o r p h o l o g i s c h e n Standpunkte aus als Phänomene der D i f f e r e n z i r u n g oder Divergenz des Charakters, vom p h y s i o l o g i s c h e n Standpunkte aus als Phänomene des P o l y m o r p h i s m u s oder der Arbeitstheilung ansehen, sind in letzter Instanz also weiter nichts, als die unmittelbaren und nothwendigen Folgen der Züchtung; entweder (bei den Organismen im Culturzustande) Folgen der künstlichen Züchtung durch den Willen des Menschen, oder (bei den Organismen im Naturzustande) Folgen der natürlichen Züchtung durch den Kampf um das Dasein. Alle diese DivergenzErscheinungen sind durch die Gesetze der Anpassung (Ernährung) und Vererbung (Fortpflanzung) bedingt; und wenn uns die individuelle Entwickelungsgeschichte die ontogenetische Charakter-Divergenz der morphologischen Individuen in schneller Reihenfolge vor Augen führt, so haben wir darin lediglich die Vererbung der phylogenetischen Differenzirung zu erblicken, welche die Vorfahren des betreffenden Organismus während ihrer langsamen paläontologischen Entwickelung erlitten haben, und deren reife Früchte in der Gegenwart uns die vergleichende Anatomie· als „systematische Differenzirung" nachweist. Die Entwickelungs - Function der Differenzirung oder des Polymorphismus wird also durch die Selections - Theorie auf die physiologischen Ursachen der Vererbung und Anpassung zurückgeführt, d. h. sie wird mechanisch erklärt. Ohne die Selections-Theorie dagegen bleibt sie uns in ihrem eigentlichen Wesen unverständlich.
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Die Selections-Theorie und das Fortschritts- Gesetz.
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IX. Die Selections-Theorie und das Fortschritts-Gesetz. D e r F o r t s c h r i t t (Pi-ogres.sus) o d e r d i e V e r v o l l k o m m n u n g (Teleosh) a l s n o t h w e n d i g e W i r k u n g der S e l e c t i o n . Ebenso wie die Differenzirung oder Arbeitstheilung der Organismen, müssen wir auch die nicht minder wichtige und auffallende Vervollkommnung oder den Fortschritt der Orgauismen, wie er sich in der gesammten individuellen und palaeontologischen Entwickelungsgeschichte und in der vergleichenden Anatomie offenbart, als die unmittelbare und nothwendige Folge der natürlichen Züchtung im Kampfe um das Dasein betrachten. Ebenso wie die Erscheinung der Differenzirung wird auch die Erscheinung der Vervollkommnung unmittelbar durch die Selections-Theorie — und nur durcli diese! — mechanisch erklärt, und da wir überall die Thatsachen der Progression ebenso wie diejenigen der Divergenz vor Augen sehen, so können wir aus den ersteren, ebenso wie aus den letzteren, wiederum auf die Wahrheit der Selections-Theorie zurückschliessen. Die Thatsachen der fortschreitenden Entwickelung oder der allmählichen Vervollkommnung der Organismen sind so allbekannt, dass wir dieselben hier nicht mit Beispielen zu belegen brauchen. Die gesammte Palaeontologie, die gesammte Embryologie, die gesammte Systematik der Thiere, Protisten und Pflanzen liefert uns hierfür eine fortlaufende Beweiskette. Alle gedankenvollen Arbeiter auf diesen WissenschaftsGebieten haben jenes Gesetz der fortschreitenden Entwickelung (Progressus) oder der Vervollkommnung (Teleosis) als eines der obersten organischen Grundgesetze anerkannt. Am ausführlichsten hat dasselbe in neuerer Zeit der treffliche B r o n n behandelt, welcher sowohl für die palaeontologische 1 ) als für die systematische Entwickelung 8 ) das „Gesetz der progressiven Entwickelung" oder das Gesetz der Vervollkommnung durch eine sehr sorgfältige Zusammenstellung der beweiskräftigsten Thatsachen empirisch unumstösslich begründet hat. Obwohl nun in den letzten Jahrzehnten die Geltung des Gesetzes der fortschreitenden Entwickelung als einer empirisch festgestellten Thatsache von den verschiedensten Seiten anerkannt worden ist, so blieb dieselbe doch für die Meisten ein räthselhaftes und unbegreifliches „organisches Naturgesetz", dessen Erklärung nur durch die dualistische Annahme eines teleologischen Schöpfungs-Plans, den der 1) B r o n n , Untersuchungen über die Entwickelungs - Gesetze der organischen Welt während der Bildungszeit unserer Erdoberfläche. (Von der Pariser Akademie 1857 gekrönte Preisschrift.) Stuttgart 1858. 2) B r o n n , Morphologische Studien Uber die Gestaltungsgesetze der Naturkörper überhaupt und der organischen insbesondere. Leipzig 1858. Haeckel, Generelle Morphologie, Π. 17
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Schöpfer bei Fabrication der Organismen befolgte, möglich schien. Eine naturwissenschaftliche, d. h. eine monistische, mechanisch - causale Erklärung des empirischen Gesetzes wurde erst durch die Descendenz-Theorie, und in letzter Instanz erst durch ihre causale GrundIdee, die Selections - Theorie, möglich. Diese aber erklärt uns die Thatsachen des Fortschritts, ebenso wie diejenigen der Differenzirung, in der einfachsten Weise, als die nothwendige Wirkung der natürlichen Züchtung im Kampfe um das Dasein. Wir müssen hier zunächst bemerken, dass das Fortschritts - Gesetz keineswegs mit dem Divergenz - Gesetz identisch ist, wie es von vielen Autoren irrthümlich angenommen wird. Sehr häufig werden diese beiden verschiedenen Begriffe vermischt. Der Grund hiervon liegt darin, dass allerdings die allermeisten Differenzirungs-Prozesse progressive Entwickelungs - Vorgänge oder Vervollkommnungen sind. Daneben giebt es jedoch auch viele Divergenz-Vorgänge, welche weder als Fortschritt noch als Rückschritt, und andere, welche entschieden als Rückschritt angesehen werden müssen. Ebenso wenig ist auf der anderen Seite jeder Fortschritt eine Differenzirung; vielmehr giebt es andere progressive Entwickelungs - Vorgänge (namentlich Wachsthums-Processe), welche keineswegs eine Divergenz, aber dennoch einen Fortschritt bewirken. B r o n n , welcher am genauesten diese verschiedenen Vorgänge untersucht hat, unterscheidet demgemäss sechs verschiedene Gesetze progressiver Entwickelung. Diese Gesetze sind 1) Die D i f f e r e n z i r u n g oder Arbeitsteilung der Organe und Functionen wird von B r o n n mit Recht als das bei weitem wichtigste und oberste Gesetz der progressiven Entwickelung betrachtet. Doch irrt auch er darin, dass er alle Differenzirungs - Processe als Fortschritte ansieht, während dies, wie bemerkt, entschieden nicht der Fall ist. 2) Das wichtigste der von B r o n n aufgestellten sechs Fortschritts - Gesetze ist zweifelsohne nächst dem der Differenzirung das von ihm ausschliesslich erkannte G e s e t z d e r R e d u c t i o n d e r Z a h l g l e i c h n a m i g e r ( h o m o n y m e r ) O r g a n e . Da B r o n n dasselbe in seinen morphologischen Studien (S. 409 — 459) sehr ausführlich begründet und durch das ganze Pflanzen - uud Thier - Reich hindurchgeführt hat, so wollen wir uns hier dabei nicht weiter aufhalten, sondern nur bemerken, dass dasselbe einer sehr bedeutenden Modification bedürftig ist. Zunächst gilt dasselbe nicht fUr alle gleichartigen Theile. welche in Vielzahl zu einer höheren Individualität verbunden sind, und auch nicht für alle ungleichartigen Theile, welche sich aus gleichartiger Grundlage hervorgebildet haben. Für die Antimeren, Parameren, Metameren und Epimeren unterliegt es zwar in sehr vielen FäUen keinem Zweifel, dass im Grossen und Ganzen genommen die Zahlenreduction dieser Theile einen Fortschritt in der Organisation der aus ihnen zusammengesetzten höheren Individualität bekundet, in den meisten Fällen jedoch nur dann (wie B r o n n selbst richtig bemerkt), wenn die Zahlenreduction der gleichartigen Theile zugleich mit einer Differenzirung der zu reducirenden Theile verbunden ist. Bei anderen Individualitäten gilt dasselbe gar nicht, und es wurde sich sogar eher ein entgegengesetztes Gesetz nachweisen lassen (das Gesetz der Aggregation gleichartiger Theile). Es ist in der von B r o n n gegebenen Erläuterung des Zahlen-Reductions-Gesetzes sehr viel Richtiges, aber auch viel Irrthümliches. Nach unserer Ansiebt muss dasselbe in mehrere verschiedene Ge-
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1) Differenzirung der Functionen und Organe; 2) Reduction der Zahlen gleichnamiger Organe; 3) Concentrirung der Functionen und ihrer Organe auf bestimmte Theile des Körpers; 4) Centralisirung eines jeden ganzen oder theil weisen Organ-Systems, so dass seine ganze Thätigkeit von einem Central - Organe abhängig wird; 5) Internirung insbesondere der edelsten Organe, so weit sie nicht eben nothwendig an der Oberfläche hervortreten müssen, um die Beziehungen des Organismus mit der Aussenwelt zu unterhalten; 6) grössere räumliche Ausdehnung im Einzelnen und Ganzen. Obwohl es gewiss ein grosses Verdienst B r o n n s ist, hierdurch gezeigt zu haben, dass-nicht alle Progress-Phaenomene einfache Differenzirungen sind, so müssen wir doch gegen die allgemeine Gültigkeit der sechs von ihm unterschiedenen Fortschritts - Gesetze vielfache Bedenken erheben. Nicht bloss die vier letzten, welche nur sehr beschränkte und specielle Gültigkeit haben, sondern auch das zweite Gesetz (das Gesetz der Zahlenreduction gleichartiger Theile), welches nächst dem Differenzirungs-Gesetze offenbar das wichtigte ist, müssen noch sehr bedeutende Modificationen erleiden und in anderer Form präcisirt werden. Da jedoch dieser Gegenstand, wie überhaupt die ganze Frage von der fortschreitenden Vervollkommnung der Organismen und von den Kriterien der organischen Vollkommenheit äusserst schwierig und verwickelt ist, setze gespalten werden. Wir wollen jedoch hier auf deren Unterscheidung und Motivirung nicht eingehen, da dieselbe ausserordentlich schwierig und verwickelt ist, und uns viel zu weit von unserem Gegenstände abführen würde. Wir beabsichtigen bei einer anderen Gelegenheit den Versuch zu machen, diese ebenso schwierige als interessante Aufgabe zu lösen. 3) D a s G e s e t z d e r C o n c e n t r i r u n g ( C o n c e n t r a t i o n ) d e r F u n c t i o n e n u n d i h r e r O r g a n e auf bestimmte Theile des Körpers, auf welches B r o n n (1. c. p. 459 — 471) mit Recht viel weniger Werth als auf die vorhergehenden legt, ist von einer viel beschränkteren Gültigkeit. In den meisten Fällen ist diese Concentration entweder eine L o c a l i s a t i o n (und dann auf Differenzirung zurückzuführen) oder eine C o n c r e s c e n z , und dann als ein physiologischer Process der Verwachsung anzusehen (vergl. oben p. 147, Anmerkung). Oft liegt auch eine einfache A n p a s s u n g zu Grunde. Jedenfalls hat dieses Gesetz, wie auch die drei folgenden, sehr zahlreiche Ausnahmen. 4) D a s G e s e t z d e r C e n t r a l i s i r u n g ( C e n t r a l i s a t i o n ) d e r O r g a n - S y s t e m e gilt vorzüglich für die Thiere. weniger für die Pflanzen, jedoch auch bei den ersteren nur in beschränktem Maasse ( B r o n n , I.e. p. 471 — 475). Die Centralisation der Organ - Systeme ist offenbar ein einfaches Product der natürlichen Züchtung, und die dadurch bedingte Vervollkommnung liegt in dem V o r t h e i l , den die einheitliche Centralisation für die Regierung des ganzen Organismus liefert. 5) Das G e s e t z d e r I n t e r n i r u n g d e r O r g a n e hat ebenfalls nur eine sehr beschränkte Gültigkeit und lässt sich einfach aus den Anpassungs-Gesetzen erklären, und aus dem Vortheil. den die Internirung besonders der edelsten Organe im Kampfe um das Dasein bietet. D a s G e s e t z d e r G r ö s s e n - Z u n a h m e gilt ebenfalls nur innerhalb eines sehr beschränkten Gebietes und lässt sich ebenso wie die vorhergehenden ans der SelectionsTbeorie erklären.
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und da noch keine weiteren ernstlichen Versuche gemacht sind, in das Chaos des unendlichen Materials, welches für diese wichtige Frage vorliegt, klares Licht zu bringen, so können wir nicht näher darauf eingehen und müssen die Auseinandersetzung und Begründung unserer hierauf bezüglichen Ansichten einer anderen Gelegenheit vorbehalten (vergl. Bd. I, S. 371, Anmerkung). Nur darauf wollen wir hindeuten, dass die genaue Unterscheidung der i d e a l e n (vielseitigen oder polytropen) und der p r a k t i s c h e n (einseitigen oder monotropen) Typen (S. 222) für diese Frage von sehr grosser Bedeutung werden wird. Dass die Frage die grösste Tragweite hat, geht schon daraus hervor, dass die Fortschrittsfrage in der ganzen Menschheits-Entwickelung nicht von derjenigen in der Entwicklung der übrigen Thiere, und speciell der Wirbelthiere zu trennen ist. "Wir selbst haben oben in unserer allgemeinen Anatomie den vorläufigen Versuch gemacht, wenigstens einige der wichtigsten Vollkommenheits - Gesetze zu formuliren. Vor Allem fanden wir es nöthig, zwischen tectologischer und promorphologischer Vervollkommnung (sowohl Differenzirung, als Centralisation) zu unterscheiden. Die tectologischen Thesen, welche sich auf die Vollkommenheits-Frage beziehen, sind im elften Capitel (S. 3 7 0 — 3 7 4 ) , die promorphologischen Thesen im fünfzehnten Capitel (S. 550) nachzusehen. Da die allermeisten Fortschritts-Erscheinungen unmittelbar mit Differenzirungs-Prozessen verknüpft, oder selbst mit diesen identisch sind, so bedarf es für diese, in Hinblick auf den vorhergehenden Abschnitt, keines Beweises, dass sie unmittelbare und nothwendige Wirkungen der natürlichen Züchtung im Kampfe um das Dasein sind. Aber auch für die anderen Erscheinungen der Vervollkommnung, welche wir vorher angeführt haben, und welche nicht unmittelbar als Divergenz-Phänomene angesehen werden können, unterliegt es keinem Zweifel, dass dieselben vollständig durch die Selections-Theorie erklärt werden. Die Centralisation der Organ-Systeme, die Concentration und Internirung der Organe, die Grössenzunahme und die Zahlenreduction der gleichartigen Theile sind immer, und ganz besonders in den Fällen, wo sie einen entschiedenen Organisations-Fortschritt bekunden, entweder unmittelbare Anpassungen, oder aber durch die Wechselwirkung von Anpassung und Vererbung bedingt. Da diese progressiven Entwicklungs-Processe in allen Fällen den betreffenden Organismen im Kampfe um das Dasein nützlich sind, und ihnen entschiedene Vortheile über die nächstverwandten, nicht progressiv abgeänderten Formen gewähren, so werden sie einfach durch die natürliche Züchtung erhalten und befestigt. Alle diese Erscheinungen des Progresses oder der Vervollkommnung lassen sich mithin als nothwendige Folgen der Wechselwirkung von Vererbung und Anpassung nachweisen, und sind
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keineswegs die Folgen eines unbekannten und unerklärten, auf räthselhaften Ursachen beruhenden „Gesetzes der fortschreitenden Entwickeln g". Einige Autoren haben das F o r t s c h r i t t s - G e s e t z oder das Gesetz der fortschreitenden Entwickelung als ein absolutes, allgemein gültiges und ausnahmsloses betrachtet, und behauptet, dass dasselbe allerorten und allerzeit die gesammten Organisations-Verhältnisse vorwärts treibe und ohne Unterbrechung zur beständigen Vervollkommnung ansporne. So richtig diese Behauptung im Grossen und Ganzen ist, so muss sie dennoch durch zahlreiche Ausnahmen modificirt werden. Es ist natürlich und nothwendig, dass die immer zunehmende Differenzirung aller irdischen Verhältnisse und aller Existenz-Bedingungen für die Organismen auch eine entsprechende DifFerenzirung der Organismen selbst zur unmittelbaren Folge hat, und in den allermeisten Fällen ist diese Differenzirung selbst ein entschiedener Fortschritt, eine unzweifelhafte Vervollkommnung. Andrerseits ist aber nicht zu vergessen, dass jede Arbeits-Theilung neben den ganz überwiegenden Vortheilen und Fortschritten auch ihre grossen Nachtheile und Rückschritte nothwendig im unmittelbaren Gefolge hat. Wir sehen dies überall in dem Polymorphismus der menschlichen Gesellschaft, welche uns in ihrer staatlichen, und socialen, besonders aber in ihrer wissenschaftlichen Entwickelung die complicirtesten und am meisten zusammengesetzten von allen Differenzirangs-Phänomenen zeigt. Wir brauchen bloss auf die Morphologie der Organismen in ihrem gegenwärtigen traurigen Zustande einen Blick zu werfen, um diese erheblichen Schattenseiten der weit vorgeschrittenen Arbeitsteilung klar vor Augen zu sehen (Vergl. Bd. I, S. 236). Wäre dies nicht der Fall, so müsste die Selections-Theorie, der grösste Fortschritt der menschlichen Wissenschaft in unserem Jahrhundert, bereits die gesammte Biologie beherrschen. Die grössten Nachtheile für die Wissenschaft entstehen dadurch, dass sich die meisten Arbeiten ganz auf ein einzelnes kleines Arbeits-Feld beschränken und den engsten Special-Anschauungen anpassen, während sie sich um das grosse Ganze nicht mehr bekümmern. Dadurch verlieren sie aber nicht nur den freien Ueberblick für das umfassende Allgemeine, sondern auch die Fähigkeit, in dem auserwählten Special-Gebiete weiter greifende Fortschritte herbeizuführen. Dieser grosse Nachtheil der einseitigen Specialisirung wird von den Meisten übersehen, gegenüber den bedeutenden Vortheilen, welche jene einseitige, specielle „Fachbildung" dem Detail-Arbeiter gewährt; und gerade dieser praktische Nutzen ist es, welcher die rückschreitende allgemeine Bildung der Specialisten begünstigt. Was uns so die menschlichen Verhältnisse, und besonders die wissenschaftlichen, in den verwickeltsten Differenzirungs- Processen zeigen,
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das gilt ebenso für die gesammte organische Natur. Ueberall wird die Entwickelung der praktischen Typen auf-Kosten der idealen durch die natürliche Züchtung begünstigt. Zugleich entstehen immer neben den höchsten Plätzen und den einseitig vervollkommneten Stellen im Xaturhaushalte zahlreiche unvollkommene Plätze und sehr beschränkte Stellen; und die Organismen, die diesen sich anpassen, erleiden dadurch gewöhnlich eine sehr bedeutende Rückbildung. Rückschritt ist also hier neben und mit dem Fortschritt eine unmittelbare Folge der Differenzirung durch die Züchtung. Die schwächeren und unvollkommneren Individuen, welche im Wettkampfe mit den stärkeren und vollkommneren unterliegen, und nicht der von der letzteren eroberten besten Existenz-Bedingungungen theilhaftig werden, können sich nur dadurch erhalten, dass sie auf jenes höhere Ziel verzichten und sich mit einfacheren Verhältnissen begnügen. Indem sie sich diesen aber anpassen, erleiden sie nothwendig mehr oder minder bedeutende Rückbildungen, welche bei sehr einfachen Verhältnissen (ζ. B. Parasitismus) oft erstaunlich weit gehen. Schon aus dieser einfachen Erwägung folgt, dass die natürliche Züchtung keineswegs ausschliesslich fortbildend und vervollkommnend, sondern auch rückbildend und erniedrigend wirkt. Die Veränderungen der organischen Natur halten mit denen der anorganischen immer gleichen Schritt. Wir finden, dass in Beiden die fortschreitende Differenzirung im Ganzen zwar überwiegt, aber doch im Einzelnen zugleich nothwendig vielfache Rückschritte bedingt. Während die höheren und besseren Stellen im Naturhaushalte an Zahl und vollkommener Ausstattung beständig zunehmen, und von entsprechend verbesserten und vervollkommneten Organismen besetzt werden, benutzen die weniger begünstigten und von letzteren im Wettkampfe besiegten Organismen die gleichzeitig frei werdenden einfacheren und schlechteren Stellen des Naturhaushalts, um ihre Existenz zu retten. Während die ersteren fortschreiten, gehen die letzteren zurück. Keine Gruppe von organischen Erscheinungen zeigt uns die hohe Bedeutung dieser Thatsache so schlagend, als die mannichfaltigen Phänomene des Parasitismus, vorzüglich in den Abtheilungen der Crustaceen, Würmer und Orobancheen. Wie die Ontogenese dieser Organismen unwiderleglich zeigt, beruht ihre Phylogenese auf einer entschiedenen rückschreitenden Differenzirung, die durch die natürliche Züchtung veranlasst ist. Wenn wir daher die gesammten Differenzirungs-Phänomene in der organischen Natur nach ihrem historischen Verlauf vergleichend überblicken, so gelangen wir zu demselben grossen und erfreulichen Gesammt-Resultat, welches uns auch die Geschichte der menschlichen Völker (oder die sogenannte Weltgeschichte) und namentlich die Culturgeschichte, allein schon deutlich zeigt: I m G r o s s e n u n d G a n zen i s t d i e E n t w i c k e l u n g s - B e w e g u n g d e r g e s a m m t e n o r g a -
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n i s c h e n W e l t e i n e s t e t i g und ü b e r a l l f o r t s c h r e i t e n d e , wenn gleich die überall wirkenden Differenzirungs-Processe nothwendig neben den überwiegenden Fortschritts-Vorgängen im Kleinen und Einzelnen auch zahlreiche, und oft bedeutende Rückschritte in der Organisation bedingen. Indessen treten diese Rückschritte, wie sie in der Völkergeschichte vorzüglich durch die Herrschaft der Priester und Despoten, in der übrigen organischen Natur vorzüglich durch Parasitismus bedingt werden, doch im Grossen und Ganzen vollständig zurück gegenüber der ganz vorherrschenden Vervollkommnung. Der Fortschritt zu höheren Stufen der Vollkommenheit ist in der gesammten organischen Natur ein genereller und universeller, der gleichzeitig stattfindende Rückschritt zu niederen Stufen ein specieller und localer Process. S o w o h l d e r ü b e r w i e g e n d e F o r t s c h r i t t in d e r V e r v o l l k o m m n u n g d e s G a n z e n a l s der h e m m e n d e R ü c k s c h r i t t in der O r g a n i s a t i o n d e s E i n z e l n e n s i n d m e c h a n i s c h e N a t u r p r o c e s s e , w e l c h e mit N o t w e n d i g k e i t d u r c h d i e n a t ü r l i c h e Z ü c h t u n g im K a m p f e um d a s D a s e i n b e d i n g t s i n d , und durch d i e S e l e c t i o n s - T h e o r i e (und n u r d u r c h s i e allein!) v o l l s t ä n d i g e r k l ä r t werden. Dieser letztere Satz muss besonders betont werden, weil gerade au diesem Punkte die teleologische und dualistische Dogmatik besonders tiefe und feste Wurzeln geschlagen hat. Dies zeigt sich nicht allein in den kindlichen und keiner Widerlegung bedürftigen Behauptungen derjenigen Teleologen, welche in dem Gesetze der fortschreitenden Entwickelung einen besonderen Beweis für die Vortreiflichkeit des Schöpfungs - Plans und für die Weisheit des (natürlich ganz anthropomorph gedachten) Schöpfers erblicken wollten l ). Auch monistische Naturforscher, welche im Ganzen unsere Ansichten theilen, haben sich der Annahme eines besonderen „Vervollkommnungs-Principe" nicht entziehen zu können geglaubt. So hat insbesondere N ä g e l i in einer trefflichen Abhandlung i ), welche werthvolle Beiträge zur Befestigung der 1) Der grobe Anthropomorphismus. welcher allen Vorstellungen eines persönlichen Schöpfers zu Grande liegt, tritt kaum irgendwo so auffallend zu Tage, als bei seiner •Wirksamkeit in dem ..zweckmässigen Plane der fortschreitenden Vervollkommnung", und doch ist er merkwürdiger Weise grade hier von sehr bedeutenden Naturforschern mit grosser Zähigkeit festgehalten worden, so namentlich von A g a s s i ζ (im „Essay on Classification·' und an anderen Orten). Offenbar muss sich der Schöpfer nach dieser Vorstellung, indem er zuerst nur ganz rohe Schöpfungs - Entwürfe zu Stande bringt, und sich nachher stufenweis. zu immer höheren Plänen erhebt, selbst erst entwickeln und einen mechanischen Lebrcursu» durchmachen. Seine Pläne wachsen mit seiner eigenen Vollkommenheit. ..Es wächst der Mensch mit seinen höher'n Zwecken". Der Schöpfer ist auch in diesen absurden Vorstellungen ganz das ..gasförmige Wirbelthier·', welches schon der alte R e i l in ihm erkannte u-ergl. Bd. I , S. 172, 173 Anm.). 2) C a r l X ä g e l i , Entstehung und Begriff der naturhistorischen Art.
München 1865.
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Die Descendenz - Theorie und die Selections - Theorie.
Descendenz-Theorie liefert, neben der „Nützlichkeits-Theorie", wie er D a r w i n s Selections-Theorie nennt 1 ), noch eine besondere „Vervollkommnungs - Theorie" festhalten zu müssen geglaubt, welche die Annahme fordert, „dass die individuellen Abänderungen nicht unbestimmt, nicht nach allen Seiten gleichmässig, sondern vorzugsweise und mit bestimmter Orientirung nach Oben, nach einer zusammengesetzteren Organisation zielen". N ä g e l i glaubt zwar, für dieses VervollkommnungsPrincip „keine übernatürliche Einwirkung nöthig zu haben". Indessen ist er den Beweis einer nothwendigen Existenz desselben und einer mechanischen Erklärung seiner Wirksamkeit schuldig geblieben, und wir glauben nicht, dass dieser wird geliefert werden können. Durch N a ge Ii 1 s Annahme, „dass der Organismus in sich die T e n d e n z habe, in einen complicirter gebauten sich umzubilden," gerathen wir auf die schiefe Ebene der Teleologie, auf der wir rettungslos in den Abgrund dualistischer Widersprüche hinabrutschen und uns von der allein möglichen mechanischen Naturerklärung völlig entfernen. Wir können uns aber um so weniger zur Annahme eines solchen besonderen, bis jetzt ganz unerklärlichen Yervollkommnungs-Princips entschliessen, als uns die Selections-Theorie die v o r w i e g e n d fortschreitende Richtung der Differenzirung durch die natürliche Züchtung ganz wrohl erklärt , und als daneben die überall vorkommenden Rückbildungen zeigen, dass der Fortschritt keineswegs ein ausschliesslicher und ünbedingter ist. Indem wir also den allgemeinen und überwiegenden, jedoch durch viele einzelne Rückschritte unterbrochenen Fortschritt als ein allgemeines mechanisches Naturgesetz festhalten, welches mit Notwendigkeit aus der beständigen Wirksamkeit der natürlichen Züchtung folgt, haben wir schliesslich noch einen Blick auf die drei verschiedenen Erscheinungsreihen der fortschreitenden Entwickelung zu werfen, welche den drei Differenzirungsreihen entsprechen, und welche in ihrer auffallenden Parallele uns einen der wichtigsten Beweise für die Wahrheit der Descendenz-Theorie liefern. Es sind dies die drei parallelen Fortschrittsketten der paläontologischen, embryologischen und systematischen Vervollkommnung. Die p a l ä o n t o l o g i s c h e V e r v o l l k o m m n u n g oder der p h y l o g e n e t i s c h e F o r t s c h r i t t ist von diesen drei parallelen fortschreitenden Entwickelungs - Reihen (wie dies auch ebenso von den drei parallelen Differenzirungs-Reihen gilt) der ursprünglichste und daher wichtigste. Wenn wir vorher zeigten, dass der Fortschritt eine noth1 ) D i e Bezeichnung „Nützlichkeits-Theorie" für D a r w i n s Selections-Theorie ist ans mehreren Gründen nicht recht passend, einmal weil hiermit sehr leicht teleologische Vorstellungen verknüpft werden, und besonders weil dieselbe grade für gewisse teleologische Schöpfungs-Theorieen im Gegensätze zu den mechanischen Entwickelungs-Theorieen angewandt worden ist.
IX. Die Selections-Theorie und das Fortschritts - Gesetz.
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wendige Folge der Wechselwirkung von Anpassung und Vererbung sei, so galt dies zunächst nur von der phylogenetischen Vervollkommnung, welche sich in der allmählich fortschreitenden Entwickelung der Arten und Stämme zeigt, darin also, dass die Transmutation der Species nicht allein zur Erzeugung n e u e r , sondern im Ganzen auch v o l l k o m m n e r e r Arten führt, und dass mithin auch die Stämme im Ganzen sich beständig vervollkommnen. Die gesammte Paläontologie liefert hierfür eine fortlaufende Beweiskette. Die e m b r y o l o g i s c h e V e r v o l l k o m m n u n g oder d e r o n t o g e n e t i s c h e F o r t s c h r i t t , welcher sich in der gesammten individuellen Entwickelungs - Geschichte der Organismen als die am meisten auffallende Erscheinung offenbart, ist die natürliche Folge des paläontologischen Fortschritts, und durch die Vererbungs-Gesetze (besonders durch die Gesetze der abgekürzten, der homochronen und homotopen Vererbung) mit Notwendigkeit bedingt. Da die gesammte Ontogenie nichts weiter, als eine kurze und schnelle Recapitulation der Phylogenie des betreffenden Organismus ist, so muss natürlich auch die vorzugsweise fortschreitende Bewegung der letzteren in derselben Weise wieder in der ersteren zu Tage treten. Da wo der überwiegende paläontologische Fortschritt durch Anpassung der vollkommneren Organismen an einfachere Existenz-Bedingungen local modificirt und beschränkt worden ist, wie namentlich bei den Parasiten, da muss derselbe natürlich auch ebenso in der individuellen Entwickelung eine entsprechende „regressive Metamorphose" zur Folge haben (sehr ausgezeichnet bei den parasitischen Crustaceen). Die s y s t e m a t i s c h e Vervollkommnung oder der specif i s c h e F o r t s c h r i t t endlich, welcher vorzugsweise Object der vergleichenden Anatomie ist, folgt ebenso unmittelbar wie der ontogenetische, aus dem paläontologischen Fortschritt. Zunächst ist hier zu erwägen, dass die Vervollkommnung bei den verschiedenen Organismen einen äusseret ungleichen Verlauf hinsichtlich ihrer Ausdehnung und Schnelligkeit nimmt. Während einige Organismen in verhältnissmässig kurzer Zeit einen sehr hohen Grad der Differenzirung und der Vollkommenheit erreichen (ζ. B. die Säugethiere unter den Wirbelthieren, und besonders die Carnivoren und Primaten) verändern sich andere, verwandte Organismen auch in sehr langen Zeiträumen nur sehr wenig, und zeigen nur einen sehr geringen Grad der Vervollkommnung und Divergenz (ζ. B. die Fische unter den Wirbelthieren, und besonders die Ganoiden und Rochen). Noch andere, diesen verwandte Organismen verändern sich zwar bedeutend, aber nicht in fortschreitender, sondern in rückschreitender Richtung (ζ. B. die Parasiten). Daher finden wir, dass sehr viele gleichzeitig existirende Organismen, obgleich sie von einer und derselben gemeinsamen Stammform abstammen, dennoch
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Die Descendenz-Theorie und die Selections-Theorie.
einen äusserst verschiedenen Grad der Vollkommenheit, ebenso wie der Differenzirung zeigen. Dieser systematische oder specifische Fortschritt, wie ihn die Anatomie (Systematik und vergleichende Anatomie) bei Vergleichung der verwandten und coexistenten Organismen in der Form des Systems so deutlich nachweist, erklärt sich eben so einfach, wie die beiden anderen Fortschrittsreihen, aus der Selections - Theorie (Yergl. das XXIV. Capitel). Er zeigt uns nur die reifen Früchte des fortschreitenden Vervollkommnungs - Processes, wie er sich in der Phylogenie divergirend gestaltet, und wie er sich in der Ontogenie kurz wiederholt. Die vollkommene Parallele dieser drei fortschreitenden Entwickelungsreihen, der paläontologischen, der embryologischen und der systematischen Vervollkommnung, ist einer der stärksten Beweise der Wahrheit für die Descendenztheorie.
X. Dysteleologie oder Unzweckmässigkeitslehre. (Wissenschaft von den rudimentären, abortiven, verkümmerten, fehlgeschlagenen, atrophischen oder cataplastischen Individuen.) X, A. D i e D y s t e l e o l o g i e u n d die S e l e c t i o n s - T h e o r i e . Von allen grossen und allgemeinen Erscheinungsreihen der organischen Morphologie, welche uns durch die Descendenz-Theorie vollkommen erklärt werden, während sie ohne dieselbe gänzlich unerklärt bleiben, ist nächst der dreifachen Parallele der paläontologischen, embryologischen und systematischen Entwickelung vielleicht keine einzige von so mächtiger und unmittelbar überzeugender Beweiskraft, als der ebenso interessante als wichtige Phänomenen - Complex der sogenannten „rudimentären Organe", welche man häufig auch als abortive, atrophische, verkümmerte oder fehlgeschlagene Organe bezeichnet. Wenn nicht die gesammte generelle Biologie, ebensowohl die Morphologie als die Physiologie, in allen einzelnen Abschnitten und Zweigen eine fortlaufende Kette von harmonischen Beweisen für die Wahrheit der Abstammungslehre wäre, so würde allein schon die Kenntniss jener „Organe ohne Function" uns von derselben auf das Bestimmteste überzeugen. In gleichem Maasse aber, als die Organe, welche man sowohl in der Zoologie, als in der Botanik mit jenen Namen bezeichnet, die höchste morphologische Bedeutung besitzen, in gleichem Maasse sind sie bisher fast allgemein vernachlässigt, oder doch bei weitem nicht in dem Grade, wie sie es verdienen, gewürdigt worden. Es war dies auch ganz natürlich, so lange man in Ermangelung der DescendenzTheorie Nichts mit ihnen anfangen konnte, und auf eine allgemeine mechanisch - causale Erklärung der morphologischen, und namentlich der ontogenetischen Thatsachen überhaupt verzichten musste. Erst als D a r w i n die Abstammungslehre neu belebte und durch die Selec-
X. Dysteleologie oder Unzweckmäseigkeitslehre.
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tions-Theorie fest begründete, kamen auch die rudimentären Organe wieder hoch zu Ehren. Sie werden von jetzt an als eines der schlagendsten und wichtigsten Argumente zu Gunsten derselben gelten müssen und als solche eine bisher nicht geahnte Bedeutung erlangen. Wie wir schon in unserer methodologischen Einleitung hervorhoben , als wir den Gegensatz zwischen der Teleologie und Causalität besprachen, und die alleinige Anwendbarkeit der mechanisch-causalen Methode nachwiesen, giebt es nach unserer Ansicht keinen stärkeren Beweis für letztere, als die Erscheinungsreihe der rudimentären Organe, welche geradezu der unmittelbare Tod aller Teleologie ist. (Vergl. Bd. I , S. 99, 100.) Wenn die teleologische und dadurch dualistische Biologie noch heute allgemein behauptet und bis auf D a r w i n fast unangefochten behauptet hat, dass die morphologischen Erscheinungen im Thier- und Pflanzen-Reiche „zweckmässige Einrichtungen" seien, dass sie nach einem „zweckmässigen Plane" angelegt und ausgeführt, durch „zwecktbätige Ursachen" (causae finales) bestimmt seien, so wird diese grundfalsche Ansicht, abgesehen von ihrer sonstigen Unhaltbarkeit, durch Nichts schlagender widerlegt, als durch die rudimentären Organe, welche entweder ganz gleichgültig und unnütz, oder sogar entschieden „unzweckmässig" sind. Die ausserordentliche theoretische Bedeutung, welche dieselben dadurch besitzen, die unerschütterliche Basis, welche sie der von uns vertretenen und allein wahren,monistischen, d . h . mechanisch-causalen Erkenntniss der organischen Natur liefern, ermächtigt uns, die Wissenschaft von den rudimentären Organen zu einer besonderen Disciplin der organischen Morphologie zu erheben, welcher wir die bedeutendste Zukunft versprechen können. Wir glauben diese Lehre mit keiner passenderen, und ihre hohe philosophische Bedeutung richtiger andeutenden Bezeichnung belegen zu können, als mit derjenigen der „Unzweckmässigkeitslehre oder Dysteleologie". Die Organe, oder allgemeiner gesagt, organischen Körpertheile, welche das Object der Dysteleologie bilden, sind in der Botanik und Zoologie mit mehreren verschiedenen Namen belegt worden: rudimentäre oder verkümmerte, atrophische oder unentwickelte, abortive oder fehlgeschlagene Theile, auch wohl Hemmungsbildungen. Am besten würde man sie wohl, mit Rücksicht auf ihre Entstehung durch regressive oder cataplastische Entwickelung, „cataplastische oder rückgebildete" Theile nennen, oder, mit Rücksicht auf den physiologischen Degenerations-Process, der diese bewirkt: „degenerirte oder entbildete Theile". Im Ganzen hat man denselben in der Botanik eine weit allgemeinere Aufmerksamkeit geschenkt, als in der Zoologie, ohne dass jedoch, dort wie hier, die eigentliche Bedeutung derselben gewöhnlich richtig erkannt worden wäre. Allerdings liegen bei den Pflan-
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Die Descendenz - Theorie und die Selections - Theorie.
zen, deren Organ - Differenzirung durchschnittlich ja sehr viel einfacher als diejenige der Thiere ist, diese cataplastischen Organe viel offener und augenfälliger zu Tage, und es lässt sich hier auch oft durch vergleichend anatomische und morphogenetische Untersuchung viel leichter der Nachweis ihrer eigentlichen Entstehung und Bedeutung führen, als bei den Thieren, doch sind dieselben auch bei den letzteren so allgemein vorhanden, dass es bei jeder genaueren vergleichenden Betrachtung dieselben in Menge nachzuweisen gelingt. Wir können fast bei allen Organismen, Thieren, Protisten und Pflanzen, rudimentäre oder cataplastische Theile erkennen, sobald dieselben überhaupt einen gewissen Differenzinings - Grad überschritten und eine gewisse Reihe von Entwickelungs - Stadien durchlaufen haben. Die einzige Vorsicht, welche bei der Untersuchung der rudimentären oder abortiven Theile nöthig j s t , besteht darin, dass man sich vor einer Verwechslung derselben mit werdenden oder neu entstehenden Theilen hütet. Auch diese, in Anaplase begriffenen Theile, können als „Rudimente", d. h. als unbedeutende und unscheinbare, physiologisch werthlose und morphologisch unentwickelte Theile erscheinen. Meistens wird aber entweder ein Blick auf den Gang der individuellen Entwickelung oder auf die Bildung desselben Organs bei verwandten Organismen, genügen, uns erkennen zu lassen, ob dasselbe in fortschreitender Anaplase oder in rückschreitender Cataplase begriffen ist. Nur im letzteren Falle verdient dasselbe den Namen des „abortiven oder atrophischen Organs". Am leichtesten werden wir zur Erkenntniss der rudimentären Theile gewöhnlich auf physiologischem Wege geleitet, durch die Feststellung nämlich, dass der betreffende Körpertheil, obwohl morphologisch vorhanden, dennoch physiologisch nicht existirt, indem er keine entsprechenden Functionen ausführt. In dieser Beziehung kann also der betreffende Körpertheil entweder für den Organismus vollständig nutzlos, gleichgültig, ein „Organ ohne Function", ein „Werkzeug ausser Dienst" sein, oder aber ihm sogar positiv nachtheilig und schädlich. Sehr häufig bedarf es jedoch keiner physiologischen Reflexion, um die rudimentären oder cataplastischen Theile als solche zu erkennen. Ein Blick auf ihre empirisch leicht festzustellende individuelle Entwickelung, oft schon ein vergleichend anatomischer Blick auf ihre Bildung bei verwandten Organismen, genügt, um sie als wirklich rückgebildete, cataplastische Theile nachzuweisen. Sobald man hinreichenden Ueberblick über die Morphologie der Organismen besitzt, um die dreifache Parallele der paläontologischen, embryologischen und systematischen Entwickelungsreihe zu erkennen und richtig zu würdigen , so fällt es nicht mehr schwer, bei den allermeisten OrganismenArten rudimentäre Theile mit Sicherheit nachzuweisen.
X. Dysteleologie oder Unzweckmässigkeitslehre.
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Χ , Β. E n t w i c k e l u n g s g e s c h i c h t e d e r r u d i m e n t ä r e n o d e r cataplastischen Individuen. Wenn es wirklich solche „unzweckmässige, unnütze" oder sogar nachtheilige und positiv schädliche Theile (Form - Individuen) im Körper der meisten Organismen giebt, wie sie von der Dysteleologie in der ausgedehntesten Verbreitung nachgewiesen werden, so kann die Erklärung dieser höchst merkwürdigen Erscheinungen nur von der Entwickelungsgeschichte geliefert werden. Da die Existenz der rudimentären Theile vollkommen unvereinbar ist mit der herrschenden teleologischen Dogmatik, und speciell mit der dualistischen Annahme, dass der Organismus in allen seinen Theilen zweckmässig eingerichtet sei, dass alle Theile durch eine Causa f'nwlis bestimmt werden, als zweckthätige Organe zum Besten des Ganzen zusammenzuwirken, so können nur blinde mechanische „Causae efficient es" als die Ursachen ihrer Entstehung gedacht werden. Die einzig mögliche Annahme, welche dieselben zu erklären vermag, welche sie aber auch vollständig und in der befriedigendsten Weise erklärt, ist aus der DescendenzTheorie zu entnehmen; diese behauptet, dass die cataplastischen Theile die ausser Dienst getretenen, unbrauchbar gewordenen Reste von wohl entwickelten Theilen sind, welche in den Voreltern der betreffenden Organismen zu irgend einer Zeit vollständig entwickelt, funetionsfähig, und thatsächlich wirksam waren; und diese Erklärung der Abstammungslehre wird durch die Thatsachen der phylogenetischen und ontogenetischen Entwickelungsgeschichte vollkommen bestätigt. Dass diese früher gut entwickelten und leistungsfähigen Theile später in der jüngeren Generation der Species leistungsunfähig wurden, und verkümmerten, liegt zunächst und unmittelbar an einer E r n ä h r u n g s V e r ä n d e r u n g des betreffenden Theils, welche durch besondere Anpassungs-Bedingungen verursacht ist. Diese Adaptations-Verhältnisse können sehr verschiedener Natur sein. Die grösste Rolle spielt dabei gewöhnlich der Nichtgebrauch des Organs, die mangelhafte oder ganz ausfallende Function. Ebenso wie durch andauernden Gebrauch und Hebung eines bestimmten Körpertheils dessen Ernährung und damit auch das Wachsthum gefördert wird, wie Gebrauch und Uebung zur Vergrösserung und Verstärkung (Hypertrophie) eines Körpertheils führen, ebenso führt umgekehrt der mangelhafte oder unvollständige Gebrauch zur Schwächung und Abnahme desselben (Atrophie), indem zunächst das Wachsthum und die Ernährung herabgesetzt wird. Indem nun diese durch Anpassung an bestimmte Existenzbedingungen bewirkte Modification eines Körpertheils von dem betreffenden Organismus auf seine Nachkommen vererbt wird, indem durch fortdauernden Nichtgebrauch des abnehmenden Organs sich die Schwächung dessel-
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Die Descendenz - Theorie und die Selections - Theorie.
ben häuft, führt dieser Generationen hindurch fortgesetzte Mangel an Uebung endlich zu einem vollständigen Ausfallen, einem gänzlichen Schwunde des Organs. Es werden also Körpertheile, welche Generationen hindurch gar nicht oder nur schwach gebraucht werden, nicht allein beständig schwächer, atrophischer, rudimentärer, sondern ihr Riickbildungs-Process, ihre Cataplase, führt schliesslich zum vollständigen Schwunde, zum vollendeten „Abortus". Der Weg, auf dem die rudimentären Theile entstehen, ist also offenbar derselbe, wie derjenige, auf dem neue Theile entstehen. Nur die Richtung der Bildungsbewegung ist in beiden Fällen entgegengesetzt. Ebenso wie bei der Neubildung eines Organs eine Reihe von vielen Generationen hindurch zahlreiche kleine Zunahmen sich häufen, und so endlich zur Entstehung eines ganz neuen Theils fiihreu, so häufen sich bei der Rückbildung eines Organs allmählich zahlreiche kleine Abnahmen, bis dasselbe nach Verlauf einer grösseren Generations-Reihe endlich ganz verschwindet. Hier wie dort ist es die Anpassung und die Vererbung, welche zusammen wirken und welche, im Kampfe ums Dasein wirksam, die natürliche Zuchtwahl als die bildende Ursache erkennen lassen. Wir kommen hierbei zurück auf die schon vorher ( S. 262) erläuterte wichtige Thatsache, dass die natürliche Züchtung keineswegs immer bloss fortbildend, anaplastisch, sondern auch rückbildend, cataplastisch, wirkt. Sobald die Existenz - Bedingungen (ζ. B. beim Parasitismus) so einfach werden, dass der Organismus, vorher an complicirtere Bedingungen angepasst, seine entsprechend complicirten Organe nicht mehr braucht, so werden diejenigen Individuen, welche sich am meisten und am schnellsten zurückbilden, diesen einfacheren Lebens - Bedingungen sich am besten und vollständigsten anpassen, und daher einen Vortheil im Kampf ums Dasein vor den vollkommqeren Individuen der gleichen Art besitzen. So entstehen also durch natürliche Zuchtwahl nicht nur vollkommnere, sondern auch unvollkommnere Individuen und Organe. Ein und derselbe Process führt in einem Falle zur höheren Ausbildung und Vervollkommnung des Organs und selbst zur Neubildung vorher nicht existirender Theile, im anderen Falle dagegen umgekehrt zur Rückbildung und Verkümmerung desselben, und endlich selbst zum Verschwinden mancher existirenden Theile. Schon hieraus geht hervor, dass, wie wir in den beiden vorhergehenden Abschnitten zeigten, die Differenzirung der Organismen keineswegs immer und nothwendig mit einer Vervollkommnung, vielmehr häufig mit entschiedener Rückbildung verbunden ist. Es ist besonders wichtig, hierbei ins Auge zu fassen, dass durch den Besitz hoch differenzirter Theile dem Organismus nicht allein Vortheile, sondern auch Lasten erwachsen, und dass also das Verschwinden solcher
X. Dysteleologie oder TTnzweckmässigkeitslehre.
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Theile, welche immer eine bestimmte Quantität von Nahrung erfordern, für ihn ein positiver Vortheil ist, sobald dieselben nicht mehr in Gebrauch, ihm nicht mehr von Nutzen sind. So wird für eine VogelArt, welche aus irgend einem Grunde sich das Fliegen abgewöhnt und sich zum Laufen ausbildet, die allmähliche Verkümmerung und Reduction der Flügel schon allein aus dem Grunde ein grosser Vortheil sein, weil der beträchtliche Aufwand von Nahrungsmaterial, den die Flügel erforderten, nunmehr dem übrigen Körper zu Gute kommt. Die schwächere Ernährung der oberen, nicht mehr gebrauchten Extremitäten, wird hier unmittelbar eine entsprechend stärkere Ernährung der unteren, allein zur Ortsbewegung gebrauchten Extremitäten herbeiführen , und der Aufbildung der letzteren wird die Rückbildung der ersteren parallel gehen. Für ein parasitisches Krustenthier, welches in der Jugend frei beweglich und mit Sinnes - Organen versehen ist, wird späterhin, wenn es zur parasitischen Lebensweise übergegangen ist und sich festgesetzt hat, der Verlust der Sinnes- und BewegungsOrgane ein entschiedener Vortheil sein. Denn dieselben ErnährungsSäfte, dieselben Massen von Materie, welche vorher für die Unterhaltung und Uebung jener Organe verwandt wurden, können nunmehr, wo diese nicht mehr in Wirksamkeit sind, zur Bildung von Fortpflanzungs-Stoffen verwandt werden. Es ist also die möglichst ausgedehnte Rückbildung und der eventuelle Schwund der unnützen Theile für den übrigen Körper von entschiedenem Nutzen, wie wir es schon nach dem Gesetz der wechselbezüglichen Anpassung, bei der grossen Wichtigkeit der Wechselbeziehungen der verschiedenen Körpertheile zu einander, erwarten konnten. Der negative Vortheil, den der Verlust bestimmter überflüssiger oder schädlicher Theile dem Organismus gewährt, wird also im Kampfe um das Dasein ebenso züchtend wirken, wie irgend ein anderer positiver Vortheil. Er wird die Rückbildung (Cataplase) und endlich die vollständige Vernichtung (Abortus) des cataplastischen Theils bewirken. Die Parallele zwischen der Phylogenie und Ontogenie tritt auch in diesem Falle wiederum auf das schlagendste an's Licht; denn die gesammte individuelle Entwickelunggeschichte der rudimentären Theile zeichnet uns in kurzer Zeit mit flüchtigen aber charakteristischen Strichen die Grundzüge des langen und langsamen cataplastischen Processes, durch welchen die rudimentären Theile im Laufe vieler Generationen durch Anpassung an einfachere Lebens-Bedingungen, durch Nichtgebrauch, NichtÜbung etc. von ihrer früheren Ausbildungs-Höhe herabsanken. Hier, wenn irgendwo, kann auch der eifrigste Dualist, falls er nicht ganz mit teleologischer Blindheit geschlagen ist, sich monistischen Anschauungen nicht entziehen; ja dieselben sind hier sogar unbewusst schon durch den Sprachgebrauch ausgedrückt, denn
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Die Descendenz-Theorie und die Selections - Theorie.
die Bezeichnungen der „verkümmerten, fehlgeschlagenen, abortirten, atrophischen" Theile involviren selbstverständlich die Annahme einer früher dagewesenen höheren Ausbildung. Bei Betrachtung der parasitischen Crustaceen und ihrer regressiven Metamorphose muss jeder Zweifel verschwinden. Hier hört jeder dualistische Erklärungs-Versuch auf. Jede Teleologie unterliegt dem Gewichte dieser handgreiflichen Argumente, und der Monismus feiert durch die Descendenz - Theorie seinen glänzendsten Sieg 1 ). X, C. D y s t e l e o l o g i e d e r I n d i v i d u e n v e r s c h i e d e n e r Ordnung. 1.
Dysteleologie der Piastiden.
(Lehre von den cataplastisehen
Individuen
erster
Ordnung.)
Wenn bisher von rudimentären, verkümmerten, fehlgeschlagenen, atrophischen, abortiven Theilen die Rede war, hat man fast immer vorzugsweise oder allein von „Organen" gesprochen; und auch D a r w i n , welcher im dreizehnten Capitel seines Werkes zuerst deren hohe Bedeutung vollkommen gewürdigt hat, spricht nur von „rudimentären Organen". Da nun aber die Organe, morphologisch betrachtet, nichts Anderes als Individuen zweiter Ordnung sind, wird sich uns unmittelbar die Yermuthung aufdrängen, dass auch die Individuen der übrigen Ordnungen in rudimentärem Zustande sich werden finden können. Dies ist in der That der Fall, und zwar in der weitesten Ausdehnung. Individuen aller sechs Ordnungen werden in rudimentärem oder cataplastischem Zustande angetroffen, und zwar sowohl im Thier- als im Pflanzenreich in den verschiedensten Graden der Rückbildung. Obgleich gerade an den Organen, wegen deren hervorragender physiologischer Wichtigkeit, die Entstehung und Bedeutung der rudimentären Beschaffenheit recht auffallend hervortritt, so ist diese desshalb doch bei den anderen fünf Individualitäten in nicht geringerem Grade häufig und bedeutend; ja wir glauben, dass für die Morphologie, und vorzüglich für die Promorphologie, die paläontologische Cataplase der ' ) Welche ausserordentlich hohe Bedeutuug gerade die parasitischen Crnstaceen in dieser Hinsicht besitzen , hat Niemand richtiger e r k a n n t , als F r i t ζ Μ ü 11 e r in seiner bewundernswürdigen Schrift „ F ü r D a r w i n " (Leipzig 1864. p. 2). „Nirgends," sagt er, „ist die Versuchung dringender, den Ausdrücken: Verwandtschaft, Hervorgehen aus gemeinsamer Grundform — und ähnlichen, eine mehr als bloss bildliche Bedeutung beizulegen , als bei den niedern Krustern. Namentlich bei den Schmarotzerkrebsen pflegt j a längst alle W e l t , a l s w ä r e d i e U m w a n d l u n g d e r A r t e n e i n e s e l b s t v e r s t ä n d l i c h e S a c h e , in kaum bildlich zu deutender Weise von ihrer Verkümmerung d u r c h s Schmarotzerleben zu reden. Es mochte wohl Niemandem als eines Gottes würdiger Zeitvertreib erscheinen, sich mit dem Ausdenken dieser wunderlichen Verkrüppelungen zu belustigen, und so liess man sie durch eigene Schuld, wie Adam beim Simdenfall, von der früheren Vollkommenheit herabsinken."
X.
Dyeteleologie oder Unzweckmässigkeitslehre.
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Form-Individuen erster und vierter Ordnung, der Piastiden und Metameren, noch viel bedeutender und wichtiger ist, als diejenige der Organe. Wir wollen hier daher einen flüchtigen Blick auf die verschiedene Anwendung der Dvsteleologie bei morphologischen Individuen aller sechs Ordnungen werfen. Die Piastiden oder Plasmastücke, die morphologischen Individuen erster Ordnung sind in rudimentärem oder cataplastischem Zustande äusserst verbreitet. Denn jedes zusammengesetzte Form-Individuum zweiter bis sechster Ordnung, welches wir als cataplastisches betrachten müssen, verdankt seinen rudimentären Zustand und die bewirkende Ursache desselben, seine phylogenetische Degeneration, zunächst einer paläontologischen Cataplase seiner constituirenden Piastiden. Ebenso wie jede physiologische und morphologische Eigenschaft eines polyplastiden Individuums, vom Organ bis zum Stock hinauf, das unmittelbare Resultat oder die nothwendige Summe der physiologischen und morphologischen Eigenschaften der Piastiden ist, welche dasselbe zusammensetzen, ebenso ist auch jeder atrophische, abortive, cataplastische Zustand eines polyplastiden Organismus durch die entsprechende Cataplase der ihn zusammensetzenden Piastiden bedingt. Da mithin alle Fälle von Dysteleologie, welche wir an den Form-Individuen zweiter bis sechster Ordnung wahrnehmen, zugleich Fälle von Dysteleologie der Piastiden sind, so brauchen wir hier keine speciellen Beispiele für diese äusserst verbreitete Erscheinung anzuführen. Wir bemerken nur, dass die übergrosse Mehrzahl aller polyplastiden Organismen eine Anzahl von rudimentären Piastiden besitzt, da in den allermeisten Fällen die Differenzirung ihrer Vorfahren nicht ausschliesslich in progressiven, sondern auch an einzelnen Theilen des Körpers zugleich in regressiven Anpassungen bestanden hat. Gewöhnlich ist mit der fortschreitenden Metamorphose der meisten Körpertheile eine rückschreitende an einigen Stellen verbunden, und diese beruht wesentlich auf der Cataplase der constituirenden Piastiden. Die physiologischen Processe, welche unmittelbar die Cataplase der abortirenden oder verkümmernden Piastiden bedingen, sind die verschiedenen Vorgänge der Degeneration oder Entbildung, welche wir oben bereits namhaft gemacht haben, also besonders einfache Atrophie, Erweichung, fettige Degeneration, Verhärtung, Verkalkung u. s. w. Im Einzelnen sind diese physiologischen Grundlagen der Piastiden-Cataplase noch sehr wenig untersucht. 2.
Dysteleologie der Organe.
(Lehre von den eataplastisclien
Individuen
zweiter
Ordnung.)
Die Organe oder die morphologischen Individuen zweiter Ordnung sind bisher, wie bemerkt, fast ausschliesslich Gegenstand dysteleologiH a e c k e l , Generelle Morphologie, Π.
