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German Pages 289 [300] Year 2005
Werner Pascha und Cornelia Storz (Hg.)
Wirkung und Wandel von Institutionen: Das Beispiel Ostasien
Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft
Herausgegeben von Prof. Dr. Gernot Gutmann, Köln Dr. Hannelore Hamel, Marburg Prof. Dr. Helmut Leipold, Marburg Prof. Dr. Alfred Schüller, Marburg Prof. Dr. H. Jörg Thieme, Düsseldorf
Unter Mitwirkung von Prof. Dr. Prof. Dr. Prof. Dr. Prof. Dr.
Dieter Cassel, Duisburg Karl-Hans Hartwig, Münster Hans-Günter Krüsselberg, Marburg Ulrich Wagner, Pforzheim
Redaktion: Dr. Hannelore Hamel Band 77: Wirkung und Wandel von Institutionen: Das Beispiel Ostasien
Lucius & Lucius • Stuttgart • 2005
Wirkung und Wandel von Institutionen Das Beispiel Ostasien
Herausgegeben von
Werner Pascha und Cornelia Storz
Mit Beiträgen von Christoph Brumann, Doris Fischer, Rüdiger Frank, Manja Jonas, Werner Pascha, Bernhard Seliger, Cornelia Storz, Matthias Schramm und Markus Taube
Lucius & Lucius • Stuttgart • 2005
Anschriften der Herausgeber: Prof. Dr. Werner Pascha Universität Duisburg-Essen, Campus Duisburg Fachbereich für Betriebswirtschaft und Institut für Ostasienwissenschaften Lotharstraße 65 47048 Duisburg Prof. Dr. Cornelia Storz Philipps-Universität Marburg Fachbereich Wirtschaftswissenschaften und Japan-Zentrum Biegenstraße 9 35032 Marburg
Diese Publikation wurde gefordert durch den Förderverein für japanisch-deutsche Kulturbeziehungen (JaDe), Köln.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© Lucius & Lucius Verlags-GmbH • Stuttgart • 2005 Gerokstraße 51 • D-70184 Stuttgart Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Einband: ROSCH-BUCH Druckerei GmbH, 96110 Scheßlitz Printed in Germany
ISBN 3-8282-0312-4 ISSN 1432-9220
V
Vorwort Dieser Band, der die Verknüpfung von Institutionenökonomik und Ostasien thematisiert, ist als Idee im Rahmen des von uns organisierten Workshops zu Ordnung und Organisation der japanischen Wirtschaft im Rahmen der Jahrestagungen der Vereinigung für sozialwissenschaftliche Japanforschung (VSJF\ www.vsjf.net) entstanden. Im Laufe der Jahre wurde immer deutlicher, daß sich der institutionenökonomische bzw. -theoretische Zugang bei immer mehr anwendungsbezogen arbeitenden Beiträgen zu einem wichtigen methodischen Ansatzpunkt entwickelt hat. Mit dem vorliegenden Band konnten wir eine ganze Reihe von Wissenschaftlern für die Fragestellung gewinnen, wie sich der theoretische Zugang der Insitutionenanalyse in der Auseinandersetzung mit der Erfahrungswelt Ostasien bewährt. Zum ersten Mal kann sich hier dieser noch relativ junge Zweig der anwendungsbezogenen Forschung in einem etwas größeren Format darstellen. Damit möchten wir zum einen dazu beitragen, daß sich diese Aktivitäten weiter konsolidieren und gegenseitig befruchten. Zum anderen, und das ist in dieser Phase der Entwicklung der institutionenökonomisch fundierten Beschäftigung mit Ostasien vielleicht noch wichtiger, wollen wir mit diesem Band ein Gesprächsangebot an die ,allgemeine' Institutionenökonomik aussprechen. Ostasien bietet für die Institutionenökonomik hochinteressante empirische Evidenz - das zeigen die Beiträge dieses Bandes. Sie kann auch zu einer Bereicherung des analytischen Apparates selber anregen, bieten doch die Entwicklungsfragen der Region vielfältige Hinweise darauf, wie und unter welchen Umständen Systemkrisen überwunden sowie Reformpotentiale in einem Umfeld massiver Pfadabhängigkeiten und scheinbarer Lock-in Situationen ausgeschöpft werden können. Ein erstes und großes Dankeschön richtet sich an die VSJF und insbesondere an die Teilnehmer unserer Workshops für das anregende geistige Umfeld und die vielfältigen Anregungen. Den Autoren sind wir zu besonderem Dank dafür verpflichtet, sich darauf eingelassen zu haben, im Sinne eines vorab verbreiteten Referenzpapiers der Interdependenz von Methodik und Anwendung einen zentralen Platz in ihren Ausarbeitungen eingeräumt zu haben. Den Herausgebern der Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft sei herzlich für die Aufnahme in ihre Reihe gedankt, dem Förderverein fiir japanisch-deutsche Kulturbeziehungen (JaDe) für einen wertvollen Druckkostenzuschuß. Nicht zuletzt gilt unser Dank Frau Dipl.-Regionalwiss. Manja Jonas, die den Band als smooth Operator redaktionell betreut hat.
Duisburg und Marburg, im Januar 2005
Werner Pascha und Cornelia Storz
VII
Inhalt
I.
Einführung Werner Pascha und Cornelia Storz Institutionen in der Entwicklung Ostasiens: Eine Einführung
II.
3
Zur Wirkung von Institutionen Werner Pascha Die Rolle der ,rule of law' in den Wirtschaftsverfassungen Japans und Südkoreas
29
Rüdiger Frank Institutionenökonomische Theorie und regulierungspolitische Realität Südkorea und sein Telekom-Sektor
65
Manja Jonas Anreize zu technologischem Wandel Eine Betrachtung chinesischer Staatsunternehmen
99
Christoph Brumann Kyotos Dilemma: Das Stadtbild als ,commons'
III.
133
Reformen als institutioneller Wandel
Matthias Schramm und Markus Taube Institutioneller Wandel als unternehmerische Aufgabe Der Fall ,China'
171
Cornelia Storz Private Regulierung aus institutionenökonomischer Sicht Das Beispiel Japan
199
Vili
Inhalt
Bernhard Seliger Ordnungspolitik, kultureller Wandel und ausländische Direktinvestitionen in Südkorea nach 1997
229
Doris Fischer Verfugungsrechte, Verträge und institutioneller Wandel im chinesischen Mediensektor
261
Autoren
289
I. Einführung
Werner Pascha und Cornelia Storz (Hg.) Wirkung und Wandel von Institutionen. Das Beispiel Ostasiens Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft • Band 77 • Stuttgart • 2005
Institutionen in der Entwicklung Ostasiens: Eine Einführung
Werner Pascha und Cornelia Storz
Inhalt 1. Warum die Verknüpfung von Institutionenökonomik und Ostasien?
4
2. Institutionenökonomik: Wovon sprechen wir?
6
3. Was will die Institutionenökonomik erklären? Welche Fragen behandelt dieser Band? 3.1. Wirkung von Institutionen
10 10
3.1.1. Theorie der Verfügungsrechte
10
3.1.2. Transaktionskostentheorie
11
3.2. Wandel von Institutionen
12
4. Problematisierung methodologischer Annahmen
15
5. Aufbau des Buches
17
Literaturverzeichnis
23
4
Werner Pascha und Cornelia
Storz
1. Warum die Verknüpfung von Institutionenökonomik und Ostasien? Institutionenökonomik und Ostasien als analytische Methode und Erfahrungsobjekt haben in den vergangenen Jahren einen starken Aufschwung genommen. Von daher schien es nur eine Frage der Zeit, bis mit dem vorgelegten Sammelband beide Fragenkreise verknüpft werden. Der vorliegende Band ergibt sich jedoch nicht nur aus einer solch vordergründigen Wahrscheinlichkeitsrechnung'. Vielmehr vertreten wir die Ansicht, daß eine ganze Reihe vielversprechender Überlegungen für eine solche Verknüpfung spricht. Die meisten Autoren der noch jungen Institutionenökonomik stammen aus westlichen Ländern. Von daher war es naheliegend, daß der wirtschaftsempirische Hintergrund bzw. auch die Versuche der empirischen Erhärtung zunächst vornehmlich Bezug auf die westlichen Industrieländer nahmen. Gleichzeitig ist jedoch klar, daß sich Theoriegebäude mit einem universalen Anwendungsanspruch gerade auch in anderen Zusammenhängen als denen, aus welchen sie erwachsen sind, beweisen sollten. Nur so kann geklärt werden, welche vielleicht versteckten Annahmen, Voraussetzungen und Grenzen in dem Ansatz der Institutionenökonomik verborgen liegen. Im besten Fall lassen sich wertvolle Hinweise für die Weiterentwicklung der Institutionenökonomik aus der Beschäftigung mit anderen Erfahrungsbereichen gewinnen - ein Gedanke, auf den wir später noch zurückkommen werden. Für eine Erweiterung des Gegenstandsbereiches bietet sich gewiß nicht nur Ostasien an. Gerade im deutschen Sprachraum hat in den vergangenen zehn Jahren die institutionenökonomisch fundierte Beschäftigung mit den Transformationsländern Ost- und Mitteleuropas einen starken Auftrieb genommen. Dahinter stehen zwei Gründe. Zum einen haben viele der beteiligten Autoren schon vor den Umwälzungen um 1990 ordnungstheoretisch gearbeitet und damit den systemischen Zusammenhang der Volkswirtschaften des Warschauer Paktes beachtet. Zum anderen wurde Anfang der 90er Jahre deutlich, daß eine verengt neoklassische Sicht auf marktliche Mechanismen der Komplexität - und auch den unangenehmen Überraschungen - der beobachteten Wandlungsprozesse nicht gerecht wurde. Mit der Beteiligung namhafter deutschsprachiger Wissenschaftler hat sich hier ein lebhafter und fruchtbarer Zweig der Forschungslandschaft entwickelt1. Ostasien ist dagegen stärker am Rande des Aufmerksamkeitsfeldes geblieben. 2 Die schlichte räumliche Ferne, die offenkundige Andersartigkeit zumindest der sich vordergründig darbietenden sozialen und kulturellen Landschaft bis hin zum schwierigen Zugang zu den nur in ostasiatischen Sprachen zugänglichen Informationen erklären dies hinreichend. Dabei ist die Region Ostasien für die Institutionenökonomik in zweierlei Hinsicht interessant:
1
Dies wird beispielsweise in den Publikationen des Forschungsseminars Radein deutlich, das sich vor dem Hintergrund ordnungsökonomischer Traditionen der Analyse und dem Vergleich von Wirtschaftssystemen widmet. Eine Liste der Veröffentlichungen kann eingesehen werden unter: http://www.wiwi.uni-marburg.de/Lehrstaehle/VWL/WiTheo2/Radein/.
2
Vgl. dazu Pascha (2000).
Einführung
5
— Die Erklärung der prima facie eindrucksvollen Wachstums- und Entwicklungserfolge in der Region ist bisher nicht überzeugend gelungen. Ganz konträre Ansätze versuchen dies, aber keiner hat sich wirklich durchsetzen können. Was kann die Institutionenökonomik leisten? Gelingt ihr die Erklärung der historischen Phänomene besser als konkurrierenden Theorien aus der Ökonomik bzw. aus anderen Sozialund Kulturwissenschaften? Einen Beitrag könnte man insbesondere auch deshalb erhoffen, weil zumindest in populärwissenschaftlichen Ansätzen immer wieder auf institutionelle Besonderheiten der Region als Erklärungsfaktor hingewiesen wird. Die Religion, eine erfolgsorientierte Ethik, das Sparverhalten oder eine überlegene Funktionsweise von Behörden und Beamten vor dem Hintergrund bestimmter Prägungen und Verhaltensweisen seien als Stichworte genannt. Die Institutionenökonomik ist im Prinzip in der Lage, solche Funktionsvermutungen schärfer zu fassen und systematisch zu überprüfen. — Auch bezüglich der Erklärung von Problemlagen kann sich die Institutionenökonomik beweisen. Die Region Ostasien bietet in dieser Hinsicht (leider) auch hierfür einige spektakuläre Anwendungsfälle. Aufgrund der Aktualität und Tragweite dieser Fragestellung konzentriert sich der vorliegende Band auf diesen Bereich, auch wenn nicht alle der hier aufgelisteten Fragen im folgenden aufgegriffen werden. Wie kann die asiatische Finanzkrise erfaßt werden? Warum sind manche Segmente der japanischen Wirtschaft sehr erfolgreich, andere aber überhaupt nicht? Weshalb gelingt manchen Ländern der Region der Aufschwung, während andere mit scheinbar ähnlichen Voraussetzungen den take-off nicht schaffen? Warum konnte sich China neuerdings so zügig entwickeln, obwohl aus institutionenökonomischer Sicht zentrale Voraussetzungen, etwa im Bereich der Eigentumsrechte, nur sehr eingeschränkt gegeben waren? Warum fällt es vielen Ländern offenbar schwer, sich an marktliche Spielregeln zu halten? All diesen Fragen ist gemein, daß die vorliegenden Erklärungsversuche nicht unumstritten sind und in allen Fällen institutionelle Umstände anscheinend eine besondere Rolle spielen. Von einer institutionenökonomischen Auseinandersetzung mit diesen Fragen darf man sich ein systematischeres Verständnis der Zusammenhänge erhoffen. Der vorliegende Band wird nur einige dieser Fragen exemplarisch aufnehmen können. Er versteht sich nicht als in sich geschlossenes Handbuch einer institutionenökonomischen Analyse der ostasiatischen Wirtschaftsentwicklung. Nun ist es ohnehin keineswegs so, daß die Behandlung Ostasiens aus institutionenökonomischer Perspektive noch gar nicht thematisiert worden wäre. In Deutschland konnte z.B. im Jahr 1993 ein ganzseitiger Artikel in der FAZ Aufmerksamkeit erringen, in dem aus vertragstheoretischer Sicht eine „Entzauberung der (Wirtschafts-) Samurai" proklamiert wurde. 3 Im Verein für Socialpolitik werden im Ausschuß Wirtschaftssysteme und Institutionenökonomik auch asienspezifische Fragestellungen diskutiert (Eger 2002). Schließlich hat sich im Rahmen der Vereinigung für sozialwissenschaftliche Japanforschung ein Workshop zur
3
So der Titel von Krug (1993); vgl. kritisch auch Pascha (1993).
6
Werner Pascha und Cornelia
Storz
Ordnung und Organisation der japanischen Wirtschaft etabliert.4 Der relativ frühe Entwicklungserfolg von Teilen Ostasiens führt beispielsweise schnell zu der Frage, inwieweit die lange Jahre herrschende Modernisierungstheorie zur Erklärung geeignet ist; der Hinweis auf spezifisch japanische Organisationsformen konnte dabei institutionentheoretisch aufgearbeitet werden.5 Für Chinas Transformationsprozeß von einer zentralverwalteten zu einer marktlich geprägten Wirtschaft bietet sich offenbar eine Anwendung der Theorie der Eigentumsrechte an (z.B. Taube 2002). In diesem Diskurs ist der deutschsprachige Wissenschaftskontext natürlich nicht der einzige bzw. vorherrschende. Eine sehr lebhaft geführte Diskussion stammt aus Ostasien selbst und firmiert unter dem Stichwort .Comparative Institutional Analysis (CIA)'. Thema ist insbesondere eine Erklärung der japanischen Wirtschaftsentwicklung vor dem Hintergrund komplementärer institutioneller Strukturen.6 Inzwischen findet dieser Ansatz jedoch auch an prominenter Stelle im anglo-amerikanischen Raum Anwendung. So ist ein vieldiskutierter, allerdings auch umstrittener Denkansatz zum Verständnis der Wirkungsmechanismen in der japanischen Wirtschaftspolitik die Rational Choice-Schule (Ramseyer und Rosenbluth 1993). Hier wird in stringenter, vielleicht überspitzter Form argumentiert, daß sich die hohen Ministerialbeamten letztlich nur im Rahmen der von der Politik gesteckten und deren spezifischen Interessen folgenden Bahnen bewegen konnten. Andere identifizieren in (unbeabsichtigten) institutionellen Komplementaritäten begünstigende institutionelle Voraussetzungen für die Entwicklung einiger Länder Nord- und Südostasiens (Aoki 1990; Aoki und Hayami 2001). Vor diesem Hintergrund verdient der institutionenökonomische Blick auf Ostasien in der Tat vermehrte Aufmerksamkeit, und ein Beitrag dazu soll mit diesem Band geleistet werden. Er versammelt verschiedene Abhandlungen auf unterschiedlichen Ebenen einer theoriegestützten Diskussion und mit Bezug auf verschiedene Länderbeispiele. Insgesamt soll damit der Stellenwert der anwendungsbezogenen Forschung für die Institutionenökonomik, sowie auch der Institutionenökonomik für die regional studies genauer als bisher verortet und weitere Arbeiten damit angeregt werden. Wir hoffen, daß auch die nicht zu Ostasien arbeitenden Institutionenökonomen aus der Reflexion des Erfahrungs- und Erkenntnisobjektes Ostasien heraus Anhaltspunkte für eine Fortentwicklung dieses so fruchtbaren Ansatzes der modernen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften gewinnen. Im folgenden soll nun das Feld für die verschiedenen Einzelbeiträge vorbereitet werden. Dazu werden zentrale Kategorien der Institutionenökonomik kurz vorgestellt und
4
Vgl. eine Auflistung verschiedener Beiträge auf dem Server der Vereinigung für wissenschaftliche Japanforschung: http://www.vsjf.net/html/default.htm.
5
Vgl. etwa Deutschmann
6
Vgl. als Einstieg etwa Okuno und Fujiwara (1996). Davon abgesehen findet sich in den Ländern der Region insgesamt, vor dem Hintergrund unterschiedlicher Ansätze, eine inzwischen lebhafte institutionentheoretisch inspirierte Diskussion; vgl. für Japan etwa Enta (1999), Nakajima (1998) oder die im November 2004 erstmals erschienene Zeitschrift Evolutionary and Instituional Economics Review der Japan Association for Evolutionary Economics.
sozial-
(1987) mit Bezug auf das sog. Clan-Modell oder Storz (2005).
Einführung
1
im Hinblick auf die Frage diskutiert, welche Themen sich im Rahmen der anwendungsorientierten Forschung stellen könnten - und im Zweifel auch sollten. Diese Ausgangsüberlegungen lagen den beteiligten Autoren in leicht modifizierter Form vor, und sie haben darauf in verschiedener Form Bezug genommen. Wir wollten und wollen damit Anknüpfungspunkte bieten, die Institutionenökonomik mit Hilfe von - relevanten Spezialfällen weiterzuentwickeln, denn nur dann wird es gelingen, eine Institutionentheorie mit einem höheren Allgemeinheitsgrad zu formulieren. Grundlegende Hypothesen bzw. Annahmen der Institutionenökonomik sollen durch die Anwendung auf die Realität und dort vorkommende Phänomene auf Widersprüche und Inkonsistenzen untersucht werden, um so Mosaiksteine für eine Weiterentwicklung der Institutionentheorie zu liefern. Neben dem Anwendungsbezug ist es daher wichtig, andere Disziplinen zu berücksichtigen. Der vorliegende Band kann keine ,Gesamtschau' leisten, er bezieht aber für die zentrale Fragestellung nach der Bedeutung informeller Institutionen für die Wirkung und den Wandel von Institutionen andere Disziplinen mit ein.
2. Institutionenökonomik: Wovon sprechen wir? Zentrale Annahme der Institutionenökonomik ist, daß die Entwicklung von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft von der Ausgestaltung ihrer Institutionen abhängt (Eggertsson 1990). Für Nicht-Ökonomen mag dies eine triviale Erkenntnis sein; für Ökonomen war dieser Ansatz neu und erfrischend, zumal lange Zeit institutionelle Fragen kaum berücksichtigt wurden und damit die Frage nach der Wirkung von Institutionen auf die ökonomische Leistungsfähigkeit und die Frage nach dem Wandel von Institutionen ex ante ausgeschlossen wurden. 7 Zwar hatte es schon seit dem 19. Jahrhundert einen inzwischen als ,älter' bezeichneten Institutionalismus gegeben - auch die Historischen Schulen des deutschen Sprachraums können in diesem Sinne als institutionalistisch bezeichnet werden - , doch war die methodische Basis solcher Versuche problematisch, erlaubte kaum ernsthafte empirische Prüfungen und ermöglichte von daher auch keine Akkumulation von Wissen im Sinne eines gedeihenden Forschungsprogramms (Blaug 1978, S. 710-713). Mit Bezug auf ökonomische Verhaltensannahmen dies im expliziten Unterschied zu dem sogenannten ,alten Institutionalismus' (Hodgson 1994) - gelangen nun ansatzweise Erklärungen und Prognosen zur Leistungsfähigkeit und zum Wandlungsproblem von Wirtschaften in den Blickpunkt. Erstmals kann etwa beantwortet werden, warum bessere Regeln nicht befolgt werden, warum Wandel zumeist träge erfolgt oder warum die Einführung neuer Institutionen häufig nicht die erhofften Ergebnisse zeitigt. Mit dem Angebot von Erklärungsansätzen zu diesen Fragen hebt sich die Institutionenökonomik von der Neoklassik ab, die eher an logisch konsis
7
Richter und Furubotn (1999, S. 1) weisen darauf hin, daß auch strenge Vertreter der neoklassischen Tradition wie Marschall bereits in den 60er Jahren zugestanden, daß Institutionen für den Wirtschaftsprozeß eine Bedeutung haben. Dieser Frage wurde aber keine weitere wissenschaftliche Aufmerksamkeit geschenkt.
8
Werner Pascha und Cornelia Storz
tenter Argumentation als an Realitätsnähe interessiert ist. 8 Konkret geht es also u m die Frage, inwieweit reale Entwicklungen tatsächlich plausibel erklärt werden können, und wie realistisch Empfehlungen umzusetzen sind. Damit steht der vorliegende Band in der Tradition jener institutionenökonomischen Forschung, die empirische Evidenz für die entwickelten Modelle diskutiert u n d sie auf dieser Basis weiterentwickelt ( H i g g s 1996; Hocquet 1995). Die Analyse von Institutionen kann auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden. Eine sehr einfache Klassifikation, die wir hier vorschlagen, ist die Trennung zwischen der Wirkung und d e m W a n d e l von Institutionen. Als Methoden stehen hierfür die komparative Institutionenanalyse als Vergleich zwischen differenten nationalen Wirtschaftssystemen, quantitative Methoden wie ökonometrische Tests und Experimente oder qualitative Methoden wie Fallstudien zur Verfügung. 9 Der nun bereits mehrfach verwendete Begriff Institution umschreibt in seiner allgemeinsten Form das regelmäßige, in bestimmten Mustern verlaufende Verhalten von Individuen. Diese Verfestigungen von Verhalten und Verhaltenserwartungen werden durch Regeln erzeugt. North (1992, S. 3) definiert Institutionen bekanntlich als Spielregeln einer Gesellschaft, also als die „von Menschen erdachten Beschränkungen menschlicher Interaktion", die spezifische Anreize im zwischenmenschlichen Tausch schaffen. 1 0 Dadurch tragen Institutionen zur Stabilisierung von Erwartungen und damit zu einem Zuwachs an Transaktionen bei. Innerhalb dieser Regeln können die .Spieler' dieses Bild bietet sich häufig an - ihre Spielzüge frei wählen. Den Spielern stehen damit nicht mehr alle Spielzüge offen, aber innerhalb der vorgegebenen Regeln sind sie frei in ihrer Wahl. Die Tatsache der mittels Spielregeln festgelegten Handlungsfreiheit wird unterschiedlich gewertet. Die meisten Autoren heben ihre restriktive Eigenschaft hervor: „That is, institutions are defined as formal and informal social rules ... that m a y solve various problems of social interaction. B y following certain social rules the agents have either voluntarily restricted or been restricted..." (Hervorhebung durch die Herausgeber;
8
Zwar ist keineswegs geklärt, wie realitätsnah eine Theorie sein muß; erinnert sei an die Auseinandersetzung zwischen Friedman und Samuelson, in der Friedman die These vertrat, daß Theorien auch dann gültig sind, wenn sie Spezialfälle nicht erklären können, während Samuelson solche Theorien als unrealistisch kritisierte; vgl. zur Diskussion Tietzel (1981). Die Herausgeber des Bandes schließen sich allerdings der auch seitens der Institutionenökonomik vertretenen Position an, daß Theorien nicht von einem „Meer von Anomalien" (Feyerabend 1976, S. 91) umgeben sein sollten.
9
Daß letzterer Methode in den Regionalstudien häufig der Vorzug gegeben wird, hat wohl auch etwas mit dem Ausbildungsgang vieler Regionalwissenschaftler. Sie wenden i.d.R. sehr viel Zeit für die Entwicklung regionaler Kompetenz, insbesondere auch Sprachkompetenz, auf, weshalb eine Ausbildung in den quantitativen Methoden eher randständig ist. Dies ist durchaus sinnvoll, wenn es etwa um die Aufdeckung neuer Sachverhalte geht, für die der Rückgriff auf ex ante vorgegebene Daten nicht zielfuhrend sein kann (Lamnek 1995). Da sowohl quantitative als auch qualitative Methoden bekanntermaßen spezifische Vorteile haben, halten es die Herausgeber allerdings für erstrebenswert, stärker als bisher beide Methoden gemeinsam einzusetzen.
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Dies ist selbstverständlich nur eine, allerdings weitgehend akzeptierte Definition von Institution. Eine andere Definition betrachtet Institutionen nicht als Regeln, sondern als Ergebnis eines Spiels; vgl. etwa Schotter (1981).
Einführung
9
Knudsen 1993, S. 269). Andere verweisen darauf, daß gerade durch die Beschränkung von Neuem Neues ermöglicht wird - durch eine Fokussierung von Ressourcen oder durch tiefergehende Anwendungsmöglichkeiten: „Aufgrund der institutionell gewährleisteten Erwartungsstabilisation werden bestimmte Handlungen möglich, die vorher als zu riskant erschienen. Damit ist der innovatorische Aspekt der Institutionen als eine Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten beschrieben." (Hervorhebung durch den Autor; Priddat 1996, S. 17; Storz 2005). Institutionen werden in diesem Band als Summe sowohl formaler als auch informeller Regeln verstanden. Auf letzteren Institutionentypus werden wir weiter unten zu sprechen kommen. Unter formalen Regeln verstehen wir sowohl staatlich als auch privat gesetzte Regeln. Hierunter kommt in jüngerer Zeit insbesondere privat gesetzten Regeln - also etwa privatwirtschaftlichen Verträgen - unter Annahme einer grundsätzlich abnehmenden Handlungsfähigkeit des Staates eine besondere Bedeutung zu, da ihnen eine bessere Durchsetzungsfahigkeit, eine Überlegenheit in der Wissensgenese und eine Entlastung des Staates zugesprochen wird (Streit und Wohlgemuth 1997). Auch für die Länder Ostasiens muß nach der Asienkrise die Frage nach einer geeigneten institutionellen Regelung gestellt werden. Tatsächlich zielen wirtschaftspolitische Reformen, etwa in Korea oder Japan, auf eine stärkere Entlastung des Staates. Ein Mechanismus könnten z.B. unabhängige Strukturen sein, die sich losgelöst von traditionellen Beziehungsnetzen konkreten Aufgaben zu widmen hätten (Pascha 2001). Offen ist allerdings, inwieweit die vorliegenden Konzepte transferiert und an gegebene Strukturen adaptiert werden müssen bzw. können (Storz 2002b, 2004). Weiter können Institutionen in selbstdurchsetzende und nicht-selbstdurchsetzende und damit bindungsbedürftige Institutionen klassifiziert werden. In Abhängigkeit des Institutionentypus kommt damit der Sanktionskomponente ein unterschiedliches Gewicht zu; Bei nicht-selbstdurchsetzenden Institutionen spielt die Sanktionskomponente zwangsläufig eine viel größere Rolle. Eine Regelbefolgung kann durch selbstbindende informelle oder formelle Institutionen erreicht werden. Zu unterscheiden von bindungsbedürftigen Regeln sind selbstdurchsetzende Institutionen wie etwa Kompatibilitätsstandards, die keiner Kontrolle oder Sanktionierung bedürfen, da die Durchsetzung im Eigeninteresse der Anwender liegt. Für diesen Band stellt sich auf dieser Ebene zunächst vornehmlich die Aufgabe, erklärungsbedürftige Phänomene der ostasiatischen Realität in der Sprache der Institutionenökonomik zu formulieren. Bereits dies erlaubt aussagekräftige Refokussierungen des Blicks auf Ostasien. Interessante .Aha-Erlebnisse' sind beispielsweise möglich, wenn man die Manager japanischer oder koreanischer Großunternehmen nicht einfach in traditionellen Kategorien als aufopferungsvolle ,salarymen' oder - je nach ideologischem Blick - gefühllose Arbeitsameisen interpretiert, sondern auf der Basis sorgfältig identifizierter Verhaltensweisen, die durch entsprechende Verhaltenserwartungen und Sanktionen gestützt werden.
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Werner Pascha und Cornelia Storz
3. Was will die Institutionenökonomik erklären? Welche Fragen behandelt dieser Band? Die Institutionenökonomik beschäftigt sich mit zwei großen Themen: Der Wirkung von Institutionen einerseits und ihrem Wandel bzw. ihrer Genese andererseits. Beide Themenkomplexe finden sich bei den in diesem Band versammelten Beiträgen.
3.1. Wirkung von Institutionen Die Frage nach der Wirkung von Institutionen und damit ihrer Funktionalität resp. Dysfunktionalität wird besonders für Organisationen gestellt." Die Wirkung von Institutionen auf diese wird vorzugsweise über zwei Konzepte erfaßt, die durch ihre Ausgestaltung unterschiedliche Anreizstrukturen bedingen, nämlich Verfügungsrechte (,property rights') und Transaktionskosten (.transaction costs'), die in ihrer theoretischen Bearbeitung beide in die Frage der Gestaltung von Vertragsbeziehungen hinein reichen (Richter 1990). Autoren, die die Institutionenökonomik in dieser Richtung geprägt haben, sind etwa Coase (1984), North (1992), Posner (1986) oder Williamson (1981). 3.1.1. Theorie der Verfügungsrechte Die Theorie der Verfügungsrechte betrachtet Menschen als durch spezifische Rechte miteinander verknüpft. Traditionell wird dieses Rechtsbündel in unterschiedliche .Subrechte' klassifiziert: In das Recht, „eine Sache zu nutzen..., ihre Erträge einzubehalten..., ihre Form und Substanz zu verändern ..." und in das Recht, „...die Sache ... anderen ganz oder teilweise ... zu überlassen" (Richter 1990, S. 575). Ausgangspunkt der Theorie der Verfugungsrechte ist die Hypothese, daß die Zuordnung und Durchsetzbarkeit von Rechten zu Kosten führt, so daß die spezifische Ausgestaltung des Rechtsbündels Anreize setzt und so Steuerungsfunktionen wahrnimmt. Von diesen Rechten, die auch als absolute Verfugungsrechte bezeichnet werden, werden relationale oder unvollständige Verfugungsrechte unterschieden. Relationale Verfugungsrechte können im Unterschied zu absoluten Verfügungsrechten vom Schuldner durch opportunistisches Verhalten entwendet bzw. mißbräuchlich verwendet werden. Hiermit beschäftigt sich die Prinzipal-Agenten-Theorie (principle agent theory oder Vertragstheorie). Es wird dabei die Perspektive eingenommen, daß ein Prinzipal durch den Vertrag einen Auftrag erteilt, den der Agent wahrnimmt. Von daher kann man im Sinne der obigen Differenzierung auch vollständige von relationalen Verträgen unterscheiden. Probleme entstehen insbesondere dann, wenn Informationen ungleich verteilt und die Akteure bereit sind, dies auch zum Schaden des Gegenübers auszunutzen (Opportunismus). Der Agent könnte vorhandene Informationsasymmetrien nach Vertragsschluß nutzen, um gegen das Interesse des Prinzipals zu handeln (,moral hazard'). Möglicherweise kann es aber auch schon vorher zu Problemen kommen, wenn der Prinzipal mangels zuverlässiger Information falsche Entscheidungen trifft (,adverse selection'). Eine der zentralen Fragen der Institutionenökonomik ist die Frage nach geeigneten ex ante-Vorkehrungen, um ein solches Handeln auszuschließen. Diese Frage ist auch von großer Bedeutung für die prakti-
' ' Eine Institution wird dann zu einer Organisation, wenn die spielenden Spieler berücksichtigt werden. Organisationen sind daher ein Spezialfall von Institutionen.
Einführung
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sehe Politik. Ein häufig zitiertes Anwendungsbeispiel sind etwa die durchgängig höheren Verluste, die öffentliche Unternehmen im Unterschied zu privaten erwirtschaften, und die mit einer fehlenden Kontrolle des Agenten und daraus resultierenden fehlenden Anreizen für eine bessere Ressourcenplanung erklärt werden. Für Ostasien kann die Prinzipal-Agenten-Theorie ebenfalls eingesetzt werden, um interessante Erklärungen anzubieten: So etwa in bezug auf die japanische Bankenkrise in den 90er Jahren, für die argumentiert worden ist, daß die Geleitschutzpolitik des japanischen Finanzministeriums zu einem moralischen Risiko der Banken, hier im Sinne von .verstecktem Handeln', gefuhrt habe {Pascha 2003). 3.1.2. Transaktionskostentheorie Die Transaktionskostentheorie ist das zweite wichtige Instrument, mit dem die Wirkung gegebener Institutionen untersucht wird. Unter Transaktionskosten werden diejenigen Kosten verstanden, die für die Durchführung einer Transaktion anfallen, also etwa Such-, Informations-, Verhandlungs-, Kontroll- oder, in jüngerer Zeit betont, Lernkosten. Diese Kosten werden relevant, sobald Verfügungsrechte durchgesetzt, ausgehandelt, überwacht und übertragen werden. Coase (1937) und Demsetz (1968) sind die ersten und bekanntesten Vertreter dieses Forschungsansatzes. In Abhängigkeit der Organisation und der gewählten Vertragsform - hier zeigt sich die enge Verknüpfung zur o.g. Vertragstheorie - verändern sich die anfallenden Kosten. Das Unternehmen wird in dieser Perspektive nicht mehr als Beziehung zwischen In- und Outputfaktoren verstanden, sondern als Überwachungs- und Durchsetzungssystem (,governance system'), das Williamson (1981, 1990) zufolge in Abhängigkeit von der Spezifität von Investitionen und der Häufigkeit von Transaktionen unterschiedlich ausgestaltet ist. Die für eine Transaktion getätigten Kosten werden somit als ein Indikator gewählt, um die Qualität einer Institution zu bewerten12. Bei niedrigen spezifischen Investitionen und häufigen Transaktionen ist der Markt die effizienteste Organisationsform, bei hohen spezifischen Investitionen kommt eher das relationale Vertragskonzept zur Anwendung. Die Wahl der Institution erfolgt damit in Abhängigkeit der Transaktionskosten. Mit anderen Worten: Die Höhe der Transaktionskosten setzt Anreize zur Etablierung bestimmter Organisationsformen. Dieses Modell eignet sich offenbar besonders, um organisatorische Besonderheiten zu diskutieren, wie man sie im ostasiatischen Kontext so häufig findet: große Unternehmensverbünde als ,hybride' Organisationsformen, Zulieferstrukturen u.ä.. Tatsächlich hat Williamson selbst, aber natürlich auch andere Autoren, seinen Ansatz verwendet,
12
Es wurde verschiedentlich versucht, die Kosten von Transaktionen quantitativ zu erfassen. Zur Bundesrepublik Deutschland vgl. etwa Lochet (1995).
12
Werner Pascha und Cornelia Storz
um Spezifika der japanischen Industrieorganisation (vertikale ,keiretsu') im internationalen Vergleich zu erklären {Hemmert 2000).13 Ein wichtiger Beitrag der Institutionenökonomik in diesem Zusammenhang ist darin zu sehen, daß sie den Blick auf die Bedeutung von informellen Institutionen lenkt auch, mit kleinen Bedeutungsverschiebungen, als interne Institutionen, Sozialkapital, formlose Beschränkungen oder Kultur bezeichnet denn sie beeinflussen etwa in Form von Gerechtigkeitsvorstellungen oder der Einstellung zur Kooperation die Durchsetzbarkeit von Verfügungsrechten sowie die damit verbundenen Durchsetzungskosten. In Abhängigkeit des jeweiligen Kulturkreises können damit verschiedene Formen von Verfügungsrechten oder unterschiedliche Organisationsformen angemessen sein. In Abhängigkeit von der zeitlichen Präferenz für Austauschbeziehungen haben sich beispielsweise in Japan ganz eigenständige ,entrepreneurship'-Modelle etabliert, die dem europäischen und US-amerikanischen Kulturkreis fremd sind (Storz und Frick 1999). Transaktionskosten und Verfügungsrechte geben damit Kriterien für eine Beurteilung der Effizienz und Vorteilhaftigkeit von Institutionen an die Hand. Im Falle einer nichtoptimalen Steuerung des Verhaltens durch die Institution kann bzw. sollte ein Wandel von Institutionen erfolgen. Eine nicht zu unterschätzende Problematik ergibt sich allerdings dadurch, daß die Transaktionskosten immer nur innerhalb bestimmter Institutionensysteme ermittelt werden können. Streng genommen gibt es daher keinen .archimedischen Punkt', um unterschiedliche Konstellationen miteinander wirklich sauber auf ihre relative Effizienz hin zu vergleichen.' 4
3.2. Wandel von Institutionen Bisher haben wir uns vornehmlich mit der Frage nach der Wirkung von Institutionen und ihrer Bedeutung für wirtschaftliches Wachstum beschäftigt. Institutionen wurden damit als erklärende Variable eingeführt. Erweitert werden kann diese Betrachtung um den dynamischen Aspekt, also die Frage, wie sich Institutionen wandeln und was den Prozeß ihres Wandels erklärt. Damit sind Institutionen als zu erklärende Variable angesprochen. Die Genese und der Wandel von Institutionen werden - in zwei Extremposi-
13
An der hier skizzierten Vorgehensweise der Theorie der Verfugungsrechte und der Transaktionskosten wurde verschiedentlich Kritik geübt. Kritisiert wurde etwa, daß das Anliegen, Institutionen mit Hilfe von Transaktionskosten erklären zu wollen, fragwürdig sei, da unter unterschiedlich gegebenen Bedingungen die Entwicklung funktionaler Äquivalente möglich sei (Deutschmann 1988), oder etwa, daß aufgrund der Konzentration der Analyse auf die Restriktion von Umweltbedingungen das Subjekt von Transaktionen, der Unternehmer, vernachlässigt werde (Herrmann-Pillath 2000). Vgl. kritisch auch Bardhan (1989) oder Goyal und Janssen (1995).
14
Besonders der Evolutionsökonomik nahestehende Ansätze betonen, daß die Beurteilung der Effizienz von Institutionen äußerst problematisch sei. Geht man davon aus, daß Institutionen Ergebnis eines evolutionären Prozesses sind, können sie nicht rational im Sinne einer absolut effizienten Institution verstanden werden, zudem es kein exogenes Effizienzkriterium gibt, aufgrund dessen beurteilt werden kann, welche Institution die .richtige' ist; vgl. Liebowitz und Margolis (1995). Insbesondere Brennan und Buchanan (1993) haben daher betont, daß das Vertrauen in den Evolutionsprozeß begrenzt ist, so daß alle Institutionen als potentiell verbesserungsfähig eingestuft werden können, und eine Institution nur dann als effizient bezeichnet werden kann, wenn alle Betroffenen eine alternative Ordnung ablehnen würden.
Einßihrung
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tionen - .evolutionär' oder ,konstruktivistisch' behandelt. Institutionen können in dieser Perspektive aus dem Eigeninteresse von verschiedenen Individuen bzw. Akteuren spontan emergieren oder, im anderen Extremfall, intendiert konstruiert werden. Hayek (1973) ist sicherlich der bekannteste Befürworter einer spontanen Genese von Institutionen. Ihm zufolge entstehen neue Institutionen aus dem Eigeninteresse der Beteiligten. Demgegenüber steht die konstruktivistische' Position, nach der Institutionen dem Plan eines Akteurs gemäß entworfen und durchgesetzt werden können. Gemein ist beiden Typen, daß eine wirksame Nachfrage nach Institutionen und eine spezifische Anreizstruktur Voraussetzung für den Wandel bestehender und die Genese neuer Institutionen ist. Ob es sich bei diesem Wandel um eine neue oder eine veränderte Institution handelt, liegt in der Beurteilung des Beobachters. Er wird dann eine Institution als neu bezeichnen, wenn aus seiner Sicht eine Vielzahl kleinerer Veränderungen zu einem gewissen Zeitpunkt in eine neue, qualitativ andere Institution ,umkippt'. Nun ist es keineswegs so, daß eine Nachfrage nach Institutionen und begünstigende Anreizstrukturen gewissermaßen automatisch zu institutionellem Wandel führen: Unsicherheiten, Interessen, institutionelle Wechselkosten und Komplementaritäten führen im Gegenteil oftmals zu unvermuteten institutionellen Rigiditäten (Kerber und Heine 2002; Storz 2002a, 2003). Die Wirkungsmechanismen stellen sich im einzelnen wie folgt dar: Unsicherheit. Jeder Wandel ist notwendigerweise von Unsicherheit begleitet. Da Wissen in der Realität unvollständig und unbestimmt ist, wissen die Akteure zwar, daß Handlungsalternativen existieren, aber ihnen sind weder die Existenz aller Alternativen, deren Ausgestaltung, noch deren Konsequenzen hinreichend bekannt. Entscheidungen werden daher unter Unsicherheit gefällt. Da Akteure im allgemeinen zu einer Vermeidung von Unsicherheit neigen, wird institutioneller Wandel nicht nachgefragt. In Bezug auf Japan oder Korea könnte man einen solchen Zusammenhang etwa bei der nur langsam vonstatten gehenden Abkehr von langfristigen Beschäftigungsverhältnissen und weitgehend geschlossenen Arbeitsmärkten vermuten, da diesen bisher ein erheblicher Beitrag für den Unternehmenserfolg zugestanden wurde. Interessen. Die Allokationswirkung von Institutionen ist nicht für alle Mitglieder gleich. Einige Mitglieder werden von der bestehenden Institution begünstigt. Es ist anzunehmen, daß sich die Begünstigten gegen eine Veränderung der Verteilungsstrukturen stellen werden. Mit Olson (2000) kann gefragt werden, ob sich die Genese von Institutionen häufig nicht so sehr als Vertrag , freier' Individuen verstehen läßt, sondern vielmehr als Ergebnis des Handelns mächtiger Individuen, die sich mit ihren Vorstellungen auch gegen den Willen anderer durchsetzen können. In Bezug auf Ostasien erlaubt damit die Institutionenökonomik einen erfrischend nüchternen Blick auf die Motive verschiedener Akteursklassen. Viel zu oft ist in der Literatur und in den populären Vorstellungen zu Ostasien naiv-vordergründig von wohlmeinenden Bürokraten, am Gemeinwohl orientierten Führern (etwa in China oder Korea) oder folgewilligen Bürgern ausgegangen worden. Das Argument, daß japanische Manager beispielsweise keineswegs (nur) aufgrund einer kulturspezifischen Vasallentreue ihrem Unternehmen treu dienen, sondern weil sie in bestimmte Beziehungen und (implizite) Verträge eingebunden sind, stößt etwa in den bzw. gegen den Kern überkommener Vorstellungen zum scheinbar ,harmonieorientierten' Nachkriegsjapan vor.
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Wechselkosten. Das Einüben formeller und informeller Regeln verursacht Kosten. Je länger eine Institution besteht und je erfolgreicher sie war, desto höher sind diese. Auf Basis dieser fixen Kosten können neue Aufgaben mit geringeren Zusatzkosten durch existierende Institutionen übernommen werden. Mit einer neuen Institution hingegen entstehen sowohl neue fixe als auch neue variable Kosten. Individuen stehen damit immer vor der Frage, ob sich diese Investitionen lohnen. Für Ostasien stellt sich etwa die Frage, ob der vieldiskutierte Übergang zu internationalen Standards bzw. anglo-amerikanischen Mechanismen gelingen kann, selbst wenn diese - in welchem Sinne auch immer - bestimmte Vorzüge aufweisen. Bleiben die chinesischen ,guanxi'-Netzwerke etwa allein deshalb erhalten, weil in sie bereits investiert wurde und man sich ihrer deshalb auch zukünftig mit nur geringen laufenden Kosten bedienen kann (Taube und Schramm 2001)? Komplementarität. Der Begriff der Komplementarität bezieht sich auf den Umstand, daß das Funktionieren einer Institution vom Zusammenspiel mit umgebenden Institutionen abhängig und damit interdependent ist. Die Wirkung eines Sanktionsmechanismus hängt beispielsweise davon ab, ob er durch andere institutionelle Mechanismen ausgehebelt werden kann. Komplementaritäten erhöhen daher nicht nur Unsicherheit und Wechselkosten, sondern erschweren institutionellen Wandel zusätzlich, da der Wert einer Regel von anderen Regeln abhängig ist. Man mag in diesem Zusammenhang auch von einer Koevolution von institutionellen Gefügen sprechen, die nur selten ein revolutionäres Aufbrechen und eine Neuformierung von Institutionensystemen erlauben wird. Für Ostasien läßt sich ebenfalls nach solchen komplementären Strukturen fragen, etwa in Bezug auf die Zusammenhänge zwischen Finanzsystem, Unternehmenslenkung, Arbeitsbeziehungen und Innovationssystem. In der Literatur zu .nationalen Innovationssystemen', die übrigens mit einem Beitrag zu Japan eröffnet wurde (Freeman 1989), können genau solche Fragen angesprochen werden. Informelle Institutionen. Spezifische informelle Institutionen können institutionellen Wandel zusätzlich verlangsamen (oder auch beschleunigen): Eine Kultur mit einer kollektiven Bereitschaft zur Übernahme von Risiko oder mit einem hohen Glauben an die ,Machbarkeit', wie sie mit den USA identifiziert wird, wird in Fragen der Absicherung von Existenzgründern oder der Spielräume für Gentechnologie andere Positionen beziehen als eine Kultur, die risikoavers ist oder der Gestaltbarkeit von Realität engere Grenzen setzt; es ist zu vermuten, daß sich solche Kulturen bei Reformen, die den etablierten informellen Institutionen widersprechen, schwerer tun. Ebenso kann die jeweilige zeitliche Präferenz für die Dauer von Transaktionsbeziehungen den Grad der Wandlungsfähigkeit beeinflussen, da in Abhängigkeit der jeweiligen Präferenz das Problem des Gefangenendilemmas ein unterschiedliches Gewicht besitzt. Neben einer Betrachtung der Anreizbedingungen, unter denen das Individuum agiert, wird damit das gelernte Verhaltensrepertoire des Individuums und seiner kulturellen Bezugsgruppe selbst für den Wandel relevant. Die vielfaltige Literatur zur Kultur Ostasiens und die emphatische Betonung ihrer Wichtigkeit ist damit nicht mehr wie in der Neoklassik Fremdkörper, sondern durchaus im Fokus institutionenökonomischen Herangehens. Diskussionen um die Relevanz .asiatischer Werte' haben deshalb z.B. hier einen Platz, der selbstverständlich auch zu einer Reflexion methodologischer Grundprämissen zwingt.
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Die in diesem Band versammelten Beiträge setzen sich mit der hierdurch aufgeworfenen Frage von Pfadabhängigkeit auseinander, indem sie einerseits die Ursachen, andererseits Antriebskräfte für institutionellen Wandel untersuchen.
4. Problematisierung methodologischer Annahmen Damit kommen wir zu einem letzten zentralen Fragenkreis, den methodologischen Annahmen. Hiermit wollen wir künftige Forschungsfragen umzeichnen. Auch wenn sie in diesem Band nur ansatzweise berücksichtigt werden konnten, mehren sich die Hinweise, daß es sich lohnt, hier näher hinzuschauen. Grundsätzlich wird in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion anerkannt, daß es kollektiv vermittelte Werte und Wahrnehmungen gibt. Es gibt zwei Wege, um mit dieser Einsicht theoriebezogen zu arbeiten: entweder durch die Berücksichtigung unterschiedlicher Präferenzen oder, so die herkömmliche Herangehensweise, durch die Unterstellung unterschiedlicher Anreizstrukturen bzw. Rahmenbedingungen als ursächlich fur différentes Verhalten. Inwieweit sich beide Vorgehen aus .technischer' Sicht in einer verbesserten Erklärbarkeit und Prognostizierbarkeit unterscheiden, ist eine schwierig zu klärende Frage. Der methodologische Individualismus und die nutzenmaximierende individuelle Rationalität sind paradigmatischer Kern der (neo-)klassischen Ökonomie. Auch das Forschungsprogramm der Institutionenökonomik beruht im wesentlichen auf einem Verhaltensmodell, das diese beiden Annahmen zur Voraussetzung ihrer Analyse macht. Der Vorteil dieser Verhaltensannahmen ist, daß hierdurch eine mögliche Eindeutigkeit der Schlußfolgerungen gegeben ist. Insofern kann es als Erfolg bezeichnet werden, wenn sich diese Grundannahmen auch in vielen Bereichen der sozialwissenschaftlichen Nachbardisziplinen durchgesetzt haben. Der Gültigkeitsanspruch des Verhaltensmodells wird jedoch in den letzten Jahren durch wirtschaftsempirische sowie Institutionen- und evolutionsökonomische Beiträge in Frage gestellt. Die nachfolgende Darstellung will die Argumentationslinien der beiden klassischen methodologischen Verhaltensannahmen deutlich machen, um zu zeigen, wo sich aus Sicht einer anwendungsbezogenen Wissenschaft - der ostasienbezogenen Institutionentheorie - offene und nicht gelöste Probleme stellen. Methodologischer Individualismus. Die erste grundlegende Verhaltensannahme der Ökonomik ist die des methodologischen Individualismus. Ausgeschlossen wird damit herkömmlicherweise, daß kollektive Einheiten wie Gesellschaften, Staaten oder Unternehmen als Ganzheit handeln. In der Institutionenökonomik wird darüber hinaus berücksichtigt, daß Präferenzen zwischen Individuen unterschiedlich ausgestaltet sein können. Konsequent setzt die Institutionenökonomik daher an den Präferenzen und dem Verhalten der Individuen an; eine Sicht, die auch mit der wissenschaftstheoretischen Position von Popper (1977) in Zusammenhang gebracht wird. Diese Annahme hat sich ebenso in Bereichen der benachbarten Sozialwissenschaften durchgesetzt (Esser 2000, 5. 137). Die experimentelle Forschung hat demgegenüber auf die Interdependenz individueller und kollektiver Entscheidungen verwiesen, indem sie die Bedeutung von Reziprozität im sozialen Verhalten nachweist. Besonders aus Sicht der Ostasienstudien ist die Frage zu stellen, ob etwa die vielfältigen Überlegungen zu Netzwerken, Gruppen-
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dynamik oder sozialer Eingebundenheit Erkenntnisse für die Fortentwicklung der Theorie beinhalten. 15 Rationalität. Eine zweite grundlegende Verhaltensannahme in der Ökonomik ist die der Rationalität im Sinne einer individuellen Nutzenmaximierung. Das sogenannte Rationalitätspostulat wird in einer strikten und einer abgemilderten Version vertreten: In der strikten Version wird von vollkommener Rationalität ausgegangen, in der abgemilderten, auf Simon (1957) zurückgehenden Version von beschränkter Rationalität (,bounded rationality'). Innerhalb der Institutionenökonomik hat sich letzteres Konzept weitgehend durchgesetzt. Die Kritik an den herkömmlichen Verhaltensannahmen richtet sich nun erstens gegen die Modellannahmen selber, und zweitens auf einer Meta-Ebene gegen die grundsätzliche Problematik des Begriffes Rationalität'. Die Kritik an den Modellannahmen will das Eigeninteresse als menschliche Motivation nicht leugnen, aber akzeptiert und verlangt die Berücksichtigung anderer Antriebskräfte menschlichen Verhaltens (Sen 1979). Die empirische Forschung hat insbesondere auf zwei Kräfte verwiesen: die menschlichen Bedürfnisse nach Identität und nach Legitimation. In bezug auf die Frage der Identität haben die Konsistenz- und die ihr nahestehende Dissonanztheorie gezeigt, daß Individuen nach Sicherheit streben und Orientierungslosigkeit zu meiden versuchen, indem sie ihr Verhalten an bestehenden Organisationen und an anderen Akteuren ausrichten. Zwangsläufig verzichten sie damit auf den Grundsatz der Nutzenmaximierung. In der Institutionenökonomik wurde dieser Gedanke u.a. von Pizzorno (1986, S. 363) aufgegriffen, der darauf verweist, daß die Entscheidung für einen bestimmten Sachverhalt von dem Wunsch des Individuums nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe bestimmt werden kann. 16 Die Extension des Modells könnte nahezu beliebig fortgesetzt werden, so daß das Ziel .Nutzenmaximierung' zunehmend zu einem Ziel neben vielen anderen wird: So wurde in jüngeren wirtschaftsempirischen Studien nachgewiesen, daß Menschen neuen Informationen übermäßige Aufmerksamkeit zukommen lassen, woraus folgt, daß die Bildung ,ähnlicher Kategorien' erschwert wird. Ein häufig zitiertes Beispiel ist die geplatzte Aktienblase der ,new economy', und ähnlich ließe sich diese Frage auch für die Asienkrise oder die geplatzte japanische ,bubble' stellen. Zweitens, zu der grundsätzlichen Kritik am Rationalitätskonstrukt: Genauso wenig, wie es ein übergeordnetes Effizienzkriterium gibt, existiert ein übergeordnetes Rationalitätskriterium. Beim Versuch der Beantwortung dieser Frage hat der japanische Institutionenökonom Enta (1999) auf ein zwar etwas abseits liegendes, aber eindrucksvolles Beispiel verwiesen, indem er auf Indianerstämme aufmerksam macht, welche die Beutejagd von Orakelsprüchen abhängig machten. Die Jagd war damit nur bedingt nutzenmaximierend, denn weder konnte so in Gegenden mit guten Jagdbedingungen vermehrt
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Vgl. z.B. Herrmann-Pillath (1999), Imai (1990), Izushi (1997) sowie Seki (1993). Daran schließt sich natürlich die Frage an, was individuelle Nutzenmaximierung in dieser Perspektive bedeutet - an wessen Nutzen wird gedacht, an den des jetzigen Ichs? Oder an den des künftigen Ichs? Oder an den Nutzen anderer Individuen, die ja entscheidend für die eigene Identität sind? Die soziale Interdependenz wird damit zu einer wichtigen Komponente eines menschlichen Verhaltensmodells; vgl. Pizzorno (1986), Weise (1989) sowie aus psychologischer Sicht die klassischen Beiträge von Festinger und Carlsmith (1959), Heider (1944) oder Rosenberg (1960).
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gejagt werden, noch konnte leicht zu fangenden Tiere wiederholt nachgestellt werden. Arbeitsteilung und Spezialisierung stellten sich dadurch nicht ein, die Fänge waren geringer, als sie es hätten sein können. Im Sinne einer kurzfristigen Nutzenmaximierung ist dieses Verhalten wenig rational. Langfristig jedoch schützten sich die Stämme vor dem Aussterben von Tierarten, von denen sie in ihrer Lebensführung abhängig waren. Was kann nun als Rationalität bezeichnet werden? Haben sich die jagenden Stämme irrational verhalten? Das ökonomische Verhaltensmodell soll daher nicht abgelehnt, sondern lediglich als „theoretischefr] Grenzfall... des sozialwissenschaftlichen Menschen" betrachtet werden (Weise 1989, S. 160). Die methodologischen Fragen kann dieser Band nur streifen. Die Auseinandersetzung mit methodologischen Ansätzen verbleibt aber als wichtige künftige Forschungsfrage.
5. Aufbau des Buches Der vorliegende Band versteht sich nicht als handbuchartige Zusammenstellung zentraler Entwicklungsfragen einer vermeintlichen Erfahrungswelt ,Ostasien'. Vielmehr versuchen die Beiträge, auf ganz unterschiedliche, aber theoretisch interessant scheinende Fragen ein institutionenökonomisches Instrumentarium Einzuwenden und auf dieser Basis seine Brauchbarkeit zu reflektieren. Sie setzen sich insbesondere mit den Wirkungen und dem Wandel von Institutionen auseinander und greifen einzelne, hiermit in Zusammenhang stehende Fragestellungen der Institutionenökonomik in bezug auf Ostasien auf. Damit sind sehr unterschiedliche Ansätze in diesem Band vereint (Verfugungsrechte, Transaktionskostentheorie, Pfadabhängigkeit etc.). Wir sind der Auffassung und Hoffnung, daß gerade dadurch die Fruchtbarkeit der Anwendung institutionenökonomischer Theorien auf fremde Kulturkreise deutlich werden kann. Mit der Wirkung von Institutionen setzt sich ein der Einleitung (Abschnitt I) folgender zweiter Teil auseinander (Abschnitt II). In vier Beiträgen wird die Wirkung von Institutionen in bezug auf Japan, Südkorea und China behandelt. Der Aufsatz von Werner Pascha (Kapitel 2) untersucht in komparativer Sicht die Rolle der ,rule of law' in den Wirtschaftssystemen Japans und Koreas; zwei Länder, die als entwickelte Volkswirtschaften vor ähnlichen Problemen stehen. Der Beitrag versucht, auf einer grundlegenden Ebene die Ursachen der gegenwärtigen Restriktionen von Reformen zu verorten. Dabei macht er eine bisher nicht glaubwürdig gelungene Regelbindung der Wirtschaftspolitik sowie ein damit zusammenhängendes fehlendes Vertrauen in ernsthafte wirtschaftspolitische Reformen aus. Gleichwohl könnte sich in beiden Länder eine stärkere Regelbindung abzeichnen, die der politikökonomischen These einer zunehmenden Sklerose entwickelter Gesellschaften widerspricht. Von besonderem Interesse sind dabei ausländische bzw. supranationale Einflüsse (IWF, OECD etc.). Anders als oft vermutet stützt diese Ebene nicht unbedingt immer eine überzeugende Regelbindung im nationalen Rahmen; vielmehr kann das Interesse an .schnellen Resultaten' eine rule of law-Orientierung auch schwächen. Der Vergleich beider Länder in historischer Perspektive zeigt schließlich, daß autokratische Regime über Mechanismen verfugen, um i.w.S. wachstumsförderliche Instrumente zur Sicherung und Durchsetzung von Eigentums-
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rechten mit einer Politik der Rentensicherung und des Machterhalts in anderen Arenen zu verbinden. Der Beitrag von Rüdiger Frank (Kapitel 3) greift die Frage der Regelbindung und Regelabweichung auf und diskutiert sie vertieft für Korea. Insbesondere geschieht dies in bezug auf Reformen im Telekommunikationssektor, die besonders in der letzten Dekade intensiv vorangetrieben wurden. Auch er stellt eine deutliche Diskrepanz zwischen kodifizierten Institutionen und der Realität fest, und fuhrt sie ähnlich wie Pascha auf unterschiedliche informelle Institutionen zurück. In der Tat dürfte die Analyse des Beitrags von informellen Institutionen zur Regelabweichung aus der kritischen Distanz sehr viel einfacher fallen, was den Ansatz einer Verknüpfung von Institutionenökonomik und Ostasien bestärkt, gleichzeitig aber auch erklärt, warum einzelne Bereiche der Institutionenökonomik wie etwa die Verfassungsökonomik bisher kulturellen Fragen wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben. Das Beispiel der Reformen in Südkoreas Telekommunikationssektor zeigt zudem auch, wie wichtig eine Auseinandersetzung mit den methodologischen Annahmen der Wirtschaftswissenschaft ist, da die Fallstudie die Vermutung erhärtet, daß rationales Verhalten ein Verhaltensmodell unter vielen ist, das sich situativ im Wettbewerb der (informellen) Institutionen behaupten muß. Vereinen lassen sich Institutionentheorie und Rationalitätsannahme allerdings durch die Vermutung, daß etablierte Institutionen dann durch neue abgelöst werden, wenn die Kosten der Erhaltung höher sind als die der Reform der bestehenden Institutionen und der erwartete Nutzen über dem gegenwärtig erzielten liegt. Der Beitrag von Manja Jonas (Kapitel 4) widmet sich einem speziellen Politikbereich, nämlich der chinesischen Innovationspolitik und den durch sie erzeugten Anreizen zu technologischem Wandel. Am Beispiel der chinesischen Staatsuntemehmen untersucht sie, aufgrund welcher Anreizstrukturen es zu der beobachtbaren Verzerrung in der Auswahl von Technologieprojekten kommt: Tangible, .sichtbare', und damit reputationsträchtige Kapitalgüter werden in der Auswahl von Technologieprojekten bevorzugt gegenüber Projekten (z.B. zur Akquisition von Managementwissen), die weniger öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen, dem technologischen Fortschritt aber u.U. dienlicher sind. Damit stellt die Autorin eine bislang weniger beachtete informelle Institution, nämlich die des Prestiges, als eine wichtige verhaltensregulierende Kraft in den Vordergrund. Sowohl Prinzipale als auch Agenten haben damit keinen Anreiz, in weniger sichtbare Technologien zu investieren; eine Aussage, die die Nachhaltigkeit der Wirtschaftsentwicklung in China in einem kritischen Licht erscheinen läßt und zudem eine ganz grundsätzliche Problematik der Entwicklungsökonomik berührt. Damit steht der Beitrag in einem scheinbaren Gegensatz zu demjenigen von Schramm und Taube in diesem Band (vgl. unten), die durch unternehmerische Initiative starken institutionellen Wandel konstatieren. Im Detail löst sich dieser Widerspruch jedoch auf: rascher institutioneller Wandel wird nur dort konstatiert, wo die Gesetze und Regulierungen wenig Anknüpfungspunkte in den stärker verankerten internen Institutionen finden - um die Wandlungsresistenz genau dieser internen Institutionen geht es aber bei Jonas. Zudem unterscheidet sich der Lokus institutioneller Innovationen räumlich von den Zentren staatlicher Industrieunternehmen.
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Christoph Brumann (Kapitel 5) wendet institutionelle Konzepte auf eine Fragestellung an, deren Relevanz ursprünglich von der ethnologischen Forschung aufgedeckt wurde, nämlich die Nutzung und den Erhalt kollektiver Güter. Konkretes Anwendungsbeispiel ist das Stadtbild der ehemaligen japanischen Kaiserstadt Kyoto. Für Ökonomen ungewöhnlich, aber um so aufschlußreicher, widmet sich der Beitrag zunächst einer Erfassung der möglichen Richtungen und Arten der Extemalitäten von Bauwerken, und klassifiziert dann das Stadtbild von Kyoto als spezifische Ausprägung eines Kollektivguts. Strukturelle Ursachen für die fehlenden Erhaltungsmaßnahmen sieht der Autor in der einseitigen Zuschreibung von Verfügungsrechten begründet, deren rücksichtslose Durchsetzung aufgrund einer Erosion bisher wirksamer Selbstregulierung durch Nachbarschaftsbewohner nicht mehr sanktioniert werden kann. Gleichwohl zeichnen sich erste Reformschritte durch die Anerkennung des Stadtbildes von Kyoto als zu schützendes Kollektivgut ab, initiiert durch die Zentralverwaltung in Tokyo. Die positive Analyse der Gründe für diesen erneuten institutionellen Wandel kann an dieser Stelle nicht geleistet werden, zeigt aber auf, wie ungenügend bzw. vordergründig bisher die Auseinandersetzung mit dieser Problemstellung erfolgt ist. Der sich anschließende Abschnitt III setzt sich primär mit den Antriebskräften institutionellen Wandels auseinander, auch hier bezogen auf Japan, Südkorea und China. (Daß sich die Beiträge beider Abschnitte nicht völlig überschneidungsfrei entweder nur mit ,Wirkung' oder mit ,Wandel' befassen, versteht sich dabei von selbst.) Die ersten drei Beiträge (Schramm und Taube; Storz; Seliger) widmen sich dabei, angewendet auf unterschiedliche Politikfelder und Regionen, einer ganz ähnlichen Frage, nämlich den Ursachen des institutionellen Wandels und der Rolle von informellen Institutionen, Einstellungen und kognitiven Modellen, wie sie in unternehmerischer Initiative und politischem Unternehmertum erfahrbar werden. Matthias Schramm und Markus Taube (Kapitel 6) analysieren die Ursachen für den erstaunlichen institutionellen Wandel, der sich in China vollzogen hat. Sie erklären die Dynamik des Transformationsprozesses mit dezentralen Impulsen unternehmerischer Triebkräfte. Damit werden für ihre Analyse Transaktionskosten bedeutsam, die allerdings aufgrund ihrer unterschiedlichen Einbettung je nach Kontext unterschiedlich hoch ausfallen können und so erklären, warum institutionelle Prozesse in der Realität so erstaunlich differieren. Ein Blick in die jüngste Geschichte und die Erfahrung in den osteuropäischen Transformationsstaaten zeigt, daß Wandel schwierig zu bewältigen ist und nicht gewissermaßen automatisch durch Unternehmertum angeregt werden kann. Damit betonen sie, ähnlich wie der nachfolgende Beitrag von Storz, die Rolle von Lernprozessen und unternehmerischer Findigkeit, durch die Pfadabhängigkeiten gewissermaßen durchbrochen und Prozesse institutionellen Wandels eingeleitet werden können. Eine überragende Rolle für die erfolgreichen Reformen in China hat dabei paradoxerweise die Schattenwirtschaft gespielt, über die Transaktionen sehr viel effizienter organisiert werden konnten, woraus ein Druck auf die ordnungspolitischen Entscheidungsträger resultierte, die dort getätigten Innovationen in die reguläre Wirtschaft zu überführen. Die politische Führung zeichnet sich in dieser Interpretation durch ein erfolgreiches ModellLernen aus; kreative Lösungen werden dort aber nicht generiert.
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Der nachfolgende Beitrag von Cornelia Storz (Kapitel 7) greift den Gedanken unternehmerischer Findigkeit auf der Ebene von intrapreneurs auf und diskutiert deren Rolle für die Bewältigung umweltpolitischer Reformen in Japan. Der Beitrag setzt an der Beobachtung an, daß kooperative Lösungen in zahlreichen Bereichen der Wirtschaftspolitik an Bedeutung gewinnen. Aufgrund der fehlenden Selbstdurchsetzung dieser Verträge wird ihnen herkömmlich eher skeptisch begegnet, es sei denn, eine glaubwürdige und abschreckende Sanktionierung ist gegeben. Die enormen Reformanstrengungen, die in japanischen Unternehmen nach Einführung der internationalen, nicht selbstdurchsetzenden Norm ISO 14.000 beobachtet werden können, werden in diesem Beitrag mit einer gelungenen Aktivierung interner Institutionen auf der Ebene der individuellen Akteure in den einzelnen Unternehmen erklärt, die zum einen auf eine latente Bereitschaft, sich an der Erzeugung öffentlicher Güter zu beteiligen, erklärt werden kann, als auch zum anderen mit erwarteten Gewinnen, die sich durch die Implementierung der Norm zeigten. Der Wirtschaftspolitik fällt die Aufgabe zu, die Zustimmung zu diesen Reformen durch das bereits etablierte Netzwerk von Politik, Unternehmen und Verwaltung vorzubereiten und einen Wandel in der Perzeption von umweltfreundlichem Verhalten einzuleiten. Der Beitrag von Bernhard Seliger (Kapitel 8) zu Ordnungspolitik, kulturellem Wandel und ausländischen Direktinvestitionen in Südkorea nimmt die Frage des Wandels formaler und informeller Institutionen in Abhängigkeit von der Perzeption und dem wirtschaftspolitischen Diskurs auf. In wohlfahrtsökonomischen Ansätzen wird davon ausgegangen, daß ein maximaler Wohlfahrtsgewinn durch ausländische Direktinvestitionen erreicht wird. Südkorea hingegen war bis zur Asienkrise eine Marktwirtschaft mit im internationalen Vergleich sehr geringen Volumina ausländischer Direktinvestitionen. Nach Seliger stellt das Jahr 1997 insofern einen Wendepunkt dar, da nicht nur die Öffnung für ausländische Direktinvestitionen als institutionelle Innovation begriffen werden kann, sondern sich auch neue kognitive Schemata in bezug auf diese zu etablieren begannen. Anhand einer Umfrage unter koreanischen Studenten und Berufstätigen zeigt er, wie informelle Institutionen miteinander in Wettbewerb treten können bzw. gerade dieser (wünschenswerte) Wettbewerb unterdrückt wird (und argumentiert damit ähnlich wie Frank)'. Zwar ist die Haltung jüngerer Koreaner zu ausländischen Direktinvestitionen recht positiv, aber aufgrund der etablierten Wertvorstellung einer stärkeren Gewichtung älterer Personen, die ausländischen Direktinvestitionen gegenüber skeptischer eingestellt sind, in der Meinungsführerschaft kann sich diese veränderte Wahrnehmung nicht durchsetzen. Anstelle eines Wettbewerbs greift hier offenbar eine implizite Vereinbarung über die Gültigkeit differierender Wertvorstellungen. Kommunikation über die Wirtschaftsordnung, auch Visionen, können die Erzeugung eines neuen Erwartungsgleichgewichts befördern. Doris Fischer (Kapitel 9) beschäftigt sich in ihrem Aufsatz mit dem chinesischen Mediensektor. Einerseits kann dies als Fallbeispiel einer Branche verstanden werden, in dem eine direkte staatliche Aufsicht durch ein autoritäres Regime zunehmend durch marktliche Mechanismen ergänzt bzw. ersetzt wird. Andererseits handelt es sich jedoch nicht um irgendeine' Branche, sondern um ein zentrales Feld politischer Einflußnahme und Kontrolle. Für den Staat als Prinzipal sind neben den bisherigen politischen Kon-
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trollinteressen neue, kommerzielle Überlegungen relevant geworden. Fischer untersucht, welche neuen Regelungsstrukturen für diese Problematik gefunden wurden, wobei sie die Besonderheiten der .Produktion' im Mediensektor mitberücksichtigen muß. Die Verwendung der Institutionenökonomik erlaubt einen genaueren Blick darauf, welche tatsächlichen Strategien der Staat hinter einer vordergründigen bzw. vermeintlichen Privatisierung tatsächlich verfolgt. Sie kommt zu dem brisanten Ergebnis, daß der Staat mit den verwendeten Vertragsbeziehungen und Anreizstrukturen auch weiterhin auf eine im Zweifel indirekte Zensur und Selbstzensur im Mediensektor setzt, welche das politische Regime stützen soll. Welches abschließende Fazit kann gezogen werden? Zunächst ist nochmals zu betonen, daß es uns mit den Beiträgen nicht um eine handbuchartige Kompilation wesentlicher Elemente des ostasiatischen Entwicklungsweges aus institutionenökonomischer Perspektive ging. Von daher stehen am Ende auch keine Schlußfolgerungen im Hinblick auf vermeintliche Besonderheiten eines ostasiatischen ,Wirtschaftsstils', auf die Entdeckung' bisher noch nicht gesehener Mechanismen des wirtschaftlichen Aufschwungs in der Region oder einer Neuinterpretation der wirtschaftlichen Problemlagen in jüngster Zeit. Fragen wir dagegen, wie wir es vorhatten, nach der Anwendbarkeit institutionenökonomischer Ansätze auf Ostasien und nach den Implikationen eines solchen Vorgehens. Zunächst springt, so hoffen wir, ins Auge, wie fruchtbar sich das methodische Instrumentarium auf verschiedenste Fragen anwenden läßt. Scheinbar schwer zu fassende Besonderheiten der regionalen Wirtschaften wie spezifische Verhaltensmuster, interpersonale Netzwerke u.ä. lassen sich mit Konzepten wie dem Denken in Prinzipal-AgentBeziehungen, Pfadabhängigkeiten u.ä. recht gut fassen. Ob man dabei den schillernden Begriff der Kultur verwenden will, mag offen bleiben. Auf jeden Fall bietet sich hier eine Option, Kulturphänomene im Sinne der Berücksichtigung des erworbenen Wissens zur Interpretation von Wirklichkeitserfahrung und zur Generierung von Verhalten im sozialen Kontext formal reichhaltig und wissenschaftlich anschlußfahig zu behandeln. Der letzte Punkt, die wissenschaftliche Anschlußfahigkeit, eröffnet zum einen den Zugang zu einer fruchtbaren Diskussion zwischen anwendungsbezogen arbeitenden Ökonomen insbesondere aus dem Bereich der regional studies und den Fachdisziplinen. Die Aufgabe, solche Brücken zu identifizieren und konsequent zu beschreiten, ist aktueller denn je. Dies zeigt sich nicht nur im nationalen, wissenschaftspolitischen
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Kontext", sondern auch im internationalen Umfeld. Zunehmend verlangen auch theoretisch orientierte Journals einen empirischen Anteil, und zunehmend werden dort Bedenken geäußert, die empirische Forschung nur am Erfahrungshorizont Europa und USA auszurichten, und andere ,Testräume' zu umgehen.18 Zum anderen erleichtert der Ansatz das interdisziplinäre Gespräch innerhalb der Regionalstudien. Es ist ein anerkanntes Desideratum, daß die Erklärung regionaler Phänomene nicht an eng gezogenen Disziplingrenzen enden soll, sondern gut daran tut, die Einblicke anderer Disziplinen zu berücksichtigen. Der gemeinsame Rahmen einer institutionentheoretischen Fundierung, wie er in verschiedenen Spielarten wie etwa der Soziologie, der Politikwissenschaft, der Anthropologie und natürlich der Ökonomie zu finden ist, eröffnet hier eine wertvolle, wenn auch nicht ganz friktionsfreie Plattform für das schwierige, fast schon etwas abschätzig beleumundete Geschäft der Interdisziplinarität. Kann umgekehrt die Fachdisziplin, hier die Ökonomie, eine Bereicherung durch die Ostasienstudien erfahren? Der Schwerpunkt der gegenwärtigen Arbeiten liegt bei der Rezeption und Anwendung institutionenökonomischen Denkens auf regionale Phänomene, deren Interpretation bisher nicht befriedigen konnte. Insoweit sind die Rückwirkungen auf den methodischen Ansatz noch bescheiden. Einen Bereich möchten wir jedoch benennen, von dem wir uns eine besonders fruchtbare Rückwirkung in die Institutionenökonomik selbst erhoffen - übrigens auch, wenn man einen übergreifenden Topos vieler der hier vorgelegten Beiträge als Indikator für mögliche Trends heranzieht. Gemeint ist die vielfach in institutionenökonomischen Arbeiten angelegte Skepsis gegenüber der Überwindung von Pfadabhängigkeiten. Die ostasiatische Realität zeigt immer wieder, welche große Bedeutung Pfadabhängigkeiten gerade in den Ökonomien, Gesellschaften oder auch politischen Systemen dieser Region besitzen. Gleichzeitig macht die große wirtschaftliche Dynamik der Länder deutlich, daß solche Pfade durchaus verlassen werden können - und zwar, bei aller Vieldeutigkeit der Begriffe, im Sinne von Forschritten und dem Beweis von Reformfahigkeit. Unter den Beiträgen dieses Bandes sei nur noch einmal an den Einfluß unternehmerischer Neuerungen auf einen politökonomischen Institutionenwandel, die Aktivierung interner Institutionen, die
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Diese Aktualität läßt sich jüngst insbesondere an der Evaluierung des Deutschen Überseeinstituts in Hamburg durch die Leibniz-Gemeinschafit festmachen, deren Ergebnisse Ende 2004 vorgelegt wurden. Darin wurde u.a. eine stärkere methodische Fundierung und Grundlagenforschung, insbesondere auch zur Stärkung einer interregionalen Komparatistik, gefordert. Der institutionentheoretische bzw. -ökonomische Zugang bietet sich hier nachgerade an. Übrigens nicht nur, weil er den Diskurs mit den Fachdisziplinen erleichtert, sondern auch, weil er trotz seiner Abstraktion den Bezug zu problem- und entscheidungsrelevanten Fragen in und mit der Region weiter offen hält. Eine große Herausforderung bei einer stärkeren ,Grundlagenausrichtung' wissenschaftlicher Forschungsinstitute besteht ja darin, inwieweit die legitimen, anwendungsorientierten Interessen der Finanziers, im Falle des Überseeinstituts das Auswärtige Amt und die Freie und Hansestadt Hamburg, dabei noch erfüllt werden können. Wir hoffen gezeigt zu haben, daß der institutionenökonomische Zugang eine hilfreiche Brücke zu den Anwendungsfragen eröffnet, weil er Einstellungen, die Interpretation von Erfahrungen und das Verhalten in den Mittelpunkt seiner Analysen rückt. Auf die weitergehenden wissenschaftspolitischen Implikationen kann hier allerdings nicht näher eingegangen werden.
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Vgl. z.B. Bohnet und Croson (2004) im Journal of Economic Behaviour & Organization.
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Möglichkeit von Reformen in einem durch starke Sonderinteressen gekennzeichneten Sektor oder die Regelbindung als wirtschaftspolitische Strategie erinnert. Die institutionenökonomisch inspirierte Analyse Ostasiens setzt hiermit einen Kontrapunkt zu vielen von einer gewissen Reformskepsis geprägten Arbeiten, die eher die osteuropäischen Transformationsprozesse vor Augen haben. Wir können an dieser Stelle nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß die weitere Beschäftigung mit der Wirkung und dem Wandel von Institutionen in Ostasien der Institutionenökonomik - ebenso wie der wirtschaftlichen und politischen Praxis - weitere Hinweise geben kann, unter welchen Umständen und wie auftretende Pfadabhängigkeiten, problematische lock-in-Situationen oder Reformstaus analytisch und problemorientiert behandelt werden können. Gleichzeitig bedeutet diese Erkenntnis, daß es sich lohnt, weiter über das ökonomische Menschenbild nachzudenken. Hier zeigen sich enge Bezüge zur experimentellen Ökonomik, die insbesondere auf die Veränderbarkeit von Präferenzen aufmerksam gemacht hat, die Voraussetzung für die Entdeckung neuer Pfade und Varietäten sein kann. Ein Einbezug nichtwestlicher Kulturräume, wie sie etwa in Deutschland bei den politökonomischen Tagungen in Tutzing oder auf internationaler Ebene auf Tagungen der experimentellen Ökonomik, so etwa jüngst auf einer Tagung zum Thema Vertrauen an der Harvard University, angedacht und gefordert wurde, sind daher Schritte, die wir sehr begrüßen. In diesem Sinne wünschen wir allen Lesern neue Einsichten und Perspektiven bei der Lektüre dieses Bandes.
Literaturverzeichnis Aoki, Masahiko (1990), Towards an Economic Model of the Japanese Firm, in: Journal of Economic Literature, Bd. 28, S. 1-17. Aoki, Masahiko und Yujiro Hayami (2001), Introduction: Communities and Markets in Economic Development, in: Masahiko Aoki und Yujiro Hayami (Hg), Communities and Markets in Economic Development, Oxford, S. xv-xxiv. Bardhan, Pranab K. (1989), The New Institutional Economics and Development Theory: A Brief Critical Assessment, in: World Development, Bd. 17, S. 1389-1395. Blaug, Mark (1978), Economic Theory in Retrospect, 3. A., Cambridge. Bohnei, Iris und Rachel Croson (2004), Editorial: Trust and trustworthiness, in: Journal of Economic Behaviour & Organization, S. 443-445. Brennan, Geoffrey und James M. Buchanan (1993), Die Begründung von Regeln: Konstitutionelle Politische Ökonomie, Tübingen. Coase, Ronald H. (1937), The Nature of the Firm, in: Economica, Bd. 4, S. 386-405. Coase, Ronald H. (1984), The New Institutional Economics, in: Zeitschrift fur die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 140, S. 229-231. Demsetz, Harold (1968), The Cost of Transacting, in: Quarterly Journal of Economics, Bd. 82, S. 33-53. Deutschmann, Christoph (1987), Der "Betriebsclan": Der japanische Organisationstypus als Herausforderung an die soziologische Modemisierungstheorie, in: Soziale Welt, Bd. 38, S. 133-146.
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Werner Pascha und Cornelia Storz
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II. Zur Wirkung von Institutionen
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Die Rolle der ,rule of law' in den Wirtschaftsverfassungen Japans und Südkoreas*
Werner Pascha Inhalt 1. Problematik
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2. Arbeitshypothesen
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3. Verfassungswandel in Japan - ein erster Überblick
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4. Verfassungswandel in der Republik Korea - ein erster Überblick
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5. Gelten die Hypothesen der institutionellen Verfassungsökonomik für Japan und Südkorea?
43
6. Fazit
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Literatur
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Den auf Japan bezogenen Fragen konnte der Verfasser während eines von der Japan Society for the Promotion of Science geförderten Fellowships an der Universität Waseda, Tokyo, bei Koichiro Agata, im Sommer 2003 nachgehen; dafür sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Meinem Mitarbeiter Peter Klöpping danke ich für die Unterstützung bei der Materialsammlung, insbesondere zu Korea; ihm sowie Manja Jonas und Cornelia Storz danke ich für kritische Hinweise zur Erstfassung.
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Werner Pascha
1. Problematik In den 90er Jahren sind verschiedene Länder Ostasiens an die Grenzen ihrer wirtschaftlichen Entwicklungsmodelle gestoßen. Die Wachstumsschwäche Japans im verlorenen Jahrzehnt' und die asiatische Finanzkrise von 1997/98 sind dafür ein sichtbarer Beleg. Der Verweis auf Sonderprobleme wie die japanische Finanzblase der späten 80er Jahre, eine mangelnde Finanzaufsicht in vielen Ländern Ostasiens bzw. Ordnungsdefizite der internationalen Finanzmärkte greifen als Erklärungen zu kurz, weil sie offen lassen, warum das jeweilige Wirtschaftssystem nicht (wie früher) genug Anpassungsflexibilität aufbringen konnte, um solchen Herausforderungen zu begegnen. Ähnliche Skepsis ist gegenüber kurz greifenden Lösungsvorschlägen auf der wirtschaftspolitischen Instrumentenebene angebracht: Das Problem liegt nicht darin, daß Entscheidungsträger der Region blind gegenüber bewährten oder neuartigen ZielMittel-Beziehungen (gewesen) wären, sondern ob ein Rahmen vorhanden war bzw. ist, in dem sich - in welchem Sinn auch immer - ,überlegene' Lösungen durchsetzen können. Die Fragestellung ist also eine institutionelle. Ein viel beschriebenes stilisiertes Faktum ostasiatischer Wirtschaftssysteme bestand in der Vergangenheit darin, daß ein .starker Staat' eine anpassungsfähige Wachstumspolitik durchsetzen konnte, ohne daß diese Macht bzw. Stärke gleichzeitig zu überbordender Kollusion und Korruption geführt hätte.1 Wie war das möglich? Besitzen individuelle Akteure den Handlungsspielraum, wachstumspolitische Initiativen zu ergreifen, dann fragt sich, warum sie nicht versuchen, solche Ströme zum eigenen Gewinn umzuleiten. Wie können die Herrschenden glaubhaft machen, nicht nur heute eine am ,profit seeking' orientierte Wachstumsstrategie zu verfolgen, sondern sich auch künftig konform zu verhalten, so daß sich das bekannte zeitliche Inkonsistenzproblem von Wirtschaftspolitik nicht stellt? Für eine solche Bindung bzw. Selbstbindung kommen insbesondere drei Mechanismen in Frage: Neben einer glaubhaft vermittelten intrinsischen Motivation als zweite Möglichkeit externe, nicht in Frage zu stellende Rahmenbedingungen oder drittens eine Selbstbindung durch Regelsetzung. Im folgenden Aufsatz soll es um den dritten Problemkreis gehen, da insbesondere hier Gestaltungsräume für Wirtschaftspolitik liegen. Noch enger gefaßt soll die Regelbindung (,rule of law') in der Wirtschaftsverfassung als Teil der Verfassung eines Staates behandelt werden,2 also die glaubhafte Zusicherung einer Beschränkung der Ermessensfreiheit staatlichen Agierens. Im Sinne der Institutionenökonomik ist dabei insbesondere an die Sicherheit privater Eigentumsrechte zu denken. Der Grundgedanke einer solchen Festschreibung der Regeln des Wirtschaftslebens besteht darin, Vertrauen in ihre (auch zukünftige) Verläßlichkeit aufbauen zu kön1
Das heißt nicht, daß nicht auch Kompromisse zur Absicherung dieser Wachstumsstrategie eingegangen worden wären, wie etwa die für sich betrachtet ineffiziente Stützung der ländlichen Räume in Japan oder die Bevorzugung bestimmter Regionen in Südkorea.
2
An anderer Stelle habe ich verbundene Fragen behandelt; vgl. zur Rolle kultureller Einflüsse Pascha (2002), zur Ausgliederung staatlicher Aufgaben in autonome, unabhängige Agenturen Pascha (2001).
,Rule of law' in den Wirtschaftsverfassungen
Japans und Südkoreas
31
nen. Die Regeln des Wirtschaftslebens werden also durch jene Organisationen und institutionellen Vorkehrungen geschützt, die auf Verfassungsebene festgeschrieben und damit veränderungsresistent sind. Dazu zählen qualifizierte Mehrheitsregeln (Verfassungsänderung z.B. nur durch Zweidrittelmehrheit im Parlament und/oder mit öffentlichen Referenden), die Aufsicht durch höchste Verfassungsorgane wie ein unabhängiges Verfassungsgericht o.ä. Zentrale Probleme der Wirtschaftspolitik in Ostasien stellen sich also als institutionelle Fragen dar und bieten sich für eine institutionenökonomische Analyse geradezu an. Japan und Südkorea (im Folgenden verkürzt auch ,Ostasien') sollen hier im Vergleich behandelt werden. Einerseits weisen die beiden Länder im Hinblick auf die o.a. Problemstellungen erstaunliche Ähnlichkeiten auf. Beider Länder Entwicklungsmodell war in den vergangenen Jahrzehnten durch eine starke Wachstumsorientierung geprägt, welche industriepolitische Vorgaben einschloß, ohne dabei in eine .Selbstbedienung' einzelner Interessen, etwa aus bestimmten Industrien heraus, abzugleiten. Beide Länder sind heute führende Flächenstaaten und OECD-Mitglieder in der Region, die einen Weg für ihre Volkswirtschaften an der Spitze des technologischen Fortschritts, mit alternden Bevölkerungen und in einer globalisierten Weltwirtschaft, finden müssen. Dabei besitzen beide einen zumindest verwandten kulturellen Hintergrund und sind ethnisch relativ homogen. Umgekehrt weisen ihre Wege auch interessante Unterschiede auf, welche für Fragen zur Rolle einer Wirtschaftsverfassung von Interesse sind. So hatte in Südkorea der jeweilige Staatspräsident eine zentrale Rolle für die (Wirtschafts-) Politik, besonders in Zeiten der Militärherrschaft. In Japan dagegen fand sich ein sehr viel komplexeres Zusammenspiel einer lange Zeit stabilen Regierungspartei - der Liberaldemokratischen Partei LDP der führenden Ministerialbürokratie sowie der Großindustrie (.Eisernes Dreieck'). Kann angesichts dieser Unterschiede die Wirtschaftsverfassung ähnlich wirken, stellen sich gleiche Erwartungen für die Zukunft? Im Folgenden sollen aus der Institutionenökonomik, insbesondere der Verfassungsökonomik, zunächst einige relevante Arbeitshypothesen zu den vermuteten Zusammenhängen entwickelt werden. Nach einem kurzen Überblick zum Wandel der Verfassung und vor allem der Wirtschaftsverfassung in Japan und Südkorea sollen diese Thesen dann überprüft werden. Entspricht Ostasien den Erwartungen der Theorie? Läßt sich durch Regelbindung im Rahmen der Verfassung Einfluß auf die Qualität von Wirtschaftspolitik in den beiden Ländern nehmen? Und schließlich: Ergeben sich Rückschlüsse auf den theoretischen Rahmen selbst?
2. Arbeitshypothesen In der einschlägigen Literatur werden in diesem Zusammenhang verschiedene Fragenkreise diskutiert. 3 Eine erste Problematik ergibt sich aus der Frage, ob die Festschreibung einer ,rule of law' in der Wirtschaftsverfassung positive Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung hat. Dieses Argument ist keineswegs neu oder unumstritten (North 1993), wird in neuerer Zeit aber insbesondere mittels internationaler
3
Für die folgenden Überlegungen hat sich Voigt (1999) als besonders hilfreich erwiesen.
32
Werner Pascha
Querschnittsvergleiche gestützt. 4 Aus der Sicht einzelner Volkswirtschaften - im Längsschnitt - ergibt sich also: Hypothese 1 (, Wachstumsthese'): tumseffekten.
Eine ,rule of law' fuhrt zu positiven Wachs-
Die Bindung der staatlichen Akteure an die ,rule of law' muß allerdings in besonderer Weise als glaubhaft erfolgen. Die Wirtschaftssubjekte dürfen nämlich nicht erwarten, daß der Staat - aufgrund des Zeitinkonsistenzproblems der Wirtschaftspolitik - seine Selbstbindung an die ,rule of law' später opportunistisch aufgibt. Das bedeutet: Hypothese 2 (.Bindungsthese'); Je eindeutiger die 'rule of law' in der Wirtschaftsverfassung verankert ist, je größer die Hürden für Verfassungsänderungen sind und je wirksamer die Aufsicht über die Einhaltung der Verfassung geregelt ist, desto stärker können sich die Wachstumseffekte der ,rule of law' entfalten. Derartige Bindungen sind unter den Vorzeichen unterschiedlicher Herrschaftsformen offenbar verschieden zu beurteilen. Dazu findet sich das bekannte Argument, daß Diktaturen die Bindung an eine ,rule of law' nicht überzeugend eingehen könnten, weil der Herrscher immer den Anreiz besitze, seine sich in Sicherheit wiegenden Untertanen später doch auszubeuten. Dieser Gedanke erscheint allerdings als zu simpel (Olson 2000): Schließlich muß der Diktator abwägen, ob er seinen Nutzen dadurch maximiert, daß der sich mit einem im Zweifel hohen, aber beschränkten Anteil (über Steuern etc.) am Wirtschaftswachstum beteiligt, oder ob er seine Untertanen .ausplündert', damit aber weiteres Wachstum untergräbt. Eine gefestigte, sich nicht als gefährdet betrachtende Autokratie kann dabei zu der Überzeugung kommen, daß für sie die erste Variante überlegen ist. Sie mag also die ,rule of law' u.U. besser schützen als eine noch junge Demokratie, die schwach ist und in der unerfahrene Majoritäten ein Interesse daran haben könnten, Minoritäten auszubeuten. Dies führt zu der folgenden Hypothese: Hypothese 3 (,Herrschaftsthese'): Eine gefestigte Autokratie kann die ,rule of law' über die Wirtschaftsverfassung besser sicherstellen als eine junge, gefährdete Demokratie. Dabei spielen Interessen und Fähigkeiten zusammen. Von besonderem Interesse ist der Verfassungswandel, damit auch die Möglichkeit, eine Wirtschaftsverfassung zu verbessern. 5 Nach dem verhandlungstheoretischen Ansatz überwinden im Laufe der Zeit immer mehr Interessengruppen ihr Olsonsches Organisationsdilemma und bringen sich in den soziopolitischen Verhandlungsprozeß zur Sicherung ihrer Interessen ein. Je mehr Mitspieler dies sind, desto eher werden sie als Verhandlungsergebnis eine Regelbindung staatlichen Handelns präferieren, da es immer schwieriger zu überschauen ist, ob sie selber von staatlichen Interventionen pro-
4 5
Vgl. Gwartney et al. (1996); zur empirischen Bestätigung auch Leschke (2003). Wir gehen im Folgenden davon aus, daß es dabei um eine stärkere Verankerung der ,rule of law' geht. Dabei auftretende Probleme werden angesprochen, allerdings keine konkreten Vorschläge gemacht. Eine solche Diskussion müßte Soll-Aussagen machen, und die dazu nötige Aufarbeitung der entsprechend normativ angelegten Verfassungsökonomik (Hayek, Buchanan, Rawls etc.) würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen; vgl. etwa Voigt (1999, S. 30-32).
,Rule oflaw' in den Wirtschaftsverfassungen
Japans und Südkoreas
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fitieren würden (Voigt 1999, S. 137 f.). Auch eine umgekehrte Entwicklung ist vorstellbar, die mit Olsons (1982) Konzept der Sklerose fortgeschrittener Wirtschaften in Verbindung zu bringen ist: Mit zunehmender Dauer eines friedlichen, nicht durch Krisen erschütterten Systems entwickeln sich immer mehr spezielle Interessengruppen, gewinnen Einfluß, sichern ihre Interessen ab und führen zu einer zunehmenden Verkrustung. Dies ist zwar eine mögliche Entwicklung, empirisch aber nicht unwidersprochen geblieben (Unger und van Waarden 1999), und so formulieren wir als Arbeitshypothese: Hypothese 4 (,Interessendruckthese'): Die zunehmende Organisation und Einbindung von Interessengruppen fördert den Verfassungswandel in Richtung einer ,rule o f l a w ' . 6 Verfassungswandel muß nicht explizit erfolgen, d.h. in Form einer Umformulierung des Verfassungstextes. Es kann sich auch um impliziten Wandel im Sinne einer Neuinterpretation handeln. Als von entscheidender Bedeutung gilt dabei die Rolle der Rechtsprechung im Zuge der Normenkontrolle. Je größer die Spielräume einer ,constitutional review' sind, desto eher ist ein impliziter Verfassungswandel möglich und längerfristig wahrscheinlich. Dies erscheint zunächst trivial, wird aber in zweierlei Hinsicht zum Problem: Wovon hängt der Grad richterlicher Spielräume ab, und wie werden diese, so vorhanden, genutzt? Die Freiräume der Richterschaft hängen insbesondere von den Kräften ab, die die Legislative bzw. den verfassungsgebenden Prozeß kontrollieren (bzw. kontrolliert haben). Nach Landes und Posner (1975) setzen Legislativen eine unabhängige Rechtsprechung ein, um die Früchte eigenen politischen Handelns gegen Modifikationen durch spätere Parlamente und Regierungen zu schützen. Eine politische Kraft, die sich ihres langfristigen Machterhalts bzw. ihrer Wiederwahl nicht sicher ist, würde dann eine unabhängige und damit dem politischen Tagesgeschäft nicht verpflichtete Rechtsprechung sicherstellen wollen. Wir formulieren: Hypothese 5 (.Autonomiethese'): Die Autonomie der Judikative bei der Verfassungsinterpretation und damit beim (impliziten) Verfassungswandel hängt von den Interessen der sie einsetzenden politischen Kräfte ab. Wie aber nutzen die Richter ihre Spielräume bzw. ihre Autonomie aus? Landes und Posner (1975) verstehen unter Autonomie schlicht die Verfolgung der Weltsicht der ursprünglichen, sie einsetzenden Legislative. Dies ist wohl zu einfach, gerade auf längere Sicht. Man wird vermuten dürfen, daß die Richter jenseits persönlicher Präferenzen zumindest zwei Aspekte bei ihren Entscheidungen berücksichtigen: einmal, daß die eigene Existenz bzw. Rolle dadurch nicht gefährdet wird, und zweitens, daß die Entscheidung umgesetzt wird. Da die Judikative über keine eigene Polizei- oder gar Militärmacht verfügt, kann sie beiden Interessen durch den Aufbau von Reputation dienen (Voigt 1999, S. 157 f.). Sie wird sich in ihren Entscheidungen trotz Autonomie damit nicht völlig unabhängig vom Sentiment in der Politik und in der Öffentlichkeit machen wollen. Dies gilt auch bei einem Präferenzwandel in der Bevölkerung und wirkt interessanterweise,
6
Geht man davon aus, daß erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung üblicherweise mit einer Ausdifferenzierung unterschiedlichster Interessen und Interessengruppen einhergeht, so beinhaltet die These 4 die Erwartung, daß wirtschaftlicher Fortschritt ceteris paribus zu einer Tendenz in Richtung Regelbindung fuhren wird.
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Werner Pascha
so jedenfalls die These, einem bedingungslosen Schutz des verfassungsmäßigen status quo entgegen: Hypothese 6 (,Anpassungsthese'): Selbst eine autonome Richterschaft besitzt Anreize, bei der Interpretation der Wirtschaftsverfassung die Präferenzen (der Mehrheiten) in Politik und Öffentlichkeit nicht unberücksichtigt zu lassen. Abschließend seien zwei Faktoren erwähnt, welche die hier diskutierten Mechanismen maßgeblich beeinflussen können: auswärtiger Einfluß sowie das Wirken informeller Institutionen, insbesondere verfestigter Verhaltensweisen (,Kultur'). Bezüglich des ausländischen Einflusses ist ein wichtiger Bestimmungsfaktor vermutlich der Grad der internationalen Verflechtung (.Globalisierung'), von dem vereinfacht angenommen werden kann, daß er im Zeitablauf zunimmt. Dies fuhrt zu folgendem Argument: Hypothese 7 (.Auslandsthese'): Das Ausland kann auf die ,rule of law'Regelungen in der Wirtschaftsverfassung durch Machtausausübung (z.B. Eroberung), Lernen im Rahmen eines Verfassungswettbewerbs und durch multilaterale Ordnungsvorgaben maßgeblichen Einfluß ausüben. Die Wirtschaftsverfassung steht nicht für sich alleine, sondern ist in ein Institutionengefüge eingebunden, innerhalb dessen insbesondere informelle Institutionen wie z.B. kulturell angelegte Verhaltensmuster nur schwer zu verändern sind. Das Wirksamwerden der Verfassung, etwa ihrer hier interessierenden ,rule of law'-Orientierung, ist damit an ein möglichst kongruentes institutionelles Umfeld gebunden. Diese Verbindung hat insbesondere auch Auswirkungen für einen spontanen oder gezielt verfolgten Verfassungswandel: Hypothese 8 (.Kulturthese'): Die ,rule of law'-Orientierung einer Wirtschaftsverfassung bzw. eine entsprechende Dynamik werden vom Grad der Kongruenz mit veränderungsresistenten, insbesondere informellen Institutionen maßgeblich beeinflußt.
3. Verfassungswandel in Japan - ein erster Überblick In Japan wurde nach der Meiji-Verfassung, die - preußischem Vorbild entsprechend - stark auf den Primat des Staates ausgerichtet war, mit der Nachkriegsverfassung von 1947 ein Neuanfang unternommen. Unter den Vorgaben der alliierten Militärverwaltung geht die Souveränität nun vom demokratisch gewählten Parlament bzw. den Wahlbürgern aus. Für die Verwirklichung einer ,rule of law' sind die Grundrechte von großer Wichtigkeit. Diesen ist ein eigener Abschnitt III mit den Artikeln 10 bis 40 gewidmet. Die Bestimmungen enthalten zunächst einmal die erwarteten Freiheitsrechte, nicht zuletzt zum Privateigentum (Art. 29). Von daher sind wichtige Grundlagen für eine funktionierende Marktwirtschaft gelegt. Die Regelung von Besitzverhältnissen oder die gesetzli-
,Rule oflaw'
in den Wirtschaftsverfassungen
Japans und
Südkoreas
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chen Bestimmungen zur Eigentumsübertragung erlauben vorausschauendes wirtschaftliches Planen unter weitgehender Rechtssicherheit. 7 Die wirtschaftlichen Grandfreiheiten werden allerdings durch verschiedene Bestimmungen begrenzt, die eine Quelle im Sozialstaatsgedanken der Weimarer Verfassung haben (Marutschke 1999, S. 67) und eine Kontinuität zum etatistischen Ansatz der Meiji-Verfassung aufweisen. Der Oberste Gerichtshof (OGH) interpretiert die Verfassung als einen reinen ,Programmansatz', der noch „kein konkretes subjektives öffentliches Recht begründe" (Marutschke 1999, S. 67). Damit wird dem Parlament ein bemerkenswerter Ermessensspielraum zur Ausgestaltung öffentlicher Tätigkeit zugesprochen. So ist der Staat nach Art. 25 Abs. 2 ermächtigt, im Interesse der .sozialen Wohlfahrt' (,shakai fukushi'), der sozialen Sicherheit und der öffentlichen Gesundheit zu handeln. Die Eigentumsrechte nach Art. 29 werden zudem im Abs. 2 dahingehend eingeschränkt, daß sie auf der Basis von Gesetzen zu definieren seien - damit also der Interpretation unterliegen - und diese gesetzlichen Regelungen den Interessen der .öffentlichen Wohlfahrt' (,kökyö no fukushi') zu entsprechen hätten. Mit diesen zunächst einmal relativ unbestimmten Begriffen der sozialen bzw. öffentlichen Wohlfahrt - übrigens auch an weiteren Stellen im Verfassungstext zu findenwird es von entscheidender Bedeutung für die Rechtssicherheit sein, ob und wie die Gerichtsbarkeit als Dritte Gewalt über die Einhaltung und Interpretation der verfassungsmäßigen Rechte wacht. Formal genießt die Unabhängigkeit der Rechtsprechung einen hohen Rang (Art. 76), der auch darin zum Ausdruck kommt, daß der Gerichtsbarkeit unter dem Primat des OGH ein eigenes Kapitel VI (Art. 76-82) zugeordnet ist. In Art. 81 wird der OGH als Letztinstanz angesprochen, der daneben als zweite Aufgabe über die Verfassungskonformität aller Gesetze und staatlichen Verfügungen unterhalb der Gesetzesebene wacht. Ein eigenes Verfassungsgericht ist dafür nicht eingesetzt. Relativ unbestimmt im Verfassungstext bleibt, wie weit der Anspruch der Normenkontrolle geht. Der OGH hat sich hierbei auf die Prüfung von konkreten Fällen zurückgezogen und die Wahrnehmung einer abstrakten Normenkontrolle verneint {Marutschke 1999, S. 73). Die tatsächliche Rechtssicherheit hängt von daher nicht nur von der formalen Zuschreibung von Rechten und Pflichten der drei Gewalten ab, sondern auch von ihrer tatsächlichen Wahrnehmung im Rahmen möglicher Spielräume, hier also insbesondere seitens der hohen Richterschaft. Deren Position ist in der Literatur umstritten. Haley (1995, 1998) spricht ihr eine hohe Autonomie zu, während Ramseyer*1 sie letztlich als abhängig von Regierung und Parlament sieht. Hebel dieser verdeckten Macht seien die Besetzungsregeln für den OGH und die nachgelagerten Gerichte. Diese Gerichte werden bisher über das Sekretariat des OGH mit Berufsrichtern besetzt und hängen damit 7
In diesem Zusammenhang ist die relativ geringe Zahl privatrechtlicher Auseinandersetzungen vor Gericht im Ausland immer wieder mit Skepsis betrachtet worden. Hintergrund sind zum einen die hohen Kosten des gerichtlichen Weges. Daneben macht aber auch der hohe professionelle Standard der japanischen Berufsrichter gerichtliche Entscheidungen weitgehend vorhersehbar, so daß außergerichtliche Einigungen die teuren Gerichtsverfahren oft ersetzen können (vgl. Ramseyer und Nakazato 1999, insbes. S. 62).
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Neuerdings ausführlich in Ramseyer
und Rasmusen
(2003).
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Werner Pascha
vom Wohlwollen der OGH-Richter ab.9 Die OGH-Richter selbst werden vom Kabinett eingesetzt und bleiben i.d.R. bis zur Pensionsgrenze von 70 Jahren im Amt.10 Der OGH war und ist sehr zurückhaltend darin, individuelle Freiheitsrechte, nicht zuletzt die Eigentumsrechte, gegenüber der vom Staat definierten öffentlichen Wohlfahrt' zu betonen (Stockwin 1999, S. 173 f.); ein im Laufe der Zeit angesammelter Fundus an Rechtsanwendung gibt immerhin zunehmend gute Anhaltspunkte für die Behandlung von Streitfällen. Bezüglich des Verwaltungshandelns ergeben sich ähnliche Hinweise. Art. 73 Nr. 6 schreibt zunächst fest, daß Rechtsvorschriften nur auf gesetzlicher bzw. parlamentarischer Basis zulässig sind. Art. 31 erklärt darüber hinaus, daß eine Einschränkung individueller Freiheitsrechte nur auf gesetzlicher Basis erlaubt ist. Neben diesem damit generell verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit (Marutschke 1999, S. 81) bleiben aber genauere Regeln zum Verwaltungshandeln relativ unbestimmt. Die Rechtsprechung hat die Ausdeutung des Grundrechtsartikels 31 wenig proaktiv wahrgenommen. Das gilt insbesondere dann, wenn komplex verwobene Rechtsansprüche gegenüber dem Staat geltend gemacht werden sollen. Mit Ausnahme vielleicht der Atomenergiedebatte haben es Individuen gerade bei großen, politisch relevanten Vorhaben immer schwer gehabt, sich rechtliches Gehör zu verschaffen (Ramseyer und Nakazato
1999, S. 117). Das gilt
auch gegenüber dem sog. informellen Verwaltungshandeln (,gyösei shidö'), das in Japan weit verbreitet war und definitionsgemäß keine Rechtsverbindlichkeit besitzt, mit dem aber gleichzeitig private Wirtschaftssubjekte zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen genötigt werden. Die Gerichte haben wenig Anstrengungen unternommen oder Ansatzpunkte gesehen, dies zu unterbinden, und nach vielen Protesten hat erst ein neues Verwaltungsverfahrensgesetz von 1993 Bewegung in die Debatte gebracht.' 1
9
Die Richter werden auf zehn Jahre in ihre Funktionen eingesetzt und können danach im Prinzip aus dem Dienst entlassen werden. Dies kommt zwar praktisch nie vor, dennoch zwingt diese Möglichkeit zum Wohlverhalten. Auch freiwillige Amtsverzichte kommen vor, möglicherweise im Angesicht ungewisser Wiedereinsetzungschancen. Großen, kaum begrenzten Spielraum besitzt der OGH auch bezüglich der Festlegung des nächsten Einsatzortes. Eine Versetzung in die Provinz, an ein untergeordnetes Gericht bzw. an eine Außenstelle ist eine hatte Repressalie. Verschärfend kommt hinzu, daß der Richterberuf eine lebenslange Karrierelaufbahn ist, in die zum Bestehen der Eingangsprüfung viel persönlich investiert wurde und für die es kaum Ausweichmöglichkeiten in andere Berufe gibt.
