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German Pages 321 Year 1994
KAY WAECHTER Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 667
Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem Zur Wirkung von Verfassungsprinzipien und Grundrechten auf institutioneile und kompetenzielle Ausgestaltungen
Von
Kay Waechter
Duncker & Humblot · Berlin
Die Arbeit wurde Anfang 1993 abgeschlossen.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Waechter, Kay: Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem : zur Wirkung von Verfassungsprinzipien und Grundrechten auf institutionelle und kompetenzielle Ausgestaltungen / von Kay Waechter. — Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 667) Zugl.: Berlin, Freie Univ., Habil.-Schr., 1993 ISBN 3-428-08081-5 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: Druckerei Gerike GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-08081-5
Inhaltsverzeichnis Einleitung
9
Erster Abschnitt
Systematischer Teil A. Übersicht über Theorien ministerialfreier Räume
19
B. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
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I. Demokratieprinzip und ministerialfreie Räume
32
1. Zum Inhalt des Gebotes demokratischer Legitimation 33 a) Typen demokratischer Legitimationsvermittlung 33 b) Kompensation zwischen den Typen der Legitimationsvermittlung ... 36 c) Der Anwendungsbereich des Legitimationszwanges 38 2. Kein Widerspruch zwischen Demokratieprinzip und aufgehobener Ministerialverantwortlichkeit?
40
3. Rechtfertigung eines Widerspruches aus dem Argument von der Natur der Sache 44 II. Demokratiegrundsatz, Räume
Gewaltenteilungsprinzip
und
ministerialfreie 48
1. Das Verhältnis von Demokratiegrundsatz und Gewaltenteilungsprinzip a) Stellungnahmen in der historischen Literatur b) Vorrang des Demokratieprinzips c) Gleichordnung von Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip d) Eigene Lösung: Treuhänderische Verantwortung als demokratischer Legitimationstyp
49 50 63 64
Exkurs: Der Ursprung des Treuhandbegriffes in der politischen Philosophie .
70
67
2. Argumentative Verwendungen des Gewaltenteilungsprinzips 73 a) Keine Berührung mit Ministerialfreiheit 75 b) Grenze für Ministerialfreiheit 78 aa) Unzulässigkeit von Zwischengewalten 78 bb) Störung der funktionsgerechten Ordnung 83 cc) Gefährdung der Kontrolle durch das Parlament: Kontrolle in der Verfassungsordnung 85 dd) Gefährdung der Gewaltenbalance 91 ee) Gefährdung der Funktionentrennung 93
6
Inhaltsverzeichnis
c) Rechtfertigung für Ministerialfreiheit aus Art. 20 Abs. 2 GG als einschlägiger Norm für Kontrolle 94 III. Effektivität als verfassungsrechtlicher Rechtfertigungstopos
103
IV. Grundrechte und ministerialfreie Räume: Grundrechtlich gebotene Staatsferne? 108 1. Der Ursprung der Argumentation: Beispiel Rundfunk
109
2. Wissenschaftlichkeit: Methodische Verwaltungstätigkeit als Grundrechtsausübung? 120 3. Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich der Daseinsvorsorge: Förderungsentscheidungen 123 4. Ein Beispiel aus dem Bereich der Gefahrenabwehr: Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften 136 5. Einordnung in die Debatte zur Grundrechtsdogmatik
148
Exkurs: Neokorporatismus und organisationsrechtliche Ausdeutung von Grundrechten 151 V. Rechtfertigung für Ministerialfreiheit wegen Strukturähnlichkeit zur Rechtsprechung? 154 VI. Gemindertes demokratisches Niveau im Bereich der Daseinsvorsorge? . 158 VII. Rechtfertigung aufgrund staatlicher Befangenheit?
161
Ergebnis zur Rechtfertigungsproblematik
168
C. Überleitung zum zweiten Teil: Das Problem der Einordnung in das Kompetenzgefüge 170
Zweiter Abschnitt
Exemplarischer Teil A. Die Haushaltsverfassung als Gefüge aus einer Mehrzahl unabhängiger Staatsorgane 179 B. Die Bundesbank I. Die Autonomie der Bundesbank 1. Rechtfertigungsargumente für die Autonomie der Bundesbank a) Rechtfertigung aus dem Verfassungswortlaut b) Rechtfertigung aus Grundrechten c) Rechtfertigung aus der allgemeinen Neutralität der Bank d) Rechtfertigung aus dem Gewaltenteilungsprinzip aa) Voraussetzungen einer Kontrollstellung der Bundesbank
182 183 184 184 188 188 195 197
Inhaltsverzeichnis
Exkurs: Zum Verfassungsorgancharakter der Bundesbank als Kontrollinstitution 200 II. Die Einheit in der Kompetenzzuordnung
207
1. Zentralbankautonomie als Hemmung des innenpolitischen Handlungsspielraumes der Regierung 208 2. Zentralbankautonomie als Hemmung des außenpolitischen Handlungsspielraumes der Regierung 212 C. Der Bundesrechnungshof
217
I. Die verfassungssystematische Rechtfertigung für die Unabhängigkeit des Rechnungshofes 219 1. Zur allgemeinen Neutralität der Rechnungshöfe 224 a) Die Aufgaben des Bundesrechnungshofes 224 b) Wirtschaftlichkeit als Prüfungskriterium 227 c) Partikularinteresse und Gemeininteresse bei den Rechnungshöfen ... 233 II. Die Stellung des Bundesrechnungshofes zu den anderen Staatsorganen . 237 1. Die Stellung des Bundesrechnungshofes „zwischen" Legislative und Exekutive 237 2. Die Zuordnung der Kompetenzen
245
3. Der eigenständige Zugang zur Öffentlichkeit
246
D. Exkurs: Zur Neutralität staatlicher Institutionen I. Verwaltung der Dinge statt Herrschaft; Versachlichung der Politik II. Politisierung der Sachlichkeit; sachgeleitete Herrschaft E. Die Bundesschuldenverwaltung I. Aufgaben und Ausgestaltung II. Zur Rechtfertigung der Weisungsfreiheit
252 253 261 268 268 270
III. Die Einordnung der Schulden Verwaltung in das Gefüge der Staatsorgane 274 F. Der Bundesminister für Finanzen I. Die Sonderrechte des Bundesfinanzministers
279 280
1. Vorgaben für die Aufstellung des Haushaltes
281
2. Aufstellung des Haushaltsplanes und Haushaltsgesetz
282
3. Haushaltsvollzug
283
4. Abweichungen vom Haushaltsplan
284
5. Rechte in Sonderbereichen
284
II. Sonderrechte, Demokratieprinzip und Stellung im Kabinett
285
1. Einbindung in das Regierungskollegium versus treuhänderische Unabhängigkeit 287
Inhaltsverzeichnis
8
2. Die neutrale Sachlichkeit der Entscheidungen des Bundesfinanzministers 290 a) Das vom Finanzminister vertretene Sonderinteresse 295 b) Der Finanzminister als Sparminister 295 c) Der Finanzminister als Haushaltsminister 298 Gesamtergebnis
304
Literaturverzeichnis
306
Einleitung Die vorliegende Schrift beschäftigt sich mit der Frage, welches Niveau an demokratischer Legitimation staatlicher Stellen von der Verfassung gefordert wird. In der gesetzgeberischen Praxis spielt insbesondere die Senkung dieses Niveaus durch die Einräumung von Weisungsfreiheit eine Rolle; prominentestes Beispiel ist die Bundesbank. Die Untersuchung muß sich daher insbesondere mit den ministerialfreien Räumen befassen. Die Arbeit greift aber über diese Fallgruppe hinaus, weil sie versucht, Kriterien zu finden, die unabhängig von der Qualifizierung einer staatlichen Stelle als Teil der Exekutive sind. Ausgespart bleibt bei den Erwägungen die Tätigkeit der öffentlichen Unternehmen jeder Rechtsform 1 . Theoretischer Anlaß der Untersuchung ist die Beobachtung, daß der Gedanke staatlicher Einheit problematisch geworden ist. Die Tendenz einer Entwicklung zu einem Herrschaftssystem mit mehreren (Unter-)Zentren ist nur Teil einer allgemeinen Entwicklung zum Abbau hierarchisch geordneter Modelle in vielerlei Zusammenhängen. Grundlegend betrifft dies in der Philosophie die Debatte um die Auflösung des Subjekts als der zentralen Begründungskategorie neuzeitlichabendländischen Denkens. In der Psychologie schreitet die Auflösung der ehemals einheitlich aufgefaßten Person ebenfalls fort. Im Bereich des Staatlichen schließlich ist die Anwendung des Begriffes der Souveränität auf moderne polyzentrische Staatlichkeit seit dem Beginn dieses Jahrhunderts strittig geworden. Dies hat sich besonders deutlich in der Weimarer Staatsrechtslehre gezeigt. Sie konnte ihr Anliegen, die Herstellbarkeit einer Einheit im Staat theoretisch zu demonstrieren, nicht einlösen. Dabei ist von Carl Schmitt über Rudolf Smend zu Hermann Heller eine durch die reale Vielfalt unterschiedlicher Machtzentren erzwungene Verengung der Fragestellung nach Einheit festzustellen. Während Schmitt noch den Anspruch erhob, Einheit zwischen Staat und Gesellschaft begründen zu können, konzentriert sich Heller im wesentlichen nur noch auf die Darlegung der organisatorischen Einheit in der Binnengestaltung des Staates. Da man eine Minderung des Niveaus der demokratischen Verantwortlichkeit — teilweise verbunden mit unabhängiger Entscheidungsmacht — als eine Bedrohung der binnenstaatlichen Einheit verstehen kann, entsteht die Notwendigkeit, 1
Für öffentliche Unternehmen legt Art. 110 Abs. 1 S. 1, 2. HS GG die Annahme nahe, daß eine geminderte demokratische Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament von der Verfassung im Interesse der kaufmännischen Geschäftsführung hingenommen wird.
Einleitung
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hierfür Begrenzungen aufzuzeigen. Die Arbeit bemüht sich, den Nachweis zu erbringen, daß nach dem Grundgesetz das Verständnis des Demokratiegrundsatzes des Art. 20 Abs. 2 GG entscheidend für die Frage binnenstaatlicher organisatorischer Einheit ist. Auch die gesetzgeberische Praxis in der Bundesrepublik Deutschland bietet Anlaß, der Frage nachzugehen, wodurch die gesetzlich eingeräumte Unabhängigkeit der Amtsführung staatlicher Stellen — oft unter Beteiligung Privater — verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein kann. So hat beispielsweise das neue Gesetz zum Bundesrechnungshof dessen Stellung zwischen den Gewalten entgegen ausdrücklicher Absicht keineswegs geklärt. Schließlich aktualisieren auch die neueren Entwicklungen im Verwaltungsrecht, die unter dem Stichwort,Aushandeln statt Entscheiden' diskutiert werden 2, das Problem der Minderung demokratischer Verantwortlichkeit. Ein solches Aushandeln hat nur dann Sinn, wenn die Ergebnisse der Verhandlungen eine Chance auf tatsächliche Beachtung haben und nicht durch nachträgliche abweichende Entscheidungen der Verwaltung oder der Gerichte in der Folge wieder umgestoßen werden — es muß also ein gewisser Freiraum für das Aushandeln verbleiben. Es müßten also auch hier Bereiche mit geminderter Bedeutung der demokratischen Legitimation geschaffen werden. Bei den angedeuteten Entwicklungen handelt es sich nicht um kurzfristige und zufällige Veränderungen. Vielmehr lassen sich strukturelle Gründe für diese Tendenzen aufweisen. Deswegen ist eine Beschäftigung mit dem aufgeworfenen Problem lohnend. Hinzu tritt, daß die juristischen Probleme der Ministerialfreiheit als des Hauptbeispieles für gemindertes demokratisches Niveau bislang einer überzeugenden Lösung nicht zugeführt zu sein scheinen. Aufgrund der aufgezeigten Verbindungen ist aber zu hoffen, daß die hier vorgeschlagenen Argumentationswege Bedeutung über den Bereich der Ministerialfreiheit hinaus haben. Die angesprochenen Gründe für die Entwicklungen zur geminderten demokratischen Legitimation staatlicher Stellen sind folgende: Im parlamentarischen Regierungssystem werden bekanntlich Legislative und Exekutive von den gleichen sozialen Kräften getragen. Die soziale Gewaltenteilung zwischen Mehrheit und Opposition fällt also nicht mit der Aufteilung der Staatsfunktionen nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zusammen. Eine Art ständischer Gewaltenteilung existiert nicht mehr. Die Entwicklung zum Interventionsstaat minimiert die absolut vor staatlichen Eingriffen geschützten Bereiche. Schließlich verfügt der moderne Staat über von keiner Gruppe zu überbietende Herrschaftsmittel, beispielsweise bezüglich der Finanzen und der Bewaffnung der für die innere Sicherheit zuständigen Polizei. Diese Faktoren haben gemeinsam zu einer starken Konzentration mächtiger Herrschaftsmittel geführt. Daraus resultiert ein Bedürfnis nach verstärkter Kontrolle gegenüber dieser Konzentration, die zu der 2
Vgl. nur Hoffmann-Riem,
passim.
Einleitung
gerichtlichen Kontrolle hinzutritt und sie dort ergänzt, wo der individuelle Rechtsschutz aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen versagt. Dieses Bedürfnis wird von einem Teil der ministerialfreien Räume gestillt, soweit man ihnen eine Kontrollfunktion zuspricht. Daneben tritt eine zweite Entwicklung in der praktischen Ausformung der parlamentarischen Demokratie. In dem gegenwärtigen politischen Prozeß nehmen die Parteien eine bestimmende Rolle ein. Dabei ergibt es sich, daß bestimmte Interessen wegen ihrer Eigenart oder wegen der Spezifik der parteiengeprägten Vorformung des politischen Willens auf der Ebene der Bildung des politischen Willens unterrepräsentiert erscheinen. Wie sich eine solche Unterrepräsentation feststellen läßt, kann hier offen bleiben. Ministerialfreie Räume werden auch geschaffen, um Funktionsschwächen des politischen Systems, die individuelle Rechte oder die Regenerationsfähigkeit von Gesellschaft und Staat bedrohen, zu bekämpfen. Zu diesem Zweck werden staatliche Aufgabenträger mit der Vertretung dieser fraglichen Interessen beauftragt. Die Art der Wahrnehmung dieser Interessen kann dabei mehr oder weniger detailliert vorgeschrieben sein. Diese Funktion läßt sich mit der ersten unproblematisch verbinden; gerade die Wahrung dieser fraglichen Interessen kann einen im weiten Sinne kontrollierenden Effekt gegenüber Parlament und Regierung entfalten. Schließlich ist eine Tendenz dazu festzustellen, daß gesellschaftliche Interessenträger ihre Interessen nicht nur durch ihr Wahlverhalten und gesellschaftliche Aktivität durchzusetzen versuchen. Vielmehr streben sie gleichzeitig unmittelbare Teilhabe an der Staatsgewalt an. Diese ist erreicht, wenn gesellschaftliche Repräsentanten in weisungsfreien staatlichen Gremien über Sitz und teilweise auch Stimme verfügen. Die gesellschaftlichen Interessen treten im Interventionsstaat also nicht mehr nur von außen an den Staat heran, sondern sie suchen auch in ihm Fuß zu fassen 3. Die Probleme der Einheit zwischen Staat und Gesellschaft tauchen dadurch in den Staatsinnenbereich transformiert wieder auf. Diese Entwicklung beruht nicht nur auf subjektiven Intentionen. Einerseits kann das grundrechtliche Interesse der Privaten im Interventionsstaat besonders gut geschützt werden, wenn es schon in die Entscheidungsverfahren eingebracht und nicht auf die Abwehr von staatlichen Beeinträchtigungen beschränkt wird. Aus diesem Blickwinkel wird Weisungsfreiheit teilweise als grundrechtseffektuierender Schutz gesellschaftlicher Autonomie betrachtet. Andererseits akzeptiert der Staat diese Mitwirkung der Privaten, weil er auf die Kooperation der gesellschaftlichen Interessenträger angewiesen ist. Ohne ihr Fachwissen und ihre Leistungen kann der Staat weder seine Aufgaben erfüllen noch seine Legitimität wahren 4. Diese Kooperation wird ,erkauft 4 durch die Einräumung von Mitwirkungschancen. 3
Vgl. ebenso Hesse, Grundzüge, Rdnr. 9. 4 Vgl. dazu Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung, S. 209 ff. (238).
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Einleitung
Hier wird auf die Mitwirkung der Privaten selbst nicht eingegangen; da sie jedoch kaum Sinn hat, wenn für die Mitwirkung nicht eine Freistellung von der Weisungsbefugnis der Ministerialspitze eingeräumt wird, ist mit den Grenzen der Weisungsunabhängigkeit praktisch gleichzeitig auch über die Begrenzungen der Mitwirkung Privater, soweit sie über sachverständige Beratung hinausgeht, entschieden. Auch diese letzte Funktion ministerialfreier Räume harmonisiert mit den beiden zunächst benannten Funktionen. Die Beteiligung gesellschaftlicher Kräfte kann der Kontrolle die soziale Macht unterfüttern und sie damit stärken; gleichzeitig kann der Gesetzgeber versuchen, vorrangig solche gesellschaftlichen Interessen zu beteiligen, die er wegen Unterrepräsentation fördern will. Diese Entwicklungen führen aber zu einigen behandlungsbedürftigen Problemen. Diese lösungsbedürftigen Probleme resultieren aus der Eigenart polykratischer Strukturen. Sachlich wird die ,Polykratie\ also die Erscheinung einer Mehrzahl von relativ unabhängigen Handlungszentren hier vor allem am Beispiel ministerialfreier Räume behandelt. Diese werden insbesondere im Hinblick auf eine spezifische Gefahr nicht hierarchisch organisierter staatlicher Strukturen untersucht, die darin liegt, daß ein Herrschaftsystem mit mehreren (Unter-)Zentren nicht zwangsläufig machtbegrenzend und -kontrollierend wirkt, sondern auch zur Freisetzung von Macht führen kann. Dieser Effekt ist in den Forschungen zur Polyzentrik des Nationalsozialismus deutlich herausgearbeitet worden 5. Diese Folge tritt vor allem ein, wenn die verschiedenen Zentren sich gegenseitig in der Art behindern, daß im Ergebnis eine gegenseitige Neutralisierung der Kontrollinstitutionen stattfindet; dies kann bewirken, daß Herrschaft zunehmend formlos ausgeübt und von Bindungen freigesetzt wird. Da die organisatorische Gliederung des Staates für seine besondere Leistungsfähigkeit Vorbedingung ist, darf diese Gliederung nicht nur Resultat des Kompromisses von Interessenten sein, sondern muß auf ihre Stimmigkeit hin befragt werden. Darüber hinaus gilt allgemein, daß eine solche Struktur nur bei jeweils gemäßigter Wahrnehmung der Kompetenzen funktioniert; dies setzt politisch eine relativ homogene Interessenlage voraus 6. Wegen dieser zu besorgenden Fehlentwicklungen darf die Jurisprudenz auf den Begriff der Einheit nicht Verzicht leisten und muß herausarbeiten, welche Kriterien für die notwendige Einheit maßgeblich sind und wie die schädlichen Auswirkungen polykratischer Strukturen vermieden werden können. 5 Vgl. Arendt, S. 618 ff. Broszat, S. 169,438. Zur Schwächung des Reichstages durch die starke Stellung von Reichsfinanzminister und Reichsrechnungshof vgl. Bracher, S. 32 f. 6 So Nippel, S. 307. Nippel kennzeichnet die Mischverfassung durch gegenseitige Kontrolle und Konkurrenz von Amtsinhabern mit sich teilweise überschneidenden Kompetenzen (S. 127). Der Terminus Polykratie läßt unentschieden, ob Elemente einer Mischverfassung, der Funktionentrennung oder eines Systems der checks and balances gemeint sind.
Einleitung
Das Gegenstandsfeld einer solchen Untersuchung wird durch die Problemlage festgelegt. Das vereinheitlichende und damit prinzipiell einer Polykratie 7 entgegenstehende Prinzip des Grundgesetzes ist dasjenige der Demokratie; Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG 8 . Aufgrund dieses Prinzips bleibt im Souverän ein zentraler Ordnungswille vorstellbar. Daraus ergibt sich die Frage, ob der Demokratiegrundsatz einer Polykratie entgegensteht. Ausgehend von diesem Gedankengang läßt sich erschließen, welches Gegenstandfeld Objekt der Untersuchung sein muß: Beispielsfälle müssen denjenigen Bereichen staatlicher Organisation entnommen sein, die sich der Vereinheitlichung durch die umfassende Geltung des Demokratieprinzips nicht fügen. Dies sind hauptsächlich die weisungsfrei arbeitenden staatlichen Aufgabenträger. Es ergibt sich also die Frage nach den ministerialfreien Räumen. Diese scheinen aufgrund der ihnen eingeräumten Weisungsfreiheit gegenüber der Ministerialebene die durch das Demokratieprinzip verbürgte Einheit 9 zu sprengen. Wenn man also an einer Reihe gegebener Erscheinungen Rechtfertigungsargumente für polykratische Strukturen untersuchen will, können Beispielsfälle aus dem genannten Bereich gewählt werden. Innerhalb dieses Bereiches werden einzelne Institutionen für die Behandlung ausgewählt. Die Auslese richtet sich im ersten Teil darauf, daß das einzelne Beispiel möglichst in mehreren Argumentationszusammenhängen fruchtbare Folgerungen zuläßt; im zweiten Teil ist die Auswahl von der Absicht gelenkt, einen Handlungszusammenhang untersuchen zu können. Die Fragestellung ist aber nicht an den Bereich der sogenannten ministerialfreien Räume gebunden. Es kann institutionelle Unabhängigkeit auch dann geben, wenn eine Institution nicht der Exekutive zuzurechnen ist und damit nicht dem Gebot der Ministerverantwortlichkeit unterfällt. Dies könnte beispielsweise dann angenommen werden, wenn man die Bundesbank als Verfassungsorgan auffaßt. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG entfaltet das Demokratiegebot für jegliche Ausübung von Staatsgewalt. Man kann lediglich annehmen, daß dieses Gebot für den Bereich der Exekutive mit der Forderung nach Ministerverantwortlichkeit bereits eine bestimmte Form gefunden hat. Welche Forderungen dem Demokratieprinzip für 7
Die hier vertretene Konzeption eines teilweise polykratischen Staates trifft sich mit der von v.Arnim vertretenen in etlichen Punkten trotz ihrer ganz anderen Herleitung. Vgl. v. Arnim, Finanzkontrolle in der Demokratie, S. 39 ff. (49). v. Arnim erwähnt dort als solche Zentren die Wissenschaft, die Bundesbank, den Bundesrechnungshof. Für die Stellung des Bundesrechnungshofes als Element einer polyzentrischen Struktur in der Entwicklung seit der Weimarer Zeit vgl. Pirker, Autonomie und Kontrolle, S. 7 f. 8 Vgl. zur Ausschließlichkeit des Volkes als Legitimitätsquelle ζ. B. Stern, Staatsrecht Bd. II S. 532: Auch kirchliche Gewalt und pouvoir municipal seien lediglich historische Versatzstücke; einzig gerechtfertigte Gewalt nur die der Volkssouveränität entspringende staatliche Gewalt (S. 534). Dies wird praktisch deutlich ζ. B. in der Leugnung des kirchlichen Asylrechts. Tatsächlich erhebt die Legitimitätsquelle Volk einen Ausschließlichkeitsanspruch. 9 Vgl. zur Vorstellung staatlicher Einheit als wesentlich auf der Einheitlichkeit der demokratischen Legitimationsquelle beruhend Isensee, Staat und Verfassung in: HdBStR Bd. I, § 13 Rdnr. 68.
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Einleitung
außerexekutive Bereiche zu entnehmen sind, muß zunächst offenbleiben und ist von einer Interpretation dieses Prinzips abhängig. Anzustreben ist jedenfalls, daß eine Rechtfertigung institutioneller Unabhängigkeit mit Weisungsfreiheit nicht nur im Bereich ministerialfreier Räume im engeren Sinne gilt.
Der Gang der Untersuchung Die Vorgaben dafür, was Einheit bedeutet, müssen der Verfassung entnommen werden. Verfassungsrechtlich setzt sich das Problem in zwei Fragestellungen um. Einerseits ist zu untersuchen, inwieweit das Demokratieprinzip, das von der Vorstellung der einheitlichen Volkssouveränität gespeist ist, überhaupt weisungsfreie Räume als solche geminderter Verantwortlichkeit zuläßt. Andererseits stellt sich die Frage nach einer sinnvollen Einbettung von Institutionen in das grundgesetzliche Kompetenzgefüge; diese Zuordnung von Aufgabenträgern setzt eine Funktionsanalyse und in der Folge die Einordnung in die Kompetenzordnung voraus. Die Arbeit geht diesen Erkenntnisinteressen in einem systematischen und einem exemplarischen Teil nach. Während der systematische Teil nach verfassungsrechtlichen Rechtfertigungen für weisungsfreie Wahrnehmung von Staatsaufgaben sucht, versucht der exemplarische Teil am Beispiel der Haushaltsverfassung zu untersuchen, inwieweit dort Einheit in der Zuordnung der Kompetenzen konkreter staatlicher Handlungsträger gewahrt ist, so daß ein widerspruchsfreier Handlungszusammenhang angenommen werden kann. Dabei bleibt das Interesse an der dogmatischen Rechtfertigung der Weisungsfreiheit bestehen. Es wird vor allem in Form der in der speziellen Literatur zu den einzelnen Institutionen vorgebrachten Rechtfertigungsgründe behandelt; die erste Stellungnahme zu den vertretenen Theorien im systematischen Teil erfährt so eine Vertiefung. Demgegenüber wird das Rechtfertigungsproblem im ersten Teil allgemeiner behandelt. Der systematische Teil verfolgt das Interesse an der Formulierung von allgemeinen Rechtsprinzipien, die eine polyzentrische Struktur gegenüber dem Demokratieprinzip rechtfertigen können, in systematischer Weise. Das Interesse der Arbeit gilt hier nicht der Abgestimmtheit der Handlungszusammenhänge zwischen einzelnen Institutionen, sondern der Rechtfertigungsproblematik, insbesondere gegenüber den Forderungen des Demokratieprinzips. Einheitlichkeit wird hier nicht als konsistenter Handlungszusammenhang gesucht, sondern in einer rechtfertigenden und begrenzenden Zuordnung von Verfassungsprinzipien. Um diese zu finden, wird zunächst der Inhalt des Demokratiegrundsatzes erörtert. Dabei bleibt der Blick stets auf mögliche Rechtfertigungen für geminderte demokratische Verantwortlichkeit gerichtet. Im Verlaufe dieser Erörterung ergibt sich eine Modifikation des herrschenden Verständnisses des Demokratie-
Einleitung
prinzips, die zugleich eine Verbindung zum Grundsatz der Gewaltenteilung herstellt. In der Folge ist zu erörtern, welche verfassungsrechtlichen Bestimmungen als tragendes Fundament einer begrenzten Polykratie in Betracht kommen und also in eine konstruktive Spannungslage zum Demokratieprinzip zu bringen sind. Dabei wird im Anschluß an den Inhalt des Demokratieprinzip wird daher zunächst der Verfassungsgrundsatz der Gewaltenteilung angesprochen. Darauf folgend werden verschiedenartige verfassungsrechtliche Topoi untersucht. Diese entsprechen den Kräften, die genannt worden sind, um den Hintergrund der Tendenz zur Ausdifferenzierung des staatlichen Binnenbereiches anzudeuten. Dabei muß darauf Bedacht genommen werden, daß jedes Rechtfertigungsargument in seinem Anwendungsbereich begrenzbar bleibt. Im einzelnen werden folgende Argumentationen erörtert: — Eine ihrem Wesen nach schon ältere Schicht der Infragestellung staatlicher organisatorischer Einheit liegt in dem Gedanken der Gewaltenteilung, der in der deutschen Staatsrechtslehre bis 1918 stets ein einheitsbezogenes Unbehagen ausgelöst hat. Zahlreiche Bemühungen galten der Aufgabe, das in der Gewaltenteilung liegende Potential an gegenseitiger Hemmung auf ein voraussehbares und geordnetes Maß hinzuführen. Dem lag offenbar der Gedanke zugrunde, daß eine unabgestimmte Gewaltenteilung alle Gefahren einer ungeordneten Polyzentrik birgt. In dem Moment, wo staatliche Institutionen wie Bundesbank oder Bundesrechnungshof auftauchen, die gegenüber der alten auf Funktionentrennung reduzierten Gewaltenteilung eine neue Gewaltenteilung de facto inaugurieren, wird das alte Problem der Einheit in der Teilung der Gewalten wieder behandlungsbedürftig. Unabhängig davon, ob staatsrechtlich die Rede von der vierten Gewalt gerechtfertigt ist, scheint doch die verfassungsrechtliche Domestizierung der einheitsbedrohenden Potentiale der Gewaltenteilung durch die in dieser normierte Festlegung von Zahl, Funktion und Abhängigkeiten durch die Existenz neuer unabhängiger Institutionen in Frage gestellt. Das Verhältnis der ministerialfreien Räume zur in Art. 20 Abs. 2 GG niedergelegten Gewaltenteilung bedarf also besonderer Aufmerksamkeit. Die Untersuchung geht im Zusammenhang mit der Entfaltung des Inhaltes des Demokratieprinzips auf dessen Beziehung zu dem Grundsatz der Gewaltenteilung ein. Es wird untersucht, in welchem Verhältnis dieser zweite Grundsatz zu institutioneller Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit steht. Dabei kommt es darauf an, ob das Gewaltenteilungsprinzip dem Demokratieprinzip logisch nachgeordnet ist oder ob ein Gleichordnungsverhältnis besteht; nur im zweiten Fall kann das Prinzip als Rechtfertigung für Abweichungen vom Demokratieprinzip taugen. Entscheidend ist also neben dem Inhalt des Demokratie- und des Gewaltenteilungsprinzips auch das Verhältnis der Prinzipien zueinander. Im Hinblick auf das Gewaltenteilungsprinzip ist zu klären, in welcher Beziehung es insbesondere zu Kontrollfunktionen steht. Daraus wird sich eine eigenständige Antwort
Einleitung
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für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Selbständigkeit von Kontrollinstitutionen ergeben. — Teilweise wird in der Literatur die Behauptung aufgestellt, es gebe ein verfassungsrechtiches Effektivitätsprinzip und dies könne bestimmte organisatorische Ausgestaltungen, insbesondere Weisungsfreiheit, rechtfertigen. Im Blick hierauf ist zu untersuchen, ob ein derartiges Prinzip existiert, welchen Inhalt es hat und ob es Abweichungen von explizit im Grundgesetz genannten Verfassungsprinzipien legitimieren kann. — Vielfach wird in der Literatur die Weisungsfreiheit ministerialfreier Räume aus Grundrechtswirkungen abgeleitet. Dieses Vorgehen hat zunächst Plausibilität für sich. Das Grundgesetz scheint von dem Monopol einer einzigen Legitimationsquelle, nämlich der als Volk verfaßten Bürgergesamtheit Abschied genommen zu haben und daneben die Legitimation aus dem individuellen Menschsein, die vor allem über die Grundrechte vermittelt wird, gestellt zu haben. Daß beide Legitimationsstränge nicht stets konfliktfrei bleiben, kommt exemplarisch im Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG zum Ausdruck. Mit zunehmender Annahme einer Verfahrens- und organisationsrechtlichen Bedeutung der Grundrechte wirkt diese doppelte Legitimationsgrundlage nun auch in den Bereich der staatlichen Organisation hinein. Dies wird besonders deutlich dort, wo zur ,Grundrechtseffektuierung' Verwaltungsstellen geschaffen werden, die nicht allen Forderungen des Demokratieprinzips, insbesondere nicht der Ministerverantwortlichkeit, unterliegen. Damit entsteht in neuer Weise das Einheitsproblem, das schon für die konstitutionelle Monarchie wegen deren doppelter Legitimationsgrundlage von Bedeutung war 1 0 . Zweifelsfrei wird Freiheitssicherung sowohl durch grundrechtliche Ausgrenzungen wie durch Verfahrens- und Organisationsvorschriften erreicht; ebenso beruht staatliche Stabilität nicht nur auf einer Institutionenordnung, sondern auch auf der befriedenden Wirkung von Grundrechtsgewährleistungen. Dennoch aber müssen die Bereiche der Grundrechte und des Organisationsrechtes getrennt bleiben, soll es nicht zu einer gegenseitigen Aushöhlung kommen 11 . Der systematische Teil behandelt deswegen mit besonderer Ausführlichkeit die Frage, ob zu Recht die Grundrechte als Begründung für Ministerialfreiheit in Anspruch genommen werden können. Die Untersuchung der einschlägigen grundrechtlichen Argumente wird an mehreren Beispielen durchgeführt. Die Auswahl der Beispiele folgt mehreren 10
Grimm, Verfassungsgeschichte, stellt S. 138 ff. die dualistische Struktur dieser Verfassungsform unter Hinweis auf die doppelte Legitimation dar; er betont dabei die Gefährdung der Einheit und ebenso, daß dieser Dualismus nicht zwangsläufig zu einem Gleichgewicht der Kräfte führt. 11 Ähnliche Probleme ergeben sich in ganz anderen Bereichen, wenn direkte mit indirekten staatlichen Steuerungsinstrumenten konkurrieren. So darf ein Land durch eine kompetenziell ihm zustehende Ausgestaltung einer Steuer als Lenkungssteuer nicht bundesgesetzliche wirtschaftsrechtliche Normen unterlaufen. Entscheidend sind in solchen Fällen nach h. M. die Maßstäbe der Bundestreue; vgl. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 268 ff.
Einleitung
Kriterien: Zunächst wird der Ursprung des Argumentes im Bereich der Rundfunkfreiheit aufgesucht; dann werden die weiteren Anwendungen des dort formulierten Grundgedankens in anderen Sachbereichen verfolgt. Gleichzeitig differenzieren die Beispiele nach der Art des Grundrechtsbezuges (innerstaatliche Grundrechtswahrnehmung oder staatlicher Schutz externer Grundrechtsausübung) und nach dem Grobbereich der Staatstätigkeit (Gefahrenabwehr; Daseinsvorsorge, insbesondere Förderungsverwaltung) und decken damit mögliche weitere Argumentationen zur Ministerialfreiheit ab. Die Rundfunkfreiheit stellt nach der herrschenden Meinung einen Fall der Grundrechtsausübung im Staatsinnenbereich im Aufgabenfeld der Daseinsvorsorge dar. Es folgen Beispiele für eine behauptete Grundrechtsausübung im Staatsinnenbereich betreffend den die Staatsaufgabe der Gefahrenabwehr. Darauf erfolgt der Wechsel von der Grundrechtsausübung im Staatsinnenbereich zu den Fällen eines bloßen engen Bezuges der staatlichen Tätigkeit auf gesellschaftliche Grundrechtsausübung; hier kann die gesuchte Rechtfertigungswirkung für die Ministerialfreiheit nicht unmittelbar aus dem Abwehrrechtscharakter der einschlägigen Grundrechte entnommen werden, sondern allenfalls einer Verfahrens- oder Organisationswirkung der berührten Grundrechte. Es wird zunächst wiederum ein Fall der Daseinsvorsorge behandelt, der gleichzeitig den Bereich der Förderungsverwaltung abdeckt, weil man auch in diesem Feld Besonderheiten der organisatorischen Ausgestaltung vermuten könnte; als Beispiel dient die Filmförderung. Es folgt die Untersuchung eines Anwendungsfalles grundrechtsnaher Staatstätigkeit im Bereich der Gefahrenabwehr: hier wird die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften untersucht. Bei diesen auf grundrechtliche Argumente bezogenen Untersuchungen wird sich ergeben, daß die von einem Großteil der jeweiligen Spezialliteratur vorgebrachten grundrechtlichen Argumente für die Rechtfertigung von Weisungsfreiheit auf die genannten Differenzierungen trotz der erheblich unterschiedlichen jeweiligen Bedeutung der Grundrechte kaum eingehen. Gleichzeitig wird sich allerdings ergeben, daß schon in der Interpretation des Ausgangsfalles der Rundfunkfreiheit irreführende Schlußfolgerungen gezogen worden sind. — Schließlich wird im systematischen Teil erörtert, ob sich eine Weisungsfreiheit aus einer Strukturähnlichkeit zur Rechtsprechungsfunktion, aus einem Sonderrecht des Staates im Bereich der leistenden Staatstätigkeit und aus den Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips ergeben kann. Der einheitsbezogene Aspekt der Frage nach der dogmatischen Rechtfertigung von geminderter demokratischer Verantwortlichkeit wird deutlich, wenn man die je nach der dogmatischen Einordnung verschiedene Ordnungskraft von Rechtfertigungen betrachtet. So wird beispielsweise mit dem Argument einer aus der Natur der Sache folgenden Ausnahme gegenüber den grundlegenden Prinzipien der Verfassung nur eine geringe Zuordnungsleistung und Begrenzung erreicht. Wenig ordnende Kraft hat auch eine Argumentation aus den Grundrechten. Da diese ihre Funktion in erster Linie in der Rechteerklärung des Grundgesetzes 2 Waechter
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Einleitung
entfalten, ist es verständlich, daß ihr Verhältnis zum organisatorischen Teil der Verfassung problematisch wird, wenn man ihnen organisatorische Inhalte entnimmt. Demgegenüber scheint die Berufung auf Staatsstrukturbestimmungen grundsätzlich höhere Ordnungsleistungen zu versprechen. Im Übergang zum exemplarischen Teil wird in der Folge versucht, Merkmale für die Abgrenzung der Kompetenzen der unterschiedlichen staatlichen Handlungsträger zu finden, damit die angesprochene Möglichkeit einer gegenseitigen Blockierung der jeweiligen Kompetenzen ausgeschlossen werden kann. Im exemplarischen Teil, der die sinnvolle Zuordnung von Kompetenzen untersuchen soll, ist es wünschenswert, diese Zuordnung in einem relativ abgeschlossenen Funktionszusammenhang durchzuführen, um gegenseitige Einflüsse überblicken zu können. Darüber hinaus kann aus Kapazitätsgründen (wegen der übergroßen Zahl unabhängiger Stellen im Staatsinnenbereich) eine Untersuchung des gesamten, unabhängige Stellen betreffenden Handlungsgefüges nicht geleistet werden; eine Beschränkung aufs Exemplarische ist erforderlich. Dafür wird hier der Bereich der Haushaltsverfassung gewählt. Hier gibt es eine Mehrzahl von staatlichen Stellen, die mit relativer Unabhängigkeit ausgestattet, zusammenwirken (Bundesbank, Bundesrechnungshof, Bundesschuldenverwaltung, Bundesfinanzminister). Bei der Behandlung eines solchen beschränkten Sachbereiches ist die Erwartung gerechtfertigt, daß es auch in einer polyzentrischen Struktur sinnvolle Handlungszusammenhänge gibt, die aufgewiesen werden können. Dagegen stehen die im systematischen Teil behandelten Fallbeispiele nicht in einem solchen Zusammenhang; andererseits sind die Aufgabenträger im Rahmen der Haushaltsverfassung wegen der in diesem Bereich vorgetragenen Argumente für Weisungsfreiheit nicht für die systematische Untersuchung der Rechtfertigungsfrage gegenüber dem Demokratieprinzip geeignet. Diese zweite Aufgabe bedingt eine Analyse der Funktionen und die Betrachtung der Verhältnisse zwischen den Handlungsträgern. Diese werden für die genannten Institutionen im Einzelnen durchgeführt. Dabei ergeben sich einige Folgerungen für umstrittene Einzelfragen hinsichtlich der Kompetenzwahrnehmung der behandelten Aufgabenträger. Die im Rahmen der Haushaltsverfassung agierenden Kräfte werfen traditionell Schwierigkeiten hinsichtlich ihrer Einordnung in die Reihe der staatlichen, durch Verfassungsrecht sanktionierten Funktionen auf. Schon diese Beobachtung rechtfertigt die Hoffnung, daß sich im Hinblick darauf ein Zusammenhang mit dem systematischen Teil herstellen läßt, in dem das Zusammenspiel von Demokratieund Gewaltenteilungsprinzip untersucht worden ist.
Erster
Abschnitt
Systematischer Teil Bevor das Demokratieprinzip des Grundgesetzes in seinem Inhalt entfaltet und in Beziehung zu den ministerialfreien Räumen gesetzt wird, wird ein kurzer Überblick über die verschiedenen Ansätze zur Rechtfertigung von Minderungen demokratischer Legitimität am Beispiel der Ministerialfreiheit gegeben. Dadurch wird der Problemhorizont deutlicher, auf den die darauffolgenden Ausführungen zu beziehen sind. Die verschiedenen Meinungen unterscheiden sich danach, ob sie überhaupt eine eigene verfassungsrechtliche Rechtfertigung für Weisungsfreiheit für notwendig halten sowie danach, welchen Weg der Rechtfertigung sie für richtig halten.
A. Übersicht über Theorien ministerialfreier Räume Zunächst ist derjenige Ansatz zu nennen, der davon ausgeht, daß das Demokratieprinzip keine lückenlose Regelanordnung für Ministerialfreiheit enthält (a). Dabei lassen sich zwei Fragerichtungen unterscheiden: Die erste setzt diese Auslegung unproblematisch voraus und fragt lediglich nach den Grenzen für die prinzipiell zulässige Errichtung ministerialfreier Räume. Die zweite Richtung legt das Schwergewicht auf die Frage nach der Begründung einer solchen Interpretion des Demokratieprinzips. Daneben werden Meinungen vertreten, die das Demokratieprinzip zwar als lückenlos betrachten, aber seinen Inhalt dergestalt fassen, daß das Prinzip durch die Existenz ministerialfreier Räume nicht verletzt ist (b). Umgekehrt werden auch die ministerialfreien Räume selbst einer Interpretation unterzogen derart, daß sie mit einem lückenlosen Demokratieprinzip nicht in Widerspruch geraten (c). Zum Teil wird das Demokratieprinzip zwar als einschlägig angesehen, aber bezüglich der Errichtung ministerialfreier Räume zur Disposition des einfachen Gesetzgebers gestellt (d). Schließlich wird das Demokratieprinzip als betroffen erachtet und nach verfassungsrechtlichen Rechtfertigungen für eine Abweichung von diesem Prinzip gesucht. Diese hofft man vor allem in einer,Natur der Sache4 (e), im Bereich der Grundrechte oder anderen Verfassungsprinzipien zu finden (f). zu a): Der ersten Theorie folgte das Bundesverfassungsgericht, soweit es sich zu ministerialfreien Räumen explizit geäußert hat. Das Gericht 1 ging davon aus, 1
BVerfGE 9, 268 (281 ff.). Dies ist bis heute die einzige Entscheidung geblieben, die explizit zu der Frage der Ministerialfreiheit Stellung nimmt. Soweit implizit das 2*
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daß das Demokratieprinzip wie auch andere Prinzipien im Grundgesetz nicht streng durchgeführt sei. Es komme daher nicht darauf an, Rechtfertigungen für die Zulässigkeit ministerialfreier Räume zu finden. Diese Zulässigkeit ergebe sich unmittelbar aus der Lückenhaftigkeit der Durchführung des Demokratieprinzips. Vielmehr gehe es darum, Grenzen für diese prinzipielle Zulässigkeit zu finden. Das Gericht findet eine solche Grenze darin, daß die Zuständigkeit für das Fällen hochpolitischer Entscheidungen beziehungsweise solcher mit großer politischer Tragweite nicht in ministerialfreie Räume ausgelagert werden dürfte. Diese Argumentation des Bundesverfassungsgerichtes kann nicht überzeugen. Die Rede von der lückenhaften Durchführung eines Verfassungsgrundsatzes ist meist Kennzeichen einer mangelnden dogmatischen Durchdringung der Verfassung. Dieser gegenüber ist es wichtig, die verfassungsrechtlichen Gründe für die in dieser »Lückenhaftigkeit 4 liegenden Abweichungen vom Normalfall zu finden. Diese liegen häufig beispielsweise darin, daß der Verfassung Modelle unterlegt werden, die gegenüber dem Verfassungstext zu kurz oder zu weit greifen. Die Differenz wird dann mit der nicht reinen Durchführung solcher Modelle erklärt, statt sie aus dem Gefüge der Verfassung selbst abzuleiten. So verhält es sich insbesondere mit der Rede von der nur lückenhaft durchgeführten Funktionentrennung 2 . Die Literatur teilt denn auch überwiegend diese Position nicht mehr. Richtig ist geurteilt worden, daß eine solche Interpretation des Demokratieprinzips dieses einem Gesetzesvorbehalt unterstellt, der sich in der Verfassung nicht findet 3 . Statt dessen bedarf es eines gegenüber dem Demokratieprinzip gleichrangigen Grundsatzes, um dessen Wirkung beschränken zu können. Neben der Auffassung von der Wirkung des Demokratieprinzips weist auch die Grenzziehung des Bundesverfassungsgerichtes Schwächen auf. Unbestreitbar ist, daß der Funktionskern der drei staatlichen Hauptfunktionen gegen Zuweisungen an Organe, die durch eingeräumte Unabhängigkeit außerhalb der Verantwortlichkeit gegenüber den drei Gewalten stehen, verfassungsrechtlich geschützt ist. Hier kommt die Notwendigkeit zum Ausdruck, nach dem Grad an demokratischer Rechtfertigungsbedürftigkeit zu unterscheiden. Dabei sind zweifellos die Grundentscheidungen die am meisten legitimationsbedürftigen. Diese offensichtliche Tatsache läßt sich vielfach bestätigen: so weist schon die textliche Gestalt des
Problem eine Rolle gespielt hat, ist das Gericht von seiner damaligen Ansicht jedenfalls nicht abgerückt; vgl. BVerfGE 83, 130. 2 Vgl. für das Ungenügen dieser Lückenhaftigkeitsthese Hesse, Grundzüge, § 13 Abs. IS. 1. Im Falle der Gewaltentrennung wird die Funktion entgegen dem Grundgesetz auf Machtmäßigung und Trennung verkürzt und damit der Verschränkungscharakter und dessen Funktion übersehen. Gegen die Terminologie von Prinzipien und ihrer Verwirklichung unter Ausnahmen auch Bäumlin, S. 165 ff. (229); Schnapp, VVdStRL 43 (1985), 172 ff. (190) kritisiert, bei dem auch hier gerügten Denken in einzelnen Durchbrechungen erscheine die Verfassung als „Agglomeration von Pathologien". 3 Vgl. beispielsweise Oebbecke, S. 62 f.
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Grundgesetzes daraufhin, daß wesentliche politische Entscheidungen eines höheren Grades an Legitimation bedürfen als die nachgeordneten, indem sie im Grundgesetz selbst geregelt sind. Auf einer anderen Ebene zeigt sich das gleiche in der Wesentlichkeitstheorie und in der Theorie zum institutionellen Gesetzesvorbehalt. Beide tragen dieser Tatsache der besonderen Legitimationsbedürftigkeit tragender Entscheidungen Rechnung. Die Schwäche der Abgrenzung liegt aber in der Anknüpfung an den Begriff des Politischen. Da man heute nicht mehr behaupten kann, das Monopol politischen Handelns liege bei Legislative und Regierung, kann es politische, auch hochpolitische Entscheidungen bei jeder staatlichen Stelle geben. Sie kommen nicht nur im Kernbereich von Legislative und Regierungsfunktion vor. Dies liegt daran, daß es keinen abgegrenzten Sachbereich des Politischen gibt, sondern daß das Politische jede Sachfrage erfassen kann 4 . Die Beschränkung der vollen Wirkung des Demokratieprinzips auf die Entscheidung hochpolitischer Fragen wird auch nicht der ursprünglichen Intention dieses Grundsatzes gerecht, der nicht nur auf die Möglichkeiten der politischen Gestaltung zielte, sondern auch auf die politische Verantwortung von Eingriffen in Freiheit und Eigentum. Deswegen knüpft die Wesentlichkeitstheorie auch schwerpunktmäßig an die Grundrechtsbeeinträchtigung und nicht an den Charakter einer Entscheidung als mehr oder weniger politisch an. Durch den Gesetzesvorbehalt im Sinne der Wesentlichkeitstheorie werden auch ganz alltägliche unpolitische 4 Grundrechtseingriffe in die Verantwortung des Parlamentes gestellt. Da der Verantwortung für die Gesetzgebung die für die Kontrolle über die Einhaltung der Gesetze entspricht, ist es nicht einleuchtend, in diesem Bereich generell die Möglichkeit der Ministerialfreiheit anzunehmen; darin könnte eine Verkürzung der Kontrollmöglichkeit des Parlaments gesehen werden 5. Führt man das Argument des Bundesverfassungsgerichtes ad absurdum, so ergäbe sich, daß die gesamte eingreifende Verwaltung, soweit sie nicht hochpolitische Entscheidungen trifft (also insbesondere auf Ministerialebene) ministerialfrei organisiert sein dürfte. Die Grenzziehung des Gerichts kann auch beispielsweise die Tätigkeit der Bundesbank nicht realistisch erfassen. Nach den aufgestellten Kriterien müßte man den unpolitischen Charakter der Tätigkeit der Bundesbank behaupten oder deren Unabhängigkeit für verfassungswidrig halten. Daß diese Tätigkeit wegen der von ihr ausgehenden Wirkungen für Währungsstabilität und Wohlfahrt 6 durch Konjunkturbeeinflussung nicht als unpolitisch bezeichnet werden kann, wird im exemplarischen Teil ausführlich dargelegt werden.
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Vgl. insbesondere Schmitt, Der Begriff des Politischen, 1933. 5 Vgl. dazu unten Β. II. 2. b) cc). 6 Legt man wie manche die Legitimität der Bundesrepublik wesentlich in die Eigenart als Wohlfahrtsstaat, so ist die Bundesbank sogar unmittelbar mit dieser Legitimitätsgrundlage verbunden.
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Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichtes kann also in der Voraussetzung (eingeschränkte Durchführung des Demokratiegrundsatzes) und in der Anwendung (Abgrenzungsmaßstab) nur schwer gehalten werden. Bei den Versuchen, die eingeschränkte Geltung des Demokratieprinzips zu begründen, ist auch die häufige Argumentation nach der historischen Methode zu erwähnen. Sie geht davon aus, daß das Demokratieprinzip mit einem ,vorrechtlichen Gesamtbild4 unabhängiger Institutionen belastet in das Grundgesetz inkorporiert worden ist; das Demokratieprinzip ist gleichsam mit einer Erblast von Ausnahmen Verfassungsrecht geworden. Eine solche Argumentation ist prinzipiell als historische Auslegung des Demokratieprinzips zwar möglich 7 , erlaubt es aber nicht, über die historisch nachweisbaren Fälle hinaus allgemeine Grundsätze zu entwickeln. Die Kenntnis solcher Grundsätze ist aber beispielsweise bei der Neuerrichtung ministerialfreier Räume wünschenswert. Darüber hinaus hat es sich als praktisch kaum möglich erwiesen, den notwendigen Willen des Grundgesetzgebers zur Rezeption traditioneller Beschränkungen des Demokratieprinzips durch unabhängige Institutionen nachzuweisen; dies ist besonders in der Debatte um die Unabhängigkeit der Bundesbank deutlich geworden 8. Auch diese Argumentation ist daher für eine grundsätzliche Klärung der Frage der Ministerialfreiheit untauglich. zu b) Teile der Literatur möchten entgegen dem anscheinend klaren Wortlaut (Art. 20 Abs. 2 S. 1 : „alle Staatsgewalt") der Verfassung den Anwendungsbereich des Demokratieprinzips beschränken oder machen es sich zunutze, daß das Grundgesetz die genaue Bedeutung dieses Prinzips nicht expliziert. So legt Schuppert 9 das Schwergewicht im Demokratieprinzip auf das Erfordernis einer effektiven parlamentarischen Steuerungsfähigkeit. Da nur die Effektivität dieser Steuerung gefordert werde, aber kein bestimmtes Verfahren zur Umsetzung dieser Steuerung, interpretiert Schuppert das Demokratieprinzip im Ergebnis als Notwendigkeit eines bestimmten Niveaus an gewährleistetem parlamentarischen Einfluß. Dabei sollen unterschiedliche Methoden, diesen Einfluß sicherzustellen, einander kompensieren können 10 . Auf diesem Hintergrund kann Schuppert argumentieren, das erforderliche Niveau müsse bei ministerialfreien Räumen nicht durch Weisungsgebundenheit hergestellt werden, sondern könne auch durch andere Methoden erreicht werden. Solche Methoden lägen in der Staatsaufsicht, im Haushaltsrecht und in der Kontrolle aus dem nicht-staatlichen Bereich der Gesellschaft. 7 Dies verkennt Ο ebbecke, S. 49 f., weil er nicht sieht, daß es sich um die zulässige Methode historischer Interpretation handelt. 8 Vgl. dazu unten im exemplarischen Teil Β. I. 9 Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981. 10 Ähnlich die Gedanken von Böckenförde zum geforderten Niveau demokratischer Legitimation. Dazu im einzelnen unten Β. I.
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Selbst wenn man dem Grundgedanken Schupperts von der möglichen Substituierung von Steuerungsmechanismen folgt, kann eine funktionale Äquivalenz der unterschiedlichen Methoden nicht festgestellt werden. Die Funktion des ministeriellen Weisungsrechtes liegt in der Möglichkeit der Verwaltungssteuerung und der Verwaltungskontrolle; beide können indirekt über das konstruktive Mißtrauensvotum vom Parlament wahrgenommen werden. Soweit Aufsicht über ministerialfreie Räume besteht, ist sie Rechtsaufsicht und bleibt also hinter dem parlamentarisch verantworteten Weisungsrecht des Ministers, der auch auf die Zweckmäßigkeit einer Entscheidung Einfluß nehmen kann, zurück. Zum Teil besteht diese Rechtsaufsicht nicht einmal, so beispielsweise beim Bundesrechnungshof. Stets bleibt bloße nachträgliche Aufsicht hinter der präventiven Steuerung der Verwaltung zurück. Das Haushaltsrecht in Verbindung mit den Haushaltsgesetzen beinhaltet eine weitgehende Steuerung der Verwaltung, die auch ausgabenintensive Einzelfallentscheidungen der Exekutive erfassen kann. Sie geht damit zwar über die Bindung der Exekutive an materielle Gesetze weit hinaus, kommt indessen einem jederzeit zu aktivierenden Recht auf inhaltliche Einflußnahme nicht gleich. Es besteht in aller Regel kein Zwang, eine Ausgabe vorzunehmen, wenn sie nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Damit ist die Steuerungsleistung auch in den erfaßten Bereichen begrenzt. Die Gebundenheit an den Haushalt enthält ein starkes Steuerungselement; das Kontrollelement bleibt dagegen zurück. Dies äußert sich beispielsweise darin, daß die verweigerte Entlastung für die Regierung am Ende des Haushaltsjahres keine rechtlichen Wirkungen zeitigt. Die haushaltsrechtlichen Bindungen gewährleisten also nicht das gleiche Niveau an demokratischer Verantwortlichkeit wie es in der Ministerialverantwortlichkeit der Verwaltung enthalten ist. Die Bindungen ähneln eher der Gesetzes- als der Weisungsgebundenheit der Verwaltung. Die Kontrolle aus dem Bereich der öffentlichen Meinung als der Vorformung des politischen Willens steht einer Kontrolle aus dem Bereich des formierten politischen Willens, dem Parlament, nicht gleich und kann sie daher nicht ersetzen. Dies betrifft zunächst die Befugnis, das Gemeinwohl mit Verbindlichkeit zu interpretieren. Diese Zuständigkeit liegt in der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes für den Zeitraum der Legislaturperiode bei der gewählten Volksvertretung. Damit ist eine Kontrolle aus dem Bereich der öffentlichen Meinung, in der leicht auch die Mehrheits und Meinungsverhältnisse gegenüber dem Parlament verschoben sein können nicht vergleichbar. Direktdemokratische Steuerungsfähigkeit steht nach dem Grundgesetz der parlamentarischen Steuerungsfähigkeit nicht gleich; ein anderes Ergebnis ist mit dem freien Mandat des Art. 38 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Die mangelnde funktionale Äquivalenz betrifft auch die Verfügung über Sanktionen: Die jederzeitige Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament, die durch das konstruktive Mißtrauensvotum sanktioniert ist, wird durch die Abhängigkeit von der öffentlichen Meinung, die sich
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erst in den Ergebnissen der nächsten Wahl niederschlägt, gerade in Einzelfällen nicht ersetzt. Schuppert verkennt generell, daß das Grundgesetz nicht nur ein bestimmtes Niveau an demokratischer Einflußnahme vorschreibt, sondern eine Einflußnahme gerade durch das Parlament und darüber hinaus bestimmte Modi dieser Einflußnahme. Einer davon ist in der der Ministerialspitze nachgeordneten Weisungskette verwirklicht. Die von Schuppert angebotenen Substitute sind nicht funktional äquivalent, entsprechen auch nicht dem vom Grundgesetz vorausgesetzten Regeltyp von Legitimationsvermittlung. Deswegen ist diese Rechtfertigungstheorie abzulehnen. zu c) Eine gewisse Ähnlichkeit zu der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts weist diejenige Richtung auf, die die von ministerialfreien Stellen wahrgenommenen Aufgaben als sachlich gebunden, politisch neutral und daher rechtfertigungsunbedürftig ansieht11. Diese These beschränkt zwar nicht die volle Wirksamkeit des Demokratieprinzips auf die hochpolitischen Angelegenheiten, operiert aber dennoch mit der Fragestellung nach der politischen Verantwortbarkeit. Behauptet wird die quasi-technische Gesetzlichkeit der Aufgabenerfüllung, die zur sicheren Ableitbarkeit auch hinsichtlich zu treffender Einzelentscheidungen führt. Daraus wird abgeleitet, daß Probleme der Legitimation von Herrschaft ebenso wenig bestünden wie bei der Unterworfenheit unter Naturgesetze: Wo keine Herrschaft von Menschen über Menschen ausgeübt wird, ist demokratische Legitimation nicht erforderlich 12. Diese Meinung bestreitet im Grunde, daß in dem von ihr dargestellten Raum überhaupt Entscheidungen fallen; es würden lediglich Konsequenzen gezogen. Dies geschieht insbesondere durch das Bestreiten des »politischen4 Charakters der Aufgaben der ministerialfreien Räume. Diese Ansicht steht insofern in der Tradition mancher Utopien der Aufklärung, die die Herrschaft von Menschen über Menschen durch die neutrale Verwaltung der Dinge zu ersetzen trachtete 13. Die Grundvoraussetzung eines solchen Gedankens — die Neutralität der ,Technik4 — wird inzwischen kaum mehr vertreten; damit hat sich die entsprechende Theorie erledigt. h Vgl. ζ. B. Fichtmüller, AöR 91 (1966) S. 298 ff.: weisungsfreie Stellen seien durch ihre streng sach- und gesetzesgebundene Aufgabenwahrnehmung und Neutralisierung gegenüber der Parteipolitik von der vollen Geltung des Demokratieprinzips freigestellt. ι 2 Diese Grundvoraussetzung ist zwar zutreffend; vgl. Starck, Rundfunkfreiheit, S. 8: „Freiheit als Organisationsproblem taucht jedoch nur auf, wo Herrschaft, Macht und Einfluß geübt werden." Jedoch beruhen Entscheidungen im staatlichen Bereich regelmäßig auf zu verantwortendem menschlichen Denken und Handeln; die gegenteilige Behauptung einer bloßen Technizität hat sich bislang stets als Ideologie erwiesen. ι 3 Man denke an die Staatsutopien von Morus oder Campanella, die Frühsozialisten und schließlich auch den Marxismus, der menschliche Herrschaft durch die Verwaltung der Dinge ersetzen will (ebenso die frühe sozialdemokratische Theorie). Eine Spätform dieser Uberzeugung findet sich in dem Glauben daran, daß Technik politisch neutral sei und neutralisieren könne; so beispielsweise im Werk Ortega y Gassets. Die angesprochene Überzeugung korreliert mit dem Zeitraum, für den man von einem paradigmatischen Charakter der Naturwissenschaften sprechen kann.
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Wenn diese Auffassung richtig wäre, so ließe sich in der Tat vertreten, daß keine Staatsgewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG ausgeübt wird: Der Bedarf für demokratische Verantwortlichkeit entfiele. Am Beispiel der Haushaltsverfassung kann aber in bezug auf mehrere Institutionen gezeigt werden, daß diese Auffassung fehl geht 14 . Weder werden in den Bereichen der Ministerialfreiheit lediglich gleichsam naturgesetzliche Zusammenhänge aktualisiert, noch kann man auch nur von einem unpolitischen Charakter der tatsächlich fallenden Entscheidungen sprechen. Es gibt auch im Bereich der ministerialfreien Räume keine umfassende Neutralität in der staatlichen Aufgabenerfüllung 15 . Begreift man Neutralität zutreffend als Verweisung auf gegenüber dem neutralisierten Bereich externe Kriterien, wie Schiaich 16 es tut, so gibt es stets nur relative Neutralität: Diejenigen Kriterien, auf die verwiesen wird, sind ihrerseits gegen eine Politisierung in keiner Weise immun. Das Politische verlagert sich lediglich in ein anderes Sachgebiet. So mag die Entscheidungstätigkeit der Deutschen Bundesbank als gegenüber der Regierung relativ neutral aufgefaßt werden, weil ihr nicht die Maßstäbe der Parteipolitik, sondern die finanzpolitischen der Währungsstabilität zugrunde liegen. Dennoch ist evident, daß diese Maßstäbe selber politischen Bewertungen unterliegen, seit das Ökonomische generell politisiert wurde 17 . Eine allgemeine Neutraltität einer staatlichen Stelle, wie C. Schmitt sie sich für den Reichspräsidenten vorzustellen versuchte, konnte bisher argumentativ nicht plausibel gemacht werden. Deshalb ist ein Enthusiasmus für ministerialfreie Stellen als neutrale Gegenelemente zur Parteienpolitik unangebracht, da hierbei suggeriert wird, es gäbe Stellen, die das Gemeinwohl umfassend verkörpern. Tatsächlich ist diesen Stellen regelmäßig nur ein partieller Aspekt des vom Gesetzgeber vermuteten Gemeinwohls zur Wahrnehmung anvertraut. zu d) Noch einen Schritt weiter ist E. Klein gegangen18. Er geht davon aus, daß das Demokratieprinzip der Errichtung ministerialfreier Räume grundsätzlich entgegensteht. Gleichzeitig begreift er das Prinzip wie Schuppert grundsätzlich als Garantie der Steuerungsmacht der Volksvertretung. Anders als Schuppert setzt Klein nicht voraus, daß die durch die Ministerverantwortlichkeit ermöglichete Steuerungs- und Kontrollmacht, wenn sie wegfällt, durch andere Mechanismen substituiert werden muß. Statt dessen gelangt er dazu, in dem Errichtungsgesetz für ministerialfreie Stellen einen zulässigen Verzicht des Parlamentes auf diese Steuerungsmacht überhaupt zu sehen. 14 Vgl. den zweiten Abschnitt Β. I. c); C. I. c); F. II. 2.; für das allgemeine Problem dort D. 15 Wenn man wie hier einen Teil der ministerialfreien Räume als Kontrollinstitutionen begreift, so wird die hier vorgetragene Meinung auch von Krebs, Kontrolle, 1984, S. 46, 50 bestätigt, der betont, daß Kontrolle nicht unpolitisch und keinesfalls pouvoir sei. Schiaich, Neutralität, passim. 17 Vgl. Schmitt, Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen, S. 120 ff. is E. Klein, insb. § 23.
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Unhaltbar an dieser Ansicht ist die Annahme der Dispositionsbefugnis des Parlaments in bezug auf seine eigene Steuerungsfunktion 19. Zunächst ist es unstrittig, daß auch der Gesetzgeber an die Verfassung und damit an das Demokratieprinzip gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG). Dies wird auch von Klein nicht bestritten. Entscheidend kommt es darauf an, ob die in der Ministerverantwantwortlichkeit zum Ausdruck gelangende Steuerungsmacht für die Volksvertretung verzichtbar ist, wie Klein behauptet. Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob die Wahrung der Möglichkeit zur Ausübung dieser Steuerungsmacht subjektives Recht oder objektivrechtliche Pflicht des Parlaments ist. Subjektive Rechte sind grundsätzlich verzichtbar, wenn sie nicht in fremdem Interesse eingeräumt sind 20 . Soll sich also eine Verzichtbarkeit im Sinne Kleins ergeben, so muß es sich um ein eigennütziges subjektives Recht der Volksvertretung handeln. Dies ist nicht der Fall. Die der Volksvertretung in der Verfassung übertragene Funktion ist nicht nur subjektives Recht des Organes, sondern zugleich auch objektivrechtliche Pflicht. Zwar steht die aktuelle Ausübung von Kontrollrechten der Volksvertretung zu deren Disposition 21 , nicht aber ihre institutionell gesicherte Fähigkeit zur Ausübung solcher Rechte. Das Verbot einer Entäußerung der Steuerungsmacht kommt beispielsweise in dem Verbot unbegrenzter Ermächtigung zum Ausdruck (Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG). Weiter läßt es sich aus dem Gesetzesvorbehalt und dem Bestimmtheitsgebot schließen. Auch wesentliche Kompetenzen des Parlaments wie diejenige der Kreation (Kanzlerwahl) sind nicht delegierbar; ebenso die Zuständigkeit zur Erteilung der Entlastung22. Darüberhinaus kann man nicht annehmen, daß die Steuerungsmacht der Volksvertretung um ihrer selbst willen eingeräumt ist und daher nicht als fremdnützig bezeichnet werden kann. Vielmehr kann der Mandatgeber (das Volk) als Begünstigter einer fremdnützigen Pflicht zur Steuerung und Kontrolle angesehen werden. Ebensowenig kann eine solche Fremdnützigkeit mit der Behauptung einer Einheit zwischen Volk und Volksvertretung bestritten werden, so daß das Volk 19 Dagegen auch die Literatur, vgl. ζ. B. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HdBStR Bd. I, § 22 Rdnr. 24. Diese Verzichtbarkeit ergibt sich daraus, daß das subjektive öffentliche Recht dem subjektiven privaten Recht nachgebildet ist. Ob man es als materielle Rechtsmacht oder Durchsetzungsanspruch versteht, verschlägt dafür nichts (vgl. Henke, S. 57). Art. 1 Abs. 2 GG spricht deswegen die Unveräußerlichkeit explizit aus. 21 Deswegen kann man die entsprechenden Rechte des Parlaments im Sinne des verfassungsrechtlichen Organstreites als subjektive Rechte bezeichnen; allerdings ist in diesem Zusammenhang von Böckenförde (Organ, S. 269 ff.)darauf hingewiesen worden, daß dieser dem Zivilrecht entnommene Begriff nicht passe; teilweise wird daher der Begriff der Wahrnehmungszuständigkeit vorgezogen. In dieser Terminologie wird der Pflichtcharakter dieser Zuständigkeit deutlich. 22 Das Ergebnis, daß das Parlament sich nicht seiner Steuerungsmacht begeben darf, ist geradezu selbstverständlich; wo dies nicht wie im Verfassungsrecht der Fall ist, hat der Gesetzgeber es verdeutlicht: so ist im Kommunalrecht angeordnet, daß die Volksvertretung die Entscheidungen betreffend wichtige Angelegenheiten nicht übertragen darf; vgl. z. B. § 28 Abs. 1 S. 2 GO NW.
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als möglicher Begünstigter ausschiede. Eine Identität zwischen Volk und Volksvertretung ist rein fiktiv. Im Ergebnis ist mit der herrschenden Ansicht Kleins Auffassung des Errichtungsgesetzes für weisungsfreie Räume als Verzichtsakt abzulehnen. Weder liegt hier überhaupt ein subjektives Recht des Parlamentes vor noch fehlt es an der Fremdnützigkeit: damit fehlen alle Voraussetzungen für eine Verzichtbarkeit. zu e) Mit Hinweis auf einen Teil der auch hier kurz angeführten Gründe geht der überwiegende Teil der neueren Literatur zutreffend davon aus, daß ministerialfreie Räume eine Abweichung von den im Demokratieprinzip enthaltenen Geboten darstellen. Daraus ergibt sich zwingend, daß es einer Rechtfertigung mit gleichem Rang bedarf. Sie muß verfassungsrechtlichen Charakter haben. Diese Rechtfertigung wird von Teilen der Literatur in einer ,Natur der Sache4 gesehen23. Methodologisch ist es zutreffend, daß die Natur der Sache als Argument eingesetzt werden kann. Das Argument findet seinen Hauptanwendungsbereich im Verfassungsrecht zwar bei der Klärung interpretationsbedürftiger Verfassungsbegriffe 24, ist aber grundsätzlich auch als ,gesetzesübersteigendes4 Argument zulässig25. Damit könnte es auch Durchbrechungen des Demokratieprinzips rechtfertigen. Allerdings ist bei einer solchen Verwendung des Argumentes eine besondere Vorsicht angebracht. Voraussetzung einer Argumentation mit der Natur der Sache ist es nach herrschender Meinung, daß die zu rechtfertigende Besonderheit funktionsnotwendig aus der Materie folgt 26 . Für zahlreiche Fallgestaltungen hat Oebbecke freilich gezeigt, daß diese Voraussetzung nicht vorliegt. Meist erfordert die fragliche Aufgabenerfüllung ihrer Eigenart nach nicht begriffsnotwendig eine Freistellung von Demokratieprinzip 27. Beispielsweise im Hinblick auf die Zentralbank zeigt der internationale Vergleich, daß die in Deutschland eingeräumte Weisungsunabhängigkeit nicht notwendig zur Erfüllung der Aufgabe ist: andere Ausgestaltungen sind ebenfalls funktionsfähig. Die Natur der Sache kann deshalb regelmäßig nicht hinreichendes Rechtfertigungsargument für die Einräumung von Ministerialfreiheit sein. Selbst wenn man annähme, die Funktionen zahlreicher ministerialfreier Räume könnten in einer Weisungsfreiheit besonders gut erfüllt werden, ändert sich das Ergebnis nicht. Die Natur der Sache sichert nicht die optimale, sondern lediglich die minimale Funktionsfähigkeit 28. Eine andere Auffassung führt dazu, daß diejeni23
So ζ. B. auch bei Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HdBStR Bd. I, § 22 Rdnr. 24, allerdings mit ausdrücklicher Beschränkung auf die Staatsaufgabe der Kontrolle. 24 Vgl. Larenz, 6. Aufl., S. 417 ff. Die Hauptanwendungsfelder des Arguments liegen im Verfassungsrecht beim Gleichheitssatz und bei den Kompetenzvorschriften. 25 Vgl. Larenz, 6. Aufl., S. 417 ff. 26 Larenz, 6. Aufl., S. 417 ff. 27 Vgl. Oebbecke, S. 53 ff.
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gen, die behaupten, bestimmte (umfangreiche) Staatsaufgaben könnten im modernen Staat besonders gut weisungsfrei wahrgenommen werden, mit diesem kaum überprüfbaren verwaltungswissenschaftlichen Argument verfassungsrechtliche Prinzipien überwinden können 29 . Dies Ergebnis ist nicht tragbar. zu f) Schließlich sind diejenigen Autoren (die Hauptströmung der neueren Literatur 30 ) zu nennen, die eine in einer Verfassungsnorm liegende Rechtfertigung für die in den ministerialfreien Räumen liegende Abweichung vom Demokratieprinzip fordern. Dieser Forderung ist grundsätzlich zuzustimmen. Es bedarf einer ranggleichen Rechtfertigungsnorm. Fraglich ist, ob jede Verfassungsnorm für eine solche Relativierung geeignet ist 3 1 . Das ist nicht der Fall. Auszuscheiden hat die Berufung auf die Funktionsfähigkeit von in der Verfassung genannten oder beispielsweise im Kompetenzkatalog vorausgesetzten Institutionen. Zum einen kann die Funktionsfähigkeit solcher Einrichtungen, deren Errichtung durch Kompetenzeröffnungen nur ermöglicht, nicht aber vorgeschrieben ist, nicht stets als Verfassungsrechtsgut aufgefaßt werden 32 . Dies ist vielmehr nur dann zulässig, wenn die Verfassung unmittelbar — wie beispielsweise beim Parlament — die Funktionsfähigkeit fordert. Zum anderen liegt das eigentliche Argument hier regelmäßig darin, daß die Funktionsfähigkeit der Institution der Natur der Sache nach die Weisungsunabhängigkeit erfordere. Damit liegt das entscheidende Argument nicht in der Berufung darauf, daß das Grundgesetz eine bestimmte Institution vorsieht oder voraussetzt, sondern in dem Bezug auf das Argument aus der Natur der Sache. Dazu ist bereits Stellung genommen. Weiter ist es zweifelhaft, ob man Strukturprinzipien aus dem organisationsrechtlichen Teil der Verfassung in eine Abwägung mit Verfassungsrechtsgütern aus anderen Teilen der Verfassung einbringen darf, um daraus organisationsrechtliche Folgerungen zu ziehen. Besonders problematisch ist es, eine organisationsrechtliche ,praktische Konkordanz' zwischen dem Grundrechtsteil und den Orga28 Deswegen ist auch Böckenfördes auf die Kontrolle beschränktes Argument aus der Natur der Sache nicht haltbar. Verwaltungskontrolle durch die Rechnungshöfe muß nicht begriffsnotwendig ministerialfrei organisiert sein. Das Parlament könnte die Weisungsausübung durch den Minister politisch kontrollieren und dadurch eine minimale Effektivität der Kontrolle sicherstellen. 29 Vgl. dazu noch einmal näher unten unter Β. I. 30 Vgl. die Nachweise zu den einzelnen Rechtfertigungsstrategien. 31 Für eine solche weite Auffassung m. E. unrichtig Oebbecke, S. 65 f., 139. 3 2 Die Frage ist differenziert zu beurteilen; während die Funktionsfähigkeit des Parlaments als zwingend vorgeschriebener Institution sicher verfassungsgeschützt ist, ist dies bezüglich lediglich fakultativer Institutionen nicht der Fall; so bei allen Institutionen, die ihre verfassungsrechtliche Anbindung lediglich im Katalog der Gesetzgebungskompetenzen finden. Zweifelhaft auch bezüglich solcher Einrichtungen, die in der einfachgesetzlichen Ausgestaltung eines Staatszieles geschaffen wurden (Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege, abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip). Vgl. Waechter, Der Staat 1991, 19 ff. (31).
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nisationsnormen der Verfassung herzustellen. Ein logischer Vorrang (wenn auch kein rangmäßiger) der Verfassungsprinzipien über andere Verfassungsnormen ergibt sich beispielsweise aus Art. 79 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 20 GG. Der Verfassungsgeber ging offenbar davon aus, daß der Grundrechtsteil keine wesentlichen Auswirkungen auf den organisatorischen Teil hat. Insofern ist eine Abgeschlossenheit dieses Teiles anzunehmen. Andernfalls könnten die innerhalb des organisatorischen Teiles ausbalancierten Organbeziehungen durcheinander geraten. Diese Überlegungen machen von vornherein skeptisch gegenüber der Absicht, Beschränkungen des Demokratieprinzips dogmatisch aus den Grundrechten abzuleiten, wie es im größten Teil der Literatur geschieht. Hier wird das unformierte Volk (in Gestalt der mit subjektiven Rechten ausgestatteten Individuen) gegen eine Staatsorganisation ausgespielt, die auf der Willensäußerung des im Parlament (dem die Zuständigkeit für die Bestimmung der wesentlichen Organisationsfragen verfassungsrechtlich übertragen ist) formierten Volkes beruht. Damit wird die gesamte Verfassung der Möglichkeit eines Grundwiderspruches ausgesetzt. Dieser ist derzeit mit bewußt beschränkter Wirkung lediglich in Art. 20 Abs. 4 GG angesiedelt. Dort ist ebenfalls das individuelle Subjekt in eine latente Konfrontation mit dem Subjekt der Volkssouveränität gebracht. Dagegen scheint es nicht unwahrscheinlich, daß die Grundrechte einen Hinweis auf eine zweite Legitimationsquelle des Grundgesetzes neben der Volks,Souveränität' geben. Einer solchen Auffassung entspricht die Einschränkung der Volkssouveränität im Grundgesetz 33. Diese Annahme rechtfertigt aber nicht das Vorgehen, die aus dieser zweiten Legitimationsquelle gespeisten Institutionen dogmatisch durch die Grundrechte zu rechtfertigen und damit die Geschlossenheit des organisatorischen Teiles des Grundgesetzes aufzubrechen. Vielmehr wird es nötig sein, auch hier eine dogmatische Rechtfertigung aus dem Bereich der Staatsorganisation zu benennen. Das Widerstandrecht bleibt damit die einzige Stelle, an der die an die individuellen Subjekte gebundenen Rechte wesentlich auf die Staatsorganisation einwirken können. Eine solche inhaltliche, aber nicht dogmatische Bedeutung der Grundrechte für Rechtfertigungsfragen im Bereich der Staatsorganisation würde auch dem entsprechen, was zum Thema der Haushaltsverfassung gezeigt werden kann: Für manche der behandelten Institutionen (so Zentralbank und Rechnungshof) ist ein inhaltlicher Grundrechtsbezug zwar zu erkennen; dogmatisch aber sind die entsprechenden Abwehrrechte schon tatbestandlich nicht einschlägig und können daher in keinem Fall für eine Rechtfertigung der institutionellen Ausgestaltung aus Grundrechtswirkungen herangezogen werden. Auch Grundrechte enthalten schon unmittelbar und ohne Rückgriff auf eine Verfahrenswirkung eine Anordnung relativer Unabhängigkeit. Eine solche neh33 Vgl. dazu Starck, Grundrechtliche und demokratische Freiheitsidee, HdBStR Bd. II, § 29 passim.
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men auch die ministerialfreien Räume als staatliche Stellen gegenüber anderen Stellen des Staates für sich in Anspruch. Die durch die Grundrechte eingeräumte Unabhängigkeit der Freiheitsausübung betrifft aber typischerweise nicht die Unabhängigkeit bei der Ausübung von Staatsgewalt. Dieser Erkenntnis kann nicht die gegenseitige Durchdringung von Staat und Gesellschaft entgegengehalten werden. Auch grundrechtlich geschützte Aktivität in staatlichen Funktionszusammenhängen muß in einer solchen staatlichen Funktion nicht grundrechtliche Freiheit genießen. Dem steht schon entgegen, daß die Grundrechte generell, soweit keine Schranken einschlägig sind, den willkürlichen Freiheitsgebrauch schützen34. Willkürliches Handeln staatlicher Stellen in ihrer Aufgabenerfüllung aber darf es im Rechtsstaat nicht geben. Hier wird besonders deutlich, welche Gefährdungen in einer solcherart gestalteten Aufgabe der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft für die Freiheit liegen. Ob sich die Grundrechte in der einen oder anderen Auslegung als Rechtfertigungsargumente für Ministerialfreiheit eignen, soll nach diesen einleitenden Bemerkungen später an einzelnen Beispielen untersucht werden. Aus diesen Gründen liegt es m. E. nahe, die Rechtfertigung für die Problematik der Weisungsfreiheit aus dem organisatorischen Teil der Verfassung mit ihren Strukturbestimmungen zu entnehmen. Für eine solche Lösung bietet sich insbesondere das Gewaltenteilungsprinzip an. Dieses enthält mit der Aussonderung der Rechtsprechung bereits einen Fall, in dem Unabhängigkeit eingeräumt und verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, wie sich aus dem Zusammenhang von Art. 92 und 20 Abs. 2 S. 2 GG ergibt. Es drängt sich also der Gedanke auf, daß das Gewaltenteilungsprinzip noch in anderen Bereichen die Unabhängigkeit rechtfertigen und damit das Demokratieprinzip auf der Ebene der Verfassungsprinzipien einschränken kann. In der Literatur wird eine solche Argumentation — soweit sie behandelt wird — allerdings weitgehend abgelehnt. Unbesprochen bleibt hier die Unabhängigkeit der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG), weil sie verfassungsrechtlich unproblematisch ist (mehr Schwierigkeiten bietet die funktionale Selbstverwaltung, die hier ebenfalls nicht untersucht wird) 35 .
34 Den selbstzweckhaften Charakter der Freiheit betont beispielsweise Grimm als Spezifikum der neuzeitlichen Grundrechte (Grimm, Grundrechte, S. 69). 35 Teilweise wird der Gedanke der Selbstverwaltung auch für staatliche Stellen mit geminderter demokratischer Legitimation (die bei den Kommunen nicht vorliegt) erwogen. Die Einsatzbreite dieses Argumentes ist aber wegen der deutlich spezifischen Struktur der Selbstverwaltung im Sinne des Art. 28 Abs. 2 GG sehr beschränkt (vgl. ζ. B. Füßlein, S. 334 ff.; für die funktionale Selbstverwaltung Emde, Die demokratische Legitimation, passim).
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
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B. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume Angesichts der Zweifel der — zumindest älteren — Literatur daran, ob ministerialfreie Räume überhaupt rechtfertigungsbedürftig sind, ist zunächst das Demokratieprinzip darauf hin zu untersuchen, ob es eine grundsätzliche lückenlose Anordnung für Ministerverantwortlichkeit der Verwaltung enthält. Die neuere Literatur geht überwiegend davon aus, daß das Demokratieprinzip eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung ministerialfreie Räume erforderlich macht. Den einschlägigen Untersuchungen liegt offensichtlich die Annahme zugrunde, daß der ,Megatrend' zu unabhängiger Verwaltungsführung (wie er sich beispielsweise in der Vorliebe für Beauftragtenverwaltungen äußert) ohnehin nicht aufzuhalten sei. So geht das Bemühen in erster Linie dahin, für diese Entwicklung eine verfassungsrechtlich tragfähige Rechtfertigung zu finden. Demgegenüber scheint das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen seit Ende der achtziger Jahre eine zurückhaltendere Position zu vertreten. In diesen Urteilen, insbesondere zur Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften 36 und zu Rundfunkräten 37, ging es um die häufig mit Ministerialfreiheit verbundene Partizipation gesellschaftlicher Interessenträger. In diesem Bereich versucht das Gericht offenbar, dem institutionellen Gesetzesvorbehalt zur Durchsetzung zu verhelfen. Die grundlegende Ausgestaltung ministerialfreier Räume kann bei Beachtung dieser Rechtsprechung nicht von der Exekutive selbst bestimmt werden, sondern bedarf eines Gesetzes. Darüber hinaus sucht das Gericht das Verhältnis von Demokratie und Partizipation aufzuklären. Insbesondere werden Anforderungen an die Auswahl der Partizipanten gestellt und ihre Aufgaben definiert. Die Rechtfertigung von Weisungsfreiheit innerhalb der Exekutive ist ein Problem der demokratischen Verantwortlichkeit. Um eine Rechtfertigung von unabhängigen Stellen in der Verwaltung zu erreichen, bieten sich grundsätzlich zwei Wege an: Entweder wird das Demokratieprinzip so ausgelegt, daß das von ihm geforderte Maß an demokratischer Verantwortlichkeit nur ein niedriges Niveau hat, das von einem gesetzlich vorgesehenen ministerialfreien Raum erfüllt wird. Der Demokratiegrundsatz enthält dann keine generelle Forderung nach Verantwortung durch Weisungsrechte der Ministerialspitze für den Bereich der Exekutive. Oder der Umfang der Geltung des Demokratieprinzips für die Staatsaufgabenwahrnehmung wird beschnitten. Das Demokratieprinzip entfaltet dann bei bestimmten staatlichen Agenden, beispielsweise in der Daseinsvorsorge, nicht seine volle Wirkung. Beide Argumentationswege stehen in engem Zusammenhang: Erhält man ein hohes Verantwortlichkeitsniveau aufrecht, scheinen Abstriche beim Anwendungsbereich notwendig zu sein, wenn man eine Rechtfertigung von Weisungs36 BVerfGE 83, 130. 37 BVerfG NJW 1991, 908.
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freiheiten erreichen will. Sieht man den Umfang als umfassend an, muß das Niveau niedriger angesetzt werden. Eine Niveaubestimmung für das vom Demokratieprinzip geforderte Maß an Verantwortung muß bei der Interpretation dieses Prinzips selber ansetzen. Das Ergebnis muß aus der Verfassung begründet werden. Eine Reduktion des Anwendungsbereiches erfordert zwei Schritte: Zunächst ist der für die unterschiedlichen Bereiche verschiedene Inhalt des Demokratieprinzips darzulegen. Darüber hinaus muß sich ebenfalls aus der Verfassung eine Abgrenzung dieser Bereiche begründen lassen. Nach dem ersten Anschein ist dies bei dem Beispiel der Daseinsvorsorge schwierig, da im Grundgesetz eine Sonderbehandlung dieses Bereiches in bezug auf das Demokratieprinzip nicht ersichtlich ist. So enthält beispielsweise das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG keine einschlägigen Aussagen. Die Literatur geht — wie im Folgenden gezeigt wird — auf beiden beschriebenen Wegen vor. Ein niedriges allgemeines Verantwortlichkeitsniveau wird beispielsweise zu erweisen gesucht, indem man in den Anwendungen des Demokratieprinzips bei den drei unterschiedlichen Hauptstaatsfunktionen den kleinsten gemeinsamen Nenner des Niveaus an Verantwortlichkeit feststellt. Dieser wird dann zum durch das Demokratieprinzip allgemein geforderten Maß erklärt. Anders wird eine Anwendungsbeschränkung eines anspruchsvollen Demokratieprinzips wiederum mit dem Argument aus der Natur der Sache, aus der die Unabhängigkeit von Verwaltungsstellen gerechtfertigt sein könne, zu begründen unternommen.
I. Demokratieprinzip und ministerialfreie Räume Geht man davon aus, daß das Demokratieprinzip eine grundsätzlich sachlich lückenlose Regelanordnung für die Ministerverantwortlichkeit von Exekutivstellen enthält, so bedarf es eines anderen gleichrangigen Verfassungsprinzips, um Abweichungen von diesem Grundsatz zu rechtfertigen beziehungsweise seine Anwendung zu beschränken. Legt man das Demokratieprinzip dagegen derart aus, daß ein solcher Grundsatz ihm nicht zu entnehmen ist, so kann — vorbehaltlich weiteren entgegenstehenden Verfassungsrechts — der einfache Gesetzgeber ministerialfreie Räume errichten. Deswegen ist zunächst der Bedeutungsgehalt des Demokratieprinzips auf diese Frage hin zu untersuchen. Zur Beantwortung der gestellten Frage kann auf die in den letzen Jahren erreichten Fortschritte bei der Präzisierung des Demokratiebegriffes zurückgegriffen werden. Diese hat Böckenförde zusammenfassend dargestellt 38. Die von ™ Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HdBStR Bd. I, § 22. Ausführlicher und umfassender dann Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation, AöR 1991 (116), 329 ff., der aber nur die Legitimation der Verwaltung, nicht die anderer Staatsgewalten behandelt. Auch das BVerfG scheint die Begrifflichkeit aufgenommen zu haben (vgl. BVerfG NJW 1991, 159 (160)).
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
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der Literatur erarbeiteten Differenzierungen haben eine Reihe begrifflich scharf gefaßter Merkmale für die Frage nach dem Niveau demokratischer Legitimation erbracht. Böckenförde geht davon aus, daß das Demokratieprinzip ein bestimmtes Niveau an demokratischer Legitimation fordert. Dabei setzt das Grundgesetz unterschiedliche, aber bestimmte Arten der Vermittlung solcher Legitimation voraus. In bestimmten Grenzen können diese unterschiedlichen Verfahren zur Vermittlung demokratischer Legitimation sich nach der Ansicht von Böckenförde gegenseitig substituieren. Die Frage nach dem vom Demokratieprinzip geforderten Maß an Veranwortlichkeit stellt sich dann dergestalt, daß zu untersuchen ist, welche und wieviele Arten solcher Legitimation regelmäßig gefordert sind. Weiterhin muß geklärt werden, ob eine Substitution zwischen den verschiedenen Typen demokratischer Legitimation — etwa durch gesteigerte Intensität innerhalb einer Art — zulässig ist. Ministerialfreie Räume sind von dieser Problematik betroffen, wenn sie das für die Verwaltung allgemein geforderte Niveau an demokratischer Legitimation nicht aufweisen. Die Tatsache, daß sie nicht jeglicher Legitimation entbehren, läßt das Problem nicht entfallen 39 .
1. Zum Inhalt des Gebotes demokratischer Legitimation Die von Böckenförde erarbeitete Fassung des Gebotes der demokratischen Legitimation wird in der Folge dargestellt. Dabei wird sich erweisen, daß diese Fassung als Grundlage der weiteren Arbeit geeignet ist. Es wird sich aber ebenso zeigen, daß es notwendig ist, Abänderungen vorzunehmen. a) Typen demokratischer
Legitimationsvermittlung
Grundlegend ist zunächst die organisatorisch-funktionelle Legitimation 40 . Sie wird dadurch erreicht, daß die Verfassung die drei staatlichen Hauptfunktionen und ihnen entsprechende Organe vorschreibt. Der Gedanke der organisatorischen 39 Nicht überzeugend Schmidt-Aßmann, AöR 1991, S. 384, der im Anschluß an Emde die Legitimationsproblematik nicht für einschlägig hält; Emde begründet dies damit, daß die Legitimation hier nicht entfalle, sondern nur „verdünnt" sei. Das verhält sich bei der von ihm untersuchten funktionalen Selbstverwaltung aber gerade ebenso (Emde S. 12; generell geht Emde davon aus, daß die staatlich vermittelte demokratische Legitimation durch autonom erzeugte Legitimation ergänzt werden kann; vgl. S. 49 ff. und passim). Schmidt-Aßmann erwähnt inkonsequent denn auch die Legitimationsbedürftigkeit von Bundesbank und Beauftragtenverwaltung (S. 345 ff.) als einschlägige Probleme. 40 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HdBStR Bd. I, § 22 Rdnr. 15. Weitgehend ebenso zu den einzelnen Legitimationsarten Schmidt-Aßmann, AöR 1991 (116), 329 ff. (351 ff.); Schmidt-Aßmann weicht lediglich insofern ab, als er zusätzliche Legitimationsformen untersucht (S. 371 ff.), die hier aber nicht einschlägig sind. 3 Waechter
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Legitimation ist bei Böckenförde auf die Funktionentrennung des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und die entsprechenden Organe beschränkt 41. Der Gedanke ist aber darüber hinaus anwendbar. Eine institutionelle und funktionelle Legitimation liegt überall dort vor, wo das (Verfassungs-)Gesetz den Bestand einer Institution anordnet und ihr eine bestimmte Aufgabe zuweist. Während allerdings die drei staatlichen Hauptfunktionen durch Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG deutlich in dieser Weise bestimmt und legitimiert sind, finden sich nicht immer entsprechende Regelungen auch auf rangniedrigerer Ebene. Die Lehre vom institutionellen Gesetzesvorbehalt bestimmt, wo dieser Legitimationstyp verfassungsrechtlich gefordert ist, wo also eine institutionelle Ausgestaltung nur auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden darf. Daraus ergibt sich zugleich, daß diese Art von Legitmation nicht ausnahmslos gegeben sein muß. Allerdings herrscht in der Literatur inzwischen weitgehend Einigkeit 42 darüber, daß die Errichtung ministerialfreier Stellen dem institutionellen Gesetzesvorbehalt stets und unabhängig von ihren Aufgaben gerade deshalb unterliegt, weil Ministerialfreiheit eingeräumt wird. Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes geht in diese Richtung 43 . Deswegen kommt es in diesem Fall nicht darauf an, in welchen anderen Bereichen eine derartige Legitimation nicht erforderlich ist. Ein solches einfachrechtliches Errichtungsgesetz für ministerialfreie Räume steht inhaltlich gerade im Gegensatz zum Demokratieprinzip, indem es die Verantwortungskette innerhalb der Exekutive unterbricht. Deswegen kann es zwar als Gesetz Legitimation vermitteln, muß sich aber inhaltlich dennoch vor dem Demokratieprinzip rechtfertigen. Neben diesen Legitimationsstrang tritt die personelle demokratische Legitimation. Sie wird dadurch hergestellt, daß die Entscheidung über die Berufung der staatlichen Amtswalter und Mandatsträger gegenüber dem Volk — vermittelt oder unvermittelt — verantwortet werden muß. Möglich ist sowohl eine Direktwahl durch das Volk oder die Volksvertretung wie eine Berufung durch parlamentarisch verantwortliche Minister 44 . Wie viele Glieder die Legitimation vermittelnde Verantwortungskette hat, ist prinzipiell unerheblich. Es darf aber kein Glied dazwischentreten, das bei seiner weiteren Berufungsentscheidung nicht mindestens indirekt verantwortlich handelt. 41 Diese Beschränkung bei Böckenförde ist wohl der Tatsache geschuldet, daß die ursprüngliche Intention der Betonung dieses Legitimationsstranges dahin ging, aufzuweisen, daß die Exekutive gegenüber der Legislative über keinen geringerwertigen Grad an demokratischer Legitimation verfüge (vgl. zur Verfassungsunmittelbarkeit der Exekutive mit der Folge, daß dem Parlament kein durchgängiger Vorrang zukommt BVerfGE 49, 89 124 ff.). Außerdem läßt sich auf rangniedriger Ebene nicht ein allgemeines Erfordernis organisatorisch-funktioneller Legitimation aufstellen. 4 2 Die Arbeiten von Klein, Füßlein, Oebbecke und Schuppert setzen dies zum Teil unausgesprochen voraus. 43 Siehe die bereits genannten Entscheidungen BVerfGE 83, 130; NJW 1991, 908. 44 Vgl. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HdBStR Bd. I, § 22 Rdnr. 16.
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Dabei ist unklar, ob es Intensitätsabstufungen hinsichtlich der Qualität der vermittelten Legitimation gibt. Diese würden hier nicht in erster Linie von der Länge der die Legitimation vermittelnden Ernennungskette beeinflußt, sondern von der Genauigkeit der rechtlichen Bindung der Personalentscheidung. Dabei wird häufig die Kürze der Kette mit der rechtlichen Ungebundenheit der Entscheidung korrelieren. Möglich wäre es beispielsweise, den Wert dieses Legitimationsstranges um so höher anzusetzen, je direkter und freier die Personalentscheidung vom Volk abgeleitet ist. Dies würde jedoch zu dem von Böckenförde unerwünschten Ergebnis führen, daß die Volksvertretung in dieser Hinsicht stärker legitimiert ist als die Exekutive. Die Abstufung der personellen demokratischen Legitimation ist deutlich beispielsweise bei den Mitgliedern des Bundesrechnungshofes. Präsident und Vizepräsident werden von Bundestag und Bundesrat gewählt (§ 5 Abs. 1 S. 1 BRHG); die Wahlentscheidung ist also gegenüber den Repräsentanten von Bundesstaatsvolk und Landesstaatsvölkern unmittelbar verantwortet. Geringer ist demgegenüber die personelle demokratische Legitimation der weiteren Mitgliedern des Rechnungshofes (§ 3 Abs. 1 BRH-G). Diese werden auf den verbindlichen Vorschlag des Präsidenten des Rechnungshofes vom Bundespräsidenten ernannt. Der Präsident genießt der Ausübung seines Vorschlagsrechtes richterliche Unabhängigkeit. Es liegt also weder eine unmittelbare Legitimation vor noch ist die Personalentscheidung rechtlich präzise gebunden. Das gleiche gilt für die übrigen Bediensteten des Rechnungshofes (§ 4 BRH-G). Dritter Legitimations sträng ist die sachlich-inhaltliche Legitimation 45 . Sie wird auf zwei Wegen gebildet: durch die Gesetzesbindung des Verwaltungshandelns (Art. 20 Abs. 3 GG) einerseits und durch sanktionierte demokratische Verantwortlichkeit im Sinne von Weisungsgebundenheit andererseits. Durch die Bindung an Recht und Gesetz ergibt sich für die staatlichen Organwalter eine generelle inhaltliche Bindung. Insoweit sie diese Bindung einhalten, ist ihr Verhalten also durch das Parlamentsgesetz legitimiert. Diese Legitimation durch die Gesetzesbindung ist umso höher, je genauer das Gesetz das Handeln programmiert. Hier ist also offensichtlich eine Legitimitätsabstufung je nach dem Grad der Bestimmtheit des Gesetzes denkbar. Inhaltliche Verantwortlichkeit für die Entscheidung des Einzelfalles wird durch das Weisungsrecht der Ministerialspitze in Verbindung mit den Kontrollrechten der Volksvertretung hergestellt. Der Minister ist aufgrund seiner Weisungsmöglichkeit für die Entscheidungen der ihm nachgeordneten Verwaltung politisch verantwortlich. Diese Verantwortung kann vom Parlament — im Extremfall über das Mißtrauensvotum gegenüber dem Kanzler — aktualisiert werden. Dadurch verantwortet ein Amtsträger seine Handlungen vor dem Parlament, wenn auch gegebenenfalls wiederum über zahlreiche Vermittlungsstufen. Für diese Methode 4
5 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HdBStR Bd. I, § 22 Rndr. 21.
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der inhaltlichen demokratischen Legitimierung setzt das Grundgesetz ein hierarchisch strukturiertes Modell der Verwaltung mit Weisungsrechten voraus 46. Auch hier stellt sich wieder die Frage, ob die Länge der Weisungskette Einfluß auf die Wertigkeit der Legitimation haben soll. Dieser doppelte Strang der Legitimation ist bei dem Bundesrechnungshof nur schwach ausgeprägt: Einerseits liegt nur eine geringe gesetzliche Programmierung der allgemeinen Tätigkeit vor: Das zentrale gesetzliche Kriterium der Wirtschaftlichkeit beinhaltet lediglich eine finale Programmierung für die ausgeübte Tätigkeit, die gegenüber einer konditionalen Programmierung sehr viel ungenauer ist und damit weniger Legitimation vermitteln kann. Tatsächlich werden im Rahmen der Konkretisierung zahlreiche Abwägungsvorgänge notwendig. Die Gesetzesbindung kann also in diesem Beispielsfall nur wenig allgemeine inhaltliche Legitimation vermitteln. Andererseits existiert keine inhaltliche Weisungsgebundenheit für die Einzelfallentscheidung. Die den ministerialfreien Räumen regelmäßig eingeräumte Unabhängigkeit in der Amtsführung ist hier sogar zur richterlichen Unabhängigkeit gesteigert.
b) Kompensation zwischen den Typen der Legitimationsvermittlung
Für ein allgemein hinreichendes Niveau an demokratischer Legitimation fordert Böckenförde, daß zumindest der personelle und der inhaltliche Legitimationsstrang vorliegen. Der Verzicht auf das regelmäßige Vorliegen der organisatorischfunktionalen Legitimation trägt der Lehre Rechnung, daß der institutionelle Gesetzesvorbehalt kein Totalvorbehalt ist. Die personelle Legitimation garantiert bei diesem allgemein verlangten Mindestniveau an demokratischer Verantwortlichkeit die persönlich politisch verantwortete Einsetzung von Amtswaltern. Solche Personalentscheidungen sind jedoch im Bereich des Beamtenrechts an Art. 33 Abs. 2 GG gebunden. Dadurch tritt die politische Verantwortung für die Auswahl hinter die rechtliche Bindung zurück. Der Anteil der politischen Verantwortung steigt allerdings kontinuierlich mit dem Einfluß, den politische Erwägungen auf Ernennungen haben. Auf die Mitglieder der Regierung findet Art. 33 Abs. 2 GG keine Anwendung; die Verantwortung hat sich von der rechtlichen Bindung zur unvermittelten politischen Entscheidung hin verschoben. Die inhaltliche Legitimation verhindert in ihrer doppelten Wirkung aus Gesetzesbindung und Weisungsgebundenheit, daß die Amtswalter in ihrer Amtsführung den eigenen Sonderinteressen folgen oder ihren Entscheidungen politische Ein4 6 Vgl. Böckenförde, Rndr. 24.
Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HdBStR Bd. I, § 22
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Schätzungen zugrunde legen, die nicht von der Mehrheit der Volksvertretung gedeckt sind. Deswegen ist prinzipiell keiner dieser Legitimationsstränge entbehrlich 4 7 . Die unterschiedlichen Legitimationsstränge können sich allerdings nach Ansicht von Böckenförde begrenzt gegenseitig substituieren: So vermag beispielsweise eine strenge Gesetzesbindung die Unabhängigkeit von Weisungen zu kompensieren. Entscheidend soll stets die Einhaltung eines Mindestniveaus an demokratischer Legitimation sein, das auf den genannten Wegen hergestellt wird. Tatsächlich kommt man um die Annahme einer solchen Kompensationsmöglichkeit nicht herum, wenn man die Vielgestaltigkeit der tatsächlichen Legitimationsvermittlung angemessen erfassen will. Ein starres Festhalten an dem Vorliegen bestimmter Arten und Grade der Legitimationsvermittlung würde die von Bökkenförde dargestellte Ausdifferenzierung des Demokratieprinzips wegen praktischer Unanwendbarkeit weitgehend fruchtlos machen. Will man allerdings eine solche gegenseitige Substitutionsmöglichkeit anerkennen, so ist es notwendig, den Abstufungen innerhalb der Intensität der Legitimationsvermittlung in den einzelnen Strängen auch rechtlichen Wert beizulegen. Dies führt beispielsweise zu dem Ergebnis, daß die Mitglieder der Regierung gegenüber den Mandatsträgern der Volksvertretung hinsichtlich der personellen Legitimation einen minderen demokratischen Status haben; dieser kann allerdings durch die stärkere Gesetzesbindung kompensiert werden. Ministerialfreie Räume in der Verwaltung durchbrechen die Verantwortungskette zumindest hinsichtlich der Weisungsverantwortung und wären daher prinzipiell mit dem Demokratieprinzip nicht vereinbar, wenn dieser mindere Standard an Legitimation nicht kompensiert würde. Eine Kompensation ist aber häufig nicht möglich, da Ministerialfreiheit gerade in denjenigen Bereichen eingeräumt wird, in denen eine genaue gesetzliche Programmierung des Staatshandelns unmöglich oder untunlich erscheint. Selbst bei der personellen Legitimation werden häufig Mitwirkungsrechte nicht demokratisch verantwortlicher Stellen anerkannt. Ministerialfreie Räume wären daher mit dem Demokratieprinzip regelmäßig unvereinbar, wenn sich aus dem Grundgesetz nichts anderes ergibt. Zu diesem Ergebnis der Unvereinbarkeit gelangt Böckenförde. Explizite Ausnahmen findet er in der Verfassung allerdings in der Anordnung der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG), der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) 4 8 und in Art. 87 Abs. 2 GG. Für den Bundesrechnungshof sucht Böckenförde die Rechtfertigung für die Abweichung von den geforderten Standards in dem
47
Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HdBStR Bd. I, § 22 Rdnr. 23. Böckenförde versteht den Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nicht als Grundrecht im Sinne eines subjektivrechtlichen Abwehrrechtes, sondern als Staatsstrukturbestimmung; dazu unten beim Beispiel Rundfunk unter Β. VI. 1. 48
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1. Abschn.: Systematischer Teil
Argument aus der ,Natur der Sache4. Diese fordere bei Kontrollaufgaben zwingend die Ausnehmung vom Prinzip der Verantwortlichkeit 49 .
c) Der Anwendungsbereich
des
Legitimationszwanges
Vom Umfang her begreift Böckenförde das Demokratieprinzip als umfassend. Es soll alle Staatsfunktionen und diese vollständig ergreifen. Er fordert die Einhaltung des beschriebenen Mindestniveaus an demokratischer Legitimation auch für die Judikative und die Legislative, obwohl die drei Legitimationsstränge offenbar an dem Modell der Exekutive entwickelt sind. So sollen die genannten Anforderungen auch die parlamentarischen Mandatsträger erfassen, die Notwendigkeit demokratischer Verantwortung für das,Amt' 5 0 soll auch für das Verhältnis der Mandatsträger zum Wahlvolk gelten 51 . Diese Annahme der auf alle Staatsfunktionen bezogenen Geltung des Demokratieprinzips führt bei der Anwendung des Gedankens der erforderlichen Mindestlegitimation auf Judikative und Legislative zu Schwierigkeiten. Bei beiden fehlt mindestens je eine Variante der inhaltlich-sachlichen Legitimation. In beiden Funktionen sind die Amtswalter nicht jederzeit abberufbar und damit in ihrer inhaltlichen Tätigkeit zu steuern. Ebensowenig sind sie weisungsunterworfen. Das durch Art. 38 Abs. 1 GG geprägte Mandatsverhältnis genügt den von Böckenförde aufgestellten Anforderungen nicht. Die Mandatsträger sind keinen engen gesetzlichen Bindungen unterworfen, da sie nur die Verfassung zu beachten haben. Der durch die periodische Wahl vermittelte Verantwortungszusammenhang ist bewußt auch nicht derart beschaffen, daß er einzelne Entscheidungen des Mandatsträgers zu beeinflussen vermag. Diesem ,Mangel· an inhaltlichsachlicher Argumentation steht allerdings eine besonders direkte personelle Legitimation gegenüber. Böckenförde sieht sich also hier gezwungen, nach dem Grad der Direktheit der personellen Legitimation gegenüber dem Volk zu unterscheiden. Je näher der Verantwortungszusammenhang, desto stärker der Beitrag zum erforderlichen Gesamtniveau der Legitimation; damit gerät Böckenförde in Schwierigkeiten mit der ursprünglich verfolgten Intention, die demokratische Legitimation der Exekutive der der Legislative gleichzustellen52. Er selbst sieht 49 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HdBStR Bd. I, § 22 Rdnr. 22, 24, 34. 50 Böckenförde geht von einem sehr weiten Amtsbegriff aus, der nicht mit dem Amt des Beamten identisch ist; vgl. derselbe, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: HdBStR Bd. II, § 30 Rdnr. 19 ff. Dazu noch weiter unten. 51 Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: HdBStR Bd. II, §30 Rdnr. 21, 11-13. 52 Dies ist eines der Anliegen des Buches von Böckenförde über die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964; vgl. auch die Anmerkung oben zur organisatorischfunktionellen Legitimation. Kritisch zu der verbreiteten Ansicht der Gleichstellung direk-
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
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die Abweichung vom geforderten Regelmaß an Verantwortung bei der Legislative offenbar nicht als Problem an; jedenfalls macht er dazu keine speziellen Ausführungen. Deutlicher behandelt er die analogen Schwierigkeiten bei der Funktion der Rechtsprechung. Auch diese soll der Anforderung des demokratischen Mindestniveaus unterworfen sein. Die Probleme der personellen Legitimation hat Bökkenförde anderweitig ausführlich untersucht 53. Sie ergeben sich vor allem daraus, daß nach der einfachgesetzlichen Ausgestaltung an der Entscheidung über die Ernennung von Richtern auch solche Personen mitwirken, die nicht parlamentarisch verantwortlich sind. Dies ist das Problem der Richterwahlausschüsse. Bökkenförde vertritt dazu die Ansicht, daß es ausreicht, wenn die Berufungsentscheidung von einer Mehrheit demokratisch verantwortlicher Entscheidungsträger getragen wird. Diese Mehrheit muß sowohl in der Lage sein, die Entscheidung herbeizuführen wie zu verhindern. Die inhaltlich-sachliche Legitimation durch strenge Gesetzesbindung liegt bei der Rechtsprechungsfunktion vor (beim Bundesverfassungsgericht fehlt sie zwar, ist aber durch direktere personelle Legitimation kompensiert, da sich die Richterwahl hier unmittelbar von den Volksvertretern ableitet). Es,fehlt 4 für die Judikative aber aufgrund der durch das Grundgesetz eingeräumten Unabhängigkeit der Richter in der Wahrnehmung ihrer Funktion die Kontroll- und Steuerungsmöglichkeit der Volksvertretung. Dieses Ergebnis ist hier ebenso vom Verfassungsgeber angestrebt wie die relative Unabhängigkeit der Volksvertreter von ihren Mandatsgebern. Böckenförde meint, diese inhaltliche Unabhängigkeit werde durch die strenge Gesetzesbindung der Rechtsprechung kompensiert. Dann stellt sich allerdings die Frage, warum eine entsprechende Unabhängigkeit im Rahmen der Exekutive das erforderliche demokratische Mindestniveau verfehlen würde, wie Böckenförde es bei den ministerialfreien Räumen vertritt. Die Gesetzesbindung der Rechtsprechung ist grundsätzlich nicht strenger als die der Exekutive 54 . Dies zeigt sich in der Bindung an Recht und Gesetz in Art. 20 Abs. 3 GG, wo vollziehende Gewalt und Rechtsprechung parallelisiert werden. Die Annahme einer im Vergleich zur Exekutive strengeren Gesetzesbindung der Rechtsprechung ist also kaum plausibel. Dieses Problem bleibt bei Böckenförde ohne überzeugende Lösung. Es wird lediglich vorgetragen, die funktionsgerechte Ausstattung der Judikative erfordere die Einräumung von Unabhängigkeit, wie sie in Art. 97 GG vorgesehen ist 55 . Damit wird aber erneut auf die Natur der Sache abgestellt und diese durch Erwägungen zur Funktionsadäter und indirekter Legitimation im Hinblick auf das Demokratieprinzip Öhlinger, VVdStRL 43 (1985), 238 (Aussprache). 53 Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974. 54 Wie hier für gleiche Gesetzesgebundenheit von Judikative und Legislative SchmidtAßmann in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 183. Ausgenommen davon sind die Bereiche der Ermessensentscheidungen etc.; Ermessen ist der Rechtsprechung nur im Ausnahmefall eingeräumt. 55 Vgl. Böckenförde, Verfassungsfragen, S. 72.
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quanz ausgefüllt. Im Rahmen der Diskussion zu den ministerialfreien Räumen ist eine solche Argumentation ebenfalls vorgetragen worden. Dort wird sogar behauptet, daß hierarchisch verantwortete Verwaltungstätigkeit im modernen Staat auf bestimmten Gebieten generell funktionsinadäquat sei 56 . Auf diese Weise läßt sich die Geltung des Demokratieprinzips grenzenlos aufweichen. Eine zuverlässige Grenzziehung ist nicht möglich. Böckenförde müßte die entsprechende Argumentation aus der Funktionsnotwendigkeit konsequenterweise auch bei den ministerialfreien Räumen anerkennen, was er aber richtigerweise nicht tut. Die andere Möglichkeit wäre, Art. 97 GG als generelle Ausnahmeanordung bezüglich der Geltung des Demokratieprinzips anzuerkennen. Dann müßte Böckenförde aber seine Grundannahme, daß dieses Prinzip mit seinem Mindeststandard demokratischer Verantwortlichkeit für alle Staatsfunktionen gilt, aufgeben. Festzuhalten bleibt zu Böckenförde, daß er eine Ausdeutung des Demokratieprinzips vertritt, die umfassende Geltung für alle Staatsfunktionen beansprucht. Daneben verlangt er ein hohes Niveau an demokratischer Legitimation, das auf verschiedenen verfassungsrechtlich bestimmten Wegen erreicht werden kann. Dabei ist das erforderliche Mindestniveau niedriger als der Legitimationsstandard, der sich aus einer Kumulation bei vollem Vorliegen aller drei Legitimationsstränge ergibt. Dadurch wird es möglich, daß sich die unterschiedlichen Arten der Vermittlung von demokratischer Legitimation begrenzt gegenseitig substituieren können. Dies Modell für die Entfaltung des Demokratieprinzips ist hinsichtlich der drei Legitimationstypen überzeugend, weil es erlaubt, in differenzierter Weise die sonst wenig greifbaren Fragen der erforderlichen demokratischen Legitimation zu beurteilen. Zu erheblichen Schwierigkeiten führen aber die grundsätzliche Gleichbehandlung der unterschiedlichen Staatsfunktionen hinsichtlich der unterschiedslosen Anwendung des Demokratieprinzips und der Versuch, Ausnahmen von dem erforderlichen Mindeststandard aus der Natur der Sache zu rechtfertigen.
2. Kein Widerspruch zwischen Demokratieprinzip und aufgehobener Ministerialverantwortlichkeit? Die Argumentation von Böckenförde repräsentiert diejenige Richtung der Literatur, die von der umfassenden Geltung eines Demokratieprinzips mit hohen Anforderungen ausgeht und dann darauf angewiesen ist, Ausnahmen verfassungsrechtlich zu belegen. Für die andere Ausrichtung kann Oebbecke angeführt werden. Dieser gelangt zu einem generell niedrigen Legitimationsniveau, so daß es spezifischer Rechtfertigungen für ministerialfreie Räume nicht bedarf. Sachlich — wenn auch mit anderer Terminologie — untersucht auch er das Verhältnis 56 Siehe dazu unten die Darstellung der Argumentation von Schuppert unter 3.
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von Weisungsfreiheit zu den unterschiedlichen, von Böckenförde dargestellten Legitimationsmechanismen. Bei der folgenden Erörterung wird die eingeführte Begrifflichkeit beibehalten. Oebbecke spaltet zunächst die Wirkungen des Demokratieprinzips in seiner Untersuchung auf. Er nennt einerseits die Leitungsbefugnis der Regierung gegenüber der Verwaltung, also das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit im engeren Sinne. Andererseits weist er auf die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament hin. Die Leitungsbefugnis der Regierung behandelt er nach anderen Maßstäben als die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament. Hinsichtlich der Leitungsbefugnis der Regierung gegenüber der Verwaltung kommt Oebbecke zu dem Ergebnis, daß diese regelmäßig von der Verfassung (Art. 65 GG) gefordert sei. Ausnahmen seien nur dort zulässig, wo sich dies aus einer Abwägung zwischen der Leitungsbefugnis und kollidierenden Verfassungsgütern ergebe. Oebbecke geht damit von einem Inhalt des Demokratieprinzips aus, der für den Regelfall die Ministerverantwortlichkeit und damit die hierarchische Verwaltungsstruktur fordert 57 . Diese Regelanordnung kann allerdings nach Oebbecke aufgrund von beliebigen entgegenstehenden Verfassungsrechtsgütern Ausnahmen erfahren 58. Es muß dann in einem Prozeß der Herstellung praktischer Konkordanz jeweils ermittelt werden, ob die Leitungsbefugnis der Regierung bestehen bleiben kann. Oebbecke begrenzt den Kreis der möglichen entgegenstehenden Verfassungsrechtsgüter nicht. Bereits oben wurde angedeutet, welche Normen der Verfassung in der Literatur an dieser Stelle eingesetzt werden. Da ministerialfreie Räume aus der Leitungsbefugnis herausfallen, bedarf es dafür rechtfertigender Verfassungsprinzipien. Welche Prinzipien dafür in Betracht kommen, bleibt bei Oebbecke offen. Die Untersuchung der Frage des Umfanges der verfassungsrechtlich gebotenen Verantwortung der Regierung gegenüber dem Parlament erfolgt in zwei Ansätzen. Oebbecke geht hier zunächst von dem Gedanken aus, daß diese Verantwortlichkeit nicht zwangsläufig jeden Bereich der Exekutive erfassen muß. Dazu soll geklärt werden, ob die ministerialfreien Räume in die zu verantwortenden Zuständigkeiten der Regierung fallen. Nur wenn dies der Fall wäre, würde das Demokratieprinzip ihrer Errichtung Schranken setzen59. Um die Frage zu entscheiden, untersucht er, ob sich eine Antwort aus dem Umfang der die Verantwortlichkeit konkretisierenden parlamentarischen Kontrollrechte gegenüber der Regierung ergibt 60 . Er gelangt dabei zu Recht zu dem Ergebnis, daß diese Rechte nichts Abschließendes über den Bereich des von der Regierung zu Verantwortenden 57 58 59 60
Oebbecke, S. 23 ff. Vgl. Oebbecke, S. 65. Vgl. Oebbecke, S. 102. Oebbecke, S. 104 ff.
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aussagen und geht deswegen von der umfassenden Geltung des Verantwortungsbereiches aus, so daß die ministerialfreien Räume darunter begriffen sind. Oebbecke wendet sich nun den von Böckenförde benannten Legitimationssträngen zu. Er stellt dabei fest, daß der organisatorischen Legitimation durch die Geltung und regelmäßige Beachtung des institutionellen Gesetzes Vorbehaltes Rechnung getragen ist. Ministerialfreie Räume beruhen stets auf gesetzlicher Anordnung 61 . Auch in bezug auf die personelle demokratische Legitimation gebe es keine Probleme: die Amtswalter der ministerialfreien Räume würden in einem hinreichend legitimierenden Verfahren eingesetzt62. Entscheidend wird deswegen für ihn die Frage, ob das Demokratieprinzip eine durchgängige sachlich-inhaltliche Legitimation fordert. Diese wäre nur durch genaue gesetzliche Handlungsmaßstäbe oder eine Weisungsgebundenheit zu erreichen. Hier trennt sich die Argumentation Oebbeckes von der Böckenfördes. Zwar sieht Oebbecke wie Böckenförde alle Staatsfunktionen von der Geltung des Prinzips erfaßt. Auch er erkennt, daß die Rechtsprechung nicht über alle vorhandenen Stränge legitimiert ist. Er zieht aber im Vergleich zu Böckenförde den gegenteiligen Schluß aus dieser Beobachtung. Während Böckenförde nach Kompensationen für diesen Teilausfall an Legitimation sucht, nimmt Oebbecke an, daß das Legitimationsniveau der Rechtsprechung das allgemeine Mindestniveau demokratischer Legitimation im Sinne des kleinsten gemeinsamen Nenners der drei Hauptstaatsfunktionen bezeichnet63. Daraus ergibt sich, daß auch die Exekutive hinreichend demokratisch legitimiert ist, wenn sie dieses Niveau erreicht. Damit vermeidet Oebbecke die Schwierigkeiten, die sich aus einem Zwang zur Differenzierung zwischen den Staatsfunktionen ergeben. Er erkauft dies aber mit einer Absenkung des allgemein geforderten Legitimationsniveaus. Eine gewisse Kompensation für diese Nivaueabsenkung ergebe sich de facto, so trägt er vor, aus dem Budgetrecht des Parlamentes. Verfassungsrechtlich sei es aber nicht vorgeschrieben, daß unabhängige Entscheidungsmacht durch stärkere gesetzliche Bindung (beispielsweise durch den Haushalt) kompensiert werden müsse. Dies werde dadurch bewiesen, daß die unabhängigen, gegenzeichnungsfreien Entscheidungen des Bundespräsidenten bei der Kanzlerwahl (Art. 63 Abs. 1 GG) und bei der Auflösung des Bundestages (Art. 63 Abs. 4 S. 2, 68 Abs. 1 S. 1 GG) nicht gesetzlich programmiert seien. Bei diesem Argument läßt Oebbecke allerdings die gegenüber Richtern direktere personelle Legitimation des Bundespräsidenten außer Betracht.
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Oebbecke, S. 23. Daß der institutionelle Gesetzesvorbehalt für die Errichtung ministerialfreier Räume eingreift, ist aufgrund der Wesentlichkeit der Befreiung von der Weisungsmacht der Ministerialspitze unstrittig. 62 Vgl. Oebbecke, S. 83 ff. An diesem Ergebnis kann man in einzelnen Fällen Zweifel anmelden, beispielsweise bei den weiteren Mitgliedern des Bundesrechnungshofes. 63 Oebbecke, S. 125 f.
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Im Ergebnis gelangt Oebbecke dazu, zwar die lückenlose Geltung des Demokratieprinzips für alle Staatsfunktionen anzunehmen. Er verkürzt die aufgrund des Prinzips erforderliche Legitimation aber um den die inhaltlich-sachliche Legitimation durch Weisungsgebundenheit oder gesetzliche Bestimmtheit der Handlungsmaßstäbe. Damit stehen der Errichtung ministerialfreier Räume aufgrund eines Gesetzes aus dem Demokratieprinzip keine Hindernisse entgegen. Hinsichtlich der Leitungsbefugnis der Regierung können konkurrierende Verfassungsgüter Ausnahmen rechtfertigen. Oebbecke setzt daher Oebbecke zwar ein geringeres Maß an erforderlicher demokratischer Verantwortlichkeit an, diese Entscheidung wird aber praktisch nicht wirksam, weil die Einschränkung der Leitungsbefugnis unabhängig davon einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Die generelle Senkung des erforderlichen Legitimationsniveaus kann nicht überzeugen. Sie trägt dem Zusammenhang von Leitungsbefugnis der Regierung und durch ein mögliches Mißtrauensvotum sanktionierter Verantwortlichkeit nicht hinreichend Rechnung. Es ergibt sich ein Widerspruch, wenn man die Kriterien für die Verantwortlichkeit und die Leitungsbefugnis unterschiedlich festsetzt. Dies wird bei der sachlich-inhaltlichen Legitimation besonders deutlich. Wenn diese inbesondere durch die Weisungsgebundenheit der den Ministerien nachgeordneten Verwaltung erreicht wird, so liegt darin nichts anderes als ein Zwang zur Leitungsmacht der Regierungsmitglieder. Unmöglich wäre es beispielsweise, einen hohen Grad an Verantwortung zu fordern, die Leitungsbefugnis aber abzulehnen: Daraus ergibt sich, daß eine isolierte Festsetzung der Maßstäbe unmöglich ist. Die Leitungsmacht ist den Ministern nicht allein um der Regierungsfunktion als solcher willen eingeräumt, sondern auch um der Umsetzung der Verantwortung halber. Die entscheidende Schwachstelle der Argumentation liegt allerdings nicht bei der Vernachlässigung dieses Zusammenhanges, sondern an demselben Ort wie bei Böckenförde: in der Annahme, es müsse ein für alle Staatsfunktionen gleichartiges Niveau an demokratischer Legitimation geben. Diese Annahme zwingt Böckenförde zu wenig überzeugenden Kompensationskonstruktionen und Oebbecke zu einer allgemeinen Senkung auf das niedrigste den Staatsfunktionen gemeinsame Niveau. Es ergibt sich die Notwendigkeit einer Untersuchung, die klären muß, ob die Anforderung an den Grad an demokratischer Legitimation gemäß dem Grundgesetz nach den verschiedenen Staatsfunktionen unterschiedlich zu beurteilen ist. Wenn dies angenommen werden kann, könnten sich Unterschiede in dem jeweils erreichten Niveau mit dem Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Funktion rechtfertigen lassen. Dazu unten.
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3. Rechtfertigung eines Widerspruches aus dem Argument von der Natur der Sache Der zweite Aspekt der Argumentation Böckenfördes, die Berufung auf die Natur der Sache, wird durch die Ausführungen Schupperts 64 zu den ministerialfreien Räumen in bezug auf das Demokratieprinzip in bezeichnender Weise beleuchtet: Bei Schuppert zeigt sich besonders deutlich die mit einem Einsatz dieses Argumentes verbundene Gefahr, die in der Aushöhlung der Geltungskraft von Verfassungsprinzipien liegt. Schuppert gelangt unter Berufung auf das Argument dazu, für den gesamten Bereich der Daseinsvorsorge anzunehmen, daß die Verfassung eine Aufgabenerledigung durch unabhängige Verwaltungseinheiten zuläßt und keine hierarchische Verwaltungsorganisation fordert. Seine Argumentation macht dabei deutlich, daß eine noch weitere Ausdehnung des,Ausnahmebereiches4 über die Daseins Vorsorge hinaus ohne Schwierigkeiten möglich erscheint. Ausgangspunkt ist für ihn die Untersuchung solcher ministerialfreier Bereiche, die als verselbständigte Verwaltungseinheiten Aufgaben im Bereich der Wirtschaft und der Daseinsvorsorge wahrnehmen. Mit Böckenförde 65 geht Schuppert davon aus, daß der Staat heute seine Legitimation weitgehend aus der Sicherung der allgemeinen Wohlfahrt bezieht. Diese Sicherung kann der Staat aus eigener Kraft nicht garantieren, da er auf die autonome Datensetzung beispielsweise der Tarifpartner angewiesen ist. Deswegen werden gesellschaftlichen Organisationen im Austausch für ihre Kooperationswilligkeit Mitbestimmungsrechte eingeräumt; dies macht sie zu „Teilnehmern an der Ausübung der Staatsgewalt"66. Daseinsvorsorge könne nur durch Interessenabstimmung und Konsensbildung gesichert werden. Tritt aber ein solcher Prozeß zwischen die Aufgabenstellung durch das Parlament und die Ausführung der Aufgabe in der Verwaltung, so ist die Verwaltungstätigkeit nicht mehr konditional programmierbar, da das Ergebnis der Interessenabstimmung nicht vorweggenommen werden kann 67 . Auch ein Weisungsrecht der vorgesetzten Behörden sei mit der Notwendigkeit eines solchen Aushandlungsprozesses nicht vereinbar. Konditional programmierte Verwaltung wird also in diesem Bereich durch partizipatorische und konsensorientierte Verwaltung ersetzt, da diese funktionsadäquater und einzig geeignet ist, die notwendige Legitimationsbeschaffung zu sichern 68. Die Beobachtung der Verhältnisse im Bereich der Staatsaufgabe der Gefahrenabwehr legt es nahe, gleiches hier für manche Teilbereiche anzunehmen. Auch in diesem Aufgabenbereich ist der Staat wegen der Komplexität der Materie auf die Kooperation der gesellschaftlichen 64
Schuppert, Die Erfüllung, passim. Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung, S. 238. 66 Schuppert, Die Erfüllung, S. 383 mit Verweis auf Böckenförde. 67 Schuppert, Die Erfüllung, S. 363. 68 Vgl. Schuppert, Die Erfüllung S. 363 ff. 65
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Interessenträger und Gefahrenproduzenten angewiesen. Das zeigt sich dann jeweils in den auch in der neueren juristischen Literatur diskutierten Tendenzen, die Gefahrenabwehr nicht mehr hoheitlich, sondern konsensual zu betreiben 69. Im Bereich der Daseinsvorsorge ist der Staat von Konsens abhängig, weil er auf die gesellschaftliche Bereitstellung von materiellen Ressourcen (Arbeitsplätze, Steuerabführungen) angewiesen ist. Bei der Aufgabe der Gefahrenabwehr resultiert die Abhängigkeit daraus, daß bei hochkomplexen Verhältnissen nur die Gefahrenproduzenten über die zur rechtzeitigen Gefahrenbekämpfung notwendigen Informationen verfügen. Das Argument Schupperts erfaßt also von seiner Struktur her nicht nur den Bereich der Daseinsvorsorge, sondern einen großen Teil der Staatsaufgabenerfüllung überhaupt. Natürlich stellt sich dann auch für Schuppert die Frage, bis zu welchem Grad ein solcher Verselbständigungsprozeß sich fortsetzen darf, „ohne daß die Gefahr der Auflösung der (differenzierten) staatlichen organisatorischen Einheit in einen politischen Polyarchismus neo-ständischer Prägung besteht."70 Die Antwort liegt für ihn allein im institutionellen Gesetzesvorbehalt. Schuppert macht plausibel, daß die konditional programmierte und hierarchisch weisungsgebundene Verwaltung zumindest im Bereich der Daseinsvorsorge funktional nicht optimal für die Aufgabenerfüllung geeignet ist. Er schließt daraus, daß die auf Weisungshierarchie und Ministerverantwortlichkeit 71 gerichtete Interpretation des Demokratieprinzips durch zahlreiche Autoren in der Debatte um die Ministerialfreiheit falsch sein muß. Es könne nicht Inhalt der verfassungsrechtlichen Absicherung der parlamentarischen Demokratie sein, das hierarchische Prinzip festzuschreiben, wenn dies aufgabeninadäquat geworden sei 72 . Damit benutzt Schuppert das Argument aus der Natur der Sache, um die vollumfängliche Geltung des Demokratieprinzips für den gesamten Bereich der Daseinsvorsorge abzustreiten. Es zeigt sich hier, daß die Berufung auf die Funktionsfähigkeit 73 auf dem Umweg über diese Natur der Sache kein geeignetes Abgrenzungskriterium für die Anwendung eines Verfassungsprinzips ist. Über die Frage, was funktional adäquat ist, wird stets ein juristisch kaum entscheidbarer Streit bestehen. Unter Berufung auf organisatorische Optimierung können aber nicht Struk69 Vgl. wiederum für alle Hoffmann-Riem. ™ Schuppert, Die Erfüllung, S. 357 (wieder mit Verweis auf Böckenförde). Ein solches System staatlich-gesellschaftlicher Organisation ist strukturell zu konservativ, um die Probleme der modernen Gesellschaft bewältigen zu können (so richtig Schuppert, Die Erfüllung, S. 381 m.w.N.). Es bedarf daher einer höheren Ebene, auf der die Partizipanten sinnvoll bestimmt werden können, so daß nicht bloße Interessenwahrung Produkt wird; dies kann nur die Ebene der Gesetzgebung sein. 71 Für die Zugehörigkeit der Ministerverantwortlichkeit zum Demokratieprinzip Bökkenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HdBStR Bd. I, § 22 Rdnr. 24. 72 Schuppert, Die Erfüllung S. 357, 352. 73 Die das Demokratieprinzip aus funktionalen Überlegungen beschränkende Auslegung ist ebenso gefährlich wie die entsprechenden Überlegungen in der funktionalen Grundrechtstheorie beispielsweise Luhmanns (Grundrechte als Institution, 1965).
