Die Demokratische Legitimation Unabhangiger Institutionen: Vom Funktionalen Zum Politikfeldbezogenen Demokratieprinzip 3161488717, 9783161488719

English summary: The assertion of general interests by independent institutions such as central banks, constitutional co

101 49

German Pages 508 [528] Year 2006

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Table of contents :
Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Teil 1: Die Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen im funktionalen Legitimationsmodell
Kapitel 1: Terminologien und Debatten über unabhängige Institutionen und ihre Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip
A. Von der nonmajoritarian institution zur unabhängigen Institution
I. Bedeutung des Begriffes der nonmajoritarian institution und der unabhängigen Institution
1. Die nonmajoritarian institution in der verfassungsrechtlichen und politikwissenschaftlichen Literatur
2. Institutionen, Normen und Organisationen
II. Demokratieprinzip, Depolitisierung und Verwaltungseffizienz
B. Zu den Merkmalen unabhängiger Institutionen
I. Richterliche und administrative Unabhängigkeit
1. Die Ausbreitung eines Begriffes
2. Unabhängigkeit im funktionalen System
II. Einzelne formale Elemente von Unabhängigkeit
1. Institutionelle Unabhängigkeit
2. Personelle Unabhängigkeit
3. Sachliche Unabhängigkeit
4. Finanzielle Unabhängigkeit
5. Institutionelles Umfeld und Unabhängigkeit
III. Rechtliche und tatsächliche Unabhängigkeit
IV. Zur nicht unmittelbaren demokratischen Besetzung
C. Zu den Begriffen Legitimation, funktionales Verständnis und Politikfeld
I. Zum Begriff „demokratische Legitimation“
II. Funktionaler Bezug der bisherigen demokratietheoretischen Diskussion
III. Zum Begriff des Politikfeldes
D. Zusammenfassung Kapitel 1
Kapitel 2: Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen in Deutschland
A. Hintergründe und Inhalt des deutschen Repräsentationsverständnisses
I. Das Modell des Meinungsbildungsprozesses nach deutscher Staatsrechtslehre
II. Die Kriterien demokratischer Legitimation nach dem funktionalen Demokratieverständnis
B. Das Verwaltungsmodell der formellen Repräsentationslehre
I. Das Modell
II. Die Bildung unabhängiger Institutionen im Bereich der Exekutive
C. Die Diskussion um die demokratische Legitimität unabhängiger Institutionen
I. Legitimierung unabhängiger Institutionen in Form von „Ausnahmetatbeständen“
II. Rechtsstaatliches Rationalitätsgebot und organisationsrechtlicher Grundrechtsschutz
1. Das rechtsstaatliche Rationalitätsgebot
2. Demokratieprinzip und Grundrechtsschutz
III. Zum pluralistisch-partizipativen Legitimationsansatz
IV. Staatsorganisationsgrundsätze zur Begründung unabhängiger Institutionen
1. Grenzen des Mehrheitsprinzips als Grund für unabhängige Institutionen
2. Gewalten- und Funktionenteilung als Grundlage für die Legitimation unabhängiger Institutionen?
V. Interessenbezogenes Konzept der Staatsorganisation
D. Organisation und Legitimation der Gerichtsbarkeit im Spiegel des symbolischen Repräsentationsmodells
I. Legitimationsverständnis und Richterauswahl
II. Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit
III. Demokratieprinzip und Verfassungsgerichtsbarkeit
IV. Demokratieprinzip und unabhängige Gerichtsbarkeit
E. Zusammenfassung Kapitel 2
Kapitel 3: Die Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen in Frankreich
A. Das Modell der Repräsentation
B. Das hierarchische und zentralistische Organisationsmodell
C. Entstehung der autorités administratives indépendantes
I. Die Entstehung unabhängiger Institutionen in der Verwaltungsstruktur
II. Ausgestaltung der autorités administratives indépendantes in Frankreich
1. Zur Unabhängigkeit
2. Zu den Kompetenzen
3. Gerichtliche und legislative Kontrolle
4. Argumente in der Debatte um die autorités administratives indépendantes
D. Die Entwicklung der Gesetzgebungskontrolle durch den Conseil Constitutionnel
I. Zum Comité Constitutionnel
II. Unabhängigkeit und Kompetenzen des Conseil Constitutionnel
1. Zur Unabhängigkeit des Conseil Constitutionnel
2. Zu den Kompetenzen des Conseil Constitutionnel
III. Die Debatte um den Conseil Constitutionnel
1. Das Parlament zur Sicherung der Verfassungswerte?
2. Gerichte als Instrumente zur Sicherung der Verfassungswerte
E. Zusammenfassung Kapitel 3
Kapitel 4: Die Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen in Großbritannien
A. Zum Demokratie- und Verfassungsverständnis
B. Verwaltungsorganisation und Demokratieverständnis
I. Die Entstehung verselbständigter Verwaltungseinheiten
II. Begriffs- und Ausgestaltungsvielfalt
1. Begriffe und Arten von Agenturen
2. Wettbewerbskontrolle als Beispiel für die Entwicklung einer unabhängigen Politikfeldwahrnehmung
III. Demokratietheoretische Aspekte der Verwaltungsorganisation
C. Die dritte Gewalt und der Vorrang des Parlamentes
D. Zusammenfassung Kapitel 4
Kapitel 5: Die Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen in den Vereinigten Staaten
A. Elemente amerikanischer Demokratievorstellung
I. Republikanische Theorie
II. Von der Pluralismustheorie zur Public Choice
III. Zur Funktionsweise der Repräsentation
B. Pluralismustheorie und Verwaltungsmodell
I. Die Organisation der Exekutive
II. Entstehung und Rolle der Agenturen und der Independent Regulatory Commissions
III. Die IRC zwischen Unabhängigkeit und Kontrolle
1. Der Einfluss des Präsidenten auf Agenturen und die IRC
2. IRC und Kongress
3. Die verschiedenen Funktionen der IRC
IV. Rechtsprechung und Literatur zum Rechtsschutz gegen die IRC als Ausdruck eines funktionalen Legitimationsverständnisses
V. Die demokratietheoretische Debatte um die IRC
1. Legitimationsansätze
2. Kritik der IRC
3. Demokratietheoretische Bewertung der Diskussion
C. Demokratieverständnis und Rolle der unabhängigen Gerichtsbarkeit
I. Zur Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit
1. Die persönliche Unabhängigkeit
2. Zur sachlichen Unabhängigkeit insbesondere des Supreme Court
II. Gesetzliche Bindung, demokratische Wahl oder Unabhängigkeit als Quelle demokratischer Legitimation?
III. Entstehung und Diskussion um die Gesetzgebungskontrolle
1. Die Entwicklung der Gesetzgebungskontrolle
2. Zur Diskussion um die Verfassungsgerichtsbarkeit
D. Zusammenfassung Kapitel 5
Teil 2: Von der funktionalen zur politikfeldbezogenen demokratischen Legitimation staatlicher Institutionen
Kapitel 6: Kritik des funktionalen Legitimationsmodells
A. Zum funktionalen Ansatz
I. Einleitende Bemerkungen
II. Gesellschaftsvertrag und Mehrheitsprinzip
III. Die demokratietheoretische Berücksichtigung der positiven Analyse
1. Keine Berücksichtigung positiver Analysen
2. (Teilweise) Berücksichtigung positiver Analysen
3. Auswirkungen auf die Verwaltungsorganisation
IV. Normativer Maßstab der gleichwertigen Interessenberücksichtigung
B. Rechtswissenschaftlicher Konstitutionalismus und unabhängige Institutionen
I. Konstitutionalisierungsformen in rechtlicher Sichtweise
II. Versuch der Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Konstitutionalisierungsprozesses
III. Konstitutionalismus und Reversibilität von Entscheidungen
1. Konstitutionalismus als Begrenzung demokratischer Entscheidungsgewalt
2. Gesetzliche und konstitutionelle Bindung zur Erweiterung politischdemokratischen Handelns
IV. Bewertung des Ansatzes der objektiven Grundrechtswirkung
C. Zusammenfassung Kapitel 6
Kapitel 7: Ökonomische Demokratietheorie und ihre Kritik
A. Der ökonomische Konstitutionalismus Buchanans
I. Der Homo Oeconomicus als Instrument zur positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse
II. Staatliches Handeln nach dem ökonomischen Konstitutionalismus
1. Konsens und konstitutioneller Vertrag
2. Der Rechtsschutz- und der Leistungsstaat
B. Transaktionskosten- und Regulierungstheorie
I. Transaktionskostenansatz und unabhängige Institutionen
II. Ein politikfeldbezogenes Bild politischer Entscheidungsprozesse
III. Das Legitimationskonzept
C. Systemimmanente Kritik der ökonomischen Demokratietheorie
I. Kritik am Homo-Oeconomicus-Modell
II. Kriterien der Auswahl von Entscheidungsverfahren
III. Einführung der positiven Analyse in die normative Wertung
IV. Eigennutzannahme und Verantwortungsbewusstsein bzw. Zivilmoral
V. Absolute und relative Maßstäbe kollektiven Handelns
VI. „Schleier des Nichtwissens“ und ausreichende demokratische Interessenvertretung
VII. Kritik des Transaktionskostenansatzes und der Theorie Majones
D. Zusammenfassung Kapitel 7
Kapitel 8: Vergleichende Kritik der funktionalen und ökonomischen Demokratietheorie
A. Vergleichende Kritik der positiven Modelle
I. Vergleich der positiven ökonomischen mit anderen positiven Theorien
II. Ökonomische und „klassische“ Demokratietheorie
III. Theoretisches Modell und empirische Nachweisbarkeit
IV. Berücksichtigung der positiven Analyse für die Bildung von Institutionen
B. Vergleichende Kritik der normativen Modelle
I. Demokratietheoretische Bewertung der normativen Ökonomik
II. Ökonomischer Konstitutionalismus und gleichwertige Interessenberücksichtigung
III. Legitimation realer Verfahren durch einen hypothetischen Konsens?
IV. Ökonomisches Modell und „personale und sachlich-inhaltliche Legitimation“
V. Ökonomisches Modell und „input-output“ Terminologie
C. Zusammenfassung Kapitel 8
Kapitel 9: Ein politikfeldbezogenes Legitimationsverständnis – Theorie und Beispiele
A. Das Modell des politikfeldbezogenen Legitimationsverständnisses
I. Die Grundlagen
II. Demokratische Legitimation staatlicher Institutionen je nach Politikfeld
B. Beispiele für Politikfelder mit Bedarf für unabhängige Institutionen nach dem politikfeldbezogenen Demokratieverständnis
I. Staatsverschuldung als Beispiel eines Politikfeldes mit struktureller Verletzung des Proportionalitätsgedankens
1. Die Struktur des Politikfeldes „staatliche Kreditaufnahme“
2. Empirische Untersuchungen zum Ansteigen der staatlichen Defizite
3. Verfassungstheoretische Konsequenzen von Anreizberücksichtigung
4. Institutionelle und verfahrenstechnische Anreizberücksichtigung
II. Geldpolitik als Beispiel des politikfeldbezogenen Demokratieansatzes
1. Entwicklung der Problematik der Zeitinkonsistenz (time inconsistency)
2. Glaubwürdigkeit und Geldpolitik
III. Zur demokratisch legitimierten Gemeinwohlbestimmung
1. Zum Gemeinwohlbegriff
2. Gemeinwohl als Ziel kollektiven Handelns
3. Wettbewerbsschutz und politische Gemeinwohlbestimmung
4. Öffentliche Güter als Gemeinwohlerfüllung am Beispiel Währungspolitik
IV. Grundrechtsschutz als Beispiel für das politikfeldbezogene Demokratieprinzip
C. Zusammenfassung Kapitel 9
Kapitel 10: Grenzen für die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen
A. Methodische Grenzen
B. Inhaltliche Grenzen
C. Normative Grenzen
I. Distributive Politik und Demokratieprinzip
1. Umverteilung nur durch majoritäre Politik
a) Rechtswissenschaftliche Grundlagen
b) Eine ökonomische Position
2. Umverteilungspolitik auch durch Konstitutionalisierung
a) Der ökonomische Ansatz
b) Ein juristischer Ansatz zur Verrechtlichung von Umverteilungspolitik?
D. Zusammenfassung Kapitel 10
Teil 3: Unabhängige Institutionen und Demokratieprinzip in der Europäischen Union
Kapitel 11: Europäische Integration und Demokratisierungsdebatte
A. Die verschiedenen Aspekte der europäischen Demokratiedebatte
B. Die einzelnen Theorien
I. Funktionales und formelles Repräsentationsprinzip in der EU?
1. Das funktionale Repräsentationsmodell auf europäischer Ebene
2. Die theoretische Kritik am funktionalen Modell auf europäischer Ebene
3. Mehrheitsprinzip und andere Verfahren auf europäischer Ebene
4. Repräsentation in den staatlichen Institutionen als Merkmal europäischer Entscheidungsfindung?
5. Verhältnis personaler und sachlicher Legitimation auf europäischer Ebene
a) Schwächung des Elementes personaler demokratischer Legitimation
b) Neugewichtung personeller und sachlich-inhaltlicher Legitimation
II. Konstitutionalismus und Demokratieprinzip auf europäischer Ebene
1. Die Gründungskonzeption der Gemeinschaftals Kriterium für das Verhältnis von Demokratiprinzip und Konstitutionalisierung
2. Objektive Werteordnung als Grundlage für die Konstitutionalisierung?
III. Die Gemeinschaftsmethode: ein neofunktionalistischer Legitimationsansatz?
1. Funktionalistische Integration als demokratietheoretischer Maßstab?
2. Von der funktionalistischen Integration zum technokratischen Ansatz
IV. „Regulierungsstaat“ und „Administrativmodell“ als Ziel europäischer Legitimation
V. „Supranationale Deliberation“ – eine europäische Neuentwicklung?
VI. „Die funktionale Repräsentanz“ – partizipativer Pluralismus mit neuer Begründung
VII. Die Theorie des liberalen Intergouvernementalismus
VIII. Zwischen Markt und Hierarchie – der Netzwerkansatz als analytische Grundlage
IX. Konsozietale Demokratie
X. Die Input-Output Differenzierung
XI. Der ökonomische Ansatz auf europäischer Ebene
1. Homo Oeconomicus und Europäische Integration
2. Verschiedenartige Entscheidungsfindung in unterschiedlichen Institutionen
3. Funktionalismus und ökonomischer Ansatz
C. Zusammenfassung Kapitel 11
Kapitel 12: Stellung und gegenwärtige Diskussion um die Legitimation unabhängiger Institutionen in der EU
A. Das Konzept einer unabhängigen Kommission
I. Der funktionelle und politikfeldbezogene Bezug der Unabhängigkeit der Kommission
II. Die Unabhängigkeit der Kommission: personelle und sachliche Elemente
1. Personelle Elemente der Unabhängigkeit
2. Die sachliche Unabhängigkeit
III. Zur Unabhängigkeit der Kommission in ihrer Initiativfunktion
IV. Die Unabhängigkeit der Kommission bei ihren Regulierungsbefugnissen
V. Die Unabhängigkeit der Kommission in ihrer Exekutivfunktion
VI. Demokratieprinzip und Europäische Kommission in der bestehenden Debatte
1. Allgemeine Ansätze
2. Demokratietheoretische Aspekte der Initiativfunktion
3. Demokratieprinzip und das Ausschußverfahren der Kommission
4. Demokratietheoretische Aspekte der Kommission als „Hüterin“ der Verträge
B. Das ESZB: Geeignetes Vorbild für die EU als „Regulierungsstaat“?
I. Das ESZB: gerichtliche, sachverständige oder gestaltende Funktion?
II. Entstehung und Inhalt der ausgeprägten institutionellen Unabhängigkeit
III. Zur personellen Unabhängigkeit
IV. Die sachliche Unabhängigkeit
V. Die Unabhängigkeitsstruktur der staatlichen Zentralbanken und ihrer Vertreter
C. Stellung, Rolle und mögliche Entwicklung der europäischen Agenturen
I. Bisherige Entwicklung und Kompetenzen der Agenturen
II. Agenturen zwischen Unabhängigkeit und Kontrolle – Vorbild ESZB oder Komitologie
1. Agenturen und Kommission
2. Agenturen und Mitgliedstaaten
3. Ein Ansatz für europäische Regulierungsagenturen?
III. Demokratietheoretische Aspekte der Agenturbildung
D. Zum EuGH
1. Unabhängigkeit und Aufgaben des EuGH
2. Ansätze zur Begründung demokratischer Legitimation des EuGH
E. Zusammenfassung Kapitel 12
Kapitel 13: Das politikfeldbezogene europäische Demokratieprinzip
A. Quellen eines europäischen Demokratieprinzips und institutionelle Aussagen
B. Normativer Maßstab eines europäischen Demokratieprinzips
I. Unionsbürger oder Mitgliedstaaten als Ausgangsbasis einer europäischen Demokratietheorie?
II. Grundlagen eines europäischen Gesellschaftsvertrages
III. Gleichwertige Interessenberücksichtigung und europäische Integration
C. Der politikfeldbezogene Ansatz auf europäischer Ebene
I. Das politikfeldbezogene Modell für die europäische Ebene
II. Rolle unabhängiger Institutionen im europäischen politikfeldbezogenen System
III. Beispiele für das politikfeldbezogene Demokratieverständnis auf europäischer Ebene
1. Beispiel: Politikfeld Lebensmittelsicherheit
2. Beispiel: Politikfeld gemeinschaftliche Finanzpolitik
3. Gemeinwohl und öffentliche Güter am Beispiel Wettbewerbspolitik
a) Wettbewerbssicherung durch die Kommission oder durch ein unabhängiges Kartellamt?
b) Gemeinwohlsicherung im Mehrebenensystem in der Regulierungspolitik
4. Beispiel: Glaubwürdigkeit, Zeitinkonsistenz und Aushandlungscharakter
D. Verfassungstheoretische Aspekte der Bildung unabhängiger Institutionen
I. Institutionelles Gleichgewicht und unabhängige Institutionen
1. Der Inhalt des Prinzips des institutionellen Gleichgewichts
2. Integrationsbedingter Hintergrund des Prinzips des institutionellen Gleichgewichts
II. Das Treuhandprinzip auf europäischer Ebene
E. Zusammenfassung Kapitel 13
Kapitel 14: Grenzen für die Wahrnehmung von Politikfeldern durch unabhängige Institutionen auf europäischer Ebene
A. Methodische Grenzen
B. Inhaltliche Grenzen
C. Normative Grenzen für die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen
I. Distributive Politik durch unabhängige Institutionen in der EU?
1. Die verschiedenen Ansätze
a) Distributionspolitik in der EU grundsätzlich problematisch
b) Distributionspolitik auch durch unabhängige Institutionen auf Gemeinschaftsebene?
2. Beispiele für die Wahrnehmung der distributiver Politik durch unabhängige Institutionen in der EU
a) Die Verwaltung der Struktur- und Regionalfonds
b) Die EU-Beihilfenkontrolle: Konstitutionalisierung und Wahrnehmung distributiver Politik durch eine unabhängige Institution
II. Reversibilität von Entscheidungen als Grenze für die Festlegung von Politikfeldern
D. Zusammenfassung Kapitel 14
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachregister
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Die Demokratische Legitimation Unabhangiger Institutionen: Vom Funktionalen Zum Politikfeldbezogenen Demokratieprinzip
 3161488717, 9783161488719

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Neue Staatswissenschaften herausgegeben von Hermann-Josef Blanke, Werner Jann und Holger Mühlenkamp

3

Stephan Bredt

Die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen Demokratieprinzip

Mohr Siebeck

Stephan Bredt, geboren 1972; Studium Rechtswissenschaften in Freiburg und München;

Licence en Droit in Grenoble; 2004 Promotion; Referent für Sozialpolitik im Bundestag.

Gedruckt mit Unterstützung des Bundesministerium des Innern, Berlin. ISBN 3-16-148871-7 ISBN-13 978-3-16-148871-9 / eISBN 978-3-16-160575-8 unveränderte eBook-Ausgabe 2022 ISSN 1860-2339 (Neue Staatswissenschaften) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2006 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Ver­ lags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzun­ gen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­ papier gedruckt und von der Buchbinderei Held in Rottenburg gebunden.

Meinen Eltern

Vorwort Die Idee für das Dissertationsvorhaben geht auf eine Seminararbeit während des Studiums zurück, in der ich mich erstmals mit der verfassungsrechtlichen Problematik unabhängiger Institutionen im Verfassungsgefüge und der Bedeutung ökonomischer Überlegungen für die Staatsorganisation beschäftigte. Die Ausrichtung der Arbeit auf die demokratietheoretische Fragestellungen regte Prof. Dr. Dr. h. c. Tomuschat an, dem mein Dank für sein Vertrauen in meine Person sowie seine motivierende und kritische wissenschaftliche Betreuung während der ganzen Promotionszeit gilt. Prof. Kirchner danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens und zahlreiche wertvolle Hinweise für die institutionenökonomischen Inhalte der Arbeit. Danken möchte ich Prof. Glaeßner und Prof. Kreile für die Aufnahme in das Graduiertenkolleg „Das Neue Europa" der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Die regelmäßigen Arbeitsbesprechungen mit den Mitgliedern des Kollegs und die begleitenden Veranstaltungen im Rahmen des Graduiertenkollegs haben wesentlich zu den politikwissenschaftlichen Teilen der Arbeit beigetragen. Ohne die großzügige finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft hätte die Arbeit nicht in dieser Form geschrieben werden können. Wesentliche Verbesserungen der Arbeit in der Endphase habe ich insbesondere Prof. Christian Bumke und Friederike Reck durch ihre kritischen Anmerkungen und Anregungen zu verdanken. Bedanken möchte ich mich beim Europäischen Hochschulinstitut, das mir einen Forschungsaufenthalt in Florenz und damit verbunden viele weiterführende Gespräche und Forschungsmöglichkeiten ermöglichte. Ich danke schließlich Prof. Hermann-Josef Blanke, Prof. Werner Jann und Prof. Holger Mühlenkamp für die Aufnahme in die Schriftenreihe Neue Staatswissenschaften und dem Bundesministerium des Innern für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Berlin, den 10. Februar 2006

Stephan Bredt

Inhaltsübersicht Vorwort Inhaltsverzeichnis Einleitung

VII XI 1

Teil 1: D i e B i l d u n g und Legitimation unabhängiger Institutionen i m funktionalen L e g i t i m a t i o n s m o d e l l Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel

1: 2: 3: 4: 5:

Terminologien und Debatten über unabhängige Institutionen Unabhängige Institutionen in Deutschland Unabhängige Institutionen in Frankreich Unabhängige Institutionen in Großbritannien Unabhängige Institutionen in den Vereinigten Staaten

9 47 86 111 128

Teil 2: V o n der funktionalen zur p o l i t i k f e l d b e z o g e n e n d e m o k r a t i s c h e n L e g i t i m a t i o n staatlicher Institutionen Kapitel 6: Kapitel 7: Kapitel 8:

Kritik des funktionalen Legitimationsmodells Ökonomische Demokratietheorie und ihre Kritik Vergleichende Kritik der funktionalen und der ökonomischen Demokratietheorie Kapitel 9: Ein politikfeldbezogenes Legitimationsverständnis Kapitel 10: Grenzen für die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen

173 205 248 280 317

Teil 3: U n a b h ä n g i g e Institutionen und D e m o k r a t i e p r i n z i p in der Europäischen U n i o n Kapitel 11: Europäische Integration und Demokratisierungsdebatte Kapitel 12: Stellung und gegenwärtige Diskussion um die Legitimation unabhängiger Institutionen in der EU Kapitel 13: Das politikfeldbezogene europäische Demokratieprinzip Kapitel 14: Grenzen für die Wahrnehmung von Politikfeldern durch unabhängige Institutionen auf europäischer Ebene

332 378 423

Zusammenfassung Literaturverzeichnis Personenregister

469 476 505

Sachregister

507

458

Inhaltsverzeichnis Vorwort Inhaltsübersicht Einleitung

VII XI 1

Teil 1 Die Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen im funktionalen Legitimationsmodell Kapitel 1 Terminologien und Debatten über unabhängige Institutionen und ihre Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip A. Von der nonmajoritarian institution zur unabhängigen Institution I. Bedeutung des Begriffes der nonmajoritarian institution und der unabhängigen Institution 1. Die nonmajoritarian institution in der verfassungsrechtlichen und politikwissenschaftlichen Literatur 2. Institutionen, Nonnen und Organisationen II. Demokratieprinzip, Depolitisierung und Verwaltungseffizienz B. Zu den Merkmalen unabhängiger Institutionen I. Richterliche und administrative Unabhängigkeit 1. Die Ausbreitung eines Begriffes 2. Unabhängigkeit im funktionalen System II. Einzelne formale Elemente von Unabhängigkeit 1. Institutionelle Unabhängigkeit 2. Personelle Unabhängigkeit 3. Sachliche Unabhängigkeit 4. Finanzielle Unabhängigkeit 5. Institutionelles Umfeld und Unabhängigkeit III. Rechtliche und tatsächliche Unabhängigkeit IV. Zur nicht unmittelbaren demokratischen Besetzung C. Zu den Begriffen Legitimation, funktionales Verständnis und Politikfeld I. Zum Begriff „demokratische Legitimation" II. Funktionaler Bezug der bisherigen demokratietheoretischen Diskussion III. Zum Begriff des Politikfeldes D. Zusammenfassung Kapitel 1

9 9 9 14 15 23 23 23 25 29 29 30 32 34 34 35 38 39 39 40 44 45

XII

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 2 Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen in Deutschland A. Hintergründe und Inhalt des deutschen Repräsentationsverständnisses 47 I. Das Modell des Meinungsbildungsprozesses nach deutscher Staatsrechtslehre 47 II. Die Kriterien demokratischer Legitimation nach dem funktionalen Demokratie Verständnis 50 B. Das Verwaltungsmodell der formellen Repräsentationslehre 52 I. Das Modell 52 II. Die Bildung unabhängiger Institutionen im Bereich der Exekutive 55 C. Die Diskussion um die demokratische Legitimität unabhängiger Institutionen 59 I. Legitimierung unabhängiger Institutionen in Form von ,Ausnahmetatbeständen" .... 60 II. Rechtsstaatliches Rationalitätsgebot und organisationsrechtlicher Grundrechtsschutz 63 1. Das rechtsstaatliche Rationalitätsgebot 63 2. Demokratieprinzip und Grundrechtsschutz 65 III. Zum pluralistisch-partizipativen Legitimationsansatz 67 IV. Staatsorganisationsgrundsätze zur Begründung unabhängiger Institutionen 71 71 1. Grenzen des Mehrheitsprinzips als Grund für unabhängige Institutionen 2. Gewalten- und Funktionenteilung als Grundlage für die Legitimation unabhängiger Institutionen? 72 V. Interessenbezogenes Konzept der Staatsorganisation 75 D. Organisation und Legitimation der Gerichtsbarkeit im Spiegel des symbolischen Repräsentationsmodells 76 I. Legitimationsverständnis und Richterauswahl 77 II. Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit 78 III. Demokratieprinzip und Verfassungsgerichtsbarkeit 79 IV. Demokratieprinzip und unabhängige Gerichtsbarkeit 82 E. Zusammenfassung Kapitel 2 84

Kapitel 3 Die Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen in Frankreich A. Das Modell der Repräsentation 86 B. Das hierarchische und zentralistische Organisationsmodell 87 C. Entstehung der autorités administratives indépendantes 89 I. Die Entstehung unabhängiger Institutionen in der Verwaltungsstruktur 89 II. Ausgestaltung der autorités administratives indépendantes in Frankreich 93 1. Zur Unabhängigkeit 93 2. Zu den Kompetenzen 96 3. Gerichtliche und legislative Kontrolle 98 4. Argumente in der Debatte um die autorités administratives indépendantes 99 D. Die Entwicklung der Gesetzgebungskontrolle durch den Conseil Constitutionnel ... 102 I. Zum Comité Constitutionnel 102 II. Unabhängigkeit und Kompetenzen des Conseil Constitutionnel 104 1. Zur Unabhängigkeit des Conseil Constitutionnel 104 2. Zu den Kompetenzen des Conseil Constitutionnel 105 III. Die Debatte um den Conseil Constitutionnel 106 1. Das Parlament zur Sicherung der Verfassungswerte? 107 2. Gerichte als Instrumente zur Sicherung der Verfassungswerte 108 E. Zusammenfassung Kapitel 3 110

Inhaltsverzeichnis

XIII

Kapitel 4 Die Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen in Großbritannien A. Zum Demokratie- und Verfassungsverständnis B. Verwaltungsorganisation und Demokratieverständnis I. Die Entstehung verselbständigter Verwaltungseinheiten II. Begriffs- und Ausgestaltungsvielfalt 1. Begriffe und Arten von Agenturen 2. Wettbewerbskontrolle als Beispiel für die Entwicklung einer unabhängigen Politikfeldwahrnehmung III. Demokratietheoretische Aspekte der Verwaltungsorganisation C. Die dritte Gewalt und der Vorrang des Parlamentes D. Zusammenfassung Kapitel 4

112 115 115 117 117 120 122 124 127

Kapitel 5 Die Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen in den Vereinigten Staaten A. Elemente amerikanischer Demokratievorstellung I. Republikanische Theorie II. Von der Pluralismustheorie zur Public Choice III. Zur Funktionsweise der Repräsentation B. Pluralismustheorie und Verwaltungsmodell I. Die Organisation der Exekutive II. Entstehung und Rolle der Agenturen und der Independent Regulatory Commissions III. Die IRC zwischen Unabhängigkeit und Kontrolle 1. Der Einfluss des Präsidenten auf Agenturen und die IRC 2. IRC und Kongress 3. Die verschiedenen Funktionen der IRC IV. Rechtsprechung und Literatur zum Rechtsschutz gegen die IRC als Ausdruck eines funktionalen Legitimationsverständnisses V. Die demokratietheoretische Debatte um die IRC 1. Legitimationsansätze 2. Kritik der IRC 3. Demokratietheoretische Bewertung der Diskussion C. Demokratieverständnis und Rolle der unabhängigen Gerichtsbarkeit I. Zur Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit 1. Die persönliche Unabhängigkeit 2. Zur sachlichen Unabhängigkeit insbesondere des Supreme Court II. Gesetzliche Bindung, demokratische Wahl oder Unabhängigkeit als Quelle demokratischer Legitimation? III. Entstehung und Diskussion um die Gesetzgebungskontrolle 1. Die Entwicklung der Gesetzgebungskontrolle 2. Zur Diskussion um die Verfassungsgerichtsbarkeit D. Zusammenfassung Kapitel 5

129 129 131 135 135 135 137 144 144 146 147 150 151 151 153 154 155 156 156 158 159 162 162 163 167

XIV

Inhaltsverzeichnis

Teil 2 Von der funktionalen zur politikfeldbezogenen demokratischen Legitimation staatlicher Institutionen Kapitel 6 Kritik des funktionalen Legitimationsmodells A. Zum funktionalen Ansatz I. Einleitende Bemerkungen II. Gesellschaftsvertrag und Mehrheitsprinzip III. Die demokratietheoretische Berücksichtigung der positiven Analyse 1. Keine Berücksichtigung positiver Analysen 2. (Teilweise) Berücksichtigung positiver Analysen 3. Auswirkungen auf die Verwaltungsorganisation IV. Normativer Maßstab der gleichwertigen Interessenberücksichtigung B. Rechtswissenschaftlicher Konstitutionalismus und unabhängige Institutionen I. Konstitutionalisierungsformen in rechtlicher Sichtweise II. Versuch der Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Konstitutionalisierungsprozesses III. Konstitutionalismus und Reversibilität von Entscheidungen 1. Konstitutionalismus als Begrenzung demokratischer Entscheidungsgewalt 2. Gesetzliche und konstitutionelle Bindung zur Erweiterung politischdemokratischen Handelns IV. Bewertung des Ansatzes der objektiven Grundrechtswirkung C. Zusammenfassung Kapitel 6

173 173 173 178 178 183 185 186 191 191 192 197 198 199 201 202

Kapitel 7 Ökonomische Demokratietheorie und ihre Kritik A. Der ökonomische Konstitutionalismus Buchanans I. Der Homo Oeconomicus als Instrument zur positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse II. Staatliches Handeln nach dem ökonomischen Konstitutionalismus 1. Konsens und konstitutioneller Vertrag 2. Der Rechtsschutz- und der Leistungsstaat B. Transaktionskosten- und Regulierungstheorie I. Transaktionskostenansatz und unabhängige Institutionen II. Ein politikfeldbezogenes Bild politischer Entscheidungsprozesse III. Das Legitimationskonzept C. Systemimmanente Kritik der ökonomischen Demokratietheorie I. Kritik am Homo-Oeconomicus-Modell II. Kriterien der Auswahl von Entscheidungsverfahren III. Einführung der positiven Analyse in die normative Weitung IV. Eigennutzannahme und Verantwortungsbewusstsein bzw. Zivilmoral V. Absolute und relative Maßstäbe kollektiven Handelns VI. „Schleier des Nichtwissens" und ausreichende demokratische Interessenvertretung VII. Kritik des Transaktionskostenansatzes und der Theorie Majones D. Zusammenfassung Kapitel 7

205 207 210 210 212 215 216 218 221 221 221 224 233 236 239 242 244 245

Inhaltsverzeichnis

XV

Kapitel 8 Vergleichende Kritik der funktionalen und ökonomischen Demokratietheorie A. Vergleichende Kritik der positiven Modelle I. Vergleich der positiven ökonomischen mit anderen positiven Theorien II. Ökonomische und „klassische" Demokratietheorie III. Theoretisches Modell und empirische Nachweisbarkeit IV. Berücksichtigung der positiven Analyse für die Bildung von Institutionen B. Vergleichende Kritik der normativen Modelle I. Demokratietheoretische Bewertung der normativen Ökonomik II. Ökonomischer Konstitutionalismus und gleichwertige Interessenberücksichtigung III. Legitimation realer Verfahren durch einen hypothetischen Konsens? IV. Ökonomisches Modell und „personale und sachlich-inhaltliche Legitimation" .... V. Ökonomisches Modell und „input-output" Terminologie C. Zusammenfassung Kapitel 8

248 248 250 259 260 263 263 265 268 270 273 277

Kapitel 9 Ein politikfeldbezogenes Legitimationsverständnis Theorie und Beispiele A. Das Modell des politikfeldbezogenen Legitimationsverständnisses 280 I. Die Grundlagen 280 II. Demokratische Legitimation staatlicher Institutionen je nach Politikfeld 282 B. Beispiele für Politikfelder mit Bedarf für unabhängige Institutionen nach dem politikfeldbezogenen Demokratieverständnis 285 I. Staatsverschuldung als Beispiel eines Politikfeldes mit struktureller 285 Verletzung des Proportionalitätsgedankens 285 1. Die Struktur des Politikfeldes „staatliche Kreditaufnahme" 285 2. Empirische Untersuchungen zum Ansteigen der staatlichen Defizite 287 3. Verfassungstheoretische Konsequenzen von Anreizberücksichtigung 288 4. Institutionelle und verfahrenstechnische Anreizberücksichtigung 291 II. Geldpolitik als Beispiel des politikfeldbezogenen Demokratieansatzes 296 1. Entwicklung der Problematik der Zeitinkonsistenz (time inconsistency) 296 2. Glaubwürdigkeit und Geldpolitik 298 III. Zur demokratisch legitimierten Gemeinwohlbestimmung 300 1. Zum Gemeinwohlbegriff 301 2. Gemeinwohl als Ziel kollektiven Handelns 303 3. Wettbewerbsschutz und politische Gemeinwohlbestimmung 306 4. Öffentliche Güter als Gemeinwohlerfüllung am Beispiel Währungspolitik .. 309 IV. Grundrechtsschutz als Beispiel für das politikfeldbezogene Demokratieprinzip 312 C. Zusammenfassung Kapitel 9 315

XVI

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 10 Grenzen für die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen A. Methodische Grenzen B. Inhaltliche Grenzen C. Normative Grenzen I. Distributive Politik und Demokratieprinzip 1. Umverteilung nur durch majoritäre Politik a) Rechtswissenschaftliche Grundlagen b) Eine ökonomische Position 2. Umverteilungspolitik auch durch Konstitutionalisierung a) Der ökonomische Ansatz b) Ein juristischer Ansatz zur Verrechtlichung von Umverteilungspolitik? D. Zusammenfassung Kapitel 10

317 318 319 319 319 319 320 322 322 325 327

Teil 3 Unabhängige Institutionen und Demokratieprinzip in der Europäischen Union Kapitel 11 Europäische Integration und Demokratisierungsdebatte A. Die verschiedenen Aspekte der europäischen Demokratiedebatte 332 B. Die einzelnen Theorien 333 I. Funktionales und formelles Repräsentationsprinzip in der EU? 333 1. Das funktionale Repräsentationsmodell auf europäischer Ebene 333 2. Die theoretische Kritik am funktionalen Modell auf europäischer Ebene 334 3. Mehrheitsprinzip und andere Verfahren auf europäischer Ebene 337 4. Repräsentation in den staatlichen Institutionen als Merkmal europäischer Entscheidungsfindung? 341 5. Verhältnis personaler und sachlicher Legitimation auf europäischer Ebene .... 343 a) Schwächung des Elementes personaler demokratischer Legitimation 343 b) Neugewichtung personeller und sachlich-inhaltlicher Legitimation 344 II. Konstitutionalismus und Demokratieprinzip auf europäischer Ebene 346 1. Die Gründungskonzeption der Gemeinschaftals Kriterium für das Verhältnis von Demokratiprinzip und Konstitutionalisierung 346 2. Objektive Werteordnung als Grundlage für die Konstitutionalisierung? 348 III. Die Gemeinschaftsmethode: ein neofunktionalistischer Legitimationsansatz? 349 1. Funktionalistische Integration als demokratietheoretischer Maßstab? 349 2. Von der funktionalistischen Integration zum technokratischen Ansatz 351 IV. „Regulierungsstaat" und ,Administrativmodell" als Ziel europäischer Legitimation 353 V. „Supranationale Deliberation" - eine europäische Neuentwicklung? 355 VI. „Die funktionale Repräsentanz" - partizipativer Pluralismus mit neuer Begründung 358 VII. Die Theorie des liberalen Intergouvernementalismus 361 VIII. Zwischen Markt und Hierarchie - der Netzwerkansatz als analytische Grundlage 363 IX. Konsozietale Demokratie 365 X. Die Input-Output Differenzierung 367

Inhaltsverzeichnis

XVII

XI. Der ökonomische Ansatz auf europäischer Ebene 369 1. Homo Oeconomicus und Europäische Integration 371 2. Verschiedenartige Entscheidungsfindung in unterschiedlichen Institutionen ... 372 3. Funktionalismus und ökonomischer Ansatz 374 C. Zusammenfassung Kapitel 11 376

Kapitel 12 Stellung und gegenwärtige Diskussion um die Legitimation unabhängiger Institutionen in der EU A. Das Konzept einer unabhängigen Kommission I. Der funktionelle und politikfeldbezogene Bezug der Unabhängigkeit der Kommission II. Die Unabhängigkeit der Kommission: personelle und sachliche Elemente 1. Personelle Elemente der Unabhängigkeit 2. Die sachliche Unabhängigkeit III. Zur Unabhängigkeit der Kommission in ihrer Initiativfunktion IV. Die Unabhängigkeit der Kommission bei ihren Regulierungsbefugnissen V. Die Unabhängigkeit der Kommission in ihrer Exekutivfunktion VI. Demokratieprinzip und Europäische Kommission in der bestehenden Debatte .... 1. Allgemeine Ansätze 2. Demokratietheoretische Aspekte der Initiativfunktion 3. Demokratieprinzip und das Ausschußverfahren der Kommission 4. Demokratietheoretische Aspekte der Kommission als „Hüterin" der Verträge. B. Das ESZB: Geeignetes Vorbild für die EU als „Regulierungsstaat"? I. Das ESZB: gerichtliche, sachverständige oder gestaltende Funktion? II. Entstehung und Inhalt der ausgeprägten institutionellen Unabhängigkeit III. Zur personellen Unabhängigkeit IV. Die sachliche Unabhängigkeit V. Die Unabhängigkeitsstruktur der staatlichen Zentralbanken und ihrer Vertreter C. Stellung, Rolle und mögliche Entwicklung der europäischen Agenturen I. Bisherige Entwicklung und Kompetenzen der Agenturen II. Agenturen zwischen Unabhängigkeit und Kontrolle - Vorbild ESZB oder Komitologie 1. Agenturen und Kommission 2. Agenturen und Mitgliedstaaten 3. Ein Ansatz für europäische Regulierungsagenturen? III. Demokratietheoretische Aspekte der Agenturbildung D. Zum EuGH 1. Unabhängigkeit und Aufgaben des EuGH 2. Ansätze zur Begründung demokratischer Legitimation des EuGH E. Zusammenfassung Kapitel 12

379 380 383 383 385 386 389 392 394 394 396 398 399 399 401 403 405 407 408 410 410 413 413 413 414 415 416 416 418 421

Kapitel 13 Das politikfeldbezogene europäische Demokratieprinzip A. Quellen eines europäischen Demokratieprinzips und institutionelle Aussagen B. Normativer Maßstab eines europäischen Demokratieprinzips I. Unionsbürger oder Mitgliedstaaten als Ausgangsbasis einer europäischen Demokratietheorie?

423 427 427

XVIII

Inhaltsverzeichnis

II. Grundlagen eines europäischen Gesellschaftsvertrages 428 III. Gleichwertige Interessenberücksichtigung und europäische Integration 431 C. Der politikfeldbezogene Ansatz auf europäischer Ebene 436 I. Das politikfeldbezogene Modell für die europäische Ebene 436 II. Rolle unabhängiger Institutionen im europäischen politikfeldbezogenen System... 438 III. Beispiele für das politikfeldbezogene Demokratieverständnis auf europäischer Ebene 440 1. Beispiel: Politikfeld Lebensmittelsicherheit 440 2. Beispiel: Politikfeld gemeinschaftliche Finanzpolitik 442 3. Gemeinwohl und öffentliche Güter am Beispiel Wettbewerbspolitik 444 a) Wettbewerbssicherung durch die Kommission oder durch ein unabhängiges Kartellamt? 445 b) Gemeinwohlsicherung im Mehrebenensystem in der Regulierungspolitik.... 448 4. Beispiel: Glaubwürdigkeit, Zeitinkonsistenz und Aushandlungscharakter 449 D. Verfassungstheoretische Aspekte der Bildung unabhängiger Institutionen 451 I. Institutionelles Gleichgewicht und unabhängige Institutionen 451 1. Der Inhalt des Prinzips des institutionellen Gleichgewichts 451 2. Integrationsbedingter Hintergrund des Prinzips des institutionellen Gleichgewichts 453 II. Das Treuhandprinzip auf europäischer Ebene 455 E. Zusammenfassung Kapitel 13 456

Kapitel 14 Grenzen für die Wahrnehmung von Politikfeldern durch unabhängige Institutionen auf europäischer Ebene A. Methodische Grenzen B. Inhaltliche Grenzen C. Normative Grenzen für die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen I. Distributive Politik durch unabhängige Institutionen in der EU? 1. Die verschiedenen Ansätze a) Distributionspolitik in der EU grundsätzlich problematisch b) Distributionspolitik auch durch unabhängige Institutionen auf Gemeinschaftsebene? 2. Beispiele für die Wahrnehmung der distributiver Politik durch unabhängige Institutionen in der EU a) Die Verwaltung der Struktur- und Regionalfonds b) Die EU-Beihilfenkontrolle: Konstitutionalisierung und Wahrnehmung distributiver Politik durch eine unabhängige Institution II. Reversibilität von Entscheidungen als Grenze fiir die Festlegung von Politikfeldern D. Zusammenfassung Kapitel 14

Zusammenfassung Literaturverzeichnis Personenregister Sachregister

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469 476 505 507

Einleitung Zur Sicherang bestimmter Zielsetzungen wie Währungsstabilität und Wettbewerb wurden in vielen Demokratien unabhängige Institutionen wie Zentralbanken, Wettbewerbs- oder Regulierungsbehörden gebildet. Auf europäischer Ebene kontrolliert die Kommission die Beihilfenvergabe und Haushaltspolitik der mitgliedstaatlichen Regierungen. Die Übertragung solcher Aufgaben an unabhängige Institutionen wird bisher als nicht oder nur schwer vereinbar mit einer repräsentativ-demokratischen Staatsorganisation angesehen. Grund dafür ist, dass unabhängige Institutionen weder im Rahmen einer periodischen und unmittelbaren demokratischen Wahl besetzt werden, noch in ihren Entscheidungen durch die gewählten politischen Staatsorgane (etwa Regierung oder Parlament) beeinflusst werden dürfen. Genau diese Leitungsbefugnis, insbesondere der Regierang, gilt aber als Kennzeichen eines demokratischen Staatsaufbaus. Die vorliegende Arbeit untersucht die Vereinbarkeit solcher unabhängigen Institutionen mit dem System der repräsentativen Demokratie. Sie verfolgt dabei drei Ziele. Erstens werden die Strukturen bestehender unabhängiger Institutionen in verschiedenen Staaten und in der EU auf den Grad und Inhalt ihrer Unabhängigkeit untersucht. Zweitens wird in methodischer Hinsicht geprüft, ob und wie die Erkenntnisse sozialwissenschaftlicher positiver Analysen politischer Entscheidungsprozesse in die Bewertung der demokratischen Legitimation von staatlichen Institutionen eingeführt werden können. Dafür wird zum einen untersucht, welche sozialwissenschaftliche Theorie - etwa die deliberative oder die ökonomische - dafür aus demokratietheoretischer Sicht am geeignetesten ist. Zum anderen wird geprüft, in welchem Verhältnis solche positiven Analysen politischer Entscheidungsprozesse zu normativen demokratietheoretischen Maßstäben bei der Bewertung der Legitimation einer Institution stehen. Drittens schließlich wird mit den Ergebnissen der methodischen Untersuchung gezeigt, dass das heute vorherrschende, funktionale Legitimationsverständnis inkonsistent ist und daher die Entstehung und Legitimation unabhängiger Institutionen nicht erklären kann. Das in den heutigen Demokratien vorherrschende funktionale Legitimationsmodell, das auf das Gewaltenteilungsmodell zurückgeht, wie es Montesquieu beschrieb, sieht unabhängige Institutionen grundsätzlich nur in der Judikative und in engen Grenzen in der Exekutive, wie etwa für unabhängige Rundfunkanstalten, vor. Eine konsisten-

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Einleitung

te und systematische Antwort auf die Frage, in welchen Politikbereichen unabhängige Institutionen zur Sicherung bestimmter Zielsetzungen außerhalb der Judikative oder des Grundrechtsschutzes in demokratisch legitimer Weise gebildet werden können, konnte auf dieser Grundlage nicht entwickelt werden. Unabhängige Institutionen wurden vielmehr in Form von jeweils einzelnen, nicht übertragbaren Ausnahmetatbeständen aus praktischen Erwägungen wie Wohlfahrtsgewinnen akzeptiert. Demokratische Legitimationseinbußen wurden dafür in Kauf genommen. Mit dem ökonomischen Konstitutionalismus wurde durch James M. Buchanan eine Verfassungstheorie entwickelt, die eine systematische Methodik für Einschränkungen der Kompetenzen der repräsentativen Entscheidungsorgane durch verfassungsrechtliche Regelbindungen, etwa Verschuldungsgrenzen oder Währungsstabilität, bietet. Buchanans Theorie erklärt solche Regelbindungen der Legislative und Exekutive aus dem gleichen theoretischen Ansatz heraus der der unabhängigen Gerichtsbarkeit zugrunde liegt. Nach dieser Theorie führen Regelbindungen und unabhängige Institutionen zur Durchsetzung von Rechten nicht zu Legitimationsdefiziten, die für Effizienzgewinne in Kauf genommen werden müssen. Statt wie die bis dahin überwiegende Literatur Regelbindungen oder unabhängige Institutionen als besonders begründungsbedürftige Ausnahmen von einem legitimationstheoretisch vorrangigen Mehrheitsverfahren in den Repräsentationsorganen anzusehen, zeigt Buchanan, dass die Entscheidung für unabhängige Institutionen und ihre Legitimation auf derselben theoretischen Ebene wie die Entscheidung für die Anwendung des Mehrheitsverfahrens liegt. Unabhängige Institutionen zur Herstellung öffentlicher Güter und mit eigenem Entscheidungsspielraum lehnt Buchanan aber als nicht legitimiert ab. An diesem Punkt geht das in der Politikwissenschaft durch Giandomenico Majone entwickelte Modell des „Regulierungsstaates" weiter, das unabhängige Regulierungsagenturen demokratietheoretisch erklärt. Majones Theorie wurzelt in der Regulierungstheorie wie sie vor allem in den Vereinigten Staaten entstand und wurde von ihm insbesondere für die Rolle von Regulierungsagenturen in der EU fortentwickelt. Majone baut wie Buchanan in normativer wie positiver Hinsicht auf der ökonomischen Methodik auf. Majone begrenzt die Legitimation unabhängiger Agenturen allerdings auf den Bereich der Regulierungspolitik und schließt sie für den Bereich distributiver Politik aus. Diese beiden Theorien werden in dieser Arbeit daraufhin untersucht, inwieweit mit ihnen das rechtswissenschaftliche funktionale Demokratieverständnis fortentwickelt werden kann, um auch hier eine systematische Erklärung für demokratisch legitime Einsatzbereiche für unabhängige Institutio-

Die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen

3

nen zu definieren. Dafür werden erstens die normativen Maßstäbe der „klassischen" Demokratietheorie und der ökonomischen Theorie verglichen und Fortentwicklungsmöglichkeiten geprüft. Zweitens wird untersucht, inwieweit die unterschiedlichen Theorien bei der Auswahl der demokratisch legitimen Institutionen und Verfahren positive Erkenntnisse über den Ablauf politischer Entscheidungsprozesse berücksichtigen. Im Ergebnis wird gezeigt, dass die demokratische Legitimation staatlicher Institutionen nicht wie bisher nach der Einteilung in eine der drei Gewalten (Funktionen) beurteilt werden sollte, sondern nach Politikfeldern. Gegen die funktionale und für die politikfeldbezogene Legitimationseinteilung spricht, dass in der heutigen sozialwissenschaftlichen Forschung die Durchsetzungsmechanismen von Interessen im politischen Entscheidungsprozess weniger als nach Funktionen unterschiedlich beschrieben werden, sondern überwiegend als unterschiedlich nach Politikfeldern. Eine rein funktionale Betrachtung politischer Entscheidungsprozesse kann diese wesentliche Erkenntnis sozialwissenschaftlicher Forschung nicht aufgreifen und nicht für die demokratietheoretische Bewertung staatlicher Institutionen heranziehen. Mit einem vertragstheoretisch begründeten, politikfeldbezogenen Legitimationsverständnis, das methodisch auf Buchanans Konstitutionalismustheorie und Majones Regulierungstheorie aufbaut, können unabhängige Institutionen hingegen nicht nur wie bisher in der Judikative als demokratisch legitim angesehen werden und es kann ein Maßstab für die Bildung unabhängiger Institutionen in weiteren Politikbereichen entwickelt werden. Dabei wird gezeigt, dass die normative Seite der ökonomischen Theorie als demokratietheoretischer Maßstab nur ungenügend geeignet ist. Es wird begründet, dass entgegen Buchanans Schlussfolgerungen unabhängige Institutionen auch zur Herstellung öffentlicher Güter demokratisch legitim sein können. Auch Majones Begrenzung der Legitimation unabhängiger Institutionen auf den Bereich der Regulierungspolitik und damit deren Ausschluss von distributiven Politikbereichen kann so nicht aufrechterhalten werden. Weiterhin kann gezeigt werden, dass der funktionale Ansatz aus verschiedenen Gründen - neben der ohnehin angebrachten und weiter gültigen Kritik - auch für die europäische Ebene ungeeignet ist. Die auf diesem Modell aufbauende Behauptung eines generellen Demokratiedefizits europäischer Institutionen kann daher nicht aufrechterhalten werden. Eine vertragstheoretische Legitimation mit Politikfeldbezug stellt auch für die europäische Ebene eine konsistente Lösung dar, weil sich an der methodischen Anwendbarkeit nichts ändert. Allerdings führt die Anwendung der politikfeld-

4

Einleitung

bezogenen Methode hier teilweise zu anderen institutionellen Schlussfolgerungen als auf der staatlichen Ebene. In die Untersuchung wird auch die Verfassungsgerichtsbarkeit einbezogen, da ihre demokratische Legitimation in vielen Ländern heute noch umstritten ist. Es kann gezeigt werden, dass die Diskussion um ihre demokratische Legitimation im funktionalen Legitimationsmodell bisher mit ähnlichen Theorien und Argumenten geführt wird wie die um die anderen unabhängigen Institutionen und zu keiner zufriedenstellenden Antwort führt. Auch hier kann ein konsequenter vertragstheoretischer Legitimationsansatz eine demokratietheoretische Antwort geben. Im Rahmen eines Vergleiches der politischen Systeme Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union werden verschiedene Theorien über die Natur des politischen Entscheidungsprozesses (etwa republikanische Theorie, deliberative Theorie, Pluralismustheorie, Neue Politische Ökonomie) dargestellt, die innerhalb des funktionalen Legitimationsmodells zu unterschiedlichen Auffassungen über die Legitimität staatlicher Institutionen führen. Der Vergleich der genannten politischen Systeme dient auch der Darstellung der verschiedenen Ausprägungen und Grade von Unabhängigkeit von Institutionen, die sich entwickelt haben. Im Einzelnen ist die Arbeit folgendermaßen aufgebaut: In Kapitel 1 wird der Begriff der unabhängigen Institutionen eingeführt und der Untersuchungsgegenstand der Arbeit abgegrenzt. Der Begriff der demokratischen Legitimation wird erläutert und der Übergang vom funktionalen zum politikfeldbezogenen Demokratieprinzip kurz skizziert. In den Kapiteln 2 bis 5 werden die verschiedenen Ausprägungen des funktionalen Demokratieverständnisses in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten dargestellt und gezeigt, dass erstens die Unabhängigkeit der untersuchten Institutionen je nach Demokratieverständnis variiert und zweitens mit der funktionalen Legitimationstheorie keine systematische Antwort für die Einordnung unabhängiger Institutionen entwickelt werden konnte. Im zweiten - methodischen - Teil der Arbeit werden in Kapitel 6 zunächst die theoretischen Grundlagen des funktionalen Legitimationsprinzips als theoretisch inkonsistent kritisiert. Es wird untersucht, welche Ansätze der rechtswissenschaftliche Konstitutionalismus und der organisationsrechtliche Grundrechtsschutz zur Legitimation unabhängiger Institutionen bieten. In Kapitel 7 wird der ökonomische Konstitutionalismus Buchanans dargestellt und durch die Einführung der Regulierungstheorie Majones ergänzt. Die ökonomische Demokratietheorie wird insbesondere hinsichtlich ihres normativen Maßstabs kritisiert.

Die demokratische Legitimation unabhängiger

Institutionen

5

In Kapitel 8 erfolgt ein methodischer Vergleich zwischen der funktionalen und der ökonomischen Demokratietheorie hinsichtlich der normativen Grundlagen und der Berücksichtigung der positiven Analyse für die Legitimation staatlicher Institutionen. In Kapitel 9 wird ein politikfeldbezogenes Demokratieverständnis entwickelt, das normativ teilweise auf der klassischen Theorie aufbaut, wie sie auch dem funktionalen Verständnis zugrunde liegt. Methodisch wird aber auf Theorien Buchanans und Majones aufgebaut und deren Theorien werden weiterentwickelt. In Kapitel 10 werden methodische, normative und systemimmanente Grenzen für die Legitimation unabhängiger Institutionen dargestellt. Der dritte - europabezogene - Teil der Arbeit beginnt in Kapitel 11 mit der Darstellung von bisher diskutierten Legitimationsmodellen für unabhängige Institutionen in der Europäischen Union. In Kapitel 12 werden die unterschiedlichen Ausformungen von Unabhängigkeit und spezifische Aspekte demokratischer Legitimation der Kommission, des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB), des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und der europäischen Agenturen untersucht. In Kapitel 13 wird der politikfeldbezogene Ansatz für die europäische Ebene weiterentwickelt. Dabei wird insbesondere auf die normativen Inhalte eines europäischen Demokratieprinzips und dessen spezifisch gemeinschaftsbezogene Annahmen eingegangen. In Kapitel 14 werden die Grenzen für die Bildung und Legitimität unabhängiger Institutionen auf europäischer Ebene untersucht. Auch für die Gemeinschaftsebene werden Redistributionspolitik und die Reversibilität politischer Entscheidungen als mögliche Grenzen der Konstitutionalisierung von Politikfeldern erörtert.

Teil 1

Die Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen im funktionalen Legitimationsmodell

Kapitel 1

Terminologien und Debatten über unabhängige Institutionen und ihre Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip A. Von der nonmajoritarian institution zur unabhängigen Institution I. Bedeutung des Begriffes der nonmajoritarian institution und der unabhängigen Institution 1. Die nonmajoritarian institution in der verfassungsrechtlichen und politikwissenschaftlichen Literatur Die in dieser Arbeit zu untersuchende demokratietheoretische Problematik wird ausgelöst durch die Einrichtung unabhängiger Institutionen in der Staatsorganisation. Unabhängige Institutionen sind staatliche Institutionen, die mit gewisser Unabhängigkeit von Parlament, Regierung und anderen Institutionen bezüglich institutioneller Organisation, Entscheidungsprozeß und personeller Besetzung ausgestattet sind und nicht im Zuge regelmäßiger und unmittelbarer demokratischer Wahlen besetzt werden. Unter Unabhängigkeit wird unter anderem verstanden, dass keine Weisungsrechte anderer Institutionen gegenüber den Mitgliedern unabhängiger Institutionen bestehen. Zwar werden auch Mitglieder von Verfassungsgerichten durch Wahl von demokratisch gewählten Institutionen besetzt. Dies erfolgt aber nicht im regelmäßigen Turnus der Parlaments- und Regierungswahlen, sondern in Zeitabständen, die sich durch die Amtsdauer in der Institution selbst ergeben. Die Problematik, die mit dem Begriff der unabhängigen Institution erfasst werden soll, ähnelt stark derjenigen, die in der englischsprachigen Literatur der Rechts- und Politikwissenschaften unter dem Begriff der nonmajoritarian institution (Nicht-Mehrheitsinstitution (NMI)) behandelt wird. Der Begriff nonmajoritarian institution umfasst unabhängige Institutionen wie Gerichte, Zentralbanken und unabhängige Regulierungs- und Wettbewerbsbehörden, Rechnungshöfe oder Sachverständigenräte, die den Kompetenzbe-

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Unabhängige Institutionen im funktionalen

Legitimationsmodell

reich von Parlament, Regierung und ihnen untergeordneten Institutionen begrenzen und ein „Demokratiedefizit" besitzen1. Unter dem Begriff der nonmajoritarian institution wird in den Vereinigten Staaten die Debatte um die politische Notwendigkeit und demokratische Problematik solcher unabhängigen Institutionen geführt2. Auch in der Diskussion um die institutionelle Ordnung der EU findet der Begriff der nonmajoritarian institution Anwendung3. Dabei geht es um die Frage, welche Rolle unabhängige Institutionen wie die Europäische Zentralbank oder Regulierungsagenturen haben sollen und wie künftig die Unabhängigkeit der Kommission ausgestaltet wird. Eine verwandte Begrifflichkeit ist die der „counter-majoritarian difficulty"4, unter der jahrzehntelang in der amerikanischen Verfassungstheorie die Vereinbarkeit einer Verfassungsgerichtsbarkeit mit dem demokratischen System diskutiert wurde5. Die Vielzahl unabhängiger Regulierungsbehörden in den Vereinigten Staaten wurde auch als „fourth branch of government" bezeichnet, von ihren Gegnern insbesondere als eine „kopflose vierte Gewalt"6. Auch in der deutschen Diskussion um die Unabhängigkeit der Bundesbank tauchte dieser Begriff der „vierten Gewalt" auf7.

1

G. Majone, The European Community - an independent 4th branch of government?, S. 24. G. Majone, The European Community - an independent 4th branch of government?, S. 2. 3 Vgl. G. Majone, Regulating Europe, 1996. 4 Der Begriff wurde eingeführt von A. Bickel, in: The Least Dangerous Branch: The Supreme Court at the Bar of Politics. Bickel spielt mit der Formulierung „least dangerous" auf eine bekannte Formulierung von A. Hamilton über die Gerichtsbarkeit in Federalist Paper Nr. 78, S. 398 an. W. Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten, S. 2 Fn. 5 m.w.N. 5 Für einen Überblick über diese Debatte siehe B. Friedman, The Birth of an Academic Obsession: The History of the Countermajoritarian Difficulty, in: Yale Law Journal 112 (2002), S. 153ff.; M. Tushnet, Taking The Constitution Away From The Courts, Princeton 1999; Die Diskussion hat sich aber weit Uber die Vereinigten Staaten hinaus ausgebreitet: zur aktuellen Diskussion um die Akzeptanz und Legitimität einer Verfassungsgerichtsbarkeit in Israel siehe A. Barak, A Judge on Judging: The Role of a Supreme Court in a Democracy, in: Harvard Law Review 116 (2002), S. 16-165; Zur Diskussion in Großbritannien siehe Chr. Forsyth (Hrsg.), Judicial Review and the Constitution, Oxford 2000 und A. Halpin, The Theoretical Controversy Concerning Judicial Review, in: Modern Law Review 64 (2001), S. 500-511. 6 Zu diesem Begriff: G. Majone, The European Community - an independent 4th branch of Government?, S. Iff.; M. Bernstein., Regulating Business, S. 293; J. Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat, S. 81, spricht von vierter Gewalt bezüglich Rechnungshof, Bundesbank und Sachverständigenrat. Ebenso mit Problemen F. Ossenbühl, Aktuelle Probleme der Gewaltenteilung, DÖV 1980, S. 550. 7 H.U.v. Wangenheim, Währung als vierte Gewalt ohne Vermittlung, Der Volkswirt 11, Nr. 10, 1957, S. 441f. 2

Terminologie und Debatten

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Nach dem ursprünglichen Verständnis fallen unter den Begriff der NMI alle Mechanismen und Einrichtungen, die geeignet sind, die Regierung - im Sinne politischer Leitung - zu begrenzen. Nonmajoritarian institutions sind danach auch Mechanismen wie Gewaltenteilung und Föderalismus, durch die sich demokratisch gewählte Institutionen gegenseitig kontrollieren. Weitere nonmajoritarian institutions sind danach Verfassungen, Gesetze8 und auch Internationale Verträge und Organisationen9. Eine föderalistische Staatsorganisation beispielsweise wurde als eines der geeignetesten Mittel zur Begrenzung der demokratischen Herrschaftsgewalt angesehen. Der Grund, warum eine solche Aufteilung der Kompetenzen in einem föderalistischen System als eine Begrenzung staatlicher Gewalt gesehen wurde, ist, dass durch die Kompetenzaufteilung viele Handlungen einer gemeinsamen oder koordinierten Vorgehensweise der verschiedenen Verwaltungsstellen oder Regierungen bedürfen und so viele Arten staatlichen Zwangs nur durch aufwendigere Anstrengung ergriffen werden können10. Eine bundesstaatliche Regierung ist danach eine in einem sehr bestimmten Sinn beschränkte Regierung. Bereits Madison „kam die Idee, dass die Probleme, ausreichende Sicherung privater Rechte und ausreichende Macht für die Nationalregierung zu schaffen11, eigentlich dasselbe Problem waren, da eine gestärkte Nationalregierung ein Gegengewicht für die angeschwollenen Vorrechte der Legislativen der Staaten sein konnte.12" Auch das Prinzip der Gewaltenteilung beschränkt die Mehrheitsherrschaft in diesem Sinne, da es zwischen Exekutive und Legislative eine Kompetenzaufteilung vornimmt, die der Legislative nur das Recht zum Erlass allgemeiner Gesetze gibt, und der Exekutive in ihren Einzelfallhandlungen daran bindet13. Der dem Gewaltenteilungsgedanke zugrundeliegende Gedanke der Bindung der Herrschaft von Menschen an das Gesetz kann bis in die griechische Antike zurückverfolgt werden14. Nur unter Verwendung dieses weiten NMI-Begriffes lässt sich verstehen, warum bereits die Einrich8

Vgl. G. Majone, Nonmajoritarian Institutions and the Limits of Democratic Governance: A Political Transaction-Cost Approach, Journal of Institutional and Theoretical Economics (JITE) 2001, S. 57, 76. 9 Ders., S. 57f. 10 Siehe F. A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 234 m.w.N. 11 Nach der Unabhängigkeitserklärung von 1776 waren die ehemaligen Kolonien staatenbundisch durch die Articles of Confederation organisiert. Diese Organisationsform wurde schnell als mit zu wenig nationaler Macht ausgestattet angesehen. 12 F. A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 233. 13 J. Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, Buch II, § 159, S. 309. 14 F. A. v. Hayek, Der Ursprung der Herrschaft des Gesetzes, in: ders., (Hrsg.), Die Verfassung der Freiheit, Elftes. Kap., S. 195ff.

12

Unabhängige Institutionen imfiinktionalen Legitimationsmodell

tung einer gewaltenteiligen Verfassung als in einem Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip stehend angesehen wird15. Kern der Debatte um die demokratische Legitimität der NMI war die Begrenzung der Mehrheitsherrschaft. Auch in der gegenwärtigen politikwissenschaftlichen Literatur wird der Begriff „antimajoritär" in diesem weiten Sinne verstanden, etwa bei den weiter unten dargestellten Untersuchungen von Lijphart über heute bestehende verschiedene Ausprägungen des Demokratieprinzips16. Hintergrund der Diskussion um die Rolle und Legitimität von NMI ist, dass in den Vereinigten Staaten seit deren Gründung eine ausgeprägte Diskussion Uber die Gefahren einer unbegrenzten Mehrheitsherrschaft geführt wird17, , 3 s ist in den Republiken von großer Wichtigkeit, nicht nur die Gesellschaft vor der Unterdrückung durch die Regierenden zu bewahren, sondern auch jeweils den einen Teil der Gesellschaft gegen die Ungerechtigkeit des anderen zu schützen.18" Diese Zweiteilung der Gesellschaft in Mehrheit und Minderheit und die Gefahr der Mehrheitstyrannei beherrschte das Denken der amerikanischen Verfassungsdiskussion und auch die europäische Demokratietheorie des 18. Jahrhunderts19. Die potentielle Vernachlässigung von Allgemein- oder Mehrheitsinteressen durch Parlament und Regierung war damit anfangs noch nicht klar herausgearbeiteter Teil der Debatte um die Notwendigkeit und Legitimität von NMI. Erst mit der Entwicklung des pluralistischen Demokratieverständnisses im 20. Jahrhundert rückt die Frage nach dem Schutz allgemeiner Interessen vor Gruppen- oder Einzelinteressen in den Vordergrund. Die Gefahr der Mehrheitstyrannei erscheint in dieser Sichtweise als Mythos20. In der ökonomischen Demokratietheorie wurde dann herausgearbeitet, dass aus dem Zusammenwirken aller Interessengruppen bei Anwendung ungeeigneter Entscheidungsverfahren Ergebnisse resultieren können, die letztlich keiner der beteiligten Gruppen nützt. 15

Etwa bei G. Majone, Nonmajoritarian Institutions and the Limits of Democratic Governance, Journal of Institutional and Theoretical Economics 2001, S. 57. 16 Siehe A. Lijphart, Patterns of Democracy, Government Forms and Performance in ThirtySix Countries. 17 Siehe die ausführliche Darstellung bei A. de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, Band 1 Teil II, Kapitel 7 und 8, mit Hinweis auf einen Brief von Jefferson an Madison vom 15. März 1789. 18 J. Madison, Federalist Nr. 51, S. 267. 19 R. Gargarella, Full Representation, Deliberation, and Impartiality, in: J. Elster (Hrsg.), Deliberative Democracy, S. 264ff. 20 R. A. Dahl, A Preface to Democratic Theory, Kap. 1, S. 133; gemeint ist wohl die Konstellation in Gesellschaften ohne strukturelle, daß heißt ethnisch oder religiös begründete Minderheiten.

Terminologie und Debatten

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Vor diesem Hintergrund lässt sich dann die folgende Kritik am Begriff der NMI verstehen: Kritisiert wurde am Begriff der NMI, er erfasse die Funktion dieser Organe nicht richtig, denn auch Gerichte könnten dem Mehrheitswillen zum Durchbruch verhelfen21. Diese Kritik trifft insoweit zu, als Nicht-Mehrheitsinstitutionen auch und gerade zur Sicherung von Mehrheitsinteressen eingerichtet werden. Der Begriff erfasst dafür aber die Stellung dieser Institutionen im Staatsgefüge und ihre Struktur recht gut. NMI zeichnen sich im hier verwandten Sinne dadurch aus, dass sie nicht den Weisungen der gewählten Mehrheit in Regierung und Parlament unterliegen. Mit diesem Verständnis des Begriffes, nämlich seiner Bezogenheit auf die anderen Institutionen und die möglichste Freiheit der Entscheidenden, kann dann auch erklärt werden, dass es keinen Widerspruch darstellt, wenn Entscheidungen innerhalb von NMI nach dem Mehrheitsprinzip getroffen werden. Vor allem im Rahmen der Diskussion um unabhängige amerikanische Regulierungsbehörden und die Einführung solcher Institutionen in der Europäischen Gemeinschaft wurde der Begriff der nonmajoritarian institution immer mehr in Zusammenhang mit der Einbringung von Sachverstand und Expertenwissen in den politischen Entscheidungprozeß verbunden22. Nach der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht liegt demgegenüber erst dann eine unabhängige Institution vor, wenn diese Normen und Ziele in unabhängiger Weise gegen die unmittelbar gewählten Institutionen durchsetzen kann. Hingegen stellen die unter den Begriff der NMI fallenden Mechanismen, nämlich Föderalismus und Gewaltenteilung, nur eine Kontrolle der demokratisch gewählten Institutionen untereinander her und werfen noch nicht das in dieser Arbeit zu untersuchende Spannungsfeld zwischen Demokratieprinzip und Entscheidung durch unabhängige Institutionen auf. Der Begriff der NMI im ursprünglichen Sinne hat diese beiden unterschiedlichen Begrenzungsmechanismen - Begrenzung der unmittelbar demokratisch gewählten Institutionen durch Kontrolle untereinander und durch unabhängige Institutionen - zusammenbehandelt, weil es in der ursprünglichen Debatte um alle Mechanismen zur Begrenzung der Mehrheitsherrschaft allgemein ging. Mit dem hier verwandten Begriff der unabhängigen Institution soll dagegen nur das aufgezeigte Spannungsfeld zwischen Demokratieprinzip und unabhängiger institutioneller Ausgestaltung erfasst werden.

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N. Redlich, Judges in Democracy, in: Sh. Shetreet (Hrsg.), The Role of Courts in Society, S. 154. 22 Wesentlicher Autor für die Gemeinschftsebene ist G. Majone, u.a. mit: Regulating Europe.

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Unabhängige Institutionen im fiinktionalen Legitimationsmodell

2. Institutionen, Normen und Organisationen In der demokratietheoretischen Diskussion wird unterschieden zwischen unabhängigen Institutionen mit festgelegter Zielsetzung - beispielsweise im ESZB - und unabhängigen Institutionen mit weitgehender Abwägungsbefugnis - beispielsweise die US-amerikanische Zentralbank Federal Reserve. Die formelle Unabhängigkeit einer Institution bei gleichzeitiger enger materieller Zielfestlegung (z.B. auf Preisstabilität beim ESZB) führt weniger zu Kritik an der Unabhängigkeit der entscheidenden Personen als vielmehr an dem ihnen vorgegebenen Ziel, etwa der Preisstabilität. Für das ESZB, das eindeutig vorrangig auf Preisstabilität fixiert ist, wird eine schwächere parlamentarische Kontrolle deswegen als hinnehmbar bezeichnet23. Die Diskussion richtet sich dann auf die inhaltliche Frage, ob eine vorrangige Verpflichtung auf die Preisstabilität sinnvoll und legitim ist. Anders ist es bei Übertragung inhaltlicher Unabhängigkeit auf eine Institution, etwa wenn eine Zentralbank zwischen verschiedenen Zielen wie Preisstabilität, Wachstumsförderung und Beschäftigungsquote (beispielsweise das USamerikanische Federal Reserve Board) wählen kann24. Übertragen wird dann nicht die Wahrung eines bestimmten Zieles, sondern die Aufgabe, einen ausgeglichenen Entscheidungsprozeß vorzunehmen. Die Kritik richtet sich dann auf die fehlende Kontrolle des zentralbankinternen Abwägungsprozesses zwischen den verschiedenen Zielen durch demokratisch gewählte Institutionen. Die Übertragung solcher Abwägungsaufgaben zwischen verschiedenen öffentlichen Zielen auf unabhängige Institutionen ist demokratietheoretisch problematischer als der erste Fall und stößt daher vielfach auf Ablehnung25. Im Folgenden wird die Untersuchung die demokratietheoretische Problematik beider Arten von unabhängigen Institutionen - mit und ohne genaue Zielfestlegung - untersuchen. Grund dafür ist, dass in jedem Fall eine unabhängige Institution die Umsetzung eines Abwägungsprozesses oder eines vorgegebenen Zieles wahrnimmt und damit der Kompetenzbereich der unmittelbar gewählten Institutionen begrenzt wird. Es wird aber insbesondere 23

Siehe B. Dutzler, Der Status des ESZB aus demokratietheoretischer Sicht, Der Staat 2002, S. 509, Fn. 73. 24 Siehe Kapitel 5 B II. und III. 25 Siehe beispielsweise Europäische Kommission, Europäisches Regieren: Ein Weißbuch, S. 31: Agenturen dürfen danach keine Entscheidungsbefugnisse in Bereichen zugewiesen werden, in denen sie zwischen kollidierenden öffentlichen Interessen vermitteln, in politischen Ermessensfragen entscheiden oder komplizierte wirtschaftliche Bewertungen vornehmen müssen.

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versucht zu begründen, warum auch in demokratischer legitimer Weise Abwägungsprozesse auf unabhängige Institutionen übertragen werden können. Mit diesem Ansatz kann dann auch eine definitorische Entscheidung für eine der Varianten des Institutionenbegriffs in der Neuen Institutionenökonomik getroffen werden26. Dort unterscheidet North zwischen Institution und Organisation27. Institutionen sind danach die Regeln, die das menschliche Handeln bestimmen, also formelle und informelle Zwänge und Anreize. Organisationen sind die Spieler, die nach den Regeln spielen, etwa politische Parteien, Unternehmen und Kirchen. Richter und Furubotn dagegen definieren eine Institution als eine sanktionsbewehrte Regelung, unabhängig davon, ob diese im Zusammenhang mit einer Organisation existiert. Institutionen sind danach ein System von formellen und informellen Regeln einschließlich eventueller Vorkehrungen zu ihrer Durchsetzung28. Letztere Definition von Institutionen entspricht dabei besser dem zuvor dargestellten Anknüpfungspunkt der demokratietheoretischen Debatte um unabhängige Institutionen in dieser Arbeit. Nach der Definition von Richter und Furubotn sind die Normen, die die Unabhängigkeit der Institutionen begründen, aber auch der die kollektive Entscheidung bindende Inhalt einer Verfassungs- oder Vertragsnorm, Institutionen. Genau diese beiden Merkmale unabhängiger Institutionen und ihre demokratietheoretische Problematik sind Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. II. Demokratieprinzip, Depolitisierung und Verwaltungseffizienz Um das angesprochene Spannungsfeld zwischen Demokratieprinzip und unabhängiger Ausgestaltung sichtbar zu machen, wird insbesondere auf die Diskussionen um unabhängige Zentralbanken, Wettbewerbs- oder sektorale Regulierungsbehörden sowie auf die Gesetzeskontrolle durch die Gerichtsbarkeit eingegangen. In diesen politisch sehr sensiblen Bereichen - Währungs- und Wettbewerbspolitik sowie Schutz von Grundrechten, etwa Rundfunkfreiheit - stellt sich die Frage, ob die zielgerichtete Einschränkung von Kompetenzen der politischen Institutionen Parlament und Regierung in wesentlichen Aufgabenfeldern als mit dem Demokratieprinzip vereinbar akzep-

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Zur Entwicklung des Institutionenbegriffs in der Ökonomie und der Soziologie siehe V. Vanberg, Der individualistische Ansatz zu einer Theorie der Entstehung und Entwicklung von Institutionen, in: Jahhrbuch für Neue Politische Ökonomie Bd. 2 (1983), S. 50ff. 27 D. North, Institutions, Institutional Change and Economic Performance, S. 4f. 28 R. Richter/E.G. Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 3. Aufl., Tübingen 2003, S. 7.

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tiert werden, besonders deutlich29. Daneben wird auf Politikfelder eingegangen, in denen die Bildung unabhängiger Institutionen nach dem in dieser Arbeit verfolgten Ansatz ebenso sinnvoll und legitim wäre, insbesondere Finanzpolitik, Verbraucherschutz und zwischenstaatlicher Handel. Eine andere, wenn auch in ihren Auswirkungen teilweise ähnliche Entwicklung in der Staats- und Verwaltungsorganisation ist die Ausgliederung von Verwaltungseinheiten zur Leistungssteigerung der Verwaltung. Dies wird unter anderem auf die Zunahme an Aufgaben der Verwaltung und das Bedürfnis nach Einbindung von Expertise und Betroffenen in den Entscheidungsprozeß zurückgeführt30. Diese Entwicklung zielt nicht primär auf eine Begrenzung der Kompetenzen der zentralen Institutionen Regierung und Parlament ab, wenn sich auch eine gewisse Depoütisierung der unabhängigen Verwaltungsinstitutionen aus der Tatsache ihrer Ausgliederung ergibt. Diese beiden verschiedenen Erscheinungsformen unabhängiger Institutionen können, müssen aber nicht notwendiger Weise zugleich als legitim anerkannt werden. In Großbritannien beispielsweise wurden im Zuge von Verwaltungsreformen seit 1970 und insbesondere seit 1988 eine Vielzahl sogenannter Agenturen im Bereich des „civil Service" geschaffen31. Das Phänomen dieser (unabhängigen) Institutionen wird unter verschiedensten Begriffen diskutiert32, gebräuchlich ist dabei unter anderem die Bezeichnung „Agentur". Im Vordergrund der Debatte stehen die Leistungssteigerung der Verwaltung und die Entscheidungsteilhabe Privater bei Regulierungsaufgaben. Hintergrund dieser Entwicklung waren die Privatisierungen seit Anfang der achtziger Jahre und das Ziel einer möglichst weitgehenden wirtschaftlichen Selbstregulierung der betroffenen Industrien und Wirtschaftszweige. Auf der anderen Seite werden in Großbritannien in politisch sensiblen Bereichen erst seit kurzem und bis heute nur in begrenztem Maße die Kompetenzen von Regierung und Parlament beschnitten. Weder ist die Bank of England bis heute für eine Mitgliedschaft im Europäischen System der Zentralbanken ausreichend unabhängig gestellt, noch spielen unabhängige Institutionen im Bereich der Fusionskontrolle von Unternehmen eine bedeutende

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G. Majone (Hrsg.), The role of specialised agencies in decentralising EU-Governance, S. 64 spricht von „agencies charged with the pursuit of distinct constitutional-type normative goals". Diese unterscheidet er von Regulierungsagenturen, Agenturen zur Informationsgewinnung und gerichtsähnlichen Agenturen. 30 A. Vosskuhle, Sachverständige Beratung des Staates, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (2005), § 43 Rz. 58ff. mit einem Überblick Uber die Diskussion. 31 Dazu unten in Kapitel 4 zur Entwicklung unabhängiger Institutionen in Großbritannien. 32 Siehe die Nachweise bei P. Craig, Administrative Law, S. 89ff. und Chr. HoodIG. F. Schuppert (Hrsg.), Verselbständigte Verwaltungseinheiten in Westeuropa.

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Rolle33. Eine Kontrolle der Gesetzgebung durch unabhängige Institutionen existiert wegen des Grundsatzes der Parlamentssouveränität bis heute nicht34. In den Vereinigten Staaten war die Bildung unabhängiger Institutionen (insbesondere der Independent Regulatory Commissions (IRC)) dagegen von Anfang an von einem Willen zur Begrenzung der Kompetenzen der Exekutive getragen, wie in der Diskussion um die nonmajoritarian institutions deutlich wurde. Beispielsweise wurde die Zentralbank, das Fédéral Reserve System, nach den Erfahrungen in der Weltwirtschaftskrise (ab 1929) Mitte der dreißiger Jahre bewusst unabhängig ausgestaltet35. Das Erfordernis, die Bundesverwaltung auszubauen und effizient zu gestalten, trug daneben ebenfalls zum Wachstum der Zahl von Agenturen auf Bundesebene bei. Allerdings sind eben nur wenige Agenturen unabhängig ausgestaltet, was wiederum zeigt, dass das Wachstum verselbständigter Verwaltungsbehörden und die Begrenzung politischer Gestaltungsmacht von Regierung und Parlament unterschiedliche Entwicklungen sind. In Frankreich entstanden unabhängige Verwaltungsinstitutionen ebenfalls aus dem Bedürfnis nach einer effizienteren Verwaltungsorganisation und zugleich mit dem Ziel der Begrenzung politischer Entscheidungsgewalt in manchen Politikbereichen. Allerdings bleibt die Begrenzung der politischen Institutionen bis heute deutlich weniger ausgeprägt, als in Deutschland oder den Vereinigten Staaten. Die Idee, politische Macht von Regierung und Parlament sowohl im administrativen Bereich als auch durch Kontrolle der Gesetzgebung einzugrenzen, setzte sich etwa zeitgleich (ab Anfang der siebziger Jahre) durch. Die Diskussion um die „autorités administratives indépendantes"36 drehte sich dabei im Kern um die Zulässigkeit unabhängiger Institutionen im demokratischen Staatsgefüge. Im Zusammenhang mit den „autorités administ33

Wenn auch seit der Reform von 1998 in der britischen Wettbewerbskontrolle eine gewisse Depolitisierung eingetreten ist. Siehe dazu in Kapitel 4 die Entwicklung unabhängiger Institutionen in Großbritannien. 34 Eine gewisse Konstitutionalisierung des britischen politischen Systems ist mit der Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft und der damit verbundenen vorrangigen Geltung des Gemeinschaftsrechts und 1998 mit dem Human Rights Act zwar eingetreten. Eine wirkliche gerichtliche Verwerfungskompetenz von Gesetzen wurde aber nicht eingeführt. Siehe dazu ebenfalls in Kapitel 4 C. zur Entwicklung unabhängiger Institutionen in Großbritannien. 35 Näheres dazu bei den Ausführungen zur Entwicklung unabhängiger Institutionen in den Vereinigten Staaten in Kapitel 5. 36 Der Begriff der „autorités administratives indépendantes" wurde zum ersten Mal im Gesetz vom 6. Januar 1978 verwendet, Art. 8 des Gesetzes vom 6. Januar 1978, im Zuge der Bildung der „Commission Nationale de l'Informatique et des Libertés".

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ratives indépendantes" wurde auch von einem „tiers état administratif gesprochen37. Eine unabhängige Zentralbank entstand aber erst unter den Vorgaben der europäischen Währungsunion. Auch die Wettbewerbskontrolle bleibt, insbesondere im Bereich der Fusionskontrolle, stark von den politischen Institutionen beeinflusst. Die französische Diskussion über die Zulässigkeit einer Gesetzgebungskontrolle im demokratischen Staat geht dabei sehr viel weiter zurück als die der unabhängigen Institutionen in der Exekutive. Von den Einen wird eine Einrichtung wie der Conseil Constitutionnel als Garant der Verfassungsbestimmungen gesehen. Andere befürchten ein „gouvernement des juges"38. Eine alle Staatsfunktionen übergreifende Terminologie oder ein theoretischer Erklärungsansatz für unabhängige Institutionen wurde bisher aber nicht entwickelt. Die Entwicklung und demokratietheoretische Bewertung unabhängiger Institutionen in politisch sensiblen Bereichen in Deutschland ist auf historischen Erfahrungen begründet. Für den Bereich des Grundrechtsschutzes wird ein starkes Verfassungsgericht als demokratisch legitim akzeptiert, weil der Fähigkeit der politischen Institutionen zur Sicherung der Grundrechte misstraut wird. Die Begrenzung der politischen Gewalt im Bereich der Währungspolitik geht unter anderem auf die Erfahrungen mit der inflationären Geldpolitik im Jahr 1923 zurück. Im Bereich des Wettbewerbsschutzes bestand seit Anfang der dreißiger Jahre die wirtschaftswissenschaftliche Tradition des Ordoliberalismus, die sich nach 1945 durchsetzen konnte und dem Bundeskartellamt zumindest zu einer faktischen Unabhängigkeit verhalf. Es kam aber nicht zur Gründung einer Vielzahl weisungsfrei gestellter unabhängiger Institutionen zur Steigerung der Verwaltungseffizienz. Eine solche Entwicklung wurde (unter anderem) von der vorherrschenden Theorie der hierarchischen Ministerialorganisation verhindert. In der deutschen Rechtswissenschaft wird für den Bereich der Exekutive seit den fünfziger Jahren intensiv eine Diskussion über die demokratische Legitimität der so-

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O. Gohin, Institutions Administratives, S. 217. Dieser in der französischen Diskussion um die Rolle der Gerichtsbarkeit im staatlichen Institutionengefuge seit Jahrhunderten verwendete Begriff wurde Anfang der zwanziger Jahre in der französischen Diskussion um die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit von Edouard Lambert in seiner Studie über „judizielle Politik" in den Vereinigten Staaten aufgegriffen, um auf die Gefahren einer Verfassungsgerichtsbarkeit für die Demokratie hinzuweisen. Siehe E. Lambert, Le gouvernement des juges et la lutte contre la législation sociale aux Etats Unis, Paris 1921. 38

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genannten „ministerialfreien Räume"39, „verselbständigten Verwaltungseinheiten"40 oder „nichtministeriellen Bundesverwaltung"41 geführt. Gegenstand der Untersuchungen waren Institutionen der Exekutive, die eine gewisse institutionelle Eigenständigkeit besaßen (verselbständigte Verwaltungseinheiten) und nicht dem ministeriellen Weisungsrecht unterstellt waren (ministerialfreie Räumen). Die Diskussion über ministerialfreie Räume betraf die Frage der demokratischen Legitimität dieser Institutionen. Im Rahmen der Diskussion um verselbständigte Verwaltungseinheiten ging es zwar mehr um das Problem der Zunahme der Staatsaufgaben und der damit einhergehenden Notwendigkeit einer Effizienzsteigerung der Verwaltungsorganisation, aber auch um die demokratische Legitimität einer solchen Organisationsstruktur42. Wegen ihrer Beschränkung auf die Exekutive werden diese Begriffe hier aber nicht übernommen43. Vereinzelte Arbeiten untersuchten umfassend die Problematik unabhängiger Institutionen unter Einbeziehung von Gerichtsbarkeit, Verwaltung und Rechnungshöfen. Dabei wurden Parallelen gezogen zwischen Bundesbank und Bundesverfassungsgericht44 oder der EG-Kommission45, ohne dass da39 H. Loenig, Der ministerialfreie Raum in der Staatsverwaltung, DVB1. 1954, 173-180; C.-P. Fichtmüller, Zulässigkeit ministerialfreien Raums in der Bundesverwaltung, AöR 1966, S. 297-355; E. Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, Berlin 1973; mit eine Übersicht siehe W. Müller, Ministerialfreie Räume, JuS 1985, S. 497, 500 und M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, Berlin 1993 und zuletzt Chr. Möllers, Gewaltengliederung, Tübingen 2005, S. 129ff. rechtsvergleichend mit der Diskussion in den Vereinigten Staaten um die Independent Regulatory Commissions. 40 Grundlegend zu diesem Begriff G. F. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981. Für das Vorliegen einer verselbständigten Verwaltungseinheit ist nur eine institutionelle Verselbständigung notwendig, nicht aber unbedingt eine sachliche Unabhängigkeit im Sinne einer Weisungsfreiheit der Mitglieder der betreffenden Institution gegenüber anderen Staatsorganen, siehe V. Helfritz, Verselbständigte Verwaltungseinheiten in der Europäischen Union, S. 51. 41 Siehe M. Döhler, Das Modell der unabhängigen Regulierungsbehörde, in: Die Verwaltung 34 (2001), S. 66. 42 Weitere benachbarte Debatten, wie die vom kooperativen Verwaltungsstaat und von einem Mehrsektorensystem, bei denen es um die in verschiedenen Sektoren beheimateten Anbieter öffentlicher Leistungen geht, also die Bereiche öffentlicher Verwaltung, privaten Anbieter und Organisationen des dritte Sektors, werden hier nicht weiter verfolgt. Bei diesen Diskussionen geht es mehr um die Modernisierung der staatlichen Verwaltung durch Aufgabenübertragung an Private zur Effizienzsteigerung als um die bewußte institutionelle Umgestaltung innerstaatlicher Kompetenzen und Strukturen. 43 M. Döhler, a.a.O., S. 66 kritisiert das Fehlen einer einheitlichen und sinnstiftenden Begriffsbestimmung analog zu den „independent regulatory agencies" bzw. „commissions" in den Vereinigten Staaten. 44 R. Wildenmann, Die Rolle des Bundesverfassungsgerichtes und der Deutschen Bundesbank, 1969. R. Wildenmann ist allerdings Politik- und kein Rechtswissenschaftler.

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für jedoch ein einheitlicher Begriff verwendet wurde, der die hier untersuchte Problematik getroffen hätte46. In der Diskussion über ein „rechtsstaatliches Rationalitätsgebot" wurde ein alle staatliche Funktionen übergreifender Ansatz entwickelt, der gleichermaßen die Stellung von Gerichtsbarkeit und Verwaltungsorganisation erklären soll47. Aus dem Rationalitätsgebot wird nach diesem Ansatz ein Prinzip „funktionsgerechter Organisationsstruktur" abgeleitet, das dann Anschluss an die sozialwissenschaftliche Organisationstheorie findet, allerdings keine Verbindung zur Demokratietheorie herstellen kann. Eine einheitliche Begriffsbildung findet auch bei diesem Ansatz nicht statt. Eine andere angrenzende Diskussion ist die der partizipativen oder pluralistischen Demokratietheorie. Nach diesen Theorien wird vor allem die Beteiligung der Bürger und Betroffenen des Verwaltungshandelns am Entscheidungsprozeß betont und gefordert. Im Rahmen dieser Diskussion wurde der Begriff sogenannter „plural besetzter Gremien" und der „Kollegialorgane" geprägt; solchen auch unabhängig ausgestalteten Institutionen falle besondere demokratische Legitimation zu48. Der Begriff ist aber für den hier gewählten Ansatz zu eng, da letzterer auch nicht plural besetzte Gremien in die Untersuchung einbezieht. Zudem stellt die partiziptive Demokratietheorie stark auf das persönliche Element demokratischer Legitimation ab, während in dieser Arbeit untersucht wird, inwieweit das zugrundegelegte Bild des Entscheidungsprozesses für die Bewertung unabhängiger Institutionen entscheidend ist. Auf europäischer Ebene finden sich die beiden genannten unterschiedlichen Motivationen (Effizienzsteigerung bzw. Depolitisierung) für die Bildung unabhängiger Institutionen wieder. Zusätzlich spielt der Integrationsgedanke für die Zurückdrängung politisch-demokratischer Entscheidungskompetenzen der Mitgliedstaaten eine entscheidende Rolle. Gezielte Beschränkungen politischer und unmittelbar demokratischer Entscheidungsgewalt sind die Kontrolle staatlicher Beihilfen, der mitgliedstaatlichen Finanzpolitik (beide neu gegenüber der staatlichen Ebene), des privaten Wettbe45

H.P. Ipsen, Zur Exekutivrechtsetzung in der EG, in: FS Lerche (1993), S. 425, 434; G. Nicolaysen, Aussichten zur Gemeinschaftsverfassung, EuR 1987, S. 299, 304f. 46 Etwa H.H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977; K. Wächter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, 1998; auch Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 200, geht darauf kurz ein, sein Schwerpunkt liegt aber bei der Untersuchung der Verwaltungsorganisation. 47 Siehe Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 199ff. m.w.N. 48 Laut Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 197, stellen nur pluralistisch organisierte unabhängig ausgestaltet Verwaltungsinstitutionen eine eigene Quelle demokratischer Legitimation zur Verfügung.

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werbs und der Währungspolitik. Mit der Kommission entstand dabei eine neuartige Form einer unabhängigen Institution, die bewusst auch die legislativen Wirkungsmöglichkeiten der mitgliedstaatlichen Regierungen begrenzt. Daneben lässt sich die langsame Entwicklung einer „Binnenmarktverwaltung" in Form einer vermehrten Bildung unabhängiger Institutionen, den europäischen Agenturen, beobachten49. Der Aufbau einer solchen Verwaltung hat zwar teilweise auch das Ziel der Depolitisierung mancher Aufgabenbereiche, zielt aber nicht primär darauf ab50. Bisher läuft ein großer Teil der „Binnenmarktverwaltung" über die sogenannte „Komitologie", das Ausschussverfahren der Kommission. Die Diskussion über die Legitimität unabhängiger Institutionen verläuft zu einem großen Teil für die jeweiligen Institutionen gesondert und weniger unter einheitlichen Begriffen. Auf europäischer Ebene treffen dabei drei unterschiedliche Forschungsrichtungen mit verschiedenen, wenn auch sich teilweise ergänzenden Zielsetzungen aufeinander. Erstens die europäische Integrationsforschung, die wiederum stark durch den Forschungszweig der internationalen Beziehungen geprägt ist und die als erste die Rolle unabhängiger Institutionen auf europäischer Ebene untersuchte (etwa die Neofunktionalismustheorie). Zweitens und Drittens die Anfang der neunziger Jahre erstarkenden bzw. aufkommenden Demokratie- und Governancedebatten, die ebenfalls die Rolle unabhängiger Institutionen auf europäischer Ebene behandelten. Über die Zukunft der Binnenmarktverwaltung, ob in Form von Agenturen oder im Rahmen des Ausschussverfahrens, besteht eine umfangreiche Diskussion aus allen drei genannten Forschungsrichtungen. Es geht dabei um die Frage, ob „Regulierungsfunktionen" (also Erlass von Ausfuhrungsvorschriften und Einzelfallentscheidungen) über unabhängige Regulierungs-

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Siehe E. Chiti, Decentralised Integration as a New Model of Joint Exercise of Community Functions?, in: ARENA (Advanced Research on the Europeanisation of the Nation-State) Working Paper Nr. XX, August 2002; Ders., The Emergence of a Community Administration: The Case of European Agencies, in: Common Market Law Review 37 (2000), S. 309ff.; Kreher (Hrsg.), The New European Agencies, EUI Working Paper RSC Nr. 96/49. 50 In den meisten Agenturen verfügen die Mitgliedstaaten über eigene Vertreter im Verwaltungsrat, dem zentralen Entscheidungsorgan. Siehe dazu Kapitel 12 C zur Entwicklung der Agenturen auf europäischer Ebene. E. Chiti, Decentralised Integration as a New Model of Joint Exercise of Community Functions?, a.a.O., sieht den Grund für die Entstehung einer Verwaltungsstruktur durch Agenturen nicht in dem Zweck, die Kompetenzen der politischdemokratisch rückgebundenen Institutionen zu begrenzen, sondern in der Umsetzung des Konzeptes einer „dezentralen Integration".

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agenturen51 wahrgenommen werden sollten52 oder über das Ausschussverfahren unter Einbindung der Kommission53. In dieser Diskussion finden sich viele Argumente der Diskussion um die Bildung der Regulierungsinstitutionen in den Vereinigten Staaten wieder. Dabei werden vor allem die dortigen Argumente für eine effiziente und für eine demokratische Ordnung übernommen. Auch die Diskussion um die Frage nach der demokratischen Legitimität der EZB und des ESZB hat umfangreiche Literatur hervorgebracht54. Die Argumente in dieser Debatte ähneln wiederum stark denen, die bereits auf nationalstaatlicher Ebene zur Legitimation unabhängiger Zentralbanken entwickelt wurden. Darüber hinaus wird diskutiert, ob die Europäische Kommission einer weitergehenden parlamentarischen Kontrolle unterworfen oder ihr unabhängiger Status gewahrt bleiben sollte55. Diese Auseinandersetzung findet naturgemäß kein Vorbild, da die Kommission in etlichen ihrer Funktionen eine Neuschöpfung ist. Einheitliche neue Begriffsprägungen sind auch in diesen Debatten bisher nicht erfolgt. 51

Zwar bestehen auf europäischer Ebene bereits 17 Agenturen, diese dienen aber bisher mehr zur Informationsgewinnung, als daß sie Regulierungsaufgaben wahrnehmen. 52 Befürwortend: G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, 19%; R. Dehousse, European institutional architecture after Amsterdam: parliamentary system or regulatory structure?, in: Common Market Law Review 1998, S. 595-627; M. Everson, Administering Europe, in: Journal of Common Market Studies 1998, S. 195-216; J. Caporaso, The European Union and forms of state: westphalian, regulatory or post-modern?, in: Journal of Common Market Studies 1996, S. 29-52. 53 Vor allem Chr. Joerges/J. Neyer, From intergovernmental bargaining to deliberative political process: the constitutionalisation of comitology, in: European Law Journal 1997, S. 273-299. 54 B. Dutzler, Der Status des ESZB aus demokratietheoretischer Sicht, Der Staat, 2002, S. 495 -522; M. Höhret, Die Europäische Union im Legitimationstrilemma, S. 225ff.; S.C.W. Eijffinger/J. De Haan, The Democratic Accountability of the European Central Bank: A Comment on Two Fairy-Tales, in: Journal of Common Market Studies 38 (2000), S. 393407; Gormley/de Haan, The democratic deficit of the European Central Bank, in: European Law Review 21 (1996), S. 95-112; H. Arndt, Zur Frage der Legitimität der Europäischen Zentralbankautonomie, in: Maurer/Thiele, Legitimationsprobleme der EU, S. 208-228; H.M. Kaufmann: The Importance of Being Independent: Central Bank Independence and the European System of Central Banks, in: C. Rhodes/S. Mazey, The State of the European Union, S. 267-291; J. Endler, Europäische Zentralbank und Preisstabilität, Stuttgart 1998. 55 Th. Christianssen: Legitimacy Dilemmas of Supranational Governance: The European Commission between Accountability and Independence, EUI Working Papers, RSC 97/74, Florenz 1997; M. Höhret, Die Europäische Union im Legitimationstrilemma, insbesondere S. 195ff.; P. Lindseth, Democratic legitimacy and the administrative character of supranationalism: the example of the European Community, in: Columbia Law Review 1999, S. 628-738; A. Verhoeven, The European Union, mit einem umfangreichen Hinweis auf Beiträge zur demokratischen Legitimation der Kommission auf S. 229 Fn. 936 m.w.N.

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B. Zu den Merkmalen unabhängiger Institutionen I. Richterliche und administrative Unabhängigkeit 1. Die Ausbreitung eines Begriffes Die „Unabhängigkeit" ist das Merkmal der untersuchten Institutionen, das die demokratietheoretische Problematik auslöst. Aufgrund ihrer Unabhängigkeit entscheiden unabhängige Institutionen „losgelöst" von den unmittelbar demokratisch gewählten Institutionen einerseits und unabhängig von Rücksichtnahmen auf Wahlen andererseits, da ihr Personal nicht unmittelbar durch das Volk gewählt wird. Der Begriff der Unabhängigkeit von Staatsorganen ist vor allem im Zusammenhang mit der Gerichtsbarkeit bekannt. Die Unabhängigkeit des Richters ist oftmals sogar verfassungsrechtlich abgesichert56. Der Begriff der richterlichen Unabhängigkeit wird auch für die Stellung von Rechnungshöfen verwandt57. Auch in Bezug auf die Verwaltung oder Administration ist der Begriff der Unabhängigkeit in den letzten Jahrzehnten vermehrt in Gebrauch gekommen. Dabei stellt der Begriff „unabhängig" eigentlich einen Widerspruch zur hierarchischen Verwaltungsorganisation dar, weil im Bereich der Exekutive die Minister der Regierung eine umfassende Leitungsbefugnis besitzen. In Deutschland wurde er gesetzlich zuerst58 mit dem Bundesbankgesetz von 1957 eingeführt59. In Frankreich kam der Begriff in Bezug auf die Verwaltungsorganisation erst mit der Bildung der Autorités Administratives Indépendantes in den siebziger Jahren auf 60 . In den Vereinigten Staaten wurde der Begriff ab den 30er Jahren in Zusammenhang mit der 1887 eingerichteten Interstate Commerce Commission61 als unabhängige Regulierungs-

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Siehe beispielsweise Art. 97 Abs. IGG, Art. 64 Verfassung der Republik Frankreich. Art. 114 Abs. 2 GG. 58 Seit 1951 wurden bereits ministrialfreie Stellen in der Verwaltung des Bundestages, des Bundesrates, der Landesparlamente und anderer interner Verwaltungsstellen verwandt. Siehe für einen Überblick H. Loening, Der ministerialfreie Raum in der Staatsverwaltung, DVB1. 1954, S. 174f. 59 § 12 S. 2 BBankG v. 26. Juli 1957, BGBl. 1, S. 745: „Sie ist bei der Ausübung der Befugnisse, die ihr nach diesem Gesetz zustehen, von Weisungen der Bundesregierung unabhängig-" 60 Mit dem Gesetz zur Bildung eines Médiateurs im Jahre 1973, der als autorité indépendante bezeichnet wird, letztlich noch in einer Art richterlichen Funktion steht. 61 49 U.S.C. §§ 10301-88. 57

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agentur (Independent Regulatory Commission, (IRC)) verstärkt diskutiert62. Bereits vorher existierten in den Vereinigten Staaten Ansätze zu einer unabhängigen Ausgestaltung exekutiver Institutionen63. Mittlerweile wird „unabhängiges Handeln" als zentraler Bestandteil vieler administrativer Institutionen angesehen64. Insbesondere auf Gemeinschaftsebene ist mit den expliziten Unabhängigkeitsvorschriften für Kommission, Europäische Zentralbank, Rechnungshof und weiteren Agenturen ein vorläufiger Höhepunkt für „unabhängige" Institutionen erreicht worden65. So legt beispielsweise der „Kodex für gute Verwaltungspraxis" der Europäischen Kommission für die Beamten fest: „Innerhalb des von der Kommission festgelegten politischen Rahmens entscheiden sie in voller Unabhängigkeit, ohne sich von persönlichen oder nationalen Interessen leiten zu lassen oder politischem Druck nachzugeben66". Administrative Unabhängigkeit kann sicher die gleichen formalen Aspekte wie die richterliche Unabhängigkeit umfassen, also personelle und sachliche Unabhängigkeit. Was aber genau den materiellen Inhalt administrativer Unabhängigkeit ausmacht, ist bisher nicht geklärt worden67 und soll deshalb nun besprochen werden.

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I.L. Sharfman, The Interstate Commerce Commission: a study in administrative law and procédure, 1931, S. 454. 63 M.J. Breger/G.J. Edles, Established by practice: the theory and opération of independent fédéral agencies, in: Administrative Law Review 52 (2000), S. 1118 weist auf die (teil-) unabhängige Stellung des Finanzministeriums in den Vereinigten Staaten Ende des 18. Jahrhunderts hin: der Präsident hatte nur sehr eingeschränkte Befugnis, den „Comptroller" dieses Ministeriums auszutauschen. 64 Skeptisch bezüglich der Entwicklung weiterer unabhängiger Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland M. Döhler, Das Modell der unabhängigen Regulierungsbehörde, in: Die Verwaltung 34 (2001), S. 89. Gegen die Bildung weiterer unabhängiger Institutionen spreche vor allem das mangelnde Interesse der Ministerialverwaltung an solchen Institutionen und die normative Akzeptanz der Argumentationsfigur der Ministerverantwortlichkeit. 65 Siehe Art. 213 Abs. 2, 1 EG bzgl. der Kommission; Art 108 EG bzgl. der EZB; Art. Art. 222 EG bzgl. des Generalanwaltes bei EuGH; Art. 223 EG bzgl. des EuGH; Art. 224 EG bzgl. des Gerichtes erster Instanz; Art. 247 Abs. 4 bzgl. des Rechnungshofes; Art. 258 UAbs. 3 EG bzgl. des Wirtschafts- und Sozialausschusses; Art. 263 UAbs. 5 S. 2 EG bzgl. des Ausschusses der Regionen. 66 Kodex für gute Verwaltungspraxis in den Beziehungen der Bediensteten der Europäischen Kommission zur Öffentlichkeit, verabschiedet am 13. September 2000, veröffentlicht am 20.10.2000, ABl. L 267, S. 63ff., Nr. 2. Er wurde zusammen mit der neuen Geschäftsordnung der Kommission neu verkündet, siehe ABl. Nr. L 308 v. 8. Dezember 2000, S. 32ff.; Näher zu Entstehung und Inhalt des Kodex siehe J. M. Soria, Die Kodizes fur gute Verwaltungspraxis - ein Beitrag zur Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts der EG, in: Europarecht 36 (2001), S. 682-705. 67 Für das Fehlen einer Theorie der Unabhängigkeit der Autorités Administratives Indépendantes siehe M.-J. Guédon, Les Autorités Administratives Indépendantes, S. 40.

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2. Unabhängigkeit im funktionalen System Mit dem Begriff der richterlichen Unabhängigkeit werden neben formalen Aspekten wie Weisungsunabhängigkeit und Unabsetzbarkeit Eigenschaften wie Unparteilichkeit68 und Neutralität69 verbunden. Unparteilichkeit bedeutet dabei, nicht an einem bestimmten Ausgang eines Verfahrens interessiert zu sein, sondern als unbeteiligter Dritter zu handeln70. Auch der Begriff der Neutralität deutet in diese Richtung: der Richter richtet sein Handeln alleine am Gesetz aus und nicht an eigenen Zielen oder den Zielen anderer. Im Administrativbereich dient Unabhängigkeit dagegen nicht nur speziell der Sicherung von Unparteilichkeit, sondern der Stärkung der Durchsetzung der betreffenden Aufgabe der unabhängig ausgestalteten Institution. Es handelt sich dabei zumeist um unabhängige Institutionen mit justizähnlichen, sachverstands- oder effizienzbezogenen und seltener sozial gestaltenden Aufgaben71. Gemeinsamer Zweck der Unabhängigkeit ist aber in allen genannten Bereichen, Einflüsse aus dem „politischen System" zurückzudrängen. In vielen Aufgabenbereichen besteht große Ähnlichkeit zwischen richterlicher und administrativer Tätigkeit und damit auch dem jeweiligen Verständnis von Unabhängigkeit. Für diese Bereiche der Verwaltung bedeutet Unabhängigkeit dann ebenfalls Aufgabenerfüllung in Unparteilichkeit72. Eine solche Judizialisierung liegt bei Prüfungsämtern, Zulassungsstellen, etwa für Arzneimittelprodukte, oder Regulierungsbehörden vor. Auch in diesen Bereichen geht es um die Beurteilung von Sachverhalten, in denen die Verwaltungsstellen weniger selbst beteiligte Parteien sind als beurteilende Dritte. Rechtsprechungs- und Administrativfunktion können dabei manchmal so ähnlich sein, dass der Conseil Constitutionnel in Frankreich es für nötig befand, festzustellen, das französische Kartellamt (Conseil de la Concurrence) sei nicht Justiz- sondern Verwaltungsbehörde73. Teilweise 68

Explizit Art. 6 Abs. 1 EMRK. BVerfGE 3, 381; 4, 346; 14, 69; 18, 255; 21, 145ff.; 26, 198; 27, 322; 60, 202ff.; 67, 68. 70 K. A. Bettermann, Die rechtsprechende Gewalt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (1988) § 7 3 Rz. 31. 71 Vergleiche für eine entsprechende Klassifizierung der Verwaltungstätigkeit und eine genaue Untersuchung zu den Formen von „Unparteilichkeit" in diesem Zusammenhang M. Fehling, Die Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 93ff. 72 So auch M. Fehling, Die Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 97ff„ 189. 73 Conseil Constitutionnel, Entscheidung Nr. 86-224 vom 23. Januar 1987; eingehend dazu M. Pochard, Autorités administratives indépendantes et pouvoir de sanction, in: Actualité Juridique Droit Administratif 2001, Sonderheft S. 107. 69

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wird auch bei Bildung einer Regulierungsbehörde gesetzlich festgeschrieben, ob sie ihre Kompetenzen als Administrativ- oder Justizorgan wahrnimmt74. Auch bei Errichtung des Bundeskartellamtes in Deutschland 1957 herrschte Unklarheit darüber, ob es sich um eine gerichtsähnliche oder eine Verwaltungsinstitution handelte75. Ein weiteres Beispiel für eine Behörde mit einer solchen Zwitterstellung in Deutschland ist das ehemalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Auch aus den Vereinigten Staaten ist das Phänomen der Überschneidung administrativer und rechtsprechender Funktion aus dem Bereich unabhängiger Regulierungsinstitutionen bekannt76. Die Funktion und Unabhängigkeit der ersten Independent Regulatory Commissions (IRC) in den Vereinigten Staaten, insbesondere der Interstate Commerce Commission wurde gerade mit Unparteilichkeit und Neutralität verbunden77. In diesen Fällen handeln auch administrative Institutionen in der Rolle richterlicher Unabhängigkeit. Die Fallgruppe der Unabhängigkeit zur Gewährleistung sachrichtiger Problemlösung kommt der richterlichen Unabhängigkeit am nächsten. Im Zusammenhang mit Risikoregulierung beispielsweise wird administrative Unabhängigkeit eng mit der Einführung von Sachverstand und Expertise in die Entscheidung assoziiert. Unabhängigkeit dient dann der Umsetzung der „sachlich richtigen" Lösung, indem die Entscheidungen der Verwaltung unvoreingenommen und losgelöst von Eigeninteressen getroffen werden78. Zugrunde liegt diesem Verständnis die Differenzierung zwischen fachlichen und politischen Entscheidungen79. Diese Trennung findet sich beispielsweise im Institut der „Ministererlaubnis" im Wettbewerbsrecht nach § 42 Abs. 1-3 GWB. Während das Bundeskartellamt wettbewerbsrechtliche Entscheidungen trifft, soll der Bundeswirtschaftsminister wettbewerbspolitische Entscheidungen treffen. Damit sollen fachfremde Bewertungs- und Entschei74

Zu dieser Entwicklung in Frankreich M. Pochard, a.a.O., S. 107. Siehe H. Ewald, Bundeskartellamt und Kartellgesetz, in: Wirtschaft und Wettbewerb 1958, S. 317. Ewald führt die Verwirrung darauf zurück, daß nach der Kartell Verordnung von 1923 die entsprechenden Aufgaben einem ständigen Kartellgericht übertragen waren. Dieses Kartellgericht vereinigte in sich die Funktionen eines Gerichtes und einer Verwaltungsbehörde. 76 R. E. Cushman, The independent regulatory commissions, S. 417ff.; G. Majone, Regulating Europe: Problems and Prospects, in Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft, 3 (1989), S. 163; D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 467. 77 M. J. Breger/G.J. Edles, Established by practice: the theory and operation of independent federal agencies, in: Administrative Law Review 52 (2000), S. 1116. 78 Dazu M. Fehling, Die Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 150ff., 191f. 79 Siehe M. Döhler, Das Modell der unabhängigen Regulierungebehörde, in: Die Verwaltung 34 (2001), S. 78. 75

Terminologie und Debatten

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dungskriterien, die über den Gesetzeszweck hinausgehen, in der Entscheidung Beachtung finden können. Aber auch diese Unterscheidung ist oft nicht klar zu treffen 80 . Daneben finden sich unabhängige institutionelle Ausgestaltungen, um die Effizienz der Verwaltung zu steigern. Diese Fallgruppe ähnelt der des Sachverstandes und steht nicht im Zentrum dieser Untersuchung. Die gegensätzlichste Form administrativer Unabhängigkeit im Verhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit findet sich bei unabhängigen Institutionen mit eigener Gestaltungsaufgabe. Diese Form administrativ-unabhängiger Institutionen dient gerade der Erreichung bestimmter politischer Ziele, ist gerade an einem bestimmten Ausgang eines Verfahrens interessiert81. Die Administrative entfaltet eigene Aktivität, handelt „initiativ", ist beteiligte Partei am Verfahren und nicht beurteilender Dritter, hat also Interesse am Erreichen ihrer Ziele82. Schöpferisches Verändern der Umwelt bringt den Handelnden unvermeidlich in eine Abhängigkeit von Interessen der beteiligten Personen und Gruppen. Mit dem Ergreifen eigener Initiative kann Unparteilichkeit nicht mehr angenommen werden83. Entsprechend den unterschiedlichen Funktionen (richterlich-administrativ) wird die grundsätzlich zulässige Ermessensausübung durch die Verwaltung als etwas anderes gesehen als die Befugnis des Richters zur Gesetzesauslegung: „Aber die Befugnis, ein Gesetz auszulegen, ist nicht Ermessen in dem hier relevanten Sinn. Die Aufgabe des Richters besteht darin, die Implikationen herauszufinden, die in dem Geist des ganzen Systems von gültigen Rechtsregeln enthalten sind, oder wenn nötig, als allgemeine Regel auszudrücken, was vorher noch nicht von einem Gerichtshof oder vom Gesetzgeber ausdrücklich ausgesprochen worden war.84" Diese Auslegung ist nicht Ermessen in dem Sinn, dass der Richter die Befugnis hat, seinem 80

Näheres zum Institut der Ministererlaubnis unten in Kapitel 6 bezüglich der Frage von Gemeinwohlsicherung durch unabhängige Institutionen. 81 Zur Unterscheidung der Rolle und Aufgabe des Richters und des politisch Gestaltenden F. A. v. Hayek, Law, Legislation and Liberty, S. 94ff., insbesondere S. 97ff. 82 K. A. Bettermann, a.a.O., Rz. 31; E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Allgemeiner Teil, Band I, S. Iff., insbes. S. 5ff.; Auch A. Hamilton, Federalist Paper Nr. 78, S. 398 zur Unterscheidung von Exekutive und Judikative: ,Jt may truly be said to have neither force nor will, but merely judgement....". 83 Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, BVerwGE 45, 309, 324 - Flachglas, kann bei einer Gemeinde, die im Rahmen der Bauleitplanung tätig wird, davon ausgegangen werden, daß sie ,4m guten wie im schlechten Sinne parteiisch" ist. Umfassend zur Frage der Unparteilichkeit der Verwaltung in ihren verschiedenen Aufgabenbereichen M. Fehling, Die Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, Tübingen 2001. 84 Siehe F. A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 276.

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Legitimationsmodell

eigenen Willen zu folgen, um bestimmte konkrete Ziele zu erreichen. Allgemeiner ausgedrückt: Anders als eine Regierung, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Ziel erreichen möchte, orientiert der Richter seine Entscheidung an den legitimen Erwartungen der Betroffenen. Legitim sind dabei solche Erwartungen, auf denen Handlungen in dieser Gesellschaft grundsätzlich beruhen85. Allerdings sind die Verwaltungsbehörden bei Anwendung ihres Ermessens in gleicher Weise an das Gesetz gebunden wie der Richter, wenn er das Gesetz auslegt. Das Ermessen der Verwaltung besteht in der Auswahl unter verschiedenen möglichen, weil rechtlich zulässigen Handlungsalternativen. Insofern ist der Verwaltungsakt das Ergebnis der Auswahl rechtlich zulässiger Handlungsmöglichkeiten, das Urteil eine Bewertung dieser ausgewählten Möglichkeiten auf ihre rechtliche Zulässigkeit. Im Zustandekommen unterscheiden sich die beiden Interpretationsziele von Gericht und Verwaltung im oben geschilderten Sinne. Inhaltlich unterliegen beide aber denselben rechtlichen Grenzen. Die Bedeutung der Gestaltungs- und Initiativfunktion liegt damit in der Möglichkeit zur Auswahl der zulässigen Handlungsalternativen. Die demokratisch-politische Rückbindung wird grundsätzlich als das geeignete Mittel angesehen, um diesen Auswahlprozess zu steuern. Administrative Unabhängigkeit kann aber ebenfalls den Sinn haben, diesen administrativen Auswahlprozess verschiedener rechtlich zulässiger Handlungsalternativen in einer bestimmten Weise zu lenken oder von bestimmten Einflüssen zu befreien. Für die Aufgabe des Richters, nämlich zu überwachen, dass der rechtlich zulässige Rahmen nicht überschritten wird, wird in den meisten Ländern die richterliche Unabhängigkeit als adäquate institutionelle Vorrichtung angesehen86. Die Unabhängigkeit einer auf bestimmte wirtschaftspolitische Ziele festgelegten Zentralbank ist beispielsweise ein Fall administrativer Unabhängigkeit. Inhaltlich ist die Europäische Zentralbank (EZB) darauf festgelegt, die Preisstabilität zu wahren, vorrangig gegenüber allen anderen Zielen. Sie ist somit von vorneherein an einem bestimmten Ausgang ihres Handelns interessiert, sie handelt zielorientiert. Wirtschaftspolitisch neutral sind ihre Entscheidungen wegen ihres Ziels dabei nicht. Daneben besitzt

85

F. A. v. Hayek, Law, Legislation and Liberty, S. 98. In einzelnen Bundesstaaten der Vereinigten Staaten und der Schweiz aber werden auch Richter durch demokratische Wahl bestimmt. Siehe dazu Kapitel 5 C bezüglich unabhängiger Institutionen in den Vereinigten Staaten. 86

Terminologie und Debatten

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die EZB aber auch Elemente einer sachverständigen und gerichtsähnlichen Institution. Eine besondere Ausprägung einer sozialgestaltenden unabhängigen Institution ist die Europäische Kommission. Deren Unabhängigkeit unterscheidet sich von der richterlichen „neutralen" Unabhängigkeit dadurch, dass die Kommission gerade bestimmte vertraglich festgelegte Ziele durch aktives Handeln umsetzen soll, und selber sozialgestaltend tätig wird. Sie ist selber Partei und durchaus an einem bestimmten inhaltlichen Ausgang ihrer Aktivitäten interessiert. Die administrative Unabhängigkeit der Kommission ähnelt im Ansatz der weitergehenden politischen Unabhängigkeit der Bundesregierung, die nur an die Verfassung gebunden ist (allerdings aber nicht durch sie beschränkt ist in ihrem Aufgabenfeld) 87 . So ist beispielsweise im Entwurf für eine Verfassung der Europäischen Union vorgesehen, dass die Mitglieder der Kommission ihre Tätigkeit einerseits in voller Unabhängigkeit ausüben 88 , andererseits dem Europäischen Parlament als Kollegium verantwortlich sind89. II. Einzelne formale Elemente von Unabhängigkeit Die formellen Elemente der Unabhängigkeit können unterschieden werden in institutionelle, personelle, sachliche und finanzielle Unabhängigkeit sowie die Bedeutung des institutionellen Umfeldes. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über diese Elemente gegeben. Die formelle Unabhängigkeit einer Institution muss dann aber jeweils im Einzelfall bestimmt werden. 1. Institutionelle

Unabhängigkeit

Institutionelle Unabhängigkeit bedeutet, dass eine eigenständige, rechtlich begründete Organisation besteht. Nicht erforderlich ist, dass die Institution eigene Rechtspersönlichkeit besitzt. Bei den autorités administratives indépendantes 90 in Frankreich, vielen ministerialfreien Räume in Deutschland 91 ,

87

Zur Unabhängigkeit der Kommission siehe Kapitel 12 A. Art. 1-25 Abs. 4 Entwurf für eine Verfassungder Europäischen Union vom 20. Juni 2003, unter http://european-conventirai.eu.int/docs/Treaty/cv00820.de03.pdf. 89 Art. 1-25 Abs. 5 Verfassungsentwurf, a.a.O. 90 Während die autorités administratives indépendantes keine Rechtsperönlichkeit besitzen, verfügen die sogenannten Etablissements Publics über Rechtspersönlichkeit. In dieser Rechtsform sind beispielsweise französische Universitäten ausgestaltet. 91 Rechtspersönlichkeit besitzen aber die beiden großen Bundesanstalten des öffentlichen Rechts in Deutschland, die Bundesbank und die Bundesanstalt für Arbeit. 88

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Legitimationsmodell

der Europäischen Kommission oder dem EuGH92 ist das auch nicht der Fall. Zur institutionellen Unabhängigkeit gehört ebenfalls die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Institution vom Gesetzgeber verändert oder abgeschafft werden kann und welche Zustimmungserfordernisse bei Veränderung der Rechtsgrundlagen nötig sind. Die meisten unabhängigen Institutionen sind einfachgesetzlich begründet93 und können durch ein Gesetz mit einfacher Mehrheit verändert oder aufgelöst werden. Nur einige sind verfassungsrechtlich94 verankert und genießen damit Bestandsschutz vor Veränderungen durch erhöhte Zustimmungserfordernisse. Auf EU-Ebene besteht für unabhängige Institutionen eine recht hohe institutionelle Unabhängigkeit, wenn ihre Grundlage nur mit einstimmiger Vertragsänderung vorgenommen werden kann, wie bei den Organen Kommission, EuGH oder dem Rechnungshof. 2. Personelle

Unabhängigkeit

Die personelle Unabhängigkeit betrifft die Frage, welche Personen für die Besetzung unabhängiger Institutionen ausgewählt werden, welcher Besetzungsmodus angewandt wird und welche rechtliche Stellung das Personal einer unabhängigen Institution hat. Von Bedeutung sind insbesondere Amtsdauer, Wiederwahl- und Abberufungsmöglichkeiten, die Frage von Loyalitätspflichten, Verfahrensausgestaltung und die Gremienzusammensetzung. Die persönliche Unabhängigkeit gewährleistet die Freiheit, Entscheidungen zu treffen, ohne persönliche Nachteile fürchten zu müssen95.

92

Die Organe der Europäischen Union verfügen über keine eigene Rechtspersönlichkeit, nur die einzelnen Gemeinschaften verfügen über eine solche. 93 So Regulierungs- und Wettbewerbsbehörden; Die Bundesbank ist zwar in Art. 88 GG verankert, ihre genauere Ausgestaltung erfolgt aber mit einfachem Gesetz. Aus ihrer verfassungsrechtlichen Institutsgarantie kann aber nur wenig Schutz vor Veränderungen abgeleitet werden: aus Art. 88 GG a.F. konnte nach damals überwiegender Ansicht keine näheren Aussagen für die nähere Ausgestaltung der Bundesbank abgeleitet werden. Auch die Agenturen in der Europäischen Union sind „einfachgesetzlich" begründet, durch Verordnungen des Rates. 94 Dies sind vor allem Verfassungsgerichte und Rechnungshöfe. 95 So für die richterliche Unabhängigkeit: Wassermann, in: GG-AK, Art. 97 Rz. 6 0 f f ; Zum amerikanischen Recht: United States v. Will, 449 U.S. 200, 218f. (1980); Weitere Nachweise bei J. Zätsch, Richterliche Unabhängigkeit und Richterauswahl in den USA und Deutschland, S. 60.

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Wichtiges Indiz für eine wirkliche Unabhängigkeit sind sehr eingeschränkte Abberufungsmöglichkeiten der Mitglieder der Institution96. Nur wenn die Amtsinhaber nicht schon bei politisch unliebsamen Entscheidungen abgesetzt werden können, sondern nur bei nachgewiesenen Verfehlungen ihrer Amtspflichten, kann von personeller Unabhängigkeit gesprochen werden. Auch die Amtsdauer ist wichtig für den Grad der Unabhängigkeit: eine sehr lange oder gar lebenslange Amtszeit sichert die Unabhängigkeit in besonderem Maße ab. Eine kurze Amtsdauer gefährdet sie, da die betreffende Person fürchten muss, nach Ablauf der Amtszeit nicht wieder für eine neue Amtszeit bestellt zu werden97. Auch die Herkunft der Personen spielt eine Rolle für die politische Unabhängigkeit einer unabhängigen Institution: wichtig ist, ob sie aus dem Kreis aktiver oder in Ruhestand getretener Politiker kommen, wie bei den Kommissaren der Kommission, oder ob es sich um Fachleute, wie bei der Auswahl der Richter am EuGH oder der EZB, handelt. Zudem kommt es darauf an, ob bei der Besetzung ein gewisser partei- und gesellschaftspolitischer Proporz eingehalten wird. Indiz für die Unabhängigkeit ist, ob es sich bei einer Institution um ein Kollegialorgan handelt oder eine Institution mit Einzelspitze. Letztere sind leichter beeinflussbar und kennzeichnen Institutionen, die hierarchisch in die Verwaltung eingebunden sind98. Die Organisation als Kollegialorgan sichert durch die eigene Beratungs- und Entscheidungstätigkeit einen höheren Grad an Unabhängigkeit, weil durch die Vielzahl von Entscheidenden eine Einflussnahme von Außen erschwert wird. Allein aus der Beschaffenheit einer Institution kann aber noch nicht zwingend auf deren Weisungsfreiheit geschlossen werden99. Überlappende Amtszeiten sind ein Zeichen für Unabhängigkeit. Diese liegen vor, wenn ein Parlament oder ein Präsident während seiner Amtszeit nicht alle oder nicht die absolute Mehrheit der Mitglieder einer Institution ernennen oder austauschen kann. Die 1995 eingeführte Regelung, dass die Amtsdauer der Kommissare der Europäischen Kommission parallel zu den 96

Art. 92 Abs. 2 GG gewährt die Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit der Richter. Fehlt dieser Schutz, wird dem Gremium der Charakter eines Gerichts abgesprochen, siehe BVerfGE 4, 331, 345f. 97 K. Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem, S. 219. 98 So sind etwa die in den siebziger Jahren in den Vereinigen Staaten geschaffenen Regulierungsbehörden mit einer Einzelspitze ausgestattet und in die präsidentielle Hierarchie eingebunden, s.u. Kapitel 5 B III. 99 So aber ein Teil der deutschen Literatur, umfassend zum Streitstand: M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 116 Fn. 404.

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Wahlperioden des Europäischen Parlamentes verlaufen soll, ist in diesem Sinne eine Einschränkung der Unabhängigkeit der Kommission 100 . Die personelle Unabhängigkeit einer Institution wird auch erhöht, wenn Mitglieder der betreffenden Institution bei Neubesetzungen ein Mitspracherecht besitzen, etwa mittels eines gemischten Besetzungsausschusses. Dabei kommt es auf den Inhalt des Mitspracherechts an: beispielsweise können die Vertreter der Gerichtsbarkeit bei der Besetzung der obersten Bundesgerichte in Deutschland keine Personen verbindlich zurückweisen, die der politisch sehr umkämpfte Richterwahlausschuss vorgeschlagen hat 101 . Gefordert wird aber gerade eine auch verbindliche Zurückweisungsbefugnis des richterlichen Prüfungsausschusses 102 , um politische Besetzungen zu verhindern. 3. Sachliche

Unabhängigkeit

Sachliche Unabhängigkeit bedeutet Nichtbeeinflussung des Entscheidungsprozesses in den Institutionen 103 . Sachliche Unabhängigkeit gilt daher allgemein als der zentrale Begriff von Unabhängigkeit 104 . Tatsächliche Voraussetzung für die sachliche Unabhängigkeit ist die persönliche Unabhängigkeit der Entscheidungsträger 105 . Das Nichtbestehen eines Weisungsrechts durch andere Institutionen gegenüber unabhängigen Institutionen ist das wichtigste Merkmal sachlicher Unabhängigkeit 106 . Weisungsrechte werden als Ausdruck der Leitungsbefugnis und als Lenkungsmittel in einer arbeitsteiligen Organisation

100 G. Majone, The European Commission: The Limits of Centralization and the Périls of Parliamentarization, in: Govemance 2002, S. 384. 101 Zu dieser Problematik: H. Schulze-Fielitz, Anmerkung, JZ 2002, S. 144ff.: es bestehe ein Spannungsverhältnis zwischen Richterwahl nach Eignungskriterien und politischer Bestimmung, nach Art. 33 II und 95 II GG. Ebenfalls zu diesem Problem: B. Rüthers, Demokratischer Rechtsstaat oder oligarchischer Richterstaat?, JZ 2002, S. 365ff. 102 Zum Vergleich der Richterwahlsysteme in den USA und der BRD, J. Zätsch, Richterliche Unabhängigkeit und Richterauswahl in den USA und Deutschland. 103 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 97 Rz. 47 spricht für die Judikative vom zentralen Element der richterlichen Unabhängigkeit. 104 Für die richterliche Unabhängigkeit: K. Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem, S. 54. 105 R. Herzog, in: Maunz, Th./Dürig, Art. 97 Rz. 47. 106 Für die zentrale Bedeutung des „pouvoir d'instruction" im Rahmen des „pouvoir hiérarchique" im franzöischen hierarchischen Verwaltungsaufbau siehe M.-J. Guédon, Les autorités administratives indépendantes, S. 80 m.w.N.

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verstanden107. Durch Weisungsrechte erfolgt im hierarchischen Staatsaufbau die Steuerung der staatlichen Verwaltung durch die Regierung108, etwa im Rahmen der Fachaufsicht im deutschen Verwaltungsrecht109. Zwischen Weisungsfreiheit und Weisungsrecht besteht eine Vielzahl von Abstufungen zur Einflussnahme auf den Entscheidungsprozeß von unabhängigen Institutionen wie Monitoring, Informationsaustausch und Bereitstellung von Budgetmitteln110 und weitere „weiche" Kontrollmechanismen111, wie das Sammeln und Auswerten von Informationen, ex post Sanktionen und besondere Verfahrensarten112. Wichtiger als die Anwendung des Weisungsrechts ist das Wissen darüber, dass das Weisungsrecht existiert. Daraus resultiert eine Art Vorwirkung der Weisungsbefugnis, so dass Weisungen selbst oft gar nicht mehr ausgesprochen werden müssen113. An die Stelle der Weisung tritt ein koordinierter Willensbildungsprozeß. Die Einbindung einer Institution in die Zusammenarbeit mit den anderen Staatsorganen ist damit ein Indiz für die Intensität der Unabhängigkeit. Formen solcher Zusammenarbeit sind regelmäßiges Präsentieren und Begründungszwang von Entscheidungen, Veröffentlichung der Abstimmungsprotokolle114 und An107 BVerfGE 83, 60, 72; BVerfGE 93, 37, 66; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 323; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987) § 22 Rz. 21; E. Emde, Demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 344; C.-P. Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297ff„ 298f.; ähnlich J. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtsfreie Räume, S. 37f., 48. 108 M. Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 317ff.; H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 13Iff.; E. Emde, Demokratische Legitimation, S. 341. 109 Zur Unbestimmtheit des Inhaltes des Begriffes der Fachaufsicht siehe Th. Groß, Was bedeutet Fachaufsicht?, DVB1. 2002, S. 793ff. 110 Für einen Überblick Uber die verschiedenen Beeinflussungsmechanismen siehe M. Döhler, Das Modell der unabhängigen Regulierungsbehörde, in: Die Verwaltung 34 (2001), S. 73ff. m.w.N. 111 B. Steunenberg, Agent discretion, regulatory policymaking, and different institutional arrangements, in: Public Choice 1996, 309-339, S. 328; Moser, The impact of legislative institutions on public policy: a survey, in: European Journal of Political Economy 15 (1999), S.l-33, 32 m.w.N., beschreibt das Verhalten von Kommitees des US-Kongresses im Vergleich zur Europäischen Kommission. 112 B. Weingast, The congressional-bureaucratic system: A principal-agency perspective (with application to the SEC), Public Choice 44 (1984), S. 147-191; Weingast/Moran, Bureaucratic discretion or congressional control? Regulatory policymaking by the Federal Trade Commission, Journal of Political Economy 91 (1983) S. 765-800. 113 M. Döhler, a.a.O., S. 76, weist auf den Ausdruck des „vorhallende(n) Echo(s) der Ministerialaufsicht" hin. Häufig bewirke bereits eine schlichte Meinungsäußerung eine Steuerungswirkung. 114 Die Abstimmungsprotokolle über währungspolitische Entscheidungen der Bundesbank beispielsweise wurden zur Sicherung der Unabhängigkeit der Vertreter erst mit großer Verzögerung für Außenstehende (30 Jahre) zugänglich gemacht.

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Legitimationsmodell

Wesenheit von Personen anderer Behörden bei den Sitzungen einer Institution. Trifft eine Institution ihre Entscheidungen „in laufender Abstimmung" mit einem Ministerium, deutet das auf eine eher begrenzte Autonomie hin 115 . Eine (Verwaltungs-) Rechtsaufsicht steht der Unabhängigkeit einer Institution nicht entgegen, da sie nachträglich erfolgt und die Entscheidung nur an der vorgegeben Rechtgrundlage misst. Kollegial besetzte Verwaltungsorgane unterliegen meist nur einer Rechtsaufsicht 116 . 4. Finanzielle

Unabhängigkeit

Wesentlicher Bestandteil der Unabhängigkeit ist die Frage, von wem und unter welchen Bedingungen Institutionen Gelder bewilligt bekommen. Die finanzielle Unabhängigkeit wird dann gestärkt, wenn die Mittelvergabe nicht von der Genehmigung einzelner Aufgaben und Projekte abhängt, sondern im Rahmen eines Jahresbudgets gewährt wird. Eine weitere Stärkung der finanziellen Unabhängigkeit einer Institution wird dadurch erreicht, dass die Institution selbst berechtigt ist, Gelder durch Gebühren einzunehmen und selbst deren Verwendung zu bestimmen. Hingegen kann die finanzielle Kontrolle gestärkt werden, indem mehrere Institutionen ein Mitspracherecht bei der Mittelvergabe bekommen. So wird beispielsweise bei vielen USamerikanischen Regulierungsbehörden der Haushaltsantrag der Agenturen erst dem Präsidenten und dann dem Kongress zugeleitet, der über den Haushalt abschließend befindet 117 . 5. Institutionelles

Umfeld und

Unabhängigkeit

In der politischen Ökonomie wurden verschiedene Ansätze entwickelt, um das Entscheidungsverhalten unabhängiger Regulierungsinstitutionen, also die „tatsächliche" Unabhängigkeit des Verhaltens unabhängiger Institutionen zu erfassen. Der meist angewandte Ansatz ist derjenige, der das Verhältnis von delegierender und kompetenzempfangender Institution als Prinzipal - Agent - Ansatz beschreibt. Diese Modelle und empirischen Untersuchungen wurden ursprünglich entwickelt, um das Verhalten von Kongressausschüssen (Prinzipal) und unabhängiger Regulierungsinstitutionen (Agent) in den Vereinigten Staaten zu erklären. Maßgebend für die Unabhängigkeit 115 M. Döhler, a.a.O., S. 76 nach einer Auswertung von Umfragen in der deutschen Ministerial Verwaltung. 116 Für Beispiele siehe Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 248. 117 Siehe dazu Kapitel 5 die Ausführungen zu den amerikanischen independent regulatory commissions.

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einer Institution ist danach deren institutionelles Umfeld 1 1 8 . Somit gewinnen die Organisationsstruktur und der Ablauf der Entscheidungsprozesse beim Prinzipal Bedeutung für die Kontrolle des Agenten. Der Prinzipal kann etwa an einer Kontrolle des Agenten gehindert sein, auch wenn er dessen Abweichen von der vorgegebenen Linie erkennt, weil er durch Wahlzyklen 1 1 9 oder mangelnder eigener innerer Übereinstimmung bezüglich der neuen Linie des Agenten an aktivem Eingreifen und an Kontrolle gehindert ist. Für eine faktische Unabhängigkeit werden auch dem Informationsvorteil des Agenten bezüglich der von ihm zu entscheidenden Sachverhalte vor dem Prinzipal Bedeutung zugemessen. Auch eine Trennung von Initiative und Ergänzungsrechten bei verschiedenen Institutionen, wie etwa auf europäischer Ebene durch die Aufteilung des Normsetzungsverfahrens in die Initiativfunktion der Kommission und die Rechtssetzungskompetenz des Rats, gibt dem Agenten Entscheidungsspielraum. Dieser steigt noch, wenn es dabei innerhalb des Prinzipals verschiedene „Vetospieler" mit verschiedenen Interessen gibt. Die Entscheidungsfreiheit des Agenten sinkt dagegen mit Vereinheitlichung von Initiative und Normsetzung, Abschaffung von Vetos und der Erleichterung von Ergänzungsrechten beim Prinzipal. III. Rechtliche und tatsächliche

Unabhängigkeit

Die rechtliche Verankerung der genannten Unabhängigkeitskriterien führt noch nicht automatisch zu einer starken tatsächlichen Unabhängigkeit einer Institution. Wirklich unabhängiges Entscheidungsverhalten hängt entscheidend davon ab, dass die Notwendigkeit unabhängigen Entscheidens erkannt und akzeptiert wird. Sie entwickelte sich in vielen Fällen erst im Laufe einiger Jahre nach Einführung formell unabhängiger Institutionen 120 . Beispielweise entwickelte sich der nach seiner Rechtsgrundlage schon seit 1958 unabhängige französische Conseil Constitutionnel erst durch seine Rechtsprechung Anfang der siebziger Jahre ohne Statutenänderung von einer politisch unbedeutenden Institution zu einer Institution, die eine unab-

118 B. Steunenberg, Agent discretion, regulatory policymaking, and different institutional arrangements, in: Public Choice 1996, 309-339 m.w.N. 119 J. Hill, Why so much stability? The impact of agency determined stability, in: Public Choice 46 (1985), S. 275-287, insbesondere S. 286. 120 Zur Entwicklung der Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts in der Bundesrepublik Deutschland siehe G. Vanberg, Establishing Judicial Independence in West Germany, in Comparative Politics 32 (1999/2000), S. 333-353.

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Legitimationsmodell

hängige und einflussreiche Gesetzgebungskontrolle ausübt121. In den siebziger Jahren entstanden dann auch die ersten „autorités administratives indépendentes", deren Status als unabhängige Institution erst in den neunziger Jahren auch politisch akzeptiert wurde. Bis dahin waren die Rechtsgrundlagen etwa der Fernseh- und Rundfunkaufsichtsbehörde bei Regierungswechseln regelmäßig geändert worden122. Diese Entwicklung entsprach der zunehmend kritischen Haltung gegenüber den Qualitäten des politisch demokratischen Entscheidungsprozesses und dem Verständnis für politisch unabhängige Institutionen in Frankreich. Auch die Unabhängigkeit der ersten US-amerikanischen Independent Regulatory Commissions entwickelte sich erst Jahrzehnte nach ihrer Einführung, beginnend mit der Interstate Commerce Commission 1887. Die Unabhängigkeit letzterer wurde erst in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts wirklich erreicht123. Das Fédéral Reserve System gilt erst seit 1957 als wirklich unabhängig, obwohl seine Unabhängigkeit bereits seit seiner Gründung 1913 und verstärkt nach der Weltwirtschaftskrise gesichert sein sollte124. Andersherum können auch rechtlich nicht eindeutig unabhängige Institutionen tatsächliche Unabhängigkeit besitzen. Die sachliche Unabhängigkeit des Bundeskartellamtes, insbesondere die Weisungsungebundenheit gegenüber der Bundesregierung im Einzelfall, war lange Zeit akademisch umstritten, bestand in der Wirklichkeit aber seit seiner Gründung weitgehend125. Der Wortlaut der §§ 48 I und 49 GWB nimmt keine Stellung zur Frage der Bindung des Bundeskartellamtes an Einzelfallweisungen des Bundesministers für Wirtschaft. In der Praxis hat diese akademische Diskussion keine großen Auswirkungen gehabt, denn Einzelfallweisungen hat es mit einer unbedeutenden Ausnahme bis heute nicht gegeben126. Strittig ist auch bei der Regulierungsbehörde für Telekommunikation, ob sie einer ministerlichen Weisungsbefugnis unterliegt, wenn es um Entscheidungen der

121

Zu dieser Entwicklung siehe Kapitel 3 D und bei A. Stone, The Birth of Judicial Politics in France. 122 Siehe dazu in Kapitel 3 C zur Entwicklung unabhängiger Institutionen in Frankreich. 123 M. Breger/G. Edles, Established by practice: the theory and operation of independent federal agencies, in: Administrative Law Review 52 (2000), S. 1115. 124 Näher dazu in Kapitel 5 B bei der Darstellung der Entwicklung unabhängiger Institutionen in den Vereinigten Staaten. 125 Zusammenfassend zur ausführlichen akademischen Diskussion P. Bartodziej, Reform der EG-Wettbewerbsaufsicht und Gemeinschaftsrecht, S. 129. 126 P. Bartodziej, Reform der EG-Wettbewerbsaufsicht und Gemeinschaftsrecht, S. 129.

Terminologie und Debatten

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Beschlußkammern und der Präsidentenkammer geht127. Das Verständnis für die Notwendigkeit unabhängiger wettbewerbsrechtlicher Entscheidungen konnte sich auf das wirtschaftspolitische Gedankengut des Ordoliberalismus stützen, das die Wirtschaftspolitik Nachkriegsdeutschlands prägte. Aus diesen Beobachtungen folgt, dass kein einheitlicher Begriff und Inhalt von Unabhängigkeit besteht, sondern der Grad von Unabhängigkeit einer Institution gegenüber anderen Institutionen je nach rechtlichen Bestimmungen und politischen Umständen verschieden ist. Bisherige Klassifikationen der Unabhängigkeit, etwa von Zentralbanken128, erfassen vor allem die rechtlichen Grundlagen der Unabhängigkeit. Neuerdings wird aber auch versucht, die Rolle der „politischen Kultur" für die Untersuchung der Unabhängigkeit von Zentralbanken heranzuziehen129. Das Personal einer Zentralbank entscheidet danach vor allem dann unabhängig, wenn ein Verständnis für die Notwendigkeit unabhängigen Handelns besteht. Die oben genannten Untersuchungen nach dem Prinzipal-Agenten-Ansatz fanden im Rahmen empirischer Untersuchungen heraus, dass die Einführung neuer Regulierungsziele und Politik Veränderungen fast nie auf den Agenten zurückzuführen ist, sondern auf eine Veränderung in den politischen Organen des Prinzipals. Eine größere Entscheidungsfreiheit des Agenten tritt nur auf, wenn die bestehenden Kontrollmittel nicht eingehalten und benutzt werden130. In empirischen Studien zum Entscheidungsverhalten unabhängiger Regulierungsinstitutionen in den Vereinigten Staaten (independent regulatory commissions (IRC)) konnte gezeigt werden, dass die Aktivitäten der IRC den Ansichten des Kongresses entsprechen und sie dessen Ansichten nicht ignorieren131.

127 Für Unabhängigkeit von Einzelweisungen: K. Oertel, Die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde nach §§ 66ff. TKG mit Hinweisen auf die entgegenstehende überwiegende Auffassung. 128 Siehe etwa A. Cukierman: Central Bank Strategy, Credibility and Independence: Theory and Evidence, Cambridge Mass. 1992; A. Alesina, Politics and business cycles in industrial democracies, in: Economic Policy 8 (1989), S. 55-98. 129 E. De Jong, Why are price stability and statutory independence of central banks negatively correlated? The role of culture, in: European Journal of Political Economy 18 (2002), S. 675. 130 Calvert/McCubbins/Weingast, A theory of political control and agency discretion, American Journal of Political Science 33 (1989) S. 588-611. 131 Dies., a.a.O., S. 588-611; A. Dixit/G. Grossman/E. Helpman, Common agency and coordination: General theory and application to government policy making, in: Journal of Political Economy 105 (1997), S. 752-769; J. De Vault, Congressional dominance and the International Trade Commission, in: Public Choice 110 (2002), S. 1-22.

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Unabhängige Institutionen im funktionalen

IV. Zur nicht unmittelbaren demokratischen

Legitimationsmodell

Besetzung

Die in dieser Arbeit untersuchten unabhängigen Institutionen werden nicht im Zuge periodischer demokratischer Wahlen besetzt, sondern nach den eigenen Amtszeiten der betreffenden Institution132. Nicht unter den Begriff der unabhängigen Institutionen würden direkt gewählte Institutionen fallen. Unmittelbare Wahlen werden etwa für Rechnungshöfe vorgeschlagen 133 . Damit würde zum einen das Spannungsverhältnis von Demokratieprinzip und unabhängigen Institutionen stark vermindert, das hier untersucht wird, zum anderen würde die Idee der Unabhängigkeit auch gegenüber den (Wieder-) Wahlinteressen verloren gehen. Motiv für die Bildung nicht demokratisch gewählter Institutionen ist gerade, dass die Entscheidungen in dieser Institution nach den vorgegebenen Zielen erfolgen kann, ohne auf die für die unmittelbar demokratisch gewählten Institutionen bestehenden Wiederwahlinteressen achten zu müssen. Zudem führt eine Besetzung auf indirekterem Wege zu einer anderen Personenauswahl als bei politischem Wahlkampf um ein Amt. Eine vieldiskutierte Form der demokratischen Legitimation unabhängiger Institutionen ist die der Partizipation von gesellschaftlichen Gruppen oder den durch die Regelungen der jeweiligen Institution Betroffenen 134 . Der partizipative Legitimationsansatz stellt dabei wieder stark auf ein personell vermitteltes Element von Legitimität ab. Für diese Arbeit interessant ist insbesondere das Bild des politischen Entscheidungsprozesses, das dem partizipativen Legitimitätsansatz zugrunde liegt. Da der Partizipationsansatz keine Anreize in Form von Wiederwahlinteressen fördert, werden auch plural besetzte Gremien als unabhängige Institutionen untersucht.

132

Beispiele: Europäische Kommission, Bundesverfassungsgericht. Siehe zu dieser Debatte Frey/Sema, Rechnungshöfe: Die Sicht der Neuen Politischen Ökonomie, S. 105, 120, in: G. Engelhardt/H. Schulze/W. Thieme: Die Stellung und Funktion der Rechnungshöfe im Wandel. 134 Siehe Th. Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, Tübingen 1999. 133

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C. Zu den Begriffen Legitimation, funktionales Verständnis und Politikfeld I. Zum Begriff „demokratische

Legitimation"

Allgemein wird von Legitimation gesprochen, wenn einer sozialen Ordnung und staatlichen Institutionen ihre Geltung zu- oder abgesprochen wird135. Die Frage nach der Legitimation von Institutionen ist also die Frage nach ihrer Rechtmäßigkeit bzw. Berechtigung136. Teilweise wird zwischen Legitimation und Legitimität unterschieden137. Der Begriff Legitimation wird dabei verfahrensbezogen verstanden, während der Begriff Legitimität das Ergebnis des Legitimationsprozesses, also einen Zustand bezeichnet. Für die vorliegende Untersuchung wird der Begriff der Legitimation verwandt, da gerade die Entscheidungsverfahren als legitimierendes Element von Institutionen dargestellt werden. Für das Funktionieren einer sozialen Ordnung, die Bildung entsprechender Institutionen und die Durchsetzung ihrer Entscheidungen ist ihre Legitimation von entscheidender Bedeutung. Für die Fragestellung dieser Arbeit bedeutet dies, dass unabhängige Institutionen nur gebildet werden, wenn sie auch als legitim angesehen werden. In den Kapiteln 2 bis 5 wird gezeigt, dass die Bildung staatlicher Institutionen eng mit der jeweiligen Vorstellung von demokratischer Legitimation in den betreffenden Staaten zusammenhängt. Kommt es zu einem Entzug von Legitimation, erodiert die soziale Ordnung und die diese Ordnung verkörpernden Institutionen verlieren an Durchsetzungskraft oder werden abgeschafft. Bei der Legitimation einer sozialen Ordnung oder von Institutionen normative und positive Legitimationselemente zu unterscheiden, die aber in Wechselwirkung zueinander stehen. Eine als „rechtmäßig" wahrgenommene Ordnung und ihre entsprechenden Institutionen (normatives Element) haben geringe Kosten bei der Durchsetzung ihrer Entscheidungen, das heißt eine hohe Durchsetzungsfähigkeit, weil den Entscheidungen bereits aufgrund der hohen Akzeptanz der Institutionen gefolgt wird (positives Element)138. Posi135 Das Wort Legitimation kommt vom Lateinischen legitimus, das aus lex (=Gesetz) und dem Suffix-imus gebildet ist und soviel bedeutet wie „gesetzlich" oder „rechtens". Siehe näher zum Begriff der Legitimation in Handbuch der Wirtschaftsethik, Gütersloh 1999, Bd. 2, S. 50ff. 136 Die folgenden Ausführungen zur Bedeutung von Legitimation beruhen u.a. auf der Darstellung im Handbuch der Wirtschaftsethik, Gütersloh 1999, Bd. 2, S. 50ff. 137 Dazu E. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 26ff., 29. 138 M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 19.

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Legitimationsmodell

tives Legitimationselement ist also die faktische Geltung einer Ordnung, ihre tatsächliche Akzeptanz und Befolgung ihrer Regeln. Normatives Legitimationselement ist die Rechtfertigung der Ordnung und Institutionen mit „guten Gründen", also ihre Anerkennungswürdigkeit 139 . Die normative Legitimation kann ethische, philosophische, rechtliche, politische oder ökonomische Aspekte umfassen, etwa das Verfolgen materieller Ziele, wie Gerechtigkeit, Effektivität, oder prozedurale Annahmen, wie die erwünschte Offenheit des politischen Entscheidungsverfahrens. Im Rahmen der Diskussion um normative Legitimation wird daher untersucht, welche normativen Zielsetzungen in der rechts- und politikwissenschaftlichen Demokratie prägend sind, und welche normativen Zielsetzungen insbesondere der ökonomische Konstitutionalismus Buchanans beinhaltet. Dabei wird deutlich, dass mit dem ökonomischen Konstitutionalismus weniger vorgegebene normative Werte (Konsens statt Freiheit und Gleichheit), sondern die Ergebnisse der positiven Analyse des Entscheidungsprozesses, die Entscheidenden bei ihrer Entscheidung „informiert" und leitet und damit einen Schwerpunkt der normativen Legitimation ausmacht. Es wird gezeigt, dass auch die rechtswissenschaftliche Legitimationstheorie Böckenfördes implizite Annahmen über den Entscheidungsprozess enthält, den Schwerpunkt der Begründung der normativen Legitimation von Institutionen und Verfahren aber unmittelbar aus den vorgegebenen normativen Zielsetzungen Freiheit und Gleichheit ableitet. II. Funktionaler Bezug der bisherigen demokratietheoretischen

Diskussion

Die demokratietheoretische Diskussion um die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen orientiert sich bisher an den oben dargestellten Funktionen unabhängiger Institutionen 140 . Diese Einteilung spiegelt die grundsätzliche Aufgabenwahrnehmung der Staatsgewalten nach dem Prinzip der Gewalten- oder Funktionenteilung wieder. Die Einteilung verläuft dabei - stark vereinfacht - folgendermaßen: Demokratietheoretisch diskutiert, aber akzeptiert sind unabhängige Institutionen mit justiz(ähnlichen) Funktionen, wie zum Beispiel ordentliche Gerichte, Verfassungs- und Verwaltungsgerichte, Rechnungshöfe und administrative justizähnliche Einrichtungen und Verfahren. Weniger akzeptiert sind 139

R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. l l l f . Daneben bestehen andere Gründe, die die Stellung staatlicher Verwaltungsinstitutionen beeinflussen, etwa das Bund-Länder-Verhältnis in der Bundesrepublik. Siehe dazu M. Döhler, Das Modell der unabhängigen Regulierungsbehörde, in: Die Verwaltung 34 (2001), S. 66ff. 140

Terminologie und Debatten

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unabhängige Institutionen mit Expertiseaufgaben und noch weniger solche mit politisch-gestaltendem Auftrag141. Im Bereich der Verwaltung werden weisungsfreie, justizähnliche Instanzen wie zum Beispiel Prüfungskommissionen (in engem Rahmen) als zulässig erachtet142. Justizähnliche Administrativorgane und Verfahren müssten zumindest dann über eine institutionell abgesicherte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verfügen, wenn es sich um intensive Grundrechtseingriffe „ohne Bindung an einen normativ durchgeformten Tatbestand"143 handelt und die Steuerungsfähigkeit der gesetzlichen Vorgaben alleine nicht ausreicht, um sachfremde Einflüsse auf die Verwaltungsentscheidung abzuwehren und dadurch die Unparteilichkeit zu sichern144. Allerdings haben sich in Deutschland wenige solcher justizförmigen Verfahren entwickelt145. Anders verhält es sich in den Vereinigten Staaten, wo gerade die unabhängigen Regulierungsagenturen einem justizförmigen Verwaltungsverfahren unterliegen146. In einer über die Verwaltung hinausgehenden Verallgemeinerung wurde die justizähnliche Funktion solcher Organe auch als Kontrollfunktion bezeichnet und als verfassungsrechtliche Funktion dargestellt147. Wächter versucht beispielsweise, unter Beibehaltung des funktionsbezogenen Legitimationsansatzes die demokratische Legitimität unabhängiger Institutionen, etwa der Bundesbank, aus einem sehr weiten Kontrollbegriff

141 So auch H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 415ff., für den Bereich der ökonomischen Analyse des Rechts. Danach kommt nur der unmittelbar demokratisch gewählten Legislative die Kompetenz zu, ökonomische Folgeabschätzungen in Entscheidungen einbringen zu können. Der unabhängigen Judikative fehle es dazu an der notwendigen demokratischen Legitimation. Das demokratisch legitimierte Gesetzgebungsverfahren sei besser zum Interessenausgleich geeignet als das gerichtliche Verfahren. 142 Siehe E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 22 Rz. 24. 143 BVerfGE 69, 1, 87, 89 - KDV-Novelle (Sondervotum Mahrenholz). 144 M. Fehling, Die Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 121. 145 In Deutschland wurde statt justizförmiger Verwaltungsverfahren auf die Einrichtung einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit gesetzt. Siehe zu dieser historischen Entwicklung M. Fehling, Die Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 112ff. 146 Siehe zur Darstellung des Administrative Procedures Act, der den amerikanischen Agenturen ein justizförmiges Verwaltungsverfahren vorschreibt unten in Kapitel 5 B. Bisher besteht in den USA keine eigene Verwaltungsgerichtsbarkeit, um die spezialisierten Agenturen der Verwaltung kontrollieren zu können. 147 Zu der Funktion der Kontrolle im Institutionengefüge und Kontrollbegriff: K. U. Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 26 mit einem eigenen Kontrollbegriff; K. Loewenstein, Political Power, S. 42 mit eigenem Kontrollbegriff; K. Wächter, Geminderte demokratische Legitimation, mit einem Kontrollbegriff; ebenso W. Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen.

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Unabhängige Institutionen im funktionalen

Legitimationsmodell

herzuleiten 148 , die Bundesbank also in die Rolle einer justizähnlichen Institution zu rücken. Die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) wird als am ehesten mit der des EuGH vergleichbar beschrieben, da auch letzterer bei seiner Rechtsprechung über einen richterlichen Entscheidungsspielraum verfügt, sich bei der Anwendung und Auslegung aber an den Willen der Mitgliedstaaten als Herren der Verträge halten muss 149 . Entsprechend den oben gemachten Ausführungen sind aber gerade die richterliche Grenzenbestimmung zulässiger Auslegung und die administrative Auswahl unter rechtlich zulässigen Handlungsmöglichkeiten als verschiedene Aufgaben anzusehen. Etwas weniger akzeptiert sind Institutionen, deren Unabhängigkeit der Durchsetzung von besonderem Sachverstand dienen soll, etwa Regulierungs- und Wettbewerbsbehörden 150 . Hauptkritikpunkt ist, dass Sachverstand zwar in gewisser Weise Bestandteil demokratisch-politischen Handelns sei, in demokratietheoretischer Perspektive aber von untergeordneter Bedeutung sei151. Immerhin ähneln Regulierungs- und Wettbewerbsbehörden aber justizähnlichen Einrichtungen, weil es sich bei den Verfahren dieser Institutionen typischerweise zumindest mittelbar um Streitigkeiten zwischen konkurrierenden privaten Wirtschaftssubjekten handelt, also Verfahren, in denen die Verwaltung als „unbeteiligter Dritter" und nicht in eigener Sache entscheidet 152 . Aus dieser Funktion kann noch eine demokratietheoretische Zulässigkeit abgeleitet werden 153 , insbesondere wenn es sich um kollegial besetzte Behörden handelt 154 . Ganz richtig ist dieses Argument indes nicht, 148

K. Waechter, Geminderte demokratische Legitimation, S. 65ff. M. Höhret, Die Europäische Union im Legitimationstrilemma, S. 228f. 150 Das die Einführung unabhängiger Institutionen in vielen Bereichen durchaus nicht in allen Staaten anerkannt ist, zeigte fiir Österreich zuletzt ein Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, der die Ausgliederung der Wertpapieraufsicht aus der Ministerialorganisation in Österreich als verfassungswidrig verwarf, siehe VfGH Erkenntnis G 269/01 vom 12.12.2001, abrufbar unter http://www.vfgh.gv.at, S. 24ff. 151 Nach strengem deutschen Verständnis wie etwa vertreten von M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 590ff.; Anders in den Vereinigten Staaten, wo die ersten Independent Regulatory Commissions gerade unabhängig ausgestaltet waren, um in unparteilicher Weise ihren Sachverstand einzubringen, siehe M. Fehling, Die Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 157ff. 152 M. Döhler, Das Modell der unabhängigen Verwaltungsbehörde, in: Die Verwaltung 34 (2001), S. 72 m.w.N. bezüglich Bundeskartellamt und anderer Verfahren der Risikoregulierung. 153 Für die Unabhängigkeit des Bundeskartellamts (vgl. §§ 51ff. GWB) und der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (vgl. §§ 66ff. TKG) argumentierend M. Fehling, Die Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 121. 154 Dieses Argument ist in der rechtswissenschaftlichen Debatte umstritten. Siehe dazu unter Kapitel 2 die Diskussion um unabhängige Institutionen in Deutschland. 149

Terminologie und Debatten

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da gerade Wettbewerbsbehörden wie das Bundeskartellamt mit seiner Aufgabe der Wettbewerbssicherung eine öffentliche Aufgabe verfolgt, genauso wie die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post. Als am wenigsten mit demokratietheoretischen Grundlagen vereinbar werden gestaltend und initiativ tätige unabhängige Institutionen erachtet. Initiativ handelnde unabhängige Institutionen widersprechen dem Gedanken, dass nur demokratisch gewählte Institutionen, nämlich die der Exekutive und Legislative, eine Initiativfunktion ausüben sollen 155 , weil Initiativhandeln notwendigerweise als sozialgestaltend und interessenorientiert angesehen wird. Die rechtsprechende Gewalt, eine unabhängige Institution mit Beurteilungsfunktion, wird als mit dem Initiativverbot beschränkt und damit politisch weniger relevant angesehen 156 , weil sie auf die Mitwirkung von Streitparteien angewiesen ist und entgegen den Initiativorganen tatsächlich ,Richterliche Neutralität" ausüben könne. Es ist eben diese Unterscheidung nach der Natur von Entscheidungen als Machtausübung oder Steuerung einerseits und Beurteilung oder Kontrolle andererseits, die die nur zögerliche Akzeptanz initiativ und gestaltend wirkender unabhängiger Institutionen bedingt 157 . Auch die gestaltende Funktion unabhängiger Institutionen widerspricht dem Gedanken, dass Gestaltungsfunktionen der politischen Leitung unterliegen. Allgemein-abstrakte Normsetzung der Verwaltung beispielsweise wird als politisch-gestaltende Tätigkeit verstanden, weil solche Akte darauf hindeuten, dass die Verwaltung im Rahmen eines ihr eingeräumten Ermessens Wertungs- und Zielkonflikte entscheiden muss, die auf gesetzlicher Ebene offen geblieben sind 158 . Deshalb wird vertreten, dass gestaltendes Handeln der Verwaltung an der Politik der regierenden Mehrheit ausgerichtet sein muss, da sie nur dann sachlich und personell politischdemokratisch verantwortet werden könne 159 . Allerdings wird zugegeben, dass die politisch gestaltende Funktion meist vermengt mit den anderen Funktionen auftrete 160 . Für die Aufgabe, zwischen verschiedenen zulässigen Handlungsalternativen auszuwählen und bestimmte politische Ziele durch155

K. A. Bettermann, Verwaltungsakt und Richterspruch, in: FS fur W. Jellinek, S. 366ff. Chr. Koller, Die Staatsanwaltschaft, S. 288ff.; zur Unterscheidung zwischen Gestaltungsmacht und Verhinderungsmacht bezogen auf das Mehrheitsprinzip siehe J.M. Buchanan!G. Tullock, The Calculus of Consent: Logical Foundations of Constitutional Democracy, S. 254ff., 258. 157 Zur Unterscheidung der Rolle des Richters und des politischen Regierenden F. A. v. Hayek, Law, Legislation and Liberty, S. 94ff., insbesondere S. 97ff. 158 M. Fehling, Die Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 143 m.w.N. für Deutschland und die Vereinigten Staaten. 159 M. Fehling, a.a.O., S. 190f. 160 M. Fehling, a.a.O., S. 191. 156

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Legitimationsmodell

zusetzen, wird allein der politisch-demokratisch rückgebundene Auswahlmechanismus als legitim anerkannt. III. Zum Begriff des Politikfeldes Die bisher für die demokratietheoretische Debatte prägende funktionale Einteilung wird in dieser Arbeit durch eine politikfeldbezogene Einteilung ergänzt 161 . Zwar bleiben die funktionalen Kategorien Legislative, Exekutive und Judikative organisatorisch bestehen. Die demokratische Legitimation staatlicher Institutionen wird aber nicht mehr nach der Funktion, sondern nach Politikfeldern bewertet. Unter Politikfeld versteht man die inhaltlichen oder materiellen Aspekte von Politik 162 . Im Deutschen wird dieser materielle Bezug am besten durch zusammengesetzte Ausdrücke wie Sozial-, Wirtschafts- oder Finanzpolitik deutlich 163 . Neben diesem materiellen Politikfeldansatz wird versucht, systematische Politikfeldeinteilungen zur demokratietheoretischen Bewertung von unabhängigen Institutionen heranzuziehen. Eine systematische Einteilung unterscheidet distributive, redistributive, regulative und konstitutive policies 164 . Die Differenzierung zwischen distributiver und regulativer Politik findet sich beispielsweise in der Regulierungstheorie von Majone wieder, der unabhängige Institutionen nur im Bereich von Regulierungspolitik, aber nicht im Bereich distributiver Politik als demokratisch legitim ansieht 165 . Diese abstrakte Differenzierung aber wird vielen materiellen Politikfeldern, die sich weder eindeutig in die eine oder andere Kategorie einordnen lassen, nicht gerecht 166 . Zwar kann der Begriff des Politikfeldes nicht immer eine klare Trennung zwischen den meist miteinander verwobenen Sachgebieten definieren. Das 161

Zwar wurden bereits Argumente für die Bildung unabhängiger Institutionen entwickelt. Bisher konnten sie aber nicht wirklich die funktionalbezogene demokratische Bewertung staatlicher Institutionen verändern. So auch M. Döhler, Das Modell der unabhängigen Regulierungsbehörde, in: Die Verwaltung 34 (2001), S. 70. 162 Zur Definition und der Ähnlichkeit zum englischen Begriff der „policy" siehe W. Jann, Politikfeldanalyse, in: D. Nohlen/R.-O. Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politikwissenschaft, Band 2, S. 665f. 163 Daneben bestehen Versuche zu systematischen Einteilung von Politikfeldern, auf die am Ende dieses Absatzes eingegangen wird. 164 W. Jann, a.a.O., S. 668 mit Hinweis auf T. J. Lowi, Four Systems of Policy, Politics and Choice, in: PAR, 298-310. 165 Siehe dazu Kapitel 10 C. 166 Dazu Kapitel 10 C. So zeigt J. M. Buchanan, wie auch in den Politikfeldem Finanz- und Steuerpolitik Ergebnisse (pareto-optimales Handeln) erzielt werden könnten, die Majone nur im Bereich der Regulierungspolitik annimmt.

Terminologie und Debatten

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ist aber auch nicht nötig. Wenn in einem bestimmten Politikfeld eine besondere Zielsetzung gefunden wurde, die als sicherungswürdig erkannt wird (Bsp.: Sicherung der Währungsstabilität, Verbraucherschutz im Bereich Nahrungsmittelsicherheit), kann diese betreffende Zielsetzung und ihre Zusammenhänge mit anderen Politikfeldern im jeweiligen Fall geklärt und für die institutionelle Ausgestaltung berücksichtigt werden. Die Sicherung der Währungsstabilität wird durchaus mit Berücksichtigung der von ihr beeinflussten Politikfelder, etwa Arbeitsmarktpolitik, institutionell geregelt.

D. Zusammenfassung Kapitel 1 Unabhängige Institutionen sind staatliche Institutionen, die keinen sachlichen Weisungsrechten anderer Personen oder staatlicher Einrichtungen unterliegen und nicht im Zusammenhang mit unmittelbaren, periodischen und demokratischen Wahlen besetzt werden. Untersucht werden in dieser Arbeit unabhängige Institutionen, mit denen der Kompetenzbereich der unmittelbar gewählten Organe (Regierungen und Parlamente) gezielt eingeschränkt wird, beispielsweise unabhängige Zentralbanken, Wettbewerbs-, Regulierungs-, Rundfunkbehörden oder die EU-Kommission im Bereich Kontrolle der Haushalts- und Beihilfenpolitik der Mitgliedstaaten. Die demokratietheoretische Problematik unabhängiger Institutionen wird mit der amerikanischen Diskussion um nonmajoritarian- oder countermajoritarian institutions (Gerichte und unabhängige Institutionen in der Exekutive) umfassender erfasst als mit der deutschen Diskussion um die ministerialfreien Räume, die sich nur auf unabhängige Institutionen in der Exekutive bezieht. Für die Verfassungsgerichtsbarkeit, aber auch für die einfache Gerichtsbarkeit stellt sich in gleicher Weise wie für unabhängige Institutionen in der Exekutive die Frage, wie ihre Unabhängigkeit gegenüber den gewählten Institutionen begründet werden kann. Unabhängigkeit wird gegenwärtig funktional verstanden, d.h. es wird differenziert zwischen judizieller (richterlicher) Unabhängigkeit (1), Unabhängigkeit zur Einbringung von Sachverstand und Expertise, um sachrichtige Lösungen zu gewährleisten, (2) und gestalterischer Unabhängigkeit (3). In die erste Gruppe fallen Gerichte, Rechnungshöfe oder justizähnliche administrative Verfahren, in die zweite Gruppe Wettbewerbsbehörden oder Zentralbanken. Zur dritten Gruppe gehört beispielsweise die EU-Kommission. Judizielle, gestaltende und sachverständige Funktion überschneiden sich allerdings in vielen Fällen, so dass eine Einteilung der Institutionen in eine der Funktionen schwer fallen kann.

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Unabhängige Institutionen im funktionalen Legitimationsmodell

Die Diskussion um die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen orientiert sich an der funktionalen Einteilung. Unabhängige Institutionen mit judizieller Funktion sind danach demokratisch legitim, solche zur Einbringung von Sachverstand und Expertise nur in begrenztem Maße, während unabhängige Institutionen mit gestalterischer Aufgabe nicht demokratisch legitim sein können. Mangels klarer Einteilbarkeit unabhängiger Institutionen in die verschiedenen Gruppen bleibt diese Legitimationsbewertung unbefriedigend. Demokratische Legitimation setzt sich aus einem normativen Element (Anerkennungswürdigkeit) und einem tatsächlichen Element (tatsächliche Anerkennung) zusammen. Untersuchungsschwerpunkt der vorliegenden Arbeit ist das normative Element, allerdings wird in folgenden im Rahmen unterschiedlicher Legitimationskonzepte auf beide Elemente eingegangen.

Kapitel 2

Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen in Deutschland A. Hintergründe und Inhalt des deutschen Repräsentationsverständnisses I. Das Modell des Meinungsbildungsprozesses nach deutscher Staatsrechtslehre Nach dem heutigen deutschen (staatsrechtlichem) Demokratie Verständnis1 geht gem. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG alle Staatsgewalt vom Volke aus. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG legt damit nach bestehender Auffassung den Grundsatz der Volkssouveränität dem Demokratie- und auch Repräsentationsverständnis zugrunde2. Das Prinzip der parlamentarischen Repräsentation ist dementsprechend ein die Verwirklichung der Volkssouveränität näher bestimmendes Verfassungsprinzip3. Erster Ansatzpunkt für die Interpretationen und institutionelle Ausgestaltung des Repräsentationsprinzips ist damit der Begriff und Inhalt von Volkssouveränität. Das in der deutschen Staatsrechtslehre verbreitete Konzept der symbolischen Repräsentation geht von der Vorstellung eines als Einheit existierenden Volkes aus, das als Ganzes in seinen politischen Institutionen repräsentiert werde4 (sog. monistisches Verständnis von Repräsentation). Dieses monistische Repräsentationsverständnis führt dazu, dass sich das Demokratieprinzip auf ein formales Verfahren zur Legitimierung staatlichen Handelns reduziert. Das formale Verständnis der Repräsentation stellt in der Folge vor allem auf das personale Element der Mei1

Zur historischen Entwicklung des deutschen staatsrechtlichen Legitimationsverständnisses siehe J. Rolin, Der Ursprung des Staates, Tübingen 2005. Zur historischen Entwicklung der Grundlagen der Demokratietheorie siehe Kapitel 8. 2 BVerfGE 83, 60, 71; BVerfGE 93, 37, 66; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 155 m.w.N. 3 P. Badura, Die parlamentarische Demokratie, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987) § 23 Rz. 36. 4 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 208ff.; G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 44ff.; J. Kimme, Das Repräsentativsystem, S. 92ff.; Chr. Müller, Das imperative und freie Mandat, S. 13ff.

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Unabhängige Institutionen im funktionalen Legitimationsmodell

nungsvermittlung ab. Im Grundsatz handelt es sich beim parlamentarischen Prinzip nach deutschem Verständnis deshalb um eine vorrangig personell vermittelte Legitimation5. Unterschieden wird in der deutschen Literatur zwischen formaler Repräsentation, die sich über die unmittelbar gewählte Volksvertretung und deren Rückbindung verwirklicht, und einer inhaltlichen Repräsentation, die sich auf den Willensbildungsprozeß der Repräsentanten bezieht6. Zwar wird allgemein anerkannt, dass es für eine realisierte Demokratie neben der formalen auch auf eine inhaltliche Repräsentation ankomme7, die demokratische Legitimationskraft des Handelns der repräsentativen Organe hänge sogar entscheidend von der Verwirklichung der inhaltlichen Repräsentation ab8. Inhaltliche Repräsentation kommt dadurch zustande, dass das Handeln der Leitungsorgane so beschaffen ist, dass sich die Bürger insgesamt in diesem Handeln wiederfinden können. Jedoch gewährleistet nach dieser Ansicht bereits die formale Repräsentation die inhaltliche Repräsentation9. Es seien „die formalen Strukturen, die den Verfassungsstaat befähigen, aus einem Mindestmaß an Unabhängigkeit und an Distanz zu den Kräften der Gesellschaft in eigener Verantwortung die Forderungen des Gemeinwohls zu bestimmen und diesen, auch gegen den Widerstand mächtigster Gruppen, Geltung zu verschaffen"10. Für das Zustandekommen inhaltlicher Repräsentation ist der Begriff des Amtes eine zentrale Kategorie11. Zum Begriff des Amtes gehöre die Fremdnützigkeit, also die Ausrichtung auf Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die

5

Th. Groß, Demokratieprinzip, S. 176, m.w.N. K. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, S. 621, Fn. 228 mit weiteren Nachweisen; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 30 Rz. 6

18. 7

E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR 1(1987), § 3 0 Rz. 18. 8 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR 1(1987), § 3 0 Rz. 18. 9 Für die Fähigkeit des Gesetzgebungsverfahrens, am besten die Gemeinwohlbelange zu konkretisieren S. Baer, Kernbereiche der Regierung und Befugnisse des Parlamentes, in: Der Staat 40 (2001), S. 548 m.w.N.; Auf Probleme hinweisend E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR II (2004) § 30 Rz. 27ff.: danach benötigt inhaltliche Repräsentation zu ihrer Verwirklichung eine ethisch-normative Orientierung der Repräsentanten, die nur in geringem Maße institutionell abgestützt ist. 10 J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR III, § 57 Rz. 43. 11 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (1988), § 30, Rz. 19.

