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German Pages 33 [64] Year 1930
GEFÜGE UND FUNDAMENTE DER KULTUR VOM STANDPUNKTE DER ETHNOLOGIE (PROLEGOMENA)
VON
THEODOR-WILHELM DANZEL
HAMBURG 1930 FRIEDERICHSEN, DE GRUYTER & CO. M. B. H.
THEODOR-WILHELM DANZEL
GEFÜGE UND FUNDAMENTE DER KULTUR
GEFÜGE UND FUNDAMENTE DER KULTUR VOM STANDPUNKTE DER ETHNOLOGIE (PROLEGOMENA)
VON
THEODOR-WILHELM DANZEL
HAMBURG 1930 FRIEDERICHSEN, DE GRUYTER & CO. M. B. H.
Vorbemerkung des Verlages In der vorliegenden Schrift veröffentlicht der Verfasser die theoretischen Grundlagen für eine umfassende Darstellung der ethnologischen Kulturkunde, deren Herausgabe er für die nächsten Jahre im Verlag von Friederichsen, de Gruyter & Co.m.b.H. Hamburg, plant
Meinem verehrten Lehrer
Herrn Professor Dr. Alfred Vierkandt in Berlin in Dankbarkeit zugeeignet
INHALTSVERZEICHNIS. Einleitung
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1. K a p i t e l : G r u n d b e g r i f f e . § § § § § § § §
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
§ 9. § 10. § 11. § 12. § 13. § 14.
Erkenntnistiefe und Erkenntnisweite Die Konstanten im Bereich des kulturellen Lebens . . . . Kulturelle Entwickelung und Entwickelungsstufen . . . . Die Kulturgemeinschaft als Ganzheit und ihre Struktur Das Anpassungsverhältnis Die endogene und exogene Seite der Kultur Die Schichtung der Kulturäußerungen Gehalt und Bestand der Kultur. Die Entlehnbarkeit der Kulturgüter und Werktraditionen Der kulturkundliche Gegenstand. Symbol und Gerät . . Die Hauptgebiete der Kulturtätigkeit Die hauptsächlichen in der Kultürtätigkeit wirksamen Funktionen Die Materialien in Beziehung zu den Funktionen Exogenistische und endogenistische, statische und dynamische Deutung der Kultur. Ursprungsprobleme Die Aufgabe der ethnologischen Kulturkunde
2. K a p i t e l : F u n k t i o n s t h e o r e t i s c h e § § § § §
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Skizze.
1. Homo divinans und Homo faber (Traum, Suggestion, Ekstase) 36 2. Beschwichtigung, Heiligung, Deutung 41 3. Gestaltung, Ausdruck, Darstellung 44 4. Vergemeinschaftung 46 5. Produktion 47
EINLEITUNG. Die vorliegende Darstellung charakterisiert nur einen Teil der sonst der Völkerkunde gemeinhin zugerechneten Probleme und Tatsachen. Sie gibt die S y s t e m a t i k und die C h a r a k t e r i s t i k der kulturellen Werkleistungen und Betätigungsgebilde n a c h i h r e r f u n k t i o n e l l e n Seite. Es bleiben also drei große Problemkreise, die zur Völkerkunde gehören, außer Betracht: 1. die historischen und die mit diesen eng verknüpften kulturgeographischen; 2. die spezifisch soziologischen; 3. die technologischen Probleme. Der Wechsel von Völkersitzen, die Fragen nach der Schichtung, Uberlagerung von Völkerschaften, ihre Beeinflussungen, ihre Wanderungen usw. gehören also nicht in unsere Darstellung, wie auch die Rückführung der vorfindlichen Gemeinschaftsbildungen, wie sie die Kulturen entwickeln, auf die sozialen Triebe des Menschen nicht erörtert werden sollen. Die erstgenannten Probleme überlassen wir der historischen Völkerkunde, die zweitgenannten der Soziologie. Aber auch die technologischen Probleme fallen nicht in den Bereich unserer Betrachtungen. Nicht selten hat ja die ethnologische Kulturkunde besonders die Technologie bevorzugen zu müssen geglaubt. Die Gewerbe, die Industrien, also Bodenbau, Töpferei, Weberei usw. wurden studiert, und die Methoden solcher produktiven Tätigkeiten genau beschrieben. Man widmete sich mit solcher Eindringlichkeit der Betrachtung wirtschaftlicher, technischer, industrieller, gewerblicher Verfahren, daß man vielfach nicht mit gleicher Genauigkeit im einzelnen sich Rechenschaft darüber gab, unter welchen Formen sich diese geübten produktiven Tätigkeiten der Volksgemeinschaft eingliedern, von welcher Fülle der Beziehungen sie getragen werden. So blieb eine ganze Zahl von Arbeiten für die besonderen Aufgaben kulturkundlicher Untersuchungen unverwertbar. Uber die Grundlagen der ethnologischen Kulturkunde hat man sich nicht immer in kritischer Besinnung Rechenschaft gegeben.
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Einleitung
Niemand würde ernst genommen werden, der über biologische Dinge redete ohne Physiologie, Anatomie usw. zu kennen. Uber kulturelle Beziehungsprobleme reden aber und schreiben viele, die — wir werden darauf noch zurückkommen — keine Ahnung haben etwa von dem Unterschiede zwischen Kulturgehalt und Kulturbestand. U m die Umrisse einer ethnologischen Kulturkunde in theoretischer Hinsicht andeuten zu können, war es notwendig, zu gewissen Generalisationen fortzuschreiten, gewisse Abstraktionen zu bilden, was bei vielen, denen Vorbildung oder Fähigkeiten es nicht gestatten, solche Begriffe mit dem gemeinten Sinne zu erfüllen, immer noch als verdächtig gilt. Möchten unsere Darstellungen dazu beitragen, einer nicht naturalistisch eingeengten, nicht einseitig exogenistischen Forschungsarbeit in der Ethnologie die Bahn frei zu machen. Dankbar gedacht sei der Werke von V i e r k a n d t , Felix K r u e g e r , W u n d t , S p e n c e r , B a s t i a n , denen allen der Verfasser viel schuldet. Der Verfasser hat es stets als befremdend empfunden, daß ein so bedeutsames und aufschlußreiches Buch wie V i e r k a n d t ' s „Naturvölker und Kulturvölker" bisher keine zweite Auflage erlebte. Blieben die Lehren dieses Buches doch vielfach so völlig außer acht, daß es möglich war, bei der Erörterung von Beziehungsproblemen in Voraussetzungen zu verfallen, deren Fehlerhaftigkeit sich aus dem V i e r k a n d t ' s e h e n Werke unmittelbar ergibt,oder auch, daß man mit Entdeckerstolz auf gewisse Grundbegriffe als neue hinweisen zu müssen glaubte, die das genannte Buch V i e r k a n d t ' s schon vor Jahrzehnten dargeboten, hatte. Der Verfasser hofft nun, daß es ihm gelungen sein möchte, den Blick auf Erkenntnisse zu lenken, die — zum Schaden der Völkerkunde — vielfach nicht genügend beachtet wurden und diesen Erkenntnissen einige neue hinzuzufügen.
1. KAPITEL: GRUNDBEGRIFFE. § 1. E R K E N N T N I S T I E F E U N D
ERKENNTNISWEITE.
Der Fortschritt kulturkundlicher Forschungen hängt vor allem ab von zweierlei Momenten: 1. der Gewinnung neuer Gesichtspunkte u n d — d a m i t in Zusammenhang stehend — der Ausarbeitung neuer Methoden. Dadurch wird die Erkenntnis bestimmter Tatsachen vertieft, werden bekannte Tatsachen in ein neues Licht gerückt, und es wird möglich, Tatsachen zu erkennen, die man früher überhaupt übersah oder für die man früher keine ausreichende Deutung finden konnte. Als Beispiel mag die völkerpsychologische Betrachtungsweise dienen, durch die es möglich geworden ist, den Sinn einer ganzen Reihe von magischen Handlungen zu erfassen, denen man früher völlig hilflos gegenüberstand. Demgegenüber steht 2. die Beschaffung neuen Materiales, die Nutzbarmachung neuer Erfahrungen. Die ethnologische Kulturkunde ist durch die Sammlung von Material in solchem Maße in Anspruch genommen gewesen, daß die kritische Besinnung auf die Gesichtspunkte seiner Verarbeitung wie überhaupt auf die begrifflichen Grundlagen vielfach ganz unterblieb. Das schnelle Dahinschwinden vieler Naturvölker machte es den Forschern zur Pflicht, an Material zu retten, was zu retten war. Mit großem Opfermut und mit großer Hingabe widmete man sich in allen Erdteilen dieser Aufgabe. Die stattliche Anzahl gerade auch deutscher Monographien ist Zeugnis davon, mit welchem Eifer hier gearbeitet wurde. — Jede Wissenschaft nun gewinnt ihre Rechtfertigung, abgesehen von den praktischen Zwecken, denen sie dient, aus ihrem Weltanschauungswerte. Der praktische Wert ethnologisch-kulturkundlicher Erkenntnisse ist ja ein unmittelbar einleuchtender und bedarf bei einem Volke mit überseeischen Interessen und kolonialen Ansprüchen keinerlei Erläuterung. Man denke nur an die Probleme der Eingeborenenbehandlung und der Unabhängigkeitsbewegung der
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1. Kapitel:
Grundbegriffe
Eingeborenen, die beide die Beschäftigung mit ethnologisch-kulturkundlichen Fragen zur Pflicht machen. Mit dem Weltanschauungswerte einer Wissenschaft meinen wir die Frage: was leistet die Wissenschaft für die Vertiefung unserer Vorstellungen von Welt und Leben, von Kultur und Natur ? Neben den Anforderungen der Kenntnis der „phänomenographischen Mannigfaltigkeit" der Kenntnisweite und Kenntnisbreite wird also die Frage nach der Erkenntnistiefe gestellt. Vielfach war man der Ansicht, daß die Masse des immer mehr anschwellenden Materiales, der immer mehr sich auftürmenden Faktensammlungen an sich schon eine Wissensvertiefung mit Notwendigkeit erzwänge. Das ist ein verhängnisvoller Irrtum. Ohne Zweifel ist gutes, kritisch gesichtetes Material die Vorbedingung jeglicher kulturkundlicher Arbeit, und jeder, der sich mit allgemeineren Fragen beschäftigt, wird sich der Materialsammler, die oft mit schier unsäglichen Mühsalen ihre Berichte zustande brachten, bei seinen Arbeiten auf Schritt und Tritt in Dankbarkeit erinnern, aber er wird nicht blind sein gegenüber der Frage: was bedeutet die Materialbereicherung für die Vertiefung unseres a l l g e m e i n e n Verständnisses von kulturellem Sein und Werden? Wenn man z. B., um nur e i n Beispiel zu bringen, des alten M e i n e r s religionsgeschichtliche und religionsvergleichende Zusammenstellungen, die bereits aus dem Beginne des 19. Jahrhunderts stammen, betrachtet, ist man im höchsten Grade darüber überrascht, welcher Reichtum und welche Vielfältigkeit an Material, welche Sachlichkeit der Darstellung in den Berichten zu finden ist, die ihm zur Verfügung standen. Freilich muß man über einige Bewertungen von Tatsachen, die unserer heutigen Auffassung nicht mehr entsprechen, hinwegsehen. Man findet da bereits Berichte gesammelt von wahrhaft grundlegender Wichtigkeit, Berichte, deren Inhalt auch heute noch nicht in genügender Weise ausgewertet worden ist: Uber die Bedeutung des Traumes, der Ekstase, über Vorzeichen und zahlreiche andere Einzelprobleme ist wichtiges Belegmaterial zusammengestellt. Wenn man dann zu den Büchern heutiger völkerkundlicher Forschung zurückkehrt, wird man in dankbarer Anerkennung der Vorläufer ethnologischer Forschung zugeben müssen, daß sich unser Wissen
§ 1. Erkenntnistiefe
und
Erkenntnisweite
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in den letzten Jahrzehnten auf ethnologisch-kulturkundlichem Gebiete wohl außerordentlich verbreitert hat, entsprechend der gewaltigen Expansion der europäischen Kultur, der stets die ethnographische Erforschung voranging, daß aber die Wissensvertiefung nicht in gleichem Maße erfolgt ist. Die Völkerkunde ist in manchen ihrer Gebiete im Vergleiche zu manchen anderen Wissenschaften relativ stabil geblieben. Man denke nur, in welchem Ausmaße in der physischen Anthropologie oder gar in der Physik sich Veränderungen in den Grundaufgaben und Grundauffassungen seit dem Beginne des 19. Jahrhunderts geltend gemacht haben. Nichts Vergleichbares hat sich in der Völkerkunde vollzogen, wenn auch die Lehren eines B a s t i a n oder die Forschungen der Anhänger der Kulturkreislehre gewiß nicht vergessen werden sollen. Die Arbeit an den prinzipiellen und kulturtheoretischen Problemen hat die Völkerkunde vielfach anderen Wissenschaften überlassen. Es sei nur an die Forschungen von S p e n c e r , W u n d t , V i e r k a n d t , Felix K r u e g e r erinnert. In den Werken der genannten Autoren wie in denen vieler anderer, insbesondere auch der modernen Soziologen sind Klärungen enthalten, die auch für die Völkerkunde grundsätzliche Bedeutung haben, finden sich Fragen erörtert, bei deren Beantwortung die Völkerkunde ein wichtiges Wort mitzureden haben müßte. Mit Befremden gewahrt der Ethnologe nur zu oft, wie bei der Diskussion etwa religions- oder kunstwissenschaftlicher Probleme — sehr zum Schaden der Ergebnisse — völkerkundliche Gesichtspunkte, völkerkundliches Vergleichsmaterial ganz außer Betracht bleiben. Wie kann man z. B. über das Problem vom Zusammenhange tierischer Dämonen und astraler Gottheiten oder etwa über die Abwandlung eines statischen Kunststiles in einen dynamischen Klarheit gewinnen, ohne sich ethnologische Gesichtspunkte und Tatsachen zu eigen zu machen. Es ist in vielen Fällen, als scheine es keine gangbare Brücke zu geben, die u. a. z. B. die Religions- und Kunstwissenschaft mit der Völkerkunde verbindet. In der Tat ist die Völkerkunde vielfach nicht zu jenen Generalisierungen und Vertiefungen durchgedrungen, vermöge welcher ihre Kenntnisse für die Nachbarwissenschaften verwertbar und übertragbar werden. Indessen sind doch bereits Anfänge vorhanden.
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1. Kapitel:
Grundbegriffe
Wie die Experimentalphysik in der theoretischen Physik, wie die empirische Biologie in der theoretischen Biologie einen Uberbau erhalten hat, so wird sich über der vorwiegend empiristisch eingestellten Völkerkunde der Uberbau einer Kulturtheorie erheben. Manches ist da bereits insbesondere von der Soziologie und Völkerpsychologie geleistet worden, manches jedoch wird nur von der Ethnologie mit ihrer spezifischen Einstellung in Angriff genommen werden können. Die nächsten Abschnitte sollen den Entwurf eines ersten Versuches bringen, der die Umrisse eines Wunschbildes erkennen läßt.