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turprinzipien der Verfassung außer Kraft gesetzt werden. Schuppert würde dies erkennen, wenn er selbst bemerkte, daß er mit der Natur der Sache argumentiert; denn nicht einmal die Voraussetzungen dieses Argumentes liegen vor: zwar mag es sein, daß Aufgabenerfüllung durch unabhängige Verwaltungseinheiten im Bereich der Daseinsvorsorge größere Effizienz bietet, sie ist aber nicht begriffsnotwendig erforderlich. Darin zeigt sich, daß Schuppert im Grunde ein Prinzip der Effizienzoptimierung behauptet, das geeignet sein soll, andere Verfassungsprinzipien einzuschränken. Diese Argumentation ist nicht haltbar 74 . Freilich erkennt auch Schuppert verbleibende Wirkungen des Demokratieprinzips im Bereich der Daseinsvorsorge an. Verfassungsrechtlich gefordert sei allerdings lediglich eine allgemeine Steuerungsfähigkeit des Parlamentes 75. Diese könne jedoch auf verschiedene Weise hergestellt werden. Dabei beschränkt Schuppert die Arten der Vermittlung von demokratischer Legitimation nicht auf die von Böckenförde genannten Arten, sondern läßt weitere zu. Er kommt bei seiner Betrachtung zu dem Ergebnis, daß die Steuerungsfähigkeit des Parlamentes in ausreichender Weise gewahrt sei, wenn die Interessentenbeteiligung gesetzlich geregelt wird, was die Auswahl der Mitentscheidenden, den Umfang ihrer Entscheidungsrechte und die Zuweisung des Aufgabenbereiches betrifft. Damit beschreibt er im wesentlichen die Leistung des institutionellen Gesetzesvorbehaltes und reduziert also im Ergebnis den vom Demokratieprinzip geforderten Grad an Verantwortlichkeit auf die organisatorisch-funktionale Legitimierung im Sinne Böckenfördes. Damit geht er in seinen Anforderungen noch weiter hinter die Position von Böckenförde zurück, als es schon Oebbecke tat. Der Vorrang des demokratischen Gesamtsystems, also des Gesetzgebers im Sinne des institutionellen Gesetzesvorbehaltes, gegenüber unabhängigen Stellen (ggf. mit Interessentenbeteiligung) banne die Gefahr des „neo-ständischen Polyarchismus" 76. Dabei geht Schuppert nicht darauf ein, daß auf der Ebene der Gesetzgebung das gleiche Problem der Angewiesenheit des Staates auf die Mitwirkung gesellschaftlicher Interessenträger existiert. Es äußert sich hier in der beispielsweise im Lobbyismus und in normersetzenden Selbstbeschränkungsabkommen zum Ausdruck gelangenden Kooperation von Staat und Verbänden bei der Gesetzgebung. Deswegen verlagert der institutionelle Gesetzesvorbehalt das Problem auf die Ebene der Normsetzung. Dadurch wird aber nicht, wie Schuppert meint, die Überlegenheit des politischen Systems über die gesellschaftlichen Interessenten automatisch hergestellt.
74 Dazu unter B. III. 75 Schuppert, Die Erfüllung, S. 375; auch hier entnimmt er den Grundgedanken Bökkenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HdBStR Bd. I, § 22 Rdnr. 12. 76 Schuppert, Die Erfüllung, S. 354, 375; ähnlich wohl die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Facharztbeschluß (BVerfGE 33,155) und in den Entscheidungen zur Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften (E 83, 130 Mutzenbacher) sowie zum Rundfunkrecht (E 83, 238).
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
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Zu der durch den Gesetzesvorbehalt gesicherten Steuerungsfähigkeit des Parlamentes müsse allerdings, so Schuppert, dessen Kontrollfähigkeit hinzutreten. Hier ist der Ort der die Ministerverantwortlichkeit substituierenden Mechanismen 77 . Schuppert nennt das Budgetrecht des Parlamentes 78 und de lege ferenda Berichtspflichten der verselbständigten Verwaltungseinheiten an das Parlament sowie spezielle Parlamentsausschüsse mit Kontrollrechten. Diese sollen nicht wie das Interpellationsrecht über die Regierung vermittelt die Verwaltung untersuchen79 und daher auch ministerialfreie Räume erfassen können. Die Erwägungen Schupperts de lege ferenda müssen unberücksichtigt bleiben, wenn es um die verfassungsrechtlich geforderte Kompensation zwischen unterschiedlichen Arten der Legitimationsvermittlung nach geltendem Recht geht. Die Argumentation Schupperts hat zwei grundlegende Schwachpunkte. Der erste betrifft die Argumentation aus der Natur der Sache. Über dieses Argument, verbunden mit dem Gedanken funktionsgerechter organisatorischer Ausgestaltung, ist der Bereich von Ausnahmen von der allgemeinen Geltung des Demokratieprinzips, wie gezeigt, unter modernen Bedingungen der Staatlichkeit beliebig erweiterbar. Die Argumentation ist nicht auf den großen Bereich der Daseinsvorsorge beschränkbar; auf die Problematik in Teilen der technischen Gefahrenabwehr wurde hingewiesen. Darin zeigt sich die mangelnde Begrenzbarkeit bei der Verwendung dieser Argumentation. Auch eine möglicherweise zutreffende Einsicht in die nicht optimale Angemessenheit der Form der Aufgabenerfüllung (einer hierarchisch strukturierten, weisungsgebundenen und dadurch verantwortlichen Verwaltung) in bezug auf die Effektivität der Aufgabenerledigung ersetzt noch keine Interpretation des Demokratieprinzips. Dieses steht nicht unter dem allgemeinen Vorbehalt funktionsoptimierter Ergebnisse 80. 7v Schuppert, Die Erfüllung, S. 358. 78 Schuppert betont an verschiedenen Orten die Erweiterung der Trias der demokratischen Legitimation bei Böckenförde um das Haushaltsrecht und die Haushaltskontrolle; vgl. Schuppert, DÖV 1987,757 (761 ff.); Demokratische Steuerung, VVdStRL42 (1984) S. 216 ff. Diese Erweiterung ist wenig einsichtig; die Bindung an das Haushaltsrecht kann als spezifische Ausformung der Gesetzesbindung angesehen werden; offen bleibt, warum die Haushaltskontrolle ein spezifisch demokratisches Kontrollmittel ist. 79 Schuppert, Die Erfüllung, S. 376 ff. Wiederaufgenommen und erweitert hat Schuppert den Gedanken in der Schrift: Schuppert (Hrsg.), Verselbständigte Verwaltungseinheiten, S. 362 ff. Dort fällt er allerdings teilweise hinter die erreichte Position zurück. Während er in der Schrift von 1981 erkannt hatte, daß die Partizipation gleichzeitig ein Kontrollelement gegenüber der hierarchischen Verwaltung enthalten kann und selbst kontrollbedürftig ist, sieht er nun die parlamentarische Kontrolle als durch die Kontrolle aus dem Bereich der Partizipation ersetzbar. Das ist schon deswegen nicht richtig, weil die Interessenverallgemeinerung durch Wahlen um ein unendliches größer ist als diejenige, die den an Verwaltungsentscheidungen partizipierenden Interessenten durch ihre Rollendifferenzierung aufgegeben ist, insofern sie als Interessenten das Gemeinwohl geltend machen sollen. so Vgl. Schuppert, DÖV 1987, 757 ff., wo er wiederholt die „Dynamik der tatsächlichen Notwendigkeiten" zu Koordination und Kooperation betont und zu ihrer rechtlichen Umsetzung auf eine funktionale Denkweise verweist. Der Terminus der Einheit der
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Der zweite Schwachpunkt Schupperts liegt in der von ihm angedeuteten Identifizierung von Demokratie und Partizipation. Diese Gleichsetzung ist deswegen unrichtig, weil der Partizipation der die Verallgemeinerbarkeit der Interessen verbürgende Bezug auf das Gesamtvolk fehlt. Die Unmöglichkeit einer solchen Gleichsetzung ist denn auch inzwischen fast allgemein anerkannt 81. Daraus ergeben sich mehrere Hauptschwierigkeiten: diese betreffen einerseits die Frage nach dem Anwendungsbereich und dem Inhalt des demokratischen Prinzips des Grundgesetzes und andererseits die damit verbundene engere Frage nach der Rechtfertigung ministerialfreier Räume. Bei der Darstellung wichtiger Argumentationslinien ist deutlich geworden, daß eine Auffassung, die ein für alle Staatsfunktionen mit einheitlichem Inhalt geltendes Demokratieprinzip erhebliche dogmatische Schwierigkeiten aufwirft: teils wird sein Inhalt derart anforderungsreich angesetzt, daß man mit dem hier untauglichen Argument aus der Natur der Sache operieren muß, um Ausnahmen zu rechtfertigen. Andernteils senkt man die aus dem Demokratiegrundsatz abzuleitenden Anforderungen allgemein in einem derartigen Maße, daß der Strukturtyp einer parlamentarisch verantwortlichen Exekutive nicht mehr gesichert ist. Aus diesem Dilemma soll im folgenden eine nach Staatsfunktionen unterscheidende Interpretation des Demokratieprinzips hinausführen: damit gewinnt das Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG Bedeutung für die Bestimmung des vom Demokratieprinzip Geforderten.
II. Demokratiegrundsatz, Gewaltenteilungsprinzip und ministerialfreie Räume Oben ist bereits dargelegt worden, daß prima facie einiges dafür spricht, eine Rechtfertigung nicht im Bereich der Grundrechte, sondern in erster Linie im Bereich von Verfassungsprinzipien zu suchen. Hier bot sich vor allem das Gewaltenteilungsprinzip 82 an. Sein Inhalt weist auf die Staatsfunktion Rechtsprechung hin, die unzweifelhaft verfassungsrechtlich gerechtfertigte Unabhängigkeit genießt. Stellt man auf den Kontrollcharakter dieser Staatsfunktion ab, so lassen sich auf dem Umweg über eine solche funktionale Betrachtung auch die im Rahmen der Haushaltsverfassung aufgezeigten Kontrollinstitutionen in ihrer UnVerwaltung bzw. der Staatsgewalt ist für ihn bloßes Schlag wort und nicht Rechtsbegriff. Vgl. zu diesem Terminus insgesamt VVdStRL 46 (1988), zweiter Beratungsgegenstand. si Vgl. auch dazu Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HdBStR Bd. I, § 22 Rdnr. 26 f., 30. Für das Bundesverfassungsgericht vgl. die Urteile zum Kommunalwahlrecht der Ausländer BVerfGE 83, 37/60 und zu den Rundfunkräten BVerfGE 83, 238. Vgl. zu Partizipation als eigenem Legitimationsmodus differenzierend, aber ebenfalls kritisch Schmidt-Aßmann, AöR 1991 (116), 329 ff. (371). 82 Es ist zwar richtig, begrifflich die Gewaltenteilung von der Funktionentrennung zu unterscheiden, die Anwendung nur eines Begriffes führt aber zu einer solchen sprachlichen Eintönigkeit, daß hier die Trennung nicht streng durchgeführt wird.
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abhängigkeit über das Gewaltenteilungsprinzip rechtfertigen. Eine solche Auslegung des Gewaltenteilungsprinzips könnte für diesen Bereich der Kontrolle durch die Verfassungsbestimmungen über den Bundesrechnungshof und das Bundesverfassungsgericht bestätigt werden. Klärungsbedürftig ist, ob es zwingend notwendig ist, für die Funktion Kontrolle einen Status als vierte oder weitere Gewalt anzunehmen, wenn man in der hier vorgeschlagenen Weise das Gewaltenteilungsprinzip in Anspruch nimmt, um in bezug auf bestimmte Staatsfunktionen den Inhalt des Demokratieprinzips zu bestimmen. Diese Erweiterung der Trias des Art. 20 Abs. 2 GG wird nicht ganz selten vorgeschlagen 83 und erscheint in dem Verfassungstyp der parlamentarischen Demokratie auch nicht abwegig. Denn einerseits scheint die Aufteilung des Art. 20 Abs. 2 GG in drei Hauptstaatsfunktionen als Gewalten überholt; so ist sicher die Parlamentsmehrheit gegenüber der von ihr getragenen Exekutive nicht mehr das erstrangige Gegengewicht. Andererseits sind neue Gegengewichte, die auch verfassungsrechtliche Anerkennung gefunden haben, entstanden: so beispielsweise die Presse. Gleichwohl bleiben der Aufteilung sinnvolle Funktionen. So hat bereits Rousseau daraufhingewiesen, daß der gesetzgebenden Gewalt bei der Befassung auch mit Einzelfällen in erhöhtem Maße die Gefahr der Korruption droht. Wie aus Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG ersichtlich, hat die Verfassung diesen Gedanken aufgenommen. Die Frage wird später ausführlicher behandelt84.
1. Das Verhältnis von Demokratiegrundsatz und Gewaltenteilungsprinzip Soll das Prinzip der Gewaltenteilung das der demokratischen Verantwortlichkeit begrenzen können, so muß es diesem gleichberechtigt und nicht nachgeordnet sein. Eine Nachordnung würde bedeuten, daß das Gewaltenteilungsprinzip seine Wirkung nur auf dem Boden des vom Demokratieprinzip bereits Bestimmten entfalten kann. Geht man dagegen von einem Gleichordnungsverhältnis aus, so ist auch eine gegenseitige Beeinflussung des Inhaltes der Grundsätze denkbar. Dabei kann ein Überordnungsverhältnis hier kein Rangverhältnis im Sinne des Geltungsranges von Normen sein: es gibt nach wohl überwiegender Meinung keine Rangunterschiede in der Geltungskraft von Verfassungsnormen 85. Durch diese Einsicht nicht ausgeschlossen ist aber, daß es aufgrund ihres Inhaltes systematisch vorrangige Prinzipien gibt, auf deren Inhalt andere Prinzipien erst aufbauen. Das ist hier für das Verhältnis der beiden Grundsätze zueinander zu untersuchen. 8
3 Vgl. ζ. B. für den Rundfunk Mai / Seeling / Krüger, passim. 84 Vgl. unten B. 2. b) (1). 85 Näheres dazu findet sich in den Schriften zur Debatte um das verfassungswidrige Verfassungsrecht. 4 Waechter
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Über das Verhältnis von demokratischem und Funktionentrennungsprinzip herrscht in der Literatur schon seit der Rezeption des Gewaltenteilungsgedankens in der deutschen Staatsrechtslehre und Staatsphilosophie keine Einigkeit. Häufig ist auch im gegenwärtigen Schrifttum die Stellungnahme zu dieser Frage nur indirekt zu erschließen, da sie nicht ausdrücklich thematisiert wird.
a) Stellungnahmen
in der historischen
Literatur
Lange Zeit ist in Deutschland im Zusammenhang mit der Gewaltenteilung vor allem der Aspekt der Funktionentrennung und — im Anschluß an Montesquieu — der durch diese bewirkten Machtmäßigung betont worden. Die Zusammenordnung von selbstständigen Gewalten durch bestimmte Rechtsbeziehungen zur Erreichung bestimmter Zwecke blieb demgegenüber im Hintergrund 86 , mit ihr auch Montesquieus „le pouvoir arrête le pouvoir", das sicher mit einer lediglich machthemmenden Funktionenaufteilung nicht zureichend verstanden ist. Dieses verkürzende Verständnis Montesquieus beruht auf dem Einfluß der Rousseau sehen Volkssouveränität. Sie verhindert die Aufteilung der Macht auf verschiedene soziale Träger von Interessen 87. Weil alle Staatsgewalt stets auf das Volk als den Souverän zurückführbar sein muß, scheint es es ein Gegeneinander von sozialen Gewalten nicht mehr geben zu dürfen 88 . Eine gegenseitige Hemmung von Staatsorganen kann sich dann nur noch aus der Art von Eigenständigkeit ergeben, die sich in Organisationen, unabhängig von ihrer sozialen Interessenbasis, stets entwickelt. Die Organisationssoziologie zeigt, daß jede Institution Eigeninteressen entwickelt, die beispielsweise Kompetenzerweiterung und ein Mehr an (ζ. B. finanzieller) Autonomie einfordern. Daraus ergibt sich, daß es auch institutionelle gewaltenhemmende Effekte geben kann, ohne daß soziale Kräfte hinter diesen Staatsgewalten gegeneinanderwirken. Allerdings kann jede solche Institution ihre Wirkungskraft am meisten durch den Rückgriff auf soziale Kräfte stärken. Dieser Rückgriff erfolgt heute über die öffentliche Meinung. Daraus ergibt sich, daß unter der Bedingung des Verzichtes darauf, soziale Kräfte gegeneinander zu stellen, eine Gewaltenhemmung zwar auch, aber nur in gemindertem Umfang erreichbar ist. Montesquieu vermeidet jede Einseitigkeit in seiner Formierung der Gewalten dadurch, daß er neben die Trennung der Funktionen unterschiedliche Legitimatio86
Zu den Auslegungsrichtungen Funktionentrennung und Gewaltenzuordnung vgl.
Imboden, S. 10.
87 Die Erklärung der Menschenrechte von 1789 kombiniert bekanntlich die Volkssouveränität mit der Gewaltenteilung (art. 3, art. 16), fordert aber die Ableitbarkeit aller körperschaftlichen Gewalt vom Volk. 88 Zimmer, S. 198. stellt den demokratischen Gewaltenmonismus, der die Verteilung der Befugnisse zum bloßen Organisationsproblem abwertet, in aller Schärfe dar (vgl. S. 45, 48, 55).
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nen stellt: Wahlen für die Mitgliedschaft in der Volkskammer, Erblichkeit des Sitzes in der Oberhauskammer, zeitliche Begrenzung des Mandates bzw. Amtes (ζ. B. der Richter). Er lehnt daher die parlamentarische Regierungsweise mit der von der Legislative abgeleiteten Legitimität der Regierung explizit ab 89 . Die Funktionentrennung des Grundgesetzes unterscheidet sich also deutlich von den mit der Gewaltenteilung Montesquieus verfolgten Absichten und gewünschten Strukturen. Das Prinzip der Volkssouveränität überspielt die Gewaltenteilung; zugrunde liegt das Vertrauen in die Vernunft des Volkes. Die Funktionentrennung nach dem Grundgesetz baut anders als das Modell Montesquieus nicht auf unterschiedlichen sozialen Quellen der Herrschaft auf. Jenseits des freiheitssichernden Aspektes der Gewaltentrennung durch Hemmung der Machtausübung ist die auf die Konstitution von Herrschaft gerichtete Aufgabe der Gewaltenzuordnung unterbelichtet geblieben. Richtig ist allerdings, daß für Montesquieu die Hemmung der Machtausübung durch Gewaltenteilung im Vordergrund stand. Immer wieder spricht er von Gewaltenteilung als Vorbedingung der Erhaltung der individuellen Freiheit. Daß demgegenüber die Befähigung zur Aufgabenerledigung in den Hintergrund getreten ist, hat historische Gründe: Machtbegrenzung gegenüber dem absoluten Souverän schien die dringlichste Aufgabe; auch war mangels ausgedehnter innerer Verwaltung und wegen der vergleichsweise noch großen Eigenständigkeit der Bereiche von Gesellschaft und Staat kein großer Bedarf für eine aufgabenspezifische Staatsorganisation zu erkennen90. Es gibt aber zahlreiche Stellen, an denen Montesquieu dennoch diesen Aufgabenbezug berücksichtigt. So wenn er die Zusammensetzung der Legislative nach deren Aufgabe bestimmt, „de discuter les affaires"; dazu seien territoriale Repräsentanten am besten geeignet. Ebenso ist die Betonung des freien gegenüber dem imperativen Mandat aufgabenorientiert: Reaktionsfähigkeit soll gewährleistet bleiben 91 . Aber nicht nur für die innere Struktur von Staatsorganen ist der Aufgabenbezug wichtig, sondern auch für deren Zuordnungsprobleme. Montesquieu fordert Gewaltenteilung nicht nur zwischen den drei Gewalten, sondern 89 Montesquieu, Buch XI, Kap. VI. Häufig wird die Verteilung der Gewalten auf soziale Mächte bei Montesquieu seinem historisch beladenen Stil zugerechnet, während andererseits Rousseau stärker aus dem Prinzip argumentiert habe. Richtig ist, daß das historische Denken bei Montesquieu Prinzip ist. Auch hat Montesquieu nicht das Vertrauen Rousseaus in das Volk. Prinzip der Demokratie ist die Tugend, aber auch die Tugend muß gezähmt werden, soll sie nicht unerträglich werden (Buch III, Kap. III). Die Verwandtschaft des Denkens Montesquieus mit dem Denken des Strukturalismus betont ζ. B. Weigand, Einleitung, S. L X X I V . Für die modernen Probleme greift auf Montesquieu zurück ζ. B. M. Imboden, S. 10 ff., der neben der Trennung vor allem die Zuordnung der Gewalten betont. Die neuzeitliche Konzentration auf nur drei Gewalten, die zudem in erster Linie arbeitsteilig und nicht hemmend wirken, fordere vermehrte Kontrolle. 90 Vgl. Montesquieu, Buch XI, Kap. VI. Vgl. den Vorrang der Freiheitssicherung auch bei Locke, § 127. 91 Montesquieu, Buch XI, Kap. VI. Aufgabenbezug dieser Art der Entsprechung von Organstruktur und Aufgabe ist alt und verbreitet; so ζ. B. bezüglich der monokratischen Führung der Regierung; Locke, §§146 ff.
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auch innerhalb dieser selbst. So soll eine Vielzahl von Verwaltungsstellen die Verwaltung besänftigen und mäßigen, weil die Inhaber der unterschiedlichen Stellen verschiedene Interessen hätten. Montesquieu sucht an der römischen Verfassung deutlich zu machen, daß eine solche Teilung der Gewalt aufgabenspezifisch ist: Für ein Volk, das seine Hauptaufgabe in einer expansiven militärgestützten Aussenpolitik sieht, ist eine geschlossene Exekutive vorteilhafter 92 . Hier ist auch der Grund für den Vorbildcharakter der englischen Verfassung für Montesquieu zu suchen. Diese scheint ihm als Hauptaufgabe die Sicherung der politischen Freiheit zu bezwecken; dieser Aufgabe entspricht die Gewaltenteilung. Die deutsche Staatsrechtslehre insbesondere des 19. Jahrhunderts war in weiten Teilen gegenüber dem Gewaltenteilungsprinzip Montesquieu's kritisch eingestellt, weil es die Einheit des Staates zu gefährden schien. Der Gedanke der staatlichen Einheit hat die Rezeption der Gewaltenteilung in Deutschland93 stark behindert, zunächst zugunsten der monarchischen, dann der Volkssouveränität. Soweit die Gewalten im Einzelnen betrachtet werden, setzt sich aber auch in der staatsrechtlichen Literatur des 19. Jahrhunderts häufig die Notwendigkeit durch, die Eigenarten der Gewalten bezüglich der vertretenen sozialen Interessen und die gegenseitigen Einwirkungsrechte der Gewalten im Einzelnen zu berücksichtigen (diese Einbeziehung von Interessen muß allerdings den Ergänzungscharakter der Staatsfunktionen zerstören, weil Interessen nicht zwangsläufig in einem harmonischen Ergänzungsverhältnis stehen). Davon kann dann die Entscheidung über eine auf die Erfüllung bestimmter Staatsaufgaben (zum Beispiel Balancierung von Fortschritt und Kontinuität) ausgerichtete Einheit abhängig gemacht werden. Der Gedanke von der Einheit des Staates ist insbesondere von den Theoretikern der konstitutionellen Monarchie und den Vertretern der organischen Staatstheorie94 gegen die Gewaltenteilung ins Feld geführt worden. Vielen von ihnen schien eine Verteilung der Macht im Staat auf voneinander relativ unabhängige Instanzen zwangsläufig zu einer »Zerreißung' des Staates zu 92 Vgl. Montesquieu, Buch XI, Kap. XVII. Das römische Volk suchte dabei nach Montesquieu seine Interessen über die Legislative zu sichern. 93 Das Unbehagen an der Gewaltenteilung stammt aber schon aus dem Gedankengut der französischen Revolution: „all diese Systeme der Gewaltenteilung und der Balance sind immer nur leere Kindereien oder ganz realer Bürgerkrieg"; Destutt de Tracy zitiert bei Gauchet, S. 141.
94 Zu der geringen Bereitschaft in Deutschland, den Gedanken der Gewaltenteilung aufzugreifen, vgl. (mit anderem Erkenntnisinteresse) Meyn: „Die Nachwirkungen der Lehre vom gemeinen deutschen Staatsrecht, das zur Aufrechterhaltung des »irreguläre aliquod corpus et monstro simile« (Pufendorf) eher auf Einheit als auf Trennung und Teilung bedacht war, waren erheblich, . . . " (S. 29). Für das 19. Jahrhundert vgl. die Nachweise S. 33, 42 f., 45, für den Vorrang der Volkssouveränität vor der Gewaltenteilung in der Weimarer Republik S. 94 f., 95 Fn. 262, 106 ff.
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führen. Sie befürchteten einen letztlich in Bürgerkrieg mündenden Konkurrenzkampf dieser Machtträger untereinander 95. Im frühen deutschen Reichsstaatsrecht hatte dies kein Problem sein können, weil die mittelalterliche Tradition die Vorstellung einer einheitlichen Staatsgewalt ohnehin nicht zugelassen hatte. Für einen Standpunkt, dem sich Herrschaftsgewalt aus einzelnen Regalien zusammensetzt, ist die Fragestellung nach der Einheit sinnlos. Herrschaft ist lediglich die Summe der Herrschaftsrechte. Nachdem der Absolutismus aber die umfassende Herrschaftsgewalt geschaffen hatte, ergab sich einerseits das Bedürfnis nach neuerlicher Beschränkung dieser Macht. Andererseits stellte sich das Problem, in einer im Anschluß an Montesquieu durch Aufteilung der Befugnisse beschränkten Herrschaft noch Einheit zu finden. Konstitutionelle Staatsvertragstheoretiker und Vertreter der organischen Staatstheorie führen eine Reihe von Argumenten gemeinsam gegen die Aufteilung der Staatsgewalt in drei Gewalten an. So wird beispielsweise geltend gemacht, die Dreiteilung der Gewalten sei unvollständig. Dabei können sie auf Montesquieus Nichtbefassung mit der inneren Verwaltung verweisen. Auch auf die zahlreichen Hinweise auf weitere Gewalten, wie die pouvoir municipal von B. Constant, wird eingegangen96. Ebenso wird wiederholt darauf hingewiesen, daß Montes95 Vgl. zur Theoriegeschichte Böckenförde, Gesetz, passim. Er hat (S. 112, Fn. 2) die Formel von der Einheit der Innehabung und Teilung der Ausübung der Staatsgewalt als ein Nachhutgefecht des Absolutismus in der Zeit des Frühkonstitutionalismus bezeichnet. Als Erbe des Absolutismus sieht auch Gauchet diese Formel, die bereits bei der Formulierung der Rechteerklärung von 1789 die monarchische Ungeteiltheit der Souveränität in die gewaltenteilende Demokratie hinüberretten sollte; Gauchet, S. 126. Böckenförde führt aus, die Theoretiker des frühen Konstitutionalismus zögen das monarchische Prinzip nirgends in Zweifel aufgrund einer „beinahe ideologischen Verteidigung der, Einheit und Unteilbarkeit' der Staatsgewalt — einem Erbe des Absolutismus und der vernunftrechtlichen Staatstheorie —, der es sehr entsprach, wenn die gesamte Staatsgewalt in einem Repräsentanten vereinigt war und andere Organe bzw. politische Kräfte nur anderen »Ausübung4 teil hatten" (S. 112, Fn. 2). Dabei berücksichtigt Böckenförde m. E. die Sorge um die konkrete Friedlichkeit des Staates zu wenig. Immerhin wurden die Gewalten anders als heute noch in eigenständigen sozialen Mächten erkannt. Beispielhaft für die Sorge die Angriffe R. v. Mohls auf die Lehre von der Gewaltenteilung: Diese löse die Einheit des Staates in eine Vielheit mit der Folge der „Anarchie und Zerrüttung" auf. Dies sei die fast zwangsläufige Folge der Aufteilung auf „getrennte und unabhängige Gewalten": „Als ein, zum mindesten gesagt, sehr zweifelhafter Gedanke aber erscheint die Zutheilung einzelner Funktionen der Staatsgewalt an so verschiedene und nach widersprechenden Grundsätzen handelnde Elemente, wie Königthum, Aristokratie und Volk sind." ( ν. Mohl, Bd. 1, S. 274 f.). Inhaltlich spielt v. Mohl damit auf die beiden Prinzipien von Funktionentrennung und gemischter Verfassung an. Es handelt sich also um mehr als ein bloß terminologisches Problem; dies hat ζ. B. Grimm betont, der anerkennt, daß bei einem unterstellten Legitimationspluralismus das Einheitsproblem auch im konstitutionellen Staat Ernst zu nehmen ist. 96 Vgl. zur Un voll ständigkeit der Dreiteilung im Frühkonstitutionalismus bei v. Aretin (S. 87 f.) einerseits, bei v. Stahl (2. Band, 4. Buch, 2. Abth., S. 173) andererseits, der die unzutreffende Aufteilung der Gewalten nach dem Modell des Syllogismus (in Nachfolge Kant's) angreift und darauf hinweist, daß auch gesetzesvollziehende Verwaltung neben der Rechtsprechung Subsumtion ist. (Vgl. auch v. Mohl, S. 273).
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quieu das englische Vorbild nicht zutreffend wiedergegeben habe97 und daß in der Praxis die Teilung der Herrschaftsbefugnisse nirgendwo rein durchgeführt sei 98 . Andere Argumente sind stärker auf den jeweiligen Argumentationszusammenhang bezogen. Von Aretin geht von der Staatsvertragslehre aus. Danach sei die Staatsgewalt dem Monarchen übertragen worden. Solle es also Gewaltenteilung geben, so müsse gefragt werden, ob ein Teil der Gewalt beim Volk verblieben sei 99 . Diese Möglichkeit sei aber nicht gegeben, da eine Gewalt stets aus Macht und Wille bestehen müsse; fehle es an einem dieser beiden Elemente, so an der ,Gewalt4 insgesamt. Deswegen seien in Wahrheit weder Legislative und Justiz, weil ohne Durchsetzungsmacht, noch Exekutive, weil ohne eigenen Willen, Gewalten 100 . Von Aretin insistiert darauf, daß die Gewalten eigenständige soziale Mächte sein müssen, wie es bei Montesquieu der Fall ist. Eine Gewalt sei stets allgemeiner Wille. Da es aber nur einen allgemeinen Willen geben könne, so seien mehrere Gewalten undenkbar 101. Damit wird die Gemeinwohlbindung des Willens thematisiert, v. Aretin orientiert sich dabei am Konzept der einen Wahrheit, das als einheitlicher allgemeiner Wille wiederkehrt. Nicht gefragt wird, ob das Gemeinwohl Produkt konkurrierender Partikularinteressen sein könnte 102 . Ein drittes Argument geht auf das Verhältnis der Gewalten zueinander. Entweder gebe es eine stärkste Gewalt, dann sei diese alleinige höchste Gewalt oder mehrere gleich starke, dann müsse alles in Bürgerkrieg enden, weil die Konkurrenz nicht entscheidbar sei 103 . v. Aretin kann die Sprengkraft der Zuordnung von Gewalten in dieser Weise betonen, weil er im Vergleich zu Montesquieu das Trennende der Gewalten hervorhebt und ihre Verbindung untereinander duch verschiedene Rechte und Pflichten (Vetorechte etc.) vernachlässigt, so daß auch die Angewiesenheit der Gewalten aufeinander nicht deutlich wird 1 0 4 . Da v. Aretin als Konstitutionalist dem Fürsten nicht die unbeschränkte Macht zusprechen will, muß er die machtbeschränkende Leistung der Gewaltenteilung 97 v. Aretin, 98 v. Aretin, 99 v. Aretin, 100 v. Aretin, ιοί v. Aretin,
S. 88; v. Mohl, S. 274. S. 88. S. 165 f. S. 85. S. 86.
ι 0 2 Die Schrift fällt zeitlich noch nicht in die Blütezeit des Freihandelsgedankens, daher ist die Unterbelichtung des Konkurrenzgedankens auch aus ökonomischer Sicht verständlich. Auch der Merkantilismus setzt den einheitlich gesetzten Zweck voraus. ι 0 3 v. Aretin, Staatsrecht, S. 86 f. Er greift (S. 84) trotz seiner vernunftrechtlichen Ausrichtung nicht auf das physikalische Bild der ausgleichenden Waage zurück, sondern auf das des durch auseinanderstrebende Pferde zerrissenen Wagens. 104 Recht hatte v. Aretin mit der Einschätzung, daß, wenn das Volk erst einmal die Legislative innehätte, es bald auch die anderen Gewalten usurpieren werde. In der Tat haben sich das monarchische und aristokratische Element nicht mehr lange gehalten.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
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ersetzen. Dies geschieht vermittels der Argumentationsfigur des Staatszweckes. Dieser ist beschränkt auf „Aufrechterhaltung der Herrschaft des Gesetzes" und „Befestigung der Sicherheit und Freiheit" 105 : „Auf solche Art sind dem Monarchen die Grenzen seiner Gewalt bestimmt, über welche er nicht hinausschreiten kann, ohne den Staatszweck zu verletzen, und zugleich die politischen Institutionen bezeichnet, welche ihn an der Verletzung hindern, wenn er dieselbe wollen könnte." 106 Es wird also zunächst eine rein rechtliche Beschränkung aufgestellt, die dann aber mit einer Durchsetzungsgarantie versehen werden muß. Diese Garantie der Beschränkung soll durch die drei „Interessen" 107 des Monarchen, des Adels und des Volkes gewährleistet sein. Durch diese Hintertür kehrt bei v. Aretin nun die Gewaltenteilung zurück. Allerdings vermeidet er gezielt, diese Interessen als Gewalten oder auch nur soziale Mächte aufzufassen. Durch die Interessen sollen lediglich alle „Meinungen, Neigungen, Vortheile und Erwerbsarten des Volkes repräsentiert werden" 108 . Damit schließt v. Aretin tatsächlich eng an Montesquieu an, der ebenfalls seine Funktionentrennung mit einer Bestimmung von Mächten mit unterschiedlichen Interessen kombiniert hatte. Im Bemühen um Vollständigkeit der Repräsentation durch die ,Interessen4 bemüht sich v. Aretin der Sache nach auch um eine Einheit. Die Vollständigkeit ergibt sich aus den Funktionen des Repräsentierten: Die Monarchie steht für die starke Staatsgewalt109, der Erbadel qua Privilegien und Beteiligung an der Gesetzgebung für die Kontinuität der Politik 1 1 0 , das demokratische Interesse schließlich für den gesamten Bereich der bürgerlichen und politischen Freiheit: für individuelle Grundrechte, Pressefreiheit, Steuerbewilligung, Geschworenenverfassung, Selbstverwaltung und Petitionsrecht 111. Im Rahmen seiner Kritik an Montesquieu hatte v. Aretin manche dieser Freiheiten noch als die Gewaltenteilung ergänzende und damit die Unvollständigkeit der Triade erweisende Sicherungen dargestellt; so besonders die Pressefreiheit und die Grundrechte 112. Insgesamt soll das monarchische Element für den Staat stehen, der Adel für die Kontinuität der Entwicklung und das Volk für die politische Dynamik 113 . Die drei Interessen werden also nicht als historisch zufällig gesehen, sondern als bewußte Ergänzung zueinander, die Vollständigkeit anstrebt. Damit hat v. Aretin nachgeholt, was er bei der Gewaltenteilung verweigert hat: Bestimmung der die,Interessen 1 tragenden sozialen Mächte und Erweis eines Gesamtinteresses aus Partikularinteressen 114. los y. Aretin, S. 167. 106 v. Aretin, S. 167.
107 y. Aretin, S. 89. Auch „Prinzipien oder Elemente" S. 151. los v. Aretin, S. 152. 109 v. Aretin, S. 155. no v. Aretin, S. 154.
m v. Aretin, S. 153. Träger dieser Interessen sind im Einzelnen der Handelsstand, die Besitzer von Mobiliarvermögen, Industrielle sowie Künstler und Intellektuelle (S. 151). 112 Vgl. v. Aretin, S. 88. 113 v. Aretin, S. 89.
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1. Abschn.: Systematischer Teil
Damit sind einige bezeichende Unterschiede zur heutigen Vorstellung der Gewaltenteilung aufgewiesen. Bei v. Aretin geht es um Gewalten mit bestimmten, verschiedenen Eigenschaften, die auch in unterschiedlicher Weise legitimiert sind: erblich beim Adel, durch Wahl beim Volk. Diese Eigenschaften sind im Hinblick auf den zu sichernden Staatszweck von entscheidender Bedeutung. Nach der Eignung bestimmter Eigenschaften, zur Erreichung eines vorausgesetzten Zieles beizutragen, muß entschieden werden, ob ein Interesse der Repräsentation durch andere Interessen überlassen wird, ob es zu einer eigenen Gewalt aufgewertet wird oder ob für das Interesse ein sozialer Träger institutionell überhaupt erst geschaffen wird 1 1 5 . Die Zahl der Interessen ist also nicht durch ein apriorisches Modell, sondern durch die Erfordernisse für die Erreichung bestimmter Staatszwecke festgelegt. Friedlichkeit bleibt nur gesichert, wenn das Verhältnis der Gewalten / Interessen zueinander genau bestimmt wird. Dies geschieht durch die Festlegung der Rechte und Pflichten, die eine Kombination von Autonomie und Einbindung der Interessen sichern. Demgegenüber ist die schlichte Trennung von Gewalten unbrauchbar. v. Aretin geht davon aus, daß eine Gewaltenteilung im Sinne eigenständiger, nicht von einander ableitbarer Gewalten die Einheit des Staates sprengt. Auf einem Umweg gelangt er aber dennoch zu der Notwendigkeit einer solchen Aufteilung der Staatsgewalt, auch wenn er dies terminologisch zu verschleiern sucht. Der Umweg dient dazu, das Problem der Einheit als explizites zurückzuweisen. Dazu dient die Formulierung von der Teilung in die Ausübung der Staatsgewalt. Sachlich taucht das Problem dennoch wieder auf; die Lösung wird im Einzelfall durch eine sinnvolle Zuordnung der Gewalten durch die Ausgestaltung von Rechten und Pflichten entsprechend den besonderen Eigenschaften der Gewalten gesucht. Die Position Kants als eines rechtsphilosophischen Vertreters des Vernunftrechts zieht aus zwei Gründen ein besonderes Interesse auf sich. Zum einen ist sie wegen ihrer kritischen Ausrichtung geeignet, zu zeigen, ob es eine Einheit des Staates ohne Rückgriff auf Transzendenz geben kann. Es war angedeutet worden, daß dies noch in der Zeit der Weimarer Staatsrechtslehre ein Problem darstellte. Zum anderen hat Böckenförde (dessen Ansatz hier in Teilen übernommen wird) Kant als Ausgangspunkt für sein Konzept staatlicher Einheit in Anspruch genommen. Kant geht das Problem der Gewaltenteilung aus philosophischer Sicht an. Eine apriorische Einteilung der Gewalten soll sich aus dem Modell des Syllogismus 114
Jedes Interesse ist nicht nur „besonderes sondern auch zugleich ein allgemeines"
(v. Aretin, S. 161).
ns Beispiel kann die Stellung der öffentlichen Meinung bei v. Aretin sein: in der englischen Verfassung sei sie eigene Institution neben den drei Gewalten, im eigenen Modell Aretins teils durch das demokratische Interesse mitrepräsentiert, teils als eigene Gewalt beschrieben, die die Einhaltung der Herrschaft des Gesetzes überwacht (vgl. S. 153 und 161).
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ergeben, der die Staatstätigkeiten, die stets notwendig sind, benennt 116 : Die Setzung des Allgemeinen — der syllogistische Obersatz — entspricht der Legislative. Die beziehung des Besonderen auf das Allgemeine — der Untersatz — der Regierungsgewalt. Die Zuerkennung des jeweils Gebührenden — die conclusio — nimmt die Justiz vor 1 1 7 . Es gibt also drei,Gewalten', die zunächst als apriorisch aus dem Syllogismus abgeleitete118 nur Funktionen sein können. Diese notwendigen Funktionen müssen nun den Organen im Staat zugeordnet werden. Kants Rousseau folgende naturrechtliche Konstruktion bestimmt das Volk als Träger der Legislative 119 . Denn nur bei der Gesetzgebung durch das Volk könne denklogisch nach dem Grundsatz ,volenti non fit iniuria' das Gesetz kein Unrecht gegenüber einem Einzelnen enthalten 120 . Der Souverän ist aufgrund dieser Konstruktion unrechtsunfähig 121. Weil das Volk souverän ist, müssen alle drei Gewalten auf das Volk rückführbar sein 122 . Das kommt bei Kant in der Überordnung der ersten Teilgewalt zum Ausdruck. Nur gemäß ihren Willensäußerungen können die anderen Teilgewalten ihre Funktionen entfalten 123 , das heißt rechtspraktisch: das Gesetz determiniert qua Vorrang die Tätigkeit der Exekutive und Rechtsprechung. Das Verhältnis der Gewalten zueinander ist also das der Abhängigkeit. Das Modell beinhaltet aber nicht nur Abhängigkeit, sondern auch Eigenständigkeit, „so daß eine (Gewalt) nicht zugleich die Funktion der anderen, der sie zur Hand geht, usurpieren kann, sondern ihr eigenes Prinzip hat, d. i. zwar in der Qualität einer besonderen Person, aber doch unter der Bedingung des Willens einer oberen gebietet;..." 1 2 4 . Böckenförde hat diese Eigenständigkeit, das „eigene Prinzip", als „eigenen Funktionsbereich" dargestellt. Er hebt Kants präzise Konzeption der Einheit der Gewalten hervor und resümiert sie als „organistatorische Selbständigkeit", aber „funktionelle Ineinanderordnung" 125. Er interpretiert Kant auf eine Vorstellung hin, die in einer Auflösung der Gewalten zu Funktionen 116 Vgl. zur apriorischen Konstruktion der Gewaltenteilung z.B. Kersting, S. 258. Kritisch zu Kants vorempirischer Begrifflichkeit in neuerer Zeit ζ. B. Zimmer, S. 52 m.w.N. 117 Kant, Metaphysik der Sitten, § 45. us Allgemein wird heute angenommen, daß die Vergleichung mit dem Syllogismus sachlich unzutreffend ist, vgl. Böckenförde, Gesetz, S. 96; Burg, S. 192. 119 Demgegenüber ist der aufgeklärte Absolutismus für Kant nur zweite Wahl, vgl. Burg, S. 166.
120 Bekanntlich beschränkt Kant allerdings die Aktivbürgerschaft; dies wird hier nicht thematisiert. Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, § 46, Burg, S. 167 f. Vgl. zur Selbstbestimmung durch den ursprünglichen Vertrag Kersting, S. 220. 121 „Die Möglichkeit, daß das Volk in der Ausübung der Souveränität, der Rechtssetzung, fehlgehen könnte, ist nach Kant nicht gegeben. Das souveräne Volk wird als Gesetzgeber verstanden, der ,nicht unrecht thun' kann." (Burg, S. 174 mit Zitat Kant aus Reflexionen zur Rechtsphilosophie, 7921 XIX 555). 122 Vgl. Burg, S. 167.
123 Kant, Metaphysik der Sitten, § 48. 124 Kant, Metaphysik der Sitten, § 48. 125 Böckenförde, Gesetz, S. 98.
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1. Abschn.: Systematischer Teil
und der dadurch ermöglichten sachgerechten Aufteilung der Funktionen besteht, da auf das soziale Substrat einer ,Gewalt' nicht mehr Rücksicht genommen werden muß 1 2 6 . Dies ist deswegen möglich, weil Kant im Gegensatz zu Montesquieu die Gewaltenteilung apriorisch konstruieren will und daher auf die geschichtlich zufälligen Eigenschaften der sozialen Träger der Gewalten keine Rücksicht mehr nehmen kann. Damit entfällt allerdings auch die Möglichkeit, Gewaltenteilung wie Montesquieu als „verschränktes System von Entscheidungsund Vetobefugnissen" 127 , die in interessengeleitet bestimmter Absicht ausgeübt werden, aufzufassen. Die Möglichkeit stärkerer Vereinheitlichung wird erkauft mit dem Wandel der Gewalten zu Funktionen und damit auch mit Veränderungen von deren Wirksamkeit; Gewaltenteilung wird immer stärker bloße organisatorische Optimierung 128 . Wie Kant will Hegel staatsphilosophisch argumentieren. Das bedeutet für ihn, daß die Eigenarten der staatlichen Verfassung aus dem Begriff, nicht aus empirischen Nützlichkeitserwägungen entwickelt werden müssen 129 . Die Selbstbestimmung und Entfaltung des Begriffes kennt drei Stadien: Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit. In diesen Schritten muß auch der Begriff der Verfassung entwickelt werden. Die Einheit des Staates ist dabei in der Einheit des Begriffes entwickelt: indem die Gewalten im Staat den Unterschied des Begriffes in dessen Selbstbestimmung zum Ausdruck bringen, bleiben sie in der Idealität des Begriffes ein Ganzes 130 . In gleicher Weise wird der Organismus des Staates als die Entwicklung der Idee in ihren Unterschieden bestimmt, wodurch das Allgemeine (als Gemeinwohl) sich hervorbringt 131 . Die Einheit in der Scheidung der Momente wird dadurch erhalten, daß die Glieder des Ganzen jedes für sich Totalität sind; d. h., daß sie die anderen in sich wirksam haben und stets schon voraussetzen 132. Die Totalität besteht aus den Momenten des Begriffes und den ihnen entsprechenden Gewalten: Allgemeinheit — Legislative, Besonderheit — Regierungsgewalt, Einzelheit — fürstliche Gewalt 1 3 3 . Dadurch, daß die Gewalten den Momenten des Begriffes als notwendige Momente entsprechen, sind sie substanziell unterschieden und nicht nur zufällig. Es kann also für Hegel nur die drei solcherart bestimmten Gewalten als notwendige geben. Sie sind philosophisch bestimmt,
126 Böckenförde, 127 Kersting,
Gesetz, S. 78 ff.
S. 260.
128 „Montesquieu hat die Souveränität auf die Gruppen der ständischen Gesellschaft aufgeteilt, der Kontrolleffekt ist wesentlich durch die Beteiligungsfestlegung erreicht; bei Kant hingegen tritt der souveräne Gesetzgeber rein und absolut hervor." Er ist durch keine Gegenkraft gebunden und daher omnipotent. Kersting, S. 261 Fn. 109. 129 Da Hegel den Begriff selber in der geschichtlichen Entwicklung sieht, ist sein Verfahren dennoch nicht ahistorisch. 130 Hegel, 131 Hegel 132 Hegel 133 Hegel
§ 272. § 269. § 285. § 275.
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nicht aus Staatszwecken134. Indem die Momente die Ganzheit des Staates konstituieren, ist es falsch, einer nur negativen Sichtweise anzuhängen, die Funktion der Gewalten ausschließlich als gegenseitige Beschränkung zu fassen 135. Wird die Selbständigkeit der Momente absolut gesetzt, so wird die Einheit des Staates gesprengt: Substantielle Einheit kann nur dadurch zustande kommen, daß die Gewalten nicht von einander unabhängig sind 136 . Sie unterliegen gegenseitigen Einflußnahmen und inneren Differenzierungen. Die gegenseitige Abhängigkeit ergibt sich aus den Funktionen der Gewalten. Die Regierungsgewalt, die das Allgemeine auf das Besondere in Beziehung setzt, also das Geschäft der Subsumtion betreibt 137 , setzt voraus, daß bereits entschieden wurde. Damit setzt sie die fürstliche Gewalt voraus; ebenso ist das Allgemeine des Gesetzes bereits vorausgesetzt. In der gesetzgebenden Gewalt sind ebenfalls die Momente der höchsten fürstlichen Entscheidung und der konkretisierenden Regierungsgewalt wirksam und vorausgesetzt 138. In der fürstlichen Entscheidung schließlich ist die Totalität nicht als Voraussetzung der anderen Gewalten, sondern als deren Aufhebung enthalten. Diese Aufhebung enthält die anderen Momente in gewandelter Form und auf höherer Ebene 139 ; die Allgemeinheit in der Bindung an Verfassung und Gesetz, das Besondere in der Funktion der Beratung, das Einzelne in der der Entscheidung140. Durch die Kreisbewegung des Begriffes ist die höchste Form des Selbstbewußtseins der vermittelten Einheit des Staates, die fürstliche Entscheidung, gleichzeitig auch unabgeleitetes Anfängliches. Als geschichtliche Entscheidung der Staatsgründung, als das Volk konstituierende Macht, als erste Legitmität (von Gottes Gnaden) 141 . Insofern also die fürstliche Entscheidung das Erste ist, ist sie grundlos 1 4 2 . In der fürstlichen Entscheidung fällt also die Grundlosigkeit der ersten Entscheidung mit der Vermitteltheit der Momente zusammen. Der Monarch ist somit grundlose Selbstbestimmung des Willens und grundlose Existenz 143 . In der so bestimmten Person des Souveräns wird die Einheit des Staates wirklich: als Einheit von Ursprünglichkeit und Vermitteltheit der Momente. Hegel sieht den konstitutionell verfaßten Staat nur durch die Existenz des dynastisch legitimierten Monarchen als des gleichsam Neutralen vor den einheits134 Hegel, § 272.
135 Hegel, § 272; oben wurde erwähnt, daß neuerdings Hesse diesen Aspekt der Gewaltenteilung betont hat. 136 Hegel, § 276.
137 Hegel, § 287; inclusive Rechtsprechung. 138 Vgl. Hegel, § 300. 139 Hegel, § 275. 140 Hegel, §§ 285, 283, 276 ff. 141 Hegel, § 279. 142 Hegel, § 281.
ι43 Hegel, § 281; grundlose Existenz durch die Zufälligkeit der natürlichen Geburt als Thronfolger.
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1. Abschn.: Systematischer Teil
sprengenden Kräften der gesellschaftlichen Fraktionen geschützt144. Nur in der Grundlosigkeit (denn diese bedeutet Unabhängigkeit) von Wille und Existenz des Fürsten liegt die Sicherung dafür, daß er nicht in die Kämpfe der Parteien verwickelt wird. Damit wird Hegels Konzeption der Staatsgewalten verständlicher. Er benötigt die fürstliche Gewalt, um die Einheit der Gewalten begründen zu können. Nur aufgrund ihrer Grundlosigkeit in Verbindung mit der Aufhebung der anderen Momente ist die monarchische Gewalt in der Lage, das Allgemeine im Staat zur Geltung zu bringen 145 . Dies wird besonders deutlich, wo Hegel die Wahl des Monarchen mit der Bestimmung durch Primogenitur kontrastiert 146 . Im Falle der Wahl läßt sich die Verwandlung der „Staatsgewalten in Privateigentum", also der Verlust der einheitsverbürgenden Kraft, nicht mehr lösen. Diese liegt wesentlich in der eigenen und ursprünglichen Legitimation des Fürsten begründet. Durch seine Bestimmung der Staatsgewalten erhält Hegel drei Gewalten mit je eigener Legitimation. Neben der dargestellten fürstlichen Gewalt die Legislative, die ihre Legitimität durch die Wahl der Versammlung aus dem Volk ableitet und aufgrund einer Beratung entschließt. Der Tugend als dem Prinzip der Demokratie bei Montesquieu mißtraut Hegel; er sieht sie realistisch den gesellschaftlichen Interessen nicht gewachsen und ordnet deswegen die weiteren Gewalten dem Volk als institutionelle Schranken zu, deren Einwirkung durch bestimmte Einflußrechte gewichtet wird. Für die Regierung beläßt Hegel es schließlich bei dem von Montesquieu für diese Gewalt benannten Prinzip der Mäßigung der Staatsgewalt. Böckenförde hat in der Gewaltenteilung Hegels das Abklappern des dialektischen Begriffsschemas gesehen147. Mir scheint eher, daß Hegel die Eigenart der Justiz als Gewalt in Nachfolge von Montesquieu bezweifelt hat. Für seine Auswahl von Gewalten ist möglicherweise die Anknüpfung an die antike gemischte Verfassung mit den Elementen des Volkes, der Aristokratie (Regierung als Herrschaft der Wenigen) und des Monarchen verantwortlich. Die Schwäche Hegels liegt in der Qualifizierung des einheitsverbürgenden Monarchen; Grundlosigkeit der Entscheidung und Gottesgnadentum sind Eigenschaften, die theologischer Voraussetzungen bedürfen, also die Immanenz sprengen, oder dem Befund der Vermittlung jeder Entscheidung widersprechen. Damit fällt aber die Garantie der überparteilichen Neutralität und Objektivität, wie es sich auch für den preußischen Staat der Zeit Hegels aus der Sicht der Geschichts-
144 Vgl. Hegel, § 281.
145 In dieser Konstruktion ist also nicht nur eine Metaphysizierung der konstitutionellen Monarchie (Böckenförde, Gesetz S. 144) zu sehen; sie kann durchaus inhaltliche Gründe für sich sprechen lassen. 146 Hegel, § 281 Anm.
147 Böckenförde,
Gesetz S. 143 Fn. 62. Mit ähnlicher Stoßrichtung Hocevar, S. 40.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
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Wissenschaft erwiesen hat 148 . Darüber hinaus sind die für Hegel grundlegenden Überzeugungen von der Gerichtetheit des historischen Prozesses heute nachhaltig erschüttert.
Während die vernunftrechtlich orientierte Staatsrechtswissenschaft die Gewaltenteilung zugunsten einer institutionell garantierten Gewaltenbeschränkung ablehnte, kritisiert die organische Staatstheorie die Gewaltenteilung hauptsächlich wegen deren „mechanistischer" Ausformung 149 . Die Einheit des Staates wird in der gegliederten Figur des Organismus gefunden. v. Stahl nimmt seinen Ausgang von einer Kritik an Kant einerseits, Hegel andererseits. Die Gewaltentrias bei Kant sei falsch, weil das Modell des Syllogismus die Tätigkeiten der Gewalten nicht zutreffend beschreibe. Auch die gesetzesvollziehende Verwaltung sei wie die Rechtsprechung Subsumtion; es müsse also inhaltlich, nicht formal unterschieden werden 150 . Hegel, an den v. Stahl bekanntlich weitgehend anknüpft, wird kritisiert, weil er, indem er die Souveränität des Staates, die in der konstitutionellen Theorie verlorengegangen war, wiederherstellt, in dem Dreischritt von Legislative (entspricht dem Allgemeinen), Exekutive (das Besondere) und fürstlicher Gewalt als Einheit beider die Rechtsprechung vergesse. Gegen Hegel wie Kant wird eingewandt, daß das Verhältnis von Legislative und Exekutive mit der Entgegensetzung von Normsetzung und Normindividualisierung falsch bestimmt sei. Es gebe einen erheblichen Bereich gesetzesfreier Verwaltung 151 ; dort bestimme die Exekutive die Norm ihres Handelns selbst. Hier setzt v. Stahl ein weiteres Argument gegen die konstitutionelle Theorie an: vorausgesetzt, Verwaltung bestehe tatsächlich in Gesetzesvollzug, so würde die Exekutive jede Gewalt im Sinne eines Gegengewichtes zur Legislative vermissen lassen. Dadurch wäre gerade das verfehlt, was Montesquieu gewollt hatte 152 . Vor diesen Hintergrund stellt v. Stahl die Degradierung des Monarchen vom Souverän zum Staatsorgan und kritisiert die Verdrängung des Souveränitätsbegriffes. Auch von Stahl versucht den Einheitspunkt der Souveränität mit der Vielfalt innerhalb der Staates auf einen Nenner zu bringen, indem er der ungeteilten Innehabung der Souveränität die geteilte Ausübung der Staatsgewalt entgegenstellt. Er spricht von der „organischen Entfaltung und Gliederung der Staatsgewalt" 1 5 3 . Bei der Art der Darstellung dieser Entfaltung bleibt v. Stahl im Bild ι4« Zur begrifflichen und realen Neutralität des Fürsten vgl. Hegel, § 280. 149 Vgl. ζ. Β. v. Stahl, S. 177. Ebenso Schmitthenner, 3. Bd., VII. Buch, S. 283 f. Böckenfördes Zuordnung Schmitthenners zum Vernunftrecht ist unter dem hier relevanten Aspekt nicht haltbar; seine Nähe zu der historisch-theologischen Staatsrechtfertigung deutlich. 150 v. Stahl, Fußnote auf S. 173. 151 v. Stahl, S. 174.
152 v. Stahl, S. 175; hier konstatiert v. Stahl zutreffend den Vorrang des Demokratieprinzips vor dem der Gewaltenteilung. 153 v. Stahl, S. 177. Vgl. in gleicher Weise gegen „mechanistisches Nebeneinander44 „ohne alle Garantie der Einheit44 und für organische Unterordnung unter den „Kopf 4
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1. Abschn.: Systematischer Teil
des Organismus. Der Kopf als das hierarchische Element der fürstlichen Souveränität lenkt den Körper, auf den er für seine Existenz aber angewiesen ist. Aber auch v. Stahl stellt die Forderung nach der Verschiedenartigkeit der Elemente in der Gliederung der Staatsgewalt auf. Ganz im Sinne Montesquieus wird behauptet: gleichartige Elemente bilden nur einen geringen Schutz der individuellen Freiheit 154 . Die verschiedenartigen Elemente sollen Königtum, Grundaristokratie, selbständige Richter, unumgehbare Beamte, Volk und öffentliche Meinung sein. Diese teilen sich als Gliederungen des Staates in die Ausübung der Macht, v. Stahl exemplifiziert diesen Gedanken am Adel 1 5 5 . Genauer als v. Aretin beschreibt v. Stahl die Träger, die Funktionen und die Mittel der Aufgabenerfüllung in den Gliederungen der Staatsgewalt. Der Adel sei als Staatsgliederung vor anderen ausgezeichnet durch die Existenz aus eigenem, erblichen, nicht abgeleitetem Recht 156 . Durch umfangreichen Grundbesitz, der nicht in den Immobilienmarkt eingebracht werden kann (Fideikommiß), wird der Adel von der treibenden Motivation der Profitmaximierung freigestellt und bürgt für die Vertretung des Interesses an Kontinuität, das durch den erblichen Familienbesitz bestimmt ist 1 5 7 . Damit erfüllt der Adel eine Teilfunktion des Gemeinwohles, das nicht vollständig von den Interessen des Profites und der damit verbundenen schnellen gesellschaftlichen Entwicklung beherrscht werden soll. Gegen diese Stellung des Adels kontrastiert v. Stahl die der Beamten, deren Recht persönlich gebunden und abgeleitet ist. Aufgabe des Handels sei die Durchsetzung der Interessen an Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen, die Förderung gesellschaftlicher Dynamik, der Ausbreitung der Kultur, der Rechtssicherheit und die Durchsetzung der Grundrechte 1 5 8 . Schließlich wird als weitere Gliederung des Staates die Gemeinde angesprochen 1 5 9 . Hier kontrastiert v. Stahl zunächst das deutsche System der Gemeindefreiheit mit dem französischen Zentralismus. Beides wird von ihm abgelehnt. Weitgehende Autonomie gefährde wie bei der Gewaltenteilung die Einheit des Staates zugunsten von Partikularinteressen der Gemeinschaft des engen Raumes 160 . Der des Organismus Schmitthenner, S. 475, 479 f. Bemerkenswert die Erkenntnis von Schmitthenner, daß die Kraft eines Staates um so größer und dauerhafter sei, je feiner er gegliedert sei (S. 468). 154 Dabei wird auf Toquevilles Schilderung von Amerika verwiesen: durchgängige Ableitung der Staatsgewalt vom Volk führe zur Unterdrückung von Minderheiten (v. Stahl, S. 177).
155 v. Stahl, §§26 ff. 156 v. Stahl, S. 87. 157 v. Stahl, S. 90.
iss v. Stahl, §§ 9 ff. (Die Stände) (S. 38 ff.). 159 v. Stahl, §§ 4 ff. (S. 19 ff.).
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
Zentralismus verleugne wie der vernunftrechtliche Mechanismus des Staates das Eigenrecht der Gliederung ,Gemeinde'. Gegenüber beiden sei die Autonomie im Rahmen der Gesetze Vorzugs würdig 161 . Die Beschränkung der Staatsgewalt ergibt sich bei v. Stahl, soweit sie behandelt wird, entgegen seinen Bekundungen aus einer Gewaltenteilung. Der Bezug auf eine Staatszwecklehre ist für ihn nicht herstellbar, da er in der Tradition Hegels den Staats als selbstzweckhaft begreift 162 . Der Theorie nach soll die Beschränkung unnötig sein, weil der Staat als Wirklichkeit der sittlichen Idee aus seinen eigenen Prinzipien heraus in seiner Gewalt beschränkt ist und deswegen die Privatsphäre unberührt läßt 163 . Im Ergebnis gehen also auch die Vertreter der organischen Staatstheorie davon aus, daß es auf die Art der Gliederung, ihr soziales Substrat und die damit indizierte Funktion in der Staatsgewalt ankommt. Gegenseitige Ableitbarkeit und Gleichartigkeit der Gliederung führt zum Freiheitsverlust. Da die Weimarer Reichsverfassung die Legitimitätsfrage zugunsten der Volkssouveränität auflöst, sind die dort entstehenden Probleme den gegenwärtigen analog und bieten nicht die Möglichkeit, das Verhältnis von Demokratieprinzip und Gewaltenteilungsprinzip in dem besonders interessanten Fall konkurrierender Legitimitätsableitungen zu studieren. Insgesamt bestätigt sich bei diesem Rückblick, daß das Verhältnis von Demokratieprinzip (bzw. Souveränität) und Gewaltenteilungsprinzip erhebliche Probleme birgt. Diese lassen sich teilweise entschärfen, wenn man Gewaltenteilung auf Funktionentrennung reduziert. Allerdings wird dies mit einer Minderung der machthemmenden Wirksamkeit der Aufteilung der Staatsgewalt erkauft. Zusammenfassend läßt sich die Tendenz feststellen, daß der Souveränitätsgedanke auf Kosten des Gewaltenteilungsprinzips betont wird. Dies geschieht teilweise auch noch in der staatsrechtlichen Literatur der Bundesrepublik Deutschland. b) Vorrang
des Demokratieprinzips
Dezidiert hat sich Böckenförde dahingehend ausgesprochen, daß das Prinzip der Funktionentrennung auf dem der Demokratie aufbaue und daher keinen Rechtstitel enthalte, um aus dem Demokratieprinzip gewonnene Folgerungen 160 v. Stahl, S. 19, 24.
161 Bei der Rückübersetzung in das Bild des Organismus gerät v. Stahl in Schwierigkeiten und muß mehrere Ebenen von Organismen anerkennen. Die ursprüngliche Gemeinde entspreche dem vegetativen Organismus der Pflanze, der Staat dem geistgelenkten des Menschen (v. Stahl, S. 29). 162 Vgl. v. Stahl, S. 139 f.; Schmitthenner, S. 284. 163 Vgl. Schmitthenner, S. 495.
1. Abschn.: Systematischer Teil
einzuschränken 164. Dies lasse sich zunächst schon aus dem Text des Art. 20 Abs. 2 GG, insbesondere dem Verhältnis des grundlegenden ersten Satzes zum darauf aufbauenden zweiten Satz entnehmen. Dies Argument ist allerdings nicht eindeutig zwingend, da die Sprache des Gesetzes auf ein Nacheinander angewiesen ist. Auch die Reihenfolge der Grundgesetzartikel ist nicht stets als systematischer Vorrang der Voranstehenden über die Nachfolgenden zu lesen. Daneben ergebe sich der Vorrang des Demokratieprinzips auch aus der Forderung nach Einheit der Staatsgewalt. Der Text des Grundgesetzes spreche lediglich von der Aufteilung der Ausübung der Staatsgewalt, setze damit also eine einheitliche Trägerschaft dieser und ein zugrundeliegendes, in seiner Geltung umfassendes Demokratieprinzip voraus. Hinsichtlich des Einheitsgedankens knüpft Böckenförde damit an die Vorstellungen der Reichspublizistik zur Einheitlichkeit der Staatsgewalt an. Diese sei durch die Aufteilung in der Ausübung nicht gefährdet, wohl aber dann, wenn eine Gewaltenteilung mit gleicher Ursprünglichkeit wie die demokratische Legitimation angeordnet sei 1 6 5 . Nach dieser Auffassung kann das Prinzip der Funktionentrennung jedenfalls nicht für die Rechtfertigung ministerialfreier Räume — in welcher Weise auch immer — in Anspruch genommen werden. Es ist jedoch bereits geschildert worden, daß diese Sicht von Böckenförde damit bezahlt werden muß, daß er die Unterschiede in der demokratischen Verantwortlichkeit der unterschiedlichen Staatsfunktionen nur schwer und nicht überzeugend erklären kann. Der an sich naheliegende Verweis auf Art. 97 GG kann für Böckenförde deswegen nicht weiter führen, weil es von dort nur ein kleiner Schritt dazu ist, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG in Verbindung mit Art. 97 GG als gleichwertig mit dem Demokratieprinzip aufzufassen. Deswegen löst Böckenförde das entstehende Problem über die Substitution demokratischer Verantwortlichkeit und außerhalb der Staatsfunktion der Rechtsprechung über das Argument aus der Natur der Sache. Überzeugend ist Böckenfördes Argumentation allerdings insoweit, als sie klarstellt, daß auch die richterliche Staatsfunktion einer demokratischen Legitimation nach dem Grundgesetz nicht gänzlich entbehren und ihre Legitimität nicht aus ständischen oder ähnlichen Vorstellungen beziehen darf.
c) Gleichordnung
von Demokratie-
und
Gewaltenteilungsprinzip
Andere Ansichten begreifen das Gewaltenteilungsprinzip als systematisch gleichrangig mit dem Demokratieprinzip. So leitet Hesse aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ein Verbot der Zuweisung strukturwidriger Funktionen an die entsprechenden
164 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HdBStR Bd. I, § 22 Rdnr. 87. 165 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HdBStR Bd. I, § 22 Rdnr. 87. Ders., Verfassungsfragen, S. 66 ff. Eine Gleichordnung auf prinzipieller Ebene diagnostiziert Böckenförde für die konstitutionelle Monarchie des 19. Jahrhunderts: dynastische Legitimität contra Volkssouveränität; deswegen konnte die konstitutionelle Ordnung seiner Ansicht nach lediglich einen Übergangszustand verfassen.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
Staatsorgane ab 166 . Er setzt also voraus, daß die Gewaltenteilung als solche bereits eine bestimmte Struktur und Arbeitsweise des Organs — die zum Demokratieprinzip unter Umständen in Widerspruch stehen kann — rechtfertigt. Damit ist Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG dem Demokratieprinzip parallelisiert und vermag als Rechtstitel für dessen Einschränkung' zu dienen. Die Schwäche einer solchen Auffassung liegt, wie von Böckenförde beschrieben, darin, daß dann beispielsweise für die Judikative auch eine vollständige Unabhängigkeit — etwa im Bereich der personellen Legitimation durch Kooptation — gerechtfertigt zu sein scheint. Es ist offenbar, daß dadurch in der Tat eine Entwicklung zu einem neokorporatistischen Ständestaat gefördert werden kann. Ob eine solche Gefahr vorliegt, hängt davon ab, in welcher Weise die Beeinflussung des Demokratieprinzips durch das Gewaltenteilungsprinzip aufgefaßt wird. Nicht gebannt wird die Gefahr dadurch, daß man das Funktionentrennungsprinzip als Bestimmung auffaßt, die den Rahmen der Anwendbarkeit des Demokratieprinzips beschreibt. Eine solche Meinung könnte etwa behaupten, daß die Rechtsprechung nicht den Forderungen aus dem demokratischen Grundsatz unterliege. Nicht weiter führt die andere Konstruktion, die umfassende Geltung des Demokratieprinzips anzunehmen, aber für Gewalten außerhalb des Bereiches der Exekutive in Art. 20 Abs. 2 GG eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für Durchbrechungen dieses Prinzips zu sehen. Dagegen wird hier die These aufgestellt, daß die Trennlinie zwischen den Gewalten als Abgrenzung zwischen unterschiedlichen Inhalten des Demokratieprinzips verstanden werden kann. Dieses Prinzip entfaltet demnach umfassende, aber nach Gewalten differenzierte Wirkungen. Deswegen kann man meines Erachtens eine Lösung außerhalb der Frage nach dem allgemeinen Vorrang eines Prinzips oder der Gleichordnung beider Grundsätze finden. Das Demokratieprinzip kann so gelesen werden, daß es von sich aus bereits eine nach den unterschiedlichen Staatsfunktionen differenzierte Aussage enthält. Es bedarf kann keiner nachträglichen Einschränkung mehr. Der Vorteil einer solchen Lösung ist, daß sie die Schwierigkeiten nicht macht, die sich beispielsweise für Böckenförde aus der unterschiedslosen Anwendung des Demokratieprinzips auf alle drei Gewalten ergeben und die er mit den nicht gänzlich überzeugenden Kompensationswirkungen auszuräumen sucht. Darüber hinaus wird die Funktion der Rechtsprechung aber auch nicht voll vom Demokratieprinzip entkoppelt; eine ständisch geprägte Justiz wäre nicht zu rechtfertigen. Diese m. E. im Demokratieprinzip angelegte Differenzierung wird deutlich, wenn man sich zwei Hauptinterpretationsrichtungen des Prinzips vergegenwärtigt. Diese betreffen der Sache nach das Verhältnis von Demokratie und Gewaltenteilung. Die wesentliche Unterscheidung zwischen diesen Richtungen liegt in der Frage nach der Stellung des Volkes im Verhältnis zu Ausübung und Trägerschaft der Staatsgewalt. 166 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 489. 5 Waechter
1. Abschn.: Systematischer Teil
Böckenförde geht entsprechend seinem Ansatz davon aus, daß Trägerschaft und Ausübung der Staatsgewalt beim Volk liegen. Nur so sei das Prinzip der Volkssouveränität richtig verstanden. Demgegenüber geht die Gegenmeinung davon aus, nur die Trägerschaft der Staatsgewalt liege beim Volk. Daraus resultieren jeweils unterschiedliche Ansprüche an die demokratische Legitimation. Die zweite Ansicht wird insbesondere von Kriele vertreten und ist mit einem Verzicht auf die Feststellung von Souveränität im Zustand der pouvoir constitué verbunden; auch dazu steht Böckenförde im Gegensatz 167 . Kriele liest aus dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes die Forderung, daß die Trägerschaft der Staatsgewalt, nicht aber ihre Ausübung beim Volk liegen müsse. Die Ausübung dieser Gewalt sei nicht dem Staatsvolk, sondern den in der Verfassung bestimmten und benannten Organen zugewiesen. Die Formel, daß alle Staatsgewalt vom Volk ausgehen müsse, könne richtigerweise nicht so verstanden werden, daß das Volk an der Ausübung der Staatsgewalt beteiligt sein müsse, sondern so, daß die Tätigkeit der Staatsorgane dem Anspruch unterliege, vom Interesse des Volkes bestimmt zu sein 168 . Gerade in der Trennung von Innehabung und Ausübung der Staatsgewalt liege das repräsentative Element des Grundgesetzes, das Kriele den von Rousseau beeinflußten Denkrichtungen identitärer Demokratie entgegenstellt. Dieses Repräsentationselement schließt die Bindung an Weisungen und Aufträge, also an einen empirischen Willen des Legitimationsgebers aus. Ähnlich wie Kriele argumentiert Stern 169 mit der Trennung zwischen Ausübung und Trägerschaft der Staatsgewalt. Das Verhältnis der ausübenden Organe zu dem innehabenden Volk beschreibt er mit dem Terminus der Anvertrautheit; Ausgehen der Staatsgewalt vom Volk bedeute demnach Anvertrautsein der Herrschaft durch das Volk. Der Anvertrauensakt liegt im Wahlakt; die Bindung des Treunehmers 170 an die Interessen des Treugebers wird durch die Periodizität des Wahlaktes gesichert 171 .
167 Böckenförde an den bisher nachgewiesenen Orten; Kriele ζ. B. in Einführung in die Staatslehre, 1975 S. 226. 168 Vgl. Kriele, VVdStRL 29 (1971) S. 46 ff. (60); ders., Einführung in die Staatslehre, S. 243. Dabei kann man die Ansicht Krieles nicht auf die bei Böckenförde abgelehnte Formel ,salus publica suprema lex' für die Staatsgewalt reduzieren, die auch auf eine Monarchie passe; denn Kriele weist die Trägerschaft der Staatsgewalt dem Volk zu. 169 Stern, Staatsrecht Bd. I, 2. Aufl. 1984, § 18 II 5, 6. 170 Zum Treuhandgedanken in diesem Zusammenhang mit Verweis auf das englische Recht Fraenkel, S. 5 ff. (18). 171 Eine inhaltliche Bindung wird darüber hinaus in der nur sporadisch auch praktizierten englischen Theorie des eloctoral mandate postuliert; danach bedarf es vor besonders wesentlichen Entscheidungen eines Auftrages der Wählerschaft; war die Entscheidung bei der letzten Wahl nicht abzusehen, bedarf es also theoretisch der Ausschreibung von Neuwahlen oder der Verschiebung der Entscheidung. Vgl. dazu Loewenstein, Bd. 1, S. 163 ff., 47 ff.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume d) Eigene Lösung:
Treuhänderische
als demokratischer
67
Verantwortung
Legitimationstyp
Der Inhalt des Demokratieprinzips ist von der Auffassung bezüglich dieser soeben behandelten Frage abhängig: Ein repräsentativ orientiertes Verständnis legt der Demokratie ein anderes Legitimationsprinzip zugrunde als das identitäre Verständnis. Leitendes Prinzip der Repräsentation ist die Formel,salus rei publicae suprema lex' 1 7 2 ; das Gemeinwohl ist hierbei nur hypothetischer Volkswille; rechtliche Form der Legitimationsvermittlung ist das von Aufträgen, Weisungen und Abberufung freigestellte Mandat. Dieses muß also ausgeübt werden im Interesse eines hypothetischen das Gemeinwohl bestimmenden Volkswillens. Wie dieser aussieht, ist aber in freier Gewissensentscheidung vom Mandatsträger zu bestimmen, soweit er nicht durch Rechtsvorschriften gebunden ist. Demgegenüber folgt die identitäre Demokratie der Maxime ,stat pro ratione voluntas'; um die Bindung an den legitimierenden empirischen Volkswillen sicherzustellen, sind Auftrag und Weisung wesentliche Rechtsformen, die volle sachlich-inhaltliche Abhängigkeit und Legitimation vermitteln. Der Staatsorganwalter hat hier kein Mandat inne, sondern ein weisungsgebunden auszuübendes Amt. Beide Prinzipien haben spezifische praktische Stärken und Schwächen. Während das Repräsentativsystem zur oligarchischen Erstarrung tendiert, setzt das identitäre System eine unter Umständen nicht vorhandene Homogenität des Legitimationsgebers voraus 173 . Eine Kombination bietet sich daher an und ist im Grundgesetz auch in der bezüglich der Staatsfunktionen unterschiedlichen Ausprägung des Demokratieprinzips enthalten. Die Annahme, es gebe ein durchgängig für alle Staatsfunktionen vorgeschriebenes demokratisches Niveau, das sämtliche genannten Legitimationsstränge erfordert, verkürzt meines Erachtens das Grundgesetz auf die Repräsentation im identitären Sinne 174 . Dabei wird Identität wesentlich dadurch hergestellt, daß volle Legitimation in allen drei von Böckenförde dargestellten Strängen gefordert wird, insbesondere also auch die sachlich-inhaltliche Verantwortlichkeit durch Gesetzesbindung und Einzelweisung; lediglich die Kompensationsmöglichkeiten erlauben Modifizierungen. Das Grundgesetz kann aber auch so verstanden werden, daß es nach Staatsfunktionen getrennt unterschiedliche Anordnungen hin172
Besonders deutlich und m. E. zutreffend ist die Gegenüberstellung dieser repräsentativen Grundvorstellung mit den identitären Vorstellungen bei Fraenkel, S. 7 f., vorgenommen. 173 Vgl. Fraenkel, S. 10 f. 174
Für ein weitgehend identitäres Verständnis der grundgesetzlichen Repräsentation tritt in Anschluß an Leibholz und Schmitt auch Krbek, S. 69 ff. ein. Er spricht von Repräsentation als „verlängerter unmittelbarer Demokratie" und hält die Abgeordneten über die öffentliche Meinung für an die Wünsche und Ansichten der Wähler gebunden. Dabei knüpft er an Leibholz Auffassung der plebiszitären Parteiendemokratie an. 5'
1. Abschn.: Systematischer Teil
sichtlich des Niveaus der zu gewährleistenden Legitimität enthält; identitäre und repräsentative Momente 175 werden nebeneinander verwendet. Besonders geeignet zur Darstellung der Differenzierung des Inhaltes des Demokratieprinzips im Bereich außerhalb der Exekutive erscheint mir der Begriff der Treuhand 176 , da hier jedenfalls eine Reduktion auf das identitäre Konzept unmöglich ist, anders als bei dem sehr offenen und vielgestaltigen Begriff der Repräsentation. Eine Gegenüberstellung von Legitimation im Sinne des Amtes und der Treuhand hat den Vorteil, verschiedene Arten demokratischer Legitimation jeweils in einem Begriff zu kennzeichnen. Für das Amt ist dabei volle Legitimation im Sinne von Böckenförde erforderlich, im Falle einer treuhänderisch wahrzunehmenden Funktion entfällt demgegenüber mindestens die Gebundenheit an Weisungen und Aufträge. Gegenüber dem Begriff des Mandates 177 ist der der Treuhand offener, weil nicht durch Gewohnheit und Gesetzessprache auf den Bereich der Legislative festgelegt. Deswegen läßt sich davon sprechen, daß Funktionen der Rechtsprechung oder solche in ministerialfreien Räumen treuhänderisch wahrgenommen werden. Darüber hinaus vermeidet der Begriff einige Probleme, die häufig mit dem Gebrauch des Repräsentationsbegriffes einhergehen. Dies soll hier nur kurz angedeutet werden: Die Vorstellung des Mandats als Treuhandverhältnis erlaubt es, die Schwierigkeiten zu meiden, die sich aus der Entgegensetzung von Interessenvertretung und Wertrepräsentation ergeben. Ein solcher Gegensatz ist in der Treuhand nicht enthalten; jedenfalls können die Interessen nicht daraus verbannt werden. Diese Vorstellung erlaubt es auch zuzugeben, daß die Mandatsträger als Treunehmer sowohl fremde Interessen (die ihnen anvertrauten) als auch eigene (beispielsweise ihre politischen Gestaltungsvorstellungen) legitimerweise verfolgen. Eine solche doppelte Interessenverfolgung ist innerhalb des Begriffes der Treuhand anerkannt, wobei regelmäßig die anvertrauten Interessen im Vordergrund stehen. Dagegen wird beim Repräsentationsbegriff häufig die Legitimität des Eigeninteresses geleugnet und auf ein vorfindliches Gemeinwohl verwiesen. Dabei wird übersehen, daß dies partiell und auf Zeit mit einem Individualinteresse übereinstimmen kann — darüber wird in Wahlen entschieden. Deutlich wird in der Figur der Treuhand auch, daß das Volk nicht politische 175 Vgl. zu Identität und Repräsentation allgemein und auch spezifisch zu Schmitt, Leibholz und Fraenkel: Manti, S. 134 ff., 139 ff., 190 ff. 176 Vgl. HdWB RVgl. Bd. 3, 1931 S. 368 ff. (Klausing); Ennecerus-Nipperdey, Bd. 1/ 2 § 148; Giehl, Staatslexikon, 4. Aufl. Art. Treuhand; Dölle, Neutrales Handeln, in: FS F. Schulz, Bd. 2, S. 261 ff. 177 Auch dieser Terminus hat geschichtliche Verbindungen zu einer relativen Autonomie, die im Begriff der Immunität zum Ausdruck kommen. Die in der mittelalterlichen Immunität gewährte Freiheit von hoheitlichen Eingriffen und Gewährung eigener solcher Befugnisse ist heute modifiziert in den Begriff des freien Mandates selbst übergegangen; demgegenüber hat sich der Begriffsinhalt von Immunität verengt. Tatsächlich geht es bei den ministerialfreien Räumen um etwas ähnliches wie die mittelalterlichen Immunitäten. Auch dies legt es nahe, den Treuhandgedanken hier für angemessen zu halten.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
Herrschaft ständig selbst ausübt, sondern sich dieser Ausübung zugunsten des Treuhänders auf Zeit begibt. Dadurch wird die Notwendigkeit aufgeworfen, diese ,treuhänderische Verwaltung 4 gegen Mißbrauch zu sichern 178 . Schließlich kommt in einer Spielrichtung des Treuhandbegriffes auch die Absicht einer Neutralisierung im Verhältnis zu anderen untereinander kollidierenden Interessen zum Ausdruck; hier tritt der Treuhänder als ,neutraler Dritter 4 auf, dessen eigene Interessen sowenig mit den auszugleichenden verwoben sind, daß von einer relativen Neutralität gesprochen werden kann. Das treuhänderische Mandat ist also offenbar für solche Aufgaben wie Streitentscheidung oder Kontrolle als Legitimationsform besonders geeignet. Statt das Mandat oder das A m t 1 7 9 jeweils allein zum Modell eines einheitlichen Verständnisses des Demokratieprinzips zu machen, ist es also nach hier vertretener Ansicht richtig, nach Staatsfunktionen zu trennen. Das Mandat, der mit ihm verbundene spezifische Repräsentationsbegriff 180 und die relative Unabhängigkeit in der Aufgabenwahrnehmung gehören in den Bereiche der Legislative, in modifizierter Form auch zur Judikative. Demgegenüber ist das Amt der Wahrnehmungsmodus für die der Regierung nachgeordnete Exekutive. Diese ist weisungsgebunden gegenüber dem empirischen Willen der Ministerialspitze. Die Verantwortlichkeit wird zum Parlament hin durch die Möglichkeit jederzeitiger Abberufung des Regierungschefs vermittelt. Während die Legitimation von dem inhomogenen Staatsvolk in erster Linie durch das Mandat weitergeben wird, kann sie bei der homogenen Ministerialspitze durch Weisungsgebundenheit vermittelt werden. Diese Weisungsgebundenheit schafft die Voraussetzungen für eine sinnvolle Anwendung des parlamentarischen Abberufungsrechtes, das in dem konstruktiven Mißtrauensvotum liegt. Bei dieser Unterscheidung muß man zwischen einem engen und einen weiten Amtsbegriff differenzieren. Im engeren Sinne umfaßt das Amt ein besonderes Treue- und Disziplinarverhältnis, einen umschriebenen Tätigkeitsbereich und die Rechtspflicht zur Dienstleistung sowie das Verbot einseitiger Amtsausübung. Das Amt im weiten Sinne, wie es in Art. 48 Abs. 2 GG gemeint ist, hat lediglich den Bedeutungsinhalt eines institutionell festgelegten öffentlich-rechtlichen Tätigkeitsbereiches mit einer mehr ethischen als rechtlichen Gemeinwohlverpflichtung 181 . Bei einer solchen Unterscheidung ist offensichtlich, daß die Organwalter 178 Im Zivilrecht das Auseinanderfallen zwischen formaler Rechtszuordnung und wirtschaftlicher Zuordnung. 179 Eine ähnliche Unterscheidung zwischen politischem „Amt" und Verwaltungsamt trifft Schröder, Die Bereiche der Regierung und der Verwaltung, in: HdBStR Bd. III § 67, Rdnr. 32 ff. 180 Vgl. zum Gedanken von Treuhand (,trust4) und Repräsentation Gralher, ZRP 1977, 156. 181 Vgl. die Beschreibung des Amtes bei Hennis , Amtsgedanke, S. 51 ff.; es ist deutlich, daß Hennis im engeren Sinne eher das Mandat beschreibt, als das Amt. Seine Beispiele stammen aus dem Bereich der Legislative und nicht der Exekutive. Dementspre-
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1. Abschn.: Systematischer Teil
der Legislative nicht dem engen Amtsbegriff unterfallen. Sie unterliegen nicht der für das Amt typischen Disziplinarhierarchie 182; strittig ist, ob ihnen die Verpflichtung zur Dienstleistung obliegt 183 . Vor allem aber ist ihnen gestattet, das Gemeinwohl gerade durch die Förderung beschränkter Interessen zu verfolgen, was sich in der Fraktionsbildung niederschlägt. Es gibt also keine Pflicht zu (partei-) politischer Neutralität 184 .
Exkurs: Der Ursprung des Treuhandbegriffes in der politischen Philosophie Die Argumente für die oben geschilderte Verwendung des Treuhandbegriffes wurden hier aus der Verfassung entwickelt. Deswegen ist es zwar nützlich, aber nicht notwendig, wenn sich zeigen ließe, daß der Begriff der Treuhand einen entsprechenden Stellenwert in der politischen Philosophie hat. Daraus ergibt sich auch, daß es unschädlich ist, wenn sich aus dieser Verwendung des Begriffes keine genauen dogmatischen Folgerungen ziehen lassen. Die Verwendung des Treuhandbegriffes als eines Kampfbegriffes der politischen Philosophie findet sich im Zusammenhang des englischen Verfassungslebens 185 . Besondere Aufmerksamkeit hat die Nutzung des Begriffes im Rahmen der Staatsphilosophie Locke's gefunden 186. Wie in der politischen Praxis mit den verschiedenen moralischen und rechtlichen Facetten des aus dem Privatrecht stammenden187 ,trust 4-Begriffes gespielt wurde, so ist auch die Verwendung bei
chend sieht er den weiteren Amtsbegriff auch nicht als spezifisch für Demokratie oder für Bürokratie (i. S. M. Webers) (S. 62 f.). Ihm scheint es mehr auf die ethische Komponente der Amts W a h r n e h m u n g im Gegensatz zum funktionalistischen »Posten' anzukommen (vgl. S. 63). Deswegen ist die einen engeren Amtsbegriff intendierende Anknüpfung Böckenfördes an Hennis Amtsbegriff nicht prima facie einleuchtend. 182 Vgl. Achterberg, S. 216, 219, 222.
183 Gegen eine Rechtspflicht BVerfG NJW 1975, 2331 ff. 184 Vgl. Badura (Zweitbearbeitung) in: BK Art. 38 Rdnr. 50; v. Arnim (Zweitbearbeitung) in: BK Art. 48 Rdnr. 49 ff. 185 Vgl. zur Verwendung von Trust und Trusteeship Gough, Locke, Ch. VII: Political Trusteeship, S. 156 ff. (Verwendung im politischen Alltag, in der Gesetzessprache, in Impeachment-Verfahren). 186 Die Staatsphilosophie Lockes scheint vor allem pragmatisch angelegt; vielfach ist ihr fehlende innere (insb. bzgl. der Auffassung des Naturzustandes) und äußere Konsistenz (zu seinen erkenntnistheoretischen Untersuchungen: Frage des Naturrechts als lex fundamentalis) vorgeworfen worden. Dies wird dazu beigetragen haben, daß die stärker systematisch orientierte Staatstheorie des Kontinents den ohnehin unpräzisen Treuhandgedanken nicht stärker aufgenommen hat. Rousseau radikalisierte die demokratische Komponente des Treuhandgedankens, die Absolutisten blieben beim divine right of the king. 187 Zu dieser Abstammung und den äußert vielfältigen Anwendungen des Begriffes in der englischen Rechtsgeschichte vgl. Maitland, S. 141 ff. Die Ausarbeitung steht unter
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
1
Locke nicht auf bestimmte rechtliche Inhalte präzise festgelegt 188. Der Vorteil des Begriffes für Locke liegt nicht nur in seinen Assoziationen, sondern auch darin, daß der privatrechtliche englische trust kein Vertragsverhältnis war und daher bei Verwendung des Begriffes für die Beschreibung des Verhältnisses zwischen Volk und Herrscher jede Verwechselung mit dem Unterwerfungsvertrag Hobbes' ausgeschlossen ist 1 8 9 . Locke geht im II. Treatise davon aus, daß jede Herrschaftsgewalt als vom Volk den Herrschenden (sowohl Parlament wie Monarch) anvertraut gelten muß. Dieses Anvertrauen hat den Zweck, Freiheit und Eigentum der Vertrauensgeber zu sichern. Locke kombiniert dieses Anvertrauen mit der Funktionentrennung, so daß die unterschiedlichen Staatsfunktionen verschiedenen Herrschaftsinstanzen anvertraut werden. Durch den Akt des Anvertrauens geht die Herrschaftsgewalt über; dagegen bleibt die höchste Gewalt stets beim Volk als Vertrauensgeber. Dieses ist gleichzeitig Treugeber und Destinatär. Es entscheidet auch über einen denkbaren Mißbrauch des Vertrauens (breach of trust) oder seine willkürliche Verwendung. In diesen Fällen gilt Locke die Herrschaftsübertragung als aufgelöst 1 9 0 und die Gewalt fällt wieder an das Volk zurück 191 . Akzeptiert der Herrscher diesen Vertrauensentzug nicht, so wird die Frage des Vertrauensbruches im Bürgerkrieg und das heißt für Locke durch Gottesentscheid beantwortet 192. Die Betrauung berechtigt den Treuhänder, Herrschaftsgewalt im Rahmen des Rechts nach eigener, freier Entscheidung auszuüben193. Allerdings ergeben sich äußerste Schranken dieser Ausübung aus dem Zweck der Betrauung 194 : Da die Betrauung persönlich und individuell gebunden ist, darf keine Subbetrauung erfolgen. Die Ausübung der Gewalt ist an die Zwecke der Sicherung des Eigentums gebunden. Bei Zweckabweichungen (besonders Steuererhebung) ist eine erneute Zustimmung der Treugeber (Steuerbewilligung) erforderlich. Schließlich ist die Exekutidem Eindruck der breiten Diskussion um deutsch- und römischrechtliche Rechtsformen. Zu der im kontinentalen Sinne öffentlich-rechtlichen Verwendung des Rechtsinstitutes ,trust' S. 219 ff.; es geht dabei gleichsam um eine Souveränität zur gesamten Hand. Der Überblick von Maitland zeigt, daß eine Übertragung des Rechtsinstitutes in Rechtsfiguren des deutschen Rechts unmöglich ist. Gleichzeitig wird deutlich, daß das Institut schon stets einen sehr kleinen Begriffskern und einen großen Hof hatte. Besonders häufig ist es offenkundig benutzt worden, um unpassende rechtliche Regelungen zu umgehen. Das tat in gewissem Sinne auch Locke, indem er über den Gedanken des trust die evident beim Parlament und beim Monarchen liegende Herrschaftsgewalt an bestimmte Zwecke zurückbindet. iss Vgl. Gough, S. 154, 188 f.; Laslett, Introduction, S. 112 f.
189 Vgl. zum nur vertragsähnlichen Charakter des trust, Euchner, S. 196. 190 Locke, § 221.
191 Locke, § 149. Das trust-Konzept mindert also gegenüber der Vertragstheorie auch die Voraussetzungen des Widerstandsrechtes des Volkes; vgl. Laslett, S. 114. Dazu auch Euchner, S. 215 ff. 192 Locke, §§ 155, 242. 193 Locke, § 164. 194 Locke, §§ 134 ff., 111, 171.
1. Abschn.: Systematischer Teil
ve gesetzesgebunden wahrzunehmen, um die Rechtssicherheit für den Treugeber zu gewährleisten. Dieses Konzept wandte Locke sowohl auf das Verhältnis des Volkes zum Parlament wie zum Monarchen an 1 9 5 . Dagegen führte dieser selbst an, seine Betrauung stamme unmittelbar von Gott. Damit fielen Treugeber und Nutznießer der Treugebung anders als bei Locke auseinander. Kennzeichnend für die Betrauung ist in jedem Fall die Übertragung einer Herrschaftsgewalt zu relativ selbständiger Wahrnehmung, die aber stets zweckgebunden und verantwortlich bleibt, ohne daß aber diese Zweckbindung durch Weisungen des Treugebers geltend gemacht werden kann. Die Betrauung liegt hinsichtlich des Parlamentes in der Wahl der Repräsentanten des Volkes; sie wird regelmäßig erneuert. Locke's Konzept zeigt, daß die gleiche Denkfigur sinnvoll auch auf Organe der Exekutive angewandt werden kann. Aus dem oben Angeführten ergibt sich, daß die Staatsfunktionen nach dem Willen des Grundgesetzes von unterschiedlichen Arten demokratischer Legitimation geprägt sind. Während bei Legislative und Judikative das Element repräsentativer Legitimation durch Mandat (im Sinne einer Treuhand) überwiegt, ist bei der Exekutive ein Übergewicht identitärer Legitimation in Verbindung mit einer Ämterhierarchie festzustellen. Die Gemeinwohlsicherung der Mandatsausübung ergibt sich bei der Justiz durch die strenge Gesetzesgebundenheit, bei der Legislative durch die Periodizität und die Allgemeinheit der Wahl (Art. 3 Abs. 1 GG als Wahlgleichheit) und die Abstraktheit der Gesetze (Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG). Verbindet man diese Erkenntnis mit den von Böckenförde genannten Arten demokratischer Legitimation, so ergibt sich folgendes: Amt und Mandat bedürfen in gleicher Weise der organisatorisch-funktionalen und der personellen demokratischen Legitimation; diese kann mehr oder weniger vermittelt sein. Hinsichtlich der sachlich-inhaltlichen Legitimation jedoch ist zu unterscheiden: Für das Amt ist Gesetzesgebundenheit und Weisungsabhängigkeit verfassungsrechtlich gefordert; im Bereich des Mandates dagegen scheidet das Weisungselement aus, während die Gesetzesgebundenheit in engerer oder weiterer Form (Verfassungsbindung der Legislative und des Bundesverfassungsgerichtes, Gesetzesbindung der Judikative) gefordert ist. Demnach ist es falsch, ein einheitliches Demokratieprinzip für die drei staatlichen Hauptfunktionen aufzustellen und Abweichungen davon als durch die Natur der Sache geforderte Ausnahmen anzusehen, wie Böckenförde es tut. Vielmehr gilt das Demokratieprinzip von vornherein mit nach Staatsfunktionen unterschiedlichem Inhalt. Dabei ist das für die Exekutive geforderte Legitimationsniveau besonders hoch. Daraus läßt sich begründen, daß das Gewaltenteilungsprinzip nicht dem Demokratieprinzip nachgeordnet ist, wie Böckenförde meint 1 9 6 , sondern diesem auch systematisch gleichrangig 197 . 195 Vgl. Gough, S. 161 f.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
Damit ist die Grundlage geschaffen, um aus dem Prinzip der Gewaltenteilung unterschiedliche Anforderungen des demokratischen Prinzips begründen zu können. Wenn dieser Gedanke für ministerialfreie Räume fruchtbar sein soll, ist also nach deren Zusammenhang mit dem Prinzip der Funktionengliederung zu fragen. Dieser Zusammenhang macht bei der Kontrollaufgabe, die für die Institutionen der Haushaltsverfassung aufgewiesen wurde, keine Schwierigkeiten. Kontrolle rechnet im Raster der Funktionentrennung offenbar in erster Linie zu der Judikative und in einem Teilaspekt zu der Legislative. Daraus kann abgeleitet werden, daß für die Ausübung der Staatsfunktion ,Kontrolle 4 das Mandat die vom Grundgesetz vorgesehene und daher richtige Wahrnehmungsform ist und zwar unabhängig davon, innerhalb welcher Staatsgewalt solche Kontrollfunktionen ausgeübt werden. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG wird dann so gelesen, daß die Vorschrift bestimmte organisatorische Ausgestaltungen im Zusammenhang mit bestimmten Staatsfunktionen verfassungsrechtlich absichert. Damit könnte beispielsweise die Weisungsunabhängigkeit der Kontrollinstitutionen der Haushaltsverfassung verfassungsrechtlich als unproblematisch erkannt werden; dazu mehr im exemplarischen Teil. Dem scheint jedoch entgegenzustehen, daß der Bereich der Kontrolle in der neueren Literatur als spezifisch dem Demokratieprinzip und nicht dem Gewaltenteilungsprinzip zugehörig behauptet worden ist 1 9 8 . Demzufolge ist zu untersuchen, ob sich für einen ersten Komplex ministerialfreier Räume (mit Kontrollfunktionen) über den Gedanken der Kontrolle eine Verbindung zwischen der Ministerialfreiheit und dem Gewaltenteilungsprinzip herstellen läßt. Dazu muß auch geklärt werden, ob es ein einheitliches Phänomen der Kontrolle gibt und welches Verfassungsprinzip für staatliche Kontrollfunktionen einschlägig ist.
2. Argumentative Verwendungen des Gewaltenteilungsprinzips In Literatur und Rechtsprechung zu den ministerialfreien Räumen ist deren Bezug zum Gewaltenteilungsprinzip äußerst strittig 199 . Während das Bundesverfassungsgericht behauptet hat, daß das Prinzip von der Problematik der Ministe196 Dessen Ansicht, daß grundsätzlich stets alle Stränge demokratischer Legitimation vorliegen müssen ist besonders erstaunlich, weil er betont, daß repräsentative Demokratie nicht ein defizienter Modus identitärer Demokratie sei. Der Mandatsgedanke verzichtet aber auf einen Teil der sachlich-inhaltlichen Legitimation. 197 Dagegen darf man auch nicht davon sprechen, daß das Gewaltenteilungsprinzip dem Demokratieprinzip vorrangig wäre; daraus könnte nämlich geschlossen werden, daß für einzelne Staatsfunktionen die demokratische Legitimation gar keine Rolle spielt, auch nicht als Organisatorisch-funktionelle oder Personelle. 198 Vgl. vor allem das Werk von Meyn. 199 Die Vielfalt der Verwendungen des Prinzips der Gewaltenteilung im Zusammenhang mit den ministerialfreien Räumen stellt auch Krebs, Kontrolle, S. 38 fest.
1. Abschn.: Systematischer Teil
rialfreiheit gar nicht berührt sei, wird in der Literatur das Prinzip der Gewaltenteilung sowohl (überwiegend) als begrenzendes wie als rechtfertigendes Prinzip für Weisungsfreiheit gegenüber der Ministerialspitze angeführt. Im Überblick stellen sich die Argumentationen wie folgt dar: a) Das Gewaltenteilungsprinzip ist nicht einschlägig, weil es dort um Intergewaltbeziehungen geht, bei den ministerialfreien Räumen dagegen um Intragewaltverhältnisse 200. b) Das Gewaltenteilungsprinzip beinhaltet eine Grenze für die Errichtung ministerialfreier Stellen: b) (aa) Ministerialfreie Räume sind nicht Teil der Exekutive, sondern eigenständige Zwischengewalten. Das Gewaltenteilungsprinzip ist so zu verstehen, daß die Gewalten dort abschließend aufgeführt sind. Zwischengewalten sind demzufolge mit dem Prinzip unvereinbar 201. b) (bb) Das Gewaltenteilungsprinzip beinhaltet ein Gebot funktionsgerechter Organisation. Dies Argument wird in zwei Anwendungsvarianten vertreten; in der ersten bleibt es bei der Forderung nach Funktionsgerechtigkeit, ohne daß diese festgelegt wird. In der zweiten wird vorgetragen, das Modell funktionsgerechter Organisation für die Exekutive sei das Modell hierarchischer Weisungsabhängigkeit. Dem widersprächen die zur Exekutive zählenden ministerialfreien Räume. b) (cc) Das Gewaltenteilungsgebot beinhaltet das Gebot der Kontrolle der Regierung und nachgeordneten Verwaltung durch das Parlament. Weisungsfreie Räume untergraben die Kontrollfähigkeit des Parlamentes und verstoßen gegen das Prinzip. b) (dd) Der Gewaltenteilungsgrundsatz gebietet ein Gleichgewicht der Gewalten, das nach der grundgesetzlichen Ordnung auch besteht. Eine Störung dieser Balance beinhaltet einen Verstoß gegen den Grundsatz. Anschließend wird in zwei Varianten argumentiert. Eine Richtung sieht das Gleichgewicht durch die Beschränkung der Kontrollmöglichkeit des Parlamentes gegenüber den ministerialfreien Räumen zu Lasten der Volksvertretung beeinträchtigt. Eine andere Richtung hält die Balance zu Lasten der Exekutive für gefährdet: die Subdivision der ehemals einheitlichen Verwaltung schwäche diese im Intergewaltenverhältnis. b) (ee) Die Gewaltenteilung in Verbindung mit den Verfassungsvorschriften zur Judikative weist die Rechtsprechung den Gerichten zu. Zahlreiche ministerialfreie Räume nähmen sachlich Rechtsprechungsaufgaben vor. Darin liege der Verstoß gegen das Funktionentrennungsgebot. c) Gewaltenteilung rechtfertigt die Errichtung ministerialfreier Räume. Hier wird auf den Grundgedanken der Gewaltenteilung bei Montesquieu vor der 200 BVerfGE 9, 268 ff. 201 Vgl. z. B. Oebbecke, S. 298.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
Nachordnung hinter das Rousseau'sehe Demokratieprinzip zurückgegriffen. Hemmung von Macht könne nicht nur durch Intergewaltenteilung erreicht werden, sondern auch durch Teilung innerhalb der Gewalten. Das Argument läßt sich für zusätzliche eigenständige Gewalten ins Feld führen, nachdem im parlamentarischen Regierungssystem Legislative und Exekutive interessenbezogen als eine Gewalt angesehen werden müssen. Da keine dieser Auffassungen evident die einzig zutreffende ist, eine Entscheidung aber im Gange dieser Arbeit notwendig ist, muß eine Auseinandersetzung mit den vertretenen Positionen geführt werden.
a) Keine Berührung
mit Ministerialfreiheit
Das Bundesverfassungsgericht hat die Behauptung aufgestellt, daß es zwischen ministerialfreien Räumen und dem Gewaltenteilungsprinzip keine Verbindung gebe. Es ist zu klären, ob diese Behauptung über den beurteilten Fall hinaus haltbar ist. Gegen eine Verallgemeinerbarkeit der Aussage dieses Urteils spricht, daß das Gericht sich in seiner Rechtsprechung einerseits zum Prinzip der Gewaltenteilung in Verbindung mit der Kontrollaufgabe des Staates geäußert, andererseits dabei aber keine Verbindung zur Frage der Ministerialfreiheit hergestellt hat. Es hat andererseits ein Urteil zur Problematik der Ministerialfreiheit gefällt. In dem dabei zu beurteilenden Fall sah jedoch das Gericht offenbar keinen Anlaß zu vermuten, daß die Ministerialfreiheit Kontroll- oder ähnliche Funktionen erfüllte. Beiden Entscheidungen läßt sich Verbindliches zur generellen Möglichkeit der Rechtfertigung von Ministerialfreiheit in Abhängigkeit von den in ihr wahrgenommenen Aufgaben nicht entnehmen. Das Gericht stellt in ständiger Rechtsprechung eine Verbindung zwischen staatlichen Kontrollaufgaben und dem Gewaltenteilungsprinzip her 202 . Der Blick ist dabei auf das Verhältnis zwischen den drei klassischen Staatsgewalten gerichtet. Wert wird dabei zunächst darauf gelegt, daß Gewaltenteilung nicht strikte Trennung beinhalte, sondern gegenseitige Kontrolle und Begrenzung mit dem Ziel der Mäßigung der Staatsgewalt und der Sicherung individueller Freiheit 203 . Später präzisierte das Gericht diese Aussage dahingehend, daß es von dem im Rahmen des Gewaltenteilungsprinzips besonderen Gewicht der Kontrolle von Regierung und Verwaltung durch das Parlament sprach 204 . Es geht also, auch soweit die Entscheidungen Minderheitenrechte im Parlament betreffen 205 , nach Ansicht des Gerichts nicht um gewalteninterne Kontrolle, sondern um Kontrolle zwischen den Gewalten und zwar in der durch das parlamentarische Regierungs202 Sinemus, S. 100 ff., 267 ff.
203 BVerfGE 9, 268 (279); 22, 106 (111). 204 BVerfGE 49, 70 (85); 77, 1 (43). 205 ζ. B. BVerfGE 49, 70.
1. Abschn.: Systematischer Teil
system vorgeprägten Kontrollrichtung: Legislative kontrolliert Exekutive. Das Gericht spricht nicht an, ob in Minderheitenrechten auch eine Kontrolle der gewalteninternen Mehrheit liegt und inwieweit diese von dem Grundsatz der Gewaltenteilung erfaßt ist. Damit ist offenbar in dieser Rechtsprechung nur ein Teilbereich von Kontrolle erfaßt: diejenige Kontrolle nämlich, die von der Legislative gegenüber der Exekutive ausgeübt wird. Bei dieser Kontrollrichtung wirken Funktionentrennungsprinzip und Demokratieprinzip in die gleiche Richtung, indem sie die Abhängigkeit der Exekutive von der Legislative betonen. Es gibt jedoch darüber hinaus unter dem Grundgesetz auch eine andere Art von Kontrolle, die sich auch gegen die Parlamentsmehrheit wendet. Dies wird sich im exemplarischen Teil bei den Kontrollinstitutionen der Haushaltsverfassung zeigen. Diese Art der Kontrolle ist von der geschilderten Rechtsprechung des Gerichts nicht erfaßt 206 . Dieser Rechtsprechung kann daher nichts gegen eine Anwendung des Gewaltenteilungsprinzips als Rechtfertigung für Ministerialfreiheit, insbesondere für unabhängige Kontrollinstanzen außerhalb der klassischen Gewaltentrias entnommen werden. Begründet ist dies wahrscheinlich in der Eigenart der dem Bundesverfassungsgericht unterbreiteten Fälle. Diese ließen sich regelmäßig mit dem Rückgriff auf die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber Regierung und Verwaltung entscheiden. Weiterer Ausführungen über die generelle Tragweite des Gewaltenteilungsgrundsatzes bedurfte es nicht. Dem Gericht lagen über lange Zeit hin keine Fälle zur Beurteilung vor, in denen ministerialfreie Räume mit Kontrollaufgaben streitbeteiligt und die in der vorliegenden Arbeit wesentlichen Fragen entscheidungserheblich waren. Die Leitentscheidung zur Ministerialfreiheit betraf die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst 207 . Das Gericht führte hier aus, daß es um die Frage einer gewalteninternen Gestaltung gehe; das Gewaltenteilungsprinzip regele aber das Außenverhältnis zwischen den drei klassischen Staatsgewalten. Für eine Kontrollfunktion der Mitbestimmungsrechte des Personals gegenüber der im übrigen hierarchisch strukturierten Verwaltung war dem Gericht nichts ersichtlich. Es schien ihm um eine Konkurrenz allgemeiner Gestaltungsrechte zu gehen 208 . Daher war die Aussage, daß die fragliche Gestaltung von Ministerialfreiheit nicht vom Gewaltenteilungsprinzip berührt sei, zutreffend 209 . Das Gericht hatte auch in der 206 Zu den unterschiedlichen Arten der Kontrolle und den damit verbundenen Verfassungsprinzipien vgl. unter b) cc). 207 BVerfGE 9, 268 zum bremischen PersVG. 208 Personalmitbestimmung im öffentlichen Dienst wird daher zu Recht als Problem des Demokratieprinzips aufgefaßt; dabei ist heute anerkannt, daß Teilvolkspartizipation — soweit nicht in der Verfassung vorgesehen — volle demokratische Verantwortlichkeit nicht substituieren kann. 209 Ähnlich dann BVerfGE 22, 106 (112).
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
neueren Rechtsprechung vom Streitstoff her keine Veranlassung, davon abzuweichen 210 . Unzulässig war aber die in der Literatur teilweise vorgenommene Verallgemeinerung, daß dies für alle ministerialfreien Räume gelte. Daneben gibt es inhaltliche Gründe für die Zurückhaltung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht hat niemals bewußt nach einer positiven Rechtfertigung für Ministerialfreiheit gesucht. Es begnügte sich mit der Erkenntnis, daß das Demokratieprinzip im Grundgesetz nicht rein durchgeführt sei. Auf dieser Basis bedurfte es keines besonderen Rechtfertigungsgrundes für alle Fälle unabhängiger Verwaltungsstellen. Für eine solche Haltung mag sprechen, daß die Vielzahl und Vielfältigkeit ministerialfreier Räume die Suche nach einem (oder einigen wenigen) rechtfertigenden Prinzip wenig aussichtsreich erscheinen läßt, so daß es näher liegen mag, allgemeine Grenzen für das Phänomen zu finden. Diese sieht das Gericht im Schutz der jeweiligen Kernbereiche der Gewalten mit den dazugehörigen Funktionen und im Verbot der Herstellung des Übergewichtes einer Gewalt 211 . Ein weiterer Grund für die Auffassung des Gerichts zur Gewaltenteilung liegt darin, daß es zunächst von einem der Verfassung vorausliegenden Verständnis des Gewaltenteilungsgrundsatzes ausging 212 . Zugrunde lag die Vorstellung eines Idealtyps von Gewaltenteilung im Sinne der Gewaltentrennung und -balance. Das Gericht ging davon aus, daß dieser Idealtypus vom Grundgesetz hinsichtlich des Trennungsprinzips zur gegenseitigen Kontrolle hin modifiziert worden ist. Das strukturelle Übergewicht der Volksvertretung im parlamentarischen Regierungssystem der grundgesetzlichen Prägung wird als Durchbrechung des Prinzips ausgeglichener Balance verstanden, so daß von vornherein nur die Kernbereiche unangetastet bleiben können 213 . Gegenüber der durch die Überlegenheit des Parlamentes entstehenden Ungleichgewichtigkeit muß dann jede kleinere Abweichung vom Idealtypus als harmlos und nicht rechtfertigungsbedürftig erscheinen. Im Ergebnis läßt sich festhalten, daß das Bundesverfassungsgericht aufgrund seines Verständnisses der Verfassungsprinzipien und vom Streitstoff her weder von dem Aspekt der Gewaltenteilung noch von dem der Ministerialfreiheit aus Anlaß hatte, die hier anstehende Frage zu entscheiden. Eine Stellungnahme zu der Frage, ob das Prinzip der Gewaltenteilung für spezifische Ausprägungen ministerialfreier Räume eine Rechtfertigung bieten kann, ist der Rechtsprechung des Gerichtes mithin nicht zu entnehmen.
210 Vgl. ζ. B. BVerfGE 83, 130 (= NJW 1991, 1474) (Bundesprüfstelle GjS). 211 Zunächst BVerfGE 9, 268 (279 f.). 212 Vgl. dazu Sinemus, S. 206 f. 213 Vgl. BVerfGE 9, 280.
. Abschn.: Systematischer Teil b) Grenze für
Ministerialfreiheit
Überwiegend geht die Literatur, soweit sie den Grundsatz der Gewaltenteilung für einschlägig hält und nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes verallgemeinert, davon aus, daß das Prinzip eine Grenze für die Errichtung ministerialfreier Räume darstelle. aa) Unzulässigkeit von Zwischengewalten Vertreten wird die Auffassung, weisungsfreie Räume stellten eigenständige ,Zwischengewalten4 im Hinblick auf die Gewaltentrias des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG dar und seien als solche unzulässig. Die Ansicht, eigenständige Zwischengewalten seien mit einem als abschließend verstandenen Gewaltenteilungsprinzip nicht vereinbar 214 , setzt zunächst voraus, daß bestimmte von ministeriellen Weisungsbefugnissen unabhängige staatliche Institutionen nicht zu einer der in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG genannten Funktionen gehören. Weiterhin wird angenommen, daß das Gewaltenteilungsprinzip in dem Sinne abschließend sei, daß weitere ,Gewalten' unzulässig sind. Die erste Voraussetzung zeigt sich auf dem bei Berücksichtigung der Diskussion zur Haushaltsverfassung als mindestens plausibel; dort zeigt sich, daß für den Bundesrechnungshof von einer Stellung „zwischen den Gewalten" ausgegangen wird. Auch die Bundesbank ist nicht eindeutig einer der drei Hauptstaatsfunktionen zuzuordnen. Damit bestätigt sich, daß es offenbar auf der Ebene des Phänomens so etwas wie Zwischengewalten gibt. Das bedeutet auch, daß die Rechtfertigungsproblematik nicht nur in bezug auf ministerialfreie Räume im engeren Sinne, also weisungsfreie Räume, die sich eindeutig im Bereich der Exekutive befinden, sondern darüber hinausgehend, besteht. Es gibt aber auch ministerialfreie Räume im engen Sinne, die zweifelsfrei dem Bereich der Exekutive zuzurechnen sind, so daß man sie nicht als eigenständige Zwischengewalten begreifen kann; beispielsweise die aufgrund des GjS eingerichtete Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Das Verbot von Zwischengewalten würde also niemals alle von der Ministerverantwortlichkeit freigestellen staatlichen Institutionen außerhalb von Legislative und Judikative betreffen, sondern nur solche, die sich keiner der drei klassischen Gewalten zuordnen lassen. Problematischer als die Annahme von Zwischengewalten ist, ob man zu Recht die Aufzählung der Staatsfunktionen und der ihnen entsprechenden Gewalten in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG als abschließend auffassen darf. Die Literatur hat zu dieser Frage der Ausschlußwirkung des Funktionentrennungsprinzips keinen einheitlichen Standpunkt. Wesentlich ist es, zwischen dem abschließenden Charakter hinsichtlich der funktionalen Fragestellung und bezüglich der organisatorischen 214 Vgl. ζ. B. Füßlein, S. 298.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
Fragestellung zu unterscheiden; bei der organisatorischen Frage wiederum ist zwischen der Zulässigkeit von eigenständigen Staatsorganen und der weiterer Bereiche, die den drei Hauptstaatsfunktionen zu parallelisieren wären, zu unterscheiden. Für die Stellungnahmen in der Literatur zu diesem Problem ist häufig diejenige Auffassung maßgeblich, die zur Aufgabe des Gewaltenteilungsprinzips vertreten wird. Dabei läßt sich eine Scheidung in zwei Hauptrichtungen ausmachen. Die ältere Richtung sieht den Sinn des Prinzips ausschließlich in der Machtmäßigung und -hemmung; dem korrespondiert die These vom abschließenden Charakter des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, was die Funktionen und die organisatorischen Bereiche angeht. Dagegen wird neuerdings zunehmend vertreten, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG diene auch der Konstituierung und gegenseitigen Zuordnung von Staatsgewalt; dem entspricht dann eine weitere Auffassung. Einiges läßt sich vorab festhalten: Soweit die staatlichen Funktionen betroffen sind, wird jedenfalls nicht mehr angenommen, daß die Dreizahl der Funktionen apriorisch für jede mögliche Verfassung feststehe, wie es früher teilweise (unter Berufung auf das Vorbild des Syllogismus 215 ) angenommen worden ist. Vielfach ist in der Geschichte der Grundsatzes der Gewaltenteilung eine andere als die Dreizahl von Funktionen genannt worden. Hinsichtlich der Frage nach den den Funktionen zugrunde liegenden sozialen Gewalten im Sinne von Interessenträgern läßt sich sicher nicht von einer Trias sprechen. Parlamentsmehrheit und Regierung mit nachgeordneter Verwaltung bilden hinsichtlich des Interesses an der Innehabung der staatlichen Gestaltungsmacht 216 eine Interessengruppe und sind nicht in zwei soziale Gewalten zu unterscheiden 217. Dagegen ist die Legislative hinsichtlich dieses Interesses bezüglich der Opposition in sich selbst (unter Umständen mehrfach) gespalten. Ebenso ist es klar, daß es keine Trias von Staatsorganen gibt, die der Trias von Hauptstaatsfunktionen zuzuordnen wäre. Innerhalb einer Hauptfunktion kann es selbstverständlich eine Mehrzahl von Staatsorganen geben, wie beispielsweise in der Legislative — Bundestag, Bundesrat und Vermittlungsausschuß — deutlich. Nicht bestreiten läßt sich allerdings auch, daß das Grundgesetz drei Funktionen der Staatlichkeit als Hauptfunktionen benennt und ausgestaltet. Diese Ausgestaltung mit einem grundsätzlichen Trennungsgebot und Grundregeln zu Organisation und Arbeitsweise enthält einen unverzichtbaren Mindestbestand an gewalten215 Vgl. oben Β. II. 1. a). 216 Daneben sind andere weniger grundlegende Interessenkonstellationen vielfältig vorhanden; so wäre eine an Parteienstaatlichkeit ausgerichtete Interessengruppe noch weit umfassender. 217 Damit soll nicht gesagt sein, daß es zwischen Mehrheitsfraktion und Regierung nicht unterschiedliche Interessenlagen geben kann. In begrenztem Maße sind diese sogar regelmäßig vorhanden und resultieren aus den unterschiedlichen Funktionen von Fraktion und Exekutivspitze.
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1. Abschn.: Systematischer Teil
geteilter Rechtsstaatlichkeit. Insoweit ist Gewaltenteilung verfassungsrechtlich geboten. Ob sie in einem darüber hinausreichenden Umfang erlaubt ist, hängt von dem abschließenden Charakter des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ab. Ein sehr restriktiver Standpunkt wird beispielsweise, allerdings ohne nähere Begründung, von Schmidt-Aßmann vertreten. Eine Ausdifferenzierung weiterer Gewalten über die klassische Trias hinaus sei unnötig und schädlich 218 . Vorsichtiger ist K. Stern; hinsichtlich der Aufteilung von Macht innerhalb der drei klassischen Gewalten — also beispielsweise durch ministerialfreie Räume innerhalb der Exekutive — vertritt er die Ansicht, daß diese der Machthemmung diene und deswegen von Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG mitumfaßt sei 219 . Damit wird schon über den Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG hinausgegangen und die von Hesse vertretene Erweiterung zu einem allgemeinen Verfassungsstrukturprinzip eingeleitet. Eine solche Interpretation trägt den gegenüber der Montesquieu'sehen Gewaltenteilung verschobenen Frontlinien innerhalb des parlamentarischen Regierungssystems Rechnung. Die vorgeschriebene bloße Trennung der drei traditionellen Gewalten wird ergänzt durch eine im Gewaltenteilungsprinzip enthaltene Ermächtigung zu gewalteninterner organisatorischer Aufsplitterung. Hinsichtlich weiterer eigenständiger ,Zwischengewalten4, bei denen es also nicht um die Subdivision von Gewalten geht, sondern um die Ergänzung der Dreizahl, sagt Stern zwar, daß der Aufzählung der drei Funktionen keine Ausschließlichkeit zukomme 220 . Der Sache nach tritt er aber dennoch für eine Ausschließlichkeit ein. Gegenbeispiele, die aufgeführt werden, betreffen nur den Bereich der Subdivision der Gewalten; eigene zusätzliche Funktionen werden nicht genannt, obwohl unter Berufung auf Hesse darauf hingewiesen wird, daß der Grundsatz der Funktionentrennung sich nur mit den staatlichen Hauptfunktionen beschäftige (nicht aber mit weiteren darüber hinaus gehenden Nebenfunktionen). Dabei kann also das Problem der Vereinbarkeit selbständiger, also nicht als Subdivision der anerkannten Gewalten wirkender Zwischengewalten mit dem Prinzip der Funktionentrennung nicht auftreten. Hesse interpretiert das Gewaltenteilungsprinzip teleologisch nach den damit verfolgten Zwecken 221 . Als Sinn des Gewaltenteilungsprinzips des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG als eines verfassungsrechtlichen Strukturprinzips sieht Hesse einerseits die Machthemmung durch Zuordnung und Balancierung der Gewalten; andererseits erkennt er dem Prinzip auch die Aufgabe zu, eine einheitswahrende Zuordnung der staatlichen Funktionen und Organe zu fordern, die die Reproduktionsfähigkeit des Staates unter den modernen Bedingungen sicherstellen 222. Damit wird die Gewaltenteilung weit über den traditionellen Bereich der Machthemmung 218 Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HdBStR Bd. I, § 24 Rdnr. 52. 219 Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 541 220 Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 537. 221 Hesse, Grundzüge, § 13, Rdnr. 485. 222 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 492 ff.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
1
hinaus fruchtbar gemacht. Gleichzeitig macht dieser Ansatz die Zuordnungsprobleme deutlich (und fordert ihre Lösung), die schon dann entstehen, wenn man wie Stern eine Aufteilung von Gewalten zuläßt. Anders als für Stern oder SchmidtAßmann ist für Hesse der Gewaltenteilungsgrundsatz ein die gesamte Verfassungsrechtsordnung durchziehendes Prinzip: „Die Konstituierung und Zuordnung der unterschiedenen Gewalten läßt einen differenzierten, auf einheitliches Zusammenwirken angelegten staatlichen Aufbau entstehen, in dem der Staat handlungsfähig und in dem das Wirken seiner Organe in Form gebracht wird." 2 2 3 Mit der Erweiterung des Sinnes des Gewaltenteilungsprinzips gegenüber der bloßen Machthemmung und -mäßigung geht die Anerkennung des nicht abschließenden Charakters des Grundsatzes der Funktionentrennung einher, da die Konstituierung und Erhaltung der Staatsgewalt zweifelsfrei außer auf die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG genannten Funktionen auf weitere angewiesen ist. Die Funktionentrias bezeichnet demnach nach Hesse zwar drei Hauptaufgaben des Staates, erschöpft aber die Staatsfunktionen nicht. Insofern habe also die Unterscheidung der drei Gewalten keinen Ausschließlichkeitscharakter 224. Neben den drei klassischen Funktionen wird von Hesse insbesondere die Kontrollaufgabe genannt. Die Zuordnung von Funktionen zu Funktionsträgern sieht Hesse im Grundgesetz nur typisierend geregelt; die sachgemäße Erfüllung der Aufgaben lasse starre Grenzziehungen nicht zu. Das ist insbesondere im Hinblick auf die anerkannte Kontrollfunktion des Staates überzeugend. Diese ist in der Gewaltentrias nicht genannt, aber sicher nicht ausgeschlossen, wie ihre Erwähnung an anderer Stelle zeigt (Art. 45 b GG). Es leuchtet auch ein, daß der Funktionentrennungsgrundsatz die Kontrollfunktion nicht erwähnt, da diese ganz unterschiedliche Teilaspekte hat: die Kontrolle beispielsweise der parlamentarischen Mehrheit über die Amtsführung der Regierung ist mit der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts über die Einhaltung der Verfassung durch die Gesetzgebung im Hinblick auf die organisatorische und Funktionenordnung des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG unvergleichbar. Diese Lösung der Kontrollproblematik ist überzeugender als die von K. Stern. Auch Stern sieht, daß die Funktionen der Legislative und der Exekutive sich gegenseitig kaum hemmen, also als Gewalten eher einheitlich wirken. Er hält dies aber dadurch für erträglich, daß dieser Machtzusammenballung innerhalb des Staatsapparates machthemmende Interessen aus der Gesellschaft (Verbände, Kirchen, öffentliche Meinung etc.) entgegenwirken. Machthemmung ist daher bei Stern auf den Fortbestand einer Interessenscheidung zwischen Staat und Gesellschaft und auf die Kontrollfunktion der Gesellschaft angewiesen225. Ein 223 Hesse, Grundzüge, Rndr. 498. 224 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 487. 225 Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 536 ff. Dies ist problematisch, da die Interessengemeinschaft zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung gerade über die gesellschaftliche Interessenvereinigung ,Partei' hergestellt wird; vielfach werden sich auch Verbände nach 6 Waechter
1. Abschn.: Systematischer Teil
in die Richtung von Hesse gehendes Verständnis erlaubt es demgegenüber, die grundgesetzlichen Normen über Bundesbank und Bundesrechnungshof als Ausprägungen des Gewaltenteilungsgrundsatzes zu verstehen. Damit wird die entscheidende Erweiterung des Kontrollbegriffes möglich; man muß Kontrolle nicht ausschließlich als Regierungs- und Exekekutivkontrolle durch das Parlament betrachten, sondern kann auch die Fälle erfassen, in denen die Parlamentsmehrheit Objekt und nicht Subjekt der Kontrolle ist. Damit können einige grundgesetzliche Begrenzungen der Handlungsfreiheit von Staatsorganen (man denke an die Bundesbank) in den Blick genommen und auf das Gewaltenteilungsprinzip bezogen werden. Da Hesses Verständnis des Gewaltenteilungsprinzips bereits eine effektive Machthemmung im Binnenbereich des Staates zu konstruieren ermöglicht, ist es gegenüber der Ansicht Sterns grundsätzlich Vorzugs würdig. Die Auffassung von Hesse ist geeignet, eine Grundlage für die Machthemmung auch im parlamentarischen Regierungssystem zu bieten. Das Verständnis des Gewaltenteilungsgrundsatzes als Strukturprinzip der Verfassung schafft insbesondere den Raum für solche Kontrollinstitutionen, die ihr institutionalisiertes Mißtrauen gegen die repräsentierte Mehrheit und damit auch gegen die Legislative richten. Festzuhalten ist daher, daß das Gewaltenteilungsprinzip nicht als abschließend betrachtet werden kann 226 . Abgegrenzt werden muß allerdings, wo und wie genau der Grundsatz der Gewaltenteilung seine Rechtfertigungskraft entfaltet, damit diese nicht uferlos wirkt und damit die Zuordnungsleistung vermissen läßt. Diese Aufgabe wird dadurch zu lösen gesucht, daß Hesse dem Prinzip das Gebot einer aufgabengerechten Organisation entnimmt; daraus sollen sich die Verbindungen von einzelnen Funktionen mit bestimmten Ausgestaltungen ergeben. Diese Verbindung wird bei Hesse von der Sachgesetzlichkeit regiert. Dadurch werden wiederum die Natur der Sache und die Effektivität als Verfassungsrechtsgüter eingeführt; über diese Argumente ist allerdings, so hatte sich schon bisher gezeigt 227 , die rechtliche Wirkung des Gewaltenteilungsprinzips in vielen Fällen nicht nachvollziehbar und weitgehend unabgrenzbar, weil es auf Optimierungsüberlegungen ankommt. Diese Gefahr wird beispielsweise bei Loschelder deutlich, wenn dieser kurzerhand den „Nutzen für den Gang der Verwaltung" (d. h. Effektivität) als Rechtfertigung für die vom Demokratieprinzip abweichende Errichtung ministerialfreier den durch die Parteienstaatlichkeit gezogenen Interessenlinien ausrichten. Eine Machthemmung, die zugunsten der Minderheit wirkt, liegt also auch im gesellschaftlichen Kontrollelement nicht notwendig. 226 Eine solche Offenheit des Gewaltenteilungsprinzips wird auch für die schweizerische Bundesverfassung angenommen, Helg, S. 127 und Bäumlin, S. 228, 245. Ebenso für das GG Scheuner, S. 28 f. Gemeinsam ist diesen Autoren die Annahme, daß das Gewaltenteilungsprinzip kein starres Schema sei, sondern eine Anordnung zur gegliederten Zusammenarbeit. 227 Weiteres dazu unten III.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
Räume anführt 228 . Auch zeigt sich bei der Weiterführung der von Hesse erarbeiteten Gedanken in der Literatur, daß sein Gedanke der Gewaltenteilung als Staatsstrukturprinzip leicht überdehnt wird. Dies wird beispielsweise bei B. Sinemus deutlich, der im Anschluß an Hesse eine sehr weite Auffassung von der Rechtfertigungskraft des Gewaltenteilungsprinzips vertritt 229 . Bei ihm soll die Gewaltenteilung ihre Geltung auch für die private Gegenmacht aus dem nicht-staatlichen öffentlichen Bereich der Gesellschaft, wie er von Stern gesehen wird, entfalten. Dadurch wird die Gefahr der Funktionalisierung des Außerstaatlichen für den Staat verstärkt; Gewaltenteilung könnte in einen Gegensatz zu den Grundrechten geraten, obwohl diese prinzipiell hinsichtlich der Gewaltenhemmung parallel wirken. Im Ergebnis ist es meines Erachtens richtig, mit Hesse davon auszugehen, daß das Funktionentrennungsprinzip nicht abschließend in dem Sinne ist, daß es neben den drei genannten weitere Staatsfunktionen ausschlösse. Festzuhalten ist auch, daß es gerade bei einer solchen Sicht darauf ankommt, daß dem Prinzip auch ein Ordnungsschema entnommen werden können muß, das die erforderliche Zuordnungsleistung erbringt. bb) Störung der funktionsgerechten Ordnung Teilweise geht die Literatur davon aus, daß das Gebot der Gewaltenteilung auch die Anordnung bestimmter Binnenstrukturen für die einzelnen Gewalten enthalte. Diese Auffassung wird in zwei unterschiedlichen Ausprägungen vertreten und beruht auch auf verschiedenen Grundlagen. Hesse geht von einer organisationstheoretischen Fragestellung aus und gelangt dann zu dem Ergebnis, daß die Binnenstruktur eines Funktionsträgers in der klassischen Funktionentrias eine besondere Eignung zur Aufgabenerledigung aufweisen müsse. Daraus ergebe sich einerseits ein Gebot funktionsgerechter Organisation 230 in bezug auf die Hauptaufgabe des Funktionsträgers und andererseits ein Verbot der Zuweisung von Aufgaben, die in der gegebenen Organisationsform nicht sachgerecht zu erledigen sind 231 . Soweit dies sachlich geboten 228 Lose helder, Weisungshierarchie und persönliche Verantwortung, in: HdBStR Bd. III, § 68 Rdnr. 48. 229 Sinemus, S. 74-98. 230 Hesse folgend BVerfG DVB1 1985, 226 (228). Demgegenüber tritt der Einwand, der Text des Art. 20 Abs. 2 GG gebe nichts für ein Gebot einer bestimmten Organisation her, zurück (Füßlein, S. 298 f.; Oebbecke, S. 129 f.). Auslegungsbedürftig sind zahlreiche Begriffe des Grundgesetes. Oebbeckes Behauptung, der Gewaltenteilungsgrundsatz sei restriktiv zu interpretieren, um nicht Art. 79 Abs. 3 GG zu viel Inhalt zuzuschreiben (S. 131) geht fehl. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes erfaßt Art. 79 Abs. 3 GG ohnehin nur die Grundsätze des Art. 20 GG, nicht dessen gesamten normativen Inhalt. 231 Vgl. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 488 ff. Ebenso ζ. B. Pitschas, S. 539 zum Zusammenhang von Organfunktion und Organstruktur. 6*
1. Abschn.: Systematischer Teil
sei, könne beispielsweise Einzelfallentscheidung durch die Legislative und Normsetzung durch die Exekutive zulässig sein 232 . Insoweit erhält bei Hesse der Gedanke der Herrschaftseffektuierung, der neben dem der Machthemmung in seinem Verständnis des Gewaltenteilungsprinzips enthalten ist, Vorrang. Hier ist der Ort, wo Hesse die bereits erwähnte Sachgerechtigkeit als Kriterium für die Verbindung von Funktionen mit organisatorischen Ausgestaltungen einsetzt. Das Verhältnis beider Aspekte darf aber nicht durch bloße Sachgerechtigkeit abgegrenzt werden. Andernfalls kann man jede Abweichung von Verfassungsprinzipien wieder mit Berufung auf eine funktionsgerechte Ausgestaltung rechtfertigen 233 . Vielmehr muß man versuchen, aus dem Gewaltenteilungsprinzip selbst Vorgaben für diese Verbindung zu gewinnen. Dies ist bisher für den Bereich der Kontrolle geschehen; bei dieser zeigte sich, daß sie im Schema der Gewaltenteilung regelmäßig mit der Legitimationsform des Mandates (resp. der Treuhand) verbunden ist. Diese Form hat deswegen innerhalb aller Gewalten ihre Berechtigung; weitere solche Ansätze müssen gesucht werden. Demgegenüber geht Vogel von einem anderen Ausgangspunkt aus 234 . Er sucht zu erweisen, daß die Aussage des Bundesverfassungsgerichtes, das Gewaltenteilungsprinzip betreffe nur das Intergewaltenverhältnis, falsch ist. Um darzulegen, daß der Grundsatz auch Aussagen für den Innenbereich der Gewalten enthält, legt er ihn teleologisch-historisch aus und kommt dabei zu dem Ergebnis, das das Prinzip Elemente der gemischten Verfassung in sich aufgenommen habe 235 . Diese hatte die unterschiedlichen Organisationsformen in erster Linie mit der Beteiligung verschiedener sozialer Mächte und der von ihnen vertretenen Interessen erklärt. Aus dieser Ableitung ergibt sich nicht so sehr ein Gebot sachgerechter Organisation, wie ein solches interessengerechter Organisation: für die Exekutive ergab sich aus der Sicht der gemischten Verfassung ein Gebot monarchischhierarchischer Organisation, für die Legislative eine aristokratisch-kollegiale Ausgestaltung. Vogel nimmt nun an, daß das Grundgesetz diese Ausgestaltungsprinzipien trotz Austausches der zugrunde liegenden sozialen Kräfte übernommen habe. Dem ist Fichtmüller entgegengetreten. Er führt an, Gewaltenteilung sei auch möglich, ja geradezu erleichtert, wenn ein Interesse sich in unterschiedlichen Organisationsformen verwirkliche 236 . Werde ein Teil der Exekutive kollegial 232 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 487. 233 So, wie schon erwähnt, Oebbecke, S. 129 f. 234 Vogel, Das Bundesverfassungsgericht, MDR 1959, 894. 235 Vogel, MDR 1959, 895. Der Gedanke der gemischten Verfassung steht in Spannungslage zu dem der Volkssouveränität. Er ist seit Montesquieu in Vergessenheit geraten, weil die durch Rousseau bewirkte Ausrichtung auf das isolierte Einzelindividuum strukturierte Gruppeninteressen und deren gegenseitige Zuordnung aus dem Blick geraten ließ. Ein Hinweis auf die gemischte Verfassung auch bei Hesse, Grundzüge, Rdnr. 498. 236 Fichtmüller, AöR 91 (1966) S. 319 f.; ebenso Füßlein, S. 298 f.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
organisiert, so gehe er deswegen nicht in den Bereich einer anderen Gewalt über; die Balance der Gewalten bleibe also unberührt. Grenze für die Gestaltungsfreiheit in organisatorischer Hinsicht sei erst die Störung des Kernbereiches der Funktionserfüllung beziehungsweise die erhebliche Störung der Machtbalance237. Die Ansicht Vogels ist nicht überzeugend, weil sie voraussetzt, daß in den Gewalten einheitliche Interessen verkörpert sind. Das ist aber heute nicht mehr zutreffend. Aufgrund der Ausgestaltung des Gedankens der Volkssouveränität im Grundgesetz finden sich die Interessenwidersprüche nicht nur zwischen den einzelnen Gewalten, sondern insbesondere innerhalb der Legislative. Der Gegensatz beispielsweise zwischen den auf Veränderung dringenden Kräften (ehemals des Bürgertums) und stärker konservativ orientierten Interessen (damals der Adel) ist nicht wie bei Montesquieu in zwei Kammern verkörpert, sondern findet sich innerhalb des Bundestages (wenn auch mit anderen Interessenten besetzt). Ebensowenig ist Fichtmüller zuzustimmen, wenn er fordert, daß eine im parlamentarischen Regierungssystem geschwächte Gewaltenteilung dadurch unterstützt wird, daß die einzelnen Interessen durch eine unterschiedliche organisatorische Ausgestaltung ihrerseits geschwächt werden. Die in dieser Auffassung liegende Regellosigkeit der gewalteninternen Ausgestaltung wird den von Hesse betonten Zuordnungsproblemen nicht gerecht. Deswegen ist Hesse mit der Einschränkung zu folgen, daß die Zuordnung von bestimmten Organisationsmodellen zu Staatsfunktionen nicht allein von der Sachgerechtigkeit bestimmt sein darf. cc) Gefährdung der Kontrolle durch das Parlament: Kontrolle in der Verfassungsordnung Teilen der Literatur dient als Ausgangspunkt ihrer Argumentation die These, daß das Gewaltenteilungsprinzip die Kontrollfähigkeit des Parlamentes voraussetze 238 . Jede verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Einschränkung dieser Kontrollfähigkeit sei daher ein Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz. Für die Zulässigkeit ministerialfreier Räume, die durch ihre Weisungsfreiheit nur einer geminderten Parlamentskontrolle unterliegen, ist dann entscheidend, ob es Ausnahmebereiche gegenüber dieser Kontrolle geben darf 239 . Um das Argument beurteilen zu können, muß zunächst das Verhältnis der Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes zu der staatlichen Kontrollaufgabe ge237
Fichtmüller, AöR 91 S. 320. Als Beispiel führt Fichtmüller die unterschiedliche Ausgestaltung von Bundestag und Bundesrat im Bereich der Exekutive an. Dabei übersieht er, daß hier das Verfassungsprinzip der föderalen Gewaltenteilung in die horizontale Gewaltenteilung hineinwirkt und deren Prinzipien modifizieren kann. 238 Vgl. E. Klein, S. 172 f.; Fichtmüller, AöR 91 S. 328 ff.
