Galizien als Archiv: Reisen im postgalizischen Raum in der Gegenwartsliteratur [1 ed.] 9783737011228, 9783847111221


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Galizien als Archiv: Reisen im postgalizischen Raum in der Gegenwartsliteratur [1 ed.]
 9783737011228, 9783847111221

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Wiener Galizien-Studien

Band 4

Herausgegeben von Christoph Augustynowicz, Kerstin S. Jobst, Andreas Kappeler, Andrea Komlosy, Annegret Pelz, Dieter Segert, Olaf Terpitz, Tatjana Thelen, Philipp Ther und Alois Woldan

Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.

Magdalena Baran-Szołtys

Galizien als Archiv Reisen im postgalizischen Raum in der Gegenwartsliteratur

Mit einem Vorwort von Alois Woldan Mit 14 Abbildungen

V&R unipress Vienna University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Veröffentlichungen der Vienna University Press erscheinen bei V&R unipress. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des DK Galizien der Universität Wien und des Wissenschaftsfonds FWF. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Wrocław, Zakład Narodowy im. Ossolin´skich, biblioteka, wypakowywanie zbiorów (Ossolineum, Bibliothek, Auspacken der Sammlungen), 1947. Quelle: Biblioteka Narodowa, Signatur: F.27304/AFF.II-34 (Public Domain). Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2566-9710 ISBN 978-3-7370-1122-8

Im Grunde ist alles, was gesagt wird, zitiert […]. (Thomas Bernhard, Gehen)

Inhalt

Vorwort von Alois Woldan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Galizien und sein transnationales Nachleben 1.2 Konzept: Galizien als Archiv . . . . . . . . . 1.2.1 Fragen und Ziele . . . . . . . . . . . . 1.2.2 These . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Untersuchungsmaterial . . . . . . . . 1.2.4 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Gattung: Reisen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Zur Definition des Gattungsbegriffs . . 1.3.2 Funktionen der Reisen . . . . . . . . . 1.3.3 Wieso Reisen nach Galizien? . . . . . 1.4 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . .

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2 Galizien als Archivraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Archiv Galizien: Ein Denkmodell für Reisen in historische Räume 2.2 Archivmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Archiv als Gedächtnismetapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Reisen als Verbindung von Zeit und Raum . . . . . . . . . . . . .

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49 49 54 57 63

3 Historisch-literarisches Archiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Deutschsprachige Reiseliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Die 1990er: Die verschwundene Welt und das jüdische Erbe 3.1.1.1 Verena Dohrns Grenzlandschaften des alten Europa 3.1.1.2 Kaspar Schnetzlers galizische Sehnsucht . . . . . . . 3.1.2 Die 2000er: Die postgalizische und -sowjetische Realität . . 3.1.2.1 Publizistische Populärreisen . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2 Schlesisch-galizische Vertreibungsgeschichten nach Roswitha Schieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3.1.3 Die 2010er: Transparentes Palimpsestieren eines Landes im Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4.1 Wie wird Galizien rekonstruiert? . . . . . . . . . . . 3.1.4.2 Kanon: Was ist? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4.3 Kanon: Was wäre wenn…? . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Polnische Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Galizien und die Kresy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Katarzyna We˛glicka: Plaudereien über die Kresy . . . . . . . 3.2.3 Anna Stron´ska: Polnisch-ukrainische Beziehungen . . . . . 3.2.3.1 Zur Autorin Anna Stron´ska . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.2 Stron´skas Galizien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.3 Ostgalizien der 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Familiäres Archiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die dritte Generation: Tomasz Róz˙ycki und Sabrina Janesch . 4.2 Galizisch-schlesisches Familienarchiv . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Beglaubigungsstrategien: Materielles und immaterielles Archiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Die Lücke im Archiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Heimat übersetzen: Galizien und Schlesien . . . . . . . . . . . 4.4 Erzählte Traumata: Die Reise an das Ende des Mythos . . . . 4.4.1 Der magische Realismus der Sabrina Janesch . . . . . . 4.4.2 Die ironische Nostalgie des Tomasz Róz˙ycki . . . . . . . 4.5 Flucht verkehrt: Zur familiären Mnemotechnik . . . . . . . . 4.5.1 Janeschs Umkehr von Zeit und Raum . . . . . . . . . . 4.5.2 Róz˙yckis verkehrte Zeitreise . . . . . . . . . . . . . . . .

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5 Idiosynkratisches Archiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Andrzej Stasiuks poetische Reisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Galizien als Imaginationsraum . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1.1 Kultureller Gedächtnisraum: Historisch-literarisches Archiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1.2 Individueller Erinnerungsraum: Individuelles Archiv 5.1.1.3 Verbindungsglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

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6 Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5.2 Ziemowit Szczereks Hardcore Reisen . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Gonzo als Strategie der Identitätsverhandlung zwischen Ost und West . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1.1 Gonzo: Erzählen über das Erzählen . . . . . . . . . . 5.2.1.2 Orientalismus: Kategorisierung und Illusionsbruch . 5.2.1.3 Postkolonialismus: Die verschleierte Selbstidentifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Halycˇyna als alternative Geschichte und Parodie Polens . . 5.2.2.1 Halycˇyna als Teil der Westukraine . . . . . . . . . . 5.2.2.2 Ukraine als Teil Polens . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2.3 »Die klassische Tour de Schulz« . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Vorwort von Alois Woldan

Die vorliegende Arbeit ist in vieler Hinsicht innovativ und stellt deshalb einen wichtigen Beitrag zur literaturwissenschaftlichen Galizienforschung, aber auch zur Gattung der Reiseliteratur, dar. Sie ist zum einen komparatistisch, weil sie deutsch- und polnischsprachige Texte in die Untersuchung einbezieht und damit den zahlenmäßig immer noch überwiegenden Studien, die nur Material in einer Sprache untersuchen, einen Schritt voraus ist. Sie ist des Weiteren innovativ, weil sie einen neuen theoretischen Ansatz, den des Archivs, aufgreift und für die Gattung Reiseliteratur fruchtbar macht und mit diesem Modell auch für die moderne Kulturwissenschaft zentrale Anliegen wie Gedächtnistheorie und Intertextualität in die Analyse mit einbezieht. Als Archiv unterscheidet sich Galizien von anderen Wissensspeichern, wie etwa der Bibliothek – es besteht eine intensive Wechselwirkung zwischen dem Verwalter und den Benützern dieses Archivs, Autoren, deren Texte nicht nur auf Zugriffen auf Archivmaterialien bauen, sondern auch als neues Inventar in dieses Archiv eingehen, was die Verfasserin an Hand von Einzelanalysen veranschaulicht. Auch die Formen des Archivs, vor allem das familiäre und das idiosynkratische, unterscheiden sich deutlich von Bibliothek oder Museum und eignen sich deshalb besser als Modelle um die literarische Produktion des postgalizischen Raums zu beschreiben. Mit dem Begriff »postgalizisch« ist auch ein weiterer Aspekt der Innovativität dieser Arbeit angesprochen. Die Verfasserin konzentriert sich auf neuere und neueste Texte aus dem Bereich der Galizienliteratur (und beweist so implizit deren Produktivität), die nicht erst nach dem Ende Galiziens 1918, sondern erst nach der Wende in Mitteleuropa von 1989 entstanden sind. Diese Wende bedeutete für die polnische Literatur als solche und für die polnische Galizienliteratur im Besonderen eine Zäsur; und noch viel mehr für die deutschsprachigen Galizienreisen, die es seit ihrer Entstehung am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr gab, und die plötzlich wieder entstanden sind und bis heute geschrieben werden. Die Auswahl der in dieser Arbeit analysierten Texte rechtfertigt den Begriff »Post-Galizien« und verleiht ihm eine spezifische Bedeutung. Während die deutschsprachige Reiseliteratur über Galizien seit 1990

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Vorwort von Alois Woldan

des Öfteren behandelt wurde, ist deren polnisches Pendant weitgehend unerforscht und im deutschen Sprachraum auch unbekannt. Es gehört zu den Vorzügen dieser Arbeit, hier eine nicht nur zeitgleiche, sondern auch typologisch parallele Entwicklung aufgezeigt zu haben. Dazu kommt ein Weiteres – die LeserIn, die mit der polnischen Literatur nicht oder nur wenig vertraut ist, wird von der Analyse angeregt diese neuen Texte, die inzwischen auch schon in Übersetzung vorliegen, auch selbst zu lesen. Sie/Er erfährt aber auch viel Interessantes über ältere Autoren wie Anna Stron´ska, die nie ins Deutsche übersetzt wurden. Die Verfasserin dieser Arbeit, Frau Magdalena Baran-Szołtys, war Mitglied des Doktoratskollegs »Das österreichische Galizien und sein multikulturelles Erbe«, das fünfzehn Jahre lang an der Universität Wien bestand – als langjähriger Sprecher dieses Kollegs ist es mir eine Freude eine Arbeit einzuleiten, die in diesem Kolleg entstanden ist. Ich bin überzeugt, dass dieses Buch seinen Leser finden wird, auch außerhalb der engeren »galizischen« Kollegenschaft. Alois Woldan

1

Einleitung

1.1

Galizien und sein transnationales Nachleben

Knapp hundert Jahre ist es her, dass die imperiale österreichische Provinz »Königreich Galizien und Lodomerien« (1772–1918) mit dem gesamten Vielvölkerstaat der Habsburger unterging. Es folgten zahlreiche Kämpfe um dieses Territorium sowie diverse Grenzverschiebungen. Galizien schied am 30. Oktober 1918 aus der Monarchie aus: Der westliche Teil des Gebiets fiel an die Zweite Polnische Republik (II Rzeczpospolita), um den östlichen begannen kämpferische Auseinandersetzungen zwischen Polen und Ukrainern. Nach einer kurzen Zeit der Zugehörigkeit Ostgaliziens zu der am 1. November 1918 ausgerufenen Westukrainischen Volksrepublik (Zachidnoukraїns’ka Narodna Respublika) folgte der Polnisch-Ukrainische Krieg, der zu einer Übernahme des Gebiets durch die Zweite Polnische Republik führte, welche mit dem Zweiten Weltkrieg endete. All diese Auseinandersetzungen wurden permanent von Pogromen an der jüdischen Bevölkerung begleitet, die letztendlich in der Shoa ihren traurigen Höhepunkt erreichten. Heute verläuft die polnisch-ukrainische Grenze durch Galizien und trennt die historische Region in zwei Teile. Die massiven Konflikte um diesen Raum zeugen von seiner Komplexität und deuten auf seine Vielstimmigkeit hin, denn hier lebten neben den römisch-katholischen Polen, den griechisch-katholischen Ruthenen (Ukrainern) und Juden auch viele andere ethno-religiöse Gruppen: Russen, Deutschösterreicher, Tschechen, Armenier, Huzulen, Lemken und Bojken. Die Polyphonie Galiziens wirkt in unterschiedlichen nationalen Narrativen bis in die Gegenwart fort.1 Durch die Neuordnung Europas nach dem Ersten und 1 Galizien ist aber nicht nur in verschiedenen europäischen nationalen Diskursen zu finden, sondern auch z. B. in nord- oder südamerikanischen. Global betrachtet muss der transatlantische Faktor Galiziens für das bestehende Nachleben des Phänomens immer mitbedacht werden, obwohl diese Erscheinung in der Forschung noch wenig Beachtung fand. Vgl.: BaranSzołtys, Magdalena: Galicja jako ponadnarodowa przestrzen´ podróz˙y. Kierunki rozwoju motywu w literaturze niemieckoje˛zycznej. In: Wierzejska, Jagoda/Sosnowska, Danuta/Moli-

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Einleitung

Zweiten Weltkrieg sowie die bereits seit dem 19. Jahrhundert bestehende massive Migration aus diesem Gebiet wurde Galizien zu einem transnationalen Phänomen, das heute als eine Fortführung des multireligiösen, mehrsprachigen und polyethnischen Galiziens verstanden werden kann. Das einst größte österreichische Kronland lebt somit als politischer, kultureller und historischer Raum weiter, wobei sich in der Öffentlichkeit mehrheitlich eine stereotype Betrachtung Galiziens als periphere, rückständige und arme Region etabliert hat. Bis heute ist dies anhand von Bezeichnungen wie »Golicja i Głodomoria« oder »Halb-Asien« im Sprachgebrauch sichtbar.2 Überdies prägen ambivalente Wahrnehmungen Galiziens sein Nachleben. Einerseits formt das Gedächtnis an die Massenmigrationen sowie die ethnisch-sozialen Konflikte und Zerstörungen der beiden Weltkriege die heutige Vorstellung des einstigen Kronlandes, andererseits stellt Galizien bis heute einen für immer verschwundenen Sehnsuchtsort dar. Die Schwerpunkte dieser überlieferten Galizienbilder unterscheiden sich stark je nach nationalem Narrativ. Die unterschiedliche Instrumentalisierung der Provinz sowie die von Anfang an implizite Künstlichkeit und Wandelbarkeit dieses Konstrukts, ein von Larry Wolff dargestelltes Phänomen,3 bestimmen seine heutige Existenz. Galizien als eine wandlungsfähige Konstruktion der Vergangenheit stellt ein kulturelles Erbe für die Zukunft dar, das je nach Bedarf immer wieder neu gestaltet werden kann. Dies tun auch die Texte, die Gegenstand dieser Untersuchung sind: die zahlreichen, nach 1989 erschienenen Reisen in den postgalizischen Raum in der polnischen und deutschsprachigen Literatur. Reisen nach Galizien greifen auf eine lange Tradition zurück, die von Anfang an die Rezeption Galiziens innerhalb und außerhalb der Provinz maßgeblich bestimmte, und sind somit als Untersuchungsobjekt im Kontext Galiziens von nachhaltiger Wichtigkeit. »Als ich das Buch geschrieben hab, in den frühen 80er Jahren, konnte ich ja nicht nach Gasak, Alina (Hrsg.): Turystyka i polityka. Ideologie współczesnych opowies´ci o przestrzeniach. Warszawa: Wydawnictwo Uniwersytetu Warszawskiego 2017, S. 139–168. 2 »Golicja i Głodomoria« ist eine auf das galizische Elend hinweisende Redewendung und phonetische Variation des polnischen Namens für Galizien und Lodomerien, »Galicja i Lodomeria«, die durch Stanisław Szczepanowskis Ne˛dza Galicji w cyfrach i program energicznego rozwoju gospodarstwa krajowego (Die Armut Galiziens in Zahlen und ein Programm zur starken Entwicklung der Wirtschaft des Landes; 1888) zu einem geflügelten Wort geworden ist. Der Begriff »Halb-Asien« stammt aus der Feder von Karl Emil Franzos und seinen Reiseberichten mit dem Titel Aus Halb-Asien. Culturbilder aus Galizien, der Bukowina, Südrußland und Rumänien (1878). Vgl. Franzos, Karl Emil: Aus Halb-Asien. Culturbilder aus Galizien, der Bukowina, Südrußland und Rumänien. Leipzig: Duncker & Humblot 1878; Szczepanowski, Stanisław Antoni: Ne˛dza Galicji w cyfrach i program energicznego rozwoju gospodarstwa krajowego. Lwów: Gubrynowicz i Schmidt 1888. 3 Wolff, Larry: Inventing Galicia. Messianic Josephinism and the Recasting of Partitioned Poland. In: Slavic Review 63/3 (2004), S. 818–840; Wolff, Larry: The Idea of Galicia. History and Fantasy in Habsburg Political Culture. Stanford: Stanford University Press 2010.

Galizien und sein transnationales Nachleben

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lizien, also nicht in diese Gegend reisen, und ich hatte keine wirkliche Ahnung, wie es hier aussieht«,4 so der österreichische Schriftsteller Martin Pollack im Jahr 2017 über seinen vergeblichen Versuch, in den 1980er Jahren nach Galizien zu reisen. Trotz der Unmöglichkeit einer tatsächlichen Reise schrieb Pollack mit seinem Nach Galizien. Von Chassiden, Huzulen, Polen und Ruthenen. Eine imaginäre Reise durch die verschwundene Welt Ostgaliziens und der Bukowina5 (1984) ein Werk, das bereits Kultstatus genießt und das alte habsburgische Kronland nach Jahren der Abwesenheit wieder ins Zentrum des öffentlichen Interesses rief. Zu jener Zeit war es durchaus schwierig, das Gebiet des historischen Galiziens zu bereisen. Das ehemalige Westgalizien, damals in der Volksrepublik Polen gelegen, das ehemalige Ostgalizien, größtenteils in der Sowjetunion, war für Touristen nicht vollkommen frei zugängig. Pollack bekam, wie viele andere auch, keine Einreiseerlaubnis, deswegen entschied er sich imaginär anhand von literarischen Werken, Landkarten, historischen Reiseführern und alten Zeitungsartikeln Galizien zu durchqueren. Dabei verfasste er einen intertextuell raffiniert konzipierten Reisebericht, der ein dermaßen realistisches Bild von Galizien vermittelt, dass es bis heute die Wahrnehmung Galiziens und viele Reisen dorthin beeinflusst. Doch der gesamte Text basiert auf Quellen und ist somit eine reine Rekonstruktion der Vergangenheit. Das gegenwärtige PostGalizien bleibt ausgespart. Die Reisemöglichkeiten änderten sich nach 1989/1991: Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ergreifen viele LiteratInnen, PublizistInnen und Interessierte die Möglichkeit, nach Galizien zu reisen und darüber zu schreiben. Oft (auch inspiriert von Pollacks Reise) greifen sie auf literarisch-historische Quellen zurück, doch ein wichtiges Element kommt hinzu: der Blick auf das gegenwärtige Post-Galizien, auf die Orte, Landschaften, Menschen und Stimmungen, wie sie zum Zeitpunkt der Reise vorzufinden sind. Die Vergangenheit wird somit um die Gegenwart aktualisiert. Was diese Reisen ausmacht, wie diese das vergangene Galizien um das gegenwärtige Post-Galizien aktualisieren und wie man in einen historischen Raum reisen kann, der von den politischen Landkarten verschwunden ist, versucht diese Arbeit zu beleuchten.

4 Aussage von Martin Pollack im Film Die literarischen Reisen des Herrn Pollack. Vgl. Die literarischen Reisen des Herrn Pollack. Regie: Björn Kölz, Gernot Stadler. Österreich: ORF, 2017, 45ˈ; hier: Min. 13:13–13:22. 5 Pollack, Martin: Nach Galizien. Von Chassiden, Huzulen, Polen und Ruthenen. Eine imaginäre Reise durch die verschwundene Welt Ostgaliziens und der Bukowina. Wien: Brandstätter 1984. Im Jahr 2001 kam es unter einem leicht abgeänderten Titel zu einer Neuauflage des Buches. Die Übernahme der Neuauflage durch den renommierten Suhrkamp-Verlag belegt die Popularität und Bedeutung dieses Werks. Vgl. Pollack, Martin: Galizien. Eine Reise in die verschwundene Welt Ostgaliziens und der Bukowina. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2001.

16

Einleitung

Abb. 1: Mapa Galicyi i Bukowiny z Wielkim Ksie˛stwem Krakowskim / Karte von Galizien und der Bukowina mit dem Großherzogtum Krakau (1915), Stanisław Majerski (1852–1926), Lwów: Nakładem Ksie˛garni Gubrynowicza i Syna (Quelle: Biblioteka Narodowa, ZZK 20 098).

1.2

Konzept: Galizien als Archiv

1.2.1 Fragen und Ziele Die Hauptfragestellung der vorliegenden Untersuchung richtet sich auf die Bedingungen und Funktionsweisen von Reisen in historische Gebiete wie Galizien, die in der Gegenwart de facto nicht mehr existieren. Daraus folgen zahlreiche Problemstellungen. Einerseits müssen Reisen in historische Räume vom Prinzip her immer auf Mittler und Medien der Vergangenheit beruhen, wobei sich die Frage aufwirft, welche Materialien von wem weshalb aufgegriffen werden, andererseits müssen solche Reisen auch einer spezifischen Motivation folgen und bestimmte Funktionen erfüllen. Zudem scheinen Reisen in historische Räume eine eigene Poetik zu besitzen. All diesen Fragestellungen geht die Arbeit nach. Dabei wird der Versuch unternommen, ein theoretisches Modell für Reisen in historische Räume zu entwerfen. Als theoretischer Ausgangspunkt dient das Konzept des Archivs, das den methodisch-theoretischen Rahmen dieser Arbeit bildet, die den Untersuchungsgegenstand Galizien als einen Archivraum denkt.

Konzept: Galizien als Archiv

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Ergänzt wird es durch verschiedene andere gedächtnis- und erinnerungstheoretische Ansätze, wobei allen voran das Konzept der Mnemotechnik neben dem Archiv die Untersuchung bestimmt. Die Hauptthese ist, dass eine Reise, die einen historischen Raum zum Ziel hat und diesen in seiner historischen Dimension beschreibt, auf Materialien des Archivs beruht und sich darauf beziehen muss. Dadurch wird das Archiv Teil des Textes, wobei der Text zugleich Teil des Archivs wird. Dieses Muster kann für zahlreiche Reisen benützt werden: für Reisen in historische Räume, die im Grunde Erinnerungsräume und -orte sind. Das Modell ist demnach auch auf historische Gebiete wie Siebenbürgen oder die Bukowina anwendbar, sowie auf Erinnerungsorte wie Ausschwitz oder Tschernobyl. Die Reisen arbeiten wiederholt mit diesem Modell, das innerhalb der Analyse in seiner Realisierung vorgeführt wird. Die Untersuchung versteht sich einerseits als eine literaturwissenschaftlichphilologische, was anhand der tiefgreifenden textanalytischen Verfahren ersichtlich wird, die die Vieldeutigkeit der einzelnen Texte und deren Komplexität veranschaulicht, andererseits hat die Arbeit durch ihre Fragestellung und die Auswahl der theoretisch-methodischen Ansätze eine stark kulturwissenschaftliche Ausrichtung. Da Galizien als ein transnationales und globales Phänomen verstanden wird, ist eine komparatistische Untersuchung dieses Gegenstandes unter besonderer Berücksichtigung grenzüberschreitender und somit transnationaler Reisen als Untersuchungsobjekt außerordentlich gewinnbringend. Die Beschränkung auf den polnischen und deutschsprachigen Kulturraum wird aufgrund der Dominanz des Korpus innerhalb dieser Literaturen und Kulturen vorgenommen, soll aber eine genauere Untersuchung der Materialien ermöglichen. Die nationalkulturellen Spezifika beider Räume werden in die Analyse miteinbezogen. Um der multireligiösen und polyethnischen Welt des alten Galiziens gerecht zu werden, die geprägt war von zahlreichen Wechselwirkungen zwischen den Sprachen, Literaturen und Kulturen, wird ein multidisziplinäres, transnationales Herangehen an diesen Raum verfolgt, deshalb fließen kulturwissenschaftliche Ansätze wie die post-colonial studies oder der spatial turn in die Untersuchung ein. Dabei steht immer das erinnerungskulturelle Nachleben Galiziens nach 1989 als »galizisches Erbe« im Mittelpunkt und soll anhand seiner (Re-)Konstruktionen innerhalb der polnischen und deutschsprachigen Narrative in Bezug auf deren Kulturraum zur Anschauung gebracht werden. Die Reiseliteratur stellt zudem ein transwissenschaftliches Genre, das an der Schnittstelle von Erfahrungen, kultureller Hermeneutik, literarischer Ästhetik, Humangeographie, Sozialgeschichte und Ethnographie angelegt ist, dar. Die Texte definieren sich durch ein Zusammenspiel von strukturellen, funktionalen, kommunikativen, diskursiven sowie medialen Elementen. Der Kontext ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig, denn es geht dabei um die Sichtbarmachung von historischen und literarischen Bezügen. Die Imagologie darf

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Einleitung

nicht unberücksichtigt bleiben: In Bezug auf Galizien und seinen historischen, kulturellen und literarischen Kontext ist keine kontextfreie Inszenierung von Alterität und kultureller Differenz möglich. Es handelt sich dabei immer um eine bewusste Inszenierung. Komparatistisch zeigt die Analyse, wie sich die polnischen und deutschsprachigen Reisenarrative zu Galizien in den letzten dreißig Jahren entwickelt haben, welche Themen, wann und warum aufgegriffen wurden. Zudem wird gefragt, welches Galizienbild am Ende des 20. Jahrhunderts und am Anfang des 21. Jahrhunderts von den Reisetexten entworfen wird und somit Galizien an die späteren Generationen überliefert, und damit selbst Teil des Archivs Galizien wird. Bei der beschriebenen Vorgangsweise wird anhand der bereits bestehenden Vorstellungen von Galizien ein neues Bild von Galizien erzeugt. Dieses kann sowohl die alten Vorstellungen fortschreiben, sie aber auch aufbrechen und erneuern. Die Vermischung von neuen und alten Bildern überwiegt in den Galizienreisen: die alten Bilder werden aktualisiert. Die Auswahl der Materialien, der besuchten bzw. beschriebenen Orte und der rhetorischen Mittel produziert ein bestimmtes Galizienbild. Bereits vorhandene Bilder werden zunächst reproduziert, aber anschließend aktualisiert bzw. durchbrochen. Dabei wird Galizien stark mythologisiert, doch daneben vermehrt kritisch beleuchtet. Die Frage nach der Art der dargestellten Galizienbilder rückt wiederholt in den Fokus der einzelnen Kapitel. Dabei kommt nicht nur der Frage nach der Funktion der Reisen, sondern auch nach der Funktion Galiziens innerhalb der Literatur eine entscheidende Rolle zu. Ergänzend stellt sich die Frage nach der Poetik dieser Texte sowie nach ihren spezifischen rhetorischen Realisierungsmerkmalen. Die komparatistische Untersuchung soll sowohl als Teil des Gattungsdiskurses als auch des Galiziendiskurses auftreten. Zugleich stellt die Arbeit den Anspruch, Reisen in ihrem gedächtnis- und erinnerungstheoretischen Ausmaß innerhalb dieser Diskurse als auch des Archivdiskurses zu verankern.