10
Diese Einsetzung ist zwar alle zehn Jahre von der Bevölkerung in der Wahl zum Repräsentantenhaus zu bestätigen, doch ist es hierbei noch nie zu einer Abwahl gekommen. Dazu trägt bei, daß die OGH-Richter bei ihrer Benennung meistens bereits so alt sind, daß sie nur einmal bestätigt werden. Auch trägt das Bestätigungsverfahren das seinige bei: Auf den Wahlzetteln muß der entsprechende Richter dann angekreuzt werden, wenn ihm das Vertrauen explizit versagt werden soll; von dieser Möglichkeit wird naturgemäß selten Gebrauch gemacht.
11
Der sehr stark in der Institutionenökonomie verankerte Ramseyer (vgl. Ramseyer und Nakazato 1999, S. 205-211) nimmt in dieser Frage eine Außenseiterposition ein, wenn er argumentiert, daß bei Nichtbefolgung der informellen Anleitung eine Erfolg versprechende Beschreitung des Rechtswegs durchaus möglich (gewesen) sei, um überbordende Ansprüche der Bürokratie zurückzuweisen. Immerhin behauptet auch er nicht, daß die Rechtsprechung in dieser Frage eine besonders offensive Rolle zur Verteidigung individueller Eigentumsrechte gespielt habe.
, Rule oflaw'
in den Wirtschaftsverfassungen
Japans und
Südkoreas
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Inwieweit läßt sich in Japan ein Verfassungswandel beobachten? Zunächst scheint die Antwort klar, hat es doch seit 1947 keine Verfassungsänderung gegeben. Auch der Grund erscheint zunächst offensichtlich: Der problematische Artikel 9 zum Kriegsverzicht hat jeden Versuch zur Änderung des labilen status quo verhindert. Nicht nur wurde deshalb der Artikel 9 nie anders oder zumindest deutlicher formuliert, sondern es wurde auch de facto unmöglich, eine Änderung anderer Passagen der Verfassung zu erreichen. Eine solche, andere Fragen betreffende Verfassungsänderung wäre nämlich als Einstieg in eine spätere Neuformulierung des Art. 9 betrachtet und deshalb abgelehnt worden. In neuerer Zeit gibt es in Japan allerdings zwei im Hinblick auf einen Verfassungswandel relevante Tendenzen: — die Justizreform sowie — die neuere öffentliche Debatte um eine Verfassungsänderung. Bereits in den 60er Jahren hat es Ansätze zu einer Justizreform gegeben, aber erst in den späten 90er Jahren wurden die Bemühungen mit der Einrichtung einer entsprechenden Kommission (Judicial System Reform Council, JSRC, bzw. Saishü Iken-sho) konkreter. Deren Abschlußbericht von 2001 enthält vor allem folgende Vorschläge (JSRC 2001; Satö 2002): — Ausweitung der Zahl der juristisch Tätigen, — Einführung neuartiger Law Schools (Höka daigakuin) zu diesem Zwecke, — Beschleunigung gerichtlicher Verfahren, — Senkung von Transaktionskosten gerichtlicher Auseinandersetzungen (z.B. Berücksichtigung von Rechtsanwaltskosten der siegreichen Partei bei den Forderungen an die unterlegene Partei) — Reformen im Strafrecht: Übernahmemöglichkeit von Rechtsanwaltskosten vor Klageerhebung, Einführung eines Schöffensystems — Reformen bezüglich der Stellung der Richter: Ausweitung des Kreises deijenigen, die in ein Richteramt berufen werden können; Einsetzung neuer Gremien zur Bestellung von Richtern; mehr Transparenz bei Personalentscheidungen des OGH. Eine ganze Reihe von Bestimmungen ist mittlerweile umgesetzt worden. Nach außen am deutlichsten ins Bewußtsein dringt vielleicht die Aufnahme des Lehrbetriebs der Law Schools neuen Typs im April 2004. Ein Gesetzespaket vom März 2004 schreibt u.a. die Einführung von Laienrichtern im Strafrecht fest (Nikkei Net 2004c). Von besonderem Interesse für die hier verfolgten Fragen ist offensichtlich der Themenkreis 6, also die Stellung der Richter bzw. Rolle und Autonomie des OGH sowie der untergeordneten Gerichte. Auf der Basis neuer Statuten wurden im Herbst 2003 Kommissionen zur Empfehlung von Benennungen für niederinstanzliche Gerichte eingerichtet.12 Darin werden Juristen (Richter, Staatsanwälte, Anwälte) und Nichtjuristen - zu letzteren 12
Interview mit Ktr.ichi Baba, Professor an der Juristischen Fakultät der Universität Kobe, am 23. September 2003.
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Werner Pascha
werden aber auch Jura-Professoren gerechnet - zusammenwirken. Politiker sollen nicht vertreten sein. Auf die Benennung der Kommissionsmitglieder hat der OGH nach wie vor faktisch erheblichen Einfluß. So dürfte derzeit kaum ein dem OGH ablehnend gesinnter Hochschuldozent oder Anwalt zum Zuge kommen können. Mittelfristig dürften die erhöhte Transparenz sowie der Begründungszwang von Nominierungsvorschlägen und -entscheidungen trotzdem Wirkung zeigen. Die Möglichkeiten, eine einheitliche ,OGH-Linie' durchzusetzen, sei es als autonome Position der obersten Richter oder mittelbar als Wille der Regierung, dürfte deutlich zurückgehen. Ob sich der einzelne Richter dann an Text und Tenor von Verfassung und Gesetzen orientiert, an eigenen ideellen Vorstellungen oder egoistischen Nutzenerwägungen, bleibt natürlich noch offen. Ähnlich vorsichtig wird man sich auch zu Auswirkungen anderer Maßnahmen äußern müssen. Insgesamt sieht Miyazawa (2003) eine Tendenz, daß der OGH über seine wichtige Funktion bei der Umsetzung der grundlegenden Linien der Justizreform in konkrete Maßnahmen den Reformschwung eher bremst, ihm dies angesichts einer Phalanx von Reformbefürwortern aber nur zum Teil gelingt. So hat der OGH für eine gewisse Zeit zugestimmt, daß sich auch Rechtsanwälte für eine Richterstelle bewerben können. Gegenwärtig wird diese Möglichkeit angesichts der bekanntlich noch sehr geringen Zahl von Rechtsanwälten in Japan kaum wahrgenommen {Miyazawa 2003). Mit einer zukünftig größeren Anzahl könnte diese Option aber interessanter und relevanter werden. Auch in die Debatte um eine Verfassungsänderung ist in den letzten Jahren Bewegung gekommen. Wie bereits erwähnt, ist der entscheidende Flaschenhals für jede Verfassungsreform, auch in Bezug auf wirtschaftliche Fragen, ein breiter Konsens bezüglich des Verteidigungsartikels 9. Ein konkreter Anlaß zur Neubesinnung ist dabei die Beteiligung Japans an internationalen Militäreinsätzen. Noch im Golfkrieg von 1991 sah sich Japan ähnlich wie Deutschland zu einer direkten Beteiligung nicht in der Lage und war genötigt, einen erheblichen Teil der finanziellen Belastungen des Krieges zu übernehmen. In der Folge wurden die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Beteiligung an humanitären Einsätzen geschaffen, aber spätestens mit der Eröffnung des weltweiten ,Kriegs gegen den Terror' nach dem 11. September 2001 wurde deutlich, daß auch dies nicht reichen würde. Auf der Basis einer neuerlichen Gesetzesänderung rückten im Frühjahr 2004 erstmals japanische Soldaten in ein akutes Krisengebiet, den Irak, ein, wobei die Möglichkeit gewaltsamer Zusammenstöße nicht auszuschließen ist. Sowohl die Führungspartei der Regierungskoalition, die Liberaldemokraten, wie die Demokratische Partei Japans als stärkste Oppositionskraft sehen die Wünschbarkeit einer Verfassungsänderung, was ihre Realisierbarkeit erstmals seit Jahrzehnten als möglich erscheinen läßt (Nikkei Net 2003, 2004b). Dabei geht es nicht nur um den Friedensartikel 9, sondern auch um stärker wirtschaftsrelevante Regelungen, wie etwa um die schärfere und erweiterte Fassung von Grundrechten, um Fragen des Verhältnisses von Zentralstaat und Gebietskörperschaften sowie um die Position des Premierministers im Rahmen des Kabinetts. Zumindest in Teilen gibt es also einen engen Zusammenhang zu Fragen einer Regelorientierung, ganz offensichtlich etwa bezüglich des Grundrechtkatalogs oder eines besseren Informationszugangs für die Bevölkerung. Auch die Dezentra-
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Japans und Südkoreas
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lisierungsfrage steht in einem indiiekten Zusammenhang zur Regelorientierung, weil damit ein Wettbewerb von Ordnungssystemen thematisiert wird (Pascha 1999). Insgesamt nehmen also gegenwärtig zwei zentrale Reformfelder staatlichen Handels in Japan - die Verfassungsdebatte und die Justizreform - die Frage der Regelorientierung auf. Warum dies so ist, wie ernst es gemeint ist und wie sich von daher die Umsetzungschancen darstellen, soll uns im Zusammenhang mit der Diskussion der weiter oben entwickelten Arbeitshypothesen zur ,rule of law' in Ostasien beschäftigen. Zunächst zum Fall der Republik Korea.
4. Verfassungswandel in der Republik Korea - ein erster Überblick Für die Republik Korea (Südkorea) stellen sich die Verhältnisse deutlich komplizierter dar. Mit westlich inspiriertem Recht waren die Koreaner zunächst vor allem über das japanische Kolonialregime (1910-45) vertraut geworden. 1948 begann mit der Gründung der südkoreanischen Republik, bereits unter dem Vorzeichen der Trennung der beiden Teile Koreas, die Phase der Unabhängigkeit mit insgesamt neun, zum Teil sehr umfassenden Verfassungsänderungen (vgl. Tabelle 1). Praktisch alle Neuentwürfe, mit Ausnahme des letzten von 1987, sind ohne ausreichende Beteiligung der Opposition zustande gekommen, so daß sie trotz formal erfolgter Referenden keine hinreichende Legitimität beanspruchen konnten. Auch ein wirkliches Vertrauen in die langfristige Bindung staatlichen Handelns durch die Verfassung konnte damit kaum entstehen. Entsprechend kurz ist auch die durchschnittliche Geltungsdauer, zumal die insgesamt zehn Verfassungen (einschließlich der ersten Verfassung von 1948) mit sechs, zum Teil gewaltsamen Regimewechseln verbunden waren (vgl. die Spalte „Umstände" in Tab. 1). Der Verfassungswandel in der Republik Korea läßt sich im Vergleich mit Japan scheinbar leicht erschließen, da es die erwähnten expliziten Verfassungsänderungen gegeben hat. Die diversen Änderungen und ihre Umstände sind in Tabelle 1 dokumentiert. Für die Wirtschaftsverfassung i.e.S. unterscheidet Jung (1998) dabei fünf markante Schritte (Tabelle 1, rechte Spalte). Die Verfassung von 1948 kennt zwar in Art. 15 schon einen expliziten Eigentumsschutz, - der allerdings durch Gesetze definiert und beschränkt wird - , sieht aber weite Bereiche des Wirtschaftslebens für staatliche Wirtschaftsbetriebe vor. Dieser Passus wurde 1954 abgemildert. Das kurze demokratische Zwischenspiel von 1960 - d.h. die Zweite Republik mit den Verfassungsänderungen 3 und 4 - hat keine Spuren in der explizit kodierten Wirtschaftsverfassung hinterlassen.
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Werner Pascha
Tabelle 1: Die Verfassungsänderungen der Republik Korea Verfassungsänderung; Regimewechsel
Datum
Neu17.07.48 verfassung (Erste Republik)
Anlaß
Umstände
Grundlegende Änderungen
Änderungen in der Wirtschaftsverfassung
Republikgründung
Nichtbeachtung von Minderheitsmeinungen zur nationalen Einheit, auf Präsident Rhee zugeschnitten
Präsidialsystem, eine Kammer
Ziel: Harmonie von individueller Freiheit und sozialer Gerechtigkeit (Art. 84); Eigentumsrechte im Rahmen der Gesetze (Art. 15); Staatsbesitz: Bodenschätze, Transport, Strom, etc.
Erste
07.07.52
Unterdriikkung der Opposition, die ein parlamentarisches System will
Unter Kriegsrecht, Verfahrensfehler
Direktwahl des Präsidenten, zwei Kammern
Zweite
29.11.54
Wiederwahl Rhees ermöglichen
,Uminterpretation' der Mehrheitsregel
Unbegrenzte Wiederwahlmöglichkeit für den Gründungspräsidenten (Rhee)
Dritte (Zweite Republik)
15.06.60 Fall des Rhee- Kaum BeteiliRegimes, kur- gung der früheze Demoren Machthakratiephase ber, keine geheime Abstimmung
Parlamentarisches System, Verfassungsgericht, Wahl der höchsten Richter u.ä.
Nichtbeachtung des Grundsatzes, neues Recht nicht rekursiv anzuwenden
Erlaubnis einer ex posl factoGesetzgebung zur Bestrafung von Fehlverhalten unter dem RheeRhee-Regime
Vierte
29.11.60
Anhaltende Kritik am früheren Regime
Fünfte (Dritte Republik)
26.12.62
Militärputsch
Präsidialsystem Erarbeitung durch Junta, nur mit Gewaltenteilung, aber kurze Aussehr starker setzung des Stellung der Kriegsrechts für Exekutive Referendum
Privatbesitz bzw. privates Management für viele Infrastrukturbereiche (Art. 87)
Tenor ist gelenkter Markt, z.B. Regulierung und Adjustierung des Marktes im Interesse von sozialer Gerechtigkeit, grundlegenden Lebensumständen und nationaler Wirtschaft (Art. 111 (2)); Recht der Arbeiter auf gleichen Gewinnanteil in rentablen Privatunternehmen abgeschafft; Passus zur wirtschaftlichen Freiheit in Art. 111 (1), Möglichkeit der Regulierung
.Rule of law ' in den Wirtschaftsverfassungen
Japans und
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Südkoreas
in (2); [Zentralbank und Banken per Gesetz unter starker staatlicher Kontrolle] Sechste
27.10.69
Referendum auf Ende der Basis einer Parzweiten lamentsentAmtszeit von scheidung, die Präsident Opposition Park ausschloß
Siebte (JushinVerfassung'; Vierte Republik)
27.12.72
Krise des Kriegsrecht, Extrem starke Forcierung der Marktlenkung; z.B.: Wirtschaftsentwicklung Stellung des Pori-Regimes Neuformulierun und wissenschaftlicher FortPräsidenten, g im kleinen schritt sollen beschleunigt Kreis, Referen- z.B. Besetzung dum ohne von Richterwerden und stark öffentliche stellen, Aussetvoranschreiten (Art. 123) zung von VerDebatte fassungsrechten per Dekret
Achte (Fünfte Republik)
27.10.80
Ermordung Parks, später Militärputsch
Erarbeitung im Starke Stellung Etwas liberalere Ausrichtung; kleinen Kreis, des Präsidenten, Nennung von aber nur eine Referendum Monopolkontrolle (Art. 120 Wahlperiode ohne Debatte, (2)); Konsumentenrechte von sieben da Kriegsrecht verankert; [WettJahren bewerbsgesetz 1980]
Neunte (Sechste Republik)
27.10.87
Öffentliche Unzufriedenheit, Wechsel von Chun auf Roh durch Versprechen einer Demokratisierung
Zusammenarbeit Regierung und Opposition bei der Formulierung, Referendum unter gültigen Regeln
Weitere Amtszeit des Präsidenten möglich
Direktwahl des Präsidenten für eine Amtszeit (5 Jahre), Stärkung von Legislative, Judikative und Grundrechten
Als Staatsaufgabe wirtschaftliches Wachstum und Sicherheit mit fairer Einkommensverteilung, Bekämpfung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht und Betonung von 'Wirtschaftsdemokratie' (Art. 119(2))
Quelle: Erstellt vom Verfasser auf der Basis von Yoon (1996); Jung (1998); Lee,
Chul-woo
(2003); Choi (2003); Kim, Joongi (2003) und anderen Quellen
D i e V e r f a s s u n g v o n 1987 billigt w i e ihre Vorgänger d e m direkt gewählten Staatspräsidenten eine starke Position zu; er ist nicht v o m Vertrauen d e s Parlamentes abhängig. Immerhin gibt e s eine größere Zahl wechselseitiger Kontrollmöglichkeiten z w i s c h e n den drei Gewalten. D a z u trägt nicht zuletzt die Einrichtung e i n e s Verfassungsgerichts (eigener Abschnitt V I der Verfassung mit Art. 1 1 1 - 1 1 3 ) als Hüter der V e r f a s s u n g bei. A n verschiedenen B e s t i m m u n g e n wird deutlich, daß eine u n a b h ä n g i g e Einrichtung g e wollt ist; s o werden j e drei der neun Mitglieder v o m Präsidenten, v o m Parlament und v o m Präsidenten des O G H nominiert. Seine Zuständigkeit ist in einer positiv aufzählenden Liste definiert: konkrete Normenkontrolle, 1 3 Staatsanklage, A u f l ö s u n g v o n poli-
13
Die .konkrete' Normenkontrolle greift (nur) dann, wenn bei einem regulären Gericht im Zuge eines anstehenden Verfahrens Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes aufkommen.
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Werner Pascha
tischen Parteien, Kompetenzstreitigkeiten zwischen staatlichen Stellen, Verfassungsbeschwerde (Art. 111). Die Parallelität zum etablierten OGH macht es dem Verfassungsgericht allerdings nicht leicht, Reputation aufzubauen. So hat es ein Kompetenzgerangel um die Frage gegeben, ob dem Verfassungsgericht auch die Normenkontrolle gegenüber staatlichen Akten unterhalb der Gesetzesebene zukommt (Huh 1997, S. 543). Die Grundrechte erfahren mit der Verfassung von 1987 eine starke Aufwertung. Sie nehmen als Abschnitt II mit den Artikeln 10 bis 39 einen breiten Raum ein. Wirtschaftliche Grundrechte sind insbesondere mit dem Art. 23 angesprochen, der das Eigentumsrecht garantiert. Wie im Falle Japans wird die Rechtssicherheit dadurch begrenzt, daß „Inhalt und Begrenzungen" des Eigentumsrechts erst auf gesetzlicher Ebene bestimmt werden. Zudem ist die Ausübung der Eigentumsrechte an die „öffentliche Wohlfahrt" gebunden (im Absatz 2 des Art. 23), und Enteignungen wie Beschränkungen werden - gegen Entschädigung - ausdrücklich zugelassen (Absatz 39). Die Bindung an die öffentliche Wohlfahrt wird für die Umsetzung aller Grundrechte in (einschränkenden) Gesetzen in Art. 37 (2) nochmals ausdrücklich wiederholt; ähnliche Berücksichtigung erfahren danach die nationale Sicherheit sowie ,Recht und Ordnung'. Andere wirtschaftsrelevante Grundrechte sind mit dem Recht auf, aber auch der Pflicht zur Arbeit (Art. 32) und dem Staatsziel der Förderung von sozialer Sicherung und Wohlfahrt (Art. 34 (2)) angesprochen. Die Grundrechte haben programmatischen Charakter und bedürfen der näheren Bestimmung durch Gesetz. Daß in den Katalog des Abschnitts II der Verfassung auch eher ,weiche' Rechte und Zielkategorien wie die Umwelt (Art. 35) oder die Gleichberechtigung der Geschlechter (Art. 36) aufgenommen worden sind, spricht für eine wenig strikte Bindung von Exekutive und Legislative. Man gewinnt den Eindruck, daß die Verfassung in diesen Punkten - angesichts der historischen Situation ihres Zustandekommens (vgl. die obige Fußnote 13) - eher werbenden und programmatischen Charakter haben sollte. In Korea selbst ist eine Diskussion dazu geführt worden, ob die Verfassung von 1987 ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft beinhalte. Aufgrund der expliziten Nennung von sozialer Sicherung und Wohlfahrt im Grundrechtskatalog sowie der allgemeinen Bindung der freiheitlichen Grundrechte an die öffentliche Wohlfahrt könnte es sich damit höchstens um eine i.w.S. .soziale Marktwirtschaft' handeln, auch wenn dieser Begriff bei vielen Koreanern aufgrund der vermuteten Nähe von ,sozial' und sozialistisch' nicht sehr geschätzt wird. Näheren Aufschluß könnte der Abschnitt IX der Verfassung von 1987 geben, der sich explizit mit der Wirtschaft befaßt. Hier ist insbesondere der Eingangsartikel 119 (2) von Interesse, der sich von früheren Verfassungen spürbar unterscheidet: „The State may regulate and coordinate economic affairs in order to maintain the balanced growth and stability of the national economy, to ensure proper distribution of income, to prevent the domination of the market and the abuse of economic power and to democratize the economy through harmony among the economic agents." (übernommen aus dem Huh (1989, S. 600) anhängenden Verfassungstext in englischer Übersetzung) In diesem Passus fällt die Vielzahl unbestimmter Begriffe auf ("balance", "proper", "domination", "abuse", "democratize", "harmony"). Insbesondere das Konzept der .Wirtschaftsdemokratie' ist den spezifischen Umständen der Verfassungsentstehung
.Rule of law' in den Wirtschaftsverfassungen
Japans und Südkoreas
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geschuldet (vgl. die obige Fußnote 13).14 Der erste Abschnitt des Art. 119 ist ebenfalls von Interesse. Er lautet: „The economic Order of the Republic of Korea shall be based on a respect for the freedom and creative initiative of enterprises and individuáis in economic affairs." (übernommen aus dem Huh (1989, S. 600) anhängenden Verfassungstext in englischer Übersetzung).
Bereits in früheren Verfassungen hatte es seit 1962 einen entsprechend zweigeteilten Grundsatzartikel zur Wirtschaft gegeben. Aus der Reihenfolge der Abschnitte mag man ableiten, daß der Verfassungsgeber die Freiheitsrechte gegenüber der Regulierungsoption betonen wollte. In der wichtigen Entscheidung von 1993 zum Untergang des Kukjs-chaebol hat das Verfassungsgericht jedenfalls abgeleitet, daß bezüglich der Einmischung des Staates in das Management eines untergegangenen Unternehmens hohe Maßstäbe anzulegen seien, entweder aufgrund einer gesetzlichen Basis oder eines Notstandsdekretes; beides war im Falle Kukje nicht gegeben, so daß das Vorgehen der Regierung von 1984/85 im nachhinein als nicht verfassungsgemäß eingestuft wurde (Kim, Joongi 2003, S. 70-74). Wirklich verläßliche Regeln wurden aber auch nicht mit den neuen Verfassungsgerichtsentscheidungen aufgestellt (Choi 2003, S. 46 f.). Der Staat hat nicht gezögert, das Eigentumsrecht - als hier besonders interessierendes Grundrecht - dann einzuschränken, wenn er vermeintlich höherrangige Ziele gefährdet sah. Um Anfang der 90er Jahre z.B. eine Immobilienpreisblase zu verhindern, schränkte der Staat die Kontrahierungsmöglichkeiten auf diesem Markt markant ein, z.B. hinsichtlich der Wohnungsgröße. Besonders deutlich traten die Spannungen zwischen bestehenden Eigentumsrechten und den wirtschaftspolitischen Zielen des Staates nach der Wirtschaftskrise von 1997/98 bei der Behandlung der chaebol hervor, also bei jenen Großkonglomeraten, die durch ihre Überexpansion und Intransparenz nicht unwesentlich zur Krise beigetragen hatten. Später mehr dazu.
5. Gelten die Hypothesen der institutionellen Verfassungsökonomik für Japan und Südkorea? Nachdem Verfassungswandel, Stand der aktuellen Verfassungskodifizierung sowie Verfassungswirklichkeit überblicksartig vorgestellt sind, kehren wir zu den eingangs formulierten Ausgangsfragen bzw. Hypothesen zurück. Wir wollen sie im Vergleich von Japan und der Republik Korea diskutieren.
14
Auch Jung (1998), der diese Frage in einem Aufsatz explizit angeht, kann letztlich nur in sich wenig kohärente Hinweise geben: Einerseits drücke sich in dem Konzept Respekt vor der individuellen Wahlfreiheit aus, in diesem Sinne sei gerade der Markt der demokratische Mechanismus der Ressourcenlenkung (Jung 1998, S. 385). Umgekehrt sei der Gedanke der Demokratie sinnlos ohne Berücksichtigung einer fairen Verteilung von Ressourcen und Vermögen (Jung 1998, S. 387). Der Staat hat mithin weiten Spielraum zur inhaltlichen Ausgestaltung.
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Werner
Pascha
Zur Wachstumsthese (1) Zunächst zur Wachstumsthese, d.h. dem vermutet positiven Zusammenhang von ,rule of law' und Wirtschaftswachstum. In langfristiger Sicht besteht kaum ein Zweifel, daß beide Größen positiv korreliert sind. Bei genauerer Betrachtung ist der Zusammenhang allerdings nicht besonders gut nachweisbar, insbesondere wenn er im Sinne einer Kausalität (Regelbindung —• Wachstum) interpretiert werden soll.15 So setzten in der Frühphase der japanischen Modernisierung nach der Meiji-Restauration von 1868 entscheidende Weichenstellungen für einen Wachstumspfad bereits zu einer Zeit ein, als es noch keine Verfassung (1889) oder ein Handelsgesetzbuch (1899) gab. Für die Nachkriegszeit ist man zunächst geneigt, die phänomenalen Wachstumserfolge der 50er und 60er Jahre mit der neuen Verfassung von 1947 (mit-) zu erklären. Dabei würde man sich auf die Betonung der Volkssouveränität und der demokratischen Rechte berufen können. Bei den Grundrechten entdeckt Scheer (1979, S. 59) in den „stark ans amerikanische Vorbild angelehnten Formulierungen ... [sogar] etwas Missionarisch-Überschwengliches". Auch die formale Unabhängigkeit der Justiz ist gegenüber der Vorkriegsverfassung deutlich gestärkt. Der Rückgang der Wachstumsraten um etwa 1970 wird allerdings kaum mit einer Veränderung (bzw. Verschlechterung) der ,rule of law' in Verbindung gebracht, sondern hat gesamtwirtschaftliche Hintergründe {Pascha 2003, S. 44). Umgekehrt haben die bescheidenen Fortschritte bei der Umsetzung einer Regelorientierung bzw. beim Abbau des Insider-Interventionismus seit den 90er Jahren noch nicht zu spürbaren Wachstumsbeiträgen gefuhrt. Auch für Korea gelten ähnlich skeptische Überlegungen bezüglich konkret nachweisbarer Zusammenhänge von ,rule of law'-Regime und Wirtschaftswachstum. Der historische Einstieg in einen exportgetragenen Wachstumspfad in den frühen 60er Jahren kann kaum mit den wirtschafisbezogenen Passagen der Verfassungsänderung von 1962 in Zusammenhang gebracht werden. Entscheidender war das de facto-Handeln des Staates, dessen Wirtschaftspolitiken Jung (1998, S. 368) pointiert als „indifferent to economic constitutional law" charakterisiert. Die Wirtschaftskrise zum Ende der 70er Jahre kann in eine Verbindung zur Mißachtung individueller Rechte ab den frühen 70er Jahren unter der zunehmend verhärteten Parfc-Diktatur gebracht werden. Insbesondere ist dabei an die Entmündigung der Sparer zu denken; sie wurden gezwungen, die staatlich betriebene Schwerindustrialisierung mitzufinanzieren. Im Falle des informellen Kreditmarktes wurden sie durch das Notstandsdekret vom August 1972 sogar praktisch enteignet; Hintergrund war der (kurzfristig erfolgreiche) Versuch, den Firmensektor als Schuldner vor einer drohenden Insolvenzwelle zu bewahren {Lim 2003, S. 48). Entscheidend war aber auch hier die veränderte Haltung der Staatsspitze, die sich dann auch, aber zeitlich nachgeordnet, in einem geänderten Verfassungstext vom Dezember 15
Zu ähnlich skeptischen Ergebnissen kommt Taube (2002) bezüglich einer zentralen Frage in der jüngeren chinesischen Wirtschaftsentwicklung, nämlich dem Verhältnis der Sicherung privater Eigentumsrechte und dem seit den 80er Jahren rasanten wirtschaftlichen Wachstum. Dieses Wachstum kam bei zunächst recht intransparenten und keineswegs gesicherten privaten Eigentumsverhältnissen zustande, und Taube argumentiert, daß es dafür auch gute Gründe gegeben haben mag.
,Rule of law' in den Wirtschaftsverfassungen Japans und Südkoreas
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1972 manifestierte. Der markante Wandel hin zur .Wirtschaftsdemokratie-Verfassung' von 1987 mag schließlich zu den Schwierigkeiten der späten 80er Jahre (Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit) und der späten Präsidentschaft Kim Dae-Jung um 2000 (Lavieren zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen) beigetragen haben. Dies könnte mit dem Spagat zwischen wirtschaftlichen und sozialen bzw. wirtschaftsdemokratischen Interessen begründet werden, den der Staat mit der 1987er Verfassung im Gepäck bewältigen sollte. Gerade die .große' Wirtschaftskrise von 1997/98 hat aber eher - neben anderen, auch internationalen Faktoren - einen anderen Hintergrund, nämlich die zu laxe Kontrolle der exzessiv genutzten ,Rechte' bzw. Handlungsmöglichkeiten der großen Industrie- und Finanzunternehmen, nicht ihre übermäßige Eingrenzung durch .wirtschaftsdemokratische' Mechanismen. Zur Bindungsthese (2) Die zweite Hypothese stellte einen positiven Zusammenhang zwischen der Verankerung der ,rule of law' in der Wirtschaftsverfassung und dem Grad ihrer positiven wirtschaftlichen Effekte her. Wenn bezüglich der These 1 gerade festgestellt wurde, daß enge kausale bzw. zeitliche Zusammenhänge zwischen einer expliziten - positiven oder negativen - Änderung der Regelbindung und dem Wirtschaftswachstum nur schwer beizubringen sind, dann kann das auch daran liegen, daß die .rule of law' in die niedergelegten Verfassungen tatsächlich nur unsauber eingebunden ist. Die Probleme sind insoweit systematisch, als das explizite Sozialstaatsgebot in Japan wie in Korea weite Spielräume für staatliches Handeln eröffnet. Die Formulierungen zur Sozialstaatlichkeit sowie das eingeschränkte, wenn überhaupt nachweisbare Bekenntnis zu einer Marktwirtschaft weisen im übrigen nicht zufällig Parallelen zum deutschen Grundgesetz auf. Sie sind vielmehr nicht wenig dem Vorbildcharakter der deutschen Verfassungslehre für Japan und Südkorea geschuldet. Jenseits der Frage, ob die ausformulierte Wirtschaftsverfassung den Staat tatsächlich bindet, steht das Problem, ob die .wirkliche' Verfassung nicht eine durchaus andere, hinter Äußerungen und Bekenntnissen verborgene Ebene von Verhaltensbindungen darstellt. Sasaki (2002, S. 102) spricht für Japan von einem andauernden Konflikt zwischen der esoterischen, also für die Insider relevanten Doktrin, und den exoterischen, also für Außenseiter aufgestellten Prinzipien. Diese Terminologie wollen wir hier übernehmen. 16 Auch für Korea gilt das Spannungsfeld zwischen beiden. So ist es frappierend, daß sich trotz mehrerer, auch gewaltsamer Regimewechsel mit markant unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Konzeptionen die formal niedergelegten Wirtschaftsverfassungen nur in Nuancen unterscheiden (vgl. nochmals Tabelle 1). Für die Regierungszeit unter Park Chung Hee war zum Beispiel entscheidend, wie die vielseitig interpretierbare formale
16
Diese Unterscheidung ist nicht deckungsgleich mit den bekannteren Differenzierungen zwischen formell und informell bzw. explizit und implizit. Bei der Formalität geht es um die Art der Kodierung einer Regel, beim Gegensatz explizit/implizit um die formale Erfassung eines Wandels, bei der Unterscheidung von exoterisch und esoterisch dagegen um eine nach außen vorgegebene gegenüber einer .tatsächlich' gegebenen Regelungsstruktur, gleichgültig, wie diese jeweils kodiert ist.
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Wirtschaftsverfassung tatsächlich (,esoterisch') gehandhabt wurde bzw. welches Verständnis bei den Wirtschaftssubjekten darüber vorherrschte. Solange sich die positive Verfassungsökonomik mit dem expliziten Verfassungswandel befaßte, lag es nahe, das Augenmerk auf die im Verfassungstext autorisierten Träger eines Verfassungswandels zu lenken. Indem zunehmend der implizite Verfassungswandel Berücksichtigung fand (beispielhaft: Voigt 1999), konnte diese Sicht nicht mehr genügen. Es ging nun mehr um die tatsächlichen Einflußträger, neben Regierung, Legislative und Judikative nicht zuletzt privatwirtschaftliche Interessengruppen. Auch dies erscheint jedoch noch zu eng. Der Fall Ostasiens zeigt, wie wichtig es ist, die Rolle einer esoterischen Verfassung genauer zu untersuchen, einer Verfassung also, die sich von exoterischen Prinzipien durchaus unterscheidet. Ein Wandel der exoterischen Verfassung, sei er expliziter oder impliziter Natur, muß keine notwendige, geschweige denn hinreichende Bedingung für einen esoterischen Verfassungswandel sein. Im Extremfall mag sich die ,wirkliche' esoterische Verfassung als Summe der effektiven Verhaltensbindungen keinem der in ihr Handelnden und sie verändern wollenden Akteure voll erschließen. Das bedeutet nicht, daß die Wahrnehmung der Verfassung keine Rolle mehr spielte. Im Gegenteil stellt sich ihre Bedeutung als besonders wichtig - und komplex - dar. Weil sich die esoterische Wirtschaftsverfassung nicht auf eine explizierte, im Zweifel kodifizierte Ausformulierung reduzieren läßt, wird es zentral, welches mentale Bild die Akteure von ihr haben. Dadurch erst werden die von der Verfassung gesetzten Regeln erfahrbar. Im Handeln erweist es sich dann u.U. als nötig, dieses Bild zu korrigieren; für die Handlungsakte selbst ist es aber zunächst einmal entscheidend. Dies bedeutet im Übrigen, daß die für zentrale Fragen der Verfassungsökonomik so wichtige Unterscheidung vom Setzen der Verfassung und Handeln in der Verfassung an Schlagkraft verliert. Die esoterische Verfassung und ihr Wandel erschließen und ergeben sich erst aus den Aktivitäten in und mit ihr, die Verfassung hat keine davon unabhängige Existenz. Zur Herrschaftsthese (3) Die These 3 bezog sich auf die Bedeutung der Unterscheidung von Autokratie und Demokratie für die Sicherung der ,rule of law'. Bei Olson (2000) erscheint die stabile Autokratie, welche ihren Nutzen dadurch maximiert, (Eigentums-) Rechte der Untertanen zu schützen und einen (erheblichen) Teil der Erträge abzuschöpfen, eher als Ausnahme. Ostasien zeigt, daß dieser Fall empirisch durchaus relevant ist. Die großen Wachstumserfolge Koreas in den 60er und frühen 70er Jahren waren in einem autokratischen Regime möglich, auch die Restrukturierungserfolge der frühen 80er Jahre. Umgekehrt hatte die junge Demokratie Ende der 80er Jahre eher Probleme, die Rechte der verschiedenen Interessengruppen zu sichern; dies zeigte sich in der Wachstumsdelle jener Jahre. (Man mag in diesen Problemen des sich demokratisierenden Koreas noch Folgeerscheinungen der Überwindung der Vorregierungen sehen; ein augenscheinlicher Zusammenhang von Demokratie und positiven Wachstumseffekten besteht jedenfalls kaum). Ostasien belegt aber auch zweierlei, was zu einer modifizierten Herrschaftsthese Anlaß geben könnte. Erstens die Frage, ob die Unterscheidung Autokratie/Demokratie
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am Wahl- bzw. Nachfolgeproblem festgemacht werden sollte - dies würde jedenfalls auf der einfachsten Definition des schillernden Begriffes ,Demokratie' beruhen - , oder an der Existenz politischen Wettbewerbs. Das Nachkriegsjapan ist formal gewiß eine Demokratie, faktisch hat die Liberaldemokratische Partei aber über Jahrzehnte den politischen Wettbewerb bzw. ihre Abwahlwahrscheinlichkeit signifikant senken können." Daraus ergab sich eine gespaltene Haltung bei der Sicherung der ,rule of law' (Ramseyer und Rasmusen 2003). Einerseits erwies es sich als nützlich für das alltägliche Wirtschaftsleben, im Bereich des Bürgerlichen Rechts die ,rule of law' zu stärken. Umgekehrt besaß die oligarchische Führung ein Interesse daran, politisch relevante Ausnahmebereiche zu schaffen, in denen sie durch kollusives Verhalten die für Wiederwahl und Machterhalt zentralen Interessengruppen stärken konnte. Hier ging es nicht um eine Regelorientierung, sondern um effektive Abschöpfung und Umverteilung. Gerade die weiter oben angesprochene .administrative Lenkung' kann als - lange Zeit durchaus erfolgreicher - Versuch gewertet werden, besondere Interessen im Einvernehmen mit der kollusiv eingebundenen Ministerialbürokratie an bestehenden Rechten vorbei zu verfolgen. Die zweite Modifikation gegenüber einer pointiert einfachen Herrschaftsthese ä la Olson besteht also darin, eine gespaltene Regelorientierung in Rechnung zu stellen. Diese Ergänzungen der Herrschaftsthese erweisen sich auch im Falle der Republik Korea als nützlich, allerdings nicht leicht anzuwenden. Zwar handelte es sich bei der Staatsfuhrung lange um eine Autokratie, sie befand sich aber in einem existentiellen Wettbewerb mit dem nordkoreanischen Regime. Entsprechend der einfachen OlsonThese hätten die südkoreanischen Machthaber deshalb eine kurzfristige Abschöpfungsstrategie betreiben können. Sie wählten aber den Weg einer gespaltenen Regelorientierung. Dabei wurde für die alltäglichen Geschäfte des bürgerlichen Lebens ein erhebliches Maß an Rechtssicherheit gewährt, welches Wachstum ermöglichte und durch die Abschöpfung eines hohen Anteils des Sozialproduktes für Verteidigungszwecke die auswärtige Absicherung des Regimes ermöglichte. Für politisch brisante Projekte lag eine solche Regelbindung allerdings nicht im Interesse der Herrschenden. Eine unbedingte Prinzipientreue zur formalen Verfassung machte deshalb keinen Sinn. Sowohl eine korrupte (Chun in den 80er Jahren) wie eine weniger korrupte Staatslenkung (Park in den 60er und 70er Jahren) waren damit vereinbar, solange ein großer Bereich des Wirtschaftslebens unter dem Vorzeichen erträglicher Rechtssicherheit funktionieren konnte.' 8
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Auf diese besonderen Umstände in Japan weist auch Schofield (2003, S. 88) in einer Sammelbesprechung von Olson (2000) und anderen Werken hin. Beez (2000, insbes. S. 301) spricht in diesem Zusammenhang von einem sog. ,rent-seekingarrangement'. Danach war der Staat bereit, jenen Unternehmen, die seine (Wachstums-)Ziele bereitwillig umsetzten, erhebliche Renten als Belohnung zuzubilligen. Es habe sich dabei um einen selbstdurchsetzenden relationalen Vertrag gehandelt. Er war also gerade nicht abstraktallgemeinen Regeln verhaftet.
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Zur Interessendruckthese (4) In der vierten These wurde eine Tendenz zur ,rule of law' als Resultat der Ausbildung zusätzlicher Interessengruppen in einer sich pluralistisch auffächernden Gesellschaft postuliert. Japans Weg scheint mit dieser Überlegung gut vereinbar. In der frühen Nachkriegszeit konnte sich der Staat mit der lange regierenden Liberaldemokratischen Partei auf relativ wenige Interessengruppen stützen (Großindustrie, Landwirtschaft). Mit der zunehmenden Dauer dieses Systems traten die Probleme einer Olsonschen Sklerose deutlich hervor. Es erstarkten jedoch auch andere Gruppen, die städtische Bevölkerung etwa oder ausländische Finanzinteressen. Hintergrund waren verschiedene Entwicklungen, nicht nur, vielleicht nicht einmal in erster Linie die allmähliche Überwindung des Olsonschen Organisationsdilemmas, sondern die durch Reifung und Globalisierung erzwungene Außenöffnung oder demographisch-wirtschaftsstrukturell bedingte Verschiebungen. Als diese neu erstarkten Interessengruppen nicht mehr ignoriert werden konnten, dies jedenfalls den Machterhalt der Regierenden immer stärker gefährdete, mußten Wege gefunden werden, einander eigentlich widersprechende Interessen (z.B. ländliche vs. städtische Bevölkerung) zu akkommodieren. Mit einem proaktiven Interventionismus konnte dies immer weniger gelingen, so daß in den 90er Jahren der Gedanke an transparente, regelgesteuerte Strukturen in der staatlichen Programmatik immer häufiger auftauchte. Schlüsselbegriffe sind dabei z.B. die Verwaltungsreform, die Dezentralisierungsbemühungen und die Deregulierungsprogramme. Mit der 1999 verabschiedeten zehnjährigen Perspektive ,Ideal Socioeconomy and Policies for Economic Rebirth', einem Nachfolger der früheren Wirtschaftspläne, wird zum Beispiel deutlich formuliert, daß sich der Staat zukünftig auf ganz wenige Bereiche konzentrieren solle, und zwar neben dem Krisenmanagement, der sozialen Sicherung und der Behandlung von Externalitäten dem sogar als erstes genannten Setzen von Regeln für den Markt {Pascha 2003, S. 141). Ein besonders deutlicher Beleg für die Relevanz der These 4 ist die weiter oben in ihren Grundzügen vorgestellte Justizreform. Lange Zeit wurde sie - mit wenig Aussicht auf Erfolg - von der Vereinigung der Rechtsanwälte (Japan Federation of Bar Association, JFBA) betrieben. Erst in den 90er Jahren drängte auch der Unternehmerverband auf Veränderungen. Ihm ging es im Zusammenhang mit der Deregulierung der Wirtschaft darum, die immer häufiger als störend, unzuverlässig und inkompetent empfundenen Regierungsinterventionen zurückzudrängen {Satö 2002, S. 75-79). Ironischerweise verfolgten JFBA und Unternehmer also ganz verschiedene Ziele: Ersteren ging es um die Konsumenteninteressen - und, so darf man vermuten, die Möglichkeit zusätzlicher Aufträge - , letzteren um Produzenteninteressen. Trotzdem war beiden Seiten nunmehr an transparenteren, verläßlicheren Regelbindungen gelegen, was deren Berücksichtigung im politischen Reformprozeß erheblich beförderte (Miyazawa 2003). Korea ist diesen Weg weniger weit gegangen. Mit den Forderungen nach einer Wirtschaftsdemokratie und gerechterer Verteilung in den späten 80er Jahren, gleichzeitig aber auch der Existenz überstarker c/iae6o/-Unternehmen sah sich die Regierung zu proaktiven Steuerungsversuchen veranlaßt. Daran hat auch die schwere Finanzkrise
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von 1997/98 nicht grundlegend etwas geändert. 19 In der Folge setzte die Regierung unter Kim Dae-Jung auf ein aktives Austarieren von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen. Den chaebol wurde weniger durch abstrakte Regelsetzung begegnet, sondern angesichts des hohen volkswirtschaftlichen Gewichtes einzelner Unternehmen durch gezielte Maßnahmen auf einzelwirtschaftlicher Ebene {Lee, Jae-Woo 2001). In dieser Hinsicht ist eine Kontinuität in die Amtszeit von Roh Moo Hyun hinein zu beobachten. Zwar bestand ein zentrales Mandat seiner Amtszeit bei Amtsantritt 2003 darin, eine „new political culture governed by rules and justice" zu schaffen, so der Präsident des Korea Development Institute in einer Würdigung der wirtschaftlichen Vision und politischen Initiativen der neuen Administration (Kim, Choongsoo 2004). Trotzdem besteht ein Schwerpunkt der verschiedenen staatlichen Initiativen immer noch in proaktiven Handlungsansätzen der Wirtschaftspolitik. Auch verschiedene Schlüsselbegriffe Präsident Rohs wie 'collaborative governance' oder 'participatory democracy' deuten daraufhin, daß der Staat inhaltlich konkrete Wege im Dialog mit wichtigen Interessengruppen suchen und sich nicht auf das Setzen allgemeiner Regeln zurückziehen will. Immerhin ist die Problematik erkannt, wird in akademischen Kreisen diskutiert (Min 2000) und findet in die wirtschaftspolitische Konzeption unter Schlagworten wie .Transparenz', ,Fairness' oder ,Accountability' auch bereits Eingang. 20 Insgesamt sehen wir keinen Anlaß, die Interessendruckthese zurückzuweisen. Sie wird Ostasien jedenfalls eher gerecht als die Olsonsche Sklerosethese. Japan scheint im Sinne der These 4 schon weiter fortgeschritten als Korea. Für das letztere Land läßt sich die Erwartung ableiten, daß eine Debatte um bzw. Tendenz zur Regelorientierung dort zunehmend an Gewicht gewinnt. Und zwar dann, wenn sich noch deutlicher erweisen wird, daß der Staat überfordert ist, durch proaktives Agieren den verschiedenen, zum Teil konfligären Interessengruppen die versprochene oder als wichtig erkannte Hilfe zu gewähren. Zur Autonomie- und zur Anpassungsthese (5, 6) Die nächsten beiden Thesen beschäftigten sich mit der Rolle der Judikative bei der Sicherung der ,rule o f l a w ' . Zum einen wurde ihre Autonomie als abhängig von den sie einsetzenden politischen Interessen gesehen (,Autonomiethese'), zum anderen von den öffentlichen Präferenzen (.Anpassungsthese'). Die Einfuhrung der Nachkriegsverfassung mit der Betonung der Justizunabhängigkeit ist der amerikanischen Besatzung geschuldet, was die Bedeutung der Interessen deijenigen politischen Kräfte, welche die
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Dies übrigens (auch) im Gegensatz zur einfachen Olsonschen Sklerosethese: Die schwere Krise hat nicht zu einer Überwindung spezieller Interessengruppen geführt. Vielmehr hat der bei Amtsantritt von einer breiten öffentlichen Zustimmung getragene Präsident Kim DaeJung sein Mandat für radikale Schnitte zur Währungsstabilisierung unter dem IWF-geführten Programm dadurch erkauft, daß er Interessengruppen, wie den organisierten Arbeitnehmern, eine Unterstützung gegenüber der übermächtigen Großindustrie zusicherte; damit wurden solche Interessen aber eher stabilisiert, auch wenn kurzfristig große Zugeständnisse nötig wurden. So auch der KDI-Präsident Choongsoo Kim in der auf sein Referat (Kim, Choongsoo 2004) folgenden Diskussion.
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Justizverfassung einsetzen, in fast schon trivialer Weise bestätigt. 21 Auch die Frage, warum die Amerikaner an einer unabhängigen Justiz interessiert waren, ist fast banal zu beantworten: Da ein Ende der Besatzung abzusehen war und zukünftige japanische Regierungen bzw. parlamentarische Mehrheiten nicht hinreichend abzuschätzen waren, machte es Sinn, die auf Verfassungsebene verankerten Reformen durch eine möglichst starke, autonome Justiz abzusichern. Interessanter sind die folgenden Jahrzehnte, in denen die Justiz, namentlich der OGH, seine Kontrolle über die beiden anderen Staatsgewalten sehr zurückhaltend ausgeübt hat (Okudaira 1995); umgekehrt sind Versuche der Einflußnahme auf die Justiz sehr selten. Warum haben es die inzwischen souveräne Legislative und Exekutive unterlassen, stärkeren Einfluß zu nehmen? (Ein expliziter Verfassungswandel wäre zwar aufgrund der hohen Hürden, die die Verfassung selber dafür errichtet, fast unmöglich gewesen, die Einleitung eines konsequenten impliziten Wandels aber vorstellbar). Die evidente ,Symbiose' erscheint zunächst sowohl mit der Ramseyer-These einer Politikdominanz (insbesondere qua Benennung der hohen Richter; Ramseyer und Rasmusen 2003) wie mit der einer eigenständig verfolgten, konservativen Politiktreue der Richterschaft (Haley 1995, 1998) vereinbar.22 Daß die Beziehung der Gewalten auf den symbiotischen Pfad eingeschwenkt ist, dürfte nicht zuletzt mit historischen Spezifika, also Pfadabhängigkeiten, in Zusammenhang stehen. 1952 forderte der Oppositionspolitiker Mosaburo Suzuki z.B. den OGH auf, die jüngst eingerichtete paramilitärische Polizei im Rahmen einer allgemeinen Normenkontrolle als mit der Verfassung (Artikel 9) unvereinbar zu erklären. Der OGH erklärte einstimmig (Fall Suzuki vs. Japan) - kaum unbeeinflußt von der Tatsache, daß wenige Hundert Kilometer entfernt der Koreakrieg stattfand - , daß die Verfassung nur im Sinne einer konkreten Normenkontrolle gemeint sein könne und deshalb das Begehren Suzukis zurückzuweisen sei (Bolz 1996, S. 250). In der Folge konvergierten die Interessen von Politik und Justiz bezüglich einer solchermaßen zurückhaltenden Normenkontrolle. Die regierenden Liberaldemokraten konnten relativ viel Zutrauen in ihre Wiederwahl gewinnen und hatten deshalb Interesse an einer Justiz, welche die ,kleinen' Rechtsfälle des Bürgerlichen und auch des Strafrechts mit hoher Verläßlichkeit abhandelte, in politischen Fällen aber die Exekutive (und Legislative) kaum behinderte. 23 Umgekehrt konnte die Justiz, insbesondere der einflußreiche
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Ganz so einfach sind diese Fragen allerdings doch nicht: Bezüglich des Friedensartikels 9 ist beispielsweise nach wie vor umstritten, ob er tatsächlich in einer so radikalen Formulierung von den Amerikanern unter ihrem Befehlshaber MacArthur gewollt und gemeint war oder in dieser Form auf Ideen des damaligen Premierministers Shidehara zurückgeht (vgl. Stockwin 1999, S. 167). Letzteres wurde von MacArthur später jedenfalls behauptet. Da die Beteiligten an dem entscheidenden Vier-Augen-Gespräch lange verstorben sind, wird sich das wohl nie mehr klären lassen. Zumindest wird deutlich, daß gerade in Ausnahmesituationen wie der unübersichtlichen Frühphase einer Nachkriegskonsolidierung idiosynkratische Einzelereignisse und spezifische Persönlichkeitsmuster prägend sein können, die sich gegen eine Hypothesenbildung mit Allgemeinheitsanspruch in besonderer Weise sperren.
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Aus der Tatsache, daß sehr selten offene Konflikte zwischen OGH und Regierung zu beobachten sind, kann man jedenfalls nicht auf eine unangefochtene Autonomie der Justiz schließen, wie Ramseyer richtig bemerkt: Auch eine starke Abhängigkeit kann ja zur Folge haben, daß der OGH reibungslos mit der Regierung harmoniert.
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So auch der Tenor von Ramseyer und Nakazato (1999).
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OGH, seinen Autonomiespielraum maximieren, indem er das Gleichgewicht mit den politischen Interessen nicht ins Wanken brachte und sich kongruent verhielt. In der Folge verfestigte sich diese Rolle des OGH im Sinne eines impliziten Verfassungswandels (wobei eine solche Rolle des OGH im Verfassungstext keineswegs zwingend kodifiziert war). Träger dieses Verfassungswandels war nicht nur die (autonome) Justiz, wie eine sehr simpel formulierte These 5 Glauben machen könnte, sondern das Zusammenspiel der verschiedenen Gewalten, die mit ihrem Verhalten gleichsam auf eine der möglichen ,Gleichgewichts'lösungen einschwenkten. Die größte Herausforderung der regierenden Liberaldemokraten durch die Justiz stellte u.E. die Serie von progressiven Urteilen insbesondere zum Umweltschutz in den späten 60ern bis in die frühen70er Jahre dar, auch wenn es sich hier i.d.R. nicht um direkt mit der niedergelegten Verfassung in Zusammenhang stehende Fragen handelte. Hintergrund war eine breite Bewegung in der jüngeren Richterschaft und juristischen Profession, .fortschrittliche' Positionen gegenüber der konservative Industrieinteressen verfolgenden Regierung einzunehmen. Am deutlichsten steht die Young Jurists League (YJL) für diese durchaus breite Bewegung, womit sie eine ähnliche Aufbruchstimmung in der Jugend der westlichen Länder aufnahm. Die Liberaldemokraten erklärten deutlich ihr Mißfallen an der Gruppe, und der OGH reagierte umgehend: Richter sollten keiner politischen Organisation angehören und Extremisten kein Richteramt bekleiden. Der Zehnjahresvertrag eines Richters wurde ohne Angabe von Gründen nicht verlängert, andere schieden freiwillig aus, die allermeisten aber verließen die YJL und fügten sich (Ramseyer und Rasmusen 2003, S. 22-24). Eine erneute Dynamik brachten erst die späten 90er Jahre mit der projektierten Justizreform (sowie der erstarkenden Verfassungsdebatte). Es ist festzuhalten, daß die Initiative keineswegs von der Richterschaft bzw. dem OGH ausging, sondern von dieser sogar eher gebremst wurde. Vorangetrieben wurde die Bewegung vielmehr, wie oben erläutert, von früher eher konfligären Kräften (Industrieverband, organisierte Rechtsanwälte). Offenkundig beobachten wir trotz dieser Probleme einen Trend zur vermehrten Einfuhrung regelorientierter Mechanismen in Japan und Korea, wie weiter oben an zahlreichen Belegen deutlich wurde. Wenn wir die Politiker als maßgebliche Akteure betrachten, fragt sich, warum dies so ist. Dafür bieten sich bezüglich der eingebrachten Interessen, um die es in den Thesen 5 und 6 geht, vor allem fünf Erklärungsansätze an: — Man hofft darauf, daß sich die Regelorientierung letztlich doch durchsetzt. — politische Unternehmer' können sich auch mit einem wenig erfolgsträchtigen Ansatz profilieren. — Andere, stärkere Interessengruppen setzen diese Aktivitäten durch. — Mit erhöhter Abwahlwahrscheinlichkeit versucht man die eigene Politik gegen Veränderungen durch spätere Parlamente und Regierungen abzusichern.
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— Die Regelstärkung wird im Sinne einer exoterischen 24 Verfassungsänderung aus Popularitätsgründen zwar initiiert, tatsächlich setzt man aber darauf, daß sich die esoterische Wirtschaftsverfassung kaum verändert. Wie so häufig dürfte jedem der fünf Ansätze in der Realität ein gewisser Erklärungsbeitrag zukommen. Die erste Variante unterstellt gleichsam den ,naiven', aber wohlmeinenden Politiker, der ungeachtet möglicherweise großer Umsetzungsprobleme eine als sinnvoll erachtete Lösung verfolgt. Vor dem Hintergrund zahlreicher Stimmen in der Öffentlichkeit, die aus verschiedenen Gründen eine stärkere Regelbindung fordern (Yoshida 2002), wird diesem Faktor kaum eine Relevanz abgesprochen werden können. Selbst wenn man nicht an die Erfolgsträchtigkeit der eigenen Politik glaubt, kann es sich im politischen Wettbewerb trotzdem lohnen, eine in der Öffentlichkeit entsprechend positiv besetzte Haltung einzunehmen (Variante zwei). Ein Beispiel aus Japan ist die Beteiligung jüngerer liberaldemokratischer - und oppositioneller - Parlamentarier am sog. Finanzrevitalisierungsgesetz von 1998. Im Gegensatz zur Linie des Finanzministeriums zu der ins Straucheln geratenen Long-Term Credit Bank of Japan, die wieder einmal auf einen massiven und intransparenten Einsatz öffentlicher Mittel hinausgelaufen wäre, setzte die Gruppe des ,neuen Typus der Politik' (,seisaku shinjinrui') ein umfassendes Gesetz mit allgemeinen Regeln zur Verstaatlichung maroder Finanzinstitute durch (Shiozaki 2002, S. 57-59). Im Nachhinein wird man sagen müssen, daß dies nicht die endgültige Lösung der japanischen Finanzmalaise war; dennoch erwarben sich die beteiligten Politiker dauerhafte Anerkennung. Die dritte Variante besteht darin, daß stärkere Interessengruppen die Politik gleichsam nötigen, eine entsprechende Politik zu verfolgen. Insbesondere ist dabei an die Interessen der großen, international leistungsfähigen Unternehmen zu denken. Für sie stellt sich die Frage, ob sie eher von einem netzwerkorientierten Politikumfeld profitieren, was hohe Investitionen in die persönlichen Beziehungen und auch Unsicherheiten beinhaltet, oder von einer Regelorientierung der Wirtschaftsverfassung. Je globaler und international erfolgreicher die Unternehmen aufgestellt sind, desto eher werden sie zur zweiten Position neigen. Anders als die oben erwähnten ,naiven Politiker' können die Unternehmen die Erfolgsträchtigkeit der Regelorientierung nachhaltig unterstützen, indem sie selber Vorkehrungen schaffen, die Vorteile der Netzwerkorientierung als konkurrierendem Transaktionsmuster abzubauen. Dies kann in Form einer Überarbeitung der corporate govemance, der Personalpolitik u.ä. geschehen. Das eigentliche Kalkül der Unternehmen kann aber auch in der Vermutung gründen, daß ihnen aufgrund ihrer Machtfiille der Mißbrauch scheinbar allgemeiner Regeln kostengünstiger gelingen wird als in einer Netzwerkwirtschaft. Es ist jedenfalls auffällig, daß etwa in Korea die Forderung nach einer Liberalisierung der Wirtschaftsverfassung - mit Betonung der Freiheiten, weniger der Regeln - immer wieder gerade aus dem Umfeld der übermächtigen chaebol-Unternehmen vorgetragen wird. Die vierte Variante ist das Interesse der Politiker an einem Schutz ihrer Politiken vor nachfolgenden Parlamenten und Regierungen. Obwohl in der theoriebezogenen Litera-
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Vgl. zu dem Begriffspaar exoterisch/esoterisch Punkt (2) aus Abschnitt 5.
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tur sehr geschätzt, 25 ist es schwer, die Relevanz empirisch zu erhärten. Immerhin ist die zeitliche Koinzidenz einer stärkeren öffentlichen Betonung abstrakter Regeln und der Ungewißheit für die Regierenden, die nächsten Wahlen zu gewinnen, sowohl für Japan wie für die Republik Korea beachtlich. Ein in der theoriebezogenen Literatur u.E. bisher zu wenig beachteter Aspekt ist die Variante fünf, also die vorgeschobene, von der Politik nicht wirklich ernsthaft betriebene Regelstärkung. Zwei empirische Belege seien für die Relevanz an dieser Stelle genannt: Die Entlassung der japanischen Zentralbank in die Unabhängigkeit im Jahre 1997 kam insofern überraschend, als das klassische Problem, welches man mit der Loslösung der Geldpolitik von den Entscheidungen der Regierung erreichen will, nämlich die Bekämpfung einer Inflationstendenz, zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht bestand (Tatewaki 1998, insbes. Kapitel 5). Dem Staat ging es vielmehr darum, angesichts der schweren Finanzkrise Aktionismus zu demonstrieren und das Finanzministerium in die Schranken zu verweisen. Ein zweites Beispiel für Korea: Die von Regierung und Bürokratie im Rahmen der IWF-Auflagen einzuleitenden Restrukturierungsmaßnahmen fielen um so leichter, als eine interventionistische Machtausübung weiter möglich blieb {Lee, Jae-Woo 2001). In der Summe bedeuten diese fünf Argumente, daß aus der Aktualität von Schlagworten einer ,rule of law' für Ostasien keineswegs bereits auf einen tatsächlichen, vielleicht impliziten, aber letztlich erfolgreichen Wandel der Wirtschaftsverfassung in diese Richtung geschlossen werden kann. Eine zu große Skepsis ist allerdings auch nicht angebracht. Selbst opportunistische Aktivitäten im Sinne der obigen Varianten 2 und 3 oder eine exoterisch gemeinte Fassade im Sinne von 5 können einen Wandel in Richtung einer tatsächlich stärkeren Regelorientierung bewirken. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß institutionelle Reformen, warum immer sie zunächst auch betrieben werden, aufgrund ihrer weitreichenden Zusammenhänge in besonderer Weise dem ,Gesetz der nicht antizipierten Konsequenzen' unterliegen. Sie können also unerwartete Wendungen nehmen. Besteht eine generelle Neigung, sich der neuen Formen regelbasierten Agierens zu bedienen, so können sich Verhalten und Verhaltenserwartungen der Wirtschaftssubjekte insgesamt in diese Richtung ändern. Dieser Wandel mag nur schwer reversibel sein, insbesondere deshalb, weil mit der Stärkung des Regelsystems die Netzwerkverbindungen an Verläßlichkeit verlieren. Diese abstrakten Überlegungen sollen konkretisiert werden. Die Zentralbankunabhängigkeit in Japan führte zunächst keineswegs zu den von der Regierung erwarteten Konsequenzen. Die Bank verfolgte eine eher restriktive Linie und wurde dafür heftig angegriffen. Erst mit einer neuen Spitze verfolgt sie seit 2003 wieder einen regierungsnäheren Kurs, wird als eigenständige Organisation aber wahrgenommen und der Gouverneur Fukui Anfang 2004 vom Londoner Economist (2004) sogar als bester Zentralbanker der Welt zur Diskussion gestellt. Für die Forschung könnte eine wichtige Aufgabe darin liegen, mehr über solche Pfade des Verfassungswandels zwischen Intentionen und (zum Teil) unintendierten Konsequenzen in Erfahrung zu bringen.
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Vgl. etwa die häufige Zitierung von Landes und Posner (1975).
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Kehren wir nochmals i.e.S. zur These 6 zurück, also zu der Frage, inwieweit die Rechtsprechung sich in der Nutzung ihres Autonomiespielraums den herrschenden Tendenzen anpaßt. Japans OGH stützte, wie bereits festgestellt, die neue Dynamik der Justizreform nicht sehr überzeugend. Eine Schwächung seiner Kompetenzen zur Besetzung untergeordneter Richterstellen konnte ja kaum in seinem Interesse liegen. Interessanter ist, daß er in seinen Entscheidungen häufiger als früher eine kritische Distanz zu den Liberaldemokraten zu erkennen gibt. Dies gilt etwa für die Behandlung des Schnellen Brüters Monju oder jüngst bezüglich der angemahnten Korrektur ungleicher Stimmgewichte für die Oberhauswahlen im Juli 2004 (Nikkei Net 2004a). Am plausibelsten erscheint, daß der OGH ganz im Sinne der Hypothese 6 damit Popularität in der breiteren Öffentlichkeit gewinnen will, um seine Autonomie zu verteidigen. In der Summe zeigt sich, daß die Autonomie der japanischen Justiz bei der Regeldurchsetzung tatsächlich stark von der sie einsetzenden Politik und anderen Kräften abhängt. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, daß eine unabhängige Justiz als archimedischer Punkt einer gesellschaftlichen Ordnung über die Einhaltung der Regeln allzeit verläßlich wacht. Nun besteht allerdings gegenwärtig tatsächlich eine Tendenz, so hatten wir oben konstatiert, daß verschiedene Interessengruppen an einer stärkeren Regelorientierung interessiert sind. Von daher findet sich auch die Justizautonomie unterstützt, was allerdings ein Zurückdämmen der Macht des OGH einschließen kann. Es handelt sich dabei um einen langwierigen, störanfälligen Prozeß, keineswegs um eine historische Notwendigkeit. Im Falle der Republik Korea konnte die Justiz vor dem Hintergrund einer Autokratie über viele Jahrzehnte keine herausgehobene Rolle spielen. Zwar war bereits mit der Verfassung von 1948 ein sog. Verfassungsrat eingerichtet worden, der u.a. über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu befinden hatte, doch war er in der Folge insbesondere ab 1972 wenig aktiv, so daß er mit dem Spottnamen eines , schlafenden Verfassungsorgans' bedacht wurde (Huh 1989, S. 580). 1988 sah die Lage für das neu gegründete Verfassungsgericht ebenfalls wenig rosig aus. Zwar entsprach es dem erklärten Willen der Regierenden, doch war auch klar, daß Militärs bzw. Ex-Militärs wie Chun und Roh im Sinne ihres Machterhalts kein Interesse daran haben konnten, eine wirklich unabhängige Justiz zu schaffen. (Ironischerweise wurden beide Mitte der 90er Jahre für ihre Taten bei der Machtergreifung 1980 hart bestraft, Chun sogar mit einer - nicht vollstreckten - Todesstrafe. Diese Geburtswehen einer unabhängigen Justiz lassen sich an verschiedenen Unklarheiten bzw. Mängeln des Verfassungsgerichtsgesetzes vom 5. August 1988 ablesen (West und Yoon 1996). Auch die Verfassungsrichter zeigten zunächst wenig Neigung, ihre Kompetenzen expansiv auszulegen. Angesichts dieser Anfangsschwierigkeiten hat sich die Verfassungsgerichtsbarkeit jedoch erstaunlich aktiv entwickelt. In den ersten zehn Jahren des neuen Verfassungsgerichtes wurden insgesamt über 4000 Fälle behandelt. Dabei wurde in immerhin 95 Fällen eine Unvereinbarkeit mit der Verfassung festgestellt, welche die sofortige Ungültigkeit der staatlichen Regelung zur Folge hatte (Lee, Chul-woo 2003, S. 7 f.). Trotzdem wäre es zu einfach, die Richter hierbei als autonome Kraft einer stärkeren Regelorientierung zu sehen. In hohem Maße ist die Aktivität Ergebnis eines noch labilen Verhältnisses zwischen einer ungefestigten Demokratie und Verfassungsgerichtsbarkeit, das zu Fehleinschätzungen
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im politischen Prozeß und zu Verfahren mit überraschendem Ausgang fuhren kann. Bewegung in der Interpretation der Verfassung und damit ein impliziter Verfassungswandel gehen immer noch stark von der Politik aus, die dabei allerdings von externen Ereignissen und Entwicklungen maßgeblich beeinflußt wird. Die jüngsten Ereignisse des Frühjahrs 2004 mit der bisher stärksten Herausforderung des koreanischen Verfassungsgerichtes passen durchaus in diese Linie: Die Opposition hatte gegen Staatspräsident Noh ein Amtsenthebungsverfahren wegen einer Verfehlung im Amt eingeleitet und tatsächlich die notwendige Mehrheit für eine Absetzung erreicht. Laut Verfassung mußte dies allerdings vom Verfassungsgericht bestätigt werden. Da dies alles kurz vor einer Parlamentswahl stattfand, ließ sich das Gericht bis nach der Wahl mit seiner Entscheidung Zeit. Nachdem die Uri-Partei Nohs einen massiven, so nicht erwarteten Vertrauensbeweis durch die Wahlbürger erzielt hatte, erklärte das Verfassungsgericht die Amtsenthebung für unbegründet und nichtig. Nicht wenige Beobachter sind überzeugt, damit habe das Gericht durchaus bewußt den Anschluß an die vorherrschende Meinung gesucht. Von einer selbstbewußten, in ihrer Autonomie anerkannten ,Dritten Gewalt' kann in Korea von daher (noch) nicht gesprochen werden, und zwar gleichgültig, ob die Richter sich nun tatsächlich so verhalten haben oder nicht. Zur Auslandsthese (7) Bisher haben wir die inländischen Kräfte betrachtet. Wie steht es um ausländische Einflüsse im Sinne der siebten These? Die ursprüngliche Einsetzung der Verfassungen von Japan und Südkorea ging offenkundig von den amerikanischen Besatzern aus, eine zunächst banale Bestätigung der Auslandsthese. Für die Folgezeit ist die Übernahme grundlegender Regeln über multilaterale Ordnungsvorgaben bzw. aufgrund der internationalen Verflechtung von Interesse. Sowohl für Japan wie für die Republik Korea gibt es dafür viele Anhaltspunkte. Die Mitgliedschaft in OECD, GATT bzw. WTO hat dazu beigetragen, mit der Anerkennung internationaler Regeln die eigene Wirtschaftsverfassung schrittweise zu ändern. So beobachten wir über die Jahre eine immer größere GATT- bzw. WTO-Kompatibilität der japanischen Außenwirtschaftspolitik. Während Japan 1993 noch Gegenstand von 12 Prozent der Strafzölle im Rahmen von Anti-Dumping-Verfahren war, waren es 1999 nur noch knapp 8 Prozent {Pascha 2003, S. 167). Ein prägnantes Beispiel ist auch Koreas Vorbereitung der OECD-Mitgliedschaft 1996, als sich das Land den Statuten des Clubs in vielen Bereichen anpassen mußte, insbesondere hinsichtlich der Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs (Frank und Pascha 1997). Die Finanzkrise von 1997/98 und die Auflagen im Rahmen des IWF-Hilfepakets haben einen ähnlichen Effekt gehabt. Mit der harten Bankensanierung wurden Kapitalisierungsregeln konsequent durchgesetzt, die Zentralbank wurde zumindest formal in die Unabhängigkeit entlassen, um ihren geldpolitischen Aufgaben besser nachgehen zu können, die Finanzaufsicht wurde gestärkt, intransparente Kreditgarantieverflechtungen wurden verboten und die Rechte von Minderheitsaktionären ebenfalls deutlich gestärkt, um nur einige der wichtigeren Maßnahmen zu nennen {Lee, Chul-woo 2003, S. 18 f.). Der Gesamteffekt der ausländischen Einflüsse ist allerdings in ihrer Wirkungsrichtung zwiespältig. Sie beziehen sich nämlich keineswegs nur auf eine stärkere Regel-
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Orientierung, sondern häufig auf die Durchsetzung interventionistischer Akte zur Erzielung ganz konkreter Resultate bzw. Marktergebnisse. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn einzelne, in bilateralen Verhandlungssituationen stärkere Wirtschaftspartner Einfluß auszuüben versuchen. In Japan ist der auswärtige Druck' (,gaiatsu') ein eingeführter Schlüsselbegriff und wird insbesondere mit dem merkantilistischen Verhalten amerikanischer Regierungen, früher auch der allerdings weniger effektiven EU, in Zusammenhang gebracht. Die USA haben in den ersten Jahren der Clinton-Regierung aus Frustration über frühere Mißerfolge zeitweise eine explizit,ergebnisorientierte' Politik betrieben, die ordnungspolitische Leitlinien dezidiert verneinte. Tatsächlich haben die USA damit häufig eine stärkere ,rule of law' in Japan eher behindert als gefördert. Die Erzwingung freiwilliger' Selbstbeschränkungen im Automobilexport in die USA unter Reagan hatte beispielsweise die Konsequenz, 26 daß das damals industriepolitischinterventionistisch orientierte Industrieministerium MITI in seiner Rolle als .Makler' der Quotenverteilung gestärkt wurde. Solche Wirkungen sind nicht auf den Außenhandelsbereich beschränkt. Ein anderes Beispiel ist die Geldpolitik. 1997 wurde, wie erwähnt, die Zentralbank unabhängig und verfolgte in der Folge eine von vielen als zu restriktiv eingeschätzte Politik. US-Stimmen aus Regierung und Think tanks verbanden sich mit einheimischen Interventionen, um die Bank von Japan zur Formulierung eines Inflationsziels zu drängen. Die Autorität der Zentralbank wurde dadurch eher geschwächt, möglicherweise ein störrisches Beharren auf dem eingeschlagenen Kurs nur befördert. Der Wechsel zur Zentralbankleitung unter dem neuen Gouverneur Fukui wurde dagegen allseits bejubelt, obwohl der Gouverneur wie seine beiden neuen Vizegouverneure eine viel größere Staatsnähe aufweisen und dies dem Gedanken einer unabhängigen Regelbefolgung eher zuwiderläuft. Ähnliche Beobachtungen können für Korea gemacht werden, selbst in neuerer Zeit bezüglich der Bewältigung der Finanzkrise. Der internationalen Gemeinschaft ging es mehr um die schnelle Überwindung der Krise als darum, eine langfristig tragfahige ,rule of law' zu etablieren. Zunächst gilt es allerdings festzuhalten, daß die im Rahmen der IWF-,Letters of intent' vereinbarten Strukturreformen tatsächlich im wesentlichen dazu angetan waren, eine marktliche Ordnung maßgeblich zu stützen. Es ging nämlich nach der ersten, schmerzhaften Phase der makroökonomischen Stabilisierung, d.h. insbesondere ab dem sechsten Letter of intent vom 2. Mai 1998, vor allem um die folgenden vier Strukturfragen: Im Finanzsektor um die Restrukturierung der Unternehmen und deren öffentliche Unterstützung sowie um die (weitere) Liberalisierung des Außenwirtschaftsverkehrs, im Unternehmenssektor um die c/iaei>o/-Restrukturierung, um Programme für kleinere Konzerne, Marktaustrittsregeln sowie corporate governance-Reformen, schließlich um eine Reform des öffentlichen Sektors und um eine Reform des Arbeitsmarktes, einschließlich der sozialen Sicherung (Yi 2001, S. 336-352). Da die internationalen Organisationen an einer schnellen Umsetzung interessiert waren und knappe Zeit-
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Davon abgesehen erlaubte diese Quotierung den japanischen Autoherstellern die Erzielung von Monopolrenten im US-Handel, die ihnen massive Direktinvestitionen in den U S A erlaubten und letztlich den Marktanteilsverlust amerikanischer Autoproduzenten noch unterstützten. Pointiert formuliert finanzierten amerikanische Autokäufer nicht unwesentlich die weitere Verdrängung heimischer Anbieter.
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vorgaben gesetzt wurden, mußte der Staat allerdings zum Teil hart und nicht marktkonform eingreifen. Beispiele sind {Lee, Jae-Woo 2001): — Die starre Absenkung der Relation Kredite/Eigenkapital auf 200 Prozent wurde nicht allen Firmen gerecht. Bezüglich der Einhaltung oder der Absegnung .kreativer Buchführung' besaß die Bürokratie Spielräume. — Das starre Verbot der Kreditgarantien zwischen verschiedenen Tochterunternehmen wurde ebenfalls der betriebswirtschaftlichen Logik mancher Finanzverflechtungen nicht gerecht. — Die knappen Zeitvorgaben zum Verkauf von Unternehmensanteilen sorgten für ein kurzzeitiges Überangebot und irrationale, häufig zu niedrige Preise auf dem M&AMarkt. — Die sog. ,Big deals', d.h. die erzwungene Konzentration der chaebols auf ihre Kernkompetenzen durch Tausch einzelner Tochterunternehmen, wurde ebenfalls maßgeblich vom Staat beeinflußt, oft mehr auf Basis politischer Erwägungen denn im Hinblick auf die - dem Staat i.d.R. ohnehin unbekannte - wirtschaftliche Effizienz. — Die rasch durchzusetzenden Arbeitsmarktreformen, z.B. ein markanter Abbau des Kündigungsschutzes, waren ohne eine konsensuelle Einbindung der organisierten Arbeitnehmerschaft kaum vorstellbar. Längerfristig könnte aber die damit institutionalisierte Zusammenarbeit von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Staat im Rahmen der sog. .Dreiseitigen (tripartite) Kommission' eine erhebliche Reformbremse darstellen; insbesondere dann, wenn weitere Reformen außerhalb einer akuten Krisenlage durchgeführt werden sollen. Im Ergebnis bedeutet das, daß der Einfluß des Auslandes auf die Regelorientierung im Rahmen der Wirtschaftsverfassung deutlich spürbar ist, und zwar insbesondere unter dem Gebot akuter Verflechtungszwänge (Mitgliedschaften, politischer Druck, Finanzkrise). Die Richtung des Einflusses ist unbestimmt. In vielen Fällen hat der Einfluß eine Regelorientierung befördert, oft aber auch nicht. Letzteres kann vor allem zwei Gründe haben: — Die ausländischen Akteure schöpfen keine Vorteile aus einer Regelorientierung des Inlandes, sondern sind nur an bestimmten Ergebnissen interessiert, die i.d.R. schneller durch Interventionen zu erreichen sind. — Selbst wenn die Akteure, wie wir es dem IWF unterstellen wollen, eine Präferenz zur Durchsetzung einer Regelorientierung besitzen, weil dies dem Ziel eines multilateralen Ordnungsrahmens am ehesten entspricht, kann die Zeitpräferenz zwischen In- und Ausland auseinander fallen. Die multilaterale Umwelt kann stärker an schnellen Lösungen interessiert sein, um etwa das Übergreifen einer nationalen Krise auf andere Länder (,contagion') zu verhindern, während das Inland ein höheres relatives Interesse an einer nachhaltigen Lösung besitzt, zumal die langfristigen negativen Nebeneffekte (ungewollte Verteilungseffekte o.ä.) in erster Linie das Inland betreffen. Vordergründig geht man häufig davon aus, daß die internationale Einflußnahme auf nationale Wirtschaftsverfassungen in einer globalisierten Welt tendenziell zu einer stär-
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Werner Pascha
keren Regelorientierung fuhrt - auch wenn wir unsere These 7 in dieser Hinsicht bewußt offen formuliert hatten. Die Erfahrungen Ostasiens zeigen, daß dies nicht in so einfacher Weise gilt, es vielmehr als durchaus kontingente Frage stärker ins Auge zu fassen ist. Zur Kulturthese (8) Die letzte oben entwickelte These betraf die Rolle informeller Institutionen, insbesondere der Kultur. Bezüglich einer stärkeren Regelorientierung der Wirtschaftspolitik wird dabei zumeist das Problem angesprochen, daß die Netzwerk- bzw. ,Gruppenorientierung' der Gesellschaften dem entgegenstehen könnte {Pascha 2002). In Ostasien sind Geflechte relationaler Verträge im Sinne langfristiger Bindungen weit verbreitet. Sie erfordern vom Einzelnen hohe Investitionen in den Aufbau von Reputation, ermöglichen dann aber vertrauensvolles Interagieren bei geringen Transaktionskosten. Defektion wird über verschiedene Mechanismen verhindert: Der hohe Verflechtungsgrad der Netzwerkbeziehungen hätte zur Konsequenz, daß die Defektion aus einer Beziehung einen Reputationsverlust auch in vielen anderen Beziehungen zur Folge hätte und die hohen Investitionen weitgehend abzuschreiben wären. ,Rule of law' und Netzwerkbeziehungen dieser Art stehen in einem erheblichen Spannungsverhältnis: Die Individuen besitzen einen starken Anreiz, sich in Zweifelsfällen nicht an abstrakten Regeln, sondern an den Geboten persönlicher Bindungen zu orientieren. (Im Alltagsleben wird dies oft mit der Behauptung umschrieben, daß sich Asiaten kaum von ,Prinzipien' leiten ließen). Eine niedergelegte Verfassung kann dann leicht zur Makulatur werden, Vertrauen in eine unabhängige Richterschaft kaum entstehen. Diese Probleme lassen sich empirisch belegen. In einer größeren quantitativen Untersuchung vergleichen Lew et al. (2002) das Sozialkapital, d.h. die für bestimmte Ziele mobilisierbaren sozialen Beziehungen, in verschiedenen nordeuropäische Ländern sowie Japan und Korea. Stellt man das Vertrauen in Personen dem Vertrauen in Institutionen - hier als Proxy-Variable für das Vertrauen in deren statutenmäßige, regelbestimmte Arbeit interpretiert - gegenüber, so erweisen sich Korea und Japan als deutlich stärker an personellen Banden orientiert. 27 Neben dem Fortbestehen traditioneller Verhaltensweisen, die durch das ständig neue Entstehen versunkener Investitionen in Beziehungsnetze große Persistenz aufweisen, wirken in Japan dabei die vielen politischen Skandale der Nachkriegszeit mit, in Korea die Erfahrung von Machtgier und Korruption in einem nicht oder erst wenig demokratisierten Regime. Während in Korea auf der Basis einer Erhebung von 1991 langsam eine positive Einstellung zum Recht entsteht, bezieht sich dies doch vor allem auf die eigenen Rechte, während die Bereitschaft, nicht als ,gerecht' empfundene Regeln einzuhalten, eher abnimmt und auch das Vertrauen in
27
Für Japan sprechen die Autoren zwar von einem ebenfalls recht geringen Vertrauen in Personen; dies liegt aber daran, daß das Vertrauen gegenüber Fremden - übrigens inländischen wie auch ausländischen Fremden - , die also nicht in die bestehenden Netzwerke eingeflochten sind, besonders gering ist; vgl. Lew et al. (2002, Abb. 1 auf S. 42).
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Parlament und Exekutive - 1991 jedenfalls - eher noch zurückgeht (Korea Legislation Research
Institute
1996).
6. Fazit Ausgangspunkt dieses Aufsatzes war die Frage, ob eine stärker in der Wirtschaftsverfassung fundierte ,rule of law' das Vertrauensproblem der Wirtschaftspolitik in Ostasien - d.h. in Japan und der Republik Korea - mindern kann. Hat ein solcher institutioneller Lösungsansatz die erhofften Wirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung, welchem Wandel unterliegen Regelorientierung bzw. Wirtschaftsverfassung in den behandelten Ländern tatsächlich, und inwieweit kommen regionale Spezifika zum Tragen? Der erhoffte positive Zusammenhang einer stärkeren Regelorientierung und einer erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung läßt sich grosso modo in Ostasien ausmachen, ein enger, kurzfristig greifender Kausalzusammenhang läßt sich jedoch kaum belegen, so daß hiervon auch wenig werbende Effekte für eine noch stärkere Regelbindung ausgehen können. Das hängt u.a. damit zusammen, daß die nach außen vertretene, exoterische Wirtschaftsverfassung nicht mit der tatsächlich praktizierten, der esoterischen Verfassung zusammenfällt. Die Unterscheidung Autokratie/Demokratie erweist sich in diesem Zusammenhang nicht als zentral. Ostasien steht für die Erfahrung, daß auch autokratische Regime ein nicht unwesentliches Maß an ,rule of law' erzeugen können. Dabei findet sich auch eine gespaltene Regelorientierung, d.h. allgemeine Regeln gelten für manche Bereiche - und stellen dort eine wichtige Basisinstitution für funktionstüchtige Märkte bereit - , während andere Bereiche der Regelbindung entzogen sind. Hinsichtlich des beobachteten Wandels erweist es sich gerade in Japan mit seiner seit 1947 unveränderten Verfassung zentral, auch einen impliziten Wandel zu untersuchen. Dabei gibt es Anzeichen, daß in Japan die Einbringung pluraler Interessen in den politischen Prozeß die Tendenz zur Regelorientierung fordert. Korea ist diesen Weg weniger weit gegangen. Die Judikative kann in beiden Ländern kaum als entscheidender Motor des Wandels gelten. In Korea war sie bis vor kurzem schwach, sucht nun ihre Rolle in der Demokratie, während sie in Japan Zurückhaltung geübt hat und in jüngster Zeit den Reformprozeß in Richtung einer - auch vom OGH - unabhängigeren Einsetzung von Richtern eher bremst. Die Rolle des Auslands ist spürbar, allerdings ambivalent. Einerseits fördern Globalisierung und die wachsende Bedeutung multi- und plurilateraler Ordnungselemente die Regelorientierung für offene Volkswirtschaften wie Japan und Korea, die sich international eingliedern wollen und müssen. Andererseits will das Ausland - starke Nachbarn wie die USA, aber auch Agenturen für Krisenfälle wie der IWF - häufig schnelle Resultate und nimmt dafür mitunter auch den Regelbruch in Kauf. Kultur sowie Erfahrungen mit Recht und Staat prägen die Umsetzung einer Regelbindung sehr stark; auch dafür stehen Japan und die Republik Korea als Beispiele. Die
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esoterische Verfassung kann vor diesem Hintergrund von der exoterischen erheblich abweichen. Derzeit scheint sich in Ostasien eine stärkere Regelbindung abzuzeichnen. Dies gilt insbesondere dann, wenn ganz unterschiedliche Gruppen aus durchaus verschiedenen Motiven heraus die Regelbindung gegenüber Interventionsmechanismen bevorzugen. Dies ist deshalb nicht unplausibel - und zwar im Gegensatz zu Olsons These (1982) einer i.a. zunehmenden Sklerose weil es in einer pluralistischen Sozioökonomie zunehmend unsicher wird, ob die eigene Gruppe letztlich Nutznießer eines interventionistisch angelegten Systems sein wird. Regierungen bzw. parlamentarische Mehrheiten können insbesondere dann Interesse an einer Regelbindung aufbringen, wenn sie sich ihrer Wiederwahl nicht mehr sicher sein können. Diese Aussagen sind selbstverständlich keineswegs deterministisch zu verstehen. Eine für Ostasien charakteristische Komplizierung hängt damit zusammen, daß die Regelorientierung möglicherweise als exoterisches Prinzip betrieben wird, dahinter aber zurecht oder zu unrecht - die Erwartung steht, daß die traditionellen Netzwerkbindungen esoterisch fortwirken und ein Unterlaufen der Regeln erlauben. Mit dieser Unterscheidung von Exoterik und Esoterik lenkt die Fallstudie Ostasien das Augenmerk der Verfassungsökonomik auf einen u.E. bisher vernachlässigten, aber entscheidenden Aspekt.
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Werner Pascha
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Werner Pascha und Cornelia Storz (Hg.) Wirkung und Wandel von Institutionen. Das Beispiel Ostasiens Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft • Band 77 • Stuttgart • 2005
Institutionenökonomische Theorie und regulierungspolitische Realität: Südkorea und sein Telekom-Sektor
Rüdiger Frank
Inhalt
1. Kommentare zur Methodik 1.1. Warum Institutionenökonomik
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1.2. Das Verständnis von Institutionen braucht Regionalkenntnisse
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1.3. Informell und Formell: Der Widerspruch zwischen Institution und Realität
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2. Institutionen in Korea
71
2.1. Soziale Institutionen
71
2.2. Politische Institutionen
74
2.3. Ökonomische Institutionen
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3. Der Fall Telekommunikation von 1980-2002
78
3.1. Der große Zufall: Die richtige Institution am richtigen Ort zur richtigen Zeit
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3.2. Fortsetzung der Industriepolitik mit anderen Mitteln
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3.3. Aus der Not eine Tugend machen: Liberalisierung im Dienste der Industriepolitik
83
3.4. Angriff ist die beste Verteidigung: Der Sprung auf den Reformzug
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3.5. Neue Situation, alte Konzepte: Lizenzvergabe für den Mobilfunk der Dritten Generation
89
4. Fazit
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Literatur
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Rüdiger Frank
1. Kommentare zur Methodik 1.1. Warum Institutionenökonomik Die Institutionenökonomik ist nicht explizit regionalspezifisch, sondern eine Theorie mit universellem Anspruch. Was sie für eine aus westlicher Sicht stattfindende Untersuchung Ostasiens so interessant macht, sind ihre Flexibilität und insbesondere die systematische Integration dessen, was man - im Bewußtsein der eingeschränkten Definierbarkeit dieser Begriffe - als Kultur und Tradition bezeichnet. Die Institutionenökonomik beschäftigt sich genau damit, nämlich mit Institutionen, die definiert sind als „Spielregeln einer Gesellschaft" (North 1992, S. 3). In der Einleitung zu diesem Buch wurde bereits ausfuhrlich auf die Inhalte und Ursprünge dieser Theorie eingegangen. Dies bedarf keiner Wiederholung; hier finden sich nun einige ergänzende Überlegungen. Danach wird es um die Anwendung des institutionenökonomischen Ansatzes auf den Fall Südkorea gehen, insbesondere auf die dortigen Telekom-Reformen im Zeitraum von ca. 1980-2001. Wie alle auf dem methodologischen Individualismus beruhenden Theorien hat auch die Institutionenökonomik das grundsätzliche Problem, objektive und systemische, also nicht auf individuellen Entscheidungen, sondern auf unabänderlichen Gesetzen beruhende Erscheinungen schwer erklären zu können. Man behilft sich mit einem hybriden Ansatz: Systemische Beschränkungen und individueller Handlungsspielraum existieren parallel; Handlungsfreiheit besteht durchaus, aber innerhalb vorgegebener Grenzen, definiert durch Institutionen. Letztere haben gegenüber der Rationalität als Rahmen für das Verständnis menschlichen Verhaltens einen großen Vorteil. Sie sind in der Regel bekannt, während die dem Rationalverhalten zugrunde liegende Annahme vollständiger Information selten bis nie gegeben ist. Individuen handeln selbstverständlich rational im Sinne der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen, weshalb der Begriff der eingeschränkten Rationalität irreführend ist; die genaue Kenntnis dieser Informationen für eine Vielzahl an Individuen ist allerdings technisch höchst problematisch. Im Gegensatz dazu sind Institutionen in der Regel in der einen oder anderen Art kodifiziert, was sie für das Studium des Verhaltens von Aggregaten von Individuen sehr attraktiv macht. Mit anderen Worten: Man kennt die Spielregeln und handelt danach, ohne sie unbedingt jedes Mal zu hinterfragen. Dies macht Institutionen für die Akteure in einem gewissen Sinne wesentlich effizienter als Rationalverhalten. Institutionen können verstanden werden als eine Abkürzung auf dem Wege vom Erkennen einer Situation bis zur Reaktion mit minimalen Entscheidungskosten. In vielen Fällen agieren Individuen aufgrund bekannter und akzeptierter Institutionen, ohne erst eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufzustellen. Die Ausnahme sind Zuwiderhandlungen gegen die Spielregeln, die allerdings per se seltener auftreten (sonst würden sie selbst zur Norm werden) und bei denen die Kosten bewußt in Kauf genommen werden. Ökonomische Rationalität als Basisannahme für Verhalten ist nicht unproblematisch, da in der Regel verschiedene Interessen, deren effiziente Verfolgung Rationalität ja ausmacht, miteinander konkurrieren. Ein Beispiel ist der Nationalismus, ebenso wie die relative Machtsteigerung einer politisch determinierten Gruppe, welche effizienz- und
Institutionenökonomik und Regulierungspolitik in Südkorea
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profitorientierte ökonomische Rationalität ggf. außer Kraft setzen können. Institutionen sind hier als Erklärung deutlich hilfreicher, denn effiziente politische Märkte gibt es nicht {North 1992, S. 61). Dies gilt natürlich nicht nur für Ostasien; auch in unserem Kulturkreis determinieren etwa Werte und Moralvorstellungen das Handeln. Allerdings fällt uns dies weniger auf, weil wir diese Spielregeln der Gesellschaft als gegeben voraussetzen und häufig weder wahrnehmen noch hinterfragen. Hier zeichnet sich en passant eine Stärke der Beschäftigung mit Ostasien aus westlicher Sicht ab: Die externe Perspektive macht die Identifikation von Institutionen oft leichter, als dies von innen heraus möglich wäre. Erwähnt werden muß noch die bekannte Tatsache, daß Nutzen - dessen effiziente Maximierung das Ziel rationalen Verhaltens ist - nicht ausschließlich in Form von eindeutig meßbaren materiellen Gütern existieren muß. Der Geborgenheit im Kollektiv etwa wird ganz offensichtlich ein hoher Nutzenwert beigemessen, sonst wären Individuen kaum bereit, dafür auf bestimmte Handlungsoptionen zu verzichten. Die Präferenz für derartige ,weiche' Nutzenarten ist also kein Widerspruch zum Gedanken der individuellen Rationalität, sondern verweist lediglich mit Nachdruck auf die Notwendigkeit, auch solche Faktoren zu erfassen und angemessen zu berücksichtigen. Dies ist ein weiteres Argument für den landes- und kulturspezifisch kompetenten Regionalwissenschaftler; wer sich einem Länderfall nur mit quantitativ-methodischem Hintergrund nähert, wird ggf. scheitern. Da sich solche Präferenzen leicht in Institutionen übersetzen lassen, ist auch hier die Institutionenökonomik hervorragend geeignet, eine systematische Erfassung der komplexen Realität zu ermöglichen.
1.2. Das Verständnis von Institutionen braucht Regionalkenntnisse Widersprochen werden muß der Feststellung aus der Einleitung (S. 4, FN 8), daß die in der Tat vorwiegend qualitative Arbeitsweise von Wissenschaftlern mit hoher Regionalkompetenz durch den aufwendigen Prozeß der Aneignung letzterer bedingt ist, was ihnen im Rahmen ihrer individuellen Budgetrestriktionen keine Zeit läßt, quantitativ zu arbeiten. Man sollte statt dessen in Betracht ziehen, daß es eben das umfassende und tiefe Verständnis der landes- und regionenspezifischen Institutionen ist, welches eine Anwendung von oft simplifizierenden und der komplexen Realität häufig nicht gerecht werdenden quantitativen Verfahren als ungeeignet erscheinen läßt. Der durch die undifferenzierte Anwendung solcher Methoden generierte Anschein der Wissenschaftlichkeit und Autorität kann höchst kontraproduktiv sein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn dadurch die Realität nur verzerrt und bruchstückhaft wiedergegeben wird, was zu erheblichen Fehleinschätzungen führen kann. Als ein Beispiel mag uns die asiatische Finanzkrise von 1997 dienen, die möglicherweise deshalb nicht rechtzeitig erkannt werden konnte, weil bei der Interpretation von Daten erhebliche Fehler gemacht wurden (Frank 1998). So ist man u.a. davon ausgegangen, daß die makroökonomischen Fundamentaldaten Südkoreas, wie etwa die Staatsverschuldung, im Großen und Ganzen den Normwerten entsprachen. Man hat dabei übersehen, daß ein Großteil der privaten Verschuldung de facto dem Staat zuzurechnen gewesen wäre, da letzterer implizit den Fortbestand u.a. der großen Konglomerate auch bei Zahlungsunfähigkeit garantierte. Als in einem wichtigen Fall (Konkurs von Hanbo im Januar 1997) eine Veränderung dieses stillschweigenden Vertrages deutlich wurde, reagierten die Investoren und sahen
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Rüdiger Frank
die eigentlich unverändert gebliebenen Schuldner nun unter einem neuen Aspekt. Folgerichtig zogen sie ihre Einlagen ab bzw. waren nicht mehr bereit, Kredite ohne neue Sicherheiten zu verlängern. Das Resultat ist bekannt. Aus abstrahierender Sicht haben sich also die Industriekonglomerate (chaebdl; für ein gutes Beispiel siehe Kirk 1994) und der südkoreanische Staat wie Agent und Prinzipal verhalten. Durch extern bewirkte Veränderungen in einer übergeordneten Agentur (u.a. OECD-Beitritt 1996) hat der Prinzipal dann den Vertrag geändert bzw. ihn in seiner alten Form gekündigt. Dies hatte Auswirkungen auf die Spielregeln, welche wiederum von anderen Akteuren als Grundlage ihrer vertraglichen Beziehungen zu den chaeböl betrachtet wurden. Die Gläubiger und Investoren folgten dem Prinzipal und reagierten auf den von ihm vorgenommenen institutionellen Wandel mit einer Anpassung ihrer eigenen Transaktionsregeln. Interessant ist, daß die am Anfang dieser Kette stehenden externen Kräfte den institutionellen Wandel selbst ausgelöst haben, indem sie ihre Regierungen entweder animierten bzw. bei deren Versuch unterstützten, eine westlich-liberale Marktwirtschaft im globalen Maßstab durchzusetzen. Die Reaktionen in Südkorea spiegeln die einzelnen Komponenten dieses Bildes wieder. So wurde die Schuld für die Krise jeweils beim Staat, bei den chaebdl und bei den ausländischen Gläubigern und Investoren gesucht. Die oft in Analysen von nicht hinreichend mit den betreffenden Institutionen vertrauten Autoren gebrauchte These der ansteigenden kurzfristigen Kredite greift aus Sicht der Institutionenökonomik zu kurz und führt nicht zum Kern des Problems. Hier zeigt sich exemplarisch die herausragende Bedeutung solider Regionalkenntnisse. 1.3.
Informell und Formell: Der Widerspruch zwischen Institution und Realität
Mit Bezug auf Südkorea ist vor allem die gelegentlich zu beobachtende Diskrepanz zwischen kodifizierten Institutionen und der Realität bemerkenswert. Nun wurde aber eingangs und in der Einleitung zu diesem Buch festgestellt, daß Institutionenökonomik sich eben dadurch auszeichnet, daß sie besonders gut in der Lage ist, die Realität zu beschreiben. Wo liegt also das Problem? Offenbar gilt es, zwischen formellen und informellen Institutionen zu differenzieren. Die für die wissenschaftliche Methodik, insbesondere wenn sie sich mit Aggregaten befaßt, so segensreiche Eigenschaft von Institutionen - ihre Kodifizierbarkeit - kann sich auch als ernsthaftes Hindernis beim Verständnis der Realität erweisen, nämlich dann, wenn diese Kodifizierung manipuliert wird. Die Glaubwürdigkeit von Gesetzen, Regulierungen und anderen gesetzlich festgeschriebenen, vom Staat durchsetzbaren .Spielregeln' hängt von der Wirksamkeit der entsprechenden Sanktionsmechanismen ab, die konformes Verhalten belohnen bzw. nichtkonformes Verhalten bestrafen. Vor allem letzteres muß eine glaubwürdige Drohung darstellen und Kosten verursachen, welche hoch genug sind, um bestimmte Verhaltensoptionen wirklich auszuschließen. Ferner kann man davon ausgehen, daß im Konsens beschlossene Verhaltensrestriktionen weniger der Durchsetzung durch staatliche Gewalt bedürfen, da sie insbesondere in der Demokratie idealerweise den Willen der Mehrheit widerspiegeln. Hier zeigt sich schon ein hochinteressanter Themenkomplex, der ebenfalls als Argument zur Unterstützung der Relevanz des institutionellen
Institutionenökonomik
und Regulierungspolitik
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Ansatzes dienen kann: die Verknüpfung der Sphären von Wirtschaft und Politik, welche in der Realität, um deren Erkennen, Beschreibung und Analyse es uns ja letztlich geht, untrennbar sind. Es ist also anzunehmen, daß kodifizierte Institutionen nicht in jedem Fall automatisch wirken, sondern der Durchsetzung bedürfen. Wie hoch der dafür notwendige Aufwand ist, hängt vom Grad des Konsenses ab, welcher zur Schaffung der Institution gefuhrt hat. Es ist zu vermuten, daß dieser Grad von der Qualität der politischen Ordnung abhängt, innerhalb derer die Übereinkunft erzielt wurde. Mit anderen Worten: die Qualität einer Demokratie kann man u.a. an der Übereinstimmung zwischen kodifizierter Institution und Realität messen. Wenn diese Übereinstimmung niedrig ist, lautet eine mögliche Schlußfolgerung, daß die vermeintliche kodifizierte Institution im eigentlichen Sinne keine funktionierende .Spielregel' der Gesellschaft ist. Bedeutet dies, daß Institutionen u.U. doch keine Rolle spielen? Nicht unbedingt. Es ist auch denkbar, daß neben den offiziellen, kodifizierten ,Scheininstitutionen' noch andere, inoffizielle Institutionen bestehen, welche die eigentlichen Verhaltensregeln darstellen. Sie müßten in jedem Falle erkennbar sein, sonst wären sie keine Spielregeln, auch wenn die Beschreibung bzw. Wiedergabe wegen der nicht eindeutigen Kodifizierung nicht einfach sein wird. Ein weiteres, methodisch sehr anspruchsvolles, aber realitätsnahes Szenario ist die Überschneidung von Institutionen bzw. widersprüchliche Regeln. Kommen diese häufig vor, wird sich ein Einvernehmen über das relative Gewicht der Institutionen, also eine neue Institution, herausbilden. Beispiel: Ein nach neokonfuzianischen Regeln lebendes Individuum weiß, daß es ältere Menschen zu respektieren hat, und daß Frauen den Männern untergeordnet sind. Wie verhält man sich aber als Mann gegenüber einer älteren Frau? Oder was passiert, wenn Loyalität zur Nation, Loyalität zum Unternehmen, und Loyalität zu einer Person in Konflikt geraten? Mehrdimensionale Situationen dieser Art, vor allem wenn sie informelle Institutionen umfassen, werden zu Verhaltensmanifestationen führen, die nur unter detaillierter Kenntnis der wirkenden und ggf. konkurrierenden Institutionen verständlich und erklärbar werden. So ist etwa eine beliebte Lösungsmöglichkeit, die Überschneidung solcher Regeln zu verhindern. Um auf das genannte Beispiel zurückzukommen, wird man in Hierarchien nach Möglichkeit vermeiden, einen Jüngeren rangmäßig über einen Älteren zu stellen oder eine Frau über einen Mann, sowie die Interaktion von nicht eindeutig hierarchisch distinguierbaren Personen minimieren oder Institutionen mit einer Wertigkeit versehen - etwa Alter vor Geschlecht oder Rang vor Alter. Für die internationalen Beziehungen hat die Institutionenökonomik interessante Implikationen. Vor allem wenn Verträge im Kontext hegemonialer Kooperation (Keohane 1984) zustande gekommen sind, also durch mehr oder weniger sanften Druck der stärkeren Partei, besteht im Rahmen der verfügbaren Möglichkeiten ein starker Anreiz zu nachträglicher Verbesserung' durch die schwächere Seite oder ex post Opportunismus (Richter und Furubotn 1999, S. 517). Dieser ist insbesondere dann zu erwarten, wenn der Vertrag im Widerspruch zu geltenden hochrangigen Institutionen einer Seite steht, was im gegebenen Fall in aller Regel für den schwächeren Vertragspartner zutrifft. Die Kenntnis dieser Institutionen und ihre Berücksichtigung wird eine erhebliche Bedeutung
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für die Gestaltung von erfolgreichen, also dauerhaften und stabilen, Verträgen besitzen. Wir werden auf diese Themen später zurückkommen. Dieser Aufsatz befaßt sich im oben genannten Sinne mit dem Telekommunikationssektor Südkoreas aus einer institutionenökonomischen Perspektive. Der Sektor wurde seit Anfang der 1980er einer tiefgreifenden Reform unterzogen, die sowohl vom Streben nach Effizienz als auch durch außenpolitischen Druck motiviert war. In beiden Fällen waren erhebliche Widerstände zu überwinden. Es wird zunächst gezeigt, welcher Widerspruch zwischen kodifizierten Institutionen und der Realität besteht, um schließlich den Versuch zu unternehmen, die Wirksamkeit informeller Institutionen nachzuweisen und diese zu identifizieren. Es wird ferner gezeigt werden, wie der institutionelle Wandel zwischen 1980 und 2002 die Realität im Telekom-Bereich Südkoreas beeinflußt hat. Dies wird vor allem aus einer konstruktivistischen Perspektive heraus geschehen, um dem nach wie vor erheblichen, wenn nicht unter den Bedingungen eines sich verändernden Machtgleichgewichtes in der Region sogar wachsenden Einfluß des Staates Rechnung zu tragen. Die Problematik der unvollständigen Information wurde bereits weiter oben mit Blick auf die Summe der schwer meßbaren individuellen Rationalitäten als Argument für die Institutionenökonomik vorgetragen. Auch Institutionen selbst sind allerdings von solchen Unsicherheiten nicht frei. Dies trifft insbesondere auf informelle Institutionen zu, da deren in der Regel fehlende explizite Kodifizierung das Individuum in der wenig angenehmen Lage läßt, Zweifel an der Qualität des eigenen Verständnisses der betreffenden Institution sowie an deren allgemeiner Akzeptanz und damit Relevanz zu haben. In der Einleitung wurde von den Autoren darauf verwiesen, daß bei erfolgreichen oder vermeintlich erfolgreichen Institutionen die Unsicherheit besonders groß (,success trap'), die Nachfrage nach neuen Institutionen gering und somit der institutionelle Wandel schwierig ist. Eine homogene Institution wird auf eine heterogene Gesellschaft zwangsläufig auch unterschiedliche Folgen haben. Anders ausgedrückt, manche Mitglieder der Gesellschaft werden mehr von einer Institution profitieren, andere weniger, und manche werden entweder überhaupt keinen Nutzen haben oder sogar Verluste realisieren. Solange sich eine kritische Masse an Macht findet, deren Inhaber ihre Interessen durch die betreffende Institution hinreichend erfüllt sehen, wird ein Wandel verhindert werden. Nun können sich aber sowohl die die Interessen definierenden Bedingungen ändern, als auch eine Verschiebung von Macht innerhalb der Gesellschaft stattfinden. Beides wird institutionellen Wandel zur Folge haben, wenn die Zustimmung zur Institution, gemessen in Macht, unter einen kritischen Wert sinkt. In diesem Aufsatz wird am Beispiel des südkoreanischen Telekom-Sektors auch versucht werden, den Zusammenhang zwischen innenpolitischen Veränderungen sowie externem Druck und institutioneller Reaktion deutlich zu machen. Die in Fragenkreis 6 angesprochene kulturelle Prägung von Wahrnehmung verweist auf den Rahmen, innerhalb dessen Institutionen wirken. Auch wenn selten völlige Kongruenz erzielt wird, so liegt doch die Betrachtung von Nationalstaaten nahe. Dies führt zur Frage nach der Bedeutung von Ideologien als Institution (Denzau und North 1994, S. 21), wie etwa des Nationalismus, und der Bewertung entsprechender Gewinne oder Verluste aus diesem Blickwinkel. Starker Nationalismus, als Institution gesehen,
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impliziert die Regel, daß individuelle Handlungen mit Blick auf ihre Wirkung auf den Status der Nation bewertet und nicht zuletzt im Ergebnis dieses Prozesses vorgenommen, unterlassen oder modifiziert werden. Man kann vermuten, daß starker landesspezifischer Nationalismus in sichtbarem Gegensatz zu landesübergreifenden Institutionen stehen wird. Letzteres kann sowohl durch das Fehlen nationalistischer Motivation bei der Gestaltung regionaler oder globaler Institutionen bedingt sein, als auch durch die Fähigkeit einzelner mächtiger Nationalstaaten, ihre spezifischen Interessen zu global geltenden Institutionen zu machen. Postmodernismus und Kritische Theorie lehren uns, daß die Fragestellung vielfach das Resultat bestimmt {Horkheimer 1967). Eine absolute Wahrheit gibt es nicht, jegliche kognitiven Prozesse sind von latenten Werten und Interessen der Forscher bestimmt; auch auf der Seite der Rezeptoren wirken diese subjektiven Faktoren und generieren eine Vielzahl von Perspektiven. Die in diesem Beitrag vorgenommene Verknüpfung der Realität in Südkorea mit dem institutionenökonomischen Ansatz wird somit zwangsläufig ein durch diese Ausgangsposition bedingtes Resultat erzeugen. Wir sind uns dieser Beschränkung bewußt und möchten daher dieses Buch und den vorliegenden Beitrag unter diesem Gesichtspunkt verstanden wissen, d.h. als eine Möglichkeit von vielen, sich den komplexen und oft nur schwer erfaßbaren Prozessen zu nähern.