239 Vgl. dazu ζ. B. Oebbecke, S. 130.
1. Abschn.: Systematischer Teil
klärt werden. Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob die Kontrolle eher dem Gewaltenteilungs- oder dem Demokratiegrundsatz zuzurechnen ist. Wenn parlamentarische Kontrolle nicht durch das Gewaltenteilungsprinzip, sondern allein durch das Demokratieprinzip geboten sein sollte, wäre das Ausgangsargument zumindest in der vorgetragenen Form unrichtig. Ausführlich hat zu den grundlegenden Fragen der Kontrollaufgaben des Staates Meyn Stellung genommen. Er geht von der schon oben abgelehnten These aus, daß das Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vom Zweck her in erster Linie die Verhinderung einer Zusammenballung von Macht anstrebe. Zu diesem Zweck verbiete es eine Beeinträchtigung des Kernbereiches jeder der drei Staatsfunktionen durch die jeweils anderen. Darüber hinaus werde im Sinne der Gewaltenteilung als System der checks and balances ein Gleichgewicht angestrebt. Mit der ganz überwiegenden Literatur ist Meyn aber der Ansicht, dieser Inhalt könne rechtlich nur als Verbot eines eindeutigen Übergewichts einer Gewalt geltend gemacht werden 240 . Aus dem Prinzip der Gewaltenteilung folge aber kein Gebot wechselseitiger und allgemeiner Kontrolle 241 ; dies werde schon darin offenbar, daß die gegenseitigen Einwirkungsrechte nicht auf Kontrollrechte beschränkt seien. Eine Heranziehung des Grundsatzes der Gewaltenteilung für die Kontrollaufgabe sei nach dem Grundgesetz nicht möglich 242 . Vielmehr sei der Ort der Kontrolle als Staatsaufgabe verfassungsrechtlich bei dem Demokratieprinzip zu suchen. Wenn diese grundlegende These Meyns richtig ist, würde das einerseits bedeuten, daß eine Schwächung der Kontrollfähigkeit des Parlaments sich am Demokratieprinzip und nicht am Grundsatz der Funktionentrennung zu messen hätte. Darüber hinaus wäre aber der hier angestellte Versuch, beispielsweise ministerialfreie Räume mit Kontrollaufgaben auf das Gewaltenteilungsprinzip zu beziehen, schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt. Die Position Meyns ist nicht überzeugend. Die Weichenstellung für die Argumentation von Meyn liegt in seinem Grundverständnis davon, was Kontrolle in der repräsentativen Demokratie bewirken soll. Hier wirkt mehreres zusammen: Meyn hält im Rousseau'sehen Sinne die repräsentative Demokratie für eine gegenüber unmittelbarer Demokratie defiziente Form. Von diesem Ausgangspunkt her versteht er Kontrolle als Ersatz für Selbstentscheidung durch das Volk 2 4 3 . Weil jede Übertragung von Macht auf Staatsorgane in diesem Sinne ein Minus an Demokratie darstelle 244 , soll das jeweils demokratisch unmittelbarer legitimierte Organ die vermittelter legitimierten Organe kontrollieren. Demzufol-
240 Meyn, S. 215. 241 Meyn, S. 216 ff.
242 Meyn, S. 222 in Absetzung von C. Schmitt. 243 Meyn, S. 183 ff. 244 Meyn, S. 198 ff.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
ge sei parlamentarische Kontrolle Ausfluß nicht des Prinzips der Gewaltenteilung, sondern des Demokratieprinzips 245. Dies wird für Meyn bestätigt durch den Blick auf die Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts und den Kampf zwischen der monarchischen und der Volkssouveränität. Meyn sieht diese Vorgänge so, daß stets dort, wo einer der Konkurrenten Souveränitätsrechte aufgeben mußte, diese möglichst durch Kontrollrechte substitiert wurden. Kontrolle ist für Meyn also wesentlich ein Mittel, um verlorengegangene Souveränitätsrechte zu kompensieren. Meyns Kontrollbegriff ist meines Erachtens gegenüber der Vielfalt existierender und verfassungsrechtlich anerkannter Kontrollfunktionen stark verkürzt: Meyn konzentriert sich ganz auf die Kontrolle, die durch das Volk oder dessen Vertretungskörperschaft gegenüber der Exekutive ausgeübt wird, also die im engeren Sinne politische Kontrolle 246 . Dabei geraten Kontrollfunktionen, die ihre Wirkung auch gegenüber dem als Parlamentsmehrheit formierten Volk entfalten, nicht in seinen Blick. Das ist nicht überraschend, läßt sich eine solche Kontrolle doch nicht aus der Auffassung von Kontrolle als Ersatz für Selbstbestimmung ableiten, sondern eher aus einem eigenständigen Kontrollprinzip, in dem Mißtrauen gegen die durchgängige Rationalität der Selbstbestimmung zum Ausdruck kommt. Die starke Betonung des Gedankens der Volkssouveränität 247, die bei Meyn zu dem Vorrang des Demokratieprinzips gegenüber anderen Verfassungsprinzipien führt 248 , verstellt ihm den Blick dafür, daß das Grundgesetz die Absolutheit der Volkssouveränität — ausweislich zumindest der Grundrechte sowie der Art. 20 Abs. 4 und 79 Abs. 3 — nicht mehr anerkennt 249. Dem entspricht es, wenn er der Ansicht ist, daß der Gewaltenteilung keine sozialen Gewalten mehr zugrunde lägen und daß es kein Nebeneinander unterschiedlicher Legitimationsquellen gebe 250 , was zumindest für den Grundrechtsbereich in Verbindung mit dem Art. 20 Abs. 4 GG nicht zutrifft. 245 Meyn, S. 218.
246 Vgl. ebenso in diesem Sinne kritisch Krebs, Kontrolle, S. 27. 247 Schon Bäumlin, S. 165 ff. (233 ff.; vgl. auch 240, 249) hat gezeigt, daß die Idee der Demokratie als reine Selbstbestimmung des Volkes dem Gedanken einer Kontrolle durch Behörden im Grunde feindlich ist. 248 Meyn, S. 184. Vgl. dazu schon oben. 249 Dies läßt sich relativ leicht daraus erklären, daß Meyn seine Arbeit wesentlich historisch angelegt hat. Das 19. Jahrhundert ist aber von dem Kampf um die Durchsetzung einer einheitlichen Legitimation, monarchisch oder Volkssouveränität, bestimmt; dagegen ist das Mißtrauen gegen die Selbstentscheidung im Staatsrecht erst nach dem 2. Weltkrieg deutlich zum Bewußtsein gekommen. Meyn versteht die Vetorechte des Monarchen im 19. Jh. nie als gleichberechtigte Kontrolle eines Legitimationsträgers gegenüber anderen, sondern stets nur als Kompensation für verloren gegangene Entscheidungsrechte. 250 Meyn, S. 210; Vorbild für eine solche Doppelung der Legitimation ist meist der deutsche Konstitutionalismus mit der monarchisch-dynastischen Legitimität einerseits und der Volkssouveränität andererseits. Demgegenüber hat Bäumlin (Die Kontrolle, S. 253) betont, daß eigentlicher Ort der Kontrolle nicht, wie von Meyn implizit behauptet,
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Aus der Perspektive Meyns kann es nicht gelingen, alle diejenigen Kontrollfunktionen einzuordnen, die nicht Ersatz der Entscheidung durch die Mehrheit des Volkes oder der Volksvertretung sind, sondern sich zum Schutze von Minderheiten gegen diese richten. Beispielsweise ist hier die Kontrollfunktion der parlamentarischen Opposition zu nennen. Deswegen muß auch er an dieser Stelle auf eine zweifache Legitimation ausweichen, was seinen Voraussetzungen für Kontrolle als Surrogat für Selbstentscheidung widerspricht 251 . Meyn kann seine Annahme angesichts der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle durch die Opposition nur halten, indem er behauptet, die von dieser vertretene Minderheit habe an der Selbstbestimmung quasi nicht teilgenommen; deswegen sei Kontrolle durch die Minderheit Verwirklichung von Selbstbestimmung252. Tatsächlich hat die Minderheit aber an der Selbstbestimmung teilgenommen, ist aber in der Abstimmung unterlegen. Meyn müßte also das Mehrheitsprinzip vom Demokratieprinzip trennen, soll seine These die Kontrolle durch Minderheiten erfassen. In der Tat setzt er die Selbstbestimmung nicht wie im Demokratieprinzip vorausgesetzt auf der Ebene des Subjektes ,Volk 4 an, sondern auf der des Individuums. Dessen Möglichkeit zur Selbstbestimmung wird durch Minderheitskontrolle gesichert. Damit erweist sich aber, daß der Grundgedanke eines Teiles von Kontrolltätigkeit nicht das Demokratieprinzip, sondern das liberal individuelle Rechtsstaatsprinzip ist. Besonders deutlich ist dies im Falle des Widerstandsrechts des Art. 20 Abs. 4 GG. Hier wird die zweite »Souveränität4 des Individuums als Gegenmacht zur Souveränität' des Demos installiert. Meyn sieht dies und scheidet daher das Widerstandsrecht wegen seines Ausnahmecharakters aus der Betrachtung aus 253 . Auch alle Kontrollen, die im Sinne der heute sogenannten Nachweltinteressen denkbar sind, die also keine soziale Interessenstütze im existierenden sozialen Feld haben, können nicht als Ersatz von Selbstbestimmung aufgefaßt werden. Sie kompensieren gerade das Ungenügen der existierenden Selbstbestimmung. Auch die richterliche Kontrolle paßt nicht in sein Schema254. Zudem setzt seine These von Kontrolle als Ersatz für Selbstbestimmung voraus, daß auch das Grundgesetz die repräsentative Demokratie als defizienten Modus unmittelbarer Demokratie begreift; dies ist bei der geringen Berücksichtigung direktdemokratischer Elemente in der Verfassung unwahrscheinlich und wird in der Literatur auch nicht angenommen255. Die reservierte Haltung des Grundgesetzes gegenüber Subordinationsverhältnisse sind, sondern Gleichordnungsverhältnisse in einem Wirkungsgefüge. 251 Vgl. Krebs, Kontrolle, S. 17 ff. 252 Vgl. Meyn, S. 309.
253 Vgl. Meyn, S. 379; dagegen baut er die weithin ebenfalls als Ausnahmevorschrift aufgefaßte Norm über die Ausübung der Gewalt des Volkes durch Abstimmungen konstitutiv in seine Begründung ein (S. 200). 254 Er greift hier auf das Rechtsstaatsprinzip zurück, da das Demokratieprinzip sich als unergiebig erweist; vgl. Krebs, Kontrolle, S. 26 f. 255 Vgl. beispielsweise Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HdBStR Bd. I, § 22 Rdnr. 80, der darlegt, daß auch bei direktdemokratischen Elementen eine
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der unmittelbaren Demokratie läßt sich mit der fehlenden Homogenität des Volkes als Entscheidungsträger begründen; Meyn muß eine solche Homogenität voraussetzen, um sein Kontrollverständnis schlüssig machen zu können 256 . Damit verbunden scheint mir bei Meyn eine Vermischung der Ebenen des politischen Zweckes und der rechtlichen Mittel vorzuliegen. Ist man der Ansicht Meyns, daß Kontrolle stets die Aufgabe hat, den Willen des Volkes gegenüber den abweichenden Sonderinteressen der Staatsorgane durchzusetzen, so ist die Zuordnung der Kontrolle zum Demokratiegedanken zunächst plausibel. Aber es fragt sich, ob nicht die „Nähe zu sich selbst", die in der Selbstbestimmung gefordert ist, rechtstechnisch eher durch Fremdheit, also Kontrolle, als durch Identität hergestellt werden kann. Selbstbestimmung des Volkes als Subjekt kann eben nicht nur durch unmittelbare Selbstbestimmung hergestellt werden, sondern gerade auch auf dem Umweg über ,Kontrastorgane'. Man muß daher trennen zwischen der Endabsicht der Verwirklichung der Selbstbestimmung und der verfassungsrechtlichen Durchführung dieser Absicht in dem Organisationsgefüge des Grundgesetzes. Daß eine Kontrolle im politischen Endergebnis der Selbstbestimmung dienen soll, bedeutet nicht, daß sie zwingend dem Demokratieprinzip und nicht der Gewaltenteilung zuzuordnen wäre. Andernfalls müßte Meyn annehmen, daß die Erscheinungen der Gewaltenteilung nicht der Selbstbestimmung im weiten politischen Sinne dienen. Indem Meyn auf den Endzweck und nicht wie das Grundgesetz auf die Prinzipien von dessen Durchführung abstellt, kann er letztlich alle anderen Rechtsgrundsätze der Verfassung auf das Demokratieprinzip reduzieren. Auf der verfassungsrechtlichen Ebene muß man zwischen zwei Arten der Kontrolle unterscheiden. Die eine (wie die Kontrolle der Parlamentsmehrheit gegenüber der Regierung) kann mit Bedenken 257 als Ersatz für Selbstbestimmung bezeichnet werden. Diese Kontrolle ist dem Demokratieprinzip in Verbindung mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung zuzuordnen, indem beide in dieselbe Richtung der Kontrolle der abhängigen Exektive durch die Legislative wirken. Hier wird gerade volle demokratische Legitimation organisatorisch, personell und inhaltlich verlangt; diese Kontrolle ist verfassungsrechtlich gefordert. Bei der anderen, die sich als Kontrolle auch auf die Entscheidungen der Mehrheit selbst richtet, gibt es meist keine verfassungsrechtliche Forderung nach einer solchen Kontrolle (Ausnahme beispielsweise Art. 114 Abs. 2 GG), sondern aus Homogenisierungsleistung außerhalb des Volkes als Kollektiv erbracht werden muß: insbesondere um die dem Volk vorgelegten Fragestellungen zu konkretisieren (vgl. auch ders., Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: HdBStR Bd. II, § 30 Rdnr. 30. 256 Gegen Kontrolle als ausschließlichen Ersatz für Selbstentscheidung hat schon Bäumlin eingewandt, daß dabei das Volk als willenseiniger Monarch vorgestellt wird; der hypostasierte Volkswille werde dann als Kontrollmaßstab begriffen (S. 236). 257 Bedenken, weil der Surrogatgedanke stets behauptet, das Grundgesetz setze die unmittelbare Demokratie als den Idealfall an; dies ist der Verfassung aber nicht zu entnehmen.
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der Verfassung läßt sich lediglich die Zulässigkeit ableiten, die hier gerade die Frage der geminderten demokratischen Legitimation betrifft. In diesem Bereich findet sich ein Teil der ministerialfreien Räume. Da Meyn diesen Bereich der Kontrolle gar nicht thematisiert, beinhalten seine Ausführungen auch nichts gegen eine Zuordnung dieses Kontrollbereiches allein zum Gewaltenteilungsprinzip, das insoweit begrenzend gegenüber dem Demokratieprinzip wirkt. Die Beschränktheit des Meyn'schen Kontrollbegriffes auf bestimmte Kontrollorgane zeigt sich bei dem Versuch einer Anwendung seiner Argumentation. Legt man seine Kriterien an, so müßte das unmittelbarer legitimierte Parlament den vermittelter legitimierten Rechnungshof kontrollieren und nicht umgekehrt; tatsächlich kontrolliert der Rechnungshof die Fraktionen des Parlamentes. Meyn nimmt dies mit dem Hinweis zur Kenntnis, Bundesrechnungshof und Bundesbank gehörten nicht zum Entscheidungsbereich der Regierung 258 ; darin liegt aber keine Rechtfertigung für die Umkehrung der Kontrollverhältnisse. Zu der Frage, welchem Verfassungsprinzip — falls überhaupt einem — eigenständige ,Zwischengewalten' zuzurechnen sind, äußert Meyn sich nicht. Im Ergebnis ist Meyns These, daß die Staatsaufgabe der Kontrolle vollständig, daß heißt auch für Kontrollbereiche außerhalb der Kontrolle durch das Parlament, dem Demokratieprinzip zugehöre, nicht überzeugend. Vielmehr erscheint es richtiger, einen Bereich von Kontrolle auch als im Grundsatz der Gewaltenteilung verankert zu sehen. Nur dann ist es möglich, die bei ministerialfreien Kontrollinstitutionen geringere Parlamentsverantwortlichkeit und damit die Abweichung vom dem durch das Demokratieprinzip geforderten Normalniveau an demokratischer Legitimation aus einem konkurrierenden Verfassungsprinzip, der Gewaltenteilung, zu rechtfertigen. Meyn dagegen müßte das Demokratieprinzip gegen sich selbst ins Feld führen, wenn alle Kontrollarten diesem zuzuschlagen wären. So kann eine Verkürzung der parlamentarischen Kontrollmöglichkeit zwar das Demokratieprinzip berühren. Meyn selbst sieht aber eine Verletzung nur als gegeben, wenn der Kernbereich parlamentarischer Funktionen verletzt wäre. Im übrigen kann die gegenüber der Mehrheit des Parlamentes und relativ unabhängig von dieser ausgeübte Kontrolle gestützt auf den Grundsatz der Gewaltenteilung zu einer Einschränkung der parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten führen: so bei den ministerialfreien Räumen mit Kontrollaufgaben. Die Berufung auf Sachgesetzlichkeiten dagegen kann wiederum nicht ausreichen, um Beschränkungen der Kontrollmöglichkeiten des Parlaments zu rechtfertigen. So scheint mir die Position beispielsweise Fichtmüllers der Notwendigkeit einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung für ein gemindertes Legitimationsniveau nicht hinreichend Rechnung zu tragen. Er sucht zwar solche Rechtfertigungs258 Meyn, S. 206.
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gründe auf verfassungsrechtlicher Ebene, gelangt aber zu Antworten lediglich auf einer beschreibenden Ebene: So soll inhaltlich-sachliche Parlamentsverantwortlichkeit entbehrlich sein, wo eine Entscheidung in strenger Sach- oder Gesetzesbindung fällt; Beispiel sei der Rechnungshof. Hier wird wiederum auf den herrschaftsneutralen Charakter von angeblichen Sachgesetzlichkeiten abgestellt 259 ; dieses Argument ist wenig überzeugend 260. In die gleiche Richtung gehen die weitern Standardargumente, Unabhängigkeit ergebe sich aus der Natur der Sache bei der Inanspruchnahme von spezialisiertem Fachwissen; Neutralisierung gegen Parteipolitik sei rechtfertigendes Kriterium für Minderungen des demokratischen Standards 261; ein Eingehen auf Art. 21 GG fehlt. Fichtmüller stellt in all diesen Fällen im Ergebnis auf die ,Sachgerechtigkeit4 der Ausgestaltung ab 2 6 2 ; diese kann aber mit Verfassungsprinzipien nicht konkurrieren. E. Klein betont lediglich, daß die Einrichtung weisungsfreier Räume nicht automatisch zu einer Freiheitssicherung durch Machthemmung führe. Er thematisiert damit die hier angesprochene Gefahr der Freiheitsbeeinträchtigung durch eine schlecht geordnete Polykratie. Die Minderung der Kontrollchancen des Parlamentes sieht er nicht als Problem, da er auf dem Standpunkt steht, daß diese Kontrollfähigkeit zur Disposition der Volksvertretung stehe und ein in einem Gesetz liegender Verzicht möglich sei. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Kontrollaufgaben des Staates nicht sämtlich dem Demokratieprinzip zuzuordnen sind, sondern teilweise auch dem Gewaltenteilungsprinzip. Deswegen ist es zulässig, die durch das Demokratieprinzip angesprochene parlamentarische Kontrollfähigkeit aufgrund eines anderen Verfassungsprinzips zugunsten einer anderen Art von Kontrolle in ihrem Niveau herabzumindern. dd) Gefährdung der Gewaltenbalance Vertreten wird auch eine Auffassung, die das Gewaltenteilungsprinzip deswegen als Grenze für die Errichtung ministerialfreier Räume ansieht, weil der Grundsatz eine Anordnung einer bestimmten materiellen Machtbalance enthalte, die durch die fraglichen Institutionen gefährdet werde. Ein Machtgleichgewicht könnte gestört werden, weil das Parlament durch den Verlust an kontrollierbaren Räumen geschwächt wird; hier läge die Schwächung
259 Fichtmüller, AöR 91 S. 342 f.
260 Vgl. dazu noch Zweiter Abschnitt, D. 261 Fichtmüller, AöR 91 S. 347 f. Weiterhin könne, hier nicht von Belang, Selbstverwaltung demokratische Legitimation ersetzen. Dies ist nicht einmal für die kommunale Selbstverwaltung, die immerhin im Grundgesetz garantiert ist, im vollen Umfang anerkannt; nicht ζ. B. bei in Grundrechte eingreifenden Satzungen. 262 Vgl. Fichtmüller, AöR 91 S. 343.
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im Fortfall von Kompetenzen und in der Entstehung von Institutionen, deren Amtsführung der parlamentarischen Verantwortlichkeit entzogen ist 2 6 3 . Eine Ungleichgewichtigkeit könnte aber auch eintreten, weil die Exekutive durch ihre Untergliederung geschwächt wird 2 6 4 ; dies Argument ist ausführlich von Leisner dargestellt worden 265 . Er geht von der Ausgangsfrage aus, ob eine Subdivision innerhalb der Gewalten dem Ziel der Gewaltenteilung dienlich sei; er beschreibt dazu umfangreich die Untergliederung der Funktionen 266 . Leisner sieht richtig, daß die Wirkung einer solchen Subdivision vollständig von der Zuordnung der autonomisierten Bereiche zueinander abhängt. Er kritisiert mit Recht, daß bewußte Zuordnungen, außer im Fall des Verhältnisses der beiden Legislativkammern, weitgehend fehlen: „Weil die Gewaltenteilung innerhalb der Gewalten nicht als Verfassungsproblem gesehen wird, sind nicht nur die Kontakte zwischen den Subgewalten heterogen, was aus der Sache kommen mag; häufig fehlen sie ganz, fast nirgends werden sie bewußt zu den Zweck ausgestaltet, die bedrohte Einheit eines Pouvoir zu sichern." 267 Leisner versucht dann, die Auswirkung der Zuordnung im Hinblick auf das Gewaltenteilungsprinzip zu bewerten. Diese Bewertung ist in drei Punkten nicht voll überzeugend: Er setzt zu Unrecht voraus, daß Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG das Prinzip eines ,Gleichgewichts4 der drei Funktionen enthalte; dieses Gleichgewicht muß natürlich durch jede Gewichtsveränderung auf einer Seite bedroht erscheinen. Im parlamentarischen Regierungssystem kann aber von einem Gleichgewicht nicht die Rede sein. Die Suprematie des Parlaments ist gewollt, ebenso die Machtlosigkeit der Rechtsprechung in Frage gestellt durch die Existenz des Bundesverfassungsgerichts. Das Bild der balancierten Waagschalen ist also ohne Präzisierungen untauglich; konkrete Funktionszusammenhänge sind entscheidend. Darüber hinaus bestimmt Leisner den Zweck der Funktionentrennung mit „Minimalisierung aller Herrschaft" 268 verkürzt. Der Zweck liegt nicht in bedingungsloser Minimalisierung, sondern in einer Kombination von Ermöglichung staatlicher Aufgabenerfüllung und Machtmäßigung, also von Konstitution und Begrenzung von Herrschaft; dies hat insbesondere Hesse zutreffend herausgestellt. Indem Leisner die Untergliederung auf die Balance zwischen den Gewalten bezieht, stellt er fest, daß diese Balance die Einheit dieser Gewalten voraussetze; Subdivision verstieße demnach gegen das Funktionentrennungsprinzip. Abgesehen davon berücksichtigt Leisner auch nicht hinreichend die von den literarischen Gegenmeinungen angeführten Korrespondenzwirkungen einer Sub-
263 So E. Klein, S. 177. 264 So Füßlein, S. 299.
265 Leisner, 266 Leisner, 267 Leisner, 268 Leisner,
Gewaltenteilung, Gewaltenteilung, Gewaltenteilung, Gewaltenteilung,
S. 267 ff. S. 269-276. S. 278. S. 267, 279.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
division: dem Kompetenzverlust des Parlaments entspricht eine organisatorische Schwächung der Exekutive. Darüber hinaus ist die Voraussetzung, eine Untergliederung schwäche stets eine Organisation, in dieser Allgemeinheit falsch; dies zeigt sich an der Gewaltenteilung selbst: Sie soll nicht nur die Macht mäßigen, sondern den Staat in seiner Reproduktionsfähigkeit dadurch stärken. Es kommt daher für die entstehende Wirkung jeweils auf die konkrete Ausgestaltung der Aufteilung an. Diesen Bedenken trägt die herrschende Meinung Rechnung, indem sie das Argument Leisners nicht übernommen hat. Zu Recht wird davon ausgegangen, erst eine zur Funktionsunfähigkeit führende Störung der ,Balance4 sei verfassungswidrig 269 . ee) Gefährdung der Funktionentrennung Einen direkt auf die Funktionentrennung bezogenen Einwand hatte schon früh bezüglich ministerialfreier Räume, die kollegial und weisungsfrei arbeiten, Bettermann erhoben. Er sah darin die Usurpation rechtsprechender Gewalt durch die Exekutive: jede Stellung der Verwaltung als neutraler Dritter, der nach einem prozessualen Verfahren entscheidet, verstieße gegen Art. 92 GG in Verbindung mit dem Gebot der Funktionentrennung 270. Dieser Einwand ist nahezu in Vergessenheit geraten, weil seit geraumer Zeit allgemein die Ansicht besteht, auch die Funktionentrennung sei im Grundgesetz nicht streng durchgeführt; so sei streitentscheidende Tätigkeit der Verwaltung nicht prinzipiell ausgeschlossen, wenn sie nur nicht alle Merkmale der Rechtsprechung aufweist 271 . Dem ist insoweit nichts hinzuzufügen. Hier soll daher das Argument in eine denkbare Rechtfertigung der Weisungsfreiheit umgekehrt und gefragt werden, ob sich aufgrund der Beobachtung Bettermanns ein zweiter Weg der Rechtfertigung von Ministerialfreiheit finden läßt. Das bislang nur für den Bereich von ministerialfreien Räumen mit Kontrollaufgaben vorgetragene Argument ließe sich dann darüber hinaus verallgemeinern: Weisungsfreiheit wäre stets dort gerechtfertigt, wo Aufgaben wahrgenommen werden, die überwiegende Ähnlichkeit mit denjenigen Funktionen aufweisen, die im Gewaltenteilungsprinzip als unabhängig gekennzeichnet sind. Dann könnte in diesen Fällen für die Legitimationsfrage stets auf eine treuhänderische Legitimation verwiesen werden. Streitentscheidende Tätigkeit der Verwaltung in der Form von Kollegialentscheidungen wäre in ihrer Ministerialfreiheit durch das Gewaltenteilungsprinzip ebenso legitimiert wie die Wahrnehmung von Kontroll269 Füßlein, S. 299; Oebbecke, S. 132; Stern, Staatsrecht Bd. II, 1980, S. 542; Schmidt-
Aßmann, Der Rechtsstaat in: HdBStR Bd. I, § 24 Rdnr. 49, 54, 56. 270 Bettermann, VVdStRL 17 (1959) S. 118 ff. (171 ff.). 271 Vgl. Füßlein, S. 295 f.; Hesse, Grundzüge, Rdnr. 487; Stern, Staatsrecht, Bd. II, 1980, S. 541 f.
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funktionell, die nicht spezifisch parlamentarische Kontrolle beabsichtigen, sondern auch Kontrolle der Mehrheit intendieren. Das Gewaltenteilungsprinzip würde dahingehend wirken, daß im Falle zulässiger Wahrnehmung gewaltenfremder Aufgaben stets eine Organisation nach dem Modell der normal zuständigen Gewalt gerechtfertigt ist. Die Organisationsform und die Funktion entsprächen einander. Streitentscheidungsähnlichkeit könnte man beispielsweise bei der Aufgabe derjenigen Verwaltungsgremien annehmen, die das Vorliegen einer Gewissensentscheidung bei der Ausübung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG festzustellen haben. Klein hat im Zusammenhang mit den ministerialfreien Räumen zu Recht auf Art. 133 Nr. 4 östereichische Bundesverfassung hingewiesen. In dieser Norm korrellieren Weisungsfreiheit und Verzicht auf gerichtliche Überprüfbarkeit von Verwaltungsentscheidungen 272. Dort wird auch deutlich, daß die Zuweisung streitentscheidender Tätigkeit (die aber nicht Rechtsprechung im Sinne des Art. 97 GG ist) an die Verwaltung die Anwendung judikativer Organisationsformen und prozessualer Grundsätze zur Folge haben darf: kollegiale, weisungsfreie Entscheidung und personelle Mindestqualifikation 273 . Nicht jede Wahrnehmung einer Aufgabe, die der Funktion einer bestimmten Gewalt ähnlich ist, durch eine andere Gewalt scheint also zur Rechtswidrigkeit dieser Funktionswahrnehmung führen zu müssen. Vielmehr könnte sich eine von der Regelorganisation der Gewalt abweichende Ausgestaltung rechtfertigen, wenn die Aufgabe derart ist, daß sie der einer anderen Gewalt mit anderer Regelorganisation ähnelt. So handelt die Rechtsprechung unabhängig, Verwaltungstätigkeit innerhalb der Judikative folgt aber dem Weisungsmodell. Die Frage wird hier lediglich aufgewiesen; ihre Beantwortung erfolgt unter E.
c) Rechtfertigung für Ministerialfreiheit aus Art. 20 Abs. 2 GG als einschlägiger Norm für Kontrolle
Der Grundsatz des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ist in der Literatur nicht nur mit der Absicht der Begrenzung der Errichtung ministerialfreier Stellen angeführt worden, sondern ebenso zum Zweck der Rechtfertigung. Dabei wurde meist lediglich behauptet, daß jede zusätzliche Unterteilung der drei Hauptfunktionen der Staatstätigkeit zu einem Mehr an Freiheit durch Mäßigung der Macht des Staates führe. Dabei wird übersehen, daß die Möglichkeit der Freiheit im modernen Staat nicht mit der Abnahme von Herrschaft wächst. Dies könnte ohnehin nur für die Bereiche von Freiheit gelten, die autonom bewahrt werden können. Die Vorstellung versagt aber bei Freiheiten, deren Wahrnehmung von Teilhabe272 E. Klein, S. 188.
273 Vgl. zur formellen Bestimmung des Bereiches der Rechtsprechung in Östereich Achterberg, in: BK, Art. 92 Rdnr. 68.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
rechten abhängig ist. Ebenso, wo die Freiheitsausübung auf die Erfüllung staatlicher Schutzpflichten angewiesen ist. Das Argument läßt sich demnach nicht generell anwenden274. Das Gewaltenteilungsprinzip kann in seiner Eigenschaft als verfassungsrechtliches Strukturprinzip eine Minderung der vollen demokratischen Legitimation nur dann rechtfertigen, wenn es erlaubt, die Grenzen dieser Ausnahmen zu bestimmen. Dies ergibt sich nicht nur aus der allgemeinen Notwendigkeit der Abgrenzbarkeit, sondern insbesondere daraus, daß das Gewaltenteilungsprinzip auch staatskonstitutive Funktion hat. Wenn man es mit Hesse in dieser Weise auffaßt, so muß es seine Zuordnungsleistung für Funktionen und Institutionen erbringen können. Allgemein kann das Gewaltenteilungsprinzip seine rechtfertigende Kraft nur entfalten, wenn folgende Bedingung erfüllt ist: Gerechtfertigte Weisungsfreiheit von Stellen staatlicher Aufgabenwahrnehmung setzt voraus, daß die Funktion dieser Stellen eine Funktionsähnlichkeit mit denjenigen Funktionen aufweisen muß, die gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG in Verbindung mit den anderen einschlägigen Normen des Grundgesetzes (besonders Art. 97 und 38 Abs. I) von Stellen wahrgenommen werden, die über das Mandats- oder Treuhandmodell legitimiert sind. Es muß also eine Ähnlichkeit der Funktion im Vergleich mit der Rechtsprechung oder der Legislative bestehen275. Ob in diesen Fällen stets eine Weisungsfreiheit ermöglicht ist, ist damit noch nicht entschieden (s. o. und unter E). Für den Bereich der Haushaltsverfassung kann gezeigt werden, daß Kontrolltätigkeit, wie sie auch von Parlament und Rechtsprechung ausgeübt wird, mit dem Mandatsmodell, also ohne inhaltlich-sachliche demokratische Legitimation, hinreichend legitimiert ist. Deswegen kann die Weisungsfreiheit beispielsweise des Bundesrechnungshofes nach hier vertretener Ansicht (neben Art. 114 Abs. 2 GG) aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG gerechtfertigt werden 276 . Aus dem Gewaltenteilungsprinzip in Verbindung mit dem Demokratieprinzip ergibt sich demnach, daß für die Staatstätigkeit der Kontrolle nicht das volle 274
Vgl. zu kurz und allgemein Fichtmüller, AöR 91 S. 319 f. Hier wird aus einem Strukturvergleich von Kontrollaufgaben zwischen Rechtsprechung, Parlament und ministerialfreien Stellen argumentiert; in ähnlicher Weise hat Goerlich die Rechtfertigungswirkung der organisationsrechtlichen Bedeutung von Grundrechten daraus plausibel zu machen gesucht, daß er die Unabhängigkeit der Rechtsprechung als grundrechtliche Verfahrenswirkung darstellt, und dann den Gedankengang in den Bereich der Exekutive überträgt (Goerlich, Grundrechte, S. 287 ff.). Auch soweit hier mit dem rechtsstaatlichen Befangenheitsargument operiert wird, hält Goerlich statt dessen grundrechtliche Verfahrenswirkungen für einschlägig. Es weist selbst auf seine Beeinflussung aus dem angloamerikanischen Bereich hin, wo der Akzent gegenüber dem deutschen Recht vom materiellen zum prozessualen Recht hin verschoben ist. 276 Auch Scheuner sieht die Notwendigkeit, Kontrolle aus dem System der Verfassung zu erschließen und betrachtet dann Art. 20 Abs. 2 GG als die für Kontrolle einschlägige Norm (S. 22, 24). 275
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Niveau demokratischer Legitimation erforderlich ist, sondern ein um die sachlichinhaltliche Verantwortlichkeit gemindertes Niveau. Wenn dies so ist, so erhält der Begriff der Kontrolle eine Funktion in der staatsrechtlichen Dogmatik. Um den Bereich der Kontrolle und der in diesem Bereich geminderten Anforderungen an Verantwortlichkeit abgrenzen zu können, muß der Umfang des Begriffes der Kontrolle beschrieben werden. Da das hier vorgelegte Argument auf einem Vergleich von Funktionen und Strukturen von Rechtssprechung und Parlament beruht, muß auch der Kontrollbegriff der Verfassung entnommen werden. Das Grundgesetz spricht nur im Art. 45 b von Kontrolle, ohne diesen Begriff deutlich zu klären. Intensiv hat sich aber die Literatur der Kontrolle als Staatstätigkeit gewidmet 277 . Es besteht weitgehende Einigkeit über die allgemeinsten Formulierungen für die Funktion der Kontrolle: Diese dient der Begrenzung der Staatsmacht im Interesse der freien Entwicklung der Individuen und der Verhütung des Mißbrauches der Macht. Auf die Erfüllung der anvertrauten Aufgabe und die Einhaltung der Positionen der staatlichen Organe im Gesamtsystem des staatlichen Aufbaues muß dabei Obacht gegeben werden 278 . Uneinigkeit herrscht aber darüber, wie dies genau geschieht. Von dieser Unklarheit sind die nähere Beschreibung der Kontrollfunktion und auch die Begriffsbildung selbst betroffen. Dabei lassen sich mit Krebs 279 zwei Hauptpositionen unterscheiden. Die Erste versteht Kontrolle als wechselseitige Einwirkung verschiedener staatlicher Machtträger aufeinander 280. Dabei wird eine Trennung der Ausübung eigener Kompetenzen von Kontrollaufgaben nicht vorgenommen. Gerade die Ausübung der eigenen Aufgaben kann Kontrolleffekt haben. Dies wird meist an zwei Beispielen aus dem Bereich der Kontrolle des Parlamentes über die Regierung deutlich gemacht: Gesetzgebungsverfahren und Außenpolitik. Hier wird darauf hingewiesen, daß der überwältigende Anteil aller Gesetzesentwürfe in der Exekutive gefertigt wird. Die Vorstellung, daß das Parlament eigene Gesetzentwürfe erarbeite, sei irreal 281 . Deswegen sei die Beschäftigung des Parlamentes mit den Gesetzentwürfen der Sache nach ein Vorgang der Kontrolle gegenüber dem von der Exekutive im Zusammenwirken mit den Verbänden erstellten Entwurf, der mit der Übernahme der Verantwortung endet 282 . Ebenso liege die wesentliche Initiative und Gestaltung der Außenpolitik bei der Regierung, gegenüber der das 277
Vgl. insb. Bäumlin, S. 165 ff. (vielleicht nicht zufällig diese frühe umfangreiche Abhandlung aus der Schweizer Konkordanzdemokratie ohne stabile Opposition); G. Brunner, Kontrolle in Deutschland, 1972; Scheuner, Die Kontrolle der Staatsmacht im demokratischen Staat, 1977; Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, 1982; Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, 1984. 278 So Scheuner, S. 8 f. 27
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Krebs, Kontrolle, passim.
280 Vgl. Bäumlin, S. 250.
281 Häufig stammen Vorlagen aus dem Parlament aus den Ministerialbürokratien der Länder, in denen die bundespolitische Opposition in der Regierung ist. 282 Bäumlin, S. 263 ff.; Scheuner, S. 34 f.
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Parlament bei der Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge nur noch eine Kontrollfunktion ausübe283. Schon diese beiden Beispiele zeigen, daß Kontrolle über die unterschiedlichsten Mechanismen wirken kann. Im Gesetzgebungsverfahren wird besonders deutlich, daß Kontrolle durch Zusammenwirken kritische Mitgestaltung mit integrierender Wirkung sein kann 284 . Dagegen ist die Mitgestaltungsmöglichkeit des Parlaments im Gesetzgebungsverfahren nach Art. 59 Abs. 2 GG gering. Diese Vielgestaltigkeit wird durchgängig betont 285 . Diese Auffassung von Kontrolle legt darauf Wert, daß Kontrolle in einem System von Gegengewichten ausgeübt wird, die durch jeweils eigene Macht fremde Macht begrenzen. Allerdings kommt es bei einer solchen Kontrolle durch Zusammenwirken zu einer Verschleierung von Verantwortlichkeiten, da das Ergebnis des Zusammenwirkens nicht allein einem Handlungssubjekt zugewiesen werden kann, auch wenn bei diesem die formelle Verantwortlichkeit liegen mag 286 . Weil hier die Ausübung eigener originärer Aufgaben als Mitgestaltung Kontrolleffekt hat, ist diese Kontrolle nicht notwendig nachgängig gegenüber den kontrollierten Entscheidungen287. Aufgrund der von dieser Richtung vertretenen Betonung der checks and balances wird das Element der Gegenmacht häufig in die Definition der Kontrolle aufgenommen. Damit verbunden wird die Unabhängigkeit des Kontrolleurs von dem Kontrollierten als regelmäßig naheliegende Ausgestaltung begriffen 288 ; jedoch ergibt sie sich nicht zwingend aus dem Begriff der Kontrolle 2 8 9 . Die Aufnahme des Machtelementes in den Begriff der Kontrolle lehnt eine andere Ansicht ab. Sie betont an Stelle der im kontrollierenden Handlungssystem wirkenden Gegenmacht die Vergleichsfunktion der Kontrolle. Danach benötigt der Kontrollvorgang als Mindestelemente das Kontrollorgan, den Kontrollunterworfenen, den Kontrollgegenstand, den Maßstab, das Verfahren und ein Ergebnis 2 9 0 . Kontrolle besteht nach dieser Ansicht in dem Prozeß einer Verhältnisbestimmung zwischen einem Soll-Wert und einem Ist-Wert 291 . Diese Auffassung 283 Bäumlin, S. 258 f. 284 Bäumlin, S. 270, 244. 285 Vgl. Bäumlin, S. 247; Scheuner, S. 10; Krebs, Kontrolle, S. 51.
286 Dies betont zu Recht Bäumlin, S. 254. Die Erscheinung steht der Anonymisierung von Verantwortlichkeit in Kollegialorganen parallel; das Phänomen verdient Aufmerksamkeit, weil sich eventuell teilweise das Unbehagen an der Politik auf die Diffusion der Verantwortlichkeit in einem stark interdependenten politischen System zurückführen läßt. 287 Vgl. Scheuner, S. 27.
288 So beispielsweise bei Scheuner, für den die freie Entscheidungsmacht des Kontrollierten (sonst falscher Adressat der Kontrolle) und die Unabhängigkeit der Kontrollstelle (S. 26, 10) die Regel sind: Kontrolle setzt zwei voneinander unabhängige Einheiten voraus, die in einer gewissen Distanz zueinander stehen (Scheuner, S. 11). Vgl. darstellend Krebs, Kontrolle, S. 9. 289 Scheuner, S. 26.
290 Vgl. Krebs, Kontrolle, S. 14. Ebenso G. Brunner, passim. 291 Krebs, Kontrolle, S. 17 und passim. 7 Waechter
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setzt voraus, daß Kontrolle nachgängig ist, da der Ist-Wert stets schon vorliegen muß. Diese logische Einsicht hat aber geringe praktische Bedeutung 292 . Da Kontrolle auch nach dieser Ansicht in jedem Stadium eines Entscheidungsverfahrens denkbar ist, bedeutet sie nicht, daß ein abgeschlossenes Staatshandeln vorliegen muß. Der zu kontrollierende Ist-Wert kann auch eine bloße Gesetzgebungsabsicht oder deren Fehlen sein. Das Schwergewicht der Kontrollfunktion wird auf die Determinierung und Rationalisierung von Entscheidungen gelegt. Man kann also die Theorie der Kontrolle durch Zusammenwirken kontrastieren mit der der Kontrolle durch Vergleichen und Bewerten. Diese Gegenüberstellung klärt aber die Probleme nicht, da sie zu keiner Entscheidung führt. Im Ergebnis ist Krebs 293 darin zuzustimmen, daß er es ablehnt, die Unabhängigkeit der Kontrollmacht in die Begriffsdefinition von Kontrolle aufzunehmen. Zu Recht nämlich weist er darauf hin, daß diese Unabhängigkeit und die dadurch ermöglichte Macht rechtlich nicht vorgegeben, sondern rechtfertigungsbedürftig sind. Diese Rechtfertigung ist hier aus Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes hergeleitet worden; an dieser Stelle geht es nur noch um den Umfang dieser Rechtfertigung. Jede Ansicht, die Unabhängigkeit, d. h. Weisungsfreiheit in den Begriff der Kontrolle aufnimmt, arbeitet methodisch mit dem hier abgelehnten Argument aus der Natur der Sache. Festzuhalten bleibt aber, daß Kontrollinstitutionen auf der phänomenalen Ebene häufig unabhängige Mächte sind. Darüber hinaus schließt die Auffassung von Kontrolle als Vergleich und Bewertung nicht die Kontrolle durch Zusammenwirken aus. Denn auch eine solche Mitgestaltung wird nur als Kontrolle aufgefaßt, wenn sie auf einen gegebenen Zustand und in bezug auf das Verhalten eines anderen Staatsorganes agiert. Der Unterscheidung läßt sich allerdings auf deskriptiver Ebene ein Nutzen zusprechen. Kontrolle durch Zusammenwirken als eigenständiges Mitgestalten wird meist im engeren Sinne politische Kontrolle sein. Sie kann integrierend wirken und hat häufig einen sehr weiten Spielraum für die autonome Festlegung des Soll-Wertes im Kontrollvergleich (je unabhängiger der Soll-Wert festgelegt werden darf, desto latent politischer die Kontrolle). Dagegen liegt der Schwerpunkt der vergleichenden Kontrolle in einer Überprüfung an zumindest grob vorgegebenen Maßstäben. Diese Kontrolle ist meist gegenüber dem Kontrollgegenstand akzessorisch, d. h. sie beschränkt sich auf Vergleich und Bewertung dieses Gegenstandes und leitet daraus kein Handeln in einem eigenen Aufgabengebiet ab. Der Hauptunterschied dürfte also im Bereich der aus der Kontrolle als Verhältnisbestimmung zu ziehenden Folgen liegen. Eine klare Trennung dieser beiden Typen von Kontrolle ist nach allgemeiner Ansicht kaum möglich 294 . 292 Vgl. Krebs, Kontrolle, S. 16. Dies wird an der parlamentarischen Kontrolle, die überwiegend mitlaufende Kontrolle sei, dargelegt; vgl. S. 135 f. 293 Krebs, Kontrolle, S. 14. 294 Bäumlin, S. 244: er stellt die Kontrolle als Aufsicht über fremde Amtsführung (vergleichend) der Kontrolle durch Zusammenwirken gegenüber. Scheuner trennt nicht
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
Das ist deswegen von Bedeutung, weil von der Festlegung des Kontrollbegriffes die Reichweite der oben konstruierten Rechtfertigung abhängt. Während beispielsweise Datenschutzbeauftragte weitgehend im Bereich der vergleichenden Kontrolle (mit strengen Rechtsmaßstäben) tätig sind, wäre die Bundesbank eher der mitgestaltenden Kontrolle zuzurechnen. Allgemein läßt sich feststellen, daß es wegen einer erkannten Durchsetzungsschwäche eines schutzwürdigen gesellschaftlichen Interesses notwendig sein kann, „spezielle Aufmerksamkeiten" 295 im Staatsapparat zu institutionalisieren. Diese Institutionen können mit unterschiedlich starken Einflußmöglichkeiten ausgestattet werden. Interpretiert man den Kontrollbegriff des Art. 20 Abs. 2 GG eng, so ließe sich verfassungsrechtlich lediglich eine Ausstattung mit ,akzessorischen4 Kontrollrechten rechtfertigen. Die Entwicklung einer eigenen,Kontrollpolitik' mit eigenen Gestaltungsmöglichkeiten ginge über den Begriff hinaus. Die Lösung dieser Frage muß sich aus einer Interpretation des Art. 20 Abs. 2 GG ergeben. Eine von dieser Norm ausgehende Interpretation zeigt, daß der Kontrollbegriff auch die Kontrolle durch Mitgestaltung erfaßt, weil er auch die Kontrolle durch das Parlament umgreift. Dennoch muß das ,Machtelement' nicht in den Begriff der Kontrolle aufgenommen werden, da bei genauer Betrachtung auch die Kontrolle durch Mitgestaltung die Merkmale der Vergleichsdefinition von Kontrolle erfüllt und lediglich spezielle Folgerungen aus dem Ergebnis der Kontrolle gezogen werden dürfen. Die Kontrolle, die seitens des Parlamentes im Gesetzgebungsverfahren an den Entwürfen der Regierung ausgeübt wird, mißt diese selbstverständlich auch an Soll-Werten, die sich aus den jeweiligen politischen Präferenzen oder der Verfassung ergeben. Das besondere dieser Kontrollaufgabe des Parlamentes ist es, daß ihm die endgültige Entscheidung über die Gesetzentwürfe zusteht. Daher kann begrifflich auf die Vergleichsdefinition, die Krebs aus den grundgesetzlichen Kontrollfunktionen von Parlament, Rechtsprechung und Rechnungshöfen entwickelt hat, abgestellt werden. Da allerdings jede Genehmigungserteilung von Ordnungsbehörden ebenfalls dies Vergleichselement (im S ubsumtionsVorgang) enthält, muß für den verfassungsrechtlichen Begriff der Kontrolle der Bezug des Kontrollvorganges auf ein anderes Staatsorgan hinzugenommen werden. Damit ist die Abgrenzung der Kontrolle zur Wahrnehmung eigener Aufgaben gegenüber den Bürgern hergestellt: Kontrolle liegt stets dann vor, wenn die Wahrnehmung solcher Aufgaben mindestens gleichermaßen der Beeinflussung anderer Staatsorgane dient.
so klar, schwankt aber zwischen beiden Kontrolltypen (vgl. S. 26; vgl. auch die Unmöglichkeit strenger Trennung zwischen politischer und Rechtskontrolle S. 9). Krebs, Kontrolle, S. 9, 124 ff. 295 Vgl. dazu beispielsweise Grimm, Interessenwahrung, S. 176 ff. (185). τ
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Dies ist evident bei der Kontrolle des Parlaments über die Regierung der Fall, ebenso bei der Rechtsprechung. Gerechtfertigt über diesen Kontrollbegriff in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 GG sind auch die meisten Beauftragten, da ihre Hauptaufgabe auf einem Vergleichen von Soll- und Ist-Standards und einem anschliessenden Einwirken auf die zuständigen Behörden besteht. Auch die Sonderrechte des Bundesministers der Finanzen ließen sich auf diesem Wege rechtfertigen, wären sie nicht schon in der Verfassung niedergelegt. Zweifelhaft ist aber insbesondere die Kontrollfunktion der Bundesbank. Hier ist es entscheidend, ob man in ihr überwiegend eine Wirtschaftsverwaltungsbehörde sieht oder ob man ihr Zusammenwirken mit der Bundesregierung im Vordergrund stehen sieht: nur im zweiten Fall könnte sie als Kontrollinstitution mit prinzipiell rechtfertigungsfähiger Unabhängigkeit begriffen werden. Offenbar ist, daß mit einem derartigen Kontrollbegriff kein sonderlich abgrenzungsscharfes Kriterium gefunden ist. Daraus ergibt sich die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht die Einhaltung der Begriffgrenzen von ,Kontrolle 4 unbeschränkt überprüfen kann. Wäre dies der Fall, so stünde dem Gericht wegen der Unschärfe des Begriffes im Hinblick auf Errichtungsgesetze für staatliche Stellen mit geminderter demokratischer Verantwortung ein erheblicher Entscheidungsspielraum gegenüber dem Parlament zu. Dies ist indessen nicht der Fall: vielmehr ist ein legislatorischer Beurteilungsspielraum zu respektieren. Das ergibt sich aus Folgendem: Die Einrichtung einer derartigen Institution mit der geschilderten Absicht der Kompensation von Fehlfunktionen erfordert zunächst eine Bestimmung der Ziele, die die Staatstätigkeit erreichen soll. Bei der Bestimmung solcher Ziele ist der Gesetzgeber in den Grenzen der Verfassung frei, die erforderlichen Wertungen vorzunehmen. In der Folge muß diagnostiziert werden, ob dieses Ziel zum Entscheidungszeitpunkt verfehlt wird; auch hier sind Wertungen erforderlich. Schließlich sind Prognosen darüber erforderlich, ob die Gefahr der Zielverfehlung sich ohne Eingreifen auflösen wird und welche institutionelle Abhilfe durch die Installation neuer Aufmerksamkeiten geeignet und erforderlich ist. A l l dies sind Tätigkeiten des Gesetzgebers, für die ihm in Lehre und Rechtsprechung ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wird 2 9 6 . Anerkennt man einen derartig weiten Kontrollbegriff, so entfaltet der Art. 20 Abs. 2 GG allerdings eine gegenständlich sehr weite RechtfertigungsWirkung 297 . 296 Vgl. nur Hesse, Grundzüge, Rdnr. 320. Aus der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes vgl.: Beurteilungsspielraum für Wertungen und Prognosen (E 76, 107 (121); 79, 1 (28)). Überprüfung nur der Grundlagen der Urteile mit nach Eingriffsintensität der Gesetze abgestufter Prüfungsintensität (E73, 40 (91 f.); E 76, 1 (51)). Beurteilunsspielraum für drohende Gefahren sowie Eignung und Erforderlichkeit von Abhilfemitteln (E77, 84 [106]). 297 In eine ähnliche Richtung hinsichtlich der Bedeutung des Gewaltenteilungsprinzips scheint Pitschas, S. 537 zu gehen, der das Prinzip als Grundlage für die Zuweisung von Teilaufgaben an die verschiedenen Bereiche Staat, Öffentlichkeit und Privatheit anspricht.
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Die Schaffung solcher zusätzlicher Kontrollinstitutionen, darüber herrscht Einigkeit, kann erhebliche Zuordnungsprobleme aufwerfen. Können diese nicht gelöst werden, so droht letzten Endes die Desintegration der leitenden Funktion der Regierung 298 . Es bedarf deswegen einer Untersuchung der Kompetenzordnung der Verfassung daraufhin, inwieweit diese der Rechtfertigungswirkung Schranken setzt: Die unterschiedlichen Kontrollkompetenzen müssen in „praktische Konkordanz" untereinandern und zu den Kompetenzen anderer Entscheidungsträger gebracht werden, es bedarf einer verhältnismäßigen Zuordnung 299 . Eine solche Zuordnung kann sich entweder aus einem im Grundgesetz angelegten System von Kontrollen ergeben oder sie muß im Einzelfall erarbeitet werden. Die Verfassung enthält nach der zutreffenden herrschenden Meinung keine systematische und abschließende Zuordnung von Kontrollinstitutionen 300 . Das ergibt sich dogmatisch aus dem nicht abschließenden Charakter des Funktionenbenennung und -trennung gemäß Art. 20 Abs. 2 GG. Historisch ist die Erscheinung darin begründet, daß aus mehrerlei Ursachen eine besondere Würdigung der Kontrollaufgabe des Staates entbehrlich schien. In der konstitutionellen Monarchie ergab sich eine faktische Kontrolle aus der Konkurrenz zweier Legitimitäten um die Vorherrschaft. Nach dem Übergang zur demokratischen Staatsordnung entfaltete zunächst die Rousseau'sehe Theorie von der Unfehlbarkeit des Volkswillens ihre Wirkung. Erst unter dem Grundgesetz war dieser Glaube durch die vorherrschende Ansicht über die Rolle des Ermächtigungsgesetzes für den Nationalsozialismus (,legale Machtergreifung 4) weitgehend zerstört. Von daher wurde es sinnvoll, Kontrolle auch als Installierung einer begrenzten Gegenmacht zum Parlament (beispielsweise im Bundesverfassungsgericht) zu denken. Gleichzeitig wurde, ebenfalls aus aktuellem Anlaß, mehr Augenmerk auf die repräsentative Struktur der bundesrepublikanischen Demokratie gelegt; damit war die Problematik zumindest von Kontrolle als Ersatz für Selbstentscheidung nahegelegt. Schließlich erscheint es auch aus tatsächlichen Gründen unwahrscheinlich, daß eine Verfassung ein abschließendes Kontrollsystem überhaupt enthalten kann. Denn mit den ständigen Strukturveränderungen in der Gesellschaft entstehen sowohl Bereiche neuer Gefährdungen durch die Staatsmacht (Beispiel Datenschutz) wie auch neue Interessenkonstellationen, die dazu führen können, daß es der staatlich-institutionellen Unterstützung bestimmter Interessen bedarf. Deswegen ergibt sich stets ein Bedarf für Kontrolle in neuen Bereichen, während er in anderen Zusammenhängen entfallen kann. Insgesamt wird aber die durch 298 So Bäumlin, S. 313 f.; Bäumlin spricht auch von der Bedrohung der Einheit der Verwaltung. 299 So Krebs, Kontrolle, S. 149 ff. Man kann auch schlicht sagen, daß eine sinnvolle Zuordnung (S. 45) notwendig ist. Pitschas, S. 572 sieht die Notwendigkeit, die Spannung zwischen relativ autonomer Rechtserzeugung und dem zwingenden Integrationsbedarf des Staates aufzulösen; dies soll bei ihm durch Verfahren geschehen. 300 Ein solches System existiert nach der herrschenden Auffassung nicht; vgl. Scheuner, S. 25; Krebs, Kontrolle, S. 220 ff.
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die Präventionsaufgaben des Staates verursachte gegenseitige Durchdringung von Staat und Gesellschaft 301 zu einem Mehr an Kontrollbedarf führen. Eine sinnvolle Zuordnung der Kompetenzen von Institutionen der Kontrolle kann deswegen nicht aus einem verfassungsrechtlichen Kontrollsystem abgeleitet werden; statt dessen muß aus einer Einzelbetrachtung der Konstellationen von Kompetenzen abgeleitet werden, ob ein widerspruchsfreier Zusammenhang vorliegt. Solche Überlegungen werden hier in der Überleitung und im exemplarischen Teil zu den Institutionen der Haushaltsverfassung angestellt werden. Man muß aber aufgrund der Betrachtung existierender ministerialfreier Räume annehmen, daß es neben der Kontrolle weitere Bereiche andersartig gerechtfertigter Ministerialfreiheit gibt. In Bezug darauf könnte — wie bereits erwähnt — vermutet werden, daß dort, wo streitentscheidungsähnliche Funktionen der Verwaltung obliegen, eine ministerialfreie Organisation in Betracht kommt. Eine solche Hypothese auf den ersten Blick deswegen naheliegend, weil es einige ministerialfreie Räume gibt, bei denen man eine entsprechende Funktion vermuten könnte, beispielsweise Prüfungsausschüsse für Gewissensentscheidungen oder Asylberechtigung. Von der normativen Seite her könnte sich auch hier aus Art. 20 Abs. 2 GG eine Rechtfertigung ergeben. Ob weitere Bereiche unter die geforderte Strukturähnlichkeit fallen und welche dies sind, kann hier noch nicht abschließend entschieden werden, sondern muß sich aus der weiteren Betrachtung ergeben. Um überflüssige Ausführungen zu vermeiden, wird diese Frage im Auge behalten, wenn in der Folge Rechtfertigungsmodelle für ministerialfreie Räume außerhalb der Gewaltenteilung diskutiert werden; es geht dabei aber aufgrund der eingangs gewonnenen Erkenntnisse stets um solche Modelle, die anerkennen, daß es eines verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgrundes bedarf. Dabei ist insbesondere zu untersuchen, ob auch Ähnlichkeit zur Normsetzung außerhalb der eigentlichen Legislativtätigkeit eine unabhängige Kollegialentscheidung als Typus rechtfertigt. Im Ergebnis ist festzuhalten, daß das Gewaltenteilungsprinzip ein Strukturprinzip der Verfassung darstellt. Es enthält für die drei Gewalten Regelanordnungen für die innere Ausgestaltung, ist aber hinsichtlich der Funktionen und deren Träger nicht abschließend. Von dieser Regelanordnung — für die Exekutive Ministerverantwortlichkeit — sind Ausnahmen gestattet und gerechtfertigt, wenn die wahrgenommene Funktion ,Kontrolle' ist. In diesem Fall ist das erforderliche Niveau demokratischer Legitimation, wie sich aus der Betrachtung des Gewaltenteilungsgrundsatzes ergeben hat, um die inhaltlich-sachliche Verantwortlichkeit gemindert. Das Demokratieprinzip ist insoweit und insofern durch den Grundsatz der Funktionentrennung modifiziert. Damit ist der Bereich der ministerialfrei zu soi Vgl. Grimm, Verfassungsrechtliche Anmerkungen, S. 197 ff.
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errichtenden Stellen funktional durch das Gewaltenteilungsprinzip begrenzt. Darüber hinausgehend scheinen nach den bisherigen Ergebnissen Abweichungen von den Regelanordnungen nicht zulässig zu sein. Dies ist im folgenden weiter zu überprüfen.
I I I . Effektivität als verfassungsrechtlicher Rechtfertigungstopos Zwei Gründe legen es nahe, die Hypothese, daß ein Rechtsbegriff der Effektivität das erforderliche demokratische Niveau beeinflussen kann, zu prüfen. Der erste und wichtere Grund liegt in der Verbindung der Entwicklung des Staates zum leistenden Staat mit dem Gedanken der Effektivität. Die daseinsvorsorgende Verwaltung muß zur Erfüllung ihrer Aufgabe ,effektiv 4 und unbürokratisch', das heißt vor allem flexibel und schnell handeln können. Das demokratisch geprägte Verfahren in einer Verantwortung vermittelnden Hierarchie scheint zu solchen Forderungen im Gegensatz zu stehen302. Daraus wurde ein Antagonismus zwischen Daseins Vorsorge und Demokratie abgeleitet 303 . Eine Lösung scheint darin zu bestehen, daß man die Effektivität der Aufgabenerledigung mit verfassungsrechtlichem Rang versieht und dem Demokratiegebot im Sinne praktischer Konkordanz gegenüberstellt. Darüber hinaus wird Effektivität der staatlichen Aufgabenerledigung als eigenständiger Rechtfertigungsgrund für Weisungsfreiheit durch eine Betrachtung der Entstehungsgeschichte mancher ministerialfreier Räume nahegelegt und in der Literatur auch in geringem Umfang anerkannt; größer ist zu Recht die Ablehnung dieses Gedankens304. Schon auf den ersten Blick ergeben sich wegen der im Grundgesetz fehlenden Textgrundlage und aufgrund der Unschärfe des Begriffes Zweifel an seinem Status als verfassungsrechtlicher Rechtfertigungstopos. In vielen Bereichen scheint tatsächlich Ministerialfreiheit aus einem Effektivitätsbedürfnis der Verwaltung entstanden zu sein. Dies kann für einen Teilbereich in aller Kürze dargestellt werden: Eine nicht unbedeutende Gruppe von ministerialfreien Räumen existiert im Bereich der Staatstätigkeit der (insbesondere technischen) Gefahrenabwehr; das Argument ist also keineswegs auf den Bereich der leistenden Verwaltung beschränkt. Es handelt sich meist um kollegial und weisungsfrei arbeitende Gremien, häufig teils aus der Verwaltung, teils aus den Kreisen der Interessenten besetzt. Die rechtliche Ordnung des Verfahrens ist 302 Allgemein zu den Rückwirkungen, die eine vermeintliche Ineffizienz der demokratisch legitimierten Verwaltung bei der Erfüllung neuartiger Staatsaufgaben aufweise, auf das Demokratieprinzip v. Brünneck, S. 253 ff. 303 Eine Entgegensetzung von effizienter Daseinsvorsorge und prozeßhaft kompromißhafter Demokratie stellt Eichenberger, S. 11 ff. (19) fest. 304 Vgl. z . β. zur Verortung der Effektivität im Rechtsstaatsprinzip Kunig, S. 172, 438 ff.
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unterschiedlich, insbesondere was die Befugnis zum Treffen endgültiger Entscheidungen anbelangt. Häufig wird das Ergebnis der Gremienarbeit in den traditionellen Formen rechtlich umgesetzt, also als Verwaltungsakt oder Rechtsverordnung der zuständigen Behörden; die Gremienarbeit fließt dann in die Auslegung des zum Erlaß des Verwaltungsaktes ermächtigenden Gesetzes oder in den Inhalt der Norm ein (ζ. B. Kerntechnischer Ausschuß). Teilweise entscheiden die Gremien auch selbst (ζ. B. Bundesprüfstelle GjS). In anderen Konstellationen bleibt die praktische Umsetzung der Arbeitsergebnisse den Kräften des Marktes überlassen; dann werden lediglich bestimmte Daten bekanntgegeben, die für das Verhalten der Marktteilnehmer von Bedeutung sind (ζ. B. Kunststoffkommission, Tranparenzkommission Pharmawesen; zu diesen unten D.2.). Entstehungsgrund für solche Gremien war meist die Erfahrung, daß die Verwaltung für die Erfüllung ihrer Aufgabe — hier Gefahrenabwehr — auf die Mitwirkung der Gefahrenverursacher angewiesen ist. Der Grund für diese Angewiesenheit liegt vor allem in der Quasi-Monopolisierung eines bestimmten Spezialwissens bei den Gefahrenverursachern. Darüber hinaus wären die Überwachungsund Genehmigungsbehörden personell, apparativ und finanziell nicht in der Lage, alle notwendigen Untersuchungen selbst vorzunehmen, Standards zu erarbeiten etc. Das führt beispielsweise zu dem Resultat, daß die Erstellung der Transparenzlisten für den Medikamentenmarkt weitestgehend auf Angaben der Hersteller beruht, die lediglich auf ihre Plausibilität überprüft werden. Diese Angewiesenheit des Staates auf die Interessenten setzt sich sozial als Gleichordnung der Behörden- und Interessenvertreter in den sich zumeist zunächst informell bildenden Gremien durch, die teilweise später rechtliche Anerkennung erfahren 305. Die Mitarbeit der Interessenten wird durch die Einräumung von Einwirkungschancen ,erkauft'. Um ein konstruktives Arbeitsklima und diese Einwirkungschancen zu wahren, zieht die Gleichordnung dann häufig die Unabhängigkeit von der Weisungsbefugnis übergeordneter Stellen nach sich; regelmäßig entsteht auch das Problem der Intensität der gerichtlichen Kontrolle. Die Weisungsfreiheit ergibt sich also als Folge der Angewiesenheit des Staates bei der Bemühung um wirksame und verhältnismäßige Gefahrenabwehr auf die Gefahrenverursacher. Kann diese Mitwirkung nicht erreicht werden, droht Ungeeignetheit oder Willkürlichkeit der Maßnahmen der Gefahrenabwehr; beides kann auch rechtlich nicht in Kauf genommen werden. Eine andersartige Angewiesenheit des Staates auf Kooperation gibt es im Bereich der daseinsvorsorgenden Verwaltung. Diese Zusammenhänge werden wirksam, wenn versucht wird, ministerialfreie Räume aus einem behaupteten verfassungsrechtlichen Grundsatz der Effektivität zu rechtfertigen. 305
Vgl. z. B. §§39 a ff AMG bzgl. der Transparenzkommission. Diese gesetzliche Anerkennung ist erforderlich, wenn Grundrechtseingriffe in Frage stehen, wie es bei der Erstellung der Transparenzlisten der Fall ist.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
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Die herrschende Meinung geht allerdings zu Recht davon aus, daß es ein verfassungsrechtliches allgemeines Effektivitätsgebot nicht gibt. Dies gilt sowohl für ein Verständnis von Effektivität als größtmöglicher Wirksamkeit wie für eine Auffassung als Optimierung des Verhältnisses zwischen Kosten und Nutzen. Leisner hat ausführlich dargelegt, daß die Verfassung zu dem Anliegen der Effektivität neutral steht 306 . Für diese Auffassung sprechen entscheidende Gründe, die vor allem im Prinzip der Rechtsstaatlichkeit liegen 307 . Während Effizienz auf optimale Zielverwirklichung abstellt, gesteht das Rechtsstaatsprinzip auch den Mitteln der Verwirklichung einen begrenzten Eigenwert zu 3 0 8 . Im übrigen ist das Effektivitätsprinzip zu allgemein, als daß es als ein eigenständiges Verfassungsprinzip figurieren könnte. Insbesondere hat es keine Grenze in sich selbst, sondern geht stets auf weitere Steigerung der Effektivität aus. Dadurch wird es als rechtlicher Begrenzungstopos unbrauchbar, weil unbegrenzbar 309. Es gibt im außertechnischen Bereich schon rein theoretisch kein feststehendes Höchstmaß der Effektivität, da diese stets nur Verhältnisbestimmung ist. Verfassungsrechtlich gesichert ist lediglich eine minimale Funktionsfähigkeit der drei staatlichen Hauptfunktionen, nicht aber ein bestimmter Grad an Wirksamkeit oder Kostengünstigkeit310. Verfassungsrechtlichen Rang hat auch die Effektivität im Zusammenhang mit grundrechtlichen Positionen: so muß affektiver 4 Rechtsschutz gewährleistet werden und der Staat muß seinen grundrechtlichen Schutzauftrag für das Leben »effektiv 4 wahrnehmen 311. Dies läßt sich aber nicht zu einem eigenständigen Effektivitätsprinzip verallgemeinern, das das Demokratieprinzip einzuschränken imstande wäre. Demgegenüber will H. Sodan aus der Garantie der Exekutivfunktion in Art. 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG ein Gebot möglichst wirksamer Aufgabenerfüllung ableiten 312 . Seine Argumentation bleibt dann aber hinter der Ausgangsthese zurück; im Grunde behauptet er lediglich, ein Wirksamkeitsverlust der Exekutive schwäche diese und beeinträchtige damit die im Grundgesetz angelegte Gewaltenteilung; dazu ist bereits Stellung genommen. Ein weiterer Argumentationsstrang versucht das Problem anders anzugehen: ministerialfreie Räume würden geschaffen, weil ihre Arbeit der einer Linienverwaltungsbehörde fachlich überlegen sei. 306 Leisner, Effektivität, Recht und Staat, Heft 402/403 (1971). 307 Leisner, Effektivität, S. 13 ff., 25. 308 Die Zweckverfolgung von Gemeinwohlzwecken ohne Rücksicht darauf, ob die Mittel der Zweckverfolgung rechtliche Schranken überschreiten ist typische Form des Staatshandelns im Absolutismus; vgl. Wessel, S. 118 ff. 309 Schnapp sagt zutreffend, daß verwaltungswissenschaftliche Erkenntnisse über Effektivität keine rechtlichen Kompetenzen zu begründen vermögen (VVdStRL 43 (1985), 191 f. Vgl. auch Arndt, Praktikabilität, insb. S. 102 ff. 310 Leisner, Effektivität, S. 26 f., 30 f. Ebenso Püttner, VVdStRL 41 (1983) S. 282 (Aussprache). 311 Vgl. ζ. B. Bischof, NJW 1991, 2323. 312 Sodan, S. 411 ff.
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In der Regel werde diese Überlegenheit auch gegenüber dem Fachwissen des Parlamentes existieren. Es führe aber das Prinzip demokratischer Kontrolle ad absurdum, wenn der fachlich geringer Qualifizierte den Qualifizierteren kontrolliere und es somit an tatsächlichen Kontroll Voraussetzungen mangele. Damit ist das Wesen parlamentarischer Kontrolle wie auch die heute übliche Verteilung des Fachwissens verkannt. Das größere Fachwissen wird meist ohnehin bei der Regierung mit der Ministerialbürokratie liegen. Die politische Kontrolle des Parlaments beruht nicht auf besserem fachlichen Wissen, sondern auf dem demokratischen, in der Wahl errungenen Mandat der Abgeordneten: die Kontrollentscheidung ist in der Regel politisch, nicht fachlich motiviert. Eine ganz analoge Argumentation wird in bezug auf Beurteilungsspielräume der Verwaltung mit entsprechend eingeschränkter gerichtlicher Überprüfbarkeit vorgebracht. Auch hier wird vorgetragen, daß das Grundgesetz nicht so ausgelegt werden dürfe, daß es zu einer Entscheidung durch eine minder qualifizierte Stelle zwinge. Wenn also die Verwaltung größere Sachkenntnis habe, als das Gericht sie haben könne, so spräche das für einen Beurteilungsspielraum 313. Meines Erachtens ist diese auf Art. 19 Abs. 4 GG bezogene Argumentation generell nicht haltbar, weil sie nicht begrenzbar ist. Wenn sie generell geeignet sein sollte, die Durchbrechung von Verfassungsrechtssätzen zu rechtfertigen, könnte man die Gesetzgebung im Bereich des Rechtes der Wirtschaft gleich in die Hände der Berufsverbände legen 314 . Eine vergleichbare Problemstellung liegt vor, wo es im Bereich der Judikative um Einschränkungen des vorbehaltslosen Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG geht. Dieser Vergleich wird gewählt, weil auch die Entscheidungen ministerialfreier Räume häufig nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegen sollen 3 1 5 . Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung zum Prüfungsrecht im Rahmen eines nicht tragenden Entscheidungsbestandteiles angedeutet, ein Beurteilungsspielraum der Behörde könne bei allen Sachbereichen mit hoher Komplexität und Dynamik angenommen werden 316 . Daraus könnte man ableiten, daß im Bereich von Art. 19 Abs. 4 GG die Effektivität der Aufgabenerledigung durch die Verwaltung und die Gerichte ein Rechtfertigungstopos ist. Auch hier überwiegen aber die Zweifel. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes grundsätzlich, daß die Gerichte eine Verwaltungs313 Herzog, NJW 1992, 2601 (2604). 314 Die demokratische Problematik beispielsweise der DIN-Normung mit rechtsnormgleicher Wirkung ist hinreichend bekannt, so daß sich weitere Ausführungen erübrigen. 315 Vgl. dazu unten zur Bundesprüfstelle. Kritisch zur gerichtlichen Zurückhaltung gegenüber solchen Entscheidungen m. E. zu Recht Schmidt-Aßmann in: Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 196, der in der starken Interessenbezogenheit solcher Gremien einen Grund für besonders intensive Kontrolle sieht. 316 BVerfG NJW 1991, 2005 (2006).
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
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entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständig nachprüfen 317. Es gibt aber eine ganze Reihe von Fällen, in denen von diesem Grundsatz abgewichen wird: so bei Ermessensentscheidungen, Beurteilungsspielräumen, Einschätzungsprärogativen. Unklar ist, wie diese Ausnahmen von dem genannten Grundsatz zu begründen sind. Da Art. 19 Abs. 4 GG keinen Gesetzes vorbehält kennt, käme für eine Einschränkung nur eine Reduktion der Schutzwirkung oder eine verfassungsimmanente Schranke 318 in Betracht. Die damit verbundenen Fragen sind bislang nicht klar beantwortet 319. Einerseits hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, daß gesetzliche Ermächtigungen an die Verwaltung zur letztverbindlichen Entscheidung, wie bei einer Ermessenseinräumung, verfassungsmäßig sind; Art. 19 Abs. 4 GG sei mit diesem Vorbehalt belastet320. Dann aber läßt sich der allgemeinere Grundsatz nicht halten. In Einzelentscheidungen geht das Gericht auch immer wieder von seinem allgemeinen Grundsatz aus und sucht einzelne Rechtfertigungen für die Abweichungen. Dabei wird nicht allgemein auf die Möglichkeit zu gesetzlich vorgesehenen Abweichungen, also auf einen hinzugedachten Gesetzesvorbehalt, verwiesen, sondern es werden materielle Rechtfertigungen gesucht. Diese müßten konsequent auf der Ebene entgegenstehender Verfassungsrechtsgüter gefunden werden. Hier wäre der Ort eines verfassungsrechtlichen Effektivitätsprinzips, das mit dem Verweis auf die Komplexität von Entscheidungen angesprochen sein könnte. Das Gericht läßt die Frage in der angeführten Entscheidung allerdings offen; in anderen Entscheidungen geht es andere Wege. So wird für das Prüfungsrecht teilweise entscheidend darauf abgestellt, daß eine vollständige Nachprüfung durch das Gericht zu Wertungsverzerrungen führen würde 321 . Dies läßt sich begreifen als Hinweis auf Art. 3 Abs. 1 GG; dann würde in diesen Fällen der Gleichheitssatz als immanente Beschränkung gegenüber dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz wirken. Gegen die Annahme, daß das Gericht ein verfassungsrechtliches Effektivitätsprinzip aufstellen will, spricht auch der Hinweis des Gerichts auf die bei voller Nachprüfung drohende Überforderung der Rechtsprechung. Auch Schmidt-Aßmann spricht in diesem Zusammenhang von der Pflicht des Gesetzgebers zu einem kompetenzgerechten Zuschnitt von Sachnormen 322. Daraus läßt sich schlie-
317 Ständige Rechtsprechung; vgl. BVerfGE 35, 382 (401 f.); 61, 82 (111). Vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 182 ff. 318 So leitet ζ. B. Krebs, Kontrolle (vgl. S. 93 f., 100 f.), aus dem Kompetenzgefüge des Grundgesetzes einen Verwaltungsvorbehalt ab, der die gerichtliche Kontrolldichte begrenze; das Ausmaß dieser Begrenzung bleibt offen. 319 Die umfangreiche Kommentierung von Schmidt-Aßmann geht von der Möglichkeit aus, Art. 19 Abs. 4 GG auf gesetzlicher Grundlage einzuschränken, bleibt aber den Nachweis schuldig, woraus dieser ungeschriebene Gesetzesvorbehalt begründet werden soll. 320 BVerfGE 61, 111. 321 BVerfG NJW 1991, 2010. 322 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 184.
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ßen, daß auch in diesem Feld erwogen wird, eine Rechtfertigung für die Einschränkung des Grundsatzes des Art. 19 Abs. 4 GG aus dem durch Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG gestalteten Kompetenzgefüge abzuleiten, so daß es eines Rückgriffes auf Effektivität' nicht bedarf — wenn dieser verfassungsrechtlichen Rang haben sollte, dann jedenfalls nur als Grundsatz minimaler Funktionsfähigkeit: keine Überforderung. Effektivität als Funktionsoptimierung ist also kein eigenständiger, in der Verfassung verankerter Grundsatz, der innerhalb einer Abwägung von Verfassungsgütern geeignet wäre, im Grundgesetz niedergelegte Prinzipien einzuschränken.
IV. Grundrechte und ministerialfreie Räume: Grundrechtlich gebotene Staatsferne? In der Literatur zu einzelnen ministerialfreien Räumen wird sachlich zwecks Rechtfertigung der Weisungsungebundenheit von Verwaltungsstellen vielfach auf die Grundrechte zurückgegriffen 323. Für einzelne Grundrechte wird behauptet, sie enthielten ein Gebot zu möglichst staatsferner Entscheidung für alle von der Exekutive zu entscheidenden Fragen, die mit diesem Grundrecht zusammenhängen. Dabei wird meist weder klar gesagt, welche Besonderheiten ein Grundrecht aufweisen muß, um dergestalt ausgelegt werden zu können, noch wird der dogmatischen Einordnung dieser Schutzwirkung näher nachgegangen. Die Literatur beruft sich bei diesen Aussagen meist auf die Rechtsprechung, die das Bundesverfassungsgericht zum Rundfunkrecht entwickelt und von dort aus in andere Bereiche übertragen hat. Daraus hat die herrschende Meinung einen allgemeinen Grundsatz entwickelt: verfassungsrechtlichen sei die Staatsferne von zu treffenden Entscheidungen für den gesamten Bereich (über den Ausgangsfall des Rundfunks hinaus) des Art. 5 GG (insbesondere aber die Fälle des Absatzes III) wünschenswert, wenn nicht sogar vorgeschrieben. Diesem Grundsatz scheint auch das Bundesverfassungsgericht zu folgen. So formuliert das Gericht in der Mutzenbacherentscheidung, „ . . . daß Entscheidungen, die die Presse- und Kunstfreiheit betreffen, möglichst in einer gewissen Staatsferne und aufgrund einer pluralistischen Meinungsbildung ergehen sollen." 324 Vom Ausgangsbeispiel Rundfunk aus ist die Argumentation also verallgemeinert worden. Gleichzeitig geht es nicht mehr um die bloße Möglichkeit der Rechtfertigung oder der Wünschbarkeit einer ministerialfreien Ausgestaltung, sondern weitergehend um deren Erforderlichkeit.
323
Vgl. die Nachweise zu den folgenden Abschnitten 1.-4. Für die abstrakte Beurteilung von Ministerialfreiheit ist diese Argumentation dagegen bislang weitgehend unberücksichtigt geblieben. 324 BVerfGE 83, 130.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
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Um die Stichhaltigkeit des Ansatzes dieses Rechtfertigungsargumentes zu überprüfen, soll hier zunächst die Ausgangsargumentation nachvollzogen werden. Zu diesem Zweck werden die zur Freiheit des Rundfunkes vertretenen Ansichten mit Blick auf die vorliegende Fragestellung untersucht.
1. Der Ursprung der Argumentation: Beispiel Rundfunk Die Vorstellung einer verfassungsrechtlich auf der dogmatischen Basis der Grundrechte gebotenen Staatsfeme ,staatlicher4 Entscheidungen geht wesentlich zurück auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG 3 2 5 . Aus der Darstellung der maßgeblichen Erwägungen muß sich die entscheidende Frage beantworten lassen: Führt die Überführung einer grundrechtlich geschützten Agende in die öffentlich-rechtliche Wahrnehmung durch eine in die Staatsorganisation eingegliederte Stelle im Falle des Rundfunks zur Einräumung von Ministerialfreiheit? Ließe sich das bestätigen, dann wäre zumindest für ein Grundrecht 326 geklärt, daß eine solche Grundrechtswirkung — Einschränkung des Demokratieprinzips im Sinne der umfassenden Verantwortlichkeit — prinzipiell denkbar ist. Darüber hinaus ließen sich daraus vielleicht auch Folgerungen in bezug auf die Frage ziehen, ob diese dogmatische Argumentationsfigur über den Bereich der Rundfunkfreiheit hinaus auf andere Bereiche des Art. 5 GG, insbesondere den Absatz 3 anzuwenden ist, ob sie also verallgemeinerbar ist. Eine einfache Überlegung im vorhinein legt nahe, daß Staatsferne von Entscheidungen jedenfalls nicht bei jeder Überführung von grundrechtlich geschützter Tätigkeit in den Bereich von Staatsaufgaben geboten oder gerechtfertigt ist. Dies kann bei der vergleichenden Betrachtung anderer Grundrechtsbereiche erkannt werden: Insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge existiert ein ständiger Prozeß der Verschiebung in der Aufgabenteilung zwischen Gesellschaft und Staat. Wird eine ,Aufgabe 4 durch gesellschaftliche Tätigkeit nicht mehr in wünschenswerter Weise erfüllt, kann die öffentliche Hand sie zur öffentlichen Aufgabe der Daseinsvorsorge machen. Eine solche Aufnahme einer bislang gesellschaftlich unter Grundrechtsschutz (Berufsfreiheit) wahrgenommenen Aufgabe durch den Staat führt aber keineswegs dazu, daß diese Tätigkeit nun weisungsfrei gegenüber der Ministerialspitze ausgeübt werden müßte oder auch nur dürfte. Vielmehr wird auch hier von der Notwendigkeit einer demokratischen Verant325 Vgl. BVerfGE 12, 205; 31, 314 (Sondervotum S. 337); 57, 320; 73, 118; 83, 238 (= NJW 1991, 899). Die Literatur zu diesen Urteilen ist äußert umfangreich und wird hier nicht allgemein nachgewiesen. 326 Dabei wird zunächst von einem Verständnis des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG als Grundrecht ausgegangen. Ob diese Sichtweise zutreffend ist, soll damit nicht beurteilt sein. Vgl. dazu unten die Ansicht Böckenfördes zu der Rundfunkfreiheit als Staatsstrukturbestimmung.
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wortlichkeit ausgegangen — nötigenfalls bei Aufgabenwahrnehmung in Privatrechtsform durch eine Ingerenzpflicht der öffentlichen Hand. Dies gilt nicht nur für den Fall, daß die öffentliche Hand die Aufgabe selbst, sei es auch in Privatrechtsformen, erfüllt, sondern auch für den, daß ein Privater beispielsweise als Verwaltungshelfer eingeschaltet wird. Es kommt also nicht darauf an, ob die öffentliche Hand bei dieser Verlagerung selbst unmittelbarer Träger der Aufgabenwahrnehmung wird. Es ist allgemeine Meinung 327 und auch positivrechtlich festgelegt 328, daß die öffentliche Hand in diesen Fällen verpflichtet ist, sich einen entsprechenden Einfluß 329 auf die Aufgabenwahrnehmung zu sichern; darin ist die Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung Inbegriffen. Daraus ergibt sich, daß allein der Übergang einer auch grundrechtlich wahrnehmbaren Tätigkeit in den Binnenbereich des Staates nicht stets zur Forderung nach oder Rechtfertigung von Weisungsfreiheit führt 330 . Es bedarf also eines zusätzlichen Elementes für die Annahme des Gebotenseins einer Staatsferne der Entscheidungsfindung. Man könnte dies zusätzliche Element im formalen Bereich — etwa dergestalt, daß die Forderung nach Staatsfreiheit nur bei vorbehaltlosen Grundrechten auftritt — oder im inhaltlichen Bereich — Abhängigkeit vom Inhalt des Grundrechts — vermuten. Das Bundesverfassungsgericht ging zunächst von der speziellen Eigenart der Verbürgung des Art. 5 Abs. 1 S. 2 (Rundfunkfreiheit) GG aus und legte damit die Betonung auf den inhaltlichen Aspekt. Vorab ist allerdings noch darauf hinzuweisen, daß Unklarheit darüber bestehen kann, ob das Beispiel der Runkfunkfreiheit überhaupt ein sinnvoller Ausgangsfall für die dogmatische Behandlung der Ministerialfreiheit sein kann. Obwohl die grundrechtliche Argumentation der Literatur zur Ministerialfreiheit zweifelsfrei auf diesen Fall zurückgeht, ist diese Unklarheit möglich, weil keine Einigkeit im Grundlegenden besteht. Sinnvoller Ausgangspunkt kann die Rundfunkfreiheit nur sein, wenn die Veranstaltung von Rundfunk eine staatliche Verwaltungstätigkeit ist, die als solche prinzipiell dem Gebot der parlamentarischen Verantwortlichkeit unterliegt. Dies wird in der Literatur bestritten, insofern behauptet wird, Veranstaltung von Rundfunk auch in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sei keine staatliche Tätigkeit 331 , sondern gesellschaftliche Grundrechtsausü327 Zur Pflicht der öffentlichen Hand, die Verantwortlichkeitsbeziehung zu wahren auf Gemeindeebene vgl. ζ. B. Stober, Kommunalrecht, S. 176 m.w.N. 328 V g l . z. B. § 65 Abs. 1 Nr. 3 BHO. 329 Dieser kann auf verschiedenste Weise gesichert werden: von direkter Weisungsbefugnis über das Halten von Gesellschaftsanteilen bis zu vertraglicher Bindung an die öffentlichen Zwecke. 330 Anders aber ζ. B. im Anschluß an die Rechtsprechung des BVerfGs zur Rundfunkfreiheit Schmidt-Aßmann, AöR 1991 (116), 329 ff. (376), der die grundrechtliche Freiheit als eigenständige Legitimation neben der staatlich vermittelten demokratischen Legitimation betrachtet. Schon seine Formulierung ,autonome Legitimation staatlich verfaßter gesellschaftlicher Herrschaft' ist kritikbedürftig, insoweit Herrschaft staatlich monopolisiert und verfaßt ist. Die Formulierung bezeichnet genau die viel kritisierte Auslieferung an die Gesellschaft'.
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bung, „institutionalisierte Grundrechtssubstanz" 332. Die Haltung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Teilfrage ist unklar. Benutzt werden die Termini „staatliche Aufgabe", „öffentliche Aufgabe", „Aufgabe der öffentlichen Verwaltung" und „öffentliche Einrichtung". Diese Terminologie wurde im Minderheitsvotum zu der Umsatzsteuerentscheidung in Frage gestellt 333 . Dort wird betont, daß Rundfunk zwar öffentliche, aber nicht staatliche Aufgabe und mittelbare Staatsverwaltung sei. Eine eindeutige Entscheidung in dieser Frage hat das Gericht bis heute nicht gefällt, wahrscheinlich auch deswegen, weil innerhalb der Mitglieder des Gerichtes unterschiedliche Verständnisse der Rundfunkfreiheit vertreten sind 334 . Die Frage, wie die Veranstaltung von Rundfunk einzuordnen ist, muß hier aber nicht entschieden werden. Ist die Ansicht zutreffend, daß es sich um nicht staatliche Tätigkeit handelt, so ist eine Rechtfertigung für die Unabhängigkeit, die dann nicht eingeräumt, sondern originär ist, ohnehin nicht erforderlich. Erheblich gegen eine solche Position spricht aber, daß die Unabhängigkeit nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes nicht nur vor einseitigem staatlichen Einfluß schützen, sondern auch eine Auslieferung der öffentlichen Meinung an gesellschaftliche Gruppen verbieten soll 3 3 5 . Deswegen sind nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes die Gremienmitglieder der Rundfunkräte auch nicht mit der Vertretung ihrer Gruppeninteressen betraut, sondern mit denen des Gemeinwohles 336 . Um die organisationsrechtliche Rechtfertigungskraft des Grundrechts prüfen zu können, wird daher in der Folge unterstellt, daß es bei der Veranstaltung von Rundfunk um staatliche Tätigkeit handelt. Die Weisungsfreiheit der Rundfunkveranstaltung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist in umfassender Weise gesichert. Dagegen liegt auch beim Rundfunk eine organisatorisch-funktionelle Legitimation im Sinne des Demokratieprinzips regelmäßig vor, da die Rundfunkveranstaltung durch die Länder stets gesetzlich geregelt ist. Die einschlägigen Gesetze regeln sowohl den Auftrag wie die organisatorische Ausgestaltung des Rundfunks. Die Rundfunkanstalten als rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts 337 verfügen regelmäßig zur Erfül331 Vgl. dazu Bullinger, Freiheit von Presse, Rundfunk, Film, in: HdBStR Bd. VI, § 142 Rdnr. 127 (Grundversorgung aber als staatliche Aufgabe, Rdnr. 130); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2 Rdnr. 194, 213 a; //. H. Klein, S. 51 f. 332 Bethge, Der verfassungsrechtliche Standort, S. 29 m.w.N., S. 53 f. 333 BVerfGE 31, 314 (337 ff., 341, 343). Vgl. aber die Formulierungen der Mehrheit und der ständigen Entscheidungspraxis S. 329. 334 So haben beispielsweise offenbar Böckenförde und Grimm unterschiedliche Ansichten; zu beiden weiter unten. 335 Gegen eine grundrechtliche Auffassung als Grundrecht für jedermann könnte auch ins Feld geführt werden, daß dann kaum noch eine Rechtfertigungsmöglichkeit für die in den Rundfunkgesetzen liegenden Eingriffe bleibt. 336 Vgl. BVerfG NJW 1991, 908 f. Entsprechend zum Zweck der Aufsicht BVerfG NJW 1981, 1777. 337 Vgl. ζ. B. § 10 saarl. RundfunkG v. 28.11.1984 i.d.F. v. 11.8.1987.
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lung ihrer Aufgabe der Vermittlung von Information und Kultur (vgl. z. B. §§ 2, 11 Saarl. RundfG) über drei Organe, den Rundfunkrat, den Verwaltungsrat und den Intendanten (§§ 13,21 ff., 25 ff.). Der Rundfunkrat wählt die beiden anderen Organe, übt Rechtsaufsicht aus und trifft wichtige Einzelentscheidungen außerhalb des Programmbereiches und berät den Intendanten im Programmbereich. Er ist mit 29 Mitgliedern in vom Gesetz vorgeschriebener pluralistischer Weise besetzt. Die personelle Legitimation des Rundfunkrates als des wichtigsten Gremiums der Anstalt hat ein niedriges Niveau. Die Mitglieder werden beispielsweise im Saarland nicht ernannt, sondern in eigener Verantwortung der im Gesetz vorgesehenen Gruppen von diesen in den Rat entsandt (vgl. § 16). Die inhaltlichsachliche Weisungsfreiheit ist in doppelter Weise gesichert: Die Mitglieder der Rundfunkrates sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden (§15 Abs. 1 S. 3), der Intendant leitet das Programm in eigener Verantwortung (§27 Abs. 1 S. 2). Gebunden ist er dabei nur an die Programmleitsätze des Gesetzes, die für die Ausgestaltung des Programms im wesentlichen fordern, daß die Meinungsvielfalt im Programm angemessen Ausdruck findet (§ 5). Die durch Weisungsfreiheit der Rundfunkratsmitglieder und Eigenverantwortlichkeit des Intendanten gesicherte Unabhängigkeit wird als Staatsferne der Rundfunkveranstaltung bezeichnet. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gedanken der Staatsfreiheit beziehungsweise Staatsferne für das Rundfunkwesen in Anlehnung an die Pressefreiheit schon im ersten Fernsehurteil entwickelt. Aus der institutionellen Garantie der Presse, insbesondere aber aus ihrer demokratischen Funktion im Gemeinwesen wird gefolgert, daß eine staatliche Reglementierung oder Steuerung unzulässig sei; der Presse stehe der Rundfunk insoweit parallel 338 . Die Funktion dieser Medien im Rahmen der Demokratie bestehe darin, die Formung der öffentlichen Meinung zu bewirken. Die öffentliche Meinung ihrerseits sei Vorprodukt für die Staatswillensbildung. Dieser Meinungsbildungsprozeß bindet Herrschaft zurück an den Volkswillen, der sich dabei auch abweichend von dem Ergebnis der letzten Wahlen artikulieren kann und dann durch die Antezipation der zu erwartenden Wiederwahlchancen durch die professionelle Politik wirkt. Presse und Rundfunk müssen demnach um dessentwillen staatsfrei sein, daß eine selbstgesteuerte Perpetuierung der staatlichen Herrschaft unter Abkoppelung von ihrer demokratischen Legitimationsbasis verhindert wird 3 3 9 . Weil dies nur bei unabhängiger Presse und staatsfreiem Rundfunk gelingen kann, darf der Staat insbesondere auf die programmlich-inhaltlichen Fragen der Medien, insbesondere des Rundfunks, keinen Einfluß nehmen 340 . 338 BVerfGE 12, 260 f. 339 Allgemeine Meinung; vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2 Rdnr. 213. 340 Vgl. Starck, Recht und Staat, Heft 422/423 (1973) S. 15; BVerfG NJW 1987, 239 (246). Darstellung der Auffassung des BVerfG: Seelmann-Eggebert, ZUM 1992, 79 ff.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
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Es ergibt sich also schon aus der von der herrschenden Meinung selbst vorgebrachten Begründung: Die Staatsfreiheit (der Presse und) des Rundfunks, als Grundsatz allgemein anerkannt, ergibt sich nicht aus dem Charakter der Rundfunkfreiheit als eines Grundrechtes und Abwehrrechtes, sondern aus der Funktion der Veranstaltung von Rundfunk innerhalb des demokratischen Prozesses 341. Diese Funktion läßt sich als Kontrolle kennzeichnen. Als Kontrolle ist sie ihrer Wirkungsrichtung nach auf die gesamte Staatstätigkeit gerichtet; sie ist insbesondere nicht Kontrolle durch das Parlament gegenüber der Exekutive, sondern Kontrolle auch gegenüber den gewählten Repräsentanten der Mehrheit des Volkes. Dies zeigt sich besonders deutlich darin, daß die Bedeutung dieser Medien — allgemein der außerparlamentarischen Kontrolle — steigt, wenn die Regierung von einer großen Koalition getragen wird. Demzufolge umfaßt die Staatsfreiheit auch die Freiheit von parlamentarischer inhaltlich-sachlicher Bestimmungskraft 342 . Es läßt sich auch nicht sagen, daß der Abwehrrechtscharakter einer als grundrechtlich unterstellten Rundfunkfreiheit Resultat der Kontrollfunktion sei und deswegen dieser Charakter als Argument für die Staatsfreiheit vorgebracht werden könne. Nicht jedes grundrechtliche Abwehrrecht hat eine solche direkt auf die Staatswillensbildung oder generell die Staatsorganisation bezogene Funktion. Für die Berufsfreiheit beispielsweise läßt sich dies nicht behaupten. Die Einbindung eines Grundrechtes in die Staatsorganisation kommt vielmehr in seiner Auslegung als institutionelle Garantie zum Ausdruck. Als Rechtfertigungsprinzip bietet sich also, wie oben herausgearbeitet, auch hier das Gewaltenteilungsprinzip in seiner Bedeutung für staatliche Kontrollfunktionen (außerhalb der parlamentarischen Kontrolle) an. Dieses kann im Zusammenspiel mit dem Demokratieprinzip die dogmatische Basis für diejenige Weisungsfreiheit, die hier Staatsferne genannt wird, bieten. Im Unterschied zur Presse wird eine solche dogmatische Grundlage und ein besonderer Rechtfertigungsgrund für die Staatsfreiheit beim Rundfunk benötigt. Dies ist in der Sondersituation 343 des organisatorisch dem Staat eingegliederten 341 Deutlich mit funktionaler Argumentation auch auf dem etwas abliegenden Gebiet der Aufsicht ζ. B. Rossen, ZUM 1992, 408. 342 Starck, Recht und Staat, S. 15 ff., 18. BayVerfG NJW 1987, 251; LS 6. Aus dieser Einsicht lassen sich Schlüsse auf die Besetzung der Gremien ziehen. 343 Diese Sondersituation gerät heute in Zweifel, soweit sie in der überkommenen Weise mit Hinweis auf Finanzen und Frequenzen begründet wird. Auschlußreich zur Entstehung dieser Sondersituation Bausch, Der Rundfunk im politischen Kräftespiel der Weimarer Republik 1923-1933, 1956. Das Bundesverfassungsgericht begründet neuerdings die Sondersituation neu: es sei im Markt nicht sicher, daß sich angemessene Vielfalt bilde, wie es bei der Presse gelungen sei; deswegen bedürfe es noch immer eines organisationsrechtlichen Rahmens für Rundfunkveranstaltung. Diese Argumentation ist verfassungsrechtlich nur haltbar, wenn Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG mit Böckenförde als Strukturprinzip der Verfassung mit dem Inhalt der Freiheitssicherung verstanden wird. Dazu weiter unten. 8 Waechter
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Rundfunkwesens begründet. Aufgrund dieser Eingliederung findet die Kontrolle durch die öffentliche Meinungsbildung nicht im gesellschaftlichen, sondern im staatlichen Binnenbereich statt. Während früher diese Sondersituation mit dem Hinweis auf knappe Frequenzen und Finanzen begründet wurde, tritt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes neuerdings die drohende Vermachtung der Medien durch die Gesellschaft selbst in den Vordergrund. Gleiches Schutz- und gleiches Rechtfertigungsbedürfnis ist bei der Presse nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung nicht gegeben, weil sie im gesellschaftlichen Bereich verbleibt. M i t dem Austausch der verfassungsgerichtlichen Begründung für die Sondersituation beim Rundfunk (weg von den materiellen Fragen nach Finanzen und Frequenzen hin zum Schutzbedürfnis gegenüber gesellschaftlicher Vermachtung) wird allerdings die Problemstellung in beiden Bereichen ähnlicher. Zusätzlicher Schutz ergibt sich für Presse wie für Rundfunk über die Qualifizierung des Gesetzesvorbehaltes in Art. 5 Abs. 2 GG und das Zensurverbot 344 . Im Ergebnis ist also für das Prinzip der Staatsferne im Rundfunkwesen nicht der Grundrechtscharakter von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, sondern die Kontrollfunktion des Rundfunks sowie die Verortung dieser Funktion im staatlichen Binnenbereich entscheidend. Die hier vertretene Argumentation zur Rechtfertigung der Ministerialfreiheit des Rundfunks aus seiner Funktion im demokratischen Prozeß, die über das Gewaltenteilungsprinzip dogmatisch erfaßt wird, ist in entfernt ähnlicher, aber bezüglich des Anwendungsbereiches wesentlich erweiterter Form von den Vertretern einer ,treuhänderischen 4 Grundrechtsauffassung 345 vertreten worden. Die treuhänderische Bindung der Rundfunkfreiheit wird dabei mit dem „dienenden Charakter" dieser Freiheit gleichgesetzt 346 . Dieser dienende Charakter liegt darin, daß die Freiheit den Rundfunkanstalten nicht um ihrer selbst willen, sondern lediglich um der Freiheit der Bildung der öffentlichen Meingung willen eingeräumt ist. Das Grundrecht wird dadurch stark entwertet: seine Funktion soll einerseits nicht in erster Linie in der Sicherung eines Freiheitsraumes des Grundrechtsträgers liegen und zum zweiten soll die freiheitssichernde Wirkung nicht primärer, sondern lediglich sekundärer Zweck der Grundrechtsgarantie sein: die grundrechtliche Freiheit wird gegenüber der staatsbezogenen Funktion seiner Wahrnehmung nachrangig. Damit ist die Situation hier anders als bei dem typischen Abwehrgrundrecht, wo Freiheit grundsätzlich selbstzweckhaft eingeräumt ist. Die Erweiterung dieser Argumentation über den Bereich der Rundfunkfreiheit (deren dienende Stellung in ständiger Rechtsprechung anerkannt ist) hinaus macht 344 Vgl. H.H. Klein, S. 33.
345 Vgl. Bethge, ZUM 1991, 337 (341) mit indirektem Hinweis auf Grimm. 346 Vgl. VGH München NJW 1992, 929 (930): Die Rundfunkanstalten sind nicht Grundrechtsträger aus eigenem Recht, sondern sie üben ihre Aufgaben treuhänderisch aus. Rundfunkfreiheit ist dienende Freiheit.
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die Ausdehnung des Gedankens der Staatsferne auch über den Bereich der Kontrolle hinaus in den Bereich der Kunstfreiheit plausibel und entbindet die Argumentation von der Voraussetzung der Sondersituation des Rundfunks hinsichtlich ,Frequenzen und Finanzen'. Ausgearbeitet findet sich diese Vorstellung bei D. Grimm 3 4 7 . Er argumentiert nicht vom Rundfunk, sondern von einer angenommenen allgemeinen Kulturstaatlichkeit der vom Grundgesetz verfaßten Bundesrepublik Deutschland her. Für diese Kulturstaatlichkeit sei der Rundfunk nur ein Anwendungsfall neben anderen kulturellen Trägern 348 . Die Argumentation Grimms scheint stark von Smends Vertrauen in die Integrationsleistung der Kultur geprägt zu sein. Sie legt besondere Beachtung auf die Tatsache, daß der moderne Staat die Voraussetzungen seiner Reproduktion nicht mehr selbst garantieren kann. Grimm wendet diese von Böckenförde auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bezogene Einsicht auf die Abhängigkeit des Staates von Legitimität an. Diese werde wesentlich über Kulturleistungen hergestellt. Grimm setzt damit für den Normalfall voraus, daß der Kulturbereich für den Staat soviel integrative Wirkungen hervorbringt, daß dadurch die notwendige ständige Reproduktion der Legitimität gelingt. Demgegenüber treten bei ihm wie bei Smend desintegrative Wirkungen der Kultur in den Hintergrund. Weil der Staat auf die regenerativen Leistungen der Kultur im Legitimitätsbereich angewiesen sei, ergibt sich für ihn eine auf die Kultur bezogene Pflicht zur Funktionsgewährleistung. Im Ergebnis wird mit Hinweis auf diese notwendigen Integrationsleistungen sowohl die öffentlich-rechtliche Ausgestaltung des Rundfunks wie die für die Integrationsfunktion notwendige Autonomie gerechtfertigt. Auf die gleiche Weise kann nun hinsichtlich anderer kultureller Medien außerhalb des Rundfunks das Gebot der Staatsferne von Entscheidungen begründet werden. Aber auch dieser Gedankengang kann die Staatsferne nur für den Bereich der Integrationsfunktion selbst begründen, nicht für die Fälle der Abwehr der von Kultur ausgehenden Gefahren, wie beispielsweise beim Jugendschutz gegenüber gefährdenden Schriften. Die Beurteilung der Notwendigkeit der Abwehr desintegrativer Wirkungen der Kultur kann nicht deren Vertretern selbst überlassen bleiben. Gleichzeitig wird hier die Gefahr einer solchen Auffassung deutlich, die die Kultur auf integrative Funktionen festzulegen 349 droht. Indem die Autonomie der Kultur für die staatliche Integration genutzt werden soll, geht sie teilweise verloren: „Funktionelle Autonomie geht stets mit erhöhter Abhängigkeit einher" 350 . Diese Auffassung ist aus mehreren Gründen abzulehnen. Zunächst ist mit einer durchgängigen Funktionalisierung (diese Funktionalisierung kommt begrifflich hier in der treuhänderischen' Funktion der Grundrechts Wahrnehmung zum Aus347 Grimm, Kulturauftrag, VVdStRL 42 (1984), 46 ff. 348 Vgl. Grimm, Kulturauftrag, S. 71. 349 Vgl. Grimm, Kulturauftrag, S. 72: Problem der „akulturellen Verwendung" von Medien. 350 Grimm, Kulturauftrag, S. 64. 8*
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druck) der kulturellen Grundrechte die Gefahr der Entwertung der von ihnen abhängigen Freiheitsgehalte verbunden. Diese von Grimm vertretene Auffassung teilt die Schwächen der von Smend ausgehenden Denkrichtung einer umfassenden Funktionalisierung. Jede solche Interpretation eines Grundrechtes von seiner Funktion für den Staat her bedeutet eine wesentliche Gefahr für die grundrechtliche Freiheitsverbürgung. Das liegt daran, daß eine solche Funktion nur vom Standpunkt des Staates aus abgrenzbar ist; vom Standpunkt des Individuums aus ist stets größtmögliche Freiheit am funktionalsten. Deutlich wird dies beispielsweise in der institutionellen Grundrechtstheorie Luhmanns 351 . Deswegen ist es sinnvoll, solche funktionalen Interpretationen nur dann vorzunehmen, wenn es unbedingt notwendig ist 3 5 2 . Das ist nicht im gesamten Bereich der kulturellen Grundrechte der Fall. Sachlich argumentiert D. Grimm ebenso wie Schuppert: weil der Staat auf bestimmte Reproduktionsleistungen (hier Kultur, dort Ökonomie) angewiesen ist, wird in diesen Bereichen das Demokratieprinzip verkürzt, um die Reproduktionsleistung der gesellschaftlichen Kräfte zu stimulieren. Die wünschenswerte Reduktion einer funktionalistischen Grundrechtsinterpretation ist möglich. Zu diesem Zweck darf man nicht auf die allgemeine Angewiesenheit des Staates auf gesellschaftliche Reproduktionsleistungen abstellen, sondern nur auf diejenigen Fälle, in denen diese Angewiesenheit derart stark ist, daß der Staat diejenigen gesellschaftlichen Institutionen, die diese Leistung erbringen, in ihrem Bestand verbürgt. Dies geschieht dann, wenn ein Grundrecht als institutionelle Garantie aufgefaßt wird. Das Beispiel der Rundfunkfreiheit verdeutlicht, daß manche Grundrechte in der heute herrschenden Auslegung eine Funktion für den organisatorischen Teil der Verfassung haben. Diese Funktion ergibt sich aber in erster Linie aus dem Verständnis eines Grundrechtes als institutionelle Garantie und nicht aus der vielzitierten darüberhinausgehenden Verfahrenswirkung. Die Anerkennung einer institutionellen Garantie beinhaltet der Sache nach, daß dem Grundrecht eine organisatorische Anordnung entnommen wird 3 5 3 . In dieser Auslegung zeigt sich, daß die Ausübung bestimmter Grundrechte in einen staatlichen Funktionszusam351
Im Bereich des Art. 1 Abs. 1 GG führt der funktionale Gedanke Luhmann (vgl. Luhmann, Grundrechte, S. 53 ff.) beispielsweise zu der Ansicht, daß,Würde4 vom Individuum zu leisten ist. Diese Ansicht eröffnet die Möglichkeit, weniger ,leistungsfähigen' Individuen Würde abzusprechen. Die Meinung Luhmanns wird deswegen meist abgelehnt (vgl. ζ. B. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 1 Rdnr. 13 m.w.N.). 352 Es wird hier nicht verkannt, daß die Auslegung des Schutzbereiches eines Grundrechtes nur unter Bezug auf den selbstzweckhaften Charakter grundrechtlicher Freiheit kaum zu leisten ist. Insofern drängt die teleologische Grundrechtsinterpretation stets zu einer funktionalistischen Auffassung. 353 Pieroth / Schlink, Rdnr. 86 ff. lehnen den Gedanken der institutionellen Garantie ab und entnehmen den Grundrechten statt dessen eine Anordnung funktionsgerechter Ausgestaltung. Damit wird gerade der Vorteil einer begrenzten und definierten organisatorischen Wirkung für bestimmte Fälle aufgegeben und ein prinzipiell unstrukturiertes Argument, das dem Gedanken der Verfahrenswirkung nahekommt, eingeführt.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
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menhang gestellt wird, wo die geschützte Tätigkeit für den Staat unentbehrliche Wirkungen entfalten soll. Diese Funktion ist für die institutionelle Garantie des freien Rundfunks als Kontrolle* erwiesen worden. Aus dieser Beobachtung läßt sich verallgemeinernd folgern, daß immer dort Ministerialfreiheit eingeräumt werden darf, wo eine institutionelle Garantie und ein subjektives Abwehrrecht zusammentreffen. Denn in diesem Zusammentreffen liegt einerseits eine organisatorische Anordnung, die die Eingliederung in den Staat bestimmt, und andererseits eine Grenze für diese Eingliederung: Weisungsgebundenheit soll erhalten bleiben. Ein solches Zusammentreffen findet beim Rundfunk nach verbreiteter Meinung statt. Die Ministerialfreiheit kann dann für diejenigen Bereiche eingeräumt werden, die von der Schutzwirkung des subjektiven Abwehrrechtes unmittelbar erfaßt sind. Der Unterschied zu der Rechtfertigung aus dem Gewaltenteilungsprinzip liegt dabei auf zwei Ebenen. Während die Anknüpfung an das Gewaltenteilungsprinzip auf die Funktion abstellt, kommt es im anderen Fall auf das Zusammentreffen zweier abstrakter Grundrechtswirkungen an. Aus dem Verhältnis der beiden Kriterien ergibt sich die zweite Ebene des Unterschiedes: die Interpretation eines Grundrechts als institutionelle Garantie ist selbst Folge einer Zuordnung der Grundrechtsausübung zu den wesentlichen Reproduktionsfaktoren eines Staates. Die Anknüpfung an die formalen Kriterien ist also gegenüber der an die Funktion sekundär. Auch ist die Organisationsbezogenheit der Anordnung im Gewaltenteilungsprinzip deutlicher als in der bloßen Auslegung eines Grundrechtes. Dennoch kann die Anknüpfung an die formalen Kriterien vorteilhaft sein: so, wenn die Funktion eines ministerialfreien Raumes schwerer zu bestimmen und einer organisatorischen Verfassungsvorschrift zuzuordnen ist als dies beim Rundfunk in Verbindung mit dem Prinzip der Gewaltenteilung der Fall ist. Dabei ist insbesondere an die Hochschulfreiheit zu denken. Festzuhalten ist zweierlei: Offenbar ist die Staatsferne im Rundfunk in erster Linie nicht unmittelbares Resultat einer Grundrechtswirkung, sondern Folge der im demokratischen Prozeß eingenommenen Funktion. Daraus kann abgeleitet werden, daß eine Übertragbarkeit, die über diese Funktion hinausführt, nicht angenommen werden kann, wenn nicht analoge Funktionen aufgewiesen werden können. Dies wird durch die institutionelle Garantie des Rundfunks und dadurch bestätigt, daß die Rechtsprechung die Staatsferne an die ,Sondersituation4 im Rundfunkwesen koppelt. Eine Anwendbarkeit des Prinzips der Staatsferne auf andere Grundrechte, etwa die Kunstfreiheit, erscheint damit unwahrscheinlich. Es fehlt hier an der eindeutig bestimmbaren Funktion (im Gegensatz zu der Auffassung von Grimm), die Staatsferne unabdingbar macht sowie an der institutionellen Gewährleistung und an der Eingliederung in den Staatsinnenbereich. Damit ist keines der Kriterien erfüllt, die sich anhand des Beispieles Rundfunk als wesentlich für die Anwendung des Gedankens der,Staatsferne 4 herausgestellt haben.
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Dies Ergebnis läßt sich durch einen zusätzlichen Hinweis noch bestätigen. Die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG wird nicht durchgängig als Grundrecht gelesen, sondern sogar ausschließlich als Staatsstrukturbestimmung interpretiert. Dies entgegen der herrschenden Meinung und im Gegensatz zu der systematischen Stellung der Norm. Bei dieser Ansicht zeigt sich deutlich, daß organisatorische Ausgestaltungen in erster Linie von Staatsstrukturbestimmungen gewährleistet werden und nicht von Grundrechtswirkungen. Eine solche Ansicht wird von Wieland vertreten. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG weise den Rundfunk nicht dem staatsfernen, durch Grundrechte geschützten Bereich der Gesellschaft zu, sondern enthalte eine Strukturgarantie, die die Freiheit der Rundfunkveranstaltung sichert; dies gegenüber den Ingerenzen des Staates sowohl wie gegenüber denen der Gesellschaft 354. Bezeichnenderweise wird die Unabhängigkeit des Rundfunks hier mit der der Justiz parallelisiert. Wieland betrachtet die Tätigkeit der staatlichen Rundfunkanstalten demnach als staatliche Tätigkeit. Die Strukturgarantie des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG enthält unter anderem das Gebot, diese Tätigkeit von der ministeriellen Weisungsbefugnis freizustellen. Wieland betrachtet Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG also als eine deplacierte Staatsorganisationsbestimmung. Auch ein Blick in ein anderes Gebiet bestätigt das hier gefundene Ergebnis. Das Bundesverfassungsgericht hat auch für die Parteien das Gebot der Staatsfreiheit aufgestellt 355. Diese oft wiederholte Forderung hat ihren Anwendungsbereich insbesondere im Bereich der Parteienfinanzierung. Sie bewirkte dort nach der älteren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, daß die Parteien eine Staatsfinanzierung nur für den Tätigkeitsbereich, in dem sie unmittelbar staatsbezogen tätig sind, erhalten durften; darunter verstand das Gericht die Wahlen. Nach der neuen Rechtsprechung bewirkt das gleiche Gebot der Staatsferne, daß die Parteien für ihre gesamte Tätigkeit Staatsgelder erhalten dürfen, der Umfang dieser Mittel wird aber in mehrfacher Weise 356 so beschränkt, daß sich nur eine teilweise Staatsfinanzierung der Parteien ergibt. Für die Begründung dieser Forderung nach Staatsfreiheit der Parteien hat nun das Bundesverfassungsgericht trotz der Grundrechtsfähigkeit 357 der Parteien als verfassungsrechtlicher Institutionen 354 Böckenförde I Wieland,
AfP 1982, 77 ff. (82). Vgl. auch Wieland, Freiheit des
Rundfunks, S. 80-138. 355 Anders zunächst BVerfGE 8, 51; dann aber pro Staatsfreiheit die ständige Rechtsprechung, insb. BVerfGE 20, 56; 24, 300; 52, 63; 73, 40. 356 Das Gericht (DVB11992,764 ff.) fordert eine relative Obergrenze der Staatsmittel, die die selbsterwirtschafteten Mittel der Parteien nicht überschreiten dürfen. Daneben wird eine absolute Obergrenze auf dem Stand von 1992 festgesetzt und auf die Funktionsfähigkeit der Parteien bezogen. Schließlich wird die Erfolgsabhängigkeit (bezüglich Wahlerfolg und Spendeneinwerbung) des Zuschusses verlangt. Die alte Rechtsprechung wurde aufgegeben, weil sich eine Trennung zwischen unmittelbar staatsbezogener Tätigkeit der Parteien und gesellschaftlicher Werbung nicht herstellen ließe: Parteien betrieben stets Wahlkampf. Entscheidender war wohl das Bedürfnis nach einer klaren und zukunftsbeständigen Lösung des Finanzierungsproblems überhaupt.
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nicht auf diesen grundrechtlichen Schutz, sondern auf die Rolle der Parteien im staatlichen und vorstaatlichen Willensbildungsprozeß abgestellt und diese Argumentationslinie auch in der derzeit jüngsten Entscheidung 358 zum Problemkomplex beibehalten. Politische Meiungsbildung müsse sich vom Volk hin zu den Staatsorganen abspielen; nur so sei demokratische Erneuerung gewährleistet. Das Gericht verweist auf das „Verfassungsgebot der grundsätzlich staatsfreien und offenen Meinungs- und Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen" 359. Dieses Verfassungsgebot entnimmt das Gericht aus Art. 20 Abs. 2 G G 3 6 0 und sieht dieses Ergebnis durch den Inhalt des Art. 21 GG bestätigt 361 . Eine staatliche Finanzierung der Parteien könnte sie in Abhängigkeit vom Staat bringen und damit die Richtung der Willensbildung umkehren; das ist nach dem Grundgesetz nicht zulässig. Vergleichbar wird auch im Bereich der Finanzierung des Rundfunks argumentiert; dort führt die Argumentation zur Gebührenfinanzierung. Der vom Bundesverfassungsgericht für die Parteien aufgestellte Grundsatz der Staatsfreiheit wird allerdings in der Literatur mit Hinweis auf die weitgehende Finanzierung der Parteien aus steuerlich absetzbaren Spenden und Wahlkampfkostenerstattung in Zweifel gezogen 362 . Diese Zweifel sind nicht berechtigt, weil es dem Bundesverfassungsgericht bei der Staatsfreiheit ersichtlich nicht allein um das Verbot staatlicher Finanzierung als solcher geht, sondern in erster Linie um durch diese vermittelte einseitige Abhängigkeiten; in seiner Rechtsprechung zum Spendenabzug und zur Wahlkampfkostenerstattung hat es gezielt versucht, solche Abhängigkeiten zu minimieren. Als wesentlich ist festzuhalten, daß auch bei den Parteien der Grundsatz der Staatsfreiheit nicht mit Grundrechtswirkungen, sondern aus Staatsstrukturbestimmungen zu entnehmen ist. Eine Begründung für die Ministerialfreiheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist demnach nicht auf eine Argumentation über die Verfahrenswirkung von Grundrechten angewiesen. Statt dessen sollte die Begründung sich auf eine organisatorische Vorschrift stützen. Für den Bereich von Kontrollfunktionen kommt in erster Linie das Gewaltenteilungsprinzip in Betracht. Wenn man wie Wieland die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG als Strukturbestimmung
357 Η. M., vgl. Kunig, Die Parteien, in: HdbStR Bd. II, § 33 Rdnr. 60. 358 BVerfG DVB1 1992, 764 (vgl. insb. S. 766). 359 BVerfGE 20, 56 (102); vgl. auch S. 99. Die Mitwirkung der Parteien an der Vorformung des politischen Willens enthält dabei unter anderen Funktionen mit der Einflußnahme auf die politische Entwicklung in Parlament und Regierung, § 1 Abs. 2 PartG, auch ein Element der Kontrolle. 360 BVerfGE 20, 56 (97); Art. 5 Abs. 1 GG, wird, allerdings nicht tragend, erwähnt (S. 97/98). 361 BVerfGE 20, 56 (107 ff.); Art. 21 spielt in der Begründung keine wesentliche Rolle. Er wird lediglich zur Überprüfung des Ergebnisses herangezogen. 362 Vgl. ζ. B. Stein, § 16 IV. Allgemeiner Kunig, Die Parteien, in: HdbStaatsR Bd. II, § 33 Rdnr. 75.
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versteht, ist diese Norm allerdings speziellere Organisationsvorschrift gegenüber Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Schließlich kann auch auf sekundärer Ebene nicht an die Funktion angeknüpft werden, sondern an deren Auswirkung in der Grundrechtsauslegung: Auch das Zusammentreffen von institutioneller Garantie mit subjektivem Abwehrrecht kann Ministerialfreiheit rechtfertigen.
2. Wissenschaftlichkeit: Methodische Verwaltungstätigkeit als Grundrechtsausübung? Bei der Veranstaltung von Rundfunk liegt ein Merkmal der Besonderheit dieser Tätigkeit darin, daß nach der herrschenden Meinung grundrechtlich geschützte Tätigkeit im Binnenbereich der staatlichen Organisation ausgeübt wird. Diese Besonderheit soll nach der Auffassung von H. Sodan 363 auch die Ministerialfreiheit von Verwaltungstätigkeit in anderen Bereichen rechtfertigen. Dies ist bezüglich der gefahrenabwehrenden Verwaltungstätigkeit der Transparenzkommission im Pharmawesen und der Kunststoffkommission vorgebracht worden. Damit tritt hier die grundrechtliche Argumentation neben die verbreitete Berufung auf ein verfassungsrechtliches Effektivitätsprinzip. Die (wegen der faktischen Grundrechtswirkungen auf die Berufsfreiheit der Pharmahersteller 364) auf gesetzlicher Grundlage 365 basierende Tätigkeit der Transparenzkommission 366 — eine unabhängige Sachverständigenkommission beim Bundesgesundheitsamt — besteht darin, Vergleichslisten für die pharmakologisch-therapeutische Wirksamkeit und die Preise von Arzneimitteln zu erstellen (§ 39 b AMG). Die Veröffentlichung dieser Listen soll zu einer kostensparenden Verschreibungspraxis von Arzneimitteln durch die Ärzteschaft beitragen und dadurch die Krankenkassen finanziell entlasten. Die Transparenzkommission ist pluralistisch aus Vertretern der Krankenversicherer, der Ärzteschaft, der Pharmahersteller, der Apotheker und der Verbraucher in vom Gesetz gewichteter Weise besetzt. Die Mitglieder der Kommission sind unabhängig und an Weisungen nicht gebunden (§ 39 c Abs. 2 AMG). Das Gesetz bestimmt Aufgabe, organisatorische Ausgestaltung und Verfahren 367 ; die Mitglieder des Gremiums werden durch die Ministerialspitze ernannt 368 . 363 Sodan, passim. 364 Diese gesetzliche Grundlage wurde nachgeschoben, nachdem ein Prozeß der Pharmahersteller gegen die Veröffentlichung der Listen Erfolg gehabt hatte. Die gesetzliche Grundlage ist hier wegen der Grundrechtsberührung erforderlich. Damit wird das gleiche Ergebnis erreicht, wie wenn man den institutionellen Gesetzesvorbehalt wegen der Ministerialfreiheit von Entscheidungen für anwendbar gesehen hätte; Entscheidungen im engeren Sinne fallen allerdings bei der Kommission nicht. Bei anderen ministerialfreien Räumen greift oft schon der institutionelle Gesetzesvorbehalt wegen der Verleihung eigener Rechtspersönlichkeit, so bei den öffentlich- rechtlichen Rundfunkanstalten. 365 §§ 39 a ff. AMG. 366 Sodan, S. 217 ff.
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Die sogenannte Kunststoffkommission 369 veröffentlicht Empfehlungen über die Markteinführung von neuen Kunststoffen, die bei der Lebensmittelverpackung verwendet werden. In der Praxis wirken die Empfehlungen schon aus Haftungsgründen verbotsgleich 370 . Beide Kommissionen sind pluralistisch zusammengesetzt 371 und arbeiten weisungsfrei. Es fehlt daher an der inhaltlich-sachlichen Legitimation für diese Tätigkeit. Dagegen ist institutionelle und personelle Legitimation vorhanden. Die Argumentation für die Rechtfertigung der geminderten demokratischen Verantwortlichkeit dieser gefahrenabwehrenden Verwaltungstätigkeit knüpft an die Art und Weise der fraglichen Tätigkeit an. Diese besteht häufig darin, Grenzwerte zu bestimmen und Produkte hinsichtlich des ihnen innewohnenden Gefahrenpotentials einzuschätzen. Diese Aufgaben setzen eine methodisch reflektierte Untersuchungstätigkeit notwendig voraus. Daraus wird von Sodan der Schluß gezogen, daß es sich bei dieser Tätigkeit im Rechtssinne um Wissenschaft handele. Diese werde von der Garantie des Art. 5 Abs. 3 GG erfaßt, welche mit dem Gebot der Staatsferne eine Rechtfertigung für eine ministeriell nicht verantwortete Entscheidungstätigkeit enthalte 372 . Die Vorstellung, eine ihrer Art nach nicht ungewöhnliche Verwaltungstätigkeit könne Grundrechtsausübung sein, ist zunächst überraschend. Tatsächlich ergeben sich erhebliche Zweifel daran, daß der Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit diese Tätigkeit erfaßt. Sodan definiert wissenschaftliche Betätigung als den „nach Inhalt und Form . . . ernsthaften planmäßigen Versuch zur Ermittlung der Wahrheit" 3 7 3 . Läßt man diese Definition genügen, so ergäbe sich, daß, gefördert durch das Amtsermittlungsprinzip, jede tatsächlich oder auch rechtlich einigermaßen schwierige Subsumtion unter einen Tatbestand wissenschaftliche Tätigkeit sein könnte. Verwaltungstätigkeit wäre dann häufig, beispielsweise bei der Erstellung einer Ausarbeitung in der Rechtsabteilung einer Verwaltungsbehörde oder bei der Vorbereitung der Entscheidung über einen Genehmigungsantrag, gleichzeitig Ausübung von Wissenschaft. Daß dadurch nicht ein breiter Bereich von Staatsfreiheit in die Verwaltung hereingetragen werden darf, ist nach traditioneller Auffassung einer verantwortlichen Verwaltung und nach den impliziten Voraussetzungen des Beamtenrechtes evident.
