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German Pages [368] Year 1995
V&R
Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte
Herausgegeben von Adolf Martin Ritter
Band 63
Göttingen · Vandenhoeck & Ruprecht · 1995
Geglaubte Wahrheit Das Theologieverständnis Wilhelms von Ockham
von
Volker Leppin
Göttingen · Vandenhoeck & Ruprecht · 1995
Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnahme
Leppin, Volker: Geglaubte Wahrheit: das Theologieverständnis Wilhelms von Ockham / von Volker Leppin. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1995 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte; Bd. 63) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-525-55173-8 NE: G T
Gedruckt mit Unterstützung der Forschungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort
© 1995 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen
Vorwort
Die hier vorliegende Arbeit wurde 1993 abgeschlossen und im Sommersemester 1994 von der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Für den Druck habe ich sie nur leicht überarbeitet - insbesondere durch eine Übersetzung der lateinischen Zitate im fortlaufenden Text. Da das Entstehen der Arbeit nicht nur eine Sache zwischen Ockham und mir war, folge ich gerne dem Brauch, an dieser Stelle vielfältigen Dank zu sagen. In erster Linie gilt er meinem kirchengeschichtlichen Lehrer und Doktorvater, Prof. Dr. Gottfried Seebaß: Er weckte in mir schon in meinen ersten Heidelberger Jahren die Begeisterung für die Kirchengeschichte, gab mir dann die Freiheit, im Rahmen meiner Dissertation eigene Wege einzuschlagen, und bewahrte mich durch seine kritische Begleitung davor, daß daraus Sackgassen wurden. Das Korreferat übernahm Prof. Dr. Adolf Martin Ritter. Mit detailreichen Ratschlägen half er mir, weit über die damit verbundenen Pflichten hinausgehend, bei der Vorbereitung der Drucklegung. Hierfür gilt ihm mein Dank ebenso wie - in Gemeinschaft mit dem Verleger Dr. Arndt Ruprecht für die Aufnahme meiner Arbeit in die "Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte". Noch von vielen anderen habe ich Hilfe und Unterstützung empfangen: Prof. Dr. Jürgen Miethke stellte mir nicht nur bereitwillig Teile seiner Bibliothek zur Verfügung, sondern ließ mich auch an seinem breiten Wissen über den Venerabiiis Inceptor teilhaben. Prof. Dr. Reinhard Düchting half mir, wann immer ich als Fachfremder latinistische Fragen hatte, freundlich und voller Einsatz weiter. Das Grabmann-Institut in München gewährte mir in zuvorkommender ökumenischer Verbundenheit Einblick in seine umfangreiche Handschriften-Mikrofilmsammlung. Für all diese Unterstützung, ohne die das Werk nicht geworden wäre, was es ist, sage ich Dank. Ebenso bedanke ich mich bei der Studienstiftung des deutschen Volkes für die langjährige Förderung vom Studienbeginn bis zum Abschluß der Promotion und bei der VG Wort für die großzügigen Zuschüsse, die die Drucklegung erst ermöglicht haben.
Heidelberg, im Mai 1995
Inhalt Einleitung
13
1. Kapitel: Die scientia proprie dicta 1. Klärungen zum Text des Sentenzenkommentars 1.1. Die redactio completa 1.2. Das Verhältnis von Ordinatio und Reportado 2. Wissenschaftliche Erkenntnis und Wissenschaft
17 17 27 30
3. Die sc/enria-Definition Ockhams 3.1. Der Bezug der jrie«ria-Definition des Sentenzenkommentars auf die wissenschaftliche Erkenntnis 3.2. Die mittelbare Aristotelesrezeption in Ockhams Definition wissenschaftlicher Erkenntnis im Sentenzenprolog 4. Das Objekt wissenschaftlicher Erkenntnis 4.1. Wissenschaftliche Erkenntnis und ihr Objekt 4.2. Die Merkmale des Objektes wissenschaftlicher Erkenntnis: Wahrheit und Notwendigkeit 4.3. Die Grundlage: Ontologie bei Ockham 4.3.1. Wahrheit und Realität 4.3.2. Gottes potentia absoluta 4.3.3. Die ontische Grundlage begrifflicher Notwendigkeit
34 34 36 39 39 41 42 42 45 51
EXKURS: D I E UNIVERSALIEN
59
4.3.4. Wissenschaftliche Erkenntnis und Ontologie 5. Merkmale wissenschaftlicher Erkenntnis 5.1. Die Methode: Logik 5.2. Der Ausgangspunkt: Unmittelbar evident erkannte Prinzipien 5.2.1. Selbstevident erkannte Prinzipien 5.2.2. Auf Erfahrung fußende Prinzipien 5.2.3. Evidenz 5.3. Der Gewißheitsgrad: Evidenz 5.3.1. Mittelbare Evidenz 5.3.2. Wissenschaftlichkeit und Evidenz 5.4 Fazit: Die Wesensstruktur wissenschaftlicher Erkenntnis
64 64 64 66 66 67 70 82 82 83 88
8
Inhalt 6. Die Unterscheidung der scientiae voneinander 6.1. Das subiectum scientiae 6.1.1. Ontisches und noetisches subiectum scientiae 6.1.2. Die Bedeutung des Prädikats für die Charakterisierung der wissenschaftlichen Erkenntnis 6.1.3. Der Gegenstand der Wissenschaft 6.2. scientiapractica und speculativa 6.2.1. Die Unterscheidung von scientia practica und speculativa 6.2.2. Die Möglichkeit, Wissenschaft als ganze zu charakterisieren 7. Die Systematik der Wissenschaften 7.1. Andeutungen einer Wissenschaftssystematik im Sentenzenprolog 7.2. Die Sonderrolle der Logik 7.2.1. Die Sonderrolle der Logik in der Ordinatio 1.2.2. Die Zentralstellung der Logik in der Expositio Artis Logicae 7.3. Die Wissenschaftssystematik im Physikprolog 8. Ergebnisse
89 90 90 91 96 97 97 100 101 101 105 105 107 108 110
2. Kapitel: Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes nach dem Sentenzenkommentar 1. theologia in se 2.
theologia Dei
Ill 115
3. theologia beatorum
117
4. Die dem Erdenpilger mögliche Gotteserkenntnis 4.1. Das Defizit der faktischen Gotteserkenntnis des Erdenpilgers (viator) 4.2. Die mögliche Gotteserkenntnis des Erdenpilgers 4.3. Die weiteren Möglichkeiten auf Erden de potentia absoluta
120 120 121 123
EXKURS: D E R ANGRIFF JOHANNES' X X I I . AUFOCKHAMS
raptus-LEHRE
127
4.4. Die dem Erdenpilger de potentia absoluta mögliche evidente Erkenntnis theologischer Wahrheiten 4.5. Die Möglichkeit wissenschaftlicher Gotteserkenntnis 4.6. Der erkenntnistheoretische Fragehorizont
135 135 141
5. Die faktische Gotteserkenntnis des Erdenpilgers
142
Inhalt 5.1. Die theologia nostra als irdische Gotteserkenntnis 5.2. Konzeptuelle Erkenntnis 5.3. Folgerungen aus der Konzeptualität irdischer Gotteserkenntnis 5.3.1. Der Mangel an Evidenz und Wissenschaftlichkeit 5.3.2. Die Möglichkeit metaphysischer Gotteslehre: Der Beweis der Existenz Gottes 5.3.3. Das Ockhamsche Argumentationsdefizit: Wie kann das Wesen Gottes wissenschaftlich erkannt werden? 5.3.4. Die Änderung des Problemhorizontes in den Quodlibeta 6. Der theologische Horizont 6.1. Die Funktion der theologia beatorum 6.1.1. Thomas: Die theologia beatorum als Stabilisierungsfaktor für die Wissenschaftlichkeit der Theologie auf Erden 6.1.2. Die theologia beatorum als Gegenbild zur theologia nostra bei Wilhelm von Ware und seinen Nachfolgern 6.1.3. Die Eschatologie als der theologische Rahmen der theologischen Erkenntnistheorie bei Ware und den englischen Franziskanern 6.2. Die argumentative Leistung der Lehre von der theologia beatorum und der theologia nostra im Hinblick auf die apologetische Situation 7. Zwischenergebnis
3. Kapitel: Die akademische Theologie als scientia large dicta nach dem Sentenzenprolog 1. Ockhams Grundlegung der Theologie zwischen Glaube und Studium 1.1. Theologie und Glaube 1.2. Die Zuordnung der fides zu den intellektualen Habitus.., 1.2.1. Das Problem: Der Mangel an Evidenz als Unterschied von fides und intellektualen Habitus 1.2.2. Die Vorgeschichte des Problems 1.2.3. Ockhams Einordnung der fides in das Schema der habitus intellectuales
10
Inhalt
2.
3.
4.
5.
6.
1.3. fides adquisita und fides infusa 1.3.1. Die Unterscheidung nach Sent III q.9 1.3.2. Die Parallelisierung zum aristotelischen habitus- Schema 1.3.3. Spannungen zwischen Sent III q.9 und Sentenzenprolog 1.4. Der theologische Habitus nach Sent I Prol q.7 1.4.1. Die Bedeutung des Glaubens für den theologischen Habitus 1.4.2. Die Frage nach der Wissenschaftlichkeit des theologischen Habitus 1.4.3. Die Besonderheit des Theologen gegenüber den Gläubigen 1.4.4. Der historische und systematische Kontext der Ockhamschen Lehre vom theologischen Habitus Der Ausgangspunkt der Theologie 2.1. Die Verwiesenheit der Theologie auf Autoritäten 2.2. Die Autoritätsinstanzen im Sentenzenkommentar 2.2.1. Die Heilige Schrift 2.2.2. Die Kirchenlehre 2.2.3. Die Sancii 2.2.4. Der Konsens der Theologen 2.2.5. Das Verhältnis der Autoritäten zueinander Einheit und Pluralität in der akademischen Theologie 3.1. Einheit und Pluralität des theologischen Habitus 3.2. Die Gegenstände der Theologie 3.3. theologiapractica oder speculativa? Die Modalität der theologischen Wahrheiten 4.1. Noetische Notwendigkeit und Heilsnotwendigkeit 4.2. Notwendigkeit und Kontingenz 4.3. Die Grundlage der Theologie: Gottes Sein und Gottes Handeln 4.4. Theologie und potentia Dei Die Frage der Methode der Theologie 5.1. Die Auslegung der Autoritäten 5.1.1. Der theoretische Hintergrund der Ockhamschen Autoritätenexegese in Abaelards Sic-et-Non-Methode 5.1.2. Formale Evidenz 5.2. Die Grenzen der Logik Ergebnis: Die Theologie als scientia large dicta
186 186 189 190 191 191 195 200 201 203 203 204 204 209 213 218 219 221 221 223 225 228 228 230 233 234 235 235
235 237 239 244
Inhalt 7. Der ursprüngliche Rezeptionskontext der Ausführungen Ockhams zum Theologieverständnis 7.1. Die Streitigkeiten zwischen Dominikanern und der Universität Oxford 7.2. Die Beteiligung der Franziskaner am Streit 7.3. Ockham und der Streit zwischen Dominikanern und Universität 7.4. Begründungszusammenhang und Rezeptionskontext
11 246 246 249 250 253
4. Kapitel: Ockhams Theologieverständnis in der nachakademischen Phase: Kontinuitäten und Diskontinuitäten 1. Ockhams Theologiekonzeption in neuer Perspektive: Häresieanklage und Eucharistietraktate 1.1. Ockhams Eucharistietraktate im Dienst der Verteidigung gegen Häresievorwürfe 1.2. Modifikationen des Theologieverständnisses in den Eucharistietraktaten 1.3. Die Bedeutung der Eucharistietraktate für Ockhams Theologieverständnis
255 255 262 271
2. Ockhams Theologieverständnis in seinem publizistischen Schrifttum 274 2.1. Der große Bruch: Avignon 274 2.2. Relikte des erkenntnistheoretisch-wissenschaftstheoretischen Rahmens 274 2.2.1. Der Streit um die visio beata 274 2.2.2. Die Gotteserkenntnis des Erdenpilgers 282 2.3. Die Autoritätenfrage nach Avignon 284 2.3.1. Die Restkirche 284 2.3.2. Die grundlegenden Autoritäten 292 2.3.3. Methodik der Schriftauslegung 314 2.4. Ockhams Restkirchenmodell und die außertheoretische Realität 319 2.4.1. Der häretische Papst als Anstoß zur Neureflexion der Autoritätenfrage 319 2.4.2. Die Plausibilität des Restkirchenmodells 320 3. Ergebnis: Die Frage nach der Theologie als inneres Band im Leben Ockhams 325 Ertrag
327
12
Inhalt
Quellen, Literatur und Abkürzungen 1. Quellen und Literatur 1.1. Quellen 1.1.1. Werke Ockhams und Quellen über ihn 1.1.2. Sonstige 1.2. Literatur 2. Abkürzungen
333 333 333 333 334 338 360
Register Personenregister
361 361
Sachregister
363
Einleitung
'"Die Theologie ist keine Wissenschaft' - ein Theologe, der gegen 1317 seinen Kommentar mit dieser Erklärung einleitete, hatte nicht nur Courage; er hatte seinen eigenen strengen Begriff von 'Wissenschaft"', so beginnt Kurt Flasch in seiner geistreichen Geschichte des mittelalterlichen philosophischen Denkens den Überblick über einzelne Schwerpunkte der Lehren Ockhams und kennzeichnet dessen Position gleich darauf zusammenfassend als "Affront" 1 . Das Bestreben, der Berechtigung dieser Deutung, die historisch argumentiert, historisch nachzugehen, war Anlaß zur Entstehung der hier vorliegenden Arbeit. Eine solche historische Untersuchung wird das Ockhamsche System zunächst weniger unter dem Aspekt unableitbarer Aktion als unter dem Aspekt produktiver Reaktion auf Vorgegebenes betrachten. Sie wird dementsprechend nicht nach überzeitlichen Antworten auf zeitlose Fragen suchen, sondern nach den Antworten eines historischen Individuums auf die Fragen, denen es sich in seiner Zeit gegenübergestellt sah2: Welchen Problemen hat Ockham sich gewidmet, und aus der Lektüre welcher Autoren hatte er den Blick für diese Problemstellungen gewonnen? Was sind die engeren, was die weiteren Horizonte seiner Konzeption? Was eigentlich macht die Strenge des Ockhamschen Wissenschaftsbegriffs aus, und ist ihm dieser wirklich "eigen" 3 ? Doch nicht allein der Blick auf vorangegangenes Denken wird zur Klärung der Frage beitragen können, ob, inwieweit und wem gegenüber 4 das Ockhamsche Theologiemodell tatsächlich einen "Affront" darstellte, sondern auch der Blick auf die Gegenwart Ockhams: Es ist das große Verdienst von Flasch, immer wieder eingefordert zu haben, daß die Erforschung der mittelalterlichen Geistesgeschichte auch die konkreten Entstehungsbedingungen der behandelten
1
Flasch, Denken 446. Vgl. die Forderung von dems., Wozu 400f. 407f, nach stärkerer Berücksichtigung der kontingenten Faktoren in der Erforschung der mittelalterlichen Geistesgeschichte. Ebd. 402 benutzt Flasch hierfür den treffenden Ausdruck "Zeitstelle". 3 Diese Aussage allerdings relativiert auch Flasch selbst a.a.O. 4 Flasch, Boccaccio 20, spricht in bezug auf den "Affront" Ockhams unpräzise von "der kirchlichen Führungsschicht". 2
14
Einleitung
Texte berücksichtigen möge 5 . Die Entstehungsbedingungen eines Sentenzenkommentars aber sind die einer Vorlesung, und so wird zu fragen sein, ob unsere Kenntnis des unmittelbaren historischen Umfeldes von Ockhams Vorlesung deren Inhalt eine weitere Verstehensfacette hinzuzufügen vermag. Mit solchen historischen Erwägungen muß eine theologiegeschichtliche Arbeit auch systematische verbinden, insofern es um die Rekonstruktion einer historisch gegebenen philosophisch—theologischen Systematik geht. Gerade hier tut sich bei dem Thema dieser Arbeit eine große Lücke auf: Erst kürzlich hat W. Dettloff vermerkt, daß die neuere Ockhamforschung hauptsächlich den Philosophen, nicht so sehr den Theologen Ockham beachte 6 , und auch die Ockham—Bibliographie, die zu erstellen sich dankenswerterweise Jan P. Beckmann die Mühe gemacht hat7, verzeichnet in ihrem Register unter dem Lemma "Theologie" weit weniger Eintragungen als allein unter dem Lemma des philosophischen Teilgebietes der "Logik". Dieser allgemeinen Situation entspricht es, daß es schon fast ein halbes Jahrhundert her ist, daß R. Guelluy in seinem Werk über "Philosophie et Théologie chez Guillaume d'Ockham" (1947) die Frage nach der wissenschaftstheoretischen Grundlegung der Theologie monographisch behandelte. Allerdings macht nicht nur das Alter des Werkes, sondern auch sein Charakter die Revision des Themas nötig: Guelluy stützt sich fast ausschließlich auf den in der Tat für das Thema grundlegenden, aber nicht allein relevanten Text des Sentenzenprologes und systematisiert nicht, sondern begleitet den Text kommentierend, streckenweise nur paraphrasierend 8 . So gewinnt das Werk insgesamt den Charakter eines Kommentars 9 , und eine monographische Untersuchung von Ockhams Theologie5
S. ders., Einführung 15. Dieser Forderung kann aber nur auf maßvolle Weise entsprochen werden: Wenn ders., Denken 456, erklärt, Ockham habe auf den Begriff gebracht, "was sich in der politischen, sozialen und ökonomischen Realität durchzusetzen begann", nämlich den "Primat des Individuums", operiert er mit einem Tertium comparationis, das nur bei höchster Abstraktion einzuleuchten vermag und darum kaum historisches Erklärungspotential enthält. Sinnvoll kann es daher nur sein, solche Kontexte zur Erklärung heranzuziehen, die sich aufgrund der sozialen Stellung des jeweiligen Autors nahelegen — im Falle Ockhams etwa: die Universität, die englische Kirche, mentalitätsgeschichtlich die allgemeine Frömmigkeitsgeschichte, vor allem aber die der Bettelorden. Bei allen Feststellungen von Parallelen ist aber auch dann die Kategorie der Kausalität nur mit äußerster Vorsicht einzusetzen. 6 Dettloff, Rez. Gegenwart 209. 7 Beckmann, J. P. (Hg.), Ockham-Bibliographie 1900-1990, Hamburg 1992. 8 Guelluy, Philosophie 148, kündigt er sogar an, für bestimmte Passagen nur eine Übersetzung liefern zu wollen. 9 Vgl. Junghans, Ockham im Lichte der neueren Forschung 213. Als erster Versuch auf Neuland besitzt die Arbeit von Guelluy dennoch unbestreitbare Verdienste und ist zu Recht von Mainil, Philosophie, geradezu überschwenglich begrüßt worden.
Einleitung
15
Verständnis nach seinem systematischen Zusammenhang steht noch aus, obwohl an der Bedeutung dieser Frage kein Zweifel bestehen kann: Ockham war — wenn auch durch manche Brechung und manches Mißverständnis hindurch — an den europäischen Universitäten zwei Jahrhunderte lang, bis hin zu Luthers Wort von seinem Meister Ockham 10 , eine Größe, an der man sich orientieren oder reiben konnte 11 . Allein schon diese lang anhaltende Rezeption macht ihn zu einer herausragenden Gestalt der Geistesgeschichte. Und sie macht die Frage virulent, was da nun eigentlich rezipiert wurde. Diese Frage aber kann, wird sie im Blick auf den Komplex der Theologie gestellt, nicht allein durch den Rekurs auf theologische Einzelfragen geklärt werden, sondern verlangt den Blick auf das Selbstverständnis der Disziplin als ganzer, zumal gerade hier auch die Bedeutung der Ockhamschen Philosophie, die ohne Zweifel schon im Spätmittelalter im Vordergrund der Rezeption stand, für die Theologie zu reflektieren ist. Dementsprechend muß es das erste Ziel dieser Untersuchung sein, den Theologiebegriff im Gegenüber zum philosophischen Wissenschaftsbegriff zu profilieren. Sie wird daher zunächst den allgemeinen scientia—Begriff Ockhams zu erheben haben (1. Kapitel), dann die Defizität der für die Theologie spezifischen Gotteserkenntnis ihm gegenüber begründen (2. Kapitel) und schließlich positiv die Struktur von Theologie bei Ockham, also seine theologische Wissenschaftstheorie (im Gegensatz zu der Erkenntnistheorie des vorangehenden Kapitels), eruieren müssen (3. Kapitel). Das 4. Kapitel wird dann über die systematische Grundlegung der Theologie als akademischer Disziplin hinausgehen und den Nachwirkungen dieser Gedanken im Theologieverständnis des späteren, publizistischen Werks nachgehen: Immer wieder wird betont, daß die Vorladung nach Avignon einen Bruch im Wirken Ockhams darstellt, und doch hat insbesondere die Arbeit von Jürgen Miethke zur Sozialphilosophie Ockhams 12 das, was selbstverständlich hätte sein müssen und doch nicht war, gezeigt, daß nämlich das Denken Ockhams in seiner publizistischen Phase erst vor dem Hintergrund der akademischen in seiner
10 WA 6,600, l l f . S. zur Nachwirkung der Schulstreitigkeiten zwischen der Via antiqua und der weitgehend auf Ockham fußenden Via moderna noch in den Abendmahlsstreitigkeiten der Reformatoren Oberman, Via 453—463. 11 Daß der Einfluß auf die europäische Kultur sich nicht allein auf das universitäre Milieu beschränkte, hat Flasch, Boccaccio, jüngst in seiner Deutung des Decameron als z.T. durch die Auseinandersetzung mit ockham(isti)scher Philosophie inspiriert zu zeigen versucht. Allerdings wird man, wenn diese Deutung sich bestätigen sollte, nach den Ergebnissen der hier vorliegenden Arbeit doch festzustellen haben, daß die große Verunsicherung, die Flasch bei Boccaccio hinsichtlich der Gewißheit der Weltdeutung entdeckt, in einem ähnlichen Verhältnis zu Ockham steht wie Kleists Kant-Krise zu Kant. 12 Miethke, Sozialphilosophie.
16
Einleitung
vollen theoretischen Bedeutung interpretierbar ist 13 . Seinen Ansatz will diese Arbeit ergänzen, indem sie herausarbeitet, daß in der Entwicklung des Ockhamschen Verständnisses von Theologie als einer akademischen Disziplin schon im Sentenzenkommentar Fragen angesprochen werden, die noch vor Avignon virulent werden und nach Konkretisierung und Präzisierung verlangen, und deren Präzisierung noch den alternden Ockham am Münchner Hof kurz vor seinem Tod 1347 14 beschäftigen wird: Die Frage nach Ockhams Verständnis von Theologie als einer akademischen Disziplin spricht einen Themenkomplex an, der es ermöglicht, den gesamten Ockham hinsichtlich einer Frage, die jederzeit im Vordergrund seines Schaffens stand, nämlich der nach der christlichen Wahrheit, zu behandeln.
13 Ähnlich, aber ohne eine auch nur annähernd so gründliche Betrachtung der akademischen Phase, auch Kölmel, Ockham 173 — 181. 14 Zu dieser nun wohl sicheren Datierung s. Gài, Ockham Dies.
1. K a p i t e l : D i e
scientia proprie dicta
1. Klärungen zum Text des Sentenzenkommentars Der maßgebliche Text für die Untersuchung von Ockhams Theologieverständnis ist der Sentenzenkommentar des Venerabiiis Inceptor, dessen Überlieferung sich durch zwei Auffälligkeiten auszeichnet: Zum einen sind allein Sent I I - I V als Reportatio, als Vorlesungsmitschrift, überliefert, Sent I hingegen als Ordinatio, d.h. als vom Autor für die Veröffentlichung bestimmte Fassung. Zum anderen ist eben diese Ordinatio offensichtlich in mindestens zwei Redaktionen überliefert. 1.1. Die redactio completa P. Boehner konnte in der Ordinatio anhand der unterschiedlichen Texte verschiedener Handschriften eine über die Erstredaktion, die redactio incompleta, hinausgehende zweite Redaktion, die redactio completanachweisen und zugleich zeigen, daß beide Redaktionen sich inhaltlich darin unterscheiden, daß sie den Universalien einen jeweils anderen ontologischen Status zusprechen 2 : Während die redactio completa sie als intellectiones, d.h. als identisch mit den seelischen Verstehensakten, erklärt und ihnen daher als realen Akzidenzien des Erkenntnissubjektes, der Seele, ein esse subiectivum zuspricht, sieht die redactio incompleta ( = A, entsprechend dem Sigel der diesen Text repräsentierenden Handschrift 3 ) sie (fast durchgehend 4 ) wie die Reportatio als bloße ficta, also Produkte des Intellekts, die kein reales Sein haben, sondern lediglich als Objekte des Denkens ein esse obiectivum be1
Sie ist in den OT durch die Zeichen |§...§| gekennzeichnet. Wie die Herausgeber selbst betonen (OT I 20*), geben diese Kennzeichnungen aber nicht nur einen objektiven Handschriftenbefund (das Fehlen von Stellen in A), sondern auch inhaltlich begründete Vermutungen wieder, da der gekennzeichnete Textbefund uneinheitlich ist: Oft findet sich die Lücke neben A auch in Β (s. etwa OT I 30,8—11), was die Herausgeber auf Auslassungen des Schreibers von Β zurückführen (OT I 21*), gelegentlich bietet den bezeichneten Text unter den vier als gut eingestuften Codices (OT I 19*) nur D (s. OT I 20,17-21,4); vgl. zu den Editionsprinzipien der "méthode rationale" G. Gài in Symposium 50f. 2 Boehner, Date; ders., Tradition. 3 S. OT I 19*f. Zum Codex Vat.Burghes. 68 s. OT I 23*ff. 4 S. hierzu u. 1.2.
18
1. Kapitel
sitzen 5 . Da Ockham in der sicher nach beiden Teilen des Sentenzenkommentars entstandenen SL die intellectio-Theorie vertreten hat 6 , betrachtete Boehner die redactio completa als Niederschlag dessen, daß Ockham seine in der Reportatio noch rein greifbare frühere Position, die fictum-Theoñe, aufgrund der in der SL entwickelten späteren Position redaktionell korrigiert habe 7 . Gegen die aufgrund dieser Erklärung allgemein angenommene 8 Authentizität der redactio completa gibt es allerdings Indizien in den Aktenstücken zu Ockhams Prozeß in Avignon 9 . Gegenüber dem mittelalterlichen Universitätsbetrieb, in dem ja auch Vorlesungsmitschriften als authentisch gehandhabt wurden 10 , kam erst bei der Tatsachenfeststellung im Häresieprozeß ein moderner, enger Begriff von Authentizität zum Tragen, unter dessen Beachtung Ockham die Authentizität der von Lutterell zum Prozeß mitgebrachten Ordinatio-Abschrift bestritt und seine eigenen Notizen vorlegte 11 . 5
S. die Darstellung beider Theorien bei Boehner, Date 99f; Junghans, Neuere Forschung 190-196. 6 OP I 42,33-43,39. Zur Datierung der SL nach Ordinatio und Reportatio s. OP I 48*: Ockham verweist in OP I 252,78; 254,152 auf die Ordinatio, ebd. 354,14f auf die Reportatio. 7 Boehner, Tradition 120; vgl. auch Miethke, Sozialphilosophie 16. 18. 8 Die redactio completa gilt z.B. ganz unproblematisch als Werk Ockhams in OT I 20*; ähnlich Beckmann, Scriptum 629; Boehner, Tradition 120. Lediglich Richter, Search 97, sieht zumindest Teile der Redaktion als nicht authentisch an. Seine Argumentation reicht aber nicht aus, um seine weitreichenden Urteile - die auch die Authentizität der SL und der Quodl anzweifeln - zu stützen (zur dementsprechend verbreiteten Ablehnung s. ebd. 94): Richter deutet die Entwicklung in der Universalienfrage innerhalb des Ockhamschen Schrifttums als Radikalisierung (ders., Entwicklung 180), was jedoch nur in formaler Hinsicht begründet ist: Ebd. 177—180 zeichnet Richter eine Entwicklung von der fictum-Theorie über ein Schwanken in der Universalienfrage hin zur intellectio-Theorie nach, die insofern als formale Radikalisierung bezeichnet werden kann, als Ockham sich zuletzt definitiver äußert als zuvor. Inhaltlich liegt jedoch eine Entwicklung von einer radikaleren zu einer weniger radikalen Position vor. Wieso aber eine solche lediglich formale Radikalisierung vor dem Prozeß unwahrscheinlich sein soll (Richter, Search 97), ist unverständlich, zumal die Argumentation mit der (inhaltlichen!) Abmilderung in den quaterni (ebd.) die Möglichkeit eines situativ bedingten Opportunismus übersieht. 9 Boehner, Tradition 120 Anm. 7, setzt offensichtlich voraus, daß Ockham hier die redactio completa vorliegen hatte. 10 Ockham z.B. zitiert ausdrücklich als Meinung des Doctor subtilis Passagen der Reportatio Parisiensis (OT I 98-102) und gibt diese auch gelegentlich ausdrücklich als Quelle für seine Kenntnis der Auffassungen des Duns an (OT I 230,16f). 11 Miethke, Sozialphilosophie 66f. Prozeßtaktische Gründe für eine Mitnahme nur der redactio incompleta trotz Existenz einer von Ockham stammenden redactio completa nach Avignon sind kaum zu finden: Stammte letztere tatsächlich von Ockham, hätte es eher nahegelegen, sie zum Prozeß mitzunehmen, da sie die Uni versahen-
Die scientia proprie dicta
19
Dieses eigene Exemplar Ockhams hatte zum Zeitpunkt des Prozesses 12 bereits den Einfluß auf die Handschriftenentwicklung verloren 13 : Die darin von der päpstlichen Kommission entdeckten Rasuren und Zusätze gegenüber dem ihr vorliegenden Text, der der Fassung A entsprach 14 , haben bis auf wenige Ausnahmen keinen Niederschlag in der Handschriftenentwicklung gefunden. Aus der Auflistung der Extracta de una parte libri quem frater Willelmus Ockam exibuit pape designatis locis suis, ubi in libro suo sunt nove rasure et additiones nove et suspecte ("Auszüge aus einem Teil des Buches, das Bruder Wilhelm von Ockham dem Papst überreicht hat, mit Kennzeichnung derlehre gerade im Blick auf den von Luttereil scharf angegriffenen Begriff fictum korrigiert (s. den 36. Artikel in Lutterells Libellus [Hoffmann, Luttereil 83ff]; vgl. ebd. 166ff; allerdings spielte die Universaliendiskussion für die päpstliche Kommission keine Rolle mehr). Hätte Ockham aber im Wissen, daß Luttereil nur über die redactio incompleta verfügte, eben diesen Text zur Schaffung einer gemeinsamen textlichen Argumentationsbasis mitnehmen wollen, müßte man auch erwarten, daß er Zusätze und Rasuren vollständig unterlassen hätte. 12 Als Jahr des Prozeßbeginns ist mit Courtenay, London Studium 327f, gegen Knysh, Rectifications, 1324 anzusetzen (zur Kritik s. auch Miethke in Knysh, Perspectives l l f , zu Knyshs Antwort auf Courtenay ebd. 25f): Gg. Knysh, Rectifications 67 kann das Gutachten der päpstlichen Kommission schon als Teil des Prozesses angesehen werden, und zwar als dessen erste Stufe vor dem Eintreten der formalen inquisitio, wie man aufgrund des ebd. 64 angeführten Textes (vgl. ebd. 86,7ff; 90,94ff) spezifizieren kann (vgl. Courtenay, London Studium 327f). Daß die im Text erwähnte confiitatio der magistri nichts mit der inquisitio zu tun habe (so Knysh, Rectifications 65), ist aus dem Belegtext nicht zu erheben, der in der Version ebd. 90,95ff sogar confutatio und inquisitio in einem Relativsatz zusammenfaßt. Abwegig ist auch die Argumentation mit der Behauptung, das ursprüngliche Mandat der Kommission habe "a certain level of impersonalism" aufgewiesen (ebd. 66). Weder ist dies ein Argument gegen das Stattfinden eines Prozesses (vgl. den Hinweis von Trusen, Prozeß 123, daß die Bulle In agro Dominico Sätze verurteilte, keine Person), noch ist es korrekt begründet: Knysh vernachlässigt die personalen Formulierungen des Adjektivs delatus mit Relativpronomina (ebd. 86,6; 90,95) und meint, aus dem dicitur mangelnde Personalität folgern zu können. Dieses aber bedeutet lediglich ein Offenhalten der quaestio facti, wie sie sich wenig später noch in der Verurteilungsbulle gegen Meister Eckhart findet (DS Nr. 950-980; hier: 977f; vgl. Trusen, Prozeß 122). Eigenartig widerspruchsvoll ist die Position von Carter, Ecclesiology, zu Ockhams Aufenthalt in Avignon: Ebd. 135 soll der Auftrag von Michael von Cesena an Ockham, sich mit der Armutsfrage zu befassen, einer von mehreren Anlässen für Johannes XXII. gewesen sein, Ockham nach Avignon zu beordern — ebd. 71f Anm.37 aber teilt Carter die allgemeine Auffassung, daß Ockham überhaupt erst in Avignon den genannten Auftrag erhielt, der dementsprechend (s. ebd. 71 Anm. 36) auch noch nicht 1323 (so ebd. 39) erfolgt sein kann, sondern erst nach der Ankunft des 1327 vorgeladenen (s. Wadding, Annales VII 80) Cesena in Avignon. 13 Boehner, Tradition 120. 14 OT III 7*f.
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1. Kapitel
jenigen Stellen in ihm, an denen sich in seinem [Ockhams] eigenem Buch neue Rasuren und neue und verdächtige Zusätze befinden"15) aber kann man Hinweise auf den von Ockham als authentisch vorgelegten Text erhalten. Dabei stellen sich bei der Untersuchung allerdings vier Probleme: 1. Die kommentierenden Leseanweisungen der Extracta sind nicht immer eindeutig16. 2. Die Extracta geben nicht immer genau den Text wieder, den die Kommission selbst gelesen hat: Gelegentlich kürzen sie den der Kommission vorliegenden korrekten Text ab, gelegentlich werden Textpassagen übersprungen. 3. Der Text, den die Extracta und das Kommissions-Gutachten bieten, weicht gelegentlich so deutlich von allen anderen Handschriften ab, daß man von Uberlieferungsvarianten (im Falle des Gutachtens eindeutig zu A) sprechen muß. 4. Ohne textkritische Relevanz sind die zahlreichen Abweichungen aufgrund von Flüchtigkeitsfehlern, etwa die Umstellung von Substantiv und Attribut u.ä. Dennoch kann eine Untersuchung der Extracta Anhaltspunkte für die Vermutung geben, daß Ockham selbst in seinen quaterni (Heften) einen von ihm nun neu korrigierten Text vorlegte, der die redactio completa zumindest nicht in vollem Umfang enthielt. Dabei ist es zwar auffallig, kann aber noch nicht als Argument dienen, daß die Kommission keine einzige Zufügung der redactio completa ausdrücklich moniert: Es handelt sich bei den Extracta ja nicht um eine textkritische Arbeit17, sondern um eine Auflistung von rasure et additiones nove et suspecte18 - darunter fielen die abmildernden Zufügungen der redactio completa nicht unbedingt19. Ob Ockhams quaterni den Text der redactio incompleta oder den der redactio completa enthielten, läßt sich daher nur dort überprüfen, wo die Extracta zufallig genau solche Stellen wiedergeben, die in der redactio completa überarbeitet worden sind. Darauf, ob die quaterni den Text von A oder den der 15
Zu den zwei genannten Büchern, Ockhams Sentenzenkommentar und seinem eigenen Manuskript, s. Koch, Aktenstücke 7: 370f. 16 Vgl. Miethke, Sozialphilosophie 68. 17 Ebd. 18 Koch, Aktenstücke 8: 195,3f. Hervorhebung von mir; V.L. 19 Allerdings werden auch solche Zufügungen erwähnt, mit denen Ockham eine radikale Position abgeschwächt hat (s. Koch, Aktenstücke 8: 197,34). Zusätzlich zu obigen Beobachtungen ist es auffällig, daß in Extractum 6 (Koch, Aktenstücke 8: 195,36f) ein Text (OT I 457,15ff) als ausradiert gekennzeichnet wird, der unmittelbar einer redaktionellen Einfügung (OT I 457,8-14) folgt, ohne daß diese erwähnt würde.
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redactio completa enthielten, verweist dann das Vorhandensein oder Fehlen eines Hinweises auf diese Überarbeitung in den Extracta: Extractum 4 20 knüpft mit item ("ebenso") an die vorangehenden Extracta an, so daß wie diese auch die ersten Zeilen des Extractum 4 als radiert zu betrachten sind 21 . Darauf folgt aber eine Passage 22 , die durch Et sequitur ("Und es folgt") eingeleitet wird und offensichtlich nicht als weitere Rasur (für die eine neue Einleitung ja auch unnötig wäre), sondern als bei Ockham unverändert gelesener Text zu verstehen ist. Dies geht daraus hervor, daß der nächste Abschnitt desselben Extractums, der durch die Einleitung additum est in margine ("hinzugefügt ist am Rand") als Hinzufügung gekennzeichnet ist23, textgrammatisch (durch die Verbindungspartikel: nec und talem [propositionemj) auf jene Passage nach dem Et sequitur zurückgreift, ihren Text also als noch bestehend voraussetzt 24 . Der durch Et sequitur eingeleitete Textabschnitt des Extractum 4 zwischen Rasur und Zufügung dürfte also einigermaßen wörtlich einem weder ausradierten noch hinzugefügten Text in Ockhams quaterni entsprechen 25 . Dann aber ist es auffällig, daß dieser Text, ein Abschnitt aus Sent I d . l q.5 26 , nicht die dort in der redactio completa zu findende Ergänzung quantum ad conceptus quos communiter concludebant philosophi de Deo ("soweit es Begriffe betrifft, die die Philosophen gemeinhin im
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Koch, Aktenstücke 8: 195,13-32. Auch in der Wiedergabe dieser Zeilen (Koch, Aktenstücke 8: 195,13—17) fehlt ein von den Herausgebern der OT als redaktionell gekennzeichnetes Stück: secundum tales conceptus (OT I 464,7). Da hier insgesamt aber wohl ausradierte Zeilen wiedergegeben werden, haben die Kommissionsmitglieder an dieser Stelle wohl nicht direkt aus den quaterni, sondern aus ihrem eigenen Exemplar des Sentenzenkommentars zitiert. 22 Koch, Aktenstücke 8: 195,17-22. 23 Ebd. 195,23-27. 24 Das Extractum 4 enthält auch danach ein weiteres Textstück, das weder zugefügt noch ausradiert ist, also wie die Passage nach dem Et sequitur eine schlichte Abschrift darstellt: Der auf das additum — ohne Kennzeichnung eines Einschnitts — folgende Text (Koch, Aktenstücke 8: 195,28—32) war der Kommission schon bei der Erstbegutachtung bekannt (Koch, Aktenstücke 8: 170,21—30), ist also keine Zufügung, wird aber auch nicht als ausradiert gekennzeichnet. 25 Dafür, daß an dieser Stelle die Gutachter tatsächlich nicht aus ihrem Exemplar des Sentenzenkommentars, sondern aus den quaterni abgeschrieben haben, spricht, daß genau in diesem Kontext eine offensichtliche Textkorrektur des zweiten Gutachtens gegenüber dem ersten festzustellen ist: Während das erste Gutachten in Koch, Aktenstücke 8: 170,25f bietet: qui non est divina essentia, hat das zweite Gutachten ebd.: qui non est divina essentia nec est Deus - entsprechend ebd. 8: 195,30: qui non est essentia nec est Deus (zur Ansetzung der Extracta zwischen beiden Gutachten s. Koch, Aktenstücke 7: 371f). 26 Ο Τ Ι 465,14-466,2. 21
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Schlußverfahren für Gott zu gewinnen pflegten") 27 enthält, auch keinen derartigen Zusatz verzeichnet 28 . Die Bearbeiter der Liste lasen in Ockhams quaterni an dieser Stelle offensichtlich einen A entsprechenden Text. Noch deutlicher ist dies im Extraction 2129: Hier wird verzeichnet, daß Ockham eine nach dem ursprünglichen Text als seine eigene Position verstehbare Auffassung durch die Einfügung von secundum unam opinionem ("einer Meinung gemäß") abgeschwächt hat30. Unmittelbar nacheinander werden der alte und der neue, durch diese Zufiigung entstandene Text wiedergegeben. Letzterer aber wird vor dem Ende mit der Leseanweisung abgebrochen: et cetera ubi prius ("und weiter wie oben") 31 , woraus hervorgeht, daß er von dieser Stelle an dem unmittelbar zuvor wiedergegebenen früheren Text entspricht 32 . Folgt man dieser Leseanweisung, ist der in Ockhams quaterni gefundene Text folgendermaßen zu rekonstruieren: Secundo sciendum quod secundum unam opinionem istorum que predicantur de Deo quedam sunt res, quedam conceptus ("Zweitens ist zu wissen, daß einer Meinung gemäß von den Prädikaten, die von Gott prädiziert werden, einige Entitäten sind, einige Begriffe"), d.h. die an der entsprechenden Stelle (Sent Prol q.2) 33 in der redactio completa zu findende Ergänzung si res possit praedicari ("wenn eine Entität prädiziert werden kann") nach quedam sunt res34 fand sich in Ockhams quaterni nicht: Auch hier boten diese den Text der Handschrift A! Es ergibt sich damit folgendes Bild: 1. Die quaterni, die Ockham während des Prozesses in Avignon als sein authentisches Exemplar der päpstlichen Kommission vorlegte, hatten keinen Einfluß mehr auf die folgende handschriftliche Entwicklung. 2. Wo dies nachprüfbar ist, basieren sie auf einer Textfassung, die der redactio incompleta entspricht. Angesichts der schmalen Textbasis ist bei der Auswertung dieser Beobachtungen Vorsicht geboten, doch sollten sie immerhin den bisherigen Konsens, daß die redactio completa von Ockham stamme, verunsichern. Sie sind jeden27
ΟΤΙ 465,19-466,1. Wer entgegen der obigen Argumentation annimmt, die Textpassage in Koch, Aktenstücke 8: 195,17-32, referiere eine ausradierte Stelle, müßte — angesichts von 23—27 - voraussetzen, daß die Kommission innerhalb der Rasuren noch erkennbare ehemalige Zusätze vermerkt hätte, käme also auf dasselbe Ergebnis. 29 Koch, Aktenstücke 8: 197,22-35. 30 Ebd. 197,34. 31 Ebd. 197,35. 32 Ebd. 197,32-33. 33 OT1 109,12-110,1. 34 S. ΟΤΙ 109,13. 28
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falls nicht mit der Hypothese der Herausgeber der OT zu erklären, Ockham habe wie Matthäus von Aquasparta seine redaktionellen Korrekturen (d.h. die redactio completa) normalerweise nicht in seinen eigenen quaterni, sondern in einer Abschrift vorgenommen 35 . Dieser Annahme fehlt nicht nur jede positive Stütze, sondern sie widerspricht geradezu dem, was von Ockhams Arbeitsweise bekannt ist: Für einige redaktionelle Ergänzungen hatte Ockham, wie Bemerkungen in der Handschrift A zeigen36, in den quaterni eigens Raum gelassen, also schon in England diese selbst und keine Abschrift als Arbeitsexemplar vorgesehen — und sie nachweislich als solches auch benutzt 37 . Kaum zu erklären ist zudem, warum Ockham, wäre er im Sinne der Hypothese vorgegangen, nicht jene als Arbeitsexemplar gebrauchte Abschrift nach Avignon mitgenommen hätte, sondern stattdessen gerade dort, wo prozessuale Authentizität gefordert war, auf seine nur die redactio incompleta repräsentierenden quaterni zurückgegriffen hätte. Die wahrscheinlichste Erklärung hierfür scheint zu sein, daß Ockham in der Tat allein die redactio incompleta (oder zumindest nicht die vollständige redactio completa) als authentisch ansah, und hierfür wiederum ist der plausibelste Grund, daß Ockham allein für diese Textfassung, nicht aber für die redactio completa als literarischer Urheber anzusehen ist38. 35
So OT I 31* ohne Differenzierung zwischen den ebd 26*ff herausgearbeiteten verschiedenen Redaktionsstufen. Nicht deutlich wird, ob der Grund für diese Annahme in einer der hier vorgenommenen entsprechenden Analyse der Excerpta liegt: Die Herausgeber sagen zwar, Luttereil habe nur die redactio incompleta gekannt (OT 131*), gehen aber nicht darauf ein, daß sich auch in den Excerpta nur diese findet. 36 OT I 12*; 19*f. 37 Eine rasura und eine additio der Extracta sind in die gesamte Handschriftenüberlieferung (auch A) geraten, dürften also noch aus Oxford stammen (OT III 7*). 38 Darüberhinaus werden die Zweifel an Ockhams Autorschaft an der redactio completa dadurch genährt, daß diese anders vorgeht, als es von Ockham selbst durch die Avignoneser Liste bekannt ist: Während hier neben additiones auch rasure zu beobachten sind, zeigt die redactio completa eine Scheu gegenüber Streichungen: In dem Satz: Aliter potest dici quod Philosophus tantum loquitur de habitibus evidentibus et certis, qualis non est theologia respectu credibilium in Sent I Prol q.7 (OT I 200,25-201,2) ist die Phrase et certis störend, da 1. die Theologie nach Ockham durchaus gewiß ist (OT I 200,9-11 [bezogen auf ebd. 6f]) und 2. die Evidenz ohnehin Unterbegriff zur certitude ist (OT I 200,6f). Diese Störung aber wäre ohne weiteres durch Streichung von et certis zu beheben. Die Redaktion fügt stattdessen hinzu: quia non est evidens, quamvis sit certus (OT I 201,2f): Im Gegensatz zu Ockhams Vorgehen in Avignon wollte der Redaktor anscheinend eine Streichung vermeiden. Auch die Datierung der Redaktion als von Ockham stammend ist problematisch: Die Hg. der OT müssen vor allem die die Universalienfrage betreffenden Teile in die Zeit nach Chattons Reportado (1323/4) datieren (OT I 26*-31*), also in eine Zeit,
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Diese Annahme wird auch durch das Eingehen Walters von Chatton auf Ockham in seinen Vorlesungen nicht widerlegt: Die Belege, die die Herausgeber der OT für die Kenntnis der redactio completa aus Chattons Reportatio anführen, sind nicht alle gleich aussagekräftig: Zunächst 39 erwähnen sie Walters Äußerung: Omisi supra respondere ad exemplum de volitione potionis amarae. Dico quod illa nécessitas volendi potionem amaram, stante cognitione, non provenit ex illa cognitione. Probo: quia illa stante, et circumscripta volitione efficaci praecedente qua efficaciter vult sanitatem, non necessario vellet potionem amaram. ("Ich habe es oben unterlassen, auf das Beispiel des Begehrens nach einem bitteren Trank einzugehen. Ich sage, daß jene Notwendigkeit, einen bitteren Trank zu wollen, unbeschadet des Bestehens einer Erkenntnis nicht aus der Erkenntnis hervorgeht. Das beweise ich: [Denn,] wenn diese bestünde und das vorausgehende wirksame Begehren, mit dem einer wirksam Gesundheit will, beseitigt wäre, wollte er nicht mit Notwendigkeit den bitteren Trank"). Die Herausgeber beziehen dies auf eine redaktionelle Zufügung in Sent I d . l q.6 40 . Damit ist der Bezug auf die Frage nach dem Zusammenwirken des Begehrens, gesund zu sein, mit der Erkenntnis, daß die Gesundheit allein durch eine bittere Medizin erreicht werden könne, zur Hervorbringung des Begehrens nach der bitteren Medizin zwar richtig bestimmt, aber Walters Äußerung läßt sich hinreichend in bezug auf Stellen der redactio incompleta erklären: Seine Betonung, daß die Notwendigkeit, bittere Medizin schlucken zu wollen, nicht aus der Erkenntnis, sondern aus dem vorangehenden Begehren (volitio sanitatis) hervorgehe, richtet sich offensichtlich gegen die Auffassung, daß unter bestimmten Umständen der Wille allein aufgrund einer intellectio eine bestimmte Aktivität nicht frei, sondern notwendig wähle, die Ockham in der genannten quaestio innerhalb der redactio incompleta äußert 41 , und auch das Beispiel der potio amara hierfür folgt noch im Text der redactio incompleta42: Walter muß also für sein Argument nicht die redactio completa vor Augen gehabt haben.
da über Ockham schon die Drohung der Anklage durch Lutterell schwebte. Das heißt, man müßte die sehr unwahrscheinliche Annahme machen, daß Ockham unter dieser Drohung aus rein akademischen Überlegungen (denn - mangels dortiger Verwendung — nicht mit Blick auf seinen Prozeß) noch rasch eine Redaktion vorgenommen hätte! 39 OT I 27*. 40 OT I 496,9-13. "i Ο Τ Ι 494,7-12. « OT I 494,17ff.
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Mit Sicherheit aber kannte er in der Reportado das in A nicht gebotene Ende von Sent I d . l q.5 43 . Dies ist nun insofern auffällig, als er in der Reportado ebenso sicher durchgehend die fictum-Theorie als Ansicht Ockhams voraussetzt 44 , also noch nicht die redaktionelle Korrektur der Universalientheorie kennt: Anscheinend sind die verschiedenen Teile der abschließenden Redaktion sukzessive entstanden, weswegen sie möglicherweise auch verschiedene Authentizitätsgrade aufweisen 45 . Jedenfalls kannte Chatton in seiner Reportado, die sicher in Ockhams Nähe entstand 46 , nicht die vollständige redactio completa. Daß er dagegen zum Zeitpunkt der Lectura die redactio completa vollständig oder doch zumindest sehr weitgehend kannte, vor allem die die Universalienfrage betreffenden Ergänzungen 47 , kann, da Chatton und Ockham zu diesem Zeitpunkt möglicherweise schon seit Jahren räumlich weit voneinander getrennt waren 4 8 , zwar eine frühe Entstehung der redactio completa, aber gerade
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OT I 27*. OT I 28*. 45 Richter, Search 97, nimmt eine solche zur Zeit nicht nachweisbare Trennung von Redaktionsstufen verschiedener Authentizität vor. Man sollte aber auch dann nicht vorschnell behaupten, daß Codex Vaticanus Burghese 68 (CVB 68) die eigene Redaktion Ockhams repräsentiere (so Richter, Handschrift 778 u.ö.; zur Annahme, CVB 68 stamme gar von Ockham selbst [ebd. 786] s. OT I 25*). Hierfür gibt es außer der Tatsache, daß CVB 68 gerade darin von A abweicht, daß er die von Walter in der Reportado zitierte Stelle am Ende von Sent I d.l q.5 bietet (OT I 23*. 27*), keinen Anhalt. Diese Besonderheit aber kann auch auf eine im folgenden Text öfter zu beobachtende Kontamination mit anderen Handschriftengruppen als A zurückgehen (s. OT III 10*; zur Schwierigkeit von Stemma-Bildungen für OckhamHandschriften vgl. F.E.Kelley in Symposium 52). 46 S. Courtenay, London Studium 329. 47 OT I 28*f. 48 Wey z.B. datiert im Vorwort zu Chatton, Reportatio 1, die Lectura 1328ff: Zu diesem Zeitpunkt befindet sich Chatton in Oxford, Ockham aber schon seit Jahren auf dem Kontinent. Die OT I 30* Anm.l angegeben Stellen aus dem Werk Chattons, die belegen sollen, daß Ockham und Chatton sich zur Zeit der Lectura des letzteren am selben Studium befanden, sprechen von Ockham nur sehr indirekt: Auf Korrekturen de mente opinionis wird eingegangen, und im Konjunktiv: Supposito igitur quod opinio supradicta se isto modo explicaverit. Beide Aussagen können auch auf eine Korrektur durch Schüler aufgrund der Kenntnis der Lehren Ockhams hinweisen und zwingen nicht zu der Annahme, daß Walter und Ockham zu dieser Zeit am selben Studium lehrten (so ebd. 29*f; die Hg. vermerken selbst, daß Zeit und Ort der Lectura unsicher sind [ebd. 26*]). 44
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nicht Ockhams literarische Autorschaft belegen49 — unabhängig von der Frage seiner geistigen Urheberschaft 50 . Als literarische Urheber müssen vielmehr auch Adepten Ockhams in Betracht gezogen werden, von denen einige immer wieder die Auffassungen Ockhams Chatton gegenüber hatten klarstellen wollen: Chatton wurde schon während der Reportatio zu bestimmten Korrekturen seiner Ockham betreffenden Äußerungen durch die Nachfrage seines Reportators51 bewegt, und ähnliches ist noch zur Zeit der Lectura belegt52. In Fortentwicklung solcher Schülerschaft, auf deren Nachwirken in England der Codex Merton 284 hinweist 53 , könnte — ohne daß dies hier positiv nachweisbar wäre — der Versuch entstanden sein, in die Ordinatio die schon am Ende von A erscheinende 54 Auffassung Ockhams zur Universalienfrage durchgehend einzuarbeiten. Aufgrund dieser Möglichkeit nichtockhamscher Autorschaft an der redactio completa ist diese als Zeugnis für Ockhamsches Denken nur bedingt zu benutzen: Eine relativ große Wahrscheinlichkeit, Ockhamsche Originaläußerungen vorliegen zu haben, liegt lediglich bei Füllungen von in A durch den Schreiber vermerkten Lücken vor. Alle anderen Äußerungen, zumal jene, die die Universalienfrage betreffen, sind nur mit Vorbehalt heranzuziehen. Erst eine genaue Untersuchung der redactio completa könnte möglicherweise Klarheit bringen, ob es sich hierbei um ein Stück originären Ockhamschen Denkens oder um Ockhamrezeption handelt55.
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Bemerkenswert ist hier auch, daß Walter u.a. die häufig vorkommende Wendung si res possit praedicari im Ockhamschen Text gelesen hat (OT I 28* Anm. 1). Genau das Fehlen dieser Wendung wurde oben zu Extraction 21 bemerkt. Daß schon früh mit fehlerhaften Handschriften gerechnet wurde, zeigen Ockhams Zweifel an der Authentizität der Abschrift Lutterells. 50 Diese Unterscheidung nimmt die Unterscheidung von Richter, Entwicklung 184, zwischen Autorschaft im engeren und im weiteren Sinne präzisierend auf. 51 OT I 28*; vgl. ebd. 29* Anm. 2. Auch ein Name ist bekannt: Adam von Wodeham (s. OT I 29*f Anm. 2, sowie Courtenay, Wodeham 164). 52 Ο Τ Ι 30* Anm. 1. 53 Etzkorn, Codex Merton (Datierung: nach 1344 [S. 35]); ders., Manuscripts 42 f. 54 S. OT III 11*. Dies spricht nur dann, wie die Herausgeber meinen, gegen die Erstellung der redactio completa durch Schüler, wenn man geistige und literarische Urheberschaft nicht trennt. 55 Für die Frage nach dem möglichen literarischen Autor der redactio completa wäre der Vermutung von Courtenay, Wodeham 162, Wodeham sei Sekretär oder Herausgeber für Ockham gewesen, nachzugehen; vgl. aber die sehr vorsichtigen Einschätzungen des Verhältnisses Wodehams zu Ockham in der neueren Forschung (Leff, Ockham/ Ockhamismus 16; White, Ockham and Wodeham).
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1.2. Das Verhältnis von Ordinatio und Reportatio Diese Skepsis gegenüber der literarischen Authentizität der Redaktion muß auch gegen die Boehnersche Argumentation zugunsten der Priorität der Reportatio (Sent II—IV) gegenüber der Ordinatio (Sent I)56 skeptisch machen, da Boehner hier bestimmte Stellen der Ordinatio von gleichlautenden Ergänzungen durch die Redaktion her gedeutet hatte — was natürlich an Aussagekraft verliert, wenn die Ockhamsche Autorschaft an der Redaktion unsicher ist. Gegenüber A. Maiers Vermutung, daß Ockham möglicherweise wie mehrere zeitgenössische Ordensbrüder auf dem Kontinent57 die Ordinatio vor Abhaltung seiner Sentenzenvorlesung habe abfassen müssen 58 , hatte Boehner eingewandt, daß in der Ordinatio mehrere Universalientheorien erwogen würden, in der Reportatio hingegen allein die fictum-Theorie erscheine 59 , was zeige, daß die Ordinatio gegenüber der Reportatio einen späteren Zeitpunkt in der Ockhamschen Entwicklung widerspiegele, zu dem der Venerabiiis Inceptor bereits an der fictum-Th&oût zu zweifeln und sich der intellectio-Theorie zuzuwenden begonnen habe. Sieht man einmal davon ab, daß die Stellen mit Erwähnung der intellectio-Theorie in der redactio incompleta der Ordinatio, von der ja auch Boehner zur Klärung der Chronologie ausgehen muß 60 , rar gesät sind 61 , so ist vor allem zu betonen: Es handelt sich an diesen Stellen nicht um affirmative Behauptungen, sondern um hypothetische Erwägungen, anhand derer bestimmte Gedanken hinsichtlich ihrer Gültigkeit unter der Bedingung verschiedener Universalientheorien diskutiert werden. Dieses Mehr an Erwägungen in der Ordinatio gegenüber der Reportatio kann aber auch mit den 56
Boehner, Date 99. Übrigens sollte die Unterscheidung beider Teile nicht überstrapaziert werden: Durch Vor- (s. OT V 24*) und Rückverweise (OT VII 345,4f) hat Ockham deutlich gemacht, daß er sie als ein zusammengehöriges Werk versteht. 57 Maier, Probleme 177—179, verweist auf Aureoli, Francisais de Maironis und Durandus de St.Porciano. Bei Maironis (s. Maier, Probleme 178) und Aureoli (s. dies., Notizen 143) liegt wie bei Ockham lediglich zu Sent I eine ordinatio vor. Komplizierter verhält es sich bei Durandus, wo zwar ebenfalls allein Sent I nur in der mit der ordinatio gleichzusetzenden ersten (ebd. 152) und einer endgültigen dritten Redaktion erhalten ist (ebd. 147), aber gerade der redaktionelle Charakter der reportatio, d.h. der mittleren Redaktion, zeigt, daß auch für Sent I I - I V eine vorgängige ordinatio anzusetzen ist. Verpflichtend wurde die vollständige Vorlesung der Sentenzen an einem Ordensstudium vor Abhaltung der gleichen Vorlesung an einer der Universitäten Paris, Oxford oder Cambridge erst am 28.11.1336 (s. OT VII 15* Anm. 1). 58 Maier, Probleme 179. 59 Boehner, Date 102; lunghans, Neuere Forschung 46; OT VII 15*. 60 Stellen der redactio completa könnten allenfalls deren Alter, nicht aber das der ursprünglichen Ordinatio belegen. 61 OT III 545,7-9; 576,26f.
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literarischen Gattungen zu tun haben, daß nämlich die Ordinatio als ausgearbeitete Textfassung der Abwägung mehr Raum gab als die knappe Reportado. Boehner kam für die Deutung der zusätzlichen Erwägungen bezüglich der intellectio-Theorie als affirmativ lediglich heuristisch zupaß, daß sie in ihrer Formulierung der hypothetischen Weise glichen, in der die Redaktion diese Theorie in Sent I eingefügt hatte, so daß jene kleinen Andeutungen im ursprünglichen Ordinatio-Text gleichsam als Beginn der später von Ockham im großen Maßstab durchgeführten Korrektur der Ordinatio hinsichtlich der Universalienlehre erschienen. Dieser faktisch bei Boehner erfolgende Schluß aus der Gleichheit der Formulierung auf die Gleichheit der Intention ist aber nicht mehr möglich, wenn die literarische Authentizität der Redaktion nicht gesichert ist, und er reicht darum auch nicht aus, die Aussagen aus Sent IV q.16, die, indem sie ausdrücklich auf Stellen in Ordinatione Ockham62 verweisen, innerhalb der Reportatio schon Sent I als fertige Ordinatio voraussetzen und sich in allen Textzeugen außer der Lyoner Edition von 1495, also auch schon in den ältesten Handschriften aus dem 14.Jahrhundert 63 , finden, konjizierend auf einen frühen Abschreiber zurückzuführen 64 . Man kann eben diese Konjektur aber aufgrund einer sichereren Feststellung inhaltlicher Entwicklungen zwischen Reportatio und Ordinatio vornehmen: Zwischen Ockhams Aussagen zur Suppositionslehre in der Ordinatio und der Reportatio zeigen sich deutliche Unterschiede 65 , und hier handelt es sich nun in der Tat um affirmative Aussagen, bei denen festzustellen ist, daß die Aussagen der Ordinatio denen der SL näherstehen als die der Reportatio:
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OT VII 345,4f; 350,3f; 354,5; 361,12 (gemeint ist Sent I d.l q.3. [OT VII 345 Anm.2]). Diesen Sachverhalt vermerken auch die Hg. in OT VII 12*f, ohne darauf zu reflektieren, daß dies ihre ebd. 14* sine ulla haesitatione aufrechterhaltene Behauptung der Priorität der Reportatio gegenüber der Ordinatio problematisieren müßte. Sie erklären lediglich, q. 16 sei nach der Ordinatio verfertigt (ebd. 20*). Wieso man sich nun aber vorstellen soll, Ockham habe zunächst seine Vorlesung gehalten, dann die Ordinatio ausgearbeitet und dann erst q. 16 vorgelesen (es handelt sich hier ja um eine Reportatio, die also eine real gehaltene Vorlesung voraussetzt!), versuchen sie nicht einmal zu erklären. 63 S. zu diesen OT V 8*ff; VII 7*. 64 Unplausibel wäre die Begründung dieser Auffälligkeit mit fehlender Authentizität von q.16: Daß diese von Ockham stammt, haben die Hg. OT VII 18*ff überzeugend nachgewiesen! 65 Da Ockhams Suppositionslehre im allgemeinen systematisch geglättet wird (s. z.B. Boehner, Supposition; Bottin, Scienza 77—90; Leinsle, Einheit 127; Schulthess, Sein 19f), blieb diese Entwicklung bislang unbeachtet.
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In der SL vertritt Ockham die Auffassung: Suppostilo personalis, universaliter, est ilia quando terminus supponit pro suo significato ("Personale Supposition ist ganz allgemein jene, in der ein Term für das von ihm Bedeutete steht")66, und weist die von Wilhelm von Sherwood vertretene Auffassung, personale Supposition bedeute generell ein Supponieren (Stehen) für reale Entitäten 67 , ausdrücklich ab 68 . Daß personale Supposition ein Supponieren für reale Entitäten bedeute, wird in Sent I dagegen noch gelegentlich definitorisch vorausgesetzt 69 , jedoch steht daneben in Sent I d.22 q.l schon die der SL entsprechende Definition, personal Supponierendes stehe pro suo significato70. Anscheinend ist dies hier bereits als die allgemeinere Definition zu verstehen, denn an einer Stelle steht die Definition der personalen Supposition als Supposition für reale Entitäten unter der einschränkenden Bedingung si significent res ("wenn sie reale Entitäten bedeuten sollten") 71 . Ausgeschlossen aber ist eine solche allgemeinere Definition der personalen Supposition durch den Bezug auf die Signifikate in der Reportatio, denn hier tritt in Sent II q.10 neben die auch in den anderen Werken bekannten Suppositionsarten (personal, einfach und material) als eigene Art eine signifikative Supposition, die nur dann mit der personalen identisch ist, wenn sie für Substanzen erfolgt 72 : Hier also hat die Auffassung, personale Supposition erfolge für reale Entitäten, ausschließlichen Charakter. Man hat demnach folgende, jeweils affirmativ vertretene Modelle: 1. Personale Supposition erfolgt ausschließlich (Reportatio).
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für reale Entitäten
OP I 195,4f. Sherwood, Logik 266,13-15. Mit dem Begriff "(reale) Entität" wird in dieser Arbeit der lateinische Begriff res wiedergegeben, da unter diesen auch Gott fallen kann (s. OT I 110,15: res ipsa quae Deus est), was durch die üblichen Übersetzungen ("Sache", "Ding") nicht getroffen werden könnte. 68 OP I 195,22-24. 69 OT II 137,2f; III 8,3. 70 OT IV 4 9 , 6 - 8 heißt es in bezug auf die zuvor (ebd. 48,5-13) definierten nomina primae et secunda impositions, deren erste reale Entitäten signifizieren, deren zweite jedoch Begriffe und Worte signifizieren: vox quaecumque ratione institutionis habet primo suppositionem personalem, quia ratione institutionis supponit primo pro suis significatis, dies muß sich also nach dem Zusammenhang auch auf signifizierte innermentale Entitäten beziehen. 71 OT II 135,14-16 (der Bezug des pluralischen Subjektes ist grammatikalisch nicht ganz klar); vgl. den unmittelbaren Kontext von OT III 8,3, wo überwiegend mit dem Bezug auf die Signifikate argumentiert wird (ebd. 8,12-19; 10,3f). 72 OT V 227,8-15. 67
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1. Kapitel 2. Personale Supposition erfolgt für reale Entitäten, aber zumindest nicht nach allen Stellen ausschließlich für diese, sondern auch allgemeiner für die Signifikate (Ordinatio). 3. Personale Supposition erfolgt ausdrücklich nicht ausschließlich für reale Entitäten, sondern allgemeiner für die Signifikate (SL).
Es liegt auf der Hand, daß die hier aufgelistete Reihenfolge für die Abfolge solcher Aussagen die wahrscheinlichste ist. Auf dieser gesicherten Basis nun kann man sowohl die genannte Konjektur in Sent IV q. 16 vornehmen als auch die von Boehner beobachteten Phänomene tatsächlich als Ausdruck einer Entwicklung im Denken Ockhams verstehen. Die allgemeine Meinung, daß die Reportatio älter als die Ordinatio ist, kann also auch dieser Arbeit zugrunde gelegt werden.
2. Wissenschaftliche Erkenntnis und Wissenschaft In seiner ersten Distinktion des Begriffes menschenmöglicher scientia73 in Sent I Prol q. I 74 listet Ockham nicht, wie sonst oft, wenn er verschiedene Bedeutungen eines Wortes benennt, die Bedeutungsgehalte in hierarchischer Subordination auf 75 , bei der Weite und Enge des Begriffs anhand der Überund Unterordnung der jeweiligen Extensionsbereiche76 bestimmt werden, son73
Entsprechend OT I 83,13f, wo Ockham erklärte, Gott habe keine scientia stricte sumpta, und gegen den Einwand, man dürfe scientia, da sie ohne Mangel sei, dem göttlichen Intellekt nicht absprechen (OT I 79,7-14), präzisierte, der Mangel der scientia sei, daß sie aus verknüpften Erkenntnissen herbeigeführt werden könne (OT I 83,14-16), heißt es OP IV 5,4f: Et loquor tantum de scientia hominis. Dieser Text scheint Vorbild für die Erweiterungen der Brevis Summa im Göttinger Kodex gewesen zu sein (OP VI 815; zur Textkritik s. ebd. 15*). 74 Dieselbe Unterscheidung findet sich neben OT I 9ff auch ebd. 219,14-220,6; 268,4f; IX 475,14-476,18; OP VI 150,342-151,350, sowie in OP IV 6,53-61 und ebd. 4,2-5,4, wo freilich im Vordergrund die Bestimmung als qualitas steht. 75 Z.B. OP I 39,12-35 mit der hierarchischen Stufung von large bis stricte. Eine solche Stufung ist oft auch dort, wo diese Begriffe nicht fallen, zu erschließen (z.B. OP 19,3-10,25) 76 Zum Begriff s. Carnap, Einführung 40. Die durch den weiteren Begriff bezeichnete Gegenstandsmenge bildet bei Ockham im allgemeinen die Obermenge zu der durch den engeren Begriff bezeichneten; vgl. z.B. OP I 39,13—34: Der weite Begriff der nomina secundae impositionis umfaßt omne illud (...) quod significai voces ad placitum instituías (...), sive illud nomen sit commune etiam intentionibus animae (...) sive non (OP I 39,13 — 16), der enge hingegen nur illud quod non significai nisi signa ad placitum instituía, ita quod non poíesí competere intentionibus animae (...) (OP I 39,32-34).
Die scientia proprie
dicta
31
dern er grenzt zwei Extensionsbereiche so gegeneinander ab, daß von den zwei verschiedenen mit scientia bezeichneten Mengen Gegensätzliches ausgesagt werden kann 77 . Entscheidender Differenzpunkt dabei ist, daß die scientia im ersten Sinne eine Pluralität von Prinzipien und Schlüssen umfaßt 78 , im zweiten Sinn aber stets einem Schlußsatz (conclusio) eine scientia entspricht 79 . Diese auf nur einen Schluß bezogene scientia ist ein Habitus. Da Ockham sie zugleich als Akzidens bezeichnet 80 , liegt von den in den späteren Schriften zu findenden Habitus-Definitionen 81 offenbar folgende zugrunde: Habitus wird gebraucht pro aliqua re accidentali, generata in aliqua potentia ex actu vel ex actibus illius potentiae ("für irgendeine akzidentielle reale Entität, die in irgendeinem Vermögen aus einem oder mehreren Akten eben dieses Vermögens erzeugt wird") 82 . Daß dies die hier vorauszusetzende Habitus-Definition ist, bestätigt sich dadurch, daß sie auf die intellektualen Habitus aus der Nikomachischen Ethik VI,3 bezogen wird 83 , unter die nach Aristoteles wie nach Ockham die scientia fällt 84 . Dementsprechend ist das Vermögen, dem die scientia zuzuordnen ist, der Intellekt 85 . Da dieser als von den anderen nicht real unterschiedene 86 Seelenpotenz real identisch mit der Essenz der Seele ist 87 , ist diese die Substanz, der die scientia akzidentiell inhäriert 88 : Psychologisch ist also die scientia in diesem Sinne ein Akzidens der Seele, das durch Akte entstanden ist, die die Seele aufgrund ihrer intellektualen Fähigkeit hervorgebracht hat,
77
Nach dem einen Begriff kann z.B. eine Wahrheit zu mehreren scientiae gehören, nach dem anderen nicht (OT I 1 0 , 2 - 4 u. 11,8f). 78 OT I 9,2. 79 OT I 11,9f; ähnlich OT III 503,23-504,2. 80 Ο Τ Ι 311, If; OP VI 145,207. 81 S. hierzu Baudry, Lexique 107-109. 82 OP II 273,98f. 83 OP II 273,101. 84 OT I 1 1 , 6 - 8 . Hinzu kommt, daß nach der angeführten Definition der Habitus eine Qualität ist (OP II 269,9 [§ 2]; vgl. OT VI 199,1-2; zur Herkunft dieser Zuordnung von Aristoteles s. Rijk, Logic and Ontology 33), was nach OP VI 3,8f auch von der scientia gilt. 85 OP IV 9,74f. 86 O T V 435,5-15. 87 OT V 435,8. 88 OP VI 3,8f; vgl. OT I 265,20, wo statt Inhärieren steht, daß das Akzidens die Seele forme (informare): Akzidenzien sind reine Formen (OT I 311, lf; III 162,12f) ohne Materie, die sich auf Materie beziehen können (OP IV 7,32-34), und dies in der Weise des Formens (OP I 650,20f; VI 208,85f).
32
1. Kapitel
und die es nun selbst wieder aktivieren kann 89 . Die intellektualen Habitus bezeichnet Ockham auch als habitus verìdici, als Wahrheit gewährleistende Habitus 90 . Es handelt sich also bei der scientia in diesem Sinne um einen streng auf einen Schlußsatz bezogenen habitus veridicus. Dies ist im Deutschen am ehesten als "wissenschaftliche Erkenntnis" wiederzugeben 91 . Den anderen scientia-Begúff dagegen kann man als "Wissenschaft" übersetzen. Ockham sagt selbst, daß er mit diesem Begriff von scientia den allgemeinen Sprachgebrauch treffe 92 , womit, wie die Verwendung von "Metaphysik" als Beispiel zeigt 93 , die Realität von "Wissenschaft" an der mittelalterlichen Universität gemeint ist, d.h. aber nicht die Fakultäten 94 : Ockham nennt weit mehr Wissenschaften als es Fakultäten gab 95 . Zu denken ist vielmehr an die lectiones, die Vorlesungen, d.h. die Kommentierungen von Büchern, an denen auch im allgemeinen Vorschriften über Studienverläufe orientiert waren 96 . Entsprechend wendet Ockham scientia in diesem Sinne auch auf einzelne Bücher des Aristoteles an97. Solche an der lectio orientierte Wissenschaft ist nicht numerisch einfach 98 , sondern in sich plural strukturiert, was sich daran zeigt, daß in ihr Irrtum bezüglich des einen mit Wissen bezüglich
89
Vgl. OT I 197,10-13: Et mediantibus istis habitibus (...) possunt haberi omnes actus possibiles theologo. 90 OT I 200,17f. 91 Unglücklich ist die Terminologie bei Perler, Wahrheitsbegriff 283ff, der der Wissenschaft den "Wissensakt" gegenüberstellt: Es handelt sich hier nicht primär um Akte, sondern um Habitus! 92 OT I 10,2; 220,5f. 93 OT I 10,9-14; vgl. OP I 93,35-37; IV 6,60f; 9,99f. 94 Diese institutionelle Einteilung kommt bei Ockham auch vor (OT I 282,6), aber ohne wissenschaftstheoretischen Belang. 95 Entgegen der üblichen Vierzahl ist in Oxford eine Fünfzahl belegt (s. Statuta 114: [...] sint quinqué, videlicet iunior in qualibetfacúltate). Hackett, University 67 Anm.3 nimmt zur Erklärung dessen verschiedene Fakultäten für die beiden Rechte an. 96 Statuta 26. 32; vgl. Chartularium I 277-279 (Nr. 246). Den institutionellen Sitz im Leben dieser Ockhamschen Äußerungen übersieht u.a. Maurer, Unity 101, so daß er sie in seiner Deutung der oben zitierten Allgemeinheit des Sprachgebrauchs ebd. 110 lediglich auf den Aristotelismus bezieht. 97 OT I 9,14f; 256,2-19; 257,3-9. Die Möglichkeit der Differenz zwischen thematisch orientierter Wissenschaft und Aristotelesvorlesung thematisiert Ockham gelegentlich der Ethik (OT I 359,16-360,16) in der Weise, daß die Ethikvorlesung als auf die thematische Bestimmung hingeordnet verstanden wird (ebd. 360,15f). 98 OT I 9,16; OP II 4,39-49; VI 138,24ff. In OP VI 4,26 gesteht Ockham Authentizität vorausgesetzt — allerdings zu: large loquendo possit dici una scientia.
Die scientia proprie
dicta
33
des anderen Satzes zusammen bestehen k a n n " . Sie ist aber auch keine bloß additive Zusammenstellung 1 0 0 , sondern weist eine bestimmte Ordnung auf 101 . D e r genaue Charakter dieser Ordnung geht freilich aus Ockhams Äußerungen nicht hervor. Er listet zwar in Sent Prol q.8 drei mögliche Ordnungsschemata — anhand der Subjekte, anhand der Prädikate oder anhand beider, d.h. anhand des Objektes (s.u. 4.I.) 1 0 2 - auf und entscheidet sich offenbar für das letzte 103 . Aber weder die Grundlage der Bestimmung dieses Zentralobjektes noch die Art der Zuordnung der anderen Objekte zu ihm wird irgendwo deutlich. Die so auf nicht exakt bestimmbare Weise geordnete Wissenschaft umfaßt mehrere Habitus verschiedener Art und Gattung 104 , d.h. neben wissenschaftlichen Erkenntnissen die Prinzipien, aus denen diese deduziert sind, sowie diverse Hilfs- und Stützreflexionen 105 : Beide scientia-Begriffe verhalten sich zueinander als Teil und Ganzes 106 , und dennoch kommt beiden voller scientia-
99
OT I 2 1 5 , 8 - 1 2 unter Berufung auf Duns (s. Duns, Opera [Paris] VII 305 Nr.4; das Argument findet sich auch bei Aureoli, Scriptum I 258); OP II 4,39—49; IV 6 , 2 - 7 , 1 7 ; VI 139,40-45. Daß Ockham hier auf eine vorgefaßte Vorstellung dessen, was Wissenschaft ist, rekurriert, zeigt, daß es ihm nicht um theoretische Deduktion, sondern um den Nachvollzug institutioneller Realitäten geht. 100 OP II 4,32f; IV 7 , 2 6 - 2 9 ; VI 139,37-39. 101 OT I 8,21f; 9 , 1 7 - 1 0 , 2 ; OP VI 140,72-74. Zur neuzeitlichen Nachwirkung dieser Vorstellung vgl. Maurer, Thomas 269-271. 102 Ο Τ Ι 219,14-220,3. 103 Im unmittelbaren Kontext ist dies nicht ganz eindeutig: Der Anschluß propter ordinem talem (OT I 220,3) kann sich textgrammatisch auch auf alle drei Schemata beziehen, aber wenig später erklärt Ockham in Auseinandersetzung mit Heinrich von Gent, letztlich fuße die Ordnungseinheit auf einer conclusio (OT I 225,14 — 17), neben dem allerdings auch ein ordo consimilis möglich sein soll (OT I 2 2 0 , 3 - 5 ) . In die gleiche Richtung weisen die Bestimmung der conclusio als eigentliches Objekt der scientia und dessen faktische Rolle bei der Charakterisierung von Wissenschaften als praktisch oder spekulativ (s. u. 6.2.) sowie die Aussage in OT IX 475,14 — 476,18, daß die Ordnung respectu unius conclusionis, d.h. anhand des Objektes (s.u. 4.1.), erfolge. 104 OT I 9,16f. 105 S. OT I 9,1—4. Als Hilfs- und Stützreflexionen wurden oben zusammengefaßt: reprobationes errorum, solutiones falsorum argumentorum, divisiones und definitiones. 106 So ausdrücklich in OT I 248,20-27; VIII 42,336-346; OP IV 9,81f. Dieses Verhältnis ist nicht so zu verstehen, als wäre die durch scientia im Sinne wissenschaftlicher Erkenntnis bezeichnete Menge Teilmenge der durch scientia im Sinne von Wissenschaft bezeichneten Menge, sondern so, daß die Elemente der ersten Menge Teile der Elemente der zweiten sind.
34
1. Kapitel
Charakter zu 107 , der Wissenschaft wohl aufgrund des durchgehenden Bezuges aller ihrer Teile auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Mit dieser Distinktion im scientia-Begriff nimmt Ockham sowohl ein an der Eth.Nic. orientiertes habituales als auch ein am Universitätsbetrieb orientiertes pragmatisches scientia-Verständnis positiv auf. Beide konnten in früheren wissenschaftstheoretischen Diskussionen gelegentlich schroff gegenübergestellt werden 1 0 8 .
3. D i e íc/eníí'a-Definition O c k h a m s
3.1. Der Bezug der id««tta-Definition des Sentenzenkommentars auf die wissenschaftliche Erkenntnis In welchem Sinne Ockham in seiner Frage, was scientia im eigentlichen Sinne sei — quid est scientia {proprie dicta)109 - scientia versteht, ist aus der Ant-
107
Den grundlegenden Charakter der hier vorgetragenen Unterscheidung Ockhams erkennen auch Leibold, Wissenschaft 436; Leinsle, Einheit 108f, ohne sich um eine adäquate deutsche Terminologie zu bemühen. 108 S. die Auseinandersetzung von Aureoli, Scriptum I 260f, mit Bernhard von Alvernia. Ockhams Modell ist offensichtlich eine Fortentwicklung des Modells Aureolis: Wie dieser die Einheit der Wissenschaft als Verbindung vieler Habitus gelehrt hatte (Aureoli, Scriptum I 268,46f), so lehrt Ockham die Wissenschaft als Ordnungseinheit vieler Habitus, spricht aber gerade diesen Habitus den Begriff scientia primär zu, den Aureoli ihnen zumindest nicht im perfekten Sinne zugestehen wollte (ebd. 260,42-46). 109 OT I 76,10f; 87,20. Die mit dem proprie schon im Sentenzenprolog vorausgesetzte Unterscheidung einer scientia proprie dicta von einer scientia large dicta (OT I 11,3—5; hier der Begriff freilich in bezug auf Wissenschaft; s.u. Anm. 115), ist im Physikprolog systematisch ausgeführt (diese Stelle ist ausführlich dargestellt bei Marmo, Controversia 4 8 - 6 2 ) : Hier erscheint als vierte und letzte einer Reihe von scientia-Definitionen, die durch immer mehr Bedingungen immer schärfer gestaltet werden, fast wörtlich die Definition der wissenschaftlichen Erkenntnis aus dem Sentenzenprolog (OP IV 6,46—50): Ockham expliziert lediglich, was er im Sentenzenprolog bereits vorausgesetzt hatte (so eindeutig in OT I 76,13 — 16), daß nämlich die Kenntnis der Prämissen evident sei und diese selbst notwendig. Den weiteren sde««ß-Definitionen fehlt in abnehmender Reihenfolge der Strenge das Merkmal der Beweisbarkeit (OP IV 6,43-45), der Notwendigkeit (OP IV 6 , 3 5 42), und der Evidenz, so daß unter diesen weitesten Begriff jede gewisse Kenntnis, auch der Glaube, fallen kann (OP IV 5,29—34). Diese weiteren Begriffe sind gegenüber dem auch im Physikprolog aufrechterhaltenen Standard wissenschaftlicher
Die scientia proprie dicta
35
wort zu erschließen: Ockham bezieht im Gegensatz zu Duns, der beide Aristoteles-Stellen getrennt hatte110, seine an den Analytica Posteriora orientierte scientia-Definition direkt auf die scientia im Sinne der habitus intellectuales nach Eth.Nic. VI 3 111 . Da die Wissenschaft aber mehrere nach Art und Gattung verschiedene Habitus enthält 112 , darunter Prinzipien ebenso wie Schlüsse113 — was nach dem aristotelischen Habitus-Schema nur von der sapientia (Weisheit) gilt114 —, kann sie Erkenntnis aufgrund des Fehlens methodischer Rationalitätssicherung wohl eher als Wissen denn als Wissenschaft zu verstehen (vgl. Miethke, Sozialphilosophie 245 — 247; Beckmann, Anspruch 246—249) und daher nicht eigentlich wissenschaftstheoretisch relevant. Anders ist die Einteilung im Elementarium Logicae: Dieses unterscheidet zusätzlich eine Definition, die stricte vorgeht, von einer, die strictissime vorgeht (OP VII 194,39—49). Die strikte bezeichnet ein aus evident Bekanntem entstandenes Wissen, nach der allerstriktesten muß der Wissenserwerb in modo et figura erfolgen, also in korrektem Syllogismus (OP VII 120,2), was ganz der striktesten des Physikkommentars entspricht. Aus den hierauf im Elementarium Logicae folgenden Überlegungen die Nichtauthentizität dieser Schrift zu folgern (so Leinsle, Einheit llOf), ist übrigens unangemessen: Leinsle übersieht, daß die Kapitel VII 7 - 1 1 (OP VII 195-200) nicht, wie er voraussetzt, die scientia, sondern die demonstratio behandeln (s. OP VII 195,2). Beachtet man dies, stellt man fest, daß die Aufstellung der hier neben der Notwendigkeit (c.7) auftretenden Bedingungen für die demonstratio entgegen Leinsles Annahme voll und ganz dem bekannten Schrifttum Ockhams, in diesem Falle seiner demonstratio-Lehre in der SL, entspricht (zu c.8: OP I 514 [Allgemeinheit hinsichtlich der Zahl]; zu c.9: OP I 512,30-34 [beständige Gültigkeit]; zu c. 10: OP I 515-519 [per se]·, zu c . l l : OP I 514,16-18 [Universalität]). Die gewichtigeren Gründe gegen die Authentizität des Elementarium Logicae, die in OP I 65*f; VII 8*-11* und bei Stump, Dialectic 258-260, vorgebracht wurden, hat bereits Miethke, Abschluß 180-184, widerlegt. 110 Duns, Opera (Vaticana) I 145,17-22 Nr.212. 111 OT I 87,21f. OT I 88,15-89,4 verwendet Ockham das Argument, daß ein habitus veridicus, der nicht intellectus oder sapientia sei, scientia sein müsse, das er später als auf die Theologie angewandtes Argument verwirft (s. OT I 206,2 — 8 als Antwort auf OT I 183,7-11): Diese Diskrepanz ist ein Hinweis darauf, daß Ockham zu Beginn seiner Arbeit seine positiven Vorstellungen von Theologie noch nicht voll entwickelt hatte. 112 OT I 9,16f. 113 OT I 9,2; OP IV 6,58f; 7,18-20. Vergleichbar offene scientia-Begriffe entwickelt Ockham in OP IV 6,43-45, wo er scientia im zweitengsten Sinne als Prinzipien- und Schlußwissen umfassend versteht, und ebd. Z.51f, wo er scientia als Wissen des Schlußsatzes von der scientia als Wissen des ganzen Beweises unterscheidet. 114 OT I 98,6f; VIII 51,555f. Leinsle, Einheit 109, deutet das etiam zwischen intellectus principiorum und sapientia in OP IV 6,48f unverständlicherweise als Gleichsetzung.
36
1. Kapitel
nicht scientia im Sinne des Habitus-Schemas sein. Es geht also hier allein um die wissenschaftliche Erkenntnis 115 .
3.2. Die mittelbare Aristotelesrezeption in Ockhams Definition wissenschaftlicher Erkenntnis im Sentenzenprolog Ockham kannte zwar die Übersetzung der Analytica Posteriora durch Jakobus Veneticus 116 und den Kommentar des Robert Grosseteste zu ihnen 117 . Seinen scientia-Begriff aber gewann er aus der Auseinandersetzung mit dem Oxforder Franziskaner Robert von Cowton. Dieser hat wenige Jahre vor Ockham, 1309 — 1310, die Sentenzen gelesen 118 , und der Text dieser Vorlesung war Ockham bekannt 1 1 9 . Aus ihm hat Ockham seine Definition wissenschaftlicher Erkenntnis fast wörtlich übernommen 1 2 0 : 115
Dies hindert Ockham freilich nicht, den Begriff scientia proprie dicta gelegentlich auf eine Wissenschaft anzuwenden (OT I 11,3f; dies übersieht Zimmermann, Ontologie 334). 116 Die Analytica Posteriora sind die für die Wissenschaftstheoriî maßgebliche aristotelische Schrift (s. Weisheipl, Sciences 96f). Daß Ockham sie in der Übersetzung des Jacobus benutzte, ergibt ein Textvergleich: Von den vier Textfassungen in AL IV scheidet die Paraphrase des Gerardus aus, da Ockham wörtliche Zitate bietet. Ockham weicht in 11 An. Post.-Zitaten deutlich stärker vom Anonymus ab als von Jacobus und Wilhelm von Moerbeke, und bei Differenzen zwischen den letzteren stimmt Ockham regelmäßig mit der Fassung des Jacobus überein (90 a 15 — 18 [OT I 176,21 - 1 7 7 , 3 ] fehlt zwar bei Wilhelm wie bei Ockham gegenüber Jacobus ein amplius (AL IV 322), aber drei weitere Abweichungen Wilhelms von Jacobus finden sich nicht bei Ockham). 117 S. OT I 142,9. Vgl. OT I 37*. Nach Baur, Grosseteste 18*, lag dessen Kommentar die Übersetzung des Boethius zugrunde, d.h. nach AL IV S. X I I - X V . XVIIff die des Jacobus, die auch Ockham kannte. 118 Ο Τ Ι 37*. 119 S. OT I 37*. 277ff (vgl. Brown, Sources 27: 3 9 - 6 0 ) ; OT III 49ff. 120 Dieser Bezug auf Cowton ist bisher nicht beachtet worden. Lediglich Leinsle, Einheit 107 Anm. 3, gibt Theissings Arbeit über Cowton an, ohne jedoch erkennen zu lassen, daß er die Bedeutung Cowtons für Ockham erkannt hat. Beckmann, scientia 639, bezeichnet, ohne auf den näheren historischen Kontext einzugehen, als "historischen Anlaß" für die Behandlung der Wissenschaftslehre die aristotelische Lehre und führt in ders., Anspruch 245, Ockhams Reflexionen hierzu auf seine Funktion als "Aristoteles-Kommentator" zurück (vgl. ebd. 248). Leff, Knowledge 7, nennt nur Grosseteste und Duns als Quellen für Ockhams Wissenskonzeption (ähnlich Honnefelder, Zweiter Anfang 182; Krop, Self-Knowledge 84; Leibold, Metaphysik 123), aber die Unterschiede der Ockhamschen zur Dunsschen Definition in Rep q . l a.l (Duns, Opera [Paris] XXII 7f [anders die Definition in der Ordinatio bei Duns, Opera I 141]), auf der wohl Cowton fußt (vgl. Theissing, Cowton 149), sind größer als die zu Cowtons Definition: Gegenüber Duns fehlt bei Cowton und Ockham die Bestimmung des verum necessarium durch die Attribute
Die scientia proprie COWTON 1 2 1 scientia proprie dicta est certa cognitio veri necessarii quod natum est habere evidentiam necessario ex principiis evidentibus applicatis ad ipsum per discursum syllogisticum ("Wissen im eigentlichen Sinne ist eine gewisse Erkenntnis eines und Notwendigen das geeignet ist, mit Notwendigkeit Evidenz aus vermittels syllogistischem Diskurs auf es angewendeten evidenten Prinzipien zu besitzen.")
dicta
37
OCKHAM 1 2 2 scientia [proprie dicta123] est notitia evidens veri necessarii nata causari per praemissas applicatas ad ipsum per discursum syllogisticum ("Wissenschaftliche Erkenntnis [im eigentlichen Sinne] ist eine evidente Erkenntnis eines Wahren Wahren und Notwendigen die geeignet ist, durch vermittels syllogistischem Diskurs auf es angewendete Prämissen verursacht zu werden.")
Die Änderungen, die Ockham gegenüber Cowton vornimmt, sind erklärbar: 1. Ockham ändert certa cognitio124 zu notitia evidens. Während notitia und cognitio bei Ockham austauschbar sind 125 , ist die Änderung zu evidens sachlich begründet: Bereits Thomas von Sutton, OP, hatte im demonstran und mediati (ex necessariis prioribus demonstrati). Applicatus bezieht sich bei Cowton wie Ockham auf einen Plural, bei Duns auf einen Singular. Die unterschiedlichen Begriffe principium und praemissa bei Cowton und Ockham beziehen sich beide deutlicher als das necessarium bei Duns auf satzhaft Strukturiertes (vgl. aber die Rede von praemissae in der anders lautenden sriew/a-Definition in Duns' Kommentar zu den An. Post. [Duns, Opera < P a r i s > II 82f]). Daß Ockham wie Duns und anders als Cowton die Bestimmung der scientia als proprie dicta fortläßt, ist inhaltlich irrelevant, da er diese Bestimmung ansonsten auf die genannte Definition bezieht (OT I 76,10f; vgl. OP VI 3,6f). Eine Nachwirkung der Dunsschen Definition findet sich neben Cowton auch bei seinem Schüler Johannes de Bassolis: (scientia) est notitia intellectualis certa et evidens alicuius veri necessarii complexi evidenter deducti ex aliquibus necessariis prius notis evidenter mediate vel immediate (zit. nach Krebs, Theologie 29*). 121 Cowton, Sentenzenkommentar 269,11 —14. 122 OT I 87,20-88,2; vgl. VIII 44,405-408. 123 Diese in OT I 87,20ff fehlende genauere Bestimmung ist zu ergänzen aus der Frage ebd. 76,10f, auf die Ockham hier ausdrücklich antwortet. 124 Cowton, Sentenzenkommentar 268, ordnet — entgegen der sich bei Ockham wiederfindenden thomanischen Tradition — Gewißheit eher der Notwendigkeit zu als der Evidenz. 125 S.z.B. OT I 5,19: notitia evidens est cognitio etc.
38
1. Kapitel Anschluß an Thomas von Aquin (De Ver XIV, 1 ad 7)126 Cowton vorgehalten, daß die fides zwar in der Tat keine Evidenz besitze, dafür aber eine größere Gewißheit, die certitudo adhaesionis ("Gewißheit des Anhangens") 127 . Ganz wie Sutton unterscheidet auch Ockham eine zweifache Gewißheit, adhaesio und evidential, und mit dieser Begriffsschärfung kann er die scientia nicht mehr einfach als certa bezeichnen, sondern muß präziser von evidens sprechen 129 . 2. Evidenz wird bei Ockham zum wirklichen Merkmal der scientia, erscheint in deren Definition nicht mehr wie bei Cowton als ein mögliches Merkmal des Erkannten. Diese Änderung beruht darauf, daß Ockham die scientia-Definition Cowtons in zwei Einzeldefinitionen aufgespalten hat: die hier wiedergegebene Definition wissenschaftlicher Erkenntnis und die Definition der wissenschaftlich erkennbaren Proposition 130 . Letzterer eignet wie bei Cowton, aber eben im Rahmen einer eigenständigen Definition, die Möglichkeit, evident erkannt zu werden, die einmal gehabte wissenschaftliche Erkenntnis aber ist, das kann Ockham durch diese Änderung unterstreichen, in der Tat und nicht nur virtuell evident. 3. Mit dem Gebrauch von praemissae statt principia hat Ockham gegenüber der häufigen terminologischen Verschleifung beider Begriffe 131 in der Definition terminologisch korrekt den für Syllogismen angemessenen weiteren Ausdruck, der nicht letzte Unbegründbarkeit, sondern die Mög-
126
Thomas, Opera III 91. Vgl. auch ST 11-11,4,8 (Thomas, Opera II 532). Vgl. Vos, Aquinas 54. Diese Differenzierung entstammt also nicht erst der auf Ockham fußenden Tradition (so Hägglund, Theologie 25). 127 Theissing, Cowton 159. Es ist möglich, daß Ockham die Schrift Suttons gegen Cowton kannte, die dieser nach 1310 in Oxford verfaßt hat (Hechich, Sutton 148). Darauf, daß Ockham diese Schrift oder durch den Oxforder Lehrbetrieb zumindest die darin enthaltenen Argumente kannte, könnte hinweisen, daß er als eines der Sent I q.7 bejahenden Kopfargumente anführt, die Theologie müsse scientia sein, da sie unter keinen anderen der habitus veridici aus Eth.Nic. VI 3 falle (OT I 183,7—11). Genau dieses Argument findet sich in Suttons Schrift (s. Theissing, Cowton 160f), was allerdings, da die Kopfargumente typisiert sind, Ockhams Kenntnis der Schrift nicht beweist. 128 OT I 200,6f. S. zu dieser Unterscheidung unten 3. Kapitel 1.2.1. 129 Die wissenschaftstheoretische Relevanz dieser Unterscheidung zeigt sich in der Differenzierung zweier saenria-Begriffe durch certa notitia und eviden(s) notitia in OP IV 5,29 bzw. 6,35. no OT I 76,13-16; vgl. die ganz ähnliche Definition OT VIII 44,405-408. In der Reihenfolge der Ockhamschen Argumentation erscheint zwar zuerst die Definition des wissenschaftlichen Satzes, der Entstehungshorizont für beide Definitionen ist aber, wie die Abhängigkeit von Cowton zeigt, die Definition der scientia. 131 Grosseteste, Commentarius 102,67-76, verwendet die Begriffe promiscue.
Die scientia proprie
dicta
39
lichkeit der Beweisbarkeit impliziert, verwendet 132 . Ein inhaltlicher Unterschied zu Cowton folgt aus dieser sprachlichen Präzisierung nicht
4. Das Objekt wissenschaftlicher Erkenntnis
4.1. Wissenschaftliche Erkenntnis und ihr Objekt Eben wurde bereits vorausgesetzt, daß Ockhams Definition auch darin der Cowtonschen folgt 133 , daß die wissenschaftliche Erkenntnis nicht allein in sich definiert wird, sondern auch vermittels ihres in der Definition im Genitiv stehenden Objektes 134 , des Wahren und Notwendigen, das daher im folgenden ebenfalls Gegenstand der Analyse des Ockhamschen srie/iria-Begriffs sein muß. U m welche Art von Objekt es sich dabei handelt, wird daraus deutlich, daß die wissenschaftliche Erkenntnis, insofern sie, wie erwähnt, zu den intellektualen Habitus der Nikomachischen Ethik zu rechnen ist, ein judikativer Habitus 1 3 5 , und zwar ein zustimmender 136 ist (ein anderer judikativer Habitus
132
Zur traditionellen Unterscheidung von principium und praemissae s. Webering, Demonstration 60. Daß Ockham sie kennt und gebraucht, geht aus seiner principium-Oefmiûon in OT IX 482,29f hervor: principium tantum potest cognosci ex terminis vel per experientiam sine demonstratione - während eine Prämisse ja, soll Ockhams Definition alle wissenschaftlichen Erkenntnisse treffen, auch mittelbar erkannt werden kann. 133 Dies gilt für die sachliche Struktur der Wesensdefinition. Anders ist die Differenzierung bei der Kriterienbildung, in der Cowton im Gegensatz zu Ockham Duns darin folgt, daß er Kriterien für das Erkenntnissubjekt von solchen für das Erkenntnisobjekt unterscheidet (Cowton, Sentenzenkommentar 268, lOf; vgl. Duns, Opera [Paris] XXII 8). 134 Insofern ist es unangemessen, wenn Imbach, Erkenntnis 185, erklärt, Wissenschaft werde allein durch das Wie des Wissens ausgezeichnet und dies auch noch auf die Methode einengt. Diese unterscheidet zwar im Physikprolog wissenschaftliche Erkenntnis von den anderen Wissensformen (vgl. Beckmann, Anspruch 248), aber die Art der wissenschaftlichen Erkenntnis ist vornehmlich als "Evidenz" zu charakterisieren, und diese ihre Qualität beruht nicht allein auf der Methode als "Nachgang im Verfolgen eines Zieles im geregelten Verfahren" (Ritter, Methode 1304), sondern eben auf den jeglicher Methode vorgegebenen unmittelbar evidenten Erkenntnissen. 135 AL XXVI/1—3 480,11: Sie geben Zustimmung und Verneinung. 136 Dies ist deutlich, da Ockham das Zustimmen auf das Anerkennen als wahr zurückführt (OT I 16,15f), die intellektualen Habitus aus Eth.Nic. VI,3 aber habitus veridici sind (OT I 9 8 , 2 - 9 ) .
40
1. Kapitel
wäre — den jeweiligen Akten entsprechend — die Verneinung 137 , nah damit verwandt ist der Zweifel 138 ). Objekt judikativer Akte und Habitus aber kann nur Verknüpftes (complexa) sein 139 . Als Verknüpftes sieht Ockham primär innermentale 140 Propositionen 141
137
Ο Τ Ι 16,13f. Der Zweifel wird in OT I 52,6; 57,21 eng mit Verneinung und Bejahung zusammengeführt und gilt in OT IV 209,19.22 wie sie als Akt des Intellekts. In Sent I d.27 q.2 aber wird er - im Gegensatz zu Äußerungen der Redaktion (OT I 52,8f; auf diese Stelle verläßt sich Beckmann, scientia 641f.) - offenbar nicht unter die judikativen Akte gerechnet: OT IV 210,22—211,2 stehen der actus iudicativus intellects quo alicui propositioni vel assentii vel dissentii und die dubitatio einander gegenüber. Die Ausschließung des Zweifels aus den judikativen Akten ist damit zwar nicht definitiv und explizit erfolgt: Rein grammatikalisch besteht die Möglichkeit, den Relativsatz, der den judikativen Akt bestimmt, nicht als total identifizierend zu verstehen, sondern in der Weise, daß hier nur jene judikativen Akte genannt würden, auf die der Relativsatz zutrifft, andere aber durchaus möglich wären. Aus dem Kontext aber gibt es für diese Deutung keinen Anlaß: Das einzige, was hierfür spräche, wäre eine (methodisch ohnehin fragwürdige) Harmonisierung zwischen dieser Stelle und einer in ihrer Authentizität nicht sicheren redaktionellen Stelle. 139 OT I 16,12-18. Diesem Gedankengang aus Sent I entspricht es, daß nach dem Physikprolog das in der scientia Gewußte Verknüpftes ist (OP IV ll,9ff). Dies verkennt Leibold, Wissenschaft 437, der als das Gewußte das subiectum scientiae faßt. 140 OT II 137,17f erklärt Ockham: complexum autem non est extra animam nisi forte in voce vel in consimili signo, was, da gedankliche Veränderungen an diesem Punkt nicht zu erkennen sind, von SL 1,1 her zu deuten ist: conceptus primo naturaliter significai aliquid et secundario vox significai illud idem (OP I 8,30f). Das bedeutet, wie die folgenden Ausführungen ebd. Z.31ff zeigen, daß die Zeichenfunktion gesprochener Zeichen hinsichtlich des Bezeichneten von der der Begriffe abgeleitet und ihr analog ist: Allenfalls abgeleitet von der innermentalen Ebene und als deren Zeichen kann es also extramentale complexa geben. Aufgrund dieses Zusammenhanges werden im folgenden die (begrifflichen) innermentalen und die (gesprochenen) extramentalen Zeichen als "sprachliche Zeichen" oder Aussagen zusammengefaßt. 141 Das geht daraus hervor, daß Ockham in OT I 21,17 —19 einen Satz über Propositionen, die es nach ebd. 134,15—24 für uns nur begrifflich oder sprachlich gibt, aus Aussagen über complexa (ebd. Z. 6—10) folgert. Diese sprachlich-begriffliche Deutung entspricht Ockhams späterer Position, die er in seinem Kommentar zur Kategorienschrift als weitere Definition einführt, daß ein complexum nämlich aus Substantiv und Verb bestehe (OP II 148,19-21). Dementsprechend bezieht sich der Gegenbegriff incomplexus zunächst auf Propositionsteile (OT I 21,17—19). Gegenüber diesem bei Ockham zu findenden sprachlich-begrifflichen Verständnis setzt sein Zeitgenosse Burleigh, Physik 5vb, das incomplexum mit der res gleich (vgl. Kunze, Einführung XXXI). 138
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an, die durch die Kenntnisnahme gebildet 142 und dann durch judikative Akte beurteilt werden. Objekte der wissenschaftlichen Erkenntnis also sind begrifflich-mentale Sätze, und zwar, dies geht aus dem oben erwähnten Bezug der wissenschaftlichen Erkenntnis auf conclusiones hervor, Schlußsätze, die Ockham dementsprechend als obiecta der scientia bezeichnet 143 . In dieser aussagehaften Fassung des Objektbegriffs, die sich auch in dem Verständnis von Wahrheit und Notwendigkeit niederschlägt, zeigt sich - trotz der Abhängigkeit in der Formulierung der Definition der scientia - die Eigenständigkeit Ockhams gegenüber Duns Scotus und Robert von Cowton, die unter dem obiectum reale Entitäten verstehen 144 .
4 . 2 . Die Merkmale des Objektes wissenschaftlicher Erkenntnis: Wahrheit und Notwendigkeit Die aussagehafte Fassung des wahren und notwendigen Objektes wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht der Wahrheitsdefinition, die Ockham später explizit entwickeln wird: Er faßt Wahrheit — traditionell zur scientia gehörig 145 — nirgends als adaequatio intellectus et rei ("Übereinstimmung des
142 OT V 258,7. Der judikative Akt setzt also den apprehensiven voraus (OT I 2 1 , 6 - 8 ) ; vgl. Guelluy, Philosophie 88f. Dies gilt freilich nicht unter den Bedingungen der potentia divina (absoluta) (OT I 58,24—59,9). Aufgrund dieser Unterscheidung von apprehensivem und judikativem Akt sind Satzartikulation und Urteilsfunktion strenger zu trennen, als dies Beckmann, scientia 640, tut. 143 OT I 2 6 6 , 1 7 - 2 2 ; VIII 4 0 , 2 9 7 - 2 9 9 ; OP IV 9,88f; vgl. die Betonung des Bezuges der scientia auf Aussagen OT I 247,6f sowie Bottin, Scienza 158. Entsprechend ist scientia ein habitus conclusionum (OT I 9 8 , 3 - 9 ) . Zur Nachwirkung des Gedankens von der conclusio als dem eigentlich Gewußten im nachockhamschen England s. neuerdings Hoffmann, Holcot 14ff. 144 Beide gebrauchen subiectum und obiectum indifferent (s. Duns, Opera [Paris] XXII 9; Cowton, Sentenzenkommentar 289,27fj) und wenden diese Begriffe auf Gott selbst (also eine extramentale Entität) an (Duns, Opera [Paris] XXII 27; Cowton, Sentenzenkommentar 289,17—27). 145 AL I V , 1 - 4 7,2lf (71 b 26f)· Neben der hier zugrunde gelegten und schon zitierten Definition erscheint dieses Merkmal der scientia bei Ockham auch in OT IV 210,1 (verbum falsum de nulla scientia nasci potest) und OT VI 215,4f.
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1. Kapitel
Intellekts und der realen Entität") 146 , sondern bestimmt in den Quodl und der SL Wahrheit aussagehaft, als wahre Proposition 147 . Mit der hinzukommenden Bestimmung des Objektes als notwendig wird — ganz traditionell 148 — Erkenntnis von Kontingentem aus der Wissenschaft ausgeschieden, obwohl auch sie wahr 149 und evident150 sein kann. In der aussagehaften Fassung des Objektbegriffs bei Ockham bedeutet dieses Merkmal: Objekte wissenschaftlicher Erkenntnis sind nur notwendige Aussagen, d.h. solche, die niemals falsch sein können 151 . 4.3. Die Grundlage: Ontologie bei Ockham 4.3.1. Wahrheit und Realität Trotz dieser aussagehaften Fassungen von Wahrheit und Notwendigkeit gibt es für beide nun aber auch bei Ockham eine ontische Grundlage 152 : Zur Er146
Baudry, Lexique 290; Imbach, Erkenntnis 96. Zur Herkunft dieser Formel, die Duns, Opera (Paris) I 396 Nr.7; V 221 Nr.l, unbedenklich übernommen hat, von Averroes und ihrem ersten Auftreten in der christlichen Scholastik bei Wilhelm von Auxerre und Philipp dem Kanzler s. Boehner, Truth 179f. 147 OT IX 578,97-99; OP I 131,245; II 374,48-51. Daß dies die bereits in Sent generell vertretene Wahrheitsdefinition gewesen sei, kann nicht behauptet werden, es reicht die Feststellung, daß der im wissenschaftstheoretischen Kontext verwandte Wahrheitsbegriff allein Aussagen betrifft. 148 AL IV, 1 - 4 7 , 5 - 1 1 (71 b lOff); vgl. Höffe, Einführung XIX; Grosseteste, Commentarius 99,22-100,30. Duns, Opera (Paris) XXII 8; Opera Omnia (Vaticana) I 144,11; Cowton, Sentenzenkommentar 268,22-25. 149 OT I 76,18-20 (das potest esse falsa setzt auch die umgekehrte Möglichkeit voraus). 150 S.u. 5.2.3.2. ff. 151 OT I 138,9-11; 222,13; OP I 512,30-32; VI 6,39-42. OP I 275,72-79 führt Ockham aus, daß nur diese negative Seite gilt: Wahr kann ein Satz erst sein, wenn er ausgesprochen ist, so daß notwendige Sätze nicht immer wahr sein müssen. So scharf hat Ockham das in Sent I noch nicht immer beachtet: In OT I 137,4f behandelt er die Aussage homo est risibilis als "immer wahr", was angesichts der Kontingenz menschlicher Existenz als ganzer nicht gelten kann. In jedem Fall gilt schon für Sent I, daß dieser Satz, wie Ockham in OT IX 590,17 ausdrücklich sagt, eine notwendige Aussage ist: OT I 137,1—8 stellt Ockham Gegenwartsaussagen Möglichkeitsaussagen, zu denen er die zitierte rechnet, gegenüber und kommt in seiner Argumentation zu dem Schluß, quod nulla propositio pure de inesse et de praesenti est simpliciter necessaria. Da er zuvor allein mit der Möglichkeitsaussage argumentiert hat, muß er zu seinem Schluß indirekt gelangt sein, setzt in seinem Schluß also voraus, daß im Gegensatz zur Gegenwartsaussage die Möglichkeitsaussage notwendig ist. 152 Vgl. Leff, Ockham 240ff; Perler, Wahrheitsbegriff 35.
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klärung der Wahrheit benutzt er die Suppositionstheorie, die mit dem Aufkommen der neuen, sprachlich orientierten Logik in der zweiten Hälfte des 13.Jahrhunderts für die mittelalterliche Philosophie Bedeutung erhalten hatte 153 und von der Ockham in den Werken dieses Jahrhunderts 154 und in der Fassung, die ihr Walter Burleigh 1302 in seinem Tractatus de Suppositionibus gegeben hatte, Kenntnis genommen hat155. Ausgeführt hat Ockham seine Suppositionstheorie in der SL 156 : Hiernach supponiert, d.h. steht157 der Term in der personalen Supposition direkt für das von ihm Bedeutete, gegebenenfalls eine extramentale Entität 158 . In der einfachen Supposition steht er nur für eine Intention der Seele, ungeachtet deren Bedeutungsgehaltes 159 , in der materialen für ein mündlich oder schriftlich artikuliertes Wort, ungeachtet dessen Bedeutungsgehaltes 160 . 153 S. insbesondere Petrus Hispanus, Tractatus 79ff; zu den Wurzeln dieser modernen Logik v.a. Rijk, Logica II/1 513—554. 154 S. zu Petrus Hispanus und Wilhelm von Sherwood OP I 44*. 155 Zur wahrscheinlichen Abhängigkeit Ockhams von Walter Burleigh s. Brown, Treatise 23f: Besonders bemerkenswert sind der Verzicht auf die suppositio naturalis (s. zu dieser Petrus Hispanus, Tractatus 81) und die eigenständige Rolle der suppositio materialis (vgl. diese freilich auch in dem Lull-Zitat bei Prantl, Logik III 133 Anm. 596), die sich bei Ockham wie bei Burleigh finden. Vor allem spricht für eine Kenntnis von De suppositionibus schon in Sent (zu SL s. Brown, Treatise 27 — 30) eine Polemik in OT II 146ff, die sich laut Anm. ebd. offensichtlich auf Burleigh bezieht. Angesichts der Schärfe der Polemik gegen Burleigh muß freilich mit der Annahme eines ausschließlichen Abhängigkeitsverhältnisses vorsichtig umgegangen werden. 156 Ockhams Lehre entstammt wohl der Auseinandersetzung mit Walter Burleigh oder mit Wilhelm von Sherwood: Während Petrus Hispanus, Tractatus 80-83, die materiale Supposition nicht kennt und als erste Distinktion die in allgemeine und diskrete Supposition einführt, die bei Ockham fortfällt, bietet Sherwood, Logik 266,6 — 15, als erste Einteilung materiale und formale Supposition und teilt die letztere in einfache und personale. Grundsätzlich entspricht der Ockhamschen Deutung, daß Sherwood die einfache Supposition auf Universalien (homo est species), die personale auf Einzelentitäten bezieht (homo currit; vgl. ebenso Burleigh, De Suppositionibus 35ff). Da aber nach Ockham das Universale selbst eine Menge von Einzelentitäten signifiziert (OP I 96,48), kann er nicht wie Sherwood und Burleigh in homo est species den Term signifikativ gebraucht sehen und muß die Unterscheidung anders ziehen als diese. 157 Zu dieser Bedeutung s. OP I 193,11. 158 OP I 195,4-7. Dies zeigt eindeutig, daß sich die Ockhamsche Suppositionslehre keineswegs "auf eine innerlogische Methode, Zeichen widerspruchslos auf Zeichen zu beziehen" (so Mensching, Allgemeines 331) reduzieren läßt: In der personalen Supposition erfolgt ein Bezug eines Zeichens, des Supponierenden, auf ein Bezeichnetes, also gerade nicht wiederum auf ein Zeichen! 159 OP I 196,1-2. 160 OP I 196,38f.
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Diese Differenzierung hat für die Wahrheitsfrage, die schon vor der SL, nämlich in Sent I d.27 q.3 161 , und dann auch in SL 11,2 suppositionstheoretisch gelöst wird, jedoch keine Bedeutung. Hiernach gilt nur: Eine Aussage ist dann wahr, wenn Subjekt und Prädikat korrekt für dasselbe supponieren162, auf welche Weise auch immer. Das heißt, solche Aussagen, in denen das Supponierte eine reale Entität ist163, sind hinsichtlich ihrer Wahrheit oder Falschheit von den den mentalen Prozessen gegenüber eigenständigen Verhältnissen der realen Entitäten untereinander abhängig164, insofern allein eine auf der Ebene der Supponierten vorliegende totale oder partielle Identität die Gleichsetzung sprachlicher Terme erlaubt. Der Einbezug der vom Erkennen unabhängigen Realität in das Wahrheitsverständnis, den traditionell das adaequatio-Theor&m klären sollte, wird bei Ockham also durch die Suppositionstheorie geleistet: Die aussagehafte Fassung des Objektbegriffs mit den ihm zukommenden Merkmalen der Wahrheit und der Notwendigkeit, mit der Ockham sich von dem ihm vorgegebenen Strom der Duns-Schule eigenständig absetzt, steht im Kontext einer diesem gegenüber intensivierten Rezeption der modernen, auf Supposition und Signifikation konzentrierten Logik. Deren starker Einfluß auf den Engländer Ockham dürfte unter anderem dadurch bedingt sein, daß im Oxford des 14.Jahrhunderts die Logik einen Schwerpunkt der akademischen Ausbildung
161
OT IV 255,4f. »« OP I 250,15f; vgl. OT IX 603,106-110; vgl. Alféri, Singulier 364; Perler, Wahrheitsbegriff 162f u.a. Boehner, Truth 200, zeigt, daß diese Wahrheitstheorie auch als Erbe der Korrespondenzwahrheit zu verstehen ist (inhaltlich ähnlich Zuidema, Philosophie 342): Da nach ihr weiterhin der durch die Supposition erfolgende Gegenstandsbezug maßgebliches Wahrheitskriterium ist, hat Ockham zwar den Gegenstandsbezug anders definiert als reine Korrespondenzwahrheitstheoretiker, sich aber keineswegs von der "Naivität" frei gemacht, die Gegenstände der Wissenschaft als Maßstab für die Wahrheit ihrer Sätze zu nehmen (so Mensching, Allgemeines 330). 163 Das ist mindestens dort der Fall, wo in personaler Supposition eine extramentale reale Entität supponiert wird; vgl. OT II 134,3—9; 137,20—22. 164 Entsprechend bindet Ockham vor allem in späteren Schriften die Wahrheit oder Falschheit einer Aussage explizit an die Verhältnisse der realen Entitäten: OT IX 697,91-93; ebenso OP II 376,98-100, aber auch schon in Sent III q.7: si per mutationem rei sit complexum falsum (OT VI 215,7). Vgl. das Beispiel des in seinem Wahrheitswert vom Verhalten der Fliege abhängigen Satzes "Die Fliege fliegt" in OT IX 576,40-44; vgl. OP I 129,202-130,210 mit der Betonung, daß die Veränderung a parte rei begründet ist! An solchen Aussagen geht die Deutung von Imbach, Erkenntnis 96, daß die Wahrheit gänzlich ohne ontologische Relevanz sei, vorbei. Die Abweisung der Notwendigkeit außerseelischer Veränderungen für den Wissenserwerb in OP VI 3,11 — 14 dagegen hat psychologische, nicht epistemologische Bedeutung!
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darstellte 165 . Eine im europäischen Maßstab auffallige Prägung des englischen Universitätsmilieus durch emphatische Logikrezeption zeigt sich unter anderem daran, daß Johannes Luttereil nur ca. eineinhalb Jahrzehnte nach Ockhams Sentenzenvorlesung von dem allgemeinen Vorurteil reden konnte, die Engländer argumentierten mehr logisch als theologisch 166 . Im gleichen Sinn spricht wiederum ein Jahrzehnt später, nun aber möglicherweise schon im Blick auf die nachhaltige Wirkung Ockhams in Paris, Richard von Bury von den typisch englischen Subtilitäten167. 4.3.2. Gottes potentia absoluta Ist die Wahrheit — und damit auch die konstante Nichtfalschheit der Notwendigkeit — von Aussagen über reale Entitäten an eben diese Realität gebunden, so setzt dies eine Geordnetheit der realen Entitäten voraus, der die immer wieder als "Willkürfreiheit" 168 gedeutete Allmacht des Ockhamschen Gottes zu widersprechen scheint. Die diesbezügliche Lehre hat Ockham erst in Quodl VI q.l zur Lehre von potentia absoluta und ordinata ausgeformt. Im Zentrum steht hier die Aussage: Deus nihil potest facere inordinate ("Gott kann nichts inordinate [s. hierzu weiter unten] machen") 169 . Hierzu gibt es im etwas späteren OpXCD zwei entsprechende Aussagen: Was immer Gott tut, das tut er, weil er es angeordnet hat170, und: Was immer Gott faktisch tut, das
165 Die hohe Bedeutung, die Baudry, Vie 22, den Summulae Logicae des Petrus Hispanus für England zumißt, hat zwar keinen Anhalt in der Handschriftenverteilung (s. Petrus Hispanus, Tractatus XCVIIf), aber generell hatte Logik mit Sicherheit in den Studiengängen der Universität (Weisheipl, Curriculum 169. 185; ders., Developments 151), wahrscheinlich auch der Ordensstudien in Oxford (ebd. 152f) einen eminenten Rang; vgl. zur geistesgeschichtlichen Bedeutung solcher Bildungstraditionen Flasch, Einführung 63. 166 Hoffmann, Luttereil 117,11 — 13. Daß Lutterell ein auf Ockham bezogenes Vorurteil so unumwunden auf sich bezöge, ist unwahrscheinlich: Dieses Urteil ist also nicht mit dem Ruf Ockhams und seiner Schüler (allein) zu erklären. 167 Richard, Philobiblion 106 (zur Entstehungszeit s. ebd. XXI). 168 Blumenberg, Säkularisierung 171. Etwas moderater folgt ihm Heinzmann, Philosophie 247. 169 OT IX 586,20f; zur Bedeutung dieser Äußerung s. auch Bannach, Macht 19. 248f; Beckmann, Weltkontingenz 447. 170 OPol II 726,425-430; vgl. auch TractcB 111,3 (OPol III 234,30-
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tut er de potentia ordinata171. Die Aussage, daß alles göttliche Handeln ordinate geschehe, wird hier also als gleichbedeutend mit der, daß Gott stets de potentia ordinata handle, verstanden. Das heißt umgekehrt: Die potentia absoluta, die absolute Macht, gemäß der Gott alles tun kann, was keinen Widerspruch in sich schließt172, bezeichnet nach diesen etwas späteren Äußerungen eindeutig keinen eigenen Handlungsbereich neben dem der Gottes Handeln gemäß den von ihm erlassenen Anordnungen bezeichnenden potentia ordinata173. Eben dies hat Ockham offensichtlich auch schon in den Quodl mit der Aussage, Gott handle nicht inordinate, intendiert, denn hier betont er ausdrücklich, daß potentia absoluta und potentia ordinata nach außen nur eine einzige potentia sind174. Das heißt wiederum nichts anderes, als daß die potentia absoluta keinen eigenen Handlungsbereich begründen soll, in dem 171 OPol II 727,453f. Die Faktizität des Handelns Gottes ist also entscheidend für die Qualifizierung als de potentia ordinata, damit - als Handlungsgrund - auch der göttliche Wille, nicht aber der "revealed will" (Hervorhebung von mir; V.L.), wie Courtenay, Dialectic 254, meint: Eine solche Ablesbarkeit an der Offenbarung und eine damit gegebene Erkennbarkeit und Verläßlichkeit des Handelns Gottes formuliert Ockham an keiner Stelle: Sämtliche ebd. 267f Anm. 46 als Belege angeführten Stellen arbeiten ohne Offenbarungsterminologie, und Ockham nahm auch eindeutig nicht an, daß Gott seinen Willen vollständig offenbart habe: Nach Quodl I q.7 macht Gott sogar unter den Engeln Unterschiede in der Quantität der Offenbarung (OT IX 41,128-131), und nach Quodl IV q.4 ist nach einer von Ockham erwogenen Möglichkeit die Sonderbegabung der Propheten, daß Gott ihnen (also den anderen nicht!) futura contingentia offenbart (OT IX 318,93—95). Für die Frage der Erkennbarkeit der Anordnungen Gottes ist dementsprechend auch die Frage nach dem Zeitpunkt des (ja nicht zwingend offenbarten) Beschlusses des Heilsplanes ebenso unerheblich (diese Frage verbindet Courtenay, Nominalism 39, mit der potentia-Lehre) wie für die Existenz eines Ordnungszusammenhanges aufgrund dieser Anordnung: Diese Frage gehört in den Problemkomplex der Veränderlichkeit Gottes, und hier erklärt Ockham anhand des Beispiels eines Königes, der für den einen Wochentag dieses, für den anderen aber jenes erlassen kann, die Unveränderlichkeit des göttlichen Willens auch bei geänderten Willensäußerungen Gottes (OT III 459,23-460,23; VIII 295,214-296,226). Für Gott heißt dies: Es gibt zwar keine ordinatio nova, da jede göttliche Anordnung ewig ist (OT VIII 296,226), aber eine ordinatio aeterna, mit der Verschiedenes angeordnet sein kann (OT VIII 294,199-295,213). Dadurch soll eben gerade die Veränderlichkeit und mögliche Diskontinuität göttlichen Handelns erklärt werden, eine Verläßlichkeit ist also dadurch gerade nicht gegeben (und auch die im Königsbeispiel gegebene turnusmäßige Regularität ist für das Argument nicht zwingend). 172 OT IX 586,24-27; vgl. OPol II 719,130f. Als Füllung der göttlichen Allmacht erscheint dies bereits OT IV 36,4 — 10. 173 OT IX 586,22-24; vgl. Beckmann, Weltkontingenz 446. Ockham spricht hier von leges, aber nicht, wie Duns, von allgemeinen Gesetzen. 174 OT IX 586,16-18; vgl. OP I 779,232-238; OPol II 725,378-381; III 233,37-234,1.