§ 2. D I E K O N S T A N T E N IM B E R E I C H D E S K U L T U R E L L E N LEBENS. Das kulturelle Geschehen, wie es sich dem Beobachter darbietet oder wie es aus den Berichten von Beobachtern erschließbar ist, erweist sich als ein fortlaufender Strom von Veränderungen, Ereignissen, Handlungen. In diesem Strom sind jedoch eine Anzahl von mehr oder weniger konstanten Momenten zu erkennen, auf die wir zunächst unsere Aufmerksamkeit richten wollen. Vor allem ist der Grund und Boden, der Wohnbereich, die Umwelt als ein relativ konstantes Moment zu bezeichnen. Die Beziehungen der Völker zur Umwelt einerseits, d. h. ihre Anpassungsformen und andererseits ihre Einwirkungen, sind der Forschungsgegenstand der Kulturgeographie und Anthropogeographie. Außer den räumlichen Konstanten sind die zeitlichen Konstanten von grundsätzlicher Bedeutung. Bei allen Veränderungen im Verlauf der Geschichte, bei allen Abwandlungen erkennt man, daß gewisse Momente politischer oder kultureller Art beharren. In dem geschichtlich faßbaren Strome des kulturellen Geschehens sind gewisse Dominanten erkennbar, die den Zusammenhang, die Stetigkeit gewährleisten; sei es, daß gewisse Religionen oder politische Formen beharren, gewisse Kunststile oder Sprachen sich über den Wechsel der Zeiten erhalten. Die zeitliche Wandlung oder Beharrung dieser Momente zu studieren und auf Prinzipien zu bringen, ist eine Aufgabe der Kulturgeschichte. Ihr liegt es ob, das im Veränderlichen Gleichbleibende und das im Gleich-
§ 2. Die Konstanten
im Bereich des kulturellen
Lebens
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bleibenden Veränderliche nach dem zeitlichen Ausmaße festzustellen und einsichtig zu machen. Eine ganz andere Betrachtungsweise hat die physische Anthropologie. Sie richtet ihr Augenmerk auf die b i o l o g i s c h e n Konstanten, die Rassen. Ein biologischer Begriff, der Begriff der Rasse, ist ihre Grundlage; die rassische (seelische und leibliche) Eigenart wird in ihren spezifischen Zügen festgestellt und ergründet. Vertreter einer bestimmten Richtung in der Anthropologie glaubten, aus der Rasse alle Vorgänge des kulturellen Lebens restlos erklären zu können. In der rassischen Eigenart liege alle Triebhaftigkeit verborgen, die sich in den entscheidenden kulturellen Handlungen auswirke. Von diesen Handlungen aber hingen letzten Endes Bestand und Gestalt aller Kulturgüter ab. Es ist hier nicht der Ort, diese oft mit Leidenschaftlichkeit umkämpften Probleme in ihrem ganzen Umfange zu behandeln. Nur soviel sei gesagt: mitunter erweisen sich sprachliche, religiöse, politische usw. Konstanten als stärker als die biologischen. Eine Sprache, eine politische Form, ein religiöses Bekenntnis kann die rassischen Wandlungen überdauern. Es läßt sich also der Bestand an Kulturgut nicht aus den rassischen Veranlagungen als solchen restlos ableiten, denn der rassische Impuls kommt in ihm nicht immer unmittelbar, sondern meist nur gebrochen zum Ausdrucke.— Wieder andere Interessen verfolgt die Soziologie. Sie interessiert sich für die Beziehungen und Beziehungsarten, die sich im Leben einer Kulturgemeinschaft finden. Die Art der Verbundenheit (oder Getrenntheit) der Menschen wird von ihr untersucht. Die Beziehungen stehen in Zusammenhang mit sogenannten Beziehungsgebilden, — man denke etwa an religiöse Beziehungen, die zur Bildung von religiösen Gemeinschaften Anlaß geben —, die man lange Zeit in ihrer spezifischen Existenz weise nicht erkannt hat. Man hat wohl von solchen Gebilden vielfach gesagt, es handele sich bei ihnen um eine Akkumulation von Vorstellungen, d. h. derartige Gebilde setzten sich aus einer Summe von Vorstellungen, welche Einzelpersonen hegen, zusammen. Auf diese Weise wird man ihrer Natur indessen nicht gerecht. Die sozialen Gebilde sind ihrem eigentlichen Wesen nach etwas anderes als die Summe von Individuen, die sie tragen, die von ihrem Sinngehalte erfüllt werden.
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1. Kapitel:
Grundbegriffe
Solche sozialen Gebilde nun, wie etwa eine „Konfession", können von großer Konstanz sein. Die Erforschung derartiger Gebilde in der Fülle der sozialen Beziehungen, die Zurückführung der Beziehungen auf Beziehungstypen, das ist die eigentliche Aufgabe der Soziologie. Es bleibt nun noch auf in ihrer Bedeutung vielumstrittene Konstanten hinzuweisen, die gerade für die ethnologischen Probleme von besonderer Bedeutung sind: die kulturellen Konstanten. Die Konstanz kann einmal die Dominanten einer Kulturgemeinschaft betreffen. Kulturelle Haupttendenzen einer Kulturgemeinschaft können die ursprüngliche rassische Eigenart der Gemeinschaftsangehörigen überdauern. Kulturelle Lebensrichtungen können sich trotz des Wechsels in der anthropologischen Zusammensetzung der Gemeinschaft erhalten. Oder auch: eine Kulturtendenz kann sich von der ursprünglich sie tragenden Gemeinschaft auf eine andere Kulturgemeinschaft übertragen. E t w a eine Religion, die der Ausdruck des kulturellen Lebenswillens einer Gemeinschaft war, kann ihre Blüte bei einem anderen als dem ursprünglichen Volke erreichen. Ebenso kann ein Kunststil bei einem anderen als ihn ursprünglich erzeugenden Volke zur vollen Entfaltung kommen. Hier überall erhält sich über mancherlei tiefgreifenden Wechsel im kulturellen Leben eine kulturelle Tendenz, d. h. in unseren Beispielen ist die religiöse oder künstlerische Konstanz festzustellen. Aber es können auch scheinbar ganz nebensächliche Kulturelemente eine große Beharrlichkeit zeigen. Es ist bekannt, daß einige unserer heutigen Kulturgüter auf altorientalische, babylonische Einrichtungen sich letzten Endes zurückführen lassen. Wir finden hier also eine Konstanz einzelner Kulturelemente, durch die, wie durch eine Linie, weit auseinander liegende Zeiträume und Kulturen miteinander verbunden sind. Fassen wir die Ausführungen dieses Paragraphen zusammen, so können wir sagen: das kulturelle Geschehen ist eine Mischung aus Gleichbleibendem und Veränderlichem. Man kann das Gleichbleibende im Veränderlichen oder das Veränderliche im Gleichbleibenden betrachten. Unter den Konstanten sind insbesondere die Konstanz der Umwelt, die Konstanz der politischen Form, die Konstanz des biologischen Substrates (Rasse) sowie die kulturellen Konstanten beachtlich. Unter den kulturellen Kon-
§ 3. Kulturelle
Entwicklung
und
Entwicklungsstufen
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stanten waren 1. die von kulturellen Haupttendenzen und ihren Aus drucksformen (z. B. Religion, Kunst, Sprache usw.) und 2. die von kulturellen Einzelelementen zu unterscheiden. § 3. KULTURELLE ENTWICKLUNG UND ENTWICKLUNGSSTUFEN. Die Veränderungen der Kulturgemeinschaften im Nacheinander, die Abwandlungen in der Zeitfolge pflegt man als Entwicklung zu bezeichnen. Meist ist damit der Gedanke verknüpft, daß, jemehr die Entwicklungen sich uns zeitlich nähern, umsomehr sich die Kulturgemeinschaften vervollkommnen. Es ist also eine Wertung mit dem Entwicklungsbegriffe verbunden. Man stellt sich den Verlauf des kulturellen Geschehens als einen Fortschritt vor im Sinne einer Melioration. Dabei ist vielfach die stillschweigende Voraussetzung, daß alle Kulturäußerungen, alle Kulturformen, je ähnlicher sie den unserigen sind, als umso vollkommener zu gelten hätten. Meist gibt man sich nicht in ausreichender Weise Rechenschaft darüber, was denn eigentlich letzten Endes als Maßstab für die Kulturhöhe eines Volkes, einer Kulturgemeinschaft zu gelten habe, was die Grundlage bilde, um den Wertgrad zu beurteilen. Gelegentlich kommt wohl zum Ausdrucke, daß der Ausgangspunkt für die Abschätzung der Reichtum an technischen Einrichtungen sei oder wohl auch der Grad, in dem die dem Handeln zugrunde liegenden Normen als sittliche in das Bewußtsein treten. Armut etwa an technischen Einrichtungen braucht aber nicht mit einer Empfindungsarmut, Erlebnisarmut oder mit einer Armut des sprachlichen Ausdruckes und des mythischen Bestandes in Verbindung zu stehen. Technischer Reichtum kann vielfach auch deswegen entbehrt werden, weil die gesteigerte Leistungs- und Anpassungsfähigkeit ihn unnötig macht. Wer darf sich aber anmaßen, diese Leistungs- und Anpassungsfähigkeit geringer zu bewerten als das Aufgebot von Einrichtungen, die andere Völker zur Daseinsbewältigung bedürfen ? Der vielverachtete Buschmann z. B. mit einer relativ „armen" Kultur besitzt eine Fülle von Fähigkeiten, sich den überaus kargen Lebensbedingungen sinnvoll anzupassen, 2
Danzel
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1. Kapitel:
Grundbegriffe
die dem europäischen Eindringlinge fehlen. Dabei ist sein sprachlicher Ausdruck, sein mythischer Bestand keineswegs ärmlich. W a s aber den Bewußtseinsgrad für die sittlichen Normen anbetrifft, so eignet er sich ebenfalls nicht als Maßstab für die Beurteilung von Kulturhöhen. Der ungebrochene Instinkt wirkt im allgemeinen sicherer und sinnvoller als das abwägende Operieren mit ethischen Prinzipien, deren Anwendung — man denke an den Krieg — , in entscheidenden Momenten vielfach versagt. Mit allen solchen Maßstäben vermag man — soviel auch die sich ihrer bedienenden Forscher für die Völkerkunde als Sammler geleistet haben mögen—, der sogenannten primitiven K u l t u r nicht gerecht zu werden. In solcher Perspektive werden manche spezifischen Züge nicht in den rechten Blickpunkt gerückt und erscheinen verzerrt und entstellt. Das große Gebiet des Magisch-Rituellen, der mythologischen Anschauungen z. B . erhält in solcher Einschätzung deiuCharakter von fast abwegigen Äußerungen, die auf einer fehlerhaften Einstellung zur Welt beruhen. Immer wieder spiegelt sich — um bei diesem Beispiel zu bleiben — , gerade diesen Erscheinungen gegenüber die Yerständnislosigkeit der europäischen Beobachter in Mißurteilen wieder. Immer wieder heißt es, daß der Aberglaube dem Primitiven das Leben verderbe. Und doch sagte schon P e c h u e l - L o e s c h e , dem wir eine der besten ethnographischen Monographien verdanken, es dürfe für den Völkerkundler keinen „ A b e r g l a u b e n " geben, was dem einen Aberglauben sei, sei dem anderen Religion; über die Religion aber würden sich die Menschen immer streiten. Wollen wir die sogenannten primitiven Kulturen unbefangen sehen lernen, müssen wir uns zunächst jeglichen Wertens enthalten, müssen wir uns des Hochmutes entschlagen, als befände sich Europa mit seiner Wirtschaft, Technik, Religion, K u n s t usw. auf einem unbestrittenen Höhepunkte der Entwicklung und vermöchte nur mit einer gewissen Mischung aus Verachtung und Mitleid auf „Heiden und Wilde, auf Barbaren und Urmenschen" herabzublicken. Es liegt dann allerdings die Frage nahe, wieweit es überhaupt möglich sei, von Entwicklung zu sprechen. K a n n man noch von Entwicklung reden, wenn man davon absieht, die Veränderungen geschichtlichen Geschehens mit irgend einem Wertmaße zu messen ?
§ 3. Kulturelle
Entwicklung
und
Entwicklungsstufen
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Man hat vielfach die Stufen der Entwicklung an der Reihenfolge, in der gewisse Kulturformen sich im geschichtlichen Werden ablösen, bestimmen wollen. Schematisch ausgedrückt sagte man etwa: auf die wirtschaftliche oder religiöse Form A seien bei einem Volke die Formen B und C usw. gefolgt, es sei zu vermuten, daß die gleiche Reihenfolge bei anderen Völkern vorausgesetzt werden könne. Je äußerlicher die Erscheinungen waren, an die man seine Schlüsse knüpfte, umso unrichtiger waren die Folgerungen. Namentlich die wirtschaftliche Form und das Material für die wirtschaftlichen Einrichtungen geben kein Prinzip ab, um eine vermutete, für alle Völker verbindliche Stufenfolge zu charakterisieren. Ebensowenig wie es möglich ist, die Tierwelt etwa nach den Fortbewegungsarten des Fliegens, Schwimmens, Laufens entwicklungsmäßig zu gliedern, ist es möglich, die Kulturentwicklung nach Wirtschaftsformen (Sammler, Jäger, Bauern, Züchter usw.) zu teilen oder gar nach dem Gerätmaterial (Holz, Stein, Metall) zu gruppieren. Aber man darf deswegen die Gestuftheit der Kulturentwicklung nicht überhaupt verneinen. Es läßt sich nämlich bei den verfolgbaren Kulturen zeigen, daß gewisse Züge sich im Laufe der Entwicklung verstärken, andere abnehmen, ja, daß diese Abwandlung sogar in einer gewissen Regelhaftigkeit erfolgt. Bei den sogenannten primitiven Völkern und Stufen herrscht nämlich eine relative Armut an technischen Einrichtungen, dagegen gibt es einen Reichtum an magischen Bräuchen. Sie ähneln darin den Frühstufen des (mittelalterlichen) Europa, wo ebenfalls die technischen Momente mehr zurücktraten zu Gunsten der religiösen und magischen. Das zeigt: die Beziehungen zur Welt werden ursprünglich von einer ganz anderen (magischen) Auffassung getragen; mit anderen Worten, man wird sich der Welt — in dem folgenden Kapitel wird das eingehend zu erläutern sein — in ganz anderer Weise bewußt, und bewältigt sie mit anderen Mitteln; die Einstellung zur Welt, die Mentalität ist ursprünglich eine andere. Das beweisen eben die zahllosen magischen Praktiken, Kulte, Riten, Zeremonien, die Mythen und alles das, was man mit einem mißächtlichen Worte als Aberglauben bezeichnet hat. Wir können also im Entwicklungs2*
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1. Kapitel:
Grundbegriffe
verlaufe der verfolgbaren Kulturen im allgemeinen einen Wandel vom Magischen zum Technischen feststellen. Insofern nun diese Wandlung vom Magischen zum Technischen sich in einem allmählichen Fortgange vollzieht, ist es berechtigt, von Stufungen oder Stufen zu reden. A m Anfange der Entwicklung stände also die stark magisch tendierende Stufe (Homo divinans), am Ende die vorwiegend technisch tendierende Stufe (Homo faber). Dabei ist zu wiederholen, daß mit diesen Stufen keinerlei Wertstufen gemeint sind. Es liegen ihrer Ausbildung Vorgänge und Zustände zugrunde, die in unserem Zusammenhange ohne Wertung betrachtet, einfach konstatiert werden sollen. Die magische Stufe ist also zunächst nicht als etwas Unvollkommeneres, die technische nicht als etwas Vollendeteres anzusehen. Manche Völker verharren längere Zeit auf der magischen Stufe als andere. Viele Kolonial-Völker haben bis zu ihrem Untergange durch die europäische Kultur nie diese Stufe verlassen. Wie steht es nun mit den großen orientalischen Völkern Indiens, Chinas, Babylons, Aegyptens, mit den altamerikanischen Nationen der Maya, Azteken, Inka? In ihnen ist ja noch ein stark magischer Einschlag unverkennbar. Indessen ist bei ihnen neben der magischen Kultur doch bereits eine Fülle von im weitesten Sinne technischen Einrichtungen in Verwaltung und Wirtschaft entwickelt. Zudem ist die Magie z. T. durch die Technisierung ihrer zugrunde liegenden Anschauungen (so besonders verfolgbar in China und Babylon) zu einem eigentümlichen Ubergangsgebilde geworden, das nicht mehr reine Magie, aber auch noch nicht eigentlich Wissenschaft im heutigen Sinne ist. — Uber die psychologische Seite der Wandlung vom Magischen zum Technischen wird an späterer Stelle ausführlich zu sprechen sein.
§ 4.
D I E K U L T U R G E M E I N SCHAFT A L S IHRE
GANZHEIT
UND
STRUKTUR.
Vielfach hat man die Kulturgemeinschaft als „Summe der Individuen" aufgefaßt. Man glaubte, die Kulturgemeinschaft sei als additives Gebilde genügend definiert. Allenfalls rechnete man noch von anthropogeographischer Seite den Grund und Boden, das
§ 4. Die Kulturgemeinschaft
als Ganzheit und ihre Struktur
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Wohngebiet als notwendiges Element hinzu, mit dem die Volksangehörigen in besonders inniger Weise verbunden seien. Daraus entstand dann die individualistische Auffassung, daß in der Artung des Einzelindividuums und seiner rassenmäßig bedingten Reaktion auf die Umwelt alle kulturellen Äußerungen restlos erfaßt werden könnten. Mit anderen Worten, aus der rassenmäßigen Besonderheit, wie sie an einer Anzahl von Individuen erkennbar sei, wäre der Bestand an Kulturgütern und Kulturformen einsichtig zu machen. Indessen die kulturtheoretische Forschung hat ihre Fortschritte gemacht und festgestellt, daß es eine ganze Reihe von Gebilden gibt, deren Wesenszüge sich nicht „restlos auf die Summe ihrer Träger" zurückführen lassen. Eine Kulturgemeinschaft ist nun ein solches Gebilde, das als echte „Ganzheit" seine spezifische Struktur, sein sinnvoll gegliedertes Gefüge hat. Man braucht sich bei dieser Auffassung natürlich nicht zu versteigen und diese Gebilde als Organismen zu bezeichnen und ihnen in analogisierender Denkweise Lebensregungen zuzuschreiben, wie sie dem biologischen Organismus eigen sind. Nichtsdestoweniger läßt sich der Begriff der „Ganzheit" auf die Kulturgemeinschaft anwenden. Die Kulturgemeinschaft als solche ist ein Gebilde mit echten Ganzheitsmerkmalen, die als spezifische Eigentümlichkeiten sich nicht aus der Art einzelhafter Bestandteile ableiten lassen. Vielmehr stehen alle „Bestandteile" in einer Art Gliedlichkeitsverhältnis zum Ganzen und empfangen ihren Sinn und ihre spezifische Bedeutung unmittelbar aus dessen Funktion. Ein Beispiel für das Gesagte ist die Sprache. Ihre Entstehung und Ausbildung würde aus einer Summe vereinzelter Individuen nie verständlich werden können. Die spezifische innere Verbundenheit der Individuen zu einer Ganzheit, deren Glieder die Individuen sind, läßt uns erst die Ausbildung der Sprache verständlich werden. Vielfach wird solchen Darlegungen gegenüber, wie wir sie brachten, die Befürchtung ausgesprochen, man wolle die Bedeutung der Persönlichkeit leugnen, die schöpferische Aktivität des Individuums solle verneint werden. Die Bedeutung der Persönlichkeit bleibe unangetastet. Aber in kultureller Beziehung hat auch sie einen Gliedlichkeitscharakter, der ihre Bedeutung gewiß nicht beeinträchtigt. Es gibt eben Glieder von verschiedener Stärke und Kulturwichtigkeit.