367 Das Verfahren wird vermittelt durch eine Rechtsverordung gesetzlich bestimmt, § 39 d Abs. 1 AMG. 368 § 39 Abs. 1 AMG: BMin f. Gesundheit im Einvernehmen mit BMin für Arbeit und Soziales und BMin für Wirtschaft.
369 Sodan, S. 178 ff. 370 Vgl. Sodan, S. 202 f.
371 Vgl. für die Transparanzkommission das AMG; die Kunststoffkommission ist ähnlich wie die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission nach § 34 LMBG ausgestaltet. 372 Sodan, S. 371 ff. 373 Sodan, S. 373.
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Die dargelegte Auffassung knüpft an eine zu weite Definition dessen an, was Wissenschaft im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG ist. Sie ignoriert die für den Wissenschaftsbegriff konstitutive Autonomie des Wissenschaftlers hinsichtlich der Entscheidung über die wissenschaftliche Fragestellung und in bezug auf die Wahl einer wissenschaftlichen Methode. Die Zugehörigkeit dieser Merkmale zum Wissenschaftsbegriff ist anerkannt 374. Diese Freiheiten können aber die Organ waiter in den von Sodan angeführten Beispielen (Kunststoffkommission, Transparenzkommission Pharmawesen) nicht in Anspruch nehmen: ihr Auftrag und teils auch ihr Vorgehen stehen nicht zu ihrer Disposition. Die in diesen Gremien ausgeübte Verwaltungstätigkeit kann daher nicht als Wissenschaft begriffen werden. Die Argumentation von Sodan ist auch in sich nicht schlüssig. Es wird nicht hinreichend genau zwischen dem Träger der Weisungsfreiheit und den tätigen Einzelpersonen unterschieden. Weisungsfreiheit ist dem Gremium als ganzen, nicht aber dem einzelnen Mitglied eingeräumt. Dieses ist gegenüber den Gremiumsentscheidungen weisungsgebunden. Eine gegebenenfalls aus dem Wissenschaftscharakter der Tätigkeit abzuleitende Weisungsfreiheit müßte aber den tätigen Einzelpersonen in erster Linie selbst eingeräumt werden. So sind auch im Hochschulbereich zunächst die Wissenschaftler in Person Grundrechtsberechtigte und nicht den Weisungen ihres „Gremiums" (Fachbereich) unterworfen 375 . Damit entfällt in den genannten Beispielen die Grundlage dafür, methodisch geleitete und auf Suche der Wahrheit gerichtete Tätigkeit in Verwaltungsbehörden als Wissenschaft zu qualifizieren und daraus ein grundrechtliches Gebot der Staatsferne von hier fallenden Entscheidungen abzuleiten. Dies muß allgemein für den Bereich der Gefahrenabwehr im Ganzen gelten; hier obliegt dem Staat die Schutzpflicht gegenüber den Bürgern, Gefahren abzuwenden. Daraus ergibt sich stets ein bestimmter Auftrag für die gefahrenabwehrende Verwaltungstätigkeit, die sich ihr Ziel schon aus rechtlichen Gründen nicht selbst setzen kann. Offen bleiben muß dies hier zunächst für den Bereich der Daseinsvorsorge außerhalb des Sonderfalles der Rundfunkveranstaltung; hier werden entsprechende Argumentationen für den gesamten Bereich des Kulturverwaltungsrechts, beispielsweise für die ,Verwaltungstätigkeit 4 in Museen etc. vorgebracht 376.
374 Vgl. ζ. B. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 100. 375 Sodans Berufung auf die Literatur geht fehl. Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 251 ff. verweist lediglich auf solche außeruniversitären Forschungseinrichtungen, in denen die Forschung Hauptzweck und nicht der Gefahrenabwehr o.a. eingeordnet ist. 376 Vgl. Oppermann, S. 254 f.
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3. Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich der Daseinsvorsorge: Förderungsentscheidungen Die staatliche Aufgabe der Daseinsvorsorge beinhaltet in mehreren Bereichen die Förderung von gesellschaftlichen Aktivitäten, die Grundrechtsschutz gemessen. Die organisatorische und verfahrensmäßige Ausgestaltung der Entscheidungsfindung über die jeweilige Förderung ist in den verschiedenen Gebieten unterschiedlich ausgestaltet. Während über Wirtschaftsförderung und Förderung von wissenschaftlichen Großvorhaben 377 wohl überwiegend in ministerieller Verantwortlichkeit entschieden wird, sind insbesondere für die Kunstförderung teilweise unabhängig entscheidende Institutionen eingerichtet worden. In diesen entscheiden häufig pluralistisch zusammengesetzte Gremien weisungsfrei über die Vergabe der Fördermittel. Auch im Bereich der Kunstförderung allerdings gibt es ministeriell verantwortete Förderentscheidungen; eine einheitliche Ausgestaltung ist nicht ersichtlich. Besonders gut dokumentiert und juristisch durchgearbeitet sind diese Fragen der Ausgestaltung staatlicher Förderung im Bereich der Filmförderung. Diese steht häufig beispielhaft für den gesamten Bereich der Kulturförderung; dies unabhängig davon, daß die Filmförderung starke Element einer Wirtschaftsförderung enthält 378 . Die Aufgabe der Filmförderung wird nach dem Filmförderungsgesetz 379 von einer bundesunmittelbaren rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts mit dem Namen ,Filmförderungsanstalt 4 wahrgenommen (§ 1 FFG). Betrachtet man die aufgrund des Filmförderungsgesetzes zu fällenden Entscheidungen unter dem Aspekt der demokratischen Legitimation, so ergibt sich, daß eine organisatorisch-funktionelle Legitimation nicht bestritten werden kann: das Gesetz regelt die Einrichtung der für die Entscheidungen zuständigen Behörde, ihre Ausgestaltung mit Organen, ihre Aufgabe und ihre Arbeitsweise. Die Aufgabe liegt nach der derzeitigen Fassung des Gesetzes sowohl in der Steigerung der (künstlerischen) Qualität des deutschen Films wie in der Förderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Filmwirtschaft (vgl. § 2 insb. Abs. 1 Nr. 1,4 FFG). Die innere Organisation der Anstalt besteht aus einem Verwaltungsrat, einem Präsidium und einem geschäftsführenden Vorstand 380 . Der nach Maßgabe des 377 Ministerialfrei läuft aber die gesamte Wissenschaftsförderung über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Max Planck Gesellschaft (MPG), die erhebliche Staatsmittel verteilen. 37 8 Diese Elemente sind verfassungsrechtlich erforderlich, wenn der Bund diese Aufgabe wahrnehmen will, da die Kulturförderung Länderaufgabe ist. Die Gesetzgebungsgeschichte (da es sich stets um zeitlich befristete Gesetze handelte, lagen häufige Novellierungen besonders nahe) der Filmförderung zeigt ein andauerndes Schwanken zwischen dem Überwiegen des Aspektes der Wirtschaft- und der Kunstförderung. 379 Filmförderungsgesetz v. 25.6.1979 i.d.F. v. 18.11.1986. Eine Novellierung des Gesetzes ist derzeit geplant. 380 §§4-6 FFG. Der Verwaltungsrat besteht aus 27, das Präsidium aus 9 und der Vorstand aus 2 Mitgliedern.
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Gesetzes aus Vertretern der öffentlichen Hand und solchen der interessierten Kreise pluralistisch zusammengesetzte Verwaltungsrat ist Kreationsorgan für die beiden anderen Organe. Für die spezifische Aufgabenwahrnehmung existieren zwei Kommissionen: die Bewertungskommssion ist für die künstlerische Beurteilung eines Filmes zuständig (§ 7 i.V. § 31 FFG); die Vergabekommission entscheidet über Förderungsmaßnahmen (§ 8 FFG). Beide Gremien sind wiederum in vom Gesetz vorgegebener Weise (§§7 Abs. IV, 8 Abs. 4 FFG)pluralistisch besetzt. Auch die personelle demokratische Legitimation kann den Organwaltern der Filmförderungsanstalt nicht abgesprochen werden, die Mitglieder des Verwaltungsrates als des zentralen Organes werden nach den gesetzlichen Vorgaben vom parlamentarisch verantwortlichen Bundesminister der Wirtschaft ernannt. Wie es kennzeichnend für die Ministerialfreiheit ist, liegen die Legitimationsprobleme also im Bereich der inhaltlich-sachlichen Legitimation. Diese wird im allgemeinen durch die Weisungshierarchie in der Verwaltung gesichert. Die Mitglieder der beiden entscheidenden Kommissionen aber sind in ihrer Tätigkeit „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden" (§ 7 Abs. 3 S. 4; § 8 Abs. 3 S. 5 FFG). Ihre Stellung wird also in dieser Hinsicht mit der für die Legitimationsform des Mandats typischen Formulierung bezeichnet. Es stellt sich deswegen die Frage, ob dieses Fehlen inhaltlich-sachlicher Legitimation durch eine besonders strenge Gesetzesbindung kompensiert ist. Dies könnte insbesondere durch genaue Entscheidungsmaßstäbe für die Kommissionen gewährleistet werden. Auch dies ist aber nicht der Fall. Für die Bewertungsentscheidungen ist maßgeblich, ob ein Film unter Berücksichtigung des dramaturgischen Aufbaues, des Drehbuches, der Gestaltung, schauspielerischen Leistung, Kameraführung und des Bildschnittes gute Unterhaltungsqualität aufweist (§31 Abs. 1 FFG). Welche Anforderungen auf den genannten Feldern erfüllt sein müssen, damit eine ,gute Unterhaltungsqualität4 angenommen werden kann, sagt das Gesetz nicht. Der Maßstab für Förderungsentscheidungen ist noch weniger genau: die Vergabe von Förderungsmitteln ist zulässig, wenn ein Film erwarten läßt, daß durch ihn die Qualität und Wirtschaftlichkeit des deutschen Films verbessert werden (vgl. §§32 Abs. I, 47 Abs. 1 FFG). Daher liegt lediglich eine im Sinne des Demokratieprinzips unzureichende inhaltlich-sachliche Verantwortlichkeit vor. Dieses Manko wird auch nicht dadurch ausgeglichen, daß eine besonders direkte Form der personellen Legitimation vorliegt. Es fehlt also insgesamt an dem für den Regelfall der Exekutive erforderlichen Niveau an demokratischer Legitimation, insbesondere an der inhaltlich-sachlichen Verantwortlichkeit. Im ersten Zugriff bieten sich wiederum zwei unterschiedliche Erklärungsansätze für die Phänomene der Ministerialfreiheit im Förderungsbereich an. Einerseits könnte vermutet werden, daß den Förderungsphänomenen im Bereich der Staats-
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aufgabe der Daseinsvorsorge ein gemeinsames Prinzip zugrunde liegt, etwa ein in diesem Bereich gemindertes Niveau des Demokratieprinzips. Eine solche These ist schon oben kurz vorgestellt und abgelehnt worden, weil sie nicht überzeugend darstellen konnte, wo die Abgrenzung für den Bereich der Daseinsvorsorge liegen soll. Die Argumentation erfaßt potentiell auch weitere Bereiche, die dann von der inhaltlich-sachlichen Verantwortlichkeit befreit wären 381 . Gegen eine solche Annahme spricht prima facie auch die hinsichtlich der Weisungsfreiheit unterschiedliche Ausgestaltung bei den verschiedenen Arten von Förderungsentscheidungen. Andererseits könnte man, statt formal an den Typus des Verwaltungshandelns inhaltlich an das betroffene Sachgebiet anknüpfen, also darauf abstellen, welcher Lebensbereich durch die Förderungsentscheidungen betroffen ist. Dann wäre gegebenenfalls zwischen Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kunstförderung zu unterscheiden. Damit würden Differenzierungen plausibler erscheinen. Die Überlegungen der speziellen Literatur zur Filmförderung 382 gehen ausschließlich in diese zweite Richtung und knüpfen an die Eigenart des betroffenen Sachbereiches an. Das bedeutet gleichzeitig, daß die Zugehörigkeit zum Typus der Förderentscheidungen oder der Daseins Vorsorge nicht relevant ist. Die jeweiligen Ergebnisse würden demnach potentiell auch für den Bereich der Gefahrenabwehr Geltung beanspruchen, sofern nur die einschlägigen Sachbereiche betroffen sind. Diese Wahl des Ausgangspunktes bei dem Inhalt des jeweiligen Sachgebietes legt es nahe, dogmatisch mit den Grundrechten zu argumentieren, weil diese in der Verfassung den Ort bezeichnen, an dem nach einzelnen Sachbereichen geschieden wird 3 8 3 ; die Differenzierung je nach Sachgebiet führt dogmatisch also zu einem zentralen Stellenwert der Grundrechte, weil diese die Besonderheiten unterschiedlicher Sachgebiete rechtlich umsetzen. Es ist oben allerdings deutlich geworden, daß teilweise auch das Gewaltenteilungsprinzip, indem es auf Funktionen abstellt, von Inhalten bestimmt wird. Die Literatur hat im Bereich der Förderentscheidungen keine eigenständige Theorie entwickelt sondern versucht, das beim Rundfunk entwickelte Prinzip der Staatsferne von Entscheidungen zu verallgemeinern und von der Rundfunkfreiheit auf andere Gewährleistungen im Bereich des Art. 5 GG zu übertragen. Dadurch könnte die unterschiedliche Praxis der Förderentscheidungen im Bereich der Kunstfreiheit und der Berufsfreiheit erklärt werden. Allerdings ist es dann notwendig, die Ministerialfreiheit aus einer Grundrechtswirkung selbst und nicht aus einer im organisatorischen Teil der Verfassung in bezug genommenen Funktion der Grundrechtsausübung für den Staat zu deduzieren; die Argumentation mit der Kontrollaufgabe des Rundfunks ist auf Kunst- und Wissenschaftsfreiheit nicht übertragbar. Diesen Versuch unternimmt die Literatur konsequenterweise 381 Dazu ausführlich unten Β. VI. 382 Vgl. weiter unten insbesondere Graul, Höfling, Mihatsch. 383 Die Kompetenzkataloge Art. 72 ff. GG, die dies auch tun, sind für die vorliegende Fragestellung offenbar ohne Bedeutung.
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auch nicht, da sie schon bei der Rundfunkfreiheit den Grundrechtsschutz der Rundfunkveranstaltung für in bezug auf die Ministerialfreiheit maßgeblich hielt und nicht die Kontrollfunktion der Medien. Die Literatur, die der Sache nach die Kontrollfunktion des Rundfunks maßgeblich beachtet hatte, sie aber in der juristisch-dogmatischen Umsetzung unterdrückte, ist also gezwungen, die meines Erachtens beim Rundfunk bestimmende Rolle der Kontrollfunktion bei Förderungsentscheidungen zu ersetzen, wenn sie hier zum gleichen Ergebnis einer grundrechtlich gebotenen Staatsferne gelangen will. Zum Zwecke einer solchen Substituierung wird der Argumentation meist 384 ein sehr allgemeines Prinzip eines Gebotes der Nicht-Identifikation des Staates in bestimmten Bereichen zugrundegelegt, das nicht auf den Kontrollgedanken angewiesen ist. Dieses Gebot hat sich als Neutralisierung in der Folge der Konfessionskriege als zentral für die moderne Staatlichkeit erwiesen und ist zunächst als Identifikationsverbot an den Staat mit Bezug auf einzelne religiöse Glaubensüberzeugungen formuliert worden. Das Verbot besagt, daß der Staat seinen Entscheidungen kein bestimmtes Glaubensbekenntnis zugrunde legen darf, sondern den unterschiedlichen Bekenntnissen gegenüber η ε μ ^ Ι bleiben muß. Die Allgemeinheit des Staates darf nicht durch Identifikation mit einem gesellschaftlichen Besonderen verloren gehen. Dieser Grundgedanke wird im Bereich der Literatur über die Kunstförderung meist im Anschluß an die Formulierungen von H. Krüger 385 aufgenommen. Das Prinzip ist bei Krüger sehr allgemein gefaßt; es wird lediglich das Identifikationsverbot behauptet. Eine Verbindung zu Grundrechten oder zu Verfahrens- und Organisationsrecht wird ebensowenig hergestellt, wie einzelne Folgerungen aus diesem Identifikationsverbot gezogen werden. Die Literatur pflegt zunächst festzustellen, daß in der grundrechtlichen Kunstfreiheit wie bei dem Grundrecht zum Schutz des Glaubens ein Lebensbereich in seiner Eigengesetzlichkeit geschützt sei 386 . Auch hier dürfe sich der Staat mit keiner einzelnen Kunstrichtung identifizieren. Daraus ergebe sich, daß der Staat Differenzierungen nach Maßstäben kunstinterner Divergenzen seiner Förderung nicht zugrunde legen dürfe. Gleichzeitig dürfe der Staat die Eigengesetzlichkeit der Kunst auch nicht dadurch gefährden, daß er die Förderungsentscheidungen an kunstheteronomen Maßstäben ausrichte; nicht zulässig sei daher Förderung beispielsweise nach pädagogischen Aspekten 387 . Die Literatur entnimmt dem Identifikationsverbot allerdings kein Verbot für die Förderung selbst, sondern begnügt sich damit, die Staatsfreiheit der Förderungsentscheidung einzuklagen. Sachlich beruht dies darauf, daß man davon ausgeht, daß der Staat in die Rolle 384 Vgl. beispielsweise Steiner, VVdStRL 42 (1984) S. 7 ff. (29), der das Identifikationsverbot Krügers in der Entwicklung durch Schiaich übernimmt. 385 Krüger, S. 178 ff. 386 Vgl. Höfling, DÖV 1985, 387 (389); Graul, S. 53 ff.
387 Vgl. Graul, S. 59 f. Die gesetzlichen Vorschriften über die Filmförderung knüpfen dennoch an die Güte des Kunstwerkes an; vgl. § 32 FFG.
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des entscheidenden Mäzens für die Kunst hineingewachsen ist und auf seine Förderung nicht verzichtet werden kann. Dabei wird übersehen, daß sich die Neutralität des Staates im Bereich der Glaubensfreiheit nicht nur auf die Glaubensrichtung, sondern auch auf die Frage bezieht, ob überhaupt eine Glaubensüberzeugung vorliegt 388 . Allerdings wird teilweise dem Grundgesetz ein Auftrag zur Förderung aus der,Kulturstaatlichkeit 4 3 8 9 entnommen, so daß für die Föderung selbst eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung besteht, wenn man dieser These folgt. Die auch sonst für ministerialfreie Räume ohne direkten Grundrechtsbezug vertretene These der Neutralität wird also hier in gewandelter Form wieder aufgenommen; auch hier soll die gebotene staatliche Neutraltität die Weisungsfreiheit rechtfertigen. Die juristische Argumentation aber ist abgewandelt. Hier wird nicht vorgetragen, daß neutrale Entscheidung keine »Herrschaft 4 und deswegen vor dem Demokratieprinzip nicht rechtfertigungsbedürftig sei; vielmehr wird mit einer dogmatischen Begründung aus den staatliche Neutralität verbürgenden Grundrechten gearbeitet 390. So soll die Kunstfreiheit es dem Staat verbieten, Rechtsfolgen an kunstspezifische Differenzierungen bei den Grundrechtsträgern zu knüpfen. Dabei ist schon auf den ersten Blick erstaunlich, daß hier auf die Kunstfreiheit und nicht auf den allgemeinen Gleichheitssatz abgestellt wird, der für die Frage nach der Zulässigkeit von Differenzierungen einschlägig ist. Von der geschilderten Basis aus wird der Gedankengang auf unterschiedliche Weise zu den staatsorganisatorischen Fragen geführt. Die ältere Arbeit von Graul wendet das Identifikationsverbot von Krüger direkt auf den autonomen Bereich der Kunst an und gelangt dabei im Hinblick auf die Förderungstätigkeit des Staates zu der Forderung, daß der Staat für die Kunst eine „Mittellage 44 zwischen Staat und Gesellschaft herzustellen habe, in der eine optimale Autonomie der Kunst zu erwarten sei. Gefordert sei nicht nur die Freiheit der Kunst von staatlicher Beeinflussung, sondern auch die von gesellschaftlicher Vermachtung in jeder Form. Eine solche drohe sowohl bei der Auslieferung der Kunst an die starken Interessenten des Kunst- und Kritikmarktes wie bei der an die stets gegenüber dem Stand der Zeit zurückgebliebene Urteilsfähigkeit der Masse der Rezipienten von Kunst 391 . Die Einlösung dieser Forderungen will Graul durch die Übertragung der Förderungsentscheidungen auf ein gesellschaftliches Gremium erreichen, dessen Rechtsakte dem Staat nicht „zugerechnet44 3 9 2 werden sollen. Damit sei 388
Dies ist der Fall der negativen Glaubensfreiheit; auch hinsichtlich dieser ist der Staat zur Gleichbehandlung verpflichtet; vgl. Herzog, in: Maunz / Dürig, Art. 4 Rdnr. 55. 38
9 Vgl. Häberle, S. 35 ff.
590 Vgl. ζ. B. Steiner, S. 36 ff. Steiner geht dabei davon aus, daß die gesellschaftlichen Gremienmitglieder eine Doppelbegabung von „Sachverstand und Neutralität" haben; gleichzeitig rügt er aber auch, daß staatsdistanzierte Entscheidungen häufig Neutralitätsmängel aufweisen. 391 Graul, S. 80 f.
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Staatsfreiheit garantiert. Darüber hinaus müsse die Unabhängigkeit gegenüber der Gesellschaft durch die Zusammensetzung des Gremiums erreicht werden. Dieses dürfe nicht aus Verbandsvertretern bestehen (keine „pluralistischen Kompromisse" 393 ), sondern müsse aus Bürgern, die „ernsthaft, objektiv und fortgeschritten etwas von Kunst verstehen" 394 , gebildet sein. Dies Gremium von sachverständigen Bürgern 395 sei keine staatliche, wohl aber eine öffentliche Stelle; die Eingliederung in die Verwaltungsbehördenorganisation sei bloß formal. Die damit von Graul vorgenommene Übertragung des Identifikationsverbotes aus dem Bereich der Glaubensfreiheit in den Bereich der Kunst ist aber begründungsbedürftig. Kunst polarisiert die Gesellschaft nicht in gleicher Weise wie ehemals religiöse Überzeugungen und bedroht demzufolge auch nicht in gleicher Weise die Staatlichkeit: um Kunstfragen sind noch keine Bürgerkriege geführt worden. An die Stelle der antagonistischen religiösen Überzeugungen können heute, wenn überhaupt, am ehesten die parteipolitischen Überzeugungen gesetzt werden. Hinsichtlich dieser geht das Bundesverfassungsgericht ebenfalls von einem Grundsatz der Staatsfreiheit aus; es ist bereits gezeigt worden 396 , daß auch für diese Anwendungsvariante des Grundsatzes nicht Grundrechte, sondern Staatsstrukturbestimmungen einschlägig begründend sind. Die Forderung nach Staatsfreiheit wird nicht in erster Linie unter Berufung auf die Grundrechtsfähigkeit von Parteien, sondern unter der auf ihre Rolle im demokratischen Prozeß bei der Vorformung des politischen Willens gegründet. Im Übrigen ist hier für die Neutralität des Staates die materielle Norm des Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. auch § 5 PartG) und nicht etwa eine verfahrensrechtliche Wirkung von Art. 5 Abs. 1 GG entscheidend. Vor dem Gleichheitsgebot müssen sich Ungleichbehandlungen (beispielsweise bei der Zuteilung von Sendezeiten oder bei der indirekten staatlichen Finanzierung) rechtfertigen lassen. Bezeichnenderweise sichert Art. 3 Abs. 3 GG die Neutralität des Staates durch absolute Differenzierungsverbote in bezug auf den Glauben und religiöse sowie politische Anschauungen, nicht aber hinsichtlich kunstbezogener Überzeugungen. All dies spricht gegen eine Übertragbarkeit des Krüger'sehen Identifikationsverbotes vom Bereich der Glaubensfreiheit auf den Bereich der Kunstfreiheit. Demgegenüber ist eine solche Übertragung anerkannt betreffend das Identifikationsverbot bezüglich der Parteien. Dies kommt in der herrschenden Auslegung 397
392 Graul, S. 87. Der Begriff der Zurechenbarkeit wird von Graul sehr vage gebraucht und enthält ζ. B. kein Urteil über die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit. Offenbar ist eine begrifflich-technische Verwendung nicht beabsichtigt.
393 Graul, S. 81. 394 Graul, S. 82.
395 An anderer Stelle (S. 34) steht Graul der These von der Entscheidung durch neutrale Sachverständige eher kritisch gegenüber. 396 s.o. bei der Staatsfreiheit der Rundfunk Veranstaltung.
397 Vgl. Hesse, Grundzüge, § 5 II 3.
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des Demokratieprinzips zum Ausdruck: beispielsweise in dem Grundsatz auf gleiche Chancen der Parteien auf Erringung der Mehrheit. Auch die von Graul angenommene doppelte Schutzrichtung der Autonomie gegen den Staat, aber auch die Gesellschaft läßt sich der üblichen Grundrechtswirkung nicht entnehmen. Deswegen sucht Graul ihr Ergebnis nun mit einer Analogie zur Meinungs- und Pressefreiheit zu untermauern. Tatsächlich geht ja das Bundesverfassungsgericht für die Rundfunkfreiheit von einer solchen doppelten Schutzrichtung der Rundfunkfreiheit aus. Es ist aber bereits gezeigt worden, daß dies nicht auf der Grundrechtswirkung, sondern auf der Funktion (Kontrolle, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) im Prozeß demokratischer Willensbildung beruht, beziehungsweise auf dem Verständnis des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG als Staatsstrukturbestimmung, wenn man dieser Ansicht folgt. Eine analoge Funktion der Kunst im politischen Prozeß wird von Graul nicht behauptet. Auch aus der auf das Identifikationsverbot bezogenen Argumentationslinie läßt sich ein Schutz gegen gesellschaftliche Vermachtung nicht begründen: die Glaubensfreiheit schützt nicht davor, daß in der Gesellschaft ein Glaube übermächtig wird. Damit wird die Forderung nach Schutz vor gesellschaftlicher Vermachtung brüchig. Wenn Art. 5 Abs. 3 GG die Eigengesetzlichkeit der Kunst schützt, so wird diese Eigengesetzlichkeit in der Praxis weitgehend von den Gesetzen des Kunstmarktes bestimmt; nicht ersichtlich ist, warum die Norm dagegen Schutz bieten soll, zumal die Verwertungsmechanismen im Bereich der Kunst am Schutz der Freiheitsgarantie partizipieren 398 . Darüber hinaus ist auch nicht einleuchtend, woher Grauls Bürger ihre „objektiv avancierte Urteilsfähigkeit" beziehen sollen, wenn nicht aus dem interessen-, richtungs- und marktgeprägten Kunstbetrieb. Andernfalls müßte Graul eine staatliche Entscheidung unter Zuhilfenahme beispielsweise universitären Kunstsachverstandes als die bessere Lösung erscheinen. Erhebliche zusätzliche Begründungsschwierigkeiten entstehen bei der Abgrenzung von Förderungsentscheidungen und kunstpolitischen Entscheidungen. Diese als Entscheidungen über zu fördernde Kunstsparten (Musik oder bildende Kunst, Oper oder Jazz) oder über allgemeine Förderungsvoraussetzungen (Regionalverbundenheit des Künstlers, Staatsangehörigkeit etc.) sollen dem Staat in ministerieller Verantwortlichkeit obliegen 399 . Im Ergebnis leuchtet die Notwendigkeit zur Verantwortung solcher Entscheidungen ein, eine Rechtfertigung vor dem von Graul unterstellten Bedeutungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 GG fehlt aber 400 . Die
398 Allg. Ansicht, vgl. Pieroth / Schlink, § 14 II 1. a) bb). 399 Graul, S. 64 f., 95. Auch Mihatsch (vgl. S. 103 f.) kommt in seiner Monographie um die Zulässigkeit einer staatlichen Bewertungskompetenz für Kunstfragen im Förderbereich nicht herum. 400 Auch Steiner, VVdStRL 42, S. 7 ff. (32) differenziert nach Förderungsprogrammentscheidungen und Förderentscheidungen. Steiner nimmt im Ergebnis ohne nähere Begründung an, kulturpolitische Entscheidungen seien gegenüber den Einzelentscheidungen ein „aliud" und von der vollen Wirkung des Art. 5 Abs. 3 GG nicht erfaßt. 9 Waechter
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Grundrechtswirkung solcher Entscheidungen ist zwar indirekter, aber eher intensiver als bei direkten Förderentscheidungen zugunsten einzelner Künstler. Ähnlich verhält es sich mit der Unterscheidung zwischen Kunstförderung und Nutzung der Kunst zu Zwecken staatlicher Selbstdarstellung. In diesem Bereich soll nach allgemeiner Ansicht die Neutralitätspflicht nicht gelten 401 . Warum der Staat hier in die sonst so betonte Eigengesetzlichkeit der Kunst eingreifen darf, wird nicht gesagt. Neuere Arbeiten operieren mit Kategorien, die in der Grundrechtstheorie seit 1970 ausdifferenziert worden sind 402 . Der entscheidende Hebel für die Umsetzung des grundrechtlichen Gehaltes in das Organisationsrecht ist dabei das Argument von der Verfahrens- und organisationsrechtlichen Bedeutung der Grundrechte. Inhaltlich bringt beispielsweise Höfling das, was von Graul ohne genauere Begründung behauptet worden war, auf die Begrifflichkeit der neueren Grundrechtstheorie. So wird vertreten, Art. 5 Abs. 3 GG gebiete eine verfahrensrechtliche und organisatorische Ausgestaltung, die auf das Ziel der Autonomiesicherung hin optimiert sei 403 . Auch hier wird Eigengesetzlichkeit als Unabhängigkeit von Staat einerseits und Gesellschaft andererseits verstanden. Deswegen komme eine Entscheidung durch rein gesellschaftlich besetzte Gremien nicht in Betracht; sie liefere die Entscheidung an gesellschaftliche Mächte aus 404 . Art. 5 Abs. 3 GG gebiete eine pluralistische Partizipation gesellschaftlicher Interessenträger an der Förderungsentscheidung 405; für die Zusammensetzung der Gremien stehe dem
401 Auch hier zeigt sich, daß das Krüger'sche Identifikationsverbot nicht einfach übertragbar ist. Bei religionspolitischen Entscheidungen darf der Staat nicht zugunsten einer bestimmten Richtung entscheiden. Ebenso ist es sehr zweifelhaft, ob er religiöse Symbole zur Selbstdarstellung verwenden darf. In der Regel wird dies nur für Bagatellfälle gestattet (christliches Kreuz im schulischen Unterrichtsraum; VGH München NVwZ 1991, 1099). 402 Vgl. zu dieser Entwicklung Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 953 ff. 403 Höfling, S. 390. Ein besonders deutliches Beispiel dieser Argumentationsart findet sich auch in der Schrift von Mihatsch, Öffentliche Kunstsubventionierung, 1988. Vgl. auch Gruber, Forschungsförderung, der für die Schweiz zwar ein Demokratiedefizit in der Förderung moniert, aber wesentlich auch auf Grundrechtswirkungen abstellt. Allgemein stellt Goerlich, Grundrechte, fest: „Kaum der Rechtfertigung bedarf es, die Rechte des Art. 5 Abs. 1 GG als Verfahrensgarantien zu verstehen — „(S. 111); das muß nach der Allgemeinheit der Argumentation auch für Art. 5 Abs. 3 GG gelten; diese Berufung auf Evidenz markiert einen vorläufigen Höhepunkt der Begeisterung für die Verfahrensund Organisationsbedeutsamkeit der Grundrechte. Goerlich glaubt, diese Schutzrichtung den Grundrechten zusprechen zu können, ohne den personalen Bezug der Grundrechte zu verlieren und in ein funktionelles, institutionelles Grundrechtsdenken im Sinne Luhmanns zu verfallen (S. 160, 192 f.). Beim Beispiel Runkfunk zeigt sich aber auch bei Goerlich, daß die dort zugestandene Freiheit keineswegs die ungebundene Freiheit des ,vorstaatlichen' Zustandes ist, sondern lediglich die Freiheit zur offenen Meinungsvielfalt (vgl. S. 111 ff. [117]). Zum Jugendschutz S. 114. 404 Höfling, S. 393. 405
Höfling, S. 395; auch Schiaich argumentiert, im Leistungsstaat sei bloße Indifferenz nicht ausreichend (S. 242). Sie müsse durch einen Grundsatz der gleichmäßigen Berück-
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Gesetzgeber ein weites legislatorisches Ermessen zu 4 0 6 . Auch bei dieser Argumentation über die Grundrechtswirkung wird also nach dem Vorbild der Rundfunkfreiheit konstruiert, ohne die Funktion der Grundrechtswahrnehmung im demokratischen Erneuerungsprozeß in den Blick zu nehmen. Insbesondere stellt sich hier die Frage, ob es tatsächlich eine Grundrechtswirkung sein kann, die Autonomie gesellschaftlicher Teilbereiche gegen die Einflüsse aus anderen Teilbereichen der Gesellschaft abzuschotten. Offensichtlich liegt hier der Gedanke der Grundrechte als Entdifferenzierungsverbote zugrunde, wie er besonders von N. Luhmann vertreten wird. Generell aber wird auch diese Wirkung auf die Entdifferenzierung durch staatliche Eingriffe bezogen und damit an den Abwehrcharakter der Grundrechte erinnert. Um die aufgeworfenen Fragen zu klären, bedarf es einer genauen Betrachtung der Bedeutung von Grundrechten für die Verfahrens- und Organisationsgestaltung 407 . Dafür wird an die von Hesse408 geprägte Darstellung solcher Wirkungen bei Stern 409 angeknüpft. Es gibt danach eine Reihe typischer Konstellationen, in denen Grundrechte Bedeutung für Verfahren und Organisation erlangen sollen: — Grundrechte sind von einem bestimmten Verfahren oder einer Organisation ,abhängig'. Hierbei werden vor allem diejenigen Grundrechte genannt, die einen Leistungsanspruch auf Zuerkennung einer Rechtsposition beinhalten (Asylrecht 410 und Recht auf Verweigerung des Kriegsdienstes). Hier bedarf die Zuerkennung der Leistung eines staatlichen Verfahrens; über die Ausgestaltung dieses Verfahrens ist damit noch nichts entschieden. — Die Ausübung des Grundrechts bedarf der Organisation. Hierher zählt Stern die Konstellationen, wo das normalerweise gesellschaftlich auszuübende Grundrecht aufgrund tatsächlicher Umstände (häufig Kapazitätsmängel im gesellschaftlichen Bereich) nur im staatlichen Bereich ausgeübt werden kann. Der Grundrechtsgehalt gebiete dann, die durch die Verlagerung gefährdete Freiheit sichtigung der pluralen Interessen ergänzt werden (S. 256). Die neutrale staatliche Entscheidung müsse plural bedingte Ungleichgewichtigkeiten ausgleichen können (S. 259 ff.). Damit wird dem Staat eine neue Art der Ingerenz zugewiesen, die er durch Gesetzgebung wahrnehmen soll und die die gesellschaftlichen Machtunterschiede einebnen soll. Deutlich auch Mihatsch, S. 77 ff.; 152 f.: Art. 5 Abs. 3 rechtfertige die Ausgestaltung. 406 Höfling, S. 395; ebenso offenbar Bär, S. 518. 407 Diese unterbleibt meist; so auch bei der Monographie von Mihatsch, S. 153; statt dessen soll das Grundrecht alle möglichen Verfahrensgestaltungen legitimieren können, ohne daß diese aber erforderlich sein müssen. 4 08 Hesse, Bestand und Bedeutung, EuGRZ 1978, 427 ff., insb. Gliederungspunkte 4 a-e. 409 Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 69 V 7 d. 410 Der Streit um das Verständnis dieses Rechts als Leistungs- oder Abwehrrecht bleibt hier außer Betracht. *
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durch Organisation und Verfahren wiederherzustellen. So soll es sich bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und den Hochschulen verhalten. — Wichtig soll diese objektiv-rechtliche Grundrechtswirkung auf Organisation und Verfahren auch sein, wo es um den Ausgleich kollidierender Verfassungsrechtspositionen geht. Nur durch adäquate Verfahrensregeln sei die Herstellung praktischer Konkordanz zu bewältigen. Auch hier macht Stern keine Aussagen über den Inhalt der erforderlichen Ausgestaltungen; deutlich wird lediglich, daß es darum geht, das für die Abwägung erforderliche Tatsachenmaterial in die Hand zu bekommen. — Die Konturen einer weiteren Fallgruppe bleiben undeutlich; offenbar nimmt sie eine Auffangfunktion ein. Auch hier soll die Grundrechtsverwirklichung durch bestimmte Verfahrensgestaltungen sichergestellt werden. Daraus könne beispielsweise unter Umständen ein Beteiligungsrecht des Grundrechtsberechtigten abgeleitet werden. Die hierher gehörenden Fälle unterscheiden sich von der zweiten Gruppe dadurch, daß das Grundrecht hier nicht unmittelbar in der öffentlichrechtlichen Organisation wahrgenommen wird, sondern im gesellschaftlichen Bereich. Lediglich eine Förderung dieser Ausübung wird durch die Verfahrensausgestaltung erreicht. Die Konstellation entspricht also weitgehend der Normalsituation des grundrechtlichen Abwehrrechtes. Man wird daher annehmen müssen, daß die verfahrensrechtliche Bedeutung der Grundrechte hier am geringsten ist. Zur Veranschaulichung kann man einige Zuordnungen vornehmen: das Indizierungsverfahren für jugendgefährdende Schriften (s. u. IV.4.) könnte man der dritten oder vierten Fallgruppe zuordnen. Das Verfahren in der Transparenzkommission für den Arzneimittelmarkt (s. o. IV.2.) könnte der zweiten Gruppe zugeordnet werden. Förderentscheidungen wiederum werden zu den letzten beiden Konstellationen zu rechnen sein. Der praktische Wert solcher Bildung von Fallgruppen ist allerdings nicht allzu hoch. Die Konstellationen machen systematisch anschaulich, in welchen Bereichen eine Verfahrenswirkung in Betracht kommt. Wie weit die Verfahrenswirkung geht, ist allerdings damit nicht vorentschieden; auch die Einteilung in Fallgruppen bietet dafür keine Anhaltspunkte. Eine Ausgestaltung von Organisation und Verfahren, die zur Ministerialfreiheit führt, findet sich in allen Fallgruppen. So beispielsweise in der ersten Gruppe bei der Entscheidung über das Asylrecht (§ 4 Abs. 3 S. 1 AsylVfG) und die Verweigerung des Kriegsdienstes (§9 Abs. 5 S. 1 KDVNG). In der zweiten Fallgruppe beim Rundfunk und bei den Hochschulen; nicht aber bei,wissenschaftlicher 4 Arbeit innerhalb einer normalen Behörde, etwa in einer Rechtsabteilung. In den Fällen kollidierender Verfassungsrechtspositionen sind zahlreiche Ausgestaltungen zu finden; diese reichen von Ministerialfreiheit (etwa das Indizierungsverfahren) bis zur Weisungsgebundenheit (beispielsweise bei drittbelastenden Genehmigungen). Auch die Verteilung begrenzter Kontingente wird in unterschiedlichen Verfahren wahr-
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genommen (Studienplätze, Messestände, Kunstsubventionen, Fördermittel für Großforschung, Wirtschaftsfördermittel). Eine allgemeine Aussage über Intensität und Richtung der Verfahrens- und Organisationsausgestaltung läßt sich also von hier aus nicht treffen 411 . Geht man wie hier davon aus, daß das Demokratieprinzip die Ministerverantwortlichkeit als Regelausgestaltung für den Bereich der Exekutive fordert, so muß die Grundrechtswirkung zumindest eine Einschränkung des Demokratieprinzips ermöglichen. Dazu müßte bestimmt werden können, welche Verfahrensund Organisationswirkung grundrechtlich gerechtfertigt werden kann. Meist wird aber davon ausgegangen, daß sich ein solcher Inhalt der Verfahrenswirkung nicht allgemein benennen läßt 412 . Deswegen knüpft auch Stern an seine Fallgruppendifferenzierung keine diesen Gruppen entsprechenden jeweilig einschlägigen Rechtsfolgen. Der einzige Hinweis auf Inhalt und Intensität der Verfahrenswirkung findet sich in der Rede von dem Gebot „optimaler Grundrechtssicherung" 413, welches Verfahrens Vorkehrungen erfordern soll. Gäbe es dieses Gebot optimaler Grundrechtsverwirklichung, so könnte es genauere Schlüsse auf die notwendigen objektiv-rechtlichen Grundrechtswirkungen ermöglichen. So stützt beispielsweise H. Goerlich 414 seine Auffassung über die Verfahrens- und Organisations Wirkung von Grundrechten wesentlich auf den Gedanken, daß den Grundrechten größtmögliche Wirkung verschafft werden müsse 415 . Damit werden die Grundrechte
411 Diese scheint eher vom betroffenen Sachbereich abzuhängen, vgl. Goerlich, Schutzpflicht, NJW 1981, 2616 (2617). Dann ließe sich an die unterschiedliche Einschränkbarkeit von Grundrechten anknüpfen; auch dies trägt aber ζ. B. für die Differenzierung zwischen ministeriell verantworteter Forschungsförderung und weisungsfreier Filmförderung nichts aus. Goerlich selbst geht nicht davon aus, daß es spezifische Ausgestaltungen des Verfahrens gibt, die grundrechtsgefordert sind. 412 Vgl. Goerlich, Schutzpflicht, S. 2616. 4 13 Davon sprechen Hesse, EuGRZ 1978, 427 (436) und Stern, Staatsrecht, Bd. III/ 1, 1988, § 69 V 7 d. Auch Denninger spricht davon, daß Organisation und Verfahren sich danach zu richten hätten, daß sie ein „Optimum" an künstlerischer Entfaltung mit einem Minimum an Mitteln zu verbinden ermöglichen (Freiheit der Kunst, in: HdBStR, Bd. VI, § 146 Rdnr. 33). Das Verhältnis wird nicht weiter ausgeführt, obwohl es lediglich die allgemeine Spannungslage des Rechtsstaates zwischen rechtsstaatlichen Mitteln und erstrebtem Erfolg zum Ausdruck bringt. 4 4 1 Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981. 415 Goerlich, Grundrechte, S. 158, 161, 168. Die Grundrechte müßten mit der Verfahrens- und Organisationswirkung ihrem eigenen normativen Anspruch gerecht werden. Goerlich entnimmt damit vorgängig den Grundrechten unabhängig von ihrer Schutzrichtung ein bestimmtes unter allen Umständen zu leistendes Schutzniveau und bestimmt dann die dogmatischen Schutzrichtungen nach dem sich ergebenden Schutzbedarf. Die Verfahrenswirkung reicht bei ihm soweit, daß er große Teile des Organisationsrechtes, ζ. B. auch den Vorrang des Gesetzes, aus der Verfahrenswirkung ableiten will (S. 217 ff.). Er gelangt damit konsequent zu den Ansicht, daß die Grundrechte es nicht zulassen, die gerichtliche Überprüfung von Staatsakten nur bei der Verletzung subjektiver Rechte zur Aufhebung der Akte führen zu lassen (S. 344). Ein solches Ergebnis ist schon nach der
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mit dem Rechtfertigungstopos der Effektivität verbunden. Der von Goerlich herangezogene Vergleich 416 mit der Rechtsprechung zu Art. 19 Abs. 4 GG trägt allerdings nicht. Dort wird zwar durchgängig effektiver Rechtsschutz gefordert 417. Effektivität hat dort aber nicht den gleichen Sinn wie er ihn in der Verfahrenswirkung von materiellen Grundrechten haben soll. Bei dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz wird lediglich für ein vorhandenes Grundrecht des status positivus 418 verlangt, daß es eine Mindestwirksamkeit entfalten kann 419 ; die Rechtsschutzgarantie soll nicht nur auf dem Papier stehen, sondern nach Art und Dauer auch praktisch nutzbar sein. Weder wird hier also ein Abwehrrecht in ein Verfahrensrecht uminterpretiert, noch ist Wirksamkeit im Sinne größtmöglicher Effektivität gefordert; so ist beispielsweise nach überwiegender Ansicht die Existenz eines Instanzenzuges nicht von der Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG gefordert 420. Der Vergleich mit dieser Norm scheitert also sowohl hinsichtlich der Gewährleistungsrichtung wie hinsichtlich der Gewährleistungsintensität. Schon bei Hesse und Stern steht allgemein die „Optimierung" terminologisch der einfachen „Effektuierung" von Grundrechten gleich. Damit verkehrt sich das Gebot der Optimierung in das Verbot einer Vereitelung der Grundrechtsausübung 421 und kommt auch dem Verständnis der Effektivität in Art. 19 Abs. 4 GG nahe. Das Gebot einer Optimierung der Möglichkeit, Grundrechte wahrzunehmen, wird also offenbar nicht als ein verfassungsrechtliches Gebot verstanden, das andere Verfassungsprinzipien einzuschränken geeignet ist 4 2 2 . Der Gedanke der Grundrechtsoptimierung steht seiner Struktur nach dem Gedanken der optimalen Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen nahe; beide Termini werden auch im gleichen Sinne verwendet 423 . Auch bei der Funktionsfähigkeit stellt sich die Frage nach dem Maß der dadurch geforderten Vorkehrungen. Deswegen kann dieser Vergleich zur Klärung dessen, was Grundrechtsoptimierung bedeuten kann, beitragen. Zum Gebot der optimalen Funktionsfähigkeit hat sich in der Literatur bereits eine eindeutige Meinung ausgebildet424. Dabei hat historischen Einbindung der Grundrechte in die Idee des subjektiven Rechtsschutzes nicht überzeugend. 416 Goerlich, Grundrechte, S. 161. 417 Vgl. Schenke, in: BK Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 383 m.w.N.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rdnr. 5. 418 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 7. 419 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 5, 262 ff.; Schenke, in: BK Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 383 ff. (386): Deutung im Sinne der Optimierung ist Mißverständnis. 420 Vgl. Schenke, in: BK Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 54 ff. (56) m.w.N. . 421 Vgl. Hesse, EuGRZ 1978, 427: Beispiele der Vereitelung des Asyrechts durch Abschiebung, des Eigentums durch Legalenteignung oder unzumutbares Mieterhöhungsverfahren. 422 So auch Bethge, NJW 1982, 1 ff. (7). 423 Hesse, EuGRZ 1978, 436, spricht bezüglich der Freiheit der Wissenschaft von Grundrechtsoptimierung und Gewährleistung der Funktionsfähigkeit.
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Lerche auch den Zusammenhang der Forderung nach optimaler Funktionsfähigkeit von Einrichtungen mit der Verfahrens- und Organisationswirkung von Grundrechten herausgestellt 425. Er kommt hinsichtlich des geforderten Maßes zu dem Ergebnis, daß niemals eine „optimale" Funktionsfähigkeit auch auf Kosten anderer Verfassungsrechtsgüter gefordert ist; häufig tendiert die Forderung statt dessen zur Minimalgewährleistung. Daraus läßt sich schließen, daß auch kein Gebot besteht, optimale Chancen zur Verwirklichung von Grundrechten, auch auf Kosten anderer Verfassungsgüter, bereitzuhalten. Ein Schluß auf den Intensitätsgrad geforderter Verfahrenswirkung von Grundrechten ist also nur insoweit möglich, daß dieser niemals eine Höhe erreicht, die zu Einschränkungen von objektiv-rechtlichen Verfassungsprinzipien geeignet wäre. Dies Ergebnis wird durch eine weitere, allgemeinere Erwägung bestätigt, die die Ergebnisse der Debatte zu den objektiven Grundrechtswirkungen mit den Erkenntnissen zur Eigenart von Rechtsprinzipien verbindet. Stern hat im Anschluß an Alexy die dogmatische Figur des Rechtsprinzips (oder Grundsatzes) für die Grundrechtsdiskussion fruchtbar gemacht. Ein Rechtsprinzip zeichnet sich nun dadurch aus, daß es ein Optimierungsgebot enthält, das aber nur in Abhängigkeit von den vorfindlichen rechtlichen Umständen zur Geltung gebracht werden kann. Da sich die Hindernisse, die sich aus dem vorfindlichen Recht ergeben, nicht allgemein festlegen lassen, ist die Rechtsfolge des Optimierungsgebotes nicht in Allgemeinheit bestimmbar 426 . Die Verwirklichung von durch das Optimierungsgebot aufgegebenen Rechtsausgestaltungen darf nur unterbleiben, wenn gegenläufige Prinzipien existieren, muß dann aber auch unterbleiben 427. Auch aus dieser Überlegung ergibt sich also, daß der verfahrensrechtliche Gehalt des objektiv-rechtlichen Optimierungsgebotes des Art. 5 Abs. 3 GG in bezug auf Verfahren und Organisation nicht soweit gehen kann, daß aus dem Demokratieprinzip resultierende Folgen (das Gebot der Ministerverantwortlichkeit ist kein bloßes Optimierungsgebot) außer Geltung gesetzt werden dürfen. Im Ergebnis sind bestimmte Verfahrens- und Organisationsforderungen also nur für den Fall einer drohenden Grundrechtsvereitelung geboten. Eine solche Grundrechtsvereitelung droht aber jedenfalls in den Beispielsfällen der Kulturförderung nicht. Dies liegt vor allem daran, daß die Neutralität des Staates, die hier durch Verfahrenssicherung garantiert werden soll, schon materiell-rechtlich gewährleistet ist. Diese Gewährleistung liegt in dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes. So hält denn auch Denninger für die Kunstförderung
424 Vgl. Lerche, BayVBl 1991, 517. 425 Lerche, BayVBl 1991, 519 ff. 426 Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 501 f. 427 Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, S. 502. Vgl. zum objektiv-rechtlichen Verfahrensoptimierungsgebot S. 507.
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nicht Art. 5 Abs. 3 GG, sondern Art. 3 Abs. 1 GG für die einschlägige Vorschrift 428 . Daß die durch Art. 3 GG geforderte Neutralität des Staates allgemein eine Verfahrensgestaltung fordere, die die Entscheidung über die Differenzierung in einem staatsfernen Bereich fordert, ist nicht ersichtlich und wird auch in der Literatur zum Gleichheitssatz nicht behauptet. Offenkundig wird allgemein davon ausgegangen, daß im typischen Normalfall der Neutralitätsgefährdung die materiellrechtliche Bindung durch Art. 3 GG in Verbindung mit den bestehenden Normen des Verfahrensrechtes, also beispielsweise den Befangenheitsvorschriften, eine ausreichende Sicherung gewährleistet 429. Auch im besonders prekären Fall der unterschiedlichen Behandlung von Parteien vertraut der Gesetzgeber auf den Gleichheitssatz und wählt keine ministerialfreie Ausgestaltung der Entscheidungen (vgl. § 5 PartG). Der Gleichheitssatz gestattet der öffentlichen Hand diejenigen Differenzierungen vorzunehmen, die durch den öffentlichen Zweck der Kunstförderung angezeigt sind; dagegen ist eine weisungsfreie Ausgestaltung der Förderungsorganisation nur schwer in der Lage, diese verfassungsrechtlich erforderlichen öffentlichen Zwecke einzubringen. Die durch die Grundrechte (entweder Art. 5 Abs. 3 oder 3 Abs. 1 GG) gebotene Mindestsicherung staatlicher Respektierung der Autonomie erfordert daher keine zusätzlichen Verfahrensoder Organisationsgestaltungen 430. Es läßt sich daher für den Bereich der Förderentscheidungen aus Grundrechtswirkungen keine Rechtfertigung für eine Verfahrens- und Organisationsgestaltung ableiten, die die aus dem Demokratieprinzip ableitbaren Rechtsfolgen einzuschränken geeignet ist.
4. Ein Beispiel aus dem Bereich der Gefahrenabwehr: Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften Neben das Beispiel aus dem Bereich der Daseinsvorsorge soll ein Beispiel aus dem Bereich grundrechtsberührender Tätigkeit der Gefahrenabwehr treten. Auch in diesem Bereich stützt sich die einschlägige Literatur auf die verfahrensrechtliche Wirkung der Grundrechte und verzichtet damit auf eine spezifische Argumentation. An diesem Beispiel soll daher noch einmal die in der Literatur
428 Denninger, Freiheit der Kunst, in: HdBStR Bd. VI, § 146 Rdnr. 28 ff. (34). 429 Selbst die Art. 5 Abs. 3 GG bemühende Literatur räumt ein: „Neutralität stellt keine weitergehenden Anforderungen als der allgemeine Gleichheitssatz". Mihatsch, S. 104. 430 So ist auch für die Wissenschaftsförderung anerkannt, daß der Staat zu Prioritätensetzung, Wertung und Auswahl befugt ist. Wenn im gleichen Atemzug aber behauptet wird, die Ausgestaltung der Wissenschaftsförderung durch unabhängige Fördergesellschaften wie MPG oder DFG sei verfassungsrechtlich geboten, ist dies widersprüchlich (Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 118). Der Verfahrenswirkung läßt sich ein derartiges Gebot nicht entnehmen.
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vertretene Berufung auf Art. 5 Abs. 3 GG als Rechtfertigung für die Weisungsfreiheit untersucht werden, um damit das hier gewonnene Ergebnis zu überprüfen. Die Bundesprüfstelle wird als selbständige Bundesoberbehörde vom Bund errichtet, § 8 GjS 4 3 1 . Mitglieder der Prüfstelle sind ein vom Bundesminister für Jugend ernannter Vorsitzender (plus Stellvertreter) sowie eine Zahl von ihm ernannter Beisitzer. Hinzu treten von den Landesregierungen ernannte und entsandte Beisitzer. Die vom Bundesminister ernannten Beisitzer entstammen derzeit folgenden Interessengruppen: Kunst, Literatur, Buchhandel, Verleger, Jugendverbände, Jugendwohlfahrt, Lehrerschaft, Kirchen. Die Prüfstelle entscheidet in einer Besetzung von 12 Mitgliedern mit qualifizierten Quoren. Mitglieder der Spruchkörper sind der Vorsitzende, drei Ländervertreter und je ein Vertreter der Interessengruppen (§ 9 GjS). Aufgabe der Prüfstelle ist die Erstellung einer Liste mit Schriften (oder Filmen), die geeignet sind, jugendgefährdend zu wirken. Die weisungsfrei fallende Entscheidung zur Indizierung einer Schrift oder eines Films führt zur Aufnahme in eine Liste; dadurch werden zahlreiche Hindernisse für die erfolgreiche Vermarktung eines Produktes errichtet. Hauptproblem der Tätigkeit der Stelle sind die Beurteilung der Eignung der Schriften zur Jugendgefährdung und die Abwägung von Kunstschutz und Jugendschutz, die beide einen verfassungsrechtlichen Stellenwert haben (Art. 5 Abs. 2, 3 GG). Für die Frage einer möglichen Argumentation zur Rechtfertigung der Ministerialfreiheit ist bei der Bundesprüfstelle ein Blick auf die Entstehungs- und Gesetzgebungsgeschichte aufschlußreich. Gesetzlich erstmals geregelt wurde die Materie durch das Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften v. 18.12.1926 432 . Seit Beginn des ersten Weltkrieges 433 hatte es verstärkte Bemühungen gegeben, den Einfluß von Schriften jugendgefährdenden Charakters zurückzudrängen; dabei spielte sowohl die nachlassende Wehrmotivation 434 wie die durch die Kriegsumstände eintretenden Verwahrlosungstendenzen eine Rolle. Erst 1927 trat aber das Gesetz über Schutz- und Schundschriften in Kraft. Wegen der im Gesetzgebungsprozeß erkannten Schwierigkeiten, genaue Definitionen zu finden, überließ das Gesetz die Konkretisierung der weiten gesetzlichen Begriffe der Praxis 435 , so daß von Beginn an eine genaue gesetzliche Programmierung « ι Das GjS wird aufgrund des Urteiles des BVerfG in BVerfGE 83, 130 einer Novellierung unterzogen werden, die aber die Grundprobleme vermutlich kaum betreffen wird. Das Gericht hat vor allem gerügt, daß das Gesetz nichts Näheres zur Auswahl der Gruppenbeisitzer regelt und damit wesentliche Entscheidungsvoraussetzungen offen läßt. 432 RGBl 1926 I, S. 505. 433 Für die Zeit von 1850-1914 vgl. Nagl, S. 169 ff. (174 ff.), wo die Verquickung politischer und kirchlicher Interessen deutlich wird. 434 Vgl. Hellwig, Entwurf, S. 3, 22. Erste Regelungen daher aufgrund § 9 b BelagerungsZG. 435 Vgl. Hellwig, Jugendschutz, S. 178 f. Teilweise wurde auch vorgebracht, die Begriffe seien nicht rational, sondern nur intuitiv zu konkretisieren; damit wird auf das Element der Unvertretbarkeit hingewiesen.
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der Behördentätigkeit nicht vorgesehen war. Die Ausgestaltung 436 des kollegial und mit qualifizierter Mehrheit entscheidenden Prüfungsgremiums knüpfte an Erfahrungen mit solchen Aufgaben im Bereich der Lehrerschaft an 4 3 7 . Schon nach diesem ersten Gesetz waren die Interessengruppen in den entscheidenden Gremien beteiligt; hinsichtlich der Qualifizierung dieser Gruppenbeisitzer war das Gesetz unklar: die Terminologie wechselt zwischen Beisitzern 4 und Sachverständigen'. Im Gegensatz zum üblichen Sachverständigenbegriff war von Beginn an eine Entscheidungsbeteiligung vorgesehen 438. Für die Auswahl der Gruppen sollte die Sachverständigkeit entscheidend sein; da der Begriff der Schund- und Schmutzschriften eine Wertung erforderte, sollten alle für solche Wertungen repräsentativen Gruppen beteiligt werden. Ein Teil der frühen Literatur fand für die weisungsfreiçn, aus Sachkunde und Interesse bestimmten Entscheidungen der Behörde ein Modell im Bereich der Justiz. Man betrachtete die Prüfstelle als gerichtsähnliche Verwaltungsstelle nach dem Vorbild der Arbeits-, Jugend-, Gewerbe- und Kaufmannsgerichtsbarkeit 439. Die Gruppenbeisitzer wurden als den von Interessengruppen mitbestimmten Laienrichtern ähnlich verstanden. Damit war auch die im Gesetz vorgezeichnete Entgegensetzung der Kulturbank und der Erziehungsbank in der Prüfstelle gut vereinbar. Dennoch hielt man am Charakter der Prüfstelle als gefahrenabwehrender Polizeibehörde fest 440 . Hinsichtlich der strafrechtlichen Verantwortung der Amtsträger aber wurden die für Richter einschlägigen Vorschriften für anwendbar gehalten 441 . Die Gerichtsähnlichkeit wurde auch als Rechtfertigung für die Weisungsfreiheit der Prüfstelle angegeben442. Eine andere Ansicht leitete die Unabhängigkeit der Prüfstellen daraus her, daß die Entscheidung auch einer Landesprüfstelle Wirkung im gesamten Reichsgebiet entfalten sollte. Der daraus entstehenden föderalen Problematik sollte durch die Unabhängigkeit vom Landesminister begegnet werden 443 . 436 Folgende Interessengruppen waren vertreten Kunst, Literatur, Kunstbuch- und Buchhandel, Jugendorganisationen und Jugendwohlfahrt, Lehrerschaft und Volksbildung, §§ 3, 4. Die einzelnen Mitglieder wurden auf Vorschlag der Verbände ernannt. 437 Vgl. Hellwig, Jugendschutz, S. 123 f. An den Schulen hatte sich schon vorher ein ähnliches Prüfungswesen gebildet. 438 Vgl. zur Terminologie und zur Mitwirkung Hellwig, Jugendschutz, S. 259, 136 f. 43 9 Hellwig, Jugendschutz, S. 259 f. 440 Hellwig, Jugendschutz, S. 271, 260. 441 Die Frage war strittig, vgl. Seeger, § 3 Anm. 2, § 4 Anm. 30. 442 Hellwig, Jugendschutz, S. 274. Dabei wurde insb. auf die Unbestimmtheit der Begriffe verwiesen. Für diese Auffassung machte sich wohl auch geltend, daß die ersten Gesetzesentwürfe als reine Strafbestimmungen ausgestaltet gewesen waren; die Behördenentscheidung wurde daher dem strafgerichtlichen Urteil parallelisiert. Vgl. Hellwig, Entwurf, S. 9 ff. 443 Seeger, § 2 Anm. 4. Dieser Zusammenhang würde heute nicht mehr so gesehen werden; vgl. zuletzt die Auseinandersetzung um die Zeugenpflicht vor Untersuchungsausschüssen der Länder.
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Die frühe bundesrepublikanische Literatur zum GjS hält zunächst an der Ansicht fest, daß sich die Ministerialfreiheit aus der Gerichtsähnlichkeit ergebe 444 ; für Teilbereiche wird die Anwendbarkeit des Gerichtsverfassungsgesetzes angenommen 445 . In den Entwürfen war der gerichtsähnliche Charakter dadurch betont worden, daß der Rechtsweg direkt zum Bundesverwaltungsgericht führen sollte; dies wurde wegen verfassungsrechtlicher Zweifel nicht verwirklicht 446 . Auch weiterhin wurde jedoch am Charakter der Prüfstelle als Verwaltungsbehörde festgehalten 447. Von der Frage der Weisungsunabhängigkeit zu trennen, aber eng mit ihr zusammenhängend, ist diejenige nach der Begründung für die Mitwirkung der Vertreter gesellschaftlicher Gruppen. Die Antwort darauf ist von der sich wandelnden rechtsdogmatischen Situation beeinflußt. So galt wie unter der WRV (Art. 142 i.V. 118 Abs. II) auch in der BRD zunächst der Jugendschutz als explizite Schranke für die Kunstfreiheit. Darüber hinaus wurde auch die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 S. 2 GG auf den Art. 5 Abs. 3 GG angewandt. Dadurch wurde das Sittengesetz zur Schranke der Kunstfreiheit 448 . Die gesellschaftlichen Gremienmitglieder werden nun als Repräsentaten gesellschaftlicher Auffassungen darüber angesehen, wie der Begriff des Sittengesetzes auszufüllen sei. Diese Ausfüllung geschieht unter Hinweis auf die „christlich-abendländische Weltauffassung" 449 . Nachdem die herrschende Meinung von der Anwendbarkeit der Schrankentrias abgegangen ist, verschiebt sich die Problemstellung und die Argumentation in den Bereich der „Gefährdung" der Jugend. Nun tauchen hier die entsprechenden Fragen der Sittlichkeit auf. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Auffassung der Literatur liegt eine Gefährdung in einer „sozial-ethischen Begriffsverwirrung" 450 der Jugendlichen. Auch in diesem Rahmen scheinen die „Anschauungen der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes" festgestellt werden zu müssen 451 . Dazu ist die gemischte Mitgliedschaft im Gremium in der Lage; sie definiert einen kulturkreisgebundenen Begriff der Sittlichkeit. 444 Dies, zumal die föderale Problematik durch die zentrale Prüfstelle wegfiel. Vgl. Riedel, § 10 Anm. 1; Potrykus,
§ 10 Anm. 1.
445 Potrykus, § 9 Anm. 3,9. Auch möchte man trotz der Sachverständigkeit der Beisitzer wie bei Gericht Gutachter heranziehen, vgl. Schilling, Anm. 175. 446 Schilling, Anm. 14; Abdruck der Materialien S. 327 ff. 447 Potrykus, § 8 Anm. 3, 4. 448 Vgl. besonders Riedel, S. 42; später wieder Raue, S. 83 ff.
449 Vgl. Riedel, § 1 Anm. 4 b; ebenso BGHSt 8, 80 (83). Dies geht soweit, daß Kunstwerke der Antike und Renaissance als „kulturkreisfremd" dargestellt werden (Riedel, S. 40). Aufgabe des Gremiums wird dann die Erfassung von Schriften, die an der „Grenze von Gut und Böse" stehen (Schilling, Anm. 15; Potrykus, § 1 Anm. 2. 450 Vgl. Nachweise bei Raue, S. 53 ff. Schilling, Anm. 65, 32, ζ. B. faßt darunter die Gefährdung durch Verfälschung von Wert-, Welt- und OrdnungsVorstellungen, durch mangelnde soziale Einordnung, Übereinstimmung mit dem Sittengesetz. 451 Riedel, S. 36, 44.
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Die Berufung auf gesellschaftliche Ordungsvorstellungen wird seit Ende der sechziger Jahre zunehmend unbeliebter, da der Konsens zerbrochen ist. Dies spiegelt sich in neueren Begründungsversuchen wieder. So stellt Schreyer in einer gründlichen Untersuchung wesentlich auf die Wertausfüllungsbedürftigkeit bei der Auslegung von Verfassungsbegriffen ab: was Kunst sei, wie eine Gefährdungswahrscheinlichkeit einzuschätzen sei, wie eine Abwägung zwischen konkurrierenden Grundrechten vorzunehmen sei, sei stets von Wertungen abhängig 4 5 2 . Die spezifische Leistung der pluralistisch besetzen Gremien liege in der Klärung des Inhaltes von Rechtsbegriffen der Verfassung und in der Herstellung einer praktischen Konkordanz zwischen verschiedenen Rechtsgütern. Hinzutrete, daß die Lebensbereiche, die durch diese Begriffe beschrieben würden, durch die Grundrechte der Gesellschaft zugewiesen würden 453 . Demzufolge befänden sich die Gremien nicht in einer rein gutachterlichen Stellung, sondern in einer doppelten Stellung von Sachkunde und Repräsentanz 454. Dadurch werde es möglich, das zu konkretisierende Allgemeinwohl prozessual herzustellen und nicht auf einen vorgegebenen Begriff zurückzugreifen 455 (den es als Vorfindlichen nicht gibt). Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung ergebe sich allerdings nicht daraus, daß die Partizipation der gesellschaftlichen Gruppenvertreter eine volle demokratische Legitimation im Sinne des Grundgesetzes ersetzen könne; es fehle dafür an der Kontrolle durch die Abhängigkeit von Wahlen. Eine gewisse Legitimation werde allerdings durch das Entscheidungsverfahren kooperativer Wahrheitssuche im kollegialen Gremium verschafft; diese Verfahren sei dem in Parlamenten ähnlich und garantiere ein ,richtiges 4 Ergebnis 456 . Die eigentliche verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Verfahrens- und Organisationsausgestaltung soll sich wie durchgängig in der neueren Literatur aus den objektiv-rechtlichen Grundrechtswirkungen des Art. 5 Abs. 3 GG ergeben. Schreyer begründet diese Wirkung wie folgt: Die gesteigerte Interventionstätigkeit des Staates mache Bereichsausgrenzungen geschützter Lebensbereiche durch Grundrechte wenig effektiv, Freiheit werde wesentlich nicht mehr durch Abwehr, sondern durch Teilhabe gewährleistet. Schutz müsse heute durch Abwägungsentscheidungen im Einzelfall gewährt werden. Da die Freiheitsausübung wesentlich im Rahmen von Verbänden stattfinde, sei es sinnvoll, diese kooperativ an den fälligen Abwägungsentscheidungen zu beteiligen und zu diesem Zweck plural besetzte Gremien zu schaffen. Diese könnten die Autonomie der Grundrechtsbereiche auch gegen eine politisch motivierte Entdifferenzierung schützen457. 452 453 454 455
Schreyer, S. 53 ff. Vgl. Schreyer, S. 149. Schreyer, S. 31 f., 38 f., 45. Schreyer, S. 40, bes. Fn. 98.
456 Vgl. Schreyer, S. 114, 117, (81). Gegen die Möglichkeit, demokratische Legitimation durch Partizipation zu ersetzen, zu Recht für den Bereich der Kulturförderung auch Mihatsch, S. 152. 457 Schreyer, S. 123 ff.
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Diese Argumentation kann nicht überzeugen, weil sie die Wirkung der Grundrechte untragbar überdehnt und auch nicht konsistent ist. So kann die Autonomie durch die vorhandene Gremienbesetzung keinesfalls gesichert werden. Auf der ,Kulturbank' des Kollegiums sitzen nicht Vertreter einer Selbstdefinition von Kunst, sondern Vertreter von Verwertungsinteressen. Auf der ,Erziehungsbank' sitzen nicht einmal die Träger der Erziehungsautonomie, die Eltern, sondern Vertreter bestimmter Interessen im Erziehungsbereich. Von Autonomiesicherung kann also praktisch nicht die Rede sein. Eher geht es um die Abklärung des Widerspruches zwischen wirtschaftlichen und ideellen Interessen. Durch die Übergabe der Abwägungsentscheidung an das Gremium wird nicht das Ausmaß an Autonomie erhöht, sondern die Autonomie der Kunst wird den Interessenten des Erziehungsbereiches und vice versa zwecks Bestimmung der Interventionsreichweite durch das Indizierungsverfahren ausgeliefert. Dieser Mangel kann auch nicht durch das Verfahren kooperativer Wahrheitssuche ausgeglichen werden; die Interessen sind in dem Gremium relativ deutlich verteilt. Vor allem aber ist die Interessenanbindung der Gremienmitglieder sehr eng und nicht mit der Lage in den Parlamenten vergleichbar 458 . Auch das Bundesverfassungsgericht weist auf die schwierige Rollendifferenzierung von Mitgliedern solcher Gremien zwischen Stellung als Interessenvertreter und Verpflichtung auf das Allgemeinwohl hin 4 5 9 . Die Unhaltbarkeit einer solchen Auslegung ergibt sich auch aus der genaueren Betrachtung des EntscheidungsVorganges. Dieser muß zunächst eine Auslegung der verfassungsrechtlichen Begriffe (Kunst und Jugendschutz) vornehmen. Autonomie und Eigengesetzlichkeit räumen die Grundrechte aber lediglich für die Betätigung im Schutzbereich ein, nicht für die Definition des Schutzbereiches selber, die mit der Auslegung der Begriffe vorgenommen wird. Grundrechtsschutz kann nicht bedeuten, daß die Definitionskompetenz für die Eingriffsgrenzen auf die Grundrechtsträger übergeht. Dies würde im Ergebnis zu einem Definitionsverbot für den Staat führen, das die Autonomie eher einschränkt als begünstigt 460 . Man kann nicht die Definition des Schutzbereiches eines Grundrechts den davon Begünstigten übertragen. Sind die Verfassungsbegriffe festgestellt und ergibt 458 Im übrigen ist die von C. Schmitt und Habermas vertretene Vorstellung von einer kooperativen Wahrheitssuche durch Diskussion auch für den Bereich der Parlamente als ahistorisch aufgewiesen worden. Derart haben Parlamente nur im deutschen Vormärz unter spezifischen Bedingungen (Mandatsträger aus dem Bürgertum, Hauptaufgabe Kontrolle des Monarchen) agiert (vgl. Jaeger , Öffentlichkeit, passim). 459 BVerfGE 83, 238. 460 Den Autonomiegedanken bis in die Aporie hinein treiben ζ. B. Breunung / Nocke, S. 235 ff. Die Autoren betrachten jede Kunstdefinition als Autonomieverletzung und gelangen daher zu einem Definitionsverbot. Dieses führt sie im Ergebnis dahin, die Kunst der Meinungsfreiheit gleichzustellen. Damit wird unter Berufung auf die Autonomie der Schutzbereich weitergehenden Eingriffen als nach der herrschenden Meinung ausgesetzt. Sachlich ergibt sich dann dennoch eine neue Kunstdefinition, die die Kunst auf den Kommunikationsaspekt beschränkt.
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sich die Notwendigkeit eines Ausgleiches von Rechtsgütern durch Herstellung praktischer Konkordanz, so kann die Grundrechtswirkung ebensowenig dazu führen, daß die erforderliche Abwägung den Grundrechtsträgern oder anderen Interessenten überlassen wird. Andernfalls würde der Staat seine originäre Aufgabe zur Abgrenzung kollidierender Interessen in der Gesellschaft aus der Hand geben. Geschähe das, so würde einfach der stärkere gesellschaftliche Interessenvertreter die Abwägung bestimmen. Diese Erwägungen finden in der Rechtsprechung neuerdings stärkere Anerkennung. Sie sind dort von Bedeutung, wo es um die beschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit von Entscheidungen der Behörde geht. Dabei geht die Tendenz dahin, die Überprüfbarkeit gegenüber der früheren Rechtsprechung auszudehnen. Die Überprüfbarkeit aber steht im engsten Verhältnis zu der Einräumung einer eigenständigen und weisungsfreien Entscheidungsmacht für die Behörde 461 . So gehen meist Weisungsfreiheit, plurale Gremienbesetzung und beschränkte Überprüfbarkeit miteinander. Dieselben Gründe werden meist für Weisungsfreiheit einerseits und beschränkte Überprüfbarkeit andererseits angeführt. Deswegen wird nun die Rechtsprechung zur Überprüfbarkeit der Indizierungsentscheidungen skizziert. Ergibt sich dabei, daß die Wertungen bei der Definition von Verfassungsbegriffen und bei Abwägungen voll überprüfbar sind, so kann daraus auch keine Rechtfertigung für ein besonderes Verfahren der Verwaltungsentscheidung gezogen werden. Den Ausgangspunkt für die neuere Rechtsprechung zur Indizierung jugendgefährdender Schriften nach dem GjS bildet eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes aus dem Jahr 1971. In dieser Entscheidung462 wird der Prüfstelle erstmals eine Einschätzungsprärogative zuerkannt, während vorher stets von der unbeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit der Entscheidungen ausgegangen wurde. Das Gericht geht von den Phasen des Entscheidungsvorganges aus und wendet sich zunächst der Sachverhaltsermittlung zu. Dabei vertritt es die Ansicht, daß die Richtigkeit der Wiedergabe des Sachverhaltes voller gerichtlicher Nachprüfung unterliege. Für die Beurteilung dieses Sachverhaltes soll die ,Eignung zur sittlichen Gefährdung' der maßgebliche Begriff sein. Dieser Begriff wird vom Gesetz in Fallgruppen konkretisiert; während auch bezüglich der Auslegung der Vorschriften über diese Fallgruppen von voller Überprüfbarkeit ausgegangen wird, räumt das Gericht der Behörde für die Auslegung des allgemeinen Begriffes
461 Vgl. dazu Papier, Rechtsschutzgarantie gegen die öffentliche Gewalt, in: HdBStR, Bd. VI, § 154 Rdnr. 61; da das Verfahren des Gerichts festliegt, kann es die in einem besonderen Verfahren zustande gekommenen Behördenentscheidungen nicht einer vollen Prüfung in dem Verfahren unterziehen, da sonst die verwaltungsrechtliche Verfahrensausgestaltung sinnlos würde. Vgl. auch BVerfGE 59, 213 (218); 62, 330 (337 ff.). 4 62 BVerwG NJW 1971, 596. Dazu das vielfache Echo in der Literatur: Bachof, JZ
1972, 204 (Anmerkung); ders., JZ 1972, 641; Ossenbühl, DÖV 1972, 401; Kellner,
DÖV 1972, 801; Erichsen, VwArch 63 (1972), 337.
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der Eignung zur Gefährdung einen Beurteilungsspielraum ein. Dies wird damit begründet, daß der Begriff ein starkes prognostisches Element enthalte. Der Zwang zur Abgabe einer Prognose mache aufgrund der prognosetypischen Unwägbarkeiten die Entscheidung unvertretbar; wohl stets seien mehrere fehlerfreie Prognosen unterschiedlichen Inhaltes denkbar. An einer wissenschaftlichen Durchdringung der Frage der Eignung zur Gefährdung fehle es. Die Prognose enthalte sowohl wertende Einschläge wie Unsicherheiten in der Kausalitätseinschätzung. Die Wertung ist erforderlich, weil die Jugend gegen „sozial-etische Verwirrung" geschützt werden soll, in einer pluralen Gesellschaft aber mehrere Sozialethiken miteinander konkurrieren. Die Kausalität betrifft die ungeklärte Frage der schädlichen Wirkung der fraglichen Schriften. Mit dieser Auffassung gelingt es dem Gericht insbesondere, durch die Einräumung eines Beurteilungsspielraumes die sonst notwendige Einholung von Sachverständigengutachten zu erübrigen 463 . Hinsichtlich der für die Anwendung des GjS erheblichen Einordnung eines Werkes als Kunst oder Wissenschaft geht das Bundesverwaltungsgericht zunächst noch davon aus, daß das Verhältnis von Kunstschutz und Jugendschutz entscheidend davon bestimmt wird, welches Niveau das Kunstwerk aufweist 464 . Dieses Niveau versteht das Gericht nicht als ästhetisches, sondern als Frage der gesellschaftlichen Bedeutung des Werkes 465 . Auch diese Entscheidung über den gesellschaftlichen Stellenwert des Werkes soll in den Beurteilungsspielraum fallen. Dem entspricht die Sicht des Gerichts auf die Zusammensetzung des Gremiums; die Kulturbank soll die gesellschaftliche Repräsentanz für den Stellenwert des Kunstwerkes bieten, die Erziehungsbank die Sachkunde für die Einschätzung der Kausalitätsfragen; beide wirken zusammen bei der Bestimmung der maßgeblichen Sozialethik. Das Gremium ist ein gemischt sachkundig repräsentatives 466. Aus den gleichen Gedanken rechtfertigt sich die Beteiligung Privater im Gremium; sie ersetzen die Sachverständigen und sind repräsentativ für gesellschaftliche Anschauungen über Ethik und Bedeutung von Kunst. Diese Rechtsprechung sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, einerseits die Neutralitätspflicht des Staates in der Erziehung nicht angemessen zu würdigen, andererseits die Kunst zur Disposition von Interessengruppen zu stellen 467 .
463 BVerwG NJW 1971 S. 598. Vgl. dazu v. Olshausen, JuS 1973, 217. 464 Die Begründung für ein solches Verständnis wird darin gefunden, daß das GjS davon spricht, daß eine Schrift der Kunst „dienen" müsse. 465 BVerwG NJW 1971 S. 599: „. . . Gewicht, das das Kunstwerk für die pluralistische Gesellschaft nach deren Vorstellungen über die Funktion der Kunst hat." 466 Dabei wird davon abgesehen, daß Sachkundenachweise nicht erforderlich sind und in den Wertungsfragen auch nicht annähernd eine vollständige Repräsentanz der pluralen Gesellschaft erreicht wird. 467 v. Olshausen, S. 220 spricht von der Auslieferung der Kunstfreiheit an die Gesellschaft.
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Deutliche Modifikationen an seiner Rechtsprechung hat das Gericht in einer Reihe von Urteilen 468 im Jahr 1987 angebracht. Dabei versucht es, das Verhältnis von gerichtlich voll überprüfbaren und nicht kontrollierbaren Entscheidungsbestandteilen zu präzisieren. Die Auslegung der verfassungsrechtlichen Rechtsbegriffe und die zutreffende Ermittlung des zugrunde liegenden Sachverhaltes unterlägen der vollen Nachprüfung. Dies gelte insbesondere auch für den Rechtsbegriff der „Eignung zur sittlichen Gefährdung" und den Rechtsbegriff der Kunst. Eine Differenzierung nach dem Stellenwert der Kunst wird nun nicht mehr vorgenommen. Für die Zuordnung des Sachverhaltes zu den Rechtsbegriffen allerdings verfüge die Prüfstelle über einen Beurteilungsspielraum, da darin eine wertende bzw. prognostische Entscheidung liege 469 . Trotz dieser geänderten Auffassung bleibt das Gericht bei seiner Einschätzung des Gremiums als einer Mischung aus Repräsentanz und Sachverständigkeit. Die Beteiligung Privater solle den Entscheidungsträger „nicht nur mit Urteilsfähigkeit für die ethischpädagogische Frage der Jugendgefährdung, sondern ebenso mit Erfahrung und Verständnis für die literarisch-künstlerische Qualität von Schriften ausstatten."470 Das Gericht sieht nunmehr aber auch die Gefahren einer Gefährdung der staatlichen Neutralität. Es sollen deswegen nur solche ethischen Gefährdungen zurückgedrängt werden, die die Entwicklung der Minderjährigen in eine mit dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht mehr vereinbare Richtung lenken. Entscheidend wird also nun nicht mehr auf in der Gesellschaft vertretene Sozialethiken, sondern auf die Vereinbarkeit mit der Verfassungsordnung abgestellt471 . Daraus ergibt sich, daß die im Gremium vorhandene Repräsentanz nicht mehr auf die gesellschaftlichen Wertvorstellungen bezogen werden kann; der maßgeblich Standard ist nun ein verfassungsrechtlicher. Ebenso verhält es sich mit dem Kunstbegriff. Damit bleibt für die Verwendung der Repräsentativität und Sachkunde lediglich noch der Entscheidungsraum im konkreten Subsumtionsvorgang. In diesem solle das Prognose- und Wertungselement liegen. Diese Ansicht ist deswegen erstaunlich, weil üblicherweise der Subsumtionsvorgang gerade wertungsfrei verlaufen soll, um die Rechtsbindung des Entscheidenden zu gewährleisten 472. Anders verhält es sich lediglich bei wertausfüllungsbedürftigen Tatbestandsbegriffen oder Typusbegriffen; in diesen Fällen ist im Subsumtionsvorgang ein Wertungselement deutlich enthalten 473 . Hier läßt sich dem Begriff im Tatbestand keine feste Merkmalsreihe zuordnen; die Anwendung des Tatbestandsbegriffes auf den Einzelfall ist gleichzeitig Konkretisierung des 468 BVerwG NJW 1987, 1429; 1987, 1431; 1987, 1434; 1987, 1435. 469 BVerwG NJW 1987, 1429 ff. 470 Die kunstbezogene Sachkunde ist gefordert, wo es um die Subsumtion unter den Kunstbegriff geht. Vgl. BVerwG NJW 1987, 1431; 1435. 471 BVerwG NJW 1987, 1430; 1432; 1435; vgl. BGH NJW 1990, 3026 (3028). 472 Vgl. Larenz, deutlich in der 4. Aufl. 1978 S. 255 ff., 202. Vgl. ders., 6. Aufl. S. 278 ff., 288, 464 ff. 473 Larenz, 4. Aufl. S. 259, 202 f.
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Begriffes; im Konkretisierungsprozeß wird der Begriff als Maßstab inhaltlich angereichert: Anwendung und Fortbildung des Rechts sind identisch 474 . Die Position des Bundesverwaltungsgerichtes ist damit widersprüchlich: einerseits möchte es die Rechtsbegriffe einer vollen Überprüfung unterziehen, andererseits geht es von einer Eigenart des Subsumtionsvorganges aus, die nur bei solchen Rechtsbegriffen vorkommt, bei denen sich Definition und Anwendung nicht trennen lassen und also eine volle Überprüfung der Begriffsbestimmung mit einer eingeschränkten der Begriffsanwendung nicht vereinbaren läßt. Gleichzeitig muß damit die inhaltliche Legitimation der Gremienmitglieder fraglich werden; für die Bestimmung wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe wird eine Verwaltungsbehörde üblicherweise selbst als befähigt angesehen. In seiner Entscheidungspraxis hält das Gericht die eigene Differenzierung denn auch nicht durch und prüft nicht getrennt nach Rechtsbegriffen und SubsumtionsVorgang 475. Eine weitere Möglichkeit, einen Beurteilungsspielraum zu rechtfertigen, könnte sich aus einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes 476 ergeben. Diese rezipiert den weiten Kunstbegriff des Bundesverfassungsgerichtes und gelangt daher zu der Auffassung, daß auch Pornographie Kunst sein könne. Dies führt zwangsläufig zu der Notwendigkeit einer Abwägung von Verfassungsgütern; für diese Abwägung man meinen, dürfe ein Beurteilungsspielraum eingesetzt werden. Auch dies ist allerdings nicht möglich, wie sich der in der Folge darzustellenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes entnehmen läßt. Das Bundesverfassungsgericht war gegen eine der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes angerufen worden 477 . Bei der Untersuchung, ob ein Beurteilungsspielraum der Bundesprüfstelle anzuerkennen ist, kommt das Gericht zu dem Ergebnis, daß bei einer Kollision zweier Grundrechtsgüter stets eine Abwägung im Einzelfall vorgenommen werden muß. Die darin liegende Herstellung einer praktischen Konkordanz sei reine Rechtsaufgabe; für diesen Abwägungsvorgang sei der Behörde kein Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Die vom Bundesverwaltungsgericht angedeutete Lösung wird also explizit abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht bringt zum Ausdruck, daß in Verfahrens- und organisationsmäßiger Hinsicht ein Gericht für eine solche Abwägung von Rechtsgütern nicht ungeeigneter ist als die Bundesprüfstelle. Das Gericht setzt dabei voraus, daß außer dem Abwägungsvorgang und -ergebnis selbst auch die Auslegung der zugrundeliegenden Verfassungsrechtsbegriffe voll überprüfbar ist. Für die Beurteilung der Kausalitätsfragen fordert das Gericht, daß gegebenenfalls Sachverständige herangezogen werden, so daß hier der wissenschaftliche Sachverstand den Ausschlag geben soll. Damit bleibt für einen Beurteilungsspielraum nur noch 474
Larenz, 4. Aufl. S. 204. Deswegen spricht Larenz hier nicht mehr von Subsumtion, sondern von Zuordnung (S. 259). 4 ?5 Vgl. BVerwG NJW 1987, 1431; 1434. 4 76 BGH NJW 1990, 3026. Vgl. dazu dann BVerfGE 83, 130. 4 ?7 BVerfGE 83, 130 in bezug auf BVerwG NJW 1987, 1435. 10 Waechter
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der Bereich der Subsumtion des Sachverhalts unter die Rechtsbegriffe; für diesen Bereich ist aber gezeigt worden, daß die Annahme eines Beurteilungsspielraumes sinnlos ist. Es bleibt also kein Ort mehr für einen sinnvollen Einsatz des Beurteilungsspielraumes bestehen478. Es sind lediglich sachverständig beratene Rechtsentscheidungen zu treffen. Offenbar sieht auch das Bundesverfassungsgericht eine solche Konsequenz, läßt die Frage aber vorerst offen. Das ist deswegen erstaunlich, weil im gleichen Urteil über die organisatorische Ausgestaltung der Prüfstelle zu entscheiden war; wenn aber kein Ort für die Ausübung eines Beurteilungsspielraumes verbleibt, so muß auch die Mitwirkung von Repräsentanten und Sachverständigen4 in dem Entscheidungskollegium in Frage gestellt werden. Denn die Besetzung mit Privaten und die Weisungsfreiheit können nur dann einen Sinn haben, wenn das Verfahren gegenüber einem durch Rechtsentscheidungen geprägten Verfahren (wie dem gerichtlichen) eine besondere Eigenart mit besonderen Leistungen aufweist. Die inhaltliche Rechtfertigung der Weisungsfreiheit ist also durch das Ergebnis in der Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit stark in Zweifel gezogen. Dies muß auf die dogmatische Rechtfertigung durchschlagen. Das Bundesverfassungsgericht untersucht diese dogmatische Rechtfertigung anhand der verschiedenen Legitimationsstränge. Es kommt dabei zu dem Ergebnis, daß die personelle Legitimation durch die hoheitliche Ernennung der privaten Beisitzer vorliegt. Ebenso ist die institutionelle Legitimation durch das GjS, das die Einrichtung der Bundesprüfstelle vorsieht, gegeben. Fraglich ist allein die sachlich-inhaltliche Legitimation. An dieser fehlt es aufgrund der Weisungsunabhängigkeit. An dieser Stelle ist die Entscheidung etwas unklar. Einerseits wird in Anknüpfung an die alte Rechtsprechung von ministerialfreien Räumen gesagt, es bedürfe keiner gesonderten Rechtfertigung, wenn nur kein unzulässiger Fall der Ministerialfreiheit vorliege. Ein solcher sei nicht gegeben, da keine Entscheidungen von politischer Tragweite zu treffen seien 479 . Andererseits wird im Rahmen der Frage, ob angesichts des FunktionsVorbehaltes des Art. 33 GG die Übertragung der Aufgabe auf Private zulässig sei, auf Art. 5 Abs. 3 GG abgestellt, der das Gebot enthalte, Entscheidungen im Kulturbereich in einer gewissen Staatsferne zu treffen. Unabhängig davon, ob man diesem Grundrecht eine derartige Anweisung entnehmen kann, hätte eine solche Staatsferne aber nur dann Sinn, wenn es noch einen Ort geben könnte, an dem sie sich auswirken könnte; im Rahmen der Ausführungen zum Beurteilungsspielraum ist gezeigt worden, daß dies nicht der Fall ist. 478 Im Ergebnis ebenso die Literatur zum Mutzenbacherurteil: Würkner, NVwZ 1992, 1 (7); Geis, NVwZ 1992, 25. Vgl. Herkströter, AfP 1992, 23. Gleichzeitig hat in der Folge zweier Bundesverfassungsgerichtsurteile (BVerfGE 84,34; 84,59) eine Diskussion zum Beurteilungsspielraum bei Prüfungsentscheidungen eingesetzt; dazu ζ. B. Herzog,
NJW 1992, 2601; Czermak, NJW 1992, 2612. 47
9 BVerfGE 83, 130 mit Verweis auf BVerfGE 9, 268 (281 f.).
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
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Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist denn auch in der Literatur 480 und der folgenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung 481 als unklar empfunden worden. Redeker legt das Urteil dergestalt aus, daß das Gericht den Grundrechten, hier dem Art. 5 Abs. 3 GG wiederum eine Verfahrenswirkung entnehme: diese gehe hier dahin, daß bei einem intensiven Eingriff in ein Grundrecht stets eine volle gerichtliche Überprüfbarkeit der Verwaltungsentscheidung angenommen werden müsse. Das materielle Recht wirkt hier in seiner Verfahrenswirkung also gerade nicht in Richtung auf eine Staatsferne, sondern in Richtung auf volle Überprüfung einer staatsfern in einem plural zusammengesetzten Gremium getroffenen Entscheidung durch ein Verwaltungsgericht. Auch hieran zeigt sich, wie die aus den Grundrechten abgeleitete Verfahrenswirkung zu fast willkürlichen Ergebnissen führt, die in diesem Fall geradezu im Widerspruch zueinander stehen. Redeker kritisiert das Urteil denn auch mit dem Hinweis, daß die Anwendung dieser Gedanken zu einer verbreiteten Rechtsunsicherheit führen würde: da bei staatlichen Eingriffen stets Grundrechtsbezug gegeben ist, könne nicht mehr sicher prognostiziert werden, wann überhaupt Beurteilungsspielräume anerkannt werden. Damit wird genau die Unableitbarkeit genauer Verfahrens- und organisationsrechtlicher Wirkungen aus den Grundrechten festgestellt 482. Es zeigt sich also, daß sich auch bei diesem Beispiel aus Art. 5 Abs. 3 GG kein Gebot 483 entnehmen läßt, grundrechtsrelevante Entscheidungen in Staatsferne (also weisungsfrei durch plural besetzte Gremien) zu treffen. Insgesamt hat sich ergeben, daß die Verfahrens- und organisationsrechtliche Wirkung von Grundrechten nicht regelmäßig geeignet ist, ministerialfreie Ausgestaltungen zu rechtfertigen. Das gilt sowohl für die Ausgestaltung der grundrechtlich geschützten Tätigkeit im Staatsinnenbereich (Beispiel Rundfunk) wie für die Fälle staatlicher Entscheidungen in der Gefahrenabwehr, die in grundrechtsgeschützte Bereiche eingreifen (Beispiel GjS) und für solche Entscheidungen staatli480 Vgl. Redeker, NVwZ 1992, 305 (zur Unklarheit insb. S. 306); Würkner, NVwZ 1992, 309. 481 Das OVG Münster versteht das BVerfG so, daß kein Beurteilungsspielraum mehr bleibt: NVwZ 1992,396; das VG Köln nimmt nach wie vor einen Spielraum der Prüfstelle an, gibt an nicht an, an welcher Stelle der Entscheidung dieser genau wirksam werden soll: NVwZ 1992, 402. Eine eigene neue Argumentation wird in keinem der zum Veröffentlichungszeitpunkt nicht rechtskräftigen Urteile entfaltet. 482 Redeker, NVwZ 1992 S. 309. Ebenfalls eine Wirkung des Art. 5 GG für die Ausgestaltung und Erstreckung der Gerichtskontrolle nimmt Wente, ZUM 1991, 561 an. In diesem Fall soll die Grundrechtswirkung nach dem Grundsatz ,je intensiver der Eingriff, desto effektiver der Rechtsschutz' die Frage nach der selbständigen Anfechtbarkeit einer Prüf Stellenentscheidung nach § 15 a GjS zugunsten der Überprüfbarkeit beantworten. Nach Wente verbietet Art. 5 Abs. 3 GG die Einräumung von Beurteilungsspielräumen; damit ist jede Entscheidungsfindung in ,Staatsferne 4 sinnlos gemacht. 483 Ein entsprechendes Gebot ließe sich, wie Schreyer richtig gezeigt hat, auch nicht auf den Bereich des Art. 5 GG begrenzen, sondern müßte wohl zumindest alle vorbehaltslosen Grundrechte erfassen. 1*
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cher Daseinsvorsorge, die Chancen für Grundrechtswahrnehmung als konstituierte Freiheit verteilen (Beispiel [Kunst-]FörderungsVerwaltung).
5. Einordnung in die Debatte zur Grundrechtsdogmatik Das gefundene Ergebnis ist auch auf dem Hintergrund der jüngeren Auseinandersetzungen um die Grundrechtsdogmatik haltbar. Diese Auseinandersetzungen behandeln unter anderem das Problem, ob Grundrechte auf ihre Abwehrfunktion beschränkt sein sollen, oder ob ihnen auch weitere objektive Grundrechtsfunktionen, wie die hier erwogene, zuzusprechen sind. Diese Debatte kann hier nicht aufgenommen werden, das gefundene Ergebnis muß aber in ihr seinen Standpunkt zugewiesen erhalten. Die Verfechter eines Verständnisses der Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte weisen zunächst auf die Unbestimmtheit hin, die objektiven Grundrechtsfunktionen bislang anhaftet; so konnte auch hier festgestellt werden, daß der verfahrensund organisationsrechtlichen Wirkung von Grundrechten keine klaren Rechtsfolgen zu entnehmen sind. Eine solche Unbestimmtheit bedeutet eine in der Rechtswissenschaft stets bedauerliche Rationalitätseinbuße, ist aber nicht immer vermeidbar. Hinzu kommt jedoch, daß sich diese Unbestimmtheit in Grundrechten findet, deren Schutz der Judikative aufgetragen ist. Daraus ergibt sich, daß Gerichte über die Konkretisierung dieser Unbestimmtheit zu entscheiden haben. Die dadurch eröffneten Durchsetzungschancen für politisch wichtige Gestaltungen außerhalb des politischen Prozesses werden von allen denkbaren Interessen genutzt, um politische Positionen unter Berufung auf Verfassungsrecht gerichtlich und unter Ausschaltung des Parlamentes durchzusetzen 484. Diese Diagnose ist auch im Bereich der ministerialfreien Räume zutreffend; hier geht es meist darum, ein parteipolitisch bedingtes Politikversagen institutionell durch Einrichtung ministerialfreier Räume zu bekämpfen. Hier scheinen die Grundrechte die Möglichkeit zu bieten, bestimmte Gestaltungen unter Umgehung des fraktionenbestimmten Parlamentes als grundrechtsgefordert zu erzwingen. Die darin liegende Gefahr führt zur Wiederbesinnung auf die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte. Da aber gleichzeitig gesehen wird, daß der technisch-wissenschaftliche Leistungsstaat Grundrechtsgefährdungen entstehen läßt, die mit dem älteren Eingriffsdenken nicht zu erfassen sind, bemüht man sich um eine Anpassung der Abwehrfunktion der Grundrechte gegenüber solchen neuen Bedrohungen 485. Ob eine solche 484 So Schlink, EuGRZ 1984, 457 ff. (462, 465). 485 So nach Schlink umfassend Lübbe-Wolf, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988. Lübbe-Wolf untersucht nicht, ob die verfahrensrechtliche Grundrechtswirkung, die zur Rechtfertigung von Ministerialfreiheit angeführt wird, durch eine Anpassung des Abwehrrechtscharakters ersetzt werden kann. Behandelt wird in diesem Zusammenhang nur der Rechtsschutz gegen die Abschaffung von institutionellen und Institutsgarantien (vgl. S. 127 ff.).
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Anpassung gelingen kann, ist derzeit noch offen. Unter anderen hat insbesondere D. Grimm hat daraufhingewiesen, daß wichtige Schutzbedürfnisse durch Grundrechte als Abwehrrechte prinzipiell nicht erfaßt werden können 486 . Hinsichtlich der hier entscheidenden organisationsrechtlichen Wirkung materieller Grundrechte wird hier vertreten, daß diese jedenfalls nicht die Ausgestaltung einer staatlichen Stelle in Weisungsfreiheit rechtfertigt. Unter dem genannten Aspekt der Verlagerung politischer Entscheidungen in die Justiz wäre eine solche Grundrechtswirkung nur dann unschädlich, wenn die weisungsfreie Ausgestaltung von der objektivrechtlichen Grundrechtswirkung zwingend erfordert würde; denn in diesem Fall bliebe dem Gesetzgeber ohnehin kein Ermessen für die Gestaltung. Die mit der Ministerialfreiheit verbundene Einschränkung des Demokratieprinzips erfordert, daß diese (oder eine andere Ausgestaltung, die nicht verfassungsfreundlicher ist) Ausgestaltung grundrechtsgeboten ist; denn von einem anwendbaren Verfassungsprinzip 487 darf nur dann abgewichen werden, wenn ein anderes dies zwingend erfordert. Ist eine entsprechende Ausgestaltung dagegen nur grundrechtsfördernd, aber nicht grundrechtsgeboten, so läßt sich daraus eine Minderung der Anforderung an das Niveau demokratischer Legitimation nicht rechtfertigen. Dies ergibt sich daraus, daß auch die Herstellung praktischer Konkordanz zwischen kollidierenden Verfassungspositionen an die Verhältnismäßigkeit gebunden ist. Ist aber die ministerialfreie Ausgestaltung nicht grundrechtsgeboten, so ist die Einschränkung des Demokratieprinzips nicht erforderlich im Sinne der Verhältnismäßigkeit 488 . Die Bedenken überwiegen also nur dann nicht, wenn eine ministerialfreie Ausgestaltung als grundrechtsgefordertes Minimum angesehen werden kann 4 8 9 . Das ist aber selbst nach Ansicht der Vertreter des Gedankens der grundrechtlichen Verfahrens- und Organisationswirkung nicht der Fall. Auch sie betrachten die ministerialfreie Organisation als grundrechtsfördernd, aber nicht unabdinglich. Gegen eine solche Auffassung spricht hinsichtlich der existierenden ministerialfreien Stellen auch die Verschiedenheit der Ausgestaltungen und die Zufälligkeit der Entstehung. Darüber hinaus führt eine Inanspruchnahme der Grundrechte als Rechtfertigung für organisatorische Gestaltungen dazu, die Grundrechte zumindest insoweit zu funktionalisieren und sie von 486 Grimm, Rückkehr, S. 221 ff. (235 ff.). Vgl. auch ders., Die Grundrechte, S. 67 ff. 487 Bei der hier vertretenen Lösung einer Rechtfertigung der Ministerialfreiheit über die Gewaltenteilung ist das Demokratiegebot in seiner vollen Wirkung im Bereich der Kontrolle gar nicht erst anwendbar. Es kommt also gar nicht zu einer Abwägung verschiedener Verfassungsprinzipien. 488 A. A. Mihatsch, S. 153, der ohne weitere Begründung davon ausgeht, daß das Demokratiegebot auch dann durch eine Grundrechtswirkung eingeschränkt werden darf, wenn diese nicht durch das Grundrecht gefordert ist. 489 Auch Lübbe-Wolf sieht einfachrechtliche Normen, die grundrechtsfördernd wirken, nur dann durch den Eingriffsabwehrcharakter der Grundrechte geschützt, wenn sie auf einer verfassungsrechtlichen Regelungspflicht (insb. aus einem Schutzauftrag) beruhen (S. 136 ff.). Eben eine solche Pflicht kann aber für ministerialfreie Räume (Ausnahme: Art. 114 Abs. 2 GG) nicht festgestellt werden.
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ihrem personalen Fundament zu trennen. Dies personale Fundament bestimmt Freiheit als Freiheit zu beliebigem Verhalten 490 . Gerade diese wird aber bei der organisationsrechtlichen Wirkung von Grundrechten nicht eingeräumt; dies ist besonders deutlich beim Beispiel des Runkfunkes, wo die Freiheit keine ungebundene Freiheit ist, sondern nur eine solche zur Meinungsvielfalt. Das Bundesverfassungsgericht betont dies in der Formulierung vom dienenden Charakter der Rundfunkfreiheit; Grimm selbst spricht insoweit von der treuhänderischen Funktion der Grundrechts Wahrnehmung. Zumindest in den Fällen ministerialfreier Ausgestaltung ist also die Weisungsunabhängigkeit mit der ungebundenen personalen Freiheit nicht zu vereinbaren. Soweit es hier gelingt, ministerialfreie Räume aus Verfassungsorganisationsrecht zu rechtfertigen, entsteht durch die Ablehnung einer entsprechenden Grundrechtswirkung auch kein ungedeckter Rechtfertigungsbedarf. Insoweit tritt also nicht eine Situation ein, die mit der von Grimm konstatierten Rechtsschutzlücke bei einem dogmatischen Rückzug auf die Abwehrfunktion der Grundrechte vergleichbar ist. Eine entsprechende Lücke in der Rechtfertigung tritt nur dann ein, wenn sich für real existierende ministerialfreie Räume wegen der Grenzen der organisationsrechtlichen Rechtfertigung keine verfassungsrechtliche Begründbarkeit ergibt. Soweit eine solche Rechtfertigungslücke verbleibt, ist nach dem dadurch drohenden Schaden zu fragen. Dieser ist im Vergleich zu den von Grimm benannten Konstellationen — Mangel der tatsächlichen Voraussetzungen der Grundrechtswahrnehmung (Leistungsrichtung der Grundrechte) und Mangel an Schutz durch den Staat gegen gesellschaftlich verursachte Gefahren (Schutzwirkung der Grundrechte) — gering. Während in den beiden genannten Fallgruppen unter Umständen eine Vereitelung der Grundrechtswahrnehmung droht, geht es zufolge der Argumentation der Befürworter einer Rechtfertigung der Weisungsfreiheit aus Grundrechten hier regelmäßig nur um das Maß der Grundrechtswahrnehmung. Grundrechtswahrnehmung wird bei Bestehen bestimmter Ausgestaltung gefördert, aber bei ihrem Fehlen nicht verhindert. D. Grimm trägt vor, daß die Wirkung von Grundrechten als „Motor politischer Gestaltung" nicht grundrechtsfremd sei 4 9 1 und begründet dies mit einem Verweis auf die Rolle der Grundrechte in der französichen Revolution 492 . Jedoch waren diese Grundrechte denen der gegenwärtigen deutschen Verfassung nicht vergleichbar; insbesondere fehlte es ihnen an der Einklagbarkeit; dadurch stellt sich das gesamte Problem anders 493 . Gerade im Bereich der institutionellen Ausgestal490 Vgl. Grimm selbst (Die Grundrechte, S. 69; ebenso Suhr, EuGRZ 1984, 529 ff. (532 f.). 491 Grimm, Rückkehr, S. 240. 492 Grimm, Rückkehr, S. 226, 82 ff.; ders., Die Grundrechte, S. 95. 493 Es kommt insb. nicht zu der o.a. Verlagerung der politischen Gestaltungsmacht. Der französische Grundrechtskatalog konnte deswegen auch der für judikable Grundrechte unentbehrlichen Beschränkungsmöglichkeiten (insb. durch Gesetzesvorbehalte) entraten. Vgl. Gauchet, passim.
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tung des Staates ist besonderer Nachdruck auf die koordinierende politische Rolle des Parlamentes zu legen; eine aus Individualrechten abgeleitete institutionelle Struktur bietet keinerlei Gewähr für ihre funktionale und dogmatische Stimmigkeit.
Exkurs: Neokorporatismus und organisationsrechtliche Ausdeutung von Grundrechten Grimm selbst stellt es als Problem des modernen Staates dar, daß ihm eine Tendenz zur Polykratie innewohne, die zu einem Neokorporatismus führen könne. Die Gefahr einer solchen Entwicklung liegt insbesondere in der Auflösung des staatlichen Monopols rechtmäßiger Gewaltausübung und sie liegt auf niedrigerer Stufe in der Aufgabe der Konzentration aller öffentlichen Gewalt beim Staat 494 . Eben diese Entwicklung wird aber von Grimm und auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gefördert, soweit sie die Grundrechte in der hier beschriebenen Weise ausdeuten. Die Legitimation, die Grundrechte vermitteln, ist eine originäre, nicht abgeleitete Legitimation für Jedermann, der sich auf das entsprechende Grundrecht berufen darf. Diese prinzipiell nur nachträglich beschränkbare Freiheit soll als legitimatorische Grundlage für Herrschaftsausübung dienen, wenn Grundrechte mit den dargestellten Organisationswirkungen ausgestattet werden. Ein Freiheitsrecht ist aber aller neuzeitlichen staatstheoretischen Tradition nach schon im Ansatz nicht in der Lage, die Ausübung von Herrschaft zu legitimieren 495 . Herrschaft bedarf vielmehr stets der Ableitung der Herrschaftsberechtigung von den Beherrschten her und darf nicht als eigene Freiheitsbefugnis aufgefaßt werden. Wird dies dennoch getan, so gerät man in die Nähe des mittelalterlichen HerrschaftsVerständnisses, wo Herrschaftsrechte originär den jeweiligen Berechtigten, allerdings in vielfacher Weise begrenzt, zustanden. Abgesehen von dieser staatstheoretischen Ungeeignetheit der Grundrechte zur Legitimation von Herrschaftsausübung ist schon aus dem Text der Verfassung deutlich, daß durch eine solche Auffassung die Einheit der Staatsgewalt grundsätzlich bedroht ist. Der Text des Grundgesetzes enthält nämlich keine präzisen Abgrenzungen der Handlungsbereiche der Grundrechtsberechtigten untereinander, wie es für Herrschaftsträger erforderlich ist. Die bloße Beschränkung auf die Erwähnung der ,Rechte Anderer' in Art. 2 GG geht im Ansatz davon aus, daß Grundrechtswahrnehmung gerade keine rechtlich legitimationsbedürftige Herrschaftsausübung beinhaltet. Damit gibt das Grundgesetz keinen Anhaltspunkt 494 Grimm, Verfassung, S. 24 f. 495 Vgl. Grimm, Verfassung, S. 45: „Zum anderen verhieß sie (die gleiche individuelle Freiheit, d. V.) dadurch, daß soziale Bindungen in dem System gleicher Freiheit nur noch als freiwillig übernommene, d. h. vertraglich ausgehandelte, denkbar waren, einen gerechteren Interessenausgleich, als ihn die zentrale politische Steuerung ermöglicht hatte."
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für eine Abgrenzung der zu Herrschaftsrechten uminterpretierten Grundrechte. Es fehlt auch eine solche Abgrenzung und Einbindung in den Prozeß der traditionell staatlichen Institutionen; dies ist zwingend, wenn man den Abwehrcharakter der Grundrechte beachtet. Sie ist aber erforderlich, wenn sie zu Herrschaftsrechten uminterpretiert werden. Damit läßt sich feststellen, daß die so verstandenen Grundrechte in jeder denkbaren Richtung an rechtlichen Vorgaben für die Formung einer Einheit in der Herrschaftsausübung ermangeln. Die gleiche Erscheinung hatte sich bereits früh bei dem Problem der Grundrechtsberechtigung staatlicher Stellen zeigen lassen 496 . Die Anerkennung intermediärer Gewalten auf Grundrechtsbasis löst damit die Einheit der Verfassung auf in Richtung auf jeweils separate Rechtsbeziehungen zwischen den einzelnen Gewalten. Da sich auch für die hier abgelehnte Auffassung das Bedürfnis nach einer Einbindung der grundrechtlichen ,Herrschaftsfreiheit' stellt, wurde das Konzept der treuhänderischen Bindung der Grundrechtswahrnehmung (Grimm) ersonnen oder es wird auf deren Gemeinwohlbindung (Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes) abgestellt. Für beide Bindungen gibt es keine Verbindung zum Grundrechtscharakter als abwehrendem Freiheitsrecht und keinen allgemeinen Maßstab, so daß im Ergebnis hier die mit den jeweiligen intermediären Gewalten ausgehandelte Bindung stehen wird. Der Inhalt dieser Bindung wird also in erster Linie von der Verhandlungsmacht der Beteiligten bestimmt sein und Vereinbarungscharakter haben und damit nicht in eine Gesamtverfassung zurückzubinden sein. Auch damit wird die Nähe zur mittelalterlichen Bindung der Herrschaftsrechte erreicht, die durch das jeweilige Treueverhältnis' bestimmt wird. Begründet man die Autonomie ministerialfreier Räume grundrechtlich, so ist die Funktion des die Gemeinwohlbindung konkretisierenden Gesetzes unklar; stellt es ein das Grundrecht beschränkendes Gesetz dar oder liegt seine Hauptfunktion in der Erfüllung des institutionellen Gesetzes Vorbehaltes, wie es überwiegend gesehen wird? Dabei ist diese zweite Meinung mit der Annahme einer grundrechtlichen Rechtfertigung kaum vereinbar; bei dieser könnte die Grundrechtsvorschrift ja die gesetzliche Grundlage abgeben. Damit wird die Einheit des Staates, die in der Demokratie durch die Einheitlichkeit des legitimatorischen Ableitungszusammenhanges gegeben ist, nachdrücklich zerstört. Denn anders als manchmal angenommen 497 liegt der Unterschied der neuzeitlichen Verfassungen zu den mittelalterlichen Bindungen der Herrschaft nicht nur in der schriftlich-urkundlichen, positivrechtlichen Zusammenfassung der leges fundamentales und der Freiheitsrechte, sondern die Einheit der neuzeitli496 Vgl. BVerfGE 21, 362 (372/3): „Bei Anerkennung der Grundrechtsfähigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts als Träger öffentlicher Aufgaben könnte eine sinnvolle Zuordnung der staatlichen Aufgabenerfüllung und eine Anpassung der Staatsorganisation an die wechselnden Erfordernisse der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung erheblich erschwert werden." 497 Nicht vollständig klar Grimm, der aber (Verfassung, S. 38, 55) auch betont, daß die mittelalterliche Polyarchie nicht konstitutionsfähig im modernen Sinne war.
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chen Verfassung beruht vor allem auf der Einheit ihres legitimatorischen Ausgangspunktes. Demzufolge gibt es im Mittelalter keine einheitliche Staatsgewalt; Einheit ist dort die Einheit der partikularen Rechtsgemeinschaft, der auch das Recht zur legitimen Gewaltausübung zustehen kann 498 ; dies steht ihr unmittelbar aus der gottgewollten und gerechten Herrschaftsordnung zu. Demgegenüber ist in der neuzeitlichen Theorie alle staatliche Gewalt abgeleitet; dieser steht die gesellschaftliche Freiheit gegenüber. Welche Schwierigkeiten diese Dichothomie für aus älteren Rechtsbeständen in die Neuzeit hinüberragende Rechtsinstitute machen kann, zeigt sich in dem Recht der Selbstverwaltung, wo sich das Ungenügen dieser Alternative deutlich macht. Die Anerkennung von Grundrechten als unmittelbarer legitimatorischer Basis von Herrschaftsbeteiligung verschafft dieser eine originäre, nicht über das Volk als Souverän abgeleitete Berechtigung und gibt damit m. E. einen Teil der Idee des modernen Staates auf. Freilich muß man sich bewußt sein, daß dieser Verlust nicht subjektiv willkürlich herbeigeführt wird, sondern auf dem Hintergrund des Hineinwachsens grundrechtlich fundierter gesellschaftlicher Macht in quasi-staatliche Funktionen (und der damit verbundenen Auflösung auch des Souveränitätsbegriffes) zu begreifen ist, wie sie für die neuere Veränderung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft 499 typisch ist. Das Anliegen ist also, der Verfassung zu mehr Wirkkraft zu verhelfen, indem Verfassungswirklichkeit und normative Verfassung einander näher gebracht werden. Dabei wird hier der faktische Prozeß der Angewiesenheit des Staates auf gesellschaftliche Akteure und der Verflechtung der Funktionen als unabwendbar begriffen und es wird eine verfassungsrechtliche Einbindung dafür gesucht. Diese hat unter der besonderen Schwierigkeit zu leiden, daß die typische neuzeitliche Verfassung von der Trennung von Staat und Gesellschaft ausgeht und in ihrem Text im wesentlichen nur das Organisationsrecht staatlicher Stellen im engen Sinne regelt. Dagegen hatte die ,Verfassung 4 des Mittelalters auch andere Lebensordnungen inkorporiert. Die Argumentation über die organisationsrechtliche Wirkung der Grundrechte sucht nun eine Verbindung zwischen der verfassungsrechtlichen Ordnung der staatlichen Stellen und den in den Staat wirkenden Kräften der Gesellschaft herzustellen. Das Grundgesetz stellt die Grundrechte und den organisatorischen Teil der Verfassung nebeneinander, ohne sie durch eine korporatistische Verfassung miteinander zu verbinden. Dem widerspricht es, den Versuch zu unternehmen, nunmehr aus den Grundrechten wieder die Grundzüge einer korporatistischen Verfassung zu entwickeln; diese war vom Grundgesetz auch wegen des Scheiterns der faschistischen Versuche 500 mit Korporationsverfassungen nicht aufgenommen worden 501 . Eine entsprechende Auslegung der Grundrechte beinhaltet sachlich eine Verfassungsänderung, die eine Änderung des Textes des Grundgesetzes erfordert. 498 Vgl. O. Brunner (S. 1 ff.), sowie Mitteis (S. 20 ff.).
499 Deren Trennung ohnehin eine relativ neue geschichtliche Erscheinung ist. 500 Vgl. zu diesem Scheitern schon Heller, Europa und der Faschismus, 2. Aufl. 1931. 501 Vgl. Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 238.
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Auch wenn man diese Entwicklung der Verfassungswirklichkeit sieht und sie für zwangsläufig hält, muß man dogmatisch dennoch nicht den hier abgelehnten Weg gehen, sondern kann versuchen, den legitimatorischen Ableitungszusammenhang zu wahren. Das geschieht hier mit der rechtlichen Figur der treuhänderischen Funktionsausübung, die eine relative autonome Herrschaftsbefugnis 502 beinhaltet. Wenn Grundrechte, im Beispiel der Bundesprüfstelle Art. 5 GG, als Rechtfertigung für eine weisungsfreie organisatorische Ausgestaltung nicht tauglich sind, muß nach anderen Rechtfertigungen gesucht werden. Dafür kommt wiederum besonders das Gewaltenteilungsprinzip in Betracht. Aus diesem könnte sich neben der oben erwiesenen in bezug auf den Kontrollbegriff eine weitere Rechtfertigung nach dem bislang 503 Angeführten ergeben, wenn die von der Bundesprüfstelle ausgeübte Tätigkeit ,quasi-richterlichen' Charakter aufweist.
V. Rechtfertigung für Ministerialfreiheit wegen Strukturähnlichkeit zur Rechtsprechung? Für eine solche Annahme einer gerichtsähnlichen Eigenart könnte man vermuten, daß auch in diesem Fall die Strukturähnlichkeit zur Rechtsprechung die weisungsfreie Ausgestaltung über Art. 20 Abs. 2 GG rechtfertigt. Entstehungsgeschichte und frühere Rechtsprechung und Literatur machen eine solche Eigenart der Bundesprüfstelle wahrscheinlich. Dann drängt sich aber sofort die schon von Bettermann aufgeworfene Frage auf, wo noch der Unterschied zur Rechtsprechung besteht. Der Begriff der ,quasi-richterlichen' Tätigkeit muß also genauer gefaßt werden, weil die rechtsprechende Gewalt selbst vom Grundgesetz ausschließlich den Gerichten anvertraut ist, sofern die Verfassung nichts anderes regelt 504 . Der Begriff der Rechtsprechung ist in Art. 92 GG vorausgesetzt und nicht definiert. Eine materielle Definition des Begriffs hat sich als notwendig, aber schwierig erwiesen 505 . Einigkeit über den Inhalt des Terminus ist bis heute nicht hergestellt. Dies hat drei Hauptgründe: der erste ist methodischer Art: eine induktive Ermittlung des Begriffsinhaltes durch Suche in der existierenden Rechtsprechung vorfindlicher Gemeinsamkeiten bringt den Verfassungsbegriff in Abhängigkeit vom einfachen Recht; Art. 92 GG würde einem de facto Gesetzesvorbehalt unterstellt 506 . Der zweite Grund liegt in der breiten sachlichen Spanne unterschied502 Entsprechend den bisherigen Resultaten ähnlich einem Mandat mit Immunität in einem weiteren Sinne.
503 s. ο. Β. II. 2. b) dd).
504 Vgl. Bettermann, Die rechtsprechende Gewalt, in: HdBStR, Bd. III, § 73 Rdnr. 5; Herzog, in: Maunz / Dürig, Art. 92 Rdnr. 100; Stern, Staatsrecht, Bd. II S. 893; BVerfGE 22, 49 (81). 505 Strittig, aber h. M. Vgl. BVerfGE 22, 49 (74).
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licher Tätigkeiten, mit denen Rechtsprechung traditionell befaßt ist und für die sich Gemeinsamkeiten schwer auffinden lassen. Der dritte Grund liegt darin, daß sich das praktische Bedürfnis geltend gemacht hat, Rechtsprechung nicht nur nach der Art der Tätigkeit, sondern auch nach der Intensität des damit verbundenen Eingriffs (Straf- und Bußgewalt) abzugrenzen; Intensitätsabstufungen werfen aber stets besondere Grenzziehungsschwierigkeiten auf. Stern definiert Rechtsprechung als „die in besonders geregelten Verfahren zu letztverbindlicher Entscheidung führende rechtliche Beurteilung von Sachverhalten in Anwendung des geltenden Rechts durch ein unbeteiligtes Staatsorgan, den Richter." 507 Diese Definition kann das Bedürfnis nach einer materiellen Abgrenzung nicht befriedigen. Letztverbindlichkeit 508 , besonderes Verfahren und richterliche Entscheidungszuständigkeit sind Folgen, nicht Voraussetzungen der Zuweisung zum Bereich der Rechtsprechung. Die Definition ist zirkulär 509 . Bettermann 510 ist der Ansicht, daß ein einziges Kriterium nicht ausreicht, um den Bereich der Rechtsprechung zu umschreiben. Er stellt für den Bereich des Zivilrechts auf die materielle Einordnung einer Tätigkeit als Streitentscheidung 511 ab; für die Abgrenzung zur Verwaltungstätigkeit soll es darauf ankommen, ob eine Entscheidung gefällt wird, bei der der Entscheidende die Rechtsnorm als Handlungskriterium (dann Verwaltung) oder als Beurteilungskriterium (dann neutrale Rechtsprechung) auffassen soll 5 1 2 . Im Bereich des Strafrechts schließlich soll nur der Ausspruch von Unwerturteilen Rechtsprechung sein 513 . Allerdings sind die Abgrenzungen nicht ausschließlich; so soll auch Straf- und Verwaltungsgerichtsbarkeit sachlich Streitentscheidung sein. Im sachlichen Bereich dieser Streitentscheidung könne es keine verfassungsmäßig zulässige (Art. 92 GG) Verwaltungstätigkeit geben 514 . 506 Vgl. dazu Achterberg, in: BK Art. 92 Rdnr. 74 ff.; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 92 Rdnr. 33. 507 Stern, Staatsrecht, Bd. II, 1980, S. 898; ähnlich Hesse, Grundzüge, Rdnr. 548. 508 Auf Letztverbindlichkeit läßt sich auch die Ansicht Wassermanns, in: AltKomm zum GG, Art. 92 Rdnr. 30, reduzieren. 509 So zu Recht Achterberg, in: BK Art. 92 Rdnr. 65; ähnlich BVerfGE 22, 49 (96). Herzog (Maunz/Dürig, Art. 92 Rdnr. 28 ff., 35 ff., 45 ff.) kritisiert Stern, weil er auch hier einen de facto Gesetzesvorbehalt vermutet; der Gesetzgeber könne ja auch einem Verwaltungsakt Letztverbindlichkeit beilegen. Das trifft nicht zu: Art. 19 Abs. 4 GG steht entgegen. 510 Bettermann, AöR 92 (1967), 496 ff.; ders., Die rechtsprechende Gewalt, in: HdBStR Bd. III, § 73. su So auch Achterberg, in: BK Art. 92 Rdnr. 87 m.w.N. für die Literatur. 512 Hieran haben Achterberg und Herzog eine nicht nachvollziehbare Kritik geübt. Vgl. dazu zutreffend Bettermann, Die rechtsprechende Gewalt, in: HdBStR Bd. III, § 73 Rdnr. 33. 513 Bettermann, Die rechtsprechende Gewalt, in: HdBStR Bd. III, § 73 Rdnr. 18 ff.; dersAöR 92 (1967) S. 496 (502). 514 Bettermann, Die rechtsprechende Gewalt, in: HdBStR Bd. III, § 73 Rdnr. 42; a. A. BVerfGE 22, 49 (76).
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Achterberg schließlich hält Rechtsprechung für die Summe der verfassungsrechtlichen Richtervorbehalte und Rechtsweggarantien, ergänzt um den Sachbereich der Streitentscheidung 515. Herzog versteht Rechtsprechung ausschließlich als Zusammenfassung von Richtervorbehalten und Rechtsweggarantien im GG. Damit kann er den Begriff zwar aus der Verfassung klären, so wichtige Bereiche wie die Zivilrechtsprechung fallen aber aus dem Begriff heraus, da entsprechende Verfassungsnormen nicht existieren 516 . Die Rechtsprechungsähnlichkeit der Bundesprüfstelle kann darauf beruhen, daß die von ihr wahrgenommene Tätigkeit einige, aber nicht alle Merkmale von Rechtsprechung aufweist. Zu untersuchen wäre auch, wie eine Tätigkeit einzuordnen ist, die über die Merkmalsreihe der Rechtsprechung hinaus zusätzliche Merkmale aufweist; so könnte hier für die Indizierungsentscheidungen unterstellt werden, daß sie der Gefahrenabwehr dienen. Allerdings dient der Gefahrenabwehr in einem sehr weiten Sinne auch das Strafrecht, wie im Präventionsgedanken zum Ausdruck kommt. Man muß daher in einem solchen Fall danach differenzieren, ob der Primärzweck in der Gefahrenabwehr oder an anderem Orte liegt. Für den Fall, daß Gefahrenabwehr als primärer Zweck erkannt werden kann, ist zu fragen, ob die Zuständigkeitsregelung des Art. 92 GG auch in einem Fall eingreift, wo die Tätigkeit, die Rechtsprechungsmerkmale aufweist, lediglich als Mittel für einen anderen Zweck eingesetzt wird. Der Überblick über die verschiedenen Ansätze der Literatur zur Definition der Rechtsprechung im Sinne des Art. 92 GG hat gezeigt, daß man mit einem Merkmal allein den Bereich der Rechtsprechung nicht umschreiben kann. Ebenso zeigte sich, daß es keine Reihe von stets vorliegenden Merkmalen gibt, die eine Tätigkeit als Rechtsprechung qualifizieren. Vielmehr liegt beispielsweise häufig ein Charakter als Streitentscheidung im engeren Sinne vor, aber nicht stets. Alle Richtervorbehalte und Rechtsweggarantien bezeichnen den Bereich der Rechtsprechung, betreffen aber nicht stets Streitentscheidung im engeren Sinne. Damit ist Rechtsprechung als Typusbegriff gekennzeichnet, der keine feste und eindeutige Merkmalsreihe aufweist. Von daher muß auch das Vorliegen zusätzlicher Merkmale berücksichtigt werden, weil sie den Typuscharakter einer Tätigkeit trotz Vorliegens mehrerer einschlägiger Merkmale verändern können. Der Sache nach wird dies in der Literatur ebenso gesehen. Dafür ist auf die Unterscheidung zwischen Richtervorbehalten und Rechtsweggarantien hinzuweisen 517 . Während die Monopolisierung der erfaßten Tätigkeit bei den Richtervorbe515 Achterberg, in: BK Art. 92 Rdnr. 111. 516 Herzog, in: Maunz / Dürig, Art. 92 Rdnr. 28 ff., 35 ff., 45 ff. Vgl. dazu Achterberg, in: BK Art. 92 Rdnr. 100; Bettermann, Die rechtsprechende Gewalt, in: HdBStR Bd. III, § 73 Rndr. 19. 517 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 92 Rdnr. 36 ff.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
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halten 518 umfassend ist, verhält es sich bei den Rechtsweggarantien anders. Dort steht den Richtern lediglich das letzte Wort zu; vorgeschaltete Verwaltungsverfahren, die auch der Streitentscheidung dienen, sind aber nach allgemeiner Ansicht zulässig 519 . Man könnte demgemäß annehmen, daß außer in den Fällen der Richtervorbehalte ein hinzutretender Primärzweck eine Tätigkeit von Rechtsprechung zu rechtsprechungsähnlicher macht. Es könnte dann auch innerhalb der Verwaltung den Verwaltungszwecken untergeordnete materielle Streitentscheidung geben. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert, daß auch eine solche Tätigkeit der richterlichen Überprüfung unterzogen werden könnte. Da die Tätigkeit der Bundesprüfstelle unbestritten in erster Linie der Gefahrenabwehr dient, könnte sie also materiell der Streitentscheidung durch die Beurteilung von Sachverhalten dienen ohne dem Bereich des Art. 92 GG zu unterfallen. Dieses Ergebnis scheint die Möglichkeit zu eröffnen, die Unabhängigkeit ihrer Entscheidungen aus dem Gewaltenteilungsprinzip zu rechtfertigen: Da eine rechtsprechungsähnliche Tätigkeit vorliegt und die Entscheidungen kollegial getroffen werden, könnte aufgrund des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG eine Weisungsfreiheit gerechtfertigt sein. So kann auch die Besetzung des entscheidenden Gremiums als angemessen betrachtet werden. Die Kultur- und die Erziehungsbank wirken hier gleichsam als Laienrichter der beteiligten Interessen mit. Nur deswegen kann von dem Erfordernis einer besonderen, nachzuweisenden Sachkunde abgesehen und auf die Beteiligung der unmittelbaren Träger der grundrechtlichen Autonomie (im Erziehungsbereich) verzichtet werden. Tatsächlich ginge es dann nicht um Autonomiesicherung, sondern um Streitschlichtung zwischen den kunstbezogenen Verwertungsinteressen und den Interessenten des Erziehungsbereiches. Ehe ein solches Ergebnis akzeptiert werden kann, muß aber gefragt werden, ob die Rechtfertigungswirkung dieses Argumentes noch beschränkbar ist. Zweifel bestehen deswegen, weil zumindest in dem gesamten Bereich der drittbelastenden Ordnungsverwaltung dieser auch eine rechtsprechungsähnliche Funktion zugewiesen werden könnte. Das gleiche gilt für planende und lenkende Verwaltung, soweit — wie regelmäßig — bei dieser Art von Verwaltung unterschiedliche Interessen zu berücksichtigen sind. Soweit darf aber offensichtlich eine mögliche 518 Vgl. zu Art. 104 II 2, 3 GG Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 104 Rdnr. 23. 519 Vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. II, 1980, S. 893. Demgegenüber meint Bettermann, Art. 92 GG sichere dem Richter stets das erste und das letzte Wort (Die rechtsprechende Gewalt, in: HdBStR Bd. III, § 73 Rdnr. 5). Er beruft sich dabei auf Art. 19 Abs. 4 GG; dieser sichere ohnehin schon das letzte Wort des Richters; Art. 92 GG habe also nur dann eine eigenständige Funktion, wenn er darüber hinausgehe. Das ist deswegen nicht überzeugend, weil Art. 92 GG einen wesentlich weiteren Anwendungsbereich hat als Art. 19 Abs. 4 GG, der beispielsweise die Zivilrechtspflege nicht umfaßt. Art. 92 GG dient also nicht der Einebnung des Unterschiedes zwischen Richtervorbehalten und Rechtsweggarantien, sondern der Erweiterung derrichterlichen Zuständigkeit auch über die von diesen erfaßten Fälle hinaus.
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Rechtfertigungswirkung nicht reichen. Es ist nicht ersichtlich, wie man bestimmte Fälle von Rechtsprechungsähnlichkeit aus diesem Bereich absondern kann 5 2 0 . Deswegen ergibt sich, daß eine solche Strukturähnlichkeit kein Rechtfertigungsgrund für Weisungsfreiheit sein darf. Ein Begriff ohne hinreichende Abgrenzungsfähigkeit kann keine dogmatische Funktion übernehmen. Ebenso kann eine normsetzungsähnliche Funktion keine Weisungsfreiheit begründen, obwohl die Abgeordneten in der Form des Mandates legitimiert sind. Man kann aber schon bezweifeln, ob die materielle Normsetzungsfunktion (also nicht nur der Gesetzesbeschluß) heute noch beim Parlament liegt oder im Kabinett, das nicht durch auf Zeit unwiderrufliches Mandat legitimiert ist. Darüber hinaus ist die spezifische Form der parlamentarischen Mandatslegitimation, die in der Allgemeinheit der Wahlen zur Volksvertretung liegt, nicht auf anders zusammengesetzte Gremien umstandslos übertragbar. Die durch Wahlen erreichte Verallgemeinerung der Interessen (bis zur Mehrheitsfähigkeit) kann in einem von Interessenvertretern beschickten, stark verkleinerten Gremium nicht annähernd erreicht werden. Während diese Verallgemeinerbarkeit in Parlamenten durch die Allgemeinheit im Zustandekommen qua allgemeiner Wahl und die Allgemeinheit der Eingriffsinstrumente als Gesetze gefördert wird, fehlt beides in ministerialfreien Gremien. Dort erarbeitete ,Normen 4 werden von den Vertretern enger Interessen für die Anwendung im eigenen Interessenbereich formuliert. Es fehlt hier also an der vom Gewaltenteilungsprinzip geforderten Abgestimmtheit von Organstruktur und Funktion.