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von den eigenen Interessen verschieden sind12. Für den repräsentativen Entscheidungsträger ist damit ein „amtlicher" oder öffentlicher Wille, der auf die Erfordernisse der Allgemeinheit ausgerichtet ist, Bezugspunkt seiner Entscheidungen13. Entscheidend ist für das Funktionieren von Repräsentation, wie sich der Inhalt dieses Bezugspunkts konkretisiert. Gegenüber stehen sich dabei zwei Auffassungen: Nach der einen darf das Handeln der Leitungsorgane und dessen Inhalt nicht dem Prozess demokratischer Willensbildung und Auseinandersetzung entzogen werden14. Die inhaltliche Repräsentation wird damit letztlich wieder nur durch die formale Repräsentation sichergestellt. Es wird deutlich, dass die Legitimationskraft der formalen Repräsentation aus der Annahme hergeleitet wird, formale Repräsentation führe auch zur besten Verwirklichung inhaltlicher Repräsentation. Die andere Auffassung greift zur Bestimmung des Bezugspunkts der Repräsentation auf Werte, Ideen oder das Gemeinwohl zurück15. Mit einer diese beiden Ansätze zusammenführenden Ansicht ist inhaltliche demokratische Repräsentation in einer Mischung dieser beiden Elemente zu finden. Sie besitzt ein normatives Moment, das aber nicht in außerhalb der Vorstellungen des Volkes liegenden Werten liegt. Die Herstellung inhaltlicher Repräsentation erfolgt in einem Prozess zwischen Repräsentierten und Repräsentanten16. Alle drei genannten Vorstellungen von der Verwirklichung inhaltlicher Repräsentation gehen damit letztlich von der Fähigkeit des formalen Repräsentationssystems zur Herstellung der nötigen inhaltlichen Repräsentation aus, ohne diese Fähigkeit näher zu erklären oder zu kritisieren. Mittlerweile wird in Deutschland auch eine responsive Auffassung der Repräsentation vertreten17. Das responsive Konzept versteht Repräsentation als Mittel der Abbildung des gesellschaftlichen Pluralismus im Parlament und betont die Notwendigkeit einer permanenten Rückkoppelung zwischen Volk und Volksvertretung. In amerikanischer Sichtweise wird die inhaltli12

H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 258f. Nach J.M. Buchanan, The Calculus of Consent, S. 20 waren die meisten Theorien zur Analyse des politischen Prozesses zu sehr von der Annahme beeinflusst, die Entscheidungsträger würden nach dem „Gemeinwohl" oder „öffentlichen Gut" entscheiden. Buchanan verweist auf die sozialistischen Staaten, in denen offiziell davon ausgegangen wurde, daß im sozialistischen öffentlichen Handeln das Eigeninteresse durch das Handeln im Interesse des sozialen Gutes verdrängt würde. 14 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (1988) § 30, Rz. 20. 15 G. Leibholz, Das Wesen der Repräsentation, S. 32ff. 16 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (1988) § 30, Rz. 22. 17 Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 174ff. 13

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che Rückbeziehung des Handelns der Repräsentanten durch das Konzept der „responsiveness" umschrieben18. Responsivität meint dabei die Bedürfnisorientierung und Sensibilität der Repräsentanten, verbunden mit entsprechendem Perzeptionsvermögen. Der Repräsentant ist dabei nicht Vollstrecker der Wünsche und Bedürfnisse der Repräsentierten, sondern entwickelt Eigeninitiative und bewahrt die Fähigkeit zur Antizipation gesellschaftlicher Bedürfnisse19. Allerdings bestehen auch im responsiven Konzept der Repräsentation keine besonderen Mechanismen, die eine ständige Übereinstimmung der Auffassungen von Repräsentanten und Repräsentierten gewährleisten würden20. II. Die Kriterien demokratischer Legitimation nach dem funktionalen Demokratieverständnis Das dargestellte Bild des Meinungsbildungsprozesses fasste Böckenförde in einem Beitrag zusammen, der zu einer Grundlage des neueren deutschen Demokratieverständnisses wurde21. Darin entwickelte er die verschiedenen Formen zur Vermittlung demokratischer Legitimation22. Es lassen sich drei Elemente demokratischer Legitimation unterscheiden. Dazu gehören die funktionelle oder institutionelle, die organisatorisch-personelle und die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation. Das erste Element ist die funktionelle Legitimation in Form des institutionellen Gesetzesvorbehalts. Das auch institutionelle Legitimation genannte Element demokratischer Legitimation erfordert die Vereinbarkeit der Bildung einer Institution mit der Verfassung. Das zweite Element, die personellen Legitimation, bezieht sich auf die Art der Besetzung eines Amtes. Personelle Legitimation liegt danach nur vor, wenn zumindest über eine unun18

H. Elau u.a., The role of the Representative: Some Empirical Observations on the Theory of Edmund Burke: American Political Science Review 53 (1959), S. 742ff.; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (1988), § 30 Rz. 21, ders., Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in der HBStR III (2005), § 34 Rz. 33. 19 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (1988), § 30 Rz. 21, ders., Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in HBStR III (2005), § 34 Rz. 33. 20 Siehe dazu K. U. Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 294. 21 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 22 S. 287ff., Rz. 14ff. und derselbe, Demokratie als Verfassungsprinzip, in HBStR II (2004), § 24 Rz. 14ff. 22 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR II (2004), § 24 Rz. 14ff.; siehe auch J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (1988), § 57 Rz. 90.

Unabhängige Institutionen in Deutschland

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terbrochene Legitimationskette die Besetzung eines Amtes vorgenommen wird. Das Element der sachlich-inhaltlichen Legitimation setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen. Dazu gehört zum einen die Gesetzesbindung der Staatsorgane, zum anderen die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Staatsorgane gegenüber der Regierung. In dem Erfordernis der Weisungsgebundenheit zeigt sich das oben beschriebene Verständnis des politischen Entscheidungsprozesses und demokratischer Legitimität, nachdem nur formal vermittelte Legitimität (in Form unmittelbarer Wahl) auch inhaltliche Legitimität herzustellen vermag. Die sachlich-inhaltliche Legitimation hat in diesem Konzept letztlich nur eine dienende Funktion gegenüber dem personellen Legitimationselement. Oft sind diese Legitimationsformen nebeneinander wirksam. Sie sind Bestandteile der demokratischen Legitimation, wie sie nach Art. 20 Abs. 2 GG gefordert wird. Sie schreiben nicht eine bestimmte Form, sondern einen bestimmten Gehalt demokratischer Legitimation vor. Jeweils im Einzelfall zu klären sei, wie ein Mangel der einen Form der Legitimation durch eine gesteigerte Dichte anderer Legitimationszusammenhänge ausgeglichen werden kann23. Während nach dem Bundesverfassungsgericht eine Kompensationen der verschiedenen Legitimationselemente weitgehend zulässig erscheint 24 , geht Böckenförde davon aus, dass sich personelle und sachliche Legitimation nur in gewissem Umfang, keineswegs aber vollständig substituieren lassen25.

23

So E. Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, in: AöR 116 (1991), S. 330ff., 366. 24 BVerfGE 83, 60ff., 72: danach haben die Legitimationselemente nur in ihrem Zusammenwirken Bedeutung. BVerfGE 93, 37, 66f., differenziert die Legitimationselemente etwas anders in institutionelle, funktionelle, sachliche-inhaltliche und personelle Legitimation, ohne dass damit aber eine wirklich sachliche Unterscheidung verbunden ist. So auch A Vosskuhle, Sachverständige Beratung des Staates, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (2005), § 43 Rz. 58. 25 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 22, S. 287ff„ Rz. Uff. und ders., Demokratie als Verfassungsprinzip, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR II (2004), § 24 Rz. 23.

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B. Das Verwaltungsmodell der formellen Repräsentationslehre I. Das Modell Die vorangehenden Überlegungen bezogen sich zunächst auf die parlamentarische Repräsentation und damit vor allem auf die Gesetzgebung. Die Überlegungen können aber auch auf die Regierung, die ebenfalls der demokratischen Wahl unterliegt, ausgedehnt werden. Im parlamentarischen System sichert die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung, dass der Wille des Parlaments, wie er in den Gesetzen zum Ausdruck kommt, durch die Verwaltung „unverfälscht" ausgeführt wird26. Für die Regierung wurde eine einheitliche Organisationsform, nämlich das Handeln mittels Ministerien als für alle Aufgaben einer Regierung adäquat angesehen. Der Gedanke der Unteilbarkeit der Souveränität führt zu der Annahme, dass eine einheitliche Staatslenkung erforderlich ist. Nach Scheuner ist anerkannt, dass die Staatsleitung durch einen kleinen Kreis regierender Personen ausgeübt werden muss27. Das dargestellte Repräsentationsverständnis führte zu dem sogenannten „monistischen" Modell der Legitimation der Exekutive. Die sogenannte „monistische" Theorie der Legitimation der Verwaltung legt dem politischen Willensbildungsprozeß die sogenannte „Theorie des Volkswillens" zugrunde, die dem oben dargestellten Konzept der symbolischen Repräsentation entspricht28. Die demokratische Legitimation der Verwaltungsorgane verwirklicht sich danach durch einen lückenlosen Prozess der Willenstransformation vom Volk über das Parlament und der Regierung bis zum einzelnen Verwaltungsangehörigen29. Der „gesetzgeberische Wille" wird über den „Willen der administrativen Spitze"30 in den gesamten Verwaltungsapparat 26

H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 131. U. Scheuner, Der Bereich der Regierung, in: ders.: Staatstheorie und Staatsrecht, S. 483. 28 Die theoretische Grundlage dieser Konstruktion wurde in den Anfangen des deutschen modernen öffentlichen Rechts in der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt. (77t. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 169) Die Willenstheorie wurde mit der juristischen Methode aus dem Privatrecht in das öffentliche Recht übernommen. Siehe dazu M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 2, S. 330ff; Als Begründer des Ministerialsystems wird oft Lorenz vom Stein genannt, siehe bei C.-P. Fichtmüller, Zulässigkeit ministerialfreien Raums, AöR 91 (1966), S. 304, der auch auf H. Schulz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1886, S. 298, 303 verweist. 29 So bereits H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 70ff.; siehe zur Ausbreitung dieses Modelles Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 169. 30 H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 141; Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 169. 27

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als Instrument des Gesetzesvollzugs eingeführt und determiniert alle seine Entscheidungen, die als „Willensäußerung" der Verwaltung verstanden werden können. Dieser rechtlichen Konstruktion der demokratischen Legitimation der Verwaltung liegt die Annahme zugrunde, dass die Verwaltung ein Instrument zur Durchsetzung des in Parlament und Regierung artikulierten Volkswillens sei31. Alle Entscheidungen der staatlichen Verwaltung sind so letztlich Ausdruck des Willens des Volkes. In diesem instrumentellen Charakter sah Max Weber ein spezifisches Merkmal der modernen Verwaltung 32 . Nach Loschelder „konkretisiert sich (so) die Legitimationskette, die vom demokratischen Souverän über die Zentralinstanzen die Stufenfolge hinab bis zum letzten handelnden Glied verläuft. 33 " Sie wird also durch das - allein unmittelbar gewählte - Parlament mediatisiert und vermittelt, was eben dessen Anspruch auf Rechenschaft und Kontrolle begründet 34 . Aus diesem Ansatz wird abgeleitet, dass das Hierarchieprinzip der Verwaltung und der generellen Weisungsbindung aller nachgeordneten Stellen die einzig adäquate Strukturierung der Verwaltung darstellt35. Jeder Minister trägt in der Folge nach dem Ressortprinzip des Art. 65 Satz 2 GG gegenüber Parlament und Öffentlichkeit die Verantwortung für seinen Geschäftsbereich. Diese Verantwortlichkeit wiederum setzt für den Minister nach „innen" die Fähigkeit zu lückenloser Kontrolle und Steue-

31 A. v. Brünneck, Das Demokratieprinzip und die demokratische Legitimation der Verwaltung, S. 253, in: D. Grimm, Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts. 32 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 833 - 837, A. v. Brünneck, Das Demokratieprinzip und die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: D. Grimm, Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, S. 253. 33 W. Loschelder, Weisungshierarchie und persönliche Verantwortung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (1988), § 68 Rz. 40. 34 W. Loschelder, Weisungshierarchie und persönliche Verantwortung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (1988), § 68 Rz. 40. 35 Diesem Modell des Transfers des Volkswillens folgen, wenn auch in Einzelheiten variierend, beruhend auf dem Demokratieverständnis von E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 22; W. Loschelder, a.a.O., in: HBStR III (1988) § 68; J. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtsfreie Räume in der Verwaltung, S. 67ff.; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 138ff.; H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 129ff.; E. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 322ff.; K. Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 32ff.; M. Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgabe, S. 247ff.; Kritisch gegen die Notwendigkeit der „Weisungskette" aber D. Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, S. 134ff.

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rung des eigenen Zuständigkeitsbereiches voraus36. Eine weitere Konsequenz des Modells des Volkswillens ist das Konzept der Einheit der Staatsgewalt- und Organisation und damit auch der Verwaltung37. Im Bereich der Verwaltung sind ministerialfteie Räume nur aufgrund der spezifischen Eigenart der Aufgabe, die eine Weisungsfreiheit nötig macht, zulässig. Das sei der Fall im Prüfungswesen und verwaltungsinternen Kontrollinstanzen, nicht aber darüber hinaus38. Nach dem oben dargestellten Demokratieverständnis stellte bereits der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eine problematische Einrichtung dar39.

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Zu den Grenzen und Möglichkeiten ministerieller Steuerung gibt M. Döhler, Das Modell der unabhängigen Regulierungsbehörde, in: Die Verwaltung 34 (2001), S. 81 ff. einen Überblick mit Literaturnachweisen. Aufgrund der abnehmenden Steuerungsfähigkeit der Gesetze komme der Verwaltung immer mehr Gestaltungsspielraum zu. Der dadurch für die ministerielle Steuerung grundsätzlich erwachsenden Chancen sind aber Grenzen gesetzt. Zum einen sei eine umfassende ministerielle Steuerung mangels Personal und Kenntnis der Aktenlagen nicht möglich. Bei gesetzlich bestehenden Zielkonflikten hielten sich Ministerien dabei zurück politische Richtungsentscheidungen zu treffen, sondern hielten die Zielkonflikte lieber in der Schwebe. Schließlich begrenze die wachsende „Expertisierung" die Möglichkeit rein politisch motivierter Einflußnahmen. 37 Die organisatorische Ausgestaltung der Staatsanwaltschaft ist ebenfalls eine Folge des dargestellten Legitimationsverständnisses. (Vgl. Chr. Koller, Die Staatsanwaltschaft, S. 65ff.) In der Bundesrepublik ist sie in die Exekutivhierarchie eingegliedert, siehe §§ 144, 146, 147 GVG. Als Grund für die Weisungsbindung wird ihre gegenüber Gerichten verschiedene Funktion genannt: die Staatsanwaltschaft werde „von sich aus" tätig, und reagiere nicht nur wie die Gerichtsbarkeit. Sie sei damit unverkennbar Teil der Exekutive. (Siehe dazu W. Sarstedt, Gebundene Staatsanwaltschaft?, in: NJW 1964, S. 1754; M. Münstermann, Die Bindung des Staatsanwalt an Weisungen seiner Vorgesetzten, Heidelberg, S. 73f., 77.) Nur die der Ministerverantwortlichkeit unterliegende Exekutive dürfe aber sozialgestaltend tätig werden. Die Zulässigkeit und Notwendigkeit ministerialfreier Räume wird konsequenterweise von den Anhängern einer weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft bestritten. (Siehe Chr. Koller, Die Staatsanwaltschaft, S. 269ff.) In anderen Staaten ist die Staatsanwaltschaft dagegen gegenüber der Exekutive unabhängig ausgestaltet. In England etwa agiert der oberste Staatsanwalt unabhängig vom Premierminister. LI. A. Cutler, Proposal for a Continuing Public Prosecutor, in: Hastings Constitutional Law Quarterly 24 (1974-1975), S. 24, vergleicht die Notwendigkeit einer unabhängigen Staatsanwaltschaft mit den in den Vereinigten Staaten geschaffenen unabhängigen Regulierungsbehörden. 38

E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 22 Rz. 24 und ders., Demokratie als Verfassungsprinzip, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR II § 24 (2004), Rz. 24. 39 E.-W. Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 255ff.; Chr. Heime, Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und die Umbildung der Verfassung, Der Staat 1967, S. 433ff.; Dazu auch H. H. v. Arnim, Begrenzung öffentlicher Ausgaben, DVB1. 1985, S. 1290 Fn. 22.

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II. Die Bildung unabhängiger Institutionen im Bereich der Exekutive

Trotz des zuvor beschriebenen Ideals einer zentral gelenkten und hierarchischen Verwaltung entstand in Deutschland erst nach 1945 einige unabhängige Institutionen im Verwaltungsbereich40. Sie unterscheiden sich in ihrer Rechtsform, ihrer Stellung im Verhältnis zu anderen Institutionen sowie auch hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit. Nur manche unabhängige Institutionen besitzen eine eigene Rechtspersönlichkeit, wie etwa die so genannten rechtsfähigen Anstalten41. Die Bundesbank war bis nach 1945 das prominenteste deutsche Beispiel für eine unabhängige Institution im Exekutivbereich42. Bereits das Vorgängerinstitut der Deutschen Bundesbank, die Bank Deutscher Länder, war unabhängig ausgestaltet und dem Vorbild der amerikanischen Federal Reserve System nachgebildet43. Auf Grundlage des Art. 88 GG44 geschaffen, wurde ihr 1957 mit dem Erlass des Bundesbankgesetzes45 die rechtliche Grundlage gegeben, die sie für die Erledigung ihrer Aufgaben benötigte. Dazu gehört ihre Unabhängigkeit nach § 12 S. 2 Bundesbankgesetz, die die Bundesbank in wichtigen Aufgabenbereichen weisungs- und fachaufsichtsfrei stellte46. Nach den Inflationserfahrungen von 1923 war die Sicherung der Währungsstabilität die Hauptaufgabe der Bundesbank. Seit Beginn der dritten Stufe der europäischen Währungsunion am 1. Januar 1999 ist diese Aufgabe auf das ESZB übergegangen47, dessen Mitglied die Bundesbank ist.

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Siehe für eine Auflistung unabhängiger Kollegialorgane A. Unkelbach, Vorbereitung und Übernahme staatlicher Entscheidungen durch plural zusammengesetzte Gremien, Speyer, 2001. 41 Daneben bestehen auch nicht-rechtsfähige Bundesanstalten und rechtsfähige Länderanstalten. Die Rundfunkanstalten sind beispielsweise Länderanstalten. Eine Typologie der Verselbständigten Verwaltungseinheiten entwickelte G. F. Schuppen, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, S. 5ff. 42 Umfassend für einige Zentralbanken: F. Amtenbrink, The Democratic Accountability of Central Banks, Oxford 1999; K.-H. Ladeur, Die Autonomie der Bundesbank - ein Beispiel für die institutionelle Verarbeitung von Ungewißheitsentscheidungen, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 3 (1992), S. 486-508. 43 H. H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 358. 44 Art. 88 GG a.F.: „Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank". 45 Gesetz vom 26. Juli 1957 (BGBl. I S. 745). 46 Zum Meinungsstand über das Ausmaß der Rechtsaufsicht nach §§ 13 Abs. 2, 34 S. 2 BBankG: Breuer, Die öffentlich-rechtliche Anstalt, in: VVDStRL 44 (1986), S. 239, m.w.N. 47 Art. 105 Abs. 1 EG: Das vorrangige Ziel des ESZB ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten.

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Die Bildung einer unabhängigen Kartellbehörde48 erfolgte in Verbindung mit dem Erlass des Kartellgesetzes 1957 nach langen Verhandlungen unter Wirtschaftsminister Erhard mit den amerikanischen Vertretern, die die Einführung eines Kartellgesetzes forderten49. Bei Gründung des Bundeskartellamtes war dessen Stellung und Unabhängigkeit, insbesondere die damit zusammenhängende Frage, ob es im Justiz- oder Wirtschaftsministerium angesiedelt werden sollte, umstritten50. In diesem Zusammenhang wurde auch auf die seit 1914 bestehende US-amerikanische Federal Trade Commission, eine unabhängige Regulierungskommission, als mögliches Vorbild für das Bundeskartellamt hingewiesen51. Die Frage, welche Rolle eine weisungsfrei arbeitende Kartellbehörde in einem demokratischen Regierungssystem haben solle, war bei Bildung des Kartellamtes im Sinne der ordoliberalen Schule bedacht worden52. Die Entscheidungen des Bundeskartellamtes fallen in Beschlußabteilungen53. Wenn der Bundesminister für Wirtschaft dem Kartellamt allgemeine Weisungen gibt, sind diese im Bundesanzeiger zu veröffentlichen54. Eine mögliche Weisungsgebundenheit des Bundeskartellamtes war lange Zeit Gegenstand akademischer Diskussion, in der Praxis dagegen hat die Möglichkeit ministerlicher Einzelfallweisungen keine Bedeutung erlangt55. Allerdings besteht mit dem Mittel der Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 1 GWB die Möglichkeit nachträglicher Einzelfallkorrektur von Entscheidungen der Kartellbehörde.

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Es handelt sich um den Fall einer faktischen Unabhängigkeit, so bereits G. F. Schuppen, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, S. 19. Tatsächlich bestand lange Jahre eine akademische Debatte über den Status und die Unabhängigkeit des deutschen Kartellamtes, s.o. Kapitel 2 B. 49 G. Majone, The rise of statutory regulation in Europe, in: G. Majone, Regulating Europe, S. 52. Das Kartellamt nahm dann erst 1959 offiziell die Arbeit auf. 50 Siehe etwa K. E. Thomä, Die Verfahrensvorschriften des Kartellgesetzentwurfes, in: Wirtschaft und Wettbewerb 1956, S. 393ff. 51 K. E. Thomä, a.a.O., S. 396; siehe näheres zu den Independent Regulatory Commissions in den Vereinigten Staaten in Kapitel 5 B. 52 Die Regierungsbegründung bei Erlaß des GWB geht auf das Verhältnis von demokratischer Regierung und Wirtschaftsordnung ein: „Das Gesetz (Anm.: das GWB) geht von (...) der Erfahrung aus, daß die Wettbewerbswirtschaft (...) zugleich die demokratischste Form der Wirtschaftsordnung ist und daß der Staat nur insoweit in den Marktablauf lenkend eingreifen soll, wie dies zu Aufrechterhaltung des Marktmechanismus (...) erforderlich ist." Abgedruckt in: E. Günther, Zehn Jahre Bundeskartellamt: Rückblick und Ausblick, in: Zehn Jahre Bundeskartellamt, S. 11. 53 § 51 Abs. 2-5 GWB. 54 § 52 GWB, geändert durch Art. 120 VO v. 29.10.2001 (BGBl I S. 2785). 55 P. Bartodziej, Reform der EG-Wettbewerbsaufsicht und Gemeinschaftsrecht, S. 129.

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Eine weitere unabhängige Institution im wirtschafitspolitischen Bereich ist die Monopolkommission56. Sie erstellt alle zwei Jahre ein Gutachten über den Zustand und die Entwicklung der Unternehmenskonzentration in Deutschland. Zudem nimmt sie Stellung zu wirtschaftspolitischen Auswirkungen von Unternehmenszusammenschlüssen, die im Verfahren der Ministererlaubnis nach § 42 Abs. 1 GWB beantragt werden. Der Minister ist bei seiner Entscheidung nach § 42 Abs. 1 GWB aber nicht an diese Stellungnahme gebunden. Daneben erstellt sie Gutachten über aktuelle wettbewerbspolitische Fragen57. Das Personal der Monopolkommission wird nach dem Muster des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zusammengesetzt. 1963 wurde der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in der BRD gegründet58, dessen Aufgabe die Erstellung von jährlichen Gutachten zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland ist. Darüber hinaus kann die Bundesregierung den Sachverständigenrat mit der Erstellung weiterer Gutachten beauftragen. Diese Gutachten werden vom Sachverständigenrat unabhängig erstellt und veröffentlicht. Die Gutachter arbeiten weisungsfrei und dürfen weder der Exekutive noch der Legislative angehören, damit ihre Unabhängigkeit gewährleistet ist. Die Mitglieder des Sachverständigenrates, fast immer Hochschulprofessoren, werden auf Vorschlag der Bundesregierung durch den Bundespräsidenten für fünf Jahre berufen59. Zuletzt wurde im wirtschaftspolitischen Bereich die Regulierungsbehörde für Telekommunikation gebildet, deren Unabhängigkeit gegenüber Regierungsorganen aber begrenzt und umstritten ist60. Weitere Beispiele für (teilweise) unabhängige Institutionen in der Bundesrepublik sind das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen61 oder die Bundesschuldenverwaltung. Unabhängige Institutionen wurden auch zum Schutz von Grundrechten auch in der Exekutive gebildet. Nur einer sachlich begrenzten Einzelwei56

Rechtsgrundlage sind §§ 44 bis 47 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) i.d.F. vom 26.08.1998 (BGBl. I, S. 2546). 57 Gem. § 44 Abs. 1 GWB. 58 Mit Gesetz vom 14.08.1963 (BGBl. I, S. 685). 59 Gem. § 7 des Gesetzes über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. 60 Siehe K. Oertel, Die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde für Telekomunikation nach §§ 66 ff. TKG; Für eine Weisungsbindung M. Döhler. Das Modell der unabhängigen Regulierungsbehörde, in: Die Verwaltung 34 (2001), S. 65. 61 Mit § 7 des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesens vom 25.03.1953 (BGBl. I, S. 75).

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sungsbefugnis unterliegt etwa das frühere Bundesamt zur Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und heutige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge62. Die Unabhängigkeit des Anerkennungsverfahrens im Bereich Migration und Flüchtlingsschutz soll gewährleisten, dass das Anerkennungsverfahren63 und das Grundrecht auf Asyl aus Art. 16 Abs. 1 GG nicht wegen außen- oder innenpolitischer Erwägungen verletzt werden64. Zur Sicherung der Meinungs- und Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG sind öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten wie das ZDF65 und die ARD 66 pluralistisch besetzt und damit zumindest teilweise unabhängig von Bundesund Landesregierungen. Die Landesmedienanstalten der Bundesländer67, die die privaten Sender regulieren, werden durch eine Besetzung mit Mitgliedern gesellschaftlicher Gruppierungen durch die Landesparlamente gegenüber den Landesregierungen unabhängig gestellt. Natürlich spiegeln sich auch hier die verschiedenen politischen Lager in der Besetzung der Verwaltungsräte wider.

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§§ 74 und 75 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthaltes und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern, BGBl. 2004 I Nr. 41 vom 5. August 2004. 63 Allerdings sehen § 74 Nr. 1 und Nr. 3 des Zuwanderungsgesetzes eine ministerielle Weisungsbefugnis gerade für die Wahrung außenpolitischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland vor. 64 Das Verfahren zur Asylanerkennung nach den §§ 23 bis 33 Asylverfahrensgesetz ist justizförmig und damit unabhängig von politischen Weisungen ausgestaltet. 65 Als Beispiel für die Ausgestaltung der Unabhängigkeit eines staatlichen Senders sei hier genannt das Zweite Deutsche Fernsehen. Nach § 21 des Zweiten Deutschen Femsehens (ZDF)-Staatsvertrages wird der Femsehrat, nach § 24 auch der Verwaltungsrat des ZDF allerdings auch mit Vertretern der Landes- und Bundesregierung sowie einer Vielzahl gesellschaftlicher Gruppen besetzt. 66 Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland. Die ARD setzt sich aud den Landesrundfaunkanstalten zusammen, die wiederum selber nach den Landesrundfunkgesetzen mit Mitgliedern gesellschaftlicher Gruppen besetzt werden. 67 Als Beispiel für eine Landesmedienanstalt zur Regulierung des privaten Rundfunks und Fernesehens sei hier kurz genannt das Landesmediengesetz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 2. Juli 2002. Gem. § 91 Landesmediengesetz NRW können weder Mitglieder der Bundes- noch einer Landesregierung der Medienkommission der Landesanstalt für Medien angehören. Gem. § 93 Abs. 2 Landesmediengesetz NRW wählt der Landtag die Mitglieder der Medienkommission, daneben werden gem. § 93 Abs. 3 Mitglieder durch gesellschaftliche Gruppen benannt. Gem. § 117 Landesmediengesetz unterliegen die Organe der Landesanstalt nur der Rechtsaufsicht.

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Schließlich dient die Selbstverwaltung der Universitäten der Forschungsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG). Daneben besteht eine Vielzahl weiterer beratender unabhängiger Institutionen, die bei den Ministerien angesiedelt sind und die private und gesellschaftliche Gruppen in den Entscheidungsprozeß einbinden, etwa der Ausschuss zur Prüfung jugendgefährdender Schriften68.

C. Die Diskussion um die demokratische Legitimität unabhängiger Institutionen Schon Mitte der fünfziger Jahre begann in der deutschen Rechtswissenschaft die Diskussion um die Zulässigkeit solcher so genannten „ministerialfreien Räume"69, die bis heute intensiv geführt wird und deren Legitimationsbegründungen für unabhängige Institutionen in folgende Gruppen eingeteilt wird. Die erste Gruppe (1.) sucht nach „Ausnahmetatbeständen", in denen das Gebot der Entscheidungsfindung nach der Organisationsstruktur der Ministerialorganisation nicht gilt. Insbesondere das Bundesverfassungsgericht begründet die demokratische Legitimität unabhängiger Institutionen mit Besonderheiten des politischen Entscheidungsprozesses, bietet aber keine klare Abgrenzungskriterien, in welchen Feldern unabhängige Institutionen zulässig sind. Ein weiterer Ansatz rechtfertigt unabhängige Institutionen durch das rechtsstaatliche Rationalitätsgebot (2.). Er stützt sich implizit auf die Ansicht, dass in manchen Bereichen der Entscheidungsprozeß in Form der Ministerialorganisation nicht zur Aufgabenerfullung geeignet ist. Eine demokratietheoretische Verknüpfung unterbleibt aber. Der partizipative Ansatz (3.) distanziert sich bewusst vom hierarchischen Verwaltungsmodell und der zugrundeliegenden Idee einer Umsetzung des Volkswillens und ersetzt ihn durch ein eigenes Bild politischer Entscheidungsprozesse. Allerdings bleibt diese Begründung bei einer personell vermittelten demokratischen Legitimation stehen. Andere Autoren legitimieren unabhängige Institutionen aus Staatsorganisationsprinzipien wie der Gewaltenteilung (4.). Eine letzte Gruppe von Autoren (5.) entwickelt ein interessenbezogene Rechtfertigung unabhängiger Institutionen, aber keine richtige demokratietheoretische Einbindung Legitimation derselben.

68 Für eine Übersicht über beratende unabhängige Gremien in den Bundesministerien siehe A. Unkelbach, Vorbereitung und Übernahme staatlicher Entscheidungen durch plural zusammengesetzte Gremien, S. 121ff. 69 Siehe H. Loenig, Der ministerialfreie Raum in der Staatsverwaltung, DVB1. 1954, S. 173180.

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I. Legitimierung unabhängiger Institutionen in Form von „Ausnahmetatbeständen " Die folgenden Begründungsansätze folgen dem symbolischen Legitimationsmodell, suchen aber Ausnahmetatbestände, die die Existenz unabhängiger Institutionen rechtfertigen können. Allerdings sind diese Begründungsansätze nicht überzeugend, weil sie keine systematischen Kriterien zur Bestimmung der Aufgaben liefern, die durch unabhängige Institutionen wahrgenommen werden sollten und können. Das Bundesverfassungsgericht geht von einem grundsätzlichen Erfordernis der Entscheidungsverantwortlichkeit der Regierung aus, die es aus dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip ableitet, hält aber ministerialfreie Räume nicht für generell unzulässig70. Regierungsaufgaben mit größerer politischer Tragweite dürften aber nicht generell der Regierungsverantwortung entzogen und auf Stellen übertragen werden, die von Regierung und Parlament unabhängig sind71. Andernfalls würde es der Regierung unmöglich gemacht, die von ihr geforderte Verantwortung zu tragen. Nur wenn eine Kompetenz nicht zu dem Bereich der politischen Gestaltung gehöre, dürfe sie auf unabhängige Behörden übertragen werden. Das Kriterium der politischen Gestaltung ist allerdings sehr unbestimmt und gibt zudem keine wirkliche Erklärung darüber, warum nun manche Bereiche unabhängig wahrzunehmen sind und andere nicht. Das Bundesverfassungsgericht lässt beispielsweise für die Europäische Zentralbank, wie vorher für die Bundesbank, eine Modifizierung des Demokratieprinzips zu, die nicht auf andere Politikbereiche übertragen werden darf 72 . Gerade die Übertragung der Währungspolitik auf eine unabhängige Institution ist aber ein Fall, in 70

BVerfGE 9, 28-284, insbesondere S. 268, 282; zuletzt in Bezug auf die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung BVerfG Beschluß v. 5. 12. 2002, in JZ 2003, S. 1057ff. mit Anmerkung P. Unruh, JZ 2003, S. 1061ff. Auch für die demokratische Legitimation der funktionellen Selbstverwaltung existiert in der Rechtsprechung des BVerfG und der Literatur (E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, a.a.O., Rz. 25) eine sogenannte „These vom Ausnahmecharakter", nach der das organisatorisch-personelle Legitimationsdefizit ausnahmsweise dann hinzunehmen ist, wenn eine gesteigerte sachlichinhaltliche Legitimation gegeben sei. Daneben bestehen noch die These von der autonomen Legitimation der funktionellen Selbstverwaltung und die These von der kollektiven personellen Legitimation. Diese Ansätze können aber für die in dieser Arbeit untersuchte Problematik nichts beitragen, da gerade unabhängige Institutionen untersucht werden, die sich nicht auf eine personelle Legitimationsargumente (Selbstverwaltung durch Betroffene) stützt. Die These von der kollektiven personellen Legitimation, die sachgerechte Aufgabenerfüllung abstellt, wurde vom BVerfG nicht diskutiert. 71 So auch BVerfGE 22, 106, 113. 72 BVerfGE 89, 155, 209.

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dem Regierung und Parlament politische Entscheidungen mit größerer Tragweite entzogen werden. Im Bereich der Entscheidung über Umfang staatlicher Ausgaben und staatlicher Kreditaufnahme hat das Bundesverfassungsgericht mit dem so genannten Maastricht-Urteil seinen bis dahin vertretenen Vorrang der parlamentarisch-politischen Entscheidung73 aufgegeben und einen Vorrang verrechtlichter Vorgaben und Kontrolle der politischen Entscheidung akzeptiert74. Dieser Umschwung in der Rechtsprechung wurde aber demokratietheoretisch nicht weiter begründet, sondern folgte einfach den Vertragsfestlegungen zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Nach dem Ansatz von Klein Anfang der siebziger Jahre steht das Demokratieprinzip der Zulässigkeit ministerialfreier Räume grundsätzlich entgegen, denn ministerialfreie Räume sind immer parlamentsfreie Räume75. Diese sogenannte Theorie vom Verbot ministerialfreier Räume herrschte vor allem in den Anfangsjahren der Bundesrepublik vor. Demokratische Legitimation könne nur durch eine gebundene Verwaltung vermittelt werden. Zugrunde liegt dieser Theorie das demokratisch-hierarchische Organisationsmodell der Verwaltung. In dem Errichtungsgesetz für ministerialfreie Stellen sieht Klein allerdings einen zulässigen Verzicht des Parlamentes auf die Steuerungsmacht in diesem Gebiet, gemäß der sog. Verzichtstheorie76. Danach steht dem Parlament das Recht zu, sich seiner Rechte zu entäußern, allerdings nicht seiner Pflichten. Die Gesetzgebung sei deswegen als Recht des Parlamentes anzusehen, weil eine Identität von Volk und Parlament bestehe und das Volk seine Rechte eben delegieren könne. Dieser Gedanke der Übereinstimmung von politischem und rechtlichem Souverän, also von Volk und Parlament, findet sich auch in der Verfassungstheorie Dicey's in England77. Wie die deutsche Verfassungstheorie dieser Zeit, vertrat Dicey für die englische Verfassungstheorie ein monistisches Legitimationskonzept. Die Gleichstellung von Volk und Parlament erscheint aber konstruiert und fern der politischen Wirklichkeit, denn das Parlament ist gerade ein anderes Entscheidungsorgan als die Gesamtheit des Volkes, es ist dessen Repräsentationsorgan78. Weiter wird nicht klar, aus welchen Gründen sich das Parla73

BVerfGE 33, 303, 333ff.; BVerfGE 45, 1, 39. BVerfGE 89, 203ff.; Siehe dazu ausführlich unter Kapitel 9. 75 K Klein, Problematik des ministerialfreien Raumes, 1971. 76 E. Klein, Die Problematik des ministerialfreien Raumes, S. 191-200. 77 Siehe P. Craig, Public Law and Democracy, S. 19ff., 141m.w.N. 78 Die Verzichtstheorie ist auch in der deutschen Literatur als verfassungswidrig erkannt worden. Zusammenfassend Bull, in: AK-GG, 1989, Art. 86 Rz. 28; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 593; H. Loening, Der ministerialfreie Raum in der 74

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ment bestimmter seiner Kompetenzen entledigen sollte. Der Hinweis auf die Natur der Sache reicht dafür nicht aus. Schiaich betont „Neutralität" als ein Verfassungsprinzip und unterscheidet Institutionen mit „neutralem Entscheidungsauftrag" und politische Institutionen. Die neutralen Institutionen ließen sich nicht zufriedenstellend in das geläufige Schema des Verfassungsaufbaus der parlamentarischgewaltenteilenden Demokratie einbauen79. Institutionelle Ausformungen der Neutralität fänden sich in der Unabhängigkeit des Richters, auch in Form des neutralen Bundesverfassungsgerichts, dem Rechnungshof, der Bundesbank und im Amt des Bundespräsidenten80. Anders als das dieser Arbeit zugrunde gelegte Konzept unabhängiger Institutionen, sieht Schiaich eine Volkswahl des Präsidenten nicht als Hindernis für seine Neutralität. „Seine Neutralität könne aber nicht mehr wie noch zu Weimarer Zeit auf seine Direktwahl zurückgeführt werden", und damit fehle eine entscheidende Eigenschaft des pouvoir neutre81. Es bleibt aber unklar, wie genau nun das neutrale Element im Demokratieprinzip verankert sein soll. Auch Krüger betonte die Notwendigkeit neutraler Institutionen. In jedem Staat müsse es einen Raum und Gebilde geben, die den Auseinandersetzungen der Politik und der Gewalten entzogen und daher imstande sind, inmitten dieser Streitigkeiten die Einheit des Ganzen darzustellen, als Unparteiische zu wirken, und letzten Endes das Gesamtwohl gegen die Sonderwohle zur Geltung zu bringen82. Der gewaltenteilende Staat bedürfe eines pouvoir neutre, dessen Aufgabe darin bestehe, die Funktionsfähigkeit des Systems zu bewahren83. Der Ansatz ähnelt dem weiter unten besprochenen republikanischen Ansatz in den Vereinigten Staaten. Auch in der amerikanischen Debatte um die Rolle des Supreme Court finden sich Ansätze, die mit dem Argument der Neutralität argumentieren84.

Staatsverwaltung, DVB1. 1954, S. 176 weist daraufhin, daß das Parlament nicht einfach dem Verfassungsorgan Regierung Kompetenzen entziehen könne. 79 K. Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 77. 80 Zur Neutralität dieser Institutionen, K. Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 59ff. 81 R. Grauhan, Der Bundespräsident - aktiv oder neutral?, in: Juristische Rundschau 1965, S. 380; K. Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 79. 82 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 937; K. Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 77. 83 K. Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 78. 84 H. Wechsler, Toward Neutral Principles of Constitutional Law, in: Harvard Law Review 73 (1959).

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II. Rechtsstaatliches Rationalitätsgebot und organisationsrechtlicher Grundrechtsschutz Die Bildung unabhängiger Institutionen in Deutschland wurde umfassend im Zusammenhang mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Schutz von Grundrechten debattiert. Dieser Ansatz erfasste argumentativ zugleich weisungsfreie Institutionen im Bereich der Exekutive wie solche im Bereich der Judikative. Allerdings bleibt die Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip ein offener Punkt dieses Ansatzes85. 1. Das rechtsstaatliche Rationalitätsgebot Die Bildung und Legitimation unabhängiger Organe beruht nach einer anderen Ansicht auf dem rechtsstaatlichen Rationalitätsgebot, aus dem ein Prinzip der „funktionsgerechten Organisationsstruktur abgeleitet" wird86. Gefordert wird eine sinnvolle Verknüpfung von Funktion und institutioneller Ausgestaltung87. Dies gelte für die Verwaltung ebenso wie für die Gerichtsbarkeit88. In einer solchen funktionalen Differenzierung liege der eigentliche Ansatzpunkt für die institutionelle Legitimation der Verwaltung, der neben die anderen Legitimationsmechanismen trete. Explizit wird auf die OutputPerspektive der Aufgabenerfüllung Bezug genommen89. Das hierarchische Modell der Verwaltung sei oftmals nicht aufgabenadäquat. Der Frage des Aufgabenbezuges komme als Bindeglied zwischen der Analyse der Legitimationsstrukturen der öffentlichen Verwaltung und ihrer organisatorischen Gestaltung eine zentrale Stellung zu. Über den Anknüpfungspunkt der Aufgabenerfüllung bezieht Groß die sozialwissenschaftliche Organisationstheorie in das Verwaltungsorganisationsrecht ein. Mittels der sozialwissenschaftlichen Organisationstheorie wurde schon früh gezeigt, dass die Lehre vom hierarchischen Einheitsmodell in vielen Fällen nicht problemadäquat ist. 85

Diese Brücke zum Demokratieprinzip versucht V. Mehde mit einem rechtstheoretischen Ansatz zu erschließen (V. Mehde, Regeln un Prinzipien im Recht der Staats- und Verwaltungsorganisation, in: Die Verwaltung 34 (2001), S. 93-106. Der Ansatz wird hier nicht weiterverfolgt, weil, wie Mehde selber schreibt, die Unterscheidungen von Regeln und Prinzipien die inhaltliche Auseinandersetzung nicht klären kann, sondern diese weiterhin von Wertungen abhängt. 86 Th. Groß, Demokratieprinzip, S. 199ff. 87 K. Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 485ff; Th .v. Danwitz, Der Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur, in: Der Staat 35 (1996), S. 329ff. 88 Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 200; Für die Gerichtsbarkeit auch BVerfGE 54, 154, 166. 89 Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 200.

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Wichtigster Anknüpfungspunkt organisatorischer Regelungen seien deshalb die gestellten Aufgaben 90 . Allerdings bleibt dieser Ansatz bei einer Effektivitätsbegründung stehen. Effektivität ist danach output-bezogen und nur in diesem Sinne ein wesentlicher Legitimitätsbestandteil, der neben die anderen Legitimationsmechanismen tritt. Die Grenze dieser Effektivitätsbemühungen sei die demokratische Bindung des Staatshandelns, allerdings sei auch das Demokratieprinzip offen für eine je nach der Aufgabenstruktur differenzierte Ausgestaltung der administrativen Legitimationszüge 91 . Offen bleibt aber, welche Annahmen dem Demokratieprinzip zu entnehmen sind und wieweit das „rechtsstaatliche Rationalitätsgebot" das Demokratieprinzip als Organisationsprinzip zurückdrängt. Der Ansatz von Groß stellt noch keine demokratietheoretische Einbindung der Theorie des politischen Entscheidungsprozesses dar. Die institutionelle Anpassung an das jeweilige Politikfeld ist noch nicht Ausdruck demokratischen Handelns, sondern steht noch neben dem Demokratieprinzip und begrenzt es. Auch andere Autoren, die einen aufgabenbezogenen Ansatz fordern, gehen nicht weiter auf dessen Inhalt ein. Stern fordert beispielweise, der staatliche Aufbau solle so gegliedert werden, dass „die Staatsaufgaben und Entscheidungen auch von solchen Organen erledigt und getroffen werden, die nach ihrer inneren Struktur, Besetzung, Arbeitsweise, dem zu beobachtenden Entscheidungsprozeß usw. für die betreffende Aufgabe legitimiert und gerüstet sind, effizient zu entscheiden 92 ". Weitergehende Folgerungen für den Staatsaufbau aus Meinungsbildungsmodellen nimmt er aber nicht vor. Es bleibt unklar, was mit der Voraussetzung, „die für die betreffende Aufgabe legitimiert und gerüstet sind, effizient zu entscheiden" gemeint ist. Diese Frage kann auch erst mittels einer Verknüpfung von Analyse der Meinungsbildung und normativen Erwartungen der Meinungsbildung beantwortet werden. Ähnlich ist der Ansatz von Dreier, nach dem für die Legitimation verselbständigter Verwaltungseinheiten, die weder im Grundgesetz verankert sind noch sich auf das Demokratieprinzip stützen können, auf funktionale Aspekte abzustellen ist93. Er unterscheidet eine Kooperationsfunktion, eine Distanzierungsfunktion und eine Praktikabilitätsfunktion, die jeweils eine Verselbständigung rechtfertigen können. Nach der Kooperationsfunktion 90

E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 432. Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 203. 92 K. Stern, Staatsrecht I, § 2 0 I V 3, S. 793; siehe dazu auch F. Ossenbühl, Aktuelle Probleme der Gewaltenteilung, DÖV 1980, S. 545, 549. 93 H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 277ff. 91

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nimmt der Staat gesellschaftliche Strukturen in Anspruch, um seine Aufgaben effizienter zu erfüllen 94 . Die Distanzierungsfunktion beinhaltet die Delegation von Aufgaben, die der Staat nach seiner eigenen Handlungslogik nicht optimal erfüllen kann. Unter dieser Fallgruppe ordnet er die in dieser Arbeit untersuchten Institutionen ein, er nennt sie Verwaltungsentscheidungen quasi judizieller Natur. Die Praktikabilitätsfunktion stellt auf sachadäquate Aufgabenerfüllung ab95. Näheres zu diesen Ansätzen erläutert Dreier nicht, einen Ansatz zur Legitimation solcher Organe bietet er nicht an. Schulze-Fielitz beschreibt die Anpassung der staatlichen Institutionen an die gesellschaftlichen Differenzierungen und damit eine Ausdifferenzierung nach Aufgabenfeldern96. Hinter der Einheit des Staates verberge sich eine heterogene Vielfalt von staatlichen Aufgabenträgern i.S. eines „Netzwerks verselbständigter Verwaltungseinheiten", die den Verfassungsstaat als pluralistisch kennzeichneten97. Allerdings geht er diesem Ansatz nicht weiter nach und bezieht die Vielfalt des staatlichen Handelns eher auf die verschiedenen möglichen staatlichen Handlungsformen als auf institutionelle Schlussfolgerungen. 2. Demokratieprinzip

und

Grundrechtsschutz

Der Grundsatz der organisationsrechtlichen Ausgestaltung des Grundrechtsschutzes ist in der staatsrechtlichen Literatur und der Rechtsprechung seit den 1970er Jahren anerkannt98. Aus der Notwendigkeit des Schutzes der Grundrechte und des Rechtsstaatsprinzips wird die Notwendigkeit gefolgert, unabhängige Institutionen zu bilden99. Diese Konsequenz entspricht der Ein94

H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 280. H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 281. 96 H. Schulze-Fielitz, Der Leviathan auf dem Weg zum nützlichen Haustier?, in: R. Voigt, Abschied vom Staat - Rückkehr zum Staat?, S. 95, 116ff. 97 H. Schulze-Fielitz, Der Leviathan auf dem Weg zum nützlichen Haustier?, in: R. Voigt, Abschied vom Staat - Rückkehr zum Staat?, S. 95, 116ff., 118; H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 211ff. 98 Zur Entwicklung des Grundrechtsschutzes durch Organisation und Verfahren siehe G. F. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 552ff. 99 Für institutionelle Formen der Freiheitssicherung: Chr. Starck, FG BVerfG, Bd. 2, S. 480ff.; H. Bethge, Grundrechtsverwirklichung und Grundrechtssicherung durch Organisation und Verfahren, in: NJW 1982, S. lff.; H. Jarass, Grundrechte als Wertentscheidung bzw. objektivrechtliche Prinzipien in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Archiv des öffentlichen Rechts 110 (1985), S. 363ff.; K. Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, S. 888ff.; E. Derminger, Staatliche Hilfe zur Grundrechtsausübung durch Verfahren, Organisation und Finanzierung, in J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR V, § 113; grundsätzlich skeptisch E.-W. Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznonnen, in: Der Staat 29 (1990), S. lff. 95

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sieht, dass der demokratisch-repräsentative Prozess nicht alle diese Aufgaben erfüllen kann. Die institutionelle Ausformung dieses Prinzips findet sich wie unter Kapitel 2 B II. dargestellt in den staatlichen Rundfunkanstalten, staatlichen Universitäten, die als Institutionen in grundrechtssensiblen Bereichen weisungsfrei gegenüber Regierung und Parlament gestellt sind. Die genannten staatlichen Organe haben nicht nur die Pflicht, die materiellen Grundrechte zu beachten, sie müssen ihnen auch durch eine entsprechende Verfahrensgestaltung Wirksamkeit verschaffen 100 . Die Auswirkungen der Grundrechte erschöpfen sich nicht in der Garantie effektiven Rechtsschutzes. Vielmehr hat die Grundrechtswirkung auch auf die Gestaltung des vorherigen behördlichen Verfahrens Einfluss. Insbesondere Denninger zeigte dann, dass neben dem grundrechtsschützenden Verfahren auch grundrechtsschützende Organisation als geboten anzusehen ist101. Kern des Freiheitsschutzes ist danach für die Rundfunkanstalten, dass alle gesellschaftlichen Kräfte zu Wort kommen, Einfluss auf die Programmgestaltung haben und sich in einem inhaltlich ausgewogenen Gesamtprogramm zur Geltung bringen können 102 . Um diesen Ansatz in Einklang mit dem hierarchischen Steuerungsmodell zu bringen, muss ein Vorrang des objektiven Grundrechtsschutzes durch Organisation und Verfahren vor der Leitungsbefugnis der unmittelbar demokratisch gewählten Institutionen angenommen werden 103 . In welchen Bereichen aber ein solcher Grundrechtsschutz geboten ist und wann er eine formelle Unabhängigkeit von den politischen Institutionen erfordert wird nicht sehr deutlich. Ungeklärt blieb beispielsweise, ob aus Art. 14 GG ein Anspruch auf eine Organisationsform abgeleitet werden kann, die eine antiinflationäre Währungspolitik garantiert. Darüber hinaus wird der Grundrechtsansatz viele Bereiche nicht erfassen können, in denen aber gerade die Notwendigkeit unabhängiger Institutionen diskutiert wird: im Bereich von Wettbewerbs- und Regulierungspolitik (etwa Post- oder Telekommunikationsregulierung) wird es schwer fallen, ein grundrechtliches Bedürfnis nach einer formell weisungsunabhängigen Organisationsstruktur darzulegen. Im Ergebnis ist der Ansatz des Grundrechtsschutzes durch Organisation und Verfahren überzeugender als die meisten anderen Ansätze. Er bleibt aber wegen seiner Grundrechtsbezogenheit zu begrenzt. Wird er deswegen auf 100

BVerfGE 53, 30, 72f. - Mühlheim-Kärlich. E. Denninger, a.a.O., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR V § 113, S. 291ff., insbesondere Rz. 32. 102 Dazu näher G. F. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 556ff. 103 E. Denninger, a.a.O., Rz. 28 betont die elementare Bedeutung der Grundrechte für die Mitwirkungsfähigkeit des Bürgers am demokratischen Prozeß. 101

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weitere Felder ausgedehnt, besteht die Gefahr, dass das Erfordernis eines Grundrechtsschutzes durch Organisation beliebig wird. Auf den Grundrechtsschutz durch Organisation und Verfahren wird in Kapitel 6 B. vertieft eingegangen. III. Zum pluralistisch-partizipativen

Legitimationsansatz

Neben dem rechtsstaatlichen Konzept zur Legitimierung unabhängiger Institutionen ist der sogenannte pluralistische oder partizipative Legitimationsansatz weit verbreitet. Von der staatlichen Exekutive unabhängige Institutionen sind danach dann demokratisch gerechtfertigt, wenn sie mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppierungen besetzt sind. Für unabhängige Institutionen vermittelt nach Ansicht der Pluralisten „unter dem Aspekt des Demokratieprinzips relevante eigenständige Legitimation nur die pluralistischen Formen des Kollegialprinzips, die eine administrative Interessenvermittlung vorsehen, in die ehrenamtliche Vertreter gesellschaftlicher Interessen einbezogen werden. Entscheidend ist, dass die Personalauswahl nicht wie in der bürokratischen und professionellen Verwaltung durch eine andere staatliche Stelle nach möglichst objektivierten fachlichen Kriterien erfolgt, sondern durch gesellschaftliche Gruppen104." Organisatorische Konsequenz aus diesem Ansatz ist, dass als Besetzungsverfahren für unabhängige Institutionen nur der partizipative Typ oder die Delegation an privatautonom gebildete Verbände (korporativer Typ) in Frage kommt105. Der pluralistisch-partizipative Ansatz kann damit nicht für die Analyse der Legitimation von Kartellamt oder unabhängiger Zentralbank dienen, aber immerhin für Organe wie Rundfunkanstalten oder Universitäten herangezogen werden. Der partizipative Ansatz lehnt das Konzept symbolischer Repräsentation als unzutreffend ab. Ansatzpunkt der Kritik ist aber im Kern weniger das Bild des Entscheidungsprozesses als die Tatsache, dass nach dem monistischen Verständnis ein einheitliches Volk repräsentiert wird, nach pluralistischer Auffassung aber die Vielzahl der Bürger zu repräsentieren ist. Kritisiert wird, dass aus der einheitlichen Legitimationsgrundlage (ein Volk) ein einheitlicher Legitimationsendpunkt abgeleitet wird (ein Repräsentationsorgan). Nimmt man die Vielzahl der Individuen als Legitimationsgrundlage 104 105

Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 197. Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 197, m.w.N. in Fn. 200.

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ernst, könne das Dogma eines einzigen Legitimationsendpunkts (Repräsentationsorgan) nicht aufrechterhalten werden, weil sich der Wille der Individuen möglichst individuell äußern solle, und nicht möglichst zentriert in einem einzigen Repräsentationsorgan. An die Stelle eines einheitlichen, zu repräsentierenden Volkes tritt das Element der Selbstherrschaft der Individuen106. Es wird zurückgegriffen auf den Gedanken, dass Demokratie zu Beginn der Aufklärung, etwa bei Rousseau, besonderen Wert auf die Mitwirkung aller Bürger im Entscheidungsprozeß legte107. In dieser Sichtweise wird vom partizipativen Ansatz wiederum auf das Element personeller demokratischer Legitimation abgestellt. Die pluralistisch-partizipative Theorie greift zur Begründung ihres Ansatzes auf ein bestimmtes Modell politischer Entscheidungsfindung zurück, nämlich den des diskursiven oder deliberativen Entscheidungsprozesses. Dieses Modell wurde am Anfang maßgeblich von Habermas entwickelt108, später aber von einer Vielzahl von Autoren, besonders in den Vereinigten Staaten, aufgenommen und weiterentwickelt109. Die deliberative Interpretation politischer Entscheidungsfindung, die die Überwindung individueller Interessen zum Gemeinwohl hin durch Diskurs und Deliberation betont, war eine Reaktion auf die pluralistischen, liberalen und pragmatischen Analysen des politisch-demokratischen Entscheidungsprozesses, die vor allem die Rolle von Eigeninteressen und den Verhandlungscharakter politischer Entscheidungsfindung hervorhoben. Nach der deliberativen Theorie soll durch prozedurale Entscheidungsregeln der politische Entscheidungsprozeß so gestaltet werden, dass durch den Austausch von Meinungen und Argumenten die Orientierung der Akteure an ihren Eigeninteressen überwunden wird und eine Neuformierung der Interessen derart stattfindet, dass die Argumente aller in die Entscheidung mit einfließen und der Diskurs so zu einem rati106

Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 166; siehe für eine ähnliche Argumentation für die Gemeinschaftsebene unten in Teil 5, A. Verhoeven, The European Union in Search of a Democratic and Constitutional Theory, S. 24ff. 107 Vgl. dazu den Ansatz zur Legitimierung partizipativer Demokratie auf europäischer Ebene bei A. Verhoeven, The European Union in Search of a Democratic and Constitutional Theory, die ebenfalls auf den Gesellschaftsvertrag Rousseaus zurückgreift, und aus ihm den Grundsatz der Selbstherrschaft der Individuen ableitet. A. Verhoeven erkennt im Gesellschaftsvertrag zwei gleichwertige Elemente: zum einen einen Vertrag zur Etablierung eines kollektiven Herrschaftsorgans, zum anderen einen Vertrag der Individuen untereinander zur Bestätigung der Selbstherrschaft. Siehe näher dazu Kapitel 10 unter A. Verhoevens Ansatz der .funktionalen Repräsentation". 108 J. Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, 1992. 109 Beispielsweise S. Chambers, Reasonable Democracy. Habermas and the Politics of Discourse, 1996; C. Nino, The Constitution of Deliberative Democracy, 1996.

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onalen, gemeinwohlähnlichen Resultat führt110. Viele Vertreter des deliberativen Ansatzes, darunter Habermas selbst, sehen deliberative Prozesse als „Lieferanten" von Argumenten, Lösungsvorschlägen und Interpretationen, während die formalen Entscheidungen weiterhin bei den politischen, und vor allem parlamentarischen Institutionen verbleiben111. Die Forderung der partizipativen Demokratietheorie nach pluralistisch besetzten Entscheidungsgremien geht damit weiter als der ursprüngliche deliberative Ansatz112. Begründet wird dies mit dem Argument, eine Reduzierung des deliberativen Ansatzes auf eine reine Beratungsfunktion würde den Qualitäten und Kapazitäten des deliberativen Ansatzes nicht gerecht113. Nach einer Ausformung des pluralistischen Ansatzes sollen deswegen kollegial besetzte Organe zwingend weisungsfrei gestellt werden114. Von der Kollegialstruktur eines Organs geht danach nicht nur eine Indizwirkung für die Weisungsfreiheit dieses Organs aus. Die Weisungsfreiheit wird sogar als sachlogisches Erfordernis erachtet. Weder Einbringung externen Sachverstandes noch Repräsentation gesellschaftlicher Partikularinteressen vertrüge sich mit der Zulässigkeit von Weisungen115. Die gemeinsame Beratung mache nur Sinn, wenn das Ergebnis nicht von vornherein feststehe, sondern erst im Laufe der Diskussion erarbeitet werde116. Die kollegiale Besetzung erhöhe die Wahrscheinlichkeit korrekter Rechtsanwendung. Ein Rechtsbruch würde leichter durch einen einzelnen Sachwalter begangen als durch ein Gremium, in dem eine Mehrheit dafür schwer zu finden sei117. Die Gründe für die höhere Richtigkeitsgewähr finden eine Parallele bei der kollegialen Besetzung von Spruchkörpern in Gerichten. Die prozedurale Rationalität von Kollegialorganen sei allein geeignet, Interessenausgleich und 110

J. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 359; Habermas selber sieht sich als „Radikaldemokrat", da er vorrangig auf die Natur des Entscheidungsprozesses abstellt, siehe J. Habermas, Faktizität und Geltung, Vorwort. Sein Ansatz ähnelt dabei in vielerlei Hinsicht dem in den Vereinigten Staaten verbreiteten „Republikanismus", worauf Habermas auf S. 359 hinweist. 111 J. Habermas, Faktizität und Geltung, etwa S. 362ff.: Habermas will nicht die bestehende institutionelle Struktur verändern, sondern den politischen Entscheidungsprozeß im deliberativen Sinne gestalten, insbesondere politische Beratung erhält dabei einen hohen Stellenwert. 112 Auch für die Gemeinschaftsebene wird die deliberative Theorie diskutiert, aber nur von wenigen auch Entscheidungskompetenzen pluraler Organe gefordert, siehe unten Teil 5. 113 Etwa J. Cohen/Ch. Säbel, Directly-Deliberative Polyarchy, in: European Law Journal 1997, S. 313-342. 114 Umfassend zum Streitstand: M. Jestaedt, Demokratieprinzip und KondominialVerwaltung, S. 116, Fn. 404. 115 M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 117. 116 Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 50 mit weiteren Nachweisen. 117 Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 206.

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damit einen sachgerechten Entscheidungsprozeß zu gewährleisten118. Der Streit um die Unabhängigkeit von Kollegialorganen besteht in der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft fort und kann jüngst am Streit um die Stellung der Telekommunikationsbehörde nach §§ 66 ff. TKG verfolgt werden119. Aus den Elementen Partizipation und Sachverstand wird auf Weisungsfreiheit geschlossen. Das Argument des Sachverstandes allein kann als Element demokratischer Legitimität nur zweitrangig sein120. Der pluralistisch-partizipative Ansatz kann aber aus mehreren Gründen keine Grundlage für die Legitimation unabhängiger Institutionen bieten. Zum einen bietet er in theoretischer Hinsicht kein klares Modell des politischen Entscheidungsprozesses. Die Theorie der Überwindung von Eigeninteressen durch Diskurs bleibt unscharf121. Sie ähnelt in methodischer Hinsicht dem idealisierenden Repräsentationsverständnis, das sie selber zu überwinden versucht. Zudem kann der partizipative Ansatz keine unabhängigen Institutionen erklären, die nicht partizipativ angelegt sind. Der Unterschied zwischen dem in dieser Arbeit verfolgten und dem partizipativen Ansatz zeigt sich in folgendem Beispiel: für den partizipativen Legitimationsansatz ist die demokratische Legitimation einer unabhängigen Fernseh- und Rundfunkbehörde bereits gegeben, wenn diese mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppen besetzt wird. Eine Fernseh- und Rundfunkbehörde ist „aus Repräsentanten aller bedeutsamen gesellschaftlichen Gruppen zu besetzen, damit diese die Kräfte, die die Programmgestaltung bestimmen, im Sinne des Pluralismus korrigieren könnten122". Demokratische Legitimation besitzen pluralistisch besetzte Institutionen nach dem in der vorliegenden Arbeit verfolgten Konzept aber nur, wenn ihre pluralistische Struktur zur Sicherung des gewünschten Meinungsbildungsprozesses beiträgt. Es ist aber zweifelhaft, ob pluralistisch besetzte Gremien, in denen gerade Interessengruppen zu Wort kommen, in allen Fällen normativen Inhalten des Demokratieprinzips nachkommen können123. Andere Autoren sahen die Neutralität der Rundfunkanstalt deswegen am besten durch eine Verstaatlichung gesichert124, dann eben in Form einer unabhängigen Institution. Keine pluralis118

Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 207. K. Oertel, Die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde nach §§ 66 ff. TKG, S. 238ff. 120 Siehe dazu bei M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 590ff. 121 So auch K.-H. Ladeur, „Deliberative Demokratie" und „Dritter Weg" - eine neue Sackgasse?, in: Der Staat 2002, S. 12. 122 BVerfGE 12, 205, 261f. 123 Chr. Engel, Nebenwirkungen wirtschaftsrechtlicher Instrumente, in: Engel/Morlok (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 195. 124 K. A. Bettermann, Rundfunkfreiheit und Rundfunkorganisation, in: DVB1. 1963, S. 41ff., 43. 119

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tisch besetzten Rundfunk- und Fernsehanstalten, sondern staatlich unabhängige Institutionen existieren etwa in Frankreich125 und den Vereinigten Staaten126. IV. Staatsorganisationsgrundsätze zur Begründung unabhängiger Institutionen I. Grenzen des Mehrheitsprinzips als Grund für unabhängige Institutionen Die Begrenzung des Mehrheitsprinzips war wie oben angesprochen einer der Hauptgründe für die Entstehung von unabhängigen Institutionen, vor allem in den Vereinigten Staaten. In der deutschen Literatur hat dieser Aspekt weniger Aufmerksamkeit erfahren. Die Debatte um unabhängige Institutionen erfolgte schwerpunktmäßig im Zusammenhang mit den anderen dargestellten Ansätzen. Heun untersuchte das Mehrheitsprinzip als Verfahren in der Demokratie und unterscheidet immanente und heteronome Begrenzungen des Mehrheitsprinzips. Grundsätzlich ähnelt ein solcher Ansatz der amerikanischen Herangehensweise. Im seinem Kapitel über die heteronomen Begrenzungen des Mehrheitsprinzips geht Heun zum einen auf den Schutz der Grundrechte und Gruppenautonomie sowie Minderheitenschutz als normative Grenzen ein, des weiteren auf Verfassung und Gewaltenteilung als juristische und institutionelle Ausformungen dieser Grundsätze und schließlich auf faktische Grenzen des Mehrheitsprinzips wie das Effektivitäts-, Zeitund Kostenproblem127. Heun benennt damit einige Aufgabenbereiche, die dem Mehrheitsprinzip nicht unterworfen werden sollten. Nur behandelt er die „Kosten" der Mehrheitsentscheidungen. Die Problematik der Durchsetzungsfähigkeit von Gruppeninteressen in der pluralistischen Gesellschaft lässt er weitgehend außer Acht. Vielmehr betont er die Notwendigkeit der Existenz eines Grundkonsenses im Volk und einer gewissen gesellschaftlichen Homogenität für die Anwendung des Mehrheitsprinzips128. Seine Darstellung über das Verfahren der Mehrheitsentscheidung geht auf formale 125 Siehe unten zum Conseil Supérieur de l'Audiovisuel in Frankreich, dessen Mitglieder vom Präsidenten der Rpublik, der Nationalversammlung und dem Senat (je drei) ernannt werden. 126 Siehe unten zur Fédéral Communications Commission, einer sogenannten Independent Regulatory Commission, deren Leitungsgremium sich aus Staatsbediensteten zusammensetzt, und nicht aus Vertretern gesellschaftlicher Gruppen. Bei einer solche Organisationsweise bestehen allerdings auch Gefährdungen der Unabhängigkeit: derzeit ist beispielsweise der Bruder des amerikanischen Außenministers, Colin Powell, Vorsitzender der Fédéral Communications Commission. 127 W. Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 222ff„ 244, 256ff. 128 W. Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 176ff.

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Aspekte des Verfahrens ein, aber nicht auf Aspekte der Meinungsbildung und Durchsetzung. Schließlich kommt er zu keiner organisationsrechtlichen Schlussfolgerung für den Institutionenaufbau in der Demokratie. 2. Gewalten- und Funktionenteilung als Grundlage für die Legitimation unabhängiger Institutionen ? Aus dem Prinzip der Funktionen- oder Gewaltenteilung heraus wird auf verschiedene Weise versucht, zu begründen, warum ministerialfreie Räume mit dem Demokratieprinzip vereinbar sind. Groß sieht in dem monistischen Legitimationsmodell eine unzulässige Verkürzung des Gewaltenteilungsgedankens auf eine bloß organisatorische Verselbständigung der Verwaltung, die danach inhaltlich völlig uneigenständig ist, weil sie den Willen des Parlamentes bis in das letzte Verwaltungsglied umsetzen soll129. Einem modernen Funktionenteilungsgedanken gehe es dagegen um eine differenzierte Verteilung verschiedener Handlungsmodalitäten auf verschiedene Organisationsteile130. Die Eigenständigkeit der Verwaltung rechtfertige sich aus der eigenen institutionellen Legitimation im Rahmen der Gewaltenteilung131. Die Trennung von Gesetzgebung und Vollziehung beruhe auf einer funktionalen Trennung zwischen abstrakter Regelsetzung und Einzelfallanwendung, die durch die monistische Legitimationstheorie verwischt werde. Im Einzelfall sei häufig eine autonome administrative Willensbildung erforderlich, da eine Vorabentscheidung durch vollzugsfähige Normen nicht gegeben sei132. Nach Groß erbringt dabei allerdings nur die pluralistische Form des Entscheidens eine eigenständige demokratische Legitimation133. Ohne diese letzte Einschränkung argumentiert Möllers ansonsten ähnlich wie Groß, dass Art. 20 Abs.2 S.2 GG der Exekutive eine Kompetenz für Konkretisierungsleistungen zuweise134. Allerdings bezieht sich Möllers auch nur auf das Beispiel der Re-

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Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 190 m.w.N. H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 175f.; E. Schmidt-Aßmann, a.a.O., in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 24 Rz. 49f.; K. Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 521ff. 131 E.-W. Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 79f. 132 M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 596, der eine strenge Ministerialhierarchie als Grundlage demokratischer Verwaltung ansieht, nimmt gerade aus diesem Grunde an, die Kondominialverwaltung Verstösse gegen das Demokratieprinzip, weil sie keine Steuerung von Behördenentscheidungen auf Basis der erforderlichen Legitimationskette zulasse. 133 Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 197. 134 Chr. Möllers, Gewaltengliederung, S. 131. 130

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gulierungsbehörde für Post und Telekommunikation135, die aufgrund ihrer sehr begrenzten Unabhängigkeit kein großes Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Unabhängigkeit verursacht136. Andere Autoren versuchen das demokratische Defizit unabhängiger Institutionen entsprechend dem oben dargelegten Konzept von Böckenförde durch die institutionelle Legitimation zu kompensieren137. Zu den dargestellten Ansätzen ist zu sagen, dass der Funktionen- oder Gewaltenteilungsansatz alleine keinen eigenen Ansatzpunkt zur Begründung demokratischer Legitimation bietet. Legitimationswirkungen aus dem Gewaltenteilungsgedanken finden ihre Grenze immer in der Reichweite des „eigentlichen" Demokratieprinzips, auch wenn diese beiden Prinzipien im funktionalen Legitimationsmodell miteinander verwoben sind. Exekutive und Legislative sind nach dem herrschenden Verständnis grundsätzlich unmittelbar demokratisch zu legitimieren durch Wahlen und hierarchische Verwaltung. Eine „funktionelle Legitimation" nach Groß oder die Annahme von nicht näher konkretisierten Konkretisierungsbefugnissen der Exekutive nach Möllers im Sinne von Zweck- oder Praktikabilitätserwägungen bleibt demgegenüber immer ein ergebnisbezogenes Surrogat mit geringerer Legitimationswirkung138. Eine solche Konkretisierungsbefugnis kann nicht klären, ob und inwieweit Geld- oder Wettbewerbskontrolle durch unabhängige Institutionen selbständig wahrgenommen werden kann. Für weiterführende Überlegungen wie eine Kontrolle der Exekutive bei Beihilfenvergabe oder Haushaltspolitik kann sie schließlich nicht weiterhelfen. Einen anderen Ansatz verfolgt Waechter bei Heranziehung des Gewaltenteilungsprinzips. Aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz und der ihm inhärenten Kontrollfunktion schließt Waechter auf die Notwendigkeit weisungsfreier Kontrollinstanzen. Die Judikative als Kontrollgewalt lasse mangels Weisungsgebundenheit die eigentlich nötige sachlich-inhaltliche Legitimation 135 Durch das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 12. Juli 2005 umbenannt in Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post, Eisenbahnen. 136 Chr. Möllers, Gewaltengliederung, S. 132. 137 Der Ausdruck der funktionellen Legitimation ist allerdings älter und wurde bereits von Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 196ff. verwandt; die Kompensationslösung entspricht dem Konzept von E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987) § 22, Rz. 15. 138 Zur funktionellen Legitimation weiterführend E. Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, in AöR 1991, S. 364f.; Röhl, Staatliche Verantwortung in Kooperationsstrukturen, in: Die Verwaltung 1996, S. 502; Chr. Möllers, Braucht das öffentliche Recht einen neuen Methoden- und Richtungsstreit?, in: Verwaltungsarchiv 1999, S. 200f.; Th. von Danwitz, Der Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur, in: Der Staat 1996, S. 334f.

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vermissen139. Konsequenz aus dieser Beobachtung sei, dass der notwendige Grad demokratischer Legitimation von Institutionen je nach Funktion schwanke. Sein Lösungsansatz für die Legitimation unabhängiger Institutionen geht von treuhänderischer Verantwortung als demokratischem Legitimationstyp aus140. Problematisch an diesem Ansatz ist zum einen, Institutionen wie die Bundesbank als Kontrollorgane zu bezeichnen, weil die Bundesbank in Wirklichkeit eine gemischt gestaltend-sachverständige Funktion erfüllt. Zum anderen ist es unbefriedigend, für einen wichtigen Teil der Staatsorganisation einfach von einen niedrigeren Legitimationserfordernis auszugehen. Deutlich wird, dass die Eigenheiten des Entscheidungsprozesses als entscheidend für die organisatorische Ausgestaltung erkannt werden. Allerdings gelingt der Anschluss an das Demokratieprinzip über die Brücke der „Kontrollfunktion" nicht. Nach Grimm ist die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit und der Gewaltenteilung ein Ausfluss der Sicherung durch Selbstbindung141. Die Garantiefunktion des Rechts und der Schutz des Gesetzesvorbehaltes könne nicht gewährleistet werden, wenn die staatliche Exekutive die Voraussetzungen zulässiger Eingriffe festlege142. Auch Fichtmüller und Sehlaich betonten den „Selbstschutzgedanken" am Beispiel der deutschen Bundesbank143. Das Grundgesetz unterscheide zwischen Leitung (durch Weisung, Verwaltungsvorschrift oder informelle Empfehlung) und Aufsicht144. Der Begriff „Aufsicht" beinhalte trotz verschiedener Ausformungen und Intensität den Gedanken der Kontrolle ansonsten selbständigen Handelns145. An diesem Ansatz von Fichtmüller sind insbe139 K. Wächter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem, S. 67ff. 140 K. Wächter, Geminderte demokratische Legitimation, S. 67ff. 141 D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben und die Krise des Rechtsstaats, in: ders.: Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, S. 294. 142 D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben und die Krise des Rechtsstaats, in: ders.: Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, S. 293. 143 C.-P. Fichtmüller, Zulässigkeit ministerialfreien Raums, AöR 91 (1966), S. 348; K. Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 71. 144 Siehe etwa Art. 85 Abs. 3, Abs. 4 GG; C.-P. Fichtmüller, Zulässigkeit ministerialfreien Raumes, AöR 91 (1966), S. 335f.; ebenso später D. Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, S. 135. 145 C.-P. Fichtmüller, a.a.O., S. 335f.; sich anschließend D. Czybulka, a.a.O., S. 135., der darauf hinweist, daß bereits Lorenz vom Stein, der sonst gerne als Begründer des Ministerialsystems genannt wird (etwa von C.-P. Fichtmüller, a.a.O, S. 304), für das Verhältnis der Regierung zur Selbstverwaltung die Rechtsfigur der „Oberaufsicht" entwickelt (siehe Lorenz vom Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, 2. Aufl., Stuttgart 1876, S. 40f.). Nach Lorenz vom Stein ist die „Herstellung der vollen Öffentlichkeit" der „gesamten beschließenden und

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sondere zwei Kritikpunkte anzubringen. Erstens bleibt unklar, nach welchen Kriterien die Aufsicht ausgestaltet werden soll, und zweitens beinhaltet der Begriff der Aufsicht heute mit der Fachaufsicht sehr weitgehende Beeinflussungsmöglichkeiten. Der Selbstbindungsgedanke ähnelt der Distanzierungsfunktion von Dreier, die oben erwähnt wurde. Ähnlich dem Ansatz von Dreier bietet Fichtmüller keine befriedigende Antwort auf die Frage der demokratischen Legitimation, weil kein Zusammenhang zwischen politischer Verantwortlichkeit und Unabhängigkeit hergestellt wird. Weitere Untersuchungen oder Annahmen über den Meinungsbildungsprozeß und seine Zusammenhänge mit der Staatsorganisation werden nicht geäußert, obwohl dieser Punkt als entscheidend für die Frage des Institutionenaufbaus betrachtet wird. V. Interessenbezogenes Konzept der Staatsorganisation Von Arnim beschreibt, inwieweit Gruppeninteressen für das Staatshandeln problematisch sein können und leitet daraus eine Repräsentationsfunktion unabhängiger Institutionen wie dem Bundesverfassungsgericht, der Bundesbank, dem gesamtwirtschaftlichen Sachverständigenrat oder dem Rechnungshof ab146. Diese Institutionen repräsentieren nach von Arnim durchsetzungsschwache Interessen im politischen Entscheidungsprozeß. Von Arnim bezieht die sozialwissenschaftlichen Untersuchungen explizit als output-, also ergebnisbezogene Elemente des Demokratieprinzips in die Demokratietheorie ein147. Die formelle Konzeption des Demokratieprinzips entspreche der Input-Seite des Demokratieprinzips. Wie allerdings oben klar wurde, stellt auch die symbolische Legitimation von Institutionen auf ein bestimmtes Ziel, nämlich die Umsetzung des Volkswillens ab. Warum diese Einteilung in Input- und Output bei vertragstheoretischen Ansätzen nicht weiterführend ist, wird in Kapitel 8 B V erläutert. Jedenfalls entwickelt von Arnim keine umfassende demokratietheoretische Begründung für unabhängige Institutionen, sondern bezieht sich auf deren ergebnisverbessernde Eigenschaften. Von Brünneck beschreibt in den neunziger Jahren die Gefahren, die von einer politisch manipulierbaren Verwaltung ausgehen. Er sieht die Gefahr der Vernachlässigung langfristiger Probleme und eine zunehmende Orientievollziehenden Thätigkeit" der Selbstverwaltung ein besonders wichtiges Aufsichtsmittel der Regierung (L. vom Stein, a.a.O., S. 41). 146 H.H.v.Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, zu Demokratieprinzip und Gemeinwohl insbesondere S. 43ff., 50ff., zur Repräsentationsfunktion der einzelnen unabhängigen Institutionen siehe S. 212ff. 147 H.H.v.Arnim, a.a.O., S. 43f.

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Legitimationsmodell

rung des Handelns an den Interessen der nächsten Wahl. Unter dem Einfluss der Medien sei die Verwaltung immer mehr zu einem Veranstalter des Schaugeschäfts verkommen148. Er sieht die Gefahr, dass gut organisierte Interessen sich auf Kosten der allgemeineren Interessen im Verwaltungshandeln durchsetzen149. Ausgehend von diesem Bild über den Meinungsbildungsprozeß in der Verwaltung kommt er zu dem Schluss, dass einzelne Behörden notfalls im Klagewege gegen andere Behörden ihre zugewiesenen Aufträge durchsetzen können müssten. Die Umweltbehörde müsste beispielsweise gegen die Bauplanungsbehörde, die Verbraucherbehörde gegen die Gewerbeaufsicht klagen können150. Dies würde eine Abkehr vom Bild der einheitlichen Verwaltung bedeuten. In diesem Zusammenhang müssten sich Behörden auch auf die Grundrechte berufen können, was seit der Sasbach-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts151 unmöglich ist. Von Brünneck fordert deshalb eine Förderung der Eigeninteressen der Verwaltung am Gesetzesvollzug, d.h. der ihr übertragenen Aufgaben152. Er geht dabei so weit, zu fordern, eine Kontrolle der Verwaltung solle nicht das Ziel verfolgen, die Verwaltung als Instrument der politischen Führung auszugestalten, sondern sie in den pluralistischen Willensbildungsprozeß der Demokratie einzugliedern. Das geeignete Mittel für eine solche Eingliederung sieht er in Popular- und Verbandsklagen durch die Bürger sowie einer stärkeren Kontrolle der Verwaltung durch die öffentliche Meinung153. Eine demokratietheoretische Fassung seines Ansatzes unterbleibt aber.

D. Organisation und Legitimation der Gerichtsbarkeit im Spiegel des symbolischen Repräsentationsmodells Viele Argumente der Diskussion um die Bildung unabhängiger Institutionen, etwa Begrenzung des Mehrheitsprinzips, Neutralitätserfordernis, Funktionalität des Staatsaufbaus, prozeduraler oder institutioneller Grundrechtsund Gemeinwohlschutz, finden sich sowohl in der Diskussion um die Legitimität der Verfassungsgerichtsbarkeit als auch in der Diskussion um die ministerialfreien Räume. Diese Gemeinsamkeit zeigt, dass unabhängige In148

A. v. Brünneck, Das Demokratieprinzip und die demokratische Legitimation der Verwaltung, S. 259, in: Grimm, Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfahigkeit des Rechts. 149 A. v. Brünneck, a.a.O., S. 257. 150 A. v. Brünneck, a.a.O., S. 262. 151 BVerfGE 61, 82. 152 A. v. Brünneck, a.a.O., S. 263. 153 A. v. Brünneck, a.a.O., S. 265f.

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stitutionen in ihren verschiedenen Funktionen letztlich ähnlichen Zielen dienen sollen, nämlich der Stärkung bestimmter Aufgabenbereiche im politischen Prozess durch Isolierung von Mehrheitsentscheidungen. Allerdings verhindert das funktionale Legitimationsmodell, diese gemeinsamen Argumente in einem Legitimationsansatz für unabhängige Institutionen zu fassen. Stattdessen wird für die Gerichtsbarkeit eine andere Legitimationsbasis als für ministerialfreie Räume konstruiert. I. Legitimationsverständnis

und

Richterauswahl

Das dargestellte Demokratieverständnis hat auch Auswirkungen auf die Organisation und das Legitimitätsverständnis der unabhängigen Gerichtsbarkeit. Die organisatorische Unabhängigkeit der Gerichte findet ihre Grundlage in Art. 20 Abs. 2 GG, dem Gewaltenteilungsprinzip. In Art. 92 GG wird dies präzisiert und ergänzt, in den folgenden Artikeln wird in einem eigenen Abschnitt die rechtsprechende Gewalt geregelt. Die im Grundgesetz festgelegten Mechanismen zur Auswahl der Richter und Kontrollmechanismen der Gerichtsbarkeit spiegeln das Demokratieverständnis wieder. Die Auswahl der Richter an den obersten Bundesgerichten orientiert sich an fachlicher Eignung der Kandidaten einerseits154 und an dem Grundsatz demokratischer Auswahl andererseits, der institutionell das entscheidende Element darstellt155. Die demokratische Legitimation der Richter wird nach deutscher Vorstellung vor allem durch die demokratischen Mechanismen der personellen Auswahl und ihre strenge Gesetzesbindung gewährleistet156. Eine Richterauswahl durch die Judikative157 gibt es nicht, da sie nach deutschem Verständnis mit dem Demokratieprinzip unvereinbar wäre158. Die Richter am Bundesverfassungsgericht werden von Bundestag und Bundesrat gemeinsam gewählt159. In der Praxis führte dies dazu, dass die beiden großen Parteien sich gegenseitig eine Art „Vorschlagsrecht" für die Richterstellen zugestehen160. Wird eine Stelle frei, so schlägt die „zuständi154

Art. 33 Abs. 2 GG. Art. 95 Abs. 2 GG. 156 Statt aller E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 22 Rz. 14ff. 157 Eine Richterauswahl besteht teilweise in den Bundesstaaten der Vereinigten Staaten, s.u. bei „unabhängige Institutionen in den Vereinigten Staaten". 158 Etwa E.-W. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, S. 80. 159 Art. 94 Abs. 1 S. 1 GG und § 5 Abs. 1 BVerfGG. Näheres zum Wahlvorgang bei §§ 6 bis 9 BVerfGG. 160 Näheres zu diesem Ablauf bei A. Hopfauf, Kein Präsentationsrecht bei Verfassungsrichterwahlen, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 27 (1994), S. 89. 155

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Legitimationsmodell

ge" Partei einen Nachfolger vor, der dann einstimmig gewählt wird161. Diese Auswahl der Verfassungsrichter ist starker Kritik ausgesetzt162, denn die richterliche Unabhängigkeit wird durch dieses Verfahren gefährdet, da die Richter ihre Stelle einer politischen Partei verdanken. Die Richter der obersten Gerichtshöfe des Bundes werden gem. Art. 95 Abs. 2 GG durch einen Richterwahlausschuss gewählt. Dieser besteht aus den für den Gerichtszweig zuständigen Landesministerien und einer entsprechenden Anzahl vom Bundestag gewählter Mitglieder163. Richter gehören dem Richterwahlausschuss nur an, wenn der Bundestag sie zum Mitglied wählt. Der Ausschuss entscheidet mit einfacher Mehrheit gemeinsam mit dem zuständigen Bundesminister164. Daneben besteht eine Einflussmöglichkeit der Richterschaft durch die Mitwirkung des Präsidialrates bei der Richterauswahl165. Auf Bundesebene ist der Präsidialrat vor jeder Ernennung166 oder Wahl167 zu beteiligen, indem er eine Stellungsnahme zu der persönlichen und fachlichen Eignung des Bewerbers abgibt168. Die Stellungnahme erschöpft sich aber in einem Anhörungsrecht und ist auf den Bewerber beschränkt, über den die oberste Dienstbehörde eine Stellungnahme beantragt. II. Die Unabhängigkeit

der

Gerichtsbarkeit

Auch die richterliche Unabhängigkeit ist eine relative, denn insbesondere die Exekutive verfügt über personelle Einflussmöglichkeiten. Es bestehen Kontrollmechanismen für die Betroffenen durch das Institut der Richterablehnung wegen Befangenheit169, durch Anrufen höherrangiger Gerichte170 und für die Exekutive durch die Dienstaufsicht. Für die Dienstaufsicht ist der jeweilige Dienstvorgesetzte des Richters zuständig171, der meist der Gerichtspräsident ist172. In dieser Funktion ist der Gerichtspräsident Teil der 161 JTJ Trautwein, Bestellung und Ablehnung von Bundesverfassungsrichtern, S. 21. 162 y^j Trautwein, Bestellung und Ablehnung von Bundesverfassungsrichtern, S. 18ff; A. Hopfauf, Kein Präsentationsrecht bei Verfassungsrichterwahlen, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 27 (1994), S. 89ff.; S. Koch, Die Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 29 (1996), S. 41ff. 163 §§ 2 bis 4 RiWahlG. 164 Gem. §§ 1, 12 RiWahlG. 165 §§ 54ff. und 74f. DRiG. 166 § 17 Abs. 2 DRiG regelt, wann eine Ernennung vorliegt. 167 Nach Art. 95 Abs. 2 GG werden die Richter zu den obersten Bundesgerichten gewählt. 168 § 55 DRiG. 169 Siehe MünchKomm ZPO - Feiber § 42 Rz. lff. m.w.N. 170 A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 242 m.w.N. 171 Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz, § 26 Rz. 4 und 31. 172 R. Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz, § 12 Rz. 37.

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Justizverwaltung, an deren Spitze der Minister steht und gegenüber dem Minister weisungsgebunden173. Der Dienstaufsicht kommt in der Praxis eine erhebliche Beobachtungs- und Berichtigungsaufgabe zu174. Es wird danach beobachtet, ob der Richter sich pflichtgemäß verhält. Es kann durch Ermahnungen oder andere Maßnahmen eingegriffen werden175. Ein wichtiges Mittel der Dienstaufsicht ist dabei die fachliche Beurteilung der Richter176. Wenn die Maßnahmen der Dienstaufsicht nicht ausreichen, können die weitaus selteneren Disziplinarmaßnahmen angewandt werden. Vorausgesetzt wird dafür ein verschuldetes Fehlverhalten des Richters177. Sanktionen können zum einen durch den Dienstvorgesetzten in Form eines Verweises178, und durch die Dienstgerichte im Rahmen eines förmlichen Disziplinarverfahrens verhängt werden179. Das Dienstgericht kann Geldbußen aussprechen, Gehaltskürzungen vornehmen, in ein niedrigeres Richteramt versetzen oder den Richter sogar aus dem Dienst entfernen. Letztere Sanktion wird wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aber selten angewandt180. Daneben besteht die Möglichkeit einer Richteranklage durch das Parlament181. Danach kann ein Richter bei Verstoß gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung auf Antrag des Bundestages durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit Zweidrittelmehrheit seines Amtes enthoben werden. Wegen der hohen Voraussetzungen für den Erfolg der Richteranklage ist diese bisher noch nie durchgeführt worden und hat daher keine praktische Kontrollwirkung182. III. Demokratieprinzip

und

Verfassungsgerichtsbarkeit

Ähnlich der Diskussion um unabhängige Institutionen in der Exekutive existieren auch für die Legitimität der Verfassungsgerichtsbarkeit Ansätze, die mehr auf normative Prinzipien abstellen, und solche, die Annahmen über 173

R. Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz, § 12 Rz. 37. Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz, § 26 Rz. 5. 175 Zu den zulässigen Maßnahmen § 26 Abs. 2 DRiG und Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz § 26 Rz. 26ff. 176 R. Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz, § 1 Rz. 89ff. 177 R. Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz, § 1 Rz. 50f. 178 § 64 Abs. 1 DRiG, der allerdings wegen seiner Gefährung der richterlichen Unabhängigkeit umstritten ist. 179 §§63, 64 DRiG. 180 Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz, § 64 Rz. 3ff. 181 Art. 98 Abs. 2, 5 GG, § 13 Nr. 9, §§ 59 bis 62 BVerfGG für die Richteranklage von Bundesrichtern. In den Ländern gelten ähnliche Bestimmungen. 182 A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 286. 174

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den politischen Entscheidungsprozeß in ihre Argumentation miteinbeziehen. Bereits in der Weimarer Republik hatte das Reichsgericht eine gerichtliche Verwerfungskompetenz für verfassungswidrige Gesetze angenommen183, dies aber nur formalistisch damit begründet, dass der Gerichtsbarkeit die Verwerfungskompetenz zustehe, weil in der Verfassung keine andere Stelle dafür benannt sei. Kelsen legitimiert eine Verfassungsgerichtsbarkeit mit dem Hinweis auf den Minderheitenschutz, Kontrolle der Mehrheit und der generellen Bedeutung von Kontrollinstitutionen für die moderne Demokratie184. Die Diskussion über die Legitimation der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik ist gekennzeichnet von großer Übereinstimmung über die Berechtigung der Existenz der Verfassungsgerichtsbarkeit und einem Bemühen um Ausgleich und Harmonie zwischen Demokratie und der Institution Verfassungsgerichtsbarkeit. Gründe dafür sind der im Nachkriegsdeutschland stark ausgeprägte Rechtsstaatsgedanke185, die historischen Erfahrungen der deutschen Gesellschaft in der Zeit des Nationalsozialismus und die methodische Trennung von Rechtsetzung und Rechtsanwendung. Die meisten Autoren stellen bei der Legitimation der Verfassungsgerichtsbarkeit auf normative Prinzipien ab und gehen nicht näher auf Probleme des Willensbildungsprozesses ein186. Dies hängt mit der stark vorherrschenden Trennung von Recht und Politik in der deutschen Verfassungsrechtslehre zusammen187. Teilweise wird mit diesem Verständnis behauptet, das Bundesverfassungsgericht begrenze den Umfang staatlichen Han183 RGZ 111, 322 (1925), dazu C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 195ff.: bereits vorher hatten andere höchste Gerichte, etwa das Reichsversorgungsgericht, ihre Prüfungszuständigkeit angenommen. 184 H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 75f. 185 Bereits in der Weimarer Republik hatte sich der Grundsatz vom Vorrang der Verfassung durchgesetzt und unterlagen Verfassungsänderungen einem besonderen Verfahren. Auch existierte ein matereielles Prüfungsrecht des Staatsgerichtshofs in bestimmten Fällen. Hinsichtlich der Reichweite des materiellen richterlichen Prüfungsrechts bestand allerdings eine intensive Diskussion. Siehe die deutsche Entwicklung im Vergleich mit der USamerikanischen und französischen bei W. Heun, Verfassungsrecht und einfaches Recht Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, in: VVDStRL 61 (2002), S. 95ff„ insbesondere S. 99f. 186 Anders aber H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 75, der auf den Schutz von Minderheiten durch die Verfassungsgerichtsbarkeit hinweist. 187 Siehe bereits die Trennung bei C. Schmitt, Verfassungslehre, in einen rechtsstaatlichen und einen politischen Bestandteil der „modernen" Verfassung. H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 76f. sieht den politisch geprägten Bereich der Staatswillensbildung auf das Gesetzgebungsverfahren und die Berufung der obersten Vollzugsorgane beschränkt. Das Prinzip der Legalität, unter dem die Vollziehung steht, schließt politische Beeinflussung der Gerichte und Verwaltung aus.

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delns188. Da das Bundesverfassungsgericht allerdings selber Teil der Staatsorganisation ist, ist auch der Schutz der Grundrechte durch das Gericht selbst Gegenstand staatlichen Handelns189, es begrenzt nur die Gewalt der demokratisch gewählten Institutionen. Ein normativer Ansatz begründet die Legitimität der Verfassungsgerichtsbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip190. Die Legitimation der Verfassungsgerichtsbarkeit beruht danach auf den Prinzipien des Vorrangs der Verfassung vor dem parlamentarischen Entscheidungsverfahren und Rechtsstaatsprinzip. Ähnlich dieser Einordnung sahen andere in der Verfassungsgerichtsbarkeit eine Ausprägung der dritten Gewalt, die auf rechtliche Aspekte begrenzt bleiben könne und so keine politische Rolle spiele191. Diese Ansätze werden auch als „juristische Interpretation" der Verfassungsgerichtsbarkeit bezeichnet, die von einer Trennbarkeit von Recht und Politik ausgeht192. Die übertragenen Aufgaben werden als rein rechtliche betrachtet und insbesondere im Schutz der Minderheiten und Individualrechte gesehen. Der Grund aber, warum gerade eine besondere Gerichtsbarkeit diese Rechte vor dem politischen Prozess schützen soll, kann nur in der besseren Gewährleistung dieser Rechte durch eine unabhängige Institution liegen. In neuerer Zeit sind Ansätze entwickelt worden, die Theorien über den Meinungsbildungsprozeß auch in die rechtwissenschaftliche Analyse der Legitimation der Verfassungsgerichtsbarkeit miteinbeziehen193. Ein funktionell-rechtlicher Ansatz194 geht davon aus, dass das Organ zur Entscheidung berufen ist, das der Entscheidung strukturell am nächsten steht. Es wird von der Organstruktur auf die Kompetenz geschlossen. Der funktionellrechtliche Ansatz sei eine „Ausformulierung verfassungsrechtlicher Vorgaben, insbesondere des Demokratiegebots, durch die auch die strukturelle Leistungsfähigkeit überformt ist195". Arnim untersucht in einem solchen Sinne die Durchsetzung allgemeiner Interessen gegenüber Gruppeninteres-

188

Siehe etwa G. Brunner, Regierungslehre I, S. 459. R. Herzog, Ziele, Vorbehalte und Grenzen der Staatstätigkeit, in HBStR III, § 58, Rz. 76 m.w.N. 190 U. Haltern, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 212 m.w.N. 191 U. Haltern, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 212ff. m.w.N. 192 U. Haltern, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 217ff. 193 Siehe H. H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977; I. Ebsen, Das Bundesverfassungsgericht. 194 Grundlegend G. Zimmer, Funktion - Kompetenz - Legitimation. Gewaltenteilung in der Ordnung des Grundgesetzes. Staatsfunktion als gegliederte Wirk- und Verantwortungsbereiche - Zu einer verfassungsgemäßen Funktions- und Interpretationslehre, Berlin 1979. 195 U. Haltern, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 221. 189

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sen durch das Verfassungsgericht196. Ebsen sieht im Verfassungsgericht ein „Element gesellschaftlicher Selbststeuerung"197. Das Verfassungsgericht gewährleiste die Offenheit des politischen Prozesses, die durch die politischen Akteure nicht gewährleistet werde. Ebsen verfolgt einen systemtheoretischen Ansatz. Im Ergebnis ähnelt seine Begründung für eine Verfassungsgerichtsbarkeit der von Ely in der amerikanischen Diskussion um die Legitimation um der Verfassungsgerichtsbarkeit198. Beide fordern im Rahmen einer prozeduralen Interpretation das Offenhalten des politischen Entscheidungsprozesses durch die Verfassungsgerichtsbarkeit. Die genannten Ansätze binden ihre prozeduralen Erklärungen aber noch nicht zufriedenstellend in das Konzept demokratischer Legitimation staatlicher Institutionen ein. IV. Demokratieprinzip und unabhängige Gerichtsbarkeit Die Unabhängigkeit der obersten Bundesgerichte wird nach ganz vorherrschender Literatur durch die parlamentarischen Auswahlmechanismen auf personelle Weise und durch die strenge Gesetzesbindung der Richter gerechtfertigt199. Diese Begründung entspricht dem oben dargestellten Legitimationsverständnis. Eine andere Legitimationsquelle als die des monistischen Modells scheint danach unzulässig. In neueren Beiträgen wird dieser Ansatz aber zunehmend als ungenügend empfunden200. Die demokratische Legitimation des Richters nur am Leitbild der parlamentarischen Demokratie auszurichten, wird als unzureichend bezeichnet201. Es müssten andere Kriterien hinzugenommen werden, auch um Kriterien für das System der

196

H. H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, insbesondere S. 212ff. I. Ebsen, Das Bundesverfassungsgericht als Element gesellschaftlicher Selbststeuerung, Tübingen, 1996. 198 Siehe dazu unten die Diskussion über die Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten. 199 Statt aller E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 22 Rz. 14ff.; Siehe Art. 97 Abs. 1 GG, § 1 GVG und § 25 DRiG. Unabhängigkeit und Gesetzesbindung sind danach Komplementärprinzipien, in diesem Sinne E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR II (2004), Rz. 22; R. Wassermann, in: GG-AK, zu Art. 97 Rz. 43. 200 A. Voßkuhle/G. Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, in: JZ 2002, 673ff. 201 Zur zuletzt verstärkt geführten Debatte um die demokratische Legitimität der Judikative siehe etwa A. Voßkuhle/G. Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, JZ 2002, S. 673 - 682; P. Grossi, Demokratisches Prinzip und Rechtsprechung, Jahrbuch des Öffentlichen Rechts, Band 50, S. 361ff.; G. Roellecke, in: FS W. Leisner, 1999, S. 553ff.; K. Röhl, Selbstverwaltung für die dritte Gewalt?, JZ 2002, S. 838ff. 197

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Richterwahl zu gewinnen202. Das Verhältnis von Demokratie und Gerichtsbarkeit erscheine ansonsten als eine (wohlversorgte) Wunde der Staatstheorie203. Das parlamentarische Legitimationsmodell sei nicht das einzige, wie sich am Spannungsfeld zwischen Art. 33 Abs. 2 und 95 Abs. 2 GG bei der Richterbesetzung zeige. Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit mit dem Hinweis auf die besonders enge Gesetzesbindung zu rechtfertigen, reicht nicht aus. Die deutsche Rechtsprechung hat eine Fülle von Richterrecht entwickelt, das Bedeutung über die Gesetze hinaus besitzt. Auch für den deutschen Richter ist die „rechtskreative" Funktion anerkannt. Deutlich wird die richterliche Entscheidungsfreiheit besonders im Bereich der richterlichen Rechtsfortbildung, die als Aufgabe der Großen Senate der obersten Bundesgerichte erwähnt ist204. Es wird auch rechtsvergleichend auf Art. 1 Abs. 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches hingewiesen, wonach der Richter nach der Regel entscheiden soll, die er als Gesetzgeber aufgestellt hätte, wenn im konkreten Fall keine anwendbare Vorschrift besteht. Im System des Common Law besitzen die Richter sogar das explizite Recht zur Rechtsentwicklung durch Richterrecht, eine enge Gesetzesbindung kann dort noch weniger zur Rechtfertigung der richterlichen Unabhängigkeit herangezogen werden205. Würde man dem Konzept der Gesetzesbindung folgen, wären die Unabhängigkeit des Richters und seine Rechtsschöpfungskompetenzen im Common Law und die Rechtsfortbildung im deutschen Recht nicht zu rechtfertigen206. Entfällt aber das Legitimationselement der sachlichen Legitimation durch Gesetzesbindung, kann auch das vorliegende Element personaler Legitimation alleine nicht als ausreichend für die demokratische Legitimation der Gerichtsbarkeit angesehen werden. Neben den genannten, nicht ausreichenden Begründungen für die demokratische Legitimität bestehen aber Ansätze, die dem in dieser Arbeit verfolgten Konzept ähneln. Danach sind Grundlagen richterlicher Unabhängigkeit die „staatsorganisatorische Notwendigkeit" einer Kontrolle der Exeku202

Diese neueren Beiträge kamen auf parallel zur Diskussion der demokratischen Legitimation der Richter am EuGH, siehe dazu unten. 203 A. Vosskuhle/G. Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, JZ 2002, S. 673ff. m.w.N. 204 Etwa § 132 Abs. 4 GVG. 205 J. Zätsch, Richterliche Unabhängigkeit und Richterauswahl in den USA und Deutschland, S. 211, 218f. m.w.N. 206 Konsequent fordern F.-J. Säcker, Zur demokratischen Legitimation des Richter- und Gewohnheitsrechts, Zeitschrift für Rechtspolitik 4 (1971), S. 149f„ R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 209ff„ 223 und J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 197ff. ein Überdenken der lebenslangen Amtszeit der Richter.

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tive und Legislative sowie der Anspruch der Prozeßparteien auf einen unabhängigen Richter. Beide Elemente sollen die Richtigkeit der Entscheidung sichern. Das Fehlen einer Gesetzesbindung erschüttere diese Fundamente der Unabhängigkeit nicht207. Ein solcher Ansatz stellt zentral auf das zu erwartende Verhalten der Richter, mithin auf die sie betreffenden Anreize und Restriktionen, sich sachrichtig zu verhalten, ab und bewertet die Legitimität der Institution Gerichtsbarkeit nach diesem Kriterium. Allerdings bringt der erwähnte Ansatz sein Kriterium noch nicht in eine am Bild des Entscheidungsprozesses orientierte demokratische Legitimationstheorie ein und bleibt bei den unbefriedigenden Legitimationselementen der Gesetzesbindung und institutionellen Legitimation stehen.

E. Zusammenfassung Kapitel 2 Nach der deutschen Staatsrechtslehre leiten sich aus dem Demokratieprinzip organisatorische Idealtypen der drei staatlichen Gewalten bzw. Funktionen Legislative, Exekutive und Judikative - in der repräsentativen Demokratie ab (funktionales Demokratieverständnis). Demokratische Legitimation vermittelt sich insbesondere über personelle und formelle Legitimationsmechanismen. In der Legislative wird demokratische Legitimation über ein formelles (gewählte Repräsentanten entscheiden) und ein materielles (Entscheidung der Repräsentanten muss am Gemeinwohl ausgerichtet sein) Element vermittelt. Das formelle Element besitzt aber letztlich da Vorrang, da davon ausgegangen wird, dass die materielle Legitimation durch die formelle Repräsentation gewährleistet wird. Die Exekutive muss nach diesem Verständnis hierarchisch aufgebaut sein und Weisungsrechte der obersten Organe gegenüber den nachgeordneten Stellen beinhalten, damit der formal legitimierte Wille der Repräsentanten über die Regierung und die Verwaltung möglichst unverfälscht umgesetzt werden kann. Ausnahmen können nur in engen Ausnahmebereichen zugelassen werden, etwa für Prüfungskommissionen. In Folge dieses klassisch funktionalen Demokratieverständnisses bleiben unabhängige Institutionen in der Exekutive, wie beispielsweise Bundesbank und Kartellamt, als „ministerialfreie Räume" oder „verselbständigte Verwaltungseinheiten" bis heute demokratietheoretisch umstritten. Mögliche Aufgabenbereiche und die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen außerhalb der Judika207

Ähnlich K. Eichenberger, S. 413.

Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem,

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tive konnten mit dem funktionalen Demokratieverständnis nicht systematisch geklärt werden. Nur in der Judikative werden mit dem funktionalen Demokratieverständnis unabhängige Institutionen als mit dem Demokratieprinzip vereinbar angesehen. Die demokratische Legitimation der unabhängigen Verfassungsund Fachgerichtsbarkeit wird mit der strengen Verfassungs- und Gesetzesbindung der Gerichtsbarkeit begründet. Diese Argumentation wird aber auch in der deutschen Literatur als unbefriedigend kritisiert, da sie die Entscheidungsspielräume der Richter bei der Auslegung oder der Rechtsfortbildung nicht erklären kann.

Kapitel 3

Die Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen in Frankreich Die Schwierigkeit der Debatte um Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen in Frankreich kann vor allem an zwei Merkmalen festgemacht werden. Wegen der stark ausgeprägten Vorstellung, dass sich der Allgemeinwille des Volkes über das Parlament im Gesetz manifestiert, kam es in Frankreich zu einer späteren Entwicklung unabhängiger Institutionen als in Deutschland. Als dann unabhängige Institutionen auch in Frankreich eine Rolle in der Staatsorganisation zu spielen begannen, geschah dies durch fast gleichzeitige Einführung der Gesetzgebungskontrolle durch den Conseil Constitutionnel und unabhängiger Administrativbehörden, den so genannten autorités administratives indépendantes. Weil aber bis heute das Bild des Entscheidungsprozesses stärker als in Deutschland von einem monistischen Repräsentationsverständnis geprägt ist, verfügen die unabhängigen Institutionen in Frankreich über eine eingeschränktere Unabhängigkeit als ihre deutschen Vergleichsinstitutionen und über deutlich begrenztere Kompetenzen. Dies kann anhand eines Vergleiches sowohl des Conseil Constitutionnel mit dem Bundesverfassungsgericht, als auch der autorités administratives indépendantes (im Fall der Wettbewerbsbehörde) mit dem Bundeskartellamt festgestellt werden.

A. Das Modell der Repräsentation In Frankreich herrschte mit dem Dogma von der „nationalen Souveränität" eine Theorie, die dem deutschen Modell der „monistischen Volkssouveränität" hinsichtlich der Vorstellung über die Eigenschaften des politischen Entscheidungsprozesses sehr stark ähnelte1. Das französische Dogma von der „nationalen Souveränität" hat seine Wurzeln in dem von Rousseau entwickelten Konzept von der „volonté générale", dem Gemeinwillen des Volkes, der sich im Gesetz äußert2. Das Modell der „volonté générale", das eigent1 J.-D. Kühne, Die französische Menschen- und Bürgerrechtserklärung, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts 39 (1990), S. 32. 2 Siehe Art. 6 der Menschen- und Bürgerrechtserklärung von 1789.

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lieh für das Modell der direkten Demokratie entwickelt worden war, wurde dann von Sieyès auf das Repräsentationssystem übertragen, in dem den Repräsentanten die Rolle zukam, den Gemeinwillen des Volkes zu verwirklichen. Die Stimme des nationalen Gesetzgebers ist dann nichts anderes als die Stimme des Volkes selbst3. Die starke Stellung des Parlaments wurde erst in der fünften Republik zugunsten eines starken Präsidenten geschwächt4. Dieser Entwicklung lagen die Erfahrungen der vierten Republik zugrunde, in denen das Parlament keine politische Stabilität gewährleistet hatte. Ihre historische Wurzel hat die Lehre von einer starken Exekutive in der sogenannten bonapartistischen Tradition5. Mit dem Übergang von Kompetenzen auf den Präsidenten veränderte sich aber zunächst nicht die Vorstellung, dass ein einheitliches nationales Gesetzgebungsorgan und eine zentralistische Staatsorganisation notwendig seien.

B. Das hierarchische und zentralistische Organisationsmodell Die französische Zentralverwaltung besteht aus dem Präsidenten der Republik, dem Premierminister mit den ihm unterstehenden Dienststellen und den Ressorts der Fachminister. Die Kompetenzaufteilung zwischen dem Staatspräsidenten und dem Premierminister ist auf dem Gebiet der Verwaltungstätigkeit nicht umfassend in der Verfassung geregelt6. Grundsätzlich besitzt der Präsident eine dominierende Autorität in der Exekutive. Er verfolgt die Ausführung des Programms mit dem er zur Wahl angetreten war. Im Bereich der täglichen Verwaltungsarbeit und der Leitung der Regierung fällt dagegen dem Premierminister die leitende Rolle zu7. Der Premierminister besitzt dabei eine generelle Kompetenz zum Erlass der so genannten „matiè3

Chr. Autexier, Der neue Conseil Constitutionnel, in: Der Staat 15 (1976), S. 93 m.w.N.; R. C. de Malberg, La loi, expression de la volonté générale, S. 14ff. 4 J. Bell, French Constitutional Law, S. 17ff.; Zusammenfassend über die Änderungen der Kompetenzen zwischen Parlament und Präsident J. Godechot, L'histoire «institutionelle de la France de 1789 à nos jours, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts 38 (1989), S. 72ff. 5 A. Stone, The birth of judicial politics, S. 30 m.w.N. 6 Art. 33-37 der Verfassung der französischen Republik. 7 Zu dem komplizierten Verhältnis der Kompetenzen zwischen Präsidenten und Premierminister Chr. Tomuschat, Präsidialsystem und Demokratie, in: FS für Karl Carstens, Bd. 2, S. 918f. m.w.N.: grundsätzlich obliegt dem Präsidenten die Richtlinienbestimmung und dem Premierminister die Pflicht zum Nachvollzug. Eine andere Möglichkeit ist eine Aufteilung der Kompetenzen nach Aufgabenbereichen. Siehe dazu M. Duvergner, Institutions politiques et droit constitutionnel, Bd. 2, 14. Aufl. 1976, S. 236ff.; G. Burdeau, Droit constitutionnel et institutions politiques, 18. Aufl. 1977, S. 518ff.; Siehe auch U. Hiibner/V. Constantinesco, Einführung in das französische Recht, S. 40.

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re réglementaire". Die Fachminister bilden in ihrem Ressort die jeweils höchste Verwaltungsautorität, denen alle weiteren Verwaltungsstrukturen untergeordnet sind. Aufgabe der Zentralverwaltung ist, die generelle Politik des jeweiligen Ministeriums zu planen, auszuarbeiten und in Normen umzusetzen und deren richtige Anwendung zu kontrollieren. Die services déconcentrés sollen dann die allgemeinen Verwaltungsaufgaben vor Ort wahrnehmen. Dafür bestehen Verwaltungsbezirke (départements), in der die administration déconcentrée die gleichmäßige und gesetzesförmige Ausführung unter enger Aufsicht durch die Regierung (vertreten durch den Präfekten) durchfuhrt. In der Praxis werden aber durchaus auch Einzelfallentscheidungen von der Zentralverwaltung getroffen, was auf die in Frankreich traditionelle Zentralisierung der Staatsgewalt zurückgeführt wird8. Ähnlich der deutschen Konzeption sieht die französische Verfassung in Art. 20 eine politische Verantwortlichkeit der Regierung für die Verwaltung vor, über die sie „verfügt"9. Aus Art. 20 und 21 wurde das Prinzip der hierarchischen Verwaltung abgeleitet10. Das Hierarchieprinzip gilt als „principe général du droit public"11, das sich auf eine Rechtsprechung bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zurückführen lässt12. Das Hierarchieprinzip beinhaltet ähnlich dem deutschen Modell eine umfassende Überwachungs- und Beeinflussungskompetenzen der jeweils höherrangigen Institutionen. Diese kann gegenüber untergeordneten Institutionen Weisungen erteilen, ihre Entscheidungen aufheben oder diese modifizieren13. Die übergeordneten Institutionen können ihre Rechte ohne ausdrückliche Gesetzesgrundlage, ohne Angabe bestimmter Gründe, sondern aus reinen Zweckmäßigkeitsüberlegungen heraus ausüben14. Der „pouvoir hiérarchique" bezieht sich auf staatliche Organe ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Er entspricht vom Inhalt her etwa der deutschen Fachaufsicht. Die „contrôle de tutelle" oder „contrôle administratif ist ein Kontrollmechanismus für die services déconcentrés, etwa Institutionen mit eigener Rechtspersönlichkeit wie bei den établissements publics. Die contrôle de tutelle ist weniger stark als der pouvoir hiérarchique und ähnelt der deutschen Rechtsaufsicht. Ein weiteres Charakte-

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G. Braibant, Le droit administratif français, S. 59. Gem. Art. 20 der Verfassung der französischen Republik: ,Je gouvernement .... dispose de l'administration". 10 Gem. Art. 21 S. 1: „Le Premier ministre dirige l'action du gouvernement"; O. Gohin, Institutions Administratives, S. 216 m.w.N. für die Rechtsprechung. 11 R. Chapus, Droit Administratif général, S. 386. 12 R. Chapus, a.a.O., S. 409 mit Hinweis aus CE 1er mai 1874, Lezeret de la Maurinerie. 13 R. Chapus, a.a.O., S. 385. 14 R. Chapus, a.a.O., S. 386. 9

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ristikum der Verwaltung ist die Gleichförmigkeit der Organisation. Zwar wurden seit 1945 durch Einzelmaßnahmen Ausnahmen von diesem System gemacht, die Forderung nach der Einheitlichkeit soll damit aber nicht in Frage gestellt werden15. Zwei Ausnahmen werden im Folgenden dargestellt: die autorités administratives indépendantes und die établissements publics.

C. Entstehung der autorités administratives indépendantes I. Die Entstehung unabhängiger Institutionen in der

Verwaltungsstruktur

Rechtlich verselbständigte Verwaltungseinheiten entstanden in Frankreich in Form von Selbstverwaltungskörperschaften, den sogenannten établissements publics, bereits im 19. Jahrhundert. Nach der Rechtsprechung der Cour de Cassation, die bis auf das Jahr 1856 zurückgeht, handelt es sich bei den établissements publics um juristische Personen des öffentlichen Rechts, die der spezialisierten und effizienteren Ausführung von Verwaltungsaufgaben und der Interessenvertretung bestimmter Berufsgruppen dienen16. In Form von établissements publics sind etwa Sparkassen, Berufsverbände oder auch Universitäten organisiert. Weitere Gründe für die Bildung solcher Institutionen sind die Zurückdrängung zentraler staatlicher Entscheidungsgewalt und die Möglichkeit der Partizipation Betroffener am Entscheidungsprozeß17. Die établissements publics verfügen zu diesem Zweck über eine gewisse Autonomie im Bereich ihrer Aufgaben in organisatorischer und finanzieller Hinsicht. Allerdings unterliegen die meisten établissements publics einer Fach- und Rechtsaufsicht durch die Verwaltung18. Die Intensität der Kontrolle ist dabei sehr unterschiedlich ausgestaltet19. Eine im wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Bereich neuere Form unabhängiger Institutionen sind die autorités administratives indépendantes (a.a.i.). Im Gegensatz zu den établissements publics verfügen sie über keine eigene Rechtspersönlichkeit20. Die Entwicklung, Rolle und Kompetenzen der a.a.i. werden bis heute kontrovers diskutiert. In Frankreich begann die 15

U. Hübner/V. Constantinesco, Einfuhrung in das französische Recht, S. 72. Siehe näher zum établissement public bei K. Heuterkes, Rechtsfähige Organisationseinheiten, S. 19ff. 17 K. Heuterkes, a.a.O., S. 39ff. 18 Sogenannte contrôle de tutelle bzw. contrôle administratif. 19 K. Heuterkes, a.a.O., S. 59 und 79: eine allgemeine Aussage über die Aufsichtsstrukturen ist aufgrund ihrer Vielgestaltigkeit schlecht möglich. 20 Zu ihrer Abgrenzung von den etablissments publics siehe K. Heuterkes, a.a.O., S. 38: in funktioneller Hinsicht besteht dagegen keine klare Abgrenzung. 16

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Einrichtung dieser „autorités administratives indépendantes" erst ab Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Vereinfacht unterschieden werden können a.a.i. im Bereich des Schutzes von Grundrechten und solche zum Zwecke wirtschaftspolitischer Steuerung. Im Bereich des Rechtsschutzes wurde 1977 die „Commission des Infractions Fiscales" eingerichtet21, die willkürliche Handlungen der Steuerbehörden im Bereich des Steuerstrafrechts unterbinden soll. Im Bereich des Grundrechtsschutzes wurde 1978 die „Commission Nationale de l'Informatique et des Libértes (C.N.I.L.)"22 gegründet, um im Bereich der Grundrechte Transparenz bezüglich der Aktennutzung der Verwaltung herzustellen. Im gleichen Jahr wurde die „Commission d'Accès aux Documents Administratifs (C.A.D.A.)"23 etabliert. Diese Institution sollte die Verwaltungstransparenz dadurch weiter erhöhen, dass sie dem einzelnen Bürger hilft, ihr Akteneinsichtsrecht auch effektiv umzusetzen24. Ebenfalls im Bereich der Verwaltungskontrolle ist die Institution des 1989 eingerichteten „Ombudsmannes" oder „Médiateur de la République" anzusiedeln25. Seine Aufgabe ist es, Vorschläge zu machen, wie die Probleme des Verwaltungshandelns, die er erkannt hat, am besten behoben werden können. 1991 wurde die „Commission nationale de Contrôle des Interceptions de Sécurité" ins Leben gerufen26, die im Gesetz explizit als a.a.i. bezeichnet wird27. Ihre Aufgabe ist es, bei Abhörmaßnahmen im Bereich der Telekommunikation zu überprüfen, ob sie das Recht auf privaten und geheimen Informationsaus21

Gegründet mit Gesetz Nr. 77-1453 vom 29. Dezember 1977, in Journal Officiel Dezember 1977, S. 6279-6282: Loi accordant des garanties de procédure aux contribuables en matière fiscale et douanière, und Dekret Nr. 78-363 vom 12. Juni 1978, in Journal Officiel Juni 1978, S. 2358f.: Décret fixant la composition et les conditions de fonctionnement de la commision des infractions fiscales instituée par la loi nr. 77-1453 vom 29. Dezember 1977 accordant des garanties de procédure aux contribuables en matière fiscale et douanière. 22 Gesetz Nr. 78-17 vom 6. Januar 1978, in Journal Officiel Januar 1978, S. 227-231: Loi relative à l'informatique, aux fichiers et aux libertés. 23 Dekret Nr. 78-1136 vom 6. Dezember 1978, in Journal Officiel Dezember 1978, S. 4094: Décret relatif à la commission d'accès aux documents administratifs. 24 F. Demarigny, Indépendant administrative authorities in France, in: G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, S. 165. 25 Bereits mit Gesetz Nr. 73-6 vom 3. Januar 1973, in Journal Officiel Januar 1973, S. 164: Loi instituant un médiateur, wurde das Amt eines Mediateurs geschaffen. Mit Gesetz Nr. 8918 vom 13. Januar 1989, in: Journal Officiel Januar 1989, S. 542-550 wurden dann zahlreiche Änderungen vorgenommen, unter anderem in Art. 69 Abs. 1 des Gesetzes vom 13. Januar 1989 festgestellt, daß es sich bei dem médiateur um eine „autorité indépendante" handele. 26 Mit Gesetz Nr. 91-646 vom 10. Juli 1991, in Journal Officiel Juli 1991, S. 9167-9170: loi modifiant les articles (....) de la loi Nr. 86-1067 du 30. septembre 1986 relative à la liberté de communication. 27 Art. 13 des Gesetzes Nr. 91-646 vom 10. Juli 1991.

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tausch verletzen. 1999 wurde der „Conseil de Prévention et de Lutte Contre le Dopage" gebildet28. Mit Gesetz vom 6. Juni 2000 wurde eine „Commission Nationale de Déontologie de la Sécurité" ins Leben gerufen, die die Einhaltung der Regeln durch solche Personen kontrollieren soll, deren Aktivitäten im Bereich der Sicherheit Zwang auf die Bürger ausüben können29. Einige Institutionen wie der Médiateur de la République oder der Conseil Supérieur de l'Audivisuel (s.u.) werden von manchen Autoren nicht als autorité administrative indépendante angesehen30, weil sie keine typischen Verwaltungsfunktionen wahrnehmen. Sie werden hier aber als solche eingeordnet. Die andere Gruppe von a.a.i. ist im Bereich wirtschaftspolitischer Steuerung angesiedelt. Die wirtschaftspolitische Steuerung erfolgte in Frankreich bis Anfang der achtziger Jahre durch staatliche Lenkung. Das Nationalisierungsprogramm Mitterands Anfang der achtziger Jahre war Teil sozialistischer Wirtschaftspolitik. Sie war aber auch Ausdruck des Gedankens staatlicher Steuerungsfähigkeit im wirtschaftspolitischen Bereich, der Umsetzung des Volkswillens im wirtschaftlichen Handeln. Die Einführung der autorités administratives indépendantes konnte erst nach Abkehr der Verstaatlichungspolitik und der Idee des absoluten Vorranges der Entscheidungsgewalt der demokratisch gewählten Institutionen erfolgen. Die Einführung unabhängiger, die Wirtschaft steuernder Institutionen erfolgte im Moment des Niedergangs des Ansehens zentraler staatlicher Planung in der Wirtschaftspolitik31. Während in den Vereinigten Staaten die IRC im Rahmen des New Deal aus dem Bedürfnis nach größerer Regulierung und Intervention nach der wirtschaftlichen Krise der dreißiger Jahre eingeführt wurden, wurden in Frankreich ab den siebziger Jahren die „autorités administratives indépendantes" mit dem entgegengesetzten Ziel eingeführt, nämlich um der zentralistischen Staatsplanung zu entkommen.

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Gesetz Nr. 99-223 vom 23. März 1999, in Journal Officiel März 1999, S. 4399-4405: loi relative à la protection de la santé des sportifs et à la lutte contre le dopage. 29 Gesetz Nr. 2000-494 vom 6. Juni 2000, in Journal Officiel Juni 2000, S. 8562-8564: loi portant création d'une Commission nationale de déontologie de la sécurité; Art. 1 des Gesetzes bezeichnet die Behörde als a.a.i. 30 J. P. Costa, Le médiateur peut-il être autre chose qu'une autorité administrative?, in: Acutalité Juridique Droit Administratif 1987, S. 341; Y. Gaudemet, Toujours à propos de médiateur, Actualité Juridique Droit Administratif 1987, S. 520. 31 Winckler, Conseil de la concurrence et concurrence des autorités, in: Le Débat 52, S. 7 6 86.

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Im wirtschaftspolitischen Bereich entstand 1967 die „Commission des Opérations de Bourse (COB)32", die aber erst 1989 wirkliche Entscheidungskompetenzen Ubertragen bekam33 und 2003 durch die „Autorité de Marchés Financiers (AMF)" abgelöst wurde34. 1984 wurde die „Commission Bancaire" gegründet35, die Kompetenzen im Bereich der Bankenregulierung übertragen bekam, und die Aufgaben der älteren „Commission de Contrôle de Banques"36 übernahm. Zentrale Aufgabe der Commission Bancaire ist die Sicherung der Solvenz der Banken. Mit Gesetz vom 19. Juli 1977 wurde zum ersten Mal eine Wettbewerbsbehörde eingeführt, die gegenüber der Zentralverwaltung eine gewisse Eigenständigkeit betreffend Personal, Verfahrensrechten und Entscheidungskompetenzen besaß. Entscheidend war, dass nun nicht mehr nur der Wirtschaftsminister Verfahren der Wettbewerbsbehörde einleiten konnte37. Die 1986 gebildete Wettbewerbsbehörde38 folgte dem letzten gescheiterten Versuch der sozialistischen Regierung 1981, die staatliche Planung wieder einzuführen. Die Wettbewerbsbehörde kann seitdem auch auf Nachfrage von Unternehmen wettbewerbsrechtliche Prüfungen einleiten. Weitere französische Regulierungsbehörden sind die „Commission de la Sécurité des Consommateurs" von 1983 und die „Commission de Contrôle des Assurances" von 198939. Im Bereich der Information und Telekommunikation entstand 1986 die „Commission Nationale de la Communication et des Libertés"40 die 1989

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Gegründet mit Ordonnance Nr. 67-833 vom 28. September 1967, in Journal Officiel September 1967, S. 9589f.: ordonnance instituant une commission des opérations de bourse et relative à l'information des porteurs de valeurs mobilières et à la publicité de certaines opérations de bourse. 33 F. Demarigny, Indépendant administrative authorities in France, in: G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, S. 166. 34 Siehe FAZ Nr. 274 vom 25. November 2003, S. 23. Dem kollegial organisierten Organ gehören auch Mitglieder des Finanzministeriums an. 35 Mit Art. 37 des Gesetzes Nr. 84-46 vom 24. Januar 1984, in Journal Officiel Januar 1984, S. 390-403. 36 Gegründet mit Gesetz vom vom 13. Juni 1941. 37 F. Demarigny, Indépendant administrative authorities in France, in: G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, S. 169; H. Dumez/A. Jeunemaitre, La concurrence en Europe: de nouvelles règles du jeu pour les entreprises, S. 77, 83. 38 Art. 2 der Ordonnance Nr. 86-1243 vom 1. Dezember 1986, in Journal Officiel Dezember 1986, S. 14772-14778: ordonnance relative à la liberté des prix et de la concurrence. 39 Siehe zu weiteren a.a.i.: M.-J. Guédon, Les autorités adminisratives indépendantes; G. Majone, The rise of statutory regulation in Europe, in: G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, S. 48. 40 Gegründet mit Art. 4 des Gesetzes Nr. 86-1067 vom 30. September 1986, in Journal Officiel Oktober 1986, S. 11755-11766, 11755: loi relative à la liberté de communication.

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abgelöst wurde durch den „Conseil Supérieur de l'Audiovisuel (C.S.A.)"41, der Radio und Fernsehen reguliert42. Ein Versuch, die Unabhängigkeit des Conseil Supérieur verfassungsrechtlich festzuschreiben, scheiterte jedoch 43 . 1996 wurde die Telekommunikationsbehörde44 und der „Conseil des Marchés Financiers (C.M.F.)"45 gegründet. Bis heute besteht eine Tendenz zur weiteren Bildung unabhängiger Regulierungsbehörden, so dass mittlerweile kritische Stimmen nach der Notwendigkeit der Ausdehnung solcher Institutionen in alle Bereiche fragen und vor der Gefahr doppelter Aufgabenwahrnehmung warnen46. In Zusammenhang mit der Entwicklung unabhängiger Regulierungsinstitutionen sei erwähnt, dass die Unabhängigkeit der Zentralbank in Frankreich erst im Zuge der Vorbereitungen der europäischen Währungsunion hergestellt wurde. Um die Vorgaben der Währungsunion zu erfüllen, musste die Banque de France hinsichtlich aller Aufgaben, die sie als Organ des ESZB zu erfüllen hat, von den Weisungen der Regierung freigestellt werden47. II. Ausgestaltung der autorités administratives indépendantes in Frankreich 1. Zur Unabhängigkeit Insgesamt ist die Unabhängigkeit der a.a.i. eine relative und begrenzte. Im Folgenden wird auf einige Elemente dieser Unabhängigkeit eingegangen. Die sachliche Unabhängigkeit der autorités administratives indépendantes 41

Gegründet mit Art. 1 des Gesetzes Nr. 89-25 vom 17. Januar 1989, in Journal Officiel Januar 1989, S. 728-733, 728: loi modifiant la loi Nr. 86-1067 (...) relative à la liberté de communication. 42 Näheres zur Entwicklung zum Conseil Supérieur de l'audiovisuel bei: M. Gentot (Hrsg.), 1991, Les autorités administratives indépendantes, S. 119-125. 43 F. Demarigny, Independent administrative authorities in France, in: G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, S. 165. 44 Art. L 36 des Gesetzes Nr. 96-659 vom 26. Juli 1996, in Journal Officiel Juli 1996, S. 11384-11397: loi de réglementation des télécommunications. 45 Art. 27 des Gesetzes Nr. 96-597 vom 2. Juli 1996, in Journal Officiel Juli 1996, S. 1006310084: loi de modernisation des activités financières. 46 Réfléxions du Conseil D'Etat sur les Autorités Administratives Indépendantes, in: JurisClasseur Périodique - La Semaine Juridique 2001, S. 634f. 47 Siehe M. Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, S. 296 m.w.N.; Das aktuelle Gesetz der französischen Zentralbank entspricht den Unabhängigkeitsanforderungen des ESZB, siehe Art. 1 des Gesetz Nr. 98-357 vom 12. Mai 1998, in Journal Officiel Mai 1998 I, S. 7168, der die Preisstabilität als vorrangiges Ziel festschreibt und die Weisungsfreiheit des Banque de France begründet.

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beruht auf ihrer Weisungsfreiheit gegenüber der Verwaltungshierarchie, die sonst für Verwaltungsbehörden besteht48. Die Unabhängigkeit der a.a.i. schließt insbesondere den „pouvoir d'instruction" aus, der als zentral für die Verwaltungskontrolle (pouvoir hiérarchique) gilt. Allerdings wurde diese sachliche Unabhängigkeit nur in den Gesetzen zur Einführung des Médiateur49 und des C.N.I.L.50 explizit erwähnt: „ ... ne reçoivent d'instruction d'aucune autorité." Allerdings sind bei den Beratungen der meisten a.a.i.51 Vertreter der Regierung (Commissaire du Gouvernement) anwesend, wenn auch ohne Mitberatungs- und Stimmrecht. Sie können aber eine Wiederholung der Beratung verlangen. Weitere Elemente der Unabhängigkeit der a.a.i. sind ihre nicht verlängerbaren Amtszeiten und die Nicht-Abrufbarkeit ihrer Mitglieder aus politischen Gründen52. Grenzen ihrer Unabhängigkeit sind fehlende budgetäre Autonomie53, Unterordnung unter den Premierminister bei der Ausübung von normsetzenden Regulierungsbefugnissen54 und gerichtliche Kontrolle55. Die Auswahl der Personen wird als entscheidend für die Gewähr unabhängiger Entscheidungsfindung der a.a.i. betont. Es sei der Unabhängigkeit zuträglich, wenn zahlreiche Mitglieder der autorités administratives indépendantes ehemalige Mitarbeiter des Conseil d'Etat, des Rechnungshofes (Cour de Comptes) und der Cour de Cassation waren56. Die Mitglieder des Conseil supérieur de l'audiovisuel werden (jeweils drei) von Präsidenten der Republik, des Senats und der Nationalversammlung ernannt57. Die 16 Mitglieder 48

O. Gohin, Institutions Administratives, S. 216; A. de Laubadère/J.-C. Venezia./Y. Gaudemet, Droit Administratif, S. 81; R. Chapus, Droit Administratif général, S. 385 zum Hierarchieprinzip; O. Zander, Rundfunkfreiheit und Rundfunkkontrolle, S. 165 m.w.N. 49 Art. 1 des Gesetzes Nr. 73-6 vom 3. Januar 1973, in Journal Officiel Januar 1973, S. 164. 50 Art. 13 des Gesetzes Nr. 78-17 vom 6. Januar 1978, in Journal Officiel Januar 1978, S. 228. 51 Dies gilt für die C.N.I.L., den Conseil de la Concurrence, die Commission de controle des assurances, die Commission de la sécurité des consommateurs. 52 Conseil d'Etat Ass., 7. Juli 1989, M. Ordonneau, Ree. 161; Actalité Juridique Droit Administratif 1989, S. 598; O. Gohin, Institutions Administratives, S. 218. 53 Conseil Constitutionnel, Urteil vom 17. Januar 1989, Entscheidung Nr. 88-248, Ree. 18 Conseil supérieur de l'audiovisuel; abgedruckt in Revue Française de Droit Administrativ 1989, S. 215 mit Anmerkung B. Genevois; abgedruckt in Revue du Droit Public 1989, S. 355 mit Anmerkung L. Favoreu. 54 Conseil Constitutionnel, Urteil vom 18. September 1986, Entscheidung Nr. 86-217, Ree. 141; abgedruckt in Actualité Juridique Droit Administratif 1987, S. 102; Ebenso Conseil Constitutionnel, Urteil vom 17. Januar 1989 a.a.O. 55 Conseil Constitutionnel Urteil vom 18. September 1986 a.a.O., Conseil Constitutionnel Urteil vom 17. Januar 1989 a.a.O. 56 O. Gohin, Institutions Administratives, S. 219. 57 O. Gohin, a.a.O., S. 227; Näher dazu O. Zander, Rundfunkfreiheit und Rundfunkkontrolle, S. 168ff.

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des Conseil de la Concurrence58 werden für sechs Jahre ernannt, durch Dekret auf Vorschlag des Ministers für Wirtschaft. Sieben davon sind (ehemalige) Mitglieder des Conseil d'Etat, der Cour de Cassation oder anderen Verwaltung- oder Gerichtsinstitutionen, vier Mitglieder werden aufgrund ihrer Kompetenzen im Bereich der Ökonomie und des Wettbewerbs ausgewählt, sie werden von einer Liste ausgewählt, die die sieben oben genannten Mitglieder erstellen. Fünf Mitglieder kommen aus dem Bereich der Industrie, des Handels, der Kunst oder der freien Berufe59. In verfahrenstechnischer Hinsicht wird die Unabhängigkeit der autorités administratives indépendantes dadurch gewährleistet, dass der Gesetzgeber nur die Rechtsgrundlagen der autorités vorgibt, und von späteren Änderungen oder Aufhebung dieser Rechtsgrundlagen weitgehend absieht60. Der Staat müsse die unabhängigen Institutionen sich entwickeln lassen, ohne in ihnen einen Rivalen zu sehen61. Es sei in dieser Hinsicht eine positive Entwicklung zu verzeichnen, da nicht mehr bei jedem Mehrheitswechsel die Organe unabhängiger Institutionen verändert würden, wie es noch 1986 und 1989 im Bereich der Regulierung von Radio und Fernsehen geschah62. In einigen Bereichen wird politische Steuerung immer noch einer unabhängigen Regulierung vorgezogen. Im Juni 2002 forderte beispielsweise die Europäische Kommission Frankreich auf, die Unabhängigkeit der französischen Postregulierungsbehörde zu gewährleisten63. Andernfalls drohe eine Klage vor dem EuGH64. 58

Die Struktur des Conseil de la concurrence wird geregelt in der Ordonnance Nr. 86-1243 vom 1. Dezember 1986, in Journal Officiel Dezember 1986, S. 14772-14778 und dem Dekret Nr. 86-1309 vom 29. Dezember 1986, in Journal Officiel Dezember 1986, S. 15775-15777: décret fixant les conditions d'application de l'ordonnance nr. 86-1243 (...) relative à la liberté des prix et de la concurrence. 59 O. Gohin, a.a.O., S. 229. 60 Conseil Constitutionnel, Urteil vom 29. Juli 1986, Entscheidung Nr. 86-210, Ree. 110; abgedruckt in Actualité Juridique Droit Administratif 1986, S. 538. Diese Entscheidung betraf die Auflösung der „Comission pour la transparence et le pluralisme de la presse durch Gesetz vom 29. Juli 1986. 61 O. Gohin, a.a.O., S. 219. 62 Durch Art. 3 des Gesetzes Nr. 86-1067 vom 30. September 1986, Journal Officiel Oktober 1986, S. 11755 wurde die bestehende ,.Haute Autorité de la Communication audiovisuelle", gegründet durch Gesetz vom 29. Juli 1982 (H.A.C.A.) durch die „Commission nationale de la Communication et des libertés" (C.N.C.L.) ersetzt, die wiederum durch Art. 1 des Gesetzes Nr. 89-24 vom 17. Januar 1989, Journal Officiel Januar 1989, S. 728 durch den „Conseil supérieure de l'audiovisuel" (C.S.A.) ersetzt wurde. 63 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. Juni 2002, Nr. 146, S. 16: EU dringt auf unabhängige Postregulierung. 64 Solche Verfahren wurden schon gegen Belgien, Griechenland, Italien und Spanien eingeleitet. Diese Staaten haben aber zugesagt, die Postregulierung in diesem Sinne neu zu ordnen.

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2. Zu den Kompetenzen Die autorités administratives indépendantes besitzen Kompetenzen zur Abgabe von Stellungnahmen und Berichten, zu Einzelentscheidungen, häufig auch zu Sanktionen bei Nicht-Einhaltung von Vorschriften65 und seltener allgemeine Normsetzungsbefugnisse. Die Befugnis zum Erlass von rechtlich bindenden Einzelentscheidungen umfasst verschiedene Kategorien von Rechtsakten: Erteilung von Erlaubnissen, Zuteilungen oder Ernennungen. Der C.S.A. erteilt beispielsweise die Nutzungserlaubnisse für das Kabelnetz und genehmigt das Betreiben von Rundfunk- und Fernsehsendern. Die C.O.B, erteilt Genehmigungen für die Platzierung von bestimmten Wertpapieren66. Der C.S.A. besitzt darüber hinaus ein Ernennungsrecht für die Verwaltungsräte der öffentlichen Fernsehsender. Einige a.a.i. besitzen eine sogenannte „administrative Sanktionskompetenz"67, was bedeutet, dass sie zur Durchsetzung bestehender Regeln und Gesetze Sanktionen verhängen können. Hinsichtlich des Umfanges der Kompetenzen zur Sanktionierung von Gesetzesverstößen unterscheiden sich die a.a.i. allerdings68. Alle a.a .i. verfügen über Untersuchungsbefugnisse und das Recht, bei festgestellten Regelverstößen die verantwortlichen Personen aufzufordern, diese Regelverletzungen einzustellen. Tatsächlich nutzen die a.a.i. meist diese „weichen" Korrekturmechanismen, und greifen seltener auf „harte" Sanktionen zurück69. Keine Sanktions-, sondern nur Untersuchungskompetenzen und die Möglichkeit zur Veröffentlichung von Stellungnahmen besitzt die Commission Nationale de l'Informatique et des Libertés (C.N.I.L.)70, und die Commission d'Accès aux Documents Administratifs. „Harte" Sanktionskompetenzen besitzen insbesondere der C.S.A., der Conseil de Prévention et de Lutte contre le Dopage, die Autorité de Régulation des Télécommunications71, der Conseil de la Concurrence, die Commission Bancaire oder der Conseil des Marchés Financiers. Der C.S.A. Uber65

Dies gilt insbesondere für den Conseil des Marchés Financiers, den Conseil de la Concurrence, die Commission des operations de Bourse und die Commission bancaire; J. Savignac, Les administrations de la France, S. 146. 66 Siehe M.-J. Guédon, Les autorités administratives indépendantes, S. 107. 67 Im französischen „sanctions administratives". 68 Zu den Sanktionierungskompetenzen siehe R. Salomon, Le Pouvoir de Sanction des Autorités Administratives Indépendantes, in: Juris Classeur Périodique 2000, S. 1907ff. 69 M.-J. Guédon, a.a.O., S. 111. 70 J. Chr. Savignac, Les administrations de la France, S. 136. 71 Art. L 36-11 des Code des postes et télécommunications; näher dazu I. Lüben, Le pouvoir de sanction de l'autorité de régulation des télécommunications, Actualité Juridique Droit Administratif 2001 (Sonderausgabe), S. 121ff.

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wacht beispielsweise die Einhaltung von Persönlichkeitsrechten und öffentlichen Interessen und kann bei Verstößen gegen diese Vorschriften Fernsehund Radiosendern Ausstrahlungsverbote erteilen, die Sendungsberechtigung entziehen oder Geldstrafen verhängen72. Die meisten a.a.i., so auch der C.S.A., können dabei die Bestimmungen über das Verfahren, nach dem sie Sanktionen verhängen, verändern73. Die Wettbewerbsbehörde, der Conseil de la Concurrence von 1986, besitzt eigene Entscheidungskompetenzen im Bereich der Kontrolle des Wettbewerbs, dass heißt bei Missbrauch marktbeherrschender Stellung und wettbewerbsschädlichen Praktiken74. Der Wettbewerbsrat kann in diesem Gebiet von Amts wegen tätig werden. Das Wirtschaftsministerium kann aber Akten aus eigener Veranlassung schließen lassen, ohne dass der Wettbewerbsrat diese Entscheidung überprüfen lassen könnte. Im Bereich der Überprüfung von Unternehmenszusammenschlüssen liegt die Entscheidungskompetenz beim Wirtschaftsminister (der Direction Générale de la Concurrence, de la Consommation et de la Répression des Fraudes), der Conseil de la Concurrence gibt hier nur - nach Einschaltung durch den Wirtschaftsminister Stellungnahmen ab75. Diese Stellungnahme wird später mit der ministeriellen Entscheidung veröffentlicht76. Allerdings erreichen die wenigsten Fälle überhaupt den Wettbewerbsrat, die meisten werden auf administrativer Ebene erledigt. Mit der Reform der Regeln über Unternehmenszusammenschlüsse im Jahr 2001 hat sich das französische System dem europäischen Modell angenähert, die Zuständigkeiten aber nicht verändert77. Von 2002 an müssen Unternehmenszusammenschlüsse ab relativ niedrig angesetzten Umsatzschwellenwerten beim Wirtschaftsminister angemeldet werden. Nur in problematischen Fällen wird der Wirtschaftsrat - dessen Stellungsnahme den Minister aber nicht bindet - eingeschaltet78. Gegen die Entscheidung des

72

Art. 42-1 Nr. 1-3 des Gesetzes Nr. 86-1067 vom 30. September 1986. Allgemein für die a.a.i. siehe M. Pochard, Autorités administratives indépendantes et pouvoir de sanction, Actualité Juridique Droit Administratif 2001 (Sonderausgabe), S. 107; Für den C.S.A. siehe J.-P. Thiellay, L'évolution récente du régime des sanctions du Conseil supérieur de l'audiovisuel, Actualité Juridique Droit Administrativ 2003, S. 475-480. 74 O. Gohin, a.a.O., S. 229. 75 Art. 38 der Ordonnance Nr. 86-1243 vom 1. Dezember 1986, in Journal Officiel Dezember 1986, S. 14776. 76 Art. 44 der Ordonnance Nr. 86-1243 vom 1. Dezember 1986, a.a.O., S. 14776. 77 Gesetz vom 15. Mai 2001 bezüglich der „neuen wirtschaftlichen Regulierung". Näher dazu siehe A. Condomines, Die neuen Regeln der Fusionskontrolle in Frankreich, in: Wirtschaft und Wettbewerb 2002, S. 1071ff. 78 A. Condomines, a.a.O., S. 1074. Wenn der Wettbewerbsrat eingeschaltet folgt der Wirtschaftsminister aber häufig der Stellungsnahme des Wettbewerbsrates. 73

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Ministers steht der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht offen, was aber noch nie genutzt wurde. Das französische Modell der Wettbewerbsbehörde hat vor allem die spanische Entwicklung beeinflusst, insbesondere die Kompetenzaufteilung in Wettbewerbskontrolle durch den Wettbewerbsrat einerseits und die Fusionskontrolle durch das Wirtschaftsministerium andererseits. Wie in Italien ist die Unabhängigkeit des spanischen Wettbewerbsrates im Gesetz festgeschrieben79. Seltener besitzen die a.a.i. normsetzende Entscheidungskompetenzen nach dem Vorbild echter Regulierungsbehörden80. Normsetzungsbefugnisse besitzen etwa der C.S.A., die Commission des Opérations de Bourse, oder die C.N.I.L. Auch diese sind allerdings relativ begrenzt. Der C.S.A. kann beispielsweise Regeln erlassen bezüglich Werbesendungen in Wahlperioden zu öffentlichen Wahlen81 oder bezüglich der Nutzung der Frequenzen, über die der C.S.A. verfügt82. Im letzteren Fall kann der Premierminister allerdings innerhalb von 15 Tagen, nachdem er über einen Beschluss informiert wurde, eine Neuberatung fordern. Einer Übertragung weitergehender Normsetzungsbefugnisse steht insbesondere Art. 21 der Verfassung entgegen, der den Premierminister und den Präsidenten zur (Exekutiv-) Normsetzung befugt erklärt. Im Bereich der Normsetzung sind die autorités administratives indépendantes deshalb meist in die Hierarchie unter dem Premierminister gem. Art. 21 und 13 der Verfassung eingebunden83. Die a.a.i. besitzen meist eine beratende Funktion. Die Konsultation der a.a.i. ist für die Regierung in vielen Bereichen sogar gesetzlich vorgeschrieben84. 3. Gerichtliche

und legislative

Kontrolle

Die Autorités unterliegen in der Mehrzahl der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit, auch wenn wie erwähnt die administrative Natur mancher a.a.i. umstritten ist. Für die Kontrolle von Akten des Conseil de la Concurrence ist dagegen grundsätzlich die ordentliche Gerichtsbarkeit zustän-

79

Siehe dazu ausfuhrlicher P. Bartodziej, Reform der EG-Wettbewerbsaufsicht und Gemeinschaftsrecht, S. 140 m.w.N. 80 M.-J. Guédon, Les autorités administratives indépendantes, S. 99. 81 Art. 16 des Gesetzes Nr. 86-1067 vom 30. September 1986, in Journal Officiel Oktober 1986, S. 11756. 82 Art. 22 des Gesetzes Nr. 86-1067 vom 30. September 1986, a.a.O., S. 11757. 83 A. de Laubadère/J.-C. Venezia/Y. Gaudemet, Droit Administratif, Band 1, S. 84, 141ff. mit Hinweis auf die Entscheidung des Conseil Constitutionnel vom 18. September 1986 a.a.O. 84 M.-J. Guédon, Les Autorités Administratives Indépendantes, S. 104f. mit Beispielen.

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dig85. Für Entscheidungen des Conseil de la Concurrence86 und des Conseil Supérieur de 1'Audiovisuel besteht nach der Rechtsprechung des Conseil d'Etat allerdings nur eine eingeschränkte gerichtliche Nachprüfbarkeit87. Bezüglich des C.S.A. wird die eingeschränkte gerichtliche Kontrolle mit Hinweis auf seine gesetzlich vorgesehenen Ermessensspielräumen begründet. Dahinter steht die Auffassung, es sei Aufgabe des C.S.A. und nicht der Gerichte, pluralistische Vielfalt im Fernseh- und Radiobereich zu sichern. Als ausreichende Kontrollmöglichkeit wird die jederzeitige Möglichkeit der Veränderung ihrer Rechtsgrundlage gesehen88, wovon bisher auch reichlich Gebrauch gemacht wurde. Verändert wurden bei Mehrheitswechseln in der Regierung Besetzungsmodi und Aufgaben, so wie etwa im Bereich der Regulierung von Fernsehen und Radio in den Jahren 1986 und 198989. 4. Die Argumente in der Debatte um die autorités administratives indépendantes Auch in Frankreich wird die Diskussion um die verfassungsrechtliche Problematik der a.a.i. vorwiegend im Zusammenhang mit dem Hierarchieprinzip der Verwaltung und des Individualrechtsschutzes geführt. In das französische Konzept der Verwaltungsorganisation und Gewaltenteilung sind die a.a.i. schwer einzuordnen. Sie wurden deswegen anfangs teilweise als außerhalb der prinzipiellen Staatsordnung stehende Verwaltung gesehen, das heißt, außerhalb der zentralen und dekonzentrierten Verwaltung90. Nach einer Stellungnahme des Conseil d'Etat handelte es sich um eine Kategorie von Institutionen, die von der Verfassung nicht vorgesehen waren und schwer mit Gleichgewicht der Gewalten in Einklang zu bringen sind91. Es 85

Conseil Constitutionnel, Urteil vom 23. Januar 1987, Nr. 86-224 - Conseil de la Concurrence, abgedruckt in Revue de Droit Public 1987, S. 1341. 86 Conseil Constitutionnel, Urteil vom 23. Januar 1987, Nr. 86-224 a.a.O., mit Anmerkung von Y. Gaudemet in Revue Française de Droit Administratif 1987, S. 287; Anmerkung J. Chevallier in Actualité Juridique Droit Administratif 1987, S. 345. 87 Bezüglich des Rechtes des C.S.A., veröffentlichte Empfehlungen an öffentliche Femsehund Rundfiinkbetreiber zu richten, Conseil d'Etat, Urteil vom 18. Dezember 2002, abgedruckt in Actualité Juridique Droit Administratif 2003, S. 745 mit Anmerkung F. Julien-Laferrière. 88 J. Chr. Savignac, Les Administrations de la France, S. 147. 89 M.-J. Guédon bezeichnet die Existenz der Autorités als „fragil" hinsichtlich der Einwirkungsmöglichkeiten des Gesetzgebers, siehe M.-J. Guédon, Les autorités administratives indépendantes, S. 44. 90 P. Sabourin, Les autorités administratives indépendantes - une catégorie nouvelle? in: Actualité Juridique de Droit Administrativ 1983, S. 275ff.; O. Gohin, Institutions Administratifs, S. 207f. 91 Etudes et Documents du Conseil d'Etat (E.D.C.E.) 1987, S. 53.

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wurde weiter eingewandt, die autorités administratives indépendantes widersprächen dem Hierarchieprinzip des französischen Verwaltungsaufbaus, das aus Art. 20 der Verfassung abgeleitet wird. Der Conseil Constitutionnel hat allerdings bald die Verfassungsmäßigkeit der a.a.i. anerkannt. Ähnlich der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts in Deutschland nehmen einige Autoren an, dass das Hierarchiegebot eben nicht die gesamte Verwaltungsstruktur erfasse92, sondern nur den größten Teil. Der Verfassungsgeber habe die Bildung solcher Strukturen nicht vorhergesehen, und das Verfassungsgericht habe seiner Aufgabe nach diese Lücke geschlossen und die autorités administratives indépendantes als verfassungsgemäß anerkannt93. Andere Befürworter der a.a.i. argumentieren mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Schutz der Grundrechte durch unabhängige Institutionen. Die Zulässigkeit der Unabhängigkeit der a.a.i. sei zum Schutz von Individualrechten wie für die Gerichtsbarkeit als durch die Verfassung selbst vorgegeben anzusehen94. Daraus entspringe auch die Legitimation für die Bildung von unabhängigen Institutionen95. Die a.a.i. schützen danach verfassungsrechtliche Werte, wie das auch für die Universitäten gilt96. Eine demokratietheoretische Begründung wurde aber nicht entwickelt. Vielmehr begrenzt auch nach dieser Auffassung der Grundrechtsschutz die Kompetenzen der demokratisch gewählten Institutionen. Auch in Frankreich findet sich der partizipativ-pluralistische Ansatz zur Begründung unabhängiger Institutionen97. Allerdings wird daraus nicht auf die Notwendigkeit einer pluralen Besetzung, also einer Vertretung gesellschaftlicher Gruppen, geschlossen. Das Besetzungsverfahren des C.S.A. erfolgt wie für die anderen a.a.i. nach dem Muster einer staatlichen Behörde und stellt ein eigenes Organisationsprinzip dar, wie es den plural besetzten 92

R. Chapus, Droit Administratif Générale, S. 330 Nr. 432. O. Gohin, Institutions Administratives, S. 218. 94 Diese ist in Art. 64 Abs. 4 verankert; M.-J. Guédon, Les autorités administratives indépendantes, S. 109f. 95 Conseil Constitutionnel, Entscheidung vom 26. Juli 1984, Nr. 84-173, Ree. 63; abgedruckt in Revue de Droit Public 1986, S. 395 mit Anmerkung L Favoreu. 96 Conseil Constitutionnel, Entscheidung vom 20. Januar 1984, Nr. 83-165, Ree. 30 bezüglich der Libertés universitaires; abgedruckt in Actualité Juridique Droit Administratif 1984, S. 163 mit Anmerkung Boulouis; Y. Gaudemet, L'indépendance des professeurs d'université, principe commun des droits constitutionnels européens, S. 125. 97 Zusammenfassend zur pluralistischen Begründung für den Conseil supérieur de l'audiovisuel, O. Zander, Rundfunkfreiheit und Rundfunkkontrolle, S. 28ff.; Mit einem Überblick zur französischen Pluralismusdiskussion C. Grewe/Chr. Gusy (Hrsg.), Französisches Staatsdenken, Baden-Baden 2002. 93

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Gremien in Deutschland zugrunde liegt. Bei der ersten Besetzung des C.S.A. wurden allerdings in der Mehrzahl Angehörige audiovisueller Berufsgruppen zu Mitgliedern ernannt98. Bezüglich der demokratietheoretischen Rechtfertigung dieses Ansatzes kann auf die Ausführungen für den deutschen Ansatz verwiesen werden. Allerdings wird der partizipativ-pluralistische Legitimationsansatz in der französischen Literatur deutlich weniger stark vertreten als in der deutschen Literatur. Umstritten war insbesondere die Übertragung von Normsetzungskompetenzen auf unabhängige Institutionen, da dies Art. 21 der Verfassung widerspreche, der nur dem Premierminister solche Kompetenzen übertrage. Der Conseil Constitutionnel hat aber anerkannt, dass Art. 21 der Delegation von Regulierungskompetenzen an eine andere Person als dem Premierminister nicht entgegensteht". Allerdings müssten die Normsetzungskompetenzen bzw. die Aufsicht darüber weiter dem Premierminister unterliegen. Weiter dürften die übertragenen Kompetenzen nur ein begrenztes Anwendungsfeld haben. Nach Auffassung des Conseil Constitutionnel ist ihre Verfassungsmäßigkeit auch aus der Begrenztheit ihrer Unabhängigkeit abzuleiten. So hätten sie keine budgetäre Unabhängigkeit100, seien im Bereich von Normsetzungsbefugnissen meist dem Premierminister untergeordnet101 und unterlägen zudem gerichtlicher Kontrolle102. In der Literatur wird an dieser Auffassung kritisiert, sie schwäche entweder den Verfassungstext oder versuche, die Unabhängigkeit zu verharmlosen103. Umstritten sind in letzter Zeit besonders die Kompetenzen der a.a.i. zur Verhängung von Administrativstrafen104. Dabei geht es um die Frage, ob die administrativen Sanktionskompetenzen mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar sind. Die Cour de Cassation hatte die Sanktionskompetenzen der C.O.B, als Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK beurteilt, weil im Rahmen des administ98

Siehe O. Zander, a.a.O., S. 170 m.w.N. Conseil Constitutionnel, Entscheidung vom 18. September 1986, Nr. 86-217, Ree. 141; abgedruckt in Actualité Juridique Droit Administratif 1987, S. 102 mit Anmerkung Wachsmann; Revue Française de Droit Administratif 1986, S. 372 mit Anmerkung Etien. 100 Conseil Constitutionnel, Entscheidung vom 17. Januar 1989 a.a.O. 101 Conseil Constitutionnel, Entscheidung vom 18. September 1986 a.a.O., und vom 17. Januar 1989 a.a.O. 102 Conseil Constitutionnel vom 18. September 1986 und 17. Januar 1989 a.a.O. 103 M.-J. Guédon, Les Autorités Administratives Indépendantes, S. 36-49. 104 Zuletzt X. Prétot, Le pouvoir de sanction des autorités administratives indépendantes répond-il aux exigences de la CEDH?, in: Revue de Droit Public 2002, S. 1607-1617; J.-F. Brisson, Les pouvoirs de sanction des autorités de régulation et l'article 6 § 1 de la Convention européene des droits de l'homme, Actualité Juridique de Droit Administratif 1999, S. 847-858. 99

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rativen Sanktionsverfahrens das Recht auf einen unabhängigen und unparteiischen Richter nicht gewährleistet sei105. Als unvereinbar mit dem Gebot des unabhängigen Richters wurde angesehen, dass im administrativen Sanktionsverfahren Ermittlung und Urteil von identischen Personen vorgenommen wurden. Es sei davon auszugehen, dass der den Sachverhalt Ermittelnde von der Richtigkeit seiner Untersuchungen überzeugt sei. Andere verweisen darauf, dass es nicht auf eine vermutete Voreingenommenheit oder Befangenheit ankomme, sondern auf eine tatsächlich bestehende. Dies sei aber in den streitigen Fällen nicht nachgewiesen worden. Die Diskussion ähnelt in diesem Punkt der US-amerikanischen Diskussion um die Kompetenzen der Independent Regulatory Commissions. Der Conseil d'Etat dagegen lehnte die Anwendung des Art. 6 Abs. 1 EMRK mit dem Hinweis auf eben den administrativen Charakter der a.a.i. ab, in diesem Fall des Conseil du Marché à Terme106.

D. Die Entwicklung der Gesetzgebungskontrolle durch den Conseil Constitutionnel I. Zum Comité

Constitutionnel

Frankreich kannte seit 1789 eine Verfassung und seit 1958 mit dem Conseil Constitutionnel ein Organ ähnlich einem Verfassungsgericht. Eine wirklich aktive Gesetzgebungskontrolle entwickelt sich aber erst ab Anfang der siebziger Jahre107. In der vierten Republik108 bestand ein Comité Constitutionnel, dessen Mitglieder der Präsident der Republik, der Präsident der Nationalversammlung und der Präsident des Senats sowie sieben weitere Mitglieder waren, die von der Nationalversammlung und dem Senat nominiert wurden. Diese weiteren Mitglieder durften keine Angehörigen der sie vorschlagenden Kammern sein. Das Comité Constitutionnel wurde bereits aufgrund seiner Zusammensetzung nicht als Verfassungsgericht, sondern politisches Organ eingestuft. Die rechtlich vorgesehene Bedeutung dieses Comité war größer als dann seine tatsächliche Rolle in der Gesetzgebungskontrolle. 105

Cour de Cassation ass. plén., Urteil vom 5. Februar 1999, Commission des opérations de Bourse c/ M. Oury et autre, Bull. cass. Nr. 1. 106 Conseil d'Etat, Urteil vom 4. Mai 1998, Société de bourse Patrice Wargny, zitiert über J.F. Brisson, a.a.O., S. 847ff. 107 Allerdings hatte bereits A. Sieyes bereits Ende des 18. Jahrhunderts eine ,jury constitutionnaire" gefordert, siehe die Nachweise bei W. Heun, Verfassungsrecht und einfaches Recht, in: VVDStRL 61 (2002), S. 101. 108 Die vierte Republik bestand von 1946 bis 1958.

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Rechtlich hatte es den Auftrag, Gesetze vor ihrer Verkündigung auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen und anzugeben, wann eine Verfassungsänderung zum Erlass des Gesetzes nötig sei. Dabei war seine Aufgabe, zu kontrollieren, ob die Kompetenzen zwischen den Kammern eingehalten wurden. Allerdings wurde das Comité Constitutionnel nur einmal, 1948, angerufen. Es ging um die Frage, in welchem Zeitrahmen der Senat über einen Gesetzesvorschlag der Nationalversammlung zu entscheiden habe, wenn letztere diesen als dringend eingestuft hatte. Der Versuch der Gaullisten, die Verträge von Rom vor das Comité Constitutionnel zu bringen, scheiterte, weil die Ratifizierung der Verträge keine Kompetenzprobleme zwischen den Kammern aufwarf. Der 1958 gegründete Conseil Constitutionnel wurde ursprünglich nicht als eine radikale Neukonzeption gegenüber den früheren institutionellen Einrichtungen gesehen. Die entscheidende Neuerung war 1958 die Begrenzung der parlamentarischen Souveränität durch die Exekutive109. Der Conseil Constitutionnel sollte ursprünglich die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen exekutiver und legislativer Gewalt überwachen110 und damit eine starke Exekutive gewährleisten111. Seine Kontrollfunktion sollte sich auf die Prüfung des Anwendungsbereiches der Parlamentsgesetze und der Exekutive nach Art. 34 und Art. 37 der Verfassung beziehen. Der Conseil Constitutionnel war nicht als Element einer Funktionenteilung, sondern als Instrument zur Organkontrolle gedacht112. Keinesfalls sollte eine Verfassungsgerichtsbarkeit entsprechend dem Bundesverfassungsgericht geschaffen werden113. Es war nicht geplant, den Vorrang des Parlamentes vor der Gerichtsbarkeit aufzuheben. Mit der Entscheidung vom 16. Juli 1971114, in der der Conseil Constitutionnel einen Gesetzesentwurf betreffend die Vereinigungsfreiheit zurückwies, änderte sich aber seine Rolle. Er entwickelte sich von einem Organ zur Überwachung der Einhaltung der Kompetenzen der Staatsorgane untereinander zu einem Kontrollorgan der Gesetzgebung115.

109

J. Bell, French Constitutional Law, S. 27. A. Stone, The Birth of Judicial Politics in France, S. 60f; F. Demarigny, Independent administrative authorities in France, in: G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, S. 161. 111 J. Bell, French Constitutional Law, S. 19f. 112 J. Bell, a.a.O., S. 26. 113 J. Bell, a.a.O., S. 27. 114 Abgedruckt in Journal Officiel Juli 1971, S. 7114; abgedruckt auch in: Favoreu/Philip, Les Grandes Décisions du Conseil Constitutionnel, 7. Aufl. 1993, S. 242ff. 115 A. Stone, The Birth of Judicial Politics in France, S. 60 ff. 110

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II. Unabhängigkeit und Kompetenzen des Conseil Constitutionnel 1. Zur Unabhängigkeit des Conseil Constitutionnel Die Mitglieder des 1958 gegründeten Conseil Constitutionnel werden gem. Art. 56 der Verfassung durch den Präsidenten der Republik, der Nationalversammlung und des Senats ernannt. Alle drei Jahre wird ein Mitglied durch eine der drei genannten Personen für einen einmaligen Zeitraum von neun Jahren ernannt. Sollte eine Stelle vor Ablauf der neun Jahre frei werden, nominiert derjenige den Nachfolger, der die ausgefallene Person ernannt hatte. Zusätzlich sind alle ehemaligen Präsidenten der Republik Mitglieder des Conseil auf Lebenszeit. Tatsächlich haben nur zwei Präsidenten der vierten Republik, Auriol und Coty, jemals ihr Amt im Conseil angetreten, und kein Präsident hat seit dem 6. November 1962 mehr an einer Entscheidung teilgenommen116. Die Auswahl der Personen für den Conseil unterliegt wenigen formalen Einschränkungen. Mitglieder der Regierung, des Parlaments oder des beratenden Wirtschafts- und Sozialausschusses können gem. Art. 4 der Ordonnance vom 7. November 1958117 nicht Mitglieder des Conseil werden. Die Mitglieder dürfen auch nicht Angestellte im öffentlichen Dienst sein und dürfen keine öffentliche Position zu Angelegenheiten beziehen, die Gegenstand einer Entscheidung des Conseil sein könnte. Aufgrund dieser Einschränkungen kann ein Mitglied des Conseil keine aktive politische Laufbahn betreiben, der Conseil setzt sich deshalb zumeist aus älteren und nicht mehr aktiven Politikern zusammen. Die erste Besetzung des Conseil stand unter erheblichem Einfluss von Präsident De Gaulle. Der erste Präsident des Conseil, Léon Noel, war naher Vertrauter von De Gaulle, konsultierte ihn in vielen politischen Fragen, die er dann in die Entscheidungen einfließen ließ118. Sein Nachfolger Gaston Palewski, ebenfalls ein ehemaliger Mitarbeiter De Gaulles, gab zu, dass der Conseil in den sechziger Jahren gegenüber De Gaulle keine Gesetzesvorschläge aufhob, weil es absurd sei, dem Autor der Verfassung bei deren Interpretation zu widersprechen119. Dem Conseil wurde deshalb in der rechtswissenschaftlichen Literatur mangelnde Unabhängigkeit vorgeworfen120. 116

J. Bell, a.a.O., S. 34. Ordonnance Nr. 58-1067 vom 7. November 1958, in Journal Officiel November 1958, S. 10129-10131, 10129: ordonnance portant loi organique sur le Conseil constitutionnel. 118 J. Bell, a.a.O., S. 39 m.w.N. 119 J. Bell, a.a.O., S. 40. 120 L Philip, Les attributions et le rôle du Conseil constitutionnel en matière d'elections et de référendums, in: Revue du droit public 78 (1962), S. 101. 117

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Unter Palewski wurde dann aber auch unter dem Eindruck der anhaltenden Kritik an der zögerlichen Durchsetzung der Verfassungsbestimmungen121 die Entscheidung vom 16.7.1971122 getroffen, die als Geburtsstunde der unabhängigen französischen Gerichtsbarkeit gilt. Der Conseil der Jahre 1977 bis 1980, der als einer der am politischsten besetzten galt, entpuppte sich als einer der am aktivsten, freiheitssicherndsten und juristischsten in seinen Entscheidungen123. Die Unabhängigkeit des Conseil wird heute zum einen der Unabhängigkeit seiner Mitglieder gegenüber parteipolitischem Druck und zum anderen seiner kollegialen Arbeitsweise und der Erwartung der Öffentlichkeit zugeschrieben. Die Vielzahl der Faktoren für das Zustandekommen der Unabhängigkeit lässt kein einzelnes Element als beherrschend hervorstechen124. Die Ernennungsmethoden jedenfalls scheinen nur eine begrenzte Erklärung zu bieten. Die wachsende Unabhängigkeit in der Entscheidungsfindung entspricht dem zunehmenden Verständnis für die Natur politischer Willensbildung seit den siebziger Jahren. Die sachliche Unabhängigkeit der Entscheidungen wird in Art. 3 der Ordonnance von 1958 festgelegt: danach schwören die Mitglieder des Conseil einen Eid, dass sie ihre Aufgaben unparteiisch und unter Respekt der Verfassung wahrnehmen. 2. Zu den Kompetenzen

des Conseil

Constitutionnel

Gem. Art. 61 der Verfassung kontrolliert der C.C. die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze vor ihrer Verkündung auf Antrag des Präsidenten der Republik, der Nationalversammlung, des Senats, von 60 Abgeordneten oder 60 Senatoren. Gesetze, die der Conseil für verfassungswidrig befunden hat, können nicht verkündet werden oder in Kraft treten. Aufgabe des Conseil war es ursprünglich, zu überwachen, dass die Aufgabenbereiche für Exekutive und Legislative, wie festgelegt in Art. 34 und 37 der Verfassung, durch Parlament und Exekutive eingehalten wurde. Durch die Entscheidung vom 16.7.1971 bezog der Conseil Constitutionnel aber weitere Aufgaben in seine Kompetenzen ein: die Überwachung der Einhaltung der Präambel der Verfassung von 1946, der generellen Prinzipien dieser Verfassung und der De-

121

A. Stone, a.a.O., S. 95. Journal Officiel Juli 1971, S. 7114; abgedruckt auch in: Favoreu/Philip, Les Grandes Décisions du Conseil Constitutionnel, 7. Aufl. 1993, S. 242ff. 123 Favoreu/Philip, Les Grandes Décisions du Conseil Constitutionnel, 5. Aufl., 1989, S. 378. 124 J. Bell, a.a.O., S. 41. 122

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Unabhängige Institutionen im fimktionalen Legitimationsmodell

klaration der Menschen- und Bürgerrechte von 1789. Der Conseil schuf sich damit die Grundlage zur Überwachung materieller Verfassungsprinzipien. Seit 1974 hat die Rolle des Conseil Constitutionnel dadurch weiter zugenommen, dass Parlamentsmitglieder Verfahren einleiten konnten und er seit 1981 aufgrund der innenpolitischen Situation (unterschiedliche Parteizugehörigkeit des Präsidenten und der Regierung) die meisten der wichtigen Gesetzgebungsakte kontrollierte125. Ab diesem Zeitpunkt konnten die Konservativen, die in den anderen Organen Nationalversammlung und Senat in der Opposition waren, nur durch Anrufung des Conseil die Gesetzgebung beeinflussen, was sie auch regelmäßig taten126. Es besteht allerdings keine Klagemöglichkeit für den einzelnen Bürger vor dem Conseil Constitutionnel. III. Die Debatte um den Conseil

Constitutionnel

In der Diskussion um die Entstehung des Conseil Constitutionnel lässt sich der Zusammenhang zwischen Annahme über den Entscheidungsprozeß in politischen Institutionen (Parlament) und Gerichtsbarkeit klar nachvollziehen. Dabei dominierte in der französischen Vorstellung der Gedanke an die Umsetzung des Volkswillens im Parlament noch länger als in der deutschen Diskussion. Wie in der deutschen Rechtswissenschaft das Bundesverfassungsgericht wird der Conseil Constitutionnel weniger als politischer Akteur, sondern mehr als Rechtsanwender gesehen127. In der Diskussion und der Entstehungsgeschichte des Conseil Constitutionnel können zwei Schulen unterschieden werden: Nach der einen war das Gesetz („la loi") Ausdruck des Souveräns, des Volkes, vertreten durch das Parlament. Es sollte durch die Gerichtsbarkeit dann nur noch angewendet werden. Die Auslegungshoheit sollte beim Gesetzgeber verbleiben128 (siehe unter 1.). Nach der anderen dagegen stellte eine gerichtliche Kontrolle der politischen Entscheidungen die bessere Gewähr verfassungsrechtlicher Werte dar (siehe unter 2.)

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J. Bell, a.a.O., S. 30ff. mit Hinweis auf L Favoreu, Le droit jurisprudentiel constitutionnel, in: Revue de Droit Public 105 (1989), S. 399 unter 408-9. 126 A. Stone, a.a.O., S. 78ff. 127 L. Favoreu, Les décisions du Conseil constitutionnel dans l'affaire des nationalisations, Revue du droit public 98 (1982), S. 382; L Favoreu, Le droit constitutionnel jurisprudentiel (mars 1983 - mars 1986), 102 (1986), S. 408; A. Stone, a.a.O., S. 106. 128 A. Stone, a.a.O., S. 25 mit Hinweis auf Bourdon, La réforme judiciaire de l'an VIII, S. 432f.

Unabhängige Institutionen in Frankreich

1. Das Parlament als geeignetes Verfassungswerte ?

Organ zur Sicherung

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der

Nach der einen Schule galt, dass durchaus eine Verfassungsbindung der Souveränität des Volkes - in Form des Gesetzgebers - bestehe. Diese Bindung stelle auch keinen Widerspruch zur Souveränität des Volkes dar. Sie verändere nur die Art der Souveränitätsausübung129. Aufgabe des Parlamentes sei es, die ständige Verfassungsaktualisierung vorzunehmen. Die Freiheitsrechte bedürften gesetzlicher Ausgestaltung, um in der Rechtswirklichkeit anwendbar zu sein130. Die Verfassung erscheint in dieser Sichtweise nur als moralische Verpflichtung. Es sei nur natürlich, die Interpretation der Verfassung den Personen anzuvertrauen, die den Text geschaffen haben131. Das Parlament solle bei Verfassungsänderungen anders vorgehen als beim Erlass einfacher Gesetze; es mache aber keinen Sinn, den Willen des Parlamentes als Verfassungsgeber über den Willen des Parlaments als Gesetzgeber zu stellen132. Die Verfassung war das Mittel, das dem Willen des Volkes erlaubte, sich Geltung zu verschaffen. Die Verfassung sollte dementsprechend das Handlungsinstrument dieses Willens sein. Es war nicht gewollt, dass dieses Instrument schließlich wichtiger wird als das Volk, dem es dienen soll133. Andernfalls entstände die Gefahr eines „gouvernement des juges 134 ". Eine geschriebene Verfassung stellt in diesem Konzept zunächst weder die Grundlage für eine Verfassungsgerichtsbarkeit noch eine wirksame Beschränkung der Kompetenzen des Gesetzgebers dar, denn sie ist nur Ausdruck derselben. Wie die Cour de Cassation 1833 entschied, konnten Gesetze vor Gerichten nicht wegen Verfassungswidrigkeit angegriffen werden, da das Gesetz die Gerichte bindet135. Die Wahrung der Verfassung war in diesem Verständnis Aufgabe des Gesetzgebers. Nur nicht-gerichtliche Institutionen wie ein gewählter

129

R. C. de Malberg, La loi, expression de la volonté générale, S. 125. W. Heun, Verfassungsrecht und einfaches Recht, in: VVDStRL 61 (2002), S. lOlf. m.w.N. 131 R. C. de Malberg, a.a.O., S. 131. 132 R. C. de Malberg, a.a.O., S. 115. 133 Chr. Autexier, in Übersetzung von G. Leisner, Der Neue Conseil Constitutionnel, in: Der Staat 15 (1976), S. 97. 134 Diesen in der französischen Diskussion seit Jahrhunderten geläufigen Begriff verwandte Anfang der zwanziger Jahre Edouard Lambert in seiner Studie über judizielle Politik in Amerika, in: E. Lambert, Le gouvernement des juges et la lutte contre la législation sociale aux Etats-Unis, Paris 1921. 135 Cassation Criminelle, Entscheidung vom 11. Mai 1833, Sirey 1 (1833) „Paulin", S. 357360 zitiert über A. Stone, The birth of judicial politics in France, S. 26. 130

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Volksfiihrer konnten nach der bonapartistischen Tradition die Kompetenzen des Parlamentes einschränken, um die Exekutive zu stärken136. Die Gerichtsbarkeit hatte in diesem System naturgemäß nur eine dienende Rolle. Historischer Grund für diese Haltung war, dass die Gerichtsbarkeit zur Zeit der Revolution als korrupt, reaktionär und als Gegner sozialer Reformen angesehen wurde. Deshalb galt als angemessene Rolle der Rechtsprechung, sich auf die Entscheidungen des Parlamentes zu beziehen. Richter könnten nicht dem Willen des Volkes im Wege stehen. Es sei ein fundamentales Prinzip des französischen Rechts, dem Richter nicht die Macht zu gewähren, Gesetze für verfassungswidrig zu erklären, sondern ihm das Recht zu übertragen, es aufgrund eines Verfassungsverstoßes nicht anzuwenden. Dieses Prinzip ist so fest verankert, dass die vorhergehenden französischen Verfassungen keine Veranlassung sahen, dies festzuhalten137. Unter Hinweis auf die soziale Herkunft der Verfassungsrichter und die konservative Rechtsprechung des Supreme Court in den Vereinigten Staaten wurde die Verfassungsgerichtsbarkeit in der französischen Diskussion als Verhinderer der Einführung sozialer Rechte betrachtet138. Die Einrichtung einer Verfassungsgerichtsbarkeit sei ein Mittel, gegen das demokratisch gewählte Parlament, Ergebnis allgemeiner Wahlen, und seinen möglichen Reformwillen bürgerliche Richter zur Verteidigung und unveränderlichen Konservierung der besitzenden Klassen einzusetzen139. Es würde wieder zu den Entwicklungen des ancien régime fuhren, wenn die demokratisch gewählte Vertretung durch nicht gewählte Institutionen, etwa Gerichte, beschränkt würde140. 2. Gerichte als Instrumente zur Sicherung der Verfassungswerte Die andere Schule, die eine gerichtliche Kontrolle der politischen Gewalt befürwortete, entwickelte sich erst langsam. Sie betonte den Vorrang der Verfassung, auch vor dem Gesetz, also dem Allgemeinwillen141. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war diese Vorrangstellung der Verfassung in der 136 137

A. Stone, a.a.O., S. 26f. R. David, French Law: Its structure, Sources and Methodology, S. 124; A. Stone, a.a.O., S.

23. 138

E. Lambert, Le Gouvernement des juges et la lutte contre la législation sociale aux ÉtatsUnis, S. 224; J. Bell, a.a.O., S. 26f. 139 J. Bell, a.a.O., S. 26 mit Hinweis auf G. Jèze, zitiert in L. Hamon, Les Juges de la loi, S. 75; Ders., Les Principes généraux du droit administratif, 3. Aufl., S. 368. 140 G. Jèze, Le contrôle juridictionnel des lois, in: Revue du droit public 40 (1924), S. 421. 141 A. Stone, a.a.O., S. 31ff.