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1. Kapitel:
Grundbegriffe
Betrachten wir nun die Ganzheit der Kulturgemeinschaft hinsichtlich ihrer Elemente. Die Menschen, die Kulturgemeinschaftsangehörigen als die Träger wurden schon genannt, ebenso wurde auf das Wohngebiet hingewiesen. Zum Wohngebiete gehören auch die Tier- und Pflanzenwelt, die jeweils in spezifischer Weise erlebt und dementsprechend in dieKulturgemeinschaft einbezogen werden, ferner die astronomischen und meteorologischen Faktoren und Phänomene. Dann kommen als eine andere Kategorie die menschlichen Gebilde hinzu: Kunstwerke, Dichtungen, soziale Institutionen, Sprache, Schrift, technische, wirtschaftliche Einrichtungen usw. Alle diese heterogenen Elemente sind in der Kulturgemeinschaft in besonderer Weise miteinander verbunden, aufeinander bezogen; sie sind Glieder der Ganzheit, sie haben ihre Funktion im Sinne des Ganzen, sie sind gestaltet, bewältigt, eingeordnet, eingegliedert im Sinne des Ganzen. Wie das Wort seinen vollen Sinn erst in dem Gebrauche, als Glied der gesprochenen Sprache empfängt, so auch jedes Moment in seiner Gestaltung und Einbeziehung durch seine Funktion in der Kulturgemeinschaft. Alle genannten Elemente einer Kulturgemeinschaft, nämlich die „umweltlichen Faktoren", die „menschlichen Träger", deren Werke, Institutionen usw. stehen nun jeweils untereinander in ganz bestimmten Beziehungen, die sich vielfach kreuzen und sich zu einem sinnvollen Gefüge vereinen, das man in seinen typischen Zügen als S t r u k t u r bezeichnet. Jede Kulturgemeinschaft hat also ihre spezifische Struktur. Außerdem gibt es allgemeine stufliche Züge der Struktur. Jede Kulturstufe hat ihre besonderen stuflichen Struktureigentümlichkeiten, durch die sie von den anderen Stufen geschieden ist. In der zunehmenden Technisierung und Rationalisierung im Entwicklungsverlaufe einer Kulturgemeinschaft offenbaren sich die Strukturwandlungen. Wenn zwei Kulturgemeinschaften gewisse Ähnlichkeiten oder Ubereinstimmungen zeigen, so kann das in folgendem seinen Grund haben, in 1. Ubereinstimmung der Rasse; 2. Ubereinstimmung der Umwelt; 3. Ubereinstimmung der Stufe.
§ 5. Das
Anpassungsverhältnis
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Es können also 1. zwei Kulturgemeinschaften trotz verschiedener Rasse gewisse gemeinsame Züge zeigen, die dann aus der Umwelt oder aus der Stufe zu erklären sind. Es können 2. auch zwei Kulturgemeinschaften trotz verschiedener Umweltverhältnisse gewisse gemeinsame Züge zeigen, die dann aus der Rasse oder aus der Stufe zu erklären sind. Endlich 3. können zwei Kulturgemeinschaften trotz verschiedener Stufe gewisse gemeinsame Züge tragen. Diese sind dann aus der Umwelt oder der Rasse zu erklären.
§ 5. D A S
ANPASSUNGSVERHÄLTNIS.
Wir wenden uns nun der Art der Verbundenheit der heterogenen Elemente einer Kulturgemeinschaft zu. Uber den Zusammenhang der Kulturgemeinschaft mit all dem, was man als Umwelt zusammenfassen kann, ist bereits viel gearbeitet worden. Es heißt dann wohl, die Kulturgemeinschaftsangehörigen seien „in Abhängigkeit" von der Umwelt. Es ist damit gemeint: die Umwelt erzwänge durch ihre Bedingungen gewisse Kulturformen. Man vergißt dabei völlig die schöpferische Aktivität der Menschen. Kraft dieser kann der Mensch auf Umweltsanregungen in verschiedener Weise reagieren. Auch die kärgsten Bedingungen einer Umwelt lassen verschiedenerlei Verhaltensweisen zu, insbesondere auf den Gebieten der Kunst, des Mythos, des Ritus. Warum haben Maskentänze der Eskimo, Perlenschmucke der Buschmänner gerade die vorliegende Form, Anordnung usw. Es ist immer ein Spielraum vorhanden für verschiedene Reaktionsweisen. Es ist deswegen nicht möglich, von einer strikten „Abhängigkeit des Menschen von der Umwelt" zu sprechen. Natürlich besteht eine intensive Wechselwirkung zwischen Kulturgemeinschaft und Umwelt, natürlich kann man eine ganze Anzahl von Anpassungserscheinungen feststellen. Aber der Mensch schafft sich in hohem Maße auch seine Umwelt dadurch, daß er sie gestaltet. Er rottet Tierarten aus, legt Waldungen nieder, dämmt Wasserläufe ab usw. Man sollte dementsprechend nicht von der Abhängigkeit der Kulturgemeinschaft von der Umwelt, sondern von ihrer Anpassung an diese sprechen: der Mensch steht zur Umwelt in einem Anpassungsverhältnisse.
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1. Kapitel:
Grundbegriffe
In dem Worte „Anpassung", so glauben wir, kommt der Zusammenhangscharakter treffender zum Ausdruck als in dem Worte „Abhängigkeit", einem Worte, das immer den Sinn von etwas absolut Zwangsläufigem hat. — Eine Analyse des AnpassungsVerhältnisses, das, wie ausdrücklich hervorgehoben sei, natürlich positive und negative, also auch ablehnende, Verhaltensweisen gleicherweise umschließt, kann an dieser Stelle nicht gegeben werden. Nur soviel sei gesagt, daß das Anpassungsverhältnis es ist, das den Zusammenhang der Kulturgemeinschaft gewährleistet. Angepaßt sind die Einzelindividuen einander; Anpassung bestimmt die Verbindung mit der Umwelt, mit Tier, Pflanze. Sie bestimmt auch die Beziehungen der sozialen Teilgruppen einer Gemeinschaft untereinander, sowie endlich auch die Beziehungen zu den Institutionen, Werken, Kulturgütern. Natürlich sind eine ganze Anzahl von Arten der positiven oder negativen Anpassungsbeziehungen zu unterscheiden, auf die wir später zurückkommen werden. Soviel sei nur gesagt, daß durch das Wort Abhängigkeit der Zusammenhangscharakter zwischen den Teilmomenten einer Kulturgemeinschaft nicht treffend gekennzeichnet wird. Wir glauben, daß er durch den Ausdruck Anpassung in gemäßerer Weise ersetzt werden kann.
§ 6. DIE ENDOGENE UND EXOGENE SEITE DER KULTUR. Die ethnologische Kulturkunde widmet ihre Aufmerksamkeit den Gebilden (Werkleistungen wie Betätigungsformen), die bei den Aktionen innerhalb des Kulturlebens eine Rolle spielen. Diese Gebilde erheischen eine ganz verschiedene Betrachtungsweise, die rechtlichen Institutionen eine andere als etwa die Musikinstrumente; die Mythen eine andere als die Geräte des wirtschaftlichen Lebens. Bei den gegenständlich-dinghaften Werken wird nur zu oft vergessen, daß auch ihre Vorbedingung Erlebnisse, Zustände, Einstellungen sind, deren Projektionen sie gleichsam darstellen. Auch hier hat man vielfach geglaubt, die Erfindung einer wirtschaftlichen Form, eines Gerätes werde dem Menschen von der Umwelt aufgenötigt. In einer Art außenweltlich bedingter Zwangsläufigkeit erschüfe der Mensch
§ 7. Die Schichtung der Kulturäußerungen
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die Dinge seines Bedarfes. Es ist natürlich richtig, daß in dem objektiven Sachverhalte, wie ihn die Umwelt bildet, eine Vorbedingung liegt, andererseits darf aber nicht vergessen werden, daß eine andere Vorbedingung in dem subjektiven Verhalten, in der Erlebnisweise zu suchen ist. Wenn ich nicht die Anregungen der Umwelt in bestimmter Weise erlebe, verarbeite, schaue, werde ich nie dazu gelangen, durch die Erschaffung oder Benutzung von Geräten, Institutionen usw. in bestimmter Weise auf sie zu reagieren. Es steht also den Werken und Kulturleistungen als der äußeren Seite der Kultur, die Fülle der Erlebnisse, Anschauungen, Vorstellungen, Zustände usw. gegenüber, die wir als die innere Seite bezeichnen werden. Man hat die letztere in der Völkerkunde nur zu oft vergessen zu können geglaubt und meinte, man brauche nur die exogene als die handgreiflichere in Betracht zu ziehen. Natürlich ist uns die endogene Seite hauptsächlich durch die exogene erschließbar; die Werke, Geräte usw. bilden eine Handhabe, um die Vorstellungen, Erlebnisse zu erforschen, gleichsam eine Brücke zu ihnen, durch die die Anschauungen, Zustände, Einstellungen uns erst zugänglich werden. Vielfach hat man es in der Völkerkunde versäumt, diese Brücke zu beschreiten, die Bemühungen um die tiefere Erschließung der endogenen Seite galten als aussichtslos, als ein vages Spekulieren oder überflüssiges Theoretisieren. So beschränkte man sich auf ein Beschreiben des Dinglich-Gegenständlichen und überließ Psychologen, Soziologen, Kulturhistorikern die tiefere Erforschung der endogenen Seite. Wir glauben erweisen zu können, was eine Betrachtungsweise, die beiden Seiten gerecht wird, zu leisten vermag und wie unerläßlich für den Aufschluß mancher Erscheinungen sie ist.
§ 7.
DIE
SCHICHTUNG
DER
KULTURÄUSSERUNGEN.
Nicht alle menschlichen Äußerungen sind ohne weiteres als kulturelle zu bezeichnen, nicht alle sind von den kulturellen Werken, Institutionen und Leistungen unmittelbar beeinflußt. Es gibt eine von Kulturtraditionen nicht unmittelbar berührte Zone meistenteils biologischer Äußerungen des menschlichen Lebens. Physio-
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1. Kapitel:
Grundbegriffe
logische Funktionen (Verdauung, Atmung usw.) sind nur in mittelbarer Beziehung zu den Traditionen der Kultur. Uber sie legt sich eine Zone schon sozial bedingterer Äußerungen: die Gebärden. Die Gebärden sind ihrer Form nach schon stark von Herkommen und Überlieferung abhängig. Bestimmte Gebärden gelten als anstößig und werden mehr oder weniger bewußt unterdrückt. Einige Gebärden haben auch bei verschiedenen Völkern verschiedene Bedeutung, das zeigt ihre Abhängigkeit von Konvention und Herkommen. Ein noch viel stärkerer Einfluß der Tradition zeigt sich in der Sprache. Es wird wohl niemanden geben, der glauben würde, eine Sprache könne, wenn sie bei einem Volke erloschen wäre, mit genau denselben Formen und genau demselben Bestände ein zweites Mal entstehen. So ist jede Menschengemeinschaft gleichsam von einer Zahl mehr oder weniger traditionsbestimmten Äußerungsregionen umgeben, die ihre Lebenswelt in Schichten gliedern. Auch in den Kulturgütern ist die Auswirkung der Tradition in verschiedenem Maße erkennbar. Manche sind unmittelbarer, ungebrochener der Ausdruck irgend einer Triebhaftigkeit als andere. Der Reichtum einer Kultur, Reichtum in diesem Zusammenhange als die Vielfältigkeit der Betätigungsmittel verstanden, beruht auf der Anzahl durch Tradition übermittelbarer, durch Tradition erhaltbarer Werke. Je älter eine Kulturgemeinschaft ist, d. h. eine je spätzeitlichere Stufe eine Kulturgemeinschaft erreicht, umso stärker ist sie angereichert mit Werken, mit Werktraditionen, institutionellen Uberlieferungen usw. Wir wiesen darauf hin, daß wir die Entwicklung von Kulturen nicht ohne weiteres als einen Fortschritt, als eine Melioration auffassen dürften, wenn wir wahrhaft objektiv sein wollen. Man hat nun früher nur zu oft die Anreicherung einer Kultur mit technischen, literarischen, künstlerischen Werken, mit religiösen, ethischen Traditionen usw. als eine Vollendung angesehen. Heute sind viele Kulturtheoretiker der gegensätzlichen Meinung, sie glauben, die Vielfältigkeit insbesondere technisch-wirtschaftlicher Werke sei eine Art von Alterserscheinung. In frühen jugendlichen Zeiten habe der Mensch nur seinen gesunden Instinkten folgen zu brauchen, um den Anforderungen der Welt standzuhalten. Später sei die Fähigkeit in-
§ 8. Gehalt und Bestand der
Kultur
19
stinktiv richtiger Verhaltungsweise zur Welt erloschen oder doch stark beschränkt. Man sei gezwungen, allerlei Überlegungen anzustellen, um richtig zu handeln, auch allerlei Einrichtungen zu schaffen, um die geschwächte Anpassungsfähigkeit zu korrigieren. So seien viele technische Einrichtungen, viele Wissenserrungenschaften nur einer Art Triebhemmung des Menschen zu danken, sie seien gleichsam Krücken für diejenigen, deren Anpassungsfähigkeit nicht mehr Schritt halte mit den Anforderungen der Natur. Für unseren Zusammenhang kann die Entscheidung dieser ganz zentralen Probleme zunächst außer Betracht bleiben. Wir fragen — wenigstens zunächst — nicht nach Wert und Bedeutung von Kulturgütern. Die Erfassung der Zusammenhänge, Erscheinungsformen, Existensweisen ist unsere Aufgabe. — Vielfach hat man geglaubt, es träte gleichsam mechanisch, schon durch Akkumulation im Laufe der Kulturentwicklung eine Wandlung des geistigen Zustandes ein. Die Ansammlung der Kulturgüter erzwänge gewisse geistige Veränderungen. Das ist wieder einer der vielen exogenistischen Fehlschlüsse. Wo eine Ansammlung, Anreicherung an Werken sich bildet, muß eine Tendenz vorhanden sein, Werke oder Werktraditionen zu erhalten und festzulegen. Manche Völker haben ungeheure Schätze an Werktraditionen aufgehäuft, andere sind über ein geringes Maß nie hinausgekommen. Mit anderen Worten, die Anreicherung einer Kultur mit Werktraditionen ist die Folge der geistigen Einstellung, und nicht umgekehrt.