VI. Gemindertes demokratisches Niveau im Bereich der Daseinsvorsorge? Bei der Erörterung von Literatur und Rechtsprechung zu der Ministerialfreiheit anhand von Fallgestaltungen aus dem Bereich der Daseinsvorsorge zeigte sich, daß die Argumentationsstrukturen denen für die Eingriffsverwaltung gleichen, also nicht spezifisch auf den Bereich der Daseinsvorsorge abgestellt werden. Dies Ergebnis, daß die Frage des demokratischen Niveaus nicht bereichsspezifisch für Eingriffs- oder leistende Verwaltung zu behandeln ist, bestätigt sich bei dem Blick darauf, welche rechtlichen Folgen für die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers mit der Einschlägigkeit des Begriffes »DaseinsVorsorge 4 verbunden sind. Es soll dazu untersucht werden, ob sich generelle Aussagen über eine Modifikation des Demokratieprinzips begründen lassen, die für die Bestimmung des Umfanges dieser Besonderheit an den Bereich der Daseinsvorsorge anknüpfen. Be520
Das überrascht nicht, wenn man sich erinnert, daß der Verwaltungsakt nach dem Vorbild des Urteils konzipiert wurde; vgl. zum Urteilsmäßigen des Verwaltungsaktes Mayer, Bd. 1 S. 98 ff.
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reits oben ist darauf hingewiesen worden, daß teilweise ein Spannungsverhältnis zwischen der Aufgabe der Daseinsvorsorge und den vom Demokratieprinzip geforderten Strukturen der Verantwortlichkeit diagnostiziert wird 5 2 1 . Diesen Äußerungen liegt die Ansicht zugrunde, daß die im modernen Leistungsstaat vorhandene umfassende Einbindung der Bürger durch die Angewiesenheit auf staatliche Leistungen oder auf Zulassung zu staatlichen Einrichtungen totalitäre Züge aufweise; das Individuum habe nur noch einen stark verkleinerten Bereich ,vorstaatlich-natürlicher' Freiheit, sei aber vielfach auf die Inanspruchnahme staatlich konstituierter Freiheiten angewiesen. Die hier zum Ausdruck gelangende Aversion gegen den Leistungsstaat hat sich auch in der Ablehnung einer Auffassung der Grundrechte als Leistungsrechte niedergeschlagen 522. Sachlich wird vorgebracht, in einem Leistungsstaat sei die Verwaltung, da sie die Leistungen produziere und verteile, zwangsläufig gegenüber der Legislative die dominierende Kraft 5 2 3 . Leistungserbringung stelle den Staat vor Aufgaben, bei denen es darauf ankomme, die „Resultante einer komplexen Tatsachensituation zu ermitteln"; dies sei eine Aufgabe, die materiell eher Verwaltung als politische Entscheidung sei 524 . Die Legitimität sichernde Daseinsvorsorge müsse effektiver sein, als es eine demokratisch verantwortliche Verwaltung sein könne 525 . Dazu gehöre, daß sie auf ein Fachwissen angewiesen sei, das nicht der demokratischen politischen Wertung zugänglich sei 526 , es gehe vielmehr um die Sachgesetzlichkeit einer wissenschaftlich-technischen Zivilisation 527 . Einer solchen Forderung nach Senkung der demokratischen Anforderungen scheint es zu entsprechen, wenn festgestellt wird, daß dem Gesetzgeber im Bereich der darreichenden Verwaltung im weitesten Maße ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen sei. Diese Feststellung stammt aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und ist von der Literatur übernommen worden. Sie ist allerdings entgegen ihrer allgemeinen Formulierung auf einen sehr engen Anwendungsbereich beschränkt. Alle Entscheidungen dieser Rechtsprechungskette betreffen die Frage nach der Willkürlichkeit von Differenzierungskriterien bei der Leistungsgewährung 528. Für die Festlegung dieser Kriterien gewährt das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum in den Fällen, in denen er nicht verfassungsrechtlich zur Gewährung der Leistung gezwungen ist. Auch die Literatur beschränkt die Aussage des Gerichtes auf 521 Eichenberger, S. 11 ff.; hinweisend Stern, Staatsrecht Bd. I, 2. Aufl. 1984, § 21 II 4. Vgl. auch BVerfGE 59, 231 (263), Rundfunkfreiheit versus Sozialstaatsprinzip. 522 Vgl. Grimm, Rückkehr, S. 221 ff. (223). 523 Eichenberger,
S. 13.
524 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 163. 525 Eichenberger, S. 19. 526 Eichenberger, S. 26.
527 So unter Hinweis auf Schelsky Hesse, Grundzüge, Rdnr. 163. 528 BVerfGE 11, 50 (60); 12, 151 (166); 17, 210 (216); 22, 100 (103); 23, 258 (264); 36, 230 (235); 49, 280 (283).
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diesen Anwendungsbereich 529 . Das Gericht hat nur in einer einzigen Entscheidung seine Aussage näher begründet. Darin stellt es darauf ab, daß bei der verfassungsrechtlich nicht geforderten Leistungserbringung der Gesetzgeber selbst bestimme, ob überhaupt eine Aufgabe aufgenommen wird, in welcher Höhe Haushaltsmittel bereitgestellt werden und wer begünstigt werden soll. Darüber hinaus handele es sich bei der Daseinsvorsorge um Massenverwaltung, so daß dem Gesetzgeber eine starke Typisierungsbefugnis zuzusprechen sei 5 3 0 . Diese Begründung läßt erkennen, daß die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Bereich der Daseinsvorsorge auf die verfassungsrechtliche Aufgabenzuweisung und den Bereich des Gleichheitssatzes beschränkt sein soll. Bei der Aufgabenzuweisung hat der Gesetzgeber auf der Grundlage des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) eine große Gestaltungsfreiheit bei der Entscheidung, ob er sich der Aufgaben der Daseins Vorsorge in mehr oder weniger großem Umfang annimmt. Bei der Bildung der Gruppen von Leistungsempfängern gibt es eine größere Zahl von Differenzierungen, die unwesentlich im Sinne des Gleichheitssatzes sind, als im Bereich der Eingriffsverwaltung. Diese Begründung läßt es nicht zu, die Feststellung einer besonderen Gestaltungsfreiheit über den Gleichheitssatz hinaus auch auf die Ausprägungen des Demokratieprinzips auszudehnen; vielmehr fordert sie geradezu, besonderen Wert auf die zentrale Rolle der freien politischen Entscheidung des Gesetzgebers zu legen 531 . Jenseits dieses Bereiches eines weiten Gestaltungsspielraums bei der Gleichbehandlung in der leistenden Staatstätigkeit gibt es kein allgemeines Argument für die Verringerung der demokratischen Legitimation im Bereich der Daseinsvorsorge. Die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente gehen in denjenigen auf, die auch ohne den spezifischen Bezug auf die Leistungsverwaltung vorgebracht werden 532 . So ist das Argument der Effizienz als Rechtfertigungstopos bereits behandelt worden. Das weitere Argument, Leistungsverwaltung sei der Natur der Sache nach Verwaltungsangelegenheit, betrifft in erster Linie die Frage des Gesetzes Vorbehaltes. Diese Frage muß im hier vorliegenden Zusammenhang nicht problematisiert werden, da Einigkeit darüber besteht, daß eine Organisations529 Vgl. z.B. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. 1 Rdnr. 466; Starck, in: Das Bonner GG, Art. 3, Rdnr. 100 ff., (118, 127, 134). Kritisch auch für diesen begrenzten Bereich Rupp, Art. 3 GG als Maßstab verfassungsgerichtlicher Gesetzeskontrolle, FS BVerfG, 1976 Bd. II S. 364 ff. (372 f.). 530 BVerfGE 22, 100 (103). 531 Stern, Staatsrecht, Bd. II, 1980, § 21 II 4 verlangt die primäre Rolle des Gesetzgebers für „Legitimation, Verantwortung und Risiko'4 auch in der Leistungsverwaltung. Das BVerfG spricht davon, daß das Sozialstaatsprinzip nicht in Widerspruch zum Demokratieprinzip geraten dürfe und deshalb gegenüber der Demokratie sichernden Rundfunkfreiheit nicht gleichrangig sei (BVerfGE 59, 231 (262 f.). 532 Deswegen ist es nicht durchgängig zutreffend, wenn Stern, Staatsrecht, Bd. II, 1980, § 21 II 4 behauptet, das Verhältnis von Demokratie und Leistungsstaat sei in der Literatur unzureichend behandelt. Diese Behandlung findet sich großenteils unter anderen Stichworten.
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anordnung, die Ministerialfreiheit vorsieht, als Gesetz ergehen muß: der institutionelle Gesetzesvorbehalt findet Anwendung. Die Ansicht, Leistungsverwaltung beruhe auf reinem Sachverstand, mündet in die These von der politischen Neutralität und der Abwesenheit von Herrschaft im Bereich der Daseinsvorsorge; auch dieses ist an anderer Stelle erörtert. Die Frage schließlich, wie der erforderliche gesellschaftliche Sachverstand und die demokratische Zuständigkeit zusammengeführt werden können 533 , betrifft die Frage nach der Zulässigkeit der Beteiligung von Sachverständigen / Interessenten an der staatlichen Tätigkeit und ist also ein Problem, das in erster Linie den Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG betrifft 534 . Die Tatsache, daß demnach kein spezifisches Argument für ein gemindertes demokratisches Niveau im Bereich der Daseinsvorsorge ersichtlich ist, muß nicht erstaunen. Vergleichbare Probleme stellen sich teilweise inzwischen auch im Bereich der Eingriffsverwaltung. Während beispielsweise im Bereich der Leistungsverwaltung die Verwaltung für die materielle Leistungserbringung auf die Mitarbeit der gesellschaftlichen Kräfte angewiesen sein kann (Investitionen für Arbeitsplätze und Steueraufkommen), kann sie im Bereich der Eingriffsverwaltung auf spezielles Wissen angewiesen sein. In beiden Bereichen kann es deswegen naheliegen, kooperativ zu handeln statt demokratisch verantwortet einseitig zu entscheiden.
V I I . Rechtfertigung aufgrund staatlicher Befangenheit? Eine Rechtfertigung für Ministerialfreiheit kann sich möglichweise zusätzlich aus einem derjenigen Rechtsinstitute ergeben, die herkömmlich unter dem Begriff des Rechtsstaatsprinzips zusammengefaßt werden. Diese Hypothese kann im Blick auf Gemeinsamkeiten einiger ministerialfreier Räume aufgestellt werden. So haben die weisungsfrei entscheidenden Institutionen im Verfahren auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer oder Asylberechtigter, aber auch diejenigen, die über die Verteilung knapper Kontingente bei Studienplätzen oder über Widersprüche in Sozialhilfesachen entscheiden, gemeinsam, daß in diesen Fällen Ansprüche an den Staat gestellt werden. Diese Forderungen bestehen entweder in Leistungsansprüchen oder in der Geltendmachung einer außergewöhnlichen Freistellung von einer sonst regelmäßig eintretenden Belastung. Stets ist hier der Staat in wichtigen Interessen betroffen, seien es solche der Gewährleistung der äußeren und inneren Sicherheit oder solche der Finanzen. Man kann daher vermuten, daß in diesen Bereichen die Freistellung der entscheidenden Gremien von Weisungen den Sinn hat, diese vor der bei der 533
534
Eichenberger,
S. 25.
Dort ist es auch vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zur Bundesprüfstelle (E 83, 130) behandelt worden. 11 Waechter
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Rechtsentscheidung unsachlichen Geltendmachung starker staatlicher Interessen im Weisungswege zu schützen535. Es ginge dann in diesen Fällen darum, daß die Weisungsfreiheit eine aus den allgemeinen Interessen des Staates resultierende Befangenheit bei der Entscheidung zugunsten der streng am Recht orientierten Entscheidung verhindern soll. Wenn man annimmt, daß es hier um ein Befangenheitsproblem geht, so ist zu fragen, ob es im Recht der Befangenheiten, das die Bindung an Art. 3 GG durch personelle oder institutionelle Vorkehrungen ergänzt, ähnliche Problemkonstellationen gibt. Ein Überblick über diesen Rechtskreis zeigt, daß Befangenheit in zahlreichen Konstellationen auf verfassungsrechtlicher und einfachrechtlicher Ebene berücksichtigt wird. Befangenheit kann sich aus Interessenkonflikten zwischen privaten und öffentlichen Interessen des Amtsträgers ergeben oder aus einer Kollision verschiedener öffentlicher Interessen. Die erste Gruppe von Konflikten berücksichtigt Interessenwidersprüche, die entstehen, weil der Amtsträger oder ihm nahestehende Personen ein gravierendes Interesse an seiner Tätigkeit nehmen (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 1 ff BVwVfG). Diese Personen können natürliche, aber auch juristische Personen, insbesondere mit wirtschaftlicher Zielsetzung sein (denkbar ζ. B. bei § 20 Abs. 1 Nr. 5 BVwVfG; vgl. auch die kommunalrechtlichen Mitwirkungsverbote, z. B. § 23 GmdeOrd NW). Bei der zweiten Konstellation ist besonders der Fall des Funktionswiderspruches erwähnenswert; hier ergibt sich die Befangenheit daraus, daß der Amtsträger zwei unterschiedliche öffentliche Funktionen wahrnimmt, die an unterschiedliche öffentliche Interessen gebunden sind (vgl. z. B. Art. 94 Abs. 1 S. 3, 55 Abs. I, 137 GG). Berücksichtigt wird auch der Fall nachwirkender Interessen, wenn eine Funktion bereits abgeschlossen ist, aber eine fortwirkende Prägung vorliegen kann, die die Besorgnis der Befangenheit auslöst (vgl. § 54 Abs. 2 VwGO: Mitwirkung im vorausgegangenen Vewaltungsverfahren). Die Berücksichtigung dieser Interessenkonflikte erfolgt in drei Stufen. Die höchste Stufe ist diejenige der Inkompatibilität 536 ; in diesen Konstellationen hat der Gesetzgeber einen Funktionswiderspruch erkannt und diesen dadurch gelöst, daß er von Beginn an verhindert, daß es zu einer Personalunion in der Funktionswahrnehmung durch einen Organwalter kommen kann (vgl. die angeführten verfassungsrechtlichen Inkompatibilitäten). Nicht derartig rigide ist der Ausschluß von der Funktionswahrnehmung, der nur im Einzelfall der Interessenkollision eintritt; hier ist wiederum zu unterscheiden, ob ein Ausschuß aufgrund Gesetzes eintritt oder lediglich auf den Antrag eines von der zu besorgenden Befangenheit möglicherweise Belasteten hin (vgl. § 42 Abs. 1 ZPO).
535 Verwalten ist stets Entscheiden in fremder, nicht in eigener Sache: Daher ist interessenbezogen prinzipiell die Scheidung von Amt und Amtsträger geboten; auch funktional bedingte Voreingenommenheiten sind zu berücksichtigen. Sorichtig Kirchhof \ VerwArch 1975, 370 ff. 53 6 Zum Verhältnis von Inkompabilität und Befangenheit Kazele, S. 238 ff.
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Neben diese persönliche Befangenheit tritt eine denkbare institutionelle Befangenheit; hier geht es darum, daß einem öffentlichen Aufgabenträger mehrere Funktionen zugewiesen sein können, die in ihrem Interessenbezug in Widerspruch zueinander stehen537. Diese Gestaltung ist vor allem an dem Beispiel der Bundesbahn, der eine Betriebspflicht unter dem Wirtschaftlichkeitsgebot obliegt (§§ 4, 28 BBahnG), die aber gleichzeitig auch Planfeststellungsbehörde für ihre Bahnanlagen ist (§ 36 Abs. 4 BBahnG), besprochen worden. Wie bei der persönlichen Befangenheit als Rechtsfolge festgestellter Befangenheit der Ausschluß des ohne die Befangenheitsregelung Zuständigen vom Tätigwerden eintreten kann, so kommt als Folge bei der institutionellen Befangenheit ebenfalls ein Ausschluß in Betracht: Man diskutiert hier ein Gebot zur institutionellen Trennung interessenmäßig kollidierender Aufgaben 538 . Der vorliegende Fall ähnelt mehr den Fällen der institutionellen Befangenheit als denen der persönlichen Befangenheit; er beruht also auf einer Art Funktionswiderspruch. Die gesuchte Rechtsfolge, die Weisungsfreiheit, könnte als ein Unterfall der institutionellen Trennung verstanden werden. Ihre Besonderheit besteht darin, daß durch sie die demokratische Verantwortlichkeit eingeschränkt wird und daß die Befangenheit vorrangig bei den Weisungsberechtigten befürchtet wird. Formuliert man die Weisungsfreiheit in Befangenheitskategorien, so kann man sagen, daß das Gesetz davon ausgeht, daß für alle 5 3 9 potentiell Weisungsberechtigten die Besorgnis der Befangenheit besteht. Minderungen der demokratischen Legitimation als Folge einer Befangenheit kennt auch das Kommunalrecht: ist eine große Zahl der Mitglieder einer kommunalen Volksvertretung befangen, so geht das Entscheidungsrecht auf die Minderheit, je nach Landesrecht sogar auf einen von der Rechtsaufsichtsbehörde Bestellten über 540 . Befangenheitsregelungen gehen also auch im geltenden Recht soweit, daß sie die demokratische Legitimation der Entscheidung mindern. Die Lösung eines Befangenheitsproblems, die einen staatlichen Entscheidungsträger von der FunktionsWahrnehmung nicht ausschließt, sondern ihn von Weisungen freistellt, ist im großen Maßstab von der Verfassung für die Funktion der Verwaltungsrechtsprechung gewählt. Die hier zu untersuchende Erscheinung der Weisungsfreiheit könnte sich rechtlich demnach auch als Folge einer Befangenheitssituation ergeben. Deswegen ist zu untersuchen, ob die dogmatischen Grundlagen des Befangenheitsrechtes 537
Vgl. zur institutionellen Befangenheit Kopp, Kommentar zum VwVfG, § 20 Rdnr. 3. 538 Die institutionelle Trennung empfiehlt beispielsweise Dagtoglou, Befangenheit, S. 65 ff. (95 f.). 539 Für den Fall einer Befangenheit aller Richter in der Bundesrepublik Deutschland wird in der Strafrechtswissenschaft vertreten, daß das Verfahren eingestellt werden muß. Hier findet sich also ebenfalls die Erscheinung, daß eine vorfindliche Befangenheit zur Nichtanwendung wesentlicher Prinzipien — grundsätzlicher staatlicher Strafanspruch — führt (vgl. Scheffler, JZ 1992, 131 ff.). 540 Vgl. ζ. B. die Darstellung bei Menke, S. 80 ff. 11*
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es zulassen, die Weisungsfreiheit von ministerialfreien Behörden als Befangenheitsregelung zu verstehen. Da dabei das Gebot demokratischer Verantwortlichkeit beschränkt wird, muß sich diese Grundlage aus Verfassungsrecht ergeben, um eine solche Beschränkung rechtfertigen zu können. An Angeboten für eine verfassungsrechtliche Grundlegung des Befangenheitsrechtes herrscht kein Mangel. Beginnt man bei den Inkompabilitäten des Verfassungsrechts, so werden diese meist als personelle Ergänzung zur institutionellen Gewaltenteilung verstanden. Dementsprechend wird das Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG als dogmatische Grundlage solcher Inkompatibilitäten herangezogen, die nicht im Verfassungsgesetz verankert sind, wie beispielsweise diejenige zwischen Bundestags- und Bundesratsmandat 541. Dabei werden der Inkompabilität zwei Funktionen zugewiesen: einerseits soll sie die Kontrollfähigkeit der entsprechenden Institutionen gewährleisten, andererseits aber auch die Unparteilichkeit der Organwalter. Damit ist ein gegenüber der Gewaltenteilung neuer Aspekt angesprochen. Bemerkenswert ist hier, daß ein direkter Schluß aus Art. 20 Abs. 2 GG auf eine Inkompabilität für möglich gehalten wird; auch sieht man den Gesetzgeber aus der Verfassung verpflichtet, bestimmte Unvereinbarkeiten zu normieren 542 . Ebenso ist festzuhalten, daß davon ausgegangen wird, daß es im geltenden Recht kein lückenloses, d. h. abschließendes System von Unvereinbarkeiten gibt 5 4 3 ; es besteht also die Möglichkeit, zusätzliche Fälle direkt aus Verfassungsrecht zu begründen; hier verhält es sich wie den Fällen der institutionellen Gewaltenteilung selbst. Die durch Befangenheitsregelungen zu gewährleistende Unparteilichkeit nimmt nicht in neuer Form die widerlegte Behauptung von der politischen Neutralität ministerialfreier Räume auf, sondern will die Entscheidungsfindung gegen persönliche und damit hier willkürliche Maßstäbe schützen544. Wäre das Befangenheitsrecht nur als personelle Gewaltenteilung zu verstehen, so wäre die Übertragbarkeit der dogmatischen Grundlage und der aus ihr abgeleiteten Folgen aus dem Bereich der Rechtsprechung in die Verwaltung sehr zweifelhaft. Denn das Inkompabilitätsrecht ist offenbar gegenüber der Anordnung institutioneller Gewaltenteilung akzessorisch; es ergänzt diese auf personellem Gebiet. Infolgedessen wäre der Rechtsgedanke dort, wo keine institutionelle Gewaltenteilung angeordnet ist, unabwendbar. Schon die Tatsache, daß es Befangenheitsregelungen nicht nur im Prozeßrecht, sondern auch im Verwaltungsverfahrensrecht gibt, macht wahrscheinlich, daß es 541 So Hesse, Grundzüge, Rdnr. 489; Herzog, in: Maunz / Dürig, Art. 66 Rdnr. 2; Art. 20 Rdnr. 44 ff. 542 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 66 Rdnr. 45. 543 Herzog, in: Maunz / Dürig, Art. 66 Rdnr. 44. 544 Zur richtigen Unterscheidung von Neutralität und Unparteilichkeit in bezug auf die Befangenheit Dagtoglou, Befangenheit, S. 65 ff.
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noch eine weitere verfassungsrechtliche Grundlage gibt. Diese wird überwiegend im Rechtsstaatsprinzip gefunden 545. Das Rechtsstaatsprinzip wird neben der personellen Gewaltenteilung auch im Bereich der Befangenheitsregelungen in der Justiz als verfassungsrechtliche Grundlage angeführt 546. Das bedeutet, daß die Art und Weise der Sicherung der Unparteilichkeit durch Weisungsfreiheit, wie sie für die Justiz typisch ist, nicht zwingend auf diesen Bereich beschränkt ist; vielmehr kann sie auch dort eingesetzt werden, wo die entsprechende Ausformung des Rechtsstaatsprinzips ihre Wirkung entfaltet. Neben dem Rechtsstaatsprinzip werden noch das Demokratieprinzip, die Grundrechte im allgemeinen und speziell die Art. 19 Abs. 4 und 3 Abs. 1 GG als Basis der Befangenheitsregelungen angeführt 547. Ohne nähere Erörterung der damit verbundenen Fragen kann hier Folgendes festgestellt werden: da die Rechtfertigung der Ministerialfreiheit eine Einschränkung der demokratischen Normalverantwortlichkeit beinhaltet, kann hier die Basis dieser Rechtfertigung nicht in eben diesem betroffenen Demokratieprinzip gesucht werden 548 . Zu den Grundrechtswirkungen ist bereits ausgeführt worden, daß diese nach hier vertretener Auffassung nicht hinreichen, um die gefragte Rechtfertigungswirkung bereitzustellen. Insbesondere zu Art. 19 Abs. 4 GG hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, daß es keine Verbindung zu Befangenheitsvorschriften gebe 549 . Es verbleibt also in erster Linie das auch stets an erster Stelle genannte Rechtsstaatsprinzip. Dabei muß die Frage nicht entschieden werden, ob das Rechtsstaatsprinzip eine ungeschriebene eigene Rechtsinstitution ist oder lediglich ein Sammelbegriff für unterschiedliche eigenständige Rechtsinstitute des Verfassungsrechts ohne eigene normative Wirkung 550 . Denn auch für die verfassungsrechtliche Fundierung des Befangenheitsrechtes ist man nicht auf die Annahme eines eigenständigen ungeschriebenen Rechtsstaatsprinzips angewiesen; vielmehr kann es unproblematisch auch aus dem positivrechtlichen Grundsatz der Gesetzesbindung in Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitet werden — dies geschieht vielfach, wenn auch teilweise nur implizit 5 5 1 . 545 Kopp, Kommentar zur VwGO, § 54 Rdnr. 1; ders. Kommentar zum VwVfG, § 20 Rdnr. 2. 546 Unparteilichkeit und Gesetzesbindung werden vielfach in der Kommentarliteratur zu den Prozeßordnungen herausgestellt. Vgl. Klein, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Ulsamer, § 18 Rdnr. 1; F eiber, in: MüKo zur ZPO, §41 Rdnr. 1; Leipold, in: Stein/ Jonas, § 41 Rdnr. 3. Vgl. auch Pestalozza, § 2 Rdnr. 47 ff.; Schwab, in: Rosenberg / Schwab, § 25.
547 Hammer, S. 15. Kazele, S. 45 ff.
548 Die Ableitung der Befangenheitsvorschriften aus dem Demokratieprinzip wirkt ohnehin etwas gekünstelt. 549 BVerfG NVwZ 1988, 523. 550 So Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, passim. Insbesondere zur Floskelhaftigkeit S. 233 ff.; das Befangenheitsrecht ist Problemkomplex bei Kunig nicht ausführlich behandelt, sondern nur im Rahmen des Verfahrensrechtes mitbetroffen.
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Die Leistung, die von einer Rechtfertigung für Weisungsfreiheit erbracht werden muß, liegt, wie schon vielfach erwähnt, in einer Relativierung der Anforderungen an die demokratische Verantwortlichkeit. Dazu ist insbesondere Art. 20 Abs. 3 GG in der Lage. Dies ergibt sich daraus, daß für das gesamte Rechtsstaatsprinzip trotz seiner Unbestimmtheit eine solche Funktion anerkannt ist 5 5 2 ; erst recht muß dies dann für präzisere einzelne Verfassungsnormen gelten, die dem Bereich des Rechtsstaates zuzuordnen sind. Der Grundsatz der Gesetzesbindung der Verwaltung kommt also als Rechtsgrundlage für Befangenheitsregelungen generell in Betracht. Zu klären ist, ob dies auch für Fälle der institutionellen Befangenheit, die dem hier einschlägigen Fall nahestehen, gilt. Dies muß angenommen werden. Zwar herrscht Streit darüber, ob und wann die verfassungsrechtliche Basis von Befangenheitsregelungen bei institutioneller Befangenheit die Folge der organisatorischen Trennung von Funktionen zwingend nach sich zieht. Im Falle der Interessenkollision bei der Bundesbahn, der schon oben angesprochen worden ist, hat das Bundesverwaltungsgericht angenommen, daß eine Funktionentrennung nicht zwingend geboten ist; maßgeblicher Grund dafür soll sein, daß sich dem ungenauen Rechtsstaatsgebot keine genauen Anordnungen entnehmen lassen 553 . Diese Ansicht ist aber nicht ohne Widerspruch und Bedenken geblieben 554 . Jedenfalls zeigt die Diskussion zu den entsprechenden Problematik, daß es Fälle gibt, in denen eine Berücksichtigung der institutionellen Befangenheit geboten ist 5 5 5 . Darüber hinaus ist unklar, ob das Demokratieprinzip durch den Grundsatz der Gesetzesbindung nicht auch dann eingeschränkt werden darf, wenn dies zwar nicht zwingend erforderlich, aber naheliegend und für die Einhaltung der Gesetzesbindung förderlich ist. Davon scheint das Bundesverwaltungsgericht auszugehen, wenn es ausführt, daß rechtsstaatliche Gründe eine Behördentrennung nahelegten 556 . Auch in der Literatur wird durchgängig davon ausgegangen, daß verfassungsrechtliche rechtsstaatliche Gründe eine Behördentrennung bei institutioneller Befangenheit nahelegen 557 . Die Frage muß hier nicht entschieden werden. 551 Vgl. oben die Nachweise zur Befangenheit bei § 18 BVerfGG und bei § 41 ZPO; KirchhofVerwArch 1975, 370 ff. (371); Kazele, Interessenkollisionen, S. 45. Auch Kunig, S. 233 ff. geht davon aus, daß zahlreiche Rechtsinstitutionen, die herkömmlich einem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip zugeordnet werden, genauer bei der Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3 GG zu lokalisieren sind. 552 Siehe die Darstellung der h. M. zu dieser Funktion bei Kunig, S. 251 ff. Auch wenn Kunig diese Funktion dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip mit guten Gründen bestreitet (S. 256), erkennt er sie für die an dessen Stelle tretenden einzelnen Normen an. 553 BVerwG NVwZ 1988, 532 mit verfassungsrechtlicher Bestätigung durch BVerfG NVwZ 1988, 523. 554 Kopp, Kommentar zum VwVfG, § 20 Rdnr. 3. 555 Kühling, DVB1 1989, 221 ff. bezeichnet § 36 IV BBahnG als „gerade noch" verfassungsgemäß. 556 BVerwG NVwZ 1988, 532 (533). 557 So Kopp, Kommentar zum VwVfG, § 20 Rdnr. 3; Kühling, DVB1 1989, 221 ff.; Dagtoglou, Befangenheit, S. 96; Hoffmann-Riem, VVdStRL 1982 (40), 187 ff. (231).
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
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Demnach ist zu Recht anerkannt, daß Art. 20 Abs. 3 GG eine Befangenheitsregelung tragen kann, die zu einer institutionellen Behördentrennung führt. Aus der bei der Staatsfunktion (Verwaltungs-)Rechtsprechung festgestellten Wirkungsweise der Befangenheitsvorschriften ergibt sich, daß die Befangenheitsregelung so ausgestaltet sein kann, daß eine Weisungsfreiheit vorgesehen wird, wenn die Besorgnis der Befangenheit vor allem im Beireich der Weisungsberechtigten besteht. Schließlich ist aus der Justiz, auch aus dem Kommunalrecht bekannt, daß die Ausgestaltung des Rechts der Befangenheit zu einer geminderten demokratischen Verantwortlichkeit führen kann. Damit sind alle rechtlichen Erscheinungen, die bei ministerialfreien Räumen eine Rolle spielen, als mögliche Wirkungen des Art. 20 Abs. 3 GG identifiziert. Der Grundsatz der Gesetzesbindung fordert zwar nicht regelmäßig eine solche Ausgestaltung, rechtfertigt sie aber unter bestimmten Bedingungen. Diese gilt es zu benennen. Da eine weisungsfreie Ausgestaltung von der Regelanordnung für demokratische Verantwortlichkeit abweicht, muß die Besorgnis der Befangenheit ein besonderes Gewicht haben, um entsprechende organisatorische Vorkehrungen begründen zu können. Dieses Gewicht kann an unterschiedlicher Stelle liegen: in Betracht kommen vor allem der Grad der Besorgnis der Befangenheit und ein gegebenenfalls drohender Schaden. Eine besondere Besorgnis besteht vor allem dann, wenn zentrale Interessen des Staates betroffen sind, für die im politischen Prozeß die Ministerialebene verantwortlich gemacht wird. Denn in diesen Fällen ist die Gefahr unsachlicher Weisungen besonders groß. Solche Interessen sind bei wichtigen Fragen der inneren und äußeren Sicherheit und bei der finanziellen Inanspruchnahme des Staates im Spiel. Deswegen ist es unter Befangenheitsaspekten sinnvoll, bei der ausnahmsweise gewährten Freistellung vom Kriegsdienst mit der Waffe (Art. 4 Abs. 3 GG) oder bei der Inanspruchnahme von Asyl (Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG) die Entscheidenden weisungsfrei zu stellen. Ebenso verhält es sich bei der Geltendmachung direkter finanzieller ,Ansprüche4 an den Staat. Dieser Bereich betrifft beispielsweise die Ausgestaltung der Subventionsverwaltung. Da Art. 20 Abs. 3 GG nicht zwingend eine bestimmte Ausgestaltung vorschreibt, kann es unterschiedliche Organisationsformen geben. Auf der anderen Seite ist eine weisungsfreie Ausgestaltung und die dadurch gegen unsachliche Weisungen gesicherte Entscheidungsfindung sinnvoll, wenn ein hoher Schaden droht. Das ist nach der Wertung des Grundgesetzes sowohl bei einer fehlsamen Ablehnung eines Kriegsdienstverweigerers wie bei der eines Asylsuchenden der Fall. Bei der Subventionsverwaltung bietet sich hier die Differenzierung nach betroffenen Grundrechtsbereichen an, wo die Wertigkeit des entsprechenden Rechtsgutes durch die Schrankenausgestaltung als indiziert angesehen werden kann; insofern spielen die Grundrechte doch wieder eine — wenn auch eingeschränkte — Rolle. Diese Aufzählung ist nicht abschließend und die leitenden Kriterien des Gewichtes des Interesses und der drohenden Rechtsgutsverletzung erlauben keine
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trennscharfe Abgrenzung der betroffenen Fälle schon von der Verfassung her. Das ist zwar bedauerlich, scheint aber unvermeidbar zu sein. Eine entsprechende Unschärfe eignet auch anderen Verfassungsbestimmungen im Bereiche des Befangenheitsrechtes. So stellt es Art. 137 Abs. 1 GG dem einfachen Gesetzgeber anheim, die Wählbarkeit der Angehörigen bestimmter Berufsgruppen normativ zu beschränken. Damit ist es in das Ermessen der Legislative gestellt, ob sie gestützt auf Art. 137 Abs. 1 GG eine entsprechende Regelung trifft, die in die Rechte aus Art. 38 Abs. 1 und 33 Abs. 5 GG eingreift 558 . Dem Gesetzgeber ist auch hier nicht nur ein Entschließungsermessen über das ,Ob' eingeräumt, sondern in Grenzen auch über das ,Wie\ So wird die Einführung von Inkompabilitäten ebenso für zulässig gehalten wie die von Ineligibilitäten 559 . Die hier vorgetragene Ansicht, daß weisungsfreie organisatorische Ausgestaltungen aufgrund von Art. 20 Abs. 3 GG gerechtfertigt sein können, zwingt nicht dazu, dieses Modell auf solche Fälle zu beschränken, in denen es um rechtlich gebundene Entscheidungen geht, so daß die volle Wirkung der Gesetzesbindung eintritt. Vielmehr entfaltet die Rechtsbindung auch im Bereich von Ermessensentscheidungen ihren Sinn, da Ermessen stets pflichtgemäß und nie willkürlich auszuüben ist. Wenn also Weisungen abzuwehren sind, die aufgrund einer vorliegenden Befangenheit sachwidrig sind, so hat dies auch und gerade bei Ermessensentscheidungen Sinn. Die Gesetzesbindung aus Art. 20 Abs. 3 GG erfaßt zweifelsfrei sowohl gebundene wie Ermessensentscheidungen. Allerdings liegt bei gebundenen Entscheidungen ein geringerer Eingriff in die demokratische Verantwortlichkeit vor, so daß eine weisungsfreie Ausgestaltung eher vertretbar erscheint.
Ergebnis zur Rechtfertigungsproblematik Als Ergebnis dieses Teiles ist festzuhalten: Die Errichtung ministerialfreier Räume findet eine letzte Grenze dort, wo der Kernbereich der drei Hauptstaatsfunktionen beginnt. Auch unterhalb dieser Schwelle bedarf eine solche Errichtung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, weil das Demokratieprinzip nach hier vertretener Ansicht für den Bereich der Exekutive als Regelanordnung eine Ausgestaltung in Ministerialverantwortlichkeit festschreibt. Dies ergibt sich aus dem Zusammenspiel von konstruktivem Mißtrauensvotum und Weisungsrecht der Ministerialspitze. Da die Errichtung ministerialfreier Behörden im Bereich der Exekutive mithin eine Ausnahme von der vollen Geltung des Demokratieprinzips beinhaltet, muß die Rechtfertigung für diese Ausnahme den gleichen verfassungsrechtlichen Rang aufweisen.
558 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 137 Rdnr. 1. 559 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 137 Rdnr. 14 f.
Β. Dogmatische Rechtfertigung ministerialfreier Räume
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Für eine Rechtfertigung als untauglich erwiesen haben sich im Laufe dieser Untersuchung die Annahme einer umfassenden Neutralität ministerialfreier Räume, das Argument aus der Natur der Sache und die Berufung auf ein verfassungsrechtliches Effektivitätsprinzip. Insbesondere hat sich nicht feststellen lassen, daß die tatsächliche Komplexität einer zu treffenden Entscheidung einen Grund für die Freistellung von der ministeriellen Verantwortlichkeit abgibt. Tatsächlich würde dies auch zu einer umfänglich grenzenlosen Herabsetzung der Anforderungen des Demokratieprinzips führen, da komplexe Entscheidungen im modernen Staat fast auf allen Gebieten zu fällen sind. Hinsichtlich des hier untersuchten Bereiches hat sich auch nicht bestätigen lassen, daß sich Ministerialfreiheit gestützt auf die objektiv-rechtliche Verfahrens- und Organisationswirkung von Grundrechten, insbesondere des Kommunikationsbereiches, rechtfertigen läßt. Es existiert im Gegensatz zur herrschenden Meinung und zur Rechtsprechung kein grundrechtliches, den Demokratiegrundsatz überwindendes Prinzip des Inhalts, daß Entscheidungen in bestimmten Grundrechtsbereichen stets staatsfern zu treffen sind. Die Grundrechte sind nicht geeignet, organisationsrechtliche Gestaltungen zu rechtfertigen, die von expliziten Vorgaben des organisatorischen Teiles der Verfassung abweichen. Würde man dies annehmen, so würden die beiden im Grundgesetz anerkannten Quellen von Legitimität — Volk und Individuum — in unberechenbarer Weise in Gegensatz zueinander geraten können. Statt dessen kommt es maßgeblich auf die Funktion der Grundrechtswahrnehmung an. Es hat sich damit gezeigt, daß wesentliche Organisationsfragen wie die Ministerialfreiheit aus dem organisatorischen, die Staatsfunktionen bestimmenden Teil der Verfassung beantwortet werden müssen. Dafür hat sich in erster Linie das Gewaltenteilungsprinzip im Zusammenhang mit einer differenzierenden Auslegung des Demokratieprinzips als einschlägig erwiesen. Aus der systematischen Auslegung beider gleichrangiger Prinzipien in ihrem Zusammenhang hat sich ergeben, daß Ministerialfreiheit im Bereich der ,Kontrolle 4 gerechtfertigt ist. Inhaltlich handelt es sich um Kontrolle, wenn Fehlfunktionen der existierenden staatlichen Institutionenordnung durch die Einrichtung von Gegenkräften kompensiert werden sollen. Nicht ausreichend für Kontrolle ist es, wenn die Fehlfunktionen durch Passivität der vorhandenen Institutionen entstehen, weil dann der Kontrollaspekt nicht mehr gegeben ist. Im so gekennzeichneten Bereich ist nach dem Grundgesetz eine um den inhaltlich-sachlichen Legitimationstyp geminderte demokratische Verantwortlichkeit zulässig. Dieser Typ demokratischer Verantwortlichkeit kann als treuhänderische Verantwortlichkeit bezeichnet werden. Akzeptiert man die hier vertretene Rechtfertigungsthese, so ist es angezeigt, dem Gesetzgeber für die Bestimmung dessen, was er als Kontrolle auffaßt, einen Beurteilungsspielraum zu lassen. Ebenfalls als eine Rechtfertigung aus Organisationsrecht kann die Begründung von Ministerialfreiheit betrachtet werden, die sich ergibt, wenn eine staatliche
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Stelle in ihrer Existenz institutionell garantiert ist und sich gleichzeitig auf ein subjektives Freiheitsrecht berufen darf. Hier kann man die institutionelle Garantie als der Sache nach zum organisatorischen Teil der Verfassung gehörend betrachten. Eine zweite Gruppe ministerialfreier Räume läßt sich aus den verfassungsrechtlichen Normierungen des Rechtsstaatsprinzips (hier dem Grundsatz der Gesetzesbindung, Art. 20 Abs. 3 GG) rechtfertigen. In diesen Fällen führt die Annahme einer besonderen Befangenheit der Ministerialspitze zu der Möglichkeit einer weisungsfreien Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber.
C. Überleitung zum zweiten Teil: Das Problem der Einordnung in das Kompetenzgefüge Die Suche nach einer Rechtfertigung für Weisungsfreiheit hat ergeben, daß eine solche Rechtfertigung aus der Verfassung möglich ist, und daß sie einen relativ großen Anwendungsbereich hat. Es hat sich gezeigt, daß ein Schwerpunkt der weisungsfreien Aufgabenwahrnehmung im Bereich der Kontrolltätigkeiten liegt. Daraus ergibt sich ein Bedarf an genauerer Einordnung der entsprechenden Kontrollorgane in das verfassungsrechtliche Kompetenzgefüge, das maßgeblich durch den Gewaltenteilungsgrundsatz bestimmt ist. Nur dann kann insbesondere bestimmt werden, mit welchen Aufgaben und Befugnissen der einfache Gesetzgeber kontrollierende Staatsorgane ausstatten darf. Der Einordnungsbedarf besteht in dreifacher Richtung: Zunächst gegenüber anderen verfassungsrechtlich vorgesehenen Kontrollinstitutionen wie beispielsweise dem Bundesverfassungsgericht. Da ministerialfreie Räume ihrer Arbeitsweise nach häufig typisch exekutivisch tätig sind, ergibt sich sodann die Notwendigkeit einer Verhältnisbestimmung gegenüber der Exekutive. Schließlich müssen die einfachrechtlich errichteten Kontrollinstitutionen untereinander kompatibel sein. Dieser Bedarf nach genauer kompetentieller Zuordnung ergibt sich auch dann, wenn die Institution selbst samt ihrer Weisungsfreiheit im Grundgesetz bereits gewährleistet ist, wie sich an der Debatte um das Verhältnis des Bundesverfassungsgerichtes insbesondere zu der Legislative zeigt. Der Grund für die Zuordnungsnotwendigkeit liegt bei diesem Gericht darin, daß es als ein gegenüber älteren Vorstellungen neues und zusätzliches Element in die Funktionenordnung hineintritt und also in ihr erst seinen Ort zugewiesen erhalten muß; das Bundesverfassungsgericht sprengt das Modell der klassischen Gewaltenteilung 560 . Dies gilt 560 Vgl. beispielsweise Roellecke, Aufgaben und Stellung des Bundesverfassungsgerichtes in der Gerichtsbarkeit, in: HdBStR Bd. II, § 53 Rdnr. 34. Hesse, Funktionelle Grenzen, in: FS H. Huber, S. 261 ff. (261). Dolzer, Die staatstheoretische und staatsrechtliche Stellung des BVerfG, S. 24 (vgl. auch S. 89 ff.) fordert eine „sinnvolle" Einfügung in das politische Gesamtsystem. Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und BVerfG,
C. Das Problem der Einordnung in das Kompetenzgefüge
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allgemeiner dahingehend, daß sich das Problem der kompetentiellen Zuordnung hinsichtlich der durch nicht richterliche Aufgabenträger wahrgenommenen Kontrollaufgabe überhaupt stellt 561 . Allgemein läßt sich formulieren, daß Kontrollkompetenzen in praktischer Konkordanz mit den Entscheidungsrechten anderer Funktionsträger stehen müssen; es bedarf einer verhältnismäßigen Begrenzung der jeweiligen Kompetenzen562. Die Einordnung ist notwendig, damit nicht eine polykratische Unordnung von Institutionen entsteht, die die Ausübung von Herrschaft nicht formt und begrenzt, sondern ungezähmte Machtausübung begünstigt. Immobilität kann auch durch ein Übermaß an Kontrollmechanismen und Zuständigkeiten entstehen, die die Wirksamkeit einer „kraftvollen Spitze" verhindern 563 . Insbesondere ist zu beachten, daß grundgesetzlich gewährleistete Kompetenzen von Staatsorganen nicht ausgehöhlt werden 564 . Da die entsprechende Problematik für das Bundesverfassungsgericht bekannt ist und bei anderen Kontrollinstitutionen grundsätzlich ähnlich liegt, kann auf die Struktur der Diskussion zur Stellung des Bundesverfassungsgerichtes zurückgegriffen werden. Aus dieser Diskussion ist festzuhalten, daß die Abgrenzung der Stellung der verschiedenen Staatsorgane nicht entlang der Grenzlinie des politisch Bedeutsamen verlaufen kann. Zwar wurde auch beim Bundesverfassungsgericht zunächst versucht, die Rechtskontrolle von der politischen Kontrolle zu trennen, diese These erwies sich aber als nicht begründbar, und inzwischen ist in diesem Bereich anerkannt 565, daß eine solche Trennung nicht existiert. Dies Ergebnis spiegelt sich für das deutsche Verfassungsrecht in der Ablehnung der Übernahme der amerikanischen ,political question doctrine 4 5 6 6 . Das gleiche gilt aber auch, wie gezeigt werden kann, für andere Kontrollinstitutionen 567 . Deswegen ist eine Grenzbestimmung, die ministerialfreien Organen das Tätigwerden in Angelegen-
1985, setzt das Problem voraus. Die das Gericht betreffenden Vorschriften des Grundgesetzes bedürfen also erstens einer Interpretation, die sie in den Zusammenhang der Gesamtverfassung stellen und sind zweitens wegen ihrer Unschärfe bestimmungsbedürftig (darauf stellt Vogel, Das Bundesverfassungsgericht, S. 33 ab). 561 Schneider, NJW 1980, 2103.
562 Krebs, Kontrolle, S. 149 f. 563 Dolzer, S. 92 f.
564 Schenke, NJW, 1979, 1321 ff.; Hesse, Funktionelle Grenzen, S. 263. 565 Vgl. Dolzer, S. 21, 23 f., 32, der von originär politischer Tätigkeit des Gerichtes ausgeht; Schneider, NJW 1980, 2104; Gusy, S.41 ff. Schenke, NJW 1979, 1322 sieht
den Grund für die Unmöglichkeit der Trennung darin, daß Verfassungsrecht „geronnene Politik" ist. Der Grund für die politische Bedeutsamkeit anderer Kontrollinstitutionen liegt vorwiegend darin, daß sie Abwägungsentscheidungen in bezug auf Interessen zu treffen haben; darin wird ζ. B. von Kaufmann (VVdStRL 9,6 ff.) oder Schlink (Abwägung im Verfassungsrecht, 1976) ein genuin politisches Element gesehen. 566 Zuletzt Vogel, Das Bundesverfassungsgericht, S. 30. 567 Vgl. für Rechnungshöfe Krebs, Kontrolle, S.198; auch Krebs stellt auf die hier notwendigen Interessenabwägungen ab, vgl. S. 185 ff.
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heiten von hochpolitischer Bedeutung verwehrt, nicht haltbar; andernfalls wäre die Unabhängigkeit der Bundesbank von vornherein nicht verfassungsgemäß. Entgegen dieser Annahme hat die frühe Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine solche Abtrennung von „hochpolitischen" Angelegenheiten für möglich gehalten. Die Ablehnung der Abgrenzung von Tätigkeitsbereichen entlang der Unterscheidung Recht und Politik erfaßt auch diejenige Variante, die die Funktion der Rechtsprechung als herrschaftsfrei — en quelque facon nulle pouvoir — betrachtet; auch diese Ansicht wird heute nicht mehr uneingeschränkt vertreten 568 . Auch dies gilt für andere Kontrollinstitutionen ebenso wie für das Bundesverfassungsgericht und ergibt sich schon aus ihrem Auftrag; wenn eine Kontrolle Effekt haben soll, muß sie über Einflußmittel verfügen 569 ; freilich können diese mehr oder weniger stark sein. Eine Abgrenzung läßt sich auch nicht ermitteln aus einem Kontrollsystem der Verfassung; die Normen der Verfassung, die Kontrollinstitutionen erwähnen oder ermöglichen, bilden kein aufeinander abgestimmtes Normensystem, das nur noch die Einordnung von solchen Institutionen in das System nötig machen würde 570 . Schließlich reicht es nicht aus, an die Organwalter von Kontrollinstitutionen zu appellieren, daß sie bei der Ausübung ihrer Kompetenzen Rücksichtnahme walten lassen. Ein solcher Appell findet sich zwar häufig in der Literatur zu allen Kontrollinstitutionen; es hat sich jedoch am Beispiel des Bundesverfassungsgerichts, wo er unter dem Stichwort des self-restraint diskutiert wurde, erwiesen, daß Kompetenzfragen nicht durch Abstellen auf subjektive Einstellungen gelöst werden können 571 . Vor diesem Hintergrund untauglicher Abgrenzungsversuche hat es sich in der Diskussion um die Stellung des Bundesverfassungsgerichtes durchgesetzt, auf die Funktionenordnung, wie sie sich aus dem Gewaltenteilungsprinzip und den einzelnen Funktionszuweisungen des Grundgesetzes ergibt, abzustellen. Regelmäßig wird dabei die Organstruktur des jeweiligen funktionstragenden Staatsorganes berücksichtigt 572 . Auch hier besteht zumindest teilweise die Möglichkeit, die Abgrenzungsmethode vom Fall des Bundesverfassungsgerichts auf andere Fälle von Kontrollorganen, auch innerhalb der Exekutive, zu übertragen 573. 568 Schenke, NJW 1979, 1322; Dolzer, S. 65. 569 Vgl. wiederum beispielhaft Krebs, Kontrolle, S. 174. 570 Krebs, Kontrolle, S. 220 ff. 571 Schenke, NJW 1979, 1321 spricht zwar noch von judicial self-restraint, betont aber schon, daß es sich um objektiv-verfassungsrechtliche funktionelle Gebote handelt. Ebenso Dolzer, Die staatstheoretische und staatsrechtliche Stellung des BVerfG, S. 86, 94. Vgl. auch Hesse, Funktionelle Grenzen, S. 264; die neuere Literatur argumentiert nur noch vom funktionell rechtlichen Ansatz her. 572 Hesse, Funktionelle Grenzen, S. 263 ff.; Schenke, NJW 1979, 1323 ff.; Schneider,
NJW 1980, 2105 ff.; Roellecke, Aufgaben und Stellung des Bundesverfassungsgerichtes in der Gerichtsbarkeit, in: HdBStR Bd. II, § 53 Rdnr. 35 ff. Die Schriften von Gusy und ihm folgend Vogel beruhen gänzlich auf diesem Ansatz.
C. Das Problem der Einordnung in das Kompetenzgefüge
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Die verfassungsrechtliche Bestimmung der Kompetenzgrenzen in Analogie zu dem Vorgehen der Literatur zur Stellung des Bundesverfassungsgerichtes muß zwei Stufen, die gedanklich zu trennen sind, enthalten. Zunächst geht es darum, aus der Kompetenzordnung des Grundgesetzes, insonderheit der Gewaltenteilung Argumente für eine grundsätzliche Begrenzung einzelner Staatsfunktionen aus dieser Funktion heraus zu entwickeln. In einem zweiten Schritt ist es aufgegeben, Kompetenzen von demjenigen Staatsorgan her zu begrenzen, dessen Aufgabenwahrnehmung durch die Kompetenzausübung gefährdet sein kann: dies ist die Aufgabe der Kernbereichslehre, die einen Mindestbestand an Kompetenzen der im Grundgesetz verankerten Staatsorgane schützen soll 5 7 4 . Für die erste Stufe der grundsätzlichen Kompetenzabgrenzung wird an die verfassungsrechtlichen Funktionsbegriffe angeknüpft; aus ihnen werden kompetenzbegrenzende Merkmale abgeleitet, so zum Beispiel aus dem Begriff der Legislative einerseits und der Rechtsprechung durch Gerichte andererseits. Dies gerade am Verhältnis von Bundesverfassungsgericht und Legislative entwickelte Verfahren hat allerdings einen stark analytischen Charakter; deswegen wird weitgehend zu seiner Anwendung auf das einfachrechtliche Bundesverfassungsgerichtsgesetz zurückgegriffen 575 . Die Methode ist wegen dieses überwiegend analytischen Charakters schwieriger anwendbar, wenn es darum geht, Handlungsschranken für den Gesetzgeber direkt aus der Verfassung aufzuzeigen 576 . Der Ansatz der Methode ist allerdings universal verwendbar; er geht davon aus, daß sich die gegenseitigen Einwirkungen von Institutionen aufeinander an einer Reihe von Merkmalen messen lassen und daß für bestimmte verfassungsrechtliche Typen von Staatsorganen bestimmte Merkmalsreihen festlegbar sind. Einwirkungschancen werden in Verfahren und abschliessenden Entscheidungen bestimmt. Deswegen kommt es hier darauf an, welchen Charakter diese jeweils aufweisen. Für die Ausgestaltung dieses Verfahrens lassen sich dabei mehrere Fragestellungen unterscheiden 577 . Die erste betrifft die Einleitung des Verfahrens; diese kann von Amts wegen oder auf Antrag stattfinden und nach dem Opportunitätsoder dem Legalitätsprinzip bestimmt sein. Weiter ist nach dem Gegenstand des Verfahrens zu unterscheiden; soweit er in dem Verhalten anderer Staatsorgane liegt, kann das Ergebnis dieses Verhaltens oder auch das Verfahren des Zustandekommens in dem neuen Verfahren von Bedeutung sein. Der äußeren Ausgestal-
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So hat Krebs, Kontrolle, 171 ff. diese Methode auf den Rechnungshof angewandt. 574 So auch Gusy, S. 93. 575 So beispielsweise durch Gusy; Vogel bemüht sich, ausschließlicher von der Verfassung her zu argumentieren. 576 Zu dieser Schwierigkeit m. E. zutreffend Schneider, NJW 1980, 2105. 577 Diese Zusammenstellung ergibt sich durch eine Systematisierung vor allem der in den beiden Monographien von Gusy und Vogel zur Stellung des Bundesverfassungsgerichts angeführten Problembereiche.
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1. Abschn.: Systematischer Teil
tung des Verfahrens nach kann es sich um ein rechtlich streng gebundenes Verfahren mit abschließend definierten Einwirkungschancen handeln oder um ein eher offenes Verfahren, in das auch von Externen eingewirkt werden kann. Zu der rechtlichen Bindung des Verfahrens zählt neben der Frage nach dem Zugang zu dem Verfahren von außen auch die Frage nach dem eigenständigen Zugang des Verfahrensträgers zur Öffentlichkeit. Dem Inhalt des Verfahrens nach kann es ein Verfahren sein, das auf gestaltende Entscheidungen hin angelegt ist oder ein solches, das auf korrigierende Entscheidungen hin orientiert ist. Zu der Gestaltungsfunktion kann es auch gehören, daß es keine Selbstbindung an eigene frühere Entscheidungen des betreffenden Organs gibt, sondern daß diese im Grundsatz frei abänderbar sind. Das Verfahren kann auf Einzelfälle bezogen sein oder auf generelle Wirkung hin angelegt. Von eminenter Bedeutung für die Einwirkungschancen in einem Verfahren sind die anzulegenden Maßstäbe, denn sie können Grenzen von Handlungsspielräumen definieren. Hier stellt sich zunächst die Frage, ob ein Organ seine Maßstäbe selbst bestimmen kann oder ob sie ihm vorgegeben sind. Bei vorgegebenen Maßstäben sind die Weite des sachlichen Anwendungsbereiches des Maßstabs und seine Genauigkeit wesentlich. Schließlich ist nach der Qualifikation der abschliessenden Verfahrensentscheidung zu fragen 578 . Hier ist die wichtigste Unterscheidung die nach rechtlich verbindlichen und unverbindlichen Entscheidungen. Bei einer Verbindlichkeit kann die Entscheidung mehr oder weniger direkte Auswirkungen auf die Handlungspflichten anderer Staatsorgane entfalten. Auf diese allgemeinen Kategorien müssen die verfassungsrechtlichen Funktionsbestimmungen bezogen werden. So werden beispielsweise hinsichtlich der Kompetenzgrenzen des Bundesverfassungsgerichts hauptsächlich aus dessen Gerichtscharakter folgende Konsequenzen gezogen: Verfahrenseinleitung nur auf Antrag, bei vorliegendem Antrag (eingeschränkte: § 93 b Abs. 1 Nr. 3 i.V. § 93 c BVerfGG) Pflicht zum Tätig werden. Nicht völlig geklärt ist die Frage, ob das Gericht gegenüber dem Gesetzgeber auf reine Ergebniskontrolle beschränkt ist oder auch in eine Verfahrensprüfung eintreten kann. Das Verfahren ist als gerichtliches streng, wird aber vor allem bei der Ermittlung des Sachverhaltes vom Gericht relativ offen praktiziert 579 . Nach Abschaffung der verfassungsgerichtlichen Gutachten ist das Verfahren nachträglich korrigierend, nicht gestaltend. Die Entscheidungen erwachsen in Rechtskraft, das Gericht unterliegt einer Selbstbindung. Je nach Verfahrensart ist das Gericht mit Einzelfällen befaßt oder aber im Verfahren der Normenkontrolle mit Entscheidungen von genereller Auswirkung; dementsprechend ist die Normenkontrolle als gerichtliche Verfahrensart beson578 Gusy behandelt darüber hinaus auch das Demokratieproblem an dieser Stelle; m. E. ist dies aber nicht erstrangig ein Problem der Zuordnung und ist hier deswegen im ersten Teil behandelt worden. Vogel hat in seiner Schrift diesen Punkt ausgespart. 579 Kritisch dazu wegen des Überschreitens des richterlichen Rahmens Vogel, Das Bundesverfassungsgericht, S. 101 ff.
C. Das Problem der Einordnung in das Kompetenzgefüge
175
ders umstritten. Der Maßstab ist dem Bundesverfassungsgericht mit dem Verfassungsrecht vorgegeben. Dieser Maßstab ist gegenständlich umfassend, weil das gesamte Staatshandeln an ihm zu messen ist 5 8 0 . Die Regelungsdichte des Verfassungsrechtes als Maßstab ist unterschiedlich und nach Normengruppen vielfältig differenziert; relativ genau ist der Maßstab bei den Grundrechten, weiter im Staatsorganisationsrecht 581. Die Entscheidungen sind als gerichtliche verbindlich, jedoch hat das Gericht einen Kanon unterschiedlicher Tenorierungsmöglichkeiten entwickelt, die die Folgewirkung der Entscheidungen differenzieren. W i l l man bestimmen, welche Grenzen dem Gesetzgeber bei der Aufgabenund Befugnisausstattung ministerialfreier Räume mit Kontrollaufgaben aus der Verfassung gesetzt sind, so müssen entsprechende Folgerungen aus dem verfassungsrechtlichen Begriff der Kontrolle abgeleitet werden. Dabei kann an den oben bereits entwickelten Kontrollbegriff angeknüpft werden. An dieser Stelle wirkt es sich aus, daß Kontrolle hier nicht nur als Vorgang nachträglicher Korrektur, sondern auch als Mitgestaltung aufgefaßt worden ist. Dies hat zur Folge, daß bei nicht-gerichtlichen Kontrollorganen die Merkmalsreihen der Gerichte und der Exekutive zusammentreffen können. Es ergibt sich eine sehr geringe Spezifik für Kontrollinstitutionen. Eine Beschränkung auf das Tätigwerden auf Antrag ist dem Begriff der Kontrolle nicht immanent, weil er nicht nur die individualschützende Kontrolle umfaßt. Aus dem gleichen Grunde gibt es auch keinen Entscheidungszwang auf einen Antrag hin wie er für Gerichte verfassungsrechtlich normiert ist. Vorgaben für eine reine Ergebnis- oder auch eine Verfahrenskontrolle sind ebenfalls nicht ersichtlich. Das Verfahren kann auch ein offenes sein; dies ergibt sich insbesondere daraus, daß Kontrolle gesellschaftlichen Sachverstand aufnehmen und sich nützlich machen kann. Der Maßstab allerdings muß jeder Kontrolle vorgegeben sein; kein Kontrollorgan ist zur eigenen Maßstabssetzung berechtigt. Der Gegenstandsbereich des Maßstabes kann das ganze Staatshandeln erfassen („Wirtschaftlichkeit" bei Rechnungshöfen) oder gegenständlich beschränkt sein (wie „Währungsstabilität" bei der Bundesbank). Wie oben ausgeführt, ist Kontrolle stets auf Fehlfunktionen im übrigen staatlichen Prozeß bezogen. Daher darf sie nur solche Maßstäbe anlegen, die geeignet sind, solche Fehlfunktionen des politischen Prozesses zu kompensieren 582 . Für die Bestimmungsmacht über das Vorliegen 580 Dagegen war anfangs noch behauptet worden, die Zuständigkeit des Gerichts erschöpfe sich dort, wo kein verfassungsrechtlicher Maßstab vorliege. Richtig ist, daß es einen solchen für jedes staatliche Verhalten gibt (zutreffend Vogel, Das Bundesverfassungsgericht, S. 94 ff.). 581 Dabei ergibt sich für das BVerfG die Schwierigkeit, daß dieses die Regelungsdichte nur sehr begrenzt aus der Verfassung entnehmen kann, und oft selbst wird bestimmen müssen; darin liegt dann die Bestimmung über den Umfang der eigenen Kompetenz. 582 Ein solches Ergänzungs- und Stützungsverhältnis zwischen den Staatsfunktionen nimmt auch Hesse in bezug auf die Kontrollfunktion des BVerfGs an, das dann in den politischen Prozeß eintrete, wenn die Hauptfunktion ihre Leistungen nicht mehr erbringt
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1. Abschn.: Systematischer Teil
einer Fehlfunktion und die Geeignetheit von Organ und Verfahrensmaßstab für die Kompensation muß allerdings dem Gesetzgeber die kompetenzbedingt zustehende Freiheit gegenüber dem Bundesverfassungsgericht eingeräumt werden. Die Genauigkeit der Maßstäbe ist unterschiedlich, oft aber recht gering. Auch bei den Entscheidungsfolgen kann Kontrolle reinen Appellcharakter haben oder verbindlich sein. Mit Hilfe einer solchen Merkmalsreihe läßt sich eine kompetentielle Abgrenzung zwischen den drei in Art. 20 Abs. 2 GG genannten Staatsfunktionen herstellen. Schwieriger aber ist es, sie für eine Abgrenzung innerhalb einer dieser Funktionen zu benutzen. Gerade das ist aber für ministerialfreie Räume notwendig; sie sind Teil der Exekutive, nehmen aber innerhalb dieser eigenständige Funktionen wahr. Das führt dazu, daß sie sich von den Merkmalen der Exekutive lediglich durch die schon behandelte Weisungsfreiheit und die Beschränkung des Aufgabenbereiches abheben. Deswegen ist diese Beschränkung das einzige Merkmal, das zu einer Kompetenzabgrenzung benutzt werden kann. Damit verbleibt es dabei, daß eine verfassungsrechtliche Grenze für den einfachen Gesetzgeber bei der Einrichtung weisungsfreier Kontrollinstitutionen darin liegt, daß diese auf die Erhaltung einer gefährdeten Funktionsfähigkeit oder die Wiederherstellung einer gestörten Funktionsfähigkeit des politischen Prozesses gerichtet sein müssen. Es ist offensichtlich, daß bei einer solchen Beschränkung der Kernbereich der verantwortlichen Exekutive in der Regel nicht verletzt sein wird, solange sie insgesamt überhaupt noch funktionsfähig ist. Denkbar ist aber, daß durch das Zusammenwirken vielfältiger ministerialfreier Räume die verantwortliche Exekutive in ihrer Funktion ausgehöhlt wird. Für die Exekutive ist bezweifelt worden, ob es überhaupt einen Kernbereich geben kann und muß. Diese Diskussion unter dem Begriff des Verwaltungsvorbehaltes 583 bezog sich allerdings in erster Linie auf die Existenz eines gegenüber der Gesetzgebung und der Rechtsprechung gesetzesfesten Kernbereiches exekutivischer Tätigkeit. Für diese Relationen kann schon die Berechtigung der Fragestellung bestritten werden mit dem Argument, daß die Verwaltung nicht gegenüber den beiden anderen Gewalten schutzbedürftig sei 584 . Dies gilt aber nicht, wenn man die Frage auf den Schutz eines Kernberei( Hesse, Funktionelle Grenzen, S. 263, 266); so könne das Gericht das Tätig werden des Parlamentes erzwingen. Ebenso bestimmt Bryde (S. 325 ff., 329) das Verhältnis zwischen Gesetzgeber und verfassungsgerichtlicher Kontrolle: es geht um Wahrung der Funktionsfähigkeit des nicht selbstheilungsfähigen verfassungspolitischen Prozesses. Vogel, Das Bundesverfassungsgericht, S. 119: aus der Kontrollfunktion des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich ein ausgeweitete Zuständigkeit dort, wo die Richtigkeitsgewähr für Entscheidungen aus dem übrigen politischen Prozeß gering ist. 583 Maurer, VVdStRL 43 (1985), 135 ff.; Schnapp, S. 172 ff.; Erichsen, VerwArch 70 (1979), 249 ff.; Degenhart, NJW 1984, 2184; Stettner, DÖV 1984, 611; Schröder,
DVB1 1984, 814; Schröder, Die Bereiche der Regierung und der Verwaltung, HdBStR Bd. III, § 67 Rdnr. 24 ff 584 Vgl. die Diskussion resümierend Ipsen, VVdStRL 43 (1985), 246 f.
C. Das Problem der Einordnung in das Kompetenzgefüge
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ches verantwortlicher Verwaltung gegenüber der Auslagerung von Verantwortlichkeit in ministerialfreie Räume bezieht 585 . Mag diese auch generell durch die Verfassung in bestimmten Situationen gerechtfertigt sein, so muß es doch quantitative Grenzen solcher Auslagerungen geben. Soweit die Diskussion zum Kernbereich der Exekutive noch fortgeführt wird, wird weitgehend behauptet, daß ein Kernbereich nicht durch die Ausgrenzung bestimmter aus der Natur der Staatsfunktion unverzichtbarer Sachmaterien gefunden werden könne, sondern daß er aus einer Betrachtung der grundgesetzlichen Kompetenzordnung abgeleitet werden müsse 586 . Gerade dies ist aber bei der Verwendung des Kernbereichsgedankens als Schranke für die Ausdehnung weisungsfreier Räume nicht möglich, weil sie sich lediglich der Materie nach von der verantwortlichen Verwaltung unterscheiden. Die Frage, wie ein solcher Kernbereich genau zu bestimmen wäre, kann hier aber offenbleiben, wenn nur klar ist, daß hier eine verfassungsrechtliche Grenze besteht. Die Verfassung zeigt, daß der Kernbereichsgedanke an mehreren Stellen unverzichtbar, aber nirgends geklärt ist. Deutlich geworden ist jedenfalls schon von der Rechtfertigung für Weisungsfreiheit her, daß weisungsfreie Räume stets nur ergänzende Hilfsfunktion haben dürfen, niemals aber die Funktion der Exekutive insgesamt übernehmen dürfen. Im Folgenden soll an einigen weisungsfrei entscheidenden Institutionen der Haushaltsverfassung untersucht werden, ob die hier behauptete Rechtfertigung von Weisungsfreiheit anwendbar ist, und ob eine sinnvolle Einfügung in das Kompetenzgefüge vorliegt. Dazu muß zunächst deren Funktion geklärt werden. Dabei wird auch am Einzelbeispiel noch einmal auf die Rechtfertigungsargumente 5 8 7 einzugehen sein. 585 Die Bedeutung der Kernbereichslehre für ministerialfreie Räume sieht auch Mauer, VVdStRL 43 (1985) S. 148. Nach wie vor wird überwiegend auch die Kernbereichslehre trotz ihrer unverkennbaren Schwächen aufrechterhalten; Degenhart, Staatsrecht I, Rdnr. 220 ff.; Schmidt-Aßmann, HdBStR Bd. 1, § 24 Rdnr. 56 f. 586 Vgl. Schmidt-Aßmann, HdBStR Bd. 1, § 24 Rdnr. 56 f.; Maurer, Der Verwaltungs-
vorbehalt, S. 148 ff. Damit wird der Sache nach auf die oben geschilderten Merkmalsreihen verwiesen; nun ist es aber der Literatur nicht gelungen, für die Exekutive eine solche Merkmalsreihe aufzustellen (vgl. Schröder, Die Bereiche der Regierung und der Verwaltung, HdBStR Bd. III, § 67 Rdnr. 26). Auch wenn dies gelingen könnte, so ist unklar, welche Eigenart der Merkmale im Verhältnis zu anderen Gewalten vorliegen muß, um eine Kernbereichsverletzung anzunehmen. Sicher läge sie vor, wenn alle Merkmale identisch wären. Das ist aber regelmäßig nicht der Fall; alle anderen Fälle sind schwierig zu beurteilen, weil die Merkmale sich in ihrer Wirksamkeit gegenseitig beeinflussen. So ist die weite Anwendbarkeit und Ungenauigkeit eines Maßstabes unschädlich, wenn die Entscheidungen unverbindlich bleiben. 587 Das hier für die Berechtigung einer geminderten Legitimation erzielte Ergebnis kann durch eine methodische Überlegung noch gestützt werden. Es ist möglich, terminologisch zwischen Rechtfertigungs- und Legitimationsfragen zu unterscheiden. Beide weisen eine unterschiedliche Struktur auf. Legitimationsfragen betreffen die Berechtigung einer Entscheidungsmacht und berufen sich daher auf Herleitungszusammenhänge. Rechtfertigungsfragen betreffen den Einsatz von Mitteln zu bestimmten Zwecken und argumentieren von der Zukunft her. Daher können für die hier zu entscheidende Frage alle diejenigen Argumente nicht stichhaltig sein, die in Zweck-Mittel-Kategorien angelegt 12 Waechter
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1. Abschn.: Systematischer Teil
sind. Entscheidungsbefugnisse lassen sich in der Regel nicht mit Hinweis auf Zwecke, beispielsweise funktionsadäquate Aufgabenerfüllung, begründen. Deswegen mußte hier ein Ableitungszusammenhang gesucht werden und der Titel der Arbeit mußte Legitimation und nicht Rechtfertigung ansprechen.
Zweiter
Abschnitt
Exemplarischer Teil Der exemplarische Teil soll dazu dienen, die Anwendbarkeit der im systematischen Teil gefundenen Kriterien darzutun und daneben die These von der Unhaltbarkeit alternativer Lösungsversuche, wie sie im ersten Teil abstrakt entwickelt worden ist, anhand von Einzelbeispielen zu stützen. Dabei wird häufig auf die Ergebnisse des ersten Teiles zurückgegriffen. Im folgenden Teil wird zunächst die Auswahl des Anwendungsfeldes begründet und in der Folge werden die ausgewählten Institutionen auf ihre Eigenschaft als Kontrollorgan und ihre Einordnung in die Kompetenzordnung hin befragt.
A. Die Haushaltsverfassung als Gefüge aus einer Mehrzahl unabhängiger Staatsorgane Besonders geeignet für die Darstellung 1 der Probleme sinnvoller kompetentieller Zuordnung in einer Struktur mit einer Vielzahl von Aktionszentren und für ihre Befragung auf ihre Einheit hin ist die Haushaltsverfassung 2 des Grundgesetzes3. Hier ist aus einer Mehrzahl von Gründen die Verfassungsentwicklung gegenüber anderen Bereichen anders verlaufen. Es hat sich eine Struktur aus mehreren unabhängigen Akteuren 4 ergeben, deren Verhältnisse zur Exekutivspitze und zu anderen Staatsorganen nicht dem Modell entsprechen, das man aus dem Demokratie- und dem Gewaltenteilungsprinzip 5 lange abgeleitet hat. Dieser 1 Dabei ist hier Wert gelegt auf die Fruchtbarkeit für die dogmatische Darstellung des Problems; demgegenüber läßt sich mit Recht anführen, daß die tatsächlichen zentrifugalen Kräfte der Institutionen der Haushaltsverfassung sich in engen Grenzen halten. Dies berührt aber nicht den Erkenntniswert dieses Bereiches. 2 Zum Begriff der Haushaltsverfassung ausführlich Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 1061 (§ 45 II). 3 In etwas anderem Zusammenhang des Zusammenwirkens von Exekutive und Legislative hat Heun, betont: „Nirgends besser als im Bereich des haushaltswirtschaftlichen Entscheidungsprozesses läßt sich der Funktionswandel der Gesetzgebung und die Kooperation zwischen Parlament und Exekutive beobachten und zugleich dogmatisch einfangen" (S. 19). 4 Im Sinne einer Ersetzung der Gewaltenteilung durch eine Polykratie im Haushaltsbereich äußert sich auch v. Arnim, Finanzkontrolle in der Demokratie, in: Finanzkontrolle, S. 40 f. Auch bei ihm liegt der Akzent auf der »Richtigkeit' des Zusammenwirkens. 5 In der Regel werden diesbezüglich vor allem die Durchbrechungen der Gewaltenteilung im Verhältnis von Parlament und Regierung hier angeführt. Daß sich in diesem
12*
180
. Abschn.:
e m a i s c h e r Teil
Befund ist allerdings nicht durchgängig anerkannt; so wird insbesondere für die relativ autonomen Institutionen Bundesbank und Bundesrechnungshof bestritten, daß sie aus den klassischen Linien von Funktionenordnung und Verantwortlichkeit herausfielen. Als Argument wird wie bereits oben erwähnt das Argument Montesquieus, es liege keine ,Gewalt' vor, angeführt; alle Entscheidungen seien determiniert aus (Sach-)Gesetzlichkeiten. Dies führt zu der These von dem unpolitischen, sachverständigen Charakter beider Aktionszentren. Die Gründe für diese Sonderentwicklung des Bereiches der Haushaltsverfassung sind unterschiedlicher Art. Allgemein kann gesagt werden, daß sich praktische Bedürfnisse gegen die Anforderungen aus theoretischen Modellen im Finanzbereich leichter durchsetzten als andernorts 6. Dafür kann auf die mühsamen Versuche theoretischer Durchdringung bei den Gebühren und Beiträgen 7 oder bei der Begrenzung zulässiger Abgabenarten zu verwiesen werden. So schlug in diesem Bereich auch die praktische Unvollkommenheit der Repräsentation des Volkes durch das von den Parteien als Fraktionen formierte Parlament durch und führte zu Modifikationen im Bereich der Gewaltenteilung, die im parlamentarischen Regierungssystem nicht mehr ihre volle Überzeugungskraft haben kann. Ergebnis dieser Verschiebungen sind einige ,Prärogativen 4 der Regierung, bzw. des Finanzministers im Prozeß der Haushaltsgesetzgebung, insbesondere das der Regierung gemäß Art. 110 GG zustehende Initiativrecht für das Haushaltsgesetz und Vetorechte des Finanzministers, beispielsweise gemäß Art. 113 GG. Die damit verbundene Intention wird in dem praktischen Bedürfnissen besonders offenen englischen Verfassungsrecht deutlich, wo das Initiativrecht bezüglich aller ausgaben wirksamen Gesetze bei der Regierung liegt 8 . Grund dieser Konstellation ist die Befürchtung, daß die Parlamentarier sich die Gunst der Wähler mit Wahlgeschenken erkaufen wollen könnten; das Parlament ist vom Hüter der Finanzen zur tendenziell ausgabenfreudigsten Instituion geworden 9. Damit ist bereits eine wichtige Weichenstellung gekennzeichnet. Denn in der traditionellen Sicht der Gewaltenteilung galt das Parlament als Kontrolleur der exekutiven Verschwendungssucht. Diese mußte sich vor dem Steuerbewilligungsrecht der Stände zunächst im Einzelfall legitimieren 10 . Mit dem Wechsel von der EinnahBereich eine Sonderentwicklung vollzogen hat, ist schon früh erkannt worden. Ζ. B. Heckel (Handbuch des dt. Staatsrechts, Bd. 2, S. 358 ff.) stellt die Unvereinbarkeit von Etattheorie und Gewaltenteilungsmodell fest (S. 386). Da sich Heckel auf das Verhältnis Regierung und Parlament beschränkt, kann er dazu kommen, als Grund der Verschiebung den Vorrang des Demokratieprinzips zu nennen. Zum eigenen Weg der Gewaltenteilung in der Haushaltsverfassung neuerdings z.B. Mahrenholz, in: AltK GG, Art. 110, Rdnr. 11, 26. 6 Vgl. zu Verfassung und Verfassungswirklichkeit im Finanzbereich ζ. B. Hettlage, Die Finanzverfassung, VVdStRL 14 (1956) S. 6 f.; vgl. auch ders., JöR 1 S. 815. 7 Vgl. z.B. Wilke, z. B. S. 111 ff. s Vgl. Loewenstein, Bd. 1 S. 346; auch Fraenkel, S. 28.
9 Dazu ζ. B. Boldt, ZfP 1973,534 (537); zur Gewaltenteilung S. 545. Drastisch neuerdings Feit, S. 94: „ . . . ein mehr oder weniger tollwütig gewordenes Parlament bei der Ausgaben Wirtschaft".
Α. Die Haushaltsverfassung als Gefüge
181
me- zur Ausgabebewilligung durch das Parlament Mitte des 19. Jahrhunderts 11 und in Verbindung mit dem System der Kabinettsregierung geriet das Parlament selbst in die Lage, seine Macht durch Ausgaben erhalten zu können. Gleichzeitig wirkte die Rückständigkeit der Haushaltsverfassung in die gleiche Richtung. So konnte es einen bruchlosen Übergang geben von der Haushaltsverfügungsbefugnis der konstitutionellen Monarchie mit Beschränkung des Parlaments auf die Steuerbewilligung zu der Haushaltsinitiative der Regierung. So sieht Heun dies Initiativrecht weniger als Produkt des Versagens der Repräsentativfunktion denn als Restbestand des monarchischen Etatrechts 12. Neben derart allgemeinen Gründen für die Sonderstellung des Haushaltsbereiches spielen zum Teil auch sehr spezielle Gründe eine Rolle; so sind insbesondere für die eigenständige Stellung der Zentralbank in Deutschland die Einwirkungen der Siegermächte nach dem ersten und zweiten Weltkrieg von großer Bedeutung gewesen13. Nicht alle Bestimmungsfaktoren für die Polykratie der Haushaltsverfassung werden hier behandelt. So bleiben insbesondere die Einwirkungen aus nicht unmittelbar zum Bereich gehörenden Institutionen in der Regel unberücksichtigt. Das betrifft zum Beispiel die allgemeine Rechtskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht und die föderalen Elemente. Die Besonderheit des Haushaltsbereiches spiegelt sich in den Akteuren und ihren Funktionen wider. So gibt es neben Parlament und Regierung weitere, relativ unabhängige Akteure: vor allen anderen Bundesbank und Bundesrechnungshof; praktisch von geringerer Bedeutung ist die Bundesschuldenverwaltung. Schließlich verfügt der Finanzminister über eine hervorgehobene Stellung. Es ist im Folgenden die Stellung der verschiedenen Akteure im Haushaltsbereich auf die Fragen der Autonomie, der Funktionen und der Beziehungen zu anderen Akteuren hin zu untersuchen. Von diesen Ergebnissen her kann beurteilt werden, ob es sich um eine nach dem Grundgesetz zulässige Autonomie handelt, und ob die jeweiligen Kompentenzen in einer sinnvollen Zuordnung zu den Kompetenzen der anderen Institutionen stehen. Nur dann führt die Mehrzahl unabhängiger Akteure nicht zur den negativen Effekten 14 einer unabgestimmten 10
Insbesondere bei Apanagen, Kriegssteuern etc. Zusammenfassend zur Budgetgeschichte und auch zu diesem Umschlagpunkt Heun, S. 61 ff. 11
12 Heun, S. 38. 13
Der Bundesbankkomplex gehört nach hier vertretener Ansicht zu der Haushaltsverfassung. Das läßt sich damit begründen, daß bei instabiler Währung der Grundsatz der Vorherigkeit des Haushaltes illusorisch wird. Alle Ziffern auf Einnahme- und Ausgabeseite werden dann „bis zur Unkenntlichkeit" verändert (zum Verhältnis Budget und Inflation Heinig, Bd. 2 S. 195, 200). Dieser Vorgang entwertet auch die Beteiligung des Parlaments; insofern sichert die Zentralbank indirekt auch die Mitwirkung der Legislative (vgl. zu Geldwert und Bilanz HdWB StaatsWiss, Art. Bilanz / Haushalt). 14 Mangelnde Abstimmung der Akteure im Hinblick auf bestimmte Ziele wirft ζ. B. Hettlage der Haushaltsverfassung vor (VVdSttRL 14 (1956) S. 8).
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. Abschn.:
e m a i s c h e r Teil
Polykratie: Freiheitsverluste und nicht auf das Gemeinwohl gerichtete Verfahrensabläufe.
B. Die Bundesbank Das Verständnis der Stellung der Bundesbank im Verfassungsgefüge ist seit langem umstritten. Das Grundgesetz enthält in Art. 88 lediglich eine knappe Aussage: „Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank." Daraus läßt sich für die Stellung der Bundesbank im Zusammenhang der Verfassungsorgane und besonderes für das Verhältnis zur Exekutive wenig entnehmen. Das Bundesbankgesetz räumt der Zentralbank auf einfachgesetzlicher Ebene die Unabhängigkeit von Weisungen der Bundesregierung ein (§ 12 Abs. 1 S. 2 BBankG). Die dadurch gewährte Autonomie hat in Deutschland eine in die Weimarer Zeit zurückreichende rechtshistorische Tradition; sie steht aber dogmatisch nach erstem Anschein im Widerspruch zum Demokratieprinzip, das die Verantwortung aller exekutivischer Tätigkeit durch die Regierung fordert. Damit scheint die Bundesbank eine Institution mit eigenen Entscheidungsrechten in einer polyzentralen Struktur darzustellen. Demzufolge stellen sich auch für sie die beiden Grundfragen 15 des bei solchen Institutionen entstehenden Einheitsproblems: Wie läßt sich die ihr eingeräumte Unabhängigkeit dogmatisch vor dem Demokratieprinzip rechtfertigen? In der bisherigen Bemühung um diese Frage hatte sich ergeben, daß die weisungsfreie Ausgestaltung einer Kontrollinstitution dann zulässig ist, wenn sie eine im übrigen politischen Prozeß mangelhaft erbrachte Leistung ersetzen soll und diese unter den Kontrollbegriff zu fassen ist (dabei wird man dem Parlament für die Einschätzung dieser Frage einen Beurteilungsspielraum zugestehen müssen). Es ist also zu untersuchen, ob die Bundesbank überhaupt eine Institution des Bereiches, der als Kontrolle umschrieben worden ist, darstellt. Um die aufgestellte These bezüglich der dogmatischen Rechtfertigung von Weisungsfreiheit am Einzelfall zu überprüfen, wird auch am Beispiel der Bundesbank den einzelnen denkbaren und vertretbaren Wegen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Autonomie nachgegangen. Steht die ihr eingeräumte Unabhängigkeit bei der Ausübung ihrer Kompetenzen in einem sinnvollen Verhältnis zu den Entscheidungsrechten der weiteren Staatsorgane? Dafür kommt es auf die aus der gesetzlichen Aufgabenstellung sich ergebende Funktion der Zentralbank und die Eigenart ihres Instrumentariums an.
15 Vgl. mit ähnlicher Fragestellung v. Arnim, Gemeinwohl, S. 367.
Β. Die Bundesbank
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I. Die Autonomie der Bundesbank Wenn man eine Struktur des Staates mit mehreren voneinander relativ unabhängigen und auf verschiedene soziale Interessen gestützten Aktionsträgern annimmt, so muß sich die Einheit in einer solchen polyzentrischen Struktur auch dogmatisch erweisen lassen. Daraus hat sich unter der Geltung des Grundgesetzes schon früh die Frage nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank ergeben. Diese Unabhängigkeit schränkt, wie sich besonders in der Debatte um die Unabhängigkeit einer Europäischen Zentralbank zeigt 16 , vor allem die innenpolitische 1 7 Handlungsfreiheit der Regierung ein. Dies macht deutlich, daß die Unabhängigkeit der Zentralbank sich stets vor dem Demokratieprinzip rechtfertigen lassen muß. Indem das Demokratieprinzip in der Verfassungsauslegung besonders stark betont wird, kann es zum Verdikt der Verfassungswidrigkeit über die unabhängige Stellung der Zentralbank kommen. So beispielsweise die allerdings in der Literatur vereinzelte Position Hoffmanns. Er führt an, Art. 79 Abs. 3 GG betone den Gedanken der Volkssouveränität so stark, daß demgegenüber seine Modifizierung durch ein System der checks and balances nur seltene Ausnahme sein dürfe 18 . Dies ist schon deswegen nicht überzeugend, weil Art. 79 Abs. 3 GG auch auf den Grundsatz der Gewaltenteilung verweist und in der Systematik des Grundgesetzes auszulegen ist. Darüber hinaus herrscht Einigkeit über eine restriktive Auslegung des Art. 79 Abs. 3 GG. Nicht jedes minder wichtige Interesse kann auf diese Weise der politischen Verfügbarkeit entzogen werden 19 . Für die Rechtfertigung der Unabhängigkeit der Zentralbank existiert eine Reihe von denkbaren Argumentationswegen, die in der Folge kritisch betrachtet werden.
!6 Die Verbindung zwischen Zentralbankkompetenzen und Souveränität wird derzeit im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses und der Frage des europäischen Zentralbanksystems besonders deutlich. Der Widerstand aus GB und Frankreich gegen die Unabhängigkeit einer europäischen Zentralbank speist sich aus der Überlegung, daß damit Souveränitätsrecht aufgegeben werden. Dieses Problem wird in den Papieren zur Planung dieses Banksystems offenbar ausgespart, um die nationalen Regierungen nicht zu verprellen (vgl. Report on Economic and Monetary Union, S. 20). Die Vorschläge folgen weitgehend dem deutschen System, was föderale Struktur, Aufgabenbeschreibung und Organisation angeht (vgl. S. 18 ff.). In Vorbereitung auf die EG-Regelung soll die französiche Zentralbank ab 1.1.1997 Unabhängigkeit von der Regierung erhalten. 17 Gegebenenfalls auch die außenpolitische: Arndt, Politik und Sachverstand stellt S. 159, 141 dar, daß die Bindung des Devisenkurses an eine Leitwährung tendenziell zu einer wirtschaftspolitischen Hegemonie des Leitwährungslandes führt. is D. Hoffmann,
S. 53 ff. (S. 56).
19 Dafür ist z. B. auf die Entscheidung des BVerfGs zum kommunalen Ausländerwahlrecht hinzuweisen. BVerfGE 83,30/67 (= NJW 1991 S. 159 ff. [164]).
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1. Rechtfertigungsargumente für die Autonomie der Bundesbank Um die im ersten Teil erzielten Ergebnisse im Einzelfall zu überprüfen, wird im folgenden detaillierter auf die Rechtfertigungsstrategien für die Unabhängigkeit der Zentralbank eingegangen.
a) Rechtfertigung
aus dem Verfassungswortlaut
Eine breite Strömung von Rechtfertigungsversuchen knüpft an die verfassungsrechtliche Erwähnung der Zentralbank in Art. 88 GG an; dies ist deswegen naheliegend, weil auf diese Weise eine Argumentation mit Verfassungsrang aufgebaut werden kann, die geeignet ist, das Demokratieprinzip für den fraglichen Fall einzuschränken. Innerhalb dieses Argumentationstyps wird dann regelmäßig entweder an die Begrifflichkeit des Art. 88 GG oder an die Aufgabe der Zentralbank angeknüpft und daraus unter Berufung auf die Natur der Sache, die die Unabhängigkeit fordere, eine Rechtfertigung abgeleitet. Da die Begründung einer solchen Natur der Sache erhebliche Schwierigkeiten macht, versucht eine weniger verbreitete Richtung, im Rahmen einer historischen Auslegung des Art. 88 GG an ein vorrechtliches Gesamtbild anzuknüpfen, das die Unabhängigkeit der Zentralbank enthalte. Den Versuch einer am Text des Grundgesetzes orientierten Rechtfertigung hat Uhlenbruck unternommen. Er argumentiert, daß die Wahl der Begriffe in Art. 88 GG eine bestimmte Aufgabe der Bundesbank impliziere und daß das Grundgesetz die zur Erfüllung dieser Aufgabe notwendigen Mittel auch im Sinne organisatorischer Ausgestaltung mitgarantiere. Ein solches Mittel sei auch die Unabhängigkeit der Bundesbank20. Er benutzt also den heute sehr umstrittenen Schluß von der Zuweisung einer Aufgabe auf die Mittel der Aufgabenerfüllung; seine Zulässigkeit vorausgesetzt, erfordert ein solcher Schluß jedenfalls, daß die gestellte Aufgabe zwingend bestimmte Mittel der Erfüllung verlangt; daran fehlt es hier. Die Argumentation Uhlenbrucks stützt sich zunächst auf die Wahl des Wortes ,Währungsbank' in Art. 88 GG statt Zentralbank', wie es geschichtlich nahegelegen habe. Daraus folge, daß die Hauptaufgabe der Bundesbank die Sicherung der Stabilität der Währung sein müsse. Die Ablehnung des Begriffes »Zentralbank' hat jedoch wahrscheinlich ganz andere Gründe als die Beschreibung einer Aufgabe. Wandel hat in seiner Studie zur Entstehung der Bank deutscher Länder ausführlich belegt, daß die US-amerikanischen Vorstellungen über das zu rekonstruierende Finanzsystems Deutschlands nach 1947 21 unter anderem auf eine Föderalisierung des Bankensystems hinzielten 22 . Aus diesem Grunde wurden 20 Uhlenbruch, S. 42 ff. 21
Also nach Aufgabe der Morgenthau-Pläne. Siehe bei Wandel, S. 56, die Darstellung der von den Franzosen unterstützten, aber von Großbritannien abgelehnten Grundsätze zur Bankendezentralisierung von Dodge. 22
Β. Die Bundesbank
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zunächst ausschließlich Landeszentralbanken geschaffen; die großen Privatbanken wurden aufgelöst und mehrere Kleinbanken mit territorial begrenztem Geschäftsbereich daraus geschaffen 23. Der Dezentralisierungswille der USA ging soweit, daß er auf die Namensgebung der Bank deutscher Länder Einfluß hatte. Während die beteiligten deutschen Stellen die Bank in historischer Anknüpfung Zentralbank 4 nennen wollten, favorisierten die USA den Namen ,Länder-UnionBank 4 . Man einigte 24 sich auf ,Bank deutscher Länder 4 2 5 . Diese Vorgänge legen es nahe, obwohl es nicht nachweisbar ist, daß die Ablehnung des zentralistischen Aspektes des Begriffes Zentralbank 4 durch die USA auch bei der Wahl der Begriffe des Grundgesetzes noch eine Rolle gespielt hat. Auch nach dem Bundesbankgesetz von 1956 weist die Bank in ihrer Organisation noch föderale Elemente auf (insb. die Zusammensetzung des Zentralbankrates gemäß § 6 Abs. 2 BBankG). Die Wahl der Benennung beruht also wahrscheinlich auf diesem föderalen Aspekt, wenn auch nicht zu verkennen ist, daß die Vorstellungen der Vereinigten Staaten gleichzeitig eine von politischen Einflüssen der Regierung freie Notenbank, also die Unabhängigkeit enthielten. Dies kam aber bei der Benennungsfrage nicht aufweisbar zum Tragen 26 . Uhlenbruck argumentiert weiter, daß die sich aus der Benennung ergebende Hauptaufgabe der Bundesbank die Sicherung der Währungsstabilität sei. Eine erfolgreiche Wahrnehmung dieser Aufgabe aber setze die Unabhängigkeit der Bankleitung von Weisungen der Regierung voraus 27. Dagegen spricht sowohl die historische Entwicklung wie der internationale Vergleich. Zweifelsfrei war Währungsstabilität auch Ziel der Reichsbank vor 1914 28 ; dennoch war sie nicht unabhängig von der Exekutive 29 . Auch Großbritannien und Frankreich kennen abhängige Zentralbanken, die offenbar ihre Aufgabe der Währungssicherung dennoch erfüllen können 30 . Daraus ergibt sich, daß die rechtliche Autonomie zur 23 Vgl. Wandel, S. 88.
24 Hier spielen auch „Zufälligkeiten" eine Rolle, die mit der Funktion nichts zu tun haben: um die sowjetischen Besatzungsbehörden nicht zu brüskieren, wurde der Name von ,Bank der deutschen Länder4, was also die Länder des sowjetisch besetzten Bereiches eingeschlossen hätte, in ,Bank deutscher Länder4 verkürzt. 25 Vgl. Wandel, S. 67 f.
26 Vgl. dazu Wandel, S. 67. 27 Uhlenbruck, S. 46 ff. 28 Vgl. v. Eynern, S. 29.
29 Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings: sie mußte nicht unabhängig sein, weil die Goldwährung mit dem sogenannten Goldautomatismus die Autonomie gleichsam ersetzte; hierzu hat Arndt, Politik und Sachverstand, S. 100 ff. die Mechanismen ausführlich dargelegt. 30 Zu den Aufgaben der französichen und britischen Zentralbank vgl. v. Bonin, S. 98. Während die Aufgabe in GB nicht gesetzlich fixiert ist, heißt es in § 1 des französichen Gesetzes u. a.: „veiller sur la monnaie". Aber auch die britische Bank hält sich für die Währungsstabilität für verantwortlich. Dennoch sind beide Banken weisungsabhänig (v. Bonin, S. 202 f.). Weisungsbefugt ist in GB das Schatzamt (Section 4 Abs. I Banc of England Act). In Frankreich ergibt sich die Weisungsunterworfenheit aus den Art. 34 ff.
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Erfüllung der Aufgabe der Währungsstabilität nicht zwingend notwendig ist und also vom Grundgesetz nicht qua Natur der Sache impliziert ist, selbst wenn die weiteren Voraussetzungen Uhlenbrucks zuträfen 31. Wie Uhlenbruck knüpft auch Siebelt 32 an die Begrifflichkeit des Grundgesetzes an und versucht aus ihr vermittels eines Schlusses aus der Natur der Sache seine Folgerungen zu ziehen; bei ihm liegt das Schwergewicht nicht auf der,Währung', sondern auf der ,Bank'. Aus diesem Begriff sucht er abzuleiten, daß damit eine Stellung im privaten Markt gemeint sei und daß diese Stellung nur erfolgreich in staatlicher Unabhängigkeit behauptet werden könne 33 . Den Begriff der Währung' interpretiert Siebelt zu ,Geld' um 3 4 und versucht dann darzulegen, daß Geld als Tauschmittel35 vom Vertrauen der Privaten getragen sei, daß gleichwohl eine staatliche Geldsteuerung unabdingbar sei 36 , daß diese aber, um Vertrauen erringen zu können, unabhängig sein müsse37. Damit stützt sich Siebelt auf eine Reihe von Voraussetzungen, insbesondere bestimmte Geldtheorien 38, die man mangels entsprechender Anhaltspunkte einer Auslegung des Art. 88 GG nicht zugrunde legen kann: das Grundgesetz enthält keine Festlegung auf eine bestimmte Geldtheorie. Auch bei der Studie Samms zur Zentralbank ist der Schluß von der Aufgabe auf das Mittel die entscheidende Argumentationsfigur; bei ihm kommt allerdings auch stark das gewaltenteilende Element, das durch die Unabhängigkeit der Bank eingeführt wird, zum Tragen. Seine Position basiert auf der Smend' sehen Integrationslehre 39 und weist deren typische Schwächen, besonders die mangelnde nor-
Verf. 1958 (v. Bonin, S. 135). Dies betrifft die rechtliche Seite der Sache. Tatsächlich werden diese Weisungsrechte so gut wie nie in Anspruch genommen (vgl. v. Bonin, S. 203 f.); die Geschichte der beiden Banken zeigt, daß hier vor allem der Ausnahmezustand von Bedeutung ist, insb. die Kriegsfinanzierung, die auch für die Unabhängigkeit der deutschen Bank bedeutsam geworden ist. Dennoch zeigt der europäische Einigungsprozeß, daß die Einflußmöglichkeiten auf die Zentralbanken als wichtige souveränitätssichernde Rechte angesehen werden. 31 Allerdings muß man einräumen, daß nicht auszuschließen ist, daß die in Deutschland zu beobachtende Tendenz zur Verrechtlichung dazu führt, daß im Ausland praktisch beachtete Spielräume hier als Unabhängigkeiten festgeschrieben werden. 32 Siebelt, Verhaltensspielraum der Zentralbank, 1988. Siebelts Arbeit wiederholt in Teilen die Thesen der Arbeit von Arndt; insoweit wird sie hier nicht angeführt. 33
34
Vgl. Siebelt, S. 218 f.
Dies ist unverständlich, da gerade das Grundgesetz in den Normen bezüglich dieser Problematik von dem Begriff ,Geld' zu dem der ,Währung' überging. Da eine Vorschrift über die Zentralbank selbst erstmals in das Grundgesetz aufgenommen wurde, sei hier auf die früheren Kompetenznormen hingewiesen: Art. 4 Nr. 3,4 Reichsverfassung 1871; Art. 7 Nr. 14 WRV. 3
5 Siebelt, S. 264 f. 6 Siebelt, S. 262. 3 ? Siebelt, S. 269. 38 Vgl. Siebelt, S. 262 ff. 3 9 Samm, S. 34. 3
Β. Die Bundesbank
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mative Trennschärfe des Integrationsbegriffes auf. So sagt Samm, die Bestimmungen des Bundesbankgesetzes über die Teilnahme von Mitgliedern der Bundesregierung an Sitzungen des Zentralbankrates mit Antrags- und Beschlußaussetzungsrecht, sowie die Hinzuziehung des Präsidenten der Bundesbank zu fachrelevanten Kabinettssitzungen seien lediglich deklaratorisch, weil sie sich schon aus der Verpflichtung der „obersten staatlichen Institutionen" zu „Ausgleich, Verständigung und Zusammenwirken" materiell-rechtlich ergäben 40. Aber zwischen Institutionen, die sich gegenseitig beschränken oder kontrollieren sollen, kann diese Aussage nicht zutreffen. Denn es sind gerade diese angeführten Bestimmungen, über die das gegenseitige Gewicht der Institutionen in der Verfassung abgewogen wird: Zugang zum Machthaber, beschränkte Vetorechte etc. Das System der checks and balances ruht darauf, daß nicht jeder Institution gleiche Rechte aus einem allgemeinen Grundsatz zukommen, sondern daß im Hinblick auf ein angestrebtes Ziel genau abgewogen und zugeteilt wird. Auch Samm würde wohl nicht auf die Idee kommen, den Mitgliedern der Bundesregierung Zutritt zu den Beratungen des Bundesverfassungsgerichtes einzuräumen. Auch eine zweite Eigenart Smends zeigt sich bei Samm; die Nichteignung des Integrationsbegriffes zur Abgrenzung des Verfassungsrechts von anderen Rechtsebenen. So soll die Bundesbank zwar Integrationsfaktor sein, das Bundesbankgesetz daher auch „materielles Verfassungsrecht" 41, dennoch aber hält Samm die Bundesbank nicht für ein „Verfassungsorgan" 42. Samm will die Autonomie der Bundesbank aus dem Wortlaut des Art. 88 GG ableiten. Da dies mangels eindeutiger Beziehung zwischen Aufgabe und Ausgestaltung nicht möglich ist, weicht er in eine Art Parallelwertung in der Laiensphäre aus: „Bei unbefangener Betrachtung verdient die Zentralbank die Bezeichnung Währungsbank nur dann, wenn sie durch eigene Maßnahmen den monetären Bereich zu steuern vermag, das heißt aber, ihr die alleinige und eigenverantwortliche Führung der Währungspolitik obliegt." 43 Tatsächlich verbirgt sich hinter einer solchen Formulierung lediglich der Hinweis auf das vorrechtliche Gesamtbild der Tradition der letzten fünfzig Jahre deutscher Zentralbankgeschichte. Fruchtbar könnte die Behauptung aber nur sein, wenn sie so etwas wie die ,Natur der Sache' intendieren würde. Daß aber auch diese nichts für das Ergebnis von Samm erbringt, ist bereits ausgeführt. Samm legt das Schwergewicht der Erörterungen denn auch auf eine nachgeschobene Rechtfertigung des Ergebnisses, die systematisch argumentiert, indem sie die Stellung der Zentralbank in der Verfassungsstruktur untersucht. Er gelangt dabei zu dem Ergebnis, daß die Zentralbank in einer Spannungslage zwischen Demokratieprinzip und Rechtsstaatsgebot in der Ausprägung als Gewaltentei40 41 42 43
Samm, Samm, Samm, Samm,
S. 34. S. 30, 25 mit Fn. 43. S. 134 ff., 138 f. S. 180.
. Abschn.:
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e m a i s c h e r Teil
lungsgrundsatz steht; in dieser betone die unabhängige Stellung der Zentralbank die Balance der Gewalten gegenüber dem Demokratieprinzip 44.
b) Rechtfertigung
aus Grundrechten
Denkbar wäre auch eine Rechtfertigung unter Berufung auf Grundrechte, wie sie häufig bei ministerialfreien Räumen vorgeschlagen wird. Dies scheint nicht völlig fernzuliegen: Die Bundesbank wird nicht ganz selten in den Zusammenhang mit dem Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG gebracht 45. Hier ergibt sich allerdings auch schon der Hinderungsgrund, der bisher wohl eine entsprechende Argumentation hat nicht auftreten lassen. Während Aufgabe der Bundesbank die Wahrung der Stabilität der Währung ist, ist man sich weitgehend darüber einig, daß die Geldwertstabilität von dem grundrechtlichen Schutz des Eigentumes gerade nicht erfaßt ist; vielmehr wird hier von der offenen Flanke des Eigentumsschutzes gesprochen 46. Schutzbereich des Grundrechts und Schutzaufgabe der Zentralbank fallen also auseinander. Institutionell wird gerade das geschützt, was subjektivrechtlich nicht (zuverlässig) zu verbürgen ist. Dies macht es unmöglich, in diesem Fall eine grundrechtsgestützte Rechtfertigungstheorie zu entwickeln 47 .
c) Rechtfertigung
Schließlich soll eine daß auf den neutralen allgemeine Neutralität brauche sie auch nicht
aus der allgemeinen
Neutralität
der Bank
Rechtfertigungsunbedürftigkeit damit begründet werden, Charakter der Bundesbank hingewiesen wird. Da diese die vorgefundenen Machtverhältnisse nicht verändere, vor dem Demokratieprinzip gerechtfertigt zu werden.
Zu den Vertretern dieser Argumentation gehört Lampe, wenngleich sie in ihrer Schrift 48 auch andere Argumente unterstützend anführt. Lampe untersucht einerseits die sachlichen Gründe, die die Unabhängigkeit der Bundesbank rechtferti44 Samm, S. 183.
45 Vgl. das Zitat von Miksch bei Arndt, Politik und Sachverstand, S. 25: „Wie es daher keinem Parlament gestattet sein könnte, sich über bestimmte allgemeine Menschenrechte hinwegzusetzen, so ist auch die Stabilität der Währung eine allgemeine Ordnungsgrundlage, deren Zerstörung durch eine parlamentarische Mehrheit niemals sanktioniert werden könnte." Zum Problem vgl. aus neuerer Zeit Schmidt, Geld und Währung, HdBStR, Bd. III, 1988, § 82 Rdnr. 9, 12 (m. w. N. Rdnr. 9 Fn. 32). 46 Vgl. Arndt, Politik und Sachverstand, S. 301 ff. 47 Arndt, Politik und Sachverstand, S. 198,203,293 kommt der Intention einer solchen Argumentation relativ nahe, wenn er einen Sinn der Unabhängigkeit darin erkennt, daß Geldschöpfung auf direkten Befehl der Exekutivspitze hin unmöglich wird und damit Grundrechtssicherung für das Eigentum betrieben wird. Aber auch er hält diesen Aspekt nicht für ausschlaggebend. 48 Lampe, Die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank, 2. Aufl. 1971.
Β. Die Bundesbank
189
gen, andererseits aber auch die juristisch dogmatische Rechtfertigung. Bei der Darstellung der sachlichen Gründe verweist sie auf die für die Aufgabenerfüllung der Bank notwendige hohe Spezialisierung hin; damit ist ein Argument genannnt, das von anderer Seite auch als juristische Rechtfertigung für Unabhängigkeit vorgebracht wird: alle Verwaltung, die mit besonders spezialisiertem Sachwissen ausgestattet sei, dürfe unabhängig sein. Lampe verbindet diese Argumentation mit einer anderen, die auf die Organisationsform der rechtlich selbständigen Anstalt abstellt 49 und versucht darzutun, daß solche Anstalten stets mit sehr speziellen Verwaltungsaufgaben 50 befaßt seien. Spezialität der Aufgabenerledigung stehe aber in einer Spannungslage zu hierarchischer Weisungsgebundenheit gegenüber sachunkundigeren Weisungsgebern. Dies wäre allerdings ein Ergebnis, das — wie schon oben bemerkt — für zahlreiche Verwaltungsstellen Bedeutung hätte und in der Tat auch für andere Staatsorgane vertreten wird 5 1 . Im sachlichen Ergebnis findet Lampe unabhängig von ihrer rechtlichen Argumentation den sachlichen Grund für die Unabhängigkeit der Zentralbank darin, daß die Aufgabenerfüllung der Bank gefährdet wäre, wenn sie von ministeriellen Weisungen abhängig wäre 52 , weil sie in einer potentiellen Konfliktsituation zur Bundesregierung steht 53 . Zunächst wird auf die Aufgabe der Bundesbank zur Sicherung der Währungsstabilität hingewiesen. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe fordere Handlungsfreiheit sowohl gegenüber Bundesregierung und Bundestag, wie auch gegenüber Interessenten 54. Damit ist zutreffend auf die veränderte Stellung der Legislative hinsichtlich der Ausgabenfreudigkeit hingewiesen. Lampe stellt weiter die Aufga49 Lampe, S. 70 ff. so Lampe, S. 71.
51 Vgl. Erster Abschnitt Β IV. 2. Sogar in bezug auf die EG wurde vor nicht allzu langer Zeit eine eigene demokratische Legitimität aus der Sachgesetzlichkeit, dem Charakter der Gemeinschaftstätigkeit als rationaler Zweckverfolgung und optimaler Funktionserfüllung angenommen ( H. P. Ipsen, S. 49 ff.). 52 Lampe, S. 72.
53 Damit wird also nicht auf die organisatorische Ausgestaltung als Anstalt abgestellt, sondern auf die Funktion im Zusammenspiel der Staatsorgane. Das Abstellen auf die Organisationsform ist in der Tat untauglich. Dies wird deutlich, wenn Lampe Bundesoberbehörden wie das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Deutschen Wetterdienst parallelisiert (Lampe, S. 68). Offenbar sind es hier doch ganz verschiedene Gründe, die die Ausgliederung dieser Verwaltungsstellen aus der Verwaltungsorganisation im hierarchischen Sinne tragen. Warum soll das Geheimhaltungsbedürfnis die Ausgliederung des Verfassungsschutzes erfordern, nicht aber der Verteidigungsbehörden? Offenbar ist hier die Geheimhaltung ein ganz untauglicher gemeinsamer Nenner; tatsächlich geht es um das Verhältnis von Verwaltungsstellen zueinander. Auch das Amt für Verfassungsschutz ist ausgegliedert (wenn auch nicht weisungsfrei), weil es in einer potentiellen Konfliktstellung zu anderen Verwaltungsstellen steht: als deren Kontrolleur. Deswegen muß Lampe auch bei der Bundesbank dann bei der ihrem Aufbau ganz fremden Einsicht in die Notwendigkeit der Ausbalancierung der Kompetenzen der Bank mit denen der Regierung enden. 54 Lampe, S. 79.
190
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
ben der Bundesbank als „politische" Aufgaben dar; dies ergebe sich daraus, daß die Aufgaben ihrem Typus nach Normsetzung seien55. Die Unabhängigkeit könne deswegen nur dann gerechtfertigt sein, wenn die Voraussetzungen für eine Normsetzungsdelegation vorlägen 56 . Lampe sieht eine entsprechende Voraussehbarkeit der Entscheidungen der Bundesbank gegeben, obwohl die Bundesbank in Bezug auf diese Entscheidungen nicht an konditional programmierendes Recht mit eindeutigen Tatbeständen gebunden ist: „Was zu tun nötig ist, ergibt sich im einzelnen aus den Grundsätzen, welche die Volkswirtschaftslehre, speziell die Finanzwissenschaft, entwickelt hat. Alle Maßnahmen sind wissenschaftlich begründet und können gerade deshalb vorausgesehen werden." 57 Diese wissenschaftlich gesteuerte Aufgabenerfüllung werde durch ein sachfremd ausgeübtes Weisungsrecht der parlamentarisch verantwortlichen Ministerialspitze gefährdet. Lampe rechtfertigt also die Autonomie der Bundesbank damit, daß sie Autonomie lediglich im rechtlichen Sinne, nicht aber der Sache nach sei. Konsequent folgert sie, daß dann die Gefahr einer verfassungswidrigen Nebenregierung nicht existiere. Auch Lampe wendet damit den Gedanken Montesquieus an, den dieser mit Bezug auf die Justiz formuliert hatte; wer lediglich mit dem Mund einer anderweitig gesetzten Gesetzlichkeit spricht, bildet keine Gewalt, die Probleme demokratischer Legitimation aufwirft. Dabei treten bei Lampe an die Stelle der Rechtsnormen die scheinbar noch unproblematischeren, weil rein sachlichen Gesetzlichkeiten der Volkswirtschaftslehre. Diese Ausführungen können nicht überzeugen. Unterstellt man mit Lampe die Voraussehbarkeit der Entscheidungen, so stellt sich die Frage, warum die Tätigkeit der Bundesbank dennoch politisch sein soll. Rein sachliche Tätigkeit steht mit allen herkömmlichen Beschreibungen des Politischen nicht im Zusammenhang. Insofern ist die Argumentation widersprüchlich. Gerade unter der aufgestellten Voraussetzung wäre eine rechtliche Autonomie der Bundesbank nicht erforderlich; ihre Sachlichkeit könnte durch eine auf die Sachgesetzlichkeit verweisende Gesetzesformulierung ohne Schwierigkeiten gesichert werden. Üblicherweise wird in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland Sachverstand durch Anhörungen oder Gutachten in Anspruch genommen; eine Übertragung von Entscheidungsrechten ist dagegen ungewöhnlicher 58. Darüber hinaus ist die Behauptung sachgesetzlicher Voraussehbarkeit unrichtig. Das soll hier an einem Beispiel plausibel gemacht werden: Was für Lampe ein subsumtionsfähiger Begriff zu sein scheint, nämlich ,Währungsstabilität 4, kann dies schon mangels klarer Bestandteile dieses Begriffes nicht sein. So gibt es einen potentiellen Widerspruch zwischen der auf das Bundesgebiet bezogenen 55 Lampe, S. 95. 56 Lampe, S. 98. 57 Lampe, S. 98.
58 Vgl. Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, in: HdBStR, Bd. II, 1987, § 36 passim.
Β. Die Bundesbank
191
Innenstabilität und der auf fremde Staaten bezogenen Außenwertstabilität der Währung. Es stellt sich also die Frage, wie diese beiden Bestimmungsfaktoren mit ihrer jeweiligen Wirksamkeit für Außenhandel und Preisstabilität im Verhältnis zueinander gewichtet werden sollen. Dafür ergeben sich aus der Geldtheorie und der Volkswirtschaft keine genauen Vorgaben 59 . Ebenso unklar und umstritten ist, wie bei der Innenwertstabilität der als Parameter dienende Warenkorb zusammengestellt werden soll. Zwischen einzelnen Warenarten gibt es erhebliche Unterschiede in der Schnelligkeit von Preisentwicklungen. Hierdurch werden unmittelbar soziale Fragen berührt, je nachdem, wie stark der Warenkorb die Bedürfnisse des täglichen Lebens unterschiedlicher sozialer Schichten berücksichtigt 60. Innerhalb der Außenwertstabilität kann wiederum der Anknüpfungspunkt bei der Wechselkursstabilität oder bei der Kaufkraftstabilität festgelegt werden; außerdem ist eine Auswahl von Vergleichsstaaten erforderlich, sollen nicht Staaten mit exorbitanter Inflation das Bild verzerren. Die Unterstellung der Berechenbarkeit durch Lampe läßt sich also nicht halten; man kann das demokratische Problem nicht dadurch entschärfen, daß man behauptet, die Tätigkeit der Bundesbank folge einer gleichsam naturgesetzlichen Notwendigkeit. Dies kann zusätzlich an einem historischen Beispiel verdeutlicht werden: H. Schacht war von 1923 bis 1930 Präsident der unabhängigen Reichsbank. 1930 trat er von diesem Amt zurück und hatte es dann noch einmal von Mai 1937 bis Januar 1939 inne. In den Nürnberger Prozessen war er unter anderem der Vorbereitung eines Angriffskrieges wegen Finanzierung der Aufrüstung angeklagt, wurde aber in diesem Punkt freigesprochen. Bei der Schilderung seiner Aktivitäten wird deutlich, wie es um die Sachlichkeit als Funktionsrichtigkeit bei einer auf Einkommenserwartungen bezogenen Kreditgeldwährung bestellt ist. Schacht unterstützte zunächst die Aufrüstung Deutschlands mit dem Ziel, dessen politische Gleichberechtigung mit anderen Staaten zu erreichen 61. Auf den Vorhalt, die Finanzierung der Aufrüstung insbesondere durch die Wechsel auf die Metall-Forschungsanstalt (MeFo) sei unsolide gewesen und das heißt unsachlich, gab Schacht mehrere Antworten. In Krisenzeiten sei es Aufgabe der Notenbank, billiges Geld zu schaffen 62. Die Wechsel seien gedeckt gewesen, wenn die Aufrüstung 1939 gestoppt oder stark verlangsamt worden wäre 63 . Der Versuch, dies durch Kündigung der Wechsel 64 zu bewirken, habe aber nur zu 59 Vgl. ζ. B. Die Deutsche Bundesbank; Sonderdruck der Dt. Bundesbank Nr. 7, 1989 S. 11. 60 Arndt, Politik und Sachwissen, S. 178 ff. legt die Unmöglichkeit eindeutiger vorgegebener Festlegungen dar. 61 Schacht, Bd. 12 S. 515.
62 Schacht, Bd. 12 S. 518 f.; damit wird auf die Keynes'sche Beschreibung der staatlichen Aufgaben im Bereich der Finanzen Bezug genommen.
63 Schacht, Bd. 13 S. 26.
192
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
einem Wechsel in der Finanzierung der Aufrüstung — nun ohne Mithilfe der Reichsbank — geführt 65 . Seine, Schachts Intention sei es gewesen, lediglich eine defensive Aufrüstung zu finanzieren 66. Bei der entscheidenden Frage nach der Deckung dieser Geldschöpfung durch staatliche Einkommenserwartungen wies Schacht darauf hin, daß durch die Stärkung Deutschlands eine friedliche Rückgabe der Kolonien zu erwarten gewesen sei und damit auch billige Rohstoffe und offene Märkte 67 . Darin zeigt sich, daß die Einschätzung der Einkommenserwartung des Staates selbst eine hochpolitische Angelegenheit sein kann, ja, ihrerseits diese Einkommenserwartungen im Sinne der self fulfilling prophecy 68 beeinflussen kann. Durch den funktionalen Zusammenhang wird lediglich die Terminologie verändert: expansive Außenpolitik wird zur Frage der Berechtigung von Einkommenserwartungen. Dies ist keine Besonderheit eines besonders politischen Reichsbankpräsidenten. Schacht hielt die Reichsbank als Institution für unpolitisch 69 . Sachlichkeit und Politik lassen sich auf die von Lampe geschilderte Weise nicht trennen. Das machte sich Schacht selber in seiner Verteidigung zu nutze: 1939 legte das Reichsbankdirektorium der Reichsregierung eine Denkschrift vor, in der die weitere Aufrüstung für nicht finanzierbar erklärt wurde. Die Sachlichkeit dieser Denkschrift deutete Schacht nun um in eine verdeckte politische Stellungnahme gegen den Krieg 70 . Deswegen konnte der amerikanische Vorhalt an Schacht, die Denkschrift habe sich nicht explizit gegen Krieg und Rüstung gewandt, sondern nur die Ziele gesunder Finanzverhältnisse verfolgt, ebenso richtig sein, wie Schachts Entgegnung, politische Stellungnahmen hätten sich nur sachlich eingekleidet vortragen lassen. Als entscheidend erweist sich hinter allem die politische' Frage, ob die Reichsbank eine Verbesserung' der Einkommenserwartung durch Krieg in Europa akzeptieren wollte oder nicht. Eine differenzierte Theorie zur Zentralbankproblematik stammt von H.-J. Arndt. Auch er möchte im Ergebnis das Demokratieproblem dadurch entschärfen, daß er die Zentralbank einer Sachgesetzlichkeit71 unterstellt, die herrschaftsneutral ist. Arndt stellt aber dar, daß eine solche Neutralität nicht vorfindlich ist, 64 Zur Funktionsweise der Finanzierung durch die MeFo Wechsel im einzelnen vgl. z.B. OMGUS, S. 137 ff. 65 Schacht, Bd. 12 S. 519, 535. 66 Schacht, Bd. 12 S. 583.
67 Schacht, Bd. 12 S. 515. Schacht selber will entsprechende politische Anregungen gegeben haben. 68 Die Bundesbank benutzt die Reaktion des Marktes auf die Markteinschätzungen der Bundesbank gezielt als Interventionsmittel. Vgl. ζ. B. Sonderdruck S. 45. 69 Schacht für den Zeitraum um 1934, Bd. 13 S. 22. 70 Vgl. Schacht, Bd. 12 S. 585.
71 Vgl. Arndt, Politik und Sachverstand, S. 147. Neuerdings wieder pro Sachverstand als Barriere gegen Politisierung der Bundesbank Schmidt, Geld und Währung, HdBStR, Bd. III, 1988, § 82 Rdnr. 20.
Β. Die Bundesbank
193
sondern erst hergestellt werden müßte. Am Ausgangspunkt seiner Überlegungen steht die Einsicht, daß die Zentralbank solange neutral und sachgesetzlich gebunden war, wie das Gold offizielle Währungsgrundlage war 72 . Nachdem aber zum System des Kreditgeldes übergegangen worden ist, ist der Wert des Geldes und der Währung für politische Beeinflussungen offen. Seitdem liegt in der Wahrnehmung der Funktionen einer Zentralbank nach deutschem Modell eine Ausübung von Souveränitätsrechten und eine Teilhabe an politischer Lenkungsgewalt73; eine Herrschaftsposition ist entstanden74. Die damit eröffneten Spielräume und die Auswirkungen der getroffenen Entscheidungen bedingen, daß die Bank nicht nur über Fragen der Währungsstabilität entscheidet, sondern implizit auch über Chancen der Verwirklichung des legitimitätssichernden Sozialstaatsgebotes. Damit kann man die Tätigkeit der Zentralbank als Teilnahme an der politischen Entscheidungsgewalt qualifizieren 75 . Gleichzeitig soll die Bundesbank in eigener Verantwortung auch eine Abwägung des von ihr vertretenen Hauptinteresses mit anderen Interessen vornehmen (Abwägung der Aufgabe mit Unterstützung der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung; § 3 BBankG). Dadurch wird die Einräumung von Unabhängigkeit an die Zentralbank, die unter dem Goldautomatismus unpolitisch war, zum verfassungsrechtlichen Problem. Ein solches sieht Arndt sowohl hinsichtlich des Demokratieprinzips entstehen, insofern die Zentralbank durch die Ausübung eines Souveränitätsrechtes zur Nebenregierung wird 7 6 , wie hinsichtlich des Rechtsstaatsprinzips 77, das Berechenbarkeit verlangt, die bei den Maßnahmen der Bundesbank nicht existiere. Arndt möchte diese Probleme dadurch ausräumen, daß er eine Scheidung zwischen den politischen und den ,technischen' Aspekten der Zentralbanksteuerung einführt. Dabei weist er die Fragen des Wertes der Währung der Politik und den Souveränitätsrechten, institutionell dem Parlament 78 zu, während er die Technik der Kreditgeldsteuerung einer unabhängig sachlich agierenden Zentralbank anvertrauen möchte. Dabei macht Arndt die Beobachtung, daß eine unabhängige Stellung immer dort eingeräumt wird, wo ein allgemein anerkanntes Wahrheitskriterium vorhanden ist. Dies liege im Fall der Kreditgeldsteuerung in der Erhal-
72 Arndt, Politik und Sachverstand, S. 150 ff. 73 Arndt, Politik und Sachverstand, S. 301 ff. 74 Arndt, Politik und Sachverstand, S. 71. 75 Vgl. Böckenförde, Die politische Funktion, in: Der Staat und die Verbände, S. 314. Böckenförde führt dort die Kategorie der Teilnahme an der politischen Entscheidungsgewalt ein und beschreibt damit die Entwicklung des modernen Interventionsstaates, der mit der Wirtschaft in gegenseitiger Abhängigkeit verflochten ist. Eine Sicht der Bundesbank in der Funktion der organisatorischen Grundrechtssicherung rückt sie m. E. zu sehr in die gesellschaftliche Perspektive. 76 Der Vorwurf der Nebenregierung wird häufig gegen die Zentralbanken erhoben (vgl. Arndt, Politik und Sachverstand, S. 322). 77 Arndt, Politik und Sachverstand, S. 197. 78 Arndt, Politik und Sachverstand, S. 245. 13 Waechter
194
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
tung des Geldwertes 79. Jedoch sieht Arndt, daß die Tätigkeit einer Zentralbank bei der Kreditgeldsteuerung vielfachen Zielen und Zwischenzielen folgt, deren Rangfolge untereinander von diesem Konsens nicht gedeckt ist 80 . Deswegen möchte er eine weitere Trennung von politischer Wertung und ausführender Technik einführen. Zu diesem Zweck schlägt er vor, die erforderliche Wertung der verschiedenen Ziele 81 in einem vom Parlament zu verabschiedenden Plan vornehmen zu lassen. An diesen Plan sei die Zentralbank gebunden; seine Umsetzung sei nicht mehr politisch, sondern rein technisch vorzunehmen. Interessenten, die von der Kreditgeldsteuerung in ihren wirtschaftlichen Interessen berührt werden, müßten sich dann an das Parlament wenden und dort ihre Berücksichtigung fordern 82. Eine Suche nach den entscheidenden Parametern der Kreditgeldsteuerung führt am Ende zu der stets erforderlichen Einschätzung der staatlichen Einkommenserwartung, die für die Geldvermehrung ausschlaggebend sein muß 83 . Diese Einkommenserwartung ist nicht ohne politische Vorgaben bestimmbar. Deswegen soll der von Arndt geforderte Plan insbesondere eine parlamentarische Vorgabe für das zu erwartende Staatseinkommen (de facto also eine Vorgabe für die Geldmengenausweitung) enthalten, an der die Zentralbank ihre Kreditgeldsteuerung ausrichten kann. Die dann verbleibende Tätigkeit der Zentralbank sei rein technisch-unpolitisch und könne und müsse unbedenklich mit organisatorischer Unabhängigkeit honoriert werden 84 . Eine Herrschaft im politischen Sinne, die demokratisch rechtfertigungsbedürftig sei, werde dann von der Bank nicht mehr ausgeübt85. Aber selbst nach dieser radikalen Entpolitisierungskur muß Arndt einräumen, daß bei jeder Ausnahmesituation wieder ein politisch wertendes Element in die Kreditgeldsteuerung Eingang findet: „Eine Trennung von Politik und Technik bei Kreditgeld" . . . „wird erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich, wenn der Begriff des Kredites in Ausnahmesituationen ein Element politischen Urteils erwirbt" 86 . 79 Arndt, Politik und Sachverstand, S. 148 ff. 80 Solche Zielabwägung ist insbesondere innerhalb des magischen Vierecks (Art. 109 GG) erforderlich. Hier zeigt sich eine Inkonsequenz aller Neutralitätstheorien zur Bundesbank, die rein sachlich-technische Tätigkeit ohne Wertungseinschlag behaupten. Einerseits hält diese Meinung die Tätigkeit der Bundesbank für sachlich, weil sie aus zwingenden Sachgesetzlichkeiten heraus entscheide, wenn sie mit ihren Entscheidungen auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht einwirke. Andererseits nimmt § 90 Abs. 5 S. 2 GWB den unbestimmten Rechtsbegriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts von der Überprüfung von Entscheidungen der Kartellbehörden von der richterlichen Überprüfung aus, weil insb. eine kartellrechtliche Ministererlaubnis unvertretbare politische Entscheidung über das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht sei. Besonders deutlich wird der Widerspruch bei Greipl, S. 165. 81 Ζ. B. Entscheidung Innen-, Außenwertstabilität: Arndt, Politik und Sachverstand, S. 225 f. 82 Vgl. Arndt, Politik und Sachverstand, S. 261 f. zum Parlament, zum Gesetz S. 131, 142, zum Plan S. 282 f. 53 Arndt, Politik und Sachverstand, S. 143 ff. 54 Arndt, Politik und Sachverstand, S. 145 ff. 55 Arndt, Politik und Sachverstand, S. 147 ff.
Β. Die Bundesbank
195
Das Konzept von Arndt löst aber im Ergebnis die bestehenden Schwierigkeiten nicht. Fraglich ist schon, ob das Parlament in der Lage ist, entsprechende Pläne mit hinreichender Qualität aufzustellen. Entscheidend ist aber ein anderer Einwand: Arndt erreicht die Entpolitisierung und demokratische Unbedenklichkeit der Zentralbanktätigkeit damit, daß er alle politischen Entscheidungen dem Parlament zuweist. Diese Entscheidungen sind historisch aber nicht grundlos der Zentralbank zugewachsen87. Der Übergang beruht vielmehr auch auf der Sicherungsfunktion, die die Bank gegenüber dem Parlament einnimmt, indem sie dessen Ausgabenwünsche hemmt. Die Freiheit der wirtschaftenden Gesellschaft gegenüber dem in die Geldwertbestimmung intervenierenden Staat wird im Modell Arndts gerade wieder aufgegeben 88. Die Zentralbank nimmt nicht mehr eine Kontrollposition gegenüber dem Parlament im Sinne der Sicherung des Geldeigentumes gegen Entwertung ein, wie sie Arndt selbst für wesentlich hält. Damit zeigt sich, daß eine Neutralisierung der Zentralbank, die die verfassungsrechtliche Spannungslage zum Demokratieprinzip auflöst, nur erreicht werden kann, wenn ein wesentliches Element der Aufgabe der Zentralbank aufgegeben wird. Damit ist im Ergebnis allen solchen Neutralisierungsversuchen eine Absage erteilt.
d) Rechtfertigung
aus dem
Gewaltenteilungsprinzip
Zwischen den Argumentationsrichtungen der Rechtfertigungsunbedürftigkeit wegen Neutralität und der Einordnung in ein erweitertes Schema der Gewaltenteilung steht die Ansicht v. Arnims. Auch er geht von einem Modell einer sachorientierten Bundesbank aus. Dabei setzt er voraus, daß im demokratischen Normalprozeß der staatlichen Willens- und Entscheidungsbildung bestimmte allgemeine Interessen, die dem Gemeinwohl besonders nahestehen, strukturell bedingt geringe Durchsetzungschancen haben89. Diese Minderung der Erfolgschancen im politischen Prozeß beruhe auf der unterschiedlichen verbandsmäßigen Organisierbarkeit verschiedener Interessen. Da die Geldwertstabilität zu solchen durchsetzungsschwachen Interessen zähle 90 , sei sie der Bundesbank in ihre unabhängige Obhut gegeben. Die Schwäche ergebe sich auch daraus, daß es zahlreiche Interessenten für Ausgabepolitik gebe, aber keine für Stabilitätspolitik; diese habe erfahrungsgemäß „alle politischen Instanzen und Gruppen" gegen sich 91 . Die Bank sei in der Lage, dieses Ziel des Gemeinwohles zu verfolgen, da sie durch die weitgehende Unabhängigkeit von der Bundesregierung nicht wie diese der Einwirkung der Verbandsinteressen ausgesetzt sei und keine machtpolitischen Rücksichten zu 86 Arndt, Politik und Sachverstand, S. 317. 87 Dazu weiter unten. s» Arndt, Politik und Sachverstand, S. 204 ff. 89 v. Arnim, Gemeinwohl, §§ 22-25, S. 356 ff. 90 v. Arnim, Gemeinwohl, S. 362. 91 v. Arnim, Gemeinwohl, S. 362. 1*
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2. Abschn.: Exemplarischer Teil
nehmen habe 92 . Vielmehr könne sie, ausgestattet mit einem qualifizierten Mitarbeiterstab, interessenfern eine sachorientierte Geldwertstabilitäts,politik' betreiben und damit eine Schwäche des übrigen politischen Prozesses ausgleichen93. Mit diesen Ausführungen ordnet v. Arnim die Stellung der Bundesbank der Sache nach in ein um Kontrollaufgaben erweitertes Bild der Gewaltenteilung ein. Rechtlich aber geht v. Arnim von der Rechtfertigungsunbedürftigkeit aus. Diese ergibt sich auch bei ihm aus der Annahme der Neutralität der Bundesbank sowohl gegenüber dem Staat wie gegenüber allen Interessenten, v. Arnim sieht das Interesse an der Geldwertstabilität als ein originäres und vorgegebenes Gemeinwohlinteresse. Diesem Teil seiner Ausführungen kann nicht vorbehaltlos zugestimmt werden. Im Gegensatz zu der Ansicht v. Arnims repräsentiert auch die Bundesbank mit dem Ziel der Geldwertstabilität nicht ein permanentes Gemeinwohlinteresse, sondern ein Partialinteresse, daß zu anderen verfassungsrechtlich legitimierten Interessen in einen Widerspruch geraten kann, was in Art. 109 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem StabG zum Ausdruck gelangt. Dieses Partikularinteresse an der Aufrechterhaltung der Geldwertstabilität hat seine soziale Basis vor allem in der privaten Geldwirtschaft; dies kommt gesetzlich in der organisatorischen Interessentenbeteiligung in dem Beirat gemäß § 9 BBankG zum Ausdruck, in dem diese Interessenten besonders stark vertreten sind. Von Interessenferne kann also nicht die Rede sein 94 . Auch der oben bereits erwähnte Hoffmann bezweifelt die Richtigkeit der Identifizierung der Bundesbank als Träger eines bestimmten Gemeinwohlinteresses. Man kann die Beschreibung der Stellung der Zentralbank im Sinne einer Kompensation schwacher Durchsetzungskraft bestimmter Interessen, wie v. Arnim sie gibt, als im wesentlichen zutreffend anerkennen. Dies zeigt sich schon darin, daß auch die anderen Theorien stets Aspekte aufweisen, in denen sie versuchen, dieser Eigenart gerecht zu werden. Da eine generelle Interessenneutralität der Zentralbank aber nicht anzunehmen ist und daher das durch die Unabhängigkeit aufgeworfene Problem der Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip dadurch nicht entschärft werden kann, ist erneut nach der rechtfertigenden dogmatischen Grundlage der Unabhängigkeit zu fragen. Erkennt man an, daß es sich bei der Wahrung der Geldwertstabilität je nach den Umständen auch um ein Partikularinteresse handeln kann, so wird die Notwendigkeit deutlich, der Bundesbank im Gefüge der Staatsorgane eine verfas92
v. Arnim, Gemeinwohl, S. 360. 93 Auch v. Arnim betont die Sachkompetenz der Bundesbank: der Bundesregierung „zumindest ebenbürtig" (v. Arnim, Gemeinwohl, S. 359 f.; dem Wortlaut nach ein Argument für den Rang der Institution als Verfassungsorgan). 94 Auch v. Arnim geht offenbar nicht von einer festen Koppelung von Gemein wohlverwirklichung und Autonomie aus, wenn er zugesteht, daß sich im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses die Notwendigkeit zur Aufhebung der Autonomie ergeben kann (v. Arnim, Gemeinwohl, S. 366 Fn. 11).