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französischen Rechtswissenschaft relativ unbestritten. Es wurde erkannt, dass die Lehre vom Allgemeinwillen das größte Hindernis sei, das überwunden werden müsse, um zur „Herrschaft des Rechts" zu gelangen. Duguit griff die „metaphysische Konzeption" des Gesetzes an, womit auch das Prinzip der symbolischen Repräsentation gemeint war. Die Gesetzgebung wurde nun als der Wille einzelner Personen angesehen, ihre Einheit entmystifiziert 142 . Anstelle der Überhöhung der Entscheidungen des Gesetzgebers als Allgemeinwillen trat harsche Kritik an der Qualität der Entscheidungen der gewählten Vertreter auf. Die Unzulänglichkeiten des politischen Entscheidungsprozesses wurden hervorgehoben 143 . Die Diskussion um die Einrichtung einer Verfassungsgerichtsbarkeit wurde in der dritten Republik intensiver. Grundlage dieser Entwicklung war die sich durchsetzende Ansicht, dass die Verfassung eine höhere Norm darstelle, die auch den Gesetzgeber wie jedes staatliches Organ binde. „Unter der Herrschaft der Verfassung ist keine Institution souverän in dem Sinne, dass sie nicht in ihrer Kompetenzausübung kontrolliert werden kann. (...) Unkontrollierte Souveränität liegt nur bei der Nation und wird nicht delegiert. Alle delegierte Souveränität aber ist kontrollierbar. 144 " Es wurde auf den Geltungsvorrang der Verfassung verwiesen. Ein Gesetz in Widerspruch zur Verfassung beanspruche zu Unrecht den Status eines Gesetzes 145 . Unter Übernahme des Konzeptes der Gewaltenteilung aus den Vereinigten Staaten wurde von den Befürwortern weiter auf die Einrichtung einer Verfassungsgerichtsbarkeit gedrängt. Richterliche Kontrolle der Gesetzgebung stellte danach keine Verletzung der Gewaltenteilung dar, sondern erst ihre Umsetzung 146 . In der Zeit ab 1971 begann sich die Idee der Wahrung des Verfassungsrechts durch den Conseil Constitutionnel aber soweit durchzusetzen, dass 1987 Raymond Barre feststellte: „Wir haben in den vergangenen Jahren gelernt, dass das Verfassungsgesetz über dem Parlamentsgesetz steht. Wir sollten diese grundlegende Einsicht nicht mehr aufgeben, denn der Schutz der Demokratie und der Bürger beruht auf der Anerkennung dieser Gesetzesordnung, die vom Conseil Constitutionnel ausgeht und höher als die Parlamentsordnung steht147". Ähnlich den Diskussionen um die 142

L. Duguit, Law in the Modern State, S. 70. G. Jèze, Le contrôle juridictionnel des lois, in: Revue du droit public 40 (1924), S. 402; A. Stone, a.a. O., S. 35f. 144 J. Bell, a.a.O., S. 23 mit Hinweis auf M. Hauriou, Précis de droit consitutionnel, S. 266. 145 J. Bell, a.a.O., S. 24 mit Verweis auf Kommentar auf die Entscheidung des Conseil d'Etat vom 6. Nov. 1936 - Arrighi. 146 L. Duguit, Law in the modern state, S. 87. 147 R. Barre, in: Le Monde vom 27. Januar 1987, S. 8. 143

HO

Unabhängige Institutionen im funktionalen

Legitimationsmodell

Grenzen der Kompetenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten und in Deutschland untersuchen neuere Beiträge in der französischen Literatur Grenzen und Selbstbegrenzungen des Conseil Constitutionnel gegenüber den Kompetenzen des Gesetzgebers148. Kernpunkt der Kritik ist die Befürchtung, dass der Conseil Constitutionnel durch die Ausweitung der verfassungsrechtlichen Texte und Prinzipien, die als Entscheidungsgrundlage dienen, einen zu großen Ermessensspielraum erhält und damit die Kompetenzen der Legislative zu weit einschränkt149.

E. Zusammenfassung Kapitel 3 In Frankreich herrscht wie in Deutschland ein funktionales Repräsentationsverständnis vor, nach dem sich aus dem Demokratieprinzip Ordnungsprinzipien für die Staatsorganisation je nach Funktion ableiten lassen. Der Gemeinwille, die „volonté générale", kommt in den repräsentativen Organen Parlament, Regierung und Präsident zum Ausdruck und wird über die hierarchische Ministerialorganisation umgesetzt. Dem französischen Demokratieverständnis entsprechend sind die „autorités administratives indépendantes" in der französischen Verwaltungsorganisation, die seit 1970 entstanden, mit nur sehr begrenzter Unabhängigkeit ausgestattet. Eine demokratietheoretische Begründung für die Verselbständigung von Verwaltungsträgern wurde nicht gefunden. Zwar sind Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich seit 1789 anerkannt. Allerdings wurde bis 1958 das Parlament als Garant der Menschenund Bürgerrechte gesehen. Der 1958 gegründete Conseil Constitutionnel kontrolliert - verstärkt seit den 70er Jahren - die Gesetzgebung auf ihre Verfassungsmäßigkeit. Allerdings existiert im französischen Verfassungsrecht keine individuelle Verfassungsbeschwerde. Die demokratische Legitimation des Conseil Constitutionnel bleibt in Frankreich stärker umstritten als die Legitimation des deutschen Bundesverfassungsgerichts.

148 D. Dokhan, Les Limites du Contrôle de la Constitutionnalité des Actes Législatifs, Paris 2001; C. Enferrt, Conseil Constitutionnel et Lois des Finances, Droit Administratif - Editions du Juris-Classeur, 2000, Februar, Seite 9. 149 L Philip, Le développement du contrôle de constitutionnalité et l'accroissement des pouvoirs du juge constitutionnel, Revue du droit public 103 (1987), S. 446.

Kapitel 4

Die Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen in Großbritannien Die Untersuchung Uber die Entstehung und Legitimität unabhängiger Institutionen in Großbritannien verdeutlicht die Bedeutung des Verständnisses politisch-demokratischer Entscheidungsfindung für die Bildung unabhängiger Institutionen in besonderer Weise. In Großbritannien folgten die prägenden Autoren im Bereich der Demokratietheorie eine Zeit lang der vereinheitlichenden kontinentaleuropäischen Idee der monistischen Repräsentation (ca.1850 bis 1960). In dieser Zeit wurden auch die meisten Verwaltungsorgane den Ministerien der Regierung unterstellt. Vor und nach dieser Zeit wurde aber mit verschiedenen Begründungen (davor: Verhältnis KroneParlament, danach: Pluralismustheorie) eine Vielzahl unabhängiger Institutionen gebildet und als legitim angesehen. Besonders interessant ist dabei, dass sich in Großbritannien überhaupt unabhängige Institutionen ausbilden konnten und als legitim angesehen werden, obwohl der Grundsatz vom Vorrang des Parlamentes bis heute grundsätzlich weiter gilt. Denn einer der zentralen Gründe, der in Deutschland und Frankreich anfangs die legitimatorische Grundlage für die Bildung unabhängiger Institutionen bildete, bestand in der Erkenntnis, dass die Kompetenzen der politischen Institutionen Parlament und Regierung durchaus in legitimer Weise einschränkbar sind (durch Verfassungsnormen und Rechte). Dem weiterhin herrschenden Prinzip der Parlamentssouveränität entspricht, dass sich bewusste Begrenzungen von Regierung und Parlament durch unabhängige Institutionen in politisch wichtigen Bereichen bisher langsamer und schwächer durchgesetzt haben als in Deutschland oder Frankreich. Das politische System des Vereinigten Königreiches kennt weder eine unabhängige Verfassungsgerichtsbarkeit noch eine unabhängige Zentralbank, die den Anforderungen des ESZB entspräche, wenn auch in dieser Hinsicht Fortschritte gemacht wurden. Auch im Bereich der Wettbewerbskontrolle wurde unabhängigen Institutionen erst mit den Reformen im Jahr 1998 eine größere Rolle zugedacht, vergleichbar mit der Situation in Frankreich.

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Unabhängige Institutionen im funktionalen Legitimationsmodell

Dagegen wurde im Bereich der öffentlichen Verwaltung eine Vielzahl unabhängiger Institutionen eingeführt. Diese sollen die Effizienz der Verwaltung steigern, eine gewisse Distanz zur Politik garantieren und den Bürgern Möglichkeiten zur Partizipation geben. Allerdings wurde auch bezüglich dieser teilweise unabhängigen Agenturen keine überzeugende Begründung dafür gefunden, dass sie weitgehend aus dem Prinzip der Ministerialverantwortung herausgenommen sind.

A. Zum Demokratie- und Verfassungsverständnis Das englische Demokratieverständnis und das zugrunde liegende Bild des politischen Entscheidungsprozesses sind in den letzten Jahrhunderten Entwicklungen durchlaufen, die sich in den verschiedenen Ausformungen der Staatsorganisation widerspiegeln1. Vieldiskutiertes Merkmal britischen Demokratieverständnisses ist die uneingeschränkte Souveränität des Parlamentes. 1767 erklärte das britische Parlament, dass von nun an der Grundsatz uneingeschränkter und uneinschränkbarer Souveränität gelte und eine parlamentarische Mehrheit jedes beliebige Gesetz verabschieden könne2. Die gedankliche Grundlage dieses parlamentarischen Vorranganspruches kann bei Hobbes gefunden werden, der aufgrund seiner Zeitumstände von der Notwendigkeit einer zentralistischen Staatsorganisation mit einer führenden Institution ausgeht3. Der Gedanke wurde von Austin weiterentwickelt, der auf die unauflösbare und unbegrenzbare Natur souveräner Macht hinwies4. Der englische Verfassungsrechtler Dicey führte in seinen Schriften die theoretische Grundlage dieses zentralistischen Demokratieverständnisses fort. Dicey legte dabei seiner einheitlichen oder monistischen Staatskonzeption das Bild eines selbstkorrigierenden politischen Prozesses zugrunde5. Das System repräsentativer Regierung stellte nach dieser Ansicht sicher, dass der Wille der Regierung und der Regierten auf lange Sicht kaum unterschiedlich sein können, sondern zusammenfallen. Das Parlament drückte nach diesem Bild den Willen der Nation aus6, und die Ausübung hoheitlicher Gewalt 1 Zur Entwicklung unabhängiger Institutionen in England: P. Craig, Administrative Law; H, Wade/C. Forsyth, Administrative Law, S. 167ff. 2 F. A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 221 mit einer Zusammenfassung der Entwicklung und weiteren Literaturnachweisen. 3 Siehe Th. Hobbes, Leviathan. 4 P. Craig, Public Law and Democracy, S. 141 mit Verweis auf J. Austin, The Province of Jurisprudence Determined, Kapitel VI, London 1955. 5 Darstellung nach P. Craig, Public Law and Democracy, S. 15ff. 6 A. V. Dicey, An Introduction to the study of the Law of the Constitution, S. 43.

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musste deshalb durch das Parlament als höchstes Organ wahrgenommen werden. Das Parlament kontrollierte in diesem Modell auch die Exekutive. Bis heute hat sich der Grundsatz von der Souveränität des Parlamentes gehalten, wenn er auch umstritten ist7. Eine gewisse Einschränkung des Souveränitätsgrundsatzes brachte die Integration des Vereinigten Königreiches in die EG8. Mit dem Grundsatz des Vorranges des Parlamentes war die Rechtsprechung des EuGH betreffend den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalen Rechtsordnungen9 schwer in Einklang zu bringen. Zunächst wurde versucht, britische Gesetze wo immer möglich gemeinschaftskonform zu bewerten. Als dies aber nicht immer möglich war, erkannte das House of Lords im Verfahren „Factortame"10 den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor der Parlamentssouveränität an. Der Grund dafür liege in der vom britischen Parlament getroffenen Entscheidung, Mitglied in der Gemeinschaft zu sein. Mit dieser Argumentationsfigur soll die grundsätzliche Souveränität des Parlamentes, das einen Austritt Großbritanniens aus der Gemeinschaft bewirken kann, theoretisch fortgeschrieben werden. Neben diesem monistischen Staatsorganisations- und Legitimitätsverständnis verbreitete sich aber ab Anfang des 20. Jahrhunderts auch in Großbritannien Ansätze einer pluralistischeren Demokratietheorie11. Laski verfasste ab 1917 eine umfangreichere Literatur zum pluralistischen Ansatz. Er griff die monistische Staatstheorie an, die er als „Krisengeburt" ansah. Die Theorien von Hobbes, Bodin und Hegel seien nur darauf ausgerichtet gewesen, die Einheit des Staates zu wahren. Das Verfassungsrecht habe nur das Konzept dafür geliefert, eine oberste Staatsgewalt zu legitimieren, um Religions- und Bürgerkriege und auswärtige Bedrohungen zu bekämpfen. Die Antwort darauf war der Einheitsstaat, der aber ungenügend sei, da der Staat aus einer Vielzahl verschiedener Gruppen bestehe, die sich selbst verwalte-

7 Siehe etwa Chr. Forsyth, Judicial Review and the Constitution, Oxford 2000; A. Halpin, The Theoretical Controversy Concerning Judicial Review, in: Modern Law Review 64 (2001), S. 500ff. 8 Zur „Konstitutionalisierungswirkung" des Human Rights Act 1998 als Umsetzung der EMRK in britisches Recht siehe unten bei „Rolle der Gerichtsbarkeit". 9 EuGH Rs. 26/62, 1964, S. 1251ff. - Van Gend en Loos v. Nederlandse Administrate der Belastingen. 10 R. v. Secretary of State for Transport, ex p. Factortame Ltd. (1990) 2 A.C., S. 85; später R. v. Secretary of State for Transport, ex p. Factortame Ltd. (1991) 1 A.C., S. 603; näheres bei A. Schwab, Devolution, S. 33ff. 11 Siehe die Ausführungen von P. Craig, Public Law and Democracy, S. 140ff. mit Hinweisen auf Maitland, der wiederum von v. Gierke Schriften inspiriert wurde.

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ten. Der Staat müsse für seine Handlungen Legitimation suchen. Dezentralisation sei dabei ein geeignetes Mittel zur Sicherung von Freiheiten. Auf diesem Ansatz aufbauend wird in der partizipativ-pluralistischen Literatur in dem Zusammenwirken der Bürger die Möglichkeit gesehen, die Gemeinschaft herzustellen. Die Existenz von Interessenkonflikten wird anerkannt, es wird aber davon ausgegangen, dass in einer starken Demokratie diese Konflikte durch Bürgerbeteiligung, öffentliche Deliberation und Erziehung Uberwunden werden können. Die Transformation von Interessen ist zentraler Bestandteil dieser Demokratieausprägung und steht dem Gedanken von interessenorientiertem Aushandeln, wie sie etwa der pluralistischen oder liberalen Demokratietheorie zugrunde liegen, entgegen. Mittel dieser Transformation sind die Artikulierung individueller Interessen, gemeinsame Überzeugungen und Planung, Formulierung von Werten sowie die Bildung von Institutionen unter Beteiligung von Bürgern, die über die öffentliche Sache nachdenken und versuchen, die „gemeinsame Zukunft in Form des Gemeinwohls zu gestalten"12. Während im pluralistischen oder liberalen Modell die Personen Einzelinteressen besitzen und sich gegenüberstehen, geht die partizipative Demokratietheorie davon aus, dass der Mensch seine gegenseitige Abhängigkeit nur im Rahmen seines gemeinsamen, bürgerschaftlichen Handelns legitimieren kann13. In institutioneller Hinsicht führt das dazu, dass im liberalen Demokratiemodell die Bürger nach Abschluss des gegenseitigen Gesellschaftsvertrages untereinander nur noch privaten Kontakt haben und die politische Führung den Repräsentanten überlässt, die er durch Verantwortlichkeit und Gerichtsbarkeit kontrolliert, während nach dem partizipativen Ansatz keine Grenze zwischen Bürger und Repräsentanten entsteht, sondern der Bürger selbst in die Regierungsgeschäfte durch Partizipation eingebunden wird. Auch Vertreter der partizipativen Demokratietheorie sehen aber, dass zur Steuerung moderner Gesellschaften die Einrichtungen der repräsentativen Demokratie unerlässlich sind, und sehen daher institutionelle Veränderung im Sinne der partizipativen Demokratie als Ergänzung des bestehenden Systems14. In der Folgezeit entwickelten sich sehr verschiedene Strömungen des Pluralismus, von sozialistisch inspirierten Varianten bis zu korporatistischen Ausprägungen. In den achtziger Jahren wurde im Rahmen der Marktideologie durch einen pluralistischen Ansatz die Chance zur Selbstregelung der 12

B.R. Barber, Strong Democracy. Participatory Politics for a New Age, S. 132 mit einer Beschreibung des Transformationsprozesses. 13 P. Craig, Public Law and Democracy, S. 369. 14 B.R. Barber, Strong Democracy, S. 262.

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Märkte gesehen. Im Einzelnen wird auf die Auswirkungen dieser Schwankungen im Rahmen der Darstellung Entwicklung der Verwaltungsorganisation eingegangen.

B. Verwaltungsorganisation und Demokratie Verständnis I. Die Entstehung verselbständigter

Verwaltungseinheiten

Das oben dargestellte Modell Dicey's von Demokratie und Repräsentation führte ab Mitte des 19. Jahrhunderts zur Herausbildung eines zentralistischen und einheitlichen Staatsorganisationsverständnisses. Seit den Northcote-Trevelyan Reformen aus der Zeit um 1850 stellte sich die britische Verwaltung wie in Deutschland als einheitlich und hierarchisch gegliedert dar15. Das uneingeschränkt souveräne Parlament, das auch die Regierung und Minister kontrollieren sollte, war das Zentrum aller politischen Entscheidungen, die in ihm gebündelt sein sollten. Daraus folgt, dass die Regierung und die Minister eine möglichst umfassende Kontrolle und Übersicht über die Exekutive besitzen sollten16. Aufgrund dieses verfassungsrechtlichen Verständnisses wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts die meisten der vom Parlament relativ unabhängigen sogenannten boards17 aufgelöst oder den Ministerien der Regierung unterstellt18. Diese boards waren Verwaltungsinstitutionen aus vordemokratischer Zeit, die dem Parlament nur eingeschränkt verantwortlich waren, auf die aber der Monarch Einfluss nehmen konnte. Es bestand die Tradition, öffentliche Aufgaben durch unabhängige boards wahrnehmen zu lassen, die teilweise Agenturen oder lokalen Verwaltungen für bestimmte Aufgaben glichen. Die Einrichtung der „boards" prägte das britische Verwaltungssystem bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Als Vorteil dieser Verwaltungsstruktur wurde ihre Unabhängigkeit vom politischen Wechsel im Parlament sowie ihre dezentrale Orga15

P. Craig, Administrative Law, 4. Aufl., S. 99f. Die Verschiebung der politischen Macht im englischen Institutionensystem beschreibt P. Craig, Administrative Law, S. 70f.: von der „Krone" im 17. Jahrhundert hin zum Parlament im 18. Jahrhundert, und von dort ab Mitte des 18. Jahrhunderts hin zum Kabinett. Die oben erwähnte Eingliederung der Boards unter die Kontrolle der Regierung und des Parlamentes beruhte auf dem Erstarken des Selbstbewußtseins und Einflusses der demokratisch gewählten Organe gegenüber der Krone im Laufe des 19. Jahrhunderts. 17 Siehe dazu P. Craig, Public Law and Democracy, S. 31ff.; weiterhin unabhängig von der Regierung war beispielsweise die British Broadcasting Authority (BBC). 18 P. Craig, Public Law and Democracy, S. 20 m.w.N.; zu den unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen der Ministerien siehe T. Daintith/A. Page, The Executive in the Constitution, S. 32f. 16

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nisation gesehen19. Wenn auch die Zahl der boards in Folge der Zentralisierung drastisch zurückging, so bestand ihre Kategorie doch immer fort. In der Zeit nach 1945 kam es dann wieder zu einem starken Anwachsen unabhängiger Institutionen, allerdings unter anderen Bezeichnungen und anderem Aufbau 20 . Die Wiedereinführung von Verwaltungsinstitutionen außerhalb der Ministerialorganisation Anfang der siebziger Jahre erfolgte, als die unitarische Organisationsidee der Verwaltung zunehmend in Kritik geriet. Es wurde ein höherer Grad an Effizienz gefordert, als er durch die bestehende Department-Struktur erreicht wurde. Es wurde festgestellt, dass viele Aufgaben besser erledigt würden, wenn sie aus den Ministerien ausgegliedert würden, jedoch noch unter allgemeiner ministerieller Kontrolle blieben. Die Gründe für die Wiedereinführung waren also vielfältig. Sie reichten von Effizienzgründen bis zum Einbezug besonderer Expertise21. Daneben konnte diese Entwicklung auf die englische Tradition unabhängiger oder zumindest ausgegliederter Verwaltungseinheiten zurückgreifen. In Folge des sogenannten Fulton Reports begann die Bildung von ausgegliederten Agenturen: die Agentur zur Überwachung des zivilen Flugverkehrs wurde 1971, die Kommission für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 1974 gegenüber dem Ministerium für Beschäftigung verselbständigt. Weitere solche Regulierungsbehörden sind die „Independent Broadcasting Authority" von 1972 und die „Civil Aviation Authority" von 1972, die „Health and Safety Commission" von 1974 oder die „Commission for Racial Equality" von 197622. In den achtziger Jahren entstand eine Vielzahl von verselbständigten Institutionen im Regulierungsbereich im Zuge der Privatisierung großer Teile der Wirtschaft. Die Ausdehnung des Agenturmodells wurde von der sogenannten „Efficiency-Unit" vorangetrieben. 1988 wurde mit dem „NextSteps"-Programm ein weiterer Ausbau des Agenturmodells eingeleitet23. 1998 schätzte man die Zahl der Agenturen auf 304 Exekutivagenturen, 563 Beratungsagenturen und weitere 137 boards und 69 tribunals24.

19

Siehe P. Craig, Public Law and Democracy, S. 31 m.w.N. P. Craig, Public Law and Democracy, S. 169ff. 21 Dazu R. Baldwin, The Next Steps: Ministerial Responsibility and Government by Agency, in: Modern Law Review 51 (1988), S. 622ff. m.w.N.; P. Craig, Public Law and Democracy, S. 169 m.w.N. 22 R. Baldwin, Regulatory legitimacy in the European Context: the Bristish Health and Safety Executive, in G. Majone, Regulating Europe, S. 83ff. insbesondere S. 93 m.w.N. 23 Dazu T. Daintith/A. Page, The Executive in the Constitution, S. 37ff. 24 Siehe dazu P. Craig, Administrative Law, S. 92f. 20

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Mit der neuerlichen Ausgliederung von Funktionen des Civil Service in unabhängige Agenturen sollte vor allem eine höhere Effizienz der Verwaltung erreicht werden. Die Ausgestaltung und das Verfahren der neuen Agenturen wurden auch von den neuen Entwicklungen in der Demokratietheorie mitgeprägt. Demokratietheoretischer Hintergrund der neuen Welle von unabhängigen Regulierunginstitutionen war neben dem partizipativen Demokratiegedanken die nun vorherrschende Ideologie der Überlegenheit der marktwirtschaftlichen Mechanismen 25 . „Verantwortlichkeit" wurde verstanden als Effektivität im Sinne des Marktes. Die Idee der „Responsiveness" wurde nun so interpretiert, dass möglichst diejenigen, die von den jeweiligen Regelungen betroffen werden, ein Maximum an persönlicher Mitwirkung bekommen 26 . So entstanden das „Office of Telecommunications" 1984, das „Office of Gas Supply" 1986, das „Office of Water Services" 1989, oder das „Office of Electricity Regulation" 1990. Diese Institutionen regulieren die Preisfestsetzungen, überwachen die Einhaltung der vergebenen Lizenzen durch die Firmen, nehmen Verbraucherbeschwerden entgegen und überwachen den Wettbewerb in ihrem jeweiligen Aufgabengebiet 27 . Das „Office of Fair Trading" und die „Competition Commission" überwachen die Gefahr von Monopolbildung und Missbrauch marktbeherrschender Stellungen. IL Begriffs- und

Ausgestaltungsvielfalt

1. Begriffe und Arten von Agenturen Die Begrifflichkeiten für die unabhängigen Institutionen reichen von Agenturen (agency) über non-departmental Organization bis zur viel diskutierten „quango" (quasi-autonomous non-governmental Organization)28. Eine große Zahl der neuen Institutionen wurden als sogenannte „quangos" geschaffen, unter Einbeziehung von Vertretern betroffener und anderer gesellschaftlicher Gruppen. Ideologische Grundlage der Einbeziehung solcher Gruppen

25

Zu den Differenzen des Pluralismusansatzes der achtziger Jahre und dem der vorhergehenden der sechziger Jahre siehe P. Craig, Public Law and Democracy, S. 223. 26 P. Craig, Public Law and Democracy, S. 204. 27 G. Majone, The rise of statutory regulation in Europe, in G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, S. 48. 28 Siehe Chr. Hood, PGO's in Großbritannien, in: Chr. HoodlG. F. Schuppert, Verselbständigte Verwaltungseinheiten in Westeuropa, S. 126-152.

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ist vor allem die partizipative Demokratietheorie29. Durch die Bildung von Agenturen, die in ihrem Entscheidungsprozeß gesellschaftliche Gruppen einbinden, sollen die Möglichkeiten der Kommunikation, Information und Expertise gesteigert werden. Die Entscheidungsträger dieser Agenturen sollen durch die anderen Staatsgewalten, durch die betroffenen Parteien und durch die Wählerschaft ausgewählt werden30. Nach diesem Ansatz kommt es zu einer weitreichenden Dezentralisation, der allerdings von den sonst üblichen Dezentralisierungsvorschlägen, die mehr auf lokale Selbstverwaltung abstellen, abweicht. Unter dem Oberbegriff der Agentur werden hier alle solche Institutionen zusammengefasst, die außerhalb der Struktur der Ministerien stehen31. Die vielen unabhängigen Institutionen unterscheiden sich auch in ihrer Rechtsgrundlage, Rechtnatur und Unabhängigkeit. Während Agenturen des sogenannten „Next-Steps"- Programms durch so genannte „framework agreements" gebildet wurden, sind andere durch Gesetz begründet. Das zugrundeliegende Gesetz regelt dann die Kompetenzen der Agentur, deren Zusammensetzung und die Aufsichtsbefugnisse des Ministers. Diese können Genehmigungsvorbehalte für bestimmte Entscheidungen oder Weisungsrechte des Ministers vorsehen. Eine Verallgemeinerung der Aufsichtsmechanismen ist wegen ihrer Vielzahl und Unterschiedlichkeit kaum möglich. Den Agenturen wurden durchaus weite Ermessensbefugnisse mitübertragen. Allerdings sind die britischen Agenturen, wie oben erwähnt, nicht völlig von ministerieller Kontrolle freigestellt: Sie unterliegen entweder einem „Monitoring" bei der Entscheidungsfindung oder einer Ex Post-Kontrolle. Wie eng diese Kontrolle jeweils ist, hängt von der jeweiligen Agentur ab. Gezielte und umfassende Befreiungen von politischer Einflussnahme, wie dies etwa für die Deutsche Bundesbank geschah, sind aber weiter unüblich. Die Bank of England, hier als Beispiel genannt, obwohl keine Agentur im oben genannten Sinne, unterlag bis 1998 einem Weisungsrecht des Ministeriums für Finanzen bei der Festlegung der Zinssätze32. Auch die nachfolgende Regelung beinhaltet noch ein außerordentliches Weisungsrecht des „Schatzkanz29

Im Rahmen der Deregulierungswelle der achtziger Jahre wurdel985 das sogenannte Omega-File des Adam-Smith Instituts erstellt. Es erstellte Gutachten zur Deregulierung der Gebiete Gesundheit, Sozialversicherung, Erziehung, Kommunikation, Lokalverwaltung und Beschäftigung. 30 Siehe dazu R. M. Unger, False Necessity: Anti-Necessitarian Social Theory in the Service of Radical Democracy (1987), S. 451. 31 Zu den Begrifflichkeiten siehe P. Craig, Administrative Law, S. 94. 32 Bank of England Act 1946 section 4: The treasury may from time to time give such directions to the Bank as, after consultation with the Govenor of the Bank, they think necessary in the public interest, except in relation to monetary policy.

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Großbritannien

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lers"33. In diesen Bestimmungen spiegelt sich wieder, dass das englische Organisationsdenken noch Schwierigkeiten mit expliziten und umfassenden Freistellungen der Agenturen von den politischen Institutionen hat34. Vielmehr wird die Idee von der Souveränität des Parlaments und die Vereinbarkeit unabhängiger Institutionen mit diesem Prinzip nicht wirklich in Frage gestellt35. Die Agenturen des „Next Steps"-Programmes werden aufgrund einer Vereinbarung zwischen der jeweiligen Agentur und dem Ministerium tätig. Sie sollen außerhalb der Ministerialorganisation und relativ unabhängig arbeiten. Die Agenturen besitzen aber keine eigene Rechtspersönlichkeit. Die zugrunde liegende Vereinbarung regelt die finanzielle Ausstattung, Ziele und Besetzung der Agentur. Die Agenturen des „Next Steps"-Programmes werden überwiegend mit Angestellten der Verwaltung besetzt und weniger mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppen36. „Next Steps"-Agenturen sind eher auf die Erbringung von Dienstleistungen ausgerichtet, als auf die Erfüllung von Regulierungsaufgaben. Eine „Next Steps"-Agentur ist beispielsweise das Patentamt37. Die Art der Finanzierung soll ihre Unabhängigkeit stützen: Diese erfolgt durch eigene Einnahmen, die die Agentur durch ihre Tätigkeit erwirtschaftet. Wegen ihrer fehlenden Rechtspersönlichkeit werden Klagen gegen die Tätigkeit einer solchen Agentur gegen das zuständige Ministerium gerichtet. Die Agentur gilt in diesem Zusammenhang als Teil des Ministeriums. Auch im Bereich der Aufgabenerfiillung durch Agenturen gilt der Grundsatz der ministeriellen Verantwortlichkeit, obwohl gerade durch den Agenturstatus eine gewisse Unabhängigkeit von den politischen Institutionen geschaffen werden soll.

33

Bank of England Act 1998 section 19: The treasury, after consultation with the Governor of the Bank, may by order give the Bank directions with respect to monetary policy if they are satisfied that the directions are required in the public interest and by extreme economic circumstances. 34 G. F. Schuppert, Institutional Choice im öffentlichen Sektor, in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, S. 672. 35 G. F. Schuppert, Institutional Choice im öffentlichen Sektor, a.a.O., S. 672f. 36 P. Craig, Administrative Law, S. 101. 37 Für weitere Beispiele siehe P. Craig, Administrative Law, S. 92.

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2. Wettbewerbskontrolle als Beispiel für die Entwicklung einer unabhängigen Politikfeldwahrnehmung Mehrere Institutionen sind zuständig für die Sicherung des Wettbewerbs. Dazu gehören der Secretary of State for Trade and Industry (Handels- und Industrieminister), das Office of Fair Trading (OFT) mit dem Director General of Fair Trading (DGFT) an der Spitze und die Competition Commission38. Mit der Reform von 1998 wurde das britische Wettbewerbskontrollsystem dem der Europäischen Gemeinschaft angenähert: Es wurde regelgebundener und depolitisierter39. Bis 1998 waren Unternehmenszusammenschlüsse grundsätzlich zulässig und galten als im öffentlichen Interesse liegend, bis das Gegenteil nachgewiesen wurde. Im Verfahren zur Feststellung, ob ein öffentliches Interesse vorlag, besaß der Secretary of State die letzte Entscheidungskompetenz. Nach der Reform sind wie auf Gemeinschaftsebene Zusammenschlüsse überhalb bestimmter Größenordnungen nicht von vornherein zulässig, sondern genehmigungspflichtig. Die Entwicklung der britischen Wettbewerbskontrolle ist damit ein weiteres Beispiel für die Vereinheitlichungswirkung gemeinschaftsrechtlicher Regelungen (vgl. auch die französische Entwicklung oben unter Kapitel 3. seit 2002)40. Das OFT ist mit der Wahrnehmung des Kartellrechts und der Wettbewerbspolitik betraut41. Der DGFT wird auf fünf Jahre mit Wiederernennungsmöglichkeit vom Secretary of State ernannt, Abberufungsgründe sind nur „incapacity" und „misbehaviour"42. Der DGFT unterliegt zwar rechtlich allgemeinen Weisungen des Secretary of State43, solche Weisungen sind aber bisher unterblieben44. Das OFT entwickelte sich durch Ausweitung seiner Kompetenzen im Rahmen der Reformen seit 1980 zur zentralen kartellbehördlichen Institution in Großbritannien45. Seit der Reform von 1998 38

Die Competition Commission ersetzt die vorhergehende Monopolies and Mergers Commission (MMC) als unabhängiges Gutachter- und Beratungsgremium, siehe section 45 des competition act von 1998 und im Anhang Schedule 7. 39 Siehe I. Mäher, Juridification, Codification and Sanction in UK Competition Law, in: Modern Law Review 2000, S. 544ff. 40 In Section 60 des Competition Act 1998 sind einige Grundprinzipien des festgelegt, die die Übereinstimmung der Anwendung von britischem und europäischen Wettbewerbsrecht sichern sollen. Näher dazu C. Mehta/M. Dahl, Das neue Kartellrecht in Großbritannien, in: Wirtschaft und Währung 2000, S. 1074ff., insbes. S. 1081f. 41 Siehe den Fair Trading Act (FTA) von 1973. 42 Fair Trading Act 1973 section 1 Absatz 3. 43 Fair Trading Act 1973 section 12. 44 P. Bartodziej, Reform der EG-Wettbewerbsaufsicht, S. 150 m.w.N. 45 Durch die Reformen von 1980, 1989 und 1998: See. 5 des Competition Act 1980, See. 136ff. Companies Act 1989, See. 13f., 21f„ 36 Competition Act 1998.

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übernimmt das OFT die Durchsetzung der neuen Wettbewerbsregelungen. Daneben behält es die Aufgaben und Kompetenzen, die ihm durch den Fair Trading Act übertragen worden waren. Die Unternehmen können sich an das OFT wenden, um Stellungnahmen und Entscheidungen über die Frage zu erhalten, ob ihr Verhalten gegen Wettbewerbsregeln verstößt. Dem OFT wurden zur Wahrnehmung dieser Aufgabe umfangreiche Kompetenzen im Bereich der Durchsetzung und Untersuchung von Sachverhalten eingeräumt46. Der DGFT kann Untersuchungen anordnen, sobald ihm ausreichende („reasonable") Verdachtsmomente für einen Verstoß gegen Wettbewerbsregeln vorliegen. Das OFT kann Unternehmen mit einer Geldstrafe von bis zu 10 Prozent ihres Umsatzes im Vereinigten Königreich bestrafen, wenn diese gegen die neuen Wettbewerbsregeln verstoßen haben47. Auch die Competition Commission hat durch die Reform von 1998 an Bedeutung gewonnen. Die Besetzung der Competition Commission erfolgt nach einer proportionalen Zusammensetzung aus mehreren Berufsgruppen, ohne dass die genaue Zusammensetzung gesetzlich vorgeschrieben wäre48. Die Competition Commission nimmt seit 1998 mehrere Funktionen wahr. Zum einen erfüllt sie weiterhin die Aufgaben ihrer Vorgängerinstitution, die Beurteilung von Unternehmenszusammenschlüssen. Die Entscheidungskompetenz verbleibt in diesem Bereich aber im Wesentlichen weiter beim Secretary of State. Die Gutachten der Competition Commission werden veröffentlicht und dem Parlament vorgelegt, darüber hinaus haben sie Auswirkungen auf die Rechtskraft der Entscheidungen des Secretary of State: verneint die Competition Commission das Vorliegen eines Verstoßes gegen das öffentliche Interesse, blockiert dies die Entscheidung des Secretary of State. Auch wenn die Competition Commission nicht mit mindestens Zwei-DrittelMehrheit Zwangsmaßnahmen gegen die betroffenen Unternehmen zustimmt, treten diese nicht in Kraft49. Die Stellung der Competition Commission ist in diesem Bereich daher zwar schwächer als die des Bundeskartellamtes, aber stärker als die der Monopolkommission. Zum anderen ist die Competition Commission in einer neuen Funktion eine Berufungsinstanz gegen Entscheidungen des DGFT50. Dieser neuen

46

Competition Act 1998, Sections 26, 28, 27 und 59. Competition Act 1998, Section 36. 48 Siehe Schedule 7 zu Competition Act section 45 Absatz 7, „The Competition Commission", insbesondere Nr. 2. 49 Schedule 3 Teil II, See. 16 (2) Anhang Fair Trade Act 1973. 50 Competition Act 1998, Section 46ff. 47

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Unabhängige Institutionen im funktionalen

Legitimationsmodell

Funktion wird große Bedeutung für die Herausbildung einer einheitlichen Rechtsprechung zum Wettbewerbsrecht zugemessen51. In finanzieller Hinsicht ist die Competition Commission nicht unabhängig. Der Secretary of State weist ihr nach seinem Ermessen Mittel zu52. Seit der Reform von 1998 spielt der Secretary of State in den täglichen Einzelfallentscheidungen über das Feststellen von Wettbewerbsverstößen keine Rolle mehr. Sein Einfluss äußert sich vielmehr in den Genehmigungen neuer Regulierungen des OFT53. Insgesamt ist das britische Kartellsystem von informellen Verfahren und Absprachen zwischen den Institutionen und den betroffenen Unternehmen geprägt. Das OFT hat dabei eine zwar gesetzlich nur schwach abgesicherte Unabhängigkeit, entwickelt sich aber faktisch zu einer immer stärkeren Kartellbehörde54. Mit der Reform von 1998 kann das britische Wettbewerbskontrollsystem als mindestens ebenso depolitisiert wie das der Europäischen Gemeinschaft angesehen werden. III. Demokratietheoretische

Aspekte der

Verwaltungsorganisation

Die Bildung unabhängiger Institutionen stand auch im Vereinigten Königreich nicht im Einklang mit dem monistischen Legitimationsmodell und dem Prinzip der Ministerverantwortlichkeit. Mit einer gewissen Unabhängigkeit der Agenturen von den politischen Organen, etwa dem Minister, wird das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit fragwürdig. Allerdings besitzt das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit im Vereinigten Königreich keinen „Verfassungsrang"55. Nach dem Prinzip der individuellen Ministerverantwortlichkeit ist der jeweilige Minister dem Parlament gegenüber für die Handlungen seines Departments verantwortlich. Dabei besteht eine Unterscheidung zwischen ministerlicher „responsibility" und „accountability". Der Minister ist „responsible" nur für Angelegenheiten, die er persönlich wahrnimmt. Die „accountability" umfasst dagegen die weitere Pflicht, das Parlament über alle Aktivitäten seines Ministeriums zu informieren56. Aller51

I. Mäher, Juridification, Codification and Sanction in UK Competition Law, in: Modern Law Review 63 (2000), S. 563. 52 Schedule 7, Section 7 Anhang Competition Act 1998. 53 1. Mäher, a.a.O., S. 564. 54 P. Bartodziej, Reform der EG-Wettbewerbsaufsicht, S. 154. 55 E. Barendt, Constitutional Law, S. 121, der zwischen kollektiver und individueller Ministerverantwortlichkeit unterscheidet. 56 Siehe die Resolution of 19 Mar. 1997 on ministerial responsibility approved by the Commons: 292 HC Deb. (6th series), cols. 1046f.; zitiert über E. Barendt, a.a.O., S. 123.

Unabhängige Institutionen in Großbritannien

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dings bestehen die traditionellen Formen von politischer Führung der Ministerien (durch enge Kontrolle) in vielen Fällen nicht mehr. Vielmehr werden Agenturen über ihr Budget und ein gewisses „Monitoring" kontrolliert. Im Falle der Agenturen sollten deshalb die Maßstäbe ministerlicher Verantwortlichkeit nicht so streng gelten. Das Problem kann mit dieser Lösung zwar nicht grundsätzlich behoben werden57. Bisher wurde eine Änderung verfassungsrechtlicher Grundsätze aber nicht für nötig erachtet. Stattdessen wird die Lösung in dem genannten Kompromiss zwischen Teilunabhängigkeit und Verantwortlichkeit der Agenturen und grundsätzlich weiterbestehender politischer Verantwortlichkeit der Minister für die Richtlinien der Politik gesucht. Die Verantwortlichkeit der Minister bezieht sich danach auf die grundsätzlichen Aufgaben und Probleme, die der Agentur auf die tägliche Ausführungsarbeit58. Allerdings wurde diese Aufteilung zunächst nur für die innerhalb der Ministerialstruktur eingegliederten Agenturen entwickelt. Für die außerhalb der Ministerialstruktur (non departmental) stehenden Agenturen wird auf die Notwendigkeit verwiesen, angemessene Verantwortlichkeitsformen der Agenturen gegenüber Parlament und Regierung zu entwickeln59. An dieser verfassungstheoretischen Konstruktion bringt Baldwin Zweifel an: die Trennung zwischen operationalem täglichen Geschäft und politischen Grundentscheidungen sei nicht durchzuhalten, da oft gerade in kleinen Details auch grundsätzliche Entscheidungen mitgetroffen werden60. Die angestrebte Kontrolle der Agenturen über Parlament und Minister führe entweder - bei strenger Handhabung - zu unnötiger Mehrarbeit und rechtlichen Streitereien über die Einhaltung der ministerlichen Rahmenvorgaben oder bleibe oberflächlich und könne zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen Parlament und Ministern führen. Neben diesen Argumenten wird ähnlich wie in den Vereinigten Staaten auf die Einbindung aller Interessen von Beteiligten in den Verfahren durch die Agenturen hingewiesen61, also ein partizipativpluralistisches Argument angebracht. Auch in Großbritannien wird die Gefahr bei dieser Art unabhängiger Verwaltung darin gesehen, dass im Zu57

Siehe dazu P. Craig, Administrative Law, S. 102ff. So der Vorschlag von R. Ibbs, in: K. Jenkins/K. Caines/A. Jackson, Improving Management in Government: The next Steps, London 1988, S. 17, zitiert Uber R. Baldwin, „The Next Steps": Ministerial responsibility and government by agency, in: Modern Law Review 51 (1988), S. 622f.; F. Gains, Executive Agencies in Government, in Journal of Public Policy 23 (2003), S. 57, 66f. 59 R. Ibbs, a.a.O., S. 17. 60 R. Baldwin, „The next steps", a.a.O., S. 624f. 61 Dazu P. Craig, Public Law and Democracy, S. 176ff. 58

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Unabhängige Institutionen im funktionalen Legitimationsmodell

sammenspiel von Interessengruppen mit den jeweiligen Agenturen politische Entscheidungen getroffen werden, die niemals im Parlament diskutiert, geschweige denn entschieden worden sind62.

C. Die dritte Gewalt und der Vorrang des Parlamentes Obwohl in Großbritannien der Gedanke an Bürgerrechte seit langem bekannt ist, herrscht - wie oben angesprochen - weiterhin das Konzept der Souveränität des Parlamentes vor, dem nicht durch Verfassungsbestimmungen Grenzen gesetzt sind. Infolge dessen spielt die Gerichtsbarkeit eine dem Parlament untergeordnete Rolle, eine judizielle Kontrolle der Gesetzgebung hat in diesem System keinen Platz63. Der Grundsatz vom Vorrang des Parlamentes stützt sich wiederum auf ein idealisierendes Bild des Entscheidungsprozesses. Dieses erfasst auch die Frage der Einhaltung von (Grund-) Rechten und des Umfanges gerichtlicher Kontrolle. Die Rolle der unabhängigen Gerichtsbarkeit bestand in diesem Modell darin, abzusichern, dass die Minister, die den Willen des Gesetzgebers vollstreckten, ihre Kompetenzen nicht überschritten (Ultra-Vires Modell)64. Nach dem monistischen Modell Dicey's werden Normen und Rechte durch das Parlament und nicht durch die Regierung geschaffen. Verstoßen Entscheidungen der Exekutive gegen die Gesetzgebung des Parlamentes, können die Gerichte diese Akte für nichtig erklären. Das Einschreiten gegen Gesetzesübertretungen ist nötig, da sich die Exekutive sonst selbst „Gesetzgebungskompetenz" angeeignet hätte. Die Gerichte kontrollieren diese Grenze, indem sie Exekutivhandlungen in Form nichtverfassungsrechtlicher Kontrolle verwerfen können. Zwar erkennt Dicey die Effektivität verfassungsrechtlichen Schutzes von Grundrechten an, bevorzugt aber deren Schutz nach dem Common Law Modell. Im Common Law System sind liberale Grundfreiheiten Resultat einfachrechtlicher Entscheidungen und Festlegungen. Auch hier haben sie das Ziel, 62

P. Craig, Public Law and Democracy, S. 187f. Zwar wurde bereits in Bonham's Case von 1610 (8 Coke's Reports 114, 118) von Richter Sir Edward Coke eine richterliche Prüfiingsbefugnis über Parlamentsgesetze für richtig befunden. Dieser Gedanke konnte sich in der Folgezeit in England aber nicht durchsetzen. Daneben wurde dieses Urteil in der Folgezeit mehr als eine Regel für die Auslegung von Rechtssetzungsakten des Parlamentes gesehen. Siehe dazu W. Heun, Verfassungsrecht und einfaches Recht, in: VVDStRL 61 (2002), S. 81f. m.w.N. In den Vereinigten Staaten allerdings diente das Urteil in der Zeit nach der Amerikanischen Revolution als Begründung für ein materielles richterliches Prüfungsrecht gegenüber der Gesetzgebung. 64 A. Halpin, The Theoretical Controversy Concerning Judicial Review, in: Modem Law Review 64 (2001), S. 500f. 63

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die Herrschaftsausübung einzudämmen. Allerdings sind die Rechte nicht wie im konstitutionellen Modell durch Verfassungsprinzipien geschützt, die über den einfachen politischen Entscheidungen stehen65. Diese Haltung stimmt mit der vieler anderer englischer Autoren im 19. Jahrhundert Uberein66. Nach dem Repräsentationsverständnis dieses Modells werden die individuellen Rechte durch Parlamentsentscheidungen nicht gefährdet, da der Wille des Parlamentes und damit der Regierung nur den Willen des Volkes ausdrückt67. Eine Verfassungsgerichtsbarkeit konnte in einem solchen System nicht entstehen. Allerdings wird in Großbritannien über die Einführung einer Verfassung diskutiert, die insbesondere mit der verfassungsrechtlichen Sicherung von Grundrechten beginnt68. Die in diesem Zusammenhang diskutierten Fragen erinnern an die Debatten, die in den Vereinigten Staaten und anderen Ländern bei der Frage der verfassungsrechtlichen Sicherung von Rechten und anderen politischen Zielen geführt wurden. Im Zentrum der Diskussion steht die Frage nach der zulässigen Machtbegrenzung der demokratischen Entscheidungsgewalt durch nicht gewählte Richter69. Die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreiches in der Europäischen Union hat zu einer Wiederbelebung dieser Debatte geführt. Die feste Bindung durch die europäischen Gemeinschaftsverträge ist grundsätzlich nicht vereinbar mit Dicey's Konzept der absoluten Souveränität des Parlamentes70. Wie oben gesehen, fand das House of Lords aber eine Argumentation, die die letztinstanzliche Souveränität des Parlaments sicherte und den Anwendungsvorrang europäischer Normen als freiwillig und zeitweilig (bis zu einem möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU) erscheinen lässt. Aus dem Ansatz des Common Law Modells könnte aber eine Grundlage für eine gerichtliche Gesetzgebungskontrolle entwickelt werden. Da die Rechte, die durch das Common Law Modell gewährt werden, mit der parlamentarischen Gesetzgebung in Konflikt geraten können, ist eine gerichtliche Durchsetzung letzterer gegenüber in einer radikalen Ausprägung des Com-

65

A. V. Dicey, An Introduction to the Study of the Law of the Constitution, S. 195f. P. Craig führt insbesondere die Lehre Benthams und der Utilitaristen dafür an, siehe P. Craig, Public Law and Democracy, S. 16. 67 P. Craig, Public Law and Democracy, S. 17, 219ff. m.w.N. 68 Siehe zu deren Hintergründen P. Craig, Public Law and Democracy, S. 208ff. 69 Gegen judizielle Gesetzgebungskontrolle J.A.G. Griffith, The Brave New World of Sir John Laws, in: Modern Law Review 64 (2001), S. 159ff. mit der Warnung vor der Entwicklung hin zu einem totalitären Staat. 70 P. Craig, Public Law and Democracy, S. 226ff.

66

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Unabhängige Institutionen im funktionalen

Legitimationsmodell

mon Law Modells denkbar71. Bei dieser möglichen Entwicklung muss wiederum zentrales Argument sein, dass diejenige Institution, die den Schutz der Rechte am besten gewährleistet, für deren Wahrnehmung zuständig ist. Aus dem Ultra-Vires Modell dagegen scheint die Herleitung einer Gesetzgebungskontrolle nicht möglich. Einen anderen Ansatz bezüglich der Sicherung von individuellen Rechten verfolgt die partizipative Demokratietheorie. Sie geht weniger von Freiheitsrechten, die vor dem politischen Entscheidungsprozeß geschützt werden müssten, aus. Vielmehr vertraut sie darauf, dass innerhalb des Entscheidungsprozesses durch interne Selbstregulierung, Rationalität der Entscheidungsfindung und Partizipation der Betroffenen genügend Schutz beispielweise von Minderheitenrechten erreicht wird. Dem politischen Entscheidungsprozeß wird zugetraut, auch inhaltliche Sicherung zu gewährleisten, eben durch die Transformation und Verbesserung der Eigeninteressen in der Deliberation zur Gemeinwohlerreichung72. Eine Konstitutionalisierung von Rechten erscheint nach diesem Ansatz nicht notwendig. Mit dem Human Rights Act 1998, der die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) in das britische Recht überführt hat73, ist zuletzt eine Art Konstitutionalisierung eingetreten. Die lange Zeit bis zur Umsetzung der EMRK (ca. 30 Jahre) spiegelt dabei die Probleme englischen Rechtsverständnisses mit einem solchen Konstitutionalisierungsprozeß wider. Allerdings haben britische Gerichte auch nach dem Human Rights Act nicht das Recht, formelle Gesetze („primary legislation") für unanwendbar zu erklären, wenn sie den Regelungen der EMRK widersprechen. Vielmehr sollen alle formellen und materiellen Gesetze möglichst im Einklang mit der EMRK interpretiert werden74. Wenn ein britisches Gericht zu der Auffassung gelangt, dass ein britisches Gesetz gegen die Konvention verstößt, spricht es eine Unvereinbarkeitserklärung aus, die aber keine unmittelbare Auswirkung auf die Geltung des Gesetzes hat75. Durch die Erklärung erhält aber der zuständige Minister die Möglichkeit (wird aber nicht verpflichtet), die Gesetzeslage im Sinne der Konvention zu verändern76. Im Endeffekt 71

A. Halpin, The Theoretical Controversy Concerning Judicial Review, in: Modern Law Journal 64 (2001), S. 501. 72 B.R. Barber, Strong Democracy, S. 160ff. 73 Ausführlicher dazu R. Grote, Die Inkorporierung der EMRK in das britische Recht durch den Human Rights Act 1998, in: ZaöRV 58 (1998), S. 309-352; K. Chryssogonos, Zur Inkorporation der EMRK in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, in: Europarecht 2001, S. 58f. 74 Human Rights Act 1998, Section 3 (1). 75 Human Rights Act 1998, Section 4 (6). 76 Human Rights Act 1998, Section 20.

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Großbritannien

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sind mit dem Human Rights Act 1998 britische Gerichte erstmals in die Lage versetzt worden, formelle Gesetze zu prüfen, wenn auch nicht für ungültig zu erklären.

D. Zusammenfassung Kapitel 4 Auch in Großbritannien herrscht ein funktionales Demokratieverständnis vor, das den drei Gewalten aus dem Demokratieprinzip heraus bestimmte Organisationsprinzipien vorgibt. Die Exekutive wurde zur Umsetzung der parlamentarisch gewählten Regierung seit Mitte des 19. Jahrhunderts grundsätzlich hierarchisch organisiert. Trotz der grundsätzlich uneinschränkbaren Souveränität des Parlamentes wurden in der Verwaltung aus Effizienzgründen verschiedene relativ unabhängige Agenturen geschaffen. Ihre demokratietheoretische Einordnung blieb aber vorwiegend auf praktische Erwägungen begrenzt oder sie wurden mit einem partizipativ-pluralistischen Demokratieverständnis legitimiert. In Großbritannien gilt allerdings - anders als in Deutschland und Frankreich - der Grundsatz des Vorranges parlamentarischer Entscheidungen vor (verfassungs-)rechtlichen Festlegungen. Eine Verfassungsgerichtsbarkeit konnte sich aufgrund des Grundsatzes des Vorranges des Parlamentes nicht herausbilden. Die demokratische Legitimation der Gerichtsbarkeit ergibt sich nicht aus der engen Bindung an die Gesetze, sondern nach der „ultravires" Theorie aus der Aufgabe, zu überwachen, dass die Exekutive die Gesetze einhält. Auch mit der Umsetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention 1998 durch den Human Rights Act erhielten die Gerichte keine Gesetzesverwerfungsbefugnis.

Kapitel 5

Die Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen in den Vereinigten Staaten In der amerikanischen demokratietheoretischen Diskussion um unabhängige Institutionen sind die verschiedenen Auffassungen mehr als in der deutschen oder französischen Debatte vom jeweils zugrundegelegten Verständnis politischer Entscheidungsprozesse geprägt. Da die pluralistische Demokratietheorie in den Vereinigten Staaten großen Einfluss auf das Verfassungsverständnis besitzt, wurde die Bildung unabhängiger Agenturen in der Exekutive vergleichsweise öfter als in Deutschland oder Frankreich als demokratietheoretisch vertretbar erachtet. In der US-amerikanischen Diskussion um die demokratische Legitimität unabhängiger Regulierungsagenturen wird aber auch deutlich, dass das amerikanische Demokratieverständnis in einer funktionalen Einteilung verhaftet ist, also die Frage nach der demokratischen Legitimation staatlicher Institutionen an deren judizieller (dann unabhängig legitim) oder exekutiver (dann politische Verantwortlichkeit nötig) Funktion ausrichtet1. Dies zeigt sich daran, dass die Arbeitsweise der unabhängigen Agenturen mit dem Administrative Procedures Act möglichst judiziell ausgestaltet wurde und dass die so genannte „C/ievron"-Rechtsprechung bei der Intensität der Kontrolle der Rechtakte von Agenturen danach unterscheidet, ob es sich um eine unabhängige Agentur handelt oder nicht. Dem bisherigen Untersuchungsaufbau entsprechend wird zuerst auf demokratietheoretische Diskussionen über den politischen Entscheidungsprozeß eingegangen und dann die Diskussion über die demokratische Legitimität unabhängiger Institutionen dargestellt und analysiert.

1

Dazu auch M. Fehling, Verwaltung, S. lOOff.

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A. Elemente amerikanischer Demokratievorstellung I. Republikanische Theorie Die amerikanische Demokratie- und Verfassungstheorie entwickelte sich aus dem britischen Demokratieverständnis des 18. Jahrhunderts heraus 2 . Im „Federalist" lassen sich die grundlegenden Annahmen der amerikanischen Verfassungsdebatte des 18. Jahrhunderts über den politischen Meinungsbildungsprozeß erkennen. Darin befinden sich Elemente eines pluralistischen, aber auch republikanischen Demokratieverständnisses. Das unitarische oder monistische Demokratiekonzept, das später in Deutschland, Frankreich und auch Großbritannien wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt eine starke Ausprägung erfuhr, konnte sich in dieser Form in den Vereinigten Staaten nicht durchsetzen. Das republikanische Element im amerikanischen Gedankengut schimmert beim Verständnis von Bürgerschaft und bei der Bedeutung politischer Vereinigungen durch. Bürgerschaftliche Beteiligung am politischen Entscheidungsprozeß, die der Verfolgung des Gemeinwohls dient, galt als die erstrebenswerte Form öffentlichen Lebens. Der republikanische Gedanke besitzt damit ein partizipativ-demokratisches Element. Die Überwindung des Individualinteresses durch das öffentliche Interesse waren der Grundgedanke des amerikanischen Republikanismus und der idealistischen Ziele der Revolution3. Den Repräsentanten des Volkes wurde durchaus zugetraut, zum Gemeinwohl der Bürger zu handeln 4 . Dem lag wiederum der Gedanke zugrunde, dass es doch ausgeprägte gemeinsame Interessen der Bürger gebe5. In dieser Gedankentradition bestand wenig Spannung zwischen individueller Freiheit und kollektivem Willen, da Freiheit zuerst als politische Freiheit, als Beteiligungsrecht am politischen Prozess verstanden wurde. Die Gefahr einer „Tyrannei der Regierenden" erscheint in dieser Ideenwelt weniger ausgeprägt, als es für die pluralistische Schule der Fall ist. In den Jah2

F. A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, Kapitel XII, S. 221ff. G. Wood, The Creation of the American Republic, S. 53. 4 J. Madison, The Union as a Safeguard continued, in: Federalist, Nr. 10 (S. 45f.): "the effect of the difference...(zwischen direkter Demokratie und Repräsentation) is, on the one hand, to refine and enlarge the public views, by pssing them through the medium of a chosen body of citizens, whose wisdom may best discern the true interest of their country, and whose patriotism and love of justice will be least likely to sacrifice it to temporary or partial considerations. Under such a regulation, it may well happen that the public voice, pronounced by the representatives of the people, will be more consonant to the public good than if pronounced by the people themselves, convened for their purpose." 5 P. Craig, Public Law and Democracy, S. 329. 3

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ren nach der Revolution zeigten sich allerdings die ersten Risse in diesem Konzept, und die ebenfalls in den Vereinigten Staaten lebendige Lehre des Pluralismus fand ihren Weg in die neue Bundesverfassung. In welchem Ausmaß pluralistisches oder republikanisches Gedankengut die Verfassung prägen, ist umstritten und muss hier nicht im Detail geklärt werden6. In der gegenwärtigen Verfassungsinterpretation spielt das Gedankengut des Republikanismus eine Rolle, vertreten beispielsweise durch Sunstein und Michelman7. Nach Sunstein sollten Gesetze der Vereinigten Staaten in dem Sinne interpretiert werden, dass sie die Ziele des Republikanismus umsetzen8. Nach Sunstein beinhaltet moderner Republikanismus vier Elemente: Deliberation, politische Gleichheit, Universalismus und Bürgerschaft. Unter Deliberation versteht er, dass die politischen Akteure im politischen Entscheidungsprozeß nicht Interessen verfolgen, die „exogene Variablen" darstellen würden, also nicht dem Ziel und der jeweils gestellten Aufgabe entsprechen9. Inhalt des politischen Prozesses sei nicht nur die Aggregation privater Interessen. Vielmehr sei von privaten Interessen Abstand zu gewinnen, wenn sie auf mit dem öffentlichen Interesse nicht vereinbar sind. Das öffentliche Interesse ist danach eben nicht in einem reinen Aushandlungsprozess zwischen den einzelnen Gruppeninteressen zu gewinnen. Legislative Deliberation, die nur den Druck von Interessengruppen umsetze, so wie es in von einigen Pluralismusvertretern beschrieben wird, verurteilt er. Die Repräsentanten seien dann daran gehindert, ihre Aufmerksamkeit dem öffentlichen Wohl zuzuwenden10. Deliberation habe neben der prozeduralen auch eine inhaltliche Komponente. Dazu gehören die oben erwähnten drei Elemente, Gleichheit, Universalismus und der Bürgerschaftsgedanke. Diese besitzen wiederum prozedurale Aspekte wie gleichberechtigten Zugang zum politischen Entscheidungsprozeß, den Dialog um trotz unterschiedlicher Interessen eine gemeinsame Vorstellung von Gemeinwohl zu gewinnen, und Instrumente für eine Kontrolle der politischen Institutionen durch die Bürger. Sunstein vertritt dabei die Auffassung, die Verfassung habe ein System sein sollen, nach dem die Repräsentanten zum Wohl der Repräsentierten 6

Für eine ausgeprägt pluralistische Interpretation siehe R. A. Dahl, A Preface to Democratic Theory, 1956, Kap. 1. 7 Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die Ausfüllungen von Sunstein, für Michelman siehe: F. I. Michelman, Foreword: Traces of Self-Government, Harvard Law Review 100 (1986), S. 4ff. 8 P. Craig, Public law and Democracy, 1990, S. 334. 9 C. R. Sunstein, Beyond the Republican Revival, Yale Law Journal 97 (1988), S. 1539, 1547f„ 1564ff. 10 C. R. Sunstein, Interest Groups in American Public Law, in: Stanford Law Review 38 (1985), S. 50.

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regieren können und in dem sie die Möglichkeit haben, deliberativ zu entscheiden. Michelman dagegen stellt mehr auf die partizipativen Elemente der Verfassungsidee ab, die danach eine Selbstregierung der Bürger ermöglichen sollte11. II. Von der Pluralismustheorie zur Public Choice Geprägt wurde das amerikanische Verfassungssystem in der Zeitspanne von der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten 1776 bis zur Verabschiedung der Verfassung 1787. Neben dem republikanischen Gedankengut beeinflusste das pluralistische Politikverständnis die Verfassungsgebung12. Danach ging es im demokratischen Prozess weniger um die Ermittlung eines a priori Gemeinwohls als um Interessenausgleich13. Madisons Furcht vor der Dominanz einer Gruppe, die die anderen tyrannisieren werde, falls sie nicht daran gehindert werde, gilt als zentrales Element pluralistischen Denkens14. Die Autoren des „Federalist", Madison, Hamilton und Jay, sahen die sicherste Vorkehrung gegen Machtmissbrauch in den Prinzipien der Teilung der Gewalten und des Föderalismus. Daraus alleine auf die pluralistische Prägung amerikanischen Demokratieverständnisses zu schließen greift allerdings zu kurz, denn Föderalismus kann auch dem republikanischen Konzept entsprechen, das eine Verfolgung des Gemeinwohls durch möglichst weitgehende Dezentralisierung und Beteiligung von Bürgern erstrebt. Auch Madison geht aber von der Aufgabe der Repräsentanten aus, das Gemeinwohl zu verfolgen15 und sah nicht das Gesamtinteresse als die Resultante von im Kräfteparallelogramm gruppenmäßig bestimmter Sonderinteressen16 wie das später in der pluralistischen Literatur vertreten wurde17. Das pluralistische Meinungsbildungsmodell geht von einem Wettbewerb der Interessengruppen aus. Der Begriff „pluralistisches" Modell hat sich in

11

F. I. Michelman, Foreword: Traces of Self-Government, 100 Harvard Law Review (1986), S. 59ff. 12 G. Wood, The Creation of the American Republic, beschreibt wie die anfängliche Bedeutung des republikanischen Politikverständnisses allmählich durch das pluralistische Politikverständnis verdrängt wurde. 13 R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 216, 245. 14 Siehe J. Madison, in: Federalist Nr. 10 mit vielen Argumenten dazu. 15 G. Wood, The Creation of the American Republic, S. 505ff. 16 E. Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 88. 17 Zu diesem Unterschied des pluralistischen Verständnisses von Madison und der neueren Pluralismustheorie siehe C. R. Sunstein, Interest Groups in American Public Law, in: Stanford Law Review 29 (1985), S. 38,42.

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Anlehnung an politikwissenschaftliche Begriffsbildung entwickelt18. Das pluralistische Modell hat viele unterschiedliche Ausprägungen. Gemeinsam ist diesen, dass sie den Vorgang und Inhalt von Politik im Wesentlichen in Kooperation, Konflikt und Machtverteilung zwischen organisierten Interessen sehen19. Kernfrage dieser Demokratievorstellung ist, ob sich das Gemeinwohl im Ausgleich der verschiedenen Gruppeninteressen einstellt oder nicht. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts standen und stehen sich dabei zwei Schulen gegenüber: die Schule von Bentley und auch Becker geht von einem Ausgleich der Gruppeninteressen im Rahmen des politischen Prozesses aus20. Diese Schule überwog in der akademischen Diskussion in den Vereinigten Staaten bis Anfang der sechziger Jahre21. Die andere Schule entwickelte sich ab Mitte der sechziger Jahre in der Politikwissenschaft, der politischen Philosophie, der Theorie der Wirtschaftspolitik einschließlich der politischen Ökonomie, der Finanzwissenschaft und der Staats- und Verfassungslehre. Sie übte Kritik an der Auffassung vom ausreichenden Ausgleich der Gruppeninteressen22. Der amerikanische Sozialökonom Mancur Olson legte in seiner „Logik des kollektiven Handelns" dar, warum kleinere Interessengruppen sich leichter und besser organisieren lassen und damit eine höhere Durchsetzungskraft im politischen Prozess besitzen als allgemeine Interessen23. Das Profitstreben der Interessengruppen auf Kosten der allgemeinen Interessen führt nach Olson zum „Niedergang der Nationen"24. Die amerikanische Diskussion um das Funktionieren der pluralistischen Gesellschaft und die Rolle von Gruppeninteressen in der politischen Meinungsfindung wurde ab 1960 auch in

18 Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 164; ähnlich G. Haverkate, Die Einheit der Verwaltung als Rechtsproblem, VVDStRL 46 (1988), 217ff„ 218ff. 19 M. Schmidt, Demokratietheorie, S. 151f. 20 A. F. Bentley, The Process of Government, Chicago 1908; D.B. Truman, The Governmental Process, S. 448f., 516f.; G. S. Becker, Interessengruppen und politisches Verhalten, in: ders., Familie, Gesellschaft und Politik, Tübingen, S. 192; Erlei/Leschke/Sauerland, Neue Institutionenökonomik, S. 360. 21 Überblick bei H. H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 15 Iff. 22 H. H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 151. 23 M. Olson, Die Logik des kollektiven Handelns; Originalausgabe unter dem Titel: The Logic of Collective Action: Public Goods and the Theory of Groups, Harvard University Press 1965. 24 M. Olson, The Rise and Decline of Nations. Economic Growth, Stagflation, and Social Rigidities, 1982.

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Deutschland und Europa verstärkt geführt25, mit besonderer Betonung der Bedeutung von Verbandsinteressen im politischen Entscheidungsprozeß26. Nach den Pluralismustheorien der Autoren der zweiten Gruppe leiden „allgemeinere" Interessen in der Demokratie oft an Durchsetzungsschwäche. Allgemeine Interessen sind solche, die einen großen Verbreitungsgrad unter den Bürgern besitzen, wie etwa die Interessen der Steuerzahler, Verbraucher oder aller Bürger an der Währungsstabilität. Gründe für Durchsetzungsschwächen von Allgemeininteressen im außerinstitutionellen, gesellschaftlichen Willensbildungsprozeß gibt es dabei mehrere: Unmittelbare bzw. direkte Sonderinteressen setzen sich im politischen Prozess besser durch als mittelbare und indirekte Allgemeininteressen, weil letztere oft erst in späteren Zeitpunkt sichtbar werden oder ihre Vorzüge nur in komplizierteren Zusammenhängen deutlich werden. Dazu kommt eine Organisationsschwäche allgemeiner Interessen, die sozialpsychologisch begründet ist. Je allgemeiner ein Interesse ist, desto weniger Bereitschaft zu eigenem Engagement besteht beim Einzelnen. Zwar bestehen sogenannte „Public Interest Groups" in den USA sowie Interessenverbände in Deutschland, etwa der Bund der Steuerzahler oder Verbraucherschutzverbände. Diese sind aber bei weitem nicht so stark wie das von ihnen vertretene Interesse eigentlich vermuten ließe. Daneben wird auf die größere Attraktivität der Einkommenssphäre gegenüber der Ausgabensphäre verwiesen. Die Konzentration des Einzelnen auf die eigenen Einnahmen, weil diese in der Regel überschaubarer sind als die verschiedenen Ausgabenfelder, führe dazu, dass allgemeine Interessen gegenüber Sonderinteressen vernachlässigt würden. Die Pluralismusanalyse, wie sie von Bentley und Truman entwickelt wurde, fand ihre Fortsetzung in den Modellen der Public Choice-Theorie (im deutschen „Neue Politische Ökonomie" (NPÖ)). Obwohl Buchanan und Tullock betonen, dass der methodologische Individualismus die Grundlage ihrer Theorie ist27, stützen sie sich explizit auf die Forschungen und das Bild Bentley's vom politischen Prozess28, der nicht Individuen sondern Gruppen 25

Mit besonderem Einfluss des Werkes von E. Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien. 26 Beispielsweise: J.H. Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen; J. Becker, Gewaltenteilung im Gruppenstaat. 27 Heute bezeichnet als ökonomischer Konstitutionalismus. Buchanan selber lehnte diese Bezeichnung ab, weil mit der Begriff der ökonomischen Staatstheorie (in den sechziger Jahren) zu eng mit dem Marxismus verbunden wurde. Buchanan selber betont, daß die Aussagen seiner konstitutionalistischen Theorie auch einen anderen Schwerpunkt habe als die Theorie der public choice, da sie sich auf die konstitutionelle Ebene konzentriere. Mehr dazu unten in Kapitel 7. 28 J.M. BuchananJG. Tullock, The Calculus of Consent, 1962, S. 10, 283f.

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als entscheidende Akteure angesehen hatte. Wie Buchanan und Tullock jedoch schreiben, kann das Wort „Gruppe" bei Bentley durch das Wort Individuum ausgetauscht werden, ohne dass der Inhalt der Aussage verändert würde. Auch für Bentley war das Individuum ein rationaler Nutzenmaximierer und waren Gruppen einfach die Organisationsform, durch die es seine Interessen verfolgte. Dieselbe Logik durchzieht das Werk von Buchanan und Tullock. Die ökonomische Analyse der Public Choice-Schule stützt damit Bentley's Konzept und fügt ihm durch seinen empirischen Ansatz noch „Beweise" hinzu29. Der Public Choice-Ansatz beschreibt das kollektive Handeln mit den Kosten, die dafür entstehen, und erklärt damit, welche kollektiven Handlungen zustande kommen und welche nicht. Die NPÖ sieht den politischen Entscheidungsprozeß als politischen Markt, für den Parallelen aus dem ökonomischen Markt gezogen werden können. So wird der Homo Oeconomicus aus dem ökonomischen auf den politischen Bereich übertragen, der auch dort seine Präferenzen maximieren möchte30. Die Marktanalogie überträgt die Idee des wirtschaftlichen, individualistischen Marktmodells auf die politische demokratische Steuerung, wobei sie im politischen Bereich von einem gruppenbezogenen Marktmodell ausgeht. Die Idee der Steuerung durch Marktmechanismen soll auch für den politischen Prozess gelten. Die politischen Marktmodelle gingen dabei vor allem anfangs von einer sich selbst einstellenden Gleichgewichtung der Interessen aus31. Umstritten ist die Marktanalogie32, die bezüglich des pluralistischen politischen Systems angewandt wird33, sowohl methodisch, als auch im Ergebnis, besonders wenn sie von einem sich selbst einstellenden „Gleichgewicht" der verschiedenen Interessen ausgeht. Ein grundlegender Unterschied zwischen wirtschaftlichem und politischem Markt wird von den Gegnern einer solchen Analogie darin gesehen, dass die knappen öffentlichen Güter 29

J. M. BuchananJG. Tullock wiederholen häufig, daß Bentley und Truman im Gegensatz zu vielen anderen Politikwissenschaftlem auf der richtigen Spur waren, das Funktionieren des politischen Prozesses zu erkennen, siehe J. M. Buchanan/G. Tullock, The Calculus of Consent, S. 19, 22. 30 G. BrennanJJ.M. Buchanan, Die Begründung von Regeln, S. 62ff. 31 A. F. Bentley, The Process of Government, S. 370; D.B. Truman, The Governmental Process, S. 448f., 516f.; Zusammenfassung in H. H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 148ff. 32 Eingeführt wurde die Marktanalogie vor allem von Max Weber und Joseph A. Schumpeter. Siehe M. Schmidt, Demokratietheorie, S. 140. 33 F. Lehner, Ideologie und Wirklichkeit, Anmerkungen zur Pluralismusdiskussion in der Bundesrepublik, in: Der Staat 24 (1985), S. 91ff., 99; Zur Anwendung des Transaktinoskostenansatzes auf politische Entscheidungsprozesse siehe D. North, Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge 1990/1992 und R. Richter/E. Furubotn. Neue Institutionenökonomik, S. 460f.

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zentral vom Staat vergeben werden, im Markt dagegen dezentral verteilt werden. Konkurrenz in der Politik ist danach immer auf Einfluss bezogen, womit es vorrangig auf die Durchsetzungsstärke einzelner Gruppen ankommt. Das Marktmodell beruht damit auf anderen Annahmen. III. Zur Funktionsweise der Repräsentation Das amerikanische Verständnis von Repräsentation wird geprägt durch den Begriff der „Responsiveness", wie sie in Kapitel 2 bereits angesprochen wurde. Leitgedanke ist der ständige Dialog der Repräsentanten mit den gesellschaftlichen Gruppen. Während im Konzept der formellen Repräsentation auf die personelle Legitimitätsvermittlung, bei der inhaltlichen Repräsentation auf Gemeinwohlwerte und bei der symbolischen auf einen gemeinsamen Volkswillen abgestellt wird, steht im responsiven Konzept der Umgang mit den Einzelinteressen im Vordergrund34. Dabei fließen je nach Autor pluralistische oder republikanische oder andere hier nicht erwähnte Ansichten über die Gesetzmäßigkeiten politischer Entscheidungsprozesse in das Verständnis des ständigen Dialoges zwischen Repräsentanten und gesellschaftlichen Gruppen ein. In der amerikanischen Debatte ist daher die Bedeutung der Rolle des Meinungsbildungsprozesses für die Bildung und Legitimität von Institutionen weitaus ausgeprägter als in der deutschen Debatte.

B. Pluralismustheorie und Verwaltungsmodell I. Die Organisation der Exekutive Das Präsidialsystem der amerikanischen Verfassung geht grundsätzlich von einer starken Exekutive unter der Leitung des Präsidenten aus, der aufgrund direkter Wahl durch das Volk eine unmittelbare demokratische Legitimation genießt35. Der Präsident sollte zum einen aus historischen Gründen - dem Fehlen einer Exekutivgewalt in den zeitlich vorangegangenen „Articles of Confederation - , das Symbol einer starken Exekutive sein. Zudem sollte in der Person des Präsidenten ein effektiver Gegenpol zum Kongress geschaffen werden. Die Verfassung regelt aber die Frage, wer welche Kompetenzen im Bereich der Exekutive besitzt, nur sehr unzulänglich. In der Verfassung 34

Zur älteren englischen Repräsentationstheorie der „virtual representation", die vor der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten existierte, siehe G. Wood, The Creation of the American Republic, S. 173ff. 35 Siehe Art. H § 1 Abs. 1 der Verfassung.

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wird die Existenz von departments erwähnt, von denen der Präsident Gutachten einholen kann. Unabhängige Institutionen im Sinne der Independent Regulatory Commissions (IRC) sind in der US-Verfassung nicht vorgesehen, weswegen sie teilweise als verfassungswidrig angesehen werden36. Die sehr offenen Bestimmungen bezüglich der Organisationsgewalt führten zu manchen Unklarheiten darüber, wie das Verhältnis von Präsident und Kongress hinsichtlich der Stellung und Kontrolle der genannten Exekutivorgane, insbesondere der in großer Zahl gebildeten Agenturen, ausgestaltet sein soll. Die departments sind dadurch gekennzeichnet, dass sie weitere Aufgabenfelder als die sektorspezifisch zuständigen Agenturen wahrnehmen und einer ständigen und starken präsidentiellen Lenkung unterliegen37. Etwas anders verhält es sich bei den Agenturen, von denen die meisten durch den Kongress gegründet wurden38, wenn auch oft auf Vorschlag der Präsidenten. Nur wenige Agenturen, etwa die Environmental Protection Agency, wurden von einem Präsidenten gegründet39. Umstritten seit der Einrichtung der ersten Agenturen Ende des 19. Jahrhunderts, welche Kontrollrechte der Präsident gegenüber den vom Kongress gegründeten Agenturen hat40. Insbesondere war umstritten, ob der Präsident gegenüber allen Verwaltungsstellen ein Weisungsrecht im Sinne einer Fachaufsicht besitzt. Nach den Befürwortern einer starken Exekutive, den sogenannten Vertretern der „Unitary Executive", hat der Präsident unbegrenzte Kompetenzen bezüglich der in der Verfassung als administrativ benannten Funktionen41. Andere gestehen dem Präsidenten keine Kontrollrechte über solche Administrativorgane zu, auf die der Kongress Einfluss ausüben darf, also die vom Kongress gegründeten Agenturen42. Die Einflussmöglichkeiten von Präsident und Kongress sind wegen dieser komplizierten Situation jeweils im Einzel36

Siehe M. Breger/G. Edles, Established by practice, in: Administrative Law Review 52 (2000), S. 1155 Fn. 227 ra.w.N. 37 M. J. Dubnick/B. S. Romzek, American Public Administration, S. 240f.; allerdings ließ sich der Kongress in den ersten Jahrzehnten nach 1791 in manchen Angelegenheiten vom „secretary of the treasury" direkt über die Finanzlage informieren, ohne Einschaltung des Präsidenten. 38 Zu den Kompetenzen de Kongresses näher P. Strauss, The Place of Agencies in Government, in: Columbia Law Review 84 (1984), S. 599. 39 Präsident Nixon gründete 1970 die Environmental Protection Agency durch eine „executive order". Der Kongress befürwortete diese Gründung. 40 In den ersten Jahrzehnten dominierte der Kongress in der Kontrolle Uber die von ihm geschaffenen Agenturen 41 D. A. Rivkin: The Unitary Executive and Presidential Control of Executive Branch Rulemaking, in: Administrative Law Journal 7 (1993), S. 309, 317ff. 42 Gegen einzelfallbezogene Weisungsrechte des Präsidenten: R. Pildes/C. R. Sunstein, Reinventing the Regulatory State, in: University of Chicago Law Review 62 (1995), S. 1, 24ff.

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fall zu bestimmen. In den letzen Jahren hat der Einfluss des Präsidenten auf die Agenturen jedoch zugenommen43. II. Entstehung und Rolle der Agenturen und der Independent Commissions

Regulatory

Auf Bundesebene bestehen in den Vereinigten Staaten schätzungsweise 300 Agenturen. Unterschieden werden können dabei zwei große Gruppen von Agenturen: die Independent Regulatory Commissions (IRC)44 und die „Exekutivagenturen", die in die Präsidialhierarchie eingebunden sind. Nur einige von diesen 300 Agenturen gehören zu der bekannten und hier relevanten Gruppe der unabhängigen Regulierungsinstitutionen, den Independent Regulatory Commissions. Die Einführung unabhängiger Regulierungsbehörden durch den Kongress auf Bundesebene begann 1887 mit der Gründung der „Interstate Commerce Commission" (ICC)45. Die Bildung von vom Präsidenten unabhängigen Kommissionen stellte eine Reaktion auf die starke Kontrolle des Präsidenten Jackson über die bestehenden Bundesagenturen nach 1830 dar. Davor hatten die stärkeren Aufsichtskompetenzen über die Agenturen beim Kongress gelegen. Bereits vor der Gründung der IRC auf Bundesebene bestanden solche Regulierungsbehörden innerhalb der einzelnen US-Bundesstaaten. Sie entsprachen den Regulierungsinstitutionen, die in Großbritannien zu dieser Zeit etwa zur Regulierung des Bahnverkehrs eingesetzt wurden. Während es aber in Großbritannien ab 1850 zu einer Zentralisierung der Exekutivorganisation kam, übertrug sich in den Vereinigten Staaten das Modell unabhängiger Agenturen auf die Bundesebene. 1887 als Kommission unter der Kontrolle des Innenministeriums gegründet, erlangte die ICC 1889 ihre Unabhängigkeit von der Exekutivhierar-

43

Chr. Möllers, Gewaltengliederung, S. 127 m.w.N. Dazu gehören die Interstate Commerce Commission (ICC), die Securities and Exchange Commission (SEC), die Federal Commerce Commission (FCC), das National Labor Relations Board (NLRB), die Commodities and Future Trade Commission (CFTC), die Federal Energy Regulatory Commission (FERC), die Consumer Product Safety Commission (CPSC), die United States International Trade Commission (USITC) und die National Regulatory Commission (NRC). 45 49 U.S.C. §§ 10301 - 88; R. E. Cushman, The Independent Regulatory Commissions, S. 37ff. 44

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chie46. Aufgabe der ICC war es, den Handel, insbesondere den Eisenbahnverkehr zwischen den US-Bundesstaaten zu regulieren. Die Regulierung des Eisenbahnverkehrs zwischen den Bundesstaaten wurde als ein zentrales, wenn nicht als das wichtigste Element für die wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklung der Vereinigten Staaten angesehen47. Bei ihrer Gründung war die ICC noch nicht mit Kompetenzen zur Durchsetzung von echten Regulierungsmaßnahmen, etwa der Kompetenz zur Festsetzung von Preisen für die Benutzung von Gleisstrecken, ausgestattet worden. Sie konnte zur Durchsetzung ihrer Verfügungen aber die Bundesgerichte anrufen und dem Kongress Berichte und Stellungnahmen vorlegen. Erst 1906 wurden ihr eigene und weiterreichende Entscheidungsbefugnisse übertragen48. 1913 wurde das Federal Reserve System als zweite IRC gegründet. Es handelte sich um ein Zentralbanksystem, das aus einem zentralen Federal Reserve Board und regionalen Zentralbanken besteht. Das Board war mit dementsprechenden Aufsichts- und Exekutivfunktionen gegenüber den regionalen Zentralbanken ausgestattet49. Die Unabhängigkeit des Board war aufgrund der weiten Befugnisse zur Beeinflussung des gesamten Währungssystems wesentlich umstrittener gewesen als die Unabhängigkeit der ICC50. Die Unabhängigkeit des Board wäre nicht vergleichbar mit der einer quasijudiziellen Behörde, denn die Aufgaben der Zentralbank seien eher gestalterischer Natur51. Allerdings war das Federal Reserve System anfangs in zweierlei Hinsicht in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt. Zum einen war es durch den 1913 bestehenden Goldstandard in seinem währungspolitischen Entscheidungsspielraum stark begrenzt52. Zum anderen waren anfangs

46

Section 7 des 1889 Act eliminierte das Zustimmungserfordernis des Ministeriums fiir Gehälter und Ausgaben und erlaubte der ICC, ihre Stellungnahmen direkt dem Kongress vorzulegen. 47 M. Breger/G. Edles, Established by practice: the theory and operation of independent federal agencies, in: Administrative Law Review 52 (2000), S. 1119. 48 Dies., a.a.O., S. 1128ff„ S. 1130. 49 12 U.S.C. §§ 221-522; R. E. Cushman, The Independent Regulatory Commissions, S. 146ff. 50 R. E. Cushman, a.a.O., S. 153, 172f.; bereits in der Diskussion um die Gründung des Federal Reserve Board wurde argumentiert, die FED sei wie der Supreme Court oder die ICC frei von politischem Einfluß zu stellen, siehe R. E. Cushman, a.a.O., S. 155. 51 R. E. Cushman, a.a.O., S. 172: „This problem was very different from the question of the independence of a quasi-judicial body. (...) To give the board the independence was to ignore the impact of its policy-determining powers upon the whole monetary program of the government." 52 Näher dazu A. H. Meitzer, A History of the Federal Reserve, S. 725; M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 43f.

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noch Mitglieder der Regierung zugleich Mitglieder des Federal Reserve Board. Erst mit dem Banking Act von 1935 erlangte das Federal Reserve Board seine formale Unabhängigkeit von der Regierung53. Bis dahin war der Finanzminister zugleich Vorsitzender des Federal Reserve Board und ein weiteres Regierungsmitglied, der „Währungskommissar", gehörte ihr an. Während der Reformen Roosevelts im Zuge des „New Deal" wurde diese personelle Verbindung zwischen dem Board („Board of Governors of the Federal Reserve" seit 1935) und Regierungskabinett 1935 aufgelöst. Grund für die Einführung der Unabhängigkeit des Board of Governors von Regierungseinflüssen waren die Erfahrungen mit Fehlentscheidungen des Boards insbesondere seit 1929, die zur Großen Depression von 1929 bis 1933 geführt hatte54. In den Jahren ab 1929 war das Board einem starken politischen Einfluss ausgesetzt gewesen, der als mitursächlich für die verfehlte Geldpolitik angesehen wird55. Auch nach Einführung der formalen Unabhängigkeit des

53

Bereits durch den Banking Act 1933 sollte diese formale Unabhängigkeit hergestellt werden, letztlich wurde behielten die beiden Regierungsmitglieder aber ihren Sitz im Zentralban krat. 54 Bezüglich der Fehlentscheidungen der Federal Reserve Systems und deren Bedeutung für das Auslösen der großen Depression seit 1929 siehe M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 44ff. 55 Adolph Miller (Mitglied des Boards), in: U.S. congressional committee hearings, 74th Congress, 1935, S. 695.: „(...) that in the most serious position that the Federal Reserve Board ever found itself in, to wit, in the year 1929, when there was a pronounced difference of opinion as to whether the situation demanded Federal Reserve influence and control and what should be the form of that control, a majority in the Federal Reserve Board were confronted with what was a most serious kind of opposition, to wit, a combination of New York and Washington, between the Secretary of the Treasury and the dominant bank in the Federal Reserve System."; Ders., a.a.O., S. 696: „(...) that in the most serious issue in which the Federal Reserve Board was ever involved (...) the board found itself in the anomalous position that a majority of the board were thoroughly convinced and of one mind with respect to the policy sought to be pursued, but their effectiveness was largely nullified by the fact that the Governor was not in step with his board. (...) The Secretary of Treasury was not in step with it, and in large part that policy failed of its full effectiveness and failed of an earlier adoption because of that." Senator McAdoo, a.a.O.: „What time are you referring to?" A. Miller, a.a.O.: „1928 and 1929, notably 1929 (...)" Anmerkung: Der Governor, Mitglied des Federal Reserve Board, wird vom Präsidenten der Vereinigten Staaten ernannt und ist für die Umsetzung der Beschlüsse zuständig. Nach A.H. Meitzer, A History of the Federal Reserve, S. 271 ff., 318ff. waren dagegen nur wenige Mitglieder des Federal Reserve Board der Ansicht, es sei eine aktive Geldpolitik zu betreiben, die dazu geführt hätte, die Große Depression zu vermeiden. Bis 1935 hätten die politischen Mitglieder des Board kaum Einfluß auf die Entscheidungen des Federal Reserve Systems genommen (S.4).

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Board of Governors blieb dieses bis 1951 politischen Einfluss ausgesetzt. Erst 1951 wurde mit einer Übereinkunft zwischen dem Department of Treasury und dem Federal Reserve System dessen Unabhängigkeit in währungspolitischen Akten vereinbart56. Damit hatte sich das Federal Reserve System mit dem zentralen Federal Reserve Board zu einer unabhängigen Institution mit weitem Entscheidungsspielraum entwickelt, der so 1913 nicht vorgesehen worden war. Im Gegensatz zur Bundesbank und zur Europäischen Zentralbank verfolgt das Federal Reserve System laut Statut nicht vorrangig das Ziel der Preisstabilität, sondern zugleich auch die Sicherung langanhaltenden wirtschaftlichen Wachstums, stabiler Preise, moderater langfristiger Zinssätze und der Schaffung von Arbeitsplätzen57. Gegenüber dem Kongress besteht eine Verpflichtung zu regelmäßiger Berichterstattung58. Die sieben Mitglieder des Federal Reserve Board, werden vom Präsidenten der Vereinigten Staaten einmalig für 14 Jahre ernannt59, der Vorsitzende wird aus den Vorstandsmitgliedern vom Präsidenten alle vier Jahre im Rhythmus der Präsidentschaftswahlen ernannt. Die Festlegung der Leitzinssätze erfolgt im „Federal Open Market Comittee", das aus den Mitgliedern des „Board" und fünf Präsidenten regionaler Zentralbanken besteht. Auch im Bereich des Wettbewerbsschutzes existiert eine IRC: 1914 kam es zur Gründung der Federal Trade Commission (FTC) nach dem Vorbild der ICC60, die verschiedene Bestimmungen des Kartellrechts durchsetzen soll61. Die FTC bekam die Kompetenz übertragen, aufgrund einer Generalklausel alle Geschäftspraktiken zu verbieten, die „unfair methods of competition" waren62. Bereits 1890 war der Sherman Act, ein Kartellgesetz, erlassen worden. Der Kongress entschied aber, zunächst keine Behörde zu dessen Durchsetzung zu gründen, sondern die Durchsetzung dieser Bestimmungen 56

A.H. Meitzer, A History of the Federal Reserve, S. 726. 12 § 225aU.S.C. 58 12 § 225b U.S.C. 59 12 § 241 U.S.C. 60 Zu den Argumenten für die Unabhängigkeit der FTC in der Debatte bei ihrer Gründung siehe R. E. Cushman, The Independent Regulatory Commissions, S. 188ff. Wichtigster Grund waren die positiven Erfahrungen mit der politisch unabhängigen ICC. 61 15 U.S.C. §§ 41 - 58: die FTC handelt im Bereich der Wettbewerbsschutzes (Kartellverbote und Monopolverhinderung) aufgrund des Federal Trade Commission Act, des Clayton Act (15 U.S.C. 12 - 27 betreffend die Gefahrdung des Wettbewerbs durch Unternehmensfusionen und Übernahmen), und nach der Rechtsprechung einigen Fällen, die denen des Sherman Acts ähneln, nämlich der Kontrolle von „unfair methods of competition", und damit eigentlich in den Zuständigkeitsbereich des Department of Justice fallen. Siehe zur Abgrenzung J. Wilson, The Politics of Regulation, S. 123ff., S. 419 Fn. 10. 62 15 U.S.C. § 45 (a) (1). 57

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dem Department of Justice zu übertragen. Wettbewerbsschädliche Praktiken wurden danach durch Anklage des Departments of Justice vor den ordentlichen Gerichten verfolgt. Als dies nicht wirksam genug erschien, wurde 1903 das „Bureau of Corporations" gegründet, das den Zweck hatte, wirtschaftliche Daten zu sammeln, zu untersuchen und durch deren Veröffentlichung die Unternehmen davon abzuhalten, unerlaubte Wettbewerbspraktiken anzuwenden. 1914 wurde dann die FTC gegründet, vielfältige Bestimmungen des Sherman Act werden aber weiterhin durch das Department of Justice wahrgenommen. Die FTC handelt aufgrund anderer gesetzlicher Grundlagen, insbesondere des Federal Trade Commission Act63. Sie besaß dabei von Anfang an Regulierungsbefugnisse. Mit dem New Deal unter Präsident Franklin D. Roosevelt erreichte die Neugründung unabhängiger Regulierungsbehörden in den Vereinigten Staaten dann einen Höhepunkt. Zweck dieser Neugründungen war die Verfolgung einer interventionistischeren Wirtschaftspolitik. Zum Ende der dreißiger Jahre waren vier neue Behörden gegründet worden. Die bereits bestehenden Behörden erhielten neue weitreichende Befugnisse64. Die Bildung dieser IRC war nun geprägt von der Auffassung, dass durchaus in den Wettbewerb eingegriffen werden dürfe und zentralere Lenkung dafür unausweichlich sei. Die Unabhängigkeit dieser Einrichtungen ist zum einen auf das Konkurrenzverhältnis von Kongress und Präsident zurückzuführen. Der Kongress war nur bereit, den neuen Projekten zuzustimmen, wenn die Kommissionen besonders unabhängig vom Präsidenten ausgestaltet würden65. Zum anderen diente die Unabhängigkeit der Kommissionen der Beschwichtigung des Supreme Court. Dieser stand Roosevelts Programmen sehr skeptisch gegenüber und hatte das Programm der sog. „National Recovery Administration" zum Teil als verfassungswidrig aufgehoben66. 63

Die Kompetenzen der FTC und der Antitrust Division des Departments of Justice Uberschneiden sich in vielen Fällen. Die Zuständigkeiten im Einzelfall werden deshalb durch Absprache zwischen den beiden Institutionen geklärt. Seit 1948 besteht ein Übereinkommen zwischen den beiden Institutionen, nach dem sich die Vertreter beider Behörden regelmäßig zur Absprache Uber die Kompetenzen treffen. 64 Die vier neuen Agenturen waren die Securities and Exchange Commission (SEC), 15 U.S.C. §§ 78a-781, Federal Communications Commission (FCC), 47 U.S.C. § 151-159; das National Labor Relations Boad (NLRB), 29 U.S.C. §§ 153-69; und das Civil Aeronautics Board (CAB), 49 U.S.C. app. § 1321. Das CAB ist im Zuge der Deregulierung des Flugverkehrs aufgelöst worden (vgl. Airline Deregulation Act of 1978, Act of Oct. 24, 1978, P.L. 9 5 504, 92 Stat. 1705, amending 49 U.S.C. app. § 1551). 65 M. Shapiro, Who guards the Guardians?, S. 64f.; M. Bernstein., Regulating Business by independent commissions, S. 204f.; D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 467. 66 Vgl. Schechter Poultry Corp. v. U.S. 295 U.S. 495 (1935); Stone/Seidman/Sunstein/ Tushnet, S. 180f.

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Anfangs verstieß die Bildung unabhängiger Regulierungsbehörden gegen die vom Supreme Court entwickelte „Non Delegation Doctrine", die als verfassungsrechtlich verankert angesehen wurde, dann aber langsam aufgegeben wurde67. Inhalt der „Non Delegation Doctrine" war der Gedanke, dass politische Herrschaft an die demokratisch gewählten Institutionen gebunden war. Allerdings hat diese Doktrin keine umfassende Wirkung entfaltet, auch der Supreme Court berief sich auch insgesamt nur zweimal auf sie, als er Delegationsgesetze Mitte der dreißiger Jahre außer Kraft setzte. Noch heute finden sich in den Vereinigten Staaten allerdings in einer Vielzahl von Bestimmungen Delegationsverbote68. Der Präsident selbst hätte die neuen Kommissionen lieber der Exekutive unterstellt69, und sein Stab setzte sich vehement für mehr präsidentielle Kontrolle und Aufsicht ein. In der Folgezeit änderte sich die Haltung gegenüber unabhängigen Regulierungsbehörden: In den fünfziger und sechziger Jahren wurden einige wichtige Änderungen an der inneren Entscheidungsstruktur der IRC vorgenommen. Das ursprüngliche Kollegialsystem wurde zugunsten eines stärkeren Einflusses des Präsidenten abgeschwächt70. Diese Veränderungen entsprachen der zu dieser Zeit herrschenden Sichtweise, dass die IRC zu wenige Mechanismen enthielten, um ihrem öffentlichen Auftrag gerecht zu werden71. In den siebziger Jahren verschärfte sich die Kritik an der Unabhängigkeit der Agenturen und der als zu schwach empfundenen Kontrolle durch den Präsidenten72. Die meisten in dieser Zeit gegründeten Agenturen sind daher nicht im Stil der 67

Siehe A.LA Schechter Poultry Group, v. US, 295 U.S. 495 (1935) und Panama Refining Co. v. Ryan, 293 U.S. 388 (1935). In der Folgezeit gab der Supreme Court seinen Widerstand gegen die neuen unabhängigen Regulierungsbehörden auf. Das mag unter anderem daran gelegen haben, daß Roosevelt, der bis dahin noch keinen Supreme Court Richter ernannte hatte, vorschlug, die Zahl der Supreme Court Richter von 9 auf 15 zu erhöhen. Dieser Vorschlag, bekannt als „court-packing plan", scheiterte zwar im Kongress. Während der Diskussionen im Kongress über diesen Plan änderte aber der Supreme Court seine Rechtsprechung und begann, wichtige Gesetze der Roosevelt Regierung aufrechtzuerhalten. Dieser Rechtsprechungsumschwung wird allgemein als „switch in time that saved the nine" bezeichnet. Siehe auch W. Brugger, Verfassungsgerichtspolitik ä la USA, Zeitschrift für Rechtspolitik 20 (1987), S. 52, 56 Fn. 58. 68 Für Non Delegation Rules in den Vereinigten Staaten siehe C. R. Sunstein, Nondelegation Canons, in: John M. Olin Law & Economics Working Paper Nr. 82 (2D Series), unter http://www.law.uchicago.edu/Publications/Working/index.html. 69 B. Schwartz, The Professor and the Commissioners, S. 204. 70 D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 468. 71 B. Schwartz, The Professor and the Commissioners, S. 210; D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 468. 72 Vgl. Ash-Council-Report (The Presidents Advisory Council on Executive Organization (1971), insbes. S. 25.

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unabhängigen IRC gegründet worden, sondern als monokratisch organisierte „executive agencies" dem Präsidenten direkt unterstellt oder in die exekutive Hierarchie eingeordnet worden 73 . Dazu gehörten im sogenannten „Risikobereich" die Environmental Protection Agency (EPA) 74 sowie die Occupational Safety and Health Administration (OSHA) 75 . Mit diesen Regulierungsbehörden wurden nicht mehr nur spezielle Industriezweige reguliert, sondern ganze soziale Bereiche. Potentiell können die Maßnahmen dieser IRC alle Industrien und andere Gruppierungen betreffen. Unabhängige, zu dieser Zeit gegründete IRC sind die die 1972 gegründete Consumer Product Safety Commission 76 , die 1975 gegründete Nuclear Regulatory Commission, die die Lizenzen für den Bau von Atomkraftwerken vergibt und dafür organisatorisch unabhängig ausgestaltet ist77 und die 1977 gegründete Federal Energy Regulatory Commission 78 . Noch mehr zentrale Aufsicht über die Agenturen wurde unter Präsident Reagan eingeführt. Er bündelte 1981 die zentralen Aufsichtsbefugnisse Uber die Agenturen in der Hand des Office of Management and Budget (OMB) 79 . Dieses Amt koordiniert insbesondere die Aktivitäten der Agenturen und führt die Aufsicht über ihre Finanzen 80 . Auch in der Folgezeit nahm die Kontrolle durch den Präsidenten zu, insbesondere durch verwaltungsinterne Anweisungen, so genannte executive Orders81. Die Kompetenzen des Präsidenten zur Ernennung der Vorsitzenden der Agenturen und anderer Mitglieder durch das Office of Personnel Management 82 wurden ausgeweitet. Die Budgetvergabe wurde direkt beim Präsidenten und nicht mehr beim Office of Management and Budget angesiedelt. Seit Ende der siebziger Jahre bestehen in den Vereinigten Staaten zwei politische Strömungen: Die eine setzt auf Deregulierung und Rückdrängung der bundesstaatlichen Bürokratie, die andere unterstützt die Entwicklung von unabhängigen Agenturen, insbesondere im Bereich des Gesundheits- und Umweltschutzes 83 . 73

M. Shapiro, Who guards the guardians?, S. 468. Gegründet durch den Reorganization Plan No. 3 of 1970, 84 Stat. 2086, as amended by Pub.L.98-80, 97 Stat. 485, 486, vgl. 5 U.S.C.app. 75 S. Breyer, Regulation and Its Reform, S. 303f. 76 15 U.S.C. § 2053 (a). 77 G. Majone, Controlling Regulatory Bureaucracies, a.a.O., S. 297. 78 42 U.S.C. §7171 (a). 79 31 U.S.C. § 501. 80 Executive Order 12291 (1981) (46 Fed. Reg. 13193), Executive Order 12498 (1985) (50 Fed. Reg. 1036 (1985)). 81 Chr. Möllers, Gewaltengliederung, S. 127. 82 5 U.S.C. §§ HOlff. 83 Vgl. dazu M. Shapiro, Who guards the guardians?, S. 108f. 74

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III. Die IRC zwischen Unabhängigkeit und Kontrolle Im Rahmen der Untersuchung der IRC wird zum einen schwerpunktmäßig auf ihre Stellung gegenüber Präsident und Kongress eingegangen. Zum anderen werden das Verfahren und die Kontrolle der IRC untersucht, um zu zeigen, dass die justizförmige Ausgestaltung des Verfahrens der amerikanischen Agenturen, die nach dem auch in den Vereinigten Staaten herrschenden funktionalen Legitimationsverständnis ein zentrales Argument für die demokratietheoretische Zulässigkeit solcher amerikanischen Agenturen ist nicht immer für alle Verfahrensweisen so eindeutig angenommen werden kann und keine Antwort auf die Frage bietet, warum für manche Aufgaben Institutionen unabhängig ausgestaltet werden (sollten), für andere aber nicht. Weiter wird gezeigt, dass die justizförmige Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens auch in Literatur und Rechtsprechung nicht ohne weiteres als Legitimation der Unabhängigkeit angesehen wird. Die Rechtsprechung orientiert sich an dem Grundsatz, dass sie bei der Überprüfung der Rechtsakte von Agenturen deren höhere demokratische Legitimation, vermittelt durch ihre politische Verantwortlichkeit, beachtet und einen entsprechend zurückhaltenden Kontrollmaßstab anwendet. In der Literatur wird gefordert, bei der Festlegung des gerichtlichen Kontrollmaßstabes zu beachten, ob es sich bei der betreffenden Agentur um eine politisch verantwortliche, also in die Exekutivhierarchie eingebundene (dann kein strenger Kontrollmaßstab), oder eine unabhängige IRC (dann engerer Kontrollmaßstab) handelt. 1. Der Einfluss des Präsidenten auf Agenturen und die IRC Auch die Unabhängigkeit der amerikanischen Agenturen ist eine relative84, allerdings ist geht sie weiter als die der französischen autorités administratives indépendantes. Die Beziehungen der Agenturen zu den anderen Gewalten sind nicht in der Verfassung geregelt und müssen daher für jede Institution jeweils neu festgelegt werden. Insbesondere die Ausgestaltung der IRC unterscheidet sich wie erwähnt von denen der Exekutivagenturen.

84

Siehe etwa S. Breyer/R. Stewart, Administrative Law and Regulatory Policy, S. 134ff. und Chr. Möllers, Gewaltengliederung, S. 127f. mit weiteren Beispielen.

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Zentral für den Einfluss des Präsidenten auf die „abhängigen" Agenturen85 ist seine Befugnis zur Ernennung der Angestellten und Beamten nach der Verfassung86. Der Präsident bedarf in der Regel der Zustimmung des Senates, um Mitglieder der Exekutive zu ernennen, sofern es sich nicht um untergeordnete Beamte handelt. Die Ernennung solcher Beamten kann der Kongress ganz auf den Präsidenten oder aber auch auf Gerichte oder Leiter der Exekutivabteilungen übertragen. Die Kompetenz, einmal ernannte Beamte wieder abzusetzen, ist zwar nicht in der Verfassung geregelt, wird aber aus verschiedenen Verfassungsbestimmungen hergeleitet (unter Einschränkungen, die sich aus der Rechtsprechung ergeben). Die Kontrolle über das Personal erfolgt über das Office of Personnel Management und das Merit System Protection Board.87. Diese Absetzungsbefugnis ist von besonderer Bedeutung, weil sich für den Präsidenten kein Weisungsrecht für den Einzelfall im Sinne eines Fachaufsichtsrechts gegenüber den Behörden aus der Verfassung ableiten lässt88 und die Absetzung von Mitgliedern der Exekutive damit nach verbreiteter Meinung die einzige Möglichkeit ist, Konflikte innerhalb der Exekutive zu beseitigen89. Allerdings unterliegen die Agenturen bestimmten Konsultationspflichten und sogenannten executive orders, die verwaltungsinterne Verbindlichkeit besitzen und insoweit deutschen Verwaltungsvorschriften ähneln90. Anhänger einer straffer organisierten unitarischen Verwaltung fordern allerdings auch ein Fach- und damit Weisungsrecht für den Präsidenten91. Anders verhält es sich mit den präsidentiellen Befugnissen gegenüber den unabhängig gestellten Independent Regulatory Commissions. Die Mitglieder der IRC sind für eine bestimmte Zeit eingesetzt und können vom Präsidenten nicht deswegen abgesetzt werden, weil sie politisch mit seiner Meinung 85

Solche sind beispielsweise die Environmental Protection Agency (EPA), die Food and Drug Administration (FDA), oder die Occupational Safety and Health Administration (OSHA), die als Exekutivagenturen in die Präsidialhierarchie eingebunden sind. Siehe dazu G. Majone, Regulating Europe: Problems and Prospects, in: Jahrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts 3 (1989), S. 160. 86 Art. II § 2 Abs. 2 Verfassung. 87 G. Majone, Regulating Europe: Problems and Prospects, in: Jahrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts 3 (1989), S. 160. 88 R. Pildes/C. R. Sunstein, Reinventing the Regulatory State, in: University of Chicago Law Review 62 (1995), S. 1, 24ff.; M. Fehling, Verwaltung, S. 133 m.w.N. insbesondere für das formale Verwaltungsverfahren. 89 Siehe D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 475 m.w.N.; M. Breger/G Edles, a.a.O., S. 1156 m.w.N. 90 M. Fehling, Verwaltung, S. 133. 91 Etwa D. A. Rivkin: The Unitary Executive and Presidential Control of Executive Branch Rulemaking, in: Administrative Law Journal 7 (1993), S. 309, 317ff.

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Unabhängige Institutionen im flinktionalen Legitimationsmodell

nicht übereinstimmen und deswegen nicht nach Anweisungen des Präsidenten handeln92. In sachlicher Hinsicht kann der Präsident verwaltungsinterne, generelle politische Richtlinien (executive Orders) erlassen und darin die Agenturen zu einer Änderung ihrer „Politik" auffordern93. Über das Office of Management and Budget (OMB) kann der Präsident auch in vielen Fällen die Normsetzungsvorschläge der IRC kontrollieren, wenn diese verpflichtet sind, diese Vorschläge vorzulegen. Ob die IRC dazu verpflichtet sind, ist teils in deren Statuten geregelt, teils gewohnheitsrechtlich festgelegt94. Der Präsident kann auf die Agenturen auch über seine Haushaltsbefugnisse Einfluss nehmen. Sobald die Agenturen ihre Haushaltsvorschläge gemacht haben, müssen sie diese dem Präsidenten zur Zustimmung vorlegen, bevor sie an den Kongress weitergereicht werden. Der Präsident kann durch das OMB die nachgefragten Zuwendungen prüfen lassen. Das OMB kann die Höhe der beantragten Zuweisungen verändern, je nachdem wie die vorgelegten Programme mit den Vorstellungen der Verwaltung übereinstimmen. Einige IRC können allerdings ohne Durchsicht beim OMB ihren Haushaltsvorschlag direkt beim Kongress einreichen. Auch diese je nach Institution unterschiedlichen Regelungen sind entweder in den Gründungsstatuten der IRC festgelegt oder beruhen auf Gewohnheitsrecht. 2. IRC und Kongress

Die IRC sind auch nicht unabhängig vom Kongress. Der Gesetzgeber verfügt über drei wesentliche Einflussmöglichkeiten auf die IRC. Er erlässt das die IRC begründende Gesetz, hat Zustimmungsrechte bei der personellen Besetzung der IRC und verfügt schließlich über budgetäre und inhaltliche Kontrollkompetenzen (Anhörungen, Vorlageverfahren). Diese Kontrollmechanismen werden meist über spezielle Ausschüsse des Kongresses wahrgenommen, die auf den Regelungsbereich einer Agentur spezialisiert sind. Im sogenannten „report-and-wait-Verfahren" müssen Agenturen Normset92

Zu den sogenannten „Grounds and Procedures for Removal" siehe M. Breger/G. Edles, Established by practice, in: Administrative Law Review 52 (2000), S. 1141ff. 93 C. R. Sunstein, The myth of the unitary executive, in: Administrative Law Journal 7 (1993), S. 299, 301. 94 Dazu M. Breger/G. Edles, Established by practice, in: Administrative Law Review 52 (2000), S. 115If.; A. M. Moreno, Presidential Coordination of the Independent Regulatory Process, Administrative Law Journal 8 (1994), S. 461, 510f.; Die FED ist beispielsweise nicht verpflichtet, dem OMB Begründungen oder Nachweise für ihre Tätigkeit vorzulegen, 12 U.S.C. § 250; Die FTC besitzt keine in den Gründungsstatuten festgelegte „Bypass provision", dennoch legt sie normalerweise eigene Normsetzungsvorhaben und Kommentare zur Gesetzgebung des Kongresses nicht dem OMB vor (M. Breger/G. Edles, a.a.O., S. 1268.)

Unabhängige Institutionen in den Vereinigten Staaten

147

zungsvorschläge dem Kongress vorlegen, der diese innerhalb einer bestimmten Frist durch eigene Regelungen ersetzen kann95. Nach dem Erlass einer Vorschrift kann der Kongress eine Änderung im Rahmen eines formalen Gesetzesänderungsverfahrens (d.h. unter Mitwirkung des Präsidenten) durchfuhren. Tatsächlich scheinen Gesetzesänderung im Rahmen von Vorlageverfahren und nachträglicher Kontrolle sowie Ernennungspolitik96 die gebräuchlichsten Mittel der Einflussnahme zu sein97. Grund dafür ist, dass diese Mechanismen deutlich geringere politische Kosten verursachen als die Beeinflussung von Entscheidungsabläufen im Einzelfall98. Auch die Budgetfestlegung ist ein wichtiges Kontrollmittel des Kongresses. Die Genehmigung des Haushaltes der Agenturen durch den Kongress verläuft in zwei Stufen. Zuerst werden laufende Ausgaben gewährt, die bereits im Gründungsstatut der Agentur festgelegt sind. Zum anderen wird der Gesamthaushalt der Agentur im jährlichen Haushaltsverfahren des Kongresses festgelegt. Die finanzielle Aufsicht über die Agenturen wird dabei vom General Accounting Office (GAO) vorgenommen. Bei Untersuchungen Uber die Budgetpolitik ergaben sich aber wenige Hinweise darauf, dass der Kongress Einzelfallentscheidungen der IRC über budgetäre Maßnahmen zu beeinflussen versucht99. 3. Die verschiedenen

Funktionen der IRC

Die IRC verfügen Kompetenzen zum Erlass verbindlicher und gesetzesähnlicher Normen (rulemaking), zu gerichtsähnlichen Entscheidungen (adjudication) sowie zum Erlass exekutiver Akte100. Infolge dessen war bei Gründung der IRC (und auch später) ungeklärt, ob es sich um Institutionen mit

95

Siehe D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 513f.; Bis 1983 bestand für den Kongress die Möglichkeit des sogenannten „Legislatiwetos". Dieses ist die im Agenturerrichtungsgesetz verankerte Befugnis, durch einfachen Beschluß Regelungen oder Einzelfallentscheidungen einer Agentur zu blockieren. Die Mitwirkung des US-Präsidenten war dafür, anders als bei Gesetzeserlässen, nicht notwendig. 1983 erklärte der Supreme Court diese Regelung für unzulässig, da sie einem Gesetzeserlaß ähnelt. Siehe dazu D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 510. 96 Die Kandidaten für die leitenden Ämter der IRC werden vom Präsidenten vorgeschlagen und müssen vom Senat bestätigt werden. 97 Für das Beispiel der Intonation Trade Commission: J. De Vault, Congressional dominance and the International Trade Commission, in: Public Choice 110 (2002), S. 18. 98 J. De Vault, a.a.O., S. 20. 99 J. De Vault, a.a.O., S. 18; Aufgrund der „Bypass provision" in 19 U.S.C. § 2332 kann auch der Präsident keinen Einfluß auf die Budgetfestlegung der ITC nehmen. 100 D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 487 mit den einschlägigen Nachweisen für den APA.

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Unabhängige Institutionen im funktionalen Legitimationsmodell

judikativer, administrativer oder sogar legislativer Funktion handelte101. Unter Hinweis auf den Grundsatz der Gewalten- und Funktionenteilung wurde die Vermengung der Funktionen in den IRC als verfassungswidrig bezeichnet102. Eine solche Verbindung der verschiedenen Funktionen in einer Institution führe zur Gefahr willkürlicher Machtausübung. Der Supreme Court hat sich dieser Auffassung allerdings nicht angeschlossen und die umstrittenen Statuten, etwa der FTC, für verfassungsgemäß erklärt103. Die IRC sind in ihren Verfahren an den Administrative Procedures Act104 (APA) aus dem Jahre 1946 gebunden. Im APA sind für die IRC die Verfahren der adjudication und des rulemaking vorgesehen. Die IRC kann meist selbst zwischen diesen beiden Verfahrensarten wählen105. Zudem ist die Abgrenzung zwischen diesen Verfahren aufgrund der weiten Definition des APA schwierig106. Das rulemaking ist eine weite Kategorie, unter die sowohl abstrakt-generelle als auch auf den Einzelfall anwendbare Regeln fallen. Das adjudication-Verfahren soll in einem individuellen Verhältnis zwischen Bürger und agency zu einer abschließenden Entscheidung führen, wobei es zumeist, aber nicht zwingend, um Einzelfallentscheidungen geht. In die Auffangkategorie der „Exekutivakte" fallen schließlich die Entscheidungen einer Agentur, die nicht von einer der beiden anderen genannten Kategorien erfasst werden. Beide Verfahren, das rulemaking und die adjudication, lassen sich in formelle und informelle Verfahren unterteilen107. Das informelle Verfahren für den Erlass von Regelungen (rulemaking) nennt sich „notice and comment rulemaking" und ahmt das Modell der Anhörungen im Gesetzgebungsverfahren nach108. Dieses Verfahren wird als informell bezeichnet, 101

R. E. Cushman, The Independent Regulatory Commissions, S. 418ff. mit Zitaten des SupremeCourt u.a., die diese Meinungsvielfalt widerspiegeln. 102 R. E. Cushman, a.a.O., S. 421ff. mit zahlreichen Quellenhinweisen und Zitaten. 103 Federal Trade Commission v. Kiesner 280 U.S. 19, 27 (1929); mehr dazu bei R. E. Cushman, a.a.O., S. 423. Zwar liege in den Kompetenzen der IRC eine Vermischung der verschiedenen Funktionen. Die Kompetenzen, die die IRC ausübten, seien aber keine Funktionen im Sinne der Verfassung. 104 Administrative Procedures Act, 5 U.S.C. §§ 551-706. 105 Vgl. D. L Shapiro, The Choice of Rulemaking or Adjudication in the Development of Administrative Policy, Harvard Law Review 78 (1965), S. 921. 106 D. L Shapiro, The Coice of Rulemaking or Adjudication in the Development of Administrative Policy, Harvard Law Review 78 (1965), S. 921, 924. 107 Die Verfahrensanordnungen des APA können allerdings überlagert werden durch spezialgesetzliche Anforderungen. Es richtet sich zudem nach einem Spezialgesetz, ob es sich um ein formelles oder informelles Verfahren handelt. 108 § 553 APA. Vgl. insbesondere § 553 c): .After notice required by this section, the agency shall give interested persons an opportunity to participate in the rulemaking (...)".

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weil die Entscheidung der Behörde nach freiem Ermessen erfolgen kann. Das formale Verfahren für den Erlass von Regelungen ist dagegen durch ein kontradiktorisches Verfahren der Beweiserhebung durch einen Verwaltungsrichter gekennzeichnet109. Das formelle Erlaßverfahren ähnelt daher stark einem gerichtlichen Verfahren zur Entscheidung von Einzelfällen, auch wenn es sich hier um den Erlass von Rechtsnormen handelt. Wegen des zeitlichen Aufwandes und anderer Probleme mit dem formellen Regelungsverfahren hat der Supreme Court den Anwendungsbereich des formellen Verfahrens erheblich eingeschränkt110. Im Gegenzug wurden die Anforderungen an das traditionelle „Notice and Comment" - Verfahren durch die unteren Gerichte ausgeweitet, um der Aushöhlung verfahrensrechtlicher Anforderungen entgegenzutreten. Das informelle Verfahren ist um das ungeschriebene Erfordernis der Erstellung eines „record" für die gerichtliche Überprüfung ergänzt worden111. Damit hat das als quasilegislative Kategorie vorgesehene rulemaking einen judiziellen Charakter bekommen. Letztlich muss das informelle rulemaking heute mit mehr Erläuterungen und Begründungen versehen werden, als es ursprünglich für das formale Verfahren vorgesehen war112. Adjudication" ist das gerichtsähnliche Verfahren für die Entscheidung von Einzelfällen. Im formellen Verfahren findet ein gerichtsähnliches Verfahren statt, ähnlich demjenigen des formal rulemaking113. Der Anwendungsbereich der informellen adjudication, für das mangels Regelungen im APA die Rechtsprechung einige Verfahrenskriterien entwickelte, ist nach dem Gesetzeswortlaut sehr weit, da es sich um eine Auffangkategorie für viele der Handlungen der Agenturen handelt114. In einer Gesamtbewertung ist festzustellen, dass seit den achtziger Jahren versucht wurde, die Ausübung regulativer Ermessensspielräume gerichtsähnlich auszugestalten115. Die Agenturen mussten die Ziele ihrer Regulierungspolitik oder Risikoeinschätzungen durch eine Kosten-Nutzen-Analyse

109

Vgl. §§ 556, 566 APA. In der Entscheidung United States v. Florida East Coast Ry. Co., 410 U.S. 224 (1973) wurde dem Gesetzgeber aufgegeben, genau festzulegen, wann das formelle Verfahren zur Anwendung kommen solle. 111 Vgl. S. Breyer/R. Stewart, Administrative Law and Regulatory Policy, S. 537. 112 G. Majone, Regulatory Legitimacy, in: Regulating Europe, S. 292 113 Für die verfahrensrechtlichen Anforderungen vgl. §§ 556, 557 APA. 114 Nach der gesetzlichen Definition der §§ 551 (7) iVm § 551 (6) APA ist alles adjudication, was nicht rulemaking ist. 115 G. Majone, Controlling Regulatory Bureaucracies, in: Derlien/Gebhardt/F. Scharpf: Systemrationalität und Partialinteresse, S. 300; M. Shapiro, Who guards the guardians, S. 111. 110

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Unabhängige Institutionen im funktionalen

Legitimationsmodell

rechtfertigen116. Diese zunehmende Verrechtlichung des Vorgehens der Regulierungsbehörden sollte die IRC der unabhängigen Gerichtsbarkeit annähern. Letztlich aber bleibt bei den Regulierungsbehörden ein beachtliches Maß an Ermessenskompetenz, sowohl bei der Normsetzung als auch bei der Durchsetzung der Normen117. IV. Rechtsprechung und Literatur zum Rechtsschutz gegen die IRC als Ausdruck eines funktionalen Legitimationsverständnisses Die Rechtsprechung und Literatur zum Umfang der nötigen gerichtlichen Kontrolle amerikanischer Agenturen spiegelt das Verständnis demokratischer Legitimation der Agenturen nach einem funktionalen Legitimationsansatz wieder. Ursprünglich überprüften die US-Gerichte gem. § 706 APA Rechtsfragen, die sich aus den Entscheidungen der Agenturen ergaben118. In der Folgezeit wurden verschiedene juristische Lehren entwickelt, nach denen die Gerichte in bestimmten Fällen behördliche Rechtsauslegungen nicht mehr kontrollieren können sollten119. Mit der Chevron-Entscheidung120 des Supreme Court wurde die gerichtliche Kontrolle behördlicher Auslegung dann mit dem Hinweis auf die politische Verantwortlichkeit nicht unabhängiger Agenturen erheblich eingeschränkt. Begründung war, dass es nicht Aufgabe demokratisch nicht verantwortlicher Richter sei, ihre eigenen politischen Präferenzen gegenüber einer politisch verantwortlichen Behörde durchzusetzen. Die Legislative löse Konflikte oft nicht eindeutig, bewusst oder unbewusst, weil eine Einigung nicht zu erzielen war. An dieser Stelle könne eine Behörde innerhalb der Grenzen der ihr zugewiesenen Aufgaben Entscheidungen treffen, zumal sie über die Exekutive mittelbar demokratisch verantwortlich sei. An dieser Rechtsprechung wurde in der Literatur kritisiert, sie enthalte unklare Maßstäbe für die gerichtliche Kontrolle der Entscheidungsspielräume der Agenturen121. Nicht in Frage gestellt wurde die Wertung, dass die

116

G. Majone, Controlling Regulatory Bureaucracies, a.a.O., S. 300. G. Majone, Controlling Regulatory Bureaucracies, a.a.O., S. 309. 118 Der Wortlaut des § 706 APA lautet: „To the extent necessary (...), the reviewing court shall decide all relevant questions of law (and) interpret constitutional and statutory provisions (...)". 119 Vgl. C. R. Sunstein, Law and Administration after Chevron, in: Columbia Law Review 90 (1990), S. 2071, 2082. 120 Chevron USA, Inc. v. National Resources Defense Council, Inc., 467 U.S. 837 (1984). 121 Die Chevron Entscheidung ist in der amerikanischen Literatur sehr umstritten, vgl. C. R. Sunstein, Constitutionalism after the New Deal, in: Harvard Law Review 101 (1987), S. 412 117

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Staaten

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politische Kontrolle der Agenturen deren Legitimation hinsichtlich politisch motivierter Entscheidungen steigere, die aber offen zu legen seien122. V. Die demokratietheoretische 1.

Debatte um die IRC

Legitimationsansätze

Auch in der Diskussion um die Bildung unabhängiger Regulierungsbehörden finden sich die unterschiedlichen Ausprägungen und Interpretationen der amerikanischen Demokratiedebatte wieder123. Vorgestellt werden hier vier verschiedene Ansätze, die für die Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen bedeutsam waren und sind: der pluralistisch-partizipative Ansatz, der madisonisch-pluralistische Ansatz, die eher technokratische Ausrichtung des Progressive Movement der dreißiger Jahre und der effizienzbetonte Ansatz der Anhänger des „independent fourth branch of government". Die Delegation von Kompetenzen auf unabhängige Regulierungsbehörden wird von der partizipativ-pluralistischen Schule befürwortet. Sie will den Aushandlungsprozeß zwischen den betroffenen Interessengruppen im Rahmen der justizförmigen Verfahren vor den Agenturen durch prozessuale Vorkehrungen so gestalten, dass alle Interessen berücksichtigt werden. Gerade eine weitgehende Einbindung betroffener Gruppen in den Entscheidungsprozeß wird als legitimierendes Argument für unabhängige Institutionen gesehen. Diese Argumentation ähnelt derjenigen in der englischen Diskussion um die dortigen agencies124. Die pluralistischen Befürworter unabhängiger I R C s berufen sich auf die „Madisonische" Verfassungstradition. Danach ist die Eindämmung der zentralen Regierungsgewalt zum Schutz der Minderheit gegen Machtmissbrauch der Mehrheit und zum Schutz der Allgemeinheit vor Partikularinteressen (466ff.); 5. Breyer, Administrative Law Review 38 (1986), S. 363 ff.; C. Farina, Statutory Interpretation and the Balance of Power, in: Columbia Law Review 89 (1989), S. 452ff. 122 P. Lindseth, Comparing Administrative States, in: The Columbia Journal of European Law 2 (1995/1996), S. 610ff., 616ff.; M. Fehling, Verwaltung, S. 137 m.w.N. bezüglich dem in der Literatur geäußerten Anspruch, politische Beweggründe der Verwaltungsentscheidungen offenzulegen. 123 Literatur: Mit einem Überblick über die Literatur bei P. Craig, Public Law and Democracy, S. 119, Fn. 132; G. Majone, Controlling Regulatory Bureaucracies, in: Derlien/Gerhardt/Scharpf (Hrsg.), Systemrationalität und Partialinteresse, S. 291ff. zu Realverhalten der IRC; P. Lindseth, Comparing Administrative States, Columbia Journal of European Law 2, S. 589, 617ff. 124 Siehe P. Craig, Public Law and Democracy, S. 117.

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Unabhängige Institutionen im funktionalen

Legitimationsmodell

durch geeignete Institutionen demokratisch legitimiert125. Diese Argumentation beruht auf dem Verfassungsprinzip der der „checks and balances". Die ,Madisonische" Legitimationstheorie, die mit nonmajoritarian institutions gegen den „factionalism" (Parteilichkeit) angeht, steht der „majoritarian" oder populistischen Legitimationstheorie entgegen, nach der alle Bereiche politischer Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip und durch unmittelbar gewählte Repräsentanten getroffen werden sollten126. Betont wird von der Madisonischen Verfassungstheorie die demokratische Legitimation der Delegation von Kompetenzen, der Machtbegrenzungen und die Gerichtsähnlichkeit mancher IRC, die als quasi - judikative Einrichtungen bezeichnet werden. Nach Majone können in der amerikanischen Debatte zwei weitere, jedoch recht ähnliche, gedankliche Strömungen unterschieden werden127. Die Vertreter des New Deal befürworten die Bildung unabhängiger Regulierungsbehörden unter Hinweis auf die Realisierung des Gemeinwohls durch technisch-wissenschaftliche Expertise. Die Tradition des „Progressive Movement", verkörpert durch Theodore Roosevelt und Woodrow Wilson, sah in der Begrenzung von kurzfristiger Parteipolitik und Interessenpolitik durch unabhängige Institutionen den richtigen Weg, um Effizienz und Richtigkeit in den öffentlichen Aufgaben herzustellen. Dieses Argument wird gleichermaßen herangezogen für die juristische Qualifikation von Richtern oder für qualifizierte Inspektoren der Agenturen für die Überwachung von Produktsicherheiten128. Die Vertreter des „independent fourth branch of government", befürworten die Bildung politisch-unabhängiger IRC, die nur einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle unterstellt werden sollten. Die Bildung unabhängiger Institutionen dient danach vor allem der Steigerung der Effektivität administrativen Handelns. Methodisch stützt sich diese Auffassung auf die Analysen der Public Choice. Den Gerichten kommt die Rolle zu, die richtige Gewichtung der verschiedenen Interessen zu kontrollieren129. Umstritten ist, inwieweit die Gerichte auch technische Einzelheiten nachzuvollziehen haben. Nach einer Meinung sollen Gerichte nur solche Verfahren nachprüfen, die im Rahmen des formalen Normsetzungsprozesses nach dem APA abgelaufen sind. 125

G. Majone, Controlling Regulatory Bureaucracies, in: Derlien/Gerhardt/Scharpf (Hrsg.), Systemrationalität und Partialinteresse, S. 299. 126 G. Majone, Regulating Europe, S. 286. 127 G. Majone, Controlling Regulatory Bureaucracies, a.a.O., S. 301. 128 D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 200 m.w.N. 129 Siehe etwa C. R. Sunstein, Interest Groups, in: Stanford Law Review 29 (1985), S. 29, 63.

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2. Kritik der IRC Allerdings kam in den Vereinigten Staaten vor allem gegen die umfassende und verquickte Delegation von exekutiven, legislativen und judikativen Kompetenzen an Regulierungsbehörden Kritik auf 130 . Die Mischung der Funktionen unterlaufe das Gewaltenteilungsprinzip und stelle eine gefährliche Ballung von Kompetenzen in einer Institution dar. Dagegen wandte der Supreme Court ein, dass zwar die Kompetenzen der IRC gemischte Funktionen beinhalteten, dass diese Mischung aber verfassungsgemäß sei, denn es handele sich nicht um legislative oder judizielle Kompetenzen im konstitutionellen Sinne131. Zudem könne aus dem Grundsatz der Funktionenteilung keine „technische juristische Doktrin" abgeleitet werden, die klare Grenzen für die Trennung von Kompetenzen bietet 132 . Gegen den Vorwurf, die Verbindung der unterschiedlichen Funktionen in den IRC verleite zu Machtmissbrauch, wird auch angeführt, dass nach ökonomischen Analysen allein die Tatsache, dass eine Agentur Untersuchungen einleiten kann, die spätere adjudication nicht in eine bestimmte Richtung beeinflusst werde 133 . Um der genannten Kritik entgegenzuwirken, wurden auch schon zwei Agenturen in demselben Regelungsbereich gegründet. Beispielsweise gibt es im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz eine unabhängige Kommission mit rein gerichtsähnlichen Aufgaben (die Occupational Safety and Health Review Commission (OSHRC)) und eine weitere Agentur innerhalb des Departments of Labor, die Occupational Safety and Health Review Administration (OSHA), mit exekutiven Befugnissen, insbesondere der Befugnis zur Vornahme von Untersuchungen und dem Erlass verbindlicher Regelungen 134 . Ein zweiter Kritikpunkt an den IRC richtet sich gegen die ständigen Aushandlungsprozesse der Interessengruppen im Verfahren bei den IRC, die zu hohen Kosten, Zeitaufwand und einer fragwürdigen Qualität der Entscheidungen führen 135 . Oft spielten für die Bildung unabhängiger Institutionen auch praktische Gründe wie Flucht vor zuviel Bürokratie oder die Überwindung von festgefahrenen Strukturen eine Rolle, die aber keine spezifische 130

G. Majone, Regulating Europe: Problems and Prospects, in Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft, 3 (1989), S. 163; D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 467 m.w.N. 131 R. E. Cushman, The independent regulatory commissions, S. 425ff. 132 R. E. Cushman, The independent regulatory commissions, S. 425. 133 D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 488. 134 D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 488. 135 Siehe etwa G. E. Frug, The Ideology of Bureaucracy in American Law, Harvard Law Review 97 (1984), S. 1276; P. Craig, Public Law and Democracy, S. 124 m.w.N.

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Unabhängige Institutionen im funktionalen Legitimationsmodell

normative Legitimation schaffen können. Die Technizität von Aufgaben sei oft nur eine scheinbare, denn Kennzeichen moderner Regulierungsprobleme ist gerade die besondere Vermischung von normativ-ethischen und technischen Expertenfragen136. Die Befürworter sahen dagegen gerade in dieser konzentrierten Mischung der Kompetenzen einen großen Vorteil der IRC. Die Verbindung von Expertenwissen mit dem Management sei ähnlich der in großen Unternehmen137. Ein weiterer immer wiederkehrender Kritikpunkt an der Einrichtung unabhängiger Agenturen war die Gefahr der sog. „Regulatory Capture"138. Nach Ansicht vieler Vertreter der Public Choice Schule würden die IRC zwangsläufig durch die Interessen vereinnahmt, die sie zu regulieren hätten, da ihnen die politische Leitung fehle139. Weil den Regulierungsbehörden oft Informationen fehlen, über die die von Regelungen betroffenen Unternehmen verfügen, und weil Regierungen den Unternehmen aus wirtschaftspolitischen Gründen keine Uberhöhten Kosten aufbürden möchten, werden Regulierungsnormen oft im Wege von Verhandlungen mit den Unternehmen erlassen und durchgesetzt140. Im Rahmen solcher Verhandlungen gewännen die Unternehmen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Inhalte der Handlungen der IRC. Allerdings ist die Richtigkeit dieser Annahme auch innerhalb der Public Choice Vertreter umstritten. Einige Vertreter der public choice gehen davon aus, dass durch den richtigen Einsatz von gerichtlicher und politischer Kontrolle eine zu starke Einflussnahme von Interessengruppen ausgeschlossen werden kann141. 3. Demokratietheoretische

Bewertung der

Diskussion

Die dargestellten Legitimationsansätze beziehen sich bei der Begründung von demokratischer Legitimation unabhängiger Institutionen auf Eigenheiten des politischen Entscheidungsprozesses. Wie aus der Diskussion um die funktionale Mischung von Kompetenzen und der Legitimierung von IRC 136

D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 203. D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 468. 138 Dazu G. F. Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 573f. m.w.N. 139 Siehe dazu M. Bernstein, Regulating Business by Independent Commissions, S. 138f.; fur die ökonomischen Regulierungstheorien siehe G. Stigler, Theory of Economic Regulation, in: The Bell Journal of Economic and Management Science, 2 (1971), S. 3-21; Ders., The Citizen and the State; R. A. Posner: Theories of Economic regulation, The Bell Journal of Economic and Management Science 5 (1974) S. 335-358. 140 G. Majone, Controlling Regulatory Bureaucracies, in: Derlien/Gebhardt/Scharpf (Hrsg.), Systemrationalität und Partialinteresse, S. 309. 141 D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 407ff. m.w.N. 137

Unabhängige Institutionen in den Vereinigten Staaten

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über das madisonische Prinzip der checks and balances ersichtlich wurde, bleiben viele Autoren in dem funktionsbezogenen Legitimationsdenken verhaftet. Aus diesem lässt sich aber keine befriedigende Aussage über die demokratische Legitimation der IRC herleiten. Die Begründungsansätze der Vertreter des independent fourth branch of government und des Progressive Movement knüpfen an der Qualität des politischen Entscheidungsprozesses an, verbleiben aber überwiegend bei einer Abwägung zwischen demokratischer Legitimation einerseits und Effizienzerwägungen andererseits stehen. Grund dafür ist, dass die Analysen des politischen Entscheidungsprozesses für Effizienzbewertungen und nicht als Grundlage für das Verständnis eines demokratischen Staatsaufbaus herangezogen werden. Die Bildung unabhängiger Institutionen kann dann als Folge der jeweils vorherrschenden politischen Ideologien angesehen werden, je nach dem vorherrschenden Verständnis von Effizienz 142 . Insbesondere Majone, der vor allem für die europäische Ebene eine Legitimationstheorie für unabhängige Regulierungsagenturen enwickelt, seine theoretischen Wurzeln aber in der amerikanischen Diskussion um die IRC hat, löst sich vom funktionenbezogenen Legitimationsansatz und fordert für den Bereich der Regulierungspolitik in Europa wie in den Vereinigten Staaten unabhängige Institutionen, was er mit einer besseren Verfolgung glaubwürdiger Politik begründet 143 . Sein Legitimationsansatz für die Legitimation unabhängiger Regulierungsagenturen wird unten in Teil 3 besprochen, weil er insbesondere für die europäische Ebene entwickelt wurde. Eine wesentliche Grundlage für eine Legitimationstheorie für unabhängige Institutionen ergibt sich aus dem von Buchanan entwickelten ökonomischen Konstitutionalismus. Da diese Theorie aber nicht primär in Zusammenhang mit der Problematik der IRC entwickelt wurde, wird sie erst im folgenden Teil 2 vorgestellt.

C. Demokratieverständnis und Rolle der unabhängigen Gerichtsbarkeit Die Frage nach der demokratischen Legitimität der Gerichtsbarkeit weist in den Vereinigten Staaten zwei besonders interessante Punkte auf: Zum einen besteht in manchen Bundesstaaten die Tradition demokratischer Richterwahlen. Diese Tradition führt in demokratietheoretischer Hinsicht zur Frage, ob und warum eigentlich die Gerichtsbarkeit „unabhängig" im Sinne dieser 142 143

Siehe D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 203. Siehe unten Kapitel 7 B.

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Legitimationsmodell

Arbeit ausgestaltet sein sollte. Deutlich wird an der Diskussion um diese Frage, dass sich die Legitimation der Gerichtsbarkeit eben gerade nicht aus demokratischen Wahlen herleitet, sondern aus ihrer unabhängigen Entscheidungsfindung. Zum anderen kann in den Vereinigten Staaten nicht nur der Supreme Court, sondern jedes Gericht ein Gesetz, das es für nicht verfassungsgemäß hält, für verfassungswidrig erklären. Aus diesen beiden Gründen wird bei der Darstellung der Unabhängigkeit und den Gründen für die demokratische Wahl mancher Richter nicht nur auf den Supreme Court eingegangen. Vielmehr werden auch die Besetzungsverfahren anderer Gerichte einbezogen. I. Zur Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit 1. Die persönliche Unabhängigkeit In den Vereinigten Staaten werden Richter auf vier verschiedene Arten ausgewählt: durch Exekutivauswahl, durch demokratische Volkswahl, durch Legislativauswahl und schließlich durch Beteiligung von Richtern an der Neubesetzung in Form von Richterwahlausschüssen. Alle der vier genannten Verfahrensweisen bieten Aspekte der Sicherung aber auch Gefährdung der richterlichen Unabhängigkeit. Die Richterauswahl durch die Exekutive steht im Verdacht, die Unabhängigkeit der Gerichte zu bedrohen144. In den Vereinigten Staaten werden die Richter des Supreme Court durch den Präsidenten berufen, allerdings mit notwendiger Zustimmung des Senates145. Es gilt als allgemein verständlich, dass der jeweilige Präsident nur Richter zu ernennen versucht, die seine politische Anschauung teilen146. Allerdings zeigte sich, dass die Richter nicht immer den Erwartungen entsprechend votierten, sondern durchaus von den politischen Ansichten der sie ernennenden Seite abwichen147. Am Beispiel der amerikanischen Bundesgerichte konnte jedenfalls die Annahme, dass eine richterliche „Abhängigkeit" von der politischen Abhängigkeit der 144 Vgl. etwa Th. Oppermann, Richterberufung und richterliche Unabhängigkeit, S. 44 m.w.N; Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz, vor § 8 Rz. 4 m.w.N. 145 Siehe Art. ü § 2 U.S. Constitution. 146 H.J. Abraham, The judicial Process, S. 73. 147 Ein Beispiel ist das in Roe v. Wade, 410 U.S. 113 (1973) garantierte Recht auf Abtreibung, daß auch nicht in der Folgezeit durch konservativere Senate aufgehoben wurde, etwa in Planned Parenthood of Southeastern Pennsylvania v. Casey, 505 U.S. 833 (1992). Näheres bei J. Zätsch, Richterliche Unabhängigkeit und Richterauswahl in den USA und Deutschland, S. 121f.

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Staaten

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ernennenden Seite besteht, nicht allgemein festgestellt werden. Der Einfluss des auswählenden Organs auf die richterliche Unabhängigkeit ist also weitaus geringer, als teilweise angenommen wird148. Um den politischen Einfluss der Exekutive bei der Richterbesetzung zu mindern, wurden in den Vereinigten Staaten wie auch in Deutschland Richterwahlausschüsse gebildet149. Eine reine Selbstergänzung der Richterschaft gibt es aber in den Vereinigten Staaten nicht. Nur in vereinzelten Fällen werden Richter durch Richter ernannt150. Bei der in einigen Bundesstaaten verbreiteten Richterauswahl nach dem so genannten Missouriplan, sind aber Richter Mitglieder in den Wahlausschüssen. Danach wählen zunächst Kommissionen, die aus Richtern, Anwälten und Bürgern besetzt sind, Kandidaten für das Richteramt aus. Vertreter der Exekutive ernennen dann einen der vorgeschlagenen Kandidaten zum Richter. Nach einem Jahr Amtszeit muss sich der Richter einer demokratischen Bestätigungswahl durch das Volk stellen151. Die Richterauswahl durch das Volk stärkt die organisatorische Unabhängigkeit der Judikative. Die unmittelbare Legitimation der Richter durch das Volk schließt eine personelle Einflussnahme der anderen Gewalten aus152. Mit diesem Argument wurden die Richterwahlen in den Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert eingeführt. Allerdings gefährdet die Volkswahl der Richter deren politische Neutralität, denn die amerikanischen Richterwahlen sind politische Wahlen, etwa vergleichbar mit den deutschen politischen Wahlen der Parlamentsmitglieder. Da der Kandidat bei der Wahl der Hilfe der Parteien oder anderer Gruppierungen bedarf, bleibt er diesen zum Dank verpflichtet153. Die Richterauswahl durch das Volk führt also zu einer recht starken Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit154. Ähnlich wie die direkte Wahl durch das Volk steht auch die Legislativauswahl im Verdacht, die Unabhängigkeit des Richters durch parteipolitische Einflussnahme zu gefährden155. Eine Möglichkeit, den politischen Einfluss im Auswahlverfahren zurückzudrängen, ist die Durchführung von Anhörungsverfahren im Parlament, in denen die Kandidaten sich den Bedenken 148

Ähnlich auch K. Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem, S. 219. 149 E.-W. Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, S. 102. 150 Siehe dazu J. Zätsch, a.a.O., S. 45. 151 Weitere Darstellung bei HJ. Abraham, The judicial process, S. 37f. 152 Th. Oppermann, Richterberufung und richterliche Unabhängigkeit, S. 66. 153 Th. Oppermann, Richterberufung und richterliche Unabhängigkeit, S. 68. 154 J. Zätsch, Richterliche Unabhängigkeit und Richterauswahl in den USA und Deutschland, S. 138. 155 Th. Oppermann, Richterberufung und richterliche Unabhängigkeit, S. 74.

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der Kritiker stellen müssen. Ein solches Anhörungsverfahren wird in den Vereinigten Staaten bei der Auswahl der Bundesrichter im Rahmen der Zustimmung des Senates durchgeführt156. Diese Art der Richterauswahl kann als ein Überbleibsel aus den Anfängen der Republik angesehen werden, als durch die direkte Wahl die Abhängigkeit von englischen Einflüssen gemindert werden sollte157. Der Großteil der Staaten ist jedoch bald von dem System der direkten Wahl durch die Volkversammlung abgerückt, eine indirekte Beteiligung der Legislative ist aber oft bei der Exekutivauswahl oder durch die Beteiligung von Wahlausschüssen vorhanden. Beispielsweise muss der Senat dem Vorschlag des Präsidenten zustimmen, damit ein Kandidat für die Bundesgerichte akzeptiert wird158. Auch in den Vereinigten Staaten wird das richterliche Verhalten durch Aufsichtsorgane kontrolliert, durch Kommissionen, die sich aus Richtern, Anwälten und Laien zusammensetzen. Auf Bundesebene bestehen diese Kommissionen nur aus Richtern159. Die Kommissionen können Ermahnungen aussprechen, öffentliche Verweise erteilen, eine vorläufige Suspendierung, Zwangsenthebung oder Amtsenthebung verordnen160. Letzteres Mittel kann gegenüber Bundesrichtern nicht angewandt werden. Bundesrichter können nur durch ein Impeachment Verfahren abgesetzt werden. Es besteht aus einer gerichtsähnlichen Verhandlung vor dem Senat, dessen Zustimmung mit Zweidrittelmehrheit erfordert wird161. Es ist bisher nur 13 mal eingeleitet worden und hat nur sieben mal zu einer Verurteilung geführt162. 2. Zur sachlichen Unabhängigkeit insbesondere des Supreme Court Im Bereich der Verfassungsauslegung, insbesondere durch den Supreme Court, werden zwei Ebenen der Unabhängigkeit unterschieden: erstens die Frage des Ermessens des Supreme Courts bei der Entscheidung über die Annahme einer Rechtssache und zweitens die Problematik des Spielraumes bei der eigentlichen Entscheidungsfindung. Der Supreme Court ist frei in

156 Der Senat muß den vorgeschlagenen Kandidaten des Präsidenten zustimmen, damit diese das Richteramt erlangen können. 157 H. Stumpf, American Judicial Politics, S. 158. 158 Auch einzelne Bundesstaaten kennen ein Vetorecht der Legislative, siehe D. B. Rottman, State Court Organization 1993, S. 61ff. mit Beispielen. 159 Shaman/Lubet/Alfini, Judicial Conduct and Ethics, § 1.04. 160 Diess., § 13.03. 161 Art. I § 3 (6) und (7) der U.S. Const. 162 Siehe H. J. Abraham, The judicial Process, S. 43f.

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seiner Entscheidung darüber, welche Fälle er zur Entscheidung annimmt163, es besteht also ein erheblicher Entscheidungsspielraum. Der Entscheidungsannahme kommt großes Gewicht zu, weil meist die Richter für eine Entscheidungsannahme votieren, die später für eine Aufhebung der Entscheidung eines unteren Gerichtes stimmen164. Auch bei der inhaltlichen Urteilsentscheidung bestehen weite Entscheidungsspielräume. Eine Aufhebung eines Urteils aus dem Grunde, dass seine Begründung nach gegenwärtigen Rechtsvorstellungen nicht mehr haltbar ist, hängt stark von den politischen Präferenzen der Richter ab165. II. Gesetzliche Bindung, demokratische Wahl oder Unabhängigkeit als Quelle demokratischer Legitimation? In den Vereinigten Staaten stellt sich Problematik von richterlicher Unabhängigkeit und demokratisch-politischer Legitimation in besonderer Weise, da seit dem Marbury vs. Madison Urteil des Supreme Court von 1803 alle Gerichte die Kompetenz zur Verwerfung von Gesetzen besitzen166. Das Argument der Gesetzesbindung als Quelle demokratischer Legitimation kann also nicht für die amerikanische Gerichtsbarkeit gelten. Die Gerichte sind ja gerade befugt, bei Verstoß gegen die Verfassung die Gesetze zu verwerfen. Zudem werden im Common Law System, das vom Fallrecht geprägt ist, die Gerichte durch Präjudizien gebunden. Rechtsgrundlage der Urteile ist damit von den Gerichten selbst geschaffenes Richterrecht167. Nach dem Prinzip der stare decisis muss ein Gericht seinen eigenen, früher gefällten Entscheidungen und denen höherer Gerichte im gleichen Instanzenzug folgen168. Diese 163

28 U.S.C. § 1254 (1) (1994). Siehe auch Supreme Court Rule Nr. 10, die Einzelheiten der Annahmebedingungen festlegt, die aber nicht bindend sind (abgedruckt bei Stern/Gressman/ Shapiro, Supreme Court Rules); Vgl. zur Praxis des Supreme Courts L. Baum, The Supreme Court, S. 113ff. 164 J. Zätsch, a.a.O., S. 87. 165 Siehe als Beispiel die Entscheidungen zum Abtreibungsrecht, Roe v. Wade (410 U.S. 113 (1973)), gefolgt von Planned Parenthood of Southeastern Pennsylvania v. Casey (505 U.S. 833 (1992)): Die erste Entscheidung, die ein Abtreibungsrecht zugestanden hatte, wurde zwar nicht von der nachfolgenden Entscheidung aufgehoben, aber eingeschränkt. Richter Blackmun als letzter Richter des vorangegangenen Urteils betonte den Unterschied zwischen seiner politischen Einstellung und derjenigen der ihm nachfolgenden Richterkollegen, siehe Planned Parenthood of Southeastern Pennsylvania v. Casey, 505 U.S. 833, 943 (1992) (Blackmun, abweichend). Darstellung nach J. Zätsch, Richterliche Unabhängigkeit, S. 93. 166 Marbury v. Madison, 5 U.S. (1 Cranch) 137 (1803). 167 Siehe Black's Law Dictionary, S. 585f. unter "judge made law"; auch Famsworth, An introduction to the Legal System of the United States, S. 51f. 168 Siehe D. Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, S. 24ff.

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Vorgehensweise eröffnet dem Richter bei der Auslegung der Präzedenzfälle und Anwendung auf den eigenen Fall Spielräume. Das die Rechtsgrundlage erst formende Richterrecht führt dazu, dass die Tätigkeit des Richters im Bereich des Fallrechts auch als law-making bezeichnet wird. Nicht richtig ist allerdings der Eindruck, der amerikanische Richter könne grenzenlos Recht setzen und sich als „social engineer" betätigen. Im richterlichen Alltag folgen die Richter in den meisten Fällen Präjudizien der höheren Gerichte. Zudem spielt das „statutatory law" heute in den Vereinigten Staaten eine bedeutende Rolle, nach Schätzungen stellen reine Common Law Fälle nicht mehr als 20 Prozent der Fälle eines Staatengerichts dar169. Die Entscheidung darüber, ob Richter durch demokratische Wahl gewählt werden sollen, hängt vor allem von der Frage ab, von welcher Stellung des Richters man die „gerechtere" Entscheidung erwartet. Die Anhänger periodischer Richterwahl gehen davon aus, dass durch die Wahl der Richter die im Volk herrschende Gerechtigkeitsvorstellung am besten umgesetzt wird. Die Abhängigkeit des Richters von der Wahl dient als Garantie für die Durchsetzung des Volkswillens. Die Gerechtigkeit eines Urteils wird danach an der herrschenden Gerechtigkeitsvorstellung170 oder an der herrschenden Sozialmoral171 des Volkes orientiert, da sich so das Urteil auf einen breiten Konsens gründet. Der Richter wird in diesem Verständnis wie ein Abgeordneter, ein Volksvertreter, gesehen. Eine solche volksgebundene Vorstellung von Gerechtigkeit ist allerdings außerordentlich problematisch172, die Orientierung an dem Werteverständnis der Mehrheit erscheint in einem pluralistischen Staat unmöglich173. Es besteht beispielsweise die Gefahr der Minderheitenbenachteiligung174. Gerade die Wahrung der Rechte von Minderheiten und Einzelner ist ein Beispiel für ein durchsetzungsschwaches Gemeinwohlziel. Demgegenüber gehen die Anhänger der periodischen Richterwahl da169

J. Zätsch, Richterliche Unabhängigkeit, S. 84ff. m.w.N. R. Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 138ff. und S. 148ff., wonach herrschende Gerechtigkeitsvorstellungen und herrschende sozialethische Vorstellungen entscheidend seien. Auch Th. Würtenberger, Zeitgeist und Recht, S. 191 ff.; E. Benda, Zur gesellschaftlichen Akzeptanz verwaltungs- und verfassungsrechtlicher Entscheidungen DÖV 1983, S. 305, 307; Ähnlich BVerfGE 9, 338, 349, wonach der Richter die allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft berücksichtigen soll. Kritisch M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 103ff.; R. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 223ff.; S. Smid, Richterliche Rechtserkenntnis, S. 21f. 17> R. Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 153. 172 Siehe etwa S. Smid, Richterliche Rechtserkenntnis, S. 22. 173 S. Smid, Richterliche Rechtserkenntnis, S. 22. 174 S. Croley, The Majoritarian Difficulty, in: The University of Chicago Law Review 62 (1995), S. 689, 727ff. 170

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von aus, dass das Volk durch die Wahlen die Minderheit vor staatlichem Machtmissbrauch durch den Richter schützt. Tatsächlich beeinträchtigt die Finanzierung der Wahlkämpfe die Unabhängigkeit des Richters. Weiterhin rückt die Richterwahl den Richter in ein Abhängigkeitsverhältnis gegenüber den politischen Parteien175. Das Bild des Richters als Volksvertreter hat seinen Ursprung in einem großen Vertrauen in die Entscheidungsrichtigkeit des Demokratieprinzips. Das Volk ist danach Ursprung aller Staatsgewalt, und alle Amtsinhaber, auch die Richter, müssen daher dem Volk verantwortlich sein176. Dahinter standen die Überzeugungen, das Volk sei kompetent genug, ebenso wie Abgeordnete auch seine Richter auszuwählen, und das Volk sei am besten geeignet, sich selbst zu verwalten. Die Folge war, dass Richterämter, wie auch Stellen der Exekutive, durch Volkswahl besetzt wurden177. Während der Amtszeit Jacksons gingen die meisten Staaten dazu über, auch die Staatsanwaltschaft und andere Beamte vom Volk wählen zu lassen178. In Staaten mit periodischer Richterwahl sind plebiszitäre Elemente, also Volksabstimmungen, allgemein in größerem Maße vorgesehen, als in Staaten ohne Richterwahl179. Auf Bundesebene wird das Bild des Richters als Volksvertreter dagegen ausdrücklich abgelehnt180. Die Aufgabe des Richters unterscheide sich grundlegend von der des Gesetzgebers181. Der Richter habe die Gesetze und die Verfassung unabhängig vom täglich wechselnden Willen des Volkes anzuwenden. Aus diesem Skeptizismus gegenüber der absoluten Volkssouveränität entschieden sich die amerikanischen Verfassungsväter für eine lebenslange Amtszeit der Bundesrichter182. Die demokratische Legitimation 175 Th. Oppermann, Richterberufung und richterliche Unabhängigkeit, S. 68; S. Bright, Political Attacks on the Judiciary, New York University Law Review 72 (1997), S. 308, 321f. 176 Siehe die Äußerungen im Report des Judiciary Committee of the Wisconsin Constitutional Convention von 1846, zitiert bei S. Croley, The Majoritarian Difficulty, in: The University of Chicago Law Review 62 (1995) S. 689, 718 Fn. 86. 177 Vgl. C. Stelzenmüller, Direkte Demokratie in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 99ff. sowie 117ff. 178 Auch in der Schweiz, die die Richterwahl kennt, werden alle Behördenmitglieder vom Volk gewählt, siehe P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, S. 280. 179 H. Heußner, Volksgesetzgebung in den USA und in Deutschland, S. 157f. Auch die Schweiz, welche die periodische Richterwahl kennt, weist eine Vielzahl direktdemokratischer Elemente auf. 180 A. Hamilton, in: The Federalist, Nr. 78, S. 528f.; Chisom v. Roemer, 405 U.S. 380, 400f. (1991); Palmore v. United States, 411 U.S. 389, 416f. (abweichend Douglas). 181 League of United Latin American Citizens Council Nr. 4434 v. Clements, 501 U.S. 419 (1991): Judges do not represent people, they serve people. The state judiciary, unlike the legislature, is not the organ responsible for achieving representative government. 182 Siehe A. Hamilton, in: The Federalist Nr. 78, S. 465 und 470f.

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der Gerichtsbarkeit muss demnach auf andere Weise als durch die unmittelbare Wahl erreicht werden. III. Entstehung und Diskussion um die 1. Die Entwicklung der

Gesetzgebungskontrolle

Gesetzgebungskontrolle

Der Supreme Court in den Vereinigten Staaten war eines der ersten Gerichte, das sich die Kompetenz zur Kontrolle der Legislative selbst erteilte183. Mit der Entscheidung Marbury gegen Madison 184 im Jahre 1803 erklärte der Supreme Court unter Berufung auf Art. VI Abs. 2 der Verfassung 185 und des Grundsatzes des Vorrangs der Verfassung, aus dem er ein richterliches Prüfungsrecht gegenüber der Gesetzgebung ableitete, ein Bundesgesetz wegen Verfassungswidrigkeit für unwirksam186. Als der Supreme Court das Urteil Madison vs. Marbury fällte, war die Idee des Konstitutionalismus, also der Gedanke, dass Verfassungen ein fundamentales, das gesamte Staatswesen ordnendes Instrument waren, nicht mehr neu187. Sowohl in der Philosophie 183 Schon bevor die geschriebene Verfassung der Vereinigten Staaten entstand, wurden von einzelstaatlichen Gerichten Gesetze für „unconstitutional" und damit nichtig erklärt. Dabei wurde explizit Bezug genommen auf Bonham's Case von 1610 in England. Nach Erlaß einzelner staatlicher Verfassungen erklärten einzelstaatliche Gerichte Gesetz für unvereinbar mit diesen Verfassungen und in der Folge „void". Siehe W. Heun, Verfassungsrecht und einfaches Recht, in: VVDStRL 61 (2002), S. 85 m.w.N. 184 Marbury vs. Madison, 5 U.S. (1 Cranch) 137 (1803); Bereits in der Entscheidung Calder vj. Bull, einer Entscheidung aus dem Jahr 1798 waren sich die Richter einig, dass es keine unbeschränkte Entscheidungskompetenz der Legislative gebe. In diesem Urteil musste aber aus anderen Gründen keine Verwerfung des Gesetzes als verfassungswidrig ausgesprochen werden, siehe W. Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 345ff. 185 Dieser lautet: „This Constitution (...) shall be the supreme Law of the Land; and the Judges in every State shall be bound thereby, (...)". 186 Zur Entstehung des Vorranges der Verfassung in den Vereinigten Staaten siehe R. Wahl, Der Vorrang der Verfassung, in: Der Staat 20 (1981), S. 488; Schon vor 1803 erkennt der Supreme Court einzelstaatliche Gesetze wegen Verstoß gegen die betreffende einzelstaatliche Verfassung für unwirksam. Bei der Entwicklung der Bedeutung richterlicher Kontrolle der Gesetzgebung nach 1803 ist zu berücksichtigen, daß der Supreme Court in den folgenden 54 Jahren nach 1803 keine weitere Verwerfung eines Gesetzes vornahm. Allerdings wurde diese Kompetenz in den Jahren nach 1803 von den einzelstaatlichen Gerichten häufig ausgeübt, und der Supreme Court sah sich in dieser Zeit auch nicht zu weiteren Gesetzesverwerfungen genötigt; Als der Supreme Court 1857 wieder seine Kompetenz zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung des Kongresses ausübte (Dread Scott v. Sandford, 60 U.S. (19 How.) S. 393, wurde diese Kompetenz kaum noch angezweifelt. 187 Vgl. die Ausführungen von R. Wahl, Der Vorrang der Verfassung, in: Der Staat 20 (1981), S. 489f.; W. Heun, Verfassungsrecht und einfaches Recht, W D S t R L 61 (2002), S. 80, 84f.

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im Rahmen der Aufklärung durch die Gesellschaftsvertragstheorie, als auch in der Politik hatte sich die Idee einer grundlegenden Verfassung durchgesetzt. Von der Magna Charta 1215 über den Petition of Right Act 1628 und die Bill of Rights 1689 sowie die Verfassungen der Gliedstaaten der späteren Vereinigten Staaten waren Verfassungsverträge und Verfassungen Teil des Staatswesens und -denkens geworden. Neu war aber, dass nun ein Gericht die Einhaltung der Verfassungsmäßigkeit kontrollieren sollte. Der Fall Marbury v. Madison hätte auch anders als im Sinne des Vorranges der Verfassungsgerichtsbarkeit ausgehen können, denn die Streitlage und die einzelnen Argumente ließen die getroffene Entscheidung nicht zwingend erscheinen188. Erklärt wird die Entscheidung auch mit dem Fortwirken der alten englischen Rechtstradition in den damaligen Vereinigten Staaten, die vor dem Aufkommen der Lehre von der Souveränität des Parlamentes in England eine richterliche Kontrolle parlamentarischer Akte befürwortet hatte189. 2. Zur Diskussion um die Verfassungsgerichtsbarkeit Die amerikanische Debatte um die Rolle und Legitimität der Verfassungsgerichtsbarkeit im demokratischen Staat wird mit Hinblick auf das Spannungsverhältnis von Verfassungsgerichtsbarkeit und demokratisch-politischem Prozess geführt190. Der Supreme Court wird dabei grundsätzlich als „political actor" im Gefüge der anderen Gewalten wahrgenommen. Dies unterscheidet sie von der deutschen Debatte, in der die Rolle und Stellung der Verfassungsgerichtsbarkeit mehr im Zusammenhang mit Verfassungsprinzipien und Rechtsstaatlichkeit diskutiert wird und weniger im Zusammenhang mit dem demokratischen Entscheidungsprozeß. Insgesamt wird in der amerikanischen Debatte weitaus stärker als in der deutschen und französischen Diskussion die Bedeutung des politischen Entscheidungsprozesses für die Legitimität der Verfassungsgerichtsbarkeit betont. In der Diskussion um die 188 Für eine umfassende Darstellung siehe W. Brugger, Kampf um die Verfassungsgerichtsbarkeit: 200 Jahre Marbury vi. Madison, JuS 2003, S. 320-325 m.w.N. zu der amerikanischen Literatur zur Umstrittenheit des Urteils; W. Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, S. 5ff. 189 Vgl. W. Heun, Verfassungsrecht und einfaches Recht, VVDStRL 61 (2002), 80, 82f. 190 Zur amerikanischen Diskussion um die Verfassungsgerichtsbarkeit W. Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, 1987; U. Haltern, Verfassungsgerichtsbarkeit, Demokratie und Misstrauen, 1998; J. Riecken, Verfassungsgerichtsbarkeit in der Demokratie. Grenzen verfassungsrechtlicher Kontrolle unter besonderer Berücksichtigung von John Hart Elys prozeduraler Theorie der Repräsentationsverstärkung, 2003.

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demokratische Legitimität der Verfassungsgerichtsbarkeit finden sich die in der Demokratie- und Repräsentationsdebatte vertretenen Auffassungen wieder. Die amerikanische Diskussion um Rolle und Legitimation der Verfassungsgerichtsbarkeit wird anhand dieser Positionen dargestellt, weil sich die amerikanische Diskussion um die Natur des politischen Entscheidungsprozesses so am klarsten an die Debatte um die Verfassungsgerichtsbarkeit anschließen lässt 191 . Sowohl der republikanische als auch der pluralistische Ansatz bieten dabei Argumente für und gegen die Einrichtung einer Verfassungsgerichtsbarkeit 192 . Nach einer republikanischen Ausprägung kann die Rolle des Supreme Court in der Verwirklichung der idealen Vorstellungen des politischen Prozesses als deliberativ gesehen werden 193 . Die Verfassung sehe für die „Tagespolitik" den Kongress vor, für „konstitutionelle Politik", die der Verwirklichung des Gemeinwohl diene, den Supreme Court. Die Rolle des Supreme Court bestehe darin, fundamentale Änderungen im politischen Geschehen aufzuzeigen und so die Politiker zu einem besonderen Bewusstsein ihrer Handlungen zu veranlassen. Der anfängliche Widerspruch gegen die Gesetzgebung des New Deal Anfang der dreißiger Jahre könne als ein solches Warnsignal verstanden werden. Nach Michelman führt dieser Gedanke dazu, dass die bürgerliche Selbstregierung nun im Flächenstaat von der Gerichtsbarkeit wahrgenommen werde, statt durch eine Selbstverwaltung wie in Kleinstaaten und Gemeinden 194 . Auch der Ansatz von Sunstein bietet einen Ansatzpunkt für die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit: Der Gedanke der Deliberation umfasste prozedurale und inhaltliche Aspekte. Die inhaltlichen Aspekte stellen dabei Zwänge für die zulässigen Ergebnisse des Entscheidungsprozesses auf 195 . Diese inhaltlichen Aspekte bestehen aus der Wahrung von Rechten und Umverteilungsgerechtigkeit. Aus pluralistischer Perspektive entwickelte Ely eine vieldiskutierte Theorie zur Legitimation der Verfassungsgerichtsbarkeit 196 . Zunächst lehnt er die bestehenden Ansätze des „interpretivism" und „non-interpretivism" im Er191 Damit wird von der sonst häufig gewählten zentralen Unterscheidung zwischen einer interpretivistischen und einer nicht-interpretivistischen Richtung in der amerikanischen Diskussion um die Verfassungsgerichtsbarkeit abgewichen, siehe W. Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 345f. 192 Siehe nur bei P. Craig, Public Law and Democracy, S. 338ff„ 343ff. 193 Die folgenden Argumente stammen von B. Ackerman, Discovering the Constitution, in: Yale Law Journal 93 (1984), S. 1013-1042. 194 F. I. Michelman, Foreword: Traces of Self Government, in: Harvard Law Review 100 (1986), S. 66, 74f. 195 C. R. Sunstein, Beyond the Republican Revival, in: Yale Law Journal 97 (1988), S. 1550f. 196 J. H. Ely, Democracy and Distrust, Kap. 4 - 6 .

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gebnis ab 197 . Übereinstimmend mit dem interpretivistischen Ansatz geht er von der legitimatorischen Wirkung des repräsentativen Prozesses und einer textbezogenen Interpretation der Verfassung aus. Ely bezweifelt aber, dass der politischen Prozess aus sich selbst heraus schon offen ist und die Interessen von Minoritäten ausreichend schützt 198 . Elys Ansatz ist „partizipationsorientiert" und „repräsentationsverstärkend" 199 . Im Gegensatz zu der vorangegangenen Schule hält er die Ergebnisse des politischen Prozesses nicht von vornherein für legitim. Er steht damit in der Gedankentradition Bentleys, der nicht von einem sich selbst korrigierenden politischen Entscheidungsprozeß ausgeht 200 . Die Offenheit des politischen Prozesses sei zu gewährleisten, um die ständig neue Ausformung der Verfassungswerte herzustellen. Die Aufgabe der Verfassungsgerichtsbarkeit zielt auf Partizipationsoptimierung und Repräsentation von Minderheiten im politischen Prozess ab 201 . Der Verfassungsgerichtsbarkeit komme eine Kontrollkompetenz gegenüber der Legislative zu, wenn die Verfassungsvorschriften spezifisch und konkret sind. Die Verfassungsrichter kontrollieren dabei nicht die Ergebnisse des politischen Prozesses, sondern die Offenheit und Fairness der Entscheidungsfindung selbst, sog. prozessualer Ansatz 202 . Dieses gegenüber dem republikanischen Verständnis weitere Konzept gerichtlicher Kontrolle rechtfertigt Ely mit dem überwiegend pluralistischen Charakter der USVerfassung 203 . Der prozessuale Interpretationsansatz von Ely wird dafür kritisiert, dass er eben doch wieder substantielle Werte schütze, denn auch ein rein prozessorientierter Ansatz könne ohne den Schutz substantieller Werte nicht auskommen 204 . Andere kritisieren, dass mit Elys Ansatz der Supreme Court

197

Siehe dazu P. Craig, Public Law and Democracy, S. 92f. W. Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 363ff.; U. Haltern, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 257ff. 199 J. H. Ely, Democracy and Distrust, S. 87. 200 Es ist fraglich, ob die Public Choice Schule eine verfassungsrechtliche Kontrolle von Grundrechten akzeptieren würde. Dies liegt daran, daß sie alle objektiven und externen Werte, Ziele und Rechte sehr skeptisch sieht. Stattdessen betont sie den prozessualen Charakter politischer Entscheidungen. Allein zum Schutz des demokratischen Systems scheinen Schutzmechanismen denkbar. Siehe P. Craig, Public Law and Democracy, S. 89 m.w.N. In der konstitutionellen Ökonomie Buchanans werden grundlegende Rechte aber auf konstitutioneller Ebene festgelegt und auch durch den Rechtsschutzstaat gesichert. 201 J. Riecken, Verfassungsgerichtsbarkeit in der Demokratie, S. 40f. 202 U. Haltern, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 260 m.w.N. 203 J. H. Ely, Democracy and Distrust, S. 80. 204 L. H. Tribe, The Puzzling Persistence of Process-Based Constitutional Theories, in: Yale Law Journal 89 (1980), S. 1063. 198

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eine zu große Freiheit bekäme, seine eigenen Demokratievorstellungen zu formen und seinen Urteilen zugrunde zulegen205. Die Vertreter einer substantiellen Deutung der Verfassung sehen die Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit weniger in einer Schiedsrichterfunktion im prozessualen Sinne. Vielmehr fordern sie eine umfassende und substantielle verfassungsrechtliche Überprüfung demokratischer Entscheidungen206, die am Text der Verfassung orientiert ist . Die antimehrheitliche Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit ist danach mit der amerikanischen Verfassungstradition vereinbar. Dieser Ansatz betont die Wahrnehmung von Rechten durch die Gerichtsbarkeit vor allem gegenüber der Mehrheitsentscheidung. In der Funktion als Wächter der Werte des Gemeinwesens ist die Verfassungsgerichtsbarkeit dabei eine die Mehrheit repräsentierende Institution, hat also ebenfalls eine repräsentationsoptimierende Funktion. Vertreter des interpretivistischen Ansatzes sehen die Verfassungsgerichtsbarkeit als einen Gegensatz zum Mehrheitsprinzip der Demokratie und als eine Begrenzung desselben. Es bestehe ein unauflösbares Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Konstitutionalismus208. Auch diese Autoren bewerten die Legitimität des Supreme Court nach seiner Funktion im demokratischen Entscheidungsprozeß. Für solche Autoren, die von einem optimistischen Bild des politischen Entscheidungsprozesses ausgehen, ist die Konsequenz aus diesem Spannungsverhältnis, die „counter - majoritarian difficulty" so häufig wie möglich zu vermeiden209. Die Gerichte werden deswegen zur Zurückhaltung angehalten. Kernaussage dieser Autoren ist der Vorrang demokratischer Mehrheitsherrschaft, das Verständnis der Verfassung als Anweisung und nicht als Begrenzung und die Beschränkung der Kontrollbefugnis des Supreme Court aufklare Verfassungsanweisungen210. 205

Siehe dazu P. Craig, Public Law and Democracy, S. 99 mit Hinweis auf Richard Dworkin. W. Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 379ff.; U. Haltern, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 262ff. m.w.N.; Vertreter dieser Schule sind Richard Dworkin, Michael Perry, Laurence Tribe und William Brennan. 207 Zur Abgrenzung zum interpretivistischen Ansatz siehe W. Brugger, a.a.O., S. 379f. 208 W. Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 347ff., 354. 209 U. Haltern, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 246 mit Verweis auf: Robert H. Bork, Tradition and Morality in Constitutional Law, in: Walter F. Murphy/C. Hermann Pritchett (Hrsg.), Courts, Judges & Politics: An introduction to the Judicial Process, 4. Aufl. 1986, S. 635ff., 639. 210 U. Haltern, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 248; W. Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, 1987, S. 347ff., zusammenfassend S. 354f.; S. Croley, The Majoritarian Difficulty, in: The University of Chicago Law Review 62 (1995), S. 689. 206

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Am interpretivistischen Ansatz ist zu kritisieren, dass eine objektive und an unpolitischen Kriterien ausgerichtete Auslegung in der Wirklichkeit oft nicht möglich ist. Richtern kommt auch im Rahmen einer engen Verfassungsauslegung immer ein gewisser Entscheidungsspielraum zu und gerichtliche Entscheidungen beruhen damit unvermeidbar auch auf persönlichen Werten der Richter211. Die amerikanische Diskussion um die Interpretationsmethoden der Verfassungsgerichtsbarkeit zeigt, dass letztlich eine Grundentscheidung zu treffen ist, ob alle politischen Entscheidungen in der Demokratie durch Institutionen getroffen werden müssen, die durch Wahlen verantwortlich sind. Die Diskussion um die anzuwendende Methode der Verfassungsinterpretation führt alleine nicht zur Antwort auf die Frage nach der demokratischen Legitimität der Verfassungsgerichtsbarkeit. In diesem Sinne stellte Chemerinsky fest: „All judicial review is antimajoritarian, so that it is hypocritical and disingenious to Single out any particular method and criticize it for being antidemocratic.212" Tatsächlich hat sich der Supreme Court in seiner über 200-jährigen Geschichte nie auf eine Methode der Verfassungsinterpretation festgelegt, sondern sehr verschiedene interpretative Ansätze vertreten213. Die Frage nach der Grundentscheidung, ob in der Demokratie alle politischen Entscheidungen durch Institutionen getroffen werden müssen, die unmittelbar durch Wahlen verantwortlich sind, ist Gegenstand des folgenden Teils 2.

D. Zusammenfassung Kapitel 5 In den Vereinigten Staaten herrscht seit dem 18. Jahrhundert ein pluralistisches Demokratieverständnis vor, nach dem der politische Entscheidungsprozess aus einem Wettbewerb von Interessen besteht. Aufgabe der Verfassung ist es, durch eine gegenseitige Kontrolle der Gewalten eine Regierungsform zu bilden, die einen Missbrauch von politischer Macht durch eine Mehrheit oder einzelne Gruppen verhindert. Beginnend mit der Interstate Commerce Commission 1887 kam es zur Bildung von Independent Regulatory Agencies (IRC), die gegenüber Präsident und Kongress eine gewisse Unabhängigkeit besitzen. Die 1913 gegründete Zentralbank wurde nach den Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise

211

E. Chemerinsky, Interpreting the Constitution, 1987, S. 108ff.; zitiert über U. Haltern, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 251. 212 E. Chemerinsky, Interpreting the Constitution, 1987, S. 1 If. 213 W. Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten, S. 434.

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1935 formal unabhängig gestellt. Die IRC waren seit ihrer Gründung demokratietheoretisch und verfassungsrechtlich umstritten. Die gerichtliche Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung wurde seit 1803 akzeptiert. Die Gerichtsbarkeit wird insbesondere aufgrund ihrer Gesetzesverwerfungskompetenz als ein politischer Akteur wahrgenommen. Die demokratische Legitimation der Gerichtsbarkeit wird nach einem prozeduralen Ansatz in der Sicherung der Offenheit des politischen Prozesses durch die Gerichte gesehen. Nach einem inhaltlichen Legitimationsansatz ist es die Aufgabe der Gerichte, gegenüber der Gesetzgebung bestimmte, verfassungsrechtlich festgelegt Inhalte und Werte zu sichern. Mit der Theorie des ökonomischen Konstitutionalismus und der ökonomischen Regulierungstheorie wurden ab Mitte des 20. Jahrhunderts Theorien entwickelt, die eine Grundlage für die Legitimation unabhängiger Institutionen und die Beschränkung der repräsentativen Institutionen bilden können. Diese Theorien sind Untersuchungsgegenstand des Teils 2 der Arbeit.