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Gott nicht de potentia ordinata handelte. Sie stellt demnach lediglich den Möglichkeitsraum dar, der Gottes jeweils faktischem Handeln zugrunde liegt 175 . Diese Aufteilung von potentia ordinata und absoluta nicht nach Handlungsbezirken, sondern nach Faktizität und Möglichkeit markiert den entscheidenden Unterschied der Ockhamschen zur Dunsschen potentia-Lehre176: Bei dem Doctor subtilis findet sich ebenfalls der Gedanke, daß Gott nicht ungeordnet handeln könne, und zwar aus dem Grunde, daß Gott als Ordnungssetzer über der Ordnung steht und so gegen sie nur durch Ordnungssetzung verstoßen kann 177 . Er handelt mithin ordinate, d.h. "angeordnet", unabhängig davon, ob er gemäß seinen allgemeinen Gesetzen — so füllt Duns das Handeln de potentia ordinata — handelt oder über diese hinausgeht, d.h. de potentia absoluta handelt 178 . Bei ihm also bezeichnet die potentia ordinata, anders als bei Ockham, einen engeren Raum als das ordinate geschehende Handeln. Grundlage dieser verschiedenen Semantik zweier gleicherweise von ordo etymologisch ableitbarer Wörter ist ein doppelter orc/o-Begriff bei Duns: Dieser unterscheidet einen ordo universalis, die allgemeinen Gesetze (also einen Ordnungszusammenhang), von einem ordo particularis, dem Einzel-
175
Die neuere Forschung hat zu Recht betont, daß mit dieser gedanklichen Konstruktion die Freiheit Gottes gegenüber jeglicher von ihm selbst erlassener Ordnung gesichert ist (s. Bannach, Macht 273; Beckmann, Weltkontingenz 446f; Desharnais, Distinction 161; Miethke, Sozialphilosophie 156). Die Deutung der potentia absoluta als Bezeichnung der Möglichkeit Gottes über das Faktische hinaus findet sich v.a. bei Courtenay, Capacity 120—123, ausgeführt. Zu wenig beachtet wurden in der neueren Forschung hingegen die Möglichkeit der Ordnungsdurchbrechung (Courtenay, Capacity 122; ders., Dialectic 255 verweist lediglich pauschal auf sie) und deren Bedeutung für das Weltverhältnis des Menschen. 176 Leff, Ockham 16, verweist auf die lange Vorgeschichte der Unterscheidung von potentia absoluta und ordinata (s. zu dieser neuerdings auch Moonan, Power). Als direkter Vermittler zu Ockham kommt aber nur Duns in Frage. 177 Duns, Opera (Vaticana) VI 364,11-19; 366,8-19; vgl. Miethke, Sozialphilosophie 145-149. 178 Nach Duns, Opera (Vaticana) VI 364,3f ist das Handeln de potentia absoluta, wiewohl es ordinate geschieht, excedens potentiam ordinatam. Diesen Unterschied Ockhams zu Duns betont Courtenay, Dialectic 254f; ders., Capacity 120, völlig zu Recht; vgl. auch Randi, Power 209f. Insbesondere ders., Scotist Way 44f, macht den ihm und Courtenay gemeinsamen argumentativen Grundgedanken deutlich, daß der Unterschied zwischen Duns und Ockham gerade darin besteht, daß dieser die potentia ordinata mit Gottes faktischem Handeln gleichsetzt, jener jedoch die potentia ordinata als Gottes Handeln de jure, die potentia absoluta als Gottes Handeln defacto versteht (s. Duns, Opera [Vaticana] VI 364,7-10 [Ord I d.44 q.l] Nr. 3)·
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1. Kapitel 179
urteil . Im Sinne des letzteren handelt Gott also auch dann noch wenn er gegen den Ordnungszusammenhang verstößt 180 .
ordinate,
Angesichts der Verschiebung gegenüber dieser Position des Duns, aufgrund deren Gottes absolute Macht bei Ockham nicht mehr einen Sonderbezirk göttlichen Handelns, sondern lediglich dessen Möglichkeiten bezeichnet, ist nun freilich zu fragen, ob Ockham bei der gegenüber Duns vorgenommenen Identifikation von "de potentia ordinata handeln" und "ordinate handeln" die Dunssche Semantik des ersten oder des zweiten Terminus zugrunde legt. Die erste Möglichkeit wäre, daß Ockham die von Duns für das Handeln de potentia ordinata eingeführte Bedeutung der Gesetzmäßigkeit 181 zugrunde legte, so daß das ordinate als "geordnet" zu übersetzen wäre und man aus der Bestimmung, Gott handle ordinate, in Quodl VI q. 1 folgern könnte, was Gott bisher getan habe, lasse einen "kontinuierlichen Ordnungszusammenhang erkennen" 182 , und durch dessen Kontinuierlichkeit 183 sei die Welt "berechenbarer" 184 , es sei eine ontische Grundlage sprachlicher Notwendigkeit gegeben, so daß letztlich das Theorem der potentia ordinata die wissenschaftliche Welterkenntnis sicherte 185 . Die andere Möglichkeit aber ist, daß Ockham die bei ihm zum Synonym gewordenen Ausdrücke von der Dunsschen Semantik des Adverbs ordinate her 179
Duns, Opera (Vaticana) VI 367,1-8. Ebd. 367,9-14; vgl. Miethke, Sozialphilosophie 147f. Bannach, Macht 15, schiebt diesen zentralen Gedanken als Äußerung "eines Nebengedankens, der uns hier nicht weiter beschäftigen soll", beiseite. 181 Duns, Opera (Vaticana) VI 363,20 - 364,1 Nr.3. 182 Bannach, Macht 273; vgl. 19; vgl. Beckmann, Weltkontingenz 447. Fragwürdig ist auch die Argumentation, mit der Bannach, a.a.O. 273—275, Konvergenzen zwischen den Systematiken W. Pannenbergs und Ockhams findet, da Ockham entgegen Bannachs Betonung der Offenheit der Zukunft aufgrund der potentia absoluta (der schon die wiederholt ausgesprochene Zukunftsgeltung einer bestimmten Anordnung Gottes widerspricht [s. z.B. OT IX 588,74-76; OP I 779,232-780,242]) nicht mit Zeitstufen argumentiert. Die von Bannach a.a.O. 274 Anm. 722 angeführte Stelle OP II 515,212-216 mit der Betonung von Zeitstufen behandelt das auch in der SL verhandelte spezielle Problem, daß es perfektische Aussagen gibt (iste fiiit praedestinatus ab aeterno), die mit Aussagen im Futur äquivalent sind (iste salvabitur; s. die Beispiele in OP I 712,124f sowie die Rede von propositiones de praesenti, die aequivalenter de futuro sind, in OP II 515,212f): Hier stellt sich die Frage nach der Zeitstufung nicht aufgrund der potentia-Problematik, sondern aufgrund der spezifischen Semantik dieser die Prädestination betreffenden Sätze. 183 Diese Kontinuierlichkeit müßte man dazu freilich mit Kaufmann, Begriffe 95 (unter Betonung der mangelnden Gewißheit solcher Prognosen), im Gegensatz zu Bannach, auf die Zukunft ausdehnen. 184 So Kaufmann, Begriffe 95. 185 So z.B. Vossenkuhl, Ockham U6f. 180
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deutet, das, auf das Handeln des Gesetzgebers, also Gottes, angewendet, nicht "geordnet" heißen kann, sondern, da es mit Ungeordnetheit, d.h. zumindest punktueller Durchbrechung des vorgegebenen Ordnungszusammenhanges {ordo universalis), zusammen bestehen kann, schlicht "angeordnet" heißen muß. Genau diese Möglichkeit der punktuellen Durchbrechung des geltenden Ordnungszusammenhanges aber hat nun offensichtlich auch Ockham gesehen: In den Quodlibetam wie im TractC 187 bringt er die drei Männer im Feuerofen als Beispiel dafür 188 , daß Gott natürliche Kausalverhältnisse suspendieren, also den von ihm selbst in der Schöpfung ins Sein gesetzten natürlichen kontinuierlichen Ordnungszusammenhang der Kausalität189 durchbrechen kann - ein Vermögen, das Ockham in Quodl190 wie in Sent191 der göttlichen potentia absoluta zurechnet, das also zwar, da alles faktische Handeln Gottes de potentia ordinata erfolgt, im Einzelfall der drei Männer im Feuerofen de potentia ordinata geschah, da es aber dieser normalerweise nicht zugehört, nicht den normalerweise gültigen Ordnungszusammenhängen (dem Dunsschen ordo universalis192) einzuordnen ist, ordinate also nicht als geordnete, sondern lediglich als angeordnete Handlung geschieht: In seiner Gleichsetzung des Handelns de potentia ordinata mit dem ordinate erfolgenden Handeln deutet 186
OT IX 455,18-456,21. O T X 115,5-8. 19-25. 188 Vgl. auch den Hinweis darauf, daß Christus durch geschlossene Türen ging, als Beleg dafür, daß de potentia absoluta zwei Körper zugleich an einem Ort sein können, in OT VIII 268,375—377. Den hier entwickelten Gedanken korporaler Koexistenz gebraucht Ockham in OT VII 138,2-4 zur Erklärung der von ihm für möglich gehaltenen, aufgrund der Kirchenlehre aber abgewiesenen Konsubstantiation in der Eucharistie: Das, was de potentia absoluta möglich ist, könnte die immer wiederkehrende Ordnungsdurchbrechung in der Eucharistie begründen! 189 OT IX 455,17 spricht Ockham von dem effectus naturalis consequens. 190 S. OT IX 604,11-605,24: Den Glaubensartikel der Allmacht Gottes füllt Ockham im Sinne der potentia absoluta (Z.13 —16) und begründet damit (Z. 18) den genannten Grundsatz (Z. 19f). 191 OT I 171,6-9 (vgl. auch den Überblick über Stellen zur potentia absoluta bei Pernoud, Innovation, aus dem hervorgeht, daß für deren Gebrauch bei Ockham die Behauptung der Möglichkeit der Suspendierung von Kausalverhältnissen typisch ist). 192 Eine entsprechend klare Terminologie fehlt bei Ockham. Man kann die Diskrepanz zwischen seiner in Quodl und OpXCD erfolgenden Bestreitung eines eigenen Handlungsbezirkes der potentia absoluta und dem Nebeneinander der Bezeichnung bestimmter Handlungen als zur potentia absoluta gehörig und dennoch gelegentlich faktisch erfolgend daher nur vermittels der vagen Vorstellung von "normaler Ordnung" o.ä. erklären. Dies zeigt, daß Ockham seine denkerische Veränderung gegenüber Duns nicht an allen die potentia-Lehie betreffenden Stellen vollständig durchsystematisiert hat, da sonst eine eigene Terminologie zur Bezeichnung der Normalität zu erwarten wäre. 187
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1. Kapitel
Ockham das durch diese Synonyme Bezeichnete von der bei Duns zu findenden Semantik des ordinate als "angeordnet" her. Das zeigt, daß Ockham davon ausgeht, daß Gott nicht nur einen vorgegebenen Ordnungszusammenhang durch einen neuen ersetzen 193 , sondern auch vorgegebene Ordnungszusammenhänge punktuell 194 durchbrechen kann, sein stets ordinate erfolgendes Handeln also diskontinuierlich gestalten kann, so daß aufgrund der im Einzelfall realisierten Möglichkeit der Durchbrechung von Ordnungszusammenhängen die Kontinuierlichkeit der Welt nicht als durch das ordinate bzw. die Allgemeinheit des Handelns gemäß der potentia ordinata (die mithin als "anordnungsgeleitete Macht" zu verstehen wäre) garantiert anzusehen ist 195 : Ein ordinate, das nicht mehr bedeutet als "angeordnet" 1 9 6 , kann die Gesichertheit der Welt und der Welterkenntnis nicht begründen 1 9 7 : Wenn 193 So ist wohl der Wechsel vom Alten zum Neuen Bund zu verstehen (OT IX 586,31-39). 194 Ein mögliches anderes Beispiel für Gottes faktisches Handeln aufgrund von de potentia absoluta möglichem Handeln ist Paulus, s. OT IV 607,10-13; VI 2 8 0 , 1 7 281,2; IX 5 8 7 , 5 3 - 5 8 . Auf diese von Bannach vernachlässigten Stellen hat auch Miethke, Sozialphilosophie 268f Anm. 467, hingewiesen. 195 Diese Folgerung zieht Courtenay, Dialectic 255; ders., Capacity 122, nicht, der bei der (durchaus richtigen) Aussage stehen bleibt, daß auch Wunder de potentia ordinata geschehen. 196 Ganz richtig erklärt Vossenkuhl, Kontingenz 84f, denn auch, daß letztlich ordinate Schaffen und "Konsistenz-Bedingung", d.h. die für die potentia absoluta gültige Widerspruchsfreiheit (ebd. 80), zusammenfallen. Interessant ist, daß bereits Johannes XXII. den Unterschied, der zwischen der Position des Duns und der Ockhams bestand, präzise erkannte und Ockham dabei in dem Sinne interpretierte, daß bei ihm die potentia absoluta eine ständige Interventionsmöglichkeit begründe (s. die Aufeinanderfolge des Referates zweier Positionen zur potentia absoluta in der bei Randi, Rasoio 186-198, abgedruckten Predigt Johannes' S.191 [Nr.XII], deren erste zweifellos die Position des Doctor subtilis bezeichnete). 197 So erklärt z.B. Sylla, Science 357, die Sicherheit der wissenschaftlichen Erkenntnis hänge an der Weise des göttlichen Handelns. Ein wegen seiner Relevanz für die Frömmigkeit besonders viel diskutiertes Problem stellt die Frage der Heilssicherheit dar. Auch hier muß jedoch darauf geachtet werden, daß die von Ockham aufrechterhaltene Heilssicherheit (vgl. zu diesem Komplex insbesondere Quodl VI q . 1 - 4 [OT IX 585-599]) nicht mit dem grundsätzlichen Verhältnis von potentia absoluta und ordinata erklärbar ist. Auch an der von Courtenay, Capacity 137 Anm. 28; ders. Dialectic 267f Anm. 46, undifferenziert zur Stützung seiner Thesen herangezogenen Stelle OP I 779,232—780,3, wo als korrektes Verständnis des Satzes Deus per suam potentiam absolutam potest aliquem acceptare sine gratia sed non per suam potentiam ordinatam genannt wird: Deus potest acceptare aliquem sine gratia informante, quia hoc non includit contradictionem, et tamen ordinavit quod hoc numquam est facturus (vgl. syntaktisch entsprechend OT VIII 291,106-109), geschieht dies nur scheinbar, wie eine genaue syntaktische Analyse ergibt: numquam ist adverbiale Bestimmung zu est facturus, und dies ist das Prädikat eines von ordinavit
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Die scientia proprie dicta
Gott die von ihm ins Sein gesetzte Ordnung durchbrechen kann — wie kann dann ein Satz zustande kommen, der niemals falsch ist? 4.3.3.
Die ontische Grundlage begrifflicher
Notwendigkeit
Ein solcher Satz kann zustande kommen, weil nach dem Sentenzenkommentar auch Gottes — hier nicht weiter differenzierte, nach dem Kontext 198 aber als absolute zu verstehende — Allmacht an Grenzen stößt, und zwar offensichtlich an solche, die der Artenordnung der Welt entsprechen: Nach Sent I d.44 kann Gott zwar neue Arten schaffen, aber er kann die Grenzen zwischen den Arten nicht durchbrechen: Wenn Gott einen Menschen schafft, der im Gegensatz zum jetzigen nicht sündigen kann, kann dies nur Neuschaffung im Rahmen einer anderen Art, nicht Veränderung der Elemente, die unter die bisherige Art fallen, sein 199 : Gott bleibt auch in seinem schöpferischen Handeln an die Artenordnung gebunden. In diesen Kontext gehört auch eine Überlegung, die
abhängigen Nebensatzes, d.h. es gehört zum Inhalt dieser speziellen Anordnung Gottes (für die hier vorliegende spezielle Anordnung ist das gleicherweise ausgedrückt in OT III 477,21-478,1 und IX 588,74-78 [ganz deutlich ist auch hier die Bedingtheit des numquam ausgedrückt: Es gilt secundum leges a Deo nunc ordinatas {Hervorhebung von mir; V.L.}, also nicht seit jeher {Gegensatz zum nunc ist im Kontext die Vergangenheit; s. ebd. 586,37-39}]). Das numquam (bzw. ein ihm entsprechendes semper) gilt also nicht generell von allen Anordnungen Gottes. Diese grammatische Analyse wird dadurch bestätigt, daß zu den Anordnungen Gottes auch solche gehören können, die nur zeitlich begrenzte Gültigkeit besitzen — etwa die, daß beschnittene, unmündig verstorbene Kinder zur Zeit des Alten Bundes in das Reich Gottes eingehen konnten (OT IX 586,35—37) —, die dann durch göttliches Handeln revoziert werden können. Es sind also irreversible und (teil)reversible Anordnungen Gottes zu unterscheiden: Irreversibilität ist nicht Eigenschaft jeglicher, sondern nur bestimmter Anordnungen (wobei aufgrund der Unveränderlichkeit des göttlichen Willens der Anordnungsakt als solcher ewig [OT VIII 296,226] ist, die reversiblen Inhalte also durch einen irreversiblen Akt angeordnet sind). Die von Ockham in keiner Weise tangierte Heilssicherheit für Christen und Christinnen beruht also darauf, daß die Heilszusage die Anordnung von Irreversiblem durch Gott darstellt, nicht aber darauf, daß Gott nur gleichförmig handeln könnte. 198 Sent I d.44 q.l steht im Kontext einer Reihe von Fragen zur Allmacht Gottes (dieses Thema wird in OT IV 61 l,2f ausdrücklich auf die posse-Frige bezogen). Die Omnipotenz aber hat Ockham ebd. 36,4-10 im Sinne der potentia absoluta gedeutet. 199 OT IV 652,23-653,2. Die Erklärung von Alféri, Singulier 385, für die Möglichkeit notwendiger Sätze: "Une fois formé le concept essentiel de 'cheval', aucune expérience ne peut infirmer la proposition définitive, universelle et nécessaire: 'les chevaux sont des quadrupèdes qui hennissent'" übersieht mit ihrer rein erkenntnistheoretischen Orientierung den an dieser Stelle angesprochenen ontologischen Problemhorizont Ockhams.
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Ockham in Sent I d.43 q.2 vorträgt200: Hiernach ist, was die Abhängigkeit kreatürlicher Eigenschaften von Gott angeht, zwischen solchen, die den Kreaturen inhärieren201 und solchen, die den Kreaturen ex se zukommen und allein bezüglich dessen, ob sie aktuell und real existieren, von Gott abhängen, zu unterscheiden. Zu letzteren gehört offensichtlich die Artzugehörigkeit, denn Ockham erklärt: homo ex se est non-asinus ("Der Mensch ist aus sich heraus ein Nicht-Esel")202. Damit bestätigt sich auch an dieser Stelle, daß die durch die Artenordnung erfolgende Grenzziehung durch Gott nicht durchbrochen werden kann, sondern Gott lediglich die Möglichkeit hat, die Artenordnung als Ganzes oder ihre Teile in aktuelles Sein zu überführen. Daß Ockham diese Meinung auch noch nach der Entstehung von Reportatio und Ordinatio beibehielt, wird aus einer Stelle in der nach der Ordinatio entstandenen203 Quaestio disputata von der Ewigkeit der Welt deutlich, wo Ockham erklärt, daß es möglich sei, daß Gott die Welt von Ewigkeit her gemacht habe204, und zur Stützung dieser Position mehrere Argumente nachschiebt, die die Auffassung des Scotus, daß eine Ewigkeit der Welt unglaubhaft sei, da sie die Gleichzeitigkeit mehrerer unendlicher Entitäten impliziere, widerlegen sollen205. Unter diesen Argumenten findet sich auch folgender Syllogismus: haec est vera ab aeterno 'homo est animal' et haec 'angelus est substantia' hae non fiierunt Deus, sed aliquid aliud a Deo igitur fiiit aliquid aliud a Deo ab aeterno206 ("Dies ist von Ewigkeit her wahr: 'Der Mensch ist ein Lebewesen' und ebenso dies: 'Ein Engel ist eine Substanz' Diese [Sätze] sind nicht Gott gewesen, sondern irgend etwas anderes als Gott Also hat irgend etwas anderes als Gott von Ewigkeit her bestanden")
200
OT IV 649,18-650,6. Dies müssen nicht unbedingt Akzidenzien sein: Die Meinung, inhaerentia significai accidens (OT V 17, lf), ist nicht als Ockhams eigene, sondern als die eines Diskussionspartners gekennzeichnet, und in OP II 84,138f erklärt Ockham: quia si calefactivitas sit alia res a calore sibi inhaerens, oportet quod sit substantia vel accidens. 202 OT IV 650,1. 203 OT VIII 13*. 204 OT VIII 68,160-162. 205 Dieser Zusammenhang ist aus folgendem deutlich: In OT VIII 94,645 weist Ockham mit hanc viam zurück auf die Argumente des Skotus ex sensibilibus (ebd. Z. 641), die sich bei Duns, Opera (Paris) XXII 544-546 Nr. 12-17, finden und die Ockham, wie er a.a.O. Z. 641f erklärt, prius wiedergegeben hat, nämlich ebd. 60,16-61,25. 206 OT VIII 97,694f; die conclusio (ebd. wörtlich: igitur etc.) ist zu ergänzen aus ebd. 94,649-95,652. 201
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Der Obersatz zeigt, daß Ockham voraussetzt, daß die Artenordnung zwar nicht in ihrem aktuellen Sein, wohl aber in den ihre Geordnetheit wiedergebenden wahren Sätzen gleichursprünglich mit Gott und nicht von diesem voraussetzungslos zusammengestellt, sondern seinem Zugriff entzogen ist 207 . Diese Ausführungen belegen, daß trotz Ockhams potentia-absoluta-Lehre sein Denken mit der Aussage, die Welt sei in jeglicher Hinsicht von Gott abhängig und kontingent 208 , eine ontische Grundlage sprachlicher Notwendigkeit mithin ausgeschlossen 209 , nicht recht zu erfassen wäre, insofern die konstante Nichtfalschheit bestimmter Aussagen von Gott unabhängig ist. Dies weist darauf hin, daß bei Ockham das Widerspruchsprinzip, das Gottes Handeln begrenzt, durchaus material gefüllt ist210: Die vorgetragenen Aussagen zeigen, daß Ockham die Artenordnung als Grenze göttlicher Allmacht betrachtet. Das bedeutet
207
Das Gegenteil, die Behauptung einer "Voraussetzungslosigkeit des Willens in Gott", wird in dem jüngsten Überblick über die Philosophiegeschichte des Mittelalters, bei Scherer, Philosophie 170, als Folge der Ockhamschen Universalienlehre angesehen. 208 Die Ansicht, daß "the finite order (...) a totally free creation of an omnipotent God" sei, bezeichnet Klocker, Divine Ideas 348, als Forschungskonsens. 209 So Hooykaas, Science 107; Imbach, Erkenntnis 184. Miethke, Sozialphilosophie 248, sagt, "im Vollsinne" gebe es keine ontologische Notwendigkeit bei Ockham, ohne auszuführen, in welchem Sinne es sie dann gebe (vgl. auch ebd. 1590; auch Vossenkuhl, Ockham 110, führt leider nicht aus, was er unter dem "notwendigen Charakter" der Schöpfung verstehen will, der damit, daß alles Geschaffene "kontingent" ist, zusammen bestehen soll. An anderer Stelle (ders., Kontingenz 79) erklärt er im Anschluß an Beckmann ausdrücklich, es gebe "kein ontologisches Korrelat" für die rationalen Strukturen der Ockhamschen Weltdeutung. Unklar ist auch die Position von Flasch, Denken 451, der zwar von einer Bestimmtheit der Welt "mit Notwendigkeit" spricht, diese aber anscheinend mit der bloßen Kausalregularität (also gerade jenem, was kontingent ist) gleichsetzt und dementsprechend aller menschlichen Erfahrung "Nicht-Notwendigkeit" zuspricht. Lediglich Beckmann, Anspruch 253, vermerkt, daß es für notwendige Sätze auch eine ontologische Grundlage, orientiert am Widerspruchsprinzip, geben muß, hat diese Erkenntnis aber a.a.O. nicht ausgearbeitet und in seinen späteren Veröffentlichungen jegliche Notwendigkeit in der Welt bestritten (ders., scientia 640f; ders., Maxime 198). 210 Das beachtet z.B. Miethke, Sozialphilosophie 139f, zu wenig. Auch Vossenkuhl, Kontingenz 81, erweitert die Formalität lediglich gemäß OT IV 36,7-10 auf den Ausschluß selbstbezüglicher Tätigkeiten. Den hier ausgeführten Zusammenhang zwischen Widerspruchsprinzip und Essenz erkennt auch Muralt, Toute-puissance 356f, führt das Problem aber erkenntnistheoretisch eng, ohne die ontologische Dimension zu beachten. Demgegenüber betont Beckmann, Transformation 296, zu Recht, daß das Widerspruchsprinzip ein logisches und ontologisches Prinzip ist; vgl. OT II 174,5f: contradictio est via certissima adprobandum distinctionem rerum.
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nach seiner Auffassung: Ontologisch ist diese Grenze in den Essenzen begründet 211 . Ockhams Rekurs auf die Vorstellung von Essentiellem bzw. von Essenzen in diesem Zusammenhang erstaunt zunächst, da er doch in der SL - wie übrigens viele andere vor ihm 212 - die Ägidisch-thomanische Lehre 213 von der Realdistinktion von Essenz und Existenz 214 bestritten hat. Das bedeutete für ihn aber keineswegs einen Verzicht auf das philosophische Arbeiten mit dieser elementaren (nominalen) Distinktion: Nicht nur der Bezug der Artprädikationen auf den Essenzbegriff zeigt, daß er sie weiterhin verwandte. Auch die weiter unten genauer auszuführende Definition des Unterschiedes von notitia intuitiva und abstractiva gewinnt ihr Profil allein aufgrund der Unterscheidung von Essenz und Existenz (s.u. 5.2.3.2.), und eine Aussage wie die, daß Gott die Geschöpfe erkenne, ehe er sie schaffe 215 , setzt ebenfalls faktisch die Unterscheidung von Essenz und Existenz voraus 216 . 211
Schon in seiner berühmten Abhandlung über die Universalien in Sent I d.2 q . 4 - 8 hat Ockham ausdrücklich Artprädikationen als Essenzaussagen eingeführt (OTII 122,21-123,1. 12-17; vgl. ebd. 217,17-19; 256,1-4, sowie ferner OT III 176,17-19; 231,19-21; 248,8f). In OT III 233,16 hat er die spezifische Differenz als differentia specifica vel essentialis bezeichnet. In Sent III q. 10 erklärt Ockham, homo und asinus könnten beiden unter dem Gattungsbegriff animal zusammengefaßt werden, weil conveniunt in aliquo essentiali et in aliquo differunt (OT VI 336,1518). In OT II 152,8-13 erklärt Ockham über das Verhältnis des Universale "Mensch" zum Einzelmenschen, das eine (das, nachdem ebd. 138,9f als Charakteristikum der Universalien ihre Prädizierbarkeit für viele genannt worden war, nur das Universale sein kann) werde vom anderen prädiziert et importât essentiam alterius: Das Universale ist also Zeichen für die reale (von der Existenz nicht trennbare) Essenz, und dieses Signifikationsverhältnis übersieht Todisco, Spirito Critico 91, wenn er Essenz, Universale und allgemeine Natur gleichermaßen als "segni di una serie di enti singolari" bezeichnet. 212 Siger, Metaphysik 17,40f. 5 7 - 6 1 (q.7); Gottfried, Quodlibeta I 60; zu Heinrich von Gent in dieser Frage s. Wippel, Essence 403f. 213 Thomas, Opera II 39 (ScG 11,52); vgl. Doyle, Desintegration 15; Guggenberger, Existenz 857f; Kopaczynski, Franciscans 283-285. 297f; Wippel, Essence 394ff. Ebd. 401 weist Wippel darauf hin, daß direkter Gegner für Ockham wohl Aegidius von Rom war (vgl. Kopaczynski, Franciscans 287f). 214 OP I 554,41—43 (esse bedeutet an dieser Stelle, als Ausführung zu OP I 553,3-5, exsistere). Nach OP I 554,21-27 unterscheiden sich Essenz und Existenz lediglich grammatikalisch in der Weise der Bedeutung der ihnen entsprechenden Worte: Während das eine Essenz bezeichnende Wort ein Substantiv ist, ist das die Existenz bezeichnende ein Verb. 215 OT II 283,9f. 216 Solch faktisches Arbeiten mit dieser Unterscheidung, auf das auch Ghisalberti, Ockham 11 Iff, verweist, übersehen in einseitiger Betonung der Bestreitung der Realdistinktion Alféri, Singulier 69f; Kugler, Erkenntnis 25f; Leff, Ockham 4; Miethke, Sozialphilosophie 162f; Wippel, Essence 401f. Rijk, Logic and Ontology
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Diese Beobachtung nun, daß Ockham entgegen dem durch seine Bestreitung der Realdistinktion hervorgerufenen Anschein durchaus faktisch mit dem begrifflichen Instrumentarium der Unterscheidung von Essenz und Existenz arbeitet, macht seine Äußerungen über ontische Grundlagen von Notwendigkeit in den Quodl verstehbar. Es gibt einerseits konditionale Notwendigkeit, die allein auf Beziehungsnotwendigkeit beruht: Zwei kontingente Aussagen bilden eine notwendige Aussage, wenn sie in notwendiger Beziehung miteinander verknüpft sind 217 . Andererseits gibt es absolut notwendige Aussagen, d.h. solche, deren Gegenteil einen Widerspruch einschließt 218 . Solche absolut notwendigen Aussagen können von Kreaturen wie von Gott getroffen werden 2 1 9 . Da aber allein Gottes, nicht der Kreaturen Existenz notwendig ist 220 , können nur solche Aussagen über Kreaturen absolut notwendig sein, die deren
37, stellt fest, daß man die Bedeutung solcher Unterscheidungen nicht unterschätzen dürfe, bleibt aber in ders., Antimetaphysiker 325, bei der Leugnung realer Unterschiedenheit von Essenz und Existenz bei Ockham stehen. 217 OT IX 590,19 - 2 4 ; vgl. VIII 90,557-566. 218 O T I X 590,14-16. 219 OTIX 590,16-18. 220 OP I 555,51-54; VI 6 , 3 7 - 3 9 (vgl. die Ausführungen zu Gottes kontingentem Schöpfertum OT IV 636,15—637,4). Die Geltung solcher Aussagen (wie auch der Ausführungen zu dem aristotelischen Satz omne quod est, quando est, necesse est esse in OP II 419—421) nur für die Existenznotwendigkeit übersieht Beckmann, Weltkontingenz 448. Auch die Aussage: considerano intellectus nihil facit ad hoc quod res sit necessaria vel contingens (OP VI 144,174f) betrifft lediglich ein notwendiges Sein, also absolute Notwendigkeit, nicht aber den Besitz einer notwendigen Struktur. Im übrigen wird an dieser Stelle auffällig anders, als man es von Ockham kennt, argumentiert: Sogar Teilen der Schöpfung, den Himmelskörpern, wird als res necessariae (!) ontologische Notwendigkeit zugesprochen (OP VI 144,166)! Dies könnte die ohnehin fragliche Authentizität der Summula Philosophiae Naturalis weiter fraglich machen: Weisheipl, Mertonians 172f, führt einige Inkonsistenzen zwischen der Summula und den sonst bekannten Schriften Ockhams auf, die nicht einfach durch den Verweis zu entkräften sind, daß Weisheipl hier theologische Schriften heranziehe, während die Summa eine philosophische sei (so OP VI 27*; zur Fraglichkeit solcher Trennungen s. Miethke, Abschluß 177). Die Zweifel von Brampton, Summulae, an der Authentizität dagegen sind von Miethke, Ockhams Summulae, v.a. 67—78, widerlegt worden. Da hier die Authentizitätsfrage nicht endgültig geklärt werden kann, werden im folgenden Belegstellen aus der Summula im Falle der Übereinstimmung mit dem gesicherten Werk Ockhams kommentarlos vermerkt, im Falle von Besonderheiten jedoch mit dem Hinweis auf die Fraglichkeit der Authentizität versehen.
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Existenz konditional 221 oder als Möglichkeit zugrunde legen 222 , da andere Aussagen die Wirklichkeit kontingenter Existenz affirmativ voraussetzten und dadurch ebenso kontingent wie diese wären. Indem solche notwendigen Sätze aber, wenn auch nur konditional oder im Modus der Möglichkeit, einen Bezug auf reale Entitäten aufweisen 223 , unterstreichen sie, daß Notwendigkeit in diesem Fall — anders als in dem der konditionalen Notwendigkeit — nicht allein in der logischen Struktur der Notwendigkeitsaussagen begründet ist 224 , sondern auch auf einer ontischen Grundlage beruht 225 , insofern die Aussagen, um im Falle der Existenz der Entitäten, über die sie getroffen werden, nicht falsch zu werden, die ontische Struktur dieser Entitäten (suppositionstheoretisch) korrekt bezeichnen müssen. Entsprechend erklärt Ockham in
221 In diesem Fall ist also die Grundlage der Notwendigkeit - wie bei der konditionalen Notwendigkeit — ein Bedingungsgefüge. Diese gemeinsame Grundlage in der konditionalen Struktur macht auch den Zwischentypus von Notwendigkeit verständlich, auf den Ockham in OT IV 323,17f rekurriert: Daß, wie er hier sagt, die Aussage Sortes fuit dann, wenn die Aussage Sortes est einmal wahr war, notwendig ist, liegt letztlich in der Notwendigkeit des Bedingungsgefüges "Wenn Sokrates war, war Sokrates" begründet. Der Unterschied zur bloß konditionalen Notwendigkeit liegt darin, daß Ockham nicht nur das Bedingungsgefüge als Ganzes als wahr und notwendig beschreibt, sondern auch den zweiten Teil für sich unter der Bedingung der Wahrheit des ersten Teils. Der Unterschied zum zweiten Typ von Notwendigkeit jedoch liegt darin, daß die ontische Grundlage dieser Notwendigkeit nicht in den Dingen selbst, über die die Aussage erfolgt, begründet ist, sondern in einem Dritten: der Unumkehrbarkeit der Zeit (ebd. Z. 18f). 222 OT IX 540,56 -541,65. Dieser Gedanke erscheint explizit erst in den Quodl, ist aber von Ockham anscheinend schon früher vorausgesetzt worden, denn auch in Sent Prol q.3 nennt er als Beispiele für "immer wahre" Propositionen lediglich Möglichkeitsaussagen (OT I 137,3-6). 223 Dies vermerkt auch Beckmann, Allmacht 292. 224 Gg. die Verallgemeinerung dieser Aussage bei Beckmann, Allmacht 292; ders., Weltkontingenz 456; Heinzmann, Philosophie 256; Leibold, Wissenschaft 435; Miethke, Sozialphilosophie 248; Vossenkuhl, Kontingenz 80; Perler, Prädestination 140. Ders., Wahrheitsbegriff 162f, korrigiert seine frühere Aussage offensichtlich, indem er die Abhängigkeit der Notwendigkeit von der Realität zwar nicht ausführt oder begründet, aber voraussetzt. 225 Schon für Sent gilt: Gerade in Sent I d.2 q . l l , wo Ockham in bezug auf den Satz homo necessario est risibilis, der unter die oben genannten absolut notwendigen Möglichkeitsaussagen über Kreaturen fällt (OT IX 590,17), erklärt: illa nécessitas non est in re, bindet er die Aussage auch daran, daß der ausgesagte Sachverhalt ex natura rei sei (OT II 376,230, und in OT IX 5 5 2 , 6 3 - 6 9 führt er aus, daß es unmöglich sei, die Proposition homo non est risibilis als wahre zu bilden, es aber dennoch auch ohne Existenz des Prädikates risibile Menschen geben könne: Wiederum ist die (in Umkehr der Unmöglichkeit des negativen Satzes für den positiven gültige) Notwendigkeit der Relation völlig unabhängig von den begrifflichen oder sprachlichen Terme.
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Quodl VI q.29, eine notwendige Aussage besage, daß es sich in der Realität so verhalte, wie sie es sagt, und sich nicht anders verhalten könne 226 : Sprachliche Notwendigkeit ist in bestimmten Fällen an reales Nichtandersseinkönnen gebunden 2 2 7 . Das bedeutet, daß die einmal in ihre kontingente Existenz getretenen Kreaturen nicht schlechthin kontingent, sondern in irgendeiner Hinsicht auf notwendige, d.h. anders nicht mögliche Weise strukturiert sind. Dies entspricht der oben angeführten Aussage aus Sent, wonach bestimmte kreatiirliche Eigenschaften nicht in den ihnen ex se zukommenden Bestimmungen, d.h. z.B. ihrer Art, sondern allein in ihrem aktuellen Sein von Gott abhängen. Diese zu verschiedenen Zeitpunkten und in verschiedenen Kontexten erfolgten Aussagen konvergieren in ihrem sachlichen Kern: Während die Existenz der Kreaturen schlechthin kontingent ist, eignet ihren Essenzen zumindest partiell eine bestimmte Art von Nichtandersseinkönnen als Grundlage sprachlicher Notwendigkeit. Wenngleich die Schöpfung also als ganze kontingent ist 228 , besitzt sie doch eine durch das Widerspruchsprinzip auf notwendige Weise gefügte Ordnung 229 , die mindestens die Essenzen strukturiert, so daß notwendige Essenzaussagen über Kreaturen wie "Der Mensch kann lachen" 230 oder "Wenn es
226
OT IX 697,93-95: in rei Daß Ockham dieses selbst nicht als Notwendigkeit bezeichnet, ist eine Folge dessen, daß er jegliche Existenznotwendigkeit der Kreaturen bestreitet und nicht den Verdacht wecken will, Notwendigkeit sei etwas ihnen irgendwie intrinsisch Zukommendes: Für ontische Phänomene benutzt er einen sehr scharfen Notwendigkeitsbegriff, der in der neueren Forschung zu einem Übersehen der Behauptung sachlich vorhandener ontischer Grundlagen von Notwendigkeit im Ockhamschen Denken geführt hat. 228 S. OT IV 655,6f: Probabile autem reputo quod Deus posset facere alium mundum meliorem isto distinctum ab isto specie; vgl. hierzu Imbach, Ockham 231. 229 Die Bedeutung des Widerspruchsprinzips für die Universalienordnung zeigt sich in Sent III q.9, wo Ockham erklärt, daß denjenigen Entitäten, die zu einer Art gehörten, jeweils das gleiche zukomme und das gleiche widerspreche (OT VI 289,2-6). 230 OT IX 590,17. Das Beispiel der Lachfáhigkeit zeigt, daß Ockham unter die aufgrund der Artenordnung notwendigen Sätze nicht allein solche, die die nur Intrinsisches aussagenden Arten und Gattungen prädizieren, rechnet (diese sind, wie das Beispiel omnis asinus est animal in OT I 181,19f zeigt, Aussagen mit Prädikaten, die per se primo modo sind, d.h. nach ebd. 180,6—11 solche, die nicht Extrinisisches vom Subjekt aussagen), sondern auch solche, in denen den unter die jeweiligen Arten gefaßten Entitäten zukommende konnotative Eigenschaften, d.h. passiones, die per se secundo modo ausgesagt werden, prädiziert werden (zum Beispiel der risibilitas s. OT I 180,11 — 14; zu den Begriffen per se primo/ secundo modo s. ausführlicher unten 6.1.2.). Strenggenommen dürfte der zitierte Satz auf227
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1. Kapitel
einen Menschen gibt, dann ist er ein vernünftiges Wesen"231 unter Absehung von der konkreten Existenz möglich sind: Die Grundlage der sprachlichen Notwendigkeit der Objekte wissenschaftlicher Erkenntnis ist eine Notwendigkeit auf der Ebene der Essenz 232 . Man kann sie dementsprechend als "essentielle Notwendigkeit" 233 bezeichnen.
grund seiner Formulierung übrigens noch nicht einmal notwendig sein, da er nicht als ganzer unter die Bedingung der Existenz gestellt wird. 23 ' O T I X 541,64. 232 Daß die Aussagen, denen nach Ockham Notwendigkeit zukommt, Essenzaussagen sind, hat neben Zuidema, Philosophie 344, auch Alféri, Singulier 376, beobachtet, wertet dies aber aufgrund seiner Grundannahme, Ontologie sei bei Ockham durch Semiotik abgelöst worden (ebd. 58), nur erkenntnistheoretisch aus (ebd. 381 — 391). Daß Art- und Gattungseigenschaften die Essenz dieses zu einer Art gehörenden Wesens ausmachen, setzt Ockham wie in dem Gedanken, der Mensch bleibe, auch wenn es keine anderen Lebewesen gebe, Lebewesen quia natura hominis per hoc in nullo variatur (OT II 7 2 , 2 - 5 ) , so auch in seiner Argumentation OT II 115,18116,3 voraus, wenn er auch zugleich bestreitet, daß es sich bei dem, was zum Ausdruck der essentia gehört, um eine Einzelentität handelt: Es geht ihm auch hier um die Nichttrennbarkeit von Essenz und Existenz, insofern er betont, daß nichts Essentielles der Entität selbst in der Existenz voraufgehe. Daher drücken die Universalien zwar Essenz aus, sind aber selbst keineswegs Teil der Essenz (s. OT II 152,11 — 13). Die Nichttrennbarkeit von Essenz und Existenz führt auch dazu, daß Ockham am Beispiel von Sokrates und Plato erklären kann, daß zwei Entitäten, die zur selben Art gehören, sich essentiell unterscheiden (OT II 184,11-185,13). Das heißt, daß der Differenzgrund in der Essenz und nicht in etwas den Entitäten gegenüber Äußerlichem liegt, schließt aber keineswegs die zumindest teilweise Entsprechung der essentiellen Strukturen, auf die es hier allein ankommt, aus: In der Essenz kann z.B., so illustriert Ockham die genannte Aussage, die Einheit der jeweiligen Entität begründet liegen (ebd. 185,1-6), die seine Überindividualität ausschließt (ebd. Z.6f), so daß selbst zwei völlig gleich strukturierte Essenzen notwendig real unterschieden wären, da sonst die ihnen ja gemeinsame Wesenseigenschaft unum nicht zuträfe. Die genannte Stelle unterstreicht also lediglich, daß die Essenz nichts real von den existierenden Entitäten Abhebbares, Überindividuelles ist, ist aber weit davon entfernt, Ockham aus der gängigen Auffassung, nach der das "Wesen, traditionell der affirmative Kern des Seienden, (...) dessen Zufälligkeit transzendieren sollte", zu lösen, wie Mensching, Allgemeines 322, meint. 233 Ähnlich hat, anhand der Kausalität, schon Hochstetter, Studien 14f, nur zum Teil gegebene innerweltliche Kontingenz und vollständig gegebene universale Kontingenz unterschieden: Gg. Miethke, Sozialphilosophie 248, gibt es in der Welt durchaus Notwendigkeit. Unverständlich ist, daß Perler, Prädestination 164, nur temporal bedingte ontologische Notwendigkeit bei Ockham erkennen will, die er ebd. 134 erläutert hat, obwohl er ebd. 142 zugeben muß, daß die Unterscheidung zwischen absoluter und konditionaler Notwendigkeit in Quodl VI q.2 "weniger auf einer temporalen als auf einer ontologischen Differenzierung" beruht.
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EXKURS: D I E UNIVERSALIEN
Diese Ausführungen eröffnen auch eine Perspektive auf das viel verhandelte Universalienproblem. Nach Ockham sind Universalien keine extramentalen realen Entitäten 234 , sondern lediglich innermental gegebene235 Begriffe 236 , aber solche, die von mehreren Entitäten ausgesagt werden können237. Die Grundlage dieser allgemeinen Prädizierbarkeit aber hat, das folgt schon aus den Ausführungen zur Bindung von Wahrheit und Notwendigkeit an die dem Erkennen vorgegebene Realität, ontologischen Charakter 238 . So ist es z.B. ausdrücklich dem Denken wie dem Sein nach239 unmöglich, daß ein Mensch ein Esel wäre 240 . Das ontologische Konzept zur Erklärung der Prädizierbarkeit für mehrere Entitäten aber findet Ockham in der Ähnlichkeit der Substanzen241, die eine dem Erkennen vor-
234
OT II 248,23-249,3; IV 136,5-7; 138,2f. Die Annahme der Universalien als extramentale Entitäten ist nach OP II 362,9-363,19 der pessimus error in philosophia. Zum genauen Verständnis Ockhams ist aber zu bedenken, daß z.B. Ockhams scheinbar radikale Aussage dico quod (...) nulli univoco correspondet aliquid unum a parte rei keineswegs pauschal gilt (so hat es jüngst Heinzmann, Philosophie 254, gedeutet), sondern eingeschränkt wird durch: ilio modo quo isti imaginantur (OT II 331,13-15). 235 OP I 49,42f; zur Bedeutung von Suppositions- und Bedeutungslehre für diese Frage vgl. Bannach, Macht 346. 236 OT II 140,14—17. Der Frage, inwieweit die Universalien als Begriffe reale Entitäten sind, ist Boehner durch seine oben (1.1.f) erwähnten Untersuchungen zu fictum- und intellectio-Theorie nachgegangen. Sie trägt allerdings nichts zu der hier entscheidenden Frage der Realität der durch die Universalien bezeichneten Ordnungsstruktur bei. 237 OT II 138,9f; OP I 48,31-33. Da es unter anderem um extramentale Entitäten geht, handelt es sich um personale Supposition (s. OP I 195,4—7). 238 Vgl. Ghisalberti, Gott 64; Schulthess, Sein 295; ders., Significatio 117. Ebd. 127 betont Schulthess zu Recht, daß gerade in der ontologischen Fundierung der Signifikation der eigentliche Unterschied Ockhams zur Neuzeit zu finden ist (vgl. auch Boler, Evident Cognition 92f, an, wenn er von einem "ontological commitment" als einer "obsession" Ockhams spricht). 239 Wie Imbach, Erkenntnis 96 u.ö. (ähnlich Inagaki, Res 301; Mensching, Allgemeines 337), von einem Gegensatz von Denken und Sein zu sprechen, erweist sich aufgrund dieser Ockhamschen Parenthese als unzutreffend; treffender hatte dagegen Siebeck, Erkenntnislehre 325, Ockhams Suppositionslehre "in einer unklaren Mitte" zwischen völliger Heterogenität und Ähnlichkeitsrelation situiert. 240 OT II 249,5f. Die Unabhängigkeit der Artprädikation von der operatio intellects betont Ockham ausdrücklich in OT II 360,12 — 14. OT II 211,15-20; 272,13-17; 310,24f; III 217,20-22; vgl. Adams, William Ockham 110; Alféri, Singulier 68; Courtenay, Nominalism 36; Hübener, Nominalismus-Legende lOlf; Scherer, Philosophie 167; Schulthess, Sein 238f; Sladeczek, Konzeptualismus 254. Entsprechend stellt die Ähnlichkeit nach OT V 9,10—13 wie die Artzugehörigkeit eine Grenze göttlichen Handelns dar.
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1. Kapitel 242
243
gegebene relatio realis darstellt: Ähnlichkeit ist subjektunabhängig 244 und 245 real , wenn auch nicht von den Einzelentitäten, deren Wesen sie ausdrückt 246 , losgelöst 247 . Dieser ontologischen Fundierung der allgemeinen Prädizierbarkeit entsprechend, deutet Ockham in SL 1,12 universale248 Begriffe als natürliche Zeichen 249 im Gegensatz zur konventionellen Einsetzung250. Das Universale ist demnach in der Weise ein 242 OT IV 385,12-15; 4 0 0 , 4 - 8 ; vgl. Adams, William Ockham 113. 243 ο τ γ 9 , 8 - 1 3 ; vgl. II 205,20f; IV 3 8 5 , 3 - 6 . 244 S. OT IV 385,16—386,2: Das, was die relatio rationis von der relatio realis unterscheidet, ist, daß bei ersterer die Dinge ohne eine operatio intellectus nicht so beschaffen wären, wie sie bei deren Gegebensein beschaffen sind, bei letzterer die Beschaffenheit der Dinge also unabhängig von der operatio intellectus ist (vgl. OT IX 684,28-30). Dementsprechend sagt Ockham über die similitude OT IV 3 8 6 , 1 7 20: unum album est simile alteri albo sine omni operatione intellectus (vgl. OT IX 679,18—26), und entsprechend ist es nach OT V 304,15 — 17 unmöglich, daß es für zwei überaus ähnliche Entitäten ein Universale gäbe, das nur die eine, nicht aber die andere signifizierte. 245 Ockham kann auch von fiindamenta realia für die Ähnlichkeit sprechen: OT II 205,20 —206,4; vgl. OT III 204,14 — 16: non potest esse distinctio in conceptibus nisi propter aliquam distinctionem a parte rei; vgl. die Rede vom fiindamentum in re bei Thomas, Sent I d.19 q.5 a.l (Thomas, Opera I 55) einschließlich der Betonung bei Thomas a.a.O., daß (das universale in re) non tarnen ibi habet rationem universalis! 246 OT II 152,8-13; vgl. OT VI 335,19-336,1, wo Ockham, wenn auch in bezug auf univoke Begrifflichkeiten, von einer Ähnlichkeit in omnibus essentialibus spricht (der Bezug dieser Aussage auf die Art erhellt aus ebd. 336,9f). 247 Die similitudo selbst ist keine res (s. OT IV 385,12-15) - dies betont allerdings Wengert, Necessity 250, einseitig, ohne auch die positive Aussage der Realität der Ähnlichkeit in Rechnung zu ziehen. 248 S. OP I 43,47. 249 o p I 4 3 , 4 0 - 4 3 ; daß Art und Gattung ex natura sind, hat er auch schon in OT II 2 7 1 , 9 - 1 2 gelehrt. 250 o p I 4 4 , 7 0 - 7 2 ; vgl. OP I 4 9 , 5 3 - 6 4 . Gegen eine konventionalistische Universaliendeutung, wie sie ihm etwa Vossenkuhl, Ockham 122, und Mensching, Allgemeines 323, zuschreiben, wendet sich Ockham ausdrücklich in OT II 2 7 1 , 2 - 7 . 9 - 1 2 (vgl. die redaktionelle Stelle OT II 290,2f). Mensching, a.a.O., hat verkannt, daß an der von ihm als Beleg angeführten redaktionellen Stelle OT II 2 8 9 , 1 3 - 1 5 ([...] conceptus et quodlibet universale est aliqua qualitas exsistens subiective in mente, quae ex natura sua ita est signum rei extra sicut vox est signum rei ad placitum instituentis) das durch das sicut angegebene Tertium comparationis zwischen gesprochener Sprache und Begriff gerade nicht in der Wendung ad placitum instituentis, das die Zeichenfunktion der Sprache bezeichnet, und dem auf Seiten des Begriffs ein ex natura rei gegenübersteht, zu finden ist, sondern im signum, wie daraus hervorgeht, daß signum rei auf beiden Seiten des sicut steht. Auch in OT III 1 9 5 , 5 - 7 ([...] ossero, quod nihil est in re nec realitas quae sit quocumque modo genus vel
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natürliches Zeichen der von ihm bezeichneten Entitäten, wie der Rauch ein natürliches Zeichen des Feuers ist251, und es gibt bei Ockham auch gelegentlich Andeutungen einer Erklärung der Entstehung dieses dem Verhältnis der Rauchs zum Feuer entsprechenden Konnexes zwischen Universalien und extramentalen Entitäten: Die Universalien sind Ergebnis eines nicht näher beschriebenen Abstraktionsprozesses auf Grundlage der Einzelen ti täten252. commune per praedicationem ex natura rei plus quam aliud) wird keineswegs das ex natura rei verneint, sondern das Sein in re bzw. die realitasl 251 OP I 49,53—56: universale (...) naturaliter est signum praedicabile de pluribus, ad modum, proportionaliter, quo fumus naturaliter significai ignem (...). Die Deutung von Leibold, Wissenschaft 440 (der ebd. 441 in unverkennbarer Anlehnung an das berühmte Diktum von Wittgenstein, Werke I 262, gar erklärt, personale Supposition sei allein durch den Gebrauch der Wörter ermöglicht), und Bannach, Macht 347f (ähnlich Imbach, Ockham 236), Ausdrücke wie naturaliter und ex natura bezögen sich allein auf die begriffsbildende Tätigkeit des Intellekts, ist lexikalisch möglich, und an anderer Stelle (OT II 283,19) auch vorauszusetzen, ist an dieser Stelle aber grammatikalisch unwahrscheinlich: Ad modum (...) quo bestimmt das Prädikat significai, das eine Beziehung zwischen Signifizierendem (Rauch) und Signifikat (Feuer) ausdrückt, adverbial. Auch das darin aufgenommene naturaliter bestimmt also adverbial eine Relation, nicht isoliert den Intellekt als das eine Relatum. Dies wird unterstützt durch OT II 261,13—20, wo Ockham zur Entstehung der Universalien erklärt: omnis communitas isto modo est naturalis, et a singularitate procedit (Z.17—19; vgl. Schulthess, Sein 235; Alféri, Singulier 590Ockham stimmt hier dem Autor der anonymen Schrift Liber Sex Principiorum (s. OT II 231,19-232,3; vgl. AL I 6 - 7 36,21-37,10) darin zu, daß die Universalien auf den Einzelentitäten beruhen, daß dies, wenn auch natura occulte operatur, ihre Naturhaftigkeit ausmache, weil sie auch von der Natur im Ausgang von den Einzelentitäten (also den Signifikaten!) erzeugt werden (s. OT II 261,130· Daß Kaufmann, Begriffe 17f, in bezug auf die genannte Stelle daraus, daß im folgenden auch Stöhnen und Lachen als Zeichen von Schmerz und Freude genannt werden, also Zeichen, die nur aufträten, wenn der Mensch sie nicht bewußt unterdrücke, und daß an einer späteren Stelle allein noch der Schmerz genannt werde (OP I 53,83), folgert, es gehe hier um "die psychosomatische Struktur des Menschen" als "weiteres unverzichtbares Element" der Zeichenrelation des Begriffes auf die Dinge, ist nicht gerechtfertigt: Er stützt sein Argument nicht auf das den drei von Ockham genannten Beispielen Gemeinsame, sondern auf ein bei einem Beispiel, dem Feuer, schlechterdings fehlendes Element. Daß Ockham aber dieses zumindest auch als Beispiel für das von ihm Gemeinte vorbringen konnte, zeigt, daß es ihm gerade nicht um die "psychosomatische Struktur" des Menschen, sondern um anderes ging. 252 O T I I 261,13-20; 272,17-19; 276,6f; VIII 175,402 - 4 1 9 ; OP I 557,11 - 2 5 ; V 317,14; vgl. Boehner, Conceptualism 159-161; Hochstetter, Studien 6 2 - 1 0 8 ; Kühtmann, Terminismus 15 — 17; Miethke, Sozialphilosophie 197—199; neuerdings: Schulthess, Sein 230-234). Der Abstraktionsprozeß ist in Ockhams Universalientheorie zwar nur ein Nebenthema, wie Imbach, Erkenntnis 54 (ebenso Leibold, Wissenschaft 440; Schulthess, Sein 235; vgl. aber auch schon Boehner, Conceptualism 160), zu Recht gegen dessen Betonung bei Boehner einwendet, Hauptthema ist die Prädikationsrelation. Zu weit geht Imbach a.a.O. aber, wenn er (wie auch Resweber,
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1. Kapitel
Wenn nun aber jedes einzelne Universale in natürlichem Konnex zu den von ihm bezeichneten realen Entitäten steht, so steht auch die gesamte Ordnungsstruktur der Universalbegriffe in einem natürlichen Konnex zur Realität und vollzieht diese nach 253 , d.h. ihrer Ordnungsstruktur muß eine dem Erkennen vorgegebene reale Ordnungsstruktur zugrunde liegen. Mit diesem Modell löst Ockham einerseits das logische Problem des Universalienrealismus, wie etwas zugleich eines sein und doch in vielen real existieren solle 254 , das er vor allem in Auseinandersetzung mit Duns formuliert 255 , bestreitet aber andererseits in keiner Weise jegliche ontisch-reale Grundlage der Universalbegriffe 256 , vielmehr versteht er das Ordnungsnetz der Universalien als Nachvollzug 257 essentieller Ordnungsstrukturen258 in der Realität, die, wie die Argu-
Dieu 63) eine Abstraktionstheorie bei Ockham gänzlich bestreitet. Gg. Imbach, a.a.O., gibt es bei Ockham sogar Rudimente einer Abbildtheorie. So stellt Ockham z.B. auf der Grundlage seiner fictum-Theorìe. der Universalien fest: intellectus videns aliquant rem extra animarti fingit consimilem rem in mente (OT II 272,2f; vgl. ebd. 2 7 4 , 1 6 - 1 9 ; 277,15-19; 428,16-429,15; OP II 370,23-26), und dieses fictum nennt er in ausdrücklichem Anschluß an Augustin: similitude vel imago vel pictura rei (OT II 2 7 9 , 6 - 8 ; vgl. ebd. 281,llf). In Sent I d.27 q.3 vergleicht er diese Ähnlichkeitsrelation sogar mit der zwischen Caesar und einer pictura Caesaris (OT IV 252,15-253,6), und aus der Unterscheidung von begrifflicher und bildlicher Repräsentation in OT IX 3 1 0 , 9 - 1 9 zieht Ockham keine erkenntnistheoretischen Konsequenzen (vgl. Hochstetter, Studien 105). 253 Die Auffassung, die Gattungsordnungen der Welt und der Begriffe differierten (OT III 193,17-21), führt Ockham ausdrücklich nur zitierend, nicht affirmativ an (s. ebd. 1 9 5 , 1 - 8 ) . 254 Dieses Problem hat Bannach, Macht 342f, hervorragend skizziert; vgl. auch Alféri, Singulier 57. 255 O T I I 108-114. 256 So z.B. Vossenkuhl, Ockham 122. Gegen solche Pauschalierungen wandte sich schon Boehner, Conceptualism 158f. 257 Zu Recht weist Kugler, Erkenntnis 13, die Rede von einer realen Hierarchie ab, da die Universalien im Gegensatz zu vielen durch sie bezeichneten Entitäten selbst keine extramentale Entitäten sind (OT II 248,23-249,1). Dies verhindert aber nicht reale Gruppenzuordnungen: Die Bezeichnung eines Untergeordneten durch ein Übergeordnetes ist eine essentielle (OT II 255,20-256,4). Daher ist es auch inadäquat, mit Kugler, a.a.O. 13 Anm. 31, aus OT IX 534,83-85, wo lediglich gesagt wird, die Hierarchie der Begriffe beruhe auf Prädikation, zu folgern, sie sei eine "Schöpfung unseres urteilenden Denkens". 258 Als "Ontologie der Ordnungen" hat Martin, Ockham, Ockhams System skizziert, freilich unter Auslassung der Universalienfrage (s. ebd. VIII) und betont als "Auslegung von Kant her" (ebd. 236). Ob sich in der Tat Einheit in ihrem Ockhamschen Verständnis am besten mit Kantischer Terminologie ausdrücken läßt, wie auch Miethke, Sozialphilosophie 512f, im Anschluß an Martin meint, muß hier, da es allein um das von Martin ausgelassene Universalienproblem geht, als unbeantwortete Frage stehen gelassen bleiben.
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mentation zur Ähnlichkeit zeigte, real und doch nicht für sich extramental existent sind259. Insgesamt erscheint nach wie vor als der beste Begriff für Ockhams Universalienlehre der, den Boehner mit anderer Begründung eingeführt hat: "Realistischer Konzeptualismus"260. 259
Diese Deutung der Ockhamschen Universalienlehre kann sich auf eine Analogie in der Ockhamschen Deutung der räumlichen Ordnung berufen: Die räumliche Ordnung der Welt ist nach Sent I d.30 q.l und Quodl VII q.8 (daß ordo hier spezifisch im räumlichen Sinne gebraucht wird, geht aus OT IX 729,61-65 hervor) keine von den Dingen ablösbare eigene Entität (OT IV 317,9-14; IX 729,61f; Ockham gebraucht hier den Begriff universum, nicht mundus, aber, wie die Referenz auf Aristoteles, Metaphysik XII zeigt, in jenem spezifischen Sinne, den heute auch im Deutschen das Fremdwort "Universum" aufweist; beide Begriffe gehören in OT IV 651,15f eng zusammen). Dennoch hätte sie auch ohne die innermentale begriffliche Ordnung Bestand (OT IV 317,20-22; vgl. zu dieser Stelle Hübener, NominalismusLegende 102), wird von dieser nur ausgedrückt (OT IV 317,25 [exprimere]). In der Tat rückt Ockham diese Ausführungen über räumliche Ordnung systematisch ganz in die Nähe der Universalienlehre: Die räumliche Ordnung gehört wie die der allgemeinen Prädizierbarkeit der Universalien zugrunde liegende Ähnlichkeit zum Problemkreis der relatio (s. OT IV 316,3ff), und Ockham selbst analogisiert ausdrücklich den räumlichen ordo hinsichtlich des Zusammenhanges zwischen begrifflicher Wahrheit und Faktizität mit der ¿y?edes-Definition homo est risibilis (OT IV 317,20-24). 260 Boehner, Conceptualism; auch Kaufmann, Begriffe 69, sieht bei Ockham Konzeptualismus und Realismus miteinander verbunden. Zu ähnlichen Ergebnissen wie den oben dargestellten bezüglich der Universalientheorie Ockhams kommt auf einem ganz anderen Wege — aufgrund einer Analyse des Zusammenhanges von intuitiver und abstraktiver Erkenntnis (Schulthess, Sein 229—248) — auch Schulthess. Ebd. 295 betont er ausdrücklich, daß "die Ordnung der Welt" nicht "als blosses Begriffsnetz", das der Wirklichkeit übergestülpt werde, sondern als "begründet in einer realen Relation" zu verstehen ist. Als zeitgenössische Parallele zu einer so verstandenen Universalientheorie Ockhams kommt der nur wenig ältere (aber Ockham nicht nachweislich bekannte [Kelley, Fictum Theory 279]) Dominikaner Herveus Natalis Brito in Frage: Universalien existieren — und dies wie beim frühen Ockham nur objective (vgl. Kelley, Fictum Theory 267) - allein im Intellekt, drücken nichts Reales aus (Et ideo talia dicuntur esse in intellectu sicut Veritas et universale et consimilia, [...] quia non conveniunt rebus nisi prout sunt obiective in in-
tellectu [Sent I d.19 q.3; Herveus, Commentarla 106 B - C ] ) . Dennoch entsteht die universale Prädizierbarkeit aus der Natur der Entität und dies real (Animal convenit homini et equo, et [...] hoc est ex natura rei et est quid reale, quia ex natura rei homo habet, quod sit animal [Quodl 1,9; zit.
nach Prantl, Logik III 267 Anm. 402]) das, was obiective in intellectu ist, hat ein fundamentum in re (Quodl 1,9; zit. nach
Prantl, Logik III 267 Anm. 402).
64
1. Kapitel 4.3.4.
Wissenschaftliche
Erkenntnis und
Ontologie
Die Aussagen zur Notwendigkeit und zu den Grenzen des göttlichen Handelns aus Sent und Quodl zeigen, daß Ockham radikale Freiheit Gottes und zuverlässige wissenschaftliche Welterkenntnis miteinander verbinden wollte und konnte261 Die geglaubte 262 göttliche Allmacht führt nicht dazu, daß die aussagehaften Objekte wissenschaftlicher Erkenntnisse ein bloß auf notwendigen Verknüpfungen von Sätzen basierendes Gedankengebäude ohne realen Weltbezug bilden 263 , sondern Ockham sichert deren Weltbezug, indem er ihre Notwendigkeit auf einer essentiellen Notwendigkeit basieren läßt264, die zu verändern auch Gott unmöglich ist. Die Objekte wissenschaftlicher Erkenntnis also sind wahr und notwendig, gesichert werden muß ihre korrekte Erkenntnis.
5. Merkmale wissenschaftlicher Erkenntnis
5.1. Die Methode: Logik Wissenschaftliche Erkenntnis ist nach Ockham geeignet, durch syllogistischen Diskurs aus zuvor bekannten Prämissen zu entstehen. Damit gibt Ockham — ganz traditionell265 — als den Weg, auf dem wissenschaftliche Erkenntnis ent261
Vgl. ohne diese explizite Konsequenz Beckmann, scientia 647: "Einzig die Forderung nach Widerspruchslosigkeit begrenzt die Offenheit der Wissenschaft". 262 OT IX 11,231; vgl. OT I 104,25-105,17; IV 617,5-21; vgl. Hochstetter, Studien 15. 263 Vgl. etwa die als Ockham-Interpretation gemeinte Frage von Pattin, Universaux 187, ob das Gebäude der Wissenschaft nicht ein bloßes Sprachspiel sei. 264 Insofern ist Imbach, Erkenntnis 186, nicht zuzustimmen, wenn er meint, die "Spannung zwischen den hohen Anforderungen von Wissenschaftlichkeit und kontingenter Welt" bleibe bei Ockham unaufgehoben. 265 AL I V , 1 - 4 7,16ff (71 b 20-22); VII,1.2 7 , 5 - 7 (184 a 13-15); vgl. Höffe, Einführung XIX. S. zur Bedeutung der Beweisbarkeit Grosseteste, Commentarius 100,29f; Thomas, Opera II 24 (ScG I c. 94 ); ebd. 421 (ST I-II q.53 a.l c.); ebd. IV 295 (Kommentar zu den An.Post. I 41 - die isolierte Betonung der Beweisbarkeit ermöglichte es Thomas, in ST I q. 1 a.8 der Theologie, obwohl ihre Prinzipien nicht evident gewußt werden, Wissenschaftscharakter zuzusprechen [Thomas, Opera II 186]); Siger, Physik 19f; Heinrich, Summa f.2 v E; Burleigh, Physik f. 5 r a - 5 v b ; Chatton, Reportado 231,195-221. Weisheipl, Sciences 85, konzentriert die gesamte mittelalterliche scientia-Definition auf das Wissen aus Gründen — und ein Relikt dieser Tradition findet sich auch bei Ockham, wenn er in Sent I d.35 q.l unter ausdrücklichem Verweis auf den Prolog scientia als notitia alicuius complexi nata causari ex aliquibus praemissis faßt (OT IV 427,18—20).
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stehen kann, den syllogistischen Diskurs an 266 . Da aber die Lehre von den Syllogismen die Logik ist, gilt diese als instrumentum jeder scientia261. Dabei reicht jedoch nicht allein die richtige Anwendung der syllogistischen Form, unabhängig davon, ob der Schlußsatz ohnehin schon selbstevident erkannt ist oder nicht, aus 268 . Die wissenschaftliche Erkenntnis muß vielmehr durch das syllogistische Verfahren verursacht werden können (causati)269, der zu beweisende Satz also bezweifelbar sein 270 .
266
OT I 88,1 f; vgl. 8 1 , 2 - 4 . Ο Τ Ι 201,12-14. 268 So weite und weiteste Form des Beweises nach OT I 81,2 — 12. 269 OT I 88,1. 8 — 10. Diese Kausalitätsforderung entspricht der strengen Form des Beweises OT I 81,12 — 16 (ähnlich Grosseteste, Commentarius 93,6f; die Formulierung vom syllogismus faciens scire [OT I 81,13] entstammt Grosseteste, Commentarius 101,57f, und fußt auf AL IV, 1 - 4 7,20f). 270 OT I 76,14. Ausdrücklich verknüpft Ockham Beweisbarkeit und Dubitabilität OT II 4 4 1 , 1 1 - 1 9 ; VIII 45,417f. Dem Grundsatz der Bezweifelbarkeit entspricht es, daß Ockham OP IV 3,19f ankündigt, bei Widerlegung seine Meinung aufzugeben. Die Behauptung von Beckmann, scientia 643, daß ein Unterschied des Ockhamschen Denkens zu dem des Aristoteles darin liege, daß nach letzterem der Gegensatz von Wissen Irrtum und Ignoranz, nach dem ersten jedoch Zweifel sei, ist zwar zu einseitig: Nach OT I 2 1 5 , 8 - 1 2 sind scientia und ignorantia habitus oppositñ Dennoch ist es richtig, daß Ockham die definitorische Aufnahme der Zweifelbarkeit, wie eine Zitierung in OT I 77,3—6 zeigt, wohl weniger von Aristoteles (s. Ockhams Verweis auf diesen OT I 77,17—20) als von Grosseteste übernommen hat (s. Grosseteste, Commentarius 94,28—31); von ihm hat möglicherweise auch Duns dieses Kriterium übernommen (s. Duns, Opera [Paris] II 82f). Während Grosseteste, Commentarius 100,32—34, allerdings erklärt hatte, es müsse vor dem wissenschaftlichen Lernen Zweifel oder Unkenntnis bestanden haben, erklärt Ockham lediglich, es müsse die Möglichkeit des Zweifels bestehen (OT I 77,11 — 16), löst das Kriterium also vom subjektiven Kenntnisstand des Wissenschaftlers und bezieht es auf die Qualität des Satzes. Zu Recht hat Beckmann, scientia 641, gestützt auf OP I 7 3 1 - 7 4 4 , darauf verwiesen, daß Ockham bzw. Grosseteste (auch zu Grossetestes Zeit war die Disputation bereits etabliert [s. Bazan, quaestio 34) mit der Dubitabilität als Merkmal des wissenschaftlich erkennbaren Satzes die Praxis des Zweifels als Verhaltensregel in der akademischen Disputation wissenschaftstheoretisch aufgenommen hat; dennoch bestreitet noch Chatton, Reportatio 234,72f, daß die Dubitabilität zwingend zur scientia gehört. Eine anschauliche Darstellung des Ablaufs einer Disputation (hier zum Erwerb des Doktorgrades) bietet Daly, University 148-150. 267
66
1. Kapitel 5.2. Der Ausgangspunkt: Unmittelbar evident erkannte Prinzipien 5.2.1. Selbstevident erkannte
Prinzipien
In dem syllogistischen Diskurs, der die wissenschaftliche Erkenntnis verursacht, werden nach Ockhams Definition Prämissen ad ipsum, nämlich auf das Wahre und Notwendige, angewendet, also auf das Objekt der wissenschaftlichen Erkenntnis. Geht man die Reihe dieser Prämissen im Rekurs zurück, so gelangt man zu Prinzipien, die, da sie unbeweisbar 271 sind, nicht selbst Objekt der scientia sind272. Sie sind vielmehr das, was durch den intellectus als Prinzipienhabitus (d.h. nicht als ganzen Intellekt, sondern als eine der intellektualen Tugenden 273 ) erkannt wird. Und eben diese Erkenntnis der Prinzipien ist auf dem Wege des Syllogismus die Ursache der Erkenntnis der Schlußsätze 274 , also der wissenschaftlichen Erkenntnis. Aufgrund der aristotelischen Ausführungen 275 ist es Konsens, daß Prinzipien selbstevident erkannt (per se nota) sind276. Ockham erklärt nun aber, daß dies nicht für alle ersten Prinzipien gelte277. Damit setzt er es einerseits zwar als 271
OT I 9 0 , 6 - 9 . Vgl. ebd. 88,7f. Die Prinzipien gehören in einen anderen Erkenntnisbereich als den wissenschaftlicher Erkenntnis (OT I 76,22—77,1), nämlich in den des intellectus im Sinne des Prinzipienhabitus (OT I 98,4—6; 347,13), und ein Prinzip wie Schluß umfassendes Erkenntnisvermögen wäre nach Aristoteles Weisheit, nicht aber scientia (AL XXVI, 1 - 3 484,2f; OT I 98,7; 222,18f; 345,23-346,2). 273 S. OT I 98,4-6. Im folgenden wird in dieser Arbeit terminologisch unterschieden: Der intellectus als ganze Seelenpotenz ist im Deutschen der Intellekt, der intellectus als eine der intellektualen Tugenden ist der Prinzipienhabitus. 274 OT I 221,18-20; vgl. 218,2. Diese Kausalrelation erklärt, warum Ockham die Prämissen in OT I 87,22-88,2 in einer adverbialen Bestimmung zu dem die Erkenntnis bezeichnenden Attribut nata, nicht aber im Rahmen der Bestimmung des Erkenntnisobjektes einführt. 275 AL IV, 1 - 4 19,10-13 (75 a 28ff). Daß hier von den Prinzipien die Rede ist, erhellt aus AL IV, 1 - 4 16,20 (74 b 5); vgl. AL V , l - 3 5,13-16 (100 a 30ff); die differenzierte Deutung, die Wieland, Physik 63f, dieser Stelle gibt, gilt zunächst für den antiken, nicht aber zwingend auch für den mittelalterlichen Aristoteles. 276 OT I 187,21, wo per se notum als Unterbegriff zu evidenter notum eingeführt wird, was beides durch die obige Wiedergabe im Deutschen ausgedrückt werden soll. 277 OT I 83,18-25 (als Antwort auf den Einwand OT I 79,16-80,12); vgl. OT I 86,5 — 8; 265,2f. Ockhams Begründung der Möglichkeit von empirisch hergeleitetem Prinzipienwissen resultiert in Sent I aus einem Nebengedanken: Er will zeigen, daß Schlußwissen auch empirisch hergeleitet werden kann (OT I 88,8-13, mit dem Einwand ebd. 89,12-90,2, und Ockhams Entgegnung ebd. 90,10-92,2). Daran schließt er mit isto dato den Einwand an, auf diese Weise könne ein principium artis et scientiae entstehen (ebd. 92,3-6) - und hat erst damit das Thema des empirisch hergeleiteten Prinzipienwissens erreicht. 272
Die scientia proprie
67
dicta
Regelfall voraus 2 7 8 , zeigt aber andererseits an, daß er diesen Regelfall ergänzen will 279 . 5.2.2. Auf Erfahrung 5.2.2.1.
Die Ableitung
fiißende
von auf Erfahrung fußenden
Prinzipien Prinzipien
Ockham fügt zu den selbstevident erkannten Prinzipien solche hinzu, quae sunt (...) praecise cognoscibilia per experientiam ("die durch Erfahrung exakt erkennbar sind") 280 . Damit ist nicht die allgemein-erkenntnistheoretische Induktionstheorie des Aristoteles gemeint 281 : Diese galt für alle Prinzipien 2 8 2 , während Ockham j a gerade zwei Arten von Prinzipien unterscheidet 283 und — im Gegensatz zu Grosseteste 284 — auch die im engeren wissenschaftstheoretischen Sinne empirisch begründeten Prinzipien zur Grundlage von scientia proprie dicta macht. Auch hierin ist er Schüler des Robert von Cowton 2 8 5 , der diesen Gedanken en passant in seiner Auseinandersetzung mit
278
Die Aussage, quod aliqua conclusio est demonstrabilis per principia per se nota (OT I 83,22f), ignoriert Leff, Knowledge 9, wenn er erklärt, striktes Wissen könne nur durch Erfahrung evident gemacht werden — das von ihm angeführte Beispiel omnis calor est calefactivus ist nach OT I 92,23 gerade kein wissenschaftlicher Satz, sondern ein principium primum. 279 Bannach, Macht 340, spricht unrichtig nur von Prinzipien, die "durch sich selbst evident" sind. 280 OT I 98,5f; vgl. OT I 83,22-25; 319,26; V 261, lOf; IX 482,29f; OP I 522,3f. OT I 8 4 , 7 - 2 4 findet Ockham die Meinung, es gebe auch Prinzipien aus der Erfahrung, in Augustins Retractationes 1,8,2 (PL 32,594) wieder. Diese Stelle aber bietet lediglich eine Relativierung der Anamnesis-Theorie ohne das Schema aristotelischer Wissenschaftstheorie und daher auch ohne den Begriff des principium. 281 Das Induktionsverfahren entwirft Aristoteles in An.Post. II 19 (AL IV 104 — 107 [99 b 1 5 - 1 0 0 b 17]; vgl. auch AL XXVI, 1 - 3 480,25), worauf sich OT I 8 5 . 1 2 - 1 5 bezieht. 282 Höffe, Einführung XXII-XXV; vgl. Weisheipl, Sciences 86. Diese Allgemeingültigkeit übernimmt Grosseteste, Commentarius 304,37ff; 404,37; 405,42. 283 Ockham trennt zwei Stellen der An.Post., indem er die eine (AL IV 1 0 , 1 8 21 [72 b 23—25]) auf das aus sich heraus bekannte Prinzipienwissen bezieht (OT I 8 6 . 1 3 - 1 5 [vgl. ebd. 80,1-6]), die andere (AL IV 105,18-106,3 [100 a 4 - 9 ] ) jedoch auf das Prinzipienwissen aus der Empirie (OT I 85,11 — 15). 284 Grosseteste, Commentarius 274,316-318 unterscheidet von den auf Kontingenten! fußenden Prinzipien die principia necessaria der Mathematik und gesteht aus verschiedenen Gründen ebd. 179,141 allein der Mathematik zu, Wissenschaft im strengen Sinne zu sein. 285 Hierfür spricht, daß Cowton, Sentenzenkommentar 263,24, wie Ockham von (principia) artis et scientiae spricht, während Aureoli, Scriptum I 198,42f, nur anerkennt, daß aus der experientia principia artis entstehen können.
68
1. Kapitel
Wilhelm von Nottingham formuliert hat286. Während dieser aber mit der Begründung von Prinzipien aus der Erfahrung die Wissenschaftlichkeit der Theologie retten wollte 287 , beziehen Cowton und Ockham sie in ihrem Beispiel vor allem auf die Naturbeobachtung 288 . Ockham präzisiert nun Cowton, indem er ein Verfahren benennt, durch das es möglich ist, kontingenten 289 empirischen Erkenntnissen wissenschaftstheoretischen Grundlagenstatus zu geben: Eine einzige kontingente empirische Erfahrung kann, wenn es um eine unterste Unterart geht, ausreichen, zu einem ersten Prinzip zu kommen 290 , wenn man sie unter das Gleichförmigkeitsprinzip, d.h. die notwendige Wahrheit, daß alles, was zu derselben untersten Untergruppe gehört und dementsprechend wirksam ist, eine ebensolche Wirkung hervorbringt wie ein einziges Exemplar dieser Unterart 291 , subsumiert 292 . Für die Anwendung auf Gattungen muß man Erfahrung mit je einem Exemplar aus jeder der unter der Gattung enthaltenen Arten machen 293 und das Gleichförmigkeitsprinzip in der Form voraussetzen, daß, was auf eine jede unter einer Gattung enthaltene Art zutrifft, auf die ganze Gattung zutrifft 294 . 286
S. Theissing, Cowton 127f. Cowton, Sentenzenkommentar 259, referiert Nottinghams Position: principia (...) supponantur et credantur et cognoscantur ex inductione vel experientia. 287 S.Theissing, Cowton 128f. 288 Ygi ¿as beiden gemeinsame Beispiel der Heilpflanze in OT I 91,24f und Cowton, Sentenzenkommentar 263,19ff. Schon Gottfried, Quodlibeta III 282, kennt das Argument, die Naturphilosophie beruhe auf Prinzipien ex sensibus, weist es aber ebd. 293 ab. 289 Empirie basiert generell auf der notitia intuitiva (OT I 33,2—7), und das heißt: auf der Erkenntnisart, mit der Kontingentes wahrgenommen wird (OT I 31,2532,3; 32,1 Of). Entsprechend bezieht Ockham auch seine Überlegungen zur wissenschaftstheoretischen Grundlagenfunktion der Empirie ausdrücklich auf die Erkenntnis kontingenter Sachverhalte (OT I 90,15-19). 290 OT I 92,18-22; OP I 523,14-21. 26-31. 29 ' OT I 92,lf; vgl. OT VIII 173,357 - 364. Der Gedanke der Gleichförmigkeit ist zwar bei Cowton, Sentenzenkommentar 263,17—24, impliziert (uniformiter, in eadem infirmitate laborantibus in specie), aber nicht formalisiert, weswegen Cowton auch von der Notwendigkeit einer Vielzahl von Erfahrungswerten ausgeht. 292 Ockham betont, daß es sich hierbei nicht um einen syllogistischen Schluß handelt (OT I 91,19f), ohne freilich einen Terminus technicus für dieses Verfahren zu bieten (er spricht von einer conclusio [ebd. Z.22] vermittels eines medium extrinsecum [ebd. 92,1], nämlich jenes Gleichförmigkeitspostulates, statt des im Syllogismus geforderten medium intrinsecum [ebd. 91,25f]). Adäquat scheint hier der Begriff Subsumtionsschluß - entsprechend dem Verfahren, das Ockham in OT III 15,10-12 als Schluß ab universali ad singularem ausdrücklich als Syllogismus anerkennt. 293 OT I 93,lf. 294 OT I 93,14f.
Die scientia proprie dicta
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So kann durch Anwendung des Gleichförmigkeitsprinzips auf eine kontingente empirische Einzelerkenntnis die Empirie zwar nicht Teil 295 , aber Voraussetzung wissenschaftlicher Erkenntnis sein296. Und trotz der Ableitbarkeit solcher auf Erfahrung beruhender Prinzipien betrachtet Ockham sie wie die selbstevident erkannten Prinzipien als unmittelbar evident erkannt 297 . 5.2.2.2. Voraussetzungen für die Annahme von auf Erfahrung Prinzipien
fußenden
Diese Ableitung von auf Erfahrung fußenden Prinzipien setzt zweierlei voraus: Zum einen postuliert Ockham mit dem Gleichförmigkeitsprinzip die dem Erkennen vorgegebene Realität der Artenordnung. Entspräche diese Ordnung nämlich nicht der Realität, weil diese in je für sich kontingente Einzelentitäten zerfiele 298 , so wäre es unmöglich, im Sinne des Gleichförmigkeitsprinzips von der intuitiven Erkenntnis einer Einzelentität auf andere zu schließen. Diese Voraussetzung entspricht den obigen Ausführungen zur essentiellen Notwendigkeit und bestätigt diese noch einmal. Die zweite Voraussetzung aber ist, daß es, da aristotelisch Prinzipien stets bekannter als die (bei wissenschaftlicher Erkenntnis evident erkannten) Schlüsse sind299, Evidenz auch in bezug auf empirisch erkannte kontingente Sach-
295 OT I 88,8-13 betont Ockham, daß die Beweisbarkeit als wissenschaftliche Methode nicht ausschließt, daß die Schlüsse auch durch Erfahrung gewußt werden können. In diesem Sinne ist auch OT VI 303,17f ([der actus sciendi] non potest esse sine actu principiorum vel experientia) zu verstehen; vgl. auch OT IX 481,19482,23. Umgekehrt aber gilt: Sätze, die nur aus Erfahrung gewußt werden können, sind nicht streng wissenschaftlich erkennbar (OT I 77,21—78,12). 296 Wenn Miethke, Sozialphilosophie 252, meint, solche empirisch herbeigeführten Prinzipien könnten nicht Obersatz eines Beweises im strengen Sinne sein, beruht dies auf einem Mißverständnis des Textes OT I 81,2-16: Hier geht es nicht darum, ob der Obersatz per se notum ist, sondern ob die conclusio dies ist (so deutlich Z.12). Obersätze, die non per se nota sind, werden nur für den Fall ausgeschlossen, daß mit ihnen Schlüsse bewiesen werden sollen, die ohnehin per se nota sind (Ζ.4—6), da für den strengen Beweis nicht allein die Formalität des Syllogismus entscheidend ist, sondern die Entstehung von Wissen aus Notwendigem (Z.12 —15). 297 OT I 265,1-3; vgl. AL IV,1-4 10,14f (72 b 19ff). Zu den Begriffen "mittelbare" und "unmittelbare" Evidenz s. Fackeldey, Evidenz 174. Auf diese von Serene, Science 514, übersehene Unterscheidung Ockhams (s. eindeutig OT I 5,20; 187,23; wohl übernommen aus Cowton, Sentenzenkommentar 2680 weist Beckmann, scientia 645, hin. 298 So wie viele andere Imbach, Erkenntnis 53. 299 AL IV, 1 - 4 8 , 2 - 6 (71 b 29-34); von Ockham übernommen in OT I 218,9f; OP I 532,8f, in OP IV 7,20-23 zu einem nobilior abgeschwächt.
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1. Kapitel
verhalte gibt 300 . Zum genaueren Verständnis beider Arten von Prinzipien muß daher der Ockhamsche Evidenzbegriff geklärt werden. 5.2.3.Evidenz 5.2.3.1.
Definition der Evidenz
Evidente Erkenntnis, die perfekteste Erkenntnisart überhaupt 301 , ist nach Sent die Erkenntnis eines wahren Verknüpften, die in jedem beliebigen Intellekt 302 allein303 — und damit inhaltlich304 dem willentlichen Zugriff entzogen 305 durch die unverknüpfte Erkenntnis der das Verknüpfte bildenden Terme verursacht wird 306 , indem diese unverknüpften Erkenntnisse verknüpft werden 307 . Das so Erkannte kann wiederum gelegentlich selbst als evident bezeichnet werden 308 , da aber Ockham selbst hierfür weit häufiger Wendungen mit notus gebraucht 309 , ist es terminologisch genauer als "evident erkannt" zu fassen. Daß aber trotz dieser Unterscheidung die evidente Erkenntnis ohne Rekurs auf 300 OT I 32,16f; II 439,2f; OP I 522,8-523,9; IV 6,40-42; vgl. Guelluy, Philosophie 81; Imbach, Erkenntnis 126; Leff, Ockham 6. Abwegig ist es angesichts des Ausdruckes propositiones necessarias evidentes (OT I 76,15), wenn Vossenkuhl, Ockham 125, erklärt, evidente Erkenntnis beziehe sich nur auf Kontingentes. Im übrigen ist der Gedanke, daß es Evidenz auch von kontingenten Sachverhalten geben könne, keineswegs so neu, wie Imbach a.a.O., der von einem "neuartigen Erkenntnisbezug" zur Wirklichkeit spricht, meint: Schon Heinrich, Summa f. 130rL nennt als Beispiel für ein Erkennen ex evidentia: modum quo seit ignem esse ille qui videi ignem praesentem oculis: Neu ist also allenfalls der Gebrauch, den Ockham von diesem Gedanken macht! 301 OT I 4,18f (im Kontext eines Kopfargumentes). Eine "spätmittelalterliche Gewißheitskrise" (so Blumenberg, Säkularisierung 220) ist angesichts solcher Äußerungen kaum anzunehmen. 302 Dies betont zu Recht Beckmann, scientia 645. 303 OT I 6,2f. 304 Lediglich formal ist der Wille nötig, damit überhaupt die propositio geformt wird (OTII 438,12-19). 305 O T I 192,11 f. 306 OT I 5,19-21 (vgl. so schon unscharf OT I 4,7-11); vgl. OT I 254,1-3; OP IV 6,37f. Im Hintergrund steht wahrscheinlich AL IV, 1 - 4 10,19-21 (72 b 23ff): Etwas ist prineipium, in quantum términos cognoscimus (vgl. Heinrich, Summa f. 130rL; Cowton, Sentenzenkommentar 263,34f). Bei Duns erscheint dieser Satz in Quodl q.7 Nr.5 in der Form: illud est in se verum notum per se, quod ex rationibus terminorum est per se notum (Duns, Opera [Paris] XXV 287). 307 OT II 438,15f: formado propositionis, hier zwar in bezug auf Selbstevidenz, aber ebd. 439,2f auch auf Evidenz aus Erfahrung ausgeweitet. 308 S. z.B. OT I 76,13-16, wo Evidenz als mögliches Merkmal des wissenschaftlich erkannten Satzes und der Prämissen (also auch der Prinzipien) eingeführt wird. 309 S.v.a. O T I 187,21-23.
Die scientia proprie
dicta
71
das evident Erkannte gar nicht erklärbar ist, zeigt die Struktur der Ockhamschen Definition, die beides aufeinander bezieht. Wenn als evident Erkanntes nun complexa, also Propositionen, eingeführt werden, evidente Erkenntnis sich nach dieser Definition also primär auf Aussagen bezieht, dann impliziert doch auch diese Definition — was nach den Ausführungen zur Wahrheitsfrage nicht überraschen kann — einen Bezug auf die Realität: Die Terme sind in Sent noch nicht wie in der SL 310 ein rein sprachtheoretisch erklärbarer Begriff: Neben einem solchen sprachlichen Aspekt 311 eignet dem terminus-Begúñ in Sent auch noch ein realer, denn Ockham definiert den Term auch als das, worauf sich der Denkakt richtet (quod immediate terminât actum intelligendPn), und gebraucht entsprechend gelegentlich notitia rerum313 und notitia terminorum promiscue und demnach of-
310
S. OP I 7,4f: Terme sind die nächsten Teile einer Aussage (das einfache Wort wäre demgegenüber eine dictio [s. OP I 61,134f]). Auch diese Bedeutung des terminus-Begáífs würde übrigens die hier vorgetragene Argumentation nur etwas komplizierter machen: Wenn der terminus-Begrífí selbst in den späteren Schriften auch nicht mehr so eindeutig realen Gehalt aufweist wie in Sent, so hat sich doch im bisherigen Verlauf dieser Untersuchung gezeigt, daß Ockhams Vorstellung von essentieller Notwendigkeit und die daraus folgende Auffassung von den Universalien auch für die späteren Schriften eine Bindung der Begriffe — und mithin der aus Begriffen bzw. von diesen abgeleiteten Wörtern zusammengesetzten Sätze — an eine ihnen vorgegebene Realität begründet. 311 OT I 6,16f spricht Ockham von termini propositions. 312 OT I 268,24-269,1. 313 Wenn Mensching, Allgemeines 333, meint, Ockhams Theorie besage, "daß der Intellekt (...) die Gegenstände ideell schafft, die er erkennt", so kann er sich auf die ebd. Anm. 22 angegebene Referenzstelle OT II 2 7 2 , 2 - 6 (Et hoc per istum modum quod intellectus videns aliquam rem extra animarti flngit consimilem rem in mente, ita quod si haberet virtutem productivam sicut habet virtutem fictivam, talem rem in esse subiectivo — numero distinctam a prion — produceret extra) nicht stützen. Die nämlich besagt das Gegenteil: 1. Die Rede vom intellectus videns aliquam rem extra animam setzt einen extramentalen Gegenstand voraus, der der Erkenntnis, d.h. dem ebd. Z. 18 erwähnten Abstraktionsprozeß, zugrunde liegt, und nicht einen "ideell" produzierten. 2. Der Satz si [intellectus] haberet virtutem productivam (...), talem rem in esse subiectivo (...) produceret extra ist als Irrealis im Konjunktiv formuliert. Daß Mensching daraus eine indikativische affirmative Aussage Ockhams machen will, stellt den Gedanken daher auf den Kopf.
72
1. Kapitel 314
fenbar bedeutungsidentisch . Man darf daher im Zusammenhang von Sent 315 , dem die angeführte Definition entstammt, den sprachlichen nicht von dem realen Aspekt des terminus-Begúfis trennen: Evidenz basiert nicht nur auf dem Erkennen und Verknüpfen von Satzteilen, sondern auch auf dem Erkennen der den als Satzteile verwendeten Terme jeweils einzeln zugrunde liegenden realen Entitäten316. Die Definition der evidenten Erkenntnis besagt also, daß die Kenntnis der Terme, d.h. der unverknüpften Teile einer Aussage bzw. der durch diese bezeichneten realen Entitäten, ohne Kenntnis weiterer Informationen317 zur Erkenntnis der Aussage als einer wahren, d.h. nach obigen Überlegungen zur Wahrheitstheorie zur Erkenntnis der Korrektheit der in ihr erfolgenden Supposition, führt318.
314 OT I 31,17-32,3. Noch stärker als in Sent I ist der reale Gehalt des terminusBegriffs in Sent IV q.8 zu sehen, wo Ockham physikalische Größen wie Ort, Substanz und den Leib Christi als termini bezeichnet (OT VII 144,12-145,2). In Sent I sah sich die Redaktion deswegen genötigt, gelegentlich terminus durch vel res zu erklären (z.B. OT I 32,1. 17. 19). Die offensichtliche Betonung des realen Aspektes des terminus-Btgñffs findet sich auch im Zusammenhang des Beispiels der Erkenntnis "Sokrates ist weiß", die die Erkenntnis der extramentalen Realitäten voraussetzt (OT I 31,23-25), aber auch Beispiel für die Erkenntnis der Terme ist (OT I 6,21-7,3). Daß dies nur eine kontingente evidente Kenntnis ist, darf nicht zu dem Schluß führen, für die notwendigen evidenten Kenntnisse läge die Sache anders: Der Unterschied liegt in der Art der Erkenntnis - intuitiv hier, abstraktiv dort - , aber das Objekt beider Erkenntnisarten ist gleich (OT I 31,8f). 315 Wenn Perler, Wahrheitsbegriff 238 (ähnlich Leibold, Wissenschaft 441), Terme einfach den Dingen gegenüberstellt, übersieht er die offensichtlich realen Aspekte des terminus-Begnffc in Sent. 316 Die Art des Verhältnisses der zugrunde liegenden Entitäten zu den Termen wird bei Ockham nicht genau geklärt. Da es um die unverknüpften Terme geht, die ja etwas sind, was Teil einer innermentalen Aussage werden kann, ist es am ehesten durch das zu erklären, was bei Ockham den Konnex zwischen Entitäten und Begriff bewirkt: die Abstraktionstheorie (s.o. Anm. 252). 317 OT I 5,19—21: sufficienter. Strenggenommen kommt hier — nicht als Information, sondern als Entstehungsbedingung — das allgemeine Weltwirken Gottes hinzu, da es möglich ist, daß trotz Kenntnis der Terme einer Aussage diese nicht evident erkannt wird, wenn Gott dies verhindert (OT I 70,9 — 15). 318 Der Satz: dico quod illud scitur evidenter de quo scitur evidenter quod ad ipsum non sequitur impossibile (OT I 201,18f) ist keine Definition und benennt daher auch nicht die für Kontingentes und Notwendiges "identische Bedingung für Evidenz" (so Beckmann, scientia 645): Das Adverb evidenter schränkt lediglich ein OT I 186,8f (nicht ganz korrekt) referiertes Argument des Duns ein (s. Duns, Opera [Paris] XXII 36; Cowton, Sentenzenkommentar 261,10-21), das formalisiert lautet:
Die scientia proprie 5.2.3.2.
73
dicta
Die der evidenten Erkenntnis zugrunde liegenden
Erkenntnisweisen
So verweist die Evidenzproblematik auf die Art der Erkenntnis der Terme: Während Propositionen als ganze nur abstraktiv erkannt werden können 319 , ist die Erkenntnis der durch die Aussageteile bezeichneten realen Entitäten entweder abstraktiv oder intuitiv 320 . Diese Begrifflichkeit übernimmt Ockham von Duns und Aureoli 321 , deutet sie aber anders als diese 322 . Der Unterschied beider Erkenntnisarten ist, daß die intuitive Erkenntnis kontingente Bedingungen der erkannten Entitäten wahrnimmt, die abstraktive nicht 323 . Der von Ockham am stärksten betonte Anwendungsfall 3 2 4 dieser Regel ist die Erkenntnis der Existenz der erkannten Entitäten, die nur mittels
Gewußt wird (evident), wovon man (evident) weiß, daß darauf nichts Unmögliches folgt Von jeder theologischen Wahrheit kann (evident) gewußt werden, daß auf sie nichts Unmögliches folgt Theologische Wahrheiten werden (evident) gewußt Für die Geltung des Schlusses muß das "(evident) gewußt" im Obersatz von allem ausgesagt werden, von dem man weiß, daß darauf nichts Unmögliches folgt - es kann aber auch von mehr ausgesagt werden, ist also nicht erschöpfend definitorisch bestimmt. Damit aber ist das "nur" in der Paraphrase des Obersatzes bei Beckmann, scientia 645f, nicht gedeckt: "Evident gewußt ist nur das, was die Unmöglichkeit des kontradiktorischen Gegenteils einschließt". Diese träfe ohnehin eher für absolut Notwendiges zu: Necessitas absoluta est quando aliquid est simpliciter necessarium, ita quod eius oppositum esse verum includit contradictionem (OT IX 590,14—16). Da sich das ad ipsum non sequitur impossibile, wie die Rede von consequentia, argumentum und (peccare) in materia vel in forma im OT I 201,19—24 zeigt, auf syllogistisches Schließen bezieht, wäre korrekt zu paraphrasieren: Das, woraus im syllogistischen Verfahren nichts Unmögliches folgt, wird evident gewußt. 319 OT V 2 5 7 , 1 8 - 2 0 . 320 OT I 3 0 , 6 - 8 . Daß es hier um den realen Aspekt des terminus-Begriffs geht, zeigt der Abschnitt OT I 31,4 — 16, wo grundlegend die Unterscheidung von intuitiver und abstraktiver Erkenntnis eingeführt und durchweg im Blick auf beide Erkenntnisarten mit der res argumentiert wird. 321
Zu Ockhams Auseinandersetzung mit Aureoli s. Boehner, Tradition 123. Duns, Ordinatio II d.3 p.2 q.2 unterscheidet, daß die notitia abstractiva von der aktuellen Existenz abstrahiere, die notitia intuitiva diese hingegen voraussetze (Duns, Opera [Vaticana] VII 552,6-10). Aureoli, Scriptum I 2 0 5 , 6 7 - 7 3 , unterscheidet, die notitia intuitiva bringe die Existenz der Entität zum Erscheinen, die notitia abstractiva nicht. 323 OT I 31,25-32,3; 32,1 Of; IX 496,15f. Intuitive Erkenntnis ist übrigens mit der sinnlichen nicht gleichzusetzen: Ockham unterscheidet notitia intuitiva sensitiva und inte ¡lectiva (OT I 25,15-17). 324 Wenn Ockham auch beides in OT IX 496,14 — 19 als uno modo — alio modo nebeneinanderstellt, wird doch aus OT I 31,4—6 deutlich, daß Existenz zur Kontingenz gehört. 322
74
1. Kapitel
intuitiver Erkenntnis möglich ist325. Beide Erkenntnisarten unterscheiden sich also nicht durch verschiedene Objekte, sondern durch die je verschiedene Wahrnehmungsweise ein und desselben Objekts 326 . Wird nun eine Aussage in der Weise aus der Kenntnis der Terme evident erkannt, daß dies sowohl aufgrund der abstraktiven als auch aufgrund der intuitiven Erkenntnis der durch die Aussageteile bezeichneten Entitäten geschehen kann, so handelt es sich um eine selbstevident erkannte Aussage 327 . Dies ist für kontingente Aussagen nicht möglich, da diese eine Zeitunterschiedenheit implizieren 328 und so mit einer von Existenz — und damit auch von raumzeitlicher Lokalisierung — abstrahierenden Erkenntnisfähigkeit wie der abstraktiven nicht erfaßt werden können 329 . Evidente Erkenntnis von Kontingentem liegt demnach dann vor, wenn eine Aussage aufgrund der intuitiven Erkenntnis der durch die Aussageteile bezeichneten Entitäten erkannt wird, aber nicht aufgrund abstraktiver Erkenntnis erkannt werden kann 330 .
32
5 Ο Τ Ι 31,4-16; 32,5-9; V 261,1-5; vgl. OTV 335,4-10; IX 496,17-19. OT I 31,6-10; 36,15f; IV 242,10-12. Dieses Fazit einer Argumentation mit der oben dargestellten im Vordergrund stehenden Unterscheidung der beiden Erkenntnisweisen gilt auch für die in Sent Prol zuerst genannte, nur knapp erwähnte Unterscheidung, die die abstraktive Erkenntnis auf das Universale bezieht (OT I 30,12-15 [diese Bestimmung trifft im Gegensatz zu Sent Prol nach Sent II q. 14 < O T V 316,4f> nicht die gesamte abstraktive Erkenntnis, sondern nur einen Teil von ihr]): Entgegen der redaktionellen Zufügung OT I 30,16—31,3, nach der die nun als intellectiones gefaßten Universalien als innermentale Entitäten intuitiv erkannt würden, gilt auf vorredaktioneller Ebene für die Identität des Objektes: Da das Universale aus Singularitäten abstrahiert ist (OT I 30,13-15), bezieht sich auch seine Erkenntnis auf die Singularitäten (s.Hochstetter, Studien 89f). 327 OT I 6,15 — 17; II 439,4—9. Daß mit dem sive...sive nicht ein notwendiges Zusammenwirken beider gemeint ist (obwohl es normalerweise abstraktive nicht ohne vorausgesetzte intuitive Erkenntnis gibt [OT I 72,3-11]), geht - neben den Reflexionen Ockhams über die dem Erdenpilger de potentia absoluta mögliche evidente Gotteserkenntnis (s. 2. Kapitel 4.2.) - aus Sent IV q.14 hervor, wonach die propositio per se nota allein auf der abstraktiven Erkenntnis gründet (OT VII 303,15f). Diese Äußerungen zeigen, daß es falsch ist, die Evidenz allein an die intuitive Erkenntnis zu binden, wie es Goddu, Physics 27; Hooykaas, Science 106; Leff, Knowledge 9; Scott, Evidence 44, tun. 328 OT I 40,13. Da es logisch auch Aussagen über gleichzeitige kontingente Sachverhalte geben können muß, dürfte, zumal die abstraktive Erkenntnis von Raum und Zeit (OT I 40,12) abstrahiert, gemeint sein: "Raum- oder Zeitverschiedenheit". 329 OT I 40,10-14; vgl. ebd. 32, lOff. 330 Ο Τ Ι 6,17-21. 326
Die scientia proprie dicta J. 2.3.3. Die notitia intuitiva
75
non-exsistentis
5.2.3.3.1. Der Kontext der Erkenntnis von Nichtexistentem im Sentenzenkommentar Diese Möglichkeit der evidenten Erkenntnis von kontingenten Sachverhalten wird durch die sehr umstrittene Äußerung Ockhams, Gott könne durch seine potentia absoluta331 auch intuitive Erkenntnis von Nichtexistierendem ermöglichen, nicht tangiert, mit der Ockham der Kritik Aureolis an der Lehre des Duns, notitia intuitiva könne es nur von real Existierendem und Gegenwärtigem geben, folgt 332 . Seinen Gedanken begründet Ockham durch zwei Argumentationsgänge 333 , zum einen mit der Möglichkeit der Suspendierung der Kausalrelation zwischen dem Gegenstand und seiner intuitiven Erkenntnis durch Gottes potentia absoluta334, zum anderen mit der - ebenfalls auf der potentia absoluta beruhenden — Möglichkeit der Bewahrung einer Gegenstandserkenntnis durch Gott 335 . Die Spitze dieser Argumentation liegt nun aber nicht einfach in der irritierenden Möglichkeit, daß etwas erkannt wird, was nicht existiert, sondern in 331
OT I 38,15f. 18f. 332 OT I 33,16-20 (argumentativ aufgenommen in OT I 35,3ff); vgl. Aureoli, Scriptum I 197,8-11; 198,37-39. 333 Vgl. Imbach, Erkenntnis 132f; Maier, Evidenz 185. In Sent II q.13 führt Ockham allein die zweite Argumentation (OT V 259f) aus. Auch Vossenkuhl, Cognition 37f, unterscheidet zwei Argumente, findet aber in beiden die conservatio. So entgeht ihm, daß der Unterschied beider Argumente der ist, daß das eine die causa (finalis wie efficiens) behandelt, das andere jedoch die conservatio (s. diese Differenzierung in OT V 260,1-13). Die zwei Argumente Ockhams waren bei Aureoli, Scriptum I 202,177—180, bei dem das Kausalitätsargument das conservatio-Argument stützen sollte, zusammengefaßt. 334 Ockham argumentiert dafür, daß intuitive Erkenntnis auch ohne Existenz und Präsenz des erkannten Gegenstandes möglich sei (vgl. OT I 33,180, im indirekten Beweis: Zwischen dem Gegenstand und der intuitiven Erkenntnis muß eine Kausalbeziehung in der Weise einer der vier aristotelischen Ursachen bestehen (OT I 35,11 — 14). Material- und Formalursache scheiden aufgrund der ontischen Beschaffenheit von Erkenntnis aus (OT I 35,15-19; vgl. die allgemeine Lehre in OP II 5,53-55, daß eine res simplex, worunter nach deren Definition, nicht aus heterogenen Teilen zusammengesetzt zu sein, neben der scientia [s. ebd. Z.55f und 157,32f] auch die notitia fällt, nur Wirk- und Formursache haben könne). Sekundäre Wirk- und Finalursache jedoch können aufgrund von Gottes Allmacht jeweils durch die erste Wirk- beziehungsweise Finalursache, d.h. durch Gott selbst, ersetzt werden (OT I 35,14f. 19-21; IV 620,23 -621,4; V 72,12f), also kann dieser selbst die intuitive Gegenstandserkenntnis ohne Gegenstand hervorrufen. 335 Ockham erklärt in Aufnahme eines Argumentes von Aureoli, Scriptum I 201,139 — 147, es könne Erkenntnis von Nichtexistentem geben, da es möglich sei, daß Gott die intuitive Erkenntnis erhalte, wenn das Objekt derselben bereits zerstört sei (OT I 38,15-39,6; V 259,20-260,12).
76
1. Kapitel
der korrekten Erkenntnis von Nichtexistenz vermittels der intuitiven Erkenntnis eines Nichtexistenten 336 . Das zeigt in Sent Prol der Ausgang der Argumentation von der Überlegung, daß man, würde eine perfekte intuitive Erkenntnis eines Gegenstandes durch Gottes Macht erhalten, dadurch erkennen könnte, daß die betreffende Entität nicht ist337, daß man also ihre Nichtexistenz erkennen könnte 338 . Dieselbe Spitze zeigt sich auch im Gedankengang von Sent II: Ockham beginnt mit der Feststellung, die notitia intuitiva erkenne Existenz und Nichtexistenz 339 , führt dann die Unterschiede von notitia intuitiva 336
ΟΤΙ 36,8-10: Et ita notitia intuitiva, secundum se et necessario, non plus est exsistentis quam non exsistentis, nec plus respicit exsistentiam quam non-exsistentiam. Der Grund dafür, daß Ockham im allgemeinen nicht mit dem Abstraktum "Nichtexistenz", sondern mit dem konkreten nichtexistenten Gegenstand argumentiert, liegt wohl darin, daß Existenz oder Nichtexistenz jeweils nur am konkreten Objekt erkennbar ist (vgl. Vossenkuhl, Kontingenz 86). 337 OT I 3 1 , 1 3 - 1 6 ; vgl. OT I 36,10-14; V 256,13f; 260,22ff; 3 1 8 , 1 3 - 1 7 . 338 Vgl. Bannach, Macht 358; Hochstetter, Studien 30; Perler, Prädestination 156; für ihre gegenteilige Auffassung argumentiert Tachau, Vision 124, leider nicht mit Texten Ockhams, sondern ebd. Anm. 50 mit dem Sprachgebrauch anderer Autoren vorher oder später. Die Beobachtung, daß es nicht um die Erkenntnis von Nichtexistentem, sondern von Nichtexistenz geht, hätte Alféri, Singulier 175 — 180, die hochspekulative Suche nach einer Erfahrungsgrundlage für Ockhams Äußerungen erspart. Ebenfalls aufgrund der Mißachtung des oben dargelegten argumentativen Kontextes überschätzt Imbach, Ockham 234; ders., Erkenntnis 133ff, die Bedeutung des Gedankens von der notitia intuitiva non-exsistentis, wenn er eine Nähe des Ockhamschen Denkens zum Kartesianischen für "offenkundig" (ebd. 133) hält — mit dem einzigen Unterschied, daß der Ockhamsche Gedanke auf dem basiere, "wogegen die neuzeitliche Vernunft sich aufbäumen wird", der Allmacht Gottes (ebd. 134). Imbach hat hier wohl nicht nur Ockham zu kontextunabhängig, sondern auch Descartes zu neuzeitlich interpretiert (s. z.B. Descartes, Correspondance III 567,19f: nec alia sunt quae à Deo fieri non posse dicuntur, quàm quod [sic!] repugnantiam involvunt in conceptw, vgl. Hübener, Descartes 502 . 506f). Auf Imbach fußend, findet auch Vossenkuhl, Ockham 125, "Anfänge cartesianischer Selbstgewißheit" bei Ockham und meint, das "Ich denke, also bin ich" als Angelpunkt der Gewißheit habe Ockham lediglich "nicht wörtlich" formuliert (ähnlich Mensching, Allgemeines 341). Nach OT I 4 3 , 1 1 - 1 3 , worauf Vossenkuhl verweist, gilt aber nur, daß unter allen Erkenntnissen von Kontingentem die von intelligiblen Akten mit größter Evidenz erkannt würden, nicht jedoch, wie es für den Kartesianischen Angelpunkt nötig wäre, unter allen Erkenntnissen überhaupt. Übrigens müßte, wer anhand von Vorformulierungen des Cogito ergo sum Ockhams Modernität beweisen wollte, konsequenterweise gleiche Modernität auch Thomas zubilligen, der formuliert hatte: In hoc enim quad cogitai aliquid, percipit se esse (Thomas, De Ver q.10 a.12 ad 7 [Thomas, Opera II 71; s. Gilson, Index 223f]). 339 OT V 256,13f. Daß das Urteil der Nichtexistenz auch auf dem Fehlen von intuitiver Erkenntnis beruhen könnte, ist logisch richtig, wird von Ockham aber nicht
Die scientia proprie
77
dicta
und abstractiva aus und beendet dies mit dem allein die positive Seite benennenden Satz: Sic igitur patet quod per cognitionem intuitivam iudicamus rem esse quando est ("So ist es also klar, daß wir aufgrund intuitiver Erkenntnis urteilen, daß eine Sache sei, wenn sie ist") 340 . Erst darauf folgt die Reflexion über die notitia intuitiva abschließt mit der Feststellung:
non-exsistentis,
die
Sic igitur patet quod cognitio intuitiva est ilia per quam cognosce rem esse quando est, et non esse quando non est ("So ist es also klar, daß intuitive Erkenntnis jene ist, aufgrund deren ich erkenne, daß eine Sache ist, wenn sie ist, und daß sie nicht ist, wenn sie nicht ist")341 — also der Anerkennung der Erkenntnis von Nichtexistenz. Da also die Lehre von der notitia intuitiva non-exsistentis in ihrem argumentativen Kontext der Erklärung der Möglichkeit der Erkenntnis von Nichtexistenz dient 342 , wäre es unsinnig, aus ihr zu folgern, der Mensch werde bei Ockham in seiner Weltwahrnehmung verunsichert: Dem Menschen wird nichts als existierend vorgegaukelt, das nicht existiert 343 , er erkennt die Welt vielmehr auch mittels der intuitiven Erkenntnis von Nichtexistentem, die
erwogen, und darf darum nicht wie bei Leff, Ockham 19. 23, dazu dienen, den oben gezeichneten Problemhorizont Ockhams zu ignorieren. 340 OT V 258,1 lf. 341 OT V 261,lf. 342 Das Problem wird allerdings noch vielschichtiger durch die Einführung der notitia intuitiva imperfecta oder cognitio recordativa, durch welche geurteilt wird, daß ein Gegenstand gewesen oder nicht gewesen ist (OT V 261,13-15). Eine solche Erinnerung beruht auf der mit jeder notitia intuitiva einhergehenden notitia abstractiva (OT V 261,19-262,1; 2 6 3 , 3 - 6 ) und ist dementsprechend eigentlich selbst eine cognitio abstractiva (OT V 262,5f), die nur über ehemalige, nicht über präsentische Existenz Auskunft geben kann. Da sie gegenwärtiger Existenz gegenüber also indifferent ist, bietet sie keine Möglichkeit, den zur Erkenntnis von Nichtexistenz notwendigen Erinnerungsvorgang natürlich zu erklären (s. OT V 259,20f). Den Namen notitia intuitiva (imperfecta) erhält diese Erkenntnisart wohl einzig deswegen, weil die von ihr erkannte Aussage haec res aliquando fuit eine kontingente Wahrheit ist (vgl. Baudry, Lexique 178), was Ockham freilich nicht hindert, just diese Erkenntnis auch der cognitio abstractiva zuzuschreiben (OT V 318,20f)- Ockhams Terminologie ist an dieser Stelle verwirrend und verworren (vgl. Boehner, Notitia intuitiva 271f; Miethke, Sozialphilosophie 174f). 343 Das Urteil lautet: hoc obiectum non est (OT V 260,8); vgl. zur Gewißheit OT V 287,6f; Maier, Evidenz 188. Goddu, Physics 31, will, obwohl auch er dies sieht, die Valenz von Ockhams Ausführungen zur notitia intuitiva non-exsistentis auf pure "logical possibility" reduzieren, was bei Ockham keine positive Stütze findet.
78
1. Kapitel
freilich nur auf übernatürliche Weise möglich ist 344 , korrekt 345 , insofern er Nichtexistenz erkennt.
344 OT V 260,23-25; 3 2 8 , 5 - 8 ; 334,3f; vgl. Alféri, Singulier 173; Hochstetter, Studien 33. Unbegründet erklärt Junghans, Neuere Forschung 166, Ockham habe das natürliche Zustandekommen des Urteils non est einfach ausgelassen. Ein solches natürliches Zustandekommen gibt es für Ockham ausdrücklich nicht (OT V 2 5 8 , 1 3 17; 259,20f; vgl. 334,3f; IX 606,46f)· Vor dem Hintergrund dieser eindeutigen Belege ist auch OT I 70,19f zu interpretieren, wonach (die notitia intuitiva) quantum est ex se sit sufficiens ad faciendum rectum iudicium de exsistentia rei vel non-exsistentia: Ockham betont hier lediglich, daß auch der übernatürlich kausierte Vorgang der notitia intuitiva non-exsistentis in sich (und natürlicherweise) richtig funktioniert - ein Zusammenhang, den Ockham später, in Quodl V q.5 hinsichtlich der auf übernatürlicher Termerkenntnis aufbauenden natürlichen Satzerkenntnis expliziert (s. OT IX 493,70-494,72). Gleiches gilt für OT I 71,6f: ipsa notitia intuitiva sine illa re causabit oppositum iudicium (nämlich, daß die Entität nicht ist): Hier ist argumentativ die notitia intuitiva de re non exsistente vorausgesetzt (s. OT I 56,10 im Rahmen des siebten Zweifels, auf den Ockham a.a.O. eingeht), also die Frage ihres übernatürlichen Zustandekommens nicht mehr relevant. Ein gewisses Problem stellt sich dadurch, daß anscheinend das Urteil "Nichtexistenz" so häufig ist (vgl. Vossenkuhl, Cognition 38. 41; Zuidema, Philosophie 265), daß hier mit einer ständigen Intervention Gottes zu rechnen wäre, die nach der in dieser Arbeit durchgeführten Deutung der potentia-Lehre (s. 4.3.2.) zwar nicht zwingend ausgeschlossen, aber doch auch nicht eben wahrscheinlich ist. Hier ist entweder mit einer Systemunsicherheit zu rechnen (da Ockhams Ausführungen zur potentia-Lehre erst in den Quodl systematische Gestalt erhielten) oder wahrscheinlicher damit, daß nach Ockhams Ansicht für den Normalfall nicht die intuitive Erkenntnis von Nichtexistenz nötig war, sondern die Nichterkenntnis des Nichtexistierenden reichte. 345 Vgl. Miethke, Sozialphilosophie 180. Daß Junghans, Neuere Forschung 166f, die Frage nach der Zuverlässigkeit der Erkenntnis mit der Frage nach dem Wesen Gottes verbindet, beruht auf der überzogenen These von Boehner, Notitia Intuitiva 276, die Frage nach der notitia intuitiva non-exsistentis sei keine Frage der Erkenntnistheorie, sondern eine der Gotteslehre. Boehner übersieht nicht nur den argumentativen Duktus im Sentenzenkommentar, sondern mißachtet auch die Frage über seiner Hauptreferenzstelle, Quodl VI q.6: Utrum cognitio intuitiva possit esse de obiecto non existente (ebd. 277; vgl. OT IX 604,2f). Diese Ob-Frage zeigt, daß Boehner, a.a.O. 290, zu Unrecht meint, das Problem stelle sich erst, wenn schon übernatürlich eine notitia intuitiva exsistentis entstanden oder erhalten sei. Ebenso fragwürdig wie Boehner erschließt auch Bottin, Scienza 105, aus der theologischen Argumentation Ockhams die Prävalenz theologischen Interesses; zur Kritik an solchen Interpretationen vgl. Bannach, Macht 364 Anm. 284.
Die scientia proprie dicta 5.2.3.3.2.
79
Die Verteidigung in den Quodlibeta
Daß die späteren Aussagen in den Quodl zu dieser Frage aus ihrem eben skizzierten ursprünglichen Kontext gelöst sind346, liegt in Ockhams biographischer Situation begründet. Die Lehre von der intuitiven Erkenntnis von Nicht-Existentem war von Ockhams Gegnern in Avignon aus ihrem philosophischen Kontext gerissen und auf die Frage nach der Täuschung in der Erkenntnis Gottes konzentriert worden 347 . Ockham antwortet in den Quodlibeta auf diese Vorwürfe 348 — und muß so selbst die Erkenntnis von Nichtexistentem isoliert reflektieren, da der Verweis auf einen Entdeckungszusammenhang kaum die logische Valenz radikaler Konsequenzen seiner Äußerungen widerlegen könnte. In dieser Kontextunabhängigkeit erscheint nun in Anknüpfung an die frühere Argumentation wieder das Argument der Separierbarkeit der Erkenntnis vom Erkenntnisobjekt 349 und die Aussage, Gott könne alle Zweitursachen ersetzen 350 . Ganz deutlich aber betont Ockham gerade in diesem Kontext, daß alle diese Überlegungen die Gewißheit der Erkenntnis in keiner Weise beeinträchtigen 351 , unterstützt also das zu Sent gefundene Ergebnis, daß diese Reflexionen die Sicherheit der menschlichen Weltwahrnehmung nicht gefährden. 5.2.3.3.3. Ockhams Erklärung der Irrtumsfähigkeit Wenn Ockham in Quodl zudem erklärt, der Intellekt könne auch von einer abwesenden Entität glauben, sie sei anwesend 352 , so bedeutet auch die so gesetzte Differenz zwischen Faktizität und intellektualer Rezeption keine Veränderung gegenüber Sent, sondern entspricht dem dortigen Gedanken, wonach der Intellekt glauben könne, eine Entität sei abwesend, die doch intuitiv geschaut wird 353 . In beiden Kontexten aber betont Ockham die mangelnde Evi346 Daß Imbach, Erkenntnis 135, erwägt, die Lehre in den Quodl könne eine Abschwächung gegenüber Sent I darstellen, beruht auf seiner fehlerhaften Interpretation von Sent I. 347 S. Koch, Aktenstücke 8: 92,12-93,26. 348 Boehner, Notitia Intuitiva 289: Vgl. OT IX 605,29-32 mit Koch, Aktenstücke 8: 93,18-22. Genau dieses Argument hatte Ockham nicht wörtlich, aber inhaltlich bereits in Sent Prol q.l als dubium angeführt (OT I 56,22-57,2) und zwar nicht wie in Quodl VI q.6 argumentativ (OT IX 605,33 - 606,44), aber thetisch abgewiesen (OT I 71,10-12). 349 OT IX 605,25-28. 350 OT IX 604,18-605,24. 351 OTIX 498,61-71. 352 OT IX 498,71-76; 499,100-104. 353 OT I 70,16-20; diese Stelle, auf die Miethke, Sozialphilosophie 184f, aufmerksam gemacht hat, widerlegt die Annahme einer Entwicklung Ockhams zwischen Sent und Quodl in dieser Frage, wie sie Maier, Evidenz 188-190, vertreten hat.
80
1. Kapitel 354
355
denz oder das Wortfeld credere : Es handelt sich hier um das Zugeständnis 356 , daß Gott einen solchen Irrtum herbeiführen kann: Chatton hatte Ockham vorgehalten, in seiner Erkenntnistheorie könne Irrtum nicht erklärt werden, obwohl er solchen aufgrund seiner potentia-Lehre für möglich halten müsse 357 , und hierauf antwortet Ockham durch die Begründung der Irrtumsmöglichkeit unter Bestreitung der Evidenz eines solchen Irrtums. Daß er dabei den Irrtum auf Gottes Einwirken zurückführt, ist im Rahmen seiner potentia-Lehre ganz konsequent 358 . Diesen Gedanken aber als aufkommende Skepsis zu interpretieren 3 5 9 , ginge gänzlich fehl: Der Gebrauch des Begriffes Skepsis ist dann angemessen, wenn prinzipiell die Erkenntnisfähigkeit hinterfragt wird 360 . Bei Ockham aber tritt lediglich neben die korrekte evidente Erkenntnis der Irrtum, der auch schon 354
OT IX 499,103; auch schon in Sent II q.14 (OT V 3 1 8 , 4 - 7 ) heißt es zwar in anderem Zusammenhang, aber eindeutig: nunquam potest (...) intellectus noster habere notitiam evidentem vel evidenter assentire alicui complexo contingenti nisi exsistentibus extremis illius complexi et cognitione intuitiva eorum. 355 OT I 70,17; IX 498,72; vgl. Miethke, Sozialphilosophie 184f. 356 OT I 70,16: forte non est inconveniens; IX 499,100: concedo. 357 Chatton, Reportatio 131,58-132,77. Das von Ockham OT IX 4 9 6 , 3 0 - 3 6 ; 4 9 7 , 5 5 - 5 9 aufgeführte Argument ist eine Variante hierzu. Beachtet man, daß es hier um Irrtumsfähigkeit geht, kann man nicht, wie Boler, Intuitive Cognition 104, von einem "disaster" sprechen, das darin bestehe, daß Ockham nicht erkläre, wie evidente intuitive Erkenntnis und actus creditivus zu unterscheiden sind (ähnlich auch neuerdings Kaufmann, Begriffe 232): Die Entstehung, nicht die Unterscheidbarkeit von Irrtum ist das Thema. 358 Ebenso konsequent führt er OT IX 219,106—108 im Zusammenhang der Frage, utrum Deus sit causa efficiens omnium aliorwn a se, letztlich die Sünde auf Gott selbst zurück — freilich unter Betonung dessen, daß Gott selbst nicht sündige. 359 So Maier, Evidenz 188; Mensching, Allgemeines 344f; Sladeczek, Konzeptualismus 255, und auch Adams, Cognition 393, die allerdings abschwächt, Ockham habe zwar selbst nicht Skeptizismus vertreten, seine Auffassungen müßten aber dazu führen. Der prononcierteste Vertreter einer solchen Interpretation ist Blumenberg, Säkularisierung, der ebd. 175 von einem "System höchster Beunruhigung des Menschen gegenüber der Welt" aufgrund eines "Gottesbegriffs der souveränen Willkürfreiheit" (ebd. 171) spricht und aus dieser Perspektive die notitia intuitiva non-exsistentis interpretiert (ebd. 22Iff). Zur Kritik an einer solchen Deutung vgl. Boler, Cognition 470; Leff, Ockham 18; Miethke, Detektiv 124f. 360 Solcher Skeptizismus war im Mittelalter aus der Augustinlektüre durchaus bekannt: Matthäus, Quaestiones 42,19—23, wirft "neuen Akademikern" vor: posuerunt nullum verum posse certitudinaliter comprehendi (der Text stammt zwar von 1277/8 [s. ebd. 6*], bezieht sich aber dennoch nicht zwingend auf die radikalen Aristoteliker, wie der folgende Verweis auf Augustin zeigt [vgl. zu den Akademikern Grosseteste, Commentarius 93,8]).
Die scientia proprie dicta
81
bei Thomas besagte, daß aliquis (...) existimat esse, quod non est, vel non esse quod est ("irgend jemand dafürhält, es sei, was nicht ist, oder es sei nicht, was ist") 361 . 5.2.3.4.
Die Unsicherheit
der
Empirie
Wenn Ockham also auch durch alle Probleme hindurch Evidenz für die Erkenntnis kontingenter Sachverhalte aus der Erfahrung behauptet, stellte es doch eine Vereinseitigung dar, spräche man Ockham ein empiristisches Weltbild zu 362 : Der Bereich evidenter Erkenntnisse von Kontingentem bleibt durch die Unvollkommenheit und Dunkelheit der intuitiven Erkenntnis 363 und durch manches andere, über das Ockham sich nicht weiter äußert, sehr eingeschränkt 3 6 4 . Dementsprechend muß auch das empirisch hergeleitete Prinzipienwissen bezweifelbar bleiben 365 : Obwohl es aus einem durch notitia intuitiva evident erkannten Satz 366 und einem evident gewußten wahren notwendigen Satz 367 entsteht, ist zwar durchaus die evidente Erkenntnis eines notwendigen universalen Prinzips zu erreichen 3 6 8 , aber dies nicht immer mit absoluter Sicherheit: Es ist unsicher, auf welchen empirisch evident erkannten Satz nun exakt der notwendige Satz anwendbar ist 369 . Die Betonung der Unsicherheit der durch Erfahrung evident erkannten Prinzipien treibt Ockham sogar so weit, daß er zu einer gedanklichen Inkonsistenz gelangt: In demselben Zusammenhang, in dem er ausdrücklich die Evidenz 361
Thomas, Opera IV 286 (An.Post. 1/ 27,2). So Hochstetter, Studien 26; Guelluy, Philosophie 280. 363 So auch Ο Τ Ι 6 8 , 1 7 - 1 9 . 364 OT I 33,8—12. Da Ockham hier die gesamte notitia intuitiva als valde imperfecta et obscura bezeichnet, kann es nicht allein um die notitia intuitiva imperfecta als einer speziellen Unterart der notitia intuitiva (s. OP V 26Iff) gehen. Noch in Quodl V q.2 zeigt sich in Ockhams Argumentation ein auffallendes Ausweichen gegenüber einer Hochschätzung der Empirie: Chatton, Reportatio 228,115 — 122, hatte ihm entgegengehalten, eine empirisch bekannt gewordene Proposition sei evidenter erkannt als eine diskursiv bekannt gewordene, hatte also Empirie und Beweis gegenübergestellt (zit. von Ockham in OT IX 482,36-41). Dem antwortet Ockham, indem er nicht mehr Empirie und Beweis gegenüberstellt, sondern demonstratio solum und demonstratio et experientia (OT IX 484,70-79): Hinzukommend kann die Erfahrung die Evidenz der Erkenntnis einer conclusio zwar verstärken, die Frage aber, ob Beweis oder Erfahrung evidenter sei, umgeht Ockham. 3 « OT I 8 6 , 6 - 8 ; OP I 522,3lf. 366 OT I 90,17f; 91,18f; 92,23f. 367 ΟΤΙ 91,2-4. 368 Ο Τ Ι 245,19-22. 369 OP I 523,35-524,42. 362
82
1. Kapitel
der Erkenntnis solcher Prinzipien betont370, in Sent Pol q.9, erklärt er auch, daß sogar die kontingenten Sätze, die Grundlage solcher Prinzipien sind, nicht allein aufgrund der Termerkenntnis erkannt würden, sondern auch die Kombination der Terme der Erfahrung entstammen müsse371. Wenn aber auf diese Weise die Termerkenntnis allein für eine bestimmte evidente Erkenntnis nicht ausreicht, fällt diese nicht mehr unter die oben angeführte allgemeine und in Sent IV q.14 ausdrücklich auch auf kontingente Sätze angewandte372 Definition von evidenter Erkenntnis, nach der die Termerkenntnis allein mittelbar oder unmittelbar zur Propositionserkenntnis führt. Diese gedankliche Inkonsistenz resultiert aus einem Ineinander zweier Interessen: Zum einen soll die traditionelle Distanz der Wissenschaftstheorie gegenüber der Empirie bewahrt bleiben, zum anderen aber der bei Cowton zu findenden Anerkennung der Empirie Rechnung getragen werden. Daß aber letzteres überwiegt, zeigt sich daran, daß Ockham grundsätzlich die Behauptung vertritt, daß es selbstevident und durch Erfahrung evident erkannte Prinzipien gibt. 5.3. Der Gewißheitsgrad: Evidenz 5.3.1. Mittelbare Evidenz Ausgehend von diesen durch sich selbst oder durch Erfahrung unmittelbar evident erkannten373 Prinzipien, entsteht — mittelbar durch den Syllogismus verursacht - wiederum evidente Erkenntnis: Evident erkannt sind auch notificata per per se nota ("solches, das durch selbstevident Erkanntes zur Erkenntnis gebracht worden ist")374 oder auch solche Wahrheiten, die aus unmittelbar per experìentiam nota ("durch Erfahrung Erkanntes") mittelbar folgen375, so daß wissenschaftliche Erkenntnis nicht nur evident erkannte Prinzipien als Ausgangspunkt hat, sondern auch ihre Objekte im wissenschaftlichen Erkennt-
370 371
Ο Τ Ι 245,19-22. OT I 2 4 5 , 4 - 1 8 mit dem Beispiel calor est calefactivus,
das zuvor (ebd.