1.2.2 These Das Fortleben Galiziens stützt sich vornehmlich auf historisch-literarische und privat-familiäre Quellen, die unabhängig von der gegenwärtigen Nationenzugehörigkeit aufgrund der gemeinsamen Vergangenheit im Raum Galiziens miteinander korrespondieren und die Grenzen nationaler Kulturen und Literaturen zu durchbrechen scheinen. Dies passiert aufgrund der realpolitischen Inexistenz Galiziens und der zahlreichen Galizien betreffenden Narrative. Grundsätzlich ist es schwierig, sich Bewegungen durch historische Räume vorzustellen, darüber zu sprechen und zu schreiben, ohne auf gewisse Bilder und Metaphern zurückzugreifen, die ein Denken darüber überhaupt erst ermöglichen

Konzept: Galizien als Archiv

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und es zu einem großen Teil auch determinieren. Galizien, so die These dieser Studie, kann als ein kulturelles Erbe gedacht werden, das in einem großen transnationalen Archiv gesichert ist. Dieses galizische Archiv wird im Folgenden mit dem Begriff »Archiv Galizien«6 bezeichnet. Das aus der Vergangenheit Überlieferte wird in der Gegenwart neu bewertet, neu erzählt und neu interpretiert. Dem geht jedoch zunächst noch eine viel wichtigere Tätigkeit voraus – die Beschäftigung mit den Materialien des Archivs und deren Auswahl. Diese bestimmt die nachfolgende Reise und somit die Bewegung durch den postgalizischen Raum: »Das Fortleben jener Räume in der Literatur wird in der intertextuellen Zirkulation von bestimmten, wiederkehrenden Narrativen, Motiven und Topoi gesichert«,7 wie es Magdalena Marszałek und Sylvia Sasse beschreiben. Der Bezug auf die Vergangenheit dominiert die Betrachtung des gegenwärtigen realen Raums: das Hier und Jetzt funktioniert als Ausgangspunkt und Opponent der Vergangenheit. Die Hauptfunktion der postgalizischen Reisetexte, so die These, besteht darin, durch die Auswahl der überlieferten Elemente aus der Vergangenheit und die damit verbundene Betrachtungsweise des gegenwärtigen Raums nicht nur die Auffassung und Aktualisierung des vergangenen und heutigen Galiziens, sondern auch die zukünftige Auslegung dieses historischen Raums zu bestimmen. Auswahl (aus der Vergangenheit), Aktualisierung (in der Gegenwart), Aufzeichnung (für die Zukunft) – diese drei Wesenszüge determinieren die postgalizischen Reisen. Sie bilden einen dreiteiligen Prozess ihrer Entstehung und ihres Verlaufs, der in einer Überlieferungsbildung mündet, wie Dietmar Schenk argumentiert: Die verantwortungsvollste archivarische Aufgabe, nämlich die Überlieferungsbildung – das heißt die Auswahl dessen, was ins Archiv aufgenommen werden soll – nimmt der Archivar zwar nicht aufgrund von Geschichtsinteressen wahr, wohl aber in Kenntnis der Geschichtlichkeit der Welt, in der Archivalien einen veränderlichen Wert besitzen.8

Archivalien sind die Grundlage der Reisen, denn sie eröffnen die Möglichkeit, das Vergangene im Gegenwärtigen zu sehen und nur so kann das historische Galizien auf dem heutigen polnischen und ukrainischen Territorium erkannt werden. Die Reisenden übernehmen dabei eine doppelte archivarische Rolle der Überlieferungsbildung: Sie sind sowohl die Verwalter der Archivmaterialien (Auswahl) als auch ihre Produzenten (Aktualisierung, Aufzeichnung). Einerseits

6 Im weiteren Verlauf der Arbeit ohne Anführungszeichen als Eigenname angeführt. 7 Marszałek, Magdalena/Sasse, Sylvia: Geopoetiken. In: Marszałek, Magdalena/Sasse, Sylvia (Hrsg.): Geopoetiken. Geographische Entwürfe in den mittel- und osteuropäischen Literaturen. Berlin: Kadmos 2010, S. 7–18; hier: S. 13. 8 Schenk, Dietmar: Kleine Theorie des Archivs. Stuttgart: Franz Steiner 2008, S. 18.

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verwalten sie also Materialien des Archivs, andererseits erschaffen sie durch ihre Reisen und Texte Dokumente, die selber Eingang ins Archiv finden.

1.2.3 Untersuchungsmaterial Den Gegenstand dieser Untersuchung bilden deutschsprachige und polnische Texte, die sich der Galizienreise widmen und nach 1989 erschienen sind. Das tertium comparationis bildet die Reise in den postgalizischen Raum oder innerhalb dieses Raums. Nach der Zäsur 1989/1991 schien sich mit dem Fall des Eisernen Vorhangs auch der Abstand der Menschen auf der westlichen wie auch auf der östlichen Seite der jahrzehntelangen Grenze aufzulösen und die Region rückte wieder ins öffentliche Bewusstsein: Es wurde vermehrt in diesen Raum gereist.9 In der polnischen Literatur brachte die Wende 1989 viele Freiheiten bei der Beschäftigung mit der polnischen Geschichte, vor allem hinsichtlich der Kresy (Grenzgebiete) und Galiziens,10 was sich in zahlreichen Publikationen zeigte. In der Volksrepublik Polen versuchte man den Mythos und die Erinnerung an die Kresy einzudämmen, während man sich im öffentlichen Diskurs nun auf die neu zu Polen gekommenen Gebiete im Westen (Ziemie Odzyskane) konzentrierte und versuchte, ihre Zugehörigkeit zu Polen historisch und mythologisch zu legitimieren.11 Im deutschsprachigen Raum schien für viele der Fall

9 Vgl. Bechtel, Delphine: Remembrance tourism in former multicultural Galicia. The revival of the Polish–Ukrainian borderlands. In: Tourism and Hospitality Research 16/3 (2016), S. 206– 222; Owsianowska, Sabina: Tourist narratives about the dissonant heritage of the Borderlands. The case of South-eastern Poland. In: Journal of Tourism and Cultural Change 15/2 (2016), S. 167–184; hier: S. 168. 10 In der polnischen Literatur werden Galizienreisen oft mit den Kresy in Verbindung gebracht. Dieses Thema wurde nach 1989 besonders populär: Dabei überschneiden sich die beiden Räume, obwohl der geschichtliche Kontext ein anderer ist. Der Begriff Kresy enthält einen Rückbezug auf die Zeit, in der diese östlichen Gebiete unter polnischer Herrschaft standen. Auch das Gebiet Galiziens gehörte vor 1772 und in der Zwischenkriegszeit zu Polen. Mit der Verwendung des Begriffs Galizien bezieht man sich jedoch auf die Jahre zwischen 1772 und 1918, als dieses Gebiet Teil der Habsburgermonarchie war. Bei einer Behandlung der Kresy muss die polonozentrierte Perspektive dieses Begriffs und des damit geschaffenen Raums deutlich gemacht werden. Es handelt sich um eine exkludierend polnische – verstärkt nostalgisch-melancholische und nationalistische Betrachtungsweise und Narration, die in den letzten Jahren in der Wissenschaft verstärkt unter postkolonialem Aspekt untersucht wurde. In dieser Arbeit wird dieser Begriff in der Kenntnis seines Diskurses verwendet und untersucht, die Fragestellung ist jedoch keine dezidiert (post-) koloniale. Vgl. Da˛browski, Mieczysław: Kresy w perspektywie krytyki postkolonialnej. In: Prace Filologiczne LV (2008), S. 91–110. 11 Vgl. Tumiłowicz, Bronisław: Czy dla Polski waz˙niejsze sa˛ Kresy Wschodnie czy ziemie zachodnie? In: Przegla˛d 37 (2010); Siewior, Kinga: Trajektoria pamie˛ci »zachodniokresowej« po roku 1989. In: Teksty Drugie 6 (2014), S. 40–63.

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des Eisernen Vorhangs die Reise »in den Osten« überhaupt erst denkbar zu machen und zu ermöglichen. Bei der Auswahl des Korpus ist die unternommene Reise Voraussetzung. Die Reise kann dabei aber imaginär sein. Ein autobiographischer Bezug ist ausschlaggebend, da er mit der Definition der Reiseliteratur als Verarbeitung der persönlichen Erfahrungen der Reise durch das Schreiben zusammenfällt und einen wichtigen Aspekt des Reisens an sich darstellt. Zum deutschsprachigen Korpus gehört als Ausgangswerk Martin Pollacks Nach Galizien. Zudem das erste nach 1989 im deutschsprachigen Raum erschienene Buch, das sich einer Galizienreise widmete: Verena Dohrns Reise nach Galizien. Grenzlandschaften des alten Europas12 aus dem Jahr 1991. Dohrn unternahm eine tatsächliche Reise und konzentrierte sich vor allem auf die jüdische Geschichte. Die Autorin greift dabei auf die Lektüre zahlreicher galizischer AutorInnen zurück, wodurch die Intertextualität einen wichtigen Platz im Werk einnimmt. Die nächste Publikation ist Kaspar Schnetzlers Meine galizische Sehnsucht13 (1991), die durch besonders innovative Form geprägt ist – eine Sammlung von unterschiedlichen Erlebnissen und Eindrücken, ähnlich wie bei Dohrn mit dem jüdischen Galizien im Zentrum.14 Dieses dominiert auch Verwehte Spuren. Von Lemberg bis Czernowitz. Ein Trümmerfeld der Erinnerung15 (1999) von Ernst Hofbauer (Text) und Lisa Weidmann (Fotos), die sich auf eine literarische und jüdische Spurensuche begeben. Der Fokus auf das jüdische Erbe der deutschsprachigen Texte der 1990er Jahre ist nicht zu übersehen: Es ist ein Aufsuchen der Heimat der Chassiden und Haskala sowie des jiddischen Schtetls, ferner eine Reise in die Heimat von galizischen Autoren wie Joseph Roth, Bruno Schulz oder Leopold von Sacher-Masoch. Zu diesem Korpus gehört weiters der 2004 veröffentlichte Reisetext Der stille Bug. Reise durch ein zerrissenes Land16 von Annette Dittert und Fritz F. Pleitgen. Dieser sticht insofern aus der Reihe der anderen Reisen hervor, als er von einer Journalistin und einem Journalisten verfasst wurde, zunächst als Dokumentarfilm entstand und sich auf das heutige Galizien im Kontext der historischen Umwälzungen und der damit zusammenhängenden Entwicklungen konzentriert. Den Ausgangspunkt bildet der Grenzfluss Bug samt seiner politischen und geschichtlichen Bedeutung; im 12 Dohrn, Verena: Reise nach Galizien. Grenzlandschaften des alten Europa. Frankfurt/Main: Fischer 1991. 13 Schnetzler, Kaspar: Meine galizische Sehnsucht. Frankfurt/Main: Knecht 1991. 14 Hierzu erwähnenswert ist auch der zwei Jahre später erschienene Bildband mit einem Essay von Verena Dohrn. Vgl. Baseglia, Guido/Dohrn, Verena: Galizien. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1993. 15 Hofbauer, Ernst/Weidmann, Lisa: Verwehte Spuren. Von Lemberg bis Czernowitz. Ein Trümmerfeld der Erinnerungen. Wien: Ibera 1999. 16 Dittert, Annette/Pleitgen, Fritz F.: Der stille Bug. Reise durch ein zerrissenes Land. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2004.

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Mittelpunkt stehen die angetroffenen Menschen und deren Schicksale, wodurch ein Bild von Galizien am Anfang des 21. Jahrhunderts gezeichnet wird.17 Roswitha Schiebs 2000 veröffentlichter Reisebericht Reise nach Schlesien und Galizien. Eine Archäologie des Gefühls18 eröffnet einen neuen Zugang, der auch für den 2010 erschienen Roman von Sabrina Janesch Katzenberge19 gilt. Schieb und Janesch unternehmen beide eine Reise auf den Spuren der Vergangenheit der eigenen Familie in Galizien. Es geht nicht mehr, wie in den Texten der 1990er Jahre, um eine literarische oder jüdische Spurensuche, sondern um eine persönliche, um eine Suche nach den eigenen Wurzeln in Galizien. Die Reise wird zu einer individuellen und familiären Erinnerungsaufarbeitung. Beide Texte haben den gleichen historischen Kontext: die Zwangsumsiedlungen und Vertreibungen der polnischen Bevölkerung aus Ostgalizien in den 1940er Jahren. Da diese vor allem nach Niederschlesien, das nach dem Zweiten Weltkrieg nun polnisch war, umgesiedelt bzw. vertrieben wurden, beginnen die Reisen beider Autorinnen auch dort und führen erst später nach Galizien. Die bislang jüngste Reise nach Galizien ist Ins Griechenland des Ostens. Die Ukraine, Lemberg, die Juden und wir. Wiederholung einer Reise (2014/2015)20 von Stefan Weidner. Der deutsche Schriftsteller, Übersetzer und Islamwissenschaftler bereiste im März 2014 Lwiw vor allem auf den Spuren eines Autors, Alfred Döblin. Er war »auf der Suche nach den gesamteuropäischen Wurzeln der

17 Es gibt zahlreiche erwähnenswerte Texte mit Galizienbezug, die nicht zum Korpus gehören: Der 1992 erschienenen Sammelband mit Reportagen und Feuilletons herausgegeben von Rüdiger Wischenbart mit dem Titel Karpaten. Die dunkle Seite Europas. Die darin gesammelten 19 Beiträge entstammen der Feder des Herausgebers aber auch mehrerer deutschsprachiger AutorInnen und JournalistInnen, wie Martin Pollack, Herta Müller, Monika Czernin oder Peter Klein, die sich in die Karpaten begaben und ihre Eindrücke beschrieben. Vor allem die Völker, die in diesem Gebiet leben, interessieren die VerfasserInnen: die Ukrainer, die Slowaken, die Rumänen, die Huzulen, Sinti und Roma etc. Eine weitere Publikation ist eine Sammlung von literarischen Texten zu Galizien, die von Martin Pollack und Karl-Markus Gauß im Jahr 1992 herausgegeben wurde – Das reiche Land der armen Leute. Literarische Wanderungen durch Galizien. Da es sich um eine Anthologie und keine Reiseliteratur handelt, wird dieses Werk in der Arbeit nicht untersucht. Auch Karl Schlögels Sammelband mit Essays und Reportagen Promenade in Jalta und andere Städtebilder, das ˇ ernivci enthält, darf nicht unerwähnt bleiben. Vgl. Wiu. a. zwei Essays zu Lwiw und C schenbart, Rüdiger: Karpaten. Die Dunkle Seite Europas. Wien: Kremayr & Scheriau 1992; Gauß, Karl-Markus/Pollack, Martin (Hrsg.): Das reiche Land der armen Leute. Literarische Wanderungen durch Galizien. Wien: J&V 1992; Schlögel, Karl: Promenade in Jalta und andere Städtebilder. Frankfurt/Main: Fischer 2003. 18 Schieb, Roswitha: Reise nach Schlesien und Galizien. Eine Archäologie des Gefühls. Berlin: Berlin 2000. 19 Janesch, Sabrina: Katzenberge. Berlin: Aufbau 2010 [2. Aufl.: 2012]. 20 Weidner, Stefan: Ins Griechenland des Ostens. Die Ukraine, Lemberg, die Juden und wir. Wiederholung einer Reise. Köln: Amazon 2015. Der Text ist erstmalig im Oktober 2014 als E-Book in der Reihe Kindle Singles bei Amazon erschienen.

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Krise in der Ukraine.«21 Auch diese Reise ordnet sich in die Reihe der historischliterarischen Spurensuche. Im polnischen Korpus macht das Œuvre Anna Stron´skas einen wichtigen Teil der ausgewählten Werke aus: Stron´ska wurde als »Grande Dame der polnischen Reportage« bezeichnet und begann ihre zahlreichen (Reise-)Reportagen schon in den 1960er Jahren zu publizieren. Dennoch befasste sich die Wissenschaft kaum mit ihren Werken – eine Monographie zum Werk der Autorin fehlt. Der ihr gewidmete Abschnitt dieser Arbeit soll zumindest im Kontext von Galizien einen Teil dieser Lücke schließen. In Bezug auf Galizienreisen werden drei Werke Stron´skas untersucht: Tyle szcze˛´scia dla szewców22 (So viel Glück für Schuster; 1977), Sennik Galicyjski23 (Galizisches Traumbuch; 1993) und Dopóki milczy Ukraina24 (Solange die Ukraine schweigt; 1998). Obwohl der erste Text vor 1989 erschienen ist, ist seine Analyse unverzichtbar, um die Reisen nach Galizien im Werk der Autorin als Ganzes darzustellen. Die Texte beschreiben Reisen sowohl in die Gebiete West- als auch Ostgaliziens und folgen einer Spurensuche auf unterschiedlichen Ebenen mit verschiedenen Schwerpunkten. Die Werke sind voller Anspielungen auf Literatur, Politik und Geschichte. Katarzyna We˛glicka mit ihren Werken We˛drówki Kresowe. Gawe˛dy O miejscach, ludziach i zdarzeniach25 (Grenzlandwanderungen. Plaudereien über Orte, Menschen und Ereignisse; 2006) und Bliska Ukraina. Gawe˛dy kresowe26 (Nahe Ukraine. Grenzlandplaudereien; 2009), die sich Galizien im Kontext der Kresy-Reisen widmen, stellt einen anderen Untersuchungsschwerpunkt dar. Beiden Texten liegt eine tatsächlich unternommene Reise zugrunde und beide sind stark intertextuell.27 Eine weitere in den 1990er Jahren erschienene, polnische Reise ist Andrzej Stasiuks Erzählung Dukla28 (Die Welt hinter Dukla29) aus dem Jahr 1997. Darin kehrt der Erzähler wiederholt in die periphere, polnische Kleinstadt Dukla zurück, die auf ihn eine unentziehbare Faszination ausübt. Im Zusammenhang mit Stasiuks Reisen in diesem Raum und seinen Abhandlungen zu Mitteleuropa wird

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Ebd., Schmierseite. Stron´ska, Anna: Tyle szcze˛´scia dla szewców. Warszawa: Czytelnik 1977. Stron´ska, Anna: Sennik Galicyjski. Warszawa: Reporter 1993. Stron´ska, Anna: Dopóki milczy Ukraina. Warszawa: Trio 1998. We˛glicka, Katarzyna: We˛drówki Kresowe. Gawe˛dy o miejscach, ludziach i zdarzeniach. Warszawa: Ksia˛z˙ka i Wiedza 2006. We˛glicka, Katarzyna: Bliska Ukraina. Gawe˛dy kresowe. Warszawa: Ksia˛z˙ka i Wiedza 2009. Es gibt in der polnischen Literatur zahlreiche Publikationen zu Reisen in die Kresy, in denen der postgalizische Raum als Galizien behandelt wird, siehe: Kapitel 3 zum historisch-literarischen Archiv. Stasiuk, Andrzej: Dukla. Wołowiec: Czarne 1997. Stasiuk, Andrzej: Die Welt hinter Dukla. Aus d. Polnischen v. Olaf Kühl. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2000.

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auch der Essay Dziennik okre˛towy30 (Logbuch31) analysiert. Ein weiterer zum polnischen Korpus gehörender Text ist Tomasz Róz˙yckis Dwanas´cie stacji32 (Zwölf Stationen33) (2005), ein Poem, in dem sich der Protagonist auf eine Reise mit einem besonderen Auftrag begibt: Er soll seine Familie aus ganz Polen zusammenführen und mit dieser in die alte Heimat zurückkehren. Die Reise beginnt in Opole in Schlesien, einer Region, die bereits bei Roswitha Schieb und Sabrina Janesch zu finden war. Auch das Motiv ist ein ähnliches: Die Spurensuche nach der Vergangenheit der eigenen Familie im Kontext der Zwangsumsiedlungen und Vertreibungen aus Ostgalizien nach Niederschlesien. Eine der neuesten Publikationen zu Galizienreisen am polnischen Buchmarkt ist Ziemowit Szczereks erfolgreicher Roman Przyjdzie Mordor i nas zje, czyli tajna historia Słowian34 (Mordor kommt und frisst uns auf 35) (2013). Von Stereotypenbrüchen, Selbstreflexionen und Identitätsverhandlungen über allgemeine Auseinandersetzungen mit Geschichte und ihrer Instrumentalisierung bis zur Satire auf den nostalgischen Kresy-Tourismus reicht die Bandbreites des Werks. Auf diesen sowie weiteren Werken basiert die durchgeführte Analyse. Die Textauswahl erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit in Bezug auf die Nationalliteraturen, soll jedoch eine exemplarische Überblicksdarstellung bieten, die tiefergehende textanalytische Arbeit leistet. So können zugleich generelle Aussagen über Tendenzen der Galizienreisen und spezifische Aussagen zu Eigenschaften der einzelnen untersuchten Werke und ihren poetologischen Strategien getroffen werden. Aufgrund dieses Verfahrens verfügt diese komparatistische Untersuchung über mehrere Ebenen und entwickelt zugleich ein theoretisches Modell zur Analyse von Reisen in historische Räume.

30 Stasiuk, Andrzej: Dziennik okre˛towy. In: Andruchowycz, Jurij/Stasiuk, Andrzej: Moja Europa. Dwa eseje o Europie zwanej S´rodkowa˛. Wołowiec: Czarne 2000 [2. Aufl.: 2001], S. 75– 140. 31 Stasiuk, Andrzej: Logbuch. Aus d. Polnischen v. Martin Pollack. In: Andruchowytsch, Juri/ Stasiuk, Andrzej: Mein Europa. Zwei Essays über das sogenannte Mitteleuropa. Aus d. Ukrainischen v. Sofia Onufriv u. aus d. Polnischen v. Martin Pollack. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2004, S. 75–145. 32 Róz˙ycki, Tomasz: Dwanas´cie stacji. Kraków: Znak 2005. 33 Róz˙ycki, Tomasz: Zwölf Stationen. Aus d. Polnischen v. Olaf Kühl. München: Luchterhand 2009. 34 Szczerek, Ziemowit: Przyjdzie Mordor i nas zje, czyli tajna historia Słowian. Kraków: Ha!art 2013. 35 Szczerek, Ziemowit: Mordor kommt und frisst uns auf. Aus d. Polnischen v. Thomas Weiler. Dresden, Leipzig: Voland & Quist 2017.