2. Institutionen in Korea Welche Spielregeln existieren in einer Gesellschaft? Diese Frage ist so kaum zu beantworten. In Abhängigkeit vom Geltungsbereich (Familie, Unternehmen, Staat, Wirtschaft, bilateral usw.) gibt es eine Vielzahl solcher Institutionen, die zudem einem ständigen Wandel unterliegen, also über einen gewissen Zeitraum hinweg nicht konstant sind. Es gibt allerdings Faktoren, die den Rahmen umreißen, innerhalb dessen sich die meisten Institutionen einer Gemeinschaft entwickeln. Wir werden in diesem Abschnitt versuchen, eine Vorstellung von diesem Rahmen zu erhalten, wie er für (Süd)Korea besteht. Die Methodik ist dabei qualitativ; die einzelnen Bestimmungsfaktoren werden identifiziert und bewertet, aber nicht bezüglich ihrer Wirksamkeit quantifiziert. Ausgangspunkt ist die These, daß eine Institution einer kritischen Menge an handlungsrelevanten Individuen bekannt sein muß, um tatsächlich den Charakter einer .Spielregel der Gesellschaft' zu haben. Dies impliziert, daß sie sowohl für diese Individuen ohne weiteres gut erkennbar ist, wie auch für den Regionalspezialisten. Ferner gehen wir davon aus, daß eine über einen längeren Zeitraum sichtbare Institution gute Chancen hat, auch in der Gegenwart und in der Zukunft wirksam zu sein, insbesondere dann, wenn sie bereits eine gewisse Wandlungsresistenz nachgewiesen hat. Wir werden spezifisch in Korea geltende Institutionen in drei Bereichen untersuchen: Gesellschaft, Politik und Wirtschaft.
2.1. Soziale Institutionen Es gibt eine ganze Reihe von Untersuchungen, die sich mit der Tradition sozialer Beziehungen in Korea beschäftigen (u.a. Deuchler 1992; Henderson 1978). Zwar wird
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dort der Begriff Institution in der Regel nicht explizit gebraucht; es handelt sich jedoch genau darum. "Despite dramatic changes in the society and economy of Korea since the 1960s, the national character of the people remains essentially traditional in all the primary areas of attitude and behavior." (DeMente 1994, S. 1) Die angesprochenen Veränderungen beziehen sich auf die Abfolge von neokonfuzianischer und agrarstaatlicher Ordnung im Rahmen der ,pax sinica', der raschen Öffnung 1876 und anschließenden kolonialen Beherrschung durch Japan 1910-1945, und schließlich forciertem Eindringen demokratischer und liberaler Vorstellungen innerhalb des hegemonialen Verhältnisses mit den USA bis zur Gegenwart. Die sozialen Vertragsbeziehungen in Korea in der für uns relevanten Form wurden vom Neokonfuzianismus geprägt, der in dem im Vergleich zum Ursprungsland China relativ kleinen und isolierten Land eine bemerkenswerte Bedeutung erlangen konnte. Dies ist geographischen und demographischen Faktoren geschuldet, welche eine starke Zentrale förderten und die dauerhafte Herausbildung einer mächtigen Peripherie behinderten. Der Neokonfuzianismus wurde während der über 500 Jahre währenden letzten Herrscherdynastie offiziell zur Staatsdoktrin erhoben und war auch weithin als solche anerkannt. Diese Bedeutung konnte in Japan nie erreicht werden. Bei der konkreten Analyse ist allerdings Vorsicht geboten (Kim und Suh 1997), um nicht in kulturellen Determinismus als pauschale Erklärung für beliebige Phänomene zu verfallen. Der Begriff der Institution im oben diskutierten Sinne ist gerade hier sehr hilfreich; es ist nun möglich, die im neoklassischen Szenario bestenfalls als unbestimmte externe Störgröße identifizierte Tradition als legitimen, integralen Bestandteil einer konsistenten, theoretisch abgesicherten Analyse der Verhaltensmotivationen von Individuen in der zu untersuchenden Gesellschaft wahrzunehmen und einzuordnen. Die Relevanz des Neokonfuzianismus in der gegenwärtigen südkoreanischen Gesellschaft läßt sich nicht nur implizit nachweisen. Huwe (1999, S. 26) nennt Statistiken, nach denen über 90 % der südkoreanischen Bevölkerung ihn als ethische Richtschnur für sich charakterisieren. Eines der Grundanliegen des traditionellen Konfuzianismus ist Ordnung im Sinne geordneter sozialer Verhältnisse. Die Ordnungsprinzipien zur Strukturierung der Gesellschaft und zur Regelung des Umgangs miteinander sind die sogenannten ,Drei Tugenden und Fünf Beziehungen'. Die Drei Tugenden sind Loyalität (ch'ung) des Untertanen gegenüber dem Herrscher, kindliche Pietät (hyo) des Sohnes gegenüber dem Vater, und Treue (yöl) der Frau zum Mann (Han'gukhakhoe 1992, S. 2143). Diese (einseitigen) grundlegenden Verhaltenskonzepte werden in den Fünf Beziehungen konkretisiert und, was noch wichtiger ist, sie erhalten einen bidirektionalen Charakter. Zwischen Vorgesetztem und Untergebenem hatte Rechtschaffenheit zu herrschen, Vertrautheit bestimmte das Verhältnis zwischen Vater und Sohn, Ehemann und Ehefrau waren sich ihres Andersseins bewußt, zwischen älterem und jüngerem Bruder bestand eine klare Rangfolge, und nur die auf gegenseitigem Vertrauen basierende Beziehung zwischen Freunden war gleichrangig (Clark 2000, S. 31). Dabei ist hervorzuheben, daß das Verhältnis zwischen ,oben' und .unten' wechselseitiger Natur war, daß also die in der Hierarchie höher stehenden neben Rechten auch klar definierte Pflichten gegenüber den ihnen Unterge-
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ordneten hatten. Die korrekte Erfüllung dieser Pflichten hing direkt mit dem moralischen Recht auf den zugehörigen ultimativen Gehorsam zusammen. Geordnete Verhältnisse in der Familie wurden als Voraussetzung für geordnete Verhältnisse im Staat angesehen. Als Voraussetzung für geordnete Familienverhältnisse galt die Vervollkommnung der eigenen Person, was wiederum nur durch Bildung erreichbar war. Das machte letztere zu einem der höchsten Güter. Harmonie galt als wesentlich, um die verschiedenen Kräfte des Universums im Gleichgewicht zu halten. Eine Störung der Harmonie wurde als ernstes Vergehen angesehen; dies machte individualistisches Verhalten sehr schwer und hatte gleichzeitig die Herausbildung einer Vielzahl von informellen Institutionen zur Umgehung offener Auseinandersetzungen zur Folge. Für die neokonfuzianischen Reformer des 14. Jahrhunderts waren Riten "...'correct' acts in the outer realm that exert a profound impact on the inner disposition of man" (Deuchler 1992, S. 25). In der Realität entstand dadurch eine Art moral hazard, sich auf die Form zu konzentrieren und den Inhalt zu vernachlässigen. Die verbale und die Körpersprache sind noch heute voll von entsprechenden Bezügen. Die Institution des (Neo-)Konfuzianismus war und ist im Verlaufe ihres Bestehens einem permanenten Wandel und Anpassungsprozeß unterworfen {Lee, Ki-baik 1984, S. 166). Dies bedeutete die Betonung bestimmter Komponenten, die Vernachlässigung anderer, die neue Interpretation von alten und die Schaffung von neuen Richtlinien. Einige dieser Regeln haben sich als besonders stabil erwiesen und sind bis heute tief im alltäglichen Leben und in der sozialen Interaktion verwurzelt (Paik 1990). Durch die Erziehung werden die darauf basierenden Verhaltensweisen verinnerlicht, die Individuen handeln in Standardsituationen ohne rationale Abwägung von Kosten und Nutzen. Es handelt sich somit um eine Institution im oben beschriebenen Sinne. Eine Besonderheit ist, daß es sich sowohl um eine kodifizierte wie um eine informelle Institution handelt. Zwar werden die , Spielregeln' innerhalb der Gesellschaft von Individuum zu Individuum weitergegeben und basieren auf sozialen Durchsetzungsmechanismen, wie Scham etc., gleichzeitig existiert aber auch eine umfangreiche akademische und populärwissenschaftliche Literatur sowohl zu den Regeln als auch zu deren Auslegung. Teile haben Eingang in das kodifizierte Recht gefunden, wie etwa das Familiengesetz (,hojökböp') rund um die Führung des Familienregisters zeigt. Wir haben bereits darauf verwiesen, daß eine Institution auch gezielt genutzt werden kann, um bestimmtes individuelles Handeln zu induzieren. Die ältere und neuere Geschichte Koreas zeigt, daß dies immer wieder geschehen ist. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, daß unter General Park Chung-hee (1961-1979) gezielt zwei Komponenten des Neokonfuzianismus betont wurden: ch 'ung, die Treue zum Herrscher, und hyo, das respektvoll unterordnende Verhalten des Sohnes gegenüber dem Vater (Woo 1991). Das Ziel war die ideologische Unterstützung des ambitionierten und schließlich auch erfolgreichen wirtschaftlichen Aufbauprogramms. Andere Untersuchungen zeigen die intensive Nutzung neokonfuzianischer Institutionen im politischen System Nordkoreas (Chung 1996). Für die Analyse problematisch ist die Tatsache, daß in der Gegenwart ein institutioneller Wandel zur Fusion von ehemals eigenständigen Institutionen geführt hat, bei gleichzeitigem Abbau des zugehörigen Organisationsrahmens, so daß der formale
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Charakter dieser Institutionen in den informellen Bereich übergeht (Park 1999). Der Neokonfuzianismus ist eine Verbindung mit westlicher, in der Regel christlicher Ethik eingegangen {Tu 1984). Darüber hinaus muß man feststellen, daß die neokonfuzianischen Vorstellungen kaum jemals vollständig umgesetzt worden sind. Sie waren und sind eine Richtschnur, ein Ideal. Nun haben wir in Abschnitt 1 argumentiert, daß die Befolgung von Regeln Ausdruck ihrer Relevanz ist. Eine institutionenökonomische Analyse unter Einbeziehung solch wichtiger Elemente wie des Neokonfuzianismus ist aber in hohem Maße angreifbar, wenn der Nachweis der tatsächlichen Gültigkeit dieser Institution zweifelhaft ist. Sicher kann man einzelne Wertvorstellungen auch bei einer statistisch relevanten Zahl von Individuen abfragen; wenn der Nachweis fehlschlägt, daß diese Richtschnur sich tatsächlich in Handlungen manifestiert, gerät die gesamte Konstruktion ins Wanken. Wenn beispielsweise ein Beamter unredlich ist, wie es sowohl in Vergangenheit wie auch Gegenwart häufig zu beobachten war und ist, wie kann man dann sein Verhalten im institutionellen Sinne erklären? Ist es doch bloße individuelle Gewinnmaximierung, die ihn vorantreibt? Warum aber würde ein solcher unredlicher Beamter dann Scham empfinden, wenn seine Tat entdeckt wird? Gerade die institutionalistische Sicht kann uns helfen, solche Widersprüche zu verstehen. Institutionen sind träge und, wenn einmal etabliert, oft veränderungsresistent. Richter und Furubotn (1999, S. 46) führen das auf die Einrichtungskosten zurück; der Grund könnte auch unvollständige Information über die Position anderer Individuen sein. Eine Regel, die sich in der Vergangenheit deutlich als von einer relativen Mehrheit anerkannt erwiesen hat, bedarf offensichtlich nicht der ständigen Bestätigung. Ferner ist es durchaus so, daß Institutionen mißbraucht werden können. Diese Vermutung liegt insbesondere dann nahe, wenn es sich um Ideologien handelt, da diese ohnehin bestimmten Interessen dienende Kunstprodukte sind (Halliday 2001). So wurden zum Beispiel Religionen dann zur Staatsreligion, wenn eine Gruppe von Individuen, die stark genug war, diesen Schritt durchzusetzen, sich davon einen Anstieg bzw. die Sicherung ihrer relativen Macht versprechen konnte. Die neokonfuzianische Ethik kann in einem ähnlichen Zusammenhang gesehen werden. Mit ihrer Betonung des Wissens und der Bildung (Chang und Chang 1994, S. 187 ff.) fördert sie eine effiziente Verwaltung, während das Element der Treue und Hierarchie die Herrschaft der Etablierten sichern hilft.
2.2. Politische Institutionen Dies führt zu politischen Institutionen. Auch diese beruhen auf den bereits genannten Prinzipien, haben jedoch andere Wirkungen, da sie sich nicht primär auf die Familie, sondern auf das Verhältnis zwischen inländischen Eliten bzw. auf bilaterale Beziehungen auswirken. Im konfuzianischen Weltbild war ein Staat wie eine ideale Familie organisiert. Der Herrscher und seine Beamten waren die respektierten Väter des Landes, die ihrerseits vom Pflichtgefühl gegenüber den Untertanen erfüllt waren und ihre Position ihren herausragenden Fähigkeiten verdankten. Die Untertanen kannten wiederum ihren Platz in diesem Arrangement und ordneten sich willig der Führung durch die Bürokratie unter. Dieses Bild hielt sich sehr hartnäckig, auch wenn die meisten Individuen gerade dieses Ideal nur aus verklärenden Geschichtsbüchern kannten.
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Das Bedürfnis nach der hierarchischen Definition der eigenen Position gegenüber anderen Individuen hat zur Herausbildung eines ganzen Waldes von parallel existierenden Hierarchiebäumen geführt, die in vertikal sehr tief gestaffelte, horizontal relativ kleine Ebenen aufgeteilt sind. Dies ist etwa für die Bürokratie und die dortigen intra-bürokratischen M a c h t k ä m p f e interessant. Der gesellschaftliche Aufstieg ist in einem solchen System fast ausschließlich innerhalb des eigenen Hierarchiebaumes möglich. Der Erfolg oder Mißerfolg des Individuums ist also direkt mit der eigenen Organisation verknüpft, mit relativ wenig Alternativen. Hierbei zählt der relative Erfolg, was an neorealistische Konzepte des Nullsummenspiels in den internationalen Beziehungen erinnert (Burchili et al. 2001). In extremen Fällen verliert Effizienz im Sinne der Erfüllung der designierten A u f g a b e nahezu all ihre Relevanz als Triebkraft des individuellen und kollektiven Handelns und tritt zugunsten von Machtkämpfen zurück. Gleiches gilt für die Ritualisierung und Formalisierung von Verhalten. Dies ist einer der Bereiche, w o uns der Institutionenbegriff neue Möglichkeiten der Einordnung von realen Erscheinungen ermöglicht. Wir haben weiter oben (siehe 1.1.) die Institution beschrieben als Abkürzung auf dem W e g e vom Erkennen einer Situation bis zur Reaktion. Ein konkretes Beispiel soll nun die möglichen Komplikationen aufzeigen: Man hat erkannt, daß nur die fähigsten Köpfe politische Entscheidungsgewalt haben sollen. U m den Prozeß ihrer Identifikation zu vereinfachen, hat m a n ein Prüfungssystem für Beamte eingeführt. Das Bestehen der Prüfung wurde bald als Garant für die Qualifikation angesehen. Dieses Konstrukt wurde über Generationen hinweg weitergegeben. A m Ende strebten die Individuen danach, die Prüfung zu bestehen - und nicht mehr danach, optimal qualifiziert zu sein (Seth 2000). Dies bedeutete, daß weder die Inhalte der Prüfung noch die Art von deren Bestehen eine Rolle spielten. Die Institution hatte sich von ihrem ursprünglichen Sinn gelöst, blieb aber erhalten und führte fortan zu einer mit Hilfe von Rationalität oder Effizienz nicht mehr erklärbaren Situation. Die objektive Notwendigkeit, einen effizienten W e g von A nach B zu finden, hat letztlich zur Perversion des ursprünglichen Gedankens geführt. Beispiele für solche Erscheinungen finden sich in der koreanischen Gesellschaft in zahlreicher Form. Dies gilt für die Präferenz von Unternehmen für die Absolventen einer bestimmten Bildungseinrichtung (deren Besuch, unabhängig v o m belegten Fach oder d e m tatsächlichen Erfolg, als Nachweis der Qualifikation dient); die Ausrichtung des Bildungssystems auf die quantitative A n h ä u f u n g von Wissen unter Vernachlässigung der Anwendungsfahigkeit; die Forderung nach der Finanzkrise von 1997/1998, daß mindestens ein ausländisches Mitglied im Direktorium großer Unternehmen zu sitzen hat; die Erwartung eines bestimmten prozentualen W a c h s t u m s des B S P als M a ß erfolgreicher Wirtschaftspolitik („a talismanic double-digit G N P growth figure", Woo 1991, S. 98); ein Präsident, der nach Amtsantritt das Golfspielen aufgibt (Kim YoungSam im Jahre 1993), und so weiter. Auch demokratische Institutionen, wie etwa politische Parteien, das Parlament, Meinungs- und Pressefreiheit, Gewaltenteilung etc., sind von diesen Mechanismen nicht ausgenommen. Es hat sehr lange gedauert, bevor diese Institutionen in Südkorea überhaupt Fuß fassen konnten; ihre Einführung nach 1945 und ein erneuter Versuch 1960 führten zu politischer Instabilität u n d der Rückkehr zu autokratischen Herrschaftsformen.
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In Nordkorea, das über die gleichen langfristigen institutionellen Traditionen wie Südkorea verfugt, wird sogar explizit verlangt, Institutionen als exklusive Leitlinie für individuelles Handeln zu akzeptieren und rationale Kosten-Nutzen-Rechnung bzw. Effizienzerwägungen zu unterlassen: „Das Parteimitglied muß ein konsequenter Kämpfer sein, der - ohne Fragen zu stellen für die Realisierung jedes Parteibeschlusses kämpft und es nicht zuläßt, daß die Partei von irgend jemand in Frage gestellt wird." (Kim Il-sung 1960, S. 433; Hervorhebung durch RF).
Die Nichtkenntnis solcher Umstände kann zu dramatischen Fehlinterpretationen führen. Eine Analyse der administrativen Reformen in Südkorea zeigt etwa, daß bei der Gestaltung und personellen Besetzung wichtiger und für wirtschafitspolitische Entscheidungen maßgeblicher Ministerien oftmals nicht deren offiziell definierte Aufgabe, sondern intra-bürokratische Machtkämpfe und deren Berücksichtigung eine entscheidende Rolle spielen (Frank 2003; auch Jung 1999 sowie Kim und Kim 1997). Auf einen aktuellen Fall verweist Brent Choi (2004), der zeigt, wie außerhalb Südkoreas die Neubesetzung der Position des Außenministers Südkoreas von Anfang 2004 fälschlicherweise mit außenpolitischen Zusammenhängen assoziiert wurde, während sie doch tatsächlich Ausdruck eines bürokratischen Kampfes war. Die handelnden Individuen in Südkorea sind natürlich sehr wohl in der Lage, die von der Realität losgelöste Natur von Institutionen zu erkennen. Offenes Zuwiderhandeln ist jedoch u.U. mit hohen sozialen, politischen oder gar ökonomischen Kosten verbunden; also nutzt man diese Institutionen, wo sich dies anbietet, und sucht nach Wegen zu deren Umgehung, wo sie sich als hinderlich erweisen. Politische Parteien etwa sind zumeist keine Allianzen von Individuen mit ähnlichen politischen Ansichten, sondern reflektieren die organisierte Unterstützung einer einzelnen Person mit dem Ziel, von deren ansteigender Macht zu profitieren; klar programmatisch ausgerichtete Parteien (etwa Sozialdemokraten, Liberale, Grüne) gibt es daher in Südkorea nicht bzw. sie sind nicht relevant. Nordkorea kann viele formale demokratische Institutionen vorweisen und ist doch keine Demokratie im westlichen Sinne (u.a. Koo 1992; Yang 1980). Die Existenz insbesondere von kodifizierten Institutionen ist also kein Garant dafür, daß diese auch tatsächlich die Realität reflektieren.
2.3. Ökonomische Institutionen Wirtschaftliche Institutionen sind eng mit den politischen und sozialen Institutionen verknüpft. In einer hierarchisch ausgerichteten Gesellschaft ist für individuelle Aktivität wenig Raum; entsprechend verwundert es nicht, wenn der freie Markt im traditionellen Korea eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Auch der Entrepreneur war in seinen Handlungsoptionen zumeist an sozial determinierte politische Regeln gebunden. Besonders deutlich wird dies während der japanischen Kolonialzeit, als sich Unternehmen im modernen Sinne in Korea herausbildeten.' Wie schon oben angemerkt, fand in diesem Zeitraum ein Institutionenimport statt, dessen Folgen bis heute zu spüren sind. Nach 1945 wurde dieser Importprozeß fortgesetzt, vor allem im politischen und ökono-
1910 waren in ganz Korea nur 29 Firmen registriert, vgl. McNamara (1990, S. 2).
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mischen Bereich. Dies hat dazu gefuhrt, daß alte Institutionen informellen Charakter erhielten und von neuen, kodifizierten Institutionen überlagert wurden. Ein Beispiel ist etwa der erweiterte Familienbegriff {Hur und Hur 1993, S. 39 f.; Chung et al. 1997, S. 135), der in Ländern wie Japan und Südkorea innerhalb der westlichen Institution ,Unternehmen' überleben konnte. Die patriarchalische Gliederung der Unternehmenshierarchie und die Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen wurden sogar oft als Modell für den Westen dargestellt. Für ausländische Direktinvestoren in Südkorea kann die Existenz von auf informellen Institutionen beruhenden Netzwerken innerhalb des Unternehmens überraschende Folgen haben, etwa, wenn diese bei der Zusammenstellung von Arbeitsteams nicht berücksichtigt werden {Brüch und Thomas 1995, S. 89). Der erweiterte Familienbegriff gilt auch im nationalökonomischen Rahmen und hilft beim Verständnis des starken Wirtschaftsnationalismus, wie er in beiden Teilen Koreas zu beobachten ist. Dieser fand seinen Ausdruck zum Beispiel in nicht durch ökonomische Rationalität erklärbaren .Kauft Koreanisch'-Kampagnen nach der Wirtschaftskrise 1997/98 (Frank 1998), die ebenso wie die Goldsammeibewegung zur Tilgung der Auslandsverschuldung von 1998 bemerkenswerte Parallelen zu ähnlichen Erscheinungen Anfang des 20. Jahrhunderts aufweisen, was die langfristige Existenz entsprechender informeller Institutionen impliziert. Janelli (1993, S. 115 ff.) zeigt am Beispiel einer der südkoreanischen Unternehmensgruppen, wie der Harmoniebegriff explizit zur Identitätsbildung gebraucht wird, wobei die Einheit von Wirtschaft und Nation, Tochterunternehmen und Unternehmensgruppe sowie Unternehmen und Angestellten betont wird. Die neuen Regeln, neben der bereits erwähnten Demokratie auch Unabhängigkeit der Zentralbank, freier Wettbewerb, Rückzug des Staates aus der Wirtschaft, Freihandel etc., trafen auf erheblichen Widerstand, insbesondere wenn sie mit bereits existierenden Institutionen kollidierten. Dieser war aber offen nicht umsetzbar; somit entstand häufig eine äußerlich von amerikanisch-westlichen, intern aber von neokonfuzianisch-traditionellen und japanisch-kolonialen Spielregeln bestimmte Organisations- und Institutionenstruktur. Verschiedene Autoren haben auf diesen Umstand hingewiesen: "As o f the end o f the 1980s, it [finance] was not [liberalized], But the State manipulated the financial market to make it look as if it were." (Woo 1991, S. 196)
Die Anpassung an solche extern erzwungenen Institutionen war bereits in der Kolonialzeit geübt worden. McNamara zitiert einen Leitartikel der Tageszeitung DongA-Ilbo vom 15. Mai 1921, in dem es mit Bezug auf die Zweiteilung der Welt in progressive Industrieländer und rückständige Agrargesellschaften heißt: "Those who immerse themselves in this [commercial and industrial] culture will survive, those unable will perish... Adaptation to government e c o n o m i c direction, credibility with the administration, and close contacts with present and former government officials were prerequisites for successful large-scale enterprises in the colony." ( M c N a m a r a 1990, S. 4 8 )
Cho (1994, S. 33) zeigt, daß insbesondere in den 1960em und 1970ern die Unternehmen sich zwar formal in den Händen privater Eigentümer befanden, dem Staat aber beim Management eine gewichtige Mitsprache eingeräumt wurde. Woo faßt dies mit Blick auf die Wirtschaftsentwicklung wie folgt zusammen: „the private sector and the
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public in Korea is rolled into one, into what one might term 'Korea Inc.'" (Woo 1991, S. 175). Es entwickelten sich aber auch Gegenstrategien. Da den Unternehmen die nationalistischen und entwicklungsökonomischen Ziele des Staates durchaus bekannt waren, nutzten sie diese geschickt aus und ließen eine in idealen Märkten selbstzerstörerische Strategie der hohen Verschuldung als rationale Option erscheinen, ein Effekt, den Lowi (1975, S. 280) „permanent receivership" nennt. Dieser Abschnitt zeigt ein sich permanent entwickelndes hochkomplexes Geflecht von interferierenden Institutionen verschiedener Rangordnung und Akzeptanz, kodifiziert oder informell, von manchen Individuen manipuliert und mißbraucht, von anderen streng befolgt und wieder von anderen geschickt umgangen. Vor diesem Hintergrund werden wir nun im folgenden Abschnitt die Entwicklung des südkoreanischen Telekom-Sektors in den zwei wichtigsten Jahrzehnten seiner Reform betrachten, um die gemachten Aussagen zu präzisieren und beispielhaft zu belegen.
3. Der Fall Telekommunikation von 1980-2002 3.1. Der große Zufall: Die richtige Institution am richtigen Ort zur richtigen Zeit Südkoreas wirtschaftlicher Aufstieg wurde zwar international als beispielhaft gefeiert, aber nicht als Muster für eine liberale Wirtschaftsordnung, sondern als erfolgreicher Versuch rapider nachholender Entwicklung (World Bank 1993). Ab den 1980em ist zu diesem Thema eine Vielzahl an Untersuchungen in westlichen Sprachen erschienen, in denen die dominierende Rolle des Staates bei der Allokation von Ressourcen deutlich gemacht wird. 2 Das Interesse konzentrierte sich bald auf die Frage, wie dieser Erfolg möglich war und ob er andernorts wiederholbar sein könnte. Man war sich einig, daß ein starker developmental State allein keine hinreichende Erklärung für Südkoreas Aufstieg sein konnte. Die Erklärungsansätze reichten von günstigen außenpolitischen Bedingungen (massive politische Unterstützung der USA wegen der Frontlage Südkoreas im Kalten Krieg) bis hin zu kulturellen Faktoren, also der asiatischen Produktionsweise nach Karl Marx {Marx 1960; Fiedler 1974, S. 388 f.), der Anpassung an das Diesseits nach Max Weber (1988), der neokonfuzianischen Präferenz für Bildung, der Bereitschaft, individuelle Ziele hinter Gruppenziele zu stellen, der klaren Strukturierung der Gesellschaft durch Hierarchie und Paternalismus und so weiter. Diese Argumente erfreuen sich durchaus einer breiten Anerkennung, lassen sich aber nur schwer in theoretische Modelle zur Erklärung des südkoreanischen Entwicklungsmodells einbinden. Die Institutionenökonomik deckt keine neuen Ursachen auf, bietet aber eine Möglichkeit, diese verschiedenen Faktoren mit einem gemeinsamen Nenner der Institution - zu versehen und somit in ein kohärentes analytisches Gebäude zu integrieren. Wir haben weiter oben gezeigt, daß Institutionen sich aus Rationalverhalten in konkreten Situationen heraus als ,Abkürzung' herausgebildet haben. Im Laufe der Zeit
2
Vgl. u.a. Amsden (2000).
(1989); Choi, Byung-sun
(1991); Woo (1991); Haggard
(1994); Kong
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verfestigten sich die entsprechenden Abläufe und Strukturen und wurden zur Institution, zu einer Regel, der man nunmehr ,blind' folgte, ohne nach der konkreten Effizienz zu fragen. Diese Regeln wurden in vielfältiger Weise kodifiziert und durchgesetzt. Damit war die Voraussetzung geschaffen, daß sich Institutionen auch nach dem weitgehenden Verschwinden ihrer einstigen rationalen Grundlagen halten konnten und nunmehr auf Bereiche angewendet wurden, die mit ihrer Entstehung nichts zu tun hatten. Eine wesentliche Grundlage des wirtschaftlichen Erfolges Südkoreas in der Ära Park Chung-hee (1961-1979) war aus dieser Perspektive also sehr wahrscheinlich ein Zufall, der zwar nicht ohne etwas Unterstützung auskam (die zielgerichtete Ausnutzung der tief verwurzelten Institutionen), aber keinesfalls in seiner Gesamtheit bewusst herbeigeführt wurde. Dies ist auch die Erklärung, warum die simple Übertragung südkoreanischer Entwicklungskonzepte auf andere Gesellschaften nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit erfolgreich wäre, wenn deren institutionelle Grundstruktur zu sehr von der Koreas abwiche. Gleichzeitig wird deutlich, warum viele Gesellschaften in (Ost-)Asien einen ähnlichen Weg mit Erfolg gegangen sind: historische Gemeinsamkeiten hatten dort zur Herausbildung und Verfestigung ähnlicher Institutionen gefuhrt. Die erfolgreiche Anwendung der neokonfuzianisch geprägten ,Spielregeln' innerhalb der südkoreanischen Gesellschaft führte zu einer erheblichen sozialen Transformation. Anfang der 1980er Jahre bewirkten wachsender wirtschaftlicher Wohlstand, das Vorbild westlicher Gesellschaften und andere Faktoren, daß die Individuen ihr soziales und vor allem ihr politisches Umfeld zunehmend in Frage zu stellen begannen. Innerhalb der Elite wurde auch erkannt, daß ökonomisch nach neuen Wegen gesucht werden mußte, um den Erfolg fortzusetzen. Dies bedeutete nicht, daß die entsprechenden Institutionen grundsätzlich in Frage gestellt wurden; es ging vielmehr um deren Interpretation und Umsetzung in konkretes Handeln. Vor diesem Hintergrund vollzog sich in vielen Bereichen ein erheblicher Wandel, der hinsichtlich seiner Ursachen und Triebkräfte allerdings oft fehlinterpretiert worden ist. In diesem Abschnitt wird der Versuch unternommen, diese Zusammenhänge anhand des Telekommunikationssektors aus einer institutionenökonomischen Perspektive zu illustrieren. 3.2.
Fortsetzung der Industriepolitik mit anderen Mitteln
Die Telekommunikation hatte beim wirtschaftlichen Aufschwung Südkoreas bis in die 1980er hinein kaum eine Rolle gespielt. Der sekundäre Sektor mit Chemie, Schiffbau, Stahl, Automobilbau und Elektronik dominierte das Bild (Cho 1994). Dies veränderte sich, als nationale und internationale Kommunikation für den reibungslosen geschäftlichen Ablauf zunehmend wichtiger wurde, die elektronische Datenverarbeitung ihren Siegeszug antrat und man in den ökonomischen Planungsetagen in Seoul nach neuen strategischen Bereichen suchte. Telekommunikation ist eine Netzwerkindustrie (u.a. Weifens und Graack 1996). Als solche verfugt sie über eine Reihe von spezifischen Eigenschaften, darunter hohe versunkene Kosten, Skalenökonomien und subadditive Kostenfunktionen (Blankart und Knieps 1996). Man hat traditionell argumentiert, daß diese Faktoren zur Herausbildung
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natürlicher Monopole fuhren würden, deren Regulierung im volkswirtschaftlichen Interesse erforderlich sei (Bain 1956). In den meisten Ländern entschied man sich dafür, das Angebot von Telekommunikationsdiensten in staatliche Hände zu legen, oft in Kombination mit dem Postwesen. Man nahm an, daß politische Ziele wie uniforme Preise und universelle Dienste so am besten erreichbar wären. Es zeigte sich jedoch, daß dieses System oft nicht den gewünschten Erfolg brachte. Die Zahl der Anschlüsse war gering, die Qualität der Verbindungen war schlecht, die Kosten waren hoch und die Innovation ging nur schleppend voran. In Südkorea gab es 1981 erst 3,26 Millionen Festnetz-Anschlüsse - bei 500.000 unbearbeiteten Anmeldungen, einer niedrigen Qualität und deutlicher Benachteiligung ländlicher Gebiete (Hwang 1999, S. 36). Die Telefondichte, ein Maß für die Verfügbarkeit von TK-Diensten, lag Anfang der 1980er bei nur 5 % (Choi, Byung-il 1998, S. 261). Diese Situation unterschied sich nicht wesentlich von den großen Industrieländern. Die USA, wo der Monopolist ein stark staatlich reguliertes Unternehmen war, und Großbritannien begannen etwa um diese Zeit mit Reformen zur Steigerung der Effizienz ihrer Telekom-Sektoren. Südkorea war überraschend frühzeitig Teil dieses neuen Trends, der im globalen Maßstab vor allem die 1990er kennzeichnen sollte. Liberalisierung und Deregulierung waren jedoch speziell Anfang der 1980er nicht die Begriffe, welche man ohne weiteres mit südkoreanischer Wirtschaftspolitik assoziiert hätte3. Womit ist also die südkoreanische Reformpolitik im Telekommunikationssektor zu erklären? Einigen Aufschluß kann ein detaillierter Blick auf die konkreten Reformmaßnahmen geben. Zu Beginn der Reformen befanden sich alle Funktionen - Politik, Regulierung und Produktion der Dienstleistung - in den Händen des Ministeriums für Kommunikation. 4 Im Dezember 1981 erfolgte zunächst die formelle Auslagerung der unternehmerischen Funktion mit der Gründung der für den kompletten Festnetzbereich zuständigen Korean Telecommunications Authority (KTA), die seit 1990 den Namen Korea Telecom (KT) trägt (Larson 1995, S. 130). Bis 1988 folgte die Gründung weiterer spezialisierter Anbieter, darunter DACOM (1982) für die elektronische Datenübertragung und Korea Mobile Telecom (1984) für den Mobilfunk. Jedes dieser Unternehmen durfte seinen eigenen Aufgabenbereich zunächst nicht überschreiten; die entsprechenden Regelungen wurden in Gesetzesform niedergelegt. Der allgemeine ordnungspolitische Trend im Telekommunikationsmarkt Südkoreas ging also in Richtung Aufspaltung und Spezialisierung. Letzteres geschah vor allem vor dem Hintergrund, daß das Ministerium dem Monopolisten KTA aufgrund seiner Größe und Ineffizienz nicht zutraute, die speziellen Dienstleistungen wie Mobilfunk und Datenübertragung zufriedenstellend anzubieten (Hwang 1999, S. 40). Der Staat behielt trotz der Reformen die vollständige Kontrolle. Es ging darum, das bestehende System effizienter zu gestalten, und nicht um die Umsetzung allgemeiner Vorstellungen zur Liberalisierung und Deregulierung. Dafür sorgten der per Lizenzierung geregelte Markteintritt und die per Gesetz erfolgte Trennung der jeweiligen Geschäftsbereiche.
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Später allerdings durchaus; siehe Lee, Kyu Uck (1998). Zu den Reformen allgemein vgl. Cho et al. (1996).
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Ferner wurden eine Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur geschaffen und wichtige Einrichtungen, wie das dem Kommunikationsministerium zugeordnete Electronics and Telecommunications Research Institute (1985), die National Computerization Agency (1987) und das Korea Information Society Development Institute (1988), gegründet. Die Bemühungen der südkoreanischen Regierung zur Förderung von FuE im IT-Bereich begannen Anfang der 80er Jahre mit dem Projekt zur Entwicklung einer eigenen elektronischen Vermittlungsstelle (TDX-1). Entsprechende Anstrengungen wurden gemeinsam mit dem privaten Sektor untergenommen, dem im Gegenzug in Form der KTA ein sicherer Abnehmer der Produkte versprochen wurde. Diese staatliche Industriepolitik - mit deutlichen Parallelen zu den 1970er Jahren - brachte tatsächlich den gewünschten Erfolg und führte zur Entstehung großer Unternehmen im IT-Bereich wie Samsung Electronics, Hyundai Electronics, Daewoo Telecom und LG Electronics. Ab 1987 wurde ein Programm zur Computerausbildung gestartet, und die Regierung begann mit der Verteilung von Computern an Schulen. Der dadurch erzeugte Nachfrageschub war bei der Entwicklung der noch sehr jungen südkoreanischen Computerindustrie von entscheidender Bedeutung. Ende der 1980er begann das für Handel und Industrie zuständige Ministerium mit der Eigenentwicklung eines Computers und stellte unter Beteiligung anderer staatlicher Stellen Finanzmittel für Forschungskonsortien aus staatlichen und privaten Partnern bereit, die 16 MB bzw. 64 MB DRAMs (Speicherchips) entwickelten (Hörig 1998, S. 705). Diese Politik der ad-hoc Förderung fand später beim CDMA-Standard (Mobilfunk) ihren Höhepunkt, bis sie Mitte der 1990er von kontinuierlichen Konzepten abgelöst wurde. Es wird deutlich, daß eine bestimmte Art von Institutionen wirkte, wie sie in den vorangegangenen Jahrzehnten geschaffen bzw. modifiziert worden waren: Der Staat bzw. die Bürokratie sahen sich als fähig an, weitreichende wirtschaftspolitische Strukturentscheidungen zu treffen. Man ging davon aus, durch die Adaption bestimmter Prinzipien, wie Steigerung der Verantwortlichkeit, klarere Definition und Zuweisung von Kompetenzen, Schaffung einer adäquaten administrativen und marktlichen Struktur, Kanalisierung von Ressourcen in Forschung und Entwicklung, Bereitstellung von Märkten und Schutz vor Konkurrenz - kurz: eine protektionistische, paternalistischc Politik von divide et impera - , die selbstgesetzten politischen Ziele zu erreichen. Diese waren primär auf fortgesetztes wirtschaftliches Wachstum orientiert. Dabei fungierte vor allem die KTA als Agent des Staates. Vor 1980 waren die Gebühren für Ortsgespräche künstlich niedrig gehalten worden, was entsprechend höhere Preise in anderen Bereichen bedingte und den Universaldienst - vor allem die Erweiterung des inländischen Netzes - fördern sollte. Von 1980 bis 1986 verdoppelte das Ministerium die Preise für Ortsgespräche, um der KTA eine solide finanzielle Grundlage zur Erfüllung ihrer Aufgaben im industriepolitischen Plan zu verschaffen. Auf Anweisung des Ministeriums hatte die KTA die speziellen Unternehmen mit allen benötigten Anlagen zu versorgen und die Zusammenschaltung zu gewährleisten. So konnten diese relativ schnell wachsen und ihre eigenen Netze aufbauen. Die Preise wurden vom Ministerium so gesetzt, daß etwa DACOM und KMT erhebliche Einnahmen generierten. Dabei ging es der Regierung nicht nur um die Bereitstellung eines der Nachfrage entsprechenden Angebotes; wie das folgende Beispiel zeigt, sollte auch eine neue In-
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dustrie zielgerichtet gefördert werden. DACOM wurde zum Zwecke der Förderung von Datendiensten gegründet, hatte allerdings zunächst keine solide Geschäftsgrundlage; Geld wurde verdient, indem die .Schwester' KTA zu einem günstigen Preis Mietleitungen an DACOM vergab und DACOM diese dann mit einem hohen Aufschlag weitervermietete. Wegen der Monopolsituation mußte sich jeder potentielle Anbieter von Mehrwertdiensten zwangsläufig an DACOM wenden. Grundgedanke war eine Subventionierung von DACOM auf diesem Wege, um die Mittel für die Entwicklung von Datendiensten zu akkumulieren. Dieser Plan schlug zwar fehl, was Anfang der 90er im Ausweichen von DACOM in neue Geschäftsfelder resultierte, zeigt aber exemplarisch die Motivation der wirtschaftspolitisch Zuständigen - ein typischer Fall von Industriepolitik (Simons 1997). In diesem Kontext stößt man auf eine Zahl verschiedenster Agency-Probleme. Die jeweiligen Agenten des Prinzipals Ministerium bemühten sich nach Kräften, ihren Informationsvorsprung im eigenen Interesse zu nutzen. Dies ist etwa im zähen Ringen von KTA, DACOM und KMT zu erkennen, die Erlaubnis zum Vordringen in die Geschäftsbereiche der jeweiligen Schwesterunternehmen zu erhalten. Das Ministerium selbst war als Agent des Staates primär daran interessiert, die eigene relative Machtposition innerhalb der Administration auszubauen. Dabei halfen die durch die neue Marktstruktur generierten Einnahmen ebenso wie die zunehmende Bedeutung des TK-Sektors als nationaler Wirtschaftsfaktor. Hwang (1999, S. 49) stellt explizit fest, daß die Preissetzung des Ministeriums nicht auf einer Berücksichtigung objektiver Marktkriterien beruhte. Die Gebühren mußten vom Staatsrat bestätigt und vom Präsidenten unterzeichnet werden, ihre Höhe war also eine politische Angelegenheit. In den 80er Jahren reflektierten sie vor allem makropolitische Erwägungen anstatt Bestrebungen zu einer effizienten Ressourcenallokation. Die de jure private, allerdings de facto unter staatlicher Anleitung und Führung stattfindende Forschung und Entwicklung wurde durch staatliche Abnahmegarantien gefördert (Chol, Byung-il 1997, S. 76). Dies wird etwa anhand des Marktes für IT-Hardware deutlich. Anders als in den westlichen Industrieländern wurde in Südkorea schon vor dem eigentlichen Beginn der Marktstrukturreformen für Dienstleistungen privaten Nutzern die Erlaubnis erteilt, auch solche Endgeräte an das Netz anzuschließen, die nicht vom Monopolisten erworben wurden. Dies hatte in Kombination mit der jährlich steigenden Zahl von Anschlüssen einen enormen Nachfrageschub zur Folge. Die Industrie reagierte, und die Zahl der zur Verfugung stehenden Modelle von Endgeräten stieg von 3 im Jahre 1981 auf 234 (!) Modelle im Jahr 1986. Durch den resultierenden Wettbewerb wurde erwartungsgemäß die internationale Wettbewerbsfähigkeit südkoreanischer Hersteller von Endgeräten enorm gestärkt und die Grundlage für die heute sehr erfolgreiche IT-Industrie gelegt. Trotz der oben dargestellten, nicht explizit an Effizienz orientierten Motivation waren auch im Bereich der Dienstleistung die realen Resultate der ersten Reformphase beeindruckend: Bis 1989 war eine Telefondichte von 100 % erreicht worden; die Zahl der Festnetzanschlüsse stieg jährlich um ca. eine Million, das Telefonnetz war vollständig automatisiert, wozu die Entwicklung einer eigenen elektronischen Vermittlungsstelle
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erheblich beigetragen hatte; das Land verfügte über Möglichkeiten der Datenkommunikation und ein Mobilfunknetz. 3.3.
Aus der Not eine Tugend machen: Liberalisierung im Dienste der Industriepolitik
Ende der 1980er begann sich eine veränderte Situation abzuzeichnen. Während zuvor die Reformen nahezu ausschließlich von internen Faktoren getrieben waren, wie nationalistische Industriepolitik, intra-bürokratische Machtkämpfe und Auseinandersetzung zwischen Staat und Großkonglomeraten, so kam nun zunehmend ausländischer Druck hinzu, der im Gegenzug inländische Beharrungskräfte mobilisierte bzw. stärkte {Lee, Kyu Uck 1998). Die USA, der wichtigste politische, ökonomische und militärische Verbündete Südkoreas bzw. der deutlich dominierende Partner in all diesen Bereichen, paßten ihre Politik an neue Bedingungen an. Diese bestanden vor allem im absehbaren siegreichen Ende des Kalten Krieges, welches für Washington eine Reihe neuer Optionen eröffnete und alte Beschränkungen wegfallen ließ. Außerdem hatte gerade in den 1980er Jahren das als bedrohlich empfundene wirtschaftliche Vordringen Japans ein deutlich geschärftes Bewußtsein ostasiatischer Konkurrenz in den USA entstehen lassen. Südkorea sollte kein zweites Japan werden. War es in den Jahrzehnten zuvor mit Blick auf die Frontlage Südkoreas noch opportun erschienen, Diktatoren zu unterstützen und Protektionismus zu dulden, war für solche Toleranz angesichts der rapide abnehmenden Bedrohung aus Moskau und, wenngleich aus anderen Gründen, auch aus Beijing, nunmehr wenig Anlaß verblieben. Hinzu kamen handfeste wirtschaftliche Interessen. Es kam zu einem erheblichen Marktöffnungsdruck durch die USA. Es stand außer Frage, daß im direkten Wettbewerb die noch jungen südkoreanischen Unternehmen der ausländischen Konkurrenz mit ihrer technologischen Überlegenheit und den Preisvorteilen aus Skalenökonomien deutlich unterlegen sein würden. Zwar konnte die südkoreanische Seite bei den entsprechenden bilateralen Handelsgesprächen eine Marktöffnung nicht verhindern, erreichte aber mit Erfolg eine verzögerte, stufenweise Liberalisierung für amerikanische Anbieter bis 1993 (die EU folgte erst 4 Jahre später). Die gewonnene Zeit und die Aussicht auf ausländische Konkurrenz wurden in Südkorea genutzt, um die Entwicklung des Sektors im Inland zu forcieren. Die Politik erhielt die Aufgabe, der Industrie so viel Zeit wie möglich zu verschaffen, das Ministerium dirigierte die Anbieter von Diensten und Hardware, die Industrie nutzte die sich bietenden Chancen gewohnt prompt und versäumte es nicht, sich diese Folgsamkeit vergelten zu lassen. Im Markt für Dienstleistungen war der Liberalisierungsdruck zunächst nicht so hoch wie bei den Ausrüstungen. Entsprechend konnte der Staat seine Politik der separaten Monopole fortfuhren und sich auf die quantitative Entwicklung einer landesweiten Infrastruktur konzentrieren. Ende der 1980er begannen jedoch die inländischen Industriekonglomerate, auf eine Deregulierung von Partialmärkten zu drängen. Dies galt zunächst insbesondere für die Mehrwertdienste. Hier werden die Auswirkungen des inländischen institutionellen Wandels - die Demokratisierung Südkoreas setzte 1987 ein exemplarisch deutlich. Die ehemals folgsamen Agenten sahen sich einem zunehmend geschwächten Prinzipal gegenüber.
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Man kann die Reformen ab den 1980ern somit als Kombination verschiedener interdependenter Spiele ansehen. Auswärtigem Druck standen inländische Beharrungskräfte gegenüber; gleichzeitig fanden die traditionellen intra-bürokratischen Machtkämpfe statt, und die Unternehmen nutzten die im Kontext der Demokratisierung gewonnene Freiheit, um ihre eigenen Interessen gegenüber dem zuvor übermächtigen Prinzipal Staat zu artikulieren und durchzusetzen. Der südkoreanische Staat verhielt sich in diesem komplizierten Umfeld bemerkenswert pragmatisch. Nachdem man die neue Situation analysiert und verstanden hatte, wurde insbesondere der externe Druck zielgerichtet zur Fortfuhrung der etablierten industriepolitischen Linie verwendet. Es ging nach wie vor primär darum, die eigenen Unternehmen in ihrer Eigenschaft als ausführende Organe der staatlichen Planung zu schützen. War dies zuvor durch Protektionismus geschehen, sollte nun, angesichts des unausweichlichen Wettbewerbs, die zielgerichtet herbeigeführte Effizienz diese Aufgabe übernehmen. Ausländische Konkurrenz wurde vom Prinzipal zunehmend zur Disziplinierung der Agenten eingesetzt. Wir haben es in diesem Falle also trotz des äußeren Anscheins nicht mit einer Änderung der Politik, sondern mit einer Änderung der Mittel zu tun.
3.4. Angriff ist die beste Verteidigung: Der Sprung auf den Reformzug Ende der 1980er Jahre machte sich in den maßgeblichen Kreisen Südkoreas die Erkenntnis breit, daß an einer Wettbewerbseinführung im Telekom-Sektor kein Weg vorbei führte. Dies lag an der nicht zu unterschätzenden Vorbildwirkung von Ländern wie den USA, Großbritannien und Japan, an der steigenden Nachfrage im Inland, der die zwar reformierte, aber noch immer monopolistische Industriestruktur immer weniger gerecht werden konnte, am wachsenden Druck der im Kontext der politischen Demokratisierung mit etablierten Methoden zusehends schlechter kontrollierbaren einheimischen Großkonglomerate, an der übergeordneten Entscheidung der obersten Wirtschaftsplanungsbehörde zur Privatisierung von Staatsunternehmen, an technologischen Entwicklungen wie Digitalisierung und EDV sowie nicht zuletzt am bereits erlebten und noch erwarteten Liberalisierungsdruck aus Washington. Als Reaktion auf diese Entwicklungen richtete das Ministerium für Kommunikation im März 1989 ein Beratungsgremium ein, welches bis Ende 1989 ein umfassendes Reformprogramm erarbeitete, einschließlich der mit Ausnahme des Ortsnetzbereiches umfassenden Einfuhrung von Wettbewerb (Hwang 1999, S. 61). Nach einigen öffentlichen Debatten und Anhörungen wurde von der Regierung auf Grundlage dieser Empfehlungen Mitte 1990 der Reformplan für die Telekommunikation veröffentlicht. Er umfaßte die Einführung von vollständigem Wettbewerb bei Mehrwertdiensten, die Bildung regionaler Duopole bzw. Oligopole beim Paging, die Einführung von Duopolen bei Internationalen Gesprächen und im Mobilfunk, sowie zunächst die Fortsetzung des Monopols von KT im inländischen Fern- und Ortsnetz (Choi, Byung-il 1998, S. 250). Das Grundkonzept der Regierung lautete: Schaffung eines Binnenmarktes, um diesen später stufenweise und differenziert dem internationalen Wettbewerb auszusetzen. Dabei waren vor allem die besonderen Interessen von KT als wichtigem Agenten des Ministeriums zu berücksichtigen.
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Die Umsetzung der Reformpläne erfolgte in zwei Schritten. Zunächst blieb das regulatorische Regelwerk unverändert, die Regierung kontrollierte den Reformprozeß mit den aus den bestehenden Gesetzen erwachsenden Rechten. In einem zweiten Schritt wurden der Framework Act on Telecommunications und der Public Telecommunications Business Act entsprechend den neuen Konzepten modifiziert. Das gesamte Regulierungssystem als solches wurde überholt. Während es zuvor auf die Regulierung des Monopolisten KTA mit dessen Geschäftssparten ausgerichtet war, hatte das neue System die Besitzverhältnisse bei Telekommunikationsnetzwerken als Grundlage. Mit Wirkung vom 10. Dezember 1991 wurde auch anderen Unternehmen außer KT (ehemals KTA) der Besitz und Betrieb eigener Netzwerke gestattet und regulatorisch zwischen Anbietern mit eigenen Netzwerken und ohne eigene Netzwerke differenziert. Die angebotenen Dienstleistungen wurden in Grundlegende, Spezielle und Mehrwertdienste klassifiziert (Hong 1998, S. 704). Diese ausdifferenzierte Regulierungsstruktur gab dem Ministerium die Möglichkeit, die Industrie auf legalem Wege sehr zielgerichtet zu steuern. Larson (1995, S. 122) verweist auf die Parallelen zur Strukturregulierung im japanischen Telekomsektor von 1985. Ein wichtiger Reformbereich betraf die Eigentumsstruktur. Hier wird besonders klar die Wirksamkeit von etablierten Institutionen deutlich: Die Erfahrung der japanischen Kolonialzeit, welcher die erdrückende wirtschaftliche Dominanz Japans vorangegangen war, sowie die Assoziation von traumatischen historischen Ereignissen (u.a. Teilung, Korea-Krieg) mit externen Einflüssen hatten zu einem tiefen Mißtrauen gegenüber der Präsenz von Ausländern im Lande gefuhrt. Und obwohl sie die Träger des wirtschaftlichen Aufschwungs waren, begegnete man doch den großen Industriekonglomeraten mit erheblichem Mißtrauen. Die Regierung hatte seit einer ersten Krise Anfang der 1970er, spätestens jedoch seit den frühen 1980ern und insbesondere im Zuge der Demokratisierung, die Erfahrung machen müssen, daß dieser vitale Teil der wirtschaftspolitischen Symbiose immer schwieriger zu kontrollieren war. Es galt, eine Dominanz der großen Konglomerate in diesem neuen Wachstumssektor zu verhindern und die nationale Kontrolle über den strategischen Bereich Telekommunikation zu bewahren. Effizienzüberlegungen spielten eine nachgeordnete Rolle. Entsprechend niedrig waren die erlaubten Höchstgrenzen für Anteile in den Händen einzelner Investoren. Ausländer waren vom Angebot grundlegender Dienste vollständig ausgenommen (Hwang 1999, S. 64 f.). Das MOC hatte nach wie vor die absolute Kontrolle über den Telekommunikationsmarkt, vor allem wegen seiner Beherrschung des Markteintritts. Die allem Pragmatismus zum Trotz skeptische Haltung den Marktkräften gegenüber wird in der asymmetrischen Wettbewerbseinführung deutlich. Ein in vielerlei Hinsicht exemplarisches Ereignis war die für 1992 geplante Vergabe der (neben KMT) zweiten Mobilfunklizenz in Südkorea. Das Ministerium gab als Gewinner der Ausschreibung ein Konsortium unter Mehrheitsbeteiligung der SunkyongGruppe bekannt, deren Chairman ein Verwandter des amtierenden Präsidenten war. Der öffentliche Protest war so stark und wohl auch berechtigt, daß der Sieger der Ausschreibung eine Woche später seinen Verzicht erklärte. Die Vergabe der Lizenz wurde daraufhin vom Ministerium bis zum Amtsantritt des nächsten Staatspräsidenten ausgesetzt. Die Sunkyong-Gruppe kam über Umwege jedoch wenig später doch zum Zuge, als
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1994 der Monopolist KMT privatisiert wurde. Das Unternehmen trägt heute den Namen SK Telecom und ist mit etwa 50 % (Stand von 2004) Marktführer im südkoreanischen Mobilfunk. Die wirtschaftspolitischen Planer in Seoul waren auch unter neuen innenund außenpolitischen Gegebenheiten nicht gewillt, die im Bewußtsein elitärer fachlicher Kompetenz und hoheitlicher Rechte der Exekutive erfolgende Auswahl von Gewinnern aufzugeben. Neue Reformimpulse kamen erneut aus dem internationalen Bereich, diesmal im Zusammenhang mit den WTO-Gesprächen im Rahmen der Uruguay-Runde. Mit dem Abschluß der multilateralen Handelsgespräche im Dezember 1993 und dem Beginn der Verhandlungen zu den Grundlegenden Telekommunikationsdienstleistungen im Mai 1994 stieg der externe Druck auf die südkoreanische Regierung, entsprechend aktiv zu werden. Südkorea entschied sich für die Flucht nach vorn und versuchte mit Erfolg, sowohl bei den entsprechenden WTO-Gesprächen aktiv mitzuwirken als auch den multilateralen Rahmen zur Abwehr bilateralen Drucks einzusetzen. Hinzu kam das wachsende interne Drängen der einheimischen Industrie, die angesichts der ständig steigenden Bedeutung der Telekommunikation nachdrücklich nach erweiterten Möglichkeiten des Markteintritts verlangte. Die Reaktion der Regierung war der zweite Reformplan zur Restrukturierang des Telekommunikationsmarktes vom 30. Juni 1994. Die regulatorische Ausdifferenzierung wurde reduziert, mehr Wettbewerb zugelassen, und Eigentumsbeschränkungen insbesondere für inländische Unternehmen wurden gelockert (Choi, Byung-il 1998, S. 252). In der Reformdebatte setzte sich das Argument durch, daß ein inländischer Wettbewerb vor der (unvermeidlichen) Marktöffnung für ausländische Firmen hilfreich sein würde, um die eigenen Unternehmen konkurrenzfähig zu machen. Auch dies war ein altes industriepolitisches Argument; die , Infant Industries' sollten nun allerdings nicht durch Protektionismus, sondern durch forcierte Vorbereitung auf den Wettbewerb geschützt werden. Mit der Reform von 1994 war in allen Bereichen des Telekom-Sektors mindestens eine Duopol-Situation hergestellt. Die meisten Preise mußten nicht mehr vom Ministerium bestätigt werden. Positivlisten mit zulässigen Geschäftsfeldern wurden durch Negativlisten ersetzt. Es war daher für die Öffentlichkeit überraschend, als schon 1995 eine erneute, weitreichende Reform folgte. Dieses Vorgehen, die sogenannten .Schockreformen' von oben nach unten, reflektiert die Herangehensweise des Staates in beispielhafter Weise und war laut Jung (1996, S. 277) zum damaligen Zeitpunkt eines der allgemeinen Kennzeichen von Reformen in Südkorea. Es wurde bereits gezeigt, daß bei den Reformen bestimmte institutionelle Faktoren neben strategischen Erwägungen und dem Effizienzgedanken eine wichtige Rolle gespielt hatten. Dieses Bild muß durch eine Betrachtung administrationsinterner Vorgänge ergänzt werden. So war es auch das Bedürfnis der Bürokraten des zuständigen Ministeriums nach Steigerung ihres vergleichsweise niedrigen Ansehens innerhalb der Administration, welches sich je nach Situation sowohl positiv als auch hemmend auf die Reformentwicklung auswirkte. Die Reform von 1995 war zweifellos sehr eng mit der 1994 erfolgten Neugestaltung des Ministeriums verbunden. Es erhielt einen neuen Namen und vereinte Kompetenzen aus verschiedenen administrativen Einheiten. Gleichzeitig trat dieses Ministerium für Information und Kommunikation (MIC) in Konkurrenz zu
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einem anderen Ministerium (Commerce, Industry and Energy). Dieser sowohl im Sinne der Effizienzsteigerung wie auch der Stärkung der Zentralmacht durchaus gewollte intra-bürokratische Machtkampf, der die Telekom-Politik in den Folgejahren entscheidend beeinflussen sollte, wurde sowohl direkt als auch über die Agenten dieser Ministerien ausgetragen, namentlich Korea Telecom für das MIC und den Energiebetreiber KEPCO für das MOCIE. Auch mit anderen administrativen Einheiten gab es Konflikte. Diese betrafen u.a. die Frage der Preissetzung, wobei das MIC eher marktwirtschaftlich argumentierte, während das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft die Entwicklung vor allem unter dem makroökonomischen Aspekt der Inflationsbegrenzung gemäß dem Price Stabilization Act betrachtete und gegen eine Gebührenerhöhung war. Die geballte Macht innerhalb des neuen MIC veränderte das bürokratische Kräftegleichgewicht und versetzte das Ministerium in die Lage, tiefgreifende Reformschritte umzusetzen. Dazu gehörte ein neues Paradigma, nach dem es - im Vertrauen auf die Marktmechanismen - die Unternehmen sein sollen, und nicht der Staat, die entscheiden, in welchen Geschäftsbereichen sie tätig sein wollen (wobei der Staat aber letztlich über die Lizenzierung ein Vetorecht besitzt). Die inländische Wirtschaft war Anfang der 1990er, anders als erwartet, eher zurückhaltend bei entsprechenden Investitionen. Das lag laut Choi, Byung-il (1998, S. 254) hauptsächlich an einer regulatorischen Inkonsistenz - in dem Sinne, daß die Unternehmen zwar einerseits in langfristige Projekte wie die Entwicklung von Ausrüstungen, Software und Anwendungen investieren sollten, andererseits aber von einem Eintritt in den hochprofitablen Markt für Telekommunikationsdienste weitgehend ausgeschlossen waren. Ferner wurde nun mit der Gründung der Korea Communications Commission zumindest formal die regulatorische Funktion von den hoheitlichen Aufgaben getrennt, auch wenn de facto das MIC u.a. über die Personalpolitik die Kommission dominierte. Ab 1996/1997 war bis auf Orts- und Ferngespräche im nationalen Festnetz Wettbewerb im gesamten südkoreanischen Telekom-Sektor realisiert, einschließlich internationaler Telefondienste und Mobilfunk. Die Korea Telecom-Tochter Freetel erhielt nach einem erneut sehr umstrittenen Verfahren eine der drei neuen PCS-Lizenzen. Die entsprechenden wettbewerbsrechtlichen Bedenken wurden zugunsten des Ausbaus von KT zu einem „international
führenden
Anbieter
von umfassenden
Telekom-Dienstleistun-
gen" (Hwang 1999, S. 84) beiseite geschoben. Das Lizenzierungsverfahren wurde zugunsten der Unternehmen verändert, die Möglichkeiten zur willkürlichen Entscheidung des Ministeriums wurden eingeschränkt. 1997 wurde mit der Lizenzvergabe für Ortsgespräche an Hanaro Telecom (größte Anteilseigner: DACOM und KEPCO) das letzte Monopol im südkoreanischen Telekommunikationsmarkt de jure beseitigt; Ende 1999 war der Marktanteil des neuen Anbieters mit 0,63 % jedoch zu gering, um von Wettbewerb sprechen zu können. Onse Telecom wurde als jeweils dritter Anbieter neben KT und DACOM für Internationale Gespräche und Ferngespräche lizenziert; bei letzteren konnte das Unternehmen jedoch trotz niedriger Preise bis Ende 1999 nur einen Marktanteil von 1 % erreichen, während es bei Internationalen Gesprächen 14,35 % auf sich vereinen konnte (AT 2000, S. 4). In Vorbereitung auf die im Rahmen der WTO beschlossenen Maßnahmen im Telekommunikationssektor (Agreement on Basic Telecommunications) erfolgte im August
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1997 eine Revision des Telecommunications Business Act. Dies betraf u.a. die Anhebung der Grenzen für aggregiertes Eigentum in den Händen von Ausländern, die bis 2001 bis auf 49 % (bzw. 33 % für KT) steigen sollten. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Hinweis von Choi, Byung-il (1998, S. 255), daß Südkorea zu den aktivsten Parteien bei den WTO-Telekom-Verhandlungen zählte, im Inland aber den Eindruck zu erwecken suchte, sich hinsichtlich der Frage der Marktöffnung hauptsächlich passiv verhalten zu haben. Eine sehr wesentliche Veränderung vollzog sich hinsichtlich des Status des ehemaligen Monopolisten und dominanten Anbieters Korea Telecom. In konsequenter Fortsetzung der bisherigen Politik, in deren Kontext schon die Rückkehr in den Mobilfunkmarkt zugelassen worden war, sollte das Unternehmen nun von den Fesseln der direkten staatlichen Dominanz befreit und damit besser für die angedachte Rolle als global erfolgreicher Telekom-Anbieter positioniert werden. Man änderte zunächst den Status von KT von dem eines staatlichen Unternehmens zu dem eines Unternehmens mit Staatsbeteiligung. Korea Telecom erhielt deutlich mehr Autonomie hinsichtlich Personal und Budget, führte Leistungskriterien für das Management ein und konnte professionelle Manager von außerhalb anwerben. Auch wenn von einem völligen Rückzug des Staates aus KT zunächst nicht die Rede war, wurden die Beschränkungen für individuelles Eigentum an KT von 7 % auf 15 % gelockert, so daß u.a. strategische Partnerschaften mit ausländischen Partnern vereinfacht wurden. Im Dezember 1998 wurde beschlossen, 28,8 % der Anteile an KT an der südkoreanischen Börse zu notieren und das Unternehmen stufenweise vollständig zu privatisieren. Mit zunehmendem Wettbewerb begann man folgerichtig bei KT, die bislang durch die Einnahmen aus Ferngesprächen subventionierten Preise im Ortsnetz den tatsächlichen Kostenstrukturen anzupassen, was zu einer Preissteigerung um 50 % zwischen 1993 und 1997 führte (Hwang 1999, S. 48-49). Im Kontext der IWF-Auflagen nach der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 1997 und 1998 sind weitere Entwicklungen bei der Frage der Öffnung für ausländische Investoren und Konkurrenten sowie eine Beschleunigung der bereits im Rahmen der WTO beschlossenen Liberalisierungsmaßnahmen hinzugekommen. Die Rolle der Regulierungsbehörde (Korea Communications Commission) wurde weiter gestärkt, wenngleich bei den Kompetenzen eine gewisse Überlagerung mit der Wettbewerbsbehörde (Korea Fair Trade Commission) zu beobachten ist und eine Trennung vom Ministerium nach wie vor nicht erfolgt ist. Im Telekomsektor Südkoreas hatten von den Anfangen der Liberalisierung an die Bürokraten die Führungsrolle inne (Yoon 1999, S. 291). Sie waren davon überzeugt, über die Informationen, Fähigkeiten und Instrumente zu verfügen, um die TelekomIndustrie angemessen zu regulieren. Sie entschieden über das jeweils zuzulassende Maß an Wettbewerb, die genaue Zahl der neuen Anbieter und deren anzustrebende Marktanteile. Sie entwarfen eine Industriestruktur für jeden Teilbereich des Telekom-Sektors und setzten diese um. Da die Regierung die Effekte des Wettbewerbs vorhersagte und entsprechend beeinflußte, wurde die Kraft des Wettbewerbes per se deutlich in Frage gestellt. Gewinner und Verlierer legte die Bürokratie fest, nicht der Markt. Lee und Lie (2000, S. 4) stellen fest, daß dieser ,gelenkte Wettbewerb' systematisch enorme Profite
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für alle Marktteilnehmer garantierte, wenn sie die Hürde des Markteintritts überwunden hatten. Auf dem Wege staatlich induzierter und geplanter Regulierungsreformen wurde ein ineffizienter Monopolmarkt schrittweise zu einem Wettbewerbsmarkt umgewandelt. Das Ministerium bestimmte in jeder Phase das Tempo, wobei internationaler Druck durch die bilateralen Verhandlungen mit den USA und später der EU sowie das GATS und das darauf folgende WTO-Abkommen zur Telekommunikation eine wichtige Rolle als Initiativgeber und Motivator gespielt haben. Der Markteintritt wurde über ein Lizenzierungsverfahren effektiv kontrolliert. Die Marktstruktur konnte somit entsprechend den Erkenntnissen der Regulierer nach und nach verändert werden. Das Grundkonzept der Regulierungsreform bestand darin, die inländischen Unternehmen auf den Wettbewerb mit ausländischer Konkurrenz vorzubereiten und diesen Vorgang möglichst vor einer Liberalisierung abzuschließen. Choi, Byung-il (1997, S. 85) argumentiert, daß selbst bei Abwesenheit von institutionellen Markteintrittsbarrieren die Zahl der an einem Markt überlebensfahigen Anbieter durch bestimmte reale Werte wie die Marktgröße begrenzt ist. Indem es Südkorea gelungen ist, ausländische Konkurrenten lange genug vom direkten Markteintritt fernzuhalten, ist mittlerweile ein ausländisches Engagement vor allem auf dem Wege des Anteilserwerbs an bestehenden, und nicht durch den Eintritt neuer Anbieter denkbar. So ist auch die großzügige Handhabung der Lizenzierungsfrage zu bewerten: Neue Lizenzen werden kaum die bestehende Marktstruktur in einer aus südkoreanischer Sicht unerwünschten Weise beeinflussen, da die dynamische Phase der Formierung nach der Wettbewerbseinführung in den wichtigsten Marktsegmenten wie Festnetz und Mobilfunk weitgehend abgeschlossen ist. Zu erwarten sind dort nun Konzentrations- und Konsolidierungsbewegungen. In diesem Zusammenhang ist die Entwicklung um die Lizenzvergabe für den neuen IMT-2000-Standard bemerkenswert, wie sie im folgenden Abschnitt kurz dargestellt wird.
3.5. Neue Situation, alte Konzepte: Lizenzvergabe für den Mobilfunk der Dritten Generation3 Mobilfunk der Dritten Generation, auch 3G, unterscheidet sich von der zweiten, digitalen Generation (2G) vor allem durch die wesentlich höheren Datenübertragungsraten. Damit sind eine Reihe von Multimedia-Anwendungen möglich, insbesondere die Übertragung von stehenden und bewegten Bildern und eine schnelle Verbindung zum Internet. Die zweite Hälfte der 1990er war von derart rasantem Wachstum beim Mobilfunk gekennzeichnet, daß die Industrie sich für die Dritte Generation mindestens ebenso hohe Gewinnchancen ausrechnete und alles daran setzte, Teil dieser Entwicklung zu sein. Bei 2G gab es in technischer Hinsicht eine Vielzahl an Standards, welche die weltweite Kompatibilität erschwert bzw. verhindert haben; die dominierenden Konkurrenten waren dabei das vor allem in Europa verbreitete GSM (ca. 80 % am Weltmarkt) und das aus den USA stammende und auch in Südkorea übliche CDMA. Für 3G sollte diese Inkompatibilität durch Akzeptanz eines einzigen Standards verhindert werden; zu einer 5
Für eine detaillierte Analyse der IMT-2000 Lizenzvergabe vgl. Frank (2003, S. 320-339).
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Einigung innerhalb der International Telecommunications Union kam es jedoch nicht, so daß beide Seiten dazu übergingen, ihr jeweiliges System in möglichst vielen Märkten durchzusetzen. Südkorea wurde Teil dieses Konfliktes. Die Regierung Südkoreas bzw. das für die Lizenzvergabe zuständige Ministerium sahen sich mit einer Reihe von Problemen und sich überlagernden Zielen konfrontiert. (1) Im industriepolitischen Sinne galt es, eine neue Wachstumsindustrie optimal zu fordern. Die Wahl des Standards spielte hierbei eine große Rolle: Sollte man weiterhin auf einen Minderheitsstandard setzen? Dies hätte ggf. Vorteile für den Schutz des Binnenmarktes, würde aber auch die Export- und Expansionschancen reduzieren. (2) Wie viele Lizenzen sollte man vergeben? Zu viele Lizenzen würden den einzelnen Konkurrenten einen zu geringen Anteil des Binnenmarktes überlassen; zu wenige würden den Wettbewerb behindern. (3) Auf welchem Wege sollten die Lizenzen vergeben werden? Eine Auktion würde die finanzkräftigsten Bieter zum Zuge kommen lassen, diese aber finanziell schwächen und die Möglichkeiten der Einflußnahme des Staates stark reduzieren. (4) Wie sollte man sich gegenüber externem Druck verhalten? Die USA als der wichtigste Verbündete bestanden darauf, den von Qualcomm entwickelten Standard zu übernehmen. Dieser Forderung konnte man sich nur schwer entziehen. (5) Was sollte mit den getätigten Investitionen geschehen? Der Staat hatte jahrelang erhebliche Forschungsmittel in den CDMA-Standard investiert bzw. kanalisiert. Ein Wechsel würde den damit erzielten Vorsprung ggf. zunichte machen. Andererseits war es fraglich, ob dieser Vorsprung lange vorhalten würde und ob er bei der neuen Technologie überhaupt relevant wäre. (6) Sollte und konnte man die Industriekonglomerate ausschließen? War es bei der Lizenzvergabe 1996 noch gelungen, sie vom Mobilfunk fernzuhalten, so würde das in dem für 2000 geplanten Verfahren aufgrund liberalerer Gesetzgebung ungleich schwerer werden. Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe würde die Öffentlichkeit nach den Erfahrungen 1992 und 1996 nicht tolerieren. (7) Wer würde das notwendige Potential haben? Eine klare Dominanz des Marktes durch die chaebdl würde die Öffentlichkeit kritisch betrachten. Andererseits waren nur sie in der Lage, die notwendigen finanziellen, technologischen und Humanressourcen aufzubringen. (8) Wie sollte man die Interessen der Industrie berücksichtigen? Die einheimische Wirtschaft war gespalten: Die Anbieter von Dienstleistungen waren an der globalen Expansion interessiert und hatten mit der Abhängigkeit von nur wenigen Hardwarelieferanten schlechte Erfahrungen gemacht; sie präferierten das in der GSM-Nachfolge stehende asynchrone WCDMA Verfahren. Die Hersteller von Endgeräten und Ausrüstungen hingegen wollten ihre Märkte nicht verlieren und bestanden auf der Einfuhrung des synchronen Standards CDMA-2000. Dieser kurze Überblick zeigt, daß die Regierung sich mit einem Gordischen Knoten konfrontiert sah. Die widerstreitenden Interessen zeigen sehr anschaulich die Wirksamkeit verschiedener Institutionen: alter und neuer, offizieller und inoffizieller, kodifizierter und nicht kodifizierter. Eine eindeutige Entscheidung war nahezu unmöglich, und doch mußte gehandelt werden. Unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit und der Medien fand man schließlich einen Weg, der in faszinierender Weise die institutionelle Konstruktion Südkoreas offenlegt.
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Zunächst wurden die Probleme (6) und (7) durch die Bildung von Konsortien gelöst. Deren Zusammensetzung wurde von den Regulierern kritisch geprüft und bot eine hervorragende Möglichkeit des industriepolitischen Eingriffes. Gleichzeitig bildeten zwar große Unternehmen den Kern, sie kooperierten jedoch mit einer Vielzahl von kleineren Partnern. Die Entscheidung zu Problem (3) fiel nach Bedenken wegen der Finanzstärke der Industriekonglomerate und wegen ggf. zu starker ausländischer Beteiligung. Letztere begrüßte man zwar prinzipiell, eine Dominanz ausländischer - also nicht industriepolitisch beeinflußbarer - Unternehmen sollte jedoch vermieden werden. Man entschied sich im Juli 2000 gegen eine Auktion und für eine Vergabe per ,beauty-contest\ Die Lizenzbewerbungen sollten anhand einer Liste von Kriterien durch Experten in geschlossener Sitzung bewertet werden, wobei es eine Mindestpunktzahl gab, die erreicht werden mußte, um überhaupt berücksichtigt zu werden. Dies legt nahe, daß vor allem der Wunsch des Staates nach Möglichkeiten der Einflußnahme eine Rolle gespielt hat. Man konnte sowohl unliebsame Kandidaten ausschließen als auch die gewünschte Reihenfolge unter den Bewerbern herstellen. Die Auswahl sollte anhand von vier Kategorien stattfinden, darunter der erwartete Beitrag zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der einheimischen Industrie im Weltmaßstab (Korea Economic Weekly, 19.06.2000, S. 10). Zur Frage der Zahl der Lizenzen (Problem 2) wurde beschlossen, insgesamt drei Genehmigungen zu je 20 MHz, also unter Ausnutzung des gesamten zur Verfugung stehenden Spektrums, zu vergeben. Die wichtigste Frage war die Festlegung des technischen Standards (Probleme 1, 4, 5 und 8). Hier vollzog sich im Verlaufe nur weniger Monate im Jahre 2000 ein ständiger Wandel der Position des Ministeriums. Zunächst gab man mehrfach und explizit bekannt, keinen Einfluß nehmen zu wollen. Dann wurde deutlich gemacht, daß man es sehr gern sähe, wenn der synchrone CDMA-2000 Standard gewählt würde. Als dieses Signal unbeantwortet blieb, schlug das MIC vor, zunächst den synchronen Modus beizubehalten, um dann auf asynchron zu wechseln. Letztlich versuchte das Ministerium intensiv, einen der Bewerber vom synchronen Modus zu überzeugen. Als auch dies nicht gelang, gab der Minister im Oktober 2000 seine Entscheidung bekannt: Von den drei Lizenzen würden zwei für den asynchronen und eine für den synchronen Modus gelten. Zunächst wolle man bis Dezember 2000 die zwei asynchronen Lizenzen ausschreiben, und die verbleibende synchrone Lizenz im Mai 2001 vergeben. Von ursprünglich vier Konsortien hatte im Jahresverlauf eines aufgegeben und ging in den anderen drei Mitkonkurrenten auf. Diese waren um die nach zwei Fusionen verbliebenen drei Anbieter am südkoreanischen Mobilfunkmarkt herum gruppiert (Frank 2003, S. 321-329). Somit waren also drei Lizenzen für drei Bewerber zu vergeben, Verlierer würde es nicht geben. Alle drei Konkurrenten bewarben sich zunächst für die zwei asynchronen Lizenzen. Völlig überraschend bildete sich Ende Oktober 2000 ein neues Konsortium, das sich als einziger Bewerber für die synchrone Lizenz interessierte. Hier bewährte sich jedoch die Entscheidung für den ,beauty-contest': Der unerwünschte Bieter erhielt nicht die erforderliche Mindestpunktzahl und ging leer aus. Die Entscheidung in der eigentlichen Vergabefrage war abzusehen. Ein Konsortium bestand um den Marktführer SK Telecom, der bereits erhebliche Investitionen in asynchrone Technologie vorgenommen hatte und entsprechende Kooperationen mit NTT DoCoMo
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und Nokia vorweisen konnte. Ein zweites formierte sich um die Korea Telecom-Tochter KT Freetel. Korea Telecom sollte zum international tätigen Flaggschiff ausgebaut werden - ein Minderheitsstandard im Mobilfunk kam dabei nicht in Frage. Die schwächste Position hatte der kleinere (14 % Marktanteil Mitte 2000) Mobilfunkanbieter LG Telecom, dem wegen seiner vertikalen Integration mit Hardware-Produzenten der LGGruppe von Regulierern und Wettbewerbsbehörde ein gewisses Mißtrauen entgegenschlug. Wie erwartet erhielten die Konsortien um SK Telecom und Korea Telecom die zwei begehrten Lizenzen für das asynchrone W-CDMA. Das MIC stand allerdings unter großem Druck. Aus den oben genannten Gründen (Probleme 1, 4, 5 und 8) mußte der synchrone Standard in Südkorea präsent sein. Die Weigerung von LG hätte den unter großen Mühen erarbeiteten Kompromiß bei der Lizenzierung zerstört. Ferner war im Februar 2001 eine geplante Stufe der Privatisierung von Korea Telecom gescheitert, und im gleichen Monat hatte das MIC überraschend verkündet, den Telekom-Sektor Südkoreas umstrukturieren zu wollen mit dem Ziel, drei integrierte Anbieter von Telekom-Diensten zu schaffen - um gegen „exzessiven Wettbewerb und überlappende Investitionen" (Korea Herald, 28.03.2001) vorzugehen. Man brauchte LG also dringend als dritten Kern einer solchen neuen Marktstruktur neben KT und SK Telecom. Darüber hinaus waren die zwei Lizenzgewinner vom Dezember 2000 schon intensiv dabei, die neuen Dienste vorzubereiten; wenn man den politisch gewollten CDMA-2000 Standard retten wollte, war Eile geboten, da sich bei zu großer Verspätung kaum eine hinreichend große Kundenzahl für den auf synchroner Basis angebotenen Dienst entscheiden würde. Die Regierung ging auf die Forderungen von LG ein und verkündete im Mai 2001, man werde von nun an eine Politik der ^symmetrischen Regulierung' verfolgen, was allerdings eher ein Scheinargument zur Rechtfertigung einer Sonderbehandlung von LG war - denn asymmetrisch reguliert wurde auch vorher schon. Der Druck der Regulierer auf die Unternehmen war enorm und führte zu abstrusen Vorfällen: SK Telecom kündigte Anfang Mai 2001 an, in den eigenen Filialen Geräte seiner Konkurrenten verkaufen zu wollen, um seinen Marktanteil unter die von der Wettbewerbsbehörde geforderten 50 % zu senken. LG nutzte seine in dieser Zeit noch sehr starke Position, um die Vereinigung mit anderen Telekom-Unternehmen zu erreichen. Der Minister persönlich unterstützte Pläne zur Fusion von LG Telecom (Mobilfunk), Hanaro Telecom (Festnetz und Internet) und Powercomm (Glasfasernetz). Vor allem Hanaro wehrte sich verzweifelt, aber vergebens. Man einigte sich schließlich, und im August 2001 erhielt das aus LG, Hanaro und Powercomm bestehende Konsortium die dritte, synchrone Mobilfunklizenz. Über zwei Jahre lang hatte die 3G-Lizenzvergabe für erhebliche Bewegung im südkoreanischen Telekom-Markt gesorgt. Die Ausgangslage ließ bereits massive Probleme erwarten. Konzentrationsbewegungen im Markt, in die Telekommunikation vordringende chaeböl sowie der Hegemoniestreit zwischen Hardware-Produzenten und Diensteanbietern waren bereits mehr als hinreichend für einen komplizierten Verfahrensablauf. Erschwerend kamen die widersprüchlichen politischen und ökonomischen Konsequenzen des internationalen Streits um den technischen Standard zwischen dem synchronen Verfahren aus den USA und dem asynchronen Verfahren mit dem größten Weltmarkt-
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anteil hinzu. Nach der nicht zuletzt durch zu starke staatliche Intervention bedingten Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 1997/98 und angesichts der dadurch verstärkten Liberalisierungs- und Deregulierungsforderungen sah sich der Staat, hauptsächlich vertreten durch das MIC, in der unangenehmen Lage, eine ohnehin schwere Entscheidung inmitten eines sehr kritischen und aufmerksamen Umfeldes treffen zu müssen. Der Staat war über das MIC einmal mehr in der Lage, trotz gegenteiliger Beteuerungen eine aktive Marktstrukturpolitik zu betreiben. Daß man sich hierbei nicht auf eine Auktion einließ, sondern nach dem .beauty-contest'-Verfahren vorging, läßt die starke Wirkung subjektiver Faktoren erkennen. Hinzu kommt, daß eine ambivalente Regulierungssituation mit antagonistischen Parteien die möglicherweise einzige Überlebenschance des MIC als administrative Einheit darstellt. Es wurde bereits offen darüber spekuliert, daß nach einer Ausgliederung der Regulierungsbehörde das Ministerium aufgelöst werden könnte. Durch die geschilderte Lösung des ,Gordischen Knotens' war nicht nur ein meisterhafter Kompromiß gelungen, sondern auch die Daseinsberechtigung des MIC innerhalb der Bürokratie gestärkt worden. Im Zusammenhang mit der IMT-2000 Lizenzvergabe sind bislang keine Korruptionsfälle bekannt geworden. Die südkoreanische Administration hat sich also erfolgreich an neue .Spielregeln' angepaßt. Auch sonst kann die Vergabe der 3G-Lizenzen sowohl als Musterfall südkoreanischer Telekommunikationspolitik als auch als Beispiel der Koexistenz von institutionellem Wandel und Konstanz angesichts interner und externer Veränderungen betrachtet werden. Wichtige Komponenten sind die Wirkung ausländischen Drucks auf industriepolitische Entscheidungen, die Rolle der Regierung, die Rolle der Unternehmenskonglomerate, das Verhältnis innerhalb der Administration, die Frage internationaler Vorbildwirkung und nicht zuletzt der Einfluß schwer einzugrenzender traditionell-kultureller Faktoren. Vor allem an den Entwicklungen des Jahres 2001 um die Vergabe der dritten Lizenz wird die Symbiose deutlich, in der sich Regierung und Unternehmen nach wie vor befinden. Am Ende sind alle Beteiligten zufrieden: Das Ministerium hat den Spagat zwischen synchronem und asynchronem Modus, zwischen den Wünschen von Qualcomm und der eigenen Industrie, zwischen Schutz des Binnenmarktes und Chancensteigerung für eine globale Expansion der südkoreanischen Telekom-Unternehmen vollbracht, ohne sich von einer der beteiligten Seiten zu viel Kritik zuzuziehen. LG Telecom bleibt im Markt, was Ende 2000 kaum noch angenommen wurde, und wird zum Mittelpunkt eines der drei geplanten Telekom-Giganten. Es gibt somit keine Verlierer, sondern nur unterschiedlich große Gewinner.
4. Fazit Das Beispiel der südkoreanischen Telekom-Reformen hat gezeigt, daß die Annahme ökonomischer Rationalität nicht in allen Fällen ein zufriedenstellendes Instrument der Analyse einer komplexen Realität darstellt. Es wurde deutlich, wie die parallele Existenz von systemischen Beschränkungen und individuellem Handlungsspielraum einen durch Institutionen definierten Handlungskorridor eröffnet, innerhalb dessen individuelle Entscheidungen unter Effizienzgesichtspunkten gefällt werden. Rationalverhalten bzw. die Orientierung an ökonomischer Effizienz wird nach dieser Sichtweise zum
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Sonderfall der Institutionenökonomik, zu einer Institution unter vielen, die mit anderen ,Spielregeln' konkurriert und je nach vorliegendem Fall eine mehr oder weniger große Relevanz für das Handeln der Individuen besitzt. Es hat sich emeut gezeigt, daß ein vollständiges Verständnis der jeweils bestimmenden Institutionen hochproblematisch ist. Die zwei größten Herausforderungen für die Analyse sind (a) die Identifikation und eindeutige Beschreibung von relevanten Institutionen und (b) die Zuweisung von entsprechenden Wertigkeiten und das Erstellen einer Rangordnung. Letzteres ist vor allem deshalb von herausragender Bedeutung, da zumindest im gegebenen Fall keine klare institutionelle Struktur von der Art kodifizierter und uneingeschränkt wirksamer ,Spielregeln' vorlag. Vielmehr konnten wir einen Wettstreit von Institutionen beobachten, in dem sich offizielle mit inoffiziellen und kodifizierte mit nicht eindeutig kodifizierten Regeln überlagerten. Das Resultat ist als Ergebnis dieses Wettstreits zu verstehen und eröffnet uns erstmalig eine Möglichkeit, diese verschiedenen Wirkungsfaktoren in ein konsistentes Modell einzubinden. Die Genauigkeit und Vollständigkeit insbesondere der rangmäßigen Einordnung, aber auch der Identifikation von relevanten Institutionen im vorliegenden Fall kann jedoch noch nicht als zufriedenstellend angesehen werden und erfordert weitere intensive Forschungsarbeit. Institutionen sind selten statisch; sie unterliegen im Verlauf ihrer Existenz einem Wandel. Nun wurde deutlich, daß Institutionen ohne die Kenntnis ihrer Wurzeln oft schwer zu erfassen sind, da die rationalen Überlegungen nebst Voraussetzungen, die einstmals zu ihrer Entstehung geführt haben, nicht über den gesamten Zeitraum ihrer Wirksamkeit gegeben sein müssen. Dies impliziert (1) eine dynamische Betrachtung einzelner Institutionen über einen längeren Entwicklungszeitraum hinweg. Andererseits wurde gezeigt, daß in der Regel ein komplexes Bündel unterschiedlichster Institutionen den oben genannten Handlungskorridor bestimmt. Dies spricht (2) für eine statische Analyse von konkreten Situationen unter Berücksichtigung einer möglichst großen Zahl von Wirkungsfaktoren. Die Verknüpfung von einer Vielzahl solcher statischer Situationsanalysen würde durchaus einen dynamischen Verlauf generieren, in dem jedoch nicht mehr die Entwicklung einzelner Institutionen, sondern Veränderungen in der Wirksamkeit von Institutionen innerhalb eines ganzen Bündels deutlich werden würden. Nach Methode (1) wäre auch eine Analyse von statischen Situationen möglich, jedoch als momentaner Querschnitt aus den jeweiligen dynamischen Entwicklungsverläufen vieler einzelner Institutionen. Beide Verfahren haben offensichtlich ihre Berechtigung, basieren aber auf unterschiedlichen Ansätzen und werden unterschiedliche Arten von Resultaten generieren. Abschnitte 3.1 bis 3.4 folgen dem dynamischen Verfahren (1), während in Abschnitt 3.5 der statische Ansatz (2) zum Einsatz gekommen ist. In beiden Fällen muß jedoch darauf verwiesen werden, daß durch die Einbeziehung weiterer Institutionen und eine gezielte Vertiefung von deren Analyse noch verläßlichere Resultate generiert werden können. Institutionen sind nicht kostenneutral und stellen somit eine Form der Investition dar. Die Existenz von Spielregeln reduziert jedoch die Zahl der zur Verfügung stehenden Optionen und macht somit den Entscheidungsprozeß kostengünstiger. Gerade Fälle wie Südkorea zeigen, daß ein solches Verfahren trotz ggf. resultierender suboptimaler, institutionell determinierter Einzelentscheidungen insgesamt erfolgreich sein kann. Mit an-
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deren Worten, der niedrigere Ertrag wirkt sich wegen niedrigerer Kosten nicht oder nur abgeschwächt auf den Gewinn aus. Man kann vermuten, daß Institutionen, die auf Dauer eine unter ihren Kosten liegende Rendite erbringen, abgelöst werden. Diese Kosten müssen nicht notwendigerweise direkter Art sein; auch Opportunitätskosten spielen eine Rolle. Mit diesem Ansatz lassen sich Institutionenökonomik und die Annahme von Rationalverhalten vereinen. Dies hilft insbesondere bei der Erklärung der Ursachen für institutionellen Wandel. Dies gilt für formelle Institutionen wie Gesetze, aber auch für informelle Institutionen wie die beschriebenen historisch gewachsenen Traditionen. Die Betrachtung von Institutionen als Investition, bei der sich die Investitionssumme aus Kosten zur Einrichtung, dem Erhalt und der Durchsetzung zusammensetzt, läßt auch den Umkehrschluß zu. Man kann in diesem Sinne vermuten, daß Institutionen, die hohe Renditen erbringen, größere Chancen zum Fortbestehen oder zur Neueinrichtung in einer Gesellschaft, Volkswirtschaft bzw. politischen Ordnung haben. Das in diesem Kapitel behandelte Fallbeispiel ist aufgrund der parallelen Existenz von dynamischen und statischen Elementen, von mehr oder minder konstanten und von sich verändernden Institutionen hervorragend geeignet, diese theoretischen Überlegungen zu illustrieren. Vor allem aber hilft die Verwendung des Institutionenbegriffes, das oft heillose Durcheinander aus dominanten und rezessiven, kodifizierten und informellen Handlungsmotivationen innenpolitischer, außenpolitischer, ökonomischer und sozialer Art zu strukturieren, zu ordnen, zueinander in Beziehung zu setzen und zu bewerten.
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Werner Pascha und Cornelia Storz (Hg.) Wirkung und Wandel von Institutionen. Das Beispiel Ostasiens Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft • Band 77 • Stuttgart • 2005
Anreize zu technologischem Wandel: Eine Betrachtung chinesischer Staatsunternehmen*
Manja Jonas
Inhalt 1. Einleitung
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2. Ein kurzer Abriß der SOE-Reformen
101
3. Die Grenzen der Neuen Institutionenökonomik für die Erklärung des technologischen Wandels in der VR China
104
4. Merkmale und Eigenschaften des Technologischen Wandels
105
5. Ein modifiziertes Verhaltensmodell 5.1. Die Präferenzen
109 110
5.2. Die Wahrnehmung von Handlungsalternativen
111
5.3. Die verwendeten ökonomischen Theorien
114
5.4. Die Wahlhandlungen
117
5.5. Die Anreize
118
6. Anreize zum technologischen Wandel in chinesischen Staatsunternehmen
118
7. Fazit
126
Literatur
127
Die Autorin dankt Werner Pascha und Doris Fischer für ihre hilfreichen Hinweise.
100
Manja Jonas
1. Einleitung Langfristige wirtschaftliche Entwicklung erfordert technologischen Wandel in einer Volkswirtschaft. Diese Notwendigkeit wird auch für China immer wieder betont. Hindernisse für einen zügigen technologischen Aufholprozeß werden - j e nach wirtschaftstheoretischer Provenienz - regelmäßig in der Beschränktheit der Ressourcen (Neoklassik) oder einer anreizfeindlichen Verteilung der Verfügungsrechte (Institutionenökonomik) gesehen. Wang und Yao (2001, S. 4) haben für den Fall der VR China eine Reihe solcher Studien ausgewertet: meist werden Schwächen in der Ausstattung mit Finanzmitteln und Humankapital, die beschränkte Verfügbarkeit von Informationen und ein unterentwickelter Schutz intellektuellen Eigentums angeführt. Weitere Studien argumentieren, Defizite der Corporate Governance verhinderten positive Anreize zur Verfolgung technologischen Fortschritts (z.B. Kong et al. 1999; Tenev et al. 2002; Steinfeld 1998). Wie Bestimmungen über den Technologiegehalt ausländischer Direktinvestitionen im Joint Venture Law von 1979 (Werner 2001, S. 62 f.) oder staatliche Technologiekooperationen mit ausländischen Unternehmen zeigen, war der Regierung die entwicklungspolitische Bedeutung technologischen Fortschritts zur Ergänzung des quantitativen Wachstums bereits Ende der 70er Jahre bewußt. Zum expliziten wirtschaftspolitischen Hauptziel erhob die chinesische Regierung ihn 1993 mit dem Beschluß zur Förderung strategischer (,pillar') Industrien. Aus zwei Gründen war es rational, die Staatsunternehmen (,state-owned enterprises', SOE) als Vehikel zur Umsetzung dieser Politik zu nutzen: — Technologischer Fortschritt ist von positiven Externalitäten geprägt, so daß das gesellschaftlich optimale Investitionsniveau über dem individuell optimalen Investitionsniveau liegt. Der Zentralstaat war jedoch zu schwach für die Durchsetzung einer Industriepolitik gegenüber privatwirtschaftlichen Akteuren, z.B. koreanischen Stils (Herrmann-Pillath 1991). Über Staatsunternehmen bestanden dagegen solche Eingriffsmöglichkeiten, z.B. zur Etablierung von Technologiepartnerschaften mit rückständigen Regionen (Yao 2003, S. 259 f.). — SOE hatten lange Zeit - auch aus Sicht der Unternehmen anderer Eigentumsformen - anerkanntermaßen die technologische Führungsrolle inne {Jefferson et al. 1999). Daher war über Kooperationen und Nachahmung eine besonders schnelle Verbreitung neuer Technologien zu erwarten. Doch trotz tiefgreifender Reformen zur Schaffung von Wettbewerb und Leistungsanreizen für die SOE blieb der technologische Fortschritt hinter den Erwartungen zurück oder er erschöpfte sich im Bau prestigeträchtiger Anlagen (Shi, Yizheng 1998). Folgt man dem Kanon wirtschaftswissenschaftlichen Mainstreams, dürfte sich ein Technologie-Problem eigentlich gar nicht stellen. In einer Welt ubiquitärer Information und vollkommener Rationalität, wie sie üblicherweise unterstellt wird, läßt jeder Eigentümer von Produktionsfaktoren diese in die zum jeweiligen Zeitpunkt beste Verwendung fließen. Eine effiziente Ressourcenallokation führt mithin automatisch zur vollständigen Realisierung sämtlicher Produktivitätspotentiale, die sich durch eine - wie
Anreize zu technologischem
Wandel: Eine Betrachtung chinesischer
SOE
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auch immer generierte - Verschiebung der technologischen Grenze ergeben. Daß diese Sichtweise der Realität nicht gerecht wird, zeigt schon die oben dargelegte Problemstellung. Gerade in einer Transformationsökonomie verliert die übliche Rechtfertigung der starken Prämissen ihre Grundlage, nämlich „kräftige Erklärungen und brauchbare Prognosen [zu] liefern" (Dahrendorf 1963, S. 198, zitiert nach Kirchgässner 2000, S. 29). Die Neue Institutionenökonomik (NIÖ) sieht die Erklärungsdefizite der ökonomischen Hauptströmung vorrangig in zwei empirisch offensichtlich unzutreffenden Annahmen des klassischen Prämissensatzes begründet: Das ist zum einen die unmittelbare, kostenlose Verfügbarkeit von Informationen und zum anderen das Rationalitätspostulat, ,,...[d]as impliziert, daß sie [die Akteure; d.A.] jeden möglichen Zustand dieser Welt vorhersehen können und diejenige unter den ihnen zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten auswählen können und werden, die den höchsten Nutzen zu stiften verspricht. Die Konsequenzen aller möglichen Handlungsoptionen können sie ohne zeitliche Verzögerung und kostenlos bewerten." (Voigt 2002, S. 29)
Der Realität etwas näher zu sein scheint da die institutionenökonomische Annahme beschränkter Rationalität, die den Akteuren rationale Wahl unter den Bedingungen begrenzten Wissens über die Tatsachen der Welt und ihre Zusammenhänge unterstellt. Diese Annahme beinhaltet, daß die Erhebung und Verarbeitung von Informationen mit Kosten behaftet ist. Beibehalten werden dagegen die Prämissen des methodologischen Individualismus, des Homo Oeconomicus sowie der Konstanz und Kohärenz der Präferenzen der Akteure. 1 Es zeigt sich allerdings, daß dadurch der Erklärungswert institutionenökonomischer Theorien - zumindest für den Fragenbereich des technologischen Wandelsprozesses - ebenfalls eingeschränkt bleibt. Ziel des Beitrags ist es deshalb: — die Grenzen der gängigen Anreiztheorie für die Erklärung der besonderen Gestalt technologischen Wandels in den Staatsunternehmen der VR China aufzuzeigen (Kapitel 3), — auf der Basis des beobachteten Verhaltens der Manager chinesischer Staatsunternehmen eine Reihe von Modifikationen der Verhaltensannahmen für die Anreiztheorie in der Institutionenökonomik vorzuschlagen. Vor allem betrifft dies die Einbeziehung von sozialer Anerkennung (.Prestige') als Anreizdimension und der Pfadabhängigkeit von Informationssuche und -Verarbeitung (Kapitel 5). In Kapitel 4 werden zudem wichtige Eigenschaften des technologischen Wandels herausgestellt, die die Anforderungen an eine angemessene Theorieformulierung begründen. Der Beitrag schließt mit einer anreizökonomischen Betrachtung des Technologieproblems in chinesischen SOE auf der Basis der modifizierten Annahmen. Die erste These lautet, daß die üblicherweise in den SOE wirkenden Anreize bei beschränkt rationalen Entscheidungsträgern nicht nur zum häufig beklagten niedrigen Niveau, sondern zusätzlich auch zu einer Verengung des Fokus technologischen Wandels auf Produktionstechnologien führen. Ertragspotentiale aus Sozialtechnologien wie Marketing, Organisation etc. werden dagegen vernachlässigt. '
Siehe auch die Diskussion des ökonomischen Menschenbildes bei Göbel (2002, S. 23 ff.).
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Zweitens wird argumentiert, daß im Kontext einer Transformationsökonomie die explizite Ausweisung eines wirtschaftspolitischen Ziels der Setzung eines eigenständigen Anreizes gleichkommen kann. Die Verzerrungen werden dadurch weiter verstärkt. Das wirtschaftspolitische Ziel ist so als eine Institution mit Motivationsfunktion zu interpretieren, die „...das Verhalten der Einzelnen in eine bestimmte, erwünschte Richtung [steuert]." (Göbel 2002, S. 6) Damit ist explizit nicht gemeint, daß wirtschaftspolitische Visionen und Propaganda das Verhalten der Individuen determinieren könnten. Die These ist vielmehr so zu verstehen, daß Ignoranz gegenüber dieser Institution zu Opportunitätskosten führt. Der Begriff der Institution ist dabei sehr weit gefaßt. Wie bei North (1990, S. 4) soll er sämtliche von Menschen geschaffenen Beschränkungen zwischenmenschlicher Interaktion umfassen. Zusätzlich werden in Übereinstimmung mit Johnson und Nielsen (1998, S. xvi) auch Routinen, die nicht auf einer bewußten Entscheidung fußen, als Institutionen aufgefaßt. Unterschieden werden entsprechend die „rule-laws", also die „Regeln eines Spiels", und die „rule-routines", als verfestigte Verhaltensmuster oder „Ergebnisse eines Spiels" (Voigt 2002, S. 33). Zunächst soll ein knapper Überblick über die Reform der chinesischen Staatsunternehmen in das Thema einführen.
2. Ein kurzer Abriß der SOE-Reformen Seit Beginn der ökonomischen Liberalisierung sah sich die chinesische Regierung dem Problem eines defizitären, in seiner Bedeutung schrumpfenden Staatssektors gegenüber. Während die SOE 1985 noch etwa zwei Drittel der Anlageinvestitionen tätigten sowie zwei Drittel des Outputs produzierten, haben sich diese Zahlen inzwischen auf 39 %, bzw. 38 % (China Statistical Yearbook 2004) verringert. Während dieser Zeit gab es eine ganze Reihe von Experimenten, die darauf abzielten, die ökonomischen Anreize für das Management in Richtung Gewinnerzielung zu verschieben. So wurden ab 1979 Gewinn-Teilungs-Regelungen und ab 1984 unterschiedlichste Management-Verantwortungsverträge eingeführt, die u.a. zumeist die Aufteilung der Erträge zwischen Staat und Unternehmen, Investitionskennziffern, gewinnabhängige Entlohnungsregeln sowie Plan-Produktionsvolumina spezifizierten und im Gegenzug eine gewisse Autonomie des Managements bezüglich anderer Entscheidungen gewährten.2 Das Programm zur Etablierung eines modernen Unternehmenssystems vom November 1993 hatte zum Ziel, die SOE zu korporatisieren und zu wettbewerbsfähigen Einheiten zusammenzuschließen. Bis zu diesem Zeitpunkt war es den Staatsunternehmen praktisch kaum möglich gewesen, aus dem Markt auszutreten, d.h. in Konkurs zu gehen. Und dies, obwohl ein entsprechendes Konkursrecht bereits 1988 in Kraft trat. Verlustbringende Unternehmen wurden mit günstigen Krediten der Staatsbanken oder sogar
2
Für Details zum Reformprozeß siehe z.B. Jefferson und Rawski (1994) oder Tenev et al. (2002, S. 11 ff.).
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direkten Zuschüssen subventioniert. Da diese Subventionen den Staatshaushalt zunehmend belasteten, wurde 1996 beschlossen, kleinere SOE zu privatisieren und für die größeren, strategisch wichtigeren nach und nach die notwendigen Bedingungen zu schaffen, um auch ohne Subventionen erfolgreich im Markt bestehen zu können. Dazu gehörten u.a. der Erlaß von Schulden, die Übernahme von Pensionsverpflichtungen und die Bereitstellung von Kapital für Technologieinvestitionen. 1998 wurde schließlich beschlossen, die Rolle der staatlichen Verwaltung in den Unternehmen auf die Bestellung des oberen Managements und die Überwachung der Geschäftstätigkeit zu beschränken (IWeltbank 1999, S. 25 ff., und 1997, S. 4 ff.). Der Zugang zu externen Technologien lief bis 1984 ausschließlich über die zuständigen Linienbehörden. Ihnen waren auch die staatlichen Forschungsinstitute zugeordnet. Um den Informationsstand der SOE-Manager bezüglich vorhandener Technologielösungen zu verbessern und gleichzeitig die Forschung sensibler für die Bedürfnisse der Industrie zu machen, wurden diese Schranken Mitte der 80er Jahre abgebaut. Die Institute und Unternehmen sollten sich auf einem Markt für Technologien treffen. Wie sich jedoch schnell zeigte, fehlte beiden Seiten das Wissen bezüglich Nachfrage und Angebot, und auch die Zahlungsbereitschaft der Unternehmen war zu gering. Ein zweiter Reformschritt sollte diesen Mismatch durch die Angliederung einiger der Institute direkt an große SOE korrigieren {Gu 1999). Wie Abbildungen 1 und 2 zeigen, lag die betriebliche Forschung und Entwicklung (F&E) aber auch 1996 noch weit hinter der industrialisierter Länder zurück. Abbildung 1: Verteilung von F&E-Personal nach Träger, 1996 China
Südkorea
9%
0%
55%
USA • Industrie • öffentliche Forschungseinrichtungen 0 Universitäten
3% 7%,
• andere
76%
Quelle: You (1998, S. 8 f.) zitiert nach Yao (2003, S. 250)
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Abbildung 2: F&E-Ausgaben nach Herkunft, 1996
China
EU
23%
22%
0%
41%^H 55% • Industrie • Regierung 0 andere
4> U S A
\
J
59%
Japan
5%
Quelle: You (1998, S. 142 f.) zitiert nach Yao (2003, S. 251)
Inwieweit kann die NIÖ das Innovationsverhalten der SOE unter den gegebenen Anreizen und Beschränkungen nun erklären?
3. Die Grenzen der Neuen Institutionenökonomik für die Erklärung des technologischen Wandels in der VR China Nach den Aussagen der Agency-Theorie bestimmt die Verteilung pekuniärer Anreize die Anstrengungen der Agenten, hier der Manager der SOE. Dies folgt aus dem Eigennutzprinzip der Modellannahmen. D.h., bei ausreichender Gewinnbeteiligung des Managements sollte technologischer Wandel zur Steigerung der Erträge erfolgen. Aus der Literatur ergeben sich für diese Sicht jedoch einige Fragen: — Die empirische Studie 3 von Zheng et al. (2003) bestätigt einen positiven Einfluß pekuniärer Anreize nur für die sachtechnische Effizienz der Produktion chinesischer SOE. Technologischer Fortschritt scheint dagegen eher mit der Größe der Unternehmen und ihrem Standort in Zusammenhang zu stehen. — Moore (2002) beschreibt das Innovationsverhalten der Textilindustrie in Erwiderung der Exportbeschränkungen durch das Multifiber Agreement. Er kommt zu dem Ergebnis, daß die darin festgelegten Exportquoten für Bemühungen der Unternehmen verantwortlich waren, durch Qualitätsverbesserungen und verbesserte Produk-
3
Die Studie beruht auf einem vergleichsweise großen Datenset, das von der Chinese Academy of Social Sciences für die Jahre 1980-1994 bei über 700 SOE aller Größen in 4 Provinzen erhoben wurde.