92,23) in der universalisierten Form omnis calor est calefactivus als principium primum eingeführt worden war. 372 OT VII 3 0 3 , 1 3 - 1 5 . 373 Ο Τ Ι 187,21.22-23. 374 OT I 187,22. 375 In diesem Sinne ist in OT I 187,23 der Zusatz mediate vel immediate zu per
experìentiam mediante notitia intuitiva zu verstehen. Vgl. denselben Zusatz schon OT I 5,20 in der allgemeinen Evidenzdefinition; vgl. Guelluy, Philosophie Anm.l.
80
Die scientia proprie nisprozeß evident erkannt werden ist.
376
dicta
83
, sie selbst also eine evidente Erkenntnis
D a ß dieses M e r k m a l der Evidenz, obwohl es gelegentlich bei einer knappen Z u s a m m e n f a s s u n g der scientia-Definition wegfallen kann 3 7 7 , f ü r O c k h a m s Verständnis von wissenschaftlicher Erkenntnis zentral und nicht nur ad hoc zur Absetzung von der Theologie gebildet ist, zeigt sich daran, daß es nicht nur im Sentenzen-, sondern auch im Physikprolog 3 7 8 alle strengsten scientiaBegriffe kennzeichnet. Allerdings gilt entsprechend der aristotelischen L e h r e , daß die Prämissen bekannter als die Schlüsse sind, daß die mittelbare Evidenz eine geringere Gewißheit bedeutet als die unmittelbare 3 7 9 . 5.3.2.
Wissenschaftlichkeit
und
Evidenz
Eine Vorstellung mittelbarer Evidenz, wie sie zur Bestimmung der scientia als evident notwendig ist, erscheint im Aristoteles Latinus nur beiläufig 3 8 0 , und auch in d e r Wissenschaftsreflexion des Thomas spielt der Evidenzbegriff noch eine untergeordnete Rolle 3 8 1 : Z w a r trennt der Aquinate, wo es um die Bestimmung d e r fides geht, firmitas adhaesionis (Stärke des Anhangens) und evidentia und spricht letztere der scientia zu 382 . Dieser technische Gebrauch ist 376 Vgl. das nata fieri evidens in OT I 76,14. Die von Ockham verwandte scharfe Differenzierung von evidens (was der wissenschaftlichen Erkenntnis zukommt) und nata fieri evidens (was dem wissenschaftlich erkennbaren Satz zukommt) findet sich bei Cowton, Sentenzenkommentar 268,35, nicht, der das scibile vel scitum schlicht als evidens bezeichnet. 377 OT IV 4 2 7 , 1 8 - 2 0 . Der Fortfall der Evidenz ist an dieser Stelle aktuell begründbar, da es hier um die Unterscheidung dieser scientia von der nicht-beweisbaren (wiewohl evidenten) scientia Gottes geht. 378 OP IV 5 , 2 9 - 6 , 5 0 . 379 OT I 221,15f. 380 Scholz, Axiomatik 267 - 2 7 0 , interpretiert die aristotelischen Äußerungen mit einem iri sich abgestuften Evidenzbegriff, aber im AL steht an den von ihm herangezogenen Stellen lediglich notus: Terminologisch ist der differenzierte Evidenzbegriff beim lateinischen Aristoteles nur selten auszumachen, etwa in AL III 2 1 3 , 5 9 (33 a 30—34), wo sich — als verneinbare Möglichkeit vorausgesetzt — die Formulierung evidens sillogismus findet (vgl. dagegen zur selben Stelle ebd. 29,19; 162,26: manifestus sillogismus). 381 S. Schütz, Thomas-Lexikon 724. 382 Thomas, Opera I 343 (IV Sent d.23 q.2 a.2c ad 1); III 91 (De Ver q. 14 a. 1 ad 7). Wie unspezifisch die Terminologie bei Thomas noch ist, zeigt sich in ST I-II q.67 a.3 c. (Thomas, Opera II 440), wo der scientia bei derselben Unterscheidung nicht evidentia, sondern visio zugesprochen wird (ähnlich ST II-II q . l a.4 c. [ebd. II 524]; a.5 ad 4 [ebd. II 525]; q.2 a . l c. [ebd. II 527]; De Trin p.2 q.3 a . l ad 4 [ebd. IV 527]; vgl. In Rom c.10 1.2 [ebd. V 478]); vgl. zur faktischen Anerkennung von mittelbarer Evidenz bei Thomas Wilpert, Wahrheitssicherung 1 0 1 - 1 0 7 . Ähnlich wie Thomas unterscheidet auch Bonaventura, Opera III 482a, die certitudo der scientia
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aber nicht in die von der Reflexion auf fides unabhängige Wissenschaftsreflexion eingegangen: Wo er scientia nicht eigens der fides gegenüberstellt, benutzt Thomas einen undifferenzierten 383 certitudo-Begriff384, den er auch bei der definitorischen Bestimmung der scientia gebraucht385. Eine zentrale Rolle erhält der Evidenzbegriff für die scientia-Definition erst bei Heinrich von Gent386: Als kurze Definition der scientia im strengen Sinn findet sich bei ihm, diese sei non quaecumque cena notitia, sed solummodo eorum quorum ventas intellectui ex rei evidentia apparet ("nicht irgendeine gewisse Erkenntnis, sondern allein eine von solchem, dessen Wahrheit dem Intellekt aus der Evidenz der Sache einleuchtet")387. Damit hat die Evidenzterminologie ihren Ort gewechselt: Sie erscheint nicht mehr als gelegentliches Argument zur Abgrenzung vom Glaubensbegriff, sondern dient zur Differenzierung innerhalb des scientia-Begriffs selbst. Anlaß dafür, daß Heinrich die Evidenz als herausragendes Merkmal der Wissenschaft im strengen Sinne bezeichnet, war möglicherweise seine Auseinandersetzung mit den radikalen Aristotelikern im Paris des dreizehnten Jahrhunderts, an deren Verurteilung 1277 er beteiligt war388: Daß These 151389 mit von der fides, spricht aber nicht von evidentia (die er ebd. I 155a durchaus als in probando, also mittelbar möglich vorstellt [vgl. auch ebd. III 523a]), sondern von certitudo speculationis. Die Unterscheidung von fides und scientia nach unterschiedlichen Gewißheitsgraden entstammt nicht erst der Aristotelesrezeption, sondern von Hugo von St.Viktor (s. PL 176,330D-331A). 383 Gelegentlich differenziert Thomas auch den Gewißheitsbegriff ohne Verwendung des Evidenzbegriffes (Thomas, Opera II 185 [ST I q.l a.5]; IV 273 [An. Post. 1/ 1,6]). 384 Thomas, Opera III 74 (De Ver q.ll a.l ad 13); vgl. Quinn, Certitude l l l f . 385 Thomas, Opera IV 295 (An.Post. I 41). Nach Köpf, Wissenschaftstheorie 132, galt allgemein im 13. Jahrhundert die (anscheinend nicht differenzierte) certitudo als Merkmal der Wissenschaft. 386 Daß Marrone, Truth, ohne Erwähnung der Evidenzproblematik bei Heinrich auskommt, beruht auf seinem auf logische Probleme verengten Blickwinkel. 387 Heinrich, Summa f.42vB; vgl. ebd. f.l v B: scire large accepto ad omnem notitiam certam qua cognoscitur res sicut est absque omni fallacia et deceptione. Wenn Serene, Science 509, in anderem Kontext das Interesse an Evidenz als Unterscheidungsmerkmal des Duns gegenüber seinen Vorgängern markiert, übersieht er Heinrich. 388 Hödl, Kritische Neuausgabe 145. 389 Flasch, Aufklärung 216. Die Zählung der Thesen folgt hier mit Flasch und gegen Hissette (der Mandonnet folgt) der Zählung von Denifle und Chatelain im "Chartularium Universitatis Parisensis" (s. die Aufschlüsselung der Zählungen bei Hissette, Enquête 319ff). Zur These 151 als Radikalisierung einer Aussage des Boetius von Dacien s. ebd. 21.
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der Erwähnung der conclusio auf den für die aristotelische srieni/a-Definition zentralen Begriff des Syllogismus rekurriert und für diesen eine evidente Basis fordert und zugleich These 37 390 das per se notum und das, was ex per se notis abgeleitet werden kann, als Inhalt dessen zusammenfaßt, was geglaubt werden dürfe, also einen über die wissenschaftliche Beweisführung hinausgehenden Glaubensbereich leugnet, könnte in seiner Betonung des Evidenzmerkmales als Erkenntniskriterium den Anstoß für Heinrich gegeben haben, Evidenz zum Hauptmerkmal der Wissenschaft im aristotelischen Sinne zu erklären 3 9 1 . Von nun an wurde in der ablehnenden (Herveus Natalis) 392 Auseinandersetzung mit Heinrich ebenso wie bei denen, die ihm zustimmten, die mittelbare Evidenz als Merkmal der scientia betont. Im positiven Anschluß an Heinrich hat — ebenso wie Gottfried von Fontaines 393 und wahrscheinlich Wilhelm von Ware 3 9 4 — wohl Duns Scotus die Betonung der Evidenz im Wissen390
Flasch, Aufklärung 134. Auf eine mögliche Bedeutung dieser These, deren Herkunft Hissette, Enquête 21, nicht nachweisen konnte, für die neue Wissenschaftsreflexion bei Duns verweist auch Serene, Science 507. 391 Bei Olivi, Summa I (Stadter) 5,8; 8,7, der ebenfalls vor dem Hintergrund Auseinandersetzung mit den radikalen Aristotelikern zu verstehen ist (Stadter, Psychologie 339f), geht die Diskussion noch allein um die unmittelbar evidente Erkenntnis der Prinzipien. 392 Herveus, Defensa 3* u.ö. Zu seinem Verhältnis zu Heinrich s. Krebs, Theologie 2. 393 Gottfried, Quodl III 283; zu den Beziehungen zwischen Gottfried und Heinrich s. Wilpert, Gottfried. 394 Ware selbst führt den Begriff der Evidenz nicht in Auseinandersetzung mit Heinrich, den er kannte (Ware, Hs. Wien 1424 f. 7rB, wird Heinrich namentlich erwähnt; vgl. Gài, Ware 156 u.ö.), sondern mit Gottfried von Fontaines ein, und dies auch nur im traditionellen Rahmen der Absetzung der scientia von der fides: Item Gofredus arguii sic: Ita se habent per ordinem opinio, fides et scientia. Scientia dicit certam adhesionem ex evidentia rei. Fides autem dicit firmam adhesionem, sed non certam evidentiam. Opinio vero dicit adhesionem ad unam partem cum formidine alterius. Fides ergo in hoc, quod dicit firmam adhesionem, convenit cum scientia et differì ab opinione, et in hoc, quod dicit incertam evidentiam, convenit cum opinione et differì a scientia (Ware, Hs. Wien 1424 f.6 v B). Auch die darauf folgende Definition weiter und strikter Rede von scientia arbeitet noch ohne Evidenzterminologie, setzt diese aber sachlich voraus, insofern es über die scientia im weiteren Sinne ebd. heißt: Sic accipiendo scientiam dicitur quod scientia potest esse ex credibilibus, secundum quod credibilia sunt, sie also mit dem deflatorisch nichtevidenten Glauben verbunden wird. Die sich an diese — freilich referierenden — Äußerungen anknüpfende Vermutung, daß die Argumentation Heinrichs von Ware rezipiert worden ist, bestätigt sich in der Darstellung seiner eigenen Position, wo er Evidenz auf die strengstmögliche Wissenschaft bezieht, indem er ebd. f. 7VA erklärt, die Theologie der Seligen sei eine scientia (...) perfecta, immo perfettissima, et hoc ex evidentia rei. Aufgrund dessen, daß in diesen
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schaftsbegriff aufgenommen 3 9 5 . Von ihm ist dann Robert von Cowton abhängig 3 9 6 , und von diesem wiederum Wilhelm von Ockham 3 9 7 . Dieser umständliche Vermittlungsweg besteht dessen unbeschadet, daß Ockham die verurteilten Sätze von 1277 mindestens zum Teil auch selbst kannte 398 Argumentationen zwar eine Nachwirkung der durch Heinrich erfolgten Akzentverschiebung zu sehen ist, insofern es bei Ware im Referat einen weiten scientiaBegriff, der durch Glauben und mithin Nichtevidenz definiert ist, und in der eigenen Position einen engen, durch Evidenz geprägten, gibt, diese Nachwirkung aber nicht mit letzter Sicherheit als Wares Position zu bestimmen ist, und selbst in diesem Fall eher impliziert als expliziert würde, ist anzunehmen, daß Duns in dieser Frage unmittelbar auf Heinrich fußt (zu den Bezügen zwischen Duns und Heinrich s. Marrone, Henry and Duns 22). Mit Sicherheit aber ist bei Ware eine verstärkte Betonung der Evidenzproblematik festzustellen (s. das 2. Kapitel 1. u. 6.1.2. zu seiner Auseinandersetzung mit Thomas), und diese fußt auf seiner Rezeption Gottfrieds und Heinrichs, also letztlich auch auf der durch 1277 angestoßenen Diskussion. 395 Duns hat dem Gedanken mittelbarer Evidenz offensichtlich neben Cowton auch bei anderen Oxforder Gelehrten Geltung verschafft; vgl. die Zusammenfassung der Position Heinrichs von Harclay (zu dessen Beziehungen zu Duns s. Balie, Heinrich) bei Aureoli, Scriptum I 271,4f: conclusio habet evidentiam ex prineipiis, et principia ex terminis. 396 Cowton kannte auch Heinrich selbst (Theissing, Cowton 15). 397 Zur frühneuzeitlichen Nachwirkung der Evidenz als Merkmal wissenschaftlicher Erkenntnis vgl. Gilson, Index 262. Noch Chatton, Reportatio 231,195-198, bietet allerdings eine scientia-Definition ohne das Evidenzmerkmal, ohne freilich deren Aufnahme in Ockhams Definition zu kritisieren (s. ebd. 227). 398 Dies geht aus OT III 487,25-488,1 (Sent I d.17 q.5) hervor: anima Christi (...) secundum unum articulum est perfectior anima Iudae. Dies stellt, wie die Hg. zu Recht anmerken, einen Hinweis auf die These 124 (Flasch, Aufklärung 200) dar: Quod inconveniens estponere aliquos intellectus nobiliores aliis (...) Error, quia sic anima Christi non esset nobilior anima Jude. Ebenso bezieht sich die Aussage in OT V 3 2 4 , 3 - 5 , propter articulum gelte, quod angelus non sit in loco per operationem (...) sed per substantiam suam, offensichtlich auf die Artikel 204 (a.a.O. 248f) und 219 (ebd. 260); vgl. auch die Notiz, die sich laut OT I 29*f Anm.2 im Sentenzenkommentar Adams von Wodeham findet: Bezüglich der These 124 der Pariser Lehrverurteilung (a.a.O. 200) führt Wodeham aus: respondet Ockham (manu sua in margine reportationis mee [handschriftliche Zufügung Adams selbst]) quod ille [nämlich Walter von Chatton] male intellexit articulum (...). Auch in Sent III q.l könnte neben den von den Hg. in OT VI 22 Anm.l angegeben englischen Verurteilungen von 1277 und 1286 die Pariser Verurteilung von 1277 im Hintergrund stehen, denn daß Ockham hier propter articulum die sensitive und intellektive Form als zur menschlichen Essenz gehörig lehrt, entspricht der Verurteilung der Pariser These 13 (a.a.O. 110), während die von den Hg. zitierte Verurteilung Kilwardbys daneben auch noch die vegetative Seele nennt, die bei Ockham wie in Paris fehlt. Auf den von Kilwardby 1277 und Peckham 1286 (s. insbesondere These 1 [Annales Monastici III 323]) vorgenommenen Verurteilungen dürfte es jedoch beruhen, daß
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und sich auch im Sentenzenkommentar von ihnen absetzte 399 : Im Sentenzenprolog q.7 führt Ockham als Meinung der philosophi, die die Wissenschaftlichkeit der Theologie bestreiten, an, quod ad omnem scientiam nobis possibilem possumus naturaliter attingere, et ideo nihil est credibile mere nisi quod potest sciri evidenter ("daß wir zu aller uns möglichen wissenschaftlichen Erkenntnis auf natürliche Weise gelangen können und daher nichts glaubbar ist bis allein auf die Ausnahme, daß es evident gewußt werden kann") 400 Ockham sich zur Annahme mehrerer Formen im Menschen genötigt sieht. Ohne explizite Erwähnung der Pariser Verurteilung geht Ockham auch auf eines der wichtigsten Probleme, die durch die radikalen Aristoteliker gestellt worden waren, ein, nämlich die Frage der Ewigkeit der Welt (besonders ausführlich in OT VIII 5 9 - 9 7 [Quaestio disputata aus der Zeit nach der Ordinatio {s. ebd. 13*}]); vgl. hierzu z.B. These 89, die den glatten Gegensatz zu Ockhams in OT VI 280,13 — 16 geäußerter Auffassung, die Ewigkeit der Welt könne in keiner Weise bewiesen werden, formuliert (a.a.O. 174; dort auch Hinweise auf die Diskussion dieser Frage im 13.Jahrhundert). In den Quodl spricht Ockham dann auch explizit von den Pariser Artikeln (articulus Parisiensis u.ä.; OT IX 24,5; 28,128; 160,76). 399 Die Vermutung, daß Ockhams Theologie eine Antwort auf die radikalen Aristoteliker darstelle, wurde schon öfter geäußert, freilich nicht im Hinblick auf die wissenschaftstheoretischen Probleme, sondern auf seine Lehre von der Freiheit Gottes als Bestreitung des Nezessitarismus (s. z.B. Hooykaas, Science 108; Klocker, Freedom; Bannach, Macht 109). 400 OT I 192,23-193,2. Miethke, Sozialphilosophie 267 Anm. 463, folgt hier textkritisch den Handschriften A und F, die das nisi auslassen (andere Handschriften, die es ebenfalls nicht aufweisen, bieten sinnentsprechend für nisi quod ein quin). Seine Begründung, die Formulierung mit nisi widerspreche dem, daß es hier um ein Argument gegen die Wissenschaftlichkeit der Theologie gehe, ist aber nicht schlagend, da die dem von den beiden sonstigen Zeugen gebotenen Text ganz ähnliche Formulierung der These 37 von 1277 eben diese Funktion hatte (vgl. die Erläuterung bei Flasch, Aufklärung 134f). Miethke erkennt diese Spitze nicht, weil er das credibile feststehend als "Glaubenswahrheit" statt offen als "glaubbar" faßt und es als Subjekt, das nihil (...), quod hingegen als Prädikatsnomen deutet (a.a.O. 267). Beides ist nicht zwingend, letzteres in der Satzfolge sogar eher unwahrscheinlich, so daß hiermit ein Eingriff gegen die überwiegende Mehrheit der Textzeugen nicht zu rechtfertigen ist. Im übrigen erhält man gerade mit dem von Miethke gewünschten Text ohne nisi allenfalls eine Aussage über die (von Ockham nicht gelehrte [s. 2. Kapitel 1.]) theologia in se (so Miethkes eigene Deutung a.a.O. 267), keineswegs jedoch über die gemäß OT I 183,4f zur Rede stehende akademische Theologie, also gerade das Kontextargument spricht gegen Miethkes Auffassung. Vor allem aber spricht textkritisch hiergegen Sent III q.9, wo der gleiche Gedanke noch einmal als (legitime!) Auffassung Nichtgläubiger erscheint: non credat aliquid nisi illud sibi sit naturali ratione conclusum tamquam credendum (OT VI 280,11-13). Hier nun weicht A ganz allein von den sonstigen Textzeugen ab, und dies auch nicht mit einem solchen Sinnunterschied wie oben, denn das nisi wird lediglich durch ein nec ersetzt.
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ein auffälliger Anklang an die oben erwähnte These 37: quod nichil est credendum, nisi per se notum, vel ex per se notis possit declaran ("daß nichts geglaubt werden darf, wenn es nicht selbstevident sein sollte oder aus Selbstevidentem abgeleitet werden können sollte") 401 . Die Ähnlichkeit des Satzbaus (vorangestellte Form von credere mit angefügtem nisi-Satz), der Inhalt und die Quellenangabe (philosophi) macht einen Bezug Ockhams auf die Verurteilung von 1277 an dieser Stelle wahrscheinlich 402 .
5 . 4 Fazit: Die Wesensstruktur wissenschaftlicher Erkenntnis So ergibt sich als Grundstruktur wissenschaftlicher Erkenntnis, daß sie von unmittelbar evident erkanntem Prinzipienwissen des intellectus ausgeht und dieses durch die Methode des syllogistischen Beweises in mittelbar evident erkanntes Schlußwissen transformiert, das mit seiner Grundlage die Eigenschaften Wahrheit und Notwendigkeit teilt. Die ontische Grundlage als Bedingung der Möglichkeit wissenschaftlicher Notwendigkeit ist dabei die Artenordnung der Welt, die zwar unter Umständen nur partiell existent, aber keinesfalls anders existent sein kann, als sie ist. Aus diesen Merkmalen wissenschaftlicher Erkenntnis und ihres Objektes filtert Ockham drei heraus, anhand deren — wie schon bei Duns und Cowton 4 0 3 — 401
Flasch, Aufklärung 134. Diese Wahrscheinlichkeit wird dadurch gestützt, daß Ockham auch sonst gelegentlich den philosophi als Gruppe Aussagen zuschreibt, die in der Lehrverurteilung von 1277 erscheinen (vgl. OT IV 3 0 8 , 2 2 - 2 4 mit These 1 3 8 - 1 4 1 [Flasch, Aufklärung 209f: Leugnung der Möglichkeit der Unabhängigkeit des Akzidens vom Subjekt]; 6 1 5 , 6 - 1 0 mit These 99 [ebd. 181: die Welt als aus dem Nichts, aber nicht neu entstanden] und 43 [ebd. 142: Bindung des göttlichen Wirkens an die Sekundärursachen]). In die gleiche Richtung weist auch, daß Marmo, Controversia 155, zu Recht festgestellt hat, daß der erste Teil von Ockhams Vorwurf dem ähnelt, was Heinrich, Summa f. 32VB—33rD Averroes vorwirft: Averroes hatte bei aller heute nötigen Differenzierung in der historischen Beurteilung des radikalen Aristotelismus in den Streitigkeiten um diesen eine herausragende Bedeutung: Der bei Mandonnet, Siger II 3 - 2 5 abgedruckte Tractatus de erroribus Philosophorum, der heute wieder Aegidius von Rom zugeschrieben wird (s. Flasch, Aufklärung 48f), behandelt Averroes mit besonderer Schärfe (s. Mandonnet, Siger II 8 Nr. 1), und Thomas schon hatte als Sammelbezeichnung für die radikalen Aristoteliker parat: averroistae (De unitale intellectus c.l [Thomas Opera III 578], nach Nr. 300). 403 Cowton, Sentenzenkommentar 268f, nennt als Kriterien Gewißheit, Notwendigkeit, Evidenz und Beweisbarkeit, verbindet aber Gewißheit und Notwendigkeit eng, so daß sich seine Kriterien wie bei Duns, Opera (Paris) XXII 8, der unter den genannten Kriterien Evidenz und Beweisbarkeit zusammenfaßt, faktisch auf drei reduzieren. 402
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kriterienhaft eine Erkenntnis auf ihre Wissenschaftlichkeit hin überprüfbar ist. Dies sind bei Ockham die Evidenz 404 und die Beweisbarkeit 405 der Erkenntnis sowie die Notwendigkeit 406 des Erkannten 407 . Daß darin auch die fehlenden Merkmale der Wahrheit und des Ausgangs bei den unmittelbar evident erkannten Prinzipien Inbegriffen sind, wird rasch deutlich 408 : Notwendiges ist immer wahr, und mittelbare Evidenz entsteht durch Beweise nur aufgrund vorangehender evidenter Erkenntnis von Prämissen, die letztlich in der unmittelbaren Evidenz der Erkenntnis der Prinzipien wurzelt.
6. Die Unterscheidung der scientiae voneinander Mit den dargestellten Merkmalen sind die Gemeinsamkeiten aller wissenschaftlichen Erkenntnisse dargelegt. Darüberhinaus gibt es traditionell zwei Themenkomplexe, die der Unterscheidung verschiedener scientiae voneinander dienen: die Frage nach dem Gegenstand der scientia und die nach ihrem praktischen oder spekulativen Charakter.
404
OT I 88,3f. 405 ο χ χ 8 8 , 6 - 8 . Etwas anders ist die Kriterienbildung im Anschluß an die Bestimmung des wissenschaftlich erkennbaren Satzes: Hier sind die Kriterien: Notwendigkeit (OT I 76,17ff), Dubitabilität (ebd. Z. 21ff) und syllogistische Beweisbarkeit (ebd. 77,21ff). Das Fehlen der Evidenz erklärt sich aus dem Umstand, daß es sich hier um die propositio scibilis (ebd. 76,13) handelt, also nicht die propositio scita, mithin Evidenz eventuell erst noch herzustellen ist und nicht kriterienhafte Bedingung sein kann. Dubitabilität und Beweisbarkeit aber dienen in diesem Zusammenhang beide dazu, Prinzipien aus dem Bereich des wissenschaftlich Erkennbaren auszuschließen: Durch Dubitabilität werden die selbstevident erkannten, durch Beweisbarkeit die allein durch Erfahrung evident erkannten ausgeschlossen. In OT I 88,6 — 8 dagegen sagt Ockham präziser, daß durch die Beweisbarkeit allein jegliche Art von ersten Prinzipien ausgeschlossen wird: Die Dubitabilität, die ohnehin, wie oben ausgeführt, der Beweisbarkeit korrespondiert, besitzt sachlich keine selbständige Valenz als Kriterium zur Unterscheidung wissenschaftlicher Erkenntnis von anderen Erkenntnissen. 406 ΟΤΙ 88,4-6. 407 Wenn Leff, Knowledge 12, anachronistisch (zur Geschichte des Verifikationsbegriffs s. Diederich, Verifikation 633-635) Verifikation als Kriterium einführt, kombiniert er Stellen aus verschiedenen Kontexten miteinander, identifiziert v.a. empirische Erkenntnis und wissenschaftliche Erkenntnis, obwohl sie OT I 8 8 , 8 - 1 3 ausdrücklich auseinandergehalten werden. 408 Daß die Kriterien nur eine Komprimierung aus der breiteren Merkmalspalette darstellen, beachtet Beckmann, scientia, durch seine einseitige Konzentration auf den Kriterienbegriff zu wenig.
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1. Kapitel 6.1. Das subiectum
scientiae
6.1.1. Ontisches und noetisches subiectum scientiae Ockham differenziert den subiectum-Begriff in eine ontologische und eine noetische Deutung 409 . Er fußt damit auf einer Unterscheidung im subiectumBegriff, die er in der SL 410 — also nach Sent — als Rezeption des Johannes Damaszenus ausführt: In SL I 30 unterscheidet er ein subiectum ad exsistentiam und eines ad praedicationem4'1. Das erste, das ontische subiectum, ist eines, dem eine andere Entität inhäriert 412 . Hierunter fallt das SubstanzAkzidens-Verhältnis 413 . Wendet man dieses auf die wissenschaftliche Erkenntnis an, die ja ein Akzidens der Seele ist414, so muß als ihr subiectum die Seele gelten, der sie inhäriert 415 . Das zweite subiectum aus der SL ist rein grammatikalisch definiert: Es ist das Satzsubjekt 416 , und in diesem Sinne ist nach Ockham eigentlich das subiectum scientiae, der Gegenstand 417 der Wissenschaft bzw. der wissenschaftlichen Erkenntnis, zu verstehen 418 — freilich definitorisch zunächst allein auf die wissenschaftliche Erkenntnis bezogen: Das subiectum scientiae ist hiernach nicht mehr 419 als das grammatikalische Subjekt des wissenschaftlich erkannten 409 OT I 265,17-21. Köpf, Wissenschaftstheorie 85 Anm. 30, weist darauf hin, daß Ockham damit eine ältere Begriffsdoppeltheit aufnimmt (s. ebd. 84); vgl. die Spannungen zwischen den Füllungen von subiectum scientiae bei Thomas, Opera II 47 (ScG 11,73 Nr.21), einerseits und ebd. 186 (ST I q.l a.7 c.) andererseits. 410 Daß Ockham im Physikprolog entgegen der SL (OP I 92f) den logischen Sprachgebrauch auf die grammatikalische Bedeutung von subiectum beschränkt (OP IV 9,78 — 81), unterstützt die These, daß Teile des Physikkommentars älter als die SL sind (s. die Ausführungen zum zeitlichen Verhältnis von Physikkommentar und Logik in OP I 48*f). 411 OP I 92,9f. Beckmann, Subjekt 3, spricht bei der Interpretation dieser Stelle zwar zutreffend von ontologischem und logischem Gebrauch des Subjektbegriffs, bezieht dies jedoch nicht auf den Gebrauch von subiectum scientiae, wo er "wissenschaftstheoretischen" und "erkenntnistheoretischen" Gebrauch unterscheidet. So kommt er insgesamt zu "vier Bedeutungen von 'subiectum'" nebeneinander (ebd. 4). 412 OP I 92,14f. In diesem Sinne gebraucht Ockham subiectum scientiae auch in OT III 500,2 lf als mens rationalis. 413 OP 192,15-20. 414 OT I 311, If; OP IV 9,74f. 415 OT I 265,19-21; OP IV 9,74f; vgl. Maurer, Unity 99. 41 « OP 192,21-24. 417 Zum Begriff s. Köpf, Wissenschaftstheorie 82f. 418 OT I 249,1-4; OP IV 9,76-78; vgl. OP I 93,32-37. 419 Auch eine Deutung als Ursache der Wissenschaft, wie sie Heinrich von Gent vertreten hatte (Heinrich, Summa f,116rP), scheidet für Ockham schon in Sent I aus (zu den späteren Äußerungen hierzu s. OP II 5,68-72; IV 8,61-62): Eine wissen-
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Die scientia proprie dicta
Schlußsatzes 420 und sekundär dann auch das, wofür dieses grammatikalische Subjekt supponiert 421 . 6.1.2. Die Bedeutung des Prädikats für die Charakterisierung wissenschaftlichen Erkenntnis
der
Der primär sprachlichen Fassung des subiectum und den obigen Ausführungen zur Wahrheitstheorie entsprechend, sind die Prädikate als etwas zu definieren, das für eben das supponiert, für das auch das Subjekt supponiert 422 . Diese schaftliche Erkenntnis ist ein Akzidens (OT I 311, lf) und kann als solches keine Material- und keine Formursache haben (OT I 331,7-9; OP VI 3,15-4,21). Die Wirkursache aber ist, ohne daß Ockham dies in Sent I ausdrücklich sagte, der Wissenschaftler: Er ist in bezug auf die wissenschaftliche Erkenntnis wie die Wissenschaft als Handlung (actio) der Handelnde (agens) (OT I 304,19-305,2), und zwar, da das Sein der Handlung von einem Werden implizierenden Vorgang beim Handeln abhängig ist (OT I 305,21: addiscere), als agens non conservons. Dieses aber ist, ebenfalls nach der Ordinatio, ein solches, das einen Effekt hervorbringt (OT IV 332,10-12), also eine causa efficiens. Daß auch die Zielursache nicht der Gegenstand ist, wird aus 6.2.1. hervorgehen. 420 OT I 247,12-248,2. 3 - 1 1 ; 268,22f; VIII 40,301f; 42,335; OP IV 9,78; VI 4,38f; 140,82—141,83. Anlaß für diese grammatikalische Fassung des subiectumBegriffs gaben möglicherweise die neuen sprachphilosophischen Logik-Traktate z.B. des Petrus Hispanus (s. Petrus Hispanus, Tractatus 4,3f), auf den Duns, Opera (Paris) II 84, in seinem Kommentar zu den An.Pr. q.2 diesen Sprachgebrauch zurückführt. 421 OT I 266,2-5; VIII 40,302-41,303 (vgl. dagegen die Position Chattons: res extra est subiectum scientiae realis et non conceptus [Chatton, Reportatio 265,241f]). Daß es sich bei Ockham hier um einen sekundären Wortgebrauch handelt, zeigt sich nicht nur an der relativ seltenen Verwendung (im Physikprolog z.B. fehlt die entsprechende Differenzierung [s. OP IV 9,76f]), sondern auch daran, daß Ockham in Sent unmittelbar nach der Einführung der Bezeichnung des Supponierten als subiectum scientiae dieses wiederum undifferenziert mit dem subiectum conclusions gleichsetzt (OT I 266,18f)· Es handelt sich, wie die Anwendung der Differenzierung in OT I 271,7-12 zeigt, lediglich um ein Hilfsargument für die Diskussion der theologischen (nicht der allgemeinen) Wissenschaftstheorie in Auseinandersetzung mit dem Ockham vorgegebenen Wortlaut: Bisher hatte man undifferenziert davon gesprochen, daß oder ob Gott subiectum theologiae sein könne (s. OT I 271,7—274,24). Diese undifferenzierte Rede konnte Ockham nach seiner aussagehaften Deutung des Begriffes subiectum scientiae nicht beibehalten, und so mußte er, wollte er die vorgegebene Diskussion nicht in Bausch und Bogen abweisen, wie angegeben differenzieren. 422 OT I 135,4f. Ockham sagt hier unscharf: supponere pro subiecto, womit, wie die folgende, auf extramentale Realität rekurrierende Argumentation zeigt, subiectum im Sinne dessen, pro quo supponitur (OT I 266,3) gemeint ist. Daß es darum geht, wird ganz deutlich in OT I 137,22-138,4, wo Ockham ausführt, die Aussage omnis homo est risibilis könne nur wahr sein, wenn beide Terme non pro se sed pro re supponierten. Daß die hier vorgelegte sprachliche Deutung nicht nur für passiones,
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1. Kapitel
Supposition ist offenbar eine personale, denn ausdrücklich sagt Ockham von den passiones, der vornehmlich behandelten Gruppe von Prädikaten, daß sie pro re, non pro se ("für eine reale Entität, nicht für sich selbst") supponierten 423 , was nur in personaler Supposition geschehen kann. Wenn aber diese Sätze in personaler Supposition erfolgen, steht das Subjekt — und ebenso das Prädikat — für die vom Subjekt bezeichnete Entität424 (vgl. zu diesem Stand der Suppositionstheorie in Sent I o. 1.2.). Daß nun dem Subjekt als Term425 aber auch selbst ein nicht nur suppositionstheoretisch erklärbarer realer Aspekt eignet, ist offenbar der Grund, daß Ockham nicht nur strikt sprachlich-begrifflich formuliert, daß ein Prädikat vom Satzsubjekt prädiziert wird, sondern ebenso auch, daß es von der von dem Subjekt bezeichneten (und im Satzzusammenhang supponierten) Entität prädiziert wird 426 . Von dieser werden die Prädikate per se ausgesagt, d.h. sie sagen etwas aus, was dem vom Subjekt und ihnen Supponierten durch sich selbst zukommt, sind also in einem weiten Sinne427 Eigenschaftsprädikationen, jedoch solche erster oder zweiter Ordnung, d.h. auf die erste oder auf die zweite Weise des dicere per se42i. Ockham fußt mit dieser Terminologie auf dem AristotelesKommentar Grossetestes 429 , nimmt aber nicht allein dessen Einteilung der modi per se nach der Kausalität auf 3 0 , sondern stellt daneben auch eine eigene Definition: Per se primo modo erfolgt eine Aussage, wenn nur Intrinsisches von dem vom Subjekt Supponierten prädiziert wird, d.h. das Prädikat rein sondern auch für die Identitätsprädikate vorauszusetzen ist, zeigt die Verwendung des Begriffes importare in bezug auf diese (OT I 180,7): Dieser Begriff dient Ockham im Zusammenhang dazu, ebenfalls die Begriffs- von der Realebene zu trennen (s. OT I 135,5f). Die sprachliche Deutung wissenschaftlicher Erkenntnis und die Zentralstellung der Suppositionslehre machen das reale Verhältnis zwischen sprachlich gefaßtem Subjekt und Prädikat wissenschaftlich unbedeutend (vgl. OP I 249,9 — 250,15), ja, auf Grundlage der fictum-Theorie (wie die Hg. OT I 136 Anm. 5 zu Recht einschränkend vermerken) konnte Ockham in OT I 136,15 — 18; 143,9—12 sogar die Existenz jeglichen realen Verhältnisses zwischen beiden bestreiten. 423 OT I 134,2f. 424 Es ist von der vom Subjekt bezeichneten Entität auszugehen, da den Prädikaten i.d.R. nach den Ausführungen in diesem Kapitel keine von der vom Subjekt bezeichneten Entität unterschiedene Entität entspricht. «5 OT I 268,22f. 426 Dieser Sprachgebrauch zeigt sich am auffälligsten in OT I 117,14-19, wo Ockham von den praedicabilia de Deo in se im Unterschied zur Prädikation vom conceptus compositus proprius Deo spricht. 427 Unter solche Aussagen fallen auch Artprädikationen (s. OT I 181,18—20). «8 OT I 133,18f; IX 551,39; OP I 105,8; vgl. OT II 423,17f. 429 S. Grosseteste, Commentarius 111. Auf die zugrunde liegende Referenzstelle An.Post. I 4 (AL IV 12f) verweist Ockham in OT I 178,13f; 3 5 4 , 6 - 8 und OP I 140,34-141,46. 430 Ο Τ Ι 180,15-181,2.
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quidditativ verwandt wird 431 , per se secundo modo dagegen, wenn vom Prädikat etwas (mit)gemeint 432 wird, das real von dem vom Subjekt Gemeinten unterschieden ist433. Diese Eigenschaften zweiter Ordnung, über die Ockham sich hauptsächlich äußert, nennt er passiones434. Eigenschaften zweiter Ordnung können formal oder konnotativ 435 sein. Im ersten Fall meinen sie Dinge, die dem vom Subjekt Supponierten formal anhangen 436 , also Formen 437 in dem in der späteren Summa Philosophiae
431
OT II 316,1. 17f setzt Ockham quidditativ gebrauchte Begriffe mit denen, die primo modo dicendi per se ausgesagt werden, gleich. Im wissenschaftstheoretischen Kontext geht er kaum auf sie ein, erwähnt lediglich, daß sie zwar nicht mit dem kräftigsten Beweis, der eine ontische Priorität der Prämissen voraussetzte (demonstratio propter quid), wohl aber mit einem Beweis, der noetische Priorität der Prämissen voraussetzt (demonstratio quia\ zur Unterscheidung dieser Beweise s. OP I 533,8—13), beweisbar seien, ohne daß dies ihren Status als streng wissenschaftlich erkennbar tangierte (OT I 181,10-182,9). 432 Der Anglizismus "meinen" wird hier für importare (im Sinne von "bedeuten" [s. Schütz, Thomas-Lexikon 375fJ) gewählt, um die Unterscheidung zu significare zu bewahren. Der Problemhorizont von realer Identität und dennoch gegebener Unterschiedenheit war bei Johannes von Reading vorgezeichnet (s. Brown, Sources 40—51). Er ist es auch, gegen den Ockham die bleibende Vorausgesetztheit einer Unterschiedenheit auf realer Ebene betont (s. ΟΤΙ 130-133. 136-143). 433 OT I 135,5f. 7f; 138,16-139,4; 180,3-15. Damit ist lediglich gesagt, daß die Unterschiedenheit auf realer Ebene gegeben ist, d.h. auf der der Supponierten, nicht aber, daß die passio eine andere reale Entität als das subiectum wäre (s. OT I 134,5-8; IX 551,35f). 434 OT I 249, lf: Die ebenfalls erwähnten proprietates sind hier Unterbegriff zu den passiones, nämlich solche, die einem Subjekt mit Notwendigkeit zukommen (s. OT I 244,9 — 15). Ebenso dürfte das Nebeneinander von proprietates und passiones in OP VI 141,86-88 zu deuten sein. 435 OT I 244,24-245,1 erklärt Ockham dies als Sprachgebrauch bestimmter alii, aber OT I 245 Anm. 1 wird zu Recht darauf hingewiesen, daß er in OT I 139,7 wie auch in der SL selbst den Begriff "konnotativ" für das gesamte Phänomen benutzt. In OT I 144,5 — 11 teilt er die passiones in solche, die absolute Dinge bezeichnen, in solche, die Bewegungen oder Veränderungen bezeichnen, in konnotative und privative, ein. Die letzten beiden Begriffe sind Appositionen zu den Bewegung oder Veränderung bezeichnenden Begriffen, was sich daran zeigt, daß die Lachfähigkeit hier unter die Bewegung anzeigenden (OT I 144,8f), zuvor aber unter die konnotativen Begriffe gerechnet wird (s. OT I 139,5.7). Da auch die privativen Begriffe unter die konnotativen fallen, wie daran deutlich wird, daß die Blindheit, die ja ein negativer Begriff ist (so Ockham ausdrücklich in OP I 96,32, aber auch schon in OT I 140,16—22), nach OT I 140,13 — 15 zu den konnotativen Begriffen gehört, kann man letztlich alle nicht-absoluten Begriffe als "konnotative" zusammenfassen; zu diesen vgl. Rijk, Logic and Ontology 29f. 436 Ο Τ Ι 144,5-8.
94
1. Kapitel
Naturalis explizierten strikten Sinne des Teils einer zusammengesetzten Substanz, der, wiewohl er nicht für sich bestehen kann, eine eigene Entität darstellt 438 . Gegenüber diesen Formaleigenschaften handelt es sich im zweiten Fall um konnotative Eigenschaften, die (mögliche) Veränderungen bezeichnen 439 . Da diese Begriffe nicht präzise eine Entität, sondern in eins eine Entität und die ihr geschehende Veränderung bezeichnen 440 , kann es von ihnen — insofern nun nicht einfach eine res zu definieren ist 441 — keine Realdefinition, sondern lediglich eine Nominaldefinition geben 442 . Diese Andeutungen in Sent I führen später in der SL zu der exakten Definition, konnotative Begriffe seien solche, die eines primär, ein anderes jedoch sekundär bedeuteten 443 . Indem so die passiones zwar für dieselbe Entität wie die Subjekte supponieren, aber darüber hinaus noch etwas Reales, z.B. eine Veränderung,
437
So die ontologische pass/o-Deutung OT I 133,19-21, die Ockham auch OT I 167,8—11 voraussetzt, wo er die inhaerentia passionis ad subiectum, vel ipsa passio ais forma simplex deutet. 438 o p v i 196,8—10. Gerade in der Frage der formalen passiones ist Ockhams Terminologie allerdings unsicher: Da die Form nach Sent IV q. 13 entweder selbst die Washeit {quidditas) eines Gegenstandes (OT VII 263,12f) oder deren Teil ist (OT VII 2 6 3 , 5 - 7 ) , müßte eigentlich konsequenterweise der Begriff, der die Form meint, ein quidditativer sein - und mithin per se primo modo ausgesagt werden. Die einzige Andeutung aber, daß Ockham diese Konsequenz überhaupt bewußt ist, ist, daß er gleichermaßen für Aussagen mit quidditativen Prädikaten wie mit formalen passiones erklärt, es seien unmittelbare Aussagen (vgl. OT I 104,7—10 mit 145,6— 8).
439 OT I 144,8-11. Ockham spricht von motus vel mutatio, wobei das vel wohl terminologische Disjunktion bei realer Identität bezeichnet; zur Bedeutung von motus als Veränderung s. Schütz, Thomas-Lexikon 498; Baudry, Lexique 154. Nach OT I 150,18—151,2 sind nicht alle konnotativen Begriffe wissenschaftlich erkennbar, sondern manche nur durch Erfahrung. 440 OT I 139,15; 1 4 0 , 7 - 9 . 14f mit den Beispielen von Lachfáhigkeit und Blindheit. 441 Daß risibilitas nicht aliquid unum simpliciter ist, ist die Begründung, daß man sie nicht im Sinne von quid rei definieren kann, in OT I 139,9 — 12. 442 OT I 1 3 9 , 7 - 9 ; 140,5-7; vgl. OP I 36,39f. 443 OP I 36,38f. Ebd. Z. 46f definiert Ockham die konnotativen Begriffe dadurch, daß ein Begriff im Nominativ, ein anderer in einem obliquen Fall stehe (so auch schon Aureoli, Scriptum II 1025,3f). Eben dies erscheint im Elementarium Logicae auch als Definition der passio (OP VII 189,8—14). Das ist aber mitnichten ein Hinweis darauf, daß das Elementarium nicht von Ockham stamme, wie Leinsle, Einheit 116, meint, sondern stimmt auch mit sicher Ockhamschen Äußerungen überein: In SL III-2 C.12 unterscheidet Ockham vierfach den Begriff passio, und jedesmal wird hier von der passio ausgesagt, sie führe etwas im Nominativ und etwas in einem obliquen Fall (OP I 526,22-31).
Die scientia proprie dicta
95
meinen, kann Ockham gegen Duns 444 , der in diesem Zusammenhang sein Hauptgesprächspartner ist445, versichern, daß die Kenntnis des Subjekts die Kenntnis der von ihm wissenschaftlich auszusagenden Eigenschaften zweiter Ordnung nicht immer 446 schon virtuell enthalte447. Nicht einmal die voneinander unabhängige Kenntnis von Subjekt und passio enthält schon in sich virtuell die Kenntnis ihrer Verknüpfung, d.h. der gesamten Proposition 448 . Aufgrund dieser Überlegungen kann die wissenschaftliche Erkenntnis nicht, wie es der aristotelischen Tradition entspräche, einfach durch ihren Gegenstand charakterisiert werden, sondern zu ihr gehört ebenso konstitutiv auch die passio449, bzw. allgemeiner: das Prädikat. Wie es vom selben Subjekt verschiedene Eigenschaften zweiter Ordnung geben kann 450 , kann es auch vom selben Gegenstand verschiedene wissenschaftliche Erkenntnisse geben 451 .
444
OT I 227,16f. Zur Auseinandersetzung mit Duns, dessen Position Cowton, Sentenzenkommentar 289,17ff, teilte, vgl. Leinsle, Einheit 111-113. 445 S. die groß angelegte Argumentation OT I 229-240. 446 Diese Einschränkung macht Ockham, weil nach OT I 244,9-15 auch die proprietates unter diepassiones fallen. 447 OT I 240,17f; 243,16f; 244,22f; VIII 42,347f; OP IV 9,92-96; vgl. Duns, Opera (Vaticana) I 9 6 , 4 - 6 ; ders., Opera (Paris) XIII 210 (Ord II d.25). Duns hat in seinem Kommentar zu den An. Post, aber auch den konnotativen Charakter der passio gelehrt (Duns, Opera [Paris] II 84f). Die oben angeführte Aussage Ockhams ist unabhängig davon, wie Subjekt und Prädikat selbst, also als Supponentia, sich ontologisch zueinander verhalten (s. OT I 244,18-20; 252,11-13; 253,1-3). 448 OT I 240,18-21; 245,10-18; 246,1-3. OT I 243,14-16; vgl. OT IV 116,20f; OP IV 14,115f; VI 143,139f. 450 Ο Τ Ι 242,19-21. 451 OT I 243,9-14; 246,6-9; 260,1-3. In OT I 260,16 -261,4 (knapp zusammengefaßt in OP VI 143,149 — 154) erklärt Ockham gegen eine Begründung der Unterschiedlichkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse mit unterschiedlichen Herangehensweisen bei einheitlichem Subjekt: Die unterschiedliche Herangehensweise wäre entweder im Objekt begründet oder im Wissenschaftler. Diese zweite Auffassung wischt Ockham ohne nähere Begründung beiseite (OT I 261,4-7), die erste aber führt er argumentativ auf seine eigene Erklärung zurück: Jede Änderung auf Seiten des Objektes kann nur im Bereich des Verknüpften liegen, also müßte der Unterschied zwischen den so unterschiedenen wissenschaftlichen Erkenntnissen entweder auf verschiedenen Prämissen oder auf verschiedenen Schlüssen beruhen. Verschiedene Prämissen aber können zu derselben wissenschaftlichen Erkenntnis führen, die Änderung des Objektes also nicht zureichend begründen. Verschiedene Schlüsse jedoch beruhen bei gleichem Subjekt auf verschiedenen passiones: Allein Subjekt und passio unterscheiden die verschiedenen Wissenschaften. Dies macht auch die Position von Bannach, Macht 341, unwahrscheinlich, der die Wissenschaften allein anhand verschiedener "Erkenntnis- und Frageweisen" zusammengeordnet sehen will.
96
1. Kapitel 6.1.3. Der Gegenstand der Wissenschaft
Ist mithin schon die Charakterisierung der wissenschaftlichen Einzelerkenntnis durch ihren Gegenstand nicht möglich, so kann es nicht erstaunen, daß Ockham auch gegenüber dem traditionellen Weg, Wissenschaften durch ihren Gegenstand zu charakterisieren, skeptisch ist. Die Wissenschaft muß ja, insofern sie eine Pluralität von Schlußsätzen enthält, eine Pluralität von Subjekten und mithin von Gegenständen behandeln 452 . Stellt man nun verschiedene Sätze mit gleichem Subjekt zusammen, so ist der auf diese Weise entstehende Komplex eine Wissenschaft mit einem einheitlichen Gegenstand, nämlich dem aller darin enthaltenen Schlußsätze 453 . Die meisten Wissenschaften sind aber nicht in dieser Art strukturiert 454 , da ihre Schlußsätze im allgemeinen kein einheitliches Subjekt, sondern mehrere Subjekte haben 455 . Nur in uneigentlichem Sinne456 kann dann das unter diesen verschiedenen Subjekten erste als erster Gegenstand der Wissenschaft bezeichnet werden 457 . Für die Begründung der Priorität eines Gegenstandes allerdings kann Ockham keine generellen Regeln angeben. Aufgrund der Kriterien: allgemeine Prä-
452
OT I 255,15. Wenn Ockham OT IV 116,12-17 der Aussage, unius scientiae est unum subiectum, zustimmt, steht dies im Kontext des Bezuges von scientia auf eine conclusio (ebd. Z.5f), also der Rede von der wissenschaftlichen Erkenntnis. Auch das an der genannten Stelle zur Rede stehende Problem von Einheit und Pluralität ist ein anderes als das im wissenschaftstheoretischen Kontext verhandelte: Es geht hier um die Frage, inwiefern populus als subiectum scientiae zugleich eines und vieles sein könne (s. die Diskussion OT IV 115,16—116,11). 453 OT I 224,19-21; 248,26f; 268,6-8; vgl. OT VIII 42,345f. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, daß die Zusammengehörigkeit verschiedener Sätze in einer Wissenschaft nicht allein durch das Subjekt, sondern auch durch die diesem zugesprochenen Eigenschaften bedingt ist (OT I 243,9 — 16; vgl. 246,6—9). 454 Zumindest in OP IV 9,83-86 rechnet Ockham damit, daß es solche Wissenschaften gebe, die nur einen Gegenstand haben. 455 Ο Τ Ι 259,5-14 (Red.); OT I 257,10-16; 268,8-11; VIII 42,338-345; OP I 93,35-37; IV 8,64 - 69; 9,82f; 9,98-10,109; VI 4,35; 142,127-131; vgl. Livesey, Theology 66. 456 OT I 255,24f; OP IV 10, l l l f . 457 OT I 255,22-25. Dieser Argumentation entspricht es, daß in OT I 14,14f das ens lediglich Partialgegen stand der Metaphysik ist, zugleich aber nach seiner Priorität in OT I 258,16—18 subiectum primum metaphysicae, und in OT VI 345,15 — 17 schlicht subiectum metaphysicae. Diesen Widerspruch thematisiert und harmonisiert die Redaktion OT I 258,20-259,13. Moderne Forschung sollte ihn jedoch als solchen bemerken und nicht, wie Ghisalberti, Ockham 106, zugunsten der einen Behauptung, daß nämlich das ens subiectum der Metaphysik sei, auflösen.
Die scientia proprie
dicta
97
dizierbarkeit, Vollkommenheit 458 oder Totalität 459 kann jeweils verschiedenen Subjekten die Priorität zugesprochen werden 460 , aber selbst ein einziges dieser Kriterien muß nicht zu eindeutiger Bestimmung des Gegenstandes der Wissenschaft führen 4 6 1 : Der Gegenstand der Naturphilosophie kann nach dem Kriterium der allgemeinen Prädizierbarkeit die natürliche Substanz sein vel aliquid aliud ("oder irgend etwas anderes") 462 . D e r Gegenstand also kann kaum eindeutig dazu dienen, Wissenschaften in ihrer Unterschiedenheit zu charakterisieren.
6.2. scientia practica und 6.2.1. Die Unterscheidung
speculativa
von scientia practica und speculativa
Ockham faßt den Unterschied zwischen praktischer und spekulativer scientia in Modifikation der Definition Cowtons 463 so, daß es in praktischer Erkenntnis um solches geht, was in unserer Macht steht, in der spekulativen dagegen um solches, was nicht in unserer Macht steht 464 . Die Frage ist nun aber, worauf dieser Unterschied beruht.
458
OT I 257,If; OP I 93,39-41; IV 10,115-120; VI 4,36f; 141,95-97; vgl. Beckmann, Transformation 303, wo allerdings die Totalität fehlt. 459 OT I 255,20; OP VI 141,96f. 46 ° Ο Τ Ι 256,22-257,2. 461 Zimmermann, Ontologie 336. 462 OP IV 10,117f. Ähnlich gleichgültig gegenüber dieser Frage zeigt sich Ockham auch in der Summula Philosophiae Naturalis, wo er OP VI 141,97—106 zum subiectum totalitatis, das es nach ihm in der Naturphilosophie nicht gibt, unwidersprochen die Möglichkeit aufführt, forte dicas quod mundus sit tale totum. 463 Cowton, Sentenzenkommentar 312,17 — 19: speculativa est de rebus quae non sunt opera nostra nec nostrae dispositionis, practica vere de rebus (...) quae sunt opera nostra et nostrae dispositionis. Cowton führt diese Deutung auf Avicennas Metaphysik zurück, was Theissing, Cowton 231, ohne Beleg übernimmt. Ein solches Dictum ist aber in Avicenna, Philosophia Prima I—IV. V - X , nicht zu verifizieren. Zu Recht verweist Theissing, a.a.O. 230f, darauf, daß Cowton sich hier von Duns unterscheidet. Durch die Übernahme des Cowtonschen statt des Dunsschen Begriffs gewann Ockham die Möglichkeit, unter die praktischen Wissenschaften auch nichtdirektive zu zählen, während Duns erklärt hatte: practica large sumpta est cuius finis est ex natura scientiae esse directivum in actu alicujus, qui non est essentialiter speculano (Duns, Opera [Paris] VII 320). 464 OT I 282,14-16; 313,7-12. Der Bezug auf Cowton in der Definition von praxis wird deutlich, wenn Ockham erklärt: dico, sicut dictum est, quod omnis operado quae est in potestate nostra est praxis (OT I 292,13f). Die Hg. verweisen ebd. Anm.l zu Recht darauf, daß das sicut dictum est sich im Kontext nur auf die ebd. 277,7 — 13 referierte Meinung Cowtons beziehen kann.
98
1. Kapitel
Es kann drei Arten der Unterscheidung geben 465 : intrinsische, d.h. solche, deren Grundlage im Wesen der zu unterscheidenden Gegenstände zu finden ist 466 , extrinsisch-kausale, deren Grundlage die Ursachen der jeweils zu Unterscheidenden sind 467 , und extrinsisch-eigentümliche 468 , deren Grundlage das den je zu Unterscheidenden jeweils Eigentümliche ist 469 . Abgesehen von der Feststellung, daß auf keine dieser Weisen der Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis zur Unterscheidung dienen kann 470 , widmet Ockham der intrinsischen Unterscheidung nur einen einzigen Absatz, und dieser bietet keine Grundlage für die Feststellung von Unterscheidungskriterien für praktische und spekulative wissenschaftliche Erkenntnis, da er lediglich besagt, daß die ontische Grundlage für die intrinsische Unterscheidung nicht in der Form 471 als etwas irgendwie von der wissenschaftlichen Erkenntnis Ablösbarem liegt, weil wissenschaftliche Erkenntnisse als Akzidenzien reine Formen sind 472 und damit intrinsisch nur durch sich selbst unterschieden werden können 473 . Dies drückt zwar eine ontische Unterschiedenheit aus, macht aber keinerlei Distinktionskriterien benennbar, da nicht auf eine den zu unterscheidenden Objekten gegenüber jenseitige Referenzebene zum Unterscheiden verwiesen werden kann. Kausal 474 unterscheiden sich praktische und spekulative wissenschaftliche Erkenntnis nur finalursächlich, d.h. durch ihr Ziel: Wissenschaftliche Erkenntnis 465
Ein ähnliches, wenngleich vereinfachtes Schema findet sich auch in der in ihrer Authentizität fraglichen Summula Philosphiae Naturalis (OP VI 145,212f). Hier ist von zwei Arten von Gründen die Rede. Diese sind, wie die Unterscheidungsmerkmale, intrinsisch und extrinsisch. Extrinsisch-eigentümliche Unterscheidungen fallen wegen der Verengung auf die Kausalitätsproblematik fort. 466 ΟΤΙ 310,4-6. 467 OT I 310,7f. 468 OT I 310,11. Es geht dabei nicht allein um Eigenschaften: Diese dienen lediglich als Beispiel (OT I 310, l l f ) . 469 Ο Τ Ι 310,1 If. 470 Der Gegenstand ist nicht selbst die wissenschaftliche Erkenntnis, führt also nicht zur intrinsischen Unterscheidung (OT I 312,5f), er ist aber auch nicht ihre Ursache, führt also nicht zur kausalen Unterscheidung (OT I 312,6 — 313,2). Da schließlich über denselben Gegenstand sowohl spekulative wie praktische Kenntnisse erworben werden können, ist der Gegenstand auch nicht der einen oder anderen Erkenntnisart eigentümlich (OT I 313,5-20; OP VI 150,338-341). 471 Zur Unterscheidbarkeit anhand der Form s. OT I 310,5f. 472 OT I 3 1 1 , 1 - 2 . Ockham argumentiert hier verkürzt, und auch OT III 162,1117, worauf die Herausgeber verweisen, ist nicht ergiebiger. Vgl. die Begründung, daß die scientia unter die Akzidenzien (also nach OT I 311,2 die formae simplices) falle, in OP IV 7 , 3 0 - 4 0 . 473 Ο Τ Ι 310,16f; 311,2-4. 474 o p IV 7,30-8,46; VI 145,190-193 führt Ockham aus, daß Wissenschaft als Akzidens nur eine Wirk- und eine Finalursache haben kann. Dies ist gedanklich
Die scientia proprie
dicta
99
verdankt ihr Sein einer Zielursache, nämlich der, die den Wissenschaftler zum Lernen bewegt 4 7 5 , so daß das Ziel des Wissenschaftlers, insoweit er Wissenschaftler ist 476 , und der wissenschaftlichen Erkenntnis identisch ist 477 . Es ist aber nicht zwingend so, daß verschiedenen wissenschaftlichen Erkenntnissen verschiedene Ziele zugrunde lägen 478 : Lediglich im theoretischen Idealfall, der bei richtiger Intention des Wissenschaftlers vorliegt 479 , kann man von unterschiedlichen Zielen für praktische und spekulative wissenschaftliche Erkenntnis sprechen, dem Handeln für die praktische, dem gründlichen Betrachten f ü r die spekulative 480 . Die faktischen und daher eigentlichen Ziele 481 aber können ganz andere sein 482 , zum Beispiel schlicht Gewinn und Vorteil, und in diesen faktischen Zielen unterscheiden sich spekulative und praktische wissenschaftliche Erkenntnis in keiner Weise 483 . Ist aber die Zielursache für praktische und spekulative Erkenntnis möglicherweise identisch, reicht sie für eine Kriterienbildung zur Unterscheidung beider nicht aus.
schon in Sent I vorauszusetzen, wo Ockham scientia als Akzidens und damit als reine Form faßt (OT I 311,1 f), die nicht aus Materie entsteht (OT I 3 3 1 , 7 - 9 ) . 475 OT I 304,19; 304,21-305,6; vgl. OP VI 146,222f. 476 Ockham betont, daß das Ziel der Wissenschaft keineswegs die essentielle Zielursache des Wissenschaftlers sei (307,6f. 18f; 307,24-308,3). 477 OT I 307,4f. Es muß kein Widerspruch hierzu sein, wenn die Summula Philosophiae Naturalis feststellt, proprie loquendo gebe es nur eine Wirk- und keine Finalursache für scientia: Ist der Intellekt die Wirkursache (vgl. OP VI 146,216— 221), so gibt es eine Finalursache insofern nicht eigentlich, als sie nur mittelbar über die Finalursache der Wirkursache gegeben ist. 478 Ο Τ Ι 304,15-18. 479 OT I 308,19-21; vgl. OP VI 146,234-237. 480 OT I 308,21-23; IV 5 2 2 , 3 - 1 2 . Hier allerdings gilt als Ziel spekulativer wissenschaftlicher Erkenntnis die Wahrheit. 481 ΟΤΙ 307,1-4. 482 OT I 3 0 8 , 1 7 - 1 9 . 2 3 - 2 6 . Ockham harmonisiert dies mit Aristoteles, indem er erklärt, wo dieser von Wissenschaftszielen spreche, meine er nur die idealen (OT I 309,11-16). 483 OT I 304,19-21; vgl. OT I 311,5-13. Die Ziele können des weiteren unterschieden werden nach solchen, die begehrt, und nach solchen, die geliebt werden: Die letzteren sind solche Ziele, die der Handlung schon immer zugrunde liegen, durch sie nicht bewerkstelligt werden können, aber zum Handeln anreizen (OT I 306,10—15), die begehrten Ziele hingegen stehen im Dienst dieser geliebten, insofern sie um der geliebten Ziele willen erreicht und bewerkstelligt werden können (OT I 3 0 6 , 8 - 1 0 ) . Diese Unterscheidung darf nicht mit der oben genannten zwischen faktischem und theoretischem Ziel der Wissenschaft identifiziert werden: Das auf das faktische Ziel bezogene De ilio locutus sum prius (OT I 308,19) weist auf OT I 307,1—308,15 zurück. Hier aber wurden die faktischen Ziele sowohl durch Liebe als auch durch Begehren gefüllt (s. 307,2f.l0-12), so daß man sie nicht mit einem der beiden Zugänge identifizieren kann.
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Diese ist erst anhand der dritten, der extrinsisch-eigentümlichen Unterscheidung, möglich. Das der jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnis Eigentümliche, das zur Unterscheidung fuhrt, ist ihr Objekt: Während in spekulativ gewußten Schlußsätzen nichts enthalten ist, was wir ausführen müßten, ist die praktisch gewußte conclusio direktiv ausgerichtet 484 . Da es allerdings durchaus Begriffe gibt, die an sich schon zur Ausführung tendieren, präzisiert Ockham: Sofern der Schlußsatz nicht mehr zum Ausführen tendiert als die in ihm enthaltenen Begriffe, ist er noch spekulativ485. Tendiert er dagegen stärker zum Handeln als die in ihm enthaltenen Begriffe, handelt es sich um praktisches Wissen 486 . Damit bestätigt sich Ockhams allgemeine Aussage, daß eine wissenschaftliche Erkenntnis nicht einfach durch ihren Gegenstand charakterisiert werde, sondern durch ihr Objekt 487 . Zugleich präzisiert Ockham auf diese Weise seine oben angeführte definitorische Unterscheidung von scientia practica und speculativa, insofern Unterscheidungsmerkmal nicht primär der Gegenstandsbereich, sondern der Gegenstandsbezug ist488. 6.2.2. Die Möglichkeit,
Wissenschaft als ganze zu
charakterisieren
Während es unmöglich war, eine Wissenschaft durch ihren Gegenstand eindeutig zu bestimmen, ist dies nun mit Hilfe der Charakterisierung durch das Objekt als praktische oder spekulative Wissenschaft möglich: Auch hier geht Ockham zwar stets nur von der wissenschaftlichen Erkenntnis aus, spricht von
484
Ο Τ Ι 315,6-14. 485 OT I 315,25f als Ausführung zu ebd. Z. 19. Damit modifiziert Ockham seine zuvor eingenommene, an den philosophi orientierte Position, nach der die scientia practica im Gegensatz zur scientia speculativa de operibus nostris handle (OT I 282,140. 486 OT I 315,16—19. 487 Vgl. OP IV 259,26—28: Wissenschaften unterscheidet man anhand ihrer conclusiones - und erst hierfür muß man wieder auf Subjekte und Prädikate rekurrieren (OP IV 259,28-260,37). Diese begrifflich differenziertere Fassung wird in OP VI 6,45ff vergröbernd zusammengefaßt: distìnctio scientiarum tantum potest esse tribus modis, scilicet per subiectum, per praedicatum vel per totam composi tionem. 488 Diese Präzisierung führt Ockham in OT I 346,14-16 durch Einfügung von et est directiva opens in eine Variante der genannten Definition ausdrücklich ein. Dementsprechend werden durch die Unterscheidung von praktischer und spekulativer Erkenntnis auch nicht Erkenntnisbereiche völlig gegeneinander abgegrenzt: Praktische Schlußsätze kann man durchaus aus spekulativen Prinzipien ableiten (OT I 314,5-315,2; 345,19-346,5), so daß alle spekulativen Prinzipien virtuell praktisch sind (OT I 314,19-23; vgl. OP VI 150,322-334).
Die scientia proprie
dicta
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Objekt und c o n c l u s i o n , aber den Übergang zur Wissenschaft problematisiert er überhaupt nicht, und ganz selbstverständlich charakterisiert er ganze Wissenschaften als praktisch oder spekulativ 490 .
7. Die Systematik der Wissenschaften
7.1. Andeutungen einer Wissenschaftssystematik im Sentenzenprolog 491 Unterscheidungsmerkmal der Wissenschaften ist weder die Basierung auf verschiedenen Arten von Prinzipien 492 noch die Methode 493 , sondern die Unterscheidung von praktischer und spekulativer Wissenschaft, auf deren Grundlage Ockham auch, allerdings nur andeutungsweise, im Sentenzenkommentar eine Wissenschaftssystematik gebildet hat: Ethik ist eine befehlende praktische Wissenschaft, weil sie befiehlt, was zu tun und zu lassen sei 494 . Demgegenüber sind das Trivium, in dem die Dialektik
489
Daß Ockham an die wissenschaftliche Erkenntnis denkt, zeigt sich daran, daß er die Bestimmung der scientia als Akzidens (OT I 311,1-4) in OP IV 7 , 3 0 - 8 , 4 0 ausdrücklich auf die scientia quae est una numero bezieht und erst aufgrund der Gleichheit des Zusammengefügten diese Argumentation auch auf die als Pluralität gefaßte Wissenschaft ausdehnt (OP IV 8,40-46). 490 OT I 316,3—7. 11-13. 491 Die Systematik der Summula Philosophiae Naturalis erfolgt ganz ähnlich wie die des Sentenzenkommentars, was jedoch im Text der Arbeit wegen der Fraglichkeit der Authentizität dieser Schrift nicht hervorgehoben wird. 492 In einer Wissenschaft kann es sowohl selbstevident erkannte als auch durch Erfahrung evident erkannte Prinzipien geben (OT I 319,26—320,2), auch wenn es Wissenschaften gibt, die ganz ohne principia per se nota auskommen (OT I 85,20493 Auch die praktische Wissenschaft hat aus Prinzipien folgende Schlüsse: OT I 320,1-4. 494 OT I 316,9-17. Ockham spricht hier zwar von der prudentia, die er OT I 321,1—5 von der scientia moralis unterscheidet. Daß er aber auch — wie die in ihrer Authentizität fragliche Summula Philosophiae Naturalis (OP VI 149,301-303) die Ethik als befehlende Wissenschaft einordnet, geht aus OT I 3 1 7 , 7 - 1 3 hervor: Ockham führt ein dubium ein, das er sogleich unter Vorwegnahme seiner Argumentation aus OT I 3 2 1 , 1 - 5 widerlegt (OT I 317,9-11: Consequens....particularibus). Ohne diese vorgezogene Widerlegung ergibt sich als Einwand: Omnis habitus dictativus est habitus cum vera ratione activus Omnis habitus cum vera ratione activus est prudentia (Aristoteles) Omnis habitus dictativus est prudentia
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durch die Logik abgelöst worden ist495, und die mechanischen Künste, von denen Ockham lediglich die Ackerbaukunst496, die Baukunst497 und die Medizin 498 erwähnt, aufweisende praktische Wissenschaften, die nichts befehlen, Ockham bestreitet den Schluß: Consequens falsum. Da die consequentia patet, muß dann entweder der Ober- oder der Untersatz falsch sein. Den Obersatz kritisiert Ockham nicht, wohl aber faktisch den Untersatz, indem er die Auslegung, die Duns diesem gegeben hat, kritisiert (OT I 317,14-318,23): Wenn Ockham hier erklärt, eine universale Aussage könne genauso direkt zum Handeln anleiten wie eine partikulare, impliziert dies, daß der Untersatz lauten müßte: Omnis habitus cum vera ratione activus est prudentia vel scientia moralis: Einziges Unterscheidungskriterium zwischen beiden nämlich ist Partikularität oder Universalität (OT I 317,9-11; 3 2 1 , 1 - 5 ; vgl. OT VIII 282,248-283,2). Alles aber, was Ockham sonst von der Klugheit sagt, gilt auch von der Ethik. Entsprechend kann es auch OT I 360, lf heißen: scientia moralis non speculatur aliquod verum nisi simpliciter practicum — allerdings nur in einer Bedeutung des Wortes, nämlich sofern Thema genau die Verhaltensweisen sind, die in unserer Macht stehen (ebd. 359,17f). In anderem Sinn jedoch, als auf der aristotelischen Ethik aufbauende Disziplin, enthält die Ethik auch spekulative Sätze (ebd. 360,6 — 8). Dennoch ordnet Ockham sie letztlich einheitlich in die praktischen Wissenschaften ein, insofern das, was in ihr erworben wird, praktische Schlüsse sind (OT I 360,12 — 16). In dem nicht datierbaren Artikel Circa virtutes et vitia sieht Ockham einen weiteren Unterschied zwischen prudentia und scientia moralis: Hiernach gilt, daß die Klugheit nur durch Erfahrung, die scientia moralis jedoch auch durch selbstevident erkannte Prinzipien herbeigeführt werden kann (OT VIII 282,242-246). 495 Diese Zusammenfassung als Trivium ist für Ockham trotz der Auflösungserscheinungen in den Wissenschaftstheorien (s. Flasch, Denken 305f) angemessen, da er die drei wie Sherwood, Logik 222,9 — 11 (Prolog), als Einheit sieht, wenn er sie gemeinsam den artes mechanicae gegenüberstellt (S. OT I 316,12f). Allein steht die Logik als praktische Wissenschaft im Prolog zur Expositio artis logicae (OP II 7,128 - 1 3 8 ) - wohl weil hier das Thema eben die Logik ist. 496 Ο Τ Ι 313,20. 497 Ο Τ Ι 316,21; 317,3f. 498 OT I 319,12. In bezug auf sie differenziert Ockham noch einmal, daß sie neben den praktischen Sätzen auch spekulative enthalte, dies aber seien die Prinzipien (OT I 357,17—21), was nach Ockhams Art der Unterscheidung von Wissenschaften, die sich nach den Objekten, nicht aber nach den Prinzipien richtet, ihre Einordnung unter die praktischen Wissenschaften nicht stört. Eine Differenzierung deutet sich hier aber insofern an, als Ockham erklärt, diese speculabilia seien pro magna parte Prinzipien, ohne zu sagen, was sie sonst noch seien. Angesichts der allgemeinen Einordnung der artes mechanicae unter die aufweisenden praktischen Wissenschaften und des Kontextes, in dem es ja gerade darum geht, die Auffassung, die Medizin sei spekulativ und praktisch zugleich, abzulehnen (OT I 357,17f; daß Ockham diese Meinung ablehnt, zeigt sich bereits ebd. 349,20f), vor allem aber wegen der expliziten Aussage, medicina et omnespracticae dicunturpracticae (...) in OT I 368,6, ist davon auszugehen, daß Ockham wissenschäftssystematisch die Medizin allein den praktischen Wissenschaften zuordnet.
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aber erläutern, wie man vorzugehen hat, wenn man etwas Bestimmtes erreichen will 499 . Die Musik wird nur ohne weitere Differenzierung als praktische Wissenschaft eingeführt 500 - was angesichts der Herkunft dieser Wissenschaft aus dem Quadrivium, dessen andere Teile Ockham den spekulativen Wissenschaften zuordnet 501 , auffällig ist. Gerade diese Herkunft aber legt es nahe, die Musik eher unter die aufweisenden als unter die befehlenden praktischen Wissenschaften einzuordnen 502 . Demgegenüber gehört die Naturphilosophie anscheinend zur Gruppe der spekulativen Wissenschaften 5 0 3 . Diese Zuordnung setzt Ockham auch für die
499 OT I 316,8-317,2; IV 509,19-510,1; OP VI 149,309-311; vgl. OT IV 509,19-510,1. 500 OT I 298,2f; 314,26. 501 Die Astronomie (astrologia) wird zwar nicht erwähnt, gehört aber zu den spekulativen Wissenschaften: Gemäß einer sich vorher schon abzeichnenden Entwicklung (s. Flasch, Denken 308) wird beim späteren Ockham die Astronomie ganz von der Naturwissenschaft verschluckt (s. OP IV 257,12f; 355,6f), und auch im Sentenzenkommentar deutet Ockham den spekulativen Charakter der Astronomie an, denn die Lehre von der Mondfinsternis, die nach OT I 2 0 1 , 1 5 - 1 7 zur Astronomie gehört, ist nach OT I 350,4—6 spekulativ. Der Gesamtkontext an dieser Stelle soll zwar Aureolis Argumentation ad absurdum führen, gibt also gerade nicht Ockhams Meinung wieder. Damit aber diese Argumentatio ad absurdum gelingt, muß eine absurde conclusio (OT I 350,6) genau dann herauskommen, wenn Aureolis Prämisse (OT I 349,2. 22f) mit einem allgemein anerkannten Mittelsatz kombiniert wird, und dieser anerkannte Mittelsatz ist der vom spekulativen Charakter der Erkenntnis über die Mondfinsternis. 502 Dies wird dadurch unterstützt, daß nach OT I 3 1 7 , 7 - 1 3 nur Klugheit und Ethik diktativ sind (s.o. Anm 496). 503 OT I 313,16. Diesem Satz ist explizit nur zu entnehmen, daß in der scientia naturalis spekulative Sätze enthalten sind, nicht aber, daß sie ganz aus solchen besteht. Der Kontext zeigt, daß Ockham dennoch die scientia naturalis als ganze als spekulative Wissenschaft faßt: 1. Im weiteren Kontext wird für alle behandelten Wissenschaften außer der Theologie unmittelbar eine Charakterisierung als praktisch oder spekulativ vorgenommen. 2. Im unmittelbaren Kontext wird die in direkte Parallele zur scientia naturalis gesetzte Ackerbaukunst eindeutig als ganze als praktische Kenntnis gefaßt (OT I 313,19f). Ebenso behandelt die Gegenüberstellung: de terra considérât [scientia] naturalis passiones naturales et de eadem terra considérât agricultura passiones quae important aliqua quae sunt in potestate nostra (OT I 342,16-18; vgl. ebd. 3 6 8 , 1 4) die in der Naturphilosophie erkennbaren Eigenschaften als denen, die in potestate nostra stehen und damit eine wissenschaftliche Erkenntnis als praktisch qualifizieren, gänzlich entgegengesetzt.
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Arithmetik 5 0 4 und die Metaphysik 505 voraus. Da als typisch spekulatives Prinzip omnis triangulus habet tres ("Jedes Dreieck hat drei") eingeführt wird 506 , gilt wohl auch die Geometrie als spekulative Wissenschaft. Damit ist im Hintergrund des Sentenzenprologes folgendes System der Wissenschaften 5 0 7 zu erkennen, in dem das Auftreten der Medizin im übrigen zeigt, daß es nicht um eine Gliederung der Artesfakultät in sich geht, sondern auch die höheren Fakultäten prinzipiell mit einbezogen sind: Spekulative Wissenschaften
Praktische Wissenschaften befehlend
scientia naturalis Mathematik Metaphysik Arithmetik Geometrie?
Ethik
aufweisend Logik Grammatik Rhetorik mechanische Künste — Medizin — Ackerbaukunst — Baukunst u.a. 508 — Musik?
Nicht genau erkennbar ist, wie Ockham zur Einteilung innerhalb der jeweils hier behandelten Gruppen kommt 509 : Während sich spekulative und praktische 3. Nach OT I 2 5 6 , 2 - 1 0 kann als erster Gegenstand der Naturwissenschaft das corpus naturale gelten. Dementsprechend sind alle anderen Gegenstände, von denen Ockham Ζ.5—9 spricht, irgendwie unter diesen einen zu subsumieren (s. OT I 255,16—22). Corpus naturale wiederum ist mit dem ens naturale gleichzusetzen (s. die in der Authentizität fragliche Stelle OP VI 141,97-100, wo das primum subiectum scientiae naturalis direkt das ens naturale ist) oder diesem zu subsumieren. Von diesem ens naturale nun aber, das somit als Primärsubjekt der Naturwissenschaft gelten kann oder diesem noch übergeordnet ist, heißt es in OT I 313,21f, etwas sei subiectum notitiae speculativae, quia est ens naturale! 504 OT I 314,26. 505 OT I 364,19. OT I 3 6 5 , 8 - 1 6 präzisiert Ockham dies als den eigentlichen, von Philosophen und Heiligen verwandten Begriff von Metaphysik. Daß aus den Aussagen des Duns über den praktischen Charakter der Theologie folgte, daß auch die Metaphysik eine praktische Wissenschaft wäre, kann Ockham sogar als Argument gegen den Doctor subtilis verwenden (OT I 336,22—337,9) — so selbstverständlich ist ihm der spekulative Charakter der Metaphysik! 506 OT I 314,23f. 507 Vgl. zu früheren Wissenschaftssystematiken Weisheipl, Sciences 94 — 101. 508 Zu den anderen vgl. Flasch, Denken 307. 509 Wenn Leinsle, Einheit 121, unter Berufung auf OT II 480 erklärt, Ockham biete für die Metaphysik eine interpretatio benigna der traditionellen Vorstellung der Mittelpunktstellung der Metaphysik, so übersieht er, daß der Satz quia [metaphysica]
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Wissenschaft grob durch ihre Objekte unterscheiden, gilt daneben, daß ein Schlußsatz zu mehreren Wissenschaften gehören kann 510 : Innerhalb der Gruppen kann also nicht das Objekt allein Unterscheidungsmerkmal sein. Ockham deutet an, daß diese Unterscheidung möglich sei durch die verschiedenen Mittelbegriffe, die in den wissenschaftlichen Syllogismen verwendet werden 5 ". Diese Lücke in der Systematik ist möglicherweise ein Symptom dessen, daß diese Wissenschaftssystematik nicht eigentlich aus der Theorie konstruiert, sondern scientiae nach dem allgemeinen Sprachgebrauch behandelt, also ein Nachvollzug institutioneller Realität ist, die zu verstehen Ockham sich bemüht, ohne sie doch ganz schlüssig erklären zu können. Für einen direkten Bezug zwischen Wissenschaftstheorie und Wissenschaftssystematik boten sich andere Möglichkeiten.
7.2. Die Sonderrolle der Logik 7.2.1. Die Sonderrolle 7.2.1.1. Die Logik als Organon im
der Logik in der Ordinatio Sentenzenprolog
Schon innerhalb des Sentenzenprologes sprengt Ockham die oben erschlossene einfache Wissenschaftssystematik, indem er die Logik nicht allein von ihrem Ort unter den aufweisenden praktischen Wissenschaften her versteht, sondern entsprechend seinem Begriff von wissenschaftlicher Erkenntnis diesen Teil des Wissenschaftssystems selbstreferentiell auf das gesamte Wissenschaftssystem anwendet: Die Logik ist — entsprechend dem Anspruch, den die Logiker des 13.Jahrhunderts entwickelt hatten 512 , und dem Ockham bekannten 513 Wortest certissima omnium aliarum scientiarum (OT II 480,10) lediglich Teil eines Referates der Auffassung des Avicenna Ζ.8—10 ist (vgl. Avicenna, Metaphysik 1,1: haec [nämlich die scientia divina·, V.L.] est philosophia certissima [Avicenna, Philosophia Prima I—IV 3]): Ockham greift hier die in OT II 446,1—4 knapp zusammengefaßte Auseinandersetzung von Duns, Opera (Vaticana) III 55f, mit Avicenna auf und wirft Duns vor, die Pointe Avicennas vom certificare auf das distincte concipere verschoben zu haben. sie OT I 10,2—6. Eine Unterscheidung der Wissenschaften anhand der media lehrte Herveus, Defensa 65* (vgl. Aureoli, Scriptum I 272f). Zu Recht vermerkt auch Moser, Grundbegriffe 11, daß Ockham Wirk- und Zielursache speziell der Naturwissenschaft nicht angibt. 511 OT I 10,5f. In die gleiche Richtung weist OT IX 479,106f, wo Ockham ausführt, daß Theologe und Philosoph denselben Schluß per medium alterius rationis beweisen. 512 Petrus Hispanus, Tractatus 1,4—6; Sherwood, Logik 222, lOf (Prolog); vgl. Beckmann, Mittelalter 104. 513 S. OT III 2 1 9 , 1 - 4 .
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gebrauch des Averroes 514 - das Instrument, das jede Wissenschaft anzuwenden hat, um ihre Schlüsse zu ziehen515, denn sie stellt in völliger Formalität516 die Gesetze bereit, nach denen sich Syllogismen vollziehen517. So ist innerhalb des Sentenzenprologes neben dem oben gezeichneten Schema noch ein anderes angedeutet, in dem sich die Logik einerseits und alle anderen Wissenschaften andererseits gegenüberstehen. Daß Ockham mit dieser Auffassung die Ansprüche der Logik rezipiert, kann nach der Feststellung der hohen Bedeutung, die die suppositionstheoretische Logik für seine Position im Verhältnis zu dem ihm vorgegebenen Strom der Duns-Schule spielt, nicht erstaunen. 7.2.1.2. Die Unterscheidung von Real- und Rationalwissenschaft Ordinatio
in der
Diese Andeutung einer Zentralstellung der Logik wird in Sent I d.2 ausgeführt: Ockham führt hier die vorgegebene518 Unterscheidung von Real- und Rationalwissenschaft ein, und zwar im Kontext des Referates eines Argumentes eines Gegners 519 . Das weist ebenso wie das Fehlen dieser Unterscheidung in den wissenschaftstheoretisch grundlegenden Ausführungen des Sentenzenprologes darauf hin, daß diese Begriffsdifferenzierung zu diesem Zeitpunkt noch keine zentrale Stellung in Ockhams wissenschaftstheoretischen Überlegungen einnahm. Ockham bestimmt nun, die Realwissenschaft handle nicht von realen Entitäten, sondern von den Termen, die für diese stehen520. Der Unterschied zur Rationalwissenschaft besteht allein in der Art der Supposition: In der Realwissenschaft stehen die Terme für reale Entitäten521, in der mit der Logik 514
Averroes, Kommentare VIII 153VK (Metaphysik VII,1 Nr.2); IV 23rC (Physik I Nr. 35). 515 OT I 201,12ff. 516 S. OT I 201, llf. 517 OT I 201,llf; OP II 3,20-4,25. 518 S.Thomas, An.Post. 1,1 Nr.2 (Thomas, Opera IV 273); vgl. Schneider, Scientia 61. 519 OT II 103,13-18. Die Herausgeber verweisen auf Heinrich von Harclay (OT II 103 Anm. 2). 520 OT II 134,3-9; 137,20-22. Der Begriff terminus fallt zwar nicht, ist aber durch die Rede von propositiones impliziert. Im Kontext betont Ockham, daß, was für gesprochene Sätze gelte, auch für mentale gelte (OT II 134,22-135,9; 136,8. 521 Die komplizierte Differenzierung der Suppositionsarten ist Giacon, Suppositio, leider in seiner Kritik an Ockham entgangen: Er bringt den Satz "appartiene alla natura umana la proprietà di poter ridere" als Beleg für den mangelnden "valore reale" der "cosidetta scienza reale" (a.a.O. 9460· Dabei macht er im Gefolge seiner Deutung der Ockhamschen Universalientheorie, wonach der Universalbegriff lediglich eine "costruzione arbitraria" des Geistes sei (ebd. 947), den Fehler, zu folgern,
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gleichgesetzten Rationalwissenschaft dagegen für Begriffe 5 2 2 . Die Supposition im ersten Fall nennt Ockham hier personale Supposition 523 , die in der Rationalwissenschaft dagegen einfache 524 . 7.2.2. Die Zentralstellung
der Logik in der Expositio Artis Logicae
Die Zentralstellung der Logik gewinnt in Ockhams späteren wissenschaftstheoretischen Überlegungen zunehmend an Gewicht, indem Ockham die Unterscheidung von Real- und Rationalwissenschaft in seine wissenschaftstheoretische Grundlagenreflexion einbezieht. Im Vorwort der Expositio Artis Logicae, die wohl nach der Ordinatio des Sentenzenkommentars anzusetzen ist 525 , bezieht Ockham Wissensbegriff und Wissenschaftssystematik eng aufeinander: Die Wahrheitsfunktion, die wissenschaftliche Erkenntnis zu einem Wahrheit gewährleistenden Habitus im Sinne der Nikomachischen Ethik macht, ist wie bei Wilhelm von Sherwood 5 2 6 allein die Logik 527 . Zwar wird auch hier noch die Logik als praktische Wissenschaft bestimmt 5 2 8 , aber ansonsten hat nur noch die Einteilung nach Real- und Rationalwissenschaft mit der ihr entsprechenden Zentralstellung der Logik Gewicht: Während alle anderen Wissenschaften, weil sie sich mit realen Entitäten befassen 5 2 9 , als Realwissenschaften gelten 530 , befaßt sich die Logik mit innereine Aussage in einfacher Supposition sei per se ohne Aussagekraft bezüglich der Realität. Vor allem aber übersieht er, daß eine allgemeine Aussage über die außermentale Realität nicht nur in Form einer Aussage über die Spezies Mensch möglich ist, sondern auch als die in personaler Supposition stehende Aussage omnis homo est risibilis (OT II 137,4) — Giacon gibt dies nur wieder als homo est risibilis (a.a.O. 946) und kommt so unter Mißachtung des bei Ockham zumindest gelegentlich hinzugefügten synkategorematischen Term omnis (s. hierzu OP I 15,9—24) zu dem Ergebnis, Universalisierbarkeit sei nur auf der Ebene einfacher Supposition erreichbar. Ein Satz mit dem Subjekt omnis homo jedoch ist ohne Zweifel universal und steht ebenso unzweifelhaft in personaler Supposition. 522 O T I I 136,11-16. 523 OT II 137,2f; III 8,2f. S. zu den Veränderungen der Ockhamschen Suppositionslehre oben 1.2. 524 OT II 137,6f; III 7,18f; V 227,9f.llf. 525 OP II 14*. 526 Sherwood, Logik 222, lOf (Prolog). 527 OP II 3 , 6 - 9 ; 6,86f. Daß Ockham OP II 3 , 4 - 6 erklärt, daß der intelkctus humanus in adquirendo scientiam (...) ab ignotis ad nota discurrit necessario, darf nicht als Beschreibung des syllogistischen Verfahrens gedeutet werden, sondern bedeutet lediglich, daß die Wissenschaft ein Vorgang des Bekanntwerdens ist. Für den Syllogismus setzt Ockham auch hier propositiones per se notae als Grundlage voraus (OP II 6 , 8 7 - 9 1 ) . 528 OP 11 7 , 1 2 8 - 1 3 8 . 529 OP II 7,126f. 530 OP II 7,123f.
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mentalen Phänomenen, den Begriffen 531 , insofern sie Zeichen sind 532 , und ist daher eine Rationalwissenschaft 533 . Eine Sonderrolle der Metaphysik in dieser Wissenschaftssystematik deutet Ockham nur an: Auch sie befaßt sich wie die Logik mit den innermentalen Phänomenen, aber unter dem besonderen Aspekt der Frage nach ihrem ontologischen Status534. 7.3. Die Wissenschaftssystematik im Physikprolog Im Physikprolog finden diese Reflexionen zur Rolle der Logik einen gewissen systematischen Abschluß 535 . Wie schon im Logikprolog, so ist auch hier die noch im Hintergrund des Sentenzenprologes zu erschließende traditionelle Wissenschaftssystematik völlig aufgegeben. Dies zeigt sich darin, daß nun die Naturphilosophie nicht mehr schlankweg als spekulative Wissenschaft gilt, wie es der Sentenzenprolog vorausgesetzt hatte, sondern auch praktische Teile enthalten kann 536 . Grundlage der Wissenschaftseinteilung ist wie in Sent I d.2 und im Logikprolog die Unterscheidung von Real- und Rationalwissenschaft. Gegenüber dem Logikprolog, nach dem Realwissenschaft einfach von Dingen handeln sollte, argumentiert Ockham wieder wie in Sent I d.2 mit der Suppositionslehre: Real- wie Rationalwissenschaften handeln von Intentionen, Denkakten der Seele, die ersteren aber von solchen, die für reale Entitäten supponieren, die letzteren von solchen, die selbst für Intentionen supponieren 537 . 53
' OP II 7,116-118. S. OT IX 540,45. 533 OP 117,123. 534 OP II 7,120f. Angesichts dieser Sonderrolle der Metaphysik ist sie nicht einfach als Realwissenschaft zu klassifizieren, wie es Leinsle, Einheit 121, aufgrund von Quodl V q. 15 (OT IX 538-542) tut: Hieraus geht lediglich hervor, daß die Metaphysik auch reale Entitäten behandelt! 535 Angesichts der hier sich abzeichnenden Entwicklung spricht das Fehlen der Zentralstellung der Logik in der Summula Philosophiae Naturalis, sollte sie denn authentisch sein, für eine Frühdatierung dieser Schrift, wie sie auch in OT VI 29* vertreten wird. Bei einer solchen Datierung in die zeitliche Nähe der Ordinatio gewinnen allerdings wiederum terminologische Differenzen dieser gegenüber an Gewicht: Während Ockham in Sent I in bezug auf scientia als Wissenschaft schlicht feststellt: scientia ista non est una numero (OT I 9,16), fällt für den Autor der Summula die unitas aggregatione unter einen weiteren Begriff von unum numero (OP VI 138,32f). Dies unterstreicht die Fraglichkeit der Authentizität der Summula. 536 OP IV 14,122-127; vgl. OP VI 147,240; 147,260-148,267. Wenn die Naturwissenschaft nach OP VI 7,70 principaliter speculativa ist, dürfte dies als "hauptsächlich", und das heißt eben nicht vollständig, zu fassen sein. 537 OP IV 12,48-50; vgl. OP VI 5,22-6,25; vgl. Imbach, Ockham 239f. Wohl weil er bereits der SL nähersteht, kann Ockham nun diese Unterscheidung anhand 532
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Auf diese Weise hat Ockham eine Wissenschaftssystematik erstellt, die der Sonderstellung der Logik gerecht wird, ohne sie doch allzu stark von den anderen Wissenschaften abzusetzen. Vor allem aber hat er nun eine Wissenschaftssystematik erstellt, die Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsbetrieb eng miteinander verzahnt: War nach der scientia-Lehre des Physikprologes entsprechend der gesamten Tradition der vorangegangenen aristotelisch inspirierten wissenschaftstheoretischen Reflexion — gerade die Beweisbarkeit dasjenige, was die wissenschaftliche Erkenntnis im strengen Sinne von allen anderen Formen des Wissens unterschied 538 , so mußte dem in der Wissenschaftssystematik eine Zentralstellung der Logik entsprechen. Im Hinblick auf die Realitäten des akademischen Lebens aber entsprach dies dem, daß seit dem 13.Jahrhundert der Studiengang jedes Studenten an der Artistenfakultät zu beginnen hatte und dort Logica vetus und Logica nova eine gewichtige Rolle spielten 539 . Doch verhielt sich Ockham der Realität gegenüber nicht nur affirmativ, sondern teilte ihr gegenüber die Forderung der Logiker nach absoluter Vorrangstellung der Logik, nachdem das Schema der sieben freien Künste faktisch schon längst zugunsten eines breitgefächerten philosophischen Programms innerhalb der Artistenfakultät verschwunden war 540 : Basale Funktion für die Wissenschaft besaß hiernach nicht das gesamte Programm der Artistenfakultät, sondern allein die Logik.
der Supposita nicht mehr als verschiedene Arten von Supposition fassen. Es ist, da Ockham diesbezüglich nicht differenziert, davon auszugehen, daß auch für die Logik die personale Supposition, die sich nach der SL auf Dinge wie auf Intentionen der Seele beziehen kann (OP I 195,5f), zumindest eine Möglichkeit ist. In der Logik gibt es jedenfalls nicht nur personale Supposition, die Arten der jeweils vorliegenden Supposition sind aber nicht immer eindeutig zu bestimmen: Da in SL 1,64 als Beispiel für einfache Supposition homo est species genannt wird (OP I 196,27f), aber so, daß allein homo einfach, species jedoch personal supponiert (s. Boehner, Supposition 241), gilt zumindest für das Beispiel homo est species, das Ockham in OT II 137,8 für die Rationalwissenschaft bringt, daß hier - nach der späteren Begrifflichkeit — personale und einfache Supposition nebeneinander stehen. Dies ist nicht so eindeutig bei dem Beispielsatz für Logik aus OP IV 12,51: species praedicatur de pluribus differentibus numero. Species supponiert personal, für die plures aber ist keine Art von Supposition anzugeben: Es handelt sich hier um einen synkategorematischen Begriff, der als solcher gar nicht signifikativ ist (s. OP I 15,9 — 24), also auch nicht signifikativ, d.h. personal supponieren kann. 538 S. OP IV 6 , 4 3 - 4 5 . 4 6 - 5 0 . 539 Courtenay, Schools 32; vgl. Statuta 26; vgl. Flasch, Denken 305ff. 540 S. Flasch, Denken 306-308; vgl. Felder, Geschichte 410ff.
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1. Kapitel 8. Ergebnisse
Wissenschaftliche Erkenntnis ist nach Wilhelm von Ockham die durch den syllogistischen Diskurs aus evident erkannten Prinzipien entstandene evidente Erkenntnis eines wahren und notwendigen Objektes, dessen Wahrheit und Notwendigkeit auf der ontischen Grundlage einer dem mentalen Erkennen vorgegebenen Ordnung der realen Entitäten beruht, die in ihrer Geordnetheit auch durch Gottes absolute Macht nicht tangiert werden kann. Das Objekt selbst aber ist eine Aussage, deren Subjekt der Gegenstand der Erkenntnis. Mehrere wissenschaftliche Erkenntnisse bilden samt den Prinzipien, von denen sie ausgehen, sowie diversen Stützargumenten eine Wissenschaft, deren Einheit nicht in einem einheitlichen Gegenstand, sondern in der einheitlich praktischen oder spekulativen Ausrichtung sämtlicher Objekte zu finden ist. Die Ockhamsche Bestimmung der Merkmale wissenschaftlicher Erkenntnis ist historisch zunächst das Ergebnis der Auseinandersetzung mit zeitgenössischen oder erst kürzlich verstorbenen Denkern wie den Franziskanern Duns Scotus, Peter Aureoli und Robert von Cowton541: Ockham knüpft an die Duns-Schule an. Er zeigt aber seine Eigenständigkeit in der durch die Rezeption der modernen suppositionstheoretischen Logik bedingten aussagehaften Fassung des Objektes wissenschaftlicher Erkenntnis: Der Standpunkt des Venerabiiis Inceptor läßt sich vorläufig als beide aufeinander beziehende Rezeption zweier Traditionsströme vor dem in der Evidenzfrage spürbaren (und Ockham möglicherweise bewußten) Hintergrund der Auseinandersetzungen um den radikalen Aristotelismus im 13. Jahrhundert beschreiben.
541
In diese Richtung der Einbettung Ockhams in sein unmittelbares intellektuelles Milieu weisen auch die Anregungen von Hübener, Nominalismus-Legende 110.
2. Kapitel: Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes nach dem Sentenzenkommentar
1. theologia in se Im Anschluß an Überlegungen Wilhelms von Ware hat Duns Scotus systematisch eine innere Differenzierung des theologia-Begriffs als theologia in se, theologia Dei, theologia beatorum und theologia nostra ausgearbeitet 1 : Ware hatte ein Argument, das bereits Thomas zur Stützung seines Subalternationsmodells der Theologiebegründung verwandt hatte2, in den Mittelpunkt der Klärung der Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Theologie gerückt, um deren erkenntnistheoretische Mangelhaftigkeit mit ihrem Anspruch erhabener Würde zu harmonisieren. Theologie kann man hiernach unter zwei Perspektiven betrachten: einerseits hinsichtlich ihres Objektes und andererseits hinsichtlich des Erdenpilgers als des Erkenntnissubjektes 3 . In dieser zweiten Perspektive gilt: 1 Auf die Abhängigkeit Ockhams von Ware in dieser Frage weist auch Leff, Ockham 339, hin, ohne auf die Vermittlung des Wareschen Gedankengutes zu Ockham einzugehen. Zu den Bezügen zwischen Duns und Ware s. Daniels, Ware und Duns
222. 2 S. Thomas, Opera IV 524 (De Trin p.l q.2 a.2): Hier findet sich Wares Gedanke schon in nuce angelegt, sowohl die Aufteilung in eine Betrachtung der Kenntnis vom Göttlichen ex parte nostra und ex natura ipsorum (divinorum), als auch die Anwendung der letzteren auf Gott und die Seligen als Erkenntnissubjekte. Das Argument dient bei Thomas aber nur als Etappe auf dem Weg zur Überbrückung des Unterschiedes zwischen der theologia nostra und der theologia beatorum, nicht, wie bei Ware, zur Herausstreichung des Gegensatzes (zur theologischen Relevanz dieses Akzentunterschiedes s.o. 6.). Spuren dieses Gedankens finden sich auch bei Heinrich, Summa f. 48VL: Quantum est ex parte rei scite, dicendum quod huiusmodi scientie maxima est certitude (vgl. Ware, Hs. Wien 1424 f. 7VA: in comparatione ad obiectum [...] est maxime scientia, quia principia sua sunt maxime e videntia [...]; vgl. OT I 193 Anm. 3), und Heinrich, Summa f. 49Ό: incertitudo huius scientiae est ex indispositione scientis (vgl. Ware, a.a.O.: Quod autem theologia non est nobis scientia, non est ex parte sua ex defectu aliquo, sed propter parvitatem intellectus nostri; vgl. Gài, Ware 158). Die Argumentation Heinrichs ist im Zusammenhang dargestellt bei Köpf, Wissenschaftstheorie 216. 3 Ware, Hs. Wien 1424 f. 7VA: ista scientia dupliciter potest considerari: vel in se et in comparatione ad obiectum (...) Alio modo in comparatione ad scientem viatorem (vgl. OT I 193 Anm. 3).
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2. Kapitel cum sibi non sint huius scientiae principia evidentia, respectu scientis viatoris sic non est scientia ("Weil ihm die Prinzipien dieser Wissenschaft nicht evident sind, ist sie demgemäß hinsichtlich des wissenden Erdenpilgers keine Wissenschaft")4.
Für sich betrachtet jedoch ist die Theologie scientia (...) perfecta, immo perfectissima, et hoc ex evidentia rei ("eine vollkommene, ja absolut vollkommene Wissenschaft, und dies aus der Evidenz der Sache")5. Die theologia in se also definiert Ware primär durch sich und ihr Objekt bzw. dessen cognoscibilitas (Erkennbarkeit) 6 . Da die volle Erkenntnis aber nur für bestimmte Erkenntnissubjekte, nämlich Gott und die Seligen 7 , vollziehbar ist, gelangt Ware zu einer argumentativen Asymmetrie: Die Unterscheidung von theologia nostra und theologia in se erfolgt nicht mehr nur polar aufgrund der genannten beiden Perspektiven, sondern wird auch linear aufgrund einer Unterscheidung innerhalb der Perspektive "Erkenntnissubjekt" möglich. Diese Asymmetrie wird nach Ware zunehmend zugunsten der Betonung des Erkenntnissubjektes verschoben: Duns Scotus entwirft anhand des jeweils erkennenden Subjektes eine Systematik verschiedener theologiae, in der theologia in intellectu divino, theologia beatorum und theologia nostra unterschieden werden. In diesem Rahmen definiert er auch die theologia in se vermittels des Erkenntnissubjektes: (Theologia) in se est talis cognitio qualem natum est obiectum theologicumfacere in intellectu sibi proportionato ("Die Theologie an sich ist eine solche Erkenntnis, wie sie ein theologisches Objekt in einem ihm entsprechenden Intellekt bewirken kann")8, und entsprechend sind theologia in se et in intellectu divino9 so ununterscheidbar 10 , daß Duns aus Ausführungen über die theologia Dei11 ein lediglich
4
Ware, Hs. Wien 1424 f. 7VA; vgl. OT I 193 Anm. 3. Ware, Hs. Wien 1424 f. 7VA; vgl. OT I 193 Anm. 3. 6 Ware, Hs. Wien 1424 f. 7VA: sic est maxime scientia, quia principia sua sunt maxime evidentia et obiectum suum maxime cognoscibile (vgl. OT I 193 Anm. 3). Ware, a.a.O.: Primum patet, quia ista scientia est de prineipiis scilicet articulis fidei, que sunt secundum se certissima et evidentissima. 7 Ware, Hs. Wien 1424 f. 7VA: Die Prinzipien sunt secundum se certissima et evidentissima et verissima, non tarnen nobis, sed soli deo et beatis in patria (vgl. Gài, Ware 158). « Duns, Opera (Vaticana) I 95,13-15 Nr. 141; vgl. ebd. 102,16-103,1 Nr. 152: theologia est de his quae soli intellectui divino sunt naturaliter nota. 9 Duns, Opera (Vaticana) I 142,3f Nr.208. 10 Vgl. Krebs, Theologie 28*. » Duns, Opera (Vaticana) I 135f Nr.200. 5
Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes
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die theologia in se betreffendes Fazit ziehen kann 12 . Daß er aber grundsätzlich die Rede von der theologia in se beibehält und diese auch in breiten Ausführungen ganz für sich behandelt 13 , zeigt aber, daß Duns die gegenüber Ware verstärkte Betonung des Erkenntnissubjektes erst im Ansatz vollzogen hat. Scharf setzen sich dagegen Cowton und Aureoli von einer Spekulation über die theologia in se unter Absehung vom Erkenntnissubjekt ab. Während Aureoli hier ausführlich mit der aristotelischen Psychologie argumentiert, daß scientia ein dem Intellekt inhärierender Habitus sei14, ist Cowton weniger differenziert: Daß es theologia nur als an ein Erkenntnissubjekt gebundene Gotteserkenntnis gibt, stellt er einfach fest15 und wirft denen, die an der Lehre von einer theologia in se festhalten, vor, ideas Piatonis zu lehren 16 , die theologia in se also durch die methodische Absehung vom Erkenntnissubjekt auch ontisch als selbständige Größe zu behandeln. Dennoch nimmt er — anders als Aureoli — den argumentativen Kern des Gedankens der theologia in se in modifizierter Form positiv auf, dergestalt daß nach ihm die theologia nostra virtuell als Wissenschaft angesehen werden kann 17 . Ockham ist hier wohl nicht von Aureoli, sondern von Cowton abhängig: Wie dieser konstatiert er einfach, daß es theologia in se nicht in der Weise geben könne, daß sie in keinem Intellekt sei18. Den Begriff theologia in se benutzt er dementsprechend nur in Auseinandersetzung mit einem Duns-Zitat 19 und dann so, daß er sie mit der theologia beatorum gleichsetzt 20 , also unter einen eindeutig am Erkenntnissubjekt orientierten theologia-E&gúfí subsumiert. Vor allem aber folgt Ockham Cowton in der Aufhebung der Lehre von der theologia in se in eine Lehre von der Virtualität der theologia nostra. In diese Richtung weist Sent Prol q.7:
12 13 14 15 16 17
Ebd. 140,2f Nr.207. Ebd. 102-105 Nr. 15Iff. Aureoli, Scriptum I 146,19-37. Cowton, Sentenzenkommentar 271,19—21. Ebd. 271,30f. Ebd. 271,21-26. Zu Cowtons Position vgl. Theissing, Glauben und Theologie
155. 18
Ο Τ Ι 342,1 f. Duns, Opera (Vaticana) I 203,15-204,6 Nr. 308; vgl. OT I 339,9-16. 20 OT I 342,2-4. Diese Stelle zeigt, daß es dem Ockhamschen Denken nicht entspricht, wenn Beckmann, Anspruch 253ff, einfach theologia in se und theologia nostra einander gegenüberstellt. Auch die von ihm untersuchte Frage nach der Wissenschaftlichkeit der theologia in se ist strenggenommen nur als die Frage nach der Wissenschaftlichkeit der theologia beatorum zu stellen (an keiner der Stellen, die Beckmann ebd. 254 anführt, erscheint terminologisch theologia in se). 19
114
2. Kapitel omnes Sancii vocant earn scientiam extendendo nomen scientiae ad notitiam certam et habitum apprehensivwn illorum quorum — quantum est ex se — nata est esse scientia et sapientia ("Alle Heiligen nennen sie Wissenschaft, indem sie den Namen 'Wissenschaft' ausdehnen auf eine gewisse Erkenntnis und einen Habitus, der jenes erfaßt, wovon es - soweit es nach ihm geht - Wissenschaft und Weisheit geben kann")21.
Das Pronomen earn ist hier, da der Kontext eine Auseinandersetzung mit dem Argument ist, die theologia nostra werde von den Sancii als scientia bezeichnet 22 , allein auf theologia nostra zu beziehen. Diese ist demnach geeignet, scientia oder sapientia zu sein, d.h. Wissenschaftlichkeit gehört zur Virtualität der theologia nostra: Das bei Ware zu sehende Interesse, den Mangel der Theologie allein im Erkenntnissubjekt zu begründen, wird bei Ockham wie bei Cowton in die Lehre der theologia nostra aufgehoben. Eine eigenständige Lehre von der theologia in se, die nach Cowtons Befürchtung die Gefahr der Vermutung ontischer Eigenständigkeit heraufbeschwöre, ist daher für Ockham nicht nötig, und es gibt keinen positiven Anhalt, sie ihm zuzuschreiben. So ist davon auszugehen, daß er im Gefolge Cowtons durch den Verzicht auf theologia-in-se-Spekulationen auf dem Weg der Konzentration auf das erkennende Subjekt in der theologia-Diskussion gegenüber Ware und auch gegenüber Duns, der diesen Weg begonnen hatte, einen Schritt weitergeht, indem aus der Erbmasse der theologia-in-se-Diskussion allein der Aspekt der Mangelhaftigkeit des menschlichen Erkenntnissubjektes bewahrt bleibt23.
21 OT I 200,12-15. Miethke, Sozialphilosophie 270 Anm. 471, bezieht die Stelle auf die Theologie als scientia in se. 22 Ockham nimmt dieses Argument aus OT I 185,8-13 auf. 23 Die zunehmende Konzentrierung auf das Erkenntnissubjekt im Rahmen der (englischen) Franziskanerschule des beginnenden 14.Jahrhunderts läßt sich auch an den jeweils ersten quaestiones der Sentenzenwerke verfolgen: Hatte Ware noch mit der Frage nach dem finis theologiae (Stegmüller, Repertorium I 142) eingesetzt und Duns in der Reportatio mit der nach dem Gegenstand der Theologie (Duns, Opera [Paris] XXII 6), so zeigte sich schon in dessen Ordinatio eine Konzentrierung auf den erkennenden Menschen, in bezug auf den der Doctor subtilis in q.l nun fragte, ob er übernatürlicher Inspiration bedürfe (Duns, Opera [Vaticana] I 1). Nach ihm blieb Cowton noch von dem eher abstrakten Fragehorizont nach dem Wesen der Theologie bestimmt (Stegmüller, Repertorium I 195), aber bei Ockham (OT I 3), Johannes von Reading (er beginnt mit einer Dreifachfrage, die aber ganz auf die Frage nach der Möglichkeit wissenschaftlicher Gotteserkenntnis durch den Erdenpilger zugespitzt ist [s. Stegmüller, Repertorium I 236]), Chatton, Reportatio 17, und Johannes de Bassolis (Stegmüller, Repertorium I 195) beginnen nun endgültig die Sentenzenkommentare mit der Frage nach der Möglichkeit evidenter Gotteserkenntnis durch den Erdenpilger.
Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes 2. theologia
115
Dei
Auch die bei Duns Scotus mit der theologia in se gleichgesetzte theologia Dei erscheint als Begriff bei Ockham nicht, obwohl er gelegentlich von der Selbsterkenntnis Gottes spricht: Im Wissen Gottes fallen nach Ockham die Erkenntnis seiner selbst und aller Gegenstände, also Selbst- und Fremderkenntnis, die jedoch beide keinen Erkenntniszuwachs bedeuten 24 , in einem Erkenntnisakt zusammen 25 . Dies scheint der Dunsschen Formulierung zu entsprechen: theologia divina est de omnibus cognoscibilibus ("Die göttliche Gotteserkenntnis bezieht sich auf alles Erkennbare") 26 , steht aber in einem anderen Denkkontext: Ockham bildet innerhalb des einen Erkenntnisaktes keine Hierarchie zwischen Gottes Selbst- und Fremderkenntnis 27 , wie sie Duns gelehrt hatte, nach dem die göttliche Selbsterkenntnis deswegen alle Erkenntnis der Geschöpfe mittelbar bewirkt, weil deren Quidditäten, ehe sie selbst in die Realität treten, in Gott präsent sind28. Diese Quidditäten hatte der Doctor subtilis ausdrücklich mit den platonischen Ideen in ihrer Modifikation durch Augustin gleichgesetzt 29 . Gerade diese aber dachte der Venerabiiis Inceptor anders: Nach Sent I d.35 q.5 sind die Ideen30 die Kreaturen selbst31 und daher dem göttlichen Geist nur als dessen Objekte präsent 32 , d.h. im Gegensatz zur Auffassung des Duns kann die Ideenlehre bei Ockham kein anderes als ein 24
OT I 480,1-10 (vgl. AL XXVI, 1 - 3 213); vgl. OT III 112,11-13. Ein Problem stellt in diesem Zusammenhang die Möglichkeit dar, daß in Gott Wissen von etwas auf Nichtwissen von demselben folgen kann (OT IV 592,9f). Da aber weder Gott selbst hierdurch in irgendeiner Weise verändert (ebd. 591,7-9) noch sein Wissen vermehrt oder vermindert wird (ebd. 592,13-16), die Veränderung demnach nicht im Subjekt, sondern im Objekt anzusetzen ist (ebd. 591,9-11; es geht hier um Veränderungen innerhalb der kreatürlichen Welt, die Geschöpfe selbst sind Gott schon vor ihrer Existenz bekannt [OT II 283,9f]), ist auch dies nicht als Erkenntniszuwachs in Gott anzusehen. 25 OT III 316,11-14 (Sent I d.9 q.3). Bei den Seligen dagegen sind Erkenntnis Gottes und der Kreatur verschiedene Akte (OT VII 325,20-22 [Sent IV q. 15]). 26 Duns, Opera Omnia (Vaticana) I 135,2f Nr.200. 27 OT III 316,llff; OT IV 460,3-11. Auch gegen eine Begründung solcher Hierarchie mit Hilfe eines formalen oder virtuellen Inklusionsverhältnisses wendet sich Ockham (OT IV 453,20-454,12). 28 Duns, Opera Omnia (Vaticana) I 136,1-3 Nr.200. 29 Ebd. VI 262,2-5 Nr.41. 30 Ideen sind nach Ockham definiert als etwas, aufgrund dessen Erkenntnis das Wirkprinzip etwas ins reale Sein überführen kann (OT IV 486,2—4). 31 OT IV 488,15; vgl. Klocker, Divine Ideas 357. 32 OT IV 488,6; vgl. zur Ockhamschen Ideenlehre Bos, Ideeën 149f. Die hier zitierte Stelle übersieht Klocker, Divine Ideas 360, wenn er Ockham vorwirft, er erkläre nicht, wie Gott seine Schöpfung erkenne: Ockham macht deutlich, daß er an eine nicht-ontologische, wohl aber epistemologische Relation denkt.
116
2. Kapitel
unmittelbar objekthaftes Verhältnis des göttlichen Erkennens zu den Kreaturen begründen. Daß Ockham dennoch ihre Erkenntnis mit der Gottes in einem Akt zusammenfaßt, folgt seinen Überzeugungen aus der Gotteslehre: Da Ockham — im Gegensatz zur Dunsschen distinctio formalist — keine nicht-nominale Möglichkeit sieht, göttliches Erkennen und göttliches Wesen voneinander zu unterscheiden 34 , muß gelten: intellectio creaturae est eadem omnino essentiae divinae ("Der Akt, die Schöpfung zu verstehen, ist gänzlich identisch mit dem göttlichen Wesen") 35 — und da gleiches auch von der Schau, mit der Gott sein eigenes Wesen schaut, gilt 36 , müssen konsequenterweise Selbst- und Fremderkenntnis, was das Erkenntnissubjekt angeht, in eins zusammenfallen 37 , während ihre Objekte ontisch und qualitativ unterschieden bleiben 38 . Insofern ist bei Ockham die Selbsterkenntnis Gottes sogar deutlicher von seiner Fremderkenntnis unterschieden als unter Annahme des von Duns gelehrten Implikationsverhältnisses, und aus eben dieser Selbsterkenntnis folgt nach Quodl V q.5 in der Regel auch die Erkenntnis theologischer Wahrheiten 39 . Dennoch fügt Ockham diese Äußerungen nicht zu einer Lehre von der theologia Dei zusammen, und sie spielen auch fast keine Rolle in der wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Diskussion des Sentenzenprologes: Wo sich in Ockhams Sentenzenkommentar eigenständige Spekulationen zur göttlichen Selbsterkenntnis finden, da geschieht dies lediglich im Rahmen der Trinitätstheologie, mit dem argumentativen Zweck der exakten Zuordnung von Wesen und Einzelpersonen in Gott40 und ohne Bezug auf die Gotteserkenntnis des Menschen. Warum die theologia Dei bei Ockham nicht wie bei Duns zu einem eigenen Thema der Untersuchung der Theologie als akademischer Disziplin im Kontext der Frage nach ihrer wissenschaftstheoretischen Einordnung und ihren erkenntnistheoretischen Bedingungen werden kann, zeigt sich an einer der wenigen Stellen 41 , die in Sent Prol überhaupt von einer scientia divina sprechen: Ockham erklärt hier, daß mit dem von ihm verwendeten aristotelischen 33
Duns, Opera Omnia (Vaticana) IV 262,3f Nr. 193. OT II 73, lOf (Sent I d.2 q.2). 35 OT III 314,19f; vgl. OT IV 428,20f: scientia quae Deus est, realiter est ex natura rei divina essentia; vgl. ebd. 585,1—5 sowie Maurer, Ideas 359. 36 OT I 479,23-480,1; vgl. OT IV 428,20-429,2; 432,21f. 37 OT IV 585,1-5; vgl. Maurer, Ideas 361. 38 OT III 316,11-14; IV 460,7-11. 39 OT IX 494,83-92. 40 S. insbesondere OT I 179f. Andere Reflexionen - etwa zur Frage göttlichen Wissenszuwachses in Sent I d.39 (OT IV 588-592) - betreffen nicht Gottes Selbsterkenntnis. 41 Eine andere ist OT I 39,7-10, wo Ockham ausführt, daß Gott alles intuitiv erkenne. 34
Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes
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scientia-Begriff die göttliche scientia nicht begreifbar sei, insofern die Produktion einer Erkenntnis aus einer anderen einen Mangel an Vollkommenheit impliziert, den man von Gott nicht aussagen kann 42 . Die Grundlage dieses Gedankens findet man etwas ausführlicher in Sent I d. 35 q . l , wo es heißt, daß die göttliche scientia völlig anders geartet sei als eine Beweisbarkeit implizierende scientia43 und man ihr im strengen Sinne auch keinen habitualen Charakter zusprechen könne 44 . Daß Ockham unter Verweis auf diese Inkompatibilität einen die scientia Dei betreffenden Einwand als dem Kontext des Sentenzenprologes unangemessen ablehnt, zeigt, daß es ihm bei seiner Bestimmung der erkenntnistheoretischen Grundlagen der Theologie nicht allein um die Konzentration auf das Erkenntnissubjekt allgemein, sondern — wie auch Cowton 45 — präzise um die Konzentration auf das menschliche Erkenntnissubjekt geht. Doch auch hier ist gemäß den seit Ware gültigen Vorgaben zweierlei zu bedenken: der Mensch als viator oder der Mensch als beatus.
3. theologia
beatorum
Die theologia in beato ist eine quae habet evidentiam ex obiecto et est habitus evidens ex obiecto ("die Evidenz aus dem Objekt erhält und die ein kraft des Objektes evidenter Habitus ist") 46 . Diese vom Objekt herrührende Evidenz beruht darauf, daß der Selige im Unterschied zum Erdenpilger der intuitiven Gotteserkenntnis teilhaftig ist47, d.h. den realen Gehalt des Terms "Gott" mindestens vermittels einer der Erkenntnisweisen, die der evidenten Erkenntnis zugrunde liegen, erkennt, und so Sätze bilden kann, die unmittelbar von Gott
42
OT I 83,13 — 16 (in einer partiell zustimmenden Antwort auf den Einwand ebd. 79,7-14); vgl. IV 427,21 (hier, Sent I d. 35 q.l [OT IV 424-433], findet sich die hierfür entscheidende Frage, utrum in Deo sit scientia ex natura rei)', vgl. Maurer, Ideas 359; Krop, Self-Knowledge 91. 43 OT IV 432,16-19. Auch Duns, Opera (Vaticana) I 141,16-142,4, hatte schon festgestellt, daß der aristotelische scientia-Begriff auf Gott nicht passe, da er mit der Beweisbarkeit eine Unvollkommenheit impliziere, die so auf Gott nicht bezogen werden könne, daraus aber nicht die Konsequenzen wie Ockham gezogen. 44 O T I V 433,5-12. 45 Theissing, Cowton 155. 46 OT I 342,3f. Dies ist die genaue Umkehr der Definition der theologia nostra bei Duns, Opera (Vaticana) I 110,15f Nr. 168: Theologia nostra est habitus non habens evidentiam ex obiecto. 47 OT I 5,13f.
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2. Kapitel
selbst (als dem realen Gehalt der verwendeten Terme 48 ) sprechen. Damit wird den beati eine Art der Gotteserkenntnis zugesprochen, die von der der Erdenpilger völlig verschieden ist. Allerdings heißt dies nicht, daß die Seligen alle theologischen Wahrheiten in dieser Weise erkennten. In kontingenten theologischen Wahrheiten nämlich werden von Gott Prädikate ausgesagt, die aus dem Gottesbegriff nicht unmittelbar ableitbar sind49, so daß ihre Kenntnis - und damit auch die Kenntnis der aus ihnen folgenden notwendigen Wahrheiten 50 - nicht unmittelbar aus der intuitiven Schau Gottes folgen kann, sondern hierzu eine zusätzliche intuitive Schau des von ihm Prädizierten kommen muß 51 . Sofern diese aber fehlt, besteht die Möglichkeit, daß diese Aussagen einem Seligen gar nicht52 bekannt sind. Damit aber ist die theologische Erkenntnis der Seligen nicht als material einheitliches Gebilde zu charakterisieren, sondern verschiedene Selige können 48
Ockham spricht in OT I 269,23-270,7 davon, daß Deus in se subicitur. Diese Redeweise basiert auf dem, was oben als realer Gehalt des terminus-Ytegúñs bezeichnet worden war: Im unmittelbaren Kontext steht die Definition des terminus conclusions - also des Satzteils, z.B. des Subjektes - als das, worauf sich der Denkakt richtet (ebd. 268,24-269,1): Wenn Gott selbst als Subjekt fungiert, heißt dies also: Der Term "Gott" hat als realen Gehalt, auf den sich der Denkakt richtet, unmittelbar Gott selbst als extramentale Entität, nicht einen für diesen stehenden Eigenbegriff, der den Bezug auf Gott nur mittelbar herstellte (s. dies als Gegenbild ebd. 269,2f; solche Wahrheiten kommen in der theologia beatorum aber auch vor [s. ebd. Z. 23f]). Die Redaktion führt in OT I 110,19-22 die erwähnte Begrifflichkeit auf die fictum-Theorie zurück und reformuliert sie im Rahmen der intellectio-Theorie, unterscheidet demnach die den Seligen mögliche intellectio distincta deitatis von der uns möglichen und fügt an, von den so gebildeten Propositionen gelte dann proportionaliter, was von den Propositionen gelte, die ex re gebildet würden (ebd. 110,22 — 111,4): Auch hiernach geht es also um solche Sätze, deren Terme einen unmittelbaren Bezug auf Gott selbst haben, so daß der Redaktor, wer immer er gewesen sein mag, sich mit der obigen Formulierung unter Auslassung der Klammer wohl zufrieden gäbe. 49 OT I 271,1-2. 50 OT I 51,7-14. Duns, Opera (Vaticana) I 101,12-20 Nr.150 hatte lediglich notwendige und kontingente Wahrheiten in der Theologie unterschieden, diese Zwischengruppe also nicht berücksichtigt. 51 OT I 344,5—9. Diese intuitive Erkenntnis der Prädikate kontingenter Propositionen ist — auch für den Erdenpilger — nicht prinzipiell unmöglich, sondern eben von den kontingenten Bedingungen der durch die Aussage bezeichneten Entitäten abhängig (s. OT VII 126,14-19), d.h. insbesondere von der Stellung in Raum und Zeit. 52 OT I 342,5-11. Gleiches gilt sogar auch von den Engeln (OT V 320,13321,4), denen notwendige (nicht zwingend theologische) Aussagen unbekannt sein können (OTV 321,5-9).
Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes
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theologische Kenntnisse von verschiedenem Umfang besitzen. Lediglich der Kern, alles was in der unmittelbaren Schau der divina essentia impliziert ist, ist unmittelbar der theologia eines jeden beatus zuzurechnen, und offensichtlich hat Ockham beim Begriff theologia beatorum nur diesen Kern im Auge, denn ganz unproblematisch gibt er als deren Gegenstand allein die divina essentia an 53 , was die ganze Spannbreite möglicher theologischer Aussagen, in denen auch Geschöpfe subjekthaft fungieren können, gar nicht erschöpfen kann 54 . Vollständigkeit hinsichtlich aller theologischen Aussagen kann die theologia beatorum also nicht beanspruchen. Wie es aber mit ihrer Wissenschaftlichkeit steht (eine solche ist für die kontingenten Aussagen mangels Notwendigkeit natürlich ohnehin ausgeschlossen 55 ), das behandelt Ockham nicht im Kontext der Lehre von der theologia beatorum selbst, sondern das ist erst aus seinen Äußerungen über die dem Erdenpilger de potentia absoluta möglichen theologischen Erkenntnisse 56 zu erschließen.