Jg
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Die Descendenz-Theorie und die Selections-Theorie.
scher Betrachtungen gewesen, und es erklärt sich dies daraus, dass gerade hier das physiologische Paradoxon ihrer Existenz bedeutend in die Augen springt. Da bei den meisten Organen mehr, als bei den meisten Form -Individuen anderer Ordnungen, die bestimmte physiologische Bedeutung klar ausgesprochen und in den meisten Fällen uns bekannt ist, so muss gerade hier der räthselhafte Widerspruch zwischen der morphologischen Existenz und der physiologischen Bedeutungslosigkeit der rudimentären Individuen besondere auffallend hervortreten und der teleologischen Naturbetrachtung unübersteigliche Hindernisse bereiten. Daher ist auch gerade hier sehr leicht zu beweisen, dass nur die Descendenz-Theorie diese, von teleologischem Standpunkte durchaus unerklärlichen Erscheinungen ebenso einfach als befriedigend zu erklären vermag. Denn was kann ein „Schöpfer" in seinem „Schöpfungsplan" mit der Bildung von unzweckmässigen Organen „bezweckt" haben, mit der zweckmässigen Einrichtung von Werkzeugen, welche niemals in Function treten? Wenn irgendwo die monistisch - mechanische Auffassung der organischen Natur vollkommen unwiderlegbar ist, so ist es an diesem Punkte; und wenn wir vorher die gesammte Dysteleologie als die Klippe bezeichnet haben, an der jeder teleologische und vitalistische Dualismus rettungslos zerschellt, so gilt dies in ganz besonderem Grade von der Dysteleologie der Organe. „Organe" im eitgeren, rein morphologischen Sinne (also morphologische Individuen zweiter Ordnung), welche die Bezeichnungen ..rudimentärer, atrophischer, abortiver, fehlgeschlagener, verkümmerter, entarteter Organe" u. s. w. verdienen und welche wir sämmtlich als „cataplastische Organe" zusammenfassen wollen, siud in der gesammten Organismenwelt, im ganzen Thierreich, Protistenreich Und Pflanzenreich so ausserordentlich weit vei'breitet, und so äusserst mannichfaltig gebildet, dass die gesammte vergleichende Anatomie in fast allen Organismen-Gruppen uns eine Fülle von schlagenden Beispielen liefert. Wir wollen nur einige der wichtigsten hervorheben. Am auffallendsten und bemerkenswerthesten sind diejenigen Fälle von cataplastischen Organen, bei denen eine ganz bestimmte, specielle und besonders ausgebildete Function eines sehr zusammengesetzten Organs vollständig aufgehoben ist, trotzdem das Organ selbst vorhanden ist. Kein Organ des thierischen Körpers ist in dieser Beziehung vielleicht so ausserordentlich merkwürdig, als das A u g e , und die rudimentären Augen der parasitischen und unterirdischen Thiere müssen selbst dem befangensten und blödesten Naturforscher-Auge die Unmöglichkeit teleologisch-vitalistischer Erklärungen klar machen. W7ir finden solche rudimentäre Augen in den verschiedensten Stadien der Cataplase, nicht selten noch mit vollständig erhaltenen lichtbrechenden Medien und dem gesammten optischen Apparate der ausgebildeten
X.
Dyeteleologie oder Unzweckmässigk eitelehre.
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und functionirenden Augen, während sie doch statt der durchsichtigen Cornea vollständig von undurchsichtiger Haut bedeckt sind, so dass kein Lichtstrahl in sie hineinfallen kann. Bei parasitischen und besonders bei Höhlen bewohnenden Thieren der verschiedensten Gruppen können wir sie von diesem ersten Stadium der Cataplase bis zur vollständigen Verkümmerung und endlich zum gänzlichen Schwunde verfolgen. Von den zahlreichen Beispielen erwähnen wir bloss: von den S ä u g e t h i e r e n : mehrere Maulwürfe (Ttdpu caeca, Chrijsochl'rris) und Blindmäuse iSpalar. tijphlns. Ctenowys') etc.); von den R e p t i l i e n : viele unterirdisch lebende Eidechsen und Schlangen (Typhiine, Dilxtnnis. Acowtias caecns. Amphisharna. Typ/t tops etc.); unter den A m p h i b i e n : Cneeilia. Proteus angninens und andere Proteiden; unter den F i s c h e n : die Heteropygier (Amhtyopsis spelueits und Typhiichthys sitbferrnnens), einige Welse (Silurηs caenriicns), einige Aale Apterirbtlnjs liierns), und die! parasitischen jMyxinoiden (besonders (instrohrmic/nis caecus). Noch Viel zahlreicher, als unter den Wirbelthieren, sind Beispiele von rudimentären Augen unter allen Abtheilungen der Wirbellosen zu finden, besondere bei Parasiten, Höhlenbewohnern, und solchen, die auf dem dunkeln Grunde des tiefen Meeres leben; wir erinnern bloss an die zahlreichen blinden Insecten (besondere Hymenopteren und Käfer», Arachniden, Crustaceeu 2 ), Schnecken, Würmer etc. Alle Stadien der paläontologischen Cataplase sind hier anzutreffen und liefern die unwiderleglichsten Beweise für die Descendenz - Theorie. Nächst den Gesichts - Organen sind es vorzüglich die F l u g o r g a n e , welche unter den cataplastischen Organen besondere merkwürdig und wichtig sind. Wir haben bloss zwei Thierklassen mit entwickelten Flug* > Die rudimentären Augen von CUnomi/f
sind besonders deshalb interessant,
weil
nach einer von D a r w i n darüber gemachten Mittheilung die Rückbildung der Augen bei diesem Nagethier
noch
gegenwärtig im Gange ist, und deutlich zeigt, dass nicht aus-
schliesslich der ..Nichtgebrauch··,
sondern auch andere secundäre Ursachen die Cataplase
durch natürliche Züchtung begünstigen oder veranlassen über im fünften Capitel seines W e r k s kanischer N a g e r . Ctenomyhat
können.
D a r w i n macht hier-
folgende interressante Mittheilung: ..Ein südameri-
eine noch mehr unterirdische Lebensweise, als der Maul-
wurf. und ein Spanier, welcher oft dergleichen gefangen, versicherte mir. dass solche o f t g a n z b l i n d seien; einer, den ich lebend bekommen, war es gewiss, und z w a r , wie die Section e r g a b , in Folge einer Entzündung der Nickhaut.
D a häutige Angen - Entzündun-
gen einem jeden Thiere nachtheilig werden müssen, und da fur unterirdische Thiere die Augen gewiss nicht unentbehrlich sind, so wird eine Verminderung ihrer Grösse, die Verwachsung des Augenlides damit, und die ITeberziehnng derselben mit dem Felle für sie von Nutzen sein: und wenn dies der Fall, so wird natürliche Züchtung die Wirkung des Nichtgebrauchs beständig unterstützen. 2)
Unter den historisch e r b l i n d e t e n höheren Crustaceeu sind ganz besonders merk-
würdigeinige stieläugige Krabben ( P o d o p h t h a ! m e η), bei denen der A u g e η s t i e l noch vorhanden,
obwohl das Auge selbst verloren ist.
Wie D a r w i n
treffend bemerkt,
ist
hier das Teleskopen-Gestell geblieben, obwohl das Teleskop selbst mit seinem Glase v e r loren gegangen ist.
t8*
276
Die Descendenz-Theorie und die Selections - Theorie.
Organen, welche hier in Betracht kommen, die Vögel und die Insecten; denn die unvollkommenen Flügel (Brustflossen) der fliegenden Fische (Daclylopleriis, Exococtns, Pegasus), sowie der fliegenden Leguane (Th'aco), Beutelthiere (Petaurus), Nagethiere (Pteromys) und Dermopteren (Galeopitf.ecus), sind erst w e r d e n d e (anaplastische), nicht verkümmernde Flugorgane, und unter den fliegenden Fledermäusen und Pterodactylen mit vollkommen entwickelten Flugorganen sind uns keine rudimentären oder verkümmerten Fälle bekannt. Unter den V ö g e l n sind durch die mehr oder weniger weit gehende Reduction der Flugwerkzeuge vorzüglich diejenigen ausgezeichnet, welche sich das Laufen angewöhnt und dabei das Fliegen verlernt haben: die merkwürdige Ordnung der Cursores: Strauss, Rhea, Casuar, Apteryx, Didus. Als rudimentäre Flugorgane können auch die Flügel der Pinguine (Aplenodytes), betrachtet werden, welche jedoch in gute Schwimmorgane umgewandelt, und daher nicht so ohne Function, wie die Flügel der Cursores oder Laufvögel sind. Unter den Insecten sind die Beispiele von rudimentären oder verkümmerten Flügeln in allen Ordnungen, und in sehr vielen Familien, so überaus zahlreich, dass wir in dieser Beziehung einfach auf die Handbücher der Entomologie verweisen können. Es finden sich hier nicht allein viele Arten, bei denen eines der beiden Geschlechter (gewöhnlich das Weibchen) flügellos, das andere (gewöhnlich das Männchen) geflügelt ist, sondern auch viele Gattungen, von denen einzelne Arten mit rudimentären, die andern mit entwickelten Flügeln versehen sind, ferner ganze flügellose Gattungen neben anderen geflügelten Gattungen derselben Familie, flügellose Familien neben geflügelten Familien derselben Ordnung, und endlich eine so grosse Gruppe von niederen flügellosen Insecten ohne Verwandlung, dass man dieselben sogar als eine besondere Ordnung unter dem Namen der flügellosen Insecten (Aptera) vereinigt hat. Die Flugwerkzeuge finden sich in allen diesen Fällen auf den verschiedensten Stadien der paläontologischen Cataplase, so dass über ihre Verkümmerung durch natürliche Züchtung gar kein Zweifel existiren kann. Es sind aber diese Fälle um so wichtiger, als offenbar alle anatomischen und morphogenetischen Verhältnisse der Insecten bestimmt darauf hinweisen, dass alle Mitglieder der Insecten-Classe, in dem Umfange, in welchem wir heutzutage dieselbe kennen (also auch alle jetzt lebenden Insecten aller Ordnungen) von gemeinsamen geflügelten Voreltern abstammen, und dass demnach alle gegenwärtig existirenden Fälle von Insecten mit rudimentären Flügeln (ebenso wie alle Fälle von Vögeln mit rudimentären Flügeln) einer phylogenetischen Cataplase durch natürliche Zuchtwahl ihrem Ursprung verdanken. Wie die Flug-Werkzeuge, so liefern uns auch die übrigen B e w e g u n g s - O r g a n e der Thiere eine endlose Fülle von schlagenden Bei-
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Dysteleologie oder Unzweckmässigkeitelehre.
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spielen fiir die Dysteleologie. Es gehören hierher die interessantesten Phaenomene aus der vergleichenden Anatomie der activen (Muskeln) und passiven Bewegungs-Werkzeuge (Skelettheile). Wir erinnern bloss an einen der wichtigsten und am besten bekannten Theile der vergleichenden Anatomie, an die comparative Osteologie und Myologie der Wirbelthiere. Wie dieser Theil der Morphologie von den geistreichsten vergleichenden Anatomen aller Zeiten, von A r i s t o t e l e s an bis auf G o e the, C u v i e r , J o h a n n e s M ü l l e r , G e g e n b a u r und H u x l e y 1 ) , mit Recht als besonderer Lieblingszweig bevorzugt worden ist, und wie er uns auf jeder Seite die schlagendsten Beweise fiir die DescendenzTheorie in Hülle und Fülle liefert, so bereichert derselbe auch die Dysteleologie mit einer solchen Masse von Material, dass es schwer wird, einzelne Fälle besonders hervorzuheben. Es giebt fast keinen Theil des Wirbelthier-Skelets und der Wirbelthier-Muskulatur, welcher nicht durch alle Stadien der phylogenetischen Cataplase hindurch (in sehr vielen Fällen sogar bis zum vollständigen Schwunde) zu verfolgen wäre. Ganz vorzüglich gilt dies von den Extremitäten. Wir erinnern bloss daran, dass alle uns bekannten Wirbelthiere (vielleicht mit einziger Ausnahme des Amphioxus) von gemeinsamen archolithischen Voreltern abstammen, welche zwei Extremitäten-Paare, ein Paar Vorderbeine (Brustflossen) und ein Paar Hinterbeine (Bauchflossen) besassen, und dass diese vier Extremitäten sowohl unter den jetzt noch lebenden Vertebraten, als unter ihren ausgestorbenen Voreltern, durch alle Stadien der historischen Rückbildung oder der phylogenetischen Cataplase hindurch zu verfolgen sind, und zwar sowohl die ganzen Extremitäten, als alle ihre einzelnen Theile, von letzteren namentlich auch die f ü n f Zehen (welches offenbar die ursprüngliche Zehenzahl für jeden Fuss der gemeinsamen Stammeltern aller höheren Wirbelthiere von den Amphibien aufwärts war). Den Gipfel der paläontologischen Reduction der vier ursprünglichen Wirbelthier-Extremitäten finden wir erreicht in ihrem vollständigen Schwunde bei den meisten Schlangen und bei 1) Während die vorzüglichen vergleichend-anatomischen Arbeiten von A r i s t o t e l e s , C u v i e r und J o h a n n e s M ü l l e r zeigen, wie auch der grösste Genius das vielfach verschlungene Rathsei der organischen Morphologie von teleologisch - vitalistischem Standpunkte nicht zu lösen vermag, und wie auch die sorgfaltigsten Untersuchungen ohne den monistischen Grundgedanken der gemeinsamen Abstammung vergeblich nach Erklärung dieser unendlich verwickelten Erscheinungen ringen, so finden wir dagegen in den entsprechenden Arbeiten von G o e t h e , G e g e n b a u r und H u x l e y den augenfälligen Beweis, wie dieselBen durch den monistischen Grundgedanken der Descendenz - Theorie eine ebenso einfache als harmonische und vollständige Erklärung finden. Vergl. vorzüglich G e g e n b a u r's ausgezeichnete ,,Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere" (I. Carpus und Tarsus; II, Schultergürtel der Wirbelthiere, Brustflossen der Fische) Leipzig, 1864. 1865.: und ferner H u x l e y ' s vortreffliche „Lectures on the elements of comparative anatomy"; London, 1864.
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Die Descendenz- Theorie und die Selections-Theorie.
den flossenlosen Fischen (Apterichthys, Uropferygiits, Gymiiothnrux und anderen Aalen). Uebrigens sind auch bei allen Classen der Wirbellosen die Beispiele von theilweiser und vollständiger Cataplase der activen und passiven Bewegungs-Organe, und besonders der Extremitäten, so ausserordentlich zahlreich und mannichfaltig, dass wir in der That keinen besonderen Fall hervorzuheben brauchen. Die auffallendsten Beispiele liefern die Gliederthiere, vorzüglich die Parasiten in den verschiedenen Ordnungen der Crustaceen etc. Auch unter den E r n ä h r u n g s - O r g a n e n finden wir alle möglichen Stadien der phylogenetischen Cataplase durch natürliche Züchtung. Alle einzelnen Theile der Verdauungs- und Circulations-Organe, der Respirations- und Secretions - Organe, sowie diese ganzen OrganApparate selbst, können theilweise oder vollständig der historischen Rückbildung im Kampf ums Dasein unterliegen. Eine Menge von besonders einfachen und schlagenden Beispielen liefert das Gebiss der Wirbelthiere und besonders der Säugethiere. Namentlich sind hier die von Darwin angezogenen Beispiele der Wiederkäuer und Cetaceen von Interesse. Die Kälber der Rinder besitzen vor der Geburt im Oberkiefer verborgene Zähne, welche niemals' den Kiefer durchbrechen. Ebenso besitzen die Embryonen der zahnlosen Barten-Wale in beiden Kiefern Zähne, die niemals in Function treten. Bei den meisten Ordnungen der Säugethiere sind einzelne Zähne des completen Gebisses rudimentär geworden, welches die gemeinsamen Voreltern der Mammalien besassen, bei der einen die Schneide-, bei der anderen die Eck-, bei der dritten die Backzähne. Bei den Edentaten geht diese Reduction noch viel weiter und wird oft ganz vollständig und allgemein. Die Speicheldrüsen werden bei vielen im Wasser lebenden Säugethieren rudimentär, so namentlich bei den Pinnipedien und den carnivoren Cetaceen, bei welchen letzteren sie gänzlich schwinden. Sehr häufig werden auch andere Drüsen und Anhänge des Darmcanals rudimentär, ζ. B. die Appendices pyloricae und die Schwimmblase bei vielen Fischen. Beim Menschen ist als ein solcher rudimentärer Darmanhang besonders der Processus vermiformis des Blinddarms hervorzuheben '). Ganz vollständige Verkümmerung des Darmcanals bis zum Schwinden findet sich bei einigen Imagines (namentlich Männchen) 1) Der menschliche Processus vermifornis verdient desshalb besondere Berücksichtigung, weil er nicht nur ein u n n ü t z e s , sondern sogar ein entschieden s c h ä d l i c h e s u n d g e f ä h r l i c h e s „rudimentäres Organ" darstellt. Bekanntlich veranlasst das Steckenbleiben von Fruchtkernen u. dergl. im Wurmanhang sehr häufig Entzündungen desselben und seiner Umgebung (Typhlitis, Perityphlitis), welche meistens letalen Ausgang haben· Dagegen ist (lie Verödung und Verwachsung desselben in Folge einer solchen Entzündung durchaus mit keinem Nachtheil für den menschlichen Organismus verbunden. Es ist daher zu erwarten, dass die natürliche ZUchtung denselben vollständig zum Verschwinden bringen wird.
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Dysteleologie oder Unzweckmäseigkeitslehre.
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von Insecten (deren Larven einen Darm besitzen), ferner bei einigen Crustaceen und vielen Würmern, besonders den Acanthocephalen und Cestoden, deren Voreltern zweifelsohne einen Darm besessen haben. Nicht minder zahlreich und mannichfaltig sind die dysteleologischen Beispiele im Bereiche des Circulations-Systems. Wir erinnern bloss daran, dass von den mehrfachen (3 — 7) Aortenbogen-Paaren, welche die gemeinsamen Voreltern aller uns bekannten Wirbelthiere besassen, die meisten Vertebraten nur einen oder einige Bogen entwickelt, den grösseren Theil verkümmert zeigen, und dass von den beiden abdominalen Aortenstämmen bei den Vögeln der linke, bei den Säugern der rechte atrophirt. Vollständigen Schwund des Circulations-Systems, und ebenso auch des Respirations - Systems finden wir bei vielen durch Parasitismus rückgebildeten Thieren, besonders Gliederthieren. Durch Schwund einer von beiden Lungen zeigen sich die meisten Schlangen und viele schlangenähnliche Eidechsen aus. Partieller Schwund der Kiemen (an der Zahlenreduction der Kiemenblattreihen sehr deutlich nachzuweisen) findet sich bei vielen Fischen. Ebenso erleiden die verschiedenartigen Secretions- und Excretions-Organe in den verschiedenen Thierklassen, oft bei nahe verwandten Arten, den verschiedensten Grad der Cataplase. Auch die F o r t p f l a n z u n g s - O r g a n e liefern uns eine Fülle der trefflichsten dysteleologischen Beweise, die besonders dann von Interesse sind, wenn die Sexual-Organe bei beiden Geschlechtern in derselben Form angelegt und ursprünglich in der Weise differenzirt sind, dass beim männlichen Geschlecht eine Reihe, beim weiblichen Geschlecht eine andere Reihe von Theilen rudimentär geworden ist, während eine dritte Reihe bei beiden Geschlechtern zur vollständigen Eutwickelung gekommen ist. Auch hier wieder sind die Wirbelthiere und namentlich die Säugethiere von besonderer Wichtigkeit. Hier werden beim Manne die Müllerschen Fäden rudimentär und nur die Reste ihres unteren Endes bilden den Uterus masculinus (die Vesicula prostatica), die Reste des oberen Endes die Morgagnische Cyste des Nebenliodenkopfs, während beim Weibe Uterus und Eileiter aus denselben Müllerschen Fäden gebildet werden. Umgekehrt verhalten sich die Wölfischen Gänge oder die Ausführungsgänge der Primordial-Nieren, welche beim Weibe (als sogenannte „Gartnersche Canäle") rudimentär werden, während dieselben beim Manne sich zu den Saamenleitern ausbilden. Ebenso schwinden auch beim Weibe die Urnieren selbst (oder -die Wölfischen Körper), indem als abortiver Rest derselben bloss die Rosenmüllerschen Organe oder Nebeneierstöcke (Parovaria) übrig bleiben, wogegen aus denselben beim Manne sich der Nebenhoden (Epididymis) entwickelt. Was dagegen die äusseren Genitalien betrifft, die ebenso wie die inneren bei beiden Geschlechtern
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Die Descendenz - Theorie und die Selections - Theorie.·
aus derselben gemeinschaftlichen Grundlage sich entwickeln, so ist die weibliche Clitoris, welche dem männlichen Penis entspricht, nicht als ein rudimentäres cataplastisches, sondern als ein werdendes Organ zu betrachten. Die Milchdrüsen (Mammae) und die dazu gehörigen Milchzitzen (Brustwarzen) der Säugethiere finden sich ebenfalls bei beiden Geschlechtern der Säugethiere, beim männlichen aber bloss rudimentär. Bisweilen können sie auch hier wieder in Function treten und sich nochmals anaplastisch entwickeln, wie die bekannten Beispiele von säugenden Männern und Hegenböcken beweisen, welche durch A. v. H u m b o l d t und andere sichere Gewährsmänner festgestellt sind. Bei den alten gemeinsamen Voreltern der Säugethiere haben demnach wahrscheinlich beide Geschlechter die Jungen gesäugt und erst später ist zwischen Beiden die Arbeitstheilung des Säugegeschäfts eingetreten. Im P f l a n z e n r e i c h e haben die rudimentären Organe, hier gewöhnlich als „fehlgeschlagene oder abortirte" bezeichnet, schon seit langer Zeit weit mehr Beachtung als im Thierreiche gefunden, obwohl auch hier die wahre Erklärung der längst bekannten, aber immer falsch gedeuteten Thatsachen erst durch die Descendenz-Theorie möglich geworden ist. In allen Abtheilungen des Pflanzenreichs sind rudimentäre Organe, und bei den Cormophyten sowohl Blatt- als Stengel-Organe, in entschieden cataplastischem Zustand sehr leicht nachzuweisen. Doch müssen wir auch hier ebenso wie im Thierreiche wohl unterscheiden zwischen werdenden (anaplastischen) und rückschreitenden (cataplastischen) Organen, welche letzteren allein den Namen der „rudimentären Organe" in engerem Sinne verdienen. Diese wichtige theoretische Unterscheidung ist oft sehr schwierig, sowohl bei rudimentären Blatt- als Stengel - Organen. Als unzweifelhaft cataplastische E r n ä h r u n g s - O r g a n e können wir ζ. B. die haarförmigen, borstenförmigen und schuppenförmigen Blattrudimente der Cacteen, des Ruscus, vieler Schmarotzer (Orobanche, Lathraea) etc. ansehen. Aeusserst verbreitet sind cataplastische Blätter in den F o r t p f l a n z u n g s - O r g a n e n (Blüthentheilen) der Phanerogamen, von denen wohl die allermeisten jetzt lebenden Arten dergleichen besitzen. Es ist nämlich aus vielen (besonders promorphologischen) Gründen zu vermuthen, dass die homotypische Grundzahl oder die Antimeren - Zahl (bei den Monocotyledonen ganz vorherrschend drei, bei den Dicotyledonen fünf, seltener vier) ursprünglich in allen Blattkreisen (Metameren) der Blüthe dieselbe gewesen ist, und dass erst durch nachträgliche Reduction (Cataplase) einzelner Antimeren in einzelnen Blattkreisen die betreffenden Geschlechtsorgane rückgebildet worden oder verloren gegangen sind. Am häufigsten trifft diese phylogenetische Cataplase die weiblichen, viel seltener die männlichen Ge-
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Dysteleologie oder Uazweckmässigkeitslehre.
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schlechtstheile, und von den Blüthenhüllblättern viel häufiger die Krone, als den Kelch. In sehr zahlreichen Fällen liefert uns noch gegenwärtig die Ontogenie der Blüthe den unwiderleglichen Beweis dafür, indem die später verkümmernden Theile in der ursprünglichen Anlage nicht allein vorhanden, sondern auch ebenso gut entwickelt sind, als diejenigen, welche später allein vollständig ausgebildet erscheinen. Doch ist es auch hier oft sehr schwer, zwischen der blossen Hemmungsbildung (d. h. dem Stehenbleiben einzelner Organe auf früherer, niederer Stufe und der einseitigen Ausbildung anderer coordinirter Organe) und der wirklichen paläontologischen Rückbildung zu unterscheiden. Die letztere scheint jedoch im Ganzen sehr viel häufiger als die erstere zu sein. Die besonderen Verhältnisse der natürlichen Züchtung, welche im Kampfe um das Dasein diese äusserst häufige Reduction einzelner Geschlechtsorgane bedingt haben und noch jetzt beständig begünstigen, sind uns noch ganz unbekannt. Je geringer aber das physiologische, um so höher ist das morphologische Interesse dieser für die Dysteleologie äusserst wichtigen ErscheinungsReihen. Die gesammte vergleichende Anatomie der Phanerogamen - Blüthen liefert solche Massen von Beispielen für die phylogenetische Cataplase einzelner Geschlechtsorgane, dass wir hier nur ein paar Exempel für beiderlei Genitalien erwähnen wollen. Die w e i b l i c h e n G e n i t a l i e n , welche hierin am meisten ausgezeichnet sind, bieten dergleichen fast überall. Von den drei Griffeln der Gräser ist der eine abortirt, ebenso meist die eine von den drei Narben der Cyperaceen. Von den fünf Griffeln der Umbelliferen sind drei verkümmert, von den fünf Griffeln der Parnassia nur einer. Die Reduction eines Theiles der m ä n n l i c h e n G e n i t a l i e n charakterisirt oft grosse „natürliche Familien" der Phanerogamen. So ist ζ. B. bei den Labiaten (Didynamia) von den ursprünglichen fünf Staubfäden fast immer einer, bisweilen aber auch drei fehlgeschlagen (z.B. Lycopus. Rosmarinus, Salvia). Ebenso sind bei den Cruciferen (Tetradynamia) fast allgemein von den ursprünglichen acht Staubfäden zwei (der dorsale und ventrale des äusseren Kreises) abortirt , bisweilen aber auch sechs (Lcpidium ruder ale). Ebenso geht sehr häufig das eine oder andere Blatt aus den vollzähligen Blattkreisen der Blüthenhüllen, des Kelchs und besonders der Krone verloren. 3.
Dysteleologie der Antimeren.
(Lehre von den cataplastischen
Individuen
dritter
Ordnung.)
Im Gegensatz zu den rudimentären Organen, welche bisher fast ausschliesslich berücksichtigt wurden, sind die rudimentären Antimeren bis jetzt noch gar nicht in Erwägung gezogen worden. Es erklärt
282
Die Descendenz - Theorie und die Selections - Theorie.
sich dies einestheils aus der allgemeinen Vernachlässigung, welche diese für die Morphologie so äusserst wichtigen Theile bisher allgemein erfahren haben: anderentheils aus dem Umstände, dass die Cataplase der Antimeren nicht von derjenigen Bedeutung für die Promorphologie ist, wie ihre Differenzirung. Doch ist sie sehr häufig unmittelbar mit dieser verbunden, und wird in vielen Fällen schon dadurch wichtig, dass sie die homotypische Grundzahl abändert. Dies ist insbesondere sehr häufig bei den Blüthen der Phanerogamen der Fall, wo sowohl die ursprüngliche Antimeren-Zahl einzelner Metameren (Blattkreise) , als auch der gesammten Blüthe durch die mehr oder weniger vollständige Reduction einzelner Antimeren verändert werden kann. Fast alle so eben angeführten Fälle von vollständigem „Abortus" einzelner Griffel und Antheren liefern hierfür Beispiele, da ein solches Fehlschlagen eines Geschlechtsorganes in den meisten dieser Fälle zugleich von einem Abortus des ganzen zugehörigen Antimeres (in demselben Metamere!) begleitet ist. Seltener wird die ursprüngliche Grundzahl der ganzen Blüthe durch diese phylogenetische Cataplase einzelner Antimeren verändert, dann nämlich, wenn alle Blattkreise oder Metameren derselben die gleiche Reduction erleiden. Im Thierreiche findet sich dieser Fall von vollständigem Abortus einzelner Antimeren bei den höchst differenzirten Spatangiden, bei welchen von den fünf ursprünglichen Antimeren das unpaare ventrale bisweilen fast ganz rückgebildet wird. Ebenso finden wir bei den Siphonophoren von den ursprünglichen vier Antimeren oft zwei rudimentär oder auch ganz geschwunden, so dass nur noch zwei davon übrig sind. Sehr allgemein finden wir im Thierreich partielle Degeneration einzelner Antimeren. 4.
Dysteleologie der Metameren.
(Lehre von den cataplastUchen
Individuen vierter
Ordnung.)
Weit bedeutender als die phylogenetische Cataplase der Antimeren, ist diejenige der Metameren. Im Pflanzenreiche äussert sich dieselbe vorzüglich in der Bildung der Dornen (Spinae) und der Ranken (Capreoli) und derjenigen sogenannten „unentwickelten Stengelglieder", deren Vorfahren „entwickelt" waren, die also in der That rückgebildet sind. Als solche müssen wir z.B. zweifelsohne die äusserst verkürzten Internodien (Metameren) an den ganz niedrigen Stengeln der Alpenpflanzen und der Polarpflanzen ansehen, die erst in posttertiärer Zeit durch Anpassung an das kalte Klima entstanden sind, während die Vorfahren derselben in dem wärmeren Klima der Tertiärzeit meistens lange und entwickelte Stengelglieder gehabt haben werden. Im Thierreiche ist diese Cataplase ebenfalls sehr verbreitet und bei allen deutlich „segmentirten oder gegliederten" Thierklassen in sehr vielen Graden uud Modificationen wahrzunehmen. Be-
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Dysteleologie oder Unzweckmäseigkeitelehre.
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sonders ist es in sehr zahlreichen Personen des Vertebraten- und Articulaten - Stammes das hintere oder aborale Ende des gegliederten Leibes, welches uns in dem mehr oder minder verkümmerten „Schwänze" eine Reihe von mehr oder minder cataplastischen Metameren erkennen lässt. Als ausgezeichnete Beispiele können hier eigentlich alle schwanzlosen oder kurzgeschwänzten Wirbelthiere angeführt werden, da deren paläontologische Entwickelung deutlich zeigt, dass ihre gemeinsamen Vorfahren sämmtlich langgeschwänzt waren; dies gilt also ζ. B. vom Menschen und den anderen ungeschwänzten Affen, bei denen übrigens das Rudiment des früheren Schwanzes noch in der kurzen Steisswirbelsäule (aus wenigen verkümmerten Vertebrae coccygeae zusammengesetzt) zu erkennen ist; ebenso sind die kurzen Schwanzstummel der Hasen, der Fault-hiere, der meisten Cavicornien etc. offenbar rudimentäre Ketten von Metameren, welche in den langschwänzigen Vorfahren der betreffenden Säugethiere wohl entwickelt waren und sich in vielen verwandten Arten noch erhalten haben. Fast allgemein ist die paläontologische Rückbildung der caudalen Metameren bei den Vögeln, von denen nur Arcfmeopteryx den langen Schwanz zeigt, den zweifelsohne die gemeinsamen Stammeltern der Vögel und Reptilien besassen. Unter den Amphibien zeigen uns die ausgebildeten Ecaudaten (Frösche, Kröten) den höchsten Grad von Verkümmerung der langen Metameren-Kette, und dieser Fall ist besonders desshalb sehr bemerkenswerth, weil uns hier die Ontogenie den handgreiflichen Beweis von der phylogenetischen Cataplase derselben liefert. Denn die Larven der schwanzlosen Amphibien besitzen noch sämmtlich den langen, aus zahlreichen Metameren zusammengesetzten Schwanz, den ihre nahen Verwandten, die Sozuren (Salamander etc.) zeitlebens behalten, und den sie mit diesen zusammen von ihren langschwänzigen Vorfahren ererbt haben. Ebenso unzweifelhaft zeigt sich die paläontologische Degeneration einer Metameren-Kette in dem rudimentären Schwänze der Krabben oder braehyuren Decapoden, deren nächste Verwandte, die macruren (der Flusskrebs etc.) noch den langen Schwanz behalten haben, den ihre gemeinsamen Vorfahren besassen. Da in sehr vielen Fällen das Schwanzrudiment dieser kurzschwänzigen oder schwanzlosen Thiere ohne alle Bedeutung und ganz offenbar ohne jegliche physiologische Function ist, da ferner die Ontogenie in sehr vielen Fällen, im schönsten Einklang mit der Phylogenie, uns die historische Verkümmerung des Schwanzes unmittelbar vor Augen führt, so halten wir auch die rudimentären Metameren, ebenso wie die echten rudimentären Organe, für die stärksten Grundlagen der Dysteleologie, an denen jeder teleologische Erklärungs-Versuch rettungslos zerschellt, während dieselben durch die Descendenz-Theorie ebenso einfach als vollständig causal erklärt werden.
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Die Descendenz- Theorie und die Selections - Theorie. 5.
Dysteleologie der Personen.
(Lehre von den cataplastischen
Individuen fünfter
Ordnung.)
Als rudimentäre, verkümmerte oder cataplastische Personen können wir alle diejenigen Individuen fünfter Ordnung betrachten, welche in allen ihren Theilen eine so bedeutende paläontologische Rückbildung erlitten haben, dass ihr gesammter Körperbau weit unvollkommener und einfacher ist, als derjenige ihrer viel höher entwickelten Vorfahren. Dass sie in der That von solchen abstammen, wird sehr häufig auf das Bestimmteste durch ihre individuelle EntwickelungsGeschichte bewiesen, deren frühere Stadien weit vollkommener organisirt sind, und meist noch lebendige Erinnerungen an die höher stehenden Vorfahren erhalten. Die Ursachen der phylogenetischen Reduction sind auch hier, wie bei den meisten Individuen der anderen Ordnungen, Anpassungen der Organismen an einfachere Lebens-Bedingungen, welche zunächst einfachere Ernährungs-Verhältnisse, und durch fortgesetzten Nichtgebrauch der meisten Organe, welche die Beziehungen zur Aussen weit vermitteln, Verkümmerung derselben und dadurch des ganzen Körpers herbeiführen. Kein Verhältniss wirkt in dieser Beziehung so mächtig ein, als der Parasitismus, und besonders der innere (Entozoismus) und wir können eigentlich sämmtliche parasitische Organismen als mehr oder minder rückgebildete, rudimentäre Bionten betrachten. Wo diese durch Individuen fünfter Ordnung repräsentirt werden, wie bei den Arthropoden und Cestoden, da können wir dieselben mithin als „rudimentäre oder cataplastische Personen" bezeichnen. Unter den Thieren sind es vorzüglich die Articulaten, sowohl die Arthropoden als die Würmer, welche in ihrer unendlich mannigfaltigen Anpassung an parasitische Lebensweise uns die verschiedensten Formen und Grade der phylogenetischen Cataplase von Personen vor Augen führen. Unter den Arthropoden finden wir dergleichen bei den verschiedenen Ordnungen der Insecten, Spinnen (Milben) und ganz besonders der Crustaceen (namentlich bei den parasitischen Copepoden und Isopoden). Die letzteren sind vorzüglich desshalb von so hohem Interesse, weil uns ihre individuelle Entwickelungsgeschichte, die regressive Metamorphose der höher entwickelten Larven, den handgreiflichen Beweis von ihrer paläontologischen Rückbildung liefert und deren Geschichte in kurzen treffenden Zügen erzählt. In vielen Fällen sinkt hier die reife Person zu einem einfachen, mit Geschlechtsproducten erfüllten Sacke herab, der sich auf die einfachste Weise, fast ohne besondere Ernährungs - Organe, ernährt (die Rhizocephalen, Sacailina und Peltognster, Lanaea etc.). Dasselbe finden wir unter den Würmern bei den Acanthocephalen und Cestoden wie-
X.
Dysteleologie oder TTnzweckmäasigkeitslehre.
285
der. In ähnlicher Weise zeigen sich aber auch viele parasitische Pflanzen-Sprossen (Cuscuta, Orobanche etc.) in hohem Grade verkümmert. Eine besonderes interessante Form der Cataplase von Personen finden wir bei vielen Thieren mit getrennten Geschlechtern, wo bald das Männchen bald das Weibchen durch Anpassung an einfachere Existenz-Bedingungen (besonders wiederum Parasitismus) einen mehr oder minder bedeutenden Grad von Verkümmerung erlitten hat. Bekannt sind in dieser Beziehung die ^rudimentären Männchen" der Räderthiere (welchen der Darmcanal der Weibchen fehlt) und einiger Insecten und parasitischen Crustaceen. Bei anderen parasitischen Crustaceen sind umgekehrt die Weibchen weit mehr verkümmert als die Männchen, ebenso bei den Strepsipteren (Stylops, XenosJ und anderen parasitischen Insecten. In den meisten Fällen liegt hier eine Degeneration beider Geschlechter vor, die nur in dem einen von beiden einen höheren Grad erreicht hat. Durch vollständige Cataplase des männlichen Geschlechts sind vielleicht diejenigen Fälle von Parthenogonie zu erklären, in denen überhaupt nur Weibchen in einer Species vorkommen, wie bei den Sackträgern (Psychiden). 6.
Dysteleologie der Cormen.
(Lehre von d-en eataplastischen
Individuen
sechster
Ordnung.).
Die wenigsten und geringfügigsten Beiträge zur Lehre von den rudimentären oder cataplastischen Individuen liefern uns die Individuen der sechsten und höchsten Ordnung, die Stöcke oder Cormen. Eigentlich können wir hier nur die entschieden degenerirten parasitischen Pflanzenstöcke anführen, bei denen sowohl die vergleichende Anatomie als die Ontogenie beweisen, dass sie degenerirte Nachkommen von höher entwickelten Vorfahren sind. Dahin gehören ζ. B. die Gruppen der Orobancheen, Cuscuteen, Cytineen, bei denen die paläontologische Rückbildung durch Anpassung an parasitische Lebensweise sowohl die einzelnen Personen (Sprosse) als auch den ganzen aus ihnen zusammengesetzten Stock in hohem Grade verändert hat. Gegenüber den nächstverwandten freilebenden Phanerogamen können diese parasitischen Stöcke entschieden als rückgebildete gelten, und haben dieselbe physiologische und morphologische Bedeutung, wie die „fehlgeschlagenen, abortiven, atrophischen" Individuen der anderen Ordnungen. Dagegen tritt, abgesehen von der individuellen Entwickelungsgeschichte, die dysteleologische Bedeutung hier mehr in den Hintergrund. Diese ist immer nur dann ganz klar, wenn die phylogenetische Degeneration Form-Individuen betroffen hat, welche subordinirte Bestandteile von Individuen höherer Ordnung bilden, und hier, wegen mangelnder physiologischer Function, als nutzloser und überflüssiger Formen-Ballast erscheinen.
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Pie Deacendenz- Theorie und die Selections - Theorie.
XI. Oecologie und Chorologie. In den vorhergehenden Abschnitten haben wir wiederholt darauf hingewiesen, dass alle grossen und allgemeinen Erscheinungsreihen der organischen Natur ohne die Descendenz - Theorie vollkommen unverständliche und unerklärliche Räthsel bleiben, während sie durch dieselbe eine eben so einfache als harmonische Erklärung erhalten 1 ). Dies gilt in ganz vorzüglichem Maasse von zwei biologischen Phaenomen - Complexen, welche wir schliesslich noch mit einigen Worten besonders hervorheben wollen, und welche das Object von zwei besonderen, bisher meist in hohem Grade vernachlässigten physiologischen Disciplinen bilden, von der Oecologie und Chorologie der Organismen 2 ). Unter O e c o l o g i e verstehen wir die gesammte W i s s e n s c h a f t v o n d e n B e z i e h u n g e n d e s O r g a n i s m u s zur u m g e b e n d e n A u s s e n w e l t , wohin wir im weiteren Sinne alle „ E x i s t e n z - B e d i n g u n g e n " rechnen können. Diese sind theils organischer, theils anorganischer Natur; sowohl diese als jene sind, wie wir vorher gezeigt haben, von der grössten Bedeutung für clie Form der Organismen, weil sie dieselbe zwingen, sich ihnen anzupassen. Zu den anorganischen· Existenz-Bedingungen, welchen sich jeder Organismus anpassen muss, gehören zunächst die physikalischen und chemischen Eigenschaften seines Wohnortes, das Klima (Licht, Wärme, Feuchtigkeits- und Electricitäts - Verhältnisse der Atmosphäre), die anorganischen Nahrungsmittel, Beschaffenheit des Wassers und des Bodens etc. Als organische Existenz-Bedingungen betrachten wir die sämmtlichen Verhältnisse des Organismus zu allen übrigen Organismen, mit denen er in Berührung kommt, und von denen die meisten entweder zu seinem Nutzen oder zu seinem Schaden beitragen. Jeder Organismus hat unter den übrigen Freunde und Feinde, solche, welche seine Existenz begünstigen und solche, welche sie beeinträchtigen. Die Organismen, welche als organische Nahrungsmittel für Andere dienen, oder welche als Parasiten auf ihnen leben, gehören ebenfalls in diese Kategorie der organischen Existenz-Bedingungen. Von welcher ungeheueren Wichtigkeit alle diese Anpassungs - Verhältnisse für die gesammte Formbildung der Organismen sind, wie insbesondere die or1) Diese ungeheure m e c h a n i s c l i - c a u s a l e B e d e u t u n g der D e s c e n d e n z - T h e o r i e für die gesammte Biologie, und insbesondere für die Morphologie der Organismen, können wir nicht oft genug und nicht dringend genug den gedankenlosen oder dualistisch verblendeten Gegnern derselben entgegen halten, deren teleologische Dogmatik nur darin ihre Stärke besitzt, dass sie alle diese grossen und allgemeinen Erscheinungsreihen der organischen Natur g a r n i c h t z u e r k l ä r e n vermögen. 2) οίκος, ο , der Haushalt, die Lebensbeziehungen; χώρα, η , der Wohnort, der Verbreitungsbezirk.
XI.
Oecologie und Chorologie.
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ganischen Existenz-Bedingungen im Kampfe um das Dasein noch viel tiefer umbildend auf die Organismen einwirken, als die anorganischen, haben wir in unserer Erörterung der Selections-Theorie gezeigt Der ausserordentlichen Bedeutung dieser Verhältnisse entspricht aber ihre wissenschaftliche Behandlung nicht im Mindesten. Die Physiologie, welcher dieselbe gebührt, hat bisher in höchst einseitiger Weise fast bloss die Conservations-Leistungen der Organismen untersucht (Erhaltung der Individuen und der Arten, Ernährung und Fortpflanzung), und von den Relations-Functionen bloss diejenigen, welche die Beziehungen der einzelnen Theile des Organismus zu einander und zum Ganzen herstellen. Dagegen hat sie die Beziehungen desselben zur Aussenwelt, die Stellung, welche jeder Organismus im Naturhaushalte, in der Oeconomie des Natur-Ganzen einnimmt, in hohem Grade vernachlässigt, und die Sammlung der hierauf bezüglichen Thatsachen der kritiklosen „Naturgeschichte" überlassen, ohne einen Versuch zu ihrer mechanischen Erklärung zu machen. (Vergl. oben S. 236 Anm. und Bd. I, S. 238.) Diese grosse Lücke der Physiologie wird nun von der SelectionsTheorie und der daraus unmittelbar folgenden Descendenz - Theorie vollständig ausgefüllt. Sie zeigt uns, wie alle die unendlich complicirten Beziehungen, in denen sich jeder Organismus zur Aussenwelt befindet, wie die beständige Wechselwirkung desselben mit allen organischen und anorganischen Existenz-Bedingungen nicht die vorbedachten Einrichtungen eines planmässig die Natur bearbeitenden Schöpfers, sondern die nothwendigen Wirkungen der existirenden Materie mit ihren unveräusserlichen Eigenschaften, und deren continuirlicher Bewegung in Zeit und Raum sind. Die Descendenz-Theorie erklärt uns also die Haushalts-Verhältnisse der Organismen mechanisch, als die nothwendigen Folgen wirkender Ursachen, und bildet somit die monistische Grundlage der Oecologie. Ganz dasselbe gilt nun auch von der Chorologie der Organismen. Unter C h o r o l o g i e verstehen wir die gesammte W i s s e n schaft von der räumlichen Verbreitung der Organismen, von ihrer geographischen und topographischen Ausdehnung über die Erdoberfläche. Diese Disciplin hat nicht bloss die Ausdehnung der Standorte und die Grenzen der Verbreitungs - Bezirke in horizontaler Richtung zu projiciren, sondern auch die Ausdehnung der Organismen oberhalb und unterhalb des Meeresspiegels, ihr Herabsteigen in die Tiefen des Oceans, ihr Heraufsteigen auf die Höhen der Gebirge in verticaler Richtung zu verfolgen. Im weitesten Sinne gehört mithin die gesammte „Geographie und Topographie der Thiere und Pflanzen" hierher, sowie die Statistik der Organismen, welche diese Verbreitungs-Verhältnisse mathematisch darstellt. Nun ist zwar dieser
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Die Descendenz - Theorie und die Selections-Theorie.
Theil der Biologie in den letzten Jahren mehr als früher Gegenstand der Aufmerksamkeit geworden. Insbesondere hat die „Geographie der Pflanzen" durch die Bemühungen A l e x a n d e r v o n H u m b o l d t ' s und F r e d e r i k S c h o u w ' s lebhaftes und allgemeines Interesse erregt. Auch die „Geographie der Thiere" ist von B e r g h a u s , S c h m a r d a und Anderen als selbstständige Disciplin bearbeitet worden. Indessen verfolgten alle bisherigen Versuche in dieser Richtung entweder vorwiegend oder selbst ausschliesslich nur das Ziel einer Sammlung und geordneten Darstellung der chorologischen T h a t s a c h e n , ohne nach den U r s a c h e n derselben zu forschen. Man suchte zwar die unmittelbare Abhängigkeit der Organismen von den unentbehrlichen Existenz-Bedingungen vielfach als die nächste Ursache ihrer geographischen und topographischen Verbreitung nachzuweisen, wie sie dies zum Theil auch ist. Allein eine tiefere Erkenntniss der weiteren Ursachen, und des causalen Zusammenhangs aller chorologischen Erscheinungen war unmöglich, so lange das Dogma von der SpeciesConstanz herrschte und eine vernünftige, monistische Beurtheilung der organischen Natur verhinderte. Erst durch die Descendenz-Theorie, welche das erstere vernichtete, wurde die letztere möglich, und wurde eine ebenso klare, als durchschlagende Erklärung der chorologischen Phaenomene gegeben. Im elften und zwölften Capitel seines Werkes hat C h a r l e s D a r w i n gezeigt, wie alle die unendlich verwickelten und mannichfaltigen Beziehungen in der geographischen und topographischen Verbreitung der Thiere und Pflanzen sich aus dem leitenden Grundgedanken der Descendenz-Tlieorie in der befriedigendsten Weise erklären, während sie ohne denselben vollständig unerklärt bleiben. Wir verweisen hier ausdrücklich auf jene geistvolle Darstellung, da wir an diesem Orte keine Veranlassung haben, auf den Gegenstand selbst näher einzugehen. Alle Erscheinungen, welche uns die rein empirische Chorologie als Thatsachen kennen gelehrt hat — die Verbreitung der verschiedenen Organismen-Arten über die Erde in horizontaler und verticaler Richtung; die Ungleichartigkeit und veränderliche Begrenzung dieser Verbreitungs - Bezirke; das Ausstrahlen der Arten von sogenannten „Schöpfungs-Mittelpunkten"; die zunehmende Variabilität an den Grenzen der Verbreitungs-Bezirke; die nähere Verwandtschaft der Arten innerhalb eines engeren Bezirkes; das eigenthümliche Verhältniss der Süsswasser-Bewohner zu den See-Bewohnern, wie der Inselbewohner zu den benachbarten Festlands-Bewohnern; die Differenzen zwischen den Bewohnern der südlichen und nördlichen, wie der östlichen und westlichen Hemisphaere — alle diese wichtigen Erscheinungen erklären sich durch die Descendenz - Theorie als die nothwendigen Wirkungen der natürlichen Züchtung im Kampfe um das Da-
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sein, als die mechanischen Folgen wirkender Ursachen. Wenn wir von jener Theorie ausgehend uns ein allgemeines theoretisches Bild von den nothwendigen allgemeinen Folgen der natürlichen Züchtung für die geographische und topographische Verbreitung der Organismen entwerfen wollten, so würden die Umrisse dieses Bildes vollständig mit den Umrissen des chorologischen Bildes zusammenfallen, welches uns die empirische Beobachtung liefert Wir finden also, dass die thatsächlich existirenden Beziehungen der Organismen zur Aussen weit, wie sie sich in der gesammten Summe der oecologischen und chorologischen Verhältnisse aussprechen, durch die Descendenz-Theorie als die nothwendigen Folgen mechanischer Ursachen erklärt werden, während sie ohne dieselbe vollkommen unerklärt bleiben, und wir erblicken in dieser Erklärung einen starken Stützpfeiler der Descendenz-Theorie selbst.
XU. Die Descendenz-Theorie als Fundament der organischen Morphologie. Die S e l e c t i o n s - T h e o r i e und die durch s i e causal beg r ü n d e t e D e s c e n d e n z - T h e o r i e sind p h y s i o l o g i s c h e T h e o rieen, w e l c h e für die M o r p h o l o g i e der Organismen das une n t b e h r l i c h e F u n d a m e n t bilden. Die Darstellung der beiden Theorieen, welche wir in den vorhergehenden Abschnitten gegeben haben, hielten wir für unerlässlich, weil wir in denselben — und nur in ihnen allein! — den Schlüssel zum monistischen Verständniss der Entwickelungsgeschichte, und dadurch zur gesammten Morphologie der Organismen überhaupt finden. Die unermessliche Bedeutung jener Theorieen liegt nach unserer Ansicht darin, dass sie die gesammten Erscheinungen der Biologie, und ganz besonders der Morphologie der Organismen, m o n i s t i s c h , d. h. m e c h a n i s c h e r k l ä r e n , indem sie dieselben als die n o t h w e n d i g e n Folgen wirkender U r s a c h e n nachweisen. Die beiden physiologischen Functionen der Anpassung, welche mit der Ernährung, und der Vererbung, welche mit der Fortpflanzung zusammenhängt, genügen, um durch ihre mechanische Wechselwirkung in dem allgemeinen Kampfe um das Dasein die ganze Mannichfaltigkeit der organischen Natur hervorzubringen, welche die entgegengesetzte dualistische Weltansicht nur als das künstliche Product eines zweckmässig thätigen Schöpfers betrachtet, und somit n i c h t erklärt. Bei den vielfachen Missverständnissen, welche in dieser Hinsicht über die Bedeutung der Selections-Theorie und der Descendenz-Theorie herrschen, und bei der falschen Beurtheilung, welche dieselben in so weiten Kreisen gefunden haben, erscheint es passend, das Verhältniss H a e c k e l , Generelle Morphologie, II.
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der beiden Theorieen zu einander, zur Entwickelungsgeschichte und dadurch zur gesammten Morphologie der Organismen nochmals ausdrücklich hervorzuheben. Die S e l e c t i o n s - T h e o r i e von D a r w i n i s t die c a u s a l e B e g r ü n d u n g d e r von G o e t h e u n d L a m a r c k a u f g e s t e l l t e n D e s c e n d e n z - T h e o r i e . Die erstere zeigt uns, w a r u m die unendlich mannichfaltigen Organismen-Arten sich in der Weise aus gemeinsamen Stammformen durch Umbildung und Divergenz entwickeln, wie es die Descendenz-Theorie behauptet hatte. Wir selbst haben gezeigt, wie die beiden1 formenden Bildungstriebe, welche D a r w i n als die beiden Factoren der Selectiou nachwies, Vererbung und Anpassung, keine besonderen, unbekannten und räthselhaften Naturkräfte, sondern e i n f a c h e und n o t h w e n d i g e E i g e n s c h a f t e n d e r o r g a n i s c h e n M a t e r i e , mechanisch erklärbare physiologische Functionen sind. Es ist möglich, dass n e b e n der natürlichen Züchtung auch andere ähnliche mechanische Verhältnisse in der organischen Natur werden entdeckt werden, welche bei der Umwandlung der Species mit wirksam sind. Indessen erscheint uns die natürliche Züchtung vollkommen ausreichend, tun die Entstehung der Species auf mechanischem Wege zu erklären. Die D e s c e n d e n z - T h e o r i e ist die c a u s a l e B e g r ü n d u n g der E n t w i c k e l u n g s g e s c h i c h t e , und d a d u r c h d e r g e s a m m t e n M o r p h o l o g i e der O r g a n i s m e n . Wie wir zu dieser höchst wichtigen Erkenntniss gelangt sind, haben die vorhergehenden Capitel gezeigt, und werden die folgenden noch weiter erläutern. Hier wollen wir nur als besonders wichtig nochmals hervorheben, dass der Grundgedanke der Descendenz-Theorie, die gemeinsame Abstammung der „verwandten" Organismen von einfachsten Stammeltern, der e i n z i g e Gedanke ist, welcher überhaupt die Entwickelung der Organismen und dadurch ihre gesammten Form-Verhältnisse mechanisch erklärt. E s g i e b t keine a n d e r e T h e o r i e und es ist a u c h keine a n d e r e T h e o r i e d e n k b a r , w e l c h e u n s die g e s a m m t e n F o r m - V e r h ä l t n i s s e d e r O r g a n i s m e n e r k l ä r t . Hierin finden wir einen Unterschied zwischen der Descendenz-Theorie und der Selections-Theorie. Die Descendenz - Theorie steht nach unserer Ansicht als einzig mögliche unerschütterlich fest und k a n n durch keine andere ersetzt werden. E s g i e b t k e i n e a n d e r e E r k l ä r u n g für d i e m o r p h o l o g i s c h e n E r s c h e i n u n g e n , als d i e w i r k l i c h e B l u t s v e r w a n d t s c h a f t der O r g a n i s m e n . Eine Vervollkommnung der Descendenz-Theorie kann daher nur insofern stattfinden, als die Abstammung der einzelnen Organismen-Gruppen von gemeinsamen Stammformen im Einzelnen näher bestimmt, und die Zahl und Beschaffenheit der letzteren ermittelt wird. Dagegen kann die Selections-Theorie, wie bemerkt, wohl dadurch noch ergänzt werden, dass n e b e n der natürlichen Züchtung
ΧΠ. Die Descendenz-Theorie als Fundament der organ. Morphologie. 291 andere mechanische Verhältnisse entdeckt werden, welche in ähnlicher Weise die Umbildung der Arten bewirken oder doch befördern helfen. Die der D e s c e n d e n z - T h e o r i e e n t g e g e n g e s e t z t e dualistische Behauptung, dass jede Art oder S p e c i e s u n a b h ä n g i g von den v e r w a n d t e n e n t s t a n d e n s e i , und d a s s d i e F o r m e n - V e r w a n d t s c h a f t der ä h n l i c h e n Arten k e i n e B l u t s v e r w a n d t s c h a f t sei, ist ein u n w i s s e n s c h a f t l i c h e s D o g m a , u n d a l s s o l c h e s k e i n e r "Widerlegung b e d ü r f t i g . Es erscheint daher hier keineswegs angemessen, noch weiter auf dieses ganz unhaltbare Dogma einzugeheu und die absurden (Konsequenzen, zu denen dasselbe nothwendig führt, hervorzuheben. Nur das wollen wir hier noch bemerken, dass gerade in dieser Absurdität und vollständigen Grundlosigkeit des Species-Dogma und der damit zusammenhängenden Schöpfungs-Hypothesen seine innere Stärke liegt,. Die Culturgeschichte der Menschheit, und ganz besonders die Religionsgeschichte zeigt uns auf jeder Seite, dass willkürlich ersonnene Dogmen um so fester und tiefer wurzeln, um so sicherer und allgemeiner geglaubt werden, je unbegreiflicher sie sind, und je mehr sie sich einer wissenschaftlichen Begründung entziehen. Es fehlt dann der gemeinschaftliche Boden, auf welchem der Kampf zwischen Beiden entschieden werden könnte. Zugleich finden alle solche Dogmen eine kräftige Stütze in der Trägheit des Denkvermögens bei den meisten Menschen. Die grosse Mehrheit scheut sich, anstrengenden Gedanken über den tieferen Causalnexus der Erscheinungen nachzuhängen und ist froh, wenn ein» aus der Luft gegriffenes Dogma sie dieser Anstrengungen überhebt. Dies gilt ganz besonders von den organischen Morphologen, welche von jeher in dieser Beziehung sich vor allen anderen Naturforschern ausgezeichnet haben. Natürlich liegt dies nicht an den Personen, sondern an der Sache selbst. Die Beschäftigung mit der unendlichen Fülle, Mannichfaltigkeit und Schönheit der organischen Formen, sättigt so sehr den Anschauungstrieb (Naturgenuss) der organischen Morphologen, dass darüber der höhere Erkenntnisstrieb meistens nicht zur'Entwickelung kömmt. Man begnügt sich mit der K e n n t n i s s der Formen, statt nach ihrer E r k e n n t n i s s zu streben. Der heitere Formen-Genuss tritt an die Stelle des ernsten Formen - Verständnisses. Hieraus und aus der mangelhaften philosophischen Bildung der meisten Morphologen erklärt sich genügend ihr Abscheu gegen den wissenschaftlichen Ernst der Descendenz-Theorie, und ihre Vorliebe für das sinnlose SpeciesDogma. Die Annahme einer selbstständigen Erschaffung constanter Species und die damit zusammenhängenden dualistisch - teleologischen Vorstellungen wenden sich an transcendentale, vollkommen unbegreifliche, unerklärliche und unerforschliche Kräfte und Processe, und entfernen sich somit gänzlich von dem empirischen Boden der Wissenschaft 19*
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Die Descendenz-Theorie und die Selections-Theorie.