§ 8. GEHALT U N D B E S T A N D D E R K U L T U R , D I E E N T L E H N BARKEIT DER KULTURGÜTER UND WERKTRADITIONEN Jede Kulturgemeinschaft hat ihre unwiederholbare Eigenart, ihre singulären Züge. Die Werke ihrer Kunst, Musik usw. zeigen eine „Klangfarbe", durch die sie sich von den Werken anderer Kulturgemeinschaften unterscheiden. Auch die technischen und wirtschaftlichen Vollzüge werden immer irgendwie von der Eigenart beeinflußt und getragen, sie stehen letzten Endes im Dienst der Eigenart. Es ist der nationale Lebensimpuls, der sich geltend
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1. Kapitel:
Grundbegriffe
macht. Bei uns ganz fernstehenden Völkerschaften und Nationen ist es uns nicht möglich, diese Eigenart in ihrer Besonderheit wahrzunehmen und zu charakterisieren. Die tiefere stammliche Differenz zweier zentral-australischer Völkerschaften hat noch niemand als solche in wirklich ausreichender Weise fixieren können. Dieses Eigenartliche einer Kultur, das Singuläre, die „ K l a n g f a r b e " , bezeichnen wir als den Gehalt der Kultur, er ist stark von rassischen Momenten mitbestimmt. Nicht jeder Forscher hat die nötige Feinfühligkeit, um den Gehalt einer K u l t u r charakterisieren oder überhaupt feststellen zu können. Indessen ihn deswegen ableugnen zu wollen, wäre ungerechtfertigt. D e m Kulturgehalte steht der Kulturbestand gegenüber. Mit Kulturbestand bezeichnen wir alles das, was an Kulturinhalt dem Forscher ohne Berücksichtigung der Klangfarbe zugänglich wird. Die ethnologische Forschung hat fast nur dem Kulturbestande ihre Aufmerksamkeit geschenkt, die kunsthistorische und litterargeschichtliche Forschung dagegen in sehr hohem Maße dem Kulturgehalte. Im Kulturgehalte haben wir eine Konstante, die sich solange erhält, solange die Kulturgemeinschaft eben lebt. Wenn auch Wandlungen im Wirtschaftlichen, in den Kunststilen, in den Glaubensbekenntnissen sich geltend machen, ein Etwas, ein letzter Gesamtimpuls beharrt, wenn überhaupt die Kulturgemeinschaft in ihrer Identität bestehen geblieben ist. Hinsichtlich ihrer Beziehung zu Gehalt und Bestand können wir die Kulturgüter in einer Reihe anordnen. Es gibt solche, die stärker mit Gehalt erfüllt sind: K u n s t , Religion, Mythos; andere dagegen tragen einen mehr „bestandlichen" Charakter: Wirtschaft, Technik usw. Hiermit nun hängt die Ubertragbarkeit von Kulturgütern und Werktraditionen zusammen. Man hat das Problem der Entlehnungen und Kulturübertragungen häufig in seiner Bedeutung für das kulturelle Werden außerordentlich überschätzt. Glaubte man doch vielfach, es sei die einzige Vorbedingung für das Wesensverständnis einer Kultur, die Herkunft aller ihrer bestandlichen Elemente genau zu kennen. Das Wesentliche der Einzelkultur sind jedoch ihr Gehalt und diejenigen Struktureigentümlichkeiten, die v o m Gehalte bestimmt sind; auch die Auf-
§ 8. Gehalt und Bestand
der
Kultur
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nähme von Bestand geschieht nur nach Maßgabe seiner Anpassung an den Gehalt und die Struktur. Mit anderen Worten: es wird nur das entlehnt, was mit Gehalt und Struktur vereinbar ist, wenn überhaupt die betreffende Kulturgemeinschaft als solche erhalten bleibt; auch hier finden wir also das Anpassungsverhältnis wieder. Der etwa aufgenommene neue Bestand wird in Einklang gesetzt mit dem Gehalte; d. h. er wird gestaltet, neugeschaffen. Diese feineren Umformungen des Bestandes im Sinne des Gehaltes entgehen häufig Forschern, deren Augenmerk ganz auf Bestand gerichtet ist. So konnte die irrtümliche Meinung aufkommen, die Kulturgüter ließen sich verfrachten gleich festen Körpern, es bedürfe nur der Transportmöglichkeiten, und schon sei die Kulturübertragung vollzogen. Die tieferen, feineren Vorgänge der Einpassung des Bestandes an den Gehalt einer aufnehmenden Kulturgemeinschaft bleiben bei solch grober Betrachtung ganz außer Wahrnehmungsweite. Die Kulturgemeinschaften sind eben Aktivitätszentren, die jeweils das aufgenommene Gut mehr oder weniger umformen, amalgamieren, die eine Auswahl treffen, mit anderen Worten, die bei der Entlehnung ihren eigenen Impulsen folgen. Die bestandlichen Güter und Traditionen sind, wie sich aus den Darlegungen ergeben haben dürfte, an sich am übertragbarsten. Technik und Wirtschaftsorganisationen sind am lehrbarsten. Man sieht das an der Europäisierung von kolonialen Völkern. Immer mehr machen sich exotische Nationen die „Errungenschaften" Europas in wirtschaftlich-technischer Hinsicht zu Nutze, aber — so konstatieren dann die Kenner solcher Völker mit Befremden — sie werden nicht zu Europäern. Der Geist, so heißt es, der in all den Einrichtungen obwalte, sei ein anderer, d. h. der Bestand wird dem Gehalte angepaßt, er wird in einem schöpferischen Prozesse neugestaltet. In viel geringerem Maße übertragbar sind litterarische und künstlerische Traditionen, überhaupt Traditionen der geistigen Kultur. Man spricht wohl gelegentlich von „leeren" oder „hohlen Nachahmungen" europäischer Stile durch koloniale Völker. Es fehlt eben die Durchdringung mit dem uns gewohnten Gehalte. Eine schöne Illustration zu den eben dargelegten Verhältnissen liefern die praktischen Anweisungen eines englischen Missionars, der
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1. Kapitel:
Grundbegriffe
in Nordamerika wirkte und Regeln für die „Bekehrung der Heiden" aufstellte. Wenn es nötig sei, eine Wandlung in dem Leben eines Naturvolkes herbeizuführen, müsse man nicht mit den religiösen Anschauungen beginnen, sondern mit den materiellen Gewohnheiten. Die Kulturtraditionen mit mehr bestandlichem Charakter sind also als die übertragbarsten am ehesten zu ändern; und es rät dieser wahrhaft weise Mann, erst dieses zu versuchen, bevor man daran gehe, die Kulturgüter mit stärkerem Gehalte zu beeinflussen. Die Gehaltsstärke, die Kraft, die singulären Eigenschaften, die nationale Klangfarbe in Kulturwerken ungebrochen durchzusetzen, ist in den einzelnen Kulturgemeinschaften natürlich verschieden. Je stärker der Bestand in einer Kultur sich geltend macht, umso mehr werden die im tieferen Sinne nationalen Kräfte gehemmt und geschwächt. Schließlich in einer völlig technisierten, vorwiegend auf das Wirtschaftliche gerichteten Kultur werden sie nur noch ganz matt zum Anklingen kommen, so nachdrücklich nationale Vokabeln, die dann stets einen stark wirtschaftlichen Beigeschmack bekommen, auch gehandhabt werden.
§ 9. D E R K U L T U R K U N D L I C H E SYMBOL U N D
GEGENSTAND.
GERÄT.
Wir sprachen mehrfach von den Betätigungsgebilden der Kulturgemeinschaften wie sie in den Werkleistungen vorliegen. In ihnen haben wir den eigentlichen Gegenstand der ethnologischen Kulturkunde vor uns. Betrachten wir nun, wie die ethnologischen Gegenstände sich uns darbieten. Die Frage nach dem Wesen des ethnologischen Gegenstandes ist mitunter überflüssig erschienen, man wies auf die Trommel, die Hacke usw. hin und glaubte wohl, die physikalische Existenz solcher Dinge sei identisch mit ihrer Existenz als ethnologisches Objekt. Das ist ein Irrtum. Als physikalischer Gegenstand sind die beispielsweise genannten Objekte Körper von bestimmter Form, bestimmtem spezifischen Gewichte usw. Indem wir sie als benutzte, betätigte Gegenstände bezeichnen, geben wir ihnen schon eine Bedeutung, die über ihre physikalische Existenz hinausgeht. Wir bringen sie in Beziehung zu Menschengemein-
§ 9. Der kulturkundliche
Gegenstand.
Symbol
und Gerät
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Schäften, wir ordnen sie stillschweigend Kulturgruppen zu. Die Definition des ethnologischen Gegenstandes lautet also: der ethnologische Gegenstand ist ein Gegenstand in Bezug auf Menschengemeinschaften. Aber die ethnologische Kulturkunde erschöpft sich nicht mit der Erforschung der dinglich greifbaren Objekte. Es gibt Gegenstände ganz anderer Konstitution, wie etwa ein afrikanisches Recht, einen ozeanischen Stil usw. Hier handelt es sich um Gebilde von ganz anderer Existenzweise. Ihre Grundlagen sind natürlich Vorstellungen der Menschen. Aber ihr Wesen ist keineswegs gleich der Summe der in Menschenköpfen in Bezug auf sie gehegten Vorstellungen und der zugehörigen Einzelakte und Werkleistungen. Sie sind eben Ganzheiten in der oben bereits dargelegten Weise. Sie sind ein anderes, ein Mehr als die Summe der Vorstellungen, ebenso wie die Sprache mehr ist als die Summe der gesprochenen Worte. Es ist befremdend zu sehen, wie gelegentlich immer wieder versucht wird, Ganzheiten additiv zu definieren. Es ist, als ob die Errungenschaften geisteswissenschaftlicher Einsicht nicht mehr zu allen denen gelangen könnten, die es angeht. Natürlich ist es in diesem Zusammenhange nicht möglich, alles das, was zur Rechtfertigung des Ganzheitsbegriffes zu sagen nötig ist, hier zu rekapitulieren. (Vergl. R e y e r , Einführung in die Phänomenologie.) Wir können also zweierlei Arten von kulturkundlichen Gegenständen unterscheiden, einmal solche mit dinglich greifbarem Bestände (Trommel, Hacke usw.), zweitens Gegenstände ohne solchen (Mythos, Recht usw.). Dazwischen gibt es zahlreiche Ubergänge. Die erstgenannten Gegenstände gehören im hohen Maße der äußeren Seite der Kultur an, die zweiten mehr der inneren Seite. Ihrer Funktion nach können die Gegenstände nun Symbole sein oder Geräte, beide Ausdrücke in umfassendem Sinne gebraucht. Sie erfüllen also eine symbolische oder gerätliche Funktion. Wenn wir diese beiden Einteilungen, die Einteilung endogen, exogen und die Einteilung Symbol, Gerät zu einer Tabelle vereinigen, erhalten wir eine systematische Übersicht über die Hauptgebiete menschlicher Kulturäußerungen:
1. Kapitel:
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Grundbegriffe
Symbol
Gerät
endogen
Mythos, Religiöses, Dichtung
Rechtliches
exogen
Kunst, Kultus
Technik, Wirtschaft, Verwaltung
In dieser Aufstellung sind, — das sei hervorgehoben, — die Hauptgebiete nach ihrem vorwiegenden, nicht nach ihrem ausschließlichen Charakter zu kennzeichnen versucht. Jedes Gebiet hat streng genommen eine endogene und exogene, eine geräthafte und symbolhafte Seite, aber entscheidend ist, welche Seite dominiert. Schwer einzuordnen ist die Sprache. Sie hat in der Schrift ihre exogene Seite, in Mitteilungen eine gerätliche, in Dichtungen aber eine entschieden symbolische Funktion. Die Musik steht auf der Grenze zwischen exogen und endogen, wie auch einige Zweige der Dichtung, die wie die Dramatik stark nach der äußeren Seite hinüberneigen; alle diese genannten Gebiete aber gehören zum symbolhaften Äußerungsbereich. Das Fehlen der Wissenschaft in unserer Aufstellung erklärt sich aus der Grenze, die wir uns gesetzt haben. Wir haben es in der Ethnologie nur mit den sogenannten Frühstufen zu tun, auf denen der Mensch, wenn auch Kenntnisse verwertet werden, die später in den Wissenschaften eine Rolle spielen — noch nicht die Vereinigung dieser Kenntnisse zu dem Gebilde einer eigentlichen Wissenschaft vollzieht.
§ 10.
DIE HAUPTGEBIETE DER KULTURTÄTIGKEIT.
Die kulturkundlichen Gegenstände teilten wir ihrer Funktion nach in Symbole und Geräte. Die Symbole haben ihres Erlebniswertes wegen Bedeutung, die Geräte wegen ihres Nutzungswertes. Im Laufe der Entwicklung der Kulturgemeinschaften tritt der
§10.
Die Hauptgebiete der
Kulturtätigkeit
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symbolische Charakter der Gegenstände immer mehr zurück zu Gunsten des zweckhaften. Wir wiesen ja mehrfach auf den Wandel vom Magischen zum Technischen hin, wie er sich in dem Verlaufe der kulturellen Entwicklung der verfolgbaren Kulturgemeinschaften offenbart. Die sogenannten primitiven Kulturen kennen wohl auch, wie auch das Tier, die Nutzung der Umwelt, aber in der Technik und Wirtschaft der Spätzeit steigert sich die Nutzungstendenz bis zur Ausbeutung. Es wurden im vorigen Paragraphen bereits die vier Hauptgebiete kultureller Betätigung genannt: 1. Mythisch-Religiöses; 2. Rechtliches (als Grundlage des staatlich-sozialen Lebens); 3. Künstlerisches; 4. Technisch-Wirtschaftliches. Vergegenwärtigen wir uns nun die kulturelle Funktion der im Rahmen dieser Gebiete zur Wirkung kommenden spezifischen Betätigungen. Die Kunst erfüllt mit exogenen Mitteln symbolische Funktion. Das Recht gestaltet mit endogenen Mitteln zweckhafte Grundlagen des Sozialen. Wirtschaft und Technik erfüllen mit exogenen Mitteln gerätliche Funktionen. Mythos und religiöse Vorstellungsbildung gestalten endogen Symbolisches. Jede Kultur hat nun zweierlei Begrenztheiten: erstens exogene. Politischer Widerstand der Nachbarvölker, Bedingungen der Außenwelt setzen der expansiven Betätigung eine Schranke. Dann gibt es aber auch eine häufig übersehene endogene Grenze. Die Grenzen der Veranlagung, der Vorstellungsfähigkeit, der inneren Konstitution lassen die Wirksamkeit einer Kulturgemeinschaft nicht über ein gewisses Maß gedeihen. Wie verhalten sich nun die Hauptgebiete der Kultur zu den Grenzen ? Das Rechtliche als Ordnungsgrundlage sichert politischen Bestand und richtet sich in Verbindung mit dem Staatlichen gegen die exogene Grenze. Das Wirtschaftlich-Technische dient ebenfalls der Erweiterung oder Bewahrung der exogenen Grenze. Kunst und Kultur sowie Mythos, Magie und Religion dagegen richten sich gegen die endogene Grenze. Man sagt wohl von einem hervorragenden Künstler, Dichter, Philosophen, er habe uns neue Vorstellungswelten erobert. Das ist ganz wörtlich zu nehmen; der Künstler, Magier, schiebt die Grenze der Vorstellungswelt hinaus, er erweitert die endogene Grenze. 3
Danzel
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1. Kapitel:
Grundbegriffe
Die magischen Praktiken der „Primitiven" mit ihren Beschwichtigungsriten, Anbahnungszaubern sind ebenfalls schöne Beispiele solcher Grenzüberwindungen, wie wir später noch ausführen werden.
§ 11. D I E HAUPTSÄCHLICHEN IN D E R K U L T U R T Ä T I G K E I T WIRKSAMEN
FUNKTIONEN.
Alle Kulturtätigkeiten sind in bezug auf die äußere Welt ein Ubermächtigen, Aneignen und Verwerten (bezw. auch ein Abwehren und Meiden). Im Sinne wirtschaftlicher und technischer Tätigkeit ist die Ubermächtigung ein Konsumieren, Zurichten, Benutzen oder Austauschen von Stoffen. Im Sinne der Kunst ist die Ubermächtigung ein Abbilden, Darstellen, Gestalten, Schmücken. Im Sinne der Religion ist die Ubermächtigung erstens ein Erwerb von positiven Erlebnis-, Heiligkeits- und Kraftwerten oder zweitens eine Neutralisierung magischer Erlebniswerte. Beides geschieht mit Hilfe von Amulettgebrauch, Zeremonien, Kulten, Opfern, Weihen, zauberischen Handlungen usw. Es handelt sich also letzten Endes um ein mehr oder weniger ausgeprägtes Beschwichtigen. Eine Beschwichtigung kann auch gewonnen werden in Deutungen wie sie der Augur, der Orakelmacher, der Schamane ausführt. Im Sinne des Sozialen ist die Ubermächtigung ein Sichern durch Sichverbünden, Untertänig- und Abhängigmachen, Vergemein-. Schäften, Ordnen, oder auch ein Zurschaubringen (als Trophäe und Prunk). Man kann also die hauptsächlichen Funktionen zu der folgenden Tabelle vereinigen:
§11. Die hauptsächlichen
in der Kulturtätigkeit
wirksamen
Gebiet
Funktion
Religion, 1 Magie 1
heiligen (weihen); beschwichtigen; deuten;
Kunst
gestalten (schmücken); darstellen (ausdrücken); mitteilen;
Technik, Wirtschaft
produzieren (zurichten); benutzen, tauschen; konsumieren;
Soziales
sichern, ordnen, abhängig machen, vergemeinschaften
Funktionen
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Die Ubermächtigungen bewirken eine Befriedigung von Trieben oder Steigerung von Eigenschaften. Die Steigerung ist in der Religion und Magie eine innerliche psychische Stärkung, Festigung, Heiligung, Beschwichtigung usw. durch Übertragung eines magisch Wirksamen oder Heiligen. Die Steigerung ist in der Kunst ursprünglich — da sie anfangs ganz magisch-religiösen Charakter hat — die gleiche. Die Steigerung ist in der Wirtschaft und Technik eine physische bezw. physikalische. Im Sozialen ist die Befriedigung und Steigerung durch das Abhängigmachen (auch in geschlechtlicher Hinsicht) oder Verbünden eine Art physischer, in dem zeremoniellen Zurschaubringen („Prunken") eine psychische. Man erkennt hier auch den grundsätzlichen Unterschied zwischen religiös-künstlerischer und technisch-wirtschaftlicher Kultur. Die Steigerungen in Wirtschaft und Technik geschehen durch die dem Gegenstande, Stoffe, Materiale eigenen physikalischen oder chemischen Eigenschaften. Die Steigerungen in Religion und Kunst durch die dem Werke (z. B. Götterbild) oder Gegenstande (Amulett) eigenen Erlebniswerte. Im ersten Falle handelt es sich um äußere 3*
28
1. Kapitel:
Grundbegriffe
(exogene) Werte, im zweiten Falle um innere (endogene). Nach den Gegenständen oder Gebilden, die in den Funktionen wirksam sind, können wir analog der vorigen Ubersicht die folgende Tabelle aufstellen: Gebiet:
Gegenstände:
Religion Magie
| |
Amulett, Fetisch, Yotiv, Reliquie, Sakrarium
Kunst
}
Schmuck, Abbild, Darstellung
Technik ^ Wirtschaft J
Nahrung, Gerät, Geld, Verkehrsmittel
Soziales
Gruppe, Vereinigung, Trophäe, Abzeichen, Obdach, Waffe
}
Die Gegenstände haben ihrer Funktion entsprechend verschiedene Bedeutung, einmal für die Kulturgemeinschaft, der sie zugehören, dann auch für den Forscher hinsichtlich ihres dokumentarischen Wertes. In der Völkerkunde glaubte man vielfach eine Art demokratischen Prinzipes vertreten zu dürfen, nach welchem Gegenstände der Technik und Wirtschaft für den Forscher als Dokumente von gleichem Werte seien wie Gegenstände der Religion und Kunst. Es wurde schon darauf hingewiesen, wie irrig es ist, die materielle Kultur als „Grundlage der Kultur" anzusehen. Gewiß kann eine Kultur nicht ohne materielle Hilfsmittel existieren, ebenso gewiß ist es aber auch, daß ohne Mittel, welche das geistige Gleichgewicht, die geistige Bereitschaft und Impulsivität, die geistige Gemeinschaft erhalten, fördern oder steigern, wie es in Kunst, Religion und Magie geschieht, das kulturelle Leben als solches sich nicht auf die Dauer erhalten kann. Wohl sind, — wie Richard K r o n e r sagt, — („Selbstverwirklichung des Geistes" p. 126) Wirtschaft und Technik „die tragende Grundlage für Staat und Wissenschaft, Religion und Kunst, aber sie sind auch in diese Gebiete eingeschlossen: ohne Wirtschaft und ohne Technik ist weder der Staat noch die Wissen-
§11.