53
OT I 342,12f. Diese Aussage wird modifiziert in OT I 344,18-345,5: Gott kann auch im Prädikat stehen — was allerdings unterstreicht, daß es stets um Gott geht! 54 OT I 275,2—6 erwähnt Ockham die verschiedenen möglichen Gegenstände von Teilen der Theologie. Dabei betrifft die hier vorgenommene konzeptuelle Trennung der göttlichen Personen vom göttlichen Wesen die theologia beatorum nur zum Teil: Zwischen Personen und Wesen liegt ja Realidentität vor (s. OT I 461,14f), und da die theologia beatorum zum Großteil nicht Begriffe, sondern Entitäten zum Gegenstand hat (OT I 269,26-270,2), ist die begriffliche Distinktion hierfür nicht vonnöten. Nötig ist sie allein für den in der theologia beatorum ebenfalls gegebenen begrifflichen Teil, was Ockham freilich, in Modifikation der allgemeinen Aussage von der divina essentia als Gegenstand, auch zugesteht (s. OT I 269,24—26). 55 Schon Duns, Opera (Vaticana) I 144-146 Nr.210-212, hatte den beati für kontingente theologische Sätze lediglich wissenschaftliche Erkenntnis im weiten, nicht aber im strengen Sinne zugestanden (Duns, Opera [Vaticana] I 145,17-146,2 Nr.212; vgl. auch die Überlegung des Duns-Schülers Johannes de Bassolis, der kurz vor Ockham in Reims die Sentenzen las [s. Stegmüller, Repertorium I 194], hierzu [Krebs, Theologie 29*]), und auch Ockham erwähnt beiläufig, es gebe quaedam veritates theologicae (...) contingentes, quae nec naturaliter nec supematuraliter possunt scientifice cognosci (OT I 15,6-9). 56 Diesen eigentlichen Kontext mißachtet Adams, William Ockham 9 6 3 - 9 6 6 , wenn sie die Ausführungen Ockhams zu der dem viator de potentia absoluta möglichen wissenschaftlichen Gotteserkenntnis unter die Überschrift "The theology of the Blessed" stellt.
120
2. Kapitel 4. Die dem Erdenpilger mögliche Gotteserkenntnis
4.1. Das Defizit der faktischen Gotteserkenntnis des Erdenpilgers (viator) Der Intellekt des Erdenpilgers wird von Ockham im Anschluß an Duns dadurch definiert, daß er de potentia ordinata keine intuitive Gotteserkenntnis haben kann 57 . Dies ist die gemeinsame Bedingung, durch die der Intellekt des Erdenpilgers, d.h. des irdischen Menschen, sei er Christ oder Nichtchrist 5 8 , wie der des Verdammten von dem des Seligen unterschieden wird. Das Unterscheidungsmerkmal zwischen Verdammtem und Erdenpilger aber ist, daß jener Gott de potentia absoluta schauen kann, dieser aber nicht: Die Unmöglichkeit der intuitiven Erkenntnis Gottes gehört konstitutiv zum Erdenpilger 59 — aber eben, das zeigen Seliger und Verdammter, nicht zum Menschen überhaupt: Ockham entwirft nicht eine naturhafte Erkenntnistheorie, sondern bindet wie seine franziskanischen Lehrer das Erkenntnisdefizit an den theologisch bestimmbaren Status des Menschen und vermeidet es so, für den Menschen prinzipielle Unerkennbarkeit Gottes zu behaupten 6 0 . 57
Zum gesamten folgenden Abschnitt OT I 5 , 1 1 - 1 7 . Duns formuliert: sola cognitio intuitiva divinae essentiae est ilia, quae ponit hominem extra statum viae (Duns, Opera [Paris] XXV 290 [Quodl q.7 Nr.8]). 58 Daß auch der Nichtchrist ein viator ist, geht aus folgender Überlegung hervor: Gläubiger wird man durch die Eingießung des Glaubens in der Taufe (nach OT I 196,22-197,1 kann man ohne fides adquisita, also lediglich aufgrund der in der Taufe eingegossenen [s. OT VII 55,22-57,12] fides infusa ein fidelis sein), dennoch ist man nach OT VII 27,19f schon vor der Taufe viator! 59 Neben dem hier ausgeführten und in Sent einzig erscheinenden Argument der Unterscheidung von Seligem und Erdenpilger (vgl. auch OT II 313,20—314,1) findet sich in Sent I d.2 q.9 auch ein Rekurs auf die Erfahrung, nach der die Möglichkeit des Zweifeins an Gottes Existenz zeigt, daß es unmöglich ist, daß Gott in sich erkannt werde (OT II 313,4-19). 60 OT I 235,16f führt Ockham als Beispiel für theologische Wahrheiten an: anima intellectiva potest videre divinam essentiam. Dennoch gibt es auch Reflexionen über die Problematik der Relation zwischen endlichem Erkenntnissubjekt und unendlichem Objekt: In OT II 522,13-523,11 redet Ockham, ohne eine Unterscheidung von Seligen und Erdenpilgern zu erwähnen, allgemein vom intellectus creatus (s. ebd. 523,6f), der keine limpidissima oder perfectissima Erkenntnis von Gott haben könne. Nach dieser Argumentation hätte also auch der selige Intellekt nur eine reduzierte Fähigkeit zur Gotteserkenntnis, was Ockham aber nicht systematisch ausarbeitet. In OT I 434,23-435,4 referiert er außerdem eine Argumentation, derzufolge das erste Seiende innerhalb der sekundären Entitäten keine unmittelbaren Effekte erzeugen und somit auch keine intuitive Erkenntnis seiner selbst hervorrufen könne. Diese Argumentation aber widerspräche seinem Gottesbild, nach dem Gott, was er durch Sekundärursachen tun kann, auch unmittelbar tun kann (OT I 35,14f u.ö.).
Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes
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Dies führt nun aber in der Konsequenz dazu, daß dem Erdenpilger normalerweise keinerlei unmittelbare Gotteserkenntnis, sofern hierbei an Gott gemäß seiner Gottheit (sub propria ratione deitatis) gedacht ist 61 , möglich ist: Da natürlicherweise abstraktive Erkenntnis nur Folge intuitiver Erkenntnis sein kann 62 , gibt es de potentia ordinata für den Erdenpilger auch keine abstraktive Erkenntnis Gottes.
4.2. Die mögliche Gotteserkenntnis des Erdenpilgers Schon daß es überhaupt eine abstraktive Erkenntnis von Gott geben kann, beruht allein auf der potentia absoluta63, und diese Möglichkeit begründet Ockham gegen drei mögliche Einwände 64 : Zwar fallen Gottes Wesen und seine Existenz zusammen, doch kann man seine Existenz auch abstraktiv erfassen 6 5 , weil ja der Unterschied beider Erkenntnisweisen nicht in ihrem Inhalt, sondern in der Weise des Erfassens liegt 66 . Ebenso kann auch die Tatsache, daß sein aktuelles Existieren stets mit seinem Wesen zusammen wahrgenommen wird, nicht abstraktive Erkenntnis ausschließen, da diese zwar indifferent gegenüber der Existenz ist, aber deswegen nicht verlangt, daß die Existenz zweifelhaft sei 67 . Schließlich steht auch die Tatsache, daß die abstraktive Erkenntnis Got61
So faßt Ockham OT I 7 2 , 1 3 - 1 5 seine Argumentation zusammen. Gegenbild hierzu ist das Erkennen im Begriff. 62 OT I 7 2 , 3 - 1 1 (hierauf verweist Ockham OT II 314,1-3); vgl. OT I 241,8 — 11; II 389,10-13; 4 0 3 , 5 - 1 6 ; 410,10-14; V 316,17f. Boehner, Beweis 401; Bruckmüller, Gotteslehre 15; Cazzola Palazzo, Osservazioni 315; Leff, Knowledge 15, und Vossenkuhl, Ockham 127, setzen daher zu Unrecht die abstraktive Erkenntnis Gottes allgemein für den Erdenpilger voraus. Dies kann auch durch Quodl V q.4 nicht gestützt werden, wo es heißt, der Erdenpilger könne aufgrund abstraktiver Erkenntnis naturaliter notwendige Glaubensartikel erkennen (OT IX 4 9 3 , 4 9 52), denn zugleich wird betont, daß das naturaliter sich allein auf die Entstehung der Propositionserkenntnis aus der Termerkenntnis bezieht, während die Termerkenntnis selbst dessen unbeschadet übernatürlich erfolgen kann (ebd. 493,70—494,72). In dem gesamten Abschnitt OT IX 493,49—494,80 erklärt Ockham zwar nicht explizit, daß die hier gelehrte abstraktive Erkenntnis theologischer Sätze de potentia absoluta erfolgt, spricht aber von Sätzen, die einen einfachen Eigenbegriff von Gott als Subjekt zugrunde legen (ebd. 493,56), was auch nach den Quodl eindeutig nicht natürlich möglich ist (s. ebd. 121,90-96; 382,51-56; 505,52-506,55). 63 OT I 48,2f. 64 Anscheinend gab es in der Tat Positionen, die eine solche Möglichkeit bestritten; s. das bei Aureoli, Scriptum I 184,32-36, referierte (und ebd. 2 1 0 , 5 - 1 3 ebenfalls abgewiesene) Argument, das, in cuius conceptu quidditativo clauditur esse, könne nicht abstraktiv erkannt werden. 65 OT I 48,9f. 66 Vgl. Chambers, Lack of Evidence 389. 67 Ο Τ Ι 48,10-15.
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2. Kapitel
tes unvollkommen ist, nicht in Widerspruch zu Gottes Wesen, sofern diese Unvollkommenheit allein auf Seiten des Erkenntnissubjektes liegt 68 . Ebenfalls de potentia absoluta kann Gott diese überhaupt nur de potentia absoluta mögliche Gotteserkenntnis dem Erdenpilger ermöglichen, da abstraktive und intuitive Erkenntnis ontologisch so unabhängig voneinander sind, daß der Gott, der die Sekundärursachen ersetzen kann, auch hier die eine Erkenntnis ohne die andere, also die abstraktive ohne die intuitive, hervorrufen kann 69 . Wenn auch im Vergleich zu anderen Denkern auffallt, mit welcher Ausführlichkeit Ockham sich der Frage der Erweiterbarkeit der Erkenntnismöglichkeiten des Erdenpilgers widmet, so bewegt er sich doch auch mit diesen Ausführungen ganz im Strom des franziskanischen Denkens im beginnenden vierzehnten Jahrhundert: Duns hatte sich dieser Frage — abgesehen von einem knappen Hinweis auf solche extraordinäre Gotteserkenntnis im Prolog der Reportatio70 - ausführlich in Quodl q.7 gewidmet: Er hält es für möglich, daß der Erdenpilger zu einer abstraktiven Gotteserkenntnis citra visionem claram, sive cognitionem intuitivam ("von minderer Qualität als klare Schau beziehungsweise intuitive Erkenntnis") gelangt 71 , und daß hierauf wissenschaftliche Beweise solcher Eigenschaften Gottes, die in der Metaphysik nicht behandelt werden, sondern allein durch die Offenbarung bekannt geworden sind, aufbauen können 72 . Da Duns diese Argumentation weitgehend im Konjunktiv durchführt und gleich nach seiner Feststellung, auf diese Weise könne der Erdenpilger die Allmacht Gottes beweisen, erklärt: homo viator ex puris naturalibus non potest demonstrative propter quid cognoscere istam: 'Deus est omnipotens' ("Der Mensch als Erdenpilger 68
Ο Τ Ι 48,15-19. OT I 48,20-49,8. In diesem Abschnitt selbst steht zwar der Begriff potentia absoluta nicht, aber er argumentiert mit der Suspendierbarkeit von Kausalrelationen, die nach ebd. 171,6-9 auf der absoluten Macht Gottes beruht. Wie Leff, Knowledge 15, unter Verweis auf OT I 72f zu der Auffassung kommt, Gott ermögliche dem Erdenpilger intuitives Wissen von Gott (so erneut, wenn auch abgeschwächt in ders., Ockham 359f; ähnlich Junghans, Neuere Forschung 217; Saranyana, Fe 866), ist unklar: OT I 72,17f heißt es ausdrücklich über die Erkenntnis Gottes: (notitia) intuitiva (...) non est intellectui viatoris possibilis, sed tantum abstractiva! 70 Gott hat als donum gratis datum (...) Apostolis et Prophetis eine scientia de Deo sub ratione Deitatis gegeben (Duns, Opera [Paris] XXII 43 Nr. 17), die nach dem Kontext abstraktiv ist (ebd. 42). 71 Duns, Opera (Paris) XXV 289f (Quodl q.7) Nr.7f. 72 Ebd. 291 Nr. 10, geht es um die Allmacht, die nach ebd. 309 nicht aus der ihrerseits natürlich beweisbaren infinitas potentiae (s. ebd. XXV 308; vgl. Rep q.2 a.4 [Duns, Opera < Paris > XXII 33] Nr.51) geschlossen werden kann. Als weitere derartige, allein durch die Offenbarung bekannte Aussage nennt Duns, Opera (Paris) XXV 282, Deum posse generare Filium. 69
Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes
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kann diese Aussage: 'Gott ist allmächtig' nicht vermittels eines WarumBeweis erkennen") 73 , denkt er offensichtlich hier, wie später auch Ockham, an eine spezielle, durch Gottes Allmacht zu ermöglichende Gnade. Diese Ausführungen des Duns aus den Quodlibeta hat Aureoli — in weitgehend positivem Anschluß daran 74 — in den Kontext des Sentenzenprologes versetzt 75 . Von ihm dürfte Ockham den Ort der Behandlung dieser Frage übernommen haben.
4.3. Die weiteren Möglichkeiten auf Erden de potentia
absoluta
Führt Ockham also systematisch aus, daß Gott dem Erdenpilger durch seine absolute Macht eine abstraktive Gotteserkenntnis ermöglicht, so betont er dabei zugleich, daß diese Gotteserkenntnis nicht seligmachend sei, da — entgegen einem Einwand 7 6 — nicht jede Gotteserkenntnis seligmachend sein müsse 77 , sondern nur die intuitive 78 , d.h. die Gottesschau 79 , die er in der Regel 73
Duns, Opera (Paris) XXV 293. Aureoli, Scriptum I 196,1-197,8; 21 lf. 75 Ebd. 180-183. 190-192. 194-196. Ausführlich behandelt auch Johannes de Bassolis, den Ockham wahrscheinlich im Gegensatz zu Aureoli (OT I 37*) nicht kannte (ebd. 40*), die Frage der dem Erdenpilger virtute divini auxilii möglichen wissenschaftlichen Gotteserkenntnis in q. 1 seines Sentenzenprologes (s. Krebs, Theologie 29*) und faßt diese anscheinend abstraktiv (s. das Zitat ebd. 30*: habitum theologiae abstractivum possibilem viatori, de quo dictum est in prima quaestione). 76 ΟΤΙ 4,2-4. 77 Eine entsprechende Bestreitung des actus beatificus für den Erdenpilger findet sich auch in OT VI 153,2—5, wo Ockham als Schwierigkeit die Frage einführt, wie Maria sündlos gewesen sein solle, da der einzige Akt, der alle Sünden ausschließe, der actus beatificus sei. Dies kann aber nur dann die Schwierigkeit begründen, wenn Maria auf Erden nicht des actus beatificus teilhaftig sein konnte. 78 OT I 7 2 , 1 3 - 1 8 ; vgl. OT I 49,8; II 313,22f. Ockham richtet sich mit diesen Äußerungen wohl gegen die bei Aureoli, Scriptum I 183,2—6 referierte und ebd. 210f abgewiesene Kritik an Duns, nach der es notitia abstractiva nicht geben könne, da diese beseligend sei. 79 Die Fassung der visio als notitia intuitiva, wie sie bei Duns, Opera [Paris] XXI 417 Nr.9; dems., Opera (Vaticana) II 204 Nr. 129, und Cowton (s. das Zitat bei Theissing, Cowton 59 Anm. 37: Quidditas Dei potest cognosci [...] intuitive [...], quomodo videtur a beatis in patria) nachweisbar ist, ist auch für Ockham vorauszusetzen (vgl. Becher, Gottesbegriff 371): Er verbindet sensus und notitia intuitiva (OT I 33,3f), ohne diese freilich mit der sinnlichen Erkenntnis gleichzusetzen (s. die Rede von der notitia intuitiva intellectiva in OT I 25,15-17), und da die visio unter die Sinne fällt (OT I 231,20.24: sensus visus; Gott ist also gg. Adams, William Ockham 943, durchaus "a sensible thing"), ist auch sie unter die notitia intuitiva zu rechnen. In diese Richtung weisen auch OT II 440,22—24; 441,9f mit der Gegenüberstellung von videns divinam essentiam und cognoscere abstractive ipsam divinam 74
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2. Kapitel
als dem Erdenpilger erst zukünftig, im ewigen Leben bzw. der ewigen Seligkeit zuteil werdend ansieht 80 . Freilich gibt es schon in Sent Andeutungen, daß die visio möglicherweise für den Menschen auf Erden nicht rein zukünftig ist: Nach Sent IV q . 3 - 4 kann auch der exsistens in peccato mortali (Todsünder) der visio teilhaftig werden, und zwar in dem Moment, da er der Gnade teilhaftig wird 81 . Da Ockham parallel argumentiert, ebenso könne Gott jemanden ohne vorangehende infusio gratiae (Gnadeneingießung) als des ewigen Lebens würdig annehmen 8 2 , was auf ein Geschehen vor dem Eintreten in das ewige Leben selbst verweist 8 3 , scheint angedeutet, daß auch die visio dem exsistens in peccato mortali noch zum Zeitpunkt seines irdischen Daseins zuteil wird. Allerdings kann hier auch
essentiam und OT VII 329,15f, wo die visio divinae essentiae als actus (...) intuitivus bezeichnet wird. 80 S. — neben den Stellen, die die visio für den viator deflatorisch ausschließen — OT III 445,21—23, wo die visio als Füllung der vita aeterna verstanden wird, und OT VI 284,3f.8f, wo Ockham die Begriffe futura beatitude und visio et fruitio divina (ohne das Attribut futurus!) als austauschbar behandelt. 81 OT VII 4 7 , 1 3 - 1 5 . 82 OT VII 4 7 , 1 5 - 1 8 . 83 Die vita aetema selbst ist eindeutig eine futurische Größe. Das zeigt: 1. der biblische Sprachgebrauch: Neben zeitlich uneindeutigen Stellen (Act 13,46.48; Rom 2,7; 5,21; 6,23; Gal 6,8; ITim 1,16; 6,12; Laod 5) haben die meisten Stellen entweder durch die Semantik des Kontextes (Tobit 12,9; Mk 9,44; Gal 6,22) oder durch die grammatikalische Form des Prädikates (Sir 24,31; Dan 12,2; IIMakk 7,9 [Kontext auch für ebd. Z. 36]; Mt 19,16. 29 parr; 25,46; Lk 10,25; Tit 1,2; 3,7; IPetr 3,22 [varia lectio]; Jud 21 [varia lectio]) eindeutig futurischen Bezug. Auch die johanneische Eschatologie wurde im Mittelalter im allgemeinen nicht präsentisch interpretiert: Während die Glossa Ordinaria zu Joh ohne chronologische Präzision zwei Auferstehungen — zunächst a morte infldelitatis ad vitam fidei et iustitiae, post a corruptione ad aeternitatem (PL 114,379) — unterscheidet, interpretiert der Lombarde johanneische Stellen mit möglicherweise präsentischer Eschatologie einlinig futurisch (s. Lombardus, Sentenzen II 543 [futurisch durch Christus iudicaturus] zu Joh 5,26; ebd. 549 [futurisch durch perfruentur] zu Joh 17,3). 2. Auch an anderen Stellen der für die mittelalterliche Dogmatik maßgebliche Wortgebrauch des Lombarden, s. Lombardus, Sentenzen II 543: ...erit eis vita aetema; ebd. 547f: vita aeterna betrifft nach einem Augustinzitat die Zeit post resurrectionem. 3. Der Wortgebrauch Ockhams selbst, s. OT IV 605,10-13: Gott ist daturus alicui vitam aeternam etc. Dieser futurische Charakter gilt aber nicht von der dignitas vitae aeternae. Daß diese vielmehr unter Umständen eine Zeitdifferenz zum ewigen Leben selbst voraussetzt, geht daraus hervor, daß der Getaufte bereits durch die Taufe als dignus vita aeterna gilt (OT VII 46,3f).
Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes
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eine bloße Begriffsunschärfe vorliegen, die weitergehende Folgerungen nicht erlaubt. Eindeutig ist hingegen Quodl VI q . l . Hier nämlich nimmt Ockham als Beispiel für Gottes Handeln de potentia absoluta die schon von vielen Autoren vor ihm vertretene 8 4 und letztlich auf Augustin fußende 8 5 Lehre vom raptus Pauli auf und erklärt, diesem sei die beseligende Gottesschau 86 zuteil geworden: actus beatificus dabatur Paulo in suo raptu, quia tunc vidit essentiam divinarti f,j non tamquam praemium pro merito ("Der seligmachende Akt
84
S. Thomas, ST I q. 12 a. 11 ad 2 (Thomas, Opera II 201); II-II q.174 a.4 (ebd. 737); q. 175 a.3 (ebd. 739); Heinrich, Summa f.6 v I; Duns, Opera (Paris) XXV 289; ders., Opera (Vaticana) VII 557; Cowton, Sentenzenkommentar 2 7 6 , 5 - 7 . Auch Ware, Hs. Wien 1424 f. 7 r B, hat (in zustimmender Wiedergabe der Auseinandersetzung des Petrus von Alvernia mit Heinrichs lumina-Lehre), einen solchen raptus Pauli gekannt und wahrscheinlich bejaht, jedenfalls nicht ausdrücklich abgewiesen: Tunc sola volúntate increata potentia illa potest reduci ad actum sicut in raptu pauli. Et tune non oportet ponere aliud lumen, in quo videatur, nec lumen naturale nec supernaturale creatum, quod tu ponis; vgl. Wicki, Seligkeit 161, der diese Lehre der "Mehrzahl der Autoren" zuschreibt. 85 Augustin, De Genesi ad litteram XII 28,56 (PL 34,478); Ders., De videndo Deum {Epistola CXLVII) c.13 (PL 33,610). 86 Das genaue Verhältnis von visio Dei und Seligmachung ist bei Ockham terminologisch nicht voll geklärt (daß es zu dieser Frage mehrere Positionen gibt, stellt Ockham später, in De Dog, selbst fest [Goldast II 7 4 4 , 5 - 1 5 ; da die Zählleisten des Goldast-Druckes mit der tatsächlichen Zeilenzahl nicht immer kongruieren, werden in dieser Arbeit bei seiner Zitierung keine exakten Zeilenangaben, sondern nur Bereichsangaben anhand der jeweils gedruckten Fünferreihe geboten]): Einerseits spricht Ockham gelegentlich ausdrücklich von der visio beatifica (OT IV 502,1; VII 54,17), andererseits wird in Sent I d.l q.2 (OT I 398,12-20) nicht die visio als actus beatificus qualifiziert, sondern der actus fruitionis und, da dieser auch als diligere bestimmt werden kann (OT I 397,16), ebenso der actus amoris (OT I 362,14). Diese Äußerungen sind nicht ohne weiteres mit einer gleichzeitigen Anerkennung der visio als beatifica zu harmonisieren: Nach OT VII 329,2f gilt: actus beatificus est perfectissimus. Nach Sent I d.2 aber ist ausdrücklich die fruitio vollkommener als die visio, könnte diese also streng logisch aufgrund ihrer minderen Vollkommenheit kein actus beatificus sein; das Verhältnis wird noch problematischer dadurch, daß sogar eine visio ohne fruitio beatifica möglich ist (OT I 505,11-13): In diesen Formulierungen erscheint die visio eher als Vorstufe der Seligmachung denn als dieser zugehöriger Akt. Umgekehrt aber ist zu bedenken: Insofern die Träger der Gottesschau im allgemeinen schon als beati gekennzeichnet sind, ist es sachlich auch möglich, nicht nur wie Ockham selbst von der beseligenden Schau, sondern auch von der seligen Schau zu sprechen, die visio also der Seligmachung folgen zu lassen. Die Terminologie Ockhams ist an dieser Stelle also unklar, was aber die wissenschaftstheoretischen Überlegungen nicht grundsätzlich tangiert.
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2. Kapitel wurde Paulus in seiner Entrückung - weil er da das göttliche Wesen gesehen hat - nicht als Belohnung für ein Verdienst gegeben")87.
Der so entstehenden Spannung zur Lehre vom Widerspruch zwischen viatorDasein und intuitiver Schau Gottes liegt eine letztlich nicht auflösbare Spannung im Ockhamschen Verständnis des ν/α/or-Begriffs selbst zugrunde: Ockham füllt zwar in Sent I d . l q.5 die verschiedenen Status des Menschen räumlich, wenn er die Ortsangaben via und patria als Umschreibung menschlicher Möglichkeiten einander gegenüberstellt 88 , so daß der Mensch außerhalb der jenseitigen Heimat stets nur viator sein zu können scheint. Doch dieses lokale Schema überlappt sich mit einem, das man anachronistisch als existentiales bezeichnen könnte: Ockham kann in Sent I d.35 q.5, nachdem er sanctus und beatus praktisch gleichgesetzt hat89, von einer anima sancta etiam in via90 ("eine bereits auf der Pilgerschaft heilige Seele") sprechen, und entsprechend gilt Paulus in den Quodl auch auf Erden gar nicht mehr als viator, sondern dient mit seinen theologischen Erkenntnissen als Beispiel für die Erkenntnisse der Seligen 91 : Der Intellekt des Paulus fallt gerade durch jene notitia intuitiva Gottes noch auf Erden aus dem dem viator défini torisch gesetzten Rahmen heraus 92 , der Status des Menschen transzendiert gleichsam durch seine existentialen Bestimmungen seine räumliche Position 93 . Daher handelt es sich bei dieser besonderen Gotteserkenntnis auch nicht um einen Spezialfall einer dem viator möglichen Gotteserkenntnis, sondern um den Spezialfall eines besonderen Zuganges zu der theologia beatorum.
87 OT IX 587,55-57. Das hier in Klammern gesetzte Komma (dessen Fortlassung die obige Argumentation nicht grundlegend ändern würde), wurde von den Hg. nicht hinzugesetzt, dient aber der Deutlichkeit: Das Beweisziel, und das ist das Fehlen des Verdienstes, gehört natürlich in den Hauptsatz! Die rá/o-Thematik wird erst in Quodl auf die Schau des Paulus bezogen, nicht schon in OT IV 607,9 — 13 (so Vossenkuhl, Ockham 127 Anm.32), wo es nicht um die Schau des Paulus (II Kor 12,1 — 10), sondern um seine Bekehrung geht. 88 OT I 455,6f. 89 O T I V 502,21. 90 OT IV 502,22f. 91 OTIX 487,14f; 488,18-21. 92 Ο Τ Ι 5,11-17; 72,16f. 93 Diese Spannung zwischen lokalem und existentialem Schema darf man nicht einseitig auflösen, wie es Baudry, Rapports 38, der die Seligkeit "en ce monde" für ausgeschlossen hält, und Adams, William Ockham 943, die meint, intuitive Gotteserkenntnis könne es nach Ockham nur für die Seligen "in the next life" geben, tun.
Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes
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E X K U R S : D E R A N G R I F F JOHANNES' X X I I . A U F O C K H A M S RÖ/TF«J-LEHRE
Es ist bisher unbemerkt geblieben, daß Johannes XXII. gerade aufgrund einer solchen raptus-Lehre. um 1325/694, also genau zu der Zeit, da Ockham sich in Avignon verantworten mußte, diesen oder einen Denker, der Ockham in dieser Frage ähnelte, harsch angegriffen und in die Nähe des Petrus Johannis Olivi, ja möglicherweise eines religiösen Enthusiasmus, gestellt hat. Die vw/o-Thematik hatte in den früheren Verurteilungen Olivis95 und noch in der Bulle Gloriosam Ecclesiam vom 23.1.1318 96 , die ihr Material bereits weitgehend aus Olivis Apokalypsenpostille schöpfte, keine Rolle gespielt. Relevant wurde sie erst, als Johannes sich ab etwa 13 1 8 97 bemühte, postum eigens die Postille zu verurteilen, wobei es, zwanzig Jahre nach Olivis Tod, wohl nicht mehr vordringlich um dessen Person, sondern eher um seine Nachwirkung bei den Spiritualen98 und um die Rezeption seiner Apokalypsenpostille in den Kreisen schwärmerischer südfranzösischer Beginen und Begarden ging 99 . Der Kampf gegen diese Gruppierungen hatte sich bereits in mehreren Dokumenten wie der Konstitution Sancta Romana vom 94
So die Datierung bei Pásztor, Polemiche 414. S. Series Condemnationum 5 0 2 - 5 1 2 (eine detaillierte Auflistung der gegen Olivi angestrengten Verfahren), sowie die Texte DuPlessis, Collectio 226—234 (verschiedene Vorgänge gegen Olivi); Ehrle, Vorgeschichte 2 : 365 — 374 (Anklageschrift der Kommunität gegen Olivi); DS 900—904 (Verurteilung in Vienne); vgl. Olivis Glaubensbekenntnis auf dem Totenbett, in dem es nur um Fragen der Ordensdisziplin geht (Wadding, Annales V 423f), und ebd. 439f den Protest Waddings gegen die postume Verurteilung Olivis auf dem Konzil von Vienne ohne Verteidigungsmöglichkeit für den Angeklagten, sowie Koch, Prozess 302. Ders., Verurteilung, bietet eine detaillierte Darstellung der verschiedenen Phasen kirchlichen Vorgehens gegen Olivi. 96 DS 9 1 0 - 9 1 6 (vollständig in BullFr V 302). 97 S. Pásztor, Polemiche 368f. 98 Zu deren Verbindung mit Olivi s. den bei Ehrle, Olivi 453f, zitierten Abschnitt aus dem Codex 3381A der Pariser Nationalbibliothek. Auf Differenzen Olivis zur Spiritualenbewegung, vor allem hinsichtlich der Anerkennung gegenwärtiger kirchlicher Autorität, weist Leff, Heresy I 119-121. 157ff, hin. 99 Zahlreiche südfranzösische Beginen, die sich an den franziskanischen Idealen orientierten (s. Gui, Manuel I 208: dicunt se tenere et profiteri tertiam regulam sancii Francisci; vgl. BullFr V Nr.297 [S. 135a]; Mollat/ Vauchez, Zerreißproben 325), galten als Anhänger bzw. Anhängerinnen der Spiritualen: Sie lehrten, daß von den Franziskanern allein die Spiritualen bis zum Weltende bleiben würden (Gui, Manuel I 146), teilten mit diesen die lehrhafte Gegenüberstellung von ecclesia spiritualis (der sie sich zurechneten) und ecclesia carnalis (die sie — im Gegensatz zu Olivi [s.Manselli, Lectura 219ff] - mit der gegenwärtigen Kirche identifizierten; s. Gui, Manuel I 144; vgl. DS 911) und galten als Anhänger und Anhängerinnen Olivis (DuPlessis, Collectio 271; Gui, Manuel I 138ff u.ö.; vgl. hierzu auch Leff, Heresy I 195-212; Douie, Fraticelli 249). Daher zeitigte auch in ihren Kreisen die Apokalypsenpostille Olivis tiefe Wirkung (s. Gui, Manuel I 110; 142; vgl. Ehrle, Olivi 456; Mollat/ Vauchez, Zerreißproben 326). 95
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2. Kapitel 100
30.12.1317 und der bereits genannten Gloriosam Ecclesiam niedergeschlagen und begleitete den gesamten Prozeß gegen Olivis Postille101. Im Zusammenhang dieses Prozesses nun wurden in einem theologischen Gutachten 102 Äußerungen Olivis aus der Apokalypsenpostille gesammelt und als häretisch gebrandmarkt. Darunter findet sich auch die Aussage Olivis, daß noch innerhalb 103 des mit Franciscus von Assisi angebrochenen vorletzten Zeitalters (status) der Kirche 104 , in dem das evangelische Leben erneuert wird 105 , non solum simplici intelligentia, sed etiam gustativa et palpativa experientia videbitur omnis ventas sapientia verbi Dei incarnati et potentia Dei patris ("nicht allein mit einfachem Verstehen, sondern auch mit Geschmacks- und Berührungserfahrung alle Wahrheit in der Weisheit des
100
BullFr V 297. Aus dem Zeitraum 1317—1325 stammen folgende gegen Spiritualen und Beginen gerichtete Dokumente: BullFr V 293; 340; 474; 571. Nach der Deutung von Koch, Prozess 314f, war neben diesen Frömmigkeitsbewegungen möglicherweise Ludwig der Bayer, dessen Berater in der Sachsenhäuser Appellation vom 22.5.1324 (der Text findet sich MGH.Const. V Nr. 909) ausgiebig das Schrifttum Olivis einschließlich der Apokalypsenpostille benutzt hatten, ein weiterer Adressat von deren Verurteilung. Der frömmigkeitsgeschichtliche Zusammenhang der Verurteilung der Apokalypsenpostille wurde, durchaus wohlwollend, schon von dem zeitgenössischen Ketzerverfolger Bernhard Gui vermerkt, der in seiner Lebensbeschreibung des Papstes erwähnt, dieser habe Olivis Apokalypsenpostille verurteilt, e qua sumebat βomentum secta quaedam pestifera illorum, qui Begini vulgariter appellantur (zit. nach DuPlessis, Collectio 234). Wadding, Annales V S.438, warf Bernhard Gui vor, die Irrtümer, die er den Beginen zuschreibe, habe er auch Olivi anhängen wollen. Daß - wie schon in Gloriosam Ecclesiam (s.v.a. DS 91 lf) - bei der Verurteilung der Apokalypsenpostille vor allem ekklesiologische Fragen eine Rolle gespielt haben (Valois, Jean XXII 438; Ehrle, Olivi 442), weist darauf hin, daß die an Olivi orientierten Bewegungen als für die kirchliche Hierarchie gefährlich eingestuft wurden, was nicht nur an der negativen Betrachtung der gegenwärtigen Kirche als Fleischeskirche (DS 911) liegen muß, sondern auch daran, daß sich eine spontane Verehrung des nichtkanonisierten Heiligen Olivi entwickelte, an der sogar Bischöfe und Kardinäle teilnahmen (Ehrle, Olivi 442); vgl. Leff, Heresy I 195, der meint, die Bewegung in Südfrankreich habe sich zu "open subversion" gewandelt. 102 Dieses ist abgedruckt bei Baluzi, Miscellanea II 2 5 8 - 2 7 0 . Ebd. 271b zeigt sich übrigens, daß an diesem postumen Vorgehen gegen Olivi auch Michael von Cesena beteiligt war. 103 Genau spricht Olivi von der proprietas tertii status mundi sub sexto statu Ecclesiae inchoandi (Baluzi, Miscellanea II 260b). Daß dieses dritte Weltzeitalter (des Geistes) noch in der Zukunft liegt, geht aus dem Gerundivum hervor 104 Baluzi, Miscellanea II 258b. Hiernach findet sich diese Aussage im Prolog der Apokalypsenpostille; vgl. Pásztor, Polemiche 385; Manselli, Lectura 150; Leff, Heresy I 125. 105 Baluzi, Miscellanea II 258b; vgl. Manselli, Lectura 152. 101
Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes
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fleischgewordenen Wortes Gottes und der Macht Gottes des Vaters geschaut werden wird") 1 0 6 . Diese Aussage ist durch das videbitur als futurische Erwartung 107 gekennzeichnet und steht bei Olivi im Kontext seiner eschatologischen Auffassungen. Losgelöst von diesem Kontext nun, greift Johannes sie in seiner Predigt zu Mariä Lichtmeß im Jahre 1325 oder 1326 108 auf und stellt sie in einen neuen Zusammenhang, den auch seine theologische Kommission noch nicht mit ihr verbunden hatte 109 , nämlich den der allgemeinen Anthropologie, indem er aus Olivis Aussage folgert: tunc homines in vita ista non erunt viatores, sed comprehensores (...) Est ergo hec dicere erroneum et hereticum ("Dann werden die Menschen in diesem Leben nicht Erdenpilger sein, sondern welche, die begreifen [...]. Also ist dies zu sagen irrig und häretisch") 110 . Diese Lösung aus dem rein eschatologischen Kontext macht aus der geschichtstheologisch motivierten Zukunftserwartung eine Aussage, die zwar futurisch formuliert ist, deren Fehlerhaftigkeit aber nicht in der konkreten Ausgestaltung der Zukunftserwartung liegt, sondern in der Verwechslung des Erdenpilgers mit dem comprehensor als dem, der die volle Schau Gottes hat 111 , d.h. in den implizierten allgemeinen anthropologischen Voraussetzungen. Und eben aufgrund dieser anthropologischen Allgemeinheit kann Johannes auch folgendes Textstück unmittelbar anschließen, das nicht explizit von Zukunft redet, aber eine volle Gotteserkenntnis als bislang gelegentlich gewährt und darum auch prinzipiell in der prophezeiten Weise möglich prädiziert: Sed dicunt aliqui quod non est hereticum, nec erroneum, quamvis sit presumptuosum et temerarium hec asserere. Quod enim non includit contradictionem Deo est possibile. Hoc autem non includit contradictionem quod Deus videatur in vita ista, ut videtur, quia si non includit contradictionem ut videatur raptim et quondam transitorie, non includit contradictionem etiam ut videatur permanenter. Deus autem potest videri a viatore raptim et transitorie, ut patet de Moyse et Paulo secundum Augustinum ergo permanenter potest videri sine contradictione. ("Aber 106
Baluzi, Miscellanea II 260b; vgl. Pásztor, Polemiche 385. Daß Olivi eine visio schon für die Gegenwart behauptet hätte, ist auch aufgrund seines sonstigen Wirkens unwahrscheinlich: Zwar weist Burr, Olivi, auf verschiedene Stellen, an denen Olivi visionärer Erkenntnis einen hohen epistemologischen Stellenwert beimißt, hin. Was aber geschaut wird, ist - außer im Falle Hiobs (s. ebd. 282f) — niemals Gott selbst: Es handelt sich, soweit Olivis Gegenwart betroffen ist, lediglich um prophetische Visionen. 108 Johannes, Purificatio 4 1 8 , 1 7 - 2 0 . 109 Die Gutachter haben in diesem Zusammenhang die W.vio-Thematik gar nicht aufgegriffen, sondern lediglich die Dreiweltzeitalterlehre und Olivis Deutung der johanneischen Parakletenverheißung auf die Zukunft statt auf Pfingsten (s. Baluzi Miscellanea II 260b). 110 Johannes, Purificatio 4 1 8 , 2 0 - 2 3 . 111 Vgl., den Bezug des comprehensor auf die béatitude bei Thomas (Schütz, Thomas-Lexikon 143). 107
130
2. Kapitel manche sagen, daß dies zu behaupten nicht häretisch ist, und auch nicht irrig, obwohl es gewagt und kühn sei. Was nämlich keinen Widerspruch impliziert, ist Gott möglich. Das aber impliziert, wie es scheint, keinen Widerspruch, daß Gott in diesem Leben geschaut werde. Denn wenn es keinen Widerspruch impliziert, daß er im Entrückungszustande und in einer begrenzten Übergangszeit geschaut werde, impliziert es auch keinen Widerspruch, daß er dauernd geschaut werde. Gott kann aber vom Erdenpilger im Entrückungszustand und vorübergehend geschaut werden, wie nach Augustin aufgrund der Beispiele des Moses und des Paulus klar ist, also kann er widerspruchsfrei dauernd gesehen werden") 112
Der Anschluß zeigt einen unmittelbaren Bezug der aliqui auf den vorhergehenden, Olivi betreffenden Abschnitt der Predigt. Daß Johannes hier tatsächlich nicht nur fiktiv eine dem Gegenstand eigentlich fremde Meinung auf diesen bezieht, zeigt sich an dem Zusatz quamvis etc. : Dieser Konzessivsatz als Referat der Position der aliqui wird in der folgenden Argumentation überhaupt nicht mehr thematisiert, und es ist nicht einzusehen, warum Johannes einen solchen Satz, der die von ihm angegriffene Position ja relativiert, erfunden haben sollte. Wenn aber dieser Konzessivsatz nicht fingiert ist, ist der gesamte Diskussionsbeitrag, auf den der Papst hier eingeht, nicht fiktiv, sondern Referat eines tatsächlich im Rahmen der Auseinandersetzung um Olivi vorgebrachten Argumentes. Dann aber bleibt zu fragen, wer die aliqui sind113. Daß die Behauptung einer vis io Pauli in raptu keine Sonderlehre Ockhams war, ist oben festgestellt worden 114 . Entscheidend ist aber die Begründung, die die aliqui vorbringen: Grundlage des von Johannes XXII. referierten und abgelehnten Argumentes ist der Satz: Quod enim non includit contradictionem Deo est possibile ("Was nämlich keinen Widerspruch impliziert, ist Gott möglich"). Eben dies ist, als Füllung der potentia absoluta115, auch in 112
Johannes, Purificatio 418,24—31. Pásztor, Polemiche 414, wurde auf Ockham nicht aufmerksam, hat aber einen anderen dieser aliqui identifizieren können, nämlich Francesco Silvestri (s. zu diesem ebd. 391). Seine ebd. 414 bekannt gemachten Äußerungen decken sich jedoch nicht mit der Argumentation der aliqui aus Johannes, Purificatio 418,24 — 31, insofern in ihnen jeglicher Verweis auf die für diese konstitutive Konzeption der nur durch das Widerspruchsprinzip begrenzten Macht Gottes, die auf Ockham hinweist, fehlt. Deutlich steht Silvestri dagegen hinter den aliqui aus ebd. 419,21 - 2 3 : Sed dicunt aliqui quod bene, est impossibile quod hoc concedatur alicui statui, sed non est impossibile, ut dicunt, nec includit contradictionem, ut concedatur aliquibus de ilio statu ex speciali gratia. Bei Silvestri heißt es ganz parallel hierzu, der eigentliche Fehler Olivis sei es gewesen, toti statui sexto huius vite zuzugestehen, quod Moysi et Paulo transitorie, ex privilegio est concessum (an einer anderen Stelle heißt es sogar: ex privilegio speciali). 114 Auffallig ist, daß Johannes, Purificatio 418,30f, weiß, daß diese aliqui sich auf Augustin stützen (können), sich aber nicht um eine Harmonisierung mit dessen Aussagen bemüht. Daß er auch dem wenige Jahre zuvor von ihm selbst heiliggesprochenen Thomas von Aquino widerspricht, thematisiert er überhaupt nicht. Ί5 OT IX 586,24ff. 113
Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes
131
Quodl VI q.l Grundlage der Ockhamschen Argumentation zur Schau des Paulus. Freilich kann Johannes nicht direkt diese Argumentation im Auge haben: In Quodl VI q. 1 fehlt der bei Johannes referierte Schluß von der Schau Gottes in raptu auf eine mögliche permanente Schau Gottes116 sowie der Verweis auf Mose als eine Gestalt, die ebenfalls der Schau Gottes teilhaftig geworden ist117. Johannes rekurriert also nicht auf die Quodl-Stelle, aber auf ein Argument, dessen Zentrum eben jene potentia-Lehre ist, deren argumentative Verwendung bei Ockham "in einem vorher nicht gekannten Maße" zu beobachten ist118, und dessen Anwendung auf die visio essentiae Dei durch Ockham auch im päpstlichen Prozeß gegen diesen eine Rolle spielte 119 . Es drängt sich daher durch ein Zusammenkommen von vier Beobachtungen der Verdacht auf, daß zu den aliqui, von denen Johannes XXII. spricht, der Venerabiiis Inceptor hinzuzuzählen ist: 1. Johannes XXII. referiert ein faktisch geäußertes, kein fiktives Argument. 2. Die von Johannes XXII. angegriffene Argumentation ist eine für Ockham typische und bei ihm erstmals in großem Ausmaß zu beobachtende Argumentationsfigur. 3. Ockham selbst verwendet diese Argumentationsfigur in genau dem angesprochenen Kontext — allerdings mit geringen Abweichungen im Argumentationsziel. 4. Zum Zeitpunkt der Predigt war Ockham in Avignon, und zwar aufgrund einer Ladung durch den Papst. All dies legt den Verdacht nahe, daß man es im Rahmen der Lichtmeßpredigt des Papstes mit der Wiedergabe eines Argumentes Ockhams zu tun hat, was freilich nicht heißen muß, daß Ockham sich in Avignon bemüht habe, seinen Ordensbruder theologisch zu verteidigen: Da die Frage der visio Dei, wie erwähnt, auch in seinem Prozeß eine Rolle spielte, ist es möglich, daß Ockham im Rahmen des Prozesses auf seine Nähe zu Olivi hingewiesen wurde, und dann — mit deutlicher Distanznahme gegenüber Olivi — die von Johannes XXII. aufgegriffene Argumentation geäußert 116 Ein solches Argument findet sich im Referat der Position Heinrichs von Gent bei Aureoli, Scriptum I 179,57-60: (...) quidquid Deus potest dare raptim et in transitu, potest dare diu et permanenter. Das Vorkommen des Argumentes an dieser Stelle ist insofern bemerkenswert, als sich mit Buytaert vermuten läßt, daß Johannes XXII. Aureolis Scriptum kannte (ebd. XV), da es ihm gewidmet war (s. ebd. 7) und er am 17.4.1318 den Kanzler der Universität Paris ersuchte, Petrus Aureoli das Lizentiat der Theologie zu erteilen (Chartularium II 225 Nr. 772). 117 Daß der raptus Pauli nicht eigentlich aus der Widerspruchsfreiheit abgeleitet, sondern als deren Beleg aufgeführt wird (Johannes, Purificatio 418,27-30), entspricht hingegen der Ockhamschen Argumentation in OT IX 5 8 7 , 5 5 - 5 7 genau. 118 Bannach, Macht 12. Daß es ein in dieser Zeit nur bei Ockham vorkommendes Theorem sei, wird man selbstverständlich nicht behaupten dürfen (s. hierzu insbesondere Randi, Power 215f). Die Vorgeschichte hat Desharnais, Distinction 3 8 110, breit dargestellt. 119 S. Koch, Aktenstücke 8,87f.
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2. Kapitel
hätte 120 . Zudem muß, da eine im Detail exakte Entsprechung zu der referierten Position weder im Ockhamschen Schrifttum noch in den Prozeßakten zu finden ist, auch die Möglichkeit erwogen werden, daß Johannes in seiner Predigt nicht Ockham selbst im Auge hatte, obwohl dessen Gegenwart in Avignon dies äußerst wahrscheinlich macht, sondern daß das Argument von jemandem stammt, der lediglich die Prinzipien des Ockhamschen Denkens teilte. Ist es so wahrscheinlich, daß Johannes XXII. in der Lichtmeßpredigt Ockham oder einen verwandten Geist mit Petrus Johannis Olivi argumentativ zusammenordnete, so bleiben noch Fragen hinsichtlich der Intention des Vorwurfes offen: Den Vorwurf, den Johannes XXII. Olivi macht, kennt man weder aus Polemiken gegen diesen selbst noch aus solchen gegen die Spiritualen oder die französischen Beginen 121 . Er findet zeitgenössisch lediglich eine Parallele in einem ganz anderen frömmigkeitsgeschichtlichen Kontext, in dem freilich ebenfalls der Name "Beginen" begegnet 122 , in der Verurteilung der rheinischen Beginenbewegung durch die Konstitution Ad nostrum quiU3 auf dem Konzil von Vienne, an dem Johannes XXII. - vor seinem
120 Darauf, daß, allerdings an anderer Stelle, in der Tat auch eine historische Verbindung der Vorgänge gegen Olivi und Ockham gegeben war, hat neuerdings Turley, John XXII 86f, hingewiesen: Johannes XXII. ist anscheinend erst durch den Prozeß gegen Olivi auf die Gefahren der Armutsfrage für die Kirche von Avignon aufmerksam geworden. 121 S. die bereits erwähnte, gegen die Spiritualen gerichtete Bulle Gloriosam Ecclesiam und die ca. 1323/4 entstandene (s. Gui, Manuel I XV) Liste der Irrtümer der Beginen bei Gui, Manuel I 118-154. 122 Während die südfranzösischen Beginen mit den Spiritualen verwandt sind, sind die Beginen des deutschen Sprachraumes eher mit den Brüdern und Schwestern des freien Geistes verwandt (Leff, Heresy I 314f; Neumann, Beginenwesen 146ff; Tarrant, Decrees 308); vgl. McDonnell, Beginen/ Begarden 404f. Die Briefe des Papstes zeigen, daß er die bestehenden Differenzen zwischen den verschiedenen Gruppen unter dem Namen "Beginen" kannte: In einem Brief an Elzearius, den Bischof von Toulon (also in der Provence, die, wie Johannes XXII. wußte [s. BullFr V 297], eines der Hauptverbreitungsgebiete der spiritualistisch gefärbten Beginen war), schreibt Johannes XXII. über Beginen und meint damit den kirchenrechtlichen Status. Dabei verweist er auf die Gefahren der Häresie, aber nicht etwa auf möglichen Spiritualismus, sondern er betont ausdrücklich, daß er an solche Gefahren des Beginentums denke, die in Deutschland beobachtet worden seien (BullFr V 411); auch bei der Promulgation der Clementinen 1317 sprach Johannes XXII. ausdrücklich von häretischen Erscheinungen der Beginen in Deutschland im Unterschied zu den Beginen [ebenfalls im kirchenrechtlichen Sinne] in multis mundi partibus (DuPlessis, Collectio 292): Dies zeigt, daß er genau um die geographische Lokalisierung der in Ad nostrum qui verurteilten Bewegung wußte. 123 DS 891—899. Ad nostrum qui verwies zu Beginn ausdrücklich darauf, daß es sich hier um Erscheinungen in Regno Allemanniae handelte (CIC II 1183f; in DS 89Iff fehlt der Anfang des Dokumentes, der diese Passage enthält). Die Verurteilung erfolgte nach einer Serie von Verurteilungen im deutschen Sprachraum (s. Müller, Vienne 577—581; Neumann, Beginenwesen 148 — 150).
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Pontifikat — sehr aktiv teilgenommen hatte124. Zum Papst geworden, promulgierte er eben diese Konstitution etwa gleichzeitig mit dem Beginn des erneuten Prozesses gegen Olivi 125 . In ihr findet sich die Formulierung: quod quaelibet intellectualis natura in se ipsa naturaliter est beata, quodque anima non indiget lumine gloriae ipsam elevante ad Deum videndum et eo beate fruendum ("daß jegliche vernünftige Natur an sich selbst von Natur aus selig ist, und daß eine Seele nicht des sie erhöhenden Lichtes der Herrlichkeit bedarf, um Gott zu sehen und ihn selig zu genießen") 126 . Den Beginen wird also vorgeworfen, sie behaupteten die allgemein-menschliche Möglichkeit, vollkommene beatitudo127 und damit auch die visio Dei schon auf Erden erlangen zu können. Daß er eine solche Schau für zukünftige irdische Menschen prophezeit und damit allgemein als menschlich-irdische Möglichkeit behauptet habe, war aber der Kern des oben wiedergegebenen Vorwurfs, den Johannes XXII. Olivi in der Lichtmeßpredigt machte. Damit rückte er Olivi sachlich aufgrund gemeinsamer anthropologischer Voraussetzungen in die Nähe des in Vienne verurteilten Enthusiasmus 128 . Die zeitliche Nähe129 macht dabei bewußte Intention möglich, kann sie aber nicht sichern. Die sachliche Nähe, in die Johannes XXII. hierdurch auch die von ihm mit Olivi verbundene raptus-Lehre Ockhams zu den Enthusiasten rückt, macht eine kurze Feststellung der historischen Unterschiede nötig: Die Position des Venerabiiis
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S. hierzu Valois, Jean XXII 402f. S. Müller, Vienne 407. 126 DS 895. Das in DS und CIC II 1183 hinter gloriae eingetragene Komma wird hier mit Mansi, Conciliorum Collectio XXV 410C, fortgelassen, da es zu der wenig sinnvollen Übersetzung bei DS führen kann, die die Konstruktion aus ad und Gerundivum auf elevante statt auf indiget bezieht (zu indigere mit ad und Gerundivum s. Thesaurus Linguae Latinae VII/1, Leipzig 1934-1964, 1173f) und so den Blick dafür verstellt, daß Kern der Aussage ist, daß das beate fruì entsprechend der Bezeichnung der Seele als beata gerade ohne lumen gloriae erreichbar sei, es also nicht grammatikalisch von einem dieses bestimmenden Attribut abhängig sein kann. 127 DS 894. 128 In ähnlichem Sinn, doch ohne konkreten Bezug auf die Verurteilung in Vienne, sieht auch Koch, Prozess 313, hinter der Verurteilung der Äußerungen Olivis Angst vor "Pseudomystik". 129 In dieselbe Zeit wie der Beginn des Prozesses gegen die Apokalypsenpostille fallt nicht nur die Promulgation der Dokumente von Vienne, sondern auch der Beginn der Verfolgungen der Beginen im Rheinland (s. Neumann, Beginenwesen 150ff). Auffallig ist auch, daß die Berührung sich gerade im Zusammenhang der v/ii'o-Thematik findet, der Johannes XXII. zeitlebens besondere Aufmerksamkeit widmete; vgl. Koch, Prozess 306f; Pásztor, Polemiche 414. 125
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Inceptor, dem übrigens, wie ein Zitat aus den Clementinen in Sent IV q.3—4130 zeigt, die Verurteilung131 der Beginenbewegung in Vienne sicher bekannt war132, weist auch dort, wo sie am deutlichsten die Möglichkeit einer visio Dei für den viator formuliert, in Quodl VI q.l, keinerlei Tendenz zu irgendeinem Erkenntnisenthusiasmus auf. Es fehlt bei ihm jegliche Auswertung des vw/o-Gedankens hinsichtlich der Erkenntnismöglichkeit gegenwärtiger Christen und Christinnen: Daß Paulus der visio teilhaftig wurde, steht im Kontext der Gotteslehre, allenfalls noch der Gnadenlehre133, aber gerade nicht der Erkenntnislehre: Eben das, was man als enthusiastischen Anspruch erhabener Erkenntnis bei den Beginen verurteilte, spielt bei Ockham nicht die geringste Rolle. Dennoch hatte Johannes XXII. zweifellos nicht Unrecht damit, daß Ockhams Denken in der anthropologischen Konsequenz mit jenem Denken punktuell konvergieren konnte, das er Olivi vorwarf und das in Vienne als Voraussetzung des Beginenenthusiasmus verurteilt worden war. In der Tat ist ihm das ja auch, wie sich oben gezeigt hat, von Ockham oder einem ihm verwandten Denker bestätigt worden — wenn auch wiederum unter deutlicher Distan-
130 OT VII 56,3f. Diese Zitierung bietet leider keinen definitiven Terminus a quo für den Sentenzenkommentar: Die Konstitution Ad nostrum qui wurde zwar erst am 25.10.1317 von Johannes XXII. promulgiert und an die Universitäten verschickt (Müller, Vienne 407), war aber schon früher inhaltlich - und als projektierter Teil des CIC — bekannt: Drei Handschriften der Clementinen (zu der Bezeichnung als Liber Septimus bei Ockham s. May, Kirchenrechtsquellen 31), zu denen die genannte Konstitution gehört, sind mit einem Aussendungsschreiben Clemens' IV. versehen. Zwar kann dies nicht belegen, daß eine offizielle Aussendung schon unter ihm erfolgte, wohl aber, daß die Vorbereitungen für eine solche bereits vor seinem Tode 1314 einsetzten, und dann private Abschriften der vorbereiteten Dokumente zu kursieren begannen (s. hierzu Ehrle, Bruchstück 453). Mit solchen privaten Handschriften kann man sogar schon 1312 rechnen: Da befahl Clemens V., alle zirkulierenden Abschriften der Dekrete einzuziehen oder zu zerstören (s. Tarrant, Decrees 301). Daß solche Handschriften noch vor 1317 nach Oxford gelangen und als kirchliche Dokumente rezipiert werden konnten, ist also nicht mit der Gewißheit auszuschließen, daß die Annahme des Gegenteils einen Terminus a quo für Ockhams Sentenzenkommentar sicherte. 131
Eine positive Begegnung Ockhams mit diesen Phänomenen selbst in England ist recht unwahrscheinlich, da es sich ja, wie erwähnt, um ein Problem im deutschen Sprachraum handelte. Dies schließt natürlich ein Auftreten ähnlicher Phänomene in England nicht aus, doch spricht dagegen die früh einsetzende offizielle, sich in den Konzilien niederschlagende Reaktion der englischen Kirche auf das Konzil von Vienne: Hier zeigte man großes Interesse an der Templerfrage, aber nicht das geringste an der Beginenfrage (s. Councils II 1241f). Ohnehin wird im allgemeinen die Beginenbewegung als kontinentale, nicht als insulare Erscheinung beschrieben (s. z.B. McDonnell, Beginen/ Begarden 404). Daß es dennoch Interesse an Beginenfrömmigkeit gab, zeigt sich allerdings daran, daß Margareta Poretes "Mireur des simples âmes" in England ins Lateinische übertragen wurde (Porete, Spiegel 231). 132 Nicht auszuschließen ist übrigens auch, daß Ockham während seiner Arbeit am Sentenzenkommentar von den etwa zeitgleichen Vorgängen gegen Olivi gehört hat. 133 OTIX 587,53-55.
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zierung: Der von Johannes Zitierte charakterisierte die möglichen Folgerungen aus Olivis Äußerungen als kühn und unvorsichtig. 4.4. Die dem Erdenpilger de potentia absoluta mögliche evidente Erkenntnis theologischer Wahrheiten Sieht man also von den einem anderen Kontext zugehörigen Überlegungen Ockhams zum raptus Pauli ab, so gilt, daß der Erdenpilger de potentia absoluta aufgrund abstraktiver Gotteserkenntnis wie der Selige Sätze bilden kann, die unmittelbar von Gott selbst sprechen 134 , und auf diese Weise all jene notwendigen theologischen Wahrheiten evident erkennen kann 135 , zu deren Kenntnis in keiner Weise die evidente Kenntnis kontingenter Wahrheiten nötig ist136. War es nämlich bei den Seligen nur ungewiß, ob sie solche kontingenten Sätze bzw. die auf ihnen fußenden notwendigen Wahrheiten evident erkennten, so verfügten sie doch wenigstens über die Bedingung der Möglichkeit zur evidenten Erkenntnis kontingenter theologischer Wahrheiten, sofern zur evidenten Erkenntnis einer kontingenten Proposition ja, wie oben (s. 1. Kapitel 5.2.3.2.) ausgeführt, die intuitive Erkenntnis beider Terme gehört, worüber im Falle einer mit dem Term "Gott" und einem beliebigen anderen Term gebildeten Proposition zwar die Seligen verfügen können, die Erdenpilger aber nicht, da ihnen die intuitive Gotteserkenntnis in jedem Fall fehlt 137 . 4.5. Die Möglichkeit wissenschaftlicher Gotteserkenntnis Erst in diesem Kontext der de potentia absoluta dem Erdenpilger möglichen Gotteserkenntnis gelangt Ockham nun zu einer Untersuchung der Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis (notwendiger 138 ) theologischer Wahrheiten, die sachlich entsprechend schon anhand der theologia beatorum möglich gewesen 134
OT I 268,14-17; vgl. 73,11-16; 112,4-18; IX 490,74-79. Dies zeigt, daß es abwegig ist, wenn Leff, Knowledge 15, abstraktive und konzeptuelle Gotteserkenntnis gleichsetzt. Eine solche Gleichsetzung der extraordinären abstraktiven Gotteserkenntnis mit konzeptueller erfolgt lediglich bei Duns, Opera (Paris) XXV 289. 135 Ockham versieht die notitia evidens in intellectu viatoris aliquarum veritatum theologiae aus OT I 49,1 lf in seiner unmittelbar darauf folgenden Erklärung mit der Einschränkung, es gehe um etwas, quod praedicabilium de Deo aliquod est (ebd. Z. 14f), denkt also nur an Sätze mit Gott als Subjekt. 136 OT I 50,10-51,24; vgl. IX 492,24-493,47. 137 OT I 50,10-22; vgl. OT IX 492,33f. 41f. 138 In OT I 96,21-23 präzisiert Ockham ausdrücklich, daß es bei der Frage der Wissenschaftlichkeit nur um notwendige theologische Wahrheiten gehen kann.
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wäre. Daß es mit dieser hinsichtlich der Wissenschaftlichkeit anders stünde als mit jener, läßt Ockham jedenfalls nicht erkennen 139 , wenn er auch, ohne erkennbare noetische Folgerungen, die Evidenz der Erkenntnis der beati für perfekter als die de potentia absoluta dem Erdenpilger mögliche hält 140 . Ockham beschreibt die Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis, die durch abstraktive Gotteserkenntnis gegeben wird 141 , in sechs Schlüssen 142 . Aufgrund der Überlegungen zum Charakter der Propositionselemente sind diese logisch auf drei Argumentationsreihen zu verteilen 143 . 1. Von einer Entität wird ausgesagt, eine mit ihr real identische andere Entität zu sein144, wie es in der Trinitätslehre mit ihrer Spannung von Unterschiedenheit und realer Identität geschieht 145 . Eine solche Prä139
In Sent Prol q.9 behandelt Ockham den Begriff der dem Erdenpilger nach Gottes absoluter Macht möglichen Gotteserkenntnis als mit dem der theologia beatorum austauschbar: Ehe er OT I 268,19—271,5 adformam quaestonis antwortet, schickt er in OT I 265,17 -268,17 einige begriffliche Differenzierungen voraus. Hierzu gehört auch die Unterscheidung der theologia nostra von der im Intellekt des Erdenpilgers möglichen theologia (OT I 268,12 — 17). Diese Unterscheidung mit ihren inhaltlichen Bestimmungen (Z.16f) nimmt er in OT I 269,23-270,7 sachlich auf. Hier aber wird das, was in den Präliminarien von der dem Erdenpilger nach Gottes absoluter Macht möglichen theologia gesagt wurde (daß Gott nämlich selbst als Subjekt diene), ohne daß dieser Wechsel thematisiert würde, von der theologia beatorum ausgesagt. Auch durch einen Mangel an Diskursivität wird die theologia beatorum nicht von der dem Erdenpilger möglichen theologia unterschieden: Gegen Thomas, ST I q.58 a.3 (Thomas, Opera II 268), lehrt Ockham, daß sogar den Engeln diskursive Erkenntnis eignet (OT V 315,12-22). 140 OT I 74,4-11. Daß hier eine Unterscheidung der Art nach vorläge, folgt daraus ausdrücklich nicht (OT I 74,12 - 75,5). 141 Die so gegebene Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis ist zwar sehr beschränkt, aber Chambers, Lack of Evidence 391, geht, wie obige Ausführungen zeigen werden, zu weit, wenn er für Aussagen, die auf abstraktiver Gotteserkenntnis beruhen, generell wissenschaftliche Erkenntnis ausschließt. 142 Das Argument, von dem grundlosen Gott könne es ein Wissen aus Gründen, wie es die scientia darstellt, nicht geben (OT I 75,14—17), macht Ockham dabei wenig zu schaffen, insofern er die von Aristoteles geforderte Kausalität nicht ontologisch faßt, sondern als Prädikationspriorität (OT I 129,2-5). 143 Ähnlich gliedert auch Guelluy, Philosophie 157-164; vgl. auch die Darstellungen der Konklusionen bei Leff, Ockham 362—365; Webering, Demonstration 137-141. 144 Daß es sich hier nicht, wie Krop, Self-Knowledge 90, meint, um "concepts" handelt, die prädiziert werden, sagt Ockham ausdrücklich i n O T I 112,11-15. 145 Ockham erwähnt nur diese trinitarischen Gegebenheiten explizit, inhaltlich aber wären wohl derselben Argumentation auch die Prädikationen der mit Gott real identischen Entitäten Wille und Intellekt (s. OT II 73,10f [Sent I d.2 q.2]) zu unterwerfen.
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dikation kann auf wissenschaftliche Weise nicht geschehen , da der, der das göttliche Wesen erkennt, all diese Identitätssätze selbstevident erkennt 147 , sie also einer strikten, Wissen produzierenden Beweisführung nicht zugänglich sind148. Eine solche erfordert ja nicht einfach die Applikation der syllogistischen Form auf bestimmte Sätze, sondern daß der Schlußsatz überhaupt zweifelhaft sein kann, und gerade das ist in einem Beispiel wie dem folgenden für den, der Gott unmittelbar erkennt, nicht der Fall 149 : Pater est paternitas essentia est Pater ergo essentia est patemitasii0 ("Der Vater ist die Vaterschaft Das Wesen ist der Vater Also ist das Wesen die Vaterschaft") 2. Vom göttlichen Wesen werden Begriffe prädiziert, die seine Eigenschaften bezeichnen. Dabei ist die Art der prädizierten Begriffe einerseits danach zu unterscheiden, ob es sich um Gott und den Kreaturen gemeinsame oder um Gott eigene Eigenschaften handelt, d.h. ob diese Begriffe nur von Gott oder gegebenenfalls auch von Kreaturen ausgesagt werden können 151 . Andererseits ist — entsprechend der Einteilung der Prädikate in der philosophischen Wissenschaftslehre 152 — danach zu unterscheiden, ob es sich um washeitliche oder um konnotative bzw. negative Begriffe handelt. Mit dieser Begriffssystematik setzt Ockham sich ausdrücklich von Duns ab. Der hatte erklärt, von Gott könne es nur einen einzigen quidditativen
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Ο Τ Ι 111,6-9. Ο Τ Ι 112,4-18; 73,1-3. 148 Ockham begründet dies — abgesehen von den allgemeinen Reflexionen, aus denen es hervorgeht — damit, daß es für solche Sätze nicht den im Syllogismus erforderlichen Mittelbegriff gibt, dem die zu prädizierende Entität eher zukäme als der, von der es prädiziert werden soll (OT I 111,17-21). Dieses Argument wird mit der Begründung sequens ex ista auf den zweiten Schluß (OT I 113,10-13) übertragen. 149 S. die Argumentation OT I 111,24-112,3. 150 Ο Τ Ι 111,22f. 151 OTII 499,20-23. 152 Die Formaleigenschaften, deren genaue Einordnung zwischen Eigenschaften erster Ordnung und konnotativen passiones ja schon oben als problematisch gekennzeichnet worden ist (s. 1. Kapitel 2 Anm. 438), fallen allerdings weg. 147
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2. Kapitel Begriff geben 153 , daneben aber noch mehrere Begriffe, die er quasi denominativus und quasi quidditativus154 nannte und die virtuell im göttlichen Wesen enthalten sein sollten155. Ockham dagegen bestreitet die dieser Lehre zugrunde liegende Annahme, daß es in Gott eine distinctio formalis als virtuelle Grundlage der Unterschiedenheit solcher Attribute gebe 156 , und erklärt es darum für ausgeschlossen, daß es Begriffe gebe, die wie die von Duns eingeführten für exakt dieselbe Entität stehen wie quidditative und dennoch nicht quidditativ sind157. Es kann daher neben konnotativen nur quidditative Begriffe geben 158 , bei denen Ockham zwischen einfachen und allgemeinen quidditativen Begriffen unterscheidet. Von ersteren, d.h. solchen, die nicht mehrere Begriffe in sich enthalten 159 , kann es für eine einfache Entität wie Gott in der Tat nur jeweils einen geben 160 , von den zweiten hingegen mehrere 161 . In bezug auf Gott ist die mit dieser Unterscheidung konvergierende 162 Unterscheidung zwischen washeitlichen Eigen- und Gemeinbegriffen je-
153 Duns, Opera (Paris) XXII 32. Diese Auffassung stellt eine Korrektur der Thomanischen Auffassung aus ST I q.12 a.12 dar, nach der es dem Menschen unmöglich sei, ut sciai de ea (nämlich der forma simplex, die Gott ist) quid est (Thomas, Opera II 201), also quidditative Erkenntnis Gottes ausgeschlossen ist (vgl. OT II 304,5). 154 Duns, Opera (Paris) XXII 32. Ockham verkürzt also, wenn er behauptet, Duns habe diese Begriffe "denominativ" genannt (OT I 103,17-19; II 419,lf). 155 Duns, Opera (Paris) XXII 32. 156 Ebd. 32, spricht lediglich von einer distinctio major (...) quam secundum relationes mutuas rationis, verweist aber auf die quaestio de attributis (was Ockham OT II 426,23-427,4 ausdrücklich referiert). Der Bezug richtet sich wohl weniger auf die Reportado als die Ordinatio d.8 p.l q.4, wo er die non-identitas formalis einführt (Duns, Opera [Vaticana] IV 262), von Ockham aufgegriffen in OT I 105,22f. Zu Ockhams Bestreitung der distinctio formalis s. OT II 14,8-16; zu ihrer bedingten Annahme in der Trinitätslehre s. OT II 364,7-10; 370,14-17, zu beidem s. unten 3. Kapitel 5.2. 157 Ο Τ Ι 103,17-104,2; 133,9-13; 11420,1-15. 158 OT II 6 2 , 5 - 8 ; 430,5-18. Dieser Argumentation entsprechend, ordnet Ockham die denominativen Begriffe unter die konnotativen ein (s.u. 5.2.). Daher kann er die terminologische Unterschiedenheit der göttlichen Attribute vermittels der Verschiedenheit des jeweils Konnotierten erklären (OT II 44,22-46,15). 159 OT II 472,24f. 160 OT II 425,7f. Das hier zu Gott Ausgeführte gilt grundsätzlich von allen einfachen Entitäten (s. OT III 207,12f). 161 OT II 419,18-22; 431,12-15. Allerdings sind diese Begriffe unvollkommen, weil sie untereinander nicht konvertibel sind (OT II 419,19f), da sie zwar für Gott stehen, ihn aber - aufgrund eines Mangels im Begriff, nicht im begriffenen Objekt — nicht vollständig erfassen. 162 Zur Bezeichnung des einfachen quidditativen Begriffs als Eigenbegriff s. OT II 314,12-315,2.
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doch erkenntnis- und wissenschaftstheoretisch irrelevant: Die quidditativen Gemeinbegriffe werden von jeder Untergruppe, in die ihr Aussagebereich geteilt wird, unmittelbar ausgesagt 163 . Diese unmittelbare Unterteilung aber führt zu einer Unterschiedenheit, der gemäß der Begriff von jeder Untergruppe anders ausgesagt wird 164 , also in bezug auf Gott, der nicht mit anderen Entitäten in einer Gruppe zusammengefaßt ist, sondern selbst singulär den anderen zu Gruppen zusammengefaßten Entitäten, auf die der Begriff angewendet wird, gegenübersteht, faktisch als Eigenbegriff fungiert 1 6 5 . F ü r die so faktisch stets als Eigenbegriffe fungierenden quidditativen Begriffe und die konnotativen 166 Eigenbegriffe gilt nun gleichermaßen, daß sie von Gott selbst nicht bewiesen werden können 167 , da es keinen 163
Ο Τ Ι 114,15-21; 132,1-4. So ist wohl die Unterscheidung in sapientia creata/ increata etc. OT I 114,18f zu verstehen. 165 Diese Konsequenz zieht Ockham nicht explizit, sie legt sich aber gedanklich nahe, zumal Ockham auf eine eigene Reflexion über washeitliche Eigenbegriffe von Gott verzichtet. Guelluy, Philosophie 161, verstellt sich den Zugang zu ihrer Erkenntnis, weil er die Problematik des unmittelbaren Begriffes mit Hilfe der Gattungsbegriffe, die unmittelbar auf Arten angewendet werden, deutet — das ist zwar nicht falsch, aber die Pointe ist hier gerade die göttliche Singularität, während Artbegriffe eben immer noch von mehreren Entitäten ausgesagt werden. Zu kurz gegriffen ist auch die Feststellung von Leff, Knowledge 15, daß der sapientia-Begriff nicht "proper to God alone" sein könne: Dessen ungeachtet kommt es gerade darauf an, daß sapientia increata durchaus von Gott allein ausgesagt wird und darum nicht als Mittelbegriff dienen kann. 166 OT I 115,6f spricht Ockham von conceptus connotativi et negativi, was aber kein Gegenüber beider bedeuten muß, denn OT II 308,13f spricht er von connotati vus positive vel connotativiis negative, so daß hier der Begriff "konnotativ" als übergreifend gewählt werden kann, wobei wiederum zu betonen ist, daß Ockhams Terminologie schwankend ist: In OT I 50,8f faßt er die negativen Begriffe gar unter die nicht-konnotativen, doch läßt sich dieses kontradiktorische Abweichen von sonstigen Äußerungen an dieser Stelle argumentationstechnisch erklären: Es geht Ockham hier um eine ganz bestimmte Gruppe konnotativer Begriffe, nämlich um solche, die einen durch das Handeln gegebenen (positiven) Objektbezug implizieren (s. ebd. 51,7—14), denen gegenüber er negative Begriffe (wie Unsterblichkeit etc. [vgl. ebd. 116,4]) absetzen will. Daß nicht diese Terminologie, sondern die der anderen Stellen, also die Bezeichnung der negativen Begriffe als konnotativ, im obigen Zusammenhang zugrunde zu legen ist, wird zudem daraus deutlich, daß Ockham die negativen Begriffe hier argumentativ ebenso wie die konnotativen behandelt (s. Guelluy, Philosophie 162f). 167 Auch hier wendet Ockham sich gegen Duns: Wiederum liegt der Unterschied darin, daß dieser innere Distinktionen in Gott bejaht und als Ermöglichungsgrund eines Beweises betrachtet (in Quodl q.7 [Duns, Opera < Paris> XXV 287]; zit. OT I 102,1 — 13), Ockham sie hingegen ablehnt. 164
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2. Kapitel Mittelbegriff gibt, über den der Beweis laufen könnte: Auf die Entität Gott kann nicht geschlossen werden, indem man den Begriff zunächst von einem Begriff prädiziert. Von einer anderen Entität als Gott aber kann ein Gott eigener Begriff nicht prädiziert werden 168 . Damit bleibt in diesem Bereich nur die Möglichkeit, daß konnotative Begriffe, die Gott und den Kreaturen gemein sind, von der göttlichen Essenz bewiesen werden 169 . Damit ist folgender Syllogismus, der beim washeitlichen Gebrauch von bonus (gut seiend) unmöglich wäre 170 , bei konnotativem Gebrauch ("fähig zu guten Willensakten" 171 ) möglich: omne ens est bonum Deus est ens ergo Deus est bonus172 ("Alles Seiende ist fáhig zu guten Willensakten Gott ist ein Seiendes Also ist Gott fáhig zu guten Willensakten") 3. Volle Beweisbarkeit ist nur dort gegeben, wo von dem uns möglichen Gottesbegriff, der nicht durch abstraktive oder intuitive Erkenntnis unmittelbar, sondern nur mittelbar173 auf Gott bezogen ist, begriffliche Prädikationen bewiesen werden, indem von dem göttlichen Wesen selbst auf diesen eigenartigen und weiter unten (s.u. 5.2.) genauer zu er-
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OT I 116,6—13 zu den konnotativen Eigenbegriffen. Die gesamte Argumentation findet sich auch schon in der Auseinandersetzung mit Duns OT I 104,25 — 105,17. OT I 103,9f; 104,10-14 zu den quidditativen Begriffen. Die Lehre von der Unbeweisbarkeit unmittelbarer Aussagen stützt sich auf An.Post. 1,3 (72 b 19f [AL IV 10,14f]). Die Definition Gottes schließlich als Mittelbegriff zu benutzen, wäre kein wirklicher Beweis, sondern eine Petitio principii (OT I 116,14— 117,13). 169 Ο Τ Ι 115,6-17. 17 0 Ο Τ Ι 114,22-115,2. 171 S. die Erklärung zum konnotativen Gebrauch von volitivum OT I 123,9-12: potens habere actum volendi. Die Verbindung von bonus mit Willensakten als dem Konnotierten lehrt Ockham OT I 128,1; VI 215,15f. 172 OT I 115,10-17. Damit scheint lediglich beweisbar, was auch der natürlichen Erkenntnis zugänglich (OT I 7,13) und für diese vermittels des Terms ens beweisbar ist (OT I 14,13-15; vgl. ebd. 115,10-12). Der Unterschied aber ist, daß dieser Beweis in der Metaphysik in bezug auf einen menschenmöglichen Begriff von Gott erfolgt, der nicht unmittelbar auf Gott bezogen ist (zur Problematik eines solchen "Beweises" s. 5.3.2.), in der scientia jedoch, die de potentia absoluta ermöglicht wird, vom göttlichen Wesen gemäß seiner Gottheit selbst bewiesen wird. 173 OT I 269,2f: mediante.
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läuternden Begriff geschlossen wird 174 . Auf diese Weise sind alle wahren Aussagen über diesen Begriff beweisbar 175 .
4.6. Der erkenntnistheoretische Fragehorizont Mit diesen Reflexionen macht Ockham deutlich, daß die Gotteslehre gerade dort nicht wissenschaftlich geschehen kann, wo in denkbaren Schlußsätzen unmittelbar von Gott selbst die Rede ist, also gerade dort nicht, wo die spezifische Besonderheit der Erkenntnisfahigkeit der Seligen wie der Erdenpilger de potentia absoluta sich auch im Schlußsatz bemerkbar machte, so daß eine Bezeichnung dieser beiden theologiae als Wissenschaften 176 gerade deren Kern verfehlte. Dort aber, wo die Gotteslehre konzeptuell gefaßt ist, ist sie wiederum nur dann einer wissenschaftlichen Beweisführung zugänglich, wenn die rein konzeptuelle Erkenntnisweise durchbrochen wird, dergestalt daß von Gott selbst auf den nur mittelbar auf ihn bezogenen Begriff geschlossen würde. Dies erweist sich als ein bloßes Gedankenexperiment, denn natürlich wäre der, der Gott selbst erkennen könnte, auf die konzeptuelle Erkenntnis, die Gott gar nicht fassen kann 177 , nicht angewiesen, und umgekehrt bewegt sich,
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OT I 117,14-24; vgl. ebd. 73,4-10. Dies bezieht Ockham in OT I 73,22—74,3 ausdrücklich auch auf die Trinitätslehre. Dies geht übrigens auch aus den von den Hg. mißverständlich interpungierten Zeilen OT I 117,19-22 hervor: Quia omnia talia praedicata prius conveniunt vel ipsi divinae essentiae, sicut relationes et notiones (,) vel personae, et similiter conceptus negativi et connotativi proprii Deo, vel primo conveniunt alio communi Deo et creaturìs, sicut (...). Durch das hier eingeklammerte Komma entsteht der Eindruck, daß das erste vel bereits durch das zweite aufgenommen würde und personae einen Dativ-Singular darstellte. So wäre aber das darauf folgende et unverständlich: Hier wäre wie an den entsprechenden anderen Stellen ein sicut zu erwarten. Tatsächlich wird das erste vel erst durch das dritte wieder aufgenommen, das mittlere verbindet die beiden Nominativ-Plurale notiones und personae. Beide Begriffe gehören wie bei Petrus Lombardus, Sentenzen I 197,27—29, und Thomas (s. Schütz, Thomas-Lexikon 530f s.v.) auch bei Ockham zusammen: Während strenggenommen in Gott von Ewigkeit her nur Relationen und Personen waren (OT IV 274,21f), kann Gleiches auch für die Notionen zugestanden werden, sofern diese für Relationen oder Personen supponieren (ebd. 275,lf). 176 Beckmann, Anspruch 254, in bezug auf die von ihm fälschlich postulierte theologia in se; Miethke, Sozialphilosophie 268, der den "Ort der Möglichkeit einer Theologie als scientia proprie dicta" im "Wissen der beati" findet. 177 OTII 33,4-6. 175
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wer konzeptuell Gott erkennt, in einem ganz anderen Bereich als dem, in dem Gott selbst erkannt werden kann. Noch ein Drittes aber ist hier festzustellen: Hatte sich schon oben gezeigt, daß die theologia beatorum wie die dem Erdenpilger de potentia absoluta mögliche theologia, gemessen an der akademischen Theologie, nicht ein vollständiges System theologischer Wahrheiten enthalten (da die kontingenten Wahrheiten darin fehlen), so zeigt sich nun, daß es in dieser gesamten Diskussion auch gar nicht um scientia im Sinne eines Systems, also im Sinne von "Wissenschaft", geht, sondern um scientia als wissenschaftliche Erkenntnis theologischer Sätze. Der scientia-Begriff nämlich, den Ockham in seiner q.2: utrum notifia evidens illarum veritatum theologicarum (nämlich possibilis viatori de potentia absoluta) sit scientia proprie dicta ("Ob die evidente Erkenntnis jener theologischen Wahrheiten [, die dem Erdenpilger nach Gottes absoluter Macht möglich ist] scientia im strengen Sinne sei")178 definiert 179 und der oben skizzierten Argumentation zugrunde legt, ist eben der, dessen Definition oben als Definition wissenschaftlicher Erkenntnis gedeutet wurde. Wenn Ockham aber diesen Begriff als Maßstab zugrunde legt, heißt dies auch dort, wo er scientia-Charakter verneint, daß er nicht nach theologia im Sinne einer der akademischen Disziplin vergleichbaren Größe fragt 180 , sondern (da es, wie erwähnt, stets um theologische Wahrheiten über Gott geht 181 ) nach "Gotteserkenntnis".
5. Die faktische Gotteserkenntnis des Erdenpilgers 5.1. Die theologia nostra als irdische Gotteserkenntnis Der Begriff theologia nostra ist zunächst Gegenbegriff zu den bisher behandelten theologia-Begriffen182, und dementsprechend erscheint er wie diese 178
Ο Τ Ι 75,9-12. OT I 87,22-88,2. 180 Das wäre nach Köpf, Wissenschaftstheorie 15, der neue, wissenschaftstheoretische theologia-Begriff, der sich in der zweiten Hälfte des 12.Jahrhunderts herausgebildet hat und den Sinn von "theologischer Wissenschaft als Ganzem" besaß. 181 Das entspricht dem traditionellen theologia-Begriff Varros, der dem Mittelalter bei Augustin, De civitate VIII, 1, überliefert ist, wo es über Theologie heißt: quo verbo graeco significan intelligimus de divinitate rationem sive sermonem (PL 41,225; vgl. Köpf, Wissenschaftstheorie llf). Freilich ist, wie die Diskussion gezeigt hat, diese materiale Orientierung an der Lehre von Gott lediglich Nebenprodukt seiner erkenntnistheoretischen Orientierung. 18 2S. OT I 268,12ff; 273,2. 179
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im allgemeinen im Zusammenhang mit Fragen, die in den bisher behandelten Kontext gehören: in bezug auf die mangelnde Evidenz 183 oder die bloße Konzeptualität der Erkenntnis Gottes 184 durch den Erdenpilger. Diese Verwendung für den allgemein-menschlichen 185 erkenntnistheoretischen Bereich entspricht auch dem sonstigen Gebrauch der ersten Person Plural bei Ockham: Damit bezeichnet Ockham nirgends spezielle soziale oder institutionelle Realitäten, was für eine Verwendung zur Bezeichnung der institutionellen Realität akademischer Theologie spräche, sondern anthropologische Bedingungen 1 8 6 , allenfalls gemeinchristliche Bedingungen 187 . In diesem Sinne bezeichnet theologia nostra also Sätze, die durch die Weise der Gotteserkenntnis, wie sie dem Erdenpilger möglich ist, geprägt sind. Daraus folgend, kann theologia nostra aber auch eine Gruppe von Sätzen bezeichnen 188 und so sekundär auch die akademische 189 Theologie im institutionell faßbaren Sinne als Ganzes 190 , so daß — ähnlich der Begriffsunterscheidung zur scientia — dem Gebrauch von theologia nostra neben dem genannten erkenntnistheoretischen bei Ockham im Unterschied zur theologia beatorum und zu der de potentia absoluta möglichen theologia faktisch auch ein wissenschaftstheoretischer Aspekt zukommt. 183
Ο Τ Ι 199,19f. OT I 269,23-270,7; 268,19-269,5. Bezeichnend ist, daß zwischen beiden zitierten Stellen, in OT I 2 6 9 , 6 - 2 2 , wo auf die theologia perfecta - secundum perfectionem theologiae nobis possibilem in via eingegangen und deutlich auf die Bestimmung der akademischen Theologie als Glaube und apprehensive Habitus umfassend rekurriert wird, der Term theologia nostra nicht erscheint: Hier geht es um die Theologie insgesamt, nicht wie in den vorangehenden und folgenden Abschnitten um die Erkenntnisweise. 185 Selbst dort, wo Ockham eine Begrenzung des Erkenntnisumfanges der theologia nostra aus pragmatischen Erwägungen einführt, bezieht er diese pragmatischen Erwägungen nicht etwa auf den studens in theologia und damit auf institutionelle Gegebenheiten, sondern auf den homo pro statu isto (OT I 274,20—24). 186 Vgl. z.B. opera nostra in OT I 282,15: potestas nostra in OT I 313,11. Die theologi erscheinen demgegenüber stets in der dritten Person. 187 OT VI 197,7: fides nostra (ebenso ebd. 264,16). 188 Dies wird deutlich durch die Rede von einem Teil von ihr in OT I 365,11. 189 Der Begriff "akademisch" wird hier anachronistisch verwendet (s. hierzu Schulz, Fremdwörterbuch I 15f), um die doppelte Institutionalisierung der Theologie, an der Universität einerseits, an den Ordensstudien andererseits, zusammenzufassen. 190 So offensichtlich in OT I 200,9 - 1 1 , wo die anderen artes als ihre Mägde bezeichnet werden, was eindeutig institutionellen Bezug impliziert. Insofern die theologia nostra gelegentlich mit der akademischen Theologie identifiziert wird, ist in dieser Verwendung ihr materialer Gehalt weiter, als es für die theologia beatorum nötig und für die dem Erdenpilger de potentia absoluta mögliche Gotteserkenntnis möglich war, da sie dann auch kontingente theologische Wahrheiten umfaßt. 184
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Allerdings ist an der einzigen 191 Stelle (Sent Prol q.7), an der bei der Rede von theologia nostra eindeutig und unzweifelhaft ein institutioneller Bezug impliziert ist, dieser Bezug nicht allzu deutlich auf das Wort theologia nostra appliziert: In dem Satz selbst erscheint gar nicht theologia nostra, sondern das auf diese bezogene Pronomen eius, das sich in der modernen Edition auf sein Bezugswort über den Abstand von immerhin 13 Zeilen zurückbezieht 192 . Zudem behandelt Ockham hier nicht seine eigene Lehre von der theologia nostra, sondern setzt sich mit Argumenten von Gegnern auseinander, in denen undifferenziert von theologia gesprochen wurde 193 , so daß der grammatikalisch herleitbare Bezug von theologia nostra auf institutionelle Realitäten nicht unbedingt in technischem Sinne von Ockham intendiert sein muß, sondern auch eine bloße Begriffsunschärfe darstellen kann, wie sie ihm nachweislich an einer anderen Stelle im unmittelbaren Kontext mit der Evidenzterminologie unterlaufen ist 194 , ja, strenggenommen sogar lediglich eine unscharfe Verwendung eines Pronomens. Für die Annahme solcher terminologischen Unschärfe spricht, daß Ockham, sofern er spezifisch an Theologie als akademische Disziplin 195 dachte, einen wohl in Auseinander-
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OT I 2 0 0 , 9 - 1 1 (s.o.). In OT I 3 2 7 , 5 - 9 werden zwar theologia nostra und metaphysica einander gegenübergestellt, aber es handelt sich hier um ein abgewiesenes Argument. Uneindeutig ist OT I 365,8-16: Hier wird zwar die theologia nostra der metaphysica durch ein sicut nebengeordnet. Im selben Zusammenhang aber wird der metaphysica auch die theologia naturalis durch ein et bzw. ein nec nebengeordnet und zugleich von Aussagen über erstere auf letztere geschlossen (Z. 12 —15), es werden also beide — wie in dem zuvor referierten Einwand (s. ebd. Z. 3) — gleichgesetzt: Wenn aber hier die syntaktische Nebenordnung inklusiv verwendet wird, wäre es eine überzogene Deutung, das Nebenordnungsverhältnis im Falle der theologia nostra als exklusive Gegenüberstellung zu deuten und aus dieser dann auch noch die Voraussetzung struktureller Ähnlichkeiten im Sinne eines zugrunde liegenden Tertium comparationis "akademische Disziplin" zu folgern, zumal im Kontext der Metaphysikbegriff ausdrücklich weit gefaßt wird (ebd. Z. 8f)! 192 OT I 200,10 bezieht sich auf ebd. 199,19f, allerdings vermittelt durch 200,1, wo die theologia nostra ohne explizite Nennung Subjekt des Satzes ist. 193 Ο Τ Ι 184,21-185,13. 194 OT I 2 0 1 , 1 - 2 erklärt er, in Eth. VI,3 spreche Aristoteles de habitibus evidentibus et certis, qualis non est theologia respectu credibilium. Das et certis ist dabei terminologisch störend: Das qualis kann sich nur auf Evidenz beziehen, da die Theologie ja durchaus gewiß ist (OT I 200,6f. 9 - 1 1 ) , und ohnehin ist Evidenz Unterbegriff zu Gewißheit (ebd. Z.6f), also diese in jener impliziert. 195 Die Verwendung des Begriffs "Disziplin" für ein nicht wissenschaftliches Fach im akademischen Bereich kann sich auf Ockham selbst stützen: In Quodl II q. 14 bezeichnet er im Rahmen einer Untersuchung auf ihrer Wissenschaftlichkeit hin die Ethik vorläufig als disciplina (OT IX 177,35-38).
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setzung mit Petrus Aureoli entwickelten prägnanten eigenen Begriff zur Verfügung hatte: theologia quae de communi lege habetur a theologis ("Theologie, die nach allgemeiner Regel von den Theologen getrieben wird") 1 9 7 . Diese durch die Auseinandersetzung mit Aureoli bedingte semantische Differenzierung gegenüber der Dunsschen Begrifflichkeit kann nun zwar eine Unschärfe im Gebrauch von theologia nostra an der oben referierten Stelle nicht beweisen, aber die hier gesammelten Beobachtungen machen doch in jedem Falle deutlich, daß zumindest der primäre semantische Kontext für theologia nostra bei Ockham nicht etwa die Theorie von der akademischen Disziplin "Theologie" ist, sondern die Lehre von der Weise und den Grenzen der Gotteserkenntnis des Erdenpilgers. Daher wird theologia nostra hier als "irdische Gotteserkenntnis" übersetzt. Mit dem Adjektiv "irdisch", das - entsprechend den obigen Ausführungen zum Erdenpilger — nicht einfach als lokale Angabe, sondern als theologisch"existentiale" Angabe über den Status, in dem sich der Träger jener Erkenntnis befindet, zu verstehen ist, sollen Verwechslungen mit den dogmatisch besetzten Begriffen "natürliche Theologie" 198 oder "natürliche Gotteserkenntnis" vermieden werden 199 . Diese "irdische Gotteserkenntnis" benennt nicht primär einen Erkenntnisinhalt, sondern Bedingungen von Erkenntnis, unter denen dann auch auf übernatürliche Weise bekannt gewordene Sätze über die Trinität formuliert werden können 200 und die deshalb auch Bedingungen der akademischen Theologie sind. Zugleich implizieren diese Bedingungen irdischer Gotteserkenntnis allerdings, unabhängig vom Hinzutreten einer weiteren Erkenntnisquelle wie der
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Aureoli, Scriptum I 138,9, hatte von einem Habitus, quem acquirunt studentes in theologia, gesprochen; s. zur Auseinandersetzung Ockhams damit 3. Kapitel 1.4.4. 197 OT I 183,4f. Bezeichnend für die Unaufmerksamkeit der bisherigen Forschung gegenüber diesem institutionellen Bezug ist es, daß Guelluy, Philosophie 221, und Junghans, Neuere Forschung 213, in der Wiedergabe der q.7 des Sentenzenprologes die entscheidende Wendung a theologis schlicht fortlassen. 198 Ockham kennt auch eine theologia naturalis als metaphysische Gotteslehre ( Ο Τ Ι 365,8-16). 199 Zur Geschichte beider Begriffe s. Pannenberg, Systematische Theologie I 8 3 93. Ohne Reflexion auf die Ockhamsche Terminologie deutet Adams, William Ockham 942, Aussagen Ockhams über die bloß konzeptuelle Gotteserkenntnis des Erdenpilgers als Aussagen über "natural human cognition" (of god), erkennt aber nicht die Konsequenzen für den Ockhamschen theologia-Begriff und ist daher in ihrer eigenen Begrifflichkeit nicht eindeutig: Dasselbe kann sie auch als "natural theology" (ebd. 979) bezeichnen, aber auch als "theology of the viator" (ebd. 966). 200 Dies ist vorausgesetzt OT I 269,25f, das zurückverweist auf ebd. Z. 6 - 2 2 .
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Offenbarung, auch die Möglichkeit bestimmter materialer Aussagen. Deren Explikation geschieht in der metaphysischen Gotteslehre201. Insofern das unter den Bedingungen irdischer Gotteserkenntnis Aussagbare sich inhaltlich weitgehend mit dem Inhalt der akademischen Theologie deckt, kann dann auch diese so bezeichnet werden. Da hierfür jedoch ein eigener Begriff zur Verfügung steht, und die entsprechende Bedeutung von theologia nostra lediglich sekundär und abgeleitet ist, wird im hier vorliegenden Zusammenhang irdische Gotteserkenntnis, in Anknüpfung an die Diskussion der bisherigen theologia-Begúffe, lediglich nach ihrer erkenntnistheoretischen Seite besprochen. 5.2. Konzeptuelle Erkenntnis Wird theologia nostra in Unterscheidung von der Gotteserkenntnis der Seligen bzw. von der Gotteserkenntnis, die dem Erdenpilger nach Gottes absoluter Macht möglich ist, gesehen202, so gilt für sie jene Beschränkung, die de potentia absoluta aufgehoben werden kann: Mit der notitia intuitiva Dei fehlt ihr jegliche, auch die abstraktive Erkenntnis Gottes selbst hinsichtlich seiner Gottheit203. Dennoch gibt es, wenngleich man an Gottes Existenz zweifeln kann 204 , irgendeine Gotteserkenntnis, wie sich an der Gotteserkenntnis der heidnischen Philo201
Daß diese auf der konzeptuellen Gotteserkenntnis aufbaut, sagt Ockham ausdrücklich in OT I 458,24-459,3. 202 OT I 268,12-14. Zwar bezeichnet erst die Redaktion die theologia in intellectu viatoris ausdrücklich als durch Gottes absolute Macht möglich, aber schon im ursprünglichen Text war die theologia nostra als pro statu isto möglich bestimmt, was den von der Redaktion explizierten Gegensatz auf der anderen Seite der Alternative impliziert. 203 OT II 389,5-13; 403,5-16. 204 OT II 313,18f; 440,15-17. Die Möglichkeit des Zweifels ist, si possibile esset Deum non esse, selbst bei Vorhandensein der dem Erdenpilger de potentia absoluta möglichen abstraktiven Gotteserkenntnis (OT I 71,19-72,2) gegeben! Sie hat zur Folge, daß uns selbst tautologische Aussagen wie die, daß Gott Gott ist, anzweifelbar erscheinen müssen, da sie die möglicherweise falsche Annahme der Existenz Gottes implizieren (OT I 112,19-113,9). Vgl. zur Zweifelsmöglichkeit Aureoli, Scriptum II 530,2-6, der ausdrücklich Ps 13,1; 52,1 zitiert, was belegt, daß die Hg. OT II 313 Anm. 2 wohl zu Recht auf diese Bibelstellen als Hintergrund auch für Ockhams Aussagen verweisen. An aktuelle philosophische Skepsis darf hier jedenfalls nicht gedacht werden: Mit den radikalen Aristotelikern stritt man sich um das Gottesbild, nicht um die Existenz Gottes (s. die erste These der Verurteilung von 1277: Quod Deus non est trinus et unus, quoniam trinitas non stat cum summa simplicitate [Flasch, Aufklärung 99f]); vgl. auch Duns, Opera (Vaticana) I 26 Nr.44: philosophus et theologus contradicunt sibi invicem de ista 'Deus est trinus'.
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sophen zeigt . Dies ist ein Faktum , dessen Ockham sich so unzweifelhaft gewiß ist, daß er es als Prämisse für Beweise verwenden kann 207 . Er legt dabei aber offensichtlich einen äußerst reduzierten Erkenntnisbegriff zugrunde: Die Erkenntnis, von der hier die Rede ist, kann nur mittelbar, d.h. in einem anderen als Gott selbst208 erfolgen. Dieses andere, in dem Gott erkannt wird, ist ein Begriff 209 . Wieder bricht Ockham hier ihm vorgegebene Gedanken der Duns-Schule aufgrund seiner Rezeption der suppositionstheoretischen Logik: Duns und Cowton hatten beide erklärt, Gott werde in den Arten der Geschöpfe erkannt 210 . Insofern nun aber Ockham aufgrund seiner suppositionstheoretischen Erklärung der Universalien diesen — unbeschadet der Frage ihrer realen Fundiertheit — lediglich konzeptuelles Sein zuspricht, kann auch die Gotteserkenntnis nur noch im Be-
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OT I 458,24-459,2. Daß hier eine Argumentation de facto vorliegt, betont auch Ghisalberti, Ockham 114. 207 OT II 315,6; vgl. ebd. 403,18f; IX 538,42-44; ähnlich OT II 534,10-13. In Sent III q.l bezeichnet Ockham diese Faktizität der Gotteserkenntnis als das einzige und grundlegende Argument für die Univozität (OT VI 340,17 — 20). Diese auf allgemein-menschliche Überzeugungen rekurrierende Argumentation zeigt, daß es zu kurz gegriffen ist, wenn Resweber, Dieu 73, meint, zur Beantwortung der Frage nach Gottes Existenz müsse man nach Ockham auf andere "jeux de langage" als die Sprachtheorie zurückgreifen, nämlich Bibel und Glaube (ähnlich Muralt, Univocité 582, der Deus est als bloße Glaubensprädikation ansieht). 208 OT II 404,24f; zur Mittelbarkeit s. OT I 269,2f. Strenggenommen wäre hinzuzufügen, daß diese Erkenntnis — angesichts der Zweifelsmöglichkeit an der Existenz Gottes — überhaupt nur unter hypothetischer Voraussetzung dieser Existenz denkbar wäre. Dasselbe denkerische Problem stellt sich auch bei der Einführung der Univozität des e/u-Begriffs: Ockham stellt hier fest, quod quibuscumque exsistentibus extra animam ens est commune univocum (OT II 317,8f). Das kann aber angesichts der Möglichkeit des Zweifels an Gottes Existenz bezüglich der Frage, utrum aliquod universale sit univocum Deo et creaturae (ebd. 292,9f), eigentlich gerade nicht zur kategorischen Behauptung von Univozität für Gott führen, sondern nur zur hypothetischen: Wenn Gott ist, dann wird auch der ms-Begriff univok für ihn gebraucht. Die Schwierigkeiten konsistenten Denkens zeigen sich auch, wenn Ockham erklärt, ein univoker Begriff sei (abstrahibilis) ab omnibus Ulis de quibus dicitur illud nomen (OT II 336,12f; nach OT II 425,16-18 werden dementsprechend auch Begriffe von der deitas abstrahiert), in ebd. 272,2-19 aber für die abstractio ein videre und also eine notitia intuitiva voraussetzt, die dem Erdenpilger von Gott in keiner Weise gegeben sein kann! 209 OT I 112,4-18; 267,3; 458,24-459,3; IX 538,49f. Die mangelnde Identität des Begriffs mit Gott betont Ockham in OT II 62,15-22; 405,1. 210 Duns, Opera (Vaticana) III 42 Nr. 61; zu Cowton s. Theissing, Cowton 60 Anm. 38: dico quidditas Dei potest cognosci ab intellectu nostro per species creaturarum. 206
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griff oder in einer Einzelentität erfolgen 211 . Die Erkenntnis einer Einzelentität bliebe aber auf diese beschränkt, und so muß zur Wahrung der Übertragbarkeit der Erkenntnis die Erkenntnis Gottes begrifflich erfolgen 2 1 2 . Ihre Grundlage ist die begriffliche 213 Univozität des Terms ens, womit Ockham über Cowton hinweg 214 wieder an Duns anknüpft 2 1 5 . Allerdings ist Ockham durch die Schule Cowtons gegangen, der gemeint hatte, aus der Dunsschen Univozitätsbehauptung folge, daß es reale Identitäten zwischen Gott und Kreatur gebe 216 . Darum 2 1 7 betont er, daß er einen weiten Univozitätsbegriff gebrauche, der keine reale Identität und auch keine perfekte Ähnlichkeit zwischen Gott und Kreatur impliziere 218 . Über diese ohnehin schon vorsichtige 211
OT VI 341,7f. OTVI 341,7-19. 213 OT II 316,17; vgl. IX 538,42f. 214 Zu diesem s. Theissing, Cowton 32 Anm. 44: dico (...), quod nec ens nec aliquid positivum dicitur de causa efficiente prima et aliis entibus univoce (...), sed aequivoce. 215 Duns, Opera (Vaticana) III 18 Nr.26. 216 S. Theissing, Cowton 3 5 - 3 9 . Wohl zu Recht erklärt Theissing ebd. 39, daß Cowton kaum die Intention des Doctor subtilis getroffen habe. In der Tat erklärt dieser ausdrücklich, daß Gott und Kreatur in nulla realitate conveniunt (Duns, Opera [Vaticana] IV 190,19 Nr.82); zur Univozitätslehre des Duns s. Gilson, Duns Scotus 89-121. 217 Ohne Cowton zu erwähnen, setzt Ockham sich OT II 3 0 0 , 1 - 1 3 mit der Möglichkeit auseinander, Duns könne in der Weise mißverstanden werden, daß er Univozität des Realen behaupte, was inhaltlich der Argumentation Cowtons entspricht. 218 OT II 316,17-317,6; 335,23-336,2. Ockham bezieht sich mit der Formulierung, er verwende univocum nicht stricte, auf seine drei Univozitätsdefinitionen ebd. 310,24-311,24 (anders die Einteilung in stricte [für sprachliche Univozität] und large [für begriffliche Univozität] in OT IV 276,21-277,15), die freilich nicht nach Striktheitsgraden unterschieden sind. Ockham verwendet aber univocum offensichtlich weder im ersten Sinne, da dieser nur von der untersten Unterart gilt (OT II 310,26), noch im dritten, da dieser von den innergöttlichen Relationen gilt (ebd. 311,22f), sondern im mittleren, der gleichzeitig definitorisch am wenigsten scharf bestimmt ist: Die Dinge, von denen univok geredet wird, sind nicht eine Entität, sind verschieden, aber nicht in höchstem Grade ähnlich (simillima). Auf diese Weise kann zum Beispiel der Gattungsbegriff univok gebraucht werden (ebd. 311,17-20). Anders ist die Einteilung in Sent III q.10: Die ersten beiden Arten der Univozität entsprechen den hier genannten ersten beiden (OT VI 335,19—337,11). Statt der trinitätstheologischen Univozität steht nun an dritter Stelle aber eine Univozität, die keinerlei Ähnlichkeit auf Seiten der univok bezeichneten Entitäten voraussetzt (OT VI 337,12-17), und dies ist die für Gott und die Kreaturen zutreffende. Hier ist also, im Gegensatz zum Sentenzenprolog, die Art der Univozität von Begriffen für Gott und Kreatur eine prinzipiell andere als die Univozität zwischen verschiedene Gattungen bezeichnenden Begriffen. Diese Inkonsistenz in Ockhams Aussagen übersehen Beckmann, Subjekt lOf; Honnefelder, Zweiter Anfang 184; Menges, 212
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Formulierung aus Sent I d.2 q.9 geht er in Sent III q. 10 noch hinaus, wenn er nicht nur perfectam similitudinem ("vollkommene Ähnlichkeit"), sondern aliquarti similitudinem ("jegliche Ähnlichkeit") zwischen Kreatur und Gott hinsichtlich des univoken Gebrauchs von Begriffen bestreitet 219 . Damit fehlt dieser Art von Univozität, obwohl sie durch das gekennzeichnet wird, wodurch auch die Universalien gekennzeichnet werden, nämlich die Prädizierbarkeit von mehreren 220 , im Gegensatz zu diesen jede reale Verallgemeinerungsgrundlage; der Ort ihrer Allgemeinheit ist allein auf begrifflicher Ebene. Strenggenommen wird damit die Spitze univoker Rede gerade abgestumpft — weswegen Ockham in Sent III q. 10 auch durchaus zugestehen kann, daß in bestimmter Hinsicht mit analogia gerade das gemeint sei, was er hier als sehr weiten Univozitätsbegriff einführe 221 . Der Begriff, in dem Gott erkannt wird, kann in keinem Fall ein einfacher Eigenbegriff 2 2 2 sein, da ein solcher eine Erkenntnis Gottes selbst voraussetzte, sondern zunächst kann diese Erkenntnis nur in univoken Allgemeinbegriffen erfolgen 223 . Bei diesen ist nun freilich jeweils zu fragen, ob es sich um washeitliche oder denominative handelt. Letztere, deren Bezeichnung aus der Logica vetus stammt und darin ursprünglich lediglich die durch Endungsänderung 224 erfolgende Ableitung eines concretum aus einem abstractum be-
Univocity 8 2 - 9 1 ; Muralt, Univocité 587f, und Müller, Nominare 240, die Ockham einseitig von Sent III q. 10 her deuten und systematisieren. 219 OT VI 337,12-17; 338,2-4. 220 OT II 307,13-15; 312,4-6: omne univocum est universale (...) praedicabile de Ulis de quibus praedicatur. 221 OT VI 338,10-16; vgl. Menges, Univocity 131; Muralt, Univocité 587. Die angegebene Stelle ist explizit auf den dritten Univozitätstyp bezogen. Müller, Nominare 240, irrt daher, wenn sie behauptet, Ockham unterstreiche, "che l'univocità del terzo tipo (...) si distingue dell' analogia" (eine ähnlich unsachgemäße Konfrontierung beider Begriffe bietet auch Leff, Ockham 375). Die ausgleichende Position, die die Differenzen von Analogie und Univozität als letztlich nur terminologische Unterschiede wertet, vertritt im England jener Zeit Ockham nicht allein. Sie findet sich bereits im Liber Propugnatorius des Thomas Anglicus: Duns ponit ens esse univocum vocans univocum quod alii vocant analogum (Schmaus, Univozität 130; vgl. ebd. 10; zur Nichtidentität des Thomas Anglicus mit Thomas Sutton s. Theissing, Cowton 16). 222 OT 11314,12-315,2. 22 3 OT II 315,3-11; 403,17-19. 224 AL 1 , 1 - 5 5,15f: solo differentia casu. Der hier gebrauchte caywj-Begriff hat nicht den speziellen Sinn des Beugefalls, sondern, wie Boethius selbst in seinem Kategorienkommentar vermerkt, den weiteren Sinn der Veränderung der Laut- bzw. Schriftgestalt (PL 64,167: nominum transfigurado; s. auch OP II 144,7 (c. 3): hoc est, sola terminatione).
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2. Kapitel 225
deutete , subsumiert Ockham in Sent (anders als in SL) unter die oben bereits definierte neuere Bezeichnung 226 "konnotative Begriffe" 2 2 7 . Daß aber in bezug auf Gott nicht nur solche konnotativ-denominativen, sondern auch was225
Diese Bestimmung, die Ockham OT II 330,14-331,3 und OP II 144ff (insbesondere 145,27-32) voraussetzt (wahrscheinlich auch in OT III 8 , 1 9 - 9 , 6 , wo er konkrete Begriffe in ähnlicher Weise bestimmt wie OT II 308f denominative, diesen Begriff aber nicht verwendet), und die sich bei Duns, Opera (Paris) I 207 (Super Universalia Porphyrii q. 16) Nr.3 findet, ist durch die Beispiele, die Aristoteles und Boethius geben, geprägt. 226 Prantl, Logik III 134 Anm. 598, findet den Begriff connotativus erstmals bei Duns. OP I 35 Anm.2 verweisen die Hg. zu Recht auf Thomas, ST I q.31 a.5 ad 3 (Thomas, Opera II 247), wo der Begriff connotare fällt. 227 Die Wendung vel connotativus positive vel connotativus negative in OT II 308,13f ist von den Hg. durch die Interpunktion zu Recht als Apposition zu denominativus gedeutet worden (vgl. die Erklärung des conceptus realis denominativus als respectivus non quidditativus in OT I 131,1 lf: Nach ebd. 244,23-245,1 meinen respectivus und connotativus dasselbe). Für diese Deutung spricht, daß im folgenden nicht drei Glieder einer Reihung aufgeführt werden, sondern allein von denominativus die Rede ist (ähnlich OT I 141,22-142,5, wo Ockham aus Ausführungen über konnotative Begriffe [OT I 139,1-141,14.15-21] mit ex istis patet Schlüsse für denominative Begriffe zieht). Zudem soll der Begriff denominativus nach OT II 308,12f einer sein, der institutus ad significandum aliquid et ad aliud consignificandum ist, was der Definition konnotativer Begriffe in OP I 36,38f entspricht, und nach OT II 425,6f werden denominative Begriffe anhand ihrer verschiedenen Konnotate unterschieden. In dieselbe Richtung weist auch, daß Ockham in OP I 36,46f erklärt, konnotative Begriffe würden definiert, indem ein Teil im Nominativ, einer in einem obliquen Fall stünde, die Bildung eben solcher Sätze aber — anhand desselben Beispiels albus — in Sent I d.2 q.9 als notwendig zur Verifikation denominativer Begriffe bezeichnet (OT II 309,4—15; eine zweite Möglichkeit denominativer Begrifflichkeit ist nach dieser Stelle die Definition selbst, in der etwas im obliquen Fall ausgedrückt wird [OT II 309,15 — 18]). Wie hier albus kann an anderen Stellen auch creativus sowohl als denominativer Begriff (OT II 315,19f) als auch als konnotativer oder respektiver Begriff (OT I 50,3 [bezogen auf ebd. 49,21f]) bezeichnet werden. Diese Nähen, Überschneidungen und Gleichsetzungen weisen darauf hin, daß auch in diesem Zusammenhang Ockhams Terminologie nicht ohne weiteres von der späteren Terminologie her gedeutet werden darf: Die Nähe der Definition von denominativus in Sent I zur Definition von connotativus in SL ist signifikant höher als die zur Definition von denominativus in OP II 144 — 147! Für den konkreten Textzusammenhang bedeuten diese Überlegungen, daß hier unbeschadet der späteren terminologischen Differenzierung denominativus als unter connotativus eingeordnet zu verstehen ist. In diesem Sinne hat auch die Redaktion den Text verstanden, die in den ersten Teil des Satzes parallelisierend und eindeutig als Apposition einschiebt: non connotans aliquid (OT II 308,11). Entsprechend geht übrigens ohne terminologische Begründung offensichtlich auch Adams, William Ockham 945, von Identität oder zumindest Entsprechung beider Begriffe aus.
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heitliche Begriffe vorliegen, legt Ockham im Anschluß an Duns 228 dar: Wenn denominative Begriffe von etwas ausgesagt werden, so muß man stets fragen, ob sie von etwas Denominativem oder von etwas Washeitlichem ausgesagt werden. Gelangt man hier nicht in einen unendlichen Regreß (dessen Unmöglichkeit in diesem Zusammenhang Ockham voraussetzt, aber nicht darlegt 229 ), so endet die Nachfrage bei einem washeitlichen Begriff, weswegen es einen washeitlichen Begriff geben muß, der von Gott univok aussagbar ist 230 . Aus der Faktizität der Gottesrede folgt also, daß auf Gott quidditative Allgemeinbegriffe univok angewendet werden. Aus dieser univoken Begrifflichkeit ist sogar ein Eigenbegriff ableitbar. Wenn viele Allgemeinbegriffe denselben Gegenstand benennen, ergeben sie alle zusammen einen diesem Gegenstand eigenen Begriff 231 , und eben auf die Weise gibt es für Gott einen uns möglichen Eigenbegriff 232 , der freilich, obwohl Gott selbst einfach ist 233 , kein einfacher, sondern ein aus sprachlichen Perfektionsaussagen 234 zusammengesetzter Begriff ist 235 , der das göttliche Wesen lediglich prädikativ zu umschreiben (circumstare) vermag 236 . Ein einfacher Begriff von Gott ist uns nur als konnotativer oder negativer möglich 237 . Diese konzeptuelle Gotteserkenntnis, deren defizitären Charakter Ockham durch einen Vergleich mit der Erkenntnis einer Farbe durch einen Blinden 238 illustriert, bestimmt die allgemeinmenschliche, vorwissenschaftliche irdische
228
S. Duns, Opera (Vaticana) III 16f Nr.25. Ockham kann mit diesem Argument sonst durchaus kritisch umgehen (s. OT II 355,3—6); vgl. zu den verschiedenen Verwendungen des Argumentes bei Ockham Barela, Cause. 230 OT II 315,12-316,6.17f; vgl. Längsten, Concept 125; Menges, Univocity 164f; Muralt, Univocité 581; Rijk, Antimetaphysiker 320. Aufgrund dieser eindeutigen Aussage ist es unrichtig, wenn Leff, Knowledge 15, meint, nach Ockham könnten auf Gott nur konnotative und negative Begriffe angewendet werden (ähnlich Beckmann, Subjekt 10: Der "univoke Terminus bezeichnet nichts, was zum Wesen der betreffenden Dinge gehört"). 231 O T I I 403,19-24. 232 OT I 203,9-15; II 403,24 -404,24. 233 OT VII 318,6f im Kontext eines Kopfargumentes, aber in Ockhams eigener Argumentation ebd. 319,20—23 vorausgesetzt. 234 S. OT II 98,3 — 17. Perfectiones sind solche Prädikate, aus deren Prädikation nicht folgt, daß das, wovon sie prädiziert werden, unvollkommen sei. Etwas anderes ist die reale perfectio, dies wäre allein die essentia divinai 235 OT I 2 6 7 , 5 - 7 ; II 402,22; 404,15f; vgl. IX 381,16-382,56 sowie Ghisalberti, Ockham 125; Hochstetter, Studien 113; Klocker, Cognoscibility 83. 236 OT II 33,6f. 237 OTII 405,5-13. 238 OT II 314,12-315,2. 229
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2. Kapitel
Gotteserkenntnis 239 als Erkenntnis Gottes in einem anderen seiner selbst. Als solche ist sie einerseits Grundlage der metaphysischen Gotteslehre, die bei Ockham gelegentlich auch theologia naturalis heißt 240 , andererseits erkenntnistheoretische Grenzbedingung der akademischen Theologie als lehrhafter Disziplin 241 , die vermittels der Offenbarung die materialen Grenzen natürlich entstandener Gotteserkenntnis 242 , nicht jedoch die formale Begrenztheit irdischer Gotteserkenntnis sprengen kann.
5.3. Folgerungen aus der Konzeptualität irdischer Gotteserkenntnis 5.3.1. Der Mangel an Evidenz und
Wissenschaftlichkeit
Diese konzeptuelle Erkenntnis Gottes bietet nun keine unmittelbare Erkenntnis Gottes selbst wie die abstraktive oder die intuitive243, und damit fehlen ihr die Erkenntnisformen, die Grundlage evidenter Erkenntnis sein können 244 . Mithin können aus ihr nach dem bislang Dargestellten keine evidenten und also auch keine wissenschaftlichen Kenntnisse folgen.
239
Ockham spricht von der Gotteserkenntnis in via ex puris naturalibus (OT I 203,20f). 240 OT I 365,8-16; vgl. Ghisalberti, Dio 278, der hier von einer "teologia razionale" spricht. 241 Daß es sich hier um eine Bedingung handelt, die auch für die akademische Theologie als Grenze gilt, zeigt sich daran, daß die theologia-nostra-PToblcmzlik in Sent I q.9 zur Bestimmung des subiectum theologiae herangezogen wird (OT I 268,12ff), nachdem in q.7 bereits das Thema der akademischen Theologie eingeführt worden und, wie die Rede vom habitus theologiae in q.8 zeigt, bestimmend für die folgenden quaestiones geworden ist. 242 Theologia nostra kann auch Sätze über die Trinität enthalten (OT I 269,25f). 243 Die deflatorische Unmöglichkeit intuitiver Gotteserkenntnis für den Erdenpilger ist ohnehin aus den bisherigen Ausführungen deutlich, und wenn Saranyana, Fe 870f, durch die konzeptuelle Gotteserkenntnis die Möglichkeit abstraktiver Gotteserkenntnis gegeben sieht, geht dies am Text vorbei: Die konzeptuelle Gotteserkenntnis führt Ockham in OT II 403,17-405,4 erst ein, nachdem er ebd. 4 0 3 , 5 16 die Möglichkeit abstraktiver Gotteserkenntnis ausgeschlossen hat (daß es an dieser Stelle um abstraktive Gotteserkenntnis geht, zeigt das darauf bezogene dubium ebd. 405,20—22 und Ockhams Antwort darauf ebd. 410,10—14), also als zusätzliche Möglichkeit! 244 Vgl. die Rekonstruktionen der Ockhamschen Begründung mangelnder Evidenz für die konzeptuelle Gotteserkenntnis bei seinem Zeitgenossen Chatton, Reportatio 129,15 —130,20, und bei Cazzola Palazzo, Osservazioni 311.
Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes
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5.3.2. Die Möglichkeit metaphysischer Gotteslehre: Der Beweis der Existenz Gottes Damit aber erscheint auch die Möglichkeit evidenter metaphysischer Erkenntnis von Gott gefährdet 245 . In der Tat war es bis zu der mit P.Boehner eintretenden Forschungswende nahezu Opinio communis der philosophischen Historiographie, daß nach Ockham eine Metaphysik nicht möglich sei246. Mittlerweile neigt man eher zu der Annahme, Ockham habe Metaphysik als "Wissenschaft im aristotelischen Sinne" verstanden 247 — was in dieser Formulierung sicherlich der Modifikation bedarf: Im aristotelischen Sinne ist die Metaphysik Weisheit 248 , wohl deswegen, weil sie ihre Prinzipien wie ihre Schlüsse umfaßt 249 — wie andere wissenschaftliche Disziplinen auch 250 . Der Kern der genannten Deutung ist also so zu verstehen, daß die in der Weisheit implizierte scientia251 im Falle der Metaphysik im aristotelischen Sinne scientia proprie dicta und die Metaphysik mithin im institutionellen Sinne eine Wissenschaft ist. Da von Ockham hierüber aber keine expliziten Äußerungen erhalten sind, vor allem der Metaphysikkommentar, den zu schreiben er wahrscheinlich vorhatte 252 , fehlt 253 , kann man lediglich erschließen, daß Ockham sich metaphysische Erkenntnis auch als beweisbar und evident, also als wissenschaftlich, dachte. Dabei geht es im hier vorliegenden Kontext nicht um die gesamte Metaphysik, sondern speziell um die metaphysische Gotteslehre. Da der Gottesbegriff ein conceptus compositus ist, gilt für ihn das, was allgemein für solche zusammengesetzten Begriffe gilt: Der Mensch erkennt, daß es das dem Begriff
245
Das hat schon scharf auch Chatton, Reportatio 208, gesehen, der aus dem Erdenpilgerdasein des Menschen die Unmöglichkeit des Gottesbeweises folgert. 246 S. Junghans, Neuere Forschung 186—190. 247 Honnefelder, Zweiter Anfang 185; aufgenommen bei Leibold, Metaphysik 123. 248 O T I 199,5f. 249
Zu dieser Füllung des Weisheitsbegriffs s. OT I 222,18f. OT I 224,1-3. 251 Ο Τ Ι 222,19-21. 252 S. OP IV 14,118f und die zugehörige Anm. 253 Aus diesem Fehlen zu folgern, Ockham habe diesen Kommentar nie vorgelegt (so Boehner, Metaphysics 375; Honnefelder, Zweiter Anfang 185; Leibold, Metaphysik 123; Richter, Metaphysik 427), gibt definitives Wissen vor, das wir nicht haben. Immerhin hat noch Wadding, Scriptores 156b, einen solchen Kommentar gekannt und verweist sogar, was er bei den meisten Werken Ockhams nicht tut, auf Handschriften, die seinen Text bieten — was zwar keine Authentizität beweist, aber bezüglich ihrer Bestreitung vorsichtig machen sollte. 250
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Entsprechende gibt, ehe er erkennt, was es ist254. Diese vor allen quidditativen Bestimmungen ansetzende Existenzerkenntnis sichert Ockham schon in Sent I d.2 q.10 255 durch einen auf dem Gedanken der causa conservons (Erhaltungsursache) basierenden Gottesbeweis 256 : Hinsichtlich der Erhaltungsursächlichkeit ist ein Regreß ins Unendliche nicht möglich, weil — anders als bei der reinen Wirkursache, die, wie sich an der menschlichen Generativität zeigt, nicht zwingend dauerhaft mit ihrem Effekt zusammen bestehen muß257 — ein solcher Regreß das gleichzeitige Bestehen mehrerer unendlicher Entitäten erforderte258, was nach Aristoteles unmöglich ist259. Schon mit diesem Beweis der Existenz Gottes bewegt Ockham sich auf schwierigem Gebiet: Er hat eine solche Möglichkeit für den Erdenpilger keineswegs immer als normalerweise gegeben gelehrt, sondern im Gegensatz hierzu in Sent I d.3 q.4 auf die Frage, wem die Existenz Gottes beweisbar sei, allein durch Verweis auf den, der Gott abstraktiv oder intuitiv erkenne, geantwortet260. Zwar hat er damit nicht explizit auch andere Beweismöglichkeiten ausgeschlossen, doch paßt eine Deutung im Sinne des Ausschließens nicht nur dazu, daß es kaum erklärbar ist, warum Ockham die genannte Frage nur teilweise beantworten sollte, sondern vor allem zu Ockhams sonstiger Evidenzlehre, die ja intuitive oder abstraktive Erkenntnis als Grundlage von evidenter Erkenntnis (die für einen bewiesenen Schlußsatz vorauszusetzen wäre) verlangt261. 254
OTII 401,18-402,7. Zu den anderen Stellen, die denselben Beweis bieten, s. Boehner, Beweis 406-409. 256 Vgl. hierzu vor allem die grundlegende Studie von Boehner (Boehner, Beweis), sowie Bendiek, Gottesbeweise 312; Ghisalberti, Gott 67; Hochstetter, Studien 114 Anm. 1. Hier findet sich nun übrigens in der Tat eine deutliche Nachwirkung bei Descartes: s. zur Zentralität des bei Ockham erstmals gebrauchten (Woods, Nature 84) conservano-Argumentes bei Descartes Hübener, Descartes 506f. 257 O T I I 354,16-355,11. 258 OTII 355,12-356,1. 259 OT II 3 5 6 , 1 - 4 . Die Hg. verweisen hierzu auf Metaphysik 11,2 (994 a 1 - 9 9 4 b 31) und Averroes, Kommentare VIII f. 15 r -16 v . Beide Stellen aber setzen lediglich die eigentliche Referenzstelle voraus, an der Aristoteles begründet, daß es Unendliches nur potentiell, nicht aktuell gebe: Physik 111,4-6 (202 b 3 0 - 2 0 7 a 32 [AL VII/1.2 109-129]); zum conservado-Beweis vgl. auch OP VI 767-769. 260 OT II 441,8 — 10. Daß die abstraktive oder die intuitive Erkenntnis für den Gottesbeweis ausreichen kann, beruht darauf, daß Ockham erklärt hatte, intuitive Erkenntnis erkenne einen Gegenstand zwar als existierend, abstraktive könne aber durchaus seine Existenz erkennen (OT I 48,9f). Dies übersieht Hochstetter, Studien 111, wenn er meint, Ockham halte prinzipiell daran fest, daß die Erkenntnis von Existenz nur intuitiv möglich sei. 261 Entsprechend der Feststellung Ockhams, die allgemein von den Gelehrten vertretene Deutung von demonstratio sei die als syllogismus faciens scire (OT I 81,12 — 16), wird auch in dieser Diskussion diese Bedeutung von "Beweis" zugrunde gelegt. 255
Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes
155
Der oben angeführte Existenzbeweis hingegen ist mittels der allgemeinen Evidenzlehre Ockhams auf der Grundlage bloß konzeptueller, nicht abstraktiver oder intuitiver Erkenntnis Gottes, nicht erklärbar. Auch der Gedanke, man gelange eventuell in dem Schlußsatz Deus est ("Gott existiert") zu einer solchen Evidenz ermöglichenden Erkenntnis Gottes, muß ausgeschlossen werden: Ockham bestreitet ausdrücklich, daß aufgrund eines Rekurses von den Geschöpfen auf Gott, wie ihn dieser Beweis ja darstellt, in irgendeiner Weise die inkomplexe Erkenntnis Gottes über das schon vorher Gegebene hinaus erweitert werden könne 262 . Noch deutlicher wird die Schwierigkeit, in die Ockham sich mit seiner Konzeption irdischer Gotteserkenntnis hineinbegeben hat, bei der Frage, wie die quidditative Erkenntnis Gottes im Rahmen metaphysischer Gotteslehre möglich sein soll. 5.3.3. Das Ockhamsche Argumentationsdefizit: Wie kann das Wesen Gottes wissenschaftlich erkannt werden? Daß Wesenserkenntnis vermittels der konzeptuellen Erkenntnis möglich ist, ist ganz offensichtlich Ockhams Überzeugung: Nicht nur die Existenz Gottes ist nach dem Sentenzenkommentar beweisbar, sondern auch seine Einheit, seine Güte und andere Eigenschaften 263 . Es besteht also nach Ockham für den Erdenpilger die Möglichkeit beweisbarer, d.h. evident erkannter Rede von Gottes Wesen. Allerdings will Ockham bei den metaphysischen Beweisen einer Gefahr, sich bei Cowton gezeigt hatte, entgehen. Dieser hatte zwar sachlich Gotteserkenntnis ebenso wie Duns erklärt 264 , aber dennoch behauptet, durch die Erkenntnis der Eigenschaften Gottes, weil sie mit Gottes Wesen sammenfielen, auch das Wesen Gottes erkannt werde 265 , so daß bei ihm 262
die die daß zudie
OT I 202,15-203,8; vgl. II 400,4-8. Vgl. Klocker, Cognoscibility 79. Problematisch ist allerdings der Beweis der Einheit: OT II 413,16—24 wird die Beweisbarkeit von unitas und perfectio Dei in Aufnahme einer Aufreihung verschiedener Eigenschaften aus ebd. Ζ 8. 10 behauptet, und auch in OT I 217,13 versichert Ockham, Gottes Einheit könne evident erkannt werden. Auch OT II 356,16 sagt er lediglich, es sei difficile hoc probare, und spricht ebd. 357,2 davon, sein Argument sei probabile, schließt aber damit - im Gegensatz zur Redaktion (OT II 357,8f) - die Beweismöglichkeit nicht definitiv aus. Diese frühe Bejahung der Beweisbarkeit der Einheit Gottes übersehen Baudry, Univocité; Ghisalberti, Dio 285f, und Hochstetter, Studien 115, die durchweg das Ockhamsche Denken von den Quodlibeta mit ihrer Ablehnung der Beweisbarkeit der Einheit Gottes (OT IX 3,43-52) her systematisieren. 264 So das Fazit bei Theissing, Cowton 61. 265 Nos possumus (...) demonstrative cognoscere aliquid de Deo quod sie est sibi proprium (...) quod illud est essentia Dei (zit. nach Theissing, Cowton 54 Anm. 25). 263
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natürliche Erkenntnis durch die Erkenntnis in einem anderen (den Arten) hindurch zur Wesenheit Gottes selbst vordrang 266 . Demgegenüber 267 will Ockham zwar aufrechterhalten, daß quidditativ von Gott geredet wird, aber betonen, daß dadurch nicht Gott erreicht wird: Die Beweise erfolgen auf rein konzeptueller Ebene, und so wird Gott selbst überhaupt nicht tangiert. Ein Beweis ist ausdrücklich nur insofern möglich, als die Begriffe in einfacher Supposition stehen 268 , wiewohl sie gleichzeitig — aber dies dem Beweisgang gegenüber indifferent — auch (personal) für Gott supponieren 269 . Damit ist Ockham — in dem Bemühen, Cowtons radikale Folgerungen in der Bejahung natürlicher Gotteserkenntnis abzuwehren — zu einer Auffassung von der Möglichkeit metaphysischer Gotteslehre gelangt, die er innerhalb seines Systems nicht mehr vollständig erklärt, und die auf seinen Denkbahnen auch kaum zu erklären ist: Die einfache Supposition ist nach der Ordinatio (Sent I d . 2 q.4 und d.4 q . l ) ein rein innermentaler Vorgang, in dem Begriffe für nichts als Begriffe supponieren 270 . Wenn also z.B. ein in einfacher Supposition 266 Sequitur quod possimus cognoscere quidditatem Dei in particulari et multo venus quam quidditatem alicuius intelligentiae (zit. nach Theissing, Cowton 60 Anm. 38). 267 Der Bezug Ockhams auf die Argumentation Cowtons wird aus folgendem deutlich: Das von ihm abgewiesene Argument: Nos demonstramus unitatem de Deo et perfectionem simpliciter, sed non demonstramus nisi cognoscamus quid demonstramus, igitur cognoscimus unitatem Dei, perfectionem simpliciter et huiusmodi (OT II 413,16-19), findet sich zwar nicht wörtlich, aber sinngemäß bei Cowton, vor allem die beiden folgenden Elemente: 1. der "dialektische Trick" (Theissing, Cowton 53) des Schlusses von einer Erkenntnis de auf eine Erkenntnis mit dem Erkannten im Akkusativ: Vel ergo simpliciter nihil cognoscimus de Deo, vel, si aliquid cognoscimus, cognoscimus quidditatem eius (zit. nach Theissing, Cowton 53f Anm. 24; daß hier cognoscere statt demonstrare steht, ist ein unbedeutender Unterschied, da Cowton cognoscere demonstrative und demonstrare promiscue gebraucht [s. das Zitat ebd. 54 Anm. 25]). 2. die Behauptung, daß mit dem Beweis der Einheit Gottes eben jene Einheit Gottes erkannt werde, die dieser selbst ist, was Ockham OT II 413,20ff ausdrücklich abweist: Possumus cognoscere demonstrative Dei unitatem (...) et possumus scire quod haec omnia sunt illud idem quod ipse (...). 26 » OT II 413,22-414,2. 269 OT II 414,3f. 270 OT II 137,6f; III 7,18f; aufgenommen für den hier vorliegenden Zusammenhang in OT II 413,22—414,2. Dieser klaren Aussage, daß einfache Supposition sich allein auf Begriffe beziehe, scheint OT II 243,1—3 zu widersprechen: si autem 'animal' supponat simpliciter, aut supponit pro aliqua vera re, aut pro ente tantum in anima, aut pro aggregato. Diese Aussage hat aber eine lediglich rhetorische Funktion in Auseinandersetzung mit Heinrich von Harclay: Die Auffassung, die einfache Supposition könne pro re erfolgen, wird sogleich ad absurdum geführt, denn
Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes
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stehender Satz Deus est unus ("Gott ist einer") bewiesen würde, so könnte dies nur heißen, daß der Begriff Deus Einheit und nicht Pluralität aufwiese 2 7 1 , es würde aber über die extramentale Entität "Gott" nichts gesagt. Solche Beweise auf rein begrifflicher Ebene wären dementsprechend keine metaphysische Aufgabe, sondern eine logische 272 , und auf ihrer Grundlage wäre eine metaphysische Gotteslehre nicht zu erstellen, wie sie Ockham anstrebte, der von den Begriffen, in denen Gott erkannt wird, erklärt hat, wiewohl Gottes Wesen selbst durch sie nicht erkannt werde, würden sie doch von seiner Natur prädiziert 273 . Die Zweifel an der Möglichkeit wissenschaftlicher Gotteslehre werden nicht nur durch das Problem der einfachen Supposition genährt, sondern auch durch andere verstreute Äußerungen Ockhams: Gerade im Rahmen der Gotteslehre hat er festgestellt, daß das, was wir in dem sprachlichen Rahmen der uns möglichen Rede von Gott als Bedingungen feststellten, möglicherweise nicht diese Entität müßte, da Ockham offensichtlich voraussetzt, daß einfache Supposition ein Stehen für Allgemeines bedeutet (vgl. OT II 257,15—17; Gegensatz ist hier ebd. Z. 18: pro re et personaliterl), allgemein sein (ebd. 3), was aber von keiner Entität gilt: nulla res extra animam (...) est universalis (OT II 248,23—149,1; vgl. zum Zusammenhang von communis und universalis ebd. 122,7—9). Also kann es keine einfache Supposition pro re geben. Der innermentale Bezug der einfachen Supposition gilt auch für die Reportado (s. OT V 227,1 If) und die SL (s. OP I 196,26-32), ist also von den oben (1. Kapitel 1.2.) skizzierten Entwicklungen Ockhams in dieser Frage nicht betroffen. 271 Vgl. die Argumentation Ockhams in OT I 137,22-138,1: Si enim in ista propositione 'omnis homo est risibilis' uterque terminus supponeret pro se, (...) tunc denotaretur quod iste conceptus esset Ule et quod passio esset subiectum, die allerdings durch die Formulierung pro se eher auf die materiale als auf die einfache Supposition verweist (s. OP I 196,40). 272 OT II 136,15f. Auch bei den nach Sent I d.2 q.l aufgrund einfacher Supposition verifizierten Aussagen: risibile est passio hominis, homo non est passio hominis (OT II 24,23f) handelt es sich, da ja prädiziert wird, passio, also ein Begriff (s. OT I 134,2f), zu sein bzw. nicht zu sein, allein um Aussagen über Begriffe als Begriffe, und zwar über die Teile der wahren Aussage homo est risibilis, über die gesagt wird: "Die Teile dieser Aussage sind Begriffe einer bestimmten Art". Daß die Aussage homo est risibilis selbst aber wahr ist, läßt sich nicht hierdurch, sondern nach obigen Ausführungen zu Ockhams Wahrheitstheorie allein durch die Feststellung sichern, daß Subjekt und Prädikat für dasselbe supponieren, und das heißt, da risibile als passio ein conceptus praedicabilis de aliquo pro re, non pro se (OT I 134,2f) ist, daß sie für dieselbe reale Entität supponieren, was nur in personaler Supposition geschehen kann. Insofern sind die obigen Aussagen letztlich mittelbar in ihrer Verifikation von der personalen Supposition abhängig, unmittelbar freilich, und darum geht es Ockham im Zusammenhang, allein in einfacher Supposition verifizierbar. 273 OT II 3 2 , 1 1 - 1 4 .