D i e D e s c e n d e n z - T h e o r i e und d i e S e l e c t i o n s - T h e o r i e sind keine w i l l k ü h r l i c h e n H y p o t h e s e n , sondern vollber e c h t i g t e T h e o r i e e n . Nicht allein die verblendeten und unverständigen Gegner derselben, sondern auch manche treffliche und verständige Anhänger derselben nennen die Descendenz-Theorie eine H y p o t h e s e 1 ) . Diese Bezeichnung müssen wir entschieden verwerfen. Die Descendenz-Theorie behauptet keine Vorgänge, welche nicht empirisch festgestellt sind, sondern sie verallgemeinert nur die Resultate zahlloser übereinstimmender empirischer Beobachtungen und zieht daraus einen mächtigen I n d u c t i o n s - S c h l u s s , welcher so sicher steht, wie jede andere wohl begründete Induction. Eine solche Induction ist aber keine blosse Hypothese, sondern eine vollberechtigte Theorie. Sie verbindet die Fülle aller bekannten Erscheinungen in der organischen Formen-Welt durch einen einzigen erklärenden Gedanken, welcher keiner einzigen bekannten Thatsache widerspricht. Eine Hypothese, wenngleich eine nothwendige, und zugleich eine Hypothese, welche die Schlusskette der gesammten Descendenz-Theorie vervollständigt, ist unsere Annahme der Autogonie, welche im sechsten Capitel des zweiten Buches von uns begründet worden ist. Wir bedürfen dieser Hypothese durchaus, um die einzige Lücke noch auszufüllen, welche die Descendenz-Theorie in dem mechanischen Gebäude der monistischen Morphologie gelassen hat. Wir können nicht zweifeln, dass zu irgend einer Zeit des Erdenlebens Moneren durch Autogonie entstanden sind. Indessen bleibt die A u t o g o n i e (und ebenso die Plasmogonie, als die andere Form der Archigonie), eine r e i n e H y p o t h e s e , weil wir darin einen Naturprocess, den Uebergang lebloser Materie in belebten Stoff, annehmen, welcher bis jetzt noch durch keine sichere Beobachtung eine empirische Begründung erhalten hat. X) In einer der neuesten, so eben erschienenen Kritiken des „ D a r w i n i s m u s ' 1 (Preussische Jahrbücher, 1866, p. 272 und 404) verurtheilt J ü r g e n B o n a M e y e r denselben, weil er eine „ s c h l e c h t e H y p o t h e s e · ' ist. Wir verweisen auf diese Kritik besonders desshalb, weil sie zeigt, wie g ä n z l i c h s c h i e f jede philosophische Beurtheilung der Descendenz-Theorie ausfallen muss, die sich nicht auf g r ü n d l i c h e e m p i r i s c h e K e n n t n i s s e auf dem gesammten Gebiete der organischen Morphologie stutzt. Fast alle Thatsachen, die der Verfasser anführt, kennt er nur halb und oberflächlich, und kann daher auch aus ihrer Verknüpfung nur ein ganz schiefes Bild gewinnen. Der Verfasser besitzt, wie er in seiner trefflichen Schrift über die „Thierkunde des Aristoteles·' gezeigt hat, weit umfassendere morphologische und speciell zoologische Kenntnisse, als sie sonst bei speculativen Philosophen zu finden sind. Wenn er trotzdem zu einer so gänzlich verfehlten Auffassung, oder vielmehr zu gar keinem Verständniss der DescendenzTheorie gelangt ist, zeigt er nur, dass jene Kenntnisse nicht gründlich sind. Um so weniger dürfen wir uns wundern, in den hohlen Kritiken, welche andere, aller empirischen Basis entbehrende Philosophen gegen den „Darwinismus", diese „schlechte Hypothese" (!), geschleudert haben, den erheiterndsten Unsinn und die unglaublichsten Proben von Unkenntnis» der realen Natur zu finden.
ΧΠ. Die Descendenz-Theorie als Fundament der organ. Morphologie. 293 Ganz andere verhält es sich mit der Descendenz-Theorie und der Selections-Theorie, welche sich in jedem Punkte auf eine Fülle von empirischen Erfahrungen stützen, und für welche die gesammte Morphologie der Organismen, sobald man ihre Thatsachen - Ketten objectiv beurtheilt und richtig verknüpft, eine einzige zusammenhängende Beweiskette herstellt. Daher wissen auch die kenntnissreicheren Morphologen, welche Gegner derselben sind, keine Thatsache gegen dieselbe vorzubringen, sondern nur Einwürfe, welche theils Ausflüsse blinden Autoritäten-Glaubens, theils consequente Folgen einer falschen dualistisch - teleologischen Gesammtauffassung der organischen Natur sind 1 ). D i e S e l e c t i o n s - T h e o r i e D a r w i n ' s b e d a r f zu i h r e r v o l l e n G ü l t i g k e i t k e i n e w e i t e r e n , B e w e i s e . Sie stützt sich auf allgemein anerkannte physiologische Processe, die sich gleich allen anderen auf mechanische Ursachen zurückführen lassen. Wer überhaupt 1) Eine vergleichende Zusammen Stellung der verschiedenen antidarwinistischen Urtbeile ergiebt eben so erheiternde als belehrende Resultate. Doch können wir hier nicht näher auf dieselben eingehen und versparen uns dies auf eine andere Gelegenheit. Auf der einen Seite finden wir bei ausgebildetem Verstände und gesunder Urteilsfähigkeit grosse Unkenntniss der Thatsachen. auf der anderen Seite bei reicher Kenntniss derselben völlige Unfähigkeit, sie richtig zu beurtheilen und aus ihrer Verknüpfung allgemeine Schlüsse zu ziehen. Sehr oft endlich sind sowohl Thatsachen - Kenntniss als Urteilsfähigkeit vorhanden: aber Vorurtheile. die seit vielen Generationen ererbt, und durch lange Vererbung befestigt sind, hindern die Entwickelung einer vernünftigen Erkenntniss. Die ausserordentliche Stärke, welche der A u t o r i t ä t s - G l a u b e an das gelehrte Dogma besitzt. zeigt sich hier in seiner ganzen Macht. Da der Verstand nichts gegen D a r w i n und seine Lehre auszurichten vermag, so appellirt das autoritätsbedürftige Gefühl an den ..Glauben", und an die ..allgemeine Meinung der Menschheit von Alters her". Für letzteres nur ein Beispiel. Einer der eifrigsten Gegner D a r w i n s , K e f e r s t e i n . Professor der Zoologie (nicht der Theologie!) in Göttingen, äussert sich in den „Göttinger gelehrten Anzeigen" (1861. p. 1875 und 1862. p. 198·) folgendermaassen über die „neuerdings von D a r w i n ausgesprochenen Ansichten, welche bei allgemeiner Theilnahme und dem grössten Aufsehen jetzt von Einigen als eine besondere Lehre der Naturwissenschaften ( !) unter dem Namen Darwinismus betrachtet werden, und selbst in Deutschland nicht ohne Anhänger zu sein scheinen (!)··: — ..Es erfüllt den strebenden Naturforscher mit Beruhigung , einen Mann wie A g a s s i ζ, durch die grossartigsten Arbeiten in der Zoologie zur A u t o r i t ä t (!) geworden. eine Lehre unbedingt verwerfen zu sehen, die den Jahrhunderte langen Fleiss der Systematiker auf einmal zti Schanden machen wollte (!!), und zu sehen, dass also d i e d u r c h G e n e r a t i o n e n a u s g e b i l d e t e n A n s i c h t e n u n d z u g l e i c h d i e a l l g e m e i n e M e i n u n g d e r M e n s c h h e i t v o n A l t e r s h e r (!!) fester stehen, als die, wenn auch mit noch so grosser Beredsamkeit ausgeführten Lehren eines Einzelnen (!).·· Wenn wir nicht irren, so war früher auch „die allgemeine Meinung der Menschheit von Alters her," dass die Sonne sich um die Erde drehe, dass die Krankheiten Strafen der Gottheit ftir die sündigen Menschen, und dass die Petrefacten „Naturspiele", so wie die TValfische Fische seien. Und doch sind diese „durch Generationen ausgebildeten Ansichten" auf den bösen Anfang des Zweifels „eines Einzelnen" hin jetzt wohl ziemlich allgemein verlassen.
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Die üescendenz-Theorie und die Selections - Theorie.
eines logischen Schlusses aus anerkannt richtigen Prämissen fähig ist, kann ihr seine Anerkennung nicht vorenthalten. Wie selten aber solche Logik unter den „empirischen" Naturforschern und unter den scholastischen „Gelehrten" sind, beweisen am besten die zahlreichen Verdammungs-Urtheile über D a r w i n ' s bewunderungswürdiges Werk, die, wie H u x l e y sehr richtig sagt, „keineswegs das darauf verwendete Papier werth sind." D i e D e s c e n d e n z - T h e o r i e L a m a r c k ' s und Goethe's bedarf z u i h r e r v o l l e n G ü l t i g k e i t k e i n e w e i t e r e n B e w e i s e . Wer sich auf Grund aller bisherigen Erfahrungen noch nicht von ihrer Wahrheit überzeugen kann, den wird auch keine einzige mögliche weitere „Entdeckung" davon überzeugen. Abgesehen davon, dass D a r w i n ' s Selections-Theorie eine vollkommen ausreichende causal - mechanische Begründung derselben liefert, finden wir die stärksten Beweise für ihre Wahrheit in der gesammten Morphologie und Physiologie der Organismen. Alle uns bekannten Thatsachen dieses Wissenschafts-Gebiets, namentlich alle Erscheinungen der paläontologischen, individuellen und systematischen Entwickelung, sowie die äusserst wichtige dreifache Parallele zwischen diesen drei Entwickelungsreihen, die gesammte Dysteleologie, Oecologie und Chorologie — kurz alle allgemeinen PhänomenComplexe der organischen Natur sind uns nur durch den einen Grundgedanken der Descendenz - Theorie verständlich und werden durch ihn vollkommen erklärt. Ohne ihn bleiben sie gänzlich unverständlich und unerklärt. Andererseits existirt in der gesammten organischen Natur keine einzige Thatsache, welche mit demselben in unvereinbarem Widerspruch steht. W i r h a b e n a l s o b l o s s d i e W a h l z w i s c h e n d e m völligen Verzicht auf jede wissenschaftliche Erklärung der o r g a n i s c h e n N a t u r - E r s c h e i n u n g e n und zwischen der unbedingten Annahme der Descendenz-Theorie.
Ontogenetische Thesen.
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Z w a n z i g s t e s Capitel.
Ontogenetische Thesen. ..Kein Phänomen erklärt sieb aus sich selbst; nur viele insamtnen überschaut, methodisch geordnet, geben zuletzt etwas, wa» für Theorie gelten könute." Goethe.
I. T h e s e n von d e r m e c h a n i s c h e n N a t u r der o r g a n i s c h e n Entwickelung. 1. Die Entwickelung der Organismen ist ein physiologischer Process. welcher als solcher auf mechanischen „wirkenden Ursachen", d. h. auf physikalisch - chemischen Bewegungen beruht 1 ). 2. Die Bewegungs-Erscheinungen der Materie, welche jeden physiologischen Entwickelungs - Process veranlassen und bewirken, sind in letzter Instanz Anziehungen der Massen-Atome und Abstossungen der Aether-Atome, aus welchen die organische Materie ebenso wie die anorganische zusammengesetzt ist. I i Indem wir am Schlüsse diese-· und de* folgenden Buches eine Anzahl von allgemeinen Grundsätzen der organischen Entwicklungsgeschichte in Form von „ T h e s e n " , zusammenstellen, wiederholen wir. was wir bereits am Eingange des elften Capitels in Betreff unserer morphologischen ..Thesen" bemerkt haben (Bd. I, S. 364 Anmerkungl: ..Wir wollen damit nicht sowohl eine „ G e s e t z s a m m l u n g d e r o r g a n i s c h e n M o r p h o l o g i e · · begründen, als vielmehr einen Anstoss und Fingerzeig zu einer solchen Begründung geben. Eine Wissenschaft, die noch so sehr in primis cunabulis liegt, wie die Morphologie der Organismen, muss noch bedeutende Metamorphosen durchmachen, ehe sie es wagen kann, für ihre allgemeinen Sätze der Rang von unbedingten, ausnahmslos wirkenden Naturgesetzen in Anspruch zu nehmen. Statt daher das Schlusscapitel jedes unserer vier morphologischen Bücher mit dem mehr versprechenden als leistenden Titel: „Theoriecn und Gesetze·· zu schmücken, ziehen wir es vor, die P r i m o r d i e n derselben, gemischt mit einigen allgemeinen R e g e l n , als . . T h e s e n " zusammenzufassen, deren weitere Entwickelung zu Gesetzen wir von unseren Nachfolgern hoffen." Was speciell die ontogenetischen Thesen des zwanzigsten Capitels betrifft, so heben wir hier nur die wichtigsten allgemeinen Sätze nochmals hervor, da wir im fünften Buche bereits mehr, als es in den übrigen Büchern uns möglich war, eine Anzahl von feststehenden einzelnen Gesetzen formulirt und in bestimmter Form präcisirt haben. In Betreff
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Ontogenetische Thesen.
3. Die Entwickelung der Organismen äussert sich in einer continuirlichen Kette von Formveränderungen der organischen Materie, welche sämmtlich auf derartige physikalisch - chemische Bewegungen, als auf ihre wirkenden Ursachen zurückzuführen sind. 4. Gleich allen wahrnehmbaren Bewegungs - Erscheinungen in der Natur, also auch gleich allen physiologischen Erscheinungen, welche wir überhaupt kennen, erfolgen auch diejenigen der organischen Entwickelung mit absoluter Notwendigkeit und sind bedingt durch die ewig constanten Eigenschaften der Materie und die beständige Wechselwirkung ihrer wechselnden Verbindungen. 5. Alle organischen Entwickelungs-Bewegungen gehen unmittelbar und zunächst aus von den labilen und höchst zusammengesetzten Kohlenstoff-Verbindungen der Eiweissgruppe, welche als „Plasma" der Plastiden das active materielle Substrat oder den „Lebensstoff" im Körper aller Organismen bilden. 6. Es existirt weder ein „Ziel", noch ein „Plan" der organischen Entwickelung. II. T h e s e n von d e n p h y s i o l o g i s c h e n F u n c t i o n e n d e r organischen Entwickelung. 7. Die physiologischen Functionen, auf denen ausschliesslich alle organische Entwickelung beruht, lassen sich sämmtlich als Theilerscheinungen auf die allgemeine organische Fundamental-Function der Selbsterhaltung oder der Ernährung im weiteren Sinne zurückführen. 8. Die physiologischen Entwickelungs-Functionen, auf welche sich alle während der Morphogenese eintretenden Formveränderungen, als auf ihre bewirkenden Ursachen zurückführen lassen, sind die fünf Functionen der Zeugung, des Wachsthums, der Verwachsung, der Differenzirung und der Degeneration. 9. Die erste Entwickelungs-Function, die Zeugung (Generatio) oder die Entstehung des morphologischen Individuums, mit welcher jeder organische Entwickelungs - Process beginnt, ist entweder Urzeugung (Archigonia, Generatio spontanea) oder Elternzeugung (Fortpflanzung, Tocogonia, Propagatio, Generatio parentalis), und im letzteren Falle stets mit der Vererbung verknüpft, und als ein Ernährungs-Process aufzufassen, welcher über das individuelle Maass hinausgeht. dieser einzelnen „individuellen Entwickelungs-Gesetze", welche zum grossen Theil übrigens ebenso gut als „phyletische Entwickelungsgesetze" im sechsundzwanzigsten Capitel des sechsten Buches stehen könnten, verweisen wir ausdrücklich auf die einzelnen Abschnitte des vorhergehenden Textes, und vorzüglich des neunzehnten Capitels. SpecieU sind zu vergleichen: I. über die Gesetze der (ungeschlechtlichen und geschlechtlichen) Portpflanzung S. 70, 71; II. über die Gesetze der Differenzirang der Zeugungskreise S. 83, 84; III. über die Gesetze der Vererbung S. 170 —190; IV. über die Gesetze der Anpassung S. 192 — 219; V. über die Gesetze der (natürlichen und künstlichen) Züchtung S. 248.
Ontogenetieche Thesen.
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10. Die zweite Entwickelungs - Function, das Wachsthum (Crescentia), welches als einfaches oder zusammengesetztes Wachsthum jeden organischen Entwickelungs-Process, mindestens in der ersten Zeit, begleitet, ist eine Ernährungs-Erscheinnng, welche mit Volumszunahme des Individuums verbunden ist. 11. Die dritte Entwickelungs - Function, die Differenzirung (Divergentia), welche sich in einer Hervorbildung ungleichartiger Theile aus gleichartiger Grundlage äussert, ist eine Ernährungs-Veränderung, welche durch die Anpassung an die Aussenwelt, d. h. durch die materielle Wechselwirkung der Materie des organischen Individuums mit der umgebenden Materie bedingt ist. 12. Die vierte Entwickelungs-Function, die Entbildung (Degeneration), welche zuletzt stets das Ende der individuellen Entwickelung herbeiführt, ist eine Ernahrungs-Veränderung, welche mit Abnahme der physiologischen Functionen verbunden ist. 13. Die fünfte Entwickelungs-Function, die Verwachsung (Concrescentia) welche gleich den vorigen die morphologischen Individuen aller sechs Ordnungen betreffen kann, besteht in einer secundären Verbindung von mehreren vorher getrennten Individuen einer und derselben morphologischen Ordnung, durch welche ein neues Individuum nächst höherer Ordnung entsteht 1 ). III. Thesen von den o r g a n i s c h e n B i l d u n g s t r i e b e n . 14. Die Formveränderungen, welche die organische Materie während ihrer Entwickelung durchläuft, sind das Resultat der Wechselwirkung zweier entgegengesetzter Bildungstriebe oder Gestaltungskräfte, eines inneren und eines äusseren Bildungstriebes2). 15. Der innere Bildungstrieb oder die innere Gestaltungskraft (Vis plastica interna) ist die unmittelbare Folge der materiellen Zusammensetzung des Organismus, und daher mit der Erblichkeit (Atavismus) identisch. 16. Der äussere Bildungstrieb oder die äussere Gestaltungskraft (Vis plastica externa) ist die unmittelbare Folge der Abhängigkeit, in 1) In der Charakteristik der Entwickelungs-Functionen, welche wir im siebzehnten Capitel (p. 721 gaben, haben wir bloss die vier erstgenannten als die wichtigsten Functionen der Ontogenese angeführt. Wir schliessen hier die weniger wichtige und weniger bekannte Function der Concrescenz oder Verwachsung als eine fünfte denselben an, um die Aufmerksamkeit auf diesen interessanten Entwickelungs - Vorgang mehr hinzulenken. Vergl. darüber S. 147 Anmerkung. *) Vergl. über die Natur der beiden Bildungstriebe, welche nicht allein bei der Entstehung jedes individuellen Organismus, sondern auch bei der Entstehung jeder individuellen anorganischen Form wirksam sind, das fünfte Capitel, woselbst wir die beiden entgegenwirkenden Gestaltungskräfte als das nothwendige Resultat der allgemeinen Wechselwirkung der gesammten Materie nachgewiesen haben (Bd. I , S. 154 ff.).
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Ontogenetische Thesen.
welcher die materielle Zusammensetzung des Organismus von derjenigen der umgebenden Materie der Aussenwelt) steht, und daher mit der Anpassungsfähigkeit (Variabilitas) identisch. 17. Die beiden fundamentalen Bildungstriebe, welche durch ihre beständige Wechselwirkung die jeden organischen Entwickelungs-Process begleitenden Form-Veränderungen bedingen, sind demnach nicht verschieden von den oben angeführten Entwickelungs-Functionen, da die Vererbung unmittelbar durch die Fortpflanzung, die Anpassung dagegen unmittelbar durch die Ernährung des Organismus vermittelt wird. 18. Alle Charaktere der Organismen sind entweder ererbte (durch Heredität erhaltene) oder angepasste (durch Adaptation erworbene) Eigenschaften. 19. Die ererbten Eigenschaften (Characteres hereditarii) erhält der Organismus durch Vererbung von seinen Eltern und Voreltern mittelst der Fortpflanzung. 20. Die angepassten Eigenschaften (Characteres adaptati) erwirbt der Organismus entweder unmittelbar durch seine eigene Anpassung oder mittelbar durch Vererbung der Anpassungen seiner Eltern und Voreltern. 21. Die erblichen Charaktere sind in letzter Instanz Wirkungen der materiellen Zusammensetzung der Ei Weissverbindungen, welche das Plasma der constituirenden Piastiden bilden, und welche in gewisser Beharrlichkeit durch alle Generationen übertragen werden. 22. Die angepassten Charaktere sind in letzter Instanz die Folgen der Wechselwirkung zwischen den Eiweissverbindungen der Plastiden des Organismus und den damit in Berührung kommenden Materien der Umgebung, welche in allen Generationen eine gewisse Verschiedenheit zeigen. 23. Die erblichen Charaktere zeigen sich vorzugsweise in der Bildung morphologisch wichtiger, physiologisch dagegen unwichtiger Körpertheile; sie erscheinen daher nur bei blutsverwandten Organismen ähnlich, als Homologieen. 24. Die angepassten Charaktere zeigen sich vorzugsweise in der Bildung physiologisch wichtiger, morphologisch dagegen unwichtiger Körpertheile; sie erscheinen daher auch bei nicht blutsverwandten Organismen ähnlich, als Analogieen. 25. Im Laufe der individuellen Entwickelung treten die erblichen Charaktere im Ganzen früher als die angepassten auf, und je früher ein bestimmter Charakter in der Ontogenese auftritt, desto weiter liegt die Zeit zurück, in welcher er von den Vorfahren erworben wurde, und desto bedeutender ist sein morphologischer Werth. 26. Für die Erkenntniss der Blutsverwandtschaft verschiedener
Ontogenetische Thesea.
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Organismen haben nur die erblichen oder homologen Charaktere, nicht die angepassten oder analogen Charaktere Bedeutung. IV. T h e s e n von den o n t o g e n e t i s c h e n Stadien. 27. Die Ontogenesis oder biontische Entwickelung, d. h. die Entwickelung jedes Bionten oder physiologischen Individuums ist ein physiologischer Process von bestimmter Zeitdauer. 28. Die Zeitdauer der individuellen Entwickelung jedes Bionten wird durch die Gesetze der Vererbung und Anpassung bestimmt, und ist lediglich das Resultat der Wechselwirkung dieser beiden physiologischen Factoren. 29. In dem zeitlichen Verlaufe der individuellen Entwickelung lassen sich allgemein drei verschiedene Abschnitte oder Stadien unterscheiden, welche mehr oder minder deutlich von einander sich absetzen. 30. Jedes Stadium der individuellen Entwickelung ist durch einen bestimmten physiologischen Entwickelungs - Process charakterisirt, welcher in demselben zwar nicht ausschliesslich, aber doch vorwiegend wirksam ist. 31. Das erste Stadium der biontischen Entwickelung, das Jugendalter oder die Aufbilduijgszeit, Anaplasis, ist durch das Wachsthum des Individuums charakterisirt. 32. Das zweite Stadium der biontischen Entwickelung, das Reifealter oder die Umbildungszeit, Metaplasie, ist durch die Differenzirung des Individuums charakterisirt. 33. Das dritte Stadium der biontischen Entwickelung, das Greisenalter oder die Rückbildungszeit, Cataplasis, ist durch die Degeneration des Individuums charakterisirt. V. Thesen von den drei g e n e a l o g i s c h e n I n d i v i d u a l i t ä t e n . 34. Da die Lebensdauer der organischen Individuen eine beschränkte ist, die durch sie repräsentirte bestimmte organische Form (Art) aber sich durch die Fortpflanzung der Individuen erhält, so müssen wir bei Betrachtung der organischen Entwickelung unterscheiden zwischen derjenigen der Bionten und derjenigen der Arten. 35. Die individuelle od,er biontische Entwickelung (Ontogenesis) umfasst die gesammte Reihe der Form Veränderungen, welche das physiologische Individuum (Bion) und der durch eines oder mehrere verschiedene Bionten repräsentirte Zeugungskreis (Cyclus generationis) während der ganzen Zeit seiner individuellen Existenz durchläuft. 36. Die paläontologische oder phyletische Entwickelung (Phylogenesis) umfasst die gesammte Reihe der Fonnveränderungen, welche die Art (Species) und der durch eine oder mehrere verschiedene Ar-
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Ontogenetische Thesen.
ten repräsentirte Stamm (Phylum) während der ganzen Zeit seiner individuellen Existenz durchläuft. 37. Der Zeugungskreis (Cyclus generationis) bildet entweder als Spaltungskreis (Cyclus monogenes) oder als Eikreis (Cyclus amphigenfes) die genealogische Individualität erster Ordnung. 38. Die Art (Species) bildet als die Summe aller gleichen Zeugungskreise die genealogische Individualität zweiter Ordnung. 39. Der Stamm (Phylum) bildet als die Summe aller blutsverwandten Arten die genealogische Individualität dritter Ordnung. VI. T h e s e n v o n d e m C a u s a l n e x u s d e r b i o n t i s c h e n u n d der phyletischen Entwickelung. 40. Die Ontogenesis oder die Entwickelung der organischen Individuen, als die Reihe von Formveränderungen, welche jeder individuelle Organismus während der gesammten Zeit seiner individuellen Existenz durchläuft, ist unmittelbar bedingt durch die Phylogenesis oder die Entwickelung des organischen Stammes (Phylon), zu welchem derselbe gehört. 41. Die Ontogenesis ist die kurze und schnelle Recapitulation der Phylogenesis, bedingt durch die physiologischen Functionen der Vererbung (Fortpflanzung) und Anpassung (Ernährung). 42. Das organische Individuum (als morphologisches Individuum erster bis sechster Ordnung) wiederholt während des raschen und kurzen Laufes seiner individuellen Entwickelung die wichtigsten von denjenigen Formveränderungen, welche seine Voreltern während des langsamen und langen Laufes ihrer paläontologischen Entwickelung nach den Gesetzen der Vererbung und Anpassung durchlaufen haben. 43. Die vollständige und getreue Wiederholung der phyletischen durch die biontische Entwickelung wird verwischt und abgekürzt durch secundäre Zusammenziehung, indem die Ontogenese einen immer geraderen Weg einschlägt; daher ist die Wiederholung um so vollständiger , je länger die Reihe der successiv durchlaufenen Jugendzustände ist. 44. Die vollständige und getreue Wiederholung der phyletischen durch die biontische Entwickelung wird gefälscht und abgeändert durch secundäre Anpassung, indem sich das Bion während seiner individuellen Entwickelung neuen Verhältnissen anpasst; daher ist die Wiederholung um so getreuer, je gleichartiger die Existenzbedingungen sind, unter denen sich das Bion und seine Vorfahren entwickelt haben.
Sechstes Buch. Zweiter Theil der allgemeinen Entwickelungsgeschichte.
Generelle Phylogenie oder
Allgemeine Entwickelungsgeschichte der organischen Stämme. (Genealogie und Paläontologie.)
„Die Kenntniss der organischen Naturen überhaupt, die Kenntniss der vollkomm neren, welche wir im eigentlichen Sinne Thiere und besonders Säugethiere nennen, der Einblick, wie die allgemeinen Gesetze bei verschieden beschränkten Naturen wirksam sind , die Einsicht zuletzt, wie der Mensch dergestalt gebaut sei, dass er so viele Eigenschaften und Naturen in sich vereinige und dadurch auch schon physisch als eine kleine Welt, als ein Repräsentant der übrigen Thiergattungen existire — alles dieses kann nur dann am deutlichsten und schönsten eingesehen werden, wenn wir nicht, wie bisher leider nur zu oft geschehen, unsere Betrachtungen von oben liernb anstellen und den Menschen im Thiere suchen, sondern wenn wir vou unten herauf anfangen und das einfachere Thier im zusammengesetzten Menschen endlich wieder entdecken. „Es ist hierin schon unglaublich viel gethan; allein es liegt so zerstreut. so manche falsche Bemerkungen und Folgerungen verdüstern die wahren und echten, täglich kommt zu diesem Chaos wieder neues Wahre und Falsche hinzu. so dass weder des Menschen Kräfte, noch sein Leben hinreichen, Alles zu sondern und zu ordnen, wenn wir nicht den W e g , den uns die Naturhistoriker nur äusserlich vorgezeichnet. auch bei der Zergliederung verfolgen, und es möglich machen, das Einzelne in übersehbarer Ordnung zu erkennen, um das Ganze nach Gesetzen, die unserem Geiste gemäss sind, zusammen zu bilden. „Man wendete auch hier, wie in anderen Wissenschaften, nicht genug geläuterte Vorstellangsarten an. Nahm die eine Partei die Gegenstände ganz gemein und hielt sich ohne Nachdenken an den blossen Augenschein, so eilte die andere, sich durch Annahme von Endursachen aus der Verlegenheit zu helfen; und wenn man auf jene Weise niemals zum Begriff eines lebendigen Wesens gelangen konnte, so entfernte man sich auf diesem Wege von eben dem Begriffe, dem man sich zu nähern glaubte. „Ebenso viel und anf gleiche Weise hinderte die fromme Λ'οι-stelluugsart, da man die Erscheinungen der organischen Welt zur Ehre Gottes unmittelbar deuten und anwenden wollte. „Sollte es denn aber unmöglich sein, da wir einmal anerkennen, dass die schaffende Gewalt nach einem allgemeinen Schema die vollkommneren organischen Naturen erzeugt und entwickelt, dieses Urbild, wo nicht den Sinnen, doch dem Geiste darzustellen ? Hat man aber die Idee von diesem Typus gefasst, so wird man erst recht einsehen, wie unmöglich es sei, eine einzelne Gattung als Kanon aufzustellen. Das Einzelne kann kein Muster vom Ganzen sein, und so dürfen wir das Muster für Alle nicht im Einzelnen suchen. Die Classen, Gattungen, Arten und Individuen verhalten sich wie die Fälle zum Gesetz; sie sind darin enthalten, aber sie enthalten und geben es nicht." G o e t h e (1796).
Eiiiundz w a n z i g s t e s Capitel.
Begriff und Aufgabe der Phylogenie. ..Eine innere und ursprüngliche Gemeinschaft liegt aller Organisation zu Grunde; d i e V e r s c h i e d e n h e i t d e r G e s t a l t e n d a g e g e n e n t s p r i n g t aus den n o t h w e n d i g e n B e z i e h u n g s v e r h ä l t n i s s e n z u r A u s s e n w e l t , und man darf daher eine ursprüngliche. gleichzeitige Verschiedenheit und eine u n a u f h a l t s a m f o r t s c h r ei t e n d e U m b i l d u n g mit Recht annehmen, um die eben so constanten als abweichenden Erscheinungen begreifen zu können G o e t h e (1824).
I. Die Phylogenie als Entwickelungsgeschichte der Stämme. Die P h y l o g e n i e oder E n t w i c k e l u n g s g e s c h i c h t e der org a n i s c h e n Stämme i s t die g e s a m m t e W i s s e n s c h a f t von den F o r m v e r ä n d e r u n g e n , w e l c h e die Phylen oder o r g a n i s c h e n S t ä m m e w ä h r e n d der g a n z e n Zeit i h r e r i n d i v i d u e l l e n E x i s t e n z d u r c h l a u f e n , von dem Wechsel also der Arten oder Species, welche als successive und coexistente blutsverwandte Glieder jeden Stamm zusammensetzen. D i e A u f g a b e der P h y l o g e n i e i s t m i t h i n die E r k e n n t n i s s und die E r k l ä r u n g der s p e e i f i s c h e n Form Veränderungen, d. h. die Feststellung der bestimmten Naturgesetze, nach welchen alle verschiedenen organischen Arten oder Species entstehen, welche als divergente Nachkommen einer einzigen, gemeinsamen, autögonen Urform ein einziges Phylon constituiren. Begriff und Aufgabe der Phylogenie im Allgemeinen haben wir bereits im ersten Buche (Bd. I, S. 57) festgestellt, wo wir als organischen Stamm oder Phylon „die Summe aller Organismen bezeichneten, welche von einer und derselben einfachsten, spontan entstandenen Stammform ihren gemeinschaftlichen Ursprung ableiten". Die Gesammtheit aller biologischen Erscheinungen führt uns, wenn wir sie von dem allgemeinen und vergleichenden Standpunkte aus richtig würdigen, mit
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Begriff und Aufgabe der Phvlogenie.
zwingender Nothwendigkeit zu dem inductiven Schlüsse, dass alle die unendlich mannichfaltigen Formen von Thieren, Protisten und Pflanzen, welche wir als ausgestorbene oder noch lebende Arten unterscheiden, die allmählich veränderten und umgeformten Nachkommen einer sehr geringen Anzahl (vielleicht einer einzigen) autogoner Stammformen sind. Diese Stammformen können wir uns nur als Organismen der einfachsten Art, als structurlose homogene Eiweissklumpen oder Moneren denken, gleich den Protogeniden oder Protamoeben. Durch sehr langsame und allmähliche Form-Veränderungen, welche durch die physiologischen Gesetze der Vererbung und Anpassung geregelt wurden, entwickelten sich aus ihnen innerhalb unermesslich langer Zeiträume die äusserst vollkommen organisirten Wesen, welche wir jetzt in den höchsten Ausbildungsstufen des Thier- und Pflanzenreichs bewundern. Wie dieser Grundgedanke der Descendenz - Theorie durch physiologische Erwägungen vollständig begründet, wie er aus ihnen als nothwendig nachgewiesen werden kann, haben wir in der vorhergehenden Darstellung von D a r w i n ' s Selections-Theorie gezeigt. Die beiden physiologischen Functionen der Vererbung und der Anpassung, jene auf die Fortpflanzung, diese auf die Ernährung als Fundamental-Function gestützt, reichen in ihrer beständigen und mächtigen Wechselwirkung vollständig aus, um unter den gegebenen irdischen Existenz-Bedingungen die unendliche Mannichfaltigkeit der organischen Formen hervorzubringen. In langsamem, aber ununterbrochenem Wechsel folgen Arten auf Arten, und so bietet die gesammte organische Bevölkerung der Erde zu allen Zeiten einen verschiedenen Anblick dar. Doch kann die richtige Einsicht in diese beständige Formen-Veränderung der organischen Welt nur durch allgemeine Vergleichung aller grossen Erscheinungsreihen derselben gewonnen werden. In jedem einzelnen Zeitmoment betrachtet, erscheint uns die Gesammtheit der lebendigen Bevölkerung der Erde nicht als eine derartige Kette wechselnder und vergänglicher Formen, sondern als Complex einer bestimmten Anzahl von stabilen und von einander unabhängigen Organisa tions-Formen, welche wir als verschiedene Arten oder Species zu unterscheiden gewohnt sind. Wenn wir also auch allgemein und mit Recht als die Aufgabe der P h y l o g e n i e die E n t w i c k e l u n g s g e s c h i c h t e der o r g a n i schen Stämme oder P h y l e n bezeichnen können, so wird dennoch der reale Inhalt dieser Disciplin eigentlich die concrete Entwickel u n g s g e s c h i c h t e der A r t i n oder S p e c i e s sein. Denn die sogenannten Arten oder Species der Organismen setzen in ähnlicher Weise die höhere Individualität des Stammes zusammen, wie sie selbst aus der niederen Individualität des Zeugungskreises oder Generations-Cyclus zusammengesetzt sind. Wie wir oben (S. 30) zeigten, stehen diese drei subordinirten Individualitäten, der Generations-Cyclus, die Species
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Die Phylogenie als Entwickelungsgeschichte der Stämme.
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und das Phylon, in einem ähnlichen "Verhältniss zu einander, wie die verschiedenen, im neunten Capitel festgestellten Kategorieen der morphologischen Individualität. Jedes Phylon ist eine Vielheit von blutsverwandten Species und jede Species ist eine Vielheit von gleichen oder vielmehr höchst ähnlichen Zeugungskreisen. Wir konnten daher dieselben als d r e i v e r s c h i e d e n e O r d n u n g e n o d e r K a t e g o r i e e n d e r g e n e a l o g i s c h e n I n d i v i d u a l i t ä t , oder als drei subordinirte Entwickelungs - Einheiten folgendermaassen über einander stellen: I. Der Z e u g u n g s k r e i s (Cyclus generation is) ist die erste und niedrigste Stufe, II. die Art (Species) ist die zweite und mittlere Stufe, III. der S t a m m (Phylum) ist die dritte und höchste Stufe der genealogischen Individualität. Die Phylogenie, als die Entwickelungsgeschichte der Stämme, verhält sich demnach zur genealogischen Systematik, oder der Entwickelungsgeschichte der Arten ganz analog, wie die Entwickelungsgeschichte der physiologischen Individuen zu deijenigen der morphologischen Individuen. Wie das physiologische Individuum während verschiedener Perioden seiner individuellen Existenz durch eine wechselnde Anzahl von morphologischen Individuen verschiedener Ordnung repräsentirt wird, so wird gleicherweise das Phylon während verschiedener Zeiten seiner individuellen Existenz durch eine wechselnde Anzahl von verschiedeneu Species dargestellt, welche sich nach dem Grade ihres genealogischen Zusammenhanges in die verschiedenen Ordnungsstufen oder Kategorieen des Systems neben und über einander ordnen lassen. Die concrete Aufgabe der Phylogenie wird also zunächst die Entwickelungsgeschichte der einzelnen blutsverwandten Arten oder Species sein, und erst aus deren richtiger Erkenntniss und vergleichenden Synthese ergiebt sich dann weiterhin als das höhere und höchste Ziel der genealogische Zusammenhang der verschiedenen Arten im natürlichen System, oder die wirklich zusammenhängende Entwickelungsgeschichte der Stämme.
Π. Palaeontologie und Genealogie. Der innige und allgemeine Zusammenhang, welcher zwischen der Phylogenie und der Ontogenie besteht, ist von uns bereits im fünften Buche auf das entschiedenste hervorgehoben worden. Wir erblicken in diesem unlösbaren Zusammenhange, in der gegenseitigen Erläuterung der Phylogenie und der Ontogenie, in ihrem durch die Descendenz-Theorie erklärten Causalnexus, die wissenschaftliche Grundlage der gesammten Entwickelungsgeschichte, und dadurch zugleich der gesammteu Morphologie. Diese äusserst wichtige Wechselbeziehung zwischen der Entwickelungsgeschichte der organischen Individuen und der H a e c k e 1, Generelle Morphologie, Π .
ΟΛ
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Begriff und Aufgabe der Phylogenie.
organischen Stämme bewog uns im achtzehnten Capitel, am Schlüsse jedes Abschnitts unser „Ceterum censeo" folgen zu lassen: „Alle Erscheinungen, welche die individuelle Entwickelung der Organismen begleiten, erklären sich lediglich aus der paläontologischen Entwickelung ihrer Vorfahren. Die gesammte Ontogenie der Organismen ist eine kurze Recapitulation ihrer Phylogenie." Dieses Gesetz halten wir für so äusserst wichtig, dass wir dasselbe nicht genug glauben hervorheben zu können; denn ohne die Phylogenie bleibt uns die Ontogenie ein unverstandenes Räthsel. Wenn wir dagegen das causale Verständniss der Phylogenie durch die Descendenz-Theorie gewonnen haben, so erklärt sich uns daraus die Ontogenie eben so einfach, als harmonisch. Andererseits bedürfen wir der Ontogenie auf das dringendste, um die Phylogenie richtig zu würdigen. Dieses Yerhältniss ist vorzüglich in dem Umstände begründet, dass unsere empirischen Kenntnisse in der Entwickelungsgeschichte der Individuen weit umfassender und vollständiger sind, als in derjenigen der Stämme. Fast das einzige unmittelbare empirische Material, welches der letzteren zu Grunde liegt, liefert uns die Paläontologie. Dieses Material ist aber nicht im entferntesten zu vergleichen mit demjenigen, welches uns für die Ontogenie zu Gebote steht; vielmehr ist dasselbe im höchsten Grade lückenhaft und unvollständig. In der individuellen oder biontischen Entwickelungsgeschichte können wir, wenigstens in sehr vielen Fällen, unmittelbar und Schritt für Schritt mit unseren Augen die Form-Veränderungen verfolgen, welche das physiologische Individuum während der ganzen Zeit seiner Existenz, von seiner Entstehung bis zu seinem Tode durchläuft. Es ist daher nicht zu verwundern, dass selbst sehr gedankenlose Zoologen und Botaniker bisweilen ganz brauchbare biontische Entwickelungsgeschichten von Thieren und Pflanzen schreiben. Es gehört dazu wesentlich nur ein gesundes Auge, ein wenig Geduld und Fleiss, und so viel Verstand, um das unmittelbar Beobachtete getreu wiedergeben zu können. Unendlich schwieriger gestaltet sich die Aufgabe für die paläontologische oder phyletische Entwickelungsgeschichte. Hier liegt nirgends eine zusammenhängende Kette von Thatsachen vor, welche der glückliche Beobachter einfach aufzunehmen und so darzustellen hat, wie er sie sieht. Niemals ist der continuirliche Zusammenhang zwischen den einzelnen auf einander folgenden Entwickelungs - Stadien so wie in der Embryologie gegeben. Vielmehr findet der Genealoge, welcher es unternimmt, die Entwickelungsgeschichte eines Stammes und der denselben zusammensetzenden Arten darzustellen, in allen Fällen nur höchst unvollständige und vereinzelte Bruchstücke vor, welche es gilt, mit kritischem Blicke — und fast möchten wir sagen: mit rieh-
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Π. Paläontologie und Genealogie.
tigern morphologischem Instincte — zusammenzusetzen und daraus das ungefähre Schattenbild des längst entschwundenen Entwickelungs-Vorganges zu reconstruiren. Diese Reconstruction erfordert ebenso umfassende biologische und specielle morphologische Kenntnisse, als allgemeines Yerständniss des Zusammenhanges der biologischen Erscheinungen; sie erfordert ebenso die äusserste Vorsicht, als die grösste Kühnheit in der hypothetischen Ergänzung der dürftigen Fragmente, welche die Paläontologie uns liefert. Die Hypothese ist hier, wie in der gesammten Genealogie, nicht bloss das erste Recht, sondern auch die dringendste Pflicht. Da wir in den unten folgenden Entwürfen der Stammbäume für die einzelnen Phylen zeigen werden, in welcher Weise hier nach unserer Ansicht die Hypothese, die Ergänzung des dürftigen paläontologischen Materials durch das vollständigere embryologische und systematische Material zu handhaben ist, so wollen wir hier nur im Allgemeinen ausdrücklich darauf hinweisen, welche gewaltige Kluft in dieser Beziehung zwischen der Phylogenie und der Ontogenie herrscht. Diese Kluft ist in der That so gross, dass darüber der innige Zusammenhang dieser beiden nächst verwandten Wissenschaftszweige von den meisten Biologen bisher entweder ganz übersehen oder doch nicht entfernt in seinem vollen Werthe anerkannt worden ist. D i e p a l ä o n t o l o g i s c h e E n t w i c k e l u n g s g s g e s c h i c h t e , wie sie bisher behandelt, und in neuerer Zeit auch von einigen hervorragenden Paläontologen im Zusammenhange dargestellt worden ist, bleibt ein vollständig lückenhaftes und zerrissenes Flickwerk, wenn sie sich auf die blossen Thatsaclien beschränkt , welche die Paläontologie uns liefert, und wenn sie nicht zu deren Ergänzung den äusserst wichtigen dreifachen Parallelismus benutzt, welcher zwischen der biontischen, der phyletischen und der systematischen Entwickelungsreihe besteht 1 ). Diese Ergänzung durch eben so umfassende und kühne, als vorsichtige und kritische Anwendung der phyletischen Hypothese ist die erste Pflicht der G e n e a l o g i e o d e r S t a m m b a u m s - L e h r e im weiteren Sinne, wie wir auch die gesammte Phylogenie oder phyletische Entwickelungsgeschichte nennen könnten. Wenn wir aber unter Genealogie im engeren Sinne nur den ergänzenden und unentbehrlichen hypothetischen Theil, unter Paläontologie im engeren Sinne dagegen den empirischen, unmittelbar durch die Versteinerungskunde gegebenen Theil der Phylogenie verstehen, so verhält sich die letztere zur ersteren wohl nur selten ungefähr wie Eins zu Tausend, in den allermeisten Fällen wohl 1
) Welche" dürftigen Resultate auch die gründlichsten und sorglaltigsten, uud selbst die genauesten .statistischen Untersuchungen Uber die paläontologische Entwickelung liefern , wenn sie sich bloss auf die nackte Synthese des paläontologischen Materials be-schränken. zeigen am deutlichsten die trefflichen Arbeiten des verdienstvollen B r o n n .
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Begriff und Aufgabe der Phylogenie.
kaum wie Eins zu Hunderttausend oder zur Million. Dennoch ist hier bei Anwendung der nothwendigen Kritik ausserordentlich Viel zu leisten , und vorzüglich auf Grund der Ergänzung der Paläontologie durch die Embryologie und Systematik, eine Reihe der wichtigsten und sichersten Resultate zu erzielen. Die Phylogenie oder die Entwickelungsgeschichte der organischen Stämme in unserem Sinne ist also eine Wissenschaft, welche sich nur zum allerkleinsten Theile aus dem empirischen Materiale der P a l ä o n t o l o g i e oder Versteinerungskunde, zum bei weitem grössten Theile aus den ergänzenden Hypothesen der kritischen G e n e a l o g i e oder Stammbaumskunde zusammensetzt. Die letztere muss sich in erster Linie auf das ergänzende Material der Ontogenie und Systematik, und weiterhin auf eine denkende Benutzung aller allgemeinen OrganisationsGesetze stützen.
HL
Kritik des paläontologischen Materials.
Für das richtige Verständniss der Phylogenie ist eine der ersten und nothwendigsten Vorbedingungen die richtige und volle Erkenntniss von dem ausserordentlich hohen Grade der Unvollständigkeit und Lückenhaftigkeit, den das gesammte empirische Material der Paläontologie besitzt. Wir haben schon im Vorhergehenden hervorgehoben, dass der philosophischen Genealogie, welche auf Grund ontogenetischer und systematischer Inductionen den hypothetischen Bau der zusammenhängenden Phylogenie zu errichten hat, ein weit grösserer und umfassenderer Theil der phylogenetischen Aufgabe zufällt, als der empirischen Paläontologie, welche uns nur einzelne isolirte Bruchstücke für den Aufbau derselben zu liefern vermag. Diese Erkentniss ist so höchst wesentlich, dass wir hier kurz die wichtigsten Ursachen der ausserordentlichen Unvollständigkeit des paläontologischen Materials hervorheben müssen. Niemand hat dieselben bisher so richtig gewürdigt, als die beiden grossen Engländer D a r w i n und L y e l l , von denen der erstere dieselbe Reformation auf dem Gebiete der Paläontologie, wie der letztere auf dem der Geologie durchgeführt hat. D a r w i n hat der „UnVollkommenheit der geologischen Ueberlieferungen" ein besonderes Capitel seines Werkes (das neunte) gewidmet, auf welches wir hier als besonders wichtig ausdrücklich verweisen1). 1
) Am Schlüsse dieses Capitels macht D a r w i n folgende treffende Vergleichung: „Ich für meinen Theil betrachte (am L y e 11 's bildlichen Ausdruck durchzuführen), den natürlichen Schöpfungsbericht als eine Geschichte der Erde, unvollständig erhalten und in wechselnden Dialecten geschrieben, wovon aber nur der letzte, bloss auf einige Theile der Erd-Oberfläche sich beziehende Band bis auf uns gekommen ist. Doch auch von diesem Bande ist nur hier und da ein kurzes Capitel erhalten, und von jeder Seite sind
HE.
Kritik des paläontologischen Materials.
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Wenn wir die sämmtlichen Umstände, welche die empirische Paläontologie zu einem so höchst fragmentarischen Stückwerk machen, vergleichend erwägen, so können wir sie in zwei Reihen bringen, von denen die einen ihre Ursache in der Beschaffenheit der Organismen, die anderen in der Beschaffenheit der Umstände haben, unter denen ihre Reste in den neptunischen, aus dem Wasser abgelagerten Erdschichten erhalten werden können. In ersterer Beziehung ist vor Allem zu erwägen, dass in der Regel nur harte und feste Theile, vorzüglich also Skelete, der Erhaltung im fossilen Zustande oder der Petrification fähig waren. Kur verhältnissmässig selten konnten auch von weichen und zarten Theilen der Organismen Abdrücke erhalten werden. Es fehlen daher fast alle erkennbaren Reste von solchen Organismen, die keine Skelete oder harten Theile besassen. Dahin gehören alle autogenen Moneren, welche wir als die ursprünglichen Stammformen sämmtlicher Phylen zu betrachten haben, sowie eine grosse Anzahl zunächst von jenen Autogonen abstammender Generationen; sodann sehr viele Protisten, die meisten Wasserpflanzen, sehr viele niedere Thiere (Medusen, Würmer, Xacktschneckcn, Wirbel thiere mit bloss knorpeligem Skelet etc.), endlich alle Embryonen aus der ersten und sehr viele auch aus späterer Entwickelungs-Zeit; sowie überhaupt sehr viele zarte jugendliche Formen, auch von solchen Organismen, die späterhin ein hartes Skelet erhalten. Bei allen diesen Organismen fehlten eigentliche innere oder äussere Skelete, und überhaupt geformte harte Theile, welche der Erhaltung fähig gewesen wären. Aber auch bei den übrigen Organismen, welche solche harte conservationsfähige Theile besitzen, machen dieselben in der Regel nur einen sehr unbedeutenden und oft einen morphologisch sehr werthlosen Theil des ganzen Körpers aus. Am wichtigsten sind in dieser Beziehung diejenigen Wirbelthiere, welche ein verknöchertes inneres Skelet besitzen, ferner die hartschaligen Echinodermen und Crustaceen, sowie die mit Kalkgehäusen versehenen Mollusken. Doch kann man inbesondere bei den letzteren aus der Form der äusseren Schale nur sehr unsichere Schlüsse auf die anatomische Beschaffenheit der Weichtheile ziehen. Von der Beschaffenheit des Nervensystems und des Gefässsystems, sowie der meisten übrigen Organsysteme sagen uns aber jene conservirten Hartgebilde unmittelbar gar nichts, und die Andeutungen, welche wir von ihnen in dieser Beziehung erhalten, sind nur sehr unsicher. Die ganze Summe der wirklich erhaltenen thierischen Reste giebt uns also schon aus dienur da und dort einige Zeilen übrig. Jedes Wort der langsam wechselnden Sprache dieser Beschreibung, mehr und weniger verschieden in der unterbrochenen Reihenfolge der einzelnen Abschnitte. mag den anscheinend plötzlich wechselnden Lebensformen entsprechen , welche in den unmittelbar auf einander liegenden Schichten unserer weit von einander getrennten Formationen begraben liegen."
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Begriff und Aufgabe der Phylogenie.
sem Grunde nur ein sehr unsicheres Bild von ihrer vormaligen Gesammt-Organisation. Nicht besser steht es mit den Pflanzen, von denen gerade die morphologisch wichtigsten Theile, die Blüthen, wegen ihrer zarten Structur nur sehr selten und höchst unvollständig in Abdrücken erhalten werden konnten. Die Schlüsse, welche wir hier aus den Abdrücken ganzer Pflanzen, sowie aus den besser conservirten härteren Theilen (Holzstämmen, Früchten) ziehen können, ersetzen jenen Mangel nur in sehr beschränktem Maasse. Höchst ungleichmässig sind ferner die Bedingungen der Conservation je nach dem verschiedenen Wohnorte der Organismen. Bei weitem die grösste Mehrzahl der Petrefacten gehört Meeresbewohnern an; viel seltener sind die Reste von Süsswasserbewohnern und von Landbewohnern, und am seltensten diejenigen der Luftbewohner. Die Gründe, wesshalb das Meer die günstigsten, das Süsswasser viel ungünstigere, und das Festland die ungünstigsten Bedingungen zur Fossilisation verstorbener Organismen darbot, liegen so nahe, dass wir dieselben hier nicht zu erörtern brauchen. Ebenso konnten selbstverständlich von Entozoen und von anderen Parasiten keine Reste conservirt werden. Wenn wir ferner bedenken, wie rasch überall jedes Cadaver seine Liebhaber findet, wie schnell überall Tausende von Organismen beschäftigt sind, sich Heisch und Blut der Verstorbenen zu Nutze zu machen, wie die allermeisten organischen Individuen nicht natürlichen Todes sterben, sondern von übermächtigen Feinden vernichtet werden, so werden wir uns mehr darüber wundern, dass noch so viele, als dass so äusserst wenige deutlich erkennbare Reste übrig bleiben konnten. Die andere Reihe von Ursachen, welche auf die fossile Conservation der organischen Reste höchst nachtheilig einwirken, liegt in den Umständen, unter denen die neptunischen Erdschichten aus dem Wasser abgelagert werden. Vor allem ist hier der von D a r w i n mit Recht besonders hervorgehobene Umstand äusserst wichtig, dass v e r s t e i n e r u n g s f ü h r e n d e S c h i c h t e n nur w ä h r e n d l a n g e r P e r i o den a n d a u e r n d e r S e n k u n g d e s B o d e n s a b g e l a g e r t w e r d e n k o n n t e n . Wenn dagegen Senkungen mit Hebungen wechselten, oder wenn lange Zeit hindurch Hebungen fortdauerten, so konnten die neuabgelagerten Schichten nicht erhalten bleiben, da sie alsbald wieder in den Bereich der Brandung versetzt und so zerstört wurden. Diesen Umstand gehörig zu würdigen, ist aber um so wichtiger, als gerade während der Hebungszeit (durch Gewinnung neuer Stellen im Naturhaushalte) die Divergenz der organischen Formen und die Entstehung neuer Arten sehr begünstigt wurde, während dagegen in den Senkungszeiten mehr Arten erlöschen und zu Grunde gehen mussten. Zwischen den langen Zeiträumen, in welchen je zwei auf einander folgende Formationen oder Etagen abgelagert wurden, und welche zwei
ΓΓΓ.
Kritik des paläontologischen Materials.
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Senkuiigsperioden entsprechen, liegt demnach ein ungeheuer langer Zeitraum, in •welchem die alternirende Hebung des Bodens und die damit parallel gehende Entstehung neuer Arten stattfand, von denen uns aber gar keine Reste erhalten werden konnten. So erklärt sich ganz einfach der zunächst befremdende Umstand, dass Flora und Fauna zweier verschiedener, übereinander liegender Schichten so sehr verschieden sind. In sehr vielen Sedimentschichten endlich, wie ζ. B. in vielen grobkörnigen Sandsteinen, ist die Erhaltung organischer Reste schon wegen der Structur des Gesteins selbst fast ganz unmöglich. Aber auch die wirklich erhaltenen versteinerungsführenden Schichten sind uns nur im höchsten Grade unvollständig bekannt. Wir kennen von diesen fossiliferen Straten nur einen äusserst geringen Theil; sorgfältiger ist bisher nur ein Theil Europas und Nordamerikas hierauf untersucht. Von den Sedimentschichten Asiens, Südamerikas, Afrikas und Australiens, sowie überhaupt der ganzen südlichen Hemisphäre kennen wir nur ganz geringe Bruchstücke. "Wie unvollständig wir aber selbst die am meisten untersuchten Schichten (ζ. B. den lithographischen Schiefer des Jura) kennfen, geht am besten daraus hervor, dass noch jährlich neue Formen in denselben entdeckt werden. Wir kennen ferner gar nichts von den ungeheueren Massen fossilienhaltiger Schichten, welche gegenwärtig unter dem Meeresspiegel ruhen, von denjenigen, welche jenseits der Polarkreise liegen und von denjenigen, welche sich in metamorphischem Zustande befinden. Und doch sind die letzteren allein aller Wahrscheinlichkeit nach bedeutend mächtiger, als alle nicht metamorphiscben Schichtenlagen zusammen. Alle diese Umstände zusammengenommen beweisen uns, dass die Gesammtheit des paläontologischen Materials oder die sogenannte „geologische Schöpfungs-Urkunde" im allerhöchsten Maasse unvollständig und lückenhaft ist, und dass sie uns für die zusammenhängende phyletische Entwickelungsgeschichte nur einzelne dürftige Andeutungen, nirgends aber eine vollständige und zusammenhängende Entwickelungsreihe liefert. Von sehr vielen fossilen Organismen-Arten kennen wir nur ein einziges Exemplar oder einige wenige höchst unvollkommene Bruchstücke, ζ. B. einen einzelnen Zahn oder ein paar Knochen. Von keiner einzigen fossilen Art können wir uns ein einigermaassen vollständiges Bild ihrer gesammten Verbreitung und Entwickelung in der Vorzeit entwerfen. Alle unsere paläontologischen Sammlungen zusammengenommen sind nur ein winziges Fragment, nur ein Tropfen im Meere, gegenüber der ungeheueren Masse erloschener Organismen, die in früheren Zeiten unsere Erdrinde belebten. Bevor diese Ueberzeugung nicht durch reifliche Erwägung aller hier einschlagenden Umstände befestigt ist, wird jede Beurtheilung des paläontologischen Materials verfehlt bleiben und zu irrigen Schlüssen verführen.
Begriff und Aufgabe der Phylogenie.
312 IV.
Die Kataklysmen - Theorie und die ContiiiuitätsTheorie (Cuvier und Lyell).