Anreize zu technologischem Wandel: Eine Betrachtung chinesischer SOE
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tionstechnologien die Wertschöpfung pro Stück zu erhöhen. Dadurch sollten die Exporterlöse gesichert werden. In seiner Interpretation ist die technologische Aufwertung natürlicher Ausdruck marktkonformen Verhaltens. — Dagegen stellt er das Beispiel der Seidenindustrie, die nicht unter dem Abkommen litt. Sie steigerte ihre Exporterlöse ebenfalls, aber eben nicht durch technologische Aufwertung, sondern durch Mengenausweitung. Nun ist aus Sicht der Anreiztheorie nicht ersichtlich, warum die Unternehmen der Seidenindustrie eine andere Strategie zur Erlössteigerung wählten als die übrige Textilindustrie. Das Bemühen, unter Marktbedingungen den Ertrag zu erhöhen, zeigen beide Branchen, warum also mußte eine zusätzliche Beschränkung hinzukommen, um die Akteure zu Innovationen zu bewegen? — Eine weitere Fallstudie (Moore 2002) betrachtet den chinesischen Schiffbau während der Absatzkrise in der ersten Hälfte der 80er Jahren. Zu diesem Zeitpunkt war die staatliche Schiffbauholding CS SC noch nicht von den Reformen der Managergehälter betroffen. Dennoch bemühten sich die Werften, hochwertigere Schiffe zu bauen, um den Nachfrageeinbruch wertmäßig etwas kompensieren zu können. Warum waren die Manager bereit, diese Anstrengungen zu unternehmen, wenn ihnen daraus kein finanzieller Vorteil entstand und auch der Bestand des Unternehmens als zukünftige Einkommensquelle mangels Konkursmöglichkeit nicht gefährdet war? — An anderen Stellen, z.B. Shi, Yizheng (1998) über die Kassettenrekorderindustrie, wurde wiederholt über die Neigung chinesischer Manager berichtet, in Produktionsanlagen zu investieren, die unter Effizienzgesichtspunkten zu teuer und mit der gegebenen Nachfrage nicht auszulasten sind. Warum verhalten sich die Manager in dieser Weise? Die Anstrengungen der Realisierung dieser Investitionen versprechen keine Einkommenssteigerung, sondern wirken sich in dieser Beziehung sogar kontraproduktiv aus. All diese Phänomene legen die Vermutung nahe, daß die Akteure entweder weitere Präferenzen über die Einkommensmaximierung hinaus besitzen oder aber abweichende Informationsverarbeitungsmodi zum Tragen kommen. Natürlich ist mir bewußt, daß in der Literatur zum Bürokratie-Verhalten Macht und Prestige seit langem als verbreitete Präferenzen diskutiert werden. Allerdings ist der hier untersuchte Gegenstand der Technologieinvestitionen in (Staats)-Untemehmen im Kern ein ökonomischer, so daß das ökonomische Instrumentarium meiner Meinung nach hierfür Lösungsansätze bereithalten sollte. Doch welche Eigenschaften zeichnen nun technologischen Wandel aus, daß er von der Anreiztheorie so schwer greifbar ist? Dieser Frage soll im folgenden Kapitel nachgegangen werden.
4. Merkmale und Eigenschaften des Technologischen Wandels Nach Ricottilli (1999, S. 2) setzt sich eine Technologie zusammen aus dem Wissen über alle Einzelheiten eines spezifischen Produktionsprozesses sowie den dafür notwendigen Kapitalgütern und Organisationsprinzipien, die dieses Wissen verkörpern.
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Einige Autoren unterscheiden begrifflich zwischen dem Wissen über Produktionsprozesse - bezeichnet als Technologie im engeren Sinne - und dem Wissen bezüglich anderer Geschäftsaktivitäten - Know-how genannt. 4 Eine solche grundsätzliche Unterscheidung ist meines Erachtens nicht sinnvoll, wenn man den Produktionsprozeß als in einer Weise umfassend begreift, wie er in der Betriebswirtschaftslehre als Wertkette systematisiert ist. Vielmehr soll im folgenden innerhalb des Technologiebegriffs unterschieden werden in direkte und indirekte Wertschöpfungsaktivitäten, bezeichnet als Produktion bzw. Management. In einer weiteren Dimension kann das Wissen auch nach der Art seiner Repräsentation differenziert werden. Polanyi (1985) unterscheidet zwischen explizitem und implizitem Wissen. Explizites Wissen ist in Gütern oder Dokumenten systematisiert und kann deshalb relativ leicht weitergegeben werden. Implizites Wissen drückt sich dagegen in Fertigkeiten und Routinen aus. Es ist insofern zwar beobachtbar, aber nicht vollständig beschreibbar, so daß seine Weitergabe mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. Die gesamte hier benutzte Systematik ist in Tabelle 1 zusammengefaßt. 5 Tabelle 1: Technologiedimensionen Produktion
Management
Hardware (tangibel)
Maschinen, Anlagen, Werkzeuge und Equipment
Fahrzeuge, Informations- und Kommunikationstechnik
Medium-ware (explizit)
Dokumente z.B. zu Produktionsabläufen und Qualitätssicherung
Dokumente zu Marktforschung, strategischer Planung, Personalfuhrung, Buchhaltung o.ä.
Fertigkeiten (,Skills') und Routinen (intangibel, teilweise tazit)
Fertigkeiten in der Fertigung, Instandhaltung und Entwicklung
Skills in Unternehmensführung, Marketing, Finanzierung, Human Resource Management o.ä.
Repräsentation
Technologischer Wandel ist nach Parayil (1999) ein von gesellschaftlichen Interessen und Kräften geprägter, fortlaufender, pfadabhängig-kumulativer Prozeß zur Lösung wahrgenommener Probleme,6 Es geht dabei um einen Wandel der Wissensbasis, ausgelöst durch Suchaktivitäten der Akteure.
4
Vgl. die Begriffs-Diskussion bei Werner (2001, S. 17 ff.).
5
Vergleiche auch eine ähnliche Dreiteilung bei Bejar (1998, S. 60). Hier erscheint anstatt der Dokumente als Zwischenkategorie das Wissen über Prinzipien und Zusammenhänge, welches zumindest kodifizierbar und damit explizit zugänglich ist.
6
Parayils Definition ist im wesentlichen eine Synthese der Begriffsbestimmungen, die der einschlägigen Literatur zugrundeliegen. Er kritisiert jedoch, daß der Begriff bei den meisten Autoren merkwürdig vage bleibe (Parayil 1999).
Anreize zu technologischem Wandel: Eine Betrachtung chinesischer SOE
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Suchaktivitäten können dabei verschiedenen Ursprungs sein. Sie können institutionalisiert sein als regelmäßige Betätigung einer bestimmten Beschäftigten-Gruppe in einem Unternehmen, z.B. in der F&E-Abteilung. Oder Sie werden in Gang gesetzt, um bestimmte Probleme zu lösen. Sie können aber auch einfach ungeplant der Unterauslastung durch alternative Betätigungen entspringen. Zur Übertragung der Suchergebnisse in technologischen Wandel ist im Sinne der obigen Definition aber entscheidend, daß sie die Lösung für ein bereits identifiziertes Problem bereitstellen, da risikoaverse Manager ansonsten den Status quo bevorzugen (Greve 2003, S. 54 ff.). Penrose erweitert das Wahrnehmungsproblem noch: In ihrer Sichtweise basieren die Entscheidungen der Akteure nicht nur auf der Wahrnehmung der anstehenden Probleme sondern auch einem ,Image' der eigenen Ressourcen, die von der tatsächlichen Ressourcenausstattung durchaus abweichen können {Penrose 1980). Sie schlägt damit den Bogen zu den kognitiven Eigenschaften des Menschen, die später noch eingehend dargestellt werden. Das Ergebnis der Suche wird in der Literatur regelmäßig auch als Innovation bezeichnet. Wegen der akteursbezogenen Perspektive ist nicht absolute Neuheit einer Problemlösung bestimmend für den Innovationscharakter, sondern vielmehr die Neuheit im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld des konkreten Akteurs. Ohnehin behaupten Simon und March (1958, S. 188), die meisten Innovationen seien eher Anleihen denn Erfindungen. Das Wissen im technologischen Wandel kann demnach zweierlei Ursprung besitzen: erstens einen internen - meist durch eigene F&E-Bemühungen, aber auch durch spontane Ideen der Mitarbeiter - oder zweitens einen externen (Werner 2001, S. 20). Die Generierung und Assimilation internen Wissens kann auch als Suchprozeß und die Aufnahme und Assimilation externen Wissens als Lernprozeß vorgestellt werden. Im Kontext nachholender Wirtschaftsentwicklung spielt das Lernen in der Welt bereits vorhandenen Wissens die entscheidende Rolle und damit die ,absorptive capacity' {Cohen und Levinthal 1990). Nach Cohen und Levinthal hängt diese vor allem von Niveau und Nutzungsintensität verwandten Vorwissens ab. Auf der Ebene des Individuums: je mehr Anknüpfungspunkte an Bekanntes das Gehirn für zu absorbierendes Wissen findet, desto leichter kann es gespeichert und angewendet werden. Bezogen auf Organisationen bedeutet dies, daß eine Breite organisationale Wissensbasis tendenziell mit größerer ,absorptive capacity' und Problemlösungskapazität einhergeht. Die Absorption externer Technologien erfordert aber neben der Wissensbasis auch eigene komplementäre F&E-Anstrengungen: zunächst zur Auswahl der geeigneten Technologie, nach der Transaktion aber auch zu ihrer Anpassung und Verbesserung im lokalen Kontext sowie zur Erforschung und Absorption der impliziten Technologieelemente {Cohen und Levinthal 1989; Bell und Pavitt 1997). Die Übertragung taziten Wissens gestaltet sich dabei um so schwieriger, je unterschiedlicher die Umweltbedingungen für Überträger und Empfänger des Wissens sind. In diesem Maße unterscheiden sich nämlich auch die kognitiven Muster der Interaktionspartner, die die kommunizierten Informationen interpretieren. Diese kognitive Distanz kann nur überwunden werden durch den Aufbau sogenannter ,communicative capacity' {Noteboom 2003, S. 109), also der Fähigkeit, über die eigenen kognitiven Kategorien hinaus sich verständlich zu machen und zu verstehen. Dafür bedarf es beständiger Übung durch Inter-
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aktion über größere kognitive Distanzen - mit anderen Worten: durch regelmäßigen Austausch zwischen Akteuren mit unterschiedlichen Erfahrungswelten. Ein zweites Problem beim Wissenstransfer ergibt sich daraus, daß implizites Wissen teilweise unbewußt ist und sich deshalb einer Überprüfung oder einem Vergleich mit neuem Wissen weitgehend entzieht. Es ist deshalb außerordentlich schwierig, die relative Überlegenheit neuen Wissens einzuschätzen und gegebenenfalls zu akzeptieren, solange das hergebrachte Wissen nicht explizit bewußt und damit einem Diskurs zugänglich gemacht wird (Noteboom 2003). Diese Schwierigkeiten werden beim Transfer impliziten Wissens aus Industrieländern in Entwicklungsländer regelmäßig unterschätzt. In Abbildung 3 sind die verschiedenen Elemente und Stufen des technologischen Lernens zusammengefaßt. Dabei wird noch einmal deutlich, daß technologischer Fortschritt in jedem Fall mit Investitionen verbunden ist - in F&E, Lizenzen, Produktionsanlagen oder Humankapital. Abbildung 3: Der technologische Lernprozeß
Quelle: Li-Hua (2004), leicht modifiziert
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Diese Beschreibung technologischen Wandels impliziert eine bestimmte Sicht auf das Verhalten der Akteure. Sie soll im folgenden ausgeführt werden. Jeweils im Anschluß wird die Relevanz der jeweiligen Annahmen im chinesischen Kontext aufgezeigt.
5. Ein modifiziertes Verhaltensmodell Im wesentlichen geht es um eine Rückbesinnung auf das ursprüngliche Konzept der beschränkten Rationalität' in Anlehnung an Simon und seine Koautoren. Dieses Konzept beschränkter Rationalität' vermindert die modelltheoretischen Anforderungen an das Wissen der Akteure weit über das in der NIÖ übliche Maß hinaus: ,,[I]t is not clear why only limitations upon knowledge of consequences are considered, and why limitations upon knowledge of alternatives and utilities are ignored in the model of rationality. From a phenomenological viewpoint we can only speak of rationality relative to a frame of reference; and this frame of reference will be determined by the limitations on the rational man's knowledge." (March und Simon 1958, S. 138)
Auch erkennt er rationales Handeln bereits in der Erfüllung „realistisch erscheinende[r] Anspruchsniveaus" (Voigt 2002, S. 30) - eine weit offeneres Konzept als die klassische individuelle Nutzenmaximierung. Daß Simons Konzept beschränkter Rationalität in der Neuen Institutionenökonomik weitgehend in den Hintergrund getreten ist, liegt meines Erachtens im Formalisierungsdruck begründet, dem sich Ökonomen regelmäßig aussetzen. Zum Beispiel läßt sich Nutzenmaximierung sehr viel einfacher formal abbilden als das - von den Verhaltenswissenschaften weitgehend bestätigte - Simonsche „satisficing behaviour" (March und Simon 1958, S. 183). 7 Auch ein nur relativ bestimmbarer ,frame of reference' hatte in der komparativen Statik der Neuen Institutionenökonomik bisher kaum einen Platz. Lediglich zum Zweck der Erklärung institutionellen Wandels findet er Berücksichtigung (North 1990, S. 16 ff.). Versucht man, Vereinbarkeit zwischen Simons Modell und dem Homo Oeconomicus herzustellen, gelangt man zu den von Kirchgässner (2000, S. 31) zusammengestellten Elementen eines allgemeinen ökonomischen Verhaltensmodells: — Es wird zwischen Präferenzen und Restriktionen unterschieden. 8 — Zur Entscheidungsfindung werden verschiedene Handlungsaltemativen verglichen.
7
Auch das - vergleichsweise psychologisch fundierte - Verhaltensmodell Simons ist natürlich in der Literatur nicht unwidersprochen geblieben. Hauptkritikpunkte sind die Annahme a priori bekannter Präferenzen und die Vernachlässigung von Rückkopplungen von Entscheidungsprozessen und Handlungen auf das Subjekt. Zu dieser Kritik siehe beispielsweise Mousavi und Garrison (2003), die Deweys Konzeption als Alternative vorschlagen. Inwieweit eine solche Alternative - die die Trennung zwischen Präferenzen und Restriktionen aufhebt - ihrem Anspruch gerecht wird, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Festzuhalten bleibt allerdings, daß ihre Berücksichtigung nicht kompatibel zu gestalten ist mit dem Formulierungsmodus institutionenökonomischer Theorien.
8
Es ist anzumerken, daß diese Unterscheidung, wie Cubitt et al. (2004) zeigen, allerdings ebenfalls schwierig aufrechtzuerhalten ist, da schwer beobachtbare psychologische Beschränkungen direkt auf die Wahrnehmung ihrer Präferenzen durch die Akteure wirken.
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— Bewertungsmaßstab ist die relative Vorteilhafiigkeit im Sinne der Präferenzen. — Die Umweltbedingungen begründen Anreize, die die relative Vorteilhafiigkeit beeinflussen. Wie Vanberg (2003, S. 5) darlegt, ist ein solches Verhaltensmodell allerdings empirisch leer und daher nicht falsifizierbar. Es kann deshalb nur als Heuristik zur Konkretisierung der Verhaltensannahmen dienen. Insbesondere ist zu klären, — welche Präferenzen gemeint sind, — wie die Liste zu vergleichender Handlungsalternativen generiert wird, — welches ökonomische Modell den Alternativen Werte zuweist, — wann und in welcher Weise der Vergleich von Handlungsalternativen stattfindet und — welche Umweltdimensionen relevant sind für die Setzung von Anreizen. Die folgenden Überlegungen und empirisch belegten Verhaltensmuster könnten einer solchen Konkretisierung dienen, ohne jedoch jedes Detail menschlichen Verhaltens berücksichtigen zu wollen. 9 Keine der folgenden Annahmen ist wirklich neu. Und für jede der Verhaltensannahmen finden sich zahlreiche weitere Anknüpfungspunkte in der Literatur.
5.1. Die Präferenzen Menschen sind nicht nur ökonomische, sondern zuallererst biologische Wesen. Akzeptiert man aber das Lebendigsein als grundsätzlichste menschliche Eigenschaft, so ergibt sich automatisch der Selbsterhaltungstrieb als primär verhaltensbestimmendes Element. Individuen maximieren daher nicht in erster Linie ihren Wohlstand, sondern ihre Überlebenschancen {North 1990). Materieller Wohlstand ist eine wichtige Dimension dieser Überlebenschance, eine weitere ist die soziale Akzeptanz. Ganz ähnlich argumentiert Margolis (1982). Demnach besteht ein Zusammenhang zwischen aktuellen Verhaltensmerkmalen und der evolutorischen Entwicklung des Menschen. Ein solcher Zusammenhang wird ebenfalls von den Verfechtern eines genetisch bedingten Egoismus' hergestellt - wenn auch mit entgegengesetztem Ergebnis. Der Unterschied besteht in der Berücksichtigung von Selektionsprozessen nicht nur innerhalb von, sondern auch zwischen Fortpflanzungsgemeinschaften. Diese Prozesse bevorzugen solche Gruppen, deren Mitglieder auch im Gruppeninteresse handeln. Innerhalb solcher Gruppen unterliegen Individuen, die die Gruppeninteressen massiv mißachten, Sanktionen, die ihr Fortkommen beeinträchtigen. Die besten Überlebenschancen haben unter diesen Bedingungen Individuen, die eine Eigennutzorientierung mit einer sozialen Orientierung verbinden. Weiterhin wird der Zeitraum seit Ausdifferenzierung der Jäger- und Sammlergesellschaften als zu kurz angesehen, um eine derartige gene9
Nach Kirchgässners (2000) Argumentation kann es immer nur darum gehen, die wesentlichen Eigenschaften realistisch abzubilden. In allen Punkten realistisch zu sein, würde aufgrund der unbegrenzten Komplexität der Welt die Theoriebildung schlicht unmöglich machen.
Anreize zu technologischem
Wandel: Eine Betrachtung chinesischer
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tische Prädisposition unter veränderten Selektionsbedingungen wieder aufzuheben.10 Es wäre deshalb unplausibel anzunehmen, Menschen würden ihr Verhalten ausschließlich an ökonomischen Kategorien wie Wohlstandsmaximierung orientieren. Nun kann eingewandt werden, Wohlstandssteigerung sei der zentrale Gegenstand der Wirtschaftswissenschaft und mit den anderen Dimensionen menschlicher Existenz befaßten sich andere Wissenschaftszweige." Indem sich die Institutionenökonomik mit menschlichem Verhalten befaßt, kann sie diese anderen Verhalten determinierenden Kategorien aber nicht einfach ignorieren, ohne sich beträchtliche Aussagekraft zu verwehren. (a)
Verhaltensannahme: Die Akteure besitzen eine mehrdimensionale Präferenzordnung, die neben materiellem Wohlstand auch soziale Anerkennung berücksichtigt.
Im Beispiel der VR China war es trotz insgesamt knapper Studienplätze schwierig, genügend Bewerber für die ohnehin wenigen Management-Studiengänge zu finden. Die Kurse waren aus ideologischen Gründen nicht hoch angesehen. Im marxistischen Kontext geriet die Rezeption des Managementbegriffs allzu leicht in die Nähe bürgerlicher Produktionsverhältnisse und der dazugehörigen Klassenzuweisungen. Daher erschien es opportun, selbst in die Manager-Ausbildung einen hohen Anteil technischer Kurse einfließen zu lassen. Ingenieursstudiengänge besaßen ein deutlich höheres Ansehen und waren deshalb begehrter, obwohl sie prinzipiell die gleichen Karrierewege und Einkommenschancen im Management der SOE eröffneten (Battat 1986). Auch zeigen die Manager der SOE noch heute mehr Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse ihrer Belegschaften als ein rein ökonomisches Nutzenkalkül rechtfertigen würde. So mußte die Ausweitung der Gewinnverwendung zugunsten von Gehaltssteigerungen der Beschäftigten administrativ begrenzt werden, um Investitionen sicherzustellen. Dabei blieb die Schere zwischen Direktoren- und Arbeitergehältern noch lange weit geringer als in kapitalistischen Ländern: ein Verhältnis von 10:1 galt Mitte der 90er Jahre noch als anstößig {Hebel 1997, S. 313). Neben der Präferenzordnung ist für das Verhalten letztlich auch ausschlaggebend, welche Handlungsalternativen überhaupt wahrgenommen werden. 5.2.
Die Wahrnehmung von Handlungsalternativen
In der NIÖ werden Informationssuche und -Verarbeitung als kostspielig, aber nicht ungewiß angenommen. Wissenszuwachs ist im Rahmen des gegebenen Institutionensatzes eine Funktion der für ihre Erlangung aufgewendeten Kosten - er ähnelt damit eher einem Lernprozeß ohne Zeitdimension, denn einem Suchprozeß. Alle Informationen sind, so gesehen, bereits vorhanden und müssen lediglich noch erhoben und verarbeitet werden. Das Kosten-Nutzenverhältnis der nächsten Informationseinheit entscheidet über ihre Berücksichtigung oder Vernachlässigung. Dieses Verständnis von Wissen 10
11
Die Argumentation kann aus Raumgründen hier nur stark verkürzt wiedergegeben werden. Siehe die differenzierte Diskussion bei Margolis (1982, Kapitel 3). So zum Beispiel Göbel (2002, S. 23 ff.).
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und begrenzter Rationalität ist meiner Ansicht nach verantwortlich für die Vernachlässigung technologischen Wandels in der NIÖ, denn Suchprozesse sind in der Realität ungewiß. Weder ist vollkommen sicherzustellen, welches Ergebnis sie liefern, noch daß sie überhaupt ein Ergebnis liefern. Es gibt keine bekannte Wahrscheinlichkeitsverteilung. Dequech schreibt dazu in Anlehnung an Dosi (1988, S. 1134): „However, even in the case of 'normal' technical search (as opposed to the 'extraordinary' exploration associated with the quest for new paradigms) strong uncertainty is present, so that the list of possible events is still unknown, as are the conesquences of particular actions for any given event." (Dequech 2004, S. 374)
Die Abbildung der Nutzenmaximierung in der gängigen Version der Anreiztheorie bedient sich der Theorie des subjektiven Erwartungsnutzens. Danach verhalten sich Wirtschaftssubjekte indifferent gegenüber unsicheren Ereignissen, deren subjektiv geschätzter Nutzen identisch ist - unabhängig von Art und Ausmaß der Unsicherheit (Heath und Tversky 1990, S. 94). Mit anderen Worten entscheiden sie sich bei Suchprozessen fur den Suchraum, der bei konstanten Inputs die größte Nutzenerhöhung verspricht. Dagegen läßt sich belegen, daß in der Realität gar nicht jeder Suchraum in Betracht gezogen wird: „The organizational and social environment in which the decision maker finds himself determines what consequences he will anticipate, what ones he will not; what alternatives he will consider, what ones he will igaoie."(March und Simon 1958, S. 139)
Es ist bekannt, wie widerstrebend man sich der Bekämpfung seiner größten Schwächen widmet. Heath und Tverskys entwickelten daraus die Kompetenz-Hypothese, die exakt diesen Zusammenhang abbildet {Heath und Tversky 1990). Sie besagt, daß Akteure - bei gleicher geschätzter Wahrscheinlichkeit -bevorzugen, Wetten in einem Sachgebiet einzugehen, in dem sie sich auszukeimen meinen. Experimente belegen den Zusammenhang. Heath und Tversky sehen ihre Kompetenz-Hypothese in Übereinstimmung mit den Ergebnissen einer Reihe weiterer Experimente zu Teilaspekten, so z.B. von Ellsberg (1961). In Übereinstimmung mit Nelson und Winter (1982) wird deshalb hier von folgender Annahme (b) ausgegangen. (b)
Verhaltensannahme: Auf der Suche nach Problemlösungen bevorzugen die Akteure als Suchraum den Bereich ihrer Kernkompetenzen.
Am Beispiel Chinas: Die Wert- und Erfahrungswelt gestandener Manager mißt den verschiedenen Untemehmensfunktionen andere Prioritäten zu, als dies in marktorientierten Unternehmen der Fall ist. Es herrscht eine starke Produktionsorientierung vor (Heimerl-Wagner 1994, S. 343 f.). In Abbildung 4 sind beide Wertschöpfungsketten im Vergleich dargestellt. Während in der Planwirtschaft alle strategischen Entscheidungen von externen Behörden getroffen wurden, die Betriebsführung also allein operative Aufgaben umfaßte, ist in der Marktwirtschaft das strategische Management eine zentrale Aktivität der Wertkette der Unternehmen. Auch Marketing und Vertrieb sowie das Wissen darüber blieben in der Planwirtschaft unterentwickelt, da die Transaktionspartner durch die staatlichen Pläne vorgegeben waren. Die Kernkompetenz sozialistischer Betriebe war die Produktion. Rationalisierungsbestrebungen richteten sich fast ausschließlich auf die sachtechnische Effizienz der Produktion, da dies neben der Kapazitätsaus-
Anreize zu technologischem Wandel: Eine Betrachtung chinesischer SOE
113
Weitung für einen Betrieb der einzige Weg war, die Gewinne zu steigern (Huang 2001: 33 f. sowie 48). Auf dieser Wissensbasis - verstärkt durch die überwiegend technische Ausbildung der Manager (siehe Abschnitt 5.1.) - ist die Wahrnehmung von Möglichkeiten zu technologischem Wandel verzerrt zugunsten von Prozeßtechnologien {Heimerl-Wagner 1994, S. 344). Diese Orientierung wirkte lange nach. Noch Mitte der 90er Jahre zeigten große SOE starke Präferenzen für produktionstechnologische Investitionen (.Steinfeld 1998; Hebel 1997, S. 267 ff.). Abbildung 4: Bedeutung der Betriebsfunktionen in der Plan- und Marktwirtschaft
Sozial- u n d Wohlfahrtsleistungen Strategische U n t e m e h m e n s p l a n u n g u n d - k o n t r o l l e Sonstige unterstützende Betriebsaktivitäten (F&E, E i n k a u f , F i n a n z w e s e n )
/
Eingangslogistik
/ /
Produktion
Ausgangslogistik
Marketing / Vertrieb / Services
/ /
Sozial- und Wohlfahrtsleistungen Politisch-ideologische Arbeit der Partei / / / /
Sonstige unterstützende Betriebsaktivitäten (Materialvers.. T e c h n i k etc.) Ein-
gangslogistik
Produktion
Ausgangslogistik
Absatz / Services/
/
Quelle: Huang (2001, S. 38)
Auch die Gewichtung der verschiedenen Anspruchsgruppen ist unterschiedlich (Abbildung 5). Kunden und Marketing spielen deshalb auch bei der Suche nach Problemlösungen eine deutlich geringere Rolle als Aktivitäten höherer Priorität. Es wird daher auch eher über die Anspruchshaltung der Kunden geklagt. Erst seit den 90er Jahren etabliert sich allmählich ein stärkerer Kundenbezug {Hebel 1997, S. 226 ff.). Für Unternehmen in der Marktwirtschaft ist dagegen der Umgang mit Kunden, als zentraler Anspruchsgruppe, seit jeher ein bedeutender Teil der organisationalen Wissensbasis. Durch die Anknüpfungspunkte an die Wissensbasis genießt dort die Verbesserung der Vertriebstechnologie zentrale Aufmerksamkeit. Dies zeigt sich beispielsweise in der starken Verbreitung von Markenstrategien westlicher Unternehmen, in denen die tatsächlichen Produkteigenschaften beinahe in den Hintergrund treten. Chinesische Marken beginnen dagegen erst nach ca. 20 Reformjahren, überhaupt in Erscheinung zu treten.
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Abbildung 5: Bedeutung einzelner Anspruchsgruppen in der Plan- und MarktWirtschaft
Regierung
Belegschaft j " • - Betrieb der Planwirtschaft
Betrieb der Marktwirtschaft
Quelle: Huang (2001, S. 33), leicht modifiziert
5.3.
Die verwendeten ökonomischen Theorien
Die Annahme begrenzter Rationalität nach Simon beinhaltet, daß auch die zur Übersetzung von der Information in die Reaktion herangezogenen ökonomischen Modelle weder realen ökonomischen Zusammenhängen, noch dem aktuellen Stand der ökonomischen Forschung genügen.12 „"(1) Choice is always exercised with respect to a limited, approximate, simplified 'model' of the real situation [...,] his 'definition of the situation'. (2) The elements of the definition of the situation are not given ... but are themselves the outcome of psychological and sociological processes, including the chooser's own activities and the activeties of others in his environment." (March und Simon 1958, S. 139) Das Modell speist sich also aus Informationen aus der Umwelt. Diese werden aber wiederum nicht direkt aufgenommen, sondern gefiltert. Der erste Filter sind die verwendeten Informationsquellen. Ihre Auswahl verläuft ebenso routiniert wie andere Entscheidungen (siehe Abschnitt 5.4), so daß in der Regel Quellen gewählt werden, deren Nutzung bereits in der Vergangenheit zu erfolgreichen Entscheidungen führte. Psychologische Studien belegen, daß zur Entscheidungsfindung Nebenbedingungen und sogar relevantes Vorwissen teilweise ignoriert werden (Kirchgässner 2000, S. 206 nach Kahnemann und Tversky 1973). Erst wiederholter Mißerfolg durch die Verwendung der gleichen Quellen fuhrt zu einer Überprüfung der Quellenwahl. Eine der naheliegendsten Informationsquellen ist die professional community', deren Informationsstand und
12
Evans (1983) verweist auf eine ganze Reihe von psychologischen Experimenten, die die geringe Fähigkeit des Menschen zu logischer Schlußfolgerung in unterschiedlichsten Entscheidungssituationen zeigen. Nach Purkitt und Dyson (1990) sowie der dort angegebenen Literatur werden selbst allgemein bekannte ökonomische Modelle zu einfachen Daumenregeln und linearen Zusammenhängen verkürzt. Siehe auch Ricottilli (1990, S. 3).
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-Verarbeitung aber normalerweise der eigenen recht ähnlich ist. Deshalb treten Fehler im eigenen Modell auf diesem Wege bestenfalls allmählich zutage. Der zweite Informationsfilter neben der Quellenwahl ist das eigene Wahrnehmungsraster, das sich an den Variablen der verwendeten Theorien orientiert und dieselben dadurch zu einem gewissen Grad perpetuiert. Dem Modell fremde Variablen werden erst berücksichtigt, wenn das gesamte Modell nicht mehr zu brauchbaren Handlungsempfehlungen fuhrt und durch ein neues ersetzt wird. Das Problem wird verstärkt durch den impliziten Charakter vieler Wissenselemente - so auch der wirtschaftlichen Kompetenz {Pelikan 1993, S. 75 f.). Aufgrund dieser Eigenschaft kann ein Modellabgleich mit der Community selbst bei Wahrnehmung des Problems nur begrenzt erfolgen. Ein Beispiel soll diese Überlegung illustrieren: Angenommen das benutzte Modell laute: Die Planerfüllung hängt von der Versorgung mit Produktionsinputs ab, die wiederum von der persönlichen Beziehung zum für meine Branche zuständigen Verwaltungsbeamten abhängt. In diesem Fall bemüht sich der Manager um möglichst gute Beziehungen, wenn er den Plan erfüllen will. Das Modell führt zu Frustrationen, wenn auch gute Beziehungen die Versorgung nicht mehr gewährleisten. Wenn sich dagegen andere Wege der Versorgung eröffnen, zum Beispiel durch Zugang zu inputsparenden Technologien, werden diese zunächst nicht wahrgenommen, da aufgrund des vorherrschenden Modells Informationen über Technologiemärkte gar nicht erhoben werden. Eine solche Verhaltenshypothese findet sich - etwas komplizierter - ebenfalls bei Margolis (1987). Er zeigt, daß die Akteure Entscheidungssituationen vorstrukturieren, indem sie sie anhand weniger Indikatoren bestimmten Mustern zuordnen. Diese Zuordnung entscheidet auch darüber, welche Informationen als entscheidungsrelevant erachtet werden und welche nicht. 13 Dies hat zwei wichtige Konsequenzen: Erstens, je vertrauter einem Akteur eine bestimmte Situation ist, desto treffsicherer ist die Wahl eines angemessenen Musters. Zweitens können Indikatoren zufällig in einer Weise zusammenspielen, daß ein unpassendes Muster gewählt wird. In der Außensicht suboptimale Entscheidungen sind die Folge. (c)
Verhaltensannahme: Entscheidungen werden anhand einfacher ökonomischer Modelle getroffen, die den Erfahrungen der Akteure sowie der Kommunikation mit der professionell Community' entspringen und sich deshalb nur langsam ändern.
Selbst im westlich-kapitalistischen Kontext wird hervorgehoben, daß ,,[the] long, complex decision-making process that brings an innovation to life is incompatible with theories of the firm that postulate a high-degree of accuracy in Investment calculations, accuracy in the estimation of costs and benefits, or probabilities of success and failure". (Brenner 1987, S. 196 zitiert nach Thompson 1999, S. 322)
13
Ähnlich auch Evans (1989), der den Denkvorgang in zwei Stufen unterteilt. Dem analytischen Denken ist demnach eine Stufe der heuristischen Auswahl für die Analyse relevanter Informationen vorgeschaltet.
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In amerikanischen Unternehmen läßt sich für Entscheidungen über Investitionen in F&E beispielsweise eine extrem einfache Daumenregel identifizieren: nach Berechnungen von Bound et al. (1984) determiniert der Umsatz die F&E-Budgets fast vollständig. In der VR China wurde in frühen Experimenten einigen Unternehmen die Verfügungsgewalt über Finanztöpfe für Boni, Sozialausgaben und Investitionen gewährt, die sich aus einbehaltenen Gewinnen speisten. Begleitet wurde dies von ersten kurzen Trainingsmaßnahmen zu im Westen entwickelten Managementmethoden für ca. 5 Millionen Manager. Dadurch konnte in diesen Unternehmen recht schnell ein Finanzfokus als erster Stufe des Lernens etabliert werden. Dennoch berichtet Battat (1986, S. 42 ff.) von einer Reihe elementarer Fehler in der Handhabung der neuen Freiheiten und Managementmethoden. Die Beherrschung neuer Methoden erforderte offensichtlich längere Praxis und Lernen durch Fehler. In empirischen Untersuchungen wurde festgestellt, daß Manager ehemals planwirtschaftlicher Betriebe ein ausgesprochen „mechanistisches Organisationsverständnis" {Heimerl-Wagner 1994, S. 343) aufweisen. Das heißt, sie betrachten das von ihnen geführte Unternehmen als eine Art Maschine, deren Zahnräder wohlgeordnet ineinandergreifen, um einen vorher festgelegten, stabilen Output zu erzeugen. Dieses Bild impliziert gleichzeitig, daß Veränderungen einfach durch Umbau der Maschine vorgenommen werden können. Diese vereinfachte Wahrnehmung komplizierter sozialer Vorgänge beim Organisationswandel kann zu ernsthaften Problemen bei der Umsetzung von Projekten fuhren. Ein möglicher Grund hierfür war die (bereits in Abschnitt 5.1 festgestellte) außerordentlich unterentwickelte Ausbildung von Managern vor den Reformen. Insgesamt kann die Ausgangsbasis theoretischen Managementwissens als vernachlässigbar angesehen werden, denn selbst in der damals relativ industrialisierten Provinz Liaoning besaßen 1979 nur etwa 20 % der Top-Manager irgendeine fachnahe Qualifikation. Eine Umfrage unter Shanghais Maschinenbau-Management ergab eine Quote von nur 14 %, zumeist technisch ausgebildeter, Hochschulabsolventen, die Mehrheit besaß höchstens einen Mittelschulabschluß (Battat 1986, S. 78). Diese Quote hatte sich auch bis 1990 nicht wesentlich erhöht. Der landesweite Bevölkerungszensus ergab eine tertiäre Bildungsquote für Leitungspersonal in Regierung und Unternehmen von knapp einem Fünftel. 1995 galt ein Drittel der Leitungsebene in SOE als unterqualifiziert {Hebel 1997, S. 102 und 314). Anhaltende Mängel beim marktwirtschaftlichen Managementwissen waren den Managern gegen Ende der 90er Jahre durchaus bewußt. So gaben 1998 in einer Umfrage des China Management Research System (zitiert nach Huang 2001, S. 201 f.) rund die Hälfte der Manager an, vor Antritt der Position Parteifunktionär oder Ingenieur gewesen zu sein, ebenfalls etwa 50 % gaben Defizite im Wissen über marktwirtschaftliche Unternehmensfuhrung zu. Jeder Dritte sah Nachholbedarf bei der Fähigkeit zur Technologiebewertung, und mehr als 23 % bei der Innovationsfähigkeit. Dennoch führt das Wissen um die Wissensdefizite nicht automatisch zu entsprechenden Handlungen, wie der folgende Abschnitt zeigt.
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5.4. Die Wahlhandlungen Wiederholte Entscheidungsprozesse erstarren im Allgemeinen zu Routinen, um Informationsverarbeitungskapazität freizusetzen und den anderen Akteuren ein gewisses Maß an Erwartungssicherheit zu gewähren. Sie können damit als eine Art „Waffenstillstand im innerorganisationalen Konflikt" (Nelson und Winter 1982, S. 110) um Macht und Ressourcen angesehen werden. Dies hat wiederum zur Folge, daß Änderungen von Routinen allgemein als Bruch des Waffenstillstandes aufgefaßt und vehement abgewehrt werden (Nelson und Winter 1982, S. 111 f.). Auch externe Anspruchsgruppen befördern die Beibehaltung des Status quo, da eingeführte Geschäftspartner einen besseren Zugang zu innerorganisationalen Entscheidungsträgern besitzen als andere potentielle Geschäftspartner. Diesen bevorzugten Zugang nutzen sie, um auf die Beibehaltung der Geschäftsbeziehung hinzuwirken. Daraus resultieren organisationale Inflexibilität und Beharrungsvermögen. Doch wann kommt es zu Wandel? Nach March und Simon (1958, S. 183) immer dann, wenn ein zugrundegelegtes Anspruchsniveau nicht mehr erfüllt ist. In diesem Fall werden die vorher befolgten Routinen verlassen und Suchaktivitäten eingeleitet. In diesem Fall wandelt sich die Risikoaversion der Akteure regelmäßig in Risikofreude, die es erlaubt, die mit Wandel immer verbundene Unsicherheit zu akzeptieren. Auch sind Wandelsprozesse desto leichter durchzusetzen, je weniger sie die bestehenden Organisationsroutinen betreffen, d.h. finanzielles Risiko wird eher in Kauf genommen als organisatorische Unsicherheit (Greve 2003, S. 57 f.; March und Simon 1958). (d)
Verhaltensannahme: Solange ein bestimmtes Erfolgsniveau gewahrt bleibt, folgen die Wirtschaftssubjekte Routinen, die über die Zeit relativ stabil bleiben. Wandel findet vor allem dann statt, wenn das Anspruchsniveau unterschritten ist. Auch bleibt er auf möglichst wenige Routinen beschränkt.
In China erhielten die SOE seit Beginn des Transformationsprozesses zunehmende Autonomie bezüglich unternehmerischer Entscheidungen. Daraufhin hat sich laut Lu (1996, S. 171) bis Mitte der 90er Jahre in vielen Staatsbetrieben strategisches Managementverhalten durchgesetzt. Easterby-Smith und Gao (1996, S. 128) gehen sogar so weit, identisches strategisches Investitionsverhalten großer britischer und chinesischer Unternehmen zu behaupten. Mit dieser Sichtweise standen sie zu diesem Zeitpunkt allerdings weitgehend allein, gegenüber einer Vielzahl von Autoren, die starke organisationale Beharrungstendenzen attestieren (Steinfeld 1998, S. 129; Warner 1995, S. 162). Ein heterogenes Bild entsteht jedenfalls bereits durch die regionale Herkunft und die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der einzelnen betrachteten Unternehmen im durch lokale Experimente geprägten Transformationsprozeß (Hebel 1997, S. 4 ff.).
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Huang (2001, S. 190 f.) sieht in seinen Fallstudien die Staatsunternehmen in einer Phase „unvollkommener Transformation" 14 , in der die „organisatorische Trägheit" in einigen Bereichen weitgehend überwunden ist, die „konsequente Neuorientierung" in anderen Bereichen aber noch aussteht. Weitgehend transformiert sind nach seiner Analyse vor allem die Produktpolitik und das Vergütungssystem. Mengistae und Xu (2004, S. 631 f.) bestätigen, daß die Vergütung chinesischer CEOs ähnlich erfolgsabhängig ist, wie die von CEOs regulierter amerikanischer Industrien. Auch Gewinnorientierung, Asset Management, Personalrationalisierung und marktorientiertes Controlling haben sich zum großen Teil durchgesetzt. Strategisches Management, Marketingorientierung sowie Kapitalstrukturpolitik waren dagegen noch immer unterentwickelt. Überwiegend träge verhielten sich auch der Sozial- und Wohlfahrtsbereich. Die Behördenund Parteiorientierung ist weiterhin hoch. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Voraussagen, denn die ungleichgewichtige Reform verschiedener Unternehmensbereiche bevorzugt die Einführung neuer Routinen und Managementtools, während tiefgreifende Änderungen in bestehenden, nicht-finanziellen Bereichen eher zurückhaltend angegangen werden. Dazu paßt ebenso die Analyse von Lee und Hahn (1999), die bei einer Untersuchung von Unternehmensgruppen eine zunehmende Aushöhlung der früher produzierenden Mutterunternehmen feststellten. Allein im Zeitraum 1994-96 verdoppelte sich demnach der Anteil der Mutterunternehmen, die nur geringe Erträge aus eigener Aktivität erwirtschafteten, ohne echte Holdinggesellschaften zu sein, auf etwa 44 % der Stichprobe. Diese Unternehmen verlagerten den Schwerpunkt ihrer Geschäftstätigkeit in erster Linie über die Neugründung von Tochterunternehmen und den allmählichen Abbau des Stammgeschäftes, anstatt das Mutterunternehmen zu diversifizieren. Als Hauptmotive werden von den Unternehmen der Abbau des Personalüberhangs und die flexiblere Kapitalnutzung genannt. Dies deutet auf Rigiditäten im Mutterunternehmen hin, die letztlich zu den Ausgründungen geführt haben. 15
5.5. Die Anreize Vanberg (2003, S. 16) kritisiert eine ad hoc-Hinzunahme zusätzlicher Anreizdimensionen zur Erhöhung des Erklärungsgehaltes der Anreiztheorie. Dieser Einwand erscheint prinzipiell berechtigt, weshalb in den vorangegangenen Kapiteln ausführlich
14
15
Nach Huangs Klassifizierung (2001, S. 57 f.) ist die „unvollkommene Transformation" die Zwischenstufe zwischen „organisatorischer Trägheit" und „konsequenter Neuorientierung". Während erstere nur eine graduelle Anpassung an sich verändernde Umweltparameter zuläßt, Organisationsphilosophie und Managementparadigma jedoch nicht antastet, beinhaltet letztere die Anpassung aller wichtigen Aspekte der Betriebsführung an die veränderte Unternehmensumwelt. Ähnliche Bedeutung wird - im Falle von Fusionen und Akquisitionen - der Erhöhung der Marktmacht zugemessen. Eine Verringerung der staatlichen Eingriffsmöglichkeiten und eine Erhöhung der Ergebnistransparenz nach innen werden seltener als Grund angegeben (Lee und Hahn 1999, S 22 f.). Dabei muß allerdings berücksichtigt werden, daß die explizite Nennung des Ausgründungsgrundes .Verringerung der Geschäftsführungstransparenz' politisch sicher auch nicht opportun wäre.
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darauf hingearbeitet wurde, die Angemessenheit der Einbeziehung von .Prestige' als zweiter Anreizdimension im vorliegenden Beispiel zu begründen. (e) Verhaltensannahme: .Prestige' ist eine relevante Anreizkomponente. Für die Besetzung wichtiger Managementpositionen zeichnet bis in das 21. Jahrhundert hinein immer noch die Kommunistische Partei verantwortlich. Deren Prozeduren und Kriterien dienen aber nicht vorrangig der Rekrutierung fähiger Manager, sondern ähneln denen für die Auswahl hoher Beamter. Zumindest bis Mitte der 80er Jahre war deshalb weniger die betriebswirtschaftliche Qualifikation ausschlaggebend für die Beförderung, sondern vielmehr die politische Konformität. Während der Kulturrevolution konnte zu viel Geschäftstüchtigkeit dazu führen, des „Ökonomismus" beschuldigt zu werden, was in der Konsequenz bedeutete, als Kapitalist angesehen zu werden. Gefragt war eher politische Führungsqualität, um den „Enthusiasmus der Massen [zu] wecken" {Krug 1993, S. 200). Nach den Daten des Entrepreneur Investigation System galt noch im Jahr 2000 „dissatisfaction of the masses" (Li und Su 2001, S. 7) - ein Code sowohl für politische Akzeptanzprobleme als auch ungenügende Befriedigung von Insider-Interessen - als Grund für die Entlassung von 56 % der betroffenen Manager. Für ein weiteres Viertel war die Unzufriedenheit des administrativen Vorgesetzten ausschlaggebend. Die Nichterfüllung ökonomischer Zielvorgaben wird dagegen nur in ca. 29 % der Fälle als ein Grund genannt. Die Anerkennung durch Partei, Verwaltung und Belegschaft - die traditionell wichtigsten Anspruchsgruppen - bleibt damit wichtigstes Kriterium für die Karriere der Manager. Entsprechend werden Manager ausgewählt, deren Nutzenfunktion weniger vom materiellen Einkommen dominiert wird als von .Prestige' oder .fringe benefits' (Boycko et al. 1996). Initiativen zum Abbau des Parteieinflusses stoßen noch immer auf den Widerstand beharrender Kräfte innerhalb der Partei. Dies gilt vor allem für die Städte in wirtschaftlich weniger entwickelte Regionen, in denen viele der SOE angesiedelt sind.16 Ein Hinweis für die Relevanz dieses Mechanismus auf die Anreize findet sich in der Persistenz einer Output-Maximierung durch die Manager vieler Staatsunternehmen, die sich nicht in den Bedingungen der Kontrakte wiederfindet, wohl aber vorrangiges Leistungskriterium für Beförderungen vor den Reformen war und in der Bewertung durch die Verwaltungen bis weit in die 80er Jahre nachwirkte. Dieses Phänomen wird in der Literatur breit reflektiert, z.B. von Steinfeld (1998) oder Krug (1993). Aus Sicht der Wirtschaftspolitik war ein reines Mengenziel zu diesem Zeitpunkt längst abgelöst vom Ziel der Gewinnerzielung ergänzt um technologischen Fortschritt (Krug 1993, S. 204). Die Formulierung mehrerer Ziele durch die chinesische Regierung begegnet einem Problem, das Göbel unter dem Stichpunkt „Einseitigkeit der Leistungsanreize" (Göbel 2002, S. 116) behandelt. Der Manager hat als Agent der Regierung eine komplexe Aufgabe zu erfüllen, deren Erfolg nicht anhand einer einzigen Zielgröße messbar ist. Richtet sich die Bewertung der Managementleistung dennoch nur nach einer Größe - wie 16
Die regionalen Disparitäten lösen auch den scheinbaren Widerspruch zwischen der Analyse von Schramm und Taube in diesem Band und den hier angestellten Überlegungen auf. Institutionelle ,Entrepreneurship' läßt sich großteils in (halb-)privatwirtschaftlich dominierten Regionen lokalisieren, die die Vorreiter des gesamten Transformationsprozesses waren.
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dem laufenden Gewinn wird der Agent der Verbesserung dieser Größe besondere Anstrengungen widmen und andere Aufgaben darüber vernachlässigen {Frey 2000, S. 69). Um einer solch einseitigen Fokussierung entgegenzuwirken, wurden Technologieziele explizit in die Management-Verantwortungsverträge der 80er Jahre einbezogen. Wegen der begrenzten Spezifizierbarkeit von Innovationsoutput wurden auch leichter meßbare Inputziele vorgegeben (Hebel 1997, S. 267). Durch Hinzunahme einer zweiten Zielgröße zur Erfolgsmessung kann das Problem einseitiger Anreizsetzung zwar abgemildert werden, dafür bleiben jedoch weitere Ziele unberücksichtigt, für die die Agenten nun um so weniger Aufmerksamkeit erübrigen. Eine Leistung, die sich einer Messung überhaupt entzieht, ist die Erlangung und Weitergabe impliziten Wissens, da dieses ja definitionsgemäß nicht direkt beobachtet werden kann. Jede Leistungsentlohnung schafft daher Opportunitätskosten für den Erwerb taziten Wissens. Außerdem kann es zu Trade-offs führen, wenn mehrere Zielgrößen bei der Bewertung berücksichtigt werden, die in einem, wie auch immer gearteten, Konflikt zueinander stehen. Zwischen dem Ziel der Gewinnerzielung und dem Ziel des technologischen Fortschritts kann ein solcher Konflikt bestehen (March und Simon 1958, S. 55 f.): Erstens geht technologischer Fortschritt, wie oben beschrieben, mit Investitionen einher, deren Aufwand bzw. Abschreibungen den Gewinn mindern. Zweitens werden diese Investitionen in der Erwartung steigender Erträge getätigt, deren Kalkulation beträchtlicher Unsicherheit unterliegt. Drittens sind die Zeithorizonte von F&E-Investitionen meist länger als die der Erfolgsmessung. Und viertens führt technologischer Fortschritt zur Veränderung akzeptierter Routinen und dadurch u.U. zu Motivationseinbußen bei den von den Veränderungen Betroffenen.
6. Anreize zum technologischen Wandel in chinesischen Staatsunternehmen Die jahrzehntelange strikte Trennung von F&E-Aktivitäten und Produktion bereits auf der Ebene der zentralen Ministerien führte dazu, daß den Managern weitgehend das Wissen über die Eigenschaften und Anforderungen der Implementierung technologischen Wandels fehlte (IDRC/SSTC 1997, Kap. 8). Unter diesen Voraussetzungen war es den Managern auch kaum möglich, begründete Erfolgswahrscheinlichkeiten für Technologieprojekte zu kalkulieren. Managementwissen war in der VR China, wie oben begründet, ebenfalls nur rudimentär vorhanden. Eine inhärente Abneigung sich mit diesen Kompetenzlücken auseinanderzusetzen, verleitete dazu, sich bei der Auswahl unter mehreren unsicheren Strategieoptionen selbst dann nicht für die Technologieinvestition zu entscheiden, wenn man um Erfolg bemüht war. Häufig dominierte dann eine ,rent-seeking'-Strategie, die
Anreize zu technologischem Wandel: Eine Betrachtung chinesischer SOE
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ebenfalls einen erheblichen Aufwand an Beziehungspflege und Verhandlungen verursachte, 17 den Managern traditionell aber weitaus vertrauter war. Eine Umfrage von Lan (1996, S. 138) unter Joint Venture-Unternehmen in Dalian bestätigt diese Analyse. Danach begründete mehr als ein Drittel der lokalen Partner die Joint-Venture Gründung mit einem besseren Zugang zu wirtschaftspolitischen Förderprogrammen. Nur etwa 40 Prozent der Unternehmen gab an, sich für Technologietransfers zu interessieren. Unter Verwendung der in Kapitel 4 vorgestellten Technologiematrix ergibt sich für die Joint Ventures jener Umfrage das in Tabelle 2 dargestellte Bild. Verallgemeinert bedeutet das, daß sowohl der Zugang zu den Technologiekomponenten als auch der Willen und die Kapazität zur Technologieabsorption auf chinesischer Seite abnehmen, je ,weicher' die Technologiekomponente ist. Die Einführung von Maschinen und Anlagen fand fast überall statt, doch schon technische Hilfsmittel für das Management wurden deutlich seltener übertragen. Drei Viertel der Unternehmen absorbierten in Dokumenten niedergelegtes Wissen nicht so tiefgehend, daß sie zu dessen Weiterentwicklung fähig gewesen wären. 42 % zeigten sich ignorant, wenn die Dokumente Managementwissen betrafen. Als am schwierigsten erwies sich die Übertragung impliziter Fertigkeiten. Sie beschränkte sich vorwiegend auf on-the-job-Training in der Produktion und im Marketing, traf ansonsten aber auf fast völlige Ignoranz. Diese Ergebnisse werden von anderen Autoren bestätigt, z.B. Werner (2001, S. 168 ff.). Dessen Studie ergibt für Foreign Invested Enterprises in Shanghai ebenfalls eine begrenzte Assimilationsfähigkeit für die zur Verfügung gestellten Technologien, und zwar besonders im Bereich der ,soft skills'. Allerdings war dort das bekundete Interesse für ausländische Technologien mit über 50 Prozent größer als bei Lan. Anders als beispielsweise in Japan und Südkorea waren den Akteuren die Anforderungen für eine erfolgreiche Assimilation ausländischer Technologie lange Zeit offensichtlich nicht bewußt. Nur so läßt sich deuten, daß während der 80er Jahre die enormen Technologieimporte lediglich von geringen eigenen F&E-Anstrengungen zur Absorption und Adaption der Technologien - in Höhe von etwa 9 % der Investitionssumme (.IDRC/SSTC 1997, Kap. 8) - begleitet wurden. Unternehmenseigene Forschungsinstitute werden nur ungenügend für solche Aufgaben herangezogen, sondern dienen eher der vom Unternehmenszweck losgelösten Drittmittelakquisition (Hebel 1997, S. 273 f.) oder als Testcenter bzw. Spezialapparatebauer für das Kernunternehmen (Gu 1999).
17
In der Literatur wird häufig der Eindruck vermittelt, ,rent-seeking' sei kostenlos. Doch zumindest im Kontext des guanxi ist dies nicht der Fall: die guonx/'-Netzwerke bedürfen intensiver Pflege. Wie der in Hebel (1997) angeführte Bericht eines Managers eines Staatsuntemehmens verdeutlicht, erfordern z.B. die Bankette zugunsten übergeordneter Verwaltungsbeamter und Parteifunktionäre einen Zeitaufwand, der sich kaum mit einem Familienleben vereinbaren läßt.
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Tabelle 2: Technologieflüsse nach Technologiekomponenten in Joint Ventures in Dalian Funktion
Produktion
Management
Hardware
70 % der Produkte und 50 % der Ausrüstung überbrücken eine technologische Lücke von mehr als 10 Jahren; verursacht weitere Hardware-Zuflüsse
In 96 % der JV; vorrangig Fahrzeuge, in 63 % der JV auch Telekommunikationsausrüstungen und/oder Computer
Medium-ware
Informationen über Qualitätsstandards i.w.S. in 78 % der JV; Verfahrensanweisungen in 53 % der JV; wenig begleitende Informationen; bei Übertragung schlechte Assimilation der Informationen: nur 25 % der JV fähig zur Adaption
Controlling und Personalfuhrungsdokumente in 60-70 % der JV, zwei Drittel davon erzielen positive Effekte; Zugang von Seiten des ausländischen Partners restriktiv; 42 % der lokalen Partner zeigen sich ignorant
Software
In 64 % der JV Übertragung von Fertigkeiten, meist als on-the-jobTraining, aber nur in 11 % Befähigung zur Weiterentwicklung; Fortschritte bei Qualität und Produktivität
Übertragung in 54 % der JV, vor allem im Marketing und über persönliche Kontakte; relativ große Ignoranz der lokalen Partner und geringe Lernfähigkeit wegen mangelnder Wissensbasis
Repräsentation
Quelle: in Anlehnung an Lan (1996, S. 174-196)
Im Ergebnis finden sich Beispiele ungenügender oder schwerfälliger Implementierung importierter Technologien in größerer Zahl in der Literatur. Hier sei die Studie von Shi, Yizheng (1998, S. 74) zum technologischen Wandel in der Kassettenrekorderproduktion erwähnt: Technologieimporte Mitte der 80er Jahre konnten in fast 40 Prozent der Fälle erst mit Verzögerung in Betrieb genommen werden und der Beherrschungsgrad der Technologie wird überwiegend mit „grundlegend" angegeben. Nur eins von 31 befragten Unternehmen ließ dem Technologieimport eigene Innovationen folgen. Ein weiteres Beispiel aus dem Maschinenbau ist in Box 1 dargestellt.
Anreize zu technologischem
Wandel: Eine Betrachtung chinesischer SOE
Box 1: Die Inbetriebnahme eines Minicomputers
123
18
Ein Maschinenbauunternehmen plante die Elektronisierung und Integration seiner Produktionsplanung und Lagerhaltung. Mit Zustimmung des zuständigen Ministeriums und durch dessen Vermittlung importierte das Unternehmen einen amerikanischen Minicomputer. Der Vertrag umfaßte dabei lediglich die Hardware. Das Unternehmen verzichtete auf Unterweisung durch die Herstellerfirma und versuchte, auch die Anwenderprogramme in Eigenregie zu entwickeln. Diese Strategie führte nach einem Jahr noch zu keinerlei Ergebnis, der Computer blieb ungenutzt. Schließlich ordnete das zuständige Branchenministerium eine Kooperation mit einer Universität des Ministeriums an. Auch die Organisation dieser Zusammenarbeit wird als langwierig und schwierig beschrieben. Erst nach wiederholter Intervention der zuständigen Behörde konnten Entwicklungserfolge verbucht werden. Das Ergebnis blieb aber immer noch weit hinter den anvisierten Nutzungsplänen für den Computer zurück. Vor allem die Anwendungsintegration blieb unbefriedigend. Auch heute lassen sich noch Unterschiede im Verständnis der Details technologischen Wandels entsprechend dem technologischen Entwicklungsstand der Region nachweisen: In einer Untersuchung mehrerer gemeinschaftlicher Bauprojekte durch Li-Hua (2004) zeigt sich, daß die Bedeutung des Transfers von Management Know-how und taziten Technologieelementen um so stärker verinnerlicht wurde, je besser das technologische Ausgangsniveau der Region war. Die Ergebnisse der Befragung von 450 einheimischen Entscheidungsträgern in den Joint Ventures zeigt Abbildung 6. Die Befragung erfolgte in Jiangsu, Henan und Xinjiang, wobei Jiangsu im Gegensatz zum rückständigeren Xinjiang technologisch bereits relativ weit fortgeschritten war. Abbildung 6: Vergleich der wahrgenommenen Transfer-Bedürfnisse 100,00% 80,00%
fü
Ü
60,00% 40,00% 20,00% 0,00%
» i• Jiangsu
Henan
n
•
70,00% 60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00% + -
Xinjiang
D Management Know-how • Bautechnologie
Quelle: Li-Hua (2004, S. 126, 127)
18
Dieses Beispiel entstammt Battat (1986, S.125 ff.).
Jiangsu
Henan
Xinjiang
• Explizites Wissen • Tazites Wissen
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Für eine ausgewogene technologische Entwicklung wäre es unter den beschriebenen Voraussetzungen erforderlich, die Anreize zugunsten der Entwicklung ,weicher' Technologiekomponenten zu verstärken. Doch das Gegenteil findet statt: Der politische Prozeß zur Umsetzung allgemeiner wirtschaftspolitischer Vorgaben der Zentralregierung verstärkt das Ungleichgewicht weiter zugunsten tangibler Großprojekte. Folgende Mechanismen sind dafür verantwortlich: Die Regierung setzt technologischen Wandel als Innovationsziel. Ihr Informationsstand bezüglich Kompetenzen und Problemen in den Unternehmen ist allerdings sehr begrenzt; verläßliche Informationen von unteren Verwaltungsebenen sind schwer zu beschaffen. In dieser Situation ist die Formulierung detaillierter Politiken für die Zentralregierung nicht ratsam, da Legitimität für deren Durchsetzung fehlt. In der Konsequenz wird die Ausgestaltung konkreter Politikmaßnahmen auf lokale Ebenen verlagert (Shi, Shiwei 1998, S. 64 ff. und 168 ff.). Den Lokalregierungen eröffnen sich so Grauzonen wirtschaftspolitischer Aktivität, die auch zur Befriedigung eigener Interessen ausgelotet werden. Die Prinzipale auf den unterschiedlichen administrativen Ebenen - de facto die Träger der meisten Verfügungsrechte - können annahmegemäß ebenfalls nicht als reine Homini Oeconomici betrachtet werden. Sie verfolgen neben den wirtschaftlichen Zielen vor allem politische Ziele. Da technologischer Fortschritt explizit als Ziel propagiert wird, nehmen sie Einnahmenausfälle gern in Kauf, wenn dafür auch für sie prestigeträchtige Innovations- und Modernisierungsmaßnahmen realisiert werden. Diese Strategie erfordert jedoch eine gewisse Kooperation der Manager in den Unternehmen, die durch Zugeständnisse an deren Interessenlage erkauft wird. Diese bedienen sich der gleichen Rhetorik - mit ähnlichem Resultat: Sie können im Hinblick auf die politische Zielsetzung die Zuweisung zusätzlicher Ressourcen aushandeln. Für die Manager ist es jedoch, ebenso wie für die Prinzipale, wenig attraktiv, zusätzliche Ressourcen in implizite Technologieelemente zu investieren, da sich diese einer genauen Beobachtung und Bewertung entziehen. Das gilt um so mehr, je mehr technologischer Fortschritt Gegenstand der Leistungsbewertung eines Managers ist. Herrmann-Pillath (1993) bezeichnet die chinesische Volkswirtschaft - zumindest die der 80er Jahre - entsprechend als Verhandlungswirtschaft. 19 Sämtliche politischen und wirtschaftlichen Akteure verhandeln danach mit allen wichtigen Anspruchsgruppen über ihre Ressourcen und die Einnahmenverwendung. Die Zentralregierung, die auf lokaler Ebene selbst nicht die Kapazität zur Politikdurchsetzung mittels Anreizen und Sanktionen besitzt (Herrmann-Pillath 1991), liefert über ihre allgemeine Zielformulierung und Propaganda jeweils die Legitimation und Rhetorik. Im Ergebnis verzerrt der Propaganda-Anreiz die Auswahl von Technologieprojekten zugunsten gut sichtbarer und kommunizierbarer Großprojekte - mithin tangibler Kapitalgüter. Ein Beispiel für die ökonomisch verzerrende Wirkung des Anreizes ist die Entwicklung der Modernisierungsinvestitionen der Capital Iron and Steel Company (Shougang) in Box 2.
19
Ausfuhrlich siehe auch Shirk (1993).
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Box 2: Modernisierung der Produktionsanlagen bei Shougang 20 Im ersten Jahrzehnt der Reformen verfolgte das Unternehmen eine Strategie inkrementeller Verbesserungen der Produktionsanlagen und -prozesse, finanziert aus eigenen Erträgen und mit dem Ziel der Verbesserung der Ertragslage. Der Fall erfolgreicher Modernisierung erfuhr zunehmendes Interesse in den Parteiorganen, wurde schließlich zum Musterfall stilisiert und brachte dem Direktor Zhou Guanwu beträchtliches Ansehen ein. Doch diese Geschichte erforderte eine andauernde Fortsetzung: zuerst forderte die Verwaltung die Errichtung einer neuen Walzstraße, deren Neuerrichtung aus laufenden Erträgen unter keinen Umständen finanzierbar war. Hier reagierte die Unternehmensleitung noch ausweichend, indem sie eine gebrauchte Anlage kostengünstig aus Europa importierte. Doch spätestens danach korrumpierte der Erfolg den Unternehmenslenker derart, daß die Investitionen beträchtlich ausgeweitet wurden und schließlich in der Entscheidung, ein komplettes, modernes Stahlwerk an der Küste Shandongs zu errichten, gipfelten. Von Seiten der Administration wurden für diesen Zweck sogar die bis dahin - selbst von Kritikern zugegebenen - harten Budgetbeschränkungen gelockert. Unglücklicherweise ließ die Marktlage keinen Raum für solche Investitionen. Der Verfall des Modells war eingeleitet. Letztlich bleibt festzuhalten, daß die politische Wertschätzung des Modernisierungsverhaltens zu einer Kollusion zwischen Management und Verwaltung führte, prestigeträchtige Großprojekte durchzuführen, unabhängig von den herrschenden Marktverhältnissen. Dennoch kann damit die Setzung eines Innovationszieles als Institution interpretiert werden, die den Managern Anreize setzt, durch Umsetzung des Zieles ihre prestigeträchtige Verfügungsgewalt über Ressourcen auszuweiten. Findet ein Manager allein keine Lösung für die Ertragsprobleme seines Unternehmens, können allgemeine Kampagnen, wie die für technologische Modernisierung, Orientierung geben und trotz ökonomischer Erfolglosigkeit einen Ausweg politischen Wohlverhaltens schaffen. Die Kommunistische Partei benutzte von Beginn an die Medien für die Verbreitung ihrer Botschaften. Für die Menschen sind die Partei-Medien im Laufe der ideologischen Umbrüche verläßlicher Anhaltspunkt für die aktuellen Politikziele, Bedrohungen und Sprachregelungen geworden. Die zunehmende Zahl von Berichten über erfolgreiche, innovative Manager (Fu und Tsui 2003, S. 423) wird deshalb von den anderen Managern eindeutig als Aufforderung zu entsprechendem Verhalten verstanden. Diese Aufforderung wird dann u.U. bewußt ignoriert bzw. unterlaufen, wenn die Propaganda Reaktanz auslöst.21 Auch bei Reaktanz beeinflußt Propaganda das Verhalten der Akteure und gilt damit als Institution mit Motivationsfunktion im Sinne der hier verwendeten Definition. Im Sinne der hier vermuteten Präferenzordnung speziell der Manager von SOE scheint es aber wahrscheinlicher - daß die Aufforderung 20
21
Dieses Beispiel entstammt Steinfeld (1998). Dort liegt der Fokus allerdings auf den Anreizwirkungen weicher Budgetbeschränkungen. Eine solche Reaktion beschreibt z.B. Ollig (2004). Siehe dazu den Beitrag von Fischer in diesem Band.
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berücksichtigt wird, wenn nicht handfeste ökonomische Zwänge bzw. Anreize oder grundsätzliche Wissensdefizite entgegenstehen. Immerhin folgten schon mehrfach auf liberalere Perioden teilweise gewalttätige Kampagnen gegen mißliebige Parteimitglieder, so daß Vorsicht geboten bleibt. Wenn, wie oben beschrieben, das Tätigkeitsfeld Management ideologisch belastet war und Manager davon abhielt, sich theoretisch mit der Materie auseinanderzusetzen, und wenn diese Vorbehalte außerdem auf dem Wege politischer Kampagnen erzeugt wurden, dann erscheint es nur logisch, sich auch zur Ausräumung dieser Vorbehalte politischer Kampagnen zu bedienen. Denn selbst wenn die Einfuhrung moderner Managementtechnologien den Akteuren pekuniäre Vorteile verspricht, kann Unsicherheit über die politische Akzeptanz und mögliche Karrierefolgen dennoch zur Vernachlässigung dieses Technologiefeldes führen. Daß Wirtschaftswissenschaftler bereits seit Mitte der 80er Jahre in der VR China eine vergleichsweise hohe öffentliche Wertschätzung genießen - zu erkennen u.a. an ihrer Präsenz in den Massenmedien - , zeigt den Erfolg solcher Kampagnen. Unter den Bedingungen einer ungenügenden Wissensbasis in allen Managementfeldern können Kampagnen außerdem Orientierung geben für die Suche nach neuen Lösungen. Dabei sollte ,Kampagne' nicht zu eng gefaßt werden als allgemeine politische Indoktrination. Die Verbreitung neuer Ideen geschieht auf durchaus spezialisierten Wegen. In Fachzeitschriften, wie zum Beispiel Jingji Guanli (Economic Management) des Institute of Industrial Economics wurden seit 1979 moderne Managementtechniken vorgestellt. Doch anders als bei vielen westlichen Fachzeitschriften dienen sie politisch motivierter Öffentlichkeitsarbeit. Das zeigt sich schon daran, daß die meisten dieser Organisationen auf Betreiben führender Politiker, z.B. der State Economic Commission (China Enterprise Management Association) oder der Science and Technology Commission (Chinese Research Association for Modern Management und Chinese Research Association of Engineering Economics), entstanden {Battat 1986, S. 79 f.).
7. Fazit Im Ergebnis läßt sich festhalten, daß die Kampagnen für technologischen Fortschritt in dreierlei Hinsicht als Institution interpretiert werden können: erstens als Mechanismus zur Komplexitätsreduktion, 22 zweitens als Signal gewünschten Verhaltens für die Manager der SOE und drittens als Anreiz für die Bürokraten, ihre Eigeninteressen hinter dem Schild nationaler Politik zu verfolgen.23 Es gibt Hinweise darauf, daß die Institution insgesamt innovationsverstärkend wirkt. Mit den oben gesetzten Verhaltensannahmen - vor allem der Einbeziehung von ,Prestige' als Anreizdimension - läßt sich
22
23
Eine ähnliche Rolle weist Storz (vgl. Beitrag 7 in diesem Band) auch der Umweltnorm ISO 14001 in Japan zu: die Reduktion von Unsicherheit und Komplexität führt zu Opportunitätskosten ignoranten Verhaltens und damit zu einer Verhaltensbeeinflussung im Sinne der Norm. Die letzteren Interpretationen ähneln Einschätzungen von Pascha (2000) zur Rolle von Slogans in der japanischen Wirtschaftspolitik und von Seliger (vgl. Beitrag 8 in diesem Band) zur Rolle von Visionen in der koreanischen Wirtschaftspolitik.
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aber auch eine Verzerrung der Investitionsanreize zugunsten von Prestigeprojekten oder doch zumindest gut sichtbaren Projekten begründen, die seit Einsetzen der Reformen allenthalben beklagt wurden. Die angeführten Beispiele aus Untersuchungen zum Innovationsverhalten chinesischer Staatsuntemehmen können sicher nicht als abschließende empirische Evidenz gewertet werden. Was sie dennoch leisten konnten, ist, - so hoffe ich - den Blick auf die praktische wirtschaftspolitische Relevanz der Propagierung wirtschaftspolitischer Ziele zu lenken. Außerdem sollte deutlich werden, daß ein ausgewogenes Innovationsverhalten nicht automatisch das Ergebnis pekuniärer Anreize zu sein braucht. Die ungleichmäßige Zuordnung von ,Prestige' könnte ebenso zu Abweichungen von diesem Verhaltensmuster führen wie Pfadabhängigkeiten der Wissensbasis. Eine geeignete Modifizierung der gängigen Annahmen scheint ein vielversprechender Weg zu sein, beide Phänomene in das institutionenökonomische Gedankengebäude zu integrieren.
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Kyotos Dilemma: Das Stadtbild als ,commons'
Christoph Brumann
Inhalt 1. Einleitung
134
2. Kyotos Stadtbild und die Konflikte
135
3. Bauwerke und Externalitäten
137
3.1. Richtungen der Externalitäten von Bauwerken
138
3.2. Arten der Externalitäten von Bauwerken
139
3.3. Das Stadtbild als ,commons'
145
4. Der Umgang mit dem .commons'
147
4.1. Öffentliche Maßnahmen
147
4.2. Bürger und Bauherrn unter sich
152
4.3. Privatgüter vs. Externalitäten
156
4.4. Die Privatisierung des öffentlichen Raums
158
4.5. Einschränkungen des Privateigentums
159
5. Das Dilemma
161
6. Neue Perspektiven
165
Literatur
166
134
Christoph Brumann
1. Einleitung Obwohl eigentlich schon älter, wird die sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit kollektivem Handeln und kollektiven Gütern heute gerne zur Neuen Institutionenökonomik gerechnet. Probleme von Verfugungsrechten und Transaktionskosten stellen sich nämlich hier, wo große Zahlen sozialer Akteure auf oft diffuse Weise beteiligt sind, in besonderer Schärfe, denn rational ihren eigenen Nutzen maximierende Individuen haben oft wenig Anlaß, zur Erhaltung des kollektiven Gutes beizutragen. Ausgehend von Mancur Olsons ,The Logic of Collective Action' (Olson 1965) und mehr noch von Garrett Hardins kurzem Aufsatz ,The Tragedy of the Commons' (Hardin 1968) hat sich daher ein interdisziplinäres Forschungsgebiet entwickelt, das zu einem guten Teil damit befaßt ist, diese sehr generellen und eher pessimistischen Startvorgaben zu differenzieren. Vor allem das Feld der Allmenden oder ,commons' - auch ,common-pool resources' oder ,common-property resources' (CPR) - wird aufgrund seiner eminenten praktischen Bedeutung von zahllosen Ökonomen, Soziologen, Politologen und Ethnologen bestellt, und eine , International Association for the Study of Common Property' (IASCP; http://www.indiana.edu/~iascp) hat sich etabliert. 1 Im Folgenden möchte ich die gängigen empirischen Beispiele um einen Aspekt erweitern, der meines Wissens noch nicht als ,commons' betrachtet worden ist, nämlich das bauliche Erscheinungsbild von Städten, und analysieren, wie sich die für .commons' einschlägigen Probleme des .Trittbrettfahrens' - Nutzung des Gutes ohne Beitrag zu seiner Erhaltung - hier darstellen. Mein Fallbeispiel, das ich aus ethnologischer Feldforschung 1998/99 (17 Monate) und 2001 (2 Monate) gut kenne (Brumann 2001a), ist die alte Kaiserstadt Kyoto. Um ihr Stadtbild haben sich in den letzten vierzig Jahren intensive Diskussionen entsponnen, doch trotz verbreiteter Rufe nach Erhaltungsmaßnahmen verändert es sich rasant, nach verbreiteter Ansicht zum Schlechteren hin. Befragt man die Kyotoer zu den Gründen, so nennen sie - mit leicht variierender Gewichtung - die Rücksichtslosigkeit der Baukonzeme, die Tatenlosigkeit der Stadtverwaltung und die Gleichgültigkeit der Normalbürger und fuhren diese wiederum auf Egoismus, Bequemlichkeit, Ängstlichkeit und ähnliche Dispositionen zurück. Eine solche psychologisierende Erklärung unterschätzt jedoch grundlegende Strukturen, die im Fall des Stadtbilds für eine Dilemmasituation sorgen: Unterlag das Bauverhalten früher der Selbstregulierung der Nachbarschaftsbewohner, so stehen sich hier heute häufig Fremde gegenüber. Dementsprechend können nur die staatlichen Gesetze und die Verordnungen der Gemeindeverwaltung einen Kontrollrahmen schaffen. Diese privilegieren aber in einem im internationalen Vergleich ungewöhnlich hohen Ausmaß die Verfügungsrechte der Immobilieneigentümer, während die von den Gebäuden ausgehenden Externalitäten, die sich auf das Stadtbild auswirken bzw. es überhaupt erst konstituieren, unberücksichtigt bleiben. Zwar droht diese Situation langfristig das Stadtbild zu zerstören, kurzfristig bietet sie aber vielen sozialen Akteuren handfeste Vorteile, auch
Zum Forschungsstand siehe Ostrom et al. (2002).
Kyotos
Dilemma
135
denjenigen, die sich selbst beklagen. Zunächst einige Bemerkungen zu Kyoto und den Auseinandersetzungen.
2.
Kyotos Stadtbild und die Konflikte
Kyoto war von 794 bis 1868 der Sitz des japanischen Kaisers und über diesen ganzen Zeitraum eine der wichtigsten Metropolen des Landes, lange Zeit sogar die einzige, die diesen Namen überhaupt verdiente. Heute sind die alten Rivalen Tokyo und Osaka längst davongeeilt, und Kyoto ist mit 1,46 Millionen Einwohnern nur noch die siebtgrößte Stadt Japans. Doch weiterhin haben hier viele altehrwürdige Institutionen ihr Zentrum, darunter fast alle Hauptklöster des japanischen Buddhismus, die wichtigsten Schulen der Teezeremonie, viele andere traditionelle Künste und Handwerke und das Geisha-Gewerbe. Da die Stadt im zweiten Weltkrieg kaum bombardiert wurde, hat sie sich zudem eine einmalige Ansammlung von buddhistischen Tempeln, shintoistischen Schreinen, kaiserlichen Palästen, Gärten und anderen Kunstschätzen bewahrt, die jedes Jahr etwa 40 Millionen Touristen anzieht. Kyoto bleibt so für viele Japaner der Hort des Historischen und ,Nihon no furusato', ,[Herzens-]Heimat der Nation', Verkörperung ihrer erhabensten Traditionen und Gegenpol zum in den meisten anderen Bereichen übermächtigen Tokyo. Das im zweiten Weltkrieg fast völlig verschont gebliebene Kyoto blieb zunächst eine hölzerne Metropole aus Häusem im traditionellen Baustil. In den sechziger Jahren begann aber mit dem japanischen Wirtschaftswunder der Vormarsch modemer, westlich inspirierter Stahlbetonbauten und Fertighäuser, der in der bis 1991 andauernden, ,baburu' (von ,bubble') getauften Immobilienspekulationswelle einen Höhepunkt erreichte. Kyotos Erscheinungsbild unterscheidet sich heute vielerorts kaum noch von dem anderer japanischer Großstädte. Intakte traditionelle Straßenzüge muß man suchen, und gerade im Zentrum herrscht ein wildes Gemisch von Gebäudeformen, -färben, -materialien und -höhen, gepaart mit einem dichten Gewirr oberirdisch aufgehängter Strom- und Telefonleitungen und ausufernder Beschilderung. Fast jeder Kyotoer Bürger bestätigt die Gefährdung des Stadtbildes, und nicht selten hört man, daß das alte, romantische Kyoto bereits unwiederbringlich verloren ist. Alte Bauten sind aber weiterhin zahlreicher als in allen anderen großen Städten, und die Entwicklung ist auch nicht klaglos hingenommen worden. Ganz im Gegenteil wird eine intensive Debatte um das Stadtbild gefuhrt. Eine beträchtliche Zahl von Bürgerinitiativen, Stadtbeamten, Eigentümern, Architekten, Stadtplanern, anderen Experten und gewöhnlichen Kyotoern beteiligt sich daran, und fast jedermann hat auf Nachfrage eine klare Meinung. Da der Reiz von Kyotos Stadtbild zu einem guten Teil auf den einige Hundert Meter hohen Bergen beruht, die die Stadt auf drei Seiten einfassen, konzentrieren sich die Konflikte häufig auf die Ausblicke und damit die Gebäudehöhen. Erstmals zog bereits der 1964 gebaute Aussichtsturm Kyoto Tower Proteste auf sich. Weit heftiger stritt sich die Stadt um 1990 über den Neubau des Kyoto Hotels sowie den neuen, postmodernen Bahnhofskomplex - das angeblich größte Gebäude Asiens - , denn für beide Projekte setzte die Stadtverwaltung alte Höhenbegrenzungen außer Kraft. Die Besichtigungssperre für die Gäste des Hotelkonzerns, mit der sich die touristisch wichti-
136
Christoph Brumann
gen buddhistischen Tempel gegen das Kyoto Hotel richteten, erregte damals internationale Aufmerksamkeit. 2 Die planmäßige Vollendung beider Gebäude konnten die Proteste nicht verhindern, ähnlich kontroverse Großprojekte sind seither allerdings ausgeblieben, nicht nur wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise, sondern wohl auch aus Scheu vor neuem Streit. Kürzlich provozierte aber ein eigentlich eher unauffälliges Bauvorhaben die bislang intensivste öffentliche Auseinandersetzung: Gegen den Plan, die Pariser Fußgängerbrücke Pont des Arts über dem Kamogawa-Fluß zu kopieren, erhob sich ein solcher Proteststurm, daß der Bürgermeister das Vorhaben 1999 zurückziehen mußte CBrumann 2002; Kimura 1999). Dennoch transformiert sich Kyoto ungehemmt weiter. Dies liegt zuvorderst an den ,manshon' (von ,mansion') genannten Wohnhochhäusern, die vor allem seit Ende der neunziger Jahre in ungekannter Zahl und Höhe errichtet werden. In den zentralen Stadtbezirken (,ku') Nakagyö und Shimogyö entstanden allein von 1998 bis 2002 über 14000 neue ,manshon'-Wohnungen (Kyöto-shi sögö kikaku-kyoku 2003). Und während laut den Zahlen eines engagierten Gegners im Jahr 2000 nur 13 Prozent der bereits errichteten ,manshon' in der Tanoji-Gegend - dem eigentlichen Stadtzentrum - mehr als zehn Stockwerke hatten, waren es unter den im Bau oder in der Planung befindlichen gleich 59 Prozent. Fast überall protestieren die Anwohner gegen diese nach fixen Schemata, ohne lokale Bezüge und ohne Rücksicht auf die Nachbarhäuser errichteten Wohntürme, und selbst jeglicher Kapitalismuskritik abholde Wirtschafitsfuhrer äußern nun öffentlich ihre Bedenken. Gleichzeitig wächst das Interesse an der noch vorhandenen historischen Architektur. Dies betrifft einerseits ältere Bauten im westlichen Stil (,yökan'), stärker aber noch die traditionellen Wohnhäuser aus Holz. Um diese gewöhnlich zweistöckigen .machiya' (,Stadthäuser') hat sich seit Anfang der Neunziger ein regelrechter Boom entwickelt: Mehrere Hundert von ihnen sind für kommerzielle Zwecke renoviert worden, zunächst hauptsächlich als Cafes, Restaurants, Galerien und Geschäfte, mittlerweile aber auch als Büros, Künstlerateliers, Supermarkt, Nachhilfeschule oder Altentagesstätte. Und auch als Wohnungen werden sie jetzt wiederentdeckt. Eine große Zahl sozialer Aktivitäten konzentriert sich auf die ,kyö-machiya' (d.h. ,Kyotoer machiya'), und kaum ein anderes Thema weckt in der Stadt ähnlich positive Assoziationen (Brumann 2001b). Im Bürgermeister-Wahlkampf 2004 fanden sich ,machiya'-Erhaltung und ,manshon'-Eindämmung denn auch in den Programmen aller Kandidaten. Das sich so ergebende Bild ist widersprüchlich. Die Sensibilität für Stadtbildfragen und bauliche Traditionen wächst, doch ebenso wachsen die Hochhäuser. Kaum jemand ist mit der gegenwärtigen baulichen Entwicklung Kyotos zufrieden, aber nachhaltige Veränderungen lassen trotzdem auf sich warten. Dies liegt meiner Ansicht nach daran, daß es sich beim Stadtbild um ein ,commons' handelt, das sich aus den Externalitäten der Einzelgebäude zusammensetzt.
2
Vgl. Iida und Nanbu (1992), Nöda (1998), Peternolli (1996), Takamichi (1993), Ueda (1991) sowie Watanabe (1994).
Kyotos Dilemma
3.
137
Bauwerke und Externalitäten
Dieser Zusammenhang läßt sich am besten mit einer 1998 gefundenen Tageszeitungs-Werbebeilage für die Wohnungen in einem ,manshon'-Neubau illustrieren (siehe Abbildung 1). Wie üblich enthält das Faltblatt Fakten zur Lage und zur Verkehrsanbindung und eine Modellabbildung des Hochhauses. Stärker an die Emotionen appelliert der Werbetext, der den reizvollen Kontrast zwischen einem „fortschrittlichen Leben" („senshin no kurashi") mitten im Zentrum und den dort noch vorhandenen Fassaden der alten ,machiya' herausstreicht. Die letzteren tauchen auch im Bilde auf: Eines der vier kleineren Fotos zeigt - wiederum als Gegensatz zu modernen Geschäftsstraßen und Kaufhäusern auf den anderen Fotos - ein „.machiya' in der Umgebung" („shühen no machiya"). Die ,manshon'-Firma macht sich hier eine Externalität zunutze: Das ,machiya' liegt an einer Straße, die von jedermann kostenfrei passiert werden darf. Demnach ist kaum zu verhindern, daß seine Fassade angeschaut, fotografiert oder sogar zur Verkaufsförderung anderer Immobilien eingesetzt wird. Von dem Haus geht also ein Nutzen aus, der über denjenigen hinausgeht, den Hauseigentümer und -mieter durch die Vermietung oder Bewohnung des Hausinneren haben, und der auch Personen zugute kommt, die es niemals betreten werden. ,Manshon' produzieren ebenfalls externe Effekte; daß diese aber von ganz anderer Art sind als die eines ,machiya', läßt sich schon daran ablesen, daß ein Verweis auf die zahlreichen ,manshon' in der Umgebung fehlt. Abbildung 1: ,Manshon'-Werbefaltblatt und Detail
Quelle: Beilage der Tageszeitung Kyoto Shinbun
(1998)
138
Christoph Brumann
Wenn in einer Stadt irgendetwas gebaut und sodann genutzt wird - wie z.B. die Gebäude des Faltblatts oder auch die Straßen vor ihnen - dann erzeugt dies Externalitäten, d.h. Auswirkungen auf bereits existierende, von anderen Personen genutzte Bauwerke 3 oder genauer: Nutzen und Handlungsmöglichkeiten anderer Personen. Diese Externalitäten unterscheiden sich zum einen ihrer Richtung nach: sie können von privaten Räumen auf den öffentlichen Raum, vom öffentlichen Raum auf private Räume oder auch zwischen verschiedenen privaten Räumen auftreten. Zum anderen gibt es unterschiedliche Arten von Externalitäten, nämlich baubedingte, physische, nutzungsbedingte, visuelle und abrißbedingte. Dies bedarf der Erläuterung.
3.1. Richtungen der Externalitäten von Bauwerken Wie in allen Städten gibt es in Kyoto private und öffentliche Räume. Der Raum innerhalb von Gebäuden ist privater Raum, nicht nur, wenn es sich um Wohnungen oder Büros handelt, sondern auch bei Geschäften, Bibliotheken o.ä., die nur zu bestimmten, von ihren Eigentümern oder Mietern bestimmten Zwecken und zu bestimmten Zeiten der Allgemeinheit offenstehen. 4 Daneben gibt es den öffentlichen Raum in Form von Straßen, Plätzen, Parks und Brücken, die in Kyoto Eigentum der Stadt sind, sowie Flußufern, die von der Präfektur verwaltet werden. Da sie alle miteinander verbunden sind und auch in dieser Verbundenheit erlebt werden, ist es sinnvoll, sie als einen Raum zu betrachten. Jeder hat hier jederzeit freien Zugang, anders als etwa noch in der Tokugawa-Zeit (1603-1868), als die durch die einzelnen Stadtviertel fuhrenden Straßen nachts mit Toren verschlossen wurden. Der Reiz des ,machiya' für die Passanten der vorbeifuhrenden Straße ist eine Externalität von einem privaten auf den öffentlichen Raum. Umgekehrt können sich, etwa in Form von Straßenverkehrslärm, der in umliegende Häuser dringt, auch Externalitäten vom öffentlichen Raum auf angrenzende private Räume ergeben. Alle privaten Räume grenzen notwendigerweise an den öffentlichen Raum, ohne den - und sei es nur als Versorgungsweg - die Nutzung der privaten Räume nicht möglich wäre. Fast immer haben aber auch private Räume Auswirkungen aufeinander. Das abgebildete ,machiya' könnte z.B. nördlich an das ,manshon' angrenzen, womit das ,manshon' es vollständig vom Sonnenlicht abschneiden würde. Externalitäten zwischen privaten Räumen sind nicht unbedingt auf Tuchfühlung angewiesen: Stünde das ,machiya' z.B. direkt gegenüber dem ,manshon' auf der anderen Straßenseite, läge es trotz des dazwischenliegenden öffentlichen Raums am Morgen ebenfalls im Schatten. Natürlich treten die Externalitäten strenggenommen nicht zwischen Räumen, sondern zwischen den sie nutzenden Personen auf. Private Räume und öffentlicher Raum sind in dieser Hinsicht jeweils einheitlich, aber zueinander gegensätzlich: Jeder private Raum wird von einer begrenzten Zahl von dazu berechtigten Personen zu Zwecken wie Woh-
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,Bauwerk' wird hier wie in der deutschen Rechtssprechung im weitesten Sinne als eine „unbewegliche, durch Verwendung von Arbeit und Material in Verbindung mit dem Erdboden hergestellte Sache" verstanden; es sind also neben Gebäuden auch z.B. Straßen gemeint. Nicht alle privaten Räume sind notwendigerweise Individualeigentum: Die Flure in Mehrfamilienhäusern etwa gehören den Wohnungseigentümern zu gleichen Teilen, aber eben nicht der Allgemeinheit, weshalb sie trotzdem als privat zu betrachten sind.
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nen, Arbeiten o.ä. häufig intensiv genutzt, oft den größten Teil des Tages, während alle andere Personen dies nur gelegentlich, etwa bei Besuchen, tun. Der öffentliche Raum hat dagegen eine sehr große Zahl von Nutzern. Diese nutzen aber jeden einzelnen Teil des öffentlichen Raums, wie z.B. einen bestimmten Straßenzug, weniger intensiv als bestimmte private Räume. Oft gilt dies auch für den öffentlichen Raum als Ganzes, denn auch in Kyoto verbringen die meisten Menschen weniger Zeit auf der Straße als in ihrer Wohnung, ihrem Büro oder ihrer Werkstatt. Auswirkungen auf private Räume treffen also wenige Nutzer sehr intensiv, solche auf den öffentliche Raum dagegen viele Nutzer weit weniger intensiv, was gewichtige Folgen für die Vertretung der damit verbundenen Interessen hat. 3.2.
Arten der Externalitäten von Bauwerken
Die Externalitäten von Bauwerken unterscheiden sich nicht nur ihrer Richtung, sondern auch ihrer Art nach. Zunächst entstehen negative Externalitäten bei der Herstellung der Bauwerke, d.h. beim Bau von Straßen und Gebäuden. Die eigentliche Bautätigkeit und der für die Materialan- und -abfuhr nötige Autoverkehr erzeugen Lärm, Staub, Schmutz, Abgase und physische Hindernisse, und die Feuer- und Unfallgefahr steigt. Am geringsten sind diese Externalitäten beim Bau einer Straße, zumal fast alle Straßen im Kyotoer Stadtzentrum in ihrem jetzigen Verlauf schon seit Jahrhunderten existieren und nur gelegentlich ausgebessert werden müssen. Bei Gebäuden sind die negativen Externalitäten sehr viel größer, wobei wiederum ein großer Unterschied zwischen Stahlbetonbauten, wie z.B. ,manshon', und Holzkonstruktionen, wie ,machiya' oder modernen Fertighäusern, besteht. Der Bau der ersteren ist sowohl zeitlich als auch von seiner Intensität her ungleich gravierender in seinen Auswirkungen. Gleichzeitig sind die Nutzer dieser Gebäude, die aus lufi- und schalldichteren Materialien als die Erdwände und Schiebetüren der ,machiya' errichtet sind, besser vor solchen Nutzungseinschränkungen geschützt. Auch laufen sie gewöhnlich keine Gefahr, von einem benachbarten Neubau Modifikationen des eigenen Gebäudes aufgezwungen zu bekommen. ,Machiya'-Dächer hingegen ragen traditionell über das Dach des benachbarten ,machiya' hinaus, was beiden zugutekommt. Wird jedoch das überragte ,machiya' abgerissen und beim Neubau auf die strenge Einhaltung der Grundstücksgrenzen bestanden, ist nicht selten eine seitliche Kappung des Dachs erforderlich, was Nässe- und schließlich sogar statische Schäden nach sich ziehen kann. Sind die Bauwerke fertiggestellt, treten zweitens Externalitäten durch ihr pures physisches Vorhandensein als materielle Baukörper auf, die ich hier von den Folgen des Verhaltens der Nutzer und vom Aussehen (s.u.) unterscheiden möchte. Unter diesen sind wiederum wahrscheinlich die von der Existenz des öffentlichen Raumes auf die Nutzer privater Räume ausgehenden Auswirkungen am geringsten: Eine Straße läßt mehr Wind, Kälte, Sonnenlicht und Hitze an ein an sie grenzendes Gebäude als wenn an ihrer Stelle weitere Gebäude stünden, und Parks und Flußufer erhöhen z.B. ringsherum das Aufkommen an Mücken, während sie andererseits die Luft verbessern. Gewichtiger sind die von Gebäuden ausgehenden physischen Externalitäten. Für die Nutzer des öffentlichen Raumes nehmen sie sich vergleichsweise bescheiden aus, da sich jeder Nutzer meist nur für begrenzte Zeit im Einflußbereich bestimmter Gebäude aufhält und z.B. seinen Schritt beschleunigen kann, wenn der Schatten eines Hochhauses die wär-
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mende Wintersonne abschneidet. Für die Nutzer privater Räume sind sie dagegen weit gewichtiger. Als Kyoto noch so gut wie vollständig aus ,machiya' bestand, war die Feuergefahr die wichtigste Externalität von privat zu privat, bedingt dadurch, daß die traditionellen Stadthäuser gewöhnlich ohne Zwischenraum Seite an Seite standen. Wie tiefgreifend sich das auf die japanische Stadtentwicklung auswirkte {Brumann 2001c), wird gerne unterschätzt. Tuchfühlung zwischen Häusern traditioneller Machart hat aber auch positive Externalitäten, wie etwa den Schutz der irdenen Seitenwände vor der Witterung. Holzbauten mit verputzten Fassaden und moderne zwei- oder dreistöckige Fertighäuser gelten als weniger entzündlich, aber die letzteren haben im Gegensatz zum traditionellen Muster manchmal seitliche Fenster, die das Überspringen eines Brandes erleichtern. Auch sind sie oft mit größerem Seitenabstand gebaut, was die Brandausweitung verzögern mag, den Schutz einer angrenzenden ,machiya'-Wand vor Regen und Sonne aber nicht mehr garantiert. Bei Hochhäusern aus Stahlbeton sind die physischen Externalitäten ungleich größer. Die Lichtverhältnisse und die Sonneneinstrahlung angrenzender niedrigerer Häuser reduzieren sie oft drastisch, was die Heiz- und Beleuchtungskosten erhöht und oft gar nicht auszugleichen ist. Gärten werden ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Durch das Gewicht großer Gebäude verwirft sich auch auf den Nachbargrundstücken zudem häufig der Untergrund. Dadurch verzieht sich das von flachen Fundamenten oder nur von großen, in der Erde versenkten Steinblöcken gestützte Pfeiler- und Balkengefuge, was Schiebetüren und -fenster verklemmen und die Erdwände abplatzen lassen kann. Großflächige Wände werfen allen Regen zurück auf die Nachbarhäuser, die so zusätzlicher Drainage bedürfen. Und schließlich ändern sich auch die Luftströme; zumeist werden sie blockiert, was gerade in den schwülen Sommern nicht wünschenswert ist. Wie schon bei den baubedingten Externalitäten sind auch hier die Nutzer anderer Hochhäuser weit weniger beeinträchtigt als die kleiner und traditioneller Häuser, sowohl volumen- als auch materialbedingt. Ein dritter Typ von Externalitäten sind die sozialen, durch die Nutzung der Bauwerke entstehenden (d.h. diejenigen, die nicht aufträten, wenn ein Neubau zwar gebaut, aber nicht bezogen werden würde). Hier können im Gegensatz zu den bisher erwähnten Typen die Externalitäten vom öffentlichen Raum auf die Nutzer privater Räume erheblich sein, negativ in Form von Auto- und Passantenlärm und Abgasen, positiv als urbananregender Menschenstrom und natürlich als Zugangsweg für Eigentümer, Mieter, Besucher und Kunden. Die sozialen Externalitäten privater Räume auf die Nutzer des öffentlichen Raumes bestehen hauptsächlich darin, daß sich die Nutzung des öffentlichen Raums verändert, vor allem in der direkten Nachbarschaft, was dann seinerseits auf die Nutzer anderer angrenzender privater Räume einwirkt. Die Nutzung des öffentlichen Raums intensiviert sich z.B. sehr, wenn ein ,manshon' mit einer hohen zwei- oder gar dreistelligen Wohnungszahl gebaut wird, wo vorher nur ein Einfamilienhaus stand. Dann nehmen in der Umgebung Verkehrslärm, Abgase, Straßenleben, Geschäftsbesuche, zur Abfuhr auf die Straße gestellte Mülltüten u.ä. zu, was die Nachbarn mehr betrifft als einfache Passanten. Wiederum sind einzelne dieser Externalitäten positiv, andere nicht, und wieder andere dürften uneinheitlich bewertet werden.
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Außerdem gibt es auch direkte soziale Externalitäten zwischen den Nutzern privater Räume, die sich ohne die Vermittlung des öffentlichen Raums entfalten, z.B. durch Lärm, Sichtkontakt oder die Betriebsgeräusche von Außenklimaanlagen. Die meisten dieser Externalitäten werden negativ gesehen; der durch die dünnen ,machiya'-Wände bedingte Hörkontakt zu den Nachbarn wird z.B. gerne als typisch für das traditionelle Wohngefühl beschrieben, aber selten verklärt. Weitere soziale Externalitäten ergeben sich durch den nachbarschaftlichen Umgang, was je nach Charakter und Präferenzen der Beteiligten unterschiedliche Würdigung finden wird. In jedem Fall beeinflußt werden die traditionellen Nachbarschaftsvereinigungen der Anwohner, die z.B. beim Bau eines ,manshon' mit vielen neuen Haushalten irgendeinen Kurs zwischen Ausschließung und Integration beschließen müssen. Ob frische, oft noch junge Kräfte erstrebenswerter sind als die Konservierung vorhandener Sozialgefuge und Rangordnungen, ist dann die entscheidende Frage. Am gefürchtetsten sind unter den Anwohnern prospektiver ,manshon' meist die von bindungslosen Singles bewohnten ,Ein-Raummanshon' (,wan rümu manshon'), weil hier die geringste nachbarschaftliche Beteiligung und die größte Rücksichtslosigkeit im sozialen Umgang zu erwarten steht. Familien sind meist beliebter. Von diesen ist auch die größte Nachfrage nach öffentlichen Einrichtungen wie Schulen oder Bibliotheken zu erwarten, was im entvölkerten und überalterten Kyotoer Stadtkern zumeist begrüßt wird. Typischerweise streuen solche positiven Externalitäten allerdings breiter als die negativen wie etwa Lärmbelästigung, denn auch wenn ein ,manshon' hinter der nächsten Straßenecke statt direkt nebenan gebaut wird, gehen die einziehenden Kinder höchstwahrscheinlich in dieselbe Schule. Noch weiter verteilen sich die positiven Externalitäten durch Steuerzahlung: Nur die von Haus- und Wohnungseigentümern zu entrichtende Grund- und Stadtplanungssteuer und die Bürgersteuer der Bewohner und ansässigen Firmen gehen direkt an die Stadt Kyoto als unterste Regierungsebene, während alle anderen Steuern (etwa die auf die Umsätze und Gewinne von Bauunternehmen oder Einzelhandelsgeschäften) zunächst an den Staat fließen und von diesem nach eigenen Maßgaben an die Gemeinden verteilt werden. Vom Beitrag eines ,manshon' in den Kyotoer Randbezirken oder gar in der Nachbarstadt zum Steueraufkommen hat also ein Innenstadtbewohner kaum weniger Nutzen als von einem ,manshon' nebenan. Bei den Beschäftigungseffekten des Bauvorgangs ist die Streuung je nach Gebäudetyp unterschiedlich: Während ,manshon' und moderne Fertighäuser meist von Großkonzemen errichtet werden, die oft nicht einmal ein Büro in Kyoto haben, und lokale Baufirmen meist nur in den hinteren und wenig lukrativen Gliedern der oft ausgedehnten Subunternehmens-Ketten zum Zuge kommen, werden ,machiya' und ihnen ähnliche moderne Häuser gewöhnlich von lokalen Architekten und Handwerksbetrieben gebaut und renoviert. Wie auch bei den bereits besprochenen Externalitätstypen gilt auch bei den sozialen Externalitäten, daß die durch die Nutzung eines Hochhauses verursachten insgesamt größer sind als die eines ,machiya' oder anderen Einfamilienhauses. Der vierte und im folgenden am eingehendsten betrachtete Typ von Externalitäten sind die visuellen Externalitäten, d.h. die vom Aussehen der Bauwerke ausgehenden Ef-
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fekte.5 Visuelle Externalitäten des öffentlichen Raums auf private Räume sind gering, so lange es sich um eine Straße oder um einen Platz handelt, zumal Asphaltierung und das gängige Straßenmobiliar - Lampen, Schilder, Masten und die an ihnen aufgehängten Kabel und Transformatoren - fast immer einheitlich sind. Steinpflasterung statt gewöhnlichem Asphalt und die Erdverlegung der Kabel sind mögliche Varianten zur Verbesserung des Stadtbildes, die bislang allerdings nur selten zum Einsatz kommen. Sehr viel größer sind im Vergleich die visuellen Externalitäten von Gebäuden, sowohl für die Nutzer des öffentlichen Raumes als auch für die anderer privater Räume. Zum einen verdecken Baukörper den Blick auf sonst sichtbare Dinge hinter ihnen, wie z.B. Himmel, Berge oder andere Gebäude, zum anderen ist ihr Äußeres auf bestimmte, ästhetische Wahrnehmungen auslösende Weise gestaltet. Visuelle Externalitäten auf die Nutzer privater Räume, d.h. die Beeinträchtigung des sich von dort aus bietenden Blicks durch Türen und Fenster, waren traditionell nicht sehr erheblich: ,Machiya' standen gewöhnlich parallel und ohne Seitenfenster, und der Straßenausblick trat zurück hinter dem überragenden Interesse, sich mit Mauern und Holzgittern (,köshi') vor Einblicken von außen zu schützen. Auf der straßenfemen Schmalseite der rechteckigen Grundstücke hatten ,machiya' gewöhnlich Gärten und Mauern, die auf solche der benachbarten Häuser stießen und so wiederum nur eine geringe Sichtbarkeit erlaubten. Alle über das niedrige ,machiya'-Maß hinausgehenden und die Grundstücksfläche vollständiger ausfüllenden Gebäude sind jedoch für ihre Nachbarn sehr wohl sichtbar. Moderne Häuser - und damit interessanterweise auch ,manshon' selbst - setzen stärker auf unbehinderte Ausblicke und sind dementsprechend anfälliger für visuelle Beeinträchtigungen ihres Fenster-, Balkon-, Korridor- oder Dachgartenblicks. Sehr viel mehr als in anderen Ländern werden Balkone allerdings ohnehin oft nur zum Wäschetrocknen und FutonLüften genutzt, und allgemein treffen die visuellen Externalitäten nur einen kleinen Nutzerkreis privater Räume, der auch nicht fortwährend am Fenster steht und auf die Nachbarhäuser schaut.6 Die visuellen Externalitäten der privaten Räume auf die Nutzer des öffentlichen Raumes sind demgegenüber bedeutender. Wer immer durch die Straßen geht oder fährt, ist zwangsläufig von ihnen betroffen. Zwar ist, wie schon ausgeführt, die Nutzungsintensität des öffentlichen Raums gegenüber z.B. der eigenen Wohnung geringer. Auch ist die visuelle Wahrnehmung und Würdigung der Gebäude meist nur ein Begleitaspekt der eigentlichen Nutzung des öffentlichen Raums, wie z.B. durch Zurücklegen eines Wegs, das - etwa wenn man Auto fährt oder damit beschäftigt ist, in den engen Kyotoer Straßen den Autos auszuweichen - oft fast alle Aufmerksamkeit beansprucht. Vielfach werden diese Externalitäten daher wohl nur am Rande wahrgenommen, aber daß sie
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Visuelle Externalitäten sind nicht auf das ästhetische Erleben beschränkt: Der Anblick eines ,machiya' mag z.B. Neugier auf sein Inneres auslösen oder einen Lebensstil, eine Tradition oder die Vergangenheit im allgemeinen assoziieren und aus diesen Gründen geschätzt werden, nicht wegen seiner Schönheit. Auslöser bleibt allerdings auch in diesem Fall der Gesichtssinn.
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Blicke von oben auf das Stadtbild werden interessanterweise kaum thematisiert. Wenn Ausblicke aus Gebäuden gelobt oder beworben werden, dann sind es immer die in die umliegenden Hügel, die heutzutage meist nur noch von Hochhäusern aus möglich sind.