Teil 2

Von der funktionalen zur politikfeldbezogenen demokratischen Legitimation staatlicher Institutionen

Einleitung Das funktionale Legitimationsverständnis ordnet den drei Gewalten oder Funktionen jeweils einen organisatorischen Idealtypus zu: die unmittelbar gewählte Legislative, die unabhängige Judikative und die möglichst hierarchische Exekutive. Letztere soll den Willen der gewählten Staatsführung, sei es in einem Präsidialsystem oder einem parlamentarischen System, dadurch am unverfälschtesten umsetzen1. Grundlage der funktionalen Legitimationstheorie ist der Gedanke, die Mehrheitsentscheidung der gewählten Repräsentanten solle in allen Sachgebieten über die Legislative und Exekutive umgesetzt werden, da so Gleichheit und Freiheit aller Bürger auch in der kollektiven Selbstbestimmung am besten gewahrt würden. Dieser grundsätzliche Gedanke des funktionalen Legitimationsmodells wird in diesem Teil der Arbeit als inkonsistent kritisiert (Kapitel 6). Im Gegensatz zum funktionalen Modell wird herausgearbeitet, dass eine gleichwertige Interessenberücksichtigung aller Bürger einer unterschiedlichen staatlichen Organisationsstruktur je nach Politikfeld bedarf, weil die politischen Entscheidungsprozesse je nach Politikfeld sehr verschieden in ihrer Interessenberücksichtigung ausfallen (insbesondere Kapitel 7 und 9). Dafür wird auf die Methodik des ökonomischen Konstitutionalismus und der ökonomischen Regulierungstheorie zugegriffen. Mit der ökonomischen Methodik können dann Politikfelder identifiziert werden, in denen die Mitwirkung einer unabhängigen Institution im Rechtsetzungs- oder Umsetzungsprozess legitim ist. Als Beispiele werden insbesondere die Haushalts-, Währungs- und Wettbewerbspolitik untersucht (Kapitel 10). Das politikfeldbezogene Legitimationsmodell beschreibt 1 Chr. Möllers, Gewaltengliederung, S. 112 verneint wie in Kapitel 2 gesehen für die Exekutive das Vorliegen eines organisatorischen Idealtypus, weil diese keinem eigenen Legitimationsmodus zuzuordnen sei. Dies bezog aber nicht Anforderungen des Demokratieprinzips an die organisatorische Ausgestaltung der Gewalten ein, sondern nur Anforderungen, die aus dem Prinzip der Gewaltenteilung abgeleitet wurden. Die Untersuchung in Teil 1 zeigte deutlich, dass in allen demokratischen Systemen die Exekutive grundsätzlich in hierarchischer Form als legitim angesehen wird und jede Form der Verselbständigung und Unabhängigkeit zu einer erhöhten Legitimationsbedürftigkeit und In-Frage-Stellung solcher Institutionen führt, wenn es sich die Wahrnehmung politischer sensibler Aufgaben wie Währungs-, Wettbewerbs- oder Haushaltspolitik handelt.

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Demokratieprinzip

zugleich auch die Grenzen für die Legitimation unabhängiger Institutionen (Kapitel 10).

Kapitel 6

Kritik des funktionalen Legitimationsmodells A. Zum funktionalen Ansatz I. Einleitende Bemerkungen In der vorangegangenen Darstellung wurde deutlich, dass im Rahmen des funktionalen Demokratieverständnisses eine systematische Legitimation unabhängiger Institutionen als Ausnahmen vom grundsätzlichen Legitimations- und Organisationsmodell nicht dargelegt werden konnte. In diesem Teil 2 wird nun gezeigt, dass das funktionenbezogene Demokratieverständnis in sich nicht überzeugend ist und die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen deshalb nicht an diesem zu messen ist. Es wird ein neuartiges Legitimationsverständnis entwickelt, nachdem unabhängige Institutionen keine Ausnahme von der Regel des Vorrangs des Mehrheitsverfahrens darstellen, sondern die demokratische Legitimation von Entscheidungsverfahren und Institutionen unterschiedlich nach Politikfeldern bewertet wird. Die demokratische Legitimation staatlicher Institutionen ist dann nicht mehr nach ihrer Einordnung in eine der drei Gewalten, sondern nach Politikfeldern zu bewerten. Die Kritik am funktionalen Legitimationsmodell richtet sich dabei auf sein Grundlagen, nämlich erstens die Art und Weise seiner Herleitung aus dem Gesellschaftsvertrag, zweitens der weitgehenden Nichtberücksichtigung der positiven Analysen politischer Entscheidungsprozesse für die Bewertung der demokratischen Legitimation staatlicher Institutionen und drittens des daraus abgeleiteten Vorranges des personellen Elementes demokratischer Legitimation. IL Gesellschaftsvertrag und Mehrheitsprinzip Theoretische Grundlage der ersten Demokratietheorien der Neuzeit ist das individualistische Vertragsmodell, wie es seit Hobbes, Locke und Rousseau

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entwickelt wurde1. Legitime Herrschaft kann danach nur durch eine (gedachte) Zustimmung aller betroffenen Individuen im Rahmen eines Vertrages, des Gesellschaftsvertrages, begründet werden2. Der Gesellschaftsvertrag bildet die Grundlage für die Legitimierung kollektiven Handelns3. Offen bleibt dabei zunächst, was der normative Maßstab kollektiven Handelns sein soll. Er muss jedenfalls von der Zustimmung der Individuen ableitbar sein und kann kein über diesen stehendes, „übergeordnetes" normatives Ziel darstellen, denn ein solches „überindividuelles" Ziel widerspräche dem vertragstheoretischen Zustimmungserfordernis. Normativer Ausgangspunkt der neuzeitlichen (vertragstheoretischen) Demokratietheorie ist die Sicherung von individueller Freiheit und demokratisch-politischer Gleichheit im politischen Entscheidungsprozess4. Davon ausgehend werden in formeller Hinsicht Schlüsse für die zu wählenden Entscheidungsverfahren und Institutionen gezogen, insbesondere das Mehrheitsprinzip als demokratisch legitimes Entscheidungsverfahren anerkannt. In der rechts- und politikwissenschaftlichen Demokratietheorie wird das Mehrheitsprinzip als normativ richtiges Verfahren angesehen, um demokratische Gleichheit und Freiheit zu gewährleisten5. Dieses Demokratieverständnis hat eine lange Tradition: Demokratie wird von der griechischen Antike bis zur bürgerlichen Aufklärung als Herrschaft durch Mehrheitsent1

Zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden des Vertragsansatzes bei Hobbes, Locke und Rousseau siehe Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 175ff. 2 A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 534ff., 537 mit grundsätzlichen Einwänden gegen die Legitimationswirkung des vertragstheoretischen Ansatzes bezeichnet die Konstruktion hypothetischer Verträge als deduktiv, anti-individualistisch und schreibt ihr totalitären Charakter zu. 3 D. Castiglione, Contracts and Constitutions, in R. Bellamy, V. Bufacchi & D. Castiglione (eds.), Democracy and Constitutional Culture in the EU, London 1995, S. 65ff. mit einem Überblick über die verschiedenen modernen Vertragstheorien. 4 Siehe etwa K. Stern, Staatsrecht Bd. 1, § 18 I 4ff„ Das demokratische Prinzip; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (1988) § 30 Rz. 35ff; Zum Individualismus als letztem Legitimationsgrund R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 116. 5 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR II (2004) § 24 Rz. 52ff.; P. Badura, Die parlamentarische Demokratie, in: HBStR II (2004), § 25 Rz. 31 spricht von der beherrschenden Stellung des Mehrheitsprinzips, das die unmittelbare Konsequenz der Gleichheit aller sei. H. Klein, Art. 42 GG (2001), in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Rz. 72ff. m. w. N. zur vorherrschenden Stellung des Mehrheitsprinzips in der deutschen Staatsrechtslehre. Zur Rolle des Mehrheitsprinzips in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 29, 154, 165; 5, 85, 198; 2, 1, 12; Für die politikwissenschaftliche Debatte R. Dahl, Democracy and its Critics, S. 135ff. mit einer ausführlichen Diskussion zum Stellenwert des Mehrheitsprinzips in der Demokratie.

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Scheidung charakterisiert6. Demokratie beruht danach auf dem gleichen Mitwirkungsrecht aller an der staatlichen Willensbildung als Folge des wiederum für alle gleichen Rechts auf Selbstbestimmung7. Inhaltlich ist das Ideal der gleichen Mitwirkung an kollektiven Entscheidungsprozessen und damit die Anwendung des Mehrheitsverfahrens gerechtfertigt, weil niemand den Anspruch auf eine allgemein gültige Wahrheit haben kann und deswegen die Gewissensüberzeugung eines jeden Menschen gleich viel zählen muss. Die kollektive Gemeinwohlbestimmung muss unter der gleichen Mitwirkung aller erfolgen, weil niemand den Inhalt des Gemeinwohls im Vorhinein kennt. Gleichheit und Freiheit bilden damit die normative Grundlage für die Wahl der anzuwendenden Verfahren8. Folglich ist nach dem rechtswissenschaftlichen Demokratieverständnis nur bei zentralen Fragen - etwa wenn die Kerngehalte der demokratischen Ordnung selbst in Frage stehen, wie Freiheitsrechte oder Minderheitenschutz - eine Abweichung vom Mehrheitsprinzip zulässig9. Ein solches Verständnis des Mehrheitsprinzips kann keine Abweichungen vom Mehrheitsprinzip für bestimmte Politikfelder legitimieren, etwa für Währungsstabilität oder Wettbewerbsschutz. Denn diese stellen nicht Kerngehalte der demokratischen Ordnung dar. Nach einer anderen Ansicht kann ein der Demokratie zugrundegelegter hypothetischer Konsens deswegen keine weitergehende Legitimation für bestimmte Entscheidungsverfahren vermitteln, weil eine Ableitung einheitlicher Strukturprinzipien für die Demokratie als gescheitert anzusehen ist. Vielmehr prägten verschiedene normative Grundsätze - etwa Gleichheit, Mehrheitsherrschaft, Interessenbalance, Volksherrschaft - die parlamentarische Demokratie10. Diese verschiedenen Strukturprinzipien bringen jeweils Bestandteile der demokratischen Idee zum Ausdruck. Dem Mehrheitsprinzip kommt deshalb der quantitativ größte Grad an Legitimation zu, weil dadurch die größte Anzahl an Personen das Gefühl erhält, nur dem eigenen Willen

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Dazu W. Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, in: E.Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel (Hrsg.), HBdVR § 12 Rz. 75. 7 H. Klein, Art. 42 GG (2001), in: Maunz/Diirig, Grundgesetz Kommentar, Rz. 72. 8 W. Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, in: E.Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel (Hrsg.), HBdVR § 12 Rz. lOff. mit einer Darstellung der historischen Ableitung des Gesellschafitsvertrages und der demokratischen Entscheidungsverfahren nach den Grundsätzen der Wahrung individueller Freiheit und politischer Gleichheit. 9 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Kirchhof/Isensee (Hrsg.), HBStR I (1987), § 24 Rz. 53; ders. HBStR II (2004), Demokratie als Verfassungsprinzip, § 24 Rz. 53, 55. 10 K. Stern, Staatsrecht Bd. 1, § 18 II 3, Das demokratische Prinzip, mit weiteren Beispielen.

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unterworfen zu sein11. Dabei leitet sich die materielle Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips aus der Einigkeit über die verfassungsrechtlichen Ordnungsprinzipien ab12. Ein weiterer Grund dafür, dass in der rechtswissenschaftlichen Literatur aus dem Gesellschaftsvertrag keine unmittelbaren Schlussfolgerungen für die Ausgestaltung der politischen Entscheidungsverfahren gezogen werden, ist, dass zwischen der politischen Idee der Demokratie - etwa der Selbstbestimmung - und den realen Verfahren unterschieden wird13. Die realen Verfahren sollen die Idee der Demokratie verwirklichen, stehen aber nicht mit ihr auf einer Ebene, sondern müssen real politisch und verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Jedenfalls wurden von den unterschiedlichen Strömungen in der rechtswissenschaftlichen Literatur keine Kriterien dafür entwickelt, wann mit welchen Mehrheiten oder unabhängigen Institutionen legitimer Weise zu entscheiden ist. Problematisch ist nun das Verhältnis zwischen dem (hypothetischen und konsensualen) Gesellschaftsvertrag und dem als legitimationstheoretisch vorrangig eingestuften Mehrheitsverfahren. Zwar beruht die Anwendung des Mehrheitsverfahrens auch nach den genannten Auffassungen auf einem vorangegangenen, konsensualen Gesellschaftsvertrag14. Dieser grundlegende Konsens bleibt aber eine vorrechtliche Funktionsvoraussetzung der Mehrheitsentscheidung, er hat zwar grundsätzlich legitimierenden Charakter, aber aus ihm werden keine weitergehenden Schlüsse auf die zu wählenden Entscheidungsverfahren gezogen. Inwieweit vor einer Entscheidung nach dem Mehrheitsprinzip nach Konsens gesucht wird, ist dann nur eine Frage der politischen Kultur. Dem Konsens wird gegenüber dem Mehrheitsprinzip kein grundsätzlich höherer Legitimationsgrad zuerkannt, weil gesteigerte Zustimmungserfordernisse das Prinzip der demokratischen Gleichheit verletzen. Der Minderheit kommen dann höhere Mitwirkungsrechte zu als den

11 M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 294: Das Mehrheitsverfahren bietet so viel Selbstbestimmung wie möglich, gleichzeitig aber auch so viel Fremdbestimmung wie nötig. 12 K. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 18 II 3, Das demokratische Prinzip. 13 K. Stern, Staatsrecht Bd. 1, Das demokratische Prinzip, § 18 II 3, S. 602f. 14 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rz. 140ff. sieht im Basiskonsens die wichtige Grundlage aller weiteren Entscheidungsverfahren.

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Mitgliedern der Mehrheit15. Das Mehrheitsprinzip ist also nicht nur technischer Notbehelf, sondern wird als strukturell angemessen angesehen, weil es die demokratische Gleichheit aller Bürger bei der politischen Mitwirkung am besten gewährleistet16. Das Mehrheitsverfahren entspricht somit der Gleichheit des Wahlakts, in dem „die politische Willensbildung des Volkes kulminiert und sich die allgemeine demokratische Gleichheit als strikte Zählwert- und prinzipielle Erfolgswertgleichheit der Stimmen niederschlägt17". Die Vertreter des legitimationstheoretischen Vorrangs des Mehrheitsprinzips sehen in der vorangehenden hypothetischen Einigung des Gesellschaftsvertrages nur noch eine letztlich folgenlose, theoretische Grundlage für die Wahl von Entscheidungsverfahren, die eigentlich auch ganz entfallen kann. Die aus dem Gesellschaftsvertrag fließende Legitimation bezieht sich also nur auf die Verfahren, die in formeller Weise Freiheit und demokratische Gleichheit gewähren, also den Wahlakt und repräsentative Mehrheitsentscheidung. Die Gewährleistung von Freiheit und Gleichheit mit diesen formellen Verfahren steht legitimationstheoretisch insofern über dem ursprünglichen Konsens, als die Festlegung anderer Verfahren nicht als legitim gilt. Für die Bestimmung der demokratisch legitimen Verfahren ist nicht der Gesellschaftsvertrag ausschlaggebend, sondern der Gedanke, dass nur die formell offenen Verfahren des Mehrheitsprinzips die größtmögliche Freiheit und politische Gleichheit gewähren. Mit dieser Sichtweise wird die Legitimation der demokratischen Entscheidungsverfahren aus vorgegebenen Wertsetzungen - Freiheit und Gleichheit - abgeleitet. Es ist allerdings inkonsistent, zwar den hypothetischen Gesellschaftsvertrag als normative Grundlage zu nehmen, im Ergebnis aber nur auf bestimmte normative Werte abzustellen, aus denen dann auch 15 E.-W. Böckenforde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Kirchhof/Isensee (Hrsg.), HBStR II (2004), § 24 Rz. 52; R. Dahl, Democracy and its Critics, S. 153, nennt darüber hinaus als Nachteil von erhöhten Zustimmungserfordernissen (supermajorities) die Tendenz zur Bewahrung des Status Quo und die Tatsache, dass damit auch keine Politikzyklen vermieden werden. A. A. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rz. 140ff.: Die freie politische Willensbildung beruht danach in erster Linie auf Einigung. Nur dann werden alle beteiligten Interessen optimal berücksichtigt. 16 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Kirchhof/Isensee (Hrsg.), HBStR II (2004), § 24 Rz. 52; A. A. aber K. Stern, Staatsrecht Bd. 1, § 18 I 4 m.w.N: danach wäre es verfehlt, Mehrheitsherrschaft als den beherrschenden Zug eines demokratischen Regimes anzusehen. Allerdings vermittelt auch nach K. Stern, a.a.O. § 18 II 5 das Mehrheitsprinzip den quantitativ größten Grad an Legitimität, weil es der größtmöglichen Zahl an Personen das Gefühl erhält, nur dem eigenen Willen unterworfen zu sein. 17 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 65f.

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unmittelbar auf ein Entscheidungsverfahren geschlossen wird. Letztlich wird so ein Maßstab und Verfahren absolut gesetzt, obwohl das vertragstheoretische Modell gerade keine von außen vorgegeben Werte und daraus zwingend ableitbare Verfahren vorsieht. Entweder kommt dem grundsätzlichen Konsens der höchste Legitimationswert zu oder dem Mehrheitsverfahren. Beides zugleich ist nicht möglich. Wenn aber auf den Gesellschaftsvertrag abgestellt wird, dann müssen theoretisch - mit der entsprechenden Begründung - auch andere Verfahren als das Mehrheitsverfahren legitimierbar sein. Setzt man das Mehrheitsverfahren, abgeleitet aus dem Gedanken der Freiheit und Gleichheit als normativ gegeben fest, bedarf es damit einer anderen Begründung als der des Gesellschaftsvertrages. III. Die demokratietheoretische Berücksichtigung der positiven Analyse 1. Keine Berücksichtigung positiver Analysen Es ist darüber hinaus widersprüchlich, die demokratisch legitimen Entscheidungsverfahren und Institutionen rein normativ abzuleiten und somit die Entscheidungsrealität völlig auszublenden, wenn Demokratie und Legitimation gerade über die Art der Verfahren definiert wird, die Freiheit, Gleichheit oder eine gleichwertige Interessenberücksichtigung gewährleisten. Auch der normative Ansatz definiert demokratische Legitimation über ein formelles und ein materielles Element. Es ist dann unrichtig zu behaupten, die materielle Repräsentation werde durch die formelle Struktur gewährleistet, zugleich aber Faktoren und empirische Belege, die darauf hinweisen, dass dem nicht so ist, auszublenden. Die repräsentative Demokratie bezieht ihre Legitimation letztlich nicht nur aus der gleichheitlichen Beteiligung am Wahlakt, sondern aus ihrer Fähigkeit materielle Anforderungen an die staatliche Ordnung zu gewährleisten18. Der Ausschluss positiver Analysen aus der demokratischen Legitimation bei einigen Autoren ist auf einen historisch idealisierenden Repräsentationsbegriff zurückzuführen sowie einer methodisch unklaren Trennung zwischen positiver und normativer Ebene. Zwar wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur zwischen sogenannten idealistischen und realistischen Modellen

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H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 30ff., 32 sieht die Rechtfertigung des Parlamentarismus nicht in der Repräsentationsfiktion, sondern ihrer sozialtechnischen Fähigkeit zur Erzeugung einer Staatsordnung.

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staatsrechtlicher Repräsentation unterschieden19. Idealistische Modelle verstehen danach Repräsentation „als Realisierung einer höheren Art von Sein, Wertverwirklichung oder Selbstvergütung." Realistische Konzepte „reduzieren Repräsentation zur Herrschaftstechnik, Arbeitsteilung und Interessenvermittlung"20. Beide Konzepte unterlägen aber der Gefahr, das Wesen der Repräsentation zu verfehlen, sei es, dass Repräsentation einen nichtdemokratischen, elitär-aristokratischen Charakter annehme, sei es, dass sie gegenüber der Volkssouveränität als normativ defizientes Surrogat erscheine (dies betrifft die ,realistischen Modelle")21. Allerdings wird das idealisierte Bild des Meinungsbildungsprozesses oft auch als die Wirklichkeit beschreibend erachtet, weil es einen „theoretischen Rückschritt" darstelle, das Funktionieren der Repräsentation alleine an realistischen Konzepten zu messen22. Es wird auf den „Kompromißcharakter" der Demokratie hingewiesen, die nicht nur sozialtechnisches Mittel zur Erzeugung staatlicher Ordnung sei, sondern zur Überwindung gesellschaftlicher Gegensätze berufen und geeignet sei23. In einer solchen Betrachtung verschwimmen normative Maßstäbe und Ziele einerseits und Analyse des „tatsächlichen" Entscheidungsablaufes andererseits. Die Kritik geht fehl, weil sie die normative Ebene nicht klar von der positiven Ebene trennt. „Realistische" Beschreibungen politischer Entscheidungsfindung stellen gerade keinen normativen Maßstab dar, sondern sollen hier nur als positive Grundlage für die demokratietheoretische Bewertung von Institutionen herangezogen werden. Eine Einbeziehung etwa der ökonomischen Theorie in positiver Hinsicht kann die Defizite der Rechtswissenschaft im Bereich sozialen Wirkung des Rechts in der Wirklichkeit, hier der Verfassungsbestimmungen mit denen Entscheidungsverfahren und Institutionen festgelegt werden, beheben24. Ein Grund, warum bisher in der rechtswissenschaftlichen Literatur idealisierende Repräsentationskonzepte gegenüber realistischen Modellen überwiegend als bevorzugt werden, ist, dass sie besser beschrieben, wie in der Repräsentation die politische Einheit des souveränen Volkes zur konkreten 19 H. Hofinann/H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, S. 167, Rz. 9, S. 169 Rz. 12 jeweils m.w.N. 20 H. Hofinann/H. Dreier, a.a.O., S. 167ff. 21 H. Hofinann/H Dreier, a.a.O., S. 167f. 22 H. Hofinann/H. Dreier, a.a.O., S. 171 Rz. 15. 23 H. Hofinann/H. Dreier, a.a.O., S. 170f. Rz. 14. 24 Ebenso A. v. Aaken, „Rational Choice" in der Rechtswissenschaft, Baden-Baden 2001, S. 336.

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Erscheinung komme25. Die Vorstellung, dass es der Mehrheit der gewählten Vertreter freistehen soll, zu beschließen, worauf sie sich einigen können, hängt daher nach Hayek eng mit der Vorstellung der Souveränität des Volkes zusammen26. So betont etwa Schmitt die Repräsentation eines einheitlichen Ganzen als das Wesen der Repräsentation27. Daneben schwingen im Repräsentationsbegriff andere Wertvorstellungen mit, die Repräsentation als etwas Höheres als reine Interessenvermittlung darstellen. Schmitt etwa leitet seinen idealistischen Repräsentationsbegriff aus der Bedeutung der Sache des Regierens ab: Repräsentationsfähig sind nicht mindere oder wertlose Dinge, sondern eine besondere Art des Seins28. Diese besondere Art des Seins wird mit Begriffen wie Größe, Hoheit, Majestät zu erfassen versucht. Die historische Herkunft des idealistischen Repräsentationsgedankens zeigt, dass er nicht eine genaue Analyse der politischen Entscheidungsprozesse geben will, sondern das normative Ziel der Repräsentation beschreiben soll. Es ist dann aber nicht richtig, dieses Ziel zugleich als Wirklichkeitsanalyse heranzuziehen. Analytisch-präzise Entscheidungstheorien werden in der demokratietheoretischen (vor allem rechtswissenschaftlichen) Literatur auch deswegen als ungeeignete Grundlage einer Demokratietheorie erachtet, weil mit dem idealisierenden Verständnis von Repräsentation die Bedeutung von Anreizen für das Entscheidungsverhalten der Repräsentanten als demokratietheoretisch nicht entscheidend angesehen wird. Nach einer solchen Auffassung benötigt inhaltliche Repräsentation zu ihrer Verwirklichung eine ethisch-normative Orientierung der Repräsentanten, die nur in geringem Maße institutionell abgestützt ist29. Demokratie als Organisationsform ist „nicht allein auf organisatorisch-institutionelle und verfahrensmäßige Vorkehrungen angelegt, sondern ebenso auf bestimmte Verhaltensweisen der Menschen"30. Von entscheidender Bedeutung für den Inhalt der politischen Entscheidungen ist nach dieser Ansicht der normative Bezugspunkt politischen Handelns, der 25

Auf diese Eigenschaft der Repräsentationstheorie stellt C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 209, ab. 26 F. A. v. Hayek, Recht, Gesetz und Freiheit, Tübingen 2003, S. 340. 27 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 212. 28 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 210. 29 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR II (2004), § 30 Rz. 27ff.; ders., Demokratische Willensbildung und Repräsentation, HBStR III (2005), § 34 Rz. 50ff 30 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR II (2004), § 30 Rz. 75; ähnlich ders., Demokratische Willensbildung und Repräsentation, HBStR III (2005), § 34 Rz. 50ff.

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nicht primär das eigene selbstbezogene Interesse sein kann31. Dieser Bezugspunkt wird auch als Gemeinwohl-Pflicht mit verfassungsethischem Charakter bezeichnet32. Für den Abgeordneten äußert sie sich nur als ethische Pflicht, in Verwaltung und Gerichtsbarkeit sind diese Pflichten weitgehend verrechtlicht. Kern dieser Aussage ist, dass institutionell bedingte Anreize und Restriktionen, die einer Verwirklichung gemeinwohlorientierten Verhaltens im schlimmsten Fall entgegenstehen, zwar als existierend anerkannt werden, aber für die demokratietheoretische Bewertung staatlicher Institutionen nicht berücksichtigt werden können. Die Demokratie erträgt danach beispielsweise keine institutionellen Vorkehrungen, die dem kurzfristigen Streben nach Wahlerfolg entgegenwirken würden33. Da das formelle Repräsentationsmodell Anreize, die von den Institutionen auf die Entscheidungsträger einwirken ausblendet, geht es auch davon aus, dass die Mehrheitsentscheidung in den Repräsentationsorganen eine gleiche und freie Entscheidungsfindung in inhaltsoffener Weise gewährleistet34. Die demokratische Mitwirkungsfreiheit aller Bürger an der politischen Willensbildung und die dazugehörigen Komplementärgarantien garantieren danach die clauernde Offenheit des politischen Prozesses35. Deutlich zum Ausdruck kommt diese Sichtweise, die die Bedeutung der institutionellen Ordnung ausblendet und nur auf den Willen der Akteure bzw. Entscheidungsträger abstellt in folgenden Worten:

31 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR II (2004), § 30 Rz. 78; ders., Demokratische Willensbildung und Repräsentation, HBStR III (2005), § 34 Rz. 50. 32 R. Herzog, Ziele, Vorbehalte und Grenzen der Staatstätigkeit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (1988) § 57 Rz. 101. 33 E.-W. Böckenforde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR II (2004), § 30 Rz. 29; ders., Demokratische Willensbildung und Repräsentation, HBStR III (2005), § 34 Rz. 52. 34 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987) § 22 Rz. 38; ebenso W. Henke, Der fliessende Staat, in: Der Staat 20 (1981), 580, 588, 592. 35 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 22 Rz. 40. ders., Demokratie als Verfassungsprinzip, HBStR II (2004), § 34 Rz. 38, 40.

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„An Inhalten steckt danach in demokratischer Herrschaft jeweils das, was von den (freien) Bürgern oder deren Repräsentanten in sie hineingegeben und von fortdauerndem Konsens getragen wird.36" Dass diese Ansicht nicht für alle Politikfelder gleichermaßen zutreffend ist, wird in den folgenden Kapiteln 7, 8 und 9 erläutert. Vielmehr stellt die Entscheidung für ein bestimmtes Entscheidungsverfahren in Politikfeldern mit bestimmten Konstellationen von einwirkenden Interessengruppen und Institutionenanordnung (Haushalts-, Währungs- oder Wettbewerbspolitik) auch eine Entscheidung dafür dar, dass ein bestimmtes Ergebnis mit höherer Wahrscheinlichkeit eintritt. Folge der Sichtweise Böckenfördes ist, dass dem personalen Element demokratischer Legitimation vorrangige Bedeutung vor dem sachlichinhaltlichen Legitimationselement zukommt. Den Platz institutionell bedingter Anreizberücksichtigung nimmt der Hinweis auf moralisch-ethische Handlungsmaßstäbe der Repräsentanten ein. Das Fokussieren auf die Herstellung demokratischer Gleichheit beim Wahlakt ist auch darauf zurückzuführen, dass Demokratie im rechtswissenschaftlichen Demokratieverständnis vor allem als Bestimmungsrecht der Herrschenden verstanden wird37 Diese Position kann aber in der dargestellten Striktheit auch von Böckenförde nicht durchgehalten werden. Die Funktionslogik des demokratischen Systems ist auch nach Böckenförde geeignet, die erwünschte Gleichheit und Freiheit in der demokratischen Mitbestimmung zu verfälschen38. An diesem Punkt wird deutlich, dass das Abstellen nur auf den Wahlakt und weitere politische Mitbestimmungsrechte nicht ausreicht, um die Entscheidungslogik des gesamten demokratischen Entscheidungsverfahrens zu erfassen und die Gewährleistung von demokratischer Gleichheit ausreichend zu beschreiben. Dies wurde auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur erkannt, es wurden aber keine Konsequenzen daraus gezogen39. Das Repräsentationsprinzip betone die Weisungsfreiheit der Abgeordneten40 gegenüber den Repräsentierten, z.B. in Art. 38 I 2 GG. Inhaltlich fülle das Konzept symboli36

E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 22 Rz. 38; ders., Demokratie als Verfassungsprinzip, HBStR II (2004), § 34 Rz. 38. 37 K. Stern, Staatsrecht Bd. 1, § 18 II 4, Das demokratische Prinzip m.w.N. 38 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: KirchhofTIsensee (Hrsg.), HBStR I (1987), § 24 Rz. 57. 39 Siehe etwa R. Steinberg, Parlament und organisierte Interessen, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, S. 217ff. 40 M. Jestaedt, Demokratieprinzip und KondominialVerwaltung, S. 194; Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 174.

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scher Repräsentation die entstehende Lücke zwischen Repräsentierten und Repräsentanten mit der Konstruktion der materialen Repräsentation41, die aber, wie in Kapitel 2 gesehen, durch die formalen Mechanismen als gewährleistet angesehen wird. Durch die idealisierende Repräsentationstheorie wird jedoch nicht näher spezifiziert, wie der Wille des Repräsentanten an die Stelle des Willens des Repräsentierten tritt, weder inhaltlich noch prozedural42. Da die periodischen Wahlen jeder verbindlichen inhaltlichen Richtungsgebung entbehren, stellen sie kaum mehr als einen reinen Auswahlmechanismus für das Führungspersonal des Staates dar43. Im Folgenden wird gezeigt, wie versucht wurde, unter Einbeziehung der positiven Analyse das Mehrheitsverfahren weiterhin als vorrangig zu legitimieren. 2. (Teilweise) Berücksichtigung

positiver

Analysen

Dahl vertritt ebenfalls einen legitimationstheoretischen Vorrang des Mehrheitsprinzips in der repräsentativen Demokratie, basierend auf der oben dargestellten normativen Grundlage freiheitlicher und gleichheitlicher Mitwirkung aller an den kollektiven Entscheidungsprozessen44. Er gesteht aber der positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse und damit dem materiellen Element politischer Entscheidungsfindung einen legitimatorischen Einfluss auf die Auswahl und Legitimation der Entscheidungsverfahren und Institutionen zu. Sollte nachgewiesen werden können, dass andere Verfahren als das Mehrheitsverfahren wünschenswertere Ergebnisse im Sinne gleichwertiger Interessenberücksichtigung erbringen, und dadurch der durch den Eingriff in das Mehrheitsverfahren entstandene Legitimationsverlust mehr als kompensiert werden können, sind Abweichungen vom Mehrheitsverfahren legitimiert45. Dies ist nach Dahl aber eigentlich kaum vorstellbar. Eine Verfassungsgerichtsbarkeit beispielsweise garantiert nach Dahl keinen bes41

Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 175. H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 31: „ Sie (die Repräsentationsfiktion) hat die unter dem gewaltigen Druck der demokratischen Idee stehende politische Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts auf einer vernünftigen mittleren Linie gehalten. Indem sie glauben machte, daß die große Masse des Volkes sich in dem gewählten Parlamente politisch selbst bestimme, hat sie die exzessive Überspannung der demokratischen Idee in der Wirklichkeit verhindert; eine Überspannung die nicht ohne Gefahr für den sozialen Fortschritt, weil notwendig mit einer unnatürlichen Primitivierung der politischen Technik verbunden gewesen wäre." 43 So bereits M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 568; auch D. Held, Models of Democracy, S. 157ff. 44 R. Dahl, Democracy And Its Critics, New Häven 1989, Kap. 2. 45 R. Dahl, a.a.O., S. 192.

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seren Schutz der Grundrechte als eine Gesetzgebung nach dem Mehrheitsprinzip und ist daher demokratisch auch nicht legitimiert46. Das repräsentative System und die Anwendung des Mehrheitsverfahrens werden als geeignet beschrieben, die erwünschten materiellen Maßstäbe zu gewährleisten. Nach diesem Konzept legitimiert sich das repräsentative System neben dem Wahlakt insbesondere über die öffentliche Meinung, Bürgerinitiativen, Interessenverbände und vor allem die Parteien, die die gesellschaftlich formierten Interessen in Parlament und Regierung zur Geltung bringen und die Beteiligung der Bürger am politischen Entscheidungsprozeß gewährleisten47. Diesen neben dem Wahlakt anerkannten Legitimationselementen wird aber nur in sehr restriktivem Maße Bedeutung für die Auswahl und Legitimation demokratisch legitimer Verfahren zugemessen. Sie werden letztlich nur zur Untermauerung der Legitimation des repräsentativen Mehrheitsverfahrens herangezogen. Es wird nicht systematisch geklärt, ob und in welchen Fällen eine Abweichung vom Mehrheitsverfahren zulässig sein soll und wie eine demokratische Legitimation in diesem Fall begründet werden kann. Der Grund hierfür liegt darin, dass diese Auffassung ebenfalls auf dem Gedanken aufbaut, dass die repräsentative Demokratie über die Instrumente Wahlakt und Mehrheitsentscheid im Parlament eine gewisse Gleichheit und Freiheit der Bürger in der politischen Mitbestimmung garantiert. Dem personalen Legitimationselement wird damit zusammenhängend weiterhin eine vorrangige Bedeutung zugemessen. Eine Abweichung vom Mehrheitsverfahren wird als ein automatisches „Minus" an Legitimation wahrgenommen, das durch besonders effiziente Ergebnisse gerechtfertigt werden muss. Daran ist zu kritisieren, dass unmittelbar aus der Freiheits- und Gleichheitssicherung auf das Mehrheitsverfahren geschlossen wird. Richtiger wäre es nach der - auch bei Dahl - zugrundeliegenden Idee eines konsensualen Gesellschaftsvertrages, zu fragen, auf welche Entscheidungsverfahren sich die Individuen im Konsens einigen könnten. Dem Konsens kommt wie oben gesehen die erste und grundlegendste legitimationstheoretische Bedeutung zu. Soweit nachgewiesen und bekannt ist, dass das Mehrheitsverfahren in einer repräsentativen Demokratie in bestimmten Politikfeldern dazu neigt, Ergebnisse hervorzubringen, die im Konsens abgelehnt würden (etwa stetig steigende Staatsverschuldung, Inflationsanfälligkeit), kann wohl nicht von einem theoretischen Vorrang des Mehrheitsverfahrens ausgegangen werden. 46 47

R. Dahl, a.a.O., S. 192. Siehe etwa K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 68.

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Das gleiche gilt, wenn das Mehrheitsverfahren Grundrechte schlechter schützt als eine Verfassungsgerichtsbarkeit. Die Wahl aller Entscheidungsverfahren hängt davon ab, was von ihnen inhaltlich erwartet wird. So gehen die Vertreter des Vorrangs des Mehrheitsprinzips etwa davon aus, dass durch dieses der offenste und freieste Gemeinwohlbestimmungsprozess erfolge48. Zwar ist die Ableitung verschiedener Entscheidungsverfahren aus dem Konsens nur hypothetisch, weil ein realer Konsens alleine aus praktischen Gründen kaum zu erreichen ist. Aber auch die Rechtfertigung des Vorrangs des Mehrheitsverfahrens in den Repräsentationsorganen beruht auf der hypothetischen Annahme, das Mehrheitsverfahren sei konsensfähig, denn es eröffne die Herstellung von Gleichheit und Freiheit, wenn auch nur in begrenztem Maße. Das personale Legitimationselement ist damit nur solange vorrangig, wie man auch dem formellen Mehrheitsverfahren den legitimationstheoretischen Vorrang einräumt. Geht man davon aus, dass im hypothetischen Konsens ein anderes Verfahren als das der unmittelbaren Wahl festgelegt würde, etwa für die Gerichtsbarkeit, verliert das personale Legitimationselement seine Bedeutung. Nur wenn man die Ableitung des Mehrheitsverfahrens aus den Prinzipien der Gleichheit und Freiheit absolutiert, ist man auf diese hypothetischen Überlegungen nicht angewiesen. Werden aber die normativen Maßstäbe Freiheit und Gleichheit normativ absolut gesetzt, bedürfen sie einer anderweitigen Legitimation als durch einen konsensualen Gesellschaftsvertrag, etwa einer naturrechtlichen. Auch diese Herleitungen bleiben aber hypothetisch. Im Ergebnis krankt die hier vorgestellte Variante des funktionalen Legitimationsmodells an den theoretischen Inkonsistenzen, die sich aus der Vorstellung des Vorrangs des Mehrheitsverfahrens ergeben. 3. Auswirkungen auf die

Verwaltungsorganisation

Ebenso wie das formale Repräsentationsverständnis muss auch das hierarchische Exekutivmodell in Frage gestellt werden. Dessen theoretische Grundlagen fußen wieder auf einer Vermengung von normativer und tatsächlicher Ebene, weil davon ausgegangen wird49, dass das normative Ziel („Volkswille" soll umgesetzt werden) in tatsächlicher Hinsicht am besten durch eine einheitliche Organisationsstruktur, die sich an dem formal48

E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 22 Rz. 38. Siehe dazu Kapitel 8. 49 Siehe Teil 1 Kapitel 2.

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Demokratieprinzip

idealisierenden Bild des Entscheidungsprozesses orientiert, umgesetzt werde. Dieses Modell wurde jedoch auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur kritisiert: „Die Mechanismen der parlamentarischen Repräsentation, der Verantwortlichkeit der Regierung und der Lenkung der Verwaltung sind jeweils für sich, erst recht aber in ihrem Zusammenwirken außerordentlich komplizierte Verfahren der Legitimationssicherung, die durch vielfältige rechtliche Regeln strukturiert werden. Sie sind wechselseitig verflochten und können nicht in lineare Willensbeziehungen aufgelöste werden. Einen „Allgemeinwillen", des Volkes, den die Staatsorgane lediglich zum Ausdruck bringen, gibt es nicht.50" Mit der Festlegung auf die Erreichung bestimmter normativer Ziele ist noch keine eindeutige Schlussfolgerung möglich, welche institutionellen Gestaltungsformen am besten geeignet sind, diese Ziele zu definieren, zu konkretisieren und durchzusetzen. Vielmehr müsste dafür der politische Meinungsbildungsprozeß positiv analysiert und der Staats- und Verwaltungsaufbau entsprechend eingerichtet werden. Dementsprechend stößt das Konzept der Steuerung der Regierung und Verwaltung durch Gesetz und Kontrolle auch in tatsächlicher Hinsicht auf Schwierigkeiten. Die Annahme, Interessenabklärung könne abschließend im Parlament oder auf Regierungsebene stattfinden, während die Exekutive sich auf den regelgeleiteten Vollzug vorgegebener Wertentscheidungen beschränkt, kann als wirklichkeitsfern angesehen werden51. Vielmehr ist die Gesetzesanwendung als Abwägungsprozeß von zu konkretisierenden Direktiven zu sehen. IV. Normativer Maßstab der gleichwertigen

Interessenberücksichtigung

Auch wenn man die Meinung ablehnt, das Mehrheitsverfahren sei das demokratietheoretisch vorzugswürdige Verfahren, kann man immer noch am materiellen Grundsatz gleichwertiger Interessenberücksichtigung festhalten 50

Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 172f.; so bereits H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 32: „ (...) daß der durch das Parlament gebildete Staatswille durchaus nicht der Wille des Volkes sei, und das das Parlament den Willen des Volkes schon darum nicht ausdrücken könne (...)." 51 Vgl. Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 196; Nur mit einem solchen Verständnis konnten H. Kelsen den Vollzug der Gesetze durch Richterschaft und Verwaltung als vom demokratischen Prinzip getrennte und nur an der Legalität orientierte Ausführung der Gesetze verstehen. Siehe H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 69f.

Die Kritik des funktionalen Legitimationsmodells

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und untersuchen, ob man diesen Grundsatz als konsensfähige Grundlage für den Gesellschaftsvertrag zur Anwendung bringen kann. Der Grundsatz gleichwertiger Interessenberücksichtigung stellt die materielle Rechtfertigung des Vorrangs des Mehrheitsprinzips dar, wobei nach den Vertretern des Vorrangs des Mehrheitsprinzips nur über die formelle Gleichheit bei den kollektiven Entscheidungsverfahren die Interessen aller in gleichem Maße gesichert werden52. Die gleichwertige Berücksichtigung aller Individualinteressen im kollektiven Handeln ist ein allgemein anerkannter normativer Maßstab kollektiven Handelns, der aus dem individualistischen Vertragsansatz abgeleitet wurde. Der Vertragsgedanke und das Ziel gleichwertiger Interessendurchsetzung finden sich beispielsweise bei Rousseaus Konstruktion des Gemeinwillens. Rousseau konzipiert den Gesellschaftsvertrag als Einigungsvertrag, den die Individuen um ihres eigenen Vorteils willen eingehen. Er sei die „Form des Zusammenschlusses, die mit ihrer ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes einzelnen Mitglieds verteidigt und schützt und durch die doch jeder, indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und genau so frei bleibt wie zuvor.53" Frei wie zuvor und nur sich selbst gehorchend ist der Einzelne aber nur in den Fällen, in denen ein Interessengleichlauf mit den anderen Individuen besteht. Das Gemeinwesen muss daher nach Rousseau so beschaffen sein, dass das Handeln des Einzelnen zugleich das Handeln eines jeden Mitglieds ist. Dies ist nur der Fall, wenn das kollektive Handeln des Gemeinwesens durch einen allgemeinen Willen bestimmt wird54. Der Willen ist dabei nicht nur formal allgemein, weil er alle Individuen betrifft, er ist nicht nur eine Aggregation von individuellen Präferenzen, sondern er ist geprägt von dem allgemeinen Interessen Freiheit und Gleichheit, deren Wahrung Aufgabe des Gesellschaftsvertrages ist55. Freiheit und Gleichheit sind nach Rousseau damit die Punkte, in denen sich ein Interessengleichlauf der Bürger feststellen lässt. An diesem Punkt findet sich der Gedanke gleichwertiger Interessenberücksichtigung für die kollektive Entscheidung, abgeleitet aus dem Individualinteresse: Freiheit und Gleichheit der einzelnen Individuen sind gleichermaßen zu respektie-

52

Siehe Kapitel 2 A. J.-J. Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 1. Buch, 6. Kapitel, Vom Gesellschaftsvertrag, S. 17. 54 J.-J. Rousseau, a.a.O., S. 18. 55 J.-J. Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 2. Buch, 11. Kapitel, „Von den verschiedenen Arten der Gesetzgebung", S. 56. 56 Rousseau wurde in der Folge teilweise so verstanden, daß die Durchsetzung des Gemeinwillens auch mit Gewalt erfolgen könne. Th. Petersen, Individuelle Freiheit und all53

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Demokratieprinzip

Auch bei Locke findet sich der Gedanke gleichen Einflusses aller Bürger auf das kollektive Handeln durch gleiche Repräsentation57. Insgesamt konzentriert sich Locke in seinen Abhandlungen aber mehr auf das Verhältnis des kollektiven Handelns gegenüber dem Einzelnen und dem Schutz der Rechte des Einzelnen. Im 20. Jahrhundert wirkt der Gedanke gleichwertiger Interessenberücksichtigung, etwa bei Dicey, fort: Eine individualistisch geprägte normative Demokratietheorie gehe davon aus, dass sich Interessen proportional zu ihrer Bedeutung für die Anzahl der Betroffenen durchsetzen58. Der individualistische Vertragsansatz der Demokratietheorie findet sich auch bei den normativen sozialwissenschaftlichen und ökonomischen Theorien wieder, die seit Anfang der siebziger Jahre entwickelt wurden59. Die Ansätze von Rawls oder Buchanan beruhen auf dem individualistischen Vertragsansatz60, in Form des sogenannten „normativen Individualismus"61. Wertentscheidungen sind danach nur mit den Wertentscheidungen von Individuen legitimierbar. In Hinblick auf diese individualistische Basis korrespondieren die Theorien von Buchanan oder Rawls mit den genannten älteren demokratietheoretischen Ansätzen. Insbesondere Buchanans Theorie beinhaltet aber keinen normativen Grundsatz gleichwertiger Interessenberücksichtigung mehr, wie unter II. dargelegt wird. In der heutigen deutschen Demokratietheorie wird der Gedanke gleichwertiger Interessenberücksichtigung aus dem materiellen Element des De-

gemeiner Wille, S. 179 zeigt die Probleme der zwanghaften Durchsetzung des Gemein willens auf, die in der Folge aus Rousseaus Ansatz entstehen, für die vorliegende Untersuchung aber keine Rolle spielen, weil hier nur auf das Prinzip gleichwertiger Interessenberücksichtigung eingegangen wird. 57 J. Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, Buch 2, 13. Kapitel, „Die Rangordnung der Gewalten im Staat", § 158. 58 P. Craig, Public Law and Democracy, S. 34 über das Demokratiemodell von Dicey, Law of the Constitution, S. 84f. 59 D. Castiglione, Contracts and Constitutions, in R. Bellamy, V. Bufacchi & D. Castiglione (Hrsg.), Democracy and Constitutional Culture in the EU, London 1995, S. 65ff. teilt die seit den sechziger Jahren entstandenen Vetragstheorien in ökonomische, politische und einen hypthetische Vertragstheorien ein. Ökonomische Vertragstheorien stellen auf Vertragsschluss aufgrund Eigeninteressen ab. Politische Vertragstheorien legen einen Schwerpunkt auf die Umstände des Vertragsschlusses, insbesondere die öffentliche Debatte als wesentliches Merkmal kollektiver Entscheidungsfindung. Hypothetische Vertragstheorien sind demgegenüber weniger prozedural orientiert, sondern zielen unmittelbar auf die Sicherung und Übereinstimmung über materielle Werte ab. 60 Siehe etwa G. Brennan/J. M. Buchanan, Die Begründung von Regeln, S. 25, oder die Theorie von J. Rawls, A Theory of Justice, Cambridge/Mass., 1971. 61 Siehe Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 20f. m.w.N.

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mokratieprinzips abgeleitet62. Dem formal - demokratischen Gebot der gleichen Mitwirkung aller beim Zustandekommen der Entscheidungen entspricht auf materiell - inhaltlicher Ebene die angemessene Berücksichtigung aller Interessen63. Dem individualistischen Demokratiemodell liege ein Gesellschaftsmodell zugrunde, wonach der Umfang des Einflusses aller Individuen auf den politischen Prozess nicht sehr weit voneinander abweichen soll64. Die Bedeutung, die den Interessen nach demokratischen Grundsätzen zukommt, hängt danach wesentlich von der Zahl der jeweils berührten Interessenträger ab, also dem Grad der allgemeinen Verbreitung eines Interesses, und der Intensität des Interesses bei den Einzelnen. Die sogenannte „normative pluralistische Demokratietheorie" weicht von dem rein individualistischen Konzept ab und setzt an dessen Stelle ein gruppenorientiertes Modell65. Die Durchsetzungskraft der Gruppen wird dabei teilweise zu einem normativen Leitbild der Demokratie erhoben66. Dieser Übergang vom beschreibenden Pluralismus, der nur das Funktionieren des politischen Entscheidungsprozesses erklären wollte, hin zu einer normativen Ideologie, die den freien Gruppenbildungsprozeß als Ausdruck eines freien Staatswesens begriff, wurde von Nicholls mit den Worten gefasst: „Pluralism became not only an account of what is, but an outline of what ought to be.67" Tatsächlich sind in Demokratien viele Elemente politischer Willensbildung in Demokratien in Form von Parteisystemen und anderen Gruppenelementen organisiert. Allerdings sind diese wie der Parlamentarismus selbst nur Umsetzungsformen des Modells Demokratie. Auch die pluralistische Demokratietheorie, beruhend auf einem Vertragsmodell, stellt ursprünglich auf einen individualistischen Ansatz ab68. Vertragspartner, die den Staat begründen und legitimieren, sind die Individuen und nicht Gruppen. Der Schritt, den tatsächlich gruppengeprägten politischen Entscheidungsprozeß zum normativen Leitbild zu erheben, gibt damit die eigenen individualisti-

62

K. Stern, Staatsrecht Bd. 1, § 18 II 3, Das demokratische Prinzip. Vgl. BVerfGE 5, 85, 198: Nach dem vom Grundgesetz vorausgesetzten Ideal der „sozialen Demokratie in den Formen des Rechtsstaates" wird „annähernd gleichmäßige Förderung des Wohls aller Bürger und annähernd gleichmäßige Verteilung der Lasten (...) grundsätzlich angestrebt." 64 R. Herzog, Ziele, Vorbehalte und Grenzen der Staatstätigkeit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR III, § 58, Rz. 85, 89. 65 S.o.: Pluralismus geht von der Bedeutung von Gruppen im politischen Prozess aus. 66 P. G. Kielmansegg, Volkssouveränität, S. 179f.; W. Heun, Das Mehrheitsprinzip, S. 15. 67 D. Nicholls, Three Varieties of Pluralism, S. 25. 68 P. Craig, Public Law and Democracy, S. 86; J. M. Buchanan/G. Tullock, The Calculus of Consent, S. 3f„ 12f. 63

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sehen Wurzeln der Demokratietheorie preis und ersetzt ihn durch eine normative Erhöhung eines Umsetzungsmittels. Bei Autoren zur pluralistischen Demokratietheorie wie Dahl, die die Trennung von analytischer Ebene und normativem individualistischen Grundsatz beibehalten, findet sich der Gedanke gleichwertiger Interessendurchsetzung wieder69. Ideal der Demokratie sei, dass die von jedem Bürger ausgeprägte Präferenz gleiches Gewicht besitze. Während des Prozesses kollektiver Entscheidungsfindung solle jeder die gleichen und adäquaten Gelegenheiten haben, seine Präferenz zum Ausdruck zu bringen. In den modernen zahlen- und flächenmäßig großen Demokratien sei diese reine Form nicht mehr praktikabel. Entscheidend sei, dass der gleiche Einfluss sich nicht nur auf den Wahlakt beschränke und die Regierungszeit zwischen den Wahlen außer Acht lasse. Gerade zwischen den Wahlen kämpfen die Interessen um Einfluss. Es kommt daher darauf an, auch für diesen Zeitraum durch geeigneten Institutionenaufbau das Ziel gleichen Einflusses zu erstreben70 Mit gleichwertiger Interessenberücksichtigung ist dabei kein fixer Maßstab im Sinne von Gewichtungen bei Endergebnissen gemeint, sondern ein prozeduraler Maßstab. Gleichwertige Interessenberücksichtigung meint eine gleichartige Berücksichtigung individueller Präferenzen im kollektiven Entscheidungsprozeß. Die individuellen Interessen sollen deutlich und erkennbar gemacht werden, um Berücksichtigung finden zu können, und dann in den Abwägungsprozess ihrer Bedeutung gemäß Berücksichtigung finden71. Für einen solchen normativen Maßstab sprechen zwei Gründe: Zum einen ist er für alle Vertragspartner des Gesellschaftsvertrages zustimmungsfähig, weil auch im Bereich kollektiven Handelns eine ausreichende Berücksichtigung ihrer Interessen erhalten wird. Zum anderen entspricht die gleichwertige Interessenberücksichtigung auf kollektiver Ebene der individualistischen Grundlage des Vertragsansatzes: Der Vertragsschluss zur Begründung kollektiven Handelns beruht ja auch in individueller Hinsicht gerade auf der Anerkennung der Interessen der anderen Individuen, insbesondere an der Einhaltung der vereinbarten Regeln. Nur ein solchermaßen verstandenes Eigeninteresse kann die normative individualistische Basis des Vertragsschlusses und einer kollektiven Handlungstheorie sein, weil ansonsten der gedachte Vertragsschluss zu einem Akt ohne Inhalt entwertet wird. In die 69

R. Dahl, Democracy and its Critics, S. 86 spricht von der equal consideration of interests als einer Grundlage der Rechtfertigung des demokratischen Entscheidungsprozesses. Siehe dazu auch I. Heinemann, Public Choice und moderne Demokratietheorie, S. 179. 70 R. Dahl, A Preface to Democratic Theory, Kap. 2. 71 R. Dahl, Democracy and its Critics, S. 86f.

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kollektive prozedurale Interessenberücksichtigung können also nur Interessen eingehen, die ihrerseits andere Interessen grundsätzlich berücksichtigen. Dieses letzte Element ist eine normative Begrenzung für die Berücksichtigung individueller Interessen im Prozess kollektiver Interessenabwägung. Als Konsequenz dieses Kriteriums muss auch die institutionelle Ausgestaltung des kollektiven Handelns so ausgerichtet sein, dass das Vertragsziel einer gleichwertigen Beachtung individueller Interessen im Rahmen des kollektiven Handelns erfüllt wird.

B. Rechtswissenschaftlicher Konstitutionalismus und unabhängige Institutionen I. Konstitutionalisierungsformen

in rechtlicher

Sichtweise

In der rechtswissenschaftlichen „Konstitutionalisierungsdebatte"72 wird danach gefragt, inwieweit Verfassungsrecht, insbesondere die Grundrechte, das kollektive Handeln binden, indem sie in die einfache Rechtsordnung „ausstrahlen", das heißt Gesetze mit besonderer Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Lage erlassen, geändert oder aufgehoben werden73. Einer solchen Bindung steht der Anspruch des demokratisch gewählten Gesetzgebers auf Gestaltungsfreiheit gegenüber. Dieser Anspruch spiegelt sich in dem Gedanken der Eigenständigkeit der einfachen Rechtsordnung gegenüber dem Verfassungsrecht wider. Im Rahmen der rechtswissenschaftlichen Konstitutionalisierungsdebatte wird beobachtet, wieweit verfassungsrechtliche Regelungen in früher einfachgesetzlich geregelte Bereiche hinein ausgedehnt werden74.

72

Ein Überblick findet sich bei G. F. Schuppert/Chr. Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung: Überlegungen zum Verhältnis von verfassungsrechtlicher Ausstrahlungswirkung und Eigenständigkeit des „einfachen" Rechts, Baden-Baden 2000 m.w.N.; R. Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht - Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, in: VVDStRL 61 (2002), S. 8 - 30. 73 G. F. Schuppert/Chr. Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, S. 46f; diese Diskussion wird mit verschiedenen Begriffen geführt, unter anderem der „Schutzpflichtwirkung", „Leistungsrechten", „Organisations- und Verfahrensgehalten", siehe Chr. Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 74 m.w.N. 74 G. F. Schuppert/Chr. Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, S. 47. Beispiele dafür sind das neue Asylrecht in Art. 16a GG, die Mitwirkungsbefugnisse der Bundesländer auf gemeinschaftlicher Ebene nach Art. 23 GG, sowie die Überlegungen zu Art. 13 GG bezüglich der Ermöglichung eines „großen Lauschangriffes".

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Demokratieprinzip

Während die einen dabei eine „Überkonstitutionalisierung" beobachten wollen75, sehen andere eine richtige Entwicklung, die Chancen und Gefahren birgt76. An der Konstitutionalisierung wird kritisiert, dass solch verfassungsunmittelbare Detailregelungen die Gefahr in sich tragen, den parlamentarischen Gesetzgeber gleichsam zu „subalternisieren"77. Eine Regelung wie Art. 16a GG lasse beispielsweise eine originäre Asylpolitik auf einfachrechtlicher Ebene allenfalls noch in Ansätzen zu. Dadurch werde die Staatsfunktion Gesetzgebung in diesem wichtigen Politikfeld weithin auf bloßen Verfassungsvollzug reduziert. Eine solche „Reduktion verträgt sich aber nur begrenzt mit der primären Aufgabe des Gesetzgebers im demokratischparlamentarischen System, die politischen Leitlinien staatlichen Handelns zu definieren - und natürlich auch (namentlich in Wahlen) politisch zu verantworten.78" Als äußere Grenze demokratischer Mehrheitsentscheidungen werden jedenfalls die Wahrung der Freiheitsrechte, die Gleichheit der politischen Mitwirkungsrechte und dabei insbesondere die gleiche Chance politischer Machtgewinnung angesehen79. Wie genau diese Grenze und eventuell weitere Grundrechte den parlamentarischen Gesetzgeber beschränken und als Grundlage für die Legitimation unabhängiger Institutionen dienen können, die ihre Einhaltung überwachen, wird im Folgenden untersucht. II. Versuch der Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Konstitutionalisierungsprozesses Zentraler Ausgangpunkt des Grundrechtsschutzes nach deutschem verfassungsrechtlichen Verständnis und des hier behandelten rechtswissenschaftlichen Konstitutionalismusansatzes ist die Verpflichtung allen staatlichen Handelns zur Wahrung der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 und Abs. 3 GG80. Dieser Schutzauftrag durchzieht das gesamte staatliche Handeln und wirkt in diesem Sinne konstitutionalistisch, das heißt bindend für die demokratischen Entscheidungsprozesse. Der Schutz der Menschenwürde konkre75

Statt vieler E.-W. Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 197ff. 76 R. Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht - Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, in: VVDStRL 61 (2002), S. 12ff. 77 So R. Scholz/K. G. Meyer-Teschendorf, Politisiertes Verfassungsrecht, DÖV 1998, S. 16. 78 R. Scholz/K. G. Meyer-Teschendorf, Politisiertes Verfassungsrecht, DÖV 1998, S. 16. 79 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR II (2004), Rz. 54f. 80 Siehe P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: Kirchhof/Isensee (Hrsg.), HBStR I (1987), § 20 Rz. 74ff.

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tisiert sich dann über eine Vielzahl weiterer Verfassungsbestimmungen, insbesondere der Grundrechte81. Als eine von diesen ausgehende Form der Konstitutionalisierung wird in diesem Abschnitt die objektive Interpretation der Grundrechte82 untersucht, aus der die Figur des Grundrechtsschutzes durch Organisation und Verfahren entwickelt wurde. Es wird gezeigt, dass es sich bei der Figur des Grundrechtsschutzes durch Organisation um die normative Grundlage für die staatliche Wahrnehmung von Aufgaben durch unabhängige Institutionen handelt, beispielsweise in den Bereichen Rundfunk* und Forschungsfreiheit. Für die Beantwortung der Frage, wieweit der demokratische Entscheidungsprozeß durch normative Festlegungen83 eingeengt werden können sollte, wurden bisher verschiedene Erklärungsansätze entwickelt84. Bisher wird als Mindestgrad an gebotener verfassungsrechtlicher Festlegung der Schutz von individuellen Rechten und von Gruppenrechten vor kollektiven Entscheidungen angesehen. Die normative, „obere" Grenze der Konstitutionalisierung wird in dem Erfordernis der Wahrung des Demokratieprinzips, also der Entscheidungsfreiheit der demokratisch gewählten Institutionen im Bereich kollektiver Ziele gesehen. Im Bereich zwischen individuellen Grundrechten einerseits und demokratisch-politischem Lenkungsanspruch andererseits herrscht aber wenig Klarheit darüber, welche Aufgabenfelder durch verfassungsrechtliche Festlegungen dem politischen Entscheidungsprozeß entzogen werden sollten. Allgemein übereinstimmend wird gefordert, dass der Prozess der Konstitutionalisierung so begrenzt bleiben muss, dass es der 81

P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: Kirchhofflsensee (Hrsg.), HBStR I (1987), § 20 Rz. 6 mit Hinweis und Nachweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und zur Kritik diesen Ansatzes. 82 Die „Konstitutionalisierung" reicht über den Bereich der Grundrechte hinaus, wird in diesem aber sehr deutlich (so auch R. Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht, a.a.O., S. 13f.). Kritisch zur Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Grundrechtswirkung Chr. Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 60ff. 83 Eine faktische Grenze wird als „Sättigungsprozeß" der Konstitutionalisierung bezeichnet. Danach schreitet die Konstitutionalisierung nur soweit voran, wie der Vorteil durch Zuwachs an Verfassungsbestimmtheit der einfachen Rechtsordnung die nachteiligen Folgen für den demokratischen Gestaltungsprozeß und die Eigenständigkeit der einfachen Rechtsordnung überwiegt. Als Beispiel werden die Entwicklung der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie genannt, dem die einfache Rechtsordnung mittlerweile weitgehend entspricht, die verfassungsrechtliche Aufladung des Verfahrensrechts sowie die verfassungskonforme Auslegung des Rechts der Untersuchungshaft und des Rechts auf Berufszulassung nach Art. 12 GG, siehe G. F. Schuppert/Chr. Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, S. 63ff. 84 Siehe etwa J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben, in J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (1988), § 57 Rz. 74ff; K.P. Sommermann, Staatsziele, S. 428ff.; H. H. v. Arnim, Staatslehre, S. 176f.; Mehr dazu unten unter „Grenzen der Konstitutionalisierung".

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Demokratieprinzip

politischen Mehrheit möglich bleibt, weitreichende gesellschaftliche und rechtliche Veränderungen in Gang zu setzen, etwa im Bereich des Umbaus der Sozialsysteme85. Allgemeine und einigermaßen konkret formulierte Grenzen lassen sich aus solchen Gedanken aber bisher nicht ziehen86. Ein Ansatz zur Erklärung, in welchen Bereichen es sinnvoll sein kann, kollektive Ziele bindend festzulegen, bietet sich von Seiten der Grundrechtstheorie, nach der Grundrechte nicht nur ein subjektives Abwehrrecht darstellen, sondern die gesamte Rechtsordnung als objektiven Wertmaßstab durchziehen87. Neben dem subjektiven Rechtsschutz ist auch das Bedürfnis eines objektiven Rechtsschutzes anerkannt88. In diesen Bereichen kann das kollektive Handeln als an die objektiven Handlungsmaßstäbe gebunden angesehen werden. Mit einem individualistischen Begründungsansatz kann zwischen objektivem und subjektivem Grundrechtsschutzes differenziert werden. Das dafür angewandte Differenzierungskriterium unterscheidet zwischen subjektivem Recht einerseits und subjektiven Interessen andererseits. Nach Häberle besteht in manchen Bereichen zwar ein subjektives Interesse an einer Staatsorganisation, die individuelle Interessen wahrnimmt oder schützt, ein subjektives Grundrecht kann daraus aber nicht abgeleitet werden89. Grundrechtsgebotene Organisation im objektiven Sinn sichert dann diese Grundrechtsinteressen ab. Üblicherweise werden in diesem Zusammenhang Universitäten und Rundfunkanstalten als Beispiele genannt. Der Ansatz kann mit der Figur des Grundrechtsinteresses aber weiter ausgedehnt werden. Beispielsweise könnte eine Verschuldungsgrenze des Staates als Schutz eines individuellen Interesses verstanden werden, nämlich als Schutz des einzelnen Bürgers vor einem wirtschaftlich unverantwortlichen Handeln der Staatsorgane90. In diesem Sinne argumentierte das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil, als es die Festlegungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes im Rahmen der Europäischen Währungsunion als Garantie für die Stabilität der künftigen europäischen Währung an-

85

Dazu E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 22, Rz. 97; K. P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, S. 42Iff. 86 So G. F. Schuppert/Chr. Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, S. 66. 87 E. Schmidt-Aßmann: Der Rechtsstaat, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 24, Rz. 46. 88 Siehe dazu Th. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 209ff. 89 P. Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), S. 122. 90 So die Advisory Commission on Intergovernemental Relations, in: Fiscal Discipline in the Federal System: National Reform an the Experience of the States, S. 33.

Die Kritik des funktionalen Legitimationsmodells

195

führte91. Mit diesem Urteil führte das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zur Verrechtlichung der Finanzpolitik fort, die bereits (in schwacher Form) mit einem 1989 ergangenen Urteil bezüglich der Verschuldungsgrenze des Art. 115 GG begonnen hatte92. Eine weitergehende, grundrechtstheoretische Begründung für die Einschränkung der Kompetenzen der demokratisch gewählten Institutionen unterblieb aber. Auch die Festlegung der Währungspolitik auf die Sicherung der Währungsstabilität und die Wahrnehmung der Währungspolitik durch eine unabhängige Zentralbank könnte aus dem Eigentumsrecht des Art. 14 GG und einem daraus folgenden individuellen Anspruch auf antiinflationäre Politik begründet werden. Zwar wird die Wahrnehmung der Währungspolitik mehr als kollektive Aufgabe, als ein individuelles Recht verstanden. Die Festlegung der Währungspolitik auf Bekämpfung der Inflation und Sicherung der Währungsstabilität kann aber mit der Sicherung subjektiver Grundrechtsinteressen begründet werden. In diesem Sinne erkannte das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil die Bildung der EZB als legitim an, weil der Schutz der Währungsstabilität dem politischen Prozess entzogen werden müsse93. In dem so genannten Euro-Beschluss aus dem Jahr 1998 konstruierte das Bundesverfassungsgericht in sehr allgemeiner Weise eine grundsätzliche währungspolitische Stabilitätspflicht des Staates aus dem Grundrecht auf Eigentum94. Aus der Einbeziehung des Geldwertes in den Schutzbereich des Art. 14 GG resultiere eine Schutzpflicht des Staates gegenüber den Geldeigentümern. Aus dieser Eigentumsgarantie wird aber keine uneingeschränkte Stabilitätspflicht des Staates abgeleitet, insbesondere

91

BVerfGE 89, 155, 202. BVerfGE 79, 311 ff.; das Bundesverfassungsgericht betonte in diesem Urteil zu den Voraussetzungen eines verfassungsgemäßen Haushalts (S. 342), daß Art. 115 GG der Gedanke zugrunde liegt, daß „es dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben muß, über die Höhe der Kreditaufnahme zu befinden und damit die Kreditaufnahme des Bundes zu steuern." Siehe dazu auf Seite 342 den Hinweis auf den schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses, zu BT-Drs. V/3605, S. 13. Auch L. Osterloh, Staatsverschuldung als Rechtsproblem?, in: NJW 1990, S. 147 stellt fest, daß die entscheidende Passage, die den Haushalt von 1981 für letztlich verfassungskonform hält, den Vorrang des Parlamentes vor verfassungsrechtlicher Konkretisierung betont. Der Verrechtlichungsansatz blieb noch recht schwach ausgeprägt. Aus Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG leitete das Verfassungsgericht einen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber ab, der den Begriff der Investition näher auszugestalten habe. Dabei soll der Gesetzgeber nach Auffassung des Gerichtes diese Begriffsbestimmung anhand der bislang gewonnen Erfahrungen vornehmen, um so künftig seiner Funktion nachzukommen und einer den Bundeshaushalt zu stark belastenden Staatsverschuldung vorzubeugen. 93 BVerfGE 89, 155, 209. 94 BVerfGE 97, 350, 371. 92

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Demokratieprinzip

keine verpflichtenden Zielbestimmungen für die Geldpolitik95. Vielmehr wird vom Bundesverfassungsgericht betont, dass der Staat den Geldwert wegen dessen Außenbeziehungen zu anderen Währungen und den Einflüssen des Wirtschaftsgeschehens auf die Währungsstabilität allgemein nicht garantieren könne96. Der Staat müsse der Staat aber die institutionelle Grundlage für den grundrechtlichen Schutz der Geldpolitik gewährleisten. Diese Schutzpflicht aus Art. 14 GG verwirklicht sich in der Pflicht der Bundesbank nach § 3 BBankG zur Sicherung der Stabilität der Währung97. In diesem Sinne könnte auch ein subjektives Interesse an Wettbewerb konstruiert werden, der im Rahmen objektivrechtlicher Bindung das kollektive Handeln auf die Sicherung dieser Interessen verpflichtet. Es handelt sich allerdings bei der Entscheidung, ob in bestimmten Aufgabenbereichen subjektive Rechte oder Interessen in dem Maße vorliegen, dass eine objektivrechtliche Bindung legitim erscheint, um Wertentscheidungen. Ein zweiter, nicht individualistisch, sondern kollektivistisch begründeter Ansatz zur Erklärung des Inhaltes der objektiven Grundrechtswirkung stellt darauf ab, dass grundrechtsbezogene Organisation dem Einzelnen als Glied einer Gesamtheit diene, subjektive Rechte auf eine bestimmte Organisation aber nicht vorlägen98. Betont wurde vom Bundesverfassungsgericht beispielsweise früher die Bedeutung der Rundfunkfreiheit für das „öffentliche, politische und verfassungsrechtliche Leben"99. Ein Argument dieses Ansatzes ist, dass die Wichtigkeit des grundrechtlichen Schutzes des Einzelnen oder dessen Betroffenheit durch die Organisation so gering sein kann, dass die Zuerkennung eines subjektiven Rechtes in diesem Bereich nicht notwendig scheint100. In diesem Bereich sind zwar auch Grundrechte betroffen. Da aber das kollektive Handeln den Einzelnen als Glied einer Gesamtheit trifft, ist die Zuerkennung eines subjektiven Rechtes für diesen Handlungsbereich ausgeschlossen. Nach Ossenbühl kann dort, „wo alle gleichermaßen betroffen sind, von einer individuellen Betroffenheit keine Rede sein."101 Dieses Gesamtheitsargument stellt aber keine zufriedenstellende Abgrenzung dar: Im Bereich der Rundfunkfreiheit wären alle betroffen, wenn nur eine gesell95

M. Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion - Erster Band, S. 33ff., insb. S. 36 mit einer Darstellung des Meinungsstandes in der deutschen Literatur. 96 BVerfGE 97, 350, 371. 97 M. Selmayr, a.a.O., S. 37. 98 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 448ff. zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Sicherung der Rundfunkfreiheit durch Organisation und Verfahren. 99 BVerfGE 12, 205, 259. 100 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 452. 101 F. Ossenbühl, Kernenergie im Spiegel des Verfassungsrechts, S. 7., zitiert über R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 452.

Die Kritik des fimktionalen Legitimationsmodells

197

schaftliche oder politische Meinung zu Wort käme. Daraus folgt aber nicht, dass ein Recht des Einzelnen auf Pluralismus im Rundfunk gedanklich ausgeschlossen ist102. Später stellte das Bundesverfassungsgericht dann auf „die Bedeutung (...) für das individuelle und öffentliche Leben"103 ab, wendet sich also der individualistischen Argumentationsweise zu. Eindeutige Trennungsgrundsätze zwischen den beiden Bereichen lassen sich daraus aber wiederum nicht konstruieren. Wie in der Diskussion um den Inhalt eines übergeordneten Gemeinwohles wird nicht klar, was ein eigenständiger Bereich kollektiven Handelns, der nicht den individuellen Interessen dient, sein soll. Mit dem Bundesverfassungsgericht kann also festgehalten werden, dass die Funktion der Grundrechte als objektive Prinzipien in einer prinzipiellen Verstärkung ihrer Geltungskraft besteht, sie aber nicht von ihrer eigentlichen subjektiven Wurzel löst, und zu keinem eigenen, verselbständigten objektiven Sinn führt, hinter den der ursprüngliche Sinn der Grundrechte zurücktritt104. III. Konstitutionalismus

und Reversibilität

von

Entscheidungen

Die Reversibilität von Entscheidungen wird als grundlegendes Merkmal demokratischer Herrschaft und der Verfassungstheorie angesehen105. Die Offenheit von Alternativen muss dabei wirklich bestehen. Das Erfordernis der Reversibilität bezieht sich auf Gesetzgebung und Ausführung staatlicher Entscheidungen. Demokratie kann als Erhaltung der Komplexität des politischen Systems trotz laufender Entscheidungsarbeit, als Erhaltung eines möglichst weiten Selektionsbereichs für immer wieder neue und andere Entscheidungen verstanden werden106. Verfassungsrechtliche Festlegungen oder gesetzliche Festlegungen in Verbindung mit der Bildung unabhängiger Institutionen schränken diese Reversibilität teilweise in erheblichem Maße ein. Ob wirklich immer eine Begrenzung des kollektiven Handelns durch Festlegungen und Aufgabendelegation entsteht, hängt von der Sichtweise des Verhältnisses von Reversibilität und kollektivem Handeln ab.

102

R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 453. BVerfGE 57, 295, 321. 104 BVerfGE 50, 291, 337. 105 Siehe P. Häberle, Demokratische Verfassungstheorie im Lichte des Möglichkeitsdenkens, in: P. Häberle, (Hrsg.), Verfassung als öffentlicher Prozeß, Materialien zu einer Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, S. 22ff.; Ebenso N. Luhmann, Komplexität und Demokratie, in: PVS 10(1969), 314, 320. 106 Siehe N. Luhmann, Komplexität und Demokratie, in: PVS 10 (1969), 314, 319f. 103

198

Vom fiinktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

1. Konstitutionalismus als Begrenzung demokratischer

Entscheidungsgewalt

Nach überwiegender Auffassung in der deutschen Verfassungsliteratur begrenzen verfassungsrechtliche Regelungen das demokratische Handeln. In der Konsequenz muss deshalb das politisch-demokratische Handeln möglichst offen und müssen alle politischen Ziele stets veränderbar gehalten werden. Eingrenzungen der Reversibilität von Entscheidungen erscheinen als schwer rechtfertigbare Ausnahmen. Diese Ansicht wurde bereits von Carl Schmitt vertreten, der selbst Gegner des Konzeptes des Konstitutionalismus war, weil es nur darauf abziele, das Politische zurückzudrängen107. Für den Bereich des Grundrechtsschutzes wird dies, wie oben gesehen, als gerechtfertigt angesehen, da die Wahrung der Grundrechte dem kollektiven Handeln vorgehe. Für erst durch den demokratischen Prozess festgelegte Gemeinwohlziele ist dies aber umstritten: Es wird gefordert, sie müssten den politischen Mehrheitsentscheidungen unterliegen. Ausnahmsweise wird gefordert, geschützt werden müssten Ziele, die dem gesamten Systemerhalt dienen108. Nach Isensee kann kein Mensch den Inhalt des Gemeinwohls mit allgemeiner Geltung bestimmen. Die verfassungsstaatliche Konsequenz aus dieser Annahme ist die Sicherung der Grundrechte zur möglichst weitgehenden individuellen Gemeinwohlbestimmung einerseits und die Anwendung des demokratischen Verfahrens für die kollektive Gemeinwohlbestimmung andererseits109. Das Grundgesetz lässt dementsprechend weithin offen, wie die richtige Ordnung des Gemeinwesens inhaltlich auszusehen hat. Das gilt auch, obwohl die Verfassung das Sozialstaatsprinzip und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen als Ziel staatlichen Handelns festschreibt. Diese Ziele lassen einen weiten politischen Gestaltungsspielraum. Differenziert werden kann zwischen Zielen, die nur einen Handlungsauftrag an den demokratischen Souverän darstellen, z.B. das Sozialstaatsprinzip oder der Schutz der Umwelt, und solchen, die auch staatsorganisatorische Ausformungen haben wie das Rechtsstaatsprinzip oder das föderale Prinzip. Das Sozialstaatsprinzip beispielsweise ist nicht auf Strukturmerkmale institutioneller oder legitimatorischer Art gerichtet. Es ist Staatsziel und Hand-

107

C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 41. Nach R. Herzog, Ziele, Vorbehalte und Grenzen der Staatstätigkeit, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (1988), § 58, Rz. 89 eine der zentralsten Aufgaben Uberhaupt. 109 J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben, in J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (1988), § 5 7 Rz. 74. 108

Die Kritik des funktionalen Legitimationsmodells

199

lungsauftrag an die staatlichen Organe110. Die Freiheits- und Gleichheitsrechte sind zwar Begrenzungen der Staatsgewalt, sind aber Konstitutionsbedingungen der Demokratie selbst. Echte Grenzen der demokratischen Staatsgewalt finden sich in Rechten oder Institutsgarantien, die nicht unmittelbar zu den Konstitutionsbedingungen der Demokratien gehören, etwa in Art. 4, 6 Abs. 2, oder besonders in Art. 33 Abs. 5 GG111. Gründe für solche Grenzen wurden bisher nicht entwickelt, es bleibt offen, ob er sie überhaupt für zulässig hält. Nach einem solchen Verständnis wäre dann auch eine enge verfassungsrechtliche Festlegung, etwa von Währungsstabilität, schwierig zu rechtfertigen. Auch Sommermann geht auf die Frage ein, ob die Umsetzung einmal festgelegter Ziele den demokratischen Prozess zulässigerweise einschränken darf112. Sommermann betont, Zielvorgaben dürften den demokratischen Verfassungsstaat nicht in einem Maße festlegen, dass er neuen Herausforderungen nicht mehr begegnen könne113. Allerdings sei die Wechselwirkung zwischen Staatsorganisation und inhaltlicher Ausrichtung des Staates bei der Implementation der Staatsziele zu beachten114. Sommermann betont, dass die Staatsziele der ständigen Ausformung und Weiterentwicklung durch den allgemeinen Gesetzgeber bedürften. Er unterscheidet Zielbestimmungen als Maßstab und Grenze konkreter Normen einerseits und Zielbestimmungen als Handlungsgebote andererseits115. Die Weiterentwicklung der Staatsziele dürfe zum Beispiel keineswegs der Gerichtsbarkeit überlassen werden116. 2. Gesetzliche und konstitutionelle Bindung zur Erweiterung politisch-demokratischen Handelns Mit einem vertragstheoretischen Ansatz, der zwischen normativprozeduralen Inhalten und tatsächlichen Entscheidungsabläufen differenziert, stellt sich die Frage nach der Reversibilität politischer Entscheidungen anders als im soeben dargestellten formalen Sinne dar. Verfassungsrechtliche Festlegungen und andere Begrenzungen der politischen Entscheidungs110

E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 22, Rz. 97. 111 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 22, Rz. 93. 112 K.-P. Sommermann geht mehr auf die Frage, ob Zielbestimmungen Grundrechte einschränken können, K. P. Sommermann, Staatsziele, S. 421 ff.. 113 K.-P. Sommermann, Staatsziele, S. 428. 114 K.-P. Sommermann, a.a.O., S. 452. 115 K. P. Sommermann, a.a.O., S. 436. 116 K.-P. Sommermann, a.a.O., S. 429.

200

Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

gewalt wie eine Übertragung von Kompetenzen auf unabhängige Institutionen erscheinen dann in vielen Politikfeldern weniger als Begrenzung, sondern mehr als Erweiterung der Möglichkeiten politischen Handelns, wenn man die Umstände und Auswirkungen politischer Entscheidungen in die Betrachtung miteinbezieht. Die ständige Reversibilität von Entscheidungen bezüglich Grenzen der Schuldenaufnahme oder der Währungspolitik macht möglicherweise gerade die Möglichkeit einer konsistenten Politik in diesen Bereichen zunichte, darüber hinaus stellen Reversibilitätseinschränkungen im Bereich der Staatsverschuldung Verschuldungsgrenzen - oder -mechanismen - sicher, dass nachfolgende Generationen nicht tatsächlich durch eine enorme Schuldenlast in ihrer politischen Freiheit eingeschränkt werden. Die Wahrung einer stabilen Währung ermöglicht kommenden Generationen Handlungsspielraum in der Wirtschaftspolitik. Die Reichweite der Aufhebung des grundsätzlichen Reversibilitätsgebots richtet sich damit nach den Erkenntnissen über den Entscheidungsprozeß in den betreffenden Politikfeldern. Ständige Reversibilität mit der einfachen Mehrheit ist nur nach einem formalen Demokratieverständnis ein grundlegendes Erfordernis. Mit einer politikfeldbezogenen Betrachtung hängt die Frage der Zulässigkeit der Einschränkung der Reversibilität von dem jeweiligen Politikfeld der wahrzunehmenden Aufgabe ab. Dieser Gedanke kann zeitlich weit zurückverfolgt werden: Bereits Bodin argumentierte, dass das Gemeinwesen durch Gesetze und nicht durch den Willen des Königs regiert werden sollte. In diesem Sinne solle der König sich festlegen und an eine Geldprägung mit festgelegtem Wert binden117. Dadurch könne er seine Kontrolle Uber die Wirtschaft erhöhen, möglicherweise bestehendem Druck zur Abwertung der Währung entgehen und das Vertrauen seiner Gläubiger gewinnen. Im gleichen Sinne sei zu sehen, dass die Einrichtung einer unabhängigen Gerichtsbarkeit die königlichen Kompetenzen nicht einschränke, sondern erweitere. Müsse der König nämlich selber Übeltäter bestrafen, rufe er Widerstand gegen sich hervor, der seine Autorität schwächen würde118. Montesquieu entwickelte diesen Gedanken weiter, indem er argumentierte, dass der König weniger Druck seitens der betroffenen Streitparteien ausgesetzt würde, wenn es eine unabhängige Gerichtsbarkeit gäbe119. Für das Prinzip der Gewaltenteilung, das im ersten 117 S. Holmes, Precommitment and the paradox of democracy, S. 214 mit Hinweis auf J. Bodin, Six Books of a Commonweale, Cambridge/Mass. 1962, Buch VI.3, S. 687. 118 S. Holmes, a.a.O., S. 229 mit Hinweis auf J. Bodin, Sechs Bücher über den Staat, Buch IV, Kap. 6. 119 Ch. de Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, Buch 6, Kap. 5.

Die Kritik des funktionalen Legitimationsmodells

201

Augenblick machtbegrenzend wirkt, führt Locke an, dass es zu einer „Erweiterung" oder Verbesserung der politischen Führung dient: Durch die Trennung der Funktionen werden die Gesetze von den Gesetzgebern in der Erwartung gemacht, dass sie auch auf sie selber angewandt werden120. In der amerikanischen Debatte anlässlich der Verfassungsgebung war umstritten, wie weitgehend eine Verfassung vor allem die kommenden Generationen binden könne121. Mill und Madison verwarfen die Ansicht, Demokratie beruhe auf dem Recht zur Intervention in alle Angelegenheiten zu jeder Zeit. Diese Ansicht entstamme der Ideologie der absoluten Monarchie122. Die Rolle und Reichweite der Regelungen der Verfassung unterschied sich allerdings in den verschiedenen Konzepten der amerikanischen Verfassungsväter. Nach dem Verständnis der Pluralisten war es Aufgabe der Verfassung, die Grundregeln für den Wettbewerb der Interessengruppen festzulegen. Nach republikanischer Auffassung sollte die Verfassung politische Entscheidungsgremien schaffen, die einen deliberativen politischen Entscheidungsprozeß gewährleisten123. Der Ansicht, die Konstitutionalismus als eine Erweiterung der Möglichkeiten politischen Handelns sieht, liegt der Gedanke zugrunde, dass abstrakte Regeln besser zur Bewältigung kommender Probleme dienen als die ständige und uneingeschränkt zulässige Reversibilität getroffener Entscheidungen. Dieses Konzept hat eine noch stärkere Ausprägung auf europäischer Ebene erhalten, auf die in Teil 3 eingegangen wird. IV. Bewertung des Ansatzes der objektiven Grundrechtswirkung Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die verschiedenen Grundrechtsgehalte in Form eines Handlungsgebotes für das staatliche Handeln (etwa Leistungsrechte, Organisations- und Verfahrensgehalte) keinem bestimmten Ordnungsprinzip folgen, was daran liegt, dass sie ein Resultat bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung und Entwicklungen der Literatur sind 120 J. Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, Buch 2, Kap. 12, Paragraph 143; Für weitere Ausführungen zum Gedankengut von Locke zu diesem Thema siehe S. Holmes, Precommitment And The Paradox Of Democracy, in: J. Elster/R. Slagstad (Hrsg.), Constitutionalism and Democracy, S. 214ff. 121 Siehe S. Holmes, Precommitment And The Paradox Of Democracy, in: J. Elster/R. Slagstad (Hrsg.), Constitutionalism and Democracy, S. 215ff. zur Diskussion von Jefferson und Madison Uber die Notwendigkeit einer ständig neuen Verfassungsgebung. 122 S. Holmes, Precommitment And The Paradox Of Democracy, in: J. Elster/R. Slagstad (Hrsg.), Constitutionalism and Democracy, S. 234. 123 C. R. Sunstein, Constitutions and Democracies, in: J. Elster/R. Slagstad (Hrsg.), Constitutionalism and Democracy, S. 338.

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Demokratieprinzip

und nicht das Ergebnis eines systematischen Entwurfes 124 . In demokratietheoretischer Hinsicht geht der Ansatz der objektiven Grundrechtswirkung von einer Vorrangwirkung der Grundrechte als Bestandteil der Verfassung (Art. 20 Abs. 3 GG) gegenüber dem einfachen politisch-demokratischen Entscheidungsprozeß aus 125 . In normativer Hinsicht kann er aber keine trennscharfen Kriterien dafür anbieten, wann eine objektive Grundrechtswirkung so stark wird, dass das politische Handeln an eine genaue rechtliche Vorgabe gebunden wird und eine Wahrnehmung bestimmter Aufgabenbereiche durch unabhängige Institutionen legitim wird. Die Unbestimmtheit der verwendeten abstrakten normativen Kriterien führt für die Rechtswissenschaft zu keinen trennscharfen Kriterien für die Staatsorganisation 126 . Der Ansatz Häberles, der Schutz subjektiver grundrechtlicher Interessen durch objektive Grundrechtswirkung, benötigt zur Festlegung bestimmter Ziele, die den demokratisch-politischen Entscheidungsprozeß binden sollen, letztlich auch Aussagen von positiven Theorien über den politischen Entscheidungsprozeß, um seine Organisationsanforderungen zu begründen.

C. Zusammenfassung Kapitel 6 Die funktionale Legitimationstheorie gewichtet bei der Bewertung demokratischer Legitimation grundsätzlich formelle und personelle Legitimationsformen höher als materielle Legitimationsformen und positive Analysen politischer Entscheidungsprozesse. Der funktionale Legitimationsansatz schränkt seine Legitimationswirkung aber ein, wenn er sich ausschließlich oder überwiegend auf die formellen und personellen Legitimationselemente Wahlen und die Anwendung des Mehrheitsprinzips in den Repräsentationsorganen stützt und auf eine Absicherung, dass dadurch materielle Repräsentation gewährleistet wird, verzichtet. Es greift zu kurz, anzunehmen, dass formelle demokratische Legitimation zugleich materielle Legitimation (etwa gleichmäßige Interessenrepräsentation) sichert, ohne die Ergebnisse der positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse als entscheidendes Kriterium für demokratische Legitimation zu berücksichtigen.

124

Chr. Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 74f. Daneben wird die Bedeutung der Grundrechte als elementare Grundlage für die Mitwirkungsfähigkeit des Bürgers im demokratischen Entscheidungsprozeß betont, siehe E. Denninger, Staatliche Hilfe zur Grundrechtsausübung durch Verfahren, Organisation und Finanzierung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR V, § 113 Rz. 28. 126 Ähnlich A vanAaken, „Rational Choice" in der Rechtswissenschaft, S. 286f. 125

Die Kritik des

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Es ist darüber hinaus inkonsistent, als Inhalt des zugrunde liegenden Gesellschaftsvertrages inhaltliche demokratietheoretische Maßstäbe (Gleichheit, gleichwertige Interessenrepräsentation) anzunehmen und dann nachfolgend bestimmte formelle Ausprägungen demokratischer Verfahren und Institutionen gegenüber diesen Inhalten als vorrangig anzusehen. Wenn materielle Aspekte wie die Sicherung von Gleichheit und Freiheit Inhalt des Gesellschaftsvertrages sind, dann können unter Berücksichtigung der positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse auch andere Verfahren und Institutionen als das Mehrheitsverfahren in den Repräsentationsorganen zu ihrer Sicherung geeignet und legitim sein. Personellen und formellen Legitimationselementen kommt nur insoweit Bedeutung zu, als sie nach dem konsensualen Gesellschaftsvertrag zustimmungsfähig sind. Dies kann, muss aber nicht für alle Politikfelder oder Aufgaben der Fall sein. Das personelle Legitimationselement spielt dann bei Gerichten eine ebenso untergeordnete Rolle wie bei unabhängigen Zentralbanken oder bei unabhängigen Institutionen zur Kontrolle und Steuerung der Haushaltspolitik. Die Methode, vorrangig auf formelle und personelle Legitimationselemente abzustellen und daraus eine rein funktionale Betrachtung politischer Systeme abzuleiten, kann neuere sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zu Durchsetzungsmechanismen von Interessen nicht für die demokratietheoretische Bewertung staatlicher Institutionen heranziehen. Politikwissenschaftliche und ökonomische Theorien zeigen, dass politische Entscheidungsprozesse nicht primär nach Funktionen, sondern nach Politikfeldern unterschiedlich verlaufen. Das funktionale Legitimationsmodell bietet aber, eben aufgrund seiner streng funktionalen Ordnung, keinen Ansatzpunkt für die Berücksichtigung der politikfeldbezogenen ökonomischen oder politikwissenschaftlichen Analysen der Entscheidungsprozesse und belässt keinen Spielraum für einen nach Politikfeldern geordneten Institutionenaufbau. Der funktionale Ansatz geht von einer Ergebnisoffenheit der Entscheidungsprozesse bei Mehrheitsentscheidungen aus, die aber nicht in allen Politikfeldern gleichermaßen gegeben ist. Vielmehr bedeutet die Wahl eines bestimmten Entscheidungsverfahrens in einigen Politikfeldern (bspw. Haushaltspolitik) auch die Entscheidung darüber, dass ein bestimmtes politisches Ergebnis mit höherer Wahrscheinlichkeit eintritt (bspw. steigende Staatsverschuldung bei Anwendung des Mehrheitsprinzips). Der Vorrang personeller und formeller Legitimationselemente und die daraus abgeleitete Anwendung des Mehrheitsprinzips in den Repräsentationsorganen garantiert damit keine „zielindifferente" oder „ergebnisoffene" Gemeinwohlbestimmung, sondern besitzt eine Tendenz zu bestimmten Ergebnissen.

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Vom fiinktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

Mit der Theorie des Grundrechtsschutzes durch Organisation und Verfahren kann zum Schutz von Grundrechten die Bildung unabhängiger Institutionen begründet werden. Der Ansatz objektiver Grundrecht s Wirkung und auch die Theorie des Grundrechtsschutzes durch Organisation führen aber nicht zu klaren Abgrenzungskriterien, in welchen Bereichen und in welcher Form das kollektive Handeln als normativ gebunden anzusehen oder unabhängige Institutionen demokratisch legitim sind.

Kapitel 7

Ökonomische Demokratietheorie und ihre Kritik Die soeben dargestellte Theorie der objektiven Werteordnung und des daraus abgeleiteten Grundrechtsschutzes durch Organisation bietet einen Berührungspunkt von rechtswissenschaftlichem und ökonomischen Konstitutionalismus1 an dem Punkt des zu schützenden „subjektiven Interesses". Auch die Theorie des ökonomischen Konstitutionalismus greift für die Begründung, warum bestimmte politische Zielsetzungen bereits auf konstitutioneller Ebene festzulegen seien, auf eine individualistisch bezogene Begründung, auf individuelle Interessen, zurück, und den durch sie beeinflussten politischen Entscheidungsprozess. Der ökonomische Konstitutionalismus untersucht dabei auch die Frage, mit welcher Begründung konstitutionelle Festlegungen durch unabhängige Institutionen in zulässiger Weise durchgesetzt werden können.

A. Der ökonomische Konstitutionalismus Buchanans Die Forschungsrichtung des ökonomischen Konstitutionalismus entsprang dem breiter angelegten Forschungsbereich der Public Choice - im Deutschen auch als Neue Politische Ökonomie bezeichnet. Der ökonomische Konstitutionalismus ist Bestandteil des sogenannten „Theoretischen Institutionalismus"2. Letzterer ist eine Analyse aller Einrichtungen, die als „rechtliche und soziale Organisation der Volkswirtschaft" bezeichnet werden kön-

1

Der Begriff des ökonomischen Konstitutionalismus wurde erst 1982 von Richard McKenzie eingeführt, siehe J.M. Buchanan, Constitutional Economics, in: The New Palgrave 1 (1987), S. 585-588 und The Domain of Constitutional Economics, in: Constitutional Political Economy 1 (1990), S. 1.7. M. Buchanan und G. Tullock verwendeten diesen Begriff bei Erscheinen des Calculus of Consent im Jahre 1962 nicht, weil dies zu sehr der „ökonomischen Theorie des Staates" ähnelte, wie die marxistische Staatstheorie zu dieser Zeit bezeichnet wurde. Siehe dazu J.M. Buchanan/G. Tullock, The Calculus of Consent, S. 13. 2 Zur Entwicklung des Neo-Institutionalismus und der Neuen Institutionenökonomie siehe Handbuch der Wirtschaftsethik, Bd. 1, S. 509ff.

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Demokratieprinzip

nen3. Seine Wurzeln hat der neuere Theoretische Institutionalismus beispielsweise in den Werken von Ronald Coase und James M. Buchanan4. Er steht dabei methodisch in der Tradition der klassischen ökonomischen Theorie im Sinne von Adam Smith, die auch der ökonomischen Demokratietheorie von Downs und Arrow zugrunde liegt. Der ökonomische Konstitutionalismus greift daneben die pluralistische demokratietheoretische Tradition der Federalist Papers und später Bentleys auf, entwickelt sie fort5 und beansprucht für sich, eine demokratische Theorie sein6. Die Theorie des ökonomischen Konstitutionalismus untersucht die Notwendigkeit, die Basisregeln einer gesellschaftlichen Ordnung von den Beteiligten auf einer anderen Ebene und nach anderen Verfahren festlegen zu lassen, als die konkreten gesellschaftlichen Entscheidungen innerhalb dieser Regeln7. Gefunden werden soll ein Rahmenregelwerk, das die Grundstruktur der Gesellschaft bildet und dessen Regeln die Akteure später folgen 8 . Nach Ansicht Buchanans befinden sich die westlichen Demokratien in einem Zustand der „konstitutionellen Anarchie", weil sie keine Konzepte zur Beantwortung der Frage haben, welche Politikfelder eigentlich bereits auf konstitutioneller Ebene geregelt sein müssten9. Buchanan kritisiert, die Staatsorgane handelten nicht mehr gemäß den ihnen vorgegeben Aufgaben. Die Gerichtsbarkeit sei immer öfter rechtschöpfend tätig, die Regierung greife da-

3

Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 11 mit Hinweis auf Walter Eucken, von dem dieses Zitat stammt und einem kurzen Überblick zur Entwicklung des Institutionalismus in den dreißiger Jahren und des Neo-Institutionalismus seit den sechziger Jahren. 4 Eines der grundlegenden Werke ist J.M. Buchanan/G. Tullock, The Calculus of Consent; Überblick Uber die Entwicklungen und Zusammenhänge der verschiedenen ökonomischen Ansätze bei M. Leschke, Ökonomische Verfassungstheorie, S. 15ff.; G. Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 103ff. zu den Vorgängern Buchanans in der ökonomischen Demokratietheorie, insbesondere Kenneth J. Arrow, Social Choice and Individual Values, aus dem Jahre 1951 und Anthony Downs, An Economic Theory of Democracy, 1957. 5 V. Vanberg, Der individualistische Ansatz zu einer Theorie der Entstehung und Entwicklung von Institutionen, in: Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 2 (1983), S. 52f. mit einer Darstellung der theoretischen Ursprünge der Neuen Politischen Ökonomie und des Institutionalismus. Erster Anknüpfungspunkt sind danach die schottischen Moralphilosophen des 18. Jahrhunderts, David Hume und Adam Smith. Zur Entwicklung des ökonomischen Konstitutionalismus aus der pluralistischen demokratietheoretischen Tradition siehe oben Kapitel 5 A. 6 J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 3. 7 D. Bund, Die Ökonomische Theorie der Verfassung, S. 13; Einführend zum ökonomischen Konstitutionalismus auch Handbuch der Wirtschaftsethik, Bd. 2, S. 65ff. 8 Zur Abgrenzung zwischen der ökonomischen Analyse des Rechts und der ökonomischen Theorie der Politik (etwa dem ökonomischen Konstitutionalismus) siehe H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 34. 9 J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 9, 235ff.

Ökonomische Demokratietheorie

207

gegen immer mehr in private Rechte ein10. Aus dieser Situation erwachse die Gefahr, dass unkontrolliertes kollektives Handeln, das von Sonderinteressen dominiert wird, zu gesamtwirtschaftlichen und -gesellschaftlichen Schäden fuhrt. Ziel des ökonomischen Konstitutionalismus ist daher, konstitutionelle Regelungen und Institutionen zu finden, die sicherstellen, dass „die im Rahmen dieser Institutionen agierenden Personen einen Anreiz haben, in Übereinstimmung mit dem zu handeln, was sie als die langfristigen Interessen der Gesellschaft, aber auch als ihr eigenes langfristiges Interesse erkannt haben11." Zentral für den ökonomischen Ansatz ist die methodische Trennung von normativer und positiver Ebene, die bei der Auswahl der legitimen Institutionen und Verfahren miteinander verknüpft werden. 1. Der Homo Oeconomicus als Instrument zur positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse Die positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse mittels der ökonomischen Theorie beruht auf einigen grundlegenden Annahmen: Dazu gehört das Eigennutztheorem, nach dem die Akteure nach ihren individuellen Präferenzen handeln. Weiter gehört dazu die Annahme des rationalen Verhaltens, sowie der sogenannte methodologische Individualismus12. Es haben sich unabhängig voneinander verschiedene Ansätze entwickelt, die alle auf dieser Grundlage, dem sogenannten „Homo Oeconomicus-Modell", beruhen13: die Transaktionskostentheorie, der Time Inconsistency Ansatz, die Public Choice Theorie und die Neue Institutionenökonomie14. Der methodologische Individualismus bildet die Grundlage der ökonomischen Entscheidungsmodelle15. Er beschreibt alles kollektive Handeln als Zusammenwirken individueller Akteure. Veränderungen der Restriktionen und Anreize, also die Veränderung des Handlungsumfeldes, führen danach bei den Akteuren zu Änderungen in ihrem Entscheidungsverhalten. Diese 10

J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 231ff. G. BrennanlJ.M. Buchanan, Die Begründung von Regeln, S. 119. 12 Der Begriff des „methodologischen Individualismus" geht zurück auf Schumpeter. Vgl. J. A. Schumpeter, Das Wesen und der Hauptinhalt der Nationalökonomie, 2. Aufl., Tübingen, S. 88f.; zitiert nach M. Leschke, Ökonomische Verfassungstheorie, S. 17, Fn. 13. 13 G. Kirchgässner, Homo Oeconomicus: das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Tübingen 1991, S. 12ff. zum ökonomischen Modell. 14 Siehe auch die Darstellung bei Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 1 lf. 15 G. Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 23 Fn. 29 mit Hinweisen auf die Entwicklung des Begriffs des methodologischen Individualismus seit J. A. Schumpeter 1908 und der Verwendung dieses Konzepts bei C. Menger bereits 1883. 11

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Demokratieprinzip

Veränderungen verursachen dann in aggregierter Form Veränderungen der Makrogrößen wie etwa Arbeitslosen- oder Inflationsrate. Die Makroanalyse ist also mikroökonomisch fundiert16. Der ökonomische Ansatz verwendet das Homo Oeconomicus-Modell als Individualmodell zur Mikrofiindierung einer Makroanalyse von Kollektivphänomenen17. Das Homo OeconomicusModell soll und kann individuelles Verhalten nicht ausreichend erklären, sondern nur Kollektivverhalten. Es gilt, dass an die Mikrofundierung einer Makrotheorie andere und vor allem geringere Ansprüche zu stellen sind, als die Ansprüche, die man an eine für sich alleine betrachtete Mikrotheorie stellen muss18. Erstes Kriterium zur Beschreibung des politischen Entscheidungsprozesses ist das am Eigeninteresse orientierte Handeln der Entscheidungsträger19. Mit dem Begriff des Eigeninteresses werden mehrere Grundlagen des ökonomischen Modells beschrieben. Zunächst werden die Handlungen der Individuen aus den eigenen Interessen des jeweiligen Individuums heraus abgeleitet und analysiert. Es wird davon ausgegangen, dass das Individuum nicht die Interessen anderer für seine Präferenzbildung in Betracht zieht20, sondern nur seine eigenen. Damit ist aber noch keine Aussage über den Inhalt dieses Eigeninteresses gemacht, ob es beispielsweise bösartig, egoistisch oder altruistisch ist21. Auch altruistisches Handeln kann im Eigeninteresse eines Akteurs liegen, wenn dies seiner Präferenz entspricht. Der Eigennutzbegriff ist nicht „moralisch aufgeladen". Das Eigennutztheorem besagt nur ganz grundsätzlich, dass die Akteure im Zweifel von mehreren Entschei16

Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 19; I. Pies, Normative Institutionenökonomik, S. lOOff. mit einer umfassenden Darstellung dieser Methode. 17 1. Pies, Normative Institutionenökonomik, S. 101. 18 R. Zintl, Der Homo Oeconomicus: Ausnahmeerscheinung in jeder Situation oder Jedermann in Ausnahmesituationen?, in: Analyse & Kritik 11, S. 57, zitiert über G. Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 105. 19 Erlei/Leschke/Sauerland, Neue Institutionenökonomik, S. 1-7. 20 J. M. Buchanan, The Calculus of Consent, S. 17: „ (...) the interest of his opposite number in the exchange be excluded from consideration." Buchanan verweist auf Wicksteed's Beispiel von „Paul, dem Zelthersteller". Die ökonomische Theorie erkläre menschliches Verhalten und ermögliche den Ökonomen, Voraussagen zu treffen, „ ( . . . ) so long as Paul does not take into account the interest of those for whom he works in repairing the tents. Paul may be acting out of love of God, the provincial church, friends, or self without affecting the operational validity of the theory of markets." 21 Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 13; Altruismus heisst, dass eine Handlung ausschließlich deswegen unternommen wird, um einen anderen besser zu stellen. Bei Bösartigkeit wird eine Handlung mit dem alleinigen Ziel unternommen, einen anderen zu schädigen ohne selbst davon einen Nutzen zu haben. Siehe dazu Ch. B. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, S. 10.

Ökonomische Demokratietheorie

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dungsalternativen diejenige auswählen, die aus der Sicht der Mehrung ihres eigenen Nutzens die vorzugswürdigste ist22. Es wird also angenommen, dass in den meisten Fällen - und dieser Durchschnitt ist wesentlich für die Verwendung der Eigennutzannahme als heuristische Fiktion zur Prognose von Verhaltensänderungen von Gruppen von Akteuren - das nutzenmaximierende Verhalten überwiegt23. Ein weiteres zentrales Merkmal ist das rationale Verhalten der Akteure. Dieses Merkmal beschreibt Zusammenhänge zwischen bestimmten Ereignissen und dem Verhalten von Individuen: Beispielsweise wird mit dem Kriterium rationalen Verhaltens angenommen, dass beim Sinken des Preises einer bestimmten Ware mehr von dieser Ware verkauft wird als bei konstant bleibenden Preisen. Die Rationalitätsannahme sagt selbst noch nichts darüber aus, ob bestimmte Zustände als rational einzustufen sind und vor allem auf Grund welcher Informationsgrundlage eine Entscheidung getroffen wurde. Nach den ökonomischen Entscheidungsmodellen wird nicht von einer vollständigen Information jedes Individuums, sondern von individuellen Entscheidungen unter „informatorischen Unsicherheiten" ausgegangen. Rationale Entscheidungen sind deshalb nicht aus objektiver Sicht zu bewerten, sondern aus der Perspektive des handelnden Akteurs24. Auch die Rationalitätsannahme muss daher im Einzelfall differenziert angewandt werden. Das Homo-Oeconomicus-Modell besitzt damit zwei zentrale Vorzüge: erstens die Möglichkeit einer je nach Politikbereich differenzierten Anwendung der beiden Charakteristika, des Eigeninteresses und des rationalen Handelns, in die Entscheidungsanalyse. Zweitens entsteht durch die durchschnittliche Eigennutzannahme eine gewisse Prognosefähigkeit, die empirisch überprüft werden kann. Deshalb wird die Einbeziehung ökonomischer Modelle insbesondere für Analysen im Bereich der Rechtsetzung als weiterführend angesehen25.

22

J.M. Buchanan/G. Tullock, The Calculus of Consent, S. 17; Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 13. 23 Ch. B. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, S. 10. 24 Siehe dazu Chr. Kirchner, a.a.O., S. 14 m.w.N. 25 M. Morlok, Vom Reiz und Nutzen, in: Engel/Morlok (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 26.

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Vom fiinktionalen zum politikfeldbezogenen

II. Staatliches Handeln nach dem ökonomischen

Demokratieprinzip

Konstitutionalismus

1. Konsens und konstitutioneller Vertrag Der ökonomische Konstitutionalismus ist nach seinem Selbstverständnis eine „konsensbasierte Legitimationstheorie"26, das heißt, dass eine hypothetische Zustimmung aller Individuen für eine ursprüngliche Übereinkunft zur Legitimation kollektiven Handelns vorliegen muss. Alle Staatsfunktionen werden aus dieser Übereinkunft abgeleitet. Der Kerngedanke dieser Demokratietheorie ist, dass niemand über einen anderen bestimmen darf, es sei denn mit dessen Zustimmung27. Es gibt damit keine Staatsfunktionen, die nicht auf individuelle Präferenzen und Kalküle zurückzuführen wären. Mit dem ursprünglichen oder konstitutionellen Vertrag entstehen eine Rechtsordnung, die Eigentumsrechte und Verhaltensgrenzen definiert, der Rechtsschutzstaat, der die Durchsetzung der festgelegten Rechte sichert, sowie die Entscheidungsregeln für den Leistungsstaat, in dem öffentliche Güter produziert werden. Auf postkonstitutioneller Ebene kommt es zu weiteren Verträgen, die die Konstitution als Basis voraussetzen. Das Kriterium der Zustimmungsfähigkeit gilt somit für die konstitutionelle Ebene wie für die postkonstitutionelle Ebene28. Zentral für Buchanans Theorie ist die Unterscheidung zwischen der Auswahl der Verfahren auf konstitutioneller Ebene und den nachfolgenden Entscheidungen gemäß diesen Verfahren. Grund dafür ist, dass die ökonomische Theorie die Annahme zugrundelegt, dass die Auswahl allgemeiner Institutionen und Verfahren einem anderen Entscheidungsverfahren unterliegt als die darauffolgenden Entscheidung Uber konkrete Einzelfragen in bestimmten Institutionen und nach diesen festgelegten Verfahren. Gegenstand der Vertragstheorie Buchanans sind dabei nicht die Entscheidungen innerhalb eines bestehenden Regelsystems, sondern die Wahl des Regelrahmens selbst29. Die Auswahl der Verfahren verläuft nach anderen Kriterien als die nachfolgenden Entscheidungen unter diesen Verfahrensvorgaben, weil eine Einigung über ein Regelsystem auch bei divergierenden Interessen einfacher ist als eine Einigung über konkrete Endzustände. Da Regeln langlebiger sind als Einzelentscheidungen und damit für eine noch unbekannte Zahl von Einzelfällen gelten, können sich die Individuen nicht sicher dar26

Siehe Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 20, 25. K Homann, Rationalität und Demokratie, S. 191. 28 Näher K. HomannJChr. Kirchner, Ordnungsethik, in: Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie Bd. 14 (1985), S. 189ff. 29 M. Leschke, Ökonomische Verfassungstheorie und Demokratie, S. 68. 27

Ökonomische Demokratietheorie

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über sein, in welcher Position sie sich später einmal befinden werden. Diese Unsicherheit wird ihre Entscheidung auf konstitutioneller Ebene prägen. Der aus dieser Unsicherheit resultierende „Schleier der Unwissenheit" ist bei Buchanan realitätsnäher als derjenige, derjenige in Rawls Theorie, und bei dem niemand auch nur annähernd weiß, welche Position er später auf einmal einnehmen wird30. Dabei geht Buchanan davon aus, dass aufgrund der relativen Unsicherheit aller Individuen Regeln festgelegt werden, die als „fair" gelten können. Dafür spreche auch, dass ein Regelrahmen, der nur den Interessen einiger weniger dient, langfristig nicht stabil ist und ein Regelrahmen ja gerade langfristige Planbarkeit herstellen soll31. Ob von einer hypothetischen Zustimmung aller zu einer Regelfestlegung ausgegangen werden kann, richtet sich nun nach den Präferenzen der Individuen. Der notwendige Konsens wird bei Buchanan jedenfalls erreicht, wenn eine Entscheidung von einem pareto-suboptimalen Zustand zur ParetoOptimalität führt. Eine „Pareto-Optimalität", liegt vor, wenn ein Zustand besteht, in dem die Nutzensituation keines Akteurs verbessert werden kann, ohne zugleich die zumindest eines anderen zu verschlechtern. Die Bewertung, ob alle Individuen in einem bestimmten kollektiven Handeln eine pareto-optimale Festlegung sehen, ist wiederum aus streng subjektiver Sicht nach einem rationalen Nutzenkalkül zu beantworten. Alle späteren Veränderungen dieser grundlegenden Entscheidung müssen im Verhältnis zum ersten Vertragsschluß pareto-superior sein, wenn sie wieder die allgemeine Zustimmung erhalten wollen32. Damit ist das Ziel pareto-superiorer Handlungen der Maßstab für weitere grundsätzliche (im Sinne von Veränderungen des Gesellschaftsvertrages), kollektive Handlungen. Zwischen hypothetischer Einstimmigkeit und Pareto-Verbesserung besteht nach Buchanan die Beziehung logischer Äquivalenz33. Legitimationsgrundlage ist dabei aber nur die Zustimmungsfähigkeit aller zum konstitutionellen Vertrag. Buchanan verwendet deshalb nicht das Pareto-Kriterium gemäß der wohlfahrtstheoretischen Theorietradition als unmittelbare Legi30 G. BrennanJJ.M. Buchanan, The Reason of Rules, S. 33ff., 35f. unterscheidet deshalb begrifflich für die eigene Konstruktion mit „uncertainty" und der Konstruktion von Rawls mit „ignorance". H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 237ff. unterscheidet zwischen verschiedenen Arten eines Schleier des Nichtwissens für den Bereich der ökonomischen Analyse des Zivilrechts. Die natürliche Unwissenheit bei Posner, der dem Konstrukt Buchanans ähnelt, und bei dem die Menschen bei Wahl der Regeln ihre persönliche Situation kennen, wird dabei von der artifiziellen Unwissenheit bei Rawls unterschieden, bei der die Menschen über ihre Eigenschaften und Situation im unklaren sind. 31 M. Leschke, Ökonomische Verfassungstheorie und Demokratie, S. 74 m.w.N. 32 Th. Petersen, Individueller Freiheit und allgemeiner Wille, S. 116, 119. 33 Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 89.

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Demokratieprinzip

timationsgrundlage, weil damit nicht zentral auf die individuellen Präferenzen abgestellt würde, was dem Prinzip des methodologischen Individualismus widerspräche34. Das Pareto-Kriterium als wohlfahrtstheoretisches Legitimationskriterium stellt auf die Gesamtwohlfahrt einer Gruppe von Akteuren ab. Nach dem individualistischem Maßstab des ökonomischen Konstitutionalismus ist aber ein intersubjektiver Kosten-Nutzen-Vergleich - der für die Bewertung der Gesamtwohlfahrt einer Gruppe erforderlich ist - nicht zulässig, denn er beinhaltet ein objektives Element, das dem rein individualistischen Ansatz fremd ist35. Die Ausrichtung demokratietheoretischer Maßstäbe an objektiven ökonomischen Kriterien wie der Pareto-Optimalität im Sinne einer objektiven Zielsetzung wird daher von der individualistischen Vertragstheorie abgelehnt36. Buchanan entwickelte seine konsensbasierte Legitimationstheorie in bewusster Abgrenzung von der wohlfahrtstheoretischen Tradition37. Nach Buchanans Ansatz stellt damit die Berücksichtigung individueller Präferenzen auch in normativer Hinsicht die ausschlaggebende demokratietheoretische Grundlage dar. Mit dem konstitutionellen Vertrag werden dann die Grundsätze der Staatsorganisation und der Staatsfunktionen begründet. 2. Der Rechtsschutz- und der Leistungsstaat Nach der ökonomischen Theorie des Staates werden mit dem konstitutionellen Vertrag die Formen kollektiven Handelns durch „Rechtsschutzstaat" und „Leistungsstaat" festgelegt. Dem Rechtsschutzstaat obliegt der Schutz der im Verfassungsvertrag definierten Rechte. Der Rechtsschutzstaat und die Entscheidungsregeln des Leistungsstaates werden auf konstitutioneller Ebene festgelegt38. Rechtsschutz- und Leistungsstaat beruhen damit auf dem gleichen Prinzip: Sie dienen der Beschaffung potentieller Tauschgewinne durch gesellschaftliche Selbstversorgung39. Der Rechtsschutzstaat hat im Idealfall nur die Aufgabe, vorher gebilligte Spielregeln durchzusetzen40. Dieser Auftrag beinhaltet dann in der Durchführung keinerlei Wahl im Sin34

Nähere Erläuterungen finden sich bei H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 48ff. Zum Streitstand über die Zulässigkeit intersubjektiver Nutzenvergleiche H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 191ff., 317. 36 Siehe nur bei H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, insbesondere S. 246f. zu konsenstheoretischen Ansätzen; Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 27 m.w.N. 37 Näher dazu /. Pies, Normative Institutionenökonomik, S. 121ff. 38 D. Bund, Die Ökonomische Theorie der Verfassung, S. 27. 39 K. HomannH. Pies, Sozialpolitik für den Markt, in: I. Pies/M. Leschke, (Hrsg.), James Buchanans konstitutionelle Ökonomik, S. 214. 40 J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 98. 35

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213

ne eines Abwägens von Alternativen mit ihren Opportunitätskosten. Die Berücksichtigung von individuellen Interessen und Präferenzen wurde bereits bei Festlegung der Rechte im Verfassungsvertrag vorgenommen. Weil Bewertungen in diesem „Schiedsrichterstaat" keine Rolle spielen, muss er auch nicht „demokratisch" organisiert werden. Vielmehr darf er gar nicht demokratisch verfasst sein, weil er in seiner Funktion der Rechtsdurchsetzung von individuellen Präferenzen unabhängig sein muss41. Unabhängige Institutionen sind danach insbesondere zur Durchsetzung von Rechten legitim, die auf konstitutioneller Ebene festgelegt wurden. Die Bereitstellung öffentlicher Güter42 und Umverteilungsmaßnahmen erfolgen durch den Leistungsstaat43. Dieser entspricht der Gesetzgebung44. Entscheidungen im Rahmen des Leistungsstaates stellen Interessenkompromisse dar und sind keine „Wahrheitsurteile" wie die Durchsetzung von Rechten im Rechtsschutzstaat45. Deshalb müssen die Interessen der Betroffenen bei der Entscheidung über die Herstellung öffentlicher Güter - anders als bei der Durchsetzung von Rechten - auch auf der postkonstitutionellen Ebene in unmittelbarer Weise in das Entscheidungsverfahren miteinbezogen werden46, was grundsätzlich durch das demokratische Verfahren gewährleistet wird. Die Entscheidungsregeln für kollektive Entscheidungen im Leistungsstaat auf postkonstitutioneller Ebene werden bereits im Rahmen des konstitutionellen Vertrages festgelegt47. Auch hier bleibt die Einstimmigkeitsregel das Ideal der Entscheidungsfindung. Jedes Abweichen vom Einstimmigkeitsprinzip verursacht bei der Minderheit Präferenzkosten und Einbußen ihrer Wohlfahrt. Nur wenn die erwarteten Vorteile, die ein Abweichen von der Einstimmigkeitsregel bringen wird, die entstehenden Kosten übersteigen, werden alle Akteure bereit dazu sein, einer anderen Entscheidungsregel als dem Einstimmigkeitsprinzip zuzustimmen. Die individuellen Nutzenerwartungen sind damit für die Wahl der Entscheidungsverfahren und Mehrheits41

J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 136; näher dazu Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 122. 42 Güter, die nicht teilbar sind, sondern, wenn sie einmal da sind auch von denen genutzt werden können, die nicht bereit sind für ihren Gebrauch zu zahlen. Solche Güter werden vom Marksystem nicht bereitgestellt, sondern sie benötigen zu ihrer Herstellung politischgouvernementale Strukturen. 43 J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 138; D. Bund, Die Ökonomische Theorie der Verfassung, S. 29ff. 44 J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 98. 45 J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 139. 46 J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 139. 47 J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 103.

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Demokratieprinzip

erfordernisse entscheidend. Aus den individuellen Nutzenerwartungen lässt sich dann ableiten, warum in bestimmten Bereichen erhöhte Mehrheitserfordernisse vorgesehen werden oder bestimmte Entscheidungen dem Mehrheitserfordernis entzogen werden sollen. Beispielsweise werden in die Kostenabwägung die Nachteile politischer Einflussnahmen, wie sie durch demokratisch legitimierte Mehrheitsentscheidungen entstehen, einfließen. In Folge der Abwägung der Kosten der politischen Einflussnahme und den Präferenzkosten kann in bestimmten Politikbereichen dann auf eine Legitimation über Mehrheitsentscheidungen verzichtet werden, wenn die Kosten der politischen Einflussnahme durch Interessengruppen in diesen Bereichen besonders hoch sind. Dies wird von Buchanan beispielsweise für die Politikbereiche Steuer-, Währungs- oder Haushaltspolitik angenommen, die den „in-period majoritarian politics" entzogen werden, und auf konstitutioneller Ebene auch in ihrer genauen Zielsetzung geregelt werden sollen48. Im demokratischen Mehrheitsverfahren mit einem kurzen Zeithorizont, wie er notwendigerweise aus demokratisch-kollektivem Handeln resultiere, können es leicht dazu kommen, dass Resultate produziert werden, die letztlich keiner Person und keine Gruppe nutzen49. Die Kosten politischer Einflussnahme sind im Beispiel Währungspolitik besonders ersichtlich, wenn kurzfristigen politischen Vorteilen mittel- bis langfristige Kosten gegenüberstehen, etwa in Form der Geldentwertung. Auf konstitutioneller Ebene können neben Einstimmigkeit und Varianten der Mehrheitsregel daher auch unabhängige Institutionen, etwa eine unabhängige Zentralbank, für die Entscheidungsfindung auf Ebene des Leistungsstaates festgelegt werden. Allerdings spricht sich Buchanan selbst entschieden gegen eine Delegation von Aufgaben von „demokratischen" Verfahren auf „Bürokraten" aus50. Vielmehr seien im Leistungsstaat auf postkonstitutioneller Ebene demokratische Verfahren zwingend erforderlich. Grund dafür sei, dass es für Entscheidungspersonen in der Bürokratie schwer sei, Gesichtspunkte zu finden, unter denen sie entscheiden sollen. Wenn man Entscheidungen in bessere und schlechtere einteilt und daraus eine Legitimation ableitet, führt man nach Buchanans Ansicht unter der Hand neben den formalen Legitimationskriterien zusätzlich noch eigene materielle Kriterien ein51. Daher schlägt Buchanan in den oben genannten Bereichen der Währungs- oder Haushaltspolitik auch nicht die Bildung un48 J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 217ff., 219, 222ff.; G. BrennanU.M. Buchanan, Die Begründung von Regeln, S. 112ff., 126f. 49 G. BrennanJJ.M. Buchanan, Die Begründung von Regeln, S. 127. 50 J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 141f. 51 J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 142.

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abhängiger Institutionen vor, sondern eine Festschreibung bestimmter Zielsetzung auf Verfassungsebene, die die unmittelbar demokratisch gewählten Entscheidungsträger binden sollen. Für die Produktion öffentlicher Güter im Leistungsstaat bietet der ökonomische Konstitutionalismus damit theoretisch einen Ansatz zur Legitimation unabhängiger Institutionen. Buchanan fordert aber für die Produktion öffentlicher Güter unmittelbar demokratische Verfahren, weil er nur dann eine wünschenswerte Anreizstruktur für gegeben hält.

B. Transaktionskosten- und Regulierungstheorie Im Forschungszweig der Regulierungstheorie sind positive Analysen des politischen Entscheidungsprozesses entwickelt worden, die die Theorie Buchanans ergänzen können und im Folgenden zur Untersuchung der demokratischen Legitimation staatlicher Institutionen herangezogen werden. Stigler entwickelte Anfang der siebziger Jahre eine Theorie der Regulierung, die den Einfluss von Interessengruppen auf den Normsetzungsprozeß herausarbeitete und zu erklären versuchte52. Majone entwarf dann in den neunziger Jahren aufbauend auf den Untersuchungen Wilsons eine Legitimationstheorie unabhängiger Regulierungsagenturen53. Die methodische Grundlage der Regulierungstheorie ist in positiver Hinsicht die ökonomische Theorie politischer Entscheidungsprozesse, nämlich die Public-Choice- und die Transaktionskostentheorie. Die positiven Ergebnisse der Regulierungstheorie werden hier herangezogen, um die positiven Analysen des politischen Prozesses, wie ihn Buchanan dargestellt hat, näher zu spezifizieren. In normativer Hinsicht baut auch die normative Regulierungstheorie Majones auf dem konsenstheoretischen Paradigma auf. Majone legt seinem Legitimationsansatz das Zusammenwirken von positiver Analyse und konstitutionellem Vertrag zugrunde, wie es von Buchanan beschrieben wurde.

52

Grundlegend G. J. Stigler, The Theory of Economic Regulation, (1971), abgedruckt in: G.J. Stigler, Chicago Studies in Political Economy, Chicago 1988, S. 209-233. 53 Siehe G. Majone, Regulating Europe, 1996; Ein wesentlicher Beitrag zur Regulierungstheorie stammt von R. A. Posner, The Social Costs of Monopoly and Regulation, Journal of Political Economy 83 (1975), S. 807-27, abgedruckt in G. J. Stigler (Hrsg.), Chicago Studies in Political Economy, S. 279-302.

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Demokratieprinzip

I. Transaktionskostenansatz und unabhängige Institutionen Die Neue Institutionenökonomie, die auch Neue Organisationsökonomik54 genannt wird, betont die Bedeutung von Transaktionskosten für das Funktionieren von wirtschaftlichen und politischen Institutionen. Grundlegende These der Neuen Institutionenökonomik ist, dass die Schaffung von Institutionen und Organisationen und deren tägliches Funktionieren den Einsatz realer Ressourcen erfordert55. Der Einsatz dieser Ressourcen wird als Transaktionskosten bezeichnet56. Zur allgemeinen Kategorie der Transaktionskosten zählen Such- und Informationskosten, Verhandlungs- und Entscheidungskosten, Überwachungs- und Durchsetzungskosten. Die Neue Institutionenökonomik analysiert die Beziehung zwischen der politischen und der wirtschaftlichen Seite sozialer Systeme unter dem Blickwinkel der Transaktionskosten. Von politikwissenschaftlicher Seite wird versucht, die Entstehung unabhängiger Institutionen mit Hilfe des Transaktionskostenansatzes der Neuen Institutionenökonomik zu erklären57. Der Gedanke dazu wurde aus dem ökonomischen Bereich abgeleitet. Für den Bereich der Marktwirtschaft untersuchte Coase, wie es dazu kommt, dass sich im Marktsystem, in dem sich alle Koordinationen nach dem Preismechanismus richten, Unternehmen bilden, innerhalb derer die Koordination nach anderen Mechanismen funktioniert (nämlich dem „entrepreneur-coordinator", der die Produktion steu-

54

R. Richter/E. Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 33; Die Neue Institutionenökonomik gab Anstoß zur Entwicklung der sogenannten Neuen Organisationsökonomik. Dieser Ansatz wird in ganz verschiedenen Gebieten angewandt, z.B. im Gebiet der öffentlichen Verwaltung und der internationalen Organisationen, siehe R. Richter/E. Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 36f. 55 R. Richter/E. Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 33. 56 Ähnlich die Definition der Transaktionskosten nach dem Handbuch der Wirtschaftsethik, Bd. 3, S. 117ff: Transaktionskosten sind die im Zusammenhang mit der Bestimmung, Übertragung und Durchsetzung von Verfügungsrechten entstehenden Kosten, insbesondere Informations- und Kommunikationskosten bei der Vereinbarung, Kontrolle und Anpassung wechselseitiger Leistungsbeziehungen. 57 Siehe etwa G. Majone, Nonmajoritarian Institutions and the Limits of Democratic Governance: A Political Transaction-Cost Approach, Journal of Institutional and Theoretical Economics 2000, S. 57ff.

Ökonomische

Demokratietheorie

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ert)58. Unternehmen seien, bildlich gesprochen, wie „lumps of butter coagulating in a pail of butter milk"59. Coase Antwort auf diese Frage war, dass es „Kosten" (im folgenden „Transaktionskosten") verursacht, den Preismechanismus zu benutzen60. Die Bildung von Institutionen erlaube es den Akteuren, diese Kosten zu senken. Unter den Begriff „Institutionen" fallen dabei nicht nur Organisationen, sondern auch Einrichtungen wie Eigentumsrechte oder das Rechtssystem eines Staates. Coase zeigte, dass es in einer Welt ohne Transaktionskosten keinen Sinn mache, solche Institutionen zu bilden61. North wies dann nach, dass im politischen Geschehen Transaktionskosten mindestens genauso bedeutend sind wie im ökonomischen Bereich62. In der Folgezeit entwickelte sich der Transaktionskostenansatz im politikwissenschaftlichen Bereich zu einer weitverbreiteten Analysemethode63. Majone stellte für den politikwissenschaftlichen Bereich die Frage, die der Coase'sehen Frage für den ökonomischen Bereich entspricht: Warum entstehen in demokratischen Systemen, in denen Politik eigentlich von demokratisch gewählten Repräsentanten gemacht werden soll, Institutionen, die weder im Rahmen demokratischer Wahlen noch gegenüber demokratisch gewählten Repräsentanten politisch verantwortlich sind?64 Schon vorher hatten sich andere Autoren allerdings mit der Verschiedenartigkeit von Poli58

R. H. Coase, The Nature of the Firm, in: Economia, new series, 4 (1937), S. 386-405, Neudruck, in: R. H. Coase, The Firm, The Market, and The Law, 1988; Anderer Auffassung ist M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 13f. Auch Unternehmen funktionierten nach dem Marktmechanismus, also freiwilliger Kooperation aller Beteiligten. Zwang werde nicht ausgeübt. Alle Mitarbeiter würden sich freiwillig an der gemeinsamen Untemehmensarbeit beteiligen. M. Friedman's Argument trifft aber nicht den entscheidenden Punkt. Es kommt nicht darauf an, ob sich die Individuen freiwillig und grundsätzlich dem Lenkungsanspruch des Direktors unterordnen, sondern darauf, daß eben diese Unterordnung und Steuerung überhaupt entsteht. 59 R. H. Coase, The Firm, The Market, and The Law, S. 35 verwendet die Formulierung von D. H. Robertson, Control of Industry, S. 85, der von "islands of conscious power in this ocean of unconscious co-operation" spricht, die eben seien wie "lumps of butter coagulating in a pail of buttermilk." 60 Der Ansatz des oben zitierten Aufsatzes „The Nature of the Firm" von Coase gilt heute als die Begründung der Transaktionskosten Ökonomik und den neuen Institutionalismus. 61 Dazu R. H. Coase, The Problem of Social Cost, The Journal of Law and Economics 3 (1960), S. 1-44. 62 D. North, A Transaction Cost Theory of Politics, in: Journal of Theoretical Politics 2 (1990), S. 355-367. 63 Siehe B. Weingast/W. Marshall, The Industrial Organisation of Congress; or: why legislators, like firms, are not organized as markets, in: Journal of Political Economy, 96 (1988) S. 132-163; J. Wilson, The Politics of Regulation; A. K. Dixit, The Making of Economic Policy. 64 G. Majone, Nonmajoritarian Institutions and the Limits of Democratic Governance: A Political Transaction-Cost Approach, in: Journal of Institutional and Theoretical Economics (JITE) 2000, S. 59.

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Demokratieprinzip

tikfeldern und ihrer Wahrnehmung durch unterschiedlich strukturierte Institutionen beschäftigt65. Politiker handeln nach dem Transaktionskostenmodell so, dass ihre Transaktionskosten möglichst gering bleiben66. Wenn angenommen wird, dass die Wiederwahl, Partei- und Fraktionsinteressen für Politiker sehr bedeutend sind, werden Politiker Entscheidungen vermeiden, die ihre Transaktionskosten für die Wiederwahl steigern67. Diese Orientierung der Entscheidungsträger an der Minimierung ihrer eigenen Entscheidungskosten führt zu einer möglichen Differenz zwischen der besten Lösung für den individuellen Entscheidungsträger und derjenigen für die Gemeinschaft. Zur Bildung unabhängiger Institutionen und Delegation politischer Kompetenzen auf dieselben kommt es nach dieser Auffassung, wenn die Kosten einer politischen Handlung teurer werden, als der Nutzen, der für den Politiker aus der Handlung entspringt68. Eine solche Situation liegt vor, wenn eine politische Entscheidung inhaltlich dem Politiker richtig erscheinen mag, er aber durch diese Entscheidungen Wählerpotential, dem er verpflichtet ist, enttäuscht und damit eventuell verliert. II. Ein politikfeldbezogenes Bild politischer

Entscheidungsprozesse

Mit Hilfe des Transaktionskostenansatzes wird dann untersucht, wie sich politische Entscheidungsprozesse je nach Struktur des betreffenden Politikfeldes unterscheiden. Wilson entwickelte aus dem Transaktionskostenansatz für den Bereich der Regulierungstheorie eine Klassifizierung von Politikfeldern nach Kosten- und Nutzenverteilung, die eine Bestimmung von vier verschiedenen Arten der Entscheidungsfindung beschreibt69. Zwar wurde diese Beschreibung für die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten entwickelt, ihr Konzept kann aber grundsätzlich auch auf andere demokratische Entscheidungssysteme übertragen werden. Unterschiede bei der Anwendung des Modells von Wilson auf verschiedene Staaten oder politische Systeme können sich aus den verschiedenen Regierungssystemen, der Größe und 65

Siehe etwa J. Wilson, The Politics of Regulation, 1980, S. 367ff. Zum Inhalt des Eigeninteresses siehe oben bei der Diskussion um den Inhalt von Eigeninteresse: der Politiker ist an Stimmen- und nicht Vermögensmaximierung interessiert. 67 Politische Transaktionen sind beispielsweise Verhandlungen, Durchführung, Überwachung und Durchsetzung von Zielen, siehe R. Richter/E. Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 462. 68 G. Majone, Nonmajoritarian Institutions and the Limits of Democratic Governance, in: Journal of Institutional and Theoretical Economics 2000, S. 57ff. 69 J. Q. Wilson, The Politics of Regulation, S. 367ff.; Dazu auch G. Majone, The European Commission as Regulator, in: G. Majone, Regulating Europe, S. 76. 66

Ökonomische Demokratietheorie

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Homogenität der Staaten, Einstellungen der Bürger gegenüber dem Staat und der Bürokratie sowie unterschiedlichen Verhaltensweisen und Zielsetzungen von Interessengruppen ergeben. Auch können sich die Stärke des Einflusses von Gruppen historisch bedingt unterschiedlich entwickelt haben70. Daher kann die folgende Einteilung nur abstrakt, aber nicht mit den genannten Beispielen auf verschiedene Länder angewandt werden. Sie dient als methodische Grundlage und muss im Einzelfall für jedes politische System für die betreffenden Politikfelder angepasst werden. (1) In Politikfeldern, in denen die Kosten und Nutzen von Entscheidungen breit verteilt sind (beispielsweise Erziehungspolitik), besteht die Erwartung dass alle Gesellschaftsmitglieder durch bestimmte politische Maßnahmen gewinnen werden und alle Gesellschaftsmitglieder für diese Politik zahlen müssen. In solche Politikfelder ist dann davon auszugehen, dass die gesellschaftlichen Interessen sich in einer Art und Weise organisieren und artikulieren, dass eine gleichwertige Interessenberücksichtigung im repräsentativen Entscheidungsprozess zu erwarten ist. Solche Politikfelder bieten nur vergleichsweise schwache Anreize für Interessengruppen, die Gesetzgebung zu beeinflussen. Keine bestimmte Industrie, Berufsgruppe oder Region kann erwarten, in einem solchen Politikfeld einen überdurchschnittlichen Profit zu machen71. Gruppen, die eigentlich ein Interesse an der Beeinflussung von Sozialversicherungs- oder Rentenpolitik hätten, etwa Rentner, sind ein Beispiel für schwach organisierte Interessengruppen in diesem Politikfeld72. Wegen der Größe und Heterogenität der Gruppe besteht nur ein relativ schwacher Organisationsgrad. In der Folge kommt es in diesen Politikfeldern zu mehrheitspolitischen Entscheidungen ohne besonders starken Einfluss von Interessengruppen. (2) Politikfelder, in denen die Kosten und Nutzen politischer Entscheidungen auf bestimmte kleinere Gruppen konzentriert sind, sind von starken Einflüssen durch Interessengruppen auf die politischen Entscheidungen geprägt. Staatliche Regulierungen und Subventionsvergaben können unter diese Kategorie fallen, wenn sie einer relativ kleinen Gruppe auf Kosten einer anderen Nutzen bringen. In einem solchen Fall bestehen für beide Gruppen 70

A. Dixit, The Making of Economic Policy: A Transaction-Cost Politics Perspective, S. 107ff. zur Pfadabhängigkeit gesellschaftlicher und institutioneller Entwicklungen. 71 Zur Problematik des unberechtigten Profitierens in Sozialsystemen, Möglichkeiten dagegen anzugehen und weiteren Klärungsbedarf siehe B. Wolff, Trittbrettfahren im System soziales Sicherung, in: Engel/Morlok, Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 247-256. 72 Th. v. Winter, Sozialpolitische Interessen, Baden-Baden 1997, S. 196ff. mit einer Untersuchung für die Interessenvertretung für Rentner in Deutschland.

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Demokratieprinzip

starke Anreize, Einfluss auf die politischen Entscheidungen zu nehmen. Die Öffentlichkeit dagegen wird sich nur in allgemeiner und nicht sehr nachdrücklicher Weise zu Wort melden, weil sie nicht erkennt, welche der Entscheidungen ihr einen größeren Vorteil bringen würde. (3) Sind die Kosten von Entscheidungen in einem Politikfeld weit verbreitet, der Nutzen aber bei einer kleinen Gruppe von Individuen konzentriert, führt das mit großer Wahrscheinlichkeit zu sogenannter „Klientelpolitik". Es bestehen große Anreize für die kleinen Interessengruppen, durch druckvolle Lobbyarbeit eine für sie vorteilhafte Entscheidung zu erreichen. Die breite Allgemeinheit besitzt dagegen wenig solche Veranlassung, weil die Kosten mit einer nur niedrigen pro Kopf Belastung auf eine große Zahl von Menschen verteilt werden. Beispielsweise neige staatliche Politik dazu, Produzenten, Manager, gewerkschaftlich organisierte Angestellte und organisierte Berufsgruppen zu bevorzugen, und dies üblicherweise zu Lasten von Verbrauchern und unorganisierten Gruppen73. Auch unter dieses Politikfeld fällt die Problematik steigender Staats Verschuldung: Der Nutzen ist (u.a.) konzentriert bei den gewählten Repräsentanten, die Gelder ausgeben, um durch Befriedigung von Interessengruppen, die sie unterstützen, ihre Chancen auf eine Wiederwahl zu steigern. Der volkswirtschaftliche Schaden in Form eines aufgrund Zinszahlungspflichten eingeschränkt handlungsfähigen Staates trifft die Allgemeinheit. Das allgemeine Interesse der Budgetsenkung erhält wenig Unterstützung und wird vernachlässigt74. (4) In Politikfeldern, in denen der Nutzen von Entscheidungen weit verbreitet und allgemein ist, die Kosten aber von einer kleinen Minderheit getragen werden, ist der Ansporn für diese Minderheit groß, sich einer sie belastenden Maßnahme zu widersetzen. Im Bereich der Umweltpolitik werden die Kosten sauberer Luft oder Wassers beispielweise von wenigen Firmen getragen, der Nutzen aber ist verteilt auf die gesamte Bevölkerung75. Politische Maßnahmen in solch einem Politikfeld entspringen „politischem Unternehmertum". Der politische Unternehmer dient als mittelbarer Vertreter von Gruppen, die nicht unmittelbar am Entscheidungsprozeß beteiligt sind. Der politische Unternehmer muss für öffentliche Interessen latente Interessengruppen mobilisieren. Oft können Regelungen, die einen solchen verbreiteten Nutzen sichern insbesondere dann erreicht werden, wenn beispielsweise nach einer Krise (ausgelöst durch einen Skandal, etwa wegen Entdeckung 73

G. Majone, The Commission as a Regulator, in Regulating Europe, S. 76. Siehe zu diesem Beispiel folgend unter Beispielen in Kapitel 9 B I. 75 Mit Beispielen aus der Umweltpolitik Chr. Engel, Nebenwirkungen wirtschaftsrechtlicher Instrumente, in: Engel/Morlok (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 178ff. 74

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gesundheitsschädlicher Produkte oder Produktionsweisen) die öffentliche Aufmerksamkeit auf dieses Themenfeld gerichtet ist76. III. Das Legitimationskonzept Majone geht nun mit der Methodik Buchanans davon aus, dass in Bereichen, in denen ein hypothetischer Konsens für eine Bildung einer unabhängigen Regulierungsagentur zu erreichen ist, diese als demokratisch legitim anzusehen ist. Einen solchen Konsens sieht er als gegeben an, wenn die Bildung einer Regulierungsagentur zu Ergebnissen führt, die allen Individuen nützen, etwa gesamtwirtschaftliche Effizienssteigerungen durch eine unabhängige Regulierungspolitik77. Keinen Konsens für die Bildung unabhängiger Entscheidungsorgane sieht er im Bereich distributiver Politik. Die Bildung von unabhängigen Regulierungsagenturen ist nach diesem Maßstab insbesondere in den Fällen (3) und (4) der vorhergehenden positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse legitim, weil dann durch den überproportionalen Einfluss von Interessengruppen Ergebnisse drohen, die gesamtgesellschaftliche Nutzenverluste mit sich bringen.

C. Systemimmanente Kritik der ökonomischen Demokratietheorie I. Kritik am Homo-Oeconomicus-Modell An der Rationalitätsannahme des Homo Oeconomicus-Modells wurde kritisiert, dass das ökonomische Modell nicht berücksichtige, dass sich Menschen vielfach nicht als rationale Nutzenmaximierer im Sinne der Wirtschaftswissenschaft erweisen, sondern beispielsweise das Interesse an der Einhaltung von Regeln und „Fairness" Uberwiegen kann78. Die ökonomische Theorie der Politik vermöge - so die Kritik - aufgrund ihrer unaufhebbaren 76

Siehe Chr. Engel, Nebenwirkungen wirtschaftsrechtlicher Instrumente, in: Engel/Morlok (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 188. 77 G. Majone, Regulating Europe, Kap. 10. 78 Die Kritiker der Homo Oeconomicus Modells zeigen andere Elemente (z.B. altruistische, Gerechtigkeitsgefühl) in der menschlichen Verhaltenspsychologie auf, und weisen diese auch empirisch-experimentell nach. Siehe dafür etwa: K. Sigmund/E. Fehr/M. Nowak, Teilen und Helfen - Ursprünge sozialen Verhaltens, Spektrum der Wissenschaft 03/2002, S. 52-59; J. Heinrich, In Search of Homo Oeconomicus: Behavioral Experiments in 15 Small-Scale Societies, American Economic Review, Bd. 91 (2001), S. 73; E. Fehr/S. Gächter, Cooperation and Punishment in Public Goods Experiments, American Economic Review 90 (2000), S. 980ff.

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Demokratieprinzip

Beschränktheit, insbesondere ihrer Konzentration auf das „Eigeninteresse" und „Rationalverhalten", nur Teilbereiche kollektiven Handelns zu erklären. Diese Kritik hat insofern Berechtigung, als das Homo-OeconomicusModell für spezifische Situationen differenziertere Annahmen als die einfache Rationalitätsannahme heranziehen muss79. Dies muss im Einzelfall entschieden werden. Sie entwertet das ökonomische Modell aber nicht hinsichtlich der Zwecke, für die es geschaffen wurde. Die Annahme des Rationalverhaltens dient dazu, prognosefähige Aussagen darüber treffen zu können, wie sich Individuen einer zu untersuchenden Gruppe bei Veränderung ihres Umfeldes durchschnittlich verhalten. Es wird keine Aussage darüber getroffen, ob ein bestimmter Akteur in einer bestimmten Situation rational entscheidet. Auch das Eigennutztheorem ist eine heuristische Annahme, die dazu dienen soll, prognosefähige Aussagen zu liefern. Das Modell des Homo Oeconomicus erfasst mit seiner Ausrichtung auf das „Eigeninteresse" tatsächlich nur einen Teil der Motivationen für menschliches Handeln, insbesondere wenn von einem durchschnittlich angenommenen Nutzenmaximierer ausgegangen wird80. Neben dem am Eigennutz orientierten Handeln finden sich auch Verhaltensweisen, die nicht dieser durchschnittlichen Annahme entsprechen. Wie von Buchanan selbst festgehalten, erfasst der Homo Oeconomicus in seiner Fassung als Nutzenmaximierer für die positive Analyse nicht alle Seiten und Motivationen menschlichen Handelns81. Es scheidet deshalb aber nicht, wie von Kritikern behauptet, als Grundlage einer positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse aus. Es kommt nur darauf an, dass mit dem Homo-Oeconomicus-Modell Aussagen über das durchschnittliche Verhalten von Akteuren einer Gruppe getroffen werden können, wenn es zu Veränderungen des institutionellen Umfeldes, also der Restriktionen kommt, die das Verhalten der Akteure beeinflussen. Das Homo-Oeconomicus-Modell dient zur Analyse kollektiver Verhaltensweisen (Makroanalyse), für die das Abstellen auf durchschnittliche Handlungsweisen der Individuen relevant ist (Mikrofundierung der Makroanalyse), und nicht auf die positive Analyse individuellen Verhaltens, 79

H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 41 verweist auf den Bereich der Familienpolitik, in dem vielfach von irrationalem Verhalten auszugehen sei. Hier müssen dann speziellere Rationalitätsmaßstäbe angelegt werden. 80 So auch J. M. Buchanan, The Calculus of Consent, S. 17, 30: "Just as the theory of markets can explain only some fraction of all private economic action, the theory of collective action can explain only some undetermined fraction of collective action." 81 Zu unterschiedlichen Interpretationen des Eigennutztheorems siehe H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 31ff.

Ökonomische Demokratietheorie

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die tatsächlich eine andere Modellierung als den Homo Oeconomicus in seiner Fassung als reiner Nutzenmaximierer erfordern würde. Für eine positive Grundlage einer Demokratietheorie ist das Homo-Oeconomicus-Modell damit geeignet, denn eine demokratietheoretische Legitimation staatlicher Institutionen bezieht sich gerade auf kollektives Handeln. Für die analytische Verwendbarkeit des ökonomischen Paradigmas reicht es damit aus, wenn zumindest eine so hohe Zahl an gesellschaftlichen Interaktionen nach dem ökonomischen Muster stattfindet, dass es möglich wird, durchschnittliche Voraussagen und Erklärungen über individuelles Verhalten zu treffen. Das Homo-Oeconomicus-Modell soll eben nur kollektive und nicht individuelle Verhaltensweisen erklären. Auch wenn der ökonomische Aspekt nicht immer der überwiegende Grund für das Zustandekommen menschlichen Verhaltens ist, erklärt er doch einen wichtiges Element menschlicher Motivation, das für Prognosen kollektiven Verhaltens geeignet ist. Damit können dann Hypothesen entwickelt werden, die auch empirischen Überprüfungen zugänglich sind. Das ökonomische Modell gibt gerade durch seine Beschränkung ein genaueres Analyseinstrument an die Hand als die verallgemeinernden Repräsentationstheorien. Bei diesen bleiben Motivation und Inhalt des individuellen Handelns der Entscheidungsträger meist gänzlich unerläutert und unbestimmt82. Das Eigennutztheorem ist darüber hinaus in seinem Anwendungsbereich auch nicht so beschränkt, wie dies die Kritik unterstellt. Nach dem Eigennutztheorem konkretisiert sich die jeweilige individuelle Präferenz immer bereichsspezifisch. Das bedeutet, dass der betreffende Akteur, wenn in einem bestimmten, spezialisierten Funktionsbereich ein konkretes Ziel zu verfolgen ist, seine Präferenz (Eigeninteresse) bereichsspezifisch entwickelt. Das Eigeninteresse der Politiker ist ein Beispiel für die bereichsspezifische Interpretation von Eigeninteresse: Politiker sind nicht vorrangig Gewinnmaximierer im Sinne des Maximierens von Geldvermögen. Sie sind als politische Akteure an der Maximierung ihrer Wählerstimmen interessiert. Diese konkret entstandene Präferenz erfasst das Homo Oeconomicus-Modell durchaus83. Dabei kann der Inhalt des Interesses auch auf scheinbar „altruistische" Ziele abzielen, etwa gesellschaftliche Anerkennung durch ehrenamtliche Tätigkeit. Das Modell des Homo Oeconomicus gibt damit eine gute Grundlage für die Modellierung des politischen Meinungsbildungsprozesses, 82

Für das Menschenbild des Grundgesetzes nach der Rechtsprechung des BVerfG siehe R. Gröschner, Homo Oeconomicus und Grundgesetz, in: Engel/Morlok (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 40f. 83 M. Morlok, Vom Reiz und Nutzen, in: Engel/Morlok (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 22.

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Demokratieprinzip

die in verschiedenen Politikfeldern durch empirische Prüfungen auf ihre Übereinstimmung mit der sozialen Wirklichkeit getestet werden kann84. II. Kriterien der Auswahl von Entscheidungsverfahren Wie nun gezeigt wird, bereitet es Probleme, die normative Ökonomik oder in Teilen auch Buchanans konsenstheoretische Legitimationstheorie als normativen Maßstab einer Demokratietheorie heranzuziehen. Der Anschluss der normativen ökonomischen Theorien an die „klassische" Demokratietheorie erweist sich als schwieriger, als die positive ökonomische Analyse als Grundlage der demokratietheoretischen Bewertung staatlicher Institutionen zu nutzen85. In diesem Abschnitt wird dabei zuerst auf die wohlfahrtstheoretischen Kriterien - Pareto- und Kaldor-Hicks-Kriterium - als normative Legitimationskriterien für die Auswahl von Entscheidungsverfahren eingegangen, bevor dann die konsenstheoretische Legitimationstheorie Buchanans auf ihre Eignung als normative demokratietheoretische Grundlage untersucht wird. Dabei zeigt sich, dass die Methode der Einbeziehung der positiven Analyse in die Auswahl der Verfahren weiterführend ist, die Annahme von Konsensfähigkeit bei Vorliegen der wohlfahrtstheoretischen Kriterien aber Probleme bereitet. Ausgangspunkt der normativen Ökonomik ist der Gedanke, es solle die Entscheidungsalternative ausgewählt werden, die zu einer Verringerung der Ressourcenknappheit führt86. Die Ökonomik begreift gesellschaftliches Handeln als Mittel zu individueller Knappheitsbewältigung87. Knappheit der Ressourcen ist durchaus ein universales Problem, das auch allen Fragen gesellschaftlicher Steuerung zugrunde liegt88. Die Fragestellung der normati-

84

So bereits G. BrennanlJ. M. Buchanan, Die Begründung von Regeln, S. 72: „Insofern ist das „Homo-Oeconomicus"-Modell im Blick auf die Bewertung verschiedener Institutionen eine äußerst nützliche Arbeitshypothese, nicht weil es empirische Gültigkeit besäße, sondern weil es analytisch brauchbar ist. Die Frage der empirischen Gültigkeit wird erst dann von Bedeutung, wenn es um die Beurteilung der Relevanz der vertragstheoretischen oder konstitutionellen Betrachtungen als solcher geht." 85 Auch die Anwendung des normativen ökonomischen Forschungsansatzes auf die ökonomische Theorie des Rechts ist umstritten, siehe Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 9 m.w.N. 86 Unter Ressourcen handelt es sich dabei nicht nur um wirtschaftliche Güter im traditionellen Sinne, sondern auch etwa um eine existierende Rechtsordnung oder nicht-wirtschaftliche Güter, s. Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 12f. 87 1. Pies, Normative Institutionenökonomik, S. 100. 88 1. Pies, Normative Institutionenökonomik, S. 106.

Ökonomische Demokratietheorie

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ven Ökonomik kann damit auch in die demokratietheoretische Diskussion nach möglichen normativen Maßstäben integriert werden. Eine verbreitete Variante der normativen Ökonomik, die Wohlfahrtsökonomik, präzisiert den Maßstab im Sinne der Allokationseffizienz89. Dies bedeutet, dass wegen der Knappheit der Ressourcen und der wünschenswerten Verringerung dieser Knappheit die Ressourcen in einer Art und Weise anzuordnen und zu nutzen sind, dass jede Veränderung dieser Anordnung zu einer Minderung des Gesamtnutzens führt. Eine solche Situation wird als pareto-optimal bezeichnet. Verfahrensregeln und staatliche (unabhängige) Institutionen wären danach dann legitim, wenn sie die kollektiven Entscheidungsabläufe so beeinflussen oder lenken, dass dies der Herstellung paretooptimaler Zustände dient90. Gegen die Ausrichtung der Legitimation staatlicher Institutionen an einem solchen Effizienzkriterium sprechen aber mehrere Gründe. Das ParetoKriterium kann erstens nicht als gesellschaftspolitische Zielsetzung herangezogen werden, weil es - je nach Ausgangslage - auch gesellschaftliche Zustände festschreiben kann, die mit den demokratietheoretischen Grundsätzen von Freiheit und Gleichheit bzw. gleichwertiger Interessenberücksichtigung nicht vereinbar sind. Wird durch eine kollektive Handlung auch nur ein Akteur schlechter gestellt, ist, wenn man auf das ParetoKriterium abstellt, diese kollektive Handlung nicht zulässig. In der Folge werden unter Umständen auch gesellschaftliche Zustände festgeschrieben, die einige Personen aus der Mitwirkung an kollektiven Prozessen ausschließt. Die Veränderung eines solchen Zustandes könnte ja einige Personen schlechter stellen. Die Ausrichtung der Entscheidungsverfahren an einem bestimmten Effizienzkriterium widerspricht zum anderen ganz zentral der demokratietheoretischen Anforderung an inhaltsoffene Entscheidungsverfahren, weil es die Auswahl der kollektiven Entscheidungsverfahren an bestimmten materiellen Kriterien ausrichtet. Die normative Ausrichtung an einem anderen Effizienzziel, dem so genannten Kaldor-Hicks-Kriterium91, führt auch nicht zu einer Vereinbarkeit 89 Zur Entwicklung der Wohlfahrtsökonomik aus dem Utilitarismus siehe H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 42ff. und Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 44ff. 90 Das Pareto-Kriterium wurde um 1900 vom italienischen Ökonomen und Soziologen Vilfredo Pareto vorgeschlagen, allerdings fur die Beschreibung des Marktmechanismus. 91 Das Kaldor-Hicks-Kriterium wurde 1939 von den Ökonomen Nicholas Kaldor (Welfare Propositions of Economics and Interpersonal Comparisons of Utility, in: Economic Journal 49 (1939), S. 549-553), und John Hicks (The Foundations of Welfare Economics, in: Economic Journal 49 (1939), S. 696-712) entwickelt.

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Demokratieprinzip

mit den Maßstäben gleichwertiger Interessenberücksichtigung und Offenheit der Entscheidungsverfahren und scheitert an der Unvereinbarkeit dieses Kriteriums mit einer normativ individualistischen Legitimationstheorie92. Mit dem Kaldor-Hicks-Kriterium werden alle Veränderungen als wohlfahrtsoder effizienzsteigernd angesehen, bei denen aus den Gewinnen einer Veränderung die möglichen Verluste der Verlierer kompensiert werden können. Damit wird zwar das Problem gelöst, dass bei der Verwendung des ParetoKriteriums als normativer Maßstab auftrat, nämlich dass unter Umständen demokratietheoretisch unzulässige Zustände festgeschrieben werden können. Allerdings garantiert auch die Verwendung des Kaldor-Hicks-Kriteriums keine gleichwertige Interessenberücksichtigung, denn Maßstäbe für die Verteilung der Allokationsgewinne werden nur insoweit gegeben, als dass niemand schlechter gestellt wird als vor der vorzunehmenden kollektiven Handlung. Im Rahmen einer gleichwertigen Interessenberücksichtigung kommt es aber auch entscheidend auf die relative Verteilung von Effizienzgewinnen an93. Abzulehnen ist das Kaldor-Hicks-Kriterium als legitimationstheoretischer Maßstab auch dann, wenn man im Rahmen der Vertragstheorie und des normativen Individualismus keine intersubjektiven Nutzenvergleiche zulässt, weil der Nutzen einer Handlung nur jeweils aus subjektiver individueller Sicht beantwortet werden kann94. Mit dem Kaldor-HicksKriterium müssten sich die Nutzengewinne der Gewinner einer Handlung mit den Verlusten der Verlierer verrechnen lassen. Interpersonelle Nutzenvergleiche setzen voraus, dass ein einheitlicher, objektiver Maßstab existiert, mit dem sich Nutzenwerte verschiedener Zustände für verschiedene Individuen bestimmen lassen. Ein solcher Maßstab ist aber wissenschaftlich nicht begründbar95. Die vorzunehmenden Nutzenvergleiche bleiben dann reine Werturteile, die nicht als normativer Maßstab gelten können. Wie auch beim Pareto-Kriterium spricht gegen die Verwendung des Kaldor-HicksKriteriums vor allem die Tatsache, dass es die demokratischen Verfahren der notwendigen Offenheit beraubt und auf bestimmte Effizienzziele festlegen will. Buchanan entwickelte seinen konsenstheoretischen Ansatz in bewusster Abgrenzung zu den soeben dargestellten wohlfahrtstheoretischen Krite-

92

Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 26. Bereits dem Utilitarismus, aus dem sich Wohlfahrtsökonomik entwickelte, wurde entgegengehalten, er sei indifferent gegenüber der Verteilung des Nutzens, dessen Maximierung er zur Aufgaben hat, siehe Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 49. 94 Dazu H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 42ff. 95 Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 50. 93

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rien96. Dem ökonomischen Konstitutionalismus liegt das Prinzip des normativen Individualismus zugrunde, nach dem alle Wertentscheidungen nur durch Entscheidungen der individuellen Akteure legitimiert werden können. Das konsenstheoretische Paradigma verwendet damit nicht mehr das Paretooder Kaldor-Hicks-Kriterium als unmittelbare Legitimationskriterien, nutzt sie aber als Anhaltpunkt dafür, wann von einem Konsens ausgegangen werden kann. Als methodischer Vorteil des ökonomischen Konstitutionalismus ist anzusehen, dass er bei der Auswahl der konsensfähigen Entscheidungsverfahren die Ergebnisse der positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse als Auswahlkriterium einbezieht und so die Konsensfahigkeit über ein Entscheidungsverfahren in einem Zusammenspiel aus hypothetischem Konsens über eine pareto-optimale Regelfestlegung und positiver Analyse bewertet. Beispielsweise wird die konstitutionelle Festlegung von Währungsstabilität konsensfähig sein, wenn sie allen Interessen dient und mit anderen Entscheidungsverfahren, etwa dem Mehrheitsprinzip, gefährdet wäre. Das Konsenskriterium ist bei Buchanan alleinige Legitimationsgrundlage. Dabei kann mit dem Eigennutztheorem davon ausgegangen werden, dass eine pareto-superiore Regelfestlegung die Zustimmung der Akteure finden würde, soweit keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen einer abweichenden Präferenzordnung vorliegen97. Regelfestlegungen, die nach dem Kaldor-Hicks-Theorem wohlfahrtssteigernd sind, werden zustimmungsfahig sein, wenn festgelegt wird, dass die Kompensationen durchgeführt werden müssen98 und keine Hinweise auf eine anderweitige Präferenzordnung vorliegen99. Ein intersubjektiver Nutzenvergleich ist mit dem konsenstheoretischen Legitimationskonzept Buchanans nicht notwendig, weil Ausgangspunkt der Zustimmung die Präferenzen der zu kompensierenden Verlierer sind. Im Ergebnis handelt es sich dann, wenn die Individuen ihre eigene Stellung kennen, um eine pareto-optimale Lösung, denn es wird ja im Ergebnis durch die kollektive Handlung niemand schlechter gestellt als vor der Handlung. 96

Grundsätzlich greift die ökonomische Analyse des Rechts auf die wohlfahrtstheoretischen Pareto- und Kaldor-Hicks-Kriterien zurück, während die ökonomische Verfassungstheorie am Konsensparadigma ausgerichtet ist. Dazu auch H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 5,41. 91 Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 27. 98 H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 235f. 99 H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 239ff, 255, 263 sieht letztlich keine Zustimmungsfahigkeit zu Regelfestlegungen im Sinne des Kaldor-Hicks-Kriteriums aus einer ex-ante Perspektive, weder bei Annahme einer natürlichen noch einer artifiziellen Unsicherheit bei Regelfestlegung.

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Buchanan nennt als Beispiele zustimmungsfähiger Regelfestlegungen konstitutionelle Begrenzungen der Höhe von Steuersätzen, Staatsverschuldung oder Inflation100. Eine Begrenzung der Höhe von Steuersätzen müsste zustimmungsfähig sein, wenn das Steuereinkommen durch die höheren Steuersätze geringer wäre als bei den geringeren Steuersätzen101. Dann müssten auch die bisherigen Nettoprofiteure der Steuerzahlungen zustimmen, die sonst gegen eine Reduzierung der Steuern sind. In einer ähnlichen Logik müsste Einstimmigkeit für die Begrenzung der Inflation herzustellen sein102. Eine langfristig niedrige Inflation verschafft letztlich allen Beteiligten Wohlfahrtsgewinne, kurzfristige höhere Inflation nur einigen. Die konstitutionelle Festlegung einer niedrigen Inflationsrate steht damit im Interesse aller. Ebenso steht nach Buchanan eine konstitutionelle Begrenzung der Staatsverschuldung im langfristigen Interesse aller und ist damit konsensfähig103. Die konsenstheoretische Legitimationsgrundlage ist damit breiter als die wohlfahrtstheoretische Anwendung des Pareto-Kriteriums. Pareto-superiore Lösungen sind nur eine Teilmenge von nach dem konsenstheoretischen Paradigma zustimmungsfähigen Entscheidungen, da die Zustimmungsfähigkeit zu einer Entscheidung sich nach dem Eigeninteresse der Individuen richtet und nicht in letzter Konsequenz nach dem Pareto-Kriterium. Mit der konsequent subjektivistischen Deutung des Nutzenbegriffs und der daraus resultierenden Transformation der demokratietheoretischen Grundlage in die Einstimmigkeitsregel überwindet Buchanans Theorie den gesellschaftspolitisch konservierenden Charakter des Pareto-Kriteriums104. Im ökonomischen Konstitutionalismus hängt die Zustimmungsfähigkeit von der Deutung des Eigeninteresses ab, das für die Erreichbarkeit eines Konsenses entscheidend ist. Die Zustimmungsfähigkeit als Grundlage kollektiven demokratischen Handelns kann dabei problemlos an die vertragstheoretische Demokratietheorie anknüpfen. Allerdings verfügt auch der ökonomische Konstitutionalismus zunächst nur über die bekannten Kriterien (Pareto- und Kaldor-Hicks), die, wenn keine anderen Umstände vorliegen, zur Konsensfähigkeit führen müssten. Das Konsensparadigma Buchanans bietet damit ein theoretisches Gerüst für eine prozedural ausgerichtete de-

100 101 102 103 104

G. Brennen/J.M. Buchanan, The Reason of Rules, S. 94ff. G. BrennanJJ.M. Buchanan, The Reason of Rules, S. 95. G. BrennardJ.M. Buchanan, The Reason of Rules, S. 101 m.w.N. G. BrennanJJ.M. Buchanan, The Reason of Rules, S. 104ff. Th. Petersen, a.a.O., S. 119.

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mokratische Legitimationstheorie105. Insofern ist der konsenstheoretische Ansatz, auf Zustimmungsfähigkeit abzustellen, demokratietheoretisch weiterführend und lässt eine Verbindung zwischen dem ökonomischen Ansatz und dem Grundsatz gleichwertiger Interessenberücksichtigung herstellen, wenn eine Konsensfähigkeit auch für Entscheidungsverfahren angenommen wird, die eine gleichwertige Interessenberücksichtigung gewährleisten. Der ökonomische Ansatz steht im Ergebnis im Widerspruch zur Theorie des Vorrangs der Mehrheitsregel, weil er über den Konsens und der daraus folgenden Festlegung von Entscheidungsregeln auch - wie zu zeigen ist bestimmte inhaltliche Festlegungen für die geregelten Politikziele trifft106. Wie oben gezeigt, führt die konsensuale Festlegung von Entscheidungsre-

105

H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 263f. hält eine am Kaldor-Hicks-Kriterium orientierte konsenstheoretische Legitimation für nicht darlegbar, da eine Zustimmungsfähigkeit in diesem Sinne nicht erreichbar sei. Ob eine Zustimmungsfähigkeit zu Pareto- oder Kaldor-Hicks-Kriterium nicht zu begründen ist, wird hier nicht weiter verfolgt, weil zunächst nur gezeigt wird, dass der konsenstheoretische Ansatz offen ist auch für andere zustimmungsfähige kollektive Entscheidungen, etwa den Grundsatz gleichwertiger Interessenberücksichtigung. 106 Der Versuch, präzise Kriterien als Maßstab kollektiven Handelns zu definieren, wurde bereits von Rousseau unternommen. Rousseau hatte die grundsätzliche Ausrichtung des kollektiv-demokratischen Handelns an der volonté générale gefordert. Die volonté générale ergab sich dabei aus den aufgeklärten Eigeninteressen der Bürger des Staates. Im Rahmen kollektiven Handelns sollten Abweichungen vom Gemeinwillen gerade nicht vorkommen. Weil diese Bindung kollektiven Handelns auf alle Handlungen erstreckt wird, besteht die Gefahr, dass sie in ein totalitäres Verständnis mündet, da der Konsens gemäß der volonté générale notfalls auch zu erzwingen ist. Dazu K. Homann, Moderne Vertragstheorie, in: Engel/Morlok, (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 280. Das Entwickeln einer Zielvorgabe im Sinne eines konsensabhängigen Zieles, etwa des ParetoKriteriums ist daher grundsätzlich nicht neu. Neu ist daran aber erstens die theoretisch präzise Formulierung, beispielsweise gegenüber dem allgemeinen Ziel des „Generalwillens". Die Präzision des hypothetischen Konsenses bei Vorliegen einer pareto-superioren Handlung beruht auf der Herleitung des Kriteriums aus dem methodologisch-individualistischen Ansatz. Der geforderte Konsens wird aus den Interessen der Einzelnen abgeleitet, die aus ihren Eigeninteressen heraus zu einer Einigung kommen. Dieser Ansatz ermöglicht eine präzisere Formulierung konsensabhängiger normativer Kriterien als bei Rousseau, der nicht auf die reinen Eigeninteressen abstellt, um den Inhalt der volonté générale zu bestimmen, sondern auf die Gemeinsamkeit der Individualinteressen, wenn sie nur richtig verstanden werden. Solche Gemeinsamkeiten sind aber meist nur in genereller Art und Weise zu bestimmen. Zweitens unterscheidet der ökonomische Konstitutionalismus zwischen der konstitutionellen Ebene mit dem Erfordernis des Konsenses (Festlegung von Rechten und Entscheidungsregeln für das postkonstitutionelle kollektive Handeln), und der postkonstitutionelle Ebene, auf der das kollektive Handeln je nach Festlegung auf konstitutioneller Ebene nicht an das Erfordernis der Einstimmigkeit gebunden ist, sondern mit verschiedenen Varianten des Mehrheitsprinzips entscheiden werden kann. So entgeht der ökonomische Ansatz der Gefahr, alles kollektive Handeln einer notfalls erzwungenen Einstimmigkeit zu unterwerfen.

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geln beispielsweise zur Wahrung eines ausgeglichenen Haushalts oder einer antiinflationären Politik. Diese Regeln werden zwar nicht nur aus rein normativen, externen, Gründen festgelegt, also etwa weil diesen Zielen generell Vorrang gebühren soll, sondern auch weil nach Berücksichtigung der positiven Analyse bei der Auswahl der Entscheidungsregeln klar wird, dass diese langfristigen Ziele im Mehrheitsverfahren gefährdet sind. Mit anderen Worten: Die Erkenntnis, dass kein Entscheidungsverfahren, auch nicht das Mehrheitsverfahren, ergebnisneutral ist, sondern jedes Entscheidungsverfahren bestimmte Entscheidungstendenzen haben kann, wird nun bei der Festlegung von Verfahren berücksichtigt. Neben der empirischen Analyse haben damit aber noch weitere Faktoren Einfluss auf die Entscheidung, ob über den Konsens eine konstitutionelle Festlegung eines Zieles erfolgen soll. Erstens muss das zu sichernde Ziel als wünschens- und zustimmungswert anerkannt werden. Wird nämlich akzeptiert, dass alle Entscheidungsregeln, auch das Mehrheitsverfahren, eine Tendenz für bestimmte Ergebnisse haben, ist bei der Festlegung von Entscheidungsregeln immer auch zu bedenken, welche Zielsetzungen man bei der Auswahl der Entscheidungsverfahren verfolgt. Dafür wird nach dem ParetoKriterium angenommen, dass alle Individuen einer Regel zustimmen, wenn daraus Nutzengewinne für alle resultieren. Zum anderen wird dabei unterstellt, es bestünde Einigkeit darüber, wie solche Gewinne für alle zu erzielen seien. Gerade darüber aber gehen häufig die Meinungen weit auseinander. Ein Beispiel für die Annahme eines Konsenses aus einer Mischung aus positiven und normativen Elementen ist Buchanans Kritik am Staatswachstum in demokratischen Systemen107. Die demokratischen Systeme sind danach nicht dafür geeignet, das Wachstum der Staatsausgaben zu begrenzen. In der traditionellen politischen Auseinandersetzung wurden Beschränkungen der Verfassungs- und Verwaltungsorgane nur unter dem Aspekt der Erhaltung demokratischer Verfahrensweisen diskutiert. Dies ist darauf zurückzuführen, dass frühere Herrscher, wegen ihrer Neigung, ihren eigenen Machtbereich über die zulässigen Grenzen auf Kosten der Bürger auszudehnen, Gesetzen unterworfen wurden. Implizit lag der Diskussion um demokratische Verfassungen daher die Vorstellung zugrunde, dass im demokratischen Prozeß zusätzliche Schranken überflüssig seien108. Verfassungsregeln zur Begrenzung der Staatsbürokratie haben damit zum einen eine positive Fundierung, die Eindämmung des „automatischen" Bürokratiewachstums bei Anwendung des Mehrheitsprinzips, zum anderen natürlich eine normati107 108

M. Leschke, Ökonomische Verfassungstheorie und Demokratie, S. 97f. J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 230.

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ve Seite, nämlich die Ansicht, dass das Anwachsen des Staatsanteils negativ zu bewerten ist. Ebenso fließt in die oben angeführten Beispiele der „Hochsteuerfalle", der „Inflationsfalle" und der „Verschuldungsfalle" ein gewisses Maß an normativer Wertung darüber ein, wie denn die wünschenswerten Werte an- und umzusetzen seien. In den genannten Beispielen der Inflations- oder Hochsteuerfalle wird im Ergebnis der politische Prozeß durch eine Zielvorgabe begrenzt. Mit dem ökonomischen Konstitutionalismus wird daher gezeigt, dass alle Entscheidungsverfahren in verschiedenen Politikfeldern bestimmte Entscheidungstendenzen aufweisen und die bewusste Wahl einer Zielsetzung daher normativ notwendig und zulässig ist, wenn dabei in demokratietheoretisch vertretbarer Weise mit der Annahme eines hypothetischen Konsenses vorgegangen wird. Neben den Erkenntnissen der positiven Analyse und der normativen Wünschbarkeit der Ziele ist auch das Verständnis dafür, auf welche Art und Weise sich bestimmte Ziele am besten erreichen lassen, ein wichtiger Faktor und zugleich auch Problem für die Herstellung eines Konsens bei der Auswahl eines allgemein zustimmungsfähigen Entscheidungsverfahrens109. Verschiedene Gesellschafitsmitglieder werden bei der Wahl bestimmter alternativer Entscheidungsregeln unterschiedliche Ergebnisse erwarten. So kann beispielsweise Einigkeit darüber bestehen, dass die Emission von Schadstoffen in einer Region um einen bestimmten Prozentsatz gesenkt werden müssen oder dass ein bestimmtes soziales Sicherungssystem verbessert werden muss. Jedoch werden von den unterschiedlichen Gruppen verschiedene Wege zu diesen Zielen als am effizientesten angesehen. Im ersten Beispiel könnten unterschiedliche Wege die Einführung von Grenzwerten oder die Förderung des Einbaus bestimmter Filteranlagen sein. Im zweiten Beispiel könnte der Ausbau staatlicher oder die Förderung privater Sicherungssysteme bevorzugt werden110. 109 M. Leschke, Ökonomische Verfassungstheorie und Demokratie, S. 76 nennt dies den Theoriekonflikt in Unterschied zum Interessenkonflikt, also der Frage nach der Zustimmung zu einer Regel nach Berücksichtigung der Interessen. 110 M. Leschke, Ökonomische Verfassungstheorie und Demokratie, S. 78f. verweist auf das Problem, dass für die Wahl der unterschiedlichen Entscheidungsregeln von den Bürgern eine gewisse Informiertheit über die unterschiedlichen Entscheidungsalternativen nötig ist. Bereits A. Downs zeigte aber, dass es für die Bürger rational ist, sich nicht über die Parteiprogramme zu informieren. Buchanan und Vanberg zeigen, dass eine gewisse Informiertheit der Bürger über die Entscheidungsalternativen zu erwarten ist, der Kenntnisstand jedoch gering sein dürfte. In der Folge wird dann diskutiert, ob es der Einsetzung von Experten zur Entscheidung Uber die unterschiedlichen Entscheidungsalternativen bedürfe. Dies wird letztlich mit dem Argument abgelehnt, dass damit auch kein wesentlich umfassenderer Informationsgewinn über die Folgen der Entscheidungsalternativen erreicht wird.