Wenn wir die ausserordentliche Unvollständigkeit des gesammten phylogenetischen Materials mit der befriedigenden Vollständigkeit mindestens eines grossen Theiles des ontogenetischen Materials vergleichen, so begreifen wir, warum die Entwickelungsgeschichte der Arten und Stämme so weit hinter derjenigen der Individuen und Zeugungskreise zurückbleiben konnte. Doch ist diese Differenz in der Ausbildung beider Zweige der Entwickelungsgeschichte nicht allein in jener ganz verschiedenen Beschaffenheit des empirischen Materials, sondern auch zum grossen Theil in der eigentümlichen Stellung begründet, welche die Paläontologie von Anfang an zu ihren nächstverbündeten Wissenschaften einnahm. Vorzüglich aber ist in dieser Beziehimg die Abhängigkeit derselben von der Geologie sehr einflussreich geworden, sowie der Umstand, dass die meisten sogenannten Zoologen und Botaniker dieselbe wie ein Stiefkind behandelten, oder sich wohl auch gar nicht um die Thiere und Pflanzen der unbekannten „ V o r w e l t " bekümmerten. Die empirische Paläontologie, als die Versteinerungskunde oder „Petrefactologie", verdankt ihre Entwickelung und Cultur grösstentheils nicht den Untersuchungen der Zoologen und Botaniker, (welche in den Petrefacten meistens nicht die Ueberbleibsel der ausgestorbenen Vorfahren der jetzt lebenden Organismen zu erkennen vermochten), sondern den Bemühungen der Geologen, welche die Petrefacten nur als „Leitmuscheln", als „Denkmünzen der Schöpfung" schätzen und verwerthen, um mit Hülfe derselben das relative Alter der über einander gelagerten Gebirgsschichten zu bestimmen. Das Interesse der beiderlei Naturforscher an diesen Objecten ist daher nicht weniger verschieden, als etwa das Interesse eines Archäologen und eines Künstlers oder Aesthetikers an einer antiken Statue. Der genealogische Zusammenhang der fossilen und der lebenden Organismen, sowie überhaupt die paläontologische Entwickelungsgeschichte der Organismen musste den eigentlichen Geologen von jeher als ein untergeordneter Nebenzweck oder auch als eine gleichgültige Sache erscheinen, um so mehr, als die meisten Geologen nicht hinreichend gründliche biologische und namentlich morphologische Bildung besassen, um das hohe Interesse jenes Zusammenhanges richtig würdigen zu können. Dazu kam, dass die falsche Kataklysmen-Theorie die gesammte Geologie und die davon in Abhängigkeit erhaltene Paläontologie im vorigen Jahrhundert und in den drei ersten Decennien des jetzigen vollständig beherrschte. Allgemein nahm man an, dass die aus dem Bau der festen Erdrinde ersichtliche Uebereinanderlagerung einer bestimmten Anzahl verschiedener Gebirgsformationen, deren jede ihre eigenthümlichen thierischen und pflanzlichen
IV.
Die Kataklysmen - Theorie und die Continuitäts - Theorie.
313
Reste einschließt, einer gleichen Anzahl von aufeinanderfolgenden Erdrevolutionen unbekannten Ursprungs entspreche, deren jede die damals existirende Flora und Fauna vernichtet und in den zusammengeschütteten Trümmern der umgewühlten Erdrinde begraben habe. Am Anfange jeder neuen Periode der Erdgeschichte sollte ebenso unmotivirt plötzlich eine neue Flora und Fauna erschaffen worden sein, wie die vorhergehende durch unmotivirte, ungeheuere, allgemeine Ueberschwemmungen und Umwälzungen der Erdrinde vernichtet worden war. Diese falsche Theorie wurde vorzüglich dadurch verhängnissvoll, dass sie durch C u v i e r zu allgemeiner Anerkennung gelangte, der sich im Anfange unseres Jahrhunderts die grössten Verdienste um eine schärfere Bestimmung und Erkenntniss der organischen fossilen Reste erwarb. Seine grosse Autorität hielt das gesammte Gebiet der Paläontologie ein halbes Jahrhundert hindurch so vollständig beherrscht, und erhielt die Kataklysmen-Theorie als fundamentales Dogma in derselben so unbedingt aufrecht,1 dass selbst heute noch ein grosser Theil der Paläontologen sich nicht entschliesgen kann, dasselbe aufzugeben. Hier tritt nun die Paläontologie, insofern sie noch heute in weiten Kreisen das Dogma von einer Reihenfolge plötzlicher Vernichtungen der schubweise in die Welt gesetzten Schöpfungen aufrecht erhält, in einen seltsamen Gegensatz zu der früher sie beherrschenden Geologie, in welcher jenes Dogma seit nunmehr 36 Jahren als beseitigt betrachtet werden kann. Im Jahre 1830 erschien das bewunderungswürdige Werk von C h a r l e s L y e l l : ..the Principles of Geology", durch welches dieser grosse Engländer dieselbe Reformation auf dem Gebiete der Geologie und in der Entwickelungsgeschichte der anorganischen Erdrinde durchführte, welche sein ebenbürtiger Landsmann, C h a r l e s Darwin, fast dreissig Jahre später auf dem Gebiete der Paläontologie und in der phyletischen Entwickelungsgeschichte der Organismen vollendete. L y e l l wies überzeugend nach, dass wir zur Erklärung der geologischen Thatsachen nicht jene mythischen „Revolutionen und Kataklysmen" unbekannten Ursprungs, nicht jene plötzlichen und unmotivirten Ueberschwemmungen und Umwälzungen der gesammten Erdrinde bedürfen, auf denen die frühere Geologie beruht. Er zeigte, wie die gegenwärtig existirenden geoplastischen Ursachen, wie namentlich der Wechsel wiederholter langsamer Hebungen und Senkungen, wie die Thätigkeit des Wassers und der atmosphärischen Agentien, wie die „existing causes" der Meteorologie und die vulkanische Action des Erdinnern vollkommen ausreichen, um in dem Verlaufe sehr langer Zeiträume durch sehr langsame und allmähliche, aber beständige und ununterbrochene Thätigkeit jene gewaltigen Wirkungen hervorzubringen, die wir in dem Gebirgsbau der entwickelten Erdrinde bewundern. Das grosse P r i n c i p d e s A c t u a l i s m u s ,
der Grundsatz, dass
314
Begriff und Aufgabe der Phylogenie.
die Kräfte der Materie ebenso wie sie selbst, zu allen Zeiten dieselben bleiben, und dass heute noch ebenso wie in der Primordialzeit gleiche Ursachen gleiche Wirkungen hervorbringen, war durch jenes Werk L y e l l ' s gewahrt, und dadurch das grosse G e s e t z d e r c o n t i n u i r l i c h e n E n t w i c k e l u n g , der successiven Metamorphose, der ununterbrochenen Umbildung für die anorganische Natur festgestellt. So gross war aber die Macht des durch C u v i e r ' s Autorität gestützten Dogmas von den Kataklysmen und den schubweise in die Welt gesetzten Schöpfungen, dass das letztere dadurch in der Paläontologie gar nicht erschüttert zu sein schien. Nun muss es aber für jeden Denkenden klar sein, dass jenes Dogma in der Paläontologie zum vollständigen Unsinn wurde, nachdem ihm in der Geologie aller Boden entzogen war. Und dennoch lehrten die Zoologen und Botaniker im Verein mit den Paläontologen unbekümmert und ungestört ihr absurdes Dogma weiter, und behaupteten, dass jede Art selbstständig und unabhängig von der anderen erschaffen, und nach ihrem Untergange durch andere, von ihr unabhängige, verwandte Arten ersetzt worden sei. Es ist in der That erstaunlich, dass noch dreissig Jahre verfliessen konnten, ehe die von L y e l l in der Geologie durchgeführte Reform auch in der Paläontologie zur Geltung gelangte. Sobald die ununterbrochene und allmähliche Entwickelung der anorganischen Erdrinde durch L y e l l ' s C o n t i n u i t ä t s - T h e o r i e begründet war, musste die D e s c e n d e n z - T h e o r i e in der von D a r w i n gegebenen Vollständigkeit als die nothwendige Folge derselben erscheinen, und die gleiche ununterbrochene und allmähliche Entwickelung auch für die organische Bevölkerung der Erdrinde nachweisen. Wir sehen aber hier wiederum einen neuen Beweis von der ausserordentlichen Gewalt, welche eingerostete falsche Dogmen auf die Ansichten der Menschen dauernd ausüben, sobald sie durch mächtige Autoritäten gestützt werden. Und wieder müssen wir an G o e t h e ' s Wort denken: „Die Autorität verewigt im Einzelnen, was einzeln vorüber gehen sollte, lehnt ab und lässt vorüber gehen, was festgehalten werden sollte, und ist hauptsächlich Ursache, dass die Menschheit nicht vom Flecke kommt." Nach unserer unerschütterlichen Ueberzeugung ist die KataklysmenLehre in der Geologie und das damit untrennbar verbundene Dogma von der selbstständigen Schöpfung der einzelnen Species in der Paläontologie vollkommen eben so falsch und unhaltbar, wie die EvolutionsTheorie in der Ontogenie (vergl. S. 12). Wie wir in der letzteren die Epigenesis als die einzig möglich und wirkliche Grundlage anerkennen mussten, so müssen wir in der Phylogenie die Continuität der organischen ebenso wie der anorganischen Natur - Entwickelung als das erste und unentbehrliche Fundament festhalten, und dieses Fundament ist nicht zu trennen von der Descendenz-Theorie.
"V. Die Perioden der Erdgeschichte.
315
V. Die Perioden der Erdgeschichte. Jede der vielen über einander gelagerten neptunischen Schichten der Erdrinde bezeichnet einen bestimmten Zeitraum der Erdgeschichte. Die versteinerten Reste und Abdrücke von Thieren und Pflanzen, welche in denselben enthalten sind, geben uns ein rudimentäres und höchst unvollständiges Bild von der Fauna und Flora, welche während jener Zeit die Erdrinde belebten. Dagegen besitzen wir gar keine solchen Reste oder „Denkmünzen der Schöpfungsgeschichte" aus den sehr langen Zeiträumen, welche zwischen der Ablagerung je zweier Schichten oder Formationeu verflossen. Diese empfindlichen Lücken sind, wie wir vorher sahen, um so mehr zu bedauern, als grade in jenen Zwischenzeiten, in welchen Hebungen der Erdrinde stattfanden und desshalb keine versteinerungsführenden Schichten abgelagert wurden, die Umbildung der Organismen und die Entstehung neuer Arten und Artengruppen wegen der Umgestaltung der Existenz-Bedingungen und wegen der Entstehung neuer Stellen im Naturhaushalte sehr lebhaft sein mussten. Wir müssen daher jene empirisch nie ausfüllbaren Lücken durch Hypothesen überbrücken und den durch jene Intervalle zerrissenen Faden der paläontologischen Entwickelung wieder zusammenknüpfen. Es erscheint uns desshalb von der grössten Wichtigkeit, nicht bloss, wie es bisher üblich war, die Zeiträume der Senkung, während welcher die fossiliferen Schichten abgelagert wurden, bestimmt zu unterscheiden, und mit Kamen zu bezeichnen, sondern auch die für die Genealogie viel wichtigeren Zeiträume der Hebung, welche jene unterbrachen, und innerhalb deren keine petrefactenhaltigen Straten abgelagert wurden. Dem allgemeinen Brauche folgend bezeichnen wir die Senkungs-Zeiträume nach den fossiliferen Straten und Schichtengruppen, welche während derselben abgelagert wurden, also ζ. B. die Kohlen-Zeit als die Periode, in welcher das Steinkohlen-System, die Eocen-Zeit als die Periode, in welcher das Eocen-System sich bildete. Dagegen bezeichnen wir die zwischenliegenden Hebungs-Zeiträume, welche bisher nicht berücksichtigt worden sind, dadurch, dass wir vor den Namen der darauf folgenden Senkungs - Zeit ein „Ante" setzen, also ζ. B. die Antecarbon - Zeit als den Zeitraum zwischen der Ablagerung der devonischen und carbonischen Schichten, die Anteocen-Zeit als den Zeitraum zwischen der Ablagerung der Kreide- und EocenSchichten u. s. w. Man pflegt gewöhnlich die sämmtlichen Perioden der organischen Erdgeschichte in drei grosse Hauptperioden zu bringen, welche man als primäre (paläozoische), secundäre (mesozoische) und tertiäre (cänozoische) unterscheidet. Wir glauben jedoch, dass es richtiger ist,
316
Begriff und Aufgabe der Phylogenie.
am Anfang und am Ende dieser drei Hauptperioden noch zwei besondere abzuscheiden, von denen wir die erste als die primordiale (archozoische) und die letzte als die quartäre (anthropozoische) bezeichnen. Die erstere entfernt sich von der primären gänzlich durch den ausschliesslich marinen Charakter ihrer Fauna und Flora; ebenso unterscheidet sich die letztere wesentlich von der tertiären Hauptperiode durch das Erscheinen des Menschen, welcher durch seine Cultur auf die Erdrinde einen weit grösseren umgestaltenden Einfluss ausübte als irgend ein anderer Organismus vor ihm. Die fünf grossen Hauptperioden oder Zeitalter (Aetates) der organischen Erdgeschichte lassen sich mit kurzen Worten folgendermaassen charakterisiren: I. D a s a r c h o l i t h i s c h e Z e i t a l t e r oder die
Primordialzeit.
Vom Beginn des organischen Lebens auf der Erde bis zum Ende der silurischen Zeit.
Mit dem ersten Act der Autogonie beginnt dieser erste Zeitraum, welcher bis zum Anfang des Landlebens, nach Ablagerung der obersten silurischen Schichten, reicht. Die Schichten, welche während der vielen Millionen Jahre. dieses ungeheuer langen Zeitraums abgelagert wurden, umfassen drei verschiedene Schichten-Systeme: I. das l a u r e n t i s c h e , II. das c a m b r i s c h e , und III. das s i l u r i s c h e System. Alle Versteinerungen, welche in diesen Schichten sich finden, gehören Protisten, Pflanzen und Thieren an, welche im Wasser lebten, und es ist demnach der Schluss gerechtfertigt, dass zu dieser Zeit noch gar kein Landleben existirte. Von Pflanzen kennen wir aus diesen Schichten nur ausschliesslich Algen, von Wirbelthieren nur einzelne Fische aus den obersten silurischen Schichten. Die charakteristischen Wirbelthiere dieser Periode müssen die nicht erhaltungsfähigen Leptocardier gewesen sein, aus denen sich die Fische erst entwickelt haben. Wir können daher diese Zeit auch das Zeitalter der Leptocardier oder der Algen nennen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist der archolithische Zeitraum, welcher bisher immer noch mit dem wesentlich verschiedenen paläolithischen vereint erhalten worden ist, sehr viel länger gewesen als alle vier übrigen Zeitalter zusammengenommen, wie schon aus der ungeheueren Mächtigkeit der archäolithischen Schichten hervorgeht. II. D a s p a l ä o l i t h i s c h e Z e i t a l t e r o d e r d i e P r i m ä r z e i t . Vom Beginn der antedevonischen Zeit bis zum Ende der permischen Zeit.
Mit der antedevonischen Zeit beginnt zum ersten Male das Landleben auf der Erde, und in ihren ältesten (unterdevonischen) Schichten treten bereits Beste von entwickelten landbewohnenden Thieren und Pflanzen auf. Die Schichten, welche während der vielen Millionen Jahre dieses ungeheuer langen Zeitraums abgelagert wurden, umfassen
V. Die Perioden der Erdgeschichte.
317
drei verschiedene Schichten-Systeme: I. das d e v o n i s c h e , IL das c a r b o n i s c h e , und ΠΙ. das p e r m i s c h e System. Unter den Wirbelthieren dieses Zeitalters sind ganz vorherrschend die Fische, unter den Pflanzen die Prothallophyten oder Filicinen (Gefäss - Cryptogamen) gewesen. Wir können daher diese Zeit auch das Zeitalter der Fische oder der Prothallophyten nennen. III. D a s m e s o l i t h i s c h e Z e i t a l t e r oder die
Secundär-Zeit.
Vom Beginn der antetriassischen bis zum Ende der cretacischen Zeit.
In diesem Zeitraum treten zum ersten Male warmblütige und luftbewobnende Wirbelthiere auf, die Vögel und auch schon die Säugethiere, aber nur didelphe Beutelthiere. Die Schichten, welche während dieser sehr langen Periode abgelagert wurden, umfassen drei verschiedene Schichten-Systeme: I. T r i a s - , II. J u r a - und III. K r e i d e System. Nach den Reptilien, welche unter den Wirbelthieren, oder nach den Gymnospermen, welche unter den Pflanzen ganz vorzugsweise dieses Zeitalter charakterisirten, können wir dasselbe auch das Zeitalter der Reptilien oder der Gymnospermen nennen. IV. D a s c ä n o l i t h i s c h e Z e i t a l t e r o d e r d i e T e r t i ä r - Z e i t . Vom Beginn der anteocenen bis zum Ende der pliocenen Zeit.
In diesem Zeitraum fehlen die eigenthümlichen, die Secundär-Zeit charakterisirenden Gruppen der Ammoniten, der Pterodactylen, Halisaurier etc. Fauna und Flora nähern sich dem Charakter der Jetztzeit. Die Schichten, welche während dieses langen Zeitalters abgelagert wurden, umfassen drei verschiedene Schichten-Systeme: I. das eocene, II. das m i o c e n e , III. das p l i o c e n e System. Da dieser Zeitraum vorzugsweise durch die Entwickelung der monodelphen Säugethiere charakterisirt ist, sowie durch die reichliche Entwickelung der Angiospermen, so können wir ihn demnach auch als das Zeitalter der Säugethiere oder der Angiospermen bezeichnen. V. D a s a n t h r o p o l i t h i s c h e Z e i t a l t e r oder d i e Q u a r t ä r - Z e i t . Vom Beginn der pleistocenen Zeit bis zur Jetztzeit.
Mit der Entwickelung des Menschen aus catarrhinen Primaten beginnt dieser letzte Abschnitt der Erdgeschichte, welcher bis zur Gegenwart reicht. Während der menschlichen Existenz wurden die postpliocenen oder pleistocenen (diluvialen) und die recenten (alluvialen) Schichten abgelagert. Man kann diese verhältnissmässig sehr kurze Zeit nach dem ganz überwiegenden Einfluss, welchen der Mensch durch seine Cultur auf die Umgestaltung der Erdrinde ausgeübt hat, nur das Zeitalter des Menschen oder der Cultur nennen.
Begriff und Aufgabe der Phylogenie.
318
VI. Ueb ersieht der versteinerungsfahrenden Schichten der Erdrinde. Terrains
Systeme
Primordiale
I. L a u r e n t i s c h e s
Terrains oder
II. C a m b r i s c h e s
archolithische (archozoische) Schichtengruppen Primäre Terrains
III. S i l u r i s c h e s
Formationen Ottava.
Oberlaurentische
| 3. Longnynd
Untercambrische
i 4. Potsdam
Obercambrische
1
Mittelsilurische
Linton
10. PUton V. C a r b o n i s c h e s (Steinkohle) VI. P e r m i s c h e s (Penäisches) VII. T r i a s
Terrains
£
Schichtengrappen IX. K r e i d e
Untercarbonische
13. Neurothsand
Unterpermische
14. Zechstein
Oberpermische
15. Buntsand
Untertriassische
Muschelkalk
17. Keuper Lias Bath
Tertiäre oder caenolithische (caenozoische) Schichtengruppen Q u a r t äre Terrains oder anthropolithische (anthropozoische) Schichtengruppen
X. E o c e n (Alttertiär) XI. M i o c e n (Mitteltertiär) XII. P l i o c e n (Neutertiär)
Mittel triassische Obertriassische Liassische Unteroolithische Mitteloolithische
21. Portland
Oberoolithische
22. Wealden
Wälder-Formation
123. Neocom
Unterere taeische
/ 24. Grilnsand
Mittelcretacische
25. Weisskreide
Terrains
Oberdevonische Obercarbonische
Kohlensand
jao. Oxford
mesolithische
Unterdevonische Mitteldevonische
12.
VIII. J u r a
(mesozoische)
Obersilurische
11. Kohlenkalk
16.
Secundäre oder
Untersilurische
6. Land&very
9. Jlfracombe
(paläozoische) Schichtengruppen
Landeilo
1 8.
oder paläolithische
Unterlaurentische
Labrador
I t . Ludlow IV. D e v o n i s c h e s f Altrothsand)
Synonyme der Formationen
Obercretacische
^26. LondoTithon j«. Grobkalk
Untereocene
'28.
Obereocene
Gyps
Mitteleocene
29. Limburg
Untermiocene
30. Falun
Obermiocene
31. Subapennin
Unterpliocene
32. Arvern
Oberpliocene
XIII. P l e i s t o c e n (Postpliocen)
33. Glacial
Unterpleistocene
34. Postglacial
Oberpleistocene
XIV. R e c e n t (Alluvium)
35. Recent
Alluvium.
ΥΠ.
VII.
Uebereicht der paläontologischen Perioden.
319
Uebersicht der paläontologischen Perioden
oder der grösseren Zeitabschnitte der organischen Erdgeschichte. I. Erster Zeitraum: Archozoisches Zeitalter. (Archolithischer Zeitraum. Aeltere Primordialzeit Mittlere Primordialzeit Neuere Primordialzeit
i ' I ' i J
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Primordial-Zeit.
Zeitalter der Leptocardier oder der Algen.) Antelaurentische Zeit (Autogonie-Zeit) Laurentische Zeit (Eozoon-Zeit) Antecambrische Zeit Cambrische Zeit Antesilarische Zeit Silarische Zeit.
Erste Periode: Zweite Periode: Dritte Periode: Vierte Periode: Fünfte Periode: Sechste Periode
II. Zweiter Zeitraum: Paläozoisches Zeitalter.
Primär-Zeit.
(Paläolithischer Zeitraum.
Zeitalter der Fische oder der Prothallophyten.) Antedevonische Zeit (Vordevon-Zeit) Siebente Periode: Devonische Zeit (Rothsand-Zeit) Achte Periode: Antecarbonische Zeit (Vorkohlen-Zeit) Nennte Periode: Carbonische Zeit (Kohlen - Zeit, SteinZehnte Periode:
Aeltere Primärzeit Mittlere Primärzeit
ί 7. ) 8. ( 9. ' 10.
Neuere Primärzeit
i l l . Elfte Periode: ' 12. Zwölfte Periode:
kohlen-Zeit) Antepermische Zeit (Vorperm-Zeit) Permische Zeit (Kupferschiefer-Zeit).
III. Dritter Zeitraum: Mesozoisches Zeitalter. (Mesolithischer Zeitraum. Aeltere Secundärzeit Mittlere Secundärzeit
1
Neuere Secundärzeit
S
13. 14. 115. '16.
Dreizehnte Vierzehnte Fünfzehnte Sechzehnte
Secundär-Zeit.
Zeitalter der Reptilien oder der Gymnospermen, j Periode: Periode: Periode: Periode:
Antetriassische Zeit (Vorsalz-Zeit) Triassische Zeit (Salz-Zeit) Antejurassische Zeit (Vorlias-Zeit) Jurassische Zeit (Lias-Zeit und OolithZeit) Antecretacische Zeit (Vorkreide-Zeit) Cretacische Zeit (Kreide-Zeit).
17. Siebzehnte Periode: 18. Achtzehnte Periode:
IY. Yierter Zeitraum: Caenozoisch.es Zeitalter. (Caenolithischer Zeitraum. Aeltere Tertiärzeit Mittlere Tertiärzeit Neuere Tertiärzeit
119. '20. 121. '22. 123. '24.
Neunzehnte Periode: Zwanzigste Periode: Einundzwanzigste Periode: Zweiundzwanzigste Periode: Dreiundzwanzigste Periode: Vierundzwanzigste Periode:
Anteocene Zeit Eocene Zeit Antemiocene Zeit Miocene Zeit Antepliocene Zeit Pliocene Zeit.
V. Fünfter Zeitraum: Aixthropozoisches Zeitalter. (Anthropolithischer Zeitraum. Aeltere Quartärzeit (Affenmenschenzeit) Neuere Quartärzeit (Culturzeit)
Tertiär-Zeit.
Zeitalter der Säugethiere oder d,er Angiospermen.)
Quartär-Zeit.
Zeitalter des Menschen und der Cultur )
125. Fünfundzwanzigste Periode: is '26. Sechsundzwanzigste Periode:
Olacial-Zeit Postglacial-Zeit
27. Siebenundzwanzigste Periode: Dualistische Cultur-Zeit Achtundzwanzigste Periode: Monistische Cultur-Zeit.
! 28.
320
Begriff und Aufgabe der Phylogenie. VLLL
Epacme, Acme,
Paracme.
Aufbildung (Anaphtsis), Umbildung (Mctaplnsis) und Rückbildung (Cataplasis) haben wir im sechzehnten Capitel (S. 18) drei verschiedene Stadien der Entwickelung genannt, welche wir allgemein in der Genesis der organischen Individuen unterscheiden konnten. Den Charakter dieser drei individuellen Entwickelungs - Perioden haben wir im siebzehnten Capitel (S. 76) schärfer zu bestimmen versucht. Wir kommen hier auf jene Bestimmung zurück, weil die vollständige Parallele zwischen der Ontogenie und Phylogenie auch in dieser Beziehung nicht fehlt, und weil auch die organischen Arten und Stämme in gleicher Weise wie die organischen Individuen, die drei Stadien der Aufbildung, der Umbildung und der Rückbildung zu durchlaufen haben. Wie die gesammte Entwickelungs - Bewegung der Arten und der Stämme bisher nur selten als continuirliche Bewegungs-Erscheinung erkannt, und noch seltener in ihrem hohen Interesse gewürdigt worden ist, so gilt dies auch von den verschiedenen Stadien oder Hauptperioden ihrer Entwickelung. Allerdings mussten schon die ersten Anfänge der paläontologischen Statistik zu der Ueberzeugung führen, dass die verschiedenen Gruppen des Systems hinsichtlich der Dauer und Ausdehnung ihrer Entwickelung sich zu verschiedenen Zeiten der Erdgeschichte sehr verschieden verhalten haben, und dass das Zahlenverhältniss der Arten und der sie repräsentirenden Individuen in den verschiedenen Gruppen des Thier- und Pflanzenreichs sich zu allen Zeiten sehr verschieden gestaltet hat. Die Zunahme und Abnahme der Artenzahl und der Sippenzahl in den einzelnen Familien, Ordnungen und Classen ist daher schon seit längerer Zeit Gegenstand der Aufmerksamkeit und der statistischen Bestimmung der Paläontologen gewesen, und man hat namentlich sehr oft die Zeitdauer der einzelnen Gruppen, sowie ihre Zunahme und Abnahme an Zahl der Gattungen und Arten in den verschiedenen Perioden der Erdgeschichte graphisch durch doppelkegelförmige Linien darzustellen versucht. Insbesondere ist B r o n n in seiner „Geschichte der Natur" und in seinen trefflichen „Untersuchungen über die Entwickelungs-Gesetze der organischen Welt" bemüht gewesen, diese historische Zunahme, Dauer und Abnahme der Artenzahl und Sippenzahl in den verschiedenen Abtheilungen des Thierund Pflanzen-Reichs festzustellen. Indessen musste diesen Bemühungen so lange ihr bestimmtes Ziel und ihr causaler Leitstern fehlen, als nicht der leitende Grundgedanke der Descendenz-Theorie den genealogischen Zusammenhang der „verwandten" Organismen als die Ursache ihrer paläontologischen Erscheinungsweise nachgewiesen hatte. Nur von diesem Standpunkte aus können wir begreifen, warum die Arten, Gattungen, Classen u. s. w., kurz alle die verschiedenen Kate-
VL Epacme, Acme, Paracme.
321
gorieen des Systems, von der Varietät bis zum Stamm hinauf, überall ebenso verschiedene Stadien ihrer Entwickelung unterscheidenlassen, wie die einzelnen Individuen während der Zeit ihrer individuellen Existenz. Wie wir aber zeigten, dass wir unter Ontogenese die gesammte Reihe von Formveränderungen begreifen müssen, welche der individuelle Organismus während d e r g a n z e n Z-eit s e i n e r i n d i v i d u e l len E x i s t e n z durchläuft, so müssen wir hier dasselbe für die Phylogenese wiederholen. Auch die Entwickelung der Arten und der Stämme, und gleicherweise jeder anderen Kategorie des Systems, umfasst ebenso wie diejenige der physiologischen Individuen die ganze Reihe von FomVeränderungen, welche jede dieser genealogischen Kategorieen während der gesammten Zeit ihrer Existenz durchläuft. Jede dieser Kategorieen hat eine beschränkte Zeitdauer ihrer Existenz, und diese wird durch den Kampf um das Dasein bestimmt. Die drei Stadien der Aufbildung, Umbildung und Rückbildung sind nun zwar in der Phylogenese ebenso wie in der Ontogenese allgemein zu unterscheiden; indessen ist es dort ebenso wenig als hier möglich, dieselben scharf zu charakterisiren, und durch scharfe Grenzlinien von einander zu scheiden. Vielmehr gehen die Stadien der phylogenetischen ebenso wie die der ontogenetischen Entwickelung allmählich in einander über, und oft sind selbst ihre ungefähren Grenzen nur sehr unsicher zu bestimmen. Dennoch ist die Unterscheidung derselben von grossem Vortheil, und sogar durchaus nothwendig, um eine klare Uebersicht über das phylogenetische Verhältniss der einzelnen Gruppen zu einander und zum ganzen Stamme zu erhalten. Um die Verwechselung der phylogenetischen Entwickelungs - Stadien mit den ontogenetischen zu vermeiden, erscheint es passend, dieselben durch besondere feststehende Ausdrücke zu bezeichnen, welche den letzteren entsprechen. Wir nennen das erste Stadium der Phylogenese, welches der ontogenetischen Anaplase gleich steht, ihre Aufblühzeit (Epacme), das zweite, welches der Metaplase entspricht, die Blüthezeit (Jone), und das dritte, welches der Cataplase correspondirt, die Verblühzeit (Puraemc). I. Die A u f b l ü h z e i t (Epacme), das erste Stadium der Phylogenese, umfasst diejenige Zeit in der Entwickelung der Arten und der Stämme, welche von ihrer Entstehung bis zu ihrer Blüthezeit reicht. Sie entspricht also dem J u g e n d a l t e r (Juventus, Adolesccntia) oder der A u f b i l d u n g s z e i t (Annplasis. Ecolvtio), welche wir oben als das erste Stadium der individuellen Entwickelung charakterisirt haben (S. 76). Als diejenige physiologische Entwickelungs-Function, welche vorzugsweise für dieses Stadium der Ontogenese characteristisch und bedeutend ist, haben wir daselbst das W a c h s t h u m bezeichnet, und ebenso werden wir das Wachsthum auch als den chaH a e c k e l , Generelle Morphologie, Π.
91
322
Begriff und Aufgabe der Phylogenie.
rakteristischen Process der phylogenetischen Epacme betrachten können. Die e p a c m a s t i s c h e C r e s c e n z der Arten und Stämme besteht ebenso wie das anaplastische Wachsthum der Bionten, in einer Ausdehnung und Grössenzunahme. Bei den Arten wächst die Anzahl der Individuen und bei den Stämmen die Anzahl der subordinirten Kategorieen (Classen, Ordnungen etc.), welche dieselben zusammensetzen. II. Die B l ü t h e z e i t (Acme), das zweite und mittlere Stadium der Phylogenese, begreift diejenige Zeit in der Entwickelung der Arten und Stämme, welche zwischen der Epacme und der Paracme liegt. Sie correspondirt mithin dem R e i f e a l t e r (Ma fur if as, Advltas) oder der U m b i l d u n g s z e i t (Mefaplasis, Transrolvti»), welche wir oben als das zweite Stadium der individuellen Entwickelung abgesteckt haben (S. 78). Diejenige physiologische EntwickelungsFunction, welche vorzugsweise dieses Stadium der Ontogenese beherrscht, ist die D i f f e r e n z i r u n g oder Divergenz der Form, und ebenso können wir diesen Process auch als die wesentlichste Function der phylogenetischen Acme betrachten. Die a c m a s t i s c h e D i f f e r e n z i r u n g der reifen Arten und Stämme besteht, ebenso wie die metaplastische Divergenz der Bionten, weniger in einer quantitativen als in einer qualitativen Vervollkommnung, und vorzugsweise in der vielseitigen Anpassung an die verschiedenartigsten Existenzbedingungen. Durch diese Differenzirung der Arten bilden dieselben ein reiches und vielstrahliges Varietätenbüschel, während durch die Divergenz der Stämme eine grosse Anzahl von neuen Gruppen entstehen. III. Die V e r b l ü h z e i t (Paracme), das dritte und letzte Stadium der Phylogenese, umfasst diejenige Zeit in der Entwickelung der Arten und Stämme, welche vom Ende der Blüthezeit bis zum Ende ihrer Existenz reicht. Sie entspricht also dem G r e i s e n a l t e r ( I ) c florescentia, Senilitas) oder der R ü c k b i l d u n g s z e i t (Cataplasis. Inrolvlio), welche oben als das dritte und letzte Stadium der individuellen Entwickelung geschildert worden ist (S. 79). Als diejenige physiologische Entwickelungs-Function, welche vorzugsweise in diesem Stadium der Ontogenese herrscht, haben wir daselbst die D e g e n e r a t i o n nachgewiesen, und dieser Process charakterisirt ebenso auch die phylogenetische Paracme. Die p a r a c m a s t i s c h e D e g e n e r a t i o n der Arten und Stämme besteht ebenso wie die ontogenetische Entbildung der Bionten, zunächst in einer Beschränkung und Verminderung ihres physiologischen und in Folge dessen auch ihres morphologischen Bestandes und Vermögens. Bei den Arten nimmt die Zahl der Individuen ab, indem sie entweder aussterben oder in andere Arten übergehen. Bei den Stämmen nimmt die Zahl aller Kategorieen, und der sie vertretenden Bionten ab, bis zum vollständigen Aussterben.
I. Allgemeine Kritik dee Specieebegriffes.
323
Z w e i u n d z w a n z i g s t e s Capitel.
Entwickelungsgeschichte der Arten oder Species. (Naturgeschichte der organischen Arten oder der genealogischen Individuen zweiter Ordnung.) ..Die Idee der M e t a m o r p h o s e ist gleich der v i s c e n t r i f u g i a und würde sich ins Unendliche verlieren, wäre ihr nicht ein Gegengewicht zugegeben: ich meine den S p e c i f i c a t i o n s t r i e b , das zähe Beharrlichkeitsvermögen dessen, was einmal zur Wirklichkeit gekommen, eine v i s c e n t r i p e t a , welcher in ihrem tiefsten Grunde keine Aeusserlichkeit etwas anhaben kann." Goethe.
I. Allgemeine Kritik des Species-Begriffes. Seitdem L i n n e vor 130 Jahren in seinem Systema vatvrne zum ersten Male die ausserordentlichen Vortheile gezeigt hatte, welche die von ihm eingeführte binäre Nomenclatur für die übersichtliche Registratur der Organismen bietet, und seitdem die Einordnung der verschiedenartigen Formen in das System, und ihre Benennung mit Genus- und Species-Namen mehr und mehr Hauptbeschäftigung der sogenannten „Systematik" geworden war, hat es nicht an vielfältigen Versuchen gefehlt, das eigentliche Wesen der Art oder Species in seinem eigenthümlichen Werthe zu erkennen, und den Begriff derselben zu bestimmen. Die Geschichte dieser grösstentheils verfehlten Versuche ist für die Geschichte der gesammten organischen Morphologie von grosser Bedeutung. Denn einerseits hat das zur allgemeinen Herrschaft gelangte Dogma von der Constanz der Species die irrthümlichsten allgemeinen Anschauungen in allen einzelnen Zweigen der morphologischen Botanik und Zoologie hervorgerufen. Andererseits aber zeigen sich gerade in der Art und Weise, in welcher man jenes Dogma aufgebaut und zum Fundament aller generellen morphologischen Reflexionen erhoben hat, auf das Klarste alle die principiellen Fehler und methodologischen Irrwege, welche bisher in allen Zweigen der organischen Morphologie die Geltung der allein richtigen monistischen 21*
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Naturanschauung, und somit auch die Erkenntnis der allein maassgebenden causal-mechanischen Naturgesetze gehindert haben. Die blinde Dogmatik und der Mangel an Kritik, die einseitige Vertiefung in der isolirenden Analyse und der Mangel an vergleichender Synthese, "das unklare Haschen nach teleologischen Schein-Gründen und die vorurtheilsvolle Vernachlässigung der wirklichen mechanischen Gründe -kurz alle die Mängel und Fehler, welche bisher die Morphologie der Organismen gehindert haben, sich auf den objectiven monistischen Standpunkt aller übrigen Naturwissenschaften zu erheben, und welche sie in der Knechtschaft subjectiver dualistischer Vorurtheile erhalten haben — alle diese Mängel und Fehler sind auf das engste mit dem fundamentalen Dogma von der absoluten Individualität und Constanz der Species verknüpft, und durch dasselbe grösstentheils unmittelbar bedingt. Der allgemeine Mangel an natürlicher Logik, und überhaupt an gesunder Philosophie, welcher das Grundübel der ganzen organischen Morphologie bildet, zeigt sich daher auch nirgends so auffallend wie in der Species - Frage. Obwohl desshalb eine kritische Entwickelungs - Geschichte der Species-Dogmatik für die gesammte Morphologie der Organismen von hohem Interesse ist, würde es uns doch hier viel zu weit führen, wollten wir alle verschiedenen Ansichten auch nur der hervorragendsten Morphologen über die Species einer allgemeinen Besprechung unterziehen und den verwickelten Knäuel unklarer und widersprechender Vorstellungen darüber entwirren. Dies muss einer zukünftigen Geschichte der Descendenz-Theorie vorbehalten bleiben. Wir beschränken uns vielmehr hier darauf, den ganz verschiedenartigen Inhalt und Umfang des Species-Begriffes hervorzuheben, welchen derselbe, von morphologischem, physiologischem und genealogischem (morphogenetischem) Gesichtspunkte aus bestimmt, besitzt. Das Wichtigste, was in dieser Beziehung zunächst zu beachten ist, finden wir in dem Umstände, dass der p r a k t i s c h e G e b r a u c h d e s S p e c i e s - B e g r i f f e s sich meistens g a n z u n a b h ä n g i g v o n der t h e o r e t i s c h e n B e s t i m m u n g desselben erhielt. Die alte, authentische Definition L i n n e s , welcher den Species-Begriff nicht allein zuerst theoretisch aufstellte, sondern auch mit dem glänzendsten Erfolge praktisch anwandte, lautete: „Species tot sunt diversae, quot diversae formae ab initio sunt creatae." Diese Definition ist offenbar rein speculativer N a t o , auf das eingewurzelte theoretische SchöpfungsDogma gegründet, und ganz unabhängig von der praktischen, auf die Vergleichung concreter Individuen und ihre Unterscheidung durch constante Merkmale gestützten Bestimmung der Arten. Mehr in Verbindung mit der letzteren wurde späterhin die theoretische Species-Definition durch C u v i e r gebracht, welcher nächst L i n n 6 den grössten
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und nachhaltigsten Einfluss auf die Systematik ausübte. Nach C u v i e r ist die Species „la r£union der individus descendant Γ un de 1' autre et des parents communs, et de ceux, qui leur ressemblent autant, qu' ils se ressemblent entre eux." In dieser Bestimmung, an welche sich die meisten späteren mehr oder minder eng anschliessen, wird offenbar zweierlei für die zu einer Species gehörigen Individuen verlangt, erstens nämlich ein gewisser Grad von Aehnlichkeit oder annähernder Gleichheit der Charaktere, und zweitens ein verwandtschaftlicher Zusammenhang durch das Band gemeinsamer Abstammung. Von den späteren Autoren ist bei den zahlreichen Versuchen, die Definition zu vervollkommnen, bald mehr auf die genealogische Blutsverwandtschaft aller Individuen einer Art, bald mehr auf ihre morphologische Uebereinstimmung in allen wesentlichen Charakteren Rücksicht genommen worden. Im Allgemeinen kann man aber behaupten, dass bei der praktischen Anwendung des Artbegriffs, bei der Unterscheidung und Benennung der einzelnen Species, fast immer nur das letztere Moment zur Geltung gelangte, das erstere dagegen ganz vernachlässigt wurde. Späterhin wurde zwar die genealogische Vorstellung von der gemeinsamen Abstammung aller Individuen einer Art noch durch die physiologische Bestimmung ergänzt, dass alle Individuen einer Art mit einander eine fruchtbare Nachkommenschaft erzeugen können, während die sexuelle \*ermischung von Individuen verschiedener Arten gar keine oder nur eine unfruchtbare Nachkommenschaft liefert. Indessen war man in der systematischen Praxis allgemein vollkommen zufrieden, wenn man bei einer untersuchten Anzahl höchst ähnlicher Individuen die Uebereinstimmung in allen wesentlichen Charakteren festgestellt hatte, und frug nicht weiter danach, ob diese zu einer Art gerechneten Individuen in der That gemeinsamen Ursprungs und fähig seien, bei der Begattung mit einander eine fruchtbare Nachkommenschaft zu erzeugen. Vielmehr kam diese physiologische Bestimmung natürlicherweise bei der praktischen Unterscheidung der Thier- und Pflanzen-Arten eben so wenig in Anwendung, als die vorausgesetzte gemeinsame Abstammung von einem und demselben Eltern - Paare. Andererseits unterschied man ohne Bedenken zwei nächstverwandte Formen als zwei verschiedene „gute Arten", sobald man bei einer, untersuchten Anzahl von ähnlichen Individuen eine constante Differenz, wenn auch nur in einem verhältnissmässig untergeordneten Charakter, nachgewiesen hatte. Auch,hier kümmerte man sich nicht darum, ob die beiden verschiedenen Reihen wirklich nicht von gemeinsamen Voreltern abstammten, und wirklich mit einander keine oder doch nur unfruchtbare Bastarde zeugen konnten. Aus diesen einfachen Gründen, und besonders aus der Unmöglichkeit, die gemeinsame Abstammung und die Fähigkeit zur Erzeu-
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gung fruchtbarer Nachkommen bei,allen Individuen derselben Species nachzuweisen, wurde dann die offenbare Trennung zwischen der t h e o r e t i s c h e n und der ganz davon unabhängigen p r a k t i s c h e n U n t e r s c h e i d u n g d e r S p e c i e s mehr oder weniger unbewusst den Systematikern zur Gewohnheit. T h e o r e t i s c h wurde die Art bestimmt als der Inbegriff aller Individuen verschiedenen Geschlechts, die mit einander eine fruchtbare, die Gattung als Inbegriff derer, die keine oder eine unfruchtbare Nachkommenschaft erzeugen. Dabei setzte man gewöhnlich stillschweigend voraus, dass alle Individuen einer Art ursprünglich von gleichen, alle Arten einer Gattung dagegen von verschiedenen Voreltern abstammten. Ebenso wurde die Unveränderlichkeit oder Constanz der Art in der Zeit vorausgesetzt. Bei der p r a k t i s c h e n Species - Unterscheidung dagegen wurde diese Voraussetzung gewöhnlich nicht im mindesten berücksichtigt und man hielt sich bloss an die Uebereinstimmung öder die Differenz der sogenannten „wesentlichen" Charaktere in den grade zur Bestimmung vorliegenden und zu vergleichenden Exemplaren. Leichtere und auch oft bedeutende, aber inconstante Differenzen zwischen denselben wurden nicht als Merkmale von besonderen Arten, sondern nur von Abarten oder Spielarten (Varietäten, Subspecies) angesehen. Die Probe mit der Fortpflanzungsfähigkeit wurde nicht gemacht. Auch wäre es ja in der That in den allermeisten Fällen, wie ζ. B. bei der Feststellung der Species von nicht lebend zu beobachtenden, sowie von allen ausgestorbenen Thieren, ganz unmöglich gewesen, die verlangte Probe mit der gleichartigen Fortpflanzung anzustellen, und die Abstammung von einem einzigen Elternpaare empirisch nachzuweisen. Dass aber auf diese Weise die erwähnten Voraussetzungen bald nur zu einem leeren Dogma ausarteten, welches bloss in den Handbüchern in Ermangelung einer besseren Definition der Species schulgerecht fortgeführt und allgemein wiederholt wurde, liegt auf der Hand. Jede eingehende kritische Untersuchung zeigt, dass in der zoologischen und botanischen Praxis allein die morphologische Rücksicht auf die unterscheidenden sogenannten specifischen Charaktere zur Geltung kam, nicht aber das genealogische Kriterium, gezogen aus der Voraussetzung gemeinsamer Abstammung, und eben so wenig die physiologische Erwägung, dass zwei verschiedene Species keine fruchtbare Nachkommenschaft mit einander erzeugen können. Dass dieser Mangel an Zusammenhang zwischen der theoretischphysiologischen und der praktisch-morphologischen Bestimmung der Species den Werth der ersteren ganz illusorisch machte, wurde seltsamer Weise von den meisten zoologischen und botanischen Systematikern gar nicht bemerkt. In dem Eingange zu den Handbüchern wurde immer wieder gewissenhaft die theoretische Definition wieder-
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holt, dass zu einer Art alle Individuen (und nur diese 1) gehören, welche von gemeinsamen Voreltern abstammen und welche bei der sexuellen Vermischung eine fruchtbare Nachkommenschaft erzeugen. In der That aber wurde die Richtigkeit dieser Bestimmung niemals wirklich geprüft, vielmehr die Unterscheidung und Benennung der Species lediglich durch Ermittelung der Uebereinstimmung in allen „wesentlichen" morphologischen Charakteren bewirkt. Die schlimmen Folgen für die gesammte Systematik, besonders die Verwirrung und Haltlosigkeit, welche hieraus entstanden, zumal Niemand genau festsetzte, welche unterscheidenden Charaktere „wesentliche oder specifische" seien, welche nicht, hat der verdienstvolle Reformator der thierischen Entwickelungsgeschichte, C.E. von B ä r , schon vor 45 Jahren höchst treffend geschildert Sein scharfer kritischer Μ ,, L i l i n e ' s Gedanke, allen unter sich ähnlichen Naturproducten einen gemeinschaftlichen K a m e n , und jedem für sich einen eigenen dazu zu geben, so dass der Doppelname eines Körpers mit der ersten Hälfte seine Verwandten, mit der zweiten seine eigene Individualität bezeichnet, dieser Gedanke allein verdient« Unsterblichkeit, und musste sie zu einer Zeit erwerben, wo lichtvolle Uebersiclit und Entfernung der Nameuverwirrung der sehnlichste Wunsch war. L i n n e war weit entfernt, die künstliche Aneinander - Reihung der einzelnen Formen (Systematik) für den höchsten Zweck zu halten, und unzweideutig spricht er sich dagegen a u s ; allein jenes S y s t e m a n a t u r a e , das er selbst entworfen, und als Basis für alle Zeiten hingestellt h a t t e , musste ihn nothwendiger Weise am meisten beschäftigen, und er verdient unseren grössten Dank d a f ü r , da er stets sich b e m ü h t e , die n o t h w e n d i g e K r i t i k anzuwenden, und nichts aufnahm, was er nicht selbst gesehen. oder worüber er nicht gründliche und ausführliche Nachrichten zu haben glaubte. W e n n aber L i n n e 's Streben nach den Verhältnissen der Wissenschaft nothwendig auf Systematik, und besonders auf künstliche Systeme gerichtet sein musste (denn nur diese konnten dem Bedürfnisse schnelle Abhülfe thun), so blendete das grosse Ansehen dieses Mannes seine zahlreichen Schüler so s e h r , und der Gewinn eines S y s t e m s war s o g r o s s , dass nunmehr d a s f ü r Z w e c k g a l t , w a s d o c h n u r M i t t e l sein sollte. .,So sehen wir denn das Verzeichniss der Arten organischer Körper zu einer ungeheuren Ausdehnung anwachsen, die zu übersehen kein Sterblicher mehr vermag. Wie viel A r b e i t , wie viel Menschenleben musste daran gesetzt werden, um bis dahin zu gelangen. Bedenkt m a n , wie wenig die schwache K r a f t des Einzelnen an einem solchen Bau f ö r d e r t , so muss man R e c h e n s c h a f t f o r d e r n ü b e r d e n G e w i n n , den so gemeinschaftliche Opfer der menschlichen Cultur brachten. A c h ! E s war ein geringer Preis, für den man k ä m p f t e ! V e r g r ö s s e r u n g d e s a n g e f a n g e n e n R e g i s t e r s d e r N a t u r k ö r p e r ! W a s helfen hundert Rietgräser, die man mehr aufzählen k a n n , wenn man über ihre Benutzung oder ihren Werth in der O e k o n o m i e d e r N a t u r nichts angeben kann ? Wozu frommt e s , eine Fliege mit perlfarbenem Steissfleck von einer ähnlichen mit kreideweissem Fleck auf demselben edlen Körpertheil sorgsam unterscheiden, mit gelehrten Kunstwörtern beschreiben, und prächtig in Kupfer stechen? D a s k a n n doch n u r W e r t h h a b e n , w e n n es a l s M i t t e l zu e i n e m a n d e r e n , wahren Gewinn gebenden Zweck dient! „So ist denn das Systema n a t u r a e . anfangs als segensreiche Quelle aus der Hand seines Schöpfers hervorgegangen, dann, angeschwollen durch unübersehbare Zuflüsse, verunreinigt durch unerforschliche I r r t ü m e r . ein Strom geworden, der alle Arbeit der Naturforscher zu vernichten droht. Die Nachwelt wird es nicht, glauben, dass unser Zeit-
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Blick erkannte vollkommen richtig das Grundübel, welches diese chaoalter so hingerissen sein konnte filr dieses Verzeichniss der Arten, ohne Bechenschaft ablegen zu können, w t s ü b e r h a u p t e i n e „ A r t " d e r o r g a n i s c h e n K ö r p e r s e i . So paradox es klingt, so kann ich doch nicht nmhin, es als meine Ueberzeugung aaszusprechen, dass in unseren Tagen Niemand dies vermöge. Ich habe mich bemüht, die Definition hierüber bei den berühmtesten Botanikern und Zoologen aufzusuchen. Statt sie einzeln anzuführen, bemerke ich, dass sie sich sämmtlich auf folgende drei Hauptbestimmungen zurückführen lassen: I. W a s s i c h u n t e r e i n a n d e r b e f r u c h t e n k a n n , b i l d e t e i n e A r t . Diese Bestimmung beruht auf der Erfahrung, dass gewöhnlich nur lebende Wesen von demselben äusseren und inneren Bau sich paaren, eine Erfahrung, die nicht mehr als entscheidend angesehen werden kann, s e i t d e m d i e B e o b a c h t u n g e n v o m G e g e n t h e i l s i c h z u h ä u f e n a n f a n g e n . " (Hierauf zählt B ä r zahlreiche sicher constatirte Beispiele von fruchtbarer Paarung verschiedener Arten und unzweifelhafter Bastardzeugung auf [1. c. S. 26, 27].) „II. Die Bemerkung, dass äussere Verhältnisse, als Lebensart, Clima u. s. w. die Form der Pflanzen und Thiere ein wenig verändern, diese Modificationen aber bei veränderten äusseren Verhältnissen sich wieder verlieren, gab zu einer anderen Begränzung der Arten Veranlassung. . . „ S p e c i e s t o t n u m e r a m u s , q u o t d i v e r s a e f o r m a e a p r i n c i p i o s u n t c r e a t a e . " " Abgesehen davon, dass fruchtbare Bastardzeugung dabei stillschweigend geleugnet wird, n i m m t m a n a l s a u s g e m a c h t a n , w a s e r s t e r w i e s e n w e r d e n s o l l t e , dass alle Pflanzen und Thiere, wie wir sie jetzt kennen, ursprünglich entstanden, nicht Umänderungen früher bestehender Formen sind. III. O r g a n i s c h e K ö r p e r , d i e i n w e s e n t l i c h e n M e r k m a l e n m i t e i n a n d e r ü b e r e i n s t i m m e n , m u s s m a n zu e i n e r A r t z ä h l e n , wenn sich auch Verschiedenheiten in unwesentlichen Dingen, als Farbe. Grösse u. s. w. finden. So lange aber dieser Satz nicht bestimmter ausgedrückt werden kaun , ist er nicht im Stande, eine Norm für die Praxis abzugeben; denn da „„Wesentlich"" und „„weniger Wesentlich"" relativ ist, so bleibt es immer der Willkür der Naturforscher überlassen , wie weit sie die Grenzen der Species ausdehnen wollen. „Gesetzt aber auch, diese oder eines der früher berührten Kennzeichen für Species wären wahr, so sind sie doch meistens nicht anwendbar bei Aufstellung neuer Arten, und lassen daher fast immer ungewiss. In der That scheint die Natur mit ihren Forschern ein Spiel zu treiben, da diese gerade in den gewöhnlichsten Dingen die grössten Schwierigkeiten finden. Für die tausendjährigen treuen Begleiter des Menschen-Geschlechts, die Hausthiere und Getreide - Arten, wollen sich die specifischen Charaktere immer noch nicht fest bestimmen lassen. Welches ist die Diagnose des Hundes? Warum sollen die Dogge und das Windspiel zn einer Art gehören, wenn man den Unterschied der KatzenArten nach den Flecken der Haut bestimmt? Die Hunde pflanzen sich alle unter einander fort, antwortet man. Ist aber der Versuch mit dem Jaguar und Panther auch gemacht worden? „Aus dem bisher Gesagten lässt sich wohl die allgemeine Folgerung ziehen, dass wir auf dem Wege der b l o s s e n B e o b a c h t u n g n i c h t tief ins Innere d e r N a t u r d r i n g e n k ö n n e n , u n d d a s s , um r i c h t i g b e o b a c h t e n zu k ö n n e n , w i r e i n e r E i n s i c h t in d i e G e s e t z e der o r g a n i s c h e n B i l d u n g , alseinesleitendenPrincipsbedürfen. Aus den endlosen Versuchen, a u f e m p i r i s c h e m W e g e zu einer allgemein gültigen Bestimmung des Umfangs der Arten zu gelangen, und den vielen Beden und Gegenreden darüber sollte man sich endlich überzeugen , d a s s a u f d i e s e m W e g e d a s Z i e l n i c h t z u e r r e i c h e n i s t , u n d d a s s n u r d i e S p e c u l a t i o n (diejedoch, w i e ü b e r a l l i n d e r N a t u r w i s s e n s c h a f t , der Beobachtung als Materials nicht entbehren darf) u n s d i e r i c h t i g e E r k e n n t n i s s g e b e n k a n n . " C. E. v. B ä r , Zwei Worte über den jetzigen Zustand der Naturgeschichte. Königsberg 1821.
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tische Confusion herbeigeführt hatte, den Mangel einer gesunden Speculation; einer klaren und logischen Synthese der analytisch gesammelten empirischen Beobachtungen. Seit jener Zeit ist aber dieses Uebel in beständiger Zunahme gewachsen, und seine damaligen Vorwürfe gelten heute in verstärktem Maasse. Der Grundirrthum der meisten Morphologen liegt noch heutigen Tages, ebenso bei anderen allgemeinen Fragen, wie bei der Species-Frage, darin, dass sie glauben, auf rein empirischem Wege und ohne philosophische Verstandes - Operationen, zu allgemeinen Resultaten und zu klaren Begriffsbestimmungen gelangen zu können. Die Vernachlässigung der Philosophie und die gedankenlose Anhäufung unverbundenen empirischen Roh-Materials rächt sich hier auf das empfindlichste und bringt die unsinnigsten Aeusserungen zu Tage. Viele Zgologen scheinen wirklich zu glauben, dass sie in ihren Museen Urtheile in Weingeist und ausgestopfte Begriffe besitzen, und ebenso scheinen viele Botaniker in dem glücklichen Wahne zu leben, dass ihre Herbarien nicht concrete Pflanzen-Individuen, sondern unter der Pflanzen-Presse getrocknete Begriffe und Urtheile enthalten 1 ). Alles, was vir in unserer methodologischen Einleitung (Bd. I, S. 63) über die nothwendige Wechselwirkung von Empirie und Philosophie, und über die Unentbehrlichkeit streng philosophischer Gehirn-Thätigkeit für jede zunächst bloss sinnlich vermittelte naturwissenschaftliche Untersuchung bemerkt haben, gilt in ganz besonderem Grade für die Species-Frage. Die verkehrten Vorstellungen und die gänzlich unwissenschaftlichen Arbeiten der meisten sogenannten „reinen Systematiker" beweisen dies auf das deutlichste. Obgleich diese Species-Fabrikanten mit Unterscheidung und Benennung der Arten ihr ganzes Leben zubringen, sind die meisten dennoch ganz ausser Stande, zu sagen, was sie selbst sich eigentlich unter „Species" denken. In ihren Versuchen, den Begriff derselben zu bestimmen, springt schlagend der unendliche Nachtheil in die Augen, welcher der einseitige Cultus der nackten Empirie und die völlige Vernachlässigung der Philosophie hervorrufen, Fehler, die neuerdings immer allgemeiner werden. Wir wiederholen ausdrücklich, dass Empirie ohne Philosophie ebenso wenig „Wissenschaft" ist, als Philosophie ohne Empirie. Ein Berg von empirischen Thatsachen ohne verbindende Gedanken ist ein wüster Steinhaufen. Ein künstliches System von philosophischen Gedanken ohne die reale Basis der thatsächlichen Erfahrung ist >ein Luftschloss. Weder jener, noch dieses ist ein massives wissenschaftliches Lehrgebäude. Wie wir also den l ) Als hervorragende Beispiele der beschränktesten Auffassung in dieser Beziehung verdienen vorzüglich die einschlagenden Arbeiten von A n d r e a s W a g η e r hervorgehoben zu werden, ζ. B. sein Vortrag „zur Feststellung des Artbegriffes" in den Sitzungsberichten der Münchener Akademie. 1861, S. 308.