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auch so und vielleicht sogar unbewußt wirken, läßt sich keinesfalls ausschließen. Schon die kürzesten Routinewege fuhren in der Regel mindestens bis zum nächsten Geschäft, U-Bahnhof o.ä.; die Nutzer sind hier also einer sehr viel größeren Zahl von visuellen Gebäudeexternalitäten als z.B. innerhalb der eigenen Wohnung ausgesetzt, und die eigene Straße muß dabei keine herausgehobene Bedeutung haben. Wiederum sind hier die Externalitäten von Hochhäusern wegen ihrer großen Sichtbarkeit erheblicher. Auch in der ,manshon'-Beispielwerbung stehen die visuellen Externalitäten privater Gebäude auf die Nutzer öffentlichen Raumes im Vordergrund: Das ,machiya' ist in der Straßenperspektive abgebildet, nicht so, wie es aus dem ,manshon' heraus zu sehen wäre. Vorstellbar wäre, daß die Kyotoer das Aussehen von Gebäuden uneinheitlich bewerten: Manche Informanten vermuteten z.B., daß gerade jüngere Leute die moderne Architektur vorziehen. Wären die Geschmäcker tatsächlich verschieden, würde dies die soziale Dimension der visuellen Externalitäten sehr verkomplizieren und den Forderungen nach öffentlichen Maßnahmen womöglich die Grundlage entziehen. Eine von mir selbst durchgeführte Befragung, bei der ich 170 Kyotoer Informanten 90 Farbfotos von Kyotoer Gebäuden aller Art vorlegte und sie darum bat, deren Aussehen nach ihrem persönlichen Geschmack zu sortieren, erbrachte allerdings ein erstaunliches Maß an Übereinstimmung. Obwohl sich die Teilnehmer hinsichtlich Alter, Geschlecht, Herkunft und Beruf sehr unterschieden, zogen so gut wie alle die alten Gebäude und diejenigen im japanischen Stil (,wafu') gegenüber den modernen und westlichen (,yöfü') Gebäuden vor. Am besten schneiden die beide positiven Merkmale vereinenden .machiya' ab, während ,manshon' zusammen mit Parkhaus-Türmen, ,Pachinko'-Spielsalons und völlig vernachlässigten Gebäuden das Schlußlicht bilden, abgehängt auch von den .westlichen' Werken von Stararchitekten oder von Bürogebäuden. Was an Abweichungen von dieser geteilten Präferenzfolge existiert, bleibt individuell geprägt, ein klar umrissener Minderheitengeschmack dagegen fehlt. Dieses Ergebnis deckt sich mit anderen Beobachtungen: Einen erklärten ,machiya'Feind habe ich während meiner ganzen Feldforschung nicht einmal getroffen, höchstens Vorbehalte gegen bestimmte stilistisch fragwürdige Renovierungen oder Fälle von Vernachlässigung. Ebensowenig ist mir ein wirklich engagierter Versuch begegnet, einem .manshon' positive visuelle Externalitäten zu attestieren. Selbst die ,manshon'-Firmen und ihre Vertreter spielen in Werbebroschüren oder den vorgeschriebenen Informationstreffen mit den Nachbarn das Aussehen höchstens herunter, indem sie auf bereits vorhandene Hochbauten oder fehlende ,machiya' in der direkten Umgebung verweisen und sich ansonsten mit Kostendruck, Bevölkerungseffekten o.ä. rechtfertigen. Und wenn in der Werbung moderne Bauten urbanes Flair signalisieren sollen, handelt es sich wie beim halbtransparenten Hintergrund des obigen Faltblatts um die Fassaden von Bürogebäuden. Einen Bezug auf andere ,manshon' fand ich dagegen nur ein einziges Mal dort wurde allerdings herausgestrichen, daß aufgrund strenger Bauvorschriften in der Umgebung keine weiteren ,manshon' gebaut werden können! Natürlich variiert das Ausmaß der Begeisterung über .machiya' und der Entrüstung über ,manshon' individuell trotzdem sehr stark. Zudem hörte ich immer wieder, gerade auch von Stadtbild- und ,machiya'-Aktivisten, daß die Mischung vieler unterschiedlicher Baustile Kyotos Reiz ausmache, während die Verengung auf nur wenige Elemente
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- wie etwa in mancher historischen Provinzstadt - langweilig sei. Die je nach Umgebung ganz unterschiedliche Wirkung eines Gebäudes wurde ebenfalls wiederholt betont; einige Informanten sahen sich aus diesem Grund sogar außerstande, die Fotos zu sortieren. Im größten Teil von Kyotos Zentrum herrscht aber bereits ein unkoordiniertes Stilgemisch, so daß schwer zu sagen ist, wie eine angemessene Anpassung an das Umfeld auszusehen hätte. Hier zunächst einmal Einzelgebäude zu optimieren, ist sicherlich sinnvoll und die am ehesten geforderte und auch tatsächlich angewendete Maßnahme. Denn unabhängig von der Umgebung dürfte fast jeder Kyotoer, der sie überhaupt registriert, die visuellen Externalitäten eines ,machiya' als positiv und die eines ,manshon' als negativ einschätzen. Der Niedergang des Stadtbilds ist also nicht von Geschmacksfragen abhängig. Schließlich gibt es eine fünfte, oft vergessene Art von Externalitäten, nämlich diejenigen, die sich beim Abriß eines Gebäudes ergeben. Sie entsprechen denjenigen während des Bauvorgangs, auch hinsichtlich ihres Ausmaßes, denn auch der Abriß eines Stahlbetongebäudes ist sehr viel aufwendiger und emissionsintensiver als der eines .machiya', das in ein oder zwei Tagen spurlos verschwinden kann. Zudem fallen die Externalitäten bei Stahlbetonbauten früher an: Die erste Generation von .manshon' ist bereits jetzt, d.h. nach etwa dreißig Jahren, abrißreif, und dafür, daß die gegenwärtig gebauten haltbarer sind, gibt es keine Anzeichen. Auch Fertighäuser werden nur für eine Generation errichtet. Hingegen halten ,machiya', obwohl aus vermeintlich vergänglicheren Materialien errichtet, bei guter Pflege 150 Jahre und länger. Tabelle 1 faßt die besprochenen Externalitäten zusammen; die wichtigsten sind dick umrandet. Die besondere soziale Stellung der visuellen Externalitäten ist klar zu erkennen: Nur hier sind die Effekte von den privaten Räumen auf den öffentlichen Raum, d.h. letztendlich die Konsequenzen des Handelns weniger intensiver (Eigentümer und Mieter) auf viele eher gelegentliche Nutzer (Passanten), gegenüber den vom öffentlichen Raum auf private Räume gerichteten Externalitäten und denen zwischen privaten Räumen klar die gewichtigsten.
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Tabelle 1: Arten und Richtungen der von Bauwerken ausgehenden Externalitäten Art/Richtung
öffentlich —• privat privat —* öffentlich privat —* privat
baubedingt
Staub, Lärm, Bauverkehr, Unfälle Wind, Kälte, Hitze, Sonnenlicht
Staub, Lärm, Bauverkehr, Unfälle Sonne verdeckt, Erdabsenkungen
Staub, Lärm, Bauverkehr, Unfälle Feuer, Seitenschutz; Sonne verdeckt, Erdabsenkungen, Regenrückprall
nutzungsbedingt
Verkehrslärm, Abgase; Zugang für Besucher/Kunden, Lebendigkeit
mehr/weniger Nutzer für anliegenden Teil des öffentlichen Raums
Lärm, Einblick, Klimaanlagen; neue Nachbarn, Mitglieder für Nachbarschaftsvereinigung
visuell
Kabelgewirr; Straßenbelag
Verdeckung, Fassadendesign
Verdeckung, Fassadendesign
physisch
abrißbedingt Staub, Lärm, Staub, Lärm, Staub, Lärm, Bauverkehr, Bauverkehr, Unfälle Bauverkehr, Unfälle Unfälle
3.3.
Das Stadtbild als ,commons'
Der öffentliche Raum ist wie schon gesagt jedermann zugänglich. Damit sind auf ihn wirkende Externalitäten von Bauwerken Kollektivgüter (oder auch kollektive Übel): Jeder Nutzer des öffentlichen Raums ist von ihnen betroffen, und niemand kann ausgeschlossen werden, ganz unabhängig vom eigenen Beitrag. Bestimmte Nutzungsformen des öffentlichen Raums beruhen fast vollständig auf Gebäudeexternalitäten, etwa der Genuß des Stadtbildes beim Spazierengehen. Andere Nutzungsformen des öffentlichen Raums, wie etwa Autoverkehr, können diesen Genuß zwar beeinträchtigen, doch z.B. an einem Sonntagmorgen tun sie dies nur am Rande. Ein Kollektivgut besteht auch insofern, als visuelle Externalitäten von Gebäuden nicht nur unabhängig wirken, sondern auch in Interdependenz, d.h. durch ihren Beitrag zum Stadtbild einer bestimmten Stelle, eines Straßenzugs, eines Viertels oder ganz Kyotos. Dieser Aspekt ist im öffentlichen Raum stärker zu spüren als aus einem privaten Raum heraus, da gewöhnlich eine größere Zahl von Gebäuden auf einmal zu sehen ist: Erst von der Straße aus ergeben sich komplexere Interaktionen, erst dort hat ein Begriff wie Stadtbild (,keikan') wirklich Sinn. Der Summierungsmodus im Sinne Hirshleifers (1983), d.h. die Art und Weise, wie sich die Einzelbeiträge zum Kollektivgut verbinden, kann sich dabei unterscheiden: Das Aussehen einer intakten ,machiya'Häuserreihe ist schon durch einen Ausfall nachhaltig zu schädigen, selbst wenn das abweichende Gebäude andernorts gar nicht weiter auffallen würde (also ein ,weakest link'-Modus). Umgekehrt kann ein ungeordnetes Stadtbild mit vielen häßlichen Häusern schon durch einzelne herausragende Fassaden stark verbessert werden (also ein ,best shot'-Modus im Sinne Hirshleifers). Die letztere Logik liegt einem neuen, anders als seine Vorläufer nur auf die Fassaden bezogenen städtischen Förderprogramm zu-
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gründe: Als ,Gebäude mit historischem Design' (,rekishiteki ishö kenzöbutsu') wurden, wie mir einer der Zuständigen erläuterte, bevorzugt durch ihre Gestaltung oder ihre Lage (z.B. an einer Straßenecke) hervorstechende Häuser ausgewählt, denn diesen wird der größte positive Effekt auf das Stadtbild zugetraut. Interaktionseffekte bestehen nicht nur im Beitrag des Einzelgebäudes zu seiner direkten physischen Umgebung, sondern auch in der Wahrnehmung eines bestimmten Gebäudetyps, wie eben z.B. der ,machiya' oder der ,yökan\ Das ,manshon'-Werbebeispiel macht sich dies zunutze, wenn es im Text allgemein von ,machiya' spricht und ihr positives Image voraussetzen kann. Zur Wahrnehmung eines solchen Typs ist das Vorhandensein einer kritischen Masse von Einzelhäusern erforderlich, deren Effekte sich allerdings nicht unbedingt linear summieren (die Reduzierung der ,machiya' um die Hälfte würde wahrscheinlich weder die Existenz noch die positiven Konnotationen des Begriffs gefährden). Dies alles spricht dafür, das ,commons' Stadtbild als eine selbständige Ebene zu sehen, als ein ungleichmäßig im Raum verteiltes und in größeren oder kleineren, nicht notwendigerweise räumlich zusammenhängenden Ausschnitten wahrnehmbares und wirksames Gut, das auf komplexe Weise aus den visuellen Externalitäten der einzelnen Gebäude entsteht. Dies verkompliziert natürlich die Bewertung der einzelnen Externalität, eben wenn z.B. eine Baufirma den geringen Reiz ihres geplanten Hochhauses nicht grundsätzlich leugnet, aber mit dem Verweis auf benachbarte Bausünden relativiert. Es gibt zwei verschiedene Arten von Kollektivgütern, womit sich die Frage stellt, um welche es sich beim Stadtbild handelt. Zum einen könnte es ein öffentliches Gut (,public good') sein. Dafür spricht, daß der Genuß des Stadtbildes nicht ,rival' ist: Ganz gleich wie oft das Kyotoer Stadtbild angeschaut und abgebildet wird, es wird dadurch nicht weniger; höchstens könnte es bei einer übermäßig großen Zahl von das Stadtbild genießenden Spaziergängern zu gegenseitigen Beeinträchtigungen (dem sogenannten ,crowding') kommen. Trotzdem ist bei der Bereitstellung der das kollektive Gut konstituierenden Bauwerke der private Nutzen aus dem Verkauf der ,manshon'-Wohnungen desto größer, je höher das Haus gebaut und je kostengünstiger (d.h. gewöhnlich unaufwendiger und unattraktiver) seine Fassade gestaltet ist. Negative visuelle Externalitäten mehren also das private Gut, während sie das kollektive Gut reduzieren. Gleichzeitig fördert der verbleibende Vorrat des kollektiven Guts das private Gut, denn die Käufer der ,manshon'-Wohnungen können das Stadtbild, da mitten in ihm lebend, einfacher und öfter genießen. Dies spricht dafür, im Stadtbild ein .commons' und nicht ein öffentliches Gut zu sehen. Es ist allerdings weniger das ,klassische commons' der Weiden, Fischgründe und Wasserreservoirs (Ostrom 1990), wo die private Aneignung von Einheiten des kollektiven Gutes den allen Nutzern zur Verfügung stehenden Vorrat an eben diesem Gut reduziert. Vielmehr werden hier private Güter (z.B. Wohnungen) produziert, die negative Externalitäten auf das Kollektivgut entwickeln, aber selbst nicht zu ihm gehören. Insofern ist das Stadtbild den sogenannten ,sinks' vergleichbar, d.h. etwa Ozeanen oder der Atmosphäre, die durch die Externalitäten der Produktion privater Güter, wie z.B. Koh-
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lendioxid, F C K W oder Tenside, in Mitleidenschaft gezogen werden. 7 Es handelt sich also in Roses Worten um ein „putting-in issue", nicht u m ein „taking-out issue" (Rose 2002, S. 245-6): Der Bau eines ,manshon' ist nicht eindeutig ein .Konsum' des Stadtbildes, nicht einmal dann, wenn ihm ,machiya' weichen müssen, kann aber sehr wohl als eine ,Verschmutzung' des Stadtbildes gesehen werden. Und ebenfalls in Analogie z.B. zur Atmosphäre, die sich mit Aufforstungen u.ä. verbessern läßt, kann ein attraktiv gestalteter Neubau das Stadtbild auch bereichern. Ungeachtet der genauen Art ergibt sich das den ,commons' und öffentlichen Gütern gemeinsame Problem des Trittbrettfahrens: Die Nutzung des Stadtbildes etwa zu Werbezwecken wird auch demjenigen nicht verwehrt, der es selbst beeinträchtigt. Die Bewohner eines negative Extemalitäten ausstrahlenden Gebäudes sind selbst mitbetroffen, denn die eigene Straße nutzen schließlich auch sie. Aber ,manshon'-Bewohner blicken seltener auf ihr Haus als manche Nachbarn und werden vom Fernblick aus den oberen Stockwerken für den Stadtbildschaden entschädigt. Auch sind viele von ihnen von außerhalb zugezogen und messen daher das Stadtbild nur am jetzigen und nicht am vormaligen Zustand. Das allgemeine Krisengefühl bezüglich des Stadtbildes zeigt, daß Kyotos Bürger hier tatsächlich eine „tragedy of the commons" (Hardin 1968) erleben. Dabei herrschen eigentlich förderliche Voraussetzungen: Die von Rose (2002, S. 239, 246) hervorgehobene leichte Beobachtbarkeit ist beim Bauverhalten im Gegensatz zu sonstigen „putting-in issues" (wie etwa schädlichen Emissionen) gegeben, und es herrschen - in Umsetzung von Hardins (1968) klassischem Lösungsvorschlag - klare private Eigentumsrechte. Im Unterschied zu anderen ,commons' liegt allerdings beim Stadtbild ein guter Teil des Problems nicht nur in den hohen Transaktionskosten jeglicher Lösung, sondern im verbreiteten Widerstreben dagegen, die visuellen Extemalitäten und deren .commons'Charakter überhaupt erst anzuerkennen. Dies wird die folgende nähere Betrachtung des Umgangs mit dem Stadtbild verdeutlichen.
4.
Der Umgang mit dem ,commons'
4.1. Öffentliche Maßnahmen Versagt - wie häufig im Umgang mit ,commons' - der Markt, so ist der Ruf nach staatlichen Maßnahmen nicht weit; auch Hardin sah sie als eine Lösung für seinen Beispielfall der vollständig offenen Allmende. Und tatsächlich können demokratisch legitimierte Regierungsinstitutionen in Japan Maßnahmen ergreifen, die die Extemalitäten von Gebäuden auf private wie auch auf öffentliche Räume beschränken. Dies geschieht 7
Wie schon gesagt ist das Stadtbild ein unerkanntes .commons'. Visuelle Gebäudeextemalitäten können zwar durchaus Lehrbuchbeispiele sein (Bade und Parkin 2003, S. 209), doch von einer eher rudimentären Betrachtung der Straße als .commons' (Rosin 1998) abgesehen ist in der an der Indiana University beheimateten, immerhin 37.000 Nachweise umfassenden .Digital Library of the Commons' (http://www.indiana.edu/~iascp/cprbibs.html) in punkto Stadtbild nichts zu finden. Auch das Buch eines Kyotoer Stadtbeamten (Hiratake 2002), das die .commons' immerhin im Titel fuhrt, befaßt sich zuvorderst mit dem Gemeineigentum an Land und Gebäuden, nicht mit Gebäudeexternalitäten und dem Stadtbild.
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einerseits durch staatliche Gesetze, andererseits durch die auf sie aufbauenden Verordnungen (jörei') der Stadt Kyoto. Auch ist die Stadt der rechtmäßige Eigentümer des öffentlichen Raums und insofern zu seinem Schutz berechtigt. Das nationale Stadtplanungs- und Baurecht kennt durchaus eine relative, d.h. an die jeweiligen besonderen Bedingungen angepaßte Form der Kontrolle von Gebäudeexternalitäten: In ausgewiesenen Wohnbezirken muß beim Neubau das Recht der Nachbarn auf Sonnenlicht (,nisshöken') beachtet werden. Im Bauantrag ist daher der Nachweis zu führen, daß der Blockadeeffekt zum winterlichen Tiefststand der Sonne eine gewisse Stundenzahl nicht überschreitet. Auch für die Externalitäten von privaten Räumen auf die Nutzer des öffentlichen Raums gibt es eine relative Vorschrift: Eine vom gegenüberliegenden Straßenrand aus in einem festgelegten Winkel schräg nach oben verlaufende Linie darf von einem Gebäude nicht überragt werden (siehe Abbildung 2). Ansonsten werden Externalitäten aber nur durch absolute, d.h. von der Umgebung unabhängige Regelungen kontrolliert. Jede städtische Fläche ist als eine bestimmte von einer größeren Zahl von staatlich festgelegten Flächennutzungszonen ausgewiesen, für die bestimmte Höchstmaße der ,kenpeiritsu', d.h. des bebaubaren Grundstücksanteils, und der ,yösekiritsu', d.h. des Verhältnisses von gesamter Geschoßfläche zur Grundstücksgröße, gelten (beide Maße werden gewöhnlich in Prozent ausgedrückt). Für manche Zonen kommen absolute Höhengrenzen hinzu.8 Abbildung 2: Höhenbegrenzung durch Straßen-Schräglinie (,döro shasen')
Quelle: Autor
Kyoto hat mit seinem besonderen historischen Status verknüpfte, darüber hinausgehende Regelungen, etwa absolute Höhengrenzen bei Zonentypen, die andernorts keine haben, und Sondervorschriften für die Zonen am Fuß der umliegenden Hügel, in denen die meisten der berühmten Tempel und Schreine liegen (Kyöto-shi toshi keikakukyoku toshi keikan-ka 2004). Die letzteren Gebiete sind in den neunziger Jahren, u.a. wegen vorangegangener Auseinandersetzungen um ,manshon'-Bauten und Golfplätze,
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Für einen Überblick siehe Hohn 2000, S. 111 -72.
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noch einmal ausgeweitet worden, was Konflikte zwar nicht völlig beseitigt, aber doch sehr reduziert hat. Der größte Teil von Kyotos Innenstadt ist aber seit den entwicklungsfreudigen siebziger Jahren trotz überwiegender Wohnnutzung als Geschäftsbezirk (,shögyö chiku') ausgewiesen. Bis zu einer Höhe von 31 Metern (10 bis 11 Stockwerke) und einer ,yösekiritsu' von 400 Prozent ist damit alles erlaubt, auch wenn es sich gar nicht um ein Bürogebäude handelt, und beiderseits der in knapp einem Kilometer Abstand parallel bzw. rechtwinklig zueinander verlaufenden Hauptstraßen erhöhen sich die Grenzen auf 45 Meter und 700 Prozent. Gestaltungsvorschriften gibt es nicht, und das ,Recht auf Sonnenlicht' muß in einem Geschäftsbezirk nicht beachtet werden. Setzt man außerdem die Front des Gebäudes vom Straßenrand zurück, so verschiebt sich auch der gedachte Ausgangspunkt für die Schräglinienbegrenzung auf der anderen Straßenseite, und zwar um den gleichen Abstand. Bei entsprechender Grundstückstiefe ist dann so gut wie jede Bauhöhe bis zur absoluten Grenze möglich, zumal die Schräglinienbegrenzung nur zur Straße hin gilt. Auch wenn das Nachbarhaus nur ein oder zwei Meter entfernt steht, sich fremden Baikonen in Griffweite der eigenen Fenster gegenübersieht und durch den Neubau ständig auf elektrisches Licht angewiesen ist, ändert sich daran nichts (siehe Abbildung 3). Abbildung 3: ,Machiya' neben ,manshon' im Kyotoer Stadtzentrum
Anmerkung: Blickrichtung Südwesten Quelle: Autor
Obwohl auch in ihren eigenen Expertenkommissionen die Forderung nach strengeren lokalen Bauvorschriften laut wurde, hat die Stadt diese in den letzten zwanzig Jahren immer wieder vermieden. Weder sind bis 2003 irgendwelche Grenzen verschärft noch finanzielle Anreize für diejenigen geschaffen worden, die positiv zum Stadtbild beitragen. Im Gegenteil wurden eher noch weitere Lockerungen vorgenommen, wie etwa durch die für den Bau des Kyoto Hotels erfolgte städtische Einführung des nationalen ,sögö sekkei seido' (etwa .umfassendes Entwurfssystem'), das noch größere Höhen und Volumina erlaubt, wenn ein Teil des Grundstücks öffentlich zugänglich gemacht wird. Dieses Bonussystem wird auch von ,manshon' in Anspruch genommen, wobei der Freiraum oft genauso wenig einladend gestaltet ist wie beim Kyoto Hotel. Eine alternative Begrenzungsmöglichkeit wäre der Handel mit Rechten, der
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momentan ja bei ,sinks' allgemein en vogue ist, also eine Art visuelles Emissionsrecht für den öffentlichen Stadtraum. Tatsächlich wird dies etwa in amerikanischen Stadtzentren praktiziert, wo ,air rights', d.h. theoretisch verfügbarer, aber nicht ausgenutzter Höhenspielraum, auf benachbarte (New York) oder auch auf entferntere Grundstücke (Chicago) übertragen bzw. an deren Eigentümer veräußert werden kann. In einer neuen Expertenkommission zum Kyotoer Stadtbildproblem ist eine ähnliche Marktlösung 2001 auch tatsächlich diskutiert worden, fand aber keine Aufnahme in die Empfehlung und die sie umsetzende städtische Verordnung. Stattdessen hat sich die Stadtverwaltung auf den Bürgerdialog verlegt und versucht, beim ,machizukuri' (wörtlich ,Stadt-Machen'), d.h. der idealerweise selbstbestimmten Stadtgestaltung durch die Einwohner, eine Berater-, Moderatoren- und Animateursrolle einzunehmen. Dies geschieht einerseits durch die größere Öffnung der Expertenkommissionen (,shingikai'), in die jetzt meist auch gewöhnliche Bürger berufen werden, und andererseits durch den 1997 gegründeten, formal unabhängigen ,Kyoto Workshop' 9 , der eine große Zahl von Workshops, Vorträgen, Veranstaltungen und Beratungsmöglichkeiten anbietet und mit interessierten Einzelpersonen, Nachbarschaftsvereinigungen und Bürgerinitiativen zusammenarbeitet. Dieses Zentrum für Stadtgestaltung ist für den ,machiya'-Boom sicherlich hilfreich und insofern nicht nur bloßes Appeasement, doch im Hinblick auf das ,manshon'-Problem ist keine Wirkung zu erkennen. Hier hat die Stadt bislang nur eine Verordnung verabschiedet, der zufolge sie in Streitfällen Mediation anbietet; verweigert allerdings einer der beiden Streitgegner - gewöhnlich die ,manshon'-Firma - die Teilnahme, findet sie nicht statt. Zur ersten Verschärfung der lokalen Bauregeln seit den siebziger Jahren kam es erst 2003, und dies nur aufgrund einer gesetzlichen Stärkung der Gemeinden und nachdem die ständige Stadtplanungskommission und lokale Wirtschaftsführer sie nach besonders umstrittenen ,manshon'-Neubauten in ungewöhnlicher Deutlichkeit angemahnt hatte. In den Seitenstraßen des zentralen Tanoji-Bereichs, in dem sich sowohl ,manshon' als auch ,machiya' konzentrieren, sind nun beim ,manshon'-Bau bestimmte Gestaltungsvorschriften zu beachten. Auch müssen alle Stockwerke ab dem fünften so weit zurückgesetzt werden, daß sie von der Straße direkt vor dem Gebäude nicht sichtbar sind, und auch zu den Nachbarn hin sind Abschrägungen erforderlich (Kyöto-shi toshi keikakukyoku 2003). Doch hatte sich die ,manshon'-Welle schon zuvor aus den Seitenstraßen in die Zone entlang der Hauptstraßen zurückgezogen, wo unverändert großzügige Grenzen gelten. Hier treten denn auch weiterhin die alten Konflikte auf (Kyoto Shinbun NEWS 2003a), und nur die trotz fallender Verkaufspreise immer weiter sinkende Nachfrage nach ,manshon'-Wohnungen scheint in der Lage, ihre Produzenten zu bremsen. Kritische Stadtbildaktivisten und ,manshon'-Geschädigte vermuten hinter der Tatenlosigkeit der Stadt gerne ein Prinzipal-Agenten-Problem: Zwar hat die Stadt eigentlich das Wohl des Prinzipals, d.h. des Bürgers, zu vertreten, doch die Agenten - die gewählten Mandatsträger wie Bürgermeister und Stadträte sowie die ihre Entscheidungen umsetzenden Stadtbeamten - verfolgen ihre eigenen Interessen und die ihrer wichtigsten 9
Wie bei der Verwendung ethnologischer Feldforschungsdaten üblich, benutze ich für direkte Informanten und ihre Organisationen Pseudonyme.
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Unterstützer, bemühen sich also im Fall des Bürgermeisters und der ihn stützenden großen Koalition aller Parteien (mit Ausnahme der Kommunisten) um das Wohlwollen der Bau- und Immobilienindustrie, das ihnen Wahlkampfspenden sichert. Beamte sind ebenfalls an ihrer eigenen Karriere interessiert, der mit reibungsloser Umsetzung der politischen Vorgaben am besten gedient ist, und spekulieren auf ,amakudari', d.h. auf gutbezahlte Altersbeschäftigungen in einschlägigen Wirtschaftsunternehmen, wenn sie nicht sogar offen korrupt sind. Das .eiserne Dreieck' von Parteipolitik, Verwaltungsspitzen und Baukonzernen ist für Japan bereits ausführlich beschrieben worden (Kerr 2001; McCormack 1996, S. 2577; Woodall 1996), und daß es in Kyoto keine Rolle spielen würde, ist schon allein aufgrund der anerkannt geringen Bemühungen von Stadt- und Präfekturverwaltung in Sachen Informationstransparenz (jöhö kökai') kaum zu vermuten. Der tiefere Zugang zu dieser Materie blieb mir - wie auch den meisten meiner Informanten - verwehrt. Idealistische und über allen Verdacht erhabene Stadtbeamte habe ich aber zur Genüge getroffen, und es ist zu einfach, die Misere auf dunkle Mächte im Hintergrund zu schieben und die förderlichen Strukturen zu mißachten. Zu den letzteren gehört die geringe Planungsautonomie japanischer Stadtverwaltungen, die in mehrfacher Hinsicht am Gängelband der Zentralregierung hängen. Trotz aller Demokratisierung hat die Zentralisierung politischer Macht in Japan in der Nachkriegszeit eher zu- als abgenommen (Sorensen 2002, S. 154, 168, 341, 351). Dies gilt speziell für die Stadtplanung, wo fast alle wesentlichen Entscheidungen durch das nationale Bauministerium abgesegnet werden müssen und der Rückgriff auf staatliche Fördermittel und aus Tokyo entsandte Verbindungsbeamte üblich ist (Sorensen 2002, S. 182, 215, 299). Was allerdings in Tokyo vorgegeben wird, orientiert sich auch im besten Fall höchstens am nationalen Durchschnitt, und tatsächlich sind es häufig die Bedürfhisse der Kyoto so unähnlichen Hauptstadt, die die Entwicklung des Bau- und Planungsrechts bestimmen (Hohn 2000, S. 91, 131, 525). Und wenn es - wie 1994 geschehen - der Zentralregierung gefällt, die Bauindustrie als der Produktionsverlagerung ins Ausland unverdächtige Branche zu fördern und ihr deshalb kurzerhand die Herausrechnung der gemeinschaftlich genutzten Gebäudeteile (wie z.B. Flure) aus der ,yösekiritsu' zu gestatten, kann die Stadt Kyoto wenig gegen diesen Bonus für Großbauten ausrichten. Im Gegensatz zu früheren Tagen, als Stadt und Präfektur von Kommunisten und Sozialisten - d.h. der nationalen Opposition - regiert wurden, wird jedoch gegenwärtig nicht einmal der vorhandene Spielraum ausgenutzt. Dies hat einen weiteren strukturellen Grund: Gemeindeverwaltungen in Japan haben wenig Möglichkeiten, sich eine unabhängige Finanzbasis zu sichern, denn die Zentralregierung schränkt ihre Steuerautonomie sehr stark ein, setzt ihrer Kreditaufnahme enge Grenzen und knüpft die Zuweisung von nationalen Steuermitteln oft an genaue Verwendungsauflagen {Sorensen 2002, S. 215, 299; Ishi 2001, S. 349-82). Um so erstrebenswerter sind für die Gemeinden die selbst erhobenen Steuermittel, die 2002 im Fall der Stadt Kyoto 36,2 Prozent der Gesamteinnahmen ausmachten (Kyöto-shi 2003a, Kap. 14, Abschnitt 2). Unter diesen bildeten der auf Immobilien erhobene Anteil der Vermögenssteuer (,kotei shisan-zei') und die Stadtplanungssteuer (,toshi keikaku-zei') mit 16,8 Prozent der Gesamteinnahmen den wichtigsten Posten (Kyöto-shi 2003a, Kap. 14, Ab-
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schnitt 5). Dieser gilt zudem als verläßlicher als der andere Hauptposten, die auf Privateinkommen und Unternehmensgewinne erhobene und daher konjunkturabhängige Bürgersteuer (,shimin-zei'). Grund- und Stadtplanungssteuer werden aber mithilfe der offiziell festgelegten Boden- und Gebäudewerte bestimmt, so daß die von einer schweren Finanzkrise gebeutelte Stadt Kyoto (Kyoto Shinbun NEWS 2003b, 2004; Kyöto-shi 2002, 2003b) nichts nötiger hat als teuren Boden und neue Gebäude. Hingegen sind Höhenbegrenzungen, die das Baupotential einschränken und darüber auf die Bodenpreise drücken, sowie der Fortbestand von Vorkriegsbauten, deren Besteuerungswert nahe Null liegt, Gift für die Stadtkasse. Auf lange Sicht mögen Hochbauten über die Attraktivität der Stadt auch die Bodenpreise schädigen. Ob striktere Bauregeln dies aber verhindern können, bleibt ungewiß, solange es nicht ausprobiert wird, und der bereits zum wiederholten Mal verkündete Ausnahmezustand der städtischen Finanzen verlangt unmittelbar jetzt nach Einnahmen. 4.2.
Bürger und Bauherrn unter sich
Die Stadt hat also Grund zur Zurückhaltung, und das Verhandeln von Externalitäten bleibt damit weitgehend den Bürgern überlassen. Dies ist unproblematisch, wenn die Externalitäten positiv bewertet werden: Gegen die Erhaltung eines ,machiya' hat gewöhnlich niemand etwas, und viele Anwohner und Passanten erfreuen sich an seinem Anblick. Auch den Eigentümern und Mietern selbst kommt dies zugute, wenn sie in dem Haus ein Geschäft oder ein Cafe betreiben und die Fassade dabei hilft, Kunden und Gäste anzuziehen. Interessanterweise ist hierbei die positive Externalität eine zwingende Voraussetzung: Ein ,machiya' gilt auch dann als ein solches, wenn nur noch die Fassade erhalten, im Inneren aber vom alten Haus nichts mehr zu spüren ist, während die durchaus vorhandenen innen zwar originalen, außen aber mit modernen Scheinfassaden maskierten Häuser in den einschlägigen Zeitschriften-Features und Karten für ,machiya'-Spaziergänge fehlen. Die positive Externalität eines ,machiya' ist allerdings nicht auf die Kunden beschränkt, denn es genießen in jedem Fall auch Passanten den Fassadenanblick, die den Laden nicht betreten. Eigentümer von ,machiya'-Wohnungen haben zudem überhaupt keine eigenen Vorteile von den externen Effekten einer schönen Fassade. Die negativen Externalitäten, wie sie etwa von einem ,manshon' ausgehen, sind allerdings sehr viel problematischer. Die Verkaufspreise auch nur einzelner Stockwerke eines ,manshon' sind so hoch, daß eine Marktlösung - ein von den Nachbarn per Kompensation erwirkter Verzicht des Bauherrn - nicht realistisch ist. Sie entspräche auch nicht dem Rechtsempfinden der meisten Bürger, die - erst recht dann, wenn ihre Familie schon seit Generationen am Ort wohnt - einen moralisches Anspruch auf den Erhalt ihres Wohnumfeldes erheben und schon allein daher nicht zu zahlen bereit wären. Sie haben dabei auch durchaus Druckmittel in der Hand: Offene Proteste mit an den Nachbarhäusern angebrachten Bannern und Schrifttafeln, die die Verletzung solcher moralischen Rechte anprangern, und in letzter Zeit immer öfter auch Internet-Seiten sind durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt und behindern den Vertrieb von ,manshon'-Wohnungen. Denn prospektive Käufer besichtigen nicht nur die meist andernorts aufgebauten Musterwohnungen, sondern auch den Bauplatz und seine Umgebung, und daß die Proteste sie zum Überdenken ihres Kaufinteresses bringen, wurde
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mir wiederholt berichtet. Daher entscheiden die ,manshon'-Firmen meist in nüchterner Abwägung, ob es kostengünstiger ist, die Geschäftsschädigung in Kauf zu nehmen oder sie mit Zahlungen, Drohungen, bösen Gerüchten über die Anfuhrer des Protests oder gar dem Einsatz von mafiosen Schlägern zu unterbinden. Dies ist ein häßliches, auf die Spaltung der nachbarschaftlichen Solidarität zielendes Geschäft, das meist darauf spezialisierten, oft halbseidenen Subunternehmern überlassen wird. Die Kriegskasse für solche Zwecke ist fest eingeplant, beträgt allerdings nicht mehr als etwa fünf Prozent der Gesamtkosten, die natürlich auch gerne eingespart werden. Wie solche Auseinandersetzungen ausgehen und wieviele offene Konflikte sie bringen, hängt sehr stark von den institutionellen Voraussetzungen ab, wie die folgenden Fallbeispiele zeigen. Die ersten drei betreffen die Gegend um die Miyako döri, eine relativ ruhige Seitenstraße in der zentralen Tanoji-Gegend, die im Gegensatz zu ihren Parallelstraßen weiterhin einen hohen Anteil von oft alteingesessener Wohnbevölkerung hat und noch frei von ,manshon' ist (siehe Abbildung 4). 1994 verkündete eine Immobilientochter des lokalen Gasanbieters ihre Absicht, auf dem mit „A" bezeichneten Grundstück ein ,manshon' unter voller Ausnutzung der Baugrenzen (31 Meter Höhe und 400 Prozent ,yösekiritsu') zu errichten. Damit wäre den zwei- und dreistöckigen Häusern auf der Miyako döri nördlich davon das Sonnenlicht abgeschnitten worden. Die erbosten Anwohner beschränkten sich dabei nicht nur auf Protestbanner, sondern veranstalteten auch Mahnwachen vor der Zentrale der Gasfirma in Osaka oder beklebten die Strommasten rings um die Wohnungen der Firmenchefs mit Plakaten. Auch die Gasrechnungen wurden nicht mehr bezahlt. Medienberichte folgten, und schließlich erfuhren die Anwohner ein Jahr später aus der Zeitung, daß das ,manshon' nicht gebaut werden würde. Sie sind realistisch genug, dies nicht nur auf ihren Widerstand zurückzufuhren, denn auch die Wohnungspreise fielen damals rasant. Abbildung 4: Gebiet um die Miyako döri
Anmerkungen: gestrichelte Linien: ,chönai'-Grenzen, durchgehende Linien: Grenzen der jichi rengökai' bzw. der alten Grundschulbezirke Quelle: Autor
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Die protestierenden Anwohner zerstreuten sich nicht gleich wieder, sondern gründeten eine ,machizukuri'-Initiative, in der sie das Bewußtsein für ihr Wohnumfeld zu stärken suchten. Die selbst herausgegebene Zeitschrift wurde auch der Gasfirma zugeschickt, um ihr zu signalisieren, daß die Tür des Dialogs nicht geschlossen sei. Diese Strategie trug schließlich Früchte: Über das erwähnte ,machizukuri'-Zentrum der Stadt Kyoto wandte sich die Firma an die Initiative, und 1999 begannen trilaterale Gespräche, um eine einvernehmliche Lösung für den leerstehenden Bauplatz zu finden. Nach zwei Jahren Beratungen und noch einmal zwei Jahren Bauzeit steht dort nun zwar ein ,manshon', aber kleiner als ursprünglich geplant und mit Schrägen zur Straße und den nördlichen Nachbarhäusern hin. Dies wurde möglich, da die Wohnungen und Büros im Gebäude vermietet werden, was dem Bauherrn den sonst herrschenden Druck nahm, den veranschlagten Profit in sehr kurzer Zeit zu erwirtschaften. Der ungewöhnliche Planungsprozeß und das nicht weniger ausgefallene Design machten Furore, und der erste Stadtplanungspreis wurde den Beteiligten bereits verliehen. Mitten in den Planungsprozeß hinein fiel jedoch 2000 die Hiobsbotschaft, daß die alten, zum Teil berühmten Häuser auf dem mit „B" markierten Grund abgerissen werden sollten. Einer ,manshon'-Firma war es hier gelungen, aufgrund von Firmenpleiten mehrere zusammenhängende Grundstücke zu erwerben. Den besorgten Nachbarn versprach die Firma bzw. ihr Subunternehmer zunächst einen kooperativen Planungsprozeß genau wie auf der anderen Straßenseite, doch begannen stattdessen einige Monate später die Bauarbeiten an einem ,manshon', das nach seiner Vollendung 2002 den gesamten Block durchschneidet und unter voller Ausnutzung der Baugrenzen die nördlich angrenzenden ,machiya' verschattet. Die Planung oblag einem prominenten Architekten und lokalen Universitätsprofessor, der sein Werk als Verarbeitung von Kyotoer Bautraditionen versteht - einer der ganz seltenen Fälle, in denen das Äußere eines ,manshon' von seinen Erbauern überhaupt einmal thematisiert wird. Proteste und Änderungsvorschläge fanden kein Gehör; der Bau entstand wie geplant. Nicht anders war es bei einem dritten ,manshon', dessen Planung auf dem Gelände eines langjährigen Parkplatzes 2001 ruchbar wurde („C" in der Abbildung). Da es an einer der breitesten Straßen der Innenstadt liegt, waren hier sogar 45 Meter Höhe und 15 Stockwerke auf einer Breite von 86 Meter möglich, womit eines der größten Wohnhäuser der Stadt entstanden ist. Die Straße war gerade erst mit staatlichen Subventionen zur Flaniermeile umgestaltet worden, was die ,manshon'-Firma aber nicht daran hinderte, für die Straßenfront offene Parkplätze im Erdgeschoß und offene Korridore darüber vorzusehen. Die Einbringung einiger Geschäfte blieb das einzige wesentliche Zugeständnis, so daß der 2003 fertiggestellte Bau auf breite Kritik stieß.
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Abbildung 5: Gebiet des ,manshon' D
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Anmerkungen: gestrichelte Linien: ,chönai'-Grenzen, durchgehende Linien: Grenzen der jichi rengökai' bzw. der alten Grundschulbezirke Quelle: Autor
Ein vierter Fall trug sich in einer nur einige Hundert Meter entfernten Nachbarschaft zu, in der ich 1999 den gesamten Zyklus des GionFestes (,Gion matsuri') beobachtet und dementsprechend gute Informanten hatte (siehe Abbildung 5). Hier hatte sich lange eine höchstens mittelhohe, größtenteils aus ,machiya' bestehende Bebauung gehalten. Der Bankrott der einzigen größeren Firma führte 2001 aber zur Zwangsversteigerung ihres Grundstücks, das von einem ,manshon'-Unternehmen erworben wurde. Bald wendete dieses sich mit Plänen für einen 13-stöckigen Bau von 41 Metern Höhe („D" in der Abbildung) an die Nachbarschaft. Denn trotz überwiegender Wohnnutzung liegt der Straßenzug im Nahbereich einer Hauptstraße, so daß bis zu 45 Metern erlaubt sind.
Insgesamt freundlich verlaufende Verhandlungen der Nachbarn mit dem Bauherrn führten zur Reduzierung um ein Stockwerk, doch ansonsten wurden hauptsächlich dem Nachbarschaftsleben dienliche, teils schon lange gehegte Wünsche durchgesetzt. Die Nachbarschaft erhielt u.a. einen Lagerraum für die Gion-Festutensilien und die Erlaubnis, Versammlungsräume und während der Festwoche den Eingangsbereich zur traditionellen Ausstellung der Festutensilien zu nutzen. Im Gegenzug wurde auf offenen Protest verzichtet. Angesichts der aussichtslosen Rechtslage sind die Nachbarn davon überzeugt, das Mögliche auch erreicht zu haben, und wollen die künftigen Bewohner in die Gestaltung des Gion-Festes einbinden und so dessen Zukunft sichern. Die größten Erfolge für die Anwohner wurden also in den Fällen A und D errungen, während sich bei B und C die ,manshon'-Firmen ohne größere Abstriche durchsetzten. Interessanterweise entspricht dies den jeweiligen durch die traditionellen Grenzen der nachbarschaftlichen Selbstverwaltung bestimmten institutionellen Voraussetzungen. Schon seit etwa 1400 (Özuka 1994, S. 39; Wakita 1999, S.174 f.) organisieren sich die Kyotoer Bürger in den sogenannten ,ryögawa-chö' (zweiseitigen Blocks): Die Häuser auf den beiden Seiten einer Straße von einer Kreuzung bis zur nächsten bilden ein ,chö' bzw. umgangssprachlich eine ,(o-)chönai'. Bis zur Meiji-Zeit hatten diese Einheiten weitgehende Selbstverwaltungsrechte, und auch heute noch organisieren sie - wie überall in Japan - als häufig unterschätztes Stück Zivilgesellschaft gemeinschaftliche Dienstleistungen, die Weitergabe städtischer Informationen, Ausflüge und andere Freizeitaktivitäten. Die nächsthöhere Ebene der Selbstorganisation waren in der Vergangenheit die ,chögumi' (,chö-Verbände'), heute sind es die jichi rengö-kai' (etwa: Selbst-
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Verwaltungs-Föderationen), die sich an den alten, heute aufgrund von Fusionen eigentlich obsoleten Grundschulbezirken orientieren. Betrachtet man die Karten (Abbildung 4 und 5), ist unmittelbar ersichtlich, was die ,manshon' A und D von B und C unterscheidet: ,Manshon' A betraf die nördlich angrenzende ,chönai', die sich gleich über drei Kreuzungen hinweg fortsetzt und damit ungewöhnlich mitgliederreich ist. Hier Widerstand zu organisieren, war kein Problem, und bis heute gibt diese .chönai' in der ,machizukuri'-Initiative den Ton an, obwohl noch vier andere beteiligt sind. ,Manshon' D und der nördlich angrenzende Bereich liegen innerhalb einer einzigen, ebenfalls bewohnerreichen ,chönai', die durch ihren aufwendigen jährlichen Beitrag zum ,Gion matsuri' ungewöhnlich gut organisiert ist. Daher war es möglich, die amtierenden Festfunktionäre einfach zu Verhandlungsfuhrern zu ernennen und so die Transaktionskosten gering zu halten. Dagegen überschneidet ,manshon' C zwei ,chönai', deren Bewohner sich vor der Affare kaum kannten; ohnehin haben beide nur wenige Bewohner. ,Manshon' B schließlich reicht nicht nur in zwei unterschiedliche ,chönai', sondern auch in zwei unterschiedliche Grundschulbezirke hinein. Somit konnten die Anwohner hier nicht auf durch jichi rengö-kai' und Schule begründete Bekanntschaften zurückgreifen. Anfangs war dem noch zu begegnen, später jedoch entfernte ein Haus nach dem anderen die Protestschilder, was Spekulationen über die heimliche Annahme von Schweigegeldern nährte. In einer gewachsenen ,chönai' wie in den Fällen A oder D wäre dies kaum möglich gewesen. Wo die Betroffenen von Extemalitäten also mit den etablierten Einheiten der Selbstorganisation zusammenfallen, können die Nachbarschaftsvereinigungen die Transaktionskosten verringern und so dabei helfen, die externen Effekte zu begrenzen oder Kompensationen zu erwirken. Wo aber keine Kongruenz besteht, stehen sie dem Widerstand im Gegenteil eher im Wege, da der auch dann geradezu reflexhaft erfolgende Rückgriff auf die Nachbarschafitsvereinigungen dafür sorgt, daß es innerhalb des Kreises der Betroffenen von vorneherein soziale Grenzen gibt. Zweifellos hinderlich ist auch die Tatsache, daß der Bau größerer ,manshon' sich gewöhnlich nur dann lohnt, wenn die Wohnungen nicht vermietet, sondern verkauft werden, oft schon vor der Fertigstellung. Die Beziehung des Bauherrn zu seinem Produkt bleibt also äußerst flüchtig, und den angestauten Unwillen bekommen eher die Käufer der Wohnungen zu spüren. Diese für das empfundene Unrecht verantwortlich zu machen, sei aber ebenfalls ungerecht, hörte ich wiederholt von ,manshon'-Widerständlern, so daß die Extemalitäten auf die Nachbarschaft letztendlich ohne wirklichen Verantwortlichen bleiben.
4.3. Privatgüter vs. Extemalitäten Ein wichtiger Grund für die beschriebene Zurückhaltung öffentlicher Institutionen wie auch der Bürger ist der große Respekt vor dem Eigentumsrecht an Immobilien, der immer wieder das Privatgut und die Rechte seiner Nutzer über die Extemalitäten und die von ihnen betroffenen Nutzer stellt. Wohneigentum anzustreben ist mittlerweile nicht mehr wie vor dem Krieg das Privileg einer kleinen Schicht, sondern eine Selbstverständlichkeit, die trotz der Knappheit an Land in höherem Maße verwirklicht ist als in anderen Industrieländern vergleichbarer Bevölkerungsdichten. Auch in Kyoto lebten 2002 in 49,3 Prozent der Wohnungen die Eigentümer (Kyöto-shi 2003a, Kap. 7, Ab-
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schnitt 12). Unternehmenskredite werden ebenfalls bevorzugt gegen Land und nicht gegen Ideen vergeben, was die Boden-,bubble' sehr beförderte. Dazu kommt die rezente Entwicklung des Wohnungsmarkts: Durch den Verfall der Grundstückspreise, erbitterte Konkurrenz in der Bauindustrie und die erwähnten staatlichen Deregulierungsmaßnahmen kostet manch eine ,manshon'-Wohnung heute nur noch ein Drittel des ,bubble'Niveaus. Der Drang nach Eigentum macht nicht einmal dort Halt, wo er Gefahr läuft, gegen die eigenen Interessen zu verstoßen: Der Wert der oft mangelhaft gebauten ,manshon'Wohnungen, bei denen auch schon einmal nach einem Jahrzehnt die Wasserleitungen brechen, sinkt schon in den ersten Jahren so rapide, daß er unter den noch abzuzahlenden Rest des Bankkredits fallen kann. Irgendwann wird er nahe Null liegen, und wie dann die zwei-, teilweise sogar dreistelligen Zahlen von Haushalten des immer maroder werdenden Baus dazu gebracht werden sollen, die Kosten für seine Sanierung aufzubringen, steht in den Stemen; die Rückstellungen decken oft nur die laufenden Reparaturen. In Vorstadt-,manshon' der ersten Generation wird das Problem durch Aufstokkung gelöst: Der Verkauf zusätzlicher Geschosse finanziert dort den schon nach etwa dreißig Jahren fälligen Neubau. In Kyotos Zentrum erschöpfen die ,manshon' allerdings die vorhandenen Baugrenzen bereits jetzt, so daß Kritiker furchten, daß sich dort in Zukunft von ihren Eigentümern aufgegebene ,ghost manshon' ausbreiten werden. Ein guter Teil der Käufer sucht allerdings ohnehin nur eine Durchgangsstation auf dem Weg zum Einfamilienhaus in der Vorstadt oder ist als Single oder als älteres Paar mehr an urbanem Flair und kurzen Wegen als an Wertbeständigkeit und Vererbbarkeit interessiert. In diesen Fällen kommen sich Bauherrn und Käufer in einer Kultur des WegwerfWohnungsbaus entgegen, der mit einem Schlag die Grundlage entzogen wäre, wenn statt Eigentum Mietwohnungen nachgefragt und z.B. wie in anderen Ländern von öffentlichen Trägem gebaut werden würden. Dem Eigentumsstreben entsprechend bestehen große Hemmungen, das so begehrte Gut einzuschränken. Die Freiheit des Grundeigentümers erreicht in der vermeintlichen Kollektivgesellschaft Japan ein Ausmaß, das andere Industriegesellschaften mühelos übertrifft. Denkmalschutz kann z.B. - ganz im Gegensatz zu Deutschland - nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Eigentümers verhängt werden. Die Rechtslage deckt sich mit dem herrschenden Rechtsempfinden, so daß selbst unter Stadtbildaktivisten die Verteidigung des Privateigentums verbreitet ist. Eine der engagiertesten Gegnerinnen der Pont des Arts-Kopie überraschte mich z.B. damit, daß sie für die Investoren des neuen Bahnhofskomplexes und des Kyoto Hotels eintrat. Diese hatten in ihren Augen ein Recht auf eine angemessene Rendite, selbst wenn sie nur mit Hochbauten zu verwirklichen war. Stattdessen verurteilte sie die buddhistischen Tempel und ihre Jahre später immer noch nicht aufgehobene Besuchssperre für die Hotelgäste. Die Pont des ArtsKopie war insofern ein ideales Widerstandsobjekt: Da sie auf öffentlichem Grund gestanden hätte, wären tatsächlich einmal keine privaten Interessen berührt gewesen. Einen weiteren Beleg liefert eines der berühmtesten ,machiya' der Stadt, das 1996 von seinen Eigentümern an eine ,manshon'-Firma verkauft und dann abgerissen wurde. Ein Teil der ,machiya'-Aktivisten versuchte, mit einem internationalen Unterschriftenappell die Stadt Kyoto zur Erhaltung des Hauses zu bewegen. Andere Aktivisten vertei-
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digten aber das Recht der Eigentümer, mit ihrem Vermögen nach Gutdünken umzugehen. Und auch die Stadt lehnte einen Kauf mit dem Argument ab, daß sonst anderen Hauseigentümern ähnliche Privilegien nicht verwehrt werden könnten. Proteste gegen Abrisse historischer Architektur sind ohnehin eher selten. Vielmehr sind sich alle Initiativen zur Erhaltung historischer Architektur darin einig, daß es eher darum geht, die Eigentümer mittels Aufklärungs-, Beratungs- und Unterstützungsangeboten zur freiwilligen Erhaltung zu bewegen, als ihren rechtlichen Freiraum zu beschneiden. Der Respekt vor dem Privateigentum setzt sich selbst dort durch, wo eigentlich klare Regeln herrschen. Verstöße gegen die Bauvorschriften in Schutzzonen gelten als Kavaliersdelikt und kommen meist nur dann zur Anzeige, wenn sich Nachbarn beschweren, was schon allein aufgrund eigener Unregelmäßigkeiten selten ist. Und auch dann können Bausünder auf milde Richter hoffen, die für den Versuch, der mühsam erworbenen eigenen Scholle das Maximum an Lebensraum abzugewinnen, Verständnis haben und fast immer nur Geldstrafen, nicht aber den Abriß illegaler Gebäudeteile verfugen. 10 Erst die gerade erfolgende Einfuhrung von verpflichtenden Zwischeninspektionen könnte hier Abhilfe schaffen. Für diesen Stand der Dinge sind sicherlich auch besondere historische Umstände auszumachen. Wiederholt scheiterten Versuche, den Verpflichtungsaspekt von Grundeigentum rechtlich stärker zu verankern, zuletzt in der Nachkriegsverfassung, die statt der zunächst diskutierten sozialen Verpflichtung des Privateigentums letztlich von seiner Unverletzlichkeit spricht (Sorensen 2002, S. 156). Wie schon zuvor war dies ein Zugeständnis an eine landbesitzende Elite, deren Privilegiendenken sich seither mit der Zunahme des Wohneigentums auch in vormals ausgeschlossenen Bevölkerungsschichten verbreitet hat. Allerdings sind auch die Knappheit an bebaubarem Land und die so bedingte Höhe der Bodenpreise ein nicht zu unterschätzender Faktor, der auch in anderen Ländern den Druck auf rechtlichen Schutz des Eigentums an solchen Pretiosen erhöhen würde.
4.4. Die Privatisierung des öffentlichen Raums Selbst bei eindeutig öffentlichem Raum ist nicht selten der Hang zu beobachten, diesen gewissermaßen zu privatisieren. So provozierte zwar die geplante Pont-des-ArtsKopie breite Meinungsäußerungen, und die Gegner hatten mit einem landesweiten Aufruf an Kulturschaffende und der Mobilisierung internationaler Unterstützer keine Bedenken, den Streit zu einer längst nicht nur die Kyotoer betreffenden Angelegenheit zu machen. Eine Protest-Aktivistin und ein Journalist einer kommunistischen Wochenzeitschrift erzählten mir aber unabhängig voneinander, daß alle Bekannten, die sie um ihre Meinung gefragt hatten, vor deren Preisgabe erst einmal betonen zu müssen meinten, daß sie selbst nicht in der Nähe der Brücke wohnten. Selbst bei diesem auf öffentlichem Grund geplanten Bauwerk wurden also die Nachbarn - als die Eigentümer der dem Bauplatz am nächsten liegenden Privaträume - gewissermaßen zu Ersatzeigentümem
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Parallelen zur Einführung der Umweltnorm ISO 14001 in Japan und ihrer teilweise fragwürdigen Umsetzung - in einer Situation, wo ebenfalls nur wenige Akteure ein überragendes Interesse an der Einhaltung der Regeln haben - drängen sich auf (siehe Beitrag Storz).
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gemacht, deren Meinung besonderes Gewicht hat. Daran änderte es nichts, daß täglich eine mindestens fünfstellige Zahl von Menschen den geplanten Standort passiert und damit von Veränderungen ebenfalls betroffen ist. Ähnliches geschah auch nach dem Rückzug des Plans durch den Bürgermeister. Dieser betraf nur die Idee der Kopie, nicht aber die schon lange per Stadtplanungsentscheid besiegelte Fußgängerbrücke als solche. Nach erfolgter Wiederwahl setzte der Bürgermeister daher 2001 in bewährter Manier eine Expertenkommission ein, die das weitere Vorgehen beraten sollte (siehe http://www.city.kyoto.jp/kensetu/gairo/gairoken/hashi/). Sicherlich ungeplant geriet dieses Gremium, von dem eigentlich die Befürwortung einer Brücke erwartet worden sein dürfte, in eine Dynamik immer stärkerer Bürgerbeteiligung. Dabei spielten sich jedoch die Vertretungsorganisationen der Anwohner zusehends in den Vordergrund. Diese waren gespalten, mit Befürwortern östlich und Gegnern westlich des Flusses, und das resultierende Patt kam sowohl der an Geldmangel leidenden und auf weiteren Streit nicht versessenen Stadtverwaltung als auch der mit einem ihrer Anführer in der Kommission vertretenen Protestbewegung entgegen. Daß aber der Abschlußbericht eine Empfehlung verweigerte und statt dessen vorschlug, die Ergebnisse des direkten Dialogs der Anwohner abzuwarten, verwandelte einen Ort, über den sich kurz zuvor noch die ganze Stadt gestritten hatte, wieder in ein Stück lokales Territorium. Von stadtweiten Referenden wie noch in der Pont-des-Arts-Phase redete nun niemand mehr. Auch in den ,manshon'-Protesten werden mit großer Selbstverständlichkeit immer wieder die direkten Anwohner und die ihnen entstehenden Nachteile in den Vordergrund gerückt. Die einzige Anti-,manshon'-Bürgerinitiative etwa beschränkt sich auf Beratungs- und Netzwerkdienste für gegen ein ,manshon' engagierte Nachbarn; daß es sich aber jeweils um deren Proteste handelt, die nur gewissermaßen von außen unterstützt werden, steht außer Frage. Und auch die ,machizukuri'-Initiative auf der Miyako döri nahm am Widerstand gegen die .manshon' B und C nur im Hintergrund teil. So sehr ihre Anführer tatsächlich die Strategie bestimmten, mußten es doch Bewohner der direkt betroffenen ,chönai' sein, die die , manshon'-Gegner offiziell vertraten. Ein wirklich öffentliches Stück Stadtraum in Kyoto scheint einfach nicht denkbar zu sein.
4.5. Einschränkungen des Privateigentums Anders liegt der Fall dort, wo tatsächlich kein Privateigentum mehr vorliegt. Eines der vom Stadtbild her meistgepriesenen Viertel Kyotos liegt südlich der Shijö döri auf beiden Seiten der Hanamiköji-Straße. Die meisten der schindelgedeckten Häuser haben nur zwei Stockwerke, keines hat mehr als drei, und die Fassaden bestehen aus traditionellen Erdwänden (,tsuchikabe') und ,köshi'-Gittem. Das Viertel ist Teil des berühmten Geisha-Bezirks Gion, der noch vor wenigen Jahrzehnten überall so aussah. Nördlich der Shijö döri haben sich aber inzwischen moderne Bauten ausgebreitet, und die GeishaHäuser sind fast vollständig einer gewöhnlichen Amüsiermeile gewichen. Der Grund dafür beruht auf einer Besonderheit des japanischen Bodenrechts. Das Gebiet südlich der Shijö döri ist fast vollständig Pachtland (.shakuchi'). 1872 zog die Präfekturverwaltung einen etwas mehr als vier Hektar großen Teil des Geländes des nahegelegenen Kenninji-Tempels ein und übertrug ihn an eine Art Stiftung zur sozialen
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Absicherung der Geisha. Es entstanden eine Probe- und Auffiihrungshalle sowie eine private Schule und eine Klinik; anfangs gab es auch noch Tee- und Maulbeerplantagen. Dieses Arrangement existiert bis heute, mittlerweile mit der Schule als offiziellem Eigentümer, aber weiterhin mit der Wohlfahrt der Geisha als erklärtem Zweck. Die auf dem Boden gebauten Häuser - zu einem guten Teil früher oder sogar noch heute ,chaya' (Geisha-Häuser) - sind Privateigentum, denn in Japan ist die Trennung des Eigentums an Grund und Gebäuden möglich {Bennett 2001). Hauseigentum bedeutet unter diesen Umständen allerdings keine freie Verfügung: Sowohl der Verkauf des Pachtrechts als auch alle Bauvorgänge bedürfen der Zustimmung des Grundeigentümers. Auf diesem Wege haben die Schule und ihre Beauftragten bis heute durchsetzen können, daß die innen oft komplett modernisierten Häuser ein traditionelles Aussehen bewahren. 1999 ist das Viertel von der Stadtverwaltung unter Schutz gestellt worden, so daß die Vorschriften nun auch öffentlich legitimiert sind. Dies ändert jedoch nichts daran, daß das Stadtbild dank der besonderen institutionellen Voraussetzungen auch ohne obrigkeitliche Einwirkung bewahrt werden konnte (Hiratake 2002, S. 98-150). Hingegen sind die Grundstücke im übrigen Gion gewöhnliches Privateigentum, und entsprechend wird hier nach individuellem Gutdünken und ohne Rücksicht auf Externalitäten gebaut und abgerissen. Theoretisch ließe sich dieses Modell übertragen: Auf die Bewahrung ihres Wohnumfeldes erpichte Nachbarn könnten ihre privaten Grundstücke zu gemeinsamem Eigentum machen und dann Änderungen nur noch im Konsensfall zulassen. Ein Beispiel dafür ist mir nicht bekannt. Allerdings gibt es auch ein weniger radikales Mittel der Kontrolle auf Gegenseitigkeit, nämlich die im japanischen Baurecht vorgesehenen Bauabkommen (,kenchiku kyötei'). Die Eigentümer aneinandergrenzender Grundstücke können sich demnach für Zeiträume von fünf oder zehn Jahren auf die Einhaltung strengerer Bauregeln als der von der Stadtplanung vorgesehenen verpflichten; die beliebig häufige Verlängerung ist möglich. In niedrig bebauten Wohngebieten der Kyotoer Vorstadt sind solche rechtsverbindlichen Regelungen nicht selten. Im Zentrum gibt es sie allerdings kaum, und fast nie gehen sie über den Bereich einer ,chönai' hinaus, obwohl dagegen keine Hindemisse bestehen. Kaum noch überraschen wird, daß alle Bauabkommen in der Innenstadt als Reaktion auf ,manshon'-Pläne geschlossen wurden, um die Bereitschaft der Anwohner zu demonstrieren, sich den erhobenen Forderungen auch selbst zu unterwerfen; keines kam unprovoziert zustande. Erst 2002 schlössen fast 100 Grundstückseigentümer in 12 ,chönai' rund um die Miyako döri auf Drängen der ,machizukuri'-Initiative das mit einer Fläche von zwei Hektar bislang bei weitem größte Bauabkommen im Stadtzentrum. Neubauten dürfen nun nicht mehr als fünf bzw. teilweise sechs Stockwerke haben, und eine Reihe von Nutzungen wie Kleinsupermärkte, Nachtclubs oder Karaoke-Lokale sind verboten. Ein ,manshon'-Bau stand hier tatsächlich nirgendwo an. Ohne das von den Konflikten um die (außerhalb des Geltungsbereichs liegenden) ,manshon' B und C verstärkte Krisengefühl und die jahrelangen Aktivitäten der .machizukuri'-Initiative wäre das Bemühen um ein Bauabkommen aber selbst hier fruchtlos geblieben, denn noch wenige Jahre zuvor, beim Kampf gegen ,manshon' A, war es an widerstrebenden Eigentümern gescheitert.
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Der Weg zu einem Bauabkommen hat mitunter überraschende Kosten. In einer ,chönai' unweit ,manshon' D wurde ebenfalls ein ,manshon'-Plan ruchbar, und als eine der - letztlich den Bau auch verhindernden - Gegenmaßnahmen wurde ein Bauabkommen geschlossen, zwar auf die Nachbarschaft beschränkt, aber mit einer trotzdem beträchtlichen Zahl von Beteiligten und in sehr kurzer Zeit. Eine Führungskraft einer ,machiya'-Erhaltungsinitiative, die selbst ein besonders prächtiges traditionelles Haus bewohnt, trat dem Abkommen ebenfalls bei. Doch im Rückblick bedauerte sie mir gegenüber, daß man sich jemals damit befaßt hatte. Denn einerseits hatte das Abkommen die Nachbarschaft gespalten, da einige Eigentümer den Beitritt verweigerten, und andererseits war durch die notwendigen Grundbucherkundigungen herausgekommen, wer unter den vermeintlichen Eigentümern sein Haus oder Grundstück bereits verpfändet hatte oder es tatsächlich nur mietete bzw. pachtete. Der durch diese peinlichen Enthüllungen angerichtete menschliche Schaden wurde, wie sie fand, durch den Nutzen nicht aufgewogen. Selbst eine Stütze des zivilgesellschaftlichen Engagements gab hier also dem Schutz des privaten Raums den Vorrang.
5.
Das Dilemma
Kyoto und sein Stadtbild stecken nicht zuvorderst im Würgegriff böswilliger Kräfte, sondern in einem handfesten Dilemma. Dies zeigt deutlich ein Vergleich mit der Situation in der Tokugawa-Zeit. Unter dem repressiven Regime des Shogunats standen die Handwerker und Kaufleute auf den untersten Stufen der sozialen Hierarchie, und die herrschenden Samurai setzten ihren politischen Möglichkeiten, aber auch ihrem Lebensstil enge Grenzen. Schon damals waren die Grundstücke in den Städten jedoch keine Feudallehen mehr, sondern privates Eigentum, und obwohl auffällige Höhen und luxuriöse Frontseiten gegen die Aufwandsvorschriften verstießen, gab es immer noch genügend Spielraum für die Hausgestaltung. Tatsächlich nahm aber ab Mitte des 17. Jahrhunderts gegenüber den teilweise sehr individualistischen Fassaden, die auf älteren ,byöbu-e' (Stellschirmbildem) dokumentiert sind, die Vielfalt ab (Salastie 1999, S. 52), und das typische traditionelle' Stadtbild der einheitlichen ,machiya'-Reihen mit verbundenen oder sich knapp überragenden Dächern entstand. Dies fußt auf der zentralen Bedeutung, die in dieser Zeit die ,chö' bzw. ,chönai' im städtischen Leben gewannen. Denn solange sie sich wohlverhielten und die zu entrichtenden Steuern gemeinsam zahlten, genossen die Nachbarschaften beträchtliche Autonomie. Sie hatten ihre eigenen Tore, die abends vom Bediensteten (,bannin') verschlossen wurden, und ein gemeinsames Versammlungshaus (,chökaisho\ ,chöie' oder ,chöseki'). Die Verfolgung kleinerer Vergehen und die Regelung interner Streitigkeiten war ihnen selbst überlassen, und auch die Eigentümer suchten sie sich selbst aus, denn zum Verkauf eines Grundstücks oder Hauses waren die Zustimmung der ganzen Nachbarschaft sowie Bürgen in derselben erforderlich (Itö, Munehiro 1994, S. 171; Wakita 1999, S. 185). Der Käufer mußte auch einen Einstiegsbeitrag zur ,chö'-Kasse leisten, der in der Tanoji-Gegend nicht weniger als einem Zehntel des Hauspreises entsprach. Außerdem konnten die ,chö' Rechtsgeschäfte tätigen. Sie waren also kleine Republiken für sich, allerdings mit einer Zweiklassengesellschaft, in der die Eigentümer den Ton
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angaben und der inferiore Status der bloßen Mieter und der mitwohnenden Bediensteten und Angestellten festgeschrieben war. Die Eigentümer gaben in vielen ,chö' dem Umgang miteinander detaillierte schriftliche Regeln (,chöshikimoku' oder ,chösadame'), deren Großteil den Hausbau betraf. Dies war hauptsächlich durch die Brandgefahr motiviert, denn im Gegensatz zu Edo (das heutige Tokyo), wo dies nie funktionierte, blieb die Feuerwehr in Kyoto immer nachbarschaftlich organisiert. So finden sich etwa Vorschriften darüber, wie viele Nachbarhäuser eines brennenden Hauses - unter der Bedingung des kollektiven Wiederaufbaus - abgerissen werden durften, um die Brandausweitung zu stoppen (Itö, Takeshi 1993, S. 311, 314). Wenn allerdings verboten wurde, Speicher direkt an die Straße zu bauen, ging es eher darum, die Fassaden zu vereinheitlichen und ostentative Reichtumsdemonstrationen zu verhindern. Man kann sich unschwer vorstellen, daß die überlieferten Regeln nur die Spitze eines Eisberges von beträchtlicher informeller sozialer Kontrolle waren, die das Abweichen von den gängigen Baumustern und unkontrollierte Externalitäten wirksam verhinderte. Deutlich funktionierte hier also die Selbstregulierung nicht zuletzt auch deshalb, weil die Regierung sich darauf stützte und mit den Nachbarschaften nur als Kollektiv verkehrte. Die Einhaltung des nachbarschaftlichen Friedens gründete außerdem auf anderen Kontinuitätserwartungen als heute. Zum einen bestand die Hoffnung, über Generationen am selben Ort wohnen zu bleiben. Umgezogen wurde nicht ohne gewichtigen Grund, da die Kaufmanns- und Handwerksbetriebe meist ererbt waren und auf einen etablierten Kundenstamm aufbauten. Die Aussicht, lange Zeit mit seinen Nachbarn zu verbringen, war also größer als heute, was die Bereitschaft zur Rücksichtnahme steigerte. Zum anderen war Baumaterial im holzarmen Kyotoer Raum wesentlich teurer als Arbeit, so daß es sich lohnte, dauerhaft zu bauen und die Häuser instandzuhalten, zumal sie dank einheitlicher Grundmaße mühelos zu verkaufen und sogar zu verpflanzen waren. Die Pflege erfolgte gewöhnlich durch einen festen Chefzimmermann (,töryö'), der zu regelmäßigen Inspektionen ins Haus kam und bei Bedarf spezialisierte Handwerker hinzuzog. Da die meisten Kyotoer zur Miete wohnten, war überdies der Kreis der Hauseigentümer elitär, was geschmackliche Ausreißer verhinderte. Viele dieser Bedingungen wirkten noch bis in die Vorkriegszeit nach, als die offizielle Kontrolle schon längst von den ,chö' auf die Stadtverwaltung übergegangen war. Mit Ausnahme der Brandgefahr streuten die meisten Externalitäten von Bauwerken damals weniger weit als heute, zum einen aufgrund der geringeren physischen Mobilität, die die sozialen Externalitäten in der Nähe hielt, und zum anderen aufgrund des geringeren Volumens der Bauten. Außerdem waren die Hauptempfänger von Externalitäten in der Lage und es auch gewohnt, diese Externalitäten selbst zu regeln, so daß eine weitgehende Kongruenz zwischen dem hauptsächlichen Nutzer-/Opferkreis und der maßgeblichen politischen Einheit - eben dem ,chö' - bestand. „Locally devised access and management rules" (Agrawal 2002, S. 55) fördern - so ist sich die ,commons'Forschung einig - die Erhaltung der Ressource, und dies war hier erfüllt. Dagegen fallen heute wesentliche Entscheidungen auf weit höheren Ebenen: Der Staat macht im Bereich der Stadtplanung und des Baurechts die wesentlichen gesetzlichen und politischen Vorgaben, und dabei fallen die besonderen Verhältnisse der Stadt
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Kyoto kaum ins Gewicht. ,Manshon'-Firmen sind landesweit aktiv und daher nicht motiviert, sich in der Fassadengestaltung an die speziellen Verhältnisse einer bestimmten Stadt anzupassen oder auf ihren Ruf in derselben zu achten. Müßten sie ihren ganzen Profit allein in Kyoto erwirtschaften, würden sie sich mit Sicherheit anders verhalten. Die Stadt Kyoto könnte im engen ihr gewährten Rahmen striktere Verordnungen erlassen, würde damit aber wie schon ausgeführt ihre eigenen Finanzquellen beschneiden. Und selbst wenn strengere Bauregeln verhängt werden würden, träfe dies nicht die Interessen aller Eigentümer im Zentrum. Denn es fallen dann ja zunächst die Bodenpreise, und wenn in einer Stadt der dahinsiechenden Traditionsgewerbe der Wert eines Grundstücks die Bankschulden einer angeschlagenen Firma abdeckt, ruft dies keine Begeisterung hervor. Reine Marktmechanismen haben den jetzigen ,machiya'-Boom hervorgebracht und sind demnach nicht zu unterschätzen, doch gibt es Grenzen für die Anzahl von ,machiya'-Cafes oder -Galerien, und ,machiya'-Wohnungseigentümer haben von der Freude anderer über ihre Fassade keine Vorteile. Zusätzlich haben sich die Diskontraten erhöht, d.h. zeitlich ferner Nutzen ist gegenüber dem unmittelbaren nicht mehr so wichtig wie in früheren Zeiten, als dem Fortbestand des ,ie' (,Haus\ auch im Sinne von Haushalt) alles andere untergeordnet wurde. Langfristig - das bestreitet niemand - wird die Attraktivität Kyotos unter dem jetzigen Baugeschehen leiden, was auch die Bodenpreise in Mitleidenschaft ziehen könnte. Die Stadtverwaltung braucht jedoch kurzfristig Geld, und an ihrer Wiederwahl interessierte Volksvertreter suchen Erfolge innerhalb der laufenden Legislaturperiode. Die vielen am Vermögenswert ihrer Immobilie interessierten Eigentümer könnten zwar langfristig leiden, wenn die Bodenpreise sinken; in jedem Fall verschlechtert sich ihr Wohnumfeld. Doch ein Bauabkommen zu organisieren, erfordert sofortigen Aufwand und die Einmischung in die Vermögensangelegenheiten der Nachbarn, so daß die erwähnten Konflikte und Peinlichkeiten drohen; überdies ist das Gelingen nicht garantiert. Auch informelle Zurückhaltung auf Gegenseitigkeit bietet nur unsichere Aussichten. In der ,ch6nai' von ,manshon' D hatte sie vor etwa zwanzig Jahren noch funktioniert: Damals wurde einem der Eigentümer von den anderen ein ,manshon'-Plan ausgeredet. Wenn allerdings Bewohner wegziehen und ihr Eigentum veräußern - oft gezwungenermaßen, z.B. nach einer Pleite kommen ,manshon'-Firmen ins Spiel, die sich nicht an diese ungeschriebenen Regeln halten. Viele Käufer von ,manshon'-Wohnungen planen nur auf wenige Jahrzehnte; was danach aus ihrem Gebäude wird, kann ihnen gleichgültig sein. Durch Engagement in Bürgerinitiativen tatsächlich politische Veränderungen zu erreichen, ist ein mühsamer Weg. Und daß das Gebaren der ,manshon'-Firmen irgendwann Gesetzesänderungen provoziert, ist denkbar, doch ist der Nutzen der Rücksichtslosigkeit unmittelbar, real und privat, während die Kosten schärferer Baugesetze mit allen Konkurrenten geteilt werden können. Die jetzige Situation ist also suboptimal, denn das Stadtbild verschlechtert sich, schon allein durch die mangelnde Koordination mehr als nötig. Dies freut nicht einmal die manshon'-Firmen, die ja mit dem Stadtbild werben. Doch bestehen nur vage Aussichten, mit eigenem Handeln zugunsten des ,commons' die Situation zu ändern, während beträchtliche Kosten gewiß sind; Unsicherheit als Wandelshemmnis liegt hier eindeutig vor. Dabei hätte außer den ,manshon'-Firmen, die auf andere Städte ausweichen
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würden, niemand etwas von schärferen Baugrenzen zu befürchten, denn die Nachfrage nach dem verbleibenden Wohn- und Geschäftsraum müßte dann ja entsprechend steigen. Doch die Transaktionskosten einer solchen Lösung sind hoch, denn zwischen der Stadt als unterster Entscheidungs- und Besteuerungsebene und den Nachbarschaftsvereinigungen klafft ein institutionelles Loch, das auch die Bürgerinitiativen bislang nicht zu füllen vermögen. Zwar tat sich im Kampf gegen das Kyoto Hotel mit der Bukkyökai - der Interessenvertretung der buddhistischen Tempel - eine einflußreiche Großorganisation im Widerstand hervor, doch hält sie sich seitdem zurück, und andere ,big players' äußern sich entweder nicht oder wirken - wie die in Kyoto starke, aber auch besonders polarisierende kommunistische Partei (JCP) - eher spaltend. Auf lokalpolitische Veränderungen ist ebenfalls nicht zu hoffen, denn auch ein erstmals gemeinsam von den Kommunisten und der nicht parteigebundenen Linken (,mutö-ha') als Kandidat aufgestellter Stadtplanungsprofessor unterlag in der Bürgermeisterwahl 2004 deutlich. Angesichts dieser Perspektiven bietet das augenblickliche Stillhalteabkommen Vorteile, denn es spart koordinations- und regulierungsbedingte Wechselkosten und bietet vor allem Sicherheit. Ob schärfere Regeln tatsächlich langfristig die Bodenpreise stabilisieren, ob das eigene Engagement für ein Bauabkommen oder in einer Bürgerinitiative belohnt wird, ob die eigene Zurückhaltung Nachahmer findet - all dies ist unklar. Dagegen bietet Nichteinmischung zumindest die Gewißheit, daß die Nachbarn sich gleichfalls nicht einmischen können, wenn man eines Tages selbst an einen Neubau denkt. Dies sei der typische Kyotoer Umgang mit dem Problem, sagten mir zwei engagierte, dem Wirtschafitsliberalismus sonst fernstehende Pont-des-Arts-Gegner. Auch sie selbst hatten sich als Hauseigentümer zurückgehalten, als die Neubauten ihrer Nachbarn höher wurden, als ihnen lieb war, eben mit der Gewißheit, dadurch die eigene Unabhängigkeit zu wahren. Und wo der Ertrag einer Abtretung von Rechten an andere derart ungewiß ist wie im heutigen Kyoto, ist es nur zu verständlich, wenn auf exklusiver Kontrolle sozusagen dem Spatz in der Hand - bestanden wird. Dies bedeutet nicht, daß den Kyotoern ihr Stadtbild gleichgültig ist. Den sozialen Wert des Stadtbildes mit Methoden wie kontingenter Valuation zu ermitteln, habe ich nicht versucht, doch schon wenn man die Opportunitätskosten der einzelnen Individuen für das Engagement in Bürgerinitiativen, die Teilnahme an Symposien, die freiwillige Mitwirkung bei ,machiya'-Erhebungen, die bewußte Pflege der eigenen Fassade zum Nutzen anderer u.ä. addierte, käme man auf einen erheblichen Wert. Noch faßbarer wird dieser auch dadurch bestätigt, daß 2001 von den 17 Einkaufsstraßen und -passagen (,shötengai') im Bezirk Nakagyö nur in einer einzigen die Nachfrage nach Ladenlokalen das Angebot überstieg, nämlich auf der noch viele ,machiya' aufweisenden und gerade erst mit aufwendigen Bürgersteigen neugestalteten Teramachi-Straße. Daß die jetzige unkontrollierte Situation Wohlfahrtsverluste mit sich bringt, scheint mir unbestreitbar. Doch wenn erste Schritte zu einer Veränderung aus der direkten persönlichen Interaktion einzelner Individuen hervorgehen müssen, ohne auf einen institutionellen Rahmen aufbauen zu können, sind die Transaktionskosten enorm.
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6.
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Neue Perspektiven
Auch eine verfahrene Situation kann sich allerdings bewegen, sowohl von unten herauf als auch von oben herab. Als Beleg für das erstere bewerte ich die Ergebnisse eines Fragebogens, den ich kurz vor Ende meiner ersten Feldforschung von 210 Informanten, die in Kyoto wohnen oder arbeiten, ausfüllen ließ. Daß die Mitglieder der ,machiya'und Pont-des-Arts-Initiativen für stärkere öffentliche Rechte eintraten, ist wenig verwunderlich, doch selbst unter den Nachbarn des (damals noch nicht abzusehenden) ,manshon' D, d.h. größtenteils Eigentümern von innenstädtischen Immobilien, war das Meinungsbild gespaltener, als es die im Gespräch geäußerten Bekenntnisse zur Allmacht des Eigentümers vermuten ließen. Ich bin mir sicher, daß dies das Symptom eines sich allmählich ändernden Nutzenkalküls ist, zu dem das sich verstärkende Krisengefiihl und sicherlich auch der schwindende Vermögenswert des Grundeigentums beitragen. Wahrscheinlich sind selbst ,alte' Innenstädter mit kleinem, selbst bewohntem Eigentum in diesem Prozeß mittlerweile schon weiter, als es die zögerliche Stadtverwaltung wahrhaben will, und würden auf neue Regulierungsmaßnahmen nicht mit dem von manchem Beamten ausgemalten Aufschrei reagieren. Dies bedeutet allerdings wieterhin nicht, daß diese Bürger selbst initiativ werden. Doch auch auf der staatlichen Ebene gibt es Anzeichen für Veränderungen. Charakteristischerweise gehen diese wieder einmal von Tokyo aus: Im Dezember 2002 entschied das dortige Bezirksgericht (Tokyo chisai), daß der Bau von 44 Meter hohen ,manshon' entlang der für ihre Baumallee bekannten Daigaku dòri in Kunitachi (Präfektur Tokyo) zwar den Bestimmungen entsprach, aber für die Anwohner eine unzumutbare Belastung darstellt, und ordnete die Entfernung aller Gebäudeteile oberhalb von 20 Metern - also faktisch den Abriß - an (Mainichi Shinbun 2002). Dieses Urteil hatte vor der nächsthöheren Instanz keinen Bestand, doch wird sich nun auch das höchste Gericht mit dem Fall befassen (http://www.kangaerukai.com/houdou.htm). Wenig später fällte außerdem das Bezirksgericht in Nagoya ein ähnliches, das Recht aufs Stadtbild über private Profite stellendes Urteil (Nihon Keizai Shinbun 2003). Noch gewichtiger verspricht das Anfang 2004 verabschiedete Landschaftsgestaltungs-Fördergesetz (Keikan keisei seibi-hö) zu werden. Nicht nur wird die Landschaft bzw. das Stadtbild (,keikan') erstmals als „gemeinsames Gut des Volkes" („kokumin kókyò no zaisan") gewürdigt, sondern den bisherigen Instrumenten der Stadtplanung werden spezielle ,Stadtbild-Bezirke' (,keikan chiku') hinzugefugt, in denen - anders als bisher - Gebäudefarben und -formen verbindlich festgelegt werden können. Auch für das Stadtbild wichtige Einzelgebäude können geschützt werden. Außerdem ist von Anreizen wie etwa Fördermitteln, Steuerbefreiungen oder der ,yósekiritsu'-Übertragung zwischen Grundstücken die Rede, und über die Möglichkeit, mit der Zustimmung von zwei Dritteln der Eigentümer selbst die Ernennung zur Schutzzone zu beantragen, erhalten die Bürger ein Initiativrecht mit realistischem Schwellwert (Kokudo kótsú-shó 2004). Wie die Umsetzung der Regelungen aussehen wird und was sie für gemischte Zonen wie das Kyotoer Stadtzentrum bereithält, ist noch überhaupt nicht abzusehen; mit einem schnellen Wandel ist kaum zu rechnen. Immerhin ist aber das Stadtbild erstmals auch staatlicherseits als ,commons' anerkannt worden, auf dessen Erhalt die Bürger ein
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Institutioneller Wandel als unternehmerische Aufgabe: Der Fall,China'
Matthias Schramm und Markus Taube
Inhalt 1. Einleitung
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2. Aufstieg und Niedergang von Institutionen: Ein Lebenszyklusmodell
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3. Institutioneller Wandel: Transaktionskostenkalkül und unternehmerischer Impuls
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4. Der Fall,China': Unternehmerische Initiative als treibende Kraft des Transformationsprozesses
186
5. Resümee
194
Literatur
195
172
Matthias Schramm und Markus Taube
1. Einleitung Der Prozeß institutioneller Evolution, im Zuge dessen die chinesische Wirtschaftsordnung im Verlauf von gut zwei Jahrzehnten von einer Zentralverwaltungswirtschaft in eine grundsätzlich funktionsfähige Marktwirtschaft transformiert wurde, unterscheidet sich in zahlreichen Aspekten von den Transformationsprozessen in Osteuropa und der ehemaligen UdSSR. 1 Das zentrale Unterscheidungsmerkmal ist jedoch, daß zu Beginn der Umgestaltung des chinesischen Ordnungssystems seitens der politischen Führung keineswegs die Absicht bestand, die bestehende Zentralverwaltungswirtschaft in eine Marktwirtschaft zu überfuhren. Im Gegenteil, die bestehende Ordnung sollte lediglich durch den partiellen Einbau von marktorientierten Institutionen in ihrer (an Outputgrößen gemessenen) Leistungsfähigkeit gestärkt werden (Bell et al. 1993; Qian 2000). Nach wenigen Jahren der Reformbewegung - Reform verstanden im Sinne von Reparatur der bestehenden Wirtschaftsordnung - zeichnete sich jedoch bereits ab, daß hier ein dynamischer Prozeß institutionellen Wandels in Gang gesetzt worden war, der sich immer stärker der Kontrolle und Steuerung der zentralen Entscheidungsträger entzog. Der chinesische Transformationsprozeß erschließt sich somit nur bedingt über einen Analyserahmen, der versucht, institutionellen Wandel als einen von (zentralstaatlichen) politischen Entscheidungsträgern bewußt Jop-down' initiierten und gesteuerten Vorgang zu erklären. Die Dynamik des chinesischen Transformationsprozesses wird - so die These dieses Beitrags - nur verständlich, wenn die von dezentralen Akteuren ausgehenden Impulse für eine permanente Weiterentwicklung des institutionellen Rahmenwerks mit in die Analyse einbezogen werden. Ein derartiger ,bottom-up' getriebener Prozeß institutionellen Wandels aber verlangt nach einer Erklärung der unternehmerischen Triebkräfte, die hier wirksam werden. Der vorliegende Beitrag versucht, die in diesem Prozeß wirkenden Kräfte und Mechanismen aufzuzeigen. Zu diesem Zweck wird in Abschnitt zwei zunächst die transaktionskoordinierende, ordnungsschaffende Funktion von Institutionen anhand eines Lebenszyklusmodells diskutiert, bevor in Abschnitt drei das dem institutionellen Wandel zugrundeliegende Kalkül und die Rolle des Unternehmers für diesen Prozeß diskutiert werden. Abschnitt vier illustriert die Erkenntnisse der vorangehenden Diskussion anhand von drei Fallbeispielen aus dem chinesischen Transformationsprozeß. Eine resümierende Zusammenfassung schließt den Beitrag ab.
1
Als einige der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale seien aufgeführt, daß der chinesische Transformationsprozeß sich über einen sehr viel längeren Zeitraum hingezogen hat (und bis heute nicht als abgeschlossen gelten kann), der Privatisierung staatlichen Eigentums an Produktionsmitteln eine stark untergeordnete Rolle zugesprochen wurde und bis heute eine schwerwiegende Transformationsrezession, wie sie die osteuropäischen Staaten durchlaufen haben, vermieden werden konnte.
Institutioneller Wandel als unternehmerische Aufgabe: Der Fall, China'
2.
173
Aufstieg und Niedergang von Institutionen: Ein Lebenszyklusmodell
Der Begriff der Institution wird in der Neuen Institutionenökonomie ausgesprochen weitläufig gefaßt. Es findet sich kaum ein Beitrag, der nicht einen eigenen, zumindest in Teilen anders ausgestalteten Definitionsversuch der Institution zu liefern sucht. Es scheint nicht zweckmäßig, dieser überbordenden Vielfalt eine weitere Definition hinzuzufügen, stattdessen basieren die folgenden Überlegungen auf den sehr weitgefaßten Ausfuhrungen von Pejovich, der Institutionen sieht als „...legal, administrative, and customary arrangements for repeated human interactions." {Pejovich 1995, S. 30) Grundsätzlich gilt, daß Institutionen, um sich als Regeln des ökonomischen Spiels etablieren zu können, eine große Konstanz auf der Ebene der die Regeln anwendenden Gruppe aufweisen müssen (Kiwit und Voigt 1995, S. 120). Die Existenz von Institutionen, die ökonomisches Handeln koordinieren, konstituiert damit ein Paradoxon: Auf der einen Seite wird erst durch ihre Persistenz effizienter marktlicher Tausch überhaupt möglich, da nur so die beteiligten Individuen die Spielregeln verinnerlichen können. Zum andern müssen Institutionen einen gewissen Grad an inhärenter Flexibilität aufweisen, um den sich wandelnden Koordinationsbedürfnissen einer dynamischen Volkswirtschaft gerecht zu werden. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen institutionellen Wandels setzt somit an jenem kritischen Punkt an, an dem die Diskrepanz zwischen inhärenter Stabilität und ökonomischen Wandlungsanforderungen so groß wird, daß eine Ablösung der bestehenden Institution unabdingbar wird. Die zentrale treibende Kraft in diesem Spannungsfeld ist die Nachfrage nach Institutionen, also das grundsätzliche Koordinationsbedürfnis der ökonomischen Akteure. Die Nachfrage nach institutioneller Koordinationsleistung ist innerhalb eines Wirtschaftsraums keineswegs statisch, sondern einem beständigen Wandel unterworfen (Lin 1989, S. 12). Neben technischen Innovationen sowie neuen ökonomischen und politischen Entwicklungen sind es auch gesellschaftliche Präferenzverschiebungen (etwa zu einer stärkeren Betonung des Umweltschutzes im Rahmen der produktiven Tätigkeiten), die die Dynamik der Nachfrage nach bestimmten institutionellen Leistungsprofilen bedingen. Der Wandlungsdruck, dem eine Institution unterliegt, kann mithin daran gemessen werden, (a) zu welchem Grade sie das Koordinationsbedürfnis .technisch' befriedigen kann, also einem bestimmten funktionalen Leistungsprofil entspricht, (b) in welchem Maße sie hierfür Ressourcen verzehrt, die dem übrigen Wirtschaftsprozeß entzogen werden, wie hoch mithin die Transaktionskostenbelastung durch die Institution ist, und (c) in welchem Maße sie mit den Normen und Wertevorstellungen des zugrunde liegenden Gesellschaftssystems harmoniert (Mummert 1995). Im Rahmen der Kriterien (a) und (b) ist zu beachten, daß es trotz technischer oder transaktionskostenbedingter Ineffizienz zu großen Beharrungstendenzen des bestehenden institutionellen Arrangements aufgrund von Pfadabhängigkeiten kommen kann {David 1985; Mahoney 2000; Pierson 2000). Dieser Problemkomplex ergibt sich letzt-
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Matthias Schramm und Markus Taube
lieh aus einem Versagen des Wettbewerbs auf der Ebene der Wahl der Institutionen. 2 Zumeist besteht nicht die Möglichkeit, mehrere Institutionen parallel einzurichten und einem direkten Leistungsvergleich zu unterziehen. Stattdessen kommt es zu einer Entscheidung unter hoher Unsicherheit zugunsten der Einrichtung einer spezifischen Institution mit den entsprechenden ,sunk costs'. Diese wiederum etablieren Anreize zur Beibehaltung der einmal gewählten institutionellen Lösung, auch wenn zu einem späteren Zeitpunkt eine andere Institution als leistungsstärker eingeschätzt werden sollte. Auch Kriterium (c) weist auf Wandlungsbarrieren hin, die sich gegen ökonomische Effizienzkriterien richten. Aufgrund ihrer - jenseits der ökonomischen Koordinationsfunktion bestehenden - Einbettung in das soziale Gefüge und den kulturellen Hintergrund besitzen Institutionen häufig eine große Persistenz gegenüber externem - ökonomisch motiviertem - Wandlungsdruck (Mummert 1995). Zusammenfassend läßt sich der Wandlungsdruck (W), der auf einer Institution bzw. dem gesamten institutionellen Gefüge lastet, demnach als Funktion ihrer technischen Eignung (A), der ihr eigenen Transaktionskostenintensität (TK), eines Faktors 8, der die Pfadabhängigkeit widerspiegelt, und ihrer sozialen Passung im Verhältnis zum gesamtgesellschaftlichen Gefuge (SE) verstehen: (1) W =
w{SxX{-),82TK{*\SE(-)\
In der Empirie zeigt sich nun, daß nicht alle Institutionen einem gleich hohen Wandlungs- bzw. Anpassungsdruck ausgesetzt sind. In Abhängigkeit von der Art der Institution verläuft der Anpassungsprozeß unterschiedlich schnell {North 1993, S. 21). Grundlegend lassen sich äußere und innere Institutionen unterscheiden: Die äußeren Institutionen konstituieren den notwendigen Rahmen ökonomischer Agitation und sind zunächst von den einzelnen Akteuren nur schwer zu beeinflussen, da sie häufig eng mit dem gesellschaftlichen Rahmenwerk verwoben sind (Lachmann 1963, S. 67). Die inneren Institutionen dagegen werden erst durch das Handeln der Akteure geschaffen und rechtfertigen sich hauptsächlich auf Basis einzelwirtschaftlicher Effizienzüberlegungen. Insgesamt können beide Arten von Institutionen formeller wie auch informeller Natur sein. Gerade auf Ebene der äußeren Institutionen werden sich kodifizierte Normen ebenso finden wie informelle Arrangements, die sich aus der jeweiligen kulturellen Disposition der Akteure ergeben. Erst im Zusammenspiel der informellen und formellen Institutionen kann auf dieser Ebene die Konstitution einer funktionsfähigen Wirtschaftsordnung gewährleistet werden (North 1993, S. 20). In Abbildung 1 sind die verschiedenen Ausprägungen - anhand eines Kontinuums zwischen den beiden Polen ,innere' und ,äußere' Institutionen - dargestellt und charakterisiert.
2
Es kann davon ausgegangen werden, daß dieses Problem in erster Linie bei den ,äußeren Institutionen' (s.u.) einer Wirtschaftsordnung auftritt, da hier in besonderem Maße sunk cost anfallen.
Institutioneller Wandel als unternehmerische Aufgabe: Der Fall, China'
175
Abbildung 1: Hierarchie der institutionellen Einbettung
äußere Institutionen
Institutionen der Zwischenebenen
innere Institutionen niedrig niedrig
Konstanz der Institution im Zeitablauf
Quelle: Autoren
Demnach lassen sich die verschiedenen Typen von Institutionen vor allem anhand der in (1) vorgestellten Dimensionen voneinander abgrenzen. Dies ist zum einen der Grad der sozialen Einbettung (SE), der die Integration der jeweiligen Institution in das soziale Gesamtbild umschreibt. Grundsätzlich gilt, je größer die social embeddedness einer Institution (Granovetter 1985; Uzzi 1996, S. 693) - d.h. je höher ihr sozialer Koordinationsanspruch - desto geringer der Einfluß streng ökonomischer Effizienzkalküle. Komplementär zu dieser Eigenschaftsdimension läßt sich eine weitere ausmachen: die transaktionskostensenkende Bedeutung der jeweiligen Institution (TK). Äußere Institutionen beispielsweise stecken das ökonomische Spielfeld ab, ihre Wahl erfolgt nur bedingt unter Transaktionskostengesichtspunkten, da in ihnen auch moralische und ethische Werte enthalten sind. Indem sie das institutionelle Fundament legen, auf dem sich wirtschaftliches Handeln in einem homogenen Umfeld dann erst entfalten kann, sind mit ihnen Pfadabhängigkeiten (8) verbunden, die den Umbau, die Modifikation oder die Ablösung dieser Institution nur schwer möglich machen. Innere Institutionen, deren Modifikation (.downstream') sehr viel weniger andere institutionelle Arrangements und somit ökonomische Interaktionsstrukturen tangiert, sind demgegenüber mit deutlich geringeren ,sunk costs' belastet und weisen eine höhere Sensibilität für kurzfristig wirkende Transaktionskostenimpulse auf. Letztlich läßt sich aus diesen Überlegungen und in Analogie zum Lebenszyklus von Gütern auch für Institutionen ein Lebenszyklus aufzeigen. Dieser bezieht sich auf die Fähigkeit einer Institution über die Zeit, das Koordinationsbedürfiiis von Wirtschaftssubjekten auf einem wettbewerbsfähigen Transaktionskostenniveau zu befriedigen und dem in Gleichung (1) aufgezeigtem Wandlungsdruck zu widerstehen. Abbildung 2 zeigt
176
Matthias Schramm und Markus Taube
einen idealtypischen Verlauf eines solchen institutionellen Lebenszyklus. Die Häufigkeit, mit der Wirtschaftssubjekte zur Organisation ihrer Transaktionsbeziehungen auf eine bestimmte Institution zurückgreifen, kann demnach als ein Indikator für die Durchsetzungskraft dieses Arrangements im institutionellen Wettbewerb herangezogen wer-
Abbildung 2: Idealtypischer Institutionenlebenszyklus
Quelle: Autoren
In seiner idealtypischen Form ist der Institutionenlebenszyklus dadurch charakterisiert, daß sich eine institutionelle Innovation durchsetzt und im weiteren Verlauf einen immer größeren Anteil der Transaktionen innerhalb des entsprechenden Feldes koordiniert. Schließlich jedoch wird sie aufgrund mangelnder Anpassung an neue Entwicklungen und Anforderungen ihre Koordinationskraft verlieren. Entweder kommt es dann zu einer Modifikation der betreffenden Institution, um sie an die neuen Bedingungen anzupassen, oder die Koordinationsaufgaben werden von anderen, neuen Institutionen übernommen: Es kommt zu einer institutionellen Innovation.3 Grundsätzlich können damit vier Phasen des institutionellen Lebenszyklus unterschieden werden: —
Einßihrungsphase
Angesichts eines vergleichsweise hohen Ausmaßes an ökonomischen Transaktionen, die aufgrund eines fehlenden (bzw. transaktionskostenintensiven) Koordinationsmechanismus nicht umgesetzt werden, kommt es zur Einfuhrung einer institutionellen Innovation. Die neue Institution wird als grundsätzliche Lösungsmöglichkeit erkannt und zur Koordination einer wachsenden Zahl von Transaktionen genutzt. 3
Grundsätzlich sind - kongruent zum Produktlebenszyklus - kleinere Modifikationen und Anpassungen der betrachteten Institution im Rahmen ihres Lebenszyklus durchaus möglich, so daß die Degenerationsphase hinausgezögert werden kann. Letztlich zeigen sich jedoch grundsätzliche Mängel, die nicht mehr im Rahmen von Modifikationen behoben werden können.
Institutioneller Wandel als unternehmerische Aufgabe: Der Fall, China'
177
—
Durchsetzungsphase Die neue Institution setzt sich auf breiter Front durch. Ein schnell wachsender Anteil der zuvor nur unter Inkaufnahme vergleichsweise hoher Transaktionskosten realisierten Transaktionen und des aufgrund prohibitiv hoher Kosten zuvor brachliegenden Transaktionspotentials wird nun unter Inanspruchnahme des neuen Koordinationsmechanismus realisiert.
—
Reifephase Die institutionelle Innovation hat sich etabliert und ist fester Bestandteil des institutionellen Aufbaus der national bzw. supranational definierten Wirtschaftsordnung geworden. Das gesamte Potential der unter Nutzung dieser Institution zu realisierenden Transaktionen ist aktiviert.
—
Degenerationsphase Die Institution ist dem sich weiterentwickelnden Bedarf an Koordinationsleistung immer weniger gewachsen. Grundlegende institutionelle Weiterentwicklungen und neue Innovationen ziehen einen zunehmenden Anteil des Transaktionsvolumens an sich und bewirken einen massiven Bedeutungsverlust der ursprünglichen Institution. Es zeichnet sich ab, daß die ursprüngliche institutionelle Innovation durch neue innovative Koordinationsmechanismen verdrängt werden wird.
Das hier vorgestellte Konzept des institutionellen Lebenszyklus suggeriert, daß institutioneller Wandel ein fortschreitender evolutionärer Prozeß ist, innerhalb dessen allenfalls temporäre Gleichgewichte erreicht werden. Jedes institutionelle Arrangement einer Volkswirtschaft ist diesem dynamischen Prozeß unterworfen, d.h. das sich letztlich das gesamte institutionelle Gefüge einem fortwährenden Eignungstest stellen muß. Aus diesen Überlegungen läßt sich schließlich die zeitliche Konstanz bzw. Persistenz des institutionellen Arrangements bestimmen. Gemäß (1) gilt, je intensiver die soziale Einbindung der Institution und je geringer ihre Sensibilität für Veränderungen der relativen Transaktionskostenbelastung, 4 desto stabiler gestaltet sie sich im zeitlichen Ablauf. Insgesamt zeigt sich, daß die Institutionen der verschiedenen Ebenen in unterschiedlich starkem Maße von den verschiedenen Faktoren institutioneller Wandlungsprozesse betroffen sind {North 1989, S. 241) und sich daher durch unterschiedlich lange Lebenszyklen auszeichnen. Äußere Institutionen werden aufgrund von Pfadabhängigkeiten und sozialer Einbettung größere Beharrungstendenzen aufweisen als Institutionen der Zwischenebenen oder innere Institutionen. Die Frequenz des Institutionenwandels wird bei letzteren am höchsten sein, da sie am stärksten transaktionskostenorientierten Effizienzkriterien unterworfen sind (vgl. Abbildung 3).
4
Aus diesem Punkt folgt, daß die unmittelbare, kurzfristig wirksame transaktionskostensenkende Wirkung auf der Ebene der inneren Institutionen am größten ist. Der Grad zu dem der Institutionensatz eines Wirtschaftsraumes es vermag, über die Zeit hinweg die jeweils zeitpunktbezogene minimale Transaktionskostenbelastung zu realisieren, kann von daher mit den um einen langfristigen Wachstumspfad schwankenden Konjunkturzyklen verglichen werden. Erster stehe dabei für die äußeren Institutionen, die letzteren demgegenüber für die inneren Institutionen.
178
Matthias Schramm und Markus Taube
Abbildung 3: Frequenz des institutionellen Institutionsformen
Wandels
bei
unterschiedlichen
Die folgende Analyse des institutionellen Wandlungsprozesses wird sich vor allem auf die inneren Institutionen und jene der Zwischenebenen beziehen. Der Großteil des institutionellen Wandels auf diesen Ebenen vollzieht sich nicht aufgrund von diskretionären Setzungen eines (benevolenten) Lenkers (Regierungen, Verbände, etc.),5 sondern vielmehr aus dem unmittelbaren Zusammenspiel der individuellen Akteure innerhalb des relevanten Wirtschaftsraumes. Es stellt sich von daher die Frage nach dem individuellen Kalkül dieser Akteure. Im Folgenden soll daher versucht werden, ein einfaches Modell des institutionellen Wandels auf Basis individualistischer Maximierungskalküle zu entwerfen.
3.
Institutioneller Wandel: Transaktionskostenkalkül und unternehmerischer Impuls
Innerhalb der kliometrischen Analyse werden Institutionen als Koordinationssysteme marktlicher Agitation erkannt, die sich aus den rationalen Wahlhandlungen von Individuen ergeben (North 1981, 1991). Entscheidungsdeterminanten innerhalb des Maximierungskalküls der Akteure sind neben den Grenzkosten der Nutzung der aktuellen Institution und den Grenzkosten des neuen Arrangements auch die absoluten Umstellungskosten, die beim Wechsel von einem Koordinationsmechanismus zum anderen entste-
5
Wir vernachlässigen an dieser Stelle die Einflußnahme dezentraler Akteure auf das Regelsetzungsverhalten von mit Hoheitsbefugnissen ausgestatteten Organen, z.B. im Zuge von Lobby-Aktivitäten.
Institutioneller Wandel als unternehmerische Aufgabe: Der Fall, China'
179
hen. 6 Gerade diese Umstellungskosten beinhalten auf der theoretischen Ebene häufig eine ganze Reihe von Unwägbarkeiten. Hierunter fallen 1) Pfadabhängigkeiten des alten Systems, 2) die soziale Einbettung (.social embeddedness') von Institutionen, 3) die besonderen Charakteristiken von Institutionen als Netzwerkgut und 4) die nur eingeschränkt rationale Handlungsweise der Individuen. Grundsätzlich kann jedoch Cheung zugestimmt werden, der feststellt, daß: „the choice of an institution can be explained if we can show that, in the light of all relevant constraints, it is the least costly option. In turn, institutional change can be predicted if some of those relevant constraints are shown to be changing in an identifiable direction." (Cheung 1982, S. 34) Unterstellt man also ein zumindest eingeschränkt rationales Ökonomisierungsverhalten der individuellen Akteure, so ist davon auszugehen, daß es immer dann zu institutionellen Wandlungsprozessen kommt, wenn der Nutzen aus dem neuen institutionellen Arrangement größer ist als die Summe aller Umstellungskosten (inklusive Opportunitätskosten). Genauer: Die Individuen werden sich für einen neuen Koordinationsmechanismus entscheiden, wenn der durch die Reorganisation der marktlichen Tätigkeiten erzielte Ertrag den durch Beibehaltung der alten Institution zu erwirtschaftenden Ertrag übersteigt und zudem die im Zuge der Neuordnung anfallenden Umstellungskosten voll kompensiert (Demsetz 1967). Formal ausgedrückt kommt es immer dann zu institutionellem Wandel, wenn folgende Ungleichung (2) erfüllt ist: (2) Yn - (y0 + TK) > 0 Dabei bezeichnet Yo das Gewinneinkommen, das die Wirtschaftssubjekte im Rahmen des traditionellen institutionellen Arrangements erzielen können, Yn dasjenige, das unter der neuen Institution zu erwirtschaften ist. Das Gewinneinkommen errechnet sich dabei für beide Betrachtungen aus der Anzahl der Transaktionen (TA„), die sich durch die betreffende Institution koordinieren lassen, multipliziert mit dem durchschnittlichen (monetären) Transaktionsvolumen (TV n ) abzüglich der Produktionskosten (unechte Transaktionskosten) (k„) und der (echten) Transaktionskosten (TK„), die für die Nutzung und den Erhalt der Institution aufgewendet werden müssen. Damit ergibt sich für das Gewinneinkommen bei Nutzung der jeweiligen Institution: (3)
Y„=TA„x(TVn-k„-TK„) mit TA n ; k n ; TK n abhängig von I„ der in der Periode n bestehenden Institution
Insgesamt zeigt sich also, daß die Wirtschaftssubjekte immer dann zur Annahme von institutionellen Innovationen neigen, wenn der Zuwachs des Gewinneinkommens größer ist als die Kosten, die aus der Auflösung des alten und der Einrichtung des neuen Koordinationsmechanismus entstehen. Setzt man die betrachteten Größen zueinander in Relation, so wird das Kalkül der Akteure deutlich: Immer dann, wenn das Verhältnis zwischen Einkommen unter dem neuen Koordinationsmechanismus und dem Einkom-
6
Dies gilt unter der Annahme, daß sich die verwandte Produktionstechnologie unter der neuen Institution nicht ändert. Anderenfalls wären auch die Transformations- bzw. Produktionskosten in die Analyse mit einzubeziehen (North und Wallis 1994, S. 610 ff.).