Die hauptsächlichen
in der Kulturtätigkeit
wirksamen Funktionen
29
schaft, weder die Religion noch die K u n s t denkbar und wirklich; aber ohne Staat und Wissenschaft, ohne Religion und Kunst sind hinwiederum auch Wirtschaft und Technik weder denkbar noch wirklich". Dieses gegenseitige Sichtragen und Sichbedingen der Zivilisations- und Kulturgebiete bedeutet jedoch nicht, daß beide in d e m s e l b e n Grade am Gesamtsinne der K u l t u r teilhaben, vielmehr beruht das Gegenseitigkeitsverhältnis darauf, daß die Zivilisation (Wirtschaft und Technik) ein untergeordnetes, darum nicht minder unentbehrliches Moment im Ganzen der K u l t u r ist. Wirtschaft und Technik sind ein untergeordnetes Moment, weil sich die kulturellen Tendenzen und Impulse der Menschen nur im Zusammenhange mit der eigentlichen K u l t u r (Kunst, Religion usw.) darzustellen, auszudrücken, zu objektivieren vermögen. Deutlicher: Die Bedürfnisbefriedigung mit ihren zivilisatorischen Einrichtungen vollendet sich erst durch ihre staatliche und im weitesten Sinne religiös-künstlerische Gestaltung; „die K u l t u r selbst schafft sich die Zivilisation, sie schafft sich selbst das Fundament, auf dem sie sich aufbaut. Der „ O b e r b a u " der K u l t u r ist nicht nur Oberbau, sondern ist zugleich der ganze B a u und umfaßt daher sein eigenes Fundament als Teil von sich." ( K r o n e r ) Der Erkenntniswert der religiösen und künstlerischen Gegenstände ist aber auch deswegen ein außerordentlich viel größerer, weil wir in ihnen die spezifisch m e n s c h l i c h e n Leistungen vor uns haben. Geräthaftes finden wir in z. T . außerordentlich vollendeter Weise bereits beim Tiere. Man denke nur an das Netz der Spinne, an die Wabenbauten der Biene und besonders an die Bodenkultur und Viehhaltung tteibenden (Pilze züchtenden und Läuse pflegenden) Ameisen (Attiden). A u c h zu den sozialen Gebilden finden wir im Tierreiche und wieder besonders bei den Ameisen bereits weitgehende Analogien. Man erinnere sich an die Arbeitsteilung im Ameisenbau, an die ständischen Gliederungen, an Sklavenhaltung und vieles andere bei denselben Tieren. Was die menschlichen Werkleistungen gegenüber den tierischen auszeichnet, ist die Symbolik, die Symbolfunktion, wie sie sich spezifisch eben in K u n s t und Religion, in Magie und Kultus offenbart. K u n s t und Religion sind dann auch aus einem bereits erwähnten Grunde von besonderer
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1. Kapitel:
Grundbegriffe
Wichtigkeit für die Kulturforschung, weil sie in weit höherem Maße repräsentative Bedeutung haben als die technischen und wirtschaftlichen Güter. Als Träger des Kulturgehaltes spiegeln sie die Mentalität, die Geisteshaltung einer Kulturgemeinschaft unmittelbarer wieder, als die mehr „bestandlichen" technisch-wirtschaftlichen Güter, die — wie wir bereits darlegten — in viel höherem Maße austauschbar, übertragbar, entlehnbar sind. Wir haben einen Uberblick über die hauptsächlichen in der Kulturtätigkeit wirksamen Funktionen gewonnen, damit haben wir einige für alle Kulturgemeinschaften wesentlichen Züge kennen gelernt, gleichsam die in allen Kulturgemeinschaften vorfindlichen Strebungskonstanten. Diese Strebungen sind die Träger der Kulturgüter und gleichsam für die Kulturgemeinschaft als solche konstitutionell. Es ist wichtig, bei allen Entlehnungs- und Ubertragungsproblemen sich dessen stets zu erinnern. Die Strebungen als solche sind in einer Kulturgemeinschaft immer da, aber Form und Gestalt, in denen sie sich in den Kulturgütern äußern, ist manchen Wandlungen unterworfen. Entlehnbar ist bis zu einem gewissen Grade nur die äußere Form und Gestalt für diese Funktionen, welche in jeder echten Kulturgemeinschaft immer irgendwie — sei es eben in nachschaffend-entlehnter oder freier — Weise ihre Auswirkung suchen und finden.
§ 12. D I E M A T E R I A L I E N I N B E Z I E H U N G ZU D E N FUNKTIONEN. Hinsichtlich ihrer natürlichen Herkunft, ihres exogenen Charakters können die im vorigen Paragraphen genannten Gegenstände von dreierlei Art sein: 1. organische, 2. chemisch-physikalische, 3. geographisch-astronomische. Zum organischen Materiale gehören Pflanze, Tier sowie die eigene Leiblichkeit des Menschen. Das chemisch-physikalische Material bilden die mineralogischen, botanischen, zoologischen Stoffe der Umwelt. Die geographisch-astronomische Gruppe ist der chemisch-
§12.
Die Materialien
in Beziehung
zu den
Funktionen
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physikalischen in manchem nahe. Der Wind, das Wasser können als Kraftspender unmittelbar in ihrer physikalischen Natur geräthaft benutzt werden. Ebenso ist es an sich möglich, astronomische Materialien in den Meteorsteinen zu verwenden. Aber Wolken, ferne Bergzüge, Gestirne können nur als Form, als Abbild, als Motiv für die Gestaltung in Kunst, Dichtung, Mythos verwertet werden. Wenn wir diese Einteilung mit der Ubersicht der in der Kulturtätigkeit hauptsächlich wirksamen Funktionen vereinigen, erhalten wir die folgende Problemübersicht: I. Welche Bedeutung haben organische Faktoren (a. Pflanze; b. Tier; c. Mensch) für das wirtschaftlich-technische Leben? II. Welche Bedeutung haben astronomisch-geologische Faktoren (a. Gestirne; b. Luft und Wasser; c. Grund und Boden) für das wirtschaftlich-technische Leben ? III. Welche Bedeutung haben chemisch-physikalische Faktoren .(a. Material; b. Kraft; c. chemische Wirksamkeit) für das wirtschaftlich-technische Leben ? IV. Welche Bedeutung haben organische Faktoren (a. Pflanze; b. Tier; c. Mensch) für das soziale Leben? V. Welche Bedeutung haben astronomisch-geologische Faktoren (a. Gestirne; b. Luft und Wasser; c. Grund und Boden) für das soziale Leben ? VI. Welche Bedeutung haben chemisch-physikalische Faktoren (a. Material; b. Kraft; c. chemische Wirksamkeit) für das soziale Leben ? VII. Welche Bedeutung haben organische Faktoren (a. Pflanze; b. Tier; c. Mensch) für das religiös-magische Leben ? VIII. Welche Bedeutung haben astronomisch-geologische Faktoren (a. Gestirne; b. Luft und Wasser; c.Grund und Boden) für das religiös-magische Leben ? I X . Welche Bedeutung haben chemisch-physikalische Faktoren (a. Material; b. Kraft; c. chemische Wirksamkeit) für das religiösmagische Leben ? X . Welche Bedeutung haben organische Faktoren (a. Pflanze; b. Tier; c. Mensch) für das künstlerische Leben? X I . Welche Bedeutung haben astronomisch-geologische Faktoren
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1. Kapitel:
Grundbegriffe
(a. Gestirne; b. Luft und Wasser; c. Grund und Boden) für das künstlerische Leben ? X I I . Welche Bedeutung haben chemisch-physikalische Faktoren (a. Material; b. Kraft; c. chemische Wirksamkeit) für das künstlerische Leben ? Diese Ordnung von Fragen gibt das natürliche System der ethnologischen Kulturkunde. Die Fragen sind nicht alle von der gleichen prinzipiellen Bedeutung. Manche auch überschneiden und kreuzen sich. § 13. E X O G E N I S T I S C H E U N D E N D O G E N I S T I S C H E ,
STA-
TISCHE U N D DYNAMISCHE D E U T U N G D E R K U L T U R . URSPRUNGSPROBLEME. Wir sprachen im sechsten Paragraphen von der endogenen und exogenen, von der inneren und äußeren Seite der Kultur, dann später in § 8 von Gehalt und Bestand, sowie in § 9 von Symbol und Gerät. Diese Begriffe dienten uns dazu, wesentliche Seiten der Kultur in ihrer Besonderheit zu erfassen. Es gibt nun Forschungsrichtungen (wir wiesen gelegentlich schon darauf hin), die vorwiegend der exogenen Seite der Kultur ihre Aufmerksamkeit widmen, und die alles aus der außenweltlichen Bedingtheit der kulturellen Phänomene erklären wollen. Dieser exogenistischen Richtung steht eine andere gegenüber, die die innere Bedingtheit, also die endogene Seite zu erforschen strebt. Beiden Forschungsrichtungen verdanken wir viele wertvolle Untersuchungen. Die exogenistische Forschung geht also darauf aus, vor allem die dinghaften Kulturgüter zu sammeln und ihre Beziehungen zu den Materialien der Umwelt zu erforschen. (Etwa die Kleidung in ihrer Beziehung zu den pflanzlichen Materialien, die das betreffende Gebiet bietet.) Der von der exogenistischen Forschung einseitig bestimmten Auffassung liegt es nahe, die Werkleistungen und Kulturgüter, wie sie eine Kulturgemeinschaft erschafft, überhaupt gleichsam dinghaft starr wie feste Körper anzusehen, während den Kulturforscher nicht das Objekt als solches, sondern in seiner Beziehung zur Kulturgemeinschaft interessieren soll (siehe § 9). Die
§ 13. Exogenistische
und endogenistische
Deutung
der
Kultur
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Betätigungen, Handlungen, durch die eine Werkleistung in die Kulturgemeinschaft einbezogen wird und vor allem die diesen Betätigungen, Handlungen zu Grunde liegenden Erlebnisse, inneren Zustände, Gedanken, Gefühle, Vorstellungen dürfen nicht außer acht gelassen werden. Ihnen widmet sich die endogenistische Forschung. Ihr werden alle Werkleistungen zu Gedanken-, Gefühls-, Zustandszeugnissen. Deswegen kann man eben, wenn man endogene Momente berücksichtigt, nicht leichtfertig von einem „Wandern von Kulturgütern" sprechen, wie es so oft geschieht. Die Kulturgüter wandern nicht, sondern sie werden bewegt durch lebende Gemeinschaften. Sie können auch abgelehnt werden. Ob eine Annahme oder Ablehnung zustande kommt, das hängt ganz von dem Kulturgehalte ab, wie wir ja bereits in § 8 auseinandersetzten. Mit der exogenistischen bezw. endogenistischen Betrachtungsweise kann sich nun noch jeweils die statische und dynamische verbinden. Man kommt so — vom Standpunkte der ethnologischen Kulturkunde aus gesehen — auf vier Betrachtungsweisen: 1. statisch-endogenistische Betrachtungsweise: Soziologie; 2. statisch-exogenistische Betrachtungsweise: Museumsethnographie; 3. dynamisch-endogenistische Betrachtungsweise: Geistesgeschichte, Völkerpsychologie; 4. dynamisch-exogenistische Betrachtungsweise: Kulturgütergeschichte, politische Geschichte. — Natürlich repräsentieren die aufgeführten Gebiete die ihnen zugeteilte Betrachtungsweise nicht in völliger Ausschließlichkeit. Vielmehr haben z. B. die Gebiete der Kulturgeschichte auch endogenistische Momente zu eigen usw. Es sind also die Betrachtungsweisen — wie ausdrücklich hervorgehoben sei — in den genannten Wissensgebieten zwar wohl gemischt, aber doch so, daß die in der Tabelle genannte Betrachtungsweise in ihnen am meisten zur Geltung kommt. In enger Verbindung mit den Wanderungsproblemen stehen die Ursprungsprobleme. Der Ursprung von Sprache, Religion oder
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1. Kapitel:
Grundbegriffe
Kunst sind oft diskutierte Probleme. Das Auftauchen (oder auch Verschwinden) eines Kulturgutes ist — das dürfte sich aus unseren bisherigen Erörterungen ergeben haben — auf eine geistige Veränderung in der ursprunggebenden Gemeinschaft zurückzuführen, also endogenistisch zu erklären; neu erwachende Bedürfnisse schaffen sich ihre Befriedigungsmittel. Daß man bei der Herstellung der Befriedigungsmittel sich möglichst an nahe verwandte, bereits bestehende Einrichtungen anzulehnen bestrebt ist, ist verständlich. So entsteht z. B. die Schrift aus einem erwachenden Aufzeichnungsbedürfnis; daß man dabei anfangs u. a. magische Symbole und spielerische Zeichen mit verwendet, ist naheliegend. Die Schrift verdankt aber nicht ihre Entstehung den magischen Symbolen und spielerischen Zeichen usw. als solchen, sondern eben einem erwachenden Aufzeichnungs- (oder Mitteilungs-) Bedürfnisse. Ihr Ursprung ist also auf einen Sinneswandel zurückzuführen. Dieser Sinneswandel nun kann nicht ausschließlich aus Umweltsverhältnissen erklärt werden. Warum trat er nicht schon früher ein, wo doch die Bedingungen dieselben waren ? Warum erschuf sich das eine Volk eine Bilderschrift, ein anderes, unter ähnlichen Bedingungen lebendes, aber nicht ? Mit dem Ursprungsproblem wird vielfach das Problem von der Bedeutung des Individuums für die Gemeinschaft verbunden. Es heißt dann wohl: den Schöpfungen einzelner großer Individuen sei jeglicher wahre Fortschritt der Kultur zu danken. Uber den Fortschrittsbegriff und die unheilvollen Verwirrungen, die ihm zu Grunde liegende, einseitige, schlecht begründete Wertungen gestiftet haben, ist bereits gesprochen worden. Natürlich ist jede kleine Änderung in der Kultur einmal von einem Individuum als solchem zuerst ausgeführt worden. Aber das Individuum ist nicht isoliert, sondern steht in einem Gliedlichkeitsverhältnis zu seiner Kulturgemeinschaft und eben in seiner Eigenschaft als Angehöriger eines bestimmten Gemeinschaftslebens, als Teilhabender an der Struktur, bewerkstelligt es alle, auch die scheinbar gegensätzlichsten Handlungen und vollzieht alle Leistungen.