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1.2.4 Aufbau Eine genaue Ausführung zur Betrachtung Galiziens als einen Archivraum und die Beschreibung des Modells zur Untersuchung von Reisen in historische Räume bietet das zweite Kapitel dieser Arbeit »Galizien als Archivraum«, das den theoretisch-methodischen Rahmen der Untersuchung sowie der nachfolgenden drei analytischen Kapitel skizziert. Das konstituierende Element der Reisen in den postgalizischen Raum ist, neben den Archivmaterialien, der die Vergangenheit und Gegenwart verbindende Raum, in welchem sich unterschiedliche Zeitschichten überlagern. Diese werden in den Texten sichtbar und bestimmen die Reiserouten, die Narration wie auch die produzierten Galizienbilder. Auswahl, Aktualisierung und Aufzeichnung sind die drei Ebenen des Entstehungsprozesses der Reisetexte. Dabei spielen die Richtung der Befragung und der damit zusammenhängende Griff ins Archiv eine entscheidende Rolle. Abhängig von der Art des Zugriffs auf das Archiv und der Funktion Galiziens während der Reise und im Text können, wie die Analyse zeigte, die untersuchten Reisen in den postgalizischen Raum in der deutschsprachigen und polnischen Literatur nach 1989 in drei Gruppen unterteilt werden: historisch-literarisches, familiäres und idiosynkratisches Archiv. Der Darstellung und Analyse dieser drei Gruppen sind die drei analytischen Kapitel dieses Buchs gewidmet. In der ersten Gruppe übernimmt Galizien die Rolle eines historisch-literarischen Archivs. Darin wird vorrangig auf Archivmaterialien wie literarische und historische Texte sowie damit zusammenhängende Topoi, alte Landkarten und Fotographien etc. zurückgegriffen. Es sind Reisen auf den Spuren berühmter Schriftsteller und bedeutender Persönlichkeiten aus Galizien wie Bruno Schulz, Stanisław Lem, oder Joseph Roth, und historischer Orte und Ereignisse, die vorrangig auf historisch-literarische Bilder zurückgreifen. Intertextualität bestimmt diese Reisen und Texte. Dieses historisch-literarischen Archivs bedienen sich u. a. folgende Reisetexte: Pollacks Nach Galizien, Dohrns Reise nach Galizien, Hofbauers Verwehte Spuren oder We˛glickas Bliska Ukraina. Diese und weitere Texte werden im dritten Kapitel »Historisch-literarisches Archiv« analysiert. Charakteristisch für die deutschsprachigen Publikationen dieser Gruppe sind sowohl ihr Publikationszeitraum (vorrangig in den 1990er Jahren) als auch ihr Fokus auf das jüdische Erbe Galiziens. Die polnischen Publikationen überschneiden sich größtenteils mit den zahlreichen Publikationen zu den Kresy aufgrund ihrer politischen Dimension und des Fokus auf das polnische Erbe. Zu dieser Archivart gehören die Werke Anna Stron´skas und Katarzyna We˛glickas. Für die zweite Gruppe fungiert Galizien als ein familiäres Archiv. Die Erzähler sind Nachfahren von migrierten, umgesiedelten oder vertriebenen Menschen aus Galizien und unternehmen eine Reise in die Heimat ihrer Vorfahren, um eine

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zusammenhängende Geschichte ihrer Familie und somit auch ihre eigene rekonstruieren und erzählen zu können. Die Reisenden bewegen sich auf den Spuren der eigenen Familiengeschichte und stützen sich dabei hauptsächlich auf mündlich überlieferte Familienerzählungen sowie traditionelle, kulturelle materielle Objekte. Diese Archivart wird besonders gut von zwei Werken repräsentiert: Sabrina Janeschs Katzenberge und Tomasz Róz˙yckis Dwanas´cie stacji. In beiden reisen und erzählen aus Galizien Stammende der dritten Generation, die die Vergangenheit ihrer Familie in der Gegenwart wiederzuentdecken versuchen. Das Autobiographische und die Beziehungen zwischen Galizien und Schlesien bilden die Hauptcharakteristika dieser Texte. All diese Aspekte werden im vierten Kapitel »Familiäres Archiv« dargestellt. Polnische Publikationen dominieren die dritte Gruppe. Darin übernimmt Galizien die Rolle eines idiosynkratischen Archivs. Der berühmteste Vertreter dieser Art von Galizienreisen ist Andrzej Stasiuk. In seinen zahlreichen Reisen im postgalizischen Raum versucht er, ein idiosynkratisches Galizien zu entdecken und zu beschreiben. Dies passiert vorrangig durch seine Perzeption des gegenwärtigen postgalizischen Raums in Verbindung mit seinen individuellen Erinnerungen. Stasiuk ist sich der historischen Bedeutung der von ihm besuchten Orte bewusst, was im Text oftmals zum Vorschein kommt, jedoch bleibt der historische Kontext im Hintergrund. Die persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen, die periphere Natur des postgalizischen Raums, der postindustrielle Verfall und der immer weiter vorrückende sowie alles beherrschende Materialismus rücken in den Vordergrund. Als Basis der Analyse der Reisen werden zwei seiner Werke untersucht: die Erzählung Dukla (1997) und der Essay Dziennik okre˛towy (2000). Der zweite in dieser Gruppe behandelte Autor ist Ziemowit Szczerek mit seinem erfolgreichen Gonzo-Roman Przyjdzie Mordor i nas zje, czyli tajna historia Słowian (2013), der während seiner Reise in die Westukraine polnische Identitätsprobleme zwischen Minderwertigkeitskomplexen und der Ost-West-Dichotomie ausverhandelt. Auch er bedient sich des idiosynkratischen Archivs, da er sowohl auf konventionelle Quellen des historisch-literarischen Archivs zurückgreift, diese jedoch durch eine innovative Poetik und individuelle Materialien ergänzt. Diesen drei Gruppen sind die drei analytischen Hauptkapitel dieser Arbeit gewidmet, ihnen geht ein Kapitel zur theoretischen Annäherung an dieses Thema voran, das einen Einblick in die theoretische Positionierung der Arbeit innerhalb des Archivdiskurses bietet. In den einzelnen Kapiteln werden theoretische Konzepte eingeführt, die der Analyse der Werke im spezifischen Themenkreis dienen, wie Studien zum postkolonialen Diskurs in Polen in Bezug auf die Kresy im Kapitel »Historisch-literarisches Archiv«, Postmemory von Marianne Hirsch oder Nostalgie von Svetlana Boym im Kapitel »Familiäres Archiv« oder Überle-

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gungen zum Konzept Mitteleuropas und zur Stereotypenforschung im Kapitel »Idiosynkratisches Archiv«.

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1.3.1 Zur Definition des Gattungsbegriffs Die im Fokus stehenden Berichte über Reisen nach Galizien werden in geläufigen Diskursen oft als Reiseliteratur bezeichnet, was insofern am Anfang des 21. Jahrhunderts problematisch erscheint als eine klare Definition mit eindeutigen Merkmalen für diese Gattung nicht zu finden ist. Um diesen Begriff nicht unreflektiert zu verwenden, wird nachfolgend ein Einblick in die wissenschaftlichen Diskussionen um die Gattung der Reiseliteratur gegeben, wodurch vor allem klar werden soll, wieso im Titel dieser Arbeit nicht von Reiseliteratur, sondern von Reisen gesprochen wird und weshalb Begriffe wie Reisetexte oder Reisenarrative verwendet werden. Die erste Schwierigkeit entsteht bereits bei der Gattungsbezeichnung. Die deutschsprachige Literatur findet für sie unterschiedliche Begriffe, die für Verwirrung sorgen können: Reisebericht, Reiseliteratur, Reisebeschreibung etc. Diese Bezeichnungen werden zwar teils anders definiert, in der Praxis aber häufig austauschbar verwendet. In der polnischen Literatur waren lange Zeit zwei Begriffe vorherrschend, einfach podróz˙ (Reise) und podróz˙opisarstwo (Reiseschriftstellerei), doch aktuell herrschen die Bezeichnungen literatura podróz˙nicza (Reiseliteratur) und reportaz˙ podróz˙niczy (Reisereportage) vor, wobei es sich bei den Texten der letzten zwei Bezeichnungen wiederholt um Reiseberichte im traditionellen Sinn handelt. Lange war die Definition der Gattung von Peter J. Brenner für die Forschung im deutschsprachigen Raum ausschlaggebend, wodurch man sich bei einer Untersuchung dieser Gattung sowie bei der Eingrenzung des Korpus oft auf seine Vorgaben bezog, zumeist aus praktischen und heuristischen Gründen.36 Brenner arbeitet mit dem Begriff Reisebericht. Den Kernbestand dieser Gattung bildet für ihn die Beschreibung einer realen Reise mit Authentizitätsanspruch. Der Vorgang des Reisens ist dabei »das konstituierende Element,

36 Vgl. dazu u. a.: Biernat, Ulla: »Ich bin nicht der erste Fremde hier.« Zur deutschsprachigen Reiseliteratur nach 1945. Würzburg: Königshausen & Neumann 2004; Berg, Anna de: »Nach Galizien.« Entwicklung der Reiseliteratur am Beispiel der deutschsprachigen Reiseberichte vom 18. bis zum 21. Jahrhundert. Frankfurt/Main: Peter Lang 2010.

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das die Einheit der Gattung in ihrem histor. Wandel verbürgt.«37 Aber auch Brenner macht darauf aufmerksam, dass der Reisebericht keine einheitliche literarische Form hervorgebracht hat und sich nahezu aller formalen und ästhetischen Darstellungsmöglichkeiten bedient, die ihm die Literaturgeschichte bietet: »häufig übernimmt er als Reisegedicht, als Briefsammlung, als Tagebuch oder als Teil-Autobiographie literar. Formen, die sich in anderen Zusammenhängen herausgebildet haben.«38 Brenner unterscheidet zwischen dem Reisebericht und den verschiedenen Formen der »Reiseliteratur«, die sich, seiner Definition nach, des Reisens als eines Motivs in fiktionalen Zusammenhängen bedienen, wobei er zugleich darauf aufmerksam macht, dass der Authentizitätsanspruch des Reiseberichts es nicht erlaubt, eine definitive Grenze zu ziehen zwischen literarischen und nichtliterarischen Formen der Reiseliteratur: Die Wirklichkeitsauffassung unterliegt einem historischen Wandel, der es für den Reisebericht notwendig macht, seine jeweilige Stellung zur Empirie zu definieren. Dabei entwickelt die Gattung ihre eigenen literarischen Strategien zur Glaubhaftmachung ihres Authentizitätsanspruchs, in denen sie ihr epochalen Wandlungen unterliegendes Verhältnis zur Wirklichkeit in Anlehnung an die Wirklichkeitsauffassung ihrer Zeit bestimmt.39

Die Definition Brenners und seine Anmerkungen zur Gattung verdeutlichen, dass es keine definitiven Vorgaben bezüglich der Merkmale der Texte gibt: Die Gattung muss sich der jeweiligen Zeit anpassen und sich weiterentwickeln. So lässt sogar diese in der Forschung dominierende Definition dem Reisebericht viel Freiraum, wobei die Authentizität ausschlaggebend ist, denn Brenner versteht unter Reisebericht: […] die sprachliche Darstellung authentischer Reisen. Über ästhetische Qualitäten und Ambitionen ist damit nichts ausgesagt; die Gattung vereinigt in dieser Beziehung die extremsten Gegensätze. Auch ist damit nichts präjudiziert über den Wahrheitsgehalt des ›Berichts‹. Er soll sich per definitionem nur auf wirkliche Reisen beziehen, aber den Verfassern liegt doch ein breiterer Spielraum zwischen Authentizität und Fiktionalität der Beschreibung offen, der sowohl individuell wie auch epochenspezifisch ganz verschieden ausgefüllt wurde.40

Der Reisebericht konstituiert sich demnach durch die Authentizität der wirklichen Reise, egal wie fiktional der Bericht von der Reise im Endeffekt ausfällt und welche Merkmale er hat. Ulla Biernat bringt die Definition Brenners auf den 37 Brenner, Peter J.: Reisebericht. In: Killy, Walther (Hrsg.): Literatur-Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Gütersloh, München: Bertelsmann-Lexikon-Verl. 1993, S. 281–287; hier: S. 281. 38 Ebd. 39 Ebd., S. 281–282. 40 Brenner, Peter J.: Einleitung. In: Brenner, Peter J. (Hrsg.): Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1989, S. 7–13; hier: S. 9.

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Punkt: »so kann man Reiseberichte als Texte bezeichnen, die nicht-fiktive Reisen mit fiktionalen Mitteln (die historisch und kulturell variabel sind) darstellen.«41 Alle nicht tatsächlich unternommenen Reisen, also nach Brenner nicht authentische bzw. fiktive Reisen, werden nicht zur Gattung des »Reiseberichts«, sondern zur »Reiseliteratur« gezählt, die sich, wie Anne Fuchs erläutert, als »gattungsübergreifende Bezeichnung für eine Vielfalt von Textsorten etabliert« hat und sich »nur schwer rein formal mit der konventionellen typologischen Poetik bestimmen« lässt.42 Nach Brenner besteht die Differenz zwischen dem Reisebericht und der Reiseliteratur darin, dass der Reisebericht einen viel größeren Wert auf Authentizität als auf die ästhetische Qualität legt, wobei die Reiseliteratur sich verstärkt des Reisens als eines Motivs in fiktionalen Zusammenhängen bedient. Er weist aber auch darauf hin, dass der Authentizitätsanspruch des Reiseberichts es nicht erlaubt, eine definitive Grenze zwischen literarischen und nichtliterarischen Formen der Reiseliteratur zu ziehen.43 Dadurch ist die Unterscheidung zwischen Reisebericht und Reiseliteratur nicht einfach. Hinzu kommt noch der Begriff der literarischen Reisebeschreibung: […] literarischen Reisebeschreibungen […] liegen tatsächliche Reisen zugrunde, die jedoch subjektiv ausgestaltet werden und bisweilen Faktisches und Fiktives, Authentisches und Kolportiertes verbinden, aber stets Anspruch auf Glaubwürdigkeit erheben.44

Diese werden als eine Art des Reiseberichts eingestuft, der wiederum im Gegensatz zum Reiseroman dargestellt wird.45 Diese breit angelegten Definitionen und unterschiedlichen Gattungsbezeichnungen, die die Gattung auf keine spezifischen Merkmale beschränken, vieles offen lassen und auf die Uneinheitlichkeit der Gattung seit ihren Anfängen hinweisen, gehen einerseits auf die Entwicklung zurück, dass man heute generell nur schwer von geschlossenen Gattungen sprechen kann und Genresynkretismus ein gängiges Phänomen ist, führten andererseits aber auch zu einer in der Forschung vorherrschenden Diskussion um das Ende der Gattung des Reiseberichts bzw. der Reiseliteratur, was im Kontext der Diskussion um die Schwierigkeit der Definition von Gattungen in der Postmoderne im Allgemeinen steht. Die Beschäftigung der Textologie mit der Gattung hat dazu geführt, die Gattung als eine offene Kategorie zu begreifen – mit unscharfen Grenzen und hoher Instabilität:

41 Biernat: Ich bin nicht der erste Fremde hier, S. 22. 42 Vgl. Fuchs, Anne: Reiseliteratur. In: Lamping, Dieter (Hrsg.): Handbuch der literarischen Gattungen. Stuttgart: Kröner 2009. 43 Vgl. Brenner: Reisebericht, S. 281. 44 Reisebericht. In: Schweikle, Günther/Schweikle, Irmgard (Hrsg.): Metzler-Literaturlexikon. Begriffe und Definitionen. Stuttgart: Metzler 1990, S. 224–225; hier: S. 225. 45 Vgl. ebd., S. 224.

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Die mehrsprachige Analyse des Sprachverhaltens durch Textologen hat gezeigt, dass es nötig ist, das Konzept der Gattung als eine Art offene Kategorie mit verschwommenen Grenzen anzunehmen, deren instabiles, zum Wandel neigendes Modell in ein flexibles typologisches Netzwerk eingeschrieben werden kann.46

Eine solche Definition der Gattung passt sehr gut zu der Entwicklung und den Charakteristika der Gattung des Reiseberichts bzw. der Reiseliteratur. Die Merkmale einer Gattung sind auch typisch für andere Gattungen. Witosz spricht über Migrationen der Gattungen, die durch äußeren, kulturellen Einfluss hervorgerufen werden.47 Wichtig dabei ist, dass die polnische Forschung nach Möglichkeiten sucht, sich der Gattung auf eine neue Art zu nähern sowie die Existenz der Gattungen an sich und der Reiseliteratur im Speziellen nicht zu negieren. Im Gegensatz dazu steht der Diskurs zur Gattung der Reiseliteratur in der englischen und deutschsprachigen Forschung, in der jede Auseinandersetzung mit Reiseliteratur mit der Frage nach der Existenz der Gattung beginnt. Wie Tim Youngs bemerkt, findet man heute kaum einen Beitrag, der nicht mit der Bemerkung anfängt, wie schwer die nähere Bestimmung des Untersuchungsobjekts ist.48 Eine Gattung ›Reiseliteratur‹ gibt es nicht. Gliederungsversuche des Phänomens gelangten meist zu einer Typisierung, die ganz nützlich für die erste Orientierung, deren Grenze aber schnell erreicht ist.49

Dies sind die ersten Sätze in Helmut Schlössers bereits im Jahr 1987 publizierter Monographie Reiseformen des Geschriebenen. Diese provokante Formulierung bestreitet wegen der Schwierigkeiten bei deren Typisierung die Existenz der Gattung. Indessen wird Reiseliteratur, im Gegensatz zum Reisebericht, oft überhaupt nicht als eigene Gattung angesehen, sondern als eine gattungsübergreifende Bezeichnung verwendet. Trotzdem arbeiten viele WissenschaftlerInnen mit dem Begriff und sprechen sowohl von einem Ende der Reiseliteratur als auch des Reiseberichts. So stellt Martin Nickel, bezogen auf seine Untersuchung zum geographischen Sachbuch, die Frage nach dem »Ende der Reiseliteratur« 46 Witosz, Boz˙ena: Gatunki podróz˙nicze w typologicznym uje˛ciu genologii lingwistycznej. In: Rott, Dariusz (Hrsg.): Wokół reportaz˙u podróz˙niczego. Bd. 2. Katowice: Wydawnictwo Uniwersytetu S´la˛skiego 2007, S. 11–29; hier: S. 29. Original: »Prowadzone przez tekstologów wieloaspektowe analizy zachowan´ mownych uzmysłowiły koniecznos´c´ przyje˛cia koncepcji gatunku jako kategorii otwartej, o rozmytych granicach, którego niestabilny, podatny na przekształcenia model moz˙na wpisac´ w elastyczna˛ siec´ typologiczna˛.« 47 Vgl. ebd. 48 Vgl. Youngs, Tim: The Cambridge Introduction to Travel Writing. Cambridge: Cambridge University Press 2013, S. 1. 49 Schlösser, Helmut: Reiseformen des Geschriebenen. Selbsterfahrung und Weltdarstellung in Reisebüchern Wolfgang Koeppens, Rolf Dietrich Brinkmanns und Hubert Fichtes. Wien, Köln u. a.: Böhlau 1987, S. 9.

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und zeigt diese Entwicklung der Gattung in der damaligen Bundesrepublik Deutschland auf. Demnach können sich klassische Formen kaum durchsetzen und die Reiseberichte im traditionellen Sinne machen seiner Untersuchung nach nur einen kleinen Teil der sich auf Reisen beziehenden Literatur aus.50 Dies spricht auch Peter Brenner an, indem er schreibt, das Verschwinden der Gattung in ihrer althergebrachten Form finde bereits seit Jahrzehnten statt,51 der Reisebericht könne »kaum noch als eigenständiges Gattungsmedium mit genuinen Ausdrucksmöglichkeiten begriffen« werden, »sondern eher als Fortsetzung von Literatur mit anderen Mitteln.«52 Als Abschluss seines Monumentalwerks zur Entwicklung des Reiseberichts stellt er bezüglich der Zukunft des Reiseberichts fest: Es spricht einiges dagegen, dass der Reisebericht als literarische Gattung eine Zukunft hat. Diese Perspektive lässt sich nicht nur an den realen Entwicklungen auf dem Buchmarkt ablesen; sie wird kaum minder deutlich an der ausufernden wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Gattung. Die frappierende Zunahme philologischer und historiographischer Studien zum Thema ist ein deutliches Indiz dafür, dass der Reisebericht zu einer abgestorbenen Kunstform geworden ist, welche die originären Erfahrungen der zivilisatorischen Gegenwart nicht mehr zu verarbeiten vermag.53

Seit den 1990er-Jahren erfreuten sich Texte, die der Reiseliteratur zugeschrieben werden könnten, weiterhin großer Popularität. Dazu zählen die hier untersuchten Galizienreisen. Die Zukunft der Reiseliteratur sieht nicht so negativ aus, wenn man die Perspektive ändert und eine andere Herangehensweise an die Auseinandersetzung mit der Gattung wählt. Schlösser tut dies, indem er seinen oben zitierten Satz in einer weiteren wissenschaftlichen Ausarbeitung zur Reiseliteratur widerruft: Reiseliteratur sei keine Gattung, so hieß der Anfang, was eigentlich heißen sollte: Reiseliteratur soll keine Gattung sein. Stattdessen sei eine ›Literatur der Reisenden‹ zu postulieren, die sich nicht über bestimmte Formen, sondern in einer Betrachtung des reisenden Schreibers und seines Verhältnisses zum Geschriebenen definiert.54

Schlösser geht dabei auf Hans-Joachim Possin ein, der in seiner Untersuchung der Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts die Fiktion einer Gattung Reiseliteratur verabschiedet und sich für eine »Literatur des Reisens« ausspricht. Das konsti50 Vgl. Nickel, Martin: Sachliteratur zur Geographie und zu deren Nachbargebieten. In: Radler, Rudolf (Hrsg.): Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart. Autoren, Werke, Themen, Tendenzen seit 1945. Bd. 11: Die deutschsprachige Sachliteratur. Frankfurt/Main: Kindler 1980. 51 Vgl. Brenner, Peter J.: Der Reisebericht in der deutschen Literatur. Ein Forschungsüberblick als Vorstudie zur Gattungsgeschichte. Tübingen: Max Niemeyer 1990, S. 660. 52 Ebd., S. 661. 53 Vgl. ebd., S. 666. 54 Schlösser: Reiseformen des Geschriebenen, S. 17.