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men unter der alten Institution zuzüglich der Kosten größer als eins ist, besteht ein Anreiz das neue institutionelle Arrangement zu übernehmen. Formal ausgedrückt muß demnach folgende Ungleichung erfüllt sein: Y (4) = >1 Y0+TK0 Die grundsätzliche Tendenz zur Nutzung neuer institutioneller Arrangements, muß jedoch in einer wesentlichen Hinsicht relativiert werden: Institutioneller Wandel ist ein mittel- bis langfristiges Phänomen, selten ergeben sich institutionelle Quantensprünge, innerhalb derer sich Institutionen auflösen und gleichzeitig neue, leistungsfähigere Koordinationsmechanismen bereitstehen. Vielmehr vollzieht sich der Wandel häufig über einen längeren Zeitraum, innerhalb dessen verschiedene institutionelle Zwischenstufen als Übergangsformen von der einen zur anderen Institution durchlaufen werden müssen. Jeder dieser intermediären Koordinationsmechanismen muß einen hinreichenden Anreiz zum Wandel bieten. Um den statischen Charakter der Ungleichung (4) aufzuheben, soll daher die Größe Y t eingeführt werden, die das Einkommen der Wirtschaftssubjekte unter der intermediären Institution der Periode t angibt. Dementsprechend muß auch TK modifiziert werden, da hierunter nun die Kosten des institutionellen Wandels über die jeweiligen Zwischenformen zu verstehen sind. Letztlich befindet sich Y t in einem ständigen Wandlungsprozeß hin zu Y„. Zusätzlich muß beachtet werden, daß das Einkommen unter Beibehaltung der alten Institution mit einer bestimmten Rate a gewachsen wäre. 7 Um alle Übergangsgrößen miteinbeziehen zu können, muß die Ungleichung (4) der Minimalbedingung für eine ökonomisch sinnvolle Neuerung bestehender institutioneller Arrangements wie folgt modifiziert werden: "
(5) Y
Y
> n, mit limY, - » Y n ; für i
n
In welchem Stadium des Prozesses die Ungleichung (5) erfüllt wird, hängt letztlich im wesentlichen von der Leistungsfähigkeit des endgültigen institutionellen Arrangements und der intermediären Formen ab. Insgesamt lassen sich demnach zwei idealtypische Ertragsverläufe eines institutionellen Wandlungsprozesses erkennen. Dafür soll in der folgenden graphischen Darstellung der Zeitraum des Wandels auf der Abszisse, die Leistung des betrachteten institutionellen Arrangements auf der Ordinate abgetragen werden. Als Leistungsfähigkeit einer Institution wird hier das Gewinneinkommen der Wirtschaftssubjekte unter der institutionellen Innovation gemäß Gleichung (3) betrachtet. Demnach sind folgende Fälle zu unterscheiden: (a) Institutionelle
Neuordnung
mit sofortiger
Leistungssteigerung
Im Falle einer institutionellen Innovation mit sofortiger Leistungssteigerung erfüllt bereits der erste Summand die Ungleichung (4), zudem gilt sie auch für alle folgenden intermediären Institutionen bis zum angestrebten institutionellen Arrangement. Dem7
Die Wachstumsrate des Einkommens unter der alten Institution a muß im Zeitpunkt t=0 grundsätzlich als Erwartungsgröße behandelt werden, da sie von den Wirtschaftssubjekten allenfalls approximiert werden kann.
Institutioneller
Wandel als unternehmerische
Aufgabe: Der Fall,
China'
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nach verläuft der Graph (Y.-TK,) streng monoton oberhalb des Graphen aYo (vgl. Abbildung 4). Abbildung 4: Institutionelle Innovation mit sofortiger Leistungssteigerung
Y
Y, -TK,
a x Y,
Quelle: Autoren
Die Überlegenheit des neu eingeführten Koordinationsmechanismus zeigt sich also von Beginn an, und in all seinen intermediären Formen, der alten Institution überlegen. Insgesamt ist zu erwarten, daß die Einführung derartiger institutioneller Arrangements angesichts der offensichtlich zu erwartenden Erfolge keiner besonderen Initiation bedarf. Entweder werden solche institutionellen Innovationen von Seiten der zentralen Regierung zum Zwecke der Effizienzsteigerung des wirtschaftlichen Systems ohnehin eingeführt, oder die Möglichkeiten werden annähernd gleichzeitig von einer großen Menge an Individuen erkannt. In beiden Fällen ist es wahrscheinlich, daß die benötigte kritische Masse8 relativ rasch erreicht wird, da bereits in der aktuellen Periode Erträge aus dem institutionellen Wandel erzielt werden können. Grundsätzlich sind Innovationen dieser Art wohl eher die Ausnahme.
8
In der Einfuhrungsphase ist die rechtzeitige Gewinnung einer kritischen Masse von Nutzern der institutionellen Innovation von entscheidender Bedeutung. Ebenso wie technische Innovationen, so sind auch institutionelle Innovationen darauf angewiesen, daß die Kenntnis über die in ihnen verkörperten Neuerungen innerhalb der Gesellschaft verbreitet wird. Nur so kann sichergestellt werden, daß eine wachsende Zahl von Nutzem sich ihrer bedient und die neue Institution sich durchsetzen kann. Die akkumulierte Zahl der Nutzer einer institutionellen Innovation muß also über die kleine Gruppe der ,early adopters' hinaus in einen Bereich wachsen, in dem eine kritische Masse erreicht wird, bei der die Verbreitung der Kenntnis über die institutionelle Innovation in einen selbstverstärkenden Modus übergeht (Rogers 1995). Wird dieses Stadium nicht erreicht, so besteht die Gefahr, daß die Innovation nicht hinreichend durch die Gesellschaft diffundiert und letztlich durch andere (nicht unbedingt leistungsstärkere) institutionelle Lösungen verdrängt wird.
182
Matthias Schramm und Markus Taube
(b) Institutionelle Neuordnung mit nicht eindeutiger
Leistungsentwicklung
Wahrscheinlicher als der in (a) geschilderte Fall ist eine Situation, in der das Einkommen aus der institutionellen Innovation die Kosten einer solchen Neuordnung nicht sofort decken kann: Der Graph (Y,-TKj) verläuft demnach zunächst unterhalb des Graphen aYo (vgl. Abbildung 5). Abbildung 5: Institutionelle Innovation mit nicht eindeutiger Leistungssteigerung
D
Y
/ B
c
Y,-TK,
a, « Y,
t
\ —rrrrT.
A
Quelle: Autoren
Während einer frühen Phase liegt das mittels der auf dem Weg zur neuen Institution installierten intermediären institutionellen Arrangements erzielte Einkommen (abzüglich der Kosten) unterhalb des durch die alte Institution zu erzielenden. Erst im Zeitpunkt tj wird der Summand j der Ungleichung (5) größer eins; der Graph aYo wird geschnitten. Das Einkommen aus der Nutzung des neu eingeführten institutionellen Arrangements (genauer: der intermediären Form j) übertrifft erstmalig die für den betreffenden Zeitraum erwartete Leistungsfähigkeit der ursprünglichen Institution. Ab dem Zeitpunkt j bleibt dann auch jeder weitere Summand der Ungleichung größer eins; (Yj-TKi) verläuft konstant oberhalb von aYo. Der Zeitpunkt, zu dem die Ungleichung (5) erfüllt wird, läßt sich graphisch anhand eines Vergleichs der von den Graphen umschlossenen Flächen ermitteln (vgl. Abbildung 6). Hierbei bezeichnet die Fläche OAB die Opportunitätskosten, die zunächst mit der Einfuhrung der institutionellen Innovation einhergehen, da die zu erwirtschaftenden Erträge der intermediären institutionellen Arrangements 0 bis j abzüglich der Kosten nicht das Niveau der Ertragsentwicklung der traditionellen Institution erreichen. Dem steht in der Fläche BCD die Ertragssituation gegenüber, die in der Folgeperiode durch die Einführung der neuen Institution zusätzlich erzielt werden kann. Demnach läßt sich der Zeitpunkt i, an dem die institutionelle Innovation Nettoerträge gegenüber der alten Institution erwirtschaftet, exakt dort determinieren, wo die Fläche BCD zum ersten mal grö-
Institutioneller
183
Wandel als unternehmerische Aufgabe: Der Fall, China'
ßer wird als die Fläche OAB.9 Grundsätzlich muß hier jedoch zudem der zeitliche Faktor beachtet werden, so daß streng genommen jeweils die zum Entscheidungszeitraum abdiskontierten Werte der Flächen in die Kalkulation einbezogen werden müssen. Der Zeitpunkt i verlagert sich damit im Vergleich zur oben beschrieben Variante weiter in die Zukunft. Abbildung 6: Kosten und Nutzen der institutionellen Neuordnung
Y
~
Y, - TK,
a, x Y,
o
Quelle: Autoren
Insgesamt scheint der in Abbildung 5 dargestellte Verlauf den empirischen Beobachtungen des institutionellen Wandels am ehesten gerecht zu werden. In aller Regel sind mit dem Übergang von einem Koordinationssystem zum anderen zunächst Ertragseinbußen zu erwarten. Diese können durch Pfadabhängigkeiten begründet sein, da Investitionen in das alte System und das relativ hohe Ertragslevel inhärente Wandlungsbarrieren begründen. In der Ungleichung (5) wird diesen Phänomenen durch den Wachstumsfaktor a Rechnung getragen. Der Faktor beschreibt die Wachstumsraten mit denen das Einkommen unter der alten Institution erwartungsgemäß zugenommen hätte. Zudem fehlen häufig Erfahrungen und Wissen im Umgang mit den neuen institutionellen Arrangements, die u.U. hohe Investitionen in Humankapital erfordern. Gleichzeitig spielen Erfahrungskurvenvorteile in der Nutzung des traditionellen Koordinationsmechanismus eine wichtige Rolle zur Senkung der variablen Kosten pro Transaktion. Schließlich bedarf es häufig auf sozialer Ebene einer gewissen ,Gewöhnungsphase', in der die neue Institution etabliert, aber auch akzeptiert werden muß. Demgegenüber ist davon auszu9
Hierbei ergeben sich die Punkte C und D aus der Abtragung von i auf die Graphen aY 0 respektive (Y-TK,). Punkt A bezeichnet das Minimum von (Yj-TKj). Grundsätzlich ist es jedoch auch denkbar, daß (Y r TK0 weder in einem Verlaufsabschnitt eine negative Steigung aufweist oder die Abszisse schneidet. Es besteht also nicht die Notwendigkeit eines Minimums. Es ist vielmehr möglich, daß der Graph eine positive, jedoch zunächst geringere Steigung hat als aY 0 , auch in diesem Fall ergeben sich Opportunitätskosten des institutionellen Wandels.
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Matthias Schramm und Markus Taube
gehen, daß das alte institutionelle Arrangement aufgrund seiner , social embeddedness' gewisse soziale Wandlungsbarrieren aufzubauen vermag. Grundsätzlich ist es daher wahrscheinlich, daß die geschilderten Wandlungsbarrieren zunächst zu positiven Opportunitätskosten des institutionellen Wandels fuhren und daß erst im Laufe der Einfuhrung positive Erträge erwirtschaftet werden können. Akzeptiert man den in Abbildung 5 dargestellten Verlauf des institutionellen Wandels, so stellt sich die Frage, wie groß der Zeitraum maximal werden darf, bis das Ertragsverhältnis der neuen Institution positiv wird. Betrachtet man den Fall eines genügend großen Zeitraums m (etwa die unendliche Frist), so wäre jede institutionelle Neuerung auszuführen, die die Ungleichung (5) erfüllt. Dies gilt unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt in der Zukunft sich die Überlegenheit des neuen Koordinationsmechanismus manifestiert. Angesichts der hier unterstellten (eingeschränkt) rationalen Akteure muß jedoch davon ausgegangen werden, daß der Wert n die Lebensdauer einer Generation zumeist nicht überschreiten darf. In der Regel werden sich in der Empirie - bei unterstellten normalen Diskontfaktoren - sogar nur jene institutionellen Innovationen durchsetzen, die innerhalb einer viel kürzeren Frist zu Ertragssteigerungen führen. Demnach werden nur solche Innovationen tatsächlich realisiert, bei denen die Ertragsn n n differenz zwischen ^T Y. und ^CcY0 so groß ist, daß sie die aus ^TTK¡ entstehenden i=i .=1 ;=l Kosten des Übergangs innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums kompensieren kann. Der Zeithorizont der den institutionellen Wandel vorantreibenden Wirtschaftssubjekte ist somit für die Wahlentscheidung einer der wichtigsten Faktoren. Es ist etwa denkbar, daß institutionelle Arrangements existieren, die langfristig höhere Erträge abwerfen als bereits etablierte bzw. potentiell alternative Institutionen. Diese werden aber dennoch nicht gewählt, da sich ihre Ertragsstruktur innerhalb des entscheidungsrelevanten Zeitraums als komparativ schlechter darstellt als die anderer zur Wahl stehender institutioneller Arrangements (North 1981, 1991). Zusammenfassend kann demnach konstatiert werden, daß rational handelnde Wirtschaftssubjekte immer dann institutionelle Neuordnungen anstreben werden, wenn das Einkommen aus der Nutzung der institutionellen Innovation innerhalb eines überschaubaren Zeitraums einen höheren Wert erreichen, als die Kosten des Institutionenwandels und die Opportunitätskosten der entgangenen Erträge aus der Nutzung der traditionellen Institution. In der bisherigen Analyse wurde jedoch von einem risikoneutralen, rationalen Akteur - dem homo oeconomicus - ausgegangen. Realiter ist eine solche Nutzenmaximierung jedoch nur begrenzt möglich: Zum einen handelt es sich bei den Akteuren nur um beschränkt rationale Individuen, die nicht in vollem Maße über alle Alternativen und Konsequenzen informiert sind. Zum anderen sind Innovationen grundsätzlich mit hoher Unsicherheit belastet (Alchian 1950, S. 212). Für die Erklärung institutioneller Innovationen in einer Welt unvollkommener Information muß demnach ein zusätzlicher Parameter betrachtet werden, der die Unsicherheit der Erwartungen beschreibt. Dem soll im Folgenden durch den Faktor ß Rechnung getragen werden, der die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten einer bestimmten Ertragskonstellation angibt.
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(6) t ß %
aY0+TCi
185
>n
Daraus folgt, daß die Intensität der institutionellen Neuerungstätigkeit innerhalb eines Wirtschaftsraums in hohem Masse durch die Wahrscheinlichkeitsverteilung von ß und die Risikoneigung der Akteure determiniert wird. Anders ausgedrückt: Das institutionelle Gerüst eines von Robbin'sehen Ökonomisierern bevölkerten Wirtschaftsraums bleibt statisch, wenn nicht eine Gruppe von Unternehmern Investitionen in risikobehaftete Such- und Entdeckungsprozesse tätigt und somit dafür Sorge trägt, daß sich das institutionelle Rahmenwerk in einem permanenten Wandlungsprozeß an die sich verändernden Koordinationsanforderungen anpaßt. Institutioneller Wandel basiert auf unternehmerischer Initiative: „Deliberate institutional change will come about therefore as a result of demands of entrepreneurs in the context of perceived costs of altering the institutional framework at various margins. The entrepreneur will assess the gains to be derived from contracting within the institutional framework compared to the gains from devoting resources to altering that framework." (North 1994, S. 5) Es müssen mithin institutionelle Entrepreneure gefunden werden, die bereit sind, das Risiko einer Investition in institutionelle Innovationen mit dem Ziel zu tragen, potentielle (temporäre Monopol-) Renten durch die Bereitstellung eines neuen Koordinationsmechanismus zu erzielen. Der institutionelle Unternehmer schlägt mithin eine Brücke zwischen Marktteilnehmern, die bislang aufgrund prohibitiv hoher Transaktionskosten der Informationssammlung und -Verarbeitung, der Transaktionskoordination, -Überwachung und -Sicherung daran gehindert waren, in Interaktion zu treten.10 Er ist dabei bereit, das in Gleichung (6) durch ß ausgedrückte Risiko in Kauf zu nehmen und Such- sowie Entwicklungsinvestitionen zu tätigen. Letztlich gelingt es ihm, die Renten aus dem von ihm konstituierten temporären (Koordinations-)Monopol abzuschöpfen. Insgesamt muß also die den Wandlungsdruck beschreibende Gleichung (1) durch eine weitere Komponente ergänzt werden: die Agitation der institutionellen Entrepreneure. (7) W =
wiö^^TK^KSE^JE^)
Die unternehmerisch betriebene institutionelle Innovation kann grundsätzlich komplementär zum bestehenden Satz von Institutionen erfolgen und letzteren durch einen zusätzlichen Koordinationsmechanismus ergänzen. Sie kann aber gleichermaßen - und dies dürfte der bei weitem häufigere Fall sein - ein Konkurrenzverhältnis begründen, und ein bestehendes institutionelles Arrangement anfechten. Diese Herausforderung kann sowohl aus der ,legalen' Sphäre heraus erfolgen als auch in der Schattenwirtschaft 10
Das hier anliegende Verständnis deckt sich trotz vieler Ähnlichkeiten nicht mit dem Schumpeters. Bei Schumpeter bricht der Unternehmer aus der Routine aus und entwickelt neue Produkte oder Produktionsverfahren durch einen Prozeß der schöpferischen Zerstörung. Der Unternehmer wirkt also gleichgewichtsstörend (vgl. Schumpeter 1950, S. 215). Demgegenüber bewirkt der Kirznerische Unternehmer gerade eine Tendenz hin zum Gleichgewicht, indem er erkennt, daß neue Produkte und Produktionsverfahren einen ökonomischen Wert erbringen, der anderen Wirtschaftsubjekten bisher noch nicht bewußt geworden ist. Er realisiert somit ökonomische Prozesse, die vorher ungenutzt brachlagen (vgl. Kirzner 1978, S. 63-65; auch Schmidtchen 1989, S. 171, der sich hier vor allem bezieht auf Kirzner 1989).
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angesiedelt sein. Im folgenden sollen nun auf Basis dieser theoretischen Überlegungen drei Fallstudien betrachtet werden. Der Fokus der empirischen Untersuchungen soll dabei auf die Analyse der unternehmerischen Agitation gelegt werden, der es letztlich gelingt, ein neues institutionelles Arrangement zu schaffen. Die einzelwirtschaftliche Initiative der Entrepreneure wird dabei z.T. durch staatliche Reforminitiativen ausgelöst, z.T. stehen sie aber auch diesen entgegen und bewegen sich zunächst außerhalb des Legalrahmens.
4.
Der Fall,China': Unternehmerische Initiative als treibende Kraft des Transformationsprozesses
Der Ausgangspunkt der modernen chinesischen Wirtschaftsordnung ist in den späten 1970er Jahren zu finden. Das sich abzeichnende Scheitern des von Hua Guofeng eingeleiteten Versuchs, mit einer Neuauflage maoistischer Entwicklungsstrategien die Probleme des Landes zu lösen {Riskin 1987; Cheng 1982), führte Ende 1978 schließlich zur Machtübernahme reformorientierter Kräfte innerhalb der KP Chinas. Unter der Führung Deng Xiaopings setzten die Reformkräfte im Dezember 1978 durch, daß als Hauptwiderspruch innerhalb der chinesischen Gesellschaft nun nicht mehr der Widerspruch zwischen Bourgeoisie und Proletariat definiert wurde, sondern stattdessen der Widerspruch zwischen der mangelnden Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft und den materiellen Bedürfhissen der Bevölkerung. Hiermit war die ideologische Fundierung für eine grundlegende Umgestaltung des ökonomischen Ordnungsrahmens geschaffen worden. Weiter intensiviert wurde der Prozeß der institutionellen Neufindung durch die Erhebung des Konzepts der .Sozialistischen Marktwirtschaft' zum Leitprinzip der ordnungspolitisch-institutionellen Ausgestaltung der chinesischen Wirtschaftsordnung auf dem 14. Parteikongreß im September 1992. Im offiziellen Sprachgebrauch wurde nun erklärt, daß der Marktmechanismus lediglich ein Instrument zur Forcierung der wirtschaftlichen Entwicklung sei und keineswegs ein definierendes Charakteristikum des sozialistischen Gesellschaftssystems, das in der VR China weiter praktiziert würde. Mit dieser revolutionären Umdeutung des marxistischen Ideengebäudes wurde nun der Weg frei gemacht für den forcierten Aufbau einer funktionsfähigen Marktwirtschaft. Ideologiegeleitete Debatten über die Kompatibilität einzelner Reformmaßnahmen mit dem Sozialismus konnten nun entfallen (Bell et al. 1993, S. 2; Qian 2000, S. 161). Dies ermöglichte es, den zuvor streng zentral gelenkten Reformprozeß verstärkt zu dezentralisieren, so daß (dezentraler) unternehmerischer Aktivität größerer Handlungsspielraum zukommen konnte. Im folgenden sollen anhand von drei Fallstudien verschiedene Prozesse des institutionellen Wandels in China und deren unternehmerische Untermauerung beleuchtet werden. Es zeigt sich, daß vor dem Hintergrund zentralstaatlicher Reformanstöße in Schlüsselbereichen des ordnungspolitischen Aufbaus der chinesischen Wirtschaftsordnung, der institutionelle Wandel in zahlreichen Teilbereichen gerade erst durch dezentrale unternehmerische Aktivitäten vorangetrieben wurde. Die Fallbeispiele sind dabei so ausgewählt, daß sie ein breites Spektrum verschiedener institutioneller Arrangements
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- wie sie in Kapitel 2 vorgestellt wurden - und unternehmerischer Initiative abdecken. So bezieht sich die Fallstudie (a) vor allem auf den Wandel innerer Institutionen, wohingegen Fallstudie (b) Institutionen auf einer Zwischenebene betrachtet. Abschließend wird dann in (c) der Wandelsprozeß auf der Ebene einer äußeren Institution thematisiert. Insgesamt illustrieren die Fallstudien, dass erfolgreiche institutionelle Reformprozesse letztlich erst aus dem Zusammenspiel von staatlich initiierten (top-down-) Prozessen und unternehmerischen (bottom-up-)Aktivitäten hervorgehen können. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob der institutionelle Entrepreneur eine Vermittlerrolle im Rahmen des institutionellen Wandels übernimmt, die staatliche Reformmaßnahmen abfedert und in den gesamtgesellschaftlichen Kontext mittels privatwirtschaftlicher Initiative eingliedert und so den Übergang zwischen den verschiedenen institutionellen Arrangements vor dem Hintergrund der jeweiligen sozialen Einbettung erleichtert. (a) Innerchinesische Devisenallokation:
Von der Hierarchie zum Markt
Die Umgestaltung der chinesischen Devisenverwaltung, insbesondere während der Jahre 1978-1995, bietet ein hervorragendes Anschauungsobjekt für einen durch unternehmerisches Umgehungsverhalten vorangetriebenen Prozeß der institutionellen Evolution ( l a u t e 1997). In dem bis zur Ära Deng Xiaoping bestehenden zentralverwaltungswirtschaftlichen Ordnungssystem hatten dezentrale Wirtschaftssubjekte keine Verfügungsgewalt über Devisen. Das über Direktiv- und Rahmenpläne koordinierte Wirtschaftsgeschehen ging mit einer Devisenbewirtschaftung einher, die sicherstellte, daß die Entscheidungsfindung über die Verwendung der der Volkswirtschaft zur Verfügung stehenden Devisen uneingeschränkt bei dem zentralen Planträger lag. Von Basiseinheiten erwirtschaftete Devisen mußten an diesen zentralen Planträger abgeführt werden. Diese Devisen wurden sodann seitens des zentralen Planträgers planexekutierenden Basiseinheiten zugewiesen, die diese nach exakt vorgegebenen Richtlinien für Importgeschäfte etc. einzusetzen hatten (Yin et al. 1992; Sha und Qiang 1994). Dieses institutionelle Arrangement war dem zentralverwaltungswirtschaftlichen Ordnungssystem Chinas nicht nur grundsätzlich angemessen, sondern faktisch das diesem komplementäre ,passende' Arrangement. Diese Passung ging mit der Umsetzung einer stärker außenwirtschaftlich orientierten Entwicklungsstrategie zum Ende der 1970er Jahre verloren. In dem Bestreben auf dezentraler Ebene Anreize für eine Ausweitung der Exporttätigkeit zu setzen, hatte die chinesische Regierung Ende der 1970er Jahre begonnen, für den Export produzierenden Unternehmen sowie deren lokalen Verwaltungseinheiten ,Devisennutzungsrechte' zuzusprechen. Hiermit hatten nun dezentrale Akteure erstmals direkten Zugang zu internationaler Liquidität, die sie zum Erwerb bestimmter Importgüter, die Finanzierung von Auslandsreisen etc. einsetzen konnten. Innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit erhielt so insbesondere im kantonesischen Perlflußdelta eine vergleichsweise große Zahl von Akteuren Zugang zu Devisen (Taube 1997; Kamm 1989). Diese Unternehmen waren jedoch nicht gleichzeitig auch diejenigen die die größte Grenzzahlungsbereitschaft für internationale Liquidität aufwiesen.
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Das hierdurch entstandene Arbitragepotential führte umgehend zur Ausbildung von Handelsplätzen, auf denen die im Rahmen einer staatlich gesteuerten ,Primärallokation' dezentralisierten Devisennutzungsrechte nun einer zusätzlichen horizontalen , Sekundärallokation' unterworfen wurden. Es entwickelten sich informelle Märkte, auf denen diese Devisennutzungsrechte außerhalb der staatlichen Strukturen getauscht und somit ihren renditeträchtigsten Verwendungszwecken zugeführt wurden. Derartige Praktiken stellten grundsätzlich eine sinnvolle Ergänzung der ursprünglichen staatlich initiierten primären Dezentralisierung von Devisennutzungsrechten dar. Der makroökonomische Kontrollanspruch über die Devisenverwendung wurde nicht gefährdet, da jeder Einsatz von Devisennutzungsrechten für den Erwerb von Importgütern etc. durch die Devisenaufsicht genehmigt werden mußte. Trotzdem konnte diese institutionelle Innovation nicht im informellen, unregulierten Segment verbleiben, da hier implizit ein SchattenWechselkurs ermittelt wurde, der die zentralstaatliche Wechselkurspolitik zu unterminieren drohte. Nach ersten (vergeblichen) Versuchen, den horizontalen Handel von Devisennutzungsrechten zu verbieten, wurde dieser schließlich in die formalen Ordnungsstrukturen aufgenommen und ab Oktober 1980 in zunächst 12 Zweigstellen der Bank of China unter staatlicher Kontrolle und unter Anlegung klar definierter Preisfindungskorridore durchgeführt. In den Folgejahren führte fortgesetztes unternehmerisches Ausweichverhalten dazu, daß diese originäre formale Institution der horizontalen Devisen-(Re-)allokation in ihrer Leistungsfähigkeit immer weiter verbessert und an die Bedürfnisse der dezentralen Wirtschaftssubjekte angepaßt wurde. Eine Vielzahl von Nebenabsprachen, die an den Betreibern der Devisen-Swapzentren vorbei getroffen wurden, führten so sukzessive zur Ausweitung der Preisbildungsspannen, der Aufhebung von regional- bzw. gesellschaftsformspezifischen Zugangsbeschränkungen zu den einzelnen Handelszentren, etc. bis Mitte der 1990er Jahre schließlich ein nationaler Devisenmarkt mit faktischer Umsetzung der Konvertibilität des Renminbi für laufende Transaktionen realisiert worden war (Lardy 1992; Taube 1997, S. 296-314). Das Muster der institutionellen Evolution im chinesischen Devisenallokationssystem läßt sich letztlich so darstellen, daß bestehende Institutionen, die nicht mehr in der Lage waren, das sich kontinuierlich verändernde Koordinationsbedürfnis der Akteure zu befriedigen, zunächst mit einer in der Schattenwirtschaft angesiedelten konkurrierenden Institution konfrontiert und letztlich auch im formalen Sektor von dieser verdrängt wurden, wenn die (Opportunitäts-)Kosten der Aufrechterhaltung des alten institutionellen Regimes für den Gesetzgeber zu hoch geworden waren. Dieser Prozeß einer kontinuierlichen institutionellen Weiterentwicklung kam erst dann zum (vorläufigen) Stillstand, als (a) der von der sukzessiven Integration Chinas in die Weltwirtschaft ausgehende umfassende institutionelle Veränderungsdruck abebbte und (b) zwischen diesen diversen institutionellen Arrangements (Außenhandelsregime, Direktinvestitionsregime, etc.) und der Devisenmarktordnung ein Gleichgewichtszustand im Sinne einer keine weitere institutionelle Arbitrage mehr ermöglichenden institutionellen Passung herbeigeführt worden war. Im Lichte der in Gleichung (7) dargestellten Parameter waren es in erster Linie die fehlende technologische Eignung des bestehenden institutionellen Arrangements, die
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hohen Opportunitätskosten eines Beharrens auf dem Status quo sowie die neuerlich entfesselte unternehmerische Freiheit, die diesen Wandlungsprozeß vorangetrieben haben. Die .social embeddedness' der betroffenen institutionellen Arrangements war demgegenüber nicht hinreichend, um eine substantielle Beharrungstendenz zu begründen. (b) Ländliche Unternehmen: Vom Allgemeineigentum zu eindeutig spezifizierten Verfiigungsrechten Die Entwicklung der Property-Rights-Strukturen im ländlichen Untemehmenssektor" bezeichnet eines der faszinierendsten und gleichzeitig auch am kontroversesten diskutierten Kapitel der institutionellen Evolution im Rahmen des chinesischen Transformationsprozesses. Die über lange Zeiträume hinweg bestehende Ambiguität der in diesem Unternehmenssektor zu beobachtenden Spezifizierung und Zuteilung von Verfügungsrechten schien den in der Property-Rights-Theorie formulierten Anforderungen an eine leistungsfähige Unternehmensorganisation zuwiderzulaufen. Obwohl offensichtlich keine klar spezifizierten Verfugungsrechtsstrukturen vorhanden waren, erwies sich diese Unternehmensform als außerordentlich erfolgreich.12 Der ländliche Unternehmenssektor ist ursprünglich hervorgegangen aus Kommuneund Brigadeunternehmen, die noch in den der Reformära vorangegangenen Jahren gegründet worden waren. Dieser Bestand an Unternehmen wurde in den 1980er und frühen 1990er Jahren dann durch zahlreiche Neugründungen ergänzt, wobei offiziell Kollektive als Eigentümer ausgegeben wurden, die faktischen Eigentümerstrukturen allerdings höchst unklar blieben. Im Laufe der Jahre machte das Konzept des kollektiven Gemeinschaftseigentums einer zunehmenden Konzentration von Verfügungsrechten in den Händen von Verwaltungsorganen einerseits und privatwirtschaftlich agierenden Unternehmern andererseits Platz. Diese diffuse Verteilung von Rechten und Pflichten wird erst in jüngerer Zeit durch eine eindeutige Spezifizierung und Zuteilung von Verfugungsrechten in Händen des Top-Managements dieser Unternehmen ersetzt. Der Schlüssel zum Verständnis der im ländlichen Unternehmenssektor zu beobachtenden institutionellen Evolution liegt in der sich im Zuge der marktwirtschaftlichen Transformation des Gesamtsystems einstellenden Veränderung der mit der Spezifikation klar spezifizierter ,privater' Verfugungsrechte einhergehenden Transaktionskostenbelastung. Im durch diese Transaktionskostenniveaus gesetzten Rahmen hat sich unternehmerisches Streben nach Renten in der Ausbildung einer Kette von diversen Verfugungsrechtsspezifikationen niedergeschlagen, die in ihrer Gesamtheit letztlich die Brücke schlagen von unspezifischem Allgemeineigentum hin zu eindeutig spezifizierten Verfügungsrechten.
"
,xiangzhen qiye'. Diese Unternehmensform umfaßt alle in ländlichen Regionen angesiedelten Betriebe, die nicht im Agrarbereich tätig sind, sondern in den Bereichen Industrie und Dienstleistungen.
12
Dieses Paradox veranlaßte einzelne Autoren dazu, die Eignung des Property-RightsAnsatzes zur Erklärung der in diesem Bereich zu beobachtenden Entwicklungen grundsätzlich zu negieren {Weitzman und Xu 1994). Aber im Gegenteil, es ist gerade das Instrumentarium der Neuen Institutionenökonomie, das den Zugang zu diesem Phänomen erschließt.
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Von zentraler Bedeutung für die schrittweise voranschreitende Überführung kollektiv-staatlicher Eigentumsstrukturen in eindeutig spezifizierte und individuell zugewiesene Verfügungsrechte ist letztlich der Grundsatz, daß im Sinne einer Erlösmaximierung die residualen Gewinneinbehaltungsrechte der Partei zugesprochen werden sollten, deren Aktionen am schlechtesten kontrolliert werden können und die den größten Einfluß auf das Geschäftsergebnis hat (Grossman und Hart 1983). Veränderungen in der relativen Bedeutung der verschiedenen Akteure für den Geschäftserlös eines ländlichen Unternehmens, die im Zuge der Transformation und der Strukturveränderungen des chinesischen Wirtschaftssystems eingetreten sind, waren von daher eine treibende Kraft der stufenweisen Umgestaltung der Verfügungsrechtsstrukturen. Mit der Diskreditierung von Modellen der Arbeiterselbstverwaltung im Zuge der Exzesse der Kulturrevolution waren von Anbeginn an faktisch nur zwei Parteien unmittelbar an der Führung der ländlichen Unternehmen beteiligt: das mit dem Tagesgeschäft betraute Top-Management und die Lokalregierungen, die dem Anspruch nach als Vertreter des Kollektiveigentums auftraten. Solange diese Lokalregierungen nun in der ersten Periode der zögerlichen Aufgabe zentralstaatlicher Wirtschaftssteuerung und vorsichtigen Hinwendung zu marktlichen Koordinationsstrukturen noch in der Position waren, entscheidende Beiträge zum Geschäftserfolg der in ihrer Jurisdiktion tätigen Unternehmen zu leisten (Sicherung des Zugangs zu Fremdfinanzierungen, Beschaffungs- und Distributionskanälen, Schutz vor zentralstaatlicher ,State predation', etc.), stellte ihre Partizipation am Eigentum der betreffenden Unternehmungen eine sinnvolle - transaktionskostenminimierende - Lösung dar. In einem von ,grauen Märkten' und .Verhandlungslösungen' geprägten Umfeld stellen ,unklare' Verfügungsrechtsstrukturen tatsächlich die ,best-practice'-Lösung dar. Die ,Theory of the Commons' (Ostrom 1990; Ostrom et al. 1994) zeigt, daß unklar definiertes Gemeinschaftseigentum eine effiziente Lösung des Organisationsproblems darstellen kann, wenn die Transaktionskosten der Einrichtung bzw. Durchsetzung privater Eigentumsrechte im Vergleich zu den erwarteten Gewinnen prohibitiv hoch sind (Li 1996; Krug 1997; Krug und Polos 2000). D.h. prohibitiv hohe Transaktionskosten lassen die Ordnungsstrukturen in einem Stadium verharren, in dem die Standard-Property-Rights-Theorie noch nicht greift oder, besser gesagt, die Standard-Verfügungsrechtsverteilung noch nicht zum Tragen kommt. Genau diese Strukturen haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten dramatisch verändert und somit eine tiefgreifende Veränderung der Verfügungsrechts strukturen im ländlichen Unternehmenssektor angestoßen. Letztlich sind die Transaktionskosten der Einrichtung bzw. Durchsetzung privater Eigentumsrechte unter das kritische Niveau gesunken und haben die unternehmerische Betreibung exklusiver privater Verfügungsrechte zu einer ökonomisch sinnvollen Lösung avancieren lassen. Mit der Auflösung der 'VerhandlungsWirtschaft' und der 'grauen Märkte' sowie der Ausbildung eines funktionsfähigen Marktsystems ist der Beitrag der Lokalregierungen zum Geschäftserfolg zu einer immer weniger bedeutsamen Größe geworden (Chen und Rozelle 1999). D.h., je weniger die Lokalregierung für das operative Geschäft benötigt wurde und je vollständiger die marktwirtschaftliche Ausgestaltung des Umfelds wurde, desto weniger waren Lokalregierungen in der Lage, aus ihrer Machtstellung im Kontext ,grauer Märkte' Renten zu erzielen. Stattdessen konnte das Unternehmensmanagement
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nun über den Markt Zugang zu Fremdfinanzierungen finden, Vertragssicherheit (Rechtsordnung) in Anspruch nehmen und ihren Zugang zu Distributionskanälen, Beschaffungsmärkten, Exportmärkten, Importgütern, etc. sicherstellen. Aus Sicht des Managements ist also die Notwendigkeit einer Intemalisierung der Lokalregierung in die Unternehmung zur Sicherung des Unternehmenserfolgs sukzessive geschwunden {Williamson 1985; Taube 2002), während die Lokalregierungen erkennen mußten, daß sie ihre Renten in Form von Steuer- und Deviseneinnahmen, lokal verfügbaren Arbeitsplätzen, etc. dadurch steigern konnten, daß sie dem Management größere Entscheidungsgewalt zusprachen. Unternehmerische Kräfte auf Ebene des Unternehmensmanagements und auf der Ebene der Lokalregierungen wurden somit mit Anreizstrukturen konfrontiert, die sie bewegten, die ihr bilaterales Verhältnis regelnden Verfügungsrechtsstrukturen immer wieder von neuem an die sich verändernden ökonomischen Rahmenbedingungen anzupassen. Angesichts eines abnehmenden Beitrags der Lokalregierungen und wachsender Bedeutung des Managements für den Geschäftserfolg mußten diesem im Zuge einer unternehmerischen Erlösmaximierung größere Entscheidungsbefugnisse zugesprochen werden (Chen und Rozelle 1999; Hsiao et al. 1998). Die vertragliche Beziehung zwischen Lokalregierung und Management wurde daher schrittweise an die sich verändernden Kräfteverhältnisse angepaßt: von Fixlohnverträgen zu „sharecropping"-Verträgen (Alchian und Demsetz 1972) und dann weiter zu Verpachtungslösungen (Pan 2000) bzw. Aktiengenossenschaften {Herrmann-Pillath und Kalo 1996; Vermeer 1999) und letztlich zu einer schleichenden Privatisierung (Taube 2003). Grundlegend ist dabei die Tendenz zu einer immer eindeutigeren Spezifizierung und Verteilung der Verfiigungsrechte (vgl. Abbildung 7). Abbildung 7: Institutionelle Zwischenformen auf dem Weg zur Spezifizierung eindeutig spezifizierter Verfügungsrechte im ländlichen Unternehmenssektor
Fixlohnverträge 'sharecroppIng'-Verträge Leasing Arrangements Aktiengesellschaften Schleichende Privatisierung Offene Privatisierung _ _ _ _ _ _ Abnehmender direkter Einfluss der Lokalregierung auf das Geschäftsergebnis
Quelle: Eigene Darstellung nach Taube (2002)
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Die Entwicklung der Property Rights Strukturen im ländlichen Unternehmenssektor über mehrere Stufen unterschiedlicher Eindeutigkeit bzw. Ambiguität erklärt sich somit letztlich aus einer unternehmerisch betriebenen Anpassung derselben an sich verändernde Umfeldbedingungen. Die unter verschiedenen Umfeldbedingungen anliegenden Transaktionskosten einer eindeutigen Spezifizierung von Verfugungsrechten waren dabei die Größe, an der sich die jeweiligen institutionellen Lösungen ausrichteten. Am Beispiel dieser Fallstudie wird zudem die im Zuge der Herleitung von Ungleichung (6) herausgestellte Bedeutung der relativen Leistungsfähigkeit der verschiedenen institutionellen Zwischenstufen deutlich. Die hier dokumentierten institutionellen Arrangements zur Regelung des Verhältnisses von Lokalregierung und Unternehmensmanagement waren letztlich alle .suboptimal' und mittelfristig nicht stabil. Sie waren aber im Sinne einer ,best practice' optimal an die zeitpunktbezogenen Rahmenbedingungen angepaßt und ermöglichten auch in ihren - aus Sicht des Gesamtsystems - unvollendeten Ausprägungen schnell Erlössteigerungen im Vergleich zu den von ihnen abgelösten institutionellen Arrangements. Kostenbasierte Beharrungskräfte, die einem dynamischen institutionellen Wandel hätten entgegenwirken können, wurden somit ausgeschaltet. (c) Veränderungsresistenz werke
im Kontext starker sozialer Einbettung: Chinas guanxi-jVe/z-
Mit der zunehmenden Integration in die Weltgemeinschaft und insbesondere seit Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) wird den personalistisch ausgerichteten chinesischen guarar/-Netzwerken in jüngerer Zeit auf top-down-Initiative ein konkurrierendes institutionelles Konzept gegenübergestellt: das universalistisch ausgerichtete Rechtssystem abendländischer Prägung. Beide Institutionen sind in der Lage, das Bedürfnis nach einer Sicherung von individuell zugewiesenen Verfügungsrechten gegen opportunistisches Verhalten Dritter zu bedienen. Damit jedoch stehen sich beide Institutionen substitutiv gegenüber, und auf den ersten Blick scheint es, als ob das universalistisch ausgerichtete Rechtssystem abendländischer Prägung leistungsstärker wäre als die chinesischen gwaraxi'-Netzwerke, die aufgrund ihres Club-Charakters eine schwerwiegende Beschränkung in der Anzahl der maximal durch sie koordinierten Interaktionspartner aufweisen {Schramm und Taube 2003). Es könnte daraus geschlossen werden, daß in Konsequenz des aufgezeigten Transaktionskostensenkungspotentials eine wachsende Anzahl von Wirtschaftssubjekten zur Sicherung ihrer Transaktionen nicht länger auf das System der gwawx/'-Netzwerke zurückgreift und das neue institutionelle Angebot aufgreift. Aus dieser Perspektive müßten gwarar/'-Netzwerke also im Zuge der fortschreitenden Etablierung eines funktionsfähigen Rechtssystems sukzessive an Bedeutung verlieren und letztlich verschwinden. Dies geschieht aber offensichtlich nicht. Obwohl Chinas zunehmende Integration in die globale Staatengemeinschaft eine grundsätzliche Implementierung von deren Rechtsgrundsätzen verlangt (Schramm und Taube 2004), können die nicht-personalistisch ausgerichteten Rechtsprinzipien abendländischer Prägung nur zögerlich im chinesischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem Fuß fassen. Tatsächlich sind die chinesischen gi/iww'-Netzwerke in hohem Maße in das gesamtgesellschaftliche Werte- und Normensystem Chinas eingebunden und von daher nicht allein über das Transaktionskostenkalkül zu erfassen. Aufgrund ihrer jahrhunderte- und
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jahrtausendelangen Entwicklung innerhalb des chinesischen Kulturkreises verfügen gw£j«x/-Netzwerke über eine starke Verankerung im chinesischen Gesellschaftssystem und bilden letztlich einen wichtigen Bestandteil des sozialen Gefüges (Gold et al. 2002). In diesem Sinne erfüllen gwanx/'-Netzwerke nicht nur auf der ökonomischen Ebene eine wichtige Funktion, sondern prägen die Interaktion auch auf der politischen und sozialen Ebene. Für Hamilton sind gwanx/'-Netzwerke sogar das kulturelle Charakteristikum Chinas schlechthin und stehen zudem antagonistisch zu abendländischen Systemen, die in seinem Verständnis auf Rechtsordnungen basieren: "In the West, Christianity combined with preexisting institutions to produce clear jurisdictional lines of top-down personalized authority. In the economic sphere, this led to legal definitions of property and ownership. But Chinese institutions rest on relationships and not jurisdictions, on obedience to one's own roles and not on bureaucratic command structures. [...] [B]oth jurisdictional principles and the autonomous individual are historically absent in the Chinese worldview, and thus were not incorporated in Chinese institutions. Instead, Chinese society consists of networks of people whose actions are oriented by normative social relationships." (Hamilton 1994, S. 198 f.)
Es kann von daher nicht allzu sehr überraschen, daß die bedeutendste Gegenkonzeption zum ökonomischen Ordnungsmechanismus ,gwa«ar/-Netzwerk,) die nicht-personalistisch ausgerichtete Rechtsordnung westlicher Prägung, diesen nicht verdrängen kann. Die chinesische ,Rechtskultur' (Friedman 1975) bietet bislang noch nicht die Voraussetzungen für eine umfassende Integration dieses (importierten) Rechtsverständnisses in den übergeordneten Wertekanon der chinesischen Gesellschaft (Wang 2002). Ohne einschneidende Modifikationen auf gerade dieser Ebene der grundlegenden Werte und Nonnen der chinesischen Gesellschaft wird es dem Institutionensatz der explizit nichtpersonalistisch ausgerichteten Rechtsordnung westlicher Prägung daher nicht gelingen können, das personalistische Ordnungssystem der /'-Netz werke' zu verdrängen. Unternehmerische Findigkeit im Kontext der g«a«x;'-Netzwerke setzt dementsprechend weniger an einer Überwindung dieses institutionellen Arrangements durch alternative Ordnungsmechanismen an als vielmehr an einer Nutzbarmachung derselben in neuen Transaktionsfeldem. Die Nutzung der durch gwanx/'-Netzwerke bereitgestellten Ordnungsstrukturen im Rahmen von korrupten Transaktionen bildet hier einen der bedeutsamsten Bereiche. Es zeigt sich, daß gwarcxi-Netzwerke eine praktikable und unter den gegebenen Rahmenbedingungen transaktionskostenminimierende (,best-practice') Lösung für das Ordnungsproblem korrupter Transaktionen bereitstellen können (Schramm und Taube 2003, 2004). Korrupte Transaktionen genauso wie alle anderen ökonomischen Interaktionsbeziehungen basieren auf dem Austausch von spezifischen Bündeln von Verfügungsrechten, und wie diese müssen sie die transaktionskostenträchtigen Problemkreise der Transaktionsanbahnung (Such- und Informationskosten), des Vertragsabschlusses (Verhandlungs- und Entscheidungskosten) und der Absicherung gegen opportunistisches Verhalten von Transaktionspartnern (Überwachungs- und Durchsetzungskosten) bewältigen. Korrupte Transaktionen sind jedoch in besonderem Maße durch ex-post-Opportunismus gefährdet: Da die Korruptionszahlung eine Investition darstellt, die außerhalb der Transaktion keinen Wert besitzt, exponiert sich der Korrumpteur für einen ,hold up' durch den Empfänger, der weitere Zusatzzahlungen verlangen oder die vereinbarte Gegenleis-
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tung nicht oder nur unzureichend ausfuhren kann, ohne Retorsionsmaßnahmen des Korrumpteurs befürchten zu müssen. In Anbetracht des illegalen Charakters korrupter Transaktionen können nun die etablierten formalen Institutionen der nationalen Markt- und der Rechtsordnung nicht in Anspruch genommen werden (Goudie und Stasavage 1998, S. 134 f.), so daß andere Ordnungsmechanismen herangezogen werden müssen {Rose-Ackermann 1999, S. 96 ff.). Die Eignung von gwa«x/-Netzwerkcn für die Lösung des Ordnungsproblems korrupter Transaktionen ergibt sich nun aus der Fähigkeit dieser Institution, stark risikobehaftete Austauschbeziehungen in sich selbst durchsetzende Verträge zu transformieren. Durch den hohen Investitionsaufwand zum Aufbau eines Netzwerkes dokumentieren alle beteiligten Parteien ein ,credible commitment': Sie wenden Ressourcen auf, die nur dann einen ,pay-off erzielen, wenn zukünftige korruptionsbasierte Transaktionen im Sinne aller Vertragsparteien ausgeführt werden. Diese Vertragsbeziehungen sind ,stabil', da alle beteiligten Parteien an einer langfristigen Transaktionsbeziehung interessiert sein müssen. Aufgrund ihres hohen Bestandes an versunkenen Investitionen schaffen gwcrati-Netzwerke so ,governance'-Strukturen, die analog zu vertikalen Integrationslösungen vertragsgetreues Verhalten der Transaktionspartner erzwingen (Reja und Tavitie 2000). Guanxi-Netzwerke vermögen es also, eine Korruptionsinfrastruktur bereitzustellen, im Rahmen derer sich die Transaktionspartner gegen ex-post-Opportunismus einer Seite absichern können. Diese dritte Fallstudie verdeutlicht die Relevanz der in Ungleichung (6) dargestellten Kräfteverhältnisse für das Ergebnis eines institutionellen Innovations- bzw. Konkurrenzprozesses. Insofern die Überlegenheit des neuen institutionellen Arrangements nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennbar wird, wird unternehmerisches Arbitragestreben von der Durchsetzung des neuen institutionellen Arrangements abgelenkt. Im vorliegenden Beispiel konzentriert sich die (dezentrale) unternehmerische Innovationsleistung auf die Nutzbarmachung des alten institutionellen Arrangements in Interaktionsfeldem (personalistische, .korrupte' Transaktionen), die in dem neuen institutionellen Arrangement nicht akkomodiert werden, und nicht auf die beschleunigte Durchsetzung des letzteren. Gleichzeitig wird der in Gleichung (7) vorgestellte Parameter der social embeddedness in seiner Wirkungskraft herausgestellt. Aufgrund ihrer vielschichtigen sozialen Funktionen erhebt sich die Institution der guanxi-Netzwerke über einen primär auf ökonomischen Effizienzkriterien basierenden Veränderungsdruck und erweist sich als außerordentlich wandlungsresistent.
5.
Resümee
Der Prozeß institutionellen Wandels, der die chinesische Volkswirtschaft über gut zwei Jahrzehnte hinweg allmählich in marktwirtschaftliche Ordnungsstrukturen überführt hat, ist in weiten Bereichen ohne einen richtungsweisenden ,Masterplan' erfolgt. Stattdessen waren es unternehmerische Kräfte auf dezentraler Ebene, die die im Zuge des Transformationsprozesses bereits frühzeitig aufbrechenden Handlungsspielräume genutzt haben und den gesamten Transformationsprozeß letztlich durch ihre - eigennutzorientierte - Findigkeit geprägt und gesteuert haben. Es waren diese bottom-up-
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Innovationen, die den institutionellen Wandlungsprozeß immer wieder von neuem vorangetrieben und /cp-cfow/j-Änderungen auf der Ebene der äußeren Institutionen erzwungen bzw. unterlaufen haben. Eine überragende Bedeutung hatte dabei die Entwicklung von institutionellen Arrangements, die als Alternative zu den im formalen Sektor angesiedelten Institutionen zunächst in der Schattenwirtschaft eingeführt und erst später in den Kanon der formalen Wirtschaftsordnung aufgenommen und legalisiert' worden sind. In Reaktion auf die unzureichende Eignung der bestehenden institutionellen Arrangements sind im Verlauf des chinesischen Transformationsprozesses immer wieder Wirtschaftssubjekte in die Schattenwirtschaft ausgewichen. Institutionelle Innovationen, die in dieser ,second economy' entwickelt wurden, haben die Transaktionskosten schattenwirtschaftlicher Transaktionen im Vergleich zu solchen, die im offiziellen Sektor ausgeführt werden, erheblich gesenkt. Hierdurch ist ein Transaktionskostengefälle geschaffen worden, das in zahlreichen Fällen dazu gefuhrt hat, daß ein immer größeres Transaktionsvolumen aus dem weniger effizient organisierten offiziellen Sektor abgezogen worden ist. Auf diese Weise wurde ein permanenter Druck auf die ordnungspolitischen Entscheidungsträger ausgeübt, institutionelle Innovationen, die in der Schattenwirtschaft entwickelt worden waren, in den formalen Aufbau der Wirtschaftsordnung zu integrieren. Insgesamt ist der institutionelle Wandlungsprozeß in China während der vergangenen 25 Jahre auf den meisten Ebenen durch sehr kurze Lebenszyklen geprägt gewesen. Aufgrund der sich in rascher Folge z.T. massiv verändernden Umfeldbedingungen sind einzelne institutionelle Lösungen oftmals sehr schnell an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gestoßen und mußten durch neue, besser an die veränderten Rahmenbedingungen angepaßte Institutionen ersetzt werden. Die längsten Lebenszyklen können dabei in jenen Bereichen verzeichnet werden, in denen die soziale Einbettung besonders stark ausgeprägt ist und die Funktion der spezifischen Institution signifikant über die reine ökonomische Transaktionskoordination hinausreicht. Die schnellste Abfolge institutioneller Innovationen ist dementsprechend bei jenen Institutionen zu beobachten, die rein technische' Koordinationsleistungen erbringen und somit in besonderem Maße dem ,naiven' Transaktionskostenminimierungskalkül unterliegen. Gerade auf der Ebene der inneren Institutionen sind es letztlich vor allem unternehmerische Impulse, die den institutionellen Wandel initiieren. Insgesamt verweist dieser Beitrag damit auch auf die besondere Bedeutung einzelner Entrepreneure, die bereit sind, in einen risikobehafteten Such- und Entdeckungsprozeß nach neuen institutionellen Lösungen des Koordinationsproblems zu investieren, und damit als treibende Kraft des Institutionenwandels erscheinen.
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Werner Pascha und Cornelia Storz (Hg.) Wirkung und Wandel von Institutionen. Das Beispiel Ostasiens Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft • Band 77 • Stuttgart • 2005
Private Regulierung aus institutionenökonomischer Sicht: Das Beispiel Japan* Cornelia Storz Inhalt 1. Einleitung
200
2. Kooperativ erzeugte Regeln: Eine institutionenökonomische Einordnung
201
2.1. Relevante Fragestellungen der Institutionenökonomik 2.2. Die Umweltmanagementnonn ISO 14001 als private Regulierung
201 203
3. Private Regulierung: Kritik und Bewertung
205
3.1. Neue politische Ökonomie: Rationalität und Eigeninteresse
205
3.2. Die Sicht der Institutionenökonomik
205
3.2.1. Effizienz, Flexibilität und Gestaltbarkeit 3.2.2. Komplementarität, Pfadabhängigkeit und Normendefektion
205 206
3.3. Eine veränderte Sicht auf Handlungsspielräume: Lernen und Zustimmung.... 209 4. ISO 14001 in Japan: Restriktionen und Gestaltungsspielräume
211
4.1. Überblick: Umweltbezogene Wirtschafts- und Unternehmenspolitik
211
4.2. Regelabweichung statt Reform?
213
4.2.1. Rationalität, Eigeninteresse und Sanktionsbewehrung der Norm
214
4.2.2. Komplementaritäten
216
4.3. Das Kind nicht mit dem Bade ausschütten - Lernen und Zustimmung
217
4.3.1. Veränderte Handlungsrechte durch die Norm
217
4.3.2. Lernen und umweltbezogene Prozessinnovationen
219
5. Normen zur Umsetzung umweltpolitischer Ziele?
220
Dieser Beitrag wurde durch eine Einladung der Kansai-Universität als visiting researcher ermöglicht. Die Verfasserin dankt der Universität und insbesondere Mitsuru Tanaka für die Ermöglichung dieses Projekts. Während des Aufenthaltes wurden Interviews mit Zertifizierstellen, Experten sowie nach ISO 14001 zertifizierten Unternehmen geführt, die in diesen Beitrag eingeflossen sind. Besonderer Dank gilt den Interviewpartnem der Unternehmen Daikin Industries Ltd., Kinki Rasen Kogyo Co., Ltd., Komatsu Ltd., NEC Corporation, Takako Industries, Inc., Takigawa Kogyo Co., Ltd., Sony Corporation sowie der Zertifizierstelle JACO und des japanischen Wirtschaftsministeriums METI.
200
Cornelia Storz
1. Einleitung Kooperative Lösungen gewinnen in einer Vielzahl von Politikbereichen an Bedeutung, so in der Arbeitsmarkt-, der Gesundheits- oder der Umweltpolitik. Der Staat verabschiedet sich faktisch von der allumfassenden Idee des mittels Ordnungsrechtes hierarchisch steuernden und lenkenden Staates. Insbesondere zwei Faktoren begründen die Zunahme kooperativer Lösungen: Erstens wird in einer komplexer werdenden Welt die Dringlichkeit eines Einbezugs externen Wissens deutlich. Kooperative Lösungen bieten die Option, Wissen außerhalb der Hierarchie zu generieren und in die Hierarchie einfließen zu lassen. Zweitens wird die Idee des Wettbewerbsgedankens auch auf Staaten, ihren regulatorischen Rahmen und ihre institutionellen Verfahren übertragen. Es liegt damit im Interesse der Staaten, diejenige Verfahrensweise zu wählen, die im politischen Wettbewerb aus Gründen der Effizienz oder verbesserter Implementierungsergebnisse als überlegen erscheint. Diese Tendenzen fuhren zu einem tiefgreifenden Wandel der Handlungsbedingungen nationaler Wirtschaftspolitik, indem vormals regulierte Bereiche dereguliert und Kompetenzen hinsichtlich Formulierung und Implementierung von Regeln an private Wirtschaftssubjekte delegiert werden.1 Die Zunahme kooperativer Lösungen wurde in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion skeptisch aufgenommen, da ihnen eine Induzierung von Verhaltensänderungen weitgehend abgesprochen wurde. Ursachen sind in dem clubartigen und korporatistischen Charakter kooperativer Entscheidungsverfahren, in Interessenkonflikten, in unter bestimmten Bedingungen zu erwartenden unzureichenden Anreizen zu Verhaltensänderungen sowie aus institutionenökonomischer Sicht in fehlenden Komplementaritäten, in Unsicherheiten und in Wechselkosten zu sehen. Die Skepsis gilt auch für die jüngere ordnungspolitische Diskussion, die dieses institutionelle Politikverfahren nur dann begrüßt, wenn es glaubwürdig von externen Sanktionen begleitet wird.2 Vor diesem Hintergrund wird der vorliegende Beitrag von der Frage geleitet, inwieweit kooperative Lösungen eine sinnvolle Ergänzung zum Ordnungsrecht in der Umweltpolitik sind. Als Beispiel einer kooperativen Lösung wird die internationale Umweltmanagementnorm ISO 14001 und deren Implementierung in japanischen Unternehmen diskutiert. ISO 14001 ist eine internationale Norm, die zur Einhaltung relevanter Umweltgesetze und zur individuellen Festlegung von umweltpolitischen Zielen und deren Durchfuhrung verpflichtet (so etwa in Bezug auf die interne und externe Kommunikation, die Dokumentation des Umweltmanagementsystems oder die Organisationsstruktur). Die Norm selbst und der Bezug zu Japan sind deswegen von besonderem Interesse, da erstens die Norm selbst schwach sanktioniert wird, so daß ubiquitär von Regelabweichung und -verwässerung ausgegangen werden muß, und zweitens in Japan stärker als in west-
1
Vergleiche zu kooperativen Politikverfahren Döring und Pähl (2003), Frick et al. (2001); Hansjürgens und Köck (2003) sowie aus juristischer Perspektive Börzel und Risse (2002). Für Japan vgl. Yabe (1997).
2
Instrumente, die aus ökonomischer Sicht zur Erreichung umweltpolitischer Ziele wünschenswert sein mögen (Steuer- und Abgabenlösungen, handelbare Schädigungsrechte / Zertifikate, haftungsrechtliche Lösungen), werden in der politischen Praxis wenig umgesetzt (vgl. Beckenbach et al. 1999 sowie Gawel 1994).
Kooperative Verfahren zur Lösung von Umweltproblemen?
201
liehen Industrieländern Tendenzen zu einer Regelabweichung und -verwässerung zu bestehen scheinen, die exogen auf den clubähnlichen Charakter internationaler Standardisierungsverfahren sowie endogen auf spezifische kulturelle Dispositionen zurückgeführt werden können. Sollte sich zeigen, daß trotz dieser Restriktionen Verhaltensänderungen induziert werden, würde dies auf noch unzureichend berücksichtigte Potentiale kooperativer Lösungen verweisen. Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut: Zunächst werden relevante Fragestellungen der Institutionenökonomik in Bezug auf kooperative Politikverfahren diskutiert. Insbesondere erfolgt hier eine Bezugsetzung zur Umweltmanagementnorm ISO 14001 (Kapitel 2). Nachfolgend werden kooperative Verfahren kritisch aus Sicht der politischen Ökonomie und der Institutionenökonomik beleuchtet, wobei Restriktionen und Optionen reflektiert werden (Kapitel 3). Mit dem vierten Kapitel erfolgt eine Bezugsetzung auf die japanische Situation. In Kapitel 5 soll abschließend die Frage beantwortet werden, inwieweit kooperative Verfahren zu einer Lösung von Umweltproblemen beitragen können.
2. Kooperativ erzeugte Regeln: Eine institutionenökonomische Einordnung 2.1. Relevante Fragestellungen der Institutionenökonomik In den letzten Jahrzehnten hat sich ein Forschungszweig in den Wirtschaftswissenschaften herausgebildet, der beansprucht, reale marktliche und politische Prozesse besser erfassen zu können: die Institutionenökonomik. Auch wenn sich bisher keine einheitliche Schule herausgebildet hat, dürfte es einige Elemente der institutionenökonomischen Theorie geben, die grundsätzlich anerkannt werden. Die zentrale, wohl von allen Autoren geteilte Annahme lautet, daß ökonomische und politische Prozesse von den institutionellen Rahmenbedingungen beeinflußt werden. Institutionen kanalisieren in dieser Perspektive menschliches Verhalten, indem sie dauerhaft angelegt sind und so spezifische Anreize setzen. Indem das Spektrum alternativer Lösungen eingeschränkt wird, reduzieren sie zwar die Wahlmöglichkeiten, machen aber gerade dadurch Handeln erst möglich. Aus der Institutionenökonomik ist auch die Klassifikation in selbstdurchsetzende und nicht-selbstdurchsetzende Vereinbarungen geläufig. Selbstdurchsetzende Regeln bedürfen keiner Sanktionierung, da ihre Befolgung im Eigeninteresse der Beteiligten liegt. Ein häufig angeführtes Beispiel sind Kompatibilitätsstandards, wie sie in den Informations- und Kommunikationstechnologieindustrien Bedeutung haben. Die Befolgung von nicht-selbstdurchsetzenden Institutionen wird durch einen glaubhaften Sanktionsmechanismus sicher gestellt. Damit ist nicht notwendigerweise gesagt, daß Sanktionen (bzw. deren glaubhafte Androhung) extern gesetzt sind, wie etwa durch den Staat, Verbände, kooperierende Unternehmen oder den anonymen Markt, denn sie können auch intern gesetzt sein - ein Tatbestand, der die Existenz von Kooperationen erklärt und häufiger Gegenstand spieltheoretischer Modelle ist (Elster 1989). Umwelt- und Qualitätsstandards zählen nicht zu den selbstdurchsetzenden Vereinbarungen. Theoretisch besteht auch hier die Möglichkeit einer internen Bindung, praktisch sind diese Normen
202
Cornelia Storz
immer von dem Aufbau eines ,monitoring'-Systems begleitet. Hierunter versteht man ein externes Kontrollsystem (operativ über Zertifizierstellen), das die Konformität etwa des betrieblichen Umweltmanagementsystems mit der Norm mit einem zeitlich begrenzt gültigen Zertifikat bescheinigt; Re-zertifizierungen zu späteren Zeitpunkten sind erforderlich.3 Zertifizierungsstellen sind private Wirtschaftsunternehmen, über deren Akkreditierung eine staatlich zugelassene Akkreditierungsagentur entscheidet. 4 Eine Verletzung der Norm kann mit dem Entzug des Zertifikats sanktioniert werden. Im Falle internationaler Managementnormen sind Zertifizierungsstellen zusätzlich auf internationaler Ebene in Kommunikationsforen zusammengeschlossen, um angesichts der weichen Terminologie der Managementstandards eine möglichst einheitliche Interpretation zu gewährleisten. Die jeweilige nationale Akkreditierungsagentur kann eine gegenseitige Anerkennung (,mutual recognition agreement') vereinbaren, um erneute Prüf- und Testverfahren im Empfängerland zu vermeiden. Neben dem externen Audit besteht grundsätzlich die Möglichkeit, mittels einer Selbsterklärung (,self declaration') die Konformität zu einer Norm zu bescheinigen. Diese Form des ,monitoring' wird allerdings wegen Glaubwürdigkeitsproblemen kaum eingesetzt.5 Schließlich hat die Institutionenökonomik mit dem Verweis auf die Komplementarität formaler und informeller Institutionen - hier verstanden als spezielle, verhaltensleitende Präferenzen - den Blick darauf gelenkt, daß effizienzsteigernde Institutionen nicht in jedem Fall transferierbar sind. Für das Forschungsprogramm der Institutionenökonomik wurde daraus erstens die Schlußfolgerung abgeleitet, daß ein Vergleich realisierbarer Institutionen mit Wunschinstitutionen nicht sinnvoll, sondern ein Vergleich der Wirkungsweise tatsächlich existierender Institutionen (z.B. auch in unterschiedlichen Wirtschafitsräumen) anzustreben ist. Zweitens hat sie ihren Fokus darauf gerichtet, ob und inwiefern institutioneller Wandel, also geplante politische Gestaltung, möglich ist (vgl. hierzu die Einleitung dieses Bandes). Auf beide Aspekte nimmt dieser Beitrag Bezug: Es geht um die Wirkungsweise der Umweltmanagementnorm ISO 14001 und hierdurch induzierte Veränderungen. In einem allgemeineren Sinne wird diskutiert, ob private Regulierung in der Umweltpolitik eine geeignete, zielführende Institution zur Internalisierung externer Effekte sein kann. Unter zielfuhrend werden hier die Kriterien statische Effizienz (Kostenoptimalität), dynamische Effizienz (Innovationsanreize) und
3
Zertifikate können aus informationsökonomischer Sicht auch als Signal zum Abbau von Infoimationsasymmetrien verstanden werden; vgl. Kerber und Vanberg (2001) sowie Storz (im Druck).
4
In Deutschland ist dies etwa die TGA (Trägergemeinschaft für Akkreditierung GmbH), in Japan die JAB (Japan Accreditation Board of Conformity Assessment). In Japan werden neben den Zertifizierstellen von der JAB zwei weitere Stellen akkreditiert, nämlich zur Schulung sowie zur Zulassung von Auditoren. Für ISO 14001 gibt es gegenwärtig 37 Zertifizierstellen, für die Schulung von Auditoren 14 sowie für die Zulassung von Auditoren eine (vgl. Okamoto 2002, S. 78 f.). Vgl. zur Organisation der Zertifizierung in Japan anschaulich Kawano (1997a, S. 126) sowie Okamoto (2002, S. 78 f.).
5
Vgl. Döring und Pähl (2003, S. 101-104), Kawano (1997a, S. 126 ff.), Okamoto (2002, S. 78) sowie Müller (2001).
Kooperative
Verfahren zur Lösung von
Umweltproblemen?
203
Treffsicherheit (Praktikabilität, Befolgung) subsumiert.6 Die Institutionenökonomik eignet sich für die Beantwortung dieser Fragen in besonderer Weise, da sie anerkennt, daß politische Prozesse von den institutionellen Rahmenbedingungen und damit von den bestehenden formalen und informellen Regeln beeinflußt werden.
2.2. Die Umweltmanagementnorm ISO 14001 als private Regulierung Kooperative Politikverfahren beziehen organisierte Interessen in politische Entscheidungen in institutionalisierter Form ein. Damit umfaßt der Begriff kooperative Politikverfahren ein sehr breites und in sich heterogenes Spektrum von Entscheidungsverfahren. Idealtypisch sollen hier drei Typen kooperativer Verfahren unterschieden werden: Selbstverpflichtung, Selbstregulierung und administrative Verwaltungsempfehlung. Im Falle der Selbstverpflichtung finden Formulierung und Instrumentenwahl, Umsetzung und Durchsetzung sowie Kontrolle und Sanktionierung ausschließlich privat statt. Im Falle der Selbstregulierung kann der Staat in die Entscheidungsprozesse einwirken, allerdings nur mittelbar. Normen sind ein typischer Fall von Selbstregulierung, da die Genese von Regeln, die Wahl von Regeln sowie deren Umsetzung zwar ausschließlich auf privaten Wirtschaftssubjekten beruht, die Wahrnehmung dieser Politikaufgabe aber grundsätzlich staatlich gefordert und damit auch die Einhaltung (zumindest konzeptionell) staatlich gesichert ist. Abkommen i.R. sowohl der Selbstverpflichtung als auch der Selbstregulierung ist gemeinsam, daß sie im Rahmen privater Verträge kollektive Probleme lösen. In der konstitutionenökonomischen Literatur werden sie daher auch als private Regulierung bezeichnet (Kerber und Vanberg 2001; Säbel 1997). Im Unterschied hierzu spielt bei administrativen Verwaltungsempfehlungen der Staat in Form der Exekutive in allen Prozeßphasen eine größere Rolle und besitzt oftmals direkte Möglichkeiten der Sanktionierung. Die erfolgreiche Durchsetzung der Empfehlungen wird auf die nur vorgetäuschte Unverbindlichkeit zurückgeführt, da die Verwaltung trotz fehlender rechtlicher Sanktionsmöglichkeiten die Option besitzt, regelverletzendes Verhalten negativ mit Maßnahmen zu treffen, die zu den geforderten Maßnahmen in keinem direkten Bezug stehen. Für Japan ist diese Form der kooperativen Politikverfahren zunächst aus politikwissenschaftlicher, später auch aus ökonomischer Perspektive untersucht worden (Foljanty-Jost 1988; Köster 2003). Gegenstand dieses Beitrags ist die Umweltmanagementnorm ISO 14001. ISO 14001 wurde von einer der wichtigsten supranationalen Normungsorganisationen, der International Organisation for Standardization (ISO), 1996 als internationale Norm
6
Vgl. zur Theorie der Umweltpolitik grundlegend Baumol und Oates (1988) sowie Stavins (1998). Angesichts der steigenden Bedeutung internationaler Umweltabkommen findet eine intensive Diskussion über die Ergebnisse von Regulierungswettbewerb in der Umweltpolitik statt (,race to the bottom' vs. ,race to the top') (vgl. Klevorick 1997; Levinson 1997; Wilson 1997).
204
Cornelia Storz
anerkannt. 7 Mitglieder von supranationalen Normungsorganisationen sind Normungsverbände, die jeweils Alleinvertretungsrecht für einen Staat besitzen. Deutschland etwa wird durch das Deutsche Institut für Normung (DIN), Japan durch das Japan Industrial Standards Committee (JISC) vertreten. An der Normung nehmen Unternehmens- und Verbandsvertreter teil. Die gemeinsam erarbeiteten Normen können von den nationalen Normungsverbänden als für ihr Land gültig anerkannt werden. Dies impliziert die Übersetzung der Norm, die Anpassung, ggf. die Abschaffung relevanter Normenwerke und den Aufbau einer angemessenen Infrastruktur. Die Umweltmanagementnorm ISO 14001 wurde 1996 als JISQ 14001 in Japan eingeführt. Grundsätzlich kann sich jede Organisation mit eigener Funktion und eigener Verwaltung nach ISO 14001 zertifizieren lassen. Ergebnis der Normeinführung soll ein kontinuierlicher Verbesserungsprozeß sein, in der Literatur als plan - do - check - action plan - do - .... beschrieben. Ausgangspunkt von ISO 14001 ist die individuelle Festlegung der umweltbezogenen Unternehmenspolitik. Um die freiwillig festgelegten Ziele zu erreichen, ist ein erster Schritt die Planung geeigneter Verfahren, um den als bedeutend ermittelten Zielen und Umweltaspekten zu begegnen (plan). Daneben verpflichtet sich die Organisation zur Einhaltung umweltrelevanter Gesetze. Ein zweiter Schritt ist die Implementierung und Durchfuhrung. In diesem Schritt müssen geeignete Organisationsstrukturen und eindeutige Verantwortlichkeiten festgelegt werden; eine besondere Rolle spielt die Schulung von Mitarbeitern, die externe und interne Kommunikation sowie die Dokumentation des Umweltmanagementsystems (do). Kontroll- und Korrekturmaßnahmen in Form von betriebsinternen Messungen sowie interne und externe Audits sollen in einem dritten Schritt prüfen, ob die gesetzten Ziele erfüllt wurden (check). Ein vierter Schritt ist die Bewertung der Ergebnisse durch die oberste Leitung, die dann ggf. über neue Ziele, Planungsinstrumente und durchzuführende Maßnahmen entscheidet (action) (Müller 2001, S. 24 f.; Yamaguchi 2000, S. 33 ff.).
7
Eine weitere bedeutende Normungsorganisation ist die International Electrotechnical Commission (IEC). Die Gründe für die Formulierung einer internationalen Umweltmanagementnorm sind in den international zunehmenden Umweltschutzbemühungen, der sich seinerzeit in Vorbereitung befindenden britischen Umweltmanagementnorm BS 77450 sowie in der europäischen Öko-Audit-Verordnung EMAS von 1993 (novellierte Fassung EMAS II: 2001) zu suchen. 1991 wurde in der ISO die Strategie Advisory Group on Environment (SAGE) gegründet, die den Bedarf einer Umweltmangementnorm untersuchte. Deren Empfehlung, einen eigenständigen Normenausschuß (.technical committee') zu gründen, wurde 1992 gefolgt. Der zuständige Normenausschuß (TC 207) ist in sechs .Subcommittees' untergliedert, wovon einer (SC 1/ Environmental Management Systems) für die gesamte Entwicklung der Umweltmanagementnormenreihe ISO 14000ff verantwortlich zeichnet. Da ISO 14001 hierunter die einzige Norm ist, die als zertifizierungsfähige Norm ausgestaltet ist (was sich etwa in der Begriffswahl „muß" und „soll" niederschlägt), wird nur auf sie nachfolgend Bezug genommen (Müller 2001, S. 112 ff.; Okamoto 2002, S. 33; Yamaguchi 2000, S. 28 ff.). Zu einem Vergleich zwischen ISO 14001 und der europäischen Öko-Audit Verordnung EMAS vgl. Hauff ( 1999) sowie Müller (2001, S. 123 ff.).
Kooperative
Verfahren zur Lösung von
Umweltproblemen?
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3. Private Regulierung: Kritik und Bewertung 3.1. Neue politische Ökonomie: Rationalität und Eigeninteresse Die Kritik der neuen politischen Ökonomie an der Tragfähigkeit privater Regulierung hat sich weitgehend in der einschlägigen Diskussion um dieses Politikverfahren durchgesetzt. Die neue politische Ökonomie überträgt das wirtschaftswissenschaftliche Verhaltensmodell der Rationalität und Eigennutzmaximierung in die politische Sphäre. Für das öffentliche Gut Umwelt bedeutet dies, daß Interessengruppen nicht nur einen geringfügigen Anreiz haben, dieses öffentliche Gut zu erzeugen, sondern auch Anreize bestehen, Regeln zur Erzeugung dieses Gutes zu umgehen bzw. in ihrem Sinn zu beeinflussen. Da bestimmte Interessengruppen besser organisiert und hinsichtlich der Nutzung von Ressourcen weniger restringiert sind, bieten private Regulierungen stärker als hoheitliches Recht die Möglichkeit, die Regelsetzung im Sinne spezifischer Akteure zu steuern oder zu umgehen, da diese Regeln nicht (bzw. nur mittelbar) staatlich sanktioniert werden. Weiter wird vermutet, daß kooperative Regeln eher im Sinne der jeweiligen Regulierer als im Sinne der Allgemeinheit formuliert werden, Abweichungen von Regeln unzureichend geahndet werden und sich kooperative Verfahren zu Verteilungskoalitionen entwickeln. Kooperative Politikverfahren bieten somit im Vergleich zum Ordnungsrecht sehr viel stärker die Option, Regeln i.S. subjektiver Rationalitäten und einer subjektiven Nutzenmaximierung zu beeinflussen. Es überrascht daher nicht, daß unter Annahme dieser Verhaltensrestriktionen die Bewertung privater Regulierung skeptisch ausfallt 8 (vgl. auch den Beitrag von Brumann in diesem Band). Die Institutionenökonomik kommt demgegenüber grundsätzlich zu einer positiveren Wertung. Dies wird nachfolgend skizziert.
3.2. Die Sicht der Institutionenökonomik 3.2.1. Effizienz, Flexibilität und Gestaltbarkeit Ein einfaches, in der politischen Praxis aber gewichtiges Argument ist die höhere Effizienz privater Regulierung. Dieser Sachverhalt bezieht sich zum einen auf die geringeren Kosten, die Regierungen entstehen, wenn Formulierung, Sanktionierung und Entscheid überwiegend in der Hand privater Wirtschaftssubjekte liegen. Selbst wenn etwa in Form von Akkreditierungsagenturen die letztliche Kontrolle dem Staat obliegt, entfallen doch weitgehend die Kosten für vorgeschaltete Phasen des politischen Prozesses (Campbell 1998, S. 716 f.). Aus transaktionskostentheoretischer Perspektive können damit private Regulierungen einer hoheitlichen Regelsetzung überlegen sein, wobei die Transaktionskosten in Abhängigkeit der strukturellen Merkmale des Problembereiches (etwa Informationsverteilung, Organisationsgrad der Verursacher) unterschiedlich hoch
8
Dazu tragen auch Publikationen aus dem Bereich des Marketing bei, die ein ,labellingmarketing' empfehlen (vgl. Kuhre 1997).
206
Cornelia Storz
ausfallen können (Döring und Pähl 2003, S. 99 f.). Die statische Effizienz kann damit insgesamt als gut bezeichnet werden. 9 Gewichtiger aber dürfte sein, daß auch die dynamische Effizienz dem Ordnungsrecht überlegen sein kann. Private Regulierungen vermeiden im Unterschied zum herkömmlichen Ordnungsrecht einen Rekurs auf die Zentralisierung von Wissen, da die Regelformulierung nicht einer zentralen Instanz - dem , Staat' - obliegt, sondern einer Vielzahl von Wirtschaftssubjekten. Es ist ja nicht gesagt, daß der Staat relevante Defizite in der ökologischen Funktionsfähigkeit erkennt und geeignete Institutionen wählt; im Gegenteil, hier wird mit Wissensannahmen gearbeitet, die in der Realität nicht erfüllt sein müssen. Zudem sind private Regulierungen wesentlich flexibler, etwa bei Regelmodifikationen. Eine komparative Institutionenanalyse kommt bei einem Vergleich privater Regulierungen gegenüber einer ,command and control'-Politik zu dem Schluß einer Überlegenheit dezentraler Lösungen, wobei grundsätzlich eine glaubwürdige Sanktion zur Voraussetzung einer Regelbefolgung gemacht wird. Das Argument wird von sozialpsychologischen Erkenntnissen gestützt, denen zufolge Sanktionen die intrinsische Motivation von Wirtschaftssubjekten, als sinnvoll erachtete Regeln zu befolgen, zerstören können. Insgesamt ist daher eine erhöhte Befolgungswahrscheinlichkeit und Treffsicherheit zu vermuten (Campbell 1998; Frey 1997; Michael 1995, S. 171 und 181). 3.2.2. Komplementarität, Pfadabhängigkeit und Normendefektion Zu einer skeptischeren Einschätzung kommt man dann, wenn man die grundlegende institutionenökonomische Erkenntnis der Existenz institutioneller Komplementaritäten und daraus resultierender Pfadabhängigkeiten berücksichtigt. Nimmt man die Existenz formaler und informeller Institutionen ernst, ergeben sich offene Fragen, die nachfolgend diskutiert werden sollen. Institutionen können nur dann die Funktion von Entlastung und Koordination wahrnehmen, wenn sie dauerhaft angelegt sind. Ihre Stabilität wird durch Komplementaritäten, Wechselkosten und Unsicherheit erzeugt. Komplementaritäten, auf die sich die nachfolgenden Ausfuhrungen konzentrieren, bestehen innerhalb des formalen Regelwerkes sowie zwischen formalen und informellen Regeln. Es reicht damit im Zweifelsfall nicht aus, eine Institution zu reformieren, ohne die komplementären Beziehungen zu
9
Die Effizienzvorteile sind gleichwohl nicht eindeutig, da das Sanktionssystem zumindest die statische Effizienz durch anfallende Kontrollkosten schmälern kann. Ursprünglich wurde das sogenannte ,Coase Theorem' in anderer Perspektive diskutiert: Das Theorem besagt, daß bei Transaktionskosten von null beim Auftreten externer Effekte in Verhandlungen die gesamtwirtschaftlich effiziente Lösung durch spontane Intemalisierung erreicht wird. Rezipiert wurde das Theorem allerdings dahingehend, daß eine Verhandlung zwischen Emittenten (also Verursachern externer Effekte) in der Regel aufgrund auftretender Transaktionskosten nicht möglich sei, da diese Verhandlungen erschwerten oder gar unmöglich machten (insbesondere dann, wenn sie ungleich verteilt sind). Gemeint hatte Coase aber wohl etwas anderes: Das Auftreten externer Effekte sei durch Transaktionskosten begründet, da diese eine spontane Intemalisierung verhindern. Daher müsse man dem Phänomen der Transaktionskosten nachgehen und diese reduzieren - durch ,gute' Institutionen - und nicht, wie etwa von Pigou vorgeschlagen, die Belegung externer Effekte mit Steuern anstreben, da dies zusätzlich Transaktionskosten erzeuge (vgl. Coase 1960).
Kooperative
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Umweltproblemen?
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anderen Institutionen zu berücksichtigen. Die Institutionenökonomik verabschiedet sich damit von der Vorstellung, daß es überlegene, allgemein effiziente Regelwerke gäbe, und setzt sich statt dessen u.a. mit der Frage auseinander, ob und unter welchen Bedingungen Regeln und Institutionen von einer Regelumgebung in eine andere übertragen werden können. Damit wird deutlich, warum die Institutionenökonomik Interesse an einer komparativen Institutionenanalyse und der Frage der Reformfahigkeit von Systemen hat. Für unseren Sachverhalt ist besonders fruchtbar, daß durch die Anerkennung der Bedeutung informeller Institutionen auch divergente kulturelle Prägungen relevant werden. Informelle Institutionen spielen in der Reformdiskussion eine entscheidende Rolle. Informelle Regeln brechen gewissermaßen formale Regeln, so daß letztere Verhalten nicht mechanistisch kanalisieren können. Ein ausgeprägter Skeptizismus gegenüber der Wandlungsfähigkeit von Regelsystemen aufgrund der Existenz von informellen Institutionen wurde zunächst von North akzentuiert. Er gesteht allenfalls schrittweise marginale Veränderungen in den Randzonen zu. So betont North (1993, S. 21), daß die Genese informeller Institutionen wesentlich mehr Zeit benötige als die formaler Regeln. Für Wirtschaften ohne das Erbe marktbegünstigender Normen folgert er, daß Transformationsprozesse allenfalls in längerfristiger Perspektive erfolgreich und mit hoher Unsicherheit behaftet seien (North 1997, S. 16 f.). Da die Normen der Transformationsstaaten aus einer anderen Zeit stammten, seien sie nicht geeignet, den Aufbau modemer Marktwirtschaften zu flankieren. Die Rigidität kultureller Regeln und die Komplementarität zu formalen Regeln erklären in dieser Perspektive die Bestandsfestigkeit institutioneller Gefüge und die Trägheit institutionellen Wandels. Eggertsson tituliert eine seiner Publikationen in diesem Verständnis mit dem Titel „Limits to Institutional Reform" (Eggertsson 1998).10 Insbesondere auch im deutschsprachigen Raum werden die Restriktionen institutionellen Wandels betont. Leipold (1997, S. 64) verweist darauf, daß die traditionelle Dominanz des Macht- oder Befehlsprinzips gegenüber dem Rechtsprinzip in Rußland dazu geführt habe, daß Reformpolitik, die an solchen informellen Institutionen ansetzen muß, kaum Aussicht auf schnelle Reformerfolge habe." Während sich die bisherige Diskussion insbesondere auf die Transformations- und Entwicklungsländer bezog, wurde in jüngeren Publikationen die These einer Komplementarität formaler und informaler Regeln auch auf führende Industriestaaten übertragen. So wurde die anhaltende Orientierungslosigkeit in der japanischen Wirtschafte- und Untemehmenspolitik auf Pfadabhängigkeiten und Komplementaritäten zurückgeführt. 12 Diese
10
Vgl. zum Problem der Pfadabhängigkeit auch Dopfer (1991), Yarbrough und Yarbrough (1998) sowie Zysman (1994); vgl. zum Zusammenspiel von Institutionen Ackermann (2001), Ostrom (1986) sowie Schlicht (1999). Zu einem Beispiel aus den aktuellen Medien vgl. Nikkei Weekly (2004).
"
Weitere Beispiele aus dem deutschen Sprachraum sind etwa Penz (1999, S. 162 f.), der davon ausgeht, daß „nur jene Institutionen langfristig viabel sein werden, die nicht mit den internen Normen der Akteure im Widerspruch stehen und an die mentalen Modelle der Akteure anschlußfähig sind" oder Schröder (1999, S. 183), der von hilfreichen soziokulturellen Traditionen spricht. Vgl. ähnlich: Boyer (1997), Dopfer (1991) sowie Ensminger (1997).
12
Vgl. etwa Nabor (2003), Pascha (2002), Storz (2002, 2003) sowie zu Südostasien Aoki und Hayami (2001).
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Beiträge stehen in dieser Perspektive in der Tradition der Transformationsforschung mit ihrer kritischen Bewertung von Reformfahigkeit. Die Stabilität bestehender Institutionengefüge bedingt geringe Erfolgschancen institutioneller Transfers (Berkowitz et al. 2003; Guinnane 1994), also etwa von ,best practice'-Regeln in einen anderen Regelkontext. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich das Institutionengefüge stark voneinander unterscheidet: „But to recognize the superiority of one organizational mode of capitalism is not to say that it is an easy task to import, copy or assimilate is rationale and its institutions, by the very fact of their being specific to a society" (Boyer 1997, S. 93).
Eine Entkopplung des Verhaltens von neuen, an die Wirtschaftsubjekte herangetragenen Regeln kann aus subjektiver Perspektive rational sein, denn angesichts der immer gegebenen Differenzen bestehender Strukturen und von außen herangetragener Erwartungshaltungen einer Änderung der bestehenden Struktur sind Defektion und Regelverwässerung rationale Strategien, um Transaktionskosten zu senken und Stabilität zu wahren. Der bekannte Aufsatz von Meyer und Rowan (1977) zu "Formal Structures as Myth and Ceremony" greift dieses Problem bereits frühzeitig auf. Die Problematik von Defektion und Regelverwässerung ist damit ubiquitär; neue Regeln aus fremden Kulturräumen einerseits und kulturelle Dispositionen andererseits können aber das Problem verschärfen (Pascha 2001, S. 186 f.). Ziehen wir ein kurzes Zwischenfazit: Das Festhalten an bestehenden Institutionen und die Restriktionen gegenüber Wandel können subjektiv rational sein. Kollektiv aber führen sie zur Reformunfähigkeit bestehender Institutionen und zum institutionellen ,lock-in\ Mit der negativen Erfahrung in den Transformations- und Industriestaaten hat sich damit eine gewisse Tradition etabliert, die Chancen von Reformen als restringiert und politische Gestaltungsmöglichkeiten als nur bedingt gegeben wahrzunehmen. In der Tat erschien es vor dem Hintergrund der politischen Versuche in Osteuropa sinnvoll, einem auf mechanistischen Vorstellungen beruhenden politischen Gestaltungswillen Grenzen aufzuzeigen, auch wenn das Ziel der Reform dem bestehenden System überlegen war. Was bedeuten diese Erkenntnisse für den Transfer internationaler Normen nach Japan? Japan wurde verschiedentlich eine Einstellung zum Umweltschutz zugesprochen, die im wesentlichen als nicht-existent beschrieben werden kann, was sich in einer laxen Gesetzgesetzgebung, einer auf nationaler Ebene weitgehend fehlenden Umweltbewegung und einer reaktiven, auf Einzelfalle rekurrierenden betrieblichen Umweltpolitik ausdrückte. Weiter wird eine Präferenz persönlicher Bindungen mit einer in der Folge geringen Bindungsfahigkeit an Regeln vermutet, aus der sich grundsätzliche Konflikte in der Umsetzung von Regeln ableiten, da deren Verbindlichkeit gering bewertet und der Pflege persönlicher Beziehungen, die dem Regelwerk widersprechen können, der Vorzug gegeben wird ( B e f u 1989a, b; Pascha 2002). Dies gilt ebenso für die (ohnehin recht schwache) .monitoring'-Funktion, die durch den Staat resp. Zertifizierungsstellen wahrgenommen werden soll. Für Japan wäre damit die Fähigkeit zum institutionellen Wandel in der umweltbezogenen Unternehmenspolitik durch eine schwach sanktionsbewehrte Institution wie ISO 14001 in besonderer Weise beschränkt: Aufgrand von Eigeninteressen und institutionellen Komplementaritäten sind nicht nur ubiquitär Defek-
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Verfahren zur Lösung von
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tion und Regelverwässerung zu erwarten, sondern dem Wollen und Können der japanischen Wirtschaftssubjekte, eine Verhaltensänderung zu erreichen, stehen spezifische Restriktionen gegenüber. Einer politischen Handlungsempfehlung für Japan, durch ISO 14001 Umweltprobleme zu reduzieren, müßte damit in dieser Perspektive skeptisch begegnet werden. Selbst wenn also in anderen Staaten private Regulierung hinsichtlich der Senkung von Umweltbelastungen relativ erfolgreich ist, muß dies nicht zwangsläufig in einem anderen, hier japanischen, Kontext gelten, da die Effizienz und Effektivität einer Regel ja durch den jeweils gegebenen formalen und informellen Regelkontext beeinflußt wird. 3.3.
Eine veränderte Sicht auf Handlungsspielräume: Lernen und Zustimmung
Private Regulierungen verleiten somit grundsätzlich zu Defektion und Regelverwässerung; Pfadabhängigkeiten können dazu führen, daß in spezifischen Kontexten eine besondere Neigung hierzu besteht. Eine solche Sichtweise übersieht aber einen wichtigen Sachverhalt: Es sind individuelle und kollektive Akteure, die ihr Verhalten und die Ergebnisse ihres Verhaltens grundsätzlich reflektieren, und neues Verhalten erlernen können. Eine zentrale Voraussetzung dafür, daß Lernen stattfindet, ist die Wahrnehmung einer spezifischen Situation als tatsächlich änderungsnotwendig. Daher ist es nachfolgend erforderlich, sich näher mit informellen Institutionen (hier verstanden als spezielle Präferenzen) und ihrer Genese auseinanderzusetzen, da sie als spezielle Handlungsrestriktionen und Entscheidungsregeln verhaltensleitend wirken. In der Institutionenökonomik werden informelle Institutionen meist so behandelt, als wären sie gegeben. Eine Freiheit der Persönlichkeitsentwicklung wird nicht zugelassen.13 Damit sind informelle Institutionen - ähnlich wie Präferenzen - letztlich exogene Verhaltensdeterminanten. Es ergibt sich zwangsläufig, daß ihre Genese aufgrund ihrer Stabilität in der ökonomischen Auseinandersetzung von nachrangiger Bedeutung ist.'4 In Anlehnung an jüngere naturwissenschaftliche Theorien zur Gehirnforschung und die daran angelehnte Lernpsychologie erscheint es allerdings sinnvoller, informelle Institutionen, Informationsaufnahme und den Diskurs hierüber als Wechselspiel zu begreifen, aus dem Veränderungen von informellen Institutionen und damit von Verhalten
13
Vgl. kritisch Ötsch (2003, S. 1 f.) sowie Ripperger( 1998, S. 202 ff.).
14
Die Bildung und Wirkung von Präferenzen interessiert die ökonomische Theorie deswegen nicht, weil sie sich nicht der Kritik der Beliebigkeit aussetzen will. Schlicht (1999, S. 30) schreibt etwa kritisch: „Mit der Frage nach der Wirkung von Institutionalisierungen auf menschliches Verhalten wird ja zugleich das Problem der Endogenisierung von Präferenzen gestellt, und Pandora läßt grüßen. Um der theoretischen Schlüssigkeit und Abgeschlossenheit willen mag es zwar verlockend sein, die Augen vor der Realität zu verschließen ein Verständnis einer wesentlichen Wirkung von Institutionen bleibt dabei aber systematisch ausgeblendet."
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resultieren können.15 Folgt man der These von Vanberg und Buchanan (1994), daß jede Präferenz aus einer Theoriekomponente (einer gesicherten Erkenntnis) und einer Interessenkomponente (einer subjektiven Einschätzung) besteht, und verallgemeinert diese Aussage in Bezug auf informelle Institutionen, dann ist zu vermuten, daß diese grundsätzlich ebenso einer Reflexion zugänglich sind in bezug darauf, wie richtig sie sind. Die Integration in den ökonomischen Verhaltensansatz kann man sich etwa dergestalt vorstellen, daß Akteuren die Rationalität zugeschrieben wird, die Wirkung ihrer informellen Institutionen auf ein langfristiges Nutzenniveau hin zu kalkulieren. Die Änderung informeller Institutionen erfolgt in dieser Perspektive mit dem Ziel einer langfristigen Nutzenmaximierung; schlagwortartig ließe sich der Zweck menschlichen Handelns mit Effektivität anstelle von Effizienz beschreiben (Ripperger 1998, S. 202 ff.). Der Diskurs über den ,Wahrheitsgehalt' von Regeln und die subjektive Überzeugung der Angemessenheit von Regeln werden damit zu einem entscheidenden Ansatzpunkt für Reformen. Für denjenigen, der Reformen initiieren will, wird entscheidend zu kommunizieren, daß andere Lösungsmuster möglich und erfolgreich sind. Extern gesetzte Anreize sind dabei ein wichtiges Element, um Lernprozesse anzuregen und Verhaltensänderungen Legitimität zu verschaffen.'6 Informelle Institutionen können damit als gelernt und veränderbar verstanden werden. Die Vorstellung ist nicht haltbar, daß informelle Institutionen nahezu unverändert von subjektiver Wahrnehmung und externen Anreizen bestehen bleiben, denn kontinuierlich stattfindende Lernprozesse können bisher Gelerntes - also auch gelernte informelle Regeln - in Frage stellen. Die These einer institutionellen Stagnation, verursacht durch die Komplementarität informeller Institutionen, wird in dieser Perspektive fragwürdig: Informelle Institutionen existieren nicht einfach, sondern sind Ergebnis von Lernprozessen. Es kann daher nicht darum gehen, informelle Institutionen als grundsätzlich behindernd für bestimmte Entwicklungen zu begreifen, sondern darum, Störungen in Lernprozessen zu identifizieren und diese zu beheben. Eine solche Störung könnte etwa sein, daß Reflexionsprozesse im wirtschaftspolitischen Diskurs unzureichend angeregt und neue Regeln einfach übergestülpt werden. Voraussetzung für institutionellen Wandel sind damit nicht passende, exogen gegebene informelle Institutionen, sondern die Zustimmung zu Reformen als Ergebnis eines offenen Diskurses sowie die Setzung richtiger Anreize. Für Reformen und Veränderungsprozesse eröffnen sich dadurch neue Gestaltungsspielräume. 15
Da es sich um ein Wechselspiel handelt, erfolgt auch die Aufnahme neuer Informationen vor dem Hintergrund bereits etablierter Informationen, so daß Lernen selbst als ein pfadabhängiger Prozeß beschrieben werden kann und das Problem der restringierten Reformmöglichkeit lediglich auf eine nachgeordnete Ebene verschoben wäre (vgl. so etwa verschiedene Beiträge in Lazaric und Lorenz 1998). In dieser Perspektive könnte auch der Wahrheitsgehalt von Informationen nur begrenzt reflektiert werden, da die Überprüfung des Wahrheitsgehaltes ebenso nur pfadabhängig erfolgen kann. An dieser Stelle kommt aber Kommunikation ins Spiel: Nimmt man die Optionen des Diskurses ernst, dann ermöglicht dieser Diskurs auch, Informationen ,in einem anderen Licht' zu sehen, und neue Informationen zuzulassen und innerhalb eines Pfades neue Wege zu erproben.
16
Vgl. zu Grundlagen des Lernens Edelmann (1996) sowie den aufschlußreichen Beitrag zu Sozialpsychologie und Energiesparen von Frey et al. (1997). Zu weiteren einführenden Beiträgen vgl. etwa Angermeier et al. (1991) und March (1991).
Kooperative Verfahren zur Lösung von Umweltproblemen?
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4. ISO 14001 in Japan: Restriktionen und Gestaltungsspielräume 4.1. Überblick: Umweltbezogene Wirtschafts- und Unternehmenspolitik Nach den Skandalen in der japanischen Umweltpolitik in den 50er und 60er Jahren erinnert sei an die traurige Berühmtheit, die Japan mit Bildern von Quecksilber- und Cadmiumvergiftungen erlangte - fand in der japanischen Umweltpolitik ein drastisches Umdenken statt. Auf die symbolische Umweltpolitik in den 50er und 60er Jahren folgte in den 70er Jahren eine Durchsetzung anspruchsvoller Regelwerke, die im internationalen Vergleich zu recht bemerkenswerten Ergebnissen führten, auch wenn wichtige Bereiche (Schwebstaub, Belastung von Gewässern mit organischen Substanzen) nicht in Angriff genommen wurden. In den 80er Jahren ebbte das Engagement allerdings deutlich ab, so daß Umweltschutz nicht i.S. einer aktiven und umfassenden Strategieentwicklung stattfand, sondern einzelfallbezogen und reaktiv ausgestaltet war (Weidner 1985, S. 188). Sowohl internationale Vereinbarungen als auch eine restriktive Umweltgesetzgebung in Europa führten dazu, daß in den 90er Jahren umweltpolitische Aufgaben wieder verstärkt in den Blickpunkt gerieten. Insbesondere die in Rio de Janeiro 1992 stattfindende United Nations Conference on Environment and Development (UNCED) und die europäische Öko-Audit-Verordnung EMAS von 1993 waren eine wichtige Zäsur. Japan als politischer Akteur befürchtete einen weiteren Bedeutungsverlust in internationalen Verhandlungen durch die fehlende umweltpolitische Profilierung. Japanische Unternehmen wiederum hatten ein Interesse an der Einfuhrung von ISO 14001, um den Zugang zum europäischen Markt zu sichern; die verspätete Einführung des Qualitätsmanagementstandards ISO 9001, die seinerzeit dazu gefuhrt hatte, daß europäische Märkte zeitweise nicht bedient werden konnten, hatte sie gegenüber der Bedeutung internationaler Normen sensibilisiert {Yamaguchi 2000, S. 30). Zudem befanden sich sowohl die japanische Regierung als auch japanische Unternehmen unter zunehmendem Druck von Verbraucher- und Konsumentenverbänden, die im Zuge der Formulierung des Special Nonprofit Organisation Law von 1998 Einfluß in der politischen Willensbildung gewonnen hatten (Pekkanen 2000; Salamon und Anheier 1996).17 Vor diesem Hintergrund wurden in den 90er Jahren von der öffentlichen Hand verschiedene Umweltgesetze und -richtlinien erlassen, die eine steuernde Funktion von Unternehmensaktivitäten einnehmen sollten. Ein Beispiel ist etwa eine 1995 im Kabinett beschlossene Richtlinie zur Beschaffung umweltfreundlicher Produkte (Yamaguchi 2000, S. 22 f.), in deren Folge einzelne Großunternehmen wie etwa NEC 20 % des
17
Sprachlich drückt sich dies darin aus, daß bei der Bezeichnung von Verwaltungseinheiten Umbenennungen etwa von .Hauptabteilung für Standortfragen und Umweltverschmutzung' in .Hauptabteilung für Standortfragen und Umweltschutz' erfolgen (hier: japanisches Wirtschaftsministerium 1993).
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Umsatzes mit als umweltfreundlich gekennzeichneten Produkten erzielen. 18 Umweltbelange gewannen damit in den 90er Jahren sowohl in der Wirtschafts- als auch in der Unternehmenspolitik langsam an Bedeutung, wenn auch aus gänzlich anderen Gründen als in den 70er Jahren. Vor diesem Hintergrund formulierte der japanische Unternehmensverband Keidanren 1991 eine „Charta zum Umweltschutz", welche daran appellierte, daß „unternehmerische Aktivitäten einer zukünftigen Gesellschaft verpflichtet sein müssen, in der weltweit Umweltschutz gelebt wird, [und in der] Unternehmen verpflichtet sind zu erkennen, daß ihre Existenz ... von der Bewältigung von Umweltproblemen abhängt" (zit. nach Yamaguchi 2000, S. 24). Eine Erhebung des Verbandes zeigt, daß die strategische Verankerung von Umweltbelangen unter den Mitgliedsfirmen zu strukturellen Veränderungen führte: Während 1992 nur 19,1 % der Unternehmen eine betriebliche Umweltpolitik und nur 33,1 % umweltbezogene Ziele festgelegt hatten, stieg der Anteil 1996 auf 58,9 % resp. 56,0 % an. 1996 veröffentlichte der Verband mit seinem sogenannten „Umweltappell" konkrete Strategieempfehlungen an die Mitgliedsverbände, die u.a. die Einrichtung eines Umweltmanagementsystems einschließlich eines Umweltaudits empfahlen, um das bisherige einzelfallbezogene Vorgehen in ein strategisches Umweltmanagement zu überfuhren (Okamoto 2002, S. 8 f.; Yamaguchi 2000, S. 24 f.). Faktisch legte der Verband damit die Einführung der im selben Jahr verabschiedeten Umweltmanagementnorm ISO 14001 nahe. Gleichzeitig fand eine Neubewertung des ordnungspolitischen Instrumentariums statt. Bis in die 90er Jahre wurde die Eignung privater Regulierung zur Lösung politischer Konflikte aufgrund korporatistischer Erfahrungen im Binnen- und Exportmarkt in der öffentlichen Diskussion überwiegend kritisch bewertet." Dies ist insofern überraschend, als daß kooperative Verfahren auf der lokalen und regionalen Ebene in der japanischen Umweltpolitik in Form administrativer Empfehlungen eine wichtige Rolle spielen, so daß sie auch im Ausland Beachtung gefunden hatten (Shibata 1985a, b; Welch et al. 2002, S. 57): 1996 waren in Japan über 30.000 sogenannter pollution control agreements auf der lokalen und regionalen Ebene in Kraft, gegenüber nur 300 in der EU {Börkey et al. 1999, S. 31). Möglicherweise haben der aktive Einsatz von Selbstverpflichtungen in Europa und die damit erzielten positiven Ergebnisse (BDI 1992,
18
Allerdings insbesondere durch den Absatz an Regierungsstellen. Als Marketinginstrument an den Endverbraucher konnte sich das Label nicht durchsetzen. Die Kennzeichnung erfolgt mit dem sogenannten Eco-Label, das dem in Deutschland verwendeten Blauen Engel entspricht. Zertifizierstelle für das Eco-Label ist die Japan Environment Association. Das Zertifikat wird seit 1989 erteilt. Die Anzahl der gekennzeichneten Produktlinien stieg von 2032 (1996) und 2211 (1997) bis heute auf 5176 (2002) an (vgl. Kobayashi 2002).
19
So im Binnenmarkt etwa hinsichtlich der Absprache von Zinsen durch einschlägige Beratungsgremien japanischer Citybanks, in Exportmärkten durch Absprachen der Stahlindustrie oder der Haushaltselektronik. Vgl. zu aktuellen Beispielen privater Regulierung etwa Japan aktuell (2001) sowie grundlegend Schaede (2000). Zu kritischen Stimmen vgl. etwa Fujita (1999), Kamiyama et al. (1985), Kawano (1997a, b) sowie Nihon Keizai Seisaku Gakkai (2001). Matsumura (2000) führt eine komparative Institutionenanalyse zwischen privater Regulierung in Japan und Europa durch, um fehlende Voraussetzungen in Japan zu diskutieren.
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2003; Voigt 2002), möglicherweise auch die begrenzten Steuerungsmöglichkeiten des Umweltrechts zu einem Umdenken gefuhrt; festzuhalten bleibt, daß sich in der Einschätzung der Tragfähigkeit privater Regulierung seit der Formulierung der „Charta zum Umweltschutz" im Jahre 1991 ein Umdenken abzuzeichnen beginnt. Es bleibt als Bilanz zu ziehen, daß sich japanische Entscheidungsträger in den 90er Jahren mit einer Umweltpolitik konfrontiert sahen, die inhaltlich aufgrund ihrer relativen Laxheit und funktional aufgrund ihrer Institutionenwahl nicht nur den international an Japan gerichteten Erwartungen nicht gerecht wurde, sondern auch unmittelbar den Interessen japanischer Unternehmen widersprach. Ganz im Unterschied zur Qualitätsmanagementnorm ISO 9001 wurde daher ISO 14001 nahezu begeistert aufgenommen: Seit Inkrafttreten der Norm sind weltweit die meisten Unternehmen in Japan zertifiziert, mit deutlichem Abstand vor Deutschland, Großbritannien und Schweden (ISO 2003).20 Bemerkenswert ist, daß auch Unternehmen, die eine Einfuhrung von ISO 9001 teilweise abgelehnt hatten, ISO 14001 zu einem frühen Zeitpunkt einführten und zur Voraussetzung für Transaktionen erhoben.21 Die Verbreitung der Norm unter Zulieferern sowie unter mittelständischen Unternehmen wird durch Städte und Gemeinden gefordert, so durch Subventionen der Stadt Tokyo, welche die Kosten der Erstzertifizierung anteilig übernimmt (bis zu 1,3 Mio. Yen),22 durch die Entwicklung neuer Verfahren wie etwa sogenannter .kollektiver ISO Zertifizierungen' in den Städten Kurosawa oder Omiya im Großraum Tokyo, oder durch die Formulierung neuer, kostengünstigerer Standards in Kyoto. Durch die Einführung der Norm in städtischen und gemeindlichen Verwaltungen erlangt die Norm einen zusätzlichen Ausstrahlungseffekt. 23
4.2. Regelabweichung statt Reform? Daß ISO 14001 in Japan eine Erfolgsgeschichte ist, sagt noch nichts über Verhaltensänderungen aus, die durch sie initiiert wurden. In der Tat überwiegt auch in der wissenschaftlichen Einschätzung in Japan eine skeptische Grundhaltung, die insbesondere die Verwässerung der Norm in der betrieblichen Implementierung kritisiert.24 Nachfolgend wird empirische Evidenz hierfür aufgezeigt. Anzumerken ist, daß eine umfassende Stu-
20
Stand zu Ende des Jahres 2002: Japan: 10620 zertifizierte Unternehmen; Deutschland: 3700; Großbritannien: 2917; Schweden: 2730.