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Bedingungen der Realität, sondern der Sprache selbst seien 274 . An anderer Stelle wiederum hat er konzediert, daß man aus Nominaldefinitionen Rückschlüsse auf die Realität ziehen könne275 — und der Begriff "Nominaldefinition" ist wohl das höchste, was dem conceptos compositus zuzugestehen wäre 276 —, aber zugleich ausdrücklich abgewiesen, daß es sich bei solchen Schlüssen um Beweise handeln könne277. Die damit gestellten Probleme könnten zu einer grundsätzlichen Kritik an metaphysischer Gotteslehre führen: Die personale Supposition kann als Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnis in diesem Bereich nicht dienen, da, sofern die Begriffe personal supponieren, mangels Objekterkenntnis keine Evidenz erreicht werden kann, die einfache Supposition jedoch ist offensichtlich nicht in der Lage, zu Aussagen über die den Begriffen korrespondierende Realität zu fuhren 278 . Folgte man Ockhams Gedanken konsequent, so wäre der Abschied von der metaphysischen Gotteslehre wohl unausweichlich. Eine solche Folgerung setzt aber heuristisch die erst zu Beginn einsetzende grundsätzliche Metaphysikkritik 279 voraus. Ockham sich davon wenig irritiert und erklärt über die Attribute Gottes diese würden pro Deo prädiziert 280 : Der nicht begründete Schluß
der Neuzeit selbst zeigt unverwandt, von der ein-
™ O T I I 376,15-19. 275 OT I 174,16 - 2 0 , sogar mit der Rede von demonstrationes. 276 So deutet Ockham ihn ausdrücklich in OT II 415,16-20. Diese Deutung setzt er auch sonst gelegentlich voraus: OT I 203,14f; 267,8f (hier noch zusätzlich: primum) füllt Ockham den conceptus proprius Gottes durch ens infinitum et summum - eben dies ist nach ebd. 112,23-113,2 die Nominaldefinition Gottes. Für Gott als simplex muß aber eigentlich jegliche strenge Definition ausscheiden: nullum simplex potest definiti definitione proprie dieta (OT III 208,22f; ebd. 249,24; 250,11 — 16 ausdrücklich auf Gott bezogen). 277 OT I 174,20-24: non faciunt scire\ 278 Selbst mit der von Ockham zumindest terminologisch nicht gesehenen Möglichkeit einer hypothetisch-personalen Supposition wäre eine Wissenschaftlichkeit der Metaphysik im Ockhamschen Sinne, d.h. eine Evidenz produzierende Beweisbarkeit, nicht zu erreichen, da eben die bloß hypothetische Setzung des Supponierten die evidente Prinzipienerkenntnis nicht stützen könnte. 279 S. Rentsch, Metaphysikkritik 1280-1282. 280 OT I 49,18-20; II 66,9f; 408,20 -409,10.18 - 2 3 . Diese Frage der Supposition spielt merkwürdigerweise in der bisherigen Diskussion keine entscheidende Rolle. So sagt z.B. Leibold, Metaphysik 125, zwar zu Recht, daß in Sätzen wie ens est univocum Deo et creaturae oder Deus est ens der Term ens einfach supponiert (so Ockham ausdrücklich in OT VIII 41,303-309), fragt aber nicht, wie der Term Deus supponiert bzw. supponieren kann. Beckmann, Subjekt 8, setzt dagegen voraus, daß in Deus est ens die Terme personal supponierten — was nicht nur der angegebenen Stelle OT VIII 41 widerspricht, sondern gänzlich die Problematik des Bezuges von Begriff und Realität "Gott" aufeinander überspringt.
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fachen Supposition auf die personale wird von ihm einfach unreflektiert vollzogen 281 . Das so bei Ockham festzustellende Argumentationsdefizit resultiert aus einer Diskrepanz zwischen Erkenntnisinteresse und Systemzwang. Der Systemzwang ergibt sich daraus, daß Ockham die Mängel der theologia nostra in eine allgemeine aristotelische Erkenntnistheorie einbettete 282 , wodurch von den Mängeln der theologischen Erkenntnis auch die metaphysische Gotteserkenntnis mitbetroffen war. Eben dem aber widersprach Ockhams offensichtliches Interesse 283 , das sich in der Mißachtung aller von ihm selbst erarbeiteten Erkenntnisgrenzen in seinen eigenen metaphysischen Versuchen zeigt: Die Grenzen des 14.Jahrhunderts, für das die Metaphysik eine Selbstverständlichkeit war, hat Ockham nicht gesprengt 284 . 5.3.4. Die Änderung des Problemhorizontes
in den Quodlibeta
Den Versuch, die Unterscheidung zwischen metaphysischer und theologischer Gotteserkenntnis erkenntnistheoretisch zu reformulieren, hat Ockham später zugunsten einer traditionellen Unterscheidung anhand der Gottesbegriffe 285 281
Dadurch ist im Denken Ockhams jener Widerspruch angelegt, der die Kontroverse zwischen Boehner und seinen Gegnern markiert (s. hierzu die Darstellung der Kontroverse um Ockhams Gottesbeweis bei Junghans, Neuere Forschung 221—227; die Möglichkeit eines Gottesbeweises bei Ockham haben z.B. Becher, Gottesbegriff 390, und Betzendörfer, Glauben 259, bestritten). Beide Seiten isolieren Aspekte eines bei Ockham nicht konsistent geklärten Komplexes: Boehners Betonung, daß Ockham einen Gottesbeweis durchgeführt habe, kann nur belegen, daß Ockham faktisch von der Möglichkeit metaphysischer Gotteslehre überzeugt war. Sie kann aber nicht widerlegen, daß diese bei Ockham keine zureichende Begründung gefunden hat. Klarer als Boehner hat dieses Problem Hochstetter, Studien 117, erfaßt, der Ockham treffend "jene typische Unbedenklichkeit und Sorglosigkeit, die eine Weltanschauung oft gegenüber den sie tragenden Grundbegriffen beweist", attestiert hat. 282 Die Nötigung zu einer solchen einheitlichen, alle Menschen gleichermaßen umfassenden Erkenntnistheorie resultierte möglicherweise aus dem von Doyle, Desintegration, nachgezeichneten Niedergang der augustinischen Erkenntnistheorie in der mittleren Franziskanerschule. 283 Ein solches Interesse Ockhams, die metaphysische Gotteserkenntnis argumentativ zu stützen, konstatiert auch Leff, Ockham 398. 284 So auch Richter, Metaphysik 427. 285 S. z.B. Thomas, der aus der allgemeinen Möglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis (ST I q.12 a.12 [Thomas, Opera II 201]) die Trinitätslehre ausnimmt (ST I q.32 a.l [ebd. 234]; ähnlich Duns, Opera [Vaticana] I 26 Nr. 44). Dieselbe Unterscheidung findet sich bei Ockham schon OT I 464,3-15. Wenn Ghisalberti, Dio 284 (ähnlich Cazzola Palazzo, Osservazioni 324), diese Äußerung aber von Pascal her als Unterscheidung des Gottes der Philosophen von dem der christlichen Offenbarung deutet, übersieht er, daß es Ockham allein um die Erkenntnis ein und desselben
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aufgegeben, wie sie faktisch ohnehin die Folge seiner Überlegungen gewesen war: In den Quodl unterscheiden sich metaphysische und theologische Gotteserkenntnis allein dadurch, daß diese Gott als den faßt, der besser ist als alles andere286 (was definitorisch seine Einzigkeit impliziert), jene aber ihn als das faßt, dem gegenüber nichts besser sein kann287 (was eine Pluralität von Gottheiten ermöglicht). Die Unterschiedenheit ist hier also allein auf der konzeptuellen Ebene anzusetzen, und auf diese Weise will Ockham theologische und metaphysische Gotteserkenntnis stärker gegeneinander absetzen: Während mit dem theologischen Gottesbegriff Gottes Existenz unbeweisbar ist, ist sie mit dem philosophischen beweisbar288. Den Unterschied versucht Ockham auch in Quodl II q.3 erkenntnistheoretisch auszuführen, ohne zu einem konsistenten Bild zu kommen: Einerseits lehrt er hier im Gegensatz zu Sent, daß der zusammengesetzte Eigenbegriff von Gott keine evidente Erkenntnis ermögliche289, andererseits behauptet er, der Satz aliquid est primum movens ("Etwas ist der erste Beweger") könne im Gegensatz zu dem Satz aliquid est Trinitas ("Etwas ist die Trinität") auch ohne Voraussetzung intuitiver Erkenntnis evident erkannt werden290, ohne daß für diese von seiner allgemeinen Evidenzlehre abweichende Behauptung, die ja neben intuitiver und abstraktiver Erkenntnis eine dritte Erkenntnisquelle voraussetzt, die offensichtlich auch nicht die konzeptuelle ist, eine noetische Begründung geliefert würde. Obwohl er also in den Quodl die Notwendigkeit, Metaphysik in völliger Selbständigkeit gegenüber der Theologie zu begründen, stärker sieht als in Sent, und dies vermittels einer Unterscheidung verschiedener Gottesbegriffe durchzuführen sucht, bleibt seine Stellung zur Wissenschaftlichkeit metaphysischer Gotteserkenntnis ähnlich aporetisch wie in Sent: Er hält daran fest, ohne eine konsistente Erklärung zu bieten.
Gottes auf unterschiedliche Weisen geht. Einen Gegensatz zwischen beiden Konzeptionen, wie ihn ein Pascal vermittels einer Negation formuliert ("Dieu d'Abraham, Dieu d'Isaac, Dieu de Jacob, non des philosophes et des savants" [Pascal, Oeuvres XII 4]), findet man bei Ockham nicht. 286 OT IX 478,84-87; vgl. ebd. 1,18-2,19. 287 OT IX 479,95-98; vgl. ebd. 2,19f. Ghisalberti, Gott 66 - 69, nimmt allein diesen doppelten Gottesbegriff auf, nicht aber die vorangegangenen Schwierigkeiten Ockhams in der Abgrenzung von Metaphysik und Theologie. 288 OTIX 1,17-3,59. 289 OT IX 121,95f; 490,75f. 290 OTIX 122,126-130.
Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes
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6 . D e r theologische Horizont
6.1. Die Funktion der theologia 6.1.1.
beatorum
Thomas: Die theologia beatorum als Stabilisierungsfaktor Wissenschaftlichkeit der Theologie auf Erden
für die
Schon oben war darauf hingewiesen worden, daß der Ausgangspunkt für die in diesem Kapitel nachvollzogene Entwicklungslinie von Ware bis Ockham mit ihrer starken Betonung des Erkenntnissubjektes darin zu finden ist, daß Ware bestimmte Seitenargumente des Thomas in den Mittelpunkt seiner eigenen theologischen Wissenschaftstheorie rückte. Diese Akzentverschiebung soll nun noch einmal eigens untersucht und so gezeigt werden, was eigentlich der theologische Hintergrund der verschiedenen r/ieo/ogz'a-Spekulationen, die hier dargestellt wurden, ist. Thomas hat in D e Trin p . l q.2 a.2 und in ST I q . l a.2 zur Lösung des Prinzipienproblems der Theologie die Subalternationstheorie eingeführt 291 , nach der unsere theologische Erkenntnis zwar nicht auf evident erkannten Prinzipien aufbaue, dies aber ihren Wissenschaftscharakter nicht mindere, weil sie nicht eine übergeordnete Wissenschaft, sondern eine abgeleitete sei abgeleitet aber von einer Wissenschaft, die selbst volle Evidenz besitze. Diese übergeordnete Wissenschaft sei das Wissen Gottes oder der Seligen. Obwohl also sowohl scientia beatorum als auch scientia Dei, was die Frage der Evidenz angeht, als Gegensätze zur sacra doctrina, also der irdischen theologischen Lehre, behandelt werden, besteht ihre argumentative Funktion doch darin, ein Stützargument für die Aussage, sacram doctrinam esse scientiam ("daß die heilige Lehre eine Wissenschaft sei") 292 , zu bieten. 6.1.2.
Die theologia beatorum als Gegenbild zur theologia nostra bei von Ware und seinen Nachfolgern
Wilhelm
Von dieser bei Thomas zu beobachtenden Doppelheit der Funktion der theologischen Kenntnisse der Seligen für die Lehre von der irdischen Theologie Gegensatz einerseits, positives Stützargument andererseits — bleibt bei den Autoren der an Wilhelm von Ware anknüpfenden franziskanischen Linie um 1300 nur die Gegensatzfunktion wissenschaftstheoretisch bedeutsam 293 , und 291
Thomas, Opera II 185; IV 524; vgl. Köpf, Wissenschaftstheorie 1 4 5 - 1 4 9 . Unrichtig ist es, wenn Quinn, Certitude 123, erklärt, nach Thomas rühre die Gewißheit des Glaubens aus selbstevident erkannten Prinzipien. 292 ST I q. 1 a.2 (Thomas, Opera II 185). 293 Die Stützfunktion wird auch von Ockham in Quodl V q.3 durchaus erwähnt und bejaht (OT IX 487,11 — 13), aber gerade, um den Gegensatz zwischen Seligen und Erdenpilgern zu betonen!
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2. Kapitel
dies beruht auf der Aufnahme und Kritik des Thomanischen beatorum-Argumentes durch Wilhelm von Ware.
scientia-
Ware profiliert die evidente Gotteserkenntnis Gottes und der Seligen lediglich als Gegenbild zu unserer theologischen Erkenntnis 294 , und darin folgen ihm Duns, Cowton und Ockham 295 . Das Argument, das Ware in seiner Kritik an Thomas vorbringt, wirft diesem unzureichenden Aristotelismus vor, bleibt also in philosophischen Bahnen: Auch für die Prinzipien einer subalternierten Wissenschaft sei zumindest ein gewisses Maß an Evidenz erforderlich 296 . Diese Betonung der Evidenzfrage in kritischer Auseinandersetzung mit dem Thomanischen Modell, die sich bei Ware ebenso findet wie bei dem Dominikaner Herveus Natalis 297 , die also nicht etwas spezifisch Franziskanisches, sondern ordensübergreifend war 298 , zeigt, daß die Veränderung der Funktion 294
S.o. 1. Ockham hat für das Thomanische Modell nur noch das durchaus unfreundliche Verdikt puerile übrig (OT I 199,9-18); vgl. auch die Kritik von Cowton, Sentenzenkommentar 259,17ff, an Thomas. 296 Ware, Hs. Wien 1424 f. 7 V A-B: Ad primum pro opinione thomae dicitur, quod ad rationem scientie subalternate perfecte duo requiruntur. Quod scilicet sua principia aliquo modo evidenter cognoscantur et non quod solum credantur (...). in proposito autem principia sunt solum eredita nobis et ideo de eis non est scientia nobis (vgl. Grabmann, Erkenntnis- und Einleitungslehre 296); vgl. a.a.O. 6VB (als eines von mehreren Argumenten gegen Thomas): Si de credibilibus esset scientia aut hoc est propter firmam adhesionem ipsis prineipiis aut propter illationem conclusionum ex prineipiis. Non primo modo, quia adhesio ista principaliter est per voluntatem, sed adhesio, que facit ad scientiam, est ex parte intellectus et hoc ex evidentia rei (...) Necpropter illationem (...). Aureoli, Scriptum I 140,72-89 nimmt zwar eines der Wareschen Argumente ohne Evidenzterminologie, nämlich das der Überordnung der Prinzipien über die Schlüsse auf (s. Ware, Hs. Wien 1424 f. 6VB: conclusiones non sunt note secundum se nisi propter notitiam principiorum. Quia propter unumquodque quod, et illud magis, primo posteriorum, ut, si conclusiones sunt note propter principia, et principia magis), ist aber für diese Frage insofern interessant, als er ebd. 145,2 (q. 1 Nr.46) Wares Position zur Theologie geradezu als direkte Antwort auf Thomas ansieht: Nach Referat und Kritik der Thomanischen Position leitet er zu Ware mit den Worten propter quid alii dicere volunt über. 297 Herveus, Defensa 36*: Eine Argumentation aus nicht evident Erkanntem, wie es die Theologie ist, kann nicht evident erkannt und damit auch nicht scientia subalternata sein. 298 Die Positionen zum Thomanischen Modell gingen ohnehin quer zu den Ordenszugehörigkeiten: Während die Franziskaner Walter von Brügge (s. Köpf, Wissenschaftstheorie 148) und Richard von Mediavilla (s. Theissing, Cowton 120) 295
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der theologia beatorum bei Ware gegenüber Thomas sich zumindest zum Teil der verstärkten Thematisierung der Evidenz im Anschluß an die Verurteilung des radikalen Aristotelismus 1277 verdankt, also einem apologetischen Interesse 299 . Die Lösung des durch die Thematisierung der Evidenz gestellten Problems erfolgte nun theologisch durch eine theologisch-anthropologische Erkenntnislehre: Schon bei Ware erscheint der Begriff, der später auch bei Ockham eine große Rolle spielt: viator300. Indem Ware zugleich in besonders scharfer Weise die Bestimmung der theologia durch ihr Objekt von der durch das Erkenntnissubjekt trennt 301 , bekommt eben dieses in seiner ví'ator-Existenz eine zentrale Rolle für das Theologieverständnis: Ohne gegenüber Thomas einen stärkeren Erkenntnismangel des Erdenpilgers zu behaupten, gibt Ware diesem Erkenntnismangel einen höheren systematischen Stellenwert als der Aquinate, insofern er aus einem durch die Subalternationstheorie überbrückbaren einen im Rahmen der Wissenschaftstheorie unüberbrückbaren Gegensatz macht. 6.1.3. Die Eschatologie als der theologische Rahmen der theologischen Erkenntnistheorie bei Ware und den englischen Franziskanern Der theologische Rahmen, in den Ware und seine Nachfolger durch den Begriff viator die Mangelhaftigkeit menschlicher theologischer Erkenntnis stel-
die Thomanische Subalternationstheorie zumindest in modifizierter Form aufgenommen haben, haben umgekehrt dominikanische Theologen wie Wilhelm Petri de Godino (s. Grabmann, Erkenntnis- und Einleitungslehre 359—362), Herveus Natalis (Herveus, Defensa 36*), Thomas Anglicus (s. die Zitate bei Krebs, Theologie 31*) und Thomas Sutton (s. Theissing, Cowton 126) um 1300 auch die Schwächen der Thomanischen Lösung erkannt (vgl. Finkenzeller, Offenbarung 201-204). 299 Im Falle Wares ist die Frage der Verbindung von scientia proprie dicta und Evidenz zwar, wie oben (1. Kapitel Anm. 394) gezeigt wurde, wahrscheinlich, aber nicht sicher. Sicher ist lediglich, daß bei ihm, kenntlich eben an seiner Auseinandersetzung mit Thomas, die Evidenzfrage einen zentralen wissenschaftstheoretischen Stellenwert hatte. Diese Betonung der Evidenz aber hat Ware von dem an der Verurteilung beteiligten Heinrich von Gent bzw. von dem in dieser Frage von ihm abhängigen Gottfried von Fontaines aufgenommen — möglicherweise sogar schon im Kontext der Thomaskritik: Gottfried selbst hatte in seinem Quodl XIV q.5 das Argument des Evidenzmangels gegen Thomas vorgebracht (Gottfried, Quodlibeta IV 401). Daß dieses Argument gegen die Thomanische Subalternationstheorie erst nach 1277 plausibel wurde, könnte erklären, warum die Kritik dieses Modells erst relativ spät, "in einem zweiten Stadium der Diskussion" (Köpf, Wissenschaftstheorie 148, d.h. anscheinend erst gegen Ende des von Köpf untersuchten 13.Jahrhunderts), eingetreten ist. 300 S. das Zitat o. Anm. 3. 301 S. ebd.
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2. Kapitel
len, ist bestimmt durch die Opposition zum beatus302. Der zentrale Charakter dieser Opposition hat sich an den oben vorgestellten Reflexionen zur theologia beatorum als dem eigentlichen Gegenbild der irdischen theologischen Erkenntnis gezeigt: Der Mangel der irdischen Erkenntnis wird - soweit es um die de potentia ordinata gesetzte Ordnung geht — beschrieben als Mangel an beatitudo, also an zukünftiger Seligkeit303. Keine große Rolle spielt dagegen die sachliche und begriffliche Gegenüberstellung zum Urständ 304 . Der Mensch vor dem Fall wird zwar einmal in der Argumentation des Duns erwähnt, und in diesem Zusammenhang der Zustand des Erdenpilgers auch als status naturae lapsae ("Stand der gefallenen Natur") gefaßt 305 , und auch für Ockham ist ausdrücklich die Erbsünde Ursache des Mangels an visio306, doch ist dies ein Gedanke, der bei Ockham wie bei seinen Vorgängern für das Theologieverständnis keine tragende argumentative Funktion besitzt: Für eine inhaltlich durchaus bejahte sündentheologische Begründung der Mangelhaftigkeit menschlicher Erkenntnis interessieren sich diese Franziskaner aufgrund der bei ihnen letztlich erfolgenden Rückführung von Straf- und Belohnungszusammenhängen auf die voluntas divina ("göttlicher Wille"), die die Sünde als Ursache des Mangels ar. visio in den Zusammenhang nicht der Anthropologie, sondern der Gotteslehre stellt307, 302
S. Schütz, Thomas-Lexikon 849, mit der Opposition viator-comprehensor, die sich bei Ockham gelegentlich auch findet (OT IX 487,2f; Goldast II 470,45ff). Die Füllung von comprehensor erfolgt auch bei den älteren Autoren durch beatitudo (s. Schütz, Thomas-Lexikon 143); vgl. Duns, Opera (Vaticana) I 1,12-14 Nr. 1. Sehr richtig definiert Baudry, Lexique 295, den viator als "l'homme en marche vers la vision béatifique". Später, im OpXCD, kann Ockham viator (in OPol II 673,102ff in der Argumentation des Papstes) und homo mortalis (ebd. 674,170. 178 in der Antwort darauf) als austauschbar behandeln. 303 Diese reine Zukunftsorientierung wird ganz explizit in OT IX 491,85f, wonach der Mensch primo viator und post beatus ist. 304 Dieses Zurücktreten des Gewichts der augustinischen Erbsündenlehre bei Ockham vermerkt - anhand der Willenslehre - auch Hochstetter, Viator 7. 305 Duns, Opera (Vaticana) I 21,12-16 Nr.37. Dies heißt lediglich, daß es auch möglich ist, den status iste dem Urständ gegenüberzustellen. Dies geschieht ähnlich auch in Ord IV d.l q.3 Nr.7, wo Duns den status in via sowohl dem status patriae als auch dem status innocentiae gegenüberstellt (Duns, Opera [Paris] XVI 130). Entscheidend ist aber, daß allein schon durch die Rede von der theologia beatorum im Zusammenhang der Darlegung des Theologieverständnisses als primäre begriffliche Opposition zum viator der beatus erscheint. 306 OT VII 54,13f; vgl. auch später Goldast II 550,50-60. 307 Dies wird ganz deutlich, wenn Duns in Ord I d.3 p.l q.3 Nr. 187 als Grund für den gegenwärtigen Status unzureichender Erkenntnis die mera voluntas Dei oder die iustitia puniens angibt (Duns, Opera [Vaticana] III 114,4f). Gilson, Duns Scotus 69f, erklärt zwar zu Recht, beides schließe sich nicht aus — aber die Harmonisierung nimmt eben Gilson und nicht Duns vor: Diesem war die Begründungsfrage so wich-
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offensichtlich weit weniger als für das zukünftige Sein des Menschen und die eschatologische Aufhebung seiner jetzigen Begrenzung: Der theologische Kontext für ihre erkenntnistheoretischen Überlegungen ist nicht die Begründungsfrage und damit nicht die Hamartologie 308 , sondern die Eschatologie 309 . 6.2. Die argumentative Leistung der Lehre von der theologia beatorum und der theologia nostra im Hinblick auf die apologetische Situation Wenn sich diese franziskanische theologia-beatorum-Konzeption zumindest teilweise einer apologetischen Situation gegenüber den radikalen Aristotelikern, deren Evidenzbegriff das Thomanische Modell unhaltbar gemacht hatte, verdankt, ist auch zu fragen, welches Profil die von Ware entwickelte, mit den von Thomas übernommenen Begriffen operierende neue Konzeption innerhalb dieser Diskussionssituation hatte, was also die Waresche Änderung an argumentativen Vorteilen brachte, um die gegen Thomas gerichtete Kritik zu entschärfen.
tig nicht, daß er eine mögliche Alternative zu einer eindeutigen Antwort aufgelöst hätte. Auch bei Ockham bedeutet die Begründung der poena aeterna mit der Sünde des Bestraften einerseits (OT I 504,10—14) und des Mangels des Bestraften an beatitudo mit der voluntas divina andererseits (ebd. 505,lf) keine Identität beider Größen, denn die Sünden-Straf-Relation kann von Gott suspendiert werden: Nach Sent IV q.3—4 kann de potentia absoluta auch ein Mensch, der in Todsünde lebt, der visio divinae essentiae teilhaftig werden (OT VII 47,13—21): Den letzten Ausschlag gibt allein der göttliche Wille, die Sünde hat nur sekundärursächlichen Charakter. 308 Auffällig ist diese argumentativ geringe Gewichtung der Sündenlehre vor allem im Blick darauf, daß Ware, Duns und Ockham ja der franziskanischen Tradition entstammen, deren Lehrer Bonaventura die mangelnde Erkenntnis des natürlichen Verstandes (und das hieß in seiner konkreten Auseinandersetzung: der Philosophie) im Hexaëmeron, Collatio VII, gleich doppelt mit der Sündenlehre erklärt hatte: Inhaltlich erfaßt die nicht erleuchtete Philosophie die Sündenlehre nicht (Bonaventura, Opera V 367a), und die Sünde führt generell zur Einschränkung der intellektuellen Fähigkeiten (ebd. 366b —367a; vgl. Dettloff, Bonaventura): Aus der franziskanischen Tradition heraus hätte es Anlaß zur betonten Einordnung der Mangelhaftigkeit menschlicher Erkenntnis in die Sündenlehre gegeben. Auffällig ist das Fehlen eines Hinweises speziell bei Ockham auch deswegen, weil in seinem späteren Denken, im Kontext der Naturrechtsspekulation, der Verweis auf die erbsündliche Situation im Unterschied zur urständlichen eine große Rolle spielt (s. OPol II 432 — 436; 439,361-367; vgl. Leppin, Ockham; Miethke, Sozialphilosophie 467). 309 Daher konzentriert Gilson, Duns Scotus 14. 16f, die theologische Erkenntnislehre des Doctor subtilis allzu sehr auf die Sündenlehre (ähnlich in bezug auf Ockham Krop, Self-Knowledge 83; Vossenkuhl, Ockham 127, die den Erdenpilger in falscher Akzentsetzung allein als den Menschen nach dem Fall definieren).
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2. Kapitel
Die erste Leistung ist offenbar eine Betonung der Reduktion des Geltungsbereichs der Philosophie. Dadurch, daß in den Mittelpunkt der Bestimmung der Bedingungen von Theologie die theologische Anthropologie mit ihrer Einteilung des menschlichen Daseins in verschiedene Stände rückt, wird deutlicher als bei Thomas, dem es gerade um die Überbrückung dieser Unterschiede ging, daß die Philosophie, die Defizite in der menschlichen Gotteserkenntnis feststellt, allein auf den Menschen in einem bestimmten Status zu beziehen ist, nicht aber auf den Menschen überhaupt. Explizit findet sich diese Stoßrichtung an einer Stelle bei Duns Scotus, wo dieser die Anthropologie des Aristoteles ausdrücklich lediglich auf den Menschen pro statu (...) isto ("nach diesem gegenwärtigen Stand") bezieht310. Damit aber werden auch Totalaussagen wie die aus Aristoteles zu folgernde, daß Gott für den Menschen generell nicht intuitiv erkennbar sei311, nun auf den Menschen in einem bestimmten, theologisch definierbaren Stand, den Erdenpilgerstand, beschränkt, ohne daß die Philosophie selbst diese Beschränkung erkennen und analysieren könnte. Wenn aber der Geltungsbereich der Philosophie so eingeschränkt ist, kann sie von den Theologen für eben diesen reduzierten Erkenntnisbereich ohne weiteres betont rezipiert werden: Ockham stellt, wie oben gezeigt wurde, in Sent Prol q.7 eine den Philosophen zugeschriebene und an These 37 der Verurteilung von 1277 anklingende Konzeption mit einer offensichtlich an Ware orientierten Position, der er sich nachher anschließt312, als die Meinungen, die die pars negativa ("verneinende Seite") bezüglich der Wissenschaftlichkeit der akademischen Theologie vertreten, also sich (und ihm) in ihrem Ergebnis entsprechen, zusammen: Die Theologie kann hier aus theologischen Gründen der kritischen Position der Philosophen zustimmen, was umgekehrt heißt: Die philosophische Kritik ist für die Theologie nicht fundamental313. Die philosophische Kritik an der Theologie wird also durch die grundlegende Orientierung an einer v/a/or-Anthropologie zugleich entschärft und integriert.
310
Duns, Opera (Vaticana) I 37,15 Nr.61. S. hierzu OT I 434,23-435,4. 312 Ο Τ Ι 192,22-193,9. 313 Den Gedanken, daß Ockhams Theologiekonzeption als apologetisch zu verstehen sei, hat auch Guelluy, Philosophie 255, angedeutet, freilich nicht ausgearbeitet: Er zeigt keine argumentativen oder konzeptionellen Entsprechungen auf, sondern verweist nur allgemein auf die Bedeutung des Glaubens bei Ockham und das, "qu'on pourrait appeler l'apologétique de l'époque". 311
Möglichkeit und Weisen der Erkenntnis Gottes
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7. Zwischenergebnis Es konnte bisher gezeigt werden, daß Ockham eine Linie englisch-franziskanischen Denkens konsequent weiterführte, indem er sich in Fragen der Begründung der Theologie verstärkt dem erkennenden Subjekt zuwandte. Dies ging bei ihm so weit, daß er hinsichtlich der normalerweise dem Erdenpilger gegebenen Möglichkeiten Ansätze zu einer terminologischen Trennung zwischen der Rede von der Theologie als akademischer Disziplin und der Rede von der dem Erdenpilger möglichen irdischen Gotteserkenntnis zeigte, also den rein erkenntnistheoretischen Fragestellungen, die das vorliegende Kapitel bestimmten, gegenüber wissenschaftstheoretischen, die im folgenden Kapitel behandelt werden, eine erhöhte Selbständigkeit gab. Gerade die Konzentrierung auf das gemeinmenschliche Erkenntnissubjekt, dessen Schranken in der Gotteserkenntnis normalerweise durch bloße Konzeptualität und daraus folgende mangelnde Evidenz gekennzeichnet sind, führte Ockhams System aber auch in Probleme hinsichtlich der Grundlegung der Metaphysik, die dem Venerabiiis Inceptor selbst aber anscheinend entgangen sind. Hinsichtlich der theologischen Motivationen Ockhams und seiner Vorgänger wurde festgestellt, daß die Mangelhaftigkeit menschlicher Erkenntnis von ihnen nicht primär sündentheologisch bedacht wird, sondern eher im Horizont der Eschatologie. Es konnte gezeigt werden, daß diese theologische Theoriebildung einer Anthropologie im Horizont der Eschatologie sich zumindest zum Teil einer apologetischen Situation gegenüber den radikalen Aristotelikern des 13.Jahrhunderts verdankt und in dieser Diskussionssituation die Funktion erfüllt, den Aussagebereich philosophischer Theorien zu reduzieren und so zugleich die Möglichkeit zu schaffen, die reduzierten philosophischen Aussagen in die Theologie zu integrieren.
3. Kapitel: Die akademische Theologie als scientia large dicta nach dem Sentenzenprolog
1. Ockhams Grundlegung der Theologie zwischen Glaube und Studium 1.1. Theologie und Glaube Ist die allgemein-menschliche Grundlage der Erkenntnis Gottes primär nur defizitär als Mangel an voller Erkenntnis bestimmbar, so ist, schreitet man zur Darlegung der Ockhamschen theologischen Wissenschaftstheorie im engeren Sinne, also zur Untersuchung der Ockhamschen Grundlegung der Theologie als akademischer Disziplin, zu fragen, auf welcher Grundlage, wenn nicht der von intuitiver oder abstraktiver Gotteserkenntnis, neben der konzeptuellen Gotteserkenntnis diese akademische Theologie überhaupt zu einem Erkenntnisgewinn führen kann. Zentrale Funktion besitzt dabei der Glaube, denn die Ockhamsche Argumentation baut auf der Theologiedefinition Augustine (De Trin XIV, c . l Nr. 3) auf: Non utique quidquid sciri ab homine potest in rebus humanis, ubi plurimum supervacuae vanitatis et noxiae curiositatis est, huic scientiae tribuo, sed illud tantummodo quo fides saluberrima, quae ad veram beatitudinem ducit, gignitur, nutritur, defenditur et roboratur. ("Nicht schlechterdings alles, was vom Menschen in menschlichen Belangen gewußt werden kann — worauf sich unnütze Eitelkeit und schädliche Neugier der meisten richten —, weise ich dieser Wissenschaft zu, sondern jenes allein, wodurch der überaus heilbringende Glaube, der zur wahren Seligkeit führt, bewirkt, genährt, geschützt und gestärkt wird") 1 Diese Definition enthält zwei Aspekte: Final wird die Theologie durch dasselbe bestimmt wie der Glaube: die Seligkeit 2 - was zeigt, daß es in dieser von Ockham aufgegriffenen Definition primär um Theologie auf Erden geht, da die Seligen dieses Ziel ja schon erreicht haben und des Glaubens nicht
1 OT I 7,7—11 (vgl. mit geringfügigen Abweichungen PL 42,1037, aufgenommen und dadurch wahrscheinlich Ockham überliefert bei Lombardus, Sentenzen II 199,3-7); vgl. OT I 273,13f; IX 476,20f sowie die Aufnahme dieser Definition bei Aureoli, Scriptum I 175,16ff (Proömium 1). 2 OT I 7, lOf.
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3. Kapitel
mehr bedürfen, j a , ihn gar nicht mehr besitzen können 3 . Der Glaube aber bestimmt auch material den Inhalt der akademischen Theologie, in der es um die Verteidigung des Glaubens im Sinne dessen, was geglaubt wird, geht 4 . Aufgrund dieser - alten Oxforder Traditionen entsprechenden 5 - Orientierung des Ockhamschen Theologieverständnisses am Glauben setzt eine Darlegung von Ockhams Untersuchung des besonderen Vermögens der akademischen Theologie, die — entsprechend der aus dem vorangegangenen Kapitel bekannten Zuspitzung des Problems auf das erkennende Subjekt 6 — als Frage nach dem Habitus, den der Theologe außer dem Glauben erwerbe 7 (Sent I q.7 8 ), psychologisch formuliert 9 ist, eine Klärung des Glaubensbegriffs voraus. Wenn diese aber in wissenschaftstheoretischer Perspektive geschehen soll, so ist nach dem Verhältnis des Glaubens zu jenem oben erwähnten Schema der habitus veridici aus Eth. Nie. VI,3, das im allgemeinen wissenschaftstheoretischen Bereich die psychologische Einordnung des noetisch entscheidenden scientia-Begñffs gewährleistet hat, zu fragen.
3
OT VI 308,11-309,2. OT I 2 0 6 , 1 2 - 1 4 ; 190,17-19; 197,15. Insbesondere die letzte Stelle, die im Kontext der Ockhamschen Bestimmung des in der akademischen Theologie erworbenen Habitus steht, zeigt den Bezug auf die akademische Theologie. 5 Zit. Köpf, Wissenschaftstheorie 267 bezeichnet die ebd. Anm.33 zitierte Definition Peckhams, die Theologie sei quaedam fidei explicatio als Zusammenfassung der "Ansätze der Oxforder Theologen und Bonaventuras". 6 In der psychologischen Formulierung ist dementsprechend Aureoli, Scriptum I 132ff, Ockham vorausgegangen. 7 Ο Τ Ι 193,14f. « OT I 183,4f. 9 Zu erwägen ist, ob die Behauptung des Aristoteles in De Anima, daß die Psychologie adiuvat magno iuvamento in omni ventate (s. Averroes, Anima 2f [der ALBand zu De Anima ist noch nicht ediert]), zu dieser Betonung psychologischer Überlegungen führte, doch ist dies unwahrscheinlich, da diese Schrift Ockham in der Kommentierung des Averroes vorlag (s. OT I 358,4f m. Anm.; VIII 3 1 , 7 5 - 7 7 ) , dieser aber die entsprechende Aristotelesstelle nicht erkenntnistheoretisch auswertet (s. Averroes, Anima 4 , 1 7 - 5 , 3 7 ) . Eine solche erkenntnistheoretische Ausdeutung erfolgt bei Petrus Hispanus, Anima 2 0 3 , 1 6 - 2 0 (ista scientia talis est quod per ipsam acquiritur cognitio [...] cause cognitionis [...] et per hoc ista scientia influii super omnes alias; vgl. Knebel, Anima 126f) - aber daß Ockham dieser Kommentar bekannt gewesen wäre, ist nicht nachweisbar und wird noch unwahrscheinlicher dadurch, daß sich auch in der einzigen quaestio Ockhams, die den wissenschaftlichen Status der Psychologie behandelt, utrum de anima tamquam de subiecto sit tantum unus habitus scientificus numero exsistens in uno intellectu numero (OT VIII 28ff), keine Anspielung auf jene wissenschaftstheoretische Grundlagenfunktion der Psychologie findet. 4
Die akademische Theologie
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1.2. Die Zuordnung der fides zu den intellektualen Habitus 1.2.1. Das Problem: Der Mangel an Evidenz als Unterschied von fides und intellektualen Habitus Im wissenschaftstheoretischen Kontext kommt der Glaube zunächst allein hinsichtlich seiner Erkenntnisfunktion 10 in Betracht 11 . Selbstverständliche Voraussetzung ist dabei für Ockham, daß der christliche Glaube wie die intellektualen Habitus, zu denen die scientia gehört, Wahrheit gewährleistet 12 , seine Objekte, die einzelnen Glaubenssätze (articuli fidei13), also wie die wissenschaftlichen wahr sind. Daher ist er auch selbst als habitus intellectualis
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S. OT VI 282,12. Sekundär ist angesichts der zitierten Definition auch seine Heilsrelevanz in Betracht zu ziehen. Obwohl der Glaube auch eine Erkenntnisfunktion ist und insofern dem erkenntnistheoretischen Fragekreis des vorangegangenen Kapitels zuzugehören scheint, wird er erst hier untersucht, weil er zum einen — anders als die theologia nostra — keine allgemein-menschliche Erkenntnisbedingung ist, sondern eine nur den Christen und Christinnen gegebene, und weil er zum anderen von Ockham selbst erst im Zusammenhang der Grundlegung der akademischen Theologie thematisiert wird. 12 Die Wahrheit des Glaubens ist sogar größer als die der Wissenschaften (OT I 200,9—11). Von Ockham eine Begründung dieser Voraussetzung zu verlangen, wäre anachronistisch: Nicht einmal die radikalen Aristoteliker hatten explizit die Wahrheit des christlichen Glaubens bestritten (s. Steenberghen, Légende 194f), und das hatten ja auch ihre Gegner ihnen nicht unterstellt: Diese witterten nur die Annahme einer doppelten Wahrheit. 13 Mit Hilfe dieses Begriffs spezifiziert Ockham in OT VII 126,14-19 den Begriff obiectum fidei. Die Übersetzung als "Glaubenssätze" ergibt sich daraus, daß Ockham in OT VI 293,17-20 den articulus fidei als complexum, also als Satz, interpretiert. Im selben Zusammenhang führt er freilich auch eine weitere Bedeutung des Begriffs ein, nach der damit eine bestimmte Thematik (materia) gemeint ist, aus der verschiedene Sätze gebildet werden können. Diese Begriffsdistinktion führt Ockham ein, um begründen zu können, daß man trotz unterschiedlicher geglaubter Sätze von einem gemeinsamen articulus fidei für die Väter des Alten Testamentes und die Christen sprechen kann (OT VI 293,19-294,2). Da diese Begriffsdistinktion aber erstens speziell für diesen argumentativen Zweck eingeführt wurde, zweitens selbst letztlich auf Propositionen bezogen ist (ebd. 293,20) und drittens Ockham den Ausdruck actus credendi aliquem articulum im unmittelbaren Kontext eindeutig auf jene Sätze bezieht, in deren Glauben sich Alter und Neuer Bund unterscheiden (Christus mortuus est einerseits, Christus morietur andererseits [OT VI 294,15-18]), ist für den articulus fidei als Glaubensobjekt die satzhafte Bedeutung von articulus fidei zugrunde zu legen, und damit die oben gewählte Übersetzung. 11
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3. Kapitel
veridicus anzusehen 14 . Ockham weiß zwar, daß Aristoteles den Glauben nicht unter die habitus veridici gerechnet hat, weil Glaube grundsätzlich irren kann 15 , aber genau diese Irrtumsmöglichkeit ist für den christlichen Glauben nicht gegeben 16 . Dennoch unterscheidet sich die christliche fides fundamental von den habitus intellectuales, die Aristoteles aufführt — intellectus, scientia, sapientia, ars und prudentia (Prinzipienhabitus, Wissen, Weisheit, praktische Einsicht, Klugheit) —, da diese evident sind17, der Glaube jedoch, entsprechend der traditionellen Lehre 18 , wie die theologia nostra keine Evidenz besitzt 19 . Dieser Mangel an Evidenz mindert freilich die Gewißheit der Glaubenden in keiner Weise: Wie Thomas 20 unterscheidet auch Ockham zwei Gewißheitsgrade, den des Anhangens (adhaesio) und den der Evidenz 21 , und wenn es
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OT I 200,16—25. Ockham bezeichnet den Glauben hier zwar lediglich einfach als habitus veridicus. Da aber in Z.16f das Thema mit habitus intellectuales veridici angegeben wird und Ockham nicht ausdrücklich sagt, daß die fides nicht-intellektual sei, ist auch sie unter die intellektualen Habitus zu rechnen, zumal der Glaube sich auf Assens bzw. Dissens richtet (OT I 192,15—20), also auf intellektuale Akte (OT I 16,12 — 18). Dies bestätigt sich in Sent IV q.5: Ein Argument (arguitur) setzt hier voraus, daß der Glaube èin intellektualer Habitus sei (OT VII 48,3-9). Das Argument als Ganzes weist Ockham zwar ab (s. ebd. Z.15—20), aber im folgenden basiert seine Argumentation auf der Voraussetzung, daß die Liebe ein Willenshabitus, der Glaube jedoch ein intellektualer sei, da er das in dem von ihm abgewiesenen Argument angesprochene Problem behandelt, ob ein Willenshabitus einen intellektualen Habitus voraussetze (ebd. 49,3 — 12; vgl. 48,5—7). Wenig später erscheint ausdrücklich die Formulierung fidem et alios habitus intellectuales (OT VII 214,12f), und in OT VI 283,6f erscheinen die Glaubensakte ausdrücklich als im Intellekt lokalisiert. 15 Ο Τ Ι 200,19-23. 16 OT I 200,22-25; VI 313,6; IX 231,62f; vgl. Barbaglio, Fede 128. 17 OT I 200,25—201,2. Ockham spricht hier zwar von der theologia, aber von der theologia respectu credibilium, das sind nach ebd. 196,20-197,10 diejenigen theologischen Wahrheiten, auf die sich die fides adquisita bezieht. 18 S. Thomas, Opera III 91 (De Ver XIV,1); Heinrich, Summa f.42vB; Duns, Opera (Paris) XV 8 Nr.5; Aureoli, Scriptum I 156,15-17; Cowton, Sentenzenkommentar 271,33f; vgl. Flasch, Aufklärung 134f. 19 OT I 206,4; VI 299,15: obscuritas convenit fidei. Folglich können aus bloß geglaubten Sätzen keine evidenten Schlüsse gezogen werden, was aufs neue die Kritik an Thomas bestätigt (OT I 189,17-190,12). 20 Thomas, Opera III 91 (De Ver XIV, 1 ad 7). 21 OT I 200,6f. Die Ansicht des Franz von Marchia, daß der Glaube letztlich auf Evidenz fuße (s. Lang, Glaubensbegründung 90f), war Ockham, als er seinen Sentenzenkommentar las, wohl noch nicht bekannt (s. den Nachweis, daß Franz Ockhams Sentenzenkommentar kannte und nicht umgekehrt, in OT VII 16*).
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dem Glauben auch an Evidenz fehlt, so ist er doch ein anhangender Habitus 2 2 , und der Grad solcher Gewißheit ist sogar noch größer als im Falle der Evidenz 2 3 . Den Unterschied zwischen Anhangen und Evidenz bestimmt Ockham nicht explizit. Es ist aber aus seinen Äußerungen zu folgern, daß der Unterschied in der Frage der Beeinflußbarkeit durch den Willen liegt. War oben (1. Kapitel 5.2.3.1.) festgestellt worden, daß die Evidenz inhaltlich dem willentlichen Zugriff entzogen ist, also die durch sie gekennzeichneten intellektualen Habitus tatsächlich allein dem Intellekt zuzuordnen sind, ist das Anhangen inhaltlich, d.h. hinsichtlich der Bejahung oder Verneinung einer Aussage (was als judikativer wiederum ein intellektualer Akt ist 24 ), vom Willen beeinflußbar 2 5 . Bei dem Habitus also, der in der Weise des Anhangens Wahrheit gewährleistet, findet ein Zusammenwirken zwischen Intellekt und Willen statt. Das macht aber einen bedeutenden Unterschied: Der Intellekt selbst kann nur in gänzlich uneigentlichem Sinne als frei bezeichnet werden, nämlich lediglich
22 OT I 198,12-16. Gleiches gilt für die Theologie (OT I 11,4f). Den von Barbaglio, Fede 164f, postulierten zumindest partiellen Rekurs der Glaubensgewißheit auf die vernünftige Abwägung der Glaubensgründe lehrt Ockham nicht: Barbaglio schreibt ihm diese Auffassung aufgrund einer Kombination der Lehre von der Angewiesenheit der fides infusa auf die fides adquisita zu ihrer Aktualisierung (ebd. 159, unter Verweis auf OT VI 290,20-291,8) mit den Ausführungen in Quodl IV q.6 (OT IX 322ff) über die Frage, ob die Verbindung einer Predigt mit Wundern einen anderen als den Glaubensassens bewirke (a.a.O. 145 — 152), zu. Ockhams hier in Auseinandersetzung mit einem Argument Chattons ausgeführten Überlegungen über einen aufgrund argumentativer Auseinandersetzung erfolgenden Willensbefehl zu glauben gelten aber nur für die tugendhafte (aber nicht verdienstliche) Aufrechterhaltung schon zuvor verursachten Glaubensassenses (OT IX 325,59 — 61), ausdrücklich nicht, wie nach OT VI 292,11-17 explizit die Angewiesenheit der fides infusa auf die fides adquisita, für den verdienstlichen Glaubensakt de novo (OT IX 325,61—63; von Barbaglio in seiner Wiedergabe der Textstelle a.a.O. 146 Anm. 55 ausgelassen). Dieser ist nach OT IX 325,61—63 auf die caritas, also eine eingegossene Tugend, angewiesen. In der Tugendeingießung also, nicht in der Vernunftabwägung, liegt der "ultimo fondamento della certezza e fermezza" (Barbaglio a.a.O. 164)! 23 OT I 2 0 0 , 4 - 6 . Ebenso argumentiert auch Heinrich, Summa f.49 v S. 24 Ο Τ Ι 16,12-18. 25 In bezug auf die Theologie: OT I 192,15—20. Dabei ist in Erinnerung zu rufen, daß nach Ockham Wille und Intellekt nicht real getrennte Seelenpotenzen sind, sondern gleicherweise identisch mit der essentia animae und lediglich Verschiedenes konnotierend (zur Deutung von denominare als "konnotieren" s.o. 2. Kapitel Anm. 227): Intellekt bedeutet die substantia animae potens intelligere, der Wille die substantia animae potens velie (OT V 435,4 — 15).
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insofern er nicht gezwungen agiert 26 , nicht aber in dem Sinne, daß er von Notwendigkeit frei wäre 27 . Wenn nun aber dem Intellekt nicht Freiheit im Sinne von Nichtnotwendigkeit zukommt, so agiert er, sofern er aufgrund seiner eigenen Handlungsbedingungen, d.h. nicht durch den Willen fremdgesteuert, handelt, auf notwendige Weise. Das bedeutet nach den obigen Ausführungen zur Notwendigkeit (s. 1. Kapitel 4.3.3.), daß Aussagen, die das alleinige Wirken des Intellekts beschreiben, sofern sie als Möglichkeitsaussagen formuliert sind, niemals falsch sein können, ganz gleich, für welchen einzelnen menschlichen Intellekt intellectus supponiert. Das wiederum bedeutet, daß über verschiedene allein nach ihren eigenen Handlungsbedingungen agierende Intellekte nichts Kontradiktorisches ausgesagt werden kann, und das heißt ontologisch: daß die menschlichen Intellekte, sofern sie nicht durch anderes beeinflußt werden, gleichförmig agieren, d.h. gleiche Effekte erzielen. Für den hier vorliegenden Zusammenhang bedeutet dies, daß die von den intellektualen Tugenden bewirkten evidenten Erkenntnisse universal für jeden und jede evident sind, sofern sie überhaupt aktualisiert sind 28 . Im Gegensatz hierzu kommt dem Willen Freiheit im eigentlichen Sinne zu 29 , so nämlich, daß er ohne Veränderung seiner selbst oder einer anderen Entität gegensätzliche Wirkungen — nämlich das Eintreten oder Ausbleiben eines Effekts — bewirken kann 30 . Dadurch ist er in der Lage, die eine oder die andere zweier gegensätzlicher Handlungen 31 beziehungsweise nacheinander zwei
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OT I 501,13 — 15. Daß dem Intellekt nur diese Art von Freiheit zugesprochen werden kann, geht daraus hervor, daß Ockham erklärt, Freiheit, als vom Zwang unterschieden, müsse improprie Freiheit genannt werden, weil diese auch dem Intellekt zukomme, was gedanklich voraussetzt, daß eine Freiheit, die dem Intellekt zukommt, nur eine uneigentliche sein kann. 27 Freiheit als Gegensatz von Notwendigkeit erscheint erst nach der eben referierten Definition der auch dem Intellekt zukommenden uneigentlichsten Freiheitsbedeutung, in OT I 501,18—20, d.h. es handelt sich hier um eine engere und mithin dem Intellekt nicht zukommende Bedeutung. 28 Zu demselben Ergebnis kommt Beckmann, scientia 645, aufgrund einer Untersuchung der Implikationen des Evidenzbegriffes. Als Grund für eine Nichtaktualisierung ist - neben dem Unwillen (vgl. OT II 438,12-19) - lediglich in OT I 192,11 — 15 Unkenntnis zu finden. Die andere hier genannte Möglichkeit eines Dissenses gegenüber einem evident Erkannten per rationem fortius moventem intellectum kann nur theoretisch gegeben sein, insofern evident nur Wahres erkannt werden kann (OT I 5,19) und eine andere ratio wohl kaum zu einem Dissens gegenüber der Wahrheit führen kann. 29 OT I 501,18-24; IV 580,4-9. Pesch, Freiheit 1086, weist darauf hin, daß diese voluntaristische Freiheitsdeutung auf einer Auseinandersetzung des Duns Scotus mit Gottfried von Fontaines beruht. 30 Ο Τ Ι 501,7-11. OT VII 358,2-5.
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gegensätzliche Handlungen durchzuführen 32 : Beim Willen handelt es sich im Gegensatz zum Intellekt um ein kontingentes, nicht auf notwendige Weise 33 , und damit auch nicht universal gleichförmig agierendes Vermögen, so daß es möglich ist, von verschiedenen individuellen Willenspotenzen Gegenteiliges auszusagen. Während also nicht gesagt werden kann: "Intellekt, erkennt a evident, und Intellekt erkennt nicht-a evident", ist es möglich, zu sagen: "Wille, will a, und Wille 2 will nicht-a". Wenn aber der Wille nicht allgemein ist, dann auch nicht das von ihm gesteuerte Anhangen, obwohl es vermittels intellektualer Akte agiert: Der Glaube ist — im Gegensatz zu Evidenz erzeugenden Habitus — in anthropologischer Hinsicht nur eine partikulare, nicht universal allen Menschen zukommende Größe 34 . Damit verschärft die Einführung der Konzeption des Anhangens noch die Differenz zwischen dem Glauben und den aristotelischen intellektualen Habitus, und damit bleibt die Frage, wie der Glaube angesichts solcher Differenzen als habitus veridicus den anderen intellektualen Tugenden positiv zugeordnet werden kann. Das Problem, das sich hier Ockham stellt, ist freilich nicht neu. 1.2.2. Die Vorgeschichte des Problems 1.2.2.1. Die Verwurzelung des Problems in der Auseinandersetzung radikalen Aristotelikern
mit den
Nachdem sich oben zeigen ließ, daß sich die Lehre von der mittelbaren Evidenz wissenschaftlicher Erkenntnis der Auseinandersetzung mit dem radikalen Aristotelismus verdankt und daß sich daraus auch zumindest partiell die bedeutsame Änderung der Funktion der theologia beatorum gegenüber Thomas erklären ließ, kann nun dargelegt werden, daß auch die Frage der Zuordnung der fides zu den habitus intellectuales ein Problem ist, das in dieser Auseinandersetzung virulent wurde, wenn hier auch, anders als in der Evidenzfrage, kein philologischer Zusammenhang zu Ockham nachweisbar ist. In der Lehrverurteilung von 1277 werden ausdrücklich die virtutes intellectuales der Eth.Nic. genannt - allerdings unter Betonung ihrer ethischen, nicht ihrer kognitiven Relevanz, die dann bei Ockham im Vordergrund stand: Nach These 14435 besteht alles Gute in den virtutes intellectuales, nach These
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O T I V 579,10-20. OT I 501,18-24; IV 580,8f; vgl. Todisco, Spirito Critico 97. 34 Ockham illustriert dies damit, daß es im Falle einer evidenten Erkenntnis der Glaubensinhalte keine Ungläubigen geben könnte (OT I 187,21-188,9); vgl. Cowton, Sentenzenkommentar 271,32f: non est scientia nobis, cuius oppositum volunt ali i sustinere. 35 Flasch, Aufklärung 212. 33
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15736 wurde in Paris gar gelehrt, die virtutes intellectuales et alias morales, d.h. die Gesamtheit der in der Nikomachischen Ethik gelehrten Tugenden, reichten zur Erlangung des ewigen Heils aus37. Diese ethische Argumentation ging aber Hand in Hand mit einer Bestreitung der kognitiven Relevanz der fides. Diese ist schon im Vorwort der Pariser Lehrverurteilung angesprochen, wenn Bischof Etienne Tempier den radikalen Aristotelikern vorwirft, si argumentierten, quasi sint due contrarie veritates ("[...], als gebe es zwei gegensätzliche Wahrheiten")38. Dem korrespondiert, daß sich unter den verurteilten Sätzen solche finden, die der Philosophie einen universalen Anspruch in metaphysischer und naturphilosophischer Hinsicht zusprechen (Thesen 145-147 3 9 ; 15440; vgl. 40 41 ). Sie gipfeln in der Aussage, daß die einzige notwendige Wissenschaft in den philosophischen Disziplinen getrieben werde (These 24 42 ) - was ganz der obigen Aussage zur Ethik entspricht. Dieser Totalanspruch der Philosophie wird mit Angriffen auf die Theologie verknüpft43, etwa dem, quod nichil plus scitur propter scire theologiam ("daß dadurch, daß man den Inhalt der Theologie kenne, nichts zu-
36 Flasch, Aufklärung 221. Hissette, Enquête 263. 265, verweist für beide Thesen auf Aristoteles und Alfarabi. 37 Es ist verengend, wenn Hissette, Enquête 263, die virtutes intellectuales hier lediglich als Weisheit und Philosophie versteht: Gemäß Thomas1 Kommentar zu Eth.Nic. VI, 3 (Thomas, Opera IV 194 [In Eth VI,3,2]) war dieser Begriff im technischen Gebrauch für intellectus, sapientia, scientia, ars und prudentia. 38 Flasch, Aufklärung 89. Die daraus im 19. Jahrhundert konstruierte Theorie einer "doppelten Wahrheit" wurde so wohl von niemandem vertreten (s. Hödl, "...sie reden als ob" 225—227; Steenberghen, Légende). Eine solche Theorie würde bedeuten, daß die radikalen Aristoteliker zwei widersprüchliche Aussagen einfach stehen ließen, sie entschieden sich aber immer für die eine oder die andere Seite (s. ebd. 184. 186. 191. 193), gaben aber nach ebd. 194f möglicherweise Anlaß für eine Interpretation im Sinne der doppelten Wahrheit durch die gelegentlich schroffe Art der Präsentation der gefundenen Widersprüche. 39 Flasch, Aufklärung 212-214. Nach Hissette, Enquête 275f, ist für These 146 eine direkte Quelle nicht nachweisbar, These 145 könnte sich nach ebd. 24—26 auf Boetius von Dacien, These 147 nach ebd. 49 auf Siger von Brabant beziehen. 40 Flasch, Aufklärung 217f; zur Herkunft aus Schriften des Boetius von Dacien s. Hissette, Enquête 19. 41 Flasch, Aufklärung 137f; zur Herkunft aus Schriften des Boetius von Dacien s. Hissette, Enquête 16. 42 Flasch, Aufklärung 121; zur Emendation s. ebd. sowie Hissette, Enquête 26. Ebd. 27 erscheint die Vermutung, es handle sich hier um die Aufnahme eines Referates der Position der antiken Philosophie bei Boetius von Dacien. 43 Flasch betont in seinem Kommentar zu These 24 (Flasch, Aufklärung 121) wohl zu Recht, daß sich diese These vor allem gegen die Theologie richtet.
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sätzlich gewußt wird") 44 (These 153), oder der Behauptung, quod sermones theologi fundati sunt in fabulis ("daß die Reden des Theologen sich auf Fabeln gründen") 4 5 (These 152), und in These 175 kann es dann sogar heißen: Quod lex Christiana impedii addiscere ("Daß das Christentum daran hindert, hinzuzulernen") 46 . Eine Begründung für die (von den Verurteilern zumindest vermutete) Bestreitung der Relevanz der Theologie findet sich in den Thesen, die bereits oben zur Evidenzthematik angeführt wurden: Die Behauptung, daß nur das gewiß sein könne, was auf selbstevident erkannten Prinzipien basiere, in These 151 wird von den Zensoren ausdrücklich mit dem Hinweis verknüpft, das könne nicht stimmen, weil es auch die certitude adhesionis gebe 47 . In die gleiche Richtung weist die These 37 48 , in der nicht nur die Harmonie von Glaube und Vernunft aufgehoben, sondern der Glaube geradezu durch das Wissen ersetzt wird (s.o. 1. Kapitel 5.3.2.). So erscheint in der Pariser Lehrverurteilung von 1277 als — projiziertes oder tatsächliches — Gegenbild der Theologen eine Konzeption kognitiver Gottesund Welterfassung, die dem Glauben jegliche kognitive Relevanz abspricht, indem Gewißheit nicht mehr als certitudo adhaesionis, also als fides, gegeben sein soll, sondern nur noch als basierend auf den durch den intellectus (als Prinzipienhabitus) evident erkannten Prinzipien 49 . Da offensichtlich weder die radikalen Aristoteliker selbst noch ihre Verurteiler die Thesen über die Tugendlehre unmittelbar mit denen über die kognitive Relevanz der fides verknüpft hatten, wurde die Tugendlehre auch in den zeitlich und z.T. inhaltlich der Pariser Lehrverurteilung nahestehenden Theo-
44
Flasch, Aufklärung 217. Eine Quelle für diese Aussage konnte auch Hissette, Enquête 274, nicht finden. 45 Flasch, Aufklärung 217. Hissette, Enquête 274, konnte hierzu keine Quelle finden. Solche Thesen bedeuteten konkret: Das lange zusätzliche Studium der Theologie, als Aufbau auf dem a/?£i-Studium, wird für unnötig erklärt, die Philosophie aus ihrem bloßen Propädeutik-Charakter entlassen. 46 Flasch, Aufklärung 229f. Eine Quelle hierfür konnte Hissette, Enquête 274, nicht finden. 47 Flasch, Aufklärung 216f. 48 Ebd. 134f. Die Herkunft der These konnte Hissette, Enquête 21, nicht nachweisen. 49 Interessant ist hierbei besonders die Begründung von These 151 (Flasch, Aufklärung 216f): Redet die These selbst nur von den Bedingungen der certitudo conclusions, so wird aus dem Begründungssatz deutlich, daß die Gutachter der Meinung waren, hierdurch werde zugleich - wie in These 150 - jegliche andere certitudo ausgeschlossen. Gerade dieser erläuternde und sinnverzerrende Zusatz macht es wahrscheinlich, daß die Pariser Gutachter hier tatsächlich auf einen Satz zurückgriffen, der so gelehrt wurde, wenngleich Hissette, Enquête 20f, nur eine ungenaue Anspielung auf die Physik des Boetius von Dacien nachweisen kann.
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logiekonzepten eines Bonaventura 50 oder Heinrich von Gent 51 , die das Verhältnis von intellectus und fides im Hinblick auf den intellectus als Intellekt, 50 Zur Einordnung Bonaventuras als einer Gestalt, die die (neu)platonische augustinische Tradition gegen die aristotelische ins Feld führte, s. Zavalloni, "filosofare nella fede" 454. Vgl. Flasch, Aufklärung 42—48, zur direkten Auseinandersetzung Bonaventuras mit dem radikalen Aristotelismus. In einer wahrscheinlich (s. Bonaventura, Opera V XLVII) Bonaventura zuzuschreibenden Predigt wird den philosophi (...) negligentes fidem et totaliter se fundantes in ratione, also solchen Philosophen, die einen derartigen Vernunftabsolutismus vertraten, wie er auch in der Lehrverurteilung von 1277 gegeißelt wurde, vorgehalten, sie könnten gar nicht zur vollkommenen Einsicht gelangen (Bonaventura, Opera V 571b; zur Zusammengehörigkeit von ratio und intellectus in dieser Argumentation s. ebd. 567b. 568b): Ohne das Licht des ewigen Wortes kann das Licht der geschaffenen Vernunft keine Entität zureichend erkennen (Bonaventura, Opera V 569b—570a; vgl. zum Hintergrund dieser Überlegungen in einer mystischen Lichterlehre Veith, Mensch als Glaubender 257, sowie das Schema ebd. 266). Die Polemik kann Bonaventura in einer Predigt über den Intellekt darin gipfeln lassen, daß wer keinen Glauben habe, wie einer sei, dessen Hand abgeschlagen sei (Bonaventura, Opera V 345a), und so kann es nach einer anderen, ebenfalls dem Intellekt gewidmeten Predigt, nur die Forderung geben, daß wir unseren Intellekt in die Gefangenschaft (des Wortes) geben (Bonaventura, Opera V 495a). Angesichts solcher Äußerungen, in denen Bonaventura jede autonome Intellekttätigkeit (die er ohne weiteres vermittels der intellektualen Habitus aus Eth. Nie. VI beschreiben kann [Bonaventura, Opera V 356a], womit er also zumindest implizit die bei ihm nach Bougerai, Dossier 199 — 215, nirgends explizit genannte Stelle Eth.Nie. VI,3 zitiert), abwertet, ginge es gewiß zu weit, mit dem bei Zavalloni, "filosofare nella fede" 457, zustimmend zitierten Mariani zu behaupten, man könne bei Bonaventura überhaupt nicht von Antiintellektualismus sprechen — ohne daß dies als Grundtenor des gesamten Wirkens Bonaventuras behauptet werden müßte. Fraglich ist auch, ob man Bonaventuras Ansicht von der Universalität der Theologie allein friedlich-theoretisch deuten darf, wie dies Dettloff, Bonaventura 54, tut, oder ob man sie nach ihrem realen historischen Kontext nicht auch als theologische Stellungnahme innerhalb der bereits durch Lehrverurteilungen geprägten Atmosphäre der Pariser Universität würdigen muß. 51 Auch Heinrich von Gent benutzte Aristoteles nur äußerst kritisch (s. Hödl, Kritische Neuausgabe 144f). Er wendet sich gegen eine Trennung der Erkenntnisbereiche von intellectus und fides (Heinrich, Summa f. 95 v O) — wohl, weil er bei einer solchen eine Trennung dieser Größen selbst als Konsequenz befürchtete. Heinrich geht argumentativ vom intellectus perfectus aus, der den Glauben überflüssig macht — aber diesen, so seine Wendung gegen alle hochfahrenden Vernunftansprüche, gibt es erst in statu patriae (Heinrich, Summa f. 96 r R; vgl. ebd. 96v — 97 r V). Hier aber verfügen wir nur über einen intellectus imperfectus (Heinrich, Summa f. 96 r R), und die Perfektion des intellectus ist angewiesen auf den Glauben, der immer mehr abnimmt, je klarer der Intellekt wird (Heinrich, Summa f. 96VR): fides in statu vite huius (...) est regula et fundamentum intellectus, viam ei préparons quousque visio adveniat (Heinrich, Summa f. 96VT). So ergänzen sich intellectus und
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nicht aber als Prinzipienhabitus behandelten, nicht zum Thema, sondern allein angesichts der primär ethischen Fragestellung des Petrus Johannis Olivi. Dieser kam aufgrund seiner Geschichtstheologie zu einem scharfen Antiaristotelismus 52 , der jegliche autonome Philosophie bestritt 53 : Aristoteles bzw. seine gegenwärtigen Nachfolger galten ihm gar als Vorboten des Zeitalters des Antichrist 54 . Im Zuge dieser Wendung gegen die Aristoteliker wandte er sich auch gegen die Nikomachische Ethik, deren Tugendlehre er in Bausch und Bogen verwarf 5 5 . Diese Verwerfung der aristotelischen Tugendlehre hat, da sie neben den moralischen zentral die intellektualen Tugenden betreffen mußte, nun auch Folgen für das Verständnis von Glauben und Theologie in bezug auf diese: Olivi kann zwar in bezug auf den Intellekt als ganzen sagen, durch den Glauben entstehe der intellectus creditivus56. W o es aber um den intellectus als Prinzipienhabitus, also als intellektuale Tugend geht, grenzt er ihn scharf gegenüber der im Glauben begründeten 57 Theologie ab 58 , wie er
fides gegenseitig in ihrer Wahrheitsfunktion, jegliche Entgegensetzung von fides und Intellekt wird angesichts dieses Ineinander unsinnig (vgl. Hödl, "...sie reden als ob" 241). 52 S. die ausführliche Abrechnung mit der Philosophie in Olivi, De perlegendis libris; vgl. Stadter, Geschichtstheologie 245. Zum Bezug auf die direkte Auseinandersetzung mit den radikalen Aristotelikern s. ders., Psychologie und Metaphysik 339f; ders., Problem der Theologie 114f. 53 Stadter, Glaubensproblem 229. 54 S. die Apokalypsenpostille In Apoc. 8,7: Quod autem fritura tentatio mystici Antichristi non deberet principaliter ex secta Manichaeorum assumi (...) Prima (tentatio) enim erit suorum sequacium praedispositiva ad aliam subsequentem. Ad illam autem longe plus disponet philosophia Aristotelis aut Sarrazenica unum summum deum ponens et temporalia sub aliqua philosophica commensuratione magnificans (...) (zit. nach Stadter, Psychologie und Metaphysik 26 Anm. 39; vgl. ders., Glaubensproblem 227f). 55 Falsam beatudinem ac per consequens falsas virtutes nobis tradiderunt (Olivi, De perlegendis libris 44 Nr.23): Die Tugendlehre gehört nicht zum aliquid veritatis, sondern zum multum falsitatis, das die Philosophen nach ebd. 37 Nr.2 gelehrt haben. Der Bezug auf die Nikomachische Ethik ergibt sich daraus, daß der Titel des Traktates Olivis ausdrücklich von libri Philosophorum, spricht, womit, wie der Text zeigt, primär, wenn auch nicht ausschließlich, die Werke des Stagiriten gemeint sind; vgl. Stadter, Geschichtstheologie 247—251; ders. Glaubensproblem 229ff. 56 Olivi, Summa II 289. Daß der Intellekt im Sinne des vollständigen Erkenntnisvermögens gemeint ist, geht aus der Bemerkung, daß intellectus creditivus est nostra altissima potentia intellectus (Olivi, Summa II 289), hervor. 57 Olivi, Summa I (Stadter) 4,29—32: In der Theologie wird alles per modum magis convenientem fidei quam scientiae behandelt. 58 Ebd. 4,34ff: Der intellectus, qui dicitur habitus prìncipiorum, spielt keine Rolle in der Theologie.
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auch den Glauben selbst gegenüber der ebenfalls zu den intellektualen Tugenden gehörigen scientia abgrenzt59. Die hierin bei Olivi zu findende Neuproblematisierung des Verhältnisses der fides zu den intellektualen Tugenden, das Thomas durch den Entwurf einer Zwei-Stufen-Anthropologie mit einer natürlichen Ordnung, zu der die intellektualen Tugenden aus der Nikomachischen Ethik gehören, und einer übernatürlichen Ordnung, zu der die theologischen Tugenden gehören 60 , in ein harmonisches Gleichgewicht gebracht hatte, ist also Niederschlag seines Antiaristotelismus und hängt damit historisch an der Auseinandersetzung mit dem radikalen Aristotelismus 61 . 59
Ebd. 4 , 2 9 - 3 2 : Der modus magis conveniens fidei quam scientiae schließt Wissenschaftlichkeit der Theologie aus; vgl. Stadter, Glaubensproblem 230; ders., Offenbarung 133. 60 Thomas, Opera II 528 (ST II-II 2,9; vgl. Vos, Aquinas 49ff; Alfaro, Supernaturalitas 526), versteht das credere als Akt des Intellekts, jedoch nicht als solchen, der wie die intellektualen Tugenden (s. AL XXVI/1—3 480,11) bejaht oder verneint (Thomas, Opera III 91 [De Ver XIV, 1]; vgl. Vos, Aquinas 48). Wie diese (Thomas, Opera III 96 [De Ver XIV,8]; IV 194 [In Eth VI,3,2]; II 425ff [ST I-II 57]) aber kann auch die fides als perfectio intellectus gelten (ebd. II 530 [ST II-II 48]), doch auf einer anderen Ebene: Weil die theologischen Tugenden der species nach von den intellektualen Tugenden unterschieden sind (Thomas, Opera II 433 [ST I-II 62,2]), bilden sie gegenüber diesen, die lediglich eine natürliche perfectio intellectus ermöglichen (ebd. [ST I-II 62,2 ad 1]), eine zweite Stufe, die der übernatürlichen perfectio (ebd.; vgl. Alfaro, Supernaturalitas 501 —506; den breiteren theologischen Kontext dieser Zweistufigkeit macht Vanneste, Surnaturel 367ff, deutlich). Allerdings trennt Thomas beide Stufen nicht immer konsequent (vgl. Kunz, Glaube 358f): In ST I-II 67,3 stellt er die fides zwischen opinio und scientia (Thomas, Opera II 440) und ordnet sie damit faktisch linear unter die Begriffe aus Eth.Nie. VI,3 ein. Die zahlreichen Divergenzen und Diskrepanzen im Thomanischen Werk sollten daher nicht vorschnell auf pauschalierende Formeln gebracht werden wie die, bei Thomas gehöre der Glauben "absolut und schlechthin" der übernatürlichen Ordnung an (so Stadter, Glaubensproblem 232). Eher ist festzustellen, daß Thomas hier ein traditionelles Relikt mitschleppt, das eine Kompatibilität von fides und intellektualen Tugenden voraussetzt, die er sachlich gar nicht gewährleisten kann. 61 Möglicherweise hat auch Ockham selbst die Wurzel des Problems in der Auseinandersetzung mit den radikalen Aristotelikern gesehen: In seiner quaestio über die theologischen Tugenden (Sent III q.9) erklärt er: (...) non est impossibile quod Deus ordinet quod qui vivit secundum rectum dictamen rationis sic quod non credat aliquid nisi illud sibi sit naturali ratione conclusum tamquam credendum, sit dignus vita aeterna (OT VI 280,10-13). Die hierin ausgedrückte Gleichsetzung von Glaubensinhalt und Bewiesenem begegnete schon oben, und es konnte wahrscheinlich gemacht werden, daß Ockham sich damit bewußt auf die These 37 von 1277 bezog (s.o. 1. Kapitel 5.3.2.). Der Anspruch aber, ohne Glauben aufgrund der Leitung der Vernunft des ewigen Lebens
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Eine Verbindung Ockhams zu diesem Ursprung der genannten Problemkonstellation läßt sich aber nicht nachweisen, und so ist als entscheidend für seine eigene Denkentwicklung der unmittelbare Kontext, der sein Denken auch in dieser Frage leitete, anzusehen, die Diskussion der Duns-Schule. 1.2.2.2. Ockhams unmittelbare Die Franziskaner um 1300
Diskussionssituation:
Die Schärfe der Ablehnung des Aristoteles, wie sie sich bei Olivi findet, wurde nur von wenigen Denkern geteilt, und auch Duns und seine Schüler versuchten, die fides in ein neues, positives Verhältnis zu den intellektualen Tugenden aus Eth.Nic VI. zu setzen. Duns Scotus hat aufs neue eine Anthropologie, die wie die Thomanische die Trennung zweier Ebenen in den Vordergrund stellt, entworfen, die sich schon in seinem Einwand gegen die Philosophen, daß diese die perfectio naturae bejahten, die perfectio supernaturalis aber verneinten 62 , andeutet: Die fides ist für Duns zwar ein habitus intellectualis, aber ein eingegossener. Als solcher unterscheidet sie sich grundsätzlich von den fünf habitus intellectuals aus Eth.Nic. VI, 3 63 : Zwar sind diese in Ord III d.34 64 , wo Duns die Habitus systematisch in eingegossene und erworbene einteilt, nicht alle explizit genannt, wohl aber deutlich impliziert: Es geht an dieser Stelle nicht primär um einen Ausgleich der virtutes theologicae (theologische Tugenden) mit den virtutes intellectuales (intellektuale Tugenden), sondern dieser geschieht gleichsam beiläufig im Rahmen der hier vorliegenden Aufschlüsselung der sieben vollkommenen Tugenden nach den vier einfachen Kardinaltugenden und den drei theologischen Tugenden 65 . Ausdrücklich genannt wird von den intellektualen Tugenden nur die prudentia unter den habitus adquisiti (erworwürdig zu sein, begegnete oben als auf die Tugenden der Nikomachischen Ethik und mithin auch auf deren intellektuale Tugenden bezogener Inhalt von These 157: Ockham denkt an der zitierten Stelle offensichtlich an die radikalen Aristoteliker (was zusätzlich dadurch wahrscheinlich wird, daß er im unmittelbaren Kontext von philosophi spricht, die — wie die radikalen Aristoteliker [s. Flasch, Aufklärung 174] — die Ewigkeit der Welt lehrten [OT VI 280,13 — 16]), denen er also zugesteht, daß ein Nachweis der Notwendigkeit des Glaubens nicht zu erbringen ist: Ockham weiß, daß das Verhältnis der habitus supernaturales zu den von der Vernunft gelehrten (also auch den intellektualen) Tugenden durch die Position der radikalen Aristoteliker problematisiert worden ist, insofern diese eine konsistente Anthropologie entwerfen, die ohne fides auskommt, und bezieht im oben angeführten Zitat diese Problematik auch unmittelbar auf die kognitive Funktion des Glaubens. 62 Duns, Opera (Vaticana) I 4,14-16. Vgl. Gilson, Duns Scotus 16. 63 In seinem Metaphysikkommentar listet Duns sie ausdrücklich auf (Duns, Opera [Paris] V 457). 64 Duns, Opera (Paris) XV 495. 65 Ebd. 487.
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3. Kapitel
bene Habitus). Offensichtlich impliziert ist die ars durch die Erwähnung des habitus circa factibile ("auf das Machbare bezogener Habitus") 66 unter demselben Oberbegriff. Indem aber unter den habitus intellectuales speculativi das ganze System der Wissenschaften (mit Ausnahme der praktischen) aufgelistet wird 67 , ist hier sachlich auch von der scientia die Rede, die sich damit ebenfalls unter die erworbenen Habitus einreiht. Da die scientia aber auf dem Prinzipienhabitus aufbaut 68 , dürfte auch dieser unter die habitus adquisiti fallen. Ebenso muß man auch die sapientia, die Duns als Steigerungsform des Wissens versteht 69 , unter die habitus adquisiti rechnen. Damit gehören also die habitus intellectuales alle zu den habitus adquisiti70, die fides hingegen zu den habitus infusi (eingegossene Habitus) 71 . Trotz dieser primär an Zweistufigkeit und damit prinzipieller Unterschiedenheit der Habitus verschiedener Herkunft orientierten Anthropologie kann Duns aber auch eine psychologische Kompatibilität von Glaube und intellektualen Tugenden vertreten, indem er den fides-Begriff in fides infusa (eingegossener Glaube) und fides adquisita (erworbener Glaube) aufspaltet. Nur die fides infusa ist ein habitus supernaturalis72 im Sinne der theologischen Tugenden 73 . Die fides adquisita hingegen kann in ein positives Verhältnis zu den habitus intellectuales gesetzt werden, und dies geschieht bei Duns nun, auf der Grundlage präzisierten Vokabulars 74 , entsprechend traditionellen Vor-
66
Vgl. ebd. V 456; AL XXVI/1-3 fase. 4US 481,19-21. Vgl. die Einteilung der scientiae speculativae (soweit es die Real Wissenschaften angeht) bei Duns, Opera (Paris) VII 308-313. 68 Duns, Opera (Paris) XXII 8. 69 Ebd. V 459. 70 Zu ihnen rechnet sie auch Ockham in OT I 200,16-19. 71 Wenn Duns, Opera (Paris) XV 547, dennoch intellectus und scientia als fides infusa deutet, handelt es sich - ebenso wie bei der Deutung der sapientia auf die caritas ebd. - ausdrücklich um allegorische Deutung: Duns betont, daß er in Analogie zum Sprachgebrauch in seibilibus naturalibus spreche, denn sein Ziel ist es in diesem Kontext, die sieben Gaben des Heiligen Geistes nach Jes 11 mit der Lehre von den sieben Kardinaltugenden allegorisch zu verbinden. Der Problemhorizont für diese Verbindung ist von Thomas vorgegeben. Dieser hatte aber das Verhältnis der Tugenden zu den Gaben des Geistes vorsichtiger als Duns in der Weise bestimmt, daß letztere erstere vervollkommneten (s. Weier, Gaben). Schwierigkeiten mit der psychologischen Einordnung der Verheißungen aus Jes 11 hatte auch Ockham, der hierzu erklärt, es sei nicht nötig, intellectus und scientia als eingegossene Habitus zu deuten, aber möglich (OT VIII 244,28-245,37). 72 Duns, Opera (Paris) XV 10. 73 Ebd. 6 - 7 . 74 Dies ist v.a. gegenüber Thomas festzustellen, bei dem Zweistufigkeit und Kompatibilität des Glaubens mit den intellektualen Tugenden unausgeglichen nebeneinander stehen (s.o. Anm. 60). 67
Die akademische Theologie
183
gaben 75 : Die fides adquisita steht über der Meinung und — aus Mangel an Evidenz — unter dem Wissen 76 , und Duns geht hinsichtlich dieser durch das Konzept des erworbenen Glaubens ermöglichten Kompatibilität zwischen Glauben und intellektualen Tugenden sogar noch weiter: Die scientia proprie dicta, die nicht zugleich mit Glauben in bezug auf dasselbe bestehen kann, ist nach ihm allein jene, die in der Zweiten Analytik bestimmt wird 77 . Diese aber trennt Duns von der in Eth. Nie. VI,3 bestimmten habituellen scientia1*. Diese kann zugleich mit Glauben bestehen, ja, sogar mit diesem identisch sein 79 , und so kann der Glauben und mit ihm die Theologie als scientia de revelatis ("Wissenschaft vom Offenbarten") 80 letztlich unter einen der fünf aristotelischen habitus veridici bzw. intellectuals gerechnet werden: Duns schreitet über bloße Kompatibilität hinaus zur Subsumtion. Petrus Aureoli nun geht noch einen Schritt weiter, indem er die Wahrheitsfunktion des Glaubens nicht in der Weise aristotelisch legitimiert, daß er ihn unter einen der in Eth. Nie. VI,3 vorgegebenen Habitus subsumiert, sondern die ja auch bei Duns vorhandene Unterscheidung von fides und scientia aufrechterhält, indem er das aristotelische Schema einfach ergänzt: Die fides ist ein habitus veridicus, aber ein solcher, der sich auf Kontingentes bezieht 81 . Daher muß sie zu den habitus veridici aus Eth.Nie. VI gerechnet werden, kann jedoch unter keinen von ihnen subsumiert werden, weswegen sie als sechster zu den fünf gegebenen hinzutritt. Diese Neuordnung von fides und habitus intellectuales leugnet zwar nicht grundsätzlich die Unterscheidung natürlicher und übernatürlicher Tugenden, drängt aber deren anthropologische Bedeutung in den Hintergrund, insofern die fides, die Aureoli neben die habitus intellectuales stellt und von diesen allein aufgrund ihrer Funktion, 75
Hugo von St. Viktor hat schon vor der Rezeption der Nikomachischen Ethik gelehrt, daß der Glaube zwischen scientia und opinio stehe (PL 176,330). Köpf, Wissenschaftstheorie 132, hat auf den platonischen Hintergrund dieses Gedankens aufmerksam gemacht. 76 Duns, Opera (Paris) XV 8. 77 Ebd. 44 Nr. 13. 78 Duns, Opera (Vaticana) I 145f Nr.212; ders., Opera (Paris) XV 44. 79 Ebd. 44. 80 Ebd.; vgl. Finkenzeller, Offenbarung 216f. 81 Aureoli, Scriptum I 156 (q.l Nr. 83). Obwohl wahrscheinlich ist, daß Aureoli diesen Gedanken in Auseinandersetzung mit Duns entwickelt hat (dies wird daraus deutlich, daß die Einordnung der fides unter die habitus veridici im Kontext einer Abhandlung über die Theologie als Glaubenserklärung [a.a.O. 155-158; Nr. 8 0 88] steht, und Aureoli genau diesen Aspekt ebd. 153 Nr.73 in Auseinandersetzung mit Duns eingeführt hat), ist er nicht der erste, der ihn dachte: Eine Einordnung der fides unter die habitus veridici lehrte beiläufig schon Matthäus, Quaestiones 106,17-19, in einer quaestio also, die nach ebd. 6* um 1277/8 (!) in Paris entstanden ist!
184
3. Kapitel
nicht aber aufgrund ihrer Herkunft unterscheidet, offensichtlich genau die fides ist, die bei Duns und dann wieder bei Ockham fides infusa heißt 82 , also die übernatürliche, so daß die Kompatibilität nicht mehr nur wie bei Duns auf der Ebene der natürlichen Habitus erfolgt, sondern natürliche und übernatürliche miteinander verbindet. Die damit gegebene stärkere Betonung der psychologischen Einheit geht bei Aureoli einher mit einem gegenüber Duns freieren Umgang mit Aristoteles: Anders als Duns Scotus übernimmt er das Schema des Stagiriten nicht starr, sondern entdeckt die Funktionalität auf Wahrheit hin als dessen Leitprinzip und kann es daher ohne weiteres von innen her umgestalten. 1.2.3.
Ockhams Einordnung der fides in das Schema der habitus intellectuals
Ockham folgt nun Aureoli 83 darin, daß er das aristotelische Schema aufgrund der ihm eigenen Funktionalität auf Wahrheit hin umgestaltet, legt dabei aber eine andere Kriterienbildung als Aureoli zugrunde: Während Aureoli zur Umgestaltung des aristotelischen Schemas den Gegenstandsbereich als heuristisches Hilfsmittel genommen hatte, das die Andersheit des Glaubens gegenüber den anderen Wahrheitsfunktionen erklärte, stellt Ockham die oben skizzierte Unterscheidung von Evidenz und Anhangen in den Mittelpunkt, womit er sich erneut als Erbe der fortschreitenden Subjektorientierung in der an Duns anschließenden Diskussion erweist, indem er als entscheidende Differenz des Glaubens zu den anderen Wahrheitsfunktionen eben nicht den Objektbereich herausstreicht, sondern mit dem Gewißheitsgrad eine subjektive Erkenntnisqualität. Mit dieser Einordnung des Glaubens in das Schema der intellektualen Wahrheitsfunktionen 84 wird das traditionell gelehrte erkenntnistheoretische 82
S. Aureoli, Scriptum I 157 (q.l Nr.85); 166 (Nr. 115). Ebd. 153 (Nr. 73) erklärt Aureoli gegen Duns ausdrücklich, wo unmittelbarer Assens zu den einzelnen Glaubenswahrheiten erworben werde, solle man nicht vom Erwerb eines habitus fidei sprechen, sondern vom Erwerb einer sola specificano et explicatio istius fidei, qua creditur tota Scriptum in generali et in communi. 83 Ockham hat den Gedanken der Zuordnung der fides zu den habitus intellectuals wohl nicht aus dem von ihm benutzten Ethik-Kommentar übernommen. Dies war der Kommentar des Eustratius Nicaenus, dessen griechisches Original keinerlei Anhalt für die Einfügung der fides in das aristotelische Schema bietet (s. Eustratius, Ethica 288-291), in der nach Baur, Grosseteste 29*, sehr genauen Übersetzung des Grosseteste (OT I 37*). 84 In welchem Maße dabei gelegentlich die Unterscheidung von natürlicher und übernatürlicher Ebene in den Hintergrund treten kann, zeigt sich in OT VIII 244,28-245,37: Hiernach sind scientia und intellectus in der Regel natürlich erworbene Habitus, können aber auch von Gott eingegossen sein. Die unterschiedliche Herkunft bewirkt aber offenbar keinen nennenswerten Unterschied: illi habitus infusi defacto et adquisiti sunt eiusdem speciei (OT VIII 245,46f)!
Die akademische Theologie
185
Defizit irdischer Gotteserkenntnis zwar zum Kriterium der Andersheit des Glaubens gegenüber den intellektualen Tugenden, zugleich aber wird es dadurch kompensiert, daß Ockham Gewißheitsgrad und Wahrheitsfunktion als nicht notwendig sich proportional zueinander verhaltende Kriterien — entgegen dem Argument der These 37 von 1277, die die Annahme von etwas Erkanntem als wahr an den Gewißheitsgrad seiner Erkenntnis geknüpft hatte 85 . Diese Divergenz von Wahrheits- und Gewißheitskriterium impliziert eine dreifache Sonderstellung des Glaubens unter den intellektualen Habitus: 1. Der Glaube ist nicht wie die anderen evident 86 , sondern erzeugt bloßes Anhangen.
intellektualen
Tugenden
2. Dem entspricht, daß, während bei den anderen intellektualen Tugenden der Dissens oder Assens inhaltlich allein intellektual begründet ist, der Glaubensassens oder -dissens solo imperio voluntatis ("allein auf Geheiß des Willens") erfolgt 87 : Trotz der Kennzeichnung als judikativer Habitus und der damit verbundenen Lokalisierung im Intellekt ist nicht dieser judikativ ausschlaggebend, sondern der von Gott geleitete 88 Wille. Damit nimmt Ockham unter dem neuen Problemhorizont der Tugenddiskussion die traditionelle Lokalisierung des Glaubens zwischen Intellekt und Willen auf«9. 3. Nach obiger Argumentation folgt daraus auch anthropologische Partikularität: Eine allgemeinmenschlich erwerbbare, wenn auch im individuell verschiedenen Maße realisierte Möglichkeit sind nur die fünf aristotelischen intellektualen Habitus, die nach Ockham immerhin soweit einen geschlossenen Lebensentwurf darstellen, daß er es für möglich erklären kann, daß Gott anordnete, wer allein gemäß seiner natürlichen Vernunft lebe, sei des ewigen Lebens würdig 90 . Den sechsten in85
S. Flasch, Aufklärung 134. OT I 2 0 6 , 2 - 5 . 87 OT I 192,16, bezogen auf die Theologie; vgl. die Abhandlung über die Assensoder Dissensgründe des Intellekts in der nicht genau datierbaren Quaestio disputata III (OT VIII 13* wird sie ante redactionem complétant datiert, was nach obigen Ausführungen [1. Kapitel 1.1.] nicht weiterhilft), wo es heißt, es gebe einen Assens propter voluntatem quia vult credere (OT VIII 173,365-370; vgl. Hochstetter, Studien 133, der dies zu Recht auf die fides bezieht). 88 Dies ist schon in der Rede von der fides injusa impliziert; vgl. auch die Angewiesenheit auf die caritas OT IX 325,61 - 6 3 . 89 S. hierzu Finkenzeller, Offenbarung 9 4 - 1 0 1 ; vgl. z.B. Thomas, Opera II 528 (ST II-II 2,9): credere est actus intellectus assentientis ventati diviniae ex imperio voluntatis a deo motae per gratiam. Ebd. 530 (ST II-II 4,2) präzisiert Thomas auch den habitualen Sitz des Glaubens im Intellekt: necesse est quod fides, quae est proprium principium huius actus, sit in intellectu sicut in subiecto. 90 OT VI 2 8 0 , 1 0 - 1 3 . 86
186
3. Kapitel tellektualen Habitus aber, der aus intellektexternen, kontingenten
Mo-
tiven entsteht, können nur Christen und Christinnen besitzen. T r o t z dieser bleibenden Divergenzen gegenüber den sonstigen intellektualen Tugenden, die zeigen, daß die funktionale Umgestaltung des aristotelischen Schemas zwecks Integration des Glaubens, die Ockham im G e f o l g e Aureolis vornimmt, nicht zu einer vollen Harmonisierung führt, hat Ockham hier ein M o d e l l entwickelt, das auf der Grundlage des erkenntnistheoretischen Nachweises der Nichtuniversalisierbarkeit von Gotteserkenntnis das Nebeneinander partikularer Gewißheit (adhaesio statt evidentia)
im Gegensatz zur wissen-
schaftlichen Erkenntnis und unzweifelhafter Wahrheit des Geglaubten
wie
beim Objekt der wissenschaftlichen Erkenntnis für den Glauben psychologisch als Zusammenwirken
der intellektualen
Kräfte mit dem
Willen
plausibel
macht 91 . D i e darin vollzogene psychologische Einordnung gilt nun für die fides
infusa w i e die fides adquisita92,
deren Unterscheidung aber für die wei-
tere Bestimmung der Theologie von Bedeutung sein wird.
1.3. fides adquisita und fides infusa 1.3.1. Die
Unterscheidung
nach Sent III
q.9
D i e systematische Unterscheidung von eingegossenem und erworbenem Glauben findet sich in Sent III q.9: Ut rum necesse sit ponere in viatore tres virtutes theologicas quae possum remane re in patria ("Ob es notwendig sei, im Erdenpilger drei theologischen Tugenden anzunehmen, die im [jenseitigen] Vaterland erhalten bleiben können"). D e r übernatürliche Glaube als theologische Tugend, von dem die Überschrift spricht, ist die fides infusa93.
Es handelt sich hier, w i e der N a m e sagt, um
einen Habitus, der nicht, w i e es bei den bislang behandelten intellektualen Habitus der Fall war, durch Akte generiert wird, sondern durch unmittelbare 91 Um diese Plausibilität zu erkennen, muß man sich freilich auf mittelalterliche Denkvoraussetzungen einlassen. Diese verfehlt Mensching, Allgemeines 357, wenn er meint, Glaube sei bei Ockham nur noch ein "subjektiver Akt des Fürwahrhaltens": Glaube als habitus veridicus stellt einen tatsächlichen Bezug zur Wahrheit her und ist damit mehr als bloßes Fürwahrhalten! 92 O T I 200,24f. 93 Dies geht eindeutig aus OT V I 280,9 hervor: Die Entgegensetzung von naturaliter und omnis habitus supernaturalis infusus zeigt, daß Eingießung und Übernatürlichkeit für Ockham selbstverständlich zusammengehören (vgl. OT I 197,25-27). Diese von Duns, Opera (Paris) X V 6f Nr.3; X X V I 9 Nr.5, übernommene Ansicht von der Übernatürlichkeit der fides infusa entspricht sachlich dem a Deo motae aus der oben zitierten Glaubensdefinition des Thomas: Der Wille, der den Glaubensassens hervorruft, ist kein selbstmächtiger menschlicher Wille.
Die akademische Theologie
187
göttliche Eingießung entsteht und so Akte ermöglicht 94 . Diese Eingießung erfolgt in der Taufe 95 . Die fides infusa bezieht sich nicht unmittelbar auf die einzelnen Glaubenssätze, doch ist sie auch nicht wie zuvor bei Cowton 96 unmittelbar auf Gott bezogen 97 , sondern auf einen Glaubenssatz, der es ermöglicht, aus ihm als praemissa et principium9% die Wahrheit aller anderen Glaubenssätze im einzelnen abzuleiten: omne revelatum a Deo est verum ("Alles, was von Gott offenbart worden ist, ist wahr") 99 . Die fides infusa bezieht sich also allein auf den formalen Offenbarungsbegriff, nicht schon auf materiale Offenbarungsinhalte. Eben wegen der bloßen Formalität dieses Satzes aber kann die fides infusa nicht mehr als ein Teilprinzip 100 zur Ableitung der Glaubenssätze im einzelnen sein, denn aus der Anerkennung der Wahrheit der Offenbarung folgt ja noch keineswegs die Kenntnis ihrer Inhalte 101 : Ohne diese Kenntnis der Glaubensinhalte aber kann die fides infusa nicht aktualisiert werden.
94
Eben dies war ja oben (1. Kapitel 2.) als die zweite Seite des Habitusbegriffs benannt worden, daß der Generierung durch Akte deren Aktualisierung durch den Habitus folgt. 95 Dies ist vorausgesetzt in OT VI 290,17-19; 2 9 2 , 3 - 5 und expliziert in OT VII 55,22-57,12: Diese Auffassung ist zwar nach Ockham nicht beweisbar und auch kirchlich nicht eindeutig entschieden, aber die Autoritäten und der Konsens der Gelehrten sprechen für sie (vgl. die Taufe als fidei sacramentum bei Lombardus, Sentenzen II 259,19-22). 96 Cowton, Sentenzenkommentar 327,30f. Dazu, daß dies die eigene Meinung Cowtons ist, s. Theissing, Cowton 101. Die Position des Duns hierzu ist nicht ganz eindeutig bestimmbar, weil er die inhaltliche Füllung der fides infusa nicht in seiner eigenen responsio lehrt, sondern lediglich zwei opiniones hierzu aufführt (vgl. Finkenzeller, Offenbarung 82). 97 Diese Auffassung formuliert die von Ockham ausdrücklich abgewiesene difficultas in OT VI 282,20-283,1. 98 OT VI 289,17-19. 99 In dieser Kurzform lassen sich die verschiedenen Fassungen OT VI 282,20 — 283,1; 284, lf; 289,20—290,1 zusammenfassen. Eben diese Auffassung von der fides infusa hatte Duns, Opera (Paris) XV 10-12 N r . 6 - 8 , abgelehnt. 100 OT VI 289,17-19: principium partiale. 101 Ebenso hat Duns, Opera (Paris) XXVI lOf Nr.6, argumentiert. Dieser Gedanke steht wohl auch hinter Ockhams Unterscheidung, daß man, betrachte man cognitio supernaturalis als Erkenntnis, die nicht natürlich erworben werden könne, nichts als die fides infusa brauche, man jedoch, betrachte man sie als Erkenntnis von Wahrheiten, die nicht natürlich evident erkannt werden können, d.h. unter inhaltlichpropositionalem Aspekt, eine cognitio supernaturalis über die fides hinaus nötig habe (ΟΤΙ 197,23-198,4).
188
3. Kapitel
Als weitere Partialursache zur Bildung eines konkreten Glaubenssatzes muß daher der erworbene Glaube hinzutreten102. Diese fides adquisita bezieht sich unmittelbar auf die einzelnen Glaubenssätze, so daß es hinsichtlich eines jeden Glaubenssatzes einen eigenen Habitus gibt103, die natürlich erworbene 104 fides adquisita also eine Pluralität von Habitus umfaßt. Normalerweise aber gilt: Mittels der fides adquisita wird der formale Begriff der Offenbarung, auf den die fides infusa bezogen ist, gefüllt, indem die Haltung des Glaubens auf den je einzelnen Glaubenssatz bezogen wird. Diese Glaubenssätze sind dann offensichtlich nichts anderes als die Explikation des im Glaubensobjekt der fides infusa Implizierten. Daß die fides infusa zu ihrer Aktualisierung — d.h. auch zur Aktualisierung ihrer Heilsrelevanz 105 — auf die fides adquisita angewiesen ist, zeigt aber, daß dieses Implikationsverhältnis nicht streng logisch zu verstehen ist, insofern der Begriff Offenbarung nicht bestimmte andere Begriffe impliziert, die dann deduziert werden könnten, sondern lediglich umgekehrt bestimmte Sätze unter den vorgegebenen Begriff der Offenbarung nachträglich subsumiert werden können. Mit diesem Modell gelingt es Ockham wie schon Duns, der Hebr 11 mit Hilfe der fides infusa gedeutet hatte106, argumentativ die schon vom Lombarden107 gelehrte Einheit des Glaubens auch über die Wandlungen der Heilsgeschichte hinweg zu begründen: Da der eingegossene Glaube einer ist und sich doch vermittels des formalen Offenbarungsbegriffs auf alle Glaubenssätze bezieht 108 , also psychologische Einheit und Pluralität des Objekts in sich vereint, teilten die Väter des Alten Testamentes, wenn sie auch auf der Ebene der fides adquisita anderes glaubten als die Christen, doch den Glauben, daß alles, was
102
OT VI 290,6-291,2; 292,3-20; VIII 244,9-12; vgl. Saranyana, Fe 877. Auf diesen Gedanken verweist Ockham im Sentenzenkommentar möglicherweise durch den Hinweis, daß fides infusa und adquisita sich auf denselben Akt beziehen (ΟΤΙ 189,1 If). 103 OT VI 287,2. 5 - 1 3 ; 296,9-11. Diese einzelnen Glaubenshabitus unterscheiden sich der Art nach (OT VI 287,3f; 289,6-11); vgl. OT I 220,14-18; 341,5-14; VIII 249,121-123; IX 229,15-230,55. 104 Dies geht aus OT VI 281,6-17, wo die Rede von den habitus adquisiti aus OT VI 2 7 9 , 8 - 1 0 erklärt werden soll, hervor. Auch Duns, Opera (Paris) XXVI 6 Nr.4, erklärt, die fides adquisita werde natürlich erworben. 105 Es geht um den actus credendi meritorius (OT VI 292,14). 106 Duns, Opera XV 6 Nr.3. Ockham gibt dieser Frage einen hohen Stellenwert zur Beschreibung des Unterschiedes von eingegossenem und erworbenem Glauben. Keine Rolle spielt dagegen bei ihm der Unterschied beider nach dem Grad der Intensität, wie ihn Cowton, Sentenzenkommentar 328,33-329,4, in den Vordergrund gestellt hatte. 107 Lombardus, Sentenzen I 293,29-34. ios OT VI 289,16.
Die akademische Theologie
189
von Gott offenbart ist, wahr sei, also den eingegossenen Glauben Christen 109 . 1.3.2. Die Parallelisierung
zum aristotelischen
der
habitus-Sc/zema
Indem Ockham diese zwei Glaubensformen unter die habitus intellectuales rechnet, parallelisiert er sie zugleich mit jeweils verschiedenen Habitus aus dem vorgegebenen Schema 110 : Die fides infusa entspricht, wie schon die Rede vom principium zeigt, dem Prinzipienhabitus 111 : Wie dieser auf die wissenschaftlichen Objekte bezieht sie sich auf die Glaubenssätze lediglich mittelbar, mit dem Unterschied, daß im Falle des Prinzipienhabitus tatsächlich logisch streng von Implikation gesprochen werden kann, insofern aus den mit dem Prinzipienhabitus unmittelbar für wahr erkannten Prinzipien die wissenschaftlichen Schlüsse material ableitbar sind 112 , während die fides infusa die einzelnen Glaubenssätze, auf die sie sich bezieht, eigens durch einen anderen Habitus, die fides adquisita, mitgeteilt bekommen muß 113 . Dieser erworbene Glaube wiederum entspricht, wie sich an seinem Bezug auf je einzelne Sätze und seiner damit verbundenen Pluralität zeigt, der wissenschaftlichen Erkenntnis 114 , und die einzelnen Glaubenssätze entsprechen den Objekten wissenschaftlicher Erkenntnis. Der scientia im Sinne von Wissenschaft aber entspricht die akademische Theologie, wie sich daran zeigt, daß Ockham sowohl den theologus als auch die theologia im Rahmen der Behandlung der scientia im Sinne von Wissenschaft zusammen mit metaphysica und scientia naturalis nennt und an ihnen Eigenschaften von Wissenschaften deutlich macht 115 . Damit ergibt sich schematisiert folgende Parallelsystematik: intellect us als Prinzipienhabitus
fides
scientia als Wissenschaftliehe Erkenntnis
infusa fides
adquisita
verum necessarium als Objekt
wahre Glaubenssätze als Objekte
scientia als Wissenschaft
theologia
109 OT VI 292,21-293,6. 110 S. OT VI 285,19f zur Parallelisierung. 111 Vgl. OT VI 285,22-286,5; 2 9 0 , 7 - 9 mit 285,lf. 112 OT VI 285,10-12. m OT VI 290,12-291,2. Die Notwendigkeit solcher Mitteilung gilt sogar für den Satz omne revelatum a Deo est verum selbst (OT VI 292,3-9). IH OT VI 2 8 7 , 5 - 1 3 führt Ockham bezüglich der Einheit der fides adquisita einen Analogieschluß von der unitas scientiae her durch. 115 OT I 10,9-11,5.
190
3. Kapitel 1.3.3. Spannungen zwischen Sent III q.9 und
Sentenzenprolog
Die Deutung der Äußerungen zur fides aus dem Sentenzenprolog vermittels der Äußerungen aus Sent III q.9 ist nicht ganz unproblematisch, denn in dieser Frage liegt eine gedankliche Inkonsistenz zwischen Reportatio und Ordinatio vor: Im Sentenzenprolog denkt Ockham im Gegensatz zu Sent III q.9 nicht daran, daß fides adquisita auch ohne fides infusa möglich wäre 116 : Nach Sent III q.9 gilt von dem paganus nutritus inter Christianos ("unter Christen erzogener Heide"), daß er fides adquisita habe 117 . Ganz ähnlich ist in Sent Prol q.7 vom infidelis, si esset nutritus inter christianos ("Ungläubiger, wenn er unter Christen erzogen wäre"), die Rede 118 , der aber keine fides adquisita erwerben kann 119 . Daß hier nicht eine scharfe semantische Unterscheidung zwischen infidelis und paganus intendiert ist120, sondern ein sachlicher Unterschied vorliegt, geht daraus hervor, daß Ockham nach Ausführungen über die Möglichkeit von Erwerb und Erweiterung des habitus fidei adquisitae durch den gläubigen Theologen im Sentenzenprolog erklärt: Et talis habitus non est in infideli ("Und ein solcher Habitus ist im Ungläubigen nicht") 121 . Damit ist die fides infiisam als Bedingung der Möglichkeit des Erwerbs von fides adquisita gekennzeichnet und die in Sent III gesehene Möglichkeit einer fides adquisita ohne fides infusa ausgeschlossen 123 — was die Partikularität des Glaubens noch einmal unterstreicht: Er ist schlechterdings nicht voraussetzungslos erwerbbar, sondern in seiner Präsenz im Menschen von Gott abhängig. Dennoch können die Aussagen in Sent III weitgehend zur Deutung von Sent Prol q.7 herangezogen werden, denn durch die hier nachgewiesene In116
Beide Aussagekomplexe harmonisiert Miethke, Sozialphilosophie 272f Anm. 477, zu Unrecht miteinander. in OT VI 281,10-13. Ebenso kann Ockham behaupten, es sei möglich, daß die fides adquisita bleibe, wenn die fides infusa zerstört sei (OT VI 312,6f. 13f). 118 Ο Τ Ι 194,6f. 119 OT I 197,1 f. Das talis habitus kann sich nur auf die fides adquisita, den einzigen zuvor erwähnten Habitus, beziehen. 120 Eine solche könnte in OT VI 281,10-15 angedeutet sein, wo Ockham in bezug auf die Möglichkeit des Glaubenserwerbs vom paganus spricht, in bezug auf den Liebeserwerb jedoch vom infidelis (...) inter paganos. 121 Ο Τ Ι 196,20-197,2. 122 Daß der infidelis als der Mensch ohne fides infusa zu verstehen ist, geht daraus hervor, daß Ockham erklärt, jemand, der vor dem Studium keine fides adquisita gehabt habe, könne solche erwerben, si sit fidelis (OT I 196,22 —197,1): Wenn jemand gleichzeitig ohne fides adquisita und doch fidelis sein kann, muß der eingegossene Glaube die Grundlage für die Qualifikation als gläubig sein. 123 Das gleiche ist vorausgesetzt in OT I 191,1—3, wo die Möglichkeit eines Glaubensaktes ohne fides infusa lediglich im Irrealis erwogen wird.
191
Die akademische Theologie
konsistenz sind diejenigen Aussagen aus Sent III, die ein positives Verhältnis von fides infusa und fides adquisita voraussetzen, in keiner Weise tangiert.
1.4. Der theologische Habitus nach Sent I Prol q.7 1.4.1. Die Bedeutung
des Glaubens für den theologischen
Habitus
Wie erwähnt, bestimmt Ockham den Charakter der Theologie vermittels einer Untersuchung der Frage, welchen Habitus außer dem Glauben der Theologe in seinem Studium erwerbe 1 2 4 . Zunächst und als erstes nämlich erwirbt bzw. vermehrt der studens in theologia seine fides adquisita, d.h. er mehrt die gläubigen Einzelassense zur Explikation der Offenbarung. Zum anderen aber, und auf diese über den Glauben hinausgehenden Aneignungen richtet sich ja die Frage, erwirbt er auch unzweifelhaft wissenschaftliche Habitus, sowohl solche, die er auch in anderen Wissenschaften erwerben könnte 125 , als auch der Theologie eigene 126 . In bezug auf beides — die mit fides adquisita geglaubten wie die mit wissenschaftlicher Erkenntnis erkannten Sätze und Satzteile 127 — kann der Theologe auch apprehensive, zur Kenntnis nehmende Habitus erwerben 1 2 8 , die ihm die pro124
S. OT I 193,14f: Mit Hilfe der Frage: qualis habitus adquiritur in theologo praeter fidem soll die Grundfrage der quaestio, utrum theologia quae de communi lege habetur a theologis sit scientia proprie dicta (ebd. 183,4f), beantwortet werden. 125 Hier ist vor allem an metaphysische Erkenntnisse, die auch zur Theologie gehören, zu denken (s. OT I 275,23-276,1 zu Deus est prima causa). 126 OT I 196,20-197,6. 16f. Ein Beispiel hierfür ist die Aussage, daß man Gott lieben soll, die in einem Argument erwähnt wird (OT I 364,14 — 19), in dessen Beantwortung Ockham erklärt, daß natürlich erkennbare praktische Wahrheiten von Gott in der Metaphysik nicht behandelt würden (OT I 364,14-19), so daß sie also ganz in die Theologie gehören. Diese Möglichkeit der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Theologie zitiert zwar auch Marmo, Controversia 159, übersieht aber die systematische Bedeutung für das gesamte Verständnis der Theologie bei Ockham, wie sie oben entfaltet wird, weil er ebd. 161 feststellt, "in gran parte" sei die theologische Wahrheit unbeweisbar, ja "a quasi tutte le verità della teologia manca l'ultimo requisito" für Wissenschaftlichkeit, nämlich die Evidenz. Damit wird der Kern des Ockhamschen Denkens, daß eben nicht die Wissenschaftlichkeit des Einzelsatzes, sondern die grundlegende Wahrheitsfunktion entscheidend für den Gesamtcharakter der Theologie ist, übersehen. 127 S. die Auflistung OT I 197,7-9. 128 OT I 197,6-10; auf diese apprehensiven Habitus bezieht sich auch Ockhams Feststellung ebd. Z. 16—18, daß talis habitus — praeter fidem et habitus scientiales (...) — non sit scientia proprie dicta'. Das talis schließt unmittelbar an die vorangehenden Z. 10—15 an, wo Ockham erklärt hat, daß außer dem Glauben (actus credendi) alle theologischen Akte vermittels der wissenschaftlichen und der apprehensiven Habitus ausgeführt werden könnten, d.h. außer diesen beiden Habitus-
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positionalen Gehalte dessen, dem er mit Glauben und wissenschaftlicher Erkenntnis zustimmt, zur Kenntnis bringen. Mit dem Verweis auf diese apprehensiven und die wissenschaftlichen Habitus ist daher die Frage, qualis habitus adquiritur in theologo praeter fidem ("Welcher Habitus über den Glauben hinaus im Theologen erworben wird") 129 , beantwortet — nicht aber die Frage, was nun der theologische Habitus insgesamt sei. Die Formulierung praeter fidem bedeutet nämlich nicht etwa, daß der Glaube für das Verständnis der Theologie und des theologischen Habitus eine Quantité négligeable wäre, sondern im Gegenteil, daß er ein notwendiger Bestandteil der Theologie ist, denn psychologisch gilt: Apprehensive Habitus sind zwar real von judikativen Habitus unterschieden130, ihre Akte kommen aber nie ohne Akte des Bejahens, Verneinens oder Zweifeins vor 131 . Da es aber theologische Wahrheiten gibt, die nicht natürlich erkennbar sind 132 , ist deren Bejahung allein in Form von Glaubensakten möglich. Und daß in der Tat diese — und nicht etwa Zweifelsakte — in der Theologie zur Kenntnisnahme hinzutreten müssen, zeigt die oben zitierte Theologiedefinition Augustine: Diese benennt für die Theologie zwei Aspekte: Bewirkung und Nährung des Glaubens (gignere, nutrire), also Glaubensaspekt einerseits, und Schutz und Stärkung des Glaubens (defendere, roborare), also Lehraspekt andererseits 133 . Allein die Aktualisierung des Lehraspektes ist mit den apprehensiven und wissenschaftlichen Habitus ohne jegliche fides möglich 134 . Der Glaubensaspekt aber kann — diese tautologische Feststellung ist für Ockhams Theologiemodell zentral — nur durch den Glauben aktualisiert, d.h. in Akte umgesetzt werden, Weisen ist nur noch ein Glaubenshabitus zur Komplettierung der Theologie nötig. Wenn nun ein in der Theologie erworbener Habitus außer Glauben und wissenschaftlicher Erkenntnis angesprochen wird, kann es sich also nur um einen apprehensiven Habitus handeln. Saranyana, Fe 874, geht angesichts sowohl der Erwähnung des erworbenen Glaubens als auch der apprehensiven Habitus fehl, wenn er den habitus theologicus allein als Verbindung wissenschaftlicher Habitus erklärt. 129 ΟΤΙ 193,14f. no OT I 5 7 , 2 0 - 5 8 , 4 , bezogen auf Akte, die aber distinkte Habitus erzeugen, wie aus der Argumentation ebd. 17,15-18,12 hervorgeht. 131 ΟΤΙ 5 7 , 2 2 - 5 8 , 1 . 132 OT I 7,14f. 133 OT I 197,14f, rekurriert Ockham, wie das Signalwort roborare zeigt, auf die Definition Augustins und unterscheidet hier praedicare, docere, roborare einerseits, von credere andererseits. Ebenso geht er ebd. 201,6—9 vor, wo er sich mit einem Argument auseinandersetzt, das ausdrücklich auf diese Definition verwiesen hatte (s. ebd. 186,3-7). 134 OT I 190,17-20; 196,11-15; 197,6-15; 2 0 1 , 6 - 9 . Dementsprechend könnte der gesamte Lehraspekt, da er nur auf natürlich Erworbenem fußt (OT I 191,5-8), auch von Ungläubigen aktualisiert werden (OT I 193,12f).
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und da auch der erworbene Glaube letztlich auf der fides infusa beruht 135 , kann ein Glaubensakte vollziehender Habitus nicht durch theologische Akte generiert werden, sondern liegt diesen Akten immer schon voraus. Der eingegossene Glaube muß also als judikativer Habitus integraler Bestandteil der Theologie 136 und damit des habitus theologiae oder theologicus™1 sein 138 . Dieser theologische Habitus 139 ist demnach nicht mit den im Theologiestudium über den Glauben hinaus erworbenen Habitus gleichzusetzen 140 , sondern ist 135
OT I 197,16-22. Daß mit dieser Stelle, die undifferenziert fides fordert, letztlich fides infusa gefordert wird (so auch Leinsle, Einheit 123), geht aus den obigen Überlegungen (1.3.3.) zur fides infusa als Bedingung der Möglichkeit von fides adquisita hervor (vgl. auch den Anschluß ebd. 197,23ff mit der Rede von übernatürlichen Erkenntnisvermögen). 136 OT I 220,7f: theologia uno modo includit fidem infusam. Das uno modo darf nicht verwirren: Auch was unter alio modo folgt, setzt die fides infusa voraus, insofern her fides adquisita als Bestandteil der Theologie betrachtet wird (ebd. Z.10 — 13; vgl. ebd. 206,4f; 340,20f), diese aber nach Sent I ja nur auf Grundlage der fides infusa entsteht. 137 Ockham gebraucht habitus theologicus und habitus theologiae, ohne daß eine semantische Unterscheidung erkennbar wäre (vgl. OT I 207,4 mit ebd. 324,3), und letzterer Begriff wiederum wird von Ockham in Sent Prol q.8 ohne erkennbare semantische Unterscheidung im Wechsel mit theologia gebraucht (s. ebd. 2 0 7 , 8 - 1 3 ; 208,2 als Antwort auf ebd. 207,4f; vgl. auch die Definition von theologia durch habitus [OT I 273, llf]). Dementsprechend ist die eben angeführte Stelle OT I 220,7f (Anm. 136) auch so zu formulieren, daß der theologische Habitus den Glauben einschließt. Den habitus theologicus dem Glauben gegenüberzustellen, wie dies Saranyana, Fe 878, tut, geht also am Text vorbei. Die Zugehörigkeit des eingegossenen Glaubens zum theologischen Habitus hat auch Guelluy, Philosophie 242, übersehen (obwohl er durchaus die Bedeutung des Glaubens in der Theologie sieht [s. ebd. 248ff]): Er bleibt bei der Aufzählung der verschiedenen Habitus, die der Theologe erwirbt, ohne deren Einheitsgrund in der nicht erworbenen fides infusa zu thematisieren. Entsprechend fehlt in seiner Paraphrase der Aussage Ockhams, mit Hilfe wissenschaftlicher und apprehensiver Habitus könnten alle theologischen Akte außer dem Glauben erworben werden (OT I 197,10-15), gerade eine Entsprechung zu den zentralen Worten praeter solum actum credendi! 138 Eine theologia infidelium ist für Ockham damit undenkbar: quilibet studens in theologia kann zwar den Lehraspekt der Theologie aktualisieren (OT I 197,6-10), s i ve sit fidelis sive haereticus sive infidelis (ebd. Z.3f) - einen vollgültigen theologischen Habitus wird er nicht erwerben können. 139 Daß in bestimmter Hinsicht trotz der vielen einzelnen Habitus von einem einzigen theologischen Habitus zu reden ist, zeigt sich OT I 206,9, wo Ockham von dem habitus totalis theologi redet — diese Rede ist aber nur gerechtfertigt im Blick auf die fides infusa (s. ebd. 220,7). 140 Die Überschrift der Hg. OT I 196,19: opinio auctoris de habitu theologico ist daher irreführend: Der von ihnen so betitelte Abschnitt antwortet allein auf die Frage nach dem in der Theologie erworbenen Habitus (OT I 193,14f), nicht aber auf eine
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erst vollständig erfaßt als derjenige, der fides infusa, fides adquisita, apprehensive Habitus und wissenschaftliche Habitus umfaßt141. Basal aber ist unter diesen Habitus der eingegossene Glaube: Daß die fides adquisita in Sent I auf ihn bezogen ist, ist nach obigen Ausführungen ebenso klar wie der Bezug der apprehensiven Habitus auf den Glauben und die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Auch diese aber sind letztlich material an den Glauben gebunden, insofern Ockham die Objekte der Theologie, die theologischen Wahrheiten, und unter ihnen ausdrücklich auch die natürlich erkennbaren142, ganz durch ihren positiven Bezug auf den Glauben definiert143, ja, sie wahrscheinlich ganz mit den Glaubenssätzen, die sie, um den Lehraspekt der Theologie zu gewährleisten, ja mindestens einschließen müssen, identifiziert144.