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Im Ergebnis kann der normative Konstitutionalismus mit dem Konsensprinzip dann am überzeugendsten die Festlegung bestimmter Zielsetzung auf konstitutioneller Ebene und andere Abweichungen vom Mehrheitsprinzip begründen, wenn dabei die Ergebnisse der positiven Analyse klar nachweisen, dass das Mehrheitsverfahren eine starke Tendenz in Richtung eines bestimmten Ergebnisses beinhaltet. Der ökonomische Ansatz macht deutlich, dass jedes Entscheidungsverfahren in bestimmten Politikfeldern Tendenzen zu bestimmten Ergebnissen besitzt, so dass dann mit der Auswahl eines Entscheidungsverfahrens immer auch eine gewisse normative Zielsetzung verbunden ist. Der rechtswissenschaftliche Ansatz berücksichtigt die Existenz möglicher Ergebnistendenzen bei der Auswahl der Entscheidungsverfahren nicht, er stellt das formale Kriterium gleicher Mitwirkung aller durch Wahlen und Mehrheitsverfahren über diese nicht beabsichtigten Effekte politischer Entscheidungsverfahren. Insofern ist bei der Auswahl der Entscheidungsverfahren abzuwägen, ob die Legitimation, die die formale Gleichheit des Mehrheitsverfahrens vermittelt, durch eine bestimmte Ergebnistendenz bei Anwendung des Mehrheitsverfahrens in einem Politikfeld so weit beeinträchtigt wird, dass die Wahl eines anderen Entscheidungsverfahren legitimer erscheint. Beispielsweise liegt bei Wahl des Mehrheitsverfahrens im Bereich der Staatsfinanzen der Legitimationsschwerpunkt auf der Wahrung der formellen Gleichheit der Mitwirkung, bei der Festlegung verfassungsrechtlicher Verschuldungsgrenzen liegt er auf der Vermeidung unerwünschter Ergebnistendenzen des MehrheitsVerfahrens. Unvermeidlicher „Schwachpunkt" des ökonomischen Ansatzes ist damit, dass die Konsensfähigkeit von normativen Zielsetzungen und dem Verständnis über die richtigen Mittel für eine Zielerreichung abhängt. So fließen Vorgaben in die Auswahl des Entscheidungsverfahrens ein, die nicht nur an gleichheitlicher Mitbestimmung orientiert sind. Die Zustimmungsfähigkeit ändert nichts daran, dass gewisse Ziele als wünschenswert und manche Instrumente anhand von bestimmten „willkürlichen" Zielsetzungen als richtiges Mittel bewertet werden, auch wenn dabei Uber den Konsens versucht wird, eine individualistische Ableitung dieser Zielsetzungen zu begründen. Beispielsweise kann schwerlich aus dem Konsensprinzip darauf geschlossen werden, ob nun 2 oder 3 Prozent Inflationsgrenze konsensfähig sind oder wo genau eine staatliche Verschuldungsgrenze liegen soll. Allerdings kann der ökonomische Ansatz die Wahl anderer Verfahren als des Mehrheitsprinzips damit rechtfertigen, dass die Wahl eines Entscheidungsverfahrens in manchen Politikfeldern (Währung, Finanzen) immer mit bestimmten normativen Zielsetzungen verbunden ist. Zentrale Aufgabe ist dann, herauszufinden, in welchen Feldern dies der Fall ist, und nur dort das Mehrheitsverfahren ein-

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zuschränken. Um den Vorteil der Einbeziehung der positiven Analyse in die Auswahl der Entscheidungsverfahren zu begründen, kommt es aber auch entscheidend darauf an, ob die Einführung der positiven Analyse in die normative Wertung methodisch so erfolgt, dass zumindest diese als „wertneutral" angesehen werden kann. Dies wird nun untersucht. III. Einführung der positiven Analyse in die normative Wertung Im Folgenden wird geprüft, ob die Ergebnisse und die Methode der positiven ökonomischen Analyse als informatorische Grundlage bei der Auswahl der Entscheidungsverfahren dienen können. Damit zusammenhängend wird untersucht, unter welchen methodischen Bedingungen auf normativer Ebene ein Konsens eingegangen wird. Beginnend mit letzterer Frage gilt, dass mit dem Kriterium der Zustimmungsfähigkeit als legitimationstheoretischer Grundlage in normativer Hinsicht das Eigennutztheorem entscheidend beeinflusst, ob eine Regel konsensfähig ist oder nicht. Die legitimationstheoretische Grundlage der ökonomischen Theorie ist jedoch weiter die freiwillige Zustimmung aller Individuen zu den festzulegenden Regeln und nicht etwa die individuelle Nutzenorientierung111. Die freiwillige Zustimmung hängt davon ab, ob die Akteure eine Entscheidung im Einklang mit ihrem Eigeninteresse sehen. Die Verwendung der Eigennutzannahme in normativer Hinsicht ist aber insbesondere in der Rechtswissenschaft umstritten112. Häberle etwa stellt fest, der Mensch sei für den Verfassungsstaat nicht nur von seinen eigenen wirtschaftlichen Interessen her „buchstabiert"113. Daneben meint Häberle, dass die Verfassungslehre gut daran tue, den Menschen im ganzen, aber auch den Homo Oeconomicus im besonderen nicht nur als rational handelndes, sondern auch emotional handelndes Wesen anzusehen. Häberle verwendet den Begriff des Menschenbildes dabei einheitlich für die Ebene des Sollens, also die normative Ebene und die positive oder analytische Ebene114. Wie nun gezeigt wird, wird eine so aufgebaute Kritik und der Vergleich des Homo Oeconomicus mit dem Menschenbild des Verfassungsstaates dem ökonomischen Ansatz nicht gerecht, dessen grundlegendes Merkmal es ist, zwischen normativer und positiver Ebene zu unterscheiden

111

Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 28. Siehe R. Gröschner, Der homo oeconomicus und das Menschenbild des Grundgesetzes, in: Engel/Morlok, (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 31ff. 113 P. Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 68f. 114 P. Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 31, 73. 112

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und die Bedeutung der positiven Analyse für die normative Ebene herauszuarbeiten. An Häberles Kritik ist anzumerken, dass die Rationalitätsannahme des Homo Oeconomicus-Modells auf der normativen Ebene gerade nicht für eine Annahme über die Präferenzordnung der Akteure gilt. Die Rationalitätsannahme wird nicht in dem Sinne angewandt, dass von den Akteuren zweck-rationales Verhalten in dem Sinne gefordert wird, dass sie sich für eine „effektive" Variante entscheiden sollen115. Vielmehr gilt auf normativer Ebene, dass die Akteure eigennutzorientiert handeln. Der Begriff des Eigeninteresses ist dabei nicht moralisch aufgeladen116, er sagt nichts über den Inhalt des Eigeninteresses aus, ob jemand altruistisch oder anders handelt. Vielmehr gilt nach dem Grundsatz der Präferenzautonomie, dass die individuellen Präferenzen der Akteure und nicht von außen vorgegeben Werte das Eigeninteresse prägen. Die in der positiven Analyse verwendete Rationalitätsannahme fließt in die normative Ebene in dem Sinne mit ein, dass mit den Ergebnissen der positiven Analyse die Individuen über die Folgen der auszuwählenden Entscheidungsregeln informiert werden. Auch normative Aussagen beruhen auf positiven Annahmen dann, wenn die normative Entscheidung die Folgen der zu treffenden Entscheidung in das Entscheidungskalkül mit einbezieht117. Das gilt beispielsweise für die Entscheidung, welche staatlichen Institutionen welche normativen Zielsetzungen am besten verwirklichen helfen. In Buchanans Theorie baut die normative Analyse auf der positiven auf, nämlich dann, wenn gefragt wird, welche kollektive Handlung zustimmungsfähig für alle Akteure ist. Zur Beschreibung der möglichen Folgen legt die positive Analyse ihrerseits die Rationalitätsannahme zugrunde, um eine möglichst präzise Beschreibung kollektiver Verhaltensprozesse zu geben, die prognosefähig und falsifizierbar sind. Diese integrative Zuordnung von normativer und positiver Ebene entspricht dann auch Häberles Ansatz, der feststellt, dass der Jurist mit einem normativen Menschenbild arbeitet, aber „in Perspektive auf ein Sein"118. Die „Eigenständigkeit des Normativen" gegenüber den „außerrechtlichen Systemen" sei zwar zu betonen, ein letztlich nicht voll zu erfassender Zusam-

115

Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 18. Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 13. 117 Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 16 mit Hinweis auf den „Konsequentialismus", demzufolge Entscheidungen unter Berücksichtigung der Folgen dieser Entscheidungen getroffen werden. 118 P. Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 31. 116

Ökonomische Demokratietheorie

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menhang bleibe aber119. Die rechtswissenschaftliche Kritik an der Einbeziehung der positiven Analyse der ökonomischen Theorie, damit dann auch etwa des Rationalitätskriteriums, in die normative Ebene im eben dargestellten Sinne betrifft dann die Fähigkeit des Homo Oeconomicus-Modells zur positiven Analyse, etwa der Beschreibung politischer Entscheidungsprozesse. Diese Kritik wurde oben unter der Fragestellung behandelt, ob die positive Analyse der ökonomischen Theorie als analytische Grundlage einer Demokratietheorie dienen kann. In normativer Hinsicht besteht bezüglich der Annahme über mögliche Präferenzordnungen der Akteure oder eben das Menschenbild eine wesentliche Übereinstimmung des rechtswissenschaftlichen und ökonomischen Ansatzes: Beide gehen davon aus, dass die Interessen und Präferenzen der Menschen nicht einem bestimmten Schema unterworfen werden können, sondern sich jeweils bereichsspezifisch konkretisieren. Das Eigeninteresse in der ökonomischen Theorie ist eben nicht „moralisch aufgeladen", es sagt nichts darüber aus, ob sich die Menschen gegeneinander freundlich oder feindlich verhalten120. Menschen können danach auch altruistisch handeln, wenn sie das als in ihrem Eigeninteresse liegend ansehen. Ebenso geht Häberle von einem normativen Menschenbild aus, dass nicht einheitlich ist, sondern offen und allgemein. Das Menschenbild des Verfassungsstaates sei ein generalklauselartiger Rahmenbegriff, sowohl im Verfassungsstaat als Typus als auch im Grundgesetz121. Der offene Inhalt des Eigennutzkriteriums lässt es auch nicht als Analyseinstrument unbrauchbar werden. Für die Verwendung des Eigennutztheorems können bereichsspezifische Ausprägungen aufgestellt werden. Für den wirtschaftspolitischen Bereich etwa kann eine Übereinstimmung von individuellem Interesse im Sinne des Eigennutztheorems und verfassungsrechtlichen Menschenbildes angenommen werden. Für andere Bereiche ist das normative Zugrundelegen eines individuellen Nutzenkalküls annehmbar, wenn, wie oben erläutert, als Nutzen jeder mögliche Inhalt in Frage kommt, also auch etwa altruistisches Verhalten. Mit einer solch weiten Interpretation des Eigennutztheorems wird allerdings unklar, wann von einer Zustimmung aller ausgegangen werden kann. Eine präzisere Aussage als mit dem rechts119 P. Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 32 mit Hinweis auf H. Hellers Korrelation von „Normativität" und „Normalität", D. Schindlers „ambiance" und K. Hesses „Verwirklichung der Verfassung". 120 Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 13. 121 P. Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 60 mit einer Darstellung der verschiedenen Aspekte des Menschenbildes im Verfassungsstaat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

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wissenschaftlichen Ansatz scheint dann auch nicht möglich. Nicht richtig ist jedenfalls die Kritik am ökonomischen Ansatz, dass die Zustimmungsfähigkeit als Grundlage des konstitutionellen Vertrages entweder alle Motivationen menschliches Handeln zutreffend erfassen muss oder aber nicht den Anspruch erheben darf, alleinige und abschließende Grundlage normativer Zielsetzungen zu sein122. Auf normativer Ebene ist mit der Eigennutzannahme und dem Grundsatz der Präferenzautonomie eine bereichsspezifische Ausprägung gerade möglich. Soweit keine anderweitigen Anhaltspunkte vorliegen, kann damit durchaus von der Ausrichtung des Eigeninteresses im Sinne einer individuellen Nutzensteigerung ausgegangen werden. IV. Eigennutzannahme und Verantwortungsbewusstsein bzw. Zivilmoral Nach Buchanan und anderen Kritikern wirft die Verwendung des Eigennutztheorems in seiner vorangegangen dargestellten „durchschnittlichen" Fassung als kollektives Handlungsmodell Probleme für den langfristigen Staatsbestand auf. Insofern schließt sich auch Buchanan der Meinung an, dass die Annahme des rein am Eigennutz orientierten Handelns zu eng sei, um eine moderne Theorie der Demokratie zu tragen123. Nach dieser Kritik benötigt jede Demokratie, um zu funktionieren, eine Ressource „sozialenVerantwortungsbewusstseins" ihrer Bürger, ohne die sie nicht bestehen kann124. Die Notwendigkeit einer solchen bürgerlichen Gesinnung oder „Zivilmoral" erkennen auch Buchanan und Brennan an, wenn sie ihre Hoffnung auf eine „konstitutionelle Revolution" richten, in deren Rahmen die für den Erhalt der Demokratie notwendige Zivilmoral entstehe125. Eine freiheitliche Demokratie ist nach Buchanan dann gefährdet und einer Verfallstendenz 122

So auch R. Gröschner, Der homo oeconomicus und das Menschenbild des Grundgesetzes, a.a.O., S. 40ff. 123 Mit Hinweisen zu dieser Auffassung Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 164 m.w.N.; ebenso R. Gröschner, Homo Oeconomicus und Grundgesetz, in: Engel/Morlok (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 46; sich dieser Meinung anschließend F. Rittner, Demokratie als Problem: Abschied vom Parlamentarismus?, in: JZ 2003, S. 643f.; P. Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 66ff. 124 E.-W. Böckenförde, Staat-Gesellschaft-Freiheit, S. 60; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR II (2004), § 30 Rz. 75ff.; Diese Theorietradition kann bis zu Tocqueville zurückverfolgt werden, der für das Funktionieren der amerikanischen Demokratie ein austariertes Verhältnis zwischen individueller Selbstsucht und diversen vorliberalen Institutionen, insbesondere der Religion als Quelle der Bürgersolidarität erkennt, siehe A. de Tocqueville, Demokratie in Amerika, Teil 2. 125 G. BrennanlJ. Buchanan, Die Begründung von Regeln, S. 197.

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ausgesetzt, wenn ihre grundlegenden Regeln dauerhaft von Individuen und Interessengruppen verletzt werden, die aus diesen Verletzungen Vorteile ziehen. Es kommt nach Buchanans eigener Analyse durch das Verhalten der Akteure im postkonstitutionellen Stadium zu einem Verfall des demokratischen Staates126, da nach der ökonomischen Handlungslogik mangelnde Regeldurchsetzung und das „Paradoxon, regiert zu werden", zur Ausbeutung der kollektiven Güter durch Interessengruppen führten127. Das „Paradoxon, regiert zu werden", besteht darin, dass die Regierung und Staatsbehörden dem einzelnen Bürger als etwas Fremdes erscheinen, dass heißt, dass er sich nicht mit ihnen identifiziert, obwohl ihre Existenz letztlich auf seiner Zustimmung beruht. Wegen dieses Gefühls der Fremdheit sehen die Bürger staatliche Einrichtungen und Gelder nicht als ihr eigenes Vermögen, sondern als Fremdvermögen an. In der Folge bilden sich Gruppen, die versuchen, aus diesem „Fremdkapital" möglichst großen eigenen Nutzen zu ziehen. Damit wird aber die Funktionsfähigkeit des Staates zur Erfüllung seiner Aufgaben, der Bereitstellung öffentlicher Güter, beeinträchtigt. Um andauernde Regelverletzungen zu vermeiden, muss also neben einer Sicherung der Durchsetzung von Rechten, etwa durch eine Verfassungsgerichtsbarkeit (Ebene des Rechtsschutzstaates), eine Zivilmoral das Handeln der Bürger auch auf der postkonstitutionellen Ebene mitprägen. Während die reziproke Bindung der Bürger an die Einhaltung der Rechte und Freiheit der anderen durch eine Verfassungsgerichtsbarkeit der Ebene des Rechtsschutzstaates zuzuordnen ist, ist die erforderliche Zivilmoral im Bereich des Leistungsstaates erforderlich. Nur auf dieser Basis lässt sich auch nach dem ökonomischen Ansatz ein dauerndes demokratisches Gemeinwesen errichten. Eine solche Zivilmoral entwickelt Buchanan mit der Unterscheidung zwischen operational und constitutional interest128. Buchanan geht mit einem so genannten konstitutionellen Interesse davon aus, dass eigentlich alle Individuen ein Interesse am langfristigen Erhalt der freiheitlichdemokratischen Ordnung haben. Es handelt sich somit um eine spezifische Ausformung des Eigeninteresses. Dieses bei allen bestehende konstitutionelle Interesse unterscheidet sich vom operationellen Interesse, das dem eher kurzfristig orientierten Eigennutzverständnis entspricht. Um die Figur des „konstitutionellen Interesses" in dem individualistischen Ansatz zu verwur-

126

77t. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 149 m.w.N. J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 129ff. 128 Siehe dazu Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 150ff.

127

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zeln, betont Buchanan das eigene Interesse der Individuen an Freiheit129: Der Bürger möchte danach vorrangig die Freiheit zum Wählen seiner Präferenzen behalten. Das konstitutionelle Interesse kann dabei als abgeleitetes Interesse an Freiheit (eine Präferenz an Freiheit über alle anderen Präferenzen) oder originäre Präferenz für Freiheit130 (damit eine Grenze der Freiheit bei der eigenen Präferenzbildung131) gedeutet werden. Eine solche Zivilmoral steht nach Buchanan nicht grundsätzlich im Gegensatz zum ökonomischen Verhaltensmodell. Kritisiert wird, dass Buchanan mit der Einführung eines langfristig zu schützenden Interesses (konstitutionelles Interesse), das zum Erhalt des demokratischen Staatswesens auf Dauer erforderlich ist, auf ein seiner Methodik fremdes Element zurückgreift132. Dieses konstitutionelle Interesse ist letztlich wie Rousseaus Allgemeininteresse weit abstrahiert von den unmittelbaren Einzelinteressen und fast schon unabhängig von diesen133. Ein solchermaßen geläutertes Eigeninteresse versteht den Anwendungsbereich des Eigennutztheorems - wenn es in seiner nutzenmaximierenden Variante angewandt wird, wie das für die positive Analyse der Fall ist - sehr weit. Dies führt zu der berechtigten Kritik, dass damit der Boden der ökonomischen Methodik verlassen oder zumindest modifiziert werde. Die Kritik führt aber jedenfalls nicht dazu, dass die Eigennutzannahme nicht mehr als eine Grundlage einer Demokratietheorie herangezogen werden kann. Erstens kann die für den Staatserhalt notwendige Zivilmoral, wenn auch mit gewissen Spannungen, mit dem ökonomischen Ansatz begründet werden. Beispielsweise leitet Gauthier moralisches Handeln auch aus den Grundsätzen der Rational Choice ab134. Moralisches Handeln kann danach mit den moralisch neutralen Prämissen der Rational Choice als rationale Restriktion begriffen werden135. Gauthiers Untersuchung zielt dabei weniger auf eine Kritik 129

Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 165. Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 156ff. 131 Diese Konstruktion gab J. M. Buchanan'& Buch „Die Grenzen der Freiheit" seinen Titel, siehe Th. Petersen, a.a.O., S. 157. 132 Auch der zeitlich vorangehende fuhrende Vertreter ökonomischer Demokratietheorie, A. Downs, sah sich gezwungen, sein rein ökonomisches Verhaltenskonzept für die Erklärung von Wählerverhalten zu durchbrechen. Der Bürger gehe zur Wahl, weil er „gewillt ist, bestimmte kurzfristige Kosten, denen er ausweichen könnte, auf sich zu nehmen, um seinen Teil zur Sicherung langfristiger Vorteile beizutragen." Das „seinen Anteil beitragen" ist der ökonomischen Demokratietheorie ansonsten fremd. Ausführlicher dazu B. M. Barry, Neue Politische Ökonomie, S. 29. 133 Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 151. 134 D. Gauthier, Morals by Agreement, S. 4: „To choose rationally, one must choose morally." 135 D. Gauthier, Morals by Agreement, S. 4ff. 130

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an Buchanans Werk ab, sondern soll zeigen, dass die normativen Maßstäbe, wie sie sich bei Rawls und Harsanyi finden, auch auf den Grundlagen der Rational Choice aufgebaut werden können136. Jedenfalls führt die Prognose der Verfallstendenz nicht zu einer zwingenden analytischen Unbrauchbarkeit der Eigennutzannahme im Rahmen demokratietheoretischer Analyse. Zweitens dient die ökonomische Analyse gerade der institutionellen Absicherung der Durchsetzung allgemeiner Interessen. Wenn darüber hinaus noch eine Zivilmoral existiert, beeinträchtigt das nicht die Legitimation der gewählten Verfahren. V. Absolute und relative Maßstäbe kollektiven Handelns Die ökonomischen, zustimmungsfähigen Kriterien (Pareto- und KaldorHicks) können letztlich in normativ- demokratietheoretischer Sicht nicht als Maßstab übernommen werden, weil sie nur an absoluten Maßstäben ausgerichtet sind (liegt ein Gewinnzuwachs vor?) und nicht an relativen Maßstäben (bei wem liegt ein wie hoher Gewinnzuwachs vor?). Folglich können die ökonomischen Kriterien zwei zentrale Fragestellungen demokratischkollektiven Handelns nicht beantworten. Diese Fragestellungen können besser mit dem Grundsatz gleichwertiger Interessenberücksichtigung erfasst werden. Erstens ist die Frage, ob bei einer kollektiven Maßnahme, die zwar bei absoluter Betrachtung kein Individuum schlechter stellt und im Rahmen einer komparativen Nutzenerwartung durchaus auch eine befriedigende individuelle Lösung darstellt, aber zu sehr ungleichen Einkommenszuwächsen bei den Akteuren führt, wirklich die Zustimmung aller Individuen zu gewinnen sein wird. Es handelt sich um die Frage, wie relative Gewinnzuwächse, also das Verhältnis von Gewinnzuwächsen bei verschiedenen Individuen, konsenstheoretisch zu bewerten sind. Mit der konsenstheoretischen Verwendung des Kaldor-Hicks-Kriteriums reichte bereits eine absolute individuelle Nutzensteigerung (bspw.: Kompensationen der wenig oder kaum von eine kollektiven Maßnahme Profitierenden durch die deutlich Bessergestellten) bei allen Individuen, um dem Erfordernis der Einstimmigkeit zu genügen137. Die Frage nach der relativen Gewinnverteilung wird nicht berücksichtigt. 136

J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 33 und J. Harsanyi, Morality and the theory of rational behaviour, S. 42, leiten nach eigenen Angaben ihre normativen Maßstäbe ebenfalls aus der Mehtodik der rational choice ab. Nach D. Gauthier, Morals by Agreement, S. 4 stellen sie aber moralisches Handeln nicht konsequent als abhängig von rationalem Handeln dar. 137 Siehe etwa Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 27f.

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Die Problematik der relativen Gewinnberücksichtigung lässt sich mit dem Kosten-Nutzen-Kalkül des ökonomischen Ansatzes nicht erfassen, weil mit der Orientierung am Eigeninteresse nach der ökonomischen Definition nur auf eigene Interessen und in der Konsequenz auf die Gewinne beim jeweils einzelnen Akteur abgestellt wird138. Eine solche jeweils individualistische Betrachtung führt dazu, vergleichende und relative Nutzenbetrachtungen zwischen den Individuen zu vernachlässigen. Dies kann für das Handeln von Individuen im Markt, also für individuelles Handeln angenommen werden. Für eine potentielle Zustimmung zu kollektiven Handlungen ist aber gerade die relative Betrachtung von Nutzenzuwächsen entscheidend. Bei kollektivem Handeln werden politische und wirtschaftliche Entscheidungen immer unter Berücksichtigung ihrer relativen Auswirkungen getroffen. Es geht meist um die Frage, welche Gruppen welche Kosten zu tragen haben und welche Gruppen welchen Nutzen haben sollen (etwa in der Steuer- oder Sozialpolitik). Beim individuellen Handeln im Markt geht es dagegen um die Frage, wie der Einzelne durch Verträge und Interaktionen mit anderen seinen absoluten Profit steigern kann. Der relative Aspekt ist dabei nebensächlich. Wenn bei kollektivem Handeln der Nutzen der anderen Akteure in größerem Ausmaß steigt als der eigene Nutzen, gewinnen diese anderen Akteure überproportional weitere politische und wirtschaftliche Vorteile - unter der eigenen Mitwirkung des weniger profitierenden Individuums. Ob dafür nach dem Eigennutztheorem, ohne eine genaue Betrachtung der aus der kollektiven Handlung resultierenden relativen Gewinnverteilung, ein allgemeiner Konsens erreicht werden kann, ist zumindest zweifelhaft. Insbesondere für das weitere kollektive Handeln ist ein relativ gesehen kleinerer Nutzenzuwachs nur sehr begrenzt konsensfähig, da kleinere Nutzenzuwächse zu einem Einflußverlust bezüglich weiterem kollektiven Handeln führen. Eine normative Demokratietheorie, die auf kollektives Handeln abstellt, muss dementsprechend diesen relativen Maßstab als zentrales Element zugrundelegen - anders als im Bereich der privaten Handelns, in dem es um individuelles Handeln geht und ein Einflußverlust bezüglich kollektive Handeln keine Bedeutung besitzt. Eine relative Nutzenberücksichtigung lässt sich mit dem Kosten-NutzenKalkül nur begründen, wenn man in den Inhalt von Eigeninteresse auch die Situation anderer miteinbezieht. Allerdings wird damit die methodische 138 J. M. Buchanan, The Calculus of Consent, S. 17 mit Hinweis auf Paul den Zelthersteller, der nicht die Interessen seiner Kunden berücksichtigt, sondern nur sein eigenes. Näher oben in Kapitel 7 bei der Darstellung des ökonomischen Paradigmas.

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Grundlage des ökonomischen Ansatzes verletzt, der seine Klarheit ja gerade aus der Beschränkung auf das eigene Interesse gewinnt. Sobald man relative Nutzenbetrachtungen in das Eigeninteresse einbezieht, verliert der Begriff seine analytische Schärfe. Ist das Eigeninteresse unter Berücksichtigung der Situation anderer nur dann erfüllt, wenn bei einer kollektiven Handlung kein relativer Nutzennachteil gegenüber anderen auftritt? Die zweite Frage, die mit den ökonomischen Kriterien nicht beantwortet werden kann, hängt mit der Berücksichtigung relativer Gewinnverteilung bei kollektiven Handlungen zusammen. Es muss gefragt werden, wo die Grenze liegt, ab der wegen ungleicher Gewinnverteilung in Folge kollektiven Handelns nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass die weniger Profitierenden nicht mehr zustimmen werden. Diese nächste Frage bezieht sich auf das Problem, ob es eine normative Grenze geben kann, ab der solche Zustimmungsverweigerungen aus konsenstheoretischer Perspektive nicht mehr zu berücksichtigen sind. Eine Antwort kann nicht mit den an absoluten Maßstäben orientierten ökonomischen Kriterien gefunden werden, schon weil der ökonomische Ansatz bereits das Problem nicht erfassen konnte. Allerdings fällt auch eine Beantwortung aus dem Grundsatz der gleichwertigen Interessenanerkennung schwer. Ab welchem Punkt eine relativ unterschiedliche Gewinnverteilung nicht mehr zustimmungsfähig ist, kann nur eine Wertentscheidung bleiben. Eine Zustimmungsverweigerung könnte aus konsenstheoretischer Perspektive vernachlässigbar und nach dem vertragstheoretischen Verständnis dieser Arbeit unzulässig sein, wenn ein Maßnahme zwar relativ ungleiche Gewinnzuwächse erbringt, dabei aber die Mehrheit von den überdurchschnittlichen Gewinnzuwächsen profitiert. Grund dafür ist, dass für den Bereich kollektiven Handelns (in normativer Hinsicht) nur solche individuellen Interessen berücksichtigt werden, die ihrerseits die Interessen anderer Akteure mit in Betracht ziehen. Mit anderen Worten: Auch die Frage, wann eine Zustimmungsverweigerung im Rahmen der Einstimmigkeit berücksichtigt werden kann, unterliegt normativen Begrenzungen und ist nicht beliebig frei 139 . Ihre genaue Festlegung muss aber wieder nach Werturteilen erfolgen. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die konsenstheoretisch formulierten ökonomischen Kriterien in normativer demokratietheoretischer Sichtweise

139

Mit einer solchen Annahme kommt man allerdings sehr nahe an utilitaristische Legitimationsansätze, die relativ einhellig als unzureichend für eine demokratietheoretische Legitimation erkannt werden, weil sie nicht auf die Interessen des einzelnen Individuums abstellen, sondern abstrakter auf den „größtmöglichen Nutzen für die größtmögliche Anzahl von Personen". Siehe dazu H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 243.

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problematisch sind140, weil sie das Problem relativer Gewinnverteilung nicht erfassen. Es erscheint daher vorteilhafter, für eine kollektive Entscheidung Konsensfähigkeit dann anzunehmen, wenn der Grundsatz gleichwertiger Interessenberücksichtigung beachtet wird. VI. „Schleier des Nichtwissens" und ausreichende demokratische Interessenvertretung Gegen den Ansatz des ökonomischen Konstitutionalismus wird eingewandt, dass Maßstab für optimale Gemeinwohlentscheidungen und legitime Entscheidungen in der Demokratie grundsätzlich die politische Mehrheit ist, die ihre selbst definierten Interessen vertritt, und nicht die ökonomische Vernunft 141 . Nach dieser kritischen Auffassung wären die Repräsentanten bei der Festlegung von Regelentscheidungen, wenn sie unter einem „Schleier des Nichtwissens" handelten, an der demokratisch legitimen und notwendigen Verfolgung ihrer Interessen gehindert. Nach einer solchen Betrachtungsweise bedeutet bereits das aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts erlassene Maßstäbegesetz142 für den Länderfinanzausgleich eine unzulässige Unterbrechung des demokratisch-legitimatorischen Zusammenhanges 143. Das Bundesverfassungsgericht hatte geurteilt, das Recht des Finanzausgleichs „ (...) darf nicht dem freien Spiel der politischen Kräfte überlassen bleiben144". Explizit nahm das Bundesverfassungsgericht Bezug auf die Theorie von Rawls, nach der eine abstrakte Regelgewinnung (im vorliegenden Fall ein Maßstäbegesetz) einer anderen Entscheidungslogik unterliegt als der konkrete Aushandlungsprozeß einer Verteilung von Finanzmitteln. Nicht Verhandlungsgeschick, sondern rational erscheinende Maßstäbe sollen 140

Ebenfalls kritisch zur normativen ökonomischen Theorie Buchanans, A. van Aaken, „Rational Choice" in der Rechtswissenschaft, S. 252ff. 141 B. Grzeszick, Läßt sich eine Verfassung kalkulieren?, in: JZ 2003, S. 654 mit Hinweis auf die verfassungsrechtlichen Grenzen der - verschiedenen - Mehrheiten nach dem Grundgesetz bei H. H. Klein, in: T. Maunz/G. DUrig/fl. Herzogin. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 42 (Stand: Juli 2001), Rz. 77. 142 Zur Bindung des Gesetzgebers durch einfachgesetzliche Normen siehe S. v. Schweinitz, Das Maßstäbegesetz, Berlin 2001. S. v. Schweinitz bejaht eine mögliche materielle Bindung des Gesetzgebers durch einfachgesetzliche Normen, siehe insbesondere S. 204ff. 143 Kritisch zum „Schleier des Nichtwissens" in der Begründung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 101, 158, 218 B. Grzeszick, a.a.O., S. 654. Der Schleier des Nichtwissens schließe Interessenberücksichtigung im konkreten Fall gerade aus und widerspreche daher dem demokratisch-politischen Legitimitätsverständnis, das gerade auf Interessendurchsetzung beruht. 144 BVerfGE 101, 158, 218.

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die Festlegung der föderalen Solidarleistungen prägen 145 . Diesem Ziel dient das Maßstäbegesetz vom 9. September 2001146. Die jeweiligen Umverteilungsbeschlüsse sollen sich an die im Maßstäbegesetz aufgestellten Kriterien halten. Die Umsetzung der Umverteilungspolitik bleibt aber bei Parlament und Regierung. Die Kritik Grzeszicks wird jedoch dem ökonomischen Ansatz Buchanans nicht gerecht, denn sie bezieht sich auf den sogenannten „Schleier des Nichtwissens" von Rawls, der eine „artifizielle Unwissenheit" der entscheidenden Personen zugrunde legt, also niemand seine eigenen Eigenschaften und Fähigkeiten kennt. Die ökonomische Theorie von Buchanan unterscheidet sich aber von dieser Konstruktion in zwei wesentlichen Punkten. Zum einen verfolgen die Parteien sowohl bei Regelfestlegung auf konstitutioneller Ebene als auch auf postkonstitutioneller Ebene ihre eigenen Interessen 147 . Das individuelle Nutzenkalkül steht auch auf konstitutioneller Ebene im Zentrum der kollektiven Entscheidungsprozesse und wird nicht durch ein umfassendes, artifizielles Unsicherheitspostulat verdrängt. Vielmehr kennen die Bürger ihre eigene Position und ihre Eigenschaften, sie unterliegen nur einer natürlichen Unsicherheit, da es bei der Wahl von Regeln häufig schwierig ist, die eigenen Interessen für alle späteren Fälle der Anwendung der Regel zu erkennen. Leichter ist es, unter Anwendung einer vorgegebenen Regel die eigenen Interessen bei der Auswahl der möglichen Handlungsmöglichkeiten wahrzunehmen 148 . Allein die Tatsache, dass die Interessenerkennung bei der Auswahl einer allgemeinen Regel schwieriger ist als bei einer nachfolgenden Entscheidung, unterbricht aber noch nicht den legitimatorischen Zusammenhang demokratischer Interessenverfolgung. Vielmehr handelt es sich um ein typisches Charakteristikum bei jeder Festlegung grundsätzlicher Regelungen, beispielsweise einer Verfassung oder von Verfahrensregeln für Wahlen. Buchanan hat bei der Konsenssuche in seinem Werk zwei unterschiedliche Ansätze verfolgt: In „The Calculus of Consent" kalkulieren die Individuen ihre Zustimmung unter einem natürlichen Unsicherheitspostulat wie eben beschrieben. Schließlich identifiziert Buchanan in „The Limits of Liberty" die Grundlagen für einen konstitutionellen Konsens (für den Bereich

145 BVerfGE 101, 158, 217; vgl. dazu Th. Christmann, Vom Finanzausgleich zum Maßstäbegesetz, in: DÖV 2000, S. 315, 324; H. Bull/V. Mehde, Der rationale Finanzausgleich, in: DÖV 2000, S. 305. 146 Maßstäbegesetz vom 9.9.2001, BGBl. IS. 3955ff. 147 Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allegemeiner Wille, S. 95. 148 G. BrennanJJ. M. Buchanan, The Reason of Rules, S. 34.

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der Umverteilungspolitik) auch ohne einen „Schleier des Nichtwissens"149. Stattdessen wird dort das Interesse aller an einem stabilen Regelrahmen angeführt. Die Individuen wollen keinen Regelrahmen beschließen, der nur den Interessen einiger weniger dient und damit im Zeitablauf weniger stabil ist150. Auch im Falle des Maßstäbegesetzes kann kaum festgestellt werden, dass die betroffenen Parteien am Länderfinanzausgleich nicht mehr in ausreichendem Maße ihre eigenen Interessen erkennen und verfolgen könnten. Vielmehr wird die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts als ungenau und ungenügend kritisiert151, so dass weiterhin die erwünschte Wirkung einer gewissen Abstrahierung von den ganz konkreten Einzelfallinteressen im Verhandlungsprozess nicht eintritt. VII. Kritik des Transaktionskostenansatzes und der Theorie Majones Der von Majone verwendete Ansatz kann einige institutionelle Entwicklungen erklären, etwa die Bildung der Treuhandanstalt in der Bundesrepublik152 oder die Entstehung einiger unabhängiger Administrativinstitutionen in den Vereinigten Staaten. Er kann aber nicht erklären, wieso es in anderen demokratischen Systemen erst zu späteren Zeitpunkten, in ganz anderen Formen und mit anderen Begründungen zu Bildung unabhängiger Administrativinstitutionen kam. Der Transaktionskostenansatz ist also nicht ausreichend für die Erklärung der Bildung von unabhängigen Institutionen, da er zwar das Verhalten der politischen Akteure bei der politischen Entscheidungsfindung beschreibt, aber die verschiedenen bestehenden Theorien des politischen Entscheidungsprozesses und normative Aspekte, die eine entscheidende Rolle für den Institutionenaufbau spielen, außer Acht lässt. Staatliche Institutionen werden nämlich nur dann dauerhaft eingerichtet, wenn sie dem be149

J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 78 Fn. 3; Th. Petersen, a.a.O., S. 119f.; AT. Leschke, Ökonomische Verfassungstheorie und Demokratie, S. 88; Siehe diesbezüglich auch weiter unten in Kapitel 10 bei „Umverteilungspolitik auch durch Konstitutionalisierung". 150 Siehe dazu auch oben Kapitel 7 A. 151 H. Pitlik/G. Schmid/H. Strohman, Bargaining power of smaller states in Germany's Länderfinanzausgleich 1979-1990, in: Public Choice 109 (2001), S. 183-201 stellt fest, daß solange die Regeln nach denen der Länderfinanzausgleich ablaufen soll, noch Gegenstand der Interpretation und Änderung durch die Länderregierungen sind, keine Verbesserung bezüglich der Natur des Aushandlungsprozesses zu erwarten. Siehe auch J. A. Kämmerer, Maßstäbe für den Bundesfinanzausgleich? - Dramaturgie einer verhinderten Reform, in: JuS 214, S. 214-217. 152 Zur Sündenbockfunktion der Treuhandanstalt siehe M. Döhler, Das Modell der unabhängigen Regulierungsbehörde, in: Die Verwaltung 34 (2001), S. 87 m.w.N.

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stehenden Legitimitätsverständnis entsprechen153. Der Transaktionskostenansatz ist also zur Erklärung der Entstehung unabhängiger Institutionen nicht geeignet. Seine positive Analyse politischer Entscheidungsprozesse kann jedoch in demokratietheoretischer Sicht Anwendung finden, wie im Folgenden gezeigt wird. Darüber hinaus ist an Majones Legitimationstheorie die Begrenzung eines hypothetischen Konsenses auf den Bereich der Regulierungspolitik zu kritisieren. Wie in Kapitel 10 gezeigt wird, kann auch für den Bereich distributiver Politik ein Konsens für die Festlegung von Regelbindungen und unabhängigen Institutionen angenommen werden.

D. Zusammenfassung Kapitel 7 Buchanan leitet mit der Theorie des ökonomischen Konstitutionalismus ebenso wie die funktionale Legitimationstheorie die demokratische Legitimation und die Vorschläge für die Gestaltung staatlicher Institutionen aus einem grundsätzlichen, hypothetischen Gesellschaftsvertrag ab. Im Zentrum des ökonomischen Gesellschaftsvertrages steht die Frage, auf welche Institutionen und Verfahren sich Individuen einigen könnten, wenn sie sich an ihren Interessen orientieren und die Erkenntnisse Uber die Gesetzmäßigkeiten politischer Entscheidungsprozesse, etwa entstehende politische Kosten (Transaktionskosten), in ihre Entscheidung einbeziehen. Grundgedanke der Theorie Buchanans ist, dass eine Einigung aller Beteiligten über Verfahren und Institutionen unter der natürlichen Ungewissheit, welche Stellung sie später einmal bei Anwendung dieser Regeln einnehmen werden, einfacher zu erreichen ist, als eine Einigung über konkrete Einzelfragen nach bereits festgelegten Verfahren. Auf der konstitutionellen Ebene würden sich die Individuen nach Buchanans Methodik aus ihrem Eigeninteresse heraus grundsätzliche Rechte und Freiheitsspielräume zuordnen und Institutionen und Entscheidungsregeln festlegen, die diese Rechte und Freiheiten sichern, beispielsweise Gerichte. 153 Noch eine andere Erklärung bietet das so genannte Evolutionsmodell, vertreten von F. A. v. Hayek (etwa in Law, Legislation and Liberty, S. 22ff.) Danach setzen sich im Laufe der Zeit die Normen (und damit auch Institutionen) durch, die sich für die Gemeinschaft als erfolgreich erwiesen haben. Das sind vor allem weitgehend auf abstrakten Regeln beruhende Marktordnungen. Dem steht die Theorie des ökonomischen Konstitutionalismus entgegen, die betont, daß geeignete und demokratische Institutionen sich nicht automatisch entwickeln, sondern aufgrund eines Erkenntnisprozesses, der aber nicht unvermeidlich ist, entwickelt und eingeführt werden. Siehe näher dazu bei M. Leschke, Ökonomische Verfassungstheorie, S. 37ff.

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Ebenfalls auf konstitutioneller Ebene werden die Individuen die Entscheidungsregeln und Institutionen des Leistungsstaates festlegen, nach denen auf post-konstitutioneller Ebene öffentliche Güter zur Verfügung gestellt werden. Denkbar ist hier die Wahl von Entscheidungsverfahren mit Mehrheitsprinzip, erhöhten Mehrheitserfordernissen, aber auch unabhängigen Institutionen. Buchanan zeigt, dass nach seiner Methode davon auszugehen ist, dass sich die Individuen auf eine unmittelbar demokratisch gewählte Legislative einigen werden. In den Bereichen der Steuer-, Währungs- und Haushaltspolitik sind nach Buchanans Analyse verfassungsrechtliche Regelbindungen der demokratisch gewählten Institutionen konsensfähig, weil sonst im postkonstitutionellen Entscheidungsprozess, etwa nach dem Mehrheitsverfahren, Ergebnisse produziert würden, die letztlich keiner Gruppe nutzen (Hochsteuer-, Verschuldungs- und Inflationsfalle). Buchanan äußert sich ablehnend gegenüber der Bildung unabhängiger Institutionen und gegenüber stärkerem Einfluss von Experten, Wissenschaftlern und Bürokraten im politischen Entscheidungsprozess, wenn es darum geht, öffentliche Güter herzustellen. Bereits die Repräsentativorgane seien von den Forderungen der Wählerschaft entfernt. Entscheidungen von unabhängigen Bürokraten würden noch weiter von der Wählerschaft entfernt getroffen und seien zudem weniger durch das formale demokratische Verfahren legitimiert. Vielmehr würden dabei zur Legitimation „unter der Hand" noch eigene materiale Legitimationskriterien eingeführt. Majone baut auf Buchanans konstitutionalistischem Ansatz auf und schließt auf die hypothetische Zustimmung zur Bildung unabhängiger Regulierungsagenturen. Diese seien konsensfähig, weil durch allgemeine Wohlfahrtsgewinne der Gesellschaft für alle Wohlfahrtsgewinne abfallen würden. Eine Zustimmung zu unabhängigen Institutionen im Bereich distributiver Politik hält er nicht für möglich, da es sich hier um ein Nullsummenspiel handele. Die vertragstheoretische Methode Buchanans bezieht auf konsistente Weise die Erkenntnisse über den Ablauf politischer Entscheidungsprozesse und individualistisch begründete, normative Voraussetzungen für demokratische staatliche Institutionen in sein verfassungstheoretisches Konzept ein. In normativer Hinsicht genügt die ökonomischen Theorie aber nicht als demokratietheoretischer Maßstab, weil sie nicht die Problematik relativ ungleichen Nutzenzuwachses durch kollektive Handlungen bei den Individuen erfasst, sondern nur absoluten Nutzenzuwachs bei den Akteuren als Bedingung für deren Zustimmung zu kollektiven Handlungen berücksichtigt. Für die demokratietheoretische Bewertung staatlichen Handelns, in dem gerade die Frage nach der relativen Nutzenverteilung kollektiven Handelns eine zentrale Rolle spielt, ist dies nicht ausreichend.

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Auch ist die ökonomische Theorie nicht rein prozedural und frei von Wertungen, da Annahmen darüber, welche Eigeninteressen die Menschen haben und mit welchen Instrumenten erwünschte Ziele zu erreichen sind, getroffen werden müssen. Allerdings wird die positive Analyse politischer Entscheidungsprozesse gegenüber normativen Zielsetzungen stärker gewichtet als in der funktionalen Legitimationstheorie.

Kapitel 8

Vergleichende Kritik der funktionalen und ökonomischen Demokratietheorie Nach der Darstellung und jeweiligen immanenten Kritik des funktionalen und des ökonomischen Legitimationsmodells in den vorangegangenen Kapiteln 6 und 7 werden diese beiden Theorien in diesem Kapitel miteinander verglichen und untersucht, ob und wie weitgehend die beiden Konzepte an verschiedenen Punkten weiterentwickelt werden können1. Dabei wird in normativer Hinsicht neben dem ökonomischen Vertragsmodell und dem rechtswissenschaftlichen Legitimationsmodell (personelle/sachliche Legitimationselemente) das politikwissenschaftliche input-output Legitimationsmuster in die Untersuchung einbezogen.

A. Vergleichende Kritik der positiven Modelle I. Vergleich der positiven ökonomischen mit anderen positiven Theorien Die oben dargestellte ökonomische Methode zur positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse wird hier gegenüber anderen sozialwissenschaftlichen Ansätzen, beispielsweise der Diskurstheorie oder der republikanischen Theorie, in analytischer Hinsicht bevorzugt, weil sie den Inhalt und Ablauf politischer Entscheidungsabläufe präziser und nachvollziehbarer beschreiben kann. Vor allem zwei methodische Unterschiede sprechen dafür, die ökonomische Theorie gegenüber den anderen genannten Theorien zu bevorzugen. Der erste methodische Vorteil der ökonomischen Theorie ist, dass sie mit dem Prinzip des methodologischen Individualismus und dem Eigennutztheorem ein (relativ) klares Bild über die Motive besitzt, die politischem Handeln zugrunde liegen. Die deliberativen Theorien oder die republikanische 1 R. Stober, Politische und ökonomische Rationalität im Staats- und Verwaltungsrecht, in Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 8 (1989), S. 144ff. klagt unter Verweis auf die rechtswissenschaftliche Literatur über die mangelnde Rezeption der Neuen politischen Ökonomie in der Staats- und Verwaltungsrechtslehre, obwohl diese Disziplinen doch ähnliche Fragen stellen.

Vergleichende Kritik des funktionalen und ökonomischen Modells

249

Theorie sind zur Analyse des politischen Entscheidungsprozesses für den hier verfolgten Zweck weniger geeignet, weil sie bisher noch keine vergleichbar klar formulierten Modelle entwickelt haben2. Mit dem Eigennutztheorem wird auf die jeweiligen individuellen Präferenzen abgestellt. Es müssen nicht andere, außerhalb der Interessen des Akteurs liegende Ziele und Werte berücksichtigt werden3. Geht man dagegen nicht vom Homo Oeconomicus-Modell aus, sondern davon, dass sich Interessen erst im diskursiven Prozess formieren, kommt eine zu große Zahl möglicher Handlungsmotivationen in Betracht. Der zweite Vorteil der ökonomischen Theorie hängt mit dem eben dargelegten Argument zusammen. Die ökonomische Theorie beschreibt mittels des Eigennutztheorems und der Rationalitätsannahme ziemlich klar den Ablauf politischer Entscheidungsprozesse. Daraus können prognosefähige und falsifizierbare Aussagen abgeleitet werden. Das Bild des Entscheidungsprozesses, das dagegen die Diskurstheorie zu Grunde legt (s. Teil 1), bleibt unscharf. Entgegen den pluralistischen und ökonomischen Modellen geht sie nicht von einem rein an Eigeninteressen orientierten Menschenbild aus. Interessen bestehen entgegen dem ökonomischen Modell nicht von vorneherein bei jedem Individuum in einer Weise, dass zwischen den Individuen über sie nur noch verhandelt werden kann, sondern sie formieren sich vielmehr im diskursiven Prozess4. Dabei besteht im deliberativen Entscheidungsprozeß die Möglichkeit der Transformation vom anfänglich selbst formulierten Interesse hin zu gemeinsamer Problemlösung. Wie genau und in welchem Umfang solche Transformationen ablaufen, ist bisher aber nicht geklärt. Beim ökonomischen Ansatz dagegen kann Kooperation und Verhandlung als an Eigeninteressen ausgerichtet beschrieben werden. Ein Vertrag oder Tausch kommt dann zustande, wenn sich beide Seiten einen Gewinn davon versprechen. Ein solcher Kooperationsvorteil kann mit dem ökonomischen Modell theoretisch klar erfasst werden, beispielsweise als Maximierung von Wohlfahrt oder anderen Zielen.

2

Bezüglich der deliberativen Theorien siehe K.-H. Ladeur, „Deliberative Demokratie" und „Dritter Weg" - eine neue Sackgasse?, in: Der Staat 41 (2002), S. 3ff., 12; bezüglich der Prognosefähigkeit älterer soziologischen Theorien wie der von Parsons siehe B. M. Barry, Neue Politische Ökonomie - Ökonomische und Soziologische Demokratietheorie, insbesondere S. 168f. 3 Zur Kritik an diesem Modell der sogenannten „Präferenzautonomie", siehe H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 326ff., insbesondere 335ff. Präferenzautonomie ist danach in reiner Form gar nicht möglich und als normativer Maßstab ungeeignet. 4 P. Craig, Public Law and Democracy, S. 368ff. m.w.N.

250

Vom fiinktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

In methodischer Hinsicht ähnelt der deliberative Ansatz in seiner unschärferen Aussage über den politischen Entscheidungsprozeß eher dem symbolischen Modell politischer Entscheidungsfindung. Mit diesem noch sehr unscharfen Bild können aber schwerlich Modelle des Entscheidungsprozesses mit Prognosecharakter entworfen, noch in der Folge empirische oder andere Nachweise geführt werden, die als eine Grundlage der folgenden Untersuchung dienen könnten. Gerade die hier gewählte Legitimationsmethode - zunächst Festlegung normativer Werte und anschließend Untersuchung, unter welchen institutionellen Bedingungen diese Werte vom politischen Entscheidungsprozeß am weitestgehend erfüllt werden - verlangt aber eine solche Nachprüfbarkeit der Analysen politischer Entscheidungsprozesse. II. Ökonomische und „klassische" Demokratietheorie Präferenz- und Anreizberücksichtigung für die Analyse politischer Entscheidungsprozesse sind seit der Antike Grundlage der staats- und demokratietheoretischen Diskussion um den besten Institutionenaufbau und um die Legitimation staatlicher Herrschaft. Anhand der folgenden Übersicht soll deutlich gemacht werden, dass die Einbeziehung einer möglichst präzisen positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse in die demokratische Legitimation staatlicher Institutionen Grundlage einer Debatte ist, die ins 5. Jahrhundert vor Christus zurückreicht. Nur für eine kurze Zeit im 19. und 20. Jahrhundert überwiegt das symbolische, Anreize und Präferenzen ausschließende, Demokratieverständnis. Mit der folgenden Darstellung wird deutlich, dass sowohl der Übergang von der antiken Einteilung der Herrschaftsformen zur Gewaltenteilung als auch der Übergang vom funktionalen zum politikfeldbezogenen Schema auf Erkenntnissen über politische Entscheidungsprozesse beruht. Die antiken Autoren, insbesondere seit Piaton und Aristoteles, beschäftigten sich intensiv mit den Vor- und Nachteilen der Staatsformen unter der Herrschaft einer Person, einiger Personen und des Volkes5. Die positive Ausformung solcher Verfassungen, die vorliegen, wenn die Herrschenden das Gemeinwohl verfolgen, nennt Aristoteles Monarchie, Aristokratie und Politie. Deren negative Auswüchse, die durch das Streben der Herrschenden nach Eigennutz hervorgerufen werden, sind Tyrannis, Oligarchie und De5

Aristoteles, Politik, 4. Buch, S. 204; Piaton, Der Staat, 302d-303e; J. Bleicken, Die athenische Demokratie, S. 627ff. verweist auf die ältesten allgemeineren Nachweise des demokratischen Gedankens bei Herodot, Thukydides und Euripides.

Vergleichende Kritik des funktionalen und ökonomischen Modells

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mokratie6. Aristoteles legt dem Staat zwei Zwecke zugrunde: zum einen den eines vollkommenen und sich selbst genügenden Daseins, zum anderen den der Erfüllung des Gemeinwohls7. In Übereinstimmung mit der sonstigen antiken Literatur sah Aristoteles das Ziel des Demokratieprinzips primär in der Verwirklichung des Gleichheitssatzes8 und der Freiheit9. Aristoteles kommt bei der Untersuchung der Staatsformen zu dem Ergebnis, dass die Demokratie nicht die notwendige Garantie für die Verwirklichung des Gemeinwohls darstellt10. Zwar entscheide die Menge meist richtiger als die Elite. Die beste Staatsform sei aber eine Mischung zwischen der Demokratie und der Aristokratie, die Aristoteles ebenfalls „Politie" nennt, wenn die demokratischen Elemente in dieser Staatsform überwiegen11. Diese Kategorisierungen werden im Mittelalter weiterhin verwendet. Thomas von Aquin12 beispielsweise zeigte in einer Abhandlung über die Herrschaft der Fürsten anhand der Einteilung des Aristoteles, dass die Monarchie die beste aller Staatsformen ist, wenn auch die Tyrannis zugleich die schlechteste13. Letztlich sei aber trotz gewisser Schwächen die Monarchie gegenüber der Demokratie zu bevorzugen. Auch die Untersuchungen der Autoren der beginnenden Neuzeit folgen der gedanklichen Einteilung der antiken Autoren, dem Vergleich von Demokratie mit Monarchie und Aristokratie14. Die Rechtfertigungen absoluter 6

Aristoteles, Politik, 4. Buch. Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 13. 8 A. Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, S. 133. 9 A. Bleckmann, a.a.O., S. 217. 10 A. Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, S. 17. 11 M. Schmidt, Demokratietheorien, S. 41; Auch im antiken Athen wurden viele Entscheidungen nicht in Form der unmittelbaren demokratischen Entscheidung der Volksversammlung, immerhin einer Form direkter Demokratie, getroffen, da vor der Abstimmung eine Kommission gebildet wurde, die sogenannten Nomothetai, die die Kompetenz hatte, von der Volksversammlung neu gefasste Gesetze zu verändern oder zu verwerfen, siehe D. M. MacDowell, The Law in Classical Athens, S. 48ff.; von einer zeitlich verzögerten Kontrolle neuer Gesetze durch die Nomothetai geht aus J. Bleicken, Die athenische Demokratie, S. 216ff.; eine weitere die Freiheit der Volksversammlung einschränkende Einrichtung war die Graphe Paranomon: eine Institution, die einen Einzelnen dafür bestrafen konnte, daß er in der Versammlung ein illegales Gesetz vorgeschlagen hatte, selbst wenn dieses Gesetz verabschiedet wurde, J. Bleicken, Die athenische Demokratie, S. 258; D.M. MacDowell, The Law in Classical Athens, S. 50ff. 12 Th. v. Aquin, 1224-1274. 13 Th. v. Aquin, Über die Herrschaft der Fürsten, 2. bis 6. Kapitel. Th. v. Aquin verbindet dabei im Rahmen der scholastischen Methode die antike Staatsformenlehre mit der christlichen Lehre. 14 Siehe beispielsweise bei J. Bodin, Sechs Bücher über den Staat, S. 319ff. zu Monarchie, Aristokratie und Demokratie. 7

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Demokratieprinzip

und umfassender Herrschaftsgewalt durch Jean Bodin15 und Thomas Hobbes16 waren dabei Reaktionen auf vorangegangene Bürgerkriege in ihren jeweiligen Ländern und durch die Bedeutung veranlasst, die dem Gewaltmonopol der Regierung zugemessen wurde, um den Frieden im Staate zu sichern. So kommt Hobbes bei seinem Vergleich von Demokratie und Monarchie zu dem Ergebnis, dass die Monarchie der Demokratie überlegen ist, da die Aufrechterhaltung des Friedens am besten durch einen einzelnen Souverän gewährleistet sei. Hobbes untersucht detailliert die Eigenschaften des demokratischen und des monarchischen Entscheidungsprozesses17. Er stellt auf die Frage ab, inwieweit die Bürger am politischen Entscheidungsprozeß am besten mitwirken können18. Hobbes zieht die Monarchie der Demokratie deswegen vor, weil nur in ihr das Gemeinwohl verwirklicht werde, da dieses mit dem Privatinteresse des Souveräns zusammenfalle19. Hobbes sieht damit das Zusammenfallen von individuellem Interesse des Entscheidungsträgers und des Allgemeinwohls als entscheidend20 für die Verwirklichung des Letzteren an. Dieser Gedanke entspricht den modernen ökonomischen Theorien über den politischen Entscheidungsprozeß, die ebenfalls zentral auf das Eigeninteresse der handelnden Personen für die Erklärung ihres Verhaltens abstellen. Hobbes unterscheidet im Folgenden allerdings nicht, welche Aufgaben am besten durch welche Organisationsform wahrgenommen werden, sondern spricht sich im Ganzen für das monarchische System aus. Die später durch Locke und Montesquieu entwickelten Grundsätze der Gewaltenteilung und die Anerkennung unveräußerlicher Menschenrechte etwa durch Locke21 und Mill22 waren Reaktionen auf den Missbrauch der dem Herrscher zugestandenen absoluten Herrschaftsgewalt. Anders als bei Thomas von Aquin und Hobbes verschiebt sich der Schwerpunkt der Analyse der Institutionen dahin, dass die Verhinderung von Machtmissbrauch im Mittelpunkt der Begründung für den Aufbau von Institutionen steht. Auch 15 J. Bodin, 1530-1596; Für Jean Bodin ist umstritten, ob sein ursprünglicher Souveränitätsbegriff eine unbegrenzte Entscheidungsgewalt der Herrschenden rechtfertigt, siehe C. H. Mcllwain, Constitutionalism and the Changing World, Cambridge, 1939, Kap. II., zitiert über F.A.v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 228f. 16 Thomas Hobbes, 1588-1679. 17 Th. Hobbes, Von der Verschiedenheit der institutionellen Staaten und von der Thronfolge, in: Hobbes, Leviathan, Kap. 19. 18 Th. Hobbes, a.a.O., Kap. 19. 19 Th. Hobbes, a.a.O., Kap. 19. 20 A. Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, S. 31. 21 John Locke, 1632-1704. 22 John Stuart Mill, 1806-1873.

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Locke vergleicht Demokratie, Oligarchie und Monarchie auf ihre Qualitäten in Bezug auf die Eigenheiten des politischen Entscheidungsprozesses23. Die höchste Staatsgewalt sieht Locke in der Legislative, deren Kontrolle beim Volke liegen müsse24. Allerdings könne das Volk durch den Gesellschaftsvertrag auch die Herrschaft eines Monarchen begründen. Locke sieht in der Beschränkung der Legislative auf den Erlass allgemeiner Gesetze und der Bindung der Exekutive an das allgemeine Gesetz den geeigneten Mechanismus, persönliche Privilegien des Gesetzgebers und der Regierung auszuschließen25. In diesem System sei ausreichend abgesichert, dass die Regierenden sich des „public good" annehmen26. Die Kompetenzen der Regierenden reichten nur soweit, wie sie dem Gemeinwohl dienen. Locke stellt dann die „übliche Frage27", wer denn der Richter darüber sein solle, ob der Fürst oder die Legislative entgegen dem in sie gesetzten Vertrauen handeln. Nach seiner Meinung könne allein das Volk diese Rolle ausfüllen28. Die Gewaltenteilung im Sinne Lockes konzentriert sich also für die politische Steuerung auf die Trennung von Legislative und Exekutive. Sie sieht für eine Gerichtsbarkeit, die die anderen Gewalten kontrolliert, noch kein Bedürfnis oder gar Legitimation. Locke betont aber, dass die Richter unparteiisch und „aufrecht" die Streitigkeiten nach den Gesetzen entscheiden müssten, um das allgemeine Wohlergehen zu gewährleisten29. Die Legitimationsansätze der Aufklärung sind in der Zeit nach Locke zum einen stark von dem Gedanken geprägt, dass das demokratische Prinzip zumindest die Legislative beherrschen müsse, und zum anderen von dem Gedanken, dass die Gewaltenteilung entlang der Funktionenteilung einen Machtmissbrauch verhindern könne. Bei Montesquieu steht das demokratische Element noch neben dem monarchischen und aristokratischen. Seine Teilung in die drei Gewalten geht auch auf diese damals noch existierenden „sozialen Gewalten" zurück. Die Gesetzgebung müsse beim Volk liegen, die Exekutive besser in der Hand des Monarchen. Die Aristokratie solle in Form einer Adelskammer ein Vetorecht besitzen, um Minderheitenschutz zu gewährleisten. Der Gesetzgeber 23

J. Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, 2. Buch, 10. Kapitel, Die verschiedenen Formen eines Staatswesens, § 132. 24 J. Locke, a.a.O., 13. Kapitel, Die Rangordnung der Gewalten im Staat, § 149. 25 J. Locke, a.a.O., 11. Kapitel, Die Reichweite der legislativen Gewalt, § 134ff., insbes. 136, 137 und 12. Kapitel, Die legislative, exekutive und föderative Gewalt des Staates, § 143. 26 A. Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, S. 33. 27 J. Locke, a.a.O., 19. Kapitel, Die Auflösung der Regierung, § 240. 28 J. Locke, a.a.O., 19. Kapitel, Die Auflösung der Regierung. 29 J. Locke, a.a.O., 9. Kapitel, Die Ziele der politischen Gemeinschaft und der Regierung, § 131.

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müsse auf den Erlass der Gesetze beschränkt sein, nur dann werde die Freiheit des Einzelnen gewährleistet. Der Vorschlag zur Bildung einer Kammer, die den Minderheitenschutz wahrnehmen soll, lässt auf ein Misstrauen gegenüber den Ergebnissen des politischen Prozesses schließen. Als wirklich unabhängiges Organ kann diese Kammer aber nicht geweitet werden, da ihre Aufgabe nach Montesquieus Verständnis die Vertretung einer „sozialen Gewalt" ist. Der Gerichtsbarkeit räumt er keine Bedeutung für den politischen Prozess ein, er sieht sie als Umsetzungsorgan desselben30. Für das Wohlergehen des Volkes sei die Trennung der Gerichtsbarkeit von den anderen Gewalten aber unverzichtbar31. Allerdings stellt sich für ihn die Frage demokratischer Legitimität der Gerichtsbarkeit nicht, da er eine Richterwahl „aus dem Volk" befürwortet32. Montesquieu untersucht die zu seiner Zeit bestehenden Gerichtskörper in den italienischen Staaten, etwa der Republik Venedig, die durchaus über politische Macht verfügten33. Diese stellen nach seiner Meinung aber deshalb keine wirklich eigenständigen Kontrollorgane dar, weil sie aus der „gleichen Körperschaft gebildet werden", das heißt aus Gleichgesinnten der venezianischen Aristokratie. So entstehe keine Gewaltenteilung, sondern „kaum etwas anderes daraus als die eine, gleiche Befugnis."34 Auch Rousseau beschäftigt sich intensiv mit der Natur demokratischer Entscheidungsfindung. Zum einen untersucht er das Problem der Mehrheitsherrschaft in der Demokratie, zum anderen zeigt er sehr deutlich die Bedeutung von Gruppeninteressen für den politischen Entscheidungsprozeß auf. Er betont aber, dass die im demokratischen Entscheidungsprozeß gefundenen Ergebnisse oft nicht den idealen „Gesamtwillen" wiedergeben, sondern einen „Gemeinwillen", der nur die diversen „Sonderanschauungen" widerspiegele, die im Volk bestehen. Dies liege an dem Einfluss von „Parteiungen" und Vereinigungen35. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, sei die Zahl der Vereinigungen zu vervielfachen und ihrer Ungleichheit vorzubeu-

30

Nach Ch. de Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch, 6. Kapitel, ist die politische Bedeutung der Judikative in gewisser Weise gar keine (S. 221; im Original „en quelque facon nulle"), da sie nie mehr als der genaue Gesetzestext ist (S. 219). 31 Ch. de Montesquieu, a.a.O., 11. Buch, 6. Kapitel, S. 217. 32 Ch. de Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch, 6. Kapitel, S. 219. 33 Ch. de Montesquieu, a.a.O., verweist auf den „Rat der Vierzig" in der Republik Venedig. Näheres zu den Kontrollmechanismen der Republik Florenz um 1400 bei J. Elster, in: J. Elster/R. Slagstad, Constitutionalism and Democracy, S. 9ff. m.w.N. 34 Ch. de Montesquieu, a.a.O., S. 218. 35 J.-J. Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 2. Buch, 3. Kapitel, „Ob der Gemeinwille irren kann".

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gen36. „Diese Vorsichtsmaßregeln sind die einzig richtigen, damit der Gemeinwille immer aufgeklärt sei und das Volk sich nicht täusche.37". Den umfassenden Geltungsanspruch des Demokratieprinzips untermauert Rousseau in seinem „contrat social" mit der Lehre von der „volonté générale", vom Generalwillen. Über die Konstruktion eines Generalwillens stellt Rousseau fest, dass in der Mehrheitsentscheidung der Wille aller liege. Rousseau stellt dabei auf eine Gemeinsamkeit der Interessen aller Bürger ab38, legt also eine stark idealisierende Vorstellung eines allgemeinen Willens zugrunde. Grund dafür ist die Schwierigkeit, dass der unterlegenen Minderheit im System der Mehrheitsdemokratie das wichtige Selbstbestimmungsrecht verloren geht, und Rousseau deshalb einen Grund zur Rechtfertigung des Mehrheitsprinzips sucht. Rousseau macht aber die Bedingungen und Grenzen des Generalwillens klar: Der Allgemeinwille könne nur in einem „atomisierten" Entscheidungsprozeß gefunden werden, in dem jedes Individuum seine Interessen vertritt39. Deshalb tritt Rousseau für das imperative Mandat ein. Denn das Gemeinwohl könne nur aus dem unmittelbaren Volkswille abgeleitet werden40. In Anerkenntnis der Schwierigkeit der Umsetzung einer unmittelbaren Volksherrschaft im Flächenstaat befürwortet aber auch er letztlich ein parlamentarisches System41. Siéyes42 und Burke43 übertrugen die Überlegungen Rousseaus, wie die volonté générale gewonnen werden kann, vom Volk auf das Parlament und seine Mitglieder44. Von diesem Zeitpunkt an tritt die Anreizberücksichtigung in der europäischen demokratietheoretischen Literatur - im Gegensatz 36

J.-J. Rousseau, a.a.O.: Um wirklich die Aussage des Gemeinwillens zu erhalten, sei es wichtig, daß jeder Bürger nur seine eigene Meinung vertrete und nicht die von Teilgesellschaften. Wenn es aber schon Teilgesellschaften gebe, „ ( . . . ) ist es wichtig, ihre Zahl zu vervielfachen und ihrer Ungleichheit vorzubeugen, (...)." Die „eigene Meinung" der Individuen steht hier für das aufgeklärte Individualinteresse bezogen auf Freiheit und Gleichheitserhalt, die Gruppeninteressen fur den Sonderwillen, die volonté particulière, die in aggregierter Form zur „volonté de tous" führt, die vom Gemeinwillen abweicht. Dieser Sonderwillen sollte aber fur den Bereich der Regierung ausgeschaltet werden. 37 Ders., a.a.O., S. 32. 38 A. Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, S. 118. 39 Dieser Gedanke wurde in Frankreich 1791 mit dem so genannten „Loi Chapelier" umgesetzt, der alle Handelsorganisationen verbot, um Freiheit und den Gemeinwillen zu schützen, siehe J. Jennings, The French Constitutional Tradition, in: R. Bellamy, V. Bufacchi und D. Castiglione (Hrsg.), Democracy and Constitutional Culture in the EU, S. 23; A. Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, S. 51. 40 J.-J. Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 3. Buch, 15. Kapitel, S. 102ff. 41 A. Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, S. 48f. m.w.N. 42 Abbé Sieyès, 1748 - 1804. 43 Edmund Burke, 1729 - 1797. 44 H. H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 126.

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zur amerikanischen Entwicklung, die die europäische Diskussion weiterentwickelt - langsam in den Hintergrund, und die Idealisierung repräsentativer Entscheidungsprozesse nimmt zu. Die Vertreterversammlung des Volkes wird nicht bloß als Ersatz für die Selbstanwesenheit des Volkes angesehen45. Das System der Repräsentation wird als ein der direkten Demokratie überlegenes System angesehen, weil es den Prozess der politischen Willensbildung auf der Grundlage der Strukturprinzipien der bürgerlichen Gesellschaft organisiere: durch Repräsentation ermöglichte Gewaltentrennung und durch Arbeitsteilung vermehrte Freiheit46. Das freie Mandat wird nicht nur als technischer Behelf zur Bildung einer beschlussfähigen Körperschaft angesehen, sondern als Mittel zur Herausbildung des gemeinschaftlichen Willens47. Die repräsentative Vorstellung geht davon aus, ins Parlament gelangten die besten Mitglieder der Gesellschaft, die sich dort als Elite der Nation zu verantwortlichem Handeln zusammenfänden und eine gesteigerte Fähigkeit besäßen, das Gemeinwohl zu ermitteln48. Repräsentation hat nach dieser Auffassung mit der Verfolgung privater Interessen und ihrem Ausgleich nichts zu tun49. Im Rahmen eines solchen Repräsentationsverständnisses, in dem aber ein prinzipieller Interessengleichlauf aller Bürger das politische Handeln dominiert, ist die Bildung unabhängiger Institutionen nicht nur nicht notwendig, sondern sogar schädlich für die politische Willensbildung. Zur Zeit des Frühliberalismus und der konstitutionellen Monarchie ging man davon aus, die Verwirklichung von Richtigkeit und Vernunft werde am besten vom parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber als berufenem Vertreter der von den Gesetzen Betroffenen gewährleistet50. Tatsächlich erfüllt sich diese Auffassung, wenn man nur auf die Interessen des Besitzbürgertums abstellt. Aus dessen Perspektive ist die Richtigkeitsgewähr gegeben, wenn das Parlament (von den Vertretern dieses Besitzbürgertums dominiert) eine Machtbalance zwischen Parlament und Monarch51 herstellt. Die Einrichtung einer Verfassungsgerichtsbarkeit nach amerikanischem Muster wurde in der Paulskirchenversammlung 1848 aufgrund dieses Staats45

Statt aller: C. J. Friedrich: Der Verfassungsstaat der Neuzeit, S. 299; H. Hofmann, Repräsentation, S. 407. 46 A. Sieyès: Meinung über die Grundverfassung der Konvention in der Sitzung des 2. Thermidor (20.Juli 1795) im dritten Jahr der Republik, in: Politische Schriften II, S. 3 6 3 ^ 0 0 (369f., 373), zitiert nach H. Hofmann, Repräsentation, S. 408. 47 H. Hofmann, Repräsentation, S. 408. 48 G. Leibholz, Repräsentation, S. 173ff. 49 J. H. Kaiser, Repräsentation, S. 310; G. Leibholz, Repräsentation, S. 73. 50 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 138ff.; H. Krüger, Staatslehre, S. 70; H. H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 116. 51 H. H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 116 m.w.N.

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Organisationsverständnisses mit dem Argument verworfen, in Deutschland übernehme der Monarch die Kontrolle der parlamentarischen Versammlung52. In den Vereinigten Staaten hatte sich anders als in Europa im 18. Jahrhundert die demokratietheoretische Diskussion anhand verschiedener Ansichten über die Natur des politischen Entscheidungsprozesses - etwa der pluralistischen und republikanischen Theorie - weiterentwickelt 53 . Aus der pluralistischen Demokratietheorie, wie sie Bentley und Truman in den Vereinigten Staaten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten 54 , und der Methodik der ökonomischen Theorie wie sie sich seit Smith entwickelt hatte, entstand ab 1950 die ökonomische Theorie der Demokratie von Downs und Arrow in ihren verschiedenen Ausprägungen. Daneben entwickelte sich auch die pluralistische Demokratietheorie fort 55 . Der ökonomische Konstitutionalismus hat seine theoretischen Wurzeln in der institutionalistischen ökonomischen Lehre56 und der pluralistischen Demokratietheorie. Der ökonomische Konstitutionalismus ist Bestandteil des sogenannten „Theoretischen Institutionalismus"57. Grundlegende Werke des Theoretischen Institutionalismus sind die Werke von Ronald Coase und James M. Buchanan58. Der neuere Institutionalismus unterscheidet sich dabei von seinen Vorgängern der deutschen historischen Schule und des amerikanischen Institutionalismus insofern, als er methodisch bewusst im Rahmen

52

R. Wahl, Der Vorrang der Verfassung, in: Der Staat 20 (1981), S. 489f. Siehe oben Teil 1 Kapitel 5 zum Federalist von J. Jay, A. Hamilton und J. Madison aus den Jahren 1787 und 1788. 54 Siehe oben Teil 1 Kapitel 5. 55 Siehe dazu F. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung; R. Dahl, Democracy and its Critics wird unter C als ein prominenter Vertreter der pluralistischen Demokratietheorie behandelt. 56 V. Vanberg, Der individualistische Ansatz zu einer Theorie der Entstehung und Entwicklung von Institutionen, in: Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 2 (1983), S. 52 mit Hinweis auf B. S. Frey, Moderne Politische Ökonomie, Die Beziehung zwischen Wirtschaft und Politik, München 1977, S. 120. Zu den Vorläufern der Neuen Institutionenökonomie siehe Kapitel 7. 57 Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 11 mit einem kurzen Überblick zur Entwicklung des Institutionalismus in den dreißiger Jahren und des Neo-Institutionalismus seit den sechziger Jahren. 58 Eines der grundlegenden Werke ist J. M. BuchananIG. Tullock, The Calculus of Consent; Überblick über die Entwicklungen und Zusammenhänge der verschiedenen ökonomischen Ansätze bei M. Leschke, Ökonomische Verfassungstheorie, S. 15ff.; G. Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 103ff. zu den Vorgängern Buchanans in der ökonomischen Demokratietheorie, insbesondere Kenneth J. Arrow, Social Choice and Individual Values, aus dem Jahre 1951 und Anthony Downs, An Economic Theory of Democracy, 1957. 53

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der klassischen Ökonomietradition steht, während die Vorgängertheorien sich ausdrücklich davon abwandten59. In der ökonomischen Theorie der Demokratie fließen damit zwei Theorietraditionen zusammen: die seit über zweitausend Jahren entwickelte traditionelle Demokratietheorie und der ökonomische Institutionalismus mit der ökonomischen Methodik, insbesondere der Rational-Choice-Theorie. Inwieweit diese beiden Theorietraditionen Anschluss aneinander finden können, wird im Weiteren geprüft60. Die ökonomische Theorie zur positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse als Grundlage der demokratischen Legitimation staatlicher Institutionen kann jedenfalls auf einer historisch gewachsenen demokratietheoretischen Grundlage aufbauen, denn, wie gezeigt, ist die von der ökonomischen Theorie verwendete Methode der Berücksichtigung von Anreizen, Restriktionen und Präferenzen auch für den überwiegenden Teil der demokratietheoretischen Diskussion der „klassischen" pluralistischen Demokratietheorie prägend. Der Analysewert des Homo Oeconomicus wird also nicht dadurch geschmälert, dass er nun nicht mehr zur Erklärung kollektiven wirtschaftlichen Handelns herangezogen wird, sondern als positive Grundlage einer Legitimationstheorie dienen soll. Auch das Grundgesetz geht beispielsweise bei der Festlegung verfassungsrechtlicher Grundsätze wie etwa der Gewaltenteilung oder der Demokratie als Herrschaft auf Zeit von einem durchschnittlichen Verhalten der Bürger aus, das dem des Homo Oeconomicus ähnelt61. Ebenso wurde, wie oben gesehen, in der demokratietheoretischen Literatur seit Montesquieu und der Pluralismustheorie in den Vereinigten Staaten ein eigennutzorientiertes Verhaltensmuster der Bürger zugrunde gelegt. Die positive ökonomische Theorie lässt sich damit auch auf den politischen Bereich anwenden, auch wenn er für den Gegenstandsbereich der Wirtschaftswissenschaften entwickelt wurde. Die ökonomische Theorie oder Ökonomik bezeichnet eine durch ihren methodischen Ansatz und keine

59

V. Vanberg, Der individualistische Ansatz zu einer Theorie der Entstehung und Entwicklung von Institutionen, in: Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 2 (1983), S. 52f. m.w.N. und Hinweis auf den Methodenstreit im älteren Institutionalismus zwischen Carl Menger, der für eine methodische Ausrichtung des Institutionalismus an der klassischen ökonomischen Theorietradition plädierte und Gustav Schmoller, der sich gegen diese Ausrichtung aussprach. 60 Grundlegend dazu K. Homann, Rationalität und Demokratie, 1988. 61 P. Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 44ff. spricht vom „realistischen" Menschenbild.

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durch ihren Gegenstandsbereich definierte Disziplin62. Das ökonomische Analyseschema lässt sich, auch wenn es aus der ökonomischen Theorie entwickelt wurde, auf politische Entscheidungsprozesse anwenden, weil es gerade von seiner Fragestellungen her als sozialwissenschaftliche Disziplin auf die Fragen kollektiver, gesellschaftlicher Steuerung ausgerichtet ist. III. Theoretisches Modell und empirische Nachweisbarkeit Die Schlussfolgerungen der formalen Repräsentationstheorie in Bezug auf die Institutionenbildung hängen kaum von Aussagen über den Verlauf des Entscheidungsprozesses ab, da sie auf einer personell vermittelten Legitimation beruht (Wahlakt) und nur sehr allgemeine Aussagen über den Entscheidungsprozeß trifft (Gleichheitswahrung durch Anwendung des Mehrheitsprinzips). Die Stärke aber auch Schwäche einer „präziseren" ökonomischen Entscheidungsanalyse besteht darin, dass sie aus bestimmten Annahmen über den politischen Entscheidungsprozeß Konsequenzen in Form von institutionellen Einengungen des politischen Entscheidungsprozesses zieht (im Sinne von Beteiligung von weniger Personen an einer Entscheidung zumindest im Fall unabhängiger Institutionen). Wenn die ökonomische Theorie einen bestimmten Entscheidungsablauf prognostiziert und daraus Konsequenzen für die Ausgestaltung von Institutionen ziehen, steht und fällt die Begründung und Legitimation solcher Institutionen mit dem „Wahrheitsgehalt" der ihnen zugrunde gelegten Analysen63. Die Konsequenzen einer analytischen Beachtung von Präferenzen und Anreizen für die Institutionenbildung sind damit auf andere Weise legitimiert als die institutionellen Konsequenzen des „anreizblinden" symbolischen Modells. Dies wird besonders deutlich im Fall der Bildung unabhängiger Institutionen. Brennan und Buchanan wollen mit dem ökonomischen Konstitutionalismus die Gestaltung staatlicher Institutionen durch eine positive Analyse der politischen Entscheidungsabläufe informieren64. Sie wollen nachweisen, dass der Homo Oeconomicus selbst dann ein geeignetes Analyseinstrument ist, wenn empirische Befunde dagegen sprechen, dass sich Menschen ent-

62

Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 10ff.; I. Pies, Normative Institutionenökonomik, S. lOOf. 63 I. Pies, Normative Institutionenökonomik, S. 146ff. hält es für unhaltbar, die HomoOeconomicus-Konstruktion unabhängig von ihrer Erklärungs- und Prognosekraft rechtfertigen zu können. 64 1. Pies, Normative Institutionenökonomik, S. 153.

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sprechend dieser Fiktion verhalten65. Als wissenschaftliches Modell mag es tatsächlich nur darauf ankommen, ob das ökonomische Verhaltensmodell prognosefähige Aussagen über Entscheidungsabläufe erlaubt66. Das HomoOeconomicus-Modell kann daher auf einer theoretischen Ebene auch ohne empirische Bestätigung als Instrument dienen, um die verhaltenskanalisierende Wirkung verschiedener institutioneller Arrangements zu erfassen und die Funktionsweise von Institutionen sinnvoll zu analysieren. Ökonomische Analysen können aber in demokratietheoretischer Hinsicht demokratische Legitimation nur vermitteln, wenn sie ein realitätsnahes Bild des Entscheidungsprozesses wiedergeben67. Ansonsten würde auch das wenn auch sehr differenzierte - ökonomische Modell wie das funktionale Modell auf einer theoretischen Ebene verbleiben und zur Legitimation realer Institutionen auf unbestätigte Annahmen über die Wirklichkeit der Entscheidungsabläufe zurückgreifen müssen. Das aber widerspricht der Konzeption des ökonomischen Modells, das auf reale Entscheidungsanalysen und eben nicht formal vermittelte personelle Legitimation abstellt. IV. Berücksichtigung der positiven Analyse für die Bildung von Institutionen Folge der Tatsache, dass die formale Demokratietheorie die Bedeutung von Anreizen und Restriktionen für die Entscheidungsfindung nur periphär berücksichtigt, ist, dass sie methodisch eine zentrale sozialwissenschaftliche Aufgabe nicht erfüllt. Aufgabe einer positiven Theorie politischer Entscheidungsprozesse ist es, auch die nicht beabsichtigten sozialen Folgen individueller Handlungen zu erfassen, die zu einer bestimmten, (spontanen) Ordnung führen. Diese Aufgabe erfüllt die ökonomische Theorie hingegen seit ihren Ursprüngen bei Adam Smith: Keines der Individuen, die auf einem Markt tätig sind, hat üblicherweise die Absicht, dadurch den Marktmechanismus einen gesellschaftlichen Koordinationsmechanismus in Gang zu setzen, aber sie tragen alle bewusst oder unbewusst dazu bei68. Nun ergeben sich als Nebenfolgen der Handlungen vieler Individuen nicht nur das Funktionieren des Marktmechanismus, sondern eben auch viele politische Mechanismen. Die ökonomische Methode erklärt - wie oben dargestellt - makroökonomische Ergebnisse aus dem Verhalten der individuellen Akteure heraus. Ein kollektives Makrophänomen gilt dann als er65

1. Pies, Normative Institutionenökonomik, S. 146f. Chr. Kirchner, ökonomische Theorie des Rechts, S. 13f. 67 So auch G. BrennanlJ.M. Buchanan, Die Begründung von Regeln, S. 68ff., 72. 68 G. Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 22. 66

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klärt, wenn es als das aggregierte Resultat rationaler Individualhandlungen rekonstruiert werden kann69. Das Ergebnis kollektiven Handelns wird dabei entscheidend dadurch bestimmt, welche Präferenzen die Entscheidungsträger haben und welchen Restriktionen - durch die bestehende institutionelle Ordnung - sie bei ihren Handlungsmöglichkeiten unterliegen. So kann die ökonomische Theorie auch erklären, dass es zu Ergebnissen kollektiven Handelns kommen kann, die eine Vielzahl von Akteuren originär nicht gewünscht haben, die aber durch die Struktur der institutionellen Ordnung und ihrer Auswirkungen auf die Entscheidungsträger bedingt sind. Das formale Repräsentationsmodell kennt diese Unterscheidung von individueller und kollektiver Ebene nicht. Individuelle Entscheidungen ergeben danach unmittelbar das Ergebnis kollektiven Handelns. Einflüsse von Institutionen durch Restriktionen und andere Anreize werden weitgehend ausgeblendet. Nach dem formellen Repräsentationsmodell ist beispielsweise durch das Repräsentationsprinzip eine gleiche und freie Entscheidungsfindung in inhaltsoffener Weise gewährleistet70. Die demokratische Mitwirkungsfreiheit aller Bürger an der politischen Willensbildung und die dazugehörigen Komplementärgarantien garantieren danach die dauernde Offenheit des politischen Prozesses71. Deutlich zum Ausdruck kommt diese Sichtweise, die die Bedeutung der institutionellen Ordnung ausblendet und auf den Willen der Akteure bzw. Entscheidungsträger abstellt in folgenden Worten: „An Inhalten steckt danach in demokratischer Herrschaft jeweils das, was von den (freien) Bürgern oder deren Repräsentanten in sie hineingegeben und von fortdauerndem Konsens getragen wird.72" Folglich kann das formale Demokratieverständnis Resultate kollektiven Handelns nur als letztlich auch von den individuellen Akteuren gewünschtes Ergebnis verstehen. Weiter unten wird gezeigt, dass etwa im Politikfeld staatliche Haushaltspolitik eine systemimmanente Verschuldungstendenz demokratischer Staaten besteht, die nicht unbedingt durch den originären Willen der 69

1. Pies, Normative Institutionenökonomik, S. 107. E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 22 Rz. 38; ebenso W. Henke, Der fliessende Staat, in: Der Staat 20 (1981), 580, 588, 592. 71 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 22 Rz. 40. 72 E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR 1(1987), § 2 2 Rz. 38. 70

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Akteure getragen sein muss73. Das demokratisch institutionelle System fuhrt dazu, dass Akteure Staatsverschuldung verursachen, auch wenn sie sich unter anderen institutionellen Bedingungen gegen eine wachsende Staatsverschuldung entscheiden würden. Entgegen dem formalen Repräsentationsverständnis geht die ökonomische Theorie daher nicht zwangsläufig davon aus, dass demokratische Entscheidungsprozesse immer ergebnisoffen sind. Vielmehr können sie bestimmten prognostizierbaren Tendenzen unterliegen. Damit bedeutet die Wahl eines Entscheidungsverfahrens in bestimmten Politikfeldern wie etwa Haushaltspolitik immer auch eine Entscheidung für eine bestimmte Ergebnistendenz. Insofern ist die Vorstellung von der „Zielindifferenz" der Staatsorganisation nur insofern richtig als mit dem funktionalen Modell bewusst keine Zielsetzung institutionell unterstützt werden sollte. Faktisch aber führte auch die Annahme der Zielindifferenz in Zusammenhang mit der Anwendung des Mehrheitsprinzips zu einer ungewollten Ergebnis Orientierung der Staatsorganisation, etwa steigender Staatsverschuldung. Als Folge der Vorstellung des formellen Repräsentationsverständnisses wird in der deutschen Literatur die Staatsorganisation als „zielindifferent" gesehen. Isensee geht beispielsweise von einer Definition des modernen Staates von seinen Mitteln und nicht seinen Zwecken her aus74. Daraus ergibt sich für ihn, dass sich der moderne Staat als „relativ zielindifferentes Instrumentarium darstellt"75. Zu einer Zielindifferenz gegenüber konkreten und abstrakten Zielen kommen auch die Vertreter der Lehre vom Selbstzweck des Staates76. Nach ihnen besteht der Staat als Selbstzweck, eine Beschäftigung mit Staatszwecken soll dabei als verfehlt erscheinen77. Die Berücksichtung von Anreizen und Restriktionen für den Institutionenaufbau führt aber wie gesehen zwangsläufig zu einer zielorientierten Staatsorganisation, denn der Gedanke der institutionellen Stärkung bestimmter Aufgaben und politischer Ziele (beispielsweise Währungsstabilität) verwirklicht gerade eine Zielorientiertheit. Die Bildung unabhängiger Institutionen, die zur Durchsetzung bestimmter Ziele eingesetzt werden, entspricht einem zielorientierten Staatsorganisationskonzept. Genauso bedeutet aber 73

Siehe unten Kapitel 9 B. I. J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben, (1988), § 57 Rz. 42. 75 J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben, (1988), § 5 7 Rz. 42. 76 H. P. Bull, Staatsaufgaben, S. 25ff.; H. H. v. S. 9 m.w.N. 77 H. Krüger, Staatslehre, S. VI, H. H. v. Arnim, 74

in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR III in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR III Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 10.

Vergleichende Kritik des funktionalen und ökonomischen Modells

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die Entscheidung gegen unabhängige Institutionen und für die Anwendung des Mehrheitsverfahrens in Politikfelder wie Haushalts- oder Währungspolitik eine Entscheidung dafür, dass ein bestimmtes Ergebnis mit höherer Wahrscheinlichkeit eintritt.

B. Vergleichende Kritik der normativen Modelle I. Demokratietheoretische Bewertung der normativen Ökonomik Die Ansätze, die eine Vorrangigkeit des Mehrheitsprinzips gegenüber anderen Entscheidungsverfahren vertreten, und der ökonomische Konstitutionalismus unterscheiden sich bereits dadurch, dass sie die Legitimationsreichweite des hypothetischen Konsenses über die zu wählenden Entscheidungsverfahren verschieden gewichten. Nach der ökonomischen Demokratietheorie Buchanans ist der vorangehende hypothetische Konsens die Grundlage für die Auswahl nachfolgender Entscheidungsverfahren, etwa einfacher oder qualifizierter Mehrheitsverfahren78. Im ökonomischen Konstitutionalismus kommt dem Konsens der höchste Legitimationsgrad zu und andere postkonstitutionelle Verfahren mit eventuell weniger hohen Zustimmungserfordernissen werden von den Bürgern gewählt, um bei kollektivem Handeln politische Transaktionskosten zu senken. Der Konsens entspricht für den Bereich des kollektiven Handelns dem Tausch im Zwei-Personen-Verhältnis. Er beruht auf Freiwilligkeit und bietet damit größtmögliche Selbstbestimmung. Es erscheint auch überzeugender, dem Konsens gegenüber dem Mehrheitsverfahren legitimationstheoretischen Vorrang zuzubilligen, denn im Konsens wird ein Maximum an Selbstbestimmung aller erreicht79. Gegen den Einwand, durch Konsens oder qualifizierte Mehrheitsverfahren komme einer Minderheit überproportionale Beachtung zu, denn sie könne den Konsens aufbrechen, kann eingewandt werden, dass jeder Einzelne über eine Veto- Möglichkeit verfügt. Die scheinbare Ungleichheit kommt nur zustande, weil plötzlich für die Gewichtung der Gleichheit nicht mehr jeder Einzelne betrachtet wird, sondern Gruppen verglichen werden. Damit wird aber die individualistische Vergleichsgrundlage der Demokratietheorie verlassen, 78

S. o. Kapitel 7. So K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rz. 140ff. betont die Legitimationswirkung des Konsenses und spricht einer Mehrheitsentscheidung keine eigene Legitimation zu, „sofern und solange sie nicht nötig ist"; Auch nach R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 114, gelingt ein Maximum an Selbstbestimmung bei größtmöglicher Zustimmung aller.

79

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von der auch Böckenförde ausgeht. Die Zählwertgleichheit aller Stimmen bleibt auch bei Konsens und qualifizierten Mehrheiten erhalten. In der ökonomischen Konstitutionalismustheorie ist dann die zentrale Frage, welche Entscheidungsverfahren in einem hypothetischen Konsens festgelegt werden könnten. Dabei beschränkt sich der ökonomische Konstitutionalismus nicht nur auf die Festlegung von Verfahren, bei denen gewisse Kriterien, etwa Gleichheit und Freiheit, auch formell angeordnet werden können, sondern bezieht den politischen Entscheidungsprozess als Ganzes, also auch nach Wahlen und Regierungsbildung mit ein. Dies erscheint sinnvoll, denn gerade in dieser Zeit werden die politischen Entscheidungen getroffen. Der ökonomische Konstitutionalismus bezieht also gerade die Entscheidungslogik des gesamten politischen Entscheidungsprozesses in die Wahl der Entscheidungsverfahren ein, während der formelle Ansatz, der den Vorrang des Mehrheitsverfahrens betont, sich nur auf den Wahlakt konzentriert, weil nur dort demokratische Gleichheit herstellbar ist. Über den Weg des hypothetischen Konsenses ist es damit möglich, über den legitimationstheoretischen Anknüpfungspunkt demokratischer Gleichheit bei Wahlen hinauszugehen. Dabei legt Buchanan aber nicht mehr primär die Kriterien Freiheit und Gleichheit oder gleichwertige Interessenberücksichtigung zugrunde, sondern den hypothetischen Konsens. Entscheidend wird dann die Frage, wann ein solcher Konsens anzunehmen ist. Mit dem ökonomischen Ansatz, der die positive Analyse aller politischen Verfahren mit in die Auswahl der Entscheidungsverfahren einbezieht und nicht nur den Wahlakt, wird die rein normative und formelle Begründung der Entscheidungsverfahren - etwa Gleichheit und Freiheit bei Böckenförde - durch die positive Analyse ergänzt, die in einem Zusammenspiel gleichwertig mit den normativen Zielsetzungen die Auswahl der Entscheidungsverfahren beeinflusst. Die rein normativ begründete Auswahl der Entscheidungsverfahren wird insofern zugunsten der positiven Analyse zurückgenommen, als nun positive Analyse und normative Kriterien die Auswahl der Entscheidungsverfahren bestimmen. Dies gilt insbesondere, weil der ökonomische Ansatz keine festen normativen Kriterien wie Freiheit und Gleichheit vorgibt, sondern auf den offeneren Maßstab des hypothetischen Konsenses abstellt. Wenn mit dem ökonomischen Konstitutionalismus andere Verfahren als das Mehrheitsprinzip konsensfähig und demokratisch legitimierbar sind, wird dadurch die formell durch den Wahlakt gewährleistete Gleichheit aufgegeben. Dafür wird die positive Analyse des zu wählenden Entscheidungsprozesses demokratietheoretisch einbezogen. Statt das Mehrheitsverfahren absolut zu set-

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zen, wird anerkannt, dass alle Entscheidungsverfahren je nach Politikfeld die Ergebnisse mitbeeinflussen. Der Ansatz des ökonomischen Konstitutionalismus ist damit in doppelter Hinsicht anspruchsvoller als die vorhergehend dargestellte Theorie des Vorrangs des Mehrheitsprinzips: Er bewertet demokratische Legitimation nicht nur nach eng abgrenzbaren, formellen Verfahren - etwa dem Wahlakt - , sondern nach dem gesamten politischen Entscheidungsverfahren. Dafür stellt er die Auswahl der Entscheidungsverfahren nicht nur auf eine normative Basis, sondern ergänzt diese durch die Wechselwirkung zwischen normativer und positiver Analyse. Außerdem will der ökonomische Konstitutionalismus aus der hypothetischen Einigung heraus auf die Legitimation tatsächlicher Entscheidungsverfahren schließen, während die Vertreter des Vorrangs des Mehrheitsprinzips die Legitimationserwägungen der anzuwendenden Verfahren auf Kriterien stützen, die den realen Entscheidungsverfahren unmittelbar immanent sind (formelle Gleichheit) und dem Gesellschaftsvertrag damit keine eigene konkrete Funktion hinsichtlich der zu wählenden Verfahren zukommt. Dies wirft die Frage auf, ob von einer theoretischen Ebene, etwa aus der politischen Idee der Demokratie oder einem hypothetischen Konsens, Schlüsse für die reale, verfassungsrechtliche Ebene gezogen werden können80. Darüber hinaus muss der ökonomische Ansatz darlegen können, unter welchen Bedingungen aus dem hypothetischen Konsens auf bestimmte Entscheidungsverfahren geschlossen werden kann. Dies wird nun im Anschluss untersucht. II. Ökonomischer Konstitutionalismus und gleichwertige Interessenberücksichtigung Der ökonomische Konstitutionalismus steht, wie oben gezeigt, im Gegensatz zu Methode und Ergebnis der Theorie des Vorrangs des Mehrheitsprinzips81. Hier wird nun dargelegt, dass der ökonomische Konstitutionalismus auch in einem Widerspruch zu dem normativen Prinzip der gleichwertigen Interessenberücksichtigung steht und dabei methodische Schwachstellen aufweist. Im ökonomischen Konstitutionalismus nach Buchanan ist der Gedanke an gleichwertige Interessenberücksichtigung zunächst durch seine Definition des Eigeninteresses ausgeschlossen. Allerdings wird der Gedanke letztlich durch die Forderung nach dauerhaftem Freiheitserhalt im Rahmen seines sogenannten „konstitutionellen Interesses" sichtbar. 80 81

K. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, § 18 II 3, Das demokratische Prinzip. Siehe Kapitel 7 A.

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Normativer Ausgangspunkt des ökonomischen Konstitutionalismus ist die gedachte freiwillige Zustimmung der Individuen zum Gesellschaftsvertrag, da ihr eigenes individuelles Kosten-Nutzen-Kalkül diesen Vertragsschluss als sinnvoll erscheinen lässt. Bei diesem Schritt werden mit der ökonomischen Definition des Eigeninteresses wie erwähnt gerade keine Interessen anderer in das Kosten-Nutzen-Kalkül miteinbezogen82. Die Geltung des Gesellschaftsvertrages beruht dann in der Folge nicht auf der eingegangenen Verpflichtung, sondern hängt von der Stellung des im Vertrag Vereinbarten zum natürlichen Gleichgewicht, dem Machtgleichgewicht ab83. Es richtet sich nach dem Machtgleichgewicht, ob der Gesellschaftsvertrag eingehalten oder verändert wird84, weil Rechte, die neuen Situationen nicht Rechnung tragen, sich nicht über längere Zeit hinweg zwangsweise durchsetzen lassen85. Nach der ökonomischen Theorie der Politik begründet der Gesellschaftsvertrag für die Individuen damit keine normative Verpflichtung, ihn auch einzuhalten. Normative Grundlage bleibt die Eingehung des Vertrages aus der individuellen Kosten-Nutzen-Erwägung. Die Einhaltung des Gesellschaftsvertrags sicherzustellen, ist dann aber problematisch und gelingt, wie oben dargestellt, durch die Schaffung des Rechtsschutzstaates und die Entwicklung einer Zivilmoral auf postkonstitutioneller Ebene. Über dieses Element fließt aber letztlich auch bei Buchanan eine gewisse Anerkennung der Interessen anderer in die Präferenzbildung mit ein. Buchanan leitet aus dem Konsens keinen normativen Vertragsinhalt ab, der eine gleichwertige Interessenberücksichtigung festschreiben würde. Mit seinem ökonomischen Konzept des Eigeninteresses ist ein solcher Vertragsinhalt auch nicht vereinbar, da der Vertragsschluß nur auf den einzelnen Eigeninteressen der Individuen beruht. Die ökonomische Definition des Eigeninteresses schließe aber gerade die Beachtung der Interessen anderer aus86. In der Folge stelle die Entwicklung ungleichen Einflusses und Reichtums eine natürliche Entwicklung dar, die auch normativ nicht verwerflich sei87. Bezüglich des „Rechtsschutzstaates" legt Buchanan zwar dar, dass „richtiges Verhalten" darin bestehe, nicht Regeln zu brechen, denen man vorher zugestimmt hat88. Es handelt sich dabei aber um eine Ableitung aus dem individualistischen Ansatz, die mehr regel- oder prozeßbezogen ist, als 82 83 84 85 86 87 88

J. M. Buchanan/G. Tullock, The Calculus of Consent, S. 17. Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 126. J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 106ff„ 110. J. M. Buchanan, a.a.O., S. 114, 123. J. M. Buchanan/G. Tullock, The Calculus of Consent, S. 17. J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 78ff. G. BrennanJJ. M. Buchanan, Die Begründung von Regeln, S. 128f.

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dass sie auf ein bestimmtes Resultat abzielt. Allerdings ist auch die Einhaltung der Regeln des Rechtsschutzstaates von subjektiven Parteiinteressen abhängig. Der subjektive Gerechtigkeitsbegriff beinhaltet nach Buchanan weniger die Anerkennung der Interessen der Vertragspartei (am Einhalten der Vertragsregeln als normativen Maßstab), sondern einen aus eigenem Kosten-Nutzen-Kalkül abgeleiteten Gerechtigkeitsbegriff. Eine Anerkennung der Interessen anderer Individuen spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Allerdings besteht eine gewisse Berücksichtigung der Interessen anderer in der Konstruktion des konstitutionellen Interesses, nach dem alle Bürger ein langfristiges Interesse am Erhalt der demokratischen Ordnung haben. Das konstitutionelle Interesse ist letztlich wie Rousseaus Allgemeininteresse weit abstrahiert von den unmittelbaren Einzelinteressen und fast schon unabhängig von diesen89. Damit wird bei Buchanan wie bei Rousseau das Interesse am Freiheitserhalt zum zentralen Element der Vertragstheorie, zu einem allgemeinen Interesse. Um die Figur des „konstitutionellen Interesses" in dem individualistischen Ansatz zu verwurzeln, betont Buchanan das eigene Interesse der Individuen an Freiheit90: Der Bürger möchte danach vorrangig die Freiheit zum Wählen seiner Präferenzen behalten. Das konstitutionelle Interesse kann dabei als abgeleitetes Interesse an Freiheit (eine Präferenz an Freiheit über alle anderen Präferenzen) oder originäre Präferenz für Freiheit91 (damit eine Grenze der Freiheit bei der eigenen Präferenzbildung92) gedeutet werden. Durch diese Betonung der Freiheit in der Wahl der Individuen wird die individuelle Freiheit zu einem normativen Prinzip erhoben93. Mit den Worten Buchanans: Der „methodologische Individualist (muss) die Existenz seiner Mitmenschen und deren Wertvorstellungen anerkennen.94" Auch im ökonomischen Konstitutionalismus ist damit eine grundsätzliche Anerkennung der Interessen anderer, über die Figur des Interesses an Freiheit auch der anderen Individuen, Bestandteil des demokratischen Prinzips95.

89

Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 151. Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 165. 91 Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 156ff. 92 Diese Konstruktion gab J. M. Buchanan's Buch „Die Grenzen der Freiheit" seinen Titel, siehe Th. Petersen, a.a.O., S. 157. 93 Der ökonomische Konstitutionalismus wird deshalb auch als ein konsenstheoretisches Paradigma bezeichnet, siehe dazu Chr. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 11, 20. 94 J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 2. 95 Siehe Th. Petersen, a.a.O., S. 166f. 90

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Am Punkt der gleichwertigen Interessenberücksichtigung unterscheiden sich damit die Interpretation der Vertragstheorie und der Demokratietheorie wie sie von Dahl verwendet wird und die des ökonomischen Ansatzes: Aus ökonomischer Sicht erfolgt die Vertragszustimmung der Individuen aus einem Kosten-Nutzen-Kalkül, was dazu führen kann, dass eine hypothetische Zustimmung auch zu Entscheidungen, die zu ungleichem Einfluss im Bereich kollektiven Handelns führen, vorliegen kann. Für marktwirtschaftliche Zwecke kann solch eine Zustimmung möglich sein. Für den Bereich politisch-kollektiven Handelns scheint allerdings auch nach einem KostenNutzen-Kalkül nur eine gleichwertige Interessenberücksichtigung auf kollektiver Ebene zustimmungsfähig96. Die Präzisierung der Zustimmungsfähigkeit im ökonomischen Ansatz kann also mit dem in dieser Arbeit verfolgten normativen Grundsatz gleichwertiger Interessenberücksichtigung hergeleitet werden: Zwar verfolgen die Individuen - wie analytisch zugrunde gelegt - ihre eigenen Interessen nach dem Eigennutztheorem, nach der Rationalitätsannahme und nach einem Kosten-Nutzen-Kalkül. Inhalt des Gesellschaftsvertrages und damit des normativen Maßstabs kollektiven Handelns werden allerdings nur solche individuellen Interessen, die bereits auch auf individueller Ebene eine Berücksichtigung der Interessen anderer Individuen kennen. Ein solcher normativer Maßstab widerspricht dem Konzept des ökonomischen Konstitutionalismus, das aus methodischen Gründen beim Begriff des Eigeninteresses ausschließlich auf das Eigeninteresse des jeweiligen Individuums abstellt97, kann aber für das Konsensprinzip als zustimmungsfähiges Kriterium genutzt werden. III. Legitimation realer Verfahren durch einen hypothetischen Konsens? Normative demokratietheoretische Grundlage des ökonomischen Konstitutionalismus ist der hypothetische Konsens zum „Basisvertrag". Aus diesem Vertrag heraus leitet Buchanan im Weiteren die Legitimation der Verfassung und ihrer Institutionen ab. Gegen diese Übertragung einer Legitimation, die auf einem hypothetischem Konsens beruht, auf die tatsächlichen und konkreten Entscheidungsverfahren wird eingewandt, ein solcher Legitimationstransfer sei nicht zulässig, da der hypothetische Konsens in der Realität

96

R. Dahl, Democracy and its critics, S. 85ff. zur equal consideration of interests, die er als Grundlage der Rechtfertigung des demokratischen Entscheidungsprozesses sieht. 97 J. M. Buchanan/G. Tullock, The Calculus of Consent, S. 17.

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eben nie vorgelegen habe oder vorliege98. Man könne nicht die Legitimation der Verfassung, die als einstimmig beschlossen unterstellt wird, auf die eben nicht mit Einstimmigkeit beschlossenen Verfassungen und postkonstitutionellen Gesetze und Verordnungen transportieren. Tatsächliche Entscheidungsregeln haben gegenüber dem hypothetischen Modell danach immer ein Legitimationsdefizit. Ähnlich wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur argumentiert, von den theoretischen und politischen Ideen der Demokratie könne nicht auf die realen Verfassungsbestimmungen geschlossen werden". Diese Kritik am Prinzip des hypothetischen Konsenses als Legitimationsgrundlage für tatsächliche Entscheidungsverfahren geht von einer Übertragung der Legitimation von der hypothetischen auf die reale Ebene aus. Die Legitimationswirkung des hypothetischen Konsenses ist aber nicht in einer unmittelbaren Übertragung der Legitimationswirkung zu sehen. Vielmehr dient der hypothetische Konsens als ein Mittel, eine normative Zielsetzung zu formulieren, an der die realen Verfahren ausgerichtet werden sollten. Die Vertragstheorie besitzt daher im Sinne einer unmittelbaren Ableitung der Legitimation aus dem hypothetischen Konsens auf die empirische Ebene sicherlich ein gewisses Defizit100. Real festgelegte Verfahren leiden natürlich dann an einem Legitimationsdefizit, wenn sie nicht wirklich einstimmig festgelegt wurden101. Zur Ausrichtung der realen Verfahren an normativen Maßstäben bietet Buchanans Theorie aber ein vorteilhaftes Konzept, weil sie die Ergebnisse realer Entscheidungsprozesse in die Formulierung ihres normativen Maßstabes aufnimmt. Die Theorie vom Vorrang des Mehrheitsprinzips dagegen gründet ihre normative Legitimationsbasis rein auf theoretisch hergeleiteten normativen Werten ohne die politische Realität miteinzubeziehen. Buchanans hypothetischer Konsens ist vor allem darauf ausgerichtet, positive und normative Analyse miteinander in Beziehung zu setzen, sie interdependent zu verstehen102. Positive Folgenabschätzung und normative Folgenbewertung sollen systematisch aufeinander abgestimmt werden. Das Konsenskriterium hilft, einen normativen Maßstab zu formulieren, an dem die positive Forschung ausgerichtet werden kann103. Der ökonomische Konstitutionalismus zielt also darauf ab, durch die positive Analyse die Suche 98

K. Homann, Rationalität und Demokratie, S. 190ff. K. Stern, Staatsrecht Bd. 1, Das demokratische Prinzip, § 18 II 3, S. 602f. 100 M. Leschke, Ökonomische Verfassungstheorie und Demokratie, S. 87. 101 M. Leschke, Ökonomische Verfassungstheorie und Demokratie, S. 83, 102. 102 1. Pies, Normative Institutionenökonomik, S. 135ff. 103 I. Pies, Theoretische Grundlagen demokratischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik Der Beitrag James Buchanans, S. 14f.

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nach gewünschten Institutionen für das kollektive Handeln zu informieren. Buchanan versucht dies, indem er seine konstitutionelle Ökonomik normativ und hinsichtlich der positiven Analyse individualistisch ausrichtet. Das individualistische Konsenskriterium als Maßstab hat den Vorteil, dass es nicht auf ein externes Kriterium, etwa Effizienz, sondern auf ein individuell abgeleitetes, prozedurales Kriterium abstellt104. Bei der Untersuchung der Legitimation einer Regel kann so geprüft werden, ob sie ihre Grundlage in einem hypothetischen Konsens haben kann. Bei Bejahung der Frage kann man aus der individualistischen Perspektive eine Verbindung zwischen dem Einzelnen und der staatlichen Regel herstellen. Das hypothetische Konsenskriterium vermittelt demokratische Legitimation dann letztlich nicht alleine, sondern nur, wenn in Zusammenspiel von positiver Analyse und normativem Maßstab nachgewiesen werden kann, dass die gewünschten Resultate eintreten105. Insofern ist die eingangs angeführte Kritik berechtigt, wenn sie fordert, dass die zu findenden Verfahren zwar auf der theoretischen Ebene keine Überprüfung an Resultaten erfordern, wohl aber im Bereich der Legitimation von realen Institutionen106. Auch die rechts- oder politikwissenschaftliche Position, die eine Ausrichtung der Entscheidungsverfahren am Mehrheitsprinzip fordert, gibt mit den zu wahrenden Werten von Freiheit und demokratischer Gleichheit eine „Folie" vor, an der die Entscheidungsverfahren auszurichten sind. Die realen Entscheidungsverfahren werden an diesen Vorgaben orientiert. Die Legitimation der realen Verfahren richtet sich dann ebenfalls danach, wie nahe sie den normativen Zielsetzungen kommen. Insofern sind die Art und Weise der Legitimationswirkung der normativen Maßstäbe der ökonomischen und der rechtswissenschaftlichen Demokratietheorie gleichartig. Beide Legitimationstheorien, die funktionale und die ökonomische, sind Gegenstand normativer Legitimation, dass heißt sie antworten auf die Frage nach der Anerkennungswürdigkeit einer Herrschaftsordnung. IV. Ökonomisches Modell und „personale und sachlich-inhaltliche Legitimation " Im funktionalen Legitimationsverständnis besitzt das Element personaler demokratischer Legitimation insofern eine vorrangige Bedeutung, als alle 104

Dazu Kapitel 7 A und C. Zur Notwendigkeit der empirischen Nachweisbarkeit der positiven Analyse siehe Kapitel 8 Affl. 106 K. Homann, Rationalität und Demokratie, S. 194f. 105

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wesentlichen politischen Entscheidungen durch die unmittelbar gewählten Repräsentanten getroffen oder kontrolliert werden sollen. Die Bedeutung der personellen Legitimation dominiert die sachliche Legitimationskomponente: Die personell nur mittelbar legitimierten Entscheidungsträger unterstehen der Anweisungsbefugnis der unmittelbar legitimierten Repräsentanten. Die sachlich-inhaltliche Legitimation besitzt keine eigenständige, der personalen Legitimation etwa entgegenstehende oder diese modifizierende Bedeutung. Grund dafür ist, dass nach der formellen Legitimationstheorie Anreize und Interessen für das potentielle Verhalten der Repräsentanten in legitimatorischer Hinsicht keine Bedeutung haben, sondern, wie oben in Kapitel 3 gezeigt, aus den Grundsätzen der Gleich- und Freiheitswahrung unmittelbar auf die Legitimation der Repräsentationsorgane und des Mehrheitsprinzips geschlossen wird, was aber als theoretisch inkonsistent erkannt wurde. Im formellen Legitimationsmodell wird das Element sachlicher Legitimation über die Entscheidungstheorie des Volkswillens zu einem rein stützenden Instrument der personalen Legitimation. Sachlich-inhaltliche Legitimation verkümmert in einem symbolisch-formellen Legitimationsverständnis zum Prinzip der Weisungs- und Gesetzesgebundenheit der Exekutivorgane. Personale und sachliche Legitimation verschmelzen zu einem Argument für den hierarchischen Staatsaufbau. Mit dem vertragstheoretischen Ansatz kommt dem personalen Legitimationselement dagegen nur insoweit Bedeutung zu, als eine Festlegung von Entscheidungsverfahren unter Einbindung unmittelbar gewählter Repräsentanten für diesen Politikbereich zustimmungsfähig ist. Das personale Legitimationselement besitzt dann keine eigene, darüber hinausgehende normative Legitimation. Vielmehr können die beiden Elemente sachliche und personelle Legitimation gar nicht mehr getrennt werden, da Legitimation sich auf den Konsens unter Berücksichtigung der postkonstitutionellen Entscheidungsabläufe bezieht. In der Konsequenz muss mit dem vertragstheoretischen Ansatz eine Neugewichtung der Legitimationselemente vorgenommen werden. Das personale Legitimationselement verliert wie soeben gezeigt mit dem vertragstheoretischen Ansatz im Rahmen der normativen Legitimation seine eigenständige Bedeutung. Im Rahmen tatsächlicher (positiver) Legitimation (s. dazu Kapitel 1) behält es aber seine Legitimationsfunktion: noch immer werden Entscheidungen unmittelbar gewählte Vertreter von den meisten Menschen in tatsächlicher Hinsicht als legitim befolgt. Personelle Legitimation wird also neben dem in dieser Arbeit diskutierten normativen Legitimationsbegriff im tatsächlichen Bereich weiter eine wesentliche Rolle spielen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese tatsächliche Legitimitätsressource

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immer dann eine Rolle spielt, wenn im Rahmen der Festlegungen der Institutionen und Entscheidungsverfahren keine ganz eindeutigen Erkenntnisse über den Ablauf und die Eigenschaften der Entscheidungsprozesse in einem Politikfeld vorliegen. Darüber hinaus kann aus dem funktionalen Verständnis der Gedanke weiter angewandt werden, dass das personale Legitimationselement bei ungenauer Kenntnis der Eigenschaften der Entscheidungsverfahren über den Wahlakt ein bestimmtes Maß an gleichheitlicher Bürgerbeteiligung sichert, also auch noch ein gewisses normatives Legitimationselement enthält. Übertragen auf das Repräsentationsprinzip bedeutet dies, dass es sich weiterhin aus den Elementen personaler und inhaltlicher Reprä107

sentation zusammensetzt . Sachlich-inhaltliche Repräsentation meint die Befähigung der Repräsentationsorgane, die nach ihrer Meinung richtigen kollektiven Entscheidungen zu treffen. An diesem Punkt kommt die Präferenz- und Anreizberücksichtigung ins Spiel, wenn man dem Begriff der sachlich-inhaltlichen Legitimation einen eigenständigen Inhalt zugesteht. Legt man die positiven Analysen der ökonomischen Theorie dem Element sachlich-inhaltlicher Legitimation zugrunde, können unmittelbare persönliche Legitimation - als tatsächliches oder auch normatives Legitimationselement - und das Erfordernis sachlich-inhaltlicher Legitimation einander gegenüberstehen. Dies wäre der Fall, wenn eine eigenständige Sachentscheidung durch einen nur mittelbar zu besetzende Institution bevorzugenswert erscheint (Beispiel: unabhängige Zentralbank zur Sicherung von Währungsstabilität). Dabei sind auch die Amtsträger in einer unabhängigen Institution nach dem funktionalen Verständnis zumindest mittelbar personell legitimiert, die personale Legitimationskette also gewahrt. Der Anspruch auf unmittelbare personelle Legitimation aber tritt gegenüber dem sachlichen Legitimationselement zurück. Mit dieser gegeneinander abwägenden Wertung der beiden Elemente demokratischer Legitimation stellt sich die Frage nach Kriterien für ihre legitimatorische Gewichtung im Einzelfall. Mit den bis zu dieser Stelle gemachten Ausführungen lässt sich folgender Zusammenhang feststellten: „Je geringer die positiven Erkenntnisse über den zu erwartenden politischen Entscheidungsprozeß ausfallen, desto mehr gewinnt das Element personal 107 R. Gargarella, Full Representation, Deliberation, and Impartiality, in: J. Elster (Hrsg.), Deliberative Democracy, S. 260; F. A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 133f., der allerdings die Bedeutung der Diskussion und Deliberation für das Repräsentationsprinzip als überbewertet ansieht.

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vermittelter demokratischer Legitimation im Rahmen der konstitutionellen Festlegung von Regel- und Institutionen an Bedeutung. Je präziser die positiven Analysen der zu erwartenden politischen Entscheidungsprozesses sind, desto stärker gibt das Element sachlich-inhaltlicher demokratischer Legitimation den Ausschlag für die Auswahl der Institutionen und Verfahren." Bei Teilnahme nicht unmittelbar persönlich legitimierter Entscheidungsträger am Entscheidungsprozeß müssen mit der Analyse des Entscheidungsprozesses Gründe dafür angeben werden können, warum ein bestimmter und erwünschter Entscheidungsablauf auch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. V. Ökonomisches Modell und „input-output" Terminologie Eine andere Methode zur Bewertung von Anreizen in legitimationstheoretischer Hinsicht differenziert zwischen input- und output-Kriterien demokratischer Legitimation. Diese ursprünglich systemtheoretische Einteilung wurde von Scharpf Anfang der siebziger Jahre auf demokratietheoretische Ansätze übertragen108. Die Unterscheidung von input- und output-orientierten Demokratietheorien ist bis heute ein gebräuchliches (politikwissenschaftliches) Muster für die demokratietheoretische Bewertung von politischen Entscheidungssystemen. Output-orientierte Legitimationstheorien „normieren zunächst eine wünschbare Qualität politischer Leistung und bestimmen von diesem Punkt her die weiteren Anforderungen an die Strukturen des politischen Systems.109" Output-orientiert sind danach vor allem Gewaltenteilungs- und Balancetheorien, aber auch Repräsentationstheorien, bei denen sich die Output-Orientierung in einer Anforderung an inhaltliche Rationalität äußert. Die Perspektive von Output-Legitimität richtet sich auf die Interessen der Regierten und weniger auf die kommunizierten Interessen110. OutputLegitimation orientiert sich nach Scharpf an Ergebnissen, die bei objektiver Betrachtung niemanden schlechter und einige besser stellen würden als im Status quo und entspricht damit dem oben diskutierten Pareto-Kriterium aus

108

A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 521ff. mit Hinweis auf die zeitlich frühere Anwendung des Input/Output-Schemas durch D. Easton auf politische Systeme. 109 F. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 21. 110 F. Scharpf, Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaats, Max Planck Institut für Gesellschaftsforschung Working Paper 04/6, November 2004, unter 2.2.2.

274

Vom fiinktionalen zum politikfeidbezogenen

Demokratieprinzip

der Wohlfahrtsökonomie111. Auch eine Orientierung am Kaldor-HicksKriterium gilt damit als output-bezogen. In diesem Sinne wird die Legitimation unabhängiger Institutionen meist als rein Output-, also eben ergebnisbezogen beschrieben, weil unabhängige Institutionen ein bestimmtes Ergebnis sichern sollen112. Das Gegenstück zu output-orientierten Theorien seien input-orientierte Theorien. Diese Demokratietheorien, die „das politische System nicht von der Qualität seiner Leistungen, sondern von den in den politischen Prozess eingehenden Willenäußerungen und artikulierten Interessen her zu rationalisieren suchen", stellen „die Frage, wie das politische System eingerichtet sein müsse, wenn Entscheidungen möglichst unverfälscht aus der gleichen Partizipation aller hervorgehen sollen113." Die Input-Perspektive richtet sich zunächst auf die empirisch feststellbaren Mitglieder des Gemeinwesens114. Allerdings wird diese rein empirische Definition eingeschränkt. Da die ungefilterten Präferenzen ungefiltert zu normativ untragbaren Ergebnissen führen können, müsse Input-Legitimation von informierten und reflektierten Präferenzbildungen ausgehen und eine „solidarische Umorientierung bei der Bildung der eigenen Präferenzen" stattfinden, die die anderen Mitglieder des Kollektivs einschließt115. Die beiden wesentlichsten Input-Kanäle in einer Demokratie sind der parlamentarische oder unitarische Kanal und die partikulären Kanäle der Interessenvermittlung durch organisierte Gruppen116. Gegen die Input-Output-Einteilung ist zunächst einzuwenden, dass sie inhaltlich nicht klar ist. Auch das Ziel der Input-Theorien, die möglichst unverfälschte Wiedergabe der Interessen der aus einer gleichen Partizipation aller folgenden Entscheidung, kann als Output-Ziel beschrieben werden. Diesem Verständnis von input entspricht es, dass Scharpf selbst fordert, es seien geeignete Strukturen zu finden, die es erlauben, nicht organisationsfähige oder nicht-durchsetzungsfähige Interessen politisch zu artikulieren und in effektive politische Inputs umzusetzen117. Von wem diese Artikulation vorgenommen wird, ist nach solch einer Ansicht weniger bedeutend als die Tatsache, dass sie überhaupt stattfindet und zu dem Ergebnis führt, dass auch nicht organisationsfähige Interessen in den Entscheidungsprozeß einfließen. 111 112 113 114 115 116 117

F. F. F. F. F. F. F.

Scharpf, Scharpf, Scharpf, Scharpf, Scharpf, Scharpf, Scharpf,

Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaats, a.a.O., unter Interaktionsformen, S. 256. Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 25. Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaats, a.a.O., unter Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaats, a.a.O., unter Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaats, a.a.O., unter Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 86.

2.2.2.

2.2.1. 2.2.1. 3.1.2.

Vergleichende Kritik des funktionalen und ökonomischen Modells

275

Die Differenzierung wurde daher von Scharpf dahingehend präzisiert, dass Input nunmehr meine, dass die von der Politik Betroffenen auch tatsächlich in den Entscheidungsprozeß eingebunden werden118. Bei einer solchen Definition der beiden Legitimationselemente enthält nur noch das Output-Element normative Aussagen im Sinne erwünschter Ziele wie gleicher Interessenberücksichtigung, während das Input-Element als ein rein tatsächlicher Mitwirkungsakt mit Legitimationswirkung - ähnlich dem Element personeller Legitimation im oben dargestellten Sinne - eingestuft wird119. Dies wurde aber wie gesehen von Scharpf selbst eingeschränkt. InputLegitimation setzt sich demnach aus zwei Elementen zusammen: einmal aus der tatsächliche Beteiligung der Bürger am politischen Entscheidungsverfahren. Zum anderen muss es sich um eine „veredelte" Beteiligung handeln, die von allen Gemeinschaftsmitgliedern als legitimierend empfunden wird. Damit reicht beispielsweise auf europäischer Ebene eine reine Bürgerbeteiligung nicht als input-legitimierend aus (s. Kapitel 8). Diese Definition verwischt aber den Unterschied zur Output-Legitimation, da auch hier normative Vorgaben gemacht werden, und die freie Willensäußerung nicht alleine zählt. Die Input-Output-Einteilung kann folglich mit der von Scharpf gegebenen Definition individualistisch orientierte Legitimationstheorien nicht eindeutig in ihr Schema einordnen. Wie die Einstufung von Rousseaus Vertragstheorie als input-orientiert zeigt120, kann die Input-OutputUnterscheidung Theorien, die einerseits einen individualistischen Ansatz besitzen (Vertragsansatz, Eigeninteresse), zugleich aber auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet sind, etwa der Gleichheits- oder Freiheitssicherung, wie dies bei Rousseaus Theorie der Fall ist121, mit ihrer Differenzierung auf der normativen Ebene nicht erfassen. Rousseaus Demokratietheorie gilt deswegen als input-orientiert122, weil sich Rousseau eine wirkliche Demokratie nur in kleinen Staatswesen unter Einbindung aller Bürger am Entscheidungspro-

118 F. Scharpf, Interaktionsformen, S. 255f.; Ders., Interdependence and Democratic Legitimation, S. 2; allerdings nennt F. Scharpf dann Rousseaus Vertragstheorie als inputorientierten Legitimationsansatz. Rousseau stellte aber insbesondere ab auf das Eigeninteresse am Freiheitserhalt als Ziel der Individuen bei Vertragsschluß, siehe J.-J. Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 1. Buch, 6. Kapitel, S. 17. 119 F. Scharpf, Interaktionsformen, S. 257. 120 F. Scharpf, Interaktionsformen, S. 257. 121 J.-J. Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 1. Buch, 6. Kapitel, S. 17; M. G. Schmidt, Demokratietheorien, S. 108 spricht von einer Gemeinwohlorientierung von Rousseaus Gesellschaftsvertragsmodell. 122 M. G. Schmidt, Demokratietheorien, S. 98ff. m.w.N.

276

Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

zeß vorstellen konnte123. Rousseaus Vertragsmodell besitzt aber auf normativer Ebene sowohl Input- als auch Output-Elemente. Rousseau bewertet den Input anhand seiner normativen Output-Vorgaben. Nur unter dieser Prämisse kommt dem Input-Element demokratietheoretischer Wert zu. Rousseaus Theorie als input-orientiert zu beschreiben, trifft damit zwar Rousseaus praktische Schlussfolgerungen, nicht aber sein theoretisches Vertragsmodell. Die Input-Output-Einteilung soll aber gerade ein Instrument zur Bewertung von Legitimationstheorien zur Verfügung stellen. Der ökonomische Konstitutionalismus Buchanans würde nach Scharpfs Einteilung wohl als output-orientiert gelten, da sich die erforderliche Zustimmung der Individuen an bestimmten Kriterien ausrichtet, die Scharpf als eindeutig output-bezogen beschrieben hat. Allerdings beinhaltet der ökonomische Konstitutionalismus gleichermaßen eine Input-Seite (konsenstheoretische Frage, welche Ziele allgemein zustimmungsfähig sind) wie auch eine Output-Seite (zustimmungsfähige Festlegungen, s. Kapitel 7). Jede Vertragstheorie baut auf einer theoretischen normativen Ebene auf - dem Gesellschaftsvertrag. Bei vertragstheoretisch-individualistisch begründeten Legitimationstheorien kann die Input-Output Differenzierung keine Aussage darüber treffen, ob gedachte Zustimmung und damit verbundene Zielsetzung nun Output- oder Input-Elemente darstellen. Sie kann nur das institutionelle Konzept auf „tatsächliche" Mitwirkungsmöglichkeiten hin bewerten. Unklar bleibt nach der Input-Output-Einteilung, in welchem legitimatorischen Verhältnis Output- (normativ) und Input-Element (tatsächliche Beteiligung) zueinander stehen. Beispielsweise können Situationen auftreten, in denen eine Umsetzung des Input-Elementes (politisch kontrollierte Geldpolitik) den Output-Wert einer Maßnahme sinken lässt (stark inflationäre Geldpolitik der gewählten Repräsentanten) oder genau umgekehrte Konstellationen auftreten (stabile Geldpolitik einer unabhängigen Zentralbank). Anders gesagt handelt es sich um Situationen, in denen der Input den Output sinken lässt und andersherum. Eine rein output-orientierte Legitimationstheorie wird jedenfalls als in legitimatorischer Hinsicht nur beschränkt ausreichend angesehen124.

123 M. G. Schmidt, Demokratietheorien, S. 98 weist daraufhin, daß Rousseaus Theorie oft im Sinne einer Identitätsheorie verstanden wird, also eine Identität von Herrschenden und Beherrschten. Diese Einstufiing hält M.G. Schmidt richtigerweise für unrichtig (S. 98f.), weil bereits Rousseau Zweifel an einer ständig ausgeübten direkten Demokratie äußerte. Für größere Staaten wie Frankreich und Polen habe Rousseau deswegen auch die Einführung von Repräsentativsystemen vorgeschlagen (M. G. Schmidt, a.a.O., S. 99). 124 Siehe etwa F. Scharpf, Interaktionsformen, S. 256f.; Ders., Governing in Europe, S. 11.

Vergleichende Kritik des funktionalen und ökonomischen Modells

277

Problematisch an der Input-Output-Einteilung ist ferner, dass sie auch hinsichtlich der Bewertung der tatsächlichen Institutionen keine eindeutige Einstufung als input- oder output-orientiert ermöglicht. Scharpf argumentiert selber, dass auch die Legitimation einer unabhängigen Zentralbank oder anderer unabhängiger Regulierungskommissionen auf einer Input-Unterstützung, der öffentlichen Meinung, beruht125. Dasselbe gilt für eine Verfassungsgerichtsbarkeit. Damit kann die Input-Output-Einteilung für einzelne Institutionen nur deren verschiedene Legitimationselemente beschreiben, aber keine Anhaltpunkte dafür geben, welche Legitimationsform im Einzelfall ausreichend oder nicht ausreichend ist. Scharpf selbst fordert in seiner „komplexen Demokratietheorie", dass oberhalb der pluralistischen Strukturen eine politische Ebene „Entscheidungen in relativer Unabhängigkeit von den Pressionen der organisierten Interessengruppen und ihrer Verbündeten in den politischen Institutionen" beschließen und durchsetzen müsse. Die Politik müsse gerade auf dieser Ebene auf jene Bedürfnisse, Interessen, Probleme und Konflikte reagieren, die innerhalb der pluralistischen Entscheidungsstrukturen nicht ausreichend berücksichtigt würden126. Offenbar will auch Scharpf seine Input-OutputEinteilung an der Methode von normativer Zielsetzung einerseits und institutioneller Anordnung zur Erreichung dieser Ziele andererseits ausrichten. Wie gesehen, kann man die daraus abgeleiteten institutionellen Strukturen nur als beides, in- und outputbezogen beschreiben, allerdings ohne damit eine Bewertung ihrer demokratischen Legitimation treffen zu können. Im Ergebnis kann auch mit der Input-Output-Einteilung nur nach einem normativen Maßstab und einer möglichen institutionellen Ausgestaltung zur Erreichung dieses Maßstabs gefragt werden.

C. Zusammenfassung Kapitel 8 Die ökonomische Methode zur Analyse politischer Entscheidungsprozesse ist mit der staatstheoretischen Methodik seit Aristoteles, Locke und Montesquieu, Staatsordnungen nach einer positiven Analyse der Auswirkungen ihrer Entscheidungsverfahren und Institutionen zu bewerten, vereinbar. Der ökonomische Ansatz ist in demokratietheoretischer Hinsicht für die positive Analyse politischer Entscheidungen besser geeignet als etwa die deliberative Theorie, da nur mit der ökonomischen Theorie prognosefähige Aussagen über den Ausgang politischer Entscheidungsverfahren getroffen werden 125 126

F. Scharpf, Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaats, unter 3.2. F. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 75, 86.

278

Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

können. Über eine eigene Methodik zur Analyse politischer Entscheidungsprozesse verfügt der funktionale Ansatz nicht. Die Konstitutionalismustheorie Buchanans ist bei der Einbeziehung der positiven Analyse in die Bewertung demokratischer Legitimation von Institutionen konsequenter als der funktionale Ansatz, der sich im Wesentlichen darauf beschränkt, Verfahren und Institutionen nur dann als demokratisch legitim zu bewerten, wenn das auf rein normativer Ebene geschehen kann: bei der gleichen Wahlberechtigung und dem im Anschluss angewendeten Mehrheitsprinzip. Die ökonomische Theorie kann allerdings nur mit empirischen Nachweisen die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen begründen, es reicht nicht aus, dass aus dem ökonomischen Modell politischer Entscheidungsprozesse bestimmte Prognosen getroffen werden. Der ökonomische Konstitutionalismus geht davon aus, dass alle auszuwählenden Entscheidungsverfahren je nach Politikfeld bestimmte Auswirkungen auf politische Kosten und Interessendurchsetzung haben, während der rechtswissenschaftliche Ansatz in allen Politikfeldern das Mehrheitsverfahren als „ergebnisoffen" betrachtet. Genau diese angebliche „Ergebnisoffenheit" des Mehrheitsverfahrens in allen Politikfeldern widerlegt der ökonomische Ansatz. Beispielsweise schließt die ökonomische Analyse bei Anwendung des repräsentativen Mehrheitsverfahrens auf die so genannte „Verschuldungs-" und „Inflationsfalle". Damit bedeutet die Entscheidung für ein Verfahren in manchen Politikfeldern zugleich auch eine Entscheidung für ein Ergebnis. Damit widerspricht der ökonomische Ansatz dem staatsrechtlichen Grundsatz der „Zielindifferenz" der Staatsorganisation. Als materiell normativer demokratietheoretischer Maßstab ist der Grundsatz gleichwertiger Interessenberücksichtigung bei kollektivem Handeln überzeugender als das ökonomische Verständnis des Gesellschaftsvertrages. Gleichwertige Interessenberücksichtigung bedeutet, dass grundsätzlich alle Interessen in gleichem Maße formuliert und in den kollektiven Entscheidungsprozeß einbezogen werden sollten. Den Folgerungen des ökonomischen Vertragsansatzes, auch für den Inhalt des Gesellschaftsvertrages alleine auf an Eigeninteressen ausgerichtete Kosten-Nutzen-Erwägungen abzustellen, die zu einer rein nutzenbezogenen Interpretation des Gesellschaftsvertrages führt, kann nicht zugestimmt werden, da sie widersprüchlich sind. Auch mit der ökonomischen Methode müssen auf normativer Ebene die Interessen der anderen am Gesellschaftsvertrag Beteiligten Berücksichtigung finden, um den notwendigen Konsens zu erreichen. Die Methode Buchanans zur Bewertung der demokratischen Legitimation staatlicher Institutionen ist konsistenter als die rechtswissenschaftliche Differenzierung nach personellen und inhaltlichen Legitimationskriterien oder

Vergleichende Kritik des funktionalen und ökonomischen Modells

119

nach einer überwiegend politikwissenschaftlich vertretenen Einteilung in input- und Output-Legitimation. Die Legitimationswirkung des hypothetischen Gesellschaftsvertrages, der sowohl der funktionalen als auch dem ökonomischen Legitimationstheorie zugrunde liegt, und die daraus abgeleiteten Vorschläge für die Institutionenordnung beziehen sich auf die normative Legitimation (Anerkennungswürdigkeit). Die Legitimationswirkung des Gesellschaftsvertrages wird daher nicht dadurch beeinträchtigt, dass unter realen Umständen meist kein konsensualer Gesellschaftsvertrag vorgelegen hat, in dem die Institutionen und Verfahren bestimmt wurden. Der Gesellschaftsvertrag und die daraus abgeleiteten Vorschläge dienen als normatives Vorbild für die Bildung demokratisch legitimer Institutionen.

Kapitel 9

Ein politikfeldbezogenes Legitimationsverständnis Theorie und Beispiele A. Das Modell des politikfeldbezogenen Legitimationsverständnisses I. Die Grundlagen Im Folgenden wird ein politikfeldbezogenes Legitimationsmodell entwickelt, das auf der vertragstheoretischen Methode und der positiven Analyse mittels des ökonomischen Ansatzes aufbaut, sich aber von den Theorien Buchanans und Majones sowohl hinsichtlich des normativen Maßstabs als auch der Schlussfolgerungen über die Legitimation unabhängiger Institutionen unterscheidet. Die Diskussion der vorangegangenen Kapitel zeigte, dass der vertragstheoretisch abgeleitete Legitimationsansatz gegenüber den anderen diskutierten Theorien, insbesondere dem funktionalen Modell, als konsistenter vorzuziehen ist. Aufgrund der vorangegangenen Kritik des normativen Ansatzes der konstitutionalistischen Theorie Buchanans und der Regulierungstheorie Majones wird hier auf den demokratietheoretischen Maßstab gleichwertiger Interessenberücksichtigung abgestellt. In positiver Hinsicht wird als Konsequenz der vorangegangenen Diskussion die ökonomische Theorie der Transaktionskostentheorie zugrunde gelegt. Hinsichtlich der Schlussfolgerungen Uber die demokratisch legitimen Kompetenzen und Aufgabenfelder unabhängiger Institutionen unterscheidet sich die politikfeldbezogene Legitimationstheorie von den Legitimationstheorien Buchanans und Majones. Weder die Beschränkungen Buchanans auf Varianten der Mehrheitsregel und Regelbindungen im Bereich der Exekutive noch die Begrenzungen Majones für die Legitimation unabhängiger Institutionen auf den Bereich der Regulierungspolitik sind überzeugend. Nach dem ökonomischen Konstitutionalismus Buchanans sind unabhängige Institutionen vor allem zur Durchsetzung von Rechten und zur Erleich-

Ein polititfeldbezogenes

Legitimationsverständnis

281

terung des Gebrauchs der Rechte und des Handels mit Rechten legitim1. Er äußert sich aber ablehnend gegenüber der Möglichkeit, die Entscheidung über die Herstellung öffentlicher Güter ungewählten „Bürokraten" zu überlassen. Es ist aber konsequenter, anzunehmen, dass im Rahmen des hypothetischen Konsenses in manchen Politikfeldern unabhängige statt unmittelbar gewählte Institutionen für die postkonstitutionellen Entscheidungsprozesse zustimmungsfahig sind. Damit wird weiterhin zentral auf die demokratietheoretische Bedeutung von Präferenzen, Anreizen und Restriktionen für die demokratische Legitimation der Entscheidungsverfahren und Institutionen abgestellt. Nur wird berücksichtigt, dass Entscheidungen bei unabhängigen Institutionen durch andere Anreize als bei unmittelbar gewählten Repräsentanten beeinflusst werden. Die Wahl solcher Institutionen für die Herstellung öffentlicher Güter (durch den hypothetischen Konsens) mit einem anderen Anreiz- und Restriktionsumfeld als in unmittelbar gewählten Institutionen ist genauso denkbar wie die Wahl von Gerichten und Entscheidungsverfahren mit verschiedenen Mehrheitserfordernissen, wenn die Herstellung eines öffentlichen Gutes eben nur so zu bewerkstelligen ist. In Buchanans Theorie ist die Besetzung der Legislative und der Exekutive durch unmittelbare Wahlen nur Ergebnis des hypothetischen Konsenses und der Erwägungen über die Anreize und Restriktionen, die auf die Akteure in der Legislative einwirken und besitzt keinen besonderen demokratietheoretischen Eigenwert. Ein qualitativer Unterschied der demokratischen Legitimation bei der Bildung unabhängiger Institutionen im Verhältnis zu gewählten Repräsentanten scheint darin zu bestehen, dass nun nicht mehr unmittelbar gewählte Personen entscheiden, also das personale Legitimationselement geschwächt wird. Stellt man in demokratietheoretischer Hinsicht aber zentral auf die Auswahl von Verfahren und Institutionen auf konstitutioneller Ebene ab, kommt dem personalen Legitimationselement nur insoweit Bedeutung zu, als eine bestimmte Institution oder ein bestimmtes Verfahren als konsensfähig anzusehen sind. Einen darüber hinausgehenden „ E i g e n wert" besitzt das personale Legitimationskriterium nicht, wie sich am Beispiel der Gerichtsbarkeit zeigt. Unmittelbar demokratische Richterwahlen, wie sie heute noch in einigen US-Bundesstaaten praktiziert werden2, werden in fast allen anderen Demokratien nicht als legitimationssteigernd angesehen. Eine Übertragung von Entscheidungen auf eine unabhängige Institution ist damit nur eine konsequente Weiterentwicklung der Einfuhrung von kon1 2

Ch. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 5. Aufl., S. 41f. Siehe oben Teil 1 Kapitel 5.

282

Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

stitutionellen Festlegungen (Regelbindungen) für die demokratisch gewählten Institutionen. Majone begrenzt die Legitimation unabhängiger Institutionen auf den Bereich der Regulierungspolitik und verneint ihre Legitimation für den Bereich distributiver Politik wie in Kapitel 10 ausführlicher dargelegt wird. Er begrenzt damit die Möglichkeit eines hypothetischen Konsenses weitgehender als Buchanan, der auch für den Bereich distributiver Politik, etwa des Steuerrechts oder der Staatsverschuldung, Begrenzungen des demokratischen Mehrheitsverfahrens durch konstitutionelle Festlegungen als legitim darstellte. Majone bleibt dabei in einem gewissen Widerspruch verfangen: Er stellt einerseits auf einen hypothetischen Konsens als Legitimationsgrundlage ab, andererseits gesteht er aber dem Mehrheitsprinzip einen legitimationstheoretischen Vorrang im Bereich distributiver Politik zu. Buchanan hatte gerade gezeigt, dass auch in diesen Bereichen ein hypothetischer Konsens zustande kommen kann, der andere Verfahren als das Mehrheitsverfahren vorsieht. Geht man aber erst einmal davon aus, dass Regelbindungen im Bereich distributiver Politik legitim sind, dann gilt dies wie soeben bezüglich der Theorie Buchanans gezeigt auch für unabhängige Institutionen. Im Ergebnis ist damit festzuhalten, dass die Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen davon abhängt, ob ihre Festlegung in einem konstitutionellen Vertrag unter Einbeziehung der Kenntnisse der postkonstitutionellen Entscheidungsverfahren konsensfähig ist. Normativer Maßstab für die Konsensfahigkeit ist das Kriterium der gleichwertigen Interessenberücksichtigung. Die demokratische Legitimation der Institutionen ergibt sich damit aus der Analyse der Entscheidungsprozesse je nach Politikfeld. Im Folgenden wird die positive Analyse und Systematik politischer Entscheidungsprozesse Wilsons, die Majone später aufgriff, beispielhaft erläutert und im Anschluss einige Beispiele vertieft dargestellt. II. Demokratische Legitimation staatlicher Institutionen je nach Politikfeld Für den hier gewählten Legitimationsansatz staatlicher Institutionen, ausgerichtet an dem normativen Prinzip gleichwertiger Interessenberücksichtigung, bedeutet die Analyse des Transaktionskostenansatzes, dass Interessen, deren Wahrnehmung für die unmittelbar gewählten Repräsentationsorgane mit zu hohen Kosten verbunden sind, im politischen Entscheidungsprozeß leicht ungenügend vertreten werden können3. Um dem Ziel gleichwertiger 3

Für eine detailliertere Darstellung einer solchen „Interessenkollisionsmatrix" siehe M. Leschke, Ökonomische Verfassungstheorie, S. 149.

Ein politikfeldbezogenes

Legitimationsverständnis

283

Interessenberücksichtigung gerecht zu werden, müssen verschiedene politische Mechanismen gefunden werden, darunter Wiederwahlanreize, aber auch andere, die verhindern, dass in Politikfeldern mit den oben genannten Kosten-Nutzen-Konstellationen möglicherweise Interessen mit hoher Verbreitung in der Bevölkerung unterrepräsentiert werden. Im Einzelnen bedeutet das für die oben in Kapitel 7 dargestellten Politikfeldkonstellationen: (1) Politikfelder, in denen Kosten und Nutzen kollektiven Handelns breit gestreut sind und daher wenig Anreiz für organisierte Interessen besteht, auf den politischen Prozess einzuwirken, können weiterhin im Rahmen parlamentarisch-demokratischer Verfahren behandelt werden, weil eine durch die Struktur des Politikfeldes bedingte (strukturelle) Verletzung des Proportionalitätsgedankens nicht droht. (2) Auch in Politikfeldern, in denen sowohl Kosten als auch Nutzen kollektiven Handelns bei bestimmten Gruppen konzentriert sind und daher organisierte Interessen auf den politischen Entscheidungsprozeß einwirken, ist nicht von einer strukturellen Verletzung des Proportionalitätsgedankens auszugehen. Aus normativer Perspektive kann auch bei einem solchen Gleichgewicht weiterhin das parlamentarisch-demokratischen Verfahren und die hierarchische Umsetzung seiner Entscheidungen Anwendung finden. Allerdings kann es sein, dass wegen der Gefahr gesamtgesellschaftlich unerwünschter Effekte in solchen Aushandlungsprozessen eine Konstitutionalisierung (etwa in Form verfassungsrechtlicher Festlegung) bestimmter politischer Ziele denkbar ist4. (3) Ein Anwendungs- und Legitimationsbereich für unabhängige Institutionen besteht dagegen in Politikfeldern, in denen die Kosten kollektiven Handelns weit verbreitet sind, während der Nutzen einer kleinen Gruppe zugute kommen. Während sich diese kleinere Gruppen organisieren und ihr Interesse durchsetzen wird, ist bei größeren, diffuseren Interessengruppen nach der „Logik des kollektiven Handelns" der politischen Ökonomie nicht damit zu rechnen, dass sie sich organisieren und ihre Interessen vertreten werden5. Beispielsweise werden volkswirtschaftlich ineffiziente Industriezweige mit Subventionen gestützt, was diesen Industriezweigen nützt, und den Subventionen Gewährenden hilft, künftige politische Erfolge zu erzielen6. Wegen der Gefahr übermäßigen Einflusses von Gruppeninteressen 4

Siehe dafür unten Kapitel 7 zur Frage der Konstitutionalisierung von Politikfeldern. Siehe bei den Ausführungen zu M. Olson's Logik des kollektiven Handelns in Kapitel 5. 6 Siehe dazu A. Dixit, The Making of Economic Policy: A Transaction-Cost Politics Perspective, S. 57f. und A. Dixit/J. Londregan, Redistributive Politics and Economic Efficiency, American Political Science Review 89 (1995), S. 856-866 mit weiteren Nachweisen sowie Gegenstimmen zu diesen Modellen. 5

284

Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

kann es aus normativer Sicht zur Sicherung gleichwertiger Interessenberücksichtigung erforderlich sein, durch institutionelle Anreize, etwa die Bildung unabhängiger Institutionen, eine verstärkte Wahrnehmung dieser Interessen zu befördern. Auf das Beispiel steigender Staatsverschuldung wird deshalb weiter unten eingegangen. (4) Auch in Politikfeldern, in denen der Nutzen kollektiven Handelns weit verbreitet ist, die Kosten aber bei einer kleineren Gruppe konzentriert sind, besteht die Gefahr, dass diese Gruppen einen übermäßigen Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozeß ausüben werden, um diese Kosten zu vermeiden. Eine Möglichkeit, solche Ziele (etwa umweltpolitische Maßnahmen) zu fördern, ist die Einrichtung eines „politischen Unternehmers" (policy entrepreneur). Nach Wilson dient der politische Unternehmer als der „stellvertretender Repräsentant" (vicarious representative) von Gruppen, die nicht selbst am Legislativprozeß beteiligt sind7. Die Aufgabe unabhängiger Institutionen als ein solcher politischer Unternehmer besteht dann in der Wahrnehmung unterrepräsentierter Interessen im Sinne des Proportionalitätsgedankens8. Als Beispiel für ein solches Politikfeld wird weiter unten auf die Gewährleistung der öffentlichen Güter Währungsstabilität und Wettbewerbsschutz eingegangen. Die dargestellte Einteilung kann nur eine abstrakte Vorgabe sein, die jeweils für das einzelne Politikfeld konkretisiert werden muss. Auch ist zu beachten, dass sich mit diesem Ansatz die institutionelle Struktur einer politischen Organisation über die Zeit wandeln muss, nämlich dann, wenn sich die gesellschaftliche Grundlage, also Organisationsgrad und Verbreitung von Interessen deutlich verändert.

7

J. Q. Wilson, The Politics of Regulation, S. 370. Auch Chr. Engel spricht am Ende seiner um weltpolitischen Analyse die Möglichkeiten institutioneller Konsequenzen der Unterrepräsentationsproblematik an, Chr. Engel, Nebenwirkungen wirtschaftsrechtlicher Instrumente, in: Engel/Morlok (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 204; A. Dixit, The Making of Economic Policy: A Transaction-Cost Politics Perspective, S. 42 äußert sich kritisch zu der Annahme, daß nicht auch gewählte Politiker als Politikunternehmer arbeiten könnten, mit Verweis auf Arnold, R. Douglas: The Logic of Congressional Action, New Haven 1990. 8

Ein politikfeldbezogenes

Legitimationsverständnis

285

B. Beispiele für Politikfelder mit Bedarf für unabhängige Institutionen nach dem politikfeldbezogenen Demokratieverständnis I. Staatsverschuldung als Beispiel eines Politikfeldes mit struktureller Verletzung des Proportionalitätsgedankens 1. Die Struktur des Politikfeldes „staatliche

Kreditaufnahme"

Am Beispiel des Politikfeldes „staatliche Kreditaufnahme", das eng mit dem Problem der Staatsverschuldung 9 zusammenhängt, lassen sich die Folgen einer Konstellation von konzentrierten Nutzen und verstreuten Kosten gut beobachten. Vertreter der Neuen Politischen Ökonomie (NPÖ) gehen davon aus, dass das System der repräsentativen Demokratie eine Tendenz zu zunehmender Verschuldung besitze, unabhängig von den jeweilig gewählten Entscheidungsträgern 10 . Es bestehen danach mehrere Gründe, warum in diesem Politikfeld konzentrierter Nutzen an einer steigenden Verschuldung einem weniger organisierten Interesse an geringer Verschuldung gegenübersteht bzw. die Kostenträger hoher Staatsverschuldung weniger durchsetzungsfähig bleiben. Nach den Prämissen der NPÖ kommt es zu einer steigenden Staatsverschuldung durch eine Koalition mehrerer Gruppierungen, die sich gegenseitig dabei helfen, ihre Sonderinteressen aus dem Staatsbudget zu befriedigen (sog. logrolling)11. Der Nutzen steigender Staatsverschuldung in Form von steigenden Staatsausgaben liegt zum einen bei der Regierung, die sich im Amt behaupten will12, und bei der Bürokratie 13 . Unmittelbar gewählte Repräsentanten versuchen durch Subventionen und sonstige Ausgaben ihre Wählerklientel zu bedienen (nach der durchschnittlichen Eigennutzannahme, s.o. Kapitel 7). Auch die staatlichen, bürokratischen Institutionen haben In-

9

Zum Begriff Staatsverschuldung siehe Ch. B. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, S. 363ff. 10 Ch. Blankart, Öffentliche Finanzen und Demokratie, S. 380; weitere Nachweise bei A. Annett: Politics, Government Size, and Fiscal Adjustement in Industrial Countries, in: IMF Working Paper Nr. 162, September 2002. 11 M. Müller, Systemwettbewerb, S. 70; D C. Mueller, Public Choice, Cambridge, Großbritannien, 1979. Bernholz/Breyer, Grundlagen der Politischen Ökonomie, Bd. 2: Ökonomische Theorie der Politik, S. 74: der Begriff „logrolling" besagt, es bedürfe der vereinten Kräfte mehrerer Männer, um einen dicken Baumstamm (log) zu rollen. 12 Ch. B. Blankart, Öffentliche Finanzen und Demokratie, S. 128. 13 Ch. B. Blankart, Öffentliche Finanzen und Demokratie, S. 129, 164ff.

286

Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

teresse an steigenden Einnahmen zum Erhalt und Steigerung ihrer Ausstattung und Gehälter. Andere Ansätze stellen darauf ab, dass in der Demokratie die regierende Mehrheit ihrer Anhängerschaft auf Kosten der Minderheit und letztlich der Allgemeinheit finanzielle Mittel zukommen lässt. Dieses Verhalten geht dabei zu Lasten von Interessen, die sich weniger wirkungsvoll organisieren lassen, wie beispielsweise das Interesse an geringerer Staatsverschuldung. In der konstitutionellen Ökonomie wird die Ausweitung der Staatsausgaben aus der Annahme erklärt, dass der Staat allen als jemand Fremdes gegenübersteht (Paradoxon, regiert zu werden)14. Interessengruppen und Institutionen sind an seinen Geldern interessiert. Eine geringe Staatsverschuldung oder Steuersenkung scheitert an den gleichen Problemen wie die Bereitstellung aller öffentlichen Güter15. Die auf Wiederwahl angewiesenen Regierungen nehmen im Zweifelsfall lieber eine höhere Staatsverschuldung in Kauf, als dass sie die Steuern erhöhen. Selbst wenn die politischen Akteure Kenntnis von den ökonomischen Auswirkungen haben, ist es für sie sinnvoller, entgegen dem Gemeinwohl zu handeln, um ihre politische Stellung zu sichern16. Mit diesen und anderen Theorieansätzen wird auch die Annahme eines sich immer weiter ausdehnenden öffentlichen Sektors vertreten17. Die Kosten der Staatsverschuldung werden von der Allgemeinheit getragen - in Form eines immer handlungsunfähigeren Staates18. Aufgrund dieser Kosten-Nutzen-Verteilung ist mit einer höheren Durchsetzungskraft der Nutznießer von Staatsausgaben, die als kleinere Gruppe einen höheren Organisations- und Durchsetzungsgrad im politischen Entscheidungsprozeß besitzen, als der nicht organisierten Allgemeinheit und eventuell benachteiligten folgenden Generationen, zu rechnen 19. 14

Dazu J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 129ff. J. M. Buchanan/R. E. Wagner, Democracy in Deficit, 1977; K. Vogel, Verfassungsgrenzen für Steuern und Staatsausgaben, Festschrift für Maunz, 1981, S. 415; C. Folkers, Begrenzungen von Steuern und Staatsausgaben in den USA, 1983. 16 Weitere Gründe für steigende Verschuldung: institutionelle und politische Gründe: s. Alesina/Perotti, The Political Economy of Budget Process, in: IMF Staff Papers 42 (1995), Nr. 1, S. 1-31. 17 Siehe Ch. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, S. 159ff. 18 Siehe zu den Theorien, die die Auswirkungen der steigenden Staatsverschuldung auf die Handlungsfähigkeit des Staates und der Wohlfahrt der Bürger beschreiben Ch. B. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, S. 358ff.; F. Kirchhof, Der notwendige Ausstieg aus der Staatsverschuldung, in: Deutsche Verwaltungsblätter 2002, S. 1569ff. 19 Der Bericht der Advisory Commission on Intergovernmental Relations in den Vereinigten Staaten stellte fest: „ (...) forces that favor spending have ordinarily prevailed over forces that favor fiscal restraint.", in: Fiscal Discipline in the Federal System: National Reform an the Experience of the States, S. 1. 15

Ein politikfeidbezogenes

Legitimationsverständnis

2. Empirische Untersuchungen zum Ansteigen der staatlichen

287 Defizite

Untermauert wird die Theorie der anwachsenden Verschuldung mit der Feststellung, dass fast alle westlichen Demokratien bis in die Mitte der neunziger Jahre eine immer höhere Staatsverschuldung angesammelt hatten, und es erst ab Mitte der neunziger Jahre gelang, diese Entwicklung durch Einführung von Verschuldungsregeln zu bremsen: Die Staatsverschuldung entwickelte sich in den meisten westlichen Staaten nach 1945 recht ähnlich. Sie verblieb von Anfang der fünfziger Jahre bis Mitte der siebziger Jahre auf recht geringem Niveau, um von dort an bis Mitte der neunziger Jahre beständig anzusteigen 20 . In den meisten OECD Staaten mit Ausnahme von Japan stabilisierte sich ab Mitte der neunziger Jahre die Staatsverschuldung21. Diese Stabilisierung der Defizite und der Gesamtverschuldung fielzusammen mit der Einführung zahlreicher Mechanismen zur Verschuldungsbegrenzung in diesen Staaten22. 20

Lex Meijdam, Martijn van de Ven, Harrie A. A. Verbon, The dynamics of govemment debt, in: European Journal of Political Economy, 12 (1996), S. 67-90, S. 67. 21 R. Hemming/M. Kell, Promoting Fiscal Responsibility: Transparency, Rules and Independent Fiscal Authorities, in: Fiscal Rules, Banca D'Italia, 2001, S. 433. 22 R. Hemming/M. Kell, Promoting Fiscal Responsibility: Transparency, Rules and Independent Fiscal Authorities, in: Fiscal Rules, Banca D'Italia, 2001, S. 433-459 unter Hinweis auf die OECD-Statistik. In den Staaten der Euro Gruppe ist danach für den Zeitraum von 1985 bis zum Jahr 1997 noch ein Ansteigen der Nettostaatsverschuldung, hier ausgedrückt in Prozent vom nominellen Bruttosozialprodukt, zu beobachten. Danach stieg die Nettoverschuldung von 32,7 % im Jahre 1985 auf 59,1 % im Jahre 1997. Ab 1998 sinkt die Verschuldung leicht ab auf 56,7 % im Jahre 1999 und 54,5 % im Jahre 2000. Für die Jahre 2001 und 2002 beginnt sie sich bei einem leicht unter dem durch das Maastricht Kriterium vorgegeben Wert von 60,00 % nämlich bei etwa 54,00 % zu stabilisieren. Die Werte für die einzelnen Staaten der Euro Gruppe entwickelten sich dabei weitgehend parallel, zeigten also einen Anstieg bis 1995 oder 1997 und ab dann eine zunächst leicht abfallende und später stabilisierende Tendenz. In dem Ansteigen der Verschuldung bis 1997 spiegelt sich der erwartete Effekt der Verschuldung demokratischer Systeme wieder. Ab 1997, mit den Vorbereitungen auf die Stabilitätskriterien des Maastrichtvertrages, beginnen sie den Anstieg der Verschuldung zu beenden und sich auf einen vorerst stabilen Wert unterhalb der festgelegten Grenzen einzupendeln. Das In Kraft treten der 2. Stufe der Wirtschaftsund Währungsunion verlangte die Vorbereitung auf die dritte Phase der Währungsunion, darunter die Einhaltung der Stabilitätskriterien nach dem Maastricht Vertrag. Allerdings ist auch bei Staaten, die nicht an die Einhaltung der Kriterien des MaastrichtVertrages gebunden waren, sondern andere Gegenmaßnahmen ergriffen, ab 1995 oder spätestens 1997 ebenfalls ein Absinken der Staatsverschuldung zu beobachten. In den Vereinigten Staaten war die Staatsverschuldung von 1985 in Höhe von 41,1 % bis auf 59,2 % im Jahre 1995 gestiegen. Bereits 1997 aber sank sie auf 56,7 %und erreichte 2000 43,4 %. In der Folgezeit scheint sie sich bei etwa 40 % einzupendeln. Eine ähnliche Entwicklung vollzieht sich parallel dazu in Kanada: auf ein Hochschnellen der Staatsverschuldung von 38,6 % im Jahre 1985 auf 76, 2% folgt ein zunächst langsamer Abbau auf 74,4 % im Jahre 1997 und eine

288

Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

Andere Autoren meinen, das Ansteigen der Defizite und Schulden sei nicht auf systemische Gründe zurückzuführen, sondern stellte nur eine gewisse Sonderentwicklung in der Geschichte des Staatshaushaltes dar. Zur Begründung verweisen sie auf die Tatsache, dass in den Perioden bis 1930 und dann ab 1945 bis 1970 Defizite nur in Sonderfällen auftauchten23. Diese Beobachtung kann damit erklärt werden, dass Defizit und Verschuldung nur bei einem bestimmten Ausgabenverhalten des Staates zunehmen. Tatsächlich wird bei der Betrachtung der Zahlen über das Anwachsen des Staatsdefizits deutlich, dass das Ausgabenverhalten der westlichen Staaten sich nach 1945, insbesondere ab den siebziger Jahren deutlich veränderte. Parallel zum Anwachsen der Zahlungen von Geldern an einzelne Bürger24 stiegen die Budgetdefizite an25. 3. Verfassungstheoretische

Konsequenzen

von

Anreizberücksichtigung

Folge des weiter oben dargelegten formalen Demokratieverständnisses ist, dass auch bei der Verfassungsinterpretation Anreize und Restriktionen sowie ihre Folgen für den politischen Entscheidungsprozeß nicht berücksichtigt werden26. Dies kann am Beispiel der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Bereich der Finanzpolitik gezeigt werden. Der Offenheitsannahme des demokratischen Entscheidungsprozesses entsprach im deutschen Demokratieverständnis der Grundsatz des Vorranges der politischen Entscheidung in der Finanzpolitik und im Bereich staatlicher Schuldenaufnahme. Dieser Vorrang politischer Entscheidung vor rechtlichen Festlegungen wurde bis Anfang der neunziger Jahre in der Rechtsprechung des Bunmassive Senkung auf 57,5 % im Jahre 2000. Für da Jahr 2002 wird mit einer Verschuldung von 50,6 % gerechnet, nach 53,0 % im Jahr 2001. Mit leichten Abwandlungen verhält es sich ähnlich in Großbritannien: der Schuldenstand von 30,8 % im Jahre 1985 wuchs auf 36,9 % im Jahre 1995 und 40,1 % im Jahre 1997 an. Bereits 1999 sank die Verschuldung auf 36,7 % und senkte sich auf 30,9 % im Jahre 2001 ab. In der Höhe diesen Wertes wird nun eine Stabilisierung der Verschuldung erwartet. Eine Ausnahme von dieser Entwicklung macht Japan, dessen Staatsverschuldung von 1985 in Höhe von 35 % auf 16,9 % im Jahre 1995 absank, um dann von dort aus auf 27,9 % im Jahre 1997, 45,2 % im Jahre 1999, 50,5 % im Jahre 2000 und 58,5 % im Jahre 2001 hochzuschnellen. Für 2002 oder 2003 wird ein weiterer Anstieg erwartet. 23

Advisory Commission on Intergovernmental Relations, in: Fiscal Discipline in the Federal System: National Reform an the Experience of the States, S.14. 24 Etwa Sozialleistungen, Fördergelder für wirtschaftliche Aktivitäten. 25 Advisory Commission on Intergovernmental Relations, in: Fiscal Discipline in the Federal System: National Reform and the Experience of the States, S. 16; graphische Übersicht auf S. 15. 26 Siehe oben Kapitel 6 und 8.

Ein politikfeldbezogenes

Legitimationsverständnis

289

desVerfassungsgerichtes und der staatsrechtlichen Literatur vertreten. Erst unter dem Eindruck steigender Verschuldung wurde diese Rechtsprechung dann aufgegeben. Für das Grundgesetz gilt der Grundsatz der wirtschafts- und finanzpolitischen Offenheit27 in dem Sinne, dass die Theoriekonflikte zwischen sog. Monetärsten und sog. Fiskalisten gerade nicht verfassungsrechtlich entschieden werden sollten28. Die Staatsschuldenpolitik ist vielmehr verfassungsrechtlich eingebunden in wirtschaftspolitische Ziele wie Beschäftigung und Wirtschaftswachstum. Wie diese Ziele am besten zu erreichen sind, soll dabei der politischen Entscheidung überlassen sein. Die Meinung von der Offenheit der Verfassung geht weniger von einem eigenständigen, theorieneutralen Regelungsgehalt der Verfassungsnormen aus. Die Offenheit der verfassungsrechtlichen Regelungen soll vielmehr immer wieder zu einer öffentlichen Auseinandersetzung zwischen den Vertretern der verschiedenen finanzpolitischen Strömungen führen. Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war bis zur Maastricht- Entscheidung geprägt von der Auffassung, dass wirtschaftpolitische Grundentscheidungen politische Entscheidungen seien und zum Aufgabenbereich des Parlamentes gehörten. Insbesondere Grundentscheidungen über Inhalt und Umfang staatlich wahrzunehmender Aufgaben und damit auch über das Bedürfnis staatlicher Ausgaben gehören nach der Rechtsprechung29 weitestgehend in den Bereich des gerichtlich nur sehr begrenzt Kontrollierbaren. Das Bundesverfassungsgericht betonte, dass Art. 115 GG der Gedanke zugrunde liegt, dass „es dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben muss, über die Höhe der Kreditaufnahme zu befinden und damit die Kreditaufnahme des Bundes zu steuern.30" Das Gericht stellt fest, dass die Über27 Siehe etwa W. Höfling, Bundesverfassungsgerichtliche Direktiven für die Staatsschuldenpolitik, in: Der Staat 29 (1990), S. 272; Der Grundsatz der Offenheit der Verfassung gilt nicht nur für das Grundgesetz, sondern auch beispielsweise für die amerikanische Verfassung. Es gilt daß, „a Constitution is not intended to embody a particular economic theory, whether of paternalism and the organic relation of the citizen to the state or of laisser faire.", siehe Entscheidung des Supreme Court 198 US 45, 75 (1905), Justice Holmes im Fall Lochner v. New York. 28 W. Höfling, Bundesverfassungsgerichtliche Direktiven für die Staatsschuldenpolitik, in: Der Staat 29 (1990), S. 272; H. Faber, in: AK zum GG, 1. Aufl. 1984, Art. 109 Rz. 6. 29 BVerfGE 33, 303, 333ff.; NJW 1972, 1561; BVerfGE 45, 1, 39, NJW 1977, 1387; L Osterloh, Staatsverschuldung als Rechtsproblem?, in: NJW 1990, S. 151. 30 BVerfGE v. 18. April 1989, BVerfGE 79, 342 mit Hinweis auf den schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses, zu BTDrucks. V/3605, S. 13. Auch L. Osterloh, Staatsveschuldung als Rechtsproblem?, in: NJW 1990, S. 147 stellt fest, daß die entscheidende Passage, die den Haushalt von 1981 für letztlich verfassungskonform hält, den Vorrang des Parlamentes vor verfassungsrechtlicher Konkretisierung betont.

290

Vom fitnktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

schreitung der Regelgrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 1. HS GG gerechtfertigt ist, wenn der Gesetzgeber gem. Art. 115 Abs. 1 S.2 2. HS. GG geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ergreifen möchte. Eine Prüfung der Erforderlichkeit und Angemessenheit finde dann nicht statt, sondern der Gesetzgeber habe eine Abwägung zu treffen unter Berücksichtigung allgemein- und sozialpolitischer Erwägungen. Einschränkend meint das Verfassungsgericht, der Gesetzgeber habe eine vertretbare Begründung dafür abzugeben, dass und warum in einer konkreten Situation vom Ausnahmetatbestand des Art. 115 I 2 GG Gebrauch zu machen sei31. Somit besteht eine gewisse Verrechtlichung der Schuldenpolitik nur Uber die Definition des Investitionsbegriffes, die aber dem Gesetzgeber selbst überlassen bleibt, sowie durch die Darlegungslast des Gesetzgebers bei Inanspruchnahme von Art. 115 Abs. 1 S. 2, 2. HS GG. Mit seiner Interpretation der Bedeutung der Defizit- und Verschuldungsgrenzen in Art. 104 EG32 gab das Bundesverfassungsgericht im sogenannten Maastricht-Urteil33 den bis dahin vertretenen Grundsatz vom Vorrang der politischen Entscheidung in finanzpolitischen Fragen auf. Das Bundesverfassungsgericht versteht die im Vertrag verankerten Defizit- und Verschuldungsgrenzen so, dass die Einhaltung der festgelegten Werte nicht zur Disposition des Rates stehen, sondern der Rat der Empfehlung nach Art. 109 j Abs. 2 GG EG a.F., jetzt Art. 121 EG, durch die Kommission grundsätzlich zu folgen habe34. Die Entscheidungsfreiheit des Rates bei der Entscheidung über die Verhängung von Sanktionen bestünde nur für die Ausräumung von Meinungsverschiedenheiten bezüglich Einschätzungs- Bewertungs-, und Prognosespielräumen35. Das Bundesverfassungsgericht wollte damit den politischen Entscheidungsspielraum auf ein Minimum reduziert sehen, es ging somit von einer möglichst rechtstechnischen Kontrolle der Stabilitätsregeln aus. Die europäischen Regelungen Uber die Finanzpolitik begrenzen nach einer solchen Sichtweise das Demokratieprinzip ähnlich einschneidend wie 31

BVerfGE 79, 311, 344: gerade aufgrund Fehlens materiell-rechtlicher Vorgaben müsse die Darlegungslast des Gesetzgebers gesichert werden. 32 Damals Art. 104b, 121 EGV. 33 BVerfG Urteil v. 12.10.1993, BVerfGE 89, 155-213. 34 Der Vertragstext erlaube es dem Rat nicht, sich von seiner Entscheidungsgrundlage, den Empfehlungen nach Art. 109 j Abs. 2 EGV (jetzt Art. 121 EG) und damit von den vertraglich in Art. 109 j Abs. 1 EGV (jetzt Art. 121 EG) festgelegten und im zugehörigen Protokoll näher definierten Konvergenzkriterien zu lösen. 35 BVerfGE 89, 203ff.

Ein politikfeldbezogenes

Legitimationsverständnis

291

die Übertragung der Währungspolitik auf das ESZB36. Sowohl im Maastricht-Urteil als auch in den Kommentaren zum Maastricht-Vertrag wurde der Aspekt der Begrenzung des Demokratieprinzips durch Verschuldungsgrenzen aber kaum angesprochen37. Grund für diese strikte Begrenzung der politischen Entscheidung war die Ansicht, nur eine strenge Kontrolle der Finanzpolitik könne eine stabile Währung gewährleisten. Unter dem Eindruck ansteigender Defizite schien die Auffassung, solche Grenzen seien notwendig, so vorherrschend zu sein, dass eine Kritik aus rechtswissenschaftlicher Sicht daran kaum geübt wurde, obwohl es sich um eine einschneidende Veränderung in das bis dahin geltende demokratietheoretische Verständnis handelte. 4. Institutionelle

und verfahrenstechnische

Anreizberücksichtigung

Der Erfolg unabhängiger Zentralbanken im Bereich der Währungspolitik hat zu Überlegungen geführt, auch im finanzpolitischen Bereich eine von anderen Staatsorganen unabhängige Institution zur Einhaltung von Ausgabe-, Defizit-, und Verschuldungsregeln einzurichten38. Die deutschen Erfahrungen mit der Missachtung der Vorgaben von Art. 115 GG durch Regierung und Parlament sprechen für die Bildung einer solchen unabhängigen Überwachungsinstitution. Umstritten aus ökonomischer Sicht ist vor allem, welche wirtschaftlichen Kriterien, also Budgetgrenze, Verschuldung oder einzelne Budgetposten wie z.B. Investitionsausgaben, von einer solchen Institution kontrolliert werden sollten. Vorgeschlagen wird beispielsweise, dass eine unabhängige Institution die jährliche Defizitgrenze festlegen kann39. Im Rahmen einer Untersuchung über die Entwicklung der Staatsverschuldung in den US-Bundesstaaten zeigte sich, dass Staaten mit strengeren 36

J. M. Poterba, Budget Institutions and Fiscal Policy in the U.S. States, in: The American Economic Review 86 (1996), S. 395^00, 395 hält die Auswirkungen einer Verschuldungsgrenze sogar für einschneidender als die Delegation der Währungspolitik auf eine unabhängige Zentralbank. 37 Siehe etwa C. Lenz, Vertrag von Maastricht - Ende demokratischer Staatlichkeit?, NJW 1993, S. 1962ff. 38 R. Hemming/M. Kell, Promoting Fiscal Responsibility: Transparency, Rules and Independent Fiscal Authorities, in: Fiscal Rules, Banca D'ltalia, 2001, S. 453 m.w.N; im deutschen Schrifttum Nachweise bei H. H. v. Arnim, Grundprobleme der Staatsverschuldung, BayVBl. 1981, S. 521; European Economic Advisory Group, S. 68; J. v. Hagen/Harden, National Budget Processes and Fiscal Performance, in: European Economy Reports and Studies 3 (1994), 311-408; A. S. Blinder, Is Government too political?, in: Foreign Affairs 76 (6), 1997, 5. 115-126. 39 European Economic Advisory Group, Report on the European Economy 2003, S. 68 m.w.N.

292

Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

Verschuldungsgrenzen auch die geringsten öffentlichen Defizite aufwiesen40. Allerdings kommt es dann häufig zur Verlagerung der Kreditaufnahmen aus dem öffentlichen Budget in so genannten Parafisken41. Generell ist die Erfolgbilanz von Verschuldungsgrenzen durchwachsen42. In den US Bundesstaaten bestehen vor allem zwei Arten von Budgetbegrenzungsregeln: Balanced Budget Requirements (BBR) und Begrenzungen der Staatsverschuldung. Nach der Untersuchung der Advisory Commission on Intergovernmental Relations von 1987 besaßen 49 Staaten BBRs, die jedoch in den Einzelregelungen sehr unterschiedlich ausfielen. In 20 Staaten waren die BBRs einfachgesetzlich, in mehr als 20 Staaten verfassungsrechtlich verankert43. Die einzelnen Balanced Budget Requirements variieren in vielerlei Hinsicht: bezüglich des Zeitpunktes, in dem der Haushalt ausgeglichen sein muss (bei Vorstellung oder bei Jahresende), und bezüglich der Frage, welche Fonds davon betroffen sind, ob die Regierung aus Sondergründen ein Recht besitzt, sich über die Vorschriften hinwegzusetzen, und vor allem, ob die Möglichkeit einer Durchsetzung durch eine unabhängige Behörde (etwa ein Gericht) besteht. Diese und andere Untersuchungen der letzten Jahre brachten umfangreiche empirische Nachweise, dass fiskalische Regeln das Budget beeinflussen, und dass eng gefasste Anti-Defizit-Regeln, besonders wenn sie mit Grenzen der Staatsverschuldung gekoppelt sind, Staatsdefizite reduzieren und sowohl Ausgaben als auch die Kreditaufnahme beeinflussen44. In der Untersuchung über die US-Bundesstaaten tendierten solche mit

40

J. M. Poterba, Budget Institutions and Fiscal Policy in the U.S. States, in The American Economic Review 86 (1996), S. 395. 41 Ch. B. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, S. 386. 42 Ch. B. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, S. 385. 43 J. v. Hagen, A note on the empirical effectiveness of formal fiscal restraints, in: Journal of Public Economics 44 (1991), S. 199-210, S. 203 mit einer Übersicht über die Fiskalregeln in den US Bundesstaten. Quelle ist der Report der Advisory Commission on Intergovernmental Relations von 1987. Verfassungsrechtliche Verschuldungsgrenzen bestehen beispielsweise in Alabama, Alaska, Arizona, Kalifornien, Colorado, Georgia, Idaho, Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Minnesota, Missouri, Nebraska, New Jersey, New Mexiko, North Dakota, Ohio, Oregon, Rhode Island, South Carolina, South Dakota, Texas, Utah, Virginia, Washington, West Virginia, Wisconsin und Wyoming. 44 J. M. Poterba, Budget Institutions and Fiscal Policy in the U.S. States, in The American Economic Review 86 (1996), S. 395.

Ein politikfeidbezogenes

Legitimationsverständnis

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verfassungsrechtlichen Verschuldungsgrenzen zu einer deutlich geringeren langfristigen Pro-Kopf-Verschuldung als Staaten ohne solche Grenzen45. Erfahrungen aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Australien oder Neuseeland zeigen, dass das Abbremsen des öffentlichen Defizits auch mit prozeduralen Mitteln möglich ist46. In Neuseeland47, Australien48 und Großbritannien49 wurden zunächst ähnlich wie in der Eurozone Transparenzregeln eingeführt, die die Regierungen zur Offenlegung ihrer mittel- und langfristigeren finanzpolitischen Ziele zwingen sollten50. Diese Maßnahmen wurden allerdings von festeren Budgetregeln begleitet, nämlich sogenannten „Fiskalregeln" (Fiscal Rules). Unter den Begriff Fiskalregeln fallen finanzpolitischen Regeln wie Defizitbegrenzungsregeln, Schuldbegrenzungsregeln und Ausgaberegeln, die als Zielbestimmungen oder prozessuale Vorschriften gefasst sein können51. Beispiele prozessualer Vorschriften sind die in den Vereinigten Staaten und Großbritannien eingesetzten Mechanismen: 1990 wurden in den Vereinigten Staaten mit dem „Budget Enforcement Act"52 (BEA), fortgeführt 1993 mit dem „Omnibus Budget and Reconcilia-

45

Advisory Commission on Intergovernemental Relations, in: Fiscal Discipline in the Federal System: National Reform and the Experience of the States, S. 44. 46 Siehe die Zahlen unten in Kapitel 9 B 12. 47 1994, The Fiscal Responsibility Act: danach soll die Regierung klar über ihre Zielsetzungen sein und die Konsequenzen ihrer Politik, sollte einen umfassenden und langfristigen Perspektive auf ihre Politik haben, und sollte einer parlamentarischen und öffentlichen Beurteilung unterliegen. Nähere Details führt der Fiscal Responsibility Act nicht aus. 48 1998, Charter for Budget Honesty: danach soll die Regierung jährlich ein finanzpolitisches Strategiepapier erstellen, das die langfristigen Perspektiven der Finanzpolitik bestimmt und für die nächsten drei Jahre spezifische finanzpolitische Ziele bestimmt. Näheres ist wiederum nicht in dieser Charter enthalten. 49 1998, Finance Act: Einführung eines Code for Fiscal Stability, der erfordert, dass die Finanzpolitik transparent, stabil, verantwortlich, fair und effizient gestaltet wird. 50 Diese Art von Regeln wurden 1998 in den Code of Good Practices on Fiscal Transparency des IWF übernommen, und sind mittlerweile auch in Nicht OECD Staaten wie Argentinien, Brasilien, Peru und Indien angenommen worden. Siehe dazu Richard Hemming/Michael Kell, Promoting Fiscal Responsibility: Transparency, Rules and Independent Fiscal Authorities, in: Fiscal Rules, Banca D'Italia, 2001, Rom, S. 4 3 3 ^ 5 9 , S. 437. 51 Siehe Beispiele bei S. Bach, Institutionelle Beschränkungen der Staatsverschuldung, in: Konjunkturpolitik 39 (1993), S. 14ff. 52 The Budget Enforcement Act of 1990, Pub. L. No. 101-508, tit. XIII, 104 Stat. 1388 (1990) (codified as amended at 2 U.S.C. §§ 901-922 (Supp. II 1990)).