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Entwickelunegeschichte der Arten oder Species.
rein speculativen Philosophen dringendst die Erwerbung reicher empirischer Kenntnisse, so müssen wir den rein empirischen Naturforschern eben so dringend die Erwerbung philosophischen Verständnisses ans Herz legen. Wohin die Vernachlässigung des letzteren führt, zeigen uns die gedankenlosen und ohne jedes scharfe Urtheil, ohne jeden klaren Begriff geschriebenen Angriffe der sogenannten „exacten Empiriker" auf die Descendenz-Theorie und ihre Versuche, die Species als einen „rein empirischen Begriff" zu bestimmen l ). Dass bei der Begriffsbestimmung der Species der unerlässliche Compass der strengen philosophischen Methode ebenso wenig als bei allen anderen allgemeinen naturwissenschaftlichen Bestrebungen zu entbehren ist, hat nächst B ä r besonders S c h l e i d e n hervorgehoben, welcher auf dem Gebiete der Botanik ebenso,, wie der erstere auf dem der Zoologie, die grössten Verdienste um eine denkende und klare Behandlung der wichtigsten allgemeinen Probleme, und so auch dieser fundamentalen Frage hat. S c h l e i d e n hat insbesondere über die Beziehung der Species-Frage zu dem allgemeinen philosophischen Gesetze der Specification eine so treffliche Erörterung gegeben, dass wir die· ) Wir flihren hier statt unzähliger Beispiele nur eines aus neuester Zeit an. Nach G i e b e l „spricht die Darwinsche Theorie allen zoologischen Thatsachen Hohn. Sie will reine Begriffe , Ideen materialisiren , denn die Arten , die Gattungen. die Familien , die Classen e x i s t i r e n i m S y s t e m n u r b e g r i f f l i c h , b l o s s i d e e l l a l s T y p e n , und sie sollen nach Darwin als materielle Individuen in der Urzeit existirt haben; wie nirgends in der Vorwelt Misch - oder Uebergangs - Gestalten sich finden, so fehlen dieselben auch in der heutigen Pflanzen - und Thier - Reihe. — Man glaube doch nicht, dass man in den paar Merkmalen, welche unsere Balggelehrten in eine zwei Zeilen lange Diagnose zur Charakteristik ihrer Arten und Gattungen zusammenfassen, schon die ganze Wesenheit. den vollen Begriff der Arten oder Gattungen habe. — Die Darwinsche Theorie materialisirt in der plattesten Weise die abstractesten Begriffe der systematischen Zoologie und sieht in ihrer Blindheit nicht, dass d i e s e B e g r i f f e , d i e s e s p e c i f i s c h e η , g e n e r i s c h e n u. s. w. W e s e n h e i t e n w i r k l i c h r e a l i t e r s i c h t b a r u n d h a n d g r e i f l i c h e x i s t i r e n ; die Entwickelungsgeschichte zeigt sie jedem, der sie sehen und verstehen kann. — Für uns gehört die Darwinsche Theorie mit der Tischrückerei und dem Od in ein und dasselbe Gebiet," ( ! ! ! ) G i e b e l , Zeitschrift flir die gesammten Naturwissenschaften, Bd. X X V I I , 1 8 6 6 , p. 53. Ein Commentar zu diesem erheiternden Verdammung« - Urtheil ist überflüssig. Man sieht, dass der Verfasser weder von „Typus", noch von „Wesenheit", weder von „Idealem" , noch von ,,Realem" irgend eine klare Vorstellung besitzt. Er hat weder einen Begriff vom „Begriff", noch eine Idee von der „Idee". Alles geht bnnt durch einander. Und doch ist dieser confuse Wirrwarr noch lange nicht das Schlimmste! Wir führen ihn nur deshalb a n , weil G i e b e l gewiss zu den „kenntnissreichsien" Zoologen gehört, und sowohl „paläontologische" als „zoologische" Namen und Formen in bewundernswürdiger Masse im Kopfe hat. Nur Schade. dass diese Namen keine Begriffe und diese Formen keine Vorstellungen sind ! Dies Beispiel zeigt schlagend, dass auch die grösste Masse von thatsächlichen „Kenntnissen" nichts hilft, wenn dieselbe als rohe und unbehauene Bausteine unverbunden neben einander liegen. und wenn jede philosophische Verbindung von Begriffen ebenso wie jede klare Begriffs - Bildung selbst fehlt.
Π. Der morphologische Begriff der Species.
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selbe hier wörtlich folgen lassen 1 ): „Fragen wir nach dem charakteristischen Merkmale des Begriffs „Art" bei organischen Wesen, so kann uns nur folgende Betrachtung leiten. Das G e s e t z der S p e c i f i c a t i o n i s t e i g e n t l i c h s u b j e c t i v e n U r s p r u n g s ; in der Art und Weise, wie sich nothwendig unsere Begriffe und Abstractionen bilden, liegt der Grund, weshalb wir nach allgemeinen Merkmalen Arten und Geschlechter als Gegenstände unserer geistigen Thätigkeit festhalten müssen, und denkend niemals zum Einzelwesen kommen können, welches nur anschaulich durch die bestimmte Eingrenzung in Baum und Zeit, durch das „Hier" erkannt wird. Dieses subjectiven Ursprungs wegen würde aber das Gesetz der Specification für unsere wissenschaftliche' Xaturerkenntniss ohne alle Bedeutung bleiben, wenn uns nicht die Natur entgegenkäme, und der subjectiven Auffassungsweise durch die Erfahrung objective Gültigkeit verschaffte. Das Individuum ist vergänglich, und mithin Alles, was von ihm allein gilt; es ist nur anschaulich für jeden Einzelnen zu erfassen, und nicht durch Begriffe mittheilbar; die Wissenschaft aber ist bedingt durch die Andauer ihres Objects, weil davon ihre allmähliche Entwickelung, «lso ihre Wirklichkeit abhängt, und durch die Mittheilbarkeit ihres Inhalts, weil sie aufhört, Wissenschaft und fortbildungsfähig zu sein, wenn sie im einzelnen Menschen beschlossen bleibt, also mit ihm untergeht. Wir müssen hier also auf irgend eine Weise, selbst mit dem Bewusstsein, dass es nur eine vorläufige Aushülfe sei, dieser Anforderung an die Anwendung des Gesetzes der Specification Genüge leisten. Die schärfste Bestimmung des Artbegriffs wäre eigentlich folgende: „„Zu E i n e r Art gehören alle Individuen, die, abgesehen von Ort und Zeit, unter völlig gleichen Verhältnissen auch völlig gleiche Merkmale zeigen."" Es ist uns aber für die wenigsten Fälle vergönnt, dies Princip in der Artbestimmung geltend zu machen, am allerwenigsten aber bei den Organismen, bei denen die Bedingungen ihrer Existenz so mannichfaltig und verwickelt sind, dass wir sie niemals alle beherrschen, und daher niemals völlige Gleichheit der Verhältnisse herstellen können. Halten wir auch hier die Wichtigkeit der E n t w i c k e l u n g s g e s c h i c h t e als Princip der Botanik fest, so können wir den Begriff der Pflanzenart nur darin suchen, dass in der Zeitfolge e i n e g e w i s s e G r u p p e von M e r k m a l e n sich c o n s t a n t und g l e i c h erweise; diese Constanz muss aber bei den Pflanzen sich über das nicht andauernde Individuum, also durch mehrere Generationen, fortsetzen; was daher nicht nach seiner Abstammung von anderen Individuen erkannt werden kann, ist auch gar nicht als Pflanzenart zu bestimmen, und desshalb fällt Alles, was durch Urzeugung und selbst durch ein*) S c h l e i d e n , Gruudziige der wissenscliaftl. Botanik.
Iii. Aufl.
II. Bd. S. 515.
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Entwicklungsgeschichte der Arten oder Species.
malige, sich nicht in folgenden Generationen wiederholende Zeugung entsteht, nicht unter den Begriff einer Pflanzen-Art, obschon es anderweitig als Naturkörper auch seine specifische Bestimmung finden muss." Zu diesen letzteren, in der That eigentlich keine Arten bildenden Organismen gehören nach unserer Auffassung viele einfachste Formen des Protisten-Reiches. Wollte man bei diesen, und namentlich bei den autogonen Moneren von Arten reden, so könnte man sie oft nicht nach der Form, sondern nur nach der chemischen Constitution und nach etwaigen untergeordneten physiologischen Eigenschaften unterscheiden. Ueberhaupt sind bei vielen Gruppen niederster Organismen Art - Unterschiede sehr viel schwerer festzustellen, als bei den meisten höheren, weil dieConstanz der Merkmale überhaupt hier noch nicht zur Geltung gelangt ist. Neuerdings hat ζ. B. für die Polythalamien C a r p e n t e r nachgewiesen, dass man bei ihnen eigentlich gar keine Species in dem Sinne, wie bei den höheren Organismen unterscheiden könne. Sobald man überhaupt die Grundsätze der SpeciesBestimmung bei den niederen und höheren Gruppen verschiedener Stämme kritisch vergleicht, wird man gewahr, dass dieselben allerwärts verschiedene sind, und nach der Natur des Gegenstandes verschiedene sein müssen. Bei der ausnehmenden Wichtigkeit, welche die klare Erkenntniss dieses Verhältnisses für die richtige Beurtheilung der gesammten Systematik , und der von ihr geübten Specification und Classification hat, wollen wir nachstehend den Unterschied zwischen der morphologischen, physiologischen und genealogischen Begriffsbestimmung der Species noch näher beleuchten.
Π. Der morphologische Begriff der Species. Die praktische Unterscheidung und Benennung der Arten, wie sie von der botanischen und zoologischen Systematik allgemein geübt wird, gründet sich ganz vorwiegend auf die Erkenntniss m o r p h o l o g i s c h e r , und nicht physiologischer Differenzen, welche zwischen den verglichenen ähnlichen Formen sich auffinden lassen. Jeder Blick auf die kurz gefassten Diagnosen, oder die ausführlicheren Beschreibungen, durch welche in den systematischen Handbüchern und Monographieen die verschiedenen Arten einer Gattung getrennt werden, lehrt, uns, dass dasjenige Moment, welches man in der systematischen Praxis durchgängig und fast allein zur Feststellung und Unterscheidung der Species benutzt, die Vergleichung und Wägung der morphologischen Charaktere ist. Dass dieses morphologische Princip allein, mit völliger Beiseitlassung des gemeinsamen Abstammungs - Principe, und ohne Rücksicht auf das physiologische Princip der fruchtbaren Fortpflanzungsfähigkeit, die Systematiker bei ihrer analytischen Species-Bestimmung
IL Der morphologische Begriff der Species.
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leitet, muss allgemein zugegeben werden. Eben so sicher ist es aber auch, dass die meisten Systematiker nicht im Stande sind, anzugeben, welche Rücksichten sie hierbei als maassgebende Richtschnur im Auge haben, und worin das Wesen der „ s p e c i f i s c h e n F o r m - C h a r a k t e r e " besteht. Sehr Wenige nur haben sich die Mühe genommen, hierüber nachzudenken, und unter diesen ist vor Allen L o u i s A g a s siz hervorzuheben. Von den meisten anderen Naturforschern abweichend, erklärt Agassi ζ die Species für eine ebenso ideale Wesenheit (,.ideal entity"), als die übergeordneten Begriffe der Gattung, Familie, Ordnung, Classe und Typus. Alle diese idealen Einheiten sind in der Natur realisirt, sind verkörperte Schöpfungs - Gedanken. Die Charaktere, durch welche sich diese verschiedenen, stufenweise sich erhebenden Kategorieen unterscheiden, sind von verschiedener Qualität. Die Unterschiede der Species betreffen das Verhältniss der einzelnen Körpertheile zu einander, sowie die absolute Grösse des ganzen Thiers, ferner dife Färbung und allgemeine Verzierung der Körperoberfläche, endlich die Beziehungen der Individuen zu einander und zur tungebenden Welt. Die Species wird durch eine gewisse Menge von Individuen repräscntirt, die als solche in engster Beziehung zu einander stehen, niemals aber durch ein einzelnes Individuum. Denn keines der zu einer Species gehörigen Individuen bietet alle charakteristischen Merkmale dieser Species dar. Durch diese Auffassung nimmt Agassi ζ dem Species-Begriffe die absolute Starrheit, die er in den Augen der meisten Systematiker besitzt, und stellt ihn als eine subjective Kategorie, einen Collectiν-Begriff hin, der ebenso viel objective Begründung in der Natur, und nicht mehr besitzt, als die höhern Begriffe der Gattung, Ordnung, Klasse u. s. w. Wenn wir nun aber die morphologischen, oder richtiger anatomischen, Kriterien näher betrachten, welche Agassi ζ als „specifische" Merkmale VMX εξοχήν betrachtet, die absolute Grösse und das Verhältniss der einzelnen Körpertheile zu einander, die Farbe und die allgemeine Verzierung der Körperoberfläche, so ergiebt sich, dass diese zwar in vielen, aber bei weitem nicht in allen Fällen bestimmend sind. Oft sind dieselben Merkmale kaum genügend, zwei anerkannte Varietäten zu unterscheiden, während sie anderemale selbst zur Unterscheidung „guter" Genera für ausreichend erachtet werden. Andrerseits *) „What is now the nature of ,these differences, by which we distinguish Species ? They are totally distinct from any of the categories on which Genera, Families, Orders, Classes or Branches are founded, and may readly be reduced to a few heads. They are d i f f e r e n c e d in t h e p r o p o r t i o n of t h e p a r t s a n d i n t h e a b s o l u t e s i z e of t h e w h o l e a n i m a l , in t h e c o l o r a n d g e n e r a l o r n a m e n t a t i o n of t h e s u r f a c e of t h e b o d y , and in the relations of the individuals to one another and to the world around." A g a s s i ζ , Methods of study, of natural history. Boston 1863, p. 138.
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Entwickelungsgeechichte der Arten oder Species.
braucht man bloss eine Reihe beliebiger Species-Gruppen aus verschiedenen Hauptabtheilungen des Pflanzen- oder Thierreichs mit einander zu vergleichen, und auf diesen Punkt zu untersuchen, und man wird sehen, dass Charaktere von der allerverschiedensten Qualität zur Unterscheidung benutzt werden. Die wenigen, von A g a s s i z und anderen gemachten Versuche, das Wesen und Gewicht der unterscheidenden morphologischen SpeciesCharaktere schärfer zu bestimmen, und dadurch bei der praktischen Unterscheidung der Species zu einer sicheren Grundlage zu gelangen, sind auch bei der systematischen Praxis zu keiner allgemeinen Geltung gelangt. Wenden wir uns von diesen mehr oder minder missglückten Versuchen zu der Betrachtung der zoologischen und botanischen Praxis, wie sie von den Systematikern täglich bei der Unterscheidung, Benennung und Bestimmung der Arten geübt wird, so zeigt sich bald, dass die meisten Systematiker sich dabei wesentlich von einem gewissen praktischen Tacte leiten lassen. Höchstens kömmt bei den kritischer Verfahrenden hie und da eine bestimmte Maxime von ziemlich vager Natur zur Anwendung. Eine der am weitesten verbreiteten derartigen Maximen oder Bestimmungsregeln ist der Satz: „Zu einer Art gehören a l l e Individuen, die in allen w e s e n t l i c h e n Merkmalen übereinstimmen." Indessen ist nur bei einer geringen Zahl der niedrigsten Organismen diese Behauptung ohne Weiteres richtig. Bei den allermeisten dagegen umfasst der Speciesbegriff nicht eine einzige Form, sondern eine ganze Entwickelungsreihe verschiedener Formen, nämlich den Z e u g u n g s k r e i s , die Formenkette, die das Individuum vom Momente seiner Entstehung an bis zu seinem Tode durchläuft. Es müssen also die verschiedenen Jugendzustände berücksichtigt werden, die oft sehr abweichend von den Erwachsenen sich verhalten, und bei denjenigen, die einer Metamorphose unterworfen sind, die verschiedenen Larven-Zustände, die das Individuum durchläuft. Gleicherweise sind bei den der Metagenesis unterworfenen Arten die verschiedenen Generationen zu berücksichtigen. Wie oft sind aber nicht, lediglich aus Nichtberücksichtigung dieses so einfachen Verhältnisses, abweichend gebildete Jugendformen, Larven und Ammen als eigene Species ·, wie oft als Glieder weit entfernter Familien oder selbst Classen beschrieben worden! Wer hätte bei der paradoxen Form des Platens gedacht, dass er die Amme einer Ophiure sei, bei Pilidinm, dass es zu einem Nemertes gehöre, bei Phyllosoma, dass es die Larve von Palinurus sei? Wie oft sind selbst bei den höheren Wirbelthieren eigentümlich gefärbte Jugendformen als besondere Arten beschrieben worden! Wie zahlreich sind in der Abtheilung der Würmer, der Crustaceen, der Mollusken die Beispiele von zusammengehörigen Larven und reifen Formen, die man früher als ganz verschiedene Species beschrieben und
Π. Der morphologische Begriff der Species.
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erst vor Kurzem als himmelweit verschiedene Zustände eines Individuums entdeckt hat ! Nicht minder wesentlich, als die Form Verschiedenheiten der zusammengehörigen Entwickelungsstadien eines und desselben Individuums, sind die Gestaltdifferenzen, welche zwischen den verschiedenen polymorphen Individuen einer und derselben Species sich vorfinden. Auch diese sind unendlich oft in der systematischen Praxis nicht berücksichtigt worden und daraus zahllose Irrthümer entsprungen. Wie oft sind nicht allein die beiden zusammengehörigen Geschlechter einer einzigen Species als verschiedene Arten beschrieben worden! Freilich sind die Verschiedenheiten der beiden zusammengehörigen Geschlechts - Bionten in vielen Fällen von weitgehendem sexuellen Dimorphismus auch der Art, dass dieselben fast in gar keinem „wesentlichen" Merkmale mehr übereinstimmen. Man denke nur an die parasitenähnlichen Männchen vieler niederer Crustaceen und der Rotatorien! Schon aus diesen wenigen Erwägungen geht hervor, wie ungenügend die vielfach angewendete Definition ist, dass „die Species der Complex aller Individuen sei, die in allen wesentlichen Merkmalen übereinstimmen". Um ein naturgemässes Bild von der Species zu erhalten, ist es durchaus nothwendig, alle die erwähnten, oft so weit divergirenden Gestalten ihres Formenkreises in Betracht zu ziehen. Auch ist in der That diese Notwendigkeit von den besseren Systematikern in ihrer analytischen Praxis mehr oder weniger unbewusst anerkannt und gewürdigt worden und man hat also ausser den anatomischen auch diö. ontogenetischen Formen zugleich mit berücksichtigt. Sehr oft ist dies aber auch nicht geschehen und sehr oft konnte es nicht geschehen. Und wie viel Irrthum und Verwirrung ist daraus für die Systematik entsprungen! Wie viel verschiedene Jugendzustände, Larven, Ammen, dimorphe Geschlechts - Individuen und polymorphe differenzirte Gesellschafts - Individuen sind nicht als selbstständige Arten beschrieben worden! Lassen wir indessen diesen, oft unvermeidlichen Fehler bei Seite, und verfolgen wir weiter den Systematiker in seiner praktischen Arbeit, wie er die Species unterscheidet, bestimmt, benennt, ordnet und für das System zurecht macht. Sehen wir dabei ab von den möglichen Irrungen, die durch die verschiedenen Jugendformen, die GeschlechtsDifferenzen, den oft so weit abweichenden Generations-Wechsel innerhalb einer und derselben Art vorkommen können, und nehmen wir an, dass geschlechtsreife Individuen beider Geschlechter oder doch wenigstens ausgewachsene und geschlechtsreife Männchen (die gewöhnlich bei Feststellung des Speciescharakters bevorzugt werden) von vielen verschiedenen Arten zur Untersuchung vorliegen. Nach welchen Segeln, aus welchen Gesichtspunkten sucht der Systematiker die un-
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Entwickelungsgeschichte der Arten oder Species.
terscheidenden Merkmale aufzufinden und festzustellen? Giebt es überhaupt für diesen Zweck feste leitende Gründsätze? Nicht im Mindesten! das Geschäft wird vielmehr rein empirisch betrieben! Als die entscheidenden und die wichtigsten Species-Charaktere gelten allein die c o n s t a n t e s t e n , d.h. diejenigen, die am wenigsten bei den am meisten sich ähnlichen Individuen variiren, und die bei diesen Allen vorkommen, wärend sie bei einer Anzahl anderer, ebenfalls ähnlicher Individuen, die aber eine besondere Art bilden sollen, constant fehlen. Offenbar bewegt man sich hier aber (und es geschieht unendlich oft) in einem vollkommenen Cirkelschluss. Einmal fordert man, dass der Artbegriff alle diejenigen Individuen umfasse, die in allen „wesentlichen" Merkmalen übereinstimmen, und dann wieder hält man nur diejenigen Merkmale für „wesentlich", welche man in allen untersuchten Individuen, die eine sogenannte „gute Art" zusammensetzen sollen, constant vorfindet. Mit anderen Worten lautet dieser sehr beliebte Cirkelschluss: „Jede Art wird charakterisirt durch die Constanz der Merkmale; constante Merkmale aber sind solche, die sich bei allen Individuen einer Art vorfinden." Jeder aufrichtige Naturforscher muss zugeben, dass das „ W e s e n t l i c h e " des Speciescharakters nichts Anderes ist, als seine C o n s t a n z , und dass man umgekehrt nur eben die constanten Merkmale als wesentliche ansieht. Dieselben deutlich ausgeprägten Artmerkmale, wie ζ. B. relative Länge der Extremitäten, Färbung des Haars, Zahl der Zähne, welche in der einen Gattung allgemein zur Unterscheidung ihrer Arten benutzt werden, weil sie hier sehr constant sind und wenig variiren, können in einem andern nahe verwandten Genus nicht zur Diagnose der Species dienen, weil sie hier vielfach abändern und nicht constant sind. Hier sucht man sich dann andere Merkmale heraus, die constanter sind, die aber in der ersten Gattung nicht gelten konnten, weil sie dort variirten. Die Q u a l i t ä t der unterscheidenden Merkmale ist also niemals das für eine Art Charakteristische, sondern ihre C o n s t a n z , und dieselben Unterschiede, auf welche man in der einen Formen - Gruppe Gattungen oder selbst Familien gründet·, reichen in anderen nicht aus, um nur die Arten zu unterscheiden. Die unbedeutendsten, geringfügigsten Merkmale, ein paar bunte Flecke oder ein Haarbüschel oder eine nackte Hautstelle auf dem Fell eines Säugethiers gelten aber als vollkommen genügende „gute" Charaktere, wenn sie zufällig bei allen jetzt zur Untersuchung vorliegenden Individuen übereinstimmend vorkommen, und wenn sie allen Individuen von sonst nächstverwandten Arten, die vielleicht aus einer andern Gregend stammen, fehlen. Auf dieses letztere Moment, den geographischen Verbreitungs-Bezirk, wird dabei oft unbewusst grosses Gewicht gelegt. Zwei kaum verschiedene Formen gelten oft als zwei gute Arten, wenn sie aus zwei entfernten und nicht zusammenhängenden Gegenden stammen,
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Der morphologische Begriff der Species.
•während Jedermann dieselben nur als untergeordnete Varietäten einer und derselben Art betrachten würde, wenn sie in derselben Gegend gemischt vorkämen. Derartige secundäre Erwägungen sind auch bei Unterscheidung der fossilen Thierformen oft fast allein maassgebend. Sehr oft werden hier zwei kaum zu unterscheidende Formen als zwei gute Arten angenommen, weil sie in zwei weit auseinanderliegenden Formationen gefunden wurden, während sie in den dazwischen liegenden fehlten. Würden beide Arten in einer und derselben Formation vereinigt vorkommen, so würden sie nur für eine einzige Art gelten. In der Paläontologie ist man überhaupt mit Unterscheidung und Benennung der Arten noch weit gedankenloser und unvorsichtiger vorgegangen, als bei der Diagnostik der lebenden Formen, obwohl gerade bei der Unvollständigkeit der fossilen Reste scharfe Kritik doppelt nöthig wäre. Vergleicht man wägend ihrem Werthe nach die DifferentialCharaktere, durch welche fossile Species, mit denjenigen, durch welche lebende Species unterschieden werden, so wird man sehr oft finden, dass höchst minutiöse Charaktere bei den ersteren schon als vollkommen ausreichend zur specifischen Unterscheidung zweier Arten angesehen werden, welche bei den letzteren nicht für genügend gelten würden, um nur zwei verschiedene Varietäten einer Art darauf zu basiren. Untersucht man nun aber näher die sogenannten „guten", d. h. wesentlichen oder constanten Charaktere der Arten, indem man eine grössere Anzahl von Individuen sorgfältig vergleicht, so findet man in der Regel bald, dass auch diese angebliche C o n s t a n z n i e m a l s a b s o l u t ist, dass vielmehr auch sie einen gewissen, wenn auch nur geringen Spielraum von Abänderung zulässt; unter einer grossen Zahl kaum zu unterscheidender Individuen wird man dann meistens einige Wenige treffen, die doch die wesentlichen Artmerkmale weniger deutlich und scharf ausgeprägt zeigen, als die grosse Mehrzahl der Uebrigen. Gerade diese aber, die weniger scharf bestimmten Grenzformen, die häufig Mittelstufen und Uebergangsbildungen zu nahe verwandten Arten herstellen, sind bisher überwiegend vernachlässigt worden. In dem vorherrschenden Bestreben, die Arten durch möglichst scharfe Charaktere von einander zu trennen und die einzelnen Species-Diagnosen klar von einander abzusetzen, hat man das ganze Gewicht auf die, oft sehr geringfügigen, U n t e r s c h i e d e gelegt und dagegen das G e m e i n s a m e der Erscheinungen in den Hintergrund gedrängt und nicht berücksichtigt. So ist es denn gekommen, dass in unseren Systemen sich überall die einzelnen Arten weit schärfer und klarer von einander abheben, als es in der Natur der Fall ist. Fast bei allen Gruppen von Organismen haben sich deshalb die besseren und gewissenhafteren Systematiker genöthigt gesehen, von denjenigen Arten, die genauer Η »e e k e l , Generelle Morphologie, Π.
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Entwicklungsgeschichte der Arten oder Species.
bekannt und in sehr zahlreichen Exemplaren untersucht sind, und namentlich von denjenigen, welche einen sehr grossen Verbreitungsbezirk besitzen, die abweichenderen Individuen, welche die specifischen Charaktere mehr oder weniger modificirt zeigen, oder sich als mehr oder minder entschiedene Uebergangsbildungen zu verwandten Arten hinneigen, als besondere U n t e r a r t e n ( S u b s p e c i e s ) oder S p i e l a r t e n ( V a r i e t a t e s ) zu beschreiben. Das genauere Studium derselben ist aber bisher überwiegend vernachlässigt worden, weil sie dem Schematismus des Systemes Abbruch thun. Und doch sind sie gerade von der höchsten Bedeutung für das Verständniss der natürlichen Verwandtschaft. In vollständiger Verkennung der letzteren hat man immer nur den Hauptnachdruck auf die sogenannten „typischen" Individuen der Art gelegt, die weniger ausgesprochen charakterisirten Varietäten dagegen bei Seite geschoben. Befriedigende Definitionen von dem Begriffe der Subspecies und Varietät existiren eben so wenig, als von dem der Species, und sie können auch in der That eben so wenig gegeben werden. Wie bei den theoretischen Begriflsbestimmungen der Art, hat man sich auch bei denjenigen der Spielart theils auf die sichtliche Differenz gewisser morphologischer Charaktere, theils auf das genetische und physiologische Verhalten derselben zu einander gestützt. Was die M e r k m a l e betrifft, durch welche Subspecies oder Varietäten sich untereinander und von der übergeordneten Art unterscheiden, so sollen dieselben niemals so „wesentlich" sein, als die diagnostischen Differenzen, welche Species zu scheiden vermögen. Auch hier wieder zeigt sich bei genauer Betrachtung, dass der Begriff des „Wesentlichen" nichts mit der Qualität der Charaktere zu thun hat, sondern nur mit deren Constanz. Und in der That wird meistens in der Praxis die Varietät dadurch als solche erkannt und bestimmt, dass ihre ausgezeichneten Merkmale variabler sind, und bedeutenderen und häufigeren individuellen Abänderungen unterliegen, als es bei den Species der Fall ist. Daher kommt es, das die Meinungen fast aller Forscher über die Grenzbestimmung zwischen Art und Abart so unendlich weit in der Praxis auseinandergehen. In der genau bekannten Vogel-Fauna von Deutschland unterscheidet B e c h s t e i n 367, L. R e i c h e n b a c h 379, M e y e r und Wolf 406, und B r e h m mehr als 900 verschiedene Arten. Die Vögel Europa's dagegen vertheilt B l a s i u s auf 490, S c h i n z auf 520, und B o n a p a r t e auf 530 Species! Die verschiedenen Formen von Hieracmm in Deutschland werden von einigen Botanikern auf mehr als dreihundert Arten vertheilt. F r i e s zählt deren aber nur 106, K o c h 52, und noch Andere kaum zwanzig! Diese paar Beispiele zeigen, wie es auf diesem Gebiete überall aussieht. Der Formenkreis einer sehr variablen Art kann ausserordentlich gross sein, so dass die extremsten Formen durch Summe
II. Der morphologische Begriff der Species.
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und Qualität der Charaktere viel weiter auseinander stehen, als sonst verschiedene Arten einer Gattung oder verschiedene Gattungen einer Ordnung. Sie werden aber von allen Forschern als zu einer einzigen Art gehörig angesehen, wenn sie durch eine zusammenhängende Reihe fein abgestufter Zwischenformen continuirlich verbunden sind, oder sobald sich die Abstammung von der gemeinsamen Stammart empirisch erweisen lässt. Ist dies aber nicht der Fall oder fehlen alle Zwischenformen zwischen zwei, auch nur durch einen geringfügigen (aber constanten) Charakter getrennten, nächstverwandten Zwischenformeu, so werden dieselben als „gute Arten" betrachtet. In der Regel werden dann auch noch die verbindenden Uebergangsformen bei Seite geschoben und als „zufällige" Abweichungen ignorirt, wenn dieselben selten sind; kommen sie aber häufig vor, so steigt allein aus diesem Grunde ihr Werth so sehr, dass sie nun für die Zusammengehörigkeit der verschiedenen Formen zu einer Art entscheiden. Von der Varietät, Abart oder Spielart nicht scharf zu unterscheiden ist der Begriff der S u b s p e c i e s o d e r U n t e r a r t , der auch nur selten angewandt wird. Er soll einen geringeren Grad der Schwankung des Charakters andeuten, so dass also die unterscheidenden Merkmale zweier Subspecies weniger constant, als bei der übergeordneten Art, weniger veränderlich, als bei den ihnen untergeordneten Abarten sind. Mit anderen Worten, die Unterschiede zwischen zwei Subspecies sind „wesentlicher" als bei zwei Varietäten, weniger „wesentlich", als bei zwei Arten. Es liegt auf der Hand, dass auch diese Bestimmung vollkommen willkührlich und ihre Anwendung ganz dem Gutdünken des Autors anheimgegeben ist. Nicht anders verhält es sich mit dem Begriff der R a s s e . Man liebt es zwar, diese Bezeichnung vorzugsweis für die im Culturzustande durch die künstliche Zuchtwahl des Menschen entstandenen, und besonders für die durch längere Zeit bereits befestigten Varietäten und Subspecies zu gebrauchen. Indessen haben wir schon oben gezeigt, dass zwischen den Producten der natürlichen und der künstlichen Züchtung ebenso wie zwischen ihrer Wirkungsweise, durchaus kein qualitativer, sondern nur ein quantitativer Unterschied existirt Es ist eben so wenig von der Rasse als von der Varietät und Subspecies möglich, irgend eine scharfe und allgemein gültige Definition zu geben. Will man diese Begriffe als mehrere verschiedene, dem Speciesbegriffe untergeordnete Kategorieen des Systems beibehalten, so kann man sie mit Nutzen nur verwenden, um dadurch v e r s c h i e d e n e G r a d e in d e r C o n s t a n z d e r w e s e n t l i c h e n D i f f e r e n t i a l c h a r a k t e r e zu bezeichnen, so dass also die Varietät den höchsten, die Rasse den mittleren, die Subspecies den niedersten Grad der Veränderlichkeit anzeigt. Wir sehen also, dass es mit der Begriffsbestimmung der Unter22*
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Entwickeiungsgeschiclite der Arten oder Species.
art (Subspecies), Rasse und Abart (Varietas), wenn man bloss die unwesentlichen, d.h. die nicht constanten Charaktere zur Unterscheidung derselben von der mit wesentlichen (constanten) Merkmalen ausgestatteten Art (Species) benutzen will, ebenso schlimm steht, wie mit dieser letzteren selbst. Denn es giebt eben keine absolut constanten Unterschiede in der Grösse, Farbe, Form derjenigen Theile, die man zur Species-Diagnostik benutzt. Alle diese Merkmale sind innerhalb gewisser Grenzen veränderlich und schwankend, von den Existenzbedingungen abhängig. Am constantesten sind die unterscheidenden Charaktere der Art, weniger diejenigen der Subspecies; noch weniger constant sind diejenigen der Rasse, und am wenigsten die der Varietät. Aus allen diesen Erwägungen geht hervor, dass die A u f s t e l l u n g der S p e c i e s und ihre U n t e r s c h e i d u n g d u r c h b e s t i m m t e Charaktere ein rein w i l l k ü h r l i c h e r und k ü n s t l i c h e r Akt ist, der nur durch unsere ganz unvollständige Kenntniss der verschiedenen Beziehungen jeder Species zu allen ihren Blutsverwandten gerechtfertigt und ermöglicht wird. Die Unterscheidung der unendlich vielen verschiedenen Formen, welche unsere Erde beleben, durch verschiedene Namen ist ein nothwendiges praktisches Bedürfniss, und diese Speciesbildung ist verständig und gerechtfertigt, so lange man sich nur vergegenwärtigt, dass sie eine künstliche ist, und nur auf unvollständigen Kenntnissen beruht. Dies wird aber von der gewöhnlichen Systematik ebenso wenig berücksichtigt, als sie sich erinnert, dass alle Charaktere nur einen relativen und vergänglichen Werth haben. Auch die schärfsten Charaktere, durch welche wir im gegenwärtigen Zeitraum zwei verwandte „gute Arten" auf das Bestimmteste unterscheiden können, behalten doch immer nur für eine gewisse Periode diese specifische Bedeutung, und büssen dieselbe ein, sobald beide Arten im Laufe ihrer Variation sich weiter von einander entfernen. Die Systematiker werden durch den Irrthum, dass die Species constant sei, gewöhnlich auch noch in den weiteren Irrthum hineingeführt, dass die verschiedenen Species gleich alt seien. Auch hierdurch wird eine naturgemässe Auffassung der Arten-Verhältnisse wesentlich verhindert. Denn in der Wirklichkeit sind die allermeisten Species von sehr ungleichem Alter, und dieses Alter lässt sich auch niemals absolut bestimmen, da sie eben so allmählich entstehen, als sie entweder durch Transmutation oder durch Aussterben vergehen. Unter zahlreichen Species, die der Systematiker vergleicht, werden sich immer epacmastische, acmastische und paracmastische Arten neben einander befinden; einige, die der Höhe ihrer Entwickelung, andere, die ihrem Untergange entgegen gehen, während noch andere sich grade im gegenwärtigen Zeitraum in ihrer höchsten Blüthe befinden und daher als relativ „gute",
HL Der physiologische Begriff der Species.
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constante und wenig veränderliche Arten erscheinen. Jede Species hat, so gut wie jedes Individuum, eine beschränkte Existenz-Dauer. Sie entsteht durch Trasmutation aus Varietäten einer vorhandenen Art, und sie erreicht·, indem sie sich unter günstigen Verhältnissen zur Species entwickelt, einen bestimmten Grad der Reife, in welcher sie sich am constantesten zeigt. Diese Acme, das Reife-Alter der Species kann, wenn die für sie günstigen Existenzbedingungen sich sehr lange erhalten, oft sehr lange, oft viele Jahrtausende dauern. Endlich tritt aber doch immer zuletzt, wenn auch nur sehr langsam, ein Wechsel in dieser oder jener wesentlichen Lebensbedingung ein; sie geht entweder, wenn sie sich diesem Wechsel vermöge ihrer Variabilität nicht anpassen kann, zu Grunde, sie stirbt aus; oder sie bildet, indem sie sich ihm anpasst, neue Varietäten, die sich allmählich wiederum durch langsame Transmutation, und durch natürliche Zuchtwahl im Kampfe um das Dasein, zu relativ constanten neuen Species umbilden. Allein schon diese Thatsache erklärt uns bei Vergleichung einer grösseren genauer bekannten Artenzahl den Umstand, dass die Werthe der specifischen morphologischen Charaktere so äusserst ungleiche sind, dass einige Arten sich so scharf umschreiben lassen und so wenig variiren, während andere einen so weiten divergirenden Varietätenbüschel bilden, dass sie selbst wieder von anderen Systematikern als Gruppen von Arten angesehen werden.
ΠΙ.
Der physiologische Begriff der Species.
Die vorstehend erörterten, constanten oder wesentlichen Charaktere der Species, welche meistens rein m o r p h o l o g i s c h e r Natur sind und welche bei der praktischen Unterscheidung und Benennung der Species fast ausschliesslich in Betracht kommen, hat man bei der theoretischen Begriffsbestimmung der Art gewöhnlich ignorirt oder doch weniger hervorgehoben, und dagegen, wie schon oben bemerkt wurde, fast ausschliesslich die p h y s i o l o g i s c h e n Eigenschaften der Species zur Definition derselben benutzt. Wir haben hier zu unterscheiden zwischen der von den älteren Naturforschern vorzugsweise gebrauchten Definition, die sich auf die gemeinsame Abstammung aller Individuen einer Species, und zwischen der von den neueren besonders hervorgehobenen Begriffsbestimmung, welche sich auf die Bastardzeugungs- oder Hybridismus-Verhältnisse der Species bezieht. Indem wir die Besprechung der ersteren, rein' genealogischen Auffassung dem folgenden Abschnitte vorbehalten, beschränken wir uns hier auf die Erörterung der letzteren, welche wir als die physiologische Begriffsbestimmung der Species im engeren Sinne bezeichnen. Wir schicken die Bemerkung voraus, dass man im Ganzen die
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Entwickelungsgeschichte der Arten oder Species.
Verhältnisse d e r B a s t a r d z e u g u n g o d e r d e s H y b r i d i s m u s , um welche es sich hier handelt, ausserordentlich überschätzt, und insbesondere ihre Bedeutung, sowohl für die exacte Begriffsbestimmung der Art, als auch für die Entstehung neuer Arten, viel zu hoch angeschlagen hat. Die Frage ist im Ganzen sehr schwierig und verwickelt, aber von den meisten Autoren keineswegs mit der entsprechenden Vorsicht und Sorgfalt behandelt worden. Grade hier hat man mit auffallendem Leichtsinn aus sehr unvollkommenen und zweifelhaften Beobachtungen die weitgreifendsten Schlüsse ziehen wollen. D a r w i n hat dies im achten Capitel seines Werks, auf welches wir hiermit ausdrücklich verweisen, sehr klar nachgewiesen. Im Ganzen sind die Erscheinungen des Hybridismus nur selten mit der notwendigen physiologischen Kritik untersucht worden, und daher hat man ihre Bedeutung für die Species - Frage so sehr übertrieben. Nach der gewöhnlichen Angabe sollen alle geschlechtsreifen Individuen einer und derselben Art, mögen dieselben als Rassen oder Varietäten noch so weit aus einander gehen, das Vermögen besitzen, sich fruchtbar geschlechtlich zu vermischen, und alle von ihnen erzeugten Jungen sollen sich wiederum sowohl unter einander, als mit den StammEltern fruchtbar kreuzen, und so in infinitum fortpflanzen können. Andrerseits sollen Individuen von zwei verschiedenen Species nur ausnahmsweise 1 ) mit einander eine fruchtbare Begattung vollziehen können und die daraus entsprungenen Bastarde sollen weder unter einander , noch mit einem der Stammeltern auf die Dauer fruchtbare Nachkommenschaft erzeugen können. Alle diese Angaben sind, insofern sie die Geltung absoluter Gesetze beanspruchen, vollkommen falsch, und durch sichere Beobachtungen und Experimente nicht nur in neuester Zeit, sondern theilweis schon vor vielen Jahren als vollständig den Thatsachen widersprechend nachgewiesen worden. Sowohl verschiedene Arten, als verschiedene Varietäten einer Art vermögen sich geschlechtlich zu vermischen, und die Producte der Verbindung können in beiden Fällen selbst wieder der fruchtbaren Zeugung fähig sein. Die Producte der sexuellen Vermischung zweier verschiedenen Species pflegt man im engern Sinne als B a s t a r d e (Hybridi) zu bezeichnen, dagegen die Producte zweier verschiedenen Varietäten als B l e n d l i n g e (Spurii). Zunächst muss hier unterschieden werden zwischen zwei wesentlich verschiedenen Verhältnissen, nämlich erstens der Unfruchtbarkeit zweier verschiedenen Formen bei ihrer Paarung, also der ersten Kreu1) Eine a b s o l u t e Unfähigkeit zweier verschiedener Arten, überhaupt eine fruchtbare Begattung mit einander einzugehen, ist zwar auch vielfach behauptet worden, verdient indess angesicht der zahlreichen Bastarde, die man selbst zwischen Arten verschiedener Gattungen längst kennt, keine weitere Widerlegung.
ΠΙ. Der physiologische Begriff der Species.
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zung, und zweitens der Unfruchtbarkeit der aus solchen Kreuzungen entsprungenen Bastarde oder Blendlinge. Die erstere beruht wesentlich auf der verschiedenen Beschaffenheit der zweierlei, an sich normalen Fortpflanzungs - Organe, wogegen die zweite meist durch unentwickelten Zustand oder pathologische Ausbildung der Geschlechts-Organe bedingt ist. "Was nun zuerst die U n f r u c h t b a r k e i t z w e i e r g e k r e u z t e n v e r s c h i e d e n e n F o r m e n b e i i h r e r e r s t e n P a a r u n g anbelangt, so ist fast überall das Dogma verbreitet, dass eine Paarung zwischen Individuen zweier verschiedenen Arten nur ausnahmsweise fruchtbar sei, während alle verschiedenen Rassen und Varietäten einer einzigen Species sich fruchtbar sollen kreuzen können. Beides ist vollkommen unbegründet. Allerdings kommen Bastarde von zwei verschiedenen Arten im wilden Naturzustande nur selten vor, schon aus dem einfachen Grunde, weil der gesunde Geschlechtstrieb stets nur nah verwandte Thiere, meistens also von einer und derselben Art, zusammenführt. „Gleich und Gleich gesellt sich gern". Allein sobald den Thieren die Befriedigung des Geschlechtstriebs auf diesem normalen Wege versagt ist, so suchen sie denselben bei anderen Arten, die ihnen die Gelegenheit zuführt, zu befriedigen. Wenn nun in diesem Falle die beiderlei Geschlechtsthiere zu zwei verschiedenen Species eines und desselben Genus gehören, und in Grösse und Charakter nicht gar zu verschieden sind, so ist die Fruchtbarkeit einer solchen Verbindung die Regel. Solche Bastarde sind schon seit den ältesten Zeiten in Menge beobachtet und zum Theil absichtlich vom Menschen gezüchtet worden 1 ). Seltener entspringen Bastarde aus der Paarung zweier Arten, die verschiedenen Gattungen angehören, obwohl auch hiervon einzelne Beispiele mit Sicherheit constatirt sind 2 ). Die Aussicht auf einen Erfolg der Paarung ist aber in der Regel um so geringer, je grösser die Differenz in dem ganzen Charakter und in der systematischen Verwandtschaft beider Formen ist. Dabei ist sehr zu beachten, dass in vielen Fällen beständig die wechselseitige Kreuzung fehlschlägt, indem zwar die Paarung des Männchens von der Art Α mit dem Weibchen von der Art Β fruchtbar, dagegen die Kreuzung des Weibchens von Α mit dem 1) Die ältesten und bekanntesten Bastarde sind die zwischen Pferd und Esel (Maulesel, Maulthiere). zwischen Pferd und Zebra, Esel und Zebra, Steinbock und Ziege, Löwe und Tiger, ferner zwischen den verschiedensten Arten der Finken-Gattung, des Genus Phasianus etc. In neuerer Zeit sind auch echte Bastarde von Fischen, Insecten etc. in grösserer Zahl bekannt geworden. Von den Pflanzen (Salix, Verbascum, Cirtium etc.) kennt man sie längst in Menge. 2) Zu- den sichersten Beispielen von fruchtbarer Begattung verschiedener Genera gehören die Bastarde von Schaf und Keh, von Ente und Huhn, Auerhahn und Trutliahn. Auch Bastarde ziemlich entfernt stehender Fisch - Gattungen sind neuerlich beobachtet.
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Entwicklungsgeschichte der Arten oder Species.
Männchen von Β unfruchtbar ist 1 ). Schon aus diesem letzten, sehr wichtigen Umstände geht hervor, dass (mindestens in vielen Fällen) eine solche Unfruchtbarkeit nicht durch den specifisch verschiedenen Gesammt-Charakter der beiden Arten, und auch nicht durch den Grad ihrer systematischen Verwandtschaft, sondern lediglich entweder durch den verschiedenen, nicht zusammen passenden Bau der betreffenden Geschlechts-Organe oder durch die natürliche Abneigung der divergenten Formen gegen einander bedingt ist. Wie nun die Fähigkeit der Bastard-Zeugung zwischen verschiedenen Arten factisch besteht, aber in sehr verschiedenen Graden abgestuft ist, so gilt dasselbe auch von den Kreuzungs-Verhältnissen der Varietäten und Rassen, die sich auch in dieser Beziehung nicht durchgreifend von den Species unterscheiden. Allerdings ist es die Regel, dass die verschiedenen in den Formenkreis einer einzigen Art gehörigen Abarten und Rassen sich unter einander fruchtbar vermischen können: allein auch hier ist diese Fruchtbarkeit der ersten Kreuzung keineswegs überall gleich, sondern zwischen verschiedenen Rassen sehr verschieden entwickelt, und man kennt mehrere Beispiele mit Sicherheit, wo zwei verschiedene Rassen oder Abarten, die von derselben Stammform abgeleitet sind, sich entweder gar nicht mehr, oder nur selten, mit Abneigung und ohne Erfolg paaren. Die Fruchtbarkeit der Kreuzung von Varietäten ist also durchaus kein absolutes Gesetz 8 ). Ebenso verhält es sich nun zweitens auch mit der überall behaupteten U n f r u c h t b a r k e i t d e r B a s t a r d e von zwei verschiedenen Arten, der man die absolute F r u c h t b a r k e i t d e r B l e n d l i n g e zwischen zwei Varietäten oder Rassen einer Art schroff gegenüberstellt. In ersterer Beziehung wird allenthalben das Beispiel der Maulthiere und Maulesel als beweiskräftig angeführt. Allerdings ist es richtig, dass diese beiden Bastardformen von Pferd und Esel, sowohl wenn sie sich unter einander, als wenn sie sich mit einem der Stammeltern paaren, sich entweder gar nicht, oder nur auf wenige Generationen fortpflanzen, worauf die Bastardform erlischt. Allein grade dieses so sehr betonte Beispiel scheint nach den neuesten Erfahrungen eine seltene 1) So ζ. B. ist die Paarung zwischen Ziegenbock und Schaf, zwischen dem amerikanischen Bisonstier und der europäischen Kuh sehr leicht, dagegen die Kreuzung zwischen Schafbock und Ziege, zwischen dem europäischen Stier und der amerikanischen Bisonkuh sehr schwer oder gar nicht herbeizuführen. 2) So paart sich ζ. B. die in Paraguay eingeführte und einheimisch gewordene Hauskatze nicht mehr mit ihrem europäischen Stammvater. Das in Europa domesticirte Meerschweinchen (Cavia cobayaj paart sich nicht mehr mit seinem brasilianischen Stammvater (Cavia apereaj. Ferner findet keine Kreuzung mehr statt zwischen manchen Hunde-Bassen (die man doch meist alle als Varietäten einer Art betrachtet). Zum Theil ist hier, wie in andern Fällen (auch bei manchen Kinder- und Pferde-Kassen) die physische Unmöglichkeit der Paarung schon durch die sehr verschiedene Grösse bedingt.
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Ausnahme zu sein. Man kennt jetzt zahlreiche Beispiele von Bastarden sehr verschiedener Arten (und selbst Gattungen), die sich sowohl bei Paarung unter sich, als mit einem ihrer Stammeltern, durch eine lange Reihe von zahlreichen Generationen unverändert und mit unverminderter Fruchtbarkeit fortgepflanzt haben, also nach der üblichen Vorstellung zu neuen Arten geworden sind 1 ). J a man hat selbst solche unbegrenzte und reiche Fruchtbarkeit in einzelnen Fällen bei Bastarden von zwei Arten beobachtet, welche verschiedenen Gattungen angehören, wie namentlich bei den berühmten „Bockschafen", Bastarden von Ziegenböcken und Schafen, welche in Chile massenhaft zu industriellen Zwecken gezogen werden. Aber auch diese Fruchtbarkeit der Bastarde zeigt sich, wie jene der ersten Kreuzung, bei verschiedenen Gattungen und Familien sehr verschieden entwickelt und gradweise abgestuft. Dasselbe gilt endlich auch von der F r u c h t b a r k e i t d e r B l e n d l i n g e , welche durch Kreuzung verschiedener Varietäten oder Rassen einer Art entstehen. Von dieser hat man ebenso allgemein die absolute Fruchtbarkeit, wie von den. Bastarden verschiedener Arten die Unfruchtbarkeit behauptet, und mit eben so viel Unrecht. Allerdings sind in d e r R e g e l die Blendlinge, welche Rassen und Abarten einer und derselben Art bei wechselseitiger Vermischung erzeugt haben, sehr fruchtbar, und häufig steigern solche Kreuzungen sogar die Fruchtbarkeit bedeutend; allein auch hier ist der Grad der Fruchtbarkeit der Blendlinge oft vollkommen unabhängig von dem Grade der systematischen Verwandtschaft. In vielen Fällen sind die Blendlinge, welche durch Kreuzung zweier weit verschiedenen Rassen entstanden sind, sehr fruchtbar; und in anderen Fällen zeigen umgekehrt die Blendlinge, welche aus der Paarung von zwei nah verwandten Rassen hervorgegangen sind, einen sehr geringen Grad von Fuchtbarkeit; dieser letztere kann sogar gänzlich auf Null herabsinken. Denn es giebt Blendlinge, welche von zwei nahe verwandten Rassen einer und derselben Species abstammen, und dennoch sich niemals als solche fortzupflanzen vermögen. So kennen wir ζ. B. eine Blendlingsform von zwei verschiedenen Hunde-Rassen, welche constant unfruchtbar ist, und ebenso werden mehrere Blendlinge von verschiedenen Rinder-Rassen angegeben, die sich durch beständige Unfruchtbarkeit auszeichnen. Gleiche Beispiele von Unfruchtbarkeit einer pflanzlichen Blendlingsform, die nach1) Eines der auffallendsten neueren Beispiele liefern die berühmten Hasen-Kaninchen, Bastarde von männlichen Hasen und weiblichen Kaninchen, welche seit 1850 in Frankreich gezüchtet werden und nun in unveränderter Form und Fruchtbarkeit bereits mehr als hundert Generationen zurückgelegt haben. Hasen und Kaninchen sind zwei, in jeder Beziehung so verschiedene Arten der Gattung Lepus, dass es noch Niemandem eingefallen ist, sie für Rassen oder Abarten einer Species zu halten.
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Entwickelungegeschichte der Arten oder Speciee.
gewiesener Maassen aus zwei divergenten Rassen einer gemeinsamen Stammart entsprungen ist, haben auch schon mehrere Gärtner angeführt. Es geht also schon aus den bisherigen Erfahrungen, obwohl dieselben keinesweges zahlreich sind, mit Sicherheit hervor, dass auch hinsichtlich der Fähigkeit zur Bastarderzeugung, sowie der Fruchtbarkeit der so erzeugten Bastarde selbst, S p e c i e s u n d V a r i e t ä t e n n i c h t d u r c h g r e i f e n d v e r s c h i e d e n sind. Wie es einerseits sicher constatirte Fälle giebt, in denen nicht allein zwei allgemein als verschiedene Species anerkannte Formen unter sich Bastarde erzeugen, sondern auch diese Bastarde unter sich eine fruchtbare Nachkommenschaft Generationen hindurch erzeugt haben, so kennen wir andererseits eben so unzweifelhafte Fälle, in denen zwei verschiedene Varietäten oder Rassen, die nachweisbar aus einer und derselben SpeciesForm hervorgegangen sind, im Laufe von Generationen durch immer weiter gehende Divergenz des Charakters die Fähigkeit, mit einander Nachkommen zu erzeugen, vollständig eingebiisst haben. Mit anderen Worten: e s b e s t e h t k e i n a b s o l u t e r U n t e r s c h i e d z w i s c h e n den Bastarden (Hybridi) z w e i e r v e r s c h i e d e n e r Arten, und den B l e n d l i n g e n (Spurii) z w e i e r v e r s c h i e d e n e r U n terarten, Rassen oder Varietäten. Die physiologischen Verhältnisse ihrer Fortpflanzungsfähigkeit sind nur quantitativ, nicht qualitativ verschieden. Hieraus ergiebt sich die vollkommene Werthlosigkeit aller der vielen Versuche, die von früheren Systematikern gemacht worden sind, und die auch jetzt noch so vielfach wiederholt werden, die Species als die Summe aller Formen (Varietäten, Rassen etc.) zu umschreiben , welche unter sich fruchtbare Nachkommen erzeugen können. Bei dem grossen Gewicht aber, welches mit vollem Unrecht noch immer auf diesen Punkt gelegt wird, ist es interessant, noch nachträglich hervorzuheben, dass gerade zwei von den bedeutendsten Naturforschern die sich am meisten mit dem Species - Begriff beschäftigt haben, nämlich der Schöpfer desselben, L i n n ö , und der exclusivste Vertheidiger seiner absoluten Immutabilität, A g a s s i z , auf die oben besprochene Fähigkeit, fruchtbare Bastarde zu erzeugen, bei der Umschreibung der Art n i c h t d e n m i n d e s t e n W e r t h gelegt haben. L i n n £ gestand späterhin, im Widerspruch mit seiner früheren Definition, nicht allein verschiedenen Species die Fähigkeit zu, mit einander fruchtbare Bastarde zu erzeugen, sondern er spricht sogar die oft von ihm gehegte Vermuthung aus, dass im Anfang von jedem Genus nur eine einzige Species geschaffen worden sei, aus der die übrigen durch Bastardbildung hervorgegangen seien 1 ). A g a s s i z weist sehr richtig i ) „Omnes species ejusdem generis ab initio u n a r n constituerint speciem, sed postea
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nach, dass die Versuche, die Species auf jenes Verhältniss zu basiren, auf einem vollständigen Irrthum, und zum mindesten auf einer petitio principii beruhen (Essay on classification, p. 250). Nach seiner Ansicht ist die fruchtbare geschlechtliche Vermischung zweier Individuen nur ein Ausdruck der innigen Beziehungen zwischen denselben, und nicht die Ursache ihrer Identität in auf einander folgenden Generationen. A g a s s i z weicht dann noch sehr viel weiter dadurch von den gewöhnlichen Vorstellungen der Species - Dogmatiker ab, dass er nicht alle Individuen einer Species als Descendenten eines Stammes betrachtet, sondern vielmehr zahlreiche Individuen von jeder Species an verschiedenen Stellen der Erde gleichzeitig geschaffen sein lässt. Die gewöhnliche Vorstellung, dass der Species - Begriff von der Generationssphäre abhängig sei, dass alle Individuen einer Species durch genealogische Bande verknüpft seien, ist nach A g a s si z' s Ansicht ein Irrthum, der in der Kindheit der Wissenschaft eingeführt sei, und von dem es eine absurde Prätension sei, ihn noch jetzt festzuhalten. Gewiss können wir für unsere Ueberzeugung, dass die physiologischen Kriterien des Hybridismus in keiner Weise den Begriff der Species sicher zu stellen vermögen, kein vollgültigeres AutoritätsZeugniss beibringen, als dasjenige von A g a s s i z , welcher seinerseits die absolute Individualität und Immutabilität der Species mit allen Kräften zu vertheidigen sucht, und dennoch jene Argumente dafür vollständig verwirft. Wir heben dies hier noch ausdrücklich hervor, weil seltsamer Weise einer der geistvollsten Vertheidiger der Descendenz-Theorie, vor dessen wissenschaftlichen Leistungen wir die grösste Hochachtung hegen, H u x l e y nämlich, in neuester Zeit wiederholt die physiologischen Verhältnisse des Hybridismus der Species und Varietäten als den einzigen schwachen und angriffsfähigen Punkt der Abstammungslehre bezeichnet hat. Da die Gegner der letzteren hierin ein gewichtiges Zugeständniss für die Schwäche derselben gefunden haben, so müssen wir diesen Punkt hier noch besonders erledigen. In seinen vortrefflichen „Zeugnissen für die Stellung des Menschen in der Natur", in welchen H u x l e y die Descendenz-Theorie warm vertheidigt, bemerkt derselbe: „Trotz alledem muss unsere Annahme der D a r w i n s c h e n Theorie so lange nur provisorisch sein, als ein Glied in der Beweiskette noch fehlt; und so lange alle Thiere und Pflanzen, die sicher durch Zuchtwahl von einem gemeinsamen Stamme entstanden sind, fruchtbar sind, und ihre Nachkommen unter einander, so lange fehlt jenes Glied. Denn für so lange kann nicht beper generationes bybridas propagatae sint*' ( L i n n e , 6ten Band der Amoenitates academicae).