Frage nach dem ganzen theologischen Habitus. Entsprechend steht in ihm auch nirgends habitus theologicus oder habitus theologiae. Gerade dies, daß er den habitus theologicus nicht auf das Erwerbbare beschränkt, unterscheidet Ockham von Cowton, Sentenzenkommentar 289,30f (habitus theologicus adquirendus) und Aureoli, Scriptum I 279,118-280,136 (Nr.89), der mit einem Abschnitt über den habitus theologicus auf die Frage nach der Einheit des habitus ex studio theologico acquisitus (ebd. 250,5f [Nr.2]) antwortet, und gibt ihm daher die Möglichkeit, genauer als diese das Verhältnis des theologischen Habitus zum Glauben zu bestimmen. Mit diesem konstitutiven Bezug auf den Glauben dürfte man hier auch den Grund für den Unterschied zwischen denyMej-Konzeptionen aus Sent I und Sent III haben: Da die Reportatio älter als die Ordinatio ist, die Diskrepanzen zwischen beiden Texten also wohl zum Zeitpunkt der Ordinatio, nicht aber zum Zeitpunkt der Reportatio, sicher als Ockham bewußt vorauszusetzen sind — von bewußter Veränderung zu sprechen, wäre zu stark, da ja vor der Ordinatio auch eine Reportatio von Sent I existierte (s. OT II 18*—34") und nicht definitiv auszuschließen ist, daß jener andere fides-Begriff schon dieser zugrunde lag, er also doch wieder der Reportatio gegenüber älter wäre —, dürfte der Umstand, daß Ockham in der Ordinatio trotz ausdrücklichen Verweises auf spätere Behandlung im Sentenzenbuch, also offenbar auf Sent III q.9 im unmittelbaren Kontext (OT I 189,12f) diesen Unterschied markierte, den Grund haben, daß er die Möglichkeit einer Theologie von Ungläubigen ausschließen wollte, was dann nicht mehr möglich wäre, wenn auch ein Nichtchrist die fides adquisita und damit die Glaubensakte erwerben könnte. 141 Daß der habitus theologiae mehrere Habitus umfaßt, sagt Ockham ausdrücklich OT I 225,19-21; vgl. ebd. 2 2 0 , 7 - 1 0 . 1 0 - 1 3 . 142 ΟΤΙ 7,11-14. 143 Die erwähnte Theologiedefinition Augustins, die die Theologie eng mit dem Glauben verbindet, wird eben dazu eingeführt, den Begriff der theologischen Wahrheit zu definieren (s. OT I 7 , 4 - 1 5 , bezogen auf ebd. 5,8f): Mindestens als Stützund Verteidigungsargumente also sind die theologischen Wahrheiten auf den Glauben bezogen. 144 Diese Identifikation wird dadurch wahrscheinlich, daß die in der Definition Augustins als Glaubenseigenschaft geltende Heilsnotwendigkeit (OT I 7,10f) das Kriterium ist, aufgrund dessen eine Wahrheit als theologisch qualifiziert wird (ebd. Z. 14). Wenn aber die vom materialen Glaubensbestand gültigen Bedingungen ein
Die akademische Theologie 1.4.2. Die Frage nach der Wissenschaftlichkeit
des theologischen
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Daß Ockham, der immer wieder für die Trennung von Glauben und Wissen verantwortlich gemacht wurde, unter die wahrscheinlich mit den Glaubenssätzen gleichzusetzenden Objekte der Theologie wissenschaftlich erkannte Sätze rechnet, scheint erstaunlich. Daß es sich hier aber nicht nur um eine etwa unstimmige Folge aus dem Mitschleppen einer überlieferten Theologiedefinition handelt, sondern um ein im Ockhamschen System konsistent zu denkendes Konzept, das zudem erst das angemessene Verständnis für Ockhams Theologiekonzeption eröffnet, läßt sich durch Überlegungen zu Ockhams Glaubens- und Wissensbegriff zeigen: Im Zusammenhang seiner grundlegenden Darlegung zum Glaubensbegriff in Sent III q.9 erklärt Ockham ausdrücklich, daß es Beweise in bezug auf einzelne Glaubenssätze gebe 145 und dies mit der fides infusa ohne weiteres vereinbar sei: Deren unmittelbares Objekt, der oben zitierte Satz, daß alles von Gott Offenbarte wahr sei, ist aufgrund dessen, daß der Offenbarungsbegriff einen Vorgang in der Zeit impliziert, kontingent, also wissenschaftlich nicht erkennbar 14 *. Auf die anderen Glaubenssätze aber bezieht sich der einge-
Kriterium zur Qualifizierung als theologische Wahrheit sind, bedeutet dies eine Identität beider Größen. Daß dieser Annahme auch die wissenschaftliche Erkenntnis einzelner theologischer Wahrheiten nicht widerspricht, wird aus dem folgenden Abschnitt hervorgehen (1.4.2.). Abwegig ist es jedenfalls, wenn Saranyana, Fe 866, Glaubensartikel als übernatürlich erkannt den theologischen Wahrheiten gegenüberstellt, die natürlich erkennbar seien: OT I 15,6f spricht Ockham ausdrücklich von quaedam veritates theologicae solum supematuraliter cognoscibiles, und in OT VI 294,19f spricht er ausdrücklich von der Möglichkeit eines Beweises für einen articulusfidei (s.u. Anm. 145) — beides in glattem Gegensatz zu Saranyanas Definition. 145 (...) aliquis potest habere demonstrationem circa aliquos artículos fidei (OT VI 294,19f; vgl. dagegen Cowtons Feststellung: impossibile est quod aliquis articulus fidei demonstraretur ratione naturali [zit. bei Theissing, Cowton 175 Anm. 173]). Möglichkeiten, diesen Satz in seiner Aussagekraft so abzuschwächen, als ginge es nicht um die Beweisbarkeit der Glaubenssätze selbst, müssen ausscheiden: Mit dem circa ist nicht Vagheit zu assoziieren, als ginge es nur um Beweise im Umfeld eines Glaubenssatzes: Ausdrücklich wird gesagt, daß es sich um einen solchen Beweis handelt, der fides adquisita vernichtet (ebd. 295,1) - da diese sich aber auf die Glaubenssätze selbst richtet (s.v.a. OT VI 287-289), muß sich doch wohl auch der Beweis, der sie vernichten soll, auf die Glaubenssätze und nicht auf etwas in deren Umfeld richten. Dasselbe Argument schließt auch aus, daß man an dieser Stelle die weite Bedeutung von articulus fidei zugrunde legen könne: Diese bezeichnete ja nicht das Glaubensobjekt, sondern bloß die Thematik, aus der Glaubensobjekte entstehen können (s.o. Anm. 13). 146 OT VI 2 9 5 , 1 7 - 2 0 .
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gossene Glaube nur mittelbar, und dieser mittelbare Bezug wird durch den unmittelbaren wissenschaftlichen Bezug auf dieselben Sätze nicht tangiert 147 . Ausgeschlossen wird durch die wissenschaftliche Erkenntnis eines Glaubenssatzes lediglich die fides adquisita in bezug auf diesen 148 . Der Begriff articulus fidei für den Glaubenssatz ist damit eigentlich terminologisch nur im Hinblick auf die fides infusa gedeckt, insofern der normalerweise durch die fides adquisita hergestellte Bezug des eingegossenen Glaubens auf seine mittelbaren Objekte durch wissenschaftliche Erkenntnisse gleichsam überbrückt werden kann, doch so, daß der judikative Akt, das Bejahen, in bezug auf dieses Objekt immer schon unabhängig von der wissenschaftlichen Erkenntnis durch den eingegossenen Glauben gewährleistet ist. Der hinsichtlich der unmittelbaren Akte bestehende Unterschied zwischen wissenschaftlich erkannten und mittels der fides adquisita geglaubten theologischen Wahrheiten wird dagegen durch die Unterscheidung von scibilia ("Wißbares") und credibilia (tantum) ("[nur] Glaubbares") 149 ausgedrückt. Ockham unterscheidet also zwar Glauben und Wissen 150 , versteht sie jedoch allein auf der Ebene des erworbenen Glaubens
147 OT VI 295,13-15; VII 59,19f. Dementsprechend bezeichnet Ockham OT VI 289,15 — 17 die fides infusa als una fides omnium articulorum fidei. 148 OT VI 294,19—295,1.16f: propter eandem rationem bezieht sich vermutlich auf ebd. Z.12f, wonach sich Irrtum und evidentes Wissen in bezug auf dasselbe ausschließen: Analog, so ist zu ergänzen, sind auch evidenter und inevidenter Habitus in bezug auf dasselbe auszuschließen, wie Ockham letztlich aufgrund der Autorität der Heiligen lehrt (OT VI 308,4-7). 149 S. die Gegenüberstellung OT I 197,9; vgl. OT I 194,8f: Bezüglich der credibilia gibt es nur fides. Eine völlige Gleichsetzung der credibilia mit den theologischen Wahrheiten ist auch in OT I 188,1 nicht intendiert, wo sich Ockham mit dem Ausdruck ista credibilia auf ebd. 187,18f, die veritates theologicae, zurückbezieht. Da es hier um die de potentia absoluta mögliche wissenschaftliche Erkenntnis theologischer Wahrheiten geht, handelt es sich dabei um einen Rückverweis auf den Nachweis dieser Möglichkeit in q.2 (OT I 75ff), die wiederum ebd. 75,9 ausdrücklich auf den Ergebnissen der q.l aufbaut, die nach der evidenten Erkennbarkeit theologischer Wahrheiten gefragt hatte. Hier aber hatte Ockham ausdrücklich erklärt: intelligo quaestionem praecise de veritatibus supernaturaliter cognoscibilibus (ebd. 15,9f) — im Unterschied zu den ebd. 7,11 — 13 ebenso ausdrücklich anerkannten natürlich erkennbaren veritates theologicae, für die Ockham voraussetzt, daß es sich bei ihrer natürlichen Erkenntnis um wissenschaftliche handelt (s. ebd. 7 , 1 7 - 2 0 [instantia]·, 8,19-11,22 [Ockhams Antwort auf den Einwand]): Die bloß glaubbaren Sätze sind auch nach diesen Stellen und damit auch nach der auf sie zurückgreifenden Stelle OT I 188,Iff nur ein Teil der theologischen Wahrheiten! 150 Vgl. dagegen die Einordnung der fides unter die scientia im Physikprolog OP IV 5,29-34.
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als einander ausschließende Größen 151 . Eingegossener Glaube dagegen kann sich ohne weiteres auch auf wissenschaftlich erkannte Sätze beziehen. Von den christlichen Glaubenssätzen ist mithin Wissenschaftlichkeit nicht prinzipiell ausgeschlossen. Bloß scheinbar ändert sich diese Position in einem nicht mehr der wissenschaftstheoretischen Grundlegung der Theologie zugehörigen Kontext, in Quodl II q.3: Hier (wie en passant auch in SL 111-1,1152) erklärt Ockham, articulifidei könnten vom Erdenpilger nicht bewiesen werden 153 . In derselben quaestio allerdings gesteht Ockham — wie auch in Quodl 1 q.l 1 5 4 — die Möglichkeit eines evident erkannten Gottesbeweises zu155, betont freilich, daß diese Beweismöglichkeit lediglich auf der Grundlage eines metaphysischen Gottesbegriffes gegeben sei156. Hintergrund der Ablehnung der Beweisbarkeit von Glaubenssätzen ist also das bereits oben ausgeführte Bemühen Ockhams in den Quodlibeta, Metaphysik und Theologie anhand der Gottesbegriffe stärker voneinander abzugrenzen als in Sent157. 151 Diese Notwendigkeit der Spezifizierung des _/zdei-Begriffs bei der Gegenüberstellung zur scientia übersieht Cazzola Palazzo, Osservazioni 310, der ganz allgemein die Möglichkeit der Koexistenz von wissenschaftlichem und theologischem Habitus in Zweifel gezogen hat, und auch die Aussage von Guelluy, Philosophie 243, Ockham habe gezeigt, daß eine evidente Erkenntnis "ne peut avoir le même objet que la foi", ist insofern einzuschränken, als dies nur bei gleichzeitigem unmittelbarem Objektbezug gilt, nicht jedoch dann, wenn die evidente Erkenntnis unmittelbaren, der Glaube jedoch mittelbaren Objektbezug aufweist. 152 OP I 360,29-34; vgl. Cazzola Palazzo, Osservazioni 310. 153 OT IX 117,1 If. Diese Aussage dürfte den Anlaß dafür bilden, daß noch in neueren Veröffentlichungen Ockham immer wieder pauschal die strikte Trennung von Glauben und Wissen zugeschrieben wird (s. Z.B. Cren, Offenbarungsbegriff 147; Mensching, Allgemeines 357, oder den griffigen Untertitel von Todisco, Spirito Critico, der die Entwicklung von Duns zu Ockham charakterisieren soll: "Dalla ragione nella fede alla fede senza ragione"). Selbst ein so differenzierter Forscher wie Hägglund, Theologie 39f, der sieht, daß die Theologie in der ockhamistischen Tradition durchaus der Wissenschaft geöffnet war, meint, es gebe bei Ockham eine "scharfe Grenze zwischen Theologie und Wissenschaft". 154 OT IX 3,54-59. 155 OT IX 122,115-130. Daß Ockham hier auf das von ihm sonst nicht gebrauchte Argument vom ersten Beweger rekurriert, beruht auf der Position, der er antwortet (s. Chatton, Reportatio 208,106-112). 156 OT IX 122,120-122. Gleiches spielt nach Ockhams eigener Aussage OT IX 478,82—479,104 auch in Quodl 1 q.l die entscheidende Rolle bei der Unterscheidung zweier Gottesbegriffe (ebd. 1,18—2,20), unter denen allein der zweite einen Beweis ermöglicht (ebd. 3,55). In diesem Sinne ist auch die Aussage, ein Ungläubiger könne nicht evident erkennen, daß Gott existiert (OT IX 382,39f), als auf den trinitarischen Gott bezogen zu verstehen. 157 Das wird auch im Kontext von Quodl II q.3 ganz deutlich: Die articulifidei werden hier allein durch Diskussion über die Trinität gefüllt!
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Und so bestreitet Ockham auch in den Quodl keineswegs, daß die Theologie wissenschaftliche Erkenntnisse (sciential) enthält, die sich auch in natürlichen Wissenschaften finden, sondern wiederholt diese aus Sent bekannte Auffassung vielmehr in Quodl V q.l 1 5 8 , also zeitlich nach der oben genannten Stelle 159 . Dies spricht dagegen, daß Quodl II q.3 als Hinweis auf eine grundlegende sachliche Modifikation der Ockhamschen Position im Sinne eines Ausschlusses wissenschaftlicher Erkenntnisse aus der Theologie zu verstehen wäre, und macht es wahrscheinlich, daß sich die auffallige Äußerung eher durch eine Bedeutungsverschiebung, wie sie ja sonst auch gelegentlich bei Ockham zu beobachten ist, begründen läßt: Offensichtlich hat Ockham an der genannten Stelle articulifidei nicht mehr, wie in Sent, von den credibilia unterschieden, sondern wie vor ihm Duns 160 mit diesen gleichgesetzt. Erst die Erkenntnis, daß Ockham scientia als Teil der Theologie ansieht, macht nun deutlich, daß trotz der hohen Bedeutung der Evidenzfrage der ent158
OT IX 476,28-32; 480,141-145. Auch in diesem Zusammenhang betont Ockham ausdrücklich, daß solche Beweise nicht für den trinitarischen Gottesbegriff gelten (OT IX 478,82-94), gleichwohl aber in der Theologie enthalten seien (OT IX 479,99-103). Nicht auszuschließen ist allerdings die Möglichkeit, daß Ockham hier scientia nicht im Sinne von "wissenschaftlicher Erkenntnis", sondern in einem weiteren Sinne verstünde — dem entsprechend, daß er in Sent formuliert hat, aus Erfahrung könne scientia entstehen (s. OT I 95,12 — 16 als Antwort auf ebd. 89,17— 22). Auch die Möglichkeit eines solchen Wortgebrauchs aber kann lediglich zeigen, daß die genannten Äußerungen allein nicht ausreichen, positiv zu belegen, daß die Theologie wissenschaftliche Erkenntnisse enthält — was auch nicht nötig ist, da sich der positive Belege in den früheren Darlegungen Ockhams findet. Eher als der Behauptung von Kontinuität obliegt der von Diskontinuität die Beweislast, die zu erfüllen aber diese Äußerungen jedenfalls unmöglich machen. Der Gegenbeweis könnte nämlich lediglich, auf Quodl II q.3 aufbauend, behaupten, Theologie enthalte deswegen keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, weil theologische Inhalte gar nicht bewiesen werden könnten. Wenn aber an den angeführten Stellen gesagt wird, daß bestimmte theologische Sätze in einer anderen Wissenschaft evident bewiesen werden können (daß es um strenge, also evidente Beweise geht, zeigen OT IX 477,48f; 478,92-94), heißt dies auch allgemein: Es gibt theologische Sätze, die bewiesen werden können, Quodl II q.3 ist also nicht in dem Sinne zu verstehen, daß kein theologischer Satz beweisbar ist. 159 Baudry, Rapports 74, geht daher fehl, wenn er Quodl II q.3 zum Ausgangspunkt seiner Klärung des Verhältnisses von Theologie und Wissenschaftlichkeit bei Ockham nimmt und beide einander entgegensetzt; vgl. auch unten 4. Kapitel Anm. 150 dazu, daß wahrscheinlich selbst noch der publizistische Ockham damit rechnete, daß zur Theologie auch evident erkannte Wahrheiten gehören können. 160 Duns, Opera (Paris) XV 69f, beantwortet eine Frage nach den credibilia mit einer Abhandlung über die articuli, setzt also beide Größen gleich. Daß articulus fidei verschiedene Bedeutungen annehmen kann, sagt Ockham später, in Goldast II 421,60-422,5, wonach der Begriff einerseits (stricte) die Teile des Glaubensbekenntnisses, andererseits aber (large) jede theologische Wahrheit bezeichnen kann.
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scheidende Differenzpunkt der Theologie gegenüber den anderen akademischen Disziplinen keineswegs der negative des Mangels theologischer Aussagen an evidenter Erkenntnis ist161, als bestünde die Eigenständigkeit der Theologie allein in ihrer Defizienz, wie ihre Bezeichnung als scientia large dicta ("Wissenschaft in weitem Sinne")162 vermuten lassen könnte: Die Defizienz beträfe ja in einer akademischen Theologie, die auch wissenschaftliche Erkenntnisse enthält, nur einen Teil der Theologie163. Vielmehr liegt die Besonderheit der Theologie in etwas Positivem, nämlich darin, daß die selbst dort, wo im Einzelfall wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen164, entscheidende judikative Funktion der Theologie bzw. des theologischen Habitus der eingegossene Glaube ist, insofern die wissenschaftlichen Erkenntnisse lediglich auf wissenschaftlichem Wege die Verbindung zwischen dem eingegossenen Glauben und seinen mittelbaren Objekten schaffen, die auf nichtwissenschaftliche Weise ebenso und ohne Änderung des grundsätzlich theologischen Charakters des Erkannten und seiner Bejahung durch die fides infusa auch der erworbene Glaube schaffen könnte. Die mangelnde Evidenz des eingegossenen Glaubens aber tangiert dessen Charakter als Wahrheitsfunktion in keiner Weise, sondern unterstreicht nur noch seine Eigenständigkeit neben den anderen Wahrheitsfunktionen165: Unter den Bedingungen einer Anfang des vierzehnten Jahrhunderts auf Fragen der Habituslehre zugespitzten
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So Guelluy, Philosophie 256. OT I 11,3-5 (ebd. Z.3 überträgt Ockham die nach obigen Ausführungen [s. 1. Kapitel 3.1.] eigentlich der wissenschaftlichen Erkenntnis vorbehaltene Bezeichnung scientia proprie dicta auf die ganze Wissenschaft). Wer die Lehre Ockhams, Theologie sei nicht Wissenschaft im strengen Sinne, allerdings wie Flasch, Denken 446, als Zeichen besonderer Courage wertet, sieht Brüche, wo Kontinuitäten sind: Derselbe Gedanke findet sich schon bei Heinrich, Summa f.42 v B-D, und ist bei diesem wie bei Ockham durchaus nicht antitheologisch gedacht, sondern apologetisch! 163 OT I 205,5f; 206,4; 217,llff; 347,18-21; vgl. ebd. 197,20-22; 201,lf. 164 In OT I 200,13f kann Ockham die Charakterisierung der Theologie auf notitia certa (was, da es gerade um die Ausdehnung des Begriffs der scientia durch die Heiligen geht, nicht scientia proprie dicta, sondern nur die im Kontext [ebd. 200,1-8; 200,16 —201,2] ausgeführte fides bedeuten kann) und habitus apprehensivi reduzieren; ähnlich unterscheidet er in OT I 206,2 — 8 nur fides und apprehensive Habitus als Teile der Theologie. 165 Dies gilt auch für die beliebte Bezeichnung der Theologie als sapientia, da diese, aristotelisch gedacht, wiederum wissenschaftliche Erkenntnis voraussetzte (OT I 196,5-15; 199,3-5). 162
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Debatte reformuliert Ockham die sich auf die Autorität Augustine stützende Auffassung von der Theologie als Glaubenstheologie166. 1.4.3. Die Besonderheit des Theologen gegenüber den Gläubigen Ist so bei Ockham die Abgrenzung der Theologie gegenüber den Wissenschaften deutlich, insofern die fides infusa allein in der Theologie die entscheidende judikative Funktion ausübt, so ist die Abgrenzung dieser Glaubenstheologie gegenüber dem Laienglauben weit schwieriger, obwohl doch gerade dies, die Frage nach dem theologischen Erwerb praeter fidem Ockhams Ausgangspunkt war: Gerade hinsichtlich der entscheidenden judikativen Funktion, der fides injusa, unterscheidet sich der Theologe ja nicht von den einfachen Christen und Christinnen167, und Ockham kann auch sonst keinen in erkenntnistheoretischer Hinsicht qualitativen Vorsprung der theologischen Erkenntnis vor der Laienerkenntnis benennen: Auf den Einwand, die Theologie müsse Wissenschaft sein, da sonst der Theologe keinen perfekteren Habitus besitze als irgendeine alte Frau (vetula) m , antwortet Ockham keineswegs affirmativ, der Theologe besitze doch eine (qualitativ) bessere Erkenntnis (die ja auch allenfalls in der für den theologischen Charakter gerade irrelevanten Wissenschaftlichkeit bestimmter Erkenntnisse bestünde 169 ), sondern lediglich: theologus cognoscit multa quae non cognoscit vetula ("Der Theologe erkennt vieles, was eine alte Frau nicht erkennt") 170 . Neben ein solches bloßes Mehr tritt allenfalls noch ein "Detaillierter", insofern Ockham sich Aureoli anschließt, daß der theologische Habitus als erklärender Habitus bezeichnet werden könne171, in keinem Falle aber kann
166 Aufgrund dessen, daß das entscheidende Charakteristikum der Theologie gerade ihr Bezug auf den Glauben ist, werden im folgenden im Rahmen der theologischen Wissenschaftstheorie selbstverständlich nur die Spezifika einer solchen Glaubenslehre aufgeführt. Für die wissenschaftlich erkennbaren Wahrheiten gelten natürlich auch eben jene Merkmale, die im philosophischen Teil dieser Arbeit für die scientia herausgearbeitet wurden, zu theologischen Wahrheiten aber werden sie aufgrund der Merkmale, die als Spezifika des Ockhamschen Theologieverständnisses herausgearbeitet werden können. 167 ΟΤΙ 205,21-23. 168 ΟΤΙ 187, If. 169 Gerade auf die Unterscheidung zwischen Theologen und Laien anhand des Evidenzkriteriums verzichtet Ockham ausdrücklich in OT I 205,12 — 15. 170 OT I 205,8-11; vgl. 206,9-11; vgl. Miethke, Sozialphilosophie 281. Daß der Theologe gar keinen Vorsprung habe, wie Mensching, Allgemeines 355, meint, sagt Ockham also nicht. 171 OT I 198,17. Ein weiteres Problem, das Ockham aber nicht behandelt, ergibt sich aus der Definition theologischer Wahrheiten als heilsnotwendig (OT I 7,4-6). Dies soll wohl kaum heißen, daß der Theologe dem Heil näher sei als die Laien. Es müßte hier noch die Reflexion, die erst in den publizistischen Schriften Ockhams
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der Theologe darauf verweisen, erkenntnistheoretisch relevant klarere Erkenntnis als die einfachen Gläubigen zu besitzen: Die Überlegenheit des Theologen gegenüber den Laien ist keine qualitative172. 1.4.4. Der historische und systematische Kontext der Ockhamschen Lehre vom theologischen Habitus Erst aufgrund dieser Untersuchung des systematischen Zusammenhangs von Glauben und theologischem Habitus kann die eigene Leistung Ockhams im Verhältnis zu den Denkern, denen er in dieser Frage verpflichtet ist, recht gewürdigt werden: Die Frage nach dem besonderen theologischen Habitus ist zwar schon im 13.Jahrhundert gelegentlich gestellt worden 173 , hatte sich jedoch in der an Duns anschließenden Diskussion noch einmal neu gestellt. Der Doctor subtilis hatte nämlich in Ord III d.24 q.l erklärt, wer die Schrift auslege 174 , erwerbe keine Wissenschaft und doch einen anderen Habitus als den Glauben 175 — ohne freilich genau zu klären, um welchen Habitus es sich denn dabei handele. Dieses Versäumnis wog besonders schwer, da er wenige Zeilen vorher noch gesagt hatte, nach der Eth.Nic. könne die scientia de revelatis unter den sde/tf/a-Habitus gerechnet werden 176 . Sowohl Cowton 177 als auch Aureoli178 benutzen nun in Auseinandersetzung mit der genannten Duns-Stelle zur Beschreibung des von Duns nicht zureichend Erklärten den Begriff habitus theologicus oder habitus theologiae, und wie Ockham haben sie beide den theologischen Habitus eng mit dem Glauben verknüpft: Aureoli macht ihn sowohl in seiner Gewißheit als auch in seinem Inauftritt, hinzugefügt werden, ein wie hohes Maß an explizitem Glauben zur Heilserlangung notwendig ist (vgl. z.B. Goldast II 770,30ff). 172 Zum Zusammenhang zwischen diesen Gedanken und der späteren Aufwertung theologischer Laienkompetenz bei Ockham s. Leppin, Aufwertung; vgl. Flasch, Denken 446. 173 Köpf, Wissenschaftstheorie 218 Anm.315, nennt hierfür Odo Rigaldi und Robert Kilwardby; der Begriff habitus theologicus erscheint auch bei Ware (s. den bei Amorós, Teología 291 —303 edierten Text seiner q.4, hier: 293 Nr.3). 174 Duns, Opera (Paris) XV 45 Nr. 14. 175 Ebd. 47 Nr. 16. 176 Ebd. 44 Nr. 13. 177 Cowton, Sentenzenkommentar 272,39. 178 Aureoli, Scriptum I 153,87—94 (Proömium Sect.l Nr.74). Interessanterweise behandelt Aureoli in seinem Proömium Sect.l zu dieser Frage zunächst fünf nicht namentlich gekennzeichnete Positionen (Aureoli, Scriptum I 132-138) und dann in einem zweiten Durchgang (mit Sicherheit in den Fällen 1 —4) noch einmal die gleichen Positionen, diesmal jedoch (außer in Fall 3) unter Nennung von Roß und Reiter (ebd. 138 — 153). Systematisiert man diese Parallele auch auf den fünften Fall, so hat Aureoli Duns' Thesen in dem Sinne interpretiert, quod nullus alius habitus acquiratur a fide (ebd. 137,2f).
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halt vom Glauben abhängig 179 , trotz seiner Einordnung der fides unter die habitus veridici jedoch seltsamerweise nicht in seiner Wahrheitsfunktion: Diese findet er in der Weisheit 180 , also im Rahmen des vorgegebenen aristotelischen Schemas. Cowton tendiert zwar zu einer fast vollständigen Gleichsetzung von Glauben und habitus theologicusm und scheint damit dem Glauben auch die grundlegende Wahrheitsfunktion für die Theologie zuzusprechen, doch bleibt dies bei ihm ebenso unklar wie die Frage, wie er das Verhältnis beider Größen zu dem Schema aus Eth.Nic. verstanden wissen will1*!. Im Verhältnis zu diesen beiden Modellen, deren eines inkonsequent, deren anderes unklar ist, zeigt sich Ockhams Klarheit und Konsequenz: Uber Aureoli, mit dem allein er sich in dieser Frage explizit befaßt 183 , hinausgehend und möglicherweise den Intentionen Cowtons folgend, macht er den Glauben zur entscheidenden Wahrheitsfunktion der Theologie und stellt diese damit, was die Wahrheit der in ihr erkannten Sätze angeht, eindeutig auf einen eigenen Grund außerhalb des aristotelischen Schemas. Damit hat er nicht nur die Frage des theologischen Habitus systematisch runder behandelt als Cowton und Aureoli, sondern auch zwischen der Theorie der akademischen Theologie und der Theorie der irdischen Gotteserkenntnis, deren Unterscheidung sich bei ihm ja andeutete, ein Entsprechungs- und Ergänzungsverhältnis geschaffen: Stand in der Behandlung der theologia nostra der negative Aspekt des Evidenzmangels im Vordergrund, so begegnet dem die Theorie der akademischen Theologie mit einer positiven Setzung, die diesen Mangel aufhebt, indem sie ihn einerseits akzeptiert, andererseits als hinsichtlich der Wahrheitsfunktion der Theologie irrelevant begründet. Damit unterstützt diese Konzeption zugleich das, was oben als argumentativer Nutzen der viator-Theologie in der Auseinandersetzung mit den radikalen Aristotelikern skizziert worden ist184: Angriffe auf die Theologie, die — wie die 179
Aureoli, Scriptum I 160-164, betont, daß die Gewißheit in Form des Anhangens keineswegs aus dem habitus theologicus stammt. Dieser erklärt nach ebd. 164-166 lediglich den Glauben, das Anhangen bewirkt der Glaube selbst (ebd. 166,54f). 180 Aureoli, Scriptum I 166 (q.l Nr. 117). 181 Auch Cowton erklärt die Anerkennung der biblischen Wahrheit durch Auslegung als Glaube, den man lediglich aufgrund des allgemeinen Sprachgebrauchs als Wissen bezeichnen könne (Cowton, Sentenzenkommentar 275,11-19). Dementsprechend konnte Sutton Cowtons System als notitia credulitatis bezeichnen (Theissing, Cowton 167). 182 Vgl. Theissing, Cowton 168. Wegen dieser Unklarheit wurde Cowton in der obigen Darstellung der Auseinandersetzung um das aristotelische Habitus-Schema nicht aufgeführt. 183 OT I 194ff. 184 Vgl. Guelluy, Philosophie 255.
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oben angeführten Thesen aus der Pariser Lehrverurteilung — unter bloßer Betonung ihrer Defizienz ihren Mangel an scientia kritisieren, treffen die Theologie nicht, insofern diese eine andere positive Grundlage besitzt als alle Wissenschaften 185 .
2. Der Ausgangspunkt der Theologie
2.1. Die Verwiesenheit der Theologie auf Autoritäten Daß so der theologische Habitus grundlegend von der fides infusa her zu verstehen ist, hat für den Ausgangspunkt der Theologie einschneidende Folgen. Da die in der fides infusa gegebene Anerkennung der Wahrheit der Offenbarung nur durch die Kenntnis der Offenbarung konkret werden kann, ist der Theologe, anders als der Wissenschaftler, der allein auf seinen Prinzipienhabitus — d.h. auf ihm durch sich selbst oder durch Erfahrung bekannte Prinzipien — und seine Rationalität gestützt ist, in allen seinen Aussagen auf die Instanzen der Offenbarungsvermittlung als Autoritäten verwiesen: Gegenbild zu einer autoritätsfrei186 definierten Wissenschaft ist eine autoritätsgebundene 185
Insofern verfehlen auch moderne Interpretationen, die Ockhams Modell allein negativ als Auflösung des Wissenschaftscharakters der Theologie charakterisieren (so Leinsle, Einheit 123; ähnlich Imbach, Erkenntnis 123), die eigentliche Spitze seines Gedankens. Darauf, daß dieser apologetische Nutzen Ockham bewußt war, obwohl er das Argument so nicht explizit verwendet, könnte hinweisen, daß er die oben im 1. Kapitel 5.3.2. bereits zitierte Bestreitung der Wissenschaftlichkeit der Theologie durch die philosophi (OT I 192,22 — 193,4) unmittelbar vor seine Ausführungen zum theologischen Habitus gestellt hat (ebd. 193,11 —15). 186 Daß Ockham Autorität und (wissenschaftlichen) Beweis einander gegenüberstellt, zeigt sich in OT VI 281,7. Im faktischen Universitätsbetrieb galt natürlich für die Philosophie auch nach Ockham die Autorität des Aristoteles, wie z.B. die Gleichsetzung bestimmter Disziplinen mit der Vorlesung der entsprechenden aristotelischen Bücher zeigt (s. OT I 256,2 — 19), doch ist dies in die Definition wissenschaftlicher Erkenntnis nicht eingegangen, und das liegt daran, daß zwischen der Autorität des Aristoteles und den theologischen Autoritäten ein qualitativer Unterschied besteht. Das wird dort deutlich, wo Ockham ausdrücklich Aussagen des Aristoteles durch bloßen Verweis auf den Glauben abweist (OT VI 2 6 0 , 1 8 - 2 2 ; 2 6 4 , 1 4 - 1 9 ; 265,12-266,3; vgl. IX 518-528, wo Ockham zunächst [Quodl V q.10] die - für die Allgemeingültigkeit der Inkarnationslehre notwendige [s. McGrath, Homo 2 9 0 - 2 9 2 ] - ventas theologica ausführt, daß homo und humanitas nicht synonym sind, und dann [ q . l l ] die opinio Philosophi, daß sie synonym seien). Diesen im Sentenzenkommentar und in den Quodl praktisch beachteten Unterschied in der Autoritätenfrage thematisiert Ockham in seinem Physikprolog: Er kündigt an, darzustellen, was die Meinung des Aristoteles sei oder zumindest sein müsse. Dieser könne man aber getrost widersprechen, cum ipse Scripturae Sacrae auctor non fuerit
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Theologie 187 , und die Autoritäten, an die diese gebunden ist, sind Schrift, Kirche und Heilige, eventuell auch der Konsens der Theologen 188 . Daß man diese Autoritäten, auf die die Theologie verwiesen ist, als "Ausgangspunkt" der Theologie bezeichnen kann, wie die Prinzipien den Ausgangspunkt wissenschaftlicher Erkenntnis darstellen, legitimiert sich auch aus dem Sprachgebrauch Ockhams selbst: Als wollte er selbst diese Analogie vollziehen, spricht er einmal von den praemissae in Scriptura Sacra189 und gelegentlich davon, daß er einen Beweis per auctoritatem führe 190 . Neben die durch die Vernunft gegebenen selbstevident erkannten Sätze und die Erfahrung tritt in der Theologie — darin folgt Ockham ganz den Grundgedanken des 13.Jahrhunderts 191 — ein dritter und entscheidender materialer Ausgangspunkt für Argumentationen: die Autorität 192 .
2.2. Die Autoritätsinstanzen im Sentenzenkommentar 2.2.1. Die Heilige Schrift Im Zusammenhang der theologischen Wissenschaftstheorie selbst, in Sent Prol q.7, wird als äußere Instanz zur Definition des Glaubensinhaltes lediglich die Schrift genannt 193 , doch treten an anderen Stellen des Sentenzenwerkes neben
(OP IV 4,24-32), also eine dieser gleichgestellte Autorität nicht besitzt. Dies zeigt auch, daß Ockham keineswegs eine "doppelte Wahrheit" vertrat, sondern, wie er im Prolog zur Summula Philosophiae Naturalis OP VI 137,14f expliziert, davon ausgeht, daß, was der Heiligen Schrift widerspreche, falsch sei. 187 Genau dies benennt das einzige Kopfargument zu Sent Prol q.7, das Ockhams negative Antwort auf die Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Theologie vorwegnimmt, explizit als entscheidenden Unterschied zwischen Theologie und scientia (ΟΤΙ 184,2f). iss Ygi z u r Verwiesenheit der Theologie auf die Schrift auch schon Duns, Opera (Vaticana) I 137,14-138,5 Nr.204. 189 OT III 358, lOf. 190 OT III 570,1-4; ähnlich OT IV 585,22-24; V 61,10f. 191 S. Thomas, Opera II 186 (ST I q.l a.8 ad 2): argumentari ex auctoritate est maxime proprium huius doctrinae\ vgl. Köpf, Wissenschaftstheorie 254ff. 192 Diese Dreiheit von experientia, ratio (bzw. demonstratio) und auctoritas formuliert Ockham in OT VI 281,6f; VII 213,15, sowie, unter Nennung allein der Schrift als Autorität, in OT III 490,1-3; VII 17,19f; VIII 245,31-33; vgl. Hochstetter, Studien 55; Sylla, Science 358. Diese Aussagen unterstreichen, insofern sie auf die Theologie bezogen sind, natürlich noch einmal, was aufgrund der Ausführungen zum theologischen Habitus ohnehin selbstverständlich sein sollte, daß nämlich in der Theologie auch die Vernunft grundlegende Funktion hat. 193 Ο Τ Ι 194,1-3; 205,18f; 206, 13.
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sie die determinatio Ecclesiaem und die Sancii195. Warum in Sent Prol q.7 allein die Schrift erscheint, wird in Sent I d.2 q.l deutlich. Hier führt Ockham als Autoritätsinstanzen, die zur Annahme einer distinctio formalis führen könnten, wechselnd Schrift, Kirche und Heilige an, schließt aber die Argumentation zusammenfassend mit einem Verweis auf die tradita in Scriptura ("das in der Schrift Überlieferte") ab 196 : Dies ist offensichtlich die grundlegende Instanz, die alle anderen zusammenfassen kann: Ockham spricht der Schrift — im Gefolge der vorangegangenen Theologie 197 — einen eindeutigen Primat zu, der freilich nicht exklusiv, sondern inklusiv zu verstehen ist. Bezeichnend für die Art der autoritativen Funktion der Schrift ist die Formulierung tradita im obigen Zitat 198 . Dem entspricht, daß Ockham den auf die Bibel bezogenen Glauben als ein Glauben der historia scripta in Biblia ("in der Bibel niedergeschriebene Geschichte") versteht 199 : Es geht Ockham um die Schrift als Zeugnis von ihrem Inhalt, nicht um eine äußerliche Verbalautorität: Wo er explizit biblische Stellen zur Klärung von quaestiones anführt, da erfolgt dies nur selten unter argumentativer Verwendung des Wortlautes an sich, vielmehr im allgemeinen durch Verweis auf den mit dem Wortlaut gesetzten Inhalt, sei es das trinitarische Sein Gottes 200 oder sein allgemeines Verhältnis 194 OT I 455,7f; 470,13f; II 17,19; III 371,16-18 u.ö.; auch redaktionell: OT I 471,1-3. 195 OT III 371,16-18; IV 229,21-24. 196 O T I I 17,9-19,2. 197 S. Thomas, Opera II 532 (ST II-II q.5 a.3 c); Bonaventura, Opera IV 853 (Sent IV d.40 ad 4: Die Heilige Schrift als [positive] Beweisinstanz für Kirchenlehre); I 11 (Sent Prol q.2 ad 4: subordinano des Lombarden und der doctores unter die Schrift); vgl. zur Bezeichnung der Theologie als sacra scriptura Köpf, Wissenschaftstheorie 23f. 19 « Vgl. OT II 17,19; Duns, Opera (Paris) XXIV 116 Nr.5. 199 ο χ γ ι 291,3—7. Daß Ockham der oben zitierten Formulierung die Wendung, jemand glaube, totam bibliam esse veram, folgen läßt, stellt lediglich eine Reformulierung dar, bedeutet aber nicht, daß hierdurch ein über die historia hinausgehender Bibelaspekt ins Spiel gebracht würde, denn die folgende Argumentation spezifiziert die Relevanz der Bibel allein vermittels des historia-Begriffs. 200 OT III 400,7 - 9 ; IV 3 0 7 , 4 - 7 (Trinität allgemein; vgl. OT III 275,11-15; 328,14f); 22,13f. 1 6 - 1 9 (Joh 14,11 als Nachweis der Perichorese); IV 414,17-19 (IJoh 3,18 in einer Textvariante als [analoge] Illustration für die Liebe des Vaters und des Sohnes, die - wie die Liebe zwischen dem Autor von IJoh und seinen filioli - in Werk und Wahrheit geschieht). Daß im Bereich der Trinität sola fide argumentiert werden kann, könnte als Behauptung auf eine unbekannte Lehrverurteilung in England zurückgehen: Duns, Opera (Vaticana) II 274 Nr.242 erklärt, secundum artículos cantuarienses seien seine Ausführungen zu Personen und Produktionen in Gott keine Beweise. Die Hg. aber konnten für diese articuli keine Belege finden, da sich die Aussage des Duns nicht auf die englischen Verurteilungen von 1277 und 1286 beziehen kann.
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zur Welt 201 . Auch die Seinsweise der Engel wird unter Zuhilfenahme des biblischen Wortlautes genauer bestimmt 202 , ebenso wie das Sein des Menschen vor Gott 203 . Vor allem aber gibt die Bibel Stadien der Heilsgeschichte kund 204 : Die Schrift ist Zeugnis vom Sein und vom Handeln Gottes und bindend, sofern sie dies ist. Argumentationen mit dem Wortlaut an sich werden dagegen variabel gehandhabt: Einerseits kann Ockham in einem seine Meinung zur Frage, utrum solus Filius sit Verbum ("Ob allein der Sohn das Wort sei"; Sent I d.27 q.3) wiedergebenden Kopfargument mit dem Wortlaut des Comma Johanneum argumentieren 205 , andererseits kann er betonen, daß manche Schriftstellen mehrere Deutungen zulassen 206 , oder, wenn beispielsweise gegen seine These, datum sei ein Proprium des Heiligen Geistes, Jes 9,6 (Filius datus est nobis ["Ein Sohn ist uns gegeben"]) vorgebracht wird, antworten, indem er den Wortlaut als weit interpretiert 207 . Zu Rom 11,36 kann er unter Berufung auf 201 OT IV 434,1 lf (Ps 32,15 als Beleg für Ockhams ebd. 442,6f vertretene Auffassung, daß Gott alles ihm gegenüber andere begreift); 608,14—17 (Gott schaut nach Act 10,34 nicht auf die Person); VII 234,8f (Gott richtet nach einer Textvariante zu Nach 1,9 nicht zweimal über dasselbe). 202 OT V 73,7f (Tob 12,19 als Nachweis, daß Engel essen und trinken können). 203 OT VI 374,9f (IKor 13,3 als Nachweis für die Notwendigkeit der Liebe als Voraussetzung verdienstlicher Werke); VII 208,17 (IJoh 4,18 als Nachweis, daß Angst unzureichender Reuegrund ist); 270,4f (Gal 5,17: caro concupiscit adversus spiritum)·, 279,1 lf (Lk 16,25 in einem von Ockham bejahten Kopfargument als Nachweis für das fortdauernde Erinnern der vom Körper gelösten Seele). 204 OT III 437, lOf u. 438,14-24 (aus Mt 3,16 und Act 2 geht hervor, daß die sichtbare Geistmitteilung auch zeitlich getrennt von der unsichtbaren erfolgen kann); 5 7 3 , 2 - 7 (Jos 10,13 und Ex 32,10 als Beleg dafür, daß gelegentlich der Heilige Geist in die Verfügungsgewalt der Menschen gegeben wird); IV 607,9 — 13 (Verweis auf die reine Gnadenerwählung des Paulus [vgl. VI 280,17-281,2]); 685,8-12 (die nach Ex 12,35f von Gott angeordnete Beraubung der Ägypter durch die fliehenden Israeliten); V 61,10f (Joh 1,3 als Beleg für Gottes Schöpfertum); VI 4,18 (Joh 1,14 als Beleg für die Inkarnation allein des Sohnes in einem von Ockham bejahten Kopfargument); 293,13 (Rom 6,9 als Nachweis, daß Christus nicht mehr sterben wird); 324,15f (die Heilige Schrift nimmt an, daß der Sohn Gottes Mensch [geworden] ist); 4 1 9 , 1 - 5 (IIKor 12,7.9 als Beleg für die Kontinenz des Paulus); VII 2 4 1 , 4 - 6 (Hi 19,25 als Beleg für die zukünftige Auferstehung des ganzen Menschen); vgl. VIII 245,38-45 (Pfingsten). 205 OT IV 228,15 — 18. Uninterpretiert bleibt auch das Hoc est corpus meum aus Mt 26,26 (s. OT VII 62,13f in einem Kopfargument, das Ockhams Meinung wiedergibt [s. ebd. 78,8ff]). 206 So erklärt er in Sent IV q.3f zu Jes 40,14 und Joh 1,3, daß hier nur grundsätzlich Gott als Ursache von allem, auch der moralischen Tugenden bezeichnet, die Weise seiner Ursächlichkeit aber nicht festgelegt werde (OT VII 52,3-6). 207 OT III 579,21-24. Ähnlich argumentiert Ockham in OT IV 671,17-20, daß die Wortfamilie "wollen" in der Schrift auf verschiedene Weisen gebraucht werde,
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die Heiligen sogar erläutern, das dort stehende in ipso bedeute eigentlich soviel wie ab eo20*: Zugunsten inhaltlicher Feststellungen ist die Terminologie korrigierbar, indem die Bedeutungsrelation zwischen dem sprachlichen Zeichen und der bezeichneten Realität als nicht eindeutig festgelegt behandelt wird. F ü r die Frage nach der biblischen Autorität bedeutet dies: Der biblische Text ist in seiner Verbalität keineswegs per se bindend, sondern aufgrund der nicht zwingend stabilen Bedeutungsrelation interpretierbar 209 wie alle sprachlichen Ausdrücke, damit seine eigentliche intendo herausgearbeitet werden kann 210 . Insgesamt jedoch sind diese impliziten wie die expliziten Argumentationen mit der Bibelautorität zur Lösung von Fragen angesichts der Bedeutung, die Ockham der Schrift theoretisch beimißt, im Sentenzenkommentar auffällig gering. Ihre Präsenz ist offensichtlich lediglich eine indirekte: Die Themen, die im Sentenzenkommentar behandelt werden, werden zu Themen nur dadurch, daß sie durch die Autoritäten, auf die die Theologie bezogen ist, vor allem aber durch die Schrift vorgegeben sind. Dieser Hintergrund leuchtet unmittelbar ein, wenn man bedenkt, daß nach Ockham das Hauptthema des ersten Sentenzenbuches, das trinitarische Sein Gottes 211 , allein aus der Schrift bekannt
und folgerichtig löst er in eben dieser quaestio (Sent I d.46 q . l ) mittels einer allgemeinen Distinktion des Begriffes voluntas (a.a.O. 671,1—9, von Ockham zur Responsio aufgegriffen ebd. 6 7 6 , 1 - 7 ) den in den Kopfargumenten (a.a.O. 6 7 0 , 1 9 24) insinuierten Widerspruch zwischen ITim 2,4 (Deus vult omnes homines salvos fieri) und Ps 134,6 (omnia quaecumque voluit fecit) auf. In Sent III q.8 löst er Probleme, die ihm durch den Wortlaut von Joh 3,34; Lk 1,28; Act 6,8 entstehen könnten, durch den Verweis, die hier verwendeten Eminenzbegriffe gälten nur de potentia ordinata (OT VI 261,24—262,6). Auf dieser Linie verbalen Ausgleichs liegt es auch, wenn Ockham das Kommen des Glaubens ex auditu nach Rom 10,17 in Sent III q.9 mit dem Zusatz vel per visum interpretiert, wobei er offensichtlich das Hören als pars pro toto sinnlicher Wahrnehmung interpretiert hat. 208 OT IV 535,18-20; vgl. Lombardus, Sentenzen I 261,18ff. 209 Gelegentlich verzichtet Ockham ganz auf solche Interpretationen, obwohl sie aufgrund der Verwendung eines Bibelzitates gegen seine Meinung erforderlich wären: In Sent III q.10 geht Ockham auf alle vorgebrachten dubia ein, überspringt lediglich das, das mit dem Wortlaut von Rom 1,4 argumentiert hatte (OT VI 3 2 9 , 9 14). In Sent III q.9 fehlt die Antwort auf die Kopfargumente, und daher auch auf die Zitierung von IKor 13,13 als Nachweis für die von Ockham abgelehnte Auffassung, daß die theologischen Tugenden in patria erhalten blieben (OT VI 278,11). Ebenso verhält es sich in Sent IV q. 13, wo das im Kopfargument auftretende Zitat aus Hi 19,27 (OT VII 257,11) Ockhams Ansicht widerspricht, daß zwischen dem Menschen vor und nach der Auferstehung keine volle Identität bestehe (ebd. 264,14f). 210 So ausdrücklich zu Joh l,3f in OT IV 540,13-541,18, und sogar zu Ex 33,19, wo es sich um einen Ausspruch Gottes selbst handelt, in OT IV 543,3 — 8. 211 S. die Überschrift über Sent I bei Lombardus, Sentenzen I 551f.
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ist212: Die vom Magister Sententiarum vorgegebenen Fragen sind erst von dieser Grundlage abgeleitet213! Der Verzicht auf explizite biblische Argumentation bedeutet also im Rahmen des Ockhamschen Systems keinen Verzicht auf den Bibelbezug - allerdings können die dem Lombarden folgenden Argumentationsgänge sich gelegentlich so weit von dieser Grundlage entfernen, daß die Bibel argumentativ keineswegs als positiv normierende Leitlinie der theologischen Aussagen, sondern als deren negative Grenzbedingung, der theologische Aussagen nicht widersprechen dürfen, erscheint 214 . Was den Bezug von Bibel- und Sentenzenvorlesung angeht, ist Ockhams Argumentation in Sent I d.7 q.3, utrum potentia generarteli possit communicari Filio a Patre ("Ob die Fähigkeit hervorzubringen dem Sohn vom Vater mitgeteilt werden kann"), von besonderem Interesse. Hierzu erklärt Ockham: Aliter dico ad quaestionem quod magis tenendum est propter auctoritatem Sacrae Scripturae quod Filius non potest generare quam propter rationem. Ad hoc tarnen adduco aliquas persuasiones ("Auf andere Weise antworte ich auf die Frage, daß eher wegen der Autorität der Heiligen Schrift als aus Vernunftgründen die Auffassung zu vertreten ist, daß der Sohn nicht hervorbringen kann. Dennoch führe ich einige Plausibilitätsargumente hierfür an")215 und führt dann allein diese Plausibilitätsargumente durch, ohne das doch nach seiner eigenen Aussage entscheidende biblische Argument auch nur zu erwähnen! Diese Auslegung ist nicht anders zu verstehen, als so, daß Ockham hier wie ausdrücklich auch in Sent I d.27 q.3 216 die Kenntnis der biblischen Argumentation voraussetzte — eine Voraussetzung, aus der freilich nicht unmittelbar geschlossen werden darf, daß Ockham eine chronologische Priorität der Bibel- vor der Sentenzenvorlesung vorausgesetzt hätte, denn in gleicher Weise kann er auch durch bloßen Verweis auf den Konsens der Theologen auf die Diskussion einer quaestio verzichten 217 . 212
OT III 400,7 - 9 . Es sei auch daran erinnert, daß das Sentenzenbuch selbst (nach dem Prolog) mit den Worten einsetzt: Veteris ac Novis Legis continentiam (...) (Lombardus, Sentenzen I 55,5i). Ein solcher nur indirekter Bezug auf die Bibel konnte übrigens selbst für Bibelvorlesungen gelten (s. hierzu OT VIII 22*f). 214 So in Sent II q.16, wo Ockham seine Argumentation gegründet mit der Aussage: Nec est istud contra Sanctos, nec contra Sacram Scripturam (OT V 369,22 — 370,1). 215 OT III 153,20-24. Ebenso geht er in OT VII 239,18f zu Sent IV q. 12 vor. 216 OT IV 229,23f: Et quod hoc sit tenendum patet multis auctoritatibus Bibliae quam Sanctorum quas pertranseo quia notae sunt (ebenso OT IV 585,21—24); vgl. auch Sent I d.35 q.2: Circa secundum nolo multum immorari, quia est planum quod sic, ex veritate Sacrae Scripturae (OT IV 442,6f). 217 OT IV 563,2-8. Auch die Autoritäten der Heiligen werden gelegentlich als satis notae übergangen (ebd. 585,21-24). 213
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Kirchenlehre
Die Kirche ist in zweifacher Weise relevant für Ockhams Verständnis der Theologie als akademischer Disziplin: Zum einen bezieht sich die Theologie über die fides infusa auf den Glauben der Kirche: Man glaubt im eingegossenen Glauben omnia quae credit Ecclesia ("alles, was die Kirche glaubt") 218 . So gebraucht, ist Kirche nicht als eine dem religiösen Subjekt gegenüberstehende und seinen Glauben normierende Autorität verstanden 219 , sondern Ockham hebt hier offensichtlich auf die inhaltliche Identität ihres Glaubens mit dem jedes einzelnen Christen als Gliedes der Kirche ab: Es geht um die katholische Kirche als Gesamtheit der Gläubigen. Wo es hingegen um Kirche als Autorität geht, erscheint terminologisch die determinatio Ecclesiae, die Lehrfestlegung der Kirche. Diese geschieht nicht allgemein durch die Kirche als Glaubensgemeinschaft, sondern durch eine bestimmte, gelegentlich spezifisch als Ecclesia Romana bezeichnete 220 Instanz innerhalb derselben, die freilich Instanzcharakter nicht im Sinne einer Schaffung von Glaubensinhalten besitzt: Ockham spricht hier wie bei der Schrift lediglich von Überliefertem 221 , so daß die inhaltliche Legitimität der Lehrfestlegung außer ihrer selbst in der Überlieferung liegt, sie allein deren Bewahrerin ist, dies jedoch mit definitiver Interpretationskompetenz: Sie kann den Streit um eine Glaubenswahrheit zugunsten der einen Seite entscheiden 222 . Um welche Instanzen es sich bei der römischen Kirche nun konkret handelt, führt Ockham im Sentenzenkommentar noch nicht theoretisch-systematisch aus, und so kann man es nur aus seinem faktischen Gebrauch des determinatio-Begñffs erschließen: Als Lehrfestlegungen werden das NicänoKonstantinopolitanische Glaubensbekenntnis 223 sowie im CIC kodifizierte
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OT VI 313, lf; vgl. OT VII 239,16. Insofern ist die auf diese Stelle bezogene Frage von Barbaglio, Fede 155, um welche Kirchenautorität es sich hier handle, schon falsch gestellt. 220 OT VII 35,4f eindeutig auf die determinatio bezogen, wie aus dem folgenden Verweis auf eine Dekretale hervorgeht (ebd. Z.7). 221 OT II 17,19. 222 OT III 345,19-346,4: Die Kirche hat die Wahrheit festgelegt, daß der Geist vom Sohn und vom Vater ausgeht, quamvis de ista conclusione inter catholicos aliquando fuerit altercatio. Daß das Filioque zu den Glaubenswahrheiten gehört, hält Ockham auch an anderen Stellen definitiv fest: Daß Vater und Sohn den Geist hauchen (zur Gleichsetzung des an der in Frage stehenden Stelle verwendeten producere mit spirare s. deren wechselnden Gebrauch in OT III 391,2-12), ist sola fide (...) tenendum (OT II 44,17; zur Einschärfung des Filioque in Auseinandersetzung mit den Griechen zuletzt auf dem Konzil von Lyon s. DS 850). 223 OT III 345,19-346,4; vgl. OT IV 21,10-15; 4 1 9 , 6 - 8 (Quicumque), allerdings ohne determinatio-Terminologie. 219
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3. Kapitel
Dekretalen 224 bezeichnet, also gesamtkirchliche lehramtliche Äußerungen. Daneben erscheinen als verbindliche kirchliche Lehre auch provinzialbischöfliche Lehrverurteilungen wie die des Etienne Tempier 1277 in Paris 225 . Daß in deren Kontext keine determinatio-Terminologie verwendet wird, bedeutet keine Reduktion ihrer Verbindlichkeit, denn in Sent III q. 1 gilt einer dieser Artikel ausdrücklich als necessario verbindlich 226 . Die verbindlichen kirchlichen Lehren werden also von den obersten Stufen provinzialer und universaler Kirchenhierarchie verkündet, wobei allerdings anscheinend nur Entscheidungen gesamtkirchlicher Leitungsorgane der spezifische Begriff der determinatio ecclesiae zukommt. Der Bezug der Glaubensentscheidungen auf die Schrift, die ja, insofern ihr der inklusive Primat zukommt, auch die Nennung der Kirche als Autorität in sich aufheben kann, ist nicht immer eindeutig. Dieser Bezug scheint dort gewahrt, wo die determinatio Ecclesiae lediglich das festlegt, was ohnehin aus der Schrift gefolgert werden könnte 227 , oder den Disput um strittige Bibelstellen durch ihre autoritative Auslegung beendet wie im Fall jener biblischen Stellen, die einer Kindertaufe entgegenzustehen scheinen, die unter Verweis auf Dekretalen als mit der Kindertaufe konform ausgelegt werden 228 . An anderen Stellen aber tritt die determinatio Ecclesiae durch ein vel anscheinend als eigene, in jener nicht zwingend völlig mitenthaltene Größe ne224
OT III 2 8 , 1 - 3 (Decr. 1.1 tit.l c.2 [CIC II 6f]); 374,15-20 (Decr. 1.6 tit.l c.l [CIC II 937]); VII 27,16 u.ö. (Decr. 1.3 tit.42 c.3 [CIC II 644 - 646] - ohne determinatio-Terminologie); 56,3f (Clem. 1.1 tit.l c.l [CIC II 1133f] - ohne determinatio-T&rmmologit); 139,19 (Decr. 1.1 tit.l c.l [CIC II 5f]); 139,19f (Decr. 1.3 tit.41 c.6 [CIC II 636-639]). 225 S. zur Streitfragen entscheidenden Verwendung dieser Verurteilung bei Ockham oben 1. Kapitel Anm. 398. Diese mit der determinatio ecclesiae gleichrangige Bedeutung bischöflicher Verurteilungen hat Leeuwen, L'Église 265f, bei seiner Untersuchung dieser Frage übersehen. 226 OT VI 22,3f. 227 OT III 400,2 —5: Der Satz p, daß Vater und Sohn, weil sie sich gegenseitig lieben, den Heiligen Geist hervorbringen, expressum est ex determination Ecclesiae et ex Scriptum Sacra et propositionibus per se notis satis potest haberi. Es ist offensichtlich, daß hier entweder das erste oder das zweite et die beiden Prädikate expressum est und potest haberi verbindet. Wäre dies beim zweiten der Fall, so müßte ein die Trinität betreffender Satz aus selbstevident erkannten Sätzen erkennbar sein. Dies ist nach Ockhams Überzeugungen, wonach die Trinität nur glaubbar ist (OT III 400,7 —9), offensichtlich nicht der Fall. Also muß dem ersten et die Funktion der Satzverbindung zukommen, so daß sich als die beiden verbundenen Sätze ergeben: 1. Ρ expressum est ex determinatione Ecclesiae. 2. Ρ ex Scriptum Sacra et propositionibus per se notis satis potest haberi. Die kirchliche Festlegung entspricht also dem aus der Schrift mittels selbstevidenter Sätze Ableitbaren. 228 OT VII 56,5-57,4.
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ben die Schrift 229 . Nach dem bisherigen Verlauf dieser Arbeit kann es nicht erstaunen, daß die darin angedeutete eigene Valenz der Kirche neben der Schrift daraus resultiert, daß Ockham hier einer Position des Doctor subtilis folgt, deren Wurzeln bei Heinrich von Gent, aber auch in spezifisch englischen Entwicklungen, liegen: Nachdem Thomas durchaus schon die Kirche als ganz an die Schrift gebundene theologische Autorität betrachtet hatte230, wird bei Heinrich von Gent erstmals 231 der Kirche eine eigenständige wissenschaftstheoretische Würdigung zuteil, und zwar in der q.l des Artikels 10 seiner Summa232: Heinrich wägt hier genauestens ab, in welchem Falle mehr der Kirche, in welchem mehr der Schrift zu folgen sei233, und reflektiert so beide — obwohl er ihre prinzipielle Übereinstimmung 234 betont als theoretisch in ihrer autoritativen Valenz unterscheidbare Größen. Die so bei Heinrich in Form ihrer Verneinung angedeutete Denkbarkeit einer Konkurrenz zwischen der Bibel und anderen Autoritäten wurde im England des ausgehenden 13.Jahrhunderts auch zu einem faktischen Problem: Unter den Sätzen Richards von Knapwell, die 1286 verurteilt wurden, findet sich auch einer, in dem Knapwell beanspruchte, se non teneri in his, quae sunt fidei, alicujus auctoritate, Augustini vel Gregorii, seu Papae, aut cujuscunque magistri, excepta auctoritate canonis bibliae vel necessaria ratione, subicere sensum suum ("daß er in Glaubensdingen nicht verpflichtet sei, seinen Verstand der Autorität von irgend jemandem — von Augustin oder Gregor oder vom Papst oder von
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OT I 455,7f. ST II-II q.5 a.3 contra (Thomas, Opera II 532): Autorität ist die Kirchenlehre, quae proced.it ex veritate prima in Scripturis Sacris manifestata. Diese Bedeutung auch der Kirche bei Thomas übersieht Lohr, Modelle 149, weil er sich nur auf ST I q.l a.8 stützt. 231 Köpf, Wissenschaftstheorie 256. 232 Derselbe Artikel behandelt im folgenden (Heinrich, Summa f.74rK) das Problem, ob plus credendum est auctoritati huius scientie quam rationi naturali, das ebenso in deutlichem Zusammenhang mit der Lehrverurteilung von 1277 steht (vgl. die Thesen 150f [Flasch, Aufklärung 215f]) wie das Thema der nächsten quaestio, die doppelte Wahrheit (Heinrich, Summa f.75vA: Es wird das Problem behandelt, ob auctoritas huius scientiae possit esse contraria rationi). Dieser Kontext macht einen Bezug auch von Heinrichs Überlegungen zur kirchlichen Autorität auf die Lehrverurteilung von 1277 zwar wahrscheinlich, aber nicht sicher, denn gerade q.l selbst steht nicht in nachweisbarem Zusammenhang mit einer der verurteilten Thesen. 233 Heinrich, Summa f.73 r A-74 r I; vgl. zum Ganzen bei Heinrich Schmaus, Schrift 211-233. 234 Heinrich, Summa f.73rB. 230
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3. Kapitel irgendeinem Magister — zu unterwerfen, die Autorität der biblischen Richtschnur oder notwendige Vernunftüberlegung ausgenommen"235).
In dieser verurteilten Position erschien nun ganz deutlich die Möglichkeit der Konkurrenz von Schrift und Kirche (und Heiligen), die Heinrich theoretisch bedacht hatte, als praktische Kampfstrategie. Diese beiden Aspekte, Heinrichs Theorie und die Auseinandersetzung in England, schärften bei Duns offensichtlich den Blick dafür, daß der faktische Vollzug der Theologie mit einem Verweis auf die biblische Autorität nicht zureichend erklärbar war. Jedenfalls stellte er — trotz Betonung der materialen Suffizienz der Schrift 236 — diese und die Kirche gelegentlich ebenso unvermittelt nebeneinander 237 wie Ockham. Und bei beiden finden sich Gedanken, aus denen hervorgeht, daß die Kirche nach ihnen in der Tat Inhalte vertreten kann, die nicht explizit aus der Schrift ableitbar sind: Ockham folgt dem Doctor subtilis238 darin, daß er die Annahme der Transsubstantiationslehre allein mit den dicta Sanctorum und der determinano Ecclesiae erklärt, obwohl sie nicht diejenige Lehre ist, die am besten mit Vernunft, Schrift und Wahrscheinlichkeitsüberlegungen harmoniert 239 , also aus der Schrift nicht ableitbar, sondern, wie Ockham wenig später, in Quodl IV q.30 erklärt, in einer eigenen Offenbarung begründet 240 ist: Der inklusive Primat der Schrift schließt die Erkenntnis von über die Schrift hinausgehenden materialen Gehalten nicht aus. Ähnlich argumentiert Ockham in der Tauflehre: Daß den Getauften ein Charakter aufgeprägt werde, wonach Ockham in Sent IV q.2 fragt 241 , kann nach ihm weder durch die Vernunft, noch durch die Bibel bewiesen werden 242 , und alle durch die Bibel gestellten Probleme können auch ohne diese Annahme gelöst werden 243 . Allein die kirchliche Entscheidung scheint dem zuzuneigen, ohne freilich dazu zu zwingen 244 . Das aber reicht — zusammen mit einem Konvenienzargument 245 — für Ockham aus, diese Auffassung zu akzeptieren 246 . 235
Annales Monastici III 325. Duns, Opera (Vaticana) I 138 Nr. 204; vgl. ebd. 85 Nr. 120. 237 Duns, Opera (Paris) XVII 353 Nr.5; XXIV 116 Nr.5; vgl. Finkenzeller, Offenbarung 58; zur Betonung der Autorität der Kirche bei Cowton s. die Zitate bei Theissing, Cowton 174 Anm. 170; 176 Anm. 178. 238 Duns, Opera (Paris) XXIV 120, hatte die Transsubstantiationslehre principaliter (...) propter auctoritatem Ecclesiae, quae non errat in his, quae sunt fidei vel morum, akzeptiert; vgl. ebd. XVII 372f Nr. 13. 239 OT VII 138,22-140,2; vgl. Leeuwen, L'Église 263 Anm.40. 240 QTIX 450,41-44. 241 OT VII 20,2. 242 OT VII 28,7f. 17-24. 243 OT VII 29, If. 244 OT VII 28,9f; 29,3-8. 236
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Ockham argumentiert also faktisch auf der Grundlage eines Nebeneinanders zweier in ihrer materialen Lehre nicht voll identischen Autoritäten, ohne daß er aber irgendwo explizit die materiale Suffizienz der Schrift ausschlösse, ja, möglicherweise sah er hier überhaupt keinen Widerspruch: Die Behauptung der materialen Suffizienz der Schrift stand ja auch bei Duns neben der Annahme der Transsubstantiationslehre allein aufgrund der Kirchenlehre 2 4 7 . Möglich — und angesichts des oben festgestellten inklusiven Schriftprimates sogar wahrscheinlich — ist es daher, daß Ockham schon in Sent und Quodl das faktische materiale Plus der kirchlichen Lehre bzw. die der Kirche zuteil werdende Offenbarung nicht als wirklich eigenständige Ergänzungen, sondern, wie Bonaventura, der von einer Schriftauslegung vermittels Offenbarung ausging 248 , als Erleuchtung bei der Schriftexegese verstand 249 , wie er es später im Dial III tat 250 . 2.2.3. Die Sancti Breiten Raum nimmt im Ockhamschen Werk die Argumentation mit Väterzitaten ein. Ein Großteil dieser Zitate ist in der Sentenzensammlung des Petrus
245 OT VII 2 9 , 9 - 1 1 . Daß er sie akzeptiert, setzt Ockhams gesamte Argumentation zur quaestio voraus, wie schon ein Blick in seine Beantwortung der Kopfargumente zeigt (OT VII 38,4—8 [hier beruft er sich übrigens allein auf sein Konvenienzargument!]). 247 Eine solche faktische Negation der materialen Suffizienz der Schrift findet sich gelegentlich schon in der Hochscholastik, etwa in der Behauptung, daß die Apostel nicht alles, was sie gelehrt haben, niedergeschrieben haben, bei Thomas, ST III q.64 a.2 ad a (Thomas, Opera II 868), und Bonaventura, Opera III 204 (Sent III d.9 a. 1 q.2 ad 6); vgl. auch den Umstand, daß für Bonaventura der absolute Primat der Schrift ausdrücklich die Möglichkeit der additio complens einschließt (Bonaventura, Opera I 23 [dubium 2 responsio]). 248 Bonaventura, Opera I 21 lf, führt in Sent I d . l l a. 1 q. 1 den Unterschied zwischen lateinischer und griechischer Kirche hinsichtlich der von beiden akzeptierten biblischen Fundierung, Spiritum sanctum esse Filii et mitti a Filio auf revelatio zurück; auf den franziskanischen Hintergrund dieses Gedankens verweist Schlageter, Unfehlbarkeitsdoktrin 131 Anm. 93a. 249 Diese Deutung schlägt Leeuwen, L'Église 264f, vor; ähnlich Buescher, Eucharistie Teaching 31, der meint, daß nach Ockham die Lehre von der Transsubstantiation implizit in der Bibel enthalten sei — genau das aber sagt Ockham nicht eindeutig. 250 Goldast II 827,30ff. 60ff: Der intellectus legis wird vel per scripturas vel per miraculosam operationem bekannt. Da es eben um den intellectus legis geht, impliziert auch der zweite Teil der Alternative entgegen dem ersten Anschein Schriftbezug. Hier liegt sicher Ockhams Meinung vor, da diese Äußerungen mit dem Restgedanken ebd. 828,20ff verbunden sind. Zur Frage, ob es sich hier um einen Beitrag zur Schrifthermeneutik handelt, s. die Auseinandersetzung mit Schlageter unten im 4. Kapitel Anm. 281. 246
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3. Kapitel 251
Lombardus oder der Glossa Ordinaria verifizierbar 2 5 2 , was dafür spricht, daß Ockham sie aus diesen Texten, die er ohnehin für die Vorlesungspräparation brauchte, und nicht aus den Originalschriften der Väter übernommen hat 253 . Möglicherweise hat Ockham auch die in ihnen nicht veri251
OT III 570,1—4 verweist Ockham selbst auf die wahrscheinliche Hauptquelle seiner Heiligenzitate, wenn er von den auctoritates Sanctorum quas Magister adducit in littera spricht (ähnlich, in bezug auf Augustin OT III 577,18-20). 252 Bei einer Untersuchung der ausweislich der Hg.-Angaben bei Ockham zitierten Werke zur Bibelauslegung (diese beschränkte Werkauswahl war notwendig, um die Glossa Ordinaria sinnvoll in die Untersuchung einbeziehen zu können, da für diese ja eine moderne Ausgabe mit Register nicht zur Verfügung steht) ergab sich folgendes: 1. zu den Angaben der Hg.: An einer Stelle ist die Angabe der Herausgeber zu korrigieren: Zu OT V 320,16f verweisen sie auf die Collectanea in epístolas Pauli des Lombarden zu IKor 2 , 1 - 8 . An dieser Stelle (PL 191, 1549B) aber spricht Petrus vom Wissen der daemones und der principes sacerdotum, nicht, wie Ockham an der fraglichen Stelle, vom Wissen der Engel. Außerdem nennt Petrus hier als weitere Beispiele für den möglichen Mangel des Wissens neben der Inkarnation Passion und Erlösung, während Ockham auch die Inkarnation, aber sonst andere Beispiele nennt. Ockham dürfte sich daher eher auf die Sentenzen II d . l l (Lombardus, Sentenzen I 383) beziehen: (Angeli) profecerunt (...) in scientia rerum exteriorum, sicut in cognitione sacramenti incarnationis et huiusmodi. Zu einer anderen Stelle, OT VII 222,3—5, ist zu ergänzen: Die Herausgeber selbst geben hier als Parallelstelle Lombardus, Sentenzen I 465 (II d.25 c.7) an, ohne explizit zu vermerken, daß bei Ockham eine falsche Zitierung vorliegt: Er verweist auf den Lukaskommentar des Beda, dessen Wiedergabe in PL 92,468f aber, im Gegensatz zu der Stelle beim Lombarden, den Ockhamschen Text nicht erklären kann (beide Texte sind Auslegungen zum Samaritanergleichnis), wie ein Vergleich zeigt: a) Beda setzt die plagae der Vulgata mit dem peccatum gleich, Ockhams Referat und Petrus dagegen verstehen die Räuber als peccatum. b) Im Gegensatz zu Beda deuten Petrus und Ockhams Referat vulneratus und spoliatus je einzeln allegorisch aus. c) Die Begriffe bona naturalia und (bona) gratuita erscheinen bei Petrus und Ockham, nicht aber bei Beda. 2. zu Ockhams Autoritätenbenutzung: Da diese beiden Stellen also auf die Sentenzen zurückzuführen sind, bleibt als Ergebnis, daß neben einigen Stellen aus Augustin, Super Genesim, allein folgende Zitate Ockhams weder beim Lombarden noch in der Glossa (nach dem Text der PL) nachweisbar sind: Hieronymus, Matthäuskommentar 111,19 (zit. in: OT VI 374,3-6); Gregor d. Gr., Evangelienhomilien II, 27 N r . l (zit. in OT VII 57,22ff); 30 (zit. in OT VIII 358,396ff; 371,71 Iff); Augustin, Johanneskommentar tr. 80 Nr.l (zit. in OT X 69,110-70,113 [Ockham bietet hier kein wörtliches Zitat, sondern eher ein Referat des ganzen Abschnitts PL 35,1839f]). 253 Zu Recht weist Schlageter, Glaube 142 Anm. 16, darauf hin, daß auch der Verweis, inspicienti librum werde der Kontext eines Augustin-Zitates deutlich (OT IX 160,87-90), eher gegen als für die Benutzung der originalen Werke durch Ockham spricht: Der von Ockham angegebene Kontext findet sich nämlich in Augustins
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fizierbaren aus Florilegien oder aus dem Gebrauch in der wissenschaftlichen Diskussion 2 5 4 gewonnen 2 5 5 . Mit dem Gebrauch der Väterzitate als Autoritäten konnte sich Ockham auf den faktischen Konsens der Theologen seiner Zeit stützen 256 . Das grundlegende Lehrbuch war ja nichts anderes als eine Sammlung von Sentenzen der Heiligen, und so hatte auch Thomas die Heiligen unter die für die Theologie maßgeblichen, freilich nur Wahrscheinlichkeit bewirkenden Autoritäten gerechnet 2 5 7 . Der autoritative Gebrauch, den Ockham von diesen Zitaten macht, ähnelt dem Gebrauch von Aristoteles-Zitaten: Aus auctoritates folgt offensichtlich eine bestimmte Aussage {patet)258, und gelegentlich können die Philosophen und die Heiligen sogar gemeinsam als Gruppe von Autoritäten auftreten 2 5 9 . Doch gibt es für die Väterzitate eine eigene Rechtfertigung: Es handelt sich hier um die Äußerungen von Sancii, von "Heiligen" 260 , die neben Schrift und de-
De duabus animabus (PL 42, 105, mit der Rede von zwei genera der Seele), nicht aber in dem Augustin zugeschriebenen Werk De ecclesiasticis dogmatibus (s. ebd. 1216), auf das sich Ockhams Aussage bezieht, die den Einwand aus OT IX 1 5 9 , 6 7 69 mit der Nennung eben dieses Werkes widerlegen soll. 254 Dies ist evident in OT V 160,24-161,1, wo Ockham ein Zitat Isidors als Hieronymus-Zitat einführt und darin offensichtlich Bonaventura folgt (s. die Anm. der Hg. ebd.), der in dieser quaestio (Sent II q.8) sein Hauptgesprächspartner ist (s. a.a.O. 153). 255 Hierfür spricht, daß sich von den nicht verifizierten Stellenangaben allein aus Super Genesim eine ganze Anzahl findet, die anderen hingegen isoliert sind: Das verweist — außer im Falle von Super Genesim — eher auf ein Aufgreifen einzelner Zitate als auf komplette Lektüre der Schriften. Neben gängigen Florilegien, Katenen und Kompilationen kommt als Quelle natürlich auch das CIC in Frage. Möglicherweise entstammen die Zitate auch der Glossa ordinaria: Mangels Register konnte diese ja nicht voll erfaßt werden, und zudem hat Ockham zumindest in seiner nachakademischen Phase einen Glossa-Text benutzt, der von dem in PL vorliegenden markant abwich. Dies geht aus Goldast II 764,25ff, hervor, wo Ockham seine Glossa zu IIKor 12 wörtlich zitiert, aber mit einem in PL 114,568f nicht zu findenden Text (ebenso Goldast II 766,45ff zu Hebr 11 [vgl. PL 114,663-666]). 256 Ygi Pelikan, Determinatio 41. 257 ST I q.l a.8 ad 2 (Thomas, Opera II 186); vgl. Lohr, Modelle 150. 258 Aus der Fülle der Belege sei für jeden Fall nur einer genannt: OT I 7 , 4 - 1 5 (für Augustin); 23,14f (für Aristoteles). 259 Ο Τ Ι 360,12f; II 566,15 u.ö. 260 Namentlich werden eindeutig als Repräsentanten dieser Gruppe genannt: Augustin (OT III 412,7-11); Beda (OT VII 222,3f); Gregor der Große (OT I 300,3f); Hieronymus (OT III 412,7-11); Hilarius von Poitiers (OT III 3 8 2 , 1 - 9 ; 412,7-11).
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3. Kapitel
terminatio Ecclesiae als für die Theologie maßgebliche Autoritäten gelten 261 . Ihre Auffassungen weist Ockham nirgends einfach ab, wie er es gelegentlich bei Aristoteles tut 262 , sondern er harmonisiert sie, wo es zu Widersprüchen kommen könnte, untereinander und vor allem mit seinen eigenen Äußerungen durch Verweis auf die Absicht der Heiligen bei der Betonung bestimmter Sätze 263 oder durch Rückführung von Differenzen auf rein terminologische Unterschiede 2 6 4 . Diese Heiligen nun, um die es geht, sind nicht einfach Heilige im kirchenamtlichen Sinne: Für die zitierten Väter der alten Kirche zwar dürfte es gelten, daß sie auch kirchenrechtlich Heilige sind, und auch Anselm war zu Ockhams Lebzeiten bereits als Heiliger anerkannt 265 , für Richard von St. Viktor jedoch kann dies nicht in Anspruch genommen werden, und dennoch erscheint er bei Ockham unter den Sancii266. Diese sind also offensichtlich keine scharf kriterienhaft abgrenzbare Gruppe, sondern allgemein würdige Repräsentanten des kirchlichen Konsenses. 261 Diese Autorität haben sie in der einzelnen Argumentation wie als Gruppe, wie die Argumentationen in OT I 4 7 4 , 3 - 8 ; OT III 5 3 , 1 2 - 1 4 ; 2 9 4 , 6 - 9 ; 327,3f u.ö. zeigen. 262 S. OT VI 260,18-22; 265,12 - 266,5. 2 « OT III 382,17f; 406,16-27; 427,13-23. 264 OT I 390,16f (hier unter Einschluß des Lombarden, auf den offensichtlich als Sammler der Heiligenzitate ein Abglanz ihrer Autorität fällt; ähnlich OT III 9 6 , 9 12; 97,5f; 5 7 1 , 9 - 1 4 ) ; 466,8f; III 397f u.ö. Häufig begegnet die Rede vom usus oder modus loquendi der Heiligen (OT II 35,13; III 2 9 4 , 6 - 9 ; 425,21f; 574,12f; IV 16,15f u.ö.). In OT III 382,1—9 wird offensichtlich divergierender Sprachgebrauch als aufgrund der vorangehenden Argumentationen Ockhams (ebd. 380, lOff) gleichermaßen zulässig dargestellt. Dieses Vorgehen rechtfertigt Ockham durch die allgemeine Feststellung: a philosophis et Sanctis et auctoritatibus conceduntur multae propositiones sub uno intellectu quae tarnen de virtute sermonis sunt falsae (OT IV 332,23—25), oder durch den Hinweis, man müsse secundum mentem Sanctorum interpretieren (OT IV 544,21f). Ausdrücklich erklärt er zu seinem Vorgehen in Sent IV q . l , er führe eine Begriffsdistinktion propter dicta Sanctorum et auctorum ein (OT VII 12,13f)265 Als solcher wird er bei Ockham zitiert in OT IV 526,7f. Die Kanonisationsakten sind zwar verschollen, aber die Kanonisation — auf Geheiß des Papstes von einer englischen Provinzialsynode vorgenommen — muß vor 1165 erfolgt sein (s. Farmer, Saints 20). 266 OT III 4 1 2 , 7 - 1 4 . Daß auch Richard noch unter die Sancti gerechnet wird, geht aus dem Satzgefüge hervor: Auf die Aussage Et isto modo intelligunt omnes Sancti folgt, eingeleitet mit videlicet, eine Belegreihe mit Augustin, Hieronymus, Hilarius von Poitiers und Richard, nach der es in offensichtlicher Aufnahme des Einleitungssatzes heißt: omnes enim intelligunt (...). Diese Wiederaufnahme der Einleitung zeigt, daß Richard nicht allein aus inhaltlichen Gründen zu den Vertretern dieses Argumentes gerechnet wird, sondern auch personal derselben Gruppe zugerechnet wird wie die drei altkirchlichen Väter.
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Der Bezug auf die Schrift ist bei den Heiligen auf zwei Weisen hergestellt: Zum einen können die biblischen Autoren 267 und Gestalten — auch des Alten Bundes 268 — unter die Sancii gerechnet werden, zum anderen spricht Ockham einmal explizit von den Sancii exponentes Scripturam ("Heilige, die die Schrift auslegen") 269 , womit freilich nicht die gesamte Gruppe der Heiligen gemeint sein muß. Doch zeigt diese Äußerung, daß zumindest ein Teil der häufigen Väterzitate mittelbar noch einmal die grundlegende Bedeutung der Heiligen Schrift für die Theologie unterstreicht, da ja die Heiligen, sofern sie die Bibel auslegen, nur von dieser abgeleitet inhaltlich-theologische Bedeutung gewinnen können, umgekehrt freilich die Bibel in ihrer Bedeutung festgelegt wird, wie etwa in Sent II q.3f, wo Ockham Joh 1,3 (Omnia per ipsum facta sunt ["Alles ist durch es gemacht"]) zitiert und die Auffassung, dies gelte nur von einem mittelbaren Wirken Gottes, unter Verweis auf die Heiligen abweist 270 . Woher die Heiligen ihre besondere Kompetenz haben, sagt Ockham nicht definitiv: Einerseits gilt, daß sie der abstraktiven wie der intuitiven Gotteserkenntnis ebenso wie jeder andere Erdenpilger auch entbehren 271 , andererseits weiß Ockham, daß die Heiligen bestimmte Wahrheiten erkennen, die NichtHeilige nicht erkennen 272 — ob sie dies aber durch eine unmittelbare Eingießung Gottes oder durch Übung und Erfahrung können, entscheidet Ockham hier ausdrücklich nicht, doch gerade die Nennung von Übung und Erfahrung als mögliche Grundlage ihrer Kenntnis unterstreicht noch einmal, daß es sich hier um Phänomene im Bereich der irdischen Gotteserkenntnis handelt 273 , die Sondererkenntnis der Heiligen nicht erst durch die potentia absoluta er-
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OT III 4 5 9 , 3 - 1 0 führt Ockham Ps 134,14; Apk 1,5; IJoh 4,10; Rom 5,8 als auctoritates Sanctorum an; in OT IV 525,3—6 belegt er mit Joh l,3f als erster von mehreren auctoritates Sanctorum die Meinung Wilhelms von Alnwick. Dieses Rechnen der biblischen Autoren unter die Sancti macht ihre Sonderstellung aber nicht völlig zunichte: OT IV 535,8f wird Paulus als Apostel wiederum von den Sancti unterschieden. 268 OT III 439,3; 450,4; 573,2-11; IV 525,16-19. Dies entspricht dem Sprachgebrauch bei Lombardus, Sentenzen 460. 269 OT III 371,16-18. Gelegentlich zieht Ockham sie auch tatsächlich zur Bibelexegese heran, so Augustin in einer Interpretation durch den Lombarden zu Joh l,3f in OT IV 540,13-541,18 und Hieronymus zur Interpretation von Mt 19,28 in OT VI 374,3f. 270 OT V 61,10-13. 271 OT IV 129,12-15. 272 OT IV 502,11-18. 273 Dies wird dadurch gestützt, daß die Erkenntnis der Heiligen nicht zwingend eine evidente sein muß, denn der Erkenntnisbegriff, den Ockham auf sie anwendet, steht pro certa et evidenti cognitione vel saltern pro veridica cognitione (OT IV 502,6f). Wahrsprechend aber ist auch der inevidente Glaube.
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3. Kapitel
möglicht wird 2 7 4 . Zugleich ist aber festzustellen, daß der Verweis auf die Möglichkeit von Zusatzerkenntnissen durch infusio Dei impliziert, daß Ockham auch in bezug auf die Heiligen eine zweite normative theologische Erkenntnisquelle neben und nach der Schrift keineswegs ausschließt. 2.2.4. Der Konsens der
Theologen
Neben diesen drei Autoritäten wird bei Ockham gelegentlich noch ein weiterer Terminus als Bezeichnung einer quasi-autoritativen Instanz herangezogen: die doctores275. Wie bei den Heiligen argumentiert Ockham auch bei ihnen mit dem Sprachgebrauch, den er auszugleichen sucht 276 , und führt sie allein 277 oder mit anderen Autoritäten zusammen 278 auch als inhaltliche Autorität an. Wie die der Heiligen ist ihre Autorität dabei auf die Bibel bezogen, deren Ausleger die Doktoren der Theologie sind 279 . Autorität besitzen diese aber, anders als die Heiligen, nur als Gruppe: Während Ockham den doctores insgesamt ausdrücklich reverentia ("Ehrerbietung") entgegenbringt 2 8 0 , und einen Widerspruch zu ihnen gelegentlich aufs höflichste abmildert 2 8 1 , kann er mit den einzelnen doctores durchaus heftig umspringen: 274
Entsprechend stellt Ockham den Vorsprung der Heiligen vor den Nichtheiligen in OT IV 502,19—503,5 auch lediglich als einen quantitativen dar, der besonders gegenüber der anima infidelis gilt, woraus zu folgern ist, daß die anima fldelis eine Position zwischen Heiligem und Ungläubigem einnimmt, ohne daß dabei deutlich würde, worin nun eigentlich ihr gegenüber der Vorsprung des Heiligen liegt. Anders steht es mit dem Problem der Propheten, das Ockham in Quodl IV q.4 behandelt (s. hierzu Edidin, Prophecy): Deren Erkenntnis wird im Text ausdrücklich per potentiam divinam erweitert (OT IX 317,78-318,90). 275 Vgl. zu ihnen auch Pelikan, Determinatio 40. Wo, wie in OT VI 121,11, von den sancii doctores die Rede ist, ist dies nicht als allgemeine Qualifikation der doctores, zu verstehen, sondern nur als Heraushebung einer Gruppe aus ihnen. 276 OT I 466,8ff; II 45,6f; III 123,2.12f. 277 OT III 280,15-17; VI 212,5; VII 264,15; vgl. OT IV 5 6 3 , 2 - 8 : Hier beantwortet Ockham die Grundfrage, utrum esse ubique et in omnibus rebus per essentiam, praesentiam et potentiam sit proprium soli Deo (ebd. 562,5—7), durch einen Verweis auf die conclusio (...) certa der Theologen bejahend und verschiebt die Frage, ohne sie weiter zu verhandeln, auf ein Spezialproblem. 278 OT I 378,20-24; IV 578,20f (hier zusammen mit den Philosophen); V 399,16f; VII 139,20. 279 OT I 206,13; VI 291,7f. 280 OT III 308,22-309,4. Auch in OT III 335,7f gilt die Reverenz der Gesamtheit der Theologen; die von den Hg. gesetzte Überschrift contra opinionem Scoti trifft zwar inhaltlich einen Großteil der Argumentation, aber Ockham selbst wendet sich ausdrücklich gegen das, was communiter respondetur (ebd. 331,6). 281 Während es bei den Reflexionen noch hieß, das Argument der doctores: a est prius natura ipso b Deus potest facere a sine b
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Ganz selbstverständlich argumentiert er gegen sie 282 , und Thomas' Modell der Theologie wird gar als kindisch abgetan 283 . Relevant ist also nur der Konsens der Theologen 2 8 4 , und auch dieser ist nicht absolut bindend: Gelegentlich kann Ockham sich auch von ihm abwenden, und das, was dicitur communiter ("gemeinhin gesagt wird"), kritisieren 285 . 2.2.5. Das Verhältnis der Autoritäten
zueinander
Diese Autoritäten werden von Ockham in ein nicht theoretisch expliziertes hierarchisches Verhältnis gesetzt: Schon oben war gezeigt worden, daß die grundlegende Autorität, in der alle anderen zusammengefaßt werden können, die Schrift ist, der gegenüber damit die Kirche also ein wenig zurücktritt 286 , wenn sie auch, wie oben gezeigt, durchaus über die Schrift hinausgehende materiale Setzungen vornehmen kann und ihr geringes Zurücktreten keineswegs mit einer Minderung ihres Verbindlichkeitsgrades einhergeht. Daß sie dennoch erst an zweiter Stelle steht, zeigt aber auch die Reihenfolge, die Ockham bei der Behandlung der Autoritäten gerade an der Stelle, wo eine materiale Überschüssigkeit der Kirche gezeigt werden konnte, beachtet: Zunächst stelle eine petitio principii dar (OT III 306,14-19), formuliert Ockham als seine eigene Auffassung lediglich, dies non probat sufficienter (ebd. 308,22-309,4)! 282 Unter den zahlreichen Stellen sei nur OT I 324—370 genannt, wo sich Ockham bezüglich der Frage, ob die Theologie praktisch oder spekulativ sei, gegen eine ganze Reihe von Theologen wendet (Heinrich von Gent, Cowton, Wilhelm von Alnwick, Aureoli und Duns). 283 Ο Τ Ι 199,17. 284 Ockham kennt zwar auch die Rede von multi doctores (z.B. OT III 293,17f), doch setzt er diese nicht autoritativ ein, sondern allenfalls, um Plausibilitäten aufzuzeigen: Weil viele Theologen sagen, quod respectus numquam distinguitur a fondamento realiter, kann dies nicht ganz absurd sein (OT III 187, lOf). 285 OT V 4,15ff, von Ockham abgelehnt ebd. 8,13ff. 286 Leeuwen, L'Église 263 Anm. 39, führt als Beleg für eine Vorrangstellung der Kirche OT VIII 2 8 8 , 3 6 - 4 2 an. Für das Verständnis dieser Stelle ist es aber wichtig, daß hier die determinano ecclesiae (auctoritatem Ecclesiae determinants [Ζ.39]) angesprochen ist, nicht, wie Leeuwen sagt, "la foi de l'Église". Im Gegensatz zu der mit dem Inhalt der Schrift absolut parallel laufenden fides der Kirche nämlich ist die kirchliche Lehrfestlegung deutlich von der Schrift unterschieden (so ganz deutlich OT VII 28,8.9). Aufgrund dieser Unterscheidung ist Ockhams Bemerkung sicut patet per Apostolum, Ad Corinthios OT VIII 288,41 f in dem Sinne zu verstehen, daß die zuvor genannte Lehre der ecclesia determinare sich auf die Bibel stützen könne, nicht aber daß diese Bibelstellen gleichsam ein Stellenbeleg dafür wären, wo man die determinatio ecclesiae niedergeschrieben findet, als wäre die Bibel selbst Produkt kirchlicher Determination. Die von Ockham nicht präzisierte kirchliche Lehrverkündung, deren mit IKor 13 konformierender Inhalt besagen soll, daß nullus actus sit meritorius ex condigno nisi elicitus mediante caritate (OT Vili 2 8 8 , 3 9 41), dürfte der Brief des Papstes Cölestin I. sein, in dem dieser festlegt: non dubitamus ab ipsius gratia omnia hominis merita praeveniri (Pseudo-Isidor 559).
220
3. Kapitel
geht er auf die Schrift ein und erst dann, in einem zweiten Schritt, auf die Kirche 287 . Und gleich in der folgenden (Doppel-)quaestio, Sent IV q.3f, zeigt sich die weitere Hierarchisierung: Zur Frage, ob die theologischen Tugenden in der Taufe eingegossen werden, wird zunächst die Kirchenlehre behandelt, dann erst kommt Ockham auf die Heiligen zu sprechen 288 . Und diese Reihenfolge ist hier auch ganz klar durch eine Gefalle der Autoritäten gestützt: Daraus, daß es in dieser Frage keine kirchliche Festlegung gibt, folgert Ockham: patet quod non apparet necessitas ponendi istas virtutes theologicas infondi in Baptismo ("Es ist klar, daß eine Notwendigkeit, anzunehmen, daß diese theologischen Tugenden in der Taufe eingegossen würden, nicht ersichtlich ist")289. Eine Notwendigkeit kommt also, im Gegensatz zu den kirchlichen Setzungen, der Autorität der danach behandelten Heiligen nicht zu, wie ja auch Thomas versichert hatte, daß sie nicht mehr als Wahrscheinlichkeit bewirken könnten. Daß nun die Heiligen wiederum höher stehen als der Konsens der Theologen, geht nun nicht nur aus dem oben skizzierten deutlich verschiedenen faktischen Umgang Ockhams mit den Autoritäten hervor - den Heiligen könnte er ja, da ihnen Notwendigkeit nicht zukommt, durchaus widersprechen —, sondern auch daraus hervor, daß nach Ockham nicht nur aufgrund der Autoritäten Schrift und Kirche 290 , sondern auch aufgrund der Autorität der Heiligen Widervernünftiges angenommen werden kann 291 - das behauptet Ockham vom Konsens der Theologen nirgends. Diese hierarchische Subordination führt zu einem insgesamt harmonischen Verhältnis der Autoritäten zueinander, Probleme treten nicht zwischen ihnen selbst, sondern allenfalls auf der Ebene der Ableitung auf: In der Frage der innergöttlichen Relationen kann Ockham beispielsweise in Sent I d.26 q . l zu dem Ergebnis kommen, es sei mit dem Glaubenssatz der Trinität, der aus der Heiligen Schrift bekannt ist 292 , besser zu vereinbaren, anzunehmen, daß die Relationen auch in Gott (wie aufgrund der Universalienlehre allgemein) nicht eigene reale Entitäten seien, sondern nichts als das reale Aufeinanderbezogensein der göttlichen Personen 293 . Da aber die Heiligen als wahr bekannt haben, 287 OT VII 2 8 , 7 - 1 0 . 288 OT VII 55,22-57,12. 289 OT VII 57,6f. 290 OT I 455,7-10; II 17,16-18,1. 291 OT IV 157,20-25; vorausgesetzt auch in OT II 18,3. 14-19, hier aber nicht theoretisch-kriterienhaft formuliert. 292 OT III 4 0 0 , 7 - 9 . 293 OT IV 153,2-7. Daß Ockham sich allein auf die oben referierte, in OT IV 152,9-21 geäußerte quarta (et ultima) opinio bezieht, obwohl er a.a.O. von der
Die akademische Theologie
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daß die Relationen Realitäten sind, nimmt Ockham diese Überzeugung an 294 . Genauso steht es mit dem oben bereits angesprochenen Problem der Ockhamschen Transsubstantiationslehre: Zwar meint Ockham im Gefolge des Doctor subtilis295, daß mit Hilfe der Konsubstantiationslehre die geringste Anzahl unplausibler Annahmen gemacht werden müßte und daß sie der Bibel nicht widerspreche 296 , aber aufgrund der determinado Ecclesiae und des Konsenses der Theologen entscheidet er sich für die Transsubstantiation 297 . Solche Äußerungen als Autoritätenkonflikt zu interpretieren 298 , ginge nicht nur an Ockhams Intention, sondern auch am Wortlaut offensichtlich vorbei: Der Konflikt liegt allein zwischen Ockhams Auslegung der Schrift und der verbindlichen Entscheidung der Kirche, den Äußerungen der Heiligen oder dem Konsens der Theologen, nicht aber zwischen diesen Autoritäten und der Schrift selbst 299 ! Ockham muß allerdings später zu neuen Reflexionen kommen, wenn das Verhältnis der Autoritäten sich real problematischer gestaltet.
3. Einheit und Pluralität in der akademischen Theologie
3.1. Einheit und Pluralität des theologischen Habitus Da die fides infusa nur eine ist 300 , kann auch der Theologie 301 und dementsprechend auch dem habitus theologiae numerische Einheit zugesprochen
letzten und vorletzten spricht, sofern sie in der Frage, daß die göttlichen Personen durch ihre Proprietäten konstituiert werden, übereinstimmen (ebd. 152,4f), wird aus ebd. 153,17—154,22 deutlich, wo er die dritte (und vorletzte) Meinung als irrational abqualifiziert, so daß bezüglich der Seinsweise der Relationen nur noch die quarta opinio bleibt. 294 OT IV 156,22-157,7; vgl. die ähnliche Argumentation bei Cowton zur Möglichkeit einer kreatürlichen Schöpfung aus dem Nichts, zit. bei Theissing, Cowton 175 Anm. 177. 295 Duns, Opera (Paris) XXIV 115. 296 OT VII 138,22-139,6. Terminologisch faßt Ockham die Konsubstantiationslehre unter die Transsubstantiationslehre. 297 OT VII 139,18-140,2. 298 So Hägglund, Geschichte 153, offensichtlich mehr systematisch als historisch interpretierend, bezüglich der Ockhamschen Eucharistielehre. 299 Vgl. auch OT VIII 221,22-24, wo Ockham erklärt, spräche nicht die Auffassung der Heiligen dagegen, so wäre für ihn Erbsünde nichts als die Unwürdigkeit, das ewige Leben zu erlangen. 300 Ο Τ Ι 220,9; VI 289,15f. 301 OT I 2 2 0 , 7 - 9 ; vgl. Livesey, Theology 65.
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3. Kapitel
werden 302 : Auf der Ebene des eingegossenen Glaubens hat die Theologie eine tiefere Einheit als alle Wissenschaften, nämlich eine habituelle, und eben dies bildet auch die Grundlage dafür, daß die Theologie — anders als alle anderen akademischen Disziplinen — aufgrund des einheitstiftenden eingegossenen Glaubens ohne weiteres als ganze hinsichtlich ihrer Wissenschaftlichkeit bzw. Nichtwissenschaftlichkeit charakterisiert werden kann. Dieser eine Habitus aber umfaßt mehrere Habitus, die, da zu ihm gehörig, auch alle als theologische Habitus zu bezeichnen sind303, und sofern auf der Ebene der akademischen Theologie argumentiert wird, muß die Rede von dem einen habitus theologiae in numerischem Sinne ausdrücklich abgewiesen werden 304 , weil so betrachtet die Theologie wie alle Wissenschaften nicht mehr als eine Ordnungseinheit besitzt: Sie besteht aus mehreren erworbenen Glaubenshabitus, aus wissenschaftlichen Habitus und aus apprehensiven Habitus 305 , und so kann Ockham auch von einer Pluralität theologischer Habitus reden 306 . Diese Pluralität entspricht voll und ganz der oben schon ausgeführten Parallele der Theologie zur Wissenschaft, in der mehrere Habitus eine geordnete Einheit bilden. Ein Unterschied zur Wissenschaft besteht lediglich insofern, als das Einheitsprinzip der so geordneten Theologie durch den Bezug auf den mit fides infusa geglaubten Satz omne revelatum a Deo est verum leichter anzugeben ist als bei allen anderen akademischen Disziplinen 307 . 302 OT I 225,19f spricht Ockham wie schon in seiner Frage ebd. 207,4f, vom habitus theologiae im Singular (includit)\ Ebd. 206,9 spricht er von dem einen habitus totalis theologi. 303 OT I 13,15 — 18 (hier ausdrücklich als eine Möglichkeit der Rede vom habitus theologicus, nach der anderen sind die in ihm enthaltenen Habitus habitus theologici [ebd. 13,24-14,3]); 225,19f. Aristotelisches Modell eines Habitus, der - nicht real, aber durch den Bezug auf dieselben Objekte - mehrere Habitus umfaßt, ist die sapientia (s. OT I 222,18-223,16). 304 Ο Τ Ι 13,15-18. 3 °5 OT I 220,10-13; 217,7-17. 306 OT I 13,24-14,3; 217,7-17; 340,11-19. Obwohl es naheliegend wäre, unterscheidet Ockham die Rede von habitus theologiae und theologicus nicht nach der Konnotation Einheit oder Pluralität: Als habitus theologiae bezeichnet er in OT I 340,13 die vielen, ebd. 207,4 den einen theologischen Habitus; als habitus theologicus bezeichnet er in OT I 13,14 — 14,5 ebenfalls beide. 307 Das Modell, das Ockham so für die Theologie entwirft, ähnelt dem Modell Aureolis für die Wissenschaften: Aureoli, Scriptum I 258,44—68 (Sect.4 Nr.28), betont, daß die einzelnen wissenschaftlichen Erkenntnisse verschiedene Habitus sind, und lehrt doch für die Wissenschaft als ganze nur einen habitus scientialis (ebd. 268,41—44). Bei Ockham aber gewinnt die Theologie auf diese Weise bezüglich ihrer Einheit eine Sonderstellung, während Aureoli die Einheit der Theologie in ausdrücklicher Analogie zur Einheit einer Wissenschaft behandeln kann (ebd. 276—280 [Nr. 82-89]).
Die akademische Theologie
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Da auf der Ebene des theologischen Studiums die Theologie nicht in ihrer Einheit, sondern in ihrer Pluralität eine Rolle spielt, behandelt Ockham auch alle weiteren wissenschaftstheoretischen Fragen unter Berücksichtigung der Gegebenheit der Pluralität 308 . Dies betrifft sowohl solche Fragen, die oben der wissenschaftlichen Erkenntnis zugeordnet worden waren (wie die der Modalität und der Methode) als auch solche, für die auch bei der Behandlung der Wissenschaften die Pluralität eine entscheidende Rolle gespielt hatte, wie die Frage nach dem Gegenstand der Theologie und nach ihrem Charakter als praktischer oder spekulativer Erkenntnis.
3.2. Die Gegenstände der Theologie Daß es für die Theologie ebenso wie für die Wissenschaften keinen einheitlichen Gegenstand geben kann, zeigt schon eine bloße Reflexion auf die Eigenheiten des trinitarischen Gottes: Die innertrinitarischen Relationen zwingen dazu, eine Vielzahl von Gegenständen anzunehmen 309 , da sie ja stets primär 3 1 0 von einzelnen Personen als Subjekt prädiziert werden, so daß in diesbezüglichen Sätzen stets die jeweilige Person das Subjekt bildet 311 und man 308 Obwohl er selbst ja in gewisser Weise eine Einheit des theologischen Habitus zugestanden hat, bestreitet Ockham in OT I 3 3 1 , 1 0 - 2 0 ausdrücklich das Recht, Fragen der Charakterisierung der Theologie auf der Grundlage vorausgesetzter Einheit des theologischen Habitus zu entscheiden: Die theoretische Einheit des theologischen Habitus ist für ihn in Fragen der Theorie der akademischen Theologie ohne Belang! Ebd. 337,17—20 setzt er zur Frage der Charakterisierung der Theologie voraus, daß diese nicht eine sei — also nur die eine Seite seiner an den beiden fides-Begriffen orientierten Alternative, nach der die Theologie auf eine Weise eine, auf eine andere aber nicht eine sei (s. ebd. 220,7—20). 309 Ockham argumentiert an dieser Stelle ausdrücklich mit dem sekundären subiectum-Begrífí, nach dem der Gegenstand einer Erkenntnis dasjenige ist, wofür der sprachliche Ausdruck steht (OT I 269,6—16). Er will hier aber offenbar lediglich — nach dem unmittelbar zuvor stehenden Verweis auf die bloße Konzeptualitat irdischer Gotteserkenntnis (OT I 269,2f) — betonen, daß diese Unterscheidungen unabhängig von der Art der Erkenntnis sind, also nicht allein an der irdisch-defizitären Gotteserkenntnis hängen. Daß es ihm nicht darum geht, in dieser Frage Differenzen zwischen den Verhältnissen auf seiten des sekundären Gegenstandsbegriffs und denen auf seiten des primären zu lehren, zeigt sich daran, daß eben solche Differenzen gerade bei den von ihm genannten Beispielen nicht gegeben sind (s. OT I 269,lOf [Deus]A2i [Pater]). Infolgedessen kann man seine Ausführungen analog auf den wissenschaftstheoretisch adäquaten sprachlich gefaßten Gegenstand theologischer Wahrheiten übertragen. 310 Diese Prädikation gilt nur primär von den einzelnen Personen, da man sie auch vom göttlichen Wesen aussagen kann (vgl. OT I 272,2 [Pater generai] mit ebd. 335,14 [Deus generai]). 3 " Ο Τ Ι 271,21-272,1.
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3. Kapitel
infolgedessen — entsprechend der oben ausgeführten sprachlichen Fassung des Gegenstandsbegriffs — eine Vielzahl theologischer Gegenstände anzunehmen hat 312 . Ihre Vielzahl ist sogar noch über den göttlichen Bereich hinaus zu erweitern, da sich grundsätzlich über jede Entität eine theologische Aussage fallen läßt — etwa die, daß sie von Gott geschaffen sei 313 : Daher müßten zu den Gegenständen der Theologie theoretisch alle erschaffenen Enti täten (bzw. sprachlich: die f ü r diese supponierenden Begriffe) hinzugezählt werden 3 ' 4 . Doch gilt dies nicht f ü r die faktische akademische Theologie: Da die Zeit zu kurz wäre, alles zu erforschen, was theologisch ist 315 , so ist es nicht nötig, theologische Prädikate wie "schaffbar" u.ä. von jedem einzelnen 316 geschaffenen Gegenstand auszusagen. Diese Reflexion reicht aber zu der Feststellung, daß zusätzlich zum göttlichen Wesen und zu den göttlichen Personen auch die Geschöpfe Gegenstand theologischer Aussagen werden können 317 . Für die Theologie gilt also wie für alle Wissenschaften: Im eigentlichen Sinne kann von "dem" Gegenstand gar nicht gesprochen werden, sondern es gibt viele Gegenstände, unter denen man allenfalls, so erklärt Ockham die bisherigen Theorien über das subiectum theologiae31*, eines zum Primär312
OT I 269,17f. Ο Τ Ι 273,23-274,2. 314 OT I 274,14f. Der Gedanke, daß Gegenstand (bei Durandus: obiectum) der Theologie nicht allein der Schöpfer, sondern auch die Geschöpfe seien, findet sich bereits bei Durandus (Krebs, Theologie 91*). Duns, Opera (Vaticana) I 138,14—20, erklärt — nicht speziell zur Klärung der Gegenstandsfrage, sondern zur Klärung dessen, was alles in der Theologie aufgrund seines Verhältnisses zu Gott als dem ersten Gegenstand zu verhandeln sei (ebd. 94,9f) — ebenfalls, grundsätzlich handle die Theologie von allem — nur sei eben unser Intellekt nicht ausreichend, alles zu erfassen (ebd. 138,6-13). 315 OT I 274,20—24: Ockham spricht hier von der theologia nostra, und zwar ganz in dem semantischen Kontext, der nach den oben vorgeführten Überlegungen ihr zukommt, nämlich unter Bezugnahme auf den Menschen allgemein (homo pro statu isto: ebd. Z.23!), nicht auf den Theologen. Da aber das Argument der Kürze der Lebenszeit natürlich auch den akademischen Theologen betrifft, ist diese Äußerung auf die akademische Theologie übertragbar. 316 OT I 274,24: in particulari. 317 OT I 269,9ff; 275,4f. 318 Diese Theorien führt Ockham nicht vollständig auf, er folgt vielmehr offensichtlich der Auflistung bei Bonaventura, Opera I 7b (vgl. zu dieser und ihrer Geschichte Köpf, Wissenschaftstheorie 101 mit Anm. 94); Einzelbelege für diese Theorien, wie sie die Hg. in den Anmerkungen OT I 27Iff nachgewiesen haben, sind daher — abgesehen von der Theorie des Duns (s. zu Ockhams Auseinandersetzung mit diesem in der subiectum-Frage o. 1. Kapitel 6.1.2.) — zur Rekonstruktion des Ockhamschen Denkens unnötig. Der bei Bonaventura zu findenden Liste fügt Ockham lediglich das Modell des Agidius von Rom, Gegenstand der Theologie sei Deus 313
Die akademische Theologie
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gegenständ ernennen kann: Dies kann, spricht man von den den sprachlichen Gegenständen zugrunde liegenden extramentalen Entitäten, Gott selbst sein 319 , da er gegenüber den Kreaturen Kausalpriorität (eine Art von Priorität, die Ockham in seinen allgemeinen Ausführungen zur Frage der Priorität eines Subjektes nicht aufgeführt hatte) und auch gegenüber den göttlichen Personen eine gewisse Priorität besitzt 320 , nämlich die der Gemeinschaft 3 2 1 . Es kann aber auch Christus sein, da er in der Einheit von göttlicher und menschlicher Natur etwas hat, was ihn mit allen möglichen Gegenständen der Theologie verbindet 3 2 2 . Und auch die Lösung Augustins, nach der res und signum die Gegenstände der Theologie seien, erscheint denkbar, da sich in der Tat alles, was in der Theologie als Gegenstand fungiert, unter diese beiden Begriffe subsumieren läßt 323 . Mit der Auflistung dieser traditionellen Antwortmöglichkeiten begnügt Ockham sich. Ihm selbst scheint zwar die erste am nächsten zu liegen, da er sie an anderen Stellen unhinterfragt voraussetzt 324 . Doch gilt hier wie bei den Wissenschaften: Großes Interesse hat Ockham an dieser Frage nicht, und letztlich läßt er sie unbeantwortet.
3.3. theologiapractica
oder
speculativa?
Ahnelt also Ockhams Stellungnahme zur Frage des Gegenstandes der Theologie in etwa seiner Stellungnahme zu der vergleichbaren Frage in den Wissenschaften, so sieht es bei der Frage nach praktischem oder spekulativem Charakter ganz anders aus: Oben hatte sich gezeigt, daß hier nach Ockham die Möglichkeit besteht, Wissenschaften einheitlich zu charakterisieren. Genau dies ist im Falle der akademischen Theologie nicht möglich. Ausgangspunkt dieser Diskussion ist für Ockham wiederum die Theologie als plurale Ordnungseinheit, daher könnte der Gesamtcharakter als praktisch oder sub ratione speciali, nämlich als Verherrlicher (s. Krebs, Theologie 57*), hinzu. Dieses Modell war ihm offensichtlich durch Duns und Cowton als besonders wichtig überliefert, die ihm beide eigene quaestiones gewidmet haben (Cowton, Sentenzenkommentar 2 9 6 - 3 0 3 ; Duns, Opera [Vaticana] I 92ff). 319 So z.B. Cowton, Sentenzenkommentar 290,35-37. 320 OT I 271,10—16. Die Möglichkeit, Gott unter einer bestimmten Hinsicht als Gegenstand der Theologie zu bezeichnen, etwa Deus sub ratione glorificatoris ist allerdings unsinnig, da all diese bestimmten Hinsichten, unter denen man Gott betrachten könnte, nichts sind als Gottesprädikate und also auf die Seite des Prädikates gehören, nicht aber des Subjektes, über das der Gegenstand bestimmt wird (OT I 273,3-8). 321 OT III 3 0 1 , 7 - 1 0 . 322 OT I 272,4—9. Dieses Argument führt auch Bonaventura, Opera I 7b, zugunsten dieser Auffassung an. 323 Ο Τ Ι 272,10-273,2. 324 OT I 10,14; 14,13f.
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3. Kapitel
spekulativ nicht anders gestaltet sein als so, daß jede einzelne theologische Wahrheit diesen Gesamtcharakter teilte - und zwar in sich selbst, ohne Rekurs auf Implikationen und Ableitbarkeiten, die den Unterschied zwischen praktischen und spekulativen Wahrheiten zu verwischen drohen 325 . Da dies aber offensichtlich nicht der Fall ist, kann Ockham alle Modelle, die zu einer eindeutigen Festlegung des Charakter der Theologie gelangen, leicht kritisieren. Solche eindeutigen Festlegungen waren in der Zeit vor Ockham durchaus nicht bei allen Theologen üblich, sie finden sich aber vor allem bei jenen Autoren von Heinrich von Gent bis Robert von Cowton, mit denen Ockham sich besonders auseinandergesetzt hat: Gegenüber denjenigen unter ihnen, nach denen die Theologie spekulativ ist, wozu Heinrich von Gent 326 und Robert von Cowton 3 2 7 zählen, kann er nun einwenden, es gebe theologische Wahrheiten, die von dem handeln, was in unserer Macht steht, also nach der oben angeführten Definition 328 praktisch sind 329 , z.B. die, daß Gott auf eine bestimmte Weise zu verehren sei 330 , so daß der Theologie als ganzer nicht der Charakter zukommen kann, spekulativ zu sein 331 . Umgekehrt kann Ockham gegen Duns 3 3 2 und Petrus Aureoli 333 , die die Theologie als ganze für praktisch hielten, vorbringen, daß etwa der Satz, Gott sei dreieinig, da er nicht von
325
Das betont Ockham vor allem in Auseinandersetzung mit Duns: Wollte man sagen, die spekulativen theologischen Sätze schlössen virtuell praktische Kenntnisse ein, so könnte man, weil man letztlich aus jeder spekulativen Aussage eine Aussage folgern könnte, die sich auf unsere Handlungen bezöge, folgern, daß jede Kenntnis praktisch wäre (OT I 3 3 6 , 3 - 1 3 ; 369,9-20). 326 Heinrich, Summa f.65 v T. 327 Cowton, Sentenzenkommentar 315,13-15. 328 Ockham nimmt sie OT I 338,2f im Zusammenhang seiner Diskussion der Theologie auf. 329 OT I 328, lOf. 330 OT I 328,23-329,3; vgl. zu anderen praktischen Wahrheiten ebd. 3 3 8 , 1 2 14; 348,3f. Das Argument, solche Aussagen hätten (durch das Gerundivum) strenggenommen den Menschen zum Subjekt, tut nichts zur Sache: Der theologische Charakter einer Aussage hängt ja nicht zwingend daran, daß sie Gott zum Subjekt hat, wie die Ausführungen zum subiectum theologiae gezeigt haben (ebd. 344,18 — 345,2). 331 Ο Τ Ι 332,18-21. 332 Duns, Opera (Vaticana) I 2 0 7 , 1 - 1 0 Nr. 314, in bezug auf die theologia necessaria in intellectu creato', 211,1 If in bezug auf die theologia Dei de necessariis; 217,7 — 16 (Ord Prol p.5 q. 1—2 Nr.332) in bezug auf die theologia contingentium in intellectu creato. Ebd. 218. If wird für die theologia contingent in intellectu divino ein praktischer Charakter ausgeschlossen, was dementsprechend auch für die theologia in se gilt (ebd. 221,19-222,8). 333 Aureoli, Scriptum I 243,4f (Sect. 3 Nr. 82).
Die akademische Theologie
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Handlungen, die in unserer Macht stehen334, handelt, spekulativ sei335, die Theologie also nicht als ganze praktisch sein könne 336 . Mit dieser Kritik an seinen Diskussionspartnern hat Ockham im Grunde schon seine eigene Konzeption entworfen, in der er mit zahlreichen früheren und zeitgenössischen Autoren konform geht337: Die Theologie besteht sowohl aus praktischen als auch aus spekulativen Sätzen338, ist also nicht einheitlich so oder so zu bestimmen. Diese Unterscheidung theologischer Sätze verläuft dabei ausdrücklich quer zu der anderen zentralen Unterscheidung innerhalb der Theologie, der nach wissenschaftlich erkennbaren Sätzen und nach nur durch den Glauben erkennbaren: So wie es natürlich erkennbare 339 und übernatürlich erkennbare 340 spekulative theologische Wahrheiten gibt, so auch natürlich 341 und übernatürlich erkennbare 342 praktische Wahrheiten. Zwischen spekulativen und praktischen Sätzen besteht dabei aber innerhalb der Theologie eine gewisse Hierarchie: Die praktischen Sätze werden aus den spekulativen abgeleitet und verhalten sich daher zu ihnen wie Schlüsse zu Prinzipien 343 , so daß die spekulativen Sätze als ihnen gegenüber würdiger gel-
334
Vgl. OT I 337,20-338,2. OT I 335,13 — 15; zu anderen spekulativen theologischen Wahrheiten vgl. ebd. 338, lOf. 336 OT I 335,15-17; 368,16-19. 337 Thomas, Opera II 185 (ST I q.l a.4; zur Nachwirkung dieses Gedankens im 13. Jahrhundert s. Köpf, Wissenschaftstheorie 206); Gottfried, Quodlibeta IV 176; Krebs, Theologie 90* (Johannes von Lichtenberg). 91* (Durandus). 92*f (Johannes Bachonus). 102*-107* (Herveus Natalis). Diese zahlreichen Vorgänger zeigen, daß Ockhams Lösung an dieser Stelle weder als "nuova opinione" noch als eklektische Theorie zu verstehen ist, wie Prezioso, Natura 205, dies tut: Sie ist schlicht eine Wiederaufnahme einer gängigen Theorie. 338 OT I 337,17-20; 338,15-18; 366,17-22; 368,24f. Diese Pointe verkennt Krop, Verschil 157, wenn er Ockham vorwirft, nicht deutlich zu machen, welchen Charakter Theologie nun insgesamt habe: Was Ockham deutlich macht, ist eben, daß diese Frage falsch gestellt ist. Auch daß Ockham sich nicht frage, worum es letztlich in der Theologie gehe, kann Krop ebd. nur behaupten, weil er die Bedeutung der Theologiedefinition Augustins für Ockham übersieht, aus der klar hervorgeht: In der Theologie geht es um heilsrelevante Glaubenswahrheiten. 339 Ο Τ Ι 347,19f. 340 Nach OT I 7,14f ist die Trinität Gottes nur übernatürlich zu erkennen. 341 Z.B. die Erkenntnis, daß Gutes nicht mit Bösem zu vergelten ist (OT I 347,21-348,2; vgl. ebd. 364,14f). 342 Ο Τ Ι 348,2-4. 343 Ο Τ Ι 366,5-16. 335
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3. Kapitel
ten können 344 , was aber nicht zu einer einheitlichen Charakterisierung als spekulativ führt. Damit unterscheidet sich die Theologie nun gänzlich von allen Wissenschaften: In die oben dargestellte Wissenschaftssystematik paßt sie mangels eindeutiger Charakterisierung nicht hinein. Doch ist für sie eine solche Einheitsstiftung durch praktischen oder spekulativen Charakter auch gar nicht nötig, da ihr Einheitsgrund ja ganz woanders liegt: in der fides infusa.
4. Die Modalität der theologischen Wahrheiten 4.1. Noetische Notwendigkeit und Heilsnotwendigkeit Was die Wissenschaften angeht, so gilt die Modalitätsbedingung der Notwendigkeit des Erkannten für alle in ihnen zusammengeordneten wissenschaftlichen Erkenntnisse gleichermaßen, da Notwendigkeit zu den Merkmalen der Objekte wissenschaftlicher Erkenntnis schlechthin gehört. Eine solche gemeinsame und einheitliche Bedingung ist in der Theologie nicht die necessitas allgemein, sondern lediglich die necessitas ad salutem (Heilsnotwendigkeit) 345 . Insofern sie durchgängige Bedingung aller theologischen Wahrheiten ist, ist sie offenbar primär dem Einheitsgrund der 344 OT I 358,2-11. Dieser Vorzug spekulativer Sätze gegenüber praktischen gilt jedoch nicht generell, d.h. nicht für das Verhältnis zwischen spekulativen nichttheologischen und praktischen theologischen Sätzen: Da sich Würde von Sätzen unter anderem an der Würde der Terme (nach ihrem realen Gehalt) bemißt, wie Ockham OT I 366,11-13 am Beispiel theologischer Wahrheiten ausführt, aber ebd. 2 4 6 , 1 2 15 mit der Erklärung, die Erkenntnis von omnis homo est beatificabilis habe größere Würde als die von homo est risibilis, auch auf das Verhältnis zwischen theologischen und nichttheologischen (freilich in beiden Fällen spekulativen) Wahrheiten überträgt, kann man nicht einfach behaupten, generell seien spekulative Sätze würdiger als praktische, so daß die praktischen Sätze der Theologie geringere Würde hätten als die spekulativen Sätze anderer Wissenschaften (so antwortet Ockham OT I 370,9 — 15 auf ein entsprechendes Argument aus ebd. 324,11-18). Die Würde der Theologie wird also von ihrem teilweise praktischen Charakter nicht tangiert. 345
OT I 273,11-13; 274,22f. Die hier angesprochene zweite Möglichkeit, daß es theologische Habitus gibt, die nicht heilsnotwendig sind (OT I 273,16-19), erweist sich sogleich als bloß theoretische Möglichkeit, insofern sie pro statu isto irrelevant ist (OT I 274,22-24). Freilich zeigt sich in diesem Gedankenspiel auch die Möglichkeit eines Theologiebegriffs, der sich von der Definition Augustins löst und etwas aufgrund dessen als theologisch qualifiziert, weil es, einem gewissen theologischen Systemzwang folgend (s. ebd. 273,21-23 die Betonung, daß es hier um Möglichkeiten der Theologie geht), auf theologische Weise behandelt wird.
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Theologie, der fides infusa, zuzuordnen, jedoch natürlich nicht allein (in dem Sinne, daß die bloße fides infusa zur Heilserlangung ausreichte): Oben schon ist darauf hingewiesen worden, daß zur Aktualisierung eines heilsnotwendigen Glaubensassenses auch fides adquisita erforderlich ist. In welchem Ausmaß diese aber nötig ist, das ist ein Problem, das Ockham erst später im Kontext der Frage nach explizitem und implizitem Glauben behandeln wird. Der Heilsnotwendigkeit liegt ein grundsätzlich anderer Notwendigkeitsbegriff zugrunde, als er in der Behandlung der wissenschaftlichen Erkenntnis Verwendung fand: Deren Objekt kam eine noetisch verstandene Notwendigkeit zu, insofern diese an die konstante Nichtfalschheit der erkannten Proposition gebunden wurde, also eine durch das Universalitätsmerkmal ausgezeichnete besondere Weise des Wahrseins darstellte. Demgegenüber betrifft die Heilsnotwendigkeit die Weise des Wahrseins der theologischen Wahrheit überhaupt nicht: Das Wahrsein einer Proposition beschreibt die Qualität der Relation zwischen den Propositionstermini, die in der Relation der den Propositionstermini entsprechenden realen Entitäten fundiert ist. Die Relation aber, die mit der Heilsnotwendigkeit betroffen ist, bezieht die Gesamtproposition auf ein Drittes, das Heil346 bzw. die ewige Seligkeit 347 . Diese Relation wird nun auch keineswegs hinsichtlich ihres noetischen Charakters qualifiziert, wie es bei der Behauptung von Wahrheit der Fall ist, sondern die Relation ist primär als eine kausale zu verstehen, dergestalt daß die gläubig bejahende Kenntnisnahme der notwendigen Wahrheit als ganzer durch den Gläubigen Bedingung der Erlangung jenes Dritten, des Heils, ist348. Die Relation ist also eine ontologisch zu verstehende Kausalnotwendigkeit, die freilich nicht in der Weise ontologisch zwingend ist wie die essentielle Notwendigkeit: Grundsätzlich kann Gott auch das Heil ohne habitúale Vorgaben gewähren 349 , so daß es im strengen Sinne keine von Gottes Willen unabhängige Heilsnotwendigkeit geben kann, sondern mit diesem Begriff nur das beschrieben wird, was üblicherweise der Heilserlangung vorangehen muß. Im Gegensatz zu dieser ontisch-kausalen Heilsnotwendigkeit ist die Frage noetischer Notwendigkeit in der Theologie nicht in Form der Benennung einer gemeinsamen Bedingung aller theologischen Wahrheiten als Voraussetzung der Pluralität theologischer Wahrheiten zu beantworten, sondern findet ihre Antwort erst unter Voraussetzung der Pluralität, insofern sie je nach der besonderen Beschaffenheit der jeweiligen theologischen Wahrheit anders zu beantworten ist.
346
OT OT 348 OT 349 OT 347
I 274,23. I 7,5. I 7,4-6. VI 280,2-9; VII 59,2f.