294

Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

tion Act" (OBRA), so genannte flexible Defizitbegrenzungen eingeführt53. Diese zielen darauf ab, Sparziele für einen mehrjährigen Zeitraum auf spezifischen Gebieten festzulegen54. Durch den BEA wurden bis dahin geltende Defizitziele 55 durch Ausgabengrenzen ersetzt56. Überschreitungen dieser Grenzen bei bestimmten Aufgabenausführungen führt zu gleichmäßiger Ausgabenkürzung aller Programme, die mit dem die Grenzen überschreitenden Aufgabenbereich in eine Kategorie eingeteilt waren57. Die ebenfalls mit dem BEA eingeführte „Pay-as-you-go-rule" erforderte bei der Gesetzgebung sofortige Kompensation für neu beschlossene Ausgaben durch Steuererhöhungen oder anderweitige Einsparungen58. Wurde dies nicht eingehalten, werden wiederum in dem betreffenden und mit ihm in einer Kategorie zusammengefassten Programmen Ausgabekürzungen durchgeführt59. Neben

53

R. Sturm/M. Müller, in: Public Deficits, A Comparative Study of their Economic and Political Consequences in Britain, Canada, Germany and the United States, New York, 1999, S. 99ff.; Siehe auch Advisory Commission on Intergovernmental Relations, in: Fiscal Discipline In The Federal System: National Reform and the Experience of the States, S. 23ff. Die Bemühungen um eine Defizitkontrolle begannen schon in den siebziger Jahren, allerdings mit wenig Erfolg: mit dem Budget Act von 1974 wurde ein Congressional Budget Office geschaffen, das mit einer Zahl von Komitees es dem Kongress ermöglichen sollte ein Gegenbudget zu dem des Präsidenten zu entwerfen. Durch den Gramm-Rudman-Hollings Act (So genannt nach den Senatoren Phil Gramm, Warren Rudman und Ernest Hullings; offizieller Name ist: Balanced Budget and Emercency Deficit Control Act) sollte durch das System der Sequestration durch das General Accounting Office, einer Kongressagentur, ein ausgeglicheneres Budget geschaffen werden. Durch diese Fiskal-Institution sollte die Fiskal Verfassung dahingehend geändert werden, dass eine „unabhängige" Institution Ausgabenkürzungen vorschreiben kann. Allerdings wurde dieses System durch den Supreme Court stark beschnitten, in dem er den Plan der Einrichtung einer unabhängigen Agentur mit Kürzungskompetenzen von 1985 als verfassungswidrig erklärte. 54 Steven R. Eastaugh, Facing tough choices. Balancing Fiscal and Social Deficits, Westport, 1994, S.5.; P. G. Joyce/R. D. Reischauer, Deficit Budgeting: The Federal Budget Process and Budget Reform, in: Harvard Journal on Legislation 29 (1992), S. 429^153, S. 436,441. 55 Bis dahin waren zur Bekämpfung ansteigender Defizite bestimmte jährliche Defizitziele festgelegt worden. Dies geschah durch den Balanced Budget and Emergency Deficit Control Act of 1985, Pub. L. No. 99-177, tit. II, 99 Stat. 1037, 1038 (1985), ergänzt durch den Balanced Budget and Emergency Deficit Control Reaffirmation Act of 1987, Pub. L. No. 100119, tit.I-11, 101 Stat. 754 (1987). 56 Sogenannte „spending caps", siehe P. G. Joyce/R. D. Reischauer, Deficit Budgeting: The Federal Budget Process and Budget Reform, in: Harvard Journal on Legislation 29 (1992), S. 429-453, S. 436. 57 P. G. Joyce/R. D. Reischauer, Deficit Budgeting, S. 436f. 58 P. G. Joyce/R. D. Reischauer, Deficit Budgeting, S. 437. 59 Sogenannte „Sequestration". Die durch eine solche Kürzung betroffenen Felder werden schon vor einer möglichen Verletzung festgelegt, durch Einteilung in „Programme", siehe P. G. Joyce/R. D. Reischauer, Deficit Budgeting, S. 437.

Ein politikfeldbezogenes

Legitimationsverständnis

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den durch diese Maßnahmen erreichten Einsparungen wurden auch die Steuern spürbar erhöht60. Diese Maßnahmen, und ein beständiges Wirtschaftswachstum, führten in den neunziger Jahren auf Bundesebene zu einer erfolgreichen Absenkung des Budgetdefizits61. In den letzten Jahren stiegen die Budgetdefizite in den Vereinigten Staaten wieder an, und weiter wachsende Defizite sind von der derzeitigen Regierung geplant. Der Präsident der US - Notenbank, Alan Greenspan, forderte daher jüngst den Kongress auf, die Ausgabenkontrollen, die in den neunziger Jahren erfolgreich angewandt wurden, wieder einzurichten62. Eine andere Möglichkeit der Defizitbekämpfung, die sich als erfolgreich bewährt hat, ist die Zentralisierung des Budgetprozesses: Erst wird die Gesamthöhe der Ausgaben verbindlich festgelegt, dann werden die Budgetposten für die einzelnen Aufgabenfelder festgelegt. Ein solcher Mechanismus wurde in Großbritannien 1993 eingeführt63 und trug wesentlich zum dortigen Schuldenabbau bei. Auch Großbritannien gelang der Defizit- und Schuldenabbau in einer Zeit anhaltenden wirtschaftlichen Wachstums. Im Jahre 2000 führte Großbritannien eine sog. „Goldene Regel" ein, die ähnlich der deutschen Regelung in Art. 115 GG Investitionen von Defizit- und Budgetgrenzen ausnimmt. Vorteil einer solchen flexiblen Grenze ist, dass Ausgaben in Bereichen wie Bildung, Forschung oder Infrastruktur gesondert bewertet werden. Damit kann verhindert werden, dass diese Aufgaben zu Gunsten anderer politischer Ziele vernachlässigt werden, wie dies bei einem Sparzwang unter fixen Verschuldungsgrenzen der Fall ist64. Es besteht allerdings, wie die Erfahrung in der Bundesrepublik zeigten, die Gefahr einer extensiven Auslegung, wenn keine Kontrolle des Investitionsbegriffes erfolgt65. Für die Mitgliedstaaten gibt es Vorschläge, die Rolle der Kommission im Defizitkontrollverfahren zu stärken66. Die Kommission könnte etwa die Ein60

Insbesondere auf Grundlage des OBRA, siehe R. Sturm/M. Müller, Public Deficits, S. 108f.: die Einkommenssteuer für Gehälter über 250,000 Dollar erhöhte sich bis 1998 von 31 % auf 39,6%. 61 Siehe dazu die Zahlen in Kapitel 9 B I. 2. 62 FAZ v. 12.02.02, Nr. 36, S. 11: Greenspan fordert Haushaltsdisziplin. 63 Die sogenannte „New Control Total", siehe R. Sturm/M. Müller, Public Deficits, S. 37f. 64 Kritisch zu solchen „Ausnahmetatbeständen" M. Buti/S. Eijffinger/D. Franco, Revisiting the Stability and Growth Pact: grand design or internal adjustement? in: European Economy, Economic Papers, Nr. 180, Januar 2003, S. 18ff., online unter http://europa.eu.int/comm/ economy_finance. 65 Siehe oben zur Handhabung des Art. 115 GG. 66 Dazu S. Bredt, Der europäische „Stabilitätspakt" benötigt mitgliedstaatliche Verankerung, in: Europarecht 2005, S. 104ff.

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Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

haltung von Verfahrensmechanismen überprüfen, die die Kreditaufnahme eindämmen sollen67. Aus rechtlicher Sicht käme es vor allem darauf an, einer solchen Institution verbindliche Entscheidungsgewalt zu übertragen und klare Vorgaben als Entscheidungsgrundlage zu formulieren68. Problematisch an der Bildung einer Institution in diesem Bereich wäre, dass der deutlich und unmittelbar sichtbare Eingriff in die Umverteilungspolitik sie mehr als die Zentralbanken in der Währungspolitik zu einer sehr politischen Institution machen würde. Würde die Kommission Uber eine solche Investitionsgrenze wachen, könnte es zu Streitigkeiten zwischen Kommission und den Regierungen der Mitgliedstaaten um einzelne Budgetposten kommen, und die könnten Mitgliedstaaten zu „kreativer Buchführung" verleitet werden69. Dieser Weg scheint daher weniger geeignet als derjenige der Anwendung von Budgeterstellungsregeln unter Kontrolle einer unabhängigen Institution. Allerdings könnte im Falle Deutschlands beispielsweise der Bundesbank die Kompetenz übertragen werden, bei der Haushaltserstellung jährlich verbindlich zu überprüfen, ob im Sinne des Art. 115 Abs. 1 GG die Neuverschuldung die Investitionen nicht übertreffen und ob gegebenenfalls eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliegt70. Eine solche Kompetenzverteilung würde helfen, Art. 115 GG in Zukunft wirksamer umzusetzen. II. Geldpolitik als Beispiel des politikfeldbezogenen

Demokratieansatzes

1. Entwicklung der Problematik der Zeitinkonsistenz (time inconsistency) Auch anhand des Problems der Zeitinkonsistenz politischer Entscheidungen können die Vorteile eines politikfeldbezogenen Demokratieverständnisses demonstriert werden. Nach dem in den siebziger Jahren entwickelten „timeinconsistency"-Ansatz besteht das Problem diskretionärer Wirtschaftpolitik

67

Eurostat, eine Agentur der Kommission, kann ebenfalls als Ansatz in diese Richtung gelten: in der Vorbereitungsphase auf die Teilnahme an der Währungsunion bis 1998 war es Aufgabe von Eurostat, zu beurteilen, welche Steuern, Privatisierungserlöse oder Goldverkäufe in die Defizitkalkulierungen aufgenommen wurden. Beispiele bei J. D. Savage, Budgetary Collective Action Problems: Convergence and Compliance under the Maastricht Treaty on European Union, in: Public Administrativ Review 61 (2001), S. 43-51, S. 50. 68 Als solche können Grenzwerte der Verschuldung dienen, aber auch Investitionsregeln wie im Grundgesetz. 69 Siehe S. Bredt, Der europäische „Stabilitätspakt" benötigt mitgliedstaatliche Verankerung, in: Europarecht 2005, S. 104ff. 70 5. Bredt, a.a.O., S. 111.

Ein politikfeldbezogenes

Legitimationsverständnis

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in ihrer fehlenden Glaubwürdigkeit71. Regelbindungen seien gegenüber freiem politischem Ermessen zu bevorzugen, da letzteres zum Problem der „time inconsistency", also „zeitbedingter Widersprüchlichkeit" politischer Entscheidungen führt72. Das Problem der Zeitinkonsistenz besteht darin, dass eine kollektive Entscheidung zu einem Zeitpunkt B aufgrund besonderer Umstände irrational und langfristig schädlich ausfallen kann, und zu einem früheren Zeitpunkt A oder einem späteren Zeitpunkt C in dieser Form nicht getroffen worden wäre. Solche Umstände können beispielsweise bevorstehende Wahlen sein. Um dieses Problem zu umgehen, werden dem politischen Entscheidungssystem Restriktionen in Form von Selbstbindungen auferlegt, um auch in späteren Zeitpunkten nach dem eigenen Maßstab rational zu handeln73. Ohne eine Bindung an eine bestimmte Wirtschaftspolitik werden die wirtschaftlichen Akteure versuchen, das Verhalten der Regierung vorherzusehen und sich in einer Weise zu verhalten, die es der Regierung unmöglich macht, ihre vorhergesehenen Ziele zu erreichen. Dieser Ansatz entsprang der in den siebziger Jahren geführten Debatte, ob wirtschaftspolitische Entscheidungen durch die Regierungen und deren Ermessen je nach wirtschaftlicher Lage getroffen werden sollten, oder ob sie vorherbestimmten und festgelegten Regeln folgen sollten, wie etwa einer festgelegten Geldpolitik74. Die Delegation von Kompetenzen auf unabhängige Institutionen kann diese Gefahr der Zeitinkonsistenz umgehen und eine langfristig glaubwürdige Regulierungspolitik sichern helfen. Beispielsweise kann es trotz eines anerkannten langfristigem Interesse an niedriger Inflation für das wirtschaftliche Wohlergehen aus Machterhaltungsinteresse der amtierenden Regierung kurzfristig wichtiger sein, solche Maßnahmen zu treffen, die zu einer höheren Inflation führen, als an langfristiger Stabilitätspolitik festzuhalten (konzentrierter Nutzen bei der Regierung/verbreitete Kosten bei der Allgemeinheit)75. Auch der Transaktionskos71

Siehe F. W. Kydland/E. C. Prescott, Rules rather than discretion: the inconsistency of the optimal plans, in: Journal of Political Economy 85 (1977), S. 473-491; Näher zur Diskussion bei L. Gormley/J. de Haan, The democratic deficit of the European Central Bank, in: European Law Review 21 (1996), S. 95-112; Die Problematik wurde indes schon früher und auch schon mit Bezug auf die Geldpolitik geführt, siehe bereits 1962 bei M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 51ff. 72 G. Majone, Theories of Regulation, in: G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, S. 41. 73 Siehe dazu/. Elster, Subversion der Rationalität, S. 7Iff. 74 G. Majone, Theories of Regulation, in: G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, S. 41; Das Problem der periodischen Wahlen für die politische Steuerung wurde wie oben erwähnt bereits von Schumpeter und Downs erkannt. 75 Siehe dazu unten unter Währungsstabilität.

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Demokratieprinzip

tenansatz erkennt dementsprechend das Problem der Glaubwürdigkeit im repräsentativen System. Beispielsweise betonte Dixit als besondere Transaktionskosten die Schwierigkeit wahlabhängiger Politiker, Langzeitinteressen wahrzunehmen76. Der Transaktionskostenansatz entwickelte sich zwar unabhängig vom time-inconsistency-Ansatz, ist aber mit ihm verwandt und überschneidet sich in vielen Aussagen, da seine Grundlage ebenfalls der methodologische Individualismus ist. Ein Beispiel zur Fallgruppe „zeitbedingter Widersprüchlichkeit" stammt aus dem Bereich der Umweltpolitik: Zwar mag es einer Regierung in einem Zeitpunkt sinnvoll erscheinen, strenge Umweltschutz-Maßnahmen einzuführen, um die bestehende Umwelt- und Gesundheitsgefährdung abzuwehren. Im Falle eines vor Wahlen eintretenden wirtschaftlichen Abschwunges kann es im Machterhaltungsinteresse derselben Regierung liegen, die beschlossenen Maßnahmen gesetzlich abzumildern oder ihre Umsetzung zu verlangsamen. Die Delegation von Aufgaben auf unabhängige Institutionen könnte eine Lösung eines solchen Zeitinkonsistenzproblems darstellen. Die Problematik der Zeitinkonsistenz stellt sich aber nicht auf allen Aufgabenfeldern gleichermaßen. Nicht in allen Staatshandlungen kann eine Orientierung an den „politischen Konjunkturzyklen" (bezogen auf die Wahlen) festgestellt werden. Eine Manipulation makroökonomischer Variablen durch Regierungen im Wahljahr konnte in international vergleichenden Studien aber nicht durchgehend bestätigt werden77. Zwischen dem Wahljahr und der Arbeitslosenquote bestehe kein „statistischer Zusammenhang", und die Haushaltsdefizite sowie die Höhe ihrer jeweiligen Zunahme in Wahljahren fielen nicht signifikant höher aus. Es wurde in 60 % der untersuchten Fälle beobachtet, dass Staatsausgaben im Wahljahr gegenüber dem Vorjahr erhöht wurden. Dieses Ergebnis sei jedoch statistisch „insignifikant"78, da auch in Nicht-Wahljahren die Staatsausgaben gegenüber dem Vorjahr in ähnlich vielen Fällen erhöht wurden. 2. Glaubwürdigkeit und Geldpolitik Als klassisches Problemfeld der Zeitinkonsistenz wird in der Literatur die Geldpolitik angesehen. Im Vorfeld von Wahlen besteht für Politiker ein Interesse daran, das Wirtschaftswachstum durch eine expansive Geldpolitik 76

A. K. Dixit, The Making of Economic Policy; G. Majone, Non Majoritarian Institutions and the Limits of Democratic Governance, JITE 2001, S. 60. 77 U. Wagschal, Staatsverschuldung. Ursachen im internationalen Vergleich, S. 101. 78 U. Wagschal, a.a.O., S. 107.

Ein politikfeldbezogenes

Legitimationsverständnis

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anzuregen, was aber zu erhöhter Inflation führt. Nach den Wahlen sind die Politiker dann gezwungen, den entstandenen inflationären Tendenzen mit den Mitteln der Geldpolitik entgegenzuwirken, was das wirtschaftliche Wachstum abschwächen kann. In Folge solch wahlzyklischer Zinspolitik kann es zu volkswirtschaftlichen Schäden kommen. Um genau dieses wahlzyklische Verhalten in der Geldpolitik zu vermeiden, sind die Zentralbanken vieler Staaten mittlerweile in ihrer Geldpolitik von Regierungseinwirkungen freigestellt worden. Die damit ausgelöste demokratie- und verfassungsrechtliche Problematik hat umfangreiche Literatur ausgelöst79. Tatsächlich konnte für einen längeren Zeitraum nachgewiesen werde, dass die unabhängige Zentralbanken der Vereinigten Staaten von 1960 bis 1993, der Bundesrepublik von 1969 bis 1994, sowie auch den japanischen Notenbank von 1977 bis 1993 in ihrer Geldpolitik keinem einheitlichen politischen Wahlzyklus unterlagen80. Das heißt, es konnte keine einheitliche Geldmengenpolitik der Zentralbanken vor den Wahlen zugunsten der Regierung oder Opposition festgestellt werden81. Allerdings konnte nachgewiesen werden, dass die Bundesbank in der Vorwahlperiode dann eine expansive Geldpolitik betrieb, wenn im Zentralbankrat Anhänger der Bundesregierung eine Mehrheit hatten oder wenn während der Vorwahlperiode eine solche

79

Siehe etwa R. H. Hasse, Die Europäische Zentralbank: Perspektiven für eine Weiterentwicklung des Europäischen Währungssystems, S. 125ff. mit Übersicht über nationale Zentralbanken; F. Brosius-Gersdoif, Deutsche Bundesbank und Demokratieprinzip. Eine verfassungsrechtliche Studie zur Bundesbankautonomie vor und nach der dritten Stufe der Europäischen Währungsunion, 1997; Th. Samm, Die Stellung der Deutschen Bundesbank im Verfassungsgefüge, 1968, S. 93 zu institutioneller Ausgliederung als Zweckmäßigkeitsfrage; Weinbörner, Die Stellung der Europäischen Zentralbank und der nationalen Zentralbanken nach dem Vertrag von Maastricht, 1998; zuletzt B. Dutzler, Der Status des ESZB aus demokratietheoretischer Sicht, Der Staat (41) 2002, S. 495-522. 80 Ph. Maier, Rhetoric and action: What are central banks doing before elections? in: Public Choice 2002, S. 235f„ S. 254; für die US-amerikanische FED: M. Lossani/P. Natale/P. Tirelli, Macroeconomics and Politics revisited: Do central banks matter?, in: Economics and Politics 12 (2000), S. 53-67; H. Berger/U. Woitek, The German political business cycle: money demand rather than monetary policy, in: European Journal of Political Economy 17 (2001), S. 609-631. 81 Die Geldmengenpolitik gilt dabei als ein wichtiges Mittel der Zentralbanken zur Belebung der wirtschaftlichen Aktivitäten, s. R. Vaubel, The Beauraucratic and Partisan Behaviour of Independent Central Banks: German an International Evidence, in: European Journal of Political Economy, S. 201, 214f.; Ph. Maier, Rhetoric and action: What are central banks doing before elections? in: Public Choice, 2002, S. 235f.

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Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

Mehrheit entstand82. Im Gegenzug konnte gezeigt werden, dass der Zentralbankrat keine die Regierung unterstützende Geldmengenpolitik betrieb, wenn Oppositionsanhänger eine Mehrheit im Zentralbankrat besaßen83. Dabei ist allerdings schwierig festzustellen, welche Präferenzen die Mitglieder des Zentralbankrates besitzen. Die einfache Festlegung auf die Partei ihrer Ernennung jedenfalls reicht nicht aus, da manche Zentralratbankmitglieder auch gegen die Interessen ihrer Ernennungspartei stimmten84. Im Fazit ist die Bundesbank daher als unabhängig, aber nicht neutral zu bewerten. III. Zur demokratisch legitimierten

Gemeinwohlbestimmung

Auch die Frage, welche Institutionen in einem demokratischen Staat legitimerweise für eine Konkretisierung des Begriffes „Gemeinwohl" zuständig sein kann, wird mit dem politikfeldbezogenen Demokratieverständnis beantwortet. Eine demokratisch legitime Gemeinwohlbestimmung muss sich in normativer Hinsicht an einer gleichwertigen Interessenberücksichtigung orientieren. In analytischer Hinsicht kann für die Untersuchung, in welchen Politikfeldern auf welche Weise eine solche gleichwertige Interessenberück82

R. Vaubel, The Beauraucratic and Partisan Behaviour of Independent Central Banks: German and International Evidence, in: European Journal of Political Economy 13 (1997), S. 214ff., insbes. 221f.; Kritisch H. Berger/U. Woitek, How opportunistic are partisan German central bankers: Evidence on the Vaubel hypothesis, European Journal of Political Economy 13 (1997), S. 807-821, S. 815ff.: dieses Ergebnis von R. Vaubel lasse sich nicht halten. Grund für die Divergenzen zwischen R. Vaubel und H. Berger/U. Woitek sind verschiedene Auswertungsmethoden des zugrundliegenden Datenmaterials, siehe R. Vaubel, Reply to Berger and Woitek, in: European Journal of Political Economy 13 (1997), S. 823-827. Bei genauer Auswertung der Abstimmungsprotokolle des Zentralbankrats vor den Bundestagswahlen 1953 bis 1961 ergibt sich, daß das Abstimmungsverhalten der Zentralratsmitglieder der von der für diesen Zeitraum sozialdemokratischen Opposition ernannt wurden, nur teilweise mit der These von Vaubel übereinstimmt: so stimmten auch SPD Mitglieder vor Wahlen für Zinsschritte, die im Sinne der konservativen Regierung waren. Die konservativen Zentralratsmitglieder zeigten ein deutlich die konservative Regierung unterstützendes Abstimmungsverhalten. Insgesamt aber entsprach das Zentralbankverhalten aber der These von Vaubel. Die Abstimmungsprotokolle aktuellerer Zeiträume unterliegen noch Archivgesetzen und sind daher noch nicht einsehbar. Gegen Vaubels These spricht nach diesen Protokollen, daß 1953 und 1956 ein Zentralrat mit überwiegend sozialdemokratisch ernannten Zentralbankmitgliedern vor den Wahlen die konservative Regierung mit Zinssenkungen und Ausweitung der Geldmenge M 1 stützte. 83

R. Vaubel, The Beauraucratic and Partisan Behaviour of Independent Central Banks: German an International Evidence, in: European Journal of Political Economy 13 (1997), S. 214ff., insbes. 221f. 84 Diese Differenzierung wird gezeigt von G. Sieg, A model of partisan central banks and opportunistic political business cycles, in: European Journal of Political Economy, 13 (1997), S. 505.

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Legitimationsverständnis

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sichtigung erreicht werden kann, das oben dargestellte Kosten-NutzenSchema zugrunde gelegt werden. Unmittelbar demokratisch gewählte Institutionen sind dann für eine Gemeinwohlberücksichtigung legitimiert, wenn es sich um Konstellationen mit einer Kosten- und Nutzenverteilung auf entweder jeweils kleine Gruppen handelt oder Kosten und Nutzen in der Bevölkerung weit verbreitet sind. In anderen Konstellationen dagegen ist eine Gemeinwohlbestimmung durch unabhängige Institutionen (in engem Rahmen) durchaus legitim. Um diese These zu begründen, wird im Folgenden zuerst der prozedurale Charakter des Gemeinwohlbegriffes als Maßstab festgelegt. Dann wird das Verhältnis von kollektivem Handeln und Gemeinwohl untersucht und schließlich anhand der Politikfelder Wettbewerbs- und Währungspolitik dargestellt, dass eine legitime Gemeinwohlauslegung nicht immer von unmittelbar gewählten Institutionen vorgenommen werden muss. 1. Zum

Gemeinwohlbegriff

Die Problematik von Durchsetzung individueller Interessen und Bestimmung des Inhaltes des Gesellschaftsvertrages findet sich in der Diskussion um Existenz und Inhalt des „Gemeinwohles" wieder. Bei den Begriffen Gemeinwohl, Allgemein- oder Mehrheitsinteressen handelt es sich um vieldiskutierte Begriffe, über die eine unübersehbare Fülle von Literatur aus verschiedensten Fachbereiche, darunter den Rechts- und Sozialwissenschaften besteht85. Diese Diskussion umfassend darzustellen, ist nicht Zweck dieser Arbeit. Allerdings interessiert hier durchaus das Verständnis von Gemeinwohl, wie es sich aus den oben dargestellten theoretischen Ansätzen ergibt, weil daraus auch gefolgert werden kann, wer für eine Konkretisierung des Gemeinwohlbegriffes zuständig sein kann. In Folge des in dieser Arbeit gewählten individualistischen vertragstheoretischen Ansatzes ist der Gemeinwohlbegriff nicht als ein eigener, überindividueller Eigenwert, sondern nur als Ausfluss eines wie auch immer gearteten Abwägungsprozesses der Interessen der am gedachten Vertragsschluß beteiligten Individuen zu

85

Stellvertretend für die umfangreiche Literatur: H. Münkler/K. Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht, Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin 2002; Überblick mit weiteren Hinweisen bei G. F. Schuppen, Staatswissenschaft, S. 215ff., BadenBaden 2003.

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Demokratieprinzip

verstehen86. Der individualistische Ansatz kann allerdings zu sehr verschiedenen Ausprägungen des Gemeinwohlbegriffs führen. Nach Rousseau ist es, wie gesehen weniger die Anzahl der Stimmen, die den Willen verallgemeinert, als das allgemeine Interesse, das sie vereinigt87. Die volonté générale besteht aus den Interessen, die allen Bürgern gemein sind, also Bereichen, in denen Interessengleichlauf besteht. Rousseau benannte dafür insbesondere das Interesse an Gleichheit und Freiheit. Der Gemeinwohlbegriff erhält mit dieser Auffassung ein individuell abgeleitetes normatives Element. Anders stellt sich der Gemeinwohlbegriff im angelsächsisch geprägten Utilitarismus dar: Das Gemeinwohl ist Resultat einer sachlichen Abwägung von einander entgegenstehenden öffentlichen Interessen, die ihrerseits nur Summen von Privatinteressen sind88. Vertreten wurde diese Auffassung durch Jeremy Bentham oder John Stuart Milh das Allgemeininteresse geht danach aus einer gerechter Abwägung der Individualinteressen hervor89. Beurteilt wird die gerechte Interessenabwägung aus der Perspektive eines beurteilenden Dritten. Dem utilitaristischen Ansatz wird deshalb vorgeworfen, keinen individuellen Ansatz zur Gemeinwohlbestimmung darzustellen, sondern einen überindividuellen Gemeinwohlinhalt zu prägen. Nur ein individueller Gemeinwohlansatz kann aber wie oben in Kapitel 8 dargelegt eine vertragstheoretische Legitimation bieten. Der ökonomische Konstitutionalismus lehnt Vorstellungen eines Ubergeordneten „Gemeinwohles" oder Wahrheiten grundsätzlich ab90 und gründet zu erreichende politische Ziele auf einen rein individualistisch abgeleiteten Prozess des Kompromisse-Schließens. Im ökonomischen Konstitutionalismusmodell einigen sich die einzelnen Individuen im Gesellschaftsvertrag darüber, welche öffentlichen Güter sie bereitstellen wollen. Diese öffentlichen Güter können als Untergruppe dessen verstanden werden, was ansonsten als Gemeinwohl bezeichnet wird91. Öffentlicher Güter sind solche Güter, 86

Der sogenannte prozessuale Gemeinwohlbegriff wird heute vielfach vertreten, siehe stellvertretend H. Hofmann, Verfassungsrechtliche Annäherungen an den Begriff des Gemeinwohls, in: H. Münkler/K. Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn, S. 9-24; P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, Bad Homburg 1970. 87 W. Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, in E. Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel, (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, S. 436. 88 A. Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, S. 118. 89 A. Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, S. 62, 102. 90 Etwa J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. lf.; J. M. Buchanan/G. Tullock, The Calculus of Consent, S. 12. 91 Chr. Engel, Das Recht der Gemeinschaftsguter, in: Die Verwaltung 30 (1997), S. 429-479 mit dem Begriff der Gemeinschaftsgüter, der dem ökonomischen öffentlichen Gut ähnelt.

Ein politikfeldbezogenes

Legitimationsverständnis

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von deren Nutzung keiner ausgeschlossen werden kann und um deren Nutzung keine Rivalität besteht. Beispiel ist die Nutzung des Lichts eines Leuchtturms durch eine Vielzahl von Schiffen, etwas praktischer könnte man auch auf eine funktionierende Straßenbeleuchtung hinweisen. Aber auch ein hoher Hygienestandard, ein funktionierendes und offenes Rechtssystem oder eben ein funktionierender, offener Wettbewerb sind Beispiele öffentlicher Güter. Aufgrund der allgemeinmöglichen Nutzung besteht eine nur mangelnde Bereitstellung durch den Marktmechanismus, denn für jedes Individuum ist es gewinnbringender abzuwarten, bis andere das öffentliche Gut zur Verfügung stellen, und dieses dann ohne eigene Kosten mitzunutzen92. Diese ökonomische Beschreibung des Zustandekommens bestimmter kollektiver Leistungen soll im Folgenden unter 3. und 4. näher untersucht werden. Es handelt sich bei dieser Analyse des Zustandekommens bestimmter öffentlicher Güter um eine wertfreie Beschreibung des politischen Prozesses, die unproblematisch auch für eine Demokratietheorie verwendet werden kann. Auch in der deutschen Staatslehre wird einem prozessualen Gemeinwohlbegriff gefolgt, der auf die Ausfüllung des Gemeinwohls durch geeignete Institutionen und Verfahren abstellt93. Eine normative Festlegung der Gemeinwohlausprägung sind dabei die Summe der Grundrechte in ihrer klassischen und sozialen Ausprägung, wie sie beispielweise im Grundgesetz verankert sind94. Die Verfassungswerte beeinflussen die herrschenden rechtsethischen Überzeugungen, während die Auslegung der Verfassungswerte wiederum durch die faktischen Wertüberzeugungen beeinflusst wird. 2. Gemeinwohl als Ziel kollektiven Handelns Der Begriff des Gemeinwohls ist eng verbunden mit dem Inhalt repräsentativen Handelns. Damit die Orientierung am Gemeinwohl gelingt, sind „institutionelle, personelle und verfahrensmäßige Vorkehrungen" zu treffen 95 . Die 92

Es gibt vor allem folgende drei Fälle des sogenannten Marktversagens: erstens bei Nachfrage nach öffentlichen Gütern, Auftreten „externer Effekte" bei Produktion oder Konsum von Gütern, daß heißt ein personelles Auseinanderfallen von Kosten und Nutzen bestimmter Handlungen, und drittens bei Handlungen mit zunehmenden Skalenerträgen. Siehe näher dazu mit spieltheoretischen Ausführungen Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 78f. 93 H. Hofmann, Verfassungsrechtliche Annäherungen an den Begriff des Gemeinwohls, in: H. Münkler/K. Fischer, Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht, S. 25ff. 94 A. Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, S. 97, 106; ebenso H. H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 12ff. 95 K. Stem, Staatsrecht, Bd. 1, 2. Aufl., S. 972; BVerfGE 44, 125, 139.

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materielle Legitimation der Demokratie entstamme aus dem gemeinsamen Nutzen, dem allgemeinen Besten96. Auch im Repräsentationsprinzip ist eine prozedurale Gemeinwohlorientierung verankert: Das Repräsentationsprinzip beinhaltet, wie oben in Kapitel 2 ausgeführt, das Ziel formaler und persönlicher Repräsentation (personale Legitimationskomponente) einerseits, und die Grundlage zur Deliberation andererseits (sachliche oder materielle Komponente)97. Das Repräsentationsprinzip soll durch letzteres Element ein erkenntnisorientiertes Verfahren ermöglichen und somit der Findung gemeinwohlorientierter Ergebnisse dienen98. Nach dem Vertragsverständnis Rousseaus bildete das Gemeinsame in den Privatinteressen den Inhalt des Gemeinwillens. Auch heute wird in diesem Gemeinsamen das gesellschaftliche Band gesehen, ohne das keine Gesellschaft bestünde, einzig nach diesem „gemeinsamen Interesse" müsse die Gesellschaft regiert werden99. Zur Zeit des Frühliberalismus und der konstitutionellen Monarchie ging man davon aus, die Verwirklichung von Richtigkeit und Vernunft werde am besten vom parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber als berufenem Vertreter der von den Gesetzen Betroffenen gewährleistet100. Allerdings erfüllte sich diese Auffassung nur unter einem besonderen Blickwinkel bei bestimmten Voraussetzungen: Einzunehmender Blickwinkel sind die Interessen des Besitzbürgertums, das heißt, dass sich die Richtigkeitsgewähr aus seiner Perspektive gewährleistet ist. Eine weitere Voraussetzung der Richtigkeitsannahme war die Machtbalance zwischen Parlament und Monarch101. Nach der heute in der deutschen Lehre herrschenden Auffassung ist das demokratische Prinzip auch materiell determiniert. Dies kommt beispielsweise im Begriff der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zum Ausdruck. Freiheitliche Demokratie bedeutet die Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und seinen Bestandteilen, etwa den Grundrechten. Allerdings erweist sich auch diese „inhaltliche demokratische Repräsentation" dann als formal, wenn sie nur auf die Prozeduren abstellt, nach denen das Gemein96

W. Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, in: E. Benda/W. Maihofer/H.-J.Vogel, (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, S. 436. 97 R. Gargarella, Full Representation, Deliberation, and Impartiality, in: J. Elster (Hrsg.), Deliberative Democracy, S. 260; F. A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 133f., der allerdings die Bedeutung der Diskussion und Deliberation für das Repräsentationsprinzip als überbewertet ansieht. 98 H. H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 388ff. 99 W. Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, in: E. Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel, (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, S. 436. 100 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 138ff. 101 H. H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 116 m.w.N.

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Legitimationsverständnis

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wohl ermittelt wird102. Das Gemeinwohl, also die Regierung „für das Volk", findet sich nach der formalen Repräsentationsauffassung im republikanischen Prinzip aufgehoben103. Der materielle Gehalt des Demokratieprinzips wird durch den Gemeinwohlbezug hergestellt: Der demokratische Verfassungsstaat erfülle seine Verpflichtung auf das Gemeinwohl nicht dadurch, dass er die Ergebnisse des gesellschaftlichen Interessenwettbewerbes lediglich ratifiziert, da sich viele gemeinwohlwichtige Belange in diesem Wettbewerb nicht durchzusetzen vermögen104. Die Ordnung demokratischer Willensbildung habe mehr als nur verfahrensrechtliche Bedeutung. Sie prägt auch die inhaltliche Qualität der Entscheidung und fördert deren Akzeptanz105. In staatsrechtlicher Perspektive wird aus der Verpflichtung des Staates auf das Gemeinwohl106 die Pflicht des Staates zur Rationalität abgeleitet107. Diese Forderung wird aber meist nicht weiter ausgeführt108. Nach dem ökonomischen Ansatz kann der Inhalt von Gemeinwohl, wie gesehen, nur individualistisch begründet werden, wenn man diesen Begriff überhaupt in Zusammenhang mit dem ökonomischen Ansatz verwenden will, der ja nur Interessen und Kosten-Nutzen-Erwägungen kennt. Was in der ökonomischen Literatur als „öffentliche Güter" bezeichnet wird, kann als eine Untergruppe des staatsrechtlichen Gemeinwohlbegriffes gelten. Die Gewährung öffentlicher Güter durch kollektives Handeln wird als eine wichtige Gruppe der Gemeinwohlerfüllung angesehen, insbesondere von dem Ansatz des ökonomischen Konstitutionalismus109. Im ökonomischen Ansatz wird aber nicht darauf geschlossen, dass alles Gemeinwohl, eben in Form öffentlicher Güter, nur durch direkt gewählte Organe hervorgebracht werden kann. Im Gegenteil kommt der ökonomische Konstitutionalismus zu dem Ergebnis, dass gerade demokratische Systeme für eine Ausbeutung durch Sonderinteressen anfällig sind. Allerdings bezweifelt Buchanan, dass nicht di102 J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (1988), § 57, Rz. 97, mit Verweis auf E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR II (2004), § 30, Rz. 20 Fn. 30. 103 J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR III (1988), § 57, Rz. 100. 104 J. Isensee, Grundrechte und Demokratie, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Der Staat 20 (1981), S. 161, 174. 105 J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.): HBStR III (1988), § 57, Rz. 89. 106 BVerfGE 42, 312, 332; 49, 89, 132. 107 H. H. v. Arnim, Staatslehre, S. 235. 108 Zu Rationalität der Demokratie: K. P. Sommermann, Staatsziele, S. 319 m.w.N. 109 J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 10f„ 50ff.

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Demokratieprinzip

rekt gewählte Institutionen zur Ausfüllung des Gemeinwohlbegriffes geeignet sind110. Tatsache ist, dass die Gemeinwohldefinition und -erfiillung nicht nur durch die unmittelbar gewählten Institutionen erfolgt, sondern auch durch Gerichtsbarkeit oder andere unabhängige Institutionen111. Beispielsweise ist im EG-Vertrag ausdrücklich die Rede davon, dass auch das Handeln von Rechnungshof und Kommission am Gemeinwohl ausgerichtet ist112. Zieloder sachbezogene Institutionen repräsentieren bestimmte, einzelne Interessen. Im Gegensatz dazu sollen unmittelbar demokratisch gewählten Institutionen ganz allgemein eine Vielzahl von Interessen wahrnehmen. Umstritten ist aber weiterhin, ob so genannte „Gemeinwohltatbestände" legitimer Weise durch demokratisch gewählte Politiker oder auch unabhängige (administrative) Institutionen, wie dem Bundeskartellamt, ausgelegt werden sollten. Auf diese Frage wird nun näher eingegangen. 3. Wettbewerbsschutz

und politische

Gemeinwohlbestimmung

Auch die Erhaltung des Wettbewerbs in verschiedenen Marktbereichen wird als Untergruppe von Gemeinwohlerfüllung verstanden. Der Schutz des Wettbewerbs wird in vielen Ländern durch eine unabhängige Wettbewerbsbehörde gesichert. Umstritten ist allerdings, ob aus „Gemeinwohlgründen" in Form einer Ministererlaubnis politische Ausnahmegenehmigungen von den wettbewerbsrechtlichen Regeln sinnvoll sind. Nach dem politikfeldbezogenen Demokratieverständnis handelt es sich beim Wettbewerbsschutz um ein Aufgabenfeld, in dem zumindest im Bereich der Zulassung von Unternehmensfusionen eine sehr unterschiedliche Kosten-Nutzen-Verteilung vorliegt. Der Nutzen einer möglichen Großfusion fällt in konzentrierter Form bei dem entstehenden Großkonzern und in Form „gesicherter Arbeitsplätze" oder einer (scheinbaren) Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie bei den Politikern an (Senkung der Wiederwahlrestriktionen). Die Kosten in Form eingeschränkten Wettbewerbs und damit einhergehender steigender Produktkosten werden dagegen auf alle Verbraucher verteilt. Die Einhaltung des Wettbewerbsrechts wird in Deutschland durch das Bundeskartellamt Uberwacht. Dessen Entscheidungen sind für die Betroffe110 J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 141f.; Dies entspricht seiner demokratischen Konzeption des „Leistungsstaates", der öffentliche Güter produzieren soll. Unabhängige Institutionen sieht er nur für den Rechtsschutzstaat vor. 111 Siehe die umfassenden Nachweise bei P. Häberle, Öffentliches Interesse als Rechtsbegriff. 112 Art. Art. 213 Abs. 2 (Kommission), Art. 247 Abs. IV (Rechnungshof).

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nen bindend. In Fragen von Unternehmensfusionen bestehen für die betroffenen Parteien zwei Möglichkeiten, gegen die Entscheidungen des Bundeskartellamtes, etwa eine Fusionsuntersagung, vorzugehen. Zum einen sind gegen diese Entscheidungen Beschwerden113 vor den Oberlandesgerichten bzw. dem Bundesgerichtshof möglich. Der Überprüfungsmaßstab der Gerichte114 umfasst gem. § 71 V GWB auch die Ermessensausübung der Kartellbehörde. Zum anderen kann der Bundesminister für Wirtschaft aus den in § 42 I GWB angegebenen Gründen eine so genannte Ministererlaubnis erteilen und sich damit Uber die Entscheidung des Kartellamtes hinwegsetzen. Allerdings wird vor der Ministererlaubnis gem. § 42 IV GWB ein Gutachten durch die Monopolkommission erstellt, die zum Vorliegen der Tatbestände, die eine Ministererlaubnis nach § 42 GWB zulassen Stellung bezieht. Der Rechtsschutz gegen die Ministererlaubnis nach § 42 I GWB erfolgt dann durch die Gerichtsbarkeit. Dieser Entscheidungsmechanismus aus anfänglicher unabhängiger Kartellamtsentscheidung, politischer Gemeinwohlkontrolle und dessen gerichtlicher Kontrolle entspricht durchaus den Erkenntnissen politischer Entscheidungsfindung nach dem Transaktionskostenansatz. Durch das Gutachten der Monopolkommission wird die ministerliche Ausnahmegenehmigung „verteuert", die Kosten werden erhöht. In der Geschichte der Bundesrepublik blieb die Anzahl der erteilten Ministererlaubnisse in der Folge auch sehr begrenzt: Bei seit 1973 ca. 17 000 Prüfungen von Unternehmenszusammenschlüssen durch das Amt und etwa 100 Untersagungen gab es 17 Anträge auf Ministererlaubnis, von denen 7 positiv beschieden wurden, 4 davon mit Auflagen115. Auch die Fusion von Daimler Benz/MBB brachte zunächst keine generelle Herabsetzung der Erlaubnisschwelle mit sich. Gegen eine solche Entwicklung dürfte die Verpflichtung gewirkt haben, vor der ministeriellen Entscheidung ein Gutachten der Monopolkommission einzuholen, über das sich der Minister zwar rechtlich hinwegsetzen kann, was aber faktisch durch möglicherweise starken öffentlichen Druck, dem Gutachten der Monopolkommission zu folgen, erschwert wird116. Allerdings kann auch diese „Kostenerhöhung" der politischen Entscheidung einem ausgeprägten Druck von Sonderinteressen nicht standhalten. Die 113

Gem. §§ 63ff. GWB und 74ff. GWB § 71 GWB bzw. § 76 Abs. V i.V.m § 71 GWB. 115 P. Bartodziej, Reform der EG-Wettbewerbsausicht mit Hinweis auf die Erfahrungsberichte des Bundesministers für Wirtschaft, abgedruckt in: Wirtschaft und Wettbewerb 1986, S. 788 und Wirtschaft und Wettbewerb 1992, S. 925; FAZ Nr. 179 vom 5.8.1993, S. 9; siehe auch M. Dreher, Die Ministererlaubnis muß bleiben, in: Wirtschaft und Wettbewerb 2002, S. 665. 116 P. Bartodziej, Reform der EG-Wettbewerbsaufsicht, S. 131. 114

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Demokratieprinzip

Schwäche des bestehenden Systems kann an folgendem Beispiel gezeigt werden117: Einen Antrag auf Fusion der Unternehmen E.ON/Ruhrgas lehnte das Bundeskartellamt am 17. Januar 2002 ab118. Kurz darauf erging am 5. Juli 2002 - entgegen dem Gutachten der Monopolkommission119 - die Ministererlaubnis durch den Bundeswirtschaftsminister120. Am 12. Juli 2002 erließ dann das OLG Düsseldorf eine Anordnung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Ministererlaubnis. Grund waren Verfahrensfehler bei Erlass der Ministererlaubnis sowie das ungeklärte rechtliche Verhältnis von Zuständigkeit und Rolle der Europäischen Kommission im Falle einer Ministererlaubnis durch den Wirtschaftsminister121. Überdies beurteilte das Gericht die im Zusammenhang mit der Ministerentscheidung gemachten Auflagen auch in materieller Hinsicht als rechtswidrig122. Bevor es allerdings zum Urteil kam, wurden die Beschwerdeführer von E.ON aus dem Verfahren „herausgekauft"123. Auch die Bundesregierung intervenierte zu Gunsten von E.ON bei einem Beschwerdeführer, der sich zunächst nicht an dem Handel beteiligen wollte 124 . Diese Verfahrensschwäche könnte vermieden werden, wenn der Kartellbehörde ein Klagerecht eingeräumt würde, so dass der oben dargestellte „Auskauf' der Kläger nicht möglich ist. Eine noch strengere Variante ginge soweit, die jetzt noch von der Ministererlaubnis umfasste Ausnahmeent117 Darstellung nach M. Dreher, Deutsche Ministererlaubnis in der Zusammenschlußkontrolle und europäisches Kartellrecht, in: Wirtschaft und Wettbewerb 2002, S. 828ff.; siehe auch W. Möschel, Stamokap statt Wettbewerbspolitik, FAZ Nr. 90 vom 16. April 2003, S. 14. 118 Bundeskartellamt Wirtschaft und Wettbewerb 2002/Entscheidungen DE-V 511 und DE-V 533 mit genaueren Ausführungen zu den beabsichtigten Transaktionen. 119 Monopolkommission, Sondergutachten vom 21. Mai 2002, veröffentlicht im Internet unter: www.monopolkommission.de/sg_34/text_s34.pdf. Ein Auszug des Gutachtens findet sich in Wirtschaft und Wettbewerb 2002/E DE-V 543. 120 Abgedruckt in Wirtschaft und Wettbewerb 2002/E DE-V 573. 121 Zu diesem überraschenderweise bisher noch kaum behandelten Thema M. Dreher, Deutsche Ministererlaubnis in der Zusammenschlußkontrolle und europäisches Kartellrecht, in: Wirtschaft und Wettbewerb 2002, S. 828ff. 122 Nach W. Möschel, FAZ Nr. 90 vom 16. April 2003, S. 14, beurteilte das Gericht auch die vorgebrachten Gemeinwohlgriinde für rechtswidrig. Angeblich war der Entscheidungstenor des Urteils schon formuliert, und „das Gerüst der Begründung festgelegt". 123 Nach W. Möschel, a.a.O., wurden kleinere Unternehmen mit Geld abgefunden, mit größeren kam es zu Arrangements auf den Strom- und Gasmärkten. 124 Darstellung nach W. Möschel, FAZ Nr. 90 vom 16. April 2003, S. 14: Um einen finnischen Beschwerdeführer (Fortum Öl und Gas AG) zur Rücknahme der Beschwerde zu veranlassen, intervenierte die Bundesregierung bei der finnischen Regierung, die daraufhin beim finnischen Beschwerdeführer ihren Einfluß geltend machte. Fortum Öl zog dann ihre Beschwerde doch noch zurück, allerdings nicht ohne wettbewerbliche Gegenleistungen erhalten zu haben.

Ein politikfeldbezogenes

Legitimationsverständnis

309

Scheidung von der Kartellbehörde treffen zu lassen und die Ministererlaubnis abzuschaffen. Dafür könnten klarere Ausnahmetatbestände geschaffen werden, die auch der gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Ein solches Konzept würde eine rechtsstaatliche Gleichbehandlung besser garantieren als die bestehende Regelung, geschweige denn eine Abschaffung der gerichtlichen Kontrolle der Ministererlaubnis125. Werden Abweichungen von der bestehenden Entscheidungspraxis gewünscht, müsste eben das Wettbewerbsgesetz geändert werden. Vermieden würden dadurch bevorzugende Entscheidungen im Einzelfall. Letztlich würde dadurch nur der Gedanke der gleichartigen Anwendung der Gesetze wieder hergestellt. 4. Öffentliche Güter als Gemeinwohlerfüllung

am Beispiel

Währungspolitik

Auch eine stabile Geldpolitik, die zu einer niedrigen Inflationsrate führt, gilt als wirtschaftsfördernd und als öffentliches Gut. Auch hier besteht die Gefahr, dass die Bereitstellung des öffentlichen Gutes durch temporär individuelle Interessen an höherer Inflation, etwa um das Wirtschaftswachstum zu fordern oder staatliche Schulden zu reduzieren, beeinträchtigt wird. Es existieren umfangreiche Untersuchungen darüber, dass in Staaten mit unabhängigen Zentralbanken eine niedrige Inflationsrate herrscht126. Allerdings bestehen auch kritische Stimmen gegenüber diesen Untersuchungen127. Zum einen wird die tatsächliche Unabhängigkeit der Zentralbanken angezweifelt, da sie mit regierungsnahen Personen besetzt seien. Daraus wird der Schluss gezogen, ein Zusammenhang zwischen Unabhängigkeit

125

Anderer Ansicht M. Dreher, Die Ministererlaubnis muß bleiben, in: Wirtschaft und Wettbewerb 2002, S. 665. 126 Siehe beispielweise H. Berger/J. De Haan/S.C.W. Eijfinger, Central bank independence: an update of theory and evidence. Discussion paper 2353, Centre of Economic Policy Research, London 2000; S.C.W. Eijffinger/J. De Haan, The political economy of central bank independence, Princeton Papers in International Economics, Nr. 19, Princeton University Press, Princeton (NJ) 1996; P. S. Pollard, Central Bank Independance and and Economic Performance, in: Federal Reserve Bank of St. Louis 75 (1993), S. 21-36. 127 A. S. Posen: Why central bank independence does not cause low inflation, in: O'Brian, R. (Hrsg.), Finance and the International Economy, Bd. 7, S. 40-65

310

Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

und Inflation bestehe nicht128. Andere Autoren sind skeptisch, ob eine unabhängige Zentralbank alleine zur Inflationsbekämpfung ausreicht129. Die Unabhängigkeit der Zentralbank sei weder nötig noch ausreichend zur Sicherung der Währungsstabilität130. Eine Vielzahl anderer Faktoren wie eine insgesamt stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik, die Struktur der Gewerkschaften und ihrer Lohnpolitik131 und der Einfluss des Bankensektors132 bestimme die Stabilität der Währung133. Andere Instrumente wie Wechselkurse, currency board arrangements, Inflationsziele und Zentralbankverträge könnten ebenfalls eine erwünschte Währungsstabilität absichern134. Andere meinen, dass nicht der Status einer Zentralbank, sondern verschiedene kulturelle Werte eines Landes entscheidend dafür sind, wie hoch die Inflationsrate ausfällt. In Staaten mit einer stabilitätsorientierten Einstellung in der Bevölkerung würde öfter eine unabhängige Zentralbank eingerichtet als in anderen Staaten. Daher würde in stabilitätsorientierte Ländern auch ohne die Existenz einer unabhängigen Zentralbank eine stabilitätsorientierte Geldpolitik verwirklicht135. Grund dafür sei, dass die Mitglieder des Zentralbankrates der öffentlichen Meinung große Aufmerksamkeit schenkten, da diese die beste Sicherung gegen eine der Zentralbank unfreundlich gesonnene Regierung darstelle136. 128 J. Forder, The Case for an independent European central bank: a reassessment of evidence and sources, in: European Journal of Political Economy 14 (1998), S. 53ff. kritisiert vor allem die Meßmethoden, die auch die Europäische Kommission bei ihrem Vorschlag für die Errichtung einer unabhängigen europäischen Zentralbank zugrundelegte und kommt mit seinen Auswertungen zum Ergebnis unabhängige Zentralbanken hätten keinen Einfluß auf die langfristige Währungsstabilität; J. Forder, Response to de Haan's comment on "The Case for an independent European central bank: a reassessment, in: European Journal of Political Economy 15 (1999), S. 763; Mit Hinweisen auf weitere kritische Literatur bei Th. Jordan, Central Bank independence and the sacrifice ratio, in: European Journal of Political Economy 15 (1999), S. 230. 129 B. Hayo, Inflation culture, central bank independence and price stability, in: European Journal of Political Economy 1998, S. 241ff. 130 B. Hayo/C. Hefeker, Reconsidering central bank independence, in: European Journal of Political Economy 18 (2002), S. 656 mit dem u.a. mit dem Beispiel Weißrusslands: trotz unabhängiger Zentralbank stieg die Inflationsrate erheblich und der Zentralbankpräsident wurde ins Gefängnis verbracht. 131 B. Hayo/C. Hefeker, Reconsidering central bank independence, a.a.O., S. 668. 132 B. Hayo/C. Hefeker, Reconsidering central bank independence, a.a.O., S. 665. 133 B. Hayo/C. Hefeker, Reconsidering central bank independence, a.a.O., S. 654. 134 B. Hayo/C. Hefeker, Reconsidering central bank independence, a.a.O., S. 654. 135 E. De Jong, Why are price stability and statutory independence of central banks negatively correlated? The role of culture, in: European Journal of Political Economy 18 (2002), S. 675. 136 Darum kann dieselbe Satzung einer Zentralbank zu verschiedenen Inflationsraten in verschiedenen Ländern fuhren, siehe dazu R. Vaubel, The Beauraucratic and Partisan Behaviour, S. 202 m.w.N.

Ein politikfeldbezogenes

Legitimationsverständnis

311

Die Frage nach dem Grad und den Auswirkungen der Unabhängigkeit von Zentralbanken hat umfangreiche rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Literatur hervorgerufen. Sowohl von rechtlicher als auch von ökonomischer Seite wurden Kriterien zur Messung der Unabhängigkeit erarbeitet137. Diese Kriterien entsprechen den in dieser Arbeit verwandten formalen Merkmalen von Unabhängigkeit. Die Bundesbank galt bis zur Entstehung der EZB aufgrund ihres rechtlichen Statuts nach mehreren Indikatoren als die unabhängigste Zentralbank, gefolgt vom Federal Reserve Board und der japanischen Notenbank138. Die Bundesbank war explizit von Weisungen und Aufsicht durch andere Institutionen freigestellt139. § 12 S. 2 BBankG stellt die Bundesbank im Bereich währungspolitischer Akte weisungsfrei. Einschränkungen der Unabhängigkeit des Federal Reserve Board in den Vereinigten Staaten ergeben sich daraus, dass der Präsident des Federal Reserve Board jeweils vom Präsidenten (also alle vier Jahre) ernannt wird. Unter drei verschiedenen Präsidenten140 war aber Alan Greenspan Präsident des Federal Reserve Board. An diesem Beispiel wird die Rolle der politischen Kultur für die tatsächliche Unabhängigkeit einer Institution deutlich. Umstritten ist unter Ökonomen auch, ob den Zentralbanken ein vorrangiges Ziel der Sicherung der Währungsstabilität vorgegeben werden sollte, oder ob sie zwischen den gleichwertigen Zielen Förderung des Wirtschaftswachstums, Beschäftigungsquote und Währungsstabilität frei zu entscheiden haben141. Für die Bundesbank war und ist die Preis Stabilität als vorrangiges Ziel festgelegt, § 12 Bundesbankgesetz. Das Federal Reserve Board hat dagegen gleichwertig die wirtschaftliche Entwicklung zu fordern. Ihm wird damit die Abwägung zwischen eventuell sich widersprechenden Zielen anvertraut.

137 Ph. Maier, Rhetoric and action: What are central banks doing before elections? in: Public Choice 2002, S. 238f., auf S. 256 m.w.N. zur Literatur zu Unabhängigkeitskriterien; A. Cukierman: Central Bank Strategy, Credibility and Independence: Theory and Evidence, Cambridge Mass. 1992; A. Alesina, Politics and business cycles in industrial democracies, in: Economic Policy 8 (1989), S. 55-98. 138 Ph. Maier, Rhetoric and action: What are central banks doing before elections? in: Public Choice, 2002, S. 238f. 139 J. Siebelt, Der juristische Verhaltensspielraum der Zentralbank, S. 157; 77t. Groß, Das Kollegialprinzip, S. 248. 140 G. Bush (sen.), B. Clinton, G. Bush (jun.). 141 Einen Überblick über die Debatte um die Vor- und Nachteile einer Festlegung der Zentralbanken auf die Inflationsbekämpfung geben Gl. D. Rudebusch/C. E Walsh, U.S. Inflation Targeting: Pro and Con, in: Federal Reserve Bank of San Francisco, Federal Reserve Bank of San Francisco Economic Letter, 1998 Nr. 18.

312

Vom fiinktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

Friedman befürwortet eine Festlegung der Zentralbanken auf eine bestimmte Geldmengenpolitik142. So könnte der Spielraum der Zentralbank in der Währungspolitik vielleicht so weit abgeschwächt werden, dass ihre geldpolitischen Interventionen nicht zu Problemen führen, wie dies in der Vergangenheit der Fall gewesen ist (Friedman geht dabei auch auf das Verhalten des Federal Reserve Systems (FED) in der Zeit zwischen 1929 und 1933, der großen Depression, ein)143. Der weite Entscheidungsspielraum von Zentralbanken sei bei Gründung der FED auch nicht beabsichtigt gewesen. Als die FED 1913 ins Leben gerufen wurde, ging man davon aus, dass sie auch in Zukunft an den Goldstandard gebunden sei und durch die Bindung mehr eine ausführende als eine geldpolitisch-gestaltende Institution sei144. Bereits 1914 wurde dann der Goldstandard aber vorläufig aufgegeben und besteht heute gar nicht mehr. Den durch diese Entwicklung entstandenen Entscheidungsspielraum bei unabhängigen Zentralbanken sieht er als wirtschaftspolitisch gefährlich an. IV. Grundrechtsschutz als Beispiel für das politikfeldbezogene Demokratieprinzip Methodisch schwierig nachzuweisen ist, ob unabhängige Institutionen wie Verfassungsgerichte oder unabhängige Rundfunkanstalten die Aufgabe des Grundrechtsschutzes wirklich besser wahrnehmen als demokratisch gewählte Institutionen. Dafür spricht, dass etwa Verfassungsgerichte in einer Vielzahl von Staaten in ihren Urteilen Gesetze der jeweiligen Parlamente als verfassungswidrig aufhoben. Ein wirklich empirischer Nachweis für einen besseren Grundrechtsschutz in Staaten mit Verfassungsgerichtsbarkeit ist bisher aber nicht erbracht worden145. Dahl bestreitet sogar einen verbesser-

142

M. Friedman, Capitalism and Freedom, S. 54f. M. Friedman, a.a.O., S. 44-48. 144 Zu diesen Zusammenhängen M. Friedman, a.a.O., S. 37ff. 145 R. Dahl, Vorstufen zur Demokratie-Theorie, Tübingen 1976, S. 55f„ lOOff. bezweifelt unter Darstellung verschiedener Beispiele die demokratische Legitimation der verfassungsgerichtlichen Kontrolle, weil auch die Verfassungsgerichtsbarkeit nicht in der Lage sei, Minderheiten und Grundlagen der Demokratie gegen die Mehrheitsherrschaft zu schützen. 143

Ein politikfeldbezjogenes

Legitimationsverständnis

313

ten Grundrechtsschutz durch den Supreme Court in den Vereinigten Staa.

146

ten . Jedenfalls lassen sich mit den in dieser Arbeit verwandten Modellen der Institutionenökonomie aber Politikfelder darstellen, in denen eine unabhängige Institution besser zur Wahrung von Grundrechten geeignet erscheint als gewählte Institutionen. Der Grundrechtsschutz im Bereich Rundfunkfteiheit ist ein Aufgabengebiet, in dem wegen der oben beschriebenen KostenNutzen-Verteilung eine Wahrnehmung durch unabhängige Institutionen sinnvoll und legitim erscheint. Es besteht die Gefahr, dass staatliche Sender von der regierenden Mehrheit zu ihren Gunsten manipuliert werden (konzentrierter Nutzen bei der Regierung), während die Kosten in Form von manipulierten Nachrichten bei der Gesamtbevölkerung nicht zu einer Gegenreaktion in Form der Bildung einer starken Interessengruppe führen. Wie oben in Teil 1 gesehen wurden in allen besprochenen Demokratien wegen dieser Gefahr unabhängige Rundfunk- und Fernsehanstalten gebildet. In Deutschland wird die Sicherung der Rundfunkfireiheit mit der Figur des Grundrechtsschutzes durch Organisation und Verfahren begründet: Dieser fordert eine zweckrationale Ausgestaltung der Staatsorganisation derart, dass die Sicherung der Grundrechte gewährleistet ist. Zugrunde liegt diesem Argument der Gedanke, dass die Sicherung von Grundrechten, sei es durch die Einklagbarkeit von Grundrechten vor einem Verfassungsgericht oder die Bildung unabhängiger Institutionen wie Universitäten, Rundfunkanstalten effektiver ist, als deren Wahrnehmung durch Behörden, die den unmittelbar gewählten Institutionen unterstehen147. An diesem Punkt kann und muss die Staatsorganisationslehre auf die Erkenntnisse sozialwissenschaftlicher Untersuchungen über Präferenzbildung von Entscheidungsträgern zurückgreifen, um dem Anspruch der zweckratio146

R. Dahl, Vorstufen zur Demokratietheorie, S. 55ff., lOOf. mit Beispielen für die Vereinigten Staaten: trotz deutlicher Mehrheiten im US-Kongress erklärte der Supreme Court 1918 und 1922 zweimal Gesetze des Kongresses, mit denen Kinderarbeit verboten wurden, für verfassungswidrig. Bis 1956 hatte der Supreme Court 77 in Fällen Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Nur 12 davon betrafen nicht ökonomische Bürgerrechte. In sechs dieser Fälle ging es um Bestrebungen des Kongresses, die Rechte von Farbigen zu erweitem und zu schützen. In allen sechs Fällen verhinderte der Supreme Court die Bemühungen des Kongresses. Es gebe keinen einzigen Fall, in der das Bundesgericht Bundesgesetze aufgehoben hätte, die die politische Gleichheit und Volkssouveränität einschränken und nicht erweitern sollten. 147 Zur amerikanischen Diskussion, ob besser der Kongreß oder der Supreme Court die Grundrechte schütze, siehe W. Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika. In den Vereinigten Staaten besteht eine ähnliche Figur zum Grundrechts durch Verfahren mit dem „Due Process" Ansatz: danach sollen grundrechtliche Interessen durch entsprechende Verfahren geschützt werden, siehe etwa W. Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, S. 107ff.

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Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

nalen Ausgestaltung gerecht zu werden. Diesen Anforderungen entsprechend wird in der Rechtswissenschaft auf die Bedeutung von Verfahrensregeln für die Entscheidungsqualität von Institutionen hingewiesen. Da man den demokratisch gewählten Institutionen die Einhaltung dieser objektiven Werteordnung nicht zutraute, entwickelte sich eine institutionelle Form objektiven Rechtsschutzes, beruhend auf der Theorie des Grundrechtsschutzes durch Organisation. Beispielsweise wurde es zur Aufrechterhaltung der Rundfunkfreiheit als erforderlich angesehen, die Organe der Rundfunkanstalten mit Repräsentanten aller bedeutsamen gesellschaftlichen Gruppen zu besetzen, damit diese die Kräfte, die die Programmgestaltung bestimmen, im Sinne des Pluralismus korrigieren können148. Andere dagegen sehen die Neutralität der Rundfunkanstalt am besten durch eine Verstaatlichung gesichert149. Der Streit zwischen diesen Meinungen muss hier nicht entschieden werden. Offensichtlich wird aber, dass beide Konzepte auf die Natur des Entscheidungsprozesses zurückgreifen, und damit auf grundsätzliche Interessenverteilungen und Anreizfaktoren. Beide Auffassungen sehen den Schutz der Grundrechte jedenfalls nicht im politischen Entscheidungsprozeß der unmittelbar gewählten Institutionen gewährleistet. Die „ E i n s c h r ä n k u n g des Demokratieprinzips" wird bei dieser Argumentationsfigur mit dem Hinweis auf die Konkurrenz der Staatsorganisationsprinzipien Demokratie und Rechtsstaat begründet. Die Frage, in welchen Aufgabenbereichen eine solche Einschränkung gerechtfertigt werden kann, kann aber nicht allein mit dem Hinweis auf Rationalität und Entscheidungsverfahren gelöst werden. Dafür muss auf eine politikfeldbezogene Betrachtung zurückgegriffen werden, also untersucht werden, in welchen Bereichen Grundrechte wegen besonders stark entgegenstehender Interessen (konzentrierter Nutzen von Meinungsmanipulation bei der Regierung/verbreitete Kosten bei der Bevölkerung bei einer Manipulation der Rundfunkfreiheit) durch unabhängige Institutionen gesichert werden müssen. Auch zur Legitimation grundrechtsschützender Institutionen kann also der politikfeldbezogene Legitimationsansatz angewandt werden.

148 149

BVerfGE 12, 205, 261f. K. A. Bettermann, Rundfunkfreiheit und Rundfunkorganisation, DVB1. 1963,41ff„ 43.

Ein politikfeldbezogenes

Legitimationsverständnis

315

C. Zusammenfassung Kapitel 9 In zweierlei Hinsicht unterscheidet sich die Theorie Buchanans von der in dieser Arbeit entwickelten politikfeldbezogenen Legitimationstheorie. Erstens wird als normativer Maßstab für die Festlegung der Entscheidungsregeln in dieser Arbeit der „traditionelle" Grundsatz gleichwertiger Interessenberücksichtigung zugrunde gelegt, wie er sich bei Dahl und in der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur findet. Aufgrund der oben in Kapitel 8 dargelegten Kritik wird als Voraussetzung für das Zustandekommen des Gesellschaftsvertrages nicht auf eine Zustimmungsfähigkeit nach ökonomischen Kriterien wie dem Pareto-Kriterium abgestellt. Zweitens wird die Legitimationsbasis für unabhängige Institutionen gegenüber Buchanans Ansatz erweitert. Unabhängige Institutionen werden nicht nur für die Durchsetzung von Rechten, sondern auch zur Herstellung öffentlicher Güter als demokratisch legitim bewertet. In Buchanans Theorie sind unabhängige Institutionen nur zur Durchsetzung und Sicherung von Rechten vorgesehen, nicht aber für die Bereitstellung öffentlicher Güter. Letzteres sei den unmittelbar gewählten Körperschaften zu überlassen, wobei auf konstitutioneller Ebene unterschiedliche Varianten der Mehrheitsregel als Entscheidungsverfahren festgelegt werden können. An Buchanans Trennung zwischen Durchsetzung von Rechten und Herstellung öffentlicher Güter ist zu kritisieren, dass sie häufig nicht klar durchzuführen ist, weil sich diese Bereiche überschneiden können, etwa im Bereich der Währungspolitik. Eine stabile Währung kann als öffentliches Gut und als Recht der Bürger am Erhalt des Geldwertes interpretiert werden. Zudem wird in dieser Arbeit eine Legitimationstheorie für unabhängige Institutionen gerade auch im Bereich außerhalb der Rechtsdurchsetzung, also für politische Abwägungsprozesse bei der Bereitstellung öffentlicher Güter entwickelt. Mit der vertragstheoretischen Methode kann eine Festlegung auf unabhängige Institutionen ebenso wie eine Festlegung von Regelbindungen für demokratisch gewählte Institutionen durch einen Konsens der Beteiligten auf konstitutioneller Ebene erklärt werden. Für eine Präzisierung, in welchen Politikfeldern unabhängige Institutionen auch außerhalb des Bereiches von Rechtsdurchsetzung legitim sein können, wird auf eine Klassifizierung Wilsons aus dem Bereich der Regulierungstheorie zurückgegriffen, die Majone für die Legitimation unabhängiger Regulierungsagenturen heranzieht. Allerdings wird herausgearbeitet, dass Majones Begrenzung der Legitimation unabhängiger Institutionen auf den Bereich von Regulierungspolitik inkonsistent ist. Auch in Politikfeldern mit distributiver Wir-

316

Vom funktionalen zum politikfeidbezogenen

Demokratieprinzip

kung können unabhängige Institutionen mit dem vertragstheoretischen Ansatz als demokratisch legitim beschrieben werden. Diese Frage wird in Kapitel 10 ausführlich behandelt.

Kapitel 10

Grenzen für die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen A. Methodische Grenzen Methodische Grenzen füir die Legitimation unabhängiger Institutionen ergeben sich aus den Grenzen der angewandten sozialwissenschaftlichen Methoden. Voraussetzung für eine Legitimation unabhängiger Institutionen nach dem politikfeldbezogenen Demokratieprinzip ist eine möglichst genaue und realitätsnahe Beschreibung politischer Entscheidungsprozesse in analytischer Hinsicht. Liegen keine eindeutigen Ergebnisse über den Ablauf der Entscheidungsprozesse in einem Politikfeld vor oder sind bestimmte Ergebnisse innerhalb der sozialwissenschaftlichen Literatur sehr umstritten, entfällt die Basis für eine demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen. Wo genau die Grenze zwischen „zu umstritten" und ausreichendem Beleg bestimmter Entscheidungsabläufe zu ziehen ist, muss im Einzelfall geklärt werden und lässt sicher Raum für ein Einschätzungsermessen. Bereits Buchanan kritisierte, dass mit dem Modell der Neuen Politischen Ökonomie letztlich beinahe jede Norm oder fast jedes Ergebnis als rational erklärt werden kann1, dass also auch die ökonomischen Entscheidungstheorien noch keine präzisen und eindeutigen Beschreibungen des politischen Entscheidungsprozesses abgeben. Die unzureichende Präzision des Transaktionskostenansatzes zeigt sich beispielsweise darin, dass Methoden für eine direkte empirische Messung von Transaktionskosten noch kaum entwickelt wurden. Bestehende Versuche zur Messung von Transaktionskosten zielten darauf ab, zu untersuchen, ob in der Realität bestehende Organisationsformen mit denjenigen übereinstimmen, die mit dem Transaktionskostenansatz prognostiziert wurden2. Wie oben in Kapitel 7 VII gezeigt, konnte aber beispielsweise der Transaktionskostenansatz nicht die so zeitverschiedene und unterschiedlich ausgeprägte 1

J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 9. Siehe dazu oben in Kapitel 7 B; dazu auch H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 104 m.w.N.

2

318

Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

Entstehung von unabhängigen Institutionen in demokratischen Systemen erklären. Andere, direktere Meßmethoden von Transaktionskosten sind bisher nicht zufrieden stellend ausgefallen3. Neben den Meßbarkeitsproblemen stößt auch die Vereinfachungsmethode, die eine der Stärken des ökonomischen Ansatzes bei der Analyse von Entscheidungsabläufen darstellt, auf Grenzen. In vielen Politikfeldern existieren nicht nur jeweils zwei, sondern mehrere Interessen und Gruppen, und die Feststellung, ob jeweils eine (un-)ausgeglichene Kosten-NutzenKonstellation besteht, kann weniger deutlich als in den gewählten Beispielen ausfallen. Auch bezüglich der normativen Ebene der ökonomischen Theorien besteht, wie in Kapitel 8 gesehen, Ungewissheit darüber, welche Ziele aus konsenstheoretischer Sicht wirklich als allgemein zustimmungsfähig gelten können. Weder das konsenstheoretische Ziel der Pareto-Optimalität noch das der komparativen Nutzenerwartung anhand des Kaldor-HicksKriteriums stellen derzeit in der Realität nachprüfbare normative Maßstäbe dar, auch wenn sie über eine recht hohe theoretische Präzision verfügen. Mit der Methode der subjektiven „gedachten" Zustimmung zu verschiedenen Politikzielen bleiben die Begründungen für die Ziele immer hypothetisch. Darüber hinaus können die ökonomischen Kriterien, wie gezeigt, die Frage nach der Zustimmung zu relativ ungleichen Nutzenverteilungen als Ergebnis kollektiven Handelns nicht beantworten.

B. Inhaltliche Grenzen Weitere Grenzen für die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen ergeben sich aus den Ansätzen selbst: Wo nach dem politikfeldbezogenen Legitimationskonzept keine unabhängigen Institutionen notwendig sind, weil keine ungleichen Kosten-Nutzen-Verteilungen vorliegen, kann keine demokratische Legitimation für unabhängige Institutionen abgeleitet werden. Auch in Feldern, in denen Kosten verbreitet, Nutzen aber sehr konzentriert sind, ist erst zu prüfen, ob die betreffende Konstellation wirklich die Bildung einer unabhängigen Institution erfordert. Dafür muss eine gewisse Intensität der Kosten-Nutzen-Divergenz bestehen und ein Eingreifen in den politischen Entscheidungsprozeß auch dringend geboten erscheinen, weil andere Abhilfen nicht möglich sind. Letztlich ist die Entscheidung im 3

H. Eidenmüller, a.a.O., mit Hinweis auf E. G. Furubotn/R. Richter, The New Institutional Economics: An assessment, in: E. G. Furubotn/R. Richter (Hrsg.), The New Institutional Economics, Texas 1991, S. 1-32, 10.

Grenzen für die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen

319

Einzelfall zu treffen und kann nicht aufgrund vorherbestimmter Maßstäbe verbindlich geregelt werden. Weiter sind auch Konstellationen denkbar, die der Kosten-Nutzen-Ansatz nicht gut erfassen kann, etwa das Problem der Minderheitendiskriminierung: Die Diskriminierung einer Minderheit durch die Mehrheit dürfte eigentlich nach dem Kosten-Nutzen-Ansatz nicht vorkommen, weil die Kosten einer solchen Aktion konzentriert bei der diskriminierten Minderheit anfallen, der Nutzen aber in kleinen Einheiten verteilt bei der großen Mehrheit liegt. Nach der ökonomischen Logik dürfte es damit zu keiner Minderheitendiskriminierung kommen, denn ein weitverstreuter Nutzen führt nicht zur Bildung einer starken Interessendurchsetzung. Erklärbar wäre eine Minderheitendiskriminierung Uber den daraus entstehenden konzentrierten Nutzen bei der Regierung, die die Minderheit zum Nutzen der Mehrheit diskriminiert, um sich so bei der Mehrheit Zustimmung zu verschaffen. Mit einer solchen Begründung, dem Verweis auf den konzentrierten Nutzen bei einer Regierung, wird aber fast jede beliebige Handlung erklärbar. Der Kosten-NutzenAnsatz stößt in solchen Fällen inhaltlich an seine Grenzen.

C. Normative Grenzen I. Distributive Politik und Demokratieprinzip Grenzen für normative Festlegungen, die den demokratischen Entscheidungsprozeß binden und damit auch die Legitimität unabhängiger Institutionen, können sich aus der Natur eines Politikfeldes ergeben. Für den Bereich (re-) distributiver Politik beispielsweise wird von verschiedenen Autoren angenommen, dass legitime Entscheidungen nur durch eine demokratische Mehrheitsentscheidung getroffen werden können4. Distributive Politik beinhaltet die unmittelbare Einnahme oder Verausgabung öffentlicher Mittel, etwa in Form von Subventionen oder Steuersätzen. 1. Umverteilung nur durch majoritäre Politik a) Rechtswissenschaftliche

Grundlagen

Von rechtwissenschaftlicher Seite wird im Bereich der Umverteilungspolitik eine „Verrechtlichung" oder Konstitutionalisierung nur in geringem Maße befürwortet, die wirtschafte- und sozialpolitische Entscheidung soll vielmehr 4

Dazu G. Majone, Regulatory Legitimacy, in: Majone (Hrsg.), Regulating Europe, S. 294.

320

Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

bei den politischen Institutionen belassen werden5. Das Bundesverfassungsgericht hat es grundsätzlich abgelehnt, wirtschaftspolitische Grundentscheidungen als verfassungsmäßig festgelegt zu sehen6. Das Bundesverfassungsgericht betont die ausschließlich politisch zu verantwortende Wertung des Parlaments, wenn es um Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und Zweckrationalität staatlicher Maßnahmen geht7. Eine eigene normative Wertung wollte das Bundesverfassungsgericht bisher nicht treffen oder aus der Verfassung herauslesen. Diese Auffassung will die Frage der Umverteilung dem demokratischen Entscheidungsprozeß überlassen, der für diese Zwecke als geeignet und legitim angesehen wird, weil er den für die Umverteilungspolitik nötigen gesellschaftlichen Interessenausgleich sicherstellt. b) Eine ökonomische Position Diese im rechtswissenschaftlichen Bereich verbreitete Auffassung fand ihre Entsprechung im Bereich der politischen Ökonomie: Auch dort wurde vertreten, Umverteilungspolitik sei nur durch den demokratischen Mehrheitsentscheidungsprozeß zu legitimieren. Wickseil argumentierte, dass die Einstimmigkeitsregel im Falle der Kollektiventscheidung das institutionelle Analogon zum Zwei-Personen-Tausch mit privaten oder teilbaren Gütern sei8, bei dem beide Parteien freiwillig zustimmen. Beschlüsse in Steuerangelegenheiten sollten deshalb grundsätzlich einstimmig erfolgen, damit jede Gruppe von Bürgern möglichst sicher sein könne (mit Hilfe der von ihnen gewählten Vertreter), dass ihre Steuerleistungen nicht größer seien als die Vorteile, die sie aus den entsprechenden Regierungstätigkeiten ziehen9. Buchanan entwickelte auf der Basis der Einstimmigkeitsregel dann, wie in Kapitel 7 gesehen, eine konsenstheoretische Legitimationstheorie. Ein hypothetischer Konsens ist bei Vorliegen einer Pareto-optimalen Entscheidung anzunehmen. Ein Einstimmigkeitserfordernis stellt in Bereichen der Umverteilung zunächst scheinbar ein Hindernis für jede Umverteilung dar, weil mit 5

Siehe dazu die Ausführungen oben in Kapitel 7 A und 9 B zur Zulässigkeit von Defizitgrenzen. 6 Siehe etwa BVerfG 4,7, 17f.; BVerfGE 18, 315, 331fr.; BVerfGE 25, lff.; BVerfGE 50,

290, 336f.

7

Allgemein zur gesetzgeberischen Freiheit im Bereich der gemeinwohlkonkretisierenden Zielbildung etwa BVerfGE 30, 292, 317, NJW 1971, 1255; zur Frage der Auswahl der geeigneten Mittel BVerfGE 30, 250, 263, NJW 1971, 1603; Siehe auch L. Osterloh, Staatsverschuldungs als Rechtsproblem?, in: NJW 1990, S. 151. 8 J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 55 mit Hinweis auf K. Wickseil, Finanztheoretische Untersuchungen, Jena 1896, Kap. 2. 9 Th. Petersen, Individuelle Freiheit und Allgemeiner Wille, S. 88 m.w.N.

Grenzen für die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen

321

einer Einstimmigkeit in diesem Bereich bei Anwendung des Eigennutztheorems nicht gerechnet werden kann. Eine Umverteilung kann niemals paretooptimal sein, wenn es sich bei der Umverteilungspolitik um ein Nullsummenspiel handelt. In diesem Sinne wurde aus dem grundsätzlichen Einstimmigkeitserfordernis und dem Problem, im Bereich von Umverteilungspolitik einen Konsens zu begründen, eine Unterscheidung nach Politikfeldern abgeleitet10. In Politikfeldern, die von vornherein streitige Entscheidungen enthalten, muss mehrheitlich-demokratisch entschieden werden. Die Umverteilung von Vermögen stelle ein Nullsummenspiel dar, in dem der Gewinn des Einen der Verlust des Anderen sei, und deshalb Konflikt zwischen den Einzelnen vorprogrammiert sei. Dieser Konflikt könne nur in Form unmittelbar demokratischer Mehrheitsentscheidung ausgetragen werden, nicht aber durch qualifizierte Mehrheitsentscheidungen oder gar unabhängige Institutionen. Politikfelder mit potentiell unstreitigen Fragen dagegen könnten auch der demokratischen Mehrheitsentscheidung entzogen werden, weil sie kein Konfliktpotential besitzen und daher mit einer potentiellen Zustimmung aller zu rechnen sei (pareto-optimales Handeln ist möglich). Im Bereich der Regulierungspolitik beispielsweise, die Fragen der Effizienzsteigerung betrifft, sei ein Gewinn für alle Gruppen möglich. Es gelte dort, die beste sachliche Lösung zu finden, um diesen gemeinsamen Gewinn zu verwirklichen. Diese Aufgabenfelder könnten durch unabhängige Institutionen wahrgenommen werden11, da eine hypothetische Zustimmung aller zu einem solchen Entscheidungsverfahren möglich sei. Zwar habe auch die Regulierungspolitik Konsequenzen im Umverteilungsbereich, für die Regulierer sind diese Konsequenzen aber nur Grenzen und nicht Ziel und Inhalt ihrer Regulierungsmaßnahmen. Die Kosten regulativer Programme werden direkt von den Betroffenen getragen, die sich nach den Regulierungen richten müssen, und stellen weniger Umverteilungsmaßnahmen dar. Die Trennung von distributiver Politik und von Regulierungspolitik als Grundlage für die Auswahl der anzuwendenden Verfahren und deren Legitimation ist praktisch kaum möglich und theoretisch nicht haltbar. Die Unterscheidung zwischen Wertschöpfungspolitik und Wertbeanspruchungspolitik, wie die Gegner des Konzeptes es nennen, negiert die Tatsache, dass auch durch Regulierungspolitik (=Wertschöpfungspolitik) bestimmten

10 11

G. Majone, Regulatory Legitimacy, in: G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, S. 294. G. Majone, Regulatory Legitimacy, in: G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, S. 294.

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Vom fiinktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

Gruppen Kosten aufgezwungen und andere Gruppen finanziell entlastet werden12. Die Befürworter des Trennungsansatzes entgegnen, dass diese Trennung in der Praxis bereits vorgenommen würde: Die effizienzsteigernden Maßnahmen der Gemeinschaft, wie Einführung des Binnenmarktes oder Währungsunion, wurden begleitet durch separate Umverteilungsmaßnahmen für die ärmeren Mitgliedstaaten, wie etwa den Sozialfonds, die Europäische Investmentbank, den Europäische Regionalfonds, die Strukturfonds und letztlich den Kohäsionsfond13. Wie weiter unten gezeigt wird, besitzen aber viele Maßnahmen in diesen Bereichen einen Doppelcharakter, das heißt, sie beinhalten Elemente von Regulierungs- und Umverteilungspolitik. Andersherum ist es auch nicht richtig, dass im Bereich von Umverteilungspolitik keine Wertschöpfungspolitik möglich sei, also ein Nullsummenspiel vorliegt. Wie im Folgenden gezeigt wird, begründet die Theorie des ökonomischen Konstitutionalismus die Möglichkeit zu einer allgemeinen Zustimmung für die Durchführung von Umverteilungspolitik (etwa im Bereich Steuerpolitik) mit anderen Argumenten als mit dem Ausweichen auf Mehrheitsentscheidungen. 2. Umverteilungspolitik auch durch Konstitutionalisierung a) Der ökonomische Ansatz Mit dem ökonomischen Konstitutionalismus werden auch im Bereich der Umverteilungspolitik verfassungsrechtlich bindende Eingriffe in den demokratisch-politischen Mehrheitsentscheidungsprozeß gefordert14. Es sei gerade im Bereich der Umverteilung zu befürchten, dass es durch Aushandlungsprozesse und den Einfluss von Gruppeninteressen zu Ergebnissen komme, die keinem dienten15, denn kollektive Entscheidungen würden mit einem kürzeren Horizont getroffen als individuelle Entscheidungen. Der ökonomische Konstitutionalismus greift den Gedanken Wickseils auf, dass die Einstimmigkeitsregel eine entscheidende Rolle für die demokratische

12

Mit Literaturnachweisen G. Majone, Regulatory Legitimacy, in: G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, S. 295. 13 Zur Entstehung dieser Maßnahmen siehe G. Majone, Regulatory Legitimacy, in: G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, S. 297. 14 Siehe dazu P. Craig, Public Law and Democracy, S. 86. 15 G. BrennanJJ.M. Buchanan, Die Begründung von Regeln, S. 127.

Grenzen für die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen

323

Legitimation politischer Entscheidungen spielt16. Der ökonomische Konstitutionalismus bestreitet dann aber die mit dem „Trennungsansatz" abgeleitete These, dass nach der Theorie Wicksells im Bereich der Umverteilungspolitik (etwa Steuerpolitik) nie eine theoretische Zustimmung aller Betroffenen für bestimmte Entscheidungen zu erlangen sei. Eine einstimmige Einigung auch für die Durchführung von Umverteilungspolitik müsse vielmehr nach dieser Logik auf dem Gedanken beruhen, dass alle Seiten von einer solchen Politik profitieren. Dies entspricht dem ursprünglichen Gedanken Wicksells, dass im Bereich kollektiver Entscheidungen die Einstimmigkeit dem Tausch im Zwei-Personen-Verhältnis entspreche. Einen solchen Tausch geht man nur ein, wenn man daraus einen Vorteil erzielt. In diesem Sinne zielten die Begründungsansätze des ökonomischen Konstitutionalismus auf die Begründung von Umverteilungspolitik durch gegenseitigen Vorteil ab. Buchanan argumentierte mit einem „Versicherungsargument", dass alle Akteure ein Interesse an einer Umverteilungspolitik hätten, die zumindest den Lebensgrundbedarf sichere, denn niemand wisse, wie sich seine persönliche Situation im Leben entwickele17. Dieses Argument ähnelt dem „Schleier des Nichtwissens" von John Rawls. Später änderte Buchanan seine Begründung dahingehend ab, dass nur über die Durchführung von Umverteilungspolitik sichergestellt werden könne, dass auch die wirtschaftlichen Verlierer in einer Gesellschaft weiter ein Interesse an der Einhaltung von Eigentumsrechten hätten18. Umverteilungspolitik steht dann im unmittelbaren Interesse auch der „gebenden" Partei, ein „Schleier des Nichtwissens" ist nicht mehr notwendig. Hält man an dem Ziel individueller Nutzenmaximierung als zentralem Ziel einer allgemeinen Zustimmung fest, findet man durchaus Beispiele, in denen eine einstimmige konstitutionelle Festlegung oder Übertragung von Kompetenzen an unabhängige Institutionen auch im Bereich der Umverteilungspolitik im Interesse aller ist. Dazu gehören Situationen, in denen distributive Mehrheitsentscheidungen durch die gewählten Repräsentanten weniger an gesamtwirtschaftlichem Nutzen einbringen, als sie kosten19. Beispielsweise führt eine Regelung der Steuerpolitik durch den reinen demokratischen Mehrheitsprozeß leicht in eine Situation, die als „Hochsteuerfalle"

16

Nach Th. Petersen, Individuelle Freiheit und Allgemeiner Wille, S. 88, kann wegen dieses Zurückgreifen auf die Bedeutung der Einstimmigkeitsregel, die Theorie des ökonomischen Konstitutionalismus als eine Demokratietheorie gedeutet werden. 17 Th. Petersen, a.a.O., S. lOlf. 18 Th. Petersen, a.a.O., S. 120. 19 J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, S. 219.

324

Vom funktionalen mm politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

bezeichnet wird20. Eine solche Situation liegt vor, wenn die Steuersätze so hoch sind, dass das aus ihnen resultierende Steueraufkommen geringer ist, als es bei niedrigeren Steuersätzen wäre. In einem solchen Fall sollten alle Beteiligten zumindest Einigkeit darüber erzielen können, dass auf jeden Fall eine Reduktion der Steuersätze erforderlich ist, wenn schon über die Frage des Abbaus des Steueraufkommens keine Einigkeit erzielt werden kann21. Solange das Ziel individueller und gesamtwirtschaftlicher Nutzenmaximierung auf die Befriedigung aller individuellen Interessen abstellt, stimmen effizienzsteigernde Ziele mit dem in dieser Arbeit vertretenen Ansatz gleichwertiger Interessenberücksichtigung überein. Kritisch wird es für den ökonomischen Ansatz aber, wenn effizienzorientierte Maßnahmen in einem überproportionalen Maße nur einem Teil der Individuen zugute kommen22 und mit der Zustimmung des anderen Teils deswegen nicht gerechnet werden könnte. Mit anderen Worten geht es dann um das Problem, dass es als ungerecht empfunden wird, dass manche Individuen von neuen Regelungen mehr profitieren als andere. Es geht also nicht mehr um die Problematik absoluter Gewinne, sondern die Frage nach der Zustimmungsfähigkeit bei einer relativen Gewinnbetrachtung. Diese Problematik umgeht der ökonomische Ansatz, wie gesehen, indem er davon ausgeht, dass mit einer Zustimmung aller zu rechnen ist, wenn nur ein absoluter Gewinn bei jedem vorliegt. Mit dem in dieser Arbeit gewählten normativen Ansatz gleichwertiger Interessenberücksichtigung kann aber auch in einem solchen Falle eine Zustimmungsannahme gerechtfertigt werden: Grundlage des Gesellschaftsvertrages ist die gleichwertige Anerkennung der Interessen anderer Individuen. Eine Minderheit X kann damit nicht auf Kosten der Mehrheit Y die Einführung einer Politik ablehnen, nach der die Minderheit X nur kleine Verbesserungen erhielte (beispielsweise Abbau von Subventionen für unrentable Industriestrukturen gegen Ausgleichszahlungen an die Betroffenen, so dass diese nicht schlechter stehen als vorher), die andere Gruppe Y aber einen größeren Einkommenszuwachs (gesamtwirtschaftliche Effizienzsteigerung betrifft X und Y, Steuerentlastung nur die Gruppe Y). Von einer Steuerentlastung für die Gruppe Y kann dann ausgegangen werden, wenn bloße Ausgleichszahlungen an die Betroffenen günstiger sind als das Unterhalten einer 20

G. BrennanlJ. M. Buchanan, Die Begründung von Regeln, S. 112ff.; als weitere Beispiele behandeln G. Brennan und J. M. Buchanan noch die „Inflationsfalle" und die .falle der öffentlichen Verschuldung". 21 G. BrennanlJ. M. Buchanan, Die Begründung von Regeln, S. 113. 22 Zur Problematik solcher Maßnahmen und ihrer Behandlung nach verschiedenen ökonomischen Ansätzen siehe Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 32ff.

Grenzen flir die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen

325

nicht wettbewerbsfähigen Industrie. In der Konsequenz kann die Verweigerung einer Zustimmung zu Maßnahmen, die zu ungleichartigen Einkommenszuwächsen führt, nicht immer im normativen Maßstab kollektiven Handelns berücksichtigt werden. Unberücksichtigt muss der relativ verschieden starke Anstieg bleiben, wenn, wie im oben genannten Beispiel, die Gruppe X vor und nach der Maßnahme nur von Umverteilungsgeldern profitiert. b) Ein juristischer

Ansatz zur Verrechtlichung

von

Umverteilungspolitik?

Auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts findet sich in den letzten Jahren verstärkt eine Tendenz zur Verrechtlichung distributiver Politik. Eine einheitliche Systematik besteht bei dieser Rechtsprechung aber nicht. Beispiele für eine Verrechtlichung von Umverteilungspolitik sind das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur zulässigen Höhe der gesamten Steuer- und Abgabenbelastung23, der zulässigen Beschränkung der Staatsverschuldung24 und die Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einem Maßstäbegesetz, das im Bundesländerfinanzausgleichsverfahren angewandt werden soll25. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei aber keine einheitliche theoretische Basis entwickelt. So unterscheiden sich beispielsweise die Methoden bei der Begründung der einzelnen Fälle. Das Urteil zur Begründung einer Belastungsobergrenze für Steuern und Abgaben greift nur auf normative Erwägungen zurück26. Aus dem individuellen Eigentumsrecht und seiner sozialen Bindung, wie sie in Art. 14 Abs. 1, 2 GG festgelegt sind, wurde eine zulässige Höchstbelastung der Bürger mit Steuern und Abgaben von etwa fünfzig Prozent abgeleitet. Im Fall der Begründung für das Maßstäbegesetz greift das Bundesverfassungsgericht dagegen auf die Methode von Festlegung normativer Maßstäbe einerseits und das Zugrundelegen positiver Annahmen über den politischen Entscheidungsprozeß andererseits zurück. Die Begründung für die Notwendigkeit eines Maßstäbegesetzes bei der Regelung des Länderfinanzausgleiches ist ein Beispiel für ein Politikfeld, in dem wegen des Aufeinandertreffens konzentrierter Interessen gesamtökonomisch ineffiziente Ergebnisse entstehen können, weswegen auf dieses Beispiel kurz eingegangen werden soll: 23 24 25 26

BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE

93, 121,138. 89, 155, 202f. 101, 158. 93, 121, 138.

326

Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

Art. 106 Abs. 3 Nr. 2 GG gibt eine Zielsetzung, die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet, vor27. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Erträge des Steueraufkommens und der Finanzmonopole „aufeinander abzustimmen". Eine mit dieser Vorschrift zusammenhängende Entwicklung in Richtung Verrechtlichung der Umverteilungspolitik ergibt sich aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11.11.1999, in dem gefordert wird, dass dem jeweiligen Finanzausgleichsgesetz ein Maßstäbegesetz vorgeschaltet sein müsse28. Aus Art. 106 f GG könne das Postulat gelesen werden, dass der Finanzausgleich in einem zweistufigen Verfahren durchzuführen sei. Das Recht des Finanzausgleichs „ (...) darf nicht dem freien Spiel der politischen Kräfte überlassen bleiben29". Explizit nimmt das Bundesverfassungsgericht auf die Theorie von Rawls Bezug, nach der eine abstrakte Regelgewinnung (im vorliegenden Fall das Maßstäbegesetz) einer anderen Entscheidungslogik unterliegt als der konkrete Aushandlungsprozeß einer Mittelverteilung. Nicht Verhandlungsgeschick, sondern rational erscheinende Maßstäbe sollen die Festlegung der föderalen Solidarleistungen prägen30. Diesem Ziel soll das Maßstäbegesetz vom 9. September 2001 dienen31. Die jeweiligen Umverteilungsbeschlüsse sollen sich an die im Maßstäbegesetz aufgestellten Kriterien halten. Die Umsetzung der Umverteilungspolitik bleibt aber bei Parlament und Regierung. In der Praxis wird die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts als ungenau und ungenügend kritisiert32. An der Begründung des Bundesverfassungsgerichts wurde kritisiert, dass mit der Annahme eines Schleiers des Nichtwissens die demokratischlegitime Interessenverfolgung durch die Repräsentanten unterbrochen wer-

27

Bereits diese Vorgabe stellt eine Konstitutionalisierung in umfangreichem Ausmaße dar. Die Frage eines finanziellen Ausgleiches zwischen den Bundesländern wird nicht offen gelassen, sondern, wenn auch in sehr offener Weise, durch eine konstitutionelle Verpflichtung vorgegeben. 28 BVerfGE 101, 158. 29 BVerfGE 101, 158,218. 30 BVerfGE 101, 158, 217; vgl. dazu Th. Christmann, Vom Finanzausgleich zum Maßstäbegesetz, in: DÖV 2000, S. 315, 324; H. Bull/V. Mehde, Der rationale Finanzausgleich, in: DÖV 2000, S. 305. 31 Maßstäbegesetz vom 9.9.2001, BGBl. I S . 3955ff. 32 H. Pitlik/G. Schmid/H. Strohman, Bargaining power of smaller states in Germany's Länderfinanzausgleich 1979-1990, in: Public Choice 109 (2001), S. 183-201 stellt fest, daß solange die Regeln nach denen der Länderfinanzausgleich ablaufen soll, noch Gegenstand der Interpretation und Änderung durch die Länderregierungen sind, keine Verbesserung bezüglich der Natur des Aushandlungsprozesses zu erwarten. Siehe auch J. A. Kämmerer, Maßstäbe für den Bundesfinanzausgleich? - Dramaturgie einer verhinderten Reform, in: JuS 214, S. 214-217.

Grenzen für die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen

327

de33. Interessanterweise greift das Bundesverfassungsgericht nicht auf die Begründungen der konstitutionellen Ökonomie zurück, die eine konstitutionelle Festlegung von Umverteilung als durchaus auch von den konkreten Interessen aller Akteure getragen ansieht und kein Unsicherheitspostulat fordert34, sondern auf die artifizielle Unsicherheit der Theorie von Rawls. Bezüglich der Begrenzung der Höhe der Staatsverschuldung hat das Bundesverfassungsgericht im so genannten „Maastricht-Urteil" nur auf die Notwendigkeit der Stabilität der europäischen Währung verwiesen, eine (theoretische) Begründung für die vom Bundesverfassungsgericht selbst geforderte weitgehende Beschränkung der politisch-demokratischen Institutionen wurde nicht gegeben35. Diese Entscheidung setzte aber den Verrechtlichungsprozeß fort, der mit dem 1989 ergangenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Auslegung von Art. 115 GG begonnen hatte36. Im Ergebnis kann für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts festgestellt werden, dass sie in manchen Bereichen eine Regelbindung und Konstitutionalisierung auch von Umverteilungspolitik befürwortet, allerdings bei weitem nicht in dem Maßstab, wie das die Theorie des ökonomischen Konstitutionalismus fordert.

D. Zusammenfassung Kapitel 10 Die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen ist nach dem politikfeldbezogenen Ansatz aus methodischen, inhaltlichen und normativen Gründen begrenzt. Methodische Grenzen ergeben sich einerseits aus der fehlenden Möglichkeit des normativen Maßstabs, eine gleichwertige Interessenberücksichtigung für alle Situationen präzise darzustellen und andererseits aus den Schwächen der Analyse politischer Entscheidungsprozesse und Anreizstrukturen durch sozialwissenschaftliche Theorien. Nur bei einer präzisen normativen und analytischen Darstellung des jeweiligen Politikfeldes aber kann die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen begründet werden. Inhaltlich ergeben sich Grenzen für die Bildung unabhängiger Institutionen nach dem politikfeldbezogenen Ansatz aus dem Befund, dass nach dem Kosten-Nutzen-Schema unabhängige Institutionen nur in Politikfeldern mit 33

B. Grzeszick, Läßt sich eine Verfassung kalkulieren? in: JZ 2003, S. 654; Siehe die Besprechung dieser Kritik oben in Kapitel 7 C VI. 34 Näher Th. Petersen, Individuelle Freiheit und Allgemeiner Wille, S. 119f. 35 BVerfGE 89, 155, 202. 36 BVerfGE 79, 311 ff.

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Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen

Demokratieprinzip

bestimmten ungleichartigen Anreizstrukturen demokratisch legitimiert werden können. Normativ ergeben sich aus vertragstheoretischer Perspektive Grenzen für die Bildung unabhängiger Institutionen für den Bereich distributiver Politik, wenn man diesen Bereich als Nullsummenspiel begreift und daher eine konsensuale Festlegung nur auf das Mehrheitsverfahren erfolgen kann. Das Bundesverfassungsgericht hat aus einer rechtswissenschaftlichen Perspektive verfassungs- und einfachrechtliche Regelbindungen in den Bereichen der Haushaltspolitik und des föderalen Länderfinanzausgleiches als zulässig bewertet. Es hat aber keine konsistente Methode zur Beantwortung der Frage entwickelt, in welchen Politikfeldern Regelbindungen zulässig sind. Mit der Theorie des ökonomischen Konstitutionalismus und dem demokratietheoretischen Maßstab gleichwertiger Interessenberücksichtigung kann auch im Bereich distributiver Politik eine verfassungsrechtliche Festlegung und Wahrnehmung politischer Ziele durch unabhängige Institutionen gerechtfertigt werden. Auch im Politikfeldern mit distributiver Wirkung können andere Entscheidungsverfahren als das Mehrheitsprinzip und auch unabhängige Institutionen demokratisch legitim sein, wenn die Anwendung des Mehrheitsverfahrens zu Nachteilen für alle Beteiligten führt (Verschuldungsfalle) oder keine gleichwertige Interessenrepräsentation gewährleistet. Die normativen Kriterien des ökonomischen Ansatzes sind jedoch nicht besonders gut geeignet, einen demokratietheoretischen Maßstab im Bereich der Distributionspolitik zu liefern, in dem es gerade auf die Berücksichtigung relativer Gewinnzuwächse ankommt.

Teil 3 Unabhängige Institutionen und Demokratieprinzip in der Europäischen Union

Einleitung Die Frage nach der demokratischen Legitimität unabhängiger Institutionen stellt sich im Rahmen der Europäischen Union (EU) in neuer Form. Erstens ist zu klären, wie denn der demokratietheoretische Rahmen auf europäischer Ebene aussieht, an dem die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen zu messen ist. Zweitens sind dann die neuen Formen und Aufgaben unabhängiger Institutionen in der EU, wie die Kommission mit der Kontrolle mitgliedstaatlicher Subventions- und Haushaltspolitik, des Europäischen Systems der Zentralbanken oder neuer Agenturen, zu erörtern. Hinsichtlich der ersten Frage wird gezeigt, dass das bereits in Teil 2 als inkonsistent erkannte funktionale Legitimationsmodell nicht auf die europäische Ebene übertragen werden kann (Kapitel 11). Vielmehr kann der vertragstheoretische Ansatz auch auf europäischer Ebene die Auswahl und Legitimation von Institutionen und Verfahren unter Einbeziehung der positiven Analyse von Entscheidungsprozessen besser begründen. Mit dem vertragstheoretischen Ansatz wird klar, dass nicht einzelne Elemente wie ein homogenes Volk, ein Kommunikationsraum oder bestimmte auf staatlicher Ebene entwickelte institutionelle Ausprägungen von Demokratie Grundlage für die Existenz oder Nichtexistenz einer europäischen Demokratie sind. Die demokratische Ordnung einer politischen Einheit ergibt sich vielmehr aus dem Zusammenspiel bzw. der Beziehung dieser sie konstituierenden Elemente in der Form, dass der zugrundeliegende normative Maßstab gewährleistet wird. Daher müssen für die europäische Ebene ein normativer vertragstheoretische Maßstab entwickelt und die gegenüber der staatlichen Ebene veränderten Abläufe politischer Entscheidungsprozesse berücksichtigt werden (Kapitel 13). Damit ergibt sich für die Beantwortung der zweiten Frage, dass unabhängige Institutionen in anderen Politikfeldern als auf staatlicher Ebene legitim sein können. Für die Kommission leitet sich daraus beispielsweise ab, dass ihre Legitimation je nach Politikfeld zu beurteilen ist. Während für die Beihilfenkontrolle oder Haushaltspolitik eine unabhängige Rolle legitim sein kann, muss das nicht für andere Felder gelten, die danach in demokratietheoretischer Hinsicht besser einer parlamentarischen Kontrolle unterständen.

Kapitel 11

Europäische Integration und Demokratisierungsdebatte A. Die verschiedenen Aspekte der europäischen Demokratiedebatte Mit zunehmendem Umfang der durch die Gemeinschaft wahrgenommenen Aufgabenfelder verstärkte sich nach der Unterzeichnung des Vertrages von Maastricht Anfang der neunziger Jahre die Diskussion um das „Demokratiedefizit" der Gemeinschaft. Dieser Begriff umschreibt dabei eine Vielzahl von Problemen, die bei dem Versuch entstehen, demokratietheoretische Maßstäbe, die für die staatliche Ebene entwickelt wurden, auf die europäische Ebene zu Ubertragen. Dazu gehören die untereinander zusammenhängenden Fragen, welche Institutionenordnung „demokratisch" ist, welche gesellschaftlichen Grundlagen eine funktionierende Demokratie benötigt und welche Rolle ein einheitlicher öffentlicher Kommunikationsraum für eine Demokratie besitzt1. Die in diesem Kapitel vorgestellten, bestehenden Legitimationsmodelle für (unabhängige) Institutionen in der Europäische Union legen jeweils verschiedene positive Theorien über den Ablauf des politischen Entscheidungsprozesses zugrunde, was zu unterschiedlichen Bewertung der Legitimität unabhängiger Institutionen führt 2 . Einige der positiven Theorien über politische Entscheidungsprozesse, die für die staatliche Ebene besprochen wurden, finden sich in veränderter Form in der europäischen Demokratisierungsdebatte, der Diskussion um die demokratische Legitimität europäischer Institutionen wieder (etwa die Theorie des Volkswillens). Daneben 1

Dazu BVerfGE 89, 155-213 und die umfangreiche Literatur, stellvertretend hier genannt: D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?; in Juristenzeitung 1995, S. 588ff.; J. Habermas, Remarks on Dieter Grimms's „Does Europe need a Constitution?", ELF 1995, S. 303ff.; Siehe I. Pernice, Maastricht, Staat und Demokratie, in: Die Verwaltung 1993, S. 449, 478; M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 250 m.w.N. 2 Einen Überblick über diskutierte politikwissenschaftliche Modelle gibt Chr. Lord, Assessing Democracy in a Contested Polity, in: Journal of Common Market Studies 39 (2001), S. 641-661. Genannt werden insbesondere Multilevel-Governance, Intergovernmentalism und konsturktivistische Ansätze, siehe S. 642ff.

Europäische Integration und Demokratisierungsdebatte

333

wird auf die neofunktionalistische Theorie aus dem Bereich der Integrationsforschung3 und aus dem Bereich des Governance-Ansatzes auf die Theorien des Regulierungsstaates und des deliberativen Supranationalismus eingegangen4.

B. Die einzelnen Theorien 1. Funktionales und formelles Repräsentationsprinzip in der EU? 1. Das funktionale Repräsentationsmodell auf europäischer Ebene In der deutschen Literatur wurde für die staatliche Ebene aus Art. 20 Abs. 2 GG, nach dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, ein normatives Bild des politischen Entscheidungsprozesses konstruiert5. Eine solche Vorschrift fehlt jedoch auf europäischer Ebene. In Art. 6 Abs. 1 EU heißt es nur, „(...) die Union beruht auf den Grundsätzen (...) der Demokratie (...); diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam." Trotzdem findet sich der formelle und symbolische Legitimationsansatz auch auf der europäischen Ebene wieder. Die Anhänger dieses Konzeptes können in zwei Gruppen aufgeteilt werden6. Zum einen gibt es Autoren, die das klassische Repräsentationsmodell auch auf europäischer Ebene für die Bewertung der demokratischen Legitimität von Institutionen zugrundelegen und deshalb die Bedeutung des europäischen Parlamentes für die demokratische Legitimität der Gemeinschaft betonen7. Ihre Vorstellung ist, dass sich ähnlich dem Vorbild symbolischer 3

Auch aus dem Bereich der Integrationsforschung stammt die Theorie des „Liberal Intergovernmentalism" von A. Moravcsik. Auch diese Theorie wird in Kapitel 11 im Zusammenhang mit der Anwendung ökonomischer Ansätze als Analyseinstrument für europäische Entscheidungsprozesse eingegangen. 4 Der Governance Ansatz entwickelte sich in den letzten dreißig Jahren zu einer starken Alternative zu den ursprünglichen Integrationstheorien. Die Governance-Perspektive erweitert den Blickwinkel auf die Funktionsweise der Europäischen Union, den die Integrationstheorien mit ihrem starken Bezug zu den Theorien der internationalen Beziehungen lieferten. Zur Entwicklung der beiden Forschungsrichtungen siehe M. Jachtenfuchs, The Governance Approach to European Integration, in: Journal of Common Market Studies 39 (2001), S. 245264, insbesondere S. 256f. 5 Siehe Kapitel 2. 6 Eine ähnlich Einteilung entwirft S. Puntscher Riekmann hinsichtlich des Meinungen über das europäische Demokratiedefizit, in: S. Puntscher Riekmann, Die kommissarische Neuordnung Europas, S. 202. 7 M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 227f.; M. Zuleeg, Demokratie in der Europäischen Gemeinschaft, JZ 1993, S. 1069,1073.

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Unabhängige Institutionen in der EU

Repräsentation auf staatlicher Ebene der Wille der europäischen Bürger in einem europäischen Parlament herausbildet und durch die Gemeinschaftsorgane zum Ausdruck gebracht und umgesetzt wird8. Als Konsequenz überträgt dieser Ansatz das staatliche Modell des parlamentarischen Regierungssystems - zentrale Stellung des Parlamentes mit der Kompetenz für Regierungsbildung, Rechtssetzung und Budgetbewilligung - auf die europäische Ebene9. Zum anderen gibt es Autoren, nach denen die Artikulation des politischen Willens der Bürger weiterhin vorrangig auf nationaler Ebene stattfindet10. Demokratische Legitimation wird damit weiterhin auf der nationalen Ebene vermittelt11. Auf Gemeinschaftsebene dagegen sollen dann gemeinsame Positionen von den Regierungen ausgehandelt werden. Trotz ihrer unterschiedlichen Meinung zur wünschbaren Integrationstiefe stützen sich diese beiden Gruppen auf ein ähnliches, funktionales Legitimationsmodell. Sie unterscheiden sich dagegen in der Frage nach den gesellschaftlichen Vorbedingungen von Demokratie. Dabei ist besonders umstritten, ob und in welcher Form das europäische Parlament überhaupt die Bürger, die Völker oder Staaten Europas repräsentieren kann12. Für die hier interessierende Frage nach der Rolle und Legitimation unabhängiger Institutionen sind sich diese Ansätze ähnlich. 2. Die theoretische

Kritik am funktionalen Modell auf europäischer

Ebene

An der Übernahme des von der staatlichen Ebene bekannten Repräsentationsmodells ist an drei Punkten Kritik anzubringen: erstens greift es auf das als „unrichtig" erkannte Modell symbolischer Repräsentation zurück. Insofern kann auf die in Teil 2 dargestellte Kritik verwiesen werden. Zweitens ist fraglich, ob die gesellschaftliche Struktur in der Europäischen Union überhaupt eine einheitliche Repräsentation zulassen kann. Damit zusammenhängend unterscheidet sich dann drittens bereits die Beschreibung des politischen Entscheidungsprozesses in der Europäischen Union nach den Verträ8

Für eine Repräsentation der Unionsbürger durch das europäische Parlament I. Pernice, Maastricht, Staat und Demokratie, in: Die Verwaltung 1993, S. 449, 478; M. Zuleeg, Demokratie in der Europäischen Gemeinschaft, in: JZ 1993, S. 1069, 1071f. 9 So X. Yataganas, Delegation of Regulatory Authoity in the European Union, Harvard Jean Monnet Paper 03/2001, S. 37. 10 M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 337ff. 11 BVerfGE 89, 155, 184; P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HBStR VII, § 183 Rz. 46. 12 Zum Diskussionstand ausführlich M. Kauftnann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 246ff., insbesondere 261ff.

Europäische Integration und Demokratisierungsdebatte

335

gen vom symbolischen Repräsentationsverständnis. Die Beschreibung des politischen Entscheidungsprozesses in den Verträgen ist bereits „mehrpolig" (mehrere Völker) angelegt und nicht wie die nationalen Systeme zentralisiert auf eine „Volksgemeinschaft". Wie in Teil 2 gezeigt, ist die Herleitung des funktionalen Modells theoretisch inkonsistent, weil sie nicht nach den möglichen Inhalten eines Gesellschaftsvertrages fragt, sondern von fest vorgegebenen Zielen (Freiheit, Gleichheit) und damit verbundenen Verfahren (vor allem Mehrheitsverfahren) ausgeht. Dies gilt auch für die europäische Ebene. Den funktionalen Legitimationsansatz einfach auf die europäische Ebene zu übertragen bedeutet, für die Legitimation der Institutionen nicht die Unterschiedlichkeit der Entscheidungsfindung von europäischer und staatlicher Ebene nicht zu berücksichtigen. Damit wird die Bedeutung von Präferenzen und Anreizen für die demokratische Legitimation von Institutionen ausgeblendet. Auch für die europäische Ebene wird argumentiert13, dass Repräsentation anders verstanden werden müsse, als im Sinne von Präferenz- und Anreizberiicksichtigung. Zutreffender sei, „Repräsentieren als Vorgang der Visibilisierung und Vergegenwärtigung eines unsichtbaren Seins durch ein öffentlich anwesendes Sein (zu) modellieren.14". Die „realistischen" Beschreibungen für den Ablauf der Repräsentation werden mit denselben Argumenten wie für die staatliche Ebene als wenig aussagekräftig eingestuft. Eine europäische demokratische Repräsentation kann nach dieser Auffassung kaum stattfinden, da das erforderliche Legitimationssubjekt, ein europäisches Volk, als nicht gegeben angesehen wird. Es wurde aber in Kapitel 6 gezeigt, dass dies demokratietheoretisch widersprüchlich ist. Im Folgenden werden einige Beispiele für die Verschiedenheit des Willensbildungs- und Repräsentationsprozesses von staatlicher und europäischer Ebene dargestellt. Der Charakter des politischen Entscheidungsprozess im Rat wird mit der Teilnahme der „Vertreter jedes Mitgliedstaates" (Art. 203 EG) beschrieben. Damit wird der Aushandlungscharakter der Entscheidungsfindung im Rat erfasst. Aushandlung und nicht einheitliche Repräsentation prägt sein Entscheidungsverfahren. Nach Aussagen des Rates selber ist sein Entscheidungsprozeß geprägt durch Verhandlungen und Kompromisse, bei denen die Mitgliedstaaten frei ihre nationalen Wünsche und Positionen äußern15. Die13

Für die staatliche Ebene siehe die Argumentation unter Teil 2 Kapitel 6 A III. M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 73. 15 EuGH Rs. 194/94, Slg. 1995 II, S. 2765, 2785 Rz. 52 - John Carvel und Guardian Newspapers/Rat. 14

336

Unabhängige Institutionen in der EU

ser Prozess von Aushandeln und Kompromiss ist essentiell für die Gemeinschaftsrechtsetzung. Da die mitgliedstaatlichen Delegationen an erfolgreichen Verhandlungen interessiert sind, gehen sie Kompromisse ein und versuchen ihre jeweiligen Verhandlungspositionen in Übereinstimmung mit denen der anderen Partner zu bringen16. Anreiz für die Kompromiss-Suche auch für Staaten auf Seite der Mehrheit ist, dass sie in anderen Fragen, in denen sie selbst nur der Minderheit angehören, auf die Rücksichtnahme der Partner angewiesen sind. Darüber hinaus sind die Entscheidungen im Rat stärker sektoral geprägt als etwa Kabinettsentscheidungen auf nationaler Ebene17. Für die Kommission dagegen heißt es, sie handele „in voller Unabhängigkeit zum allgemeinen Wohl der Gemeinschaften" (Art. 213 Abs. 2 EG). Hier wird ein einheitlicherer Entscheidungsprozeß gefordert, der sich vom Aushandlungscharakter unterscheiden soll. Allerdings entspricht die Kommission nicht den Vorstellungen der symbolischen Repräsentation, da sie kein unmittelbar demokratisch gewähltes Organ ist. Darüber hinaus ist aber auch die Kommission vom grundsätzlichen Charakter des europäischen Entscheidungsprozesses als Aushandlungsprozeß nicht ausgenommen: in einer neueren Untersuchung wurde festgestellt, dass in der Kommission die nationalen Interessen in den jeweiligen Verhandlungsprozessen gegenüber einem europäischen Gemeininteresse abgewogen werden18. Für das Parlament liegt die Formulierung zwischen der Einheitlichkeit der Kommission und der staatlichen Zentrierung des Rates. Mit dem Ausdruck die „Abgeordneten der Völker" (Art. 190 EG) wird allerdings festgehalten, dass noch keine Einheit im staatlichen Sinne angenommen wird. In einer gefestigten Rechtsprechung wiederholt der EuGH, dass „ ... die Völker durch eine Versammlung ihrer Vertreter an der Ausübung der hoheitlichen Gewalt beteiligt sind19." Der parlamentarische Gemeinwille, der sich 16 V. Götz, Mehrheitsbeschlüsse des Rates der Europäischen Union, in: Festschrift Everling, a.a.O., Bd. 1., S. 345. 17 B. Steunenberg, Coordinating Sectoral Policy-Making: Searching for Countervailing Mechanisms in the EU Legislative Process, in: Ch. B. Blankart/D.C. Mueller, A Constitution for the European Union, (Hrsg.), S. 139ff. 18 L. Hooghe, Consociational or Weberians? Top Commission Officials on Nationality, in: Governance 12 (1999), S. 397ff„ S. 417. 19 EuGH Rs. 138/79, Slg. 1980, S. 3333, Rz. 33 - Roquette Frères/Rat; EuGH Rs. 139/79, Slg. 1980, S. 3393, Rz. 34 - Maizena/Rat; EuGH Rs C-300/89, Slg. 1991 I, S. 2895, 2900 Kommission/Rat, Rz. 20; EuG Rs. T-135/96, Slg. 1998 II S. 2335 - UEAPME/Rat, Rz. 88ff.; EuG Urteil v. 2.10.2002, verbundene Rs T-222/99, T-327/99, T-329/99, Front National/Europäisches Parlament: Nr. 197: „Ausübung hoheitlicher Gewalt durch die Beteiligung der Vertreter der Völker".

Europäische Integration und Demokratisierungsdebatte

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im europäischen Parlament bildet, wird daher eher als ein Ausdruck einer gebündelten zwölffachen Volkssouveränität verstanden, als ein Ausdruck eines Volkswillens20. Eine einfache Übertragung des symbolischen Repräsentationsmodells auf die europäische Ebene ist jedenfalls nicht möglich21, auch wenn die Stellung des Parlaments im europäischen Institutionengefüge immer weiter gestärkt wurde22. 3. Mehrheitsprinzip und andere Verfahren auf europäischer Ebene Darüber hinaus kann für die europäische Ebene mit ihrem Mehrebenencharakter und mitgliedstaatlichen Zusammensetzung auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Mehrheitsprinzip in allen Bereichen von den Individuen als Verfahren zur Sicherung von Freiheit und Gleichheit verstanden wird. Der konsistentere vertragstheoretische Ansatz kann gerade für die europäische Ebene überzeugend zeigen, dass die Auswahl und Legitimation von Verfahren abhängt von normativem Maßstab einerseits und Berücksichtigung der positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse andererseits (siehe dazu auch Kapitel 13). Grund für die Anwendung der Einstimmigkeitsregel ist vor allem der Kompromißcharakter in der Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene. Ein auf die europäische Ebene übertragener funktionaler Ansatz kann nicht erklären, warum hier nicht das Mehrheitsprinzip, sondern qualifizierte Mehrheitsverfahren als legitim angesehen werden. Ob das Mehrheitsverfahren als Entscheidungsmodus in Rat und Parlament überhaupt legitimerweise in allen Politikfeldern angewandt werden kann, ist zweifelhaft. Nach dem funktionalen Legitimationsansatz beruht insbesondere das Mehrheitsprinzip als demokratische Auswahlregel auf der Gleichheit politischer Mitwirkungsrechte, insbesondere der Gleichheit des Stimmrechts der Wähler, der die Gleichheit der Stimmen in der Repräsentativversammlung entspricht23. Die parlamentarische Repräsentation setzt

20

M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 249; ähnlich auch C. D. Classen, Europäische Integration und demokratische Legitimation, in: AöR 119 (1994), S. 238, 245f. 21 In diesem Sinne G. F. Schuppert, Zur Staatswerdung Europas. Überlegungen zu Bestimmungsfaktoren und Perspektiven der europäischen Verfassungsentwicklung, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 1994, S. 35ff., 54 m.w.N. 22 R. Dehousse, European Institutional Architecture after Amsterdam: Parliamentary System or Regulatory Structure?, in: CMLR 35 (1998), S. 595ff. sieht mit dem Vertrag von Amsterdam eine Annäherung der EU-Strukturen an parlamentarische Regierungssysteme. 23 U. Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 9 , 4 6 , 50.

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staatsbürgerliche Gleichheit voraus24. Dies ist mit den Repräsentationsverhältnissen in den EU-Organen aber nicht gewährleistet. Das Mehrheitsprinzip verliert seine Tauglichkeit als Konfliktregelungsmuster bereits nach heutiger Kritik, wenn das fragliche politische System „eine starke Fragmentierung der politischen Kultur und eine starke Versäulung (...) in der Interessenartikulation" aufweist25. Meist wird in diesem Zusammenhang auf die Problematik des Schutzes von Minderheiten verwiesen26. Der Gedanke kann aber genauso auf die Wahrung durchsetzungsschwacher allgemeiner Interessen in solch einem „versäulten Entscheidungsprozeß" übertragen werden. Die soziale Heterogenität fuhrt zu einer Begrenzung der Anwendbarkeit des Mehrheitsprinzips27. Auch die Gliederung der Repräsentationsorgane in korporative Einheiten kann nicht als Abhilfe dieses Problems angesehen werden28. Die Anwendung des Mehrheitsprinzips in ständisch-korporativ aufgebauten Vertretungskörpern kann nach dem funktionalen Legitimationsverständnis nicht den Anspruch erheben, eine Realisierung demokratischer Prinzipien darzustellen29. Der vertragstheoretische Ansatz fragt dagegen im Rahmen des konsensualen Gesellschaftsvertrags nach den Präferenzen der Akteure bei der Festlegung von Verfahren und Institutionen. Für die staatliche Ebene waren in den Kapiteln 7 und 9 bereits erläutert worden, dass unter Berücksichtigung der positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse, auch qualifizierte Mehrheiten und unabhängige Institutionen konsensfahig und damit demokratisch legitim sein können. Für die europäische Ebene müssen die Präferenzen der Akteure bzw. Bürger mit dem spezifischen Integrationsaspekt und der Zusammenarbeit verschiedener Staaten allerdings neu definiert werden. Die folgenden Überlegungen können eine solche Spezifizierung der Präferenzen für die Auswahl europäischer legitimer Institutionen und Verfahren darstellen. 24

P. Badura, Parlamentarische Repräsentation, in: Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HBStR I (1987), § 2 3 , S. 970, Rz. 31. 25 M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 252 m.w.N. 26 Siehe etwa M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 252. 27 Zum Mehrheitsprinzip und Demokratieprinzip auf europäischer Ebene siehe M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 398ff. 28 Vgl. W. Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 234; mit einem Überblick über die Diskussion auf staatlicher Ebene zuletzt Chr. Möllers, Gewaltengliederung, S. 130, 132; Siehe dazu oben Teil 1 Kapitel 2 zur Möglichkeiten und Grenzen der Legitimation durch die funktionale Selbstverwaltung. 29 U. Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 29, 49f.; vgl. auch W. Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, S. 218.

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Tatsächlich findet sich in konsozietalen Gesellschaften weniger häufig das reine Mehrheitsmodell (Konzentration der Kompetenzen auf wenige Personen, etwa in der Regierung), sondern eher das nicht-majoritäre oder „Madisonische Modell"30. Letzteres beinhaltet, wie in Teil 1 dargestellt, eine Trennung von Aufgaben, Delegation und Machtbegrenzung in vielerlei Hinsicht. Empirische Untersuchungen ergaben Hinweise zugunsten der These, dass unter den genannten Voraussetzungen nicht-majoritäre Entscheidungsmechanismen für komplexe und pluralistische Gesellschaften akzeptierter sind als die Konzentration von Macht in den Händen der politischen Mehrheit. Die nicht-majoritären Steuerungsformen dienen zur Überbrückung der Trennlinien. Hier scheinen andere Legitimationselemente als nur die Gewährung gleichheitlicher Wahlbeteiligung und Repräsentation eine Rolle zu spielen. Eine strikte Anwendung der Mehrheitsregel hätte beispielsweise nicht zum Integrationserfolg in der Gemeinschaft führen können. Mit der Methode, über noch näher zu bestimmende Präferenzen der Bürger durch einen konstitutionellen Vertrag Entscheidungsverfahren und Institutionen zu legitimieren, lassen sich auch die Repräsentationsverhältnisse in Rat und Parlament erklären, die gerade nicht proportional das Verhältnis der Zahl der Bürger in den Mitgliedstaaten widerspiegeln. Das funktionale Repräsentationsprinzip kann in dieser nicht verhältnismäßigen Repräsentation nur eine Verletzung der erforderlichen demokratischen Gleichheit sehen. Die institutionelle Struktur der meisten Demokratien beruht auf einer Vielzahl von nicht-majoritären Elementen und Institutionen. Wie Lijphart zeigte31, ist die Anwendung der Mehrheitsregel eher die Ausnahme als die Regel, sie gilt uneingeschränkt vor allem in Ländern mit britischem Einfluss, wobei gerade in diesen Ländern unabhängige Institutionen zu finden sind. Trotz dieser Tatsache gilt weiterhin die weit verbreitete Annahme, dass die Anwendung der Mehrheitsregel in der Demokratie die einzige Quelle demokratischer Legitimität sei32. Auch die Debatte um die Steigerung demokratischer Legitimität in der Europäischen Union wird nur in Richtung 30

G. Majone, Regulatory Legitimacy, in: Regulating Europe, S. 286. A. Lijphart, Majority rule in theory and practice: the tenacity of a flawed paradigm, in: International Social Science Journal, 129 (1991), S. 483-93; A. Lijphart, Democracies: Patterns of Majoritarian and Consensus Government in Twenty-one Countries. 32 G. Majone, Regulatory Legitimacy, in: G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, S. 285; Die Untersuchungen von A. Lijphart beziehen sich auf den Vergleich der Entscheidungsfindung von konsensualen und majoritären Systemen und nicht auf die Bildung von NMI im hier verwandten Sinne. 31

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der Stärkung der majoritären Elemente geführt 33 . Diese einseitige Ausrichtung aber widerspricht den empirischen Untersuchungen über die politische Struktur in pluralen Gesellschaften. Sie entspricht vielmehr einem veralteten Denkmuster über die Legitimität politischer Institutionen. Eine Erklärung für die Ausrichtung der Legitimitätsdebatte in diese Richtung kann sein, dass für die soziale Umverteilungspolitik, die eine zentrale Stellung in der Politik moderner Staaten einnimmt, tatsächlich nur die Mehrheitszustimmung als Legitimität begründend angesehen wird. Die überragende Bedeutung dieser Politikfelder führte dazu, dass angenommen wird, auch für andere Politikfelder müsse dieser Standard angewandt werden34. Die zunehmende Rolle von unabhängigen Institutionen wie Zentralbanken, Gerichtsbarkeit, Regulierungsbehörden oder der Europäischen Kommission zeigt aber, dass vielfach Qualitäten wie Expertise, professionelle Ermessensausübung, konsistente und glaubwürdige Politik, Fairness oder Unabhängigkeit des Urteils für wichtiger angesehen, als die rein formale, unmittelbare politische Verantwortlichkeit aller politischen Entscheidungsträger35. In der Diskussion um die künftige Entwicklung europäischer Institutionen könnte eine Abkehr von dem Ideal der einheitlichen majoritären Steuerungsform zu sehen sein. Dabei tauchen Argumente, die bereits in der amerikanischen Debatte der dreißiger Jahre gegen die Bildung unabhängiger Institutionen ins Feld geführt wurden, heute in der aktuellen Diskussion in der EU auf, beispielsweise im Rahmen der Debatte um die Bildung eines unabhängigen Kartellamtes auf EU-Ebene36. Vorschläge für eine institutionelle Weiterentwicklung der EU bestehen dabei schon länger: Bereits Hallstein schlug vor, die Ausführungsarbeit aus der zentralen Kommissionsarbeit auszugliedern und etwa auf Agenturen zu übertragen37. Auch kann beobachtet werden, dass über Bildung europäischer Agenturen auf Gemeinschaftsebene eine „dezentralisierte Integration" erfolgt38. Mit den politikfeldbezogenen Gemeinschaftsagenturen und ihren jeweiligen nationalstaatlichen Kooperationspartnern entstehen auf europäischer Ebene Verwaltungsstrukturen, die sich jeweils auf ein bestimmtes Politikfeld konzentrieren. 33

R. Dehousse: Institutional Reform in the European Community: are there alternatives to the majoritarian avenue?, EUI Working Paper, RSC 95/4; G. Majone, Regulatory legitimacy, in: ders. (Hrsg.), Regulating Europe, S. 287. 34 G. Majone, Regulatory Legitimacy, a.a.O., in: ders. (Hrsg.), Regulating Europe, S. 285. 35 G. Majone, Regulatory Legitimacy, a.a.O., in: ders. (Hrsg.), Regulating Europe, S. 286. 36 Siehe dazu in Kapitel 9 bei der Darstellung der politikfeldbezogenen Ansatzes. So auch G. Majone, Regulatory Legitimacy, a.a.O., in: ders. (Hrsg.), Regulating Europe, S. 288. 37 W. Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 62. 38 Dazu E. Chiti, Decentralised Integration, S. 18ff.; E. Chiti, The Emergence of a Community Administration: The Case of the European Agencies, in: CMLR 37 (2000), S. 309ff.

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4. Repräsentation in den staatlichen Institutionen als Merkmal europäischer Entscheidungsfindung ? Auch das Modell, das demokratische Legitimation hauptsächlich über die nationalen Parlamente vermitteln will, leidet an Defiziten: Erstens greift es für die Legitimation auf staatliches Ebene auf das als unzureichend erkannte funktionale Konzept zurück. Zweitens berücksichtigt es nicht ausreichend die so genannte „Mehrebenenproblematik" der Entscheidungsfindung in der EU. In einem zwei- oder mehrstufigen Entscheidungsprozeß wie dem in der Europäischen Union werden die endgültigen Entscheidungen erst auf europäischer Ebene getroffen. Es kommt damit auch für die Legitimationsvermittlung entscheidend auf den Entscheidungsfindungsprozeß auf dieser Ebene an. Die nationalstaatliche Vorformung des europäischen Entscheidungsprozesses ist wichtig, aber nicht ausreichend für die Begründung demokratischer Legitimation auf europäischer Ebene. Das so genannte Mehrebenenmodell beschreibt, wie der gesamte politische Entscheidungsablauf im Ergebnis durch die Existenz mehrerer Ebenen verändert wird. Es betont die Verknüpfung der europäischen mit der nationalen und regionalen Ebene im Prozess der Entscheidungsfindung. Das Mehrebenenmodell baut teilweise auf dem Politikverflechtungsansatz der Föderalismusforschung der siebziger Jahre auf. Vertikale Politikverflechtung kennzeichnet danach ein politisches System, in dem alle wesentlichen politischen Entscheidungen nur im Verbund der verschiedenen Ebenen ausgehandelt und nicht eigenständig und getrennt gefällt werden. Zwar sind die regierenden Akteure formal autonom, faktisch aber voneinander abhängig. Die Politikverflechtung fördert Integration, verhindert aber politische Zielwechsel, benötigt langwierige Verhandlungsprozesse und führt zu einem Einflußverlust der Parlamente39. Richtigerweise wird in diesem Zusammenhang gefordert, es sei erst ein Modell einer Mehrebenen-Legitimation bzw. einer Mehrebenendemokratie zu entwickeln40. Betont wird das Zusammenwachsen der verschiedenen Ebenen, so dass von einem Legitimationsverlust der nationalen Ebene durch Kompetenzausweitung der europäischen Ebene nicht gesprochen werden könne41. Es besteht aber die Gefahr, dass ein solches Modell letztlich wieder zu einem Parlamentarisierungsansatz führt, der

39

A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 188. K. Hänsch, Das Europäische Parlament als Akteur im EU-Reformprozeß, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis, 1998, S. 409f„ 413. 41 G. F. Schuppert, Demokratische Legitimation jenseits des Nationalstaats, in: Heyde/Schaber (Hrsg.), Demokratisches Regieren in Europa?, S. 80. 40

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dem Prinzip symbolischer Repräsentation anhängt, auch wenn es sich auch um eine „Mehrebenen-Repräsentation" handelt. Der europäische Mehrebenen-Entscheidungsprozess weist Ähnlichkeiten mit Entscheidungsprozessen in so genannten „Konkordanzdemokratien" auf. In diesen Systemen beginnt die politische Meinungsbildung zuerst in den gesellschaftlichen Subsystemen, und es wird nachfolgend eine gemeinsame Entscheidung durch die Vertreter der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen ausgehandelt. Damit dieser Aushandlungsprozeß der Eliten von den Bevölkerungsgruppen akzeptiert wird, müssen diese dem Ergebnis dieses Prozesses soweit vertrauen, dass sie ihre allgemeinen Interessen darin gut vertreten sehen. Solche in derartigen Systemen ablaufenden Aushandlungsprozesse unterscheiden sich aber grundlegend von den Vorstellungen funktionaler Repräsentation42. Konkordanzdemokratien finden sich häufig in so genannten konsozietalen Gesellschaften. Diese werden von Lijphart als Gesellschaften definiert, die „klare Trennlinien besitzen entlang religiöser, ideologischer, sprachlicher, kultureller oder ethnischer Gruppierungen, und die entlang dieser Linien Subsysteme ausgebildet haben bezüglich eigener politischer Parteien, Interessengruppen und medialer Kommunikation43". Diese Beschreibungen passen auf die Struktur in der Europäischen Union. Auch die Europäische Union ist durch deutliche Unterschiede gegliedert in verschiedene Gruppierungen: sprachlich, in kleine und große Länder, geographisch in Nord und Süd, ideologisch in protektionistisch eingestellte Staaten und solche von Befürwortern des Freihandels. Allerdings unterscheidet sich die EU in ihren politischen Entscheidungsprozessen von konsozietalen Demokratien dadurch, dass sie mit den verschiedenen Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten über eine ganz andere institutionelle Struktur als diese verfügt44. Politische Entscheidungsprozesse in der EU sind damit von solchen in konsozietalen Staaten verschieden, obwohl die gesellschaftlichen Voraussetzungen einer Demokratie in EU und konsozietalen Gesellschaften ähnlich sind.

42

K. Armingeon, Interest Intermediation: The Cases of Consociational Democracy and Corporatism, in: H. Keman, Comparative Democratic Politics, S. 143-165; K. R. Luther/K. Deschouwer, Party Elites in Divided Socities, Political Parties and consociational democracy, London 1999. 43 A. Lijphart, Democracies: Patterns of Majoritarian and Consensus Government in Twentyone Countries, S. 22. 44 S. Bredt, The European Social Contract and the European Public Sphere, in: European Law Journal 12 (2006), S. 70ff.

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Im Ergebnis kann damit festgehalten werden, dass auch die Beschreibung des europäischen Entscheidungsprozesses über das Modell symbolischformeller Repräsentation durch die staatlichen Parlamente als nicht zutreffend anzusehen ist. Aufgrund der Übertragung von Kompetenzen auf die europäische Ebene erfolgen in den Entscheidungsfindungen auf europäischer Ebene grundlegende Veränderungen gegenüber einer rein innerstaatlichen Repräsentation statt, die das für die staatliche Ebene entwickelte Repräsentationsmodell nicht erfassen kann. 5. Verhältnis personaler und sachlicher Legitimation auf europäischer Ebene a) Gründe für die Schwächung des Elementes personaler Legitimation

demokratischer

Mit dem vertragstheoretischen Ansatz besitzt das personale Legitimationselement auch auf europäischer Ebene nur soweit Bedeutung, wie ein hypothetischer Konsens für diese Ebene angenommen werden kann45. Für sie kann wie unter (3.) gezeigt jedoch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die personelle Legitimation in Verbindung mit der Anwendung des Mehrheitsprinzips als vorrangig vor einer sachlich-inhaltlichen Legitimation anzusehen ist. Auch auf europäischer Ebene kommt dem personellen Legitimationselement eine gewisse tatsächliche Legitimationskraft zu, die neben der hier normativ diskutierten Legitimation besteht46. Die Tatsache der unmittelbaren Wahl einer Person gibt dieser eine gewisse Legitimation neben den in dieser Arbeit vorrangig angestellten normativen Legitimationserwägungen (die die normativen Ziele und die positive Analyse des Entscheidungsprozesses erfassen). Für das spezifisch europäische Element personell vermittelter demokratischer Legitimation kann aber festgestellt werden, dass eine personelle Legitimation dort noch deutlich „weiter" von den Bürgern entfernt ist, als auf staatlicher Ebene. Die mangelnde Bekanntheit der europäischen Repräsentanten sowie die relativ geringe Identifikation der Unionsbürger mit ihnen lässt ein spezifisch europäisches personales Legitimationselement schwach bleiben. Daneben führt die Vergrößerung der Wahlkreise rein rechnerisch zu einer noch weiteren Entfernung von Bürgern und Reprä45

Siehe zur Bedeutung des personellen Legitimationselementes im funktionalen und vertragstheoretischen Legitimationsmodell Kapitel 6 und 8 B IV und für die europäische Ebene bereits unter Kapitel 11 B I 3. 46 Siehe dazu für die staatliche Ebene Kapitel 8 B IV.

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sentanten: ein deutscher Europaparlamentarier repräsentiert ca. 800 000 Bürger, ein Bundestagsabgeordneter ca. 125 000 Bürger. Bereits dadurch verliert das personelle Legitimationselement auf europäischer Ebene etwas an Bedeutung. Personelle Legitimation bedeutet darüber hinaus nicht nur tatsächliche Bürgerbeteiligung, sondern sie muss auch als Legitimation empfunden werden. Genau daran fehlt es aber auf europäischer Ebene. Wegen der schwachen Legitimationswirkung des personellen Elements auf europäischer Ebene wird vielfach das personale Element demokratischer Legitimation der staatlichen Vertreter als „Quelle" oder „Lebenslinie" der demokratischen Legitimation europäischer Institutionen betont47. Allerdings wird richtigerweise auch die personell vermittelte Legitimation durch die Regierungsoberhäupter zusammen, wie sie im Rat versammelt sind, nicht als ausreichend verstanden, auch wenn bis heute eine wichtige Komponente tatsächlicher demokratischer Legitimation über den Rat vermittelt wird. Spätestens mit der Einführung von Mehrheitsentscheidungen im Rat verliert dieses staatlich bezogene Element an Bedeutung, weil damit die Entscheidungen auf einer europäischen Ebene gefällt werden, bei der die Bürger eines oder mehrerer Mitgliedstaaten überstimmt werden können und ihre Repräsentanten damit die betreffende Entscheidung inhaltlich nicht befürwortet haben. Es kommt dann wieder vermehrt auf die Fragen normativer Legitimation an, also die Definition normativer Maßstäbe und die Berücksichtigung der positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse. b) Neugewichtung der Elemente personeller und sachlich-inhaltlicher Legitimation Mit der Schwächung der personell vermittelten Legitimation gewinnt das Element inhaltlicher oder sachlicher Legitimation an Bedeutung. In der Literatur wird dementsprechend die Frage nach ganz spezifischen europäischen Legitimationsbausteinen gestellt48. Man müsse von der Fokussierung auf den Parlamentarismus als einzige Form demokratischer Legitimation wegkommen und stattdessen in den europäischen Entscheidungs- und Organisationsstrukturen Elemente demokratischer Legitimierung zu suchen. Als legitimationssicherndes Potential werden die Verfahren öffentlicher Meinungsbildung und der Interessenverarbeitung sowie die Einbeziehung Betroffener 47

Siehe etwa G. F. Schuppert, Demokratische Legitimation jenseits des Nationalstaats, in: Heyde/Schaber (Hrsg.), Demokratisches Regieren in Europa?, S. 72. 48 G. F. Schuppert, Demokratische Legitimation jenseits des Nationalstaats, in: Heyde/Schaber (Hrsg.), Demokratisches Regieren in Europa?, S. 72.

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in die Entscheidungsverfahren genannt. Entscheidend sei, dass genügend solcher legitimationssichernder Faktoren sich gegenseitig ergänzen, verstärken oder substituieren49. Die bisherigen formellen Kriterien, die die Legitimität des klassischen Modells sicherten, sollen nun durch inhaltliche Kriterien wie Sach- und Betroffenennähe als Garanten der „Richtigkeit" von Entscheidungen in die Legitimitätskriterien ergänzt werden. Abzukommen sei von der Fixierung des deutschen Demokratiedenkens und des Bundesverfassungsgerichts auf die personell-organisatorische Komponente des Demokratieprinzips50. Dieses neue Konzept wird mit dem Begriff der „strukturadäquaten Legitimation" gefasst51, der dem in dieser Arbeit vertretenen Modell der politikfeldbezogenen Legitimation ähnlich erscheint. Allerdings wird dann oft wieder auf die RUckbindung europäischer Legitimität an ihre nationalstaatlichen „Lebenslinien" abgestellt. Dabei werden erneut sehr stark personelle Elemente der Legitimationsvermittlung herangezogen, so wird beispielsweise auf ein Optimierungsgebot, das auf eine möglichst umfassende Partizipation aller Bürger abstellt, zurückgegriffen 52 . Stattdessen wird in dieser Arbeit auch für die europäische Ebene das Bild des Entscheidungsprozesses als zentral für die sachliche Legitimation auch europäischer Institutionen angesehen. Angesichts des Bedeutungsrückganges des personellen Elementes demokratischer Legitimation und der damit einhergehenden zunehmenden Bedeutung des Elementes sachlichinhaltlicher Repräsentation neigt sich auf staatlicher Ebene zu findende Verhältnis von personeller und sachlicher Legitimation auf der europäischen Ebene zugunsten des inhaltlichen-sachlichen Kriteriums. Weiterhin gilt dabei die in Kapitel 8 getroffene Feststellung, dass, je präziser die Erkenntnisse über den politischen Entscheidungsprozeß ist, desto niedriger die Bedeutung des personalen Legitimationselementes sein wird, und je ungenauer die Entscheidungsanalysen ausfallen, desto wichtiger das Element persönlicher Legitimation verbleibt.

49

IV. Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts - Perspektiven der Systembildung, in: Schmidt Aßmann, E./Hoffmann-Riem, W. (Hrsg.), Strukturen Europäischen Vewaltungsrechts, S. 317ff., 377. 50 BVerfGE 93, S. 37ff.; B.-O. Bryde, Die bundesrepublikanische Volksdemokratie als Irrweg der Demokratietheorie, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 1994, S. 305ff. 51 G. F. Schuppert, Demokratische Legitimation jenseits des Nationalstaats, in: Heyde/Schaber (Hrsg.), Demokratisches Regieren in Europa?, S. 72. 52 So etwa P. Huber, Demokratie ohne Volk oder Demokratie der Völker? - Zur Demokratiefähigkeit der Europäischen Union in: J. Drexel (Hrsg.), Europäische Demokratie, S. 29ff., 55.

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II. Konstitutionalismus und Demokratieprinzip auf europäischer Ebene Im folgenden wird für die europäische Ebene untersucht, welche Kriterien entwickelt wurden, um abzugrenzen, welche politischen Ziele vertraglich festgelegt und welche dem gemeinschaftlichen Entscheidungsprozeß ohne vorherige bindende Festlegung überlassen werden sollten. 1. Die Gründungskonzeption der Gemeinschaft als Kriterium für das Verhältnis von Demokratieprinzip und Konstitutionalisierung? Gegenüber der staatlichen Ebene werden die durch die Gemeinschaft zu erfüllenden Ziele verstärkt vertraglich und damit verfassungsähnlich festgelegt (Konstitutionalisierung), etwa im Bereich Wettbewerbsrecht oder der Grundfreiheiten53. Dies wird auf die Natur der Gemeinschaft als inter- und supranationaler Zusammenschluss von Staaten zurückgeführt. Als Folge dieser Entwicklung prägt die Griindungskonzeption der Gemeinschaft als Wirtschaftsgemeinschaft sowohl Inhalt als auch Umfang des Demokratieprinzips auf europäischer Ebene54. Aus der Entstehungsgeschichte der Gemeinschaft und ihrer Ausgestaltung als Wirtschaftsgemeinschaft55 im Sinne ordoliberalen Gedankengutes kann daher der Wert einer liberalen Wirtschaftsverfassung gegenüber dem Demokratieprinzip an Bedeutung gewonnen haben56. Die Römischen Verträge, insbesondere der EWG-Vertrag, normieren nach dieser Ansicht eine Wirtschaftsverfassung57. Wie sich aus Art. 2 EWG-Vertrag ergibt, war Ziel der Integration die Errichtung eines gemeinsamen Marktes. Im Kern hänge die Legitimation der Gemeinschaft davon ab, inwieweit sie die Grundrechte und Individualinteressen der EGBürger besser schützt, als dies den Staaten mit ihren traditionellen Mitteln

53 Zu dieser Entwicklung durch die Rechtsprechung des EuGH siehe F. Scharpf, Governing in Europe, S. 57f. m.w.N. 54 Siehe dazu Chr. Joerges, Ökonomisches Gesetz - Technische Realisation - Stunde der Exekutive, in: Jean Monnet Working Paper 17/01; J. H. Weiler, European Democracy and its Critics: Polity and System, in: ders., The constitution of Europe, S. 264, 27 Iff. 55 So Chr. Joerges, Ökonomisches Gesetz - Technische Realisation - Stunde der Exekutive, in Jean Monnet WP 17/01, 2001, S. 7. 56 B. Dutzler, Der Status des ESZB, in: Der Staat 41 (2002), S. 503. 57 Th. Oppermarm, Europarecht, S. 306ff.; E.-U. Petersmann, in: Außenwirtschaft 1993, 389, 407ff.; G. Majone, Redistributive und sozialregulative Politik, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch, Europäische Integration, S. 225ff.; E.-J. Mestmäcker, Wirtschaft und Verfassung in der Europäische Union: Beiträge zu Recht, Theorie und Politik der europäischen Integration, BadenBaden 2003.

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möglich ist58. Zwar dürfe die Neukonzeption der Gemeinschaft nicht zu einer Vernachlässigung der demokratischen Grund- und Strukturprinzipien führen, aber auch in der Gemeinschaft sei der Stellenwert der Demokratieprinzips gegenüber anderen Grundwerten im Hinblick auf „Struktur und Ziele der Gemeinschaft" abzuwägen59. Allein der Verweis auf die Gründungskonzeption der Gemeinschaft bietet jedoch noch kein Abgrenzungskriterium dafür, welche Bereiche nun in rechtlich bindender Weise festgeschrieben werden sollten. Das vor allem in der deutschen Diskussion verbreitete Modell der supranationalen Wirtschaftsverfassung knüpft in ähnlicher Weise wie der oben dargestellte funktionalistische Ansatz an den Gedanken der Ausdifferenzierung von Rationalitätskriterien an60. Dieses Konzept unterscheidet die systemspezifischen Rationalitätskriterien von politischer und ökonomischer Sphäre, beide verstanden als Systeme, die zwar aufeinander bezogen sind, aber unterschiedlichen Ordnungsprinzipien und Gesetzmäßigkeiten unterliegen. In der Zielsetzung der Gemeinschaft kommt die prinzipielle Anerkennung der Eigengesetzlichkeit des Ökonomischen zum Ausdruck61. Die Theorie der Wirtschaftsverfassung will eine rechtlich gesicherte Selbstbeschränkung des Staates, d.h. die Bindung des wirtschaftsbezogenen staatlichen Handelns, an justitiablen Kriterien festmachen. Normativer Ansatzpunkt des Modells einer Wirtschaftsverfassung ist demgemäß die Sicherung ökonomischer Zielsetzung. In positiver Hinsicht greift auch dieses Konzept auf eine Anreizberücksichtigung zurück. Die Theorie der Wirtschaftsverfassung ähnelt damit der oben in Kapitel 7 dargestellten Methode Buchanans zur Festlegung zu konstitutionalisierender Politikfelder. Allerdings entwickelte die Theorie der Wirtschaftsverfassung noch keine zufriedenstellenden normativen Kriterien für die Frage, welche Bereiche nun in einer solchen Wirtschaftsverfassung zu regeln sind und wie diese Entwicklung hin zu mehr konstitutionellen Festlegungen mit demokratietheoretischen Wertungen vereinbart werden kann. Rein ökonomische Zielsetzungen ohne individualistische Ableitungen sind aber, wie bereits gezeigt, mit einem vertragsbasierten Demokratieverständnis nicht vereinbar. 58

E.-U. Petersmann, Grundprobleme der Wirtschaftsverfassung der EG, in: Außenwirtschaft 1993, S. 389, 421. 59 Der EuGH betonte für den Grundrechtsschutz, daß die Gewährleistung der Grundrechte nicht nur von dem gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten getragen werden, sondern sich auch in die Struktur und Ziele der Gemeinschaft einfügen, EuGH Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125, Rz. 4 - Internationale Handelsgesellschaft. 60 M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 31 lf. 61 P. Behrens, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft, S. 79.

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Da der Vertragsansatz hier aber auf die europäische Ebene angewandt wird, kann die Theorie der Wirtschaftsverfassung noch keine befriedigende Antwort auf die Frage nach demokratietheoretisch zulässigerweise festzulegenden Politikfeldern geben. 2. Objektive Werteordnung als Grundlage für die

Konstitutionalisierung?

Auch auf Gemeinschaftsebene wurde die objektivrechtliche Wirkung der Grundrechte entwickelt62. Danach wird anerkannt, dass Grundrechte und Grundfreiheiten die Handlungen der Gemeinschaftsorgane beeinflussen und binden. Zumeist geht es dabei um Schutzpflichten, die die Gemeinschaftsorgane gegenüber den Unionsbürgern treffen. Teilweise wird daraus ein Grundrechtsschutz durch Verfahren entwickelt63. Klarere Kriterien für die Abgrenzung, welche Bereiche kollektiven Handelns nun im Sinne bindender präziser Verpflichtungen konstitutionalisiert werden sollten, wurden bisher aber nicht formuliert. Die Theorie objektivrechtlicher Wirkung von Grundrechten und Grundfreiheiten auf Gemeinschaftsebene besitzt dieselben methodischen Schwächen wie der in § 4 dargestellte Ansatz auf staatlicher Ebene. Bisher wurde für die Gemeinschaftsebene kein Ansatz eines Grundrechtsschutzes durch Organisation (im oben in § 4 erläuterten Sinn) entwickelt. Das kann unter anderem daran liegen, dass der EuGH bisher zu Fragen der Rundfunk-, Fernseh- und Forschungsfreiheit, anhand derer die entsprechenden Ansätze auf nationaler Ebene entwickelt wurden, keine Rechtsprechung entwickelt hat. Vielmehr geht er in diesem Zusammenhang mehr auf Fragen der Dienstleistungsfreiheit ein64. Dabei äußert er sich zwar auch zur Meinungsfreiheit, im Fall der Fernsehrichtlinie geht es dann jedoch nicht um Grundrechts-, sondern um Kompetenzfragen65. Die Sicherung bestimmter Grundrechtsinteressen, etwa der gesundheitlichen Sicherheit der Verbraucher, der durch eine unabhängige Agentur geschützt werden soll, entspräche einem Grundsatz der Grundrechtsicherung durch Organisation.

62

Siehe P. Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 1038ff. 63 Siehe E. Pache, Die Kontrolldichte in der Rechtsprechung des Gerichtshofes der europäischen Gemeinschaften, DVB1. 1998, S. 383 m.w.N. 64 Siehe Th. Oppermann, Europarecht, Rz. 1508ff. 65 U. Everling, Brauchen wir „Solange EI"?, EuR 1990, S. 217ff.

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III. Die Gemeinschaftsmethode: ein neofunktionalistischer Legitimationsansatz? 1. Funktionalistische Integration als demokratietheoretischer

Maßstab?

Der älteste Ansatz zur Beschreibung der europäischen Integration und damit auch des europäischen politischen Entscheidungsprozesses ist der Funktionalismus. Er stammt aus der allgemeinen Integrationstheorie Mitrany's in den vierziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, und wurde unter Haas in den fünfziger Jahre als „Neofunktionalismus" auf die europäische Integration zugeschnitten66. Seit der Vollendung des Binnenmarktes 1992 und im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Währungsunion, die die politische Union nach sich ziehen soll, hat die neofunktionalistische Integrationstheorie wieder erheblichen Aufschwung genommen67. Der funktionalistische Ansatz beruht auf einem praktisch orientierten, graduellen Integrationsverfahren für die europäischen Staaten. Er lehnte das politische Konzept des föderalistischen Integrationsmodells ab, das auf einen politisierten Integrationsprozeß abzielt. Grundlegende Prämisse des Funktionalismus ist die Unterscheidbarkeit von ökonomisch- administrativen, unpolitischen Fragen einerseits und politischen Fragen andererseits68. In unpolitischen Bereichen könnten transnational operierende Akteure unideologisch, pragmatisch und effizient zusammenarbeiten. Die Integration wird dieser Theorie zufolge nach einer anfänglich vertraglich beschlossenen Kooperation durch verschiedene Akteure weitergetrieben. Auf der gesellschaftlichen Ebene sollen an einer weiteren Integration interessierte Interessengruppen helfen, nationalstaatliche Barrieren zu überwinden. Auf staatlicher Ebene gilt dies für die Zusammenarbeit von Verwaltungsbeamten und technischen Experten. Über die Kooperation in anfangs nur einigen Politikfeldern würde schließlich auch eine Zusammenarbeit in weiteren, politischeren Feldern erreicht werden. Der Erfolg dieser sich ausweitenden Kooperation soll dann politische Zusammenarbeit in Form einer in immer weitere Bereiche ausgreifenden Integration nach sich

66

Zur Entwicklung des Neofunktionalismus seit den sechziger Jahren siehe K. Busch, Spillover Dynamik und Spill-back Potential, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, S. 281-311. 67 A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 192 m.w.N. 68 G. Nicolaysen, Aussichten zur Gemeinschaftsverfassung im Zeichen der Wirtschafts- und Währungsunion, in: Integration 1971, S. 90, 101.

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ziehen, was als „spill-over" Effekt bezeichnet wird69. Das Prinzip des Neofunktionalismus geht von einer „Entpolitisierung durch politische Entscheidung" aus, nämlich der Entpolitisierung bestimmter Bereiche hoheitlicher Tätigkeit durch den Willen der Staaten zur Vergemeinschaftung. Funktionelle Integration vollzieht sich danach in technischer Selbstbestimmung, auf Grundlage übereinstimmender politischer Entscheidungen der Mitgliedstaaten70. Der angebliche Automatismus einer solchen Entwicklung wurde aber in den sechziger Jahren wieder aufgegeben. Der funktionalistische Integrationsgedanke findet sich auch im Wortlaut der Verträge wieder, in der Präambel des Vertrages von 1992 und 199771. Die Theorie des (Neo-)Funktionalismus kann nach dem in dieser Arbeit verfolgten Konzept keine ausreichende demokratische Legitimationstheorie sein. Sie ist darauf aber auch nicht ausgerichtet. In normativer Hinsicht sollte sich nach dieser Theorie die Legitimität des Integrationsprozesses aus seinen Ergebnissen ableiten, nämlich der Sicherung von Frieden und Wohlstand. Weitere wichtige normative Legitimationselemente wie die individualistische Verankerung der Theorie wurden nicht entwickelt. Die Bedeutung des Demokratieprinzips ist im funktionalistischen Denken dabei von untergeordneter Natur72. Die Legitimität des Integrationsprozesses wurde in erster Linie nicht durch an demokratischen Idealen ausgerichteten Institutionen, sondern durch Ergebnisse, nämlich fortschreitende Integration, hergestellt. Nach dem in dieser Arbeit verwendeten Maßstab bietet der Funktionalismusansatz auf der normativen Ebene zu wenig demokratietheoretischen Inhalt, um als eigene Demokratietheorie zu gelten: das Integrationsziel alleine stellt noch keinen ausreichenden Maßstab für die Fragen nach Interessenausgleich und Mitwirkungsmöglichkeiten dar. Der funktionalistische Ansatz ist eher analytisch darauf ausgerichtet, das Phänomen der euro-

69

Siehe E. Haas, The Uniting of Europe: Political, Social and Economic Forces (19501957), London 1958; E. Haas, Beyond the Nation State. Functionalism and International Organisation, Berkeley, Stanford University Press, 1964; Ph. Schmitter, Examining the Present Euro-Polity with the Help of Past Theories, in: Marks/Scharpf/Schmitter/ Streeck, Governance in the European Union, S. 4ff. 70 H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 982. 71 „ (...) in dem festen Willen (...) den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Völker zu gewährleisten, daß Fortschritte bei der wirtschaftlichen Integration mit parallelen Fortschritten auf anderen Gebieten einhergehen." 72 P. Craig, The nature of the Community: integration, democracy and legitimacy, in: Craig/De Burca (Hrsg.), The Evolution of EU Law, 23ff.

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päischen Integration zu erklären, als einen Maßstab demokratischen Regierens zu entwerfen73. Ein weiterer - analytischer - Kritikpunkt am funktionalistischen Ansatz ist die Annahme einer Trennung von politischen und nicht politischen Bereichen, die in Wirklichkeit nicht so feststellbar ist. Des weiteren wird der neofunktionalistischen Theorie vorgeworfen, widersprüchlich zu sein, wenn einerseits eine Trennung des politischen vom unpolitischen Bereich als grundlegend angesehen, zum anderen aber der „spill-over" Effekt von diesen unpolitischen auf die politischen Bereiche als möglich angesehen wird74. 2. Von der funktionalistischen Integration zum technokratischen Ansatz Ausgehend vom funktionalistischen Integrationsansatz versuchte der technokratische Legitimationsansatz normative Maßstäbe zu entwickeln. Der technokratische Aspekt des funktionalistischen Integrationsansatzes fand sich beispielsweise in Ipsens Theorie der Gemeinschaften als „Zweckverbände funktioneller Integration"75. Auch Ipsen differenzierte nach technischeren und politischeren Fragen, wobei erstere durch Experten, letztere durch demokratisch gewählte Institutionen wahrgenommen werden sollten76. Dieser technokratische Aspekt entstammt der „Technokratiedebatte", die in den sechziger Jahren unter anderem in Deutschland aber auch in den Vereinigten Staaten geführt wurde77. Politische Entscheidungen werden danach zunehmend durch wissenschaftlich-rationale Erkenntnis ersetzt, politische Herrschaft im tradierten Sinne der auf Dauer gestellten Herrschaft von Menschen über andere Menschen78 erodiert. Die Technokratie entpolitisiert den Staat und zieht ihn in die Gesellschaft hinein. Die Frage der Legitimation der öffentlichen Gewalt stellt sich mit einer solchen Herrschaft von Sachgesetzlichkeiten neu. In einem solchen System wird die Autorität des gewählten Politikers abgelöst durch die des Technokraten oder Experten79. Der Staat legitimiert sich nicht über einen Ausdruck des Volkswillens, sondern über die bessere Funktionsweise nach technischen Prinzipien. Politik im Sinne der normativen Willensbildung fällt aus diesem Räume eigentlich 73

K. Featherstone, Jean Monnet and the democratic deficit in the European Union, Journal of Common Market Studies, S. 149ff.; A. Verhoeven, The European Union, S. 65. 74 D. Frei, Integrationsprozesse, in: Weidenfeld (Hrsg.), Die Integration Europas, S. 123. 75 H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, Tübingen 1972. 76 H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 1045. 77 Siehe M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 287ff. mwN. 78 H. Schelsky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation, S. 22. 79 Vgl. H. Lübbe, Zur politischen Theorie der Technokratie, in: Der Staat 1962, S. 19, 21.

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prinzipiell heraus, sie sinkt auf den Rang eines Hilfsmittels für Unvollkommenheiten des „technischen Staates" herab80. Demokratie im klassischen Sinne wird damit zu einer Illusion. Technisch- wissenschaftliche Entscheidungen können keiner demokratischen Willensbildung unterliegen, sie werden auf diese Weise ineffektiv. Die technokratische Ordnung ist damit strukturell undemokratisch, öffentliche Deliberation wird zunehmend überflüssig. Monnet selbst besaß ein großes Vertrauen in die Arbeit der Hohen Behörde des EGKS und ihrer Mitglieder 81 , die Kommission war im Konzept funktionalistisch-technokratischer Legitimation der institutionelle Schwerpunkt. Die Kommission erscheint dabei als das „vollkommenste Modell internationaler Technokratie" 82 . Der technokratische Legitimationsansatz ist auf eine berechtigte Kritik gestoßen, die bereits seine Annahmen über die Natur politischer Entscheidungen für unzutreffend erklärt: so gibt es eben selten eine zwangsläufig durch technische Aspekte determinierte Auswahl von Lösungsmöglichkeiten eines Problems. Die Erwartung an exakte Lösungen im sozialen Bereich ist schlicht utopisch. Die zentrale technokratische These der Eigengesetzlichkeit des technischen Fortschrittes und damit der Transformation politischer Entscheidungsfindung in sachlogisch erforderliche Maßnahmen widerspricht bereits der Alltagsevidenz 83 . Auch in der subtilsten und kompliziertesten Sachregelung steckt oft noch ein politisches Element. In normativer Hinsicht ist der technokratische Ansatz unbefriedigend, weil er stark auf einen entindividualisierten Gemeinwohlgedanken abstellt, also die Gemeinwohlversorgung der Bevölkerung durch Experten. Eine solche Gemeinwohldefinition passt aber nicht in ein konsenstheoretisches Demokratieverständnis. Im Zuge der fortschreitenden Integration Europas hat die Bedeutung der anfänglichen funktionalistischen und technokratischen Legitimationskonzepte dementsprechend auch abgenommen. Konnte anfangs noch der Zweckverband die von den Nationalstaaten unabhängigen Gemeinschaften legitimieren, so nahm dessen Legitimationskraft mit zunehmender Aufgabenbreite und Intensität der Gemeinschaftsaktivität ab84. Unter XI. 3. wird

80

H. Schelsky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation, S. 25. Siehe E. Haas, The Uniting of Europe, S/456. 82 Ausführlich dazu M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 302f. 83 J. Habermas, Technik und Wissenschaft als Ideologie, S. 116. 84 Vgl. M. Höreth, Die Europäische Union im Legitimationstrilemma, 1999, S. 312; Chr. Joerges, Ökonomisches Gesetz - Technische Realisation - Stunde der Exekutive, in: Jean Monnet WP 17/01, 2001, S. 7f.; M. Everson, Beyond the Bundesverfassungsgericht: On the Necessary Cunning of Constitutional Reasoning: European Law Journal 1998, S. 389, 397ff. 81

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der funktionalistische Ansatz darauf untersucht, inwieweit er die ökonomische Theorie Buchanans auf europäischer Ebene anreichern kann. IV. „Regulierungsstaat" und „Administrativmodell" als Ziel europäischer Legitimation? In neuerer Zeit wurde versucht, die Legitimität der Gemeinschaft und insbesondere die Legitimität unabhängiger Regulierungsinstitutionen mit dem so genannten „Regulierungsansatz" zu erklären85. Danach wird die Gemeinschaft als ein institutioneller Rahmen für eine europäische Wirtschaftspolitik gesehen, die der politischen Kontrolle weitgehend entzogen werden kann und soll. Die Gemeinschaft sei eine „vierte Gewalt", die auf die Erfüllung wirtschaftspolitischer Aufgaben ausgerichtet sei und weniger auf politische Aufgaben. Insbesondere unabhängige Institutionen wie die Kommission oder Regulierungsagenturen seien geeignet, diese Aufgaben zu erfüllen. Der Regulierungsansatz hat dabei zwei ihm verwandte Vorgänger: den wirtschaftspolitisch-ordoliberalen Ansatz sowie den Zweckverband funktionaler Integration. Die ordoliberale Theorie, die seit Ende der zwanziger Jahre in Deutschland entwickelt wurde86 und nach 1945 sowohl die deutsche Wirtschaftspolitik als auch später die der Gemeinschaft beeinflusste87, besaß ein skeptisches Bild vom politischen Entscheidungsprozeß, den sie darum im Bereich der Wirtschaftsregulierung zurückdrängen wollte. Darauf aufbauend wurde für die Gemeinschaft das Konzept der „Wirtschaftsverfassung" entwickelt, nach dem wirtschaftliche Rechte und Freiheiten des Marktbürgers Grundlage der europäischen Integration sind. Eine demokratietheoretische Legitimation wurde mit der ordoliberalen Theorie aber nicht angeboten, der Bereich der Wirtschaft sollte vielmehr eine eigene Legitimität besitzen88. Speziell für die europäische Integration wurde daneben von H. P. Gipsen das bereits erwähnte Konzept des „Zweckverbandes funktionaler Integration" entworfen. Dieser Ansatz ist dem Gedanken der Wirtschaftsverfassung 85

Siehe G. Majone, The European Community. An "Independent Fourth Branch of Government?", in: G. Brüggemeier (Hrsg.), Verfassungen für ein ziviles Europa, Baden-Baden 1994, S. 23ff. 86 Vertreter der ordoliberalen Idee waren Walter Eucken, Alexander Rüstow, Wilhelm Röpke und Franz Böhm. 87 Siehe etwa F. Böhm, Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, Tübingen, 1950; ausführlich W. Mussler, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft im Wandel, S. 58ff. 88 W. Mussler, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft im Wandel. Von Rom nach Maastricht, S. 58ff.

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ähnlich hinsichtlich der Regelung wirtschaftlicher Fragen durch „neutrale" Experten89, unterscheidet sich aber dadurch von dem Modell der Wirtschafitsverfassung, dass er wirtschaftspolitisch interventionistischer gedacht ist. Der insbesondere von Majone90 entwickelte Regulierungsansatz stützt sich in positiver Hinsicht auf die Theorie der kollektiven Entscheidungen (Public Choice)91. Unabhängige Institutionen sollen insbesondere die Problematik der Zeitinkonsistenz überwinden helfen. Während anfangs noch die Bildung europäischer Regulierungsagenturen nach amerikanischen Muster gefordert wurde92, wird von Majone in neueren Beiträgen vertreten, dass das amerikanische Agenturmodell nicht einfach auf europäische Verhältnisse übertragen werden könne, weil dies mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht vereinbar sei93. Stattdessen sollten Netzwerke von staatlichen und europäischen Regulierungsbehörden gebildet werden, ähnlich dem Modell des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB). Die Rolle der Kommission in solchen Netzwerken bestünde darin, die Arbeit der Agenturen zu koordinieren und zu kontrollieren. Mit diesen Weiterentwicklungen kommt Majone der Kritik entgegen, dass der für amerikanische Verhältnisse entwickelte Legitimationsansatz nicht einfach auf die EU übertragen werden könne, weil das Verhältnis der unabhängigen Institutionen zu Legislative und Exekutive in den USA anders ausgestaltet sei, als das Verhältnis zwischen Kommission, EU-Agenturen, EU-Parlament und Rat94. Majones Legitimationsansatz unabhängiger Regulierungsagenturen legt eine Trennung zwischen politischen und nicht-politischen Aufgaben

89

H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 1045. Daneben haben auch andere Autoren den Regulierungsansatz mitgeprägt, etwa R. Dehousse, European institutional architecture after Amsterdam: parliamentary system or regulatory structure?, in: Common Market Law Review 1998, S. 595-627; M. Everson, Administering Europe, in: Journal of Common Market Studies 1998, S. 195-216; J. Caporaso, The European Union and forms of state: westphalian, regulatory or post-modern?, in: Journal of Common Market Studies 1996, S. 29-52; G. Majone betonte die Ähnlichkeit seines Regulierungsansatzes mit der Zweckverbandstheorie Ipsens, wenn er diese auch erst feststellte, nachdem er sein Modell entwickelt hatte. 91 Siehe G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, 1996; R. Vaubel, The Public Choice Analysis of European Integration, Journal of Political Economy 1994, 227-249 m.w.N; in rechtswissenschaftlicher Umsetzung bei E.-U. Petersmann, Grundprobleme einer Wirtschaftsverfassung der EG, Aussenwirtschaft 1993, S. 418-^22. 92 G. Majone, Regulating Europe, ist insgesamt von diesem Grundgedanken geprägt. 93 G. Majone, The European Commission: The Limits of Centralization and the Perils of Parliamentarization, in: Governance 15 (2002), S. 387. 94 D. Wincott, Does the European Union pervert democracy?, in: ELJ 4 (1998), S. 41 Iff. 90

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zugrunde, die in der funktionalistischen Theorie wurzelt95. Diese Trennung wurde bereits weiter oben als nicht überzeugend für die Grundlage einer Legitimationstheorie abgelehnt. Majone möchte, wie bereits weiter oben in Teil 2 Kapitel 10 gezeigt, die Befugnisse unabhängiger Institutionen auf Regulierungsaufgaben insbesondere auf den Bereich der Risikoregulierung beschränken, weil nur in diesem Bereich von einem hypothetischen Konsens für die Bildung unabhängiger Regulierungsagenturen ausgegangen werden könne96. Auch diese Begrenzung wurde als nicht haltbar kritisiert. Der Regulierungsansatz bietet damit keinen Legitimationsansatz für weitere Aufgabenfelder, etwa im Bereich distributiver Politik. Einen umfassenden Erklärungs- und Legitimationsanspruch besitzt die dem Regulierungsansatz nahe stehende Interpretation der Gemeinschaft als supranationale Administration. Als eine solche interpretiert Lindseth die Gemeinschaft und leitet daraus ihre Legitimation ab97. Auch nach dieser Vorstellung ist die Gemeinschaft eine Art „Agentur" der Mitgliedstaaten, eine „extension of the executive-technocratic governance that has characterised the development of the modern administrative State98." Die Legitimation der Gemeinschaft ergibt sich danach nicht aus unmittelbarer demokratischer Wahl der Gemeinschaftsorgane, sondern durch klassisch administrative, politische und gerichtliche Kontrollen darüber, ob die delegierten Kompetenzen nicht überschritten werden. Lindseth greift nicht ausdrücklich auf bestimmte Modelle des politischen Entscheidungsprozesses zurück, aber in seinem Hinweis auf die legitimationsspendenden Kontrollmechanismen kommt zum Ausdruck, dass er neben modernen Formen des Staats- und Verwaltungshandelns auch dem Gedanken nationalstaatlicher Repräsentation anhängt. Eine andere Quelle für eine demokratische Legitimation europäischen Regierens als die Demokratien der Mitgliedstaaten bietet er jedenfalls nicht an. V. „Supranationale Deliberation" - eine europäische Neuentwicklung? Mit dem Konzept des „deliberativen Supranationalismus" wird von einigen Autoren auf ein nach ihrer Ansicht spezifisch europäisches, legitimitäts95

G. Majone, The Role of Specialised Agencies in Decentralising EU Governance, Florenz und Maastricht 1999, S. 20; G. Majone, Europe's "Democratic Deficit": The Question of Standards, E U 4 (1998), S. 17. 96 Ansätze dazu etwa bei G. Majone, Regulating Europe, Kap. 10. 97 P. Lindseth, Democratic legitimacy and the administrative character of supranationalism: the example of the European Community, in: Columbia Law Review 1999, S. 628-738. 98 P. Lindseth, a.a.O., S. 659.

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spendendes Politikverfahren hingewiesen". In institutioneller Hinsicht verwirklicht sich die supranationale Deliberation vor allem im Ausschußverfahren unter Einbindung der Kommission. Mit der Theorie der supranationalen Deliberation wurde sowohl ein normativer Maßstab politischer Entscheidungsfindung entwickelt als auch eine Beschreibung politischer Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene geliefert. Normatives Leitbild supranationaler Deliberation ist die Existenz und Benennung von „ (...) den Entscheidungsprozeß nicht determinierenden, wohl aber strukturierenden Regeln und Prinzipien (...) 100 ", „ (...) die das Spektrum zulässiger Argumente so einengen sollen, dass nur allgemein nachvollziehbare und belegbare Gründe oder Besorgnisse, nicht aber bloß protektionistische Interessen für Produktions- und Handelsbeschränkungen herangezogen werden. Dazu gehören alle Regeln, die dafür sorgen sollen, dass alle einschlägigen Gesichtspunkte vorgetragen werden können und diskutiert werden müssen, die den Pluralismus und die Unabhängigkeit von Expertendiskursen stützen, die mit anderen Worten die Komitologie als Forum einer vernünftigen Problemlösung ausgestalten.101" Es handelt sich also um einen normativ-prozeduralen Legitimationsansatz, der im Kern auf die Legitimation durch rationalen Diskurs setzt. Bezüglich des Bildes vom politischen Entscheidungsprozeß liegt der Theorie des deliberativen Supranationalismus der Gedanke von Interessentransformation durch Verhandlungen zugrunde. Die Anhänger der supranationalen Deliberation greifen auf das diskurstheoretische Ideal von Habermas zurück, um den Ablauf politischer Entscheidungen, deren Qualität und letztlich auch Legitimität zu bewerten. Der herangezogene Ansatz von Habermas betont die Bedeutung des Willensbildungs- oder Kommunikationsprozesses102 für demokratisch legitimiertes Regieren, er spricht in diesem Zusammenhang von „kommunikativ verflüssigter Souveränität". Im Gegensatz zu den liberalen und ökonomischen Theorien sehen sie die Interessen der Akteure nicht als von vornherein individuell festgelegt an, sondern glauben, dass diese erst im kommunikativen Prozess ihre Form erhalten. Kern der Annahme der Deliberation ist genau die Überwindung von Interessenge99

Siehe dazu den grundlegenden Aufsatz von Chr. Joerges/J. Neyer, From intergovernmental bargaining to deliberative political processes: the constitutionalisation of comitology, European Law Journal 1997, S. 273-299. 100 Chr. Joerges, Kafkaeske Bürokratie oder Beispiel „deliberativen Regierens", in ders./Falke (Hrsg.), Das Ausschußwesen der Europäischen Union, S. 37. 101 Ders., a.a.O., S. 37. 102 J. Neyer, Die Problemlösungsfähigkeit der europäischen politischen Verwaltung, in: Chr. Joerges/J. Falke (Hrsg.), das Ausschusswesen der EU, S. 299ff.