„fundameutum fructificationis" im
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Entwickelungsgeschichte der Arten oder Species.
wiesen werden, dass die Zuchtwahl Alles das leistet, was zur Erzeugung natürlicher Arten nöthig ist." Wir bemerken gegen diesen Einwurf H u x l e y ' s Zweierlei: Erstens erinnern wir an die oben bereits angeführten sicheren Thatsachen, dass zwei verschiedene Formen (Rassen oder Varietäten), welche „sicher durch Zuchtwahl von einem gemeinsamen Stamme entstanden sind", keine fruchtbare Verbindung mit einander eingehen. Die Hauskatze von Paraguay paart sich nicht mehr mit ihrem europäischen Stammvater. Das europäische Meerschweinchen geht keine fruchtbare Verbindung mehr mit seiner brasilianischen Stammform ein. Wir erinnern ferner daran, dass bei vielen Hausthier-Rassen, welche nachweisbar von einer und derselben Stammform abzuleiten sind, eine fruchtbare Begattung schon wegen der sehr verschiedenen Grösse der Genitalien ganz unmöglich ist. Der Pony von Shetland, welcher nur die Grösse eines starken Hundes hat, kann sich nicht mit dem Riesenpferde der Londoner Brauer verbinden, welches fast dreimal so hoch und lang ist, und vielleicht das zehnfache Volum besitzt. Ebenso wenig ist eine Begattung zwischen dem grossen Neufundländer Hunde und dem zwerghaften Carls-Hündchen möglich. Wir erinnern ferner an die zahlreichen, v ö l l i g u n f r u c h t b a r e n E h e n d e s M e n s c h e n g e s c h l e c h t s . Wird man desshalb Mann und Weib einer solchen Ehe als z w e i v e r s c h i e d e n e S p e c i e s ansehen wollen? Man wird uns vielleicht entgegnen, dass in diesen Fällen m e c h a n i s c h e (d.h. physikalische oder chemische) Hindernisse der fruchtbaren Begattung vorhanden seien. Allein sind die Hindernisse, welche die Unfruchtbarkeit in den meisten Fällen von Begattung verschiedener Species bedingen, etwa n i c h t m e c h a n i s c h e r Xatur? Bei Betrachtung dieser, wie vieler ähnlichen Verhältnisse, haben sich die Morphologen noch nicht gewöhnt, die mystische Vitalismus-Brille abzulegen, durch welche sie früher alle physiologischen Erscheinungen, und besonders diejenigen der Fortpflanzung zu betrachten gewohnt waren. Wir bemerken daher nochmals ausdrücklich, dass die Phänomene des Hybridismus sämmtlich einfache Theilerscheinungen der Fortpflanzungs-Functionen, und als solche durch mechanische, physikalisch-chemische Ursachen mit Nothwendigkeit bedingt sind. Insbesondere die Abhängigkeit der Fortpflanzungs-Erscheinungen von den Ernährungs-Functionen ist hierbei gehörig zu berücksichtigen. Wir erinnern bloss daran, dass, wie D a r w i n mit Recht besonders hervorgehoben hat, oft die einfachsten Veränderungen in der Lebensweise, und speciell in der Ernährung, ausreichend sind, um die Fruchtbarkeit, und oft selbst den Geschleehtstrieb zu vermindern, und endlich selbst ganz zu vernichten. Dies beweisen ζ. B. schon die Papageyeji, Affen, Bären, Elephanten und viele andere Thiere, welche sich in
TTT.
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der Gefangenschaft entweder niemals oder nur höchst selten fortpflanzen. Was nun aber zweitens den hohen Werth betrifft, den H u x l e y den Erscheinungen des Hybridismus gegenüber der Descendenz-Theorie beilegt, so können wir ihnen diesen nicht zugestehen. Selbst wenn die angeführten Thatsachen, die hiergegen sprechen, nicht bekannt •wären, würden wir ihnen, gegenüber der ungeheuren Beweiskraft aller übrigen organischen Erscheinungs-Reihen zu Gunsten der Abstammungslehre, n i c h t den g e r i n g s t e n W e r t h beilegen. Uebrigens giebt auch H u x l e y selbst weiterhin zu, „ d a s s d i e Z u s t ä n d e d e r F r u c h t b a r k e i t und U n f r u c h t b a r k e i t sehr f a l s c h v e r s t a n d e n w e r d e n , und dass der tägliche Fortschritt der Erkenntniss dieser Lücke in dem Beweis eine immer geringere Bedeutung beilegt, b e s o n d e r s v e r g l i c h e n m i t der M e n g e v o n T h a t s a c h e n , w e l c h e mit D a r w i n ' s L e h r e h a r m o n i r e n , o d e r v o n i h r a u s E r k l ä r u n g e r h a l t e n . " Diesem Ausspruche schliessen wir uns vollständig an, und bemerken nur noch, dass uns gegenwärtig bereits durch die angeführten thatsachen die von H u x l e y hervorgehobene „Lücke im Beweis" ganz befriedigend ausgefüllt zu sein scheint, und dass demnach die Erscheinungen des H y b r i d i s m u s , ebenso wie alle übrigen organischen Naturerscheinungen, n i c h t i m W i d e r s p r u c h , s o n d e r n im E i n k l a n g m i t d e r D e s c e n d e n z - T h e o r i e s t e h e n 1 ) . Endlich ist zu bemerken, dass die ganze Frage vom Hybridismus, abgesehen von allem bisher Angeführten, ihren kritischen Werth für die Begriffsbestimmung der Species vollständig einbüsst, sobald man sich erinnert, dass die D i f f e r e n z i r u n g d e r G e s c h l e c h t e r e r s t e i n s e h r s p ä t e r V e r v o l l k o m m n u n g s - A k t in derPhylogenie der Organismen ist, und dass es auch jetzt noch sehr zahlreiche niedere Organismen, vorzüglich Protisten (Rizopoden, Protoplasten, Diatomeen, Myxomyceten etc.) giebt, welche gleich allen ältesten Arten nur auf ungeschlechtlichem Wege sich fortpflanzen. Da hier die Differenzirung der Geschlechter fehlt, so kann auch kein Hybridismus stattfinden! Es ist sflso eben so wenig möglich, auf die physiologischen Functionen des Hybridismus eine allgemein befriedigende theoretische Definition des Species-Begriffes zu begründen, als es praktisch möglich ist, durch die „wesentlichen" morphologischen Charaktere die Art als solche zu erkennen. In keiner einzigen Beziehung ist die Species oder Art durchgreifend und absolut;, einerseits von der subordinirten Unterart, Rasse und Varietät, andererseits von der übergeordneten Untergattung und Gattung zu unterscheiden. l ) Wenngleich demnach die Hybridismus-Phänomene für die theoretische Begriffsbestimmung der Species ganz werthlos sind, so verdienen sie doch in anderer Hinsicht das sorgfaltigste Studium. da dieselben vielleicht eine (von der natürlichen Züchtung gänzlich verschiedene) Quelle der Entstehung neuer Arten bilden.
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Entwickelungsgeschichte der Arten oder Species.
IV. Der genealogische Begriff der Species. Wie alle anderen morphologischen Fragen, so kann auch die schwierige und verwickelte Species - Frage nur vom Standpunkte der E n t w i c k e l u n g s g e s c h i c h t e aus gelöst werden, wie es schon längst von den einsichtsvollsten Biologen, insbesondere B ä r und S c h l e i d e n , ausgesprochen worden ist. (Vergl. S. 331 und S. 6.) Dass die Species als absolute Individualität, als unveränderliche und constante Formeinheit, weder in der systematischen Praxis durch ihre morphologischen „wesentlichen Charaktere" unterschieden, noch als theoretischer Begriff durch ihre physiologischen Fortpflanzungs- Functionen festgestellt werden kann, haben wir im Vorhergehenden gezeigt. Es erübrigt also nur noch, festzustellen, welchen Werth die Entwickelungsgeschichte dem Species-Begriffe zuweist. Das Wichtigste hierbei ist, dass man gleichmässig die individuelle und die paläontologische Entwickelungsgeschichte, die Ontogenie und die Phylogenie berücksichtigt, und vorzüglich die gegenseitige Ergänzung dieser beiden Hauptzweige der Morphogenie benutzt. Wenn wir auf die zahlreichen verschiedenen Versuche, den Species - Begriff zu bestimmen, zurückblicken, so finden wir zwar meistens die Beziehungen zur Entwickelungsgeschichte nicht deutlich ausgesprochen, dennoch aber ist in vielen dieser Versuche eine Ahnung oder ein dunkles Gefühl von dem hohen Werthe jener Beziehungen nicht zu verkennen. Wir können dies sogar bereits in jener ältesten Definition der Species von L i n n e erkennen, welche für die Anschauungen seiner meisten Nachfolger maassgebend geblieben ist: „Species tot numeramus, quot diversae formae a principio sunt creatae." Die g e m e i n s a m e A b s t a m m u n g von einer einzigen gemeinsamen Stammform, welche hiernach alle unveränderlichen Glieder einer constanten Species verbindet, invohart zugleich die I d e n t i t ä t d e r E n t w i c k e l n n g aller Individuen, welche einer und derselben Art angehören. Dasjenige Band, welches alle Individuen einer Species hiernach zusammenhält, ist das genealogische Princip der Blutsverwandtschaft. Die grosse Geltung, welche sich diese theoretische, nicht unmittelbar durch die Beobachtung empirisch zu begründende Definition der Species nach L i n n 6 erwarb, ist besonders darin zu suchen, dass dieselbe eine sehr wichtige wahre Vorstellung mit einer sehr einflussreich gewordenen falschen verbindet. Richtig ist die in jenem Satze liegende Behauptung, dass die Formen-Aehnlichkeit oder „Verwandtschaft", welche alle Individuen einer Species verbindet, auf ihrer gemeinsamen Abstammung von einer gemeinschaftlichen Stammform beruht. Un-
IV.
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richtig dagegen ist die damit verknüpfte Behauptung, dass die Stammformen der verschiedenen Species ursprünglich verschiedene und unabhängig von einander erschaffen sind. Sowohl bei L i n n έ , als bei C u v i e r , der dieser Ansicht die ausgedehnteste Geltung verschaffte, und ebenso bei den meisten ihrer Nachfolger, war hierbei offenbar die Autorität der herrschenden, durch religiöse Dogmen schon in frühester Kindheit befestigten, und auf angebliche Offenbarungen begründeten Schöpfungs-Mythen vom grössten Einfluss. Indem man von diesen sich mehr oder minder unbewusst leiten liess, nahm man an, dass von jeder Species ursprünglich entweder ein einziges hermaphroditisches Individuum, oder ein einziges gonochoristisches Paar „erschaffen" worden sei, und dass alle anderen Individuen der Species von diesen abstammen 1 ). Dass dieses Dogma von der ursprünglichen Erschaffung einer besonderen Stammform für jede Species völlig unbegründet ist, dass vielmehr diese angeblichen Ur-Individuen oder Ur-Eltern der Species selbst wieder durch das Band der Blutsverwandtschaft zusammenhängen, ist bereits im neunzehnten Capitel bewiesen worden. Die Betrachtung jener genealogischen Species-Definition von L i n n 6 , C u v i e r und ihrer Schule ist aber desshalb von besonderem Interesse, weil sie zeigt, welchen hohen Werth dieselben der g e m e i n s a m e n A b s t a m m u n g als der w i r k e n d e n U r s a c h e d e r F o r m e n - A e h n l i c h k e i t „ v e r w a n d t e r " O r g a n i s m e n zuschrieben. Obgleich die verschiedenen Unterarten, Rassen und Varietäten, welche sie zu einer einzigen Species rechneten, oft noch mehr als zwei ganz verschiedene Arten in ihren Charakteren divergirten, haben sie dennoch ohne Weiteres gemeinsame Abstammung für dieselben angenommen. Und doch haben diese Systematiker, welche behaupten, dass sämmtliche in den Formenkreis der Art fallende Individuen entweder von gemeinsamen oder von identischen Stamm - Eltern abstammen, während die verschiedenen (obschon nahe verwandten) Arten ebenso verschiedene Stamm-Eltern haben sollen — doch haben alle Urheber und Anhänger dieser fast allgemein herrschenden Vorstellung niemals einen directen empirischen Beweis für diese Behauptung vorzubringen vermocht, niemals eine stärkere und überzeugendere Analogie dafür anzuführen gewusst, als es die Anhänger der von ihnen bekämpften Trantasmutionslehre für ihre l ) Unter den verschiedenen Modificatiouen. welche dieser Schöpfungs - Mythus neuerdings erfahren hat, sind besonders diejenigen von A g a s s i ζ bomerkenswerth, welcher nicht ein einzelnes Individuum ocfer ein einzelnes Elternpaar von jeder Species ursprünglich erschaffen sein lässt, sondern annimmt, dass von jeder Art gleich eine grössere Anzahl vou Individuen und selbst an verschiedenen Stellen der Erdoberfläche anabhängig von einander Gruppen von Individuen derselben Art „erschaffen·· wurden. Aach glaubt derselbe, dass diese ursprünglich erschaffenen Individuen nicht a b reife Species - Formen, sondern als „Eier" erschaffen worden seieu.
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analoge und nur weiter gehende Behauptung vermocht haben, dass die verschiedenen Arten von gemeinsamen Stammformen abzuleiten sind. Der Beweis für die von den Anhängern des Species-Dogma's aufgestellte Behauptung, dass die ursprünglichen Stammformen der verschiedenen Species verschiedene, und nicht dieselben seien, ist niemals geführt worden und kann niemals geführt werden. Für die wilden Thiere und Pflanzen im Naturzustand ist die Beweisführung hierfür rein unmöglich; für die domesticirten Formen fehlt den Vertheidigern der SpeciesConstanz selbst jeder Anhaltspunkt zur Feststellung der Species; sollte aber experimentell die Frage entschieden werden, so würde nur der Cirkelschluss, die Petitio principii offenbar werden, in welcher man sich bei jener Bestimmung beständig bewegt. Denn angenommen, man hält die Nachkommen eines einzigen Eltern - Paares oder mehrerer, nicht zu unterscheidender, fast absolut gleicher Eltern-Paare eine lange Reihe von Generationen hindurch in reiner Inzucht; man erzieht aus denselben, indem man sie gruppenweise unter sehr verschiedenen Lebensbedingungen erhält, mehrere verschiedene Spielarten; diese Spielarten entfernen sich allmählich, durch Divergenz des Charakters, weiter von einander, als es sonst verschiedene Species derselben Gattung thun; endlich befestigen sich diese tiefgreifenden Unterschiede durch eine lange Reihe von Generationen so sehr, dass ein Rückschlag in die gemeinsame Stammform nicht mehr stattfindet — dies Alles vorausgesetzt, wie es als möglich vorausgesetzt werden muss — werden die Anhänger des Dogma's von der Constanz der Art dadurch überzeugt sein, dass aus einer Art mehrere entstanden sind? Nicht im Mindesten! Sie werden vielmehr sagen, dass diese verschiedenen Formenreihen, welche mit ihren tief durchgreifenden Differenzen sich unverändert fortpflanzen, und thatsächlich in allen Charakteren stärker, als sogenannte „gute Arten" divergiren, doch nur Varietäten oder Rassen einer und derselben Art seien, w e i l sie eben von einem gemeinsamen Eltern-Paare abstammen. Einerseits also definirt man die Species als den Inbegriff aller derjenigen, wenn auch noch so verschiedenen Individuen, die von einer und derselben Stammform entsprungen sind, und rechnet also zu einer einzigen Art eine Anzahl von ganz verschiedenen Formen bloss desshalb, w e i l ihre Abstammung von einer gemeinsamen Stammform erwiesen ist. Andrerseits setzt man für eine Anzahl höchst ähnlicher Individuen gemeinsame Abstammung voraus, w e i l man sie wegen ihrer Aehnlichkeit zu einer Art rechnet. Schon aus diesem Widerspruch geht hervor, dass sich die Species auf d i e s e m genealogischen Wege, durch das Merkmal der gemeinsamen Abstammung, weder in der systematischen Praxis unterscheiden , noch als theoretischer Begriff fixiren lässt. Vielmehr würden
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wir in letzterer Beziehung zu der Ueberzeugung gelangen, dass die Species nicht von dem Stamme oder Phylon verschieden ist, für dessen sämmtliche Glieder wir nach der Descendenz - Theorie gemeinsame Abstammung postuliren müssen. Wir würden also dadurch zur Annahme der Identität der genealogischen Individualität zweiter und dritter Ordnung, der Species und des Phylon geführt werden. In der That findet aber diese Identität nicht statt. Vielmehr lässt sich der Begriff der Species als einer genealogischen Individualität, welche der höheren Individualität des Phylon untergeordnet ist, eben so wohl theoretisch feststellen, als es praktisch nothwendig und möglich ist, Species zu unterscheiden und zu benennen. Wir glauben, jene genealogische Begriffsbestimmung der Species in folgendem Satze formuliren zu können: „Die S p e c i e s o d e r o r g a n i s c h e A r t i s t die G e sammtheit aller Z e u g u n g s k r e i s e , welche unter gleichen E x i s t e n z b e d i n g u n g e n gleiche Formen besitzen." Die Species ist hiernach ebenso eine Vielheit von Zeugungskreisen. wie das Phylon eine Vielheit von Species ist. Diese Beziehung der Species zum Generationscyclus oder Zeugungs-Kreise ist bisher noch nicht bestimmt erkannt worden. Zwar haben einige Autoren einen Theil der Zeugungskreise, nämlich die amphigenen Eikreise oder Eiproducte (p. 83, 87) als „Art-Individualität", oder als „systematisches" oder Species-Individuum bezeichnet, und die Summe aller gleichen Zeugungskreise als Species. Indessen ist hierbei bloss der amphigene und nicht cler monogene Theil der Zeugungskreise in Betracht gezogen. Ferner ist nicht der Umstand berücksichtigt, dass bei der grossen Mehrzahl aller Thiere schon der sexuelle Dimorphismus, und bei Manchen ausserdem noch ein weiter gehender Polymorphismus die vollständige Repräsentation der Arten-Formen durch ein einziges Eiproduct unmöglich macht. Dann aber, und dieser Umstand ist noch viel wichtiger, ist bei der obigen Aufstellung der Formen-Kreis der Species als ein begrenzter angenommen, während er doch in Wirklichkeit wegen der allen Species eigenen unbegrenzten Variabilität sich unmöglich vollkommen scharf umschreiben lässt. Wenn daher auch in ersterer Beziehung wenigstens bei denjenigen hermaphroditischen Species, welche der Selbstbefruchtung fähig sind (wie die meisten Phanerogamen, aber nur eine verhältnissmässig geringe Anzahl von Thieren), jedes einzelne Eiproduct vollkommen den gesammten Formenkreis der Species repräsentiren könnte, so wird diese Möglichkeit durch den zweiten Umstand, durch die grenzenlose Variabilität aller Species, vollkommen, wieder aufgehoben. Um daher unsere genealogische Definition der Species als der Summe aller gleichen Zeugungskreise als allgemein gültig hinstellen zu können, müssen wir zunächst hervorheben, dass sowohl die monoHaeckel,
Generell» M o r p h o l e p , Π.
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genen als die amphigenen Zeugungskreise hierbei in Betracht kommen. D i e g e s c h l e c h t s l o s e S p e c i e s i s t die S u m m e a l l e r g l e i c h e u Spaltungskreise. Die sexuell differenzirte Species dageg e n i s t die S u m m e a l l e r g l e i c h e n E i k r e i s e (S. 82 f. f.). Zweitens müssen wir die m o n o m o r p h e n u n d d i e p o l y m o r p h e n Z e u g u n g s k r e i s e unterscheiden. Drittens müssen wir von der V a r i a b i l i t ä t d e r Z e u g u n g s k r e i s e dabei absehen, und die äusseren Existenzbedingungen, die Anpassungsverhältnisse, deren Wechsel in Verbindung mit der Variabilität neue Species erzeugt , als constant und sich gleich bleibend voraussetzen. Denn wenn wir die Veränderungen der Existenz-Bedingungen und die davon abhängigen Veränderungen der Species selbst verfolgen, wenn wir die Species als historisch entwickeltes Wesen vom paläontologischen Gesichtspunkte aus betrachten, so finden wir, dass die Species ein untrennbares Glied des Genus ist, gleichwie das Genus nur ein subordinates Glied der Familie, diese ein Glied der Ordnung, die Ordnung ein Glied der Klasse, und die Klasse endlich ein abhängiges Glied des Stammes ist. Die Bedeutung der Species von diesem Gesichtspunkte aus, als Glied des Stammes, und als Kategorie des systematischen Stammbaums, haben wir noch im nächsten Abschnitte zu erörtern. Als die nächste Aufgabe bleibt uns daher hier die Betrachtung des P o l y m o r p h i s m u s d e r Z e u g u n g s k r e i s e übrig, welcher bei den bisherigen Species-Definitionen entweder gar nicht oder doch nicht gehörig berücksichtigt worden ist. Es scheint aber, wenn unsere genealogische Definition der Species erschöpfend sein soll, unerlässlich, auch die durch den Polymorphismus adelphischer oder geschwisterlicher Zeugungskreise bedingten Form - Differenzen mit in die Bestimmung aufzunehmen. Wir können in dieser Beziehung zunächst monomorphe und polymorphe, und unter den letzteren wiederum dimorphe, trimorphe Species etc. unterscheiden. M o n o m o r p h e S p e c i e s oder einförmige Arten nennen wir diejenigen, bei welchen sämmtliche adelphische Zeugungskreise gleich oder doch nahezu gleich sind. Dies ist der Fall bei allen Spaltungskreisen oder esexuellen (monogenetischen) Zeugungskreisen; bei denen alle Bionten der Species durch ungeschlechtliche Zeugung entstehen (Cycli amphigenes). Ferner gehören hierher alle Eikreise oder sexuellen (amphigenetischen) Zeugungskreise, welche nur hermaphroditische Bionten produciren, also die allermeisten Pflanzen (nur die dioecischen ausgenommen), ferner eine geringe Anzahl von Thieren (die hermaphroditischen Infusorien, Würmer, Mollusken etc.). Bei allen diesen Organismen sind sämmtliche Zeugungskreise, welche einer Species angehören, unter gleichen äusseren Existenz - Bedingungen einander gleich. J e d e r C y c l u s g e n e r a t i o n i s i s t h i e r d e r v o l l s t ä n dige R e p r ä s e n t a n t seiner Species.
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P o l y m o r p h e S p e c i e s dagegen, oder vielförmige Arten, nennen wir diejenigen, welche aus mehreren verschiedenen, mindestens zwei verschieden geformten Zeugungskreisen zusammengesetzt sind. Hierher gehören alle Species mit Eikreisen oder sexuellen (amphigenetischen) Zeugungskreisen, welche gonochoristische Bionten produciren, also die allermeisten Thiere und die dioecischen Pflanzen. H i e r i s t n i e m a l s ein e i n z e l n e r Cyclus g e n e r a t i o n i s der v o l l s t ä n dige R e p r ä s e n t a n t seiner Species. In den allermeisten Fällen ist bei diesen Arten der Polymorphismus der Eikreise oder Eiproducte zunächst durch die Yertheilung der beiderlei Geschlechtsorgane auf zwei verschiedene physiologische Individuen bedingt. Dieser s e x u e l l e D i m o r p h i s m u s findet sich weit häufiger bei den Thieren als bei den Pflanzen, und dieser Umstand steht offenbar in inniger Beziehung zu der weiteren physiologischen Arbeitstheilung, welche im Allgemeinen die Thiere vor den Pflanzen auszeichnet. Auch der Umstand, dass die meisten Pflanzenstöcke zeitlebens festsitzen, während die meisten Thiere sich frei bewegen, wird zu der weit häufigeren Ausbildung des Gonochorismus der Bionten bei den Thieren Veranlassung gegeben haben. Denn durch die freie Beweglichkeit ist den beiden Geschlechtern der Thiere, auch bei vollständiger Yertheilung der beiderlei Zeugungsorgane auf verschiedene Bionten, reiche Gelegenheit zur Vereinigung gegeben, während die Vereinigung der männlichen und weiblichen Geschlechtsproducte, welche für die eigentliche sexuelle Fortpflanzung stets unerlässlich ist, bei den räumlich getrennten und festsitzenden dioecischen Pflanzen in weit höherem Grade dem Zufall überlassen bleibt. Die Differenz in der Bildung der beiderlei Personen oder der Grad des sexuellen Dimorphismus ist bei den verschiedenen dimorphen Species ausserordentlich verschieden entwickelt In sehr vielen Fällen ist es lediglich die verschiedene Beschaffenheit der Geschlechtsproducte, welche die beiden Zeugungskreise unterscheidet. Abgesehen davon, dass die Geschlechtszellen sich bei den Weibchen zu Eiern umbilden, während sie bei den Männchen Zoospermien entwickeln, sind beide Generations-Cyclen hier in Grösse, Körperform und Structur völlig gleich, so bei den meisten im Wasser lebenden Thieren, den Anthozoen, Echinodermen, sehr vielen Mollusken, Crustaceen, Fischen etc. Auch bei den meisten dioecischen Pflanzen ist dies der Fall. Insbesondere beschränkt sich meistens auch hierauf der Geschlechtsunterschied der gonochoristischen Cormen, wo die beiderlei Geschlechtsproducte nicht allein auf verschiedene Personen, sondern auch auf verschiedene Stöcke vertheilt sind, wie bei den dioecischen Bäumen, Anthozoen - Colonieen etc. Das Zusammentreffen der beiderlei Zeugungsstoffe bleibt in diesen Fällen, da eine eigentliche Begattung nicht
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Entwickelungsgeschichte der Arten oder Species.
stattfindet, dem zufälligen Transporte durch die Bewegung des Mediums überlassen, in dem das Thier oder die Pflanze lebt. Eine weitere Ausbildung des sexuellen Dimorphismus tritt bei den gonochoristen Zeugungskreisen dann ein, wenn die Vereinigung der beiderlei Genitalproducte mit einer unmittelbaren Vereinigung der beiderlei sexuellen Bionten, mit Begattung verbunden ist. E s bilden sich dann mehr oder minder complicirte Begattungsapparate aus, welche sich über einen engeren oder weiteren Umkreis der Genitalstätten erstrecken und oft schon äusserlich die beiden Geschlechter unterscheiden lassen. Sehr viel auffallender und folgenreicher gestaltet sich aber der sexuelle Dimorphismus durch Ausbildung der secundären Geschlechtsdifferenzen, durch die verschiedenartige sexuelle Differenzirung von Körpertheilen, welche zunächst an und für sich bei dem Fortpflanzungs - Geschäfte nicht unmittelbar betheiligt sind. Es entstehen dann die oft so sehr auffallenden Unterschiede der beiden Geschlechter in Grösse, F o r m , Färbung, Entwickelung einzelner Theile und Organe, welche vorzugsweise bei den höher stehenden Thieren sich allgemein vorfinden, und Mann und Weib so auffallend unterscheiden. Mit der Form-Differenzirung der beiden Geschlechts-Personen ist dann auch eine weiter gehende Arbeitstheilung in ihren Functionen verbunden, eine Erscheinung, die bei den Säugethieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien, Insecten nach ungemein verschiedenartigen Richtungen hin sich entwickelt. Meist ist es hier das Weibchen, seltener das Männchen, welchem vorzugsweise die Sorge für die Nachkommenschaft anheimfällt, während das andere Geschlecht für Ernährung, Beschützung der Familie u. s. w. sorgt. Bei den Pflanzen sind diese secundären Geschlechtsdifferenzen ungleich seltener und in viel geringerem Grade als bei den Thieren entwickelt. Die von D a r w i n in so geistreicher Weise hervorgehobene sexuelle Zuchtwahl, welche sicher bei der Bildung der secundären Geschlechtseigenthümlichkeiten der Thiere eine hervorragende Rolle spielt, fällt hier bei den Pflanzen natürlich fort, ebenso die stark einwirkende Sorge für die Nachkommenschaft, die N e o m e l i e , welche sicher bei vielen Thieren die nächste Ursache zur Entwickelung besonderer secundärer Geschlechtseigenthümlichkeiten ist. Unter den Pflanzen ist es schon eine seltene Ausnahme, wenn die sexuelle Arbeitstheilung so weit geht, wie ζ. B. bei Vallimeria. Der höchste Grad der sexuellen Differenzirung findet sich jedoch nicht bei den Wirbelthieren vor, obwohl hier die Leistungen der beiden Geschlechter in der Oeconomie etc. der Species am weitesten aus einander gehen, sondern bei einer geringen Anzahl von niederen Thieren, bei denen offenbar eigenthümliche specielle Verhältnisse in der Lebensweise etc. in ausserordentlichem Maasse umbildend auf die Form
IV. Der genealogische Begriff der Species.
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der beiden Geschlechter gewirkt haben. Hier sinkt die eine- der beiden Personen, und zwar meistens das Männchen, fast zum blossen Werth eines Geschlechtsorgans herab. Dies ist der Fall bei den einen Hectocotylus producirenden Männchen der Philonexiden unter den Cephalopoden, bei den gänzlich verkümmerten Männchen vieler Rotatorien, vieler Crustaceen, insbesondere aus den Ordnungen der Cirripedien, der parasitischen Copepoden etc. Bei allen diesen gonochoristen Species wird der vollständige Formenkreis der Art nicht durch ein einziges monomorphes Eiproduct, sondern durch die Summe von zwei verschiedenen, dimorphen Eiproducten gebildet, da ja jedes der beiden Geschlechter einem besonderen Eie seine Entstehung verdankt. So wesentlich nun auch dieser Umstand die gonochoristischen Zeugungskreise von den hermaphroditischen zu trennen scheint, so verliert doch diese Differenz viel von ihrem Gewicht, sobald man sich erinnert, dass die Verschiedenheit der beiderlei Eiproducte, der männlichen und weiblichen, nicht in einer ursprünglichen Verschiedenheit der Eier begründet ist, sondern in der Wirkung bestimmter Einflüsse, welche die reifen Eier vor ihrer Entwickelung betreffen. Bei den Bienen liefert ein und dasselbe Ei, wenn es von den Zoospermien befruchtet wird, ein weibliches, wenn es nicht befruchtet wird, ein männliches Eiproduct. Bei den höheren Thieren scheint vielfach der verschiedene Entwickelungsgrad, den das Ei im Moment der Befruchtung erreicht hat, dafür entscheidend zu sein, ob aus demselben ein Männchen oder ein Weibchen wird. Wenigstens sollen bei den Wiederkäuern nach T h u r y ' s Behauptung diejenigen Eier, welche im Anfange der (mit der Loslösung der reifen Eier verbundenen) Brunst befruchtet werden, Weibchen, diejenigen dagegen, welche später, am Ende der Brunst befruchtet werden, Männchen liefern. Wie wenig zahlreich unsere Erfahrungen auf diesem Gebiete auch sind, so scheint doch soviel daraus hervorzugehen, dass die Differenz der beiden Geschlechter nicht durch eine ursprüngliche Verschiedenheit der Eier bedingt ist, sondern vielmehr von den Umständen abhängt, unter denen das Ei befruchtet wird. Je nach den verschiedenen Umständen der Befruchtung kann ein und dasselbe Ei sich entweder zu einem weiblichen oder zu einem männlichen Embryo gestalten. Für die Beurtheiliing des sexuellen Dimorphismus der gonochoristen Zeugungskreise ist dieser Umstand sehr wichtig, denn es geht daraus hervor, dass die beiden verschiedenen Eiproducte, welche bei diesen Organismen die Species repräsentiren. lediglich als Differenzirungs-Resultate eines und desselben Eikörpers anzusehen sind, bedingt durch die verschiedenen Umstände "seiner Befruchtung. Während der Dimorphismus der Species, welcher durch die sexuelle Differenzirung der Zeugungskreise bedingt ist, im Thierreich so
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Entwickelungegeschichte der Arten oder Species.
ausserordentlich weit verbreitet und wichtig, im Pflanzenreiche seltener ist, so gehören dagegen diejenigen Fälle, in denen die Species durch m e h r a l s z w e i verschiedene polymorphe Eiproducte repräsentirt wird, zu den grossen Seltenheiten. Am ausgiebigsten entwickelt ist dieser mehrfache Polymorphismus der Eiproducte unter denjenigen Insecten, welche in Beziehung auf psychische Entwickelung die höchste Stufe unter den Gliederthieren einnehmen, insbesondere bei den Hymenopteren in den merkwürdigen Staaten der Ameisen, Bienen etc. Gewöhnlich sind es hier d r e i , selten v i e r oder sogar f ü n f verschiedene Eiproducte, welche die Species zusammensetzen. Der T r i m o r p h i s m u s der Bienen und vieler Ameisen beruht darauf, dass die Weibchen nur theilweise geschlechtsreif werden, während der andere Theil derselben, deren Genitalien sich nicht entwickeln, sich zu Arbeitern umgestaltet , so dass also die Species sich hier aus einem männlichen und zwei verschiedenen weiblichen Eiproducten zusammensetzt Von dem T e t r a m o r p h i s m u s , der bei den Termiten, Ameisen und einigen anderen Hymenopteren sich findet, ist es noch zweifelhaft, ob die beiden sogenannten „geschlechtslosen" Formen, die Arbeiter und die Soldaten, welche neben den entwickelten Männchen und Weibchen den Staat zusammensetzen, wirklich immer, gleich den letzteren, selbstständige Eiproducte sind, oder ob nicht mindestens die Soldaten in vielen Fällen bloss Larven von Sexualformen sind. Bei vielen Ameisen ist sicher das erstere der Fall, und namentlich bei den Gattungen Ecilon und Cryptocervs ist jede Species wirklich aus vier verschiedenen Eiproducten zusammengesetzt, aus geflügelten Männchen und Weibchen, und zwei verschiedenen Classen von Arbeitern, grossköpfigen und kleinköpfigen. Bei den blättertragenden Ameisen oder Sauben, (Oecodoma ccpfialoles) finden sich sogar fünf verschiedene Formen von Zeugungskreisen in einer und derselben Species vor, indem neben den geflügelten Männchen und Weibchen hier nicht weniger als drei verschiedene Arten von geschlechtslosen Arbeitern sich finden: kleine Arbeiter, grosse Arbeiter und unterirdische Arbeiter. Hier liegt also wirklicher P e n t a m o r p h i s m u s der Species vor 1 ). Man stellt diese polymorphen Thierstaaten der Insecten gewöhnlich mit den polymorphen Thiercolonieen der Siphonophoren etc. zusammen. Der wesentliche Unterschied Beider liegt aber darin, dass die polymorphen constituirenden Individuen der Gesammtheit im letzteren Falle ungeschlechtlich erzeugte morphologische Individuen fünfter Ord1) Ycrgl. über den Polymorphismus der Insecten nod der Ameisen insbesondere die interessanten Angaben von Η e n r y W a l t e r B a t e s in seinem Heisewerke: Der Naturforscher am Amazonen - Strom (1866); einem Werke, welches reich an sehr werthvollen oecologischen Beobachtungen und besonders an wichtigen speciellen Beiträgen flir die Desceadenz - Theorie ist.
V.
Gute und schlechte Species.
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nirog (Personen) sind, welche die concrete Form des Stockes, also ein physiologisches Individuum sechster Ordnung zusammensetzen; während sie im ersteren Falle geschlechtlich erzeugte Personen sind, welche als selbstständige physiologische Individuen (Bionten) ein genealogisches Individuum erster Ordnung, den polymorphen Eikreis in der abstracten Form des Thierstaates zusammensetzen. Der differenzirte Thierstaat ist also nichts Anderes als die specifische Einheit von mehreren polymorphen Bionten in einem amphigenen Generations-Cyclus. Aus diesen Erläuterungen wird zur Genüge hervorgehen, dass der Polymorphismus der Zeugungskreise bei der Bestimmung der polymorphen Species wohl zu berücksichtigen ist, und dass demnach unsere Definition der S p e c i e s als der g e n e a l o g i s c h e n I n d i v i d u a l i t ä t z w e i t e r O r d n u n g die oben gegebene Fassung erhalten muss: „ D i e Species ist die G e s a m m t h e i t a l l e r Z e u g u n g s k r e i s e , w e l c h e unter g l e i c h e n Existenzbedingungen gleiche F o r m bes i t z e n , und s i c h höchstens d u r c h den P o l y m o r p h i s m u s adelphischer Bionten unterscheiden."
V.
Gute und schlechte Species.
„Gute und schlechte Arten" bilden eine der gebräuchlichsten Unterscheidungen in der systematischen Praxis. Gleichwohl haben die meisten Systematiker gar keine klaren oder nur falsche Vorstellungen über den eigentlichen Werth dieser Unterscheidung, wesshalb wir hier ein paar Worte darüber beifügen wollen. „ G u t e A r t e n " werden gewöhnlich entweder solche Species genannt, deren meiste Charaktere innerhalb des kurzen Zeitraums, seit dem sie beobachtet sind, sich sehr wenig verändert haben, auch jetzt noch sehr wenig variiren und sich desshalb scharf umschreiben lassen; oder solche Arten, deren verbindende und den Uebergang zu anderen A r t e a vermittelnde Zwischenformen uns unbekannt sind, und deren unterscheidende Charaktere daher scharf hervortreten. Je besser wir eine Species kennen, je grösser die Anzahl der dazu gehörigen Individuen ist, die wir haben untersuchen können und je weiter ihr geographischer Verbreitungsbezirk ist, insbesondere aber je verschiedenartiger ihre Existenzbedingungen an den verschiedenen Wohnorten sind, desto umfangreicher und desto mehr divergirend ist gewöhnlich der Varietätenbüschel dieser Art, desto zahlreicher sind die unmittelbaren Uebergänge zu verwandten Arten und in desto mehr verschiedene Formengruppen lässt sich diese eine Species spalten, Formengruppen, die von den einen Systematikern für Arten, von den andern bloss für Varietäten gehalten werden. Daher sind denn in der Regel die am wenigsten bekannten Species die „besten", und sie werden um so schlechter, je besser
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Entwickelungsgeschichte der Arten oder Species.
wir sie kennen lernen, je weiter wir die Divergenz ihres Varietätenbüschels verfolgen und je deutlicher wir ihren genealogischen Zusammenhang mit verwandten Formen nachweisen können. Wenn Jemand behaupten wollte, dass die grosse Mehrzahl aller bekannten Arten „gute" seien, so würde sich diese Behauptung, ihre Wahrheit vorausgesetzt, ganz einfach aus unserer ausserordentlichen Unkenntniss von der übergrossen Mehrzahl aller Organismen - Arten erklären. Von unendlich vielen Arten sind nur einzelne wenige oder gar nur ein einziges Exemplar bekannt. Dazu kennt man die meisten nur von wenigen ihrer Wohnorte her, und bei weitem nicht aus allen Theilen des Gebiets, über welches sie verbreitet sind. Von sehr vielen Species kennen wir nur einzelne Alters- und Entwickelungs - Zustände, oder nur das eine der beiden Geschlechter. Und wie oberflächlich und ungenau sind die allermeisten Untersuchungen, auf welche neue Species begründet werden! Man begnügt sich mit der Erfassung dieses oder jenes mehr oder weniger in die Augen fallenden oberflächlichen Unterschieds, gewöhnlich in der Form, Färbung oder dem Grössenverhältniss eines einzelnen Theils hervortretend, ohne die geringe Bedeutung dieses specifischen Charakters, seine Variabilität etc. gehörig zu würdigen. Hierbei kommen wir wieder auf den Grundfehler zurück, der unsere ganze Systematik beherrscht, dass man stets nur bemüht ist. das Unterscheidende jeder organischen Form möglichst scharf hervorzuheben, während man das Gemeinsame, das sie mit den nächstverwandten Formen verbindet, gänzlich vernachlässigt. Zu welchen Irrthümern diese streng analytische Richtung und der Ausschluss der synthetischen Vergleichung führt, haben wir schon oben gezeigt, als wir die nothwendige Wechselwirkung von Analyse und Synthese erörterten (Bd. I, S. 74). „ S c h l e c h t e Arten" im Sinne der Speciesfabricanten würden alle Species ohne Ausnahme sein, wenn wir sie vollständig kennen würden, d. h. wenn wir nicht allein ihren gesammten gegenwärtigen Formenkreis, wie er über die ganze Erde verbreitet ist, kennen würden, sondern auch alle ihre ausgestorbenen Blutsverwandten, die zu irgend einer Zeit gelebt haben. Es würden dann überall die verbindenden Zwischenformen und die gemeinsamen Stammformen der einzelnen Arten hervortreten, deren Kenntniss uns jetzt fehlt. Es würde ganz unmöglich sein, die einzelnen Formengruppen als Species scharf von einander abzugrenzen, so unmöglich als es an jedem Baume ist, zu sagen wo der eine Zweig aufhört und der andere anfängt. Die meisten derjenigen Arten, die wir genauer kennen, werden allerdings im Systeme als „gute Arten" fortgeführt. Dies ist aber nur dadurch möglich, dass man einestheils nicht ihre historische Entwickelung und ihren genealogischen Zusammenhang mit den verwandten Formen berücksich-
YI. Stadien der specifißchen Entwickelung.
361
tigt, anderntheils aber die zahlreichen am stärksten divergirenden und am meisten abweichenden Formen ihres Varietätenbüschels, die schon von Andern als „gute Arten" angesehen werden, als „schlechte" betracht e t , und als Varietäten um die „typische 11 Hauptform sammelt. Aber auch desshalb erscheinen uns viele unter den genauer bekannten Species als „gute", d. h. scharf zu umschreibende Arten, weil sie bereits im Erlöschen sind und ihrem Untergänge entgegengehen, weil ihr Varietäten-Büschel sich nicht mehr ausdehnt, und weil sie schon auf einen engen Raum und einförmige Existenzbedingungen zurückgedrängt sind, so dass sie sich nicht mehr an neue Bedingungen anpassen können *).
VI.
Stadien der specifischen Entwickelung.
Der Parallelismus in der Entwickelung der Individuen, der Arten und der Stämme zeigt sich, wie wir bereits oben hervorgehoben haben, auch darin, das sich d r e i v e r s c h i e d e n e S t a d i e n d e r G e n e s i s in allen drei Entwickelungsreihen unterscheiden lassen (S. 320). Der Aufbildung, Umbildung und Rückbildung der Bionten oder physiologischen Individuen entspricht die Aufblühzeit, Blüthezeit und Verblühzeit der Arten und Stämme, sowie aller übrigen Kategorieen des Systems. welche zwischen die Arten und Stämme eingeschaltet werden. Wir beschränken uns an dieser Stelle darauf, jene drei Stadien in ihrer Bedeutung für die Entwickelung der Arten oder Species noch etwas näher zu betrachten. I. D i e A u f b l ü h z e i t d e r A r t e n (Epucme spcciemw), welche das erste Stadium der specifischen Enwickelung bildet , und welche der Aufbildungszeit oder Anaplasis der physiologischen Individuen entspricht, ist gleich der letzteren vorzugsweise durch das W a c h s t h u m charakterisirt. Sie beginnt mit der Entstehung der Arten, und reicht bis zu ihrer vollständigen Ausbildung, welche als Reife oder Blüthezeit das zweite Stadium der Art-Entwickelung bildet. D i e E n t s t e h u n g d e r A r t e n , welche der Entstehung des Individuums durch Zeugung entspricht, erfolgt durch die Wechselwirkung zwischen Vererbung und Anpassung, durch den Process der natürlichen Züchtung im Kampfe um das Dasein, welchen wir im neunzehnten Capitel ausführlich erörtert und als eiuen mechanisch - physiologischen Vorgang nachgewiesen haben 2 ). Das W a c h s t h u m der A r t e n besteht vorzüglich in einer 1) Vergl. auch über diesen Gegenstand das treffliche Schiit'tchen von A. K e r n e r : ..Gute und schlechte Arten" (Innsbruck. AYagner 18GS). welche«, gleich anderen Schriften desselben Botanikers t..Das Pflanzenleben der Donauländer" etc.) eine Fülle von vorzüglichen Beobachtungen zu Gunsten der Descendenz - Theorie und vortreffliche Bemerkungen über die Systematik enthalt. 2 ) W i r sehen hier natürlich ab von der Autogonie der Moneren, von der Entste-
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Entwickelungegeschichte der Arten oder Species.
Zunahme der constituirenden Individuen und in ihrer Ausbreitung über einen gewissen Yerbreitungs-Bezirk, dessen Existenz-Bedingungen so gleichartig sind, dass eine relative Constanz der Species innerhalb desselben möglich wird. Die Species erringt sich im Kampfe um das Dasein ihre specifische Position, ihre bestimmte Stelle im Naturhaushalt. Die vermittelnden Uebergangsformen, welche während der Entstehung der neuen Art aus der alten oder elterlichen Art Beide verbinden, und welche meistens rasch erlöschen, fallen gewöhnlich ganz in den Anfang der Aufblühzeit. Das e p a c m a s t i s c h e W a c h s t h u m der Art ist vollendet, die Species ist gewissermaassen „ausgewachsen und reif", wenn im Ganzen eine weitere Ausdehnung über die Grenzen jenes Bezirks nicht mehr statt findet, und wenn die Individuen-Masse der Art innerhalb desselben im Grossen und Ganzen beständig bleibt, Es beginnt damit das zweite Stadium, die Blüthezeit, II. D i e B l ü t h e z e i t d e r A r t e n (Acmc speciernw), welche das zweite Stadium der specifischen Entwickelung umfasst, und welche der Umbildungszeit oder Metaplasie der Bionten parallel ist, zeichnet sich gleich der letzteren vorzugsweise durch relative Constanz der Form, verbunden mit feineren Differenzirungs-Processen aus. Der Umfang der Art, die Anzahl ihrer constituirenden Individuen und die Ausdehnung ihres Yerbreitungs-Bezirks bleibt während dieses Zeitraums im Grossen und Ganzen unverändert. Die Art ist nun „reif und ausgewachsen", befestigt sich innerhalb des erlangten Yerbreitungs-Bezirks, der eine relative Constanz erhält, und passt sich innerhalb desselben möglichst den passendsten Existenz-Bedingungen an. Die Species behauptet und befestigt den specifischen Platz, die bestimmte Position, welche sie im Kampfe um das Dasein errungen hat, und vertheidigt dieselbe mit Glück gegen die Angriffe der mitbewerbenden Arten. Die meisten Arten entwickeln während der Blüthezeit einen höheren oder geringeren Grad von a c m a s t i s c h e r D i f f e r e n z i r u n g . Sie bilden einen vielstrahligen und reichverzweigten Varietäten-Büschel, und durch die besondere Accommodation der Varietäten an verschiedenartige Existenz-Bedingungen erreicht die reife Art eine grössere Herrschaft, als es ohnedem möglich wäre. Die Varietäten können zum Theil innerhalb der Species-Schranke verharren und mit der Stammform durch viele verbindende Zwischenstufen contiuuirlich verbunden bleiben. Zum Iheil können sie dieselbe auch überschreiten und sich zu selbstständigen neuen Arten entwickeln, indem die vermittelnden Uebergangsformen erlöschen. Die Art kann also schon während ihrer Blüthezeit zahlreiche neue Arten erzeugen und man kann selbst die Production neuer Spehung der ersten Organismen jedes Phylum durch Generatio spontanea, da diese Stammformen, wie schon Schleiden bemerkte, kaum als eigentliche „Species" unterschieden werden können (Vergl. S. 332).
TL Stadien der specifischen Entwickelang.
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cies als ein Zeichen der kräftigen Acme bezeichnen, ebenso wie beim Individuum die Erzeugung neuer Bionten, die Fortpflanzung als Zeichen erlangter Reife (Metaplase) gilt Doch darf diese Production nicht so weit gehen, dass die Stammform der Species selbst dabei abnimmt und zu Grunde geht. Sobald diese Abnahme eintritt, und die Stammform von ihren erzeugten „Abarten" ganz zurückgedrängt wird, so geht die Acme in die Paracme über. III. D i e V e r b l ü h z e i t d e r A r t e n (Paracme speciernm), welche das dritte und letzte Stadium der specifischen Entwickelung darstellt, und welche der Rückbildungszeit oder Cataplase der Bionten correspondirt, ist ebenso wie die beiden vorhergehenden Stadien, bei den verschiedenen Arten von sehr verschiedener Dauer. Sie umfasst die gesammte Zeit der Abnahme der Arten, also vom Nachlasse der Acme an bis zu ihrem Ende. Bisweilen kann der Verlauf dieser Abnahme ein sehr rascher sein, und es kann die Art in verhältnismässig sehr kurzer Zeit aussterben, indem ζ. B. ein plötzlicher und höchst nachtheiliger Klimawechsel eintritt, oder indem ein übermächtiger Feind in den Kampf um das Dasein mit ihr tritt und sie rasch besiegt. So ist es historisch erwiesen von Didvs ineptvs, welcher innerhalb 81, und von der Rhytine Stellcri. welche innerhalb 27 Jahren von dem übermächtigen Menschen ausgerottet wurde. Gewöhnlich ist aber die Abnahme oder Decrescenz der Art eine viel langsamere, indem sie den errungenen Platz im Naturhaushalte, ihre feste Position im Kampfe um das Dasein hartnäckig vertheidigt und nur Schritt für Schritt von demselben zurückweicht. Je weiter aber ihr VerbreitungsBezirk dadurch eingeengt, je mehr die Species dadurch zurückgedrängt wird, desto rascher geht sie ihrem vollständigen Erlöschen, ihrem Ende entgegen. Oft wird dasselbe beschleunigt durch besondere Processe der p a r a c m a s t i s c h e n D e g e n e r a t i o n , wie es z . B . bei den aussterbenden Rothhäuten Amerika's der Fall ist, welche nicht bloss in dem Kampfe um das Dasein mit der übermächtigen weissen Menschen-Art erliegen, sondern auch gleichzeitig der inneren Degeneration ihres eigenen Volkslebens. Ebenso wie bei dieser Menschen - Art, wirken auch bei anderen Thierarten und bei Pflanzen-Arten nicht bloss äussere Einflüsse, sondern auch innere Veränderungen, die wir allgemein als paracmastische Degenerations-Processe bezeichnen können, und die den cataplastischen Degenerations - Processen der physiologischen Individuen analog sind, nachtheilig auf den Bestand der Art ein, und fördern ihren Untergang. In den meisten Fällen dürfte jedoch die Species ihren- Untergang erleiden durch ihre eigenen Nachkommen, durch den Kampf um das Dasein mit den vervollkommneten neuen Arten, welche zuerst als Varietäten von ihr erzeugt worden sind, und welche sich nunmehr auf Unkosten ihrer schwächeren Stammform aus-
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Entwickelungsgeschichte der Arten oder Species.
breiten. Sobald die Individuen-Zahl und der Verbreitungs-Bezirk der befestigten Art durch die übermächtige Entwickelung der von ihr erzeugten Varietäten, die sich durch Divergenz des Charakters und Anpassung an differenzirte Existenz-Bedingungen zu neuen „guten Arten" entwickelt haben, wesentlich und in zunehmendem Maasse eingeschränkt wird, so hat damit die Paracme der Stammform begonnen, und sie geht früher oder später ihrem vollständigen Erlöschen entgegen. Das Aussterben der Species, ihr Ende, ist wahrscheinlich in den meisten Fällen eine solche allmähliche Vertilgung durch ihre übermächtig gewordenen Nachkommen, und nicht ein plötzlicher Tod durch eine einmalige Catastrophe. D i e L e b e n s d a u e r d e r v e r s c h i e d e n e n S p e c i e s ist natürlich aus allen diesen Gründen eine ä u s s e r s t v e r s c h i e d e n a r t i g e , und das Alter, welches jede einzelne Art thatsächlich erreicht, wird einzig und allein durch die Wechselwirkung der Vererbung und Anpassung, und durch den Einfluss der Existenzbedingungen, unter welchen dieselbe im Kampfe um das Dasein erfolgt, bestimmt. Je zäher die Art auf ihrer Acme beharrt und die erworbenen Eigenschaften auf ihre Nachkommen vererbt, je weniger ihre Existenzbedingungen sich ändern, desto länger wird ceteris paribus ihre Lebensdauer sein. Je leichter umgekehrt die Species sich neuen und sehr verschiedenen Existenzbedingungen anpasst, je weniger sie an den ererbten SpeciesCharakteren constant festhält, desto schneller wird sie sich in ein reiches Varietäten - Büschel auflösen, und desto kürzer wird ihre Lebensdauer sein. Einerseits also wird der Variabilitäts-Grad der Species, andererseits der Wechsel der Existenz-Bedingungen, denen sie sich anpassen muss, ihr Alter bedingen; und lediglich die unendliche Verschiedenheit dieser mechanischen Ursachen bewirkt die unendliche Verschiedenheit in der factischen Dauer der einzelnen Arten. Keineswegs aber ist für jede Species ein bestimmtes Alter prädestinirt. Natürlich ist es unter diesen Umständen völlig unmöglich, eine Durchschnitts - Dauer der verschiedenen Species festzusetzen, und die Versuche, welche verschiedene Naturforscher gemacht haben, die durchschnittliche oder mittlere Dauer der Arten auf paläontologisch - empirischem Wege zu bestimmen, mussten selbstverständlich zu den grössten Widersprüchen führen. Während die sehr zähen Arten einen Zeitraum von mehreren geologischen Perioden überdauern können, gehen die weniger constanten vielleicht schon im zehnten, und die sehr variablen Arten schon in weniger als dem tausendsten Theile eines solchen Zeitraums zu Grunde.
L
Functionen der phyletischen Entwickelung.
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Dreiundzwanzigstes Capitel. Entwickelung-sgeschichte der Stämme oder Phylen. (Naturgeschichte der organischen Stämme oder der genealogischen Individuen dritter Ordnung.) ..Die Schwierigkeit, Idee und Erfahrung mit einander zu verbinden. erscheint sehr hinderlich bei aller Naturforschung: die Idee ist unabhängig von Raum und Zeit, die Naturforschung ist in Raum und Zeit beschrankt: daher ist in der Idee Simultanes und Successives iunigst verbunden. auf dem Standpunkt der Erfahrung hingegen immer getrennt." Goethe.
I. Functionen der phyletischen Entwickelung. Die Phylogenese oder paläontologische Entwickelung, die Divergenz der blutsverwandten Formen, welche zur Entstehung der Arten, Gattungen, Familien und aller anderen Kategorieen des organischen Systems führt, ist ein physiologischer Process, welcher, gleich allen übrigen physiologischen Functionen der Organismen, mit absoluter N o t wendigkeit durch mechanische Ursachen bewirkt wird. Diese Ursachen sind Bewegungen der Atome und Moleküle, welche die organische Materie zusammensetzen, und die unendliche Mannichfaltigkeit, welche sich in den phyletischen Entwickelungsprocessen offenbart, entspricht einer gleich unendlichen Mannichfaltigkeit in der Zusammensetzung der organischen Materie, und zunächst der Eiweissverbindungen welche das active Plasma der constituirenden Piastiden aller Organismen bilden. Die phyletische oder paläontologische Entwickelung der Stämme und ihrer sämmtlichen subordinirten Kategorieen ist also weder das vorbedachte zweckmässige Resultat eines denkenden Schöpfers, noch das Product irgend einer unbekannten mystischen Naturkraft, sondern die einfache und nothwendige Wirkung derjenigen bekannten physikalisch - chemischen Processe, welche uns die Physiologie als mechanische Entwickelungs-Functionen der organischen Materie nachweist.
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Entwicklungsgeschichte der Stämme oder Phylen.
Die physiologischen Functionen, auf welche sich sämmtliche phyletische oder paläontologische Entwickelungs-Erscheinungen als auf ihre bewirkenden Ursachen zurückführen lassen, sind die beiden fundamentalen Entwickelungs-Functionen der V e r e r b u n g (Hereditas) und der A n p a s s u n g (Adaptatio), von denen die erstere eine Theilerscheinung der Fortpflanzung, die letztere der Ernährung ist. Die beiden ursprünglichen Conservations-Functionen der Propagation (Erhaltung der Art) und der Nutrition (Erhaltung des Individuums) genügen also vollständig, um durch ihre beständige Wechselwirkung unter dem Einflüsse der in der Aussen weit gegebenen Existenz-Bedingungen die Divergenz der Arten,, und somit die Entwickelung der Stämme zu bewirken. Diese Grundanschauung halten wir zum richtigen Verständniss der Phylogenese für unentbehrlich. Wie wir vermittelst der Descendenz-Theorie zu derselben gelangt sind, ist im neunzehnten Capitel von uns erörtert worden. Die daselbst von uns erläuterte Entstehung der Arten durch natürliche Züchtung, durch die Wechselwirkung der Vererbung und Anpassung im Kampf um das Dasein, ist in der That weiter nichts, als die Grundlage der phyletischen Entwickelung selbst. Das ganze neunzehnte Capitel würde eigentlich hier seine Stelle finden. Wir haben es aber absichtlich dem fünften Buche überwiesen, weil die Ontogenese oder die individuelle Entwickelungsgeschichte ohne die Phylogenese oder die paläontologische Entwickelungsgeschichte gar nicht zu verstehen ist, und weil die Erläuterung der phyletischen Entwickelungs-Functionen, welche die Selections-Theorie und die durch sie begründete Descendenz-Theorie giebt, für das Verständniss der biontischen Entwickelungs-Functionen unerlässlich ist.
Π.
Stadien der phyletischen Entwickelung.