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tuierende Moment dieser ist zunächst, dass von einer Reise generell die Rede ist. Possin beseitigt die Kluft zwischen »fiktionaler« und »nicht-fiktionaler« Literatur des Reisens, indem er dieses Kriterium für nicht so relevant erklärt. Dadurch kann der Reisebericht als ein eigenständiges Werk, in dem der schreibende Reisende, der nicht mit dem Schriftsteller ident sein muss, in den Vordergrund rückt, angesehen werden.55 Dadurch wird Reisen, wie Schlösser feststellt, zu einem »Muster der Welterschließung und der Persönlichkeits-Bildung, ›Literatur des Reisens‹ wird so zum Ausdruck eines Erfahrungs- und Gestaltungsprozesses, in dem Schreiben und Reisen einander bedingen.«56 Eines wird hierbei sichtbar: Der Reiseliteratur werden nun nicht Merkmale zugeschrieben, sondern Funktionen. Possin entfernt sich von einer Gattungsdefinition, die durch formale und inhaltliche Merkmale bestimmt wird, und ersetzt diese durch die Verbindung von Reisen, Schreiben und Lesen. Diese Verbindung wird zum wichtigsten Element der Reiseliteratur, wie Schlösser auf Possin bezogen schreibt: Und das scheint die Literatur des Reisens jenseits formaler Gattungsmerkmale zusammenzuhalten, daß Schreiben und Reisen eine Einheit eingehen, dass der Schreibvorgang der Reisebewegung gleichgesetzt wird, was der Leser wiederum durch eine Konzentration auf diese Verbindung beantworten muß.57

Was die Reiseliteratur demnach als Gattung ausmacht, sind nicht die normativen Gattungsmerkmale, sondern das Moment sowie die Einheit des Schreibens und der Reise. Geht man nicht von den geschlossenen, statischen Merkmalen der Gattung aus, sondern von offenen, dynamischen Funktionen, kann die Gattung der Reiseliteratur immer noch eine Einheit bilden und so für die Wissenschaft wieder handhabbar gemacht werden. Dies entspricht auch dem oben erwähnten Konzept von Boz˙ena Witosz, die als bestimmendes Kriterium ihrer Untersuchung zur Reiseliteratur die Reise als eine existenzielle Erfahrung auswählt und so die Familie der Reiseliteraturgattungen konstituiert, wobei dieser Kategorie eine über der Gattung stehende Dimension zugeschrieben wird.58 Die Überlegungen und Untersuchungen von Possin, Schlösser und Witosz zeigen, dass sich die Merkmale der Reiseliteratur verändern können, doch den Ausgangspunkt für die Konstituierung der Reiseliteratur immer die Reise als eine persönliche, existenzielle Erfahrung, die durch die Entstehung des Textes mit dem Schreiben verbunden wird, bildet. Die Funktion der Reise rückt als eine existenzielle Erfahrung in den Vordergrund, die formalen und inhaltlichen Merkmale in den Hintergrund. Man konzentriert sich auf die Funktionen der Reise und nicht mehr 55 Vgl. Possin, Hans-Joachim: Reisen und Literatur. Das Thema des Reisens in der englischen Literatur des 18. Jahrhunderts. Tübingen: Niemeyer 1972. 56 Schlösser: Reiseformen des Geschriebenen, S. 15. 57 Ebd. 58 Vgl. Witosz: Gatunki podróz˙nicze, S. 13–14.

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auf die Merkmale, was eine andere Herangehensweise an die Reiseliteratur bedeutet und neue Möglichkeiten eröffnet. Infolgedessen werden in dieser Arbeit die Begriffe Reisen, Reisetexte oder Reisenarrative für die untersuchten verschriftlichten Reisen nach Galizien verwendet, wodurch der gattungsübergreifenden Bezeichnung im Sinne von Boz˙ena Witosz und Anne Fuchs gefolgt wird. Damit sind sowohl Reisen im physischen Raum als auch imaginäre Reisen nach Galizien gemeint, die sich in Form und Gattung voneinander unterscheiden können, die jedoch die Reise als eine existenzielle Erfahrung, die durch die Entstehung des Textes mit dem Schreiben verbunden ist, als konstituierendes Moment besitzen, wobei das Ziel der Verschriftlichung der Reise die Verarbeitung der persönlichen Erlebnisse ist.

1.3.2 Funktionen der Reisen Das Ende der Gattung Reiseliteratur bzw. Reisebericht wird aufgrund fehlender gemeinsamer Merkmale thematisiert, doch gemeinsame Funktionen lassen sich finden. Diese sind auch in den hier untersuchten Galizienreisen festzustellen und bestimmen die Motivation der Reisenden sowie die Poetik der Reisen. Funktionen sind dynamisch und offen, stehen somit im Gegensatz zu den statischen, geschlossenen Merkmalen. Brenner spricht von zwei Funktionen, die die Gattung weiterhin zu übernehmen vermag: Reiseliteratur »als Medium der Selbstverständigung und Selbst-Erfahrung« und »als Reiseform, welche touristische Massenerfahrungen mit absoluter Singularität zu verbinden vermag.«59 Es handelt sich um eine Art der Selbstsuche bzw. -findung und um die Singularität und Extraordinarität des Reiseziels. In der Gegenwart sind solche Reiseziele aufgrund fehlender »weißer Flecken« auf der Landkarte rar. Obwohl der Ausdruck »absolute Singularität« von Brenner nur teilweise auf die Reisen nach Galizien zuzutreffen mag, kann man bei diesen doch von Reisen sprechen, die originell sind und nicht der allgemeinen Tendenz des Tourismus entsprechen. In allen drei Archivarten sind diese Funktionen zu finden, wobei unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. Aus dem historisch-literarischen Archiv schöpfen vor allem Reisende, die in ihren Reisetexten einen Teil ihrer nationalen bzw. ethnisch-religiösen Geschichte erzählen möchten. Dohrns Reise nach Galizien, Schnetzlers Meine galizische Sehnsucht oder Weidners Ins Griechenland des Ostens bewegen sich auf den jüdischen Spuren, erzählen damit die Geschichte des Ostjudentums und behandeln gleichzeitig die Shoa, die sie mit der (Erinnerungs-)Aufarbeitung im deutschsprachigen Raum in Beziehung setzen. Die polnischen Reisen beziehen sich auf das nationale Erbe der Kresy und er59 Brenner: Der Reisebericht in der deutschen Literatur, S. 664.

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läutern die schwierigen polnischen-ukrainischen Beziehungen im nationalen Kontext. Die auf das familiäre Archiv zurückgreifenden Reisenden vollziehen durch die Reise eine Art der individuell-familiären Selbsterfahrung. Am Beispiel von Texten wie Janeschs Katzenberge oder Róz˙yckis Dwanas´cie stacji wird deutlich, wie anhand der Galizienreise die Familiengeschichte erzählt werden kann und die eigene Positionierung innerhalb des Familiennarrativs konstituiert wird. Diese die touristische Massenerfahrungen mit absoluter Singularität verbindende Selbst-Erfahrung ist ebenso in den Reisen des idiosynkratischen Archivs zu finden. Davon zeugen Stasiuks Ausführungen zur eigenen Kindheit und Jugend anhand der Reisen an die Peripherie ebenso, wie Szczereks Darstellungen von Identitätsproblemen im »wilden Osten«. Ulla Biernat macht noch auf eine dritte Funktion aufmerksam – die Reflexion der Interdependenz von Fremderfahrung und Schreibpraxis, im weiteren Sinne also auf die der Intertextualität.60 Neben der Beziehung zwischen Fremderfahrung und Schreiben behandelt diese Funktion auch das Lesen. Reisen ist Fremderfahrung, verbunden mit Schreib- und Lesepraxis, wobei das Lesen der Motivation sowie der Vorbereitung und Begleitung der Reise gilt, die Schreibpraxis der Reise nachfolgt. Diese Funktion kann zudem durch Intermedialität ergänzt werden: Es geht nicht nur um die Lektüre von Texten, sondern auch von verschiedenen anderen Kulturmaterialien, darin verbindet sich das Reisen mit dem Schreib- und Leseprozess. Genau dies stellen die drei Wesenszüge der Galizienreisen dar: Auswahl, Aktualisierung, Aufzeichnung. Diese Funktion realisiert sich durch die archivarische Arbeit und die Intertextualität. Aus dieser Betrachtung heraus werden zwei komplementäre Seiten der Reisen sichtbar, die anhand zweier Konzepte beschreibbar sind: Archiv und Museum. Bei den Vorbereitungen zu den Reisen greift man zunächst auf einen bereits bestehenden Fundus zu Galizien zurück. Das bereits bestehende Wissen wird anhand von Bildern, literarischen Werken, wissenschaftlichen Auseinandersetzungen aktiviert, für die Planung der eigenen Reise ausgenutzt, während der Reise reflektiert und anschließend im Text verwertet. So sind die auf diese Weise entstandenen Reisetexte eine Ausstellungsform, eine Art von Museum, in dem auf im Archiv Galizien Aufbewahrtes zurückgegriffen wird. Die ausgewählten Elemente werden nun in den Texten in Form von Zitaten, Bildern, Verweisen, Anspielungen oder der Sprache ausgestellt und von eigenen Kommentaren sowie Erlebnissen ausgeschmückt. Somit entsteht eine Sammlung und Galerie, beides komplementäre Teile eines Museum, welches ja den populären und leicht zugängigen Ausstellungsraum des Archivs darstellt.

60 Vgl. Biernat: Ich bin nicht der erste Fremde hier, S. 19–20.

Gattung: Reisen

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1.3.3 Wieso Reisen nach Galizien? Seit der Entstehung der Provinz 1772 beeinflussen Reisen nach Galizien die Wahrnehmung der Region von außen. Dies tun sie bis heute und sind deshalb besonders bedeutend und untersuchenswert. Die aufklärerischen Reiseberichte bestimmen bis in die Gegenwart das Bild Galiziens in den verschiedenen nationalen Narrativen. Bereits 1786, kaum vierzehn Jahre nach der Gründung des österreichischen Kronlandes, verfasst Franz Kratter mit seinen Briefen[n] über den itzigen Zustand von Galizien. Ein Beytrag zur Staatistik und Menschenkenntnis61 einen ersten galizischen Reisebericht. Der Autor zeichnet darin ein durchwegs negatives Bild dieser Provinz geprägt durch Korruption, niedriges Bildungsniveau und Rückständigkeit. Die Briefe bildeten den Anfang einer langen Reihe von Veröffentlichungen, die Reisen nach Galizien beschreiben. Zu den deutschsprachigen Reiseberichten gehören u. a. die Publikationen von Alphons Heinrich Traunpaur Chevalier d’Ophanie Dreyßig Briefe über Galizien oder Beobachtungen eines unpartheyischen Mannes, der sich mehr, als nur ein paar Monate in diesem Königreiche umgesehen hat62 (1787), Balthasar Hacquets Neueste physikalisch-politische Reisen in den Jahren 1794 und 95 durch die Dacischen und Sarmatischen oder Nördlichen Karpathen63 (1795), Samuel Bredetzkys Reisebemerkungen über Ungern und Galizien64 (1809), Karl Emil Franzos’ Aus Halb-Asien. Culturbilder aus Galizien, der Bukowina, Südrußland und Rumänien65 (1878), Joseph Roths Reise durch Galizien66 (1924) und Alfred Döblin Reise in Polen67 (1926). Auch in der polnischen Literatur fanden Reisen nach Galizien Eingang in literarische und wissenschaftliche Texte, wie in Seweryn Goszczyn´skis Dziennik podróz˙y do Tatrów68 (Reisebericht über die Tatra; 1833), Z˙egota Paulis Wyja˛tki z podróz˙y po Galicji odbytej w roku 183169 (Auszüge aus der 61 Kratter, Franz: Briefe über den itzigen Zustand von Galizien. Ein Beytrag zur Staatistik und Menschenkenntnis. Leipzig: Wucherer 1786. 62 Traunpaur, Alphons Heinrich Chevalier d’Ophanie: Dreyßig Briefe über Galizien oder Beobachtungen eines unpartheyischen Mannes, der sich mehr, als nur ein paar Monate in diesem Königreiche umgesehen hat. Reprint Berlin: H. Scherer 1990 [1787]. 63 Hacquet, Balthasar: Neueste physikalisch-politische Reisen in den Jahren 1794 und 95 durch die Dacischen und Sarmatischen oder Nördlichen Karpathen. Nu¨ rnberg: Rasp 1796. 64 Bredetzky, Samuel: Reisebemerkungen über Ungern und Galizien. Zweytes Bändchen. Wien: Anton Doll 1809. 65 Franzos: Aus Halb-Asien. 66 Roth, Joseph: Reise durch Galizien. In: Roth, Joseph: Werke. Das journalistische Werk: 1924– 1928. Köln: Kiepenheuer und Witsch 1990. 67 Döblin, Alfred: Reise in Polen. Olten, Freiburg im Breisgau: Walter 1968. 68 Goszczyn´ski, Seweryn: Dziennik podróz˙y do Tatrów. Wrocław: Zakład Narodowy im. Ossolin´skich 1958. 69 Pauli, Z˙egota: Wyja˛tki z podróz˙y po Galicji odbytej w roku 1831. In: Rozmaitos´ci 47–52 (1835).

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Einleitung

Reise nach Galizien im Jahr 1831; 1835), Józef Łepkowskis Ułamek podróz˙y archeologicznej po Galicji odbytej w 1849 roku70 (Ausschnitt einer archäologischen Reise durch Galizien im Jahr 1849; 1850) oder Kazimierz Wodzickis Wycieczka ornitologiczna w Tatry i Karpaty galicyjskie na pocza˛tku czerwca 1850 roku71 (Ornithologische Reise in die galizische Tatra und die Karpaten Anfang Juni 1850; 1851). Diese Reisen des 18. und 19. Jahrhunderts zeichnen sich im Unterschied zu den ab den 1980er Jahren verstärkt publizierten dadurch aus, dass sie in eine existierende oder zumindest eine vor nicht allzu langer Zeit noch bestehende Provinz führen. In den aufklärerischen Reiseberichten gehört die Vorstellung von Galizien als »Armenhaus an der Peripherie Europas« zu einem vorherrschenden Bild, das dem Kronland seit seiner Entstehung anhaftet72 und durch welches dieses bis heute bestimmt ist,73 denn »Reiseberichte sind nicht nur Produkte kulturellen Wissens (wie alle Texte), sondern sie führen die Produktion von kulturellem Wissen auf exemplarische Weise vor.«74 Galizien wird in den alten Reiseberichten als »Bärenland« beschrieben, »in dem wilde Sitten und archaische Zustände herrschen.«75 Erst die neueren Berichte lösen sich davon und lassen das Bild positiv erscheinen. Aus der Hölle wird Atlantis76 – die Welt der Erinnerung an die eigene Kindheit, die Geschichte oder Literatur: Heute ist Galizien primär ein Ort der literarischen Rekonstruktion, die dort ansetzt, wo die historische Spurensuche zu Ende ist: die Welt des alten Galizien ersteht nicht aus nüchternen historischen Fakten wieder, sondern in der erzählten Erinnerung ebenso wie in der kreativen Aneignung durch die Nachgeborenen.77

Solch eine literarische Rekonstruktion findet in den zahlreichen gegenwärtigen Reisen nach Galizien statt, dabei vermischen sich die eigenen, erzählten oder auf literarische Vorlagen zurückgehenden Erinnerungen mit der neuen, kreativen Aneignung des Gebiets durch die Reisenden. Mit Martin Pollacks 1984 erschie70 Łepkowski, Józef/Jerzmanowski, Józef: Ułamek podróz˙y archeologicznej po Galicji odbytej w r. 1849 przez Józefa Łepkowskiego i Józefa Jerzmanowskiego. Warszawa: [s.n.] 1850. 71 Wodzicki, Kazimierz: Wycieczka ornitologiczna w Tatry i Karpaty galicyjskie na pocza˛tku czerwca 1850 roku. Leszno: Eigenverlag, Czcionkami Ernesta Günthera 1851. 72 Vgl. Wolff: Inventing Galicia. 73 Vgl. Haid, Elisabeth/Weismann, Stephanie/Wöller, Burkhard: Einleitung. In: Haid, Elisabeth/ Weismann, Stephanie/Wöller, Burkhard (Hrsg.): Galizien. Peripherie der Moderne – Moderne der Peripherie? Marburg: Herder 2013, S. 1–10; hier: S. 1. 74 Biernat: Ich bin nicht der erste Fremde hier, S. 216. 75 Woldan, Alois: Nachwort. In: Simonek, Stefan/Woldan, Alois (Hrsg.): Europa erlesen. Galizien. Klagenfurt: Wieser 1998, S. 203–207; hier: S. 203. 76 Vgl. Lipin´ski, Krzysztof: Die »Habsburgische Atlantis« in Galizien. In: Rinner, Fridrun/Zerinschek, Klaus (Hrsg.): Galizien als gemeinsame Literaturlandschaft. Innsbruck: Institut für Sprachwissenschaft der Universität Innsbruck 1988, S. 55–64. 77 Woldan: Nachwort, S. 206.

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nenem Buch Nach Galizien. Von Chassiden, Huzulen, Polen und Ruthenen. Eine imaginäre Reise durch die verschwundene Welt Ostgaliziens und der Bukowina78 begann nach einer längeren Pause eine Auseinandersetzung mit Galizien im Kontext von Reisen, jedoch mit dem Unterschied, dass die Reise in einen nun historischen Raum führte. Pollacks imaginäre Reise in die Vergangenheit geht entlang der Eisenbahnroute der Karl-Ludwigs-Bahn, sie beginnt in Przemys´l und endet in Lwiw. Pollack konstruiert anhand von literarischen Quellen früherer Galizienreisen und galizischer AutorInnen sein Bild eines »verschwundenen« Galiziens. Das populäre Buch des österreichischen Publizisten und Schriftstellers, das heute zweifellos zum Kanon der Galizienliteratur zählt, diente als Ausgangslage und Inspirationsquelle vieler späterer Reisetexte. Diese sind meist nicht mehr imaginär, sondern Aufzeichnungen von tatsächlichen Bewegungen im realen Raum. Sie unterscheiden sich von Pollacks Werk vor allem hinsichtlich ihres Umgangs mit anderen Texten, worauf Alois Woldan in Bezug auf die erste nach 1989 erschienene Galizienreise hinweist. Es geht nun nicht um »die Rekonstruktion einer ›verschwundenen Welt‹ in Form der literarischen Anthologie, sondern die Dokumentation dieser Welt anhand verlässlicher literarischer und historischer Quellen, die auf den Vergleich mit dem Ist-Zustand von heute hinausläuft.«79 Damit macht Woldan auf einige Eigenschaften der neueren Galizienreisen aufmerksam: Der Intertext bekommt darin eine neue, dominierende Funktion. Zwischen den älteren und den neueren Reisen nach Galizien bestehen demzufolge große Unterschiede, nicht nur in Form und Funktion der Texte, sondern auch in ihrer Darstellung von Galizien. In Bezug auf die Form ist die Weiterentwicklung der Gattung der Reiseliteratur sowie die im heutigen Diskurs vorherrschende Diskussion um ihr Ende zu erwähnen:80 Die Reiseliteratur ist an die Wirklichkeit und das Wirklichkeitsverständnis der jeweiligen Zeit gebunden und infolgedessen durch hohe Wandlungsfähigkeit geprägt, wodurch sie eine sehr innovative Poetik und keine einheitliche literarische Form entwickeln konnte.81 Unterdessen gehört das Motiv der Reise zu den ältesten Beständen der europäischen Literatur. Die Reiseliteratur erlebte ihren Höhepunkt im 18. und 19. Jahrhundert. Während die aus dieser Zeit stammenden Veröffentlichungen noch als klassische Reiseberichte betrachtet werden können, stehen die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erschienenen Texte an der Schwelle zu einer 78 Pollack: Nach Galizien. 79 Woldan, Alois: Zum deutschsprachigen Galiziendiskurs nach der Wende von 1989/1991. In: Grimberg, Martin (Hrsg.): Polendiskurse. Convivium. Germanistisches Jahrbuch Polen 1993– 2003. Bonn: Deutscher Akademischer Austauschdienst 2004, S. 87–105; hier: S. 92. 80 Vgl. Brenner: Der Reisebericht in der deutschen Literatur; Youngs: The Cambridge Introduction to Travel Writing. 81 Vgl. Brenner: Reisebericht, S. 281.

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Abb. 2: Herb miast Galicyjskich / Wappen der Galizischen Städte (1916), Stanislau: Filipp Schwarz (Quelle: Biblioteka Narodowa, Poczt.12512).

Forschungsstand

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langsamen Loslösung aus den konventionellen Gattungstraditionen. Die neuesten Berichte versuchen, neue poetologische Wege zu gehen und schreiben der Gattung andere Funktionen zu. Dieser neuen Art der Auseinandersetzung mit dem postgalizischen Raum, folglich einem historischen Raum, der heute de facto auf den politischen Landkarten nicht mehr existiert, ist diese Arbeit gewidmet. Sie schreibt sich in die Diskussion um das Ende der Gattung wie auch um das Ende des Reisens ein. Auf dieses Ende bezogen stellt Annegret Pelz in Anlehnung an Claude Lévi-Strauss fest: »Reisen heute ist bestimmt von der Trauer über die verlorene Unberührtheit der Welt.«82 Ebenso verloren scheint die galizische Welt zu sein, dementsprechend folgen viele der postgalizischen Reisen einer melancholisch-nostalgischen Stimmung in einer weiten Bandbreite: von der Nostalgie nach der verschwundenen Welt des Ostjudentums über die nach der eigenen Kindheit bis hin zu der nach der Stellung der eigenen Nation.

1.4

Forschungsstand

Die Beschäftigung mit dem historischen Raum Galizien ist bis heute ein attraktives Untersuchungsgebiet geblieben, da es verschiedene Disziplinen wie Geschichtswissenschaften, Literaturwissenschaften und Sozialwissenschaften ideal verbindet,83 jedoch bleiben die meisten Untersuchungen bis heute national ausgerichtet. Bereits im Jahr 2009 deutete Andreas Kappeler auf diesen Umstand der Galizienforschung hin: »Die wissenschaftliche Forschung zu Galizien hat bisher der Multikulturalität der Region nicht genügend Rechnung getragen.«84 Seither gibt es immer mehr Untersuchungen, die sich nicht nur einer multidisziplinären, sondern auch einer transnationalen Ausrichtung der Forschungsfragen widmen.85 Das Doktoratskolleg »Das österreichische Galizien und sein multikulturelles Erbe« an der Universität Wien, im Rahmen dessen diese Untersuchung in Form einer Dissertation entstanden ist, war eines der Zentren der Galizienforschung mit dem Anspruch einer multidisziplinären und transnatio82 Pelz, Annegret: Reisen durch die eigene Fremde. Reiseliteratur von Frauen als autogeographische Schriften. Köln, Weimar u. a.: Böhlau 1993, S. 1. 83 Vgl. Augustynowicz, Christoph: Vorwort. In: Baran-Szołtys, Magdalena/Dvoretska, Olena/ Gude, Nino/Janik, Elisabeth: Galizien in Bewegung. Wahrnehmungen – Begegnungen – Verflechtungen. Wien: Vienna University Press bei V&R unipress 2018, S. 9–10; hier: S. 9. 84 Kappeler, Andreas: Vorwort. In: Doktoratskolleg Galizien (Hrsg.): Galizien. Fragmente eines diskursiven Raums. Innsbruck, Wien u. a.: Studien Verlag 2009, S. 7–8; hier: S. 7. 85 Vgl. Simonek, Stefan: Galizien als Gegenstand interkultureller slavistischer Forschung in Österreich (1988–2009). In: Le Rider, Jacques/Raschel, Heinz (Hrsg.): La Galicie au temps de Habsbourg (1772–1918). Histoire, société, cultures en contact. Tours: Presses Univ. François Rabelais 2010, S. 189–203.