230
3. Kapitel 4.2. Notwendigkeit und Kontingenz
Während noch in Olivis Argumentation gegen die Wissenschaftlichkeit der Theologie die Kontingenz ihrer Wahrheiten eine große Rolle gespielt hatte 350 , ist diese Frage aufgrund der Prädominanz erkenntnistheoretischer Problemstellungen bei Ockham ganz in den Hintergrund getreten. Eine grundlegende, auch für Ockham bestimmende Klärung hatte sie bei Duns erhalten, der als eine der fundamentaltheologischen Grundunterscheidungen die in theologia necessariorum und contingentium (auf Notwendiges bzw. auf Kontingentes bezogene Theologie) eingeführt hatte351, nicht zur Abgrenzung zweier Theologien, sondern als Unterscheidung zweier partes integrales theologiae ("integrierende Bestandteile der Theologie") 352 . Darin, daß die Theologie kontingente wie notwendige Sätze enthalte, folgt Ockham nun dem Doctor subtilis353, kommt jedoch in der Abwägung von deren Verhältnis zueinander zu einer noch subtileren Lösung als dieser, der notwendige und kontingente Aussagen lediglich danach voneinander unterschieden hatte, daß letztere alle Wahrheiten von Gott, in quibus comparatur ad extra ("in denen er in einen Bezug zu ihm Äußerem gesetzt wird") seien, also solche, die Gott in seinem Verhältnis zu ihm gegenüber Äußerem beschrieben 354 , umgekehrt die notwendigen also Gottes Bestimmungen in sich und ohne Berücksichtigung der Außenrelationen bezeichneten. Ockham dagegen differenziert die notwendigen Äußerungen noch einmal in bezeichnender Weise unter sich, wobei zu vermerken ist, daß er die Frage von Kontingenz oder Notwendigkeit trotz der Möglichkeit, daß auch Kreaturen 350 Strenggenommen lautet das Argument: Die Theologie behandelt Singularitäten und nicht universale Sätze (Olivi, Summa I [Stadter] 4,38—5,3). Zu diesen Singularitäten aber gehört auch der Glaube an die Dreieinigkeit (ebd. 4,36), also ein nichtkontingentes Faktum. Da jedoch die meisten anderen Beispiele für Singularitäten kontingente Sachverhalte betreffen (ebd. 4,36—38; 6,2—9) und Olivi ebd. 7, lOf die particulada, contingentia et actu non existentia den universalia et necessaria et praesentia gegenüberstellt, also den Singularitäten eher die kontingenten Sachverhalte zuordnet, ist Stadter, Offenbarung 141-145, im Recht, wenn er an Olivis Position insbesondere die Betonung der Kontingenz hervorhebt. 351 Duns, Opera (Vaticana) I 101,12-20 Nr. 150. Für Duns mußte diese Frage eine größere Bedeutung als für Ockham haben, da bei ihm theologia Dei und beatorum noch eine eigenständige Bedeutung hatten, so daß die Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Theologie nicht allein über die Behandlung der Erkenntnisbedingungen des Erdenpilgers beantwortet werden konnte, sondern auch Bedingungen des Objekts eigens reflektiert werden mußten. 352 Duns, Opera (Vaticana) I 101,19. 353 OT I 15,5-11. Auch die Formulierung theologia necessariorum et theologia contingentium findet sich bei Ockham: OT I 270,18f. 354 Duns, Opera (Vaticana) I 101,13-16.
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Gegenstände der Theologie werden, allein im Blick auf solche Sätze formuliert, die Gott als Subjekt und mithin als Gegenstand haben, was insofern theoretisch angehen dürfte, als die theologischen Aussagen von Kreaturen ja letztlich solche sind, die diese in eine Relation zu Gott setzen, also auch, in Umkehrung der Perspektive, mit Gott als Subjekt formuliert werden können. Indem es aber nur um solche Sätze geht, ist die Frage nach Notwendigkeit und Kontingenz theologischer Wahrheiten letztlich aufgrund von Reflexionen zur Gotteslehre zu beantworten. Kontingente theologische Wahrheiten bejaht Ockham wie Duns und bringt hierfür sogar dasselbe Beispiel wie sein Vorgänger: Deus creat ("Gott schafft") 3 5 5 . Es handelt sich also um Aussagen über das Handeln Gottes, worunter auch Aussagen über das zukünftige Handeln Gottes, die futura contingentia, fallen 356 . Identitäts- und Eigenschaftsprädikationen über Gott dagegen sind allesamt notwendig 3 5 7 . Darunter sind Aussagen von Gott (vermittels des uns in der theologia nostra möglichen Gottesbegriffs, von dem die Prädikate j a nach Ockham pro Deo prädiziert werden [s.o. 2. Kapitel 5.3.3.]), in denen entweder eine mit ihm identische Entität von ihm ausgesagt wird 358 oder ein präzise auf ihn anwendbarer Begriff, der washeitlich sein Wesen bezeichnet, wie etwa das Adjektiv "gut" in quidditativer Verwendung 3 5 9 . Neben diesen Gott in sich bezeichnenden Aussagen gibt es nun auch Aussagen, in denen konnotative Begriffe von Gott prädiziert werden. Dies sind er
355
OT I 50,4f; vgl. Duns, Opera (Vaticana) I 101,16; vgl. auch OT IX 4 9 2 , 2 4 -
34. 356
OT I 5 0 , 2 2 - 5 1 , 2 : z.B. resurrectio mortuorum est futura. Der Charakter der Notwendigkeit ist all jenen Arten von Prädikationen zuzurechnen, die oben (2. Kapitel 4.4.) als de potentia absoluta erkennbar behandelt wurden, da es bei diesen ja, wie ebd. erwähnt wurde, allein um notwendige theologische Wahrheiten geht. Da die Prädikationen von unserem Gottesbegriff de Deo erfolgen, ist die Art der Prädikationen, die in der de potentia absoluta möglichen Gotteserkenntnis unmittelbar von Gott selbst erfolgen, auf die im Rahmen irdischer Gotteserkenntnis möglichen Erkenntnisse analog übertragbar. Daß diese Übertragung in den Bereich der irdischen Gotteserkenntnis den Aussagen nichts von ihrer Notwendigkeit nimmt, zeigt sich daran, daß Ockham auch in q. 12, wo es um den praktischen oder spekulativen Charakter des theologischen Habitus, also der akademischen Theologie, geht, die Aussage Deus est trinus et unus als notwendig bezeichnet (OT I 359,9-12). 358 OT I 5 1 , 1 5 - 2 0 ; 111,6-112,3. 359 OT I 114,11-13. 357
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3. Kapitel
stens solche, die Gott aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Seienden zukommen, also allgemeine Seinseigenschaften 360 . Zweitens aber gibt es diejenigen konnotativen Begriffe, die Gott allein zukommen, und unter diesen ist, wie die von Ockham gebotene Liste zeigt, anhand der Art des Konnotierens noch weiter zu differenzieren: Ockham nennt die Eigenschaften des Schöpfertums, der Allmacht, der Ewigkeit, der Unendlichkeit und der Unsterblichkeit 361 . Von diesen sind zwei, Unendlichkeit und Unsterblichkeit, konnotativ, insofern sie negativ sind 362 . Die Ewigkeit aber ist ein konnotativer Begriff, insofern sie Zeit konnotiert 363 , genauer: Gottes Koexistenz zu einer Zeitdifferenz 364 — das unterscheidet sie von der bloßen Dauer, die aktuelle oder potentielle Sukzession in der Zeit konnotiert 365 . Neben diesen beiden Arten von Konnotation, die lediglich per Negation oder Koexistenz erfolgen, gibt es aber eine dritte Form von Konnotation, und die stellt den entscheidenden Unterschied der Ockhamschen Vorstellungen von notwendigen und kontingenten theologischen Aussagen gegenüber dem Doctor subtilis dar: Es handelt sich um Aussagen, die über ein bloßes Nebeneinander hinausgehen zu einer objekthaften Beziehung des durch den konnotativen Begriff Bezeichneten, d.h. Gottes, auf das Konnotat, wenn auch nur im Modus der Möglichkeit: Es geht um Allmacht und göttliches Schöpfertum. Indem diese Eigenschaften Gottes einen objekthaften Bezug auf die kreatürliche Welt als Möglichkeit implizieren 366 , bedeutet dies auch, daß Aussagen, in denen sie von Gott — in notwendiger Weise — prädiziert werden, nur so evident erkannt werden können, daß zuvor die Aktualisierung dieser Potenzen erkannt wäre. Ihre Erkenntnis setzt also, anders als die Erkenntnis der anderen konnotativen Prädikationen, die lediglich die Kenntnis eines von Gott Unter360 OT I 115,6-17. Daß mit dem commune, das als Mittelbegriff eines Syllogismus zwischen Geschöpf und Gott dienen soll, nur ens gemeint ist, geht nicht nur aus den Beispielen a.a.O. hervor, sondern auch aus Sent I d.2 q.9 (OT II 292-336), wo Ockham die allgemeine Frage nach aliquod universale (...) univocum Deo et creaturae durch Verweis auf das ens beantwortet (ebd. 293,9f als Duns-Referat, bejaht ebd. 298,8-13; vgl. 317,8-10). 361 Ο Τ Ι 116,1-5. 362 Ockham selbst führt beide Begriffe OT I 116,lf nebeneinander auf. Oben (1. Kapitel Anm. 435) ist aber gezeigt worden, daß "negativ" eigentlich als Unterbegriff zu "konnotativ" zu verstehen ist. Als negativen Begriff bezeichnet Ockham die Unendlichkeit in OT I 136,6-8; II 422,14f, die Unsterblichkeit in OT I 136,6-8; II 62,9f. 363 OT I 136,4f. 364 OT V 158,14-16. 365 O T V 157,18-158,6. 366 Den konnotativen Charakter der creativitas, die Gott und Geschöpf zugleich bezeichnet, führt Ockham in OT I 140,23-141,1 aus (vgl. ebd. 142,19-22).
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schiedenen voraussetzen, die Erkenntnis des Handelns Gottes voraus, d.h., obwohl sie selbst notwendig sind, die Erkenntnis kontingenter theologischer Wahrheiten 367 .
4 . 3 . Die Grundlage der Theologie: Gottes Sein und Gottes Handeln Ockhams Einteilung der theologischen Wahrheiten umfaßt also: 1. kontingente Aussagen über Gottes Handeln 2. notwendige Aussagen a) über Gottes Sein in sich, sei es durch Prädikationen von etwas real mit ihm Identischen, sei es durch Aussage absoluter Begriffe b) über Gott zukommende Seinseigenschaften c) über Gottes Sein in Hinsicht auf andere Entitäten d) über Gottes Sein hinsichtlich seiner Möglichkeit des Handelns gegenüber anderen Entitäten. Im Ergebnis entspricht diese Einteilung dabei durchaus der des Duns, gleicht aber durch eine neue Kriterienbildung deren innere Widersprüchlichkeit aus: Der Doctor subtilis hatte zwar die kontingenten Wahrheiten allgemein durch die comparado Dei ad extra bestimmt, als Beispiele aber nur Aussagen über das Handeln Gottes genannt 368 . Die Aussage der Allmacht dagegen hatte er unter die notwendigen Wahrheiten gerechnet 369 , obwohl sie nach seinen eigenen Worten dicit respectum ad extra ("eine Hinsicht nach außen be-
367 OT I 5 1 , 7 - 1 4 ; IX 4 9 2 , 3 6 - 4 9 3 , 4 7 am Beispiel der Inkarnierbarkeit. Grundsätzlich ist die Allmacht hiermit verwandt, insofern sie, faßt man sie nicht als auf die innertrinitarischen Relationen bezogen, sondern als nach außen gewandte Kraft (s. OT IV 2 8 , 1 4 - 2 9 , 2 3 ; vgl. OT I 104,25ff), die Kreatur als Objekt des Handelns impliziert: Daß Gott allmächtig ist, bedeutet nichts anderes, als daß er potens facere omnia factibilia ist (OT IV 36,17f). Zur Klärung dessen, wie die Erkenntnis notwendiger Wahrheiten auf der Erkenntnis kontingenter Wahrheiten aufbauen könne, verweist Ockham auf Sent Prol q.2, seine Abhandlung über die Entstehung von Prinzipien aus der Erfahrung. Allerdings kann es sich hier nur um einen Verweis in dem Sinne handeln, daß dort gezeigt wird, daß ein solches Entstehen notwendiger aus kontingenten Erkenntnissen grundsätzlich möglich ist: Das auf Empirie fußende Prinzip entsteht vermittels eines Gleichförmigkeitssatzes, der einen Einzelfall auf alle Fälle gleicher Art ausdehnte. Dies ist für die ontologische Einzelerscheinung Gott kaum anzunehmen. Eher dürfte der Mittelsatz hier lauten: "Eine Entität, die eine Handlung ausführt, ist fähig, eine solche Handlung auszuführen". 368 S. Duns, Opera (Vaticana) I 101,16; 1 1 5 , 6 - 8 . 9 - 1 1 . 369 Ebd. 115,8f; Duns, Opera (Paris) XXV 286f (Quodl q.7).
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3. Kapitel
nennt") 370 , also ihre Prädikation doch eigentlich nach seiner Begriffssystematik unter die kontingenten Wahrheiten fallen müßte! Diese gedankliche Widersprüchlichkeit des Duns gleicht Ockham nun aus, indem er als Grundlage seiner Begriffssystematik nicht statische Gegebenheiten, Gottes Sein für sich oder nach außen nimmt, sondern die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Gottes Sein und Gottes Handeln wählt, die es ihm ermöglicht, auch Aussagen über die Allmacht und das Schöpfertum Gottes widerspruchsfrei in die Systematik der theologischen Sätze einzuordnen. Indem Ockham so nicht allein Gottes Sein, sondern auch Gottes Handeln zu einem grundlegenden Kriterium der Einteilung der theologischen Wahrheiten macht, dynamisiert er offenbar die Grundlagen der Theologie. 4.4. Theologie und potentia Dei Während die wissenschaftliche Erkenntnis auf ontisch gegebenen Ordnungsstrukturen als Grundlage aufbaut, die dem göttlichen Zugriff entzogen und so von der Dialektik der potentia absoluta und ordinata unberührt sind, hat diese Unterscheidung für die dynamische Grundlage der Theologie durchaus Bedeutung: Das Sein Gottes, mithin die den notwendigen Sätzen entsprechende Realität, ist wie die Grundlagen der Wissenschaft dem göttlichen Zugriff entzogen 371 : Es handelt sich hier um Strukturen des Seins, die dem göttlichen Handeln ontisch vorgeordnet sind 372 . Anders steht es mit den kontingenten Wahrheiten: Sie beziehen sich auf Gottes Handeln, das de potentia ordinata erfolgt und damit einen engeren Bezirk als den widerspruchsfreien Möglichkeitsraum umfaßt, wobei die Auswahl aus den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht-notwendig erfolgt. Die Kontingenz dieser Wahrheiten zeigt sich nicht nur bei Einzeleingriffen Gottes in die äußere Wirklichkeit wie seinem Schutz für die Männer im Feuerofen, sondern auch bei dem einen großen Eingriff, dem Wechsel der erlassenen Ord370
Ebd. 287. In Sent I d.20 q. 1 präzisiert Ockham die zur Allmacht gehörige Widerspruchsfreiheit, daß diese allein das Machbare betreffe, Gott selbst also nicht unter den Wirkungsbereich seiner eigenen Allmacht falle (OT IV 36,4-10). 372 Da auch diese dem Handeln Gottes vorgegebenen Sätze zur fides adquisita gehören, ist es unsinnig, wenn Cren, Offenbarungsbegriff 150, die Betonung der Angewiesenheit des Menschen auf die fides adquisita allgemein vermittels der "Dialektik der potentia absoluta" erklären will: Diese betrifft nur einen Teil des Glaubensbestandes, nämlich den, über den Gott in seinem Handeln verfügt, nicht aber den, der Gottes Handeln entzogen ist. Diese Pauschalierung ist Ausdruck und Folge dessen, daß Cren die Prädominanz erkenntnistheoretischer gegenüber inhaltlichen Überlegungen in Ockhams Behandlung der Theologie verkennt. 371
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nung Gottes vom Alten zum Neuen Bund. Deutlich schildert Ockham in Sent III q.9, wie die Wahrheit theologischer Aussagen von dieser Wandlung der Heilsgeschichte abhängig ist: Aufgrund der von Gott angeordneten Änderung373 unterscheidet sich die fides adquisita der Väter des Alten Bundes von der der Christen: War deren Christologie als messianische Erwartung eine rein futurische, so kann die christliche Christologie auf Tod und Auferstehung als vergangene Ereignisse der Heilsgeschichte zurückblicken374. Solche Wandlungen und Entwicklungen der Heilsgeschichte als Aufeinanderfolge verschiedener Singularitäten können nur mittels kontingenter Sätze erkannt werden: Die kontingente Heilsgeschichte als partielle Grundlage der Theologie anzuerkennen, bedeutet, daß die Theologie nicht durchgängig an der Notwendigkeitsbedingung wissenschaftlicher Erkenntnis teilhaben kann.
5. Die Frage der Methode der Theologie 5.1. Die Auslegung der Autoritäten 5.1.1. Der theoretische Hintergrund der Ockhamschen Autoritätenexegese Abaelards Sic-et-Non-Methode
in
Mit ihrem basalen Bezug nicht auf durch Selbstevidenz oder Evidenz aus Erfahrung bekannte Sätze, sondern auf textlich präsente Autoritäten, stellt sich der Theologie in ganz anderer Weise375 als den Wissenschaften das Problem der Hermeneutik, und entsprechend definiert Ockham es geradezu als Proprium des Theologen, zu wissen, wie die Schrift auszulegen ist376, bietet 373
Diese Änderungsanordnung geschah dabei vor aller Zeit (s. oben 1. Kapitel Anm. 171). 374 OT VI 292,21-294,8. Vermittels der potentia-Terminologie deutet Ockham den Wechsel vom Alten zum Neuen Bund in OT IX 586,31-39. 375 Da, wie oben (Anm. 186) erwähnt, Aristoteles durchaus Autorität bleibt, gibt es auch im wissenschaftlichen Kontext die Frage nach der Sinnerhebung aus Texten (s. Anm.376), der aber aufgrund der Differenz im autoritativen Status nicht der entscheidende Stellenwert zukommt wie in der Theologie. 376 OT I 206,12-14. Wegen der Zentralität der Bibel bei der Autoritätenexegese kann sich die obige Darstellung auf die Bibelexegese konzentrieren. Nur der Vollständigkeit halber sei darum erwähnt, daß auch zur Auslegung von kirchlichen Entscheidungen, sowie von Lehren der Heiligen, der Theologen und auch der Philosophen (s. hier nur den Verweis auf den Sprachgebrauch der Philosophen OT II 566,15 u.ö., sowie die Frage nach der intentio Philosophi in Sent I d.30 q.3 [OT IV 335-365] oder die klassische Anwendung der oben ausgeführten Regel der significatio diversa in OT IV 309,22f: apud philosophos illud idem est intentio quod nos vocamus conceptum) die oben dargestellten Regeln Verwendung finden.
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3. Kapitel
allerdings hierzu keine so ausführlichen Betrachtungen, wie es Duns und Cowton getan haben 377 . Wie Ockham aber faktisch vorgeht, wurde oben bereits skizziert, und dieses faktische Vorgehen fußt — abgesehen von bloßer Wiedergabe von Textstellen, die natürlich je für sich theologische Wahrheiten sein können 378 , und dem oben erwähnten einfachen Verweis auf biblische Inhalte — auf bekannten Grundannahmen mittelalterlicher Hermeneutik: Zwei freilich nicht sehr präzise Regeln der Abaelardschen Sic-et-Non-Methode, die Ockham durch ihren Gebrauch beim Lombarden 379 , auf den er sich bei ihrer Anwendung auch gelegentlich ausdrücklich beruft 380 , bekannt geworden sein dürften, reichen aus, um Ockhams Interpretation des Bibeltextes, die, wie oben gezeigt wurde, in der Weise sprachlicher Harmonisierung aufgrund der Annahme nicht eindeutig festgelegter Bedeutungsrelationen zwischen sprachlichen Zeichen und Sachgehalt erfolgt, zu erklären: daß earundem vocum significatio diversa ("unterschiedliche Bedeutung derselben Laute") bestehen könne und daß in eadem (...) re verba ipsa variare ("beim selben Sachverhalt die Worte selbst wechseln") können 381 , kurzum: magis eorum usus quam proprietas sermonis aemulandus est ("Man muß mehr ihren Gebrauch als den strikten Wortlaut be-
377
Duns, Opera (Paris) XV 46f; Cowton, Sentenzenkommentar 274f. So das vierte und fünfte Gebot in OT I 367,17-19. 379 S. Grabmann, Methode II 378—381. Nach ebd. 379 sind es just die oben für Ockham festgestellten Regeln, die beim Lombarden im Vordergrund stehen. Daß die Sic-et-Non-Methode nicht eigentlich von Abaelard stammt, sondern aus der Kanonistik, hat Grabmann, Methode I 234—239; II 215—217, nachgewiesen. 380 OT IV 672,9-19; VII 221,1 If. Beide Stellen beziehen sich auf die Bibel selbst: Auch in der Anwendung der Abaelardschen Regeln auf die Heilige Schrift selbst folgt Ockham dem Lombarden, der damit auch wiederum in der Gefolgschaft Abaelards selbst steht (s. PL 178,1343: Nonnulla etiam in Evangelio juxta opinionem hominum magis quam secundum veritatem rerum dici videtur). 381 PL 178,1339. Grabmann, Methode II 202, nennt unter Zitierung einer Parallelfassung aus PL 178,1444 nur die erste Regel, aber sachlich gehört diese natürlich mit der zweiten zusammen. Der Bezug Ockhams auf die zitierte AbaelardStelle bzw. ihr Weiterwirken wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, daß Ockham die virtus sermonis auch als proprius modus loquendi deuten kann (OP II 6,105f; zur Entstehung der vi/tus-Terminologie im 13. Jahrhundert s. Courtenay, Force 114). Diesen ganz traditionellen Hintergrund von Ockhams Unterscheidung von virtus sermonis vom sensus einer Äußerung, auf den neuerdings auch Courtenay, a.a.O. 113, verweist, hat ebenso wie Iserloh, Gnade 151, auch Miethke, Sozialphilosophie 231-237, übersehen, der aber zu Recht herausarbeitet, daß Ockham diese Unterscheidung suppositionslogisch deutet und daß diese Konzeption bei ihm vor allem der Deutung vorgegebener sprachlicher Äußerungen dient, nicht aber der Forderung nach einer idealen Sprache (ebd. 232f). 378
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achten") 382 . Diese Regeln führen dazu, daß die Autoritätenexegese mit Begriffsuntersuchungen und -distinktionen arbeiten muß. 5.1.2. Formale Evidenz Neben diese unmittelbare Erhebung des Aussagegehaltes der Autoritäten tritt in der Theologie aber auch eine inhaltliche Systematisierung: Es geht in der Theologie um das, was evidenter et consequentia formali ("evident und in formaler Schlußfolgerung") aus der Schrift folgt 383 . Die Lehre von den consequentiae aber ist die Logik 384 , die damit für die Theologie wie für die anderen Wissenschaften zum Organon wird, und vornehmstes Mittel zur Schlußfindung ist der Syllogismus 385 . Mit dieser Beanspruchung der Logik als Methode in der Theologie, noch dazu versehen mit dem Adverb evidenter, führt Ockham zusätzlich zu unmittelbarer und mittelbarer Evidenz eine formale Evidenz ein: Sind auch die Prämissen, aus denen Folgerungen gezogen werden, nicht — oder zumindest nicht vollständig — evident erkannt, so daß auch die Folgerungen selbst nicht in materialem Sinne evident erkannt sein können, so eignet doch, diese Möglichkeit gewinnt Ockham durch die Betonung, daß die Logik rein formalen Charakter besitzt 386 , dem Schlußverfahren als solchen Evidenz: Der Theologe kann nicht aufgrund des Fehlens von mittelbarer und unmittelbarer Evidenz gänzlich auf einen methodischen Rationalitätsstandard verzichten, der ihn mit dem Wissenschaftler verbindet. Da aber die Evidenz nur eine rein formale ist, kann er mit der Beachtung des syllogistischen Rationalitätsstandards niemanden überzeugen, der die Prämissen nicht im Glauben teilt. Dies wird deutlich, wenn Ockham zur Auseinandersetzung mit den Griechen um das Filioque erklärt, folgende Argumentation sei eine formale und notwendige
382 PL 178,1339. Neben der Anwendung dieser Regeln ist es nicht nötig, eine Anwendung anderer Schriftsinne als des literalen zur Erklärung einer Textinterpretation Ockhams anzunehmen: Die Lehre vom vierfachen Schriftsinn spielt keine entscheidende Rolle für seine biblische Hermeneutik. 383 Ο Τ Ι 455,7-10; II 17,18f; III 358,10 vgl. ΟΤΙ 471,1-3 (redaktionell). 384 OT I 201,llf. 385 Beispiele für unmittelbar auf den Autoritäten fußenden Syllogismen sind allerdings selten; vgl. aber OT I 470,13—21, wo Ockham erklärt, folgendes folge direkt ex Sacra Scriptum et determinatione Ecclesiae: Aliquid significati aliquo nomine vel conceptu (...) est esse illud de quo verificatur illud nomen vel conceptus (et pro quo supponit) (...) hoc nomen 'Pater' verepraedicatur (d.h.: verificatur) de prima persona et non de secunda et ideo prima persona significatur hoc nomine et non secunda. 386 Ο Τ Ι 201,10-17.
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3. Kapitel
Schlußfolgerung 387 (und müsse, da sie zu einem offensichtlich falschen Ergebnis führe, von einer falschen Prämisse ausgehen): 1. Spiritus Sanctus non procedit a Filio, ergo spiratio activa non est in Filio 2. spiratio activa non est in Filio spiratio-actio et filiatio sunt idem realiter flliatio non est in Filio 3. flliatio non est in Filio, ergo Filius non distinguitur realiter a Spiritu Sancto ("1. Der Heilige Geist geht nicht vom Sohn aus, also gilt: Die aktive Hauchung ist nicht im Sohn 2. Die aktive Hauchung ist nicht im Sohn, Hauchungstat und Sohnschaft sind real dasselbe Die Sohnschaft ist nicht im Sohn 3. Die Sohnschaft ist nicht im Sohn, also gilt: Der Sohn wird nicht real vom Heiligen Geist unterschieden") Auf den Einwand aber, die Griechen bestritten ja gerade den im zweiten Argument verwandten Untersatz, müßten also hier die fehlerhafte Prämisse suchen, antwortet Ockham, das mache nichts aus, denn es gehe nicht darum, den Gegner zu überzeugen, sondern gemäß der Wahrheit zu argumentieren 388 : Die syllogistische Argumentation hat offensichtlich keine apologetische Funktion nach außen, sondern eine Binnenfunktion im Dienste der Explikation der Glaubensinhalte. Das heißt: Der logische Rationalitätsstandard entspricht keineswegs einer von außen an die Theologie herangetragenen Forderung, sondern den Bedürfnissen, die sich durch die Aufgaben der Theologie selbst stellen. Daß dem so ist, ist nicht weiter verwunderlich: Schon im Zusammenhang der allgemeinen Wissenschaftslehre hatte sich als für Ockham entscheidender geistesgeschichtlicher Strom neben der Duns-Schule die Tradition der modernen Logik erwiesen: Daß Ockham theoretisch der Logik eine Zentralstellung auch für die Theologie gab, entsprach den Wurzeln seines eigenen Denkens. Dieser durch die Syllogismen beachtete Rationalitätsstandard macht sich auch darin bemerkbar, daß das berühmte Ockhamsche Rasiermesser, sein methodisches Ökonomieprinzip: pluralitas non est ponendo sine necessitate (vel certa experientia) ("Eine Vielzahl darf ohne Notwendigkeit [oder gewisse Er387
OT III 371,12—20. Die detaillierte Argumentation mit allen Zwischensätzen findet sich ebd. 370,1-10. 388 OT III 371,8-14. Ockham kennt hier durchaus auch ein ausdrücklich apologetisches Argument gegen die Griechen, von dem er freilich auch sagt, es überzeuge vielleicht nicht ganz: Was dem Vater zukommt, kommt, wenn nicht die theologischen Autoritäten dem widersprechen, auch den anderen Personen zu. Der Geist geht vom Vater aus und nicht definitiv nicht vom Sohn Der Geist geht vom Sohn aus (OT III 358,8-21).
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fahrung] nicht angenommen werden") 389 , auch für die Exegese von Schrift und Lehramt — in Abwandlung - Geltung besitzt: Wenn alles, was in Schrift und kirchlicher Lehrfestlegung überliefert ist, ohne Annahme von etwas Zusätzlichem erklärt werden kann, dann ist auf die Annahme dieses Zusätzlichen auch zu verzichten 390 . Dies erklärt aufs neue die seltsame Gestalt einer Theologie, die ausdrücklich auf der Schrift fußt, aber kaum explizit mit der Schrift, dafür aber sehr oft mit logischen Begriffsdistinktionen arbeitet: War oben ausgeführt worden, daß die Schrift indirekt präsent ist durch die Themen, die sie dem Sentenzenkommentar vorgibt, so ist hier hinzuzufügen: Der Sentenzenkommentar legt die Schrift und die anderen Autoritäten mit den Mitteln der Logik, d.h. vor allem vermittels syllogistischer Schlüsse aus. 5.2. Die Grenzen der Logik Die Schwierigkeiten der Anwendung logischer Regeln auf die Trinitätslehre hat — wohl unter dem Eindruck des Aufschwunges der Logik seit Petrus Hispanus — erstmals Duns Scotus in eine allgemeine Fehlschlußtheorie einzubetten versucht 391 . Er hat dabei die Unmöglichkeit des Schlusses hic Deus est Pater Filius est hic Deus Filius est Pater ("Dieser Gott ist der Vater Der Sohn ist dieser Gott Der Sohn ist der Vater") mit der hier vorliegenden distinctio formalis begründet 392 , also mit einem Konzept, das bei ihm als grundlegendes Mittel zur Klärung der Universalienfrage so breite ontologische Verwendung fand, daß er damit ebenso die Fehlerhaftigkeit des Schlusses von der Menschheit des Sokrates und der des Plato auf die Identität beider Menschen hätte begründen können: Es war offensichtlich, daß bei dem genannten trinitarischen Fehlschluß ein Fehlschluß vorlag, wie er überall vorkommen konnte und zu vermeiden war.
389
OT I 415,5f. 390 OT II 18,1-6; vgl. OT IV 157,21-23: nec ponenda sunt plura mirabilia quae videntur rationi naturali repugnare, sine auctorìtate Scrìpturae vel Sanctorum. 391 Gelber, Logic 206f; vgl. Boehner, Crisis 370. Die Problematik als solche, daß im Bereich der Trinität nur schwer syllogistisch zu argumentieren war, wurde durchaus schon im dreizehnten Jahrhundert gesehen (s. Olivis Quaestio de Trinitate bei Schmaus, Liber 143*-228*, v.a. 192*; vgl. Gelber, Logic 65; 207). 392 Duns, Opera (Vaticana) II 362,19-363,13 Nr. 413-415.
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3. Kapitel
Da Ockham die distinctio formalis, weil sie nach seiner Ansicht der Vernunft widersprach 393 , außerhalb der Trinität ablehnte 394 , aber offensichtlich trotzdem an der Dunsschen Einordnung der trinitarischen Fehlschlüsse in den Rahmen einer allgemeinen Fehlschlußtheorie festhalten wollte 395 , hat er dies in der SL 396 — entsprechend seiner gerade die Universalienfrage betreffenden Rezeption der Suppositionslogik - auf einem suppositionstheoretischen Weg versucht. Er führt hier nebeneinander zwei Schlüsse auf, deren gemeinsamer Fehler darin besteht, daß als Mittelbegriff ein Begriff gebraucht wird, der mehreres zugleich umfaßt: Sortes est homo Plato est homo Plato est Sortes
haec essentia est Pater haec essentia est Filius Filius est Pater397
("Sokrates ist ein Mensch Plato ist ein Mensch Plato ist Sokrates")
("Dieses Wesen ist der Vater Dieses Wesen ist der Sohn Der Sohn ist der Vater")
Bei näherem Hinsehen aber zeigt sich, daß Ockhams Versuch, den Dunsschen Gedanken suppositionstheoretisch zu reformulieren, kaum geglückt ist, denn nach seinen eigenen Äußerungen ist die Zusammenordnung beider Fehlschlüsse zu einer Gruppe nur schwer zu rechtfertigen. Im ersten Syllogismus nämlich ist der Fehlschluß ohne weiteres logisch erklärbar, also jederzeit mit Evidenz überprüfbar: Da homo in beiden Fällen personal supponiert, supponiert es im Obersatz präzise für Sokrates, nicht für etwas mehreren Menschen Gemeinsames, im Untersatz aber präzise für Plato 393
OT II 18,12-14; vgl. ebd. 14,8-14: Der Grund hierfür ist, daß eine distinctio formalis dazu führt, daß vom selben Widersprüchliches verifiziert werden kann. Die von Boehner, Crisis 368, aufgebaute Alternative zwischen Verneinung des Widerspruchsprinzips und Annahme der distinctio formalis ist also falsch: Die distinctio formalis ist gerade Grundlage für die punktuelle Negation des Widerspruchsprinzips (vgl. ähnlich Adams, William Ockham lOOOff). 394 S. z.B. OT 14,8-16. 395 Gleiches ist bei Aureoli, Scriptum II 593,595 Nr. 7 3 - 8 1 , zu beobachten, der sich ebenfalls von Duns absetzt und dabei insbesondere vermerkt, das Dunssche Modell schütze nicht vor einer fallacia accidentis (Nr. 78), aber ebenfalls versucht, das Problem vermittels einer allgemeinen Sprachtheorie zu lösen, und zwar durch die Unterscheidung von dicere per se primo und secundo modo (ebd. 598f Nr. 92; vgl. Gelber, Logic 137ff). 39 ] ) argumentiert und so ein Widerspruch der päpstlichen Thesen zum Glaubensbekenntnis selbst formuliert (De visione beata 169,13 — 18), den Ockham nicht expliziert. Daß ihn allerdings nicht ein privates Interesse am Schutz der eigenen Speziallehren (gegenüber allen Ansätzen, die solches insinuieren wollen, hat Miethke, Sozialphilosophie 74, zu Recht festgehalten, daß Ockham "seine theologisch-philosophische Lehre [...] in dem Kampf, der nun beginnt, für akzidentiell" gehalten habe), sondern allein das Interesse an dem Nachweis, daß der Papst Häretiker geworden war, trieb, wird schon allein aus der Überlegung deutlich, daß durch die päpstlichen Äußerungen, wendet man sie auf das Theologieverständnis an, nicht einmal das Thomanische Modell getroffen war: Die Funktion der nach Johannes' Vorstellungen nicht als gegenwärtig zu denkenden theologia beatorum konnte darin ohne weiteres die theologia Dei übernehmen. Überhaupt nicht tangiert wäre die oben beschrieben Funktion der theologia beatorum bei Ockham: Für ihre Funktion als Gegenbild ist der Zeitpunkt ihrer Aktualisierung irrelevant. Daß es im visio-Streit auch um dogmatische Fragen geht, darf aber nicht zu dem Mißverständnis führen, als wäre hier in Ockhams Lehre theoretische Vollständigkeit zu erwarten: Nur die Argumente, die für den Streit fruchtbar werden konnten, sind zu erwarten, d.h. diejenigen, die zur Widerlegung der Ausführungen des Papstes dienten, nicht aber alle, die zu einer positiven Darlegung der Lehre Ockhams hätten dienen können.
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verengend, als politische bezeichnet 108 , sondern, ihrem Rezeptionskontext entsprechend, als publizistische 109 , parallel zu der Bezeichnung der früheren als akademische Schriften. Der Streit war dadurch ausgelöst worden, daß sich Papst Johannes XXII. seit Allerheiligen 1331 110 in mehreren Predigten der Frage der visio beata zugewandt hatte 111 und dabei Dinge gesagt hatte, propter que multorum, tarn clericorum, quam laycorum, fiterant corda non mediocriter concitata ("derentwegen die Herzen vieler Menschen, sowohl von Klerikern als auch von Laien, nicht unerheblich erregt worden sind") 112 : Die Seelen der Verstorbenen, die keiner Reinigung mehr bedurften, so führte er aus, seien von Leid und Erbsünde befreit 1 1 3 , genössen auch den Anblick der Menschheit Jesu Christi 114 , könnten aber, da dies als Lohn erst dem ganzen, aus Seele und Körper zusammengesetzten Menschen zuteil werde 115 , ewiges Leben und die mit diesem gleichgesetzte visio Dein6 erst nach dem allgemeinen Gericht erlangen 117 . Frömmigkeitsgeschichtlich dürfte diese Aussage besonders im Blick 108 Vgl. z.B. Riezler, Widersacher 245, der vorbehaltlos den Inhalt von OpXCD, TractcJ und De Dog als rein theologisch bezeichnete; ähnlich sieht auch Kölmel, Ockham 170, die frühen Werke der publizistischen Phase als von theologischer Sicht bestimmt an. 109 Zu Ockhams Adressatenkreis vgl. die Übersicht über die Verbreitung der wichtigsten Traktate aus Ockhams Münchner Zeit bei Miethke, Ekklesiologie 388, sowie die instruktiven Ausführungen von dems., Bedeutung 309—312. Ausdrücklich sei hier auch auf die Warnung vor möglichen Mißverständnissen, die mit dem Wort "Publizistik" verbunden sein können, ebd. 309f hingewiesen. 110 S. Goldast II 970,50ff; Johannes, Sermons 85. 111 S. Baudry, Vie 147f. 112 Chartularium II 432 (Nr. 982). 113 Johannes, Sermons 96f (Nr. 7f). 114 Ebd. 1 1 3 , 5 - 7 (Nr.24). 115 Ebd. 103f (Nr.6). 116 Als Lohn werden bezeichnet: visio Dei (Johannes, Sermons 101,22f [Nr.4]) und vita aeterna (ebd. 103, lOf [Nr.6]). Die explizite Gleichsetzung erfolgt ebd. 108,24 (Nr. 16). 117 S. bei Müller, Aktenstücke 89, die Zusammenfassung der päpstlichen Lehren durch Nikolaus Minorità: quod beata virgo nec sancii apostoli nec alii sancii et electi Dei vident Deum nec gaudent de visione divina nec videbunt nec gaudebunt nec premiabuntur vita eterna usque ad futurum judicium generale. Lakner, Eschatologie, bemüht sich, zu zeigen, daß diese Lehre des Papstes seiner früher in dem Brief Nequaquam sine dolore vom 21.11.1321 an die Armenier (s. DS 925f) geäußerten Auffassung nicht widerspreche. In der Tat war Johannes XXII. offensichtlich selbst wie sein Interpret Lakner, a.a.O. 329f, um eine Harmonisierung in dem Sinne, daß Aufenthalt im Himmel und visio beata verschiedene Größen seien, bemüht, so daß kein Widerspruch zu der früheren Lehre, die Heiligen kämen alsbald (mox) nach dem Tod in den Himmel, mehr manifest war: In der ersten Pre-
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4. Kapitel
auf die Interzessionsfunktion der Heiligen problematisch gewesen sein. Im hier vorliegenden Zusammenhang aber interessiert die erkenntnis- bzw. wissenschaftstheoretische Relevanz. Daß hier ein Zusammenhang besteht, war auch den Zeitgenossen bewußt: In einer Predigt aus dem Zusammenhang der an die päpstlichen Äußerungen anschließenden Diskussion, die möglicherweise 118 von Ockhams früherem englischen Diskussionspartner Walter von Chatton stammt, wird aufgrund der Auseinandersetzung mit der vw/ö-Thematik der Komplex der Fragen von Evidenz und philosophisch bestimmbarer, durch Beweisbarkeit ausgezeichneter Erkenntnis 1 1 9 angesprochen und die bloße adhaesio des Glaubens der Evidenz gegenübergestellt 1 2 0 : All dies sind Begriffe aus dem Kontext der theologischen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Ockham nun stellt schon im Opus Nonaginta Dierum gegen die Lehre des Papstes fest: beata Virgo et Apostoli, martyres et alii sancii in cáelo vident nunc Deum ("Die selige Jungfrau und die Apostel, Märtyrer und anderen Heiligen schauen jetzt im Himmel Gott") 121 , und diese Feststellung bleibt der Tenor seiner Auseinandersetzung mit Johannes XXII 122 . Ockham argumentiert in diesem Zusammenhang häufig mit der Schau der Engel, um erst von hier aus die Schau der beati genauer zu bestimmen. Das hat seinen Grund darin, digt erklärte er noch: Unde est dicere quod usque ad diem judicii sub altare Dei erunt, et non in caelo (Johannes, Sermons 94,If [Nr.2]; daß Johannes XXII. "never denied", daß die Seelen im Himmel seien [so Douie, John XXII 158], ist also schlicht falsch), in der zweiten, a.a.O. 1 1 4 , 1 - 3 (Nr.26), aber korrigiert er sich: (...) concedo quod animae quae nichil habent purgandum statim Vadunt ad caelum, sed propter hoc non vadunt ad illam beatitudinem de qua loquitur. Ob Johannes XXII. dadurch als "gewiegter Theologe" (Lakner, a.a.O. 331) erscheint, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist diese Harmonisierung kaum mehr möglich bei der Frage der Verdammten: Wenn Lakner die klare Aussage nec mali ante illud tempus (d.i. diem iudicii; V.L.) ibunt in poenam aeternam, id est in infernum, ubi 'erit fletus et stridor dentium' (Johannes, Sermons 145,5f) in dem Sinne deutet, nicht der Aufenthalt in der Hölle werde hier verneint, sondern lediglich das "Eingehen in das höllische Feuer" (a.a.O. 330), so liegt eine historisch nicht haltbare allegorische Lektüre vor. Lakner selbst gibt, ohne erkennbare Konsequenzen, zu, daß der Text diese Deutung auszuschließen "scheint" (ebd.), und beruft sich darum zur Klärung der Position Johannes' XXII. auf die Interpretation, die Benedikt XII. diesen zuteil werden ließ, ohne den Quellenwert von dessen Deutungen zu problematisieren (ebd. 331f)! 118 S. Dykmans, Frères Mineurs 122-128. 119 Zur Zentralstellung des Beweises im scientia-Verständnis Chattons s. Chatton, Reportatio 231,195 - 2 2 1 . 120 Chatton (?), Sermo 144. 121 OPol II 852,249-254. 122 S. z.B. Goldast II 747,50f: visio divinae essentiae animabus ante universale iudicium est promissa.
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daß er sich sicher ist, mit der Lehre von der Schau der Engel (und Christi) auf dem sicheren Boden des Konsenses zu stehen123. Inhalt dieser Schau ist das mysterium trinitatis et unitatis divinaem bzw. das Wesen Gottes 125 . Das entspricht ganz den früheren Vorstellungen von der visio Dei, und ebenso besteht volle Kontinuität hinsichtlich des nicht Geschauten: Die Aussage, daß (...) non omnes videntes Deum omnia sciunt ("nicht alle, die Gott schauen, alles wissen"), wird mit dem schon aus Sent bekannten Beispiel, daß die Engel vor der Inkarnation von dieser nichts gewußt hätten, illustriert 126 , und auf theoretischer Ebene wird die Möglichkeit mangelhafter Erkenntnis mit der — mit der visio Dei einhergehenden — Möglichkeit der Nichterkenntnis der Kreaturen begründet 127 . Abweichungen finden sich daher allein in der Hinsicht, daß Ockham im Streit um die visio die Eschatologie subtiler und gründlicher ausgestaltet als in den akademischen Schriften 128 , obwohl sie ja schon oben als theologischer Kontext 123
Goldast II 762,5ff. Goldast II 746,60ff. 125 OPol III 136,9-12. 126 Goldast II 746,5ff. 127 Goldast II 746,60ff. 128 Diese Ausgestaltung der eschatologischen Einzellehren geht einher mit einer starken Betonung der Bedeutung der Eschatologie als theologischem Lehrstück. So nennt Ockham in De Dog als Beispiele solcher Glaubenssätze, die jeder Katholik über die Artikel des Glaubensbekenntnisses hinaus kennen müsse, lediglich drei Sätze, und diese haben eschatologischen Inhalt: Sie benennen die drei jenseitigen Orte infernum, purgatorium und coelum (Goldast II 753,25-40). Dies ist besonders interessant, weil Ockham das in Dial III mehrfach erwähnte Purgatorium (Goldast II 745,25f; 763,20ff; vgl. auch OPol III 236,19f [TractcB 111,6]) in Sent nur gelegentlich erwähnt hatte (OT III 459,20-24), und in Sent Prol q.l gar eine Einteilung des Menschen nach beatus, viator und damnatus vorgenommen hatte (OT I 5,11 — 17), die einen jenseitigen Zwischenzustand im Purgatorium nicht als eigene anthropologisch relevante Größe in Rechnung stellte (sondern vermutlich unter das viator-Dasein subsumierte). Doch sind diese Unterschiede in der Gewichtung wohl weniger dogmatisch als situativ begründet: Schon in Quodl I. q. 19 hatte Ockham eine ganze quaestio einem eschatologischen Problem, nämlich der Frage, utrum spiritus patiatur ab igno purgatorio gewidmet (OT IX 96-99), und umgekehrt entspricht der oben angeführten Stelle aus De Dog eine Passage im TractcJ, in der Ockham ebenfalls Beispiele von Glaubenssätzen anführt, die über das im Glaubensbekenntnis Enthaltene hinaus geglaubt werden müßten, unter denen sich zwar auch infernum est findet, aber sonst kein Hinweis auf eschatologische Thematik (s. OPol III 47,26-33). Die Betonung der Eschatologie in De Dog ist also weniger systematisch als aktuell veranlaßt: Die von Johannes XXII. geleugneten Thesen betrafen ja nicht allein das himmlische, sondern auch das höllische Jenseits (s. Goldast II 451,30ff; 971,20-55; OPol III 135,26-137,28; vgl. auch DS 1002; Johannes, Sermons 145,5f; 150f), so daß mit ihnen die ganze Breite der Eschatologie und der 124
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4. Kapitel
der v/j/o-Thematik bestimmt worden war: Ockham mußte sich jetzt mit der Frage auseinandersetzen, ad quid futurum iudicium generale ordinatur ("wozu das künftige allgemeine Gericht eingerichtet wird") 129 ? Bei allem gerne wiederholten Spott über den bloßen Juristen 130 Johannes XXII., der sich in der visio-Frage auf gefährliches Terrain gewagt hat131, ist ihm doch zuzugestehen, daß er mit dieser Frage ein Kernproblem mittelalterlicher Eschatologie angesprochen hat 132 : Die im Mittelalter ausgestaltete "Geographie des Jenseits" 133 , die neben Hölle und Himmel spätestens seit dem Konzil von Lyon 1274134 auch ein Purgatorium vorsah, setzte neben dem allgemeinen Jüngsten Gericht (iudicium universale) auch ein unmittelbar an den Tod anschließendes Individualgericht (iudicium particulare) voraus 135 . Die mit dem iudicium particulare erfolgende Verteilung innerhalb der Geographie des Jenseits bedeutete aber ein gewichtiges Präjudiz, insofern nicht nur Hölle und Himmel im Grunde schon Strafe und Belohnung darstellten, sondern auch das Fegefeuer faktisch nur einseitig, in Richtung Himmel, geöffnet war 136 . Damit mußte sich in der Tat die Frage stellen, welche Funktion dem universalen Gericht überhaupt noch zukommen sollte137, und der Papst wertete es entsprechend kräftig auf 138 : Den Lohn schon vor dem ii4dicium universale den
Jenseitslehre angesprochen war, der Ockham möglicherweise gerade deswegen auch das von Johannes nicht thematisierte Purgatorium zurechnete, weil gerade an dieser Frage in Lyon die Doppelung von partikularem und universalem Gericht besprochen worden war (DS 856). 129 s. Goldast II 747,20ff. 130 Zur Ausbildung des Papstes s. Valois, Jean XXII 394f. 131 S. z.B. Hoffmann, Schau 6; Valois, Jean XXII 551. Dagegen, daß Johannes XXII, obwohl er nicht in Theologie ausgebildet ist, theologische Fragen entscheiden will, polemisiert auch Ockham (s. OPol II 536,58-60; 596,101-105; 734,235735,237 [hier in der allgemeinen Form eines Verdiktes über Juristen, die ihre Sichel in fremde Ernte bringen]; 796,75—78 u.ö.). 132 S. auch die Gegenüberstellung von judicium particulare und universale in Johannes, Sermons 106,13 — 18 (Nr.12). Diese Unterscheidung nehmen in ihrer Argumentation gegen Johannes XXII. Durandus (s. Hoffmann, Schau 34) und der anonyme Autor von De visione beata 175,11 —25 auf. 133 Vgl. zum Begriff Le Goff, Fegefeuer 13. 134 S. DS 856-859; vgl. Le Goff, Fegefeuer 343-347. 135 Le Goff, Fegefeuer 255; zur Entwicklung bei Richard von St. Viktor und Thomas von Aquin s. Scheffczyk, Gericht 1328. 136 S. Deneke, Fegfeuer 331; Le Goff, Fegefeuer 255. 137 Daß diese Frage zeitgenössisch gestellt wurde, zeigt nicht nur Johannes XXII. selbst, sondern es ist auch daran abzulesen, daß in jenen kirchenamtlichen Dokumenten, in denen zunächst die Folgen des iudicium particulare beschrieben und dann auf das iudicium universale eingegangen wurde, der Übergang durch ein nihilominus erfolgt (s. DS 859; 1002). 138 S.v.a. Johannes, Sermons 106,13-18 (Nr.12).
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Seligen zuteil werden zu lassen, hieße, so bemängelt der geschulte Jurist, die Ausführung des Richtspruches vor dessen Erlaß zu vollziehen 139 . Hierdurch herausgefordert, sich dem in der akademischen Phase nur gestreiften 140 Thema des Jüngsten Gerichts zuzuwenden, führt Ockham nun dessen Bedeutung — im Einklang mit anderen Gegnern des Papstes — in doppelter Hinsicht aus: 1. Was bis zum Gericht allein der Seele zuteil wurde, wird nach dem Gericht Seele und Körper gemeinsam zuteil 141 . Diese Position hat grundsätzlich auch der Papst geteilt, freilich anders gewichtet: Nicht das Zusammenkommen selbst ist der Lohn, sondern der Lohn, das volle Schauen der Gottheit, ist erst dem zusammengesetzten ganzen Menschen verheißen 142 , was Ockham ausführlich widerlegt, indem er zeigt, daß biblische Wendungen, die nicht ausdrücklich Seele und Körper unterscheiden, nicht zwingend in dem Sinne zu verstehen sind, daß der hier verheißene Lohn nicht (zunächst) auch der Seele allein zukommen könnte 143 . 2. Die Schau, die für die Seelen vor dem Gericht schon klar ist, wird nach dem Gericht noch klarer sein 144 . Dies ist die unmittelbare Antwort auf das Argument des Papstes, die Seelen könnten nicht noch weiter über die klare Schau Gottes hinaus erhoben werden 145 . Ockham wertet dieses Argument dementsprechend auch nur nach der Seite der trotz allem noch gegebenen Steigerungsmöglichkeit hin aus. Daß diese Behauptung eines möglichen Komparativs einen Mangel des Positivs implizierte und eigentlich dessen exakte Bestimmung verlangte, wird bei ihm nicht thematisiert. Daher ist die Frage, ob Ockham auf diese Weise den früher der theologia beatorum zugemessenen Stellenwert zumindest gefährdet, auf 139
Johannes, Sermones 184,9f. Im Register zu Sent IV ( = OT VII), dem traditionellen Ort der Entwicklung der Eschatologie, fehlt das Lemma iudicium, und auch sonst wird es nur gelegentlich erwähnt (OT I 408,13-17; V 226,20141 Goldast II 743,5ff; 745,35ff; 750,15f. Daß der Auferstehung des unversehrten Menschen (von Ockham gelehrt in OT VII 239,16. 18f) eine Zeit der abgetrennten Seelen voraufgeht, setzt auch die Rede des akademischen Ockham von der separata anima a corpore (ebd. 283,6) voraus. Ähnlich haben auch Thomas Waleys (s. Kaeppeli, Procès 102,5-18; 162,18-23), Durandus (s. Hoffmann, Schau 36; Douie, John XXII 167), der Anonymus in De visione beata 3 7 9 , 7 - 1 1 , und Robert, Visio 17,13-18,4; 6 9 , 9 - 1 6 , argumentiert. 142 Johannes, Sermons 103f (Nr.6). 143 Goldast II 747f. 144 Goldast II 744,35ff. 55f; 745,5ff; 750,15f. Ähnlich auch Durandus (s. Hoffmann, Schau 36); Robert, Visio 9 6 , 1 8 - 2 1 . 145 S. Goldast II 744,30ff. 140
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4. Kapitel logischer Ebene zwar zu bejahen, auf deskriptiver Ebene aber zu verneinen: Die Konsequenzen zog Ockham nicht und hatte sie argumentativ nicht erkennbar im Blick.
Beide Änderungen, die Ockham vornimmt, betreffen daher die vw/o-Lehre nicht an zentralen Punkten. 2.2.2. Die Gotteserkenntnis des Erdenpilgers Weit weniger ergiebig fallt die Suche nach Resten von Ockhams Lehre über die Gotteserkenntnis des Erdenpilgers und die Rolle der Theologie aus, doch ist dort, wo etwas hierzu zu finden ist, ebenfalls Kontinuität festzustellen. So betont Ockham, der Erdenpilger wandle noch im Glauben 146 und Glaube und Schau schlössen einander aus147. Der Gedanke der Mangelhaftigkeit irdischer Gotteserkenntnis und deren Angewiesenheit auf den Glauben, die, auch dies bleibt erhalten, nur in raptu behoben werden kann 148 , bleibt also aufrechterhalten 149 . Noch deutlicher auf die wissenschaftstheoretische Diskussion bezogen ist eine Stelle im Dialogus I 5,3, an der Ockham erklärt, es gebe viele katholische Wahrheiten, die weder selbstevident noch durch Erfahrung bekannt, noch auch beweisbar seien150 — dies ist eine offensichtliche zu146
Goldast II 743,25ff. Goldast II 762,5-15. Diese Lehre hatte Ockham OT VI 308,11-309,2 ebenfalls vertreten. 148 Goldast II 742,1Off. 149 Dies ist nicht weiter erstaunlich: Hier befand sich Ockham offenbar in Einklang mit dem Papst, der ebenfalls von der fides viatorum sprach, die mit dem Jüngsten Gericht ein Ende haben werde (Johannes, Sermons 149,5-7 [Nr.l]). 150 Goldast II 470,50ff. Wegen der auf der viele Argumente abwägenden literarischen Form beruhenden notorischen Schwierigkeiten in der Auslegung des Dialogus I und III sowie der Octo Quaestiones ist bei Zitaten aus diesen Schriften jeweils zu untersuchen, ob sie tatsächlich Ockhamsches Denken wiedergeben (s. zusammenfassend Junghans, Neuere Forschung 92-94; im Fall des Dial I hat Ockham selbst sein Interesse an Nichtfestlegung durch die Bitte des Schülers, der Magister möge seine eigene Meinung nicht kenntlich machen, um ihn nicht durch seine persönliche Autorität zu sehr zu beeinflussen, artikuliert [Goldast II 398,25ff] und es später auch noch einmal in der neuerdings von Miethke, Selbstzeugnis 28f, bekannt gemachten Notiz zur ersten Rezeption dieser Schrift unterstrichen). Daß es sich im Falle der hier zitierten um eine von Ockham bejahte Auffassung handelt, geht nicht nur aus der Kontinuität zum früheren akademischen Schrifttum hervor (womit ja angesichts des Interesses in der obigen Argumentation lediglich eine Petitio principii geleistet wäre), sondern vor allem daraus, daß das Argument im Kontext des Nachweises, daß der Papst irren könne, steht - dies aber war ein Grundgedanke in der gesamten Auseinandersetzung mit dem Papst, Tenor des Beginns von Ockhams publizistischem Wirken. Schon die oben referierte Formulierung mit der Rede von "vielen" nicht evident erkannten katholischen Wahrheiten macht es wahrscheinlich, daß der publizistische Ockham der Theologie zwar nichtevident erkannte Satze zu147
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stimmende Aufnahme von Kerngedanken aus Ockhams theologischer Wissenschaftstheorie, vor allem des Gedankens der mangelnden Evidenz der Erkenntnis theologischer Wahrheiten und der damit verbundenen Sonderstellung der Theologie im Kreise der Wissenschaften 151 , die, auch das wird in den publizistischen Schriften beibehalten, ihre Gewißheit keineswegs ausschließt 152 . Daß die Kompetenz der Theologie in der Schriftexegese 153 liegt154 und diese auf die Kenntnis der Logik angewiesen ist155, bleibt ebenso in den publizistischen Schriften erhalten wie die Einsicht, daß solche Schriftauslegung grundlegend auf den Glauben bezogen ist156. Es finden sich also im publizistischen Schrifttum einzelne Gedanken aus dem Entwurf der Theologie als akademischer Disziplin, wie Ockham ihn in seinem akademischen Schrifttum geboten hatte, wieder. Sie sind zwar zu spärlich, um dem späten Ockham weiterhin jene frühe Konzeption als ganze positiv zuzuschreiben, machen es aber in jedem Falle unwahrscheinlich, daß Ockham sich von ihr entschieden abgewandt hätte. Das weitgehende, nur gelegentlich durchbrochene Schweigen kann lediglich das ohnehin Selbstverständliche belegen, daß Ockham in seiner publizistischen Phase andere Problemstellungen im Auge hatte als die Stellung der Theologie im Kreise der Wissenschaften 157 . Der Ort aber, wo diese anderen Probleme sich mit jenen früheren berühren, ist die Frage nach den für die theologische bzw. katholische Wahrheit relevanten Autoritäten, und besonders problematisch gestaltet sich hierbei der Kirchenbegriff. rechnet, sie aber weiterhin nicht ausschließlich aus diesen bestehen läßt. Diese Annahme bestätigt sich in OPol II 596,108f, wo Ockham zu den Voraussetzungen des Verständnisses theologischer Wahrheiten die Kenntnis der Metaphysik rechnet. 151 Auf diese Beibehaltung der Sonderstellung gegenüber den Wissenschaften verweist, daß Ockham die scientia (...) ex evidentia rei in Goldast II 663,25 — 30 von der credulitas unterscheidet und in Brev 175,35-176,2 die ratio evidens und die experientia certa von der fides. 152 S. OPol III 5 8 , 2 - 4 . Für die Selbstverständlichkeit, daß Ockham an der Wahrheit des katholischen Glaubens festhält, seien nur exemplarisch der Prolog zum OpXCD (OPol I 292,1-22) und die Epistola ad Fratres Minores (OPol III 1 0 , Μ Ι 6) genannt. 153 Die folgenden Ausführungen zu den Autoritäten werden deutlich machen, daß "Schrift" hier wiederum aufgrund ihres inklusiven Primates genannt wird. 154 S. z.B. OPol II 796,75-78: Parallelisierung von Theologiekenntnis und Erfahrenheit in den heiligen Schriften; OPol III 63,17-21: Aufnahme von in sacra pagina eruditi durch die Formulierung: theologis et sacram scripturam docentibus, praedicantibus et exponentibus. 155 OPol I 364,381-387; II 596,105-110. Zu der daneben erwähnten Grammatik s. die Ausführungen im Text zur Autoritätenfrage. 156 S. z.B. OPol III 63,5-7. 157 Lediglich OPol II 528,18-23 findet sich der Hinweis, daß Ockham von Sacra Scriptura im Sinne der facultas spricht.
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4. Kapitel 2.3. Die Autoritätenfrage nach Avignon 2.3.1. Die Restkirche
Die durch den Verdacht einer Häresie Johannes' XXII. eingetretene Situation bewältigt Ockham mit Hilfe des für eine solche Situation aufgrund theoretischer Reflexionen zur Verfügung stehenden Instrumentariums: Zur Feststellung einer Häresie des Papstes gibt es eindeutig eine Instanz: das Konzil. Es steht, so argumentiert Ockham, darin weitgehend Nikolaus Minorità folgend 158 , nach kanonistischer Lehre in Glaubensdingen über dem Papst159 (ohnehin, wenn dieser manifeste Häresie vertritt, aufgrund deren er nach kanonistischer Lehre unmittelbar seiner Würden entkleidet160, ja exkommuniziert161 ist), und seinem Urteil hat sich der der Häresie verdächtige Papst zu unterwerfen. Dieser Verdacht aber kann von jedem beliebigen Gläubigen geäußert werden: Kirche ist nicht nur Kirchenhierarchie, sondern auch Gemeinschaft der Glaubenden162, und diesen Glaubenden ist es nicht nur gestattet, sondern auferlegt, im Falle einer anscheinend gegebenen Häresie 163 des Papstes, diese anzuzeigen164: Jeder Gläubige ist potentiell in der Lage, den Papst zu überprüfen, und so bedarf auch eine päpstliche Verlautbarung der Überprüfung durch jeden einzelnen Gläubigen. Diesen letzten Gedanken hat
158
Zu den Abhängigkeitsverhältnissen s. Miethke, Sozialphilosophie 80f. OPol I 294,54-295,80 (vgl. OPol III 248,1-13 [TractcB]) unter Berufung auf die Glossa zu d.19 c.9; s. CIC (Glossa) I 87: ubi de fide agitur: (...) tunc Synodus maior est Papa·, vgl. Tierney, Foundations 50. Ebd. 55 führt Tierney aus, daß es nicht generelle Ansicht der Kanonisten war, daß im Konfliktfall das Konzil dem Papst vorzuziehen sei. Huguccio z.B. erklärte zu dieser Ansicht: Quod noti credo. Sedpotius credo contrarium (zit. ebd.). 160 OPol I 295,92-95, unter Berufung auf die Glosse zum Decretum p.2 causa 24 q.l c.l (s. CIC [Glossa] I 1382: Si Papa haereticus est, in eo quod haereticus est, est minor quolibet catholico)\ II 853,304-306; I 59f (Octo Quaestiones); vgl. die Sachsenhäuser Appellation MGH.Const. V 734,16 — 19. 161 Dies folgert Ockham mit Nikolaus Minorità aus Decr 1.5 titulus 7 c.13 (OPol I 295,74): Excommunicamus (...) omnem haeresim (CIC II 787); vgl. OPol II 472,142-156. Eine ausführliche Begründung für die Anwendung der genannten kanonischen Bestimmung auf den Fall des häretischen Papstes findet sich im Dial I 6,73 (Goldast II 585,25-55); vgl. OPol III 305,25-29; 306,21-307,4, sowie Goldast II 572ff; 974,25ff. 162 In OPol II 617,505f unterscheidet Ockham ecclesia im Sinne des Klerus von der communitas fidelium. Nach Dial I handelt es sich hier um eine von mehreren möglichen Bedeutungen von ecclesia (s. Goldast II 402,30-40). 163 Im ersten Kapitel heißt es noch vorsichtig, daß Johannes XXII. zumindest tanquam suspectus est ab omnibus reputandus, da er sich keinem Konzil stelle (OPol I 297,144-151). 164 OPol II 794,42-48. 159
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Ockham nicht etwa ohne weiteres selbst gebildet, sondern im OpXCD in Aufnahme eines Argumentes Johannes' XXII. entwickelt 166 : Dieser hatte erklärt, die Bulle Exiit qui seminai sei niemals von der gesamten Kirche ganz approbiert worden 167 , und damit jedenfalls nicht die Approbation auf einem Konzil gemeint, denn diese fuhrt er als (mangelndes) Kriterium der Gültigkeit der Bulle noch daneben eigens auf 168 . Ockham nimmt diesen Gedanken auf und formuliert nun in konsequenter Folgerung daraus, daß er in Auseinandersetzung mit der Argumentation von Johannes XXII., der Franziskanerorden könne als Orden, da er nur eine juristische Person sei, keine realen Akte durchführen, also auch keinen usus facti ("faktischen Gebrauch") vollziehen 169 , erklärt hat, der Orden und die Kirche seien nicht als juristische Personen, sondern - wie schon in der akademischen Phase das Volk 170 - als reales Miteinander vieler Einzelpersonen zu verstehen 171 , kriterienhaft, eine päpstliche Bulle sei dann approbiert, wenn ihr nach ihrer öffentlichen Promulgation in der universalen Kirche172 kein einziger Katholik widerspreche (,reprobare)173: Jeder einzelne Gläubige wird zur negativen Approbations165 Das OpXCD dürfte zwischen 1332-1334 entstanden sein (s. Miethke, Sozialphilosophie 81—85; bei der Datierung und damit gegebenen Reihenfolge der publizistischen Schriften folge ich i.a., wo neuere Ergebnisse nicht zu Änderungen zwingen, der Zusammenfassung des [damaligen] Forschungsstandes bei Junghans, Neuere Forschung 91-104) und bildet so die erste Schrift aus Ockhams publizistischer Phase. Dabei gibt Ockham, obwohl er noch auf spätere eigene Ausarbeitungen verweist (OPol II 857,471-858,474), offensichtlich im OpXCD seine eigene Meinung wieder (ebenso Baudry, Vie 158; Miethke, Sozialphilosophie 77; anders Ryan, Evasion 292), denn von den gegen den Papst gerichteten Meinungen, die er hier referierend notiert, erklärt er, ihnen wisse er nichts entgegenzusetzen (OPol I 292,19ff). Daß er dabei aber doch auch als Referent und Kollektor vieler Meinungen spricht (s. zu der Schwierigkeit, die Quellen im einzelnen nachzuweisen, Miethke, Sozialphilosophie 79), führt ebenso wie das hohe Tempo der Niederschrift dieses Werkes, das seinen Namen ja daher trägt, daß Ockham diese heute 567 Druckseiten umfassende Schrift in 90 Tagen niedergeschrieben haben will (OPol II 857,459f), zu Spannungen und Unausgeglichenheiten, für die Ockham sich selbst am Ende entschuldigt (OPol II 857,463-466; vgl. ebd. 858,474-477). 166 Eine — allerdings auf das Generalkonzil bezogene - kirchenrechtliche Grundlage gibt Ockham in OPol III 54,17ff an: Decretum p.2 causa 25 q.l c.l (CIC I 1007). 167 OPol II 500,27 - 30 (QVR). 168 OPol II 500,30f (QVR). 169 OPol I 355,24-26 (QVR). 170 S. OT IV 106,21; vgl. Miethke, Sozialphilosophie 512. 171 OPol I 366,446-455; III 191,24f. Auf den Hintergrund dieser sozialphilosophischen These in Ockhams Universalientheorie haben Heinen, Reich 52f, und Miethke, Sozialphilosophie 509, zu Recht aufmerksam gemacht. 172 OPol II 506,268.
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instanz kirchlicher Determinationen: Für die Wahrheitsfrage besitzt die Unterscheidung von Laien und Klerikern als den zwei genera in der Kirche nach Decretum p.2 causa 12 q.l c.7 174 keine letzte entscheidende Relevanz. Ockham geht mit der Aufhebung dieser Schranke so weit, daß er schon im OpXCD den kanonistischen Gedanken der "Restkirche" aufnehmen kann 175 , indem er zu dem Ergebnis kommt, daß die universale Kirche in dem zwar im Irrealis formulierten, aber nicht als unmöglich abgewiesenen Fall, daß alle Kleriker Häretiker wären 176 , nur aus Laien bestehen könnte: Die Laien sind nicht nur Approbationsinstanz der päpstlichen Lehre, sondern sie können auch die einzigen Repräsentanten der in Dingen des Glaubens und der Sitte unfehlbaren 177 Kirche sein. Letzte wahrheitsrelevante Funktion hat also — wohl im Gegensatz zur Lehre des Marsilius 178 — auch das (ja im Normalfall von Klerikern beschickte 179 ) Konzil nicht180: Die ecclesia universalis, der nach 173
OPol II 383,131-137; 506,268; III 67,13-22; vgl. Dial III 1,3,13 (Goldast II 831,5ff). Auf den Zusammenhang dieser Äußerung mit der Auffassung von der Kirche als einer Gemeinschaft von einzelnen hat auch Ryan, Church 15, hingewiesen. Da das Approbationskriterium der Einstimmigkeit natürlich nur für neu zu Approbierendes gilt, das schon Approbierte, zumal die Schrift, aber schon gültig ist, ist es unsinnig, wenn Heinen, Reich 56, meint, die Einhelligkeit sei das einzige unfehlbare Kriterium für eine Glaubenswahrheit. 174 CIC I 678. Bei Ockham aufgenommen in OPol II 616,478-617,481. 175 S. hierzu Tierney, Foundations 44f, besonders das Zitat aus der Glosse Ecce Vicit ebd. Anm. 44. 176 OPol II 852,268-853,273. Sähe Ockham diesen Fall als unmöglich an, könnte seine oben zitierte generelle Folgerung auf die Nichtangewiesenheit auf irgendeine menschliche Autorität daraus nicht gezogen werden. Das bedeutet im Umkehrschluß: Ockham vertritt in der Tat die Auffassung, daß das Irren aller Kleriker eine reale Möglichkeit ist. 177 OPol II 854,330f; vgl. Posthumus Meyjes, doctor 115f; Ryan, Evasion 287f. 178 Marsilius, Defensor Pacis 386 (II c. 19 § 3), führt die Entscheidungen des Konzils direkt auf den Heiligen Geist, nicht auf menschliche Autorität zurück und spricht ihnen ebd. 385 (§ 2) ebensolche Autorität wie der Bibel zu; vgl. zu dieser Deutung auch Schlageter, Unfehlbarkeitsdoktrin 131; zum hier bestehenden Gegensatz zwischen Marsilius und Ockham Hendrix, Quest 359. 179 Vgl. Ockhams Argumentation für eine Beschickung auch durch reges et principes et alii laici in Goldast II 603, 50ff (angesichts der anderen Möglichkeiten des Denkens im 14.Jahrhundert hat Lagarde, Naissance V 58, zu Recht betont, daß solche Äußerungen keineswegs revolutionär waren). Dies wird als Ockhams Meinung kenntlich durch die Begründung mit der sicher Ockhamschen Meinung, daß die determinatio ecclesiae der Approbation durch die Laien bedürfe. 180 Beispiele für Irrtümer von Konzilien führt Ockham in Goldast II 495f auf. Daß es sich hierbei um Ockhams Meinung handelt, geht aus der etwas späteren expliziten Konditionalisierung der Autorität des Konzils hervor (OPol III 247,8-10) - ganz abgesehen davon, daß es sich hierbei ohnehin um eine konsequente Folgerung aus dem sicher Ockhamschen Restkirchenmodell handelt.
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Ockhams Deutung in Lk 22,32 Unfehlbarkeit verheißen ist , ist schon im OpXCD an keiner irdischen Institution festzumachen: Fides (...) nostra non innititur auctoritati cuiuscumque viventis in hac vita mortali ("Unser Glaube stützt sich nicht auf die Autorität irgendeines in diesem sterblichen Leben Lebenden") 182 . Die radikalen Konsequenzen aus dieser Lehre von der Restkirche zieht Ockham im Dialogus bis in alle Verästelungen und soziale Anstößigkeiten hinein: Nicht allein, daß alle Kleriker irren könnten, erscheint nun im Dial I wie im OpXCD als Möglichkeit, sondern es erscheint auch der (keineswegs neue, sondern aus der Kanonistik stammende) Gedanke, daß die universale Kirche, von der allein das Prädikat der Unfehlbarkeit gilt183, durch Gottes Allmacht (was deutlich die Einstimmung dieser Äußerungen mit Grundkonzeptionen des akademischen Ockham zeigt184) allein in einem Menschen erhalten bleibe 185 , oder daß nur schlichtes Landvolk 186 , nur Frauen 187 oder gar nur unmündige 181
Goldast II 472,55-473,15; 503,60ff; 506,40ff. OPol II 853,273f (OpXCD); vgl. OPol III 253,19-21 (TractcB IV,4) das Gegenteil als häretische Konsequenz aus den Äußerungen Benedikts XII. 183 Goldast II 478,55ff. 184 Dieser "typisch Ockhamsche" theologische Kontext für das Restkirchenmodell kommt vor allem in den Verweis auf den Gott, der Abraham aus Steinen Kinder erwecken kann, in Goldast II 498,25-35 zum Ausdruck. 185 Goldast II 429,50 -60. Daß dies Ockhams Ansicht ist, geht nicht nur aus der Antwort des Schülers (Ista nescio improbare), sondern auch aus der sicher affirmativen Aufnahme dieser Auffassung in OPol III 15,23-27; 67,22-27 hervor; vgl. auch Dial III 1,3,11 (Goldast II 828,25ff). Auch diese radikale Fassung des Restkirchenmodells entstammt der Kanonistik (s. Tierney, Foundations 44; vgl. die Aufnahme schon bei Bonaventura, Opera III 78). 186 Goldast II 498,25-40. Dieser Gedanke von der Restkirche in den Niedrigen ist nur eine von vielen die sozialen Schranken relativierenden Konkretisierungen des Restkirchengedankens. Sie darf daher nicht isoliert als Beleg für die Auffassung, die franziskanischen Ideale hätten hier als "entscheidender Impuls" gewirkt, herhalten (so Schlageter, Unfehlbarkeitsdoktrin 130f; allerdings anscheinend bei dems., Konflikt 97, durch den Verweis, in Ockhams Ekklesiologie kämen franziskanische Motive nur indirekt zum Tragen, relativiert): Sicher spielen die franziskanischen Ideale hier auch eine Rolle, entscheidend aber ist, wie Ockham selbst gesagt hat (OPol III 6,9—21), der negative Impuls der Erkenntnis der Häresie des Papstes. Auffallig — und deutliches Argument gegen Schlageters Deutung — ist, daß Ockham gerade in seinem Brief an das Franziskanerkapitel den Restkirchengedanken ohne jeglichen Rekurs auf spezifisch minoritisches Gedankengut verarbeitet (OPol III 15,23-16,4). Zu Recht hat auch Lagarde, Naissance V 45, darauf hingewiesen, daß Ockhams Modell hier nichts mit der ecclesia spiritualis der Spiritualen zu tun hat, insofern Ockham hier überhaupt nicht von der begrifflichen Opposition von Fleisch und Geist ausgeht. Wenn Hendrix, Quest 360, Ockham als "successor of Olivi" darstellt, so macht er daher aus vergleichbaren Konzepten unbewiesen historische Zusammenhänge. 182
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Kinder188 die wahre Kirche, der Unfehlbarkeit bis ans Ende der Zeiten verheißen ist, repräsentieren könnten. Daß Ockham in diesem Zusammenhang ausdrücklich von getauften unmündigen Kindern spricht, verweist auf den im Frühwerk entwickelten Rahmen, der Ockham die Rezeption des kanonistischen Gedankens der Restkirche ermöglicht hat: Diese Aussage setzt voraus, daß die wahrheitsrelevante judikative Funktion des Glaubens nicht an der Fähigkeit zum Verstandesgebrauch und damit am Erlernen von Glaubensinhalten hängt, sondern an der in der Taufe vermittelten fides injusam. Dieser Gedanke wird im Rahmen der Restkirchentheorie noch radikalisiert, indem die mit der yWes-Konzeption gesetzte Partikularität ins Extreme gesteigert wird. Ockham entwickelt also auf der Grundlage sowohl kirchenjuristischer Argumentation als auch eigener früher philosophischer und theologischer Erwägungen im Kontext aktueller Auseinandersetzungen ein ekklesiologisches Modell, das die wahre Kirche nur noch an ein sichtbares Zeichen als Conditio sine qua non bindet, die Taufe. Von dieser abgesehen, kann die wahre Kirche als nicht definitiv erkennbare Gruppe innerhalb der äußerlich strukturierten Kirche bestehen190. Das Brisante an diesen Gedankengängen aber ist gerade, daß sie bei Ockham nicht — wie in seinen kirchenrechtlichen Quellen — rein theoretische Überlegungen darstellen, sondern die Erklärung des ihm gegenwärtigen Ist-Zustandes, in dem der Normalfall einer legitimen Kirchenleitung durch den Papst auf absehbare Zeit ausgefallen ist: Daß die Kirche nur noch in der Restkirche präsent ist, ist schon Gegenwart191. Diese Konzeption der Restkirche zeitigt, so sehr sie am Sonderfall orientiert ist, nun, expliziert vor allem ab dem TractcB, bedeutsame Folgen für das Verhältnis des einzelnen Gläubigen zur institutionellen Struktur der Kirche192: 187
Goldast II 503,50ff; vgl. OPol III 10,20-22; darauf, daß mit diesen Aussagen Ockhams Frauenbild keineswegs vollständig erfaßt ist, hat jüngst Gössmann, Mulier Papa 56-58, hingewiesen. 188 Goldast II 506,40ff. 189 So ausdrücklich begründet in Goldast II 506,40ff. Daß Ockham weiterhin die Eingießung der fides infusa in der Taufe lehrt, zeigt sich in Goldast II 448,15ff (vgl. Lagarde, Naissance V 46). Entsprechend verbindet Ockham auch in Brev 123,21124,2 die Taufe mit der Glaubenszueignung: Durch die Taufe wird man zum fidelis. 190 Parallelen zu Luther sollten hier nicht allzu schnell gezogen werden: Ockhams nicht in Auseinandersetzung mit den Kirchenvätern, sondern mit den Kirchenjuristen entwickeltes Modell gilt für eine Notsituation, dient nicht der grundsätzlichen Klärung ekklesiologischer Fragen. Vor allem aber spielt für ihn in keiner Weise das Wort des Evangeliums eine irgendwie konstitutive Rolle für die (von ihm auch so nicht genannte) unsichtbare Kirche. 191 Mit dem Gedanken der Restkirche deutet Ockham seine eigene Situation in OPol III 15,23-16,4. 192 Vgl. die Andeutung bei Miethke, Institutionen 141.
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Wenn katholische Wahrheit an keiner sozialen Autorität festzumachen ist, wenn also die Autoritäten Konzil und Papst, die die determinatio ecclesiae verfassen, f ü r den (jeden!) Katholiken und die Katholikin nicht von selbst, sondern nur noch insoweit verbindlich sind, als sie nicht irren 193 , bedeutet dies: Dissonanzerfahrungen des religiösen Subjektes, des einzelnen Christen oder der einzelnen Christin, gegenüber der kirchlichen Institution werden, da diese keine wahrheitssichernde Macht aus sich selbst heraus hat, nicht mehr einseitig zugunsten der institutionellen Autorität entschieden, sondern, wie schon im OpXCD, der eigenen Überprüfung durch das religiöse Subjekt anheimgegeben: Der menschlichen Autorität gegenüber besitzt das einzelne gläubige Subjekt die Möglichkeit, die Dissonanz gegenüber den gegenwärtigen sozialen Autoritäten in der Kirche anhand der nach der Infragestellung von Papst und Konzil verbleibenden theologisch relevanten Autoritäten zu überprüfen 1 9 4 und legitimerweise aufrechtzuerhalten 195 , wenn tatsächlich der Ausnahmefall der häretischen Kirchenlehre eingetreten ist: Ockham vertritt keineswegs prinzipiellen Subjektivismus, stellt aber klar, daß das Subjekt sich 193
OPol III 2 4 7 , 8 - 1 0 (TractcB); vgl. Dial III 1,3,4: generali concilio et aliis in uno casu est credendum et in alio non (Goldast II 822,1 Off); 1,3,6 (ebd. 8 2 3 , 3 5 45); 1,3,9 (ebd. 826,45-60). 194 So ausdrücklich in OPol II 852,269-853,286; Goldast II 616,10-15; OPol III 261,10—28.35—37. Eben diese Überprüfungsmöglichkeit ist für die Einfachen, die auch die Restkirche repräsentieren können, nur in geringem Maße, für die getauften Säuglinge gar nicht gegeben. Diese Konzepte bleiben als theoretisch radikale Folgerungen ohne praktische Relevanz in den gegenwärtigen Streitigkeiten Ockhams: Sie machen lediglich deutlich, daß die Zugehörigkeit zur Restkirche nicht am äußeren sozialen Status, sondern am göttlichen Wirken hängt. 195 OPol III 248,26-37, unter Berufung auf Gal 1,8; vgl. ebd. 256,37-257,3; Goldast II 823,20; Schlageter, Autorität 189. Dem entspricht auch der Prolog des Breviloquiums: Que autem per scripturas sacras vel per rationem evidentem aut quocumque modo sunt certa, nullius correctioni subicio, quia illa approbanda sunt et nullatenus corrigenda (Brev 40,14-16) und das stolze Wort in De imperatorum et pontificum potestate, kurz vor Ockhams Tod (s. Junghans, Neuere Forschung 101): A veritate enim, non a multitudine vinci (Scholz, Streitschriften II 455). Foucault, Kritik 12f, hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die neuzeitliche Kritik, die er als "die Kunst nicht dermaßen regiert zu werden" faßt, "historisch gesehen biblisch" ist. Der von ihm genannten Reihe biblischer Kritiker, die mit Wyclif beginnt, könnte man ohne weiteres Wilhelm von Ockham voranstellen. Es darf aber bei all diesen Überlegungen Ockhams nicht vergessen werden, daß es sich um notrechtliche Erwägungen handelt, so daß die Rede von einem "activisme anarchique" (Lagarde, Naissance V 164) den Bogen weit überspannt. Die Möglichkeit begründeter Kritik an menschlichen Autoritäten unterhöhlt diese zwar, aber gerade die bei Ockham aufrechterhaltene Kompetenz von legitimem Papst und legitimem Konzil als glaubensentscheidende Instanzen zeigt, daß es hier weder um Anarchie noch um Aktivismus und schon gar nicht um beides zusammen geht, sondern um die Klärung eines äußersten Problems der Heilssicherheit!
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nicht aufgrund purer äußerer Autorität der Hierarchie zu unterwerfen hat, sondern diese in ihren Lehrentscheidungen vom Einverständnis der religiösen Subjekte abhängig ist196. Die schon erwähnte, einen sonst drohenden Subjektivismus ausschließende 197 Verwiesenheit auf der menschlichen Autorität vorgeordnete Kriterien wird noch durch die Äußerungen unterstrichen, in denen anscheinend eine bestimmte Gruppe von Klerikern in ihrer autoritativen Geltung gegenüber dem sonstigen Klerus aufgewertet wird: die theologischen Fachleute, die Ockham nun nicht mehr prinzipiell wie in den Eucharistietraktaten dem Lehramt der gegenwärtigen Kirche unterordnet, sondern in kritische Distanz zum Lehramt setzt 198 . Von ihnen sollen sich dementsprechend auch die Laien, wenn es zum Konflikt mit der Kirche kommt, leiten lassen199.
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Zu Recht sagt daher McGrade, Thought 62f, daß Ockham keine Individualisierung vertritt, sondern "a shift in emphasis from authority of any kind to understanding". 197 Darauf, daß diese Angewiesenheit auf die Autorität einen Schutz vor Subjektivismus im System Ockhams darstellt, verweist auch Schlageter, Autorität 189; ders., Glaube 129. Warum ders. ebd. 189f meint, aus der Laienkompetenz ein "charismatisches" Element konstruieren zu können, ist unklar: Zwar betont Ockham, daß Niedrige den Papst kritisieren können, aber es gilt doch auch: Die Überprüfung erfolgt kriterienhaft anhand der regula fldei (OPol III 261,35-37), nicht aufgrund der Beanspruchung eines besonderen Charismas. 198 Die Theologen sind in Dial I Spezialisten zur Erkenntnis von Häresie (Goldast II 403,25—40; als Ockhams Meinung kenntlich durch 1. die Begründung dieser Auffassung mit dem auch in OpXCD erscheinenden Argument, der Papst brauche zur Vermeidung oder Erkennung von Häresie theologische Kenntnisse [s. OPol II 536,58-60; 596,101-105; 734,235-735,277; Goldast II 752,15ff u.ö.], und 2. der Zustimmung des Schülers zu dieser Auffassung [Goldast II 403,45 -404,20]). Darin sind sie den Bischöfen vorzuziehen (Goldast II 455,5—45; daß es sich hier um Ockhams Meinung handelt, geht daraus hervor, daß die Meinung, die hier vorgetragen wird, mit Ockham [s. OPol II 846,15-847,40] die pertinacia für ein Hauptkennzeichen der Häresie hält, der gegenteiligen Meinung aber genau vorgeworfen wird, dieses Argument der pertinacia zu übersehen [Goldast II 457,5060; vgl. ebd. 456,35-457,10]). Und in Dial III 1,3,9 sind sie auch konsequenterweise maßgebliche Berater von Konzilien (Goldast II 826,35—45; als Ockhams Meinung kenntlich, weil es in einem Parallelargument zu der Auffassung, daß die Verheißung der Unfehlbarkeit nicht dem Konzil gilt [ebd. 825,60-826,15], steht). 199 Dial III 1,3,6 (Goldast II 823,5-45; als Ockhamsche Gedanken erkennbar durch die Betonung der nur bedingten Glaubwürdigkeit des Konzils). Die Angewiesenheit auf die Beratung durch Theologen gilt natürlich auch und insbesondere für die Laienfürsten (Goldast II 631,20—30; hier handelt es sich sicher um Ockhams Meinung, denn Ziel der Argumentation dieses Zusammenhanges ist, daß die causa fidei auch Laien betrifft, was, wie die obigen Ausführungen gezeigt haben, sicher Ockhams Meinung ist).
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Ockham denkt nun dabei aber nicht daran, eine sozial abgrenzbare Gruppe als neue Autoritätsinstanz zu installieren: Wie alle Kleriker und Laien stehen auch die Theologen unter der Bedingung der Irrtumsfahigkeit 200 , haben ihren Vorzug also nicht aufgrund eines bestimmten, sie vor Irrtum schützenden Status. Dem entspricht es, daß Ockham den theologischen doctor auch nicht primär anhand sozialer Merkmale definiert, sondern einen weiten, unpräzisen Begriff zugrunde legt 201 , der den docior-Status an der Kompetenz zur Schrift- bzw. Autoritätenauslegung festmacht 202 , also selbst nur als Funktion der eigentlichen Autoritäten begreift: Die der Restkirchenkonzeption eigene Tendenz zur Destabilisierung gegenwärtiger Autoritäten verweist in das Zentrum des Theologieverständnisses, nämlich auf die Notwendigkeit der Reflexion der für
200 Goldast II 432,1-5 im Zusammenhang (ebd. 431,55-65; 432,10ff) des nach OPol II 643,24 - 4 4 sicher Ockhamschen Ansicht, daß der Papst nicht menschlichem Willen folgen dürfe; vgl. Goldast II 633,25-45. Die Theologen können also jene letzte Instanz in der gegenwärtigen menschlichen Gesellschaft, die durch Ockhams Autoritätenkritik verloren geht, nicht ersetzen. Eine allzu emphatische Betonung der Bedeutung des Theologen bei Ockham (wie z.B. bei Ryan, Church 16ff) ist daher nicht sachgerecht. 201 So kann, ist er in der Schriftauslegung überlegen, unter die doctores auch ein Schüler fallen (s. Goldast II 455,25-45; daß hier Ockhams Meinung vorliegt, wurde oben [Anm. 198] begründet; der wohl u.a. auf diese Stelle [vgl. auch Goldast II 811,50ff] bezogene Hinweis von Miethke, Sozialphilosophie 32f, daß Ockham hier ausdrücklich die doctores ecclesiae nach CIC I d.20 c. 1 definieren wolle, hat die offensichtlich intendierte relativierende Wirkung nicht, denn ebenso ausdrücklich sagt Ockham a.a.O. auch, daß er die Bestimmung des CIC nicht auf die Vergangenheit beschränke, sondern auch auf die Gegenwart beziehe). Auch Gemeindepriester und alle zugelassenen Prediger sind hierunter zu fassen (s. Goldast II 696,40-45). Diese Relativierung des akademischen Grades ist übrigens abgesehen von den oben ausgeführten systematischen Überlegungen nicht sehr verwunderlich bei einem, der möglicherweise deswegen als inceptor gilt, weil er die Promotion wegen der Anklage durch Lutterell nicht vollgültig abschließen konnte (s. Miethke, Sozialphilosophie 29—34; vgl. diesen biographischen Bezug auf den weiteren doctor-Ti\&\ bei Posthumus Meyjes, doctor 118). Daß es allein die Kompetenz ist, die für die autoritative Stellung des Theologen entscheidend ist, zeigt sich auch in Goldast II 823,5-45 (Dial III 1,3,6): Der Magister unterscheidet hier die Feststellung von Fakten einerseits und von theologischen Sachverhalten andererseits. In diesem letzten Fall gilt, daß kein Christ, cui hoc non constaret, widersprechen dürfe, ehe dies erfahrene Gelehrte täten. Der zitierte Relativsatz aber zeigt, daß auch diese Angewiesenheit auf Gelehrte keine generelle Bedingung ist, sondern lediglich dann eintritt, wenn die Laien über keine von den Theologen unabhängige Gewißheit verfügen: Diese Gewißheit gibt das Recht zum Widerspruch. 202 Diese Bindung an Kompetenz statt an sonstige soziale Statusmerkmale betont Ockham Goldast II 455,30ff.
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die Theologie und den katholischen Glauben verbleibenden Autoritäten, die für die kritische Überprüfung der gegenwärtigen Kirchenlehre bereitstehen. 2.3.2. Die grundlegenden 2.3.2.1. Maßstäbe zur
Autoritäten
Häresieerkenntnis
Während sich im OpXCD noch scheinbar unverändert — und im Konsens mit der Argumentation der Gegner203 - die Nennung von Heiliger Schrift, dicta Sanctorum oder determinatio Ecclesiae als grundlegenden Autoritäten findet 204 , tritt nun zugleich in Ockhams Argumentation eine bezeichnende Differenzierung ein: So sehr sie Grundlage theologischer Argumentation bleiben 205 , werden die Heiligen bzw. die (entsprechend den Überlegungen aus 203
OPol I 298,8-10 (QVR) erscheinen in einem von Johannes XXII. offensichtlich akzeptierten Zitat aus Michaels Appellation (s. deren Abdruck in BullFr V 410ff Anm., hier: 411; diese Gemeinsamkeit macht deutlich, daß Carter, Ecclesiology 119, viel zu platt schematisiert, wenn sie dem Michael von Cesena, der sich auf Schrift und Kirchenlehre berufe, den Johannes XXII. gegenüberstellt, dessen Autoritäten päpstliche Monarchie und kanonisches Recht seien) als verbindliche Autoritäten: — sacra scriptum — sacrae cánones — diffinitiones sanctorum et doctorum — determinatio Romanae ecclesiae. Daß für Ockham der zweite und der vierte Punkt einander entsprechen, dürfte nach den Ausführungen zu den Eucharistietraktaten deutlich sein. Noch im Compendium findet sich eine Argumentation, in der Ockham Johannes XXII. einen Irrtum nachweist, indem er nacheinander die Widersprüche zur Schrift, zur determinatio ecclesiae und zu einer Aussage Augustins aufweist (Goldast II 961,40-55; vgl. die Nennung der drei Autoritäten ebd. 966,35ff u.ö.; vgl. auch die Auflistung von Schrift, Heiligen und Kirchenlehre als Autoritäten in der von Maier, Visio-Streit 525. 527, Ockham zugeschriebenen quaestio ebd. 520). Daß Ockham sich in der Benennung dieser Autoritäten mit dem Papst und seinen Anhängern grundsätzlich einig wissen konnte, hatte er schon zuvor am eigenen Leib erfahren müssen: Von seinen inkriminierten Artikeln galten Nr. 6 und 28 als der Schrift (Koch, Aktenstücke [8] 89,20; 183,llf), Nr. 25 und 28 als den Heiligen (ebd. 180,1 lf; 183,1 lf) und Nr. 19, 20 und 40 als der Kirchenlehre widersprechend (ebd. 177,llf. 26f; 188,8 [an den beiden letzten Stellen: determinado])·, vgl. Lohr, Modelle 154, der das Theologengutachten freilich falschlich als Verurteilung wertet. 204 OPol I 348,133-349,134; II 568,232f (OpXCD); vgl. die Vorwürfe an Johannes XXII. OPol I 364,369-374 (die hier angesprochenen religiones sind natürlich Orden [s. OPol II 377,27-39; 395,572f], wiewohl Ockham auch einen weiteren Begriff von religio kannte, wie seine Rede von der religio Christiana in Dial I 6,45 [Goldast II 547,30ff] zeigt). 205 Eine besondere Stellung nimmt hier Thomas ein: Immer wieder wird Thomas ausführlich zitiert und z.B. in OPol II 391,437-392,476 in einem durch postremo anschließenden Referat unmittelbar mit scripturae authenticae verbunden, ohne doch
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den Eucharistietraktaten) authentischen Bücher doch gerade dort fortgelassen, wo kriterienhaft die manifeste Häresie, also der Widerspruch zum explizit verbindlichen Glauben, definiert wird, wie in OpXCD c.124: om nis error, qui contradicit aperte scripturae divinae vel determinationi ab universali ecclesia approbatae ("Jeder Irrtum, der offensichtlich der göttlichen Schrift oder der von der allgemeinen Kirche approbierten Lehrfestlegung widerspricht") 207 . Die in dieser Definition erfolgende Reduktion und Fokussierung zeigt an, daß nicht alle aus der theologischen Wissenschaftstheorie bekannten Autoritäten auch den zwingenden Charakter eines Maßstabes zur Häresieerkenntnis besitzen. Sie setzt also zwei Gruppen von Autoritäten voraus, zum einen — im Sinne der wissenschaftstheoretisch als "Ausgangspunkt"
diesen gleichgestellt zu werden: Er wird nur propter illos, qui dicta Thomae recipiunt (OPol II 391,437; 395,582 u.ö.), aufgeführt: Ockham erkennt die Heiligkeit des Thomas offensichtlich nicht an, da sie ja von Johannes XXII. ausgesprochen wurde, argumentiert aber aus rhetorischen Gründen mit ihm, um ihn gerade gegenüber dem ihn als heilig verehrenden Papst als Kronzeugen ins Spiel zu bringen; vgl. auch Dial I 6,1 (Goldast II 543,35ff) die Aussage des Schülers: multi istis diebus tenent doctrinam Thomas de Aquino. 206 S. OPol II 390,400f; 546,17-20 u.ö. Noch im Dial III 1,3,26 wird säuberlich zwischen doctores approbati und normalen Doktoren unterschieden (Goldast II 844,15-40). 207 OPol II 849,128f; vgl. OPol III 253,29-31 (TractcB) u.ö. Ockham geht es, betrachtet man die in der Kanonistik vorkommenden Kriterien für Häresie, offensichtlich allein um solche, die dogmatisch gefaßt sind (vgl. McGrade, Thought 53): Daß ein Vergehen gegen die rechte Schriftauslegung häretisch ist, geht aus Decretum p.2 causa 24 q.3 c.27 (CIC I 997f) hervor). Decretum p.2 causa 25 q. 1 c. 11 (CIC I 1009f) spricht ein Anathema über die aus, die sich gegen päpstliche Dekrete vergehen. Für die explizite Definition solchen Vergehens als Häresie verweist Hageneder, Häresiebegriff 55, auf mehrere Kanonisten, unter ihnen Hostiensis, der (unter Berufung auf Decretum p.2 causa 24 q. 1 c.14 [CIC I 970]) in Hostiensis, Summa f.237rb—va formuliert: stricto modo dicitur haereticus qui aliter sentit articulis fidei quam romana ecclesia. Die Kriterien aus dem Bereich der Kirchendisziplin wie Exkommunikation oder Simonie (s. die Liste verschiedener Tatbestände von Häresie bei Hostiensis, Summa f.237rb—va; die Summa war Ockham zweifellos bekannt [s. die Zitate in OT IX 449,1 If; X 100,17f; 139,112f]) oder auch den seit Petrus Damiani bekannten Tatbestand des Widerstandes gegen den (legitimen) Papst (s. Hostiensis, Summa f. 237r, aber auch schon Decretum p. 1 d.22 c.l; ausgearbeitet wurde dieser Tatbestand vor allem von Huguccio [s. Hageneder, Häresiebegriff 65ff]) dagegen läßt er fort. Deren Gültigkeit bestreitet er keineswegs, wendet er doch gerade die Gleichsetzung von Häresie und Exkommunikation (freilich das zweite aus dem ersten ableitend) kritisch auf Johannes XXII. an. Die genannte Definition erfaßt also auch in den Augen Ockhams das Phänomen der Häresie nicht erschöpfend. In der aktuellen Situation aber sah Ockham bei Johannes XXII. eine dogmatische Häresie vorliegen, und so mußte diese exakt definiert werden.
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zusammengefaßten Größen - Quellen208 zur Ableitung theologischer Aussagen, und zum anderen zwei verbindliche Maßstäbe, Schrift und Kirche 209 , an denen sich — negativ durch den Widerspruch zu ihnen — Häresie bemißt. Damit verdankt sie sich unmittelbar der oben skizzierten neuen Orientierung an der Häresiefrage, ohne jedoch einen radikalen Bruch zu bedeuten: Es handelt sich hier um die theologische Konsequenz, die Ockham unter den Bedingungen der Frage nach der Häresie aus dem oben zu Sent Herausgearbeiteten zieht, wonach Notwendigkeit, d.h. zwingende Verbindlichkeit, allein den Autoritäten Schrift und kirchlicher Lehrfestlegung zukommt 210 . Dabei bleibt die Füllung der kirchlichen Lehrfestlegung durch das Kirchenrecht 211 und darin vornehmlich die päpstlichen Dekretalen 212 erhalten — gerade die Dekretale Exiit qui seminai des Papstes Nikolaus III. war ja Haupt208
Wenn hier der Begriff "Ausgangspunkt" durch den der "Quelle" erklärt bzw. ersetzt wird, trägt das wiederum dem Perspektivenwechsel von der speziellen Wissen schaftstheorie zur breiteren Frage nach der theologischen Wahrheit Rechnung: Der Begriff des Ausgangspunktes ist nur als Gegenbegriff zum Ausgangspunkt des syllogistisehen Beweises nötig, kann jedoch, wenn man aus dieser wissenschaftstheoretischen Konfrontationsstellung heraustritt, durch den allgemeineren und stärker verbreiteten Begriff der Quelle ersetzt werden. 209 Diese Fokussierung auf die Autoritäten Schrift und Kirche schlägt sich möglicherweise auch in der Argumentation Ockhams nieder, was sich an solchen Stellen zeigt, wo in der publizistischen Phase Argumente wieder auftreten, die er schon in Sent verwendet hat, nun aber expliziter biblisch stützt. Das betrifft zunächst die visio des Paulus in raptu: Hatte Ockham diese in Quodl lediglich unbegründet vorausgesetzt (OT IX 587,56), so legt er nun in De Dog ausführlich biblisch - und d.h. vor allem anhand der Glossa ordinaria zu IIKor 12 - seine Überzeugung dar (Goldast II 742,5-40). Dazu war er wohl vor allem genötigt, weil Johannes XXII. diese visio in raptu bestritten hatte (Johannes, Purificatio 420,23f; 421,16-18). Kann man an dieser Stelle den Gebrauch der Bibel also auch als allein aktuell durch die Bestreitung einer These bedingte nachholende Begründung interpretieren, so zeigt sich an einer anderen Stelle, daß Ockham tatsächlich auch ohne solche äußere Nötigung sich intensiver auf die Bibel stützte als zuvor: In De Dog greift er die bereits in Sent II q.14 (OT V 320,16-18) formulierte Lehre wieder auf, die Engel hätten vor der Inkarnation von dieser nichts gewußt (Goldast II 746,5-15). Während aber in Sent II zur Begründung der Verweis ut dicunt Sancii reichte, begründet Ockham in De Dog dieselbe Aussage mit einer Exegese zu Eph 3,8 — 10. Hier zeigt sich, daß bei inhaltlich gleicher Argumentation in der späteren Schrift die biblische Argumentation ein höheres Gewicht bekommt als früher. Da hierfür aber nur ein unzweifelhaftes Beispiel gegeben werden kann, kann sich dies auch noch im Bereich des Zufalls bewegen. 210 Dem entspricht, daß Ockham in Goldast II 414,50ff den Gedanken wiederholt, daß Heilige prinzipiell irrtumsfähig sind. 211 In OPol II 568,232f stehen die sacri cánones an Stelle der determinano Ecclesiae in der Reihe der Autoritäten; vgl. OPol I 365,430. 212 OPol I 347,80ff; II 383,120-130; 606,81-83; 692,886f u.ö.
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gegenständ des theoretischen Armutsstreites, und Vorwurf an Johannes XXII. ist es (in Anwendung der Maßstäbe der Häresieerkenntnis auf den Papst selbst) ausgerechnet, decretales summorum pontificum annullare ("Dekretalen der höchsten Bischöfe nichtig zu machen") 213 , da diese unveränderlich seien 214 . Ockham hält dementsprechend auch daran fest, daß unterhalb des Papstes niemand über neue Häresien zu entscheiden habe 215 , sondern allein Papst und Generalkonzil hierzu befugt seien216: Dieses also, dessen autoritative Bedeutung in den Eucharistietraktaten nur aus gelegentlichen 213
OPol I 364,372. OPol II 833,42-44 (OpXCD); OPol III 187,4-22 (TractcB). In beiden Fällen verweist Ockham entweder wörtlich zitierend oder durch ihre Nennung auf die Sachsenhäuser Appellation (die Zitate im OpXCD finden sich in MGH.Const. V 737,19-27, wo dieser Gedanke nach Schlageter, Unfehlbarkeitsdoktrin 122, überhaupt zum ersten Mal aufgetreten ist); vgl. Goldast II 962,5-20 (Compendium). Aufgrund dieser Stellen betont Tierney, Origins 209f; ders., Infallibility 297; ders., Papal Infallibility 861, für die frühen Schriften (welche Unterscheidung er freilich nicht macht) völlig zu Recht, daß Ockham an der Verbindlichkeit früherer päpstlicher Dokumente festgehalten hat, womit allerdings, wie Kilcullen, Infallibility 403; Ryan, Evasion 285; ders., Dilemma 38; Schlageter, Unfehlbarkeitsdoktrin 123, zu Recht gegen Tierney einwenden, der Gedanke einer Unfehlbarkeit nicht verbunden ist. 215 OPol II 847,64 — 848,68. Entsprechend sind Glaubensstreitigkeiten nach Decretum p.2 causa 24 q.l c.12 dem Papst vorzutragen (Goldast II 577,40ff). 216 OPol II 834,103-105 (OpXCD). Goldast II 399,35ff; 403,25-40; 425,5-25 (Dial I); OPol III 263,40 -264,3. Diese Bedeutung hat nach Goldast II 574,30-40; 575,15ff; 577,40ff, ausdrücklich nur der ve rus papa, und in TractcB IV,3 sagt Ockham ebenso auch vom Konzil, der Katholik sei durch dessen Entscheidungen nur gebunden, wenn dieses catholice, et non erronee entscheide (OPol III 247,8-10). Und selbst noch unter notrechtlichen Bedingungen gilt, daß unterhalb von Papst und Konzil (wobei freilich die Möglichkeit zu erwägen ist, daß es sich hier um ein von Laien beschicktes Konzil handelt [s. Goldast II 603,50ff]) nicht bislang unbekannte Häresien festgestellt werden können (Goldast II 633,45-634,5). Daß dies Ockhams Meinung darstellt, geht daraus hervor, daß es sich in diesem Kontext um Antworten auf Goldast II 609,45—610,15 handelt, wo gegen die sicher Ockhamsche (weil in Goldast II 623,25-40 mit dem in OPol III 16, lf auftretenden Elia-Bild begründete) Meinung, daß Laien über Häresie urteilen könnten, argumentiert worden war. Bezeichnend für Ockhams theoretisches Festhalten an dieser Überzeugung, daß nur eine kirchliche Zentralinstanz, also Papst oder Konzil, Häresien neu definieren könne, ist, daß er dem Papst vorwirft, die Häresie, quod omnia de necessitate eveniunt, zu vertreten und im OpXCD wie im Dial I ausführlich nachweist, daß es sich hier um eine Häresie handelt (OPol II 719,155-724,329; Goldast II 470,10-35), ohne mit einem Wort die ihm ja bekannte Pariser Lehrverurteilung von 1277 zu erwähnen, die den genannten Satz wörtlich verurteilt hatte (S. These 21 [Flasch, Aufklärung 117]), aber eben eine bloß bischöfliche Lehrverurteilung war. Daß der Bischof allerdings Entscheidungsgewalt über manifeste Häresie hat, lehrt Ockham in OpCXD (Pol II 847,63-65) wie in den Eucharistietraktaten. 214
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Äußerungen erschlossen werden kann, erhält im politischen Schrifttum explizit und betont eine neben und gegenüber dem Papst stehende Eigenständigkeit, und was sich nun argumentativ auf den Papst konzentriert, aber angesichts der Nebeneinanderstellung wohl auch auf das Konzil zu übertragen ist, sind die Restriktionen der Befugnisse dieser zentralen Institutionen. Die Macht zum Erlaß einer kirchlichen Lehrfestlegung nämlich schränkt Ockham in Auseinandersetzung mit den Päpsten seiner Gegenwart entscheidend ein 217 , indem er nicht nur Widersprüche zur Schrift und zu bisherigen Festlegungen als Häresien brandmarkt, sondern auch positiv ausführt, daß die Glaubensentscheidung durch die obersten Instanzen der Kirche, die in keinem Falle dem menschlichen Willen entspringen darf 2 1 8 , nur dann als legitim anzuerkennen ist, wenn sie selbst der regula fidei (Glaubensregel) 219 , d.h. der Schrift oder dem Glauben der sich auf die Schrift gründenden 2 2 0 (nach den späteren Schriften in räumlicher und zeitlicher Hinsicht) 221 universalen Kirche, 217
Schlageter, Glaube 162, bezeichnet daher das kirchliche Lehramt als bloß "relative Glaubensautorität", präziser wäre aber wohl: "abgeleitete Glaubensautorität". 218 OPol II 643,24-44; Goldast II 962,15ff. 219 OPol II 853,279f; vgl. TractcJ (OPol III 72,34f). Der Bezug des Begriffs regula fidei auf die Grundlagen der kirchlichen Determination zeigt sich auch in Goldast II 770,50ff; OPol III 261,37; anders OPol II 853,274-276. 220 Dies erscheint im Zusammenhang von Kirchenlehre als nähere Bestimmung der Kirche in OPol II 845,543f. 221 Goldast II 402,35ff; OPol III 6 6 , 5 - 2 7 ; 260,31-261,9. Abwegig ist es, wenn Schlageter, Glaube 130f, aus diesem nach Ockham die Autoren der Bibel mit umfassenden Kirchenbegriff folgern will, daß die Heilige Schrift ihren Charakter als Heilige Schrift und ihre autoritative Geltung "dieser Kirche, ihrem apostolischen Ursprung und ihrer Identität durch die Geschichte hindurch" verdanke. Schlageter bezieht sich wohl v.a. auf die ebd. 126f behandelte Stelle OPol III 260,22-261,28, besonders 260,38—261,2: Haec ecclesia (...) est maioris auctoritatis quodam modo quam aliquis Evangelista, eo quod totum maius est sua parte. Diese Stelle ist, wie Schlageter, a.a.O. 123f, selbst vermerkt, situativ bedingt (ebenso Kilcullen, Infallibility 393): Ockham will auf diese Weise die Augustin-Sentenz Ego vero Evangelio non crederem, nisi me catholicae Ecclesiae moverei auctoritas (PL 42,176) in einem Sinne auslegen, der daraus keine Unterwerfung unter den Papst ableitet (s. OPol III 260,22f). Er interpretiert sie daher durch das Konzept zeitlicher Universalität der Kirche und gesteht dieser Kirche einen rein quantitativen Autoritätsvorsprung, den des Teils über das Ganze, zu. Einen in jeder Hinsicht gültigen Vorsprung dieser universalen Kirche aber schließt er durch das quodam modo gerade aus, so daß ein Vorsprung im Sinne einer Ableitungsrelation zwischen Kirche und Schrift, wie Schlageter will, in keiner Weise zu begründen ist. Eine solche ekklesiologische Engführung muß schon daran scheitern, daß sie im Widerspruch dazu steht, daß die Schrift ihre Autorität allein durch ihren göttlichen Ursprung als Offenbarung (Goldast II 420,5ff) bzw. durch göttliche Inspiration der Autoren (Goldast II 400,60ff) oder durch göttliche Approbation erhält (Goldast II 412,5ff;
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folgt 222 : Der Papst und das Konzil sind gerade dort, wo sie in der Entscheidung über rechte oder falsche Lehre Maßstäbe zur Häresieerkenntnis setzen, ganz und gar an die Tradition gebunden und haben nicht das Recht, aufs neue Lehren als katholisch zu verkünden 223 , haben also lediglich ratifikatorische, nicht aber innovatorische Gewalt: Wo sie etwas den vorgegebenen Größen Widersprechendes lehren, ist ihre Lehre per se nichtig 224 . Die regula fidei besitzt aber nun nicht nur mittelbar durch die legitime kirchliche Lehrfestlegung maßstäbliche Relevanz zur Erkenntnis der Wahrheit des die hier auftretende Unterscheidung von Offenbarung und Approbation in der Schrift will Schlageter, a.a.O. 137, mit der Unterscheidung zwischen göttlicher und menschlicher Rede in der Bibel nach Goldast II 836,40-837,5 verbinden, wofür der Text aber keinen Anhalt gibt: Goldast II 412, lOff werden als Beispiele für die durch Offenbarung oder Approbation bekannten Wahrheiten lediglich geschichtliche Tatsachen berichtet, so daß anzunehmen ist, daß es sich hierbei um kontingente Tatsachen der menschlichen Geschichte handelt, die auch ohne Offenbarung bekannt wären und deren Aufnahme in die Bibel allein schon ihre göttliche Approbation darstellt). Vor allem aber scheitert Schlageters ekklesiologische Engführung daran, daß seit Sent eine Zusammenfassung aller Autoritäten allenfalls im Begriff der Scriptum Sacra erfolgt (s. die Diskussion oben), nicht aber im Begriff der ecclesia universalis! Hier kommt Schlageter sein eigenes fundamentaltheologisches Interesse in die Quere: A.a.O. 265 sagt er, Ockham habe leider nicht genügend erklärt und verständlich gemacht, daß die Bibel "gerade als Niederschlag der apostolischen Predigt (...) Norm und Kanon des Glaubens ist". Das brauchte er aber auch gar nicht, da er es nicht nur nicht erklärt, sondern auch gar nicht behauptet hat. 222 OPol II 835,131-133; 844,522-524; 853,280; vgl. Schrift und Kirchenlehre als Gegenbegriffe zu dem in Goldast II 420,Iff wie in OPol II 6 4 3 , 2 9 - 3 1 abgelehnten Ausrichten am menschlichen Willen in Goldast II 420,5 — 15; vgl. auch z.B. Goldast II 612,Iff; 635,20ff; OPol III 7 2 , 3 7 - 3 9 , sowie Schlageter, Glaube 103. 223 Vgl. Leeuwen, L'Église 273, der von einer bloßen Reproduktion geoffenbarter Wahrheiten spricht. Ausdrücklich betont Ockham in Goldast II 4 2 0 , 2 0 - 2 5 , daß der Papst, um dessen Rechte es ihm in der aktuellen Situation natürlich vor allem geht, keine neuen Glaubensartikel entwerfen dürfe. Daß dies seine Meinung ist, geht daraus hervor, daß es der aus OPol II 842f bekannten Ansicht entspricht, der Papst dürfe nicht de novo Häresien definieren. Die aus OPol II 643,29—31 bekannte Ansicht, daß unser Glaube nicht vom menschlichen Willen abhängig sein dürfe, nimmt Ockham Goldast II 420,Iff auf und expliziert sie dadurch, daß der Papst nur dann etwas definieren dürfe, wenn er sich dabei auf Offenbarung, d.h. auf Schrift oder Kirchenlehre beziehe (Goldast II 420,5-15). Das Gegenteil, die totale Innovationsgewalt des Papstes, vertreten zu haben, wirft Ockham im TractcB IV,2 (OPol III 244f) Benedikt XII. vor. Für seine an dem Faktum der bleibenden ratifikatorischen Gewalt des Papstes vorbeigehende Auffassung, daß nach Ockham der Papst keinerlei theologische, sondern nur administrative Kompetenz habe, bringt Palacz, Libertas 424, keine Belege. 224 OPol II 837,208-212.
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katholischen Glaubens eines jeden einzelnen, sondern wie im Kirchenrecht — nach dem Decretum Gratiani gilt der als Häretiker, der von der regula fidei abweicht 225 — auch unmittelbar: Schon im OpXCD ist die regula fidei unmittelbar für den je eigenen individuellen Glauben verbindlich 226 , und kriterienhaft wird in TractcB Häresie neben227 dem Widerspruch zu den in OpXCD C.124 genannten Maßstäben auch als Widerspruch zu his, quae apud omnes catholicos tamquam catholica divulgantur ("dem, was bei allen Katholiken als katholisch veröffentlicht ist") 228 , definiert: Der allgemeine Glaube gilt, ohne daß eine Definition durch Konzil oder Papst nötig wäre, neben Schrift und kirchlicher Lehrfestlegung als Maßstab zur Häresieerkenntnis 229 . Damit erscheint nun aber die ratifikatorische Gewalt von Papst und Konzil als überflüssig: Zwar werden Legitimität und Gültigkeit dieser Ratifikation nicht bestritten, ihr Gültigkeitsbereich jedoch, an dieser Stelle situativ veranlaßt durch einen entgegenstehenden Anspruch Benedikts, als partikular und nicht 225
So der Kommentar Gratians nach Decretum p.3 causa 2 q.7 c.26 (CIC I 489). In Decretum p.3 d.4 c. 153 (CIC I 1412) wird die regula fidei definiert als die durch die Kirche gedeutete Schrift. 226 OPol II 853,275f; vgl. Goldast II 635,20ff; 753,35-45. 60ff. Daß hier mit der doctrina ecclesiae nicht die Lehrfestlegungen gemeint sind, sondern die credenda (...), quae sunt apud omnes catholicos tamquam catholica divulgata, geht aus eben dieser Formulierung ebd. Z.25ff hervor. Daß die Abgrenzung zur Häresie gemeint ist, geht aus dem Kontext, der Behandlung von fides implicita und explicita zwecks Feststellung, daß Johannes XXII. Häretiker ist (s. ebd. 752,55ff), hervor. 227 Die Verbindung mit den Kriterien der Heiligen Schrift und der kirchlichen Lehrfestlegung geschieht in OPol III 254,30 durch ein et! 228 OPol III 254,28-32, in bezug auf Meister Eckharts Lehren, die ebd. 255,1 als häretisch qualifiziert werden. Ockham selbst braucht dieses zusätzliche Kriterium für die Einordnung eines Widerspruches zur Lehre von der visio beatorum als häretisch (s. ebd. 254,32—35). Und aus eben deren Auftreten wird deutlich, daß Ockham hier an manifeste Häresie denkt: Die visio beatorum gehört, eben weil sie zu den Lehren gehört, die als katholisch verbreitet sind, zu dem, was explizit geglaubt werden muß (OPol III 223,1—24), und somit zu jenen Glaubenssätzen, deren Leugner unmittelbar als häretisch anzusehen sind (ebd. 215,34—216,4), die also manifeste Häresie vertreten. Diese Äußerungen machen zugleich deutlich, daß der theologische Ort der regula fidei bei Ockham in der Tat die Maßstabs-, nicht aber, wie man angesichts ihres Auftretens in der Grundlegung kirchlicher Lehrfestlegungen vermuten könnte, die Quellenlehre ist, was sich dadurch bestätigt, daß der Glaube der universalen Kirche in den in 2.3.2.2. behandelten Listen von materialen Grundlagen kirchlicher Determination nicht erscheint. 229 In Goldast II 586,30-35 erscheint eine durch den gleichen Relativsatz definierte Wahrheit noch als offensichtlich mit determinado ecclesiae austauschbar, nämlich neben der Heiligen Schrift als das, dem eine verurteilte Häresie widerspricht. Dieser hier noch eingehaltenen Äquivalenz entspricht es, daß nach Goldast II 612,1—5 der Papst deqenige ist, der das divulgare verursacht, und zwar in Parallele zu dem Ausdruck diffinitive terminare.
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total definiert: Die Grenze, die die Lehrfestlegung durch Papst oder Konzil zieht, ist nicht einmal mehr rechtlich relevant: In dieser Konzeption kommt eine Entwicklung an ihr Ende, die durch die Ausweitung der verbindlichen Maßstäbe dem enthierarchisierten Kirchenbegriff im Bereich der Autoritätenlehre Rechnung trägt. Allerdings scheint es neben dieser Ausweitung der Maßstäbe auch Tendenzen zu einer Verengung hin auf ein Sola scriptum zu geben: In Ockhams Gutachten für den englischen König über das königliche Recht zur Besteuerung von Kirchengütern erscheint die Formulierung, die Heilige Schrift sei (zusammen mit dem rechten Verstand) die prima regula et infallibilis ("erste und unfehlbare Regel") 230 , doch ist dies nicht zwingend als exklusiver Primat der Schrift auszulegen, sondern kann auch einen inklusiven Primat bezeichnen 231 , wie ihn Ockham seit Sent gelehrt hat: Auch in OpXCD, De Dog und TractcB gibt es Äußerungen, die allein die Schrift als Glaubensregel bezeichneten 232 , obwohl aus dem Kontext der jeweiligen Schriften eindeutig hervorgeht, daß Ockham daneben auch die universale Kirche als Teil der Glaubensregel betrachtet 233 . Deutlich kriterienhaft 234 scheint nun aber eine Formulierung des Breviloquiums eine exklusive Geltung der Schrift als Maßstab zu vertreten: Solummodo enim ille hereticus est censendus, qui sacre theologie pertinaciter adversatur ("Allein nämlich jener ist als Häretiker zu betrachten, der sich der heiligen
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OPol I 251,189f. In anderer Terminologie legt Ryan, Church 45f, eine ähnliche Deutung vor. 232 OPol II 517,98f; Goldast II 770,50ff; OPol III 261,37 (TractcB). 233 Z.B. De Dog: Goldast II 753,60ff wird die scriptum divina oder die doctrina ecclesia als verbindlich angegeben (und beides ebenfalls im unmittelbaren Zusammenhang ebd. 754,Iff inklusiv in scriptum zusammengefaßt); TractcJ: OPol III 72,34f; TractcB: ebd. 254,24-32. Der Grund für die Zuspitzung auf die Schrift dürfte, wie sich im De Dog zeigt, die jeweilige Konfrontationsstellung sein: Ockham geht es in solchen auf die Schrift konzentrierten Äußerungen um die möglichst deutliche Absetzung von der aktuellen hierarchischen Spitze der Kirche (s. Goldast II 770,25ff). Für die Stelle im Gutachten für den englischen König hat Tierney, Origins 224 Anm.l darauf hingewiesen, daß Ockham in diesem Zusammenhang in der Tat allein mit der Schrift argumentiert und argumentieren muß. 234 Die Äußerung Ockhams, daß ihn in Glaubensdingen una ratio evidens vel una auctoritas scripturae sacrae sane intellecta mehr überzeuge als der Konsens aller Lebenden, im Tractatus de imperatorum et ponti-ficum potestate (Scholz, Streitschriften II 455) ist demgegenüber nicht kriterienhaft und fällt damit wiederum unter die ohne weiteres als Bezeichnungen inklusiven Primates deutbaren Stellen. 231
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Theologie hartnäckig widersetzt")235, heißt es hier, und unmittelbar zuvor werden die Theologen als Ausleger der Heiligen Schrift bezeichnet236, unmittelbar hernach wird die Folgerung gezogen, der Papst müsse zur Begründung seiner Macht ultimo ad scripturas sacras recurrere ("letztlich auf die heiligen Schriften zurückkommen")237. Daß damit, wenn auch die Kirche nicht explizit im Kontext der Häresiedefinition als Maßstab genannt wird, dennoch nicht zwingend eine Ausschließlichkeit der Schrift als maßgeblicher Autorität238 gemeint ist, wird aber daraus deutlich, daß Ockham auch im Breviloquium Dekretalen und Stellen der Bibel — in allerdings bezeichnender Verengung der seit den Eucharistietrakaten üblichen Terminologie - unter dem Begriff der scripturae authenticae als eine autoritative Gruppe zusammenfaßt239, die er den Heiligen, wie es seit Sent bekannt ist, als Autoritäten minderer Wertigkeit gegenüberstellt240, und erklärt, der Papst besitze das Vorrecht, daß, nachdem er etwas gelehrt habe, ihm niemand öffentlich widersprechen dürfe, wenn er nicht von der 235
Brev 48,18f. Hervorhebung von mir; V.L. Genau auf diese einzig wirklich seine Deutung, Ockham vertrete kein Sola-scriptura-Prinzip, problematisierende Stelle, geht Tierney, Origins 224 Anm.l, leider nicht ein, obwohl auf sie bereits Hamann, Doctrine 27, verwiesen hat. 236 Brev 48,4-12. 237 Brev 48,30f. Hier ist auch zu bedenken, daß in diesem Zusammenhang trotz der Erwähnung des haereticus nicht eine dogmatische, sondern eine rechtliche Frage behandelt wird, die nämlich, ob das ius divinum oder das ius humanuni dem Papst seine Macht zuspreche (s. ebd. 47,26-48,3). Daß das ius divinum in der Schrift zu finden ist, ist aber schon die Überzeugung von Decretum I d.8 c.l (CIC I 12f): Die Isolierung der Schrift als Kriterium legt sich also schon aus der argumentativen Konstellation heraus nahe und ist hier ganz kirchenrechtskonform. 238 S. schon die Anm. 195 zitierte Prologstelle, die zumindest nicht zwingend eine Ausschließlichkeit der Schrift als Autorität behauptet, freilich sehr uneindeutig ist. 239 Brev 73,11 — 15 kann sich nur auf das vorangegangene Kapitel ebd. 71 —73 beziehen. Bezeichnend ist auch die Argumentation in Brev 146f (IV,2): Ausführlich wird die Auffassung, daß das Kaisertum von Gott allein stamme, aus Dekretalen begründet und dann erst angefügt, daß dies in Rom 13,1 etiam apostolus videtur asserere: Hier wird offensichtlich das allgemeine potestas aus Rom 13, also eine Bibelstelle, durch die Dekretalen konkretisierend gedeutet. 240 Problematisch ist die Stelle aus dem Maultasch-Gutachten in OPol I 285,259f, die neben der Schrift die assertiones generalium conciliorum et summorum pontificum ac doctorum ecclesiae als Autoritäten nennt. Diese Reihung zeigt allerdings ebenso wie die Formulierung doctores ecclesiae selbst, daß dieser Begriff primär entsprechend der schon in den Eucharistietraktaten zu beobachtenden Entwicklung der Kirche subsumiert wird. Es bedeutet aber dennoch im Vergleich zu den anderen Schriften der publizistischen Phase eine auffällige Aufwertung einer bestimmten Gruppe von Heiligen, die im Kontext auch nicht situativ zwingend erscheint, sondern allenfalls eine Adaption an allgemeine Vorstellungen bedeutet.