21
So etwa Canon, Matsushita, Toyota oder Ricoh. In vielen Untemehmensgruppen wird die Einführung der Norm in den Zulieferbetrieben durch die Abnehmer unterstützt. NEC etwa gibt ein spezielles Handbuch für Zulieferer und mittelständische Unternehmen heraus, wodurch sich der interne Personalaufwand für die Einführung der Norm um das Zehnfache reduzieren soll; Toyota bietet Schulungen für eigene Zulieferer an (ISOS 2000).
22
Dies entspricht knapp 10.000 Euro (Stand 04/2004). Die Kosten liegen für kleinere und mittlere Unternehmen (bis zu 299 Beschäftigte) für eine einmalige Zertifizierung (ohne interne Sach- und Personalkosten) bei 7 bis 10 Millionen Yen (ca. 53.000 bis 76.000 Euro). Vgl. zu den Kosten in Japan auch Suzuki (2003, S. 81 und 252), in den USA Bansal und Bogner (2002, S. 274) sowie in Deutschland Poltermann (1998, S. 301 ff.).
23
Vgl. ISOS (2000), Kalo (2001), Nakamaru (2002), Nikkei Ecology (2003), Suzuki (2003) sowie Welch et al. (2002). Die ersten Städte waren Shiroi (Chiba Präfektur) und Joetsu (Niigata Präfektur) im Jahre 1998 (vgl. Kalo 2001, S. 134).
24
Vgl. Kadota (1996), Yabe (1993), Yoshizawa (2002) sowie Yoshizawa und Kuramitsu (2002).
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die hinsichtlich der Effektivität der Norm - etwa Schadstoffausstoß vor und nach der Normeinfuhrung - in Form aussagekräftiger Zeitreihenuntersuchungen o.ä. nicht vorliegt. Die Diskussion in den folgenden Abschnitten rekurriert daher auf Studien zu Teilaspekten der Norm, auf explorative Daten sowie auf eigene empirische Evidenz (Park 1999; Takahashi
2001; Welch et al. 2002).
4.2.1. Rationalität, Eigeninteresse und Sanktionsbewehrung der Norm Rationalität und Eigeninteresse schaffen Anreize zu Defektion und Regelverwässerung. Dies läßt sich im Fall von ISO 14001 sowohl auf Seiten der zertifizierten Unternehmen als auch der Zertifizierungsstellen zeigen. Obwohl nach Einschätzung von zertifizierten Unternehmen und Zertifizierungsstellen Defektion und Regelverwässerung häufig vorkommen, hat etwa die zweitgrößte Zertifizierstelle in Japan, die Japan Audit and Certification Organization for Environment and Quality (JACO), nur einem der bisher 1800 zertifizierten Unternehmen das ISO 14001-Zertifikat entzogen, und dies, obwohl JACO als eine der anspruchsvollen Zertifizierungsstellen gilt. Ein Indikator für den laxen Umgang der Unternehmen mit dem Normenwerk sind Befragungen zur Güte der externen Kommunikation zertifizierter Unternehmen: 25 Nur 52 % der Unternehmen haben bei einer Umfrage der Universität Kobe überhaupt auf die Aufforderung nach Offenlegung reagiert, und nur 17,8 % der antwortenden Unternehmen haben Informationen mitgeteilt, die über die Verlautbarung der umweltbezogenen Unternehmenspolitik hinausgehen. 26 Die betriebliche Umweltpolitik enthielt in 28,4 % der Unternehmen abstrakte Inhalte, in 70,5 % der Unternehmen stellte die Umweltpolitik konkreten Bezug zu betrieblichen Aktivitäten her und nur in 1 % der untersuchten Unternehmen wurden quantitative Umweltziele formuliert (Kunibe et al. 2000, S. 40 und 42). Es scheint, daß die strategische Manipulation von Information recht verbreitet ist. Auf der Ebene der Zertifizierungsstellen findet ebenso keine tiefgreifende Sanktionierung statt: Nur einer der insgesamt 37 akkreditierten Zertifizierungsstellen für ISO 14001 wurde bisher die Akkreditierung entzogen. 27 Selbst Ratgeber zur Einfuhrung von ISO 14001, die von den Zertifizierungsstellen herausgegeben werden, greifen indirekt die Problematik der Regelabweichung auf, indem sie etwa auf das Problem unterschiedlicher Norminterpretationen durch Zertifizierungsstellen und Auditoren verweisen (Köjö Kanri 2000). Um Qualitäten transparenter zu gestalten und letztlich einen Zusammen-
25
Nach ISO 14001 ist zwar keine externe Berichterstattung (im Unterschied zu EMAS) erforderlich, aber es findet sich unter Abschnitt 4.3.3.1 (Kommunikation und Berichterstattung) die Empfehlung einer transparenten externen Kommunikation, etwa durch den Hinweis auf Jahresberichte (Ehrig 2000, S. 144; Müller 2001, S. 157 und 210 ff.).
26
Ähnlich ist zu beobachten, daß über gesetzliche Vorgaben hinausgehende Ziele kaum realisiert werden. Die Norm selbst verpflichtet lediglich zur Einhaltung der relevanten Umweltgesetze. Da die Kontrolle der Einhaltung von Umweltgesetzen in Japan recht lax ist, wurden bisher Lärm- und Vibrationsbelastungen mittelständischer Firmen insbesondere nach Beschwerden von Anwohnern bzw. benachbarten Firmen reduziert.
27
Die Zertifizierstelle International Standards Certification Center (ISC) war mit Kapitalbeteiligung der Präfektur Mie gegründet worden. Die japanische Akkreditierungsagentur JAB entzog dieser im Jahre 2002 temporär die Akkreditierung für sechs Monate (Nikkei Ecology 2002, S. 28 f.).
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brach des Zertifizierungsmarktes zu verhindern, wurde 2002 beim japanischen Wirtschafitsministerium ein Beratungsgremium 28 eingerichtet, das Qualitätsmängel und Informationsasymmetrien aufdecken und so die Glaubwürdigkeit der Zertifizierung verbessern soll. An diesem nehmen informierte Kreise teil, wie Akkreditierangsstellen, Zertifizierungsstellen und Auditoren sowie Unternehmen, Verbrauchervertreter und Wissenschaftler. Zum Ausschluß von qualitativ minderwertigen Zertifizierungen werden eine verbesserte Ausbildung der Auditoren, ein institutionalisierter Informationsaustausch zwischen Zertifizierern und Auditoren sowie die Einrichtung eines Beschwerdesystems vorgeschlagen (JISC 2003). Die Einrichtung dieses Beratungsgremiums macht deutlich, daß die ungleiche Qualität zwischen den Zertifizierungsstellen und damit die Gefahr der Regeldefektion und -verwässerung als politisches Problem wahrgenommen wird. 29 Nun könnte argumentiert werden, daß der Schwäche des institutionellen Monitoring durch marktliche Kontrolle begegnet wird. In der Tat führen viele japanische Unternehmen die Norm ein, um sich den Zugang zum europäischen Markt zu sichern, und auch japanische Abnehmer machen die Norm zunehmend zur Voraussetzung von Transaktionsbeziehungen. Dies ist aber nicht gleichbedeutend damit, daß die Norm befolgt bzw. normgemäß implementiert wird. Das in der Norm festgelegte Prinzip der Freiwilligkeit der Zielsetzung, das Fehlen quantitativer Vorgaben, aber auch das Eigeninteresse der Zertifizierstellen an Re-zertifizierung und ihr Selbstverständnis als Berater öffnen Spielräume hinsichtlich der Tatsache, was als Regelverwässerung, was als Regelverletzung überhaupt identifiziert wird. Für Transaktionspartner, die die Norm zur Voraussetzung für Transaktionen machen, dürfte allenfalls entscheidend sein, daß es Organisationsstrukturen und Verantwortlichkeiten gibt; ob tatsächlich intern das Umweltmanagement verbessert wird oder etwa ressourcenschonender produziert wird, ist ein wahrscheinlich nachrangiges, sicher aber nur unter prohibitiv hohen Transaktionskosten kontrollierbares Ziel. Eine gewisse Rolle dürfte allerdings die Reputation spielen, die sich Unternehmen mit einer Regelbefolgung und einem Handeln im Sinne der Norm erwerben können. In der Tat verfolgen einige Unternehmen diese Strategie, und setzen sich so als moderne und nach internationalen Standards operierende Unternehmen ab. Auch die gewisse Transparenz und Vergleichbarkeit der umweltbezogenen Unternehmenspolitik durch einschlägige Auszeichnungen der fuhrenden japanischen Wirtschaftszeitung Nihon Keizai Shinbun setzen Anreize zur Normbefolgung. Schließlich dürften auch die zu Auditoren ausgebildeten Mitarbeiter in den Unternehmen selbst ein Eigeninteresse an der Einhaltung der Norm mit dem Ziel der Wahrung ihrer persönlichen Reputation haben. Eine gewisse, wenn auch insgesamt eher als schwach einzuschätzende Sanktionierung über den Mechanismus der Reputation besteht damit; dies bedeutet allerdings noch
28
Das sogenannte ,Experts Committee for Management System Standards'.
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Interessant ist, daß mit der Etablierung des Beirats ein Instrument zur Vermeidung von Marktversagen eingesetzt wurde, nämlich Kommunikation zur Initiierung von Lernprozessen, das Akerlof nicht berücksichtigt hatte (vgl. Akerlof 1970). Akerlof erklärt mit der Existenz von Institutionen (Standards, Zertifikate, etc.) das geringe Auftreten von Marktversagen, diskutiert aber nicht das Problem von Regelabweichung und -verwässerung.
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nicht, daß die Spielräume in der Norm nicht bis an die Grenze der Verwässerung genutzt werden könnten: Dazu ist die Bedeutung des Umweltschutzes im Vergleich zu anderen reputationsförderlichen Kriterien (ökonomische Kennziffern, Innovationsfähigkeit, Marktposition,...) zu schwach. 4.2.2. Komplementaritäten Komplementaritätsprobleme zwischen formalen Regeln und dem Normenwerk einerseits sowie zwischen informellen Regeln und dem Normenwerk andererseits können für Regelabweichungen entscheidend sein.30 Zunächst reflektiert die Norm in Europa bestehende Managementpraktiken: Der erste von dem ,Subcommittee 1' unterbreitete Vorschlag einer Umweltnorm ist lediglich eine modifizierte Fassung der britischen Umweltmanagementnorm BS 7750; der wesentliche Unterschied liegt allein in dem Bezug zum Leitbild des ,sustainable development' (Müller 2001, S. 112). Weiter findet sich in der internationalen Standardisierung ein typisches Clubproblem: Japan ist in den internationale Gremien unterrepräsentiert. In der International Organisation for Standardisation, auf welche die Formulierung von ISO 14001 zurückgeht, leitet Japan nur 31 Normenausschüsse, im Unterschied etwa zu Deutschland (138) oder den USA (135). An der ersten Generalvollversammlung zu ISO 14001 nahm Japan nicht teil. Bei der International Electrotechnical Commission wird das Verhältnis noch deutlicher: Dort steht Japan an sechster Stelle und leitet nur ein technisches Sekretariat mehr als Schweden, obwohl japanische Firmen in der Elektrotechnik weltweit führend sind. In der Folge nimmt Japan auf die internationale Normengenese kaum Einfluß: Von ca. 1000 Normentwürfen, die bei den beiden großen Organisationen 1999 eingereicht wurden, stammten nur 67 Vorschläge von japanischer Seite (Sangyö Gijutsu Kankyökyoku 2001; Nakakita 2001, S. 36). Diese Informationsasymmetrien haben in Japan zu einer intensiven Diskussion über die Gestaltung eines angemessenen Ordnungsrahmens für einen Wettbewerb zwischen technischen Regeln und zu einer aktiven japanischen Normungspolitik geführt (Kuno 1998; Yamaguchi 1995). Die anhaltende geringe Repräsentanz Japans in internationalen Verhandlungen reduziert grundsätzlich die Komplementarität zwischen internationalen Normen und bestehenden Unternehmensstandards. Ebenso kann argumentiert werden, daß eine Komplementarität der Norm zu informellen Regeln in Japan weniger als im europäischen Kulturkreis gegeben ist. So bestehen unterschiedliche Präferenzen der individuellen Zuschreibung von Verantwortung, die von den internationalen Managementnormen gefordert wird. In Bezug auf die Qualitätsmanagementnorm ISO 9001 wurde diese Anforderung nicht ausreichend erfüllt, und auch zertifizierte Unternehmen beschrieben die formale Zuschreibung als oberflächlich (Storz 2002, 2003). Ähnliches ist für ISO 14001 zu vermuten. Die kulturelle Disposition 30
Unsicherheit dürfte eine nachrangige Ursache für regelabweichendes Verhalten sein, da durch die Norm ISO 9001 die erforderlichen Managementstrukturen grundsätzlich bekannt waren. Eine größere Rolle dürften Wechselkosten wie die Kosten der Errichtung eines Umweltmanagementsystems spielen: Insbesondere in mittelständischen Unternehmen wurde oft erstmals ein systematisches Umweltmanagement eingeführt. Zertifizierte Unternehmen schätzen die Kosten für den internen Personalaufwand als ebenso hoch wie die direkten Kosten für Beratung und Zertifizierung ein (vgl. Fußnote 22). Da jede Regelverwässerung interne Kosten reduziert, besteht ein Anreiz zur Normumgehung.
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einer langfristigen und personalisierten Ausgestaltung von Beziehungen kann die Regeltreue zugunsten personaler Affinität zusätzlich reduzieren. Regelabweichendes Verhalten kann somit auf Komplementaritätsprobleme zwischen formalen Regeln einerseits und Komplementaritätsprobleme zwischen formalen und informellen Regeln andererseits zurückgeführt werden. Folgt man der in diesem Abschnitt geschilderten Sichtweise, so wird die Qualität des internationalen Normenwerkes in der Umsetzung durch mehrere Faktoren restringiert. Bereits in der Norm gegebene Interpretationsspielräume31 werden durch Eigeninteressen und Pfadabhängigkeiten gegen die Zielsetzung der Norm ausgeweitet. Im Ergebnis unterbleiben erwünschte Verhaltensänderungen. 4.3. Das Kind nicht mit dem Bade ausschütten - Lernen und Zustimmung 4.3.1. Veränderte Handlungsrechte durch die Norm ISO 14001 wurde oben als eine ökologiebezogene private Regulierung beschrieben. Das bedeutet aber auch, daß die Norm Handlungs- und Verfügungsrechte und gegenseitige Erwartungshaltungen festschreibt, indem in Konfliktfallen auf eine eventuelle ökologische Unverträglichkeit mit der Norm Bezug genommen oder aber ökologisch verträgliches Verhalten eingefordert werden kann: So werden etwa seit der Einfuhrung der Norm erstmals Vertriebsabteilungen in japanischen Unternehmen dazu angehalten, gezielt energiesparende Erzeugnisse des Unternehmens zu bewerben. Weiter enthalten formale Institutionen abstraktes Wissen, im Falle von ISO 14001 zur Gestaltung strukturierter Umweltmanagementsysteme. Ein gewichtiger Aspekt dürfte zudem sein, daß ISO 14001 Komplexität reduziert. Ein umweltbezogenes Regelwerk wie ISO 14001 unterstützt damit das Unternehmen bei Routineprozessen, wie etwa der Messung und Dokumentation von Emissionen, und entlastet gleichzeitig die Entscheidungsträger durch die Vorgabe von Strukturen. Knappe Ressourcen können auf weniger Möglichkeiten und damit auf tiefergehende Lösungsmöglichkeiten gelenkt werden (etwa indem jährliche Neuverhandlungen hinsichtlich der Budgetzuweisung entfallen) {Müller 2001; Benezech et al. 2001). Normen können damit Verhaltensänderungen induzieren. Die Reichweite der Verhaltensänderungen aber ist abhängig von der Zustimmung der Betroffenen. Im Falle von ISO 14001 ist zu vermuten, daß eine Zustimmung zumindest in der öffentlichen Meinung gegeben war: Die Einführung der Norm fand in einem politischen Umfeld statt, in dem aus unterschiedlichen Gründen die bisherige umweltbezogene Wirtschafts- und Unternehmenspolitik als nicht mehr angemessen beurteilt wurde und ein neues umweltpolitisches Institutionenset erforderlich schien. Vergleichsprozesse einerseits (Rückständigkeit, Intransparenz) und (mit nachrangiger Bedeutung) Anreize andererseits (Marktzugang; Reputation) waren Auslöser für Lernprozesse, die zu Verhaltensänderungen 31
Der in der Norm vorgesehene Interpretationsspielraum wird häufig kritisiert (vgl. Nakamaru 2002, S. 111 ff.). Während der Verhandlungen hatten sich die europäischen Mitglieder für einen geringeren Interpretationsspielraum eingesetzt. Die europäische Seite setzte sich nur begrenzt durch; ihre Anforderungen finden sich in einem Annex wieder (vgl. Yamaguchi 2000).
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fuhren sollten. Insbesondere aber ist die Norm selbst ein „verschachteltes System von Reflexionsprozessen" (Müller 2001, S. 156), indem sie Aufbau- und Ablaufkontrollen, Kontrollen hinsichtlich der Einhaltung der Anforderungen, Einführung von Managementpraktiken und die Zufuhrung von externem Wissen vorsieht. Einige Instrumente der Norm seien besonders hervorgehoben, mit denen Lernprozesse initiiert werden können: (1) Die Zulassung von Mitarbeitern als Auditoren, (2) die Wahl der Selbsterklärung sowie (3) Mitarbeiterschulungen. (1) Zulassung von Mitarbeitern als Auditoren Die Norm verlangt die Ausbildung von Mitarbeitern zu Auditoren. In Abhängigkeit der gewählten Ausbildungsinhalte besteht in Japan die Möglichkeit, als leitender, regulärer oder assistierender Auditor zugelassen zu werden (TGA 2003). 32 Mittelständische Unternehmen bilden ihre Mitarbeiter vielfach zum assistierenden Auditor aus (bei einem der befragten Unternehmen hatten 30 % der ,white collar'-Mitarbeiter eine solche Qualifikation erworben), die dann auch extern beratend tätig werden können. Folgt man der in der Sozialpsychologie entwickelten Dissonanztheorie, so ist zu vermuten, daß mit dem Ziel der Wahrung der eigenen Identität die Einhaltung der Norm auch im eigenen Unternehmen im Interesse des jeweiligen Auditors liegt; auch dürfte er kein Interesse an einer Schädigung seiner Reputation haben. Bei NEC, einem der führenden japanischen Unternehmen im Umweltmanagement, 33 sind 50 Personen als reguläre sowie weitere 59 als leitende Auditoren registriert. 34 Bei Daikin Industries Ltd. werden Kontrollen hinsichtlich der Normbefolgung nur in Organisationseinheiten durchgeführt, denen der Auditor nicht zugehörig ist, um durch den Informationsaustausch Modell-Lernen zu fördern. Die Kenntnis anderer Unternehmen oder fremder Organisationseinheiten bedeutet einen Zugewinn an Informationen. Spezifische Schulungen für Auditoren vermitteln zusätzliche Informationen, welchen Beitrag die Norm zu einer Reduktion von Umweltproblemen einerseits und welche betriebsbezogenen Optionen (Einsparungen, innovative Produktfelder, Reaktion auf Notfalle) andererseits vorliegen. Die Schulungsinhalte ermöglichen so erstmals Vergleichsprozesse in einem Feld, das nachrangig im Interesse der Unternehmen gelegen hatte. Sie können so Reflexionsprozesse hinsichtlich der Richtigkeit (gemessen an der in der Norm definierten Zielerreichung) bisheriger Einstellungen und Verfahrensweisen anregen. Extern werden Anreize zu Lernprozessen durch eine Personalbewertung gesetzt, bei der das Engagement des Mitarbeiters für das jeweils zuständige Aufgabenfeld seit jeher eine zentrale Rolle spielt. Eine nur schwache 32
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Die anspruchsvollste Stufe ist der leitende Auditor. Gegenwärtig sind in Japan 1083 Personen als leitende Auditoren zugelassen, 759 als reguläre Auditoren, und 7420 als Assistenzauditoren. Für den leitenden Auditor ist eine Teilnahme an insgesamt vier resp. eine zwanzigtätige Teilnahme an Audits erforderlich; für die nachfolgende Stufe sind es 3 Audits resp. 15 Tage; in der letzten Stufe finden nur Schulungen statt. In einer Umfrage der Wirtschaftszeitung Nikkei belegt NEC nach Canon den zweiten Platz hinsichtlich der Umweltverträglichkeit des Produktionsverfahrens (Nikkei Weekly 2003). Die Zulassung erfolgt bei dem Center of Environmental Auditors Registration (CEAR), was der Deutschen Akkreditierungs- und Zulassungsgesellschaft für Umweltgutachter mbH (DAU) entspricht.
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externe Sanktionierung liegt mit der Möglichkeit eines Entzugs der Zulassung als Auditor durch die zuständige Zertifizierungsstelle vor. (2) Selbsterklärung Anstelle des üblichen externen Kontrollsystems sieht die Norm auch die Möglichkeit der Selbsterklärung vor. Das bisher aus den genannten Gründen wenig in Anspruch genommene Zertifizierungsverfahren wurde in jüngerer Zeit, durch Sachzwänge bedingt, in einigen japanischen Verwaltungseinheiten gewählt. Im Ergebnis berichten sie davon, daß gerade durch die allgemeine Skepsis gegenüber diesem Verfahren ein Anreiz zur Regelbefolgung bestünde (Nikkei Ecology 2003, S. 33). (3) Mitarbeiterschulung Die Norm erfordert regelmäßige Mitarbeiterschulungen zu der umweltbezogenen Unternehmenspolitik. Selbst Pionierunternehmen wie Sony, bei dem die Bewertung der Tochtergesellschaften zu 10 % von der Erreichung vorab festgelegter Umweltziele abhängig ist, beurteilen die durch die Norm angeregte aktive Einbindung der Mitarbeiter als bemerkenswert. Neben den üblichen Schulungen, die den Beitrag von Umweltschutz zur betrieblichen Effizienzsteigerung, die Dringlichkeit der Lösung bestimmter umweltbezogener Probleme oder Vergleiche der betrieblichen Umweltpolitik mit anderen Unternehmen zum Inhalt haben, veranstalten einige Unternehmen Tagungen mit renommierten externen Referenten. Andere vermitteln umweltbezogene Informationen auf spielerische Art: So sind die Entwicklung von Internetlerneinheiten und computergestützte Umweltspiele verbreitet, mittels derer Mitarbeiter ihr Verhalten in bezug auf umweltrelevante Aspekte überprüfen können. In einigen Unternehmen wird zudem in Morgenappellen auf die Norm verwiesen. 4.3.2. Lernen und umweltbezogene Prozeßinnovationen Als Ergebnis der durch die Norm initiierten Lernprozesse können Verhaltensänderungen nachgewiesen werden, die sich in Innovationen in den unternehmerischen Prozeßabläufen niederschlagen. Erstmals werden Strategien der Qualitätssicherung auch auf umweltliche Belange bezogen. Eine der zentralen Strategien zur Verbesserung von Unternehmensabläufen, die auch in der internationalen Managementliteratur rezipierte 3-M-Strategie, zielt auf die Vermeidung von .Verschwendung, Unnötigem und Diskontinuitäten' (,muda, muri, mura'). In Bezug auf Umweltbelange bedeutet dies etwa den reduzierten Einsatz umweltbelastender Stoffe oder den schonenden Einsatz von Energie. Auch das bereits bestehende betriebliche Vorschlagwesen wird seit Einführung der Norm für umweltbezogene Vorschläge genutzt. Bei Komatsu etwa beziehen sich mittlerweile rund 30 % der Vorschläge auf die betriebliche Umweltpolitik. Im Ergebnis konnte eine Reduktion des Abfallaufkommens, von Ressourcen (etwa Papier) und von Energie erzielt werden, die teils beachtlich sind (Nihon Keizai Shinbun 2004). Daneben finden in zahlreichen Unternehmen erstmals abteilungsübergreifende Kooperationen statt, um bessere umweltbezogene Ergebnisse zu erreichen. Typische Beispiele sind etwa Kooperationen zwischen den Abteilungen Marketing und Vertrieb zur Bündelung von Auslieferungen. Andere Kooperationen finden sich zwischen den Abteilungen Produktion und Entwicklung, mit dem Ziel, das Design von Teilen so zu gestal-
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ten, daß sie leichter trennbar, besser recyclebar oder mit einem geringeren Ressourcenaufwand herstellbar sind. Während das zweitgenannte Kooperationsmuster im japanischen Unternehmensalltag gängig ist (wenn auch bisher nicht in Bezug auf Umweltbelange), ist die integrale Verknüpfung zwischen Marketing und Vertrieb innovativ, da hier als voneinander entfernt liegend wahrgenommene Abteilungen nun integral kooperieren. Ähnlich wurde in gemeindlichen Verwaltungen erstmals eine Kooperation zwischen den bislang vertikal strukturierten Abteilungen erreicht; auch dies angesichts des Sektionalismus japanischer Verwaltungen ein Ergebnis mit hohem Neuheitsgrad {Nikkei Ecology 2003, S. 33). Im Ergebnis werden Umweltbelastungen erstmals transparent - notwendigerweise eine Voraussetzung zur Verbesserung des Informationsstandes - und in vielen Fällen auch Umweltbelastungen reduziert. In einer Umfrage unter ISO 14001 zertifizierten Unternehmen antworten nahezu alle Befragten, daß in Folge der Normeinführung erstmals eine Erfassung der für sie relevanten Umweltaspekte vorgenommen und ein Umweltmanagementsystem eingeführt wurde (91,7 %; 73,2 %). 54,1 % bis 58,0 % der Unternehmen gaben zudem an, daß erstmals Verfahren zur Reaktion auf Notfallsituationen und mögliche Umweltauswirkungen eingerichtet wurden, das Recycling von natürlichen Ressourcen und Rohstoffen erhöht sowie das Abfallaufkommen und der Ausstoß von CO2 vermindert wurde ( N I E S 1998). Auch nach der oben angeführten Studie an der Universität Kobe hat immerhin jedes zweite Unternehmen auf die Aufforderung nach Offenlegung reagiert, trotz fehlender entsprechender Vorgaben der Norm {Kunibe et. al. 2000). Die durch die Norm eröffneten Handlungsspielräume wurden damit offenbar genutzt, zwar nicht von allen, aber doch von einem Teil der Unternehmen. Neue Wege in der Gestaltung der umweltbezogenen Unternehmenspolitik wurden gegangen, was das Erlernen neuer und das Verlernen alter Verhaltensweisen, Präferenzen, formaler Regeln bedeutet. Eine Zustimmung zur Norm scheint grundsätzlich gegeben und zusätzlich durch in der Norm vorgesehene Instrumente gestärkt worden zu sein. Unter dieser Voraussetzung kann die entlastende Funktion von ISO 14001 auch oder vielleicht gerade trotz schwacher externer Sanktionsmechanismen zum Tragen kommen: Als Ergebnis eines umfassenden und langfristigen gesellschaftlichen und unternehmerischen Diskurses wird die Norm als sinnvoll bewertet, so daß intrinsische Anreize für eine Änderung von Einstellung und Verhalten bestehen.
5. Normen zur Umsetzung umweltpolitischer Ziele? Kooperative Verfahren finden in der jüngeren Zeit in einer Vielzahl von Politikfeldern Beachtung. In diesem Beitrag haben wir uns am Beispiel der internationalen Umweltmanagementnorm ISO 14001 mit der Frage beschäftigt, inwiefern kooperative Verfahren einen Beitrag zur Reduktion von Umweltbelastungen leisten können. Rationalität, Eigennutzmaximierung und Pfadabhängigkeit lassen es als wahrscheinlich erwarten, daß kooperativ formulierte Regeln von den Wirtschaftssubjekten defektiert und verwässert werden. Insbesondere fehlende Komplementaritäten zwischen formalen Institutionen einerseits sowie zwischen formalen und informellen Institutionen andererseits
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können eine Abweichung von Regeln aus regelfremden Kontexten verstärken - eine Abweichung, die i.S. einer Reduktion von Transaktionskosten subjektiv zwar rational sein mag, kollektiv aber zu einer Reformunfahigkeit bestehender Institutionen führt. Von besonderem Interesse in dem hier diskutierten Kontext ist, daß die Tendenz zur Regelabweichung zwar ubiquitärer Natur ist, spezielle kulturelle Dispositionen diese aber verstärken können. Selbst wenn also in einem Regelkontext bestimmte politische Verfahren optimale Ergebnisse zeigen sollten, muß dies nicht im japanischen Kontext gelten, da die Effizienz und Effektivität der Verfahren durch den bereits gegebenen formalen und informellen Regelkontext beeinflußt werden. In diesem Beitrag wurde ein anderer Ansatz gewählt. Formale und informelle Institutionen werden als gelernte Regeln verstanden, die einer subjektiven Reflexion insofern zugänglich sind, als daß sie eine gesicherte Erkenntnis beinhalten, deren ,Wahrheitsgehalt' reflektiert werden kann. Die Zustimmung zu Reformen wird damit zu einer entscheidenden Voraussetzung für institutionellen Wandel. Relevant ist dann weniger die Frage, ob informelle/formale Institutionen zu (neuen) formalen Institutionen passen, sondern von welcher Offenheit der politische Diskurs gekennzeichnet ist. Es kann natürlich nicht darum gehen, blind darauf zu hoffen, daß ein ausreichendes ,Darüberreden' Veränderungen induziert. Aber es lassen sich neue Optionen für Veränderungen finden. Der Wirtschafts- und Unternehmenspolitik fallt damit eine wichtige Aufgabe zu, nämlich Gelegenheiten des Sprechens zu stiften. Bei einer Zustimmung zur Regelreform sind Verhaltensänderungen zu erwarten, die nicht zwangsläufig einer externen Sanktionierung bedürfen, um dauerhaft zu sein. In diesem Beitrag wurde zunächst der interne umweltpolitische Diskurs in Japan skizziert um zu zeigen, in welcher Form Umweltbelange in der japanischen Öffentlichkeit reflektiert werden. Unter Rückgriff auf eigene empirische Evidenz konnte gezeigt werden, daß bei einem bemerkenswerten Anteil der Unternehmen in der Tat Verhaltensänderungen stattfanden. Dies hat verschiedene Gründe; ein zentraler Antrieb ist die Einsicht in die Reformnotwendigkeit umweltbezogener Untemehmenspolitik und in die Legitimation umweltbezogener Normen. Es ist bemerkenswert, daß durch die Norm innovative und bisher unerkannte Strategien entwickelt wurden, wie etwa erstmalige horizontale Kooperationen zur Lösungssuche hinsichtlich der Einsparungspotentiale des betrieblichen Energieverbrauchs. Erst die Einführung der Norm führte also dazu, daß die ökonomische Vorteilhaftigkeit eines umweltbewußten Verhaltens und damit auch Anreize zur Weiterentwicklung umweltpolitischer Strategien erkannt wurden (Kostensenkung, Produktinnovation, auch Reputation). Kehren wir noch einmal zu der Frage zurück, ob und inwieweit ein kooperativ vereinbartes Umweltmanagementsystem wie ISO 14001 Reformen in der umweltbezogenen Untemehmenspolitik bewirken kann, dann fällt die Antwort eindeutig aus: Um der Gefahr von Defektion und Regelverwässerung bei Reformvorschlägen Rechnung zu tragen, ist der Vorschlag des Wechsels zu einer .besseren' Regel alleine nicht angemessen. Bei einer Einsicht in den Reformbedarf hingegen besteht eine größere Wahrscheinlichkeit zu einer Verhaltensänderung. Gleichwohl ist die Gefahr von Defektion und Regelverwässerung gegeben. So befördert die Norm Reformen inkrementeller Natur, die sich im wesentlichen im Rahmen von recycle, reduce, reuse bewegen. Ein unternehmerischer oder gar gesamtwirtschaft-
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licher Pfadwechsel steht in Folge der Norm und, in allgemeinerer Form, wohl auch in Folge privater Regulierang kaum zu erwarten an. In den hier untersuchten Unternehmen fanden Verhaltensänderungen auch deswegen statt, weil die befragten Unternehmen überwiegend zum Mittelstand gehörten, bei dem durch die Norm umweltpolitische Belange überhaupt erstmals systematisch in die Unternehmens fuhrung integriert wurden. Auch ist die Frage offen geblieben, für welche spezifischen Umweltprobleme welches umweltpolitische Institutionengefüge - also etwa eine striktere Sanktionierung privater Regulierung, eine stärkere Gewichtung des Ordnungsrechts oder der Einsatz marktlicher Mechanismen - zu empfehlen ist. In Bezug auf Japan wäre weiter eine komparative Institutionenanalyse erforderlich, indem etwa Ergebnisse der traditionellen administrativen Empfehlungen, die mit einem höheren Sanktionspotential bewehrt sind, mit Ergebnissen privater Regulierung verglichen' werden. Eine ganz andere Frage schließlich ist, ob die Voraussetzung zu Lernen und zur Bereitschaft von Verhaltensänderungen in unterschiedlichen Gesellschaften ähnlich ist. Die empirische Evidenz kann die These einer auf Lernprozesse zurückgehenden internen Sanktionierung sicherlich nicht abschließend belegen. Das Anliegen dieses Beitrags war vielmehr, die aus institutionenökonomischer Sicht häufig als restringiert wahrgenommene Reformfähigkeit zu thematisieren und eine theoretische und empirische Beschäftigung mit der Frage von Lernen und Einstellungsänderung anzuregen. Die Institutionenökonomik hat einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, auf die begrenzte Gestaltbarkeit von Institutionen aufmerksam zu machen. Sie hat es allerdings versäumt, sich mit der Genese von informellen Institutionen zu beschäftigen. Die Dynamik von Wandel, die wir ebenso beobachten können, erfaßt sie damit unzureichend. Ein gangbarer Weg scheint zu sein, informelle Institutionen als gelernt zu verstehen und sich intensiver mit individuellen, gegebenenfalls kulturspezifischen Lernprozessen auseinanderzusetzen. Dies verbleibt als wichtige künftige Forschungsfrage.
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Ordnungspolitik, kultureller Wandel und ausländische Direktinvestitionen in Südkorea nach 1997*
Bernhard Seliger
Inhalt 1. Einführung
230
2. Ausländische Direktinvestitionen und Wirtschaftspolitik in Südkorea - ein Überblick
232
3. Das zugrundeliegende Modell - der Markt für Institutionen
238
4. Die Perzeption ausländischer Direktinvestitionen in Südkorea - empirische Ergebnisse
246
5. Schlußfolgerungen
254
Literatur
255
Für hilfreiche Hinweise dankt der Autor Werner Pascha.
230
Bernhard Seliger
1. Einführung Der starke Zuwachs ausländischer Investitionen (FDI) war eines der am meisten beachteten Merkmale der koreanischen wirtschaftlichen Entwicklung nach der Wirtschafts- und Finanzkrise von 1997 und 1998, und der Politik zur Anziehung ausländischer Direktinvestitionen wurde große Aufmerksamkeit geschenkt. Allerdings hatte sich eine Änderung schon vorher, insbesondere im Zusammenhang mit der Politik der Regierung Kim Young-Sam (1993-1997), zur Vorbereitung auf die Globalisierung angekündigt. Im koreanischen ,Markt für Institutionen' war 1997 in Bezug auf ausländische Investitionen insofern ein Wendepunkt, als daß jetzt erstens die Öffnung für Investitionen als institutionelle Innovation erscheint (eine Antwort auf bisher verdrängte Probleme der Entwicklung wie abgeschlossener Heimatmarkt ohne Wettbewerb, fehlende Formen moderner corporate governance', Zufluß kurzfristigen Kapitals genutzt für langfristige Investitionsprojekte), zweitens der externe Einfluß im Institutionenwettbewerb deutlich wird (Imitation ausländischer Politiken sowie teilweise Verpflichtung zur Liberalisierung durch externe Akteure, nämlich den Internationalen Währungsfonds) und drittens auch teilweise die Abwendung von einem bis dahin gültigen kognitiven Schema (in Bezug auf die Rolle ausländischen Kapitals) erfolgt. Eine institutionenökonomische Analyse kann dafür eine bessere Erklärung bieten als traditionelle Theorien der ausländischen Direktinvestitionen wie etwa Modelle optimaler Regulierung von FDI durch den Empfängerstaat. Die Diskussion von FDI begann mit dem Studium des Einflusses von FDI auf technischen Fortschritt und Qualifikation der Arbeitnehmer in Entwicklungsländern und des Einflusses multinationaler Unternehmen auf die ökonomische Entwicklung im Gastland ("dual économies debate'). Die optimale Regulierung von FDI durch das Gastgeberland wurde so modelliert, daß ein maximaler Wohlfahrtsgewinn in einem statisch-neoklassischen Modell durch FDI erreicht würde. 1 Die Theorie komparativer Vorteile wurde insbesondere auf Asien in Form des Wildgänse-Modells angewandt (Hiley 1999; Dowling und Cheang 2000). Später, als Teil der Debatte um Globalisierung und Standortwettbewerb, wurde die Anziehung von FDI als wichtiges Ziel des ,catching up'-Prozesses angesehen. Die vielbeachtete Analyse von Dunning (1993; auch 2002) stellte firmenspezifische, Standort- und Internalisierungsvorteile ausländischer Investoren in den Mittelpunkt. Doch nicht nur mikroökonomische Vorteile wie technologischer Wandel und Qualifikation von Arbeitskräften und makroökonomische Vorteile wie der Einfluß auf Wachstum, Beschäftigung und Zahlungsbilanz wurden gesehen, sondern auch ordnungspolitische Änderungen durch FDI, z.B. bei ,corporate governance' und Management-Organisation. Dabei ändert sich die institutionelle Struktur des Gastlandes in zweierlei Weise, nämlich im öffentlichen Sektor wie auch im Privatsektor. Damit wurde die FDI-Debatte eine institutionenökonomisch relevante Debatte. Der Transformationsprozeß in Mittel- und Osteuropa nach 1989 brachte neue Erkenntnisse über die Rolle
1
Vgl. für Korea Koh (1993).
Ordnungspolitik,
kultureller
Wandel und ausländische
Direktinvestitionen
231
von FDI, sowohl als Mittel gegen monopolistische Marktstrukturen früherer Zentralverwaltungswirtschaften als auch in Bezug auf langfristiges Wachstum. 2 Die Erfahrung Mittel- und Osteuropas war auch interessant, um den Erfolg verschiedener institutioneller Regime in Bezug auf die Anziehung von FDI zu studieren und politische und kulturelle Hindernisse sowie den Einfluß von FDI auf die Ergebnisse einheimischer Firmen zu analysieren.3 In Südkoreas Wirtschaftspolitik spielten Direktinvestitionen lange Zeit kaum eine Rolle. Bis in die 1990er Jahre war Südkorea eine der Marktwirtschaften mit den geringsten ausländischen Direktinvestitionen. Dies änderte sich langsam unter der Regierung von Kim Young-Sam (1993-1997), für den die Öffnung für Direktinvestitionen Teil einer Globalisierungsstrategie des Landes war, aber radikal erst mit der Wirtschaftsund Finanzkrise von 1997 und 1998. Die Regierung von Kim Dae-Jung (1998-2002) warb aggressiv für Investitionen und legte besonderen Wert auf institutionelle Verbesserungen für ausländische Investitionen. Krise und Nachkriseneinflüsse führten auch zu einem stärkeren Interesse der Wissenschaft an den Auswirkungen von FDI in Korea.4 Ziel dieses Artikels ist es zu zeigen, wie der Wandel ,externer' Institutionen (hier z.B. rechtliche und steuerliche Stellung ausländischer Investitionen in Südkorea) und ,interner' Institutionen (z.B. Behandlung ausländischer Investitionen durch die Praxis der Steuerbehörden, durch die Konsumenten auf Gütermärkten, Berufsanfänger auf Arbeitsmärkten und Behörden bei Genehmigungsverfahren) vom Wandel der Perzeption der Rolle ausländischen Kapitals und somit von kulturellen Faktoren abhängt. Die Frage, wie die FDI-Zuflüsse die institutionelle Struktur der koreanischen Wirtschaft ändern und durch diese gleichzeitig bedingt sind, soll dabei mit Hilfe eines Modells eines ,Marktes für Institutionen' analysiert werden. Ein besonderes Interesse gilt dabei dem Einfluß der kognitiven Modelle, hier über die Effekte ausländischer Wirtschaftsaktivität auf die heimische Wirtschaft, und ihrer Änderung. Im zweiten Teil des Artikels wird ein Rückblick auf ausländische Direktinvestitionen und Wirtschaftspolitik in Südkorea gegeben. Der dritte Teil entwickelt ein Modell des ,Marktes für Institutionen' und diskutiert die Stellung von ausländischen Direktinvestitionen in diesem Markt. Im vierten Teil wird anhand einer Umfrage zu Einstellungen zu ausländischen Investitionen in der Bevölkerung der kulturelle Kontext
2
Es ist wichtig zu sehen, daß bis jetzt die kausale Beziehung von FDI-Zuflüssen und langfristigem Wachstum nicht ganz geklärt ist. FDI kann entweder ein Indikator für erfolgreiche institutionelle Arrangements sein (z.B. den vorteilhaft gesetzten staatlichen Rahmen für privates Handeln) oder direkt Wachstumsaussichten erhöhen.
3
Vgl. Lankes und Stern (1997), Ciaessens et al. (1998) sowie Meyer (1998) für die Analyse institutioneller Determinanten ausländischer Direktinvestitionen in Mittel- und Osteuropa sowie Meyer (1996) für einen Vergleich von Ostasien mit Mittel- und Osteuropa. Vlachoutsicos (1999) untersucht speziell die kulturellen Barrieren im Management in Transformationsstaaten in Firmen mit ausländischen Investoren.
4
Siehe Cho und Kim (1998) über FDI-Politik, Ruffini (1999) über FDI im Bankensektor, Park und Yun (1999) über die Beziehung von Privatisierung der Staatsunternehmen und FDI, Hong (1998) über technologiebezogene FDI, Kim, Kyoo H. (1999), Ahn (1999) und Kim, Wan-Soon (2000) über FDI-Politik und die Rolle des neuen FDI-Ombudsmann-Systems.
232
Bernhard
Seliger
der Politik gegenüber Direktinvestitionen diskutiert, gefolgt von einem Ausblick (Abschnitt 5).
2. Ausländische Direktinvestitionen und Wirtschaftspolitik in Südkorea - ein Überblick Südkorea war lange Zeit explizit gegen die Zulassung ausländischer Investitionen.5 Kulturell gesehen kann dies mit einem durch historische Erfahrungen gespeisten Ethnozentrismus erklärt werden, der politisch gesehen einen starken wirtschaftlichen Nationalismus mit sich brachte. 6 Aber auch wirtschaftspolitische Erwägungen, nämlich die Frage der Lenkbarkeit von Unternehmen mit ausländischen Eigentümern in der speziell südkoreanischen Form der Wachstumsdiktatur, spielten dabei eine Rolle.7 Die Erfahrungen Südkoreas von 1910-1945 als japanische Kolonie mit einer einseitig auf japanische Interessen ausgerichteten Wirtschaftsstruktur und weitgehend ausländischen (japanischen) Eigentümern führten zu einem Kurs des radikalen wirtschaftlichen Nationalismus. Es ist ironisch, daß trotzdem lange Zeit allein japanische Direktinvestitionen wegen der historischen Beziehungen, geographischer Nähe und der nach dem schnellen Wiederaufbau Japans sich entwickelnden Unterschiede bei den Faktorpreisen sowie der technologischen Entwicklung zwischen beiden Ländern eine gewisse Bedeutung gehabt haben.8 Ökonomischer Nationalismus ist ein Phänomen, das es zwar schon immer gegeben hat und schon in Aristoteles Abhandlung .Politik' eine Rolle spielte, das aber in der Phase der Dekolonisierung nach dem zweiten Weltkrieg ein besonderes Gewicht bekam.9 In den neu gegründeten oder wieder unabhängigen ehemaligen Kolonien wurde die ökonomische Souveränität ein wichtiges Instrument zur Schaffung eines neuen Nationalbewußtseins (z.B. in den afrikanischen Staaten südlich der Sahara), zur Stärkung des Nationalbewußtseins gegenüber Minderheiten (z.B. in Südostasien gegenüber der chinesischen Minderheit) sowie zur Heilung des Nationalstolzes von erlittenen Demütigungen unter der Kolonialherrschaft, u.a. in Südkorea. Doch auch zur Verdeckung bald einsetzender Fehler in der Wirtschaftspolitik und bei einem als zu langsam empfundenen Entwicklungsprozeß wurde häufig die nationale Karte ausgespielt.
5
Zur frühen Haltung Koreas zu den FDI siehe Park, Hyo-Chong
6
Das Konzept des Ethnozentrismus wurde von Sumner (1906, S. 13) entwickelt. Sumner definiert Ethnozentrismus wie folgt: "Ethnocentrism is the technical name for this view of things in which one's own group is the center of everything, and all others are scaled and rated with reference to it." Dieses Konzept wird im 4. Abschnitt in Bezug auf wirtschaftliche Aspekte weiter diskutiert.
7
Siehe zum Konzept der Wachstumsdiktatur Adamovich (2001). Für eine Anwendung auf Korea vgl. Lee, Jong Won (2003). Siehe Castley (1996a, 1996b); Köllner (1998), Castellano (1999). Zwischen 1972 und 1976 waren über siebzig Prozent der FDI japanischen Ursprungs, wobei auch die koreanische Minderheit in Japan eine Rolle spielte.
8
9
Siehe die frühe Studie von Heilperin (1960).
(1986).
Ordnungspolitik,
kultureller
Wandel und ausländische
Direktinvestitionen
233
Die wichtigste Form des ökonomischen Nationalismus war die Nationalisierung (Verstaatlichung) ausländischer Unternehmen, insbesondere in Rohstoffindustrien. Dazu kam eine Regulierungspolitik gegenüber neuen ausländischen Direktinvestitionen, wo u.a. Eigentumsrechte eingeschränkt und Bestimmungen über inländische Management-Beteiligung erlassen wurden sowie ,local content' bei den hergestellten Produkten gefordert wurde. Bald entwickelten sich daraus die Modelle optimaler Regulierung von Direktinvestitionen, die ein Maximum an Nutzen versprachen, ohne die benötigten Zuflüsse an Kapital und Technologie versiegen zu lassen. Daneben war die Wirtschaftspolitik des ökonomischen Nationalismus auf Erreichung von Autarkie im Bereich der Landwirtschaft und Importsubstitution im Bereich der Industrie sowie Kontrolle der Exporte ausgerichtet.10 Ökonomen standen der Idee der wirtschaftlichen Autarkie zwar meistens negativ gegenüber," befürworteten aber häufig die Möglichkeit optimaler FDI-Regulierungspolitiken. 12 Erst in den achtziger und frühen neunziger Jahren, als sich die Wachstumserfolge derjenigen Staaten zeigten, die eine Politik der Öffnung gegenüber ausländischen Investitionen betrieben, nahm die Attraktivität einer Strategie des ökonomischen Nationalismus deutlich ab.13 Südkorea ist insofern eine Ausnahme, als daß hier eine Änderung der FDI-Politik als eine Folge von Wachstumserfolgen erscheint, nicht aber deren Voraussetzung ist. Tabelle 1: Ausländische Direktinvestitionen in Südkorea von 1962-1989 Zeitraum
Ausländische Direktinvestitionen (angemeldet) in Mill. US-$
1962-1981
93 (jährlicher Durchschnitt)
1982-1986
354 (jährlicher Durchschnitt)
1987-1988
1.174 (jährlicher Durchschnitt)
1989
1.090
1990
803
Quelle: Park, Yoon-Shik (2003) nach Daten der Bank of Korea
In Südkorea war es in Folge des Koreakrieges zwar zu einem starken Zufluß amerikanischer Entwicklungshilfe gekommen, allerdings hatte dies zunächst nicht zu einem dauerhaften Entwicklungsprozeß geführt. Die Beteiligung ausländischer Investoren wurde insbesondere in der Zeit der autoritären Regierungen von Park Chung-Hee (1962-1979) sowie Chun Do-Hwan (1982-1987) abgelehnt, in der wirtschaftliche Ei-
10
Für einen Überblick siehe Burnell (1986). Da die genannten Strategien explizit national waren, waren sie natürlich in jedem Land anders.
11
Vgl. die Artikel in Johnson (1968).
12
Während diese in den frühen Modellen meist in Hinblick auf staatliche Regulierung (Exportquoten, Technologietransfer, Gewinntransfer versus Reinvestition etc.) optimiert wird, ist dies später, als die Rolle von FDI insgesamt weitaus positiver eingeschätzt wird, in Bezug auf die optimale Höhe von Subventionen zur Attraktion von FDI der Fall.
13
Der erste Staat Ostasiens, der mit einer Öffnung gegenüber FDI begann, war Singapur 1961.
234
Bernhard Seliger
genständigkeit als ein Ausdruck politischer Souveränität angesehen wurde (vgl. Lee, Doowon 2003, S. 86). Dies führte dazu, daß die Zuflüsse an ausländischen Investitionen bis zum Ende der achtziger Jahre gering blieben, wie sich aus Tabelle 1 erkennen läßt. Zwar wurden schon in den siebziger Jahren zwei spezielle Exportzonen in Südkorea eingerichtet, die für ausländische Investoren gedacht waren. Die dortige Produktion war aber durch zwingende Exportquoten, ,local content'-Bestimmungen sowie Bestimmungen über den Technologietransfer stark beschränkt.14 In den späten 1980er und frühen 1990er Jahren kam es zu einer vorsichtigen Öffnung für FDI (Kim, Il-Hwan 1987; Lee, Kyoutig-Ryoung 1991). Gleichzeitig wurde die koreanische Börse für ausländische Portfolioinvestitionen geöffnet, zunächst durch den Korea Fund von 1984 und den Korea Euro Fund (1987), später auch für direkte Portfolioinvestitionen. 15 Ein Grund dafür war das Scheitern einer nationalen Entwicklungsstrategie im Bereich der Schwerund Chemieindustrie in den späten siebziger Jahren. Aber auch die weltweite Krise der hoch verschuldeten Entwicklungsländer führte dazu, daß FDI als Alternative zu Schulden langsam ein besseres Ansehen gewannen. Der dritte Grund war, daß das starke, auf Exporten basierende Wachstum Südkoreas einerseits dazu führte, daß von dem neu industrialisierten Land seinerseits größere Öffhungsbemühungen verlangt wurden und andererseits die Bereitschaft dazu in dem Maße wuchs, wie die eigene Industrie ihre Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten bewies. Insgesamt kann man sagen, daß bis zur Wirtschafts- und Finanzkrise von 1997 und 1998 sich die Haltung Südkoreas von starker Ablehnung zu einer toleranteren Haltung änderte, aber noch nicht zur aktiven Einwerbungspolitik. Ein Überblick über die Liberalisierungsschritte wird in Tabelle 2 gegeben. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Politik von Präsident Kim Young-Sam (19931998), Südkorea in die Reihe der OECD-Staaten zu führen sowie sie auf die Globalisierung vorzubereiten. ,Segewha' (Globalisierung) wurde zu einer bedeutenden wirtschaftspolitischen Vision erklärt. Als Voraussetzungen dafür wurden die internationale Wettbewerbsfähigkeit der südkoreanischen Industrie, ein verbessertes nationales Image, sowie die Öffnung Koreas für andere Kulturen, u.a. durch das verstärkte Erlernen von Fremdsprachen, gesehen. Dazu diente z.B. die Einrichtung von international ausgerichteten Studiengängen (area studies bzw. international studies). Viele wirtschaftspolitische Maßnahmen, etwa 1994 die Einführung des ,real name accounting', das anonyme Konten, die bisher weit verbreitete Praxis waren, abschaffte, waren eine Voraussetzung für die Aufnahme in die OECD.
14
Der Ausbau der Schwer- und Chemieindustrie führte sogar zunächst zu einer restriktiveren Haltung gegenüber FDI, um die Auswirkungen externer Schocks zu vermindern; vgl. Sakong (1993, S. 114-115).
15
Vgl. Jwa (1995, S. 7). Dabei galt ab 1992 die Obergrenze von drei Prozent der gehandelten Papiere pro Firma. Später wurden Portfolioinvestitionen weiter liberalisiert. Ausländische Eigentümer hielten Ende 2003 bereits die Mehrheit an 23 an der Korea Stock Exchange geführten Unternehmen.
Ordnungspolitik, kultureller Wandel und ausländische Direktinvestitionen
235
Tabelle 2: Liberalisierung von FDI in Südkorea vor 1997 im Überblick Datum
Maßnahme
1960
Foreign Capital Inducement Promotion Act mit den drei Zielen Produktivitätswachstum, Beschäftigung, Zahlungsbilanzverbesserung
1965
Normalisierung der Beziehungen von Japan und Südkorea; Beginn der j apanischen Direktinvestitionen
1970
Einrichtung einer Special Export Zone in Masan (Möglichkeit von FDI in der Konsumgüterindustrie unter strikter Regulierung von Exportquoten, local content, Technologietransfer)
1974
Einrichtung einer Special Export Zone in Iri (Möglichkeit von FDI in der Konsumgüterindustrie unter strikter Regulierung von Exportquoten,,local content', Technologietransfer)
1984
Wechsel von der Positivliste an erlaubten FDI zur Negativliste (nicht erlaubte FDI)
1989
Abschaffung der Regulierung von Exportquoten,,local content', Technologietransfer bei FDI
1991
Einführung eines Anmelde- statt Erlaubnissystems für ausgewählte FDI
1992
Anmeldesystem für FDI als Regel, Erlaubnissystem als Ausnahme
1993
Fünf-Jahres-Plan zur Attraktion von FDI in 132 von insgesamt 224 vorher beschränkten Sektoren
1994
Ausweitung des Anmeldesystems von der Regierung bzw. Zentralbank zu jeder Geschäftsbank mit Lizenz fur Devisenhandel
1995
Five-Year Foreign Investment Liberalization Plan des Ministry of Finance and Economy
1996
Korea wird OECD-Mitglied und paßt seine Gesetze bzgl. FDI an die Regeln der OECD an
1997 (vorder Wirtschaftskrise)
Act on Foreign Direct Investment and Foreign Capital Inducement', Vorbereitung der Liberalisierung von 47 der 81 noch beschränkten Sektoren in drei Jahren
1997 (vor der Wirtschaftskrise)
Erlaubnis freundlicher Übernahmen mit Zustimmung des Aufsichtsrates der übernommenen Firma (bisher nur Neuinvestitionen)
Quelle: Sakong (1993); Park, Yoon-Shik (2003, S. 225-226); Baang und Kim (1996); Seong (1996)
Die Liberalisierung der frühen 1990er Jahre brachte dabei ein Ungleichgewicht mit sich: Während die alte staatliche Führung der großen Konglomerate (.Chaebol') nun aufgegeben wurde, trat noch kein alternatives institutionelles System an den Platz der
236
Bernhard Seliger
vorherigen Industriepolitik. Ein industrieller Spezialisierungsplan der Regierung, der die Reduktion der Überkapazitäten (etwa bei der Stahlerzeugung) erreichen sollte, scheiterte 1994. Dabei offenbarte sich ein Dilemma des schnellen Wachstums Koreas: Das alte Modell der Lenkung der ,Chaebol' durch den Staat war wegen der Größe der ,Chaebol' nicht mehr durchführbar. Andererseits waren die ,Chaebol' immer noch an den Staat gekettet und waren (,too big to fail') in der Lage, die Unterstützung des Staates zu erzwingen. Das Fehlen eines stringenten Wettbewerbsrechtes sowie die Intransparenz der Firmenleitung waren zwei der größten strukturellen Schwächen, die durch die Finanzkrise von 1997 aufgedeckt wurden (Seliger 1999a). Tabelle 3: Liberalisierung von FDI in Südkorea nach 1997 im Überblick Datum
Maßnahme
1997
Wirtschafts- und Finanzkrise; im Dezember Abschluß eines Hilfspakets des IWF; zu den Bedingungen gehören u.a. der Verkauf zweier südkoreanischer Banken an ausländische Investoren und die weitere Öffnung für FDI
1998
Die Anziehung von FDI wird zu einem der wichtigsten Politikfelder in der Regierung des neu gewählten Präsidenten Kim Dae-Jung (Öffnung für FDI von fast allen Sektoren mit Ausnahme von Radio und Fernsehen sowie beschränkter Öffnung in 27 Sektoren wie Landwirtschaft und Energiesektor)
1998
Foreign Investment Promotion Act (FIPA); weitere Liberalisierung von ausländischen Investitionen
1998
Einführung eines Ombudsmann-Systems für ausländische Investoren
1998
Neufassung des Foreigner 's Land Acquisition Act (Liberalisierung des Eigentums an Grund und Boden sowie Häusern für Ausländer)
1998
Erlaubnis feindlicher Übernahmen
1998
Einrichtung des KISC (Korea Investment Service Center) der KOTRA (Korea Trade and Investment Promotion Agency) als ,one-stop service center' für ausländische Investoren
1999
Beteiligung von ausländischen Investoren an Infrastrukturprojekten wird erleichtert (ausländisches Kapital gilt nicht mehr automatisch als Risiko)
2002
Ankündigung von Kim Dae-Jung, Korea zum ,Hub of East Asia' zu machen; Diskussion über spezielle Wirtschaftszonen zur Attraktion ausländischer Investoren
2003
Ankündigung eines Systems direkter Finanzbeihilfen für ausländische Investitionen bei High-tech Firmen (20 Prozent des Investitionswertes)
Quelle: Park, Yoon-Shik (2003, S. 226-227)
Zu einem Wendepunkt wurde deshalb, was den Zufluß von FDI betraf, die Wirtschafts- und Finanzkrise von 1997 und 1998. Die neue Regierung unter Kim Dae-Jung
Ordnungspolitik,
kultureller Wandel und ausländische
Direktinvestitionen
237
versuchte aggressiv, FDI einzuwerben. Dies war zuerst ein Mittel, um die Zahlungsbilanzkrise auszugleichen, die durch den Abfluß hauptsächlich kurzfristigen Kapitals entstanden war. Ein zweiter Grund war die Verpflichtung gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF), verschiedene Märkte für ausländische Wettbewerber zu öffnen, z.B. durch den Verkauf von zwei Banken an ausländische Investoren. Mehr noch war die Öffnung ein wichtiger Teil der propagierten ,DJnomics', der Politik der Regierung zur Modernisierung von Arbeitsmarkt, öffentlichem Sektor, privatem Sektor und Finanzmärkten. 16 Zu den Grundsätzen des Reformprogramms gehörte die unbedingte Erfüllung der IWF-Auflagen, wobei diese allerdings mehrfach der tatsächlichen Wirtschaftslage Südkoreas angepaßt wurden. Kernstück der Reformen ist jedoch die Jour plus oue'-Politik: die zeitgleiche Reform des Arbeitsmarktes, des Finanzsektors, des öffentlichen Sektors sowie des Privatsektors zusammen mit der Öffnung der vermachteten koreanischen Märkte für Konkurrenz. Die Marktöffnung für ausländische Wettbewerber sollte dabei Reformen in den vier Sektoren erzwingen. Um dies zu erreichen, wurden ausländische Direktinvestitionen stark erleichtert, wie sich aus Tabelle 3 erkennen läßt. Der Mix von Deregulierung, verbesserten makroökonomischen Bedingungen, drastisch gesunkenen Preisen für Firmenkäufe und einem vorteilhaften Wechselkurs führte zu einem starken Zufluß an FDI nach 1998 (.Seliger 2001, S. 5-7). 1999 und 2000 erreichten die FDI-Zuflüsse mit jeweils über 15 Milliarden US-$ einen Höhepunkt. Dieser läßt sich einmal durch die günstigen Firmenpreise im Zuge der Wirtschaftskrise erklären. Dazu trugen sowohl der starke Verfall des südkoreanischen Won als auch die Notwendigkeit des schnellen Verkaufs vieler Unternehmen bzw. Unternehmensteile in einer Liquiditätskrise (,fire sales') bei.17 Zweitens führte auch der IT-Boom zu einem starken Anwachsen ausländischer Investitionen, besonders im Jahr 2000. Danach verschlechterten sich jedoch die weltwirtschaftlichen wie auch südkoreanischen Bedingungen sehr schnell - Unsicherheiten über die Entwicklung der Weltwirtschaft, die Rückbildung der Blase an den Aktienmärkten, gerade im IT-Bereich, die allmähliche Aufwertung des südkoreanischen Won und das Ende der ,flre sales' von Unternehmen machten Investitionen in Südkorea weniger attraktiv. Die attraktivsten Investitionen waren bereits mit der Marktöffnung durchgeführt worden. Das Niveau der FDI sank und lag für das Jahr 2003 wieder unter dem von 1997, obwohl sich Südkorea weiterhin um die Verbesserung der Rahmenbedingungen für ausländische Investoren bemühte. Die Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen von 1991 bis 2003 ist in Tabelle 4 zu ersehen. Während sich die FDI-Zuflüsse in Südkorea sicherlich teilweise durch makro- und mikroökonomische Faktoren (Wechselkursänderungen, Änderungen der Unternehmensbewertungen in der Wirtschaftskrise etc.) erklären lassen, gilt dies für die Änderungen der FDI-Politik Südkoreas nicht. Die institutionellen Änderungen lassen sich vielmehr
16
Dies wurde auch klar im programmatischen Statement des Finanz- und Wirtschaftsministeriums so gesagt, siehe Ministry of Finance and the Economy (1998). Vgl. die Diskussion in Seliger (1999b) sowie Chopra et al. (2002).
17
Vgl. die Analyse der Untemehmenskäufe in Südkorea bei Goydke (1999) sowie Freund und Djankov (2000).
238
Bernhard Seliger
als Angebot einer neuen FDI-Politik im südkoreanischen Markt für Politik verstehen. Dies soll im folgenden Abschnitt diskutiert werden. Tabelle 4:
Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen 1991-2003 (in Mill. US-$)
Jahr
Summe
Japan
USA
EU
Sonstige
1991
1.396
226
297
749
124
1992
894
155
379
242
118
1993
1.044
286
341
299
118
1994
1.317
428
311
393
184
1995
1.947
418
645
461
423
1996
3.203
255
876
892
1.180
1997
6.971
266
3.190
2.305
1.210
1998
8.853
504
2.973
2.885
2.491
1999
15.542
1.750
3.739
6.251
3.802
2000
15.217
2.448
2.922
4.391
5.456
2001
11.292
772
3.889
3.062
3.569
2002
9.101
1.403
4.500
1.663
1.535
2003
6.460
-
-
-
-
Quelle: Korea International Trade Association (2003, S. 53), nach Daten des Ministry of Commerce, Industry and Energy fur 1991 -2002
3. Das zugrundeliegende Modell - der Markt für Institutionen Zu den entscheidenden Determinanten eines Wirtschaftssystems gehören seine formalen und informalen Institutionen 18 . Die formalen Institutionen werden auf dem ,Markt für Institutionen' eines Landes bestimmt. Dieser Markt wiederum ist eine Metapher für die Interaktion des Marktes für Politik im eigentlichen Sinne mit den Güterund Dienstleistungsmärkten. Der Markt für Politik umfaßt auf der Anbieterseite die politischen Unternehmer sowie die Bürokratie, die bestimmte Politiken anbieten. Auf der Nachfrageseite stehen (nicht überschneidungsfrei) die Gruppen der Konsumenten, Steuerzahler, Arbeiter und Investoren, die durch Wahlhandlungen (,voice') in Demokratien
18
In der Literatur findet sich keine einheitliche Abgrenzung formaler und informaler Institutionen, sie werden insbesondere nach Durchsetzungsmechanismus (staatliches Gewaltmonopol, d.h. zentral für formale Institutionen, dezentral, private Durchsetzung bei informalen Institutionen) oder nach Art der Fixierung (schriftlich bei formalen Institutionen, mündlich bei informalen Institutionen) unterschieden.
Ordnungspolitik, kultureller Wandel und ausländische Direktinvestitionen
239
eine Auswahl aus den angebotenen Politiken treffen. Die ,exit'-Option (z.B. Auswanderung, Import oder Kapitalflucht) verbindet den Markt für Politik mit den Güter- und Dienstleistungsmärkten: Institutionelle Alternativen werden durch Abwanderung und Widerspruch den bisherigen Institutionen vorgezogen, es kommt zum Institutionenwettbewerb. Die Intensität des Institutionenwettbewerbs ist von internationalen Regimes (etwa des Handels und der Investitionen) abhängig. Sie hat sich in den letzten Jahrzehnten stark erhöht (ausführlich Seliger 1999c). Informale Institutionen bestimmen zusammen mit den formalen Institutionen eine Wirtschaftsordnung. Das Funktionieren formaler Institutionen ist oft nur im Zusammenhang mit den informalen Institutionen einer Wirtschaftsordnung zu verstehen. Da sie schlecht zu beobachten und kaum zu quantifizieren sind, wurden sie bei der Diskussion von Wirtschaftsordnungen und ihrer Transformation zunächst ausgespart". Sie wurden später im neo-institutionellen Ansatz wieder eingeführt (insbesondere von North 1990) und bekamen im Zusammenhang mit den Erklärungsdefiziten der Transformation im Fall der Volkswirtschaften Mittel- und Osteuropas eine zentrale Stelle für die Theorie institutionellen Wandels (Mummert 1995, 1999; Raiser 2001). Informale Institutionen sind nicht statisch, ihr Wandel ist aber von längerfristigen Faktoren bestimmt. 20 Dies ist einerseits ein möglicher Erklärungsansatz für die verschiedenen wirtschaftlichen Ergebnisse, die bei gleichen formalen Institutionen in unterschiedlichen Volkswirtschaften erzielt werden. Andererseits ist die Effektivität informaler Institutionen, deren Durchsetzungsmechanismus nicht das staatliche Gewaltmonopol ist, auch entscheidend von der Einschätzung der Marktakteure über ihre Wirksamkeit und Legitimität abhängig. Formale Institutionen haben zwar nicht dieses Durchsetzungsproblem, allerdings sind auch sie von der Anerkennung ihrer Legitimität abhängig. Damit wird ein weiterer Faktor für die Stabilität einer Wirtschaftsordnung entscheidend, nämlich die Perzeption, die die Akteure von ihrer Funktionsfähigkeit haben. Da die Marktakteure, wie auch externe Beobachter (Wissenschaftler), keine vollständige Information besitzen, bilden sie Hypothesen über ihre Wirtschaftsordnung, die u.a. für ihre Zielfestlegung und Instrumentenwahl maßgeblich sind. Diese Hypothesen sind wiederum abhängig von kognitiven Schemata, die den Akteuren helfen, unter Unsicherheit und unvollständiger Information zu handeln. Werden sie permanent frustriert, bilden sich neue Hypothesen. Allerdings führt dies nicht unbedingt zu einem veränderten Verhalten: Solange die Durchsetzungsmechanismen für informale Institutionen funktionieren, kann sich opportunistisches Verhalten auszahlen. Das heißt aber, daß auch relativ kleine Änderungen in der Perzeption von Institutionen zu großen Verhaltensänderungen führen können, falls diese Änderungen eine kritische Masse erreichen, wie es zum Beispiel zu Beginn der Transformationsprozesse in Osteuropa der Fall war und wie es, so hier die These, auch bei der Asienkrise in Bezug auf die Effekte ausländischer Direktinvestitionen in Korea der Fall gewesen ist.
" Frühe Ausnahmen wie die Wirtschaftssoziologie oder die deutsche historische Schule bestätigen dabei die Regel der generellen Vernachlässigung informaler Institutionen. 20 Vgl. für den evolutionären Prozeß kultureller Veränderungen Durham (1992).
240
Bernhard
Seliger
Wenn man den Wandel von Wirtschaftsordnungen verstehen will, muß also zunächst der relevante Markt für formale Institutionen untersucht werden. Dieser steht einerseits im Kontext des internationalen Systemwettbewerbs, andererseits ist er auch durch die informalen Institutionen und ihre funktionale Beziehung zu den formalen Institutionen geprägt. Das Erwartungsgleichgewicht auf dem Markt für formale Institutionen kann dann als diejenige Situation bezeichnet werden, in der grosso modo die Erwartungen der Akteure über die Funktion der Institutionen nicht enttäuscht werden. Diese Erwartungen wiederum sind abhängig von den kognitiven Schemata der Akteure über eben diese Institutionen. Die Entstehung solcher Schemata ist ein bisher im Zusammenhang mit der Wirtschaftsordnung wenig untersuchter Bereich. Sicher ist aber, daß dabei unter anderem nicht nur die Selbstperzeption, sondern auch die Fremdperzeption eine Rolle spielt. So fuhren Hypothesen von Wissenschaftlern über ,das asiatische Modell' auch zu einer Rückkopplung mit den Erwartungen der Menschen über ihre Wirtschaftsordnung. Die Definition und ein erweitertes Verständnis eines Erwartungsgleichgewichts auf dem Markt für Institutionen ist ein wichtiges Merkmal einer evolutorischen NIÖ. Das Erwartungsgleichgewicht ist nicht mit einem normativ optimalen Zustand zu verwechseln. So kann es stabile Erwartungen auch bei der Existenz von Diktaturen und schwachen wirtschaftlichen Ergebnissen geben. Es stellt sich die Frage, wann eine Wirtschaftskrise (zum Beispiel makroökonomische Ungleichgewichte oder eine Finanzkrise) zu einer Wirtschaftsordnungskrise, d.h. zu einer Krise des Modells, hier der Rolle von FDI, wird. Mit Modell ist hier nicht ein Weberscher ,Idealtyp' gemeint, sondern das Modell, das die Akteure sich von der Funktion ihres Wirtschaftssystems gebildet haben. Die Krise des Modells führt zur Transformation (eine neue FDI-Politik), die ihrerseits wiederum zwei Aspekte hat: Neben den intendierten Konsequenzen des vom Staat initiierten Wandels der Wirtschaftsordnung schließt es die oftmals bedeutenderen unbeabsichtigten Nebenwirkungen ein.21 Die unintendierten Konsequenzen sind zum Beispiel von der Beziehung formaler und informaler Institutionen abhängig und davon, welche Erwartungen die Menschen in Bezug auf die geänderten Institutionen haben, wobei diese Erwartungen wiederum auf der Erkenntnis der Menschen mit Hilfe der von ihnen benutzten kognitiven Schemata beruhen. Wenn man die so verstandene Viabilität des Wirtschaftssystems untersucht hat, lassen sich auch normativ Empfehlungen für die Wirtschaftsordnungspolitik ableiten. Sie betreffen die adaptive Effizienz der Institutionen und damit bisher vernachlässigte Bereiche der Wirtschaftspolitik. So führt die Bedeutung der Perzeption der Wirtschaftsordnung dazu, daß Kommunikation über die Wirtschaftsordnung eine wichtige Rolle im Hinblick auf Erwartungen zukommt.22 Forschung über den Wandel des FDI-Regimes in Südkorea muß demnach auch die Perzeption von FDI in den Mittelpunkt stellen. Schematisch läßt sich dies entsprechend Abbildung 1 darstellen.
21
Vgl. Hayek (1969). Die Untersuchung unintendierter Konsequenzen des Handels vieler Menschen ist für Hayek das Untersuchungsziel der Sozialwissenschaften schlechthin; vgl. Hayek (1979, S. 41).
22
Diese ist bisher weitgehend vernachlässigt; vgl. aber Wentzel (1999).
Ordnungspolitik, kultureller Wandel und ausländische Direktinvestitionen
Abbildung 1: Der Markt für Institutionen und FDI-Politik in Südkorea Internationaler Kontext: Institutionenwettbewerb hier: Politik der Einwerbung von FDI; internationale Rahmenbedingungen (OECD, IWF); regionale Integration der Güter- und Faktormärkte in Ostasien
0 [Formale Institutionen: Markt für Institutionen!
Anbieterseite
Nachfragerseite Konsumenten
Politische Unternehmer
Interessengruppen
Investoren Arbeiter
Bürokratie
s
Wähler
Implementierung wirtschaftspolitischer Entscheidungen hier: Implementierung der Politik zur Anwerbung von FDI; intendierte und unintendierte Effekte
® Informale Institutionen hier: Praxis der Behörden in Bezug auf ausländische Investitionen ®
Perzeption der Institutionen (Selbstperzeption, Fremdperzeption) hier: Perzeption der Wirkung von FDI
Kultureller Kontext: kognitive Modelle hier: Konsumenten-Ethnozentrismus; ökonomischer Nationalismus; Modelle in Bezug auf die Globalisierung Quelle: Autor
241
242
Bernhard
Seliger
Um den Wandel des institutionellen Regimes in Bezug auf FDI zu untersuchen, müssen die drei Dimensionen internationaler Kontext', Wandel der formalen und informalen Institutionen im eigentlichen Markt für Institutionen sowie .kulturelles Umfeld' untersucht werden. Die internationale Dimension betrifft den Wettbewerb institutioneller Regimes in Bezug auf FDI. Wie oben erwähnt, hatte sich in den späten 1980er und den 1990er Jahren die positive Auswirkung von ausländischen Investitionen auf die wirtschaftliche Entwicklung in vielen Volkswirtschaften, u.a. in Ostasien in Singapur und Hong Kong, später auch in der Volksrepublik China, gezeigt. Gleichzeitig mehrten sich in Südkorea, beginnend mit dem Scheitern der Schwerindustrie- und Chemieindustriepolitik in den späten 1970er Jahren, die Probleme der bisherigen Wirtschaftspolitik, kulminierend in der Wirtschaftskrise von 1997. Die Politik der Öffnung gegenüber FDI läßt sich also einerseits als institutionelle Imitation einer im Ausland erfolgreichen Politik verstehen. Einzelne Elemente dieser Politik, wie etwa die Einfuhrung eines Ombudsmanns für ausländische Investoren, der bei der unbürokratischen Hilfe für Investoren in vielen Bereichen erfolgreich war, waren sogar institutionelle Innovationen. Zweitens ist Südkorea im internationalen Kontext auch zu Änderungen seiner Politik gegenüber FDI gezwungen worden. Dies betrifft den Beitritt zu internationalen Organisationen (OECD, WTO) genauso wie den Abschluß des Beistandspakets mit dem IWF, der u.a. an die schon oben genannten Bedingungen zur weiteren Öffnung für ausländische Investoren geknüpft war.23 Drittens ist es in Ostasien insbesondere seit Beginn der 1990er Jahre zu einer starken Verflechtung der Gütermärkte gekommen, die auch zu Forderungen der Handelspartner nach einer weiteren Verflechtung der Faktormärkte, d.h. zur Marktöffnung für FDI, führte. Eine institutionelle Antwort darauf war wiederum der Beginn eines Prozesses der funktionalen Integration.24 Der institutionelle Wandel selber ist wiederum abhängig vom Wandel formaler und informaler Institutionen. Der Wandel formaler Institutionen erfolgt auf dem Markt für Politik, auf dem Anbieter (politische Unternehmer, Bürokratie) sowie Nachfrager (Investoren, Konsumenten, Arbeitnehmer) auftreten. Diese Gruppen sind weder homogen noch überschneidungsfrei. Auf der Anbieterseite von Institutionen hat sich im Präsidentschaftswahlkampf von 1997, als die bisherige Regierungspartei durch die Wirtschaftskrise stark in Bedrängnis gekommen war, Kim Dae-Jung als Kandidat mit einem neuen wirtschaftspolitischen Programm der Öffnung erfolgreich präsentiert. Dies wurde durch die werbewirksame Inszenierung der ,DJnomics' 1998 nochmals verstärkt.25 Die Rolle der Bürokratie ist demgegenüber ambivalent. Während sie einerseits, vor allem in Form des Ministry of Finance and Economy (MOFE), aktiv an der Formulierung von ,DJnomics' beteiligt war, führte die traditionell starke Verflechtung mit den Interessen
23
Zur Rolle der OECD-Mitgliedschaft bei Koreas Globalisierungspolitik vgl. Jwa und Kim (1997). Zur Rolle der OECD bei den institutionellen Reformen Koreas vgl. Yang (2000).
24
Der Prozeß der regionalen de-iure-Integration in Ostasien, der eine wichtige institutionelle Innovation gerade Südkoreas ist, kann hier nicht genauer untersucht werden. Siehe aber Pascha (2004), Seliger (2002a) sowie mit Bezug auf die Stellung Südkoreas Seliger (2002b).
25
Sehr ähnlich ist der Versuch der Regierung Kim Dae-Jung seit 2002 und der Regierung Roh Moo-Hyun danach zu werten, Korea als zukünftigen ,hub of East Asia' (Drehscheibe der Wirtschaft in Ostasien) zu verkaufen und damit eine weitere Öffnung für FDI zu begründen.
Ordnungspolitik,
kultureller
Wandel und ausländische
Direktinvestitionen
243
der ,Chaebol' auch 211 Beharrungstendenzen, die zu einem Auseinanderklaffen formaler und informaler Institutionen führten. Beispielsweise versuchte die Bürokratie, die Marktöffnung dadurch zu hintertreiben, daß Berichte über angeblich unangemessene Forderungen ausländischer Unternehmen bzw. Verbände an die Öffentlichkeit gebracht wurden.26 Während auf nationaler Ebene die Märkte für Investoren liberalisiert wurden, stießen konkrete Investitionsprojekte auf regionaler Ebene häufig auf starken Widerstand. So wurde ausländischen Handelsketten in mehreren Fällen die Eröffnung von Filialen durch lokale Bürokratie unmöglich gemacht (Korea Herald 2001). Besondere informale Hindernisse stellten sich den ausländischen Investoren in Form der diskriminierenden Praxis der Steuerbehörden.27 Auf der Nachfragerseite nach formalen Institutionen finden sich komplett gegensätzliche Interessen. Die Wähler waren zunächst während der Wirtschaftskrise stark an einer wirtschaftlichen Stabilisierung interessiert. Während die einen zu diesem Zweck den Zufluß von FDI begrüßten, sahen andere darin eher eine Schwächung der nationalen Wirtschaft. Genauso ambivalent standen die Arbeiter dem Zufluß von FDI gegenüber. Er wurde häufig mit dem Verlust von Arbeitsplätzen gleichgesetzt, selbst wenn die ausländischen Investitionen eigentlich zum Erhalt von Arbeitsplätzen führten. In der Vergangenheit hatte in Südkorea die Regierung mehrfach ,Chaebol' gezwungen, andere, bankrotte Unternehmen zu übernehmen und so die dortigen Arbeitsplätze zu sichern. Dies war nun weder rechtlich möglich noch - angesichts der weitverbreiteten Bankrotte während der Wirtschaftskrise, die auch einige der größten ,Chaebol' wie Daewoo und Hyundai betrafen - wirtschaftlich realistisch. Im Fall des Verkaufs der Automobilherstellung von Daewoo kam es deshalb zum Beispiel zum monatelangen Protest der Arbeiter, obwohl ein Großteil der Arbeitsplätze erhalten blieb. Generell waren und sind die Gewerkschaftsverbände sehr kritisch gegenüber jedem ausländischen Engagement in der südkoreanischen Wirtschaft. Die .Chaebol' selber waren ebenso ambivalent gegenüber FDI, da ausländische Investoren einerseits das Überleben sichern konnten, andererseits aber immer Machtverlust für die Gründerfamilien mit sich brachten. Zwischen Anbieter- und Nachfragerseite - und zwischen beiden vermittelnd (durch asymmetrische Informationen, die sie besitzen und auch in ihrem Sinne ausnützen) - stehen Interessengruppen wie Berufsverbände, Handelskammern etc. Auch sie haben je nach Interessenlage eine sehr unterschiedliche Haltung gegenüber FDI.
26
Im März 1999 wurde ein eigentlich vertraulicher Report der U.S. Handelskammer (AmCham) in Südkorea durch Beamte des MOFE an die Öffentlichkeit gebracht; siehe Korea Times (1999a). Später wurden im Zusammenhang mit dem schon beschlossenen Verkauf koreanischer Banken an ausländische Unternehmen immer neue Forderungen von Beamten bekannt, die die Verkaufsverhandlungen in einigen Fällen schließlich scheitern ließen; siehe Korea Times (1999b).
27
Dies betrifft zum Beispiel die lange verbreitete Praxis, Käufer ausländischer Automobile, die als Luxusgüter gelten, besonderen Steuerprüfungen zu unterziehen. 1999 betrafen ein Drittel der Klagen, die den Ombudsmann für ausländische Investoren erreichten, Steuerprobleme. 17 Prozent betrafen Probleme der Zollverwaltung mit Exporten und Importen sowie neun Prozent Standards im Gesundheits-, Sicherheits- oder Umweltbereich. Auch hier war häufig die diskriminierende Praxis der Behörden ein Problem; vgl. Kim, Pyung-hee (2000).
244
Bernhard
Seliger
Der Wandel informaler Institutionen basiert auf Änderungen des kulturellen Kontextes, in dem die FDI-Politik als Teil der Wirtschaftsordnungspolitik steht. In Südkorea war, bedingt durch historische Erfahrungen von Isolation und Kolonisierung, ein starker Nationalismus entstanden, der sich auf die Entscheidungen von Politikern und Bürokratie genauso wie auf die der Konsumenten auswirkte.28 Um dies genauer zu analysieren, ist eine kurze Diskussion des zugrunde liegenden Konzepts von Kultur notwendig. Gruppen (etwa Nationen, religiöse Gruppen, Regionen, Stämme etc.) teilen ein gemeinsames Verständnis der Welt, das erlernbar (übertragbar), generationenübergreifend, symbolisch und strukturiert ist.29 Dieses Verständnis beinhaltet Werturteile (Überzeugungen über ,richtig' und ,falsch', ,wichtig' und .unwichtig' etc.) und liegt jeder Form von Sprache und Kommunikation, institutionellen Systemen und Entscheidungssystemen, Zeitverständnis und den Beziehungen zu anderen zugrunde. Dabei sind zwei Aspekte sehr wichtig: Erstens ist Kultur zwar durch Erziehung übertragbar und generationenübergreifend, aber dennoch wird niemand durch Kultur programmiert. Zweitens wird Kultur zwar im Vergleich und der Abgrenzung der ,Wir'Gruppe zu der Gruppe der ,Anderen' definiert, aber es gibt keine ,reinen' kulturellen Gruppen, sondern jedes Individuum ist durch mehrere überlappende Kulturen, z.B. nationale, religiöse, Firmenkulturen, Gruppenkulturen geprägt. Das Mißverständnis, das z.B. in Bezug auf die Erklärungswirkung des Konfuzianismus für die ostasiatische Wirtschaft entstanden ist, ist stark durch eine zu enge Definition der Kultur bedingt.30 Kultur hilft den Individuen, aus der verwirrenden Komplexität von externen Signalen und Informationen durch Reduzierung eine Sicht der Welt zu generieren. Da Informationen unbegrenzt sind, aber die Kapazität, sie zu verarbeiten, stark beschränkt ist, sind kognitive Modelle (Schemata) zur Gruppierung und Verarbeitung von Informationen in Routinen notwendig. Diese sind wiederum die Basis für die informalen Institutionen einer Wirtschaftsordnung, die nicht (wie die formalen Institutionen) durch das Gewaltmonopol der Regierung durchgesetzt werden, sondern durch freiwillige Kooperation und soziale Kontrolle. Kognitive Prozesse betreffen die individuelle Wissensverarbeitung, oder in den Worten von Neisser (1976, S. 1) „the acquisition, Organization, and the use of knowledge". Kognitive Schemata kann man als ein ,network of interrelated propositions' im Sinne von Gagné (1985) verstehen. Wenn neue Informationen aufgenommen werden, werden sie vermittels mentaler Skripte verarbeitet und kategorisiert (Bruner et al. 1956). Änderungen mentaler Skripte können z.B. dadurch entstehen, daß dauernd die vorhandenen Skripte versagen, also z.B. fehlerhafte Ergebnisse bringen. Eine schwere Krise einer Wirtschaftsordnung ist eine Situation, in der die Verarbeitung von Informationen mit Hilfe der vorhandenen kognitiven Schemata offensichtlich zu Frustrationen
28
In internationalen vergleichenden Studien über den Nationalismus in Ostasien durch die Political and Economic Risk Consultancy Ltd. aus Hong Kong wurde Südkorea regelmäßig als am stärksten nationalistisches Land identifiziert; vgl. Korea Times (1999c).
29
Vgl. Hodgetts und Luthans (1997, S. 95-126), für eine Einführung.
30
Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist die häufige Fixierung auf nationale Kulturen, da hierfür am häufigsten Daten vorhanden sind, ohne daß sie deswegen a priori besonders wichtig im Vergleich zu religiösen, gruppenspezifischen, firmenspezifischen oder anderen Kulturen wären.
Ordnungspolitik,
kultureller
Wandel und ausländische
Direktinvestitionen
245
führt. Dies kann zu einer Erweiterung oder sogar kompletten Änderung kognitiver Schemata fuhren, oder aber zu einer Hinzufugung von Nebenbedingungen oder ad hocErklärungen, die zu höherer Plausibilität fuhren sollen.31 Unter Zugrundelegung dieses Konzeptes, insbesondere unter Beachtung der tatsächlich überlappenden Kulturen, kann man drei weit verbreitete Stereotype in der Selbstperzeption der Koreaner finden, die für ihre Sicht über die wirtschaftliche Entwicklung und Interaktion mit anderen Nationen wichtig sind: Korea als Opfer ausländischer Aggression, Korea als Land mit einer ,reinen', einzigartigen Kultur, die ausländischen Einflüssen widersteht (,Einsiedlerkönigreich') sowie Korea als Land des ostasiatischen Wirtschaftswunders (,Tigerstaat'). Die Rolle Koreas als Opfer ausländischer Aggressionen ist historisch im Verhältnis zu China und insbesondere Japan begründet, aber auch in der späteren Entwicklung Koreas als Spielball ausländischer Mächte, Kolonie Japans und schließlich als im kalten Krieg geteiltes Land. Das größte kollektive Trauma entstand dabei sicherlich in der Kolonisierung und .Japanisierung' Koreas 1910 bis 1945 als Kolonie Japans. In Bezug auf ausländische Direktinvestitionen wurde deshalb während der Wirtschaftskrise von ausländischer Aggression gesprochen, die die Industrie Südkoreas bedrohe.32 Die Rolle als ,Einsiedlerkönigreich' (ursprünglich eine Bezeichnung für das ChosonReich im 19. Jahrhundert, das alle Kontakte mit ausländischen Mächten ablehnte) bezieht sich auf die lange Geschichte Koreas als homogene Einheit. Die Erhaltung dieser (rassisch und kulturell begründeten) Einheit ist ein auch wirtschaftspolitisch bedeutsames Paradigma. So wurde der versuchte Einstieg der Medienfirma von Rupert Murdoch in den südkoreanischen Satellitenfernsehmarkt im Jahr 2000 als „kulturelle Invasion" gebrandmarkt, die die nationale, einzigartige Kultur zerstöre (Korea Herald 2000). Die Rolle als Prototyp des ,Tigerstaates' bezieht sich auf die Erfahrung des weltweit höchsten Wachstums seit den sechziger Jahren, das in den Metaphern vom .ostasiatischen Wirtschaftswunder' oder dem ,Wunder vom Han-Fluß' (an dem Seoul liegt) seinen Ausdruck fand. Dieses Stereotyp fuhrt zu einer besonderen, positiven Sicht auf die Rolle der ,Chaebol' sowie die Möglichkeiten der lenkenden Wirtschaftspolitik des Staates, insbesondere aber der Wichtigkeit von Wachstum und Exporten. Natürlich ist eine solche Perzeption nicht statisch. Die Wirtschaftskrise führte zu einer stark negativen Einstellung gegenüber den ,Chaebol' und insgesamt zu einer Verunsicherung über das südkoreanische Ordnungsmodell. Die Politik zur Vorbereitung der Globalisierung seit Kim Young-Sam führte zu einer Änderung der Einstellungen zu ausländischen Investitionen (siehe auch Abschnitt 4). Dennoch bleibt die einzigartige wirtschaftliche Stellung Südkoreas ein weit verbreitetes Stereotyp, das im Thema des ersten erfolgreichen Ab-
31
In der Wirtschaftskrise Südkoreas reichte dies bis hin zur Aufstellung von Verschwörungstheorien, die in .streunendem internationalem Kapital' oder bei den von den USA kontrollierten internationalen Organisationen eine geheime Agenda erkennen wollten.
32
So etwa Wi Pyoung-ryong, Research Fellow der einflußreichen Bürgerbewegung Citizens Coalition for Economic Justice, der von der .rücksichtslosen' Marktöffnung aufgrund eines amerikanischen Diktats sprach; vgl. Korea Times (1998); auch Kim, Tae-Dong (2000, S. 186).
246
Bernhard
Seliger
schlusses des IWF-Hilfsprogramms in Ostasien sowie in .Korea als Wirtschaftsdrehscheibe Ostasiens' neue Variationen gefunden hat. Wichtig ist dabei zu sehen, daß die Perzeption natürlich bei verschiedenen Gruppen unterschiedlich sein kann. In Bezug auf die wissenschaftliche Beurteilung von FDI kann man den Einfluß einer internationalen ,epistemic Community' sehen, einer Gemeinschaft ähnlich denkender Wissenschaftler, die seit den 1980er Jahren den FDI immer positiver gegenüber stand und die durchaus auch einen großen Einfluß auf die Eliten eines Landes haben kann. 33 Dies bedeutet auch, daß die Fremdperzeption - in diesem Fall die Sicht ausländischer Beobachter auf die Rolle von FDI in Südkorea - in der Selbstperzeption rezipiert wird. Dies war u.a. in der Debatte über die Gründe der Wirtschaftsund Finanzkrise von 1997 in Südkorea der Fall, wo die selbständige Entwicklung mit stark vermachteten, engen Oligopolen unter Lenkung des Staates als gescheiterter oder zumindest nicht länger gangbarer Weg diskutiert wurde (sowohl von externen Beobachtern wie auch von koreanischen Wissenschaftlern) und wo Stimuli durch ausländische Wettbewerber als ein Weg aus der Krise diskutiert wurden. Hatte es vor der Krise ein Erwartungsgleichgewicht in Bezug auf ein hohes Wirtschaftswachstum und schnelle, nachholende Entwicklung unter Lenkung des Staates gegeben, in dem FDI keine Rolle spielten, so änderte sich dieses jetzt zugunsten eines Erwartungsgleichgewichts, in dem die Rolle der ausländischen Investoren zunehmend als positiv bewertet wurde. Das bedeutete auch, daß die Nachfrage nach Politiken, die FDI begünstigen, genauso wie das Angebot solcher Politiken anstieg. Allerdings trifft diese Änderung der Perzeption von FDI nicht für alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen zu. Sie hängt von den individuell erwarteten Vorteilen und Nachteilen von FDI ab, die wiederum schichtspezifisch sein können (beispielsweise wird ein gut ausgebildeter Student mit Fremdsprachenkenntnissen andere individuelle Vorteile erwarten als ein ungelernter Arbeiter), aber auch durch die verschiedene Betrachtungsweise von FDI, d.h. zugrunde liegende kognitive Schemata, bedingt ist. Im Folgenden soll dies anhand der Beurteilung von FDI in verschiedenen Bevölkerungsgruppen dargestellt werden.
4. Die Perzeption ausländischer Direktinvestitionen in Südkorea empirische Ergebnisse Die Bedeutung, die kognitive Schemata für die Wirtschaftsordnungstheorie sowie -politik haben, wurde in den letzten Jahren stärker erkannt - North (1996) wies ihnen eine zentrale Funktion für die Fortentwicklung der NIÖ zu. Insbesondere in den Studien zur Transformation von Wirtschaftsordnungen wurde dies betont (Herrmann-Pillath 1998, 1999; Rosenbaum 1999). Aber auch für die ostasiatischen Volkswirtschaften wurde die Wichtigkeit kultureller Faktoren für die Wirtschaftsordnungsentwicklung betont (.Pascha 2002; Lee, Chung H. 2002). Allerdings ist eine Operationalisierung für die Ordnungstheorie oder -politik bislang unterblieben. Während die kognitiven Schemata,
33
Explizit deutlich wurde dieser Einfluß im Fall Singapurs, dessen autoritärer Herrscher Lee Kuan Yew nach eigenen Aussagen bei Raymond Vernon in Harvard wichtige Erkenntnisse über die Wirkung von FDI erwarb; vgl. Lee, Kuan Yew (2000).
Ordnungspolitik,
kultureller Wandel und ausländische
Direktinvestitionen
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die zur Bildung von Hypothesen über FDI fuhren, sich nicht direkt beobachten lassen, so läßt sich die Perzeption doch, z.B. durch Befragungen, erfassen. Im internationalen Marketing sowie Management ist dies schon seit langem ein wichtiges Instrument, gerade auch in Bezug auf die schon oben diskutierte Kategorie des ökonomischen Nationalismus, die ja für die Beurteilung von FDI zentral ist. Ökonomischer Nationalismus findet sich nicht nur auf der Ebene staatlicher Politik, sondern genauso bei wirtschaftlichen Entscheidungen von Unternehmen sowie Konsumenten. Letzteres wurde von der Literatur zum internationalen Marketing als Konsumenten-Ethnozentrismus ausführlich untersucht (Shimp 1984; Shimp et al. 1995; Balabanis et al. 2001). Die Theorie des Konsumenten-Ethnozentrismus untersucht, inwieweit sich Nationalismus auf der Ebene des Individuums auf wirtschaftliche Entscheidungen auswirkt. Dabei wird anhand von Konsumenten-Befragungen versucht, den Grad des Nationalismus zu messen. Shimp und Sharma (1987) führten dazu die sogenannte CETSCALE ein, die verschiedene Dimensionen des Konsumenten-Ethnozentrismus umfaßt. Anhand dieser Dimensionen wird untersucht, wie sich Nationalismus auf der Ebene des Individuums in wirtschaftlichen Entscheidungen niederschlägt. Die CETSCALE hat sich empirisch als besser geeignet für die Vorhersage des Verkaufs importierter Güter erwiesen als andere Variablen wie Marketing-Mix oder demographische Variablen (Herche 1992). Ökonomischer Nationalismus hat sich dabei als eng mit einer allgemein nationalistischen Einstellung verbunden erwiesen, wobei Wirtschaftskrisen zu einem Anwachsen des ökonomischen Nationalismus führen können {Baughn und Yaprak 1996).34 Umgekehrt ist Weltoffenheit auch mit einer positiven Einstellung gegenüber ausländischen Produkten verbunden (Rawwas et al. 1996). Eine zweite große Gruppe von Untersuchungen über den kulturellen Kontext wirtschaftlich relevanter Entscheidungen kommt aus der Management-Literatur, in der die Kultur als Faktor des Managements internationaler Unternehmen untersucht wird. 35 Dabei wird insbesondere die Wirkung polyzentrischer (dezentralisierter) versus ethnozentrischer (auf nationaler Überlegenheit basierender) Managementsysteme untersucht. Die Kosten des Wandels von Managementsystemen hängen dabei u.a. davon ab, ob die jeweiligen (nationalen, regionalen, religiösen etc.) Wertesysteme betroffen sind, inwieweit Änderungen mit Widerstand begegnet wird und inwieweit Meinungsführer beim Wandel eine wichtige Rolle spielen können. 36 In Bezug auf FDI wurde insbesondere untersucht, ob kulturelle Unterschiede unterschiedliche Formen des Markteintritts begründen. Allerdings wurde dabei nicht geklärt, ob große kulturelle Differenzen
34
Ein besonders stark entwickelter, moralisch begründeter ökonomischer Ethnozentrismus konnte in Südostasien nachgewiesen werden; vgl. Hewstone und Ward (1985).
35
Vgl. z.B. die frühe Studie von Webber (1969) sowie die Studien von Hofstede (1991) und Hampden-Turner und Trompenaars (1993). Das schon oben diskutierte Problem überlappender Kulturen fuhrt dabei zu erheblichen Meßproblemen; vgl. Adler und Villafranca (1983).
36
Für Südkorea wurde dabei festgestellt, daß Meinungsführerschaft in Unternehmen eng mit der Seniorität zusammenhängt; vgl. Marshall und Gitosudarmo (1995).
248
Bernhard Seliger
zwischen Investoren und Empfängerland eher Alleinkontrolle oder Joint Ventures begünstigen. 37 Für die Wirtschaftsordnungspolitik in Bezug auf FDI ist es von besonderem Interesse, ob die staatliche Politik Änderungsmöglichkeiten der Perzeption von FDI hat. Wenn eine größere Aufnahmebereitschaft für ausländische Investitionen ein Ziel der staatlichen Politik ist, diese aber wiederum neben einer Änderung formaler Institutionen (wie der im zweiten Abschnitt diskutierten Liberalisierung von FDI) auch Änderungen informaler Institutionen erfordert (die wiederum auf der Perzeption von FDI beruhen), ist eine neue Kategorie wirtschaftspolitischer Maßnahmen erforderlich, nämlich solche, die im Bereich der Kommunikationspolitik angesiedelt sind. Das Ziel einer neuen Ausbildung von Meinungsfuhrern, die weltoffener und sprachgewandter sind, war ein Teil des schon erwähnten Öffnungsprogramms unter Kim Young-Satn in Bezug auf die Globalisierung. Als Teil dieses Programms wurden neun Graduate Schools of International Studies für einen Zeitraum von drei Jahren besonders staatlich gefordert. Sie sind Teil eines größeren Netzwerks von ähnlichen Schulen, die Studenten aller Fachbereiche den Erwerb eines Master of International Studies oder Master of Area Studies (meistens mit Spezialisierungen in Wirtschaft, Politik oder Kultur) anbieten. Haben diese Studien auch zu einer anderen Perzeption von FDI geführt? Um diese Frage zu untersuchen, wurde ein Fragebogen, den das Meinungsforschungsinstitut ORC Korea (2001) im Auftrag der Korean Foreign Company Association (FORCA) über die Haltung zu FDI bei einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung erstellt hat, mit Ergebnissen eines identischen Fragebogens verglichen, der von Studenten der Graduate Schools of International Studies ausgefüllt wurde (für Details zum Forschungsdesign siehe Box 1).
37
Für die geteilte Kontrolle sprechen sich der die Debatte begründende Artikel von Kogut und Sing (1988), Eramilli und Rao (1993) sowie Lachman et al. (1994) aus, da durch Joint Ventures fehlendes Wissen über die Kultur des Empfängerlandes erworben werden könne. Dagegen sprechen sich Padmanabhan und Cho (1996) sowie Anand und Delios (1997) für 100prozentiges Eigentum aus, da dieses die Transaktionskosten im Unternehmen senken könne. Kim und Hwang (1992) weisen zudem auf die Signalwirkung eines 100-prozentigen Engagements hin.
Ordnungspolitik, kultureller Wandel und ausländische Direktinvestitionen
249
Box 1: Die Umfrage von ORC Korea und die Umfrage unter Studenten im Vergleich 38
Die ORC Korea Studie und die Befragung von Studenten an Graduate Schools of International Studies ORC befragte im Auftrag der Korea Foreign Company Association 1000 Koreaner im Alter von 20 bis 59 Jahren mittels einer Telefonumfrage in den Städten Seoul, Busan, Daegu, Kwangju und Daejeon. 54,7 Prozent der Befragten stammen aus Seoul. Die Befragten stellen ein .randorn sample' dar und waren je zur Hälfte männlich und weiblich. Die Befragung fand vom 29.11.- 3.12.2001 statt. Die Umfrage unter den Studenten fand mittels eines Fragebogens unter Studenten der Seoul National University, Korea University, Ewhas Women University und Hankuk University of Foreign Studies in Seoul statt. Alle vier Schulen waren Teil des von der Regierung Kim Young-Sam geforderten Projektes zur Einrichtung von Graduiertenstudiengängen im Hinblick auf die Globalisierung. Insgesamt wurden 71 Studenten befragt (52,1 Prozent männlich, 47,9 Prozent weiblich). 81,7 Prozent waren 20-30 Jahre alt, 18,3 Prozent älter. 26,8 Prozent studierten Internationale Wirtschaft bzw. Internationale Politik, 73,2 Prozent Regionalstudien (z.B. Europastudien oder Lateinamerikastudien). Die Umfrage wurde im Juni 2002 durchgeführt. 64,8 Prozent der Befragten stammen aus Seoul bzw. der Seoul umgebenden Kyonggi-Provinz.
In Bezug auf das Image ausländischer Unternehmen lassen sich bei der Umfrage deutliche Unterschiede zwischen Studenten und Gesamtbevölkerung feststellen. Dabei ist interessant, daß insbesondere ausgesprochen positive Einstellungen, aber auch ausgeprägt negative Einstellungen bei den Studenten stärker ausgeprägt sind (siehe Tabelle 5). Tabelle 5:
38
Frage: Wie ist Ihre Einstellung zu ausländischen Unternehmen in Korea? Gesamtbevölkerung
Studenten (Int. Studien)
sehr positiv
3,9
22,5
Positiv
57,9
60,6
Negativ
34,0
7,0
sehr negativ
3,0
8,5
k.A.
1,2
1,4
Ein herzlicher Dank geht an die Korea Foreign Companies Association für die Erlaubnis, die Daten zu verwenden.
250
Bernhard Seliger
Die Studenten wurden auch zu den Gründen für ihre Einstellung befragt. Dabei wurden am häufigsten die Beiträge der ausländischen Unternehmen zur Entwicklung der Unternehmenskultur, Technologie und wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch das systematische Management der Humanressourcen sowie die hohe und leistungsbezogene Bezahlung genannt. Von der Gesamtbevölkerung wurden die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Koreas durch ausländische Unternehmen, positive Beschäftigungswirkungen und gute Produktqualität am häufigsten benannt. Negative Einschätzungen wurden sowohl von Studenten als auch Bevölkerung mit den eigennützigen Zielen ausländischer Unternehmen, dem Abfluß der Gewinne in das Heimatland der Investoren sowie der möglichen Dominanz auf inländischen Märkten begründet. Bei den Studenten wurde dazu noch das Fehlen der in Korea üblichen Firmenpension (retirement/severance paymentj als negatives Element im Hinblick auf eine Arbeit bei einer ausländischen Firma genannt. Bei der Frage nach dem Beitrag der ausländischen Unternehmen zur Wirtschaftsentwicklung Koreas gab es eine leicht positivere Einschätzung durch die Studenten (siehe Tabelle 6). Tabelle 6:
Frage: Wieviel tragen ausländische Unternehmen zur Wirtschaft in Korea bei? Gesamtbevölkerung
Studenten (Int. Studien)
Sehr viel
7,2
9,9
viel
63,4
66,2
wenig
26,7
16,9
sehr wenig
1,7
0,0
k.A.
1,0
7,0
Als Gründe wurden sowohl von Studenten wie von der Gesamtbevölkerung an erster Stelle Beschäftigungseffekte genannt, dann technologische Eigenschaften wie Produktqualität. Bei den Studenten wurde zusätzlich noch der Aspekt der Stimulation des Wettbewerbs durch ausländische Firmen betont. An negativen Aspekten wurden der Kapitalabfluß und der Egoismus ausländischer Firmen bei beiden Gruppen benannt. Bei der Frage nach der zukünftigen Rolle ausländischer Firmen lassen sich deutliche Unterschiede erkennen: Die Studenten fordern eine weitaus stärkere Rolle ausländischer Unternehmen (siehe Tabelle 7). Befragt nach den Gründen werden von beiden Gruppen positiv die nationale Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigungseffekte sowie der Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung als Hauptgründe genannt. Gründe für die Ablehnung eines stärkeren ausländischen Engagements sind insbesondere die gewünschte Protektion des heimischen Marktes sowie der Abfluß von Gewinnen ins Ausland.
Ordnungspolitik, kultureller Wandel und ausländische Direktinvestitionen
Tabelle 7:
251
Frage: Sollten in Zukunft mehr ausländische Unternehmen in Korea sein? Gesamtbevölkerung
Studenten (Int. Studien)
Sehr viel
12,7
26,8
viel
44,9
66,2
wenig
35,9
5,6
sehr wenig
6,0
0,0
k.A.
0,5
1,4
Interessant ist die Frage nach dem Stand der Globalisierung in Südkorea. Offensichtlich ist Korea im Bewußtsein der Studenten internationaler Studiengänge weitaus stärker globalisiert, als dies in der Bevölkerung gesehen wird, denn immerhin 8,5 Prozent der Studenten halten Korea für ausreichend globalisiert und über 50 Prozent für ziemlich globalisiert, weitaus mehr als in der Gesamtbevölkerung (siehe Tabelle 8). Darin spiegelt sich sicher auch das internationale Umfeld dieser Studenten wieder. Tabelle 8:
Frage: Wie weit hat sich Südkorea Ihrer Meinung nach globalisiert? Gesamtbevölkerung
Studenten (Int. Studien)
ausreichend
1,5
8,5
ziemlich
40,1
53,5
wenig
54,5
25,3
überhaupt nicht
3,6
0,0
k.A.
0,3
12,7
Dies hängt wohl auch mit dem Umfeld der Studenten zusammen, in dem die Globalisierung weitaus stärker wahrgenommen wird, als etwa in einer Provinzstadt, so daß die Meinung über den Stand der Globalisierung positiver ist. Die Akzeptanz wirtschaftspolitischer Maßnahmen, die eine Förderung ausländischer Unternehmen zum Ziel haben, etwa der jetzt angebotenen Zuschüsse zu Forschungsund Entwicklungskosten ausländischer Unternehmen, hängt u.a. davon ab, wie die bisherige Politik der Regierung wahrgenommen wird. Zwar ist in beiden Gruppen eine deutliche Mehrheit der Meinung, der Staat unterstütze eher die inländischen Unternehmen, aber in der Gesamtbevölkerung ist deutlicher auch die Meinung vorhanden, es gebe eine positive Diskriminierung ausländischer Unternehmen, als bei den Studenten (siehe Tabelle 9).