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nalen Herangehensweise an diesen historischen Raum. Solche Forschungseinrichtungen bilden eher die Ausnahme. Die meisten literatur- und kulturwissenschaftlichen Untersuchungen zu Galizien beschränken sich zumeist auf eine Nationalliteratur bzw. -kultur. Die literatur- und kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit Galizienliteratur ist heute zu einem weitem Feld geworden, wobei man viele Abhandlungen zu einzelnen AutorInnen,86 Städten87 oder Themengebieten88 findet, jedoch nur wenige Überblicksdarstellungen, welche unterschiedliche Nationalliteraturen und -kulturen behandeln und diese in Beziehung setzen. Alois Woldan ist einer der wenigen, der die literarischen Wechselbeziehungen zwischen der polnischen, ukrainischen und deutschsprachigen Literatur in Galizien analysiert. In zahlreichen Aufsätzen untersucht er mit dem Ansatz einer innerslawischen Komparatistik und einer dem Untersuchungsgegenstand angemessenen Ausweitung auf die deutschsprachigen Literaturen verschiedene Fragestellungen zum postgalizischen Raum, die gesammelt in einem Band erschienen sind: Beiträge zu einer Galizienliteratur89 (2015). Einen für Galizien besonders interessanten Forschungsansatz im Hinblick auf eine multidisziplinäre Herangehensweise liefern Annette Werbergers Überlegungen zur Verflechtungsgeschichte. Anhand der historischen Region Galizien entwickelte sie ein neues Modell von Literaturgeschichtsschreibung, um »asymmetrische Kulturbeziehungen und interkontinentale literarische Verflechtungen zu beschreiben.«90 »Verflechtungsgeschichte beschreibt nicht besser einzelne Kulturen, sondern Kontakte zwischen Kulturen oder gar die Genese von literarischen Topoi, Poetiken und Themen durch Kulturkontakt«,91 skizziert sie ihren multinationalen Ansatz bereits im Jahr 2012. Gleichzeitig stellt Werberger klar, dass die Verflechtungsgeschichte »quer zu den symmetrischen transnationalen Vergleichen der Komparatistik liegt« und »keine Literaturgeschichten hervorbringt, die die Akteure nach Sprachen, Nationalitäten und Arriviertheit sortiert, sondern raumorientiert

86 Siehe u. a.: Weismann, Stephanie: Das Potenzial der Peripherie. Leopold von Sacher-Masoch (1836–1895) und Galizien. Göttingen: Vienna University Press bei V&R unipress 2017. 87 Siehe u. a.: Kuzmany, Börries: Brody. Eine galizische Grenzstadt im langen 19. Jahrhundert. Wien, Köln u. a.: Böhlau 2011; Kotyn´ska, Katarzyna: Lwów. O odczytywaniu miasta na nowo. Kraków: Mie˛dzynarodowe Centrum Kultury 2015. 88 Siehe u. a.: Solomon, Francisca: Blicke auf das galizische Judentum. Haskala, Assimilation und Zionismus bei Nathan Samuely, Karl Emil Franzos und Saul Raphael Landau. Wien: LIT 2012; Borakovskyy, Lyubomyr: Zwischen Liebe, Verständigung und Hass: Die Darstellung religiöser Konflikte in der Literatur Galiziens (1848–1914). Frankfurt/Main: Peter Lang 2016. 89 Woldan, Alois: Beiträge zu einer Galizienliteratur. Frankfurt/Main: Peter Lang 2015. 90 Werberger, Annette: Überlegungen zu einer Literaturgeschichte als Verflechtungsgeschichte. In: Kimmich, Dorothee/Schahadat, Schamma (Hrsg.): Kulturen in Bewegung. Beiträge zur Theorie und Praxis der Transkulturalität. Bielefeld: Transcript 2012, S. 109–141; hier: S. 109. 91 Ebd.

Forschungsstand

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beschreibt.«92 Ähnliche Modelle einer nationale Grenzen überwindenden Behandlung von Literaturen in Bezug auf Galizien führten Renata Makarska und Magdalena Marszałek ein,93 oft wird Galizien in diesem Zusammenhang auch im Kontext von Mitteleuropa94 oder Grenzräumen95 untersucht. Viele Aufsätze zu Einzelaspekten der Galizienliteratur mit einem multidisziplinären und komparatistischen Ansatz sind in verschiedenen Sammelbänden oder Zeitschriften in den letzten Jahren erschienen,96 können hier jedoch nicht alle gesondert dargestellt werden.97 Nachfolgend soll auf mittlerweile ältere, jedoch immer noch relevante und als Schlüsselwerke der Galizienliteratur-Forschung geltende Arbeiten hingewiesen werden. Auch wenn sie sich zumeist auf Nationalliteraturen beschränken, so sind diese Darstellungen wegweisend für die literaturwissenschaftliche Galizienforschung in Bezug auf polnische und deutschsprachige Literatur gewesen. Rein auf die deutschsprachige Literatur beschränkt sind zwei Standardwerke: Maria

92 Ebd., S. 131. 93 Makarska, Renata: Mehrsprachigkeit oder Mischsprachigkeit. Literatur in Galizien Anfang des 20. Jahrhunderts. In: Kratochvil, Alexander/Makarska, Renata/Schwitin, Katharina/ Werberger, Annette (Hrsg.): Kulturgrenzen in postimperialen Räumen. Bosnien und Westukraine als transkulturelle Regionen. Bielefeld: Transcript 2013, S. 141–163; Marszałek, Magdalena: Anderes Europa. Zur (Ost)mitteleuropäischen Geopoetik. In: Marszałek/Sasse: Geopoetiken, S. 43–67. 94 Siehe u. a.: Makarska, Renata: Der Raum und seine Texte. Konzeptualisierungen der Hucul’sˇcˇyna in der mitteleuropäischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Frankfurt/Main: Peter Lang 2010; Makarska, Renata: Kakanien der neuen Generation. Zentraleuropa zwischen Transkulturalität und Differenz. In: Kimmich, Dorothee/Schahadat, Schamma (Hrsg.): Kulturen in Bewegung. Beiträge zur Theorie und Praxis der Transkulturalität. Bielefeld: Transcript 2012, S. 235–260; Górska, Urszula: W poszukiwaniu toz˙samos´ci Europy S´rodkowej. Przypadek bohatera galicyjskiego. Warszawa: Wydział Polonistyki Uniwersytetu Warszawskiego 2012. 95 Siehe u. a.: Michaelis-König, Andree (Hrsg.): Auf den Ruinen der Imperien. Erzählte Grenzräume in der mittel- und osteuropäischen Literatur. Berlin: Neofelis 2018. 96 Siehe u. a.: Stefanowska, Lidia: Back to the Golden Age. The Discourse of Nostalgia in Galicia in the 1990s (Some Preliminary Remarks). In: Harvard Ukrainian Studies 1–4/27 (2004–2005), S. 181–193; Nell, Werner: Bücher, Menschen, Massenmord. Die Wiederentdeckung Galiziens in der deutschen, polnischen und nordamerikanischen Literatur nach 1990. Eine Skizze. In: Gansel, Carsten/Zimniak, Pawel (Hrsg.): Das »Prinzip Erinnerung« in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nach 1989. Göttingen: V&R unipress 2010, S. 445–460; Koz˙uchowski, Adam/Nell, Werner: Galizien. Zerrissene und Wiedergefundene Geschichten. In: Hahn, Hans Henning/Traba, Robert (Hrsg.): 20 Deutsch-Polnische Erinnerungsorte. Paderborn: Schöningh 2018, S. 131–150. 97 Eine neue Bearbeitungsart des polyethnischen Galiziens anhand verschiedener Quellen mit einem multidisziplinären und -nationalen Ansatz stellt Danuta Sosnowskas Inna Galicja dar. Die Studie bezieht sich zwar nicht auf Post-Galizien soll jedoch aufgrund der interessanten Perspektive auf Galizien und ihrer innovativen methodischen Herangehensweise nicht unerwähnt bleiben. Vgl. Sosnowska, Danuta: Inna Galicja. Warszawa: Elipsa 2008.

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Einleitung

Kłan´skas Problemfeld Galizien in der deutschsprachigen Prosa 1846–191498 (1985) und Larissa Cybenkos Galicia miserabilis und/oder Galicia felix? Ostgalizien in der österreichischen Literatur99 (2008). Beide Untersuchungen konzentrieren sich vor allem auf Werke dreier Autoren: Leopold von Sacher-Masoch, Karl Emil Franzos und Joseph Roth. So wird klar, auf welchen Bereichen der Fokus der Forschung bisher lag – vorrangig auf der deutschsprachigen Literatur vor der Wende 1989. Eine andere Arbeit von Maria Kłan´ska gibt einen differenzierteren Blick und versucht das Galizienbild im polnischen kollektiven Bewusstsein mit dem durch die deutschsprachigen Schriftsteller überlieferten in Beziehung zu setzen: Daleko od Wiednia. Galicja w oczach pisarzy niemieckoje˛zycznych 1772–1918.100 Doch auch darin steht die deutschsprachige Literatur im Mittelpunkt. Auch der von Larissa Cybenko herausgegebene Sammelband Reise in die Nachbarschaft. Zur Wirkungsgeschichte der deutschsprachigen Literatur aus der Bukowina und Galizien nach 1918101 (2009) kann in diese Reihe der auf die deutschsprachige Literatur fokussierten Forschung eingeordnet werden. Als Standardaufsatz gilt auch Elz˙bieta Dzikowskas Zum Problem der nationalen Identitäten in Galizien. Polnische und deutschsprachige Autoren im Vergleich102 (1998), wobei hier durch den Vergleich zweier Literaturen ein vielschichtigeres Bild geliefert wird. Auch Krzysztof Lipin´skis Auf der Suche nach Kakanien. Literarische Streifzüge durch eine versunkene Welt103 (2000) ist eine Sammlung von elf exemplarischen Studien, die im Kontext von Galizien vor allem die Multikulturalität dieses Raums behandeln. Einen wichtigen Forschungsschwerpunkt nimmt der Mythos Galizien ein, der in der Forschung wiederholt aufgegriffen wurde. Zunächst wurde er literaturwissenschaftlich untersucht: Nicht explizit auf den Mythos von Galizien jedoch auf den von Österreich konzentriert sich Alois Woldans Der Österreich-Mythos in der polnischen Literatur104 (1996), welcher sich der polnischen Literatur widmet. Auch Ewa Wiegandts Austria Felix, czyli o micie Galicji w polskiej prozie 98 Kłan´ska, Maria: Problemfeld Galizien in der deutschsprachigen Prosa 1846–1914. Wien, Köln u. a.: Böhlau 1991. 99 Cybenko, Larissa: Galicia miserabilis und/oder Galicia felix? Ostgalizien in der österreichischen Literatur. Wien: Praesens 2008. 100 Kłan´ska, Maria: Daleko od Wiednia. Galicja w oczach pisarzy niemieckoje˛zycznych, 1771– 1918. Kraków: Universitas 1991. 101 Cybenko, Larissa (Hrsg.): Reise in die Nachbarschaft. Zur Wirkungsgeschichte der deutschsprachigen Literatur aus der Bukowina und Galizien nach 1918. Wien: LIT 2009. 102 Dzikowska, Elz˙bieta: Zum Problem der nationalen Identitäten in Galizien. Polnische und deutschsprachige Autoren im Vergleich. In: Lasatowicz, Maria K./Joachimsthaler, Jürgen (Hrsg.): Nationale Identitäten aus germanistischer Perspektive. Opole: Wydawnictwo Uniwersytetu Opolskiego 1998, S. 113–122. 103 Lipin´ski, Krzysztof: Auf der Suche nach Kakanien. Literarische Streifzüge durch eine versunkene Welt. St. Ingbert: Röring 2000. 104 Woldan, Alois: Der Österreich-Mythos in der polnischen Literatur. Wien: Böhlau 1996.

Forschungsstand

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współczesnej105(1988) beschäftigt sich mit der Analyse des Galizienmythos in der polnischen Gegenwartsliteratur. Ewa Pytel, Delphine Bechtel und Dirk Uffelmann legten später durch ihre transnationalen Herangehensweise neue Aspekte dieses Spektrums frei.106 Das Thema des Galizienmythos mit seinen verschiedenen Topoi wurde auch in den Geschichts- und Sozialwissenschaften mit Bezug auf Literatur und Kultur breit untersucht.107 Innerhalb dieses historischen Raums wurden verschiedene andere Mythen thematisiert wie z. B. der der Huzulen108 oder des »Batiar«,109 die innerhalb der Forschung bereits behandelt wurden. An dieser Stelle muss die Wichtigkeit einiger Sammelbände erwähnt werden, deren neue Forschungsansätze und -ergebnisse wesentlich für weitere Forschungen waren und die Ergebnisse internationaler, interdisziplinärer wissenschaftlicher Konferenzen versammelten. Die zwei ersten Sammelbände zur Galizienliteratur, Galizien – eine literarische Heimat110 (1987) und Galizien als gemeinsame Literaturlandschaft111 (1988), stellen bis heute die Grundlagentexte der Beschäftigung mit Galizienliteratur im deutschsprachigen Raum dar. Galicia.

105 Wiegandt, Ewa: Austria Felix, czyli o micie Galicji w polskiej prozie współczesnej. Poznan´: Wydawnictwo Naukowe Uniwersytetu im. Adama Mickiewicza w Poznaniu 1988. 106 Pytel, Ewa: Der Mythos einer verlorenen Heimat – Galizien. Deutsch-polnischer Gedächtnisraum in den Romanen »Radetzkymarsch« von Joseph Roth und »Das Salz der Erde« von Joseph Wittlin. In: Studia Germanica Posnaniensia 27 (2001), S. 59–70; Bechtel, Delphine: »Galizien, Galicja, Galitsye, Halytchyna«. Der Galizienmythos: Von der Nostalgie zur Wiederbelebung. In: Corbea-Hois¸ie, Andrei/Rubel, Alexander (Hrsg.): »Czernowitz bei Sadagora«. Identitäten und kulturelles Gedächtnis im mitteleuropäischen Raum. Konstanz: Hartung-Gorre 2006, S. 161–180; Uffelmann, Dirk: In Erinnerung verloren. Der GalizienMythos. In: Kohler, Gun-Britt/Grübel, Rainer/Hahn, Hans Henning (Hrsg.): Habsburg und die Slavia. Frankfurt/Main: Peter Lang 2008, S. 271–296. 107 Jobst, Kerstin S.: Der Mythos des Miteinander. Galizien in Literatur und Geschichte. Hamburg: Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde 1998; Hüchtker, Dietlind: Der »Mythos Galizien«. Versuch einer Historisierung. In: Müller, Michael G./Petri, Rolf (Hrsg.): Die Nationalisierung von Grenzen. Zur Konstruktion nationaler Identität in sprachlich gemischten Grenzregionen. Marburg: Herder 2002, S. 81–107; Bialasiewicz, Luiza: Another Europe. Remembering Habsburg Galicja. In: Cultural Geographies 10/1 (2003), S. 21–44; Bialasiewicz, Luiza: Back to Galicia Felix? In: Hann, Christopher/Magocsi, Paul Robert (Hrsg.): Galicia. A Multicultured Land. Toronto: University of Toronto Press 2005, S. 160– 184; Koz˙uchowski, Adam: Pos´miertne dzieje Austro-We˛gier. Obraz monarchii habsburskiej w pis´miennictwie mie˛dzywojennym. Warszawa: Neriton 2010. 108 Lesisz, Ewelina: Huculszczyzna. W kre˛gu mitów polskich na przełomie XIX i XX wieku. Warszawa: Wydział Polonistyki Uniwersytetu Warszawskiego 2013. 109 Jakubowska, Urszula: Mit lwowskiego batiara. Warszawa: IBL 1998. 110 Kaszyn´ski, Stefan H. (Hrsg.): Galizien – eine literarische Heimat. Poznan´: Wydawnictwo Naukowe Uniwersytetu im. Adama Mickiewicza 1987. 111 Rinner, Fridrun/Zerinschek, Klaus (Hrsg.): Galizien als gemeinsame Literaturlandschaft. Innsbruck: Institut für Sprachwissenschaft der Universität Innsbruck 1988.

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A Multicultured Land112 (2005), die englischsprachige Schlüsselpublikation, verfolgte als eines der ersten Projekte ein transnationales, multidisziplinäres Gesamtkonzept. Dass das Thema Galizien in den letzten zehn Jahren besonders populär geworden ist, belegen die folgenden Publikationen: Der Band Galizien im Diskurs. Inklusion, Exklusion, Repräsentation113 (2012) rekonstruiert einschlägige Diskurse zu Galizien, wie sie zunächst in Statistiken und Reiseberichten des 18. Jahrhunderts fassbar waren; dabei bilden literarische Werke die Quellen der meisten Beiträge. Durch die Verwendung neuer Ansätze wie der Diskursanalyse und der postkolonialen Studien können neue Aspekte in Bezug auf Galizien freigelegt werden. Aus dem Doktoratskolleg Galizien gingen bisher drei von den KollegiatInnen herausgegebene, interdisziplinäre Sammelbände hervor: Galizien. Fragmente eines diskursiven Raums114 (2009), Galizien. Peripherie der Moderne – Moderne der Peripherie?115 (2013) und Galizien in Bewegung. Wahrnehmungen – Begegnungen – Verflechtungen116 (2018). Darin ist eine eindeutige Entwicklung der Galizienforschung zu beobachten: Während sich im ersten Band die meisten Beiträge mit einer ethnisch-sozialen Gruppe oder einer Nationalliteratur bzw. -kultur im Kontext des tatsächlichen historischen Galiziens (1772–1918) beschäftigen, stellen die Aufsätze des dritten Bandes bereits ein differenziertes Bild von Galizien dar – untersucht werden transnationale und ethnokonfessionelle Austauschbeziehungen, heterogene Wahrnehmungen und vermehrt das Nachleben Galiziens (Post-Galizien) in seiner gedächtnis- und erinnerungstheoretischen Dimension. Daneben wurden komplexe Verflechtungen mit anderen Regionen und damit in Zusammenhang stehende Vernetzungs- und Transferprozesse zum Forschungsgegenstand. Das Jahr 2015 brachte gleich zwei innovative Sammelbände hervor. Galizien als Kultur- und Gedächtnislandschaft im kultur-, literatur- und sprachwissenschaftlichen Diskurs117 ist eine Sammlung von Beiträgen, die kulturwissenschaftliche und komparatistische Ansätze verfolgt und zahlreiche neue Probleme 112 Hann, Christopher/Magocsi, Paul Robert (Hrsg.): Galicia. A Multicultured Land. Toronto: University of Toronto Press 2005. 113 Giersch, Paula/Schößler, Franziska/Krobb, Florian (Hrsg.): Galizien im Diskurs. Inklusion, Exklusion, Repräsentation. Frankfurt/Main: Peter Lang 2012. 114 Doktoratskolleg Galizien (Hrsg.): Galizien. Fragmente eines diskursiven Raums. Innsbruck, Wien u. a.: Studien Verlag 2009. 115 Haid, Elisabeth/Weismann, Stephanie/Wöller, Burkhard (Hrsg.): Galizien. Peripherie der Moderne – Moderne der Peripherie? Marburg: Herder 2013. 116 Baran-Szołtys, Magdalena/Dvoretska, Olena/Gude, Nino/Janik, Elisabeth: Galizien in Bewegung. Wahrnehmungen – Begegnungen – Verflechtungen. Wien: Vienna University Press bei V&R unipress 2018. 117 Büttner, Ruth/Hanus, Anna (Hrsg.): Galizien als Kultur- und Gedächtnislandschaft im kultur-, literatur- und sprachwissenschaftlichen Diskurs. Frankfurt/Main: Peter Lang 2015.

Forschungsstand

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in der polnischen, ukrainischen und deutschsprachigen Forschung anschneidet. Der englischsprachige Band Galician Polyphony. Places and Voices118 stellt sich die Aufgabe, Galizien mit verschiedenen Forschungsansätzen und Perspektiven zu untersuchen: »[it] is defined by such research perspectives as memorological, post-dependence, and above all-geopoetological studies.«119 Für ein breiteres Publikum gedacht, aber wissenschaftlich relevant ist der 2015 publizierte Katalog zur vom MCK (Mie˛dzynarodowe Centrum Kultury/International Cultural Centre, Kraków) und Wien Museum organisierten Ausstellung Mythos Galizien, der Beiträge zu Galizien und seinem Nachleben von international angesehenen WissenschaftlerInnen beinhaltet.120 Die internationale Ausstellung führte erneut zu einem gesteigerten Interesse an der ehemaligen Habsburgerprovinz und erhielt viel mediales Echo. Die Galizienforschung legt aktuell ihren Schwerpunkt verstärkt auf interethnische und transnationale Austauschbeziehungen und untersucht intensiv das vieldimensionale Nachleben der Region. Hier positioniert sich auch die vorliegende Untersuchung, die eine solche Ausrichtung anhand der postgalizischen Reisen verfolgt. Reisen nach Galizien wurden in der Forschung nur bedingt bearbeitet: Eine komparatistische Analyse der neuesten Reisen in der polnischen und deutschsprachigen Literatur fehlt vollkommen.121 Einzelne Texte, AutorInnen und Aspekte wurden bereits in wissenschaftlichen Aufsätzen untersucht, wobei der Schwerpunkt auf den vor 1989 publizierten Texten liegt.122 Börries 118 Molisak, Alina/Wierzejska, Jagoda (Hrsg.): Galician Polyphony. Places and Voices. Warszawa: Elipsa 2015. 119 Ebd., S. 9. 120 Purchla, Jacek/Kos, Wolfgang/Komar, Z˙anna/Rydiger, Monika u. a. (Hrsg.): Mythos Galizien. Ausstellungskatalog. Wien, Kraków: Wien Museum, International Cultural Center, Metroverlag 2015. Auf Polnisch unter dem Titel Mit Galicji erschienen. 121 Für einen ersten Ansatz mit Erweiterung auf die jüdisch-amerikanische Literatur siehe: Baran-Szołtys, Magdalena/Windsperger, Marianne: Galicia revisited. Spurensuche als Generationenerzählung in der deutschsprachigen, polnischen und jüdisch-amerikanischen Gegenwartsliteratur. In: Lovric´, Goran/Jelecˇ, Marijana (Hrsg.): Familie und Identität in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Frankfurt/Main: Peter Lang 2016, S. 247–259. 122 Siehe u. a.: Wagner, Karl: Joseph Roths Galizienbeschreibungen im Kontext. In: Stillmark, Alexander (Hrsg.): Joseph Roth. Der Sieg über die Zeit. Londoner Symposium. Stuttgart: Akademischer Verlag Heinz 1996, S. 141–157; Sauerland, Karol: Döblins Reise in Polen. In: Brenner, Peter J. (Hrsg.): Reisekultur in Deutschland. Von der Weimarer Republik zum Dritten Reich. Tübingen: Niemeyer 1997, S. 211–226; Kappeler, Andreas: Die galizische Grenze in den Reiseberichten von William Coxe (1778), Carl Feyerabend (1795–98) und Johann Georg Kohl (1838). In: Augustynowicz, Christoph/Kappeler, Andreas (Hrsg.): Die Galizische Grenze 1772–1867. Kommunikation oder Isolation? Wien: LIT 2007, S. 213–232; Krcˇal, Katharina: Poetisches Galizien – Roths Galizienbild(er) in Belletristik und Reiseberichten. In: Giersch/Schößler/Krobb: Galizien im Diskurs, S. 91–113; Weck, Nadja: Galizien wird Landschaft. Die Eisenbahnreiseberichte von Julius Jandaurek (1884) und Hugo Warmholz (ca. 1885). In: Balogh, András F./Leitgeb, Christoph (Hrsg.): Reisen über Grenzen in Zentraleuropa. Wien: Praesens 2014, S. 75–90; Weismann, Stephanie: Von Ähnlichkeiten

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Kuzmany gibt einen guten Einblick in die Wahrnehmungen des historischen Brody in Reiseberichten bis in die Gegenwart und bietet seinen LeserInnen einen Spaziergang durch das gegenwärtige Brody.123 Doch die erste umfangreichere Arbeit, die sich Reisen nach Galizien widmete, war eine bis heute unveröffentlichte und an der Universität Wien entstandene Diplomarbeit: Petra Zudrells Reisen nach Galizien. Wahrnehmungsstrategien deutschsprachiger Reiseberichte über Galizien (einschließlich der Bukowina) vom Anfang und Ende des zwanzigsten Jahrhunderts124 aus dem Jahr 1994. Die Studie behandelt vor allem die Werke Joseph Roths und Alfred Döblins, ebenso benennt sie schon in dieser Phase Eigenschaften der Reisen nach (Post-)Galizien, die ebenfalls in der vorliegenden Untersuchung deutlich werden: Zeitreise, Spurensuche, Intertextualität, Fremdwahrnehmung und Orientalisierung.125 Zu den deutschsprachigen Reisen ist bisher eine Monographie erschienen: Anna de Bergs »Nach Galizien.« Entwicklung der Reiseliteratur am Beispiel der deutschsprachigen Reiseberichte vom 18. bis zum 21. Jahrhundert126 (2010).127 Diese Arbeit behandelt nur die deutschsprachigen Reiseberichte und geht nicht auf Texte anderer Literaturen ein. Der Schwerpunkt der Analyse liegt auf den von den Reisetexten produzierten Galizienbildern und ihrem Wandel über die Jahrhunderte. De Berg bemüht sich somit, eine Forschungslücke in Bezug auf das Galizienbild zu schließen, wobei sie d i e Wahl der Gattung des Reiseberichts für dieses Unterfangen mit dem hohen Authentizitätsanspruch und dem damit zusammenhängenden Wirklichkeitsbezug des Genres begründet. Der Titel lässt eine gattungstheoretische Studie erwarten, löst dies jedoch nicht ein. Der Anspruch der Arbeit ist, anhand der Reiseberichte die Wandlung der Kategorien dieses literarischen Genres zu zeigen, was der Autorin nur teilweise gelingt. Die Reisen nach Galizien werden in zwei Kapiteln behandelt, in denen die Autorin stark deskriptiv auf die Inhalte der Texte eingeht und die darin entstehenden Galizienbilder analysiert. Der erste Teil konzentriert sich auf die Reisen bis 1945 und behandelt Berichte von Franz Kratter, Alphons Heinrich Traunpaur Chevalier d’Ophanie, Balthasar Hacquet, Karl Emil Franzos, Joseph Roth und Alfred Döblin, wobei fast jedem der Texte ein Unterkapitel gewidmet ist. Auch biographische Angaben zu den behandelten

123 124 125 126 127

und Abgrenzungen. Bertha Pappenheims Reiseberichte aus Polen, Galizien und Russland. In: Balogh/Leitgeb: Reisen über Grenzen in Zentraleuropa, S. 91–107. Vgl. Kuzmany: Brody, S. 259–325. Zudrell, Petra: Reisen nach Galizien. Wahrnehmungsstrategien deutschsprachiger Reiseberichte über Galizien (einschließlich der Bukowina) vom Anfang und Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Diplomarbeit, Universität Wien 1994. Vgl. ebd. S. 4–46. De Berg: Nach Galizien. Eine Vorstudie dazu erschien bereits 2007. Vgl. Byczkiewicz, Anna: Die neueste deutschsprachige Reiseliteratur zu Galizien. Kakanien Revisited, 15. 01. 2007. http://www.kakanien -revisited.at/beitr/fallstudie/AByczkiewicz1.pdf [24. 08. 2020].