Β. Die Bundesbank
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sungsrechtlich sanktionierte Stellung zuzuweisen, die ihrer faktisch gewaltenteilenden Wirkung gerecht wird. Dafür bietet sich der allgemeine Verfassungsgrundsatz der Gewaltenteilung an. Demgemäß wird hier von der oben ausgearbeiteten These ausgegangen, daß die Unabhängigkeit der Bundesbank als ,Kontrollorgan' im Sinne einer treuhänderischen Unabhängigkeit durch das Gewaltenteilungsprinzip verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein kann. Die Bank wäre dann lediglich einem Standard an demokratischer Verantwortlichkeit unterworfen, wie er auch für die Rechtsprechung gilt. Dabei wird wie dargestellt davon ausgegangen, daß „Kontrolle" nicht nur nachvollziehende Überprüfung umfaßt, sondern auch die Hemmung einer staatlichen Institution durch eine andere, wie sie im Modell der Gewaltenteilung bei Montesquieu gedacht war.
aa) Voraussetzungen einer Kontrollstellung der Bundesbank An dieser Stelle ist es erforderlich, die Bedingungen zu prüfen, die vorliegen müssen, um die Zentralbank zu befähigen, eine solche Kontrollstellung einzunehmen. Soll die Bundesbank ein Kontrollorgan in Bezug auf die Legislative und Exekutive sein, dann muß die Ausgestaltung der Institution dem gerecht werden. Es ist danach zu fragen, ob die Zentralbank über eine eigenständige Interessenbasis im Vergleich zu derjenigen verfügt, die das Parlament und die Regierung trägt. Damit ist das Verhältnis zu den Parteien (Fraktionen), die Parlament und Regierung tragen, angesprochen. Nur wenn diesen gegenüber die Wahrung einer Distanz plausibel gemacht werden kann, kann die Bundesbank eine Kontrollfunktion und eigenständige Aufgabenbewältigung im Verhältnis zur Legislative leisten. Die „Spannungslage zwischen Rechtsstaat und Demokratie", durch die Samm 95 und der Sache nach auch die anderen Stimmen in der Literatur die rechtliche Situation der Bundesbank gekennzeichnet sehen, und die durch Art. 88 GG mit einem Vorrang des Rechtsstaatsprinzips — als Gewaltenbalance verstanden — aufgelöst wird, muß im Zusammenhang mit dieser parteipolitischen Neutralität gesehen werden, da in der repräsentativen Demokratie die Realisierung des Demokratieprinzips wesentlich von den Parteien getragen wird. Die Frage nach dem Vorrang ist also diejenige nach einer Sicherung der Bundesbank gegen den Einfluß der Parteien 96. Damit verbunden ist die Frage, ob die Zentralbank eine Kontinuität hervorbringen kann, die gegenüber den Legislaturperioden asynchron ist 97 . Vieles spricht für eine solche parteipolitische Neutralisierung der Bundesbankpolitik. Dabei muß allerdings stets der Unterschied zwischen einer parteipolitischen Neutralisierung und einer politischen Neutralität insgesamt, wie sie vielfach für die Bundesbank behauptet wird, um das Problem der 95 Samm, S. 183. 96 Vgl. Samm, S. 109 ff.
97 Samm kommt für die Bundesbank zu dem Ergebnis, daß eine parteipolitische Neutralität vorliegt (vgl. Samm, S. 116 ff., 182 m. w. N. Fn. 28).
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Spannungslage zum Demokratieprinzip auszuräumen, beachtet werden. Eine solche allgemeine unpolitische Neutralität kann man der Bundesbank keinesfalls zusprechen; deswegen ist es auch falsch, das von ihr vertretene Interesse generell mit dem Gemeinwohl zu identifizieren, wie v. Arnim es tut. Belegt werden kann lediglich eine parteipolitische, also relative Neutralisierung, die der Zentralbank eine nicht über die Parteien vermittelte Legitimation 98 verschafft. Die Richtigkeit dieser Auffassung bestätigt sich bei einem Blick auf die Interessenstruktur in den Beiräten bei den Hauptabteilungen der Deutschen Bundesbank. Diese Beiräte bei den Landeszentralbanken bringen in erster Linie das gesellschaftliche Interesse der Kommerzialität, also der Wirtschaft zum Ausdruck 99 . Die Gewichtung der Mitglieder der Beiräte (vgl. § 9 Abs. 2 BBankG) zeigt ein eindeutiges Überwiegen der Kreditgewerbes. Tatsächlich ergeben sich die Entscheidungskriterien für die Politik der Bundesbank vor allem aus einem institutionell verfestigten Eigeninteresse an der Währungsstabilität, wie es in § 3 BBankG der Zentralbank aufgegeben ist. Das Kreditgewerbe steht diesem Interesse noch am nächsten und verfügt über den meisten einschlägigen Sachverstand, daher seine Bevorzugung im Bundesbankgesetz100. Das organisatorische Konstrukt Bundesbank zeigt, daß nicht zwangsläufig vorhandene gesellschaftliche Gruppen im Prozeß des Verfassungslebens als Gegen- oder Mitspieler installiert werden müssen, sondern daß es möglich ist, solche Gewalten mit begrenzter Macht durch die Schaffung von Institutionen ,künstlich4 herzustellen. Insofern ist der Auffassung v. Arnims zuzustimmen; die Bundesbank ist künstlich geschaffener Interessenvertreter, der den Mangel ausgleicht, daß das von der Bundesbank repräsentierte Interesse kein Hauptinteresse 101 oder ein solches nur relativ schwacher 102 sozialer Mächte ist. Dort, wo am ehesten ein gleichliegendes Intesse vermutet wird, im Kreditgewerbe, ist eine organisatorische Verbindung in den Beiräten geschaffen. Die Interessen des Kreditgewerbes sind aber offensichtlich nicht generell Gemeinwohlinteressen; das Gemeinwohl soll sich vielmehr erst aus dem politischen Prozeß ergeben, in dem die Zentralbank Teilnehmer ist. 98 Kontrollaufgaben setzen tendenziell eine Mehrheit von Legitimationsquellen voraus; vgl. dazu Meyn, S. 66 ff. 99 Vgl. Samm, S. 50 ff.
i°o Dafür, daß eine Interessen Verbindung zwischen dem Privatbankgewerbe und der Bundesbank besteht, die keineswegs dem Gemeinwohl per se entspricht, läßt sich nicht nur die Beteiligung anderer gesellschaftlicher Gruppen anführen. Vgl. dazu § 7 LastenausgleichsBankG, § 7 GKreditAnstalt f. Wiederaufbau, die von Interessenverbänden sprechen, also deutlich den Sachverstand in den Hintergrund treten lassen. Von Interessenvertretung spricht auch Dagtoglou, Der Private in der Verwaltung, S. 63. ιοί Das Kreditgewerbe kann u. U. auch ohne Währungsstabilität Profite machen; seine Existenz ist damit mit diesem Interesse nicht zwangsläufig verkoppelt, was die Intessendurchsetzung schwächt. 102 Dafür könnte beispielsweise der Bund der Steuerzahler genannt werden. Ob die gesetzgeberische Einschätzung eines derartigen Kompensationsbedürfnisses zutreffend (immerhin ist der Einfluß des privaten Kreditgewerbes erheblich) ist, muß hier nicht erörtert werden.
Β. Die Bundesbank
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Die parteipolitische Neutralisierung andererseits läßt sich ebenfalls in der organisatorischen Ausgestaltung aufweisen: so werden die Direktoriumsmitglieder der Bundesbank von dem Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung bestellt, § 7 Abs. 3 S. 1 BBankG. Schon hier wird jedoch die parteiendemokratische Legitimation durch die Pflicht, zu den Vorschlägen den Zentralbankrat anzuhören (§ 7 Abs. 3 S. 2), modifiziert. Der für die Geldpolitik der Bundesbank maßgebliche Zentralbankrat setzt sich aus den Mitgliedern dieses Direktoriums und den Präsidenten der Landeszentralbanken zusammen, § 6 Abs. 2 BBankG. Damit ist dem machtverteilenden und beschränkenden Föderalismus maßgeblicher Einfluß eingeräumt; hier findet in der Regel auch die Opposition in der Bundesebene ihre Vertreter im Zentralbankrat. Bei der Ernennung der Landeszentralbankpräsidenten werden wiederum die Einflußmöglichkeiten sorgsam gewichtet: Der Bundespräsident bestellt auf Vorschlag des Bundesrates (§ 8 Abs. 4 S. 1 BBankG); dieser ist gebunden an den Vorschlag der nach Landesrecht zuständigen Stellen (§8 Abs. 4 S. 2 BBankG); wiederum mit Anhörungsrecht des Zentralbankrates. Auch wenn man in diesem Pluralismus der Ernennungsinstanzen4 — überwiegend wird ein eigenes Ermessen des Bundespräsidenten befürwortet 103 — aufgrund der Gegebenheiten noch immer einen parteipolitischen Einfluß überwiegen sieht, wird dieser durch die Asynchronität mit den Legislaturperioden noch einmal gemindert. Die Direktoriumsmitglieder werden regelmäßig für acht Jahre bestellt (§ 7 Abs. 3 S. 3 BBankG); ebenso die Präsidenten der Landeszentralbanken (§ 8 Abs. 4 S. 4 BBankG). Durch die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Ernennungszeitpunkte und die von der Legislaturperiode des Bundes abweichenden Perioden der Länder ist schon hier eine Streuung des Freiwerdens von Ämtern gesichert, die den parteipolitisch motivierten Austausch des Gremiums nur über mehrere Legislaturperioden hinweg möglich erscheinen läßt. Schließlich ist auch die Amtszeit des Bundespräsidenten mit der Legislaturperiode entkoppelt (fünf Jahre, Art. 54 Abs. 2 GG). In diesem System der Ernennungsbeteiligungen wird deutlich, daß die Bundesbank der parteipolitischen Beeinflussung von außen weitgehend entzogen ist; nach innen sichert das kollegiale Prinzip und der Grundsatz der Mehrheitsentscheidungen im Zentralbankrat den Zwang zur Kompromißfindung. Samm bringt das Argument vor, daß Art. 21 GG die Parteien als legitime Gewalten institutionalisiere. Daraus läßt sich nach seiner Ansicht folgern, daß kein Träger staatlicher Aufgabenerfüllung gegenüber ihrem Einfluß isoliert werden dürfe 104 . Damit unterstellt er dem Grundgesetz eine Eindimensionalität, die es nicht aufweist. Die Verfassung ist gerade durch eine Mehrzahl von oberen Prinzipien gekennzeichnet, deren Verhältnis zueinander erst im Einzelfall geklärt werden kann. Auch Samm selbst muß für den Bereich der Gerichtsbarkeit eine ,Ausnahme' von seinem Prinzip zugeben. Das Grundgesetz selber kennt abgestuf103 Vgl. dazu mit a. A. Siebelt, S. 169 ff. 104 Samm, S. 116 ff.
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te Nähe zu parteipolitischem Einfluß: auch in der Verfassung selbst gibt es einen allerdings schwach ausgeprägten Pluralismus von Ernennungsinstanzen mit unterschiedlichen Interessen und nicht legislaturperiodenkonforme Amtszeiten 105 , Art. 54, 94 Abs. 1 GG. Zudem gewährt Art. 21 GG schon seinem Wortlaut nach den Parteien ein Mitwirkungsrecht, nicht aber ein Monopol. Im Ergebnis zeigt sich, daß die Bundesbank nach der gesetzlichen Ausgestaltung (und auch der bisherigen praktischen Aufgabenwahrnehmung) über die Voraussetzungen verfügt, um eine Kontrollstellung einzunehmen. Damit sind die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung ihrer Unabhängigkeit auf dem im systematischen Teil aufgezeigten Weg gegeben.
Exkurs: Zum Verfassungsorgancharakter der Bundesbank als Kontrollinstitution Nimmt man eine Stellung der Bundesbank als Kontrollorgan gegenüber anderen Verfassungsorganen an, so stellt sich die Frage, ob sie selbst ein Verfassungsorgan ist. Es ist zu klären, ob eine Stellung als relativ unabhängiges Kontrollorgan, die durch das Gewaltenteilungsprinzip gerechtfertigt wird, wie im ersten Teil beschrieben, notwendig mit dem Status des Verfassungsorganes korreliert. Eine solche Einordnung würde die Polykratie aus unabhängigen Kontrollinstitutionen auf Verfassungsebene erheben. Dies hätte beispielsweise die Auswirkung, daß zwischen den unterschiedlichen, an der Staatsleitung durch die Verwaltung einzelner Souveränitätsabsplitterungen teilnehmenden Institutionen eine verfassungsrechtliche Organstreitigkeit möglich sein müßte. Derzeit werden Konflikte beispielsweise zwischen Bundesregierung und Zentralbank dagegen politisch (auch über die öffentliche Meinung) ausgetragen. Nähme man eine Verfassungsorganstellung von Kontrollorganen an, weil diese Verfassungsorgane kontrollieren, so wäre bei jeder Einrichtung eines solchen Kontrollorganes aufgrund des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG eine Verfassungsänderung mit den entsprechenden Mehrheiten notwendig. Da die Einrichtung von dergleichen Kontrollorganen auf wechselnde Defizienzen in der Repräsentation von Interessen, auch auf sich verschiebende Aufgaben des Staates reagiert, würde gegebenenfalls ein Bedarf für häufige Verfassungsänderung entstehen, der sich negativ auf die Anerkennung der Verfassung auswirken könnte. Die Frage nach der Einordnung von Bundesrechnungshof, Bundesbank und Bundesfinanzminister als Verfassungsorgane ist umstritten. Das Problem wird 105 Diese Tendenz setzt sich in den Bundesgesetzen zur Ausfüllung der Verfassung, also materiellem Verfassungsrecht fort: Amtszeit der Richter des BVerfG 12 Jahre (§ 4 Abs. 1 BVerfGG); Amtszeit des Wehrbeauftragten 5 Jahre (§ 14 Abs. 2 WehrBeauftrG). Auch hier ein gemilderter Pluralismus der Ernennungsinstanzen, § 13 WehrBeauftrG; zum Verfahren der Wahl der Richter des BVerfGs §§ 5 ff. BVerfGG.
Β. Die Bundesbank
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in der Literatur bei allen diesen Institutionen angesprochen; es wird hier am Beispiel der Bundesbank aufgenommen. Schon während der Beratungen zum Gesetz über die Deutsche Bundesbank wurde die Frage danach aufgeworfen, ob die Bundesbank in der ihr durch das Gesetz und die Verfassung gegebenen Form ein ,Verfassungsorgan 4 sei 106 . Die Diskussion darüber ist bis heute nicht abgerissen 107. Das ist deswegen nicht erstaunlich, weil nicht einmal über den Erkenntniswert des Begriffes ,Verfassungsorgan' Klarheit besteht. Samm vermutet, daß der Begriff heuristisch wertlos sei 108 . Bei einigen anderen Autoren glaubt man mit der Antwort auf die Subsumierbarkeit unter den Begriff,Verfassungsorgan' eine Lösung der Aufsichtsproblematik zum Beispiel hinsichtlich der Bundesbank zu gewinnen 109 . Dazu wird der Begriff des Verfassungsorgans in einen Gegensatz zum Anstaltsbegriff gestellt. Nur wenn die Bundesbank ein Verfassungsorgan sei, sei sie von der Rechtsaufsicht, die über Anstalten regelmäßig ausgeübt wird, freigestellt. Dabei wird übersehen, daß es offenbar auch ,untypische Anstalten' gibt; dieser am Beispiel der Bundesbank entwickelte Terminus trifft auch auf Rundfunkanstalten zu; der Schluß aus der Entgegensetzung ist also nicht zwingend, will man nicht auch die Rundfunkanstalten zu Verfassungsorganen erklären. Davon ist bei den fraglichen Autoren nicht die Rede. Die Entgegensetzung von Anstalt und Verfassungsorgan kann zu keinen Lösungen führen, weil sie schon im Ansatzpunkt unzutreffend ist. Der Anstaltsbegriff bezeichnet die rechtliche Ausgestaltung einer Stelle, die Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahrnimmt, in der Differenzierung zu anderen Ausgestaltungsformen im Bereich des öffentlichen Sachenrechts. Der Begriff des Verfassungsorgans bezieht sich demgegenüber auf die Funktionsstelle innerhalb des Strukturgefüges der Verfassung, in der ζ. B. die Bundesbank steht. Deswegen sind die Mengen der unter beide Begriffe subsumierbaren Objekte nicht disjunktiv, sondern als Teilschnittmengen zu begreifen. Es sind Einrichtungen denkbar, die das eine oder andere je allein sind, aber auch solche, auf die beide Begriffe zutreffen. Dieser Einsicht wird auch der Terminus der atypischen Anstalt gerecht 110 .
106 Vgl. Starke, Die Stellung der Notenbank, WM 1957, 75. ιόν Zuletzt Siebelt, S. 153 ff. io« Samm, S. 136 Fn. 11. 109 Ζ. B. Siebelt, S. 154, Lampe, S. 36 ff. (39).
no Dies wird durch die Entstehungsgeschichte des Bundesbankgesetzes bestätigt; der Anstaltsbegriff wurde gerade wegen seiner dogmatischen Implikationen vermieden (vgl. Siebelt, S. 155). Dann kann es nicht einleuchten, wenn entgegen dem Willen des historischen Gesetzgebers aus der Subsumtion unter den Begriff wesentliche Folgerungen gezogen werden. Ähnlich wie hier wird das Verhältnis der Begriffe offenbar auch von Starke, Das Gesetz über die Deutsche Bundesbank und seine wichtigsten öffentlichrechtlichen Probleme, DÖV 1957, 606 (609) gesehen: Anstaltsform als „äußere Hülle" des Verfassungsorgans.
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Der Begriff des Verfassungsorganes wurde zunächst zur Kennzeichnung der Stellung des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich von Kaufmann 111 , dann für und durch das Bundesverfassungsgericht 112 entwickelt. Dabei wurden zunächst eine induktive und eine deduktive Methode nebeneinander angewandt. Mit Hilfe der Induktion verglich man die Stellung des Gerichts mit der des Parlaments und der Regierung, um dann in deren Gemeinsamkeiten die Eigenschaften eines, Verfassungsorganes 4 zu bestimmen. Daraus ergab sich die hochpolitische Funktion eines Verfassungsorgans und die Gleichordnung mit anderen Verfassungsorganen. Aus dieser Gleichordnung soll sich die Weisungsunabhängigkeit, das Vorhandensein eines eigenen Haushaltsplanes und der Sonderstatus der Organwalter außerhalb des traditionellen Beamtenrechts (in seiner exekutivischen Prägung) ergeben 113 . Das Bundesverfassungsgericht versuchte demgegenüber für die eigene Positionsbestimmung Folgerungen aus der Smend'schen Integrationstheorie zu deduzieren. Ein Verfassungsorgan soll durch seine integrierende Wirkung gekennzeichnet sein 114 . Eine weitere Verwendung des Begriffes ergab sich im Rahmen des Art. 93 GG. Parteifähig im Organstreitverfahren gemäß Art. 93 Nr. 1 GG sind oberste Bundesorgane (und andere Beteiligte), die im Grundgesetz (oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorganes) mit eigenen Rechten oder Pflichten ausgestattet sind. Zusammenfassend ist gesagt worden, daß alle, Verfassungsorgane4 parteifähig sind 1 1 5 . Von hier aus ist eine weitere Anforderung an den Begriff des Verfassungsorganes begründet worden: Status und wesentliche Kompetenzen sollen sich unmittelbar aus der Verfassung ergeben 116 . Schon Goessl weist aber im Zusammenhang des Art. 93 GG darauf hin, daß die Konstituierung eines Verfassungsorganes durch das Grundgesetz zwar die Regel, aber durchaus nicht zwingend sei 1 1 7 . Erforderlich sei sie wegen des Wortlautes des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG lediglich für die Parteifähigkeit im Organstreitverfahren 118.
in Vgl. Samm, S. 136. 112
Vgl. den Statusbericht des Bundesverfassungsgerichtes in JöR 1957 S. 198. Diesem folgend neuerdings ζ. B. Benda / Klein, Rdnr. 63 ff. us Vgl. so z. B. Starke, DÖV 1957, 608. Ähnlich Stern, Staatsrecht Bd. II, 1980, § 26 I 2: Nicht unwesentlicher Anteil an der Staatsgewalt (dies entspricht der Staatsleitungsgewalt und der hochpolitischen Funktion) und Gleichordnung mit der Folge der inneren Organisationsfreiheit und mangelnder Unterordnung (Weisungs- und Aufsichtsfreiheit). 114 Vgl. BVerfG, JöR 1957 S. 198; auch Starke, DÖV 1957,608; Stern, Staatsrecht Bd. II, 1980, S. 344 (Bd. 2): „Integrationsorgan"; S. 468: „Einheitsstiftung"; S. 42: das Verfassungsorgan soll zum spezifischen Wesen des Staates beitragen, us 116 117 us
Vgl. Goessl, S. 95. Stern, Staatsrecht Bd. II, 1980, S. 42; Samm, S. 138. Goessl, S. 102. Goessl, S. 102 f.
Β. Die Bundesbank
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Die Diskussion über die Eigenschaft der Bundesbank als Verfassungsorgan rankt sich um die beiden zweifelhaftesten Kriterien dieses Begriffes: die integrative Funktion und die Konstituierung durch die Verfassung. Dagegen wird über die Merkmale der Gleichordnung und der hochpolitischen Funktion nicht gestritten. Dies erstaunlicherweise trotz der verbreiteten These von der neutralen Sachlichkeit der Bundesbank. Für ein Verfassungsorgan hält Starke die Bundesbank; sie sei als solches schon durch Art. 88 GG eingerichtet; der nach dem Bundesbankgesetz mögliche und in dessen Begründung auch angesprochene Konflikt mit der Bundesregierung ohne die Überordnung einer Seite spreche für eine Gleichordnung; auch integrative Funktion komme der Bank zu 1 1 9 . Seit Samm geht die herrschende Meinung aber mit unterschiedlicher Begründung vom gegenteiligen Ergebnis aus. Auch Samm selbst geht zunächst von der gegebenen Gleichordnung und der hochpolitischen Funktion der Zentralbank aus. Das Gleichordnungsargument bringt er aber in einen Zusammenhang mit dem Konstitutionsargument. Eine Einwirkung ζ. B. auf Regierung und Parlament auf Gleichordnungsebene sei nur zuzulassen, wenn die Verfassung sie ausdrücklich vorsehe 120 . Samm läßt den Charakter der Bundesbank als Verfassungsorgan daran scheitern, daß keine Konstituierung durch das Grundgesetz vorliege; die autonome Ausgestaltung der Bundesbank sei erst im Bundesbankgesetz erfolgt; dies reiche nicht aus 121 . Dies ist wenig überzeugend; an anderer Stelle bezeichnete Samm das BBankG als materiales Verfassungsrecht, weil die Bundesbank integrativ wirke. Es müßte also die Frage beantwortet werden, ob materiales Verfassungsrecht, wenn es Aufgabe und Ausgestaltung bestimmt, für die Charakterisierung als Verfassungsorgan hinreicht. Das ist beispielsweise für das Geschäftsordnungsrecht der Bundesorgane in Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG explizit angeordnet und daher naheliegend. Samms Argumentation ist widersprüchlich, weil sie von zwei unterschiedlichen Ausgangspunkten her vorgeht: Einerseits soll die Zuordnung zum Bereich des Verfassungslebens in der Nachfolge Smends von der integrativen Wirkung abhängen. Dadurch kann einfaches Gesetzesrecht den Charakter materialen Verfassungsrechts gewinnen. Andererseits macht er die Stellung als Verfassungsorgan nicht vom der Konstituierung durch materiales, sondern durch formelles Verfassungsrecht abhängig. Auch Stern meint, die Zentralbank wirke zwar einheitsstiftend, aber sie sei kein Verfassungsorgan, weil Status und wesentliche Kompetenzen sich nicht unmittelbar aus dem Grundgesetz ergäben 122. Gleichzeitig hebt er an anderer 119 Starke, DÖV 1957,608 (609). ι 2 0 Samm, S. 135. Gleichzeitig in im Widerspruch dazu meint Samm, daß sich aus dem Integrationsprinzip ergebe, daß alle obersten Bundesorgane ungeschriebenen Konsultationspflichten etc. unterlägen, wie sie das BVerfG später tatsächlich für den BdF allerdings mit anderer Begründung aufgestellt hat. 121 Samm, S. 138.
122 Stern, Staatsrecht Bd. II, 1980, S. 468.
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Stelle hervor, daß es auch Verfassungsorgane gibt, die durch materiales Verfassungsrecht konstituiert sind 123 ; hier wird auf die in Art. 93 Abs. 1 Nr 1 GG genannten anderen Beteiligten (Organteile etc.) abgehoben. Stern untersucht seinerseits aber nicht, ob das Bundesbankgesetz materiales Verfassungsrecht ist, beziehungsweise, worin der wesentliche Unterschied zwischen Geschäftsordungsrecht 124 der obersten Bundesorgane und anderem materialem Verfassungsrecht besteht. Siebelt demgegenüber will den Verfassungsorgancharakter der Bundesbank an der Integrationsfunktion scheitern lassen 125 ; die Zentralbank sichere nicht die Einheit des Staates. Er stellt in diesem Zusammenhang auf die Unterscheidung Smends zwischen Verfassungsrecht als Integrationsrecht und Verwaltungsrecht als technischem Wohlfahrtsrecht ab. Die Zentralbank verfolge reine Wohlfahrtszwecke; im Zusammenhang mit dieser Einordnung bestreitet Siebelt auch einen politischen Aspekt der Tätigkeit der Bundesbank; dies ist durch die Einordnung als Wohlfahrtsinstitution im Sinne Smends bereits vorentschieden. Diese Scheidung ist heute um so unnachvollziehbarer, als zum Beispiel Böckenförde dargetan hat, daß die wichtigste integrative Funktion in der Bundesrepublik lange Zeit nicht mehr von Phänomenen des Nationalgefühles ausgegangen ist, sondern von der Sicherung der Wohlfahrt 126 . Gerade das nach Smend unpolitisch technische Leistungsrecht erbrächte demnach den Hauptbeitrag zur Integration, während die Verfassung insoweit lediglich das vergleichsweise diffuse Sozialstaatsprinzip aufzuweisen hat. Goessl behandelt die Frage im Rahmen der Problematik des Organstreitverfahrens 127 . Die Ähnlichkeit der Problemlage in diesem Bereich ist Resultat der Funktion des Organstreitverfahrens, das dazu dient, innerhalb der durch Gleichordnung und relative Autonomie gekennzeichneten Sphäre des Verfassungslebens Konflikte zu entscheiden. So stimmt denn auch die von Goessl in diesem Zusammenhang aufgestellte Liste von Merkmalen 128 des Verfassungsorganbegriffes mit den Enumerationen von Starke und Stern im wesentlichen überein. Die Ausfüh-
123 Stern, Staatsrecht Bd. II, 1980, S. 345. 124 Zu den Geschäftsordnungen als materiellem Verfassungsrecht vgl. Stern, Staatsrecht Bd. I, 2. Aufl. 1984, § 108. Hier ist darauf hinzuweisen, daß es auch vorkommt, daß materielles Geschäftsordnungsrecht als einfaches Gesetzesrecht normiert wird. Es muß also jeweils im Einzelfall der Rechtscharakter untersucht werden. Positivrechtlich entsprechen die formellen Einordnungen hier durchaus nicht stets den materialen Zuordnungen. Vgl. zu einer solchen Gemengelage auch das Recht der parlamentarischen Kontrollkommission für die Geheimdienste nach dem PKK-G, Waechter, Geheimdienstkontrolle — erfolglos, folgenlos, umsonst? JURA 1990,520. 125 Siebelt, S. 156. 126
Böckenförde, Die Bedeutung, S. 237 ff. 127 Goessl, S. 124; zu Unrecht sich auf ihn berufend Maunz / Schmidt-B leibtreu / Klein/Ulsamer, § 63 Rdnr. 8. 128 Goessl, S. 96.
Β. Die Bundesbank
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rungen von Goessl machen zunächst am Beispiel der Parteien klar, daß ein Verfassungsorgan nicht Organcharakter im strengen Sinne haben muß; es kann also selbst juristische Person und damit Zurechnungsendsubjekt sein 129 . Goessl wendet sich gegen diejenige Meinung, die die Qualifizierung der Bundesbank als Verfassungsorgan an der fehlenden Konstitution unmittelbar durch formelles Verfassungsrecht scheitern läßt; er geht davon aus, daß Art. 88 GG in hinreichendem Maß die Zuständigkeiten der Bank impliziert 13 °. Das wichtigste Argument 131 Goessls gegen den Verfassungsorgancharakter der Bank zielt auf deren Stellung in der Verfassung: Verfassungsorgane gäben dem Staat sein Gepräge 132; dies sei es, was anderweitig mit der hochpolitischen Funktion oder dem Beitrag zum spezifischen Wesen des Staates gemeint sei. Goessl operationalisiert diesen Gedanken der Wichtigkeit für das „Gepräge" des Staates, indem er danach fragt, ob die Institution „hinweggedacht" werden könne, ohne daß der Staat (respektive die Verfassung) sein spezifisches Wesen ändert 133 . Er führt dieses Gedankenexperiment nun bei der Bundesbank durch und gelangt zu einer unveränderten Typik des Staates134. Dies hypothetische Eliminations verfahren 135 ist zweifelhaft, weil es sich bei dem spezifischen Wesen4 des Staates um einen Strukturbegriff handelt 136 . Aus einem Struktur- oder Typusbegriff 137 können aber einzelne Merkmale hinweggedacht werden, ohne daß die Struktur sich dadurch ändern muß 138 . Merkmale sind austauschbar, weil Funktionsstellen, oder können gänzlich wegfallen, ohne daß der Typus beeinträchtigt wird 1 3 9 . Leenen nennt dies die Offenheit des Typus 140 . 129
Anderer Ansicht offenbar Samm, S. 137.
130 Goessl, S. 121.
131 Weitere Argumente zieht Goessl aus der systematischen Stellung des Art. 88 GG im VIII. Abschnitt des Grundgesetzes, der insbesondere die Bundesverwaltung betrifft (Goessl, S. 122). Ähnliches müßte dann aber auch für den Finanzminister im Hinblick auf Art. 112 GG gelten; bei diesem plädiert aber ζ. B. Stern für den Verfassungsorgancharakter (Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 345 f.). 132 Goessl, S. 96. 133 Goessl, S. 96. 134 Goessl, S. 122.
135 Das Verfahren ist von den Kausalitätsproblemen des Strafrechts her bekannt. 136 Vgl. Stern, Staatsrecht Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 109, der davon spricht, daß Verfassungsrecht die „Struktur des Staates" durch „Strukturprinzipien" formuliere. Strukturbegriff ist ζ. B. auch die „freiheitlich demokratische Grundordnung". 137 Zur Identität des von ,Strukturbegriff' und Typusbegriff Gemeinten vgl. Leenen, S. 46: „Strukturiertheit des Typus". 138 Dies ist eine grundlegende und früh erkannte Einsicht. Vgl. Weber-Schäfer, Aristoteles, in: Klassiker, Bd. 1 S. 59; Aristoteles selbst in: Politik, 1328 a 35-37: Die Polis ist zusammengesetzte Struktur; darin können nicht alle Dinge, die existenzwichtig sind, als Teile der Struktur im strengen Sinne betrachtet werden. Vgl. für die Methodenlehre Larenz, 6. Aufl. S. 200, 451. 139 Vgl. dazu Leenen, auf den Larenz sich hier bezieht (S. 34). 140 Zu Offenheit und Abgeschlossenheit in der Struktur des Neostrukturalismus Frank, S.47.
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Indem also das spezifische Wesen des Staates, der „Staat des Grundgesetzes" als Typusbegriff erkannt ist, ist dargetan, daß die fiktive Subtraktionsmethode ihr Ziel verfehlt. In der Struktur des Staates soll ein Erfolg unter Umständen durch mehrere Institutionen gesichert werden 141 . Auch der Regierung ist Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit rechtlich aufgegeben; dennoch gibt es den Bundesrechnungshof. Die Identität des normativen Typus wird von der hinter ihm stehenden Ratio bestimmt 142 . In einem elastischen Merkmalsgefüge muß bei jeder Konstellation die von dieser Ratio (dem „Wertaspekt") geforderte Leistung erbracht werden, soll der Typus gegeben sein 143 . Der Sinnbezug bestimmt die gegenseitige Verbundenheit der Merkmale innerhalb des Typus 144 . Entscheidend für den Begriff des Verfassungsorganes als eines Merkmales der Verfassungsordnung muß deswegen sein, ob die von ihm erbrachte Leistung im Rahmen der Ratio der Verfassung, insbesondere der Staatsaufgaben, gefordert wird und nicht von anderen Institutionen ebenfalls erbracht wird. Nach den Ergebnissen des ersten Teiles ist es denkbar, daß durch einfaches Gesetz in Übereinstimmung mit dem Prinzip der Gewaltenteilung Institutionen geschaffen werden, die Ergänzungs- und Kontrollfunktionen gegenüber denen von Verfassungsorganen, insbesondere Parlament und Regierung, wahrnehmen. Dadurch ist es möglich, Kompensationsleistungen gerade in denjenigen Bereichen zu institutionalisieren, in denen die Institutionenordnung des Grundgesetzes keine Vorsorge getroffen hat. Das bedeutet, daß auch die Ratio, die die Schaffung einer solchen neuen Institution trägt, nicht bereits in der Verfassung niedergelegt sein muß; vielmehr geht es gerade um Ergänzungsfunktionen. Das Grundgesetz ermöglicht die Errichtung solcher Institutionen, hat sie aber nicht schon in seine Ratio aufgenommen. Das entspricht der Erkenntnis, daß Aufgabe und Unabhängigkeit der Bundesbank dem Art. 88 GG nicht sicher entnommen werden können. Das Bundesbankgesetz ist schon deswegen nicht als — die Ratio der Verfassung mitbestimmendes — materielles Verfassungsrecht anzusehen, weil es dabei, wie zu zeigen sein wird, in Widerspruch zu anderen Bestimmungen der Verfassung geraten könnte 145 . Ein solcher Widerspruch ist bei der Auslegung zu vermeiden. Die Anerkennung als relativ autonomes Kontrollorgan, das eine treuhänderische Unabhängigkeit, die sich aus dem Gewaltenteilungsprinzip rechtfertigt, genießt, ist also nicht an den Status eines Verfassungsorganes gebunden. Auf die Frage nach der Gleichordnung zu anderen Verfassungsorganen kann ebenfalls nicht
141 Dem entspricht im Strafrecht die Unbrauchbarkeit der Formel von der conditio sine qua non bei konkurrierenden Kausalitätsreihen. 142 Leenen, S. 42; Larenz, 6. Aufl. S. 201. 143 Leenen, S. 43 f.
ι 4 4 Leenen, S. 46: „interdependentes Merkmalsgefüge". 145 s. u. II. C. 2.
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abgestellt werden, wenn die Ergebnisse des ersten Teiles zutreffen; denn dort ist gezeigt worden, daß durch einfaches Gesetz Kontrollinstitutionen geschaffen werden dürfen, die ihre Aufgabe auch gegenüber Verfassungsorganen wahrzunehmen haben. Kontrolle gegenüber einem Verfassungsorgan muß aber nicht zwingend zu einer Gleichordnung führen. Ebenso ist die Integrationswirkung nicht zu berücksichtigen, weil auch sie von solchen einfachgesetzlich begründeten Institutionen ausgehen kann. Die Tatsache, daß die Bundesbank Funktionen der Sicherung von Interessen gegenüber Parlament und Regierung wahrnimmt (der deutlichste Ausdruck dafür findet sich in der verbreiteten Rede von dem materialen Grundrechtsschutz durch die Tätigkeit der Zentralbank), ist daher unbeachtlich für die Frage der Verfassungsorganqualität. Allgemein ist festzuhalten: Die Errichtung von Kontrollinstitutionen ist aufgrund einfachen Gesetzes zulässig, auch wenn sie ihre Kontrolltätigkeit gegenüber Verfassungsorganen entfalten. Diese Funktion gegenüber Verfassungsorganen verleiht der kontrollierenden Stelle nicht zwangsläufig selber Verfassungsorgancharakter.
II. Die Einheit in der Kompetenzzuordnung Es stellt sich nun die zweite Frage danach, ob die Ausstattung der Bundesbank mit unabhängiger Entscheidungsgewalt sinnvoll in die Kompetenzordnung des Grundgesetzes zu integrieren ist. Dazu ist zu fragen, wie die Zweckverfolgung der Bundesbank zu den Aufgaben anderer Staatsorgane steht. Darüber hinaus ist erheblich, welche Ingerenzen der Einsatz der Instrumentarien der Bundesbank gegenüber der Kompetenzausübung dieser anderen Staatsorgane bewirkt. Die Schwierigkeit liegt dabei vor allem darin, daß jede Kontrollinstitution bei ihrer Aufgabenwahrnehmung in einer Spannung zu der Aufgabenwahrnehmung des Kontrollierten stehen muß. Dies ist darin besonders deutlich geworden, daß lange Zeit die Gewaltenteilung als Bedrohung der staatlichen Einheit aufgefaßt wurde. Das gleiche Bedenken muß für solche Institutionen gelten, die nicht selbst eine der drei Hauptfunktionen sind, sondern lediglich die Rechtfertigung ihrer der Kontrolle dienenden Unabhängigkeit aus dem Gewaltenteilungsprinzip beziehen. Das geschilderte Bedenken führt aber nicht zu Ablehung der Zulässigkeit solcher Gewaltenentgegensetzungen überhaupt, sondern nur dazu, daß darauf geachtet werden muß, daß eine sinnvolle (d. h. freiheits- und gemeinwohlfördernde) Zuordnung der Institutionen besteht. Der Zweck der Institution bestimmt sich nach ihrer Aufgabe. Die Aufgabenbestimmung ist dem Bundesbankgesetz zu entnehmen. § 3 BBankG setzt die Aufgabe dahingehend fest, daß die Bundesbank, gestützt auf ihre Befugnisse, den Geldumlauf und die Kreditversorgung der Wirtschaft mit dem Ziel, die Währung zu sichern, regelt. Regelmäßig wird diese Aufgabe der Währungssicherung auch
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herangezogen, um die Unabhängigkeit der Zentralbank zu begründen. Zur Erfüllung dieses Zieles sind der Bundesbank verschiedene Instrumentarien an die Hand gegeben, die überwiegend 146 die Eigenart haben, daß sie nicht Gebote oder Verbote beinhalten, sondern Mittel indirekter Steuerung (insb. § 15 BBankG; Diskont-, Kredit- und Offenmarkt-Politik).
1. Zentralbankautonomie als Hemmung des innenpolitischen Handlungsspielraumes der Regierung Die Aufgabe der Bundesbank liegt gemäß § 3 BBankG in der bankmäßigen Abwicklung des Zahlungsverkehrs, der Kreditversorgung der Wirtschaft und der Regelung des Geldumlaufes. Alle diese Tätigkeiten sind nach § 3 BBankG an das Ziel gebunden, die Währung zu sichern. Während die beschriebenen Tätigkeitsfelder den wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Aspekt der Tätigkeit der Bundesbank beschreiben, betrifft die angesprochene Zielverfolgung bei dieser Tätigkeit das hier interessierende Verhältnis zu anderen Staatsorganen. Um einen Widerspruch in der Kompetenzordnung zu vermeiden, muß zunächst gewährleistet sein, daß das verfolgte Ziel nicht den anderen Staatsorganen aufgegebenen Zielen grundsätzlich widerspricht. Daß dies nicht der Fall ist, ergibt sich aus Art. 109 Abs. 2 GG. Diese Norm verpflichtet alle Staatsorgane bei ihrem Handeln auf die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes; zu diesem trägt als eines seiner Teilziele 1 4 7 (nach der allgemein geteilten Interpretation des 146 Die Mindestreserveanordnungen (§16 BBankG) haben Gebotscharakter und sind damit direktes Steuerungsmittel, wenn auch unklar sein mag, ob in der Form des Einzelgebotes oder des normativ allgemeinen Gebotes. 147 Rechtspolitisch ist folgendes zu bemerken: Art. 109 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Stabilitätsgesetz stellt die Preisstabilität gleichberechtigt als Ziel neben die anderen Ziele innerhalb des »magischen Vierecks'. Dennoch hat nur dieses Teilziel in der Bundesbank einen potenten staatlich-institutionellen Fürsprecher mit autonomen Entscheidungsrechten. Nach der Auffassung v. Arnims kann dies damit gerechtfertigt werden, daß die anderen Teilbereiche ohnehin über starke Interessenvertreter verfügen. Das mag man bei der Frage des Wirtschaftswachstums annehmen. Schwieriger wird es bei der Frage, ob die Gewerkschaften auch die institutionellen Fürsprecher der Arbeitslosen sind. Schließlich gibt es für den Ausgleich der außenwirtschaftlichen Beziehungen keinen potenten inländischen Interessenten. Dennoch ist die Beziehung beider Teilziele zum sozialen inneren und zum äußeren (vgl. nur Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf [1795]) Frieden offensichtlich. Die in der Staatsaufgabenbeschreibung des Art. 109 Abs. 2 GG angelegte spannungsgeladene Einheit von unterschiedlichen Teilinteressen ist institutionell nur unzureichend umgesetzt. Man kann dies auch so formulieren, daß der Monetarismus in der Bundesbank einen starken Vertreter hat, der in Art. 109 GG vorausgesetzte Keynesianismus aber nicht, vgl. Heun, S. 125 f. Dies bleibt solange ein rein rechtspolitisches Problem, wie nicht aus der Natur von Staatsaufgaben auf die organisatorische Ausgestaltung bei der Aufgabenwahrnehmung geschlossen wird; genau dies praktiziert aber die überwiegende Literatur im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Unabhängigkeit der Zentralbank. Von diesem Ansatzpunkt her müßte man sich dann auch fragen, ob die Natur der anderen Teilziele nicht ebenfalls einen ähnlich potenten staatlichen Fürsprecher benötigt.
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Art. 109 Abs. 2 GG unter Rückgriff auf das Stabilitätsgesetz148) die Währungsstabilität bei. Auch das BBankG selbst sucht einen Widerspruch in der Kompetenzordnung zu vermeiden, indem es die Bank unter „Wahrung ihrer Aufgabe" verpflichtet, die „allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unterstützen" (§ 12). Darin ist nicht mehr zu erblicken, als eine einfachgesetzliche Ausformulierung des Grundsatzes der Organtreue 149. Dieser Grundsatz ist auch für solche Institutionen anzunehmen, die keine Verfassungsorgane sind, wenn sie mit unabhängigen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet sind 150 . Diese Unterstützungsverpflichtung bietet aber keine hinreichende Gewähr dafür, daß eine sinnvolle Kompetenzzuordnung vorliegt. Es ist daher auf die oben vor dem zweiten Teil dargestellte Merkmalsreihe zurückzugreifen. Die Bundesbank wird bei ihrer Aufgaben Wahrnehmung nicht auf Antrag, wie gerichtliche Kontrollinstitutionen, sondern von Amts wegen tätig. Bei der Erfüllung der ihr gesetzlich obliegenden Pflichten wirkt sie gestaltend und nicht nur kassierend; dem entspricht es, daß die institutionelle Ausgestaltung der Bundesbank für einen bestimmten Kreis von Interessen relativ offen ist, während sie für parteipolitisch bestimmte Einflüsse eher geschlossen ist. Von diesen Merkmalen her könnte also eine Konfliktsituation im Verhältnis zu anderen gestaltenden Staatsorganen durchaus entstehen. Eine erste wesentliche Beschränkung der Tätigkeit der Bundesbank liegt aber in der Vorgegebenheit des Maßstabes ihrer Tätigkeit. Anders als in den weiten Grenzen des Verfassungsrechtes das Parlament und in den engeren Grenzen von Gesetz und Recht die Regierung setzt sie sich nicht selber ihre Ziele, sondern ist an die Zielsetzung aus § 3 BBankG gebunden. Dabei handelt es sich um eine Zielsetzung, die auf einem gegenständlich begrenzten Handlungsgebiet verfolgt wird. Auch darin liegt eine wesentliche Beschränkung der Tätigkeit der Bank, durch die Konflikte ausgeschaltet werden. Auf dem gleichen Gebiet gibt es keine originäre Zuständigkeit anderer Staatsorgane für dieselbe Aufgabe mit denselben Mitteln der Aufgabenerfüllung. Der der Bundesbank vorgegebene Maßstab ist allerdings sehr unpräzise, was wiederum eher Konflikte ermöglicht. Das entscheidende Merkmal der Ab-
148 Vgl. für alle Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 109 Rdnr. 25 ff. 149 Nachdem der Treuegedanke für das Verhältnis der Gliedstaaten im Bundesstaat durch Smend entwickelt wurde (vgl. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 268 ff.), dann auch auf das Verhältnis zwischen Verfassungsorganen angewandt wurde, steht nichts entgegen, ihn auch außerhalb von Verfassungsorganen anzuwenden. Dies geschieht ζ. B. auch bei der Anwendung auf das Verhältnis von Selbstverwaltungsträgern zueinander oder zur Staatsebene. 150 Überall, wo eigenständig wahrzunehmende Kompetenzen auszuüben sind, können bestimmte Beschränkungen der Kompetenzausübung im Verhältnis zu anderen Kompetenzträgern angenommen werden. Dafür kann man das Treueprinzip bemühen; dies ist aber nicht notwendig, da sich die Beschränkung schon aus der Notwendigkeit der Abstimmung der unterschiedlichen Kompetenzen aufeinander aus der Kompetenzeinräumung selbst ergibt. Dadurch vermeidet man die bei Smend deutlichen Gefahren, mit dem Treuebegriff das positive Recht zu überspielen. 14 Waechter
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Stimmung zwischen den Kompetenzen liegt aber in der Art der Entscheidungsfolgen des bundesbanklichen Handelns. Maßgeblich ist die Erkenntnis, daß die Bundesbank Mittel der indirekten Verhaltenssteuerung 151 einsetzt. Dies gilt nicht nur gegenüber den Subjekten des Wirtschaftslebens, sondern auch gegenüber denjenigen Staatsorganen, denen gegenüber die Bank eine Kontrollstellung einnimmt. Die Instrumente der indirekten Verhaltenssteuerung zeichnen sich dadurch aus, daß sie lediglich influenzierend und motivationsbestimmend wirken und sich Wahrscheinlichkeitsprognosen über eigengesetzliche Wirkungsabläufe 1 5 2 zunutze machen. Dadurch werden Eingriffe insbesondere durch Ge- oder Verbote nicht nur gegenüber Privaten vermieden sondern auch gegenüber anderen Staatsorganen als Subjekten der bundesbanklichen Kontrolle. Stets geht es nur um Motivationssteuerung, hier durch die Veränderung wirtschaftlicher Daten 153 . Ein direkter Eingriff in die fremde Kompetenzausübung liegt nicht vor, sondern es werden lediglich Vorgaben für diese Kompetenzausübung gesetzt, so daß die fremde Kompetenz in der Regel nicht ausgehöhlt wird. Das Letztentscheidungsrecht 154 über die Kompetenzausübung sowohl hinsichtlich ,Ob' als auch ,Wie' bleibt bei dem kontrollierten Staatsorgan. Dadurch, daß dieses Letztentscheidungsrecht über die Kompetenzwahrnehmung bei den verfassungsrechtlich für diese Kompetenzausübung vorgesehenen Staatsorganen verbleibt, ergibt sich eine sinnvolle Zuordnung der Kompetenzen. Durch die Beschränkung der Entscheidungsfolgen bei der Bundesbank gelingt es, den kontrollierten Organen eine bestimmte Kompetenzausübung zwecks Vermeidung nachteiliger Folgen nahezulegen, dieses Verhalten aber nicht zu erzwingen. Damit zeigt sich, daß die Kompetenzverteilung hier genau jener entspricht, die sich findet, wenn direkte Steuerungskompetenzen eines Kompetenzträgers mit indirekten Steuerungskompetenzen eines anderen Kompetenzträgers konkurrieren. So trifft die Bundesgesetzgebungskompetenz für das Wirtschaftsrecht (Art. 74 Nr. 11 GG) mit der Landeskompetenz für die Regelung bestimmter Steuern (Art. 105 Abs. 2 a GG) zusammen, für die anerkannt ist, daß sie zulässigerweise wirtschaftslenkende Zwecke verfolgen dürfen 155 . Beide Kompetenzträger dürfen ihre Kompetenzen ausüben und sind lediglich durch die allgemeine, aber beschränkte Treuepflicht innerhalb des Bundesstaates auf eine rücksichtsvolle Ausübung ihrer Kompetenz festgelegt 156.
151 Vgl. dazu schon früh Isay, S. 403 ff. (bes. S. 409-414). Später insbesondere Kirchhof\ Verwalten durch mittelbares Einwirken, 1978. Vgl. im Umweltbereich Kloepfer, S. 159 f. 152 Vgl. dazu Kirchhof Verwalten durch mittelbares Einwirken, S. 23. 153 Vgl. Kirchhof Verwalten durch mittelbares Einwirken, S. 163-165. 154 Deutlich Kloepfer, S. 160. 155 Vgl. für alle Friauf Verfassungsrechtliche Grenzen der Wirtschaftslenkung und Sozialgestaltung durch Steuergesetze, 1966. 156 BVerfGE 14, 99; auch E 13, 196.
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Danach läßt sich also sagen, daß eine sinnvolle Zuordnung von Kompetenzen im Verhältnis der Bundesbank zu anderen Staatsorganen gegeben ist, denn die geschilderten Besonderheiten der indirekten Steuerung wirken nicht nur gegenüber den Subjekten der Kontrolle der Bundesbank, sondern auch gegenüber allen anderen möglicherweise berührten Trägern staatlicher Gewalt. Es ergibt sich hinsichtlich der sinnvollen Zuordnung der Kompetenzen aber noch ein weiteres Bedenken, das sich aus der objektiven Funktion, die die Bundesbank durch ihre Aufgaben Verfolgung erfüllt, ergibt. Mit der Aufgabenerfüllung treten bestimmte zwangsläufig mit ihr verbundene Folgen ein; dies ist gerade bei der indirekten Steuerung erwünscht, weil diese mit der Auslösung eigengesetzlich fortwirkender Kausalketten arbeitet, beispielsweise den ökonomischen Folgen einer Geldverteuerung. Typisch für die indirekte Steuerung ist aber auch ihre Unschärfe, die eine Festlegung der Orte, an denen die Folgewirkungen der ausgelösten Eigengesetzlichkeit ihre Wirkungen entfalten, schwierig macht. Zu fragen ist daher, ob auch diese eventuell ungewollten Folgeeffekte, soweit sie zu überblicken sind, in die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung passen. Es geht also darum, ob die Streubreite indirekter Lenkungsmittel in diesem besonderen Falle zu rechtlichen Schwierigkeiten führt. Die Suche nach solchen ungewollten Nebeneffekten ist im Falle der Bundesbank geleitet von der Beobachtung, daß ausländische Zentralbanken zwar die gleiche Aufgabe der Währungssicherung haben, aber rechtlich nicht weisungsunabhängig sind. Daraus ergibt sich, daß die Aufgabe der Währungssicherung keineswegs der Natur der Sache nach die Unabhängigkeit der mit dieser Aufgabe betrauten Institution fordert. Ein Blick in das europäische Ausland zeigt, daß kein zwingender Zusammenhang zwischen dieser Aufgabe und der in Deutschland gewählten organisatorischen Ausgestaltung besteht. Obwohl auch den Zentralbanken in Großbritannien und Frankreich die Aufgabe der Währungssicherung zugewiesen ist, besteht eine rechtliche Unabhängigkeit der Zentralbank dort nicht, ohne daß dies zur permanenten Schädigung der Währung geführt hätte. Es liegt deswegen nahe, den Motiven, die bei der Einräumung von Unabhängigkeit für die deutsche Zentralbank Pate gestanden haben, näher nachzugehen. Es könnte sich ergeben, daß diese Motive nach der grundgesetzlichen Verfassung der Bundesrepublik zu ungewollten Nebeneffekten geworden sind. Um dies aufzuklären, sind die historischen Umstände bei der Entstehung der unabhängigen Währungsbank zu untersuchen. Dabei wird sich ergeben, daß der ursprüngliche Zweck der unabhängigen Ausgestaltung der deutschen Zentralbank in einer objektiven Funktion liegt, die heute weitgehend aus dem Blickfeld geschwunden ist.
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2. Zentralbankautonomie als Hemmung des außenpolitischen Handlungsspielraumes der Regierung Die Entstehung der Deutschen Bundesbank und ihrer Vorgängerin, der Bank deutscher Länder war wesentlich beeinflußt von der Politik der westlichen Besatzungsmächte nach dem zweiten Weltkrieg, insbesondere von den Einflüssen der amerikanischen Besatzungsbehörden. Die Richtung dieser Einflüsse war durch die Ergebnisse amerikanischer Untersuchungen zu den Gründen der deutschen Kriegspolitik festgelegt worden. Als wesentlich für die deutsche aggressive Politik im zweiten Weltkrieg erschien diesen Analysen unter anderem die Zentralisierung und die Verflechtung von Industrie- und Finanzsystem157. Nachdem die Ideen Morgenthaus 1947 ad acta gelegt worden waren, vollzog sich der Aufbau des westdeutschen Finanzsystems unter dem amerikanischen Einfluss vor allem in der Absicht, Bedingungen herzustellen, die eine erneute Kriegspolitik unmöglich machen sollten 158 . Die amerikanischen Analysen ergaben konkrete Vorgaben für die Neugestaltung des Finanzsystems. Der Problemkomplex Zentralismus sprach mehrere Punkte an. Man ging davon aus, daß die NS-Politik im Finanzsektor nur wegen der starken personellen Abhängigkeiten erfolgreich werden konnte. Diese Abhängigkeiten ergaben sich durch die politischen und banklichen Doppelfunktionen des Leitungspersonals in der Wirtschaft, die zur Ausrichtung der Finanzpolitik auf die Ziele der Staatspolitik führte 159 . Die Folge daraus mußte jedenfalls die Inkompatibilität von Regierungs- und Zentralbankämtern sein; weitergehend die Freistellung der Bereiche von Zentralbankdirektorium und Zentralbankrat von dem Regierungseinfluß: deswegen die Wahl der Amtsträger der Bank deutscher Länder durch die Landeszentralbankpräsidenten, die wiederum von den gesellschaftlichen Interessengruppen gewählt werden sollten (Handel, Industrie, Gewerkschaften, Banken etc.) 160 . Dieses Prinzip wurde nach der Umwandlung der Bank deutscher Länder in die Bundesbank im Bundesbankgesetz abgeschwächt; geblieben ist der föderale Einfluß in der Organisation der Bundesbank (vgl. ζ. B. die Zusammensetzung des Zentralbankrates gemäß § 6 Abs. 2 BBankG) und eine Unabhängigkeit, die sich ζ. B. durch die Abkoppelung der Amtszeiten von Legislaturperioden (nach § 7 Abs. 3 S. 3 BBankG Amtszeiten bis zu 8 Jahren) deutlich von der Politik distanziert. Der zweite wichtige Punkt war die Unabhängigkeit der Bank; man ging davon aus, daß die Gleichschaltung der Zentralbank durch den Nationalsozialis157 Vgl. die Studie von Wandel, S. 50 ff. 158 Dies war einheitliche Politik der Westalliierten; GB favorisierte ein traditionelles Zentralbankensystem, Frankreich einen weitgetriebenen Föderalismus. In der Sowjetzone wurde bald eine abhängige Zentralbankorganisation nach Reichsbankvorbild neu errichtet. Maßgeblich für die Entwicklung in den Westzonen wurde die amerikanische Politik ab 1948 (vgl. Wandel, S. 56 ff.).
159 Vgl. im einzelnen OMGUS, S. 142. 160 Vgl. Wandel, S. 62, 69.
Β. Die Bundesbank
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mus (seinerzeit begründet mit der Wiedererlangung der deutschen Souveränität) eine wichtige Voraussetzung für die Hochrüstungs- und Kriegsfinanzierung gewesen sei 161 . Deswegen wurde von amerikanischer Seite höchster Wert darauf gelegt, daß das Zentralbanksystem ohne wesentliche Einflußrechte der Regierungen der deutschen Länder oder gar eines deutschen Bundesstaates ausgestaltet wurde. Aus diesem Grund wurde die Geschäftspolitik der Zentralbanken der Länder der amerikanischen Zone zunächst von dem durch gesellschaftliche Gruppen dominierten Verwaltungsrat bestimmt 162 . Die Bemühung um den Ausschluß jeder Möglichkeit der Kriegsfinanzierung fand auch in einer entgegengesetzten Tendenz Ausdruck. Die Unabhängigkeit der Zentralbanken wurde dadurch eingeschränkt, daß quantitative Begrenzungen für Kredite an die öffentliche Hand gesetzlich vorgeschrieben wurden 163 . Schließlich wurde der Zentralismus durch einen ausgeprägten Föderalismus ersetzt. Nur zögernd entschloß man sich zur Schaffung einer Bundesbank164. Dieser Föderalismus hat sich im Bundesbankgesetz erhalten, wenn auch geschmälert. Im Zentralbankrat haben die Präsidenten der Landeszentralbanken Sitz und Stimme, § 6 Abs. 2 BBankG. Diese selbst werden auf Vorschlag des Bundesrates durch den Bundespräsidenten für ihr Amt bestellt, § 8 Abs. 4 S. 1 BBankG. Weniger Bestand hatte die Umgestaltung des Finanzwesens in Bezug auf die Aufhebung der Verflechtungen von Banken und Industrie. Hier hatten die Analysen das deutsche Universalbankensystem als Macht zu erkennen vermeint. Die die Kriegswirtschaft sei durch die personelle Verflechtung von Banken und Industrie über Beteiligungen und Aufsichtsrats- sowie Vorstandsmandate von Bankangestellten in der Industrie gefördert worden 165 . Dem entsprach bei der Zentralbank die Geschäftstätigkeit außerhalb des Bankensektors mit Jedermann' mit den damit gegebenen Beeinflussungs- und Steuerungsmöglichkeiten beispielsweise hinsichtlich der Kreditausstattung einzelner Branchen. Deswegen wurde die Erlaubnis zum Geschäftsverkehr mit Nichtbanken für die Bank deutscher Länder im Vergleich mit den Möglichkeiten der Reichsbank eingeschränkt 166 . Derzeit ist der Geschäftskreis der Deutschen Bundesbank in diesem Bereich in den §§ 19 ff. enumerativ umschrieben. Nach wie vor unterliegt die Zentralbank erheblichen Einschränkungen bei Offenmarkt- und Jedermannge161 Vgl. Wandel, S. 54, 61, 67, 69.
162 Vgl. Gesetz Nr. 50 der Bay LReg v. 27.11.1946; Gesetz Nr. 55 der LReg Wü v. 7.12.1946; MilRegVO Hessen v. 7.12.1946 inkrafttretend sämtlich 1.1.1947. Diese gesellschaftlichen Gruppen existieren heute im Bundesbankgesetz nur noch als beratende Beiräte bei den Landeszentralbanken, § 9 BBankG. 163 Dies, obwohl schon bei der unter H. Schacht durchgeführten Aufrüstungsfinanzierung die Reichsbank die Kredite nicht direkt an die öffentliche Hand vergeben hatte, sondern an die Metall-Forschungsanstalt als Strohmann. 164 Vgl. Wandel, S. 48 ff.
165 Anderer Auffassung waren in diesem Punkt die britschen Behörden, vgl. Wandel, S. 63 ff. 166 Vgl. Wandel, S. 70.
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2. Abschn.: Exemplarischer Teil
Schäften, §§ 21, 22 BBankG. Daraus ergibt sich, daß wesentliches Motiv für die Einräumung von Unabhängigkeit der Zentralbank nach dem zweiten Weltkrieg die Erwägung war, eine mögliche erneute Rüstungsfinanzierung zu erschweren. Fraglich muß allerdings sein, wie der Bundesgesetzgeber bei Erlaß des Bundesbankgesetzes zu dieser Funktion einer unabhängigen Zentralbank stand. Die explizite Aufgabenstellung des Bundesbankgesetzes spricht nicht von einer solchen Funktion; dies war allerdings auch seinerzeit bei der Reichsbank nicht der Fall. Deswegen wiederum ein Blick auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Zunächst hatten, bezüglich der Gesetze über die westdeutschen Landeszentralbanken und die Bank deutscher Länder die alliierten Siegermächte ihre Einflußnahme auf die Gesetzgebung extensiv wahrgenommen l67 . Hinsichtlich der fortlaufenden Arbeit des Zentralbankensystems ergab sich eine Unabhängigkeit von alliierten Weisungen erst 1951 168 . Die Begründung des Regierungsentwurfes zum Bundesbankgesetz von 1957 nimmt auf das „vorrechtliche Gesamtbild", die „öffentliche Meinung" und die „historische Erfahrung" Bezug, um die Autonomie der Zentralbank zu rechtfertigen 169. Da die Bundesrepublik sich in der Weimarer Tradition sah, muß mit dem Verweis auf die historischen Erfahrungen die Reichsbank ab 1922 gemeint sein 170 . Mit dieser Traditionslinie ist ein doppelter Hinweis gegeben: auch die Gesetzesbegründung von 1924 enthielt für die Festschreibung der Autonomie der Reichsbank keinerlei nähere Darlegungen über das Gesetz von 1922 hinaus, obwohl es die Autonomie erstmals in vollem Umfang institutionalisierte 171 . Der Grund dafür liegt darin, daß auch in der damaligen Situation die Forderungen der Siegermächte des ersten Weltkrieges das entscheidende Gesetzgebungsmotiv waren. Die Undeutlichkeit der Gesetzesbegründungen ist darauf zurückzuführen, daß verschleiert werden sollte, daß die soziale Macht, die das Gesetz durchsetzte, nicht die des Parlaments oder der hinter ihm stehenden politischen Gruppen noch der Regierung war. Vielmehr handelte es sich um eine gegenüber dem Parlament als Vertreter des Volkes fremde Souveränität, die in Gestalt der Siegermächte des Ersten Weltkrieges ausschlaggebend war. Damit ist ein Hinweis darauf gegeben, daß in der Entstehungsgeschichte der Zentralbank die Autonomie sich in soziologischer Perspektive nicht aus der souveränen Entscheidungsmacht des deutschen Volkes ergeben hat, wenn sie auch verfassungsrechtlich durch die Gesetzesform aus dieser abgeleitet ist. Das Motiv für die Unterstellung der Reichsbank unter ein internationales Sachverständigengremium in den Jahren 1924-1933 verkoppelt die Beschränkung der Souveränität nach 167 Vgl. Wandel, S. 60 ff.
168 Wandel, S. 81. Wandel sucht die Priorität der friedenspolitischen Zielsetzung gegenüber der ökonomischen daran zu belegen, daß er zeigt, daß die zunächst durchgeführte Föderalisierung in Deutschland im Gegensatz zu den USA ökonomisch unsinnig war. 169 BT Drucks. 2. WP S. 11925. 170 Samm hat in seiner Schrift (S. 163 ff.) dargelegt, daß es ein einheitliches vorrechtliches Gesamtbild einer Zentralbank nicht gibt. 171 Vgl. Lampe, S. 11.
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außen mit der der Souveränität nach innen. Deutschland war verpflichtet, Reparationsgelder aufzubringen. Um die Fähigkeit zu schaffen, diesen Verpflichtungen nachzukommen, hielten die Siegermächte eine Begrenzung der Souveränität des Parlaments zugunsten der Zentralbank für notwendig, damit eine inflationistische Währungspolitik nicht die Reparationszahlungen unmöglich machen könne 172 . Zur Erreichung dieses Zweckes war es erforderlich, die Reichsbank dem Einfluß von Parlament und Regierung zu entziehen und mit Autonomie auszustatten. Die Entstehungsgeschichte gibt also keine klare Auskunft über eine denkbare Rezeption der Funktion einer unabhängigen Zentralbank im Zusammenhang mit der Finanzierung von Verteidigungsanstrengungen. Im Ergebnis allerdings ist eine solche Auskunft auch entbehrlich, weil die aufgezeigte Funktion (Rüstungsbegrenzung) mit der gesetzlichen Aufgabe der Erhaltung der Währungsstabilität in gewissem Umfang zwangsläufig verknüpft ist. Aus der Automatik zwischen Wahrung des Geldwertes und Begrenzung einer Rüstungsfinanzierung ergibt sich, daß die Ausgestaltung und Aufgabenstellung der Deutschen Bundesbank nach wie vor mit der objektiven Funktion verbunden ist, die außenpolitische Handlungsfreiheit der zuständigen Verfassungsorgane einzuschränken. Deren in der Verfassung vorgesehene Handlungsmöglichkeiten — Feststellung des Verteidigungsfalles und Durchführung der Verteidigung — können durch die Kompetenzwahrnehmung der Bundesbank konterkariert werden. Alle historische Erfahrung zeigt, daß die Aufgabe der Kriegsführung — auch zu Verteidigungszwecken — nur auf Kosten einer stabilen Währung erfüllt werden kann (deswegen wurde zu Zeiten der Goldbindung der Währung diese Bindung regelmäßig für begrenzte Zeit außer Kraft gesetzt und deswegen müßte auch heute vom Grundsatz einer durch volkswirtschaftliche Einkommenserwartungen gedeckten Währung abgegangen werden). Die Tätigkeit der Bundesbank muß also nach ihrer Aufgabenstellung und der ihr eingeräumten Unabhängigkeit zu einer Kriegsgeldwirtschaft in Konflikt geraten. Es zeigt sich ein Widerspruch zwischen gesetzlicher Aufgabenbeschreibung und Kompetenzen der Bundesbank und den Kompetenzen und Aufgaben anderer Verfassungsorgane, die nach Art. 115 äff. GG verfassungsrechtlich zur Entscheidung über die Feststellung des Verteidigungsfalles und zur Durchführung der Verteidigung berufen sind. Die beschriebene Funktion der Unabhängigkeit der Zentralbank wirkt allerdings nicht nur im Falle einer militärischen Auseinandersetzung. Überall dort, wo schnell hohe Beträge aufgebracht werden müssen und Steuern nicht opportun oder nicht möglich erscheinen, kann es zum Konflikt von Parlament oder Regierung mit der Zentralbank kommen 1 7 3 . In diesen Fällen ist aber die Aufgabenerfül172
Da die Reparationsverpflichtungen auf Goldmark lauteten, konnten sie nicht inflationistisch getilgt werden, sondern nur unmöglich gemacht werden. 173 Vgl. ζ. B. Interview mit BBank-Präsident Pohl, in: Der Spiegel v. 26.2.1990 zur Finanzierungsproblematik der deutschen Einheit.
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lung nicht zwingend durch eine geringere Geldschöpfung gefährdet. Aus der gesetzlichen Ausgestaltung kann für diese Fälle entnommen werden, daß die Aufgaben nur so ausgeführt werden sollen, daß es bei einer gedeckten Geldschöpfung bleibt (so beispielsweise für die Aufgabe der Wiedervereinigung Deutschlands, die von ihrem finanziellen Aufwand am ehesten noch der Ausnahmesituation des Verteidigungsfalles nahekommt). Weder das Verfassungsgesetz (es läge hier der Sache nach eine Regelungsmaterie der Notstandsverfassung vor) noch das Bundesbankgesetz tragen der Möglichkeit eines in den Staatsaufgaben der Verteidigung (Art. 115 äff. GG) und der Währungssicherung (Art. 109 Abs. 2 GG) angelegten Konfliktes explizit Rechnung, obwohl die Aufgabenerfüllung durch die Bank im Regelfall einer solchen Konstellation diesen Konflikt hervorbringen wird 1 7 4 . Insbesondere wird die Bundesbank ausdrücklich lediglich zur Unterstützung der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung verpflichtet (§12 BBankG). Betrachtet man diesen Tatbestand auf die Frage hin, ob eine sinnvolle Zuordnung der Kompetenzen vorliegt und ob die Bundesbank in diesem Zusammenhang eine Kontrollfunktion einnimmt, so fällt die Antwort auf die zweite Frage leicht. Gerade die Entstehungsgeschichte der Unabhängigkeit der deutschen Zentralbank zeigt, daß die autonome Zentralbank als ergänzende und kontrollierende Institution gegenüber insbesondere der Regierung verstanden worden ist. Die Unabhängigkeit der Währungssicherung sollte alle Versuche konterkarieren, durch nicht gedeckte Geldschöpfung einen Krieg zu finanzieren. Auch in dieser Hinsicht also müßte die Bundesbank als Kontrollinstitution betrachtet werden. Wie gezeigt, ist diese Kontrollfunktion allerdings nur mit dem Verfassungsrecht vereinbar, soweit sie die Führung eines Angriffskrieges erschwert bzw. unmöglich macht (Art. 26 Abs. 1 GG). Soweit die Aufgabenerfüllung durch die Bundesbank sich auch auf Verteidigungsanstrengungen nachteilig auswirkt, bedarf es einer Lösung der darin liegenden Unstimmigkeit. Dafür bieten sich zwei Wege an. Der erste liegt darin, daß das Bundesbankgesetz im Verteidigungsfall dergestalt geändert wird, daß die Weisungsfreiheit der Bundesbank aufgehoben oder die Aufgabenbestimmung geändert wird. Dies ist unabhängig davon möglich, ob die Autonomie und Aufgabe der Bundesbank durch Art. 88 GG auch verfassungsrechtlich gewährleistet sind. Denn Art. 115 c Abs. 3 GG erlaubt im Verteidigungsfall die erleichterte Änderung des VIII. Abschnittes des Grundgesetzes, der die Bundesverwaltung regelt und zu dem die Vorschrift über die Bundesbank gehört.
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Schon Montesquieu betont die Verbindung von Autonomie des Finanzsektors und aggressiver / defensiver Außenpolitik (Esprit des lois, Buch VI Kap. 17). Die allmähliche Minderung der amerikanischen Ansprüche an die Autonomie und die Dezentralisierung des Finanzwesens in der Aufbauphase nach dem 2. Weltkrieg ging denn auch mit der Entwicklung des Ost / West Konfliktes parallel (vgl. Wandel, S. 66).
C. Der Bundesrechnungshof
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Der zweite Weg der Lösung des aufgeworfenen Problems ist noch einfacher. Er geht von der oben dargestellten Erkenntnis aus, daß auch die Aufgabenwahrnehmung der Bundesbank an diejenigen Grenzen jeglicher Kompetenzwahrnehmung unabhängiger staatlicher Stellen gebunden ist, die sich nach der herrschenden Meinung aus dem Treueprinzip ergeben und die es verbieten, daß eine Kompetenzwahrnehmung durch eine staatliche Stelle die Aufgabenwahrnehmung durch einen anderen Hoheitsträger untergräbt. Bei systematischer Auslegung der Verfassung muß sich daraus ergeben, daß im Verteidigungsfall die Bundesbank nicht das Recht hat, durch die Erfüllung der ihr im BBankG zugewiesenen Aufgabe Verteidigungsanstrengungen zu erschweren. Vielmehr muß sie in diesem Fall auch eine ungedeckte Geldschöpfung ermöglichen. Damit ergibt sich, daß bei geeigneter Auslegung ein Konflikt zwischen der Kompetenzwahrnehmung der Bundesbank und der anderer Staatsorgane sowohl hinsichtlich ihrer originären Aufgabe der Sicherung der Währungsstabilität wie hinsichtlich der damit verbundenen Folgefunktionen vermieden werden kann. Im Ergebnis ist hinsichtlich der Bundesbank festzustellen, daß ihre Unabhängigkeit sich als die einer Kontrollinstitution aus dem Gewaltenteilungsprozeß rechtfertigen läßt und daß die ihr eingeräumten Kompetenzen in sinnvollem Zusammenhang mit der Kompetenzausstattung anderer Staatsorgane stehen.
C. Der Bundesrechnungshof In ähnlicher Weise wie die Stellung der Bundesbank sind auch die Position des Bundesrechnungshofes im Gefüge des Grundgesetzes und die dafür maßgeblichen rechtlichen Grundlagen umstritten. Die Unabhängigkeit des Rechnungshofes des Bundes ist im Gegensatz zu der Autonomie der Bundesbank explizit in der Verfassung garantiert (Art. 114 Abs. 2 GG), so daß die verfassungsrechtliche Rechtfertigung keine Schwierigkeiten bereitet. Dennoch drängen auch hier die Probleme der Gewaltenteilung und der Demokratie erhebliche Teile der Literatur zu der Behauptung, daß die Tätigkeit des Rechnungshofes umfassend neutral sei. Die Vertreter der These von der neutralen Sachverständigenrolle der Rechnungshöfe müssen keine Schwierigkeiten mit dem Demokratieprinzip befürchten: Wenn ein Rechnungshof lediglich sachlich vollständig programmierte Entscheidungen trifft, oder wenn der Kontrollmaßstab auf bloß evidente Verstöße zurückgeschnitten wird, kann man nach bewährtem Muster den Rechnungshof als ,Gewalt' ignorieren 175 .
175 So leuchtet es nicht ein, wenn Sigg einerseits einen stark reduzierten Kontrollmaßstab befürwortet, andererseits aber die Stellung des Rechnungshofes in der Gewaltenteilung sich zum Problem macht (Sigg, S. 21 ff., 39, 54 f.); dies Problem ist mit der ersten Entscheidung entschärft.
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2. Abschn.: Exemplarischer Teil
Die Problemlage hinsichtlich des Demokratieprinzips des Art. 20 Abs. 2 GG ist bezüglich des Neutralitätsargumentes gebunden einerseits an die Meinung zum Kontrollmaßstab des Rechnungshofes und zum erlaubten Umfang der (Beratungs-)Tätigkeit des Rechnungshofes. Hier entscheidet sich, ob überhaupt Bedarf für Verantwortlichkeit und gegebenenfalls Einordnung in die Gewaltenteilung besteht. Eine Argumentation für die Unabhängigkeit des Rechnungshofes aus den Grundrechten liegt nicht vor. Dies hatte lange Zeit wie bei der Bundesbank spezielle Ursachen im Grundrechts Verständnis. Da der Rechnungshof lediglich als Resultat einer objektivrechtlichen Dimension des Eigentumsschutzes gedacht werden könnte, würde eine entsprechende Argumentation voraussetzen, daß die an den Bürger gerichtete Abforderung von Geld für die Erfüllung der staatlichen Aufgaben den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts berührt. Eine lange vorherrschende Meinung 176 aber sah in der Auferlegung von Geldleistungspflichten keinen Grundrechtseingriff. Dann konnte auch keine objektiv-rechtliche Wirkungsdimension konstruiert werden, die zwecks Optimierung des Grundrechtsschutzes die Institution Rechnungshof hätte rechtfertigen können. Derzeit wird zwar die entsprechende Auslegung nicht mehr vertreten 177 , zu einer grundrechtsgestützten Argumentation für die Unabhängigkeit des Rechnungshofes ist es dennoch bislang nicht gekommen. Vielfach wird beim Rechnungshof auch das Problem seiner Einordnung in die Gewaltenteilung angesprochen; meist wird dies mit Argumenten zur Neutralität der Institution verbunden. Ihre Einordnung in das Gefüge der Staatsorgane scheint beim Rechnungshof große Schwierigkeiten zu bieten. Eine Zuordnung zu einer der drei Staatsfunktionen erscheint schwierig, da die Rechnungshöfe ihre Kontrolltätigkeit nicht nur gegenüber einer bestimmten Staatsfunktion ausüben; insbesondere fällt auch die Mittelverwendung der Legislative in den Kontrollbereich des Hofes. Die jüngste gesetzliche Neuregelung über den Bundesrechnungshof hat entgegen ihrem Anspruch keine Klarheit über die Stellung in der Funktionenordnung gebracht; gleichwohl muß die Untersuchung über die Stellung der Institution an diese Normen anknüpfen, da die älteren Argumente teilweise hinfällig geworden sind. Die Diskussion über diese Stellung hat sich neuerdings wieder belebt 178 . Dies ist verschiedenen Ursachen zuzurechnen. Zunächst resultiert die Belebung aus einer Funktionsverschiebung der Tätigkeit des Rechnungshofes, die es schwierig werden läßt, ihn im alten Sinne als justizförmig handelnde, unpolitische Stelle zu betrachten. Damit einher geht eine veränderte Sicht von 176 Vgl. die Nachweise bei Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rdnr. 156 ff. 177 Vgl. die Nachweise bei Bryde, in: v. Münch / Kunig, Art. 14 Rdnr. 23 (sowie 66, Stich wort: Steuer). ι 7 8 Vgl. Finanzkontrolle im Wandel, hrsg. v. v. Arnim, 1989. Der Funktionswandel dokumentiert sich in der Flut neuerer Schriften der letzten Jahre, die im folgenden erwähnt werden.
C. Der Bundesrechnungshof
219
Teilen der Literatur auf die Stellung der Rechnungshöfe 179 im Zusammenhang der Verfassungsorgane. Zu beobachten ist, daß die Entwicklung im Gesetzgebungsbereich und in der Praxis nicht übereinstimmen; die Tendenz der Veränderungen wird in beiden Bereichen unterschiedlich beschrieben. Das Interesse an den Rechnungshöfen speist sich darüber hinaus auch aus dem Unbehagen am Parteienstaat, gegenüber dem der Rechnungshof als Hüter des Gemeinwohls aufgefaßt wird (so insb. v. Arnim). Schließlich partizipieren die Rechnungshöfe an dem allgemeinen Interesse an relativ autonomen staatlichen ,Subsystemen', das durch die Systemtheorie Luhmanns geweckt worden ist 1 8 0 .
I. Die verfassungssystematische Rechtfertigung für die Unabhängigkeit des Rechnungshofes Wenn auch die Unabhängigkeit des Rechnungshofes des Bundes aufgrund der expliziten Anordnung des Art. 114 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich unproblematisch ist, besteht doch das Bedürfnis für eine systematische Argumentation, die sich nicht im bloßen Verweis auf die positive Verfassungsvorschrift erschöpft, sondern ein übergreifendes Rechtsprinzip sucht, das in der Einzelvorschrift zum Ausdruck gelangt. Für den Problemzusammenhang des Bundesrechnungshofes hat v. Arnim in einem solchen Versuch die prinzipielle Vereinbarkeit der Stellung des Rechnungshofes mit dem Demokratieprinzip darzutun gesucht. Von Arnim geht davon aus, daß ein Problem hinsichtlich des Demokratieprinzips dadurch entsteht, daß die ,neuen Gewalten', zu denen er die Rechnungshöfe zählt, unabhängig von den alten sein müssen, um ihre Kompensationsfunktion gegenüber deren Fehlleistungen erfüllen zu können, v. Arnim sieht die traditionellen Gewalten Parlament und Regierung infolge der Beeinflussung durch Verbände und Parteien nicht in der Lage, solche Staatsziele zu verfolgen, die nicht verbandlich organisierbar sind. Um sie diesem Einfluß zu entziehen, sei die Unabhängigkeit der ergänzenden Gewalten erforderlich. Aus der damit verbundenen Freistellung von parlamentarischer Kontrolle und Verantwortlichkeit ergebe sich das Demokratieproblem. Der staatliche Prozeß wandele sich zu einem Mit- und 179 Die Arbeit beschränkt sich hier auf den Bundesrechnungshof. Markante Unterschiede zu den Rechnunghöfen der Länder bestehen nicht. 180 Der (Rechts-)Soziologe Luhmann stellt die Gesellschaft als System dar, das aus Subsystemen besteht. Für die Funktionsfähigkeit ist es u. a. wichtig, daß alle Subsysteme relativ abgeschlossen sind. Dies wird dadurch bewirkt, daß sie nur auf bestimmte Reize, ihren „Code" reagieren. So kann Luhmann beispielsweise die Implementationsschwäche eines nicht marktgerechten Umweltrechtes erklären (vgl. aus den zahlreichen Schriften Luhmanns nur: Ökologische Kommunikation). In der Rechtswissenschaft ist diese Theorie insbesondere von Ladeur, Teubner und Rottleuthner aufgenommen worden. Von der Selbständigkeit der Subsysteme ist das Interesse dann leicht auf die Weisungsunabhängigkeit der ministerialfreien Räume gelenkt; von daher stammt beispielsweise der Ansatz von Pirker zu den Rechnungshöfen.
220
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
Gegeneinander einer Vielzahl von Institutionen, zum polykratischen Staatsprozeß 181 . Auch von Arnim unterscheidet wie Böckenförde zwischen der institutionellen und der funktionellen Legitimation einerseits, der durch die verfassungskräftige institutionelle Garantie Genüge getan ist, und der personalen Legitimation insbesondere durch Organwalterwahlen andererseits. Während diese beiden Erfordernisse bei dem Bundesrechnungshof und vielen der neuartigen Gewalten erfüllt seien 182 , fehle der Zwang zur Verantwortung der Sachpolitik vor dem Parlament 183 . Dieses Element sachlich-inhaltlicher Legitimation soll nach der Konzeption v. Arnims durch die Sachrationalität der Entscheidungen der neuen Gewalten ersetzt werden. Die Sachlichkeit der unabhängigen Institution soll wiederum das Demokratieproblem entschärfen. Die neuen Gewalten haben es dabei mit Problemen wie der Abwägung im Verfassungsrecht durch das Bundesverfassungsgericht, der Wirtschaftlichkeit beim Bundesrechnungshof oder der Optimierung innerhalb des magischen Vierecks bei der Bundesbank zu tun. Deswegen bemüht sich v. Arnim, um die Sachrationalität solcher Entscheidungen begründen zu können, eine Methodik rationaler Entscheidungen, die sich insbesondere auf Optimierungsprobleme bezieht, herauszuarbeiten 184. Ausgestattet mit institutioneller und funktioneller, zum Teil auch personaler Legitimität, entscheiden die fraglichen Institutionen nach v. Arnim im Sinne sachlicher Richtigkeit nicht „durch das Volk", sondern „für das V o l k " 1 8 5 , v. Arnim formuliert weiter, das Entschiedene müsse „als vom Volk gewollt vorgestellt werden können" 186 . Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß die unabhängigen Institutionen Fehlfunktionen, die durch die Indirektheit des demokratischen Prozesses entstehen, ausgleichen sollen. Das Volk wird also in der genannten Formulierung als noch nicht von Parteien und Verbänden formiert vorgestellt. Da es in seiner ohne diese Formierung diffusen Form seinen Willen nicht vereinheitlichen kann, legt v. Arnim diese Willensäußerungen in die Hand von Institutionen. Diese werden damit zum Ersatz direktdemokratischer Verfahren, für die v. Arnim allerdings in diesem Zusammenhang nicht eintritt 187 . Damit gerät v. Arnim in die Nähe eines patriarchalischen Entscheidens für das Volk; der angesprochene ist Vgl. v. Arnim, Finanzkontrolle im Wandel, S. 39 ff. 182 Vgl. v. Arnim, in: Die Kontrolle der Staatsfinanzen, S. 275 f.; ders., Finanzkontrolle im Wandel, S. 42 f. 183 v. Arnim, Kontrolle der Staatsfinanzen, S. 276. 184 Dies geschieht in: v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik, S. 211 ff. Diese Bemühung kommt m. E. über die Forderung nach Einbeziehung von Hilfswissenschaften nicht weit hinaus. Eine Vergleichbarkeit der Optimierungsmethodik mit den bestimmten gesetzlichen Vorgaben des Gesetzes für die Rechtsprechung wird nicht erreicht. 185 v. Arnim, Kontrolle der Staatsfinanzen, S. 276; ders., Finanzkontrolle im Wandel, S. 44. 18 6 v. Arnim, Finanzkontrolle im Wandel, S. 44. 187 Allerdings führt v. Arnim, Staatslehre, S. 512 ff. (516) die funktionale Äquivalenz institutioneller Gegengewichte und direktdemokratischer Teilhabe gegen den Mißbrauch ihrer Machtstellung durch Parteien an.
C. Der Bundesrechnungshof
221
unverfälschte 4 Volkswille kann aber nur unterstellt, nicht ermittelt werden; entscheidend für seine Festlegung ist letzten Endes bei v. Arnim eine homogene Vorstellung des Volkes und ein inhaltlicher Begriff des Gemeinwohles, dessen Plausibilität mit Hinweisen auf die soziale Entwicklung der Interessenrepräsentation abgestützt wird 1 8 8 . Von Arnim entschärft das durch die Abweichung vom Demokratieprinzip gegebene Einheitsproblem durch die Behauptung der Sachrationalität der getroffenen Entscheidungen. Wo nur auf vorgegebene objektive Gesetzlichkeiten reagiert wird, kann die Einheitsfrage nicht sinnvoll gestellt werden. Darüber hinaus behauptet v. Arnim mit seiner Argumentation eine auf das Demokratieprinzip bezogene Einheit, indem er die Tätigkeit der Rechnungshöfe als Ersatz für direktdemokratische Entscheidungen ansieht. Da er die Aufgabe der Rechnungshöfe wesentlich als Kontrolle begreift, liegt seinem Gedanken eine Auffassung von Kontrolle zugrunde, wie sie von Meyn geschildert und zum Demokratieprinzip in Bezug gesetzt worden ist. Danach ist Kontrolle funktioneller Ersatz für Selbstbestimmung; da das Grundgesetz Demokratie als indirekte ausgestaltet, ergeben sich Defizienzen bei der Selbstbestimmung, insoweit an deren Stelle die Herrschaft der Repräsentanten tritt 1 8 9 . Da diese bestimmte Interessenbereiche der Repräsentierten nicht angemessen vertritt, schafft der Gesetzgeber Institutionen, die die Aufgaben aus diesen Bereichen stellvertretend wahrnehmen. Damit scheint Meyn eine Vereinheitlichung der Kontrollinstitutionen auf einer abstrakten Ebene plausibel gemacht zu haben: alles ist auf Selbstbestimmung zurückzuführen. Diese Ansicht weist aber wie bereits dargestellt mehrere grundlegende Mängel auf: Vor allem setzt die Vorstellung der Selbstbestimmung in der Art Meyn's wiederum die Homogenität des Subjektes der Selbstbestimmung (des Volkes) voraus; diese ist aber nicht gegeben. Vielmehr geht es auch hier darum, daß einzelne Interessen anderen im Sinne der Kontrolle zugeordnet werden. Auch wenn man die Grundlage der Kontrolle im Gedanken der Selbstbestimmung akzeptiert, ist damit nicht die Zuordnung der Staatsaufgabe Kontrolle zum Demokratieprinzip und nicht zum Gewaltenteilungsprinzip begründet. Auch die Gewaltenteilung selbst soll ja »Selbstbestimmung' des Volkes sichern: Es ist heute deutlich, „ . . . daß sich die Ziele der kollektiven Autonomie besser durch indirekte Mittel verwirklichen lassen als über den revolutionären Weg der Nähe zu sich selbst. Letzten Endes skizziert Montesquieu den praktikablen Weg zum von Rousseau angegebnen Ziel". 1 9 0 Meyn verwechselt hier die funktionale Ebene 188 Es sei hier auf die zu beobachtende ungewöhnlich starke Abhängigkeit zum Beispiel der Arbeit der Beauftragten von den jeweiligen Organwaltern hingewiesen. Vgl. zur gleichen Beobachtung für den BdF Franz Klein, DVB1 1962, 574. Schmitt sprach in Bezug auf die Verfassungsgerichtsbarkeit im ,Hüter der Verfassung' schon 1931 von einer „Aristokratie der Robe", die demokratisch kaum begründbar sei (S. 156). 189 Meyn, S. 183 ff.; Kontrolle als Surrogat von Selbstbestimmung.
190 Gauchet, S. 67.
222
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
und die Zuordnung zu den Prinzipien der Institutionenordnung. Wirksame Demokratie fordert eine unabhängige Rechtsprechung; dennoch ist deren Unabhängigkeit dem Gewaltenteilungs- und nicht dem Demokratieprinzip zuzuordnen 191. Auch Hettlage hat im Zusammenhang der Finanz- und Haushaltsverfassung zu den Problemen von Demokratie und Gewaltenteilung Stellung genommen. Hinsichtlich der Gewaltenteilung vertritt Hettlage den oft eingenommenen Standpunkt, das Grundgesetz kenne eine Reihe von Durchbrechungen dieses Grundsatzes, die seine grundsätzliche Geltung nicht in Frage stellten; von einer zusätzlichen Gewalt sei deswegen nicht zu sprechen 192. Eine eigenständige Stellungnahme hat Hettlage zum Demokratieproblem vorgelegt. Er geht von der Verschiebung der Frontenstellung der Gewalten im parlamentarischen Regierungssystem aus und stellt fest, daß die Volksvertretung vom ausgabenbremsenden zum ausgabentreibenden Faktor geworden ist. Dies sei durch die Konkurrenz der Parteien um die Wählergunst bedingt. Es handele sich dabei um einen Grundfehler der Demokratie, die stets zur Selbstauflösung tendiere, in diesem Fall aufgrund der Tendenz zu zunehmender Überschuldung. Das Grundgesetz suche dieser Tendenz durch den Einbau „autoritärer Gegenkräfte" — insbesondere Bundesminister der Finanzen, Bundesbank und Bundesrechnungshof — zu steuern. Diese hätten ihre Gemeinsamkeit in der Unabhängigkeit von der Regierung und damit in der Ferne von den subjektiven Interessen der Parteien und Verbände; sie seien objektive Hüter der Finanzen und der Währung 1 9 3 . Hettlages Ausführungen lassen deutlich den antiparteilichen Affekt eines Teiles der Weimarer Staatsrechtslehre erkennen. Den Parteien werden die subjektiven Partialinteressen zugewiesen, den autoritären Gegenkräften 194 die objektive Hüterstellung. Diese Ansicht ist nicht zu halten, wenn die oben angestellten Überlegungen zutreffen. Unter den Bedingungen des modernen Staates repräsentieren auch Bundesbank und Bundesrechnungshof keine Gesamtinteressen, sondern Teilinteressen, die denen von bestimmten Verbänden des Kreditgewerbes und der Steuerzahler nahestehen. Die Objektivität der Hüterstellung, wie sie auch bei v. Arnim anklingt, ist in der Sache nicht nachweisbar und basiert wiederum auf einer vorgängigen normativ aufgefaßten Gemeinwohlvorstellung. Systematisch stellt Hettlage mit seiner Ansicht die Vorschriften über die Unabhängigkeit 191 S. o. Systematischer Teil Β. II. 2. b) cc). 192 Hettlage, VVdStRL 14 (1956) S. 10 ff. (14). 193 Hettlage, Finanzpolitik und Finanzrecht, DÖV 1955, 1 (3 f.). 194 Der Gedanke einer autoritären Stellung von unabhängigen Institutionen im Haushaltsbereich taucht auch in der Literatur zum BdF auf; vgl. v. Lilien-Waldau: „autoritäre Ausnahmenormen" (ders.: Der Bundesminister der Finanzen als Haushaltsminister, 1972); auch Därr koppelt das „autoritäre Notbewilligungsrecht" an das Vorliegen einer Ausnahmesituation (nämlich des Art. 112 GG), S. 146; Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 184 „Oberminister". Früher schon Glum, S. 46: „beinahe diktatorische Gewalt"; Schulze ! Wagner, § 21 Ziff. 8: „diktatorische Befugnisse des RdF".
C. Der Bundesrechnungshof
223
bestimmter Staatsorgane mit den Normen der wehrhaften Demokratie gleich 195 . Auch diese können in gewissem Sinne als autoritär bezeichnet werden, insoweit sie der Volkssouveränität durch Art. 79 Abs. 3 GG und im Vorfeld der Konstituierung dieser Souveränität in Art. 18 und 21 GG Grenzen setzen, die nicht zur demokratischen Disposition stehen. Der Vergleich dieser Vorschriften mit denen der Haushalts Verfassung zeigt aber einen wesentlichen Unterschied: die Normen der wehrhaften Demokratie sind weitgehend bestimmt und ermächtigen in keinem Falle zur Ausübung einer Art Diktaturgewalt durch unabhängige Amtsausübung 1 9 6 . Auch dies weist daraufhin, daß Hettlages Konzeption autoritärer, objektive Interessen vertretender Gegenkräfte nicht haltbar ist. Die Einheitsvorstellung Hettlages differiert gegenüber der v. Arnims erheblich. Wenn die Normen der wehrhaften Demokratie als Vergleich herangezogen werden, so geht es nicht wie bei v. Arnim um Ersatz von Selbstbestimmung, sondern um deren Begrenzung. Dieser liegt ein fundamentales Mißtrauen gegenüber der Selbstbestimmungsfähigkeit des Volkes zugrunde. Die Einheit kann dann nur von höherer Warte aus — autoritär — gewährleistet werden. Damit gerät Hettlage in die unauflösbaren Schwierigkeiten einer herzustellenden Vereinheitlichung, an denen schon C. Schmitt gescheitert ist. Gleichzeitig zeigt sich an den unterschiedlichen untersuchten Institutionen, daß es nicht möglich ist, den Begriff der Kontrolle, wie Meyn es tut, auf den Charakter als Surrogat von Selbstbestimmung zu beschränken 197. Zwar gibt es in der Tat Kontrollen aus dem gesellschaftlichen Bereich und auch Kontrollinstitutionen, die damit erklärt werden können, daß sie Defizite der indirekten Demokratie kompensieren. Für diese lassen sich dann regelmäßig auch zugrundeliegende soziale — durchsetzungsschwache — Interessen auffinden. Ebenso aber gibt es Kontrolle, der das Mißtrauen gegen die Selbstbestimmung zugrunde liegt. So liegt es beim Kontrollaspekt der Tätigkeit des Bundesfinanzministers; typischerweise sind direktdemokratische Formen der Partizipation im Haushaltsbereich stets erschwert 198 , weil durch eine entsprechende Volksgesetzgebung die Einheit des Haushaltes (Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG) gefährdet wäre. Deswegen ist auch die im Demokratieprinzip gefundene Einheit durch Rückführung auf den Gesamtwillen des Volkes für die Kontrollinstitutionen nur zum Teil zu halten. Da auch bei den Rechnungshöfen die Rechtfertigung im Verhältnis zum Demokratieprinzip aus der politischen Neutralität 199 der Arbeit abgeleitet wird, so ist 195 Ähnlich wie Hettlage Forsthoff, S. 211 zur Bundesbank: Die Bundesbank schützt die Bundesrepublik vor sich selbst. Vgl. auch Fichtmüller, AöR 91 (1966) S. 298 (348). 196 Eine solche Ermächtigung liegt zwar im Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG; hier wird aber das Individuum in seiner Abwehrstellung ermächtigt. Deswegen ist auch hier ein Vergleich unmöglich.
197 Meyn, z. B. S. 183 ff.
198 Vgl. Art. 73 Abs. 4 WRV. 199 Neben v. Arnim vgl. ζ. B. Stern, Staatsrecht Bd. II, 2. Aufl. 1989, S. 448: „neutrales Gegengewicht"; ders. in: Kontrolle der Staatsfinanzen, S. 41: „neutrales Gegengewicht
224
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
für die Beurteilung dieser Behauptung vor allem auf die neuen Aufgaben der Höfe und ihre Beurteilungskriterien zu verweisen, die die aufgestellte These nicht haltbar erscheinen lassen.
1. Zur allgemeinen Neutralität der Rechnungshöfe Auch für die Rechnungshöfe wird die Ansicht vertreten, daß sich die Unbedenklichkeit ihrer Unabhängigkeit in Hinsicht auf das Demokratieprinzip aus der allgemeinen und nicht nur relativen Neutralität ihrer Tätigkeit ergebe; das von ihnen verfolgte Anliegen sei unmittelbar mit dem Gemeinwohl zu idenfizieren. Im folgenden wird versucht nachzuweisen, daß die tatsächlichen Voraussetzungen für eine solche umfassende Neutralität der Rechnungshöfe nicht vorliegen.
a) Die Aufgaben des Bundesrechnungshofes
Die Frage danach, ob die Tätigkeit der Rechnungshöfe in Verfolgung eines Partikularinteresses erfolgt oder umstandslos mit einem Teilbereich des Gemeinwohles identifiziert werden darf, kann nur unter Berücksichtigung der von den Rechnungshöfen erfüllten Funktion beantwortet werden. Deswegen ist besonders auf den jüngsten Funktionswandel der Rechnungshöfe einzugehen. Dieser Funktionswandel besonders des Bundesrechnungshofes betrifft die Verschiebung des Schwergewichtes der Aufgabenwahrnehmung von der nachträglichen Rechnungskontrolle hin zur begleitenden Finanzberatung 200 . Die rechtliche Umsetzung dieser Entwicklung erfolgte durch die Aufnahme des Beratungsauftrages des Rechnungshofes in die Bundeshaushaltsordnung im Jahr 1969 (§ 88 B H O ) 2 0 1 . Die Beratungstätigkeit selbst ist allerdings schon älter; sie begann in der Weimarer zum parteienstaatlich durchdrungenen parlamentarischen Regierungssystem". Diese Aussage läßt sich m. E. nur entgegen dem wohl Gemeinten aufrechterhalten; neutral zwar relativ zum Parteiensystem, aber nicht generell im Sinne der Sachverständigenthese. In den Steuerzahlerparteien wird die nicht vorhandene Neutralität im umgreifenden Sinne anschaulich deutlich. Weitere Beschreibungen der angeblichen Neutralität bei Blasius, Finanzkontrolle und Gesetzgebung, DÖV 1989, 298 (304) „wissenschaftliche Beratung und Begleitung", „objektive, gründlich und theoretisch fundierte Beratung des Gesetzgebers"; Rürup / Färber, Die Verwaltung 1985, 173 (200) „offener Dialog zwischen Sachverständigen"; Wittrock, Der Rechnungshof als Berater, DÖV 1989, 346 f.: „Ausgleich des parlamentarischen Informationsdefizites". 200 Man kann insoweit auch eine Verschiebung des Begriffes „Finanzkontrolle" feststellen. Die bislang damit verbundene Besonderheit nachträglicher Kontrolle wird zugunsten eines allgemeineren Begriffes der Kontrolle aufgegeben. 20! Zusammenfassend zur Geschichte der Rechnungskontrolle vgl. Zavelberg, S. 17 ff. (S. 22 Hinweis auf die Funktionsverschiebung). Weiter zur Geschichte Sigg, S. 16 ff.; 250 Jahre Rechnungsprüfung, 1964, hrsg. v. v. Pfuhlstein; Rechnungshöfe als Gegenstand zeitgeschichtlicher Forschung, hrsg. v. Th. Pirker, 1987; ders. Autonomie und Kontrolle, 1989.
C. Der Bundesrechnungshof
225
Republik mit der Tätigkeit des Präsidenten des Reichsrechnungshofes als Reichssparkommissar und war damit aus der Institution des Rechnungshofes ausgelagert, aber personell mit ihr verbunden 202. Während des zweiten Weltkrieges trat die Beratungstätigkeit auch beim Rechnungshof selbst in den Vordergrund mit dem Ziel, eine optimale Ressourcenverwendung zu ermöglichen; demgegenüber spielte die Vorbereitung der parlamentarischen Entlastung der Regierung keine Rolle mehr 203 . Seit ca. 1980 ist auch aus der Sicht des Bundesrechnungshofes selber die Tätigkeit in Beratung und zeitgleicher Kontrolle gegenüber der nachträglichen Rechnungsprüfung in den Vordergrund getreten. Nach Angaben des ehemaligen Präsidenten des Bundesrechnungshofes Wittrock betreffen nur noch ca. 10% der Tätigkeiten den abgeschlossenen Haushalt 204 . Für diese Entwicklung sind zwei Gründe maßgeblich. Der Funktionswandel wird dadurch ermöglicht, daß die Verwaltung im wesentlichen korrekt und ordnungsgemäß arbeitet, so daß eine Verlagerung der Tätigkeit zur Beratung hin trotz begrenzter Kapazität des Rechnungshofes als vertretbar erscheint 205. Gefordert wird die Verlagerung durch den Gedanken der Effektivität in der Ausnutzung des Wissens und der Fähigkeiten des Rechnungshofes. Höherer Nutzen kann gezogen werden, wenn nicht lediglich nachträglich Mängel gerügt werden, sondern wenn diese bereits in der Phase der Ausgabenplanung vermieden werden können. Deshalb greift der Rechnungshof qua Beratung nun auch in nicht abgeschlossene Vorgänge ein mit der Folge, daß häufig den Beanstandungen schon während der noch andauernden Prüfung schon Rechnung getragen wird 2 0 6 . Diese Ergänzung der nachgängigen Prüfung durch begleitende Beratung und Kontrolle bei der Entscheidungsfindung hat sich in
202 Vgl. dazu Saemisch, Der Reichssparkommissar und seine Aufgaben, 1930 (der Autor war Inhaber des Amtes); Bilfinger, Der Reichssparkommissar, 1928. 203 Zu dieser Entwicklung Gilles / Otto, Ordnungsgemäße Beuteverwaltung? in: Autonomie und Kontrolle, S. 43 ff.; Weinert, S. 65,71 ; Haag, Funktionswandel und gegenwärtige Wirkungsstruktur der öffentlichen Finanzkontrolle, S. 76 ff. (77 f.). Zum Reichsrechnungshof der Weimarer Zeit instruktiv Dommach, S. 65 ff. Dommach stellt die Funktionsverschiebung von nachträglicher Kontrolle zu zeitnaher Beratung wiederholt heraus (S. 72 f., 88 f.). Sie wurde wesentlich begünstigt von Saemischs in Personalunion wahrgenommener Tätigkeit als Reichssparkommissar. In dieser formal ungebundenen Rolle wurden viele spätere Tätigkeiten des Rechnungshofes vorweggenommen; so die Stellungnahme zu den Ressortanmeldungen für den Haushaltsentwurf (vgl. S. 84; ab 1933 beim RRH) und die Beratung zu Gesetzentwürfen (S. 89). Diese Vorreiterrolle führte später zur Eingliederung des Sparbüros in den Rechnungshof (Praesidialabteilung, vgl. S. 95, 103). Der Erfahrungsschatz wurde bei der grundgesetzlichen Konzeption des Bundesrechnunghofes durch die Beteiligung des Hamburger Rechnungshofes bei den Vorarbeiten zum Grundgesetz eingebracht (vgl. Gilles / Otto, Ordnungsgemäße Beuteverwaltung, S. 72). 2 04 Wittrock, Auf dem Weg, DÖV 1984, 649 (652). Vgl. mit derselben Tendenz Walter, S. 145 ff. (149); zur zunehmenden Beratungstätigkeit auch Friedmann, S. 157 ff. (167). 2
05 Vgl. Zavelberg, S. 19.
206 Vgl. Wittrock, Auf dem Weg, DÖV 1984 S. 651. Beispiele bei Wittrock, des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, 1985, 189. 15 Waechter
Bulletin
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
226
allen wesentlichen Bereichen durchgesetzt. So ist der Rechnungshof bei den Verhandlungen des Bundesministers der Finanzen über die Ressortanschläge für den künftigen Haushalt anwesend und nimmt Stellung 207 , ebenso bei der Beratung über den Vorschlag zum Haushaltsplan im Kabinett 208 . Ebenso wird im Haushaltsausschuß des Parlaments verfahren 209; dabei ist besonders die Beratung der Berichterstatter für die Einzelpläne der Haushaltes hervorzuheben 210. Neben diese spezifische Haushaltsberatung tritt die Beratung des Parlaments und der Regierung bei allgemeinen Gesetzentwürfen mit finanzbedeutsamen Folgen sowie die Beratung bei Beschaffungs- und Investitionsmaßnahmen211. Die Rechtsgrundlage für diese Beratung von Parlament, Bundesrat, Kabinett und Bundesministerien findet sich in § 88 Abs. 2 BHO, § 42 Abs. 5 HGrG. Diese Beratungskompetenz ist keine Prüfungskompetenz. Eine Prüfungskompetenz für nicht abgeschlossene Maßnahmen eröffnet dagegen § 89 Abs. 1 Nr. 2 BHO (sog. Maßnahmeprüfung). Die Anhörung des Bundesrechnungshofes bei der Normsetzung im Bereich des Haushaltswesens ist bezüglich aller Vorschriftentypen (vom Gesetz bis zur VerwaltungsVorschrift) in § 103 BHO explizit geregelt 212 . Außerhalb des Bereiches der Setzung von Normen gibt es die Beratung bei finanzwirksamen Maßnahmen gemäß § 102 Abs. 3 BHO. Schließlich findet in größerem Umfang informelle Beratung durch Verwaltungsanfragen beim Bundesrechnungshof, die der vorgängigen Absicherung der Verwaltung dienen, statt 213 . Der Umfang der Beratung ist nach § 88 Abs. 2 BHO beschränkt auf die Beratung „auf Grund von Prüfungserfahrungen". Offenbar ist, daß darin praktisch keine normativ wirksame Grenze liegt. Der Zusammenhang mit den Prüfungserfahrungen kann und muß im Einzelfall nicht dargelegt werden. Er wird sich in der Regel aus der Argumentation im Rahmen der Beratung ergeben 214. Der Terminus der „Beratung" ist irreführend; die §§ 102 f. BHO sehen Anhörungsund Beratungsrechte vor, die Beratung kann also auch gegenüber dem Beratungsunwilligen erfolgen, da dem Rechnungshof insoweit ein Ermessen eingeräumt ist 2 1 5 .
207 208 209 210 211
Vgl. Zavelberg, S. 22; vgl. § 27 Abs. 2 BHO, dazu Führmann, RiA 1983 S. 235 ff. Vgl. Sigg, S. 32. Vgl. Zavelberg, S. 22. Vgl. Wittrock, DÖV 1984, 652. Vgl. Zavelberg, S. 23.
212 Damit ist bereits der Ausblick auf die Stellung des Rechnungshofes eröffnet; Beratungs- und Anhörungspraktiken erinnern an die Mitwirkung der Verbände im Gesetzgebungsverfahren; die Stellung des Rechnungshofes ist allerdings bis zum Anhörungsanspruch verstärkt. 213 Vgl. Sigg, S. 32. 214
Dazu mehr unten bei den Ausfühungen zur „Wirtschaftlichkeit". 215 Vgl. Sigg, S. 32. Auch dieser Punkt zielt auf die Stellung des Rechnungshofes im Gefüge der Institutionen.
C. Der Bundesrechnungshof
227
Gegenstand der Beratung und Prüfung ist das Haushalts- und Wirtschaftsgebaren der öffentlichen Hand. Prüfungsfreie Räume werden kaum noch konzediert 216 . Das Parlament unterliegt der Prüfungs- und Beratungstätigkeit des Rechnungshofes wie alle anderen Staatsorgane 217. b) Wirtschaftlichkeit
als Prüfungskriterium
Die Behauptung von der neutralen Tätigkeit der Rechnungshöfe kann nicht überprüft werden, ohne daß ein Blick auf die Maßstäbe für die Entscheidungsfindung der Rechnungshöfe geworfen wird. Keine Schwierigkeiten bietet dabei die „Ordnungsmäßigkeit" der Haushalts- und Wirtschaftsführung (Art. 114 Abs. 2 GG). Diese betrifft die nachträgliche Prüfung auf formelle und rechtliche Richtigkeit von Belegen und Rechnungen. Allein mit diesem Kriterium wäre eine begleitende Beratung nicht möglich, weil seine Anwendbarkeit vom Vorliegen der Dokumente der Rechnungsführung abhängig ist. Das Gesetz konkretisiert in § 90 Β HO beispielhaft das Kriterium in den Einzelprüfungen durch das Verlangen nach Vereinbarkeit von Ausgaben mit Haushaltsplan und Haushaltsgesetz (§ 90 Nr. 1) sowie durch das Verlangen nach ordnungsgemäßer Aufstellung, Belegung und Begründung von Einnahmen und Ausgaben (§ 90 Nr. 2). Im Hinblick auf die Kriterien der Bewertung ist der beschriebene Funktionswandel durch die 1922 erfolgte (und in Art. 114 Abs. 2 GG übernommene) Einfügung des Kriteriums der „Wirtschaftlichkeit" in die Reichshaushaltsordnung ermöglicht worden 218 . Dieser Begriff wird in § 90 Nr. 3, 4 Β HO in Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Aufwandswirksamkeit ausdifferenziert. Während über die Tatsache des beschriebenen Funktionswandels weitgehend Einigkeit besteht, wird über die Bedeutung des Kriteriums der Wirtschaftlichkeit heftig gestritten. Dieser Maßstab ist der Punkt, an dem sich bei dem Bundesrechnungshof der Streit um die politische Neutralität der Tätigkeit entzündet hat. Die Auseinandersetzung hängt sachlich mit der Operationalisierbarkeit des Wirtschaftlichkeitsbegriffes zusammen. Ebenso wie der Richter durch die Bindung an das Gesetz nicht als Gewalt im verfassungsrechtlichen Zusammenhang gilt, wird erwogen, ob wegen der weitreichenden ökonomischen Programmierung durch den Wirtschaftlichkeitsbegriff auch der Bundesrechnungshof prinzipiell unpolitisch handelt. Eine solche Auffassung, wie sie in aller Schärfe von S. Tiemann 219 vertreten wurde, wird 2 '6 Vgl. dazu Knöpfte, S. 259 ff. Haverkate, Prüfungsfreie Räume, in: Kontrolle der Staatsfinanzen, S. 197. 217 Knöpfle, S. 259. Deswegen wird auch das Finanzgebaren der Parlamentsfraktionen vom Rechnungshof überprüft. Vgl. dazu auch Heuer, Kontrollauftrag gegenüber den Fraktionen, in: Finanzkontrolle im repräsentativ-demokratischen System, S. 107 ff. und für die Parteien am selben Orte v. Armim, Kontrollauftrag gegenüber den Parteien, S. 115 ff. 2
18 Vgl. Zavelberg, S. 19.
219
Tiemann, Die staatsrechtliche Stellung der Finanzkontrolle des Bundes, 1974 mit der nachfolgenden Kontroverse mit Battis; vgl. Battis, Rechnungshof und Politik, DÖV 15*
228
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
heute wohl nicht mehr vorgebracht. Statt dessen hat es sich durchgesetzt, das Wirtschaftlichkeitsprinzip als Maximal- / Minimalprinzip 220 zu fassen 221 und daran die Notwendigkeit ökonomisch nicht programmierbarer Wertungen darzulegen. Diese resultiert daraus, daß zahlreiche Wertentscheidungen getroffen werden müssen, die nicht aus dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit oder überhaupt aus der Sphäre des Ökonomischen heraus begründbar sind 222 . Deswegen wird das Wirtschaftlichkeitsprinzip als teilrational 223 oder als nicht voll umsetzbare regulative Idee' beschrieben 224. Jede staatliche Maßnahme zeitigt Wirkungen in mehreren Bereichen, die zu den staatlichen Aufgabenfeldern gehören. Es werden also in der Regel durch eine Maßnahme ihr Hauptziel und zahlreiche Nebenziele berührt werden. Außerhalb der Zielrichtung der Maßnahme gibt es aber keine feststehende Hierarchie von Zielen, an denen die Zweck — Mittel Relation des Maximierungsprinzips gemessen werden könnte 225 . Daneben kann Unsicherheit darüber bestehen, ob die Förderung oder Beeinträchtigung staatsfremder Ziele berücksichtigt werden soll 2 2 6 . So wird wohl bislang die Externalisierung von Kosten durch Umweltschädigung zu selten in Ansatz gebracht, weil sie derzeit als Kosten nicht beim Schädiger anfallen, sondern Kredit auf die Zukunft sind. Schließlich bedürfen für eine strenge Anwendung des Prinzips Ziele und Mittel der Quantifizierung; auch diese ist nicht stets eindeutig zu leisten; die Festlegung der Parameter ist nicht exakt begründbar 227. Endlich fehlen oft die Informationen für die Beurteilung der Kausal Wirkungen zwischen Aufwand und Zielförderung bzw. -beeinträchtigung 228 : man ist auf Schätzungen angewiesen. Darüber hinaus sind die der Sachtätigkeit des Rechnungshofes vorgelagerten Entscheidungen — der Zeitpunkt einer Prüfung und die Auswahl des Prüfungsgegenstandes 229 — nur zum
1976, 721, Tiemann, Nochmals: Rechnungshof und Politik, DÖV 1977, 240, Battis, Schlußwort: Rechnungshof und Politik, DÖV 1977, 243. 220 Diese Prinzipien fragen nach Nutzenmaximierung bei gegebenen Kosten oder nach Kostenminimierung bei gefordertem feststehenden Nutzen. Diese Einordnung des Wirtschaftlichkeitsprinzips in ein Nutzen- Kostenverhältnis scheint mir zutreffend, weil das Prinzip schon nach seinem Standort im GG (in Art. 114 II, nicht Art. 20) nicht eigene politische Ziele vorgeben, sondern nur die Art der Zielverfolgung beeinflussen soll. 221 Vgl. Sigg, S. 46. Zur Wirtschaftlichkeit als Kriterium vgl. aus der Fülle der Beiträge vor allem v. Arnim, Das Wirtschaftlichkeitsprinzip als Rechtsprinzip, 1988; ders. , Wirtschaftlichkeit als Kontrollmaßstab des Rechnungshofes, in: Kontrolle der Staatsfinanzen, S. 259 ff.; Krebs, Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit, in: Finanzkontrolle im Wandel, S. 65 ff. 222 Vgl. dazu Krebs, Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit, S. 68. 223 Krebs, Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit, S. 67. 224 Sigg, S. 47. 225 Vgl. Sigg, S. 48. 226 Vgl. Sigg, S. 49 f.
227 in der Regel werden Kosten leichter zu quantifizieren sein als der Nutzen. 228 Vgl. Sigg, S. 48. 229
Vgl. Kisker, Rechnungshof und Politik, in: Finanzkontrolle im Wandel, S. 195 ff. (200 f.).
C. Der Bundesrechnungshof
229
geringen Teil ökonomisch determiniert. Sie lassen sich zwar grob über die Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung von Mißständen und die Größe des zu verhütenden Schadens sachimmanent motivieren, aber andere Erwägungen — etwa Generalprävention — sind nicht ausgeschlossen. Das gleiche gilt für die Frage, in welcher Form ein aufgefundener Mangel gerügt wird, in noch stärkerem Maße: In Betracht kommen Monita bei den zuständigen Verantwortlichen, Aufnahme in die,Bemerkungen4 und den Bericht an das Parlament oder Freigabe für die Medienöffentlichkeit. Die politischen Implikationen insbesondere des letzten Weges sind offensichtlich; der Bundesrechnungshof ist deswegen bisher dabei zurückhaltend. Es läßt sich zusammenfassen, daß die spezifische Rationalität der Beratung oder Prüfung durch den Rechnungshof um so größer ist, je weniger Haupt- und Nebenziele betroffen sind, je eindeutiger diese quantifizierbar sind und je mehr Informationen vorliegen. Das bedeutet, daß diese Rationalität mit abnehmender Komplexität einer Maßnahme zunimmt. So ist nur bei relativ einfachen Vorhaben ein Gutachten mit hohem Argumentationswert zu erstellen. Alternativenprüfungen oder Organisationsgutachten dagegen ζ. B. enthalten zu viele nicht ökonomisch begründbare Vorgaben. Die Eigenart des Kriteriums Wirtschaftlichkeit' wird auch klar, wenn man, wie P. Kirchhof es zutreffend tut 2 3 0 , das Kriterium der Wirtschaftlichkeit als finanzwirtschaftliche Verhältnismäßigkeit umformuliert 231 . Deutlich wird daran noch einmal, daß nicht nach einem vorgegebenen Rechtsmaßstab kontrolliert wird, sondern daß die Tätigkeit des Rechnungshofes darüber hinaus geht 232 . Dies soll durch eine kurze Verdeutlichung der Strukturähnlichkeit zwischen Verhältnismäßigkeitsprinzip und Wirtschaftlichkeitsprinzip erläutert werden. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang ein Streit um die Auffassung des ersten Prinzips. Unstrittig ist, daß eine wichtige Komponente dieses Prinzips die Beziehung zwischen Zweck und Mittel ist 2 3 3 . Diese Beziehung wird üblicherweise in die Kriterien der Geeignetheit des Mittels für den Zweck und die Erforderlichkeit des Mittels für die Zweckerreichung auseinandergelegt 234. Die gleiche Struktur weist das Wirtschaftlichkeitsprinzip auf: auch hier geht es um Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung 235 . Die Erforderlichkeit kommt in der Forde230 Kirchhof, Die Steuerung des Verwaltungshandelns, NVwZ 1983, 505 ff. (514). 231 Gegen den Vergleich des kostensparenden Wirtschaftlichkeitsprinzips mit dem grundrechtsschonenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz v. Mutius, VVdStRL 42 (1984) S. 326 (Aussprache); Kloepfer, S. 297; Haverkate, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, AöR 108 (1983) S. 625 (643); die unterschiedliche Herkunft aus dem Bereich des objektiven Rechts / der subjektiven Rechte ändert nichts an der Strukturähnlichkeit. Auch das Wirtschaftlichkeitsprinzip kann grundrechtsschonend im Bereich des Art. 14 Abs. 1 GG wirken. 232 Kirchhof, Die Steuerung des Verwaltungshandelns, S. 515: „Rechtsfortbildung durch Beanstandung und Empfehlung". 233 Dazu Hirschberg, S. 43 ff. Jakobs, S. 16 ff. 234 Vgl. Hirschberg, S. 50 ff., 56 ff.
230
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
rung des Minimalprinzips, möglichst geringe Kosten für einen feststehenden Nutzen aufzuwenden, zum Ausdruck 236 , die Geeignetheit betrifft die Frage, ob der Kostenaufwand überhaupt geeignet ist, den gewünschten Nutzen herbeizuführen. Insoweit sind beide Prinzipien unproblematisch. Strittig ist aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeit, ob diese auch eine Güterabwägung umfaßt. Das ist stets dann der Fall, wenn das Ziel bzw. der Nutzen im Vergleich zu beeinträchtigten Nebenzielen in keiner klaren Hierarchie steht oder wenn es Alternativmittel gibt, die andere Nebenziele beeinträchtigen, ohne daß das Gesetz eine Rangordnung vorgibt. Jakobs meint, eine solche Güterabwägung als Rangzuordnung konfligierender Schutzbestimmungen für Rechtsgüter im Sinne einer Gewichtungsbestimmung, die normativ nicht vorgegeben ist, sei Teil der Verhältnismäßigkeitsentscheidung237. Klar ist, daß, je komplexer der Zusammenhang in der Mittel — Zweck Relation ausfällt, desto uneinsichtiger die Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit sein muß 238 . Genau diese Erscheinung konnte auch bei dem Wirtschaftlichkeitsprinzip beobachtet werden. Schlink hat sich bemüht, nachzuweisen, daß derartige Güterabwägungen nicht sinnvoll Teil des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sein können und daß die Mehrzahl der Fälle ohne den Rückgriff auf eine solche Güterabwägung gelöst werden kann. Er legt dar, daß die Güterabwägung dem Bereich der politischen Entscheidung vorbehalten bleiben muß 239 . Die Ansicht von Schlink ist zutreffend: teilt man sie nicht, so kann man dem Übergang rein politischer Abwägungsentscheidungen in die Zuständigkeit der Justiz, insbesondere des Bundesverfassungsgerichtes, nichts entgegensetzen. Genau durch eine derartige Güterabwägung zeichnet sich aber die Anwendung des Wirtschaftlichkeitsprinzips aus, insbesondere bei der Beratung im Gesetzgebungsverfahren 240. Die von Schlink gewonnene Einsicht bestätigt, daß die Tätigkeit des Rechnungshofes dem politischen Prozeß in der Demokratie zuzuweisen ist und nicht mit der neutralen Tätigkeit des Sachverständigen, der die Wertung ja dem Gericht überlassen soll, verglichen werden kann 241 .
235 Deutlich bei v. Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 20, 36 f. Mit Betonung auf der Zweckrationalität auch Walther, BayVBl 1990, 231; dort auch zum wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund der Zweck / Mittel Struktur. 236 Vgl. y. Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 20. 237 Jakobs, S. 105, 109. 238 Vgl. Hirschberg, S. 50 ff.
239 Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, 1976 passim. 240 Auch v. Arnim, der die Gemeinwohlthese vertritt, stellt fest, daß die Arbeit mit dem Wirtschaftlichkeitsprinzip generell die Abwägung unterschiedlicher Zwecke erfordert, für die das Prinzip selbst keine Maßstäbe liefert und die auch nicht aus einer allgemeinen Zweckhierarchie abgeleitet werden können (v. Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 36 f.). 241 Damit korrespondiert es, daß nach richtiger Ansicht UnWirtschaftlichkeit nicht der Rechtswidrigkeit in der gerichtlichen Überprüfung gleichsteht. Eine Rüge des Rechnungshofes bedeutet also nicht, daß die betroffenene Verwaltungsmaßnahme rechtswidrig im Sinne des § 113 Abs. 1 VwGO ist.
C. Der Bundesrechnungshof
231
Damit ist der Schlüssel für das lange — bis in die neueste Zeit — unpolitische Selbstverständnis des Rechnungshofes gefunden. Fragen, die als politisch empfunden werden, haben in der Regel einen hohen Komplexitätsgrad; diesen kann ein Rechnungshof nicht überzeugend bearbeiten. Deswegen tendiert er zur Bearbeitung ,kleinteiliger' Problemlagen 242. Damit ist aber noch nicht die Frage nach dem Politischen des Rechnungshofes beantwortet. Da in einer Bewertung von Vorhaben nach dem Maßstab der Wirtschaftlichkeit stets verdeckte politische Wertungen enthalten sein können, ist der Weg in das Politische hinein stets offen 243 . Es hängt lediglich von Zufällen ab, ob der politische Diskurs auf ein Lebensgebiet übergreift, in dem der Rechnungshof Wertungen treffen muß. Krasse Beispiele aus der Geschichte der deutschen Rechnungshöfe können dies belegen; so mögen die Relationen zwischen Häftlingsarbeit und Haftkosten beim ersten Blick unpolitisch erscheinen; sie bleiben es aber nicht bei unklaren Vollzugszielen; auch den Prüfungen auf die Kostensituation in Konzentrationslagern wird man kaum einen unpolitischen Charakter konzedieren wollen 244 . Da also auf jeder Ebene, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, Wertungen notwendig sind, kann das latent Politische keine Scheidungslinie für die Zulässigkeit von Tätigkeit des Rechnungshofes sein, wie Kisker es vorschlägt 245 . Der Rechnungshof ist auch für solche Tätigkeiten, die evident politische Wertungen implizieren, zuständig. Er läuft lediglich Gefahr, daß die beratenen Institutionen ihre Kompetenz zur verbindlichen Wertungsentscheidung gegen die Präferenz des Rechnungshofes durchsetzen. Dem trägt es Rechnung, daß der Rechnungshof 242 An dieser Stelle wird sich auch entscheiden, ob eine Beratung „aufgrund von Prüfungserfahrungen" gegeben wird oder nicht. Dementsprechend steigt und sinkt die ökonomische Rationalität. Der Rechnunghof gibt in der Praxis dennoch zunehmend sehr allgemeine Empfehlungen. So beispielsweise die zur Neuerstellung der Grundstückseinheitswerte (mit Hinweis auf die Art. 3 Abs. 1 GG nicht entsprechende Privilegierung von Grundvermögen) (veröffentlicht 11.4.1991). 243 Von Werturteilen im Zusammenhang mit der „Wirtschaftlichkeit" spricht ζ. B. v. Arnim, Wirtschaftlichkeit als Kontrollmaßstab, in: Kontrolle der Staatsfinanzen, S. 273. Einen politischen Charakter von Teilen der Tätigkeit des Rechnungshofes sehen aus Sicht des Parlaments Walter (S. 149-152) und Friedmann (S. 169). Aus juristischer Sicht verlangt v. Arnim auch die Bewertung politischer Entscheidungen durch den Bundesrechnungshof (S. 272). Auch der Zusammenhang zwischen vermehrter Beratungstätigkeit und Politisierung, der hier hergestellt worden ist, wird ζ. T. angedeutet. Vgl. Friedmann, S. 169. Auf Seiten des Parlaments liegt offenbar ein bewußter Verzicht auf parteipolitische Instrumentalisierung trotz „aller politischen Relevanz" der Aussagen der Rechnungshöfe vor. Dazu und zur latenten Politisierung des Haushalts durch Keynesianismus und Beratungstätigkeit des Rechnungshofes Walter (S. 152, 149). 244 Vgl. Weinert, S. 68 f. Dabei resultiert das Politische nicht so sehr, wie Weinert meint (S. 69) aus dem Gegenstand der Prüfung, wie aus der vorzunehmenden Wertung zwischen Zielen wie Leben und Effizienz. 245 Kisker, Rechnungshof und Politik, in: Finanzkontrolle im Wandel, S. 199. Das Politische läßt sich nicht entlang der Linie einer vollständigen Determination der Entscheidung abgrenzen; das zeigt sich schon in der juristischen Methodendiskussion.
232
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
lediglich Beratungs- und Prüfungsaufgaben, aber keine Entscheidungskompetenzen hat. Ganz offenbar ist es also ein Gebot der Klugheit für die Rechnungsprüfungsbehörde, sich in solchen Fragen zurückzuhalten. Würde man dem Rechnungshof eine Kompetenz zur Entscheidung über potentiell politische Wertungen nicht zugestehen, so würde ein Teil seines gegenwärtigen Aufgabenfeldes ihm verschlossen werden 246 . Eine starke Meinung möchte wegen der aufgezeigten Schwierigkeiten, die Neutralität des Rechnungshofes zu beweisen, die Kontrollkompetenz des Rechnungshofes auf eine Evidenzkontrolle derart reduzieren, daß dem kontrollierten Staatsorgan ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wird, den der Rechnungshof zu respektieren hat 2 4 7 ; dies steht für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit durch Gerichte und Aufsichtsbehörden außer Frage. Für den Rechnungshof läßt sich die Ansicht allerdings nicht halten, weil sie ihm seine ureigenste Aufgabe nimmt und ihn erneut an der richterlichen Tätigkeit 248 orientiert. Genau diese Orientierung muß aber, wie Kisker selbst dargestellt hat, überwunden werden, um den Rechnungshof nach den beschriebenen Funktionsänderungen adäquat beurteilen zu können 249 . Wenn der Rechnungshof als ein Aktionszentrum innerhalb einer Polykratie begriffen wird, dann ist es gerade und ausdrücklich seine Aufgabe, Wertungen im Lichte ihrer ökonomischen Rationalität neu zu bewerten. Ihm ist die Einbringung dieses Aspektes in den politischen Prozeß durch das Grundgesetz zugewiesen. Daher darf hier kein political self-restraint geübt werden; dieser ergibt sich lediglich automatisch aus den Grenzen der Begründbarkeit. Nur so ist auch die Beteiligung des Rechnungshofes bei den Vorbereitungsarbeiten zur Gesetzgebung sinnvoll zu verstehen.
246 Vgl. Kisker, Rechnungshof und Politik, S. 203 f. zur Kompetenz zur Kritik an der Zielauswahl von Stellen der öffentlichen Hand. Auch Kisker selbst sieht solche für die Arbeit der Finanzkontrolle erforderlichen Tätigkeiten als politisch an (vgl. S. 206 f.). 247 Vgl. Kisker, Rechnungshof und Politik, S. 207; Sigg, S. 54; v. Arnim, Gemeinwohl, S. 369; Vogel / Kirchhof, in: BK, Art. 114 Rdnr. 105. Anderer Ansicht ζ. B. Blasius, Recht und Finanzkontrolle, DÖV 1988 S. 819 (823 f.). Blasius plädiert gegen die Beschränkung des Kontrollmaßstabes, wie sie die h. M. vorschlägt. Er fürchtet in diesem Fall die Entstehung von auch durch die Gerichte nicht abgedeckten Kontrolldefiziten. Freilich ist es ja gerade die Absicht der h. M., die Kontrolle nicht auf den politischen Anteil an den Entscheidungen zu erstrecken. Wenn Blasius selbst an anderer Stelle (DÖV 1989,298 ff. (303 f.) die Rationalität der Entscheidung zum Kriterium der Prüfung und Beratung durch den Rechnungshof macht, ist die von ihm vorgetragene Ansicht nicht stimmig. Denn an dieser spezifischen Rationalität können Wertungen nur zum Teil gemessen werden. 24 8 Dies geschieht ganz deutlich bei Kisker, Rechnungshof und Politik, S. 207 Fn. 44, wo darauf verwiesen wird, daß das Bundessozialgericht solche Spielräume bei der richterlichen Auslegung des Wirtschaftlichkeitsbegriffes anerkenne. 249 Kisker, Sicherung von „Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit", NJW 1983, 2167 (2169).