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gensätzen mittels rationalen Diskurses, in dem eine Transformation von Eigen* zu Allgemeininteresse stattfindet103. Der Diskurs wird bestimmt von Argumentation und nicht von strategischen Aushandlungsprozessen. Joerges bezieht sich zum Nachweis der Richtigkeit dieser Annahmen auf die Ergebnisse von Untersuchungen, nach denen sich bei internationalen Verhandlungen bei den Verhandlungsteilnehmern eine Transformation von Eigeninteresse zu gemeinsamer Problemlösung erkennen lässt104. Wann und in welchem Umfang solche Transformationen eintreten sollen, bleibt aber unklar. In dieser positiven Ausdeutung des politischen Entscheidungsprozesses erinnert das Konzept der Deliberation an das republikanische Bild politischer Entscheidungen105. Auch die republikanischen Ansätze (s.o.) betonen die Interessenüberwindung durch rationalen Diskurs106. Wie der republikanische Ansatz betont das deliberative Konzept die Einbindung der Bürger in den politischen Entscheidungsprozeß. Dem entspricht, dass der Ansatz des deliberativen Supranationalismus die Einbindung der Vertreter der Nationalstaaten und anderer Gruppen im Rahmen des Komitologieverfahrens positiv bewertet. Der deliberative Ansatz steht damit eher in einer republikanischen Tradition und in einem Gegensatz zu den ökonomischen Modellen, die aus der pluralistischen Tradition stammen. Insofern stellt sich die Auseinandersetzung zwischen der Anhängern des deliberativen Supranationalismus (Befürwortung des Ausschußverfahrens) und den Anhängern der Public Choice (Befürwortung unabhängiger Agenturen) als eine Art Neuauflage der älteren amerikanischen Diskussionen dar. In ihrem normativen Ziel sind sich dagegen der deliberative Ansatz und der ökonomische Konstitutionalismus in ihrer Konzeption sehr ähnlich: beide suchen nach einem institutionellen Rahmen, der so gestaltet ist, dass er das Eigeninteresse der Handelnden in ein Verhalten überführt, das nicht nur

103

P. Craig, Public Law and Democracy, S. 368ff. m.w.N. Chr. Joerges, a.a.O., in: Joerges/Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 38. 105 Siehe I. Heinemann, Public Choice und moderne Demokratietheorie, S. 207 mit Verweis auf den Vertreter des Kommunitarismus M.J. Sandel, Democracy's Discontent. America in Search of a Public Philosophy, S. 13Iff. 106 Siehe dazu oben die Ausführungen zum amerikanischen Republikanismus; für die Gründungsphase der Vereinigten Staaten G. Wood, The Creation of the American Republic, S. 53. 104

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dem Handelnden selbst, sondern auch anderen Individuen nützt 107 . Das Konzept des deliberativen Supranationalismus sieht dieses Ziel im gemeinschaftlichen Ausschußverfahren, also auf infranationaler Ebene annäherungsweise verwirklicht 108 , die ökonomischen Ansätze, etwa der ökonomische Konstitutionalismus, setzen auf konstitutionelle Festlegungen. In methodischer Hinsicht mangelt es der Theorie der supranationalen Deliberation allerdings noch an einem klaren Bild politischer Entscheidungsprozesse. Der deliberative Ansatz hat bisher keine klaren und prognosefähigen Modelle des Entscheidungsprozesses entwickelt, die empirisch geprüft werden könnten. Von den Vertretern des deliberativen Supranationalismus wird darauf hingewiesen, dass das Bild der ökonomischen Ansätze vom Entscheidungsprozeß zu simplifizierend sei, denn das Entscheidungsverhalten im Ausschußverfahren entspreche nicht dem Muster intergouvernementalen Handelns 109 . Im Gegensatz zum deliberativen Modell können aber durch Theorien wie den Transaktionskostenansatz oder die Public Choice Schule Beispiele politischer Entscheidungsprozesse sowohl theoretisch dargestellt als auch empirisch belegt werden. Ein konkreterer und umfassenderer Entwurf wurde mit der Theorie der supranationalen Deliberation selber noch nicht entwickelt. VI. Die „funktionale Repräsentation " - partizipativer Pluralismus mit neuer Begründung Auch für die Gemeinschaftsebene wird das Konzept pluralistischpartizipativer demokratischer Legitimation vertreten. Dieser Ansatz betont die Bedeutung der Einbindung gesellschaftlicher Akteure in den politischen Entscheidungsprozeß und sieht in einer Mischung von Verwaltungsmitgliedern, Regierungsbeamten und Vertretern gesellschaftlicher Gruppen einen

107 Für den ökonomischen Konstitutionalismus explizit G. Brennan/J. M. Buchanan, Die Begründung von Regeln, S. 72, 119 (s.o. bei Kapitel 7): es seien solche Regelungen zu finden, daß ,4ie Institutionen des modernen politischen Prozesses so verändert werden, daß sichergestellt wird, daß die im Rahmen dieser Institutionen agierenden Personen einen Anreiz haben, in Ubereinstimmung mit dem zu handeln, was sie als die langfristigen Interessen der Gesellschaft, aber auch als ihr eigenes langfristiges Interesse erkannt haben. 108 Siehe dazu unten zu Ausführungskompetenzen der Kommission. 109 Chr. Joerges, Kafkaeske Bürokratie oder Beispiel „deliberativen Regierens", in: Joerges/Falke (Hrsg.), Das Ausschußwesen in der Europäischen Union, S. 38.

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Legitimationsansatz für die Gemeinschaftsebene110. Die Einbindung der Zivilgesellschaft in den Entscheidungsprozeß wird insbesondere im Rahmen der „Governance"-Debatte diskutiert111. Die Anhänger der Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure finden im EG-Vertrag institutionelle Anknüpfungspunkte, beispielweise mit dem Wirtschafts- und Sozialausschuß, Art. 257ff. EG. Auch das EuG hat die Repräsentation von Interessen durch zivilgesellschaftliche Gruppen als Element des gemeinschaftlichen Demokratieverständnisses anerkannt112. Verhoeven leitet die demokratische Legitimation des partizipativen Ansatzes aus dem Gedanken des Gesellschaftsvertrags ab113. Auf diesem aufbauend entwickelt sie dann das Prinzip der funktionalen Repräsentation" für die Gemeinschaft. Sie verwendet den Begriff „funktionale Repräsentation" also anders als er bisher in dieser Arbeit verwendet wurde. Nach Verhoevens theoretischer Analyse enthält der Gesellschaftsvertrag zwei Elemente. Erstes Element ist ein Vertrag der Menschen untereinander, sich gegenseitig zu respektieren und in Frieden miteinander zu leben (pactum unionis). Mit dem zweiten Element legen die Menschen in dem Vertrag fest, einer Regierung zu gehorchen, die sie sich selbst gewählt haben (pactum subjectionis). Der Gesellschaftsvertrag beruht auf beiden Elementen, der „sozialen Integration" und der Legitimation der Macht. Wie die beiden Elemente sich zueinander verhalten, sei bis heute umstritten114. Die unterschiedliche Betonung dieser beiden Elemente des Gesellschaftsvertrages liege an der Wurzel der Debatte um Europäische Bürgerschaft und die adäquate Rolle für die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure im Rahmen gemeinschaftlichen Regierens. In der liberalen Tradition nach Locke wurde aus dem Element des pactum unionis in der Tradition der Anspruch des Einzelnen auf Schutz individueller Grundrechte abgeleitet. Verhoeven entwickelt dann weitergehend aus dem Element des pactum unionis individuelle und kollektive Mitwirkungs110 Zur pluralistischen Demokratietheorie auf europäischer Ebene siehe Ph. Schmitter, What is there to legitimise in the European Union....and how might this be accomplished?, in: Jean Monnet Working Paper Nr. 6/2001, Symposium: Mountain or Molehill? A Critical Appraisal of the Commission White Paper on Governance, abrufbar unter http:// www.jeanmonnetprogram.org/papers. 111 Siehe Europäische Commission, Europäisches Regieren - Ein Weißbuch, S. 13, wo der Grundsatz der Partizipation als zweiter von 5 Grundsätzen genannt wird. 112 EuG Rs. T-135/96, Slg. 1998 - UEAPME/Rat. 113 A. Verhoeven, The European Union in Search of a Democratic and Constitutional Theory, S. 24ff. 114 Nach A. Verhoeven, a.a.O., S. 25, stellte Hobbes mehr den pactum subjectionis ab, während Locke in der Folge auch wieder den pactum unionis betonte.

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rechte im Sinne von Partizipation. Sie greift dafür auf Rousseau zurück, der nach ihrer Meinung entscheidend auf das pactum unionis abstellte: zwar unterwarf sich der Bürger der Herrschaft des Souveräns, der er aber selber in aktiver Weise blieb. Ein repräsentatives System ist nach dieser Konstruktion nicht möglich, Rousseau sah deswegen nur in der direkten Demokratie sein Modell des Gesellschaftsvertrags verwirklicht. Entscheidender Bestandteil des Vertrages sei damit das pactum unionis. Bei Einführung des Modells der Repräsentation wurde anfangs noch zwischen „pouvoir constituant" und „pouvoir constitué" unterschieden, wobei die höchste Souveränität zunächst gedanklich noch beim „pouvoir constituant" im Sinne von Souveränität verblieb, während die Repräsentanten nur souveräne Macht ausübten. Allerdings vermischten sich dann in der Folgezeit gedanklich Souveränität und Souverän und wurden schließlich gemeinsam den Repräsentanten zugesprochen. Im Zuge dieser Vermischung und Konzentration der Souveränität bei den Repräsentanten115 verlor die Zivilgesellschaft ihre Bedeutung als eigener, anerkannter und damit legitimer politischer Akteur116. Nach der Analyse dieses Missverständnisses in der demokratietheoretischen Entwicklung entwickelt Verhoeven das Prinzip „funktionaler Repräsentation"117. Dafür unterscheidet sie zunächst zwischen territorialer, funktionaler, Subjekt- und Zweckrepräsentation, wobei eine Institution mehrere dieser Funktionsarten verkörpern kann. Das Parlament beispielsweise könne danach zugleich Subjekte repräsentieren (die Bürger), ein Territorium, oder einen Zweck, etwa einen gemeinsamen Volkswillen. Jedenfalls sei die Gemeinschaft nicht auf eine einfache „parlamentarische Repräsentation" angelegt. Diese letztgenannte Repräsentationsform alleine entspreche nicht mehr den gegenwärtigen Anforderungen, es bestehe (auf staatlicher und Gemeinschaftsebene) ein Missverhältnis zwischen dem Anspruch parlamentarischer Verantwortung einerseits und dem Mangel an tatsächlicher Fähigkeit zur Steuerung politischer Prozesse andererseits. Ziel des Governance-Ansatzes (auf den sich Verhoeven bezieht) sei es, diese Lücke zu überwinden, indem die in der Gemeinschaft entwickelten Steuerungspraktiken als theoretisch analysiert, reflektiert und verbessert würden. Im Rahmen des GovernanceAnsatzes wird zentral auf die Mitwirkung gesellschaftlicher Gruppen am Entscheidungsprozeß abgestellt118. In der Folge erläutert Verhoeven die funktionale Repräsentation als Mittel zur Einbeziehung der Zivilgesellschaft 115 Diese Einheit von Volk und Repräsentanten lag beispielsweise dem oben besprochenen Modell E. Kleins in, Die Problematik des ministerialfreien Raumes, zugrunde. 116 A. Verhoeven, The European Union, S. 28. 117 A. Verhoeven, The European Union, S. 196ff. 118 Siehe A. Verhoeven, The European Union, S. 204ff.

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unter Hinweis auf die Legitimation dieses Ansatzes durch das pactum unionis. Dazu zählen vor allem die Entscheidungswege im Ausschußverfahren der Kommission und die Mitwirkung des Wirtschafts- und Sozialausschusses. Allerdings lehnt sie es ab, den diversen Interessengruppen rechtsverbindliche politische Entscheidungskraft zu Ubertragen119. Abgesehen davon, dass ihr Ansatz also keine Antwort auf die Frage nach der Struktur (Unabhängigkeit) und damit Legitimation wirklich entscheidungsbefugter Institutionen geben kann, stellt er auch in Bezug auf die Analyse des politischen Entscheidungsprozesses auf das deliberativ-diskursive Konzept ab120. Insofern entspricht das Modell Verhoevens dem Modell der Anhänger partizipativer Verfahren auf staatlicher Ebene. Das diskursive Modell wurde in legitimationstheoretischer Hinsicht allerdings als unzureichend erkannt. Das Abstellen Verhoevens auf das Diskursideal bezüglich des politischen Entscheidungsprozesses führt in institutioneller Hinsicht dazu, dass sie wie die Anhänger des deliberativen Supranationalismus schwerpunktmäßig das Ausschußverfahren der Kommission bevorzugt. VII. Die Theorie des liberalen

Intergouvernementalismus

Der ökonomische Ansatz, etwa die Public Choice-Theorie, wird auch zur Analyse der Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene angewandt121. Auch diese werden zentral von Präferenzen der Akteure und von Anreizen bestimmt, denen die Akteure ausgesetzt sind. Daneben wurde das ökonomische Paradigma aber auch auf politikwissenschaftlicher Seite zur Erklärung europäischer Entscheidungsprozesse aufgegriffen und mit Theorien aus dem Bereich der internationalen Beziehungen zusammengeführt. Insbesondere Moravcsik legt in seiner „liberalen intergouvernementalen Theorie"122 das ökonomische Paradigma von eigennutzorientiertem und rationalem Verhalten als Grundlage für die Analyse europäischer Entscheidungsprozesse zugrunde123. Moravcsik weist selber darauf 119

A Verhoeven, The European Union, S. 215f. A. Verhoeven, The European Union, S. 37ff. 121 Siehe etwa R. Vaubel, A Public Choice approach to international organization, Public Choice 51 (1986), S. 39-58; R. Vaubel, The political economy of centralization and the European Community, Public Choice 78 (1994); G. Majone, Regulating Europe: Problems and Prospects, in: Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 3 (1989), S. 159-177; Berthold, Wirtschaftspolitik in Europa - neue Wege nach Maastricht?, in: S. Griller (Hrsg.), auf dem Weg zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, Wien 1993. 122 A. Moravcsik, Preferences and Power in the European Community: A Liberal Intergovernmentalist Approach, in: Journal of Common Market Studies 31 (1993), S. 474—482. 123 A. Moravcsik, a.a.O., S. 495f. 120

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hin, dass sein Ansatz daneben auf den Theorien der Internationalen Politischen Ökonomie, der Verhandlungsanalyse und der Regimetheorie beruht124. Daraus ergibt sich, dass das außenpolitische oder eben europäische Handeln der Regierungen im Wesentlichen von den Interessen gesellschaftlicher Gruppierungen bestimmt wird125. Die nationalen Regierungen bringen in die internationalen Verhandlungen die vorher im innerstaatlichen Bereich abgeklärten Positionen ein. Der politische Entscheidungsprozeß besteht somit aus einer ersten, staatlichen und einer zweiten, europäischen Phase. Ob eine Kooperation zwischen den Regierungen zustande kommt, ist dann abhängig von deren Kosten-Nutzen-Abwägungen. Dabei ist davon auszugehen, dass sie daran interessiert sind, sich Machtpositionen zu sichern. Verhandlungen stellen danach einen Prozess kollektiven Handelns dar, durch den die unterschiedlichen Interessen in Einklang gebracht werden126. Auch für die europäische Ebene bietet das ökonomische Paradigma damit ein recht präzises, anreizorientiertes und auf die speziellen Fragen des Integrationsprozesses hin ausgerichtetes Instrumentarium, das als analytische Grundlage für die weitere Untersuchung dienen soll. Moravcsik selber wendet sein anreiz- und interessenbezogenes Konzept auf die Frage nach der demokratischen Legitimität der Europäischen Union an127. Zwar wird hier seine anreizorientierte Methode für die Begründung demokratischer Legitimation mit dem ökonomischen Ansatz angewandt. Moravcsiks Schlussfolgerungen über die Rolle nationaler Regierungen (ausschlaggebend und sehr stark) und internationaler oder supranationaler Institutionen, etwa der Kommission (eher schwach), werden aber nicht übernommen. Wie in den achtziger Jahren bei Vorbereitung und Einführung des Binnenmarktes und der Einheitlichen Europäischen Akte deutlich wurde, kann durchaus auch eine supranationale Institution eine wichtige Rolle im Integrations- und Entscheidungsprozess spielen128. Aus der anreizorientierten Methode zur Erklärung politischen Verhaltens die Aussagen Moravcsiks abzuleiten, ist auch nicht zwingend. Gerade die Kommission wird ja nach der Public-Choice-Theorie in der Rolle eines Policy-Entrepreneurs gesehen, der politische Prozesse anstoßen soll, die sonst nicht stattfinden würden. Die 124

A. Moravcsik, a.a.O., S. 517. A. Moravcsik, a.a.O., S. 483. 126 A. Moravcsik, a.a.O., S. 497. 127 Siehe A. Moravcsik, In Defence of the Democratic Deficit: Reassessing Legitimacy in the European Union, in: Journal of Common Market Studies 40 (2002), S. 603-624. 128 Siehe K. Featherstone, Jean Monnet and the „democratic deficit" in the EU, in: Journal of Common Market Studies 32 (1994), S. 164. 125

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Betonung der Rolle der Regierungen in Moravcisks Modell scheint daher eher aus dem Bereich der internationalen Beziehungen abgeleitet. Für diese Arbeit folgt daraus, dass Anreizorientierung nach ökonomischer Methode auch im Bereich der internationalen Beziehungen und der Integrationsforschung ihren Platz haben kann. Die Schlussfolgerungen aus dieser methodischen Grundlage werden dann aber nicht aus dem Bereich der Integrationsforschung übernommen, sondern in § 7 selber entwickelt. VIII. Zwischen Markt und Hierarchie - der Netzwerkansatz als analytische Grundlage? Mit dem „Netzwerkmodell" existiert eine Theorie aus dem Bereich der Governance-Forschung, die den europäischen Entscheidungsprozeß zu beschreiben versucht. Politische Entscheidungsprozesse auf EU-Ebene werden als „Netzwerk" beschrieben. Der Netzwerkansatz hat dabei ein recht konkretes Bild politischer Entscheidungsfindung entwickelt, das sich vom ökonomischen Ansatz methodisch unterscheidet. Im Folgenden sollen einige Aussagen des Netzwerkansatzes darauf untersucht werden, ob sie eine EUspezifische Erweiterung des ökonomischen Modells leisten können, beziehungsweise eine genauere Modellgrundlage abgeben. Die Beschreibung des politischen Systems als Netzwerk stammt aus der Organisationssoziologie und entstand Ende der siebziger Jahre129. Erkenntnis dieses Ansatzes ist, dass das Umfeld von Organisationen zum guten Teil aus anderen Organisationen besteht. Diese, und nicht irgendein undefinierbares Publikum, sind die relevantesten Interaktionspartner. Analytisch gesehen stellt sich das Netzwerk als Synthese von Markt und Hierarchie dar: Märkte durch das Fehlen einer strukturellen Kopplung zwischen den einzelnen Elementen gekennzeichnet, die Hierarchie durch feste Kopplung, und Netzwerke durch eine lose Kopplung. Das Netzwerk ist eine Mischung aus Markt und Hierarchie, da es wie der Markt aus einer Vielzahl von Akteuren besteht, andererseits wie im hierarchischen System gewählte Ziele durch koordiniertes Handeln verfolgen kann130. Die grundsätzliche Problemlösungsfähigkeit von Netzwerken hängt von ihrer Funktionslogik ab, natürlich mit Schwankungen im Einzelfall je nach beteiligten Personen und Situationen. Policy-Netzwerke bestehen aus Akteuren mit unterschiedlichen, aber 129

Die folgende Zusammenfassung entstammt größtenteils aus: R. Mayntz, Policy-Netzwerke und die Logik von Verhandlungssystemen, in: Kenis/Schneider (Hrsg.): Organisation und Netzwerk, S. 471-496. 130 R. Mayntz, Policy Netzwerke und die Logik von Verhandlungssystemen, a.a.O., S. 477.

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gegenseitig abhängigen Interessen. Tausch und Aushandlung von Lösungen sind die Logik des Netzwerkhandelns131. Das gemeinsame Aushandeln von Lösungen steht dabei im Gegensatz zur Marktlogik des Wettbewerbes, die nur an Eigeninteressen orientiert ist, und der Logik von Autorität (Befehlsstrukturen) im hierarchischen System. Mayntz beschreibt die Netzwerklogik als Verhandlungssystem: während Tausch durch ein Kalkül aus individuellem Interesse geleitet werde, zielen Verhandlungen auf ein gemeinsames Ergebnis ab. Der strukturelle Grund, warum diese Verhandlungslogik vorherrscht, ist, dass ein Netzwerk nur aus einer beschränkten Zahl Handelnder besteht132. Unterschieden wird zwischen Interessenausgleich (bargaining) und Aufgabenerfüllung (problem solving). Charakterisiert wird das Handeln der Akteure durch eine Mischung aus Durchsetzung eigener Interessen und gemeinsamer Problemlösung133. Der politische Prozess in der Gemeinschaft kann als ein solches „transnationales Verhandlungssystem" gesehen werden, geprägt von der Dominanz der nationalstaatlich verfassten politischen Systeme und ihrer Mechanismen134. Empirisch gestützt wird diese Annahme durch die Erkenntnis, dass sich beispielsweise in der EG die Interessendachverbände nicht zu zentralen Organisationen und somit zu einer Stütze für ein politisches System auf EGEbene entwickelt haben, sondern im wesentlichen Koordinationsfunktion wahrnehmen135. Auch die Rolle der nationalen Regierungen im politischen Prozess auf EG-Ebene unterstützt diese Ansicht136. Der Netzwerkansatz ist neben den ökonomischen Modellen als das präziseste Modell politischer Entscheidungsabläufe anzusehen. Aus zwei methodischen Gründen werden im Folgenden aber dennoch ökonomische Theorien auch für die Erklärung europäischer Entscheidungsabläufe bevorzugt: Erster und wichtigster Kritikpunkt ist, dass die beiden Entscheidungsmodalitäten Interessendurchsetzung und Problemlösung - ähnlich wie beim Konzept des deliberativen Supranationalismus zu einem größeren Ungenauigkeitsspiel131 P. Kenis/V. Schneider. Policy Networks and Policy Analysis: Scrutinizing a New Analytical Toolbox, S. 25-54; R. Mayntz, Policy Netzwerke und die Logik von Verhandlungssystemen, in: Kenis/Schneider (Hrsg.), Organisation und Netzwerk, S. 478f. 132 R. Mayntz, Policy Netzwerke und die Logik von Verhandlungssystemen, in: Kenis/Schneider (Hrsg.), Organisation und Netzwerk, S. 481. 133 So auch für das Netzwerkhandeln R. Mayntz, Policy-Netzwerke und die Logik von Verhandlungssystemen, in: Kenis/Schneider (Hrsg.), Organisation und Netzwerk, S. 471-496. 134 Ausdruck von F. Scharpf, zitiert in: Welz/Engel, Die EG im Spannungsfeld von Integration und Kooperation, S. 165. 135 Welz/Engel, Die EG im Spannungsfeld von Integration und Kooperation, S. 165. 136 Vgl. H. Wallace, National Governments and the European Community, zitiert über Welz/Engel, Die EG im Spannungsfeld von Integration und Kooperation, S. 165.

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räum führen als bei der Eigeninteressenannahme der ökonomischen Theorie. Die Public Choice- Theorie versucht das Zustandekommen von Kooperation und gemeinsamer Problemlösung aus dem individuellen Eigeninteresse der Beteiligten zu erklären und liefert so eine begründbarere und präzisere Erklärung, warum es in manchen Feldern zu Kooperation kommt und in anderen nicht. Zweiter Kritikpunkt ist, dass der Netzwerkansatz zu viele „Variablen" in sein Modell des Entscheidungsprozesses einzubauen versucht. Zwar scheint er sich zunächst durch die Begrenzung auf einige Organisationen gegenüber dem diffusen Markt auf wenige Akteure zu beschränken. Gerade die Berücksichtigung der verschiedenen Eigenschaften von Personen und Organisationen führt aber zu einer Vielzahl weiterer zu berücksichtigender Faktoren. Insofern erscheint es präziser, mit den ökonomischen Ansätzen zunächst auf Individualinteressen und in der Folge nach den Gesetzen kollektiven Handelns auf die Durchsetzung von Interessen durch Gruppen abzustellen und alle weiteren Entscheidungsabläufe daraus zu konstruieren. IX. Konsozietale Demokratie Nach Lijphart existieren zwei verschiedene, idealtypische institutionelle Ausprägungen von Demokratien137. Dies sind die so genannten „Konsensdemokratien" und die „ M e h r h e i t s d e m o k r a t i e n " oder auch „Westminsterdemokratien"138. Konsensdemokratien zielen durch vielfaltige Mechanismen auf Macht- und Kompetenzbegrenzungen ab, während Mehrheitsdemokratien politische Macht bei möglichst wenigen Institutionen und Personen konzentrieren. Zehn Merkmale kennzeichnen nach Lijphart die Konsensdemokratien. Dazu gehören unter anderem Verhältniswahlrecht, föderalistische oder dezentrale Staatsorganisation, die Existenz eines Vielparteienstatt 2-Parteien-Systems, eine ausgebaute richterliche Prüfungskompetenz gegenüber der Gesetzgebung sowie eine unabhängige Zentralbank139. 137 A. Lijphart, Pattems of Democracy, Government Forms and Performance in Thirty - Six Countries. Lijphart weist selber darauf hin (S. 5f.), daß bereits vor ihm andere Autoren mit ähnlichen Unterscheidungen wie der zwischen Mehrheits- und Konsensdemokratie arbeiteten. Auf S. 50 findet sich eine Auflistung der untersuchten Demokratien. 138 A. Lijphart, Patterns of Democracy, S. 2. 139 Die fünf weiteren Merkmale sind: (1) Aufteilung der Exekutivmacht auf eine Vielparteienkoalition, (2) formelles und informelles Kräftegleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative, (3) koordinierte und korporatistische Interessengruppensysteme, (4) Zweikammersystem mit gleich starken und unterschiedlich konstitutierten Kammern, und (5) eine nur unter erschwerten Bedingungen (große Mehrheiten erforderlich) veränderbare, geschriebene Verfassung.

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Lijphart unterscheidet unter diesen strukturellen Merkmalen zwei verschiedene Gruppen, solche der „executives-parties dimension" und solche der „federal-unitary dimension"140. Konsensuale Merkmale der letzteren Gruppe sind eine föderale Staatsstruktur, eine legislative Zwei-KammerStruktur, geschriebene Verfassungen, die Existenz einer Gesetzeskontrolle durch die Gerichtsbarkeit sowie eine unabhängige Zentralbank141. Lijpharts Untersuchung zeigt, dass vor allem innerhalb der beiden Gruppen von Merkmalen Zusammenhänge bei der Organisationsstruktur bestehen142. In föderalistisch organisierten Staaten fand sich beispielsweise häufig eine unabhängige Zentralbank und/oder eine Verfassungsgerichtsbarkeit143. In Staaten, in denen eine unabhängige Zentralbank bestand, fand man oft auch eine Verfassungsgerichtsbarkeit, wenn auch der gefundene Zusammenhang hier etwas schwächer war144. Zwischen den Merkmalen der ersten und der zweiten Gruppe ließen sich dagegen keine statistischen Zusammenhänge nachweisen. Lijpharts Untersuchung zeigt, dass das Mehrheitsmodell entgegen der „geläufigen Meinung" durchaus nicht das am weitesten verbreitete ist, sondern das Konsensmodell oder zumindest Elemente davon die meisten Demokratien prägen145. Insbesondere Demokratien mit einer heterogenen Gesellschaftsstruktur (sog. plurale oder konsozietale Gesellschaften) sind häufig als Konsensdemokratien organisiert146. Plurale Gesellschaften sind gekennzeichnet durch soziale Trennlinien entlang sprachlicher, religiöser, ethnischer oder anderer kultureller Merkmale. Solche Gesellschaften bestehen in der Schweiz, Belgien, Nordirland oder bestanden bis in die siebziger Jahre in Österreich und den Niederlanden147. 140

A. Lijphart, a.a.O., S. 3ff. A. Lijphart, a.a.O., S. 3ff.; zur ersten Gruppe gehören (1) Vielparteienkoalitionen in der Regierung, (2) Gleichgewicht von Exekutive und Legislative, (3) Mehrparteiensystem, (4) Verhältniswahlrecht und (5) korporatistisch geprägtes System von Interessengruppen. 142 A. Lijphart, a.a.O, S. 2ff. mit Hinweis auf vorangegangene Untersuchungen und S. 244 und 248 mit Schaubildem seiner Untersuchungsergebnisse. 143 A. Lijphart, a.a.O., S. 240ff., mit einer Übersicht auf S. 244. 144 A. Lijphart, a.a.O., S. 244. 145 A. Lijphart, a.a.O., S. 6f. 146 A. Lijphart, a.a.O., S. 32ff. 147 Die Entdeckung der konsozietalen Demokratien, deren Entscheidungssystem auf einem Aushandlungsprozesß zwischen verschiedenen Gesellschaftsgruppen aufbaut, wird Gerhard Lehmbruch zugeschrieben, der diese Art von Entscheidungsfindung 1967 in einer Studie über die Schweiz und Österreich nachwies (G. Lehmbruch, Proporzdemokratie, Tübingen 1967). In konsozietalen Gesellschaften findet sich überdurschnittlich häufig eine gesellschaftlichpolitische Struktur, die als Konkordanzmodell bezeichnet wird. In diesen Systemen wird die politische Meinungsbildung zuerst in den gesellschaftlichen Subsystemen vorgenommen und 141

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Die Ergebnisse Lijpharts können aber die Frage, unter welchen Umständen unabhängige Institutionen entstehen und wie ihre Vereinbarkeit mit demokratischen Staatsstrukturen begründet wird, nicht befriedigend beantworten. Seine Untersuchung erklärt nicht, warum in manchen Staaten unabhängige Institutionen (und in welchen Feldern) entstehen, warum in anderen nicht und warum sich manche Staaten von Mehrheits- zu Konsensdemokratien entwickeln. Lijphart stellt nur fest, dass es sich so verhält. Nur für den Fall so genannter pluraler oder konsozietaler Gesellschaften gibt er Gründe dafür an, warum das Konsensmodell häufiger als das Mehrheitsmodell existiert und auch passender erscheint148. Allerdings ließ sich kein Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Grundlage in den untersuchten Staaten (heterogen bzw. segmentiert oder homogen) und der Bildung unabhängiger Institutionen feststellen149. Weder in der Schweiz noch Belgien (als Beispiele pluraler Gesellschaften mit einer Konsensdemokratie) fanden sich besonders viele unabhängige Institutionen. Ebenfalls kein Zusammenhang fand sich bezüglich der Frage, ob unabhängige Institutionen (Zentralbanken und Verfassungsgerichte) öfter in Konsensdemokratien oder Mehrheitsdemokratien eingerichtet werden. Vielmehr zeigt die Untersuchung Lijpharts, dass unabhängige Institutionen sowohl in Staaten mit anderweitig stark konsensualen Strukturen (Deutschland, Schweiz) als auch in Staaten mit vielen Merkmalen von Mehrheitsdemokratien (Vereinigte Staaten, Kanada und Australien) bestehen150. Die Ergebnisse der Untersuchung deuten insgesamt darauf hin, dass nicht primär die gesellschaftliche Struktur eines Landes oder der politischen Einheit oder die Klassifizierung als Konsens- oder Mehrheitsdemokratie entscheidend für die Bildung unabhängiger Institutionen ist. Ausschlaggebend für die Bildung unabhängiger Institutionen scheint vielmehr die jeweils vorherrschende Vorstellung von demokratischer Staatsorganisation zu sein. X. Die Input-Output Differenzierung Der oben in Kapitel 8 erläuterte Input-Output-Ansatz wurde von Scharpf auch auf die europäische Ebene übertragen. In der Konsequenz ist danach dann durch die Vertreter der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen eine gemeinsame Lösung ausgehandelt. Dazu R. Czada/M. Schmidt, Einleitung, in: dies. (Hrsg.) Verhandlungsdemokratie, Interessenvermittlung, Regierbarkeit - Festschrift für Gerhard Lehmbruch, S. 7 ff. 148 Siehe A. Lijphart, a.a.O., S. 32ff. 149 A. Lijphart, a.a.O., S. 41. 150 Siehe die Übersicht bei A. Lijphart, a.a.O., auf Seite 248.

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eine europäische Demokratietheorie als output-bezogen anzusehen und damit auf den Ausgleich von Interessen bezogen. Die Gemeinschaftsinstitutionen erlangen demokratische Legitimität, wenn sie alle Interessen gleichwertig berücksichtigen und wenn Kosten und Nutzen aller Maßnahmen nach gerechten Maßstäben verteilt werden151. Grund dafür, dass eine europäische Demokratietheorie als outputbezogen einzustufen ist, ist, dass input-orientierte Demokratieansätze, die sich normativ auf Zustimmung und Konsens stützen, einen „Gemeinsamkeitsglauben", der aus einer kollektiven Identität entstammt, voraussetzen152. Nur dann erscheinen Mehrheitsentscheidungen auch für die unterlegene Minderheit akzeptabel. Für die Europäische Union ergibt sich damit trotz steigender Kompetenzen des Parlamentes ein „Demokratiedefizit"153, denn die nicht-institutionellen Grundlagen der parlamentarischen InputLegitimation - insbesondere eine starke Kollektividentität - , die zu breiter Beteiligung an Wahlen führen, fehlen nach wie vor154. Zwar sei die InputLegitimation in Form partikulärer Interessenvermittlung durch organisierte Interessen auf europäischer Ebene durchaus stark ausgeprägt155. Dies reiche aber nicht aus, um eine stärker intervenierende um umverteilende europäische Politik zu stützen. Für output-orientierte Legitimationsansätze sei zwar auch eine gewisse kollektive Identität nötig, aber nicht in so ausgeprägtem Maße wie für inputorientierte Demokratietheorien. Ausreichend sei bereits eine einigermaßen stabile Wahrnehmung, dass gemeinsame Interessen bestünden, die ein kollektives Handeln durch gemeinsame Institutionen rechtfertigen. Die Situation in der Europäischen Union könne daher durch einen output-orientierten demokratietheoretischen Ansatz gut erfasst werden, während sich auf staatlicher Ebene Input- und Output-Elemente gegenseitig ergänzten. Die Analyse des „Demokratiedefizits" lasse sich nur überwinden, wenn man mit der Input-Output-Differenzierung akzeptiere, dass eine europäische Demokratie eben output-basiert sei, im Gegensatz zu den staatlichen gemischten Legitimationssystemen156.

151

F. Scharpf, Governing in Europe, S. 13. F. Scharpf, Governing in Europe, S. 8 mit Verweis auf Max Weber bezüglich des Begriffes „Gemeinsamkeitsglauben". 153 F. Scharpf, a.a.O., S. 9. 154 F. Scharpf, Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaats, MPIfG Working Paper 04/6, November 2004, unter 4.1.1. 155 F. Scharpf, Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaats, unter 4.1.1. 156 F. Scharpf, Governing in Europe, S. 12. 152

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Hier stellt Scharpf wieder auf das Legitimationskriterium tatsächlicher Akzeptanz durch die Individuen ab, während der Vertragsansatz auf einer normativen Legitimationsebene argumentiert. Auf der normativen Ebene ist eine europäische Demokratie aber auch nach Scharpf nicht anders konstruiert als eine staatliche Demokratie. Allerdings bleibt damit die oben in Teil 2 Kapitel 8 formulierte Kritik an der Legitimationseinteilung Scharpfs bestehen, so dass sie für die europäische Ebene kein klares analytisches Werkzeug für die Bewertung von vertragsbasierten Demokratietheorien bietet. XI. Der ökonomische Ansatz auf europäischer Ebene Auch für den Entscheidungsprozeß in der EU stellt sich die Frage nach der Durchsetzung von Interessen, nach den Anreizen für die Entscheidenden und nach der Organisierbarkeit von Gruppen. Die oben in Teil 2 dargestellten theoretischen Grundlagen des Transaktionskostenansatzes, nach denen das kollektive Handeln analysiert wurde, gelten auch für die europäische Ebene157. Zu berücksichtigen sind auf Gemeinschaftsebene die durch die nationalen Regierungen vertretenen Interessen, hinter denen sich teilweise klar strukturierte Gruppeninteressen verbergen. Zu den bereits auf nationaler Ebene bestehenden Verteilungskämpfen der Interessengruppen treten also noch die Regionen und Staaten (als „Interessengruppen") hinzu158. Zu untersuchen ist, inwieweit sich diese „Rent-Seeking"-Prozesse auf europäischer Ebene anders als in den bisher untersuchten Entscheidungssystemen auswirken. Nach skeptischer Auffassung existieren auf Gemeinschaftsebene kaum wirksame Kontrollkräfte, die den existierenden Gruppeninteressen entgegentreten könnten159. Dem steht die These entgegen, dass die Beeinflussung der politischen (gemeint sind unmittelbar gewählte) Institutionen in großen Einheiten schwerer fällt, als in kleinen Einheiten160. Sie geht auf James Madi-

157 Siehe zur Beschreibung kollektiven Handelns auf europäischer Ebene B. Kohler-Koch, Die Gestaltungsmacht organisierter Interessen, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, S. 194f. 158 Siehe zu dieser Problematik etwa Crombez, Spatial models of logrolling in the European Union, European Journal of Political Economy 16 (2000), S. 735f.; B. Steunenberg, Decision Making under different institutional arrangements, in: Journal of Institutional and Theoretical Economics 150 (1994), S. 642-669. 159 Erlei/Leschke/Sauerland, Neue Institutionenökonomik, S. 501. 160 Die folgende Darstellung und Verweise stammen aus R. Vaubel, The Public Choice Analysis of European Integration, in: Journal of Political Economy 10 (1994), S. 238ff.

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son zurück161. Zentralisierung reduziert danach den Einfluss von Interessengruppen in einem größeren Staat, weil sie dazu tendieren, sich selbst zu blockieren162. Diese Beobachtung gilt allerdings bisher nur für Gruppen mit lokalen und nationalen, nicht aber mit europaweiten Interessen. Das Argument, dass sich in einem größeren politischen System Gruppen gegenseitig blockieren, gilt jedoch nicht immer, wie anhand des BSE-Falles deutlich wurde, so genannte nationale Interessen vermögen sich durchzusetzen, wenn die Vertreter der anderen Staaten und Gruppen ein weniger starkes Allgemeininteresse nicht zu verteidigen bereit sind163. Hinzu kommt, dass die Zentralisierung der Entscheidungsfindung in den Gemeinschaftsinstitutionen die Kosten der Informationen für Individuen oder Steuerzahler steigert164. Im Ergebnis kann damit festgehalten werden, dass keine Abschwächung der oben in Kapitel 7 und 9 dargestellten Problematik hinsichtlich kollektiven Handelns für die europäische Ebene festgestellt werden kann165. An zwei Beispielen soll illustriert werden, dass das ökonomische Paradigma durchaus auch Besonderheiten des europäischen Entscheidungsprozesses erfassen kann und nicht als „zu eng" anzusehen ist, um als analytische Grundlage zu dienen: Zum einen wird auf die Frage eingegangen, wie Integration zustande kommt. Zum anderen wird das Phänomen untersucht, dass in unterschiedlichen Entscheidungsverfahren (vgl. Rat, Komitologie, Parlament) unterschiedliche „Arten" des Entscheidungsprozesses auftreten, (intergouvernemental, infranational, supranational). Dafür wird der ökonomische Ansatz mit zwei anderen Theorien verglichen, um zu zeigen, dass er methodisch deren anscheinende Vorteile - „weniger Präzision und dadurch realitätsnäher" - durchaus plausibel überwinden kann.

161

J. Madison, Faction and its Remedies, in: Federalist Paper Nr. 10. K. Gatsios/P. Sebright, Regulation in the European Community, Oxford Review of Economic Policy, 1989. 163 Weitere Literatur zu dieser Problematik aus Perspektive der Public Choice Theorie: R. Vaubel, A Public Choice approach to international organization, Public Choice 51 (1986), S. 39-58; R. Vaubel, The political economy of centralization and the European Community, Public Choice 78 (1994); G. Majone, Regulating Europe: Problems and Prospects, in: Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 3 (1989), S. 159-177; Berthold, Wirtschaftspolitik in Europa - neue Wege nach Maastricht? in: S. Griller (Hrsg.), auf dem Weg zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, Wien 1993. 162

164 R. Vaubel, The Public Choice Analysis of European Integration, in: Journal of Political Economy 10 (1994), S. 238. 165 J. H. Weiler, The Constitution of Europe, S. 62f. sieht die Gefahr, dass in den europäischen Entscheidungsprozessen diffuse Interessen schlecht vertreten werden und hält dies für eine Gefahr für die Balance sozialer und politischer Kräfte auf der Gemeinschaftsebene.

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1. Homo Oeconomicus und Europäische Integration Die Theorie des (Neo-)Funktionalismus (s.o.) beschreibt als fördernde Kraft der europäischen Integration die Interessen von Industrieunternehmen, Verbänden und Gewerkschaften166. Nach dem neofunktionalistischen Modell wird der europäische Integrationsprozeß mit rationalem Verhalten der verschiedenen Akteure zu erklären versucht167. Zwar ist bis heute strittig, welche Faktoren (Variablen) in eine Integrationstheorie einbezogen werden müssten168. Eine Rationalitätsannahme im weiten Sinne, die viele akteursbezogene und externe Faktoren für die Erklärung des europäischen Integrationsprozesses berücksichtigt, ähnelt durchaus dem rationalen Homo Oeconomicus-Modell, das ebenfalls offen ist für die Einbeziehung verschiedener Eigeninteressen in die Modellierung des politischen Entscheidungsprozesses169. Das Interesse von Unternehmen, Verbänden oder Gewerkschaften an Integration kann durchaus als ein solches Interesse im Sinne der Neuen Politischen Ökonomie angesehen werden. Der Neofunktionalismus beschreibt in Folge seiner Grundannahmen die unterschiedlich hohe Integrationsfähigkeit verschiedener Politikfelder. Er geht vom Prinzip sektoraler Integration (sector integration principle) aus170. Der funktionelle Organisationsansatz führt zu einer Entflechtung und Isolierung spezifischer Rationalitätskriterien durch Ausdifferenzierung einzelner Politikbereiche171. Rationalitätskriterien sind nach Lepsius verfahrensmäßig bestimmte Handlungsorientierungen, die sich auf die Verwirklichung bestimmter Ziele richten172. Solche Rationalitätskriterien können aus funktionalistischer Sicht besonders für die gemeinschaftliche Wirtschaftspolitik bestimmt werden173. Beispiele sind die Durchsetzung der Grundfreiheiten, eine bestimmte Währungspolitik, Beseitigung von Handelshemmnissen oder das Diskriminierungsverbot. Speziell die Tätigkeit der EG-Kommission in diesen Bereichen beruht auf dem Prinzip der sektoralen Ausgrenzung von 166

E. Haas, The Uniting of Europe, S. 313. K. Busch, Spill-over Dynamik und Spill-back Potential, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch, Europäische Integration, S. 308. 168 Siehe K. Busch, a.a.O., S. 283ff. 169 Siehe zum Verständnis von Eigeninteressen Kapitel 7: ein Politiker richtet sein Interesse primär auf die Maximierung von Wählerstimmen und nicht von Vermögen. 170 E. Haas, a.a.O., S. 313. 171 M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 310 zur Ausdifferenzierung von Rationalitätskriterien; M Lepsius, Die Europäische Gemeinschaft, S. 315. 172 M. Lepsius, Die Europäische Gemeinschaft, S. 310. 173 G. Nicolaysen, Gemeinschaftsverfassung im Zeichen der Wirtschafts- und Währungsunion, in: Integration 1971, S. 90, 101. 167

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Politikfeldern, die einem spezifischen, isolierten Rationalitätskriterium unterworfen werden, das die Maxime der Handlungsorientierung der Kommission bildet174. Durch diese Auskoppelung eines Teiles der Verwaltung können sich die zuständigen Institutionen aus der politischen Öffentlichkeit der Nationalstaaten lösen, wodurch die soziale Durchschlagskraft des Kriteri175

ums steigt Gerade das Unterscheiden nach Sektoren (gemeint sind Politikfelder) bei der Analyse politischer Entscheidungsprozesse ist auch Merkmal des oben dargestellten Analyseansatzes von Wilson. Auch die Public ChoiceAnalysen gehen davon aus, dass in unterschiedlichen Politikfeldern verschiedene Interessenkonstellationen aufeinander treffen und so politische Entscheidungsprozesse je nach Interessenkonstellation des betreffenden Politikfeldes auch unterschiedlich verlaufen. 2. Verschiedenartigkeit der Entscheidungsfindung in unterschiedlichen Institutionen Als charakteristisch für die Entscheidungsprozesse auf Gemeinschaftsebene wird gesehen, dass sich die Entscheidungsverfahren je nach institutionellem Umfeld unterscheiden: die Entscheidungsfindung im Rat (intergouvernemental) sei anders als in Kommission und Parlament (supranational), insbesondere im Ausschußverfahren. Die intergouvernementale Entscheidungsfindung im Rat ist mit der Public Choice-Theorie gut erklärbar, wenn so genannte „nationale Interessen" als Motiv des Handelns der Ratsmitglieder angenommen werden. Die Andersartigkeit der Entscheidungsprozesse, insbesondere im Ausschußverfahren, wird aber als Argument gegen eine Anwendung der Public Choice-Theorie verwandt: diese könne die Realität gemeinsamer Problemlösung im Ausschußverfahren nicht erfassen176. Ein Ansatz, der diese gemeinsame Problemlösungskapazität zu beschreiben versucht, ist das oben erwähnte Netzwerkmodell. Es soll kurz dargestellt werden, welchen Ansatz es zur Erklärung der „gemeinsamen Problemlösung" in manchen Entscheidungsverfahren bietet. Dann wird untersucht, ob diese Annahmen nicht auch mit der Public Choice-Theorie berücksichtigt werden können.

174

M. Lepsius, Die Europäische Gemeinschaft, S. 315f. M. Lepsius, Die Europäische Gemeinschaft, S. 315. 176 Siehe Chr. Joerges, Kafkaeske Bürokratie oder Beispiel „deliberativen Regierens", in: Joerges/Falke (Hrsg.), Das Ausschußwesen in der Europäischen Union, S. 38. 175

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Nach dem Netzwerkansatz ist die Respektierung der als legitim akzeptierten Interessen der Verhandlungspartner kennzeichnend für Verhandlungen, die in kooperative Dauerbeziehungen eingebettet sind. Die institutionelle Konsolidierung führt zu einer Logik des Kompromisses. Sie stellt den Interessenausgleich sicher, ist aber nicht unbedingt auf die sachlich beste Lösung ausgerichtet177. Ein Lösungsansatz aus dieser Problemstellung stammt wiederum aus der Organisationssoziologie: die Möglichkeit der Entkoppelung der aktuellen Handlungsmotive der Netzwerkmitglieder von den grundsätzlichen Zielen ihrer Organisationen178. Die Akteure sind unter bestimmten Bedingungen und innerhalb bestimmter Grenzen bereit, zugewiesene Aufgaben nach extern gesetzten Regeln und Kriterien zu erfüllen, ohne bei jeder Handlung eventuelle Kosten und Nutzen für ihre Organisation in Betracht zu ziehen. Dafür müssen sich die Akteure zum einen mit dieser Aufgabe identifizieren, zum anderen darf dem Handelnden das optimale Erfüllen der ihm übertragenen Ziele keine eigenen Kosten verursachen. Dagegen soll ein „ E r f o l g s h o n o r a r " a i s Leistungsanreiz dienen. Übertragen auf das Verhandlungssystem bedeutet das, dass die Beteiligten durch ein besseres Ergebnis aus der Dimension der Aufgabenerfüllung möglicherweise individuelle Vorteile, aber keine Nachteile haben dürfen. In der Praxis politischen Handelns ist man sich dieser Zusammenhänge bewusst und versucht, Mitentscheidungskompetenz und Betroffenheit zu entkoppeln. Eine solche Entkoppelung ist aber in Policy Netzwerken schwer zu erreichen. Hier sind Entscheider und Betroffene nicht nur faktisch und in der Regel identisch - die Identität zwischen der Gruppe der Entscheider und dem entscheidungsoffenen System ist vielmehr der Kern horizontaler Kooperation der Policy-Netzwerke (im Gegensatz zum hierarchischen System)179. Als Lösung wird eine Gremiendifferenzierung je nach Aufgabe oder eine situative Differenzierung der entscheidenden Personen vorgeschlagen. Allerdings wird in Policy- Netzwerken eine Situationsdefinition, die die Beteiligten zur primären Orientierung am Gesamtinteresse motiviert, schwer fallen, denn schließlich sind die korporativen Akteure im Netzwerk auf die Verfolgung partikularer Interessen festgelegt. In der Organisationssoziologie wurde herausgefunden, dass die Handlungsorientierung der einzelnen Mitglieder von Organisationen charakteristische Unterschiede aufweist. Die Angehörigen der Management-Hierarchie identifizierten sich eher mit der 177

R. Mayntz, Policy Netzwerke und die Logik von Verhandlungssystemen, S. 485. R. Mayntz, Policy Netzwerke und die Logik von Verhandlungssystemen, S. 485 m.w.N. 179 R. Mayntz, Policy Netzwerke und die Logik von Verhandlungssystemen, S. 487. 178

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Organisation, die professionellen Experten eher mit den Standards und ihrer wissenschaftlichen Gemeinschaft. In dem Ansatz der Gremiendifferenzierung findet sich ein Anknüpfungspunkt dafür, wie Unterschiede zwischen bestimmten Entscheidungsverfahren für die Wahrnehmung bestimmter Politikziele genutzt werden können. Die für die Aufgabenerfüllung nötige Entkoppelung von Partikularinteressen scheint allerdings im Netzwerksystem schwer erreichbar. Die durch den Netzwerkansatz beschriebene Eigenart des Entscheidungsprozesses ist auch mit dem Public Choice-Ansatz darstellbar, weil die Interessen der auf „infranationaler Ebene" Handelnden teilweise andere sind, als die von den Entscheidungsträgern in intergouvernementalen Verfahren, etwa im Rat. Auf Sachverständigen- und Expertenebene stellen die berufliche Qualifikation und der Erhalt des Ansehens einen wichtigen Motivationsfaktor dar. Die Vertretung „nationaler Interessen" tritt allerdings dann in den Vordergrund, wenn Anweisungen von staatlicher Seite aus erfolgen, als solche wahrgenommene „nationale Interessen" zu vertreten180. Die Public Choice-Theorie kann diese unterschiedlichen Handlungsmotivationen durchaus erfassen. 3. Funktionalismus

und ökonomischer

Ansatz

Dass es auf europäischer Ebene zu einer Konstitutionalisierung der genannten Politikfelder kam, wie es dem ökonomischen Konstitutionalisierungsansatz entspricht (z.B. Wettbewerbsschutz, Währungspolitik), war nicht auf den theoretischen Erfolg des ökonomischen Konstitutionalismus auf europäischer Ebene zurückzuführen, sondern auf die Wirkung der oben genannten Theorie der Wirtschaftsverfassung sowie den neofunktionalistischen Integrationsansatz. Letzterer entspricht dem ökonomischen Ansatz insoweit, als er das Herauslösen von Politikfeldern aus dem politisierten Entscheidungsprozeß fordert. Der neofiinktionalistische Ansatz geht über den ökonomischen Konstitutionalismus in institutioneller Hinsicht aber weit hinaus: während der konstitutionalistische Ansatz nur die verfassungsrechtliche Festschreibung bestimmter politischer Ziele anstrebt, werden nach dem neofunktionalistischen Ansatz auch Entscheidungskompetenzen auf unabhängige Institutionen übertragen. Der ökonomische Konstitutionalismus dagegen will den gesamten „Leistungsstaat" unmittelbar demokratisch ausgestalten. Die Legitimationswirkung des neofunktionalistischen Ansatzes bleibt allerdings hinter der des ökonomischen 180

Siehe dazu die Darstellung der BSE-Krise in Kapitel 13 C ffl 1.

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375

Ansatzes zurück. An dieser Stelle soll untersucht werden, ob der funktionalistische Integrationsansatz eine Konkretisierung des normativen Maßstabs gleichwertiger Interessenberücksichtigung bewirken könnte. Wie im ökonomischen Konstitutionalimus werden nach dem Prinzip funktionalistischer Integration politisch vorbestimmte Ziele dem politischen Entscheidungsprozeß entzogen und auf vertraglicher, also quasikonstitutioneller Ebene vorabentschieden, etwa im Rahmen des Binnenmarktprogrammes, durch Sicherung der Grundfreiheiten, durch Wettbewerbsschutz und durch Beihilfenkontrolle. Unterschiedlich sind aber die politischen Ziele, die normative Grundlage und die Legitimationsansprüche von Neofunktionalismus und ökonomischem Konstitutionalismus. Der neofünktionalistische Ansatz zielte nicht auf eine Legitimation ab, die über die demokratische Entstehung der Gemeinschaften (Vertragsschluß durch demokratisch legitimierte Regierungen) hinausgeht. Normativer Aspekt des Integrationsansatzes war und ist das Integrationsziel. Der Funktionalismus will die Legitimitätsproblematik auf die „konsentierende Grundlage" der politischen Zielbestimmung verlagern. Insofern ist er dem ökonomischen Konstitutionalismus ähnlich. Nach dem neofunktionalistischen Ansatz stellt die Gemeinschaftsverfassung eine integrierte Verlängerung der Staatsverfassungen dar181. Für eine zusätzliche demokratische Legitimation der Gemeinschaften war weder nach Haas noch nach Gipsen Bedürfnis oder Raum182. Der neofünktionalistische Ansatz wendet sich damit gegen die Notwendigkeit oder Wünschbarkeit einer eigenständigen Legitimationsbasis supranationaler öffentlicher Gewalt183. Insoweit kann er nicht als eine Ergänzung zum Legitimationskonzept des ökonomischen Konstitutionalismus herangezogen werden. Das normative Ziel des neofunktionalistischen Ansatzes, „Integration", lässt sich aber in der Ausdrucksweise des ökonomischen Konstitutionalismus als Ziel im Sinne einer Kosten-Nutzen-Kalkulation der am Gesellschaftsvertrag teilnehmenden Individuen denken, wenn Integration als Sicherheits- und Wohlstandsgewinn verstanden wird. Der neofünktionalistische Integrationsansatz stellt in einer solchen Sichtweise eine spezielle Ausformung der ökonomischen Staatstheorie dar. Eine Präzisierung der normativen demokratietheoretischen Maßstäbe durch den neofunktio181

H. P. Ipsen, Fusionsverfassung Europäische Gemeinschaften, S. 63. Siehe oben die Ausführungen in Kapitel 11 zur neofunktionalistischen Integrationstheorie. Dieser Gedanke ähnelt dem oben dargestellten Legitimationsansatz, der die Gemeinschaft als supranationale Administration beschreibt, und ebenfalls die demokratische Legitimation in der konsentierenden Grundlage der Gemeinschaften sieht. 183 Vgl. H. P. Ipsen, Fusionsverfassung Europäische Gemeinschaften, S. 62. 182

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nalistischen Ansatz gelingt nicht. Der Integrationsgedanke kann aber, wie in Kap. 13 B. III gezeigt wird, durchaus an das demokratietheoretische Ideal gleichwertiger Interessenberücksichtigung anknüpfen. In positiver Hinsicht bedient sich die funktionelle Integrationstheorie zur Auswahl von Politikfeldern nicht der ökonomischen Analysen, die etwa der ökonomische Konstitutionalismus nutzt (etwa den Transaktionskostenansatz). Der neofunktionalistische Ansatz sucht Politikfelder nach ihrem Aufgabencharakter aus, nach der Möglichkeit „technischer" Zusammenarbeit. Wie oben im Rahmen der Untersuchungen zur Durchsetzungsschwäche von Interessen wie beispielsweise transnationalem Austausch deutlich wurde, griff der Funktionalismus dabei ursprünglich auf Politikfelder zu, die auch nach der Analyse des ökonomischen Ansatzes als „konstitutionalisierungswürdig" gelten. Solche Ziele waren der transnationale Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Personen, die Beihilfenkontrolle und der Wettbewerbsschutz. Auch auf analytischer Ebene können damit Übereinstimmungen zwischen dem neofunktionalistischen Ansatz und dem ökonomischen Konstitutionalismus festgestellt werden. Eine weitere Konkretisierung der ökonomischen Theorie durch die neofunktionalistische Theorie gelingt aber nicht.

C. Zusammenfassung Kapitel 11 In der Debatte um die Legitimation unabhängiger Institutionen auf Gemeinschaftsebene finden sich einige der Theorien, die für die staatliche Ebene entwickelt wurden, in einer um den Integrationsaspekt erweiterten Form wieder. Dazu gehört insbesondere das funktionale Repräsentationsmodell, das die Legitimität von Parlamenten und die Unterordnung aller ausführenden Institutionen unter eine parlamentarische Kontrolle betont. Die ökonomische Regulierungstheorie mit Schwerpunkt auf der Legitimität unabhängiger Regulierungsagenturen und deliberative Legitimationstheorien (wie der deliberative Supranationalismus und partizipative Legitimationstheorien) mit der Annahme, dass Interessengegensätzen durch rational ausgestaltete Entscheidungsverfahren und eine breite Einbindung staatlicher und gesellschaftlicher Akteure in den Entscheidungsprozeß am geeignetesten überwunden werden können, finden sich ebenfalls in der Diskussion über die Legitimation europäischer Staaten wieder. Diese Ansätze können aber bisher aus verschiedenen Gründen keine befriedigende Grundlage für eine europäische Demokratietheorie liefern. Die für die nationalen Demokratien bestehenden Modelle formeller Repräsenta-

Europäische Integration und Demokratisierungsdebatte

377

tion, die der Legitimität von unabhängigen Institutionen entgegenstanden, sind auf die Gemeinschaft nicht anwendbar, denn schon die Verträge gehen nicht von der Repräsentation eines einheitlichen Ganzen, sondern einer Vielfalt von Untereinheiten aus („Vertreter der Völker"). Das funktionale Demokratieverständnis kann die gegenüber der staatlichen Ebene völlig veränderten Entscheidungsprozesse in den europäischen Institutionen nicht erfassen und daher für die Bewertung der demokratischen Legitimation der europäischen Institutionen nicht einbeziehen, da es formellen und personellen Legitimationselementen Vorrang vor der Einbeziehung der positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse in die demokratietheoretische Bewertung von Institutionen gibt. Die methodische Kritik am funktionalen Ansatz aus Teil 2 der Arbeit gilt auch hier. Die Legitimationstheorien, die das diskurstheoretische Ideal zugrunde legen, der deliberative Supranationalismus und eine partizipative Legitimationstheorie, verfügen bisher über kein theoretisch präzises Modell des politischen Entscheidungsprozesses, das Grundlage einer demokratietheoretischen Bewertung unabhängiger Institutionen sein könnte. Die Integrationstheorien wie der Neofunktionalismus oder der Intergouvernementalismus verfügen über keine demokratietheoretischen normativen Elemente und stellen gegenüber der positiven Analyse der ökonomischen Theorie keine methodische Verbesserung dar. Allerdings können sie die ökonomische Theorie um die Besonderheiten des europäischen Integrationsaspektes ergänzen.

Kapitel 12

Stellung und gegenwärtige Diskussion um die Legitimation unabhängiger Institutionen in der EU Die Debatte über die Legitimation und die zukünftige Rolle unabhängiger Institutionen in der EU hat sich in letzter Zeit intensiviert1. Besonders die Europäische Kommission und das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) standen dabei im Zentrum der Aufmerksamkeit. Aber auch die demokratische Legitimation des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wurde zuletzt vermehrt hinterfragt. Ob europäische Agenturen in Zukunft mehr Kompetenzen übertragen bekommen, hängt (auch) vom Ausgang der Diskussion über die demokratische Legitimation solcher Agenturen ab. Auslöser dieser Diskussion ist auch die Erkentniss, dass unabhängige Institutionen wie EZB und EuGH im Vergleich mit entsprechenden Institutionen auf staatlicher Ebene ein erweiterter Handlungsspielraum zukommt2. Grund dafür ist erstens, dass sie durch die Verankerung ihrer Kompetenzen in den Verträgen besser als Institutionen auf staatlicher Ebene geschützt sind, denn eine Vertragsänderung bedarf der Einstimmigkeit. Zudem sind auf europäischer Ebene die politischen Organe Rat und Parlament in ihrer politischen Problemlösungsfähigkeit begrenzt, weil alle beteiligten Akteure Ergebnisse blockieren, die gravierende Interessen und Präferenzen wichtiger Interessengruppen in den Mitgliedstaaten verletzen könnten. Der EuGH hat in der Vergangenheit zusammen mit der Kommission seinen daraus resultierenden Entscheidungsspielraum zur Beschleunigung und Vertiefung der europäischen Integration und der Entwicklung einer europäischen „Wirtschaftsverfassung" genutzt3. Die Darstellung der demokratietheoretischen Diskussion um die wichtigsten unabhängigen Institutionen auf europäischer Ebene zeigt, dass noch kei1 Siehe die Nachweise bei A. Verhoeven, The European Union; D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 205ff. ; G. Majone, Indépendance and accountability: non-majoritarian institutions and democratic government in Europe, in: European University Institute working papers in political and social sciences, Florenz 1994. 2 F. Scharpf, Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaats, MPIfG Working Paper 04/6, November 2004, unter 4.1.2. 3 F. Scharpf, Legitimationskonzepte jenseits des Nationalstaats, unter 4.1.2.

Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen in der EU

379

ne befriedigende Antwort auf die Frage gefunden wurde, in welchen Bereichen unabhängige Institutionen demokratisch legitim sein könnten. Vielmehr verdeckt bisher eine funktionale Betrachtungsweise den Blick auf eine politikfeldbezogene Legitimationsbetrachtung. Im Folgenden werden das Ausmaß der Unabhängigkeit europäischer Institutionen und die gegenwärtige demokratietheoretische Diskussion über sie dargestellt.

A. Das Konzept einer unabhängigen Kommission Auf europäischer Ebene entstand mit der europäischen Kommission eine unabhängige Institution, die es auf staatlicher Ebene so noch nicht gegeben hat und die daher bis heute demokratietheoretisch sehr umstritten ist. Die Aufgaben und die Stellung der Kommission lassen sich dabei in einigen wichtigen Punkten auf ihr Vorgängermodell, die Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), zurückführen4. Allerdings hatten die Erfahrungen mit der Hohen Behörde des EGKS dazu geführt, dass der Kommission in der 1957 gegründeten Europäischen Gemeinschaft eine weniger führende Rolle zugeteilt wurde als der Hohen Behörde in der EGKS. Während die Hohe Behörde die treibende Kraft in der EGKS war, teilen sich in der Europäischen Gemeinschaft die Kommission und der Rat die Führung der Gemeinschaft. Die Einrichtung sowohl der Kommission als auch der Hohen Behörde beruht auf dem von Jean Monnet entwickelten Integrationskonzept, das mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) zum ersten Mal umgesetzt wurde. Die Errichtung einer „Hohen Behörde" war der zentrale Vorschlag Monnets bei der Bildung der EGKS. Er sah in ihr das geeignete Instrument, um den Zwängen und Nachteilen zu entgehen, denen vorangegangene europäische Organisationen mit ihrer intergouvernementalen Struktur unterlegen waren5. Daneben war sein Entwurf für die Bildung der Hohen

4

K. Featherstone, Jean Monnet an the "democratic deficit" in the EU, in: Journal of Common Market Studies 32 (1994), S. 150 m.w.N. 5 Monnet selbst hatte vor Gründung der EGKS Erfahrungen bei internationalen Organisationen gesammelt, etwa im Interalliierten Exekutivkommitee während des ersten Weltkrieges und während des zweiten Weltkrieges als Präsident des Kommitees für Kooperation in der alliierten Kriegsfiihrung.

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Behörde von den Erfahrungen, die er mit französischer Wirtschaftspolitik gesammelt hatte, beeinflusst6. Zwei zentrale Merkmale prägten das Bild der Hohen Behörde der EGKS und charakterisieren heute die Rolle und Arbeitsweise der Kommission in der Europäischen Gemeinschaft. Das war und ist zum einen der „technokratische" Ansatz, nach dem politische Steuerung dem Rat von Fachleuten folgt. Zum anderen ist es eine wirtschaftspolitische Steuerung durch eine Planungsbehörde, die sich nach korporatistischer Art auf die Einbindung von Produzenten und Interessengruppen in den Entscheidungsprozeß stützt7. Diese Art der Entscheidungsfindung hat sich in Form der Komitologie bei der Komission bis heute erhalten. Mit diesem Vorverständnis ist die Rolle und „Unabhängigkeit" der Kommission im Folgenden zu untersuchen. Im EG-Vertrag wird ihre Unabhängigkeit betont: Gem. Art. 213 Abs. 2 EG erfüllt sie ihre Aufgaben in voller Unabhängigkeit. Was aber heißt das? Bezüglich dieser Unabhängigkeit bestehen zwei Besonderheiten. Erstens weist die Kommission aufgrund ihrer Aufgaben zugleich Merkmale einer gerichtlichen und sachverständigen unabhängigen Institution (Regulierung etwa im Bereich Wettbewerb, Verbraucherschutz) als auch einer administrativ-gestaltenden unabhängigen Institution auf. Die mit der Gestaltungsaufgabe einhergehende Politisierung der Kommission birgt die Gefahr, dass auch andere Funktionen, die eigentlich nicht Anreizen und Einflüssen aus dem politischen System der Gemeinschaft und der Vertragsstaaten ausgesetzt sein sollten, genau solchen Einflüssen ausgesetzt werden. Die zweite Besonderheit der „Unabhängigkeit" der Kommission ist, dass sich aus der Art und Weise ihrer Besetzung und aus ihrer Stellung in den Entscheidungsmechanismen in der EU eine gewisse parteipolitische Unabhängigkeit ergibt. I. Der funktionelle und politikfeldbezogene Bezug der Unabhängigkeit der Kommission Die Unabhängigkeit der Kommission lässt sich zum einen ihren Funktionen nach beschreiben: ihre Initiativfunktion besitzt zum überwiegenden Teil politischen Charakter8, ihre Umsetzungsfunktion, durch Normsetzung und 6

K. Featherstone, a.a.O., S. 152f. m.w.N.: Monnet war seit März 1946 der erste Commissaire générale du plan de modernisation et d'equipement. Diesen Posten behielt er bis er 1951 den Posten des ersten Präsidenten der Hohen Behörde der EGKS antrat. 7 K. Featherstone, a.a.O., S. 155 m.w.N. 8 E. Noel, The Commissions Power of Initiative, in: Common Market Law Review 10 (1973), S. 123.

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Überwachen des Einhaltens der Verträge eher technisch- ausführende Funktion, auch wenn die Trennung zwischen den einzelnen Aufgaben nicht immer ganz klar vorgenommen werden kann9. Die beiden verschiedenen Funktionen führen zu einer unterschiedlichen Beurteilung von „Unabhängigkeit": Als Regulierungsbehörde gebunden an Normvorgaben und die Erfüllung relativ klar gesetzter Ziele anhand von Expertenanalysen, fällt sie in die Kategorie unabhängiger Institutionen zur Einbringung von Sachverstand. Als politischeres Initiativorgan stellt sie eine Form von unabhängiger Institution dar, deren administrative Unabhängigkeit der Stärkung sozial-gestalterischer Ziele dient. Bei der Ausübung des Initiativrechts ist mit der Zeit aus mehreren Gründen auch immer weitergehenderer Spielraum entstanden: zum einen, da die anfänglichen Aufträge aus den Verträgen im Laufe der Zeit erfüllt worden sind und heute keine bedeutende Rolle mehr spielen10 und stattdessen das Initiativrecht heute ausgeübt, um neuen Situationen gerecht zu werden oder bestimmte Gefahren abzuwenden11, womit weitere Ermessensreichweite auf die Kommission übertragen wurde. Zum anderen nahm der Entscheidungsspielraum durch die Aufnahme vieler politischer Ziele in den Aufgabenbereich der EG zu. Art. 2 und 3 EG übertragen heute umfassende Kompetenzen auf die EU und damit immer weitere Ermessensspielräume auf die Kommission12. Vergleicht man die Erstfassung aus dem Jahre 1958 mit der Fassung des Vertrages von Amsterdam, kann man anhand der Artikel 2 und 3 EG die Ausdehnung der Aufgabenfelder der EU und damit der Kommission nachvollziehen13. Bedeutende neue Gebiete sind danach der Umweltschutz, der Verbraucherschutz, Forschung und Entwicklung, der Gesundheitsschutzes, eine vertiefte Sozialund Beschäftigungspolitik und vor allem die Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes in der Union (alles Neuerungen in Art. 3 EG). In den Zielen der Gemeinschaft in Art. 2 EG ist der Fassung von 1958 die Förderung der Lebens- und Umweltqualität hinzugefügt worden. Daneben besteht für die Kommission die Versuchung, die Kompetenzen Uber ihre eigentliche Funktion hinaus auszudehnen, besonders im Bereich

9

E. Noel, a.a.O., S. 123, 126f. E. Noel, a.a.O., S. 128; G. Majone, The European Commission, in: Governance 15 (2002), S. 384. 11 E. Noel, a.a.O., S. 128 mit Beispielen, etwa der Reform des Agrarmarktes 1968. 12 G. Majone, The European Commission, in: Governance 2002, S. 384. 13 Kommentierung zur Erstfassung etwa bei Wohlfahrt/Everling/Glaesner - Sprung, Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Kommentar zum Vertrag, 1960, S. 5ff. 10

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einer gemeinschaftlichen Industriepolitik 14 . Rechtliches Mittel zur Ausdehnung der eigenen Kompetenzen waren dabei offen formulierte Rechtsgrundlagen, etwa Art. 95 EG (früher Art. 100a EGV) oder Art. 211 EG, die ihr Kompetenzen für Maßnahmen zur Erhaltung des ordnungsgemäßen Funktionierens und der Entwicklung des Gemeinsamen Marktes verleihen. Durch Ausschöpfen der Ermessensspielräume etwa im Rahmen der Wettbewerbspolitik versuchte die Kommission industriepolitische Vorstellungen durchzusetzen, die mit den wettbewerbsrechtlichen Vorgaben kaum vereinbar waren15. Die Ausweitung der Aufgabenfelder der Kommission spiegelt sich in der Verzehnfachung der in der Kommission Beschäftigten seit 1960, der Vervierfachung im Verhältnis zur Gemeinschaftsbevölkerung, wider 16 . Mit der Übertragung der Aufgabe zu politischer Gestaltung wuchs aber auch der Einfluss der politischen Institutionen, insbesondere des Europäischen Parlamentes, auf die Kommission, siehe im folgenden II.2. Auf der anderen Seite nahm der Umfang eigentlich unpolitisch gedachter Regulierungsarbeit weiter zu, etwa im Bereich des Wettbewerbsschutzes, wie an den gestiegenen Zahlen von Kommissionsentscheidungen zu erkennen ist. Gerade Aufgabenbereiche wie Wettbewerbs- oder Verbraucherschutz sind aber Bereiche, die in unabhängiger Weise ausgeführt werden sollten (zu Verbraucherschutz siehe in Kapitel 10). Bei der Neubesetzung der Kommission 1999 wurden deshalb die Generaldirektionen Verbraucherschutz und Wettbewerb mit den Generaldirektoren David Byrne und Mario Monti mit Persönlichkeiten besetzt, die als möglichst „unpolitisch" gelten17. Das Bild einer „unabhängigen Kommission" ist das einer sachverständigen, quasi-judiziellen und depolitisierten Institution. Allerdings besteht die Gefahr, dass durch die Zunahme der Entscheidungsspielräume bei der Kommission im Rahmen der Aufgabenzunahme auch die eigentlich „unabhängig" gedachten Funktionen mitpolitisiert werden. Der politisierte Wesenszug der Kommission, der mittlerweile alle politischen Regelungsbereiche zu erfassen droht, wird oft übersehen und es wird beklagt, dass es unverständlich sei, dass manche Staaten nicht bereit seien, auf ihre Mitglieder in der Kommission zu verzichten18. Macht man sich dagegen den gestalteri14

W. Mussler, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft im Wandel, S. 130. Siehe G. Majone, The Credibility Crisis of Community Regulation, in: Journal of Common Market Studies 2000, S. 285. 16 W. Mussler, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft im Wandel, S. 131. 17 D. Rometsch, Die Europäische Kommission, in: W. Weidenfeld/W. Wessels, (Hrsg.), Jahrbuch der Europäischen Integration 1999/2000, S. 79ff. 18 So etwa A. Verhoeven, The European Union, S. 240. 15

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sehen Charakter der Kommission bewusst, so wird diese Weigerung verständlich. Beim ESZB, einer unabhängige Institution mit deutlich eingeschränkterer gestalterischer Funktion, wird von den Mitgliedstaaten dagegen in Form eines Rotationsmodelles auf ein ständiges Stimmrecht verzichtet19. Wie in der Darstellung der Aufgaben der Kommission im Folgenden deutlich wird, unterscheiden sich die Kompetenzen der Kommission auch in den einzelnen Politikbereichen, so dass die demokratietheoretische Betrachtung auch entlang der einzelnen Politikfelder erfolgen könnte. II. Die Unabhängigkeit der Kommission: personelle und sachliche Elemente 1. Personelle Elemente der Unabhängigkeit Die personelle Unabhängigkeit der Kommission ergibt sich aus der Stellung gegenüber Parlament und Rat (und damit den Mitgliedstaaten). Die Mechanismen der Ernennungs- und Absetzungsverfahren der Kommissionsmitglieder eröffnen dabei die Möglichkeit für eine gewisse parteipolitisch unabhängige Arbeitsweise der Kommissare. Die Kommissare werden seit jeher in einem gemischten Verfahren von den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament ernannt: Bis zum Vertrag von Nizza wurde der Präsident der Kommission von Regierungen der Mitgliedstaaten vorgeschlagen20, dem das Parlament zustimmen musste. Dann wurden die weiteren Kommissare von den Regierungen in Einvernehmen mit dem designierten Präsidenten der Kommission21 dem Parlament vorgestellt, das dann noch für das Kollegium als Ganzes seine Zustimmung erteilen musste. Im letzten Schritt ernannten die Regierungen den Präsidenten und die übrigen Mitglieder der Kommission im gegenseitigen Einvernehmen. Mit dem Vertrag von Nizza haben sich im Ernennungsverfahren gem. Art. 214 n.F. einige Änderungen ergeben: statt der Regierungen wird der Rat in Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs den Kandidaten für das Präsidentenamt benennen. Zudem entscheidet der Rat im Einvernehmen mit dem designierten Präsidenten über die Liste der Kommissionsmitglieder, die von den Regierungen erstellt wird. Nach der Zustimmung des Parlamentes zur Kommission als Kollegium ernennt der Rat die Kommission, wobei eine qualifizierte Mehrheit genügt. 19 20 21

Ratsbeschluß vom 21. März 2003, ABI. L 083 vom 1. April 2003, S. 66-68, S. 67, Art. 1. Art. 214 Abs. 2 EG. Art. 214 UAbs. 2 EG.

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Abgelöst werden können die Mitglieder der Kommission nur durch das Europäische Parlament: Nach Art. 201 EG kann es einen Misstrauensantrag gegen die Kommission als Kollegium zu stellen. Der Antrag bedarf gem. Art. 201 S. 2 EG einer Zweidrittelmehrheit der abgegebene Stimmen und einer einfachen Mehrheit der Mitglieder des Parlaments. In der Praxis hat sich dieses Instrument nicht durchgesetzt. Von acht Misstrauensanträgen fand bis 1993 keines die erforderliche Mehrheit22, auch im Rahmen des Rücktritts der Santer- Kommission griff das Misstrauensvotum nicht durch. In der Abstimmung am 14.1.1999 wurde die dafür nötige Mehrheit nicht erlangt. Der Rücktritt der Santer-Kommission erfolgte erst als Konsequenz auf einen Bericht eines Ausschusses, der vom Präsident der Kommission in Einvernehmen mit dem Parlament eingesetzt worden war23. Die personelle Unabhängigkeit der Kommission ähnelt in einigen Punkten der Stellung einer Regierung im parlamentarischen System, die nicht als „unabhängig" bezeichnet wird: Sie unterliegt der Mitwirkung und Kontrolle durch das Parlament (auf Gemeinschaftsebene allerdings auch noch dem Rat bzw. den Regierungen) bei Einsetzung und Enthebung der Kommissare, dass das Parlament keinen Einspruch gegen einzelne Minister einlegen kann, entspricht beispielsweise den Möglichkeiten des deutschen Bundestages, der auch keine rechtlichen Möglichkeiten gegen die Ernennung einzelner Minister besitzt. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Unabhängigkeit der Kommission und einer Regierung im parlamentarischen System ergibt sich daraus, dass die Mitglieder der Kommission aufgrund ihrer gemischten Besetzungsweise (durch Rat und Parlament) gegenüber parteipolitischen Bindungen deutlich unabhängiger arbeiten können. Durch das gemischte Ernennungsverfahren wird die politische Unabhängigkeit der Kommissare sowohl von den Mitgliedstaaten24 als auch vom Parlament gefördert: Weder die sie ernennende Partei noch das Parlament haben alleinigen Einfluss auf die Ernennung gehabt. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament haben damit weniger Bedeutung für die personelle Auswahl der Kommissare als für die Auswahl einer staatlichen Regierung25. Auch dadurch, dass von Seiten der

22

Beutler/Bieber/Piepkom/Streil: Die Europäische Union - Rechtsordnung und Politik, S. 118f. 23 „Erster Bericht über Anschuldigungen betreffend Betrug, Mißmanagement und Nepotismus in der Europäischen Kommission" vom 15.3.1999, Auszüge in Bull. EU 3-1999, S. 157. 24 M. Höhret, Die Europäische Union im Legitimitätstrilemma, S. 202. 25 R. Dehousse, European Institutional Architecture after Amsterdam: Parliamentary System or Regulatory Structure?, in: CMLR 35 (1998), S. 595ff., 609, sieht das Verhältnis von

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verschiedenen Mitgliedstaaten meist Kommissare unterschiedlicher parteipolitischer Herkunft benannt werden, stellt sich die Kommission als ein die Parteigrenzen Ubergreifendes Organ dar. Zu der weitgehenden parteipolitischen Unabhängigkeit der Kommission trägt auch die Ausgestaltung des Enthebungsverfahrens bei. Anders als etwa in Deutschland, wo die Regierung mit einfacher Mehrheit enthoben werden kann, erfordert die Enthebung der Kommission eine Zweidrittelmehrheit im EU-Parlament. Die Zukunft der Kommission wird von vielen Autoren in einer weitergehenden „Parlamentarisierung" gesehen, das heißt einer immer weitergehenden Einflussmöglichkeit durch das Parlament26. Von den Auseinandersetzungen um die Nominierung der Kommission erhoffen sich viele eine Schärfung des Profils europäischer Parteien27. Gerade eine solche Entwicklung würde aber die eben geschilderte parteipolitische Unabhängigkeit der Kommission wieder mindern. So kann die 1995 eingeführte zeitliche Parallelität der Wahl- und Besetzungsperioden von Parlament und Kommission28 zu einer Schwächung der parteipolitischen Unabhängigkeit der Kommission führen. Die Zusammensetzung und die Politik der Kommission werden durch solch einen zeitlichen Gleichlauf der Wahl- und Besetzungsperioden verstärkt vom Parlament beeinflusst29. 2. Die sachliche Unabhängigkeit Die sachliche Unabhängigkeit der Mitglieder der Europäischen Kommission ist in Art. 213 Abs. 2 EG festgeschrieben: Die Kommission soll unabhängig von Weisungen anderer Institutionen oder Personen, der Gemeinschaft und den Vertragsstaaten, arbeiten. Wie weit diese Bestimmung in der Realität

Kommission und Parlament aber seit dem Vertrag von Amsterdam dem einer parlamentarischen Regierung angenähert. 26 Vgl. E. Brök, Der Amsterdamer Vertrag: Etappe auf dem Weg zur europäischen Einigung, in: Integration 4 (1997), S. 212; R. Corbett/F. Jacobs/M. Shackleton: The European Parliament, S. 249; Falkner/Nentwich, The Treaty of Amsterdam, Towards a New Institutional Balance, in: European Integration On-Line Papers, http://eiop.or.at/eiop/texte/1997-015.htm, S. 4. 27 Falkner/Nentmch, The Treaty of Amsterdam, S. 5. 28 Die dann allerdings durch den vorzeitigen Rücktritt der Santer-Kommission 1999 zwischenzeitlich aufgehoben wurde, aber ab 2004 wieder gelten soll. 29 Siehe G. Majone, The European Commission: The Limits of Centralization and the Perils of Parliamentarization, in: Governance 2002, S. 384 mit Hinweis darauf, daß das Europäische Parlament auf die Zusammensetzung der Santer-Kommission verstärkt Einfluß zu nehmen suchte.

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eingehalten wird, kann hier nicht geklärt werden. Zumindest werden vielfach Bedenken angemeldet30. Wie sich diese Unabhängigkeit in den einzelnen Funktionen der Kommission äußert, wird weiter unten ab III. untersucht. Es kann aber grundsätzlich festgehalten werden, dass die Kommissare gegenüber dem Europäischen Parlament relativ unabhängig arbeiten können. Durch das erschwerte Absetzungsverfahren können die Kommissare relativ frei nach ihren Vorstellungen handeln: weder die Mitgliedstaaten noch, de facto, das Parlament (s.o.) können die Kommissare an der vollen Ausübung ihrer Amtszeit hindern. Der nationalen Zugehörigkeit der Kommissare und Beamten wird trotz vertraglich festgelegter Unabhängigkeit weiterhin große Bedeutung zugemessen. Dies wurde in den Verhandlungen des Vertrages zu Nizza deutlich, als kein Land bereit war, auf seinen Kommissar in der Kommission zu verzichten. In Art. 1 des Protokolls über die Organe der EU wurde im Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen Union festgelegt, dass wenn die Stimmgewichtung im Rat zugunsten der größeren Staaten verändert wird, der Kommission nur jeweils ein Kommissar je Mitgliedstaat angehören darf. Diese Verbindung von Stimmrechten in Rat und Kommission zur Durchsetzung staatlicher Interessen zeigt, wie wichtig der Einfluss auf die Kommission durch die Mitgliedstaaten eingeschätzt wird. Innerhalb der Kommission erfolgt die Beschlussfassung grundsätzlich nach dem Kollegialprinzip, wodurch auch alle Ressorts und alle Nationalitäten die Möglichkeit bekommen sollen, bei Entscheidungen mitabzustimmen. Im Kollegialprinzip liegt daher ein Schwachpunkt für die Verfolgung festgelegter Ziele wie etwa dem Wettbewerbsschutz durch eine bestimmte Generaldirektion: Da die Entscheidungen letztlich im kollegialen Verfahren getroffen werden, können über die anderen Generaldirektionen sachftemde Interessen in die Entscheidung einfließen, etwa im Bereich Wettbewerb industriepolitische Überlegungen31. III. Zur Unabhängigkeit

der Kommission in ihrer

Initiativfunktion

Die Bedeutung der Kommission als Initiativorgan ist unbestritten. Sie besitzt ein quasi-Monopol für den Erlass europäischer Normen, indem sie das Normsetzungsverfahren initiiert. Die Kommission nimmt auf Gemein30

Siehe etwa G. Nicolaysen, Europarecht I, S. 199. G. Majone, The Credibility Crisis of Community Regulation, in: Journal of Common Market Studies 38 (2000), S. 285. 31

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schaftsebene die Initiativfunktion fast ausschließlich war. Kein anderes Organ kann ohne ihren Vorschlag Normen erlassen32. Ohne Mitwirkung der Kommission können zwar Maßnahmen nach Titel IV des EG-Vertrages in Sachen Visa, Asyl und anderen Politikbereichen in Verbindung mit der Freizügigkeit von Personen auf Initiative der Mitgliedstaaten (Art. 67 EG) getroffen werden. Dieses Initiativrecht der Mitgliedstaaten erlischt jedoch fünf Jahre nach dem In Kraft treten des Amsterdamer Vertrages, also am 30. April 2004. In Bereichen der zweiten und dritten Säule der EU teilt sich die Kommission das Initiativrecht mit den Mitgliedstaaten. Während unabhängige Institutionen bisher die Aufgabe hatten, festgelegte Regeln auch gegen den Willen der demokratischen Organe durchzusetzen, ist die Kommission in ihrer Initiativfunktion nur durch die Vorfestlegung in den Verträgen beschränkt. Weiter besitzt sie ein ausgedehntes Ermessen bezüglich der Frage, ob, auf welcher rechtlichen Basis und mit welchem Inhalt Normen erlassen werden können. Die Kommission kann nicht dazu gezwungen werden, ein Initiativverfahren einzuleiten33. Parlament und Rat können bei der Kommission eine Initiative anregen, gem. Art. 208 bzw. 192 EG, die Kommission hat aber ein weites Ermessen bezüglich der Frage, wie sie damit umgeht. Die Kommission hat allerdings im Rahmenabkommen mit dem Parlament vereinbart, dass sie Anfragen und Anregungen des Parlamentes berücksichtigen und auf solche unverzüglich und begründet antworten wird. Dieses Übereinkommen wird als Ausprägung des Grundsatzes der guten interinstitutionellen Zusammenarbeit gesehen; eine vergleichbare Pflicht gilt daher auch gegenüber dem Rat34. Der Rat kann ohne die Mitwirkung der Kommission nur formell unverbindliche Entschließungen und Stellungnahmen verabschieden. Der Rat kann nur einstimmig von ihren Vorschlägen abweichen35. Die Kommission kann während des Verfahrens ihren Vorschlag abändern, etwa wenn im Rat 32

EuGH Rs. C-301/90, Slg. 1992 I, S. 221 - Kommission gegen Rat; Eigene Maßnahmen kann der Rat nur in sehr spezifischen organisatorischen Angelegenheiten treffen, wie etwa der Bestimmung der Anwendung der Sprachen in den Institutionen, Art. 290 EG. Ausnahmsweise können auch wichtige politische Entscheidungen, wie die Einfuhrung der dritten Phase der Wirtschafts- und Währungsunion (Art. 121 Abs. 3 EG) oder die Zulassung von staatlichen Beihilfen in Ausnahmefällen (Art. 88 Abs. 2 EG) durch den Rat getroffen werden. 33 Sie kann dann dem Rat einen Vorschlag machen, gezwungen werden kann sie jedoch nicht, Art. 11 Abs. 2 EG. 34 EuGH Rs. C-65/93, Slg. 1995 I, S. 643 - Parlament gegen Rat. 35 Der Rat muß dabei allerdings innerhalb der Grenzen dessen bleiben, was eine Änderung kennzeichnet, d.h. er hat innerhalb des Gegenstandes und den Zielen der ursprünglichen Absicht zu bleiben. Siehe EuGH Rs. C-408/95, Slg. 1997 I, S. 6315 - Eurotunnel.

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eine Änderung beraten wird, die die Zustimmung aller Mitgliedstaaten fände, die aber der Kommission nicht gefällt. Der scheinbar weitgehenden Unabhängigkeit in Bezug auf die Initiativfunktion stehen aber doch einige Schranken entgegen: Die Unabhängigkeit der Kommission wird durch die Vorarbeit des Ausschusses der ständigen Vertreter (AstV) eingeschränkt. Um eine reibungslose Abstimmung der Kommissionsvorschläge im Rat zu gewährleisten, werden etwa 70 Prozent aller Entscheidungen des Ministerrates bereits vorher durch den AstV ausgehandelt36. Bevor die Vorschläge in den Rat gelangen, sind sie daher meistens inhaltlich weitgehend festgelegt und werden dort oft ohne Veränderung verabschiedet37. Nach eigenen Angaben der Kommission gehen 30 % ihrer Initiativen auf internationale Vereinbarungen zurück und 20 bis 25 % sind veranlasst durch die Wünsche und Nachfragen anderer Gemeinschaftsinstitutionen (insbesondere Rat und Parlament) sowie der Mitgliedstaaten und privater Akteure38. Eine vertragliche Reduzierung der Initiativfreiheit der Kommission besteht zum Beispiel nach Art. 11 Abs. 2 EG, wonach die Kommission bei Ablehnung einer Initiative zu engerer Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten die betroffenen Mitgliedstaaten über die Gründe informieren muss. Art. 95 Abs. 7 und 8 EG enthalten weitere - allerdings relativ schwache - Einschränkungen des alleinigen Initiativrechts, da auch hier die Kommission auf Anregung von Mitgliedstaaten tätig werden muss. Im Ergebnis ist das Initiativrecht das bedeutendste Gestaltungsinstrument der Kommission. Dabei ist sie aber weitgehend in eine Zusammenarbeit mit den anderen Institutionen eingebunden, insbesondere mit Rat und Parlament. Die bereits formal eingeschränkte „Unabhängigkeit" bei Ausübung des Initiativrechts entspricht auch einer tatsächlich eingeschränkten „Unabhängigkeit", wie die Zahlen über die Ursprünge der Kommissionsinitiativen belegen.

36

M. Westlake, The Council of the European Union, S. 114. H. Wallace, Die Dynamik des EU-Institutionengefüges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch, Europäische Integration, S. 158ff. 38 Siehe die Ausfuhrungen und Nachweise bei G. Majone, The European Commission, in: Governance 2002, S. 376f.

37

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IV. Die Unabhängigkeit der Kommission bei ihren

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Regulierungsbefugnissen

Ein Großteil der Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft erfolgt im so genannten Ausschussverfahren, auch als „Komitologie" bezeichneten 39 , europäischen Regulierungsverfahren40. Die Bedeutung der Kommission als Regulierungsbehörde in diesem Verfahren wird an ihrem Anteil an der europäischen Normsetzung deutlich. Sie erlässt jährlich über 90 Prozent aller Verordnungen der EG und über 30 Prozent aller Richtlinien der EG 41 . Das Ausschußverfahren wird auch als „infranationaler" Modus gemeinschaftlichen Regierens bezeichnet 42 . Die nähere Ausgestaltung der Übertragung zur Normsetzung im Rahmen des Ausschussverfahrens an die Kommission beruht auf einem Beschluss des Rates vom 13.7.1987 43 abgeändert mit Beschluss des Rates vom 28. Juni 1999 44 . Die Kommission wird in dieser Funktion durch eine Vielzahl von Ausschüssen von nationalen Experten unterstützt (250 bis 1000 Ausschüsse geschätzt) 45 . Bei der Wahrnehmung der ihr übertragenen Durchfuhrungsbefugnisse hat die Kommission in allen Fällen einem Ausschuss, der sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt, den Entwurf der beabsichtigten Maß-

39

Siehe dazu K. Lenaerts, Regulating the regulatory process: delegation of powers in the European Community, European Law Journal 1993, S. 23ff. 40 Die Übertragung von Durchführungsbefugnissen vom Rat auf die Kommission beruht auf dem früheren Art. 145 EGV, heute Art. 202, 3. Spiegelstrich, der erst 1986 mit der Einheitlichen Europäischen Akte eingeführt wurde. Die Kommission übt diese Befugnisse zur Durchführung dann gem. Art. 211, 4. Spiegelstrich EG aus. „Durchführung" umfaßt dabei exekutive Ausführungsnormsetzung und die Anwendung der Regeln im Einzelfall. 41 J. Falke, Komitologie-Entwicklung, Rechtsgrundlagen und erste empirische Annäherung, in: Chr. Joerges/J. Falke (Hrsg.), Das Ausschußwesen der Europäischen Union, S. 44. 42 J. H. Weiler, The Constitution of Europe, S. 98. 43 Beschluß 87/373/EWG des Rates vom 13.7.1989, ABl. L 197/1997, S. 33-35. Dieser Beschluß ist seiner Natur nach zwischen Primär- und Sekundärrecht einzuordnen. Er ist eine „interne Standardisierung zum Gebrauch bei der Normsetzungsarbeit der Gemeinschaftsorgane, siehe W. Meng, Die Neuregelung der EG-Verwaltungsausschüsse. Streit um die „Comitologie", in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 48, S. 218; Andere bezeichnen ihn als „loi constitutionnelle" oder ,Joi organique", siehe Groeben/Thiesing/Ehlermann-Hamier, zu Art. 145 EG, S. 4239-4253, Rz. 25. 44 Beschluß des Rates 1999/468/EG, 1999, ABl. L 184/23 mit Korrektur in 1999 ABl. L 269/45. Drei Deklarationen zu diesem Beschluss aus den Protokollen des Beschlusses sind veröffentlicht in 1999 ABl. C 203/1. Einen Überblick zu der Entscheidung und ihren Folgen geben K. Lenaerts/A. Verhoeven, Towards a legal framework for executive rulemaking in the EU? The contribution of the comitology decision, Common Market Law Review 2000, S. 645-686. 45 W. Dietz/B. Fabian, Das Räderwerk der Europäischen Kommission, S. 93.

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nahmen zu unterbreiten. Die Ausschüsse geben ihre Stellungnahme innerhalb einer Frist ab, die der Vorsitzende unter Berücksichtigung der Dringlichkeit festlegen kann. Die Ausschüsse haben dabei nur beratende Funktion46. Es bestanden früher fünf Verfahrensarten, seit dem Komitologiebeschluß des Rates von 1999 sind es nur noch drei 47 . Dies sind „Beratende Ausschüsse", „Verwaltungsausschüsse" und „Regelungsausschüsse". Je nach Verfahrensart besitzt der Rat einen höheren oder niedrigeren Einfluss auf die Entscheidung. Im „Beratenden Ausschuss" beispielsweise liegt die Entscheidungskompetenz ganz alleine bei der Kommission, ohne daß der Ausschuss oder der Rat zuzustimmen hätten48. In Verwaltungs- und Regelungsausschuss wird bei vom Kommissionsentwurf abweichenden Abstimmungsergebnissen der Rat eingeschaltet. Je nach Verfahren hat er ein bis drei Monate Zeit, um einen zustimmenden, abweichenden oder ablehnenden Beschluss zu fassen 49 . Die Auswahl der Verfahrensart liegt beim Rat. Dieser tendiert dabei zum Regelungsausschuß, in dem er die größten Einflussmöglichkeiten besitzt50. Bei einer Befragung von am Ausschußverfahren Beteiligten überwog allerdings die Ansicht, der rechtliche Status eines Ausschusses spiele eine relativ geringe Rolle für den Ablauf des Entscheidungsverfahrens 51 . Das Ausschußverfahren ist im Fall Köster durch den EuGH als mit den Verträgen vereinbar eingestuft worden 52 : Die Kontrolle der Kommission bei Wahrnehmung der delegierten Aufgaben durch die Ausschüsse ist danach mit dem Grundsatz des institutionellen Gleichgewicht vereinbar, die Unabhängigkeit der Kommission wird dabei nicht unzulässig eingeschränkt. Die Ausschüsse haben keine Entscheidungsbefugnis, sondern lenken die Kommission nur in Form einer permanenten Konsultation, im Falle ihres Widerspruches entscheidet der Rat. Nach Ansicht des Europäischen Parlaments verschiebt das Ausschußverfahren die Kontrolle über die Kommission in unzulässigerweise zu Gunsten

46

Groeben/Thiesing/Ehlermann-Sc/imi'tt von Sydow, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Art. 155, Rz. 79. 47 Siehe dazu A. Verhoeven, The European Union, S. 244f. 48 Diese Verfahrensart umfasst nur 4,8% aller Ausschußverfahren. 49 Für eine Darstellung der einzelnen Verfahrensarten siehe J. Falke, in Chr. Joerges/J. Falke (Hrsg.), S. 58ff„ mit Übersicht auf S. 67. 50 W. Dietz/B. Fabian, Das Räderwerk der Europäischen Kommission, S. 95. 51 G. Buitendijk/M. van Schendelen, Brussels advisory committees: a channel for influence?, in: European Law Review 20 (1995), S. 46. 52 EuGH Rs. 25/70, Slg. 1970, S.l 161 - Einfuhr- und Vorratstelle fur Getreide und Futtermittel/Köster.

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des Rates, vor allem im Mitentscheidungsverfahren, in dem beide Institutionen, Rat und Parlament eigentlich gleich einflussreich sein sollten53. Durch das Komitologieverfahren gewann der Rat auf die Normsetzung der Kommission tatsächlich mehr Einfluss als das Parlament. Der Rat rechtfertigt dies mit dem Hinweis auf die grundsätzliche Exekutivfunktion der Mitgliedstaaten. Wenn die Mitgliedstaaten diese über den Rat auf die Kommission delegieren, dann könnten sie auch die Kontrolle über den Exekutivprozeß behalten. Gegen diese Sichtweise wird eingewandt, dass auch die Kommission originäre Exekutivfunktionen besitzt54. Das Übergewicht des Rates im Ausschußverfahren wird auch als Vollzugsföderalismus bezeichnet55. Das Parlament hat aber auch im Ausschuß verfahren ein Recht zur Information56 und zur „ultra vires" Kontrolle57. Ein Übereinkommen zwischen Parlament und Kommission hat diese Rechte näher spezifiziert58. Das Komitologieverfahren nutzt der Kommission insoweit, als sie in der engen Zusammenarbeit mit den Experten aller Art schnell auf neue Entwicklungen reagieren kann59. Andererseits dient das Verfahren zur Kontrolle der Kommission, die auf die Mitwirkung der Ausschüsse angewiesen ist60. Es existiert eine Vielzahl von sozialwissenschaftlichen Untersuchungen über das Verhältnis der Kommission als Regulierungsinstitution, als „Agent" im Verhältnis zum Rat („Prinzipal")61. Traditionellerweise wird dabei angenommen, dass die politische Kontrolle über die Bürokratie umso ausgeprägter sei, je spezialisierter und differenzierter der Gesetzgebungsprozeß ist. Dagegen aber spricht, dass es mit einem solch spezialisierten Verfahren schwieriger wird, einen Weg zu finden, die aktuelle Agenten-Politik so zu formulieren, dass sie allen Spielern zusagt62. Vielmehr ist davon auszugehen, dass wegen divergierender Interessen bei den „Prinzipalen" Interpretationsspielraum für die Agenten entsteht. Damit wäre das Ausschußverfahren 53

Siehe etwa die Resolution des Europäischen Parlaments vom 16. Dezember 1993, ABl. C 20/176 oder der Resolution vom 16. September 1998, ABl. C 313/10. 54 A. Verhoeven, The European Union, S. 264. 55 A. Verhoeven, The European Union, S. 264. 56 Art. 7 des Komitologiebeschlusses von 1999. 57 Art. 8 des Komitologiebeschlusses von 1999. 58 ABl L 256/19, 2000. 59 H. Wallace, Die Dynamik des EU-Institutionengefliges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch, B., Europäische Integration, S. 149. 60 R. Hrbek, Kommission, in: Nohlen, D. (Hrsg.), Lexikon der Politik, Band 5: Die Europäische Union, herausgegeben von B. Kohler-Koch und W. Woyke, S. 180-187, S. 182. 61 B. Steunenberg, Agent discretion, regulatory policymaking, and different institutional arrangements, in: Public Choice 1996, S. 328ff. m.w.N. 62 B. Steunenberg, Agent discretion, regulatory policymaking, and different institutional arrangements, in: Public Choice 1996, S. 328.

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als nicht allzu strenger Kontrollmechanismus einzuordnen, da auch im Rat Einstimmigkeit oder eine ausreichende Mehrheit nicht immer einfach zu erzielen sein wird. Zwischen dieser theoretischen Argumentationsweise und der politischen Wirklichkeit besteht aber anscheinend ein gewisser Unterschied: Während die Komitees des Ausschußverfahrens formal nur eine beratende Rolle besitzen, ist ihr tatsächlicher Einfluss doch sehr groß63. Um auf Gemeinschaftsebene einen höheren Grad an Wettbewerb zu verwirklichen, wurden der Kommission im Bereich des Wettbewerbsrechts vertraglich eingeschränkte, eigene Normsetzungskompetenzen übertragen, die also nicht dem oben dargestellten Ausschußverfahren unterliegen. Die Kommission benötigte für Rechtssetzungsakte zur Deregulierung und Liberalisierung bspw. des Telekommunikationsmarktes keine formelle Zustimmung durch Rat oder Parlament64. Die Kommission hat weiter die Aufgabe, durch Harmonisierung der staatlichen Rechtsordnungen den Binnenmarkt zu fördern. Die Kommission kann in unabhängiger Weise nach verschiedenen Verfahren darüber entscheiden, wann Mitgliedstaaten so genannte „safeguard clauses" in Anspruch nehmen können65, je nachdem ob diese Kompetenz durch Primär- oder Sekundärrecht übertragen wurde66. Gemäß Art. 95 Abs. 4 bis 6 EG kann die Kommission beispielsweise selbständig Mitgliedstaaten Ausnahmen von Harmonisierungsmaßnahmen gestatten. V. Die Unabhängigkeit

der Kommission in ihrer

Exekutivfunktion

Auch die Exekutivfunktion der Kommission führt zu bedeutenden Eingriffen in die Kompetenzen der demokratisch gewählten, gemeinschaftlichen oder nationalen Institutionen. Eine Neuerung auf Gemeinschaftsebene gegenüber staatlichen Demokratien ist, dass eine unabhängige Institution die Beihilfenvergabe der demokratisch gewählten Institutionen auf wirtschaftlich-zweckmäßige Aspekte hin kontrolliert67. Die Europäische Gemeinschaft sieht die Errichtung eines Systems vor, das den Wettbewerb innerhalb des

63

G. Buitendijk/M. van Schendelen, Brussels advisory committees: a channel for influence? European Law Review 1995, S. 37-56. 64 W. Sauter, The Telecommunications Law of the European Union, in: European Law Journal 1 (1995), S. 92-111. 65 Art. 59 Uberträgt aber auch dem Rat solche Kompetenzen, hier im Bereich des Kapitalverkehrs. 66 Bei Kompetenzübertragung durch Sekundärrecht muß die „safeguard Procedure" nach Art. 6 EG der Komitologieentscheidung (Rat Entscheidung 1999/468/EG, 1999 ABl. L 184/23) befolgt werden. 67 Art. 87-89, insbesondere Art. 88 EG.

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Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt68. Die Verfahren der Kommission im Bereich der Überwachung der Wettbewerbsregeln im Binnenmarkt haben bisher schon zu großen Auseinandersetzungen mit den Regierungen der einzelnen Mitgliedstaaten geführt. Zu erwähnen sind die Verbote der Kommission, weitere Subventionen für Volkswagen durch das Bundesland Sachsen auszuzahlen (1996), sowie staatliche Unterstützung für die Air France und die EdF durch die französische Regierung zu gewähren69. Es wird teilweise kritisch gesehen, dass mehr als notwendigerweise wettbewerbspolitische Gesichtspunkte Eingang in die Entscheidungen der Kommission finden, besonders hinsichtlich zukünftiger wirtschaftspolitischer Entwicklungen70. Die formelle Gleichsetzung der Industriepolitik in Art. 3 lit. 1) EG mit dem System des unverfälschten Wettbewerbs in Art. 3 lit. g) EG, die Aufnahme des Art. 130 EG durch die Maastrichter Verträge, die wachsende Bedeutung der Europäischen Union und die angestrebte Demokratisierung der Kommission sind Anzeichen für eine zunehmende Politisierung der Aufgaben der Kommissionsmitglieder. Die Kommission hat im Rahmen der Diskussion um die Dezentralisierung des Freistellungsmonopols frei zugestanden, Ermessensspielräume in Anspruch zu nehmen, die eindeutig dem Eingang politischer Gesichtspunkte in die Entscheidungsfindung dienen71. Gegenwärtig besteht eine umfangreiche Debatte über die zukünftige Entwicklung der Rolle der Kommission, insbesondere die Frage der Übertragung exekutiver Funktionen auf unabhängige Agenturen, um so die unabhängige Ausübung der Exekutivbefugnisse zu gewährleisten. Die Kommission selbst hat in ihrem Governance-Weißbuch Vorschläge dazu unterbreitet72, die allerdings eine Beibehaltung aller Exekutivfunktionen bei der Kommission vorsehen.

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Art. 3 lit. g EG. Siehe für eine Aufzählung umstrittener Fälle FAZ v. 17.10.02, Nr. 241/42 D, S. 11. 70 N. Merker, Subsidiarität und Delegation, S. 411 m.w.N; Janicki/Molitor, Wettbewerbssicherung durch Schaffung eines Europäischen Kartellamtes, Wirtschaftsdienst 1995, S. 36, 38, 39. 71 N. Merker, Subsidiarität und Delegation, S. 412. 72 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europäisches Regieren, Ein Weißbuch, Brüssel, den 25.07.2001. 69

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VI. Demokratieprinzip und Europäische Kommission in der bestehenden Debatte Die Frage nach der Rolle und der demokratischen Legitimation der Kommission ruft bis heute eine umfangreiche Literatur hervor73. Für die Legitimation der Kommission wurden verschiedene Modelle entwickelt, die den oben genannten Ansätzen zu Entscheidungsprozeß und Legitimation entsprechen. Da es bisher noch keine der Kommission entsprechende Institution auf staatlicher Ebene gab, ist sie das Organ, das dem herkömmlichen Demokratieverständnis am wenigsten entsprach74. Grob unterteilt existieren zwei Arten von Legitimationsansätzen für die Kommission: Solche, die sich auf alle Funktionen der Kommission beziehen, und solche, die auf die einzelnen Funktionen der Kommission ausgerichtet sind. Diese Trennung kann aber für einige Ansätze, etwa den der symbolischen Repräsentation, nicht ganz klar durchgehalten werden kann, da diese sowohl allgemeine als auch speziell funktionsbezogene Legitimationsaspekte besitzen. Letztlich kann keiner der Legitimationsansätze überzeugen, da nicht die Verschiedenartigkeit der Aufgaben der Kommission in den einzelnen Politikbereichen in die Bewertung ihrer demokratischen Legitimation einbezogen wird. 1. Allgemeine Ansätze Die Autoren, die die stärkste Legitimationsquelle in der Repräsentation auf nationaler Ebene sehen, leiten die Legitimation der Kommission primär ausden Personalentscheidungen der Mitgliedstaaten ab75, dass heißt aus einem

73

Th. Christianssen: Legitimacy Dilemmas of Supranational Governance: The European Commission between Accountability and Independence, EUI Working Papers, RSC 97/74, Florenz 1997; M. Höhret, Die Europäische Union im Legitimationstrilemma, insbesondere S. 195ff.; P. Lindseth, Democratic legitimacy and the administrative character of supranationalism: the example of the European Community, in: Columbia Law Review 1999, S. 628-738; A. Verhoeven, The European Union, mit einem umfangreichen Hinweis auf Beiträge zur demokratischen Legitimation der Kommission auf S. 229 Fn. 936; A. Moravcsik/K. Nicolaidis, Federalist Ideals and Constitutional Realities in the Treaty of Amsterdam, Journal of Common Market Studies 36 (1998), S. 13, 16; E. Noel, The Commissions Power of Initiative, Common Market Law Review 1973, S. 123. 74 W. Hallstein, Europe in the Making, S. 45; M. Höhret, Die Europäische Union im Legitimationstrilemma, S. 200 m.w.N. 75 J. H. Matlary, The Role of the Commission, Democratic Legitimacy and the Role of the Commisson in: Follesdal/Koslowski, Democracy and the European Union, S. 75; P. M. Huber, Die Rolle des Demokratieprinzips im europäischen Einigunsprozeß, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 3 (1992), S. 349-378, S. 355; Eine Erklärung anhand der Principal-

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personellen Element. Nach den Vertretern der Ansicht, dass auch die Personalentscheidungen des Europäischen Parlaments Legitimation vermitteln, besitzt die Kommission danach eine „doppelte" Legitimationsbasis, einmal durch die Entsendung der Kommissare durch die nationalen Regierungen, zum anderen durch deren Bestätigung durch das Europäische Parlament76. Von Autoren, die die stärkste Legitimationsquelle im Europäischen Parlament sehen, wird vorgeschlagen, die Legitimität der Konimissionsmitglieder auf eine Wahl durch das Europäische Parlament zu stützen. Kritik am Modell der funktionalen Repräsentation und der Überbewertung des personellen Legitimationselementes insbesondere auf europäischer Ebene wurde bereits oben in Kapitel 11 geübt. In normativer Hinsicht kann aber auch die Idee einer „doppelten Legitimationsbasis" nicht gehalten werden: Nach einem individualistischen Demokratieprinzip sind Legitimationsbasis die einzelnen Bürger, und nicht Kollektiveinheiten wie Staaten. Es könnte zwar argumentiert werden, dass eine Präferenzverteilung der Bürger im Rahmen eines hypothetischen Konsenses eine Auswahl der Kommissare durch Rat und das EU-Parlament bevorzugt. Auch dann aber ist die Legitimationsgrundlage aber die Zustimmung der Bürger und nicht die daraus resultierende Ernennungsverfahren. Nicht klar wird daher die Konzeption, die Legitimation der EU auf eine doppelte individualistische Basis zu stellen77. Die Bürger handeln nicht einmal in rein national legitimierender Weise und ein andermal in europäisch legitimierender Weise. Vielmehr handelt es sich um eine Legitimationsbasis, die europäischen Bürger und verschiedene Mechanismen zur Steuerung der politischen Institutionen, auf nationaler und europäischer Ebene. Die Vertreter des Administrativmodells sehen die Kommission als „Agentur" der Mitgliedstaaten, die alleine das europäische Interesse sichern könne78. Lindseth beschreibt supranationale Institutionen als Verwaltungsinstitutionen, weil sie keine direkte Verbindung zum Souverän besitzen, auf dem aber demokratische Legitimität aufbaut79. Von dieser Einordnung aus Agent Theorie bietet M. A. Pollack, Delegation, Agency, and Agenda Setting in the European Community, in: International Organization 51 (1997), S. 99-134. 76 Siehe beispielweise W. Kluth, zu Art. 189 EG Rz. 6, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, für die demokratische Legitimation der Gemeinschaft allgemein; M. Ruffert, zu Art. 214 Rz. lf. in: Callies/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EUVertrag und EG-Vertrag, für die Legitimation der Kommission speziell. 77 Siehe F. Brosius-Gersdorf, Die doppelte Legitimationsbasis der Europäischen Union, in: Europarecht 34 (1999), S. 133-169. 78 A. Verhoeven, The European Union, S. 101 Fn. 409 m.w.N. 79 P. Lindseth, Democratic Legitimacy and the Administrative Character of Supranationalism: The Example of the European Community, in: Columbia Law Review 99 (1999), S. 628, 634.

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wird dann die Legitimitätsfrage gestellt. Diese Einordnung kann sich auch auf die vom EuGH entwickelte Ansicht stützen, die Gemeinschaft basiere vor allem auf der Geltung des Rechts und weniger auf dem Prinzip demokratischer Verantwortlichkeit80. Mit der Entwicklung der Gemeinschaft seit Ende der achtziger Jahre von einer Rechtsgemeinschaft hin zu einer mehr politischen Gemeinschaft81 kann das Konzept der Rechtsgemeinschaft aber nicht mehr ausreichend das System der Gemeinschaft erklären. 2. Demokratietheoretische Aspekte der Initiativfunktion Die bisherigen Argumente zur Legitimation der Kommission in ihrer Initiativfunktion lassen sich in zwei Gruppen einteilen: solche, die auf personal vermittelte Legitimation abstellen, und solche, die auf eine ergebnisbezogene Legitimation (dazu gehört beispielsweise der neofunktionalistische Begründungsansatz) zurückgreifen. Bei beiden Ansätzen bildet das Bild des Entscheidungsprozesses für die Legitimation der Kommission in ihrer Initiativfunktion letztlich den entscheidenden Aspekt. Ergebnisbezogene Legitimationsansätze, die auf die Förderung von Integration und die Vermittlungsfunktion der Kommission abstellen, betonen besonders die Bedeutung der Rolle der Kommission im politischen Entscheidungsprozeß. Aus demokratietheoretischer Sicht ist problematisch, dass diese Analysen nicht in das Verständnis des demokratischen Entscheidungsverfahrens eingebunden werden. Nach einer ergebnisbezogenen Ansicht solle die Initiativfunktion der Kommission das Entscheidungsverfahren weniger willkürlich machen und zu mehr Koordination, Überzeugung, Übereinstimmung und Initiative führen82. Nach Walter Hallstein ist die Kommission zugleich Motor, Wachhund und eine Art ehrlicher Vermittler83. Insbesondere diente die Initiativfunktion zur Förderung der Integration: Wie die Erfahrungen mit der zweiten und dritten Säule der EU zeigen, führen Initiativen von Mitgliedstaaten leicht zu Misstrauen bei anderen Mitgliedstaaten. Der Kommission wurde im Vertrag von Amsterdam deshalb in den Sachgebieten der 2. und 3. Säule neben den Vertragsstaaten ein Initiativrecht 80

EuGH Stellungnahme 1/91, Slg. 1991 I, S. 6079, 6102. Beispiele für eine Reaktion auf zunehmende Politisierung sind die Einführung des Subsidiaritätsprinzips, die Säulenstruktur der EU und das Konzept der variablen Geometrie, durch Opt-Out Möglichkeiten, Abweichungsrechte, und closer cooperation Verfahren zwischen einzelnen Mitgliedstaaten. 82 E. Noel, The Commission's power of initiative, Common Market Law Review, 1973, S. 123f. 83 W. Hallstein, Europe in the Making, S. 22 81

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zugesprochen, um diese Probleme zu überwinden84. Darüber hinaus soll die Initiativfunktion zur Einheitlichkeit und Qualität der Rechtsetzung beitragen85. Während das Element der weiteren Integration in den Argumenten langsam zurücktritt, wird die Funktion als Vermittler von Interessen im Zuge der Demokratisierungsdebatte wichtiger. Aufgabe der Kommission ist es weiter, dafür zu sorgen, dass Diskussionskanäle offen bleiben und sich keine wie auch geartete einseitige politische Dominanz entwickelt. Die Funktion als ehrlicher Vermittler versucht die Kommission dadurch wahrzunehmen, dass sie vor Wahrnehmung ihrer Initiativfunktion verschiedene gesellschaftliche Gruppen anhört und deren Interessen und Ansichten in den Entscheidungsprozeß einbindet86. Beispielsweise hat sie im Bereich der Sozialpolitik die Rolle eines Interessenvermittlers zwischen den „Sozialpartnern" im Verfahren nach Art. 138 Abs. 1 EG. Desweiteren vermittelt sie zwischen Staaten, die in einigen Staaten weitere Integration wünschen, und solchen, die dies ablehnen. Die Rolle der Kommission als Vermittlerin zwischen den Mitgliedstaaten kann noch steigen, wenn Entscheidungen zur Vertiefung von Integration nicht mehr einstimmig getroffen werden müssen, sondern mehrheitlich erfolgen können und so kleinere Staaten nicht mehr durch ein Vetorecht geschützt werden. Personelle Legitimationsformen, die einem formellen Repräsentationsverständnis beruhen, stellen unter anderem auf die Stärkung des Europäischen Parlamentes durch die Kommission ab. Die Initiativfunktion der Kommission wurde vor Einführung des Mitentscheidungsverfahrens als ein Mittel der Stärkung der Rolle des Parlaments gesehen. Nahm die Kommission die Überlegungen des Parlamentes in ihren Vorschlag auf, dann musste der Rat diese Vorschläge akzeptieren und konnte sie nur einstimmig abändern87. Mit Einführung des Mitentscheidungsverfahrens änderte sich diese „Beschützerrolle" aber88: Im Mitentscheidungsverfahren besitzt das Parlament ein Vetorecht, es benötigt die Kommission nicht für die Durchsetzung seiner Ansichten. Im Bereich des Mitentscheidungsverfahrens hat die Kom84

A. Verhoeven, The European Union, S. 234. R. G. Bono, The Commission after Amsterdam: its future in an enlarged Union, in: Heukels/Blokker/Brus (Hrsg.), The European Union after Amsterdam, a legal analysis, S. 97. 86 So die Selbstbeschreibung der Kommission unter http://europa.eu.int/comm/role-en.htm. 87 Der Rat muß dabei allerdings innerhalb der Grenzen dessen bleiben, was eine Änderung kennzeichnet, d.h. er hat innerhalb des Gegenstandes und den Zielen der ursprünglichen Absicht zu bleiben. Siehe EuGH Rs. CM08/95, Slg.1997 I, S. 6315 - Eurotunnel. 88 S. Boyron, The co-decision procedure: rethinking the constitutional fundamentals, in: Craig/Harlow, Lawmaking in the European Union, S. 147-168; A. Kreppel, What affects the European Parliament's legislative influence? An analysis of the success of EP amendments, Journal of Common Market Studies, 1999, S. 521ff. 85

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mission damit ihre Funktion der „Förderung" des Parlaments verloren. Daneben wird auf die Rolle des Europäischen Parlamentes als Aufsichtsorgan der Kommission abgestellt. Diese Argumente alleine können aber noch keine ausreichende Grundlage für eine demokratietheoretische Legitimation der Kommission bieten, denn sie stellen auf nur mittelbar-personelle Legitimationselemente ab. 3. Demokratieprinzip und das Ausschußverfahren der Kommission Besonders das so genannte Ausschußverfahren der Kommission ist in legitimatorischer Hinsicht sehr umstritten89. Bezüglich der delegierten Normsetzungsverfahren wird zu Recht auf die fehlende vertragliche Verankerung und Ausgestaltung dieses Verfahrens hingewiesen, die zu einem Schwachpunkt in der institutionellen Legitimation dieses Verfahrens führt 90 . Weitere Kritikpunkte sind die mangelnde Transparenz des Ausschußverfahrens und das Fehlen klarer Kompetenz - und Verantwortlichkeitszuordnungen. Joerges dagegen betont die Bedeutung des Komitologieverfahrens als eigenen, neuen Steuerungsmechanismus91, den er als „deliberativen Supranationalismus" bezeichnet, s.o. Kapitel 11 V. Zwar bestehe auf europäischer Ebene die Gedankentradition des Ordoliberalismus neben der Zweckverbandslehre und der Idee des Regulatory State. Realität europäischen Regierens sei dagegen die Komitologie92. Im Ausschußverfahren besteht eine Mischung der Beteiligung von unabhängiger Institution (Kommission) und der Vertreter der staatlichen Regierungen. Die Vertreter der staatlichen Ebene und die Mitglieder der wissenschaftlichen Fachausschüsse, bspw. (Veterinär-)Mediziner im Bereich Lebensmittelsicherheit, bringen unterschiedliche Standpunkte in die Entscheidungsfindung ein, woraus sich ein deliberatives 89

Siehe etwa O. Gerstenberg/Ch. Säbel, Directly-Deliberative Polyarchy: An Institutional Ideal for Europe?, in: Ch. Joerges/R. Dehousse, Good Governance in Europe's Integrated Market, S. 318ff.; A. Verhoeven, The European Union, S. 244 Fn. 1011; Chr. Demmke u.a., The history of comitology, in: R. Pedler/G. Schaefer (Hrsg.), Shaping European Law and Policy. The Role of committees and comitology in the political process, Maastricht, 1996; Chr. Demmke, The secret life of comitology or the role of public officials in EC environmental policy, European Institute of Public Administration (EIPA) scope, 1999, S. 14—19; Chr. Joerges, „Good Governance" im Europäischen Binnenmarkt, in: Europarecht 2002, S. 17ff. 90 A. Verhoeven, The European Union, S. 243. 91 Chr. Joerges/J. Neyer. From intergovernmental bargaining to deliberative political processes, European Law Journal 1997, S. 273ff. 92 Chr. Joerges, Economic Order - Technical Realisation - The Hour Of The Executive, Jean Monnet Working Paper Nr. 6/2001.

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Verfahren ergebe, das eine neue Form der Legitimität beanspruchen könne93. Dabei handele es sich allerdings nicht um dieselbe demokratische Legitimität, die demokratische Verfassungsstaaten für sich beanspruchen könnten. Diese Form der Legitimität müsse sich vielmehr auf die Qualität der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung stützen94. Allerdings geht Joerges nicht so weit zu fragen, ob das Modell formeller Repräsentation durch die supranationale Deliberation ergänzt oder ersetzt werden könne, sondern er verweist letztlich wieder auf eine ergebnisbezogene Legitimation. Eine im engeren Sinne demokratietheoretische Einbeziehung unterbleibt. 4. Demokratietheoretische Aspekte der Kommission als „Hüterin" der Verträge Um die Exekutiv- und Überwachungsfunktionen der Kommission gab es erstaunlicherweise keine so ausgeprägte Debatte wie um die Initiativ- und Regulierungsfunktion95, obwohl mit der Regelung der Beihilfen- und Wettbewerbskontrolle gegenüber den meisten staatlichen Regelungen eine deutliche Kompetenzverlagerung weg von politisch kontrollierten Organen und hin zu einer unabhängigen Institution erfolgte. Die „Überwachungsfunktion" wurde mit dem Hinweis auf die Durchsetzung europäischen Rechts durch die Kommission, vor allem gegenüber den Mitgliedstaaten, begründet. Wie weiter unten gezeigt wird, handelt es sich aber gerade bei dieser Aufgabe um einen demokratietheoretisch problematischen Eingriff in den Bereich der Umverteilungspolitik, der auf staatlicher Ebene bisher nur von unmittelbar demokratisch gewählten Institutionen ausgeführt wurde.

B. Das ESZB: Geeignetes Vorbild für die EU als „Regulierungsstaat" ? Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) haben zwar eine umfangreiche

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Zur Rolle der wissenschaftlichen Fachausschüsse in der BSE-Krise siehe S. Krapohl, Risk regulation in the EU between interests and expertise: the case of BSE, in: Journal of European Public Policy 2003, S. 189 -207. 94 Chr. Joerges, Economic Order - Technical Realisation - The Hour Of The Executive: some legal historical observations on the Commission White Paper on European Governance, in: Jean Monnet Working Paper Nr. 6/2001, S. 19. 95 Siehe dazu A. Verhoeven, The European Union, S. 230f.

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Literatur96, aber relativ wenig demokratietheoretischen Widerspruch hervorgerufen97. Das Modell des ESZB, also eine Zusammenarbeit von staatlichen Zentralbanken unter der Leitung und Koordination der EZB, wird von den Verfechtern des „Regulatory State" als eine weiter auszudehnende, zukunftsweisende Struktur für die EU angesehen: Ähnlich könnten in anderen Politikfeldern unabhängige Agenturen auf staatlicher Ebene unter der Leitung und Koordination einer Agentur auf europäischer Ebene ihnen übertragene Aufgaben wahrnehmen98. In Betracht kommen beispielsweise die Politikfelder Verbraucherschutz und Wettbewerbspolitik. Dieser Entwurf zielt darauf ab, das soeben dargestellte Ausschußverfahren als vorherrschendes Regulierungsmodell abzulösen. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass einer der Hauptunterschiede zwischen dem Regulierungsverfahren im Ausschußmodell und dem Entscheidungsverfahren im ESZB darin besteht, dass im ESZB die Vertreter der Vertragsstaaten nicht nur auf eine strikte Unabhängigkeit verpflichtet werden, sondern auch institutionell unabhängig gestellt werden. Weiter wird die folgende Untersuchung zeigen, in welchen Punkten eine solche Nachahmung des ESZB-Modells in anderen Politikfelder möglich erscheint, und in welchen Bereichen institutionelle Besonderheiten vorliegen, die auf die Eigenarten des Politikfeldes Währungspolitik zurückzuführen sind99.

96

M. Höhret, Die Europäische Union im Legitimationstrilemma, S. 225ff. m.w.N.; S.C.W. Eijffinger/J. De Haan, The Democratic Accountability of the European Central Bank: A Comment on two Fairy-tales, in: Journal of Common Market Studies 38 (2000), S. 393^407 bejahen grundsätzlich die demokratische Legitimität der unabhängigen EZB; Gormley/de Haan, The democratic deficit of the European Central Bank, in: European Law Review 21 (1996), S. 95-112 stellen ein Demokratiedefizit der EZB fest; H. Arndt, Zur Frage der Legitimität der Europäischen Zentralbankautonomie, in: Maurer/Thiele, Legitimationsprobleme der EU, S. 208-228; J. Endler, Europäische Zentralbank und Preisstabilität, Stuttgart 1998. 97 B. Dutzler, Der Status des ESZB aus demokratietheoretischer Sicht, Der Staat 41 (2002), S. 495-522 mit einer kritischen Haltung gegenüber der ausgeprägten Zentralbankunabhängigkeit; Gormley/de Haan, The democratic deficit of the European Central Bank, in: European Law Review 21 (1996), S. 96. 98 G. Majone, The European Commission: The Limits of Centralization and the Perils of Parliamentarization, in: Governance 15 (2002), S. 387. 99 M. Herdegen, Price Stability and Budgetary Restraints in the Economic and Monetary Union: Common Market Law Review 35 (1998), S. 25 hält die EZB als nicht geeignet für ein Vorbild für die Bildung weiterer Agenturen, da die EZB nicht Abwägungsprozesse vornehmen solle, sondern ein vorgegebens Ziel umsetze.

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I. Das ESZB: gerichtliche,

sachverständige

oder gestaltende

401

Funktion?

Die Kernkompetenz des ESZB, die Wahrnehmung der Währungspolitik, ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich in einer Aufgabenstellung mehrere der dargelegten Kategorien von Funktionen überschneiden. Ihre Aufgaben besitzen zugleich gerichtsähnliche, gestaltende, und sachverständige Aspekte. Daran wird wieder deutlich, dass die demokratietheoretische Bewertung von Institutionen anhand ihrer Funktion oft nicht möglich ist, die Einteilung nach den Funktionen daher kein taugliches Abgrenzungskriterium darstellt. Die Hauptaufgabe des ESZB ist in Art. 105 EG festgelegt, der folgende Zielsetzung vorgibt: „ (...) soweit dies ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft, um zur Verwirklichung der in Artikel 2 festgelegten Ziele der Gemeinschaft beizutragen." Nach Art. 4 II EG muss sowohl die Festlegung als auch die Durchführung der einheitlichen Geld- und Wechselkurspolitik „vorrangig das Ziel der Preisstabilität verfolgen". In Art. 2 der ESZB-Satzung wird diese Grundsatzbestimmung wiederholt. Nach Ansicht der meisten Autoren ist darin eine klare Festlegung zugunsten der Preisstabilität zu sehen, die der EZB wenig Ermessensspielraum lässt100. Andere hingegen sehen in der Verankerung der verschiedenen Ziele die Gewährung eines erheblichen Entscheidungsspielraums101. Richtigerweise sind die gemeinschaftsweiten Ziele wie hohes Beschäftigungsniveau oder beständiges Wachstum gegenüber dem Stabilitätsziel nur Sekundärziele. Die Unterstützung nationaler Wirtschaftspolitik kann eine nationale Zentralbank nur außerhalb des Aufgabenbereiches des ESZB wahrnehmen, sie stellt damit nur noch ein Tertiärziel dar102. Diese Festschreibung des Primats der Preisstabilität führte dazu, dass alle maßgeblichen nationalen Zentralbankgesetze zur Bekräftigung der inhaltlichen Unabhängigkeit angepasst werden mussten103. Aufgrund der Festlegung auf die Währungsstabilität kann dem ESZB ein Gestaltungsspielraum nur dann zukommen, wenn die Währungsstabilität

100

M. Herdegen, Price Stability and Budgetary Restraints in the Economic and Monetary Union: Common Market Law Review 35 (1998), S. 9, 15; M. Höhret, Die Europäische Union im Legitimationstrilemma, S. 228; M. Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion - Band 1, S. 303f. 101 B. Dutzler, Der Status des ESZB aus demokratietheoretischer Sicht, in: Der Staat 41 (2002), S. 510. 102 M. Selmayr, a.a.O., S. 304 m.w.N. 103 Siehe oben die Konvergenz der nationalen Zentralbanken.

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Unabhängige Institutionen in der EU

gesichert ist und damit Raum für die Unterstützung der anderen im Vertrag festgelegten wirtschaftspolitischen Ziele verbleibt. Hinsichtlich der möglichen Handlungsinstrumente ähnelt der Kompetenzkatalog der EZB dem der Kommission. Gemäß Art. 110 Abs. 1 EG kann sie Verordnungen und Entscheidungen erlassen, Empfehlungen und Stellungnahmen aussprechen. Von einer depolitisierten Aufgabe kann nur insoweit gesprochen werden104, als die Zielsetzung der EZB recht klar formuliert ist. Aufgrund dieses eingeengten Ermessens, verglichen beispielsweise mit dem der Kommission, wird eine schwächere Kontrolle durch das Parlament als vertretbar angesehen105. Die Aufgabenstellung an sich, die vorrangige Festlegung auf die Wahrung der Währungsstabilität, ist dagegen eine wirtschaftspolitische Festlegung. Sie entspricht einem bestimmten wirtschaftspolitischen Konzept und ist keine wirtschaftspolitisch neutrale Entscheidung. Das ESZB handelt also immer mit einer bestimmten wirtschaftspolitischen Zielsetzung und ist auch an einem bestimmten Ausgang ihres Handelns interessiert. Sie ist damit nicht wie ein Gericht nur „beurteilender Dritter". Nicht richtig ist dann die Einschätzung, die Rolle der EZB sei am ehesten mit der des EuGH vergleichbar, da auch dieser bei seiner Rechtsprechung über einen richterlichen Entscheidungsspielraum verfügt, sich bei der Anwendung und Auslegung aber an den Willen der Mitgliedstaaten als Herren der Verträge halten muss106. Der sachverständige Aspekt der Aufgabe der Wahrung von Währungsstabilität liegt darin, dass die Aufgabe relativ technisch ist und Expertenwissen erfordert. Es wäre aber nicht richtig, die Aufgabe deshalb insgesamt nur als einen Fall von „Einbeziehung von Sachverstand" zu bewerten. Der gerichtliche Aspekt liegt in der Aufgabe der EZB, darüber zu wachen, dass alle nationalen Zentralbanken und andere Dritte die währungspolitischen Vorgaben einhalten. Die EZB ist dabei die einzige nicht gerichtliche Einrichtung in der Union, die in den Verträgen Sanktionskompetenzen übertragen bekam. Die EZB besitzt die Kompetenz, Regelungen und Entscheidungen zu erlassen, mit denen Dritte zu Handlungen verpflichtet werden können. Gem. Art. 110 (3) EG kann die EZB dabei Strafen für die Nichteinhaltung dieser Rechtsakte auferlegen107. Das Verfahren, mit dem 104 So aber Ch. ZiliolilM. Selmayr, The European Central Bank, Common Market Law Review 2000, S. 591, 627. 105 Näher dazu B. Dutzler, Der Status des ESZB, S. 509, Fn. 73. 106 M. Höhret, Die Europäische Union im Legitimationstrilemma, S. 228f. 107 Ebenso Art. 34.3 ESZB Satzung und Art. 19.1 ESZB Satzung. Auf Art. 110 (3) EG beruht die Rats- Verordnung EG Nr. 2532/98, (1998) ABl. L318/4 und die EZB-Verordnung EG Nr. 2157/1999, (1999) ABl. L 264/21.

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solche Strafen verhängt werden, kann dekonzentriert oder dezentralisiert genannt werden, da an ihm die nationalen Zentralbanken und die EZB teilnehmen. Neben der EZB können auch nationale Zentralbanken als Teil des ESZB ein solches Verletzungsverfahren beginnen, das dann zur Strafverhängung durch die EZB führen kann 108 . Das Verfahren zur Verhängung von Sanktionen kann von einer nationalen Zentralbank oder von der EZB eingeleitet werden. Allerdings kann nur die EZB die abschließende Entscheidung treffen kann, insbesondere kann nur die EZB eine Sanktion verhängen. Der Rat übertrug der EZB dabei einen sehr weitreichenden Entscheidungsspielraum: Strafen können danach verhängt werden, bei „jedem Verstoß gegen Vorschriften der Bank in Form von Verordnungen oder Entscheidungen 109 . Die EZB und die nationalen Banken besitzen darüber hinaus weitreichende Kompetenzen zur Ausführung von Untersuchungsmaßnahmen 110 . Eine solche Mischung von Kompetenzen wäre auch denkbar für die Bildung unabhängiger Agenturen, die auf ein Politikfeld ausgerichtet sind. Allerdings wäre zu Uberlegen, ob nicht den staatlichen Agenturen in einem solchen Netzwerk mehr Kompetenzen übertragen werden könnten, als dies für die nationalen Zentralbanken im Fall des ESZB der Fall ist. Das würde eine Entlastung der jeweiligen zentralen europäischen Agentur bedeuten. Die Entscheidung hängt aber wohl vom Einzelfall und der Aufgabenstellung ab. II. Entstehung und Inhalt der ausgeprägten institutionellen

Unabhängigkeit

Das ESZB ist im EG-Vertrag gegründet und geregelt, die Unabhängigkeit der EZB gilt dabei weltweit als am ausgeprägtesten. Die EZB ist in ihrem Aufgabengebiet, der Wirtschafts- und Währungsunion strukturell mit ähnlichen Eigenschaften wie die Kommission ausgestattet: Unabhängigkeit (Art. 107 EG), eigene Verantwortung (Art. 105, 108a), Initiativrecht (Art. 106 Abs. 5) und Hüterin der Verträge in diesem Bereich (Art. 180 d S. 2). Während die EZB gem. Art. 107 Abs. 2 EG eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, ist das für das ESZB nicht der Fall. Das ESZB kann aber als eine Institution 108

J. M. Martin/P. G. Texieira, The imposition of regulatory sanctions by the European Central Bank, in: European Law Review 25 (2000), S. 391ff. 109 Art. 1 (4) der Ratsverordnung. 110 Die in der Ratsverordnung übertragenen Kompetenzen wurden in der EZB-Satzung im Sinne dieser Rechtsprechung spezifiziert, um Streitigkeiten zu verhindern, wie sie früher bei der Durchsetzung von Wettbewerbsregeln durch die Kommission aufgetreten waren, siehe dazu näher J. M. Martin/P. G. Texieira, The imposition of regulatory sanctions by the European Central Bank, in: European Law Review Bd. 25 (2000), S. 406.

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Unabhängige Institutionen in der EU

der Gemeinschaft angesehen werden111. Die fehlende Rechtspersönlichkeit ist dafür kein Hindernis. Auch die anderen Organe der EG, Rat, Kommission, EuGH und Parlament, besitzen keine eigene Rechtspersönlichkeit112. Es wurde eine Vielzahl von Begriffen gebildet, um die EZB im Verhältnis zu den anderen Institutionen einzuordnen. Manche erblickte in der EZB eine „vierte Säule" der Gemeinschaft113, andere eine „unabhängige Unterorganisation114" oder eine „unabhängige, spezialisierte Organisation des Gemeinschaftsrechts115". Der neue Grad an institutioneller Unabhängigkeit des ESZB kann auch an der Kompetenz der EZB, direkt einzelne nationale Zentralbanken zu verklagen, erkannt werden116. Mit dieser Neuerung, eingeführt durch Art. 108 EG, wurde der bis dahin bestehende Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, dass die Staaten für alle Vertragsverletzungen durch ihre Organe verantwortlich sind und dafür vor dem EuGH verklagt werden können, durchbrochen. In Folge der Unabhängigkeit der nationalen Zentralbanken war es konsequent, nicht die Regierungen der Staaten für Akte der nationalen Zentralbanken innerhalb der Aufgaben des ESZB haftbar zu machen, sondern die staatlichen Zentralbanken selbst117. Dafür wurde ein Klagerecht innerhalb des ESZB eingeführt. Der hohe Grad an Unabhängigkeit der EZB und des ESZB erklärt sich auch aus der Entstehungsgeschichte: Der Entwurf für das Statut des neu zu schaffenden Europäischen Zentralbanksystems war vom Ausschluss der Notenbankpräsidenten erarbeitet worden. Die Notenbankpräsidenten hatten in diesem Entwurf großen Wert auf die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit des neuen Systems gelegt118. Es bestand sogar der Gedanke, die Wirtschafts- und Währungsunion als eigenen „WWU-Vertrag" als

111 Es ist aber kein Organ der Gemeinschaft wie das René Smits vorschlägt: R. Smits, The European Central Bank, S. 93, da es in Art. 7 EG nicht als Organ der EG aufgeführt wird. 112 R. Smits, The European Central Bank, S. 92, Fußnote 321. 113 B. De Witte, The Pillar Structure and the Nature of the European Union: Greek Temple or French Gothic Cathedral?, in: Heukels/Blokker/Brus (Hrsg.), The European Union after Amsterdam, A Legal Analysis, S. 53. 114 A. v. Bogdandy, The Legal Case for Unity: The European Union as a Single Organisation with a Single Legal System, 1999, in Common Market Law Review, S. 887, 904. 115 M. Selmayr, Die Wirtschafts- und Währungsunion als Rechtsgemeinschaft, AöR 1999, S. 357, 372. 116 Art. 237 d EG und Art. 35.6 des ESZB-Statuts. 117 Für die Aufgabenerfilllung nationaler Zentralbanken außerhalb des ESZB gilt Art. 14.4 des ESZB-Statuts. 118 Der Entwurf ist abgedruckt in H. Krägenau/W. Wetter, Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, S. 212; siehe auch M. Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, Erster Band: Die Vergemeinschaftung der Währung, S. 185.

Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen in der EU

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eigene, vierte Säule der Gemeinschaften zu schaffen119. Die Ausgestaltung des ESZB entstand letztlich weniger aus theoretischen Überlegungen als durch die (teilweise) Kopie des Bundesbankmodells und aufgrund anderer internationaler Erfahrungen bei Ausgestaltungen von Zentralbanken und von Inflationsentwicklungen120. III. Zur personellen Unabhängigkeit Die persönliche Unabhängigkeit der Mitglieder des EZB-Rates gegenüber den anderen Gemeinschaftsinstitutionen und Vertragsstaaten ist erheblich. Die Mitglieder des EZB-Rates werden auf acht Jahre ernannt. Eine Wiederernennung ist nicht zulässig. Amtsenthebungen der Mitglieder des Direktoriums durch den EuGH können nur aufgrund einer schweren Verfehlung oder „Nichtmehrerfüllung" der Voraussetzungen des Amtes erfolgen und nur vom Direktorium oder dem EZB-Rat eingeleitet werden121. Um ein Handeln der Zentralbankmitglieder im Sinne ihrer Aufgabe zu gewährleisten, wurde ein so genannter Ehrenkodex erlassen122. Dieser verpflichtet alle Ratsmitglieder auf das „allgemeine Interesse des Euro-Währungsgebietes". Er beinhaltet ein Verbot der einseitigen Berücksichtigung der Interessen des Heimatlandes und betont die Verpflichtung der ESZB-Mitglieder, unabhängig und gemäß der festgelegten Weisungsfreiheit zu handeln. Er enthält die Aufforderung, Situationen zu vermeiden, die zu Interessenkonflikten führen können. Grundsätzlich umstritten ist die Bedeutung der regionalen Herkunft für das Verhalten und die Unabhängigkeit von Zentralbankmitgliedern in der Literatur. Untersuchungen darüber, ob eine Besetzung einer Zentralbank zur Stützung ihrer Unabhängigkeit besser nach regionalen Kriterien erfolgt oder durch eine zentrale Instanz, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Lohmann plädiert für eine mehrheitlich Besetzung des Zentralbankrates durch eine einheitliche Zentrale, während andere für eine mehrheitlich de-

119

Siehe M. Selmayr, Die Wirtschafts- und Währungsunion als Rechtsgemeinschaft, in: AöR 124 (1999), S. 357, 360; Ch. Zilioli/M. Selmayr, The European Central Bank, in: Common Market Law Review 2000, S. 591, 601ff; B. Banerjee, La France et la Banque centrale européenne, S. 310. 120 S. Lohmann, Partisan control of the money supply and decentralized appointment powers, in: European Journal of Political Economy 13 (1997), S. 225. 121 Art. 11.4. Protokoll über die Satzung des ESZB und der EZB. 122 FAZ v. 27.05.02, Nr. 120, S. 14 mit Bericht über den Verhaltenskodex des EZB Rates vom 26.05.02.

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Unabhängige Institutionen in der EU

zentrale Besetzung argumentieren123. Auch für die Zusammensetzung des EZB-Rates, des wichtigsten Entscheidungsorgans des ESZB, ist die Bedeutung der regionalen Herkunft ihrer Mitglieder umstritten. Allerdings sind das EZB-Direktorium und in Zukunft auch der EZB-Rat die ersten Gemeinschaftsorgane mit Beschlußkompetenzen, in denen nicht jeder Vertragsstaat mit einem Mitglied vertreten ist: Das Direktorium der EZB ist bisher das einzige Beschlußorgan der Gemeinschaft, in dem nicht jeder Mitgliedsstaat durch mindestens einen Staatsangehörigen repräsentiert ist124. Im EZB-Rat sind bisher noch alle Mitgliedstaaten personell vertreten: Der EZB-Rat besteht aus den Präsidenten der nationalen Notenbanken und den Mitgliedern des Direktoriums der EZB. Durch Beschluss der Rates125 auf Vorschlag der EZB wurde 2003 allerdings entschieden, dass auch nach einer Erweiterung der Währungsunion weiterhin nur 15 Präsidenten nationaler Notenbanken im EZB-Rat stimmberechtigt sein werden (neben den 6 Mitgliedern des Direktoriums). In Bezug auf die Abstimmungsberechtigung der nationalen Notenbankpräsidenten126 wird ein Rotationsprinzip eingeführt. Dadurch wird zum einen eine effektive Arbeitsweise des EZB-Rates sichergestellt und zum anderen wird der Gefahr einer disproportionalen Stimmgewichtung durch die Osterweiterung der Gemeinschaft begegnet: Wären alle Mitglieder gleichzeitig an der Abstimmung beteiligt, hätten die kleinen Staaten ein Stimmübergewicht, und die Mehrheit der Bevölkerung wäre im EZB-Rat nicht angemessen vertreten. Wie die Einführung des Rotationsprinzips zeigt, sind unabhängige Institutionen mit kleinerem Aufgabenbereich als die Kommission „zielorientierter" und Mitgliedstaaten in der Folge eher bereit, auf eine ständige Vertretung in den Entscheidungsgremien zu verzichten. An diesem Punkt zeigt sich der Unterschied zwischen der Kommission als politisch-gestaltender unabhängiger Institution mit großen Entscheidungsspielräumen und des EZB als zwar auch gestaltend-zielorientierter Institution, aber mit klareren Entscheidungsvorgaben und damit weniger Entscheidungsspielraum. Insofern liegt der Schluss nahe, dass auch bei Bildung unabhängiger Agenturen mit einer klar umrissenen Aufgabenstellung, etwa Verbraucherschutz, eine Politisierung in dem Maße vermieden werden könnte, wie es bei der Kommission besteht.

123 S. Lohmann, Partisan control of the money supply and decentralized appointment powers, in: European Journal of Political Economy 13 (1997), S. 225, 243 m.w.N. 124 Für die Kommission siehe dagegen Art. 213 I Uabs. 4 EG. 125 Ratsbeschluss vom 21. März 2003, ABl. L 083 vom 1. April 2003, S. 66-68, S. 67, Art. 1. 126 Siehe Art. 1 des Ratsbeschlusses, a.a.O.

Bildung und Legitimation unabhängiger Institutionen in der EU

IV. Die sachliche

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Unabhängigkeit

Mit dem Status der EZB erreicht die Verankerung der sachlich-politischen Unabhängigkeit einer Zentralbank ein bisher nicht gekanntes Ausmaß127. Die vertragliche Absicherung der sachlichen Unabhängigkeit übertrifft die der Bundesbank bei weitem: Während deren Unabhängigkeit lediglich in einem einfachen Bundesgesetz verankert war128 und mit einfacher Mehrheit des Bundestages abgeändert werden konnte, ist die Unabhängigkeit der EZB in den Verträgen verankert und kann nur mit Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten abgeändert werden. Gem. Art 108 EG und Art. 7 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank ist die EZB gegenüber den Vertragsstaaten und den anderen EU Organen bezüglich der ihr durch den EG Vertrag übertragenen Befugnisse weisungsfrei. Es bestehen auch keine Rechenschafts- oder Abstimmungspflichten mit anderen Organen. Die sachliche Unabhängigkeit des ESZB führt wiederum zur demokratietheoretischen Problematik. Die Legitimität der EZB wird bisher über ihre vertragsrechtliche Verankerung, ihre engen rechtlichen Vorgaben und eine Output-Legitimität gerechtfertigt129. Nach Ansicht einiger Autoren gilt dabei, dass je kleiner Entscheidungsspielraum der Zentralbank, desto geringer der Legitimationsbedarf ist130. Als problematisch wird nach diesem Ansatz nicht die feste Zielfestlegung, sondern der übertragene Entscheidungsspielraum empfunden. Dabei wird allerdings übersehen, dass auch die institutionelle Verfestigung eines Zieles, etwa der Preisstabilität auf Kosten anderer Ziele, genauso einer, wenn auch anderen, Begründung wie die Übertragung von Entscheidungsspielraum auf unabhängige Institutionen, bedarf131. Wenn auf europäischer Ebene Agenturen mit dem Ziel der Stärkung bestimmter politischer Ziele gebildet werden sollten, müssten sie - je nach Struktur des betreffenden Politikfelds - dieselbe sachliche Unabhängigkeit wie die EZB besitzen, um ihrer jeweiligen Aufgabe gerecht zu werden. Allerdings könnten für unabhängige Regulierungsbehörden durchaus mehr 127

Ch. Zilioli/M. Selmayr, The European Central Bank: An Independent Specialized Organization of Community Law: Common Market Law Review 2000, S. 591, 624ff. mit Verweis auf das Europäische Parlament, das feststellte, die EZB verfüge über eine Unabhängigkeit, die keine andere Zentralbank der Welt erreicht. Europäisches Parlament, Bericht Uber die konstitutionellen Folgen der WWU im Zusammenhang mit der Erweiterung, Rapporteur J. Barros Moura, A4 - 0030/99, S. 23. 128 § 12 BBankG. 129 M. Höhret, Die Europäische Union im Legitimationstrilemma, S. 230. 130 M. Höhret, Die Europäische Union im Legitimationstrilemma, S. 228. 131 Siehe dazu die Ausführungen in Kapitel 7 und 9.

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Unabhängige Institutionen in der EU

Konsultations- und Berichtspflichten nach dem Vorbild US-amerikanischer Regulierungsbehörden eingeführt werden. V. Die Unabhängigkeitsstruktur der staatlichen Zentralbanken und ihrer Vertreter im ESZB Die unabhängige Stellung der staatlichen Vertreter, die im ESZB mitwirken, stellt einen grundsätzlichen Unterschied zu dem Ausschußverfahren dar, in dem in den Ausschüssen Entsandte der Mitgliedstaaten sitzen, die in vollem Maße institutionell-persönlich in die Ministerialhierarchie des Entsendestaates eingebunden sind. Während im Ausschußverfahren also ein Zusammenwirken von der Kommission als unabhängiger Institution mit den politisch nicht unabhängig gestellten staatlichen Vertretern das Charakteristikum ist, ist das ESZB-Modell durch seine organisatorisch-personell-sachliche Unabhängigkeit auch auf staatlicher Ebene gekennzeichnet. Die an der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion teilnehmenden Mitgliedstaaten hatten gem. Art. 109 EG bis zum Zeitpunkt der Errichtung des ESZB, also bis zum 1. Juli 1998 (Art. 123 I UAbs. 2 EG), die „rechtliche Konvergenz" ihrer währungspolitischen Institutionen herzustellen132. Es wurden vier Elemente der Unabhängigkeit unterschieden: institutionelle, persönliche, funktionelle und finanzielle Unabhängigkeit. Die institutionelle Unabhängigkeit erfasst die in Art. 108 EG verankerte Verbote von Weisungen und sonstigen Versuchen der Einflussnahme gegenüber einer Zentralbank. In vielen Mitgliedstaaten, etwa den Niederlanden, Frankreich oder Italien mussten daher Weisungsrechte und andere Kompetenzen politischer Organe im Bereich der Währungspolitik aufgehoben werden133. Auch politische Kontrollrecht mussten beseitigt werden. In Deutschland musste § 13 II 132

Bereits in der zweiten Stufe der Währungsunion hatten die Mitgliedstaaten das Verfahren einzuleiten, gem. Art. 116 V EG, Art. 109 EG, das die Unabhängigkeit der nationalen Zentralbanken herstellte. Sonderregelungen gelten für das Vereinigte Königreich und für Dänemark, näher dazu Ch. ZiliolUM. Selmayr, The Law of the European Central Bank, S. 137ff. 133 Eine umfassende Darstellung der erfolgten Änderungen findet sich bei M. Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, auf der die folgenden Angaben beruhen: in den Niederlanden musste das bestehende Weisungsrecht des Finanzministers gegenüber der Zentralbank abgeschafft werden (EWI, Fortschritte auf dem Wege zur Konvergenz 1996, S. 142, zur Änderung: EWI, Konvergenzbericht 1998, S. 354); in Frankreich musste die Banque de France hinsichtlich aller ESZB Aufgaben von den Weisungen der Regierung freigestellt werden (EWI, Fortschritte auf dem Wege zur Konvergenz 1996, S. 131, zur Änderung: EWI, Konvergenzbericht 1998, S. 336); in Italien mußte die Regelung geändert werden, wonach die Zinsen für Einlagen bei der Zentralbank (mit Ausnahme der Mindestreserveeinlagen) vom Minister des Schatzamtes festgesetzt wurden (EWI, Konvergenzbericht 1996, S. 136, zur Änderung: EWI, Konvergenzbericht 1998, S. 362).

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409

3 BBankG gestrichen werden, der ein suspensives Vetorecht der Bundesregierung gegen Beschlussfassungen des Zentralbankrates vorgesehen hatte134. Die persönliche Unabhängigkeit der Präsidenten der nationalen Zentralbanken soll durch Art. 14.2 EZB Satzung gesichert werden, weil die diese Präsidenten durch ihre Mitgliedschaft im EZB-Rat135 von den Mitgliedern der nationalen Banken den stärksten Einfluss auf die Entscheidungen der EZB haben. Gem. Art. 14.2 UAbs. 1 ESZB-Satzung muss die Amtszeit eines Notenbankpräsidenten mindestens fünf Jahre betragen136. Eine Entlassung des Präsidenten einer nationalen Zentralbank darf nur aufgrund der in Art. 14.2 UAbs. 2 Satz 1 ESZB-Satzung genannten Gründen erfolgen, also nur, wenn er die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amtes nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat. Wird ein Zentralbankpräsident aus einem anderen Grunde entlassen, so stehen ihm und dem EZBRat gemäß Art. 14.2 UAbs. 2 Satz 2 ESZB-Satzung ein direkter Rechtsweg zum EuGH offen, wobei die entsprechende Klage gegen den Mitgliedstaat zu richten ist, dem die Entlassung zuzurechnen ist. Entlassungsgründe, die mit Art. 14.2 ESZB-Satzung nicht vereinbar sind, waren im Zuge der Herstellung rechtlicher Konvergenz aus den nationalen Zentralbankgesetzen zu beseitigen137. Als mit Art. 108 EG i.V.m. Art. 14.2 ESZB-Satzung unvereinbar wurde es angesehen, dass Mitglieder der Parlamente zugleich Mitglieder eines geldpolitischen Beschlußorgans einer Zentralbank waren138. Nicht verboten ist die Möglichkeit einer Wiederernennung der Präsidenten nationaler Zentralbanken, auch wenn dies ein Druckmittel zum Erzwingen von Wohlverhalten eines Zentralbankmitgliedes sein kann. Die Wiederernennung ist im EG Vertrag ausdrücklich nur für Mitglieder des EZB-Direktoriums ausgeschlossen139. Das Wiederernennungsverbot ist auch keine all-

134 Auf Verlangen der Bundesregierung war die Beschlussfassung im Zentralbankrat bis zu zwei Wochen auszusetzen. 135 Art. 112 I EG, Art. 10.1 EZB-Satzung. 136 Geändert werden mußte daher § 7 III 3 BBankG, wonach der Präsident der Deutschen Bundesbank (ebenso wie die übrigen Mitglieder des Bundesbank-Direktoriums) „für acht Jahre, ausnahmsweise jedoch für kürzere Zeit, mindestens jedoch für zwei Jahre bestellt" werden mussten. 137 Geändert werden mußte beispielweise Art. 44 des belgischen Zentralbankgesetzes, demzufolge der belgische König den Präsidenten der Banque Nationale de Belgique jederzeit ohne Angaben von Gründen suspendieren oder entlassen konnte. Heute gibt das belgische Zentralbankgesetz im neuen Art. 25 die Entlassungsgründe aus Art. 14.2 UAbs. 2 ESZB-Satzung wortgleich wieder, M. Selmayr, a.a.O., S. 300 m.w.N. 138 Siehe dazu M. Selmayr, a.a.O., S. 302 m.w.N. 139 Art. 11.2 UAbs. 2, Art. 50 Satz 4 ESZB-Satzung.

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gemeine Regel, die aus der rechtlichen Ausgestaltung der anderen unabhängigen europäischen Institutionen abgeleitet werden könnte140. Der im EG-Vertrag festgeschriebene Vorrang der Wahrung der Preisstabilität141 führte dazu, dass alle nationalen Zentralbankgesetze zur Bekräftigung der Sicherung dieses Zieles angepasst werden mussten142. Die finanzielle Unabhängigkeit der nationalen Zentralbanken wird ebenfalls von Art. 108 EG umfasst. EWI und Kommission verstanden Art. 108 EG so, dass er Einflußnahmeversuche über den finanziellen Weg als gemeinschaftsrechtlich verboten ansieht143. Aus dem Gemeinschaftsrecht erwachse eine Bestandsgarantie, auch in finanzieller Hinsicht. Mit dem allgemeinen Beeinflussungsverbot nach Art. 108 EG wäre es nicht zu vereinbaren, wenn die öffentlichen oder privaten Kapitaleigner einer nationalen Zentralbank die Ausstattung mit Finanzmitteln an Bedingungen knüpfen könnten144.

C. Stellung, Rolle und mögliche Entwicklung der europäischen Agenturen I. Bisherige Entwicklung und Kompetenzen

der

Agenturen

Von den eben dargestellten Kompetenzen und der erläuterten Unabhängigkeit des ESZB sind die derzeitigen Agenturen der Europäischen Union noch weit entfernt. Sie erfüllen vielmehr überwiegend Aufgaben der Informationsgewinnung. Zugleich werden sie zunehmend als Institutionen gesehen, die eine Grundlage für die Verwaltungsstruktur für das Funktionieren des Binnenmarktes darstellen könnten. Beginnend ab 1975 wurden auf Gemeinschaftsebene bis 2005 insgesamt 17 Agenturen gebildet, die als von der Kommission und anderen Institutionen unabhängige Einrichtungen bestimmte Aufgabenbereiche wahrnehmen

140 Bei den anderen unabhängigen Institutionen Kommission, EuGH, EuG und Rechnungshof läßt der EG-Vertrag Wiederernennung zu, siehe Art. 214 I UAbs. 2, Art. 223 IV, Art. 225 III 3 sowie Art. 247 III UAbs. 3 S. 2 EG. 141 Art. 4 II, Art. 105 I EG, Art. 2 ESZB-Satzung, siehe näher dazu unten zu sachlicher Unabhängigkeit des ESZB. 142 Siehe die Übersicht der Anpassungen bei M. Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, Band 1, S. 305ff. 143 M. Selmayr, a.a.O., S. 308ff. m.w.N. 144 So Kommission, Konvergenzbericht 1998, S. 46.

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sollen145. Dabei hat sich die Bildung solcher Agenturen in den letzten Jahren beschleunigt, da im Rahmen der Schlussfolgerungen fast jeden Europäischen Rates neue Agenturen geschaffen wurden und die Kommission kurz nach diesen Beschlüssen Vorschläge für neue Agenturen vorlegte146. Definiert werden Agenturen als relativ unabhängige Einrichtungen, die auf Dauer angelegt, mit speziellen, eigenständigen Aufgaben befasst und als Einrichtungen des Gemeinschaftsrechts mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet sind147. Vertragliche Bestimmungen zur Regelung der Agenturen fehlen bisher. Bis jetzt werden auf die Agenturen die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und das Richterrecht des EuGH angewandt. Der die Agenturen gründende Rechtsakt setzt für deren Funktionsweise bestimmte Anforderungen fest, der Gründungsakt selbst unterliegt aber keinen „höheren" Anforderungen. Die Agenturen besitzen augenblicklich noch kaum Regulierungskompetenzen, sondern haben vor allem Aufgaben im Bereich der Informationsverschaffung. Sie ähneln in diesem informationsbezogenen Ansatz den ersten amerikanischen Kommissionen, sog. „sunshine commissions", die ebenfalls zunächst nur wirtschaftliche Daten sammeln sollten148.

145

Für einen aktuellen Überblick siehe http://europa.eu.int/agencies/index_de.htm; Zur Entwicklung und Rolle der EU-Agenturen siehe ausführlicher D. Fischer Appelt, Agenturen; V. Helfritz, Verselbständigte Verwaltungseinheiten in der EU; M. Everson/G. Majone/L. Metcalfe/A. Schout, The Role of specialised agencies in Decentralising EU Governance, S. 29ff.; G. Majone/M. Everson, Institutional Reform: independent agencies, oversiht, coordination and procedural control, in: O. de Schutter/N. Lebessis/J. Paterson (Hrsg.), Governance in the European Union S. 129ff.; G. Majone, Regulating Europe, 1996. 146 Während des Gipfels von Laeken wurde über die Standorte bestehender und zu gründender weiterer Agenturen beraten, jedoch konnten sich die Politiker nicht einigen, siehe European Voice v. 20.12.2001. Auf dem Gipfel in Brüssel am 13./14. Dezember 2003 wurden einige der in Laeken gegründeten Agenturen endgültig festgelegt. Neu seit 2001 sind die Europäische Agentur für Flugsicherheit (Köln), eine Europäische Agentur für Sicherheit im Schienenverkehr (Lille), Eurojust (Den Haag), Agentur für die Sicherheit der Kommunikationsnetzwerke (Griechenland), Europäische Polizeiakademie (London). Geplant sind eine Beobachtungsstelle für Asyl und Einwanderung (Athen), Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (Paris), Gemeinschaftsagentur für den Austausch von Visainformationen (Straßburg), Büro für die Überwachung der Außengrenzen (Rom), Europäische Agentur für Zivilschutz (Mailand), ITER Thermonuklearer Versuchsreaktor (Cadarache, Provence, Frankreich). 147 Definition nach D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 38. 148 Eine Typologie der EU-Agenturen nach ihren Funktionen bieten G. Majone (Hrsg.), M Everson/G. Majone/L Metcalfe/A. Schout, The Role of specialised agencies in Decentralising EU Governance, S. 61f. Sie unterscheiden dabei Regulierungsagenturen, Agenturen zur Informationsbeschaffung, justizähnliche Agenturen und Agenturen mit „verfassungsähnlichem Auftrag" wie etwa Zentralbanken.

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Unabhängige Institutionen in der EU

Die Agentur für Lebensmittelsicherheit, die 2003 ihre Arbeit als Informationsbeschaffungsagentur aufnahm 149 ist eine Konsequenz aus der BSEKrise, nach der das institutionelle Umfeld für die Sicherheitsprüfung von Lebensmitteln im Rahmen des Verwaltungsverfahrens der Kommission als ungenügend bewertet wurde. So stellte Prodi im Oktober 1999 noch unter dem Eindruck des BSE-Skandals die Errichtung einer unabhängigen Lebensmittelagentur nach dem Vorbild der Food and Drug Administration in den Vereinigten Staaten in Aussicht 150 . Die neugegründete europäische Agentur verfügt aber über wesentlich weniger Kompetenzen als ihr amerikanisches Vorbild. Auch nur mit schwachen Befugnissen, etwa zum Sammeln von Informationen und beratenden Funktionen wurde beispielsweise die 1990 gegründete Europäische Umweltagentur ausgestattet, obwohl das Europäische Parlament ihr ursprünglich auch Aufgaben bei der Überwachung der Anwendung gemeinschaftsrechtlicher Umweltregeln übertragen wollte151. Als Kompromiss enthält die Gründungsverordnung eine Erweiterungsklausel (Art. 20) für die spätere Übertragung von weiterreichenden Befugnissen. Die Kommission hatte 1997 einen Vorschlag bezüglich der Umweltagentur vorgelegt, der aber keine wesentlichen Erweiterungen der Befugnisse vorsieht. Begründung dafür ist, dass die Agentur in vielen Bereichen trotz guter Leistungen noch am Anfang ihrer Tätigkeit steht152. Die Aufgaben der Umweltagentur bestehen damit weiter in Informationsgewinnung, Bewertung, Weitergabe von Informationen und Zusammenarbeit mit Dritten, dabei unter anderem mit den mitgliedstaatlichen Einrichtungen für Umweltpolitik. Zu den Regulierungsagenturen gehört die 1995 gegründete Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (European Agency for the Evaluation of Medicinal Products (EMEA)) 153 . Aufgabe dieser Agentur ist die Beurteilung und EG-weite Marktzulassung von Arzneimitteln. Sie ist dabei allerdings auch keine wirklich selbständige Regulierungsagentur, da im Falle der Ablehnung der Marktzulassung durch die Agentur auch die 149

Gegründet mit Verordnung (EG) Nr. 178/2002, ABl. L 31 vom 1. Februar 2002. Agence Europe Nr. 7566 vom 6.10.1999, 9 und die Presseerklärung zu der Debatte des europäischen Parlamentes am 5.10. 1999 unter http://www.europarl.eu.int/dg3/sdp/joum/en; J. Falke, Komitologie - Entwicklung, Rechtsgrundlagen und erste empirische Annäherung, in: Joerges/Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäischen Union, S. 114. 151 Vorschlag des Europäischen Parlamentes, ABl. C 96/1(1990); vgl. auch den Parlamentsbericht des Umweltausschusses, A3-0027/90, vom 5.2.1990, S. 18; vgl. erneut Minutes of EP sitting vom 13.10.1995, 3., European Environment Agency, ABl. C 287/233 (1995). 152 Siehe die Nachweise bei D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 57. 153 Gegründet durch die VO (EG) Nr. 2309/93 des Rates vom 22.7.1993 (ABl. L 214/1 vom 24.8.1993). 150

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Kommission und sogar der Rat in das Entscheidungsverfahren noch einbezogen werden. Dieses Entscheidungsverfahren wird unter II. 3. kurz vorgestellt werden. II. Agenturen zwischen Unabhängigkeit und Kontrolle Vorbild ESZB oder Komitologie? 1. Agenturen und Kommission Es besteht eine laufende Überwachung der Agenturtätigkeiten durch die Kommission. Dies erfolgt durch viele permanente Kontakte zwischen den Generaldirektionen der Kommission mit den Agenturen154 in Form einer „sanfter Kontrolle" mittels Begleitung der Institutionstätigkeit durch informalen Austausch, wechselseitige Abhängigkeit von Informationsaustausch und Kontakt155. Ausschüsse des Europäischen Parlamentes wie der Haushaltsausschuss, der die Budgets der Agenturen genehmigt, und spezielle Sachausschüsse stehen in Kontakt mit den Agenturen. Hauptbeschäftigung der Ausschüsse ist die Ausarbeitung von Berichten, Stellungnahmen und Arbeitspapieren. Daneben gehören zum Monitoring der Agenturen durch das Parlament direkte Kontakte mit den Mitarbeitern der Agenturen, Besuche und andere Treffen. Diese Zusammenarbeit ist auch für die Agenturen interessant, da die Zusammenarbeit mit dem Parlament ihnen Einflußchancen eröffnet und Gehör verschafft. 2. Agenturen und Mitgliedstaaten Die Agenturen sind von den Regierungen der Mitgliedstaaten nicht so unabhängig wie die EZB und das ESZB, sondern ähneln in dieser Hinsicht mehr den Ausschüssen im Komitologieverfahren. In den Verwaltungsräten („boards") der meisten Agenturen haben Gesandte der Mitgliedstaaten Stimmrecht156. Diese Regelung dient auch der Sicherung der nationalen Interessen157. Bei einigen Agenturen, etwa Eurostat, fehlt ein solcher Verwal154

D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 253. D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 254, Fn. 115. 156 Th. Groß, Die Kooperation zwischen europäischen Agenturen und nationalen Behörden, Europarecht 2005, S. 54ff.; G. Majone/M. Everson, Institutional reform: independent agencies, oversight, coordination and procedural control, in: O. de Schutter/N. Lebessis/J. Paterson (Hrsg.), Governance in the European Union S. 151. 157 G. Majone (Hrsg.)/M Everson/L Metcalfe/A. Schout, The Role of specialised agencies in decentralising EU Governance, S. 128f. 155

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tungsrat158, es handelt sich daher um eine untypische Agentur. Durch die Einwirkung der mitgliedstaatlichen Gesandten sind Agenturen nicht viel unabhängiger von Einflüssen seitens der Mitgliedstaaten als die Ausschüsse im Komitologieverfahren. Im Gegenteil haben mitgliedstaatliche Vertreter in den Agenturen Uber den Verwaltungsrat eine größere Entscheidungskompetenz, als sie in den (formal) lediglich beratenden Ausschüsse im Komitologieverfahren besitzen. Allerdings relativiert sich der mitgliedstaatliche Einfluss in den Agenturen durch die sozialen und psychologischen Effekte von Institutionalisierung und Verselbständigung von Verwaltungseinheiten. Auch bei den mitgliedstaatlichen Vertretern im Verwaltungsrat existiert ein Interesse an der Durchsetzung der der Agentur übertragenen Aufgaben. Diese Entwicklung wurde bei Bildung unabhängiger Institutionen mit klarem Regelungsauftrag schon öfter beobachtet159. Unter bestimmten Bedingungen, zu denen die Professionalität der Mitglieder und die klare Aufgabenstellung gehören, kann sich über die Bildung einer eigenen Identität innerhalb der Agentur eine Abgrenzung von den nationalstaatlichen Interessen bilden. Eine solche Entwicklung ist dagegen im Ausschußverfahren, in dem Entscheidungsverfahren und Personalauswahl wenig institutionalisiert sind, nicht möglich. 3. Ein Ansatz für europäische

Regulierungsagenturen?

Ein mögliches Modell für die Bildung unabhängiger Regulierungsagenturen auf Gemeinschaftsebene ist das so genannte Expertisemodell. Dieses Entscheidungsverfahren zeichnet sich durch ein Mitsprache- und Modifikationsrecht mehrerer Institutionen hinsichtlich der Letztentscheidung aus. Zugrunde liegende Idee dieser gestaffelten Entscheidungsverfahren ist, die Bearbeitung von Sachfragen auf weisungsfreie Expertengremien zu verlagern, die politische Letztentscheidung aber den politischen Organen zu überlassen oder ihnen zumindest ein letztes Prüfungsrecht einzuräumen. Ein Beispiel dafür ist das Entscheidungsverfahren im Bereich der Zulassung von Arzneimitteln in der EU: Auf einer ersten Bearbeitungsebene ist die Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln, EMEA (London), zuständig. Im weiteren Verfahren kann die Kommission und sogar der Rat

158 G. Majone (Hrsg.)/M. EversonIL Metcalfe/A. Schout, The role of specialised agencies in decentralising EU Governance, S. 236. 159 G. Majone/M. Everson, Institutional reform: independent agencies, oversight, coordination and procedural control, in: O. de Schutter/N. Lebessis/J. Paterson (Hrsg.), Governance in the European Union S. 151 m.w.N.

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eingeschaltet werden, die dann die Letztentscheidungskompetenz an sich ziehen. Der Antrag auf Zulassung eines Arzneimittels wird bei der Arzneimittelagentur der EG gestellt160. Lehnt der Arzneimittelausschuß der Agentur die Zulassung ab, wird im Falle eines Widerspruches des Antragstellers bei der Agentur eine Schlussfolgerung verfasst, die dem Antragsteller, den Mitgliedstaaten und der Kommission zuzustellen ist. Die Kommission arbeitet dann einen Entscheidungsentwurf aus, der sich im Normalfall an die Beurteilung der Agentur hält. Bei einer Kommissionsentscheidung, die von den Schlussfolgerungen der Agentur abweicht, ist eine detaillierte Begründung vorausgesetzt161. Dabei bestehen absolute Versagungsgründe162. Bis hierhin sind nur unabhängige Institutionen am Entscheidungsprozeß des Arzneimittelsektors beteiligt. Die Beteiligung politisch verantwortlicher Institutionen folgt nach dem Erstellen des Kommissionsentwurfes: Vor einer endgültigen Entscheidung muss die Kommission einen der zwei Ständigen Beiräte für Arzneimittel konsultieren163, die sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzen, und mit gewichteten Stimmrechten wie im Rat abstimmen164. Weichen die Stellungnahmen des Ausschusses und die geplante Maßnahme der Kommission voneinander ab, dann wird der Rat selbst als Letztentscheidungsorgan in das Verfahren eingeschaltet165. III. Demokratietheoretische

Aspekte der

Agenturbildung

Die demokratische Legitimität unabhängiger Agenturen ist in den Vereinigten Staaten und auch in der Europäischen Gemeinschaft umstritten. Die Autoren, die Europas Legitimation in einem „Regulatory State" sehen, befürworten eine stärkere Rolle von unabhängigen Regulierungsagenturen166. Zugrunde legen diese Ansätze ökonomische Entscheidungsmodelle, insbesondere die Public Choice Theorie. Sie befürworten die Bildung solcher Institutionen, weil sie den Fehlentwicklungen des politischen Entscheidungsprozesses entgegenwirken könnten167. Wie oben in Kapitel 4 und 7 160

Art. 4 Arzneimittel-VO. Art. 10 Abs. 1 UnterAbs. 3 Arzneimittel-VO. 162 Art. 11 Arzneimittel-VO. 163 Art. 73 Arzneimitel-VO. 164 Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 73 Arzneimittel-VO. 165 Art. 73 Abs. 4 Arzneimittel-VO. 166 Siehe oben Kapitel 11 B 4 und für weitere Nachweise A. Verhoeven, The European Union, S. 245 Fn. 1019. 167 Siehe insbesondere G. Majone (Hrsg.), Regulating Europe, 1996. 161

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dargestellt, begrenzt Majone seinen Regulierungsansatz aber auf unabhängige Regulierungsinstitutionen. Die Gegner der Agenturen verweisen auf zu schwache Kontrollmechanismen, die Gefahr der Verselbständigung der Aktivitäten der Agenturen und problematisieren das exekutivlastige, technokratische Steuerungsverständnis, das hinter der Bildung unabhängiger Agenturen steht168. Die Frage, in welchen Bereichen und in welcher institutionellen Ausgestaltung unabhängige Agenturen gebildet werden sollten und wo sie als demokratisch legitimiert angesehen werden können, kann letztlich wieder nur mit dem vertragstheoretischen Ansatz beantwortet werden, der in Kapitel 10 für die europäische Ebene entwickelt wird.

D. Zum EuGH 1. Unabhängigkeit

und Aufgaben des EuGH

Der EuGH entstand 1957 mit Gründung der Europäischen Gemeinschaften. Nach einer Ansicht war er ursprünglich nicht als eine Art Verfassungsgerichtsbarkeit im deutschen oder amerikanischen Sinne geplant169, sondern eher als eine Art Conseil d'Etat 170 . Seine Aufgaben waren danach, die Akte von Kommission und Rat auf ihre Wirksamkeit hin zu beurteilen, um Kompetenzüberschreitungen zu vermeiden. Beispielweise ähneln die vier Gründe für die Erklärung der Unwirksamkeit eines Gemeinschaftsaktes in Art. 230 EG denjenigen, die im französischen Verwaltungsrecht existieren, insbesondere dem „recours pour excès de pouvoir". Auch gibt es keinen Unterschied zwischen der Aufhebung gesetzgebender Akte des Rates (und Parlamentes)

168

Siehe die Nachweise bei D. Fischer-Appelt, Agenturen, S. 253ff.; bei A. Verhoeven, The European Union, S. 245 Fn. 1019; mit Hinweis darauf, daß die Agenturen nicht zentrales Element europäischer Steuerung seien Chr. Joerges, Economic Order - Technical Realisation - The Hour Of The Executive, in: Jean Monnet Paper Nr. 6/2001. S. Iff. 169 Stellungnahme des Generalanwalts Lagrange in EuGH verbundenen Rss. 28, 29 und 30/62, Slg. 1963, S. 31, 43 - Da Cost en Schaake/Nederlandse Belastingsadministratie: Obwohl unser Gericht in mancher Hinsicht die Rolle eines Verfassungsgerichts spielt innerhalb der Gemeinschaften, geben ihm die Verträge ihm nicht alles Voraussetzungen eines solchen Gerichts. 170 M. Stuart, The European Communities and the Rule of Law, 1977, S. 7ff. Grund dafür ist, daß Generalanwalt M. Lagrange, der den Vertrag über die Gemeinschaft für Kohle und Stahl in leitender Position entwarf, Mitglied des französischen Conseil d'Etat war. Jürgen Schwarze dagegen ist der Ansicht, daß das System gerichtlicher Kontrolle dem deutschen Vorbild nachempfunden sei, siehe J. Schwarze, Concepts and perspectives of European Community Law, in: European Public Law 1999, S. 229.