Forschungsstand

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Autoren sind angeführt. Den Reisen nach 1945 ist das zweite Kapitel gewidmet, das die Autorin als den Hauptteil der Arbeit bezeichnet. Ausgehend von dem 1984 erschienen Text Nach Galizien von Martin Pollack untersucht de Berg weitere Reiseberichte von AutorInnen wie Verena Dohrn, Kaspar Schnetzler, Roswitha Schieb, Rüdiger Wischenbart, Ernst Hofbauer, Karl Schlögel. Dabei geht die Studie bei der Untergliederung des Kapitels und der Analyse nicht von ˇ ernivci und einigen den Texten selbst aus, sondern von Städten: Lwiw, Brody, C anderen Provinzstädten (Przemys´l, Zabolotiv, Sadahora). Ein Unterkapitel ist Zeitungsberichten und -reportagen zu Galizien und der Bukowina gewidmet. Die vorliegende Arbeit will die Lücke einer multidisziplinären Darstellung der neuesten Reisen in der polnischen und deutschsprachigen Literatur schließen und bedient sich hierbei eines ausgedehnten theoretisch-methodischen Repertoires. Die breite Ausrichtung der Untersuchung macht es erforderlich, für die verschiedenen Kontexte und Phänomene der analysierten Texte auf verschiedene theoretische Ansätze zurückzugreifen und die historisch-gesellschaftlich-kulturellen Hintergründe zu beleuchten. So werden die für die in dieser Arbeit behandelten Aspekte relevanten Forschungsbeiträge und Studien einzeln in den entsprechenden Kapiteln angeführt.

2

Galizien als Archivraum Archive handeln vom Verschwinden; die Angst vor Verlust suchen sie durch Anhäufung von Gedächtnis zu exorzieren.128 (Wolfgang Ernst)

2.1

Archiv Galizien: Ein Denkmodell für Reisen in historische Räume

Imaginations- und Raumarchiv Als Teil einer langen Tradition von Reiseberichten über Galizien seit dem 18. Jahrhundert führen die gegenwärtigen Reisen in einen historischen Raum, der nicht mehr existiert; er ist primär in der Literatur, in verschiedenen Narrativen und Familiengeschichten präsent. Daraus entspringt die Hauptfrage der vorliegenden Arbeit: Wie kann man heute in historische Räume wie Galizien reisen? Und vor allem wozu? Die erste Frage wird in diesem Kapitel in Form eines theoretischen Denkmodells beantwortet, die nachfolgenden Kapitel analysieren dessen tatsächliche Umsetzung in der Literatur und Publizistik – dort wird ferner die zweite Frage beantwortet. Wir bleiben nun bei der ersten: Wie reist man in historische Räume? Reisen in historische Räume sind, so meine These, mit einem Gang ins Archiv vergleichbar, bei welchem in einem stetigen Auswahlprozess bestimmte Materialien entnommen, aktualisiert und wieder Teil des Archivs werden. Dabei sind für Reisen in geschichtliche Räume, wie ich bei meiner Forschung zu Galizien feststellen konnte, zweierlei sich ergänzende Arten von Archiv grundlegend. Einerseits ein Imaginationsarchiv, demnach ein Archiv der Imaginationen, das alle Themen rund um den bereisten Topos, in diesem Fall Galizien, umschließt und verschiedene Speichermedien in Form von Archivmaterialien beinhaltet, die mit antiken imagines von Cicero vergleichbar sind.129 Andererseits das Raumarchiv, welches durch das Vorhandensein der physischen Orte als ein natürlicher, 128 Ernst, Wolfgang: Das Rumoren der Archive. Ordnung aus Unordnung. Berlin: Merve 2002, S. 13. 129 Siehe nächstes Unterkapitel: Archiv als Gedächtnismetapher.

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Galizien als Archivraum

realer Speicher fungiert, die Funktion der antiken mnemotechnischen loci übernimmt und durch welchen sich die Reisenden tatsächlich bewegen. Das Imaginationsarchiv ist demnach ein vertextualisierter Gedächtnis- und Erinnerungsraum und besteht aus historischen/literarischen Texten, Briefen, Landkarten, Postkarten, materiellen Relikten, kulturellen Praktiken, sprachlichen Eigenheiten, überlieferten Bräuchen/Traditionen, mündlich weitergegebenen Familienerzählungen, Topoi etc. Das Raumarchiv dagegen ist physisch vorhanden und im postgalizischen Raum verankert: Bauwerke, Ruinen, Straßenschilder, kulinarische Besonderheiten, Sprache, (Lebens-)Geschichten der Einwohner, gelebte Bräuche/Traditionen etc. sind darin zu finden. Elemente des Imaginationsarchivs werden zum Ausgangspunkt der Reise, bestimmen die Pfade und Stationen und sind die Voraussetzung für die Auseinandersetzung sowohl mit dem historischen als auch dem heutigen physisch vorhandenen Raum, welcher vorrangig durch eine Folie der Vergangenheit gesehen wird. Hieraus ergibt sich die Hauptthese dieser Arbeit: Eine Reise, die ein historisches Gebiet zum Ziel hat und dieses in seiner historischen Dimension beschreibt, muss auf Materialien des Archivs beruhen und sich darauf beziehen. Gäbe es das Imaginationsarchiv nicht, wären Reisen im postgalizischen Raumarchiv, demnach im physischen Raum, auf denen Galizien wahrgenommen wird, nicht möglich. Erst durch die Beschäftigung mit den im Imaginationsarchiv vorhandenen Materialien wird Galizien als Raumarchiv in all seinen Facetten sichtbar. Die im physischen Raumarchiv angetroffenen Elemente sind hauptverantwortlich für die Aktualisierung und Transformierbarkeit Galiziens. Somit stellt Galizien ein doppeltes, interdependentes Archiv dar, dessen beide Hälften sich stets ergänzen. Dieses Archiv wird in dem in dieser Studie vorgestellten Modell Archiv Galizien genannt, wobei dieses wie dargestellt aus zwei Teilen besteht: dem (galizischen und postgalizischen) Imaginationsarchiv und dem (postgalizischen) Raumarchiv. Das Konzept kann in dieser Form auf andere historische Räume wie Siebenbürgen oder die Bukowina umgedeutet und angepasst werden – die Funktionsweise bliebe die gleiche, nur die Materialien und der physische Raum würden sich ändern, analog spräche man dann vom Archiv Siebenbürgen oder Archiv Bukowina. Reisende als Archivare Kehren wir jedoch zum Wesen des Archivs zurück, folglich zu seinen Eigenschaften mit all den dazugehörigen Möglichkeiten und Einschränkungen. Die Elemente des Imaginations- und Raumarchivs bilden das, was Michel Foucaults Verständnis vom Archiv entspricht: das Gesetz dessen, was gesagt werden kann;130 in diesem Fall, was über Galizien gesagt werden kann. »Das Archiv… ist 130 Foucault, Michel: Archäologie des Wissens. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1973, S. 187.

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das, was an der Wurzel der Aussage selbst als Ereignis und in dem Körper, in dem sie sich gibt, von Anfang an das System ihrer Aussagbarkeit definiert«,131 schreibt Foucault. Für ihn ist das Archiv als ein System von Zeichen definiert, die alle materiell sind, jedoch nicht auf einem materiellen Träger gespeichert sein müssen. Dieser Träger ist, so wie das Archiv Galizien, erfahrbar und imaginierbar. Wolfgang Ernst bringt es auf den Punkt: Foucaults Archiv ist »nicht die Summe aller überlieferten Dokumente und auch nicht die Institution dieser Überlieferung […], sondern abstrakter das System, welches das Auftauchen sowie das weitere aktuelle Funktionieren der Aussagen regiert.«132 So ist es auch im Fall des Archivs Galizien: Wir sprechen hier nicht nur von den vorhandenen Materialien, sondern vor allem über Überlieferung sowie aktuelle Selektion und Deutung. Somit ist es ein Archiv im foucaultschen Sinn: »ein transzendentales Dispositiv, das über die Möglichkeitsbedingungen bestimmter Redeformen a priori entscheidet.«133 Über Galizien kann nur aufbauend auf dem etwas gesagt werden, was überliefert worden ist, demnach was bereits gesagt wurde und a priori die Imaginations- und Denkrichtung bestimmt. Die Freiheit und gleichzeitig Beschränkung liegt in der Selektion der Materialien, von denen im konkreten Fall ausgegangen wird. Damit verdeutlichen sich die Hauptfunktionen der postgalizischen Reisetexte: Durch die Selektion der überlieferten Elemente aus der Vergangenheit und die damit verbundene Art der Betrachtung des gegenwärtigen Raums, determinieren diese neuen Reisebeschreibungen durch ihre Aktualisierung bestehender Materialien nicht nur die Darstellung des vergangenen und heutigen Galiziens, sondern auch die zukünftige Auslegung dieses historischen Raums. Die Reisenden wählen Materialien aus dem Imaginationsarchiv, auf deren Basis sie die Reise planen und durchführen. Die Selektion ist ausschlaggebend für ihre Betrachtungsweise. Während sie sich bei der Reise im physischen Raumarchiv bewegen, werden die Archivmaterialien aktualisiert, die im Anschluss in der Aufzeichnung ihre textuelle Verankerung finden. Auswahl (aus der Vergangenheit), Aktualisierung (in der Gegenwart), Aufzeichnung (für die Zukunft) – diese drei Operationen bestimmen die postgalizischen Reisen. Sie bilden einen dreiteiligen Prozess, der im Text und bei der Reise ersichtlich wird. Darin besteht auch die Bedeutung ihrer Untersuchung, denn nach Schenk kommt da die verantwortungsvolle archivarische Aufgabe der Überlieferungsbildung, die ja der Archivar innehat, zum Vorschein.134 Archivalien besitzen einen »veränderlichen 131 Ebd., S. 188. 132 Ernst, Wolfgang: Archivtransfer. In: Espagne, Michel/Middell, Katharina/Middell, Matthias (Hrsg.): Archiv und Gedächtnis. Studien zur interkulturellen Überlieferung. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2000, S. 63–88; hier: S. 65. 133 Ernst: Rumoren der Archive, S. 18. 134 Vgl. Schenk, Dietmar: Kleine Theorie des Archivs. Stuttgart: Franz Steiner 2008, S. 18.

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Galizien als Archivraum

Wert«135 und somit einen veränderlichen Sinn. Welcher Sinn ihnen gegeben wird, bestimmt ganz allein der Archivar, im Fall der Reise in historische Räume übernehmen diese Rolle die Reisenden. Die Lesart der Archivalien, wie Landkarten, Texte oder Familiengeschichten, kann sich unentwegt ändern. Unabhängig von der Lesart bilden die Archivmaterialien jedoch die Voraussetzung für eine Reise und eröffnen die Möglichkeit, das Vergangene im Gegenwärtigen zu sehen. Nur so kann das historische Galizien auf dem heutigen polnischen und ukrainischen Territorium erkannt werden. Die reisenden AutorInnen sind nicht nur Archivare, die die Materialien des Archivs verwalten und auswählen, sondern erschaffen durch ihre Reisen und Texte »Artefakte«, um einen Begriff von Assmann zu verwenden, die selber Eingang ins Archiv finden. So nehmen die Reisenden eine doppelte archivarische Rolle der Überlieferungsbildung ein: sie sind sowohl die Verwalter der Archivmaterialien (Auswahl) als auch ihre Produzenten (Aktualisierung, Aufzeichnung). Somit kann zusammenfassend festgestellt werden: Der Reisetext über einen historischen Raum entsteht durch die Verhandlung der historischen literarischen Bilder mit den gegenwärtigen Erfahrungen der Reise. Der neu geschaffene Text konstituiert sich dabei aufgrund von drei Dingen: (1) der Auseinandersetzung mit den im »Archiv Galizien« abgelegten Materialien (Imaginationsarchiv), (2) dem konkreten Aufsuchen des physischen oder imaginierten postgalizischen Raums sowie der Bewegung darin (Raumarchiv) und (3) dem kreativem Deutungs- und Schaffensprozess – dem Schreiben. Wissen – Nicht-Wissen – Subjektiv-Beliebiges Hierzu soll noch einmal auf den interdependenten Charakter der beiden Teile des Archivs Galizien aufmerksam gemacht werden: Das Erkennen des Galizischen im Raumarchiv ist nur anhand der Kenntnis der Elemente des Imaginationsarchivs möglich. Ein Umstand, der oftmals in historischen und literaturwissenschaftlichen Analysen gegenwärtiger, literarischer Galizientexte ersichtlich wird, wie z. B. in Alois Woldans Auseinandersetzung mit Rüdiger Wischenbarts Reiseessay Jüdische Ruinen, ukrainische Aufbrüche.136 In Bezug auf die selektive Wahrnehmung Wischenbarts, dessen Essay nur das jüdischen Erbe und die ˇ ernivci herausstellt, komukrainische Gegenwart in Städten wie Lwiw oder C mentiert Woldan: »Für die anderen kulturellen Schichten, die gerade in den erwähnten Städten überdeutlich vertreten sind, hat der Autor offenbar kein Interesse, weil er nur das wahrnimmt, was er aus der eigenen Vorbeschäftigung 135 Ebd. 136 Wischenbart, Rüdiger: Jüdische Ruinen, ukrainische Aufbrüche. In: Wischenbart, Rüdiger (Hrsg.): Karpaten. Die dunkle Seite Europas. Wien: Kremayr & Scheriau 1992, S. 71–84.

Archiv Galizien: Ein Denkmodell für Reisen in historische Räume

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kennt.«137 Deutlich wird die Annahme, dass im Raumarchiv nur Dinge erblickt bzw. erkannt werden können, die erstens im Imaginationsarchiv vorhanden sind (somit für eine Beschäftigung überhaupt erst zur Verfügung stehen) und zweitens aus diesem auch tatsächlich ausgewählt werden (somit auch eine Vorbeschäftigung stattfindet). In diesem Zusammenspiel von Erinnern und Vergessen erscheinen zwei weitere Aspekte: das Nicht-Wissen und das Subjektiv-Beliebige. Das Nicht-Wissen kann bewusst oder unbewusst sein. Handelt es sich um ein bewusstes Nicht-Wissen, kann man von einer Lücke oder Leerstelle sprechen, die man beschreiben und füllen kann. Bei einem unbewussten Nicht-Wissen wird ein Narrativ/Bild geschaffen, das ungewollt vollkommen verfremdend wirken kann (oft kann man hier einfach von einem Fehler sprechen) und multiplikatorisch in den nächsten Texten weitergeführt wird.138 Gleichzeitig können durch den Reisenden Teile aus dem Raumarchiv, die subjektiv und beliebig und deshalb nicht im Imaginationsarchiv sind, ins Imaginationsarchiv übertragen werden.139 Auf diese Weise gelangen vor allem nicht-galizische Elemente ins Archiv Galizien und erschaffen ein neues Galizien wie dies vor allem bei den Reisen auf Basis des idiosynkratischen Archivs der Fall ist. Ferner wirkt in diesem Fall ein gewisses Nicht-Wissen sogar determinierend: Vollkommen Verfremdetes wie falsche historische »Fakten«, inkorrekte Namen, fehlerhafte Schreibweise etc., rücken ins Archiv vor, wie z. B. Andrzej Stasiuks Verwechslung oder Verfremdung der beiden Namen Gertruda Konarska und Gertruda Komorowska in Dukla.140 Dieser »Fehler« wurde in der deutschen Version ausgebessert, wo nur noch der korrekte Name der historischen Person Gertruda Komorowska angeführt wird.141 An diesem Beispiel142 wird erneut die komplexe Textzirkulation zwischen den verschiedenen Sprachen, Literaturen und Kulturen sichtbar. Ein anderes Beispiel aus dem idiosynkratischen Archiv wäre Ziemowit Szczereks Übertragung des Gonzo-Stils der amerikanischen Beat-Generation der 1950er Jahre auf die Gegenwart und die Westukraine/Ostgalizien in seinem Roman Przyjdzie Mordor i nas zje, czyli tajna historia Słowian. Die subjektive Auswahl des Genres schafft ein aktualisiertes und innovatives Bild dieser europäischen Version des »wilden Westens« – »den wilden Osten«. Galizien als »wilder Osten« wurde in

137 Woldan: Zum deutschsprachigen Galiziendiskurs nach der Wende 1989/1991, S. 19. 138 Vgl. Pause, Johannes: Reisen und Nicht-Wissen. Ein Aufbruch. In: Gradinari, Irina/Müller, Dorit/Pause, Johannes (Hrsg.): Versteckt – Verirrt – Verschollen. Reisen und Nicht-Wissen. Wiesbaden: Reichert Verlag 2016, S. 1–27. 139 Vgl. Groys, Boris/Müller-Funk, Wolfgang: Über das Archiv der Werte. Kulturökonomische Spekulationen. Ein Streitgespräch. In: Müller-Funk, Wolfgang (Hrsg.): Die berechnende Vernunft. Über das Ökonomische in allen Lebenslagen. Wien: Picus 1993, S. 170–194. 140 Vgl. Stasiuk: Dukla, S. 21. 141 Vgl. Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 31. 142 Siehe: Kapitel 5.1.1.1.

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Galizien als Archivraum

mehreren Galizienreisen dargestellt, aber nicht im Kontext des amerikanischen Gonzo-Journalismus, wie es Szczerek darbietet.

2.2

Archivmaterialien

Quellen und Dokumente Bisher wurde ersichtlich, dass Galizien im ausgehenden 20. und angehenden 21. Jahrhundert nicht das tatsächliche zwischen 1772 und 1918 existierende Königreich Galizien und Lodomerien ist, es sind die Deutungen der zahlreichen galizischen und postgalizischen Materialien, die im Archiv Galizien versammelt sind: »Interpretationskonstrukte, […] die Zeugnis von dem ablegen, was uns unsichtbar und entzogen bleibt.«143 Die habsburgische Provinz ist seit über hundert Jahren nicht mehr auf den politischen Landkarten zu finden, ihr Nachleben wird durch Archivmaterialien gesichert: Quellen, Dokumente und Spuren. Die in beiden Archivteilen des Archivs Galizien enthaltenen Materialien sind multifunktionale Quellen. Der deutsche Historiker Paul Kirn definiert Quellen als »Texte, Gegenstände oder Tatsachen aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann«144 und unterscheidet zwei Arten davon – Traditionen und Überreste: Unter Tradition ist alles zu verstehen, was aus der Absicht entspringt, der Mit- oder Nachwelt Kunde von Geschehenem zu übermitteln. Alle übrigen Quellen fallen unter den Begriff Überreste, vom steinzeitlichen Tongefäß bis zum Blüthnerflügel und vom Schulheft eines ABC-Schützen bis zu Goethes Faust.145

Die Tradition treffen wir vorrangig im Imaginationsarchiv an (wobei z. B. gezielt im Raum errichtete, ein bestimmtes historisches Narrativ vertretende Denkmäler eine Ausnahme bilden), die Überreste in beiden Formen des Archivs Galizien. Die Tätigkeit des Reisens und des darüber Schreibens verbindet sowohl die zwei Arten der Quellen als auch die des Archivs Galizien. Die Besonderheit der Quellen besteht in ihrer Zugehörigkeit zu verschiedenen sprachlichen, kulturellen, nationalen und ethnischen Kontexten, die während der Reise und im

143 Krämer, Sybille: Was also ist eine Spur? Und worin besteht ihre epistemologische Rolle? Eine Bestandsaufnahme. In: Krämer, Sybille/Kogge, Werner/Grube, Gernot (Hrsg.): Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2007, S. 11–33; hier: S. 19. 144 Kirn, Paul: Einführung in die Geschichtswissenschaft. Bearb. und erg. v. Joachim Keuschner. Berlin: de Gruyter [6. Aufl.: 1972], S. 29. 145 Ebd., S. 30.

Archivmaterialien

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Reisetext trans- und multinational funktionieren und mit der transnationalen topographischen Ordnung korrelieren.146 Spuren Da die Reisen auf den Spuren der im Archiv vorhandenen Materialien entstehen und sich größtenteils auf diesen Spuren bewegen, stellt sich ein unmittelbarer Bezug zwischen Archiv und Spur her. Für Paul Ricœur ist die Spur ein Dokument. Spuren, die nicht zur Information, sondern unabsichtlich hinterlassen wurden, sind für ihn am wertvollsten. Die Thematik und die Richtung der Befragung der Spuren hängen vom Betrachter selbst ab und bilden den Leitfaden ihrer Untersuchung,147 in unserem Fall der Reise. Der Reisende entscheidet, auf welchen Spuren er reist und auf welche Archivdokumente er sich beziehen möchte. Die Funktion der Archivmaterialien nach Ricœur ist »über die Vergangenheit Auskunft zu geben und die Basis des kollektiven Gedächtnisses zu erweitern.«148 Das Ziel der Archivierung sind die Aufbewahrung und die Erhaltung der Dokumente,149 wobei es sich beim Archiv um eine mehr oder weniger zufällige Anhäufung von eben diesen Dokumenten handelt. Dem Dokument als Spur ist eine besondere Signifikanz beizumessen, denn »[n]ur unter der Voraussetzung, daß die Vergangenheit eine Spur hinterlassen hat, die von den Monumenten und Dokumenten zu einem Zeugen der Vergangenheit gemacht wird, wird es überhaupt möglich, daß Archive eingerichtet und Dokumente gesammelt und aufbewahrt werden.«150 Das Hinterlassen der Spur bildet erst die Voraussetzung der Überlieferung; wovon es keine Spuren gibt, bleibt unüberliefert, vergessen, unbekannt – im Grunde für die Gegenwart unsichtbar und inexistent, denn eine Verfolgung der Spur bleibt unmöglich. Nur hinterlassene Spuren können Einfluss auf die Gegenwart haben: »Die Spur zeigt somit hier, im Raum, und Jetzt, in der Gegenwart, das Vorübergegangensein lebendiger Wesen an; sie weist der Suche, der Untersuchung und Forschung die Richtung.«151 Ihr konstituierendes Element ist die Überlagerung von unterschiedlichen Zeitschichten. Die Spur zeigt etwas an, was zum Zeitpunkt der Beschäftigung mit der Spur bereits vergangen ist. Das gleiche Phänomen finden wir bei den postgalizischen Reisen. Es ist eine Auseinandersetzung mit einer Region, die zum Zeitpunkt der Reise nicht mehr 146 Zum ethnographischen Erzählen als Merkmal der transnationalen, mitteleuropäischen Literaturen siehe: Makarska, Renata/Werberger, Annette: Die ethnographische Narration als mitteleuropäische Erzählweise. In: Marszałek/Sasse: Geopoetiken, S. 93–114. 147 Vgl. Ricœur, Paul: Zeit und Erzählung, Bd. 3: Die erzählte Zeit. Aus d. Franz. v. Andreas Knop, München: Fink 1991, S. 185–200. 148 Ebd., S. 127. 149 Vgl. ebd., S. 123–124. 150 Ebd. 151 Krämer: Was ist eine Spur?, S. 129.