Die Stämme sowohl, als alle untergeordneten Kategorieen derselben, von der Classe und Ordnung bis zur Gattung und Art herab, zeigen ihren Parallelismus mit der individuellen Entwicklung, wie schon oben gezeigt wurde, auch darin, dass im Laufe ihrer historischen Entwickelung mehrere verschiedene Stadien sich unterscheiden lassen, welche den Stadien der individuellen Entwickelung entsprechen (S. 320). Den drei Perioden der ontogenetischen Anaplase, Metaplase und Cataplase entsprechend haben wir die drei Abschnitte der phylogenetischen Epacme, Acme und Paracme unterschieden, welche ebensowohl bei den ganzen Stämmen, wie bei den ihnen untergeordneten Gruppen sich finden. Wie sich die Arten oder Species hierin verhalten, ist bereits oben erörtert Wir wenden uns daher hier nur zu den Entwicklungs-Stadien der höheren Stamm-Gruppen, von dem Genus und der Familie an aufwärts, wobei wir ausdrücklich bemerken, dass auch in dieser Bezie-
Π.
Stadien der phyletischen Entwickelung.
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hung ein scharfer und absoluter Unterschied zwischen den verschiedenen Kategorieen des natürlichen Systems ebenso wenig existirt, als ein solcher sich in anderer Hinsicht constatiren lässt. Alle Genera und Familien, Ordnungen und Classen, sowie auch alle diesen subordinirte Gruppen des Systems, die Subgenera, Subfamilien, Sectionen, Tribus etc. verhalten sich auch hinsichtlich der Entwickelungs-Stadien eben&o wie die ganzen Stämme, welche sie zusammensetzen, und wie die Arten, aus denen sie selbst zusammengesetzt sind. I. Die A u f b l ü h z e i t oder Epacmc der Phylen und ihrer subordinirten Kategorieen umfasst das erste Stadium ihrer phyletischen Entwickelung, welches dem Jugendalter oder der Anaplase der Bionten entspricht , und von ihrer Entstehung bis zum Beginne der Blüthezeit reicht. Die e r s t e E n t s t e h u n g d e r S t ä m m e ist in allen Fällen als Archigonie, und wohl meistens, vielleicht immer als Autogonie (nicht als Plasmogonie) zu denken, wie wir bereits im sechsten und siebenten Capitel des zweiten Buches (Bd. I, S. 179, 205) und im siebzehnten Capitel· (Bd. II, S. 33) ·erörtert haben. Sie beginnt mit der Archigonie von structurlosen Moneren, aus denen sich zunächst nur monoplastide, später erst polyplastide Species differenziren. Die E n t s t e h u n g d e r s u b o r d i n i r t e n K a t e g o r i e e n der Stämme dagegen erfolgt durch die Divergenz des Charakters der Species, welche aus der Differenzirung der autogenen Moneren hervorgehen, durch das Erlöschen der verbindenden Zwischenformen zwischen den divergirenden Species. Derjenige Process, welcher nun bei der weiteren Entwickelung der entstandenen Stämme und ihrer subordinirten Gruppen das Stadium der Epacme vorzugsweise charakterisirt, ist das W a c h s t hum. Die p h y l e t i s c h e C r e s c e n z äussert sich ebenso wie die specifische zunächst in der progressiven Zunahme der Individuen-Zahl und in der Ausdehnung des von ihnen eroberten Verbreitungsbezirks. Ebenso wie die Arten, so erringen sich auch die aus ihrer Divergenz entstehenden Gattungen, Familien, Classen etc. und ebenso der ganze Stamm, welchem alle diese Gruppen angehören, während ihres e p a c m a s t i s c h e n W a c h s t h u m s eine Anzahl von Stellen im Naturhaushalte, und vertheidigen die so gewonnenen Positionen im Kampf um das Dasein gegenüber den in Mitbewerbung befindlichen Gruppen. So lange jede Gruppe sich immer weiter ausbreitet, so lange die Zahl der ihr untergeordneten Gruppen, und damit zugleich der Individuen, in denen sie verkörpert sind, zunimmt, so lange ist die Gruppe im Wachsthum begriffen, und erst wenn eine weitere quantitative Zunahme und Ausdehnung ihres Verbreitungsbezirks im Grossen und Ganzen nicht mehr stattfindet, beginnt die zweite Periode der Entwickelung, die Acme. IL Die B l ü t h e z e i t oder Acme der Phylen und der verschiede-
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Entwickelungsgeschichte der Stämme oder Phylen.
nen untergeordneten Systems-Gruppen, welche das zweite Stadium der phyletischen Entwickelung bildet und als solches dem Reifealter oder der Metaplase der Bionten correspondirt, ist gleich dem letzteren vorzüglich durch qualitative Vervollkommnung ausgezeichnet, gegen welche das quantitative Wachsthum nunmehr zurücktritt. Das Genus, die Familie, Ordnung, Classe etc., ebenso der ganze Stamm, welcher sich in der Bliithezeit, auf der Höhe seiner Entwickelung befindet, nimmt nicht mehr oder doch nicht wesentlich am Umfang, wohl aber an Vollkommenheit zu. Die phyletische Position, der geographische und topographische Verbreitungs - Bezirk, welchen die Gruppe im Kampf um das Dasein errungen hat, wird behauptet und befestigt, und gegen die Angriffe der mitbewerbenden Gruppen mit Erfolg vertheidigt. Dieser Kampf an sich schon vervollkommnet die Gruppe, und zwingt sie, sich möglichst gut den verschiedenen Existenz - Bedingungen innerhalb des errungenen Gebiets anzupassen. Daher finden in grosser Ausdehnung Processe der a c m a s t i s c h e n D i f f e r e n z i r u n g statt, indem jede Gruppe in einen reichen und vielverzweigten Büschel von subordinirten Gruppen zerfällt. Jedes Genus bildet eine Menge Subgenera, jede Familie eine Anzahl Subfamilien, jede Ordnung eine Gruppe von Unterordnungen u. s. w. Die reichliche Production solcher subordinirter Gruppen, welche wesentlich durch Divergenz des Characters und Ausfall der verbindenden Zwischenformen erfolgt, charakterisirt die Acme jeder Gruppe ebenso, wie die Erzeugung neuer Individuen die Metaplase der Bionten. Erst wenn die erzeugten Gruppen so weit divergiren, dass sie die Ranghöhe der parentalen Gruppe erreichen und selbst überschreiten, so dass die letztere hinter ihnen zurücktritt, erst daun ist die Acme der letzteren vorbei und die Paracme hat begonnen. III. Die V e r b l ü h z e i t oder Pur acme der Phylen und ihrer subordinirten Kategorieen begreift das dritte und letzte Stadium ihrer Entwickelung und entspricht als solches dem Greisenalter oder der Cataplase der physiologischeil Individuen. Sie umfasst die ganze Zeit vom Ende der Acme bis zum Erlöschen der Gruppe, und verläuft meist, wie die entsprechende Decrescenz der Art, langsam und allmählich. Wie bei den Species, sind es auch bei den übergeordneten Gruppen des Systems, bei den Gattungen, Familien, Classen u. s. w. vorzugsweise die nächstverwandten und die coordinirten Gruppeu einer jeden Kategorie, welche sich auf Kosten der letzteren entwickeln und ihren Untergang herbeiführen. Namentlich sind auch hier wieder am gefährlichsten für ihr Bestehen die eigenen Nachkommen, d. h. die aus der Differenzirung der reifen Gruppe hervorgegangenen neuen Gruppen, welche anfänglich subordinirt sind, späterhin aber durch fortschreitende Vervollkommnung und Ausfall der verbindenden Zwischenform sich zur gleichen Stufenordnung erheben und nunmehr über die parentale Stamm·1
HL
Resultate der phyletischen Entwickelung.
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gruppe das Uebergewicht gewinnen. In weiterem Sinne kann auch dieses Zurückbleiben der letzteren hinter den ersteren als p a r a c m a s t i s c h e D e g e n e r a t i o n bezeichnet werden, insofern die parentale Gruppe nicht mehr den Anforderungen entspricht, welche die gesteigerten Existenz-Bedingungen an sie stellen, während sie früher denselben gewachsen war. Doch ist diese Degeneration wohl mehr ein Mangel an der notwendigen Fortbildung, als eine positive Rückbildung, und es erfolgt der Untergang der Gruppen in der Mehrzahl der Fälle weniger durch vollständiges Aussterben, durch Erlöschen aller Zweige derselben, als vielmehr durch einseitige Fortbildung und bevorzugte Ausbildung einzelner Zweige, welche sich auf Kosten ihrer coordinirten und übergeordneten älteren Zweige entwickeln. Je höher der Rang einer systematischen Gruppe ist, desto weniger leicht tritt ihr vollständiges Erlöschen ein. weil desto grösser die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit ist, dass auch beim Erlöschen des grössten Theils der Gruppe doch noch einer oder der andere Zweig derselben erhalten bleibt und den ursprünglichen Stamm in dieser Richtung fortsetzt. Daher ist die Zahl der ausgestorbenen Gattungen nicht bloss absolut, sondern auch relativ viel grösser als die Zahl der ausgestorbenen Familien , diese letztere ebenso viel grösser als die Zahl der ausgestorbenen Ordnungen, und diese wiederum viel grösser als die Zahl der ausgestorbenen Classen. Von letzteren kennen wir nur sehr wenige, und von ausgestorbenen ganzen Stämmen mit Sicherheit sogar kein Beispiel, obwohl es offenbar ist, dass einzelne Stämme bereits auf dem Wege der Rückbildung, in der Verblühzeit sind, wie ζ. B. derjenige der Mollusken. Vielleicht stellt die Gruppe der Petrospongien einen völlig erloschenen Stamm dar (vergl. die systematische Einleitung).
ΠΙ. Resultate der phyletischen Entwickelung. Die physiologischen Functionen der phyletischen Entwickelung, deren Wechselwirkung wir im neunzehnten Capitel ausführlich dargelegt haben, Vererbung und Anpassung, führen unmittelbar und mit absoluter Notwendigkeit die höchst bedeutenden und grossartigen Veränderungen der Organismen-Welt herbei, welche wir ebendaselbst als das Divergenz-Gesetz und als das Fortschritts-Gesetz erläutert haben. Das allgemeinste Endresultat dieses ungeheueren und unaufhörlich thätigen Entwickelungs-Processes, ist in jedem einzelnen Abschnitt der Erdgeschichte einerseits die endlose Mannichfaltigkeit, welche sich in der Form und Structur der verschiedenen Protisten, Pflanzen und Thiere offenbart, andererseits die allgemeine Familien-Aehnlichkeit oder die „Formen-Verwandtschaft", welche trotzdem die blutsverwandten Organismen eines jeden Stammes zu einem Systeme von subordinirten H a e c k e ] , Generelle Morphologie, II.
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Entwickelungsgeschichte der Stämme oder Phylen.
Formengruppen verbindet. Diese natürliche Gruppirung der „verwandten" Organismen in zahlreiche über und neben einander geordnete Gruppen oder Kategorieen, die Thatsache, dass nur eine sehr geringe Anzahl von obersten, grundverschiedenen Hauptgruppen existirt, unter welche alle übrigen als „verwandte" Formen sich einordnen lassen, diese Thatsache ist lediglich das einfache und nothwendige Resultat des phyletischen Entwickelungsprocesses, und die Selections-Theorie zeigt uns im Allgemeinen, warum dieses Resultat gerade so erfolgen musste, wie es wirklich erfolgt ist. Wir stehen hier vor einem der grössten und bewunderungswürdigsten Phänomene der organischen Natur, vor der Thatsache des natürlichen Systems oder der baumförmig verzweigten Anordnung dör verwandten Organismen-Gruppen, einer Thatsache, von der D a r w i n sehr richtig bemerkt, dass wir das Wunderbare derselben nur in Folge unserer vollständigen Gewöhnung daran zu übersehen pflegen. Von frühester Jugend an von einer Fülle ähnlicher und doch verschiedener Gestalten umgeben, gewöhnen wir uns schon, indem wir sprechen lernen, daran, die verwandtesten Formen unter einer engen Collectivbezeichnung zusammenzufassen und die divergenteren Formen wieder unter einem weiteren Collectivnamen zu vereinigen. So unterscheiden wir zuerst Thiere und Pflanzen, dann unter den Thieren Vögel und Fische, unter den Vögeln Raubvögel und Schwimmvögel u. s. w. Kurz die Gruppenbildung, die Specification des natürlichen Systems verwächst so frühzeitig mit allen unseren Vorstellungen, dass wir dieselbe nur zu leicht als etwas Selbstverständliches betrachten und das grosse Räthsel übersehen, welches Uns die Verwandtschaft der Formen beständig vorlegt. Am auffallendsten zeigt sich dies bei den gedankenlosen Systematikern, welche ihr ganzes Leben mit der Umschreibung und Bezeichnung der Systems-Gruppen, mit der Registratur und Nomenclatur der Organismen verbringen, und dennoch niemals oder nur selten sich die naheliegende Frage nach der Ursache dieser merkwürdigen Gruppenbildung vorlegen. Die Lösung dieses „heiligen Räthsels", dieses „geheimen Gesetzes" von der „Verwandtschaft" der organischen Gestalten ist einzig und allein in der Descendenz-Theorie zu finden. Nachdem G o e t h e schon 1790 auf diese Lösung hingewiesen, nachdem L a m a r c k dieselbe 1809 wesentlich weiter geführt hatte, wurde sie endlich 1859 durch Darwin vollendet, welcher in dem dreizehnten Capitel seiner Selections - Theorie das natürliche System für den Stammbaum der Organismen und „ g e m e i n s a m e A b s t a m m u n g für das Band erklärte, wonach alle Naturforscher u n b e w u s s t e r W e i s e in ihren Classificationen gesucht haben, nicht aber ein unbekannter Schöpfungs-Plan, oder eine bequeme Form für allgemeine Beschreibung, oder eine an-
IV.
Die dreifache genealogische Parallele.
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gemessene Methode, die Naturgegenstände nach den Graden ihrer Aehnlichkeit oder Unähnlichkeit zu sortiren." Sobald wir den Grundgedanken der Descendenz - Theorie richtig erfasst und uns mit den notwendigen Consequenzen desselben vertraut gemacht haben, so muss uns die wunderbare Thatsache der Gruppenbildung'im natürlichen System als das nothwendige Resultat des natürlichen Züchtungs-Processes, d.h. der mechanischen Entwickelung der Stämme erscheinen. Bei der ausserordentlichen Wichtigkeit dieses Verhältnisses wollen wir dasselbe im folgenden Capitel noch ausführlicher betrachten.
IV. Die dreifache genealogische Parallele. Schon zu wiederholten Malen haben wir in diesem und im ersten Bande auf den dreifachen Parallelismus der phyletischen (paläontologischen), der biontischen (individuellen) und der systematischen (specifischen) Entwickelung hingewiesen als auf eine der grössten, merkwürdigsten und wichtigsten allgemeinen Erscheinungsreihen der organischen Natur. Bisher ist dieselbe nicht entfernt in dem Maasse, in welchem sie es verdient, hervorgehoben und an die Spitze der organischen Morphologie gestellt worden. Sehr vielen- sogenannten Zoologen und Botanikern ist dieselbe gänzlich unbekannt; die meisten Anderen, denen sie bekannt ist, bewundern sie als ein schnurriges Curiosum oder als einen Ausfluss der unverständlichen Weisheit eines unverständlichen Schöpfers. Sehr wenige Naturforscher nur haben bisher das ganze colossale Gewicht dieses grossartigen Phänomens begriffen und nach einem wirklichen Verständniss desselben gesucht. Dieses Verständniss ist aber nur durch die Descendenz-Theorie zu gewinnen, welche uns die dreifache genealogische Parallele ebenso einfach als vollständig erklärt, wie andererseits die Parallele selbst eine der stärksten Stützen der Descendenz-Theorie ist. Seltsamer Weise hat deijenige Naturforscher, welcher bisher den Parallelismus der phyletischen, biontischen und systematischen Entwickelung am meisten hervorgehoben und am längsten besprochen hat. L o u i s A g a s s i z , gerade den entgegengesetzten Weg zu seiner Erklärung betreten, und es vorgezogen, dadurch den indirecten Beweis für die Wahrheit der Descendenz-Theorie zu führen. Denn nur als solchen können wir die seltsamen teleologisch-theosophischen Speculationen bezeichnen, welche der geistvolle A g a s s i z in seinem berühmten dualistischen „Essay on classification" zur Erklärung der dreifachen genealogischen - Parallele herbeizieht, und durch deren Ausführung er zeigt, dass dieselben in der That N i c h t s erklären! Was nun die mechanisch-monistische Erklärung der dreifachen genealogischen Parallele selbst betrifft, so haben wir bereits im fünf24*
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Entwicklungsgeschichte der Stämme oder Phylen.
ten Buche und namentlich im achtzehnten und neunzehnten Capitel darüber so Viel gesagt, dass wir hier nur die wichtigsten Punkte nochmals hervorheben wollen. Auszugehen ist dabei immer zunächst von der paläontologischen Entwickelung, an welche die individuelle Entwickelung sich als kurze und schnelle Recapitulation, die systematische Entwickelung dagegen als das anatomische Resultat, wie wir es im vorhergehenden Abschnitte bezeichnet haben, unmittelbar anschliesst. I. D e r P a r a l l e l i s m u s z w i s c h e n d e r p h v l e t i s c h e n ( p a l ä o n t o l o g i s c h e n ) und der b i o n t i s c h e n (individuellen) E n t w i c k e l u n g erklärt sich einfach mechanisch aus den VererbungsGesetzen und insbesondere aus den Gesetzen der gleichzeitlichen, der gleichörtlichen und der abgekürzten Vererbung. Alle Erscheinungen, welche die individuelle Entwickelung begleiten, erklären sich lediglich, soweit sie nicht unmittelbares Resultat der Anpassung an neue Existenz-Bedingungen sind, aus der paläontologischen Entwickelung der Vorfahren des Individuums. Die gesammte Ontogenie ist eine kurze und schnelle Recapitulation der langen und langsamen Phvlogenie. nie wir im achtzehnten Capitel für die morphologischen Individuen aller sechs Ordnungen einzeln nachgewiesen haben. II. D e r P a r a l l e l i s m u s z w i s c h e n d e r p h y l e t i s c h e n ( p a l ä o n t o l o g i s c h e n ) und der s y s t e m a t i s c h e n ( s p e c i f i s c h e n ) E n t w i c k e l u n g erklärt sich einfach aus der Descendenz-Theorie und speciell aus den Gesetzen der Divergenz und des Fortschritts, insbesondere aber aus dem Umstände, dass die divergente Entwickelung der verschiedenen Zweige und Aeste eines und desselben Stammes so äusserst ungleichmässig in Bezug auf Grad und Schnelligkeit der Veränderung verläuft. Einige Aeste haben sich seit der silurischen Zeit fast unverändert erhalten, wie ζ. B. die Colastren unter den Echinodermen, die Phyllopoden unter den Crustaceen; andere haben sich zwar bedeutend - , aber doch nur langsam verändert, wie ζ. B. die Crinoiden unter den Echinodermen, die Macruren unter den Crustaceen; noch andere haben sich endlich sehr bedeutend und sehr rasch verändert, wie ζ. B. die Echiniden unter den Echinodermen, die Brachyuren unter den Crustaceen. Ebenso haben sich unter den Cormophyten die Farrne seit der Steinkohlen - Zeit nur sehr wenig, die Coniferen mässig stark, die erst in der Tertiärzeit entstandenen Gamopetalen sehr bedeutend verändert; die ersten haben sich sehr langsam, die zweiten mässig rasch, die dritten sehr schnell entwickelt; die ersten sind ihren ursprünglichen Stammeltern sehr ähnlich, und daher auf einer verhältnissmässig tiefen Stufe stehen geblieben (langsam reife [bradypepone] oder sehr zähe Typen); die zweiten haben sich inässig entwickelt, indem sie zwischen conservativer und progressiver Richtung hin und her schwankten (mittelreife [mesopepone] oder halb-
IV.
Die dreifache genealogische Parallele.
373
zähe Typen); die dritten endlich, schnell und kräftig neuen, günstigen Existenz-Bedingungen sich anpassend, haben in kurzer Zeit einen hohen Grad der Vollkommenheit erreicht (schnellreife [tachypepone] oder nichtzähe Typen). Unter den "Wirbelthieren gehören ζ. B. die Rochen und die Monitoren zu den langsamreifen, die Ganoiden und die Crocodile zu den mittelreifen, die Acanthopteren und Dinosaurier zu den schnellreifen Typen. In vielen Fällen sind die langsamreifen zugleich polytrope oder ideale, die schnellreifen zugleich monotrope oder praktische Typen (S. 222); in vielen Fällen findet aber auch gerade das Gegentheil statt, so dass jene Kategorieen sich keineswegs decken. Jeder Blick auf die paläontologische Uebersichts - Tabelle irgend einer Organismen - Gruppe lehrt uns die äusserst ungleichmässige, an Schnelligkeit , Qualität und Quantität der Veränderung äusserst divergente Entwickelung ihrer verschiedenen Formenbüschel, und so erklärt sich vollständig die aufsteigende und baumfönnig verästelte Gestalt, welche das natürliche System aller gleichzeitig lebenden Glieder der Gruppe als das anatomische Resultat ihrer phyletischen Eutwickelung darbietet und welche der aufsteigenden und baumähnlich verästelten Form entspricht, die ihre geineinsamen Vorfahren durch ihre paläontologische Entwickelungs - Reihe bilden. III. D e r P a r a l l e l i s m u s z w i s c h e n d e r b i o n t i s c h e n ( i n d i viduellen) und der s y s t e m a t i s c h e n (specifischen) E n t w i c k e l u n g erklärt sich einfach schon aus der Verbindung der beiden vorigen Parallelen. Wenn zwei Linien (systematische und biontische Entwickelungsreihe) einer dritten (der phyletischen Entwickelungsreihe) parallel sind, so sind sie auch unter einander parallel (so ist auch die systematische der biontischen Entwickelungsreihe parallel). Die Parallele der phyletischen und systematischen Entwickelungsreihe zeigt uns (z.B. in der aufsteigenden Stufenleiter der Wirbelthier - Classen oder in derjenigen der Cormophyten - Gruppen (Pteridophvten, Gymnospermen, Monocotyledonen, Monochlamydeen, Polypetalen, Gamopetalen) > dass die verschiedenen Stufen der paläontologischen Entwickelung nicht allein in der Zeit aufeinanderfolgen, sondern auch im Systeme der gegenwärtig lebenden Organismen eine jener successiven Scala parallele coexistente, aufsteigende Stufenleiter bilden, indem von jeder Stufe sich zähe, bradypepone Repräsentanten erhalten und bis zur Gegenwart nur wenig verändert haben, während ihre Geschwister sich der Veränderung zuneigten und zu tacbypeponen Seitenzweigen schnell entwickelten. Andererseits zeigt uns die Parallele der phyletischen und biontischen Entwickelung, dass die letztere nur eine kurze und schnelle Recapitulation der ersteren i s t Es muss daher mit Notwendigkeit auch die biontische Entwickelung im Ganzen der systematischen parallel verlaufen.
374
Dae natürliche System als Stammbaum.
Viernndzwanzigstes
Capitel.
Das natürliche System als Stammbaum. (Principien der Classification.) „Der Triumph der physiologischen Metamorphose zeigt sich da, wo das Ganze sich in Familien, Familien sich in Geschlechter. Geschlechter in Sippen, nnd diese wieder in andere Mannichfaltigkeiten bis zur Individualität scheiden, sondern nnd umbilden. Ganz ins Unendliche geht dieses Geschäft der Natur; sie kann nicht rnhen, noch beharren, aber auch nicht Alles, was sie hervorbrachte, bewahren und erhalten. Haben wir doch von organischen Geschöpfen, die sich in lebendiger Fortpflanzung nicht verewigen konnten, die entschiedensten Reste. Dagegen entwickeln sich aus dem Samen immer abweichende, die Verhältnisse ihrer Theile zu einander verändert bestimmende Pflanzen." G o e t h e (1819).
L Begriffsbestimmung der Kategorieen des Systeme. Die Aehnlichkeits-Beziehungen, welche zwischen den verschiedenen Formen der Organismen existiren, und welche man gewöhnlich mit dem Ausdruck der V e r w a n d t s c h a f t bezeichnet, sind sowohl hinsichtlich ihrer Qualität als Quantität ausserordentlich verschieden. Auf die Erkenntniss dieser Verschiedenheit gründet sich grösstenteils die kunstvolle Gliederung der meisten organischen Systeme, ihr Aufbau aus zahlreichen, theils über, theils neben einander geordneten Gruppen oder Kategoheen, die Unterscheidung, der Classen, Ordnungen, Familien, Gattungen, Arten, Varietäten u. s. w. Alle diese verschiedenen Kategorieen des Systems unterscheiden sich vorzugsweise durch den Grad der Aehnlichkeit oder Verschiedenheit in der äusseren Form und in der inneren Structur, welcher die verwandten Formen theils näher zusammenstellt, theils weiter trennt. Je mehr sich die Systematik entwickelte, desto sorgfältiger fing man an, diese verschiedenen Aehnlichkeitsgrade gegen einander vergleichend abzuwägen, und desto mehr differenzirte und erweiterte sich die Stufenleiter der darauf gegründeten Kategorieen.
I.
Begriffsbestimmung der Kategorieen des Systems.
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Eine klare und bestimmte Unterscheidung der verschiedenen Kategorieen des Systems begann jedoch erst im Anfange des vorigen Jahrhunderts, als der um die formelle Ausbildung der systematischen Naturgeschichte hochverdiente L i n n 6 mittelst der binären Nomenclatur eine logisch geordnete Benennung und strengere systematische Anordnung der bis dahin regellos benannten und zusammengeworfenen Organismen einführte. L i η η έ unterschied fünf über einander geordnete Stufenreihen oder Kategorieen des Systems, deren gegenseitige Beziehungen er in dem folgenden Schema ausdrückte: Classis (Genus summumj Provinci ae Legiones
Ordo (Genus intermedium) Territoria Cohortes
Genus ^ Genus proxiParoecia Manipuli
Species (Species)
Varietas (Individuum) Domicilium Miles.
Die Nachfolger L i η η 6' s waren meistens vor Allem bestrebt, die zu beschreibenden Arten in diese Kategorieen einzuordnen. Die Thierclassen aber, als die allgemeinsten und umfassendsten dieser Kategorieen, wurden von ihnen in eine einzige Reihe von der niedersten bis zur höchsten geordnet, gleich wie auch innerhalb der Classe die Ordnungen, innerhalb jeder Ordnung die dieselbe constituirenden Familien, innerhalb der Familie die verschiedenen Genera derselben, und endlich innerhalb jedes Genus seine Species in einer einzigen Reihe hinter einander geordnet wurden. Man hielt dafür, dass eine einzige, in eine continuirliche Reihe geordnete Stufenleiter vom unvollkommensten bis zum vollkommensten Organismus hierauf führe („la chaine des etres"). Diese Anschauung wurde erst überwunden und ein wesentlicher Schritt weiter in der Systematik gethan, als im Anfange unseres Jahrhunderts gleichzeitig zwei grosse Naturforscher die Theorie von den vier grundverschiedenen Typen oder grossen Hauptabtheilungen des Thierreichs aufstellten, die ganz von einander unabhängig seien. C a r l E r n s t v o n B ä r gelangte zu dieser höchst wichtigen Anschauung auf vergleichend embryologischem, G e o r g e C u v i e r dagegen auf vergleichend anatomischem Wege. C u v i e r fand den Grund der fundamentalen Verschiedenheit der vier thierischen Typen oder Hauptformen (Embranchements) in vier grundverschiedenen Bauplänen, welche deren anatomischer Structur zu Grunde liegen 1 ). B ä r fand den we1) „Si l'on considere le regne animal en n'ayant egard qu' ä 1' organisation et k la nature des animaux. on trourera. ,qu'il existe quatre formes principales, quatre plans generaux, si l'on peut s'exprimer ainsi. d'apres lesquels tous les animaux semblent avoir ete modeles, et dont les divisions ulterieures. de quelque titre que les naturalistes les aient decorees. ne sont que des modifications assez legires, fondles sur le diveloppement ou l'addition de quelques parties, qui ne changent rien ä l'essence du plan." Wir führen diese 1812 von C u v i e r gegebene Definition der vier Typen des Thierreichs, als ;;uf vier verschiedenen Baupläne begründet, hier wörtlich an, da sie für die nachfolgende
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Das natürliche System als Stammbaam.
sentlichsten Unterschied derselben in ihrer von Anfang an gänzlich verschieden embryonalen Entwickelungsweise. Nach der übereinstimmenden und unabhängig von einander erworbenen Ansicht beider Forscher stellten die vier grossen Hauptgruppen, die Wirbelthiere, Gliederthiere, Weichthiere und Strahlthiere, ebenso viele ganz selbstständige Entwickelungsreihen dar, deren jede, unabhängig von den anderen, eine Stufenleiter von niederen zu höheren Formen zeigt 1 ). Durch diese Aufstellung der Typen, als allgemeinster und umfassendster Hauptabtheilungen und oberster Kategorieen des Systems, denen sich alle verschiedenen Classen u. s. w. unterordnen Hessen, war eine höchst wesentliche Erweiterung nicht allein der formellen Systematik, sondern auch der gesammten Morphologie geschehen. Eine weitere wesentliche Bereicherung des systematischen künstlichen Fachwerks führte C u v i e r dadurch ein, dass er zuerst natürliche F a m i l i e n unterschied, eine Kategorie des Systems, die er zwischen Ordo und Genus stellte, und die L i n n έ unbekannt war. Ausserdem schuf C u v i e r in seinem Systeme auch noch eine Anzahl anderer untergeordneter, jedoch über dem Genus stehender Kategorieen, die er mit dem Namen der Sectionen, Divisionen und Tribus belegte, sowie er auch die grossen Genera in Subgenera spaltete. Auf dieser von C u v i e r gegebenen formellen Grundlage des Systems hat sich nun die neuere Systematik in seinem Sinne weiter entwickelt, ohne dass sie sich in der Regel die geringste Mühe gab, den relativen Werth der verschiedenen über einander geordneten Kategorieen näher zu prüfen und zu bestimmen. Vielmehr verfuhren die allermeisten Systematiker bei der Einreihung neuer Arten und Gattungen in das System lediglich nach einem gewissen praktischen, durch Uebung erworbenen Takt, wobei jedoch häufig das subjective Gutdünken sehr willkührlich obwaltete. Man fasste im Allgemeinen immer zuerst die nächstähnlichen concreten Individuen, welche zur Untersuchung vorlagen, in der abstracten Einheit der Art oder Species zusammen, vereinigte dann die sich am nächsten stehenden, nur durch „specifische" Merkmale getrennten Species zu einem Genus, die nächst ähnlichen Genera zu einer Familie u. s. w., wobei man dann je nach Zoologie in dieser speciellen Form und Ausdracksweise vom entscheidendsten Einfluss geblieben ist. l ) Wir bemerken hierbei ausdrücklich, dass B ä r nicht allein gleichzeitig und ganz unabhängig von C u v i e r den grossen und fruchtbaren Gedanken von der Selbstständigkeit der vier thierischen Typen erfasste, sondern dass er denselben auch mit weit tieferem πηΊ innigerem Verständniss des thierischen Organismus durchführte, indem er ihn auf die E n t w i c k e l u n g s g e s c h i c h t e begründete. C u v i e r , dessen Verdienste bisher höchst einseitig überschätzt worden sind, erfasste dieselbe Idee viel äusserlicher und blieb ihrem Verständniss viel fremder, indem er sich bloss an das f e r t i g e R e s u l t a t d e r A n a t o m i e hielt.
L Begriffsbestimmung der Kategorieen des Systeme.
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Bedürfniss untergeordnete Kategorieen (z.B. Subclassis, Subordo, Subfamilia) zwischen die am meisten gebräuchlichen Systemstufen der Classe, Ordnung. Familie, Gattung u. s. w. einschaltete. Allgemein sind alle diese verschiedenen über einander geordneten Rangstufen in der systematischen Praxis im Gebrauch, ohne dass sich aber irgend ein bestimmter Begriff mit denselben verbindet. Vielmehr muss zugegeben werden, dass meistens lediglich das relative und nur nach subjectivem Gutdünken zu bemessende Verhältniss der graduellen FormAehnlichkeit oder morphologischen Differenz es ist, das die Erhebung einer neuen specifischen Form zu einer besondern Gattung, Familie, Ordnung u. s.. w. rechtfertigt. Je mehr zwei verschiedene Species in äusserer Form und innerer Structur übereinstimmen, je grösser die Anzahl der übereinstimmenden Charaktere ist, desto tiefer ist die Stufe der Kategorieenscala, auf welcher sie vereinigt sind; je weiter sie sich in allen inneren und äusseren Formbeziehungen von einander entfernen, je geringer die Summe ihrer gemeinsamen Charaktere ist, auf desto höherer Stufe des Systems erst Wörden sie zusammengestellt. Sehr häufig ist es aber auch nicht der wirkliche Grad der morphologischen Differenz, sondern es sind ganz untergeordnete, secundäre und unbedeutende Nebenumstände, welche die Trennung zweier nächstverwandten Formen und ihre Stellung in zwei verschiedene Gattungen, Familien, Ordnungen u. s. w. bestimmen. Insbesondere übt hier der absolute Umfang der einzelnen Abtheilungen auf die Vorstellung vieler Systematiker einen entscheidenden Einfluss aus. Viele früher einfachen Gattungen sind allmählich in mehrere Genera zerspalten und zum Range von Familien erhoben worden, lediglich weil die Zahl der in denselben enthaltenen Arten beträchtlich gewachsen ist, obschon deren Differenzgrad nicht gleichzeitig sich erhöhte. Andererseits sind vielfach einzelne sehr ausgezeichnete Formen (sogenannte aberrante Formen) nicht zu dem eigentlich ihnen zukommenden Range einer besonderen Ordnung, Classe etc. erhoben worden, bloss aus dem Grunde, weil die betreffende Form nur durch eine einzige Species oder eine einzige Gattung repräsentirt ist, so ζ. B. Amphmxvs. Dentaliiim, Hyrtra. Auch andere dergleichen secundäre Erwägungen sind häufig für die Bestimmung der Kategorieenstufe, die einer einzelnen Species zukömmt, ganz maassgebend gewesen, und an die Stelle einer objectiven vergleichenden Wägung der Charaktere getreten, die allein jene Stufe bestimmen sollte. Da nun aber ein bestimmtes Gewicht für jene Wägung, ein allgemein gültiger Mäassstab für die Messung der Entfernung der einzelnen Species-Charaktere, gleichwie eine anerkannte Werthbestimmung der Systems - Kategorieen selbst vollständig fehlt, so ist der subjectiven Willkühr der Systematiker überall Thor und Thür geöffnet. Die Folge
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Bas natürliche System als Stammbaum.
davon zeigt sich denn auch deutlich genug in der chaotischen Verwirrung , die auf allen Gebieten der Systematik herrscht. Nicht zwei Naturforscher sind in allen Fällen über die Rangstufe, auf welche eine bestimmte Form zu erheben ist, einig. Unterschiede, die den Einen bestimmen, sie zu einer Gattung zu erheben, lässt ein Anderer nur als Species-Differenzen gelten, während ein Dritter darauf eine neue Familie gründet. Eine Formengruppe, die der Erste als Ordnung betrachtet, sieht der Zweite nur als eine untergeordnete Familie an, während der Dritte sie zum Werth einer Classe erhebt. Aber auch ein und derselbe Naturforscher misst die Arten, Gattungen, Familien u. s. w. in verschiedenen Abtheilungen des Pflanzenreichs und des Thierreichs mit verschiedenem Maasse. Jeder vergleichende Blick auf eine grössere Anzahl von Familien, Gattungen und Arten aus verschiedenen Classen zeigt, dass dieselben Unterschiede, welche in der einen Classe kaum für genügend gelten, um zwei verschiedene Formgruppen als Genera zu trennen, in einer anderen Classe von demselben Naturforscher für vollkommen ausreichend gehalten werden, um zwei Formgruppen als Familien aufzustellen, während sie ihm in einer dritten Classe vielleicht gar für so wesentlich gelten, dass er darauf hin zwei Formengruppen als besondere Ordnungen unterscheidet. Alle denkenden und unbefangenen Systematiker müssen uns eingestehen, dass der specielle Ausbau des systematischen Fachwerks ohne alle allgemein gültigen Regeln, in sehr willkührlicher Weise geschieht, dass die verschiedenen Kategorieenstufen künstliche Abtheilungen, und dass die Differenzen derselben keine absoluten, sondern nur relative sind. Der grössere Theil der Naturforscher nahm jedoch bis jetzt gewöhnlich, wenn er auch jene Willkühr zugab, den Species - Begriff davon aus. Die Species-Kategorie allein sollte eine absolut bestimmte, reale, in der Natur selbst begründete und fest umschriebene Formensumme umfassen l ). *)
Diese Auffassung des Systems und seiner verschiedenen Kategorieen,
der Vorstellung der meisten Zoologen und Botaniker und in der Systematik angewendet w i r d , Systematiker,
welche in
mehr oder minder bewusst herrscht
ist am deutlichsten von B u r m e i s t e r ,
einem
der sich vor vielen Andern durch Klarheit und l'eberblick auszeichnet, in
seinen Zoonomischen Briefen ausgesprochen worden. dem so eben angeführten Schema that, der Gruppirung einer Armee.
Er vergleicht, wie schon L i n n i in
die übliche Kategorieenbildung des Systems mit
Die Reihen, Classen, Ordnungen. Familien und Gattungen
des Thier - und Pflanzenreichs
sind gleich
den Divisionen,
Regimentern,
Bataillonen^
Compagnien, Z ü g e n , Rotten, blosse Begriffe, ideale Abstractionen, die nur dadurch eine Bedeutung haben,
dass ihnen schliesslich eine Vielheit von realen K ö r p e r n ,
duen , zu Grande liegt.
dem organischen System sind es nach B u r m e i s t e r die A r t e n . sagt e r ,
den Indivi-
In der Armee sind diese Individuen die einzelnen Soldaten;
„ a l s r e a l e s W e s e n ist nur die unterste und letzte Abtheilung,
A r t , S p e c i e s , genannt h a t ; lungen aufgestellt werden;
in
„ W i r k l i c h vorhanden", welche man
sie allein kann gesehen, gegriffen, gesammelt, in Samm-
aUe übrigen höheren Gruppen sind blosse Begriffe, die man
L Begriffsbestimmung der Kategorieen des Systems.
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Gegenüber dieser am weitesten verbreiteten Ansicht, dass nur die Species ein reales Wesen, die übergeordneten Kategorieen des Genus, Familia etc. dagegen ideale und grösstenteils willkührliche Abstractionen seien, hat neuerdings Louis Agassiz eine ganz eigentümliche, im höchsten Grade dualistische und scholastische Ansicht von der Bedeutung der Systems-Kategorieen aufgestellt und in einem besondern Werk mit vielem Geist und in blendender Form b e g r ü n d e t B e i dem grossen Aufsehen, das ihre Originalität, durch die Autorität des nach diesen oder jenen übereinstimmenden Merkmalen feststellt. deren reale Existenz aber geleugnet werden mass." Alle verschiedenen Gruppen des Systems „haben strenggenommen so wenig Realität, wie die Typen, welche sie einschliessen; es sind menschliche Producte, ideale Gestalten, welche die Naturforscher aus den r e a l e n F o r m e n d e r A r t e n ( S p e c i e s ) ableiten. und dabei mehr nach Gutdänken, als nach einer bestimmten Regel verfahren. Hierauf gründet sich das Schwankende und Veränderliche des Systems.'· Diese Ansicht wird von B u r m e i s t e r (1. c. p. 1 —14) ausführlich begründet, und es ist diese Ausführung desshalb sehr lesenswerth und merkwürdig, weil sie die Befangenheit in Betreff des Species - Begriffs deutlich zeigt, in welcher selbst ein so vorzüglicher Systematiker sich befindet. der das systematische Handwerk mit mehr Sinn und Verstand treibt. als die meisten Andern. Nachdem er die ganz subjective Willkührliclikeit. die in der Unterscheidung der verschiedenen Kategorieen herrscht. hervorgehoben, fügt er noch folgende merkwürdige Stelle hinzu: „Im Grunde existiren in Wirklichkeit nur die Arten. und das sind stet« mehr oder weniger verschiedene Gestalten. Es ist also nichts leichler. als sie zu trennen; viel schwieriger ist es. sie durch gute und sichere Charaktere zu haltbaren Gruppen zu verbinden. Darum werden immer mehr Gattungen entstehen, je mehr man die Arten sicher unterscheiden lernt; j a man wird zuletzt dahin kommen, a u s j e d e r A r t e i n e G a t t u n g zu m a c h e n , u n d d a s w ä r e a m E n d e d a s R i c h t i g s t e , weil doch nur die Arten wirklich existiren, alle höheren Gruppen aber blosse Begriffe. blosse Abstractionen gewisser übereinstimmender Artmerkmale sind." (!) Wir haben diese Stellen, in denen Wahrheit und Irrthum in der seltsamsten Weise gemischt ist, wörtlich angeführt, weil sie äusserst bezeichnend sind für die unklare und unvollständige Bestimmung der Begriffe. mit denen die Systematiker ganz unbesorgt täglich operiren, und weil der Grundirrthum, das Dogma von der realen Existenz der Species, in dem sich hier ein hervorragender Systematiker befangen findet, von der grossen Mehrzahl aller Zoologen und Botaniker noch heute getheilt wird. Nach unserem Dafürhalten muss jede einigermaassen in die Tiefe des Species · Begriffes eindringende Untersuchung alsbald zu der klaren Ueberzcugung führen, dass die Species nicht minder ein blosser Begriff, eine ideale Abstractiou ist, als die höheren übergeordneten Begriffe des Genus, Familia. Ordo etc. Den Beweis hierfür haben wir bereits im zweiandzwanzigsten Capitel geführt, wo wir die Art als genealogisches Individuum zweiter Ordnung näher bestimmt haben. Wenn B n r m e i s t e r bei dem sehr treffenden Vergleiche der systematischen Kategorieen mit einer Armcegruppirung schliesslich das reale Einzelwesen, welches dem Soldaten entspricht, in der Species findet, so thut er damit selbst einen grossen Rückschritt hinter L i n n e , welcher in dem üben angeführten Schema vollkommen richtig M i l e s und I n d i v i d u u m vergleicht. 1 ) L o u i s A g a s s i z , An Essay on classification. Contributions to the natural history of the united States. Boston. Vol. I. 1857. 4°. Als besonderer Abdruck in Octav ist derselbe Essay 1859 in London erschienen. Diese letztere Ausgabe haben wir hier citirt.
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Das natürliche System als Stammbaum.
Urhebers noch mächtig gestützt, erregt hat, müssen wir diese Ansicht hier nothwendig besprechen und widerlegen»). Nach A g a s s i z ist nicht allein die Species eine reale Existenz, sondern es sind auch die übergeordneten Kategorieen des Genus, Familia, Ordo, Classis, Typus („Branch", Embranchement) eben solche reale, in der Natur begründete und nicht künstlich von den Systematikern geschiedene Existenzen, „ v e r k ö r p e r t e S c h ö p f u n g s g e d a n k e n Gottes". Diese sechs verschiedenen Abtheilun&s - Arten decken alle Kategorieen der Verwandtschaft, welche zwischen den Organismen existiren, soweit sich dieselben auf ihre Naturverhältnisse beziehen. Es sind diese weiteren und engeren Gruppen nicht, wie man gewöhnlich annimmt, q u a n t i t a t i v , durch den Grad der Uebereinstimmung oder Differenz der Charaktere, sondern q u a l i t a t i v , durch die Art und Weise der Charakter-Aehnlichkeit und Differenz, verschieden. Jeder dieser sechs Haupt-Kategorieen des Systems kommt also ein bestimmter, realer Inhalt zu. Dieser Werth, diese Qualität derselben wird von A g a s s i z in der folgenden Weise zu bestimmen versucht. I. Die A r t (Species) ist nach A g a s s i z dadurch charakterisirt, „dass sie einer bestimmten Periode der Erdgeschichte angehört , und dass sie bestimmte Beziehungen hat zu den in dieser Periode waltenden physikalischen Bedingungen und zu den in dieser Periode lebenden Pflanzen und Thieren." — „Die Species sind auf ganz bestimmte Beziehungen der Individuen zu einander und zu der umgebenden Welt gegründet." — „Die Individuen als Repräsentanten der Species zeigen die engsten Beziehungen zu einander und zu den umgebenden Elementen, und ihre Existenz ist auf eine gewisse Periode beschränkt-')." Diese mannichfaltigen, die Species als solche charakterisirenden „Beziehungen" (relations) werden dann von A g a s s i z in folgender Weise näher bestimmt: 1) Die Arten haben einen bestimmten natürlichen, geographischen Verbreitungsbezirk, sowie die Fähigkeit, sich in anderen Gegenden, wo sie nicht primitiv sich finden, zu acclimatisiren. ' ) Bei dem grossen Gewicht, welches A g a s s i z selbst und seine Auliänger auf die teleologisch - theosophischen Ausführungen seines „Essay" legen . woller. wir die wichtigsten Stellen desselben hier wörtlich in Anmerkungen citiren. 2
) „If we would not exclude from the characteristics of ies any feature which is essential to it, nor force into it one which is not so, we must first acknowledge that it is one of the c h a r a c t e r s of t h e s p e c i e s , to belong to a given period in the history of our globe, and to holt definite relations to the physical condition? then prevailing, and to animals and plants then existing. — Species are based upon well determined relations of individuals to the world around them. and to their kindred. and upon the proportions and relations of their parts to one another. as well as upon their ornamentation" (Essay etc. p. 258. 260). „The i n d i v i d u a l s a s r e p r e s e n t a t i v e s o f s p e c i e s bear the closest relations to one another; the exhibit definite relations also to the surrouudiug elements, and their existence is limited within a definite period." (Ibid. p. 257.)
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2) Die Arten haben eine bestimmte Beziehung zu örtlichen Verhältnissen, einen topographischen Verbreitungsbezirk; sie wohnen entweder auf dem Lande, oder im Wasser, in Meeren oder Flüssen, Ebenen oder Gebirgen etc. 3) Die Arten sind abhängig von gewissen Nahrungsmitteln. 4) Die Arten haben eine bestimmte Lebensdauer. 5) Die Arten leben in gewissen gesellschaftlichen Beziehungen, in Heerden oder isolirt etc. 6) Die Arten besitzen eine bestimmte Periode ihrer Reproduction. 7) Die Arten haben bestimmte Wachsthumsverhältnisse und Metamorphosen. 8) Die Arten stehen in gewissen Beziehungen zu anderen Organismen, ζ. B. Parasiten. 9) Die Arten sind charakterisirt durch eine bestimmte Grösse, Proportion ihrer Theile, Ornamentation und Variabilität. Es ist nicht schwer, nachzuweisen, dass alle diese Beziehungen, welche hier A g a s s i ζ als charakteristische Eigenthümlichkeiten der Species anführt und als ihren realen Inhalt betrachtet, ganz ebenso gut und mit demselben Rechte ohne Weiteres vielen Varietäten, vielen Gattungen, vielen Familien u. s'. w. viudicirt werden könnten. Auch die Varietät, auch das Genus gehört, ganz ebenso gut, wie die Species, einer bestimmten Periode der Erdgeschichte an und hat seine bestimmten Beziehungen zu den physikalischen Bedingungen derselben und zu den gleichzeitigen Pflanzen und Thieren. Auch die Varietäten, auch die Genera, auch die Familien u. s. w. haben, so gut als die Arten, ihren bestimmten geographischen Verbreitungsbezirk, ihren bestimmten Wohnort, bestimmte Nahrung, Lebensdauer, gesellige Beziehungen, bestimmte Reproductions-, Wachsthums- und Entwickelungs - Verhältnisse, bestimmte Beziehungen zu anderen Organismen etc. Auch innerhalb der Varietäten, Gattungen, Familien etc. ist ganz eben so wie innerhalb der Arten eine bestimmte Gränze und ein gewisses mittleres Maass der Grösse, der Proportion der einzelnen Körpertheile, der Ornamentation u. s. w. gegeben, oder wird vielmehr, ebenso wie bei der Species, künstlich von uns abgegränzt. WTenn wir die Species hinsichtlich dieser „Beziehungen" mit der engeren Kategorie der Varietät und mit dem weiteren Begriff des Genus vergleichen, so können wir weiter nichts sagen, als dass jene „ganz bestimmten Beziehungen zu einander und zu der umgebenden Welt" ganz ebenso für die Varietäten und Gattungen, wie für die Arten existiren, und dass also diese ganz bestimmten „engsten Beziehungen" für die Varietäten e n g e r e , für die Gattungen dagegen w e i t e r e sind, als für die Art. Die vollkommene Haltlosigkeit der von A g a s s i ζ versuchten Definition der Species geht aus dieser einfachen Betrachtung ohne Weiteres hervor. II. Die S i p p e oder G a t t u n g (Genus) ist bekanntlich diejenige nächsthöhere und allgemeinere Kategorie, unter welcher wir die nächstverwandten Arten zusammenfassen. Seit L i n n 6 hat diese Kategorie
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eine höhere Bedeutung, insbesondere in der systematischen Praxis, dadurch gewonnen, dass in der binären Nomenclatur der erste Name (Nomen genericum) die nahe verwandtschaftliche Beziehung der Species zu den nächstähnlichen Formen, die wir als Arten unterscheiden, ausdrückt, während der zweite Name (Nomen specificum) den specifischen Unterschied selbst bezeichnet. Wenn wir den Hirsch Cerrxs elaphus, das Reh Cervns capreolus, den Dammhirsch Cervns damn, das Rennthier Cerrvs tarandus und den Elch, Cerrns alces, als verschiedene Species des einen Genus Cerrns zusammenfassen, so wollen wit durch den ersten oder Genus-Namen der einzelmen Formen (Cervns) die sie zunächst verbindende Aehnlichkeit, durch den zweiten oder Species-Namen (elaphus, capreolus, dama etc.) den sie zunächst trennenden Unterschied ausdrücken. Es stehen also, wie dies allgemein bekannt ist, die verwandten Genera als Gruppen von nächstverwandten Species neben einander; als Gnippen, welche in allgem e i n e r e n C h a r a k t e r e n übereinstimmen, als diejenigen sind, die die einzelnen Individuen zur Species verbinden; und welche durch weitere U n t e r s c h i e d e getrennt sind, als diejenigen, welche Arten einer und derselben Gattung trennen. Die Verschiedenheiten zweier nächstverwandten Gattungen sind also grösser und zahlreicher, die Aehnlichkeiten geringer und spärlicher, als diejenigen, welche wir zwischen zwei Arten einer Gattung finden. Diese einzig richtige Auffassung des Genus als einer nächst höheren Species - Gruppe wird von A g a s s i ζ gänzlich verworfen, und statt dessen behauptet, dass die Sippen oder Gattungen „die am engsten verbundenen Thiergruppen sind, welche weder in der Form noch in der Zusammensetzung iBres Baues, sondern einfach in den letzten Structur-Eigenthümlichkeiten einzelner ihrer Theile sich unterscheiden." — „Die Individuen als Repräsentanten der Gattungen haben eine bestimmte und specifische feinste Structur, identisch mit derjenigen der Repräsentanten von anderen Arten." Es bedarf keines ausführlichen Beweises, dass auch diese von Agassiz versuchte Bestimmung des Genus eine vollkommen leere Phrase ist. Welcher Art sind denn diese „letzten Structur - Eigentümlichkeiten einiger ihrer Theile", welche allein das Genus als solches bestimmen sollen und welche jedem Genus ausschliesslich eigentümlich sein sollen? Wir fragen jeden Systematiker, ob er nicht ganz ebenso gut diese Bestimmung auf Speeles, Varietäten etc. wird anwenden wollen, ob es schliesslich nicht ' ) „ G e n e r a are most closely allied groups of animals, differing neither in form nor in complication of structure, but simply in the ultimate structural peculiarities of same of their parts" (Essay etc. ς. 249). „ T h e I n d i v i d u a l s a s r e p r e s e n t a t i v e s of g e n e r a have a definite and specific ultimate structure, identical with that of the representatives of other species" (lb. p. 257).
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auch „letzte Stractur-Eigentümlichkeiten einzelner Theile" sind, welche die für.die Species, für die Varietät etc. charakteristische Form hervorbringen. Es ist dies ohne weiteres so klar, dass eine eingehende "Widerlegung nicht nöthig ist. III. Die F a m i l i e (Familin), die nächsthöhere Kategorie des Systemes, welche die nächst verwandten Gattungen umfasst, ist diejenige Systems-Stufe, welche Agassi ζ die meisten Schwierigkeiten verursacht hat und über die er am wenigsten Herr geworden ist. Aus dem langen Capitel, in welchem er die Kategorie der Familie einerseits gegen die nächsthöhere Stufe der Ordnung, andererseits gegen die nächstniedere Stufe der Gattung abzugränzen versucht, kommt als endliches Schlussresultat weiter nichts heraus, als dass „Familien natürliche Gruppen sind, welche durch ihre Form charakterisirt sind, soweit dieselbe durch Structur-Eigenthümlichkeiten bedingt ist." Die allgemeine Form allein, b e d i n g t d u r c h die S t r u c t u r , nicht der blosse Umriss, ist das Kennzeichen der Familie. „Die Individuen, als Repräsentanten der Familie, haben eine bestimmte Figur, welche entweder zusammen mit ähnlichen Formen von andern Gattungen, oder für sich allein (wenn die Familie nur ein Genus enthält) einen gewissen specifischen Zug zeigt." Eine richtige Definition und Abgrenzung der Familien ist nicht möglich ohne vollständige Erkenntniss aller Züge der inneren Structur, welche zusammen die Form bestimmen1). Dieser Definitions -Versuch der Familien - Kategorie ist wohl der unglücklichste von allen, welche A g a s s i z gemacht hat; denn lässt sich nicht ganz dasselbe, mit ganz demselben Rechte, von der Kategorie der Ordnung, der Gattung u. s. w. behaupten? Ist es nicht überall die Form, bedingt durch die Structur, welche den Charakter jeder Gruppe bedingt? Offenbar schwebte A g a s s i z hierbei die allgemeine Physiognomie, der allgemeine Habitus vor, welcher gewöhnlich (aber durchaus nicht immer!) alle Glieder einer von uns als Familie zusammengefassten Gruppe verbindet. Aber findet sich nicht auch eine gleiche allgemeine Uebereinstimmung in der „Form, bedingt durch die Structur", n u r in engerem M a a s s e , in höherem Grade, bei den verschiedenen G a t t u n g e n einer Familie wieder? Und können wir nicht gleicherweise alle Familien, die zu einer O r d n u n g *) „ F a m i l i e s are natural groups, charakterized by their form as determined by structural peculiarities.'- Essay etc. p. 245. — „Form is the essential characteristic of families. I do not mean the mere outline. bat form as determined by strncture; that is to say, that families cannot be well defined. nor circumscribed within their natural limits. without a thorough investigation of all those features of the internal structure which combine to determine the form.1' Ib. p. 211. — „ T h e i n d i v i d u a l s a s r e p r e s e n t a t i v e s of f a m i l i e s , have a definite figure, exhibiting, with similar formes of other genera, or for themselves, if the family contains but one genus, a distinct, specific pattern." (Ib. p. 257.)
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gehören, an einer solchen allgemeinen pbysiognomischen Aehnlichkeit, einer habituellen Uebereinstimmung, n u r in w e i t e r e m M a a s s e , in niederem Grade erkennen? Diese ganz unfassbare Definition der Familie, als einer natürlichen Formgruppe, ist denn auch so gänzlich unhaltbar, dass selbst R u d o l p h W a g n e r sie weder verstehen noch billigen kann, obgleich er derjenige deutsche Naturforscher ist, welcher der eigentümlichen theosophisch-naturwissenschaftlichen Richtung von A g a s si ζ am nächsten von Allen steht. In der Kritik, welche R u d o l p h W a g n e r von A g a s s i z ' s „Essay on classification" gibt, und in welcher er sonst fast in keinem Punkte dem letzteren seine aufrichtige Zustimmung und seine vollkommene Bewunderung versagt, kann er doch nicht umhin, bei der „Familie" zu bemerken: „Wir müssen bekennen , dass es uns unmöglich gewesen ist, hier den Verfasser genau zu verstehen, wodurch sich eben die Formverhältnisse als FamilienCharaktere charakterisiren." IV. Die O r d n u n g (Ordo), diejenige Kategorie des Systems, welche zunächst als umfassenderer, allgemeinerer Begriff über der Familie steht, und von dieser oft so schwer geschieden werden kann, wird von A g a s s i z definirt als diejenige Abtheilung, welche „durch die n a t ü r l i c h e n G r a d e d e r C o m p l i c a t i o n i h r e r S t r u c t u r innerhalb der Grenzen der Classe bestimmt wird". Lediglich die C o m p l i c a t i o n o d e r G r a d a t i o n d e r S t r u c t u r als solche charakterisirt der Ordnungsbegriff. „Die Individuen aber, als Repräsentanten der Ordnung, stehen auf einer bestimmten Rangstufe, wenn man sie mit den Repräsentanten von andern Familien vergleicht." Die Ordnungen sind natürliche Gruppen, welche den Rang, die relative Stufenhöhe, die höhere oder niedere Stellung der Thiere in ihrer Classe ausdrücken Wenn auch nicht so unglücklich und so ganz unhaltbar, als die Definition der Familie, entspricht diese Definition der Ordnung dennoch ebenso wenig den natürlichen Verhältnissen. Liesse sich nicht ganz dasselbe eben so gut in den meisten Fällen von der Classe als der nächst höheren, und von der Familie als der nächstniederen Kategorie behaupten? Wenn die Definition von A g a s s i z richtig wäre, so müssten sich alle Ordnungen einer jeden Classe nach dem höheren oder geringeren Complicationsgrade ihrer Structur in eine einzige fort' ) „ O r d e r s alone are strictly defined by the natural degrees of structural complications exhibited within the limits of the classes." (Essay etc. p. 234.) „The complication or gradation of structure is the feature which should regulate their limitation, if under order we are to understand natural groups expressing the rank, the relative standing, the superiority or inferiority of animals, in their respective classes." (Ib. p. 236.) „ T h e i n d i v i d u a l s a s r e p r e s e n t a t i v e s o f o r d e r s stand in a definite rank when compared to the representatives of other families" (Ib. p. 257).