§ 14. Die Aufgabe
§ 14.
der ethnologischen
Kulturkunde
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D I E A U F G A B E D E R ETHNOLOGISCHEN K U L T U R KUNDE. Wie steht nun das Verfahren der Kulturkunde zu den im vorigen Paragraphen entwickelten Betrachtungsweisen und wie bedient sie sich der Begriffe, die sich aus den grundsätzlichen Klärungen der bisherigen Erörterungen ergeben haben ? Die Kulturkunde, insofern sie ethnologisch ist, widmet sich den Frühstufen der Kultur, den Stufen also, die wir im nächsten Kapitel in ihren wesentlichen Zügen charakterisieren werden. Die Kulturkunde ist die Kunde von dem Kulturbestande früher Stufen. Die Objekte, die einzelnen Werkleistungen interessieren sie nicht wegen ihrer Beschaffenheit als solcher, sondern nur in der Bedeutung, die die Objekte, Werkleistungen oder Gebilde für die frühstufliche Kulturgemeinschaft haben. Es sind also die Gemeinschaftsfunktionen der einzelnen Werkleistungen, in der Form, wie sie für die kulturellen Frühstufen typisch sind, die in Betracht gezogen werden. Also etwa eine Tierfalle, ein Webeapparat, eine Hausanlage haben in ihrer technischen Konstruktion, in ihrer mechanischen Einrichtung, so unerläßlich die Kenntnis und Erforschung solcher Einzelheiten für den Ethnographen auch sein mag, keine unmittelbare Beziehung zu dem Thema, das wir hier umrissen haben. Uns interessiert in diesem Zusammenhange nur die B e d e u t u n g als solche, die derartigen Einrichtungen im Rahmen des frühstuflichen Gemeinschaftslebens zukommt. Auch die historischen und dynamischen Probleme stehen außerhalb der präzisierten Aufgabe. Historische und geographische Völkerkunde sollen sicherlich in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden, aber es war notwendig, einmal die ethnologische Kulturkunde als solche gesondert zu charakterisieren und die Klärungen und Bereicherungen, die sie in ihrer Stellung zu bieten vermag, näher zu begründen, nicht aus der Tendenz eigenwilliger Spezialisiererei, sondern um einige Grundfragen und ihre Lösungen in ihrer Reinheit und Unvermischtheit hervortreten zu lassen. Wir fassen zusammen: Die ethnologische Kulturkunde ist die Wissenschaft von dem Kulturbestande frühstuflicher Kulturgemeinschaften. Ihr Gegenstand sind also die für die Frühstufe typischen Werkleistungen, Betätigungsgebilde und Kulturgüter hinsichtlich ihrer spezifischen Funktion im Rahmen der Kulturgemeinschaft.
2. KAPITEL: FUNKTIONSTHEORETISCHE SKIZZE. § 1. HOMO D I V I N A N S UND HOMO F A B E R . (TRAUM, S U G G E S T I O N , E K S T A S E ) Der geistige Unterschied zwischen Natur- und Kulturvölkern ist schon früh beachtet worden. Schon früh auch hat man sich darüber Rechenschaft zu geben bemüht, worauf dieser Unterschied letzten Endes eigentlich beruhe. Man glaubte mitunter, daß die eine oder andere geistige Fähigkeit bei den Naturvölkern unentwickelt geblieben sei, die anderen Fähigkeiten aber den unseren im wesentlichen glichen. Man sprach etwa von dem schwachen Willen primitiver Menschen, der es vielfach verhindere, daß sie in stetiger zweck- und zielbewußter Arbeit ihre Leistungen ergiebiger gestalteten. Oder man sagte, die schwach entwickelte Vernunft hindere die Ausbildung wissenschaftlichen Denkens und liefere dadurch den primitiven Menschen allerlei Selbsttäuschungen, Aberglauben usw. aus. Indessen heute steht das Folgende fest: wohl sind bei den verschiedenen Völkern die rassischen Anlagen verschieden. Man denke nur an das anders geartete Temperament südlicher Völker, das in unübersehbarem Gegensatze steht zu der schweren Art nördlicher Nationen (Abweichungen, die sich vor allem im Rhythmischen geltend machen). Die grundsätzliche Verschiedenheit jedoch zwischen den Primitiven und uns beruht nicht auf einer rassischen Verschiedenheit, sondern auf einer stuflichen. Aus der Eigenart der Bewußtseinsstufe sind in erster Linie die fremdartigen Verhaltensweisen zu erklären, die Anlaß gaben zu der Vermutung, Willens- oder Verstandesschwäche seien ihre Ursache. Der fremdartigen Verhaltensformen, die zu allerlei Mißdeutungen führten, gibt es ja eine große Menge. Es sei nur an die zahllosen Kulte, Riten, Zeremonien, an die zauberischen Bräuche und Praktiken, die dem Leben der Naturvölker mitunter eine seltsame Farbigkeit verleihen, wie auch an die Sagen und Mythen, an Dä-
§ 1. Homo Divinans und Homo Faber
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monistisches und allerlei Phantasmen, die mit den genannten Handlungen in Beziehung stehen, erinnert. Das sind alles Züge, die, wenn auch in großer lokaler Verschiedenheit auftretend, alle sogenannten „Primitiven" und „Halbkulturvölker" charakterisieren, und es sind auch Züge, die auch den früheren europäischen Kulturepochen das Gepräge gaben. Man erinnere sich z. B. nur des Reliquienglaubens, der Bedeutung von Kultus und Symbolik im europäischen Mittelalter, und man wird etwas dem Fetischismus und der Mythik der „Primitiven" durchaus Analoges gefunden haben. Dabei sei ausdrücklich hervorgehoben, daß wir mit diesem Vergleiche keineswegs die Religiosität des christlichen Mittelalters auch nur im mindesten herabzusetzen beabsichtigen. Es wurde ja bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß wir kulturelle Tatsachen und kulturelles Geschehen ohne jede Wertung betrachten und nur in der Besinnung auf das Wesentliche ihrer Züge durch Vergleich und Gegenüberstellung kennzeichnen wollen. Die Verschiedenheit zwischen dem heutigen großstädtischen Europäer, als kultursozialer Typ genommen, und den Primitiven ist also eine durchgehende, das seelische Gesamtverhalten, die Gesamteinstellung zur Welt betreffende und nicht für Einzelzüge, Einzelfähigkeiten maßgebliche, sie ist eine der geistigen Entwicklungsstufe, eine des Bewußtseins. Man kann auch sagen, die Verschiedenheit ist eine der „psychischen Struktur". Der Begriff der Struktur, den wir damit einführen, bedarf jedoch noch einiger Erläuterungen. Wenn wir ganz allgemein Bewußtseinsvorgänge bis auf ihre Grundform zurückverfolgen, können wir sagen: Bewußssein ist Bewußtsein von etwas; mit anderen Worten heißt das: Subjekt und Objekt, Person und Sache treten einander gegenüber. Im Bewußtsein werden Beziehungen von Subjekt und Objekt gebildet; diese Form nun der Bewußtseinsbeziehung zwischen Subjekt und Objekt bezeichnen wir als psychische Struktur. Die psychische Struktur offenbart nun ganz allgemeine Eigenschaften, die je nach der Kulturstufe verschieden sind. Damit ist gesagt, daß das Objektive als solches, die Welt also, auf verschiedenen Stufen verschieden erlebt wird. Vorwegnehmend können wir sagen — die nötigen Erläuterungen
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2.
Kapitel
werden noch gegeben werden —, daß sich der Entwicklungsgang des Bewußtseins von den Zeiten des sogenannten primitiven Menschentums (Homo divinans) bis zu den Zeiten der sogenannten Hoch- und Spätkultur (Homo faber) in der folgenden Weise darstellt: zunehmende Differenzierung, zunehmende Intellektualität, zunehmende Objektivität einerseits. Andererseits zeigt sich, gehen wir von der Stufe der Hoch- und Spätkultur zu den Primitiven zurück: zunehmende Komplexheit, zunehmend emotionaler Charakter, zunehmende Subjektivität. Dieses zunächst nur in kurzer schlagwortartiger Andeutung. (Vergl. Danzel: „Der magische Mensch". Potsdam 1928.) Die Erlebniswelt des „Primitiven" ist in grundlegender Weise von der unserigen verschieden. Wir finden da eine Fülle von Dämonen und Geistern, Phantomen und Chimären, von zauberischen Wirksamkeiten und magischen Handlungen, von seltsam kraftbegabten Gegenständen tabuistischer, fetischistischer usw. Art wie Amulette, Reliquien, Sakrarien usw. Es zeigt sich daran: die in der Welt waltenden Wirksamkeiten kommen dem Primitiven in anderer Weise zum Bewußtsein und deswegen sind auch die Verfahren, um diese Wirksamkeiten zu bewältigen z. T. andere, als wir sie ausüben. Freilich, wenn wir diese seltsamen Verhaltensformen, wie sie sich im religiös-magischen Lebensbereich geltend machen, verstehen wollen, dürfen wir nicht ohne weiteres uns gemäße Begriffe auf die Verhaltensformen des primitiven Menschen anwenden. Es ist durchaus unangebracht, etwa die Begriffe von „Absicht" und „Zweck" in dem uns geläufigen Sinne ohne weiteres für primitive Verhältnisse zu gebrauchen. Kann denn der wissenschaftlich gebildete Mensch noch die Phantasmen der Geister und Dämonen, der Zaubereien und Kulte wirklich ernst nehmen ? Heißt es nicht, die Errungenschaften wissenschaftlichen kritischen Denkens aufgeben, wenn man diese Seltsamkeiten als sinnvoll gelten läßt ? Es gibt in der Tat einen Schlüssel zum Verständnisse der magisch-mythischen Erlebniswelt, wie wir sehen werden. Das Grundproblem der Kulturkunde ist letzten Endes die Frage: welcher Sinn liegt den primitiven Verhaltensformen zu Grunde ? Welchen Notwendigkeiten entsprechen dieseVerhaltensformen, und was wird mit ihnen erreicht ?
§ 1. Homo Divinans
und Homo Faber
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Wenn wir nun z. B. irgendwelche zauberischen Handlungen als sinnvolle Äußerungen bezeichnen, so ist damit eine wichtige Folgerung verbunden. Wir vermögen die zauberischen Handlungen — etwa einen Rachezauber, der angeblich einen Feind treffen soll — unserem Leben nicht sinnvoll einzugliedern, in unserem Leben wäre mit solchen magischen Handlungen kein Sinn zu verbinden. Wenn wir also solcherart magische Handlungen als sinnvolle Vollzüge bezeichnen, muß die „Wirklichkeit", mit der die magischen Handlungen in Einklang stehen, eine „andere" sein. Wir wiederholen also: die Wirklichkeit bietet sich dem Primitiven in anderer Weise dar. Die Wirklichkeit gibt sich seiner Auffassung anders als uns. Auch bei uns machen sich bereits schwerwiegende Unterschiede der Weltauffassung geltend: ein Wald z. B. ist e t w s völlig Verschiedenes für den Terrainspekulanten, den ästhetischen Genießer und den religiösen Ekstatiker. Wahrhaft fundamental sind aber die Unterschiede zwischen der Weltauffassung des primitiven Menschen und des europäischen Großstädters. Unserem Wirklichkeitserlebnisse entsprechen allerlei begriffliche Unterscheidungsformen wie subjektiv und objektiv, Gegenstand und Zustand, Geist und Stoff usw. Diese begrifflichen Unterscheidungen verlieren für die Welt, wie sie der Primitive erlebt, bis zu einem gewissen Grade — das zeigen eben seine Mythen und Kulte, sein Dämonismus und seine magische Praxis — ihre Gültigkeit und Anwendbarkeit. Dagegen finden wir aber andere Unterscheidungen, die der Erlebniswelt des Primitiven gemäß sind, in Zusammenhang mit denen sich die magischen Handlungen als durchaus sinnvolle Vollzüge erweisen. Zwei Momente sind es vornehmlich, die die Bewußtseinsstufe des primitiven Menschen kennzeichnen, einmal die große Empfänglichkeit für gewisse Suggestionen, die uns in zahllosen Berichten aus allen Erdteilen immer wieder bezeugt wird. Die Indianer — sagt H e c k e w e l d e r — sind nicht mehr dieselben Menschen, „in dem Augenblicke, wo ihre Einbildungskraft von dem Gedanken ergriffen wird, daß sie behext sind. Eine auf solche Weise getroffene Person wird sogleich von einem unerklärlichen Schrecken ergriffen, sie wird niedergeschlagen, der Appetit verläßt sie, sie schläft un-
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2.
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ruhig, sie verschwindet und magert ab . . ., sie stirbt endlich als ein unglückliches Schlachtopfer ihrer Einbildungskraft". Analoge Berichte liegen auch von anderen Völkern vor, so aus Neu-Guinea, Australien, Loango, Südafrika usw. usw. Besonders in der Medizin (wie auch in allen Kulten und Riten) der Naturvölker spielen suggestive Wirkungen eine außerordentliche Rolle. Die australischen Dieyerie z. B. haben (ähnlich den Eingeborenen in Afrika und Amerika) Zauberärzte „Koonkie" genannt, die sich der magischen Suggestionspraxis widmen. Die Koonkie sind Eingeborene, die in ihrer Jugend Visionen von Dämonen gehabt haben, was sie zur Vornahme von allerlei magischen Handlungen befähigt. Wenn jemand krank ist, schickt man sogleich zu dem Koonkie. Dieser befühlt die schmerzhaften Teile und beginnt an ihnen zu saugen. Schließlich produziert er ein Stück Kohle oder Holz, in das die Krankheit gleichsam hineingebannt wurde. „Und wirklich" — so heißt es in einem Berichte — „ist die Macht der Einbildung in manchen Fällen so stark, daß ich einen Eingeborenen sah, der sehr krank war und nach dem Koonkie schrie, aber nach der Vornahme der Manipulation wieder ganz gesund schien". Wir sehen an diesem Beispiele auch ein zweites Moment, das die Bewußtseinsstufe der Naturvölker auszeichnet: die Bedeutung von Visionen, Träumen usw. Der australische Koonkie erwies ja seine Befähigung für die Aufgaben als Medizinmann durch visionäre Erlebnisse. „Der Glaube an die Wahrheit der Visionen ist allgemein auch unter den Indianern" sagt H e c k e w e l d e r . „Das Gemüt der Knaben wird zu bestimmten Zeiten durch ein besonderes Verfahren in einen Zustand der Überspannung (Ekstase) gebracht, wodurch Träume und Visionen erzeugt werden. In solchem Zustande glaubt der Knabe von gewissen Geistern oder übersinnlichen Mächten Anweisungen und Belehrungen zu bekommen über das, was er für Taten in dem folgenden Laufe seines Lebens verrichten werde". S c h o o l c r a f t berichtet in ähnlicher Weise, daß nordamerikanische Indianer glauben, im Schlafe Ausflüge zu machen und T h o m s o n sagt, daß die Neuseeländer der Ansicht seien, daß der Schläfer sich im Traum entferne und daß die Träume die Gegenstände zeigten, die sich auf den Wanderungen darböten. Auch auf Fidschi herrscht
§ 2. Beschwichtigung,
Heiligung,
Deutung
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der Glaube, daß der Geist eines Menschen gelegentlich seinen Träger zu verlassen vermöge, wie auch die Dajak (nach B r o o k e ) glauben, „daß diejenigen Dinge, welche sich im Traume ihrem Geiste gezeigt haben, stattgefunden hätten". G a r c i l a s o sagt von den Peruanern, daß sie behaupten, daß die Träume die Dinge offenbaren, denen die Seele begegnet sei. Nach D r u r y haben die Bewohner Madagaskars eine religiöse Ehrfurcht vor Träumen, und glauben, der gute Dämon komme und verkünde ihnen in ihren Träumen, wenn sie etwas besonderes unternehmen sollten oder warne sie vor einer Gefahr. Von den Sandwich-Insulanern berichtet E l l i s , daß sie den Glauben hegen, das gestorbene Glied einer Familie erscheine den Uberlebenden mitunter im Traume und wache gleichsam über ihren Schicksalen, und ebenso erzählt er uns von den Tahitiern, daß sie glaubten, der Geist der Verstorbenen erscheine gelegentlich den Überlebenden in ihren Träumen. Von Kongonegern sagt R e a d e , daß sie allem im Traume Gesehenen und Gehörten Glauben schenken. Auch K r a p f sagt, daß die ostafrikanischen Wanika berichteten, die Geister der Gestorbenen hätten sich den Lebenden im Traume gezeigt, wie auch S h o o t e r von den Kaffern erzählt, daß sie die Träume der Einwirkung von Geistern zuschreiben. So finden wir überall auf den sogenannten primitiven Stufen 1. die erhöhte Empfänglichkeit für Suggestionen, 2. die besondere Bedeutung subliminaler Zustände wie Traum oder Ekstase usw. Namentlich die große Empfänglichkeit für Suggestionen ist es, die eine zureichende Erklärung liefert für viele Handlungen, die in den nächsten Paragraphen genannt werden.
§ 2. BESCHWICHTIGUNG, H E I L I G U N G , D E U T U N G . Es wurde bereits von der Verwobenheit der Vorstellungen, wie sie Naturvölker ausbilden, gesprochen. Wir sagten, zwischen Subjektivem und Objektivem, zwischen Zustand und Gegenstand, Stoff und Geist, werde im Bewußtsein noch nicht mit der uns gewohnten Schärfe geschieden. Dem Seelischen, dem Subjektiven haftet bis zu einem gewissen Grade Objektivitätscharakter an, den Dingen aber Subjektivitätscharakter. Mit anderen Worten: das 4
Danzel
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2.