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Wahrheit des Gegenteils überzeugt sei : Dies ist die bekannte Ockhamsche Position von der Verbindlichkeit der einmal erfolgten legitimen kirchlichen Determination. Allerdings ist Ockham im Breviloquium gegenüber der früheren kirchlichen Lehre deutlich differenzierter als früher, insofern er nun offensichtlich auch die vorgegebene Tradition der Prüfung auf Verbindlichkeit des Einzelfalls unterwirft. Dies zeigt sich daran, daß er nicht mehr einfach wie noch in den Eucharistietraktaten das Kirchenrecht als Autorität anführt, sondern innerhalb dessen differenziert: Deutlich hält er - was wohl auch nach den früheren Vorgaben unproblematisch wäre - fest, daß Gratian selbst gelegentlich geirrt hat 242 . Ein bedeutsamerer Schritt aber ist es, daß er auch den Bericht von der Donatio Constantini im Decretum I d.96 c.14 243 , der freilich nicht in Form einer päpstlichen Verlautbarung, sondern in einer Heiligenlegende überliefert ist, als nicht verbindlich abweist 244 . Während er im Breviloquium also zwar Teile des CIC, aber keine päpstliche Dekretale aus der Zeit vor Johannes XXII. direkt angreift 245 , zeigt er in den etwa zeitgleichen 246 Octo Quaestiones 241
Brev 175,20-23. Brev 206,4—6 unter Verweis auf falsche Bibelzitate im Decretum II causa 23 q.4 c.29 p.6 (CIC I 913) und q.5 c.49 §2 (ebd. 946). 243 CIC I 3 4 2 - 3 4 5 . 244 Brev 201 - 2 0 6 . Daß der letzte Beweis dafür, daß Ockham an der Echtheit der Donatio Constantini nicht zweifelte, sein Bemühen um ihre korrekte Auslegung ist, betont Bertelloni, Fehltritt 235, zu Recht. Ders., Constitutum III 5 7 - 7 4 , bietet einen Überblick über eben diese Auslegung bei Ockham. 245 Die kritischen Anspielungen auf Eger cui lenta im Breviloquium, die Dolcini, Eger 142 — 145, und Melloni, Critique 183f, entdeckt haben, erfolgen ohne Nennung von Roß und Reiter, geben sich also nicht offiziell als Kritik an päpstlichen Dekretalen. Auch die Hinweise von Kölmel, Ockham 270 Anm. 42, können keine über das vorherige Schrifttum hinausgehende explizite Kritik an Päpsten belegen: Kölmel verweist auf Breviloquium 1,8, doch ist nicht zu erkennen, daß Ockham hier seine bisher vorgetragene Lehre modifizierte: Er erwähnt einerseits das sogar schon im Decretum selbst benannte Problem des Anastasius II. (s. Decretum p.l d. 19 c.8 [CIC 63f]), auf dessen Fall er auch schon im OpXCD verwiesen hatte (s. OPol I 294,54 — 295,64), und behauptet andererseits, daß es viele andere Dekretalen gebe, die irrten und im folgenden noch behandelt würden (Brev 49,11 — 16), bezieht die schon gegebenen Irrtümer aber wenig später ausdrücklich auf die sogenannten (vocati) Päpste (ebd. 107,13ff; 110,5), was schon allein darauf verweist, daß es hier nicht um die Kritik an einstigen legitimen Päpsten geht. Kölmel bezieht nun diese Äußerungen offensichtlich auf Dekretalen von Innozenz III., denn er interpretiert die auf diesen bezogenen Äußerungen Dial III 11,2,15 (Goldast II 914f) und Breviloquium 11,15 (Brev 8 3 - 8 6 ) als "Angriffe gegen päpstliche Dekretale", womit er aber den Text verfehlt: In beiden Fällen geht es lediglich um den Aufweis, daß die päpstlichen Äußerungen quasi violenter trahi contra 242
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4. Kapitel
auch hiervor keine Scheu: Er zerpflückt zum einzigen Mal in seinem gesamten Oeuvre eine päpstliche Dekretale aus der Zeit vor Johannes XXII., nämlich Innozenz' IV. 247 Schrift Eger cui lenia248. Dies bedeutet aber nicht mehr, als primum intellectum (Brev 84,2f) müssen, damit sie nicht als häretisch einzuschätzen sind. Daß aber eben diese gewaltsame nichthäretische Deutung nicht abgewiesen, sondern bejaht wird (so auch Schlageter, Glaube 84f), ist ganz deutlich an der genannten Stelle aus Dial III, wo der Magister auf Nachfragen des Schülers eine solche katholische Deutung von Deer. IV titulus 17 c. 13 (CIC II 714-717 [auch in Brev 84, lOff zitiert]) gibt, und bestätigt sich - zeitlich im unmittelbaren Umfeld des Breviloquiums — in den Octo Quaestiones (OPol I 40,53—41,65), wo Ockham (wiederum theoretisch referierend) dem in Brev 86,15ff aufgenommenen Deer. I titulus 33 C.6 (CIC II 196-198) einen katholischen Sinn zuspricht. Das Breviloquium ist hier zwar nicht ganz so eindeutig, da nicht die positive Deutung das Ergebnis der Diskussion ist, sondern die konditionale Aussage, daß, wenn sie nicht gewaltsam gedeutet würden, die Aussagen von Innozenz III. häretisch seien. Daraus aber unter Mißachtung des Konditionalsatzes den Schluß zu ziehen, Ockham halte diese Aussagen tatsächlich für häretisch, übersähe die von Ockham im Breviloquium gerne verwandte Technik der argumentatio ad absurdum (s. Scholz, Breviloquium 36 mit Belegen [vgl. ebd. 31: Auch Scholz deutet die genannten Stellen als Angriffe auf Auslegungen von Dekretalen, nicht auf diese selbst!]). Daß auch im Breviloquium für Ockham die Folgerung aus der Feststellung, daß eine Dekretale auf den ersten Blick Irrtümer zu lehren scheint, ist, daß ihr (gewaltsam) ein anderer Sinn unterlegt werden müsse, zeigt sich explizit in seiner Auseinandersetzung mit Decretum I d.22 c.l (CIC I 73) in Brev 194-197. Damit bezieht sich Ockhams Äußerung, es gebe irrige päpstliche Dekretalen also wie gehabt auf die Äußerungen von Johannes XXII. und Benedikt XII., auf die er später in der Tat noch wiederholt eingeht (ebd. 108,21-109,28; 136,16-140,29; 176,3-23). Daß Ockham die Argumentation mit den leges praedecessorum ausschließt (ebd. 49,28-36), ist ebenfalls aus der Situation erklärbar und nicht zwingend generell zu verstehen: Er schreibt ja unter dem Pontifikat Benedikts XII. (s. Brev 80,17), dessen Vorgänger nun einmal Johannes XXII. war. Daß Ockham die kirchliche Tradition vor Johannes XXII. in Zweifel gezogen hätte (wie es ohne Beleg auch Vereecke, Loi 85, behauptet), läßt sich aus diesen Stellen also nicht erschließen. 246 Scholz, Breviloquium 35 Anm.l, und ihm folgend Miethke, Sozialphilosophie 116, setzen eine Priorität der Octo Quaestiones voraus, ohne dafür freilich falsche Sicherheit vorzugaukeln. Beide dürften nichts gegen die Auffassung von Offler einzuwenden haben, der diese Frage für "perhaps unanswerable" hält (OPol I 11). Die obigen Überlegungen zu der in Octo Quaestiones noch etwas schärferen Ablehnung von Eger cui lenia legen es nahe, sie für etwas später zu halten, aber auch dies kann nicht mehr als eine äußerst vorsichtig geäußerte Vermutung sein. 247 Die Zweifel von Herde, Pamphlet 506, an der Authentizität von Eger cui lenia können hier nur vermerkt, nicht aber gewürdigt werden: Zum Verständnis Ockhams ist allein wichtig, daß er offensichtlich von der Authentizität überzeugt war. 248 Sie ist bei Herde, Pamphlet 508-538, ediert. Zur Kritik Ockhams an ihr s. neben vielen anderen Stellen OPol I 92,12-28, weil hier der Ockhamsche Charakter durch den Zusammenhang der Ablehnung mystischer Bibelinterpretation ohne
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daß Ockham hier den aus der Kanonistik übernommenen Gedanken, daß Päpste irren können und geirrt haben, nicht nur durch eine Auflistung notorischer Fälle wie im Dial 1,5 c.2 249 vertritt, sondern auch produktiv auf einen in der aktuellen Diskussion relevanten Fall (wie es Johannes XXII. ja — gegenüber Exiit qui seminai — schon Jahre zuvor getan hatte250) anwendet. Entscheidend ist darum auch nicht so sehr die Tatsache, daß Ockham hier die Dekretale eines früheren Papstes (selbständig) kritisiert 251 , sondern die Frage, was als Kriterium zur Ablehnung des einen Teils der offiziellen kirchlichen Entscheidungen und zur Annahme des anderen führt. Dies wird explizit nur im Breviloquium zur Donatio Constantini deutlich: Kriterium dafür, daß einem offiziellen Glaubensdokument fides esset adhibenda ("Glaube entgegenzubringen wäre"), ist wie schon im OpXCD, nun aber auch rückwirkend angewandt, die Approbation durch die universale Kirche 252 , und daher belegt Ockham ausführlich, daß eben diese Approbation der Donatio Constantini fehlt 253 . Es ist nun aber, obwohl Ockham dies nicht ausführt, nicht schwer zu Schriftbeleg (ebd. 91,1-92,11; vgl. Brev 171ff) klar gesichert ist. Auf die grundsätzliche Bedeutung dieser Äußerungen für Ockhams Werk gehen Melloni, Critique, und Dolcini, Eger (dem es ohnehin hauptsächlich um die Authentizität der Dekretale zu tun ist), leider nicht ein, wohl weil ihnen die Singularität dieser Kritik nicht auffiel. 249 Goldast II 468,35-469,55. Die eindeutigsten Fälle sind hierbei die von Tierney, Foundations 38, als Standardbeispiele der kanonistischen Diskussion zu diesem Punkt benannten Petrus, Anastasius und Marcellinus. Darüber hinaus nennt der Magister (unter gleichzeitiger Relativierung ihres Aussagewertes) Liberius (der schon abgedankt hatte, als er Arianer wurde), Symmachus (mit dessen Fall nur belegt wird, daß ein Papst der Ketzerei angeklagt wurde), Leo I. (der möglicherweise schon, bevor er Ketzer wurde, kein wahrer Papst mehr war) und Silvester II. (dessen Möglichkeit, Häretiker zu werden, nur aus seinem tatsächlichen Teufelspakt geschlossen wird); zu Ockhams wahrscheinlichen Quellen s. Miethke, Dialogus 192f. Daß das Ganze Ockhams Meinung darstellte, zeigt sich am letzten Beispiel, das der Magister anführt: Johannes XXII (Goldast II 469,55-470,35). 250 S. OPol II 500,27-30 (QVR). 2,1 Es ist allerdings erstaunlich, daß Ryan, Evasion 292f; ders., Dilemma 39ff, diese Waffe nicht gegen Tierneys Insistieren auf der Behauptung absoluter Unaufhebbarkeit früherer päpstlicher Dekretalen, wie sie in OPol II 833,40—44 ausgedrückt ist (s. Tierney, Ambiguous Infallibility 102), ins Feld führt. Für den ebenso höflichen wie erbitterten Streit der beiden sei hier als Kompromißvorschlag angeboten, daß es nicht nötig ist, eine Stelle gegen andere auszuspielen, um ein Ockhamsches System zu konstruieren (und dieses gar noch an der kirchenamtlichen Sprache des 19.Jahrhunderts zu messen [s. Ryan, Evasion 286; Tierney, Infallibility 298]), daß es vielmehr angemessen ist, Ockhams Denken als eines zu verstehen, das sich von hoher prinzipieller Papstfreundlichkeit zu immer größerer Skepsis gegenüber den päpstlichen Ansprüchen entwickelt hat. 252 Brev 205,25-27. 253 Brev 205,27-206,26.
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4. Kapitel
rekonstruieren, daß in seinen Augen eben diese Approbation auch Eger cui lenia fehlte: Diese Dekretale war nur in einer unverbindlichen Briefsammlung überliefert, nicht jedoch in einer verbindlichen kanonistischen Sammlung (deren Innozenz IV. selbst allein drei zusammengestellt hat) 254 , und somit fehlte ihr jene universale Verbreitung, die als Vorbedingung universaler Approbation durch universale Nicht-Reprobation gelten müßte. Mit diesem Approbationsmodell zur Unterscheidung verbindlicher und nicht verbindlicher kirchlicher Lehrfestlegungen hat Ockham nun zwar die letzte Konsequenz aus seiner Beziehung der kirchlichen Lehrfestlegung auf die universale Kirche gezogen, aber zugleich zeigt die Approbation durch die universale Kirche als Verbindlichkeitskriterium, daß grundsätzlich trotz des geschärften kritischen Blickes in die Vergangenheit auch noch in dem Komplex der Schriften von 1340—1342 für Ockham die universale Kirche über die Heilige Schrift 255 hinaus256 Schriften und Lehren approbieren kann und diese kirchlichen Lehren, sind sie einmal approbiert 257 , auch in Form von kirchlichen Determinationen als autoritativer Maßstab neben der Schrift erhalten bleiben: Ein Sola scriptum hat er in der Maßstabsfrage nicht gelehrt. 2.3.2.2 Die Quellen katholischer
Wahrheit
Ockham lehrt also in der publizistischen Phase offensichtlich durchgehend keinen singulären Primat der Schrift als Maßstab zur Erkenntnis von Häresie. Dann ist aber zu fragen, woher der Glaube der universalen Kirche und die auf ihm neben der Schrift fußenden kirchlichen Lehrfestlegungen diese zusätzliche materiale Kenntnis von katholischen Wahrheiten erhalten — ein Problem, das 254 S. Herde, Pamphlet 485-487. Für diese Begründung gibt es immerhin den positiven Anhalt aus der Textgeschichte der Dekretale und die Analogie zur Donatio Constantini im Breviloquium. Alle anderen Begründungen müßten gänzlich e silentio argumentieren, und die radikale Annahme, Ockham sei in den Octo Quaestiones zu völliger Beliebigkeit im Umgang mit päpstlichen Äußerungen gelangt, müßte neben dem eigenen Mangel an positiven Gründen auch noch die aufrechterhaltene Rede von den heiligen cánones im Maultasch-Gutachten erklären. 255 Gelegentlich kann Ockham auch die Heilige Schrift als approbiert bezeichnen (OPolIII 261,7). 256 Brev 205,23-25, ist von cronicis et historiis aliisque scripturís fidedignis als solchen Schriften, die nicht apokryph sind, denen also aufgrund ihrer Approbation Glauben entgegenzubringen ist (ebd. 25—27), die Rede. 257 Die in dieser Formulierung ausgedrückte Irreversibilität einer einmal erfolgten Approbation lehrt Ockham nicht explizit (in der Rede von dem Vorzug der doctrina praecedentium patrum vor späterer Lehre in Goldast II 635,20ff ist sie freilich angedeutet). Sie geht aber daraus hervor, daß in der Frage der konstantinischen Schenkung überhaupt die Frage nach der Approbation in der Vergangenheit in den Rang kriterienhafter Bedeutung gerückt wird, was unsinnig wäre, wenn diese Approbation reversibel wäre.
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Ockham, weil er weiterhin von dem Bemühen um die Reduktion päpstlicher (und konziliarer) Innovationsmacht bewegt ist, allein anhand der Frage nach den quellenhaften Grundlagen kirchlicher Lehrfestlegungen behandelt, was aber, da diese in Übereinstimmung mit der Schrift und dem Glauben der universalen Kirche stehen sollen, zugleich eine Aussage über die Grundlagen des letzteren bedeutet. Im O p X C D nimmt Ockham erstmals den schon bei Thomas 2 5 8 und Bonaventura 2 5 9 begegnenden Gedanken auf, daß die Apostel nicht alles, was sie gelehrt hätten, auch niedergeschrieben hätten 260 - das klassische Argument f ü r eine materiale Erweiterung des durch die Bibel bekannten Glaubensbestandes. Diese Andeutungen mehrerer Quellen kirchlicher Lehre im O p X C D sind im Dial I zu einer Theorie von den materialen Quellen möglicher Determinationen ausgereift 2 6 1 . Daß die Kirche in ihren Lehrfestlegungen daraus schöpfen kann, beruht darauf, daß diese Quellen aufgrund göttlicher Offenbarung oder Beglaubigung (approbatio 2 6 2 ) in der Tat katholische Wahrheit enthalten bzw. katholische Wahrheiten aus ihnen zu folgern sind 263 : 258
ST III q.64 a.2 ad 1 (Thomas, Opera II 868). Sent III d.9 a.l q.2 ad 6 (Bonaventura, Opera III 204). 260 oPol II 418,469-474. Eines dieser Agrapha findet sich im unmittelbaren Kontext: OPol II 417,450ff; s. CIC I 594 (Decretum p.2 causa 8 q.l c.12). Diese Äußerungen machen deutlich, daß Ockhams Aussage in OPol II 546,30-547,43 strikt im Wortsinn zu nehmen ist, daß neue Festlegungen der Bibel lediglich nicht widersprechen dürfen, nicht aber, daß sie gar nicht möglich seien (ähnlich OPol III 2 6 1 , 1 0 - 2 8 : Ein der Bibel gemäßer Glaube muß sich keiner Korrektur unterwerfen). Der in solchen Äußerungen angedeuteten Beibehaltung der Zentralität der Schrift entspricht es, daß Ockham immer wieder darauf verweist, daß die lehramtlichen Entscheidungen, auf die er sich beruft, biblisch fundiert seien (OPol II 386,231ff; 411,191f u.ö.). 261 Daß Ockham die Goldast II 411,55-414,15 eingeführte Lehre, es gebe auch katholische Wahrheiten, die weder explizit noch implizit in der Schrift enthalten sind (der andere Standpunkt eines Sola scriptum ist Ockham dabei durchaus bekannt [s. ebd. 401,10ff; 410,40-55; von Köhler, Kirchenbegriff 5lf, ohne Begründung für Ockhams Meinung gehalten; ebenso von Koser, Noten 70, aufgrund seiner schwachen Kriterienbildung, die als Maßstab zur Erhebung von Ockhams Meinung allein Zustimmung oder Ablehnung durch den Schüler annimmt {ebd. 69}]), selbst bejaht, was natürlich die Grundlage obiger Ausführungen ist, geht daraus hervor, daß er hierfür ebd. 4 1 3 , 5 0 - 5 5 das aus OPol II 418,474f bekannte Argument verwendet, daß die Apostel vieles gelehrt hätten, was sie nicht schriftlich niedergelegt hätten, daß er dieses Argument besonders ausführlich behandelt und daß der Schüler ihm zustimmt (a.a.O. 414,5ff; zu demselben Ergebnis kommt, freilich ohne exakte philologische Begründung, auch Oberman, Herbst 354). 262 Worum es sich hierbei genau handelt, erklärt Ockham nicht. Nur zu vermuten ist, daß es sich um solche Wahrheiten (etwa Geschichtsfakten) handelt, die nicht ei259
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4. Kapitel
gentlich von Gott selbst offenbart wurden, aber durch die Aufnahme in die Bibel (Goldast II 419,50ff gilt die approbatio durch Gott neben Offenbarung und Inspiration als Grund für die Aufnahme einer Wahrheit in die Heilige Schrift) dennoch als Grundlage christlicher Lehre gelten können. 263 S. in Goldast II 4 2 9 , 1 0 - 3 5 (auf diese Stelle bezieht sich Köhler, Kirchenbegriff 51) die Punkte 1, 2 und 4 als Grundlagen der Häresiefeststellung, sowie in Goldast II 415,60—416,25 (auf diese Stelle beziehen sich auch Leeuwen, L'Église 270; Lohr, Modelle 155f; Ryan, Church 42) alle Punkte als Grundlage kirchlicher Lehrfestlegungen. Daß es sich dabei um Ockhams Meinung handelt (und Ockham diese Frage nicht nur gründlich erwogen, aber letztlich offen gelassen hat, wie Vooght, Sources 166f, meint), geht aus folgendem hervor: — Zu 1. und 2.: Für die Schrift und die apostolische Tradition (s. OPol II 418,474f) ist es offensichtlich, daß Ockham sie schon früher als Grundlagen katholischer Wahrheit gelehrt hat, für die spätere Zeit s. die oben folgenden Auseinandersetzungen um die Frage eines Sola scriptum. — Zu 3.: Daß auch die Berichte von Heiligen assertorisch als Quelle gelten, geht aus dreierlei hervor: a) In Goldast II 415,60-416,25 hat Ockham mit der oben erscheinenden Liste seine Behandlung der katholischen Wahrheit im Dialogus I abgeschlossen. Die herausgehobene Stellung zum Abschluß der Diskussion sowie die Sicherheit, daß die zwei ersten Punkte (Schrift und apostolische Tradition) Ockhams Lehre entsprechen, spricht für Bejahung der gesamten Liste durch Ockham. b) Diese Quelle erscheint schon in OT X 115,23 (Martyrum gesta) und noch in Brev 120,31, als Argument. c) Gedanklich entspricht diese Quelle, wie der Kontext ihrer Verwendung in OT X 115 zeigt, Ockhams in der politischen Phase aufrechterhaltener Lehre von der potentia absoluta und ordinata (s. OPol II 7 2 5 - 7 2 8 ) , insofern Gottes weiteres Handeln durch die biblische Offenbarung nicht beschränkt ist (vgl. im gleichen Sinne Cren, Offenbarungsbegriff 151). — Zu 4.: Daß auch dieser Punkt Ockhams Meinung entspricht, geht aus dreierlei hervor: a) Die Stellung der Liste in Goldast II 415,60-416,25 (s.o.). b) Die Entsprechung des Gedankens zur durch die Offenbarung nicht beschränkten potentia absoluta Gottes (s.o.) c) In Goldast II 4 2 9 , 3 0 - 6 0 entwickelt Ockham aufgrund des Gedankens spezieller Offenbarung, indem er als Beispiel für diesen einen allgemeinen Glauben, dem kein Katholik widerspricht, den Gedanken der in einer einzigen Person bestehenden Restkirche, der nach OPol III 15,23 — 27 offensichtlich seine Meinung ist. Diese Stellen zeigen, daß es unzureichend ist, wenn Oberman, Herbst 353 (und ihm folgend Feld, Anfänge 39f), die Lehre Ockhams aus Goldast II 4 1 9 , 4 0 - 4 5 erheben will. Auch hier kommt er zwar zu dem richtigen Ergebnis, daß Ockham auch außerbiblische Offenbarungen anerkennt, ohne aber erkennbar zu berücksichtigen, daß diese Offenbarung durchaus noch zukünftig sein kann.
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1. Die Heilige Schrift ist nicht nur Maßstab für die wahre Lehre, sondern zudem Quelle für die Offenbarung ersten Ranges: Sie enthält die Wahrheiten, die vorrangig heilsrelevant sind, aber auch solche, die nur sekundäre Heilsrelevanz besitzen 264 . 2. Die apostolische Tradition überliefert, sei es durch Sukzession, sei es durch Schriften, katholische Wahrheiten von sekundärer - aber eben doch bestehender 265 — Heilsrelevanz 266 . Der Gedanke von der apostolischen Tradition neben der Bibel, den Ockham aus dem dreizehnten Jahrhundert übernommen hat, wird nun definitiv zur Grundlage des Behauptung einer Quelle katholischer Wahrheit neben der Schrift. 3. In Heiligenviten und Kirchenchroniken finden sich Faktenmitteilungen, die von Katholiken zumindest nicht abgewiesen werden sollten 267 und aus denen, werden sie mit katholischen Wahrheiten verbunden, die auf den vorgenannten Quellen beruhen 268 , solche Wahrheiten entstehen, die im weiten Sinne katholische sind269. Diese Einschränkung auf den weiten Sinn bedeutet keineswegs eine Reduktion ihres Wahrheitscharakters, denn auch diese Wahrheiten müssen (wie alle noch nicht durch Schrift oder Kirche maßstabshaft verbindlich gemachten Wahrheiten) zumindest implizit geglaubt werden 270 . Vielmehr trägt Ockham hier dem Rechnung, daß es einen Zeitpunkt in der Geschichte der universalen Kirche gab, an dem die Wahrheiten aus dem Bereich der Geschichte der nachapostolischen Kirche noch nicht bekannt und somit auch
264
Goldast II 412,1-5. Daß auch Wahrheiten sekundärer Heilsrelevanz in der Bibel enthalten sind, sagt Ockham a.a.O. Z. 5 - 2 0 ; zu der Hierarchisierung der Wahrheiten vgl. Koser, Noten 70—72. 265 Ganz eindeutig heißt es in Goldast II 412,55ff, daß es heilsnotwendige Wahrheiten gebe, die weder in der Schrift enthalten, noch aus ihr zu folgern sind. 266 Goldast 11412,10-20. 267 Goldast II 412,40-45. Ockham bezeichnet diese Wahrheiten zwar nicht eindeutig und explizit als offenbart, insofern sie aber nach Goldast II 415,60ff unter die Wahrheiten fallen, denen Christen nicht widersprechen sollen, besitzen sie eben den dem menschlichen Willen vorgeordneten Charakter, der für die Grundlage kirchlicher Determinationen zu verlangen ist. 268 Goldast 11412,25-35. 269 Goldast II 412,40ff. 270 Goldast II 412,40ff.
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4. Kapitel nicht Bestand der katholischen Wahrheit sein konnten 271 , so daß sie nicht als katholisch im Sinne zeitlicher Universalität angesehen werden können. 4. Spezielle Offenbarungen, für die es zwar bislang kein Beispiel gibt 272 , die aber, wenn sie durch Wunder (zum Beispiel die universale Beglaubigung durch alle Christen und Christinnen ohne Ausnahme 273 ) beglaubigt sind 274 , auch wenn sie zuvor weder von der kirchlichen Tradition noch von der Schrift gelehrt worden wären 275 , als katholische Wahrheiten (nach obiger Argumentation im weiteren Sinne) anzunehmen sind.
Ockham entfaltet also im Dial I, dem Hauptwerk seiner publizistischen Phase, Wurzeln, die sich, wie oben gezeigt wurde, auch schon in den Schriften der akademischen Phase finden, und entwickelt so nun explizit eine hierarchische Mehrquellentheorie für die Kenntnis der katholischen Wahrheit 276 , deren Mittelpunkt offensichtlich die die vorrangig heilsnotwendigen Wahrheiten enthaltende Schrift ist, die aber nicht alle katholischen und heilsnotwendigen Wahrheiten in dieser konzentriert sieht, sondern daneben in erster Linie die apostolische Tradition setzt, in zweiter Linie und deutlich abgesetzt aber auch Wahrheiten aus der Kirchengeschichte. Auffällig ist, daß die Heiligen nicht mehr wie noch im OpXCD als eigene Quelle genannt werden (was ihre ständige Präsenz in der Argumentation, vor allem als Bibelausleger, keines271
Daß dies gemeint ist, geht daraus hervor, daß nach Goldast II 412,25ff der Grund dafür, daß diese Wahrheiten nicht aus der biblischen oder apostolischen Lehre abzuleiten sind, darin liegt, daß sie von Personen, Dingen oder Vorgängen handelten, die es zu jenem Zeitpunkt noch gar nicht gab und daß Ockham andererseits ebd. Z.20ff die katholischen Wahrheiten im strengen Sinne als die zusammenfassen kann, die omni tempore Notwendigkeit besaßen. 272 Isti nesciant exemplum invenire (Goldast II 429,30ff): Ockham ist in der Frage der geschichtlichen Tatsache einer solchen Offenbarung doch wohl mehr als nur "sehr zurückhaltend", wie Schlageter, Glaube 219, meint. 273 Goldast II 429,40ff; vgl. OPol III 261,15-17. 274 Goldast II 429,35ff. Es ist nicht zu entdecken, daß Ockham in seiner publizistischen Phase anders als in Quodl IV q.6 (s. OT IX 323,13-22) gelehrt hätte, daß die Wunder Evidenz bewirkten: Sie sind Glaubensgrund. 275 Goldast II 429,40ff. Aufgrund der letzten beiden Punkte widerspricht Ockhams Denken mindestens hinsichtlich der zeitlichen Koordinate dem Traditionsprinzip des Vinzenz von Lerinum, daß zu glauben sei, quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est (PL 50,640). 276 Vgl. Leff, Ockham 641. Eine Zusammenfassung zu zwei Quellen, biblischer und außerbiblischer, wie sie Tierney, Origins 220, und Ryan, Church 43, im Gefolge von Oberman, Herbst 353, vornehmen, ist heuristisch zu sehr an den Problemstellungen des 16.Jahrhunderts orientiert und verdeckt, daß die Schwelle zwischen apostolischer und nachapostolischer Tradition bei Ockham eher noch größer ist als die zwischen Biblizität und Apostolizität, insofern erst sie die Grenze zwischen Katholizität im strengen und im weiteren Sinne darstellt.
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wegs tangiert), sondern lediglich die Berichte über sie . Der Hintergrund dürfte in der Entwicklung liegen, die Ockhams Denken hinsichtlich der Heiligen gemacht hat: Waren sie noch in Sent relativ undifferenziert eingeführt worden, so begegneten sie ab den Eucharistietraktaten als die von der Kirche approbierten Lehrer, das heißt, ihre Autorität war von der der Kirche abhängig. Dann aber konnten sie in einer Untersuchung, die die Grundlagen der kirchlichen Determinationen 278 festlegen wollte, schwerlich ohne tautologisches Argumentieren zur legitimen Grundlage der Kirchenlehre gemacht werden: Es wurde nötig, die Quellen eindeutiger von ihrem Ursprung her zu verstehen zu suchen, und hier boten sich Apostolizität und Biblizität an, aber auch, im Sinne historischer Berichte vom Handeln Gottes, wie Ockham sie schon in den Eucharistietraktaten verwendet hatte279, Heiligenviten und Chroniken. Wie in der Frage der Maßstäbe, so ist nun aber auch in der Quellenfrage zu fragen, ob nicht einige Äußerungen die Entwicklung zu einem Sola-scripturaPrinzip wahrscheinlich machen: In Dial III zum Beispiel erklärt Ockham, daß die Konzilien non diffinierunt aliquid, nisi quod potest elici ex scripturis divinis ("nichts festgelegt haben, außer daß es aus den heiligen Schriften ermittelt werden kann") 280 , doch erklärt er hier ebenso affirmativ, daß die Erhebung des Schriftsinns vermittels außerbiblischer Offenbarungen erfolgen
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Daher ist es unrichtig, wenn Schlageter, Glaube 151, meint, erst in Dial III sei aus dem "Autoritätsargument" mit den Vätern ein "Traditionsargument" geworden: Auch in Dial III 1,4,20 (Goldast II 863,60-864,5) sind die Heiligen nach wie vor diejenigen, deren Auslegung man an dunklen Bibelstellen adhaerere soll, so daß sie in dieser Weise selbstverständlich nach wie vor Autorität besitzen. Der Gedanke aber, der in Goldast II 840,45ff der ebd. 841,5-20 folgenden Argumentation, daß Heilige irren könnten, zugrunde liegt (vgl. Schlageter, a.a.O. 156f hierzu), stammt gar noch aus der akademischen Phase: Es ist der aus OT VII 55,22-57,12 bekannte Gedanke der Nichtnotwendigkeit der Aussagen der Heiligen. 278 Diese können natürlich aus eben demselben Grund auch selbst nicht in der Liste erscheinen. Eben dieses Fehlen ist darum auch ein weiterer deutlicher Hinweis auf die Unterscheidung von Quellen- und Maßstabsfrage und damit darauf, daß — im Gegensatz zu der Auffassung von Miethke, Sozialphilosophie 294 Anm. 552 (aufgenommen bei Marmo, Controversia 211) — zu den Listen aus Dial die Auflistung von OT X 182,216—183,224 nicht als Parallele anzusehen ist, da in dieser kirchliche Lehrfestlegungen auftreten, die in eine Quellenliste nicht hineingehören. 279 O T X 115,23. 280 Goldast II 826,35ff in einem Parallelargument zu dem sicher Ockhamschen Argument, daß Konzilien nicht die Unfehlbarkeit verheißen ist (ebd. 825,60 — 826,15); als Ockhams eigenes Argument auch dadurch kenntlich, daß zur Erklärung ebd. 826,45-60 das sicher Ockhamsche Argument (s. OPol III 247,8ff) folgt, daß ein Konzil nur verbindlich sei, wenn es katholisch, nicht irrig Glaubensdinge definiere.
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kann 2 8 1 , und daneben erkennt er auch weiterhin für den Glauben verbindliche außerbiblische apostolische Überlieferung an 282 : An der zitierten Stelle wird 281 Goldast II 827,20—35. Durch den Anschluß als Argument derselben Position, die auch das eben referierte Argument vorgetragen hat, erkenntlich (Goldast II 827,10ff greift offensichtlich ebd. 825,60ff auf). Daß es sich um Ockhams Meinung handelt, geht auch daraus hervor, daß ebd. 827,50-55 die Möglichkeit zusätzlicher Offenbarung im Rahmen einer Argumentation mit dem sicher Ockhamschen Gedanken des Bleibens der universalen Kirche in einem allein verknüpft wird (ebd. 828,20ff). Dabei handelt es sich auch hier um Offenbarungen, die den eigentlichen Sinn der Schrift kundtun (ebd. 827,60ff). Schlageter, Hermeneutik 244f, bietet eine Überinterpretation solcher Aussagen, wenn er sie zum Angelpunkt von Ockhams biblischer Hermeneutik erheben und dementsprechend verallgemeinern will. Er macht dabei v.a. zwei Fehler: 1. Er mißachtet, daß die genannte Art der Interpretation nur von einer bestimmten Menge von Aussagen der Bibel gilt (so ausdrücklich Goldast II 827,15-35; 832,5-20). Es liegt hier also allenfalls ein Sonderfall biblischer Hermeneutik vor, wie sich schon daran zeigt, daß Schlageter selbst zugestehen muß, "daß Ockham bei der Aufdeckung des wirklichen Schriftsinns (...) keineswegs auf eine göttliche Offenbarung zurückgreift" (a.a.O. 272), und in seiner Dissertation erklärt, daß auch das Konzil normalerweise nicht aufgrund von Offenbarungen, sondern rational entscheidet (ders., Glaube 228; vgl. ebd. 272). Diese Feststellung sollte reichen, um den marginalen Stellenwert der Schriftexegese durch Offenbarung bei Ockham zu erkennen: Wenn Ockham hiervon faktisch keinen Gebrauch macht, sondern allein eine "theologischrationale Explikation" (ders., Hermeneutik 270) der Schrift vorlegt, handelt es sich bei dem Gedanken der Schriftauslegung durch Offenbarung offensichtlich nicht um "seine" Hermeneutik, und entsprechend läuft die Überschrift "Ockhams Darstellung seiner Hermeneutik der Heiligen Schrift" über das Kapitel in Schlageters Aufsatz, das der Darstellung der Auslegung durch Offenbarung gewidmet ist (a.a.O. 249 —264; vgl. den etwas vorsichtiger formulierten, aber auch so noch überzogenen Gedanken, die "Eigenart ockhamscher Schrifthermeneutik" zeige sich in der These vom "geoffenbarten Schriftverständnis" bei dems., Glaube 245), offensichtlich fehl. 2. Daß nun aber der Ort dieser Gedanken gerade nicht die Erklärung von Ockhams eigener praktizierter Hermeneutik ist, ist auch nicht weiter verwunderlich. Denn eine weniger fundamentaltheologisch als genetisch angelegte Betrachtung Ockhams macht darauf aufmerksam, daß der Ort dieser Aussagen, zumal wenn man wie Schlageter, Hermeneutik 243, eine Mehrquellentheorie bei Ockham findet, eben primär die zusätzliche außerbiblische Offenbarung ist, wie sich auch daran zeigt, daß Ockham sie ausdrücklich primär bei den Propheten und Heiligen finden will (Goldast II 825,5-15), weswegen auch Schlageter a.a.O. 247 Anm. 106 zugesteht, daß es sich hier um solche Wahrheiten handelt, die durch Wunder beglaubigt wurden: Das aber sind nach Dial I die neben der Bibel stehenden Offenbarungen! Ihr Ort ist im Ockhamschen System also nicht primär die Lehre von der Bibel selbst, sondern Kern des von Schlageter so betonten Gedankens ist, daß die im Dial I
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also das Modell mehrerer Quellen dadurch nicht tangiert, und auch im Breviloquium bleibt es aufrechterhalten 283 : Gelegentlich kann Ockham hier mit scriptum sacra ("heilige Schrift") auch die scriptores scripturae canonicae ("Schreiber der kanonischen Schrift") äquivalent behandeln 284 und als Gegensatz hierzu die Autoren aus der Zeit nach der Schrift betrachten 285 . Diese Äußerungen zeigen, daß das Kriterium der Biblizität das weitere 286 Kriterium der genannten Quellen sonderbarer Offenbarungen explizit auf die Bibel bezogen werden (was zuvor möglicherweise impliziert war), die Existenz eines inklusiven Schriftprimates also unterstrichen wird. Ein solches Aufeinanderbeziehen zweier Offenbarungsquellen ist aber als "Hermeneutik der Heiligen Schrift" vereinseitigt interpretiert. Schlageters Fehler besteht also zum einen darin, aus einem Sonderfall eine fast allgemeine (s. die beiläufige Relativierung a.a.O. 247) Regel zu machen, zum anderen darin, den Ort dieses Sonderfalls in der Ockhamschen Autoritätenlehre zu übersehen. 282 Goldast II 842,55—65; als Ockhams Meinung wird dies kenntlich durch die Begründung der Autorität der cánones apostolorum vermittels der Approbation durch die unfehlbare Gesamtkirche (ebd. 843,15ff). 283 Eher für als gegen diese Auffassung spricht auch Brev 151,28—30, denn der allgemeine Satz Revelationes autem divinas (...) in scripturis divinis habemus wird eingeschränkt durch saltern que legem evangelicam et ipsius publicationem precesserunt, et quas credere obligamur. Nur für in ganz bestimmter Weise qualifizierte Offenbarungen gilt, daß sie in der Bibel enthalten sind — gerade nicht für solche, die der Offenbarung des Neuen Testamentes chronologisch folgen. 284 Brev 172,19-26. Ockham führt an dieser Stelle nicht aus, ob diese Autorität den Aposteln einzeln oder in ihrer Gesamtheit zukommt. Aufgrund der im Kontext der Behandlung der Apostolizität in Goldast II 843,5ff aufgenommenen und sicher Ockhamschen Lehre vom Irrtum des Petrus ist wohl auch die Brev-Stelle nicht auf die Einzelpersonen, sondern auf das Apostelkollegium zu beziehen; vgl. ähnlich ebd. 40,5, wo es um die fides a Christo et apostolis tradita geht, also ebenfalls ein Bezug auf die Apostel, nicht allein auf die Bibel vorliegt. Übrigens ist diese Stelle auch insofern interessant, als Ockham hier ausdrücklich wie am Beginn von TractC eine protestatio vorlegt, deren Inhalt aber bezeichnenderweise die Übereinstimmung mit der genannten Größe ist, nicht jedoch explizit mit der fides Romanae Ecclesiael 285 Brev 173,25f; vgl. auch schon Dial III 1,3,5 (Goldast II 822,15-20), hier im Rahmen einer Erläuterung zu den Autoritäten Schrift und universale Kirche (ebd. 821,25ff). 286 w e r di e Identität von Biblizität und Apostolizität bei Ockham behaupten wollte, müßte nachweisen, daß Ockham den noch in Dial III 1,3,25 formulierten Gedanken, daß viele Äußerungen der scriptores (...) scripturarum canonicarum außerhalb der Bibel erhalten seien (Goldast II 842,55-65), im Breviloquium abgewiesen hätte. Die Behauptung einer Veränderung der Autoritätenlehre im Breviloquium implizierte also die Behauptung einer Veränderung der Faktenbeurteilung durch Ockham. Diese Faktenbeurteilung bezöge sich etwa auf die in Goldast II 843,5-20 behandelten cánones apostolorum (zu ihnen s. Müller, Kirchenrecht I 382ff), also einen ansehnlichen Bestand des CIC (die ins Decretum aufgenommenen cánones
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Apostolizität auch im Breviloquium287 nicht aus-, sondern einschließt288. Daß Ockham die Quellenfrage aber auch nicht auf Bibel und apostolische Tradition allein reduziert, zeigt sich im Maultasch-Gutachten, in dem wieder die bekannten gesta sanctorum patrum ("Geschichten von den heiligen Vätern") als Quelle erscheinen 289 : Weder als autoritativer Maßstab noch als Quelle zur Kenntnis der katholischen Wahrheiten erlangt die Schrift bei Ockham jemals singulären Charakter. 2.3.2.3. Kontinuität und Diskontinuität in der Autoritätenfrage Die am schwersten wiegende Änderung in Ockhams Autoritätenmodell beruht also auf seiner neu reflektierten Ekklesiologie: Hat er hier als bestimmenden Kirchenbegriff einen solchen herausgearbeitet, in dem die Hierarchie jegliche letztentscheidende Funktion verliert, so wird entsprechend die hierarchisch bestimmte kirchliche Lehrfestlegung relativiert (durch die Ausweitung des Maßstabes zur Erkenntnis der Häresie) und konditionalisiert (durch die Betonung des Approbationskriteriums): Das captivare intellectum führt nicht mehr zwingend wie noch in den Eucharistietraktaten zur Unterwerfung unter das
apostolorum sind aufgelistet im CIC I XIX), und ein Beleg für eine solchermaßen geänderte Faktenbeurteilung ist aus dem Breviloquium wohl kaum zu erbringen. 287 Gleiches gilt wahrscheinlich auch für die Octo Quaestiones, wo nebeneinander als Autoritäten stehen, quid Christus docuerit, quid Apostoli senserint et sancii patres (OPol I 214,311 [als Ockhams Meinung erkennbar wegen des Zusammenhanges der Angriffe auf Johannes XXII.]; ähnlich die Zusammenstellung im Gutachten zur Maultasch-Affaire OPol I 285,258): Auch hier erscheint nicht Biblizität als Kriterium, sondern diese wird aufgeteilt in Christuslehre und Apostolizität. 288 Ein weiterer Hinweis darauf, daß Ockham auch im Breviloquium die Möglichkeit zweier Quellen aufrechterhält, ist gerade in einem den Sola scriptum scheinbar entgegenkommenden Argument zu finden: Ockhams Argument, daß ein mystischer Schriftsinn, wenn er in der Bibel nicht explizit zu finden sei, nicht beweiskräftig sein könne (Brev 171-172; dieses Argument ist im übrigen durchaus traditionell [s. schon Augustin {PL 33,334} und Thomas, ST I q.l a.10 ad 1 {Thomas, Opera II 186; vgl. Hamann, Doctrine 28; Schlageter, Hermeneutik 231}]), steht im Dial III (Goldast II 838,5-15) im Kontext einer Argumentation des Magisters, die sich gegen Äußerungen des Schülers ebd. 837,10-45 wendet, die die Auffassung widerlegen sollten, daß Gregor der Große ohne Offenbarung zum eigentlichen Sinn der Worte Hiobs gelangt sei (ebd. 835,50-836,5), soll also hier gerade die Notwendigkeit zusätzlicher Offenbarungen betonen! Daß diesen eine mindere Beweiskraft zukommt, steht auf einem anderen Blatt: Die Frage der Wertigkeit der Offenbarungen hängt in diesem Fall wiederum an der Opposition apostolisch-nachapostolisch, nicht am Offenbarungscharakter als solchen. Wenn aber Offenbarungen in nachapostolischer Zeit zugestanden werden, gibt es keinen Grund, deren Bestreitung für die apostolische Zeit außerhalb der Bibel zu behaupten. 289 OPol I 285,258.
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päpstliche Urteil 290 und damit zur Integration in die institutionell verfaßte Kirche 2 9 1 , sondern es kann nur noch ein Prinzip der Anciennität begründen 2 9 2 , demzufolge das jeweils als approbiert Vorgegebene für die nachfolgenden Generationen bindend ist. Ockhams Reflexionen haben also zu einer gegenüber den früheren Schriften, vor allem den Eucharistietraktaten, auffalligen Minimierung der gegenwärtigen Lehrfestlegungsmacht der Kirche geführt und generell das autoritative Gewicht von der hierarchischen Lehrfestlegung zur Kirche aller Glaubenden verschoben. Die von nun an von der Frage nach dem Maßstab zur Häresieerkenntnis zu trennende Quellenfrage bleibt von diesen ekklesiologischen Änderungen weitgehend unberührt. Seine schon in Sent angelegte Theorie mehrerer Quellen der katholischen Wahrheit behält Ockham grundsätzlich bei 293 , ebenso wie den bereits dort gelehrten inklusiven Schriftprimat, der nirgends zu einem exklusiven wird. Die Frage, die die Ockhamsche Problemstellung seit 1323 bestimmt, ist denn auch nicht die das 16. Jahrhundert bestimmende (und Ockham nicht gänzlich unbekannte 294 ) nach der Schrift allein oder der Schrift und der Tradition 295 als 290
Diese scharfe Differenz zu den Eucharistietraktaten haben schon z.B. Buescher, Eucharistie Teaching 3, und Leeuwen, L'Église 276, betont. 291 S. OPol III 256,33-35: Nullus enim contra veritatem catholicam debet captivare intellectum suum in obsequium cuiuscumque hominis; vgl. ebd. 2 5 9 , 5 - 7 . Diese seit Sent zu beobachtende Verwendung von IIKor 10,5 findet sich, bezogen auf Schrift und Vernunft (!), noch in Ockhams letzter Schrift, dem Tractatus de imperatorum et pontificum potestate (Scholz, Streitschriften II 455; das bei Junghans, Neuere Forschung 102, noch als bezüglich der Authentizität umstrittene letzte Schrift Ockhams geführte De electione Caroli quarti muß aufgrund der Ergebnisse von Gài, Ockham Dies, mit Sicherheit Ockham abgesprochen werden, da dieser zum Terminus post quem der Schrift, dem 29.11.1347 [Junghans, Neuere Forschung 102], bereits verstorben war). 292 S. Goldast II 635,20ff mit dem Gegensatz der doctrina praecedentium patrum zur doctrina Papae posterions. 293 Zu diesem Ergebnis kommt, freilich mit problematischer Argumentation, auch Tierney, Origins 224 Anm.l: Er erhebt den Sinn bestimmter Textstellen nicht jeweils aus den Texten, in denen sie vorkommen, sondern stellt z.B. gegen die oben Anm. 291 erwähnte Äußerung aus dem Tractatus de imperatorum et pontificum potestate (ca. 1346/7 [s. Junghans, Neuere Forschung lOlj) Stellen aus dem Dial I (ca. 1332-1334 [ebd. 95]), als sei eine Entwicklung zwischen beiden Schriften ausgeschlossen, und dies, obwohl er selbst vermerkt, daß die scheinbare Isolierung der Schrift "typically in the later works" auftrete. 294 S. Goldast II 401,10ff; 410,40-55; vgl. dazu die Position von Marsilius, Defensor Pacis 384,23-31, der allein den Glauben an die Wahrheit der kanonischen Schriften für heilsnotwendig erklärt. 295 Typisch für ein letztlich dogmatisch orientiertes Messen Ockhams an diesen Positionen ist Schüssler, Primat 113.
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4. Kapitel
Quelle christlicher Glaubenswahrheiten, sondern die nach dem Grund der Legitimität kirchlicher Lehre296. Diese Frage allein, bei deren Behandlung Ockham in seiner publizistischen Phase zunächst primär um die kriterienhaft überprüfbare Legitimität kreist, später jedoch zunehmend die schon im OpXCD angesprochene Frage der Faktizität der Approbation in den Vordergrund stellt, grenzt den über die Schrift hinausgehenden und von Ockham jederzeit selbstverständlich vorausgesetzten Anteil kirchlicher Lehre ein: Alle (noch) nicht approbierte Glaubenslehre steht auf dem Prüfstand der Frage nach ihrer Legitimität. Die einmal als legitim approbierte297 kirchliche Lehre und Vätertradition aber steht als Grundlage der katholischen Wahrheit unkritisiert neben der Schrift. 2.3.3. Methodik der
Schriftauslegung
Um aber die Entsprechung der päpstlichen Lehren zur Schrift und zu den anderen normativen Quellen zu überprüfen, bedarf es der Auslegung, und hierzu hält Ockham nach wie vor Grammatik und Logik298 für maßgeblich299. In dieser Frage zeigt sich in Ockhams publizistischer Phase allenfalls ein differenzierteres Argumentationsniveau als in der akademischen, hier also hat 296
Vgl. Schlageter, Glaube 102f. OPol II 506,274-276; Goldast II 635,20-25. 298 Wie in Sent spricht Ockham von evidenten Folgerungen aus der Schrift (s. OPol II 393,493f u.ö.), und gelegentlich finden sich auch in der Tat noch schöne syllogistische Figuren, etwa in OPol II 389,366-371: volentes Christi esse perfecti discipuli omnibus, quae possidebant, renuntiabant (nach Lk 14,33). Apostoli autem volebant esse perfecti Christi discipuli ergo omnibus renuntiabant Die Logik kann auch zum Kampf gegen eine Auslegung des Gegners werden, wenn Ockham mit ihrer Hilfe eine Argumentation ad absurdum führt: In OPol II 700,1222-701,1228 erklärt er zur Behauptung von Johannes XXII., Jesu Reich sei ein regnum temporale, dann gälte: regni eius non erit finis (Lk 1,33) regnum Christi fuit regnum temporale aliquod regnum temporale non habebit finem, was bedeutete, daß es nie zur Auferstehung der Toten käme. 299 OPol I 364,381-387; II 596,105-110. Ockham schließt allerdings jetzt, ohne daß er es mit dem oben zur Trinitätslehre Ausgeführten ausgliche, Widersprüchlichkeit für die katholische Wahrheit generell aus (Goldast II 475,25-30): Hier handelt es sich wahrscheinlich, da es im Kontext um die päpstlichen Lehrfestlegungen und deren Restriktion geht, um eine Überpointierung der ja bereits in Sent durch die bei kritischer Prüfung - vergeblichen Bemühung um eine einheitliche Fehlschlußtheorie unter Einschluß der trinitarischen Fehlschlüsse erkennbare Bestrebung, die Theologie mit der Logik in Übereinstimmung zu bringen. 297
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der Schock von Avignon nicht zu einer grundlegenden Wandlung geführt. Für die Erhebung des in der Schrift Gemeinten folgt Ockham weiterhin den Prinzipien der Sic-et-Non-Methode, dem Grundansatz, daß ein Text nach seinem Sinn (ad sensum), nicht dem bloßen Wortlaut (ad vocem) auszulegen sei, das auch Grundprinzip der Auseinandersetzung mit Johannes XXII. ist: Während er diesem an einigen Stellen vorwirft, Michael von Cesena nicht ad sensum interpretiert und darum angegriffen zu haben 300 , betont er selbst, er schreibe den gesamten Text von Quia vir reprobus ab und referiere die darin enthaltenen Argumente, um deutlich zu machen, daß er Johannes XXII. nach dem von diesem intendierten Sinn inteipretieren wolle 301 . Sind nun aber Bibelworte (oder auch andere) umstritten, so muß dies angesichts der mit der Sic-et-Non-Methode gesetzten Möglichkeit der Divergenz von Wortlaut und Sinn auch zu Reflexionen darüber führen, in welcher Weise aus dem Wortlaut der Sinn eruiert werden kann. Dies geschieht einerseits — dort, wo menschliches natürliches Vermögen nicht weiter kommt — in der oben beschriebenen Weise durch allgemein approbierte Offenbarung, die faktisch den durch die Bibel bekannten Glaubensbestand über das darin natürlich Erkennbare hinaus erweitert und dementsprechend auch in der Liste von Dial I als eigene Quelle neben der Bibel erscheint, andererseits und vor allem aber nach wie vor durch methodische Bibelexegese, die den Menschen nach seinen natürlichen Möglichkeiten zum Schriftverständnis führt. Ockham benutzt hier vier Methoden: 1. Die Heiligen als Ausleger haben gemäß Decretum Gratiani I d.37 c.14 302 den Sinn der Schrift für die jetzigen Ausleger bestimmt 303 : Hier, nicht im Bereich der Lehre von den Maßstäben oder den Quellen, haben sie ihre grundlegende Funktion. 2. Auch in der publizistischen Auseinandersetzung verwendet Ockham weiterhin gerne das klassische scholastische Mittel der Begriffsdistinktion, bemüht sich dabei freilich gelegentlich gründlicher als in der
300
Z.B. OPol II 443,20-28; 545,18-34. OPol 1292,15-19. 302 CIC I 139f; bei Ockham OPol II 690,818f. 303 OPol II 796,73-75; vgl. ebenso theoretisch-kriterienhaft Dial III 1,4,20 (Goldast II 863,60 — 864,5). Dementsprechend erscheinen immer wieder Heilige als maßgebliche Bibeldeuter (OPol II 386,238-387,270; 679,361-680,410 [OpXCD]; Goldast II 742,10ff [De Dog]; 851,30ff [Dial III]; Brev 56,25-57,4; 60,18-61,22 u.ö.). 301
316
4. Kapitel akademischen Phase darum, verschiedene biblischen Text selbst festzumachen 304 .
Begriffsbedeutungen
am
3. Mit dem eigentlich die Notwendigkeit der Heranziehung der Heiligen begründenden Decretum Gratiani I d.37 c.14 305 begründet Ockham im OpXCD 3 0 6 auch die Notwendigkeit, die series sacrarum scripturarum, also den unmittelbaren 307 oder den weiteren 308 biblischen Kontext, zur Interpretation heranzuziehen 309 . 304
Typisch hierfür sind die langen Listen mit vielen Belegen zu den Hauptworten des Armutsstreites im OpXCD, etwa usus (OPol I 3 0 0 , 8 0 - 9 8 [aufgenommen ebd. 363,319-339]) oder dominium (OPol I 305,270-306,318). Eine ähnlich gründliche Begründung einer Begriffsdistinktion findet sich auch in De Dog (Goldast II 762,50—763,20) zu pax. Deutlich wird die gründlichere Argumentationsweise auch an einem Beispiel, das schon in Sent vorkam: Hatte es hier zu Jes 9,6 noch gereicht, einfach zu behaupten, daß dare an dieser Stelle weit gebraucht werde (in OPol II 528,14—529,57 dagegen kritisiert Ockham, daß Johannes XXII. einfach behaupte, die Schrift gebrauche usus improprie), so zeigt Ockham nun am biblischen Text auf, daß dare in verschiedenen Bedeutungen gebraucht werde, so daß man aus der Verwendung dieses Verbums nicht auf implizierten Besitz schließen könne (OPol II 398,688-709). 3 °5 CIC I 139f. 306 OPol II 4 0 8 , 6 0 - 7 5 . Ähnlich grundsätzlich äußert sich Ockham zu dieser Methode, wenn er erklärt, der Sinn der Schrift dürfe nicht allein aus der Berufungsformel an die Jünger erhoben werden, sondern es müßten auch andere Stellen herangezogen werden (OPol II 742,151-153). 307 Besonders ausgefeilt in OPol II 427,155 — 162: Mt 19,27 (ecce nos reliquimus omnia, von Johannes XXII unter Verweis auf den weiteren Kontext gedeutet [s. OPol II 406,1-407,29 {QVR}]) steht nach 19,23, das sich aufgrund der Parallele in Lk 18,24 auf pecunia bezieht, also muß sich Mt 19,27 auf pecunia beziehen! Solche kontextuelle Argumentation verwendet Ockham auch in der Auseinandersetzung um die visio gern. So erschließt er in Goldast II 749,25ff (De Dog) aus der Entsprechung zur Frage Lk 23,42, daß in 23,43 mit dem paradisum das regnum Christi gemeint sein müsse. 308 S. die Erklärung des (weiten) Sinns von possessio in Num 18,21 durch Verweise auf sonstige Bestimmungen für Leviten in OPol II 461,107 —462,143; vgl. auch OPol III 198,5-22 zu Act 4,34f, gedeutet von ebd. 5 , 1 - 4 her (TractcB), sowie die Relativierung des Felswortes Mt 16,18 durch Mt 20,24-27par in Goldast II 858,20 - 25. 55 - 65 und des Wortes von der Bindegewalt Petri Mt 16,19 durch den biblisch begründeten Gedanken der evangelica libertas (Brev 56,20-57,30). 309 Diese Auslegung mit dem biblischen Kontext selbst wendet Ockham auch zur Begründung der Anwendung von Allegoresen an (die ausdrückliche Rezeption des vierfachen Schriftsinns in Goldast II 957,20—35 ist wahrscheinlich nicht authentisch [s. Miethke, Sozialphilosophie llOf Anm. 414]): Im OpXCD bemüht er sich, bei den auf Christus gemünzten Königspsalmen, anhand einzelner Worte, die, auf das Leben Jesu bezogen, absurd wären (gladium, diadema) zu zeigen, daß eine allegorische Deutung notwendig ist (OPol II 699,1181-700,1201; ähnlich zu Hld 3,11
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4. Gelegentlich führt Ockham aber auch streng den einfachen Wortlaut einer Textstelle als Argument gegen Umdeutungen derselben an 310 .
ebd. 700,1211-1216) - entsprechend der später in Brev 171ff explizit geäußerten Auffassung, ein mystischer Sinn sei nur heranzuziehen, wo er durch die Schrift selbst ausgedrückt sei, womit Ockham, wie die folgende Argumentation ebd. 176f zu Lk 22,38 unter Heranziehung von Rom 13,4 bzw. 6,17 zeigt, eine Erhebung des allgemeinen Sinnes aus dem (hier weiteren) Kontext meint. Etwas anders steht es bei der allegorischen Auslegung der von Johannes und seinen Anhängern ins Spiel gebrachten (s. Compendium Errorum Papae Johannis XXII in Goldast II 970,60 — 971,25) Stelle Apk 6,11 (Goldast II 749,40ff), die Ockham nicht aus dem Kontext begründet. Hier jedoch könnte er mit der aufrechterhaltenen maßgeblichen Funktion der Heiligen als Bibelexegeten argumentieren: Er folgt einer auf Gregor den Großen zurückgehenden (PL 77,357) Auslegungstradition zu dieser Stelle, die die darin erwähnten stolae albae auf jetzt der Seele zuteil werdende Seligkeit deutet und diese von der zukünftigen Herrlichkeit der Körper unterscheidet. Diese Auslegung war im Mittelalter sehr verbreitet: Sie findet sich auch bei Paterius (PL 79,1112), Haimo von Halberstadt (PL 117,1031), Anselm von Laon (PL 162,1524), Bruno von Segni (PL 165,637), Richard von St. Viktor (PL 196,768) und Martin von Leon (PL 209,338). Auch Thomas Waleys hat diesen Gedanken aufgenommen und sich dafür auf eine Allerheiligenpredigt Bernhards berufen (s. Kaeppeli, Procès 162,24—29; vgl. hierzu PL 183,464 - 4 6 7 ) . Ebenso beruht die Allegorese, die Ez 33,6 in OPol III 2 6 9 , 1 - 5 auf die Kirche bezieht, über die Glossa Ordinaria (PL 114,630 auf Hieronymus (s. PL 25,318f)- Trotz seiner offensichtlichen Bemühungen, auch den allegorischen Schriftsinn an den oben genannten Methoden zu orientieren, ist Ockham freilich spätestens in Brev 171 ff, gegenüber der Beweiskraft allegorischer Auslegungen skeptisch: Die obigen Methoden sind nach wie vor, wie schon in Sent, vor allem auf den Literalsinn zu beziehen (entsprechend bezeichnet Ockham in Dial III tr. 1 1.3 c . l l [Goldast II 828,25ff] als wahren und ersten Sinn der Schrift ausdrücklich den literalen). 3,0 Das Entscheidende ist dabei natürlich nicht die Argumentation mit dem Wortlaut als solche, sondern deren kritische Anwendung: Gegenüber dem Argument, der Fruchtbarkeitssegen Gen l,27f gelte Adam allein, da Eva ja noch nicht geschaffen sei (OPol II 4 8 6 , 1 - 7 [QVR]), wendet Ockham im OpXCD ein, es sei in Gen 1,26 eindeutig von Mann und Frau die Rede, mithin sei Eva auch hier schon als angeredet vorauszusetzen (OPol II 487,38-47). Eine eher auf die syntaktischen Bezüge als die Lexik rekurrierende Begründung ist vorausgesetzt in TractcB 1,10, wo Ockham aus Act 4,34f (Quotquot enim possessores agrorum aut domorum erant vendentes adferebant pretia eorum quae vendebant et ponebant ante pedes apostolorum) folgert (colligitur), daß der Urgemeinde nicht, wie Johannes aufgrund derselben Textstelle (s. OPol I 3 2 9 , 2 0 - 2 7 [QVR]; III 197,25ff) behauptet hatte, Acker und Häuser übergeben wurden, sondern allein der Erlös aus deren Verkauf (OPol III 198,1—5), was auf dem Argument fußen muß, daß ponebant (wahrscheinlich aufgrund der semantischen Bezüge zu adferre) nicht mehr zum Relativsatz gehöre und sein Objekt somit lediglich die pretia sein könnten.
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Die dritte und die vierte Methode, die übrigens beide auch bei Johannes XXII. begegnen 311 , als Ausdruck einer Hermeneutik, die den biblischen Text aus seinen eigenen Bedingungen heraus deutete, zu interpretieren, hieße, ihren Stellenwert in der Ockhamschen Argumentation zu übersehen: Sie stehen nicht als Ausdruck grundsätzlicher hermeneutischer Erwägungen über dem Ausleger, sondern dienen diesem lediglich als geschmeidiges taktisches Instrument in der verbalen Auseinandersetzung312: Einmal kann Ockham gegen eine kontextuelle Analyse des Papstes mit der Grammatik argumentieren313, ein andermal dessen Argumentation mit der Grammatik durch Verweis auf den Kontext abweisen 314 . Einmal kann er den Sinn einer Stelle durch Verweis auf die Reihenfolge des evangelischen Berichts herausarbeiten315, ein andermal dem Papst entgegenhalten, die Reihenfolge könne kein zwingendes Argument sein 316 . Und während er durchaus Texte durch Nichtgesagtes zu ergänzen weiß 317 , hält
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S. die kontextuelle Deutung von Mt 19,27 in OPol II 406,1-407,29 (QVR), und die Betonung des Wortlautes in OPol II 671,29—35 (QVR), wo Johannes zu Joh 18,36f betont, da hier hinc und nicht hic stehe, müsse es um eine Herkunftsangabe gehen. 312 Die folgenden Beispiele entstammen nicht aus chronologischen, sondern aus literarischen Gründen allein dem OpXCD, also dem frühesten Werk der publizistischen Phase: Dadurch, daß Ockham sich hier die Bulle Quia vir reprobus "Stück für Stück vorgenommen und ihre einzelnen Argumente zerpflückt" hat (Miethke, Sozialphilosophie 76), zugleich aber in ihr in der Tat eine große Anzahl von biblischen und anderen Argumenten Johannes' XXII. zu finden ist (vgl. ebd.), hat man allein hier eine Auseinandersetzung Ockhams mit Johannes XXII. um den Sinn einzelner biblischer Stellen in einem Umfang, der eine Gegenüberstellung von Ockhams eigener Exegese und seiner Kritik an dem exegetischen Vorgehen des Papstes erlaubt. 313 OPol II 487,38-47. 314 So in OPol II 675,214-679,360, wo er gegen die Argumentation des Johannes XXII. mit der Grammatik von Joh 18,36f (regnum non est hinc), es gehe Jesus hier nicht um eine Orts-, sondern eine Herkunftsangabe (ebd. 671,29—35), den gesamten Prozeß Jesu analysiert. 315 OPol I 341,515-342,544: Aus Act 2 geht hervor, daß die Juden nach der Bekehrung zunächst spirituale Gaben erhielten (Taufe, Lehre und Abendmahl), dann erst an die Regelung ihrer zeitlichen Güter gingen. 316 OPol I 339,444f. Ockham verweist zur Begründung auf die unterschiedlichen Reihenfolgen in den Versuchungsgeschichten bei Mt und Lk. 317 So in einem klassischen E-silentio-Argument: Da in Gen 4,25 nicht steht, daß diese erste Verteilung von Verfügungsgewalt (zu dieser Bedeutung von dominium s. Miethke, Sozialphilosophie 458ff) von Gott angeordnet worden sei, ist sie infolge menschlichen Willensentscheides erfolgt (OPol II 656,99-108; vgl. dasselbe Argument in Brev 129,13-21, wo freilich die menschliche Verteilung lediglich als verisimile bezeichnet, also nicht e silentio erschlossen wird) - immerhin ein für Ockhams Sozialphilosophie zentraler Grundsatz (s. hierzu Leppin, Ockham 15).
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er dem Papst bei seiner Analyse eines Pseudo-Chrysostomus-Stelle entgegen, was dieser darin lese, stehe dort gar nicht318. Insgesamt ist also in der publizistischen Phase Ockhams eine differenziertere Anwendung hermeneutischer Regeln zu beobachten als in der akademischen Zeit, was jedoch schlicht an der Textgattung liegen kann: Unter den publizistischen Schriften sind es vor allem diejenigen, in denen Ockham Stück für Stück gegnerische Argumentation auseinandernimmt, die eine differenziertere Hermeneutik erkennen lassen. Dies zeigt, da entsprechende Texte aus der akademischen Phase nicht vorliegen, daß man nicht e silentio erschließen kann, früher sei Ockhams Hermeneutik gröber gewesen, zumal in jedem Fall die Eckpfeiler gleich bleiben: Die Auslegungsmethode wird — anders als die Logik — nicht zu einem System fester Regeln, die jeden Zugang zu einer Materie unter Absehung von derselben bestimmten und mithin den Ausleger zu objektiv nachvollziehbaren Ergebnissen führten. Sie bleibt vielmehr, eingebettet in den Rahmen der Sic-et-Non-Methode, das Instrument, das hilft, aus dem vorgegebenen textlichen Syntagma einen bestimmten Sinn herauszuschälen, zu dem der Text nicht zwingt, sondern den der Ausleger als zu findenden Sinn unterstellen kann.
2.4. Ockhams Restkirchenmodell und die außertheoretische Realität 2.4.1. Der häretische Papst als Anstoß zur Neureflexion der
Autoritätenfrage
Bereits oben war festgestellt worden, daß Avignon, d.h. die Erfahrung, daß ein Papst Häresien als kirchliche Lehrfestlegungen verkündete, auf Ockhams Biographie und Schaffen einen großen Einfluß hatte. Es liegt nahe, daß auch die Änderung von Ockhams Konzeption der Autoritäten in direktem Zusammenhang zu dieser Erfahrung stand319. In der Tat zeigt sich ein solcher Hintergrund der Reflexionen auch ganz deutlich in einer wichtigen Modifikation des Autoritätenmodells, der Unterscheidung von Maßstäben und Quellen, insofern diese Unterscheidung ja unter dem Horizont der Frage nach der Bestimmbarkeit von Häresie entstand. Auch die Präzisierung der Quellenbestimmung in der oben aus Dial I angeführten Autoritätenliste ist offensichtlich Reflex dieser Erfahrungen, ging es hier doch um eine Bestimmung 318
OPol I 317,234f. 239f. Auch in der Auseinandersetzung um die visio ist ein Zentralargument Ockhams gegen Johannes XXII., daß dieser e silentio (ohne den Terminus) argumentiere, vor allem bezüglich dessen Folgerung, die visio Dei sei, da sie dem ganzen Menschen verheißen sei, nicht der anima separata verheißen (Goldast II 748,15ff; vgl. ebd. 767,40 - 60). 319 Einen solchen biographischen Zusammenhang vermutet auch Schlageter, Unfehlbarkeitsdoktrin 127. Schon Jacob, Political Thinker 344, hat darauf hingewiesen, daß die Frage des häretischen Papstes Ockham so sehr bewegte, daß auch das Hauptwerk eines Konzils zunächst die Absetzung des häretischen Papstes sein müsse.
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derjenigen Quellen theologischer Wahrheiten, auf die eine kirchliche Lehrfestlegung sich legitimerweise stützen kann, also eine möglichst enge Grenzen ziehende Definition der fraglich gewordenen Ansprüche päpstlicher Determinationsgewalt. Es ist aber zu fragen, ob die Erfahrungen Ockhams in seine neue Modellbildung bloß negativ eingegangen sind. Diese Frage stellt sich vor allem hinsichtlich des Restkirchenmodells: Läßt sich die Neureflexion der Autoritätenfrage ja in der Tat primär negativ als Reduktion der Autoritäten auf die jeweils zeitlich vorgegebenen und als Verzicht auf die absolute Bindung durch die gegenwärtige kirchliche Autorität beschreiben und damit ohne weiteres auf die negative Erfahrung des häretischen Papstes beziehen, so ist die neue ekklesiologische Grundlage, die die Diastase zur hierarchisch verfaßten Kirche ermöglicht, ja durchaus ein positiv beschreibbares Modell, das nicht nur die Negation der Totalität enthält, sondern zugleich die Affirmation eines positiv bleibenden Kerns. Damit stellt sich die Frage, ob irgendeine theorieexterne Erfahrung Ockham die Plausibilität dieser positiven Setzung nahelegte. 2.4.2. Die Plausibilität des Restkirchenmodells 2.4.2.1. Die soziale Plausibilität der Rolle des Laien in Ockhams Restkirchenmodell In Ockhams Restkirchenmodell findet offensichtlich eine gewaltige Aufwertung der theologischen Kompetenz der Laien gegenüber den Klerikern statt: Das religiöse Subjekt, auch wenn es Laie, ein einfacher Christ oder eine einfache Christin, ist, ist in der Lage, kirchliche Lehrfestlegungen zu überprüfen. Indem diese Überprüfung aber auf schriftlich überlieferte Quellen bezogen ist, setzt — außer in solchen Fällen, wo es um Glaubenssätze geht, die ohnehin jeder Katholik und jede Katholikin kennen und glauben muß, wie das Glaubensbekenntnis und einige andere Kernsätze kirchlicher Lehre 320 - dieses Modell, damit es plausibel ist, neben dem illiteraten Laien und dem Kleriker eine dritte Gruppe voraus, von der Ockham denn auch ausdrücklich spricht: den laicus litteratus321, der, wie es Ockham ohne diesen Begriff schon in Sent III q.9 vorausgesetzt hatte322, in der Lage ist, seine fides explicita adquisita anhand eigener Bibellektüre zu erweitern323 und so die kirchliche Lehre eigenständig zu überprüfen 324 . 320
S. z.B. OPol III 47,22-33; vgl. ebd. 254,28-32; Goldast II 753,25-40; vgl. die Erklärung, daß Kleriker eine größere Menge von Glaubenssätzen zu glauben haben, OPol III 49,10-28. 321 OPol III 50,13. 322 OT VI 291,7f. 323 OPol III 50,12-15. 324 Entsprechend geht Ockham in OPol III 261,37-262,5 faktisch nur davon aus, daß eine Kontroverse über die Approbation päpstlicher Verlautbarungen unter den
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D e r Ausdruck laicus litteratus hätte noch im späten zwölften Jahrhundert als Contradictio in adiecto gelten müssen 325 , von dieser Zeit an hatte aber in Adeligenkreisen 3 2 6 (zunächst unter den Frauen 327 ), in von den neuen Frömmigkeitsbewegungen erfaßten Kreisen 328 und vor allem in der Kaufmannschaft (bekanntestes kirchengeschichtliches Beispiel hierfür dürfte der Kaufmannssohn Franciscus von Assisi sein 329 ) die Alphabetisierung zugenommen 3 3 0 . Diese Entwicklung hat Ockham, der selbst Kleriker war, offensichtlich im Gegensatz zu vielen Standesgenossen seiner Zeit 331 positiv rezipiert, steht damit allerdings keineswegs allein: Auch sein Münchner Gefährte Marsilius von Padua 332 nahm an dieser positiven Rezeption teil, und wie stark der "Zeitgeist" 333 bzw. die Mentalität hierfür leitend war, zeigt eine Äußerung Ockhams am Ende von De Dog: Ockham hält hier ein schwungvolles Plädoyer für die Kompetenz der Laien zur Einmischung in Glaubensfragen und formuliert darin u.a., daß, wenn die simplices sich nicht des Glaubensstudiums befleißigen dürften, niemand dies dürfe, ehe er zum Kardinal oder Papst aufgestiegen sei 334 . Eine ganz ähnliche Argumentatio ad absurdum zugunsten theologischer Laienbildung findet sich ein Vierteljahrhundert früher 3 3 5 bei Meister Eckhart: "ensol man niht lêren ungelêrte liute, sô enwirt niemer nieman gelêret, sô enmac nieman lêren noch schriben" 336 . Bei diesen beiden so litterati aufkommt: Erneut erweist sich das Restkirchenmodell als in gewissen Folgerungen allein für bestimmte soziale Gruppen, nämlich die alphabetisierten, relevant. In Goldast II 704,55-60; vgl. ebd. 732,60ff nennt Ockham als diejenigen, die zur Überprüfung der kirchlichen Lehre aufgerufen sind, Theologen, Gelehrte und litterati. 325 S. Grundmann, Litteratus 13f; 4 4 - 5 4 . 326 Goetz, Leben 171. Allerdings kannte auch Ockham noch das Phänomen des rex illitteratus (s. Goldast II 710,45ff; OPol III 316,9). 327 S. Goetz, Leben 171. 328 Grundmann, Litteratus 56 (Waldes); 58 (Hildegard von Bingen); 59 (Mechthild von Magdeburg). 329 S. Celano, Vita II I, 102 (S. 190); allerdings war in Italien ohnehin, anders als nördlich der Alpen, die antike Laienbildungstradition nie völlig abgebrochen (s. Wendehorst, Lesen lOf; vgl. ebd. 30). 330 Ennen, Stadt 62ff; Grundmann, Litteratus 60; Schreiner, Laienfrömmigkeit 28ff; Wendehorst, Lesen 29ff. Für die Verbindung von Geistes- und Sozialgeschichte von besonderem Interesse ist der Nachweis der Existenz des "philosophierenden Laien" durch Imbach, Laien 4 3 - 7 8 . 331 S. den Überblick bei Schreiner, Laienbildung, und dems., Laienfrömmigkeit 13-26. 332 S. Marsilius, Defensor 4 0 0 , 1 4 - 1 8 (11,20 § 13). 333 Vgl. diese Begriffswahl bei Davis, Zeitgeist 64f. 334 Goldast II 770,40ff. 335 S. Eckhart, DW V 6, zur Datierung. 336 Eckhart, DW V 60, 2 8 - 3 0 .
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ähnlichen Argumentationsfiguren liegt sicher keine Abhängigkeit vor 337 , sondern Eckhart und Ockham sind unabhängig voneinander Rezipienten der gleichen Aufwertung der Laienbildung. Doch ist die eigentliche aktuelle Spitze der Ockhamschen Argumentation nicht in diesem Sinne sozialhistorisch zu erfassen, denn die Pointe liegt in einem anderen: in der Anwendung auf die eigene Situation, die ja die eines Klerikers in Distanz zum Papst war. 2.4.2.2.
Ockhams Ort in seiner Theorie
Ockham befand sich als Gegner des aktuellen Papstes in einer heiklen Situation, und diese nun legitimiert er in seinem Brief an das Generalkapitel der Franziskaner in Assisi Pfingsten 1334 mit dem Gedanken der Restkirche 338 . Diese Konzeption erweist sich damit als mehr als eine rein theoretische Radikalisierung bestimmter Gedanken, sie dient der Legitimation von Ockhams Lebenssituation selbst. Und da es historisch kaum plausibel zu machen ist, daß Ockham, der sich ab etwa 1328 in einem distanzierten Gegenüber zur kirchlichen Hierarchie befunden hat, etwa 1332 den Restgedanken aus der Kanonistik rein theoretisch übernommen und erst 1334 gemerkt hätte, daß dieser Gedanke auf seine eigene Situation applikabel war, heißt diese Feststellung: Ockham hat den Gedanken der Restkirche wahrscheinlich unter dem Eindruck seiner eigenen Situation339 und zu ihrer Legitimierung aus der Kanonistik übernommen. 337
Gegen diese spricht zunächst schon einmal der unbestreitbare Unterschied zwischen beiden Gedanken, vor allem aber, daß das Buch der göttlichen Tröstung, dem jenes Zitat Eckharts entstammt, nur auf deutsch überliefert war. Die lateinischen Zitate bei Johannes von Dambach dürften Ad-hoc-Übersetzungen darstellen, wofür nicht nur gelegentliche präzisierende Korrekturen, die den Text in Dambachs eigenen Text einpassen (s. Auer, Dambach 351 Anm. 6), sprechen, sondern vor allem die Tatsache, daß noch Johannes von Wenck in bezug auf das Liber Benedictus, zu dem es gehört, im 15.Jahrhundert von einem libro (...) vulgari spricht (zit. nach Eckhart, DW V 5). Auch daß Ockham und Eckhart sich in Avignon möglicherweise begegnet sind, kann eine Beeinflussung kaum wahrscheinlich machen: Ockhams Eingehen auf Eckharts Lehre in Goldast II 909,35—60 (Dial III 11,8) und OPol III 251,6-252,8 (TractcB IV,4); 254,29-32 (ebd. IV,5) ist von äußerster Distanz und Unverständnis geprägt (vgl. Dempf, Eckhart 84-87). 338 OPol III 15,23-16,4. 339 Daß auch Ockhams Situation unter dem Schutz Ludwigs des Bayern (auf die er in Goldast II 631,20-30 mit dem Modell des von Theologen beratenen Laienfürsten anzuspielen scheint) sein Denken beeinflußte, ist — angesichts dessen, daß Ockhams Denken nicht nur mit kaiserlichen Anliegen konvergierte, sondern z.T. auch in dessen Auftrag geschah (s. den Hinweis auf Auftragsarbeiten seiner Magister zur Erklärung der Avignoneser Häresien in Ludwigs Brief an die Kardinäle in Nova Alamanniae 181 § 2 [von Morrall, Ecclesiology 485, auf OpXCD und Dial I bezogen]; auch das Gutachten zur Maultasch-Affaire dürfte eine Auftragsarbeit ge-
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wesen sein [s. Miethke, Sozialphilosophie 129]) und gelegentlich explizit auf die Streitigkeiten zwischen Papst und Kaiser einging (so z.B. erstmals ausführlich OPol III 272f; 285ff) - eine naheliegende Vermutung (s. zu Ockhams Verständnis des Kaisertums Leppin, Ockham 15f)· Daß Ockham das Restkirchenmodell zur Legitimation der kaiserlichen Politik aus der Kanonistik aufgenommen hätte, ist zwar nicht völlig auszuschließen, hat aber geringere Wahrscheinlichkeit für sich als die individualbiographische Motivation, da die Anwendung auf die eigene Biographie, wie sie oben dargestellt wird, eine unmittelbare und ungebrochene Applikation des Modells nach den Bedingungen, wie es schon bei seinem ersten Auftreten im OpXCD entwickelt war, auf eine Anwendungssituation darstellt, die Anwendung auf den Kaiser jedoch eine gebrochene, erst durch zusätzliche politiktheoretische Reflexionen, die mit dem ersten Auftreten des Restgedankens bei Ockham noch nicht verbunden waren, ermöglichte Applikation darstellt: Grundsätzlich nämlich begründet Ockham die Rechte des (gläubigen) Kaisers in Fragen katholischer Wahrheit mit Decretum I d.96 c.4 (CIC I 338), also mit der Aussage, daß die quaestio fidei (...) ad omnes omnino pertinet Christianos (OPol I 119,211—214; als Ockhams Meinung ist dies eben deswegen kenntlich, weil hier die kaiserliche Macht begründet wird und natürlich aufgrund der Entsprechung zu den in dieser Anm. folgenden Äußerungen): Eine exponierte Stellung gewinnt der Kaiser in dieser Frage erst sekundär, wie sich beispielhaft an der wohl massivsten Folgerung aus der Verwendung des Restkirchengedankens nach seiner die Ansprüche des Klerus negierenden Seite zur Stützung kaiserlicher Politik zeigt, nämlich dem Gedanken, daß der Kaiser, si est catholicus et zelator fidei Christianae, oder jeder andere Fürst den häretischen Papst vom apostolischen Stuhl vertreiben kann, wenn die zuständigen geistlichen Größen sich als dazu nicht in der Lage erweisen (OPol III 312,32-313,38; 314,20-24). Die exponierte Stellung des Kaisers aber hängt allein an seinem besonderen Stand unter den Laien: Grundsätzlich kommt das Recht hierzu den principes et laici zu (OPol III 313,35f; vgl. I 60,59: catholici, maxime imperator), si tantam habuerint potentiam temporalem (OPol III 313,36f; vgl. I 62,107ff): Der Grund für die kaiserlichen Befugnisse liegt also an der potestas temporalis, einem Konzept der politischen Theorie, nicht jedoch an irgendwelchen mit dem Kaiseramt verbundenen unmittelbar wahrheitsrelevanten Kriterien. Dies bestätigt sich durch die diesen Sachverhalt explizierende Argumentation des Magisters in Dial III 11,3,4 zu dem analogen Fall nicht der Papstab-, sondern der Papsteinsetzung: Das Recht, sich in spirituelle Belange einzumischen, hat der Kaiser, inquantum Christianus, Catholicus et Romanus (Goldast II 930,5ff; vgl. ebd. 931, Iff. 30ff), und das Recht auf Papstwahl kommt im Falle allgemeiner Häresie unter Papst und Kardinälen (ebd. 936,60-937,5) allen Römern zu, eo ipso quod sunt Christiani et catholici (ebd. 931,45ff), dem Kaiser also eindeutig nur als ihrem Vornehmsten (s. die historischen Beispiele für die Übertragung der Vollmacht auf den König ebd. 9 3 6 , 2 5 - 4 0 ) . Eine exponierte Stellung im Rahmen des Restkirchenmodells gewinnt der Kaiser also nur unter Rekurs auf nicht der Autoritätenfrage eigene Kriterien, sondern auf Kriterien der politischen Philosophie: Die Reflexionen zum Kaiser haben also ihren Ort eher in der Anwendung des Restkirchenmodells als in der Begründung seiner Aufnahme in das Ockhamsche Denken.
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Obwohl Ockham in diesem Zusammenhang nicht eigens darauf rekurriert, dürfte es zum Bewußtsein seiner Legitimität beigetragen haben, daß er, der sich selbst unter die im weiten Sinne definierten theologischen Doktoren rechnen konnte 340 , damit zu jener Gruppe zählte, der er theoretisch besondere Kompetenz und Verantwortung zusprach: Seine Diastase zum Papst war nicht, wie bei den Spiritualen des 13.Jahrhunderts, durch die Beanspruchung besonderer Geistbegabung legitimiert, sondern schlicht durch seine theologische Ausbildung. Die Biographie Wilhelms von Ockham, eines der wichtigsten Berater des deutschen Kaisers im 14. Jahrhundert, ist damit unter diesem Aspekt auch ein Stück gelebte Theologie. Diese Feststellungen können aber lediglich Ockhams Biographie als Entdeckungshorizont des Restkirchenmodells aufzeigen und dürfen nicht dazu führen, Ockhams Konzeptionierung der Restkirche ganz in Biographik aufzulösen. Dies wäre unsinnig, da Ockhams Modell eine theorieverhaftete Überschüssigkeit aufweist: Was hätte es ihm nützen sollen, zu wissen, daß Gott die wahre Kirche auch in Frauen oder gar unmündigen Kindern erhalten könnte? Selbst die Laien als mögliche alleinige Repräsentanten der Restkirche waren für ihn als Kleriker ein biographisch unnötiger Gedanke: Die gedachte Theologie erschöpft sich nicht in der gelebten. Es reicht daher die Feststellung, daß bei Ockham ein enger Zusammenhang zwischen Theorie und Erleben festzustellen ist: Theologie ist, wie sie im Schaffen des publizistischen Ockham begegnet, keine absolute Größe, sondern ein Prozeß geistigen Reflektierens, der in Interdependenz zu den Erfordernissen des realen Lebens steht oder doch stehen kann, dessen theoretischer Charakter sich aber gerade darin erweist, daß er als der Realität gegenüber freier Raum der Möglichkeiten eine gewisse Überschüssigkeit bewahrt. In jedem Fall kann daher für die publizistische Phase als sicher angenommen werden, was für die akademische Phase allenfalls vermutet werden kann: daß das theoretische Modell Reflexion aktueller Realität ist341.
340 Dies zeigt die Apposition in der Wendung religiosis viris Fratre Francisco de Esculo, Fratre Guillermo de Ockam sacrae theologiae professoribus in Goldast II 964,50-55. 341 Ein psychologisierender Rückschluß von Ockhams Verhalten in der publizistischen Phase darauf, genauso habe er etwa auch in der akademischen Phase agiert, muß versagt bleiben: Die Unterschiedlichkeit der sozialen Stellungen, die Ockham einnahm (vom Bettelorden getragener Universitätslehrer hier, Hofgelehrter dort), und der literarischen Gattungen verbietet dies.
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3. Ergebnis: Die Frage nach der Theologie als inneres Band im Leben Ockhams Ockham hat in seinem Theologieverständnis seit den Eucharistietraktaten immer wieder auf die aktuellen Konfliktsituationen reagiert. Hinter allen diesen Modifikationen steht eine grundsätzliche Perspektivenveränderung hinsichtlich des Theologieverständnisses: Dieses sieht nicht mehr wissenschaftstheoretisch die theologische Wahrheit im Gegenüber zu anderen, wissenschaftlichen Formen der Wahrheitserkenntnis, sondern zur Unwahrheit. Diese schon in den Eucharistietraktaten zu beobachtende neue Perspektive, die sich mit einer intensivierten Rezeption kanonistischer Literatur verbindet, läßt die zeitlich noch ganz der akademischen Phase zugehörigen Schriften zur Eucharistie als Texte erscheinen, die in ihrer Fragerichtung und ihrer Quellennutzung bereits vom Sentenzenkommentar fort auf die publizistische Phase vorausweisen. Diese Brücke, die man über den scheinbar so tiefen Graben von Avignon hinweg schlagen kann, macht auch Ockhams dortige "Wende" plausibler: Daß Ockham in Avignon zu der Erkenntnis kommen konnte, daß Johannes XXII. ein Häretiker sei, liegt nicht nur in seinem Franziskanertum begründet: Auch einige Franziskaner standen ja auf Seiten des Papstes - ihren neuen General, Geraldus Odonis, überhäuft Ockham im OpXCD mit Schmähungen 342 . Es liegt vor allem begründet in seiner schon zuvor bewährten Fähigkeit, die Frage der Häresie theologisch und kirchenrechtlich zu reflektieren: Ockham brauchte nur das, was er zu seiner Verteidigung entwickelt hatte, zu einem Angriffsinstrument gegen den Papst zu machen. Der Bruch von Avignon wird in geradezu unverständlichem Ausmaß radikal, wenn man nicht diesen roten Faden sieht, der die Eucharistietraktate mit dem OpXCD mindestens so eng verknüpft wie mit Sent. Dieser rote Faden zeigt damit auch letztlich, wo eigentlich die Einheit im Leben Ockhams liegt: Diese schillernde Biographie des 14. Jahrhunderts wird nicht durch stets gleichbleibende Probleme zusammengehalten, auch nicht durch ein alle Phasen bestimmendes theoretisches Konzept wie "Individualisierung" oder "Nominalismus" 343 , sondern durch die Frage nach der legitimen Autorität für die katholische Wahrheit, die im Prolog zum Sentenzenkommentar bereits erscheint und sich dann, in Brechung durch die äußeren Ereignisse, durchhält bis zum Tode Wilhelms von Ockham in München 1347.
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OPol II 855f. Im TractcB 111,8-14 setzt Ockham sich ausführlich mit Geraldus auseinander (OPol III 238-242). 343 Vgl. die Kritik von Miethke, Institutionen 130f, an solchen hochabstrakten und daher wenig aussagekräftigen Konstruktionen einer Einheit im Schaffen Ockhams.
Ertrag
Entsprechend der in der Einleitung skizzierten Aufgabenstellung 1 dieser Arbeit ist ihr Ertrag dreifach zu untergliedern: Diese Arbeit hat eine historische Einordnung des Ockhamschen Theologieverständnisses erbracht, sie hat dieses im systematischen Zusammenhang vor- und dargestellt, und sie hat zudem biographische Entwicklungen in ihrem Einfluß auf die Lehre Ockhams deutlich machen können. Historisch läßt sich Ockhams Theologieverständnis als eine produktive Reaktion auf die Vorgaben der Duns-Schule, wie sie ihm insbesondere bei Duns selbst, aber auch bei Aureoli und Cowton begegneten, charakterisieren. Diese Reaktion besteht erstens in der Aufnahme des Vorgegebenen (Wissenschaftsbegriff), zweitens im radikalisierenden und systematisierenden Weiterdenken des Vorgegebenen (Subjektorientierung der erkenntnistheoretischen Frage; Bezug von habitus theologicus und fides aufeinander) und drittens in der Brechung dieser Vorgaben durch eine intensivierte Logikrezeption (Wahrheits- und Universalienfrage; Konzeptualität der Gotteserkenntnis). Dieser engere historische Horizont, die unmittelbare Diskussionssituation Wilhelms von Ockham, wurde jedoch nur verständlich, wenn man sie vor dem Hintergrund eines einschneidenden geistesgeschichtlichen Ereignisses betrachtete: der Pariser Lehrverurteilung von 1277, in der die partielle Unvereinbarkeit christlicher Lehre und aristotelischer Philosophie manifest ge1
An dieser Stelle soll nun auch noch einmal auf den ursprünglichen Anlaß der Arbeit eingegangen werden, der in der Einleitung zitierten Äußerung Flaschs: Die Arbeit hat gezeigt, daß Ockham zur Qualifizierung der Theologie als Nicht-Wissenschaft im strengen Sinne Courage allenfalls im Blick auf Universitätsvertreter brauchte, die die Theologie vollständig in die Universität integrieren wollten, nicht jedoch allgemein im Blick auf die von Flasch, Boccaccio 20, herangezogene "kirchliche Führungsschicht". Sie hat zudem gezeigt, daß der Wissenschaftsbegriff, den Ockham verwandte, weder eine besondere Invention Ockhams war noch allgemein auf Aristoteles beruhte, sondern eine Tradition voraussetzte, die von der Auseinandersetzung mit dem radikalen Aristotelismus ausging, wie sie durch die Verurteilung von 1277 manifest geworden war. Vor allem aber hat sie gezeigt, daß die eingängige, nur die negative Seite betonende Zusammenfassung der Ockhamschen theologischen Wissenschaftstheorie, die Anlaß zu Ausdrücken wie "Affront" oder "Courage" gab, den eigentlichen, positiv-apologetischen Kern von dessen Denken verkennt.
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Ertrag
worden war. Dabei konnten ganz verschiedenartige Verbindungslinien aufgezeigt werden: Das Aufkommen des Konzeptes mittelbarer Evidenz ließ sich unmittelbar philologisch mit Heinrich von Gent und damit aufgrund von dessen Biographie mit 1277 verbinden. Dies brachte systematisch die Änderung der Konzeption des Verhältnisses von theologia beatorum und theologia nostra, d.h. die Streichung der wissenschaftstheoretischen Stützfunktion der ersteren für die letztere, mit sich. Ebenfalls unter anderem mit Heinrich von Gent scheint das Bewußtsein des Eigengewichtes der Kirchenlehre als einer theologischen Autorität zu verbinden zu sein, wobei eine Verbindung zu den radikalen Aristotelikern aber nicht nachweisbar war. Sehr viel allgemeiner ist die Verbindung der Ockhamschen Theologiekonzeption zu den Problemstellungen von 1277 hinsichtlich der Rolle, die die Auseinandersetzung zwischen der theologischen Tugend des Glaubens und den intellektualen Tugenden der Nikomachischen Ethik in der skizzierten Diskussionssituation nach Duns spielte, zu benennen: Hier waren problemgeschichtliche Wurzeln in der Auseinandersetzung Olivis mit den radikalen Aristotelikern erkennbar, ohne daß dies zum philologischen Nachweis von Zusammenhängen geführt hätte. Ebenso kann nicht mit letzter Sicherheit die Zitierung von IIKor 10,5 als Aufnahme der gegen die radikalen Aristoteliker gerichteten Polemik gewertet werden, wenn auch angesichts der Ockhamschen Kenntnis der Lehrverurteilung anzunehmen ist, daß ihm dieser Kontext bewußt war: Indirekt und direkt steht also Ockhams Konzeptionierung der Theologie als Wissenschaft im weiten Sinn an mehreren Stellen in Auseinandersetzung mit den autonomen Ansprüchen radikal-aristotelischer Philosophen im ausgehenden 13.Jahrhundert, und deutet man sie vor diesem Hintergrund, so erweist sie sich als apologetisch strukturiert, insofern sie die Zugriffsrechte der Philosophie auf die basalen Annahmen des Theologieverständnisses begrenzt und in dieser Begrenzung zugleich durch Integration entschärft. Noch einen dritten Aspekt historischer Konkretion ergab diese Arbeit: daß die Ockhamsche theologische Wissenschaftstheorie nämlich durch Betrachtung ihrer Wurzeln historisch nicht erschöpfend betrachtet ist, sondern auch eine höchst brisante Gegenwart hatte: Ockhams System war in seiner primären Rezeptionssituation rezipierbar als theoretisch-abstrakte Affirmation der Position der Mendikanten in Auseinandersetzung mit der Universität Oxford in den Jahren 1303-1320. In systematischer Hinsicht läßt sich Ockhams Theologieverständnis durch drei Aspekte systematisch kennzeichnen: In der Frage der theologia nostra folgt Ockham einer ihm historisch vorgegebenen Tendenz, die Frage nach der Erkennbarkeit Gottes auf die Frage nach dem erkennenden Subjekt zuzuspitzen, und diese Subjektorientierung der erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Fragen zeigte sich auch in seiner Behandlung der wissenschaftlichen Erkenntnis und vor allem des theologischen Habitus: In beiden Fällen wurde
Ertrag
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zentral zur Erklärung dessen, was den wissenschaftstheoretischen Charakter jeweils ausmacht, das System der intellektualen Tugenden aus der Nikomachischen Ethik; die Psychologie also gewann, ohne daß Ockham dies irgendwo reflektiert hätte, einen zentralen Stellenwert zur Klärung erkenntnisund wissenschaftstheoretischer Fragen. Mit dieser Subjektorientierung verbindet sich aber auch eine nicht vollkommen durchkonstruierte Abhebung der erkenntnistheoretischen von den wissenschaftstheoretischen Fragen. Zentraler Grundgedanke dieser Arbeit wurde die Trennung beider Fragenkreise: Wie sich in der allgemeinen Wissenschaftstheorie nachweisen ließ, daß Ockham unter demselben Begriff der scientia wissenschaftliche Einzelerkenntnis und Wissenschaft als systematisches Ganzes unterschied, so konnte auch in den traditionell seiner theologischen Wissenschaftstheorie zugewiesenen Fragen streng unterschieden werden nach der Frage der Möglichkeit von irdischer Gotteserkenntnis einerseits, nach der Konstitution der positiv gegebenen akademischen Theologie andererseits — eine Differenzierung, die sich sogar in Ansätzen terminologisch niedergeschlagen hat. Diese Differenzierung war nicht nur Ergebnis der hier vorliegenden Arbeit, sondern zugleich heuristische Leitmaxime zur Klärung weiterer Probleme. So konnte mit ihrer Hilfe die Ockhamsche Selbstwidersprüchlichkeit in der Begründung der Möglichkeit einer metaphysischen Gotteslehre plausibel erklärt werden: Wo die mangelnde Evidenz zum allgemeinen Merkmal irdischer Gotteserkenntnis wird, muß auch die metaphysische Gotteslehre leiden. Daran konnten auch spätere Korrekturversuche Ockhams in den Quodlibeta nichts Entscheidendes ändern. Vor allem aber ließ sich mit Hilfe der genannten Unterscheidung das Verhältnis von Glauben und Wissen bei Ockham befriedigend klären. Da der Mangel an Evidenz nur die theologia (nostra), unter der irdische Gotteserkenntnis verstanden wird, trifft, nicht aber die theologia quae de communi lege habetur a theologis, also die akademische Theologie, ist es deutlich, daß der Mangel an Evidenz (und damit an Wissenschaftlichkeit) nicht unbedingt durchgehendes Merkmal akademischer Theologie sein muß. Vielmehr stellten sich Ockhams Überlegungen an dieser Stelle als ausgesprochen kompliziert dar, lassen sich jedoch dergestalt zusammenfassen, daß Ockham den wissenschaftstheoretischen Status der Theologie nicht etwa negativ durch Mangel an Evidenz bestimmt, sondern positiv durch die Fundiertheit im Glauben. Dem zwar fehlt es an Evidenz, aber gerade dadurch besitzt er eine Sonderstellung im Rahmen des erweiterten Systems intellektualer Tugenden, das Ockham behauptet, so daß der Mangel an Evidenz nicht ein defizitäres Merkmal ist, sondern eines, das lediglich eine Sonderstellung unterstreicht, indem sich Gewißheitsgrad und Wahrheitswert nicht zwingend proportional verhalten, sondern der Glaube, wiewohl nicht evident, so doch als anhangender Habitus Wahrheit gewährleistend ist. Theologie also
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Ertrag
ist Glaubenstheologie und besitzt dadurch einen wissenschaftstheoretischen Sonderstatus, der es als absurd erscheinen ließe, sie in irgendeiner Weise an den anderen akademischen Disziplinen zu messen. Diese Sonderstellung, die darauf beruht, daß die ihre Wahrheit gewährleistende Funktion nicht eine der traditionellen intellektualen Tugenden des Stagiriten, sondern der Glaube ist, hat Auswirkungen in mehrfacher Hinsicht: Die Theologie gilt zwar noch als Wissenschaft, aber nur noch im weiten Sinne eines geordneten Systems von wahren Sätzen. Doch schon hinsichtlich der Ordnung des Systems unterscheidet sie sich von den Wissenschaften: Einerseits ist ihr Zusammenhalt größer als der jeder anderen akademischen Disziplin, insofern man sie, betrachtet man sie hinsichtlich der fides infusa, durchaus als numerische Einheit betrachten kann, was für Wissenschaften schlechterdings (und für Theologie hinsichtlich der fides adquisita) ausgeschlossen ist. Andererseits ist die äußerlich ablesbare Einheit geringer als in den anderen Disziplinen, insofern man sie nicht einmal einheitlich als praktisch oder spekulativ charakterisieren kann, sondern sie Sätze beiderlei Charakters enthält. Auch bei der grundlegenden Methode, der Logik, ist die Entsprechung zu den Wissenschaften nur noch bedingt gegeben: Galt hier die Logik total und unhinterfragt, so kennt die Theologie Grenzen der Logik, die in einer a-logischen Seinsstruktur Gottes liegen. Der grundlegende Bezug auf Gott macht auch den Unterschied in der Grundlage und damit verbunden in der Modalität aus: Während wissenschaftliche Erkenntnisse auf jenes bezogen sind, was dem göttlichen Handeln vorgelagert ist, nämlich die den Universalien zugrunde liegenden notwendigen Ordnungsstrukturen des Seins, und sie damit selbst Notwendigkeit als durchgehendes Charakteristikum beanspruchen können, ist die Theologie einerseits auf das schlechthin notwendige Sein Gottes, andererseits aber auf sein de potentia ordinata, aber nicht zwingend geordnet erfolgendes kontingentes Handeln verwiesen und kann damit nicht nur notwendige Sätze enthalten. Mit einem weiteren Unterschied aber hatte Ockham dann sein Leben lang zu kämpfen: Während wissenschaftliche Erkenntnisse prinzipiell autoritätsfrei, nämlich aufgrund von durch sich selbst oder durch Erfahrung evident erkannten Sätzen, bekannt werden, ist die Theologie durch die grundlegende Funktion, die in ihr der Glauben besitzt, auf die Glaubensautoritäten verwiesen, die Ockham primär als Schrift und Kirche und sekundär als Heilige definiert. Wenn von einem lebenslangen Kampf Ockhams die Rede ist, so bedeutet dies, daß die Biographie Ockhams auch über Avignon hinweg in der Frage des Theologieverständnisses eine gewisse Kontinuität aufweist, insofern dieses schon vor Ockhams Avignon-Aufenthalt, wenn auch durch Luttereils Anklage bereits in dessen Schatten, in einen neuen Kontext eintrat, der es nicht grundlegend, aber doch an einigen Punkten änderte: An die Stelle der wissen-
Ertrag
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schaftstheoretischen Gegenüberstellung der Theologie zu den anderen akademischen Disziplinen trat die Gegenüberstellung der katholischen Wahrheit zur Häresie. Dies führte schon in den Eucharistietraktaten des Jahres 1323 zu einer bis dahin nicht gekannten Rezeption kanonistischen Schrifttums durch Ockham, zu einer ersten Konkretisierung der theologischen Autorität der determinatio ecclesiae und zu einer die fundamentale Änderung des Fragehorizontes signalisierenden Änderung der dominanten Differenzierung des ./Wes-Begriffs. Auf dem von nun an beschrittenen Weg der Behandlung der Fragen des Theologieverständnisses, der sich primär an den Fragen nach Ausgangspunkt und Methode der Theologie orientierte, hat Ockham sein ursprüngliches System begrenzt modifiziert: Während die Überlegungen zur Methodik zwar gründlicher nachvollzogen werden konnten, dies aber nicht zwingend eine tatsächlich gründlichere Reflexion belegen muß, sondern auch Folge der gegenüber der akademischen Zeit geändert Textarten sein kann, hat das System der Autoritäten die in Sent bereits angelegte Theorie mehrerer Quellen der Theologie bestätigt, weswegen Ockhams Frage auch nie die sein konnte, ob die Schrift allein oder Schrift und kirchliche Tradition maßgeblich für theologische Wahrheiten seien, sondern unter Zugrundelegung von deren schon vorweg geschehenen Beantwortung im letztgenannten Sinn allein die Frage, was die Legitimität der kirchlichen Lehrfestlegungen ausmache. Hier hat Ockham zunehmend die Autorität der gegenwärtigen Kirche zur Innovation minimiert und das Kriterium der Approbation durch die Gesamtkirche als Maßstab wahrer katholischer Lehre in den Vordergrund gestellt. Betrachtet man die Kontinuitäten und Modifikationen in dieser Frage, so läßt sich sagen, daß die Frage nach der Bestimmung und Bestimmbarkeit der theologischen Wahrheit das innere Band ist, das das Wirken Ockhams von seinem ersten öffentlichen Auftreten als akademischer Lehrer in Oxford bis zu seinem Tod als Hoftheologe Ludwigs des Bayern zusammenhält, und gerade in bezug auf seine zweite Lebensphase ließ sich der Satz formulieren, daß sein Leben in bestimmter Hinsicht gelebte Theologie war.
Quellen, Literatur und Abkürzungen
1. Quellen und Literatur Wo in dieser Arbeit auf allgemein gängige Werkausgaben zurückgegriffen werden konnte, wird in den Fußnoten nur dort, wo die Kenntnis des ursprünglichen Kontextes einer Äußerung für ihr Verständnis relevant ist, auf den Titel des jeweils zitierten Werkes (bzw. die Stelle in diesem), sonst aber allein auf die Edition verwiesen. Texte aus der Patrologia Latina werden hier nicht eigens aufgeführt, sondern in den Fußnoten durch Angabe des Autorennamens oder/ und der Schrift und Angabe der Fundstelle in der PL zitiert; entsprechend wird mit der WA verfahren. 1.1. Quellen 1.1.1. Werke Ockhams und Quellen über ihn = Scholz, Breviloquium 3 9 - 2 0 7 (Text). G. Etzkorn, Ockham at a Provincial Chapter: 1323. A Prelude to Avignon, in: AFH 83(1990) 557-567. GOLDAST II: M. Goldast, Monarchia S. Romani Imperii. Bd. 2, Frankfurt 1614, 3 9 2 - 9 7 4 ( = Turin 1959 [= Monumenta Politica Rariora ex optimis editionibus phototypice expressa 1/1]). IMBACH, ERKENNTNIS: Wilhelm von Ockham. Texte zur Theorie der Erkenntnis und der Wissenschaft. Lateinisch/ Deutsch. Hg. v. R. Imbach, Stuttgart 1984. K O C H , AKTENSTÜCKE: J. Koch, Neue Aktenstücke zu dem gegen Wilhelm Ockham in Avignon geführten Prozeß, in: RThAM 7(1935) 353-380; 8(1936) 7 9 - 9 3 . 168-197. MIETHKE, DIALOGUS: Wilhelm von Ockham, Dialogus. Auszüge zur politischen Theorie. Hg. v. J. Miethke, Darmstadt 1992. OP I—VII: Guillelmi de Ockham Opera Philosophica. Hg. v. P.J.Lalor u.a. Bd. 1 7, St.Bonaventure, N.Y. 1974-1988. O P O L I—III: Guillelmi de Ockham Opera Politica. Bd.l. Hg. v. H.S.Offler, Manchester 21974. Bd. 2 u. 3. Hg. v. R.F.Bennett/ H.S.Offler, Manchester 1963. 1956. OT I - X : Guillelmi de Ockham Opera Theologica. Hg. v. P.J.Lalor u.a. Bd. 1 - 1 0 , St.Bonaventure, N.Y. 1967-1986.
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2. Abkürzungen Die Abkürzungen folgen: Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis. Zusammengestellt von S.Schwertner, Berlin/ New York 2 1994. Zusätzlich werden folgende Abkürzungen verwendet: An.Post. An.Pr. Brev Clem. Compendium De Trin De Ver Decr DeDog
= = = = = = = = =
Dial I; III Eth.Nic. In Eth Met. OpXCD Ord Prol Quodl QVR
= = = = = = = = =
Rep. ScG Sent ( I - I V ) SL ST tit. TractC TractcB TractcJ TractQ
= = = = = = = = = =
Aristoteles, Analytica Posteriora Aristoteles, Analytica Priora Breviloquium Clementis Papae V. Constitutiones Compendium errorum papae Johannis XXII Thomas, Expositio super librum Boethii De Trinitate Thomas, De Veritate Decretales De dogmatibus Papae Johannis (in den meisten Handschriften und Drucken als Dialogus II geführt) Dialogus I; III Aristoteles, Ethica Nicomachea Thomas, Ethikkommentar Aristoteles, Metaphysik Opus Nonaginta Dierum Ordinatio Prolog Quodlibet(a) Quia vir reprobus (zitiert nach dem Abdruck aus BullFr V 408-449 [Nr. 820] in OPol) Reportatio Thomas, Summa contra Gentiles Sentenzenkommentar ( I - I V ) Ockham, Summa Logicae Thomas, Summa Theologiae titulus Tractatus de Corpore Christi Tractatus contra Benedictum Tractatus contra Joannem Tractatus de Quantitate
Register
Die kursiv gedruckten Zahlen beziehen sich nur auf den Anmerkungsteil.
Personenregister Adam Wodeham 26 Aegidius von Rom 54, 224 Alfarabi 176 Anastasius II. (Papst) 301, 303 Anselm von Canterbury 216 Anselm von Laon 317 Aristoteles 31, 35f, 63, 66f, 69, 83, 136, 150, 154, 166, 170, 172, 179, 215f Augustin 62, 67, 115, 125, 129f, 142, 169, 211, 214f, 225, 257, 292, 296, 312 Averroes 42, 88, 106, 154, 170 Avicenna 97, 104f Beda Venerabiiis 214f Benedikt XII. 266, 274, 278, 287, 297, 298, 302 Bernhard Gui 128 Bernhard von Clairvaux 317 Boccaccio 15 Bonaventura 83f, 165, 178, 205, 213, 215, 224, 243, 287, 305 Bruno von Segni 317 David, Archidiakon von Derby 267 Descartes, René 76, 154 Duns Scotus 35, 36f, 41, 47f, 50, 62, 73, 75, 85, 86, 88, 95, 97, 111-113, 115f, 117-119, 120, 122f, 137f, 139, Uli, 150, 151, 155, 162, 164, 165, 166, 181 — 184, 786/, 188, 198, 201, 212f, 225, 226, 230f, 233f, 236, 239, 241, 243, 250, 259, 268
Durandus von St. Porciano 27, 224, 227, 280f Elia 295 Etienne Tempier 176,210 Eustratius 184 Francesco Silvestri 130 Franciscus von Assisi 128, 321 Franciscus von Maironis 27 Franciscus von Marchia 172, 324 Geraldus Odonis 325 Gottfried von Fontaines 68, 85, 163, 174, 227 Gregor d. Gr. (Papst) 211, 214f, 312, 317 Gregor IX. (Papst) 243 Haimo von Halberstadt 317 Heinrich von Gent 70, 84f, 86, I I I , 125, 131, 163, 173, 178, 179, 199, 21 lf, 226, 259 Heinrich von Harclay 86, 156 Heinrich, Bischof von Lincoln 267 Herveus Natalis 63, 85, 162, 227 Hieronymus 214f, 217, 317 Hilarius von Poitiers 215 Hostiensis 271f, 293 Hugo von Hartlepool 251 Hugo von St. Viktor 84, 183 Hugo von Sutton 248 Huguccio 284, 293 Innozenz III. (Papst) 266, 301f Innozenz IV. (Papst) 263, 268f, 272, 302, 304 Jakobus Veneticus 36 Joachim von Fiore 256
362 Johannes XXII. (Papst) 50, 127, 129-135, 266, 275-278, 279, 280, 285, 292f, 295, 507/, 303, 315, 318 Johannes Bachonus 227 Johannes de Bassolis 37, 114, 119, 123 Johannes Damaszenus 90 Johannes von Dambach 322 Johannes von Lichtenberg 227 Johannes Lutterell 18, 19, 247, 253, 256 - 2 6 0 , 262, 265f, 270 Johannes Peckham 86, 170 Johannes de Polliaco 266 Johannes von Reading 93, 114 Johannes von Wenck 322 Kant, Immanuel 62 Konrad von Megenburg 267 Leo I. (Papst) 303 Liberius (Papst) 303 Ludwig der Bayer 128, 273, 275, 322 Luther, Martin 15, 288 Marcellinus (Papst) 303 Margareta Porete 134 Maria 123, 269 Marsilius von Padua 286, 313, 321 Martin von Leon 317 Matthäus von Aquasparta 23, 80, 183 Meister Eckhart 19, 298, 32 lf Michael von Cesena 19, 128, 292, 315 Moses 130 Nikolaus III. (Papst) 274, 294 Nikolaus Minorità 277, 284 Odo Rigaldi 201 Oliver von Sutton 267 Pascal 159f Paterius 317 Paulus 50, 125f, 129, 134, 206, 217, 294 Petrus 303, 311 Petrus Abaelard 235f Petrus von Alvernia 125 Petrus Aureoli 27, 34, 73, 75, 113, 123, 131, 145, 146, 169f, 183f, 186, 200 - 2 0 2 , 222, 226, 240 Petrus Damiani 293
Register Petrus Hispanus 43, 45, 105, 170, 239 Petrus Johannis Olivi 127-135, 179-181, 230, 239, 256, 260, 287 Petrus Lombardus 124, 169, 187, 188, 205, 208, 214, 216f, 236 Philipp der Kanzler 42 Raimundus Lullus 43 Richard von Bury 45 Richard von Knapwell 211, 261 Richard von Mediavilla 162, 257 Richard von St. Viktor 216, 317 Robert von Anjou 281 Robert von Cowton 3 6 - 3 9 , 41, 67f, 83, 86, 88, 97, 113f, 117, 125, 147f, 156, 162, 175, 187, 195, 201 f, 272, 227, 225, 226, 236, 241, 243, 250f Robert Grosseteste 36, 65, 67, 92, 184 Robert Kilwardby 86, 201 Silvester II. (Papst) 303 Simon von Gent 251 Symmachus (Papst) 303 Thomas Anglicus 149, 163 Thomas von Aquino 38, 60, 76, 81, 83f, 111, 125, 136, 150, 161 — 163, 166, 172, 175, 180, 182, 185, 204, 211, 213, 215 , 219f, 227, 243, 258 - 260, 270, 292f, 305 Thomas von Sutton 37f, 149, 163 Thomas Waleys 276, 281, 317 Varrò 142 Walter von Brügge 162 Walter Burleigh 40, 43 Walter von Chatton 2 4 - 2 6 , 80, 81, 114, 153 Wilhelm von Alnwick 277, 219 Wilhelm von Auxerre 42 Wilhelm von Moerbeke 36 Wilhelm von Nottingham 68, 251 Wilhelm Petri de Godino 163 Wilhelm von Sherwood 29, 43, 102, 105, 107 Wilhelm von Ware 85, 111-114, 125, 161-163, 165f, 201
Register
363
Sachregister Da das Sachregister bis auf wenige Ausnahmefalle nach deutschen Begriffen geordnet ist, wird bei von Ockham verwandten lateinischen Begriffen in der Regel einfach auf das deutsche Äquivalent oder den deutschen Oberbegriff verwiesen. Gar nicht aufgenommen sind lateinische Begriffe, deren deutsches Äquivalent ein auf ihrer Grundlage gebildetes Fremdwort ist Adhaesio, s. Anhangen Ähnlichkeit 59f, 148 Akademische Theologie 143, 152, 191-201, 251-253 Allegorie 316f Altes/ Neues Testament 51, 188f, 217, 235 Analogie 149 Anhangen 37f, 83, 172f, 177, 184f, 278 Anthropologie 51, 120, 125f, 129, 133-135, 143, 163-166, 173f, 180-182, 185f Apostolische Überlieferung 305, 307 Approbation 259, 266 - 270, 285f, 300, 303-305, 312-314 Aristotelismus 36, 92 - , radikaler 86- 88, 163, 165f, 175-177, 180, 202f, 243 Armutsstreit 294f, 316, 318 Authentisch s. Approbation Autorität 203f, 219-221, 243, 263f, 269f, 287, 289-292, 319 Bedeutung 43, 62, 207, 236f Beginen/ Begarden 127, 132f Beweis/ Beweisbarkeit 38f, 64f, 68, 136-141, 154f, 197, 278 Bibel 201, 204-213, 217-221, 238f, 250-253, 264, 270, 283, 292-307, 309-312 Cognitio, s. Erkenntnis Conclusio, s. Schluß Contradictio, s. Widerspruch(sfreiheit) Demonstratio, s. Beweis Denominativ 137f, 150f Deus, s. Gott Ding, s. Reale Entität
Distinctio formalis 116, 138, 239f Duns-Schule 36-39, 41, 106, 113f, 119, 123, 181-184, 201-203, 272 Eigenschaft 91-95 Engel 118,219 Erfahrung 67-69, 81f Erkenntnis 37 - notitia abstractiva 73f, 120 — 122, 140, 154 - notitia intuitiva 68, 73 - 79, 81, 117, 120-122, 123f, 140, 146, 154 - notitia intuitiva non-exsistentis 75-79 Eschatologie 124, 128f, 163-165, 277-282 Essenz 54—57 Ethik lOlf Eucharistie 49, 213, 221, 257f, 270 Evidenz 37f, 66f, 69, 70 - 7 2 , 8 0 89, 112, 117, 152, 154f, 158160, 162f, 172f, 177, 183-185, 198f, 237-239, 278, 283 Experientia, s. Erfahrung Fakultät(en) 32, 247 Fides, s. Glaube Franziskaner 249, 252, 261f, 266, 274f, 285 , 287 Freiheit 173-175 Gewißheit 37f, 84, 172f, 177 Glaube 38, 83f, 169-173, 176f, 179-197, 22lf, 228f, 282 - fides adquisita/ infusa 183f, 186-189, 195-197, 209, 228f, 235, 262f, 288 - fides explicita! implicita 262f
364
Register
-nsbekenntnis 209 Gnade 124 Gott -Eigenschaften 46, 137f, 231 — 234 -Existenz 121, 146, 153-155 -Handeln 4 5 - 4 7 , 49f, 53, 2 3 2 - 2 3 5 , 309 - potentia absoluta! ordinata 4 5 - 5 1 , 53, 64, 120-126, 1 2 9 - 1 3 1 , 135, 234f, 287, 306 -Trinität 119, 136f, 141, 146, 160, 205, 207f, 220f, 2 3 9 243 -Wesen 121, 136-141, 155, 279 - Wille 53, 164 -esbegriff 140f, 147-155, 158, 197 -esbeweis 154f, 160, 197 -eserkenntnis 120 - 1 2 3 , 135 — 141, 146f, 149-156, 166, 217f -eserkenntnis, irdische, s. theologia nostra Habitus 31, 186f - intellektuale 31, 35f, 1 7 1 186, 189, 199 -judikative 3 9 - 4 1 , 173, 192 - theologiae/theologicus 191 — 203, 2 2 1 - 2 2 3 - veridici, s. intellektuale Häresie 256f, 265f, 272, 275f, 284, 292-304 Heil/ Heilsgewißheit 46, 50f, 171, 176, 200f, 229 Heilige 2 1 3 - 2 1 8 , 220, 259f, 2 6 6 270, 277f, 292, 301, 3 0 7 - 3 0 9 , 315 Hermeneutik 210, 235 - 2 3 7 , 264, 310f, 3 1 4 - 3 1 9 Intellectus - Prinzipienhabitus 66, 179, 189, 203 -Intellekt 173-175 Irrtum 7 9 - 8 1 Kaiser und Papst 275, 322f
Kanonistik 263, 268, 269, 272, 284, 2 8 6 - 2 8 8 , 303 Kategorien 257 Kausalität 58, 75, 722, 154 Kirchenrecht 209f, 265, 268, 272, 294, 298, 301 Kirchliche Lehre 2 0 9 - 2 1 3 , 219f, 256, 265f, 270, 2 8 4 - 2 8 6 , 289, 2 9 2 - 3 0 4 , 312f Konnotativ 93, 94, 137-140, 150, 231-233 Konstantinische Schenkung 301,303 Kontingenz/ Kontingentes 42, 53, 57, 68, 7 3 - 7 5 , 81, 118f, 135, 183, 230-233 Konzil 265, 284, 286, 289, 295 - 2 9 9 Konzilien -Lyon 280 -Vienne 132f Laie 200f, 2 8 6 - 2 8 8 , 3 2 0 - 3 2 2 Lehrverurteilung - 1277 England 86f - 1277 Paris 8 4 - 8 8 , 175-177, 210, 211, 259, 295 - 1286 England 86f, 21 lf -1314 England 243 Logik 4 3 - 4 5 , 64f, 105-109, 157, 2 3 7 - 2 4 3 , 2 5 1 - 2 5 4 , 265, 272, 283, 314 Metaphysik 32 , 96, 104, 140, 1 5 3 160, 191 Nécessitas, s. Notwendigkeit Notitia, s. Erkenntnis Notwendigkeit 41f, 48, 5 1 - 5 8 , 64, 174, 220, 2 2 8 - 2 3 3 Obiectum scientiae 33,39—41 Ockhamismus/ Ockhamschule 26 Offenbarung 46, 183, 187-189, 203, 212, 242, 270, 3 0 7 - 3 0 9 Ordnung 4 7 - 5 1 , 62 Oxford (Universität) 32, 2 4 6 - 2 5 4 , 267 Papst 265f, 274, 284, 288f, 2 9 4 304, 319; s. auch Kaiser und Papst Passio, s. Eigenschaft Philosophie 165f, 176, 179, 250f Prädestination 48
Register Prinzip 33, 38f, 6 6 - 7 0 , 81f, 86, 102, 161f, 187, 203f Propheten/ Prophetie 46 Proposition 40f, 71, 73 Prozeß Ockhams 19, 127, 131f, 255-258, 270-273 Psychologie 170 Quellen der Theologie 219-221, 294, 3 0 4 - 3 1 4 Quidditativ 93, 137-140, 149-151 Raptus Pauli 125-127, 129f, 282 Rasiermesser 238f Reale Entität 43f, 56, 6 0 - 6 2 , 108 Regulafidei 296-298 Relation 60 Res, s. Reale Entität Restkirche 2 8 4 - 2 9 2 , 312f, 3 1 9 - 3 2 4 Revelatio, s. Offenbarung Sachsenhäuser Appellation 295 Sapientia, s. Weisheit Schau Gottes 123-135, 164, 2 7 4 282, 298 Schluß 41, 68, 84f Schöpfung 4 9 - 5 3 , 54, 57, 115f, 137, 148f, 155 Scientia 30 - 39, 48, 64, 66, 83 - 86, 90f, 95f, lOOf, 109, 116f, 142, 180, 182f, 195-200 - practica/ speculativa 9 7 - 1 0 0 , 101 Seligkeit 117-119, 123, 125, 126, 133, 163f, 169 Significare, s. Bedeutung Signum, s. Zeichen Similitudo, s. Ähnlichkeit Skepsis 80 Spiritualen 127f Studienaufbau 32, 44f, 247, 25 lf Subiectum scientiae 90f, 96f
365
Subiectum theologiae 2 2 3 - 2 2 5 Supposition(stheorie) 28—30, 43f, 91f, 106f, 108f, 147f, 156-158, 240 Taufe 187, 288 Term 7 0 - 7 2 , 9 2 Textkritik: Datierungs- und Authentizitätsfragen 1 7 - 3 0 , 35, 55, 87, 108, 134, 246, 255 - 2 6 2 Theologen 2 1 8 - 2 2 0 , 259, 2 6 6 - 2 7 0 , 290f, 324 Theologia -beatorum 117-119, 1 6 1 166, 276, 281 -Dei 115-117, 276 -inse 111-114 -nostra 111, 113, 114, 1 4 2 146, 282 - practica/speculativa 225-228 Universalien 17f, 27f, 43, 51, 54, 57f, 5 9 - 6 3 , 68f, 147-149 Univozität 148f, 151 Urständ/ Sündenfall 164f Ventas, s. Wahrheit Viator, s. Anthropologie Visio Dei, s. Gottesschau Wahrheit 4 2 - 4 4 , 107, 183-185 Weisheit 35, 139, 153, 202 Welt/ Ewigkeit der Welt 52, 88 Widerspruch(sfreiheit) 46, 53, 241f Wille 173-175, 185 Wissenschaft, s. scientia Wissenschaftliche Erkenntnis s. scientia Wissenschaftssystematik 104 — 109, 182, 228 Wunder 50 Zeichen 40, 43, 54, 60f, 207, 236 Zukunft 48, 231
Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Herausgegeben von Adolf Martin Ritter Eine Titelauswahl 62 Johann Anselm Steiger Johann Ludwig Ewald (1748-1822) Rettung eines theologischen Zeitgenossen. 1995. Ca. 500 Seiten, geb. ISBN 3-525-55171-1 61 Ute E.Eisen Amtsträgerinnen im frühen Christentum Epigraphische und literarische Studien. 1995. Ca. 280 Seiten, geb. ISBN 3-525-55170-3 60 Rudolf Keller Die Confessio Augustana im theologischen Wirken des Rostocker Professors David Chyträus (1530-1600) 1994. 239 Seiten, 1 Abb., geb. ISBN 3-525-55168-1 59 Ralf Kötter Johannes Bugenhagens Rechtfertigungslehre und der römische Katholizismus Studien zum Sendbrief an die Hamburger (1525). 1994. 489 Seiten, geb. ISBN 3-525-55167-3 58 Wolfram Kinzig · Novitas Christiana Die Idee des Fortschritts in der Alten Kirche bis Eusebius. 1994. 702 Seiten, geb. ISBN 3-525-55166-5 57 Adriaan H. B. Breukelaar Historiography and Episcopal Authority in Sixth-Century Gaul The Histories of Gregory of Tours interpreted in their historical context. 1994. 391 Seiten, geb. ISBN 3-525-55165-7 56 Holger Strutwolf Gnosis als System Zur Rezeption der valentinianischen Gnosis bei Orígenes. 1993.405 Seiten, geb. ISBN 3-525-55164-9 55 Matthias Schlicht Luthers Vorlesung über Psalm 90 Überlieferung und Theologie. 1993. 183 Seiten, geb. ISBN 3-525-55163-0
54 Griet Petersen-Szemerédy Zwischen Weltstadt und Wüste: Römische Asketinnen in der Spätantike Eine Studie zu Motivation und Gestaltung der Askese christlicher Frauen Roms auf dem Hintergrund ihrer Zeit. 1993.239 Seiten, geb. ISBN 3-525-55162-2 53 Miikka Ruokanen Theology of Social Life in Augustine's „De civitate Dei" 1993. 179 Seiten, kart. ISBN 3-525-55161-4 52 Gerhard Graf Gottesbild und Politik Eine Studie zur Frömmigkeit in Preußen während der Befreiungskriege 1813-1815. 1993. 166 Seiten mit 21 Textbeilagen, 7 Abb., kart. ISBN 3-525-55160-6 51 Anneliese Bieber Johannes Bugenhagen zwischen Reform und Reformation Die Entwicklung seiner frühen Theologie anhand des Matthäuskommentars und der Passions- und Auferstehungsharmonie. 1993. 330 Seiten mit 23 Abb., kart. ISBN 3-525-55159-2 50 Angelika Dörfler-Dierken Die Verehrung der heiligen Anna in Spätmittelalter und früher Neuzeit 1992. 387 Seiten, kart. ISBN 3-525-55158-4 49 Wolfgang Wischmeyer Von Golgatha zum Ponte Molle Studien zur Sozialgeschichte der Kirche im dritten Jahrhundert. 1992.256 Seiten, kart. ISBN 3-525-55157-6
VÔR
Vandenhoeck Ruprecht
Jörg Baur · Einsicht und Glaube Band 1: Aufsätze. 1978. 294 Seiten, kartoniert. ISBN 3-525-56149-0 »Baur gibt mit seinen thematisch zusammengefaßten Aufsätzen Einblick in den Prozeß und die Stoßrichtung seines theologischen Denkens. Der Spannungsbogen seiner detaillierten und engagierten Stellungnahmen reicht von der griechischen Philosophie über die Reformationszeit bis hin zu Fragen gegenwärtiger Kirchenstrukturen. Der erste Themenkreis befaßt sich mit christlichen Grundaussagen im Lichte der platonischen Theologie. ... Eine Sammlung eindringlicher theologischer Denkanstöße«. Nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Band 2: Aufsätze. 1994. 219 Seiten, kartoniert. ISBN 3-525-56187-3 Die lutherische Theologie ist kein allenfells noch für den Historiker interessantes Relikt des 16. Jahrhunderts - mit dieser These läßt sich die Intention dieses Aufsatzbandes in der Negation zusammenfassen. Positiv zeigt der Verfasser in seinen Studien auf, daß die Neubestimmung Gottes und des Menschen, die in Luthers Christologie und Rechtfertigungslehre zur Sprache kommt, die entscheidende Einsicht der Reformation ist, die ein neues Licht auf gegenwärtige theologische und ethische Fragestellungen wirft.
Bernhard Rothen · Die Klarheit der Schrift Teil 1: Martin Luther: Die wiederentdeckten Grundlagen. 1990. 262 Seiten, kartoniert. ISBN 3-525-56111-3 Teil 2: Karl Barth: Eine Kritik. 1990. 211 Seiten, kartoniert. ISBN 3-525-56112-1 »Ein gut lesbares, die Quellen sorgfältig auswertendes, spannendes Buch, das mit seiner erfrischenden Polemik gegen die nicht hinterfragten Selbstverständlichkeiten der führenden Lutherforschung zur Diskussion um den Stellenwert der Bibel heute einlädt.« Reformiertes Forum
Vandenhoeck Ruprecht