C. Der Bundesrechnungshof c) Partikularinteresse
233
und Gemeininteresse
bei den Rechnungshöfen
Ebenso wie der Bundesbank ist dem Rechnungshof ein bestimmter partikularer Aspekt zugewiesen, aus dessen Legitimität heraus er begründete Weitungen andere Wertungen beurteilen soll. Dieser Aspekt ist entgegen gegenteiligen Behauptungen nicht mit einem vorausgesetzten Gemeinwohl identisch. Es ist deswegen die Frage zu stellen, welches Interesse dem Rechnungshof durch die Verfassung zur Verwaltung und Geltendmachung zugewiesen ist. Einen Hinweis gibt zunächst § 90 Nr. 3 BHO. Danach ist neben der Wirtschaftlichkeit 250 die Sparsamkeit Prüfungskriterium für den Rechnungshof. Für diesen Begriff kursieren unterschiedliche Auslegungen. Eine Richtung sieht seinen Sinn darin, daß auf Begrenzung von Staatsausgaben und geringe Verschuldung hingewirkt werden soll 2 5 1 . Eine andere Richtung versteht den Terminus im Sinne einer Pflicht des Staates zur Wahrung der Subsidiarität bei der Aufgabenerfüllung. Schließlich setzt man den Begriff mit der Wirtschaftlichkeit gleich 252 . Betrachtet man den ersten Vorschlag, so wird deutlich, daß nach diesem Verständnis dem Bundesrechnungshof die Aufgabe zugewiesen wäre, auf einen Haushalt im älteren privatwirtschaftlichen Sinne hinzuwirken. Damit wäre gleichzeitig für das Kontrollprogramm des Rechnungshofes eine Zielpräferenz mitgeliefert. Ziele des liberalen Staates mit einer Tendenz zur Reduktion von Staatsaufgaben stünden dem Rechnungshof näher als Ziele des Sozialstaates. Gleichzeitig würde der Rechnungshof dahin tendieren, eine bestimmte Haushaltspolitik zu begünstigen: gegen das deficit spending einer staatsinterventionistischen Haushaltsauffassung. Die herrschende Meinung faßt zwar die Sparkamkeit nicht in diesem Sinne auf, sondern in dem der zielneutraleren Wirtschaftlichkeit; es spricht aber dennoch einiges dafür, daß seiner Konstruktion und Arbeitsweise nach der Rechnungshof in die genannte Richtung tendiert und tendieren soll 2 5 3 . Diese Tendenz resultiert daraus, daß die Arbeit des Rechnungshofes Quantifizierung erfordert. Der durch die Kontrolltätigkeit hervorgerufene Kapazitätsmangel der Rechnungshöfe verlangt Standardisierung und Verallgemeinerbarkeit von Prüfungen und Ergebnis250 Die Wirtschaftlichkeit selbst kann als rein relationaler Begriff kein Ziel außer dem Vorbot der Verschwendung vorgeben. 251 Vgl. Sigg, S. 52.
252 So Sigg selbst (S. 52 m. w. N. Fn. 117). Art. 114 Abs. 2 GG nennt lediglich die Wirtschaftlichkeit. 253 Die faktische Tendenz zur Auslegung der Wirtschaftlichkeit im Sinne der Sparsamkeit allein aus Gründen der Anwendungsfähigkeit des Kriteriums wird häufig hervorgehoben. Vgl. ζ. Β. v. Arnim, in: Kontrolle der Staatsfinanzen, S. 263. Auch ist hier auf die in den Rechnungshof integrierte Tradition des Reichssparkommissars hinzuweisen; dieser wurde bestellt, weil Reichsregierung und Parlament die von den Reparationsgläubigern geforderten Einsparungen nicht durchsetzen konnten. Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis des Rechnungshofes zu den anderen Organen (vgl. Dommach, S. 81 ff.).
234
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
sen und verstärkt dadurch die genannte Tendenz. Nicht alle Staatsaufgaben aber stehen einer Quantifizierung im gleichen Maße offen. Typischerweise entziehen sich beipielsweise die Aufgaben Kultur (geringer auch lange Zeit Umwelt) einer Quantifizierung des erzielten Nutzens 254 . Ein in der Literatur besprochener Fall kann die Präferenz des Rechnungshofes für quantifizierbaren Nutzen verdeutlichen. Im sogenannten Schreibdienstprojekt ging es um einen Konflikt zwischen den Zielen ,Humanisierung der Arbeitswelt 4 und ,effizienter Personaleinsatz4. Die Ziele schienen jeweils unterschiedliche Organisationsformen zu fordern. Einerseits eine Zusammenfassung reiner Schreibtätigkeiten für die Behörde mit meßbaren Ergebnissen, andererseits eine schlecht faß-, prüf- und meßbare Büromischtätigkeit aller vorkommenden Bürotätigkeiten. Es ging also um einen weiteren Schritt der Arbeitsteilung im Bürodienst. Der Bundesrechnungshof entschied sich für die Variante der reinen Schreibtätigkeit, fand damit allerdings im zuständigen Bundestagsausschuß kein Gehör 255 . Zugleich wird in diesem einfachen Fallbeispiel erneut die Notwendigkeit außerökonomischer Wertungen deutlich 256 . Man muß also dem Rechnungshof konze254 Im Umweltbereich wird deutlich, daß möglicherweise die Zurückhaltung des Rechnungshofes gegenüber komplexen Prüfungen dazu führen kann, daß Kostenlasten entstehen, die sich bei globalerer Betrachtungsweise hätten vermeiden lassen. 2
55 Vgl. dazu zusammenfassend Gilles I Otto I Otto I Weinert,
RiA 1983, 207. Zur
Kritik am Kalkulierbarkeits- und Quantifizierungsdenken der Rechnungshofes, das zur Bürokratisierung beitrage, vgl. auch Bericht der Expertenkommission zur Untersuchung der Auswirkungen des Hochschulrahmengesetzes, hrsg. v. BMin für Bildung und Wissenschaft, 1984 S. 40. 2 56 Ein Beispiel für die geschilderte Tendenz im Kulturbereich ist von Sigg für die Rechnungskontrolle und Beratung der Universitäten durch den baden-würtembergischen Rechnungshof geschildert worden. Siggs Untersuchung dieser Tätigkeit hat ergeben, daß sie „lediglich von der Maxime der Ausgabenminimierung geleitet" war (Sigg, S. 147). Sie ergibt weiterhin, daß diese Position wesentlich durch die Schwierigkeiten bedingt war, Lehr- und Forschugstätigkeit für eine kostenbezogene Effektivitätskontrolle zu quantifizieren. Die Feststellung Siggs betreffend ein im Sinne der Sparsamkeit „reduziertes WirtschaftlichkeitsVerständnis" des Rechnungshofes ist zutreffend, aber seiner Arbeitsweise immanent und daher nicht vorzuwerfen. Die faktisch überwiegende Ausdeutung des Wirtschaftlichkeitsprinzips durch die Rechnungshöfe im Sinne einer Kostenminimierung, also der Sparsamkeit, die gleichzeitig die Aussparung von Zieldebatten und damit Neutralität zu ermöglichen scheint, wird öfter beobachtet. Vgl. Haverkate, Bericht über die Staatsrechtslehrertagung 1983 in AöR 108 (1983) S. 641; Schuppert, Die Steuerung des Verwaltungshandelns, VVdStRL 42 (1984) S. 216 (258); Grupp, Steuerung des Verwaltungshandelns, DÖV 1983, 661 f.; Rürup / Seidler, Die Verwaltung 1981, 501 (514 f.). Dagegen ist die Forderung auf Berücksichtigung auch nicht-monetärer Größen, auf Einbeziehung „gesamtgesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Folgewirkungen" (v. Mutius, Die Steuerung des Verwaltungshandelns, VVdStRL 42 [1984] S. 147 ff. [177 f.]) sicher richtig, muß aber in der Arbeitsweise der Behörde enge Grenzen finden, wenn gleichzeitig betont wird, daß die Wirkung der Rügen des Rechnungshofes in seiner spezifischen Rationalität liege. Das gleiche gilt für v. Arnims Hinweis, daß es nicht um Gewinnmaximierung, sondern um Gemeinwohlmaximierung gehe (Kontrolle der Staatsfinanzen, S. 263); im Hinblick auf das Gemeinwohl verfügt der Rechnungshof
C. Der Bundesrechnungshof
235
dieren, daß politische Wertungen getroffen werden; das Spezifische liegt darin, daß die Priorität innerhalb dieser Wertungen durch die Organisation, Aufgabenstellung und Arbeitsweise des Rechnungshofes auf einen bestimmten Aspekt gelenkt wird: Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit. Damit vertritt der Rechnungshof wie die Bundesbank kein umfassendes Gemeininteresse; Fälle, in denen das durch ihn vertretene Interesse zurücktreten muß, sind zahlreich vorstellbar. Vielmehr ist es Aufgabe des Rechnungshofes, einen sonst unterbetonten Aspekt in den politischen Prozeß einzubringen 257 . Diese ,einseitige4 Einbringung eines Aspektes durch den Bundesrechnungshof ist gewollt und bildet die Quelle seiner Legitimität. Gleichzeitig muß jedoch klar sein, daß damit die Staatsaufgaben nicht umfassend beurteilt werden. Der Sozialstaat kennt zahlreiche Aufgaben, in denen Kostenminimierung zurücktreten muß. Der Bundesrechnungshof hat über keinerlei Erkenntnisvorsprung, daher wäre in dieser Hinsicht seine Autonomie nicht legitimierbar. 257 Die vom Rechnungshof eingebrachte Wertung trägt zu der Auffüllung einer Leerstelle in der traditionellen Funktionentrennung und Kontrolle bei, die als Gegengewicht gegen die Selbstversorgung des Parlaments durch Diäten, Parteienfinanzierung und gegen die Erhöhung der Staatsquote bezeichnet worden ist (Vogel, VVdStRL 42 [1984] S. 270 f. [Aussprache]). Es geht also um die Begrenzung der schon von Rousseau gegen die Repräsentation geltend gemachten Eigen- und Sonderinteressen der Repäsentanten gegenüber den Repräsentierten. Für diese findet das Sonderinteresse einen anderen Niederschlag im Bereich der Eigentumsgarantie (vgl. v. Arnim, in: Kontrolle der Staatsfinanzen, S. 267; auch die Rechnungshöfe können also als organisatorischer Grundrechtsschutz begriffen werden). Insofern spricht v. Arnim zu Recht davon, daß der Bundesrechnungshof die unterrepräsentierten Interessen der Wähler vertrete. Die Rechnungshöfe wirkten als Ersatz für die fehlende Durchsetzungskraft dieser Interessen (vgl. v. Arnim, in: Finanzkontrolle im repräsentativ-demokratischen System, S. 54; ders., in: Kontrolle der Staatsfinanzen, S. 274; ders., in: Gemeinwohl, S. 369; ders., in: Staatslehre, S. 394). Nicht möglich ist m. E. die durch v. Arnim vorgenommene Identifizierung der vom Rechnungshof vertretenen Interessen mit dem Gemeinwohl. Der vom Rechnungshof vertretene Teilaspekt ist nicht richtiger und wichtiger als andere Teilaspekte, weil er quer zu den von den Parteien vertretenen Aspekten liegt. Der Tatsache, daß Wirtschaftlichkeit als solcher generell in der staatlichen Aufgabenerfüllung ein geringes Gewicht zukommt, entspricht die Beschränkung des Rechnungshofes auf Prüfung und Beratung und die Vorenthaltung von Entscheidungsrechten. Wichtig an dem Beharren v. Arnims auf der „Richtigkeit" des vom Rechnungshof vertretenen Interesses scheint mir zu sein, daß die Erweiterung der Gewaltenteilung durch Elemente wie Zentralbank und Bundesrechnungshof wesentlich von dem Grundschema der Funtionentrennung abweicht. Dieses ist nur gemeinsam mit dem Demokratieprinzip zu lesen. Ihre Richtigkeitsgewähr beruht einerseits auf der vermuteten Richtigkeit von Entscheidungen des Volkes als Souverän, andererseits auf der formale Richtigkeit fördernden Verfahrensgestaltung durch Funktionentrennung. Beide Gewährleistungen wirken rein formal, also auf beliebige Richtigkeiten. Sie sind auf jede Entscheidung der Volksvertreter anwendbar. Davon weichen die hinzutretenden Garantien ab. Die vom BVerfG garantierten Grundrechte, die Institutionen Bundesbank und Rechnungshof setzen jeweils schon Inhaltliches voraus, knüpfen also implizit bereits an eine Staatsaufgabenlehre an. Rechnungshof und Zentralbank sind also Elemente des materiellen, nicht des formalen Rechtsstaates (die h. M. beklagt die schwache Sicherung des materiellen Rechtsstaates im Bereich des Eigentumes, vgl. Hettlage, VVdStRL 14 [1956] S. 4 ff.). Sie entfalten ihre Funktion aber nicht wie die Grundrechte durch eine heute nur noch in Randlagen mögliche Bereichsausgrenzung, sondern durch Beeinflussung des politischen Entscheidungsprozesses in einseitiger Absicht.
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2. Abschn.: Exemplarischer Teil
deswegen keinerlei Entscheidungsrechte und ist als Aktionszentrum erheblich schwächer ausgestaltet als die Bundesbank. Die Rechnungshöfe vertreten also ein ansonsten vernachlässigtes Partialinteresse, das aber aufgrund verfassungsrechtlicher Vorschrift (Art. 114 Abs. 2 GG) in den politischen Prozeß eingebracht wird und für das es keinen berufeneren Vertreter unter den Staatsorganen gibt 2 5 8 , da im parlamentarischen Regierungssystem Parlament und Regierung strukturell keine ausgeprägten Vertreter des Sparsamkeitsinteresses sind. Der Typus des Sachverständigen, dem der Rechnungshof von den Vertretern der Gemeinwohlthese weitgehend zugerechnet wird, kann keine Stelle in einem System von checks and balances einnehmen 259 , wie dies vom Rechnungshof gefordert wird. Die Praxis hat gezeigt, daß man Sachkenntnis häufig nicht ohne Interesse haben kann 260 . Es wird hier versucht zu zeigen, daß auch der Rechnungshof lediglich ein Partialinteresse vertritt, das in verschiedenen Anwendungsbereichen der staatlichen Aufgabenerfüllung unterschiedlich brauchbar ist 2 6 1 . Der Rechnungshof wirkt daher nicht als Sachverständiger im üblichen Sinne am Gesetzgebungsverfahren mit, sondern in der Stellung eines aufgewerteten Interessenten. Auch die Vertreter der Sachverständigenthese sehen die Ähnlichkeit zu der Mitwirkung der Verbände als Interessenvertreter in der Gesetzgebung, ohne allerdings daraus Schlüsse zu ziehen 262 . Die Aufwertung des vertretenen Interesses erfolgt durch die Ausgestaltung der Anhörungsrechte (§ 88 Abs. 2 BHO) für den Rechnungshof; der Interessentencharakter der Verbände wird dadurch berücksichtigt, daß die Entscheidung über ihre Anhörung im Ermessen der staatlichen Organe steht, § 24 GGO I I für die Exekutive und § 70 GO BT für die Legislative. Die in der Literatur zum Rechnungshof benutzte Formulierung „weniger Kontrolle gegen die Exekutive, denn offener Dialog zwischen Sachverständi258
Für die vom Rechnungshof wahrgenommene Funktion kommen noch der Bundesminister der Finanzen und die Bundesregierung in Betracht, denen die Verfassung ähnliche Funktionen zuzuweisen scheint, sowie einige Verbände, insb. der Bund der Steuerzahler. Die Parallelität der vertretenen Interessen zwischen diesem und den Rechnungshöfen (vgl. so v. Arnim, in: Finanzkontrolle im Wandel, S. 98) bestätigt, daß der Rechnungshof nicht die Wirtschaftlichkeit, sondern vor allem die Sparsamkeit im Sinne einer wenig ausgabenintensiven Zielsetzung zu befürworten geneigt ist. Zur Repräsentation vernachlässigter Interessen Mäding, Öffentlicher Haushalt und Verwaltungswissenschaft, Die Verwaltung 1987,437 (450); v. Arnim, in: Finanzkontrolle im Wandel, S. 54. Repräsentation wird hier allerdings unüblich nicht über Wahlen vermittelt, weil das das parteienstaatliche Element wieder in den Vordergrund drängen würde. Statt dessen versucht man die Repräsentativität über Aufgabe und Ausgestaltung der Behörde zu sichern. 259 Ein Sachverständiger kann nicht, wie Stern es will, gleichzeitig neutral und Gegengewicht sein; vgl. Stern, Staatsrecht Bd. II, 2. Aufl. 1989, S. 448. 260 Zur theoretischen Seite vgl. die Verlegenheit, in die Rousseau für seinen Gesetzgeber gerät: er soll interessenneutral und kenntnisreich zugleich sein. Vgl. dazu auch C. Schmitts Gedanken zur „Neutralität". 261 Man bedenke nur den Widerspruch zwischen Sparsamkeit und deficit spending. 2 2 6 Blasius, DÖV 1989 S. 298 ff. (305).
C. Der Bundesrechnungshof
237
gen" 2 6 3 verwischt die Positionen. Es geht nicht um — womöglich aus der Verfassungsorgantreue abzuleitende — allgemeine Kommunikation, sondern um gewichtete Einbringung und gegebenenfalls auch Durchsetzung von Interessen 264.
II. Die Stellung des Bundesrechnungshofes zu den anderen Staatsorganen Für die Einordnung des Bundesrechnungshofes in das Kompetenzgefüge ist von besonderem Interesse die Debatte, die seit längerer Zeit speziell über seine Stellung in der Gewaltenteilung geführt wird. Diese Dabatte könnte Aufschlüsse dafür geben, ob sich nicht anhand dieser Institution eine von der hier vertretenen abweichende Lösung für die Einordnung von Kontrollinstitutionen in die Kompetenzordnung ergeben hat.
1. Die Stellung des Bundesrechnungshofes „zwischen" Legislative und Exekutive Die Stellung der Rechnungshöfe im Gefüge der Staatsorgane ist seit langem umstritten 265 . Dabei war im wesentlichen Einigkeit darüber erzielt worden, daß die Rechnungshöfe Eigenarten aufweisen, die sie teilweise der Judikative ähnlich machen, teilweise aber auch der Exekutive, und daß schließlich eine ihrer Funktionen für eine Zuordnung zur Legislative spricht 266 . Richterlich ist die nachträgliche Prüfung abgeschlossener Sachverhalte und die Anwendung des Rechts als Beurteilungsmaßstab, nicht als Handlungskriterium. Auch die Behördenstruktur weist in der Kollegialität Züge der Judikative auf, schließlich ist auf die Unabhängigkeit hinzuweisen 267 ; Streitentscheidung im engen Sinne findet allerdings nicht statt. Vom Gegenstandsbereich der Tätigkeit her und nach der geschichtlichen Her-
263 Rürupl Färber, Die Verwaltung 1985, 173 ff. (200). 264 Ähnlich wie hier zu Neutralität und Politik mit besonderem Bezug auf die Beratungstätigkeit Sauer I Blasius, DVB1 1985, 548.
265 Zu der Diskussion der Stellung der Rechnungshöfe nach der alten Rechtslage Krebs, VwArch 71 (1980), 77 ff. (Rechtsprechungsbericht); Beckensträter, 1961; Grupp, Die Stellung der Rechnungshöfe, insb. S. 137 ff. 266 Krebs, VwArch 71 (1980), 77 ff. (81 f.) m. w. N. Fundstellen zur älteren Diskussion vgl. S. 81 Fn. 22. Zum internationalen Vergleich mit dem Ergebnis einer staatsrechtlich eigenständigen Kontrollstellung der Finanzkontrolle Tiemann / Tiemann, Zum staatsrechtlichen Standort der Finanzkontrolle, Der Staat 13 (1974), 497 ff. 267 So möchte Beckensträter, S. 191 ff. die Rechnungshöfe als besondere Organe der Rechtsprechung sehen, um nicht die abschließende Dreiteilung der Staatsgewalt zu durchbrechen; statt dessen muß er unter Berufung auf Art. 114 Abs. 2 GG das verfassungsrechtliche Junktim zwischen materieller Rechtssprechungstätigkeit und Gerichtszuständigkeit durchbrechen.
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2. Abschn.: Exemplarischer Teil
kunft 2 6 8 kann man an eine Selbstkontrolle der Verwaltung denken 269 . Es fehlen aber Entscheidungsrechte, und das Prüfungsfeld der Höfe erstreckt sich über die Kontrolle der Verwaltung hinaus. Die Zuarbeit zur Legislative im Rahmen der Entlastungsentscheidung deutet auf das Parlament hin; unterstützt wird aber auch die Regierung; das Parlament hat kein Weisungsrecht gegenüber dem Rechnungshof. Der alte Streit ist neu zu überdenken, seit der Bundesrechnungshof auch beratende Aufgaben wahrnimmt. Da auch das Parlament an die Verfassung gebunden ist, ist eine Beratung des gesetzgeberischen Entscheidungsganges auf die Wirtschaftlichkeit des Ergebnisses hin nach dem Grundgesetz naheliegend 270 . Während anerkannt ist, daß die begleitende Beratung durch den Rechnungshof zu höherer Effizienz des Mitteleinsatzes führt 2 7 1 , wird für die Unabhängigkeit des Rechnungshofes bei späteren Prüfungen des gleichen Gegenstandes allerdings gefürchtet 272 . Die Prüfer könnten nicht frei von ihrer vorherigen Stellungnahme bei den Beratungen kontrollieren. Damit ist der Wechsel in der Position des Rechnungshofes angesprochen. Historisch ging es zunächst darum, für die Exekutive die Effizienz der nachgeordneten Verwaltung zu überprüfen. Dagegen ist seit der Weimarer Zeit die Stellung des Rechnungshofes als Organ zur Unterstützung des Parlamentes bei der Kontrolle der Regierung ausgebaut worden. Dies wurde zuletzt durch die Aufnahme der Beratungsfunktion gegenüber dem Parlament in Art. 114 Abs. 2 GG im Jahr 1969 und durch den Erlaß des Bundesrechnungshofgesetzes 1985 mit der Wahl des Präsidenten des Rechnungshofes durch die Vertretungskörperschaft des Volkes vorangetrieben (§ 5 Abs. 1 BRH-G). Die mit den Gesetzesänderungen verfolgte Absicht tritt sowohl in den Äußerungen des damaligen Präsidenten des Bundesrechnungshofes Wittrock wie in der Begründung zu dem Gesetzentwurf der SPD deutlich an den Tag. Wittrock betont, der Rechnungshof habe ein starkes Interesse, dem Parlament nahezustehen, weil er nur qua Parlament seine Beanstandungen durchsetzen könne 273 . Es gebe ein „besonderes Verhältnis" 268
Ausführlich zur Historie der Rechnungsprüfung schon Grupp, Die Stellung der Rechnungshöfe, S. 14 ff. 269 So Grupp, Die Stellung der Rechnungshöfe, S. 159 ff. Die Einschätzung als Selbstkontrollorgan der Verwaltung in Form einer ministerialfreien obersten Bundesbehörde kann nicht erklären, warum die Exekutive die Legislative kontrollieren darf. 270 Vgl. v. Arnim, in: Kontrolle der Staatsfinanzen, S. 272. Stern (Der verfassungsrechtliche Status der Rechnungshöfe, in: Finanzkontrolle im repräsentativ-demokratischen System, hrsg. v. Böning/v. Mutius, 1989 S. 11 ff. [S. 31]) sieht ohne Anhalt im Wortlaut des Art. 114 Abs. 2 GG den Rechnungshof auf „Kontrolle" beschränkt, legt diesen Begriff dann aber so aus, daß er auch gutachtende Tätigkeit umfaßt; dieser Umweg scheint unnötig. 27 1 Vgl. ζ. B. Sigg, Die Stellung der Rechnungshöfe, S. 33. 272 Vgl. Sigg, Die Stellung der Rechnungshöfe, S. 33. 273 Wittrock, DÖV 1984,649 (651); ders., Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1984, 613; ders., Das Parlament 1984, Nr. 25 S. 8.
C. Der Bundesrechnungshof
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zwischen Rechnungshof und Parlament. Dennoch sieht er den Rechnungshof nicht wie den Wehrbeauftragten als Hilfsorgan des Parlaments, er stehe eher zwischen den Gewalten 274 . Die Ausführungen offenbaren die Bemühung, die Stellung des Rechnungshofes im Unklaren zu belassen, es mit keinem zu verderben: der „Nähe zum Bundestag" stehe ein konstruktiv sachbezogenes Verhältnis zur Bundesregierung gegenüber 275. Die Begründung des SPD Entwurfes zum neuen Bundesrechnungshofgesetz wiederholt den Terminus von der Stellung zwischen den Gewalten und die Betonung der Beratungsfunktion gegenüber dem Parlament wegen des intensivierten Verhältnisses zum Parlament 276. Diesem soll durch ein eigenes Vorschlagsrecht des Parlaments und ein Zweidrittelquorum bei der Wahl des Präsidenten Rechnung getragen werden. Diese Auffassung von der Stellung des Rechnungshofes konnte sich nicht durchsetzen. Der Regierungsentwurf 277 sah eine Wahl des Präsidenten und Vizepräsidenten durch den Bundestag und Bundesrat vor, wie es in der Folge Gesetz geworden ist. Dabei soll der Bundestag mit Mitgliedermehrheit in geheimer Wahl entscheiden. Der Streit zwischen Regierung und Opposition ging also um die Stellung des Bundesrechnungshofes im System der Gewaltenteilung. Die SPD betonte den Charakter des Rechnungshofes als unterstützendes Organ für den Bundestag, zum Ausdruck gebracht durch Vorschlagsrecht, qualifizierte Mehrheiten und die Möglichkeit der Erteilung von Gutachtenaufträgen 278. Darin liegen einige Unklarheiten: im parlamentarischen Regierungssystem ist das Parlament in Mehrheits- und Oppositionsfraktion gespalten. Eine für die Wahl des Rechnungshofpräsidenten erforderliche Zweidrittelmehrheit macht den Rechnungshof nicht zum Instrument des Gesamtparlaments, sondern wesentlich zu dem der Opposition. Dann wäre aber auch die Erteilung von Gutachtenaufträgen mit einer solchen qualifizierten Mehrheit oder als Minderheitenrecht sinnvoll, was nicht vorgesehen war. Gleichzeitig ist eine solche Stellung nur schwer mit der verfassungskräftig garantierten Unabhängigkeit des Bundesrechnungshofes vereinbar. Unklar bleibt dann auch, wieso sich der Rechnungshof in seiner Stellung von der Hilfsorganstellung des Wehrbeauftragten absetzen kann. Schließlich offenbart sich der Irrtum dieser Position in der Aussage von Wittrock 279 , die Nähe des Rechnungshofes zum Parlament sei deswegen erforderlich, weil nur dieses Beanstandungen wirksam machen könne. Die Kontrollfunktion des Parlaments wäre aber nur durch Minderheits-
274 Wittrock, DÖV 1984, 649 f. Eine Sicht als Hilfsorgan ist auch nicht möglich, da der BRH auch gegenüber dem Parlament im wesentlichen weisungsunabhängig ist. 275 Wittrock, DÖV 1984, 649 f. 276 BT Drucks. 10. WP Nr. 2929 S. 8 f. 277 Der RegE ist identisch mit dem Entwurf der CDU / CSU / FDP. Vgl. für den RegE BT Drucks. 10/3323, für den Fraktionenentwurf 10/3204. 278 Vgl. dazu Heuer, in: Heuer / Dommach, Handbuch der Finanzkontrolle, § 1 BRHG, Anm. III 6. Eine entsprechende Möglichkeit kennen zahlreiche Landesrechnungshofgesetze. Die Vereinbarkeit mit Art. 114 Abs. 2 GG gilt als problematisch. 279 Vgl. Wittrock,
DÖV 1984, 650 f.
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2. Abschn.: Exemplarischer Teil
rechte im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Beanstandungen wirksam. Tatsächlich ist man sich auch weitgehend darüber einig, daß die Stärke des Rechnungshofes weniger in dem Weg über das ebenfalls von ihm kontrollierte, aber mehrheitsbeherrschte Parlament als in dem Appell an die Öffentlichkeit liegt 2 8 0 . Nicht klarer ist entgegen den Begründungen und der Literatur die gesetzliche Regelung der Stellung des Bundesrechnungshofes entsprechend dem Regierungsentwurf ausgefallen. Zwar spricht man teilweise in der Literatur davon, daß die Stellung des Rechnungshofes jetzt „ganz deutlich" 281 geklärt sei; der Hof stehe zwischen den Gewalten der Legislative und Exekutive und diene beiden. Die gleichen Formulierungen verwendet der Regierungsentwurf 282. Zusätzlich wird die zeitnahe Unterstützung von Parlament und Regierung als Aufgabe des Rechnungshofes hervorgehoben. Die Ernennungsmodalitäten des Präsidenten und Vizepräsidenten mit alleinigem Vorschlagsrecht der Bundesregierung und geheimer Wahl durch die Gesetzgebungskörperschaften soll den Konsens in der Zusammenarbeit von Parlament, Bundesregierung und Rechnungshof fördern 283 . Tatsächlich wird durch das Wahl verfahren die Stellung von Regierung und Mehrheitsfraktion nicht wesentlich geschwächt. Die qualifizierte Mehrheit und die geheime Wahl stärken nicht die Opposition und die Kontrollfunktion des Parlaments, sondern verhindern lediglich die Durchsetzung von innerhalb der Mehrheitsfraktion umstrittenen Kandidaten durch die Regierung. Insofern wird nur ein begrenzter Konsens erzielt. Darüber hinaus ist die Zusicherung der Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren, vor Ausübung des Vorschlagsrechtes breiten Konsens im Haushalts- und Rechnungsprüfungsausschuß des Bundestages zu suchen 284 , ohne rechtliche Absicherung wenig wirksam. Die Stellung des Rechnungshofes ist durch das neue Gesetz nicht geklärt worden. Er soll unabhängig zwischen den Gewalten von Legislative und Exekutive stehen und beiden dienen. Der Rechnungshof wäre damit Diener zweier Herren, die selber nach der Verfassungslage als Kontrollierender und Kontrollierter sich gegenüberstehen. Es wird erwartet, daß diese im Konsens miteinander tätig werden, was für Kontrolle nicht typisch ist, und schließlich soll der Rechnungshof dennoch unabhängig sein. In den Erwägungungen zu den Ernennungsmodalitäten ist zum Ausdruck gekommen, daß die Kontrollfunktion des Parlaments offenbar hier nicht im Vordergrund stand. Dementsprechend tritt die Aufgabe des Rechnungshofes, die Vorbereitung der Entlastungsentscheidung des Parlaments (Art. 114 Abs. 1 GG), zugunsten der Beratungsfunktion des Rechnungshofes für 280 Vgl. z. B. Zavelberg, S. 28.
281 Vgl. z. B.Eickenbohm/Heuer, DÖV 1985,997 (1000); zur Darstellung der Gesetzgebungsgeschichte S. 998. Ebenso Heuer, in: Heuer / Dommach, Handbuch der Finanzkontrolle § 1 BRH-G Anm. I 1. Zur Darstellung des Konfliktes im Verlaufe der Gesetzgebung vgl. den Bericht des Haushaltsausschusses des Bundestages BT Drucks. 10/3510 S. 5. Wie hier aber Fittschen, VwArch 1992, 165 ff. 282 BT Drucks. 10/3323 S. 10. 283 BT Drucks. 10/3323 S. 9, 12. 284 BT Drucks. 10/3323 S. 12.
C. Der Bundesrechnungshof
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Parlament und Regierung in den Hintergrund. Von hier aus läßt sich ein Übergang zu der sozialen Realität im Haushaltsbereich finden: Haushaltsausschuß des Bundestages und Bundesregierung wirken in fast allen Phasen des Haushaltskreislaufes eng zusammen. Beachtet man, daß der Bundesrechnungshof sowohl Parlament wie Exekutive prüfen und beraten kann, daß er an Gutachten- und Prüfungswünsche beider nicht gebunden ist, sowie, daß die Beratung eher ein Anhörungsrecht als eine Unterstützung im engeren Sinne ist, so wird deutlich, wie die Stellung des Rechnungshofes realistisch zu beschreiben ist: Er stellt eine unabhängige Institution dar, die beide Gewalten in ihrem Zusammenspiel kontrolliert und befruchtet, indem er ihre Arbeit bemängelt oder den von ihm repräsentierten Aspekt in diese Arbeit einführt. Das Zusammenwirken von Parlament(-sausschüssen) und Bundesregierung in allen wichtigen Stadien des Haushaltskreislaufes hat Heun ausführlich dargestellt. Diese Zusammenarbeit wird durch die Kompetenzen der Bundesregierung bei der Aufstellung des Entwurfes des Haushaltsplanes und durch die weitgehend extra legem entwickelten Ingerenzen des Parlaments im Haushaltsvollzug ermöglicht. Dabei leidet die Kontrolltätigkeit des Parlaments naturgemäß Einbußen. Zwar geht Heun davon aus, daß die Verfassung „ein Bild enger Kooperation entwirft, die sich in den Art. 110, 111, 112, 114 Abs. 1 GG als mehrfache Verzahnungen funktional differenzierter, klar von einander geschiedener Beiträge zum gesamten Entscheidungsprozeß darstellt." 285 Darin ist jedoch der gesamte Bereich der Kooperation im Bereich des Haushaltsvollzuges übergangen. So muß Heun auch feststellen, daß bei „genauer Beobachtung des Entscheidungsprozesses" die „Trennung" „zunehmend an Trennschärfe" verliert und in einen „permanenten Kooperationsprozeß" übergeht. Für diesen Bereich informeller Kooperation konzediert er, daß oft die „parlamentarische Kontrolle nahtlos in eine informelle Mitentscheidung" übergeht 286 . Nimmt man hinzu, daß nach Ansicht Heuns das Vetorecht der Bundesregierung nach Art. 113 Abs. 1 GG weitgehend leerläuft 287 und daß die Entlastung nach Art. 114 Abs. 1 GG weitgehend bedeutungslos ist, dann ist wohl kaum noch von einer klaren funktionalen Differenzierung zu sprechen, die das Parlament als „pluralistischen Widerpart der Regierung" 288 ausgestaltet. Heun verkennt dies nicht, nimmt es aber als „unmittelbare und zwingende Konsequenz" des parlamentarischen Regierungssystems hin 2 8 9 . Hier wird gegenüber der Betonung des kooperativen Prozesses der Verantwortungsgemeinschaft Mehrheitsfraktion und Regierung dagegen mehr Wert auf die Entwicklungen gelegt, die die damit verbundenen Kontrollschwächen kompensieren. 285 Heun, S. 524 f. 286 Heun, S. 525.
287 Heun, S. 182 ff. (183). 288 Heun, S. 109 ff.
289 Vgl. Heun, S. 528, auch S. 116. 16 Waechter
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2. Abschn.: Exemplarischer Teil
Vor diesem Hintergrund läßt sich auf die Kritik an der Beratungsfunktion des Rechnungshofes genauer antworten. Diese Kritik weist zwei Aspekte auf. Zunächst Zweifel an der Unabhängigkeit des Rechnungshofes bei der Prüfung, wenn vorher in der gleichen Angelegenheit beraten wurde. Dies Problem kann durch § 17 BRH-G gelöst werden, der eine Befangenheitsregelung enthält 290 . Der zweite Aspekt betrifft die Schwächung der Stellung des Bundesrechnungshofes bei der Vorbereitung der Entlastungsentscheidung des Parlaments nach Art. 114 Abs. 1 GG zugunsten der Beratungstätigkeit 291. Diese Schwächung zeigt sich in der Praxis mit der Verlagerung des tatsächlichen Tätigkeitsschwerpunktes deutlich. Da im parlamentarischen Regierungssystem die Entlastungsentscheidung des Parlaments nach Art. 114 Abs. 1 GG, über die mit einfacher Mehrheit entschieden wird, keine große Bedeutung mehr hat, wächst der Rechnungshof aus der Unterstützungsfunktion für das Parlament in eine stärker eigenständige Stellung. Der Akt der Entlastung selbst erschöpft sich in seiner politisch-deklaratorischen Bedeutung der Übernahme der politischen Verantwortung durch das Parlament 292. Übertrieben scheint es, wie Maunz von einem „wichtigen Glied im Zusammenspiel der Gewalten" 293 zu sprechen. Da die Regierung von der Mehrheitsfraktion unterstützt wird, wird ihr kaum jemals die Entlastung verweigert werden. In der Praxis kommt dies denn auch so gut wie nie vor; ein historischer Fall des Vorkommens beruhte auf der Nachlässigkeit von Abgeordneten hinsichtlich der Anwesenheit bei der Abstimmung 294 . Wird die Entlastung verweigert 295 , so resul290 Sigg hatte eine Aufgabentrennung innerhalb des Rechnungshöfe^ angeregt (Sigg, Die Stellung der Rechnungshöfe, S. 38). M. E. läßt sich die Befangenheitsvorschrift so auslegen, daß eine Befangenheit bei früherer Befassung mit der gleichen Sache eintritt. Man könnte sich insoweit an vergleichbare Problemstellungen im Prozeßrecht anlehnen (vgl. dazu Wendisch, in: Löwe / Rosenberg, §24 Rdnr. 33 f.; Zöller, §42 Rdnr. 15). Demgegenüber scheint mir der Hinweis auf die Seltenheit der Doppelbefassung und die persönliche Integrität der Prüfer von Wittrock nicht hinreichend (vgl. Wittrock, Der Rechnungshof als Berater, DÖV 1989, 346 ff. [348 f.]). Rechtlich kann eine Äußerung im Rahmen der Beratung die erneute nachträgliche Befassung in der Prüfung nicht binden. Das ist für das Verhältnis von präventiver und repessiver Kommunalaufsicht zutreffend entschieden (vgl. NVwZ 1987, 155). 291 Der RegE zum BRH-G suchte hier eine Lösung zu finden, indem er die Gutachtenerteilung in das Ermessen des Rechnungshofes stellte. Dadurch sollte der Vorrang der Prüfungstätigkeit gesichert werden; vgl. BT Drucks. 10/3323 S. 10. 292 Vgl. zur Wirkung der Entlastung Vogel / Kirchhof, in: BK, Art. 114 Rdnr. 149. Ebenso Bouwman, Die Bedeutung der staatsrechtlichen Entlastung, 1969. 293 Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 114 Rdnr. 59. 294 Auch auf Länderebene entfaltet das Instrument der Entlastung höchstens präventive Wirkung. Vgl. Röper, DVB1 1980, 525 ff. (525 f.). 295 Die Verweigerung der Entlastung könnte dann eintreten, wenn die Regierung das Vertrauen der Mehrheit verloren hat. In dieser Situation sind die Mittel des Rücktrittes der BReg oder eines konstruktiven Mißtrauensvotums aber sachgerechter als die folgenlose Entlastungsverweigerung. Für die Austragung von Differenzen zwischen Mehrheitsfraktion und Regierung ist die Entlastungsentscheidung zu unflexibel und zu öffentlich, also wenig geeignet.
C. Der Bundesrechnungshof
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tieren daraus keine Rechtsfolgen; weder für den Bestand der Regierung noch für ihre Haushaltsführung; der Vorgang erschöpft sich in seiner politischen Bedeutung 296 . Diese besteht in der Entlastungspraxis darin, daß die Opposition eine Gelegenheit hat, eine Debatte über die Haushaltsführung der Bundesregierung herbeizuführen 297 und sich dabei auf das Material des Rechnungshofes zu stützen. Dieses wird dem Parlament und der Regierung zeitgleich zugeleitet, § 97 Abs. 1 BHO. Andere Phasen des Haushaltskreislaufes haben aus weiteren Gründen für die Kontrollfunktion des Parlaments an Bedeutung verloren. Bereits erwähnt wurde, daß die traditionelle Stellung der Vertretungskörperschaft als des Vertreters der Ausgabenunwilligkeit sich gewandelt hat. Neben den weniger wichtigen,Wahlgeschenken' liegt dies an der zunehmenden Bedeutung der Sozialstaatlichkeit, der Sicherung auch von Freiheitsrechten durch Leistungen des Staates und der Bedeutung von Vorgaben für den Haushalt durch die bestehenden Gesetze. Politische Profilierung von Parteien bzw. Fraktionen ist also wesentlich mit Ausgabenbereitschaft verknüpft. Damit ist von vornherein die latente Konfrontation zwischen parteienbeherrschtem Parlament und parteigetragener Regierung abgemildert. Von erheblicher Bedeutung ist auch die politische Entwertung des Haushaltskreislaufes für die Kontrollaufgabe durch die Entwicklung von der Einnahme- zur Ausgabenbewilligung 298. Eine erste Schwächung der Parlamente lag in dem Verzicht auf die Jährlichkeit der Einnahmebewilligung; diese konnte durch die gewonnene detailliertere Kontrolle über die Ausgaben nicht voll kompensiert werden. Der preußische Haushaltskonflikt konnte nur wegen der ohne Parlamentsentscheidung weiter einkommenden Abgaben von Bismarck durchgestanden werden. Mit der inzwischen fast durchgängigen Verrechtlichung des Leistungsbereiches der Staatsverwaltung ist der wichtigste Punkt benannt, der den Bedeutungsschwund des Budgetrechts begründet. Die Entscheidungsautonomie des Haushaltsgesetzgebers ist an gesetzliche Leistungspflichten gebunden299. Personalkosten sind wegen der arbeits- und beamtenrechtlichen Sicherungen ebenfalls nicht kurzfristig verfügbar. Begonnene Projekte werden meist schon aus Gründen der Wirtschaftlichkeit weitergeführt, auch wenn die politische Bewertung sich geän296 Darüber besteht Einigkeit; die Entlastung ist also hier nicht mit der im Zivilrecht, ζ. B. bei Aktiengesellschaften zu vergleichen. (Vgl. Vogel / Kirchhof, in: BK Art. 114 Rdnr. 157. 297
298
Vgl. Röper, S. 526.
Demgegenüber sprechen Rürup / Färber, Die Verwaltung 1985, 173 ff. (175) immer noch von der überragenden Bedeutung des Budgetrechts für die politische Kontrollfunktion des Parlaments. Sie sehen die Kontrolldefizite hauptsächlich in der mangelnden Transparenz des Haushaltsplanes und der fehlenden Erfolgskontrolle (S. 195). 299 Vgl. Heun, S. 176 ff. Die Minderung der Bedeutung der parlamentarischen Ausgabenbewilligung in diesem Bereich zeigt sich ζ. B. in Art. 112 GG i.V. § 37 Abs. 1 S. 4, 2. HS i.V. Abs. 4 BHO: danach ist ein Nachtragshaushalt bei gesetzlichen Ausgabeverpflichtungen entbehrlich; das Parlament begnügt sich mit der bloßen Mitteilung. 1*
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2. Abschn.: Exemplarischer Teil
dert hat. Der größte Teil des Haushaltsvolumens ist also bereits bei Befassung des Parlaments mit dem Haushaltsgesetz und dem Haushaltsplan gebunden und nicht mehr disponibel. So reduziert sich die „freie Spitze" des Haushaltes häufig auf einen Betrag unterhalb von 10% des Gesamtvolumens300. Nur in diesem Bereich hat das Parlament noch Gestaltungsmacht. Das Bepackungsverbot des Art. 110 Abs. 4 GG verhindert, daß das Parlament diese Situation dadurch ändert, daß es im Haushaltsgesetz ζ. B. Leistungsgesetze mit langfristiger Wirkung abändert 301 . Das Parlament hat sich zwar mit dem Haushaltsbegleitgesetz ein Instrument geschaffen, um das Bepackungsverbot zu umgehen; dies unterliegt aber zahlreichen praktischen Schwierigkeiten der Benutzung 302 . Es verbleiben einige Bereiche, in denen sich die Kontrollfunktion der parlamentarischen Opposition noch entfalten kann; dies ist vor allem der Bereich der Verteidigungslasten sowie der Bereich von Investitionen, also Baukosten. Im Ergebnis ist aber festzustellen, daß die Bedeutung der Haushaltsentscheidungen gering ist und auf die Entscheidungen im Rahmen der materiellen Gesetzgebung übergegangen ist. Diesen Veränderungen entspricht die dargestellte Wandlung der Funktionen des Bundesrechnungshofes. Der Rechnungshof hat die Aufgabe übertragen bekommen, die Ziele der Sparsamkeit bzw. der Effektivität in den politischen Prozeß einzubringen, nachdem die effektive Erfüllung dieser Aufgabe dem Parlament nicht mehr zugetraut wird. Der Rechnungshof bringt diese Aspekte weniger bei der Vorbereitung der Entlastungsentscheidung nach Art. 114 Abs. 1 GG als in der Beratung der allgemeinen finanzwirksamen Gesetzgebung ein 3 0 3 . Der Rechnungshof ist im Ergebnis nicht ein Hilfsorgan des Parlamentes oder eines anderen Verfassungsorganes; entsprechend ist dieser Begriff bei der Neufas300 Zur freien Spitze vgl. v. Mutius, Die Steuerung des Verwaltungshandelns, VVdStRL 42 (1984) S. 147 ff. (179 f. m. w. N. Fn. 123; auch S. 166 f.). Zu weiteren Bindungen des Haushalts aus dem Bereich völkerrechtlicher Verträge oder der EGFinanzierung vgl. Heun, S. 218 ff. Dagegen wiegen die Bindungen aus der längerfristigen Finanzplanung leichter, weil diese de facto aus dem Haushalt entwicklet wird und nicht umgekehrt (Heun, S. 232 ff.). soi Dies ergibt sich aus dem zeitlichen Charakter des ΒepackungsVerbotes, nach dem das Haushaltsgesetz auf die i. d. R. einjährige Haushaltsperiode beschränkt ist. Zum Bepackungsverbot vgl. Portatius, Das haushaltsrechtliche Bepackungsverbot, 1975, Friauf; VVdStRL 42 (1984) S. 276; Heun, S. 265 ff. 302 Zu den Haushaltsbegleitgesetzen vgl. Heun, S. 212 ff., der den Willen zur Rückgewinnung von Gestaltungsfreiheit betont. Die praktischen Schwierigkeiten resultieren vor allem aus dem hohen Zeitdruck, unter dem Haushaltsgesetze verabschiedet werden. Dieser läßt sich auf die Begleitgesetze schwer übertragen; vgl auch dazu Heun, S. 217. 303 Zur Praxis des Rechnungshofes bei der Beratung der Gesetzgebung außerhalb der Haushaltsgesetzgebung vgl. Blasius, DÖV 1989,298 ff. (302). Positiv zu dieser Funktion auch Kirchhof, Die Steuerung des Verwaltungshandelns, NVwZ 1983, 505 ff. (514 f.). Freilich ist die allgemeine Gesetzgebung wiederum von den verfügbaren Mitteln abhängig (vgl. Isensee, VVdStRL 42 [1984] S. 268 f.), so daß entscheidend letzten Endes die Steuergesetzgebung ist.
C. Der Bundesrechnungshof
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sung des BRH-G vermieden worden. Er ist vielmehr eigenständiges Staatsorgan mit Kontrollaufgaben 304 . Dieser Eigenständigkeit entspricht es, wenn in der Literatur weitgehend Einigkeit darüber herrscht, daß der Rechnungshof Affinitäten zu allen drei Staatsfunktionen aufweist, aber hinsichtlich keiner einzigen alle typischen Merkmale aufweist. Seine Unabhängigkeit ist zunächst in Art. 114 Abs. 2 GG vorgesehen, darüber hinaus aber nach der hier aufgestellten Hypothese auch durch das Gewaltenteilungsprinzip, das die Unabhängigkeit von Kontrollorganen rechtfertigt, erfaßt. Dieser Inhalt des Gewaltenteilungsgrundsatzes findet in Art. 114 Abs. 2 GG eine spezialgesetzliche Ausprägung für den Einzelfall. 2. Die Zuordnung der Kompetenzen Hinsichtlich der für die Zuordnung der Kompetenzen maßgeblichen Merkmalsreihe läßt sich folgendes sagen: Die Rechnungshöfe werden von Amts wegen tätig. Ihre Tätigkeit war früher rein nachträglich kontrollierend, hat sich aber in jüngerer Zeit zur mitlaufenden Mitgestaltung hin verschoben. Diese Mitgestaltungsfunktion widerspricht wie gezeigt nicht der Einstufung als Kontrollorgan. Das Verfahren der Rechnungshöfe ist gegenüber den gesellschaftlichen Interessen nicht offen, was der ursprünglich rein nachvollziehenden Kontrollaufgabe entspricht. Der Maßstab seiner Prüfungstätigkeit ist dem Bundesrechnungshof in Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG mit der „Wirtschaftlichkeit" vorgegeben. Dieser Maßstab ist allerdings, wie ausgeführt unpräzise. Er läßt sich gegenständlich auf jede Staatstätigkeit anwenden. Auch bei den Rechnungshöfen liegt die entscheidende Frage für die innere Abstimmung der Kompetenzordnung daher bei den Entscheidungsfolgen. Anders als die Bundesbank betreffen die Entscheidungen der Rechnungshöfe direkt das Handeln anderer Staatsorgane. Damit wäre ein Kompetenzkonflikt vorprogrammiert, wenn dieser nicht durch die unmittelbare rechtliche Folgenlosigkeit der Beanstandungen und Bemerkungen der Rechnungshöfe ausgeräumt wäre. Der im Vergleich zur Bundesbank direktere Kontrollbezug auf andere Staatsorgane wird also entschärft durch die fehlende Verbindlichkeit. Eine Beanstandung durch den Rechnungshof kann ein Handeln anderer Staatsorgane niemals direkt verhindern, sondern lediglich erschweren. Demgegenüber hatte sich bei der Zentralbank gezeigt, daß sie ein Staatshandeln, das einer ungedeckten Geldschöpfung bedarf, auch gänzlich zu verhindern vermag (aber im Falle'der Verteidigung nicht darf). Im Ergebnis ergibt sich auch hier bezüglich der Kontrollfunktion eine indirekte Steuerung über die Motivationsbildung der kontrollierten Staatsorgane. In jedem Falle bleibt auch hier die Letztverantwortlichkeit für das gegenwärtige oder zukünftige Verhalten des kontrollierten Staatsorganes bei diesem selbst; es müssen lediglich die nachteiligen Wirkungen einer Kritik durch den Rechnungshof in seine Überlegungen einbezogen werden. 304
Über die Kontrollaufgabe besteht kein Streit; vgl. schon früh Beckensträter, S. 190: Aufgabe sei eigenständige Kontrolle der Staatsgewalten.
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2. Abschn.: Exemplarischer Teil
An einer Einzelfrage hinsichtlich der Kompetenzausstattung des Bundesrechnungshofes sind allerdings in der Literatur Zweifel aufgetaucht. Diese soll in der Folge deswegen näher beleuchtet werden, weil sie kennzeichnend für den Zusammenhang zwischen der verfassungsrechtlichen Grundlage der Rechtfertigung von kontrollbezogener Unabhängigkeit und der Einräumung von Kompetenzen ist. 3. Der eigenständige Zugang zur Öffentlichkeit Unmittelbar im Zusammenhang mit der Stellung des Rechnungshofes 305 ist die Frage danach aufgetaucht, ob der Rechnungshof die Kompetenz hat, sich unmittelbar — das heißt vor allem nicht auf dem Weg über das Parlament — an die Öffentlichkeit zu wenden. Die Annahme eines solchen Rechtes könnte deswegen naheliegen, weil der Rechnungshof ohne das Recht, verbindliche Entscheidungen mit Rechtsfolgen zu treffen, auf die „Kraft des Argumentes" 306 angewiesen ist. Diese Kraft könnte durch die Einschaltung der Öffentlichkeit eine Verfielfältigung erfahren 307. Die Beantwortung dieser Frage wird bezeichnenderweise in Zusammenhang mit der Vereinbarkeit der Stellung des Bundesrechnungshofes mit dem Demokratiepinzip gebracht 308 . Kirchhof meint, daß eine Wahrnehmung der Waffe der Öffentlichkeit als eines Instrumentes der Außenwirkung nicht mit dem Grundgesetz, insbesondere Art. 20 Abs. 2 „Demokratie" vereinbar sei, da für außenrechtlich wirksames Handeln die demokratische Verantwortlichkeit fehle 309 . Die Antwort auf dieses Argument liegt in der oben vorgenommenen Auslegung dieses Verfassungsprinzips, die es erlaubt, auch unabhängige Kontrollorgane mit außenrechtlichen Befugnissen auszustatten. Entgegen Kirchhof hält denn auch v. Arnim den Appell an die Öffentlichkeit für gerechtfertigt. Das Grundgesetz schränke ζ. B. in Art. 79 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 1, 20 das Parlament ein; dann müsse eine Institution wie der Rechnungshof, der seine demokratische Legitimation unmittelbar aus dem Grundgesetz beziehe, als vom Volk legitimiert, auch an das Volk appellieren dürfen 310 . 305 Vgl. zu einer ähnlichen Frage hinsichtlich des Rechts zur Flucht an die Öffentlichkeit, das an eine Stellung in der Gewaltenteilung gekoppelt ist, Smend, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 247 ff. (253). 306 Sigg, Die Stellung der Rechnungshöfe, S. 62; Sigg sieht aber an anderem Orte auch die Waffe der Öffentlichkeit (S. 77). 307 Vgl. zum Öffentlichkeitszugang als wirksamster „Waffe" von Untersuchungsausschüssen Busch, in: Busch, Handschuh, Kretschmer, Zeh, Wegweiser Parlament, S. 494. 308 Kirchhof, NVwZ 1983, 505 ff. (515). 309 Kirchhof, NVwZ 1983, 515. Α. A. für Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip v. Mutius, Finanzkontrolle und Öffentlichkeit, S. 310 ff. (317 f.). 310 v. Arnim, in: Finanzkontrolle in der Demokratie, S. 56 f., 98 f. Das Argument scheint mir allerdings in dieser Form zu ungenau zu sein, da sein Anwendungsbereich sehr breit erscheint.
C. Der Bundesrechnungshof
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Weiter trägt Kirchhof vor, Art. 114 Abs. 2 GG selbst beschränke den Rechnungshof auf den staatlichen Innenbereich 311. Auch v. Mutius meint, daß die be wußte Beschränkung der Mittel des Bundesrechnungshofes durch eine erlaubte Mobilisierung der Öffentlichkeit unterlaufen werden könne 312 . In der Tat kann von einer be wußten Beschränkung gesprochen werden, deren Gründe oben dargelegt worden sind. Veto- und andere Entscheidungsrechte sind jedoch funktional von einem Appellrecht scharf zu trennen. Das letzte wirkt nur indirekt, besonders über die gefährdeten Wiederwahlchancen. Veränderungen der konkreten Haushaltsführung sind damit regelmäßig nicht zu erzwingen. Die indirekte Wirkung eines solchen Appelles an die Öffentlichkeit trägt der dargestellten Tatsache Rechnung, daß das Beurteilungskriterium der Rechnungshöfe lediglich einen Aspekt einer notwendigen umfassenden Bewertung darstellt. Der über die öffentliche Meinung vermittelte Wirkungsweg garantiert, daß die Beanstandungen des Rechnungshofes in den umfassenden Abwägungsprozeß bei der Bildung der öffentlichen Meinung eingestellt werden, in dem auch andere Ziele zur Geltung kommen. Insofern wird die Vorenthaltung von Entscheidungsrechten nicht unterlaufen. Kisker bezweifelt die Vereinbarkeit einer Flucht in die Öffentlichkeit mit Art. 114 Abs. 2 GG angesichts der Gesetzgebungsgeschichte313. Gegen die Tendenz, den Rechnungshof durch ein Recht auf Zugang zur Öffentlichkeit aufzuwerten 314, hat sich auch v. Mutius ausgesprochen. Zwar konstatiert auch er eine mangelnde Finanzkontrolle durch das Parlament, plädiert aber zugunsten einer Stärkung der Oppositionsrechte im Parlament und nicht für eine Kontrollverlagerung auf den Rechnungshof 315. Gleichzeitig parallelisiert er die Rolle des Rechnungshofes mit der der Opposition 316 . Er betont, daß der Bundesrechnungshof kein Hilfsorgan des Parlaments sei 317 ; der Rechnungshof sei eine Art vierter Gewalt 318 . Deutlich ist entgegen diesen Ausführungen aber, daß auch die Opposition zwar keine Entscheidungsrechte hat, wohl aber das Recht auf unmittelbaren Zugang zur Öffentlichkeit. Akzeptiert man also die Parallele, so gibt es 3i ι Kirchhof NVwZ 1983, 515. Daraus schließt Kirchhof, daß entgegen der gängigen Praxis auch kein rechtliches Gehör zu den Beanstandungen zu gewähren sei; Kirchhof, NVwZ 1983, 515. Zum Grundrechtscharakter des Anspruches auf rechtliches Gehör Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 103 Abs. 1 Rdnr. 28 ff. 312 v. Mutius, Finanzkontrolle und Öffentlichkeit, S. 320 ff. 313 Kisker, in: Finanzkontrolle im Wandel, S. 95. 314 Für den Öffentlichkeitszugang außer v. Arnim ζ. B. Hendler, DVB1 1983, 873; Greifeid, S. 107. Zum Anspruch des Bürgers auf Einsicht in nicht veröffentlichte Finanzkontrollberichte auf Kommunalebene v. Arnim, Die Öffentlichkeit kommunaler Finanzkontrollberichte als Verfassungsgebot, 1981. 315 v. Mutius, Finanzkontrolle und Öffentlichkeit, in: Kontrolle der Staatsfinanzen, S. 310 ff. (385 f.). 316 v. Mutius, Finanzkontrolle und Öffentlichkeit, S. 310 ff., 317 ff. 317 v. Mutius, Finanzkontrolle und Öffentlichkeit, S. 319. 318 v. Mutius, Finanzkontrolle und Öffentlichkeit, S. 317.
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dennoch keine Notwendigkeit für die Argumentation v. Mutius'. Auch die Bemerkung, Öffentlichkeitsarbeit sei im Rahmen des normalerweise bei den obersten Bundesbehörden Üblichen gestattet und notwendig 319 , läßt sich mit der von diesem Behördentypus abweichenden Stellung des Rechnungshofes als einer Stelle mit Kontrollauftrag schwerlich vereinbaren 320. Andere Autoren sehen kein Rechtsproblem bei dem Appell an die Öffentlichkeit 3 2 1 . In der Praxis verfahren die Rechnungshöfe zurückhaltend, gewähren aber jedenfalls regelmäßig ein „rechtliches Gehör" für den Beanstandeten322. Weitgehende Einigkeit besteht nur darüber, daß ein Recht der Rechnungshöfe zum Appell an die Öffentlichkeit wünschenswert wäre 323 , aber de lege lata schwierig zu begründen ist. Es kommt also offenbar alles auf die oben dargestellten Auslegungsmöglichkeiten des Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzips sowie auf die Stellung des Rechnungshofes zu den Verfassungsorganen an. Die Auffassung, die den Rechnungshof als dem Parlament zuzuordnendes Organ sieht, beschränkt ihn auch für den Zugang zur Öffentlichkeit auf den Weg über die Volksvertretung. Das Parlament soll die Anregungen des Rechnungshofes aufnehmen und gegenüber der kontrollierten Exekutive durchsetzen 324. Es zeigte sich jedoch, daß die Kontrolle in der Realität des Parlaments der Opposition obliegt und daß diese über keine großen Durchsetzungschancen verfügt. Im Parlament als Ganzem würde derjenige, der die Beanstandung durchsetzen soll, mit demjenigen, der in Verantwortungsgemeinschaft mit der Regierung die beanstandeten Maßnahmen trägt, zusammentreffen. Die Adressaten entschieden dann über das Akzeptieren der Beanstandungen325. Demgegenüber ist schon oben kurz erwähnt worden, daß das reale Druckmittel der Rechnungshöfe die Drohung mit der öffentlichen Meinung ist 3 2 6 . Daher stellt sich die Frage, inwieweit die Rechnungshöfe an die Öffentlichkeit appellieren dürfen. Dagegen könnte die hier vertretene Auffassung, die die Unabhängigkeit bestimmter Kontrollinstitutionen für mit Art. 20 Abs. 2 GG vereinbar hält, dem 319 v. Mutius, Finanzkontrolle und Öffentlichkeit, S. 322 f. 320 Insofern ist v. Arnim, Die Öffentlichkeit kommunaler Finanzkontrolle, S. 49 recht zu geben: Kontrolle kann nicht funktionieren, wenn sie auf Akzeptanz auf Seiten der Kontrollierten angewiesen ist. Auch Stern, Die staatsrechtliche Stellung des Bundesrechnungshofes, in: Kontrolle der Staatsfinanzen, S. 42 hält die Rechnungshöfe mit obersten Bundesbehörden nicht für vergleichbar. 321 Vgl. Sigg, S. 77; Zavelberg, S. 28.
322 Wittrock,
Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1985,
189; Zavelberg, S. 100.
323 Ζ. B. Kisker, in: Finanzkontrolle im Wandel, S. 95. 324 Diese Position vertrat Wittstock, DÖV 1984, 649 ff. (651). 325 Eine solche Position vertretender«/? / Färber, Die Verwaltung 1985,173 ff. (199). 326 So auch v. Mutius, VVdStRL 42 (1984) S. 185 m. w. N. Fn. 141.
C. Der Bundesrechnungshof
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Rechnungshof ein Recht auf Zugang zur Öffentlichkeit ebenso zugestehen wie der Bundesbank, die ein solches Recht — anscheinend unhinterfragt — in beträchtlichem Ausmaß wahrnimmt 327 . Vorrangig ist zunächst der Text der Verfassung daraufhin zu befragen, ob sich aus ihm etwas für die Beantwortung der aufgeworfenen Frage ergibt. Der Wortlaut des Grundgesetzes gibt keinen Aufschluß. Eine Durchsicht des Grundgesetzes ergibt allerdings, daß die Befugnis eines Organes oder einer Gliederung, unmittelbar an die Öffentlichkeit zu treten, nirgendwo als explizite Befugnis aufgeführt ist. Da sie dennoch für einige Stellen unzweifelhaft vorhanden ist, kann man nur schließen, daß das Grundgesetz sich auf die Normierung spezifischer Einflußnahmen zwischen den Organen beschränkt, den Öffentlichkeitsbezug aber nicht ausdrücklich behandelt. Das ist wegen dessen einerseits indirekter Wirkung, andererseits globaler Wirksamkeit nicht erstaunlich. Die entsprechende Befugnis läßt sich also nicht aus dem Wortlaut des Art. 114 Abs. 2 GG ableiten, sondern muß aus der systematischen Stellung der Institution erschlossen werden. Deswegen kann die Tatsache, daß der Bundesrechnungshof gemäß Art. 114 Abs. 2 GG an den Bundestag und die Bundesregierung berichtet, nicht als von vornherein abschließende Enumeration gemeint sein. Es kommt also auch nicht darauf an, ob Art. 114 Abs. 2 GG lediglich Aufgabenzuweisungsoder auch Befugnisnorm ist 3 2 8 . Die historische Auslegung des Art. 114 Abs. 2 GG ergibt ebenfalls kein Indiz für oder gegen die Zulässigkeit einer ,Flucht in die Öffentlichkeit 4 . Der Änderungsvorschlag zu dieser Grundgesetznorm stammt vom Rechtsausschuß des Bundestages329. In der Begründung zu diesem Änderungsvorschlag 330 ist die Rede von der durch die Änderung — insbesondere die Einfügung der Berichtspflicht — beabsichtigten „Heranführung an das Parlament" 331 . A n gleicher Stelle wird aber betont, daß der Rechnungshof dienendes Organ nicht nur für die Legislative, sondern auch für die Exekutive sei. Schließlich soll der Gesetzesvorbehalt des Art. 114 Abs. 2 GG es ermöglichen, daß das Parlament dem Rechnungshof weitere, im Grundgesetz nicht genannte Aufgaben übertragen, aber auch dessen Tätigkeit beschränkt halten kann. Daneben soll die Ausgestaltung des Verfassungsauftrages in seinen Einzelheiten dem Gesetz überlassen bleiben. Tatsächlich ist bei der Änderung des Art. 114 Abs. 2 GG keine klare Vorstellung über die Stellung des Rechnungshofes zu den weiteren Gewalten vorhanden gewesen. Dies zeigt sich darin, daß noch 1985 bei der Neufassung des Bundesrechnungshofgesetzes, wie oben dargestellt, widersprüchliche Positionen vertre327 Damit wäre der im englischen Verfassungsrecht schon lange anerkannte Grundsatz konkretisiert, daß die Machtbasis jeder Kontrolle in der öffentlichen Meinung liegt. 328 Vgl. dazu Stern, in: Kontrolle der Staatsfinanzen, S. 28. 329 BT Drucks. 5/3605 S. 13 f. 33 0 Betr. das ÄndG v. 20.5.1969. 33 1 BT Drucks. 5/3605 S. 13.
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2. Abschn.: Exemplarischer Teil
ten wurden. Der noch bei der Änderung des Art. 114 Abs. 2 GG angesprochene Hilfsorgancharakter des Rechnungshofes ist entgegen dem Vorbild des Wehrbeauftragten nicht in das Gesetz übernommen worden 332 . Die nur vermeintlich klare Positionsbestimmung des Rechnungshofes als unabhängiger Institution zwischen den Gewalten, beiden dienend, aber kein Hilfsorgan, hat vieles offengelassen. Daraus läßt sich insgesamt kein zwingendes Argument für oder gegen einen Öffentlichkeitszugang entnehmen. Eine Antwort ist demzufolge erwartungsgemäß nur aus der teleologisch-systematischen Auslegung zu gewinnen, die an die Stellung und Aufgabe des betroffenen Staatsorganes anknüpfen muß. Hinsichtlich der Folgen, die sich aus der Stellung eines Staatsorgans für dessen Kompetenz, an die Öffentlichkeit zu gehen ergeben, ist das Beispiel des Wehrbeauftragten aufschlußreich 333 . Intensiv diskutiert wurde die Frage anläßlich der sogenannten Heye-Krise im Jahr 1964, als der Wehrbeauftragte diesen Weg wegen vermeintlichen Desinteresses des Parlamentes gewählt hatte. Dabei ist die Literatur weitgehend zu der Ansicht gekommen, daß dieses Vorgehen unzulässig war. So wird ein solches Verhalten von Dürig pauschal abgelehnt 334 . E. Busch ist ebenfalls der Ansicht, daß der Wehrbeauftragte im fraglichen Fall zu Unrecht an die Presse gegangen sei 3 3 5 . In dieser Äußerung wird allerdings nicht vollständig deutlich, ob die Beurteilung auf den spezischen Fall beschränkt ist. Dieser hatte die Besonderheit, daß die Darstellung in der Presse von dem Bericht an den Bundestag erheblich abwich; daß dies nicht zulässig sein kann, ist evident. Im übrigen betont Busch stark den Zusammenhang von Kontrolle und ÖffentlichkeitsWirkung 336 . Deswegen dürfe der Wehrbeauftragte auch Interviews geben, Reden halten etc. Dies sei aber bloße Reflexwirkung der durch das Parlament vermittelten Öffentlichkeit 3 3 7 ; dieses bleibe stets Adressat, obwohl die Berichte auch mit Blick auf die Öffentlichkeit geschrieben würden 338 . Offener äußert sich Hernekamp, der die Mobilisierung der Öffentlichkeit zulassen w i l l 3 3 9 . 332
Möglicherweise aufgrund des Einflusses von Wittrock, der dadurch die Unabhängigkeit des Rechnungshofes gefährdet sah, vgl. Wittrock, DÖV 1984, 650. 333 Neben dieser Fragestellung ist bezeichnenderweise auch beim Wehrbeauftragten das Problem des politischen Charakters seiner Tätigkeit und insbesondere seiner Berichte aufgekommen; auch hier geht die Tendenz der veröffentlichten Meinung zur Behauptung der Neutralität: „Der Wehrbeauftragte soll überhaupt keine Politik treiben, sondern sachlich berichten"; Maurer, Wehrbeauftragter und Parlament, in: Recht und Staat, 1965, Heft 317/8 S. 38. 334 Dürig,in: Maunz / Dürig, Art. 45 b Rdnr. 21. Ablehnend mch Achterberg / Schulte, in: Das Bonner GG, Bd. VI, 1991 Art. 45 b Rdnr. 63 ff. 33 5 Busch, in: BK, Art. 45 b Rdnr. 225 f. 33 6 Busch, in: BK, Art. 45 b Rdnr. 228 ff.; vgl. auch ders., in: Der Wehrbeauftragte, 1989 S. 169: „notwendiger Öffentlichkeitsbezug"; ebenso Maurer, Wehrbeauftragter und Parlament, S. 40. 337 Busch, in: BK Art. 45 b Rdnr. 237.
C. Der Bundesrechnungshof
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Das Verbot, die Öffentlichkeit zum Ersatzadressaten oder zum zusätzlichen Adressaten neben dem Parlament zu machen, wird in der Literatur wesentlich auf die Hilfsorganstellung des Wehrbeauftragten gestützt 340 . Diese soll die Kontrolle durch das Parlament verstärken. Der Interpretationshorizont ist bestimmt von der Bemühung um die Sicherung des Primates der Politik über das Militärische 341 . Ule, der bekanntlich von einer Doppelstellung des Wehrbeauftragten ausgeht 342 , könnte also zu einem anderen Ergebnis gelangen. Daß trotz allem ein von der Parlamentsmehrheit unabhängiger Öffentlichkeitsbezug des Wehrbeauftragten möglich sein sollte, war in der Heye-Krise praktisch deutlich geworden. Ergebnis war eine Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages, die dem Wehrbeauftragten die Möglichkeit des mündlichen Vortrages im Plenum sichern soll. Ihm kann nunmehr gemäß § 115 Abs. 1 GO BT das Wort erteilt werden oder er kann herbeigerufen werden (§115 Abs. 2 GO BT), wenn 5 % der Mitglieder des Bundestages dies verlangen. Ebenfalls ist der Bericht des Wehrbeauftragten auf Verlangen dieser Minderheit hin auf die Tagesordnung zu setzen (§114 Abs. 1 GO BT). Damit ist allerdings ein unabhängiger Öffentlichkeitsbezug nicht geschaffen worden. Der Wehrbeauftragte ist also darauf angewiesen, via Parlament an die Öffentlichkeit zu treten. Dabei hat sich gezeigt, daß diese Beschränkung seiner Befugnisse deutlich von seiner Hilfsorganstellung in Bezug auf das Parlament bestimmt ist. Für den Bundesrechnungshof ergibt sich im Gegenschluß, da eine Hilfsorganstellung vom Gesetzgeber bewußt nicht gewählt wurde, er aber ebenfalls Kontrollaufgaben hat, daß er einen eigenständigen Zugang zur Öffentlichkeit (wie die Bundesbank) hat. Da auch in der Literatur davon ausgegangen wird, daß er Fehlfunktionen der Parteiendemokratie kompensieren soll, ist es nicht angängig, für die Effektuierung seiner Erkenntnisse eine Angewiesenheit auf die Parlamentsfraktionen anzunehmen. Die Besonderheit gegenüber dem Wehrbeauftragten liegt darin, daß im Bereich der Verteidigung traditionell gerade in Deutschland eine sehr starke Polarität zwischen Exekutive und Legislative besteht; diese legte es nahe, den Wehrbeauftragten zum Hilfsorgan des Parlamentes zu machen. Aber schon der Blick auf die Aufgabe der Grundrechtssicherung zeigt m. E. doch, daß auch für den Wehrbeauftragten richtiger von einer Doppelstellung ausgegangen werden müßte, denn die Grundrechte entfalten ihre SicherungsWirkung eben auch 338 Busch, in: BK Art. 45 b Rdnr. 232; ebenso dersin: Wegweiser Parlament, S. 509 f. 339 Hernekamp, in: v. Münch, Art. 45 b Rdnr. 33-35; offenbar soll hier aber die Mobilisierung nicht die Information umfassen. Der Verweis auf die Schweigepflicht des Wehrbeauftragten gemäß § 10 WehrBeauftrG geht allerdings fehl. Diese muß in jedem Falle gewahrt bleiben, hindert aber nicht zwangsläufig die Flucht an die Öffentlichkeit. 340 Vgl. Erbel, Der Staat 1975, 347 ff. (367 f.). Ebenso Frank, in: AltK GG, hinter Art. 87 Rdnr. 57: als Hilfsorgan keine eigene Publizität. 341 Besonders deutlich ist dies bei Erbel, Der Staat 1975, S. 367 ff., der deutlich die Stärkung der Legislative im Auge hat. 342 Ule, Der Wehrbeauftragte des Bundestages, JZ 1957, 422 ff.
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2. Abschn.: Exemplarischer Teil
und wesentlich gegenüber dem Gesetzgeber. Damit ergibt sich, daß der Bundesrechnungshof das Recht zum Appell an die Öffentlichkeit hat. Dieses Recht ist beim Fehlen von Entscheidungsbefugnissen, wie sie für Kontrolle typisch ist, essentiell 343 . Auf dem Weg zur Ausbildung auch gegenüber dem Parlament eigenständiger Kontrollorgane erweist sich die reine Hilfsorganstellung, wie sie für den Wehrbeauftragten vertreten wird, entwicklungsgeschichtlich als ein beim Rechnungshof bereits überwundenes Zwischenstadium. Insgesamt ist der Bundesrechnungshof eine derjenigen Kontrollinstitutionen, die auf der Grundlage des Gewaltenteilungsprinzips errichtet werden dürfen, ohne damit zwangsläufig einen Status als Hilfsorgan oder ,vierte Gewalt' und Verfassungsorgan 344 einnehmen zu müssen. Unschädlich ist es, wenn die schon durch Art. 20 Abs. 2 GG gerechtfertigte Unabhängigkeit auch in der Verfassung selbst vorgeschrieben wird. Seine Kompetenzausstattung345 gerät auch dann wegen der lediglich indirekt steuernden Wirkungen nicht in Gegensatz zu den Kompetenzen anderer Organe, wenn man ihm das Recht auf Zugang zur Öffentlichkeit einräumt.
D. Exkurs: Zur Neutralität staatlicher Institutionen Angesichts der Verbreitung der These von der Möglichkeit einer allgemeinen, d. h. nicht nur relativ zu bestimmten Interessen vorhandenen Neutralität staatlicher Institutionen ist es angezeigt, auf diese These noch einmal im allgemeinen einzugehen und ihre jüngere Geschichte darzulegen. Dies erscheint auch deswegen angemessen, weil die Berufung auf eine solche Neutralität stets anfällig für 343
Auch an der Diskussion um die Datenschutzbeauftragten erweist sich, daß die Bestellung mit qualifizierter Mehrheit, die Unabhängigkeit der Amtsführung und der unmittelbare Zugang zur Öffentlichkeit wesentliche zusammengehörende Voraussetzungen effektiver Kontrolle durch eine ausgegliederte Institution sind. 344 Gegen eine Stellung als Verfassungsorgan die herrschende Meinung. Vgl. dazu Krebs, VwArch 71 (1980), 77 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus Literatur und auch aus der Rechtsprechung. Dabei wurde im Fall des Rechnungshofes wesentlich darauf abgestellt, daß dieser keine Gestaltungsfunktionen im Staat wahrnehme, sondern auf nachträgliche Prüfungsaufgaben beschränkt sei. Das hat sich allerdings, wie gezeigt, in neuerer Zeit geändert. Darüber hinaus ist ohnehin zu Recht bestritten worden, daß der Charakter als Verfassungsorgan von der Fähigkeit, verbindliche Entscheidungen zu treffen, abhängen muß (Friedr. Klein, S. 133 ff. [143]; BVerfGE 8, 104 [144]). Für verfassungsorganähnliche Stellung ζ. B.: Tiemann, Die staatsrechtliche Stellung der Finanzkontrolle, S. 248. Für Verfassungsorgan im Bereich der Teiltätigkeit der Beratung Fittschen, VwArch 1992, 165 (173 ff.). M. E. konnte hier gezeigt werden, daß auch eine auf Verfassungsorgane bezogene Tätigkeit anderer Staatsorgane diesen nicht stets die Qualität als Verfassungsorgan verleiht. Dadurch geriete beispielsweise das gesamte Beauftragtenwesen in den Bereich der Verfassungsorgane. 34 5 Neuerdings ist die Befugnis der Rechnungshöfe, Verwaltungsakte zur Durchsetzung ihrer Prüfungstätigkeit zu erlassen, strittig geworden. Vgl. einerseits Hockenbrink, DÖV 1991, 241; andererseits Fittschen, VwArch 1992, 165 (171 ff.).
D. Exkurs: Zur Neutralität staatlicher Institutionen
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ideologische Verwendungen ist, in denen ein Teilinteresse zum Interesse des Ganzen und Gemeinwohl aufgewertet werden soll.
I. Verwaltung der Dinge statt Herrschaft; Versachlichung der Politik Die von der herrschenden Meinung weithin angenommene Sachlichkeit der Entscheidungen solcher staatlicher Hoheitsträger wie Bundesbank und Rechnungshof steht in der Denktradition der Neutralisierung und Entpolitisierung staatlicher Machtbefugnisse. Auf die mit solchen Neutralisierungskonzepten verbundenen Schwierigkeiten hat schon in der Weimarer Zeit C. Schmitt in drei aufeinander folgenden Schriften aufmerksam gemacht 346 . Schmitt ging von der These aus, daß jedes Sachgebiet ein latent Politisches sei. Deswegen könne es dazu kommen, daß das politische Zentralgebiet eines Gemeinwesens, in Bezug auf das anfangs ein Grundkonsens innerhalb dieses Gemeinwesens bestanden habe, später von antagonistischen Interessen geprägt werde. Es ergebe sich, um der unauflösbaren Interessenentgegensetzung auszuweichen, die Notwendigkeit, ein neues Sachgebiet zur Grundlage eines neuen Konsenses zu machen 347 . In historischer Perspektive stellt Schmitt daher die Abfolge der Zentralgebiete des Politischen dar, die dadurch zustande kommt, daß auch auf dem neuen Feld des Politischen der Konsens wieder verlorengeht. Da die Aufhebung der Antagonismen Herstellung von Friedensfähigkeit bedeutet, ist mit einem neuen Zentralgebiet des Politischen bzw. mit Neutralisierungen auch eine jeweils eigene Herrschaftsstruktur verbunden. Nachdem sich die Vorstellung einer Identität von Herrschern und Beherrschten als in der Realisierung schwierig erwiesen hatte, wurde Herrschaftsfreiheit weithin in der Unterwerfung unter ,neutrale4 Sachgesetzlichkeiten gesucht. Schmitt hat versucht, diese Erkenntnisse für sein Staatsdenken nutzbar zu machen. Er konstatiert in der Weimarer politischen Realität ein unkoordiniertes Nebeneinander einer innerstaatlichen Polykratie 348 antagonistischer Interessen 349. Zunächst beläßt er es im Jahr 1929 bei der Feststellung dieses Antagonismus. Er sieht keine neue Neutralisierungschance, weil die Zentralgebiete des Politischen verbraucht' sind. In der Schrift aus dem folgenden Jahr sucht Schmitt eine Lösung des Problems: Zunächst dergestalt, daß er existierende Institutionen daraufhin untersucht, wie 346 Schmitt, Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen, in: Positionen und Begriffe, S. 120 ff. Ders., Das Problem der innenpolitischen Neutralität des Staates, in: Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 41 ff.; ders., Der Hüter der Verfassung. 347 Schmitt, Das Zeitalter, S. 127. 348 Schmitt, Der Hüter, S. 107. 349 Schmitt, Der Hüter, S. 71 ff.
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2. Abschn.: Exemplarischer Teil
sie zu der (nach seiner Auffassung antagonistischen) parteipolitischen Durchdringung des Staates stehen, ob sie dieser Widerstand zu leisten in der Lage sind. Dabei fallen ihm Gegenkräfte auf, die gewisse Gemeinsamkeiten in einer Neutralisierung gegenüber Parteien und Verbänden besitzen. Hier nennt er insbesondere die Beamtenschaft (normativ auf das ganze Volk verpflichtet, sozial durch Lebenszeitbeschäftigung und Alimentation dem Einfluß der Interessen der Tarifpartner entzogen), die Justiz (normative Bindung und Unabhängigkeit), Sachverständige, Beiräte etc. (Neutralität des Fachwissens). Die Betrachtung dieser Institutionen führt ihn zu der Feststellung, daß sie nicht politikfähig in dem Sinne sind, daß sie verantwortete politische Entscheidungen treffen könnten. Ihre Einbeziehung in die Politik führe nicht zu einer Neutralisierung der Politik, sondern zu einer parteipolitischen Politisierung der Institutionen 350 . Dagegen stellt Schmitt andere Institutionen, die ihm gegen eine solche Politisierung besser abgeschirmt erscheinen; er nennt hier vor allen die Reichsbank und die Reichsbahn351. Schmitt überlegt nun, ob sich aus einer Mehrzahl solcher Institutionen ein Institutionengefüge schaffen ließe, das dem antagnonistischen Interessengegensatz der Parteien durch seine Neutralität entzogen ist und den davon ausgehenden Fliehkräften entgegenzuwirken imstande ist. Die Bewertung der damit vorgestellten Polykratie fällt negativ aus: Die verschiedenen Institutionen paralysierten ihren Einfluß gegenseitig352 und führten zum Immobilismus eines dem mittelalterlichen Ständestaat vergleichbaren pluralistischen Vereinbarungsstaates 353. Letzte Folge des Versuches einer derartigen Neutralisierung sei die völlige Zersplitterung der staatlichen Einheit mit der Folge der Fremdbestimmung durch ausländische Mächte 354 . Er schlägt deswegen eine andere Lösung vor: die Abhilfe gegen den zerstörerischen Kampf der Interessen soll in der Entscheidung eines objektiv neutralen, sachlich informierten Staates liegen 355 . Das damit gestellte Problem, wie eine solche ,echte4 Neutralität zu fassen sei, wird 1931 im Hüter der Verfassung durch begriffliche und theoretische Aufarbeitung des Neutralitätsbegriffes zu leisten gesucht. Dabei bleibt der analytische Teil im wesentlichen mit den bis dahin gewonnenen Erkenntnisses identisch 356 ; ergänzend treten eine Ausdiffe-
350 Schmitt, Das Problem, S. 51 f. 351 Schmitt, Das Problem, S. 51. 352 Schmitt, Das Problem, S. 54. 353 Schmitt, Das Problem, S. 53 ff. 354 Schmitt, Das Problem, S. 56. Dabei spielt sicher auch die Tatsache eine Rolle, daß die Neutralität der Reichsbank gerade durch den Einfluß der Siegermächte des 1. Weltkrieges zustande gekommen war. Die Nähe dieser Bewertung Schmitts zur Realität der ganz anders gearteten nationalsozialistischen Polykratie mit der Begünstigung des außerhalb ihrer stehenden Diktators (der die Rolle der fremden Macht einnimmt) ist bemerkenswert. 355 Schmitt, Das Problem, S. 57. 356 im vorliegenden Zusammenhang interessant ist Schmitts dezidierter Hinweis auf die Stellung des Reichssparkommissars neben der Reichsbank, der gegenüber der Vorgängerschrift hinzutritt (vgl. ders., Der Hüter, S. 103; der analytische Teil S. 96-111).
D. Exkurs: Zur Neutralität staatlicher Institutionen
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renzierung des mit ,Neutralität 4 Bezeichneten und die Aneignung der Theorie des pouvoir neutre hinzu. Ausgangspunkt bleibt die Ablehnung des Versuches, zu einer nicht labilen und interessenausgelieferten Situation dadurch zu kommen, daß weitere autonome „Absplitterungen" von Hoheitsgewalt nach dem Beispiel der Reichsbank institutionalisiert werden. Für die geforderte, objektiv neutrale Entscheidung durch den Staat stellt Schmitt mehrere Anforderungen: Die historische Analyse hatte gezeigt, daß diese Entscheidung nicht unpolitisch sein dürfe, sondern nur relativ neutral zu Parteien und Verbänden. Es hatte sich weiter gezeigt, daß unter den Bedingungen des wirtschaftlichen Interventionsstaates der Staat entscheiden muß, so daß Toleranz allein unzureichend ist. Und schließlich mußte die Entscheidung aus einer Art eigener, staatlicher Substanz gespeist sein, um über den Parteiungen innerhalb des Staates stehen zu können. Im Hinblick auf diese Kriterien ordnet Schmitt denkbare Auffassungen staatlicher Neutralität. Die erste Gruppe von Neutralitätsbegriffen ist wegen des Entscheidungsdrukkes im Interventionsstaat nicht für die gesuchte, objektive Neutralität der zentralen politischen Leitentscheidung brauchbar. Gemeint ist die Neutralität, die der Staat durch sein Desinteresse an den durch die Freiheitsrechte ausgegrenzten Betätigungsfeldern demonstriert; also in erster Linie Neutralität gegenüber Privaten 357 . Ebenfalls wird diejenige Neutralität, die der Staat als bloße Verfahrensform aufweist, den Notwendigkeiten des Interventionsstaates nicht gerecht. Die liberale Vorstellung, daß die Ordnungsform des Staates mit beliebigen Inhalten zu füllen wäre, entspricht nicht der Realität 358 . Eine Variante dieser Auffassung ist in der Neutralität bezeichnet, die durch den Gleichheitssatz im Abwehr- und Leistungsbereich eingehalten wird 3 5 9 . Im Leistungsbereich scheitert sie an den bekannten Schwierigkeiten der gerechten Verteilung begrenzter Kontingente, im Abwehrbereich wird die Entscheidung gerade dann notwendig, wenn die Chancengleichheit gefährdet wird. Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes beispielsweise ist mit dieser Neutralitätsauffassung nicht zu vereinbaren. Die vorgenannten Neutralitätsbegriffe beruhen auf der Annahme einer vorgegebenen Harmonie, sei es der ökonomischen oder politischen Konkurrenz, so daß die staatliche Haltung den Bewerbern gegenüber auf ein ,leave them as you find them' beschränkt sein kann. Die nachstehenden Auffassungen setzen daher die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe voraus. Zunächst die Entscheidungen der Justiz: Diese bezieht ihre Neutralität aus ihrer Gebundenheit, wird damit aber unfähig zu politischer Entscheidung, die gerade nicht programmiert ist. Ein Gericht kann also Schmitt zufolge niemals politische, dennoch aber neutrale Entscheidungen fällen 360 . In 357 Schmitt, 358 Schmitt, 359 Schmitt, 360 Schmitt,
Der Der Der Der
Hüter, Hüter, Hüter, Hüter,
S. 111 f. Nr. 1. S. 112 Nr. 2. S. 112 f. Nr. 3, 4. S. 114 Nr. 1.
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2. Abschn.: Exemplarischer Teil
zwei weiteren Begriffen der Neutralität 361 nimmt Schmitt eine Problematik auf, die sich aus dem Bedarf nach der Gleichzeitigkeit von Informiertheit und NichtInteressiertheit ergibt. Schmitt zeigt, daß beides nicht zusammengehen kann. Das gleiche Problem hatte sich Rousseau gestellt, als er die Anforderungen an den Gesetzgeber im Contrat social formulierte; Rousseau greift auf antike Vorbilder zurück und fragt sich, ob nicht der ,Fremde' als Gesetzgeber am Geeignetsten sei. Bei diesem mangelt es aber im Ergebnis an der Informiertheit 362 . Daneben erörtert Rousseau, ohne dies explizit zu sagen, die Rolle der Wissenschaft als die des nichtinteressierten Sachkundigen. Er hält diese Lösung für denkbar; sie leidet aber an den Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Bereichen der Wissenschaft und der Politik. Wissensschaft kann sich nicht vermitteln; für die Umsetzungsrolle wird dann die Religion instrumentalisiert. Auch Schmitt stellt die Neutralität des Fremden der des Sachverständigen gegenüber, von der er vorher festgestellt hatte, daß er als Uninteressierter unmöglich sei. Schließlich bleibt nur eine Art Neutralität übrig: diejenige einer die Partialinteressen „in sich relativierenden Einheit und Ganzheit", die gegenüber Parteien, Verbänden etc. „das Interesse des staatlichen Ganzen zur Geltung bringt" 3 6 3 und sich insbesondere im Ausnahmezustand bewährt. Schmitt weist die Ausübung dieser Neutralität als Recht zu neutraler Entscheidung dem Reichspräsidenten zu. Vom politischen Charakter der staatlichen Leitung her differenziert Schmitt zwischen einer Neutralität, die unpolitisch ist und einer solchen, die lediglich parteipolitisch neutral ist. Die höchste Stufe ist wiederum die der „echten" Neutralität des Staates364. Auf dieser Skala ordnet Schmitt zu: Rechnungshof und Sparkommissar unpolitisch 365 , Reichsbank parteipolitisch neutral, aber nicht unpolitisch, da sie an staatlicher Gesamtleitung teilnimmt 366 . Schließlich unterscheidet Schmitt auf einer dritten Skala danach, wieviel an eigener Entscheidungssubstanz eingebracht wird. Die Skalierung beginnt mit dem bloßen Gesprächsvermittler, der Gelegenheit zur Konsensfindung für die Partialinteressenten gibt, und endet bei der substantiell eigenen staatlichen Entscheidung auf dem Boden von „Einheit und Ganzheit" 367 . Die staatliche Entscheidung, die Schmitt favorisiert, ist also eigene, politische, aber nicht parteipolitische, aus dem Boden der ,Ganzheit' erwachsende Entscheidung. Es fehlt noch die Antwort auf die Frage, woher die Durchsetzungsmacht für diese Entscheidung stammt. Dafür führt Schmitt die Theorie des pouvoir neutre an, die er so auslegt, 361 Schmitt, Der Hüter, S. 112 ff., Nr. 2, 4. 362 Eine echte Vereinbarkeit sieht Rousseau nur in der Gottes V o r s t e l l u n g g e g e b e n . 363 Schmitt, Der Hüter, S. 115. 364 Schmitt, Der Hüter, S. 156. 365 Schmitt, Der Hüter, S. 156. Hier muß an den Funktionswandel der Rechnungshöfe erinnert werden. 366 Schmitt, Der Hüter, S. 156 f. 367 Schmitt, Der Hüter, S. 143-148.
D. Exkurs: Zur Neutralität staatlicher Institutionen
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daß der höhere Neutrale entscheiden kann, weil die Teilinteressen sich gegenseitig paralysieren 368, so daß eine relativ geringe Eigenmacht den Ausschlag zu geben vermag. Die Identifikation der Entscheidung des Reichspräsidenten mit dem Ganzheitsinteresse soll durch die unmittelbare Wahl des Reichspräsidenten zustande kommen 369 . Die Volkswahl des Reichspräsidenten bringt aber noch kein inhaltliches Gesamtinteresse zum Ausdruck; Schmitt umgeht diese Schwierigkeit, indem er die Ausübung der Befugnisse des Reichspräsidenten dann zum „Appell an das Volk" umformuliert. Gleichzeitig setzt er hier noch das Volk entgegen allen Analysen als homogen, als moi commun voraus 370 , das seinen allgemeinen Willen auf einen Appell hin durch — ggf. stillschweigend konkludente — Akklamation äußert. Das Fiktive dieser Konstruktion mußte zur Weiterentwicklung drängen 371. Schmitt kann kein zur Neutralisierung der bestehenden Antagonismen fähiges neues politisches Zentralgebiet benennen. Er versucht ersatzweise den Zugriff auf das Ganze des Volkes und die damit verbundenen Intessen zu gewinnen, muß dabei aber an der vorfindlichen Heterogeneität scheitern. Die in dieser Arbeit geschilderten Institutionen der Haushaltsverfassung sind die Nachfolger der von Schmitt geschilderten „neutralisierenden Gegenkräfte", v. Arnim, der besonders früh eine solche Rolle dieser Institutionen betont hat, weicht also von Schmitt ab, indem er nicht die Befürchtung des einheitssprengenden Charakters entscheidend sein läßt und nicht wie Schmitt die Entscheidungsbefugnis in einer Person konzentriert. Nur oberflächlich stimmt bei den beiden Autoren die Tendenz zur Neutralisierung durch diese Gegenkräfte überein. Gemeinsamkeit gibt es im antiparteilichen Affekt, aber umgesetzt durch parteipolitische Neutralität bei Schmitt, durch Entpolitisierung qua sachlicher Verpflichtung auf das in bestimmten Zielen zum Ausdruck gelangende Gemeinwohl bei v. Arnim. Sachlichkeit und deren Bezug zu einem unterstellten Gemeinwohl ersetzt bei v. Arnim die einheitsstiftende Kraft bei Schmitt; Sachprogramme entfalten keine zentripetalen Kräfte 372 . Versucht man nun, die gemeinwohlnahe Sachlichkeit der autonomen Institutionen der Haushaltsverfassung, wie sie von der Literatur gesehen wird, einem der Typen staatlicher Neutralität zuzuordnen, die Schmitt beschrieben hat, so ergeben 368 Schmitt, Der Hüter, S. 132 ff., 141 ff. 369 Schmitt, Der Hüter, S. 156 ff. 370 Vgl. Schmitt, Der Hüter, S. 159. 371 Deswegen hat Schmitt dann eine Konstruktion gewählt, die es dem Entscheidenden erlaubt, Einheit im Volk erst herzustellen und seine Amtsausübung gleichzeitig an diesem Erfolg zu legitimieren. Als auch diese Konstruktion ihm nicht mehr überzeugend erscheint, versucht er aus der,Rasse' und einer quasireligiösen Interessenidentität zwischen Volk und Führer darzutun, daß Herrschaft noch immer im Interesse des Volksganzen erfolgt. 372 Deswegen ist es bezeichnend, daß der Begriff der „Polykratie", der bei Schmitt für die auseinanderstrebenden sozialen Partikularkräfte stand, nun durch v. Arnim auf die »neutralisierenden Gegenkräfte' angewandt wird, und daß die Bewertung des Begriffes umgepolt wird. 17 Waechter
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sich Schwierigkeiten. Die Tätigkeit der Bundesbank ist entscheidungsorientiert, beläßt die Kräfteverhältnisse nicht im status quo und beschränkt sich auch nicht auf die Ermöglichung der Konsensbildung durch die vorhandenen Kräfte. Die Entscheidungen lassen sich nicht mit der Neutralität der Sachlichkeit des Normvollzuges verbinden, wie sie für die Justiz typisch ist, da keine normativ vorgeordnete Relation unter Zwecken sowie zwischen Zwecken und Mitteln gegeben ist. Der gleiche Grund spricht gegen eine Auffassung als nichtinteressiert und sachkundig; denn die Neutralität des Sachverständigen soll wie die des Richters aus der Folgerichtigkeit einer (Sach-) Gesetzlichkeit hervorgehen. Alle hier betroffenen Entscheidungen sind in eine so hohe Komplexität eingebunden, daß durch die Notwendigkeit von Wägung und Wertung der Vielzahl von Faktoren eine solche Gesetzlichkeit nicht gefunden werden kann. Dazu tritt die Schwierigkeit der Unvereinbarkeit von Nicht-Interesse und Informiertheit in allen finanziell hochinvestiven und schwierigen Zusammenhängen 373 . Damit bleibt nur die von Schmitt nicht erfolgreich verständlich gemachte Neutralität auf der Basis des homogenen (homogenisierten) Volkes. Neuerdings versucht v. Arnim, diese als Gemeinwohlbezug zu fassen. In seiner Schrift ,Gemein wohl und Gruppeninteressen 4 geht v. Arnim von einer Reihe kultureller Grundwerte aus, die sich im Grundgesetz normativ verfestigt wiederfänden 374 . Gemeinwohl wird als Kriterium jedoch erst dann wichtig, wenn es zu Kollisionen zwischen diesen Grundwerten kommt. Deswegen besteht das „Wesen44 des Gemeinwohles nach v. Arnim in „angemessener Interessenberechnung und -abwägung 44375 , v. Arnim gesteht zu, daß sich die inhaltliche Richtigkeit eines Gemeinwohles nicht im vorhinein bestimmen läßt. Man kann also Gemeinwohl nicht — sei es im Ganzen oder in Teilbereichen ausdifferenziert — als gesetzlichen Tatbestand, der eine Subsumtion erlaubt, fassen 376 . Deswegen wird die gemeinwohlsichernde Bedeutung des Verfahrens entscheidend; das Verfahren ist „der zentrale Ansatzpunkt überhaupt 44377 , v. Arnim scheidet nun zwei Verfahrensarten: die eines interessendeterminierten Aushandelns 378 und die des wertorientierten Subsumierens 379 . Vor der Idee des Gemeinwohles könne nur das wertorientierte Verfahren bestehen; es gebe ein „Primat des Rechts vor der Politik 4 4 3 8 0 . Diese Aussage überrascht, nachdem v. Arnim zunächst festgestellt 373 Bei der Bundesbank wird dies in der Besetzung der Beiräte mit Übergewicht des Kreditgewerbes deutlich. 374 v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 22 ff., 35 ff. Auf die Verwandtschaft mit den Annahmen Hellers sei hingewiesen. 375 v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 11. 376 y. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 48. 377 v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 48. 378 v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 50; das Ergebnis spiegelt also die Machtverhältnisse wieder. 379 v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 51: Typus des richterlichen Verfahrens. 380 v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 52.
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hatte, daß der Gemeinwohlbegriff ein aufgegebenes Prozeßprodukt ist; nun soll sich dieser Prozeß selbst an seinem Produkt legitimieren, v. Arnim wird hier zu der gleichen Konsequenz gedrängt wie C. Schmitt. Die Institution soll sich an dem legitimieren, was sie erst erzeugen muß 381 . Davon ist der weitere Gang der Schrift geprägt. Modell für die subsumierende Abwägungsentscheidung soll Hesses Optimierungsformel der praktischen Konkordanz 4 sein 382 , v. Arnims Bemühungen, die Formel durch Integration des Verhältnismäßigkeitsprinzips und der Erkenntnisse der Sozialwissenschaften subsumtionsfähiger zu machen, erbringen keinen wesentlichen Konkretisierungsgewinn 383. Bezeichnenderweise läßt v. Arnim diese Bemühungen unter dem Titel der „Verfahrensregeln 44 zur Sicherung der Gemeinwohlerkenntnis erscheinen 384, obwohl es sich tatsächlich um den Versuch einer Begriffsabklärung durch Ausdifferenzierung der Denkschritte handelt. Die Abwägung im Sinne der Konkordanzformel hat mit Verfahrenssicherung nichts gemeinsam. Paradigma der Konkordanz ist eine Aushandlungssituation385, die man versucht hat, in das forum internum eines Richters zu übertragen. Damit wird ihr der eigentliche Sinn genommen, da die Ränge der beteiligten Interessen nicht ausgehandelt werden müssen, sondern zur Verfügung des entscheidenden Richters stehen. Nach v. Arnim soll beispielsweise der Bundesrechnungshof nicht ein Partialinteresse in die politischen Entscheidungsprozesse einbringen, sondern eine,Richtigkeitskontrolle 4 durchführen 386. Dieses Konzept der Richtigkeit macht für v. Arnim auch die Frage nach einer Einheit unter den verschiedene Richtigkeiten vertretenden Institutionen überflüssig. Daß parteipolitische Neutralität nicht mit dem Gemeinwohl zu identifizieren ist, zeigt die Monographie von K. Schiaich zum Neutralitätsbegriff. Für die Funktion dieses Begriffes in vielerlei Zusammenhängen stellt Schiaich zwei Gemeinsamkeiten fest: das Neutralitätsargument tauche stets dann auf, wenn es Schwierigkeiten bei der Einordnung einer Institution in das Kompetenzgefüge 381
Im Ergebnis sehe ich allerdings nicht, wie sich diese Konsequenz überhaupt vermeiden läßt. Sie liegt bei Verlust vorgegebener Homogenität in dem Wagnischarakter aller Entscheidung und aller Interpretation auf einen einheitlichen Sinn in einem Institutionengefüge hin. Um so wichtiger ist es, diesen Wagnischarakter zu betonen; das versäumt v. Arnim, wenn er vom Gemeinwohl spricht und damit wie Schmitt die Verbindung zum Interesse eines obskuren Ganzen herstellt. 382 v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 54; oben wurde dargestellt, daß darin nicht das Primat des Rechts über die Politik gewahrt ist. 383 v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 59 ff., 75 f. 384 v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 58. 385 Damit erweist sich, daß v. Arnim der Sache nach doch nicht die wertorientierte Subsumtion, sondern die Aushandlung zugrunde legen muß. 386 Ließe sich eine solche Richtigkeit in der durch v. Arnim vorausgesetzten Weise bestimmen, so bedürfte es nicht der Errichtung unabhängiger Institutionen, um diese Richtigkeit einzubringen; sie könnte durch die üblichen Verfahren des Rechtsstaates gesichert werden. Die Verlagerung auf eigene Entscheidungsträger und deren Autonomisierung trägt gerade der Tatsache Rechnung, daß es nicht um bestimmbare Richtigkeit, sondern um die Installation einer ,Gegenpolitik4 geht. 17*
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der Verfassung gebe 387 . Das wurde hier bereits deutlich, indem das Neutralitätsargument benutzt werden soll, um Schwierigkeiten mit dem einheitsverbürgenden Demokratieprinzip zu beheben; dieser Zusammenhang wird bei Schiaich sehr deutlich. Die ,Neutralität 4 von Bundesbank und Bundesrechnungshof wird unter dem Titel: „Neutralität als Hervorkehrung von Staatlichkeit und deren Einheit" behandelt388. Die zweite Gemeinsamkeit der Neutralitätsbegriffe liegt in der Funktion der Verweisung auf einen eigenen, eigentümlichen Handlungsmaßstab, der in polemischer Abwehr gegenüber fremden Maßstäben steht 389 . Auch dies ist hier an Beispielen bereits deutlich geworden. Daraus ergibt sich aber nichts für die Begründbarkeit einer Neutralität im Sinne des Unpolitischen. Vielmehr wird mit dem fremden Maßstab lediglich ein anderes sachliches Feld des Politischen eingeführt. Der neutralisierende Effekt entsteht dadurch, daß die Frontlinien des Politischen in verschiedenen Sachgebieten unterschiedlich verlaufen. Auch die Darstellung von Schiaich kann nicht überzeugen, soweit er den Verweis auf eigene Maßstäbe als umfassende Neutralisierung versteht; dargetan ist lediglich die Indifferenz verschiedener Institutionen gegenüber insbesondere dem Bereich der Parteipolitik, die in dem Verweis auf den eigenen Maßstab enthalten ist. Schiaich erkennt aber die politische Bedeutsamkeit der Entscheidungen des Bundesrechnungshofes ebenso wie der Bundesbank an 390 . Dennoch soll sich hier eine Neutralität aus der Bindung an einen „besonderen Sachauftrag" 391 ergeben. Mit der Formulierung vom „Sachauftrag" gerät Schiaich wieder in das Fahrwasser der Entpolitisierung, das er gerade verlassen hatte. Auch seine Definitionen der Neutralität von Bundesrechnungshof und Bundesbank können nicht deutlicher machen, worin diese Neutralität der Sache nach bestehen soll 3 9 2 . Besonders deutlich wird die Verlegenheit, den Neutralitätsbegriff inhaltlich aufzufüllen, bei der Neutralität des Bundespräsidenten. Diese spricht Schiaich im Zusammenhang mit den hier behandelten Institutionen unter dem Titel „Neutralität und Einheit" an. Schiaich meint, daß der Bundespräsident trotz Neutralität eine politische Kraft sei, daß er der Pflicht zur parteipolitischen Neutralität unterliege, daß aber die Identifikation mit einer politischen Tendenz legitim sei und die Förderung 387 Schiaich, S. 69, 219. 388 Schiaich, S. 44 ff.
389 Schiaich, S. 53/54 und 218/219. 390 Schiaich, S. 70 und S. 72 („eminente politische Macht" der Bundesbank). 391 Vgl. ζ. B. Schiaich, S. 74 (S. 68).
392 Vgl. Schiaich, S. 70 zum Rechnungshof: „Neutralität bedeutet hier die Freistellung zugunsten eines Auftrages, der sich zwar verfahrensmäßig gesetzlich regeln läßt (§§ 88 ff. BHO), der aber in der Sache eigentlich nicht normierbar ist." Zur Bundesbank S. 74: „Neutralität der Bundesbank beschreibt also den verfassungsrechtlich ermöglichten und gesetzlich intendierten Zustand einer Balance gegenseitiger Sachabhängigkeit... Diese Neutralität erlaubt der Bundesbank bei ihren Entscheidungen die (einseitige) Hervorhebung des Maßstabes der Stabilität der Währung." Im Ergebnis nähert sich Schiaich also wieder der These von der Sachgesetzlichkeit der getroffenen Entscheidungen. Die Behauptung der Neutralität wird mit der Erkenntnis des politischen Charakters der Entscheidungen nicht vermittelt.
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der Regierungspolitik zu seiner Pflicht gehöre 393 . Auch hier tendiert die Behauptung der Einheitssicherung durch Neutralität, an die Schiaich ähnlich Anforderungen wie C. Schmitt stellt, zum irrationalen Ergebnis, wie es ebenfalls bei Schmitt vorgezeichnet war: Der Bundespräsident versucht, „in sich darzustellen, was alle verbindet. Darin verkörpert er den Geist der Verfassung." 394 Auch hier also die mythologische Verkörperung der Gesamtinteressen eines Volkes und des Sinnes seiner Lebensordnung in der Person eines Organwalters.
II. Politisierung der Sachlichkeit; sachgeleitete Herrschaft Die vorstehenden Ausführungen betreffen den Versuch, die Problematik der Einheit des Staates dadurch zu entschärfen, daß man die in der staatlichen Polykratie vorfindlichen Institutionen als sachlich und damit neutral bezeichnet und ihnen damit den Charakter als ,Gewalt4 nimmt. Man versucht Politik zu versachlichen, insbesondere durch Anbindung an den Bereich der Gesellschaft. Die Gegenbewegung besteht in der Einbeziehung privaten Sachwissens in Bereiche der öffentlichen Verantwortung (und damit, entsprechend der Voraussage Schmitts, aber ohne Bewußtsein der Beteiligten, in der Politisierung des Fachwissens). Beide Tendenzen haben zu gleichen Problemkonstellationen geführt. Stets geht es um die Spannungslage zwischen Politik und Sachlichkeit, zwischen demokratischer Legitimation und Autonomie. Eine kurze Darstellung des zweiten Bereiches soll die Problemanalogie darstellen und die hier vertretenen Ansichten abstützen. Die Literatur hat sich insbesondere in der Zeit der Euphorie für Planung und wissenschaftliche Politikberatung, also in der zweiten Hälfte der 60er Jahre, mit diesen Problemen befaßt. Paradigmatisch für die hohe Einschätzung der Leistungskraft der Wissenschaft steht der Titel von Hennis „Politik als praktische Wissenschaft" 395 . Die Verwissenschaftlichung und Versachlichung von Politik und Verwaltung wird vor allem in der Heranziehung von Fachverstand gesehen. Rechtsprobleme ergeben sich dabei, wenn dieser Fach ver stand nicht behördenintern ist, sondern als externer durch Gutachten und Gremien (Beiräte etc.) beratend und entscheidend für die Verwaltung nutzbar gemacht wird. Mehrere Funktionen dieser Hilfestellung werden beschrieben: die der Unterstützung der vorhandenen neutralen Autorität der Behörde 396 , also eine bloße Dekorationsfunktion; weiter 393 Vgl. zunächst Schiaich, S. 77; ausführlich dann ders., Die Funktionen des Bundespräsidenten im Verfassungsgefüge, in: HdBStR Bd. II, 1987 § 49 Rdnr. 82-84. 3 94 Schiaich, Funktionen, Rdnr. 94. 395 Hennis, Politik als praktische Wissenschaft, 1968; vgl. Duppré, S. 16, der die „Verwissenschaftlichung der Politik" als zentrales Schlagwort der Zeit herausstellt. Vgl. auch Böckenförde: zunehmendes Gewicht spezialisierten S ach Verstandes in unabhängigen, politisch neutralisierten Sachverständigengremien (Die Organisationsgewalt, S. 257).
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die der Entscheidungs- und Verantwortungsflucht durch Entscheidungsüberwälzung auf Fachvertreter 397; die Funktion des Zeitgewinnes 398 ; die ebenfalls entscheidungsvermeidende durch Kompromißbildung qua Sacheinfluß (Schlichtungsfunktion) 399 ; die Kontrollfunktion des Fachwissens gegenüber der Verwaltung 4 0 0 und schließlich die Funktion des Objektivitätsgewinnes bzw. der Entpolitisierung durch Sachargumente 401. Davon interessiert hier vor allem die letzte Funktion. Diese setzt voraus, daß es ein Fachwissen geben kann, das von dem Interessenstandpunkt getrennt werden kann, da Interessenvermittlung Aufgabe der Politik ist. In dieser Beziehung ist derzeit die Situation im Umbruch. Zwar gesteht Dagtoglou Schmitt zu, daß dieser mit der Behauptung, der echte Fachmann sei stets der Interessent, grundsätzlich Recht habe 402 ; dennoch sieht er selbst die Funktion der Heranziehung von Fachwissen in der Aufgabe, der „Stimme der Vernunft und so der Objektivität zum Siege" zu verhelfen 403 . Das Gewissen der neutralen Sachlichkeit ist aber nicht ganz rein. So stellt Meinhold aus Sicht der Praxis fest, daß die Heranziehung von Fachwissen gegenüber der Regierungspartei eine Art Oppositionsfunktion erfüllen könne 404 . Auch seien Sachverständigengutachten mit Minderheitsvoten stets besonders fruchtbar 405 . Die Politik läßt sich also aus der Sachlichkeit nur in Maßen verdrängen. Dagtoglou löst das Problem auf begrifflicher Ebene: da sich Interessiertheit von Sachverstand nicht klar abgrenzen ließe, beschränkt er den Interessenbegriff auf Verbandsvertreter von Interessen 406. In neuerer Zeit ist auf dem Hintergrund theoretischer Einsichten und praktischer Erfahrungen die Rolle des Fachwissens als „Stimme der Vernunft" problematisch geworden; so ist die politische Neutralität der instrumentel396 Vgl. Dagtoglou, Der Private als Fachmann und Interessenvertreter, S. 134; neuerdings Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, in: HdBStR Bd. II, § 36 Rdnr. 17. Bryde bezeichnet diese Autoritätsstärkung als Funktion der Beeinflussung Dritter, insb. der Öffentlichkeit und macht sie von der Existenz anerkannter Unabhängigkeit und einem hohen Prestige der Wissenschaft abhängig (Wirtschaftspolitische Beratungsgremien in der parlamentarischen Verfassungsordnung, 1972). Der Effekt all dessen ist heute in der Skepsis gegenüber jedem Gutachten als Auftragswerk bereits eingetreten. 397 Dagtoglou, Der Private, S. 137 f.; bei Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, in: HdBStR, Bd. II, 1987, § 36 Rdnr. 17 die „Feigenblattfunktion". 3 98 Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, in: HdBStR, Bd. II, 1987, § 36 Rdnr. 17: Aufschiebungsfunktion. 3 99 Dagtoglou, Der Private, S. 135 f. 400 Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, in: HdBStR, Bd. II, 1987, § 36 Rdnr. 17. 401 Dagtoglou, Der Private, S. 139; Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, in: HdBStR, Bd. II, 1987, § 36 Rdnr. 17; Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 257. 4 02 Dagtoglou, Der Private, S. 139. 4 3 0 Dagtoglou, Der Private, S. 29, 130. 404 Meinhold, S. 133.
405 Meinhold, S. 125. Mit ähnlicher Tendenz Bryde. 406 Dagtoglou, Der Private, S. 31 f.; damit begibt er sich der Möglichkeit, das informale Interesse ζ. B. von abhängig Beschäftigten in einer umstrittenen Branche zu würdigen.
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len Vernunft als Ganzes in Frage gestellt worden, die Wichtigkeit auch außerfachlichen Vorverständnisses hat sich gezeigt und die Erfahrungen mit der Großtechnologie haben ergeben, daß wichtige Weichenstellungen in der Regel nicht vom Sachverstand ausgehen407. Schließlich werden die sozialen Vorbedingungen neutralen Sachverstandes immer fraglicher. Der Aufbau von Experimentierfeldern ist bei den exorbitanten Kosten nicht immer möglich; das Fachwissen wird damit im zu beurteilenden Gegenstandsfeld selbst und aus einer Position des Sachverständigen in diesem Feld gewonnen 408 . Sachkundiges Personal ist also häufig vom Interessenten abhängig 409 . In der neueren Literatur wird denn auch die die grundsätzliche Möglichkeit der Trennung von Sachverständigen und Interessenten wieder bezweifelt 410 . Ansatzpunkte für diese Zweifel hatten sich schon aus 407
All dies wirkt um so stärker auf die Entscheidung ein, je höher deren Komplexität ist. Diese steigt mit zunehmender Größe von Vorhaben und Interdependenz (vgl. Beck, S. 195, der von Entscheidungsbedingtheit, Methodenabhängigkeit und Kontextgebundenheit wissenschaftlicher Erkenntnisse spricht). 4 08 Zusammenfassend Beck, S. 200 ff.: die Welt als Labor. 409 Vgl. Beck, S. 201: Ein Nein zur praktischen Umsetzung bedeutet auch ein Nein zur Forschung. Eingeschränkt gilt dies auch für die — nicht in allen Bereichen mögliche — universitäre Forschung, in der Greipl das letzte Refugium des Fachwissens sieht (Greipl, S. 179 f.). Der von Greipl für neutral gehaltene Kemtechnische Ausschuß (KTA) gilt weithin als ein Musterbeispiel für Befangenheit (vgl. S. 275). Seine Mitglieder stammen aus der Atomindustrie (20), den Genehmigungsbehörden (10), den Kernforschungsanlagen, Atomversicherem, Normungsinstituten und Gewerkschaften (zusammen 10) und den technischen Prüfungsorganisationen (10). Hier zeigen sich die strukturellen Zwänge deutlich. Verbindet man diese Gremienstruktur mit dem Vorschlag, die Genehmigungsentscheidung auf solche unabhängigen Gremien zu übertragen (dazu Greipl, S. 26, 244 ff.), wird deutlich, daß von einer Versachlichung der Politik nicht die Rede sein kann. Der entscheidende Punkt ist, daß die Politisierung der Technik die Frage ζ. B. des Restrisikos zur politischen Größe gemacht hat. Meinhold hat wie Schmitt den »Verschleiß' der Technik sachkundiger Beratung durch Prestigeverlust aufgrund der Überlastung durch die Vermengung mit politischen Entscheidungen vorausgesagt (S. 133 f.). Das Bundesverwaltungsgericht hat die Unabhänigkeit eines Sachverständigen angezweifelt, der nicht in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt und deswegen kein Vertrauen in die Unparteilichkeit seiner Expertise verdient (BVwGE 45, 235 [248 f.]). Man muß sich fragen, ob die Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch den Interessenten vorteilhafter für die Unparteilichkeit ist. 4 10 Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, in: HdBStR, Bd. II, 1987, § 36 Rdnr. 14; Brohm sieht allerdings eine Bremse noch in der sozialpsychologischen Rollenerwartung an den Gutachter, die Neutralität noch fördern könne. Hier ist aber gerade gezeigt worden, daß der moderne Gutachter in mehreren Rollen steht, die für ihn unterschiedliche Wichtigkeit haben. So kann die Sicherung des Arbeitsplatzes u. U. stärker als die öffentliche Reputation motivieren. Im Sinne der alten Neutralitätsthese aber ζ. B. noch Di Fabio, VwArch 1990, 193 ff. Richtig ist, daß die Problematik der Neutralität mit sinkender Komplexität der Entscheidungen abnimmt. Gerade der pharmakologische Bereich, den Di Fabio behandelt, weist aber eine hohe Komplexität auf und ist de facto bereits von der Politisierung erfaßt. In der Diskussion um die Konfliktmittlung bei Verwaltungsentscheidungen (vgl. z.B. Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann [Hrsg.], Konfliktbewältigung durch Verhandlungen Bd. 1, 2) wird wieder viel Hoffnung in die »Neutralität4 unabhängiger Schlichter gesetzt. Ein einfacher Gedanke enttäuscht diese Hoffnung: um seine eigene Beschäftigung sicherzustellen, wird der aktive Schlichter
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der Handhabung der Praxis ergeben. So hatte Bryde schon 1972 festgestellt, daß in den meist gemischt aus Interessenvertretern und Sachverständigen besetzten wirtschaftlichen Beratungsgremien in zahlreichen Staaten Westeuropas de facto auch die neutralen Sachverständigen nach Interessenproporz bestellt wurden 411 . Bei der Beteiligung von Interessenten gilt es deren Kreis abzugrenzen: sind ζ. B. Verbraucher wirtschaftspolitische Interessenten? Von der Arbeit des Bundesrechnungshofes her ist die Fragestellung bekannt, ob bloße Beratungstätigkeit zu möglichen Konflikten mit dem Demokratieprinzip führt. In den Fällen der Beteiligung externen Sachverstandes ist die entsprechende Frage zunächst negativ beantwortet worden. Es bestehe ein wesentlicher Unterschied zwischen beratender und (mit-) entscheidender Funktion 412 . Auch hier deutet sich neuerdings eine andere Bewertung an, wenn Brohm davon ausgeht, daß auch die bloße Beratungsfunktion inhaltlich gesehen politische Mitentscheidung sei 413 . Beratung sei daher Teilnahme an der Kompetenzausübung414. Eine Erledigung der Probleme durch die bloß faktische Bindung der Behörde an das Ergebnis der Sachverständigen scheidet damit aus 415 . Aus der Unabhängigkeit von Sachverständigen, die zu Entscheidungen berufen sind, ergeben sich wiederum demokratiebezogene Probleme mit dem Grundsatz der Ministerverantwortlichkeit, die überwiegend auch in dieser Literatur zur Rolle des Sachverstandes behandelt werden 416 . Die Antwort ist im wesentlichen die
solche Interessenvertreter, von denen er annimmt, daß sie möglicherweise eine Konfliktmittlung torpedieren werden, nicht in den Aushandlungsprozeß einbeziehen. Schon damit ist die Neutralität wesentlich in Frage gestellt. 411 Bryde, S. 98 ff., 114. Dadurch wird das Prinzip der gemischten Besetzung selbst widerlegt. Auch die durch v. Arnim vertretene Richtigkeitskontrolle ζ. B. durch das Bundesverfassungsgericht hat ja nicht dem Druck zum Proporz widerstanden. Dies gilt eingeschränkt auch für den deutschen Sachverständigenrat zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Neben der Proporzbestellung zweier Mitglieder besteht die Möglichkeit der Interessentenanhörung und der Abgabe von Minderheitsvoten, §§3,4 SVR-G (BGBl. 1963 I 685, 1967 I 582). 412
Dagtoglou, Der Private, S. 73. Duppré, S. 19 ff.; Böckenförde,
Organisationsge-
walt, S. 256; Greipl noch 1988, S. 6; Di Fabio, VwArch 1990, S. 210 ff. 413 Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, in: HdBStR, Bd. II, 1987, § 36 Rdnr. 32, 34; dies wird dem Gedanken der Bedeutung des Verfahrens für das Ergebnis gerecht. 4 4 1 Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, in: HdBStR, Bd. II, 1987, § 36 Rdnr. 38. M. E. muß man hier sehr stark differenzieren. Beispielsweise in Parlamentsanhörungen haben externe Sachverständige in der Regel keinen großen Einfluß auf die zu treffende Entscheidung. Das mag bei Verwaltungsentscheidungen, wo es nicht auf die Politisierung der Entscheidung, sondern auf deren Entpolitisierung ankommt, anders sein. 4 15 Im Sinne einer streng genommenen Ministerverantwortlichkeit und Selbstregierung des Volkes lehnt Bryde, S. 94 f. jede Entscheidungsbefugnis von sachverständigen Gremien ab; wirtschaftliche Fragen beträfen stets das ganze Volk; sie seien vom Parlament zu entscheiden. 4
16 Vgl. z. B. Kölble, S. 53; Di Fabio, VwArch 1990, S. 217 ff.; Böckenförde, Organi-
sationsgewalt, S. 249 ff. (252).
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gleiche, wie sie bei den unabhängigen Institutionen der Haushaltsverfassung gegeben wird. Das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit sei im Grundgesetz nur lückenhaft durchgeführt 417. Soweit ein Gesetz der Mitwirkung von Sachverständigen zugrunde liege, gebe es eine funktionelle und ggf. institutionelle Legitimation 418 ; eine personelle kann je nach den Umständen der Benennung der Sachverständigen hinzutreten 419 . Brohm, der von der politischen Relevanz des Fachverstandes ausgeht, plädiert für ein Recht des Parlaments, Sachverständige, die für die Regierung tätig sind, unmittelbar vor das Plenum zitieren und befragen zu können 420 . Auch die Vereinbarkeit mit der Gewaltenteilung wird mit dem üblichen Argument, Art. 20 Abs. 2 GG enthalte nur einen Grundsatz, von dem im Einzelfall abgewichen werden könne, wenn nicht der Kernbereich berührt sei, angenommen 421 . Eine der Institutionen, bei denen die Annäherung an die im Rahmen der Haushaltsverfassung geschilderte Problematik besonders groß ist, ist der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, auf den hier als Exempel kurz eingegangen wird. Er wurde auf gesetzlicher Grundlage ins Leben gerufen mit der expliziten Absicht, durch ihn eine interessenfreie, versachlichte, kontrollierbare und rationale Wirtschaftspolitik, die nicht vom Druck wirtschaftlicher Lobbyisten bestimmt sei, zu ermöglichen 422 . Zu diesem Zweck war ein unabhängiges Gremium von Sachverständigen vorgesehen. Dieses sollte seine Neutralität durch wissenschaftliche Verarbeitung der Interessen garantieren; deswegen sieht das Gesetz die Möglichkeit der Anhörung von Interessenten vor 4 2 3 . Diese Neutralisierungsmethode hat in der Praxis ebenso versagt wie die Bestellung zweier Mitglieder als quasi-Interessenvertreter. Dies zeigt sich darin, daß nunmehr regelmäßig alternative 4 Gegengutachten einer politisch abweichend ausgerichteten Professorengruppe veröffentlicht werden. Der als neutrales Gremium geplante „Rat der fünf Weisen" 424 hat sich von der Neutralität zur Binnenpluralität und von dort zur Außenpluralität entwickelt. Im Zusammen417 Vgl. z. B. Greipl, S. 195.
418 Vgl. Di Fabio, VwArch 1990, S. 219 f. 419 Vgl. Dagtoglou, Der Private, S. 151. Bedenken äußert Di Fabio, wenn wie z. T. im Arzneimittelrecht die Auswahl der Sachverständigen den Interessenten überlassen ist (S. 219 f.). 420 Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, in: HdBStR, Bd. II, 1987, § 36 Rdnr. 53 f. 421 Vgl. Greipl, S. 196. 422 Vgl. Stern / Münch / Hansmeyer, § 31 Anm. I I 3 d; Möller, § 31 Rdnr. 4; Kommen-
tierung in: Das Deutsche Bundesrecht III A 91; Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 257 ff. 423 § 3 StabG. 424 Der Terminus der ,Weisheit' soll Interessenneutralität durch Abgeklärtheit schon sprachlich suggerieren und wird auch im Rahmen der Haushaltsverfassung verwendet; vgl. zum Bundesminister der Finanzen.
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hang mit der angestrebten, aber nicht gelungenen Neutralisierung ist auch die Terminologie des ,Hüters' des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts 425 und die Theorie des pouvoir neutre auf den Sachverständigenrat angewandt worden 426 . Auch die soziale Zuordnung weist Ähnlichkeiten auf, wenn der Sachverständigenrat als Vertreter sonst unterrepräsentierter Allgemeininteressen gesehen wird 4 2 7 . Von hier aus führt der Gedankengang zwangsläufig weiter zur Verfassungsstellung des Sachverständigenrates. Die Wahrnehmung eines sonst vernachlässigten Interesses hat auch hier zu Überlegungen geführt, ob der Rat praktisch gesehen eine Oppositionsfunktion erfüllt. Dies ist z.T. aus struktureller Sicht angenommen worden 428 , wird aber durch die Realität nicht bestätigt 429 . Auch die Debatte zum Rechtscharakter des Sachverständigenrates wiederholt Positionen, die im Bereich der Haushaltsverfassung für die dortigen Akteure vertreten werden. Böckenförde 4 3 0 und Heinze 431 sind der Ansicht, daß der Sachverständigenrat die Stellung eines Verfassungsorganes habe, ohne durch das Grundgesetz legitimiert zu sein, und nehmen daher an, daß seine Nebenregierungsfunktion nicht im Einklang mit dem Verfassungsrecht steht. Diese Bedenken haben sich bislang nicht durchsetzen können. Auch Stern geht davon aus, daß die personelle Legitimation der Mitglieder des Sachverständigenrates aufgrund der Ernennung durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung nicht als demokratische Legitimation hinreiche 432 . Dieser Mangel falle aber wegen der Beschränkung des Rates auf Beratung ohne Entscheidungsrechte nicht ins Gewicht 433 . Die Unsicherheit über die Rechtsstellung zeigt sich in der Wahl von Formulierungen, die seit der
425 Weil der Sachverständigenrat der berufene Ausleger dieses Begriffes sei, Möller, § 31 Rdnr. 3. 426 Stern / Münch / Hansmeyer, Anm. II 3 d zu § 31 : pouvoir neutre ohne Entscheidungsrechte; ablehnend dagegen Möller, § 31 Rdnr. 4 ; Schneider, in: Grundsatzprobleme wirtschaftspolitischer Beratung, S.7. 427 Kaiser, S. 16: die fünf Weisen als ,tribuni plebis'. 42 8 Vgl. z. B. Brohm, der die politische Oppositionsfunktion betont (Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, in: HdBStR, Bd. II, 1987, § 36 Rdnr. 28 f.), obwohl er prinzipiell davon ausgeht, daß sachkundige Beratung „materiale Rationalität" zu produzieren vermag (Rdnr. 1). Vgl. auch Bauer, S. 356. 429
Vgl. Stern I Münch I Hansmeyer, § 31 Anm. I I 2 Fn. 1. Ausschlaggebend dürfte
sein, daß der Bezugspunkt des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes eine Oppositionsrolle das Gremiums nicht begünstigt. Anders wäre es bei der Zuweisung von Teilaspekten wie Vollbeschäftigung oder Ausgleich der Handelsbilanz; hier liegt die spezifische Differenz zu den Institutionen der Haushaltsverfassung. Ebensowenig wirkt die mit Politikberatung auf zentraler Ebene verbundene Rollenerwartung in Richtung auf eine Entfaltung oppositioneller Aktivität. 4 30 Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 257. 43 1 Heinze, Der Staat 6, 439 f. 432
433
Stern I Münch I Hansmeyer, § 31 Anm. I I 3 d.
A. A. Möller, § 18 Rdnr. 2: faktisch wird Beratung Vorentscheidung sein. Das hat sich auf diesem Gebiet, wahrscheinlich wegen der zu großen Komplexität des Gebietes und damit verbundener geringer spezifischer Rationalität der Beratung nicht bewahrheitet.
D. Exkurs: Zur Neutralität staatlicher Institutionen
267
Neufassung des Bundesrechnungshofgesetzes für dessen Stellung gängig wurden. So qualifiziert Bryde den Rat als „Hilfsorgan", das weder Legislative noch Exekutive ausschließlich zugeordnet sei, weil es beide berate; dennoch sei das Gremium keine vierte Gewalt 4 3 4 . Schließlich wird die Ansicht vom Rechtscharakter sui generis vertreten 435 . Hinsichtlich der Effektuierung der Ratschläge ist dem Sachverständigenrat gesetzlich der unmittelbare Zugang zur Öffentlichkeit neben dem Weg über Parlament und Regierung eingeräumt 436 . Insgesamt zeigt sich, daß die gegenläufigen Bewegungen mit der Absicht der parteienbezogenen Neutralisierung staatlicher Funktionen einerseits und der Einbindung von neutralem Fachwissen andererseits konvergieren und sich in gemeinsamen Problemstellungen treffen. Es ergibt sich auch hier, daß die Neutralisierung ohne Erfolg bleibt und daß Sachverstand derzeit nicht von Interessiertheit getrennt werden kann, wenn diese auch nicht zwangsläufig auf der Linie der Differenzen in der Parteienlandschaft liegen muß. Je undifferenzierter allerdings der anzuwendende Begriff („gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht"), desto höher die Wahrscheinlichkeit, daß sich keine parteiunabhängigen Strukturen ausbilden: die Eigengesetzlichkeit des zentralen Kriteriums ist dann zu gering. Die Erkenntnis, daß das Fachwissen meist nicht neutral ist, macht den Sachverstand nicht nutzlos. Sie schärft lediglich das Bewußtsein dafür, daß hier Probleme der Einbindung vorliegen, die auch für das Problem der Einheit zwischen Institutionen wie Rechnungshof und Bundesbank relevant sein können. Im Ergebnis läßt sich also bestätigen, daß es nicht gelungen ist, den Inhalt einer allgemeinen Neutralität plausibel zu machen. Neutralität ist deswegen stets relative, enthält im Sinne Schiaichs den Verweis auf einen Maßstab, der demjenigen Gebiet, aus dem heraus verwiesen wird, fremd ist. Dieser neue Maßstab selbst aber ist einerseits selbst politisch und andererseits gegen politische Wertungen innerhalb seines Anwendungsbereiches keinesfalls immun; diese werden hier lediglich nach anderen Kriterien gesetzt. Deswegen erlaubt es die Behauptung der Neutralität nicht, eine Tätigkeit von dem Erfordernis demokratischer Verantwortlichkeit von vornherein auszunehmen. Das gilt auch für ein Gefüge aus relativ autonomen Institutionen mit je eigenen Maßstäben, wie es im Bereiche der Haushaltsverfassung nach geltendem Recht existiert. Die normative Programmierung dieser Institutionen sichert lediglich den Vorrang eines Blickwinkels, ist aber kein Entscheidungsprogramm mit Bestimmbarkeit auch für die Einzelfallentscheidung. Diese Institutionen haben je ein eigenes Interesse, das sie vertreten, aber nur zum Teil ein eigenes Sachgebiet 437 . Sie wirken insofern in Konkurrenz zu anderen Institutionen, die dem ihnen anvertrauten Aspekt zur Durchsetzung 434 Bryde, S. 86 ff., 144. 435 Stern / Münch / Hansmeyer, § 31 Anm. I I 3 d.