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Seelische erscheint verstofflicht, vergegenständlicht, das Gegenständliche vergeistigt, beseelt. Dadurch werden die Gegensätze zwischen Seelischem, Subjektivem einerseits und Stofflichem, Gegenständlichem andererseits überbrückt. Wir wollen das eingehender erläutern. Wünsche, Haß, Furcht, überhaupt Leidenschaften, deren Kräfte stärker sein können als das eigentliche Ich, verdichten sich in der Auffassung der Naturvölker zu dämonischen Gestalten, die eine Eigenexistenz zu führen scheinen. Dadurch, daß diese Kräfte in objekthafter Selbständigkeit dem Menschen gegenübertreten, sind ganz besonders geartete Verfahren zu ihrer Bewältigung notwendig: das sind die Kulte, Riten, Zeremonien, Opfer. „Zahlreich wie die Wünsche und Ängste sind auch die Fetische, deren man sich bedient" sagt einmal P e c h u e l - L o e s c h e von den afrikanischen Bafioti. Der Sinn solcher magischen Handlungen liegt also nicht in irgendeiner Wirkung auf die Außenwelt, sondern in der Wirkung beschwichtigender Art, die sie in dem Ausübenden selbst auslösen. Der Ausübende wird bei dem instinktiven Vollzuge der magischen Handlungen durch Ausschaltung, durch Uberwindung unerträglicher oder irgendwie hemmender Vorstellungen und Gefühle in seinem Zustande geändert; wenn auch nicht die Lebensbedingungen der Außenwelt, die objektiven Bedingungen, dadurch günstiger werden, so werden doch sein Sicherheitsgefühl, seine Zuversicht, seine Impulsivität, seine Bereitwilligkeit gehoben, werden also die subjektiven Bedingungen günstiger. Die Berichte der Forschungsreisenden geben uns zahllose Beispiele von Riten und Kulten, die deutlich den Charakter von Beschwichtigungsriten tragen, oder die wenigstens erkennen lassen, daß der Beschwichtigungstrieb ursprünglich der Anlaß für ihre im Laufe der Entwicklung in mannigfacher Weise abgewandelte Ausführung gewesen ist. Der Missionar S p i e t h teilt uns von den westafrikanischen Ewe derartige Riten mit. Bei dem Yamsfeste nehmen die Priester allerlei Blätter und binden sie an eine Stange und sagen dabei: „Alle Übel, die in dieser Stadt sind, sollen in das Band fahren und gebunden werden". Dann wird das Gebundene mit einem Brei aus Asche und Urin bestrichen, wobei man die Worte ausspricht: „Wir streichen das allen den Bösen ins Gesicht,
§ 2. Beschwichtigung,
Heiligung,
Deutung
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damit sie nicht mehr sehen können". Darauf wird das „Gebundene" auf die Erde geworfen und verhöhnt. Nach allerlei weiteren Zeremonien werden die Krankheiten (symbolisch) aus der Stadt entfernt. Es wird dann unter Beobachtung von allerlei Bräuchen gerufen: „Hinaus heute! Was irgendjemand tötet, hinaus heute. — Ihr bösen Geister, hinaus heute, und alles, was uns Kopfschmerzen macht". — Von ähnlichen Vorstellungen wie die Beschwichtigungsriten sind auch die Heiligungsriten getragen. Heiligung, d. h. in unserem Zusammenhange die Aneignung von Kraft- und Heiligkeitswerten, also von geistigen Werten, geschieht ganz in dem Sinn jener Vorstellungsweise, die das Geistige ver Stofflicht. Das Verzehren heiliger Opferspeisen überträgt die Heiligkeit auf den Teilnehmer wie eine Nahrung. Waschungen, Abführmittel entsühnen und reinigen den, der sich gegen die Heiligungsgebote vergangen hat, wie von einer stofflichen Beschmutzung. Ebenso können Heiligungen vermittelt werden durch Salbungen, Berührungen usw. Ganz in dem gleichen Vorstellungskreise bewegen sich auch die Deutungen, wie sie in den zahllosen mantischen Verfahren vorliegen. Aus geworfenen Losen, aus den Eingeweiden geschlachteter Opfertiere, aus dem Vogelfluge, irgendwelchen Begegnungen und zahllosen anderen Momenten werden von den Mantikern Aussagen gewonnen. Die Auffassungsweise, die alles Geistige und Seelische verstofflicht, vergegenständlicht, läßt Gegenstände und ihre Kombinationen leicht zum Gegenbilde von menschlichen Situationen werden. Diese Deutungen stehen den Beschwichtigungen ihrer Natur nach nahe, es sind durch Deutungen begründete und verstärkte Beschwichtigungen. Die Wissenschaft — wenn man den Ausdruck Wissenschaft in diesem Zusammenhange bereits gebrauchen darf— ist hier also eine Wissenschaft der Entsprechungen. „Die Urmenschen"— so sagte schon S v e d e n b o r g — „dachten durch die Entsprechung selber". Diese Entsprechungswissenschaft erhält sich auch noch, wenn auch in technisierterer Form, auf späteren Stufen. Der alte Mexikaner warf das Los und ihm wurden die Anordnungen der geworfenen Bohnen zu Entsprechungen. Andere Völker hatten andere Verfahren. Sterne, Vogelflug, Erdformen, 4*
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2.
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alles gewinnt Bedeutung; kaum ein Gegenstand in der Natur existiert, der nicht zum Gegenbilde werden könnte. S v e d e n b o r g charakterisiert einmal den Gang der psychologischen Menschheitsentwicklung — indem er in merkwürdiger Weise die Erkenntnisse der heutigen Völkerpsychologie vorwegnimmt — in der ihm eigentümlichen Ausdrucksweise mit den Worten: „Die ältesten Menschen hätten nur in Entsprechungen gedacht, w o b e i i h n e n d i e n a t ü r l i c h e n D i n g e d e r W e l t , die sie v o r A u g e n h a t t e n , als A u s d r u c k s m i t t e l d i e n t e n " . Mit anderen Worten, die Gegenstände der Außenwelt werden in solcher Auffassungsweise zu Gegenbildern, Entsprechungen des Seelischen. L a m p r e c h t hat in ähnlichem Zusammenhange von einem „symbolischen Zeitalter" gesprochen. „Nach dieser Zeit" — sagt S v e d e n b o r g — „sei ein Geschlecht gekommen, daß nicht u n m i t t e l b a r in E n t s p r e c h u n g e n , sondern vermittels i h r e r L e h r e d a c h t e . " Man bewahrt also die Symbole eines vergangenen Zeitalters im Bewußtsein, aber man ist der Zeit, in der die Symbole entstanden, in der die Symbole unmittelbarer Erlebnisausdruck waren, doch schon fern; so leben die Symbole nur noch in der Konvention fort. L a m p r e c h t spricht in Hinblick auf diese Stufe von einem „konventionellen Zeitalter". In weiterem Verfolg der Entwicklung schwand der Symbolismus immer mehr dahin, und die „Lehre von den Entsprechungen" ging — wie S v e d e n b o r g sich ausdrückt — „völlig verloren".
§ 3. GESTALTUNG, A U S D R U C K , D A R S T E L L U N G . In der Darstellung, die der magische Mensch von seiner Erlebniswelt macht, in der mythischen Gestaltung, verwischt sich der Gegensatz zwischen subjektiv und objektiv durch eine (von uns aus gesehen) Projektion des Subjektiven in das Objektive. Man hat in Bezug auf den zu Grunde liegenden Vorgang wohl auch von einer Personifizierung des Natürlichen gesprochen. Der Mensch ist in seinen Lebensäußerungen vielfach von Leidenschaften, von Haß, von Furcht, von Wünschen abhängig wie von fremden Gewalten. Eine von starken Gefühlen getragene Vor-
§ 3. Gestaltung,
Ausdruck,
Darstellung
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Stellung kann s t ä r k e r s e i n a l s d a s I c h und vermag den Menschen zu übermächtigen. Solche herrschenden Gewalten, die im Menschen liegen, dort, wo sein eigentliches Ich aufhört, werden vom Homo divinans je nach ihrer Qualität in der Form von göttlichen oder dämonischen Gestalten geschaut, wie sie auch auf den Bildern eines Hieronymus B o s c h und B r e u g h e l noch dargestellt werden. Bezeichnenderweise heißt es auch noch in der gnostischen Lehre, daß „die sieben Todsünden als fremde Teufel in der Seele wohnen". U n s scheint es dann, als verlege der Mensch die inneren Gewalten in die Außenwelt. Goethe sagt einmal, der Mensch suche zu allem, was die Natur in ihn gelegt habe, in der Außenwelt die G e g e n b i l d e r . Dieser Satz gibt den Schlüssel zum Verständnisse des Geister- und Dämonenglaubens, wie ihn der magische Mensch ausbildet. Der magische Mensch findet für Gewalten, von denen er sich abhängig fühlt, die seiner Subjektivität entspringen, in den Erscheinungen der Natur, in der objektiven Welt, um das Goethesche Wort anzuwenden „Gegenbilder". „Auch der Magier", sagt H ö r n e f f e r , „der die Geister zitiert, spiegelt ja Vorgänge im Inneren des Magiers selber ab. Aus der Tiefe seiner Seele ruft er die Geister des Guten und Bösen herauf, in ihm selber geht der Kampf vor sich, und der Gott in seiner Brust ist es, der die guten Geister zu Herren, die bösen zu Dienern macht". — „Wer Berserkern oder Satyrn begegnet ist, Leibeigenen der Lust oder der Zerstörungswut, weiß, sie sind Personifikationen elementarer Naturgewalten. Aber das gilt nicht nur von diesen, es gilt von allen, welche irgendein Trieb ganz besitzt. . . . Jeder Trieb gibt dem Menschenantlitze einen neuen verwandelten Ausdruck, hier vertierend, dort verklärend. Der Religiöse ahnt hinter der Erscheinung einen besonderen Geist, der den Menschen zeitweilig besitzt. Den Künstler treibt es, ihm einen Leib zu schaffen, der das Wesen ganz zum Ausdrucke brächte. So sind auf dem weiten Erdenrunde Legionen von Göttergestalten entstanden" ( K e y s e r l i n g ) . Gestirne, Himmelserscheinungen, Vorgänge des Wassers, der Erde, überhaupt der Natur werden zu Gegenbildern der Leidenschaften und Gefühle, der menschenbeherrschenden Gewalten. So entstehen all die vielen „Naturgeister", Dämonen, Gottheiten usw.,
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die die Erlebniswelt des Homo divinans erfüllen. „Die Mythologen deuten die Mythen gern auf Naturvorgänge, gewiß mit Recht, aber die N a t u r s y m b o l i k b e g e g n e t sich . . . m i t der S y m b o l i k s e e l i s c h e r E r l e b n i s s e " . (H.) — Wenn wir also einen Mythos, eine Sage deuten, d. h. die Bildersprache des Mythos in eine uns geläufige Ausdrucksweise übersetzen wollen, müssen wir uns vergegenwärtigen, daß wir v o n u n s a u s g e s e h e n z w e i e r l e i in i h m f i n d e n w e r d e n , eine Z w e i h e i t , die v o m m a g i s c h e n M e n s c h e n als eine u n t r e n n b a r e E i n h e i t e r l e b t wird: s u b j e k t i v e u n d o b j e k t i v e G e h a l t e , die sich zu einer komplexen Vorstellung zusammenschließen. —
§ 4. V E R G E M E I N S C H A F T U N G . Mit dem Oberbegriffe Gesellschaft werden in der modernen Soziologie zwei soziale, ihrem Wesen nach durchaus verschiedene Formen zusammengefaßt: die Gemeinschaft und die Gesellschaft im engeren Sinne. Als Gemeinschaft bezeichnen wir eine soziale Vereinigung, die wie z. B. bei der Familie, dem Stamme auf tiefster innerer Verbundenheit beruht. Gewisse angeborene Triebe wie Hilfs- und Pflegetrieb, Instinkt der Unterordnung, die die soziale Ausstattung des Menschen bilden, finden ihre volle Entfaltung nur in der Gemeinschaft, deren Bestand durch sie gewährleistet wird. Von den Gemeinschaften sind scharf zu sondern reine Zweckorganisationen und Interessen verbände (wie z. B. Aktiengesellschaften), die wir als Gesellschaften im engeren Sinne bezeichnen. Es zeigt sich nun, daß der Mensch nach seiner Naturausstattung ursprünglich auf die Gemeinschaft angelegt ist und daß die Gesellschaften erst auf späteren Stufen zu stärkerer Ausbildung kommen, ja, daß auf späten Stufen manche ursprünglich als Gemeinschaft ausgebildete Formen immer mehr den zweckhaften Charakter von Zweck- und Interessenvereinigungen annehmen. Während ursprünglich bei sozialen Bildungen und Äußerungen in starker Weise religiöse, künstlerische usw. Motive beteiligt sind, wird im Verlaufe fortschreitender Entwicklung das wirtschaftliche Interesse, der reine Zweck für alle sozialen Formen und Auswirkungen maß-
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gebend. „Wir finden demgemäß anfangs kleine Horden undGruppen. deren Mitglieder durch gemeinsame Abstammung, also durch die Bande der Verwandtschaft zusammengehalten werden. Jeder innerhalb des Kreises Stehende wird als Freund, jeder außerhalb Stehende als Fremder oder Feind betrachtet. Jede Verletzung eines der Hordenmitglieder wird als ein Eingriff in die Rechte der Horde als solcher empfunden. So i s t d a s I n d i v i d u u m n o c h g a n z i n der G e m e i n s c h a f t v e r b o r g e n ; das I n d i v i d u u m l e b t also u r s p r ü n g l i c h w e i t m e h r in d e r G e m e i n s c h a f t a l s i n s i c h s e l b s t . Der Brauch der sogenannten Blutrache z. B. entspringt dem Racheimpuls eines Gliedes der Familie oder der gentilen Einheit, die jede Verletzung oder Beleidigung eines Gliedes dieser Einheit als eigene Verletzung oder Beleidigung erlebt". Dieses Gemeinschaftsgefühl äußert sich auch im wirtschaftlichen Leben. Auf der Jagd arbeiten die Sippengenossen vielfach Hand in Hand, um Raubtiere zu bekämpfen, Wild sich zuzutreiben usw., und sie helfen sich auch bei der Anfertigung von allerlei Geräten, beim Kahn- und Hüttenbau. Damit in Zusammenhang steht der Gemeinbesitz von Gütern und der gemeinsame Verbrauch. Bei manchen Völkerschaften (z. B. Eskimo und Australiern) wird die Verteilung des erjagten Wildes durch strenge Regeln bestimmt. Insbesondere ist es aber vielfach der Grund und Boden, der als Gemeineigentum gilt. Es wäre aber ein Irrtum zu glauben, daß dem primitiven und primitiveren Menschen der Eigentumssinn völlig fehle. Verschiedenerlei Werkzeuge, Waffen, Schmuck und Geräte namentlich, die von der Sorgfalt des Herstellers zeugen, gelten als persönliches Eigentum und werden mitunter nicht einmal vererbt, sondern dem Eigentümer, wenn er stirbt, mit ins Grab gegeben. —
§ 5. P R O D U K T I O N . Wir sahen: anders als bei Grenze zwischen Subjektivem und Stofflichem erlebt. Das Anders auch ist die Grenze
uns wird bei den Naturvölkern die und Objektivem, zwischen Seelischem zeigte sich in Religion und Kunst. zwischen Individuum und Gemein-
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Kapitel
schaft, das zeigte sich im Sozialen. Auf dem wirtschaftlich-technischem Gebiete finden wir etwas Analoges. Die Zwecktätigkeit, die bei uns im praktischen, technischen und wirtschaftlichen Handeln sich auswirkt und die Ausdruckstätigkeit, die bei uns in Religion und Kunst ihren spezifischen Auslebungsbereich hat, sind noch nicht scharf getrennt. Jede wirtschaftliche Tätigkeit, etwa Jagd, Bodenbestellung, Ackerbau, ist mit Bräuchen verwoben, die Gelegenheit zu expressiver Betätigung geben, die sie also ritualisieren. Rechtshandlungen afrikanischer Völker, Jagdzauberriten der Australier, Krankenheilungen der Indianer sind solche Beispiele, die immer wieder die Frage veranlassen, handelt es sich hier um Dramatik, Kult oder um ausgesprochene Zweckhandlung. In diesem Sinne sagt einmal Westermann von den Kpelle: „Die Religion ist dem Kpelle nicht ein von der übrigen Lebensbetätigung getrenntes oder über sie hinausragendes Gebiet, sie steht vielmehr mit ihr auf gleicher Linie, arbeitet mit denselben Mitteln und verfolgt die nämlichen Ziele wie sein übriges Tun. Ihm zerfällt seine Daseinswelt nicht in einen heiligen und einen profanen Teil, sondern sie ist eine Einheit". So äußert sich auch hier die Verwobenheit der Vorstellungselemente, und zwar in diesem Falle in der Verbindung reiner Zweckhandlungen mit einer oft großen Fülle von expressiven, beschwichtigenden Aktionen. —
WERKE VON THEODOR-WILHELM DANZEL. „Die Anfänge der Schrift". Leipzig 1912, Neudruck 1929. „Prinzipien und Methoden der Entwicklungspsychologie, Grundlinien einer psychologischen Entwicklungsgeschichte von Kultur und Gesellschaft" (Separatausgabe aus Abderhaldens Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden, Lieferung 46); Berlin 1921. „Babylon und Altmexiko, Gleiches und Gegensätzliches". Mexiko 1921. „Mexiko I; Grundzüge der altmexikanischen Geisteskultur; Altmexikanische Bilderhandschriften". Hagen und Darmstadt 1922. „Mexiko II; Kultur und Leben im alten Mexiko; Mexikanische Plastik". Hagen und Darmstadt 1922. „Sagen und Legenden der Südseeinsulaner (Polynesien)". Hagen und Darmstadt 1923. „Magie und Geheimwissenschaft in ihrer Bedeutung für Kultur und Kulturgeschichte". Stuttgart 1924. „Kultur und Religion des primitiven Menschen". Stuttgart 1924. „Codex Hammaburgensis, eine neuentdeckte altmexikanische Bilderhandschrift des Hamburgischen Museums für Völkerkunde". Hamburg 1926. „Handbuch der präkolumbischen Kulturen in Latein-Amerika". Hamburg und Berlin 1927. „Der magische Mensch" (Homo divinans). Potsdam 1928.