252
Bernhard Seliger
Tabelle 9:
Frage: Unterstützt die südkoreanische Regierung mehr inländische oder ausländische Unternehmen? Gesamtbevölkerung
Studenten (Int. Studien) 50,7
inländische Unternehmen
61,0
ausländische Unternehmen
34,0
12,7
Unentschieden
5,0
36,6
Insgesamt haben die Studenten eine deutlich positivere Einstellung zu den ausländischen Unternehmen und ihrer Rolle in Südkorea als die Gesamtbevölkerung. Wenn man den Altersgruppen-Effekt sowie die regionale Zusammensetzung und das Bildungsniveau berücksichtigt, ist dieser Unterschied zwar etwas weniger ausgeprägt, aber insbesondere bei der Frage, wie die Rolle ausländischer Unternehmen in der Zukunft sein sollte, sehr deutlich unterschieden (siehe Tabelle 10). Tabelle 10:
Frage: Sollten in Zukunft mehr ausländische Unternehmen in Korea sein? Gesamtbevölkerung
Studenten (Int. Studien)
Altersgruppe der 20er
Bevölkerung von Seoul39
Bevölkerung mit Hochschulabschluß
sehr viel
12,7
26,8
15,2
viel
44,9
66,2
47,9
62,2
63,7
wenig
35,9
5,6
33,9
sehr wenig
6,0
0,0
2,4
37,5
36,0
k.A.
0,5
1,4
0,6
0,3
0,3
Insgesamt gesehen stehen Männer der Rolle ausländischer Unternehmen deutlich positiver gegenüber als Frauen, jüngere deutlich positiver als ältere Südkoreaner, die Hauptstadtbevölkerung positiver als die Provinzbevölkerung, die Reicheren positiver als die Ärmeren und diejenigen mit Auslandserfahrung positiver als diejenigen ohne Auslandsreisen. Die Einstellung der Studenten ist aber weitaus positiver als die aller anderen Gruppen. Die positive Einstellung der Studenten spiegelt sich auch in den zusätzlich erfragten Berufszielen der Studenten wieder (siehe Tabelle 11).
39
Für Seoul sowie die Hochschulabsolventengruppe waren nur die zusammengefaßten Kategorien zur Verfugung gestellt.
Ordnungspolitik, kultureller Wandel und ausländische Direktinvestitionen
Tabelle 11:
253
Frage: Wo wollen Sie in der Zukunft gerne arbeiten? Chaebol
19,8
Ausländisches Unternehmen
67,6
Mittelständisches Unternehmen
4,2
Eigene Firma
7,0
anderes
1,4
Zudem gaben über sechzig Prozent der Studenten an, sie könnten sich vorstellen, im Ausland zu arbeiten. Dazu paßt, daß als freie Assoziation mit dem Begriff des ausländischen Unternehmens vorwiegend positive Eigenschaften angegeben wurden. Dabei wurden sowohl für die Gesamtwirtschaft wichtige Kategorien, wie rationales Management, technologisches Niveau und finanzielle Stabilität genannt, als auch individuelle Vorteile wie hohe und leistungsgerechte Gehälter, eine liberale Arbeitsatmosphäre, gerade im Vergleich zum Arbeitsklima in koreanischen Firmen, als auch bessere Rahmenbedingungen wie etwa geringere Arbeitszeiten. Ziel dieses Artikels ist es nicht, die Einstellungen der Gesamtbevölkerung sowie der Studenten in internationalen Studiengängen auf ihre Wirklichkeitsnähe zu überprüfen. Es geht vielmehr darum, zu untersuchen, inwieweit eine Erziehung mit explizitem Bezug zur Globalisierung Einfluß auf die Perzeption von FDI hat. Dies ist deutlich der Fall. Dabei könnten nun die Informationen der Studenten völlig anders als die der restlichen Bevölkerung sein. Wenn auch zum Teil ein anderes Informationsniveau in Bezug auf ausländische Unternehmen und andere Bewertungen (z.B. durch ausländische Professoren) eine Rolle spielen mögen, scheint dies insgesamt nicht plausibel, da man von anderen Gruppen (etwa den Hochschulabsolventen, den Reicheren, den Hauptstadtbürgem) ein vergleichbares Informationsniveau erwarten dürfte. Vielmehr ist wahrscheinlich, daß andere kognitive Schemata in Bezug auf die Rolle ausländischer Investitionen bestehen. Dabei sind nun zwei verschiedene Möglichkeiten zu betrachten: Erstens könnten die unterschiedlichen kognitiven Schemata eine Folge der Selbstselektion der Studenten sein. Die Studenten an den Graduate Schools for International Studies kommen in der Regel mit einem vorgefaßten Berufswunsch in das Graduiertenstudium (anders als bei den Erststudien, die in Südkorea lange Zeit eher etwas mit den Ergebnissen des landesweiten Universitätsaufnahmetests als mit individuellen Berufswünschen zu tun hatten). Zudem ergibt sich eine weitere Selektion durch das Auswahlverfahren an den Graduate Schools selber, die einen gewissen Filter bilden, durch den die am meisten .internationalisierten' Studenten sicher am einfachsten passen. Zweitens könnten die unterschiedlichen kognitiven Schemata auch eine Folge der Formung dieser Schemata durch das Studium selber sein. Bei den relativ kurzen Studiengängen (zwei Jahre) und den geringen Studentenzahlen ist eine solche Änderung der Schemata sicher nicht einfach zu messen. Sie ist aber auch für den Erfolg des Konzeptes der Graduate Schools for International Studies nur von bedingtem Interesse. Ziel war es, eine Gruppe von Studenten zu qualifizieren, die als bewußte und sichtbare Multiplikatoren für die Idee der Öffnung
254
Bernhard Seliger
Koreas (,segewha') stehen sollten. Dies ist durch die Einrichtung bzw. Förderung der entsprechenden Institutionen geschehen. Wenn die Änderung der kognitiven Modelle auch ein Lernerfolg innerhalb dieser Schulen sind, das Ergebnis der Unterschiede also nicht völlig durch Selbstselektion bzw. Vorselektion der Studenten im Auswahlverfahren erreicht worden ist, dann heißt dies, das die Änderung der kognitiven Modelle auch zu einer Variablen der Wirtschaftsordnungspolitik werden kann. Wenn dieses (vorläufige) Ergebnis stimmt, so lassen sich daraus einige Schlußfolgerungen für die Wirtschaftsordnungstheorie und -politik ableiten.
5. Schlußfolgerungen Wie schon oben gesagt, ist die Rolle kognitiver Modelle für die Entstehung und Akzeptanz von Wirtschaftsordnungen im Sinne von North (1996) ein entscheidender Faktor, der zwar bislang im Rahmen der NIÖ als wichtig erkannt, aber nicht wirklich operationalisiert wurde. Dieser Artikel hat versucht, die Rolle kognitiver Modelle sowohl theoretisch wie auch empirisch zu analysieren. Dadurch ergeben sich Auswirkungen auf die Wirtschaftsordnungstheorie wie auch die Wirtschaftsordnungspolitik. In Bezug auf die Wirtschaftsordnungstheorie ist es wichtig, die Wirtschaftsordnung als komplexes System zu verstehen, das nicht auf formale Institutionen reduziert werden kann. Anhand der Diskussion in Abschnitt 2 läßt sich verfolgen, wie die formalen Institutionen in Bezug auf ausländische Investitionen geändert wurden. Genauso wichtig ist aber der Einfluß informaler Institutionen, die sich nicht so schnell ändern. Sie sind in ein kulturelles Umfeld eingebettet sind, das eine Vielzahl von Signalen aussendet, die durch kognitive Schemata der Individuen auf die geringe Verarbeitungskapazität der Menschen reduziert wird. Diese wurden im empirischen Abschnitt untersucht. Bei den jetzt beruflich aktiven Menschen ist dabei die Haltung zu FDI weniger positiv als bei Studenten. Insbesondere angesichts der für Korea wichtigen Meinungsführerschaft älterer Menschen gemäß dem Senioritätsprinzip heißt das, daß bei den informalen Institutionen bisher noch keine umfassenden Änderungen zu erwarten sind. Dies scheint durch die oben zitierten Beispiele für Probleme von Investoren bestätigt zu sein. Allerdings läßt sich aus der Umfrage auch schließen, daß ausländische Investitionen im Erwartungsgleichgewicht der südkoreanischen Bevölkerung schon jetzt eine nicht wegzudenkende Rolle spielen. Das alte Erwartungsgleichgewicht, in dem die Rolle von ausländischen Investitionen keine wichtige Rolle spielte und „Koreans on the whole still have a rather narrow perspective on international matters" und „maintain a highly mercantilistic mentality", wie es der frühere Wirtschaftsminister Sakong (1993, S. 175) ausdrückt, ist durch die Wirtschafts- und Finanzkrise nachhaltig erschüttert worden. Ein neues Erwartungsgleichgewicht hat sich noch nicht gebildet, wie sich an den hektischen wirtschaftspolitischen Reaktionen auf die nach der Krise wieder zurückgehenden FDIZuflüsse erkennen läßt. In Bezug auf die Wirtschaftsordnungspolitik zeigt sich, daß tatsächlich eine Wirtschaftspolitik betrieben werden kann, die die notwendigen Änderungen informaler Institutionen mit berücksichtigt und insofern den Anforderungen an eine evolutionäre Wirt-
Ordnungspolitik, kultureller Wandel und ausländische Direktinvestitionen
255
schaftspolitik genügt. Dies war bisher ein Desideratum der NIÖ. 40 Kommunikation über die Wirtschaftsordnung und wirtschaftspolitische Ziele kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Natürlich darf dies nicht im Sinn von Propaganda mißverstanden werden, weder in den Medien noch in der universitären Forschung. Aber die Wichtigkeit langfristiger Visionen in der Wirtschaftsordnung wird doch deutlich. 41 Die Forschung steht in Bezug auf die Rolle kognitiver Modelle noch ganz am Anfang und weitere Forschungsanstrengungen, dieses interessante Feld für die NIÖ verfugbar zu machen, versprechen Einblick in ein interessantes, bisher kaum betretenes Feld der Wirtschaftsforschung.
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40 41
Vgl. dazu die Beiträge in Pelikan und Wegner (2003). In diesem Sinne läßt sich auch die Vision Koreas als einer Wirtschaftsdrehscheibe Ostasiens rechtfertigen, nämlich als Mittel der Kommunikation für die heimische Wirtschaft unpopulärer Reformen. Allerdings muß eine solche Vision, um anerkannt zu werden, letztlich realistisch sein, ansonsten wird sie unglaubwürdig und kann sogar kontraproduktiv wirken. Vgl. deshalb kritisch Seliger (2002c) und Krause (2003).
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Verfügungsrechte, Verträge und institutioneller Wandel im chinesischen Mediensektor*
Doris Fischer
Inhalt
1. Einleitung
262
2. Verfugungsrechte, Governance und Verträge
263
2.1. Institutionenökonomie und ökonomische Güter
264
2.2. Institutioneller Wandel und Verfugungsrechte
266
3. Besonderheiten des Mediensektors
268
3.1. Medien als ökonomische Güter
268
3.2. Manipulation von Medieninhalten
270
4. Institutioneller Wandel im chinesischen Mediensektor
273
4.1. Medienentwicklung und Medienpolitik
274
4.2. Verfugungsrechte und Verträge im Wandel
280
5. Zensur und Manipulation im Zuge der Kommerzialisierung
283
Literatur
285
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Forschungsprojektes „Wirtschaftsinformation und Stabilität - Zur ökonomischen Bedeutung der institutionellen Ausgestaltung des Informationssystems am Beispiel der VR China" entstanden. Die Autorin dankt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für die finanzielle Förderung des Projektes, die es ermöglicht hat, in zahlreichen Interviews in China Hintergrundinformationen zu sammeln.
262
Doris Fischer
1. Einleitung Im Jahr 2003 hat die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) neue Leitlinien für die Medienpolitik definiert und damit neue Schritte in der Medienpolitik ermöglicht, die von Parteivertretern selbst als „Durchbruch" und „Revolution" bezeichnet werden (Shi 2004). Zu diesen neuen Schritten gehören die Entscheidungen, die Mehrheit der chinesischen Printmedienbetriebe in Unternehmen (,qiye') umzuwandeln und ausländische Minderheitsbeteiligungen zuzulassen. Die neue Politik schreibt einen Trend fort, der seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre für den chinesischen Mediensektor beobachtbar ist, nämlich die schrittweise Einbindung von Marktelementen und die Umwandlung des Sektors in eine Wirtschaftsbranche bzw. Industrie (,chanyehua').' Vordergründig erscheint diese Entwicklung den Reformen und Privatisierungen industrieller Staatsunternehmen sehr ähnlich. Das Zugeständnis, daß Medienbetriebe nun als Unternehmen und nicht mehr als öffentliche Einrichtungen (,shiye danwei') betrachtet werden sollten, bezweckt vor allem eine Klärung und Veränderung der Eigentumsverhältnisse. Dies ist eine notwendige Voraussetzung für die Übertragung von Eigentumsanteilen an neue Anteilseigner, für die Durchsetzung harter Budgetrestriktionen und damit für die Schaffung von Wettbewerbsdruck. Trotz zahlreicher Parallelen zur industriellen Unternehmensreform in China erscheint es aber nicht sinnvoll, die Entwicklungen im Medienbereich einfach mit früheren Reformen in der Industrie gleichzusetzen. Bisher ging die chinesische politische Führung fest davon aus, daß die Medienbranche aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Funktionen der Massenmedien wirtschaftspolitisch anders zu behandeln sei als industrielle Branchen und auch anders als viele Dienstleistungsbranchen. Welche Faktoren fuhren zu einer Veränderung der institutionellen Rahmenbedingungen im chinesischen Mediensektor? Wie wird im Zuge der ökonomischen Neuordnung des Mediensektors den politischen und gesellschaftlichen Funktionen der Medien, besonders vor dem Hintergrund der politischen Ordnung in China, Rechnung getragen? Was verändert sich im Detail? Kann und will die KPCh gewährleisten, daß die Medien trotz einer immer stärkeren Orientierung an der Marktnachfrage politisch konform bleiben? Oder entsteht eine grundsätzlich neue Medienordnung, und wenn ja, mit welchen Konsequenzen? Diese Fragen sollen im folgenden unter Anwendung der Neuen Institutionenökonomie analysiert werden, wobei insbesondere auf die Theorie der Verfügungsrechte und die Transaktionskostentheorie zurückgegriffen wird. Die Verwendung dieser Ansätze beruht auf der Annahme, daß es für ein besseres Verständnis der Entwicklungen im chinesischen Mediensektor hilfreich ist, die vergangenen und aktuellen Reformen als Neuordnungen der Verfugungsrechte zu verstehen, die ihrerseits neue Arrangements in den Govemance-Strukturen und Prinzipal-Agenten-Verhältnissen nach sich gezogen haben bzw. ziehen, um zu gewährleisten, daß die Ziele des bzw. der Prinzipalen realisiert wer-
Vergleiche zur Genese und Interpretation der Verwendung des Begriffes ,chanyehua' flir die neuere Entwicklung in Chinas Mediensektor Guo (2004).
Verfügungsrechte, Verträge und institutioneller Wandel im chinesischen Mediensektor
263
den. Die Analyse versucht also zu erklären, „wie die [Veränderungen der] institutionellen Rahmenbedingungen die Struktur der Wirtschaftsorganisationen und vertraglichen Arrangements beeinflussen" (Eggertsson 1996, S. 10). Ausgangspunkt der Veränderungen ist eine Erweiterung der Zielsetzungen des Prinzipalen: Neben das politische Ziel, die Machtverhältnisse über Propaganda zu stabilisieren, sind vor allem ökonomische Zielsetzungen getreten, in jüngerer Zeit aber auch neue Vorstellungen hinsichtlich der gesellschaftlichen Funktion der Medien. Die hinzugekommenen ökonomischen Zielsetzungen haben in der Reformzeit eine Neustrukturierung der Verfiigungsrechte im Mediensektor notwendig gemacht. Da das politische Ziel nicht aufgegeben wurde, fragt sich, über welche Arrangements der Prinzipal die Erreichung aller Ziele zu sichern versucht. Wichtig für diese institutionenökonomische Analyse der veränderten Medienpolitik ist die Frage, inwieweit die Medien (in China) den Charakter eines öffentlichen Gutes haben und wie Zensur bzw. Selbstzensur ökonomisch zu behandeln sind. Die Betrachtung beschränkt sich auf die sog. Massenmedien und hierbei auf die Printmedien (Zeitungen und Zeitschriften) sowie den Rundfunk (Fernsehen und Radio). Das Internet bleibt aus der Betrachtung weitgehend ausgeklammert. Zwar treffen viele der nachstehenden Ausführungen prinzipiell auch auf das Internet zu, die technischen und ökonomischen Besonderheiten des Mediums ebenso wie die Intemetregulierung in China erforderten aber eine gesonderte Betrachtung, die den Rahmen dieses Beitrages überschreiten würde. Die weiteren Ausführungen gehen zunächst auf ausgewählte Aspekte der Theorie der Verfiigungsrechte und der Transaktionskosten ein (Punkt 2), anschließend auf Erkenntnisse der Medienforschung über die Besonderheiten des Gutes .Medien' (Punkt 3). Danach wird ein kurzer Überblick über die wichtigsten Inhalte der Wirtschaftsreformen im chinesischen Mediensektor gegeben, auf dessen Basis dann die Analyse und Interpretation der Reformen mit dem Instrumentarium der Theorie der Verfügungsrechte und der Verträge erfolgt (Punkt 4).
2. Verfügungsrechte, Governance und Verträge Die verschiedenen Ansätze der Institutionenökonomik eint die Annahme, daß Institutionen - verstanden als informelle und formale Regeln (North 1989) - relevant sind für die ökonomische Entwicklung, da sie das soziale Verhalten der Individuen steuern (Furubotn und Richter 1991). Versuche zur Systematisierung der Institutionenökonomik unterscheiden Ansätze nach dem Lokus der behandelten Institutionen in .Institutionen des Marktes' und .Institutionen des politischen Sektors' (Erlei et al. 1999). Im englischen Sprachgebrauch wird analog zwischen ,institutional arrangements' und .institutional environment' differenziert (Williamson 1990). Ähnlich unterscheidet Voigt (2002, S. 39) zwischen internen Institutionen, für deren Durchsetzung nicht auf den Staat zurückgegriffen wird, und externen Institutionen, deren Durchsetzung unter Rückgriff auf den Staat erfolgt. Während sich die Prinzipal-Agenten-Theorie (Vertragstheorie) und die Transaktionskostentheorie mit institutionellen Arrangements befassen, konzentrie-
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Doris Fischer
ren sich die Theorie der Verfügungsrechte (Property-Rights-Theorie) und die Verfassungsökonomik (public choice) auf das ,institutional environment' als Regelwerk.
2.1. Institutionenökonomie und ökonomische Güter Im Rahmen der Theorie der Verfügungsrechte (Property-Rights-Theorie) wird davon ausgegangen, daß der Wert eines Gutes von der Ausgestaltung der Verfiigungsrechte an diesem Gut abhängt. Zu dem Bündel von Verfügungsrechten, die an ein Gut geknüpft sein können, zählen neben dem Recht der Nutzung (,usus') eines Gutes, das Recht der Veränderung des Gutes (,abusus'), einschließlich der Veräußerung (,venditio'), sowie das Recht zur Aneignung der Erträge, die aus der Nutzung des Gutes entstehen (,usus fructus') (Voigt 2002, S. 65; Erlei et al. 1999, S. 272). Die Definition der Verfiigungsrechte durch Regeln schränkt den Handlungsspielraum der Individuen zwar ein, schafft aber gleichzeitig die Grundlage für die Individuen zu planen, zu kalkulieren, zu investieren und in arbeitsteilige Tauschprozesse einzutreten. Die Struktur der Verfügungsrechte und entsprechende Regeln schaffen Erwartungen über das Verhalten anderer und stellen damit auch den Rahmen für mögliche institutionelle Arrangements. An dem Aspekt der Nutzung eines Gutes setzt unter anderem die Unterscheidung in private und öffentliche Güter an. Ist es z.B. technisch nicht möglich (oder unverhältnismäßig teuer), unerwünschte Nutzer eines Gutes von der Nutzung auszuschließen, gehen mit dem Recht der Nutzung kaum Möglichkeiten einher, Erträge aus der Nutzung des Gutes zu erzielen. Potentielle Konsumenten sind nicht daran interessiert, für die Nutzung eines Gutes zu bezahlen, sofern sie auch als Trittbrettfahrer in den Genuß der Nutzung kommen können. Dies gilt, wenn keine Rivalität im Konsum besteht, also die Nutzung des Gutes durch einen (möglicherweise zahlenden) Nutzer den Nutzen des Gutes für weitere potentielle Nutzer nicht reduziert. Fallen Nicht-Rivalität im Konsum und Nicht-Ausschließbarkeit zusammen, spricht man von öffentlichen Gütern. Liegt Rivalität im Konsum vor und ist es möglich, unerwünschte Nutzer auszuschließen, liegt ein privates Gut vor. Hintergrund dieser Unterscheidung in öffentliche und private Güter ist die Annahme, daß die Bereitstellung von öffentlichen Gütern nicht durch private Anbieter erfolgen wird und daher Aufgabe des Staates ist (Fritsch et al. 1999, S. 344). Investitionen in die Produktion öffentlicher Güter lohnen sich einzelwirtschaftlich nicht, da sich durch sie kein Ertrag und mithin auch kein Gewinn erzielen läßt. Liegt aber trotzdem ein gesamtgesellschaftliches bzw. kollektives Interesse vor, daß ein entsprechendes Gut zur Nutzung zur Verfügung steht, wird es typischerweise als Aufgabe des Staates angesehen, dieses Gut bereitzustellen und damit das Marktversagen auszugleichen. Mit privaten Gütern ist es dagegen möglich, einen Ertrag und einen Gewinn zu erzielen, folglich kann die Bereitstellung privater Güter durch private Unternehmen bzw. Anbieter erfolgen. Eine besondere Konstellation tritt ein, wenn der Ausschluß von Konsumenten möglich ist, aber keine Rivalität im Konsum vorliegt. In diesem Fall wird von Cluboder Mautgütern gesprochen. Die Unterscheidung in öffentliche und private Güter setzt bei der Frage an, ob bzw. durch wen Güter bereitgestellt werden. Auf diese Entscheidung, durch wen ein Gut bereitgestellt wird, folgt die Wahl, wie das Gut produziert werden soll. Ein Zweig der
Verfögungsrechte,
Verträge und institutioneller
Wandel im chinesischen
Mediensektor
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Transaktionskostentheorie beschäftigt sich mit dem Problem, unter welchen Bedingungen die Produktion in der eigenen Organisation (,Hierarchie') oder der Bezug über den Markt sinnvoll ist und welche geeigneten Zwischenformen es eventuell gibt. Dabei wird im Rahmen der Transaktionskostentheorie argumentiert, daß neben den reinen, quasi technischen Produktionskosten die Transaktionskosten zu berücksichtigen sind, die sich für die Markt- oder Hierarchielösung unterschiedlich darstellen. Diese Problematik wird in der Literatur häufig getrennt für private und öffentliche Güter betrachtet. Die verschiedenen Varianten der Produktionsorganisation im Falle privater Güter über Hierarchien (Eigenfertigung), Märkte oder Zwischenformen und die Bedingungen, unter denen die Wahl dieser institutionellen Arrangements ökonomisch sinnvoll ist, bilden den Gegenstand der Analyse von ,Governancekosten' (Erlei et al. 1999, S. 175 ff.) oder der .Economics of Governance' (Williamson 1984, S. 195). Typische Transaktionskosten, welche im Zusammenhang mit den einzelnen GovemanceLösungen stehen, sind zum Beispiel Such-, Informations- und Verhandlungskosten im Zusammenhang der Marktlösung (verursacht durch die Gefahr eines ,hold up') und Überwachungskosten (auch Agenturkosten) bei einer hierarchischen Lösung. Die Wahl der Produktionsorganisation sollte darauf zielen, die Transaktionskosten zu reduzieren. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, ob für die Transaktionen spezifische Investitionen getätigt werden müssen und mit welcher Häufigkeit bzw. Regelmäßigkeit die Transaktionen durchgeführt werden. Auch im Falle der Bereitstellung öffentlicher Güter durch den Staat stellt sich die Frage des Eigen- oder Fremdbezugs. So kann die bereitstellende staatliche Instanz selbst die Produktion übernehmen oder einen externen Produzenten damit beauftragen. Die bei der Bereitstellung öffentlicher Güter anfallenden Transaktionskosten werden als Kosten der Administration bei Eigenfertigung und als Koordinationskosten im Falle der Marktnutzung zusammengefaßt (Erlei et al. 1999, S. 311 und 402 ff.). Ein anderer Zweig der Transaktionskostentheorie, die Prinzipal-Agenten- oder auch Vertragstheorie 2 behandelt Probleme der Vertragsgestaltung, die auf asymmetrische Informationen zwischen Vertragspartnern zurückgehen. Allgemein lassen sich mit der Vertragstheorie Situationen beschreiben, in denen ein Auftraggeber (Prinzipal) jemand anderen, den Auftragnehmer (Agenten), mit der Ausführung einer Aufgabe betraut und zu diesem Zweck einen gewissen Entscheidungsspielraum einräumt {Richter und Furubotn 1999, S. 163). Das Hauptinteresse der Theorie liegt darin, die optimale Vertragsgestaltung zu bestimmen, wenn davon ausgegangen werden muß, daß zwischen Prinzipal und Agenten Informationsasymmetrie vorliegt. Wie kann der Prinzipal gewährleisten, daß der Agent die Aufgabe tatsächlich und bestmöglich im Sinne des Prinzipals löst? Häufige Anwendung findet die Theorie in Bezug auf Unternehmen. Sofern z.B. Vertragsbeziehungen zwischen Unternehmenseignern und Management oder zwischen Management und Mitarbeitern untersucht werden, besteht ein direkter Zusammenhang zu der Frage nach der Höhe der Überwachungs- bzw. Agenturkosten der
2
Vgl. auch Richter und Furubotn (1999, S. 162 f.), die drei Arten von Vertragstheorien unterscheiden, nämlich neben den Prinzipal-Agenten-Theorien die Theorien sich selbst durchsetzender Verträge und die Theorien relationaler oder unvollständiger Verträge.
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Doris Fischer
Governance-Form .Hierarchie' (siehe oben). Hinsichtlich der Informationsasymmetrie wird zwischen Asymmetrie vor und nach Vertragsabschluß unterschieden. Im Fall der Informationsasymmetrie vor Vertragsabschluß (ex ante) kann der Prinzipal aufgrund unbeobachtbarer Eigenschaften des Agenten nicht genau einschätzen, wie dieser den Vertrag durchfuhren kann. Der Agent dagegen hat weitergehende Informationen über seine Eigenschaften oder seine Möglichkeiten, den Vertrag zu erfüllen. Dieses Problem ist in die Literatur als das Problem der ,adversen Selektion' eingegangen, da der Prinzipal in dieser Situation nur einen Vertrag anbieten kann, der auf den durchschnittlichen Typ von Agenten zugeschnitten ist, und damit befurchten muß, gerade für mögliche gute Agenten unattraktiv zu sein (Jost 2001, S. 28). Informationsasymmetrie nach Vertragsabschluß (ex post) kann aus zwei Faktoren resultieren. Sie liegt zum einen vor, wenn es dem Prinzipalen nicht möglich ist, den Arbeitseinsatz des Agenten genau zu beurteilen, zum anderen, wenn dem Agenten zusätzliche Informationen vorliegen, die den Erfolg seiner Aufgabendurchführung beeinflussen. Der Agent kann in beiden Fällen seinen Informationsvorsprung ausnutzen, um seine Aufgabenerfüllung besser dastehen zu lassen, als sie tatsächlich ist. In beiden Fällen liegt damit ein sogenanntes moralisches Risiko vor, wobei der erste Fall unter dem Terminus ,hidden action', der zweite unter dem Terminus ,hidden information' in der Literatur behandelt wird (Jost 2001, S. 25 f.). Wie bereits erwähnt ist die Vertragstheorie durchaus nicht nur auf Unternehmen und deren interne Vertragsverhältnisse anwendbar, sondern auf eine große Vielfalt von Vertragssituationen. So wird im Rahmen der Neuen Politischen Ökonomie davon ausgegangen, daß auch Politiker, Bürokraten und Bürger im politischen Prozeß als den individuellen Nutzen maximierende Akteure mit eigenen Zielsetzungen verstanden werden können. Die Akteure sind in diesem Prozeß Nachfrager und Anbieter politischer Leistungen. Die Bereitstellung öffentlicher Güter (siehe oben) kann in dieser Sichtweise als ein Auftrag der Bürger an die Regierung verstanden werden. In diesem Fall ist die Regierung bzw. sind deren Mitglieder Agenten der Prinzipale; sie arbeiten also im Auftrag der das Gut nachfragenden Bürger. Die wiederum von der Regierung beauftragte Bürokratie, welche konkret mit der Bereitstellung der Güter befaßt ist, kann ihrerseits als Agent der ,Regierung' verstanden werden, die in dieser Relation als Prinzipal fungiert. (Erlei et al. 1999, S. 324). 2.2.
Institutioneller Wandel und Verfügungsrechte
Es ist gegenwärtig nicht möglich, sich mit wirtschaftlichen Entwicklungen in der VR China zu beschäftigen, ohne auf das Problem oder besser Phänomen zu stoßen, daß die chinesische Wirtschaftsordnung seit 1978 einem mehr oder weniger kontinuierlichen Wandel unterliegt, sichtbar zum Beispiel in immer neuen Gesetzen und gesetzesähnlichen Bestimmungen, in der wiederholten Neuordnung der Regierungsstrukturen und damit einhergehend - Veränderungen in den Strukturen der Verfugungsrechte. Vielfaltige Klagen zum Beispiel von ausländischen Unternehmen, daß insbesondere die rechtlichen Rahmenbedingungen in China zu wenig transparent seien, lassen sich unter anderem auf das schnelle Tempo der Veränderungen zurückführen. Prognosen über die wietere Entwicklung werden häufig dadurch erschwert, daß die Antriebskräfte des Wand-
Verfügungsrechte,
Verträge und institutioneller
Wandel im chinesischen
Mediensektor
267
lungsprozesses nicht klar erkennbar sind. Zum besseren Verständnis der gegenwärtigen chinesischen Wirtschaft oder eines Teilbereiches derselben reicht es demnach nicht aus, den Status quo zu beschreiben. Eigentlich interessant ist ein besseres Verständnis der Triebkräfte und gegebenenfalls Hemmfaktoren des Veränderungsprozesses, um so in gewissem Umfang auch Prognosen wagen zu können. Hierzu kann die Neue Institutionenökonomik einen Beitrag leisten, denn anknüpfend an die These, daß Institutionen wichtig sind, um ökonomische Probleme zu erfassen und sinnvoll zu lösen, folgt notwendigerweise die Frage, warum und wie Institutionen entstehen und sich verändern. Im Rahmen der Neuen Institutionenökonomik hat sich zu dieser Frage eine umfangreiche Debatte entwickelt, die an dieser Stelle nicht im Detail nachgezeichnet werden kann. Wichtige, mehr oder weniger allgemein anerkannte Erkenntnisse bezüglich des Wandels von Institutionen können aber wie folgt zusammengefaßt werden: — Institutioneller Wandel manifestiert sich in einer Neuordnung der Struktur der Verfügungsrechte bzw. Eigentumsrechtsstrukturen. — Die Neustrukturierung von Verfügungsrechten kann durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden. Zu den exogenen Faktoren, die eine Neuordnung auslösen können, zählen z.B. Veränderungen in den zur Verfügung stehenden Ressourcen und gegebenenfalls durch technologischen Wandel ausgelöst - Veränderungen der Marktverhältnisse (Demsetz 2000, S. 79). Neben diesen exogenen Faktoren können aber auch endogene Faktoren wirken, insbesondere Eigeninteressen der ökonomischen und politischen Akteure. — Wird von den damit verbundenen politischen Verhandlungsprozessen abstrahiert, kann der Wandel der Verfügungsrechtsstrukturen als Übergang von einer ineffizienten zu einer effizienteren Verfügungsrechtsstruktur verstanden werden. Das heißt, daß Verfügungsrechte neu geordnet werden, sofern zu erwarten ist, daß die neuen Strukturen einen vergleichsweise größeren Nutzen stiften (sogenannte ,naive Verfügungsrechtstheorie '). — Aufgrund der Eigeninteressen der Regierenden ist nicht garantiert, daß die politischen Verhandlungsprozesse zu einer effizienten Ordnung der Verfügungsrechte führen. Libecap vertritt daher bezüglich der Verhandlung von Verfügungsrechten die folgende These: „Die Intensität politischer Verhandlungen über Verteilungsfragen und die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Veränderung der Verfügungsrechte wird beeinflußt 1) durch die Größe der insgesamt erwarteten Gewinne aus der institutionellen Veränderung; 2) und 3) durch Anzahl und Verschiedenartigkeit der Verhandlungspartner; 4) durch die Abweichung der vorgeschlagenen von der gegebenen [Eigentums-] Verteilung; 5) durch Informationsprobleme." (Libecap 1989, S. 13, zitiert nach Richter und Furubotn 1999, S. 123)
Kaum allgemeingültige Aussagen gibt es darüber, wie sich der Wandel der Verftigungsrechte, also ein Wandel auf der Ebene der ,institutional environment', auf die institutionellen Arrangements auswirkt oder, anders formuliert, wie Veränderungen der externen Institutionen die internen Institutionen beeinflussen. Voigt (2002, S. 76 f.) un-
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terscheidet idealtypisch neutrale, komplementäre, substitutive und konfligierende Beziehungen zwischen externen und internen Institutionen. Komplementär sind Institutionen, wenn sie menschliches Verhalten in ähnlicher oder gleicher Weise beeinflussen. Substitutiv wirken externe und interne Institutionen, wenn sie in unterschiedlichen Situationen zum Tragen kommen, also zum Beispiel institutionelle Arrangements in Situationen wirken, die mit kodifiziertem Recht und staatlicher Überwachung schwer zu handhaben sind. Dabei wirken die Institutionen aber tendenziell gleichgerichtet. Eine konfligierende Beziehung zwischen Institutionen des politischen Sektors und Institutionen des Marktes liegt dagegen vor, wenn bestimmte Verhaltensweisen durch die eine Art der Institution erlaubt oder geboten, durch die andere aber nicht erwünscht bzw. verboten sind, beide Arten von Institutionen also entgegengerichtet wirken. Derartige Konflikte zwischen den externen und internen Institutionen fuhren annahmegemäß zu Transaktionskosten, da die Akteure ihr Verhalten in der einen oder anderen Hinsicht verstecken müssen. Intuitiv ist anzunehmen, daß Konflikte zwischen Institutionen eine Anpassung der externen oder der internen Institutionen auslösen müßten. Auch hier sind aber wieder verschiedene Einflußfaktoren zu berücksichtigen, so daß nicht gesichert ist, daß eine Konfliktbeziehung notwendig ist und in der kurzen Frist Anpassungen auslöst.
3. Besonderheiten des Mediensektors In der Einleitung wurde die These vertreten, daß es gerechtfertigt sei, Unternehmensreformen im chinesischen Mediensektor als Sonderfall zu betrachten, weil die chinesische Regierung den Massenmedien in der Vergangenheit eine besondere politische und gesellschaftliche Rolle zugesprochen hat. Tatsächlich werden Besonderheiten des Mediensektors nicht nur in China konstatiert. Ein großer Teil der medienökonomischen Literatur dreht sich im weitesten Sinne um die Frage, ob Massenmedien „marktfähige Kulturgüter" (Kops 2000, S. 52) sind, also vergleichbar mit ,normalen' Privatgütern, und wie für den Fall, daß Marktversagen oder Marktmängel diagnostiziert werden, diese gehandhabt werden sollten. Bevor daher die diesbezügliche chinesische Medienreform untersucht und der Versuch unternommen wird, diese institutionenökonomisch zu interpretieren, werden im folgenden zunächst Erkenntnisse der .westlichen' medienökonomischen Literatur zu den Besonderheiten der Medien als ökonomische Güter zusammengefaßt. Ebenfalls mit Blick auf die chinesische Situation wird des weiteren auf die besondere Problematik der Medien als Instrument der Propaganda bzw. als Gegenstand der Zensur eingegangen.
3.1. Medien als ökonomische Güter Soweit von Besonderheiten des Mediensektors ausgegangen wird, basiert die Argumentation zum einen darauf, daß die Inhalte von Medien öffentliche Güter sind, da der Nutzen des Inhalts nicht durch zusätzliche Konsumenten (Leser, Zuschauer) beeinträchtigt wird, also keine Rivalität im Konsum besteht. Je nachdem, über welchen Medienträger die Inhalte verbreitet werden, sind Medien rein öffentliche Güter (z.B. terrestrisches Fernsehen), da das Ausschlußprinzip nicht durchsetzbar ist, oder Clubgüter (Pay-TV, Kabelfernsehen, Printmedien). Zum zweiten wird argumentiert, daß Massenmedien nicht nur dem individuellen Nutzen des Konsumenten forderlich sind und damit die
Verfügungsrechte,
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Mediensektor
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Voraussetzung für die Entstehung einer Nachfrage erfüllen, sondern daß ihnen zusätzlich Aufgaben der Information, der unabhängigen politischen Meinungsbildung und damit der gesellschaftlichen Stabilisierung zugeschrieben werden, sie also zugleich ein meritorisches Gut3 bereitstellen (Kiefer 2001, S. 150 f.). Aus dieser zweiten Funktion heraus resultiert auch die Vorstellung, daß Medien in demokratischen Gesellschaften eine besondere Verantwortung tragen. Dieser besonderen Verantwortung wird mit der Forderung nach publizistischer Vielfalt Rechnung getragen (Kruse 1996, S. 28). Kiefer (2001, S. 151 ff.) charakterisiert Medien weiterhin als .Kuppelprodukte', da sie bewußt verschiedene Güter zu einem Güterbündel zusammenfugen, und dies in mehrfacher Hinsicht. Zum einen sind werbefinanzierte Medien Kuppelprodukte, weil sie aus einem redaktionellen und einem Werbeteil bestehen, zum anderen, weil sie öffentliche und meritorische Güter sowie selektive Anreize mit Privatgutcharakter verbinden. Als selektive Anreize werden Medieninhalte bezeichnet, die nur bestimmte Zielgruppen unter den Rezipienten ansprechen, um diese zum Kauf des Mediums anzuregen. Es werden also gezielt Anreize gesetzt, um einzelne Konsumenten anzuregen, sich an der Finanzierung des öffentlichen Gutes zu beteiligen. Als Kuppelprodukt sind Medien auch deshalb anzusehen, weil sie den Medieninhalt - das öffentliche Gut - mit dem Medienträger - dem Privatgut - verbinden und derart die Medieninhalte erst marktfähig machen. Aufgrund der Kuppelproduktion von redaktionellem Teil und Werbeteil agieren werbefinanzierte Medien letztlich auf zwei Märkten mit unterschiedlicher Nachfrage. Die Nachfrager auf dem Leser- bzw. Zuschauermarkt fragen das Kuppelprodukt aus öffentlichen Gütern (meritorischen und nicht-meritorischen) und selektiven Anreizen nach. Die Nachfrager des Werbemarktes fragen dagegen Werbekontakte bzw. Kontaktchancen nach. Der redaktionelle Teil der Werbeträger ist für sie ein Produktionsmittel für die Herstellung des Gutes Werbekontakte (Kiefer 2001, S. 157; Ramstad 1997, S. 48). Die Gegenposition, die Massenmedien als normale marktfähige Güter versteht, diagnostiziert kein Markt versagen. Sie geht soweit, auch den Informationsauftrag der Medien dann am besten gewährleistet zu sehen, wenn sich der Staat ganz aus dem Mediensektor zurückzieht, und thematisiert Fragen der Regulierung des Mediensektors nicht. Coyne und Leeson (2004, S. 40) befürworten zum Beispiel für Transformationsländer einen völligen Rückzug des Staates aus dem Mediensektor, um bestmöglich politische Einflußnahme auf Medieninhalte zu verhindern. Sie ignorieren dabei die Frage einer möglichen ökonomischen Einflußnahme auf Medieninhalte ebenso wie die Möglichkeit eines Marktversagens. Die Auffassung, daß der Staat sich möglichst weitgehend aus der Produktion von Medien heraushalten sollte, basiert auf der Befürchtung, daß staatliche Verfügungsrechte über die Medien die manipulierende Einflußnahme der Regierung bzw. der herrschenden politischen Akteure auf die Medieninhalte erleichtern und zu Einschränkungen der Pressefreiheit fuhren können. Damit wäre die Bereitstellung des in einer
Als meritorische Güter werden solche Güter bezeichnet, deren Produktion und Konsum gesellschaftlich erwünscht ist, obwohl das Angebot dieses Gutes nicht mit den bekundeten Konsumentenpräferenzen übereinstimmt. Vgl. Kiefer (2001, S. 136 f.).
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Demokratie als wünschenswert angesehenen öffentlichen und meritorischen Gutes der unabhängigen Information sowie der Informationsvielfalt gefährdet, was wiederum den demokratischen Meinungsbildungsprozeß beeinträchtigte. Letztlich wird bei dieser Auffassung davon ausgegangen, daß es bei staatlicher Bereitstellung des Gutes Medien nicht möglich ist, das Prinzipal-Agenten-Verhältnis zwischen den Bürgern, also den Prinzipalen, die unabhängige Information nachfragen, und der Regierung, die in dieser Situation als Agent der Bürger das öffentliche Gut bereitstellen soll, effizient zu gestalten. Es wird angenommen, daß der Agent aufgrund eigener, von den Bürgern abweichender Interessen den Einfluß auf die Medienträger ausnutzen wird, um die Medieninhalte zu manipulieren. 3.2.
Manipulation von Medieninhalten
Die zuvor dargestellten Überlegungen der Medienforschung zum Charakter des Gutes Medien erfolgten implizit vor dem Hintergrund eines demokratischen Systems, in dem Presse- und Meinungsfreiheit garantiert werden und eine Manipulation der Medien daher nicht stattfindet bzw. nicht stattfinden soll. In vielen - oftmals autokratischen Staaten stellt sich die Situation aber anders dar: Die Inhalte der Medien werden kontrolliert, die Pressefreiheit eingeschränkt oder die Arbeit von Journalisten behindert.4 Der Staat greift also in die Produktion der Medieninhalte ein und beschränkt oder verhindert die Bereitstellung unabhängiger Information. Auch für die Volksrepublik China galt und gilt diese Diagnose. Für die weiteren Überlegungen zu den Funktionsweisen und Veränderungen der Verfügungsrechtsordnung im chinesischen Medienmarkt ist es daher notwendig, die unterschiedlichen Formen der Manipulation von Medieninhalten zu charakterisieren und in einen Zusammenhang mit den zuvor angestellten Überlegungen zu Medien als Wirtschaftsgut zu stellen. Zu diesem Zweck sei zwischen Propaganda, Zensur und Selbstzensur unterschieden. Propaganda wird hier nur in Bezug auf die Medien betrachtet und als die politische Vorgabe von konkreten Medieninhalten verstanden. Es kann der komplette Inhalt von Medien vorgegeben werden oder nur Teile davon, also zum Beispiel der Nachrichtenteil oder bestimmte Informationen oder Kommentare. Propaganda zielt darauf, durch Beeinflussung bzw. Kontrolle der öffentlichen Meinung die bestehenden Machtverhältnisse zu stabilisieren. Zwar wird auch im Zusammenhang mit demokratischen Systemen von Propaganda gesprochen, wenn Versuche der Meinungsmanipulation durch die Regierung aufgedeckt werden, doch unterscheidet sich die Funktionsweise dieser Art von Propaganda von der in einem autoritären Staat (Chomsky 2003). Für die weitere Betrachtung ist nun wichtig, daß es für Propaganda keinen Markt gibt. Zwar kann argumentiert werden, daß bestimmte Bevölkerungsgruppen Propaganda nachfragen, um die Denk- und Argumentationsweise der politischen Führung zu kennen. Es wird sich aber trotz dieser Nachfrage kein Marktpreis für Propagandainhalte herausbilden, da es sich nicht um ein knappes Gut handelt. Im Gegenteil, das Interesse der
4
Vergleiche hierzu zum Beispiel den Pressefreiheitsindex und die regionalen und nationalen Jahresberichte der Organisation .Reporter ohne Grenzen' unter http://www.rsf.org.
Verfügungsrechte,
Verträge
und institutioneller
Wandel im chinesischen
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Bereitsteller von Propaganda ist eine möglichst breite Streuung der Inhalte, um eine möglichst weitgehende Manipulation der Meinungsbildung zu erreichen. „...'Propaganda states' [...] overwhelm their Citizens - in the media, in the workplace, and even in the h o m e - with official information and interpretation o f reality. Initiating political challenges to these states b e c o m e s virtually unthinkable - which is precisely the goal". (Lynch 1999, S. 3)
Hieraus ergibt sich, daß Propaganda, ähnlich wie kommerzielle Werbung, entweder kostenlos verteilt werden muß oder nur als Kuppelprodukt in Verbindung mit anderen Medieninhalten angeboten werden kann. Der Bereitsteller von Propaganda kann sich aber gezwungen sehen, das Angebot an Propaganda zu beschränken, wenn zuviel Propaganda auf mangelnde Akzeptanz stoßen und Reaktanz auslösen könnte.5 Zensur zielt ebenso wie Propaganda auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinungsbildung zum Zwecke der Aufrechterhaltung bestehender Herrschaftsverhältnisse {Leidinger 2003, S. 83). Sie unterscheidet sich von Propaganda aber dadurch, daß Inhalte (Informationen, Interpretationen, Kommentare) unterdrückt statt vorgegeben werden. Unter .Zensur' wird meist staatliche Zensur verstanden, die dadurch wirkt, daß für bestimmte Inhalte von vornherein ein Verbot besteht oder daß Inhalte vor der Veröffentlichung behördlich geprüft und genehmigt werden müssen (Branahl 1996, S. 25). Propaganda und politische Zensur können komplementär wirken, indem durch die Unterbindung von Informations- und Meinungsvielfalt mit Hilfe der Zensur den Propagandainhalten und der im wahrsten Sinne des Wortes ,herrschenden' Meinung eine monopolartige Stellung gesichert wird. Mit Selbstzensur wird das Phänomen beschrieben, daß die Medien, insbesondere die Redakteure und Journalisten, auf die Herstellung und Verbreitung bestimmter Informationen, Meinungen und Interpretationen verzichten. Sie antizipieren, daß der Inhalt nicht genehmigt bzw. nicht gutgeheißen würde, da er dem Ziel der Beeinflussung der Meinungsbildung im Sinne der Stabilisierung der Machtverhältnisse entgegenstünde, und legen sich daher schon bei der Vorbereitung und Herstellung selbst inhaltliche Beschränkungen auf. Selbstzensur ist nicht notwendig politisch bzw. staatlich veranlaßt. Selbstzensur kann auch aus ökonomischen Überlegungen heraus stattfinden (Leidinger 2003, S. 191 ff.). Ein Beispiel hierfür wäre der Verzicht auf kritische Berichterstattung über ein Unternehmen, weil dieses der wichtigste Werbekunde des Mediums ist. Für die weitere Analyse des Zusammenhangs von Propaganda, Zensur und Selbstzensur ist es nun hilfreich, Akteure mit einzubeziehen. Gehen wir von einem Einparteien-Staat aus, in dem die herrschende Partei das Ziel hat, die Machtverhältnisse stabil
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Reaktanz ist ein B e g r i f f der Kommunikationstheorie und bezeichnet die Motivation einer der Kommunikation ausgesetzten Person, die sich durch die Kommunikation in ihrer Verhaltensfreiheit bedroht oder eingeschränkt fühlt, sich der erwarteten Einengung zu widersetzen oder nach erfolgter Einengung die Freiheit wieder zurückzugewinnen. D i e s e s Verhalten fuhrt dazu, daß die Person als Empfängerin der Kommunikationsbotschaft diese ignoriert oder sogar in ihrem Verhalten den Absichten des Senders der Botschaft zuwiderhandelt (BumerangEffekt) (vgl. Kroeber-Riehl und Weinberg 1996, S. 2 0 6 ff.). Übertragen auf politische Propaganda, kann dies bedeuten, daß die Bürger die Propagandaziele durchschauen und diese ignorieren oder sogar zu umgehen versuchen (Ollig 2 0 0 4 , S. 201).
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zu halten und zu diesem Zweck die politische Meinungsbildung zu beeinflussen. Aus der Sicht der herrschenden Partei sind Propaganda, Zensur und Selbstzensur Instrumente für die Zielerreichung der Meinungsmanipulation bzw. „thought work" (Lynch 1999, S. 2), die jeweils mit unterschiedlichen Transaktionskosten verbunden sind. So kann sich die Partei dafür entscheiden, Propaganda ausschließlich in Eigenfertigung innerhalb der Parteiorganisation herzustellen. Will die Partei allerdings sicherstellen, daß die so produzierte Propaganda auch konsumiert' wird, muß sie zusätzlich dafür sorgen, daß keine alternativen Informations- und Meinungsbildungsmöglichkeiten existieren, was mit Überwachungskosten verbunden ist. Außerdem muß sie damit rechnen, daß die Rezipienten den Konsum der Medien verweigern, wenn diese ausschließlich Propaganda vermitteln. Die alternative Möglichkeit der Kuppelproduktion, das heißt die Verbindung der Propaganda mit anderen Medieninhalten, sei es in Eigenfertigung oder indem andere Medien zugelassen und zur Propagandaverbreitung verpflichtet werden, führt in jedem Fall zu einem ,Prinzipal-Agenten-Verhältnis'. Die herrschende Partei bzw. die politische Führung tritt als Prinzipal auf, der den Agenten mit der Produktion des Medienträgers und eines redaktionellen Teils beauftragt und ihn zugleich mit Propagandainhalten versorgt. Aufgabe des redaktionellen Teils ist die Erstellung von Medieninhalten, mit denen möglichst viele ,Propagandakontakte' hergestellt werden können. Da auch in diesem Fall für den Propagandateil kein Markt existiert, sondern lediglich für den redaktionellen Teil, muß davon ausgegangen werden, daß bei Koppelung von Propaganda mit anderen Inhalten die Nachfrage nach dem Medium im Vergleich zum Angebot ohne Propagandainhalte ceteris paribus sinkt. Der Agent hat also kein unmittelbares Interesse an der Integration von Propagandainhalten in das von ihm produzierte Medium, es sei denn, er wird ausreichend entschädigt oder ist dazu gezwungen, z.B. weil er sich in einem Abhängigkeitsverhältnis befindet. Die Vorgabe von Inhalten in Form von Propaganda sichert dem Prinzipalen allerdings noch nicht das Interpretationsmonopol. Er muß vielmehr gleichzeitig darauf achten, daß der redaktionelle Teil des Mediums oder andere zugelassene Medien die Wirkung der Propagandainhalte nicht konterkarieren, indem sie zum Beispiel durch bestimmte Informationen oder Kommentare die Propaganda in Frage stellen. An diesem Punkt setzt die Zensur an, also das Verbot und insbesondere die Überprüfung und Genehmigung der Medieninhalte. Hierdurch soll verhindert werden, daß die Medien gewollt oder ungewollt Inhalte verbreiten, die aus der Sicht des Prinzipals dem Ziel der Meinungsmanipulation zum Zwecke des Machterhalts entgegenstehen. Je besser die Zensur funktioniert, desto mehr könnte außerdem auf die konkrete Vorgabe von Inhalten verzichtet werden, womit sich gegebenenfalls die Wirksamkeit der Meinungsmanipulation erhöht: Den Rezipienten kann publizistische Vielfalt vorgetäuscht werden, ohne daß tatsächlich Meinungsvielfalt vorliegt; Zensur ist für den Rezipienten weniger transparent als Propaganda. Auch Zensur ist allerdings mit spezifischen Transaktionskosten verbunden. Hierzu zählen die Kosten, die für die Überprüfung und Genehmigung der Inhalte anfallen, also die Kosten des Aufbaus einer speziellen Bürokratie. Ferner zählen, zumindest bei der Zensur von Nachrichteninformationen, auch Opportunitätskosten hinzu, die aus der Zeitverzögerung resultieren, welche mit einem Prüfungsver-
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fahren verbunden ist. Diese Zeitvei zögerung schmälert den Aktualitätswert der veröffentlichten Informationen. Eine wirksame Selbstzensur, also die Internalisierung und Umsetzung der politischen Vorgaben durch die Agenten im Prozeß der Herstellung von Medieninhalten wäre aus der Sicht des Prinzipalen die wünschenswerte Lösung: Die zeitaufwendigen Prüfungsund Genehmigungsprocedere durch eine spezielle staatliche Bürokratie könnten reduziert werden. Um zu erreichen, daß die Produzenten der Medieninhalte Selbstzensur praktizieren, wird der Prinzipal allerdings auch Kosten aufwenden müssen. Ex ante muß er gewährleisten, daß die Agenten ausreichend darüber informiert sind, was die .herrschende Meinung' ist. Des weiteren muß er Anreize bereitstellen, die sichern, daß die Agenten im Sinne des Prinzipals handeln, und Sanktionsmechanismen für abweichendes Verhalten einrichten, denn, bezogen auf die tägliche Medienproduktion, befindet sich der Prinzipal in einer Situation der Informationsasymmetrie vor Vertragsabschluß. Das Dilemma des Prinzipals besteht darin, daß er Fehlverhalten zwar ex post feststellen und sanktionieren kann, daß der Schaden, der durch Fehlverhalten angerichtet wird, wenn in den Massenmedien unerwünschte Inhalte auftauchen, aber nicht zu reparieren ist (Fischer 2001, S. 20). Anders als ein Produktionsfehler bei einem Auto kann eine politisch unerwünschte Nachricht oder ein Kommentar in einer Tageszeitung oder einer Fernsehsendung zum Beispiel nicht wieder zurückgerufen werden. In der Regel wirken Zensur und Selbstzensur daher komplementär, wobei eine weitgehende Internalisierung der Zensurregeln in Form von Selbstzensur den notwendigen Umfang an ex-ante-Prüfungen und Genehmigungen reduzieren kann. Propaganda, Zensur und Selbstzensur sind zusammenfassend gesehen unterschiedliche Arrangements, über die der Prinzipal versuchen kann, sein Ziel der Beeinflussung der Medieninhalte zu erreichen. Das Optimierungsproblem des Prinzipals besteht darin, daß die umfassende Vorgabe und Kontrolle der Inhalte zwar opportunistisches Verhalten des bzw. der Agenten minimieren kann, daß hierdurch aber die Medieninhalte aus der Sicht der Konsumenten gegebenenfalls uninteressant werden. Je mehr der Prinzipal den Agenten andererseits Freiheiten in der Produktion der Medieninhalte einräumt, desto größer wird das Risiko von abweichendem Verhalten des Agenten. Der Prinzipal muß daher versuchen, schon bei der Auswahl des Personals möglichst politisch korrekt' denkende und schreibende Redakteure und Journalisten, also zur Selbstzensur geneigte Agenten, zu finden.
4. Institutioneller Wandel im chinesischen Mediensektor Die vorangegangenen Ausführungen zu den Besonderheiten des Mediensektors haben zunächst den ökonomischen Charakter des Gutes ,Medien' in einem demokratischen System, das Informations- und Meinungsfreiheit garantiert, skizziert und daran anschließend die besondere Funktion, welche von den Medien in nicht demokratischen Systemen zum Zwecke der Manipulation der öffentlichen Meinungsbildung erwartet wird. Im folgenden soll nun auf den institutionellen Wandel im chinesischen Mediensektor eingegangen werden. Dabei wird die These vertreten, daß als Reaktion auf Verschiebungen in der Zielhierarchie der politischen Führung, die ihrerseits zum Teil auf
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exogene Faktoren zurückzufuhren waren, eine schrittweise Anpassung der Verfügungsrechte im Mediensektor erfolgte, die ihrerseits Anpassungen der institutionellen Arrangements nach sich gezogen hat.
4.1. Medienentwicklung und Medienpolitik Die Entwicklung des chinesischen Mediensektors seit Beginn der Wirtschaftsreformen Ende der siebziger Jahre ergibt zunächst einmal ein beeindruckendes Bild quantitativer Expansion. 1978 wurden nach Angaben des Statistischen Jahrbuches der Volksrepublik China (CSY) (1993, S. 781 f.) nur 186 Zeitungen und 930 Zeitschriften verlegt. Im Jahr 1992 waren es schon 875 Zeitungen und 6486 Zeitschriften. Bis zum Jahr 2002 stieg die Zahl der Zeitungen auf 2137, die der Zeitschriften auf 9029 (CSY 2003, S. 790). Im Jahr 2003 neu formulierte Strategien für die Printmedien (siehe unten) haben bei den Zeitungen allerdings dazu geführt, daß zahlreiche Publikationen geschlossen wurden, so daß sich die Zahl der aufgelegten Zeitungen im Jahr 2003 nach bisherigen Angaben um etwa ein Drittel auf 1452 verringert hat.6 Für Radio und Fernsehen sind sinnvolle Vergleichsstatistiken für diesen langen Zeitraum nicht zu erstellen. Ein Indiz für die quantitative und technische Entwicklung ist aber, daß die Zuhörer und Zuschauer heute nicht mehr nur wie in den 80er Jahren auf einen einzigen nationalen Anbieter mit wenigen Kanälen und eine kleine Anzahl lokaler Fernsehprogramme zurückgreifen können, sondern daß national bereits 13 Kanäle von China Central Television und mehrere Dutzend ins Satellitennetz eingespielte Kanäle der Provinzen empfangbar sind. Darüber hinaus gibt es zusätzlich die terrestrisch und über Kabel empfangenen Programme der jeweiligen Region, so daß dem städtischen Publikum heute durchschnittlich 30 Kanäle zur Verfügung stehen (Fischer 2004, S. 122). Chinesischen Angaben zufolge hatten 94,5 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2002 Zugang zum Medium Fernsehen. Das Radio spielt im Vergleich zum Fernsehen eine geringere Rolle. Zwar können offiziellen Angaben zufolge gut 93 Prozent der Bevölkerung per Radio erreicht werden, doch haben Untersuchungen ergeben, daß nur ca. 60 Prozent der Bevölkerung über vier Jahre tatsächlich Radio hörten (XNA News Research Center 2004, S. 134). Die Expansion der Massenmedien, die sich anhand der obigen Zahlen recht linear darstellt, verdeckt die Veränderungen in der Medienpolitik und den institutionellen Rahmenbedingungen seit Reformbeginn. Aufgrund dieser Veränderungen läßt sich die Entwicklung der Medien grob in vier Phasen einteilen, wobei diese Phasen bezüglich der Printmedien und des Rundfunks nicht immer genau parallel begannen bzw. endeten, aber trotzdem ähnlich charakterisiert werden können. Die zeitliche Abgrenzung ist auch deshalb nicht trennscharf, weil häufig zunächst in einzelnen Medien mit einer Neuordnung der Verfugungsrechte experimentiert wurde. Die hier gewählte Zeiteinteilung orientiert sich an den Zeiträumen, in denen Neuerungen in die offizielle Medienpolitik aufgenommen wurden und breitere Anwendung fanden.
6
Vgl. People 's Daily Online, 15.3.2004, http://english.peopledaily.com.cn.
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In der Anfangsphase Anfang der achtziger Jahre änderte sich an den Vorstellungen bezüglich der Funktion der Medien gegenüber der Zeit vor den Reformen noch wenig {Lynch 1999, S. 3). Die Massenmedien wurden als ,Sprachrohr der Partei' angesehen, und die wesentliche Aufgabe der Medien bestand weiterhin darin, Propaganda-Inhalte zu verbreiten. Aufgrund der dominanten Stellung der parteieigenen Zeitungen und Rundfunkangebote kann davon gesprochen werden, daß die Produktion der Medieninhalte sehr weitgehend in Eigenfertigung stattfand. Verlage und Rundfunkanbieter wurden als Verwaltungsinstitutionen angesehen, die einen rein politischen Auftrag hatten, keinen ökonomischen. Wie in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes gab es Planziffern und Personalzuweisungen für Mitarbeiter. Die laufenden Kosten der Produktion und alle Investitionen der Medienbetriebe wurden fast vollständig aus dem Staatshaushalt finanziert (Fischer 2001). Nennenswerte Einnahmequellen aus Abonnements, Verkauf oder Gebühren gab es nicht. Aufgrund ihrer Propagandafunktion wurden die Medien in der Regel über die Arbeitseinheiten abonniert und den Mitarbeitern unentgeltlich zur Verfugung gestellt. Unterstrichen wurde das Ziel, die Medieninhalte möglichst breit zu streuen, auch durch den Aushang von Zeitungen in den Einheiten und an öffentlichen Plätzen. In dieser Phase wurde allerdings eine Neuerung eingeführt, die für die spätere Entwicklung von Bedeutung war. Im Jahr 1979 wurde den Medien erlaubt, wieder Werbung zu drucken bzw. zu senden. Der symbolische Wert dieser Entscheidung zum Beginn der Reform war groß, da die Zulassung von Werbung Teil der Reformpolitik war, die Marktmechanismen und Wettbewerb rehabilitierte (Lynch 1999, S. 56). Ein Großteil der Werbung in den achtziger Jahren war Industriewerbung. Die Werbeeinnahmen spielten zunächst aber keine wichtige Rolle für die Finanzierung der Medien. Noch Ende der achtziger Jahre trugen Werbeeinnahmen zum Beispiel nur etwa fünf Prozent zu den Gesamteinnahmen der Zeitungsverlage bei (Fischer 2001, S. 11 f). Attraktiv war die Aussicht auf Werbeeinnahmen dennoch bereits für einige ausgewählte Medienbetriebe, denn fast gleichzeitig erhielten diese die Erlaubnis, einen Teil ihrer Einnahmen zu behalten und als Löhne bzw. Boni an die Mitarbeiter zu verteilen. Die zweite Phase von etwa Mitte der achtziger Jahre bis Mitte der neunziger Jahre war eine Phase, in der die Zentralregierung realisieren mußte, daß ihre finanziellen und bürokratischen Kapazitäten nicht ausreichen würden, um die gewünschte Entwicklung und Verbreitung der Medien zu unterstützen. Bei den Printmedien führten steigende Kosten für Zeitungspapier, Postvertrieb und notwendige Erneuerungen der Produktionstechnik bei gleichzeitigem Anstieg der aufgelegten Medien zu einem erhöhten Finanzierungsbedarf, der durch die staatlichen Subventionen nicht mehr zu decken war (Shao und Liu 1998, S. 57 f.). Beim Rundfunk brauchte die Zentralregierung für die angestrebte Verbreitung des Femsehens und die Investitionen in das Kabelnetz Unterstützung (Zhao und Meng 2004, S. 52; Fischer 2003, S. 12). Daher wurde gezielt die Initiative der Regionalregierungen und anderer Behörden geweckt, um das Angebot an Printmedien und Fernsehkanälen auszudehnen und das Kabelnetz auszubauen. Zugleich wurde den Verlagen und Rundfunkstationen jetzt mehrheitlich erlaubt, Einnahmen einzubehalten und zu reinvestieren, ja sie wurden aufgefordert, sich zusätzliche Einnahmequellen
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zu erschließen, um die staatlichen Zuschüsse zu ergänzen und so ihr Entwicklungspotential zu vergrößern (Shao und Liu 1998, S. 64; Ai 2002, S. 29). Anfang der neunziger Jahre verschob sich das wirtschaftspolitische Ziel dahin, die staatliche Alimentierung der Medien abzubauen. Allerdings gibt es kaum Informationen darüber, inwieweit es in dieser Phase tatsächlich gelungen ist, die staatliche Finanzierung zurückzufahren. Angeblich sollen bis 1993 mehr als fünfzig Prozent der lokalen Zeitungsverlage finanziell selbständig gewesen sein (Shao und Liu 1998, S. 59). Zhao und Meng (2004, S. 53) schildern am Beispiel von China Central Television, wie in den achtziger Jahren durch eine vertragliche Deckelung der staatlichen Zuschüsse und die gleichzeitig eingeräumte Erlaubnis, Einnahmen einzubehalten, die Einnahmen des Senders gesteigert werden konnten. Neue Verträge in den neunziger Jahren beinhalteten in ähnlicher Form feste Abmachungen für die staatliche Unterstützung und Anreize für die Generierung von Einnahmen, allerdings wurden die staatlichen Zahlungen zurückgefahren. Es spricht tatsächlich einiges dafür, daß die Medien, insbesondere die erfolgreichen Zeitungen und Fernsehstationen, in der Lage waren, erhebliche Einnahmen über den Markt zu generieren. Dies zeigt unter anderem die Entwicklung der Werbeeinnahmen (Abbildung 1). In Shanghai sollen im Jahr 1992 die Werbe- und sonstigen Einnahmen der Fernsehbranche bereits das 5,5-fache der staatlichen Förderungen betragen haben {Zhao und Meng 2004, S. 55). Schätzungen zufolge finanziert sich das chinesische Fernsehen heute zu 90 Prozent aus Werbeeinnahmen. Insgesamt wurden die staatlichen Mittel für die Medienbranche also unwichtiger, auch wenn die staatliche Unterstützung absolut nicht unbedingt zurückging. Zu bedenken ist auch, daß vor allem die Werbeeinnahmen sehr stark auf wenige große Fernsehstationen und Zeitungen in Beijing, Shanghai und Guangzhou konzentriert sind, während die Medienbetriebe in den anderen Städten und Provinzen häufig nur geringe Werbeeinnahmen haben. Abbildung 1: Entwicklung des aggregierten Werbeumsatzes der chinesischen Massenmedien
Quelle: Xiandai Guanggao Zazhi She (2002); XNA News Research Group (2004)
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Diese zweite Phase kann einer entsprechenden chinesischen Parole folgend als Phase bezeichnet werden, in der die Medien „öffentliche Einrichtungen [waren], die wirtschaftlich wie Unternehmen arbeiten". Es wurde von den Medien erwartet, daß sie über den Markt Einnahmen generierten und gewinnorientiert arbeiteten. Parallel hatten die Massenmedien aber weiterhin die politische Aufgabe der Meinungsbeeinflussung zur Stabilisierung der politischen Machtverhältnisse, weswegen unter anderem die Idee aufrechterhalten wurde, daß sie ,öffentliche Einrichtungen' seien. Die Medien wurden zu Kuppelprodukten, in dem Sinne, daß sie gleichzeitig ,Werbekontakte' und .Politikkontakte' generieren sollten (Ollig 2004). Neben der Vorgabe von Propagandainhalten, die vor allem im Bereich der Nachrichtenproduktion aufrechterhalten wurde, gewann die Zensur in dieser Phase an Bedeutung. Die dritte Phase der Medienentwicklung setzte in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre ein, als auf breiter Front mit der Umstrukturierung der Verlage und Rundfunkanbieter in Unternehmensgruppen oder Konzerne begonnen wurde. Diese Phase kann dahingehend charakterisiert werden, daß die Medienbranche als Wirtschaftsbranche .entdeckt' wurde. Die wirtschaftlichen Aktivitäten der Medienbetriebe wurden nicht mehr vor allem als Voraussetzung für die Entwicklung der Medien gesehen. Die verschiedenen politischen und ökonomischen Akteure innerhalb und außerhalb der Branche realisierten vielmehr, daß das Mediengeschäft sehr ertragreich sein konnte. So wurde vermehrt darüber spekuliert, welches Marktpotential sich im Mediensektor noch verberge und inwieweit der Beitrag des Mediensektors zum Bruttosozialprodukt und zum Wirtschaftswachstum ausgedehnt werden könnte. Innerhalb der Medienkonzerne setzte zunehmend das Bemühen ein, dem neuen Gewicht der wirtschaftlichen Aktivitäten gerecht zu werden, indem die politischen und wirtschaftlichen Aufgaben institutionell voneinander getrennt wurden. Dies geschah nicht nur durch die Ausgliederung von ertragreichen Geschäftsbereichen in Tochterunternehmen, sondern auch durch die Strukturierung der Medien selber. So konnte bei den Zeitungskonzemen beobachtet werden, daß neben den parteinahen und eher politischen Aufgaben dienenden Zeitungen gezielt ertragversprechende Boulevardzeitungen (Abend- und Stadtzeitungen) mit in das Programm aufgenommen wurden und auch bei den Fernsehkanälen und -programmen eine deutliche Segmentierung in solche mit politischer Ausrichtung und solche mit größerem Unterhaltungswert erfolgte. Dies zielte darauf, den Einfluß der weniger gewinnträchtigen, parteinahen Zeitungen bzw. Kanäle und Programme innerhalb der Mediengruppen auf das wirtschaftliche Ergebnis zu minimieren und zugleich auch deutlich zu machen. Interessanterweise wurden in dieser Zeit aber nur Mediengruppen genehmigt, deren Kern bzw. .Mutter' eine Zeitung oder eine Rundfunkstation im .Besitz' einer Parteiorganisation war. Formal wurde weiterhin die Idee aufrechterhalten, daß es sich auch bei diesen Konzemen um öffentliche Einrichtungen, die lediglich wie Unternehmen wirtschaften, handele. Dies mutierte aber in vieler Hinsicht zu einer Fiktion, je mehr die Medienbetriebe dazu übergingen, Tochterunternehmen für die Distribution, für Werbung und andere Geschäftsbereiche zu gründen, die ihrerseits - teils legal, teils illegal - Kooperationen mit privaten und ausländischen Kapitalgeber eingehen und zum Teil sogar an der Börse notiert werden konnten (Stevenson-Yang 2003, S. 229).
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Zhou (2002, S. 28) charakterisiert die verwirrende Situation, indem er darauf hinweist, daß der formal-rechtliche Status der Unternehmensgruppen sehr unterschiedlich sei, da einige als unternehmerische Rechtspersonen (,qiye danwei faren') bei den zuständigen Verwaltungsbehörden für Industrie und Handel eingetragen seien (z.B. der Guangzhou Daily-Konzern), andere aber als ausschließlich in staatlichem Besitz stehende öffentliche Rechtspersonen (,shiye danwei faren') aufträten (z.B. Hunan TV). Bei anderen Unternehmensgruppen behielt zwar die , Mutter' den Status einer öffentlichen Einrichtung, doch wurden alle Vermögenswerte auf eine Tochtergesellschaft übertragen, die als GmbH bei den Verwaltungsbehörden registriert wurde und die Geschäfte für die Konzernmutter ausübt (Dazhong Daily (Shandong)). Viertens verblieben einige Unternehmensgruppen, deren Status völlig ungeklärt gewesen sei, da sie nicht einmal als Rechtspersonen registriert waren (Guangming Daily, Economic Daily). Trotz der vermehrten Anreize für die Medienbetriebe, wirtschaftlich erfolgreich zu sein, fehlte es nach wie vor an Mechanismen des Marktaustritts im Falle des Mißerfolgs. Neben den erfolgreichen Beispielen von Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehstationen gab es zahlreiche Beispiele kleinerer Medienbetriebe, die nur aufgrund der fortlaufenden Unterstützung durch lokale Regierungen und die Vergabe von Zwangsabonnements fortbestehen konnten. Für die lokalen Regierungen dienten die lokalen Medien noch immer als politisches ,Sprachrohr', weswegen sie bereit waren, diese auch bei mangelndem wirtschaftlichen Erfolg am Leben zu erhalten. Regional und .medial' blieben die Unternehmensgruppen bzw. -konzerne in dieser Phase beschränkt, d.h. Zusammenschlüsse über regionale Grenzen oder zwischen verschiedenen Medien erfolgten nicht. Diese Beschränkung resultierte letztlich aus der Entstehungsgeschichte der Medienbetriebe, die als öffentliche Einrichtungen' immer einer Regierungs- oder Parteiinstanz ,gehörten', weshalb interregionale oder intermediale Zusammenschlüsse zu Konflikten zwischen den zuständigen politischen Organisationen gefuhrt hätten. Die regionalen Partei- und Regierungsorgane fürchteten bei überregionalen Zusammenschlüssen nicht nur den Wegfall von Einnahmequellen, sondern auch den Verlust des direkten Zugriffs auf ,ihr' regionales Propagandasprachrohr. 7 Die jüngste und vierte Phase setzte sich mit dem XVI. Parteitag (2002) durch und erfuhr ihren vorläufigen Höhepunkt im Jahr 2003. Sie wurde nicht unmittelbar durch den Beitritt Chinas zur WTO ausgelöst, da die Beitrittsbedingungen für China nur geringe Auflagen für den Mediensektor vorsehen, etwa die Öffnung des Vertriebsbereichs für ausländische Beteiligungen. Trotzdem hat der WTO-Beitritt offensichtlich den Druck auf die Politik für Reformen auch in der Medienbranche erhöht. Zwei Überlegungen sind hier immer wieder anzutreffen: Zum einen die drohende Konkurrenz durch ausländische Anbieter, die zumindest im TV-Bereich schon teilweise in China aktiv werden dürfen. Die Medienunternehmen streben danach, international wettbewerbsfähig zu werden. Hierfür benötigen sie Ressourcen, ähnlich wie zu Beginn der achtziger Jahre, die sie u.a. durch Kooperationen mit dem Ausland erschließen wollen. Zum anderen
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Diese Befürchtungen wurden der Autorin in Interviews in den Jahren 2000 und 2004 mehrfach als Begründung für die Probleme bei regionenübergreifenden Kooperationen bzw. Fusionen genannt.
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wird auf die Bedeutung hingewiesen, welcher der Medienbranche im Zuge der Globalisierung zukommt - und zwar sowohl als Wirtschaftsfaktor, also auch als Instrument für die weltweite Verbreitung der chinesischen' Interpretation von Wirklichkeit. Die wichtigste formale Änderung in der Medienwirtschaftspolitik besteht bisher darin, daß diejenigen nachrichtenproduzierenden Einheiten, die gewinnorientiert arbeiten, keine öffentlichen Einrichtungen' mehr sein sollen, sondern Unternehmen, für die auch die entsprechende Untemehmensgesetzgebung gilt. Hiervon nicht betroffen sind ausgewählte Parteizeitungen und -Zeitschriften sowie alle Fernseh- und Radiosender. Deren ,Hauptaufgabe' bestehe weiterhin nicht darin, sich am Marktgeschehen zu beteiligen, sondern in „Dienstleistungen für die Propaganda- und geistige Kulturarbeit von Partei und Regierung" (Liu 2003). Den Provinzparteiorganen wird allerdings zukünftig nur noch der ,Besitz' einer Zeitung und einer Zeitschrift erlaubt, darüber hinausgehende Publikationen sollen entweder auf zentraler Ebene einen Medienbetrieb finden, dem sie sich anschließen können, oder den Vertrieb einstellen. Sofort verboten wurden die häufig politisch-administrativ durchgesetzten Zwangs-Abonnements. 8 Obwohl bisher nur mit der Umwandlung von Verlagen in Unternehmen experimentiert wurde, hat die neue Politik im Jahr 2003 im Bereich der Printmedien unmittelbar dazu geführt, daß das Erscheinen zahlreicher wirtschaftlich nicht tragfähiger Zeitungen und Zeitschriften eingestellt wurde. Eine Reihe von Zeitschriften, die weiterhin als wichtig für die Informationsverarbeitung innerhalb der Regierungs- und Parteiorgane galten, wurden in kostenlose Blätter umgewandelt (Klemm 2004, S. 636). Für die Genehmigung neuer Zeitungen und Zeitschriften ist künftig auch eine wirtschaftliche Machbarkeitsstudie mit einzureichen, außerdem soll ein Marktaustrittsmechanismus entwickelt werden (Shi 2004). Tatsächlich reichen die Auswirkungen der neuen Medienpolitik aber weiter. Sobald die Umwandlung der Medienbetriebe in Unternehmen vollzogen ist, wird auch die bisherige Praxis nicht aufrechtzuerhalten sein, daß die politisch zuständigen Organisationen, also insbesondere die Parteikomitees und Regierungen auf den verschiedenen administrativen Ebenen, zugleich die Eigentümer der Medienbetriebe sind. Shi Feng (2004) beschreibt dies dahingehend, daß die Interessenbande zwischen den .machthabenden Behörden' (,quanli bumen') und den Geschäften der Medienbetriebe aufgebrochen werden sollen. Dies bedeutet, daß für Medienunternehmen, die zu hundert Prozent im staatlichen Eigentum stehen, die staatliche Institution für die Verwaltung des Staatseigentums zuständig ist, die auf der entsprechenden Regierungsebene den Staat als Investor vertreten kann, also in der Regel das Finanzministerium auf der zentralstaatlichen Ebene und die entsprechenden Regierungsabteilungen auf lokaler Ebene (Liu 2003). Bei der Gründung von GmbHs oder Aktiengesellschaften, an denen der Staat beteiligt ist, müßte die Verantwortung für die Vermögensanteile des Staates konsequenterweise auf die Anfang 2003 eigens dafür eingerichtete Kommission zur Verwaltung des staatlichen Vermögens bzw. deren regionale Pendants übertragen werden, um das Staatseigentum möglichst effizient zu verwalten.
Die Subventionen und Steuervergünstigungen für Verlagsunternehmen sollen dagegen vorerst weiterhin gelten, mindestens bis 2008 (Liu 2003).
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Sofern die Medienbetriebe zu Unternehmen werden, gibt es keine Veranlassung mehr, sie diesbezüglich anders zu behandeln als andere Staatsunternehmen. Femer werden mit der Beschneidung der ökonomischen Interessen der bisherigen ,Eigentümer' auch die Argumente gegen Aktivitäten der Medienbetriebe auf Märkten außerhalb der eigenen Region geschwächt, ebenso die Argumente gegen Kooperationen zwischen unterschiedlichen Medienarten. Unterstrichen wird die neue wirtschaftspolitische Haltung gegenüber dem Mediensektor noch durch weitere Neuerungen, etwa daß Einnahmen aus Werbung und Gebühren künftig genauso hoch besteuert werden sollen wie andere Einnahmen (zuvor waren sie nicht in die ,Umsatzeinnahmen' (,yingye shouru') eingerechnet, sondern gesondert und günstiger besteuert (Zhao und Meng 2004, S. 55). Ferner sollen Experimente mit Konzernen von Medien, die nicht einer Parteiorganisation ,gehören', erlaubt werden (Shi 2004). Rechte privater Medienunternehmen werden ausgedehnt. Benötigten diese früher einen staatlichen Verlag oder Rundfunkanbieter, um in deren Auftrag produzieren zu dürfen, da nur diese Zugang zu den Produktionslizenzen hatten, können jetzt auch Lizenzen an Privatunternehmen vergeben werden. Die jüngste Phase der Medienpolitik umfaßt einen weiteren Aspekt, der in den vorangegangenen Ausführungen nicht behandelt wurde: Den nachrichtenproduzierenden Medien wird seit wenigen Jahren explizit nicht mehr (nur) die Aufgabe zugeschrieben, , Sprachrohr der Partei' zu sein. Von ihnen wird vielmehr auch erwartet, daß sie eine Art öffentlicher Kontrollfunktion ausüben und gegebenenfalls Mißstände wie Korruptionsvorfalle, Produktfälschungen etc. aufdecken. Die Rolle der Medien, ein Forum für eine öffentliche Meinungsbildung zu bieten, wurde wiederholt von Seiten der Politik betont. Diese Funktion der Medien wird in einem Zusammenhang gesehen mit den Anforderungen, welche eine moderne, international vernetzte Gesellschaft im , Informationszeitalter' an die Medien stellt (Stevenson-Yang 2003, S. 236 f.). Damit wird weitgehend eingestanden, daß Medieninhalte ein meritorisches öffentliches Gut darstellen, dessen Bereitstellung für die Entwicklung einer aufstrebenden (Wirtschafts-)Nation erforderlich ist. Damit fällt den Medien nun eine weitere Aufgabe zu. Sie sollen nicht nur die öffentliche Meinungsbildung zum Zwecke der Stabilisierung der Machtverhältnisse beeinflussen und wirtschaftlich erfolgreich sein. Zusätzlich sollen sie eine Art kritische, aber sicher nicht systemgefährdende Aufsichtsfunktion im Namen der Öffentlichkeit übernehmen. Damit entsteht aber ein neuer Zielkonflikt aus der Sicht der Medien. Es existiert nicht mehr länger nur ein ,trade-off zwischen politisch bedingten Eingriffen in die Inhalte einerseits und der Attraktivität eines Mediums für die Werbewirtschaft andererseits, sondern zusätzlich ein Konflikt zwischen dem Ziel der Beeinflussung der Medien zur Stabilisierung der Herrschaftsverhältnisse und der neuen Aufgabe der Medien, Forum einer kritischen Öffentlichkeit zu sein.
4.2. Verfügungsrechte und Verträge im Wandel Die vorangegangene zeitliche Strukturierung der Entwicklung der chinesischen Medien und Medienpolitik soll nun erneut aufgegriffen werden, um zu analysieren, wie sich die Struktur der Verfügungsrechte und die institutionellen Arrangements im Übergang von Phase zu Phase verändert haben.
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Da in der Phase vor der Reform und auch in der Anfangsphase der Reformen die Funktion der Medien vor allem in der Verbreitung von Propagandainhalten lag und keine wirtschaftlichen Interessen mit ihnen verfolgt wurden, erfüllten die Medieninhalte, wie zuvor ausgeführt, letztlich nicht das Kriterium eines ökonomischen Gutes. Die Bereitstellung der Medien erfolgte durch die politischen Organisationen. Da praktisch eine Einheit von Partei und Regierung existierte und die Medieninhalte fast vollständig vorgegeben und weitgehend vereinheitlicht waren, spielte die Trennung in ,Parteimedien' und andere Medien in dieser Phase noch keine Rolle. Die Verfügungsrechte an den für die physische Produktion der Medienträger notwendigen Betrieben lagen ausschließlich beim Staat und brauchten darüber hinaus auch nicht klar definiert zu sein. PrinzipalAgenten-Beziehungen existierten aufgrund der notwendigen arbeitsteiligen Produktion der Medien innerhalb der Betriebe (,Hierarchien'). Vertragsbrüche durch einzelne Journalisten oder Redaktionen der Art, daß sie verbotene Inhalte in die Medien schmuggelten', waren relativ unwahrscheinlich, zumal eine genaue Kontrolle vor der Publikation der Medien erfolgte. Alle Mitarbeiter in Medienbetrieben mußten Parteimitglieder sein, ferner bestand ein enges Kontrollsystem, das in Anbetracht der geringen Zahl der Medien auch gut funktionieren konnte. Darüber hinaus waren die Abschreckungsmechanismen wirksam und die Abhängigkeit der Agenten vom Prinzipal groß. Daß es allerdings in der Gesellschaft eine Nachfrage nach anderen Inhalten als Propaganda gab, zeigte sich in dem Moment, als die Medienpolitik etwas gelockert wurde. Die Entscheidung der politischen Führung, das Medienangebot auszudehnen, hing eng mit den veränderten Vorstellungen über den Charakter und die Funktionsweise der sozialistischen Wirtschaftsordnung zusammen (siehe oben). Die Umsetzung dieser Entscheidung erfolgte dadurch, daß die Zahl der Medien und die Breite der Themen bzw. Inhalte ausgedehnt wurden. Die Pluralisierung der Medien ging einher mit einer Streuung der Verfügungsrechte und einer Vervielfältigung der Prinzipal-Agenten-Verhältnisse. Zwar änderte sich nichts am Staatseigentum an den Medienbetrieben, aber zum Zwecke der Medienentwicklung traten Partei- und Regierungszentrale de facto Verfügungsrechte an die Regionen, Fachministerien etc. ab, denen die neuen Medien .gehörten'. Die Eigentumsrechte waren dabei nicht wirklich klar definiert (Lynch 1999, S. 41 f.), zumal die Möglichkeiten, mit Medien Einnahmen zu generieren, sich erst allmählich abzeichneten. Da das vorrangige Ziel in dieser Phase war, die Kosten der Medienverbreitung nicht allein aus dem nationalen Haushalt zu finanzieren, unterlag der Übertragung von Rechten zur Bereitstellung von Medien an Gebietskörperschaften, Ministerien etc. ein teils impliziter, teils expliziter Vertrag: Die neuen Eigentümer' sollten ihre Investitionen damit kompensieren können, daß sie einerseits ihr eigenes Medium zur Selbstdarstellung bekamen und ihnen andererseits die Verfügungsrechte über die Einnahmen aus dem Mediengeschäft (,usus fructus') zufielen. Im Gegenzug verpflichteten sich die neuen Eigentümer, die Kosten der Medienverbreitung zu tragen, gewisse von der Zentrale vorgegebene Inhalte in ihre Medien zu integrieren und sich an der Kontrolle über die Inhalte zu beteiligen. Die Übertragung von Eigentumsrechten ging aber nicht über den ,usus fructus' hinaus. Die Entscheidungshoheit über die Gründung, Veränderung und Schließung von Medienbetrieben blieb bei den zentralen Organen der KPCh.
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Die neuen ,Eigentümer' gingen wiederum ein ähnliches Vertrags Verhältnis mit den ihnen zugeordneten Medienbetrieben ein. Der ökonomische Auftrag bestand zunächst darin, überhaupt Einnahmen zu generieren, Anreize hierzu wurden durch das Recht geschaffen, Teile der Einnahmen einzubehalten und für Investitionen bzw. Zusatzleistungen für die Mitarbeiter zu nutzen. Ein Teil der Verfugungsrechte über die Erträge wurde also an die Betriebe bzw. das Management derselben übertragen. Die Medienbetriebe ihrerseits erhielten in dieser Phase bereits die Möglichkeit, Inhalte, die „keinen politischen und keinen Nachrichtencharakter" hatten, also zum Beispiel Zeitungsbeilagen oder -kolumnen und einzelne Rundfunkprogramme, extern zu beziehen (Shao und Liu 1998, S. 61). Außerdem wurden ab 1989 verschiedene Formen des Vertraglichen Verantwortungssystems auch in den Medienbetrieben angewendet. Die häufigste Form eines derartigen Vertragsarrangements bestand darin, Mitarbeitern des eigenen Hauses die Gestaltung und Produktion einer Seite, Kolumne oder eines Programms zu übertragen, aber mit der Einholung von entsprechenden Werbeaufträgen Werbefirmen zu beauftragen. Diese Form der Arbeitsteilung erlaubte eine Konzentration auf die eigentliche Produktion und damit auch eine weitgehende inhaltliche Kontrolle sowie relativ stabile Einnahmen. Als Nachteil erwies sich laut Shao und Liu (1998, S. 63) bei dieser Art des Fremdbezugs bereits in dieser Phase, daß die Werbeagenturen aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus gelegentlich versuchten, die Medieninhalte im Sinne der Werbekunden zu beeinflussen. Grundsätzlich änderte sich auch in der dritten Phase an diesem Vertragsschema .finanzielle Anreize im Gegenzug für politische Willfahrigkeit' nichts, aber es traten gewisse Verschiebungen in den Interessen der Beteiligten ein. Zum einen wurde deutlich, daß die Medienbranche potentiell dazu geeignet war, hohe Renditen zu erwirtschaften. Dies weckte Begehrlichkeiten und erhöhte vor allem bei den staatlichen Prinzipalen und bei Branchenexternen das Interesse daran, die Eigentumsverhältnisse zu klären. Die unklaren Eigentumsverhältnisse und der unklare Rechtsstatus der Medienbetriebe arbeiteten nämlich grundsätzlich für die Interessen der Betriebe und ihrer Mitarbeiter. Die neuen Konzernstrukturen waren sogar eher dazu geeignet, die genaue Einkommenssituation gegenüber den Prinzipalen zu verschleiern als sie transparenter zu machen. Gleichzeitig trat ein Dilemma, das die chinesische Medienbranche letztlich von anderen Branchen unterscheidet, immer deutlicher zutage: Die Zielerfullung des einen, nämlich des politischen oder Propaganda-Auftrages der Medien konnte die Zielerreichung des wirtschaftlichen Auftrages beeinträchtigen und umgekehrt. Die zunehmende Orientierung der Medien an wirtschaftlichen Erfordernissen verstärkte auch die Konkurrenz unter den Medien. Die Entstehung immer neuer Medienprodukte (Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehstationen etc.) führte zu verschärfter Konkurrenz auf dem nationalen und auf lokalen Märkten. Zusätzlich entwickelte sich in den 90er Jahren das Internet als neuer Konkurrent. Der Wettbewerb um Werbeeinnahmen zwang zu stärkerer Orientierung am Geschmack der Medienkonsumenten, um so Werbekontakte zu sichern. Die Medienkonsumenten waren zunehmend an moderner Berichterstattung interessiert, also insbesondere an zeitnaher Information, und an modernen Programmformaten (z.B. Talkshows). Diese Markterfordernisse sind aber mit einer detaillierten ex-ante-Kontrol-
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le von Medieninhalten durch den politischen Auftraggeber nicht zu vereinbaren. Insbesondere im Zeitungsmarkt wurde der Widerspruch zwischen den Aufträgen deutlich, da es meist gerade die sogenannten Parteizeitungen waren, die an den wachsenden Werbebudgets nicht teilhatten und in finanziellen Schwierigkeiten steckten. Hier diente die Schaffung von Unternehmensgruppen, in denen kommerziell und politisch orientierte Medien zusammengefaßt werden, ganz klar einer Querfinanzierung der politischen Aufgaben durch die kommerziell erfolgreichen Produkte. Die Entwicklungen der jüngsten Phase deuten bisher darauf hin, daß die letztlich künstliche Trennung in politische und nicht-politische Inhalte aufrechterhalten wird. Die Medien werden unterteilt in solche, die ein rein privates Gut produzieren, und solche, die einen Auftrag zur Produktion von Propaganda und zur Meinungsmanipulation haben. Die erste Gruppe von Medienbetrieben wird in Unternehmen umgewandelt. Dadurch wird voraussichtlich ihre wirtschaftliche Situation für die (bisherigen oder neuen) Prinzipale und die Steuerbehörden transparenter, zugleich wird prinzipiell der Weg zur Beteiligung von privatem Kapital und zur Privatisierung vorbereitet. Die anderen Medienbetriebe, d.h. die parteinahen Zeitungen und Zeitschriften sowie der gesamte Rundfunk, sind hiervon vorerst ausgenommen. Soweit sie durch erfolgreiche Kuppelproduktion marktfähig sind, werden sie weiterhin kommerziell vertrieben, dort wo sie reinen Propagandacharakter haben und deshalb nicht marktfähig sind, werden sie konsequenterweise kostenlos verteilt. Verknüpft mit diesen Entwicklungen ist eine Rezentralisierung der Verfügungsrechte, denn zum einen wurde die Zahl der Parteizeitungen auf lokaler Ebene stark reduziert, zum anderen treffen die angelegten wirtschaftlichen Erfolgskriterien für die Weiterführung der sonstigen Zeitschriften insbesondere die lokalen Medien. Damit hat die Zentralregierung im Bereich der Printmedien eine ähnliche Rezentralisierung der Verfügungsrechte durchgesetzt, wie sie seit 2001 im Rundfunk durch die Schließung lokaler Rundfunksender und die Aufsichtsfunktion über das Kabelnetz auf nationaler Ebene stattfindet (,Fischer 2003). Eine wichtige Frage bleibt in Anbetracht der neuen Aufgabenteilung allerdings bestehen: Welchen Medien fällt bei der neu getroffenen Unterteilung in rein kommerzielle und in politische nachrichtenproduzierende Medien die Aufgabe zu, den neuerdings befürworteten Journalismus im Dienste einer kritischen Öffentlichkeit zu betreiben?
5. Zensur und Manipulation im Zuge der Kommerzialisierung Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, daß im Verlauf der Reformen die wirtschaftliche Ausrichtung der Medienbetriebe einen immer größeren Stellenwert bekommen hat, und dies ganz real und nicht nur auf der Ebene der wirtschaftspolitischen Lippenbekenntnisse. Die Aufwertung der ökonomischen Funktionen der Medien hat allerdings den politischen Auftrag nicht zunichte gemacht, sondern dazu gefuhrt, daß mit neuen Strukturen der Verfugungsrechte und speziellen institutionellen Arrangements versucht wurde, beide Funktionen der Medien zielgerecht und kostengünstig miteinander zu verbinden.
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Die Rolle der Propaganda im Sinne der Vorgabe von konkreten Inhalten durch die Partei war dabei in der Anfangszeit das dominierende Instrument zur Gewährleistung der politischen Zielsetzung. Diese Vorgaben von Inhalten hat sich bis heute in gewissen Bereichen erhalten, zum Beispiel in der Verpflichtung von regionalen Femsehkanälen, zu bestimmten Zeiten täglich die Hauptnachrichten von CCTV zu übertragen, oder in vorgeschriebenen Berichterstattungen in den Medien anläßlich wichtiger politischer Ereignisse. Die Unverkäuflichkeit von reinen Propagandainhalten bzw. der negative Einfluß, den so offensichtlich gesteuerte Inhalte auf die Verkaufszahlen bzw. Einschaltquoten der Medien haben können, führte mit der Zeit dazu, daß Propaganda in den meisten Medien an Bedeutung verlor. Um so wichtiger wurde die Rolle von Zensur und Selbstzensur. Obwohl derartige Entwicklungen schwer zu quantifizieren sind, weil Zensur nur bedingt öffentlich wirkt, sind sich ausländische Beobachter der chinesischen Medien weitgehend einig, daß die Kontrolle über die Medien durch Zensur nicht wirklich nachgelassen hat {Klemm 2004, S. 637, Reporters without borders 2004), sondern lediglich das Spektrum der Themen, die politisch brisant sind, kleiner geworden ist. Der Charakter des politischen Vertrages, der zwischen dem Prinzipal einerseits und den Agenten in den Medienbetrieben andererseits geschlossen wird, macht das Fortbestehen der Zensur sogar notwendig: Da die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Entwicklungen, die im Zuge der Medienproduktion zu Medieninhalten verarbeitet werden, nicht vorhersehbar sind, können Prinzipal und Agent nur unvollständige Verträge über den Gegenstand des politischen Auftrages abschließen. Die behördliche Zensur, die regelmäßig neu vorzeichnet, welche Inhalte und Interpretationen erlaubt oder verboten sind, erfüllt damit letztlich die Funktion, den Auftrag des Prinzipals immer neu zu konkretisieren und Willkür zu vermeiden. Es gibt Hinweise dafür, daß zwar die Funktion der Zensur in den verschiedenen Phasen gleichgeblieben ist, daß aber vor dem Hintergrund der Kommerzialisierung des Mediensektors und der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung die Sanktionsmechanismen, die eingesetzt werden, um die Zensur durchzusetzen, sich verändert haben und heute verstärkt ökonomischer Natur sind. So hat sich einerseits die Einkommenssituation der Mitarbeiter in den Medienbetrieben deutlich verbessert, andererseits droht Redakteuren und Mitarbeitern im Falle von opportunistischem Verhalten, also in Fällen, in denen sie politisch unerwünschte Dinge veröffentlichen, heute in der Regel nicht mehr Gefängnis oder Arbeitslager, sondern die Zerstörung der beruflichen Existenz, indem zum Beispiel ihre Zulassung nicht verlängert wird.9 In der jüngsten Phase der Entwicklung sind nun zwei weitere Fragen aufgetreten, für die bisher von Seiten der chinesischen Medienpolitik geeignete Antworten fehlen: Die erste Frage betrifft den wachsenden Einfluß ökonomischer Interessen auf die Medieninhalte. Zwar gibt es ein klares Verbot gezahlter' Nachrichten, also der Verbreitung von als Nachrichten getarnter Werbung. Dieses Verbot ist aber nicht in der Lage, (Selbst-)Zensur der Medien, die auf Druck von Unternehmen hin erfolgt, zu verhindern.
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Diese Einschätzung basiert u.a. auf Interviews mit chinesischen Journalisten in 2003 und 2004, deren Namen an dieser Stelle aus verständlichen Gründen nicht genannt werden können.
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In der Vergangenheit sind inzwischen mehrfach Fälle bekannt geworden, in denen derartiger Druck ausgeübt wurde. Die Redaktionen in den Medien sehen sich mit dem Problem konfrontiert, daß durch die Verschiebung der wirtschaftlichen Abhängigkeiten auch neue ,Prinzipale' entstehen. Die zweite Frage betrifft die Forderung, daß die Medien auch eine Aufsichtsfunktion übernehmen und dazu beitragen sollen, Mißstände in der Gesellschaft aufzudecken. So sehr diese neue Erwartung an die journalistische Arbeit zunächst positiv klingt, so bleibt in der journalistischen Praxis die Frage, wo die Grenze zwischen einem investigativen Journalismus, der auch politische Mißstände, wie Korruption, aufdeckt, und einem Journalismus, der dem Ziel der Meinungsbeeinflussung zum Zwecke der Stabilisierung der Machtverhältnisse entgegensteht, verläuft? Diese Frage kann durch Zensur und Selbstzensur nicht befriedigend beantwortet werden. Die Anerkennung, daß die Medieninhalte auch den Charakter eines meritorischen öffentlichen Gutes haben, untergräbt die Grundlagen der bisherigen institutionellen Arrangements. Es ist damit abzusehen, daß weitere Veränderungen in der Struktur der Verfugungsrechte und den institutionellen Arrangements im chinesischen Mediensektor folgen müssen.
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Autoren
Dr. Christoph Brumann ist wissenschaftlicher Assistent am Institut für Völkerkunde der Universität zu Köln. Dr. Doris Fischer ist wissenschaftliche Assistentin im Fachgebiet Ostasienwirtschaft/ China am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Dr. Rüdiger Frank ist Universitäts-Professor für Koreanologie am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien. Dipl.-Regionalwiss. Manja Jonas ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Ostasienwirtschaft/Wirtschaftspolitik am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Dr. Werner Pascha ist Universitäts-Professor für Ostasienwirtschaft/Wirtschaftspolitik am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Dipl.-Ökonom Matthias Schramm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Ostasienwirtschaft/China am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Dr. Bernhard Seliger ist Leiter des Büros der Hanns-Seidel-Stiftung in Seoul, Korea. Dr. Cornelia Storz ist Universitäts-Professorin für Japanische Wirtschaft am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften und am Japan-Zentrum der Philipps-Universität Marburg. Dr. Markus Taube ist Universitäts-Professor für Ostasienwirtschaft/China am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Duisburg-Essen.
Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft Lucius&Lucius Verlags-GmbH, Stuttgart, ISSN 1432-9220 (bis Band 51: „Schriften zum Vergleich von Wirtschaftsordnungen") Herausgegeben von Gernot Gutmann, Hannelore Hamel, Helmut Leipold, Alfred Schüller, H. Jörg Thieme unter Mitwirkung von Dieter Cassel, Hans-Günter Krüsselberg, Karl-Hans Hartwig, Ulrich Wagner
Band 76: Rolf Hasse und Uwe Vollmer (Hg.), Incentives and Economic Behaviour, 2005, X/134 S., 32,00 €, ISBN 3-8282-0308-6. Band 75: Martin Leschke und Ingo Pies (Hg.), Wissenschaftliche Politikberatung: Theorien, Konzepte, Institutionen, 2005, X/432 S , 38,00 €, ISBN 3-8282-0304-3. Band 74: Thomas Apolte, Rolf Caspers und Paul J.J. Weifens (Hg.), Ordnungsökonomische Grundlagen nationaler und internationaler Wirtschaftspolitik, 2004, X/236 S., 34,00 €, ISBN 3-8282-0293-4. Band 73: Hubertus Bardt, „Arbeit" versus „Kapital" - Zum Wandel eines klassischen Konflikts, 2003, X/177 S., 32,00 €, ISBN 3-8282-0277-2. Band 72: Dieter Cassel und Paul J.J. Weifens (Hg.), Regionale Integration und Osterweiterung der Europäischen Union, 2003, VIII/543 S., 42,00 €, ISBN 3-8282-0278-0. Band 71: Alfred Schüller und H. Jörg Thieme (Hg.), Ordnungsprobleme der Weltwirtschaft, 2002, VIII/524 S., 42,00 €, ISBN 3-8282-0231-4. Band 70: Alfred Schüller, Marburger Studien zur Ordnungsökonomik, 2002, X/348 S., 32,00 €, ISBN 3-8282-0221-7. Band 69: Dirk Wentzel, Medien im Systemvergleich, 2002, XVII/268 S., 38,00 €, ISBN 3-82820220-9. Band 68: Thomas Apolte und Uwe Vollmer (Hg.), Arbeitsmärkte und soziale Sicherungssysteme unter Reformdruck, 2002, 454 S., 36,00 €, ISBN 3-8282-0204-7.
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DirckSüß, Privatisierung und öffentliche Finanzen: Zur Politischen Ökonomie der Transformation, 2001, 236 S., 31,00 €, ISBN 3-8282-0193-8.
Band 65: Yvonne Kollmeier, Soziale Mindeststandards in der Europäischen Union im Spannungsfeld von Ökonomie und Politik, 2001, 158 S„ 29,00 €, ISBN 3-8282-0179-2. Band 64: Helmut Leipold und Ingo Pies (Hg.), Ordnungstheorie und Ordnungspolitik: Konzeptionen und Entwicklungsperspektiven, 2000, 456 S., 42,00 €, ISBN 3-8282-0145-8. Band 63 : Bertram Wiest, Systemtransformation als evolutorischer Prozeß: Wirkungen des Handels auf den Produktionsaufbau am Beispiel der Baltischen Staaten, 2000, 266 S., 34,00 €, ISBN 3-8282-0144-X. Band 62: Rebecca Strätling, Die Aktiengesellschaft in Großbritannien im Wandel der Wirtschaftspolitik: Ein Beitrag zur Pfadabhängigkeit der Unternehmensordnung, 2000, 270 S„ 31,00 €, ISBN 3-8282-0128-8. Band 61 : Carsten Schittek, Ordnungsstrukturen im europäischen Integrationsprozeß: Ihre Entwicklung bis zum Vertrag von Maastricht, 1999, 409 S., 39,00 €, ISBN 3-8282-0108-3. Band 60: Peter Engelhard und Heiko Geue (Hg.), Theorie der Ordnungen: Lehren für das 21. Jahrhundert, 1999, 369 S., 36,00 €, ISBN 3-8282-0107-5. Band 59: Thomas Brockmeier, Wettbewerb und Unternehmertum in der Systemtransformation: Das Problem des institutionellen Interregnums im Prozeß des Wandels von Wirtschaftssystemen, 1999, 434 S., 39,00 €, ISBN 3-8282-0097-4. Band 58: Karl-Hans Hartwig und H. Jörg Thieme (Hg.), Finanzmärkte: Funktionsweise, Integrationseffekte und ordnungspolitische Konsequenzen, 1999, 556 S , 42,00 €, ISBN 3-8282-0094-X. Band 57: Dieter Cassel (Hg.), 50 Jahre Soziale Marktwirtschaft: Ordnungstheoretische Grundlagen, Realisierungsprobleme und Zukunftsperspektiven einer wirtschaftspolitischen Konzeption, 1998, 782 S., 49,00 €, ISBN 3-8282-0057-5.
Studien zur Ordnungsökonomik (bis Nr. 21: „Arbeitsberichte zum Systemvergleich") Herausgegeben von Alfred Schüller
Die Forschungsstelle zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme der PhilippsUniversität Marburg hat seit 1982 in ihren „Arbeitsberichten zum Systemvergleich" aktuelle ordnungstheoretische und ordnungspolitische Forschungsergebnisse veröffentlicht. Seit 1994 werden diese Arbeitsberichte von der neu gegründeten Marburger Gesellschaft für Ordnungsfragen der Wirtschaft e. V. (MGOW) herausgegeben. Ab Heft 22 erscheint die Reihe unter dem Titel „Studien zur Ordnungsökonomik" im Verlag Lucius & Lucius, Stuttgart.
Lieferbare Titel: Studie 29 • Alfred Schüller (Hg.), Orientierungen für ordnungspolitische Reformen: Walter Hamm zum 80. Geburtstag, 2003, 79 S., 15.00 €, ISBN 3-8282-0259-4. Studie 28 • Ulrich Fehl und Alfred Schüller, Wettbewerb und weltwirtschaftliche Integration: Triebkräfte des Transformationsprozesses, 2002, 56 S., 14.00 €, ISBN 3-8282-0232-2. Studie 27 • Helmut Leipold, Islam, institutioneller Wandel und wirtschaftliche Entwicklung, 2001, 44 S., 14,00 €, ISBN 3-8282-0206-3. Studie 26 • Thomas Döring und Dieter Stahl, Institutionenökonomische Aspkete der Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs: Anmerkungen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über ein „Maßstäbegesetz" für den Länder finanz ausgleich, 2000, 47 S., 14,00 €, ISBN 3-8282-0157-1. Studie 25 • Gerrit Fey, Unternehmenskontrolle und Kapitalmarkt: Die Aktienrechtsreformen von 1965 und 1998 im Vergleich, 2000, 83 S., 14,90 €, ISBN 3-8282-0140-7. Studie 24 • Ludger Wößmann, Dynamische Raumwirtschaftstheorie und EU-Regionalpolitik: Zur Ordnungsbedingtheit räumlichen Wirtschaftens, 1999,105 S., 16,00 €, ISBN 3-8282-0124-5. Studie 23 • Ralf L. Weber +, Währungs- und Finanzkrisen: Lehren für Mittel- und Osteuropa? 1999, 42 S., 14,00 €, ISBN 3-8282-0112-1. Studie 22 • Alfred Schüller / Christian Watrin, Wirtschaftliche Systemforschung und Ordnungspolitik: 40 Jahre Forschungsstelle zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme der Philipps-Universität Marburg, 54 S., 9,90 €, ISBN 3-8282-0111-3.
Lucius & Lucius, Stuttgart