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Galizien als Archivraum

existiert. Die Ungleichzeitigkeit beider Ebenen, des Spurenhinterlassens und des Spurenlesens, ist das bestimmende Element der postgalizischen Reisetexte. Die Existenz Galiziens und seines Erbes hat in unterschiedlicher medialer und materieller Form Spuren hinterlassen (Ebene der Vergangenheit). Das Spurenlesen ist das Aufgreifen jener Elemente in der Gegenwart durch die Beschäftigung mit dem Archiv Galizien und die Bewegung im postgalizischen Raum (Ebene der Gegenwart). Die Spur verbindet die Zeitebenen des Spurenhinterlassens und des Spurenlesens miteinander: In der Spur kreuzen sich immer zwei Zeitregime, die von Vergangenheit und Gegenwart und die von Gegenwart und Zukunft.152 Das Spurenlesen in der Gegenwart weist der Spur ihre zukünftige Bedeutung zu. In diesem Kontext sind drei von Krämer hervorgestellte, zusammenhängende Eigenschaften der Spur ausschlaggebend: Interpretativität, Narrativität und Polysemie. Wodurch wir wieder beim subjektiven Betrachter angekommen sind, denn die Spuren werden nicht »vorgefunden, sondern durch Interpretation hervorgebracht.«153 Der Vorgang des Spurenlesens gibt der Spur erst ihren Sinn, wobei erneut der Konstruktionscharakter der Beschäftigung mit Archivmaterialien hervorsticht. Die Spur beinhaltet eine Vielfalt von Deutungsmöglichkeiten: Eine Spur zu lesen heißt, die gestörte Ordnung, der sich die Spurbildung verdankt, in eine neue Ordnung zu integrieren und zu überführen; dies geschieht, indem das spurbildende Geschehen als eine Erzählung rekonstruiert wird. Die Semantik der Spur entfaltet sich nur innerhalb einer ›Logik‹ der Narration, in der die Spur ihren ›erzählten Ort‹ bekommt. Doch es gibt stets eine Vielzahl solcher Erzählungen. Daher sind Spuren polysemisch: Diese Vieldeutigkeit der Spur ist konstitutiv, also unhintergehbar. Etwas, das nur eine (Be-)Deutung hat und haben kann, ist keine Spur, vielmehr ein Anzeichen.154

Die polysemischen Spuren benötigen eine Interpretation und Narration. Diese Eigenschaft ist für die vorliegende Untersuchung und die verschiedenen Arten der Überlieferung von Galizien entscheidend, denn sie sind die Voraussetzung für Innovation. Mitzudenken ist, dass die Anwesenheit Galiziens in den Reisetexten seine Nichtpräsenz bestärkt und sich in den verschiedensten Rekonstruktionsversuchen vergegenständlicht: Die Anwesenheit der Spur zeugt von der Abwesenheit dessen, was sie hervorgerufen hat. In der Sichtbarkeit der Spur bleibt dasjenige, was sie erzeugte, gerade entzogen und unsichtbar: Zwar lässt die Fährte Rückschlüsse zu, doch kann diese Rekonstruktion niemals etwas anderes sein als ein Abbild, eine Darstellung, deren Bildcharakter die 152 Vgl. ebd., S. 17. 153 Ebd. 154 Ebd.

Archiv als Gedächtnismetapher

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Unverfügbarkeit des Abgebildeten stets eingeschrieben bleibt. […] Die Spur macht das Abwesende niemals präsent, sondern vergegenwärtigt seine Nichtpräsenz.155

Die Materialien im Archiv sind Spuren, deren beigemessene Bedeutung nicht von ihnen selber, sondern von den bei der Untersuchung gestellten Fragen abhängt. Der Betrachter wählt aus und gibt den Quellen/Spuren eine Bedeutung: »Jede Auswertung von Archivalien […] hebt den Quellenwert der benutzten, als wertvoll erachteten Dokumente hervor, genauer: macht ihn erkennbar, arbeitet ihn heraus, ja konstituiert ihn.«156 »Spurenleser haben Interessen und sie verfolgen Zwecke«157 – jede Auseinandersetzung mit Archivmaterialien ist immer subjektiv, denn Spuren »entstehen im Auge des Betrachters.«158 Dennoch steht am Anfang immer die Tätigkeit des Hinterlassens der Spur, denn nur unter dieser Voraussetzung ist das Entstehen der Archive möglich.159

2.3

Archiv als Gedächtnismetapher

Metaphorisierung des Archivs Das Archiv ist, wie Knut Ebeling und Stephan Günzel in der Einleitung zu dem Sammelband »Archivologie«160 (2009) betonen, mittlerweile zur geläufigen Metapher für kulturelles Gedächtnis, Bibliothek und Museum geworden. Sie bemerken eine »allgemein zu beobachtende Tendenz der Metaphorisierung und Erweiterung des Archivbegriffs auf die Gesamtheit des kulturellen Gedächtnisses.«161 Dabei tritt das Archiv in zwei, sich überschneidenden Varianten auf: entweder als Institution (Arbeitsort) oder als Konzeption (Methode). Ein inflationär gebrauchter, metaphorischer Archivbegriff gelangte in den letzten Jahren zusehends in die Kritik, wie beispielsweise bei Botho Brachmann.162 Auch Wolfgang Ernst resümiert: »Der Begriff des Archivs ist […] zu einer kultur155 156 157 158 159

Ebd., S. 15. Schenk: Kleine Theorie des Archivs, S. 52. Krämer: Was ist eine Spur?, S. 15. Ebd., S. 16–17. Vgl. Ricœur, Paul: Archiv, Dokument, Spur. In: Ebeling, Knut/Günzel, Stephan (Hrsg.): Archivologie. Theorien des Archivs in Wissenschaft, Medien und Künsten. Berlin: Kadmos 2009, S. 123–137; hier: S. 127. 160 Ebeling/Günzel: Archivologie. Der Sammelband beinhaltet Schlüsseltexte des Archivdiskurses in den Literatur- und Kulturwissenschaften. 161 Ebeling, Knut/Günzel, Stephan: Einleitung. In: Ebeling/Günzel: Archivologie, S. 7–26; hier: S. 10. 162 Vgl. Brachmann, Botho: »Tua res agitur!« Außensichten auf Archive und archivarisches Selbstverständnis. In: Oldenhage, Klaus/Schreyer, Hermann/Wolfram, Werner (Hrsg.): Archiv und Geschichte. Festschrift für Friedrich P. Kahlenberg. Düsseldorf: Droste 2000, S. 17–38; hier: S. 18.

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Galizien als Archivraum

technischen Universalmetapher avanciert, zu einer Begriffsmünze, die durch lauter Gebrauch bis zur Unkenntlichkeit abgegriffen ist.«163 Um eine Abgrenzung zwischen den einzelnen Archivdebatten und unterschiedlichen, sich überkreuzenden Konzepten, vorzunehmen, erweist sich die Unterscheidung dreier Bedeutungsstränge des Archiv-Begriffs von Dietmar Schenk als hilfreich. Der an der Archivschule Marburg ausgebildete Archivar sichtet die »philosophischen und kulturwissenschaftlichen Adaptionen des Archivbegriffs«, die »Theorien der Geschichtswissenschaft« (»Historik«) und die »Theorien des kulturellen Gedächtnisses«.164 Die ersten wurden von Michel Foucault oder Jacques Derrida, die dritten von Jan und Aleida Assmann geprägt. Für die vorliegende Untersuchung der Reisen nach Galizien wird von einem Archivbegriff ausgegangen, der im ersten und dritten Ansatz angesiedelt ist und beide verbindet. Von Foucault geht der metaphorische Gebrauch des Begriffs Archiv aus, der vor allem in der Kulturwissenschaft verwendet wird und dem institutionellen Archiv keine größere Beachtung schenkt.165 Jan und Aleida Assmanns Theorien geben dem Archivbegriff einen historischen Rahmen, konzentrieren sich auf seine Einbettung in Kulturen des Gedächtnisses und des Erinnerns. »Die Übergänge vom Nachdenken über das Archiv zum Nachdenken über Geschichte sind fließend«,166 konstatiert Schenk und weist auf eine Eigenschaft hin, die dem Archiv und Galizien heute gemeinsam sind. Beide können nur in Bezug auf ihre Geschichtlichkeit betrachtet und behandelt werden, denn beide Phänomene existieren nur im Kontext des Vergangenen. Dabei spielt Historie nicht nur als Wissenschaft, sondern auch als Kultur eine wichtige Rolle.167 So betrachtet kann Galizien nicht nur als ein historisches, sondern auch als ein bis heute existierendes kulturelles Phänomen angesehen werden. Der Gang ins Archiv Christof Hamann und Alexander Honold weisen in den Einleitungsworten zu ihrem Sammelband zur Literarisierung von Entdeckungsreisen in deutschsprachigen Erzähltexten der Gegenwart auf die wichtigsten Eigenschaften des von ihnen behandelten Genres hin – die Überlagerung von historisch-geographischen Referenzebenen und mehreren Diskursflächen.168 Sie bedienen sich bei der 163 164 165 166 167 168

Ernst: Das Rumoren der Archive, S. 7. Vgl. Schenk: Kleine Theorie des Archivs, S. 19. Vgl. ebd., S. 19–20. Ebd., S. 19. Ebd., S. 22. Vgl. Hamann, Christof/Honold, Alexander: Ins Fremde schreiben. Zur Literarisierung von Entdeckungsreisen in deutschsprachigen Erzähltexten der Gegenwart. In: Hamann, Christof/Honold, Alexander (Hrsg.): Ins Fremde schreiben. Gegenwartsliteratur auf den Spuren historischer und fantastischer Entdeckungsreisen. Göttingen: Wallstein 2009, S. 9–20; hier: S. 15.

Archiv als Gedächtnismetapher

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Erklärung der Vorgangsweise dieser Gattung der Vorstellung des Gangs durch das Archiv: Der Erkundungsgang im Raum führt […] durch ein Repertoire an Wahrnehmungsmustern, Wissensformen und Textbeständen, meist solchen des abendländischen Archivs. Die Erzählung »auf den Spuren von« gleicht daher einem Spiel ›über Bande‹, das teilhat an jenem […] Projekt abendländischer Selbstbefragung […].169

Die »von Relektüren und Wiedererzählungen der Reise- und Entdeckungsliteratur«170 geprägten gegenwärtigen Literarisierungen von Entdeckungsreisen sind mit den postgalizischen Reisetexten vergleichbar. Reisen in historische Räume wie Galizien basieren auf Relektüren und Wiedererzählungen von Literatur, mündlich überlieferten Erzählungen, materiellen Objekten oder kulturellen Praktiken, welche direkt oder indirekt mit dem Raum zusammenhängen. Die Bewegung im Raum sowie die »Erzählung ›auf den Spuren von‹«171 ist nicht nur eine Auseinandersetzung mit Vergangenem im Kontext der Gegenwart, sondern auch mit Fremdem in Berührung mit sich selbst: Die Konfrontation mit dem Anderen als eine Beschäftigung mit sich selbst ist ja ein Charakteristikum der Reiseliteratur an sich.172 So gleicht diese Ausverhandlung auch einem »Spiel ›über Bande‹.«173 Die Bezeichnung, ursprünglich aus dem Billardspiel, beschreibt das Erreichen eines Ziels auf indirektem Weg: Der Ball wird zuerst gegen die Bande gespielt und trifft sein Ziel erst dann. Da der direkte Weg zu Galizien versperrt ist, bleibt nur die Annäherung über das in unterschiedlichen Formen Überlieferte, das zur Grundlage des Wissens über Galizien wird. Unterdessen wird die Verhandlung des Selbstbildes durch das Bild des Fremden auf der Reise bzw. schon bei der Lektüre bedient. Man schöpft aus einem fast unbegrenzten Repertoire an Materialien und kann unterschiedliche Schwerpunkte legen. Das genannte Archiv bildet die Voraussetzung für jegliche Befassung sowohl mit sich selbst wie auch mit dem Anderen. Speicher- und Funktionsgedächtnis Das Archiv als Gedächtnismetapher steht für die anscheinend perfekte Erinnerungsfähigkeit versammelt in Prozessen der Gedächtnisspeicherung, -tradierung und -neuverhandlung. Aleida Assmann etikettiert sie als Speicher- und Funktionsgedächtnis.174 Für Assmann ist das Archiv ein kultureller Wissensspeicher 169 170 171 172

Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. u. a.: Kapus´cin´ski, Ryszard: Der Andere. Aus dem Poln. v. Martin Pollack. Frankfurt/ Main: Suhrkamp 2008. 173 Hamann/Honold: Ins Fremde schreiben, S. 15. 174 Vgl. Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München: C.H. Beck 1999 [5. Aufl.: 2010], S. 130–145.

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Galizien als Archivraum

und die Engführung des kulturellen Gedächtnisses, innerhalb dessen sie eben Speicher- und Funktionsgedächtnis differenziert. Das erste dient dem passiven Ansammeln und Speichern, das zweite dem aktiven Sammeln, zur Schau Stellen und Erinnern.175 Der Unterschied besteht in der Funktion: das Speichergedächtnis dient der Aufbewahrung, das Funktionsgedächtnis der Überlieferung. So schützt das Funktionsgedächtnis die »Artefakte« des Archivs gegen den »Prozess des Vergessens und Fremdwerdens«, denn die Materialien im Speichergedächtnis können bei fehlendem Zugriff »fremd und unverständlich« werden. Das Funktionsgedächtnis sichert ihnen durch »Verfahren der Auswahl und Wertzuschreibung« bzw. »Kanonisierung« einen Platz nicht nur im passiven, sondern auch im aktiven kulturellen Gedächtnis.176 Für Reisen in historischen Räumen wie Galizien bedeutet dies den Rückgriff auf »Artefakte« der Vergangenheit, die durch ihr neuerliches Aufkommen im Text in das aktive Gedächtnis transportiert werden, wodurch ihre Überlieferung gesichert wird. Ein Beispiel aus den Galizienreisen für eine solche Sicherung wäre Martin Pollacks Rückgriff auf das Werk Knabenalter177 (1908) aus der Trilogie Der Weg der Jugend des aus Galizien stammenden Hermann Blumenthal in Nach Galizien (1984).178 Der in Vergessenheit geratene, in Bolechów geborene Schriftsteller Blumenthal wurde wieder aktiviert. Die von Martin Pollack angeführten Publikationen können heute als eine Art neuer Galizienkanon klassifiziert werden. Durch seinen Gang ins Archiv Galizien und seinen Reisetext popularisierte der Österreicher Anfang der 1980er Jahre das fast schon vergessene Galizien mit seinem multikulturellen Erbe. So können Reisen die Kanonbildung übernehmen. Der physische und imaginäre Raum Galizien steht für das Archiv, das Zugang zum Wissen der Vergangenheit und Gegenwart schafft.179 Die Auswahl der Elemente, die den Prozess des Übergangs vom Speicher- ins Funktionsgedächtnis durchlaufen, führen die Schreibenden (und Lesenden) aus. Die ausgewählten, »kanonisierten Werke« bilden die Grundlage für die weiterüberlieferten Vorstellungen von Galizien und werden Teil des Funktionsgedächtnisses.

175 Vgl. Assmann, Aleida: Speichern oder Erinnern? Das kulturelle Gedächtnis zwischen Archiv und Kanon. In: Csáky, Moritz/Stachel, Peter (Hrsg.): Speicher des Gedächtnisses, Bibliotheken, Museen, Archive 2: Die Erfindung des Ursprungs – Die Systematisierung der Zeit. Wien: Passagen 2001, S. 15–29. 176 Vgl. Assmann, Aleida: Archive im Wandel der Mediengeschichte. In: Ebeling/Günzel: Archivologie, S. 165–175, hier: 171. 177 Blumenthal, Hermann: Knabenalter. Berlin: Marquardt 1908. 178 Pollack: Galizien, S. 220–223. 179 Vgl. Assmann: Erinnerungsräume, S. 160.

Archiv als Gedächtnismetapher

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Der postmoderne, konstruierte Charakter des galizischen Themas wird in den Reisetexten der Nachwendezeit besonders sichtbar.180 Deren Konstruktcharakter ist u. a. eine direkte Folge des Prinzips vom Speicher- und Funktionsgedächtnis. Denn während das erste »das neutrale, identitäts-abstrakte Sachwissen, aber auch das Repertoire verpasster Möglichkeiten, alternativer Optionen und ungenutzter Chancen« bietet, geht das zweite aus dem »Prozess der Auswahl, der Verknüpfung, der Sinnkonstituierung« hervor. »Die strukturlosen, unzusammenhängenden Elemente treten ins Funktionsgedächtnis als komponiert, konstruiert, verbunden ein«, konstatiert Assmann.181 Die im Funktionsgedächtnis angelegte Sinnkonstituierung im Hinblick auf das Nachleben Galiziens steht auch für die Schaffung von Organisation und Ordnung, jedoch mit einem großen individuellen Freiraum und unterschiedlichen Möglichkeiten, die sich wiederholt je nach Zeit und Diskurs verändern können. Galizien können demnach verschiedene Sinnvorstellungen zugeschrieben werden: das jüdische Galizien, das familiäre Galizien, das schlesische Galizien, das private Galizien, das polnische Galizien etc. Die Voraussetzung für diese Art von Sinnkonstituierungen bildet das Vorhandensein eines Speichergedächtnisses. Dieses bildet den Hintergrund des Funktionsgedächtnisses, wodurch ein Modell von Vorder- und Hintergrund entsteht, das, wie Assmann betont, das Problem der binären Opposition umgeht. Das Modell ist nicht mehr dualistisch, sondern perspektivisch angelegt. Darin »liegt die Möglichkeit beschlossen, daß sich das bewußte Gedächtnis verändern kann, daß Konfigurationen aufgelöst und neu zusammengesetzt werden, daß aktuelle Elemente unwichtig werden, latente Elemente emportauchen und neue Verbindungen eingehen.«182 Die Konstruktion verschiedenster Arten von Galizien bzw. Galizienbildern wird durch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen ermöglicht. Somit kann sich das Funktionsgedächtnis fortwährend verändern, indem es andere Dinge aus dem Speichergedächtnis aufgreift und aktualisiert. Übertragen auf das Archiv Galizien bedeutet das, dass sich die Auswahl der Materialien zu Galizien ändert: So kann Galizien als Bild und Mythos aktualisiert werden und sich je nach Zeit und Perspektive wandeln. Das Erinnern ist ein »Transformationsprozeß«: es ist grundsätzlich »rekonstruktiv«, »geht stets von der Gegenwart aus« und führt unweigerlich zu einer »Verschiebung, Verformung, Entstellung, Umwertung, Erneuerung des Erin-

180 Erneut soll auf den inhärenten Konstruktcharakter von Galizien wie auch die seit der Aufklärung bis heute fortgeschriebene Vorstellung vom »barbarischen« Osteuropa hingewiesen werden. Vgl. Wolff, Larry: Inventing Eastern Europe. The Map of Civilization on the Mind of the Enlightenment. Stanford: Stanford University Press 1994; Wolff: The Idea of Galicia. 181 Assmann: Erinnerungsräume, S. 137. 182 Vgl. ebd., S. 136.

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Galizien als Archivraum

nerten zum Zeitpunkt seiner Rückrufung.«183 Dies alles sind Vorgänge, die bei der Konstruktion von Galizien während der Reise zum Tragen kommen. Selektion: Erinnern und Vergessen Mit dem Erinnern in Form des Speicher- und Funktionsgedächtnisses tritt ebenfalls sein inhärenter Gegenspieler zum Vorschein – das Vergessen: »Die Kultur ist in ihrem eigentlichen Wesen nach gegen das Vergessen gerichtet. Sie überwindet es, indem sie das Vergessen in einen Mechanismus des Gedächtnisses verwandelt«, schreiben Jurij M. Lotman und B.A. Uspenskij verdeutlichend, dass Erinnern und Vergessen paradoxerweise kongruent sind.184 Nur durch das eine kann das andere stattfinden und beide sind bei der Galizienreise Teil des Auswahlprozesses: »Das Vergessen ist der Gegner des Speicherns, aber der Komplize des Erinnerns«185, so Assmann. Somit bestimmen die gegenwärtigen Reisenden durch ihre Auswahl, welche Elemente von Galizien überliefert werden und welche nicht. Was Pollack in Nach Galizien anführt, wird in den nachfolgenden Galizienreisen verstärkt rezipiert. Andrzej Stasiuk popularisierte durch seine Reisetexte galizische Themen in Polen, wobei er durch seinen »Griff ins Archiv« vergessene Figuren wie Amalia Mniszchowa oder den Heiligen Johannes von Dukla wieder in Erinnerung rief.186 Roswitha Schieb brachte polnische Autoren wie Józef Wittlin oder Jan Parandowski sowie die ukrainischen Gegenwartsschriftsteller der Gruppe des Stanislauer Phänomens in den deutschsprachigen Diskurs ein.187 Da das Speichergedächtnis ein Reservoir zukünftiger Funktionsgedächtnisse ist,188 ist auch die Bandbreite seiner Aktualisierungen unendlich. Es ist eine »Ressource der Erneuerung kulturellen Wissens und eine Bedingung der Möglichkeit kulturellen Wandels«189 und dient nicht nur zur Fundierung der Gegenwart, sondern noch mehr der Zukunft.190 Doch abhängig ist und bleibt sie von den »Archivaren« und deren Auswahl.

183 Ebd., S. 29. 184 Vgl. Lotman, Jurij M./Uspenkij, B.A.: Zum semiotischen Mechanismus der Kultur. In: Eimermacher, Karl (Hrsg.): Semiotica Sovietica 2. Sowjetische Arbeiten der Moskauer und Tartuer Schule zu sekundären modellbildenden Zeichensystemen. Aachen: Rader 1986, S. 853–880; hier: S. 859. 185 Assmann: Erinnerungsräume, S. 30. 186 Siehe: Kapitel 5.1.1.1. 187 Siehe: Kapitel 3.1.2.2. 188 Vgl. Assmann: Erinnerungsräume, S. 140. 189 Ebd. 190 Ebd., S. 139.