HAMBURGISCHE
WISSENSCHAFTLICHE STIFTUNG UND N O T G E M E I N S C H A F T DER D E U T S C H E N W I S S E N S C H A F T
Ergebnisse der Südsee-Expedition 1908-1910 Herausgegeben von
Prof. Dr. G. Thilenius Direktor des Hflmburgischen Museums für Völkerkunde.
Die H a m b u r g i s c h e W i s s e n s c h a f t l i c h e S t i f t u n g veranstaltete in den Jahren 1 9 0 8 b i s 1 9 1 0 eine e i g e n e S c h i f f s e x p e d i t i o n i n d i e d e u t s c h e S ü d s e e . In dem ersten Jahre besuchte die Expedition unter Führung von Herrn Prof. Dr. F ü l l e b o r n - H a m b u r g die Inseln der Matthias- und Amiralitäts-Gruppen, die Nord- und Südküsten von Neu-Pommern, welch letzteres im Westen an zwei Stellen in der Richtung von Süden nach Norden zum ersten Male durchquert wurde, ferner die Küste von Deutsch-Neu-Guinea mit den vorgelagerten Inseln und befuhr zum Schluß den Kaiserin - A u g u s t a - Fluß bis zum Hunstein-Gebirge. Im zweiten Jahre wurden unter der Führung von Herrn Prof. Dr. K r ä m e r - S t u t t g a r t die Inseln der Karolinen- und Marshallgruppe untersucht. Die Aufgaben der Expedition waren in erster Linie völkerkundlicher Art, doch wurden auch geographische und geologische Forschungen angestellt und darauf bezügliche Gegenstände gesammelt. Für die Veröffentlichung der Ergebnisse ist ein Werk vorgesehen, das ungefähr folgende Abschnitte u m f a s s e n s o l l : I. A l l g e m e i n e s . (Vorgeschichte d e r Expedition, Reisebericht, Nautik, Geographie, Geologie usw.)* II. Ethnographie. A. Melanesien. THILENIUS, Admiralitäts-Inseln, Matthias-Gruppe. ANTZE, Neu-Pommern, Ost-Neu-Guinea. RECHE, K a i s e r i n - A u g u s t a - F l u ß , NordNeu-Guinea.* B. Mikronesien. KRÄMER, Palau.* HAMBRUCH, Tobi. SARFERT, Pul, Meliel; Sonsorol. MÜLLER, Y a p * KRÄMER, Ngulu Feis; HAMBRUCH, MOg o m o k ; SARFERT, Sorol. KRÄMER, Oleai; HAMBRUCH, Faraulip; SARFERT, Ifaluk-Aurepik.
KRÄMER, Lamotrek; HAMBRUCH, Elato. KRÄMER, P u l a p ; HAMBRUCH, Sog; SARFERT, Sätowan, Poloat. KRÄMER, T r u k ; SARFERT, Losap. KRÄMER, Namoluk. Mortlock; HAMBRUCH, Namunito. HAMBRUCH, K a p i n g a m a r a n g i , Nukuor, Mokil, Pingelap. HAMBRUCH, Ponape, N g a t i k . SARFERT, Kusae.* KRÄMFR, Ralik-Ratak. HAMBRUCH, Nauru.* SARFERT, DAMM, Luangiua und Nukumanu.* I I I . BVHAN, Linguistik. IV. Anthropologie. V. Ethnologie.
Die mit * versehenen Bände sind bereits erschienen. Nähere Angaben siehe auf der umstehenden Seite. Änderungen der Einteilung bleiben vorbehalten. Bei Abnahme der gesamten Ergebnisse tritt eine Ermäßigung von 20°/o des Ladenpreises ein. Vergriffen sind z. Zt. Krämer, Palau Tlbd. 2 und Sarfert, Kusae.
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Von den „Ergebnissen der SUdsee-Expedition 1908—1910" sind bisher erschienen:
I.ALLGEMEINES: Plan der Expedition von Prof. Dr. G. Thilenius. — Tagebuch der Expedition von F. E. Hellwig. — Nautik und Meteorologie während der Reise in Melanesien von Ferdinand Hefele. — Die Untersuchung der gesammelten Gesteinsproben von R. Herzenberg. — Namensverzeichnis. 4°. X, 489 Seiten mit 18 Karten im Text, 3 Karten am Schluß und 31 Lichtdrucktafeln. 1926.
RM 6 0 . —
II. E T H N O G R A P H I E : A. Melanesien Band 1
D e r K a i s e r i n - A u g u s t a - F l u ß von Dr. O t t o R e c h e .
4°, X und 488 Seiten mit 475 Abb. im Text, 88 Lichtdrucktafeln Geheftet RM 5 0 . —
und 1 Karte.
1913.
B. Mikronesien Band 1
Nauru von Dr. P a u l H a m b r u c h . I. Halbband 4°, XI und 458 Seiten mit 108 Abb. imText, 19 Lichtdrucktafeln u. 1 Karte. 1914. RM 3 0 . — II. Halbband 4°, V I I I und 314 Seiten mit 338 Abb. im Text und 8 Lichtdrucktafeln. 1915. RM 24 —
Band 2 Y a p von Dr. W i l h e l m M ü l l e r (Wismar) f .
I. Halbband 4°, XI und 380 Seiten mit 332 Abb. im Text, 70 Lichtdrucktafeln und 1 Karte. 1917. RM 4 0 . — II. Halbband 4°, XI und 430 Seiten. 1918. RM 50.—
Band 3 P a l a u von Prof. Dr. A u g u s t i n
Krämer.
1. Teilband 4°, XVI und 252 Seiten mit 48 Abb. im Text, 2 farbigen und 11 Lichtdrucktafeln und 3 Karten. 1917. RM 2 4 . — II. Teilband 4°, 367 Seiten mit 4farbigen und 16 Lichtdrucktafcln, 57 Abb. im Text nebst 50 Dorfplänen und 11 Ahnentafeln. 1919. V e r g r i f f e n . III. Teilband 4°, 362Seiten mit 227 Abb. i m T e x t und21 Lichtdrucktafeln. 1926. R M 5 0 . — IV. Teilband 4°, XVI und 376 Seiten mit 6 Abbildungen im Text und 127 Zeichnungen von Eingeborenen. 1929. RM 5 5 . — V . Teilband (Schluß) 4°, XIII u. 176 Seiten mit 20 Abb., 15 Lichtdrucktafeln (2 mehrfarbig) und 35 Doppeltafeln (2 mehrfarbig). 1929. RM 55 —
Band 4
Kusae von Dr. E. Sarfert.
I. Halbband 4°, XXVI und 298Seiten mit 159 Abb. im Text, 1 farbigen und 44 schwarzen Tafeln und 3 Karten. 1919. V e r g r i f f e n . II. Halbband 4°, XVI und 247 Seiten mit 14 Abb. im Text. 1920. Vergriffen.
Band 12
Luangiua und Nukumanu von Dr. E. S a r f e r t und Dr. H. D a m m .
I. Halbband 4°, X X V I I I und 244 Seiten mit 306 Abb. im T e x t und 41 Lichtdrucktafeln. 1929. RM 6 0 . —
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Weitere völkerkundliche Literatur Tagungsbericht der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft. Bericht über die 50. Allgemeine Versammlung der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft in Hamburg und die Fahrten nach Cuxhaven, Lübeck und Skandinavien vom 1. bis 13. August 1928. Herausgegeben von G e o r g T h i l e n i u s . 1929. 4°. V, 140 Seiten. Mit 50 Abbildungen. RM 10.— Hamburgisches Museum für Völkerkunde. Einführung in die Rassenkundliche Abteilung. Von W a l t e r S c h e i d t . 1928. 8°. 28 Seiten. RM 0.50 Die Indianer Nordost-Perus. Grundlegende Forschungen für eine systematische Kulturkunde. (Veröffentlichung der Harvey-Bassler-Stiftung. Von G ü n t e r T e s s m a n n . 1930. XI, 856 Seiten. Mit XIII Bunttafeln, 95 Tafeln, Autotypien und Strichätzungen, 6 Abbildungen im Text, 42 Kartogrammen und 1 Karte. Geheftet RM 88—, Leinen RM 96.— Die Mazigh-Völker. Ethnographische Notizen aus Süd-Tunesien. Von F r a n z S t u h l m a n n . 1914. 4°. VII, 59 Seiten. Mit 18 Figuren im Text, 8 einfarbigen und 2 mehrfarbigen Tafeln. (Abhandlungen des Hamburger Kolonial-Institutes Band XXVII) RM 5.— Ein kulturgeschichtlicher Ausflug in den Aures (Atlas von Süd-Algerien) nebst Betrachtungen über die Berber-Völker. Von F r a n z S t u h l m a n n . 1912. 4°. XII, 205 Seiten. Mit 2 Karten, 17 Tafeln und 40 Textfiguren. (Abhandlungen d. Hamb. Kolonial-Institutes Band X) RM 8.— Die Bergdama. Von H . V e d d e r . 1923. 4°. 2Bände. I: VI, 199Seiten, II: VI, 131 Seiten. (Abhandlungen a.d. Gebiet der Auslandskunde. Band 11 und 14) Band I RM 10.— Band II RM 9.— Zur Anthropologie des abflußlosen Rumpfschollenlandes im Nordöstlichen Deutsch-Ostafrlka. Auf Grund der Sammlung der Ostafrika-Expedition (Dr. E. Obst) der Geographischen Gesellschaft in Hamburg. Von H . A . R i e d . 1915. 4°. X, 295 Seiten. Mit 14 Abbildungen im Text und 14 Lichtdrucktafeln. (Abhandlungen d. Hamb. Kolonial-Institutes Band XXXI) RM 12.— Zur Ethnographie des abflußlosen Gebietes Deutsch-Ostafrikas auf Grund der Sammlung der Ostafrika-Expedition (Dr. E. Obst) der Geographischen Gesellschaft in Hamburg. Von O. R e c h e . 1914. 4°. XII, 130 Seiten. Mit 1 Karte, 27 Tafeln und und 107 Textabbildungen. (Abhandlungen d. Hamb. Kolonial-Institutes Band XVIII) RM 6.— Südseearbeiten. Gewerbe- und Kunstfleiß, Tauschmittel und „Geld" der Eingeborenen auf Grundlage der Rohstoffe und der geographischen Verbreitung. Von O. F i n s c h . 1914. 4°. XII,605 Seiten. Mit 30 Tafeln. (Abhandlungen d. Hamb. Kolonial-Institutes Band XIV) RM 40 — Geister- und Seelenglaube der Bukaua und anderer Eingeborenenstämme am Huongolf NeU'Guineas. Von S t e p h a n L e h n er. 1930. 4°. 44 Seiten. (Mitteilungen aus dem Museum für Völkerkunde in Hamburg XIV) RM 3.— Die Marind-anim von Holländisch-Süd-Neu-Guinea. Von P. W i r z . 4°. 2 Bände11 1922. XIX, 191 Seiten. Mit 43 Tafeln und 7 Abbildungen im Text. II: 1925X, 141 Seiten. Mit 28 Tafeln, 1 Karte und 7 Abbildungen im Text. (Abhandlungen a. d. Gebiet der Auslandskunde Band 10 und 16) Band I RM 25.— Band II RM 30 — Die Tschetschenen. Forschungen zur Völkerkunde des nordöstlichen Kaukasus auf auf Grund von Reisen in den Jahren 1918—20 und 1927— 28. Von B r u n o P l a e t s c h k e . 1929. 4°. XI, 116 Seiten. Mit 68 Figuren und 1 Karte im Text und 12 Tafeln. (Veröffentlichungen des Geographischen Institutes der Universität Königsberg i. Pr. Heft XI) RM 8.— Die Gegenstandskultur Sanabrias und seiner Nachbargebiete. Ein Beitrag zur spanischen und portugiesischen Volkskunde. Von F r i t z K r ü g e r . 1925. 4°. 323 Seiten. Mit 23 Abbildungen im Text, 26 Tafeln und 1 Ubersichtskarte. (Abhandlungen a. d. Gebiet der Auslandskunde Band 25) RM 25.— Beiträge zur portugiesischen Volkskunde. Von H e r m a n n U r t e l f . 1928. 4°. VI, 82 Seiten. Mit 4 Tafeln. (Abhandlungen a. d. Gebiet der Auslandskunde Band 27) RM 6.—
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DIE INDIANER NORDOST-PERUS GRUNDLEGENDE FORSCHUNGEN FÜR EINE K U L T U R K U N D E VON
SYSTEMATISCHE
GUNTER TESSMANN UMFANG X I , 856 SEITEN I N GROSSOKTAV MIT 108 GANZSEITIGEN TAFELN, DARUNTER 13 BUNTTAFELN, 6 ABBILDUNGEN IM TEXT, 42 Z.T.MEHRFARBIGE KARTOGRAMME UND EINER FARBIGENÜBERSICHTSKARTE 1930 / PREIS GEHEFTET RM 88.—, IN LEINEN RM 96.—
Dieses umfangreiche Werk des durch seine Afrikaforschungen bekannten Ethnologen enthält, abgesehen von dem schon veröffentlichten Material über die Tschama, die gesamten Ergebnisse seiner ethnologischen Forschungen im amazonischen Peru. Tessmann h a t nicht -weniger als dreiunddreißig Indianerstämme erforscht! Wie das möglich war, zeigt er selber durch E r klärung seiner „systematischen Kulturenforschung", die die künftige völkerkundliche Forschungsarbeit grundlegend beeinflussen dürfte. Das umfangreiche Material ist in vorbildlicher Übersichtlichkeit angeordnet. Die Verbreitung der wichtigsten Kulturelemente wurde auf zweiundvierzig Kartogrammen dargestellt. Auf dieser Grundlage f u ß e n die vergleichenden Studien, die die Verwandtschaftsverhältnisse der Kulturen untereinander aufdecken, wie das nie zuvor möglich war. Ein aufschlußreicher Überblick über A r t und Entwicklung der Urreligionen leitet diesen Abschnitt ein. Es folgen die Behandlung der Religionen in Nordost-Peru, die sprachlichen Verwandtschaften u n d vor allem die vergleichende Betrachtung der sozialen Einrichtungen. So ergeben sich zwanglos verwandte Gruppen, die „Kulturgesellschaften". F ü r die Kulturkreislehre, die durch diese Arbeit sehr geläutert wird, ist das Werk von größter Bedeutung, wie überhaupt f ü r die gesamte Ethnologie einschließlich der Religionswissenschaft und der Soziologie. Eine Landkarte im Maßstabe 1 : 3 0 0 0 0 0 0 von E d u a r d P a p e hergestellt, vervollständigt das Ganze. Sie e n t h ä l t wichtige Verbesserungen f ü r das Kartenbild Südamerikas. Viele zum Teil farbige Bilder, erhöhen den Wert dieses außergewöhnlichen Buches. Ein ausführlicher Prospekt mit Probetafeln steht unter B e z u g n a h m e auf diese Anzeige k o s t e n l o s zur V e r f ü g u n g . Die dem vorstehenden Buch beigefügte K a r t e ist auch einzeln erhältlich: K A R T E VON MITTEL- U N D N O R D - P E R U U N D E K U A D O R . Mit besonderer Berücksichtigung des amazonischen Waldlandes. Entworfen und gezeichnet von E d u a r d P a p e . 1 : 3 0 0 0 0 0 0 . 4 6 X 4 7 cm. RM 5.—
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