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laufende Stufenreihe bringen lassen. Dasselbe müsste aber in allen Fällen bei den verschiedenen Classen eines Typus, und ebenso bei den verschiedenen Familien einer Ordnung unmöglich sein. Jeder Systematiker wird sich sofort sagen, dass diese Behauptung fast nirgends zutrifft. Jeder muss zugeben, dass die O r d n u n g e n g a n z e b e n s o wie d i e C l a s s e n u n d w i e d i e F a m i l i e n , t h e i l s c o o r d i n i r t e u n d t h e i l s s u b o r d i n a t e G r u p p e n darstellen, und dass es ganz unmöglich sein würde. in irgend einer Classe die verschiedenen Ordnungen lediglich gemäss dein höheren oder niederen Grade ihrer Structur-Complication, und ohne alle Rücksicht auf die Form (die lediglich die Familie charakterisiren soll) in eine einzige Stufenreihe zu ordnen. V. Die C l a s s e (Ctnssis), diejenige umfassendere Kategorie, der sich die Ordnungen zunächst unterordnen, ist nach A g a s s i ζ weder durch die F o r a noch durch den Complications-Grad der Structur bestimmt, sondern „durch die Combination der verschiedenen Organsysteme, welche den Körper ihrer Repräsentanten zusammensetzen. Die Classen unterscheiden sich durch die Art und Weise, in welcher der Plan ihres Typus (der entsprechenden grossen Hauptabtheilung des Thierreiches) durchgeführt ist, durch die Mittel und Wege, auf welchen dies geschieht, oder, mit anderen Worten, durch die Combination ihrer Structur-Elemente." Dagegen sind nach der Ansicht von A g a s s i ζ die Classen nicht, wie sie häufig angesehen werden, blosse Modificationen des grossen umfassenden Planes des Typus, welchem sie angehören, vielmehr Ausdrücke einer bestimmten, charakteristischen I d e e d e s S c h ö p f e r s . ..Die Individuen als Repräsentanten der Classen zeigen den Structurplan ihrer bezüglichen Typen in einer speciellen Art und Weise ausgeführt , mit speciellen Mitteln und auf speciellen Wegen l )."· Auch dieser Versuch einer Begriffsbestimmung der Classe leidet an denselben Mängeln, wie die vorhergehenden der Ordnung, Familie u. s. w. Abgesehen von der ganz unbestimmten und unfassbaren Allgemeinheit •der darin ausgedrückten Idee, welche die verschiedenartigsteh Deutungen zulässt, und abgesehen von dem gänzlich unwissenschaftlichen Anthropomorphismus, der auch hier in der Vorstellung eines bestimmten speciellen Schöpfungsgedankens liegt, dessen Ausdruck nur die Classen-Kategorie sein soll, liesse sich dieselbe Definition, wenn wir sie 1 ) . . C l a s s e s are to be distinguished by the manner in which the plan of their type is executed. by the ways and means by which this is done, o r , in other words, by the combinations of their structural elements; that is to say, by the combinations of the different systems of organs building up the body of their representatives.'· (Essay etc. p. 224.) „ T h e i n d i v i d u a l s as r e p r e s e n t a t i v e s of c l a s s e s exhibit the plan of the structure of their respective types in a special manner. carried out with special means and in special ways'' (lb. p. 257). Haeckel, Generelle Morphologie, Π. •)£,
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präcisiren, ebenso gut als auf die meisten Classen, auch auf die meisten untergeordneten Kategorieen, Ordnungen, Familien etc. anwenden. Wenn wir den Gedanken, welchen A g a s s i ζ unklar und mystisch verhüllt in diese dunkle Definition hineinträgt, klar und scharf zu fassen versuchen, so läuft er darauf hinaus, dass die Classen nicht q u a n t i t a t i v , gleich den Ordnungen, sondern q u a l i t a t i v , gleich den Familien, von einander verschieden sind. Die Classen im Sinne von A g a s s i ζ sind einfache Stufenleitern von subordinirten Ordnungen, die sich stufenweis über einander erheben, wogegen das Verhältniss der stets nur coordinirten Classen zu einander (ebenso wie das der coordinirten Familien einer jeden Ordnung) nicht durch das Bild einer Stufenleiter, sondern einer R a d i a t i o n sich ausdrücken lässt. „It may be represented by one single diagram, and may be expressed in one single word. R a d i a t i o n . " (1. c. p. 224) Es könnten also niemals Classen eines Typus sich über einander ordnen lassen, da sie niemals durch den Grad ihrer Structur - Complication verschieden sind. Lässt sich diese Behauptung auf alle Classen anwenden, welche gewöhnlich als solche aufgefasst, und auch von A g a s s i z als solche anerkannt werden? Ist stets das Verhältniss der Classen zu einander ein coordinates, und stets dasjenige der Ordnungen zu einander (innerhalb einer Clause) ein subordinates? Wir glauben, dass jeder einigermaassen unbefangene Systematiker diese Frage verneinen wird. Es genügt in der That eine nur massig tief gehende Vergleichung vieler Classen mit vielen Ordnungen und mit vielen Familien, die A g a s s i z selbst als solche anerkennt, um zu beweisen, dass dasjenige, was A g a s s i z den Classen allein vindicirt, sich ebenso gut von vielen Ordnungen und vielen Familien, die er selbst als solche Kategorieen betrachtet, aussagen Hesse. VI. Der T y p u s oder Stamm (Branch, Zweig, Embranchement, Unterreich, Subkingdom), die letzte und höchste der sechs „realen" Kategorieen, welche A g a s s i z im Systeme unterscheidet, ist zugleich die einzige, die wir als solche anerkennen können. Wie schon oben erwähnt, war es das grosse Verdienst B a r ' s und Cu v i e r ' s , erkannt zu haben, dass die noch im Anfang unsere Jahrhunderts herrschende Ansicht von einer einzigen Stufenleiter in den OrganisationsAbstufungen des Thierreichs falsch sei, dass vielmehr mehrere solche wesentlich verschiedene Stufenleitern unabhängig neben einander existirten, in deren jeder eine Abstufungsreihe von den vollkommensten zu unvollkommneren Organisationen nachweisbar sei. Sowohl C u v i e r als B ä r unterschieden im Thierreiche vier solcher Hauptabtheilungen, die sie T y p e n nannten. Jedem dieser Typen sollte ein besonderer eigenthümlicher Bauplan (Cuvier) und ein eigener Entwickelungsplan (Bär) zu Grunde liegen. Die Auffassung, welche C u v i e r von dem Wesen dieser Typen oder Kreise und von ihrer
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fundamental verschiedenen Structur hatte, wird nun auch von A g a s si ζ im Wesentlichen adoptirt und einem von Grund aus verschiedenen B a u p l a n der grossen Hauptabtheilungen zugeschrieben. „Es kann gewiss kein Grund vorhanden sein, warum wir nicht alle übereinstimmen sollten, als Typen oder „Branches" alle die grossen Abtheilungen des Thierreichs zu bezeichnen, die auf einen speciellen Plan gegründet sind, wenn wir praktisch finden, dass wirklich solche Gruppen in der Natur existiren." Jene vier grossen Typen mit aller ihrer unendlichen Formenmannichfaltigkeit sind nichts Anderes, als die ursprünglichen vier Baupläne, die der Schöpfer zuerst entwarf, und nach denen er dann die Organismen ausführte. „Die Individuen als Repräsentanten des Typus sind alle nach einem bestimmten Plan gebaut, der sich von dem Plan aller anderen Typen unterscheidet 1 )." Unsere eigene Auffassung von dem Werthe der grossen Hauptabtheilungen des Thierreichs, welche B ä r und C u v i e r T y p e n , A g a s si ζ Branches nennt, haben wir bereits oben dahin ausgesprochen, dass wir diese Hauptabtheilungen als selbstständige S t ä m m e (Phyla) betrachten, deren jeder sich unabhängig vom anderen aus einer eigenen, einfachsten Wurzel entwickelt hat, so dass wir also a l l e zu e i n e m S t a m m g e h ö r i g e n F o r m e n , alle Classen, Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten eines und desselben Typus als Blutsverwandte, als Abkömmlinge eines und desselben autogenen Ur- Organismus ansehen. Wir haben diese Stämme oben als genealogische Individuen dritter Ordnung bezeichnet, und werden uns über die Abgrenzung derselben und ihre etwaige Verwandtschaft in dem nächsten Capitel noch näher aussprechen. Für unseren gegenwärtigen Zweck, das Verhältniss der verschiedenen Kategorieen des Systems auseinanderzusetzen und deren Werth zu bestimmen, genügt die wiederholte bestimmte Erklärung, dass wir in diesen Stämmen allerdings reale Einheiten sehen, und dass wir sie also als die einzigen, wirklich natürlichen, vollkommen selbstständigen Formengruppen betrachten, während wir alle anderen Kategorieen des Systems als durchaus künstliche Abtheilungen, als subjective Gruppenbildungen betrachten, die uns lediglich den Ueberblick über den Stammbaum eines jeden Typus erleichtern und uns den näheren oder entfernteren Grad der Blutsverwandtschaft zwischen den einzelnen Gliedern des Stammes anzeigen sollen. 1
) „Now there can certainly be no reason, why we should not all agree to designate as t y p e s or b r a n c h e s all such great divisions of the animal kingdom as are constituded upon a s p e c i a 1 p l a n , it" should tiud practically that such groups may be traced in nature." {Essay etc. p. 215.) „ T h e i n d i v i d u a l s a s r e p r e s e n t a t i v e s of b r a n c h e s are all organized upon a distinct plan. differing from the plan of other types" (lb. p. 257).
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Der wesentliche Unterschied, der unsere Auffassung des Typus oder Stammes von derjenigen, die nach C u v i e r und B ä r die meisten neueren Naturforscher gleich A g a s s i ζ angenommen haben, trennt, liegt darin, dass wir die Ursache des Typus, welche jeden dieser Stämme charakterisirt, der Uebereinstimmung in den wesentlichsten Grundzügen des inneren Baues, welche alle zu einem Stamme gehörigen Glieder zeigen, nicht finden können in einer planmässigen Idee, einem angeblichen „ B a u p l a n e " , den die Natur oder der persönliche Schöpfer bei der mannichfaltigen Ausführung der verschiedenen Gestalten als Thema zu Grunde gelegt h a t , sondern vielmehr einfach in dem ganz natürlichen Verhältnisse der g e m e i n s a m e n A b s t a m m u n g aus einer Wurzel, in dem materiellen Bande der continuirlichen B l u t s v e r w a n d t s c h a f t . Jeder Typus mit seinem „Specialbauplan" ist für uns ein einzelner selbstständiger S t a m m (Phvlum), der seinen eigenen Stammbaum hat. Was nun im Ganzen, wenn wir alles Vorhergehende zusammen erwägen, den von A g a s s i ζ mit so viel Aufwand von Mühe und Scharfsinn , von Worten und Wendungen gemachten Versuch betrifft, die Kategorieen des Systems in der oben dargelegten Weise als „realisirte Schöpfungsgedanken verschiedener Ordnung" von absolutem Inhalt und Umfang zu bestimmen, so können wir nicht anders, als denselben in j e d e r B e z i e h u n g f ü r v o l l k o m m e n v e r f e h l t u n d von G r u n d a u s f a l s c h zu erklären. Es wird dies für jeden unbefangenen und mit den realen Verhältnissen der systematischen Morphologie vertrauten Naturforscher entweder schon aus der vorhergehenden Kritik der einzelnen Theile des Versuchs sich ergeben haben, oder doch bei einigermaassen eingehender v e r g l e i c h e n d e r Prüfung sich sofort ergeben O· >) Wir würden nicht so viel Zeit and Raum auf die Beleuchtung und Widerlegung dieses gänzlich verunglückten Versuchs von A g a s s i z verwendet haben, wenn nicht derselbe den Anspruch machte, als der eigentliche Kern und der werthvollste Theil eines Buches aufzutreten, welches die gesammte Biologie und vor Allem die systematische Morphologie in d o g m a t i s c h e m u n d t h e o s o p h i s c h e m S i n n e reformiren soll. Das ganze künstliche Gebäude fallt wie ein Kartenhaus vor dem scharfen Angriffe einer ernstlich prüfenden und vergleichenden Kritik zusammen. Es tritt aber mit seinem Ansprüche, die wahren Fundamente der Morphologie zu begründen, in so glänzender Form, mit einem solchen Apparat von Gelehrsamkeit ausgerüstet, durch einen so berühmten Namen getragen, und in solcher ausführlichen, oft blendenden und scheinbar gründlichen Argumentation hervor, dass wir notbwendig an diesem Orte darauf einzugehen und die wesentlichsten Blossen desselben aufzudecken gezwungen waren. Vielleicht wird dieser oder jener Naturforscher beim Nachdenken über die künstlichen Kategorieen von A g a s s i z zunächst an einige von den wenigen grösseren Gruppen des Thierreichs (wie ζ. B. an die Säugethiere) denken, deren Ordnungen, Classen, Gattungen und Arten sich grösstentheils (aber auch immer nur theilweis!) scharf und voll von einander absetzen, und sogenannte „gute" d. h. scharf umschriebene Gruppen bilden, deren Ueber-
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Wie wenig aber A g a s s i z selbst von der vollen Richtigkeit seiner künstlichen und scholastischen Systems-Auffassung, und von der absoluten Differenz seiner sechs realen Kategorieen überzeugt ist (trotzdem er sie für das reife Resultat jahrelangen Nachdenkens ausgiebt!) geht am deutlichsten aus den merkwürdigen nachträglichen C o n c e s s i o n e n hervor, welche derselbe auf die ausführliche Besprechung der sechs „realen" Classifications-Gruppen folgen lässt, und die wir desshalb unten in der Anmerkung wörtlich wiedergeben '). Nachdem er in sechs langen Abschnitten, welche den eigentlichen Kern des „Essay" bilden sollen und fast das ganze zweite Capitel desselben einnehmen, die Begründung seiner sechs Kategorieen, und ihre wirkliche Existenz in der Natur gaDz ausführlich nachzuweisen versucht hat, kömmt ein siebentes Capitel, in welchem zwar zu Anfang ganz bündig wiederholt wird, gänge und Zwischenformen entweder ausgestorben oder aus andern Gründen uns nicht bekannt sind. Wenn Jemand in diesen (übrigens im Ganzen nur sehr seltenen) Beispielen von sogenannten ..guten" oder ..natürlichen" Gruppen einen Beleg sollte finden wollen flir i r g e n d e i n e thatsächliche Grundlage, auf der A g a s s i z sein künstliches Luftschloss von der realen Existenz der sechs Systems - Kategorieen aufgerichtet h a b e , den ersuchen wir, seinen Blick auf die ganz überwiegende Zahl derjenigen Abtheilungen des Thier - und Pflanz e n - R e i c h s zu richten, in denen eine solche scharfe und schematische Abgrenzung der Classen. Ordnungen. Familien. Gattungen und Arten nicht möglich ist, wo vielmehr die ..schlechten" und ..unnatürlichen" Gruppen, d. h. diejenigen, deren verbindende Uebergangsformen uns bekannt sind, dem künstelnden Systematiker endlose Schwierigkeiten bereiten: oder wir ersuchen i h n , seinen Blick auf die verschiedenen Gebiete der niederen Thierwelt, in die Stamm»; der Articulaten, Echinodermen, Coelenteraten, Khizopoden etc. zu werfen. W o finden wir in diesen Abtheilungen, ζ. B. in den verschiedenen Classen und Ordnungen der Würmer, in den verschiedeneu Classen und Ordnungen, Familien und Gattungen der Hvdromedusen. Anthozoen etc. irgend thatsächliche Belege dafür, dass sich die Classen nur durch die Ausfuhrungsweise ihres gemeinsamen Bauplans unterscheiden, die Ordnungen nur durch den Complicationsgrad des B a u e s , die Familien nur durch die F o r m , soweit sie durch die Structur bestimmt w i r d , und die Gattungen nur durch das Detail der Ausführung in einzelnen Theilen ? Oder wo finden wir die Species, welche bloss desshalb als Species gelten. weil alle Individuen derselben einer bestimmten Periode angehören and in ganz bestimmten Verhältnissen zu einander und zur umgebenden Welt stehen? In der T h a t , wir möchten glauben, dass A g a s s i z , als er diese eben so willkührlichen als unbegründeten Behauptungen niederschrieb, nicht an seine eigenen berühmten systematischen Arbeiten gedacht h a b e . nicht an das System der fossilen Fische, und vor Allen nicht an sein prachtvolles W e r k über die Discophoren und die Hydroiden. welche grade in dieser Beziehung so lehrreich sind. Gott, welche gegenwärtig in der Weltanschauung der meisten Menschen sich gegenüber stehen, gewöhnlich noch eine Anzahl anderer Götter (ζ. B. der Teufel, die Engel, die Heiligen) verehrt oder geflüchtet werden, welche diesen Amphitheismus zum vollen Polytheismus stempeln.
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Gott in der Natur.
Kräften gegenüber, welche nicht göttlicher Natur sind, jede solche Vorstellung führt zum Amphitheismus, mithin zum Polytheismus. Indem der Monismus die E i n h e i t in der gesammten Natur nachweist, zeigt er zugleich, dass nur ein Gott existirt, und dass dieser Gott in den gesammten Natur-Erscheinungen sich offenbart. Indem der Monismus die gesammten Phänomene der organischen und anorganischen Natitr auf das a l l g e m e i n e C a u s a l - G e s e t z begründet, und dieselben als die Folgen „wirkender Ursachen" nachweist, zeigt er zugleich, dass Gott die nothwendige U r s a c h e - a l l e r Dinge und das Gesetz s e l b s t ist. Indem der Monismus keine anderen, als die göttlichen Kräfte in der Natur erkennt, indem er alle Naturgesetze als göttliche anerkennt, erhebt er sich zu der. grössten und erhabensten Vorstellung, welcher der Mensch als das vollkommenste aller Thiere fähig ist, zu der Vorstellung der E i n h e i t Gottes und der Natur. „Was war' ein Oott. der nur von aussen stiesse. Im Kreis das All am Finger laufen Hesse! Ihm ziemt's, die Welt im Innern zu bewegen, Natar in Sich, Sich in Natur zu hegen, So dass, was in Ihm lebt und webt und ist, Nie Seine Kraft, nie Seinen Geist vermisst."
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Abiodynamik I , 21. Abiologie I . 21. Abioj-tatik I , 21. Abortive Individuen I I . 268. Abstammung des Menschen Π , 425. Abstammungslehre I I , 148. Acclimatisation Π . 208. Acentre Grundformen I . 400. Acme I I , 320. Actuelle Anpassung I I . 201. Actuelle Bionten 1 . 334. Adaptatio I I , 191. — correlative I I , 216. — cumulative I I , 208. — divergens I I , 217. — individualis I I , 202. — infinit» II, 219. — monstrosA I I , 204. — sexualis I I , 206. — universalis I I , 207. Adolescentia I I , 76. Ädult&s I I , 78. Aether-Atome I . 117. Aggregatzustände I , 122. Ahnenreihe des Menschen Π, 428. Albuminate I , 276. Alloeogenesi9 I I , 93. Allopole Grundformen I , 495. Allopolygone Grundformen I , 408. Allostaure Grundformen I , 446. Amphigenesis I I , 87. Amphigonia H , 58.
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.
i Amphipleure Grundformen I , 500. | Amphithecte Pyramide I > 434. i Amphithectes Polygon I , 434. i Amphitheismus I I , 448. ; Analogie I , 314. ; Analyse I , 74. j Anaplase I I , 76. ! Anatomie I , 22. : ; ' : : ! i I I : i
Anatomische IndividuftlitSt 1, 265. Anazonie Grundformen I , 400. Anisopole Grundformen I , 471. Anorgane I , 111. Anorganische Aggregatzustfinde I , 122. — Anpassung I , 152. — Bildungstriebe I , 154. — Correlation der Theile I , 158 — Formen I, 130. — Grundformen I , 137. — Individualität I , 130.
— KrSfte I , 140. Ι — Materien I , 111. I — Selbsterhaltung I , 149. ! — Stoffe I , 111. | — Verbindungen I , 118. j — Wachsthum I , 141. • Anorganologie I , 21. ] Anpassung I , 141. I I , 191. i Anpassnngs- Gesetze I I , 202. — Grad II, 195. — Ursachen Π , 191. Anpassung und Ernährung I I , 193. Antecambrische Zeit I I , 319.
454
Register.
Antecarbonische Zeit I I , 319. Antecretacische Zeit I I , 319. Antedevonische Zeit I I , 319. Antejurassische Zeit I I , 319. Antelaurentische Zeit I I , 319. Vntemiocene Zeit I I , 319. Anteocene Zeit I I , 319. Antcpermische Zeit I I , 319. Antepliocene Zeit I I , 319. Antesilurische Zeit I I , 319. Antetriassische Zeit I I , 319. Anthropolithisehe Zeit I I , 317. Anthropologie I I , 4 2 3 , 432. Anthropomorphismus I , 173. Antimeren I , 303. Antiineren als Bionten I , 347. Aiitimerogenie I , 55. I I , 130. Antimerologie 1 , 4 5 , 49. Anzahl der System - Kategorieen Π , 399. A p p o r t i o n 1, 148. A r b e i t s t e i l u n g I I , 7 4 , 249. Archigonie 11, 33. Archolithische Zeit I I , 316. Arrhythmische Polyaxonien I , 407. A r t I I , 3 2 3 , 3 4 1 , 3 5 0 , 380. Artbegriff I I , 332. Artbestäudigkeit I I , 337. Altentwickelung I I , 323. .Asymmetrische Grundformen I , 524. Atavismus 11, 170. — und Variabilität I I , 223. A t o m e , Atomistik I , 115, 117. Atomistische Constitution I I , 115. Atrophische Individuen I I , 268. Aufbildung I I , 76. Aufblühzeit 11, 321. Auflösung I , 126. Auslese II, 226. Autogonie I , 179. I I , 33. Autopole Grundformen I, 479. Axen der Gjundformen I , 4 1 7 , 4 3 5 , ( Axenfeste Grundformen 1, 402. Axenlose Grundformen I , 400. Axonie Grundformen 1, 402.
Bastardzeugung I I , 342. Baumgestalt des Systems I I , 397. Bewusstsein I , 233. Bilateral - symmetrische Formen I , 547. Bildungstriebe 1, 154. I I , 297.
Biodynamik I , 21. Biologie I . 8 . 21. Bion, Bionten I , 2 6 6 , 333. Biontische Entwickelung I I , 299. Biostatik I , 21. Blasti I , 318. Blüthezeit I I , 3 Ϊ 2 . Botanik I , 234. Branch I I . 3 8 6 . 400. Buschpersonen l·. 325. i ; ; ; :
Caenolithische Zeit I I , 317. Cambrische Zeit 11, 319. Carbonische Zeit I I , 319. Cataplase I I , 79. Cataplastische Individuen I I , 268. 1 Causae efficientes I , 97. : — finales I , 97. : Causalität I , 94. : Cellinae 1, 275. Cellulae 1, 2 6 9 , 275. I Cellulae membranosae I , 273. , — primordiales I , 272. Centraiebene I , 495. ; Centralisation I . 370. i Centralisations-Gesetz I I , 259. ! Centraxonien I , 4 0 3 . 417. ! Centrepipeden I . 495. j Centromorphen I , 402. ! Charakter des Pflanzenreichs I , 209. | — des Protistenreicbs I , 215. ! — des Thierreichs I , 209. I Chemie I . 12. Chemie der Pflanzen I , 220.
i j j i | j | j ] j |
— der Protisten I , 215. — des Thiere I , 209. Chorologie I I , 286. Classis I I , 3 8 5 , 400. Cladus I I , 400. Classification I I , 374. Cohors I I , 400. Concentrations-Gesetz I I , 259. Conservations - Physiologie I , 238. Conservative Vererbung I I , 176. ContiiHiität der Phylogenese I I , 418. Continuitäts - Theorie II, 312. Cormen I , 3S6. Cormi compositi I , 330. — simplices I , 330. Cormogenie I , 56. I I , 144.
Register. Connologie I . 46. Correlation der Theile I . 158. Crescentia I I . 13. Cretacische Zeit II. 319. Cumulation II. 208. Cuticula I . 283. Cuvieri»mus II. 166. Cyclus generation].-. I I . 81. Cytoblastus I . 2 7 2 . 278. Cvtocormi I. 236. Cytodae niembranosae I . 274. — primordiale» I, 274. Cytoden I . 269. 270. 275. Cytoplasma I . 276. Darwinismus I I . 166. Decactinote Grundformen I I , 467. Decre>centia II. 79. Deduction I . 79. Deflorescentia H . 79. Degeneratio II. 75. Descendenz - Theorie I I . 148. Devonische Zeit II, 319. Dichotomie I I . 39. Diclinia II. 68. Difierenzirung I I . 74, 249. Dimidiatio II. 39. Dioecia II. 69. Diphragme Grundformen I , 492. Dipleure Grundformen I . 519. Diplopole Grundformen I . 426. Diradiatio II. 42. Direkte Anpassung I I . 1 9 6 . 201. Divergenz - Gesetz II. 249. Divergentia II. 7 4 , 249. Divisio I I . 38. — bifida II. 39. — diagonalis II. 41. — indefinita II, 39. — longitudinalis I I , 39. — obliqua II, 41. — radialis I I , 42. — transversa I I , 40. Dodecaeder I , 412. Dogmatik I . 88. Doppelpyramiden I , 436. Dualismus J , 105. Dualistische Culturzeit II, 319. Durchfeuchtung I . 126. Dynamik I . 10.
455
Dysdipleure Grundformen-1, 524. Dvsteleologie I . 100. I I , 266. — der Antimeren II, 281. — der Metameren I I , 282. — der Organe I I . 273. — der Personen I I , 284. — der Piastiden I I , 272. — der Stöcke I I , 285. Dystetrapleure Grundformen I, 518. ,
i ! ' :
• '
'
j
! j j | [ j j
Einaxige'Grundformen I , 420. Einheit der Natur I , 164. I I , 441. — der Wissenschaft I I . 441. Eiweisskörper I, 276. Elemente I , 118. Elternzeugung II, 34. Embryo I I , 20. Embryologie I , 53. I I , 20. Embryologische Vervollkommnung I I , Embryonales Leben I I . 21. Empfindung I . 234. Empirie 1 . 63. Emplasmogonie II, 34. Endosphaerische Polyeder I, 406. Enneactinote Grundformen 1, 472. Entbildung II. 75. Entstehung der ersten Organismen I , Entn-ickelungsgeschichte 1, 50. I I , 3. — der Antimeren II, 110. — der Arten II. 323. — der Bionten II, 3. — der Gormen II, 144. — der Individuen 1, 53. I I , 3. — der Metameren II, 136. — der morphologischen Individuen Π, — der Organe II, 124. — der Personen I I . 140. — der Phylen I . 57. II, 3 0 1 , 365. — der physiologischen Individuen I I , — der Plastiden I I . ilO. — der Species II, 323. — der Stämme I , 57. I I , 301, 365. — der Stöcke I I , 144. — der Zeugungskreise I I , 32. Eocen - Zeit II, 319. Epacme II, 320. Epigenesis I I , 12. Epimeren I , 316. Erblichkeit II, 110. Erdbildung I , 179. U , 443.
265.
167.
110.
32.
456
Register.
Erdgeschichte Π , 443. Erfahrung I , 63. Erkenntniss I , 63. Eudipleure Grundformen I , 521. Eutetrapleure Grundformen I , 513. Eutetrnpleura interradialia I , 515. — radialia I , 513. Euthyni, Euthyphora X, 435. Evolutio I I , 1 2 , 76. Familie I I , 3 8 3 , 400. Fauna der Glasthiere I I , 242. Fehlgeschlagene Individuen I I , 268. Fissio I I , 37. Folgestücke I , 312. Formed matter I , 287. Fortpflanzung I I , 34. Fortpflanzung»- Arten I I , 3 4 , 7 0 , 71. — geschlechtliche I I , 71. — ungeschlechtliche I I , 70. Fortpflanzung« - Functionen I I , 72. Fortschritt I I , 257. Fortschritts-Gesetz I I , 257. Functionen der Entwickelung Π , 72. Fundamental-Form der Organismen I, 540 — Structur der Organismen I , 364. Gattung I I , 381 , 400. Gedankenbildung I , 234. Gegenmundpol I . 418. Gegenmundseite I , 418. Gegenstücke I , 303. Gegenwirkung I I , 208. Geist I , 172. Gemmatio I I , 44. — coeloblasta I I , 51. — externa I I , 46. — interna I I , 50. — lateralis I I , 49; — organoblasta I I , 51. — terminalis I I , 47. Genealogie I I , 3 0 1 , 305. Genealogische Individualität I I , 2 6 , 299. Genealogischer Parallelismus I I , 371. — Species-Begriff I I , 350. Generatio I I , 32. — aequivoca I , 174. Π , 133. — divisiva I I , 38. — digenca I I , 58. — fissipara I I , 37.
Generatio gemmipara Π , 44. — heterogenea I , 174. ; — monogenea I I , 36. — originaria I . 174. '. — parentalis I I , 3. : | : j | i j !
— scissipara I I , 38. — primaria, primigenia I , 174. — spontanea I , 174. I I , 33. — sporipara I I , 51. Generationscyclus I I , 81, Generationsfolge I I , 1 0 4 . 108. Generationswechsel I I . 88. Genesis I I , 5. Genus I I , 3 8 1 . 400. Geographie der Organismen I I , 287. | Germinal matter I , 287. Geschlechtsproducte, Geschlechtstheile II, 58. Geschlechtstrennung I I , 60. Geschlechtsverhältnisse I I , 5 8 , 71. — — — — —
der der der der der
Antimeren I I , 65. Metameren I I , . 67. Oigane I I . 64. Personen I I , 68. Piastiden I I . 61.
— der Stöcke I I , 69. Gestaltungskräfte I , 154. Gewebe I , 298. Gewohnheit I I , 208. Glacial-Zeit I I , 319. Gleichaiige Grundformen I, 404. Gleichfarbige Zuchtwahl II, 241. Gonochorismus I I , 60, 71. — der Antimeren I I , 66. — der Metameren I I , 67. — der Organe I I , 64. — der Personen I I , 68. — der Piastiden I I , 63. — der Stöcke, I I , 69. Grad der Entwickelung I I , 10. Greisenalter I I , 79. Grössenzunahme - Gesetz I I , 259. Grundformen der Antimeren I , 533. — — — — —
der der der der der
Individualitäts - Ordnungen I , 528. Metameren I , 535. Organe I , 531. Personen I , 537. Pflanzen I , 223.
— der Piastiden I , 528. — der Protisten I , 217. — der Stöcke I , 538.
Register. Grundformen der Thier« I , 211. Grundformenlehre I , 3 7 5 , 377. Gute Arten I I . 359, Gute Svstem - Gruppen Π , 395. Gymnocyten I . 272. Gymnocytoden I . 274. Gvmnoplastiden I . 282. Halbstrabi I , 431. Haplopole Grundformen 1 , 422. Hauptaxe I . 417. Hauptaxige Grundformen I , 416. Hemiedrie d. organischen Grundformen 1,551. Heptactinote Grundformen I , 472. Heptampliipleure Grundformen 501. Hereditas II, 170. — abbreTiata II, 184. — accommodata I I , 186. — adaptata I I . 186. — alternans II. 181. — amphigona II, 183. — constitute II, 187. — continua I t . 180. — homochrona I I . 189. — bomotopa II. 188. — interrupta II. 181. — latens I I , 181. — mixta II, 183. — sexualis II. 183. — siinplicata II, 184. Hermaphroditismus II, 6 0 , 71. — der Antimeren I I , 65. — der Metameren II, 67. — der Organe II, 64. — der Personen I I , 68. — der Piastiden II, 61. — der Stöcke I I , 69. Heteraxonia I , 405. Heteroplastiscbe Organe I , 299. Heteropole Grundformen I , 452. Heterostaure Grundformen I , 475. Hexactinote Grundformen I , 469. Hexaeder I . 413 Hexamphipleure Grundformen I, 501. Hexaphragme Grundformen I , 485. Histologie I , 4 2 , 4 5 , 49. Homaxonia I , 404. Homodvname Theile I , 312. Homologie 1. 313. Homonome Theile I , 311·
457
| Homonyme Theile I , 316. | Homoplastische Organe 1 , 298.. | Homopole Grundformen I , 436. ; Homostaure Grundformen I , 459. j Homotypische Theile I , 303. i Humidation I , 126. ' Hybridismus II, 342. j Hypogenesis I I , 99. < — epimorpha I I , 102. — metamorpha II, 101. : Icosaeder I , 411. ! Ideale Typen II, 222. Imbibition I , 124. Iidirecte Anpassung H , 196, 201. , Individualität I , 243. i — der Pflanzen I , 222. ; — der Protisten I , 216. ι — der Thiere I . 210. ί lndividualitälslehre I , 2 3 9 , 241. ; Individuen im Allgemeinen I , 243. ; Induction I , 79. I ! | | ! | | '
Inductions-Gesetz der Descendenz H , 427. Intercellularsubstanzen I , 281. Internirungs - Gesetz Η , 259. Interplastidarsubstanzen 1 , 283. Interradius I , 431. Intussusception I , 148. Joebpaarige Grundformen 1 , 507. Isopole Grundformen I , 465. Isopolygone Grundformen I, 409. Isostaure Grundformen I , 437. Jugendalter, Juventus I I , 76. Jurassische Zeit II, 319.
; Kampf ums Dasein I I , 231. Kataklysmen- Theorie I I , 312. : Kategoriecn des Systems II, 374. ; Keimbildung II , 51. ; Kennknospenbildung II, 52. Keimplastidenbildung I I , 54. Keimsubstanz I , 276. ; Ketten - Personen I , 325. ; Knospenbildung I I , 44. ! Kohlenstoff 1, 118, 121. j Kosmologie I I , 439. 444. ι Kreuzaxe I , 4 3 0 , 419. I Kreuzaxige Grundformen 1 , 43. i Kreuzebenen 1 , 419. j Kritik I , 88.
Begaster.
458
Krystallbildung und Zellenbildung I . 1 5 9 .
! Monoecia Π .
Krystalle I ,
;
131.
69.
Monogenesis I I , 84.
Krystallform organischer Individuen I , 5 5 2 .
Monogonia I I . 36.
Krystulloide I , 1 2 9 ,
Monomorphe Species I I , 3 5 4 .
132.
Monotheismus I I , 4 4 8 .
Künstliche Züchtung I I , 228.
Monotrope Typen I I , Lamarckismus I I ,
222.
Monosporogonia I I , 54.
166.
Morphoeenie 1 . 2 2 . 50.
Larven I I , 25. Laurentische Zeit I I , 319.
; Morphologische'Individualität I . 265.
Leben . 1 , 141.
; Morphologische Individuen I , 2 6 5 , 2 6 9
Lebenserscheinungen I , —
der Pflanzen I ,
140.
223.
—
der Protisten I ,
—
der Thiere I ,
218.
212.
—
erster Ordnung 1 , 269.
—
zweiter Ordnung I . 2 8 9 .
—
dritter Ordnung I ,
303.
— vierter Ordnung I .
312.
Lebenskraft I , 9 6 , 141.
| — fünfter Ordnung I .
318.
Legio I I , 4 0 0 .
j — sechster Ordnung I .
326.
Lepocyten I ,
I Morphologischer Species-Begriff Π , 3 3 2 .
273.
Lepocytoden I ,
274.
Lepoplastiden I ,
I Mundpol I . 418.
282.
; Mundseite I , 4 1 8 .
Lipostaure Grundformen I ,
545.
Männliche Geschleclitstheile I I , Männliche Zuchtwahl I I , Massen - Atome I ,
1
68.
245.
117.
Myriactinote Grundformen I . 4 6 6 .
I Naturphilosophie I , 67. Π . 4 4 4 , :
Natürliches System I I ,
; Natürliche Züchtung I I .
Maturitas I I , 78.
Nebenstücke I ,
Mechanismus I , 94.
231.
311.
Nothwendiskeit I . 95. I I . 4 5 1 .
Medianebene I , 4 0 3 , 4 9 5 .
i Nucleus I . 2 7 2 . 2 7 8 . 2 8 7 .
Membrana cellulae I , 2 7 2 , 2 8 1 .
i
Meridiauebenen 1 , 4 1 9 .
; Octactinote Grundformen I , 4 6 8 .
Mesolithische Zeit I I , Metagenesis I I ,
447.
374.
317.
88.
j Octaeder I , 4 1 2 . : Octophragme Grundformen I . 4 8 2 .
—
successiva I I , 95.
i Oecologie I , 2 3 8 : I I ,
—
productiva I I , 92.
: Ontogenetische Functionen I I , 296.
Metameren 1 , 3 1 2 . —
als Bionten I ,
286.
j Ontogenetischer Fortschritt I I , 265. 351.
J Ontogenetische Stadien I I . 299.
Metamerogenie I , 5 6 , I I , 136.
i — Thesen I I ,
Metamerologie I , 4 5 , 49.
i Ontogenie der Antimeren I I ,
Metamorphogenesis I I , 97.
i — der Metameren I I .
Metamorphologie I I ,
! — der Organe I I .
20.
295. 130.
136.
124.
Metamorphose I I , 23.
| — der Personen Π ,
Metaplase I I , 78.
! — der Piastiden I I . 110.
Methodik, Methodologie I , 63.
! _
Mitbewerbung I I , 231 , 237.
! Ordnung, Ordo I I . 3 8 4 . 4 0 0 .
der Stöcke I I .
140.
144.
Mitten-Differenzen der Grundformen I , 5 4 4 . | Organ-Apparate I .
302.
Miocen-Zeit I I , 3 1 9 .
I Organe I . 2 8 9 . 2 9 9 .
Monaxonia I ,
I Organe als Bionten 1 , 3 4 0 .
Moneres I , Monismus 1 ,
420.
135. 105.
Monistische Culturzeit I I , 3 1 9 . Monoclinia I I , 68.
Organe erster Ordnung 1 , 296. —
zweiter Ordnung 1 , 298.
—
dritter Ordnung I , 299.
I — vierter Ordnung I , 301.
Register. Organe fünfter Ordnung I , 302. Organische Apgiegatzustände I . 122. — Anpassung I , 152. — Bildungstriebe I , 154. — Correlation der Theile I , 158. — Können I . 130. — Grundformen I , 137. — Individualität 1 , 130, 300. — Kiäfte 1 , 140. — Materien I . 111. — Selbsterhaltung I , 149. — Stoffe I . 111. — Verbindungen I , 118. — AVachsthum I , 141. Organismus I , 111. Oiganogenie I . 5 5 : I I , 124. Organologie I , 42, 45, 49. Organ - Systeme I , 301. Orijmologie I , 396. Orthostaure Grundformen I , 488. Oxystaure Grundformen I , 481. Paracme I I , 320. Paläolithische Zeit I I , 316. Paläontologie I , 5 7 ; I I , 3 0 1 . 305. Paläontologisches Material I I , 308. PaläoDtologiselie Vervollkommnung II. 264. Pangeologie I I , 444. Paranieren I , 311. Partielle Bionten I , 335. Partitio I I , 39. Peutactinote Grundformen I , 473. Pentamphipleure Grundformen I , 502. Perioden der Erdgeschichte I I , 315. Permische Zeit I I , 319. Personen 1, 318. — als Biouten I , 357. Pflanzen I . 191. Pflanzenkunde I , 2 3 4 . 238. Pflanzenreich I , 220, 227. Pflanzenstämme I I , 4 0 6 Philosophie I , 63. Phyletisclie Entivickelung I I , 299. Phyletische Entwickeluugs-Funetioncn 11,365. Phylogenetischer Fortschritt I I , 264. Phylogenetische Thesen I I . 418. Phylogenie I , 5 7 ; I I , 301. Physik I , 10. Physiologie I , 17. Physiologische Individualität I , 2 6 5 , 332.
459
Physiologische Individuen Ί , S 6 6 , 338. — erster Ordnung I , 332. — zweiter Ordnung I , 340. — dritter Ordnung I , 347. — vierter Ordnung I , 351. — fünfter Ordnung I , 357. — sechster Ordnung I , 360. Physiologischer Species - Begriff Π , 341. Planum aequatoriale I , 477. — cruciatum I , 477. — euthyphorum I , 435. — interradiale I , 432. — laterale I , 477. — medianum I , 477. — meridianum I , 419. — radiale I , 432. — semiradiale 1 , 432. — stauiotum I , 419. — transversale I , 419. Plasma I , 272 , 2 7 5 , 287. Plasmaproducte I , 279. Plasmastücke I , 2 6 9 , 275. Plasmogonie I , 33. Piastiden I , 2 6 9 , 275. Piastiden als Bionten I , 332. Plastidogenie I , 55; I I , 110. Plastidologie 1 , 4 5 , 49. Pliocen-Zeit I I , 319. Polus aboralis I , 418. — antistomius I, 418. — dexter I , 477. — dorsalis I , 477. — oralis I , 418. — peristomius I , 418. — sinister I , 477. — ventralis Ϊ , 477. Polyactinote Grundformen 1, 471. Pulyaxonia I , 406. Polymorphe Species I I , 355. Polymorphismus I I , 7 4 , 249. Polysporogonia I I , 52. Polytrope Typen I I , 222. Postglacial - Zeit I I , 319. Potentielle Anpassung I I , 201. — Bionten 1, 334 Praktische Typen I I , 222. Primä)zeit I I , 316. P r i m o r d i a l z e i t - I I , 316. Principien der Classification I I , 374, Progressions - Gesetz I I , 257.
460
Begister.
Progressive Vererbung Π ,
176.
; Schöpfer I , 173.
II,
448.
Promorpholog'.sche Kategorieen I , 5 5 8 .
. Schöpfung I , 1 6 7 ,
Promorphologische Thesen I I , 5 4 0 .
: Schöpfungs - Theorieen I .
Promorphologie I , 4 6 , 3 7 5 ,
; Scissio I I . 38.
377.
Propagatio I I , 34.
Sectio I I ,
Prosopa catenata I , 3 2 5 .
SecundSrzeit I I ,
—
Seele I , 1 7 2 , 2 3 2 .
fruticosa I ,
Prosopen I ,
325.
318.
170. 170.
400. 317. II,
434.
^ Selbstbewusstsein I . 2 3 3 .
Prosopogenie I , 5 6 ; I I , 1 4 0 .
i Selbstzeugung I , 1 6 7 , 179.
Prosopologie 1 , 4 5 , 49.
; Selectio artificialis I I ,
Protamoeba I , 1 3 3 ,
I — concolor I I ,
Protaxonia I ,
416.
Proteinstoffe I , Protisten I ,
182.
—
276.
Protistenkunde I ,
Protistik I ,
245.
! — naturalis I I , 231.
234.
I — sexualis I I ,
Protisteureich I , 2 1 5 , 228. Protistenstämme I I ,
feminina I I , 245.
! — masculina I I ,
203.
228.
241.
244.
ι Selection I I , 2 2 6 .
403.
! Selections - Theorie I I , 1 4 8 ,
234.
166.
Semiradius I , 431.
Erotogenes I , 1 3 3 , 1 8 2 . Protoplasma I , 2 7 2 , 2 7 5 , 2 8 7 . Pseudocormen I , 3 2 6 .
! Senilitas I I ,
79.
' Sexueller Dimorphismus I I , 355. ! Sippe I I , 3 8 1 , 4 0 0 .
Psychologie
| Solution I ,
126.
I Species I I , 3 2 3 , 3 4 1 , 3 5 0 , 3 8 0 . ßadiale Grundformen I ,
547.
| Species-Begriff I I ,
323.
Radius I , 4 3 1 .
Species-Constanz I I ,
Rasse I I , 3 4 0 , 4 0 0 .
Species - Definition I I . 359.
Reaction I I , 2 0 8 , 211.
Specifications - Gesetz I I ,
Reale Typen der Grundformen I , 5 5 7 . Reguläre Grundformen. I , 547. Reiche der Organismen I , Reifenalter I I ,
203.
78.
336. 331.
Specifischer Fortschritt I I , 265. Spielart I I , 3 3 8 , 4 0 0 . ; Sporogenesis I I , 86. —
monoplastidis I I , 86.
Relations - Physiologie 1 , 238.
—
polyplastidis I I ,
Rhythmische Polyaxonien I , 4 1 0 .
Sporogonia I I , 51.
87.
Richtaxen 1 , 4 3 5 .
Sprosse I ,
Ricbtebenen I , 435.
Stadien der Entwickelung I I , 76.
318.
Ringen um die Existenz 1 1 , - 2 3 1 .
Stammbaum I I ,
Rückbildung I I , 79.
Stammbaum des Menschen I I , 4 2 8 .
Rudimentare Individuen I I , 2 6 8 .
Statik I ,
374.
10.
Stauraxonia I , 4 3 0 . Sarcode I ,
Staurus I , 4 1 9 , 4 3 0 .
276.
Sagittalaxe 1 , 550.
j Stereometrie der Organismen I ,
Schadonen I I , 25
| Stöcke I ,
Scheinstöcke I ,
! — als Bionten I , 360.
326.
326.
Schienige Grundformen 500.
! Strahl I ,
Scliizogenesis I I , 84.
j Strahlige Grundformen I ,
—
monoplastidis I I , 84.
| Strophogenesis I I , 1 0 4 ,
—
polyplastidis I I ,
85.
Schlechte Arten I I ,
j Structurlehre I , 2 3 9 ,
547. 108.
241.
; Stufenleiter des Systems I I , 4 0 0 .
Schizogonia I I , 37. —
431.
359.
Systemgruppen I I ,
395.
: Subcladus I I ,
400.
j Subclassis I I , 4 0 0 .
375,
387.
Register. Subcohors Π , 400. Subfamilia I I , 400. Subgenus I I . 400. Sublegio I I . 400. Subordination der Systemsgvuppen I I , 400. Subordo I I . 400. Subphylum I I . 400. Subsectio I I . 400. " Subspecies I I . 400. Subtribus I I . 400. Subvarietas I I . 400. Symmetrie - Gesetze der Krystalle I , 158. Symmetrische Grundformen I , 547. Sympathische Farbenwahl I I , 241. Synthese 1. 74. Systematik I . 31.
| ι i ! !· ! ; j : j :
Tectologische Centralisation 1 , 370.
Verkümmerte Individuen I I , 268. : Vervollkommnung I I , 257. Verwandtschaft der Stämme I I , 403. Vielaxige Grundformen I , 406. ' Vis plastica externa I I , 2 2 4 , 297. i — interna I I , 2 2 4 , 297. Virtuelle Bionten I , 334. : Vitalismus I , O J Vorstellungen I , 234.
461
Uebung I I , 208. Umbildung Π , 78. Ungleichaxige Grundformen I , 405. Unterart I I , 338 , 400. Unzweckmässigkeitslehre I I , 266. Uranologie I I , 440. Ursprung des Pflanzenreichs 1 , 198. — des Protistenreichs I , 202. — des Thierreichs I , 198. Urzeiten I , 272. Urzeugung I , 174.
i Variatio individualis I I , 202. ; — monstrosa I I , 204. : — sexualis I I , 206. Variabilitas II", 191. Systematische Vervollkommnung I I , 265. > Varietas, Varietät I I , 3 3 8 , 400. System der Fortpflanzungsarten I I . 70, 71. | Veränderlichkeit I I , 191. ! Verbliihzeit I I , 322. — der Grundformen 1, 400. — der Kategorieen I I , 400. ! Vererbung I I , 170. — der Zeugungskreise I I . 83. Vererbungs-Gesetze I I , 180. I — Grad I I , 175. — des Monismus I I , 441. I — Ursachen I I , 170. ; Vererbung und Anpassung I I , 223. Tabelle über die Grundformen I , 556. ; — und Fortpflanzung I I , 171. Tectologie" I . 2 3 9 , 241.
— Differenzirung I , 370. — Thesen I , 364. — Vollkommenheit I , 372. Teleologie I , 94. Teleosis I I , 257. Terminologie 1 , 397. Tetractinote Grundformen I , 469. Tetraeder 1 , 415. Tetraphragme Grundformen I , 489. Tetrapleure Grundformen I , 511. Theologie I I , 440. Thiere I , 191. Thierkunde 1 , 234. Thierreich I , 2 0 9 , 227. Thier - Stämme I I , 408. Tocogonia I I , 34. Transvolutio I I , 78. Triactinote Grundformen I , 474. Triamphipleure Grundformen I , 505. Triassische Zeit I I , 319. Tribus I I , 400. Typus als "Kategorie I I , 3 8 6 , 400. — der Entwickelung I I , 10.
: | ; ' : | ! ! I
Wachsthum I , 141. I I , 73. Wasserähnliche Thiere I I , 242. Wechselwirkung der drei Seiche I , 230. — der Vererbung und Anpassung I I , 223. Weibliche Geschlechtstheile I I , 58. — Zuchtwahl I I , 245. Werkstücke I , 289. Werktheile I , 290. Wettkampf ums Dasein I I , 237. Wille, Willensfreiheit I , 99. I I , 234.
; Zahlenreductions- Gesetz I I , 259. j Zellen I , 2 6 9 , 275. , . Zellenbildung und Krystallbildung I , 159.
462
Register.
Zellenstöcke I ,
296,
Zellsubstanz I ,
Zellfusionen I ,
296.
Zeugiten 1 , 4 9 5 .
Zellhaut I , 2 7 2 , Zellinhalt I ,
281.
Zeugung I I ,
285.
Zellkern I , 2 7 2 ,
276.
32.
Zeugungs - Arten I I , 278.
Zellmembranen I , 2 7 2 ,
32
Zeugungs - Kreise I I , 281.
Zoologie I , 2 3 4 , 238.
Zellsaft I , 2 8 5 .
Züchtung I I ,
226.
Zellstoff I , . 2 7 2 , 2 7 5 , 276.
Zuchtwahl I I ,
226
81,
Druck von Kr. F r o m m i n n in Jena.
Regulär- pyramidale Grundformen.
Homostaura.
465
Die Homostauren mit g e r a d e r G r u n d z a h l (2n) nennen wir I s o p o l e n , weil bei ihnen die beiden Pole jeder Kreuzaxe gleich sind; beide Pole treffen entweder auf die Mittellinie zweier gegenüber liegender Antimeren oder auf die Grenzlinie zweier gegenständiger Antimeren-Paare. Daher sind hier, wie schon oben ausgeführt wurde, zweierlei Kreuzaxen und Kreuzebenen vorhanden, die mit einander regelmässig abwechseln, η radiale und η interradiale. Jede radiale Kreuzebene ist die Medianebene zweier diametral gegenüberstehender Antimeren, deren jedes durch sie in zwei symmetrisch gleiche dreiseitige Pyramiden zerfällt. Jede interradiale Kreuzebene ist die Grenzebene τοη zwei congruenten Antimeren-Paaren. Am häufigsten von den hierher gehörenden homotypischen Grundzahlen ist vier, demnächst sechs, dann acht, sehr selten zehn oder mehr (10+2n). Die H o m o s t a u r e n mit u n g e r a d e r G r u n d z a h l (2n—1) können wir im Gegensatz zu den Isopolen passend als Allopolen bezeichnen, weil bei ihnen die beiden Pole jeder Kreuzaxe ungleich sind; der eine Pol trifft auf die Mittellinie eines Antimers, der andere auf die Grenzlinie des gegenüber liegenden Antimeren-Paares. Daher sind hier alle (2n—1) Kreuzaxen und Kreuzebenen von einerlei Art, jede einzelne halb radial, halb interradial. Jede einzelne semiradiale Kreuzebene ist zur Hälfte die Medianebene eines Antimeres, zur Hälfte die Grenzebene des gegenüberliegenden Antimeren - Paares. Am häufigsten kommt hier als homotypische Grundzahl fünf vor, demnächst drei, sehr selten sieben, neun oder mehr (9 + 2n). Erste Gattung der homostauren Stauraxonien:
Geradzahlige reguläre Pyramiden. Jitereometrische
Grundform: Reguläre Pyramide
Isopola. mit 2 »Seiten.
Die allgemeine Promorphe aller isopolen Homostauren ist die r e g u l ä r e P y r a m i d e mit g e r a d e r S e i t e n z a h l , wie nach den vorausgehenden Erörterungen keines weiteren Beweises bedarf. Die characteristischen Axen-Verhältnisse dieser Formengattung lassen eich kurz dahin recapituliren, dass wenn die homotypische Grundzahl = 2n ist, η unter sich gleiche radiale Kreuzaxen (und Kreuzebenen) mit η davon verschiedenen, aber unter eich ebenfalls gleichen, interradialen Kreuzaxen (und Kreuzebenen) alterniren. Jedes der 2 η Antimeren ist eine (ganze oder abgestumpfte) rechtwinkelige vierseitige Pyramide, deren Basis ein doppelt gleichschenkeliges Trapez ist (ein Trapez, das durch die eine Diagonale in zwei gleichschenkelige ungleiche Dreiecke zerlegt wird). Von den vier Seitenflächen des Antimeres sind je zwei anstossende symmetrisch-congruent. Jede der vier B a e c k e l , Generelle Morphologie.
ΟΛ
System der organischen Grundformen.
466
Seitenflächen enthält einen rechten Winkel. Die beiden äusseren Seitenflächen sind die Hälften zweier anstossender Seiten der regulären Pyramide; die beiden inneren Seitenflächen sind die Hälften von zwei benachbarten interradialen Kreuzebenen. Wir Zerfällen die FormenGattung der isopolen Homostauren in fünf Formenspecies, je nachdem die Grundzahl vier, sechs, acht, zehn, oder mehr (10-)-2n) betrögt. Je geringer die Grundzahl, desto vollkommener ist im Allgemeinen die Organisation, desto höher die Stellung des Organismus. Erste Art der isopolen Homostauren: Geradzahlige Vielstrahler. Stereometrische
Grundform:
Realer
Reguläre
Typus:
Myriactinota.
Pyramide
mit 1 0 + 2 η Seilen.
Aequorea.
Wir fassen unter dem Namen der Mvriactinoten alle diejenigen isopolen Homostauren zusammen, deren gerade Grundzahl mehr als zehn, also mindestens zwölf, vierzehn, sechszehn u. s. w., allgemein 10 + 2n,-beträgt. Es rechtfertigt sich diese Zusammenstellung einerseits dadurch, dass mehr als zehn Antimeren bei Homostauren überhaupt eelten sind, und dass auch da, wo sie vorkommen, die homotypische Grundzahl innerhalb der Species meistens schwankend und nur selten constant ist. Dazu kommt noch, dass in vielen dieser Fälle die einen Individuen der Species eine gerade, die anderen eine ungerade Antimeren-Zahl zeigen. Es findet also in der Myriactinotenund Polyactinoten-Form eine unmittelbare Berührung der Isopolenund Anisopolen-Form statt. Aus dem Pflanzenreiche sind uns sichere Beispiele myriactinoter Formen nicht bekannt. Dagegen finden sich dieselben bei einer Anzahl von Seesternen, von niederen Hydromedusen und von ßadiolarien aus der Cyrtiden-Familie. Von den letzteren ist namentlich das merkwürdige Litharachnwm tentorium (Rad. Taf. IV, Fig. 7—10) mit zwanzig Antimeren zu nennen, welches die Grundform einer regulären zwanzigseitigen Pyramide mit ausgehöhlten Seitenflächen in zierlichster Ausführung zeigt. Unter den Seesternen findet sich die höchste Antimeren-Zahl bei Asieracanthion helianthus mit zwanzig bis dreissig und selbst mit vierzig Strahlen; an ihn schliefst sich Echinaster solaris mit vierzehn bis zwanzig (bisweilen aber auch mit einundzwanzig) Armen. Zwölf bis vierzehn Antimeren (oft aber auch nur zehn bis elf) finden sich bei Solaster papposus, zwölf bei Asteracantkion aster. Viel häufiger ist die isopole Polyactinoten-Form bei den niederen Hydromedusen, wo nicht allein viele Hydroidpolypen, sondern auch viele craspedote Medusen, namentlich aus den Familien der Aequo-
Tafl.
Tai P k a n e r o g a m a e
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A rchydra^l AnthozftP Stammbaum der Coelenteraten oder Acaleplien( Zoophyten)
entworfen u. gezeichnet von Emst Haeckel. Jena, 1866
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Ctenophora., Trxuhy,-j- - ./ Ducemedusae Leplo Hexa- Ocioleduscu corallui icondUaYPTeira cprvdUa \dromeciisat Hydra Λ/u'/icxmS sMxtacalfphat Ptlracalephae%. • •jrchrdrw
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Crineii vermes: 'tellda ί SroleciAa? '
Palecliinida Stammbauni der E d i i n o d e r m e n palaeontologiseh begründet,
tnlwvrfin und gezeicknti von· Ernst HaeckzZ
Jerta 1866
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Tantharophafa , Macropoda ifianpoda Haliiuitarus\ Diprotodan. VMyrmtefbisu. Hypsiprym - VhMhenum
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