Reisen als Verbindung von Zeit und Raum

2.4

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Reisen als Verbindung von Zeit und Raum

Raum als Speicher der Zeit »Was geschieht, wenn wir Geschichte und Ort zusammendenken?«,191 fragt der prominente Osteuropahistoriker und Publizist Karl Schlögel in der Einleitung zu seinem nicht nur in Wissenschaftskreisen breit rezipiertem Werk Im Raume lesen wir die Zeit192 (2003). Antworten auf diese Frage können wir erhalten, wenn wir uns Reisen in Räume wie dem historischen Galizien zuwenden. Zeitgenössische Reisen in den postgalizischen Raum konstituieren sich durch den Grundsatz, in einen Raum zu führen, der in dieser Form in der Gegenwart nicht mehr existiert. Um dennoch nach Galizien reisen zu können, müssen die Reisen auf Materialien aus der Vergangenheit zurückgreifen: Historische Räume wie Galizien übernehmen die Rolle eines Gedächtnis- und Erinnerungsraums, in dem gewisse Elemente eingeschrieben sind. Die Betrachtung des gegenwärtigen realen Raums wird durch den Bezug auf die Vergangenheit dominiert; das Hier und Jetzt funktioniert als Ausgangspunkt und Opponent der Vergangenheit. Die realen Orte der Gegenwart sind primär Anreize, um sich der Vergangenheit zu widmen, die Erinnerung in Gang zu setzen und diese in die Gegenwart (bzw. den Text) heraufzuholen. Das Gedächtnis zeichnet sich in den Raum. Es bestimmt das Erinnern an diesen Raum sowie die damit verbundenen Schreibprozesse. Aus diesem Grund finden die Reisen immer zu einem Teil auch imaginär statt, denn das alte Galizien ist nur so erkundbar. Das Vergangene fehlt in der Gegenwart und muss während der Reise ergänzt werden. Die seit fast hundert Jahren andauernde (scheinbare) Abwesenheit Galiziens ist jene Eigenschaft, die die Gegend für die Reisenden wirklich interessant macht und ihren Wert bestimmt. Galizien muss erneut entdeckt, erkannt, ausgegraben, rekonstruiert und erzählt werden – ein den postgalizischen Reisen inhärenter Prozess. Mnemotechnik: Simonides von Keos Es ist schwierig, sich Bewegungen durch historische Räume vorzustellen, darüber zu sprechen und zu schreiben, ohne auf gewisse Bilder und Metaphern zurückzugreifen, die ein Denken darüber überhaupt erst ermöglichen und es zu einem großen Teil auch determinieren. »Wer über Erinnerung spricht, kommt dabei nicht ohne Metaphern aus«,193 schreibt Aleida Assmann und macht darauf auf191 Schlögel, Karl: Einleitung. In: Schlögel, Karl: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik. München, Wien: Hanser 2003, S. 9–15; hier: S. 11. 192 Ebd. 193 Assmann, Aleida: Zur Metaphorik der Erinnerung. In: Assmann, Aleida/Harth, Dietrich (Hrsg.): Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1991, S. 13–35; hier: S. 13.

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merksam, dass nicht nur in Literatur, Pädagogik oder Philosophie die Verbindung zwischen Gedächtnis-Theorien und Bild-Orientierung besteht, sondern auch in der Wissenschaft.194 Die für die gegenwärtigen Galizienreisen wichtige Verbindung zwischen Gedächtnis und Raum geht auf theoretische Überlegungen der antiken Mnemotechnik zurück,195 welche auf der Legende des griechischen Dichters Simonides von Keos (um 557–467 v. Chr.), die Cicero in seinem De oratore Antonius erzählen lässt, gründet. »Cicero lässt sie erzählen, nach Cicero wird sie erzählt«,196 fasst Anselm Haverkamp diese Überlieferungsgeschichte zusammen. Das Werk Ciceros gilt neben der späteren Institutio Oratoria von Quintilian und dem anonymen Text Ad C. Herennium libri IV als eine der drei Hauptquellen zu jener Legende und zählt somit zur klassischen Gedächtniskunst.197 In der antiken Rhetorik steht die memoria als die vierte der fünf Säulen der Rhetorik, neben inventio, dispositio, elucatio und der pronuntiatio.198 Doch die Gedächtniskunst basiert nicht nur auf der lateinischen Rhetorik, sondern auch auf Aristoteles’ Vorstellung der memoria im Kontext der Seelentheorie. Beiden Gedankenkomplexen ist gemein, dass sie das unvollkommene menschliche Gedächtnis stützen und dem Vergessen entgegenwirken sollen.199 Die Rezeption der Legende erfreute sich nicht nur in der Antike, sondern auch im Mittelalter sowie in der Kultur des Fernen Ostens großer Beliebtheit.200 1966 rief die Literaturhistorikerin Frances A. Yates in ihrem Buch The Art of Memory201 die Erzählung wieder in Erinnerung und ab den 1980er Jahren begann sich die Mnemotechnik basierend auf Yates »von einem antiquarischen Streckenpferd zu einem Zitat mit postmodernen Qualitäten«202 zu entwickeln. In der Legende ist Simonides von Keos, der wegen seiner eindrucksvollen Bildsprache zu den beliebtesten Dichtern der damaligen Zeit gehört haben soll, bei einem Festmahl mit dem Auftrag ein Loblied zu Ehren des Gastgebers vorzutragen, eingeladen. Das vorgestellte Gedicht enthielt auch Zeilen zur Ehre der Zwillingsgötter Castor und Pollux, was den Gastgeber erzürnte, der sich daraufhin weigerte, Simonides die vereinbarte Geldsumme zu bezahlen – die Hälfte 194 Vgl. Assmann: Erinnerungsräume, S. 150. 195 Vgl. ebd., S. 158. 196 Haverkamp, Anselm: Auswendigkeit. Skizzen zum Gedächtnis der Rhetorik: I Szene; II Raum; III Schrift. In: Rhetorik 9 (1990), S. 84–102; hier: S. 84. 197 Vgl. Yates, Frances A.: Gedächtnis und Erinnern. Mnemotechnik von Aristoteles bis Shakespeare. Berlin: Akademie 1999, S. 11–33. 198 Vgl. Müller-Oberhäuser, Gabriele: Mnemotechnik. In: Nünning, Ansgar (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie: Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Stuttgart, Weimar: Metzler [4. Aufl.: 2008], S. 507–508; hier: S. 507. 199 Vgl. ebd. 200 Sajó, Tomás: Urban Space as Erinnerungslandschaft. The Case of Lemberg/Lwów/Lvov/ Lviv. In: European Review 21/4 (2013), S. 523–529; hier: S. 523. 201 Yates, Frances A.: The Art of Memory. London: Routledge 1966. 202 Haverkamp: Auswendigkeit, S. 84.

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des Gedichts war den Göttern gewidmet, nun sollten sie die Hälfte des Betrags abgelten, so die Argumentation des Gastgebers. Kurz darauf bekam Simonides die Nachricht, dass zwei Männer draußen auf ihn warteten, doch als er das Festmahl verließ, fand er niemanden vor. Vermeintlich handelte es sich um Castor und Pollux, die ihn vor dem nahenden Unglück bewahren und so den Lobgesang abgelten wollten: Während seiner Abwesenheit stürzte die Decke des Festmahlsaals ein und sämtliche Gäste samt Gastgeber fielen den Trümmern zum Opfer. Die verstümmelten Leichen der Festgesellschaft konnten aufgrund ihrer Entstellung nicht identifiziert werden. An dieser Stelle kam Simonides zu Hilfe und bewies damit die Prinzipien der Mnemotechnik: Er identifizierte die Toten aufgrund ihrer Sitzordnung bei Tisch. Räumliche Anordnung von Dingen bedingt ein gutes Gedächtnis, so die Lehre. Platziert man im Geiste in einem Raum an markanten Plätzen und Ecken Gegenstände, kann man diese einfacher hervorrufen, indem man in Gedanken durch den Raum geht und sich an den markanten Plätzen an die dort abgestellten Gegenstände erinnert. Dieses Verfahren wurde von der Mnemotechnik zu einer bewussten Lerntechnik ausgebaut.203 Dabei gilt Simonides bis heute als Begründer der Gedächtniskunst204 und legte den Grundstein für eine Externalisierung von Erinnerung.205 Die Einsicht führten die Römer weiter, Cicero beschreibt die Art der Gedächtniskunst im vormodernen Sinn folgendermaßen: Wer diese Seite seines Geistes zu trainieren suche, müsse deshalb bestimmte Plätze wählen, sich die Dinge, die er im Gedächtnis zu behalten wünsche, in seiner Phantasie vorstellen und sie auf die bewußten Plätze setzen. So werde die Reihenfolge dieser Plätze die Anordnung des Stoffs bewahren, das Bild der Dinge aber die Dinge selbst bezeichnen, und wir könnten die Plätze an Stelle der Wachstafel, die Bilder statt der Buchstaben benützen.206

Die Gedächtniskunst nach Simonides begründet sich also darin, an bestimmte, ausgewählte Orte (loci) geistige Bilder (imagines) anzuheften, die für das Erinnerte bzw. das Memorierte stehen. Das Erinnern funktioniert demnach durch Verräumlichung und Verbildlichung. Im Verlauf des Prozesses des Erinnerns wird auf räumlich angeordnete, geistige Bilder zurückgegriffen, die als Gedächtnisstützen funktionieren. Cicero dachte bei seinen Überlegungen zur Mnemotechnik vor allem an ihren Nutzen für den Redner. Diese Technik kann jedoch in unterschiedlichen Bereichen angewendet werden, denn ihre Haupter-

203 Vgl. Assmann: Erinnerungsräume, S. 27. 204 Vgl. Yates: Art of Memory, S. 11. 205 Vgl. Brinkmann, Stephan: Bewegung erinnern. Gedächtnisformen im Tanz. Bielefeld: Transcript 2012, S. 9. 206 Cicero, Marcus Tullius: De oratore. Über den Redner. Lateinisch/Deutsch. Übers. und hrsg. v. Harald Merklin. Stuttgart: Reclam 1976, S. 433 (2,354).

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kenntnis ist, wie Birgit Wiens subsummiert, »dass sich Wissen in Raummodellen organisieren lässt und einer räumlichen Ordnung bedarf, um archiviert zu werden.«207 Die Existenz des Raums bzw. der einzelnen Orte, an denen etwas gespeichert werden kann, ist die Voraussetzung für den Erinnerungs- bzw. Schaffensprozess: sowohl geistig als auch schriftlich.208 Doch diese Verräumlichung der Erinnerung muss keinesfalls bewusst stattfinden, der Raum fungiert auch als ein Gedächtnisspeicher, der das Erinnerte bzw. die Erinnerungen selbst aufkommen lässt. Eine grandiose Darstellung dieser Vorgehensweise liefert de Certeau in seinem Essay Gehen in der Stadt209: »Die Erinnerung ist auf der Reise wie ein schöner Prinz, der eines Tages das Dornröschen unserer wortlosen Geschichten wachküßt. ›Das hier war eine Bäckerei; dort hat Mutter Depuis gewohnt.‹«210 Die aufkommenden Bilder sind unbewusst abgespeicherte Erinnerungen, die beim Betreten der Orte aufgerufen werden, manchmal sogar gegen den Willen der Betrachtenden. Zusammenfassend: Die Mnemotechnik benötigt einerseits ein zur Archivierung geeignetes Raummodell, im Raum abgestellte Gegenstände und eine auf die in diesem Raummodell abgestellten Gegenstände zurückgreifende Person. Mehr noch: eine Person, die diese Gegenstände entziffern kann. Diese aktiviert das abgespeicherte Wissen durch ihr Erinnerungshandeln, wodurch das Erinnern als individueller oder kultureller Gedächtnisvorgang eine performative Dimension erhält.211 Die abgestellten Gegenstände können wir mit den archivierten Materialien im Archiv Galizien gleichsetzen, als Raummodell fungiert Galizien mit seinem Raumarchiv. Memoria-Metapher: Eumenestes und Anamnestes Der Verbindung von Raum und Erinnerung entspricht die Memoria-Metapher aus dem Versepos The Fairie Queene von Edmund Spenser aus dem Jahr 1596, auf die Aleida Assmann bei ihren Ausführungen zur Metaphorik der Erinnerung zurückgreift. Im zweiten Buch von Spensers Allegorie auf die christlichen Tugenden besichtigen Prinz Arthur und Sir Guyon das Schloss von Alma. Das Schloss repräsentiert den gesunden menschlichen Körper als Behälter für eine 207 Wiens, Birgit: Darüber nachdenken, »an welchem Punkt der Erdoberfläche man sich befindet«. Verfahren künstlerischer Kartographie bei Rimini Protokoll am Beispiel des Projekts 50 Aktenkilometer. In: Borer, Nadja/Schellow, Constanze/Schimmel, Nina/Wodianka, Bettina (Hrsg.): Heterotopien. Perspektiven der intermedialen Ästhetik. Bielefeld: Transcript 2013, S. 107–123; hier: 118–119. 208 Carruthers, Mary: The Book of Memory. A Study of Memory in Medieval Culture. New York: Cambridge University Press 1990 [2. Aufl.: 2008], S. 110. 209 De Certeau, Michel: Gehen in der Stadt. In: De Certeau, Michel: Kunst des Handelns. Berlin: Merve 1988, S. 179–208. 210 Ebd., S. 205. 211 Vgl. ebd.

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reine Seele, somit wird die Besichtigung zu einem allegorischen Rundgang durch die für verschiedene Organe und Körperteile stehenden Räume. Am Ende suchen die Besucher den für den Kopf stehenden Turm auf, welcher das menschliche Gedächtnis symbolisiert und aus drei Kammern besteht. Diese drei Räume wiederum versinnbildlichen die Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit.212 Der dritte Raum (die Vergangenheit) macht einen heruntergekommenen Eindruck und hat zwei Bewohner: Eumenestes und Anamnestes. Eumenestes ist ein alter Greis mit blendendem Gedächtnis, »Zeuge allen Geschehens seit Menschengedenken«. Er lebt in einem Raum, umgeben von den Dokumenten jener Vergangenheit: »Der Inhalt seines Archivs trägt die Spuren ehrwürdigen Alters; die verstaubten Folianten, Codices und Schriftrollen sind wurmzerfressen und stockfleckig geworden. Der Alte sitzt inmitten dieser Schätze und blättert die Seiten […].«213 Der Greis ist jedoch zu gebrechlich, um sich seine Bände selbst aus den Regalen zu holen, dafür hat er seinen Bibliotheksgehilfen – Anamnestes, welcher nicht nur wendig ist, sondern auch verloren geglaubte Bände ausfindig machen kann: Amidst them all he in a chaire was set, Tossing and turning them withouten end; But for he was vnhable them to fet, A litle boy did on him still attend, To reach, when euer he for ought did send; And oft when things were lost, or laid amis, That boy them sought, and vnto him did lend. Therefore he Anamnestes cleped is, And that old man Eumnestes, by their propertis.214

Eumenestes steht für »Good Memory«, Anamnestes dagegen ist »the Reminder«.215 Assmann drückt den komplementären Aspekt der Figuren mit den Begriffen Gedächtnis und Erinnerung aus. Für Assmann steht Eumenestes für das passive Gedächtnis und »verkörpert den Speicher, den unendlichen Vorrat an angesammelten Daten.«216 Anamnestes dagegen ist die aktive Erinnerung und »die bewegliche Energie des Auffindens und Hervorholens, die den Daten aus ihrer latenten Präsenz zur Manifestation verhilft.«217 Dabei stehen Gedächtnis

212 Vgl. Spenser, Edmund: The Faerie Queene. Hrsg. v. Albert Charles Hamilton. London: Longman 1977, S. 256–258 (II.IX: 45–60). Auch Assmann verweist auf diese Textstellen. Vgl. Assmann: Erinnerungsräume, S. 54–55, S. 158–159. 213 Assmann: Erinnerungsräume, S. 159. 214 Spenser: The Faerie Queene, S. 258 (II.IX: 58). 215 Vgl. ebd. 216 Assmann: Erinnerungsräume, S. 160. 217 Ebd.

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und Erinnerung in einem komplementären Verhältnis: »Das Gedächtnis ist der Speicher, aus dem die Erinnerung auswählt, aktualisiert, sich bedient.«218 Eine solche Unterscheidung des Gedächtnisses in das passive Gedächtnis und das aktive Erinnern findet man bereits bei Aristoteles219 im Kontext seiner Seelenlehre.220 In der Abhandlung De memoria et reminiscentia aus den Parva naturalia widmet sich Aristoteles dem passiven Gedächtnis (mnémé) und dem aktiven Sich-Erinnern (anamnésis).221 Das Gedächtnis ist immer an die Vorstellungskraft gebunden, denn nur durch sie kann ein Objekt Gegenstand des Denkens werden. Dabei führt Aristoteles den Begriff des Bildes (eikón) ein, das für sich selbst und für etwas anderes, etwas Abwesendes, stehen kann.222 Bilder funktionieren wie Vorstellungen im Gedächtnis: Man ruft sie hervor und somit auch die Sache, auf die sie verweisen, vergleichbar mit Ciceros loci und imagines. Zudem betont Aristoteles den analytischen Teil des Erinnerns: »Erinnern [ist] gleichsam eine Schlussfolgerung. Wer sich erinnert, kommt zu dem Schluss, dass er früher gesehen, gehört oder sonst etwas erfahren hat; und das ist wie eine Art Suche.«223 Die Erinnernden als Suchende sind ein Bild, das den postgalizischen Spurenreisenden gleicht: Die Reisenden sind die, die die Dinge aus dem Gedächtnis hervorrufen. Während der Raum alles in sich als »Zeuge allen Geschehens seit Menschengedenken« vereint, ist der Reisende jener, der aus dieser Fülle »auswählt, aktualisiert, sich bedient.«224 Erst durch die Reisenden bekommen die Materialien ihre Bedeutung in der Gegenwart, erst durch sie werden sie aus der Vergangenheit in die Gegenwart, demnach aus dem passiven Gedächtnis in die aktive Erinnerung, geholt: »Furnishing the old man […] with a helper […], remedies the failings of human brainpower and creates a character-type, the minion – or archivist’s apprentice – in which access, continuity, and preservation may be vested […].«225 Nur der junge Helfer, der Bibliotheksgehilfe Anamnestes, kann garantieren, dass das Gedächtnis aktiviert wird und zur Erinnerung wird, somit wird der »minion« zum Garanten der Überlieferung.

218 Ebd. 219 Vgl. Hamilton, Albert Charles (Hrsg.): The Spenser Encyclopedia. Toronto, Buffalo u. a.: Toronto University Press 1990, S. 467. 220 Vgl. Müller-Oberhäuser: Mnemotechnik, S. 433. 221 Vgl. Aristoteles: De memoria et reminiscentia. Übers. u. erläutert v. Richard A.H. King. Berlin: Akademie 2004, S. 13–20. 222 Vgl. ebd. 223 Ebd., S. 19. 224 Assmann: Erinnerungsräume, S. 160. 225 Keen, Suzanne: Romances of the Archive in Contemporary British Fiction. Toronto, Buffalo u. a.: University of Toronto Press 2001, S. 67.

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Räumliche Vergegenwärtigung Die beiden theoretischen Modelle um Simonides von Keos und Eumenestes/ Anamnestes eröffnen ein Denkspektrum, das die Funktionsweise der Reisen in den postgalizischen Raum verbildlicht und erklärt. Die Zugänge ermöglichen eine neue Leseart von Reisen in historische Räume, wie dem hier untersuchten Galizien. In den Reisen in den postgalizischen Raum werden persönliche oder durch das kollektive Familiengedächtnis überlieferte Erinnerungen sowie im kulturellen, kollektiven Gedächtnis gespeicherte Elemente an die Oberfläche gebracht und aktualisiert. Dabei greifen die Reisenden auf unterschiedlichste Materialien zurück. Diese sind, so erneut die These, unter dem Oberbegriff Galizien wie in einem Archiv gespeichert. Was die Bilder jedoch letztendlich hervorruft, ist die Bewegung im Raum, das Aufsuchen der realen sowie imaginären Räume. Demnach bildet der Raum Galizien den Ausgangspunkt für alle Verhandlungen. Er funktioniert, um es mit Cicero zu sagen, als »die Plätze an Stelle der Wachstafel, die Bilder statt der Buchstaben.«226 Der Raum übernimmt die Rolle eines Archivs und speichert an den Orten (loci) das Erinnerte (imagines). Der Reisende greift auf die im Raum gespeicherten Materialien zurück und ist somit mit Ciceros Redner vergleichbar, der sich an Dinge erinnert, indem er durch die imaginierten Räume geht und so auf die dort abgelegten Dinge zugreift. Im Fall der Reise passiert dies zumeist bewusst und planmäßig, indem sich die Reisenden gezielt an Orte begeben, an denen sie etwas aufsuchen möchten. Doch auch eine ungeplante Auseinandersetzung mit im Raum abgespeicherten Elementen ist durchaus möglich. Spensers Memoria-Metapher lässt sich mit den mnemotechnischen Überlegungen zu den postgalizischen Reisen verbinden. Das Archiv Galizien, also der postgalizische physische und imaginäre Raum, das Raumarchiv, und die überlieferten Archivmaterialien, das Imaginationsarchiv, sind mit Eumenestes, dem passiven Gedächtnis, vergleichbar. Der sich in diesem Raum bewegende Reisende ist Anamnestes, die aktive Erinnerung. Erst durch diese zwei komplementären Figuren entsteht das Ganze, die in Textform vorhandene Reisebeschreibung, die Karl Schlögel wie folgt skizziert: »Die Reisebeschreibung, die von Ort zu Ort fortschreitet, das Logbuch und die Routenbeschreibung sind ihre Grundform: ein Narrativ, das sich im Raum bewegt, nicht in der Abfolge der Zeit.«227 Der Reisetext wird somit zur »Grundform des räumlichen Narrativs«, in der Städte ein »›mnemotechnischer Behelf‹ für die Vergegenwärtigung von Geschichte und Gesellschaft, Land und Leuten« werden.228 Im Raum sind die verschiedensten 226 Cicero: De oratore, S. 433. 227 Schlögel, Karl: Bewegungsform, Erkenntnisform. In: Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit, S. 260–265; hier: S. 264. 228 Vgl. ebd.

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Zeitschichten mit ihren unterschiedlichen Bedeutungsebenen und Interpretationsmöglichkeiten eingeschrieben. Die Beziehung von Raum und Zeit ist beim Reisen »komplementär und parallel«.229 Wobei wir hier bei der Antwort auf die Hauptfrage der Untersuchung wären: Eben so kann der historische Raum Galizien bereist werden. Die Bewegung im Raum und die aufgesuchten Orte bestimmen das Narrativ der Reisetexte: die Zeit ist darin inkludiert, jedoch nicht determinierend. Der Raum bringt die Zeit zum Vorschein, nicht umgekehrt; dabei herrscht Gleichzeitigkeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die im Raum vereinigt werden. Schlögel spricht von der »räumlichen Vergegenwärtigung«, die sich in der Kartographie und in Itinerarien (also Reisetexten) materialisiert zeigt.230 Um einen historischen Raum mit seinen verschiedenen Zeitschichten aus der Gegenwart heraus beschreiben zu können, scheint die Reise und deren Beschreibung die gebührlichste Strategie zu sein, denn nur durch die Konsolidierung im Raum können an einer Stelle mehrere Zeitschichten vereint werden. Ihre Verankerung im Text ist jedoch in einer narrativen Darstellung gefangen: Man kann Geschichten erzählen, die sich entfalten, sich entwickeln, einen Anfang haben und ein Ende. Aber man kann einen Raum nicht erzählen, sondern nur zur Anschauung bringen. Ortbeschreibung muss dem Nebeneinander entsprechen, nicht dem Nacheinander. Freilich tut man das dann schriftlich nacheinander, weil wir auch nacheinander denken und formulieren, aber das Alpha und Omega dieses Nacheinanders ist immer wieder die Gleichzeitigkeit der Erscheinungen vor Ort.231

Worauf Schlögel hindeutet, ist die Unerzählbarkeit des Raums; möglich ist nur seine Veranschaulichung. Unterdessen finden wir die Erzählbarkeit der Zeit in den laufenden Reiseerlebnissen, im zeitlich chronologischen Fortgang der Reisen. Doch nur selten hat die Vergangenheit einen so großen Einfluss auf die Betrachtung des gegenwärtigen Raumes