436 Vgl. § 6 SVR-G; zu beiden Wegen Bryde, S. 121 ff. 437 Das ist deutlich beispielsweise bei der universalen Anwendbarkeit der Prüfungskriterien der Rechnungshöfe.
268
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
verhelfen möchten. Es bestätigt sich hier die Notwendigkeit der Kompetenzabstimmung, insbesondere in den Fällen, in denen solchen unabhängigen Institutionen „Absplitterungen der Souveränität" zur Ausübung übertragen sind. Es gibt also keinen inhaltlichen Gemeinwohlbegriff, der auf einer real vorfindlichen homogenen Interessenbasis beruht, so daß er gegenüber den Gruppeninteressen neutral wäre. Dennoch ist es notwendig, einen normativen Gemeinwohlbegriff zu unterstellen, weil die verschiedenen Interessen einer sinnvollen Zuordnung bedürfen. Solche inhaltlichen Thesen über das jeweils zeitadäquate Gemeinwohl sind aber stets vorläufig und müssen in Wahlen eine wiederum zeitlich beschränkte Billigung erfahren.
E. Die Bundesschuldenverwaltung I. Aufgaben und Ausgestaltung Die Bundesschuldenverwaltung ist eine selbständige Bundesoberbehörde 438 im Sinne des Art. 87 Abs. 3 GG 4 3 9 . Sie beruht auf einer gemäß Art. 127 GG ergangenen Rechts Verordnung 440, die die Weitergeltung des Gesetzes über die Schuldenverwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 441 anordnet. Das Gesetz über die Schuldenverwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes ordnet seinerseits die entsprechende Weitergeltung der Reichsschuldenordnung 442 an. Diese wiederum war aufgrund des Ermächtigungsgesetzes vom 8.12.1923 443 ergangen. Die Errichtung einer Bundesoberbehörde und die Aufgabenübertragung durch Rechtsverordnung stoßen im Hinblick auf die Grenzen der Bundeskompetenz zur Errichtung von Bundesbehörden nach Art. 87 Abs. 3 GG nicht auf Bedenken 4 4 4 .
438 § 1 Nr. 2 FinVwG; damit ist der bei Kühnemann, AöR 1934 S. 3 ff., 221 ff dargestellte Streit um die Stellung als oberste Reichsbehörde oder nachgeordnete Behörde des Finanzministeriums (S. 224) durch gesetzliche Entscheidung erledigt. Nicht so freilich die zugrunde liegende Frage nach der Ministerverantwortlichkeit. 439 Zur Staatsschuldenverwaltung im Ausland vgl. die Hinweise bei Kühnemann, S. 33, 17; Bank, DöH 1971, 83 f. Häufig wird die Staatsschuldenverwaltung von gegenüber der Exekutive und Legislative für den Einzelfall unabhängigen Institutionen wahrgenommen, insb. durch das Parlament oder die Zentralbank. Interessant auch der Hinweis in Haurious Institutionenlehre, daß die Durchsetzung der Leistung von Tilgungszahlungen auf die Staatsschuld gegenüber der ständigen Geldknappheit in Frankreich erst nach der Gründung einer autonomen Tilgungskasse (1926) gelang (Hauriou, S. 100; vgl. zur Zentralbank als Institution S. 38). 440 BGBl I 1950 S. 1. 441 WiGGBl 1948 S. 73. 442 RGBl I 1924 S. 95. 443 RGBl I 1923 S. 1179. 444 Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 87 Rdnr. 77.
E. Die Bundesschuldenverwaltung
269
Die Aufgabe der Bundesschuldenverwaltung liegt gemäß den Vorschriften der Reichsschuldenverwaltung in der Verwaltung der Staatsschulden. Diese läßt sich grob in zwei Funktionen aufteilen. Die erste liegt in der Kontrolle der staatlichen Kreditaufnahme auf ihre Rechtmäßigkeit hin. Das bedeutet vor allem, daß geprüft wird, ob sich die Kreditaufnahme im Rahmen des nach Art. 115 Abs. 1 S.l GG erforderlichen Ermächtigungsgesetzes hält. Dies ist die Funktion der sogenannten „Kreditkontrolle" 445 . Diese Kontrolle wird dadurch wirksam, daß Art. 115 GG für die Kreditaufnahme den Formenzwang der Reichsschuldenordnung voraussetzt; Kredite können nur in enumerativ bestimmten Formen aufgenommen werden. Damit ist ein wesentlicher Aufgabenbereich der Bundesschuldenverwaltung schon bei erster Betrachtung dem Aufgabenbereich von „Kontrolle" zuzuweisen. Als zweite Funktion liegt das Verbriefungsmonopol bei der Bundesschuldenverwaltung inclusive aller Hilfs- und Nebentätigkeiten. Wenn der Bundesminister der Finanzen eine Kreditaufnahme in nicht vorgesehener Form oder über die gesetzliche Ermächtigung des Haushaltsgesetzes hinaus abzuwickeln verlangt, so wird die Bundesschuldenverwaltung dieses Verlangen zurückweisen müssen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben ist die Bundesschuldenverwaltung teilweise unabhängig gestellt. Dies ergibt sich aus den §§23, 24 RSO. Danach ist die Schuldenverwaltung der „oberen Leitung" des Finanzministers unterstellt, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht. Eine eigenverantwortete Tätigkeit sieht das Gesetz nicht bei der gesamten Tätigkeit der Bundesschuldenverwaltung, sondern nur bei der Rechtmäßigkeitskontrolle, der Führung des Schuldenbuches, der Anordnung von Tilgungs- und Zinszahlungen auf die Staatsschulden, im Rahmen der Verwahrung, Verwertung und Vernichtung von Schuldurkunden sowie bei der Ausstellung, Umschreibung und Zweitausfertigung von Urkunden vor. Die wertpapierrechtliche Kreationsfunktion liegt demnach bei der Schuldenverwaltung, während alle Entscheidungen über Zeitpunkt, Höhe (im Rahmen des Gesetzes) und Zinssatz der Schuldaufnahme beim Finanzminister liegen 446 . Soweit die Schuldenverwaltung eigenverantwortlich arbeitet, steht sie unter der „Aufsicht" des Bundesschuldenausschusses, §§30 ff. RSO 447 . Die innere Organisation der Schuldenverwaltung ist strukturell der des Bundesrechnungshofes ähnlich. Die Behörde wird von einem fünfköpfigen Kollegium geleitet, das aus dem Präsidenten, seinem Stellvertreter und drei weiteren Beamten
445 Vgl. Kühnemann, S. 18 f.; Emst, DöH 1954, 219. Selbst im Nationalsozialismus wird diese Kontrollfunktion, nun im Verhältnis des Reichsfinanzministers zur „Führergesetzgebung" noch betont. Vgl. Mager, S. 88 ff. 446 Vgl. Kühnemann, S. 35: die Finanzpolitik liegt beim RdF. 447 Es handelt sich dabei um eine stark verkürzte Aufsicht, bei der das Informationsrecht (§34 RSO) das Wesentliche ist. Die Dogmatik des Aufsichtsrechts war 1924 vor allem dank Triepel soweit ausgearbeitet, daß dem Verordnungsgeber bekannt sein mußte, daß weitergehende Aufsichtsrechte nicht dem Begriff der Aufsicht zu entnehmen sind, sondern gesetzlich normiert hätten werden müssen.
270
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
besteht, die sämtlich in ihrer Stellung die Garantien richterlicher Unabhänigkeit genießen, §§ 26, 28 Abs. 1 RSO 4 4 8 . Auch die Geschäftsordnungsautonomie liegt bei diesem Kollegium, § 29 Abs. 2 RSO. Die Kollegiumsmitglieder sollen in der Regel die Befähigung zum Richteramt besitzen, § 27 Abs. 2 RSO. Die Beschlußfassung erfolgt, wie bei Kollegien üblich, durch Mehrheitsentscheid mit Ausschlag durch die Stimme des Präsidenten bei Stimmengleichheit, § 29 RSO. Dem Kollegium als Leitungsinstanz steht Hilfspersonal zur Seite, § 25 Abs. 1 S. 2 RSO. Die Mitglieder des Kollegiums werden vom Bundespräsidenten unter Gegenzeichnung durch den Bundesminister der Finanzen und nach Zustimmung des Bundesrates ernannt. Das Kooptationsprinzip wird in Form der Anhörung des Kollegiums angewandt. Bezüglich des Hilfspersonals hat der Präsident der Schuldenverwaltung das Vorschlags- oder Ernennungsrecht. Der Amtseid, den die Mitarbeiter der Schuldenverwaltung zu leisten haben, betont die „selbständige und unbedingte Verantwortung" bei der Aufgabenwahrnehmung, von der man sich durch „keine Anweisung irgendwelcher Art" abhalten lassen dürfe (§ 30 RSO). Die Stellung des Präsidenten und seines Stellvertreters sind inkompatibel mit der Mitgliedschaft in der Bundesregierung oder einem Bundesministerium (§ 27 Abs. 4 RSO). Das Aufsichtsgremium, der Bundesschuldenausschuß, besteht aus je sechs Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat; den Vorsitz hat der Präsident des Β undesrechnungshofes.
II. Zur Rechtfertigung der Weisungsfreiheit Dieser Ausgangstatbestand wirft auch hier die Frage auf, wie die Unabhängigkeit der Bundesschuldenverwaltung vor dem Demokratieprinzip gerechtfertigt werden kann und in welchem Verhältnis die Bundesschulden Verwaltung und der Ausschuß zu den übrigen Akteuren des Haushaltsgeschehens stehen. Der Aspekt der Durchbrechung der Ministerverantwortlichkeit in diesem Gremium läßt beispielsweise Maunz zu dem Urteil kommen, die derzeitige Organisation sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar 449 . Vorab ist festzuhalten, daß Art. 87 Abs. 3 GG, der von „selbständigen Bundesoberbehörden" spricht, damit nicht die Weisungsfreiheit in bezug auf die ministe448
RSO.
Vgl. dazu Kühnemann, S. 29. Insb. also Ernennung auf Lebenszeit, § 26 Abs. 1
449 Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 115 Rdnr. 4 ff. Kritisch, aber ohne verfassungsrechtliche Bedenken, allerdings auch ohne nähere Auseinandersetzung mit der Bundesschuldenverwaltung Friauf, Die Bundesschuldenverwaltung in: Staatskredit, HdBStR Bd. IV, 1990 § 91 Rdnr. 66 ff. Entscheidend gegen die verfassungsrechtlichen Bedenken fällt für Friauf die Beschränkung der Behörde auf „technisch-administrative" Funktionen ins Gewicht (S. 353). Auch hier also in veränderter Form das Argument der Sachgesetzlichkeit.
E. Die Bundesschuldenverwaltung
271
rielle Verantwortlichkeit 450 intendiert. Gemeint ist vor allem die organisatorische Ausgliederung aus der Ministerial Verwaltung des Bundes und die eigenständige Zeichnungsbefugnis des Behördenleiters 451. Es wäre auch kein überzeugender Grund ersichtlich, warum das Demokratieprinzip nur wegen der bei Art. 87 Abs. 3 GG gegebenen Besonderheiten der organisatorischen Ausgestaltung nicht gelten sollte. Die Organisationshoheit ist kein Rechtstitel, um aus der demokratischen Verantwortlichkeit zu fliehen. Art. 87 Abs. 3 GG ist demnach keine Rechtsvorschrift, die eine Rechtfertigung für Abweichungen von den Maßgaben des Demokratieprinzips enthält. Die historische Betrachtung 452 ergibt für die Ausnahme, die die Organisation der Schuldenverwaltung von der Ministerverantwortlichkeit macht, zwei tatsächliche Gründe. Zunächst war die unabhängige Stellung der Schuldenverwaltung aus rein ökonomischen Gründen eingerichtet worden; nach der noch frischen Erinnerung an die fürstlichen Münzverschlechterungen und die teilweise gescheiterten Gründungen von Zentralbanken, sowie nach Unregelmäßigkeiten bei der Tilgung und Zinszahlung für die Staatsschuld in den preußischen Befreiungskriegen 453 mußte dem Publikum, das Staatspapiere kaufen sollte, eine Gewähr für die Solidität dieser Papiere geboten werden 454 . Diese lag darin, daß man die urkundliche Behandlung und die Renditezahlungen für die Papiere einer von der monarchischen Exekutive unabhängigen Behörde übertrug. Von da her rührt auch das bei dieser Behörde prononciert unpolitische Selbstverständnis 455. In dieser Phase ist die Schuldenverwaltung stark in den Bereich der Gesellschaft integriert, was auch in ihrer Besetzung zum Ausdruck kommt; ihre Funktion liegt in der Wertsicherung der gegen den Staat gerichteten Ansprüche aus Wertpapieren; insofern nimmt sie de facto grundrechtsschützende Aufgaben wahr.
450 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 87 Rdnr. 83 Fn. 5. 451 Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 87 Rdnr. 83. 452 Ausführlich dazu Karl, passim; vgl. auch Ebert, WM 1958,154. Gesetzgebungsgeschichte: Preußische Gesetzessammlung, 1820 S. 9 ff.; 1850 S. 57 ff.; 1879 S. 10 ff.; RGBl I 1900 S. 129 ff.; RGBl I 1924 S. 95 ff. 453 Vgl. die Präambel zum Gesetz von 1820 (vorhergehende Fn.). 454 Vgl. Kühnemann, S. 7, 21, 30. Vgl. aus der Präambel des Gesetzes von 1820: „Wir hoffen dadurch und durch die von Uns beabsichtigte künftige Unterordnung dieser Angelegenheit unter die Reichsstände das Vertrauen zum Staate und zu seiner Verwaltung zubefestigen und Unseren aufrichtigen Willen, allen Staatsgläubigern gerecht zu werden, um so unzweideutiger an den Tag zu legen, als Wir zugleich wegen Sicherstellung, so wie wegen regelmäßiger Verzinsung und allmähliger Tilgung aller Staatsschulden das Nöthige unwiderruflich hiermit festsetzen." Typisch für den Zweck die Berufung von Mitgliedern der Kaufmannschaft in die Behördenleitung und die Ablegung des Eides in Gegenwart des kommunalen Magistrates, des Börsen Vorstehers und des Ältesten der Kaufmannschaft (Art. XV). 455 Vgl. dazu Mager, S. 94, der sich vergeblich müht, die vom Nationalsozialismus behauptete durchgängige Politisierung auch an dieser Behörde nachzuweisen. Er findet nichts anderes als die Gesetzesinterpretation „im Geiste des Nationalsozialismus".
272
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
Erst als die Haushaltsgewalt auf die Legislative übergeht, tritt der Aspekt der Kontrolle über die Exekutive als Kontrolle über die Rechtmäßigkeit der Kreditaufnahme hinzu 4 5 6 . Da das Parlament selbst noch als gesellschaftlich begriffen wird, ist der Schritt von der Bonitätssicherung gegenüber der Gesellschaft zur Kontrollhilfe für das Parlament nicht groß. Noch Kühnemann betont 1934, daß die Aufgabe der Kreditkontrolle aus dem Wortlaut des Gesetzestextes nicht eindeutig ableitbar sei 4 5 7 . Aufgrund dieser Unsicherheit über den Kontrollauftrag fällt es dem Faschismus nicht schwer, die Organisation der Reichsschuldenverwaltung aufrechtzuerhalten: die Betonung wird wieder auf die Bonitätssicherung zugunsten des Geldbedarfes für die Aufrüstung verlagert 458 . In der Bundesrepublik Deutschland tritt aufgrund der bisherigen Stabilität der Währung die Kreditkontrolle durch die Bundesschuldenverwaltung in den Vordergrund. So führt Bank 4 5 9 lediglich die Rolle der Bundesschuldenverwaltung als einer Kontrollinstitution in der verschobenen Frontenstellung der Gewaltenteilung als Argument für die Durchbrechung des Prinzips der Ministerverantwortlichkeit an. Diese Kontrollfunktion wird in unterschiedliche Zusammenhänge eingeordnet. Die erste Linie ist die der Zuordnung der Kontrollfunktion zur parlamentarischen Kontrolle der Exekutive. Das entscheidende Argument dafür wird aus der Zusammensetzung des Schuldenausschusses genommen. Für diese liberalstaatliche Haltung steht — trotz eigenen Bestreitens 460 — insbesondere die Position von Kühnemann. Eine andere Richtung wird angedeutet, wenn die Kreditkontrolle in den Zusammenhang mit der Rechnungskontrolle gebracht wird: neben die nachträgliche Rechnungskontrolle trete ergänzend eine präventive Kreditkontrolle 461 . Auch hierfür gibt es Argumente aus der Rechtsgebundenheit der Kontrollaufgabe, der Struktur der Behörde und der Besetzung des Schuldenausschusses. Schließlich wird die Kreditkontrolle auch als Währungssicherung gegenüber einer „Wertpapierinflation" betrachtet und damit der Aufgabe der Bundesbank angenähert 462 . Der Schuldenverwaltung obliegt allerdings keine Entscheidung über die Höhe der Kreditaufnahme. 45
6 Das Gesetz von 1820 verbot zunächst die Ausgabe von Schuldtiteln über den Etat des Monarchen hinaus (Art. X). Im Gesetz wird für die Kontrollfunktion der Schuldenausschuß eingeschaltet. Der Kontrollzweck „nicht über den in Gesetzen bestimmten Betrag hinaus" (§ 9) wird deutlich. Die Berichterstattung der Schuldenverwaltung geht nun über den Schuldenausschuß an das Parlament (§ 15). 457 Kühnemann, S. 19 m. w. N.; das Gesetz spricht lediglich von ordnungsgemäßer Ausstellung (§23 lit a) und davon, daß Schuldverbindlichkeiten nicht beurkundet werden sollen, die den in den Reichsgesetzen gegebenen Vorschriften und Ermächtigungen nicht entsprechen (§ 30). 458 Vgl. Karl, S. 81. 459 Bank, DöH 1971, 83 (88 f.).
460 Kühnemann vollzieht im zweiten Teil seines Aufsatzes die Kehrtwendung zum Nationalsozialismus und distanziert sich vom „französisch-belgisch-marxistischen Liberalismus". Deutlich in die liberale Richtung Bank, DöH 1971, 88 f. 461 Vgl. Ernst, DöH 1954, 219. 462 Vgl. Ernst, DöH 1954, 221.
E. Die Bundesschuldenverwaltung
273
Diejenige Sichtweise, die die Schuldenverwaltung als Hilfsorgan der parlamentarischen Regierungskontrolle auffaßt, muß sich mit der Tatsache auseinandersetzen, daß seit der Reichsschuldenordnung von 1924 der Vorsitz im Schuldenausschuß bei dem Präsidenten des Bundesrechnungshofes liegt. Damit kann entgegen den Intentionen des Gesetzes von 1850 dieser Ausschuß nach heutiger Ansicht nicht als parlamentarischer Ausschuß betrachtet werden, weil er nicht lediglich aus der Mitte der gesetzgebenden Körperschaften besetzt ist 4 6 3 . Kühnemann hat vor diesem Hintergrund den Vorsitz nach der Norm von 1924 einen „fundamentalen und primitiven Fehler" des Verordnungsgebers genannt und versucht, die Mitgliedschaft des Präsidenten des Rechnungshofes als technische Beratung abzuwerten. Tatsächlich war zunächst ein Vorsitz aus der Mitte des Gremiums vorgesehen 464, danach durch den Vorsitzenden des Rechnungprüfungsausschusses des Bundesrates 465, erst 1924 entstand die gegenwärtige Rechtslage. Allerdings hatte der Präsident des Rechnungshofes auch als einfaches Mitglied stets Stimmrecht. Überblickt man die Umstände und beteiligten Personen im Jahr 1924, so läßt sich ohne Beleg vermuten, daß der agile Präsident des Rechnungshofes und spätere Reichssparkommissar Saemisch die Änderung initiiert hat. Damit wäre diese Frage auf dem selben Hintergrund zu sehen wie die Stärkung der Stellung der Rechnungskontrolle: als Reaktion auf die Reparationsverpflichtungen einerseits und auf die Identität von Regierungs- und Mehrheitspartei andererseits. Der Wechsel im Vorsitz des Gremiums wäre dann in der Tendenz zur Lösung der Kontrollfunktion vom Parlament in Richtung auf die Gewinnung einer Stellung außerhalb von Legislative und Exekutive zu verstehen. Von einer vollständigen Lösung kann allerdings nicht die Rede sein; die Berichtspflicht an das Parlament besteht nach wie vor (§ 35 Abs. 2 RSO). Man wird daher sowohl der Bundesschuldenverwaltung wie auch dem Bundesschuldenausschuß eine Stellung, die der des Bundesrechnungshofes entspricht, einräumen müssen. Auch bei der Bundesschuldenverwaltung ist es nach allem möglich, die Rechtfertigung der Unabhängigkeit aus der Kontrollaufgabe abzuleiten und zu diesem Zweck auf das Gewaltenteilungsprinzip zurückzugreifen.
463 Vgl. Achterberg, S. 154 f. Schon Hatschek hatte diesen engen Begriff des Ausschusses. Zutreffend bemerkt er zur Reichsschuldenkommission, daß diese weder Kommission noch kommissionsähnlich sei, wom Reichstag nicht geschaffen, sondern lediglich beschickt; also auch nicht des Parlamentsrecht unterliegend (Hatschek, Parlamentsrecht, 1. Teil, S. 225 ff., 247). Dagegen kommt die nach § 32 RSO eingeschränkte Diskontinuität auch bei Parlamentsausschüssen vor (vgl. Achterberg, S. 213 ff.). 464 § 12 des Gesetzes von 1850. 465 § 14 des Gesetzes von 1900. 18 Waechter
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
274
III. Die Einordnung der Schuldenverwaltung in das Gefüge der Staatsorgane Die sachliche Einordnung der Aufgabe der Behörde in den Bereich der Kontrolle gerade und ausschließlich von Verfassungsorganen hat dazu geführt, daß auch ihr eine Beteiligung an der ,Staatsleitung zur gesamten Hand' zugeschrieben wurde. So wurde behauptet, daß die Staatschuldenverwaltung an der Tätigkeit der „Staatsleitung" 466 in „Gleichordnung" 467 zum Finanzminister durch die Möglichkeit der Ausübung des Vetorechtes teilnehme. Der Begriff der ,Staatsleitung' ist in haushaltsrechtlicher Hinsicht neuerdings von Heun präzisiert worden 468 . Heuns Absicht geht dahin, den Terminus aus der traditionellen Verbindung mit der Regierungstätigkeit zu befreien und als einen Begriff zu etablieren, der eine Funktion bezeichnet, aber die Zuordnung dieser Funktion zu Institutionen offen läßt. Damit wird die Möglichkeit eröffnet, die Träger der Haushaltsgewalt nach ihrer Funktion zu untersuchen und nicht vorgeprägt durch das klassische Schema der Funktionentrennung mit Gesetzeserlaß einerseits, -Vollzug andererseits, ergänzt durch die Leitungsgewalt der Regierung. Heun bezieht sich in seiner Untersuchung überwiegend auf das Parlament und die Regierung, nicht auf andere Träger der Haushaltsgewalt. Den Begriff der staatsleitenden Tätigkeit sucht Heun durch Auswertung zahlreicher Definitionen induktiv zu bestimmen. Mehrere Merkmale sind hier von Bedeutung. Zunächst der Charakter der Staatsleitung als auf die Einheit des Staates bezogener Tätigkeit. Dies betrifft die Zuordnung der Entscheidungsart zu anderen Typen und anderen Trägern. Unter dem Aspekt der Funktion ist nicht zu bestreiten, daß auch Kontrolle' in den Bereich der staatsleitenden Tätigkeit fallen kann; so insbesondere im Bereich der parlamentarischen Regierungskontrolle. Dieses Kriterium erfüllt die Bundesschuldenverwaltung also. In modaler Hinsicht erklärt Heun den schöpferischen, initiativen, politischen Charakter als für die Staatsleitung wesentlich 469 . Damit fällt eine reine Rechtskontrolle 470 aus dem Gebiet der Staatsleitung heraus. Man kann also die reine Rechtskontrolle durch die Schuldenverwaltung nicht unter diesen Begriff der Staatsleitung fassen. Heuns Begriff der Staatsleitung läßt in besonderem Maße das Einheitsproblem deutlich werden, wenn er die Abstimmung der Entscheidungsarten aufeinander, das Zusammenfassende der Leitungsgewalt betont 471 . Insoweit scheint die Schul466 Mager, S. 88. 467 Kühnemann, S. 20. 468 Heun, S. 20 ff.
469 in diesen Merkmalen sind die alten Vorstellungen der Staatsleitung als politischer Regierungstätigkeit aufgehoben. 470 Für das Bundesverfassungsgericht sieht Heun die Möglichkeit einzelner staatsleitender Urteile; Heun, S. 24. 471 Vgl. Heun, S. 21 (siehe die Fn. zu W. Mößle), 24.
E. Die Bundesschuldenverwaltung
275
denverwaltung aber keine Schwierigkeiten zu bereiten. Die Unabhängigkeit vom kontrollierten Finanzminister und von der diesen tragenden Parlamentsmehrheit erscheint sinnvoll. Gleichwohl ist auch die Berichtspflicht an das Parlament sinnvoll, da dieses häufig ein eigenes Interesse an der NichtÜberschreitung des Haushaltsgesetzes haben wird. Brisanter stellt sich die Frage in Bezug auf die Kreditlimitierungen des Art. 115 Abs. 1 S.2 GG. Wenn die Schuldenverwaltung in einem justizähnlichen Verfahren von Amts wegen eine umfassende Rechtskontrolle in ihrem Aufgabenbereich vorzunehmen hat 4 7 2 , müßte sie auch bei der Verletzung der Kreditobergrenze aus Art. 115 GG die Ausstellung von Schuldurkunden trotz vorliegender Ermächtigung durch das Haushaltsgesetz wegen dessen Verfassungswidrigkeit verweigern. Darin käme die viel betonte quasi-richterliche Stellung der Bundesschuldenverwaltung zum Tragen. Der Maßstab der Entscheidung wäre in diesem Fall in der Norm des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG präzise vorgegeben. Diese Norm wendet sich an das Parlament als Haushaltsgesetzgeber; die Kontrolle könnte sich also auch auf das Parlament beziehen. Entscheidungsfolge wäre, daß die Bundesschuldenverwaltung die Ausfertigung der entsprechenden Schuldtitel verweigern würde, wenn sie zu der Auffassung käme, daß ein Verstoß gegen das Grundgesetz vorliegt. Es käme also anders als bei den indirekten Steuerungsinstrumenten der bislang behandelten Institutionen zu einer direkten Konfrontation; die Entscheidung der Bundesschuldenverwaltung würde gegenüber der Entscheidung von Parlament und Regierung als Veto wirken. Nimmt man keine Stellung der Behörde als Verfassungsorgan, sondern als Teil der Bundesverwaltung an, so stellt sich hier das allgemeine Problem, ob die Verwaltung berechtigt und verpflichtet sein kann, die Verfassungswidrigkeit von formellen Gesetzen zu prüfen und ggf. durch Aussetzen des Gesetzesvollzuges zu berücksichtigen. Zu diesem allgemeinen Thema hat sich im Anschluß an eine Entscheidung des Bundesfinanzhofes, die zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 473 Anlaß gab, eine breite Debatte 474 entsponnen, ohne daß diese zu einem durchgängig akzeptierten Ergebnis gelangt wäre. Einigkeit besteht insofern, als die Verwaltung für berechtigt und verpflichtet gehalten wird, Gesetze (zumindest summarisch) auf ihre Verfassungswidrigkeit zu prüfen 475 . Darüber hinaus wird allgemein angenommen, daß der einzelne Amtswalter verpflichtet 472
47
So Kühnemann, S. 35.
3 BVerfGE 12, 180 (186).
474
Vgl. aus der umfangreichen Literatur G. Hoffmann, JZ 1961, 193; Wolff / Bachof,
Verwaltungsrecht Bd. 1, § 28 II a; Bachof, AöR 87 (1962) S. 1 ff.; Hall, Die Prüfung von Gesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit durch die Verwaltung, 1963; Schramm, Die Verantwortlichkeit der Verwaltung bei der Anwendung verfassungswidriger Gesetze, 1965; Kokemüller, Die Verwaltung und das verfassungswidrige Gesetz, 1967; Groß, Inzidente Normenkontrolle durch die Exekutive, 1967; Kabisch, Prüfung formeller Gesetze im Bereich der Exekutive, 1967; Ossenbühl, Normenkontrolle durcch die Verwaltung, Die Verwaltung 1969, 393; ders., Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HdBStR Bd. III, § 62 Rdnr. 4 f. 47 5 Im Anschluß an Bachof, AöR 87 (1962) S. 16 ff. 18*
276
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
ist, den Remonstrationsweg einzuschlagen, wenn er zu der Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes gelangt. Uneinigkeit besteht allerdings bezügliche der Frage, ob das Gesetz weiterhin anzuwenden ist. Für eine weitere Anwendung werden als Argumente die Gewaltenteilung 476 , das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichtes 477 und die Vermutung für die Verfassungsmäßigkeit, die im Zustandekommen eines Gesetzes liege 478 , genannt. Die Gegenmeinung arbeitet vor allem mit dem Hinweis auf die Gesetzesbindung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG und auf die Verantwortlichkeit der Verwaltung für die Rechtmäßigkeit ihres Handelns 479 . Im Einzelnen unterliegen die Ansichten weiteren Differenzierungen; so soll die Anwendungspflicht dadurch problementlastet werden, daß nach erfolgter Remonstration bis zur Regierung dieser ein Antragspflicht zur Einleitung eines Normenkontrollverfahrens obliege. Von der Anwendungspflicht wird, soweit sie angenommen wird, für offenkundige Verfassungsverstöße eine Ausnahme gemacht 480 . Bereits diese Andeutungen genügen um zu zeigen, daß die Anwendung der geltend gemachten Kriterien auf den Fall der Bundesschuldenverwaltung schwierig ist. Zunächst scheitert schon der Ausweg, durch Remonstration und anschließende Normenkontrolle das Problem zu lösen. Da die Schuldenverwaltung unabhängig arbeitet, gibt es keinen Remonstrationsweg, der sie von ihrer Verantwortlichkeit entlasten könnte; andererseits ist sie selbst nicht vor dem Bundesverfassungsgericht antragsbefugt (§13 Nr. 6 BVerfGG). Der Weg, das Problem dem nächststehenden Fachminister vorzulegen 481 , scheitert praktisch ebenfalls: da die Bundesschulden Verwaltung gerade die Kreditaufnahme durch den Finanzminister kontrollieren soll, wird dieser im Streitfall wenig geneigt sein, einen Normenkontrollantrag zu initiieren 482 . Schließlich hilft auch der Bericht via Bundesschuldenausschuß an das antragsbefugte Drittel des Parlaments nicht weiter; mit der Kontrolle über die Einhaltung des Art. 115 Abs. 1 GG wird die Bundesschuldenverwaltung auch zum Gegenspieler des Parlaments. Verschärfend wirkt die auf der Technik der Schuldenverwaltung beruhende Schwierigkeit, daß nach Kreation der Schuldurkunde die Rechtmäßigkeit des 47
6 Diese als Schwerpunkt z. B. bei Hall, S. 106 ff.; der Bezug zur Gewaltenteilung wird durchgängig betont. Unklar ist, ob sich aus dem Prinzip direkte Schlüsse ziehen lassen (dagegen Bachof, S. 3, 14 f.). 477 Diese Argumentation kann sich auf Art. 100 Abs. 1 GG berufen; typisch ζ. B. Groß, passim. 478 Vgl. z. B. Kabisch, passim und später Ossenbühl, Die Verwaltung 1969, 402, der diese Vermutung mit dem Verwerfungsmonopol des BVerfG kombiniert. Für Aussetzungsbefugnis der Verwaltungsspitze bei Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit Ossenbühl, DVB1 1971, 845. 479 z. B. Bachof, S. 41 ff.; Schramm, passim.
480 Vgl. zu diesen Problemen insb. Groß und Ossenbühl. 481 Vgl. dazu für den Fall der Selbstverwaltung ebenfalls kritisch Bachof, S. 12. 482 Eine generelle Antragspflicht der Bundesregierung läßt sich nach § 76 BVerfGG nicht begründen. Hall (S. 140) hält es schon im Normalfall für unwahrscheinlich, daß die Bundesregierung bereit sein könnte, einen Antrag gegen ein von ihrer Ministerialbürokratie ausgearbeitetes Gesetz zu stellen.
E. Die Bundesschuldenverwaltung
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zugrunde liegenden Haushaltsgesetzes für die Rechtskraft der Urkunde ohne Bedeutung ist. Während die Linienverwaltung in der Regel nicht berufen ist, über die Verfassungsmäßigkeit einer Norm zu „entscheiden" 483 , kann man aus der Aufgabe der Bundesschuldenverwaltung zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Kreditaufnahme anderes ableiten. Der materielle Prüfungsauftrag ist hier wesentlich eindeutiger als zum Beispiel beim Bundespräsidenten formuliert und aus der Geschichte der Institution ableitbar 484 . A l l dies kann auf eine Sonderstellung der Bundesschuldenverwaltung im Vergleich zum Regelfall der Verwaltungsbehörde hinweisen; damit werden die Argumente gegen die Prüfungsbefugnis aus dem Prinzip der Gewaltenteilung hinfällig. Wenn man eine Kontrollfunktion gegenüber Verfassungsorganen annimmt, gibt es keine volle Vergleichbarkeit mit der Regelverwaltung mehr. Gegen eine solche Auffassung spräche auch nicht die „obere Leitung" 485 der Bundesschuldenverwaltung durch den Bundesminister der Finanzen; sie ist nach dem Gesetz auf die nicht unabhängige Tätigkeit der Schuldenverwaltung beschränkt. Fehlende Leitung und Aufsicht im Bereich eigenständiger Tätigkeit aber ist Indiz für die Zugehörigkeit zum System der Gewaltenbalance. Dies würde also dahin führen, eine eigenständige Prüfungsbefugnis der Schuldenverwaltung anzuerkennen. Nach dem Grundgesetz wird eine Streitigkeit zwischen Organen des Verfassungslebens durch das Bundesverfassungsgericht entschieden; es müßte also eine Möglichkeit geben, den möglichen direkten Konflikt zwischen Schuldenverwaltung und Regierung justitiell entscheiden zu lassen486. Unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung gab es für Streitigkeiten zwischen der Schuldenverwaltung und der Regierung keinen Rechtsweg 487 . Geht man mit der herrschenden Meinung von der dem Bundesminister der Finanzen gleichgeordneten Stellung der Bundesschuldenverwaltung aus, so liegt mangels Subordinationsverhältnisses ein Verwaltungsrechtsstreit nicht vor. Auch die behauptete Teilnahme an der Staatsleitungsgewalt spricht für eine verfassungsrechtliche Streitigkeit. Schließ483 Bachof; S. 23.
484 Die Qualifikation ist durch die Befähigung zum Richteramt im Gegensatz zum Regelfall in der Verwaltung vorhanden (§ 27 Abs. 2 RSO). 485 „Obere Leitung" dürfte ähnlich zu verstehen sein wie „Oberaufsicht"; also so, daß die Leitung stets über die Spitze der verselbständigten Institution Einfluß nehmen muß und nicht direkten Zugang hat. Daneben beinhaltet Oberaufsicht die Beschränkung auf Rechtsaufsicht über den beaufsichtigten Verband. Vgl. Triepel, S. 151 f., 405 ff.; Hatschek, Staatsrecht Bd. 1, S. 92; Bornhak, VwArch 18 (1910) S. 1 ff. (34). Zusammenfassend zum Begriff der Oberaufsicht aus neuerer Sicht Meyn, S. 30-33. 486 wie verschiedene Darstellungen, insb. Karl, passim zeigen, ist es in der Praxis durchaus zu solchen Konflikten gekommen. Diese wurden durchgängig politisch, meist durch Nachgeben der Exekutive gelöst. Die Konfliktregie ist hier also ähnlich wie bei der Bundesbank in den politischen Raum verlagert; das fällt aber bei der Zentralbank mit ihrem indirekten Steuerungsmechanismus leichter als bei der Bundesschuldenverwaltung. 487 Bank, DöH 1971, 85 f.
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lieh ist die Gleichordnung eines der Merkmale für ein oberstes Verfassungsorgan. Man müßte also von einer Organstreitigkeit auf Verfassungsebene ausgehen. Daraus ergibt sich jedoch eine doppelte Unstimmigkeit: antragsbefugt im Organstreit ist nur ein Organ, welches im Grundgesetz oder der Geschäftsordnung eines Bundesorgans mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattet ist. Zwar hatte Kühnemann beiläufig behauptet, die Rechte der Reichsschuldenverwaltung hätten sich aus der WRV ergeben 488, aber für eine derartige Ansicht läßt sich kein Anhaltspunkt finden. Dies gilt auch für das Grundgesetz. Die Antragsberechtigung im Organstreit läßt sich also nicht begründen 489. Ähnlich liegt es mit der Frage nach der Eigenschaft als oberstes Verfassungsorgan. Obschon der Funktion nach wahrscheinlich, sprechen der Befund aus dem Normenmaterial und die praktische Bedeutung deutlich gegen eine solche Einordnung. Selbst wenn man davon ausgeht, daß institutionelle Elemente einer erweiterten Gewaltenteilung durch einfaches Gesetz geschaffen werden können, würden sich die entstehenden Beziehungen bei der gegenwärtigen Rechtslage der Beurteilung durch das Bundesverfassungsgericht entziehen. Neben dieser Schwierigkeit, die aus dem Verhältnis der Bundesschuldenverwaltung zu Regierung und Parlament resultiert, ergibt sich eine weitere im Verhältnis zum Bundesverfassungsgericht. Dieses ist zur Entscheidung über die Vereinbarkeit auch von formellen Gesetzen mit den Normen der Verfassung berufen. Die klare Zuweisung dieser Aufgabe in der Verfassung verbietet es, bei einem weiteren Staatsorgan dieselbe Kompetenz anzunehmen, es sei denn, die Letztentscheidung durch das Bundesverfassungsgericht wäre gesichert. Dies ist hier nach dem Ausgeführten nicht der Fall. Der Unterschied in den Rechtsfolgen der Entscheidungen — einerseits Nichtigerklärung des Gesetzes, andererseits Verhinderung der Ausführung des Gesetzes — rechtfertigt kein anderes Ergebnis, denn beide Rechtsfolgen wirken derart, daß sie eine Kreditaufnahme verhindern, ohne daß dem Finanzminister eine eigene Entscheidungsmacht verbliebe. Damit läßt sich eine Einheit in der Zuordnung der Kompetenzen der Bundesschuldenverwaltung zu denen anderer Staatsorgane nur dann feststellen, wenn man der Schuldenverwaltung nicht die Befugnis zur Überprüfung der Kreditgrenzen des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG einräumt. Dies ist bei verfassungskonformer Auslegung, wie schon aus dem einfach-rechtlichen Normenmaterial deutlich geworden ist, durchaus möglich und daher geboten.
488 Kühnemann, S. 52.
489 Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich bei anderen Kontrollinstitutionen, vgl. Waechter, JURA 1991, 520 zur parlamentarischen Kontrollkommission für die Geheimdienste.
F. Der Bundesminister für Finanzen
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F. Der Bundesminister für Finanzen Diese Arbeit verfolgt das Ziel, die Zuordnung relativ unabhängiger Staatsorgane zueinander auf ihre Widersprüchlichkeit hin zu untersuchen und für die jeweilige Unabhängigkeit eine dogmatische Rechtfertigung zu erarbeiten. Die Stellung des Bundesministers der Finanzen ist nach dem Grundgesetz und einfachem Gesetzesrecht durch zahlreiche Sonderrechte 490, insbesondere Widerspruchsrechte und Zustimmungsbefugnisse, gegenüber den übrigen Mitgliedern des Kabinettes 491 hervorgehoben. Die dadurch eingeräumte begrenzte unabhängige Entscheidungsmacht spricht prima facie dafür, ihn in eine Polyzentrik der Haushaltsverfassung als Akteur einzuordnen 492. Offenbar gibt es auch hier einen Zuordnungsbedarf. Hier ist zu ermitteln, welches Interesse der Finanzminister in der Ausübung seiner Sonderrechte vertritt. Andererseits kann hier offenbar nicht von einer Ministerialfreiheit wie bei Bundesbank oder Bundesrechnungshof gesprochen werden, da es sich um die Ministerialspitze selbst handelt. Dennoch stellt sich auch bezüglich der Sonderrechte des Bundesministers der Finanzen das Problem der Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip. Die Ursache dafür liegt darin, daß wegen der dem Minister eingeräumten unabhängigen Entscheidungsmacht der Kanzler die Entscheidungen des Ministers nur unter besonderen Bedingungen gegenüber dem Parlament verantworten kann. Dazu tritt beim Bundesverfassungsgericht eine Interpretation des auf das Verhältnis von Parlament und Regierung bezogenen Demokratieprinzips, die eine sehr direkte Verantwortbarkeit fordert. In dieser Situation kann es sich vorteilhaft auswirken, daß die im ersten Teil dargestellten Rechtfertigungsargumente für geminderte demokratische Legitimation nicht auf der Zuordnung der fraglichen Institution zu einer Staatsfunktion beruhen, sondern über Funktionsgrenzen hinaus anwendbar sind. Das Bundesverfassungsgericht geht im Falle des Finanzministers einen Weg, der bei sonstigen relativ unabhängigen Institutionen nicht gegangen und in der Literatur auch nicht diskutiert wird: das Gericht beschränkt durch »demokratiekonforme 4 Interpretation des Grundgesetzes die Unabhängigkeit des Finanzministers 490 Bestimmte Sonderrechte sind durch das HGrG auch für die Länder verbindlich vorgeschrieben. Vgl. §§ 22-29 HGrG. 491 Zwar verfügen auch andere Minister über Sonderrechte, diese gehen aber erheblich weniger weit als die des Finanzministers. Die Minister der Justiz und des Inneren gemäß § 26 Abs. 2 GO BReg; Minister für Wirtschaft gemäß § 6 Abs. I, § 18 StabG. 492 Vgl. Hettlage, VVdStRL 14 (1956) S. 12 f.: „Ein künftiges Finanzverfassungsgesetz wird aus diesen Ansätzen ein System gegenseitiger Kontrollen von Parlament und Regierung zur Sicherung von Haushalt und Währung mit dem Rechnunghof als unabhängigem institutionellen Hüter einer geordneten und wirtschaftlichen Finanzgebarung entwickeln müssen. Dabei sollte auch die Sonderstellung des Finanzministers innerhalb und außerhalb der Regierung verfassungsrechtlich gewährleistet werden. In anderen Ländern... hat die politische Tradition seit Jahrhunderten zu solchen autoritären Einrichtungen der demokratischen Verfassung geführt, . . . " .
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und bindet ihn dadurch weitergehend in das Regierungskollegium ein, als dies aus dem Wortlaut des Grundgesetzes nahezuliegen scheint 493 . Die Literatur taucht in erster Unabhängigkeit erscheinen läßt; angesprochen.
folgt dieser Entscheidung nicht durchgängig 494 . Statt dessen Linie wieder das Neutralitätsargurment auf, das die relative als politisch irrelvant und damit nicht verantwortungsbedürftig in zweiter Linie werden Aspekte des Gewaltenteilungsprinzips
Eine grundrechtliche Argumentation findet sich auch hier nicht. Die Funktionen, die der Bundesminister der Finanzen erfüllt, stehen, wie sich zeigen wird, nicht mit Grundrechten im Zusammenhang. Da sich die Stellung des Organs nicht ohne Kenntnis seiner Rechte beurteilen läßt, werden diese zunächst kurz dargestellt. Die wichtigsten, seine Stellung betreffenden Vorschriften finden sich im Grundgesetz, in der Geschäftsordnung der Bundesregierung und in der Bundeshaushaltsordnung, die insoweit größtenteils das Haushaltsgrundsätzegesetz konkretisiert. Dazu treten Normen des Stabilitätsgesetzes.
I. Die Sonderrechte des Bundesfinanzministers Die Sonderrechte des Finanzministers werden in der Folge dargestellt, wie sie sich in den verschiedenen Phasen des Haushaltskreislaufes auswirken. Daneben sind einige weitere Rechte in anderen Zusammenhängen zu erwähnen. Die Sonderrechte betreffen vor allem kostenwirksame Entscheidungen der obersten Staatsorgane. Daneben beziehen sie sich auf reine Fragen der Ordnungsmäßigkeit im Haushaltsbereich und schließlich spielen sie eine Rolle im Rahmen der Konjunkturpolitik und der Finanzplanung. Die Sonderrechte in bezug auf kostenwirksame Entscheidungen lassen sich weiter unterteilen: Erstens solche Rechte, die Entscheidungen betreffen, welche als Vorgaben für den Haushaltsplan wirken (insbesondere die allgemeine Gesetzgebung und Verordnungssetzung). Zweitens diejenigen, die die Aufstellung des Haushaltsplanes angehen. Drittens Rechte mit Bezug auf den Vollzug des Haushaltsgesetzes und schließlich Befugnisse betreffend die Abweichung von diesem Gesetz. Innerhalb dieser Bereiche läßt sich danach unterscheiden, ob die Kostensteigerungen aus dem Bereich der Bundesregierung oder dem des Parlamentes stammen. Da im zweiten Fall die Festlegung von Rechten für einen Minister das Verhältnis zwischen den obersten Staatsorganen der Legislative und Exekutive betrifft, muß die Einräumung solcher Rechte sich unmittelbar aus der Verfassung ergeben. Den Innenbereich der Bundesregierung kann diese aufgrund ihrer Geschäftsordnungsautonomie hingegen 493 BVerfGE 45, 1 ff. 494 Vgl. die Darstellung unter B.
F. Der Bundesminister für Finanzen
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eigenverantwortlich gestalten, soweit sich nicht aus dem Grundgesetz mit Kanzler-, Kollegial- oder Ressortprinzip 495 Vorgaben ableiten lassen.
1. Vorgaben für die Aufstellung des Haushaltes Allgemeine Gesetze, die Ausgaben oder Einnahmeminderungen zwingend nach sich ziehen, wirken im Aufstellungsverfahren für den Haushaltsplan als Vorgaben, die die freie Spitze beschneiden. Soweit die Normsetzung aus dem Bereich der Bundesregierung, die als Kollegialorgan beschließt, stammt, ist dem Bundesfinanzminister ein Widerspruchsrecht eingeräumt. Dieses bezieht sich gemäß § 26 Abs. 1 in Verbindung mit § 15 Abs. 1 lit. a-c GO BReg auf alle Gesetze, Rechtsverordnungen der Bundesregierung als Kollegium und Rechtsverordnungen der Ressortminister(wenn sie politisch besondere Bedeutung haben), sofern sie finanzwirksam sind. Dieses Widerspruchsrecht ist doppelt abgesichert. Es kann vom Kabinett erst nach einer ,Denkpause' 4% , d. h. frühestens in der nächsten Sitzung und nur durch eine qualifizierte, absolute Mehrheit mit der Stimme des Kanzlers überwunden werden. Gewinnt also der Finanzminister den Kanzler für seine Ansicht, ist das übrige Kabinett machtlos 497 . Vor dem von § 26 Abs. 1 GO BReg erfaßten Stadium der Beschlußfassung des Kabinettes liegt diejenige der Vorlage von Entwürfen der Ressorts. Für Gesetzentwürfe bestimmt § 16 Abs. 3 GO BReg, daß im Falle der Kostenwirksamkeit einer Gesetzesvorlage der Bundesminister der Finanzen Widerspruch einlegen kann; da dieser Minister die Vorlage mitzeichnen muß, ist das Widerspruchsrecht verfahrensmäßig abgesichert. Dieser Widerspruch hat zur Folge, daß das Problem benannt ist und behandelt werden muß; im Notfall durch Entscheidung des Kabinettes als Kollegium (§ 15 Abs. 1 lit. f, 1. HS GO BReg), bei der wiederum § 26 Abs. 1 GO BReg eingreift. In der Praxis haben alle formellen Rechte dieser Art bekanntlich hauptsächlich einen Verständigungszwang zur Folge 498 . Dieser geht von der Möglichkeit des Finanzministers, gemäß § 26 Abs. 1 GO BReg zu widersprechen aus und bewirkt, daß bereits im Stadium vor der Vorberatung eine Verständigung gesucht werden wird, so daß es so gut wie nie zur formellen Ausübung der Widerspruchsrechte kommen wird; daraus auf ihre Wirkungslosigkeit zu schließen, beachtet diese Vorwirkung nicht hinreichend. 4
95 Von diesen Ausgangspunkten her wird daher die Sonderstellung des Finanzministers zum Teil als mit der Verfassung unvereinbar bezeichnet. Vgl. Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 182 ff.; Münch, S. 115; früher Glum, S. 46 ff., 56 ff. 496 Solche Denkpausen sind bei wichtigen Entscheidungen in allen Bereichen gängig. Man denke etwa an das Verfahren der Abwahl kommunaler Wahlbeamter, wo das BVerfG eine entsprechende Denkpause als Verfahrenssicherung gefordert hat (BVerfGE 7, 155; BVwGE 56, 163). 497 Auf dieser Stellung des BdF als »Oberminister4 in allen finanzbedeutsamen Fragen (unter den Bedingungen des Leistungsstaates) beruht die Kritik von Böckenförde. 498 V g l . Honnacker / Grimm, § 16; a u c h Schober, S. 167 m . w . N .
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Von § 26 Abs. 1 GO Β Reg nicht erfaßt werden die Fälle der Normsetzung durch Fachminister in Fällen ohne besondere politische Bedeutung. Hier greift § 40 Abs. 1 BHO ein 4 9 9 . Diese Vorschrift verlangt die Einwilligung des Finanzministers, wenn es um den Erlaß kostenwirksamer Rechts Verordnungen sowie von Verwaltungsvorschriften und den Abschluß von Tarifverträgen geht. Geht eine Gesetzesinitiative vom Parlament aus, so wirkt Art. 113 GG i. V. § 26 Abs. 1 GO BReg. Art. 113 Abs. I - I I I GG regeln die Möglichkeit der Bundesregierung als Kollegium, ihre nach Art. 113 Abs. 1 S. 1 GG erforderliche Zustimmung zu kostenwirksamen Gesetzen zu verweigern. Auch hier ist eine Überlegungsfrist vorgesehen. § 26 Abs. 1 GO BReg bewirkt die Transformation dieses Rechtes des Kabinettes in ein Recht des Finanzministers. Auf diese Weise ist der Bereich finanziell bedeutsamer Normsetzung in die besondere Verantwortung des Bundesministers für Finanzen gestellt, die dieser durch Widerspruch bzw. Verweigerung der Einwilligung wahrnimmt. Neben der Präjudizierung des Haushaltsplanes durch Normen kommen auch andere Festlegungen in Betracht. Hier sind Einnahmeminderungen aus Verwaltungsleistungen und zwischenstaatliche Verträge zu nennen, soweit sie nicht gesetzlicher Umsetzung bedürfen. In diesem Bereich ist ebenfalls der Finanzminister aufgrund § 40 Abs. I, I I BHO berechtigt, seine Einwilligung zu versagen; dies gilt ζ. B. für Einnahmeverluste durch Gebühren- oder Preissenkungen.
2. Aufstellung des Haushaltsplanes und Haushaltsgesetz Neben den Sonderrechten im Bereich der den Haushaltsplan vorbestimmenden Faktoren hat der Finanzminister entsprechende Einflußrechte auch im Aufstellungsverfahren des Planes selbst. Gemäß § 28 Abs. 1 S. 2 BHO kann er Voranschläge der Ressorts nach Herstellung des Benehmens mit diesen abändern. Ist die Angelegenheit von grundsätzlicher oder erheblicher finanzieller Bedeutung, so kann er eine Kabinettsentscheidung — mit der Folge der Anwendbarkeit von § 26 Abs. 1 GO BReg — darüber einholen (§ 28 Abs. 2 BHO). Das gleiche Recht ist dem Finanzminister für den Kabinettsbeschluß über den Haushaltsgesetzentwurf und die Anlage (Haushaltsplanentwurf) durch die §§29 Abs. 2 S. 3 i. V. 28 Abs. 2 BHO, 26 Abs. 1 GO BReg eingeräumt 500.
499 Ob die Bundeshaushaltsordnung statt der Geschäftsordnung der richtige Regelungsstandort für dergleichen Sonderrechte ist, soll hier dahingestellt bleiben. Probleme ergeben sich vor allem aus der impliziten Modifizierung der Ressortverantwortlichkeit. 500 Bei Meinungsverschiedenheiten dazu wirkt § 26 Abs. 1 i.V. § 15 Abs. 1 lit. f 2. HS GO BReg direkt.
F. Der Bundesminister für Finanzen
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3. Haushaltsvollzug Neben dem Bereich der Vorgaben für den Haushaltsplan und dem des Haushaltsgesetzes selbst verbleibt noch der des Haushalts Vollzuges. Hier ist zunächst wieder der Bereich der Kabinettsentscheidungen zu benennen. Darunter fallen alle Angelegenheiten von „allgemeiner finanzieller Bedeutung" (§ 15 Abs. 1 S. 1 GO BReg), insbesondere auch die Besetzung von Planstellen mit bestimmten hohen Besoldungen (§15 Abs. 2 GO BReg), sofern diese Besetzung von finanzieller Bedeutung ist; insbesondere also bei Anhebung der Vergütung oder Freigabe gesperrter Stellen. Weitere typisierte Fälle von Mitwirkungsrechten des Finanzministers — überwiegend als Zustimmungspflichtigkeit ausgestaltet — ergeben sich aus den Vorschriften der Bundeshaushaltsordnung 501. Danach kann der Bundesminister für Finanzen im Zusammenhang mit Verpflichtungsermächtigungen (§ 38 BHO), Krediten und Gewährleistungen durch den Bund (§ 39 BHO), Haushaltssperren (§41 BHO) und Aufhebung von Sperren (§ 36 BHO), der Behandlung von Ausgabenresten (§ 45 BHO), atypischen Planstellenbesetzungen (§ 48 BHO), Umsetzungen und Abordnungen (§50 BHO), Planänderungen bei Baumaßnahmen und Vertragsänderungen (§§ 54, 58 f BHO) sowie bei internen und externen Vermögensverschiebungen (§§61, 63 BHO) insb. Grundstücksveräußerungen (§ 64 BHO) und Anteilserwerbungen (§ 65 BHO) seine Zustimmung verweigern, falls Kostenbelastungen drohen 502 . Ergänzt werden all diese Vorschriften durch die Auffangklausel des § 40 Abs. 1 S. 2 BHO. Danach bedürfen „sonstige" Maßnahmen der Einwilligung des Finanzministers, wenn sie von grundsätzlicher oder erheblicher finanzieller Bedeutung sind. Dadurch wird der Minister von Bagatellfällen freigehalten; soweit bei den vertypten Einwilligungsfällen Bagatellfälle vorkommen können, ist es dem Minister häufig freigestellt, auf sein Mitwirkungsrecht allgemein zu verzichten 503 . Entsprechender Vorschriften für Entscheidungen des Parlamentes bedarf es nach der Systematik des Grundgesetzes, wonach die Exekutive den Haushaltsplan vollzieht, nicht 5 0 4 .
soi Vgl. dazu Heun, S. 450 ff. 502 Daneben existieren Zustimmungsrechte, die lediglich den Informationsgang sichern sollen etc; vgl. §§ 43, 60 BHO oder die der Kontrolle der Ordnungsmäßigkeit der Finanzverwaltung dienen (Buchungsrichtigkeit, Korruptionsvorsorge, zweckhafte Organisation hauptsächlich im Teil IV der BHO). 503 Vgl. z. B. § 64 Abs. 1 2. HS BHO; der Verzicht wird vom Unterschreiten bestimmter Wertgrenzen abhängig gemacht, bei Grundstücksveräußerungen derzeit DM 500 000. 504 Soweit der Haushaltsausschuß des Parlaments im Vollzug mitwirkt verfügt er lediglich über hemmende, aber nicht über gestaltende Rechte; vgl. dazu Heun, S. 457.
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4. Abweichungen vom Haushaltsplan Neben Entscheidungen, die den Haushaltsplan vollziehen, sind solche denkbar, die ihn überschreiten, sei es, daß Ansätze gar nicht oder zu niedrig aufgenommen wurden. Für solche Entscheidungen bedarf es gemäß Art. 112 GG in Verbindung mit § 37 BHO der Einwilligung des Bundesfinanzministers, die nach beiden Vorschriften an bestimmte Voraussetzungen gebunden ist. Endlich erfaßt § 26 Abs. 1 GO BReg auch politische Festlegungen für den Finanzbereich ohne unmittelbare Rechts Wirkung; ζ. B. die Inaussichtstellung von Hilfsmaßnahmen durch die Bundesregierung 505. Soweit der Bundesminister der Finanzen zur Verweigerung seiner erforderlichen Zustimmung berechtigt ist, trifft er diese Entscheidung eigenverantwortlich. Im Falle des Art. 112 GG, § 37 BHO (über- und außerplanmäßige Ausgaben) ist diese Entscheidung endgültig. In allen anderen Fällen kann der zuständige Bundesminister die Kabinettsentscheidung einholen (§116 BHO); tut er dies, so findet § 26 Abs. 1 GO BReg Anwendung; der Finanzminister kann nur mit doppelt qualifizierter Mehrheit überstimmt werden. Während bei vom Haushaltsplan abweichenden Ausgaben der Finanzminister also ein unabhängiges Entscheidungsrecht hat, hat er in den übrigen Bereichen eine zwar starke, aber nicht unüberwindbare Stellung.
5. Rechte in Sonderbereichen Im Rahmen der Konjunktursteuerung sind insbesondere die Rechte des Finanzministers gemäß § 6 StabG zu erwähnen, da diese ebenfalls den Haushalt berühren. Für den Fall der Konjunkturüberhitzung sieht § 6 Abs. 1 StabG vor, daß die Bundesregierung nach einem Vorschlag, der gemeinsam vom Finanzminister und Bundeswirtschaftsminister unterbreitet wird, den ersten zur Sperrung bestimmter Ausgaben ermächtigt. Einigkeit herrscht darüber, daß die Bestimmung derjenigen Ausgaben, die der konjunkturpolitischen Sperre unterfallen, bei dem Kollegium der Bundesregierung liegt, daß aber andererseits die Entscheidung der Frage, ob in Ausführung der Ermächtigung die Sperre tatsächlich erlassen wird und für welchen Zeitraum, beim Bundesfinanzminister liegt 506 . Während also bei der haushaltspolitischen Sperre gemäß § 41 BHO der Finanzminister zunächst selbst entscheidet und nur mit doppelt qualifizierter Mehrheit überstimmt werden kann, hat der Minister im Bereich der Konjunktursteuerung ein Vorschlagsrecht und dann eine Vollzugsfunktion, für deren Wahrnehmung allerdings die Ermächtigung durch die Bundesregierung notwendig ist 5 0 7 . 505
Vgl. Honnacker/ Grimm, § 26 Anm. 3. 506 Vgl. Stern / Münch / Hansmeyer, § 6 Anm. I I I 2; Möller, § 6 Rdnr. 3.
F. Der Bundesminister für Finanzen
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II. Sonderrechte, Demokratieprinzip und Stellung im Kabinett Beim Bundesminister für Finanzen zeigt sich wiederum deutlich der Zusammenhang zwischen der Rechtfertigung relativ unabhängiger Entscheidungsmacht und der Einordnung in das Kompetenzgefüge. Beide Fragen gehen in der allgemeinen Diskussion eine besonders innige Verbindung ein. Es geht einerseits um die systematische Vereinbarkeit der dem Finanzminister eingeräumten Sonderrechte mit dem Demokratieprinzip, andererseits um seine Einordnung in das Kompetenzgefüge. Diese zweite Frage wird besonders im Hinblick auf die Einordnung des Finanzministers in das Kabinett gestellt, da auch die Verteilung von Entscheidungsrechten im Regierungskollegium vom Demokratieprinzip geprägt ist. Die prägnanteste Vorschrift, die eine herausgehobene Stellung des Finanzministers beinhaltet, ist Art. 112 GG. Die Norm bestimmt, daß der Finanzminister für über- oder außerplanmäßige Ausgaben seine Zustimmung erteilen muß und daß er sie nur erteilen darf, wenn ein unvorhergesehenes und unabweisbares Bedürfnis für solche Ausgaben besteht. Bei dieser in § 37 Abs. 1 BHO konkretisierten Vorgabe handelt es sich nicht um ein Handlungsprogramm für den Bundesminister der Finanzen, sondern um eine Bedingung seiner Handlungsmöglichkeit. Wie sich aus § 37 Abs. 1 S. 3 BHO mit dem Hinweis auf die Möglichkeit des Nachtragshaushaltes und aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes508 ergibt, dient diese Schranke der Wahrung der Ausgabenbewilligungsbefugnis des Parlaments, der gegenüber die Befugnis der Exekutive aus Art. 112 GG eine subsidiäre Notkompetenz darstellt 509 . Das Bundesverfassungsgericht hat die Norm — ihrer Struktur nach Koppelungsvorschrift — so ausgelegt, daß sie auf der Rechtsfolgenseite dem Finanzmi507 Vgl. Stern / Münch / Hansmeyer, § 6 Anm. I V 2. Unklar ist, ob die Ermächtigung
auch ohne Vorschlag des Finanz- und Wirtschaftsministers ausgesprochen werden kann, ob also diese das Initiativmonopol besitzen. Möller nimmt dies an (Rdnr. 3), bei Stern wird es abgelehnt (Anm. IV 3 d), weil der Ermächtigende alle Funktionen, die durch die Ermächtigung eröffnet werden, auch selbst wahrnehmen könne. Nicht behandelt wird in der Literatur die Frage, ob auf die Ermächtigungsentscheidung des Kabinettes § 26 Abs. 1 GO BReg anzuwenden ist; eine Anwendung würde bedeuten, daß der Finanzminister in der Frage der eigenen Ermächtigung eine besonders starke Position hat. Die Frage kann erst beantwortet werden, wenn die ratio legis der Sonderrechte des Finanzministers geklärt ist. 508 BVerfGE 45, 1 ff. 509 BVerfGE 45, 38; die Entscheidung erledigte den voher herrschenden Streit um das Verhältnis zwischen parlamentarischem Bewilligungsrecht und exekutivischer Ausgabebefugnis. Für die Gegenposition zum BVerfG vgl. Arndt, Budgetrecht des Parlaments, DVB1 1975, 601; ders. auch nach der Entscheidung des Gerichts: Parlamentarisches Budgetrecht, JuS 1978, 19 ff.; Voigt, BayVBl 1978, 101 ff. (108 f.). Die Argumentation wird wesentlich aus der Verschiebung der Fronten in der Gewaltenteilung des parlamentarischen Regierungssystems gespeist. Vgl. auch Bienert / Caesar / Hansmeyer, 1982.
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nister ein politisches Ermessen einräumt 510 . Diese Auslegung hat das Gericht aus einer systematischen Betrachtung des zehnten Abschnittes des Grundgesetzes abgeleitet. Aus dieser ergab sich einerseits, daß dem Finanzminister das besondere Vetorecht des Art. 112 GG nicht eingeräumt wäre, wenn Art. 112 GG die Entscheidung vollständig determinieren könnte. Ein Normprogramm, das zu einer gebundenen Entscheidung führt, hätte das Grundgesetz ebenso gut an die üblicherweise Zuständigen, also die Bundesregierung oder den Ressortminister adressieren können. Andererseits kam eine Auslegung als einheitliche Ermessensvorschrift nicht in Betracht, sollte die Ausgabenbewilligungsprärogative des Parlaments nicht zur Disposition des Bundesministers der Finanzen gestellt werden. Im Ergebnis führt diese Auslegung dazu, daß die Ermessensentscheidung über die Zustimmung, die der Minister zu treffen hat, davon abhängig ist, daß die Ausgabe im subjektiven Sinne unvorhersehbar und im zeitlichen unabweisbar ist. ,Unabweislichkeit' bedeutet eine Dringlichkeit der Art, daß auf einen Nachtragshaushalt nicht gewartet werden kann 511 . Damit hat das Gericht einerseits das Verhältnis von Parlament und Regierung zugunsten des Vorranges des Parlamentes bestimmt und andererseits anerkannt, daß der Bundesminister der Finanzen in Ausübung seiner Sonderrechte politische Entscheidungen trifft; es lehnt damit die Neutralitätsthese ab. Die relativ unabhängige Entscheidungsmacht ist dem Finanzminister im Verhältnis zum übrigen Kabinett gewährt; deswegen wird die Auseinandersetzung um das Demokratieprinzip hauptsächlich auf dem Felde der Stellung des Ministers im Kabinett ausgetragen 512.
510 BVerfGE 45, 36-39. 5Π Etwas irreführend spricht das BVerfGE 45 S. 36 auch von einer ,sachlichen' Notwendigkeit der Ausgabe; diese Aussage wird aber S. 37 wider in den zeitlichen Horizont zurückgeführt, so daß man sagen kann, daß sie sich nicht auf den Inhalt der Ausgabe und ihre Notwendigkeit selbst, sondern nur, diese unterstellt, auf ihre Dringlichkeit bezieht und von dieser die Kompetenzeröffnung abhängig macht. Die Besprechungen der Entscheidung sind demgemäß auf die „sachliche Notwendigkeit" zugunsten des Zeitfaktors nicht eingegangen; vgl. ζ. B. Grimm JZ 1977, 682 (Anmerkung). Die Rede von der sachlichen Notwendigkeit der Ausgabe selbst ließe als Tatbestandsvoraussetzung keinerlei politisches Ermessen des Ministers mehr offen; bei unabweisbarer sachlicher Notwendigkeit besteht stets ein Bedürfnis. Nähere Betrachtung ergibt, daß diese Formulierung der Auslegung des Art. 112 GG aus dem Art. 67 Abs. 2 Preuß. Verfassung 1920 mitgeschleppt worden ist. Sie war dort zur Auslegung verwendet worden (Giese, Art. 67 Anm. 5). Dort war die Formulierung allerdings unschädlich, weil es nicht um die Abgrenzung der ministeriellen Zustimmungsbefugnis zum Nachtragshaushaltsrecht ging und somit das zeitliche Element nicht entscheidend sein mußte. Maßgeblich dafür ist, daß Art. 67 Abs. 1 Preuß. Verf. die Wahrung der Parlamentsrechte nicht qua Nachtragshaushalt, sondern durch nachträgliche Genehmigung der Ministerentscheidung sicherte. Aus diesem Grund erscheint die Außerachtlassung der Formulierung von der sachlichen Notwendigkeit durch die Literatur sachgerecht. Unklar ist aber die Auslegung insoweit bei Därr, S. 114 ff.
512 Dieser Streit wird in der Entscheidung des BVerfGs in dem Sondervotum Niebier deutlich BVerfGE 45, 52 ff.
F. Der Bundesminister für Finanzen
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In diesem Streit kann man zwei Grundpositionen unterscheiden, die allerdings nie in idealtypischer Reinheit vertreten werden. Der ersten Position steht die Mehrheit des Bundesverfassungsgerichts nahe, die zweite wird in dem Sondervotum zu dessen Urteil und in den meisten Urteilsanmerkungen vertreten 513 .
1. Einbindung in das Regierungskollegium versus treuhänderische Unabhängigkeit Das Bundesverfassungsgericht schränkt im Ergebnis um des Demokratieprinzips willen die Unabhängigkeit des Finanzministers ein und konstruiert eine Informationspflicht gegenüber dem Regierungskollegium, durch die eine direkte Verantwortbarkeit gegenüber dem Parlament wiederhergestellt werden soll. Das Gericht geht von einer Analyse der Art. 110-114 Abs. 1 GG aus und untersucht anhand dieser Normen des Grundgesetzes dessen Haushaltsverfassung. Aus dem Zusammenhang dieser Normen entnimmt es, daß die Haushaltsverfassung von dem bipolaren Gegenüber von ausgabenbewilligendem Parlament einerseits und Regierung andererseits geprägt sei. Daraus müsse man folgern, daß die Sonderstellung des Finanzministers in Art. 112 GG ein Ausnahmefall sei und demzufolge der Minister seine Aufgabe in die Kompetenz der Regierung als eines Kollegiums „eingebunden" wahrnehme 514. Diese Grundannahme wird durch weitere Überlegungen abgestützt. Die wichtigste nimmt auf das Demokratieprinzip Bezug. Sie geht dahin, daß der zweipoligen Entgegensetzung von Parlament und Regierung ein direkter Verantwortungszusammenhang entspricht. Demokratische Legitimation heißt danach, daß sich jede Regierungskompetenz vor dem Parlament direkt verantworten lassen muß. Das führt zwangsläufig dazu, den Finanzminister in die Regierung einzubinden; denn andernfalls wäre dieser nicht dem möglichen Entzug der demokratischen Legitmation in hinreichend direkter Weise ausgesetzt. Deswegen kommt das Gericht dazu zu verlangen, daß die Bundesregierung vor dem Parlament „unmittelbar von Verfassungs wegen für dessen (des Finanzministers) Verhalten einzustehen" hat 515 . Wenn diese Verantwortlichkeit einmal festgestellt ist, muß man der Bundesregierung auch die Möglichkeit geben, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Zu diesem Zweck konstruiert das Gericht die Pflicht des Bundesministers für Finanzen, vor seiner Zustimmungsentscheidung die Bundesregierung zu informieren, damit diese ihn gegebenenfalls an einer Zustimmung hindern kann 516 . Da Art. 112 GG eine direkte Verhinderung der 513 Vgl. Grimm, JZ 1977, 683 f.; Selmer, JuS 1977, 759 (Anmerkung); Arndt, JuS
1978, 22; Hettlage, DÖV 1977, 519 f. (Anmerkung); weniger kritisch Stern, Das Urteil des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichtes vom 25. Mai 1977, FinArch N.F. 37 (1979) S. 94 ff. (105). 514 BVerfGE 45, 46 f. 515 BVerfGE 45, 48 (vgl. S. 50). 516 BVerfGE 45, 47 f.
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2. Abschn.: Exemplarischer Teil
Zustimmungserteilung durch Anweisung der Bundesregierung nicht zuläßt, zeigt das Bundesverfassungsgericht indirekte Wege auf,so zum Beispiel die Möglichkeit zu beschließen, daß die fraglichen Mittel nicht ausgegeben werden; dadurch wird dem Finanzminister die Grundlage seiner Entscheidung entzogen. Neben dies Argument tritt ein Hinweis auf Art. 65 GG und § 26 Abs. 1 GO BReg. Nach — allerdings bestrittener 517 — verbreiteter Ansicht hat der Bundesfinanzminister bei seiner Entscheidung nach Art. 112 GG die Richtlinien der Politik, die gemäß Art. 65 S.l GG vom Bundeskanzler bestimmt werden, zu beachten. Daraus ergebe sich ebenfalls die „Einbindung" des Ministers in die Regierung im Sinne der Maßgeblichkeit des Kanzlerprinzips. Ähnliches zeige sich bei § 26 GO BReg; hier habe der Finanzminister zwar eine starke Stellung, ausschlaggebend sei aber stets die Mehrheit des Kollegiums Bundesregierung 518. Zusätzlich folgert das Bundesverfassungsgericht aus dem Ausnahmecharakter von Art. 112 GG, daß der Finanzminister Konsultationspflichten in Bezug auf das Parlament unterliege. Sei unklar, ob ein Nachtragshaushalt noch denkbar sei, so soll der Minister mit dem Parlament in Verbindung treten, um eine Klärung herbeizuführen. Dies soll sich aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue ergeben 519. Der Sache nach wird damit vom Bundesverfassungsgericht eine Pflicht der Verfassungsorgane geschaffen, bei Auslegungszweifeln über Tatbestandsmerkmale einer Kompetenznorm Konsultationen einzuleiten. Eine nähere Begründung für diesen Inhalt des als Rücksichtnahmegebot verstandenen Treuegrundsatzes wird nicht gegeben520. Stern hat deutlich gemacht, wie diese Entscheidung des Gerichts die Regierung als Kollegium stärkt und die Stellung des Finanzministers als eines potentiellen Kontrolleurs der Regierung schwächt 521 . In der haushaltsrechtlichen Literatur werden häufig die Formulierungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts übernommen 522. Ähnliche Gedanken wie das Bundesverfassungsgericht hat auch Böckenförde vorgetragen, bezogen allerdings nicht auf das formell verfassungsrechtliche Normenmaterial, sondern hinsichtlich der Sonderrechte des Finanzministers aus § 26 der Geschäftsordnung der Bundesregierung. Auch er kommt zu dem Ergebnis, daß um des Demokratieprinzips willen die Norm zu korrigieren ist: er führt aus, § 26 GeschO BReg verstieße gegen das Grundgesetz, weil sie der Ratio und dem Ethos des parlamentarischen Regierungssystems widerspreche, indem sie aus dem Finanzminister unter den Bedingungen des modernen Leistungsstaates eine Art Oberminister für alle ausgabenintensiven Ressorts mache. Ergebnis sei ein 517 Vgl. Schober, S. 50 ff.; Rosenfeld, S. 200 ff.
sis BVerfGE 45, 47. 519 BVerfGE 45, 39. 520 Der Treuegrundsatz beweist hier erneut die schon bei R. Smend aufgewiesene Eignung zu unbegrenzter Auslegung. 521 Stern, FinArch 37 (1979) S. 94 ff. (105). 522 Vgl. z.B. Heuer ! Dommach, Art. 112 Anm. 8. Patzig, Kap. 11.
F. Der Bundesminister für Finanzen
289
weitgehendes Alleinbestimmungsrecht von Bundeskanzler und Bundesfinanzminister 523 . Böckenfördes Position wird aus dem Vergleich mit den Sonderrechten von Innen- und Justizminister besonders deutlich; diese prüften lediglich die Vereinbarkeit mit geltendem Recht und störten daher die Verantwortlichkeitsstruktur innerhalb der Regierung nicht, während mangels einer derart sachgebunden neutralen Prüfung durch den Finanzminister bei diesem eine Ressortprivilegierung vorliege. Böckenförde geht also von einem politischen Charakter der Entscheidungen, die der Bundesfinanzminister zu treffen hat, aus. Gerade der dadurch eröffnete Spielraum soll zur Verfassungswidrigkeit der fraglichen Norm der Geschäftsordnung führen. Auch an dieser Stelle setzt sich bei Böckenförde also die oben beschriebene sehr stringente Auffassung des Demokratieprinzips durch, die in dieser Arbeit um die Vorstellung einer lediglich treuhänderisch gebundenen Verantwortung ergänzt worden ist. Die auf das Gewaltenteilungsprinzip abzielende Gegenposition ist in den kritischen Urteilsanmerkungen mehr angedeutet als bezogen worden. Jedenfalls wird die selbständige Stellung des Finanzministers im Regierungskollegium betont. Diese Stellung wird in Parallele zu anderen Institutionen wie Bundesbank und Bundesrechnungshof, je mit spezifischen eigenen Aufgaben, gesehen. Demnach wäre die Haushaltsverfassung nicht wie vom Bundesverfassungsgericht betont als bipolar, sondern als multipolar aufzufassen. Dafür ist ein Teil der Begründung in den vorangegangenen Abschnitten gegeben worden. Eine solche Auffassung läßt die Zuordnung von Parlament und Regierung bestehen, erweitert aber das Spektrum eigenständiger Akteure im Sinne einer polykratischen Gewaltenteilung teils externer (Bundesbank), teil interner (Finanzminister im Regierungskollegium) Art 5 2 4 . Das Gericht hat mit seiner Betonung der bipolaren Struktur die veränderte Frontenstellung der Gewalten im parlamentarischen Regierungssystem nicht für die Auslegung fruchtbar gemacht. Dies ist ihm zu Recht vorgehalten worden 525 . Die Sichtweise des Gerichts kommt auch darin zum Ausdruck, daß es in die Betrachtung der Haushaltsverfassung Art. 114 Abs. 2 GG nicht einbezog, sondern die Erörterung der Norm nach dem ersten Absatz abbrach. Dadurch konnte nicht mehr als das Verhältnis Regierung und Parlament in den Blick kommen 526 . Gleichzeitig geht das Gericht von einer direkten Entsprechung von Kompetenz und Verantwortlichkeit und von einem Monopol des Parlaments zur Vermittlung dieser Verantwortlichkeit aus. Die hier vertretene Gegenposition orientiert sich auch für den Bundesminister der Finanzen stärker an einer indirekten Verbindung von Kompetenz und Verantwortlichkeit, wie sie in der institutionellen Legitimation etwa der Bundesbank 523 Böckenförde, Die Organisationsgewalt, insb. S. 182 ff. (184 f.). 524 Grimm, JZ 1977, 683 geht in diese Richtung, wenn er von intraexekutiver Gewaltenteilung spricht. 525 Voigt, BayVBl 1978, 108 f.; Arndt, JuS 1978, 21.
526 Stern, Staatsrecht Bd. II § 45 II erstreckt den Begriff der Haushaltsverfassung auch auf Art. 114 Abs. 2 und 115 GG. Hier ist zusätzlich Art. 88 GG berücksichtigt worden. 19 Waechter
290
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
liegt. Das dazu bis hier Vorgetragene zeigt, daß Art. 112 GG keineswegs eine singuläre Ausnahmenorm ist, die dazu zwingt, den Finanzminister in das Regierungskollegium einzubinden. Zwar besteht ein Unterschied dergestalt, daß der Finanzminister Teil des Kabinettes ist und daß demzufolge dieses für seine Handlungen, anders als für die der Bundesbank, die politische Verantwortung trägt. Aber ebenso wie die Bundesbankführung nicht direkt vom Volk qua Ministerverantwortlichkeit ihre Legitimität ableitet und kontrolliert wird, hat die Regierung im Rahmen von Art. 112 GG keine Weisungsrechte gegenüber dem Bundesfinanzminister. Auch das Bundesverfassungsgericht sieht dies und umgeht es durch das Aufzeigen indirekter Einwirkungsrechte. Der im Grundgesetz vorgesehene Bruch in der Kette der Verantwortlichkeit wird durch eine Hilfskonstruktion geschlossen. Es hätte aber einer solchen Konstruktion gar nicht bedurft; Grimm hat aufgezeigt, daß es ausreichende Mechanismen der Verantwortlichkeit auch des Finanzministers gibt: so das Interpellationsrecht gemäß Art. 43 GG, abgesichert durch die Informationsansprüche des Parlamentes nach Art. 114 Abs. 1 GG und § 37 Abs. 4 BHO. Schließlich kann das Parlament vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Im Extremfall kann durch konstruktives Mißtrauensvotum oder anderen Druck auf den Kanzler ein Amtsverlust des Finanzministers erzwungen werden 527 . Auch ist der Hinweis des Gerichts auf § 26 GO BReg nicht überzeugend. Diese Vorschrift kann als Bestätigung der Sonderstellung des Ministers aufgefaßt werden. Dafür ist der Vergleich mit Art. 112 GG aufschlußreich. Bei den Entscheidungen im Bereich des § 26 GO BReg geht es regelmäßig um Vorgänge im Rahmen des Haushalts oder um Vorgaben für künftige Haushalte; hier ist der Finanzminister mit doppelt qualifizierter Mehrheit überstimmbar. Dagegen geht es im Bereich des Art. 112 GG um Abweichungen vom festgestellten Haushalt. Demzufolge wäre nicht ein Analogieschluß naheliegend, sondern der, daß die Autonomie des Finanzministers mit der Größe der Risiken für den Haushalt steigt. Ebensowenig ist der Hinweis auf die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers ohne nähere Begründung beweiskräftig, sofern man überhaupt davon ausgeht, daß diese auf Entscheidungen nach Art. 112 GG Anwendung findet 528 . 2. Die neutrale Sachlichkeit der Entscheidungen des Bundesfinanzministers Die Parallelisierung der Stellung des Bundesministers der Finanzen mit der von Bundesbank und Bundesrechnungshof liegt nach den Schwerpunkten der 527 Grimm, JZ 1977, 682 ff. Schließlich steht der Minister unter der Kontrolle der öffentlichen Meinung; dieser dürfte die Mehrheit aller Amtsverluste von Ministem zuzuschreiben sein; demgegenüber tritt die Kontrollfunktion des Parlaments zurück. 528 Für Nichtanwendung Niebier, Sondervotum zu BVerfGE 45, 1 ff. (57).
F. Der Bundesminister für Finanzen
291
Diskussion über die jeweilige Stellung nahe. Diese Schwerpunkte liegen in allen drei Fällen gleich: stets geht es in erster Linie um den politischen oder sachlichen Charakter der Kompetenzausübung und die Eigenschaft als Verfassungsorgan 529, in zweiter Linie um die Probleme des Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzips 530 . Da die Betonung der Sachlichkeit in der Regel die Funktion hat, der Entstehung von sonst drohenden Demokratiedefiziten vorzubeugen, ist es naheliegend, daß das Bundesverfassungsgericht beim Finanzminister nicht die Sachlichkeit betont, da es dem demokratischen Prinzip bereits auf dem angeführten anderen Wege Rechnung getragen hat. Das Gericht schlägt einen Mittelweg ein: einerseits sagt es, die Anerkennung eines Ausgabenbedürfnisses beruhe auf einer nur beschränkt überprüfbaren politisch wertenden Entscheidung und sei dem Bundesfinanzminister zugewiesen 531 , andererseits wird betont, dieser habe nicht die Kompetenz zu einer eigenständigen Ausgabenpolitik 532 . Die Diskussion um den politischen Charakter der Entscheidungen des Finanzministers betrifft wie bei den anderen Institutionen das Handlungsprogramm. Die Vertreter der Sachlichkeitsthese sind gezwungen anzugeben, woraus die sachliche Bindung der Kompetenzausübung resultieren soll. Einen klar auf Sachlichkeit bezogenen Standpunkt nimmt ζ. B. Friauf ein: die Sonderrechte des Bundesministers der Finanzen dürften „ausschließlich aus sachlichen Gründen ausgeübt werden" 533 . Insbesondere sei eine parteipolitische Motivation für die Entscheidung unzulässig und rechtswidrig 534 . Der Finanzminister verfüge lediglich über „streng sachgebundene Befugnisse" 535 . Mit dem Verbot parteipolitischer Motivation verweist Friauf explizit auf Friedrich Glum, der in der Weimarer Zeit die Sonderrechte des Reichsministers der Finanzen (§21 RHO) untersucht hatte und dabei zur Unvereinbarkeit dieser Rechte mit der verfassungsmäßigen Regierungsstruktur gelangt war 5 3 6 . Dies Ergebnis beinhaltete 52
9 Im Zusammenhang damit steht die Klagebefugnis vor dem Bundesverfassungsgericht. Der Charakter der Stellung des Bundesministers für Finanzen als Verfassungsorgan ist in ähnlicher Weise wie bei den bislang behandelten Organen strittig. Gegen eine Verfassungsorganstellung Patzig, Rdnr. 285; Schober, S. 70 ff. (Entlassungsmöglichkeit besteht); Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 184 ff. (§ 26 GO BReg ist verfassungswidrig); Eschenburg, S. 577; Neumark, S. 117 Fn. 1. Für einen Verfassungsorgancharakter Rosenfeld, S. 213 ff.; Franz Klein, DVB1 1962, 576 (mit Bezug auf die große Machtfülle); v. Lilien-Waldau, S. 120 ff. (hoher Rang der zugewiesenen Aufgaben); Strickrodt, S. 41 (funktionelle Selbständigkeit). 530 Vgl. für die Stellung des BdF die Dissertation von Schober und die Schrift von Därr. Für den Reichsfinanzminister unter der WRV Glum. 531 BVerfGE 45, 39. 532 BVerfGE 45, 49. Diese sei ihm gerade durch die Subsidiarität des Art. 112 GG im Verhältnis zum Haushaltsbewilligungsrecht des Parlaments nach Art. 110 Abs. 1 GG verwehrt. 533 Friauf, Grenzen der politischen Entschließungsfreiheit, S. 45 ff. (S. 69). Vgl. auch ders., Funktion, Inhalt und Grenzen, S. 162 ff. 534 Friauf, Grenzen der politischen Entschließungsfreiheit, S. 68 f. 535 Friauf, Grenzen der politischen Entschließungsfreiheit, S. 69. 19*
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
292
den Verzicht auf parteipolitische Motivation, weil Glum andernfalls die Koalitionsfähigkeit und das heißt unter den damaligen Bedingungen auch die Regierungsfähigkeit durch einen obstruierenden Finanzminister gefährdet sah 537 . Glum hat diese Kritik in der Zeit der Geltung des Grundgesetzes nicht wiederholt. Wie Friauf haben sich auch Wacke und Strickrodt geäußert. Der Bundesfinanzminister sei ein unpolitischer Fachminister, der den Finanzbereich gegen die politische Sphäre abschirmen solle 538 . Auch die Kommentarliteratur vertritt teilweise eine solche Ansicht; so fordert Fischer-Menshausen, daß sich der Finanzminister „nur von sachbezogenen und finanzwirtschaftlichen Erwägungen leiten lassen" dürfe 539 . Mit einem Ansatz zur Lösung der Problematik der Vereinbarkeit der Sonderrechte des Ministers mit dem Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip ist Därr hervorgetreten 540. Um seine Problemstellung und Argumentation nachzuvollziehen, ist es wichtig zu sehen, daß er einen engen und einen weiten Begriff der Demokratie verwendet. Der weite Begriff weist Demokratie als einen Kompromiß aus dem Prinzip der möglichst unmittelbaren Selbstbestimmung des Volkes sowie den Erfordernissen der Stabilität und der Effektivität aus. Der engere Begriff bezeichnet lediglich den Grundsatz des Art. 20 Abs. 2 GG 5 4 1 . Därr sucht nun festzustellen, wie Selbstbestimmung, Stabilität und Effektivität im Grundgesetz einander zugeordnet sind. Dazu will er bestimmen, wo in dieser Zuordnung die Stellung des Finanzministers gemäß Art. 112 GG einzureihen wäre. Zu diesem Zweck untersucht er die Vereinbarkeit der Einräumung von Sonderrechten mit den einzelnen Prinzipien, die er zuvor modellhaft konkretisiert. Ausgehend von der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes sieht Därr das Problem der Sonderstellung des Bundesminanzministers in der Frage, inwieweit die Repräsentation das Selbstbestimmungsrecht außer Kraft setzen dürfe 542 . Därr geht wie Böckenförde davon aus, daß das Demokratieprinzip eine umfassende demokratische Legitimation — institutionell, personell und sachlich-inhaltlich — fordert; diese liege beim Bundesfinanzminister nicht im vollen Umfang vor. Därr stellt nun drei Idealtypen von Repräsentation vor; diese erfüllen eine ähnliche 536
Glum, passim.
537 Glum, S. 56 ff.
538 Vgl. zusammenfassend die Darstellung bei Schober, S. 173 ff. (177), der auch auf das Selbstverständnis der älteren Finanzwissenschaft als einer politisch neutralen hinweist (S. 178 f.). 539 Fischer-Menshausen, in: v. Münch, Art. 112 Rdnr. 9. Dennoch ist durchgängig von der politischen Verantwortung des BdF die Rede (Rdnr. 4). 540 Därr, S. 52 ff.
541 Vgl. Därr, S. 54. Die normative Verankerung des Stabilitätserfordemisses bleibt unklar. Einerseits wird unter Hinweis auf Hettlage das Prinzip der wehrhaften Demokratie angesprochen (S. 54); andererseits wird die Gewaltenteilung als Stabiilitätsgarantie begriffen (S. 88). Für das Effektivitätsprinzip wird eine normative Grundlage nicht genannt. 542 Därr, S. 55.
F. Der Bundesminister für Finanzen
293
Differenzierungsfunktion, wie sie bei Böckenförde den verschiedenen Legitimationsarten zugewiesen ist: der erste Typ ist an die parlamentarische, also unvermittelt direkte Repräsentation geknüpft und kann daher die nur indirekte demokratische Legitimation des Finanzministers nicht begründen 543. Der zweite Typ faßt Repräsentation als Führerauslese. Für dies Verständnis reicht auch indirekte Legitimation aus, die nicht vom Volk unmittelbar abgeleitet ist. Därr lehnt diese Auffassung als etatistisch und die immanenten Schranken des Repräsentationsprinzips überschreitend ab 5 4 4 ; dieser Weg dürfe nach dem Grundgesetz nicht gegangen werden. Därrs eigene Lösung lehnt sich an Gedanken von Niclas Luhmann an, indem sie systemtheoretische Elemente von Entscheidungsoptimierung und Systemstabilisierung mit demokratisch partizipatorischen Elementen verknüpft. Das gelingt ihm relativ leicht, indem er auf die zu bewältigende Komplexität hinweist, die nur durch Ausdifferenzierung von Substrukturen abgearbeitet werden könne 545 . Mit diesem Modell sei die Stellung des Bundesfinanzministers unvereinbar, weil das partizipatorische Element fehle 546 . Ähnlich geht Därr beim Gewaltenteilungsgrundsatz vor. Wieder werden drei Modelle für das Verständnis angeboten. Zunächst dasjenige der Funktionentrennung, mit dem Art. 112 GG vereinbar ist, wenn die Norm als subsidiär zum Ausgabenbewilligungsrecht des Parlaments aufgefaßt wird, weil in diesem Fall die Direktionsfunktion des Parlamentes unangetastet bleibt 547 . Därr lehnt dieses Modell aber ab; in Anschluß an Kelsen vertritt er die Meinung, daß Normproduktion nicht nur in der Legislative stattfinde 548 . Als zweites weist Därr auf das Modell der Gewaltenbalance hin; auch dieses wäre mit der Stellung des Finanzministers kompatibel, wenn die Befugnis nicht auf die Entscheidung wesentlicher Fragen ausgeweitet wird, so daß die Macht der Exekutive die des Parlaments zu übersteigen beginnt 549 . Aber auch dieses Modell verfällt der Ablehnung: als entscheidend dafür werden die Schwierigkeiten der Quantifizierung von Macht und die Orientierung dieses Terminus auf hierarchische Beziehungen genannt; im Verhältnis von Parlament und Regierung gehe es um Wechselwirkung und nicht um Unterordnung 550 . Därr selbst folgt wiederum einem entscheidungstheoretischen Modell, das die Gewaltenteilung als Garantie rationaler Entscheidungsprozesse auffasst und in dieser Rationalität auch die Rechtfertigung staatlicher Ausübung von Hoheitsgewalt erblickt 551 .
543 Därr, S. 56.
544 Därr, S. 57. Diesen autoritären Zug hat ζ. B. Hettlage hervorgehoben. 545 Därr, 546 Därr, 547 Därr, 548 Därr, 549 Därr, 550 Därr, 551 Därr,
S. 58 f. S. 60. S. 61 ff. S. 64. S. 67 f. S. 69 f. S. 73.
294
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
Diese Sichtweise blendet aber die freiheitssichernde Funktion der Gewaltenteilung über Gebühr aus. Auch werden auf diese Weise Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip einander zu sehr angenähert, obwohl sie in spannungsvollem Gegensatz zueinander stehen, wie das zu lösende Problem beweist. Därr legt sein Modell nach Kriterien organisationssoziologischer Optimierung aus. Die Legislative sei ihrer Struktur nach zur Entscheidung wertrationaler Fragen geeignet, die Exekutive für die sachrationalen Fragen. Daraus ergibt sich Därrs Lösung und das weitere Vorgehen. Die Analyse der bei Art. 112 GG anstehenden Entscheidungen ergibt, daß nicht rein sachrational entschieden werden kann, sondern daß Wertungen, beispielsweise bei dem Begiff „Bedürfnis", einfließen. Diese Tatsache rechtfertigt Därrs Zwischenergebnis, daß die Sonderrechte des Finanzministers mit der Gewaltenteilung und Demokratie im Rechtssinne unvereinbar sind, weil der Entscheidungstyp nicht zum zugehörigen Entscheidungsbereich zugeordnet ist 5 5 2 . Es folgt der letzte Schritt, in dem ein nicht normativ belegtes Effektivitätsprinzip zur Rechtfertigung der Sonderrechte des Finanzministers herangezogen wird; auch hier wird am Ende wieder der ,Sachzwang' in das Feld geführt 553 . Danach sollen Abweichungen von den aufgeführten Prinzipien dann möglich sein, wenn ein Sachzwang dies erfordert. Diesen Sachzwang sieht Därr bei Art. 112 GG schon im normativen Tatbestand aufgewiesen, wenn dort von unvorhersehbaren und unabweisbaren Ausgaben die Rede ist. Därrs Auffassung kann nicht gefolgt werden. Ihre Mängel liegen in zwei Bereichen. Der Begriffsinhalt von Demokratie und Gewaltenteilung wird im Sinne optimierter Entscheidungsprozesse verengt. Bei Därr wird das in der Spannungslage von Demokratieprinzip und Gewaltenteilungsprinziß liegende Problem durch die von ihm befürwortete ,Konvergenzthese4 gelöst 554 . Diese behauptet, daß ausdifferenzierte Entscheidungssysteme ohnehin stets dazu tendieren, zwecks optimaler Prozeßgestaltung demokratische Partizipation zu entwickeln. Dies führe zu Formen der Gewaltenteilung. Damit ist aber das dogmatische juristische Problem nicht gelöst. Erst jüngst hat das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum kommunalen Ausländerwahlrecht 555 Demokratie und Partizipation deutlich voneinander abgesetzt; es bedarf also einer genaueren Betrachtung des Verhältnisses der Prinzipien zueinander. Darüber hinaus ist es offenbar unzutreffend, daß eine indirekte personelle Legitimation verbunden mit unabhängiger Entscheidungsmacht dem Grundgesetz widerspreche; die Judikative weist genau diese Art von Legitimation auf. Ein zweiter Aspekt der Kritik an Därr beruht darauf, daß auch dieser die Probleme letzten Endes mit Hilfe der Neutralisierungsthese lösen w i l l 5 5 6 ; die 552 Därr, S. 86.
553 Därr, S. 89, vgl. dort Fn. 243. 554 Därr, S. 58 ff.
555 BVerfGE 83, 37/60. 556 Därr, S. 146.
F. Der Bundesminister für Finanzen
295
Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip soll sich aus dem ,neutralen Sachzwang' ergeben. Allerdings gesteht Därr selbst zu, daß die Sonderrechte des Ministers in einigen Fällen nicht in der erforderlichen politischen Neutralität ausgeübt werden können 557 .
a) Das vom Finanzminister
vertretene
Sonderinteresse
Das Sachprogramm, das hinter der von der Mehrheit angestrebten Neutralisierung des Finanzministers gesehen wird und das seine Entscheidungen steuern soll, muß für die von der Literatur großenteils angestrebte Neutralisierung von entscheidender Bedeutung sein. Gelingt es nicht, eine relativ genaue konditionale Programmierung darzulegen, so ist das ganze Argument nicht haltbar. Weitgehend wird dieses Programm in der Aufgabe des Bundesfinanzministers gesehen, das Ziel der Sparsamkeit zu vertreten; oft ist deswegen auch vom „Sparminister" die Rede 558 . Dabei bleibt eine genauere Beschreibung der daraus sich ergebenden Entscheidungsmaßstäbe Desiderat. In zweiter Linie wird der Ausgleich des Haushalts als Ziel genannt 559 .
b) Der Finanzminister
als Sparminister
Im vorliegenden Zusammenhang ist zunächst von Interesse, wie eine eventuelle Sparmotivation des Finanzministers im Verhältnis zu der des Bundesrechnungshofes zu sehen ist. Dabei würde weniger die doppelte institutionelle Verankerung dieses Interesses erstaunen als seine unterschiedliche Ausgestaltung: oben wurde dargelegt, daß das Sparsamkeitsprinzip wegen ihm inhärenter Kollisionen mit bestimmten Staatszielen beim Bundesrechnungshof bewußt durchsetzungsschwach institutionalisiert worden ist. Damit lassen sich die vielfältigen Entscheidungsbefugnisse des Finanzministers nur schwer vereinbaren. Daneben stellt sich von der ganz unterschiedlichen Organstruktur her die Frage, warum der Finanzminister als besonders geeignet erscheint, dies Ziel zu vertreten.
557 Därr, S. 34 f., 50. Dabei sieht Därr ähnlich wie das BVerfG die Einbruchsstelle für die allgemeinpolitischen Motive bei der Feststellung des Bedürfnisses für Ausgaben (insb. S. 95 ff., 103). Auch die Betonung der mangelnden Verantwortlichkeit des BdF gegenüber Kanzler und Parlament findet sich bei Därr (S. 52). Beispiele für politische Motivationen in der Praxis nennt Därr S. 121 ff. 558 Vgl. zum Sparmotiv schon unter der WRV Glum, S. 39 ff.; für die Entstehung des Grundgesetzes JöR Bd. 1 (1951) S. 816; unter Geltung des Grundgesetzes Bökkenförde, Die Organisationsgewalt, S. 182; Rosenfeld, S. 59 f., 102 f., 259; Bienertl Caesar I Hansmeyer, S. 121 ff., Heun, S. 186 f.; kritisch darstellend Schober, S. 8 f.,
109 f., 158 ff.
559 ζ . B. bei Schober, S. 33, 69, 103, 166 f.; Bienert / Caesar / Hansmeyer, S. 121-
123.
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
296
Die Gründe für die Auffassung von der Notwendigkeit, Sparsamkeitsimpulse gegenüber dem Parlament institutionell zu installieren, sind bereits mit dessen veränderter Rolle angesprochen worden. Was für die Fraktionen des Parlaments hinsichtlich der Ausgabenfreudigkeit gilt, muß im parlamentarischen Regierungssystem im Grundsatz auch für die Bundesregierung Geltung haben. Deswegen kritisiert Heun die übliche Rede von der Regierung als dem Sitz des Sparsamkeitsinteresses zu Recht; da deren Mitglieder wie die der Parteien bzw. Fraktionen auf Wiederwahl angewiesen sind, können sie nicht Hüter der Sparsamkeit sein. Heun ist der Ansicht, daß nicht die Regierung, sondern der Finanzminister als „restriktiver Finanzexperte" 560 das institutionalisierte Interesse an sparsamer Haushaltsführung vertrete 561 . Eine genauere Begründung für diese These bleibt Heun schuldig; er verweist lediglich auf die „Einsicht" in die Notwendigkeit des Sparens 562. Auch Maunz, der in den Rechten aus Art. 112,113 GG eine Sicherung des Sparsamkeitsinteresses erkennt, findet kein Interesse der Regierung oder des Finanzministers, das diese zum Sparen animieren könnte, sondern setzt der ausgabenfreudigen „Macht" des Parlaments die „Weisheit" der Regierung entgegen563. Gegen die Annahme, daß im parlamentarischen Regierungssystem die Sparsamkeit bei Parlament oder Regierung institutionalisiert werden könnte, spricht auch die oben aufgezeigte Stellung des Bundesrechnungshofes und die Geschichte des Reichssparkommissars als Hüter der Sparsamkeit. Diese Institutionen externer Gewaltenteilung wurden geschaffen bzw. entwickelten sich in der geschilderten Weise, weil Legislative und Exekutive trotz interner Gewaltenteilung das gesetzte Ziel nicht erreichten. Die Finanzverfassung des Grundgesetzes ist unter dem maßgeblichen Einfluß des vormaligen preußischen Finanzministers Höpker-Aschoff zustandegekommen 5 6 4 , der insbesondere für die Institutionalisierung des Sparsamkeitsinteresses im Regierungsbereich eintrat 565 . Deswegen ist ein Blick auf die Vorläufer der entsprechenden, Sonderrechte einräumenden Normen sinnvoll 566 , an denen sich Höpker-Aschoff bei den Beratungen zum Grundgesetz orientierte. Die entsprechende Tradition läßt sich dem Rechtskreis Preußens und ab 1919 daneben auch dem des Reiches zuordnen. In Preußen hatte Art. 67 Abs. 2 Preußische Verfassung 1920 in der Weimarer Zeit prägende Kraft entfaltet. Dieser Norm entspricht
560
Heun, S. 179 anläßlich der Erörterung des seines Erachtens verfehlten Art. 113 GG.
561 Heun, S. 186 f. 562 Heun, S. 187.
563 Maunz VVdStRL 14 (1956) S. 39 f. (40). 564 Dies ist allgemeine Meinung. Vgl. JöR Bd. 1 (1951) S. 809 ff.; Franz Klein, DVB1 1962, 573 ff. (574); Schober, S. 158. 565 Heun bezeichnet im Anschluß an Wacke Art. 113 GG als lex Höpker-Aschoff (vgl. S. 187 Fn. 201). 566 Zur starken Traditionsbestimmtheit des Haushaltsrechtes vgl. v. Lilien-Waldau, S. 5 m. w. N.
F. Der Bundesminister für Finanzen
297
heute Art. 112 GG. Auf Reichsebene sind die §§ 21, 33,128 der Reichshaushaltsordnung, die mit verfassungsändernder Mehrheit verabschiedet worden waren, wegweisend geworden 567 . Der Einfluß beider Rechtskreise bei der Entstehung des Grundgesetzes läßt sich nicht sauber scheiden. Beide Traditionsstränge vermitteln aber Einsichten für die Frage, warum die Regierung oder der Finanzminister Hüter der Sparsamkeit sein könnten. Die preußische Entwicklung läßt sich bis zur Kabinettsordre des preußischen Königs vom 15.2.1852 zurückverfolgen 568. Sie ergibt, daß der Monarch bestimmte Vorstellungen über die Machtbasis des preußischen Staates hatte. Er sah sie einerseits in einer starken Armee und andererseits in einer soliden Finanzwirtschaft 569 . Aus diesem Grunde verfügte er—anläßlich des Ankaufes einer privaten Eisenbahn — , daß der Finanzminister ein Immediatvortragsrecht beim Monarchen haben sollte. Damit erschien ihm eine Sicherung der Solidität der Finanzwirtschaft erreicht, während die Garantie der starken Armee durch ihn selber gewährleistet wurde. Damit wird deutlich, daß die Zuweisung der Wahrung der Sparsamkeit an den Finanzminister in der Tradition einer patriarchalischen monarchischen Haushaltsführung steht. Die Hüterstellung beruhte auf der prägenden Kraft dieser exekutivischen Tradition 570 ; sie ist nicht durch Interessen gestützt, sondern bezog ihre Kraft aus einer Werttradition der Sparsamkeit, die schon zur Legende geworden war. Sobald diese Prägung nachließ, mußten sich die Interessen der Institution durchsetzen. Damit erweist sich die Adressierung des Sparauftrages an den Finanzminister in Preußen als verständlich, aber als nicht mit dauerhaft tragfähiger Grundlage versehen. Wegen der unter der Reichsverfassung 1871 schwachen Stellung des Reiches im Finanzbereich 571 wurden die entsprechenden Fragen hier erst unter der Weimarer Reichsverfassung virulent. Auch hier findet die Adressierung des Sparauftrages an die Exekutive eine Erklärung. Das Handlungsprogramm für die Regierung ergab sich diesbezüglich aber nicht aus der institutionellen Stellung und den damit verbundenen institutionellen Eigeninteressen, auch nicht aus einem Normenbestand, sondern aus der außenpolitischen Situation des deutschen Reiches. Dessen Finanzlage war prekär und durch die Reparationsforderungen zusätzlich belastet. Diese wurden von den Siegermächten gegenüber der für die Außenpolitik zuständigen Regierung geltend gemacht. Im Laufe der Zeit betrafen die Forderun567 Vgl. V. Lilien-Waldau, S. 12. § 21 RHO enthält den Gedanken des § 28 BHO; § 21 Abs. 3 RHO entspricht dem § 26 GO BReg. 568 Abgedruckt bei Glum, S. 49 f. 569 Huber spricht für die Ära Manteuffel von einem auf Armee und Bürokratie gestützten, autoritären und antidemokratisch etatistischen Ordnungsprinzip (Bd. 3, S. 161). Damit geht eine qua besserer Einsicht der Regierung oktroyierte Sparsamkeit gut zusammen. 570 Mit ähnlicher Tendenz äußert sich v. Lilien-Waldau, S. 6. 571 Vgl. v. Lilien-Waldau, S. 7 m. w. N. Bekanntlich mußte anfangs der Weimarer Republik Erzberger eine neue Reichsfinanzverwaltung aufbauen.
298
2. Abschn.: Exemplarischer Teil
gen der Alliierten zunehmend sachliche und institutionelle Einzelheiten. So wurde von der Reichsregierung die Sanierung des Haushaltes verlangt 572 , da der Eindruck entstanden war, daß die Sparsamkeit im Haushalt nicht ausreichend betont wurde 573 . Obwohl die Reichsregierung sich für ihr Vorgehen gelegentlich beim Reichstag absicherte, spielte dieser in der Reparationsfrage zu jener Zeit nur eine untergeordnete Rolle und jedenfalls nicht die eines Anwaltes der Sparinteressen zugunsten der Siegermächte 574. Während der Vorbereitung und bei Inkrafttreten der Reichshaushaltsordnung 1922 bestand also ein von außen an die Reichsregierung herangetragener Sparzwang, der seinen Nachdruck aus den Forderungen und Maßnahmen der Siegermächte erhielt. Erst als dieser Druck erfolglos blieb, gingen sie dazu über, eine externe Gewaltenteilung — beispielsweise im Hinblick auf die Reichsbank — durchzusetzen. Auch der Sparkommissar stand, wie geschildert, in diesem Zusammenhang. Damit ergibt sich für die Traditionsbestände Preußens und des Reiches, daß die Möglichkeit der Institutionalisierung des Sparinteresses bei der Exekutive auf zufälligen historischen Umständen beruhte 5 7 5 . Die Übernahme in das Grundgesetz scheint daher ein Mißgriff zu sein, der nur mit der traditionellen Prägung und dem Einfluß von Höpker-Aschoff zu erklären ist. Für die Rechtslage unter der Geltung des Grundgesetzes in der nach dem 15. Änderungsgesetz von 1967 erreichten Form hat Schober in einer Dissertion zu erweisen gesucht, daß die Auffassung von der Stellung des Bundesministers für Finanzen als eines Sparministers obsolet geworden ist 5 7 6 . Die Rezeption von Keynes durch den Verfassungsgesetzgeber (Art. 109 GG) habe in diesem Zusammenhang zwei wesentliche Folgen gehabt. Über die schon stets bestehende politische Relevanz des Budgets hinaus seien die Staatsausgaben nunmehr durch das Bewußtsein von ihrer indirekt steuernden Wirkung zum politischen Gestaltungsmittel geworden. Im Rahmen des Gedankens des deficit spending wird der Sparsamkeitsgrundsatz von der Ziel- auf die Mittelebene zurückgestuft und macht es dadurch sinnlos, die Motivation des Finanzministers an ihm zu orientieren.
c) Der Finanzminister
als
Haushaltsminister
Insgesamt ist also eine Interpretation der Stellung des Finanzministers als eines Hüters der Sparsamkeit mit der tatsächlichen Interessenlage und den Aufgaben 572 Note der Reparationskommission v. 2.12.1921; Huber, Bd. 7 S. 230 ff.; vgl. zum Ganzen S. 196 ff. 573 Vgl. Huber, S. 244. 574 Vgl. Huber, S. 246.
575 Glum betont in seiner Untersuchung über die Stellung des Finanzministers unter der WRV jedenfalls allgemein die Ausnahmesituation der Zeit (S. 48 ff.). Ebenso Jellinek, in: Anschütz / Thoma, Bd. 2 S. 166. 576 Schober, insb. Teil III S. 155 ff.
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unvereinbar. Damit sind auch die geschilderten Abweichungen im Vergleich zum Rechnunghof nicht mehr erstaunlich. Gegenüber diesem Befund kann die Verpflichtung auf Sparsamkeit, die § 7 BHO auch mit Geltung für den Finanzminister enthält, keine wesentlich neuen Erkenntnisse bewirken. Die Norm hat einen untergeordneten Rang und wird praktisch nur durch den Rechnungshof zu sanktionieren sein 577 . Die dargestellte Gegenposition zum Bundesverfassungsgericht, die die Haushaltsentscheidung des Finanzministers in Wahrnehmung seiner Sonderrechte als politische Entscheidung, die nicht sachgebunden neutral ist, begreift, muß hier ansetzen. Wenn Sparsamkeit zum Beispiel im Rahmen staatsinterventionistischer Ausgabeentscheidungen eine Rolle spielt (Konjunkturbeeinflussung), dann betrifft die Entscheidung darüber nicht mehr eine Art und Weise der Aufgabenerledigung mit allgemeiner Geltung, sondern eine inhaltliche politische Entscheidung. Dennoch gibt es ein institutionelles Interesse des Finanzministers, das eine Einschränkung seiner Entscheidungsfreiheit beinhaltet. Dieses findet seine Kriterien in den Haushaltsgrundsätzen, wie sie sich in Art. 110 GG, dem Haushaltsgrundsätzegesetz und der Bundeshaushaltsordnung finden. Die Mehrzahl der Haushaltsgrundsätze betrifft Formalia von Haushaltsgesetz und -plan: so die Grundsätze der Vollständigkeit, das Prinzip der Wahrheit und Klarheit des Haushaltes (Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG), das Bruttoprinzip (§ 12 HGrG, § 15 BHO) und das Gebot der Haushaltseinheit (Art. 110 Abs. IS. 1 GG). Verfahrensrelevant ist der Grundsatz der Vorherigkeit des Haushaltsgesetzes (Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG). Alle diese Grundsätze sind kaum geeignet, eine inhaltliche Entscheidung des Bundesfinanzministers über eine Ausgabe oder eine ausgabenrelevante Maßnahme zu bestimmen. Für eine solche Funktion kommt nur der Grundsatz der Ausgeglichenheit des Haushaltes in Betracht (Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG). Auch die Sicht der Stellung des Finanzministers als des Verantwortlichen für das Gleichgewicht des Haushaltes hat eine Tradition aufzuweisen, die insbesondere in der allgemeinen Theorie des Haushaltes von G. Jèze geschildert worden ist. Jèze 578 leitete aus einer historischen Untersuchung der französischen Rechtsentwicklung und aus rechtsvergleichenden Ausblicken auf Großbritannien und Deutschland ab, daß die Funktion des Finanzministers wesentlich die Sorge für den Haushaltsausgleich sei 579 . Diese müsse schon aus rein praktischen Gründen 577 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 110 Rdnr. 56: „kaum konkrete Maßstäbe" (auch Rdnr. 59).
™ Jèze, 1927.
57 9 Jèze, S. 70 ff., 76, 83. Jèze meldet mit Hinweis auf die Parteizugehörigkeit des Ministers auch schon leise Zweifel an der Theorie des Sparministers an (S. 73). Auch in Frankreich hatte sich das Sparinteresse in einem außerparlamentarischen Sparausschuß institutionalisiert (S. 75). Jèze betont durchgängig den politischen Charakter des Budgets,
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einer einzelnen Person anvertraut sein, die den Überblick über alle Ausgaben und Einnahmen hat. Versuche, die Aufgabe Parlamentsausschüssen zu übertragen, hatten sich nicht bewährt 580 . Für die Frage, warum die Regierung und nicht das Parlament als der geeignete Ort für die Garantie der Wahrung des Gleichgewichts gilt, gibt Jèze neben dem praktischen Grund noch einen weiteren Hinweis: Der Finanzminister könne „unmittelbar zur Verantwortung gezogen werden" 581 . Diese Bemerkung impliziert die Feststellung der Tatsache, daß ein Mitglied der Regierung bei einer Neuwahl mehr zu verlieren hat als das Mitglied des Parlaments und daher unter einem höheren Verantwortungsdruck steht. Dieses Argument hat zumindest unter den Verhältnissen des parteienbeherrschten Staates mit Verhältniswahlsystem viel für sich. Auch nach einem Mehrheitsverlust der Regierungspartei können die Parlamentarier in der Regel davon ausgehen, daß ein Großteil von ihnen seinen Sitz nicht verlieren wird, wenn er nur auf der Liste der Partei gut abgesichert ist. Dagegen verlieren die Regierungsmitglieder erheblich mehr an sozialem Status. Das Gebot des Haushaltsausgleiches fordert, daß das Budget in Ausgaben und Einnahmen ausgeglichen sein muß 582 . Ausgeglichenheit bedeutet allerdings selbstverständlich nicht, daß die Ausgaben aus Eigenmitteln gedeckt sein müssen 583 . Auf der Einnahmeseite können also auch Kredite angesetzt sein. Daraus ergibt sich, daß der Finanzminister insoweit keinem Sparzwang ausgesetzt ist. Erst an der durch Art. 115 Abs. 1 GG bezeichneten Grenze für die Staatsverschuldung wird ein Sparzwang für den Minister wirksam. Die Aufgabe des Bundesministers der Finanzen, das Haushaltsgleichgewicht zu wahren, trägt also in doppelter Weise zur Sicherung der Demokratie bei; qua Verhinderung der Verschiebung der Finanzierung auf künftige Haushalts- und Legislaturperioden durch Staatsverschuldung und qua Zwang zum Aufweis einer Deckung, die in Richtung auf die Einhaltung des vom Parlament beschlossenen Haushaltsgesetzes wirkt. Insofern ist in der Tat der Finanzminister noch immer, vermittelt über die Wirkung der Haushaltsgrundsätze, der „Mann des Parlaments in der Regierung" 584 . Damit ist die gegen das Parlament gerichtete Stellung des
allerdings in sehr allgemeiner Absetzung von der Neutralitätsthese der älteren Finanzwissenschaft (S. VII). 580 Jèze, S. 69 f.; der Zwang, die Zusammenstellung einer Person anzuvertrauen, kommt auch in der „Koordinationsfunktion" des BdF zum Ausdruck (vgl. der Sache nach bei Jèze, S. 70; aus neuerer Zeit für die BRD Schober, S. 33, 166 f.; Patzig, Rdnr. 283). 581 Jèze, S. 70.
582 Maunz, in: Maunz / Dürig, Art. 110 Rdnr. 42,47 ff. Das oft an dieser Stelle erörterte Verbot bloß rechnerischen Ausgleiches (Rdnr. 49) ζ. B. durch überhöhte Einnahmeschätzungen betrifft tatsächlich den Grundsatz der Wahrheit des Haushaltes. Zum Schätzungsprivileg des BdF vgl. Patzig, Rdnr. 260. 583 Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 110 Rdnr. 55 ff. Das übersieht v. Lilien-Waldau, S. 29.
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Hüters der Sparsamkeit, wie die überwiegende Literatur sie sieht, kaum vereinbar 585 . Der Haushaltsgrundsatz der Ausgeglichenheit beinhaltet zwar eine Orientierung für die Entscheidungen des Finanzministers 586 und setzt in gewissen Fällen äußerste Grenzen 587 , kann aber die Entscheidungen im Normalfall nicht determinieren. So läßt sich daraus nicht entnehmen, bei welchen Ressorts zwecks Dekkung Kürzungen angesetzt werden sollen, wenn es um die Voranschläge zum Haushalt geht (§ 28 Abs. 1 S. 1 BHO). Ebenso werden im Haushaltsvollzug meist Ausgabenwünsche konkurrieren, zwischen denen eine Entscheidung getroffen werden muß (ζ. B. im Rahmen von § 37 Abs. 1 BHO). Der Finanzminister hat also Ermessensfreiheit teilweise bezüglich der Frage, ob überhaupt Ausgaben gemacht werden, besonders aber bei der Entscheidung über konkurrierende Ausgabenwünsche der Ressorts. Meist wird der Ausgleich auf unterschiedlichen Wegen herbeizuführen sein; bei haushaltsbezogener Gleichwertigkeit werden in die Entscheidung zwangsläufig politische Wertungen einfließen. Das Ermessen des Finanzministers wird aus unterschiedlichen Richtungen beeinflußt. So muß zum Beispiel entschieden werden, ob unvorhergesehen hohe Einnahmen ausgegeben oder als Überschuß behandelt werden. Im zweiten Fall ist zu entscheiden, ob der Überschuß zur Schuldentilgung verwandt oder der Konjunkturausgleichsrücklage zugeführt werden soll (§ 25 BHO). Die Entscheidung darüber kann von der Deckungsfähigkeit zukünftiger Haushalte, also von der mittelfristigen Finanzplanung oder von der konjunkturabhängigen Einkunftsprognose abhängen. Generell läßt sich sagen, daß jede Entscheidung von den Haushaltsgrundsätzen, insbesondere dem Gleichgewichtsprinzip, der Konjunkturwirksamkeit und von der Finanzplanung beeinflußt sein kann. Zwischen diesen Kriterien gibt es wiederum keine Hierarchie; es sind also Abwägungen erforderlich, die sich nicht aus den gegebenen Kriterien entscheiden lassen. Politische Wertungen sind erforderlich 5 8 8 . Schon von daher läßt sich von einer allgemeinen Neutralität der Entscheidungen des Haushaltsministers nicht sprechen. 584 Vgl. ζ. B. Rosenfeld, S. 66,68: „Hüter des legislativen Budgetrechts". Zum Zusammenhang von Haushaltsausgleich und Haushaltsbewilligung durch das Parlament v. Lilien-Waldau, S. 29; Därr betont die währungssichernde Funktion S. 93. 585 Diese Unvereinbarkeit wird nicht überall gesehen; so macht Rosenfeld den BdF zum Hüter des legislativen Budgetrechts einerseits (S. 68) und zur Haushaltssicherung gegen die Legislative andererseits (S. 102 f.). Die zweite Funktion kann sich aber gegen die erste wenden. 586 Gleichgewichtssicherung sieht als ratio legis der Art. 112 f. GG sowie eines großen Teiles der weiteren Sonderrechte auch v. Lilien-Waldau, S. 27. Vgl. auch Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 310. 587 Bei Art. 115 Abs. 1 GG. Hettlage versteht den BdF als Sparminister zur Sicherung der „preußischen Haushaltsgebarung" (DÖV 1955, 4) und untersucht von dort aus den Grundsatz der Ausgeglichenheit des Budgets. Dabei kommt er naturgemäß zu dem Ergebnis der Disfunktionalität. 588 Von einer Mischung politischer und verwaltungstechnischer Erwägungen spricht auch Heckel, Bd. 2 S. 392. Vgl. auch Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 148 f.
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Im Vergleich mit dem hauptsächlich vom Rechnungshof wahrgenommenen Sparinteresse ist beim Finanzminister das Ziel des Haushaltsausgleiches höher bewertet; der Finanzminister verfügt über Entscheidungsrechte, die über eine lediglich influenzierende Einwirkung deutlich hinausgehen. Er verfügt über eine starke Stellung, die nur dann nicht von der qualifizierten Mehrheit im Kabinett überwunden werden kann, wenn die Gefährdung des Ausgleiches deutlich ist (Art. 112 GG i. V. §§ 37, 116 BHO). Die Gleichgewichtssicherung gegenüber der Exekutive in Art. 112 GG hat der Verfassungsgeber anders behandelt als diejenige gegenüber der Legislative. Handelt es sich um ausgabenerhöhende Gesetze im Sinne des Art. 113 GG, dann ist das Vetorecht des Finanzministers lediglich suspensiv; die Verfassung betont also den politischen Aspekt bei Gesetzen stärker als bei Einzelakten. Das Verhältnis des Bundesfinanzministers zur Bundesbank bietet keine besonderen Probleme 589 . Die Bundesbank setzt mit den allgemeinen geldpolitischen Instrumentarien und währungspolitischen Befugnissen und mit der Ermessensausübung bei der Kreditgewährung an die öffentlichen Hände (§ 20 BBankG) Vorgaben für den Haushalt. Einen geringen Einfluß auf die Finanzplanung kann sie durch den Sitz im Finanzplanungsrat ausüben (§ 5 HGrG). Umgekehrt hat der Finanzminister nur indirekten Einfluß auf die Währungsstabilität durch die haushaltswirtschaftlichen Instrumente 590 und die Ausweitung oder Restriktion des Haushalts volumens 591 . Wenn dem Bundesminister der Finanzen die Wahrung der Einheit und Ausgeglichenheit des Haushaltes anvertraut ist, so wird auch deutlich, warum eine grundrechtliche Argumentation hinsichtlich der unabhängigen Entscheidungsrechte hier nicht nur unnötig, sondern auch unmöglich ist; ebendiese Grundsätze sollen ja der Selbstbestimmung des Volkes auf einfachgesetzlicher Ebene gerade entzogen sein; darin liegt der Sinn der Erschwerung der Volksgesetzgebung in Bezug auf Finanzgesetze592. Man kann diese dem Finanzminister übertragene Aufgabe der Wahrung von Haushaltsgrundsätzen gegenüber Parlament und Regierung als Kontrollaufgabe bezeichnen. Die Sonderrechte des Ministers können demnach als auch durch das Gewaltenteilungsprinzip gerechtfertigt gelten.
589
Kurze Darstellung des Verhältnisses bei Schober, S. 119 ff. 590 Därr erwähnt die währungspolitische Bedeutung von Haushaltssperren (§§ 36, 41 BHO), die aber nicht überbewertet werden darf (vgl. S. 33). 591 Zur prinzipiell antiinflationären Funktion eines ausgeglichenen Haushaltes mit Kreditobergrenzen wie in Art. 115 Abs. 1 GG wiederum Därr, S. 35, 93. 592 Vgl. etwa Art. 73 Abs. 5 WRV; § 21 Abs. 2 Nr. 4 GemeindeO Ba.-Wü.. Der Grund liegt nicht etwa in der häufig angeführten, aber vom demokratischen Gedanken her unsinnigen Behauptung, zur Entscheidung über seine eigenen Finanzen sei das Volk unfähig; das widerlegt schon die Geschichte der Steuerbewilligung.
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Hinsichtlich der Vereinbarkeit der Kompetenzen des Ministers mit denen anderer Organe ergeben sich bei der hier vorgenommenen Auslegung keine Schwierigkeiten. Zwar ist der Minister befugt, aus eigener Initiative rechtsverbindliche Entscheidungen mit unmittelbarer Wirkung insbesondere gegenüber anderen Mitgliedern des Regierungskollegiums, zu treffen. Der gegenständliche Bereich dieser Entscheidungsrechte ist allerdings klar umgrenzt. Soweit die Entscheidung des Ministers durch eine Kabinettsentscheidung überwunden werden kann, bestehen ohnehin keine Probleme, weil in diesen Fällen nur eine Verzögerung des Entscheidungsganges in Frage steht. Soweit der Minister endgültig entscheidet, ist gezeigt worden, daß dadurch langfristig die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament gestärkt und nicht geschwächt wird. Die Ausübung dieses Vetorechtes macht die Regierungsführung nicht unmöglich, sondern bindet sie lediglich an die Einhaltung äußerster finanzieller Grenzen. Auch im Verhältnis zur der Entscheidungsbefugnis des Bundesverfassungsgerichtes sind keine Schwierigkeiten erkennbar. Aus der Periodizität des Haushaltsgesetzes ergäbe sich für einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ein erheblicher Zeitdruck. Ein zusätzliche präventive Kontrolle ist daher nützlich.
Gesamtergebnis Die Arbeit untersucht die Rechtsstellung von staatlichen Institutionen, die eine relative Unabhängigkeit in ihrer Aufgabenerfüllung genießen. Sie gelangt dabei zu dem Ergebnis, daß diese Unabhängigkeit einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf, weil sie sonst vor dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes nicht standhalten kann. Insbesondere ist die oft wiederholte Behauptung einer umfassenden Neutralität der Aufgabenerfüllung bestimmter Institutionen nicht geeignet, das Verantwortlichkeitsproblem zu entschärfen; solche Behauptungen erweisen sich als ideologisch, der sachlichen Grundlage entbehrend. Im systematischen Teil zeigt sich, daß viele der in der Literatur angebotenen Rechtfertigungsansätze nicht überzeugen können oder erhebliche Gefahren in sich bergen. So konnte ein verfassungsrechtlicher Grundsatz der Effektivität, der gegen das Demokratieprinzip abgewogen werden könnte, nicht gefunden werden. Auch rechtfertigen die Besonderheiten der Verwaltungstätigkeit im Bereich der Daseinsvorsorge es nicht, das Niveau der vom Demokratieprinzip geforderten Verantwortlichkeit dort zu senken. Besondere Aufmerksamkeit erforderte die These von der organisationsrechtlichen Rechtfertigungswirkung von Grundrechten. Die Arbeit kommt dabei zu dem Ergebnis, daß eine solche Wirkung mit dem hier verlangten Ergebnis nicht angenommen werden kann, daß sie, dennoch akzeptiert, zu inakzeptablen Ergebnissen — vor allem Rechtsunsicherheit im Gebiet des Organisationsrechtes — führen würde. Die gegenseitige Ausspielung von Grundrechten und Organisationsrecht gegeneinander wird abgelehnt. Einzelbetrachtungen zeigen, daß die Argumentation mit Grundrechten denn auch häufig nicht konsistent scheint. Positiv ergibt sich, daß die Unabhängigkeit staatlicher Institutionen auf mehrere verfassungsrechtliche Prinzipien zurückgeführt werden muß. Die nähere Untersuchung zeigt, daß das Rechtsstaatsprinzip, vor allem aber das Gewaltenteilungsprinzip als Rechtfertigungstopoi in Betracht kommen. Die nähere Untersuchung des Gewaltenteilungsprinzips und seines Verhältnisses zum Demokratieprinzip führt zu dem Ergebnis, daß der von der herrschenden Meinung angenommene Inhalt und die Reichweite des Demokratieprinzips im Grundgesetz nicht zwingend angelegt sind. Die Arbeit schlägt eine Ausdifferenzierung des Demokratieprinzips vor, die dieses Prinzip im engen Zusammenhang mit dem Gewaltenteilungsprinzip auslegt. Dabei wird neben das Konzept der Verantwortlichkeit als Weisungsgebundenheit das der Verantwortlichkeit eines relativ unabhängigen Treuhänders gestellt. Die Arbeit unternimmt es dann, den Anwendungsbereich für dieses modifizierte Prinzip aus dem Zusammenspiel von Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip zu ermitteln und gelangt dazu, den Anwendungsbereich
Gesamtergebnis
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durch einen weit verstandenen Begriff von Kontrolle umschrieben zu sehen. Die Richtung der Kontrolle verläuft nicht immer vom Parlament zur Exekutive; vielmehr ist auch die Volksvertretung selber Kontrollobjekt. Es muß sich stets um eine Art von Kontrolle handeln, die Fehlfunktionen der vorhandenen Institutionen kompensieren soll. Diese Defizite werden vom Parlament diagnostiziert und durch das jeweilige Errichtungsgesetz für die weisungsfreie Institution therapiert. Rechtspolitisch allerdings ist die Errichtung solcher Institutionen mit Vorsicht anzugehen: in einem Handlungsgefüge aus zahlreichen relativ unabhängigen staatlichen Stellen wird aus der Sicht des Bürgers Verantwortung diffundieren und ein Unbehagen entstehen. Leicht kommt es dazu, daß in dergleichen schwer überschaubaren Handlungszusammenhängen Einflußmöglichkeiten und Beweglichkeit nicht mehr erkannt werden, so daß sich Unmut kurzschlüssig in Gewalt abreagiert. Ist es gelungen, eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die beschriebenen Unabhängigkeiten zu finden, so bleibt das Problem, daß die mit solchen Institutionen eingeführte Polykratie einer sinnvollen Zuordnung von Kompetenzen bedarf, um nicht zu freiheitsgefährdenden Konsequenzen zu führen. Die Arbeit versucht dabei in Anlehnung an die vorhandene Diskussion einige Kriterien zu entwickeln. Der exemplarische Teil verfolgt die angesprochenen Interessen weiter und sucht den entwickelten Ergebnissen ein Fundament durch die Untersuchung von Einzelfällen unterzuschieben. Die Arbeit hat dabei einen zusammenhängenden Sachbereich gewählt und untersucht dort die wichtigsten unabhängigen Aktionspartner. Es zeigt sich dabei, daß in allen Fällen die Anwendung des erarbeiteten Rechtfertigungsargumentes möglich und sinnvoll erscheint. Am konkreten Normenmaterial der Einzelfälle lassen sich auch die Schwierigkeiten etlicher der in der Literatur vorgebrachten Argumente aufweisen; der systematische Teil findet insoweit in seinen Ergebnissen Bestätigung. Es ergibt sich weiter, daß die Anwendung der genannten Rechtfertigungsargumentation nicht dazu führt, daß man für alle derart legitimierten Institutionen einen Charakter als Verfassungsorgan annehmen muß. Hinsichtlich der Zuordnung von Kompetenzen ergeben sich einige Schwierigkeiten bei den Aufgaben der Bundesbank und der Bundesschuldenverwaltung. In beiden Fällen scheint eine verfassungskonforme Auslegung des aufgabenübertragenden Gesetzes notwendig, um die Einheit der Kompetenzordnung zu wahren. Für den Bundesrechnungshof ergibt sich, daß aus der gewonnenen Auslegung eine Klärung umstrittener Kompetenzen möglich ist. Bezüglich des Bundesministers für Finanzen ergeben sich Folgerungen für sein Verhältnis zum übrigen Kabinett. Insgesamt zeigt sich, daß die fraglichen Institutionen als Erscheinungen des Rechtslebens sich nicht völlig wildwüchsig entwickelt haben, so daß eine Rückführung auf einige Grundprinzipien möglich und sinnvoll erscheint. 20 Waechter
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