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und von Akten der Kommission171, was ein Verständnis der europäischen Gemeinschaften als einer einheitlichen supranationalen „Exekutive" widerspiegelt. Tatsächlich ähnelt der EuGH aber in seinen Funktionen durchaus einer Verfassungsgerichtsbarkeit im deutschen und amerikanischen Sinne. Zum einen nimmt er wie das Bundesverfassungsgericht Kompetenzstreitigkeiten zwischen den verschiedenen Ebenen wahr, nämlich zwischen den Institutionen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten. Darüber hinaus hat der EuGH zugelassen, dass sich Unionsbürger unmittelbar auf Bestimmungen der Verträge berufen können, die ihnen bestimmte Rechte (etwa die Grundfreiheiten) verleihen. Diese Gewährleistung individueller Bürgerrechte gegenüber den Akten der Gemeinschaft (bzw. der Regierung für die staatlichen Verfassungsgerichte) gleicht der Aufgabe einer Verfassungsgerichtsbarkeit im deutschen und amerikanischen Sinne. Neben seiner Funktion als „Verfassungsgerichtsbarkeit" war er jahrzehntelang der Motor des europäischen Integrationsprozesses. Die sachliche Unabhängigkeit des EuGH ist unbestritten, auch wenn sie im Vertrag nicht explizit festgehalten ist172. Da Gegenstand seiner Urteile meist Streitigkeiten Uber die richtige Auslegung und Anwendung europäischen Rechts sind, übt der EuGH die klassische Gerichtsfunktion in Streitschlichtung und Friedensstiftung aus, also als „unparteiischer Dritter". Ebenfalls auf Unabhängigkeit ausgerichtet ist die Auswahl der Mitglieder des EuGH173. Die Mitglieder des EuGH werden dabei nicht von den Organen der Gemeinschaft, sondern von den Mitgliedstaaten ernannt. Es konnte bisher nicht beobachtet werden, dass die Vertragsstaaten bei der Richterauswahl versuchten, Personen auszuwählen, die dem Integrationsprozeß ablehnend gegenüberstanden174. Es handelt sich bei den Richtern meist um Europarechtler, die sich mit den Integrationszielen und der grundsätzlichen Linie der EuGH Rechtsprechung identifizieren175. Insofern ist gegenüber dem Ziel der Integration eher keine unparteiische Neutralität gegeben176. 171 N. Fennelly, Legal interpretation at the European Court of Justice, Fordham International Law Journal 1997, S. 658. 172 Siehe Art. 223 EG. Für den Generalanwalt ist die sachliche Unabhängigkeit in Art. 222 EG festgelegt. 173 Art. 223 EG: „Zu Richtern und Generalanwälten des Gerichtshofs sind Persönlichkeiten auszuwählen, die jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten (...)". 174 A. Wolf-Niedermaier, Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 25 lf. m.w.N. 175 A. Wolf-Niedermaier, Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 252. 176 So auch F. Mancini/D. Keeling, Democracy and the European Court of Justice, in: Modern Law Review 57 (1994), S. 186.

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2. Ansätze zur Begründung demokratischer Legitimation des EuGH Die demokratische Legitimität des EuGH wurde im Verhältnis zu seiner Bedeutung für die Entwicklung der Gemeinschaft wenig diskutiert177. Dies ist wohl auch auf den Umstand zurückzuführen, dass die Idee der Verfassungsgerichtsbarkeit sich so weit durchgesetzt hat, dass die demokratische Legitimität des EuGH nur noch gelegentlich angezweifelt wird, wenn auch die Suche nach der Begründung dieser Legitimität noch anhält. In der Diskussion um die demokratische Legitimität des EuGH können zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze unterschieden werden: nach dem einen wird die demokratische Legitimität vorwiegend über personelle und institutionelle Legitimationselemente hergeleitet, nach dem anderen spielt das Bild des politischen Entscheidungsprozesses eine wichtige Rolle: Zentral ist dann die Frage nach der Eignung des EuGH für die Wahrnehmung der ihm übertragenen Aufgaben. Nach dem Ansatz der ersten Gruppe wird eine institutionelle Legitimation des EuGH zum einen aus seiner Verankerung in den Verträgen, die auf der Zustimmung der Mitgliedstaaten beruht, und zum anderen aus dem mittelbar demokratischen Ernennungsverfahren abgeleitet. Einer darüber hinausgehenden, zusätzlichen Legitimation bedarf der EuGH als „dritte Gewalt" nach einer Vielzahl von Autoren nicht178. Gerade an diesem Punkt kann aber zurecht auf die mangelnde Einbindung der Parlamente bei der Auswahl der Europarichter hingewiesen werden, da die Richter überwiegend durch die Exekutiven der Staaten bestimmt werden179. Dieser sehr indirekte und damit unzureichende Legitimierungsansatz nimmt keine Stellung zum Entscheidungsprozeß, sondern zieht sich ganz auf das formal vermittelte Element von Legitimation zurück. Befriedigend ist ein solcher Ansatz nicht, da er zur Rolle und Bedeutung des EuGH keinerlei Aussage trifft. Bereits 177

Siehe aber M. Höhret, Die Europäische Union im Legitimationstrilemma, S. 219ff.; F. Mancini/D. Keeling, Democracy an the European Court of Justice, Common Market Law Review 1994, S. 175-190; M. Lagrange, La cour de Justice des communautés européennes : du Plan Schumann à l'Union europénne, Revue Trimestielle de Droit Europeen, 1978, S. 2 17; A.-M. Burley/W. Mattli, Europe before the Court: A Political Theory of Legal Integration, in: International Organization 47 (1998), S. 365-386. 178 Vgl. C.-D. Classen, Europäische Integration und demokratische Legitimation, in: AöR 119 (1994), S. 246m.w.N.; vgl. U. Everling, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes, in: Weidenfeld, (Hrsg.): Reform der Europäischen Union. Materialien zur Revision des Maastrichter Vertrages 1996, S. 256; F. Schockweiler, L'indépendance et la légitimité du juge dans l'ordre juridique communautaire, in: Rivista di diritto Europeo 1993, S. 678; kritisch V. Epping, Die demokratische Legitimation der dritten Gewalt, in: Der Staat 37 (1997), S. 349-380. 179 R. Stiimer, Europäische Justiz und Demokratie, in: Festschrift für W. Brohm, S. 156f.

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auf staatlicher Ebene wurden institutionelle und personelle Legitimationselemente alleine als nicht ausreichend für die Legitimation unabhängiger Institutionen angesehen. Zentral auf die Qualität des gerichtlichen Entscheidungsprozesses stellt ein anderer Ansatz ab: Die Legitimation des EuGH werde aus Rationalität, Regelhaftigkeit und der Stellung der Gerichtsbarkeit in den Mitgliedstaaten hergeleitet180. Diese Argumentation mit Hinweis auf den Entscheidungsprozeß ähnelt derjenigen für die Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten und dem deutschen Bundesverfassungsgericht. Zur Legitimation trügen weiter Neutralität, Unabhängigkeit und die Übereinstimmung mit dem Gerechtigkeitsgefühl der Rechtsadressaten bei. Grundlage einer solchen Argumentation ist die Berücksichtigung der Präferenzen der Entscheidungsträger und der Anreize, die ihre Entscheidungen beeinflussen. Eine wirkliche demokratietheoretische Einbeziehung dieser Argumentation erfolgte aber nicht. Zudem trifft dieser Begründungsansatz in der Realität bei Analyse des Entscheidungsverhaltens des EuGH auf Probleme. Anfänglich wurde die Legitimität des EuGH noch mit der Zielfixiertheit der Verträge begründet. Da die Tätigkeit der Gemeinschaften durch justiziable Maßstäbe vorherbestimmt sei, könne die Rechtsprechung die „Lücke parlamentarischer Tätigkeit" ausfüllen181. Eine demokratische Legitimation mit Hinweis auf die Normbindung scheint aber wegen der integrationsbezogenen Einstellung und der daraus resultierenden Vertragsauslegung eher zweifelhaft. Als problematisch empfunden wird mit einem solchen Ansatz gerade die Rolle des EuGH als politischer Akteur, die der EuGH durch seinen breiten Spielraum bei der Auslegung und Weiterentwicklung des EG-Rechts eingenommen hat182. Politische Gestaltung durch die Gerichtsbarkeit ist aus der funktional orientierten und personell ausgerichteten legitimatorischen Perspektive bedenklich183. Die Rechtsprechung des EuGH wurde ab etwa 1980 öfter als „judici-

180

U. Everting, Die Rolle des europäischen Gerichtshofes, a.a.O., S. 256. K. H. Friauf, Zur Problematik rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturelemente, in: DVB1. 1964, S. 781, 788 mwN. 182 Untersuchungen in diesem Sinne begannen mit J. -P. Coulin, Gouvernement des juges dans les Communautés européenes, Paris 1966, der noch keine ausgeprägt politische Rolle des EuGH feststellte. 183 W. Merkel, Integration and Democracy, in the European Community. The Contours of a dilemma, Madrid: Institute Juan March de Estudios e Invetigaciones, Estudio 42 (1993) S. 31; D. Wincott: The Court of Justice and the European policy process, in: Richardson (Hrsg.): European Union. Power and Policy Making, S. 182. 181

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al activism" bezeichnet184. Kritisiert wurde, dass der EuGH Urteile gefällt hatte, die Bereiche betrafen, die nur durch Vertragsänderungen hätten vorgenommen werden dürfen. Beispielsweise erweiterte der EuGH Partizipations- und Kontrollrechte des Europäischen Parlamentes, die in den Verträgen nicht vorgesehen waren185. Tatsächlich spielte der EuGH eine wichtige Rolle bei der Fortentwicklung des europäischen Rechts und damit auch der Politik186. Dieses Problem ist von staatlicher Ebene bekannt, wie in der Diskussion um den USamerikanischen Supreme Court oben in Kapitel 5 gezeigt wurde. Eine Normbindung war aber bereits in Kapitel 5 alleine als unzureichend für die Gewährleistung demokratischer Legitimation der Gerichtsbarkeit erkannt worden. Auch die demokratische Legitimation des EuGH kann nicht alleine in einer reinen Normbindung begründet werden. Andere Autoren stellen zur Begründung der Legitimation des EuGH mehr auf die Gewährleistung eines kohärenten Rechtssystems durch den EuGH ab: Da die EU Legitimität aus ihrer Eigenschaft als Rechtsgemeinschaft bezieht, kommt der normativen Kraft ihrer Rechtsakte und deren einheitlicher Geltung und identischen Anwendung in allen Mitgliedstaaten eine existentielle Bedeutung zu187. Die Legitimität des EuGH stammt insoweit aus seiner Eignung als Organ zum Aufbau eines kohärenten Rechtssystems188. Dieser Ansatz bezieht sich aber nur auf rechtsstaatliche Aspekte und nicht auf Fragen der demokratischen Legitimation. Diese kann auch auf europäischer Ebene für unabhängige Institutionen besser mit dem vertragstheoretischen Ansatz verstanden werden, der auf einer Festlegung von normativen Prinzipien einerseits und Berücksichtigung von Anreizstrukuren andererseits beruht. Die Durchsetzung von Rechten und Prinzipen durch den EuGH kann hier auf der konstitutionellen Ebene ebenso hergeleitet werden wie die Verfassungsgerichtsbarkeit auf staatlicher Ebene, auch wenn der EuGH eine demgegenüber etwas veränderte Aufgabenverteilung besitzt.

184 H. Rasmussen, Between Self Restraint and Activism: A Judicial Policy for the European Court, in: European Law Review 13 (1988), S. 28-38; Ders., On law and policy in the European Court of Justice: a comparative study in judicial policymaking, S. 495, 510; Ders., The European Court of Justice, insbesondere S. 351ff. m.w.N. 185 F. Mancini/D. T. Keeling: Democracy and the European Court of Justice, in: Modem Law Review 57 (1994), S. 181. 186 P. M. Huber, Die Rolle des Demokratieprinzips im europäischen Einigungsprozess, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 3 (1992), S. 372. 187 M. Höhret, Die Europäische Union im Legitimationstrilemma, S. 223. 188 G. Hirsch, Europäischer Gerichtshof und Bundesverfassungsgericht - Kooperation oder Konfrontation?, in: NJW 38 (1996), S. 2463.

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E. Zusammenfassung Kapitel 12 Auf europäischer Ebene besitzen unabhängige Institutionen wie die Kommission, die EZB, der EuGH oder die europäischen Agenturen eine stärkere Rolle als vergleichbare Institutionen in demokratischen Staaten. Dabei unterscheiden sich die unabhängigen Institutionen in der EU nach Aufgaben und im Grad ihrer Unabhängigkeit. Die verschiedenen Entscheidungsverfahren in den Institutionen der EU je nach Politikfeld und die wachsende Zahl unabhängiger Institutionen in der EU zeigen, dass ein Bedürfnis nach einer politikfeldbezogenen Institutionenstruktur besteht, dem ein funktionales Demokratieverständnis nicht entsprechen kann. Die Kommission stellt eine neuartige Form einer unabhängigen Institution im Bereich politischer Steuerung dar. Die Ausprägung ihrer Unabhängigkeit unterscheidet sich dabei je nach Aufgabenwahrnehmung in ihrer Initiativ- oder Regulierungsfunktion. Aufgrund des starken Aufgabenzuwachses der Kommission seit ihrer Gründung besitzt sie einen weiten politischen Entscheidungsspielraum und ist damit politischer Einflussnahme seitens der Mitgliedstaaten und von Interessengruppen ausgesetzt. Die Europäische Zentralbank besitzt ein hohes Maß an Unabhängigkeit und verfügt im Verbund mit den unabhängigen nationalen Zentralbanken über Kompetenzen im Bereich der Normsetzung und auch Sanktionsgewalt bei Nichteinhaltung von Vorschriften in ihrem Zuständigkeitsbereich. Eine solch ausgeprägte Zuständigkeit von Zentralbanken existierte bisher in keinem Mitgliedstaat der EU. Die europäischen Agenturen verfügen bisher kaum über wirkliche Regulierungskompetenzen, sondern haben überwiegend eine informierende und beratende Funktion. Das Anwachsen der Zahl der Agenturen in den letzten Jahren zeigt ein Bedürfnis nach einer politikfeldbezogenen Verwaltungsorganisation in der EU. Die bisherigen, am funktionalen Legitimationsprinzip orientierten Demokratietheorien können die Entstehung und Legitimation unabhängiger Institutionen auf europäischer Ebene nicht erklären, sondern behelfen sich mit Legitimationssubstituten, die überwiegend auf Effizienzerwägungen abstellen. Insbesondere für die Kommission ist keine demokratietheoretische Begründung gefunden worden. Mit einem politikfeldbezogenen Demokratieverständnis lässt sich verstehen, dass die Kommission nicht in allen Politikfeldern als demokratisch legitime unabhängige Institution verstanden werden kann. Vielmehr sind auch hier ihre einzelnen Aufgabenfelder und Ver-

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fahren gesondert zu bewerten. In Kapitel 13 wird dafür ein politikfeldbezogenes europäisches Demokratieverständnis entwickelt.

Kapitel 13

Das politikfeldbezogene europäische Demokratieprinzip A. Quellen eines europäischen Demokratieprinzips und institutionelle Aussagen Auch für die Europäische Union gilt nach den Verträgen das Demokratieprinzip1. Art. 6 Abs. 1 EU legt fest: „Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, (...); diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam." Zunächst bleibt bei dieser Formulierung in Art. 6 Abs. 1 EU unklar, ob der Inhalt eines europäischen Demokratieprinzips unmittelbar aus Art. 6 Abs. 1 EU und anderen Vertragsvorschriften zu entwickeln ist oder aus den ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsätzen folgt 2 . Der mögliche Inhalt eines europäischen Demokratieprinzips leitet sich aber trotz der etwas unglücklichen Formulierung aus den beiden genannten „Quellen" ab3: Zum einen kann eine Konkretisierung des Demokratieprinzips aus den Vorschriften der Verträge entwickelt werden, zum anderen kann eine Präzisierung über die allgemeinen Rechtsgrundsätze erfolgen, die ebenfalls Quelle primären Gemeinschaftsrechts sind und inhaltlich auf die mitgliedstaatlichen Verfassungsüberlieferungen zurückgreifen4. Die Konkretisierung eines europäischen Demokratieprinzips aus den mitgliedstaatlichen Verfassungstraditionen ist grundsätzlich zulässig5, weil das Strukturprinzip Demokratie inhaltlich mit den Aufgaben und der Struktur 1

Erwähnung findet das Demokratieprinzip in Erwägung 3 der Präambel, in Art. 6, 7, 49 EU. Th. Kingreen/A. Puttler, Art. 6 EU-Vertrag, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EUVertrag und EG-Vertrag, Rz. 2. 3 Siehe dazu auch A. Bleckmann, Das europäische Demokratieprinzip, JZ 2001, S. 53ff.; M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 89; M. Zuleeg, Demokratie in der Europäischen Gemeinschaft, in JZ 1993, S. 1069f. 4 R. Streinz, Europarecht, Rz. 361; Die allgemeinen Rechtsgrundsätze als Quelle des Gemeinschaftsrechts wurden vom EuGH entwickelt, und sind mittlerweile über Art. 6 Abs. 2 EU auch vertraglich anerkannter Teil des Gemeinschaftsrechts. Teilweise wird die Interpretation des Demokratieprinzips über die Tradition der Mitgliedstaaten verglichen mit der Interpretation der Grundrechte über eben diesen Weg, wie das der EuGH vornahm. Vgl. bezüglich der Interpretation der Grundrechte als Teil des Gemeinschaftsrechts EuGH Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125, Rz. 4 - Internationale Handelsgesellschaft; EuGH Rs. 4 / 73, Slg. 1974, S. 491 Rz. 13 - N o l d . 5 Siehe M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 90 Fn. 68 m.w.N. 2

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der EU vereinbar ist, was als Voraussetzung für die Ableitung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes aus den mitgliedstaatlichen Verfassungsüberlieferungen angesehen wird6. Insbesondere die parlamentarische Demokratie könnte als eine solche gemeinsame Ausprägung des Demokratieprinzips gesehen werden, weil das System der parlamentarischen Demokratie in der Präambel des Unionsvertrages in der Fassung von 1992 und in der Einheitlichen Europäischen Akte als Beitrittsvoraussetzung genannt wurde7. Allerdings wird von der überwiegenden Anzahl der Autoren anerkannt, dass aus der Geltung des Demokratieprinzips auch für die europäische Ebene noch keine institutionellen Schlussfolgerungen gezogen werden können8. Aus den mitgliedstaatlichen Traditionen zu schließen, dass das System der parlamentarischen Demokratie im Sinne des symbolischen Repräsentationsverständnisses tragendes Element eines europäischen Demokratieverständnisses ist, kann aus zwei Gründen nicht überzeugen: Erstens scheint der direkt auf Parlamentarisierung abzielende Ansatz methodisch unpassend, weil er weder normativ-prozedurale Inhalte eines europäischen Demokratieprinzips untersucht, noch genügend auf die Besonderheiten des europäischen Entscheidungsprozesses eingeht. Nur aus dem Zusammenspiel dieser beiden Aspekte lässt sich aber ein demokratie- und vertragstheoretisch befriedigender Institutionenaufbau für die europäische Ebene herleiten. Zweitens sind neben dem Parlamentarismus auch andere mitgliedstaatliche Traditionen für die europäische Ebene relevant: Wie bereits beschrieben, findet sich in den Mitgliedstaaten auch die Tradition zur Bildung unabhängiger Institutionen, nämlich Wettbewerbs- und Regulierungsbehörden, sowie unabhängiger Zentralbanken. Für die Bildung aller wesentlichen unabhängigen Institutionen auf europäischer Ebene - die Kommission, die EZB und den EuGH - waren mitgliedstaatliche Traditionen von wesentlicher Bedeutung. Aus den einzelnen Vertragsvorschriften, die das Demokratieprinzip betreffen, lassen sich keine eindeutigen Aussagen über den Inhalt eines europäischen Demokratieprinzips und noch weniger Uber mögliche institutionelle Konsequenzen ableiten. Weder aus dem 6. Erwägungsgrund in der Präambel zum EU-Vertrag noch aus Art. 6 Abs. 1 EU können konkrete Schlussfolgerungen über institutionelle Erfordernisse in der Union gezogen 6

EuGH Rs. 29/69, Slg. 1969, S. 419, 425f. - Stauder/Ulm; EuGH Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125, 1134f. - Internationale Handelsgesellschaft. 7 Th. Oppermann, Europarecht, 1. Aufl., S. 691, Rz. 1843. 8 M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 90 Fn. 70 m.w.N.

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werden. Daraus nun aber zu schließen, auf europäischer Ebene bestünde kein Demokratieprinzips mit eigenem normativen Gehalt, ist nicht richtig. Nach einer solchen Auffassung würde sich ein europäisches Demokratieprinzip als bloßer Ausdruck der bestehenden Institutionenordnung der Union darstellen9. Erst die einzelnen institutionellen Vorschriften würden das europäische Demokratieprinzip konstituieren. Die Autoren, die einen eigenen Gehalt eines europäischen Demokratieprinzips als nicht existent betrachten, sehen einen solchen auch als nicht mit den Verträgen vereinbar an: Die „Erfindung eines solchen übergemeinschaftlichen Rechtsgrundsatzes und damit die Unterstellung der Verträge unter ein vorrangiges Demokratieprinzip fiihrt(e) zwangsläufig zur Auslegung der Verträge contra legem.10" Das m den Verträgen verankerte Demokratieprinzip ist nach dieser Auffassung gegenüber institutionellen Vorschriften nicht höherrangig, sondern diesen immanent und damit gleichrangig. Folge eines solchen Verständnis wäre, dass es auf europäischer Ebene ein im EU-Vertrag festgeschriebenes Demokratieprinzip gäbe, dass aber beliebig wäre. Letztlich könnte dann jede institutionelle Änderung als mit dem Demokratieprinzip vereinbar angesehen werden, weil das Demokratieprinzip durch die institutionelle Änderung entsprechend modifiziert würde. Gegen eine solche Auffassung spricht die in Teil 1 dargestellte und begründete These, dass die Bildung und Legitimation von Institutionen die Folge eines bestimmten Demokratieverständnisses ist. Für die Europäische Union bestehen dabei insoweit Besonderheiten, als sie als eine Gemeinschaftsorganisation verschiedener Staaten anfangs nicht als demokratische Organisation gedacht und ausgerichtet war. Mit der Zunahme der Kompetenzen der Gemeinschaft wuchs aber auch das Verständnis für die Notwendigkeit, die Gemeinschaft „demokratischer" zu gestalten. Infolge dessen wurde auf das parlamentarische Prinzip zurückgegriffen, das allgemein als institutionelle Ausprägung demokratischer Organisation gilt. In den Verträgen wurden zunehmend Kompetenzen auf das Europäische Parlament übertragen11. Daneben betonte der EuGH in inzwischen gefestigter Rechtsprechung, dass das europäische Demokratieprinzip eine Beteiligung des Europäischen Parlamentes an der gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung erfordere12. Bei Unklarheiten über die anzuwendende Rechtsgrundlage sei diejenige heran9

M. Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, S. 87ff., 89. M. Kaufmann, a.a.O., S. 89 m.w.N. 11 Insbesondere mit der Einführung des Mitentscheidungsverfahrens in Art. 251 EG. 12 EuGH Rs. 138/79, Slg. 1980, 3333, Rz. 33 - Roquette Frères/Rat; EuGH Rs. 139/79, Slg. 1980, 3393, Rz. 34 - Maizena/Rat; EuGH Rs C-300/89, Slg. 1991 I, S. 2895, 2900, Rz. 20 Kommission/Rat; EuG Rs. T-135/96, Slg. 1998 11-2335, Rz. 88ff. - UEAPME/Rat. 10

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zuziehen, die dem Parlament die weitestgehenden Kompetenzen einräume13. In diesem Sinne muss die zunehmende Parlamentarisierung der Gemeinschaft als Ausdruck eines bestimmten demokratischen Vorverständnisses gesehen werden. Die Ansicht, die europäischen Institutionen seien nicht nicht nach einem normativen Modell gebildet worden, sondern entsprächen einer rein funktionalen Konstruktion, ist daher abzulehnen14. Zudem widerspricht die Annahme, ein europäisches Demokratieprinzip könne sich nur aus der tatsächlichen Institutionenordnung ergeben, der Feststellung, ein europäisches Demokratieprinzip beruhe auch auf den mitgliedstaatlichen demokratischen Traditionen. Hier wird explizit auf ein demokratietheoretisch vorgelagertes Verständnis abgestellt. Deutlich geworden ist damit, dass das Verständnis des Demokratieprinzips für die institutionelle Weiterentwicklung der Gemeinschaft prägend ist. Wie in Kapitel 11 gesehen, treffen dabei auf europäischer Ebene ganz verschiedene Ansichten aufeinander. Die Diskussion um die demokratische Legitimation der europäischen Institutionen zeigt, dass sich die EUInstitutionen mit dem hergebrachten demokratischen Legitimationsverständnis schwer vereinbaren lassen. Zentrale Aufgabe muss es daher sein, neben dem positiven Verständnis politischer Entscheidungsabläufe auf europäischer Ebene auch die normativen Grundlagen eines europäischen Demokratieprinzips zu durchleuchten. Erst dann kann eine Bewertung der EUInstitutionen am Maßstab eines europäischen Demokratieprinzips erfolgen. Ausgangspunkt für die Entwicklung eines europäischen Demokratieprinzips, dem eine bestimmte institutionelle Struktur entspricht, ist für die europäische Ebene kein anderer, als für die staatliche Ebene. Auch auf staatlicher Ebene, etwa in Deutschland in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG, bestand im Verfassungstext nur die vage Aussage, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Erst über normative Prämissen einerseits (ausgehend von einem vertragstheoretischer Ansatz, gleicher Interessenberücksichtigung mittels Umsetzung des Volkwillens) und ein bestimmtes Bild vom Ablauf politischer Entscheidungsprozesse andererseits (Repräsentationsverständnis) wurde das System der parlamentarischen Demokratie aus einer demokratietheoretischen Grundlage entwickelt und begründet. Die Interpretation eines europäischen Demokratieprinzips, das ja explizit im Vertrag verankert ist, bedarf derselben Vorgehensweise.

13

EuGH Rs. C-300/89, Slg. 1991, S. 2867, 2868, 2900. X. Yataganas, Delegation of Regulatory Authority in the European Union, Harvard Jean Monnet Paper 03/2001, S. 37. 14

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B. Normativer Maßstab eines europäischen Demokratieprinzips I. Unionsbürger oder Mitgliedstaaten als Ausgangsbasis einer europäischen Demokratietheorie ? Die individualistische Fundierung eines europäischen Demokratieprinzips kann mit denselben Gründen gerechtfertigt werden, wie auf staatlicher Ebene. Bei der individualistischen Verwurzelung des Vertragsmodells und, infolge dessen, des Demokratieprinzips handelt es sich um eine normative Annahme, die von der Frage, welches politische System auf seine demokratische Legitimität zu prüfen ist, unabhängig ist. Es ist kein Grund ersichtlich, warum dieser demokratietheoretische Maßstab für die europäische Ebene verändert werden sollte: dass es sich bei der Europäischen Union nicht um einen Staat handelt, genügt hierfür nicht. Für einen individualistischen Ansatz spricht auch, dass das europäische Demokratieverständnis, wie oben gesehen, über Art. 6 EU von den demokratietheoretischen Grundlagen staatlicher Modelle geprägt ist: Diesen aber liegt in normativer Hinsicht ein individualistisches Konzept, das Vertragsmodell, zugrunde. Darum ist es konsequent, auch das europäische Demokratiemodell normativ auf den einzelnen Unionsbürger zu gründen15. Nach andere Auffassung werden auch die einzelnen Vertragsstaaten als gleichberechtigte Elemente in der Legitimation europäischer Herrschaftsgewalt gesehen16: Dies spiegele sich in der Bedeutung des Rates als Kammer der Staaten wider. Daraus aber den Schluss zu ziehen, die Staaten und nicht die einzelnen Bürger seien Bezugspunkt einer europäischen Demokratietheorie, ist nicht richtig. Erstens entspricht ein solcher Schluss der oben widerlegten Ausführung, die Institutionen der EU seien prägend für den Inhalt eines europäischen Demokratieprinzips. Es wurde gezeigt, dass - gerade umgekehrt - das Demokratie Verständnis für die Bildung der europäischen Institutionen prägend ist. Zweitens ziehen auch die Mitgliedstaaten und ihre Vertreter ihre Legitimation wiederum nur aus einem individualistisch verstandenen Demokratiemodell. Letzter Bezugspunkt auch europäischer demokratischer Legitimation ist damit der einzelne Bürger und nicht eine kol-

15 Für einen individualistischen Legitimationsansatz auch W. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, S. 43. 16 Siehe für eine Darstellung der Bedeutung von Föderalismus und Staaten auf europäischer Ebene P. Graf Kielmansegg, Integration und Demokratie, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, S. 47ff.

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lektive Einheit17. Die EU, wie auch ein Staat, sind ein Zusammenschluss von Individuen, um kollektives Handeln zu ermöglichen. Die EU und ihre einzelnen Mitgliedsstaaten sind dabei komplementäre Instrumente kollektiven Handelns. Legitimationsbasis der EU sind deshalb nicht Mitgliedstaaten und Unionsbürger, sondern nur letztere. II. Grundlagen eines europäischen

Gesellschaftsvertrages

Die Grundlage einer europäischen Demokratietheorie wird nachfolgend aus dem in Teil 2 vorgestellten Vertragsansatz abgeleitet. Zu klären ist, ob nach den bekannten Voraussetzungen ein solcher Vertragsschluß auf europäischer Ebene möglich ist und mit welchen Institutionen eine Demokratie auf europäischer Ebene realisierbar erscheint18. Eine europäische Demokratietheorie, die auf einem vertragstheoretischen Ansatz aufbaut, definiert Demokratie, wie gesehen, als Verhältnis ihrer verschiedenen konstituierenden Elemente: normativer Maßstab, Einbeziehung positiver Annahmen über kollektive Entscheidungsprozesse und daraus abgeleitete Vorschläge für demokratische Institutionen. Sie unterscheidet sich darin von einem nationalstaatlich geprägten, souveränitätsbezogenen und einheitsbetonendem Demokratieverständnis des 19. Jahrhunderts19. Nach dem Demokratieverständnis Rousseaus erfolgt die Zustimmung zum Gesellschaftsvertrag aus dem eigenen Interesse der Individuen heraus: Der Gesellschaftsvertrag sollte ihre Freiheit und Gleichheit auch bei kollektivem Handeln sichern. Das in diesem Sinne normative Ziel des kollektiven Handelns ist die volonté générale. Diese normativen Prämissen können auch für eine die staatlichen Grenzen überschreitende, europäische Demokratietheorie bejaht werden. Die Reichweite einer europäischen Demokratie entspräche normativ der Reichweite eines möglichen Interessengleichlaufes der 17 So auch I. Pemice, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, in: VVDStRL 60 (2001), S. 164, 172. 18 Zum europäischen Gesellschaftsvertrag siehe A. Verhoeven, The European Union in search of a democratic and constitutional theory, S. 24ff.; G. Frankenberg, The return of the contract: problems and pitfalls of European constitutionalism, European Law Journal 2000, S. 257-276; J. H. Weiler, The Reformation of European Constitutionalism, in: Journal of Common Market Studies 1997, S.121; I. Pernice, Multilevel Constitutionalism an the Treaty of Amsterdam, CMLRev. 1999, S. 709, 710, 717; 7. Pemice/F. Mayer/S. Wernicke, Renewing the European Social Contract. The Challenge of Institutional Reform and Enlargement in the Light of Multilevel Constitutionalism, WHI-Paper 11/2001, http://www.whi-berlin.de/ socialcontract.htm, 2001, S. lOff. 19 S. Bredt, The European Social Contract and the European Public Sphere, in: European Law Journal 12 (2006), S. 61-77.

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europäischen Bürger. Schwierig ist die Bestimmung dieser Reichweite. Die Begriffe Freiheits- und Gleichheitssicherung sind sehr offen, und es obliegt ja gerade den kollektiven Entscheidungsorganen, den Gemeinwillen auszudrücken. Allerdings war der normative Gemeinwille für Rousseau nicht auf Repräsentationsorgane übertragbar, denn er drückte gerade die Interessen der Gesamtheit der Bürger aus20. Hier bleibt er der antiken Demokratietheorie verhaftet. Rousseau bevorzugte daher eine unmittelbare Selbstregierung der Bürger21. Rousseaus Ansatz kann also für die europäische Ebene nur normativ beschreiben, dass Demokratie im hergebrachten Sinne eben nur soweit möglich ist, wie ein bestimmter Interessengleichlauf festgestellt werden kann22. Dieser Gedanke kann als Grundlage für einen graduellen Wachstumsprozeß einer europäischen Demokratie dienen: Wachsen die Übereinstimmungen und die Einheitlichkeit des Kommunikationsraumes, wächst der Gemeinwille und mit ihm die Möglichkeit, eine Demokratie zu etablieren. Bereits im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert wurde dann allerdings der normative Maßstab des Gemeinwillens auf das Repräsentationsmodell übertragen. In positiver Hinsicht ging man nun davon aus, dass die Repräsentationsorgane den Gemeinwillen zum Ausdruck bringen konnten23. Unter dem Einfluss des Nationalstaatsgedankens wurde der Gemeinwille, der ursprünglich das vertragstheoretische Ziel freiheitlichen Zusammenwirkens aller Bürgern beschreiben sollte, als Ausdruck der Einheit der Nation und ihrer Souveränität verstanden24. Der Gedanke des Staates und der Demokratie als Einheit wurde dabei aus verschiedenen Theorieelementen, die etwa bei Hobbes und, wie gesehen, bei Rousseau vorhanden waren, abgeleitet, und setzte sich mit der Vernunftrechtstradition Kants und Hegels

20

J.-J. Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 2. Buch, Kapitel 2. Zu den Bedenken Rousseaus über die Funktionsfähigkeit der direkten Demokratie siehe M. G. Schmidt, Demokratietheorien, S. 98ff. 22 Ähnlich F. Scharpf, Governing in Europe, S. 8 Fn. 2, der für Rousseaus Demokratietheorie davon ausgeht, daß sie nur soweit reicht, wie ein Interessengleichlauf in Form von kollektiver Identität und damit einer möglichen volonté générale vorliegt. 23 J. St. Mill, Considerations on Representative Government, Indianapolis 1958 (Nachdruck), S. 55. 24 Raymond Carré de Malberg, La Loi, Expression de la Volonté Générale, 1931; Kritisch aber H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 1929, (Nachdruck 1981) S. 30ff.; N. MacCormick, Sovereignty, Democracy and Subsidiarity, in: R. Bellamy/V. Bufacchi/D. Castiglione (Hrsg.), Democracy and Constitutional Culture in the EU, S. 99. 21

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fort25. Die Vertragstheorie verlor infolge dessen im 19. Jahrhundert vor allem in der deutschen Staatstheorie an Bedeutung26. In den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Gesellschaftsvertragstheorie mit den Arbeiten von Rawls27, Nozick28 und Bu-

neu belebt. Diese Theorien beschrieben die normativen und positiven Grundlagen von Demokratie in einem neuen Verhältnis zueinander30 und schlössen daraus - in unterschiedlicher Weise - auf demokratisch legitime Institutionen. Mit dem in dieser Arbeit verfolgten methodischen Ansatz, dem ökonomischen Vertragsansatz, lässt sich ein europäischer Gesellschaftsvertrag konstruieren, denn nach einem individuellen Kosten-NutzenKalkül kann eine gedachte Zustimmung zu einem europäischen Gesellschaftsvertrag durchaus angenommen werden. Es liegt im individuellen Interesse der europäischen Bürger, durch Festlegungen von Institutionen und Entscheidungsverfahren auf einer konstitutionellen Ebene weitere wirtschaftliche Freiheiten zu erhalten und langfristige Rechtssicherheit sowie Frieden in einem Maße gewährleistet zu bekommen, wie es die einzelnen Staaten alleine nicht gewähren könnten31. Es ist nicht im Interesse der Bürger, europaweite Politik ihren nationalen Regierungen alleine zu überlassen. Politische und ökonomische Theorie zeigt, dass die Versorgung der Bürger mit grenzüberschreitenden öffentlichen Gütern und Sicherung individueller Freiheiten besser durch eine verstärkte supranationale Steuerung erreicht wird, als durch reine intergouvernmentale Verhandlungen32. Für die demokratische Legitimation europäischer Institutionen ist es deshalb entscheidend, die Besonderheiten des europäischen politischen Entscheidungsprozesses, unter anderem mit seiner fehlenden gemeinsamen Öffentlichkeit und seinem Mehrebenencharakter, bei der Bildung der Institutionen zu berücksichtigen. Nur dann erreicht werden, dass die gebildeten Inchanan29

25

Siehe Th. Petersen, Individuelle Freiheit und allgemeiner Wille, S. 202f. Siehe etwa bei G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 278, 279 die Herausstellung der Einheitlichkeit des Staatswesens. 27 J. Rawls, A Theory of Justice. 28 R. Nozick, Anarchy, State and Utopia, 1974. 29 J. M Buchanan, s.o. Kapitel 4. 30 Für eine Klassifizierung der verschiedenen Theorien siehe D. Castiglione, Contracts and Constitutions, in: R. Bellamy/V. Bufacchi/D. Castiglione (Hrsg.), Democracy and Constitutional Culture in the EU, S. 65ff. 31 So auch A. Weale, Democratic Legitimacy and the Constitution of Europe, in: R. Bellamy/V. Bufacchi/D. Castiglione (Hrsg.), Democracy and Constitutional Culture in the EU, London 1995, S. 87. 32 K. Nicolaidis, Conclusion: The Federal Vision beyond the Federal State, in: K. Nicolaidis & R. Howse (Hrsg.), The Federal Vision: Legitimacy and Levels of Governance in the United States and the EU. 26

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stitutionen den normativen demokratietheoretischen Maßstab verwirklichen helfen33. Es ist zu berücksichtigen, dass politische Entscheidungen auf europäischer Ebene durch die Institutionen der bestehenden Einzelstaaten maßgeblich mitbeeinflußt werden. Wenn der Maßstab gleichwertiger individueller Interessenberücksichtigung im „zwischenstaatlichen Bereich" verwirklicht werden soll, muss einerseits die Kooperation der Staaten sichergestellt werden. Es müssen andererseits aber auch genügend Freiräume für individuelles Handeln im zwischenstaatlichen Bereich geschaffen werden, die den Interessen des Einzelnen vor den Entscheidungen der kooperierenden Einzelstaaten Platz einräumen. Aus demokratietheoretischer Sicht ist zu untersuchen, ob eine institutionelle Anordnung, wie sie in der Europäischen Union geschaffen wurde, den zwischenstaatlichen Bereich in diesem Sinne gestaltet. III. Gleichwertige Interessenberücksichtigung und europäische Integration Normativer Inhalt eines hypothetischen Gesellschaftsvertragsschlusses auf europäischer Ebene kann die gleichwertige Interessenberücksichtigung sein. Wie oben in Kapitel 7 und 8 dargestellt, erfasst der Grundsatz gleichwertiger Interessenberücksichtigung entgegen der ökonomischen Theorie Buchanans auch die Frage nach relativen Gewinnverteilungen. Gerade die Frage nach dem relativen Verhältnis des Vermögenszuwachses ist aber ein entscheidender Bestandteil internationaler Wirtschaftsabkommen und damit auch der Kooperation in der Europäischen Union. Auf der europäischen Ebene gilt damit, dass durch ein kollektives Handeln alle Beteiligten in verhältnismäßig ausgeglichenem Maßstab profitieren sollten. Ein hypothetischer Konsens kann auf europäischer Ebene sicher nicht für Situationen angenommen werden, in denen zwar eine Regelfestlegung das Kaldor-Hicks-Kriterium erfüllt, die Gewinnverteilung bei den Einzelnen aber derart divergiert, dass eine Partei annähernd wirtschaftlich stagniert, während die andere Vermögensvorteile erzielt. Für die europäische Ebene scheint daher der Maßstab gleichwertiger Interessenberücksichtigung geeigneter als die benannten, konsenstheoretisch formulierten ökonomischen Kriterien zu sein. In normativer Hinsicht kann der europäische Integrationsansatz an das demokratietheoretische Element der gleichwertigen Interessenberücksichtigung anknüpfen. Das europäische Integrationsmodell beruht auf den Zielen der Förderung zwischenstaatlicher Kooperation und der Gewährleistung 33

D. Wincott, Does the European Union Pervert Democracy? Questions of Democracy in New Constitutionalist Thought on the Future of Europe, ELJ 1998, S. 417f.

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individueller Freiheiten im zwischenstaatlichen Bereich durch die Grundfreiheiten, also darauf, transnationalen Austausch von Waren, Dienstleistungen, Arbeitskräften und Kapital zu fördern. Es handelt sich bei der Förderung von individuellem, transnationalem Güter- oder Dienstleistungsaustausch, wie gleich gezeigt wird, um ein durchsetzungsschwaches Interesse der daran interessierten Bürger, anders gesagt um die gesonderte Wahrnehmung eines Politikfeldes (Außenhandelspolitik), in dem unorganisierte Interessen meist wenig Durchsetzungskraft besitzen. So wie für die innerstaatliche Betrachtung bestimmte Politikfelder identifiziert wurden, in denen durchsetzungsschwache Interessen bestehen, so können auch speziell für den inter- oder transnationalen Bereich solche Politikfelder definiert werden. In diesem Sinne handelt es sich bei dem Integrationskonzept durch die Förderung der genannten Politikfelder um eine Stärkung des oben entwickelten Gedankens gleichwertiger Interessenberücksichtigung. Dieser Betrachtung stand lange Zeit ein von nationalstaatlicher Sichtweise geprägtes Denken von Außenhandelspolitik entgegen. Zum einen führte die Funktion der meisten staatlichen (europäischen) Verfassungen, nämlich ein Ausdruck nationaler Selbstbestimmung zu sein, fast zwangsläufig zu einer gewissen nationalstaatlichen Introvertiertheit 34 . Ziel der meisten Verfassungen war die Integration des Nationalstaates und die Regelung der Grundordnung des jeweiligen Volkes. Diese Aufgabe, die Errichtung und Sicherung eines staatlichen Herrschaftsgebiets, führte unvermeidlich zu einer teilweisen Abgrenzung gegenüber Drittstaaten. Daneben resultiert ein gewisses Abgrenzungserfordernis aus der staatlichen Legitimitätsgrundlage selbst. Diese fordert die Sicherung des Wohlergehens der Bürger durch den Staat und im Rahmen demokratischer Selbstbestimmung einen Schutz der innerstaatlichen Entscheidungsprozesse vor äußeren Einflüssen 35 . Den Verfassungen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts lag die Annahme zugrunde, dass die Sicherheit des Staates in den Außenbeziehungen nur durch eine in ihren Handlungsbefugnissen möglichst unbeschränkte Regierung gewährleistet werden kann. Die Idee eines ständigen Kräftespiels zwischen den Nationen ließ Lockes These von der Nichtnormierbarkeit des staatlichen Handelns im Bereich der Außenpolitik 36 zum allgemein anerkannten Grundsatz werden. In der europäischen verfassungsrechtlichen Tradition wurden Außenpolitik und innerstaatliches Rechtsstaatsprinzip infolge 34

Chr. Tomuschat, Der Verfassungsstaat im Geflecht der internationalen Beziehungen, in: VVDStRL 36 (1978), S. 9f. mit Hinweis auf die Verfassungen der Vereinigten Staaten, Art. 2 der Schweizerischen Bundesverfassung und die Präambel des Grundgesetzes. 35 Chr. Tomuschat, a.a.O., S. 13ff. 36 J. Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, Buch II, Kapitel XII, §§ 146-148.

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dessen als nicht kompatibel gesehen37. Die Möglichkeit des Krieges als rechtlich zulässiges Mittel (bis 192838) führte zu einem machtorientierten Verständnis von Außenpolitik, in dem es für Regierungen unabdingbar schien, über „externe Souveränität" zu verfügen und über Handelszulassungen bestimmen zu können. Diese Vorstellung entsprach auch der im 19. Jahrhundert vorherrschenden merkantilistischen Lehre, die die jeweilige Binnenwirtschaft durch Außenhandelszölle schützen wollte 39 . Nach Einführung des Gewalt- und Interventionsverbotes 194540 verloren die dargestellten, nationalstaatlich geprägten Ansichten über Außenpolitik und das Erfordernis der Abgrenzung gegenüber Drittstaaten an Kraft41. Die völkerrechtliche Ordnung orientierte sich aber weiterhin an dem Ideal eines durch Gewalt- und Interventionsverbot geschützten staatlichen Raumes. Bereits das Grundgesetz von 1949 enthielt jedoch klare Ansätze einer Öffnung des Verfassungsstaates hin zur internationalen Integration42. Die Entwicklung nach 1945 führte zu einer immer weitergehenden Öffnung der Nationalstaaten und machte im Laufe der Zeit aus der Außenhandelspolitik, vor allem in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, mehr ein Gebiet der innerstaatlichen Verfassungspolitik als der auswärtigen Politik. Spätestens mit Einführung des Binnenmarktes 1993 stellt sich die Wirt37

Siehe E.-U. Petersmann, National Constitutions and International Economic Law, in: Hilf/E.-U. Petersmann (Hrsg,), National Constitutions and International Economic Law, S. 43; Chr. Tomuschat, a.a.O., S. 14 mit Hinweis darauf, daß aus bürgerlich-rechtsstaatlicher Sicht auch kein Grund bestand, eine solche Verrechtlichung zu fordern und in der Außenpolitik die monarchisch-exekutiven Kräfte eine Fluchtburg gefunden hatten. 38 Mit dem Briand-Kellog-Pakt vom 27. August 1928, RGBl. 1929 II, S. 97, wurde erstmals ein allgemeines Kriegsverbot eingeführt. 39 Auch in den Vereinigten Staaten ist das Spannungsfeld zwischen individueller Rechte und Außenhandelspolitik umstritten. In den Vereinigten Staaten wurde den Grundrechten auf Freihandel seit der Rechtsprechung des Supreme Court in den dreißiger Jahren nicht derselbe gerichtliche Schutz gewährt wie anderen politischen und zivilen Grundrechten. Dieser doppelte Standard im Grundrechtsschutz wird in der Literatur kritisiert. (Für die verfassungsrechtliche Kritik B. H. Siegan, Economic Liberties and the Constitution, 1980; L Henkin, Constitutionalism, Democracy and Foreign Affairs, 1990, S. 93ff., der eine Differenzierung von individuellen Rechten innerhalb des Staates und im Außenverhältnis zu anderen Staaten für unzulässig hält) Die Free Commerce Clause wird vom Supreme Court als objektive Bestimmung gegen diskrimierende und protektionistìsche Maßnahmen interpretiert, und nicht als individuelles Recht (E.-U. Petersmann, Limited Government And Unlimited Trade Policy Powers? in: Hilf/Petersmann, E.U. (Hrsg.), National Constitutions and International Law, S. 548). Der Supreme Court begrenzte Regulierungsmaßnahmen der Staaten, indem er deren Interessen abwägt gegen das nationale Interesse an einem offenen Markt. 40 Art. 2 Ziff. 4 der UN-Charta, in Kraft getreten am 24. Oktober 1945. 41 Anders allerdings noch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 30f., 767, 835ff., zitiert über Chr. Tomuschat, a.a.O., S. 14. 42 Siehe Art. 24 Abs. 2, 3 GG.

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schafts- und Handelspolitik der Mitgliedstaaten im gemeinsamen Markt als eine Art Innenpolitik dar. Die Entscheidungsfindung im Gebiet des transnationalen Handels unterliegt damit heute (zumindest in der EG) ähnlichen Bedingungen wie die innerstaatliche Wirtschaftspolitik, also Beeinflussungen durch Interessengruppen und durch machtpolitische Präferenzen der politischen Entscheidungsträger. Nach der Public-Choice-Theorie stellen merkantilistische Handelsbeschränkungen heute das Ergebnis des Einflusses von Interessengruppen dar, die von solchen Handelshemmnissen auf Kosten der Allgemeinheit beziehungsweise der Verbraucher profitieren43. Gründe für die Durchsetzungsschwäche des Interesses am transnationalen Freihandel sind Anreize für Politiker, organisierten Interessengruppen (z.B. einheimischen Produzenten) nachzugeben und Handelsbarrieren aufzustellen - auf Kosten des unorganisierteren Verbraucherinteresses an einem höheren Import und der damit verbundenen Verbilligung von Gütern44. Genauso wie im Bereich innerstaatlicher Wirtschafts- oder Währungspolitik verfahrensmäßige oder institutionelle Vorkehrungen getroffen werden, um individuelle und öffentliche Interessen zu sichern, sollte der Bereich der Außenhandelspolitik seinen Besonderheiten entsprechend wahrgenommen werden45. In den Vereinigten Staaten besteht beispielsweise mit der International Trade Commission (ITC) eine unabhängige Regulierungsbehörde für diesen Bereich. Die ITC prüft Anträge einheimischer Produzenten auf Schutz vor subventionierten Importen und leitet diese erst bei Bestätigung des Sachverhaltes an das Wirtschaftsministerium weiter46. 43

A. Dixit, The Making of Economic Policy: A Transaction-Cost Politics Perspective, Cambridge (Massachusetts)/London, S. 40ff.; Stephen V. Marks, A Reassessment of the Empirical Evidence on the U.S. Sugar Program, in: The Economics and Politics of World Sugar Policies, von Stephen V. Marks/Keith E. Maskus, Ann Arbor 1993, MI: University of Michigan Press, S. 79-108. 44 Siehe zum Verhältnis von Freihandelsrechten und Handelspolitik E.-U. Petersmann, Limited Government And Unlimited Trade Policy Powers? in: Hilf/Petersmann, E.U. (Hrsg.), National Constitutions and International Law, S. 537-562 m.w.N.; Für die Kritik in der Konstitutionellen Ökonomie an der Differenzierung zwischen innerstaatlichem Handel und Außenhandel siehe R. B. McKenzie (Hrsg.), Constitutional Economics, 1984; Gwartney/Wagner (Hrsg.), Public Choice and Constitutional Economics, 1988. 45 So wie auch die Währungspolitik durch unabhängige Zentralbanken, der Wettbewerbsschutz durch unabhängige Kartellämter abgesichert werden, siehe B. Seliger, Ein unabhängiges Kartellamt für Europa, in: Wirtschaft und Wettbewerb 1997, S. 880; E.-U. Petersmann, National Constitutions and International EconomicLaw, in: HilfPetersmann, E.U., National Constitutions and Economic International Law, S. 44. 46 Zur Praxis der International Trade Commission siehe J. De Vault, Congressional dominance and the International Trade Commision, in: Public Choice 110 (2002), S. 1-22.

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Entsprechend den Beispielen der Defizitbegrenzungen auf staatlicher Ebene sind für die europäische Ebene die Grundfreiheiten, die Subventionsund die Wettbewerbskontrolle Politikfelder, die den nationalen Entscheidungsprozessen im Interesse aller Akteure entzogen werden. Diese Maßnahmen der so genannten „negativen Integration" sind integrations-fördernde Regelungen, die auf Marktöffnung und Wettbewerbsgleichheit ausgerichtet sind47. Solche Maßnahmen zielen auf die Stärkung der Wirtschaftskraft ab, versprechen also für den gesamten Wirtschaftsraum einen alle betreffenden Effizienzgewinn. Eine Konstitutionalisierung dieser Felder ist allgemein zustimmungsfähig, wenn ansonsten mit politischen Entscheidungen zu rechnen ist, die letztlich keinem Akteur nutzen. Für die Situation der Europäischen Union kann beispielsweise das Ziel eines einheitlichen Binnenmarktes nicht verwirklicht werden, wenn der Binnenmarkt nicht einheitlichen Regeln über die Zulässigkeit staatlicher Beihilfen unterworfen wird. Es besteht die Gefahr der Wettbewerbsverzerrung durch unterschiedlich ausgeprägte staatliche Beihilfenpolitik. Weil aber davon ausgegangen wird, dass für die Bewohner verschiedener Staaten unterschiedlich hohe Gewinnzuwächse aus den genannten Maßnahmen resultieren, wurden begleitende Umverteilungsmaßnahmen im Bereich der Struktur- und Kohäsionspolitik eingeführt. Im Außenverhältnis der Gemeinschaft zu Drittstaaten überwiegt wiederum eine handelsbeschränkende Einstellung, weil es an klaren Festlegungen zum Recht auf Außenhandel fehlt. Zwar gilt nach den Gemeinschaftsregeln, dass Gemeinschaftsinterventionen im Bereich des Außenhandels nur zulässig sind, wenn „die Interessen der Gemeinschaft nach einer Gemeinschaftsintervention rufen" 48 . Die Auslegung der Gemeinschaftsinteressen erfolgt aber in sehr großzügiger Weise und ohne genauere Untersuchung ökonomischer Auswirkungen handelsbeschränkender Maßnahmen49.

47

F. Scharpf, Politische Optionen im vollendeten Binnenmarkt, in: Jachtenfuchs/KohlerKoch (Hrsg.), Europäische Integration, S. 110. 48 Siehe Art. 12 der Ratsverordnung Nr. 2423/88 vom 11. Juli 1988 über den Schutz gegen subventionierte Importe von Drittstaaten, ABl. L 209/1,12. 49 Die Kommission lehnte eine Anfrage aus dem Europäischen Parlament ab, Kosten-Nutzen Untersuchungen über die Auswirkungen handelsbeschränkender Maßnahmen für die Verbraucher durchzufuhren, siehe die Antwort der Kommission auf die parlamentarische Nachfrage Nr. 1289/84, ABl. 1985, C 113/4.

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C. Der politikfeldbezogene Ansatz auf europäischer Ebene I. Das politikfeldbezogene

Modell für die europäische

Ebene

Die in Kapitel 9 dargestellte, von Wilson entwickelte, politikfeldbezogene Systematik kann mit der Feststellung, dass die Grundsätze kollektiven Handelns auch auf europäischer Ebene gelten, grundsätzlich auch auf die europäische Ebene übertragen werden. Zwar entwickelte Wilson das Modell für die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten, in denen sich die politischen Entscheidungsabläufe von denen in der Europäischen Union unterscheiden. In seiner grundsätzlichen und anreizbezogenen Formulierung ist der Ansatz aber auch auf die europäische Ebene übertragbar. Allerdings treten dann bei der Bewertung, welche Politikfelder in welche der beschriebenen Kategorien einzuordnen sind, aufgrund der Unterschiedlichkeit der Entscheidungsabläufe in relativ homogenen Nationalstaaten und in der EU Unterschiede auf. (1) Politikfelder, bei denen Kosten und Nutzen breit verteilt sind (etwa Bildungspolitik), bieten wenig Anreiz für Interessengruppen, die Gesetzgebung zu beeinflussen, da wenig oder keine Aussicht besteht, einen überdurchschnittlichen Profit zu machen50. Für eine normative Sichtweise bedeutet dies, dass solche Felder weiterhin im Rahmen unmittelbar demokratisch rückgebundener Verfahren wahrgenommen werden können, weil eine gleichwertige Interessenrepräsentation grundsätzlich gewährleistet ist. Auf europäischer Ebene können damit in der Regulierungspolitik (durch die Kommission im Ausschußverfahren) in vielen Feldern die Mitarbeiter aus den Ministerien der Mitgliedstaaten ohne Gefährdung gleichwertiger Interessenrepräsentation eingebunden werden. Wenn es für Interessengruppen an Anreizen fehlt, über die staatlichen Institutionen Druck in den europäischen Entscheidungsverfahren auszuüben, scheint es auch nicht mehr entscheidend zu sein, dass bei Beratungen (im Ausschußverfahren) Mitglieder aller Vertragsstaaten vertreten sind, weil die An- oder Abwesenheit der Vertreter bestimmter Staaten bei den Verhandlungen keine besondere Bedeutung für das Ergebnis besitzen51. 50

Zur Problematik des unberechtigten Profitierens in Sozialsystemen, Möglichkeiten dagegen anzugehen und weiteren Klärungsbedarf siehe B. Wolff, Trittbrettfahren im System sozialer Sicherung, in: Engel/Morlok (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 247-256. 51 So nach einer Umfrage unter Teilnehmern am Ausschuß verfahren. Siehe G. Buitendijk/M. van Schendelen, Brüssels advisory committees: a Channel for influence?, in: European Law Review 20 (1995), S. 47. Ein Drittel der Befragten nannte aber die Anwesenheit von Vertretern Frankreichs oder Deutschlands als bedeutsam für das Ergenis der Beratungen.

Das politikfeldbezogene

europäische Demokratieprinzip

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(2) In Politikfeldern, in denen Kosten und Nutzen auf bestimmte Gruppen konzentriert sind, üben Interessengruppen starke Einflüsse auf den politischen Entscheidungsprozeß aus. Auf europäischer Ebene ist die Strukturfondspolitik ein von den Aktivitäten der Interessengruppen geprägtes Politikfeld, das mit intergouvernementalem Aushandeln gesteuert wird. Aus der normativen Perspektive können bei einem solchen Gleichgewicht zwischen „zahlenden" und „profitierenden" Interessengruppen die politischdemokratischen Verfahren weiterhin Anwendung finden. Weiter unten wird darauf eingegangen, dass wegen der Gefahr gesamtgesellschaftlich unerwünschter Effekte wie auf staatlicher Ebene eine Konstitutionalisierung solcher Politikfelder denkbar ist. (3) Wenn die Kosten eines Politikfeldes weit verbreitet sind, sich der Nutzen aber bei wenigen konzentriert, bestehen große Anreize für Interessengruppen, durch druckvolles Lobbying eine für sie vorteilhafte Normsetzung (sog. Klientelpolitik) zu erreichen, während die breite Allgemeinheit wenig solcher Veranlassung besitzt. Im Falle solcher Ungleichgewichte kann es aus normativer Sicht zur Sicherung des Proportionalitätsgedankens erforderlich sein, durch institutionelle Anreize, etwa die Bildung unabhängiger Institutionen, eine verstärkte Wahrnehmung dieser Interessen zu fördern. Auf staatlicher Ebene ist beispielsweise das Politikfeld Staatsverschuldung in diese Kategorie einzuordnen: Der Nutzen der Verschuldung liegt bei den Politikern, die ihnen nahestehende Interessengruppen unterstützen, während die Kosten die Allgemeinheit in Form eines handlungsunfähigen Staates (wegen der Zinslasten) treffen. Anders ist diese Situation dagegen für die Beurteilung des EU-Budgets: Da die Regierungschefs nur bedingt an einer Erhöhung des EU-Budgets interessiert sind, fallen auf europäischer Ebene sowohl Nutzen (EU-Institutionen möchten ihr Budget und damit ihren Handlungsspielraum steigern), als auch Kosten einer Budgeterhöhung konzentriert bei kleinen Gruppen an. Als Beispiel für ein Politikfeld mit weit verbreitetem Nutzen und Kostenanfall bei kleinen Gruppen wird weiter unten auf das Politikfeld Nahrungsmittelsicherheit eingegangen. (4) In Politikfeldern, in denen der Nutzen weit verbreitet und allgemein ist, die Kosten aber von einer kleinen Minderheit getragen werden, ist der Ansporn für diese Minderheit groß, sich einer sie belastenden Normsetzung zu widersetzen. Im Bereich der Umweltpolitik werden die Kosten sauberer Luft oder sauberen Wassers beispielsweise von wenigen Firmen getragen,

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Unabhängige Institutionen in der EU

den Nutzen aber zieht die gesamte Bevölkerung52. Regelungen, die einen solch verbreiteten Nutzen sichern, können insbesondere dann erreicht werden, wenn beispielsweise nach einer Krise die öffentliche Aufmerksamkeit auf dieses Themenfeld gerichtet ist53. Eine Möglichkeit, solche Ziele zu fördern, ist die Einrichtung eines „politischen Unternehmers" (Policy Entrepreneur). Ein politischer Unternehmer ist eine Institution oder Person, die als mittelbarer Repräsentant von Gruppen dient, die nicht selbst am Legislativprozeß beteiligt sind54. Auf nationaler Ebene sind Regierungen oft nicht daran interessiert, Unternehmen mit umweltpolitischen Abgaben zu belasten, damit sie innereuropäisch wettbewerbsfähig bleiben. Glaubwürdiger, da nicht von solchen Erwägungen betroffen, ist eine supranationale Institution, die in allen europäischen Ländern Verstöße gegen umweltpolitische Vorschriften sanktioniert. IL Rolle unabhängiger Institutionen im europäischen System

politikfeldbezogenen

Unabhängige Institutionen wie Rechnungshof, Wettbewerbsbehörde, EZB oder Sachverständigenräte haben im europäischen Entscheidungsprozeß wie auf staatlicher Ebene - die Aufgabe, dem von Gruppeninteressen geprägten Entscheidungsprozeß entgegenzutreten und eine gleichwertige Interessenberücksichtigung zu gewährleisten55. Zu berücksichtigen sind dabei die Besonderheiten des europäischen Entscheidungsprozesses. Wie ausgeführt, können gerade Aufgaben und Politikfelder, die von den Parteien in den Vertragsstaaten vernachlässigt werden, aber dennoch im Interesse einer großen Bevölkerungszahl stehen, von einem „Politikunternehmer", also etwa der Kommission, aufgegriffen werden. Ein Beispiel ist die transnationale Umweltpolitik, um die sich die Kommission zu einer Zeit kümmerte, als diese auf nationaler Ebene noch nicht thematisiert wurde56. Um politische Glaubwürdigkeit bemüht, versucht die Kommission auch den auf europäi52

Mit Beispielen aus der Umweltpolitik Chr. Engel, Nebenwirkungen wirtschaftsrechtlicher Instrumente, in: Engel/Morlok (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 178ff. 53 Siehe Chr. Engel, Nebenwirkungen wirtschaftsrechtlicher Instrumente, in: Engel/Morlok (Hrsg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, S. 188. 54 G. Majone, Redistributive und sozialregulative Politik, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, S. 243. 55 Skeptisch bezüglich der Möglichkeiten unabhängiger Institutionen auf europäischer Ebene, Erlei/Leschke/Sauerland, Neue Institutionenökonomik, S. 501. 56 H. Wallace, Die Dynamik des EU-Institutionengefiiges, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch, Europäische Integration, S. 149.

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scher Ebene unterrepräsentierten und wenig handlungsfähigen gesellschaftlichen Interessen zur Durchsetzung zu verhelfen. Sie fordert beispielsweise den Aufbau europäischer Dachorganisationen wie des Büros europäischer Verbraucherverbände (BEUC)57. Allerdings gelang es gut organisierten Gruppen auch, die Kommission so unter Druck zu setzen, dass sie ihrer Rolle als Vertreterin schlecht repräsentierter Interessen nicht gerecht wurde58. Bezüglich der Interessenanfälligkeit von Regulierungsbehörden besteht eine umfang- und widerspruchsreiche ökonomische Literatur, die die Vereinnahmung von Regulierungsbehörden durch die regulierte Industrie untersucht59. Viele Interessengruppen bevorzugten eine europaweite Regulierung durch die Kommission gegenüber nationalen Regierungen, weil sie sich davon wirtschaftliche Vorteile versprechen. Nach Untersuchungen aus den neunziger Jahren sind mindestens 72 % der Ausgaben des EU-Budgets und mindestens 78 % der EG-Normsetzung auf Anregungen und Beeinflussung durch Interessengruppen zurückzuführen60. Das EG-Entscheidungssystem ist nach dieser Untersuchung mehr lobbyorientiert als jedes nationale europäische Entscheidungssystem61. Wie Haas 1958 vorhersagte, tendiert die Kommission dazu, Lobbygruppen zu Aktivität zu ermutigen, denn deren Wirken führt zu einer Ausweitung der Kompetenzen der Kommission62. Nach einer Auffassung sind „bürokratische Institutionen" sogar anfälliger für Lobbying als gewählte Institutionen63. Dabei wird allerdings differenziert. Gegenüber Interessengruppen mit beträchtlichem Wählerstimmenpotential können sie weniger anfällig sein als wahlabhängige Institutionen. Als Beispiel wird die Reform der gemeinschaftlichen Agrarpolitik während der Uruguay-Verhandlungsrunde des GATT 1991 angeführt, in der die Kommission und nicht der Rat die drängende Institution war. Verallgemeinernd wird festgestellt, dass gewählte 57 Siehe Ph. Schmitter, Representation and the Future Euro-Polity, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 3 (1992), S. 392. 58 Beispiele bei M. Green-Cowles: The Politics of Big Business in the European Community: Setting the Agenda for a new Europe, Washington (D.C.) 1994. 59 R. Vaubel, The Pubic Choice Analysis of European Integration, in: Journal of Political Economy 10 (1994), S. 238 m.w.N. 60 R. Vaubel, The Public Choice Analysis of European Integration, in: Journal of Political Economy 10 (1994), S. 238. 61 R. Vaubel, a.a.O., S. 238. 62 E. Haas, The Uniting of Europe: Political, Social and Economic Forces (1950-1957), London 1958. 63 Peltzman, Toward a more general theory of regulation, Journal of Law and Economics 19 (1976), S. 211-240; Crain/McCormick, Regulators as an interest group, in: J.M. Buchanan/G. Tullock (Hrsg.), The theory of public choice - II, S. 287-304.

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Unabhängige Institutionen in der EU

Politiker mehr von arbeitsplatz-intensiven Industrien abhängig sind, die Administration dagegen mehr von kapital-intensiven Industrien64. Diese Ergebnisse bieten Anknüpfungspunkte für das politikfeldbezogene Demokratieprinzip: Nach der eben genannten Differenzierung erscheint es sinnvoll, auch im Bereich arbeitsplatzintensiver Arbeitsmärkte unabhängigen Institutionen dann (einzelne zielgerichtete) Kompetenzen zu übertragen, wenn in bestimmten Punkten ein größerer politischer Handlungsspielraum gegenüber Interessengruppen erlangt werden soll. Als Beispiel soll im Folgenden unter anderem auf das Politikfeld Agrarprodukte/Nahrungsmittelsicherheit als besonders arbeitsplatz-intensives Politikfeld eingegangen werden. III. Beispiele für das politikfeldbezogene Demokratieverständnis auf europäischer Ebene 1. Beispiel: Politikfeld Lebensmittelsicherheit Auf dem Politikfeld Verbraucherschutz und Nahrungsmittelsicherheit kann folgende Nutzen-Kosten-Konstellation festgestellt werden: Den Nutzen an einer streng durchgeführten Lebensmittelsicherheit haben alle Verbraucher im Binnenmarkt, die Kosten aber trägt eine kleine Gruppe, insbesondere die Agrarwirtschaft. Dies gilt beispielsweise, wenn die Agrarwirtschaft zu kostentreibenden Produktionsweisen verpflichtet wird. Diese formiert sich dann in stärkerem Maße als Interessengruppe, als die weniger speziell betroffenen Verbraucher. Im Zweifelsfall ist zu erwarten, dass sich die konzentrierten Interessen der Agrarproduzenten gegen die Verbraucherinteressen durchsetzen werden, wenn die Verbraucherinteressen keinen besonders institutionell angelegten Schutz erhalten. Vor der BSE65-Krise bestand kein besonderer institutioneller Schutz von Verbraucherinteressen bezüglich der Lebensmittelsicherheit66. Vielmehr fand der beschriebene Aushandlungsprozeß zwischen Vertretern der Mit64

Faina Medin/Puy Fraga, A framework for a public choice analysis of the European Community, Economia delle Scelte Publiche 2 (1988), S. 141-158; Josling/Moyer, The Common Agricultural Policy of the European Community: A Public Choice Interpretation, in: R. Vaubel/T.D. Willett (Hrsg.), The political economy of international organizations: a public choice approach, S. 286-305. 65 Bovine Spongiform Encephalopathy. 66 Siehe zum Verlauf der BSE-Krise und den institutionellen Veränderungen S. Krapohl, Risk Regulation in the EU between interests and expertise: the case of BSE, in: Journal of European Public Policy 2003, S. 189-207; G. Majone, The Credibility Crisis of Community Regulation, in: Journal of Common Market Studies 38 (2000), S. 281ff.

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gliedstaaten auf der Ausschussebene statt, auf der diese Risikoregulierung vorgenommen wird. Die Entscheidungen wurden dabei mehr auf Tagungen spezialisierter Arbeitsgruppen als in umfassenderen Plenarsitzungen gefunden67. Da die Problembereiche (etwa für Verbraucherschutz) interdependent sind, kommt es in den Verhandlungen aber darauf an, wie stark jeweils die betreffenden Interessen repräsentiert sind. Deshalb erwies sich die weitgehend getrennte Arbeitsweise der Ausschüsse von Veterinär- und Lebensmittelsicherheit während der BSE- Krise als nachteilig68. Am Beispiel Verbraucherschutz während der BSE-Krise wird deutlich, dass ein kompetenzrechtlich getrenntes, aber inhaltlich und sachrechtlich interdependentes Politikfeld69 im Verhandlungsprozeß oftmals nicht sachgerecht behandelt werden kann. Wie selbst von den Verfechtern der Komitologie eingeräumt wird, hat der BSE-Fall eine Schwäche des Ausschußverfahrens aufgezeigt70. Bereits seit 1988 hatte die EG sich mit der Krankheit BSE beschäftigt. Erst 1996 hatte die Kommission aber nach Anhörung des wissenschaftlichen und des ständigen Veterinärausschusses wegen des Risikos der Übertragung von BSE auf Menschen ein umfassendes vorläufiges Exportverbot für Rinder und Erzeugnisse aus Rindern aus Großbritannien verhängt. Nach einer generellen Blockadehaltung Großbritanniens in den Gemeinschaftsorganen wurde dieses Exportverbot aber im Juni 1996 teilweise wieder aufgehoben. Davor hatte eine Vielzahl von wissenschaftlichen Beratungsgremien Stellungnahmen abgegeben, der Rat aber keine Stellung bezogen. Am 17. Juli 1996 setzte das Europäische Parlament einen Nichtständigen Untersuchungsausschuß ein, der Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht oder Missstände bei der Anwendung desselben im Zusammenhang mit BSE prüfen sollte. Kritisiert wurde, dass die zuständigen Ausschüsse seit 1990 nicht in neutraler und verantwortungsvoller Weise gehandelt hätten71. Kern der Kritik war die Besetzung des wissenschaftlichen Veterinärausschusses, dessen Arbeitsgruppe seit 1990 aus einem überproportional hohen Anteil an britischen Wissenschaftlern bestand. Sowohl der Vorsitzende, der sogleich 67

J. Neyer, Risikoregulierung im Binnenmarkt, in: Joerges/Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen, S. 287f.; zu den Besonderheiten politikfeldbezogener Entscheidungsprozesse auch in den anderen EU-Institutionen siehe B. Steunenberg, Coordinating Sectoral Policy-Making: Searching for Countervailing Mechanisms in the EU Legislative Process, in: Ch.B. Blankart/D.C. Mueller (Hrsg.), A Constitution for the European Union, S. 139ff. 68 J. Falke, Komitologie - Entwicklung, Rechtsgrundlagen und erste empirische Annäherung, in: Joerges/Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen, S. 122. 69 Chr. Joerges, Die europäische „Komitologie", in: Joerges/Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen, S. 20. 70 J. Falke, a.a.O., in: Joerges/Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen, S. 62. 71 J. Falke, Komitologie, a.a.O, S. 120f. mit Einzelheiten.

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Unabhängige Institutionen in der EU

als Berichterstatter fungierte, als auch der Protokollant, ein Kommissionsbediensteter auf Zeit, waren britische Staatsangehörige. Nach dem Untersuchungsbericht des Europäischen Parlamentes führte dieses Übergewicht von britischen Staatsangehörigen im Ständigen Veterinärausschuß dazu, dass dieser die Denkweise des britischen Ministeriums für Landwirtschaft wiedergab. Nach dieser Erfahrung wurde die Wahrnehmung der Aufgabe Lebensmittelsicherheit neu organisiert. Die Rolle des EU-Parlaments72 in diesem Entscheidungsprozeß wurde geschmälert. Weiter wurden die Bereiche Lebensmittelsicherheit und Verbrauchergesundheit unter dem Dach der zuständigen Generaldirektion Verbraucherschutz zusammengefasst73. Im Januar 2002 wurde darüber hinaus eine Agentur für Lebensmittelsicherheit mit beratender Funktion gegründet74. Als entscheidendes Merkmal der Agentur wird ihre Unabhängigkeit genannt75. Aufgabe der Agentur ist die Risikobewertung. Sie hat alle Aspekte der Lebensmittelkette zu überwachen und die Kommission beim ihrem Risikomanagement zu beraten. Die Agentur kann aber auch in ihrem Aufgabengebiet die Öffentlichkeit autonom informieren76. 2. Beispiel: Politikfeld gemeinschaftliche

Finanzpolitik

Das Politikfeld „staatliche Kreditaufnahme" wurde in Kapitel 9 als Beispiel für ein Politikfeld, bei dem konzentrierter Nutzen einerseits (bei Lobbygruppen und der aktuellen Regierung) und verstreute Kosten andererseits (bei der Bevölkerung allgemein) miteinander kollidieren, dargestellt. Auf europäischer Ebene stellt sich die Situation in zweifacher Hinsicht anders dar. Erstens geht es vorrangig um die Frage nach der Ausweitung und nach den Grenzen des EU-Budgets und (vorerst) weniger um die Frage der Verschuldungsgrenzen der Europäischen Union. Zweitens kann für die europäische Budgetpolitik eine andere Interessenkonstellation als auf staatlicher Ebene festgestellt werden, die dazu führt, dass unabhängige Institutionen in diesem Bereich nicht legitim erscheinen.

72

Chr. Joerges, Die europäische „Komitologie", in: Joerges/Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen, S. 33ff. 73 J. Neyer, Risikoregulierung im Binnenmarkt, in: Joerges/Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen, S. 279. 74 VO (EG) Nr. 178/2002 vom 28. Januar 2002, ABl. L 31 vom 1.2.2002 S. lff. 75 VO (EG) Nr. 178/2002 Rz. 54-56 und Art. 37. 76 VO (EG) Nr. 178/2002 Rz. 54 und Art. 40.

Das politikfeldbezogene europäische Demokratieprinzip

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Die Problematik möglicher Verschuldungszunahme stellt sich auf europäischer Ebene zunächst als eine Frage nach möglichen Ausweitungen des EU-Budgets dar. Gegenwärtig besteht allerdings eine Grenze für das EUBudget, die an die Budgets der Mitgliedstaaten geknüpft ist. Die Summe aller Eigenmittel der EU ist auf maximal 1,27% des Gesamtbetrages des Bruttosozialproduktes aller Mitgliedstaaten begrenzt77. Auf europäischer Ebene ist aber auch die Kosten-Nutzen-Verteilung im Bereich Finanzpolitik unter den gegenwärtigen institutionellen Voraussetzungen anders als auf staatlicher Ebene. Während die europäischen Institutionen, etwa die Kommission oder das Europäische Parlament, durchaus an Budgeterhöhungen interessiert sind, weil sie damit ihren Einfluss erhöhen können (konzentrierter Nutzen in Form von Einflußerweiterung), stehen diesem konzentrierten Nutzen konzentrierte Kosten bei den Mitgliedstaaten (zumindest bei den Nettozahlern) gegenüber, die einem weiteren Budgetanstieg deswegen reserviert gegenüberstehen78. Die in der EU bestehende Kompetenzverteilung behebt damit - für das EU-Budget - die im Politikfeld Budgetzunahme und Verschuldung auf staatlicher Ebene bestehende Kosten-Nutzen-Verteilung, die dort zu einer steigenden Verschuldung geführt hatte. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Nettozahler-Staaten in den Entscheidungsverfahren über die Budgetfestlegung keine strukturelle Minderheit darstellen oder durch andere Verfahrensfragen benachteiligt sind. Es ist anzunehmen, dass sich das EU-Budget innerhalb der bisher gegebenen Regeln fortentwickelt79. Eine Einführung unabhängiger Institutionen ist in diesem Bereich unter den genannten Voraussetzungen für die europäische Ebene damit nicht notwendig und nicht legitim80. Im Falle der „Demokratisierung" der Budgethoheit durch Übertragung der entsprechenden Kompetenzen auf das Europäischen Parlaments könnte 77

Art. 3 I Eigenmittelbeschluß 94/728/EG, Euratom des Rates vom 31. 10. 1994 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften, ABl. Nr. L 293 vom 12. 11. 1994, S. 9ff.; Beschluß 2000/597/EG, Euratom des Rates vom 29. 9. 2000 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften, ABl. Nr. L 253 vom 7. 10. 2000, S. 42ff., BGBl. II 2001 vom 23. 8. 2001, S. 794. 78 Von einer weiteren Zentralisierung und Anwachsen des Budgets geht aus: R. Vaubel, The Political Economy of centralization and the European Community, in: Public Choice 81 (1994), S. 194. 79 Ch. B. Blankart/Chr. Kirchner, The Deadlock of the EU Budget: An Economic Analysis of Ways In and Ways Out, in: Blankart/Mueller (Hrsg.), A Constitution for the European Union, London 2004, S. 127. 80 Zu den Problemen de EU-Budgets durch die Veto-Positionen der verschiedenen Mitgliedstaaten siehe Ch. B, Blankart/Chr. Kirchner, The Deadlock of the EU Budget, a.a.O., S. 109138.

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Unabhängige Institutionen in der EU

aber die in den staatlichen Demokratien zu beobachtende Tendenz ständig wachsender Budgets einsetzen81. Eine Tendenz in diese Richtung kann darin gesehen werden, dass das Parlament unverändert ein größeres Budget verlangt, als es der Rat verabschiedet. Dabei ist das Parlament besonders an der Vergrößerung von „non mandatory expenditures" interessiert, wie Strukturfonds, oder Entwicklungsfonds, auf die es Einfluss besitzt82. Auf europäischer Ebene stellt sich die Frage und Problematik einer möglichen Verschuldung nicht so unmittelbar wie auf staatlicher Ebene, da sich die Europäische Union aus festgesetzten Beiträgen der Mitgliedstaaten (so genannte Eigenmittel) finanziert und nicht über eigene Kreditaufnahme83. Im Zuge einer weiteren Integration könnte aber eine solche Verschuldungsmöglichkeit eingeführt werden. Die Gemeinschaft baute ihre Verschuldungsfähigkeit zuletzt aus: Im Vertrag von Nizza ist dem Rat die Kompetenz zugewiesen worden, die gegenwärtige Verschuldungsgrenze der Europäischen Investitionsbank (EIB), die bisher auf 250 % des Eigenkapitals beschränkt war, zu ändern, und zwar hin zu einer Verschuldungskapazität ohne Einschränkung84. Zwar ist die EIB ein besonderes Gemeinschaftsorgan und genießt von den anderen Gemeinschaftsorganen Unabhängigkeit, doch hat sie dabei bislang immer eng mit der Kommission kooperiert. Allerdings unterliegt die EIB der Einflussnahme der Mitgliedstaaten, die sie finanzieren. 3. Gemeinwohl und öffentliche Güter am Beispiel

Wettbewerbspolitik

In verschiedenen Vertragsbestimmungen ist die Rede vom Handeln der Gemeinschaftsorgane zum Wohle der Gemeinschaft85. Auch auf Gemeinschaftsebene kann, wie auf staatlicher Ebene, auf einen prozeduralen Ge81

V. Haupt, Über den Bau demokratischer Institutionen, in: A. v. Bogdandy (Hrsg.), Die Europäische Option, S. 228. 82 R. Vaubel, The Public Choice Analysis, of European Integration, in: Journal of Political Economy 10 (1994), S. 236. 83 Die Summe aller Eigenmittel der EU ist dabei auf maximal 1,27% des Gesamtbetrages des Bruttosozialproduktes aller Mitgliedstaaten begrenzt, siehe Art. 3 I Eigenmittelbeschluß 94/728/EG, Euratom des Rates vom 31. 10. 1994 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften, ABl. Nr. L 293 vom 12. 11. 1994, S. 9ff.; Beschluß 2000/597/EG, Euratom des Rates vom 29. 9. 2000 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften, ABl. Nr. L 253 vom 7. 10. 2000, S. 42ff„ BGBl. II 2001 vom 23. 8. 2001, S. 794. 84 S. Storr, Die Bewältigung defizitärer Haushaltslagen in der EU, in: Europarecht 2001, S. 870. 85 Art. 247 Abs. 4 EG (Rechnungshof), Art. 213 Abs. 2 EG (Kommission), Art. 258 UAbs. 4 EG (Wirtschafte- und Sozialausschuß).

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meinwohlbegriff abgestellt werden86. Insoweit gelten die oben gemachten allgemeinen Ausführungen zum Gemeinwohlverständnis. Bezugspunkt eines europäischen Gemeinwohles sind danach die Unionsbürger. Für die Gemeinschaft ist insbesondere der Kommission die Wahrung des europäischen Gemeinwohles übertragen. Insofern wird noch deutlicher als auf staatlicher Ebene anerkannt, dass die Gemeinwohlverwirklichung nicht notwendig nur durch unmittelbar gewählte Organe erfolgen kann. Das Konzept des institutionellen Gleichgewichts87 unterscheidet sich vom Modell der Gewaltenteilung insofern, als die Gesetzgebung zur Erreichung des Gemeinwohls auf EU-Ebene durch ein Zusammenspiel der Institutionen erreicht werden soll, während das ursprüngliche staatliche Konzept von der Wahrung des Gemeinwohls durch insbesondere ein gesetzgebendes Organ, das Parlament (siehe beim Modell der volonté générale) ausging88. Die prozedurale Ausgestaltung der Gemeinwohlverwirklichung gewinnt mit einem solchen Verständnis noch mehr an Bedeutung. a) Wettbewerbssicherung durch die Kommission oder durch ein unabhängiges Kartellamt? Auch für die Gemeinschaftsebene kann die Bereitstellung so genannter öffentlicher Güter als eine Art der Gemeinwohlerfüllung angesehen werden. Die Gemeinschaft dient gerade der Herstellung öffentlicher Güter (siehe etwa in Art. 2 EG: Umweltschutz), die ansonsten im unkoordinierten nationalen Wettbewerb zwischen den Staaten nicht erreicht werden könnten. Ein zentrales Ziel der europäischen Integration ist die Sicherung des Wettbewerbs. Im Zusammenhang mit der gezeigten und eventuell zukünftig fortschreitenden Politisierung der Kommission wird die Ausgliederung der Wettbewerbsabteilung diskutiert89. Am Beispiel des Politikfeldes Wettbewerbsschutz zeigt sich, wie schwer es ist, zu entscheiden, ob ein bestimmtes politisches Ziel soweit von anderen politischen Zielen getrennt werden kann, dass die Wahrnehmung dieses politischen Ziels auf eine unabhängige Be86

Siehe zur Judikatur des EuGH P. Häberle, Gemeinwohl und Gemeinsinn im nationalverfassungsstaatlichen und europarechtlichen Kontext, in: H. Münkler/K. Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht, S. 112ff. 87 Siehe dazu unten Kapitel 13 DI. 88 Dazu A. Verhoeven, The European Union, S. 208. 89 Zur Debatte eines unabhängigen Kartellamtes in der EU: R. Wesseling, The Modernisation of EC Antitrust Law, S. 168ff, 174; C.-D. Ehlermann, Reflections on a European Cartel Office, Common Market Law Review 32 (1995), S. 471ff; Ders., in Festschrift für Everling 1995, hrsg. von Due/Lutter/Schwarze; siehe auch Europarecht 2002 Heft 1, 17ff.

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hörde übertragen werden kann. Das Politikfeld „Sicherung des Wettbewerbs" ist dabei in zwei Gebiete zu trennen: die Kontrolle staatlicher Beihilfen einerseits und die wettbewerbspolitische Beobachtung des privaten Sektors andererseits. In beiden Fällen können sich aus der Sicht der politischen Ökonomie die Befürworter von Beihilfen und Ausnahmen vom Wettbewerbsrecht leichter durchsetzen als die Gegner solcher Beihilfen und Ausnahmen. Im Bereich der wettbewerbspolitischen Kontrolle des privaten Sektors kann eine zu häufige Berücksichtigung politischer Motivationen die wettbewerbsrechtlichen Aspekte weit zurückdrängen. Mit der Verankerung einer gemeinschaftlichen Industriepolitik in Art. 130 EG besteht ein weites Einfallstor für allgemeine politische Zielsetzungen auch bei Umsetzung der Wettbewerbspolitik90. Politische Zielsetzungen können die Erhaltung von Arbeitsplätzen, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt oder die Förderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Industrie durch Zusammenschlüssen von Unternehmen sein. Maßnahmen zur (scheinbaren) Sicherung dieser Ziele führen bei den verantwortlichen Politikern oft zu konzentriertem Nutzen, da sie ihre Chancen auf Wiederwahl erhöhen. Die negativen Folgen solcher Maßnahmen für den innergemeinschaftlichen Wettbewerb sind dagegen viel schwerer zu messen und auf die ganze Bevölkerung verteilt. Dazu gehören Preiserhöhungen aufgrund von Unternehmenskonzentrationen und geringere Innovationsanreize auf „vermachteten Märkten". Im Bereich der Beihilfenkontrolle spielt die Mehrebenenstruktur der europäischen Politik eine wichtige Rolle. Es besteht die Gefahr, dass es im Rahmen eines so genannten „log-rolling"-Prozesses zu europäischen „Paketlösungen" kommt, das heißt, dass es zu einer steigenden Zahl von Ausnahmen des grundsätzlichen Beihilfeverbotes kommt, bei denen das mitgliedstaatliche oder regionale Interesse eines Staates durch das eines anderen Staates oder einer anderen Region aufgewogen wird91. Das Interesse der nicht begünstigten Unternehmen und der Bevölkerung an der Einhaltung der Wettbewerbsregeln ist dagegen zu weit verbreitet, um zu einem Organisationsgrad zu führen, der diesen konzentrierten Interessen entgegenstehen könnte. Bei dieser Argumentation wird in beiden Fällen davon ausgegangen, dass politische - mitgliedstaatliche und regionale - Interessen auch in der Kom90

B. Seliger, Ein unabhängiges Kartellamt für Europa, in: Wirtschaft und Wettbewerb 1997, S. 876f. mit weiteren Nachweisen zu dem Streit um das Verhältnis von rein wettbewerbspolitischen und anderen politischen Zielsetzungen. 91 B. Seliger, Ein unabhängiges Kartellamt für Europa - ordnungs- und wettbewerbspolitische Aspekte, in: Wirtschaft und Wettbewerb 1997, S. 874ff. mit Beispielen.

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europäische Demokratieprinzip

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mission und für die Kommissare eine Rolle spielen. Dafür wurde oben in Kapitel 12 auf die Politisierung der Kommission und die Rolle mitgliedstaatlicher Interessen im Entscheidungsprozess der Kommission hingewiesen. Die in die Entscheidung einfließenden Motive und Abwägungen sind dabei nach Angaben von Fachleuten selbst für „Insider" schwer nachzuvollziehen92. Die Entscheidungen der Kommission als Kollektivorgan - in strittigen Fällen - verschleiert dabei die Verantwortlichkeiten: Nicht der einzelne, für Wettbewerb zuständige Kommissar, sondern die Kommission als ganze ist verantwortlich. Es bestehen Anreize für ein Handeln nach (scheinbaren) mitgliedstaatlichen Interessen bei den Kommissaren in konzentrierter Form, da sie ein Interesse an der Durchsetzung mitgliedstaatlicher oder regionaler Interessen haben können93. Als Ausweg aus dieser „Rationalitätsfalle" wird die Bildung einer unabhängigen europäischen Kartellbehörde vorgeschlagen. Zwar wäre die Unabhängigkeit vom politischen Prozess dabei nie vollständig gegeben, weil die betroffenen Politiker und Parteien weiter Druck auf die Kartellbehörde ausüben würden. Es könnte aber ein besserer Ausgleich zwischen den gezeigten Interessen herbeigeführt werden. Dafür spricht erstens, dass dann im Gegensatz zu den Kommissaren nicht ehemalige Politiker, sondern „Beamte" mit weniger politischen Ambitionen die Entscheidungen treffen. Zweitens kann sich ein Beamter, der zur Wahrung des Wettbewerbs verpflichtet ist, vor allem dadurch profilieren, dass er die durch das Statut vorgegebenen Ziele erfolgreich verwirklicht. Eine derartige Profilierung ließ sich bei vielen „siegle purpose agencies", etwa Zentralbanken, beobachten94. Daneben würde die Bildung einer europäischen Kartellbehörde die Transparenz des Entscheidungsfxndungsprozesses besser sicherstellen. Die Zuständigkeit und Verantwortung der Kartellbehörde würden der öffentlichen Diskussion einen eindeutigen Ansprechpartner liefern95. Zudem würde die Einrichtung einer europäischen Wettbewerbsbehörde einer allgemeinen Entwicklung in den Vertragsstaaten entsprechen: Auch dort werden, wie gesehen, verstärkt unabhängige Wettbewerbsbehörden eingesetzt, während die Gemeinschaft diesem Trend bisher nicht gefolgt ist96.

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N. Merker, Subsidiarität und Delegation, S. 322 m.w.N. Ein ganz persönliches Interesse könnte die geplante Rückkehr eines Kommissars in die mitgliedstaatliche Politik oder Wirtschaft darstellen. 94 B. Seliger, Ein unabhängiges Kartellamt für Europa, in: Wirtschaft und Wettbewerb 1997, S. 878f. 95 Wolf, Eine europäische Behörde für den Wettbewerb, FAZ v. 5.11.1994, Nr. 258, S. 15. 96 So bereits C.-D. Ehlermann, Wettbewerbspolitik im Binnenmarkt, RIW 1993, S. 793, 796. 93

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Gegen die Bildung einer europäischen Kartellbehörde werden vor allem normative aber auch prozedurale Argumente vorgetragen. Es bestehe innerhalb der Gemeinschaft kein ausreichender Konsens über die Rolle des Wettbewerbs im Verhältnis zu anderen politischen Zielsetzungen97. Deshalb müssten die Entscheidungen einer Wettbewerbsbehörde einer politischen Kontrolle unterworfen werden98. Die Negierung des Öffentlichen Interesses in der Entscheidungsfindung könnte für die Glaubwürdigkeit einer Wettbewerbsbehörde Risiken bergen. Zudem würde mit einem nachgeordneten politischen Kontrollverfahren ein zweistufiges Verfahren mit einer unzumutbaren Verlängerung der Verfahrensdauer entstehen99. Vorgeschlagen wird deshalb eine vermittelnde Lösung. Durch die Einführung von Entscheidungssenaten, die außerhalb des kommissionsinternen Kollegialprinzips Entscheidungen treffen, könnten die Interessenwiderstreite der Mitgliedstaaten überwunden werden, ohne dass eine eigene Kartellbehörde gebildet werden müsste100. b) Gemeinwohlsicherung im Mehrebenensystem in der Regulierungspolitik In der Gemeinschaft kommt es bei der Konstruktion gemeinwohlsichernder Verfahren insbesondere auf die Beachtung der Mehrebenenproblematik an. Im Bereich der Durchsetzung wirtschaftlicher Regulierungen (etwa Umweltpolitik) besteht für die zuständigen (staatlichen) Regulierungsbehörden ein erheblicher Ermessensspielraum. Verhandlungen zwischen den Regulierungsbehörden und den betroffenen Unternehmen über die Einhaltung festgelegter Kriterien sind ein wesentlicher Bestandteil der Durchsetzung von wirtschaftspolitischen Regulierungen, da den Regulierungsbehörden oft Informationen fehlen, über welche die Unternehmen verfügen. Im Rahmen solcher Verhandlungen ist aber davon auszugehen, dass die Regierungen die Unternehmen ihres Landes vor hohen Kosten schützen möchten. Es ist dabei schwer feststellbar, ob der Sinn einer intergouvernementalem Regulierung

97

Nachweise bei B. Seliger, a.a.O., S. 879; Monopolkommission, Mehr Wettbewerb auf allen Märkten, X. Hauptgutachten 1992/1993, S. 53, Ziffer 146, bei C.-D. Ehlermarm, Wettbewerbspolitik im Binnenmarkt, RIW 1993, 793, 796 und bei N. Merker, Subsidiarität und Delegation, S. 409. 98 N. Merker, Subsidiarität und Delegation, S. 410. 99 Zu weiteren Argumenten bezüglich der Aufspaltung eines wettbewerbsrechtlichen und eines nachfolgenden politischen Kontrollverfahrens siehe B. Seliger, Ein unabhängiges Kartellamt für Europa, in: Wirtschaft und Wettbewerb 1997, S. 879. 100 N. Merker, Subsidiarität und Delegation, S. 411.

Das politikfeldbezogene

europäische Demokratieprinzip

449

verletzt wird101, die gerade auf internationale Gleichbehandlung abzielt. Es ist daher sinnvoll, die Durchsetzung oder Aufsicht über die Durchsetzung solcher Regulierungen einer unabhängigen und supranationalen Institution wie der Kommission oder einer Agentur zu übertragen. Die Bereitstellung mancher öffentlichen Güter kann auf Gemeinschaftsebene aber durch die zentralen EU-Entscheidungsorgane, den Rat und auch die Kommission, nicht sicher gewährleistet werden 102, da diese (teilweise) auf einem Wettbewerb der nationalen und anderer Gruppeninteressen basieren. Die Regulierungspolitik der Mitgliedstaaten und ihrer Vertreter auf Gemeinschaftsebene erscheint für die betroffenen Unternehmen leichter manipulierbar, als eine unabhängige Gemeinschaftsinstitution mit klarer Zielfestlegung. Da beispielsweise hohe Strafgelder im Bereich der Umweltverschmutzung die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen beeinträchtigen können, gehen die Unternehmen davon aus, dass hohe Strafen von den mitgliedstaatlichen Regierungen und ihren Vertretern auch auf Gemeinschaftsebene nicht verhängt werden. Die Wahrnehmung regulativer Umweltschutzpolitik auf Gemeinschaftsebene durch eine zielorientierte, unabhängige Institution könnte daher zu einer höheren Glaubwürdigkeit der angedrohten Sanktionen führen103, da eine unabhängige EU-Institution bei einem gleichen Kosten-Nutzen-Kalkül eher bereit sein wird, Sanktionen zu verhängen, als die Mitgliedstaaten104. 4. Beispiel: Glaubwürdigkeit, Zeitinkonsistenz und Aushandlungscharakter Wie auf staatlicher Ebene lässt sich die Problematik zeitinkonsistenten politischen Verhaltens auch für die europäische Ebene als Problem einer bestimmten Kosten-Nutzen-Konstellation begreifen: Liegt der Nutzen einer bestimmten zeitinkonsistenten Handlung, etwa im Bereich der Geld- oder Wettbewerbspolitik, bei der politischen Führung, verbleiben die Kosten aber bei der Bevölkerung, dann ist mit einem zeitinkonsistenten Verhalten der politischen Führung zu rechnen. Das Phänomen zeitinkonsistenten Handelns 101 G. Majone, Controlling Regulatory Bureaucracies, in Derlien/Gebhardt/Scharpf: Systemrationalität und Partialinteresse, S. 310. 102 A. v. Brünneck, Das Demokratieprinzip und die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: Grimm, (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, S. 255. 103 G. Majone, Controlling Regulatory Bureaucracies, in: Derlien/Gebhardt/Scharpf: Systemrationalität und Partialinteresse, S. 310. 104 K. Gatsios/P. Sebright, Regulation in the European Community, Oxford Review of Economic Policy 5 (1989), S. 49f.

450

Unabhängige Institutionen in der EU

aus wahltaktischen Gründen im Bereich der Geldpolitik dürfte auf europäischer Ebene aber seltener sein, als staatlicher Ebene. Im Bezug auf die Geldpolitik etwa spielen wahltaktische Überlegungen für die einzelnen Mitgliedstaaten auf Gemeinschaftsebene eine geringere Rolle, da Vertreter verschiedener Mitgliedstaaten an den währungspolitischen Entscheidungen beteiligt sind. Ein Anreiz für eine mitgliedstaatliche Regierung zu zeitinkonsistentem Verhalten besteht nicht automatisch auch für die anderen Regierungen und wirkt sich daher eher geringfügig auf die Entscheidung insgesamt aus. Ob gesamteuropäische Wahlen eine gemeinschaftsbezogene Zeitinkonsistenz auslösen können, ist unklar. Bisher jedenfalls bestehen keine Anlässe, von solchen Einflüssen auszugehen. Jedoch könnten sich in Zukunft die Wahlen zum Europäischen Parlament zu solchen Anlässen entwickeln. Die Unabhängigkeit der EZB kann damit nicht mit der Gefahr von zeitinkonsistentem Handeln begründet werden. Weiterhin gilt für die Begründung ihrer Unabhängigkeit aber das Argument, dass die Sicherung von Währungsstabilität als öffentliches Gut im politischen Entscheidungsprozeß weniger gut erreicht werden kann, als durch eine unabhängige Institution, die zum Erhalt der Währungsstabilität verpflichtet ist. Problematischer für die Glaubwürdigkeit europäischen Regierens scheint dagegen der Aushandlungscharakter des gemeinschaftlichen Entscheidungsprozesses zu sein. Das Aushandeln von Kompromissen und Interessenpolitik kann zu inhaltlich widersprüchlicher Politik führen. Ein Beispiel ist das Verbot der Werbung für Tabakprodukte durch die EU einerseits und die Unterstützung des Tabakanbaus in Mitgliedsstaaten der EU durch Fördermittel andererseits105. Solche Kompromisse dienen der Befriedigung verschiedener Sonderinteressen, das Interesse der Allgemeinheit an einer kohärenten Wirtschaftspolitik wird dabei vernachlässigt. Ein weiteres Beispiel kommt aus dem Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik in Form des in den achtziger Jahren vieldiskutierten sogenannten „Butterberges". Dieses Beispiel stammt aus den Untersuchungen von Fritz Scharpfüber die „Politikverflechtungsfalle"106. Diese ist eine typische institutionelle Falle, die dazu führt, dass aus einer institutionellen Logik heraus ineffiziente und problemunangemessene Entscheidungen erzeugt werden. In diesen Fällen werden Sonderinteressen auf Kosten anderer, schwächer ver105 H. P. Schneider, Ultra Vires. The EU Direktive on Tobacco Advertising under the Searchlight of Legal Opinions, in: Schneider/Stein (Hrsg.), The European Ban on Tobacco Advertising, S. 12. 106 F. Scharpf, Die Politikverflechtungs-Falle: Europäische Integration und deutscher Föderalismus im Vergleich, Politische Vierteljahresschrift 26 (1985), S. 323-356.

Das politikfeldbezogene europäische Demokratieprinzip

451

tretener Interessen, im Fall des „Butterberges" das Interesse der Allgemeinheit an verhältnismäßiger Agrarproduktion und -finanzierung, befriedigt. Genau um diesem Problem entgegenzuwirken, wurde die Kommission als unabhängiges Organ geschaffen. Der offizielle Verhaltenskodex der Kommission erwähnt ausdrücklich konsistentes Handeln als Ziel des Verwaltungshandelns107. Ihre Unabhängigkeit und auch das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts haben zum Ziel, (auch) die langfristige Glaubwürdigkeit des Handelns der EU-Institutionen sowie deren integrative Ziele zu bewahren108. Aufgrund ihrer oben erwähnten, hohen Politisierung kann die Kommission diese Aufgabe aber nicht mehr zufriedenstellend wahrnehmen. Um solchen Ergebnissen entgegenzuwirken, könnte ein unabhängiger Sachverständigenrat die Wirtschaftspolitik kontrollieren und widersprüchliche Politikergebnisse öffentlich machen. Dies würde verhindern, dass sich Sonderinteressen auf Kosten der Allgemeinheit durchsetzen.

D. Verfassungstheoretische Aspekte der Bildung unabhängiger Institutionen auf europäischer Ebene I. Institutionelles Gleichgewicht und unabhängige Institutionen I. Der Inhalt des Prinzips des institutionellen Gleichgewichts Im sogenannten Prinzip des institutionellen Gleichgewichts kann eine Anerkennung eines institutionellen Entscheidungssystems mit mehreren und auch unabhängigen Institutionen gesehen werden. Damit existiert zum ersten Mal seit der Einführung des klassischen Gewalten- und Funktionenteilungsprinzips ein Verfassungsprinzip, das Institutionen nicht nach den drei „Gewalten" einteilt, sondern ganz verschiedene Arten und unterschiedlichen Funktionen von Institutionen anerkennt.

107 Kodex für gute Verwaltungspraxis in den Beziehungen der Bediensteten der Europäischen Kommission zur Öffentlichkeit, verabschiedet am 13. September 2000, veröffentlicht am 20.10.2000 in ABl. L 267, S. 63ff. unter 2. Leitlinien für gute Verwaltungspraxis; der Kodex wurde zusammen mit der neuen Geschäftsordnung der Kommission neu verkündet am 8. Dezember 2000 in Abi. L 308, S. 32ff.; Näher zu Entstehung und Inhalt des Kodex siehe J. M. Soria, Die Kodizes für gute Verwaltungspraxis - ein Beitrag zur Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts der EG, in: Europarecht 36 (2001), S. 682-705. 108 G. Majone, The Role of Specialised Agencies in Decentralising EU Governance, S. 55 mit Verweis auf Kapitel III spricht davon, daß andererseits auch die Wahrung einer substantiellen Souveränität der Mitgliedstaaten Ziel des institutionellen Gleichgewichts sei.

452

Unabhängige Institutionen in der EU

Das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts109 wird aus der Pflicht des Art. 10 EG abgeleitet. Danach haben die Mitgliedstaaten jede Handlung zu unterlassen, die das interne Funktionieren der Gemeinschaftsinstitutionen beeinträchtige könnte. Sie haben vielmehr die Zusammenarbeit unter ihnen zu fördern110. Nach dem Prinzip des institutionellen Gleichgewichtes soll jede Institution genügend Unabhängigkeit besitzen, um ihre Aufgaben auszuüben111. Jede Institution soll berechtigt sein, unter Beachtung der Begrenzungen der Verträge ihre eigene Organisation und ihr eigenes Verfahren zu regeln. Institutionen sollen nicht in Ausübung ihrer Kompetenzen diejenigen anderer Institutionen behindern112. Vielmehr übt jede Institution ihre Aufgabe unter Beachtung der Befugnisse der anderen Institutionen aus113. Das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts spricht damit für die Anerkennung eines mehrpoligen Entscheidungssystems auf europäischer Ebene. Das verbreitete Phänomen inter-institutioneller Vereinbarungen unterstreicht die Bedeutung der institutionellen Balance, da solche Vereinbarungen nötig sind, um die Balance zwischen den konkurrierenden Interessen der Institutionen herzustellen114. In einer Erklärung zu der Abschlußakte der Konferenz des Vertrages zu Nizza wurde die Rolle inter-institutioneller Vereinbarungen zur Förderung der Kooperation zwischen den Institutionen anerkannt. Solche Vereinbarungen dürfen aber nicht die Bestimmungen der Verträge ergänzen oder ersetzen und nur mit Zustimmung der drei Institutionen Rat, Parlament und Kommission geschlossen werden. Die Deklaration kann als Reaktion auf die „Rahmenvereinbarung" zwischen Parlament und 109

Der Begriff „institutionelles Gleichgewicht" wurde erst in § 2 des Protokolls über die Anwendbarkeit der Prinzipien der Subsidiarität und Proportionalität zum Vertrag von Amsterdam in die Vertragstexte übernommen, allerdings ohne ihn zu definieren: „Die Anwendbarkeit der Prinzipien der Subsidiarität und Proportionalität sollen die allgemeinen Bestimmungen und Ziel des Vertrages, besonders hinsichtlich der Aufrechterhaltung des vollen acquis communautaire und des insitutionellen Gleichgewichtes..." . Der Begriff wurde zum ersten Mal vom EuGH in Rs. 9/56, Slg. 1957/1958, S. 133 bei Paragraph 152 - Meroni/Hohe Behörde, verwendet. Zur Entwicklung des Begriffs siehe K. Lenaerts/A. Verhoeven, Institutional Balance as a Garantuee for Democracy in EU Governance, in: Ch. Joerges/R. Dehousse (Hrsg.), Good Governance in Europe's Integrated Market, S. 36ff. 110 EuGH Rs. C-345/95, Slg. 1997 I, S. 5215, 5242 Paragraph 32 - Frankreich gegen Europäisches Parlament. 111 EuGH Rs. 5/85, Slg. 1986, S. 2585, 2615-2616, Paragraphen 37 bis 40 - AKZO Chemie/Kommission. 112 EuGH Rs. 149/85, Slg. 1986, S. 2391, 2409 Paragraph 23 - Wybot/Faure; EuGH Rs. 25/70, Slg. 1970, S. 1161, 1170 Paragraphen 8 und 9 - Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide/Köster. 113 EuGH Rs. 70/88, Slg. 19901, S. 2041, Rz. 21, 22, 23 - Parlament/Rat. 114 A. Verhoeven, The European Union, S. 207.

Das politikfeldbezogene europäische Demokratieprinzip

453

Kommission vom 5. Juli 2000 gesehen werden, die nach Ansicht des Rates das Gleichgewicht der Institutionen zu seinem Nachteil veränderte115. 2. Integrationsbedingter Hintergrund des Prinzips des institutionellen Gleichgewichts Die institutionelle Balance soll die in den Verträgen festgeschriebenen Kompetenzen der Institutionen - wie in den Verträgen festgeschrieben sichern. Ursprünglicher Grund dafür ist, dass die Regelungen, denen die Vertragsstaaten in den Verträgen zugestimmt haben, auch eingehalten werden sollen. Dadurch soll die abgeleitete demokratische Legitimität des Entscheidungsprozesses gewährleistet werden. Die Motivation zur Bildung dieses Systems war vor allem integrationsbedingt und weniger von der Idee der Sicherung demokratischer Entscheidungsstrukturen getragen. Das institutionelle Gleichgewicht beruht neben der funktionellen Aufteilung auf dem Gedanken der Repräsentation verschiedener Interessen116: dem Parlament als Bürgerkammer, dem Rat als Staatenkammer und der Kommission als Vertreterin des europäischen Interesses. Manche Autoren betonen seine normative Fundierung im republikanischen Gedankengut, um das Ziel der Verwirklichung des öffentlichen Interesses anstelle sektoraler Interessen zu betonen117. Die Repräsentation verschiedener Interessen wird meist als „funktionale Repräsentation" bezeichnet und umschreibt die Einbeziehung gesellschaftlicher Gruppierungen in den Entscheidungsprozeß118. Institutionalisierte Formen der funktionalen Repräsentation sind der Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie die von der Kommission ins Leben gerufenen Beratungskomitees unter Einbeziehung gesellschaftlicher Gruppierungen. Auch in manchen EU-Agenturen werden solche Gruppen zu Beratungen herangezogen119.

115

Agence Europe Nr. 7752 vom 6. Juli 2000. J. P. Jacque, Cours generale de droit communautaire, in: Collected Courses of the Academy of European Law 1994, S. 289. 117 So P. Craig, Democracy and Rulemaking within the EC, in: European Law Journal 1997, S. 105, 113ff. 118 Das Komitee für Wirtschaft und Soziales definiert funktionale Interessen als alle Formen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Interessengruppen wie etwa für Verbraucherschutz oder religiöse Gemeinschaften, siehe 1999 ABl. C 329 bei Punkt 8.1. 119 Beispielsweise in der Europäischen Agentur zur Evaluation medizinischer Produkte. Dazu E. Vos, Institutional Frameworks of Community Health and Safety Regulation: Committees, Agencies and Private Bodies, Oxford 1999. 116

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Unabhängige Institutionen in der EU

Im Gegensatz zu der Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Gruppen interessiert hier ein anderes, wenn auch verwandtes Verständnis von Repräsentation: Es geht um die Repräsentation allgemeiner Interessen durch unabhängige, staatliche Institutionen. Während die funktionale Repräsentation durch gesellschaftliche Gruppen meist nur auf Beratungsbefugnisse hinausläuft120, werden zur Repräsentation bestimmter Politikfelder entscheidungsbefugte Institutionen gebildet: Kommission, Zentralbanken, Wettbewerbsbehörden und Regulierungsbehörden. Diese Entwicklung wird als die eigentliche Neuerung im Repräsentationsverständnis gesehen. Die sogenannte „Meroni-Rechtsprechung" des EuGH soll das im Vertrag festgelegte institutionelle Gleichgewicht absichern. Danach ist die Errichtung einer Institution mit eigener Rechtspersönlichkeit außerhalb der in Art. 7 EG niedergelegten institutionellen Struktur der Gemeinschaft, die eine Befugnis zur autonomen Ausübung politischen Ermessens erhält, nur zulässig, wenn sie durch die Verträge selbst vorgesehen ist121. Die bereits Ende der fünfziger Jahre begründete Delegationsrechtsprechung des EuGH (sog. Meroni-Doktrin) schränkt die Möglichkeit der Delegation von Kompetenzen auf unabhängige Institutionen auf Gemeinschaftsebene stark ein. Im Urteil Meroni hat der EuGH (für die EGKS) festgelegt, dass die Delegation von Aufgaben mit Ermessensspielraum gegen die Festlegung der Verträge verstößt122. Die Rechtsprechung des EuGH im Gebiet des EGKS war (und ist) auch für den EG-Vertrag gültig. Der EuGH kritisierte, dass die Entscheidungen der mit Privaten besetzten Institutionen nicht vor dem EuGH angefochten werden konnten und die Agenturen nicht denselben verfahrensmäßigen Verpflichtungen unterlagen, wie sie für die Organe der Gemeinschaft galten, insbesondere der Begründungspflicht für Entscheidungen und des Veröffentlichens eines jährlichen Berichtes mit Daten, die für die Regierungen oder betroffenen Parteien nützlich sein könnten123. Das Urteil Meroni wurde in der Literatur vielfach kritisiert124, stand der Bildung von Agenturen 120 In diesem Sinne A. Verhoeven, The European Union, S. 215f.; Für die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf sogenannte deliberative Organe unter Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen: J. Cohen/Ch Säbel, Directly-deliberative polyarchy, European Law Journal 1997, S. 313-342; J. Cohen/J. Rogers, Associations and Democracy, London 1995. 121 K. Lenaerts, Regulating the Regulatory Process, European Law Review 1993, S. 23,42. 122 EuGH Rs. 9/56, Slg. 1958, S. 133, 152 - Meroni/Hohe Behörde. 123 Gem. Art. 47 EGKS hätte eine solche Pflicht fur Gemeinschaftsorgane bestanden. 124 M. Everson, Independent Agencies: hierarchy beaters?, European Law Journal 1995, S. 180-211; R. Dehousse, Regulation by networks in the European Community: the role of European agencies, Journal of European Public Policy 1997, S. 246-261; A. Kreher, Agencies in the European Community: a step towards administrative integration in Europe?, Journal of European Public Policy 1997, S. 225-245.

Das politikfeldbezogene europäische Demokratieprinzip

455

nach dem bisherigen Modell, ohne ausgeprägte Regulierungsbefugnisse125, aber nicht entgegen. Letztlich ist die Rechtsprechung des EuGH aber weniger als grundsätzliche und inhaltliche Absage an die Gründung unabhängiger Regulierungsinstanzen zu sehen, sondern vielmehr als eine integrationsbedingte Einschränkung der Veränderungsmöglichkeiten der europäischen institutionellen Anordnungen und Kompetenzverteilungen. IL Das Treuhandprinzip

auf europäischer

Ebene

Auch das so genannte Treuhandprinzip, das an die Stelle des auf staatlicher Ebene verbreiteten Hierarchieprinzips treten könnte, entspricht einer institutionellen Ausgestaltung der EU mit unabhängigen Institutionen. Nach Art. 10 EG treffen die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtern dieser die Erfüllung ihrer Aufgabe. Sie unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrages gefährden können126. Art. 10 EG schreibt für den Umgang verschiedener Organe untereinander damit ein Prinzip der Kooperation vor, das über ein reines Rechtsbindungsprinzip (pacta sunt servanda) hinausgeht127. Art. 10 EG wird nicht nur im Verhältnis der Gemeinschaft zu den Mitgliedstaaten angewandt, sondern auch zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen den EG-Institutionen128. Der genaue Inhalt der Vorschrift ist noch ungeklärt129, einige Aspekte sind aber bereits entwickelt worden. Im Bereich des Wettbewerbsrechts enthält Art. 10 EG die Verpflichtung, dass nationale Behörden keine materiellen Entscheidungen treffen, die im Widerspruch zu Kommissionsentscheidungen oder Entscheidungen des EuGH stehen. In prozeduraler Hinsicht verlangt Art. 10 EG, dass nationale Behörden ihre Verfahren aufschieben, wenn die europäische Kommission ein korrespon125

A. Verhoeven, The European Union, S. 261 m.w.N. Ähnliche Bestimmungen finden sich in Art. 86 EGKS und Art. 192 EAV. 127 Siehe EuGH Rs. 804/79, Slg. 1981, S. 1045 - Kommission/Vereinigtes Königreich, mit näheren Ausführungen zum Prinzip treuhänderischer Kooperation. 128 EuGH Rs. C-65/93, Slg. 1995 I, S. 643, Paragraph 23 - Parlament /Rat: „ ( . . . ) der interinstitutionelle Dialog, auf dem das Anhörungsverfahren beruht unterliegt genauso der Verpflichtung zur Zusammenarbeit wie die das Verhältnis von Mitgliedstaaten zu den Gemeinschaftsorganen (...)". Dies wurde auch in der Schlussakte der abschließenden Konferenz zum Vertrag von Nizza festgehalten, indem interinstitutionelle Arrangements als Instrumente beschrieben werden, die die Kooperation zwischen den Gemeinschaftsorganen fördern sollen, und an die die Gemeinschaftsorgane gebunden sind. 129 A. Verhoeven, The European Union, S. 307. 126

456

Unabhängige Institutionen in der EU

dierendes Verfahren eingeleitet hat, bis die Kommission eine Entscheidung gefällt hat130. Auch die Autonomie gemeinschaftlicher Institutionen bei der Ausübung von Rechtssetzungsbefugnissen hängt von der gegenseitigen Anerkennung der Normsetzungsorgane auf allen Ebenen der Gemeinschaft ab. Damit wird gegenseitige Kooperation und Loyalität zu einem Grundpfeiler des europäischen Organisationsverständnisses. Diesem Grundsatz auf EUEbene entspricht das Kooperationsverhältnis, wie es das Bundesverfassungsgericht für sein Verhältnis mit dem EuGH festgestellt hat131. Mit der breiten Anwendung des Art. 10 EG besitzt das Prinzip der Kooperation und Loyalität damit eine entscheidende Rolle auf EU Ebene132.

E. Zusammenfassung Kapitel 13 Die Interpretation des Demokratieprinzips auf europäischer Ebene kann ebenso wie die Interpretation des Demokratieprinzips auf staatlicher Ebene nur aus einem demokratietheoretischen Vorverständnis heraus erfolgen. Auch eine Ableitung des Demokratieprinzips auf europäischer Ebene aus den Vorschriften der Verträge bedarf der Ausfüllung durch eine demokratietheoretische Grundlage. In normativer Hinsicht kann auch für die europäische Ebene von der individualistischen Vertragstheorie ausgegangen werden. Inhaltlich kann ein europäischer vertragstheoretischer Ansatz auf dem Grundsatz gegenseitiger und gleichwertiger Interessenanerkennung und -berücksichtigung aufbauen. Demokratietheoretische Grundlage eines europäischen Demokratieprinzips ist wie auf staatlicher Ebene ein bestimmtes Verhältnis von normativem Maßstäben (1), gesellschaftlichen und institutionellen Gegebenheiten der jeweiligen politischen Einheit (2) sowie den tatsächlichen Abläufen politischer Entscheidungsprozesse (3). Aus diesen drei Elementen sind bestimmten Anforderungen an die Struktur europäischer Institutionen, die einen europäischen normativen Maßstab gewährleisten sollen, abzuleiten. Abzulehnen ist es daher, die Existenz eines dieser Elemente in einer bestimmten Form (etwa eine homogene Öffentlichkeit oder ein umfassend zuständiges Parlament) als Voraussetzung für eine demokratische Legitimation europäischer Institutionen anzusehen. 130 Beispielweise EuGH Rs. C-234/89, Slg. 19911, S. 935 - Delimitis; siehe auch Anmerkung über Kooperation zwischen nationalen Gerichten und der Kommission bei Anwendung von Art. 85 und 86 EG, 1993, ABl. C 39/6. 131 BVerfGE 89, 155ff. 132 So auch A. Verhoeven, The European Union, S. 358.

Das politikfeldbezogene

europäische Demokratieprinzip

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Der Integrationsgedanke entspricht dem normativen Maßstab gleichwertiger Interessenberücksichtigung insofern, als in den Verträgen Politikfelder konstitutionalisiert werden, die im zwischenstaatlichen Bereich sonst als durchsetzungsschwach im Sinne der Transaktionskostentheorie anzusehen sind. Dazu gehören grenzüberschreitende individuelle Handlungsfreiheiten (Schutz der Grundfreiheiten) und gemeinsame europäische Projekte (Forschung, Bildung), aber auch europaweite Rechtsangleichung (Regulierungen). Infolgedessen kann das in Kapitel 9 entwickelte Modell eines politikfeldbezogenen Demokratieverständnisses auch auf die europäische Ebene angewandt werden. Aus den gegenüber den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlichen politischen Entscheidungsprozessen auf europäischer Ebene ergibt sich, dass in anderen Politikfelder als auf staatlicher Ebene unabhängige Institutionen demokratisch legitim sein können. Beispielsweise ist gerade bei der Entscheidungsfindung durch Aushandeln auf europäischer Ebene bei interdependenten Politikfeldern die Vertretung weniger organisierter Mehrheitsinteressen (z.B. Lebensmittelsicherheit) im Entscheidungsverfahren durch eigene, unabhängige Institutionen, wichtig. Für die Zukunft der Kommission ergibt sich daraus, dass zur Steigerung ihrer demokratischen Legitimation nicht alle ihrer Aufgabenfelder einer verstärkten parlamentarischen Kontrolle unterstellt werden sollten. Vielmehr sollten solche Aufgabenfelder, bei denen eine gleichwertige Interessenberücksichtigung nicht gewährleistet erscheint, in unabhängiger Weise durch die Kommission oder Teile von ihr, wahrgenommen werden. Dazu zählt beispielsweise die Kontrolle der Vergabe von Beihilfen durch die mitgliedstaatlichen Regierungen. Das europarechtliche Prinzip des institutionellen Gleichgewichts ist Ausdruck dafür, dass auf europäischer Ebene nicht ein hierarchisches Exekutivprinzip vorherrscht, sondern ein Kooperationsverhältnis gleichberechtigter Institutionen. Unabhängige Institutionen passen sich in ein solches Organisationsprinzip besser ein als in ein hierarchisches Staatsverständnis.

Kapitel 14

Grenzen für die Wahrnehmung von Politikfeldern durch unabhängige Institutionen auf europäischer Ebene A. Methodische Grenzen In methodischer Hinsicht ist die Möglichkeit, unabhängige Institutionen durch den dargestellten Ansatz zu legitimieren, wie für die staatliche Ebene methodisch begrenzt: in positiver Hinsicht durch die Leistungsfähigkeit sozialwissenschaftlicher Analysen des politischen Entscheidungsprozesses, in normativer Hinsicht wiederum durch die Frage, welche politischen Maßnahmen denn nun als allgemein zustimmungsfähig anzusehen sind und wann und in welchem Maße gleichwertige Interessenberücksichtigung vorliegt. Zunächst zu den Grenzen der positiven Analyse: Insbesondere für die europäischen Entscheidungsprozesse ist es schwierig, vergleichende Daten zu sammeln, denn die institutionelle Struktur und politische Situation der europäischen Entscheidungsprozesse sind einmalig. Deswegen konnten beispielsweise auch nicht die Ergebnisse aus den bisherigen Untersuchungen über die Problematik der „Zeitinkonsistenz" auf die Lage der europäischen Währungspolitik übertragen werden. Für die europäischen Entscheidungsverfahren stehen empirische Untersuchungen noch aus. In normativer Sicht kann nicht auf einen ähnlich einheitlichen Standard wie auf staatlicher Ebene zurückgegriffen werden. Auch wenn man den Maßstab gleichwertiger Interessenberücksichtigung auf die europäische Ebene überträgt, ist die Reichweite eines europäischen normativen Maßstabs wie in Kapitel 13 gesehen noch in Entwicklung, und daher offener als auf staatlicher Ebene.

B. Inhaltliche Grenzen In inhaltlicher Hinsicht ergeben sich auf europäischer Ebene für die Bildung unabhängiger Institutionen neue Grenzen aus Besonderheiten des politischen Entscheidungsprozesses. Hauptunterschied ist, dass sich auf europäischer Ebene mit den mitgliedstaatlichen Regierungen und subnationalen Akteuren (wie einzelnen Bundesstaaten) die Politikfeldeinteilung nach dem Kosten-

Grenzen für unabhängige Institutionen in der EU

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Nutzen-Modell für einzelne Politikfelder ganz anders darstellen kann, als für die staatliche Ebene. Beispielsweise wurde oben in Kapitel 13 gezeigt, dass eine Verschuldungstendenz auf europäischer Ebene dann nicht zu erwarten ist, wenn die Vertreter der Mitgliedstaaten in Form der Regierungen weiterhin die Kontrolle über das EU-Budget behalten. Auch konnte gezeigt werden, dass das Problem der Zeitinkonsistenz für eine europäische Geldpolitik derzeit nicht genauso stark ausgeprägt ist wie für die staatliche Ebene.

C. Normative Grenzen für die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen I. Distributive Politik durch unabhängige Institutionen in der EU? 1. Die verschiedenen Ansätze a) Distributionspolitik in der EU grundsätzlich problematisch Nach der oben in Kapitel 10 angesprochenen Differenzierung von Wickseil, die später von Majone1 aufgegriffen wurde, würde die konstitutionelle Festlegung und Wahrnehmung distributiver Politik durch unabhängige Institutionen das Legitimitätsdefizit der Gemeinschaft noch verstärken. Im potentiell strittigen Bereich der Umverteilungspolitik sind danach nur unmittelbar demokratisch gewählte Institutionen auch demokratisch legitimiert. Im Bereich effizienzsteigernder Maßnahmen kann dagegen mit Einstimmigkeit für kollektives Handeln gerechnet werden. Daraus könnten in diesem Bereich auch unabhängige Institutionen demokratische Legitimation genießen. Die Gemeinschaft soll sich deshalb nach Majone auf sozialregulative Politik beschränken, wozu etwa Umwelt- und Verbraucherschutz, Arzneimittelregulierung oder Regulierung neuer Technologien gehören2. Nach einer solchen Argumentation ist eine Distributionspolitik auf Gemeinschaftsebene generell in legitimatorischer Hinsicht problematisch, also nicht nur, wenn sie durch eine unabhängige Institution, etwa die Kommission ausgeübt wird. Der Grund dafür liegt darin, dass die ganze Europäische Gemeinschaft im Verständnis des Modells als „Regulierungsstaat", als eine Art unabhängige Einrichtung zu sehen ist, eben als „fourth branch of government". An dieser

1 G. Majone, Redistributive und sozialregulative Politik, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, S. 229. 2 G. Majone, a.a.O, S. 229.

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Unabhängige Institutionen in der EU

Ansicht ist wie für die staatliche Ebene zu kritisieren, dass eine Trennung von distributiver und regulativer Politik oft nicht möglich ist und dass in theoretischer Hinsicht vom Einstimmigkeitserfordernis als demokratietheoretische Legitimationsgrundlage abgewichen wird. Tatsächlich wird auf Gemeinschaftsebene distributive Politik dagegen bereits in zweierlei Formen durch unabhängige Institutionen wahrgenommen: die Beihilfenkontrolle durch die Kommission erfolgt aufgrund einer vertraglichen, also quasi-konstitutionellen Festlegung. Bei der Verwaltung der Struktur- und Regionalfonds wirkt die Kommission ebenfalls mit, allerdings ohne vertragliche Vorfestlegungen, sondern nach Aushandeln der Rahmenbedingungen des Förderungsumfanges und der Förderungsziele durch die Vertreter der Mitgliedstaaten3. b) Distributionspolitik auch durch unabhängige Institutionen auf Gemeinschaftsebene ? Als normativer Maßstab für die Legitimierung distributiver Politik durch unabhängige Institutionen oder konstitutionelle Festlegungen ist mit dem vertragstheoretischen Ansatz auch auf europäischer Ebene vom Einstimmigkeitserfordernis auszugehen. Ein Konsens kann im Bereich der Umverteilungspolitik nicht angenommen werden, wenn man das Eigennutztheorem zugrunde legt und die Umverteilung für einige der Beteiligten einen unmittelbaren wirtschaftlichen Nachteil darstellt. Einstimmigkeit kommt nur dann zustande, wenn sich auch die Festlegung auf Umverteilung durch unabhängige Institutionen als für alle Parteien gewinnbringendes Geschäft darstellt. Weniger zutreffend als auf staatlicher Ebene erscheint in diesem Zusammenhang das „Versicherungsargument", also dass die grundsätzliche Vereinbarung über Umverteilungspolitik auch für augenblicklich Besserstehende insoweit einen Gewinn darstellt, als sie damit für eventuell schlechtere zukünftige Situationen abgesichert sind. In Europa konnten sich die einzelnen Bürger bisher im staatlichen Rahmen auf eine Mindestsicherung verlassen, eine neue Absicherung in einem europäischen Rahmen erscheint dann weder notwendig noch erwünscht. Auch auf europäischer Ebene ist das Argument zutreffend, dass nur eine gewisse Umverteilungspolitik die allgemeine Zustimmung zum Vertrag sichert und einen Anreiz darstellt, Eigentumsrechte und vereinbarte Marktöffnungen einzuhalten. Aus einem Kosten-Nutzen-Kalkül kann so auch eine 3

Siehe dazu nachfolgend die ausführliche Darstellung dieser Beispiele.

Grenzen für unabhängige Institutionen in der EU

461

Umverteilungspolitik auf europäischer Ebene gerechtfertigt werden. Auch der Grundsatz gleichwertiger Interessenberücksichtigung steht einer Wahrnehmung von Umverteilungspolitik durch unabhängige Institutionen nicht entgegen, wie an zwei Beispielen gezeigt werden kann. Eine Konstitutionalisierung von bestimmten Politikfeldern auf europäischer Ebene im Bereich von Umverteilungspolitik ergibt sich aus dem Gedanken, dass sich aufgrund des Aushandlungscharakters europäischer Entscheidungsfindung Ergebnisse einstellen können, die von keiner Seite erwünscht sind. In positiver Hinsicht ergibt sich auf europäischer Ebene beispielsweise bei Einordnung distributiver Politik in das Kosten-Nutzen-Modell ein Unterschied zur staatlichen Ebene: Auf staatlicher Ebene ist redistributive Politik oft so strukturiert, dass der Nutzen konzentriert bei einer Gruppe anfällt, die Kosten aber verbreitet sind. Den Nutzen hat meist eine kleinere Empfängergruppe oder eine Person, die Kosten trägt die „Allgemeinheit", der Steuerzahler. Um solche Politikergebnisse und ihre Folgen zu verhindern, die letztlich keiner Gruppe dienen (wegen gesamtwirtschaftlicher Ineffizienz), wurde vom ökonomischen Ansatz eine Konstitutionalisierung etwa der Steuerpolitik gefordert. Auf europäischer Ebene ist distributive Politik dagegen als ein Politikfeld anzusehen, in dem konzentrierter Nutzen grundsätzlich auch auf konzentrierte Kosten trifft: dadurch, dass es die Regierungen der Mitgliedstaaten sind, die die Nettozahlungen erbringen müssen, etwa für die Finanzierung der Strukturfonds, wird die Zahlungslast bei wenigen Akteuren gebündelt (der Nutzen fällt bei den unmittelbar profitierenden Regionen, Staaten oder Unternehmen an). In der Folge stellt sich distributive Politik auf europäischer Ebene anders als auf nationaler Ebene als ein „Verteilungskampf' konzentrierter Gruppen dar. Für diesen Bereich war grundsätzlich kein Bedarf für unabhängige Institutionen festgestellt worden, weil eine gleichmäßige Interessenberücksichtigung gewährleistet scheint. Über die Begründung des ökonomischen Ansatzes, dass es in einer solchen Konstellation zu wirtschaftlichen Ergebnissen kommen kann, die keiner Gruppe nutzen, kann allerdings auch die Legitimität unabhängiger Institutionen in einem solchen Politikfeld begründet werden. Die Konstitutionalisierung im Bereich der Beihilfenpolitik beruht beispielsweise auf der Annahme, dass ohne eine Vereinheitlichung der Vergabe staatlicher Beihilfen der Binnenmarkt nicht funktioniere. Der Nutzen einer ungeregelten Vergabe läge bei den Beihilfeempfängern und vergebenden Politikern, die Kosten bei der Allgemeinheit und den nicht berücksichtigten Unternehmen. Im Rahmen eines offenen europäischen Marktes wäre zu

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befürchten, dass sich diese Tendenz noch verstärkt, wenn versucht wird, über finanzielle Anreize nationale und regionale Wirtschaftsförderung zu betreiben. Im Endeffekt bestünde die Gefahr einer Beeinträchtigung des Binnenmarktes. Dieser aber wurde eingeführt, um über eine Effizienzsteigerung allen zu dienen. Eine Lösung für diese Konstellation stellt eine Konstitutionalisierung auf europäischer Ebene dar. Im Folgenden sollen die beiden Beispiele etwas näher ausgeführt werden. 2. Beispiele für die Wahrnehmung distributiver Politik durch unabhängige Institutionen in der EU a) Die Verwaltung der Struktur- und Regionalfonds Im Bereich der Mittelvergabe von Strukturfonds durch die Gemeinschaft wirkt die Kommission als unabhängige Institution mit. Durch die Festlegung von Förderungskriterien und der Förderungswürdigkeit von bestimmten Regionen wird vorab (durch den Rat) eine grundsätzliche Regelung über potentielle Zielgebiete und über die Höhe der Förderung getroffen4. Die nachfolgende Verwaltung von Strukturfonds durch die Kommission in Form des Ausschußverfahrens ist eine Form der Teilverschiebung von distributiver Politik auf unabhängige Institutionen5. Allerdings wird die Kommission bei der Mittelvergabe durch die Vertreter der Mitgliedstaaten politisch kontrolliert: Trifft die Kommission Maßnahmen, die nicht der Stellungnahme des Ausschusses entsprechen, wird der Rat unterrichtet. Dieser kann mit qualifizierter Mehrheit anders entscheiden als die Kommission6. In normativer Hinsicht stellt die Verwaltung der Struktur- und Regionalfonds einen Bereich von Umverteilungspolitik dar, in dem die vom ökonomischen Ansatz zugrunde gelegte Einstimmigkeit aller (wegen einer Einkommensmaximierung aller Individuen und Gruppen) nicht mehr angenommen werden kann: Die Umverteilung der Geldmittel über die Struktur- und Regionalfonds ist bei isolierter Betrachtung ein Nullsummenspiel, bei dem der Gewinn der einen Seite dem Verlust der anderen Seite entspricht. Eine potentielle Einstimmigkeit wurde über die erweiterte Betrachtungsweise und Annahme konstruiert, dass sich für alle Teilnehmer die Beteili4

Für die genauen Zahlen zu den Festlegungen siehe Th. Wellenhofer, Der Beitrag der EGRegionalpolitik, 1997. 5 Ausfuhrlich zum Verfahrensablauf in der Strukturpolitik G. Marks, Politikmuster und Einflußlogik in der Strukturpolitik, in: Jachtenfuchs/Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, S. 313-343; Th. Wellenhofer, a.a.O., S. 109f. 6 Vgl. VO Nr. 2082/93 vom 20.7.1993, Art. 29a, in: ABl. Nr. L 193, S. 31.

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gung am europäischen kollektiven Handeln im Bereich Umverteilung auszahlt, weil dadurch die Achtung bestehender Rechte gewährleistet wird. Aus dem Grundsatz gleichgewichtiger Interessenberücksichtigung wurde insbesondere auf den Aspekt der relativen Gewinnerzielung abgestellt: Die Strukturfonds dienen dem relativen Gewinnausgleich, der durch die Maßnahmen der „negativen Integration" ungleichartig bei den Bürgern der Mitgliedstaaten anfallen kann. Eine Umverteilungspolitik lässt sich damit auch für die europäische Ebene in gewissem Maße rechtfertigen. Auf der positiven Ebene stellt sich die Festlegung des finanziellen Rahmens der Strukturpolitik, bei der es um die Verteilung eindeutig messbarer Ressourcen zwischen den Mitgliedstaaten geht, nach dem Transaktionskostenansatz und nach Wilsons Modell als ein Entscheidungsprozeß in Form intergouvernementalem Aushandelns dar. In einem solchen Politikfeld aber stoßen wegen einer konzentrierten Verteilung von Kosten und Nutzen bei den betroffenen Parteien meist7 organisierte Interessen aufeinander, wodurch die demokratische Legitimation einer unabhängigen Institution in diesem Politikfeld grundsätzlich entfällt. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass die Kommission politisiert wird und damit ihre Eigenschaft als aufgabenbezogenes Organ verliert. Die Rolle der Kommission als einer unabhängigen Institution besteht dann in einem solchen Politikfeld eher darin, die Effizienz der eingesetzten Mittel zu verbessern, indem sie die Umsetzung beschlossener Mittelvergaben übernimmt. In Bezug auf andere Fragen als die der Festlegung der zu vergebenden Finanzmittel, etwa der Ausarbeitung des institutionellen Rahmens, in dem die Verhandlungen über die Strukturpolitik ablaufen werden, konnte die Kommission entsprechend Wilsons Klassifikation größeren Einfluss ausüben. Zu diesem Ergebnis kommt auch G. Marks, der den Einfluss der Kommission in den verschiedenen Phasen der Strukturfonds Verwaltung untersuchte8. An diesem Beispiel zeigt sich wieder, dass eine abstrakte Einteilung von Politikfeldern in distributiv und Regulierung der Realität nicht gerecht wird und statt dessen besser eine materielle Politikfeldeinteilung angewandt werden sollte.

7

Zu den verschieden starken Einflüssen subnationaler Akteure G. Marks, a.a.O. S. 330ff. 8 G. Marks, Politikmuster, a.a.O., S. 330ff.

Politikmuster,

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b) Die EU-Beihilfenkontrolle: Konstitutionalisierung und Wahrnehmung distributiver Politik durch eine unabhängige Institution Die Regelungen zur Beihilfenkontrolle nach Art. 87ff. EG stellen eine auf staatlicher Ebene bis dahin unbekannte Form der Konstitutionalisierung und Übertragung von Kompetenzen auf eine unabhängige Institution im Bereich der Umverteilungspolitik dar. In den Art. 87ff. EG ist geregelt worden, unter welchen Bedingungen die mitgliedstaatlichen Regierungen Subventionen an Unternehmen auszahlen dürfen. Dafür wurde ein „präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalten" geschaffen9. Diese Regelungen wurden eingeführt, um das Ziel des unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt sicherzustellen. Insofern handelt es sich zugleich um eine redistributive (Aufsicht über die Auszahlung von Steuergeldern) als auch um eine regulative Maßnahme (Effizienzsteigerung durch Herstellung unverfälschten Wettbewerbs). Deutlich wird dies an den Genehmigungstatbeständen für Beihilfen, die dann erfüllt sind, wenn das Ziel des gemeinsamen Marktes durch die Subventionen nicht gefährdet wird und die Beihilfen im Gemeinschaftsinteresse liegen. Beihilfen sind dann mit dem Gemeinsamen Markt nicht vereinbar, wenn durch sie der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt wird. Die Kommission entscheidet über die Zulässigkeit der Beihilfen. Sie kann bei ihren Entscheidungen nach Art. 87 Abs. 3 EG für die Frage, welche Beihilfen zulässig sind, auf eine weitreichende Ermessensfreiheit zurückgreifen, die allerdings der Kontrolle des EuGH unterliegt10. Dieser weitgehende und neuartige Eingriff in die Kompetenzen unmittelbar demokratisch gewählter Institutionen wurde bisher erstaunlicherweise in demokratietheoretischer Hinsicht kaum kritisiert. Die Zurückdrängung demokratischer Entscheidungsgewalt im Bereich staatlicher Beihilfen mit Hinweis darauf, es handele sich um eine Voraussetzung für wirtschaftliche Integration, stellt noch keine demokratietheoretische Begründung dar. Es handelt sich aber bei der Einführung der Beihilfenkontrolle zugleich um die Konstitutionalisierung und Übertragung eines Politikfeldes auf eine unabhängige Institution, in dem die Kosten in Form wirtschaftspolitisch ineffizienter Politik weit gestreut sind, der Nutzen aber konzentriert bei der kleinen Gruppe der Beihilfeempfanger und - mittelbar durch Absenkung von Wiederwahlrestriktionen - bei den Beihilfe gewährenden Politikern liegt. Beispielsweise kann es vorkommen, dass unrentable Industrien ihre finan9

M. Seidel, Das Verwaltungsverfahren in Beihilfesachen, in: EuR 1985, S. S. 41. J. Thiesing, Art. 92, Rz. 50, Unvereinbare und vereinbare Beihilfen, in: Groeben/ Thiesing/Ehlermann, Handbuch des Europarechts, Bd. 8. 10

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zielle Unterstützung wegen ihres hohen Organisationsgrades langfristig sichern können, obwohl dies volkswirtschaftlich wenig sinnvoll ist. Solche Felder können nach dem in dieser Arbeit entwickelten Ansatz demokratietheoretisch zulässigerweise auf Verfassungsebene geregelt und auch auf unabhängige Institutionen übertragen werden. Mit dem konsenstheoretischen Ziel einer an Effizienzgewinnen orientierten Wirtschaftspolitik, die zum Nutzen aller Parteien ist, ließe sich eine Begrenzung von Beihilfenpolitik daher vereinbaren. Aber auch mit dem normativen Ziel einer gleichwertigen Interessenberücksichtigung lässt sich eine Beihilfenbegrenzung begründen: Die von der Unterstützung unrentabler Industrien Lebenden könnten ihre Zustimmung zu einer Wirtschaftspolitik, die einen höheren Gewinn bei anderen Akteuren in Aussicht stellt, wenn sie dabei nicht schlechter gestellt werden (das heißt: Einstellung der Subventionen gegen Ausgleichszahlungen), legitimerweise nicht verweigern: Zentrale Annahme des konsenstheoretischen Ansatzes ist, dass im Rahmen kollektiver Willensbildung nur solche Interessen berücksichtigt werden, die auch die Interessen der Anderen anerkennt und gleichermaßen in ihre Willensbildung einbezieht. Eine Verweigerung der Zustimmung zur Aufgabe unrentabler und wenig zukunftsträchtigen Industrien kann mit dem Ansatz gleichwertiger Interessenberücksichtigung dann nicht legitim sein. An diesem Punkt stellen sich zugegebener Maßen nicht nur Fragen nach den normativen Grenzen des politikfeldbezogenen Ansatzes, sondern auch nach den bereits oben angesprochenen methodischen Grenzen: Wann genau Industrien als unrentabel und wenig zukunftsträchtig anzusehen sind, wird womöglich oft strittig sein und kann sich genauer ökonomischer Analyse entziehen. Neben den genannten Problemen stellen sich in der Praxis bezüglich der Wahrnehmung der Beihilfenkontrolle durch die Kommission als unabhängige Institution unerwünschte Nebeneffekte ein: seit Anfang der siebziger Jahre wird das Mittel der Wettbewerbspolitik von der Kommission immer stärker in andere gemeinschaftliche Zielsetzungen eingebunden als ursprünglich vorgesehen. Die Kommission versucht in zunehmendem Maße, sich bei der Anwendung des Instruments der Beihilfenaufsicht vom Kriterium des so genannten „Gemeinschaftsinteresses" leiten zu lassen11. Durch die Beeinflussung der Regionalpolitik der Mitgliedstaaten versuchte die Kommission eine aktive Kohäsionspolitik zu betreiben. Das Instrument der Beihilfenkon11 Vgl. R. Soltwedel u.a., Subventionssysteme und Wettbewerbsbedingungen in der EG, Theoretische Analysen und Fallbeispiele, Kiel 1988, S. 41.

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trolle wurde damit zu einem Instrument der Distributionskontrolle. Die Bedeutung dieses Vorgehens wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die mitgliedstaatliche Regionalpolitik etwa zwanzigmal so viele Mittel wie die EGRegionalfonds aufbringt12. Die ursprünglich wettbewerbspolitische Ausrichtung der Beihilfenaufsicht ging so aber im Laufe der Zeit mehr und mehr verloren13. Problematisch ist diese Entwicklung deshalb, weil die ursprüngliche Aufgabe der Wettbewerbskontrolle für gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen im Gemeinsamen Markt zu sorgen, zu Gunsten der Regionalpolitik verletzt wird14. Nach Meinung der Kommission sollen sich die Wirkungen der Strukturfondsinterventionen und der staatlichen Beihilfen ergänzen und nicht in Widerspruch zueinander stehen15. An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Übertragung großer Aufgabenbereiche mit erheblichem Ermessensspielraum auf unabhängige Institutionen zu einer Dynamik bei der Umsetzung der übertragenen Aufgaben führen kann, die ursprünglich nicht geplant war. An diesem Punkt müsste weiter auf die Frage nach den geeigneten Kontrollmechanismen für die Begrenzung der Kompetenzen unabhängiger Institutionen eingegangen werden, was aber nicht mehr Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist. II. Reversibilität von Entscheidungen als Grenze für die Festlegung von Politikfeldern Auch für die Gemeinschaftsebene ist Reversibilität von Entscheidungen ein Teil des Demokratieprinzips. Im Sinne der oben in Kapitel 6 gemachten Ausführungen gilt weiter, dass eine ständige Reversibilität von Entscheidungen nicht unbedingt als Erweiterung demokratischen Handelns gesehen werden muss. Auf europäischer Ebene stellt sich bisher bei der Festschreibung bestimmter Aufgaben und Ziele im EG-Vertrag allerdings das Problem, dass für eine Änderung dieser Ziele eine Zustimmung aller Staatenvertreter vorliegen muss und nachfolgende Ratifizierungen abzuwarten sind. Dadurch wird die Reversibilität einmal festgelegter Zielsetzungen stark eingeschränkt. Bisher wurde die Einführung des Mehrheitsprinzips auf Gemeinschaftsebene vor allem als Problem für die demokratische Legitimation von Ge12

Th. Wellenhofer, a.a.O., S. 147 m.w.N. Th. Wellenhofer, a.a.O., S. 149 m.w.N. 14 Siehe K. Lammers, Mehr regionalpolitische Kompetenzen, S. 74. 15 Siehe Kommission, Zweiter Bericht über staatliche Beihilfen in der Europäischen Gemeinschaft zugunsten der verarbeitenden Industrie und bestimmter Wirtschaftszweige, Luxemburg 1990, S. 5. 13

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meinschaftsentscheidungen gesehen, weil nur bei Einstimmigkeit alle demokratisch gewählten nationalen Regierungen ihre Zustimmung gegeben haben. Unter dem Aspekt der Revidierbarkeit von Entscheidungen als demokratisches Merkmal eines Entscheidungssystems ist die Einführung von Mehrheitsentscheidungen dagegen zu begrüßen, für das Vertragsänderungsverfahren in nächster Zeit aber nicht zu erwarten. Inhalt demokratischer Entscheidungen ist wie oben in Kapitel 6 dargelegt auch eine gewisse Reversibilität von Entscheidungen, denn Demokratie ist Herrschaft auf Zeit. Die vorrangige Festlegung der EZB auf Wahrung der Währungsstabilität im Vertrag über die Europäische Gemeinschaft vor anderen wirtschaftspolitischen Zielen wird unter anderem aufgrund dieser erschwerten Abänderbarkeit als Ausnahme vom Demokratieprinzip und nicht nur als Modifikation desselben begriffen16. Die EZB besitzt zudem gemessen an dem Kriterium der sachlichen Unabhängigkeit und des institutionellen Umfeldes17 ein großes Maß an Entscheidungsfreiheit, weil eine Statutenänderung durch die Mitgliedstaaten relativ unwahrscheinlich ist18. Darin wird teilweise ein Problem für die demokratische Legitimität der EZB gesehen, zumindest wird argumentiert, dass ein leichteres Änderungsverfahren die demokratische Legitimität der EZB erhöhen würde19. Das Beispiel der EZB bietet zugleich aber auch eine Lösung der mangelnden Revidierbarkeit von im Vertrag festgelegten Entscheidungen. Um diesem Problem entgegenzuwirken, wurde in Art. 107 Abs. V EG und Art. 41 Abs. 1, 2 ESZB-Satzung, sowie Art. 10 Abs. 6 ESZB-Satzung festgeschrieben, dass die Vorschriften der ESZB-Satzung vom Rat mit qualifizierter Mehrheit geändert werden können, wenn ihm dies einstimmig vom EZBRat empfohlen wird und das Europäische Parlament zustimmt. Dies stellt die erste Möglichkeit zu einem Vertragsänderungsverfahren dar (da die ESZBSatzung ein Protokoll zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ist), das keine mitgliedstaatliche Ratifikation erfordert: Das Änderungsverfahren nach Art. 10 Abs. 6 ESZB-Protokoll wurde beim Beschluss des Rates zur Veränderung der Zusammensetzung des EZB-Rates, des wichtigsten Entscheidungsorgans des ESZB, im März 2003 zum ersten Mal an-

16

P. Leino, The European Central Bank and Legitimacy, a.a.O., S. 34. Siehe Kapitel 1 B II 5, Institutionelles Umfeld und Unabhängigkeit. 18 P. Moser, The impact of legislative institutions on public policy: a survey, in: European Journal of Political Economy 15 (1999), S. 24. 19 P. Leino, The European Central Bank and Legitimacy, Jean Monnet Working Paper Series, 11/00, S. 34; Ebenso wohl S. Gustavsson, Reconciling Suprastatism and Democratic Accountability, Harvard Jean Monnet Working Paper 11/99 S. 15. 17

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gewandt20. Mit solchen Änderungsverfahren könnte ein Ausgleich gefunden werden zwischen dem Interesse der Vertragsstaaten an der Sicherung ihrer Interessen beim Änderungsverfahren einerseits und der Durchsetzung von Zielen in Politikfeldern, die einer Wahrnehmung durch unabhängige Institutionen bedürfen, andererseits.

D. Zusammenfassung Kapitel 14 Grenzen des politikfeldbezogenen Ansatzes zur Begründung demokratischer Legitimität unabhängiger Institutionen auf europäischer Ebene ergeben sich aus methodischen, inhaltlichen und normativen Aspekten. Methodisch gesehen stellt sich sowohl die Konkretisierung des normativen Maßstabs als auch die Analyse der politischen Entscheidungsprozesse noch komplexer als auf staatlicher Ebene dar. Wie für die staatliche Ebene gilt, dass nur ein präziser normativer Rahmen und eine empirische Nachweisbarkeit für das Bestehen einer stark ungleichartigen Anreizstruktur in einem Politikfeld die demokratische Legitimation einer unabhängigen Institution begründen kann. Inhaltlich ergeben sich Grenzen für die Bildung unabhängiger Institutionen auf europäischer Ebene grundsätzlich in denselben Konstellationen wie auf staatlicher Ebene, also wenn eine gleichwertige Interessenberücksichtigung durch bestehende, institutionelle Anreizstrukturen nicht unmittelbar gefährdet erscheint. Für die europäische Ebene war das für das Politikfeld „gemeinschaftliche Kreditaufnahme" und der „währungspolitischen Zeitinkonsistenzproblematik" festgestellt worden. In normativer Hinsicht können das Politikfeld Distributionspolitik und das Erfordernis der Reversibilität politischer Entscheidungen Grenzen für die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen auf europäischer Ebene darstellen. Allerdings kann für die Politikfelder „Kontrolle staatlicher Beihilfen" und „Strukturpolitik" nach einer Analyse der Entscheidungsprozesse die Zuständigkeit einer unabhängigen Institution wie der Kommission demokratietheoretisch gerechtfertigt werden.

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Ratsbeschluß vom 21. März 2003, ABl. L 083 vom 1. April 2003, S. 66-68, S. 66 Erwägungsgrund (3).

Zusammenfassung 1. In dieser Arbeit wird die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen wie unabhängiger Zentralbanken, Wettbewerbsbehörden, EUKommission, Regulierungsagenturen aber auch Gerichten und Rundfunkbehörden untersucht. Eine von der Gesellschaftsvertragstheorie ausgehende Analyse rechtswissenschaftlicher, ökonomischer und politikwissenschaftlicher Argumentationen für die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit und für unabhängige Institutionen in der Exekutive zeigt, dass unabhängige Institutionen in allen Gewalten als demokratisch legitim gerechtfertigt werden können. Die hingegen in der Rechtswissenschaft bislang vorherrschende Unterscheidung, dass unabhängige Institutionen mit judizieller Funktion (Gerichte, Rechnungshöfe) demokratisch legitim sind, aber unabhängige Institutionen zur Einbringung von Sachverstand (Wettbewerbsbehörden, Zentralbanken) und mit Gestaltungsaufgabe (EU-Kommission) weniger oder gar nicht demokratisch legitimiert werden können, ist aufgrund von funktionsübergreifenden Kompetenzen vieler Institutionen praktisch kaum durchhaltbar und theoretisch nicht konsistent, wie nachfolgend gezeigt wird. Die demokratische Legitimation der Ausgestaltung einer Institution ist nach einem vertragstheoretischen Ansatz und bei Einbeziehung positiver Analysen poütischer Entscheidungsprozesse nicht danach zu bewerten, in welche der drei Gewalten sie einzuordnen ist, sondern nach ihrer Aufgabenwahrnehmung und dem Politikfeld, in dem sie tätig ist. 2. Das funktionale Demokratieverständnis ordnet den drei Gewalten oder Funktionen jeweils einen organisatorischen Idealtypus zu: die unmittelbar gewählte Legislative, die unabhängige Judikative und die hierarchisch geordnete Exekutive. Letztere soll den Willen der gewählten Staatsführung und damit des Volkes, sei es in einem Präsidialsystem oder einem parlamentarischen System, dadurch möglichst unverfälscht umsetzen. Mit dem funktionalen Legitimationsmodell sind deshalb unabhängige Institutionen in politisch zentralen Aufgabengebieten - Zentralbanken für die Währungspolitik, Wettbewerbsbehörden für Wettbewerbspolitik oder eine unmittelbare Steuerung der Subventions- oder Haushaltspolitik durch die EUKommission - systematisch nicht vereinbar.

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3. Das funktionale Legitimationsmodell geht davon aus, dass eine demokratische Gleichheit aller Bürger in der kollektiven Selbstbestimmung und eine materielle Repräsentation aller Interessen am besten durch formelle und personelle Legitimationsformen (Wahlen, Mehrheitsverfahren) gewährt würden. Materielle Legitimation und die positive Analyse politischer Entscheidungsprozesse sind nach dem funktionalen Modell für die Auswahl und Legitimation von Institutionen daher letztlich nachrangig gegenüber formellen und personellen Legitimationsformen. Die Mehrheitsentscheidung in den gewählten Repräsentationsorganen ermöglicht in dieser Sichtweise eine ergebnisoffene Gemeinwohlbestimmung, an der alle Bürger über periodische Wahlen in gleicher Weise beteiligt sind. Die Staatsorganisation ist in dieser Sicht mit der Anwendung des Mehrheitsverfahrens in den Repräsentationsorganen „zielindifferent" ausgestaltet. 4. Gegen die Auffassung, dass formelle Repräsentation zugleich auch materielle Repräsentation sichert, spricht, dass, wie in der politischen Ökonomie gezeigt wird, Interessen in verschiedenen Politikfeldern unterschiedlich durchsetzungsfähig sind. Eine Durchsetzungsschwäche wird von der politischen Ökonomie insbesondere für „diffusere" allgemeine Interessen wie Währungsstabilität, gemäßigte Staatsverschuldung, Schutz des Wettbewerbs aber auch den Grundrechtschutz beispielsweise im Bereich der Rundfunkoder Forschungsfreiheit theoretisch erklärt und - soweit möglich - empirisch nachgewiesen. 5. Aus der Durchsetzungsschwäche mancher Interessen folgt, dass die Anwendung des Mehrheitsverfahrens und die hierarchische Exekutivorganisation in den genannten Politikfeldern entgegen bisheriger Auffassung in der Rechtswissenschaft nicht ergebnisoffen ist, sondern einen bestimmten Ausgang des Entscheidungsprozesses mit größerer Wahrscheinlichkeit eintreten lässt. Folglich bedeutet jede Entscheidung für ein bestimmtes Entscheidungsverfahren oder eine bestimmte Institution in den genannten Politikfeldern mit nicht organisierten, diffusen Interessen auch eine Entscheidung für ein mit gewisser Wahrscheinlichkeit eintretendes Ergebnis. 6. Die Entscheidung für eine unbegrenzte Zuständigkeit des Parlamentes für den Staatshaushalt ist beispielsweise eine Entscheidung für eine größere Wahrscheinlichkeit ansteigender Staatsverschuldung während die Übertragung von Kontrollkompetenzen für den Haushalt auf eine unabhängige Institution eine Entscheidung für eine Kontrolle der Verschuldung darstellt. Da die Auswahl eines Entscheidungsverfahrens in diesem Beispiel zugleich

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eine Entscheidung für die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein bestimmtes Ergebnis eintritt, kann von einer Zielindifferenz oder Ergebnisneutralität der Staatsorganisation bei der Auswahl der Verfahren und Institutionen nicht mehr gesprochen werden. 7. Im funktionalen Konzept wird der Wert formeller und unmittelbarer personeller Legitimation im Bereich der Legislative und Exekutive - mit Ausnahme des Aufgabengebietes Grundrechtsschutz - als absolut vorrangig vor anderen, etwa inhaltlichen (materiellen) Legitimationsformen angesehen. Es ist aber überzeugender, mit dem vertragstheoretischen Ansatz, der auch dem funktionalen Modell zugrunde liegt, anzunehmen, dass personelle Legitimation nur darauf beruht, dass Institutionen und Entscheidungsverfahren unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeit zu materieller Interessenrepräsentation und Gleichheitswahrung, also auch der mit ihnen verbundenen Ergebnistendenzen, demokratietheoretisch bewertet werden. So kann begründet werden, warum im Bereich der Gerichtsbarkeit, aber eben auch für die Währungsoder Wettbewerbspolitik die unmittelbare personelle Legitimation keine vorrangige Bedeutung vor der inhaltlichen Legitimation besitzt. Das funktionale Legitimationsmodell kann die demokratische Legitimation der unabhängigen Gerichtsbarkeit nur mit dem Hinweis auf deren enge Gesetzesbindung begründen. Dies ist aber unbefriedigend, da so etwa Rechtsfortbildung durch Gerichte, beispielsweise bei Ausfüllung von Gesetzeslücken, nicht erklärt werden kann. 8. Auf diesen Kritikpunkten am funktionalen Modell baut der ökonomische Konstitutionalismus Buchanans auf. Gedanklicher Ausgangspunkt in Buchanans Legitimationsmodell ist die Überlegung, dass Individuen bei der Auswahl der grundlegenden Entscheidungsregeln für kollektives staatliches Handeln bedenken würden, welche Ergebnistendenzen die zur Auswahl stehenden Verfahren jeweils mit sich bringen. Da sie bei der Auswahl der Institutionen und Verfahren nicht wissen, wie sich diese später auf sie selber auswirken werden, entscheiden sie unter einer natürlichen Unwissenheit, einem „Schleier des Nichtwissens". Nach Buchanan ist für eine demokratische Festlegung der staatlichen Verfahren und Institutionen ein Konsens auf konstitutioneller Ebene erforderlich. Buchanan geht davon aus, dass die auch auf konstitutioneller Ebene nach ihren Eigeninteressen handelnden Individuen sicher dann einen Konsens erzielen können, wenn eine Entscheidung getroffen wird, nach der keiner schlechter als vorher steht, aber zumindest einer besser (Pareto-Kriterium).

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9. Für die Analyse, wie die Ergebnistendenz eines Entscheidungsverfahrens oder einer Institution ausfällt, nutzt Buchanan methodisch das ökonomische Paradigma mit dem Homo Oeconomicus. Mit dieser Analysemethode beschreibt er, dass es nach der Logik des kollektiven Handelns bei Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip in den Repräsentationsorganen zu Ergebnissen kommen kann, die letztlich keinem Individuum oder keiner Gruppe nützen, etwa zur „Inflations"- oder „Verschuldungsfalle". 10. Aus dieser vertragstheoretischen Methodik leitet Buchanan ab, dass sich freie Individuen im Rahmen eines Gesellschaftsvertrages (konstitutioneller Vertrag) eine demokratische Staatsorganisation geben würden, die eine unabhängige Judikative enthält, die die individuellen Rechte sichert und eine unmittelbar gewählte Legislative, die öffentliche Güter zur Verfügung stellt. Allerdings wären Legislative und Exekutive in bestimmten Politikfeldern, etwa Haushalts- und Währungspolitik, an verfassungsrechtliche Regeln gebunden, die verhindern, dass es zu steigender Verschuldung oder Inflation kommt (verfassungsrechtliche Verschuldungsgrenzen, Verpflichtung auf Währungsstabilität). Dieses von Buchanan entworfene Verfassungsmodell kann als ein aus einem individualistischen Maßstab abgeleitetes Vorbild für die Verfassungsgebung dienen. 11. Buchanans Methodik der Ableitung demokratischer Institutionen aus dem Gesellschaftsvertrag ist überzeugender als die der funktionalen Legitimationstheorie. Jede Legitimationstheorie - auch die funktionale Theorie, s.o. 2. - muss auf einer theoretischen Ebene grundlegende Annahmen bestimmen, aus der sie dann Schlüsse auf die legitimen Verfahren und Institutionen in der Wirklichkeit zieht. Auch das funktionale Legitimationsmodell bildet ein theoretisches Vorbild, das in der realen Verfassungsgebung nachvollzogen werden muss. Es beruht aber wie unter 4. bis 6. erläutert in positiver Hinsicht auf unrichtigeren Annahmen als das Modell Buchanans. 12. An Buchanans Modell ist zu kritisieren, dass bei der Annahme, wann eine Institution oder ein Verfahren im Rahmen des Gesellschaftsvertrages konsensfähig und damit demokratisch legitim ist, nur auf einen individuellen absoluten Maßstab abgestellt wird, nämlich dass es durch eine Entscheidung jedenfalls keine Person schlechter und wenigstens einer Person besser gestellt werde (Pareto-Kriterium). Von einer konsensualen Zustimmung zu kollektivem Handeln ist unter Beachtung der individuellen Eigeninteressen aber richtigerweise nur unter einer relativen Betrachtungsweise, also der Beachtung der Tatsache, wer wie viel von einer kollektiven Maßnahme pro-

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fitiert, auszugehen. Hier liefert das „klassische" demokratietheoretische Kriterium gleichwertiger Interessenberücksichtigung einen brauchbareren, wenn auch sehr ungenauen Maßstab. 13. Auch die ökonomische Legitimationstheorie Buchanans ist normativ nicht rein prozedural und wertfrei, sondern lässt Annahmen und Wertungen in die Beurteilungen der demokratischen Legitimation von Institutionen einfließen. Die Klärung der Frage, wann ein Konsens anzunehmen ist, benötigt Annahmen darüber, welche Entscheidung als allgemein wohlfahrtssteigernd anzusehen ist. In diese Bewertung können verschiedene Wertungen einfließen. Zudem muss eine Annahme darüber getroffen werden, welche Institutionen und Verfahren denn wirklich die geeigneten sind, um die erwünschten Ziele zu erreichen. Auch diesbezüglich werden nicht immer rein objektive Kriterien zu finden sein. Allerdings räumt der ökonomische Konstitutionalismus Buchanans bei der Bewertung der demokratischen Legitimation von Institutionen und Verfahren der positiven Analyse politischer Entscheidungsprozesse einen deutlich höheren Stellenwert ein als die funktionale Legitimationstheorie, die sich vorwiegend auf formale und normative Kriterien stützt. 14. Weiterhin ist zu kritisieren, dass Buchanan zur Bereitstellung öffentlicher Güter nur Regelbindungen und keine unabhängigen Institutionen zur Erzeugung als demokratisch legitim anerkennt. Die Methodik Buchanans erlaubt aber auch eine Legitimation unabhängiger Institutionen zur Erzeugung öffentlicher Güter, also auch in den Bereichen Währungs-, Subventions- oder Haushaltspolitik, da in diesen Politikfeldern auch eine konsensuale Einigung auf die Bildung unabhängiger Institutionen im konstitutionellen Vertrag möglich scheint. 15. Majones Begrenzung der Legitimation unabhängiger Institutionen auf den Bereich der Regulierungspolitik und damit Ausschluss von distributiver Politik ist nicht haltbar, da eine solche Trennung praktisch kaum durchhaltbar und theoretisch nicht konsistent ist, wie Buchanans Analyse für die Begründung von Regelbindungen für die Bereiche der Steuer- oder Haushaltpolitik zeigt. 16. Unter Berücksichtigung der vorangegangen Kritik am ökonomischen und funktionalen Modell kann aus dem vertragstheoretischen Legitimationskonzept eine politikfeldbezogene Demokratietheorie entwickelt werden, nach der unabhängige Institutionen in solchen Politikfeldern legitim sind, in

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denen bei Zuständigkeit unmittelbar gewählter Repräsentanten eine Tendenz zu einem bestimmten (unerwünschten) Ergebnis, beispielsweise zu steigender Staatsverschuldung, nachgewiesen werden kann. Für eine generelle Bestimmung von Politikfeldern, in denen unabhängige Institutionen legitim sein können, kann auf die Klassifizierung von Politikfeldern von Wilson aus dem Bereich der Regulierungspolitik zurückgegriffen werden, die verschiedene Konstellationen des Aufeinandertreffens von organisierten und diffusen und daher schlechter vertretenen Interessen erfasst. 17. Das funktionale Modell kann den Institutionenaufbau und die Kompetenzverteilungen in der EU nicht erklären. Auf europäischer Ebene werden gegenüber der staatlichen Ebene neue Aufgabenfelder durch unabhängige Institutionen wahrgenommen, etwa die Subventions- und Haushaltskontrolle der Mitgliedstaaten durch die Kommission. Darüber hinaus ist das funktionale Modell auf der europäischen Ebene neben den bereits erwähnten Mängeln auch normativ und in seiner positiven Analyse unpassend. In normativer Hinsicht ist das Element persönlicher Legitimation auf europäischer Ebene geschwächt. Die Auswahl von Entscheidungsverfahren und Institutionen kann noch weniger als auf staatlicher Ebene mit Hinweis auf die formelle Gleichheit bei Wahlen und die Anwendung des Mehrheitsprinzips gerechtfertigt werden, da eine solche formelle Gleichheit den Besonderheiten des Integrationsprozesse nicht gerecht wird und daher nicht zustimmungsfähig ist. In positiver Hinsicht sind die Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene ganz anderer Natur als auf nationaler Ebene und können vom funktionalen Modell und seiner Institutionenstruktur nicht abgebildet werden. 18. Dagegen kann eine politikfeldbezogene Legitimationstheorie mit der dargestellten vertragstheoretischen Methodik, die bei der Auswahl der demokratisch legitimen Institutionen die Besonderheiten europäischer Entscheidungsfindung einbeziehen kann, gut auf die europäische Ebene angewandt werden und erklären, welche Aufgaben durch unabhängige und welche durch unmittelbar gewählte Institutionen wahrgenommen werden sollten. Dies können auf europäischer Ebene andere Politikfelder als auf nationaler Ebene sein. Allerdings verbleibt wie für die staatliche Ebene eine starke Ungenauigkeit auf der normativen Ebene, also der Frage, wann von einer Konsensfähigkeit für die Festlegung einer Institution oder eines Verfahrens ausgegangen werden kann.

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19. Eine politikfeldbezogene Legitimationstheorie entspricht dem Charakter des europäischen Integrationsprozesses, der nach der Beschreibung durch die (neo-)funktionale Integrationstheorie seine Dynamik aus Spill-OverEffekten zwischen verschiedenen Politikfeldern erhält. Letztlich kann aber keine der vielen Integrationstheorien - beispielsweise der deliberative Supranationalismus oder der (Neo-)Funktionalismus zu einer Präzisierung des ökonomischen Legitimationsansatzes in normativer oder in positiver Hinsicht beitragen. 20. Für die weitere Entwicklung der Institutionen in der EU kann mit dem politikfeldbezogenen Ansatz geprüft werden, welche Aufgabengebiete die Kommission in unabhängiger Weise und welche sie unter engerer Kontrolle des Parlamentes ausüben sollte. Der mehrpolige Institutionenaufbau und die vielfältigen Entscheidungsverfahren auf europäischer Ebene entsprechen jedenfalls bereits heute dem politikfeldbezogenen Legitimationsverständnis. Die Ablösung des Konzeptes eines hierarchischen Exekutivaufbaus kommt in der EU mit dem Prinzip des institutionellen Gleichgewichts zwischen den Institutionen der EU und denen der Mitgliedstaaten zum Ausdruck.

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Personenregister Aristoteles, 250f. Arrow, Kenneth, 206 Blankart, Charles B„ 285ff., 443 Böckenförde, Ernst-Wolfgang, 50ff., 54, 180ff„ 185, 261 f. Bodin, Jean, 252 Brennan, Geoffrey, 214, 224ff. Buchanan, James, 205ff., 226ff., Bumke, Christian, 191ff., 194 Coase, Ronald, 217f Dahl, Robert, 183f„ 268 Danwitz, Thomas von, 27f., 63 Dehousse, Renaud, 337, 354, 384 Dixit, Avinash, 219, 434 Downs, Anthony, 238 Dreier, Horst, 52f„ 64 Eidenmüller, Horst, 222, 227, 229 Ely, John Hart, 164f. Engel, Christoph, 70, 220f. Falke, Josef, 389ff. Featherstone, Kevin, 350f„ 379 Fehling, Michael, 25f., 41ff. Friedman, Milton, 139, 217 Grimm, Dieter, 332ff., Gröschner, Rolf, 223f., Groß, Thomas, 63f. Grzeszick, Bernd, 242ff. Haas, Ernst B„ 350f. Häberle, Peter, 194, 233f. Habermas, Jürgen, 69ff., 332, 356 Hayek, Friedrich A. von, 43, 180 Heun, Werner, 71 f. Hobbes, Thomas, 252 Homann, Karl, 210, 212, 268ff. Isensee, Josef, 304f. Joerges, Christian, 352, 355ff„ 398f.

Kaufmann, Marcel, 333f. Kelsen, Hans, 52, 80, 178, 183, 186, 429 Kirchgässner, Gebhard, 207 Kirchner, Christian, 226f„ 233ff„ 443 Klein, Eckhart, 61f. Ladeur, Karl-Heinz, 249 Leschke, Martin, 213f. Lijphart, Arend, 339f., 365ff. Lindseth, Peter, 355, 395f. Locke, John, 252f. Maihofer, Werner, 304 Majone, Giandomenico, 217ff., 321 f., 354f„ 381, 386, 451, 459f., Mayntz, Renate, 363ff„ 373f. Möllers, Christoph, 72f, 171 Montesquieu, Charles de Secondai, 253f. Moravcsik, Andrew, 361 ff. North, Douglas, 15f., 217 Olson, Mancur, 132f. Pareto, Vilfredo, 225 Petersen, Thomas, 237f. Pies, Ingo, 208, 212, 224 Rousseau, Jean-Jacques, 254f. Scharpf, Fritz W., 273ff., 367ff. Schiaich, Klaus, 62 Schmitt, Carl, 47, 80, 180, 198, 256, 304 Schuppert, Gunnar F., 19, 65, 191ff., 341 f. Stern, Klaus, 269 Tullock, Gordon, 206, 209 Vanberg, Victor, 15, 206 Vaubel, Roland, 300, 369f„ 439 Verhoeven, Amaryllis, 358ff. Waechter, Kay, 74 Wicksell, Knut, 320, 322ff. Wilson, James Q., 218f.

Sachregister Autorités Administratives Indépendantes, 93ff. Bundesverfassungsgericht - demokratische Legitimation, 80ff. - und Staatsverschuldung, 288ff. - und unabhängige Institutionen, 60f. Deliberative Theorie, 67ff„ 248f„ 355ff„ 398f. Demokratieprinzip - funktionales, 173ff. - politikfeldbezogenes, 280ff. - und Interessenberücksichtigung, 186ff. Distributive Politik, 319ff„ 459ff. Effizienzkriterien - ökonomische, 224ff. - Kritik der ökonomischen, 226, 230ff., 239ff. Eigeninteresse, 208f„ 236ff. Eigennutzannahme, s. Eigeninteresse Europäische Integration, 332ff. Federal Reserve System, 138ff. Funktionalismus - europäischer, 349ff. Funktionenteilung - historische Entwicklung, 253ff. - und unabhängige Institutionen, 40ff. Gemeinwohl, 300ff„ 444ff. Gesellschaftsvertrag, - europäischer, 428ff. - demokratietheoretischer, 250ff. - und Mehrheitsprinzip, 173ff. Gewaltenteilung, siehe Funktionenteilung Grundrechtsschutz, 312f. Homo Oeconomicus, 207ff„ 221ff„ 371 Hypothetischer Konsens, 210f„ 227ff„ 268 Independent Regulatory Commissions, 137ff. Individualismus - methodologischer, 207f. - normativer, 227 Institution - Definition, 14f. - unabhängige, 9ff.

Institutionelles Gleichgewicht, 451ff. Interesse - konstitutionelles, 238 - gleichwertige Berücksichtigung, 186ff., 431 ff. Kaldor-Hicks-Kriterium, 224ff., 263ff. Kommission - der EU, 379ff. Konsens, 21 Off., 227ff„ 268ff. Konsozietale Demokratie, 365ff. Konstitution alismus - ökonomischer, 205ff. -rechtswissenschaftlicher, 191ff. Kosten-Nutzen-Kalkül, 218ff. Legitimation - demokratische, 39ff. - durch hypothetischen Konsens, 268ff. - input und Output, 273ff„ 367ff. - personelle, 50ff„ 270ff„ 343f. - sachlich-inhaltliche, 50ff„ 270ff., 344f. Leistungsstaat, 212ff. Mehrheitsprinzip, 71f., 337ff. Ministerialfreie Räume, Neofunktionalismus, 349f. Netzwerktheorie, 363ff. Nonmajoritarian Institution, Öffentliches Gut, 212ff„ 309ff. Pareto-Kriterium, 211ff„ 224ff„ 239ff„ 318ff. Pluralismustheorie, 131ff. Politikfeld, 44ff. Präferenzen - und Demokratietheorie, 250ff. - und hypothetischer Konsens, 226ff. Rationalitätsprinzip - Ökonomisches, 209, 234 - Verwaltungsrechtliches, 63f. Rechtsschutzstaat, 212ff. Rechtsstaat, 63f., Regulierungstheorie, 215f., 353 Regulierungsstaat, 353 Republikanische Theorie, 129ff. Reversibilität von Entscheidungen, 197ff., 466ff.

508 Schleier des Nichtwissens - bei Buchanan und Rawls, 210f. - und Demokratieprinzip, 242ff. Staatsverschuldung, 220, 285ff. Supranationale Deliberation, 355ff. Transaktionskostentheorie, 215ff. Unabhängige Institution, 9ff. Unabhängigkeit - Begriff, 23ff. Verfassungsgerichtsbarkeit - Deutschland, 80ff. - Frankreich, 104ff. - Großbritannien, 124ff. - Vereinigte Staaten, 158ff. - in der EU, 416ff.

Sachregister Verschuldungsgrenzen - Deutschland, 288ff. - Großbritannien, 292ff. - Vereinigte Staaten, 291ff. Verselbständigte Verwaltungseinheiten, 19 Verwaltungseffizienz, 15ff. Währungspolitik, 296ff. Wettbewerbsbehörde - Deutschland, 56 - Frankreich, 92 - Großbritannien, 120ff. - Vereinigte Staaten, 140f. Wirtschaftsverfassung - europäische, 346

Neue Staatswissenschaft Herausgegeben von Josef Blanke, Werner Jann und Holger Mühlenkamp Die frühere deutsche Staatswissenschaft ist nicht vorstellbar ohne die Überzeugung von der Funktion des Staates als „Sinnganzes". Die wissenschaftliche Reflexion darüber war auf das Erfassen der „Gesamtheit" des Wesens des Staates gerichtet. Längst ist diese Sicht von der umfassenden Rolle des Staates gewichen, ein Anspruch auf „Gesamtheit" einer Wissenschaft im Sinne einer den Staat als Ganzes erfassenden Lehre nicht mehr einlösbar. Im Zeitalter der Globalisierung und Privatisierung stellt sich vielmehr die Frage, ob es überhaupt noch hoheitlicher Herrschaft bedarf. Der Staat hat wichtige Monopolstellungen an internationale und lokale öffentliche sowie an private Organisationen und Verbände abgetreten. Er verliert an Regelungsmacht und Schutzfunktion, an Wertsetzungs- und Durchsetzungskompetenz. Doch hat die „Entsouveränisierung" nur einen Funktionswechsel des Staates, nicht jedoch seinen Untergang zur Folge. Mit der Erklärung des Wandels der Staatlichkeit wäre eine einzige wissenschaftliche Disziplin überfordert. Nur im dialogisierenden Verbund von Ökonomen, Politologen, Rechtswissenschaftlern und Soziologen, aber auch Vertretern der Finanzwissenschaft, der Geschichtswissenschaft und der Organisationslehre läßt sich der komplexe Vorgang deuten. Eine so geläuterte Staatswissenschaft versucht, den Staat als universelles Phänomen der Gegenwart zu verstehen.

Die lieferbaren Bände: 1

Zustand und Perspektiven des deutschen Bundesstaates. Herausgegeben von Hermann-Josef Blanke und Wito Schwanengel. 2005. XIV, 242 Seiten.

2

Ladeur, Karl-Heinz: Der Staat gegen die Gesellschaft. Zur Verteidigung der Rationalität der „Privatrechtsgesellschaft". 2006. XI, 447 Seiten.

3

Bredt, Stephan: Die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen. Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen Demokratieprinzip. 2006. XVIII, 508 Seiten.

4

Kluges Entscheiden. Disziplinare Grundlagen und interdisziplinäre Verknüpfungen. Herausgegeben von Arno Scherzberg in Verbindung mit Tilmann Betsch, HermannJosef Blanke u.a. 2006. XVI, 338 Seiten. Einen Gesamtkatalog erhalten Sie gerne vom Verlag Mohr Siebeck, Postfach 2040, D-72010 Tübingen. Aktuelle Informationen im Internet unter www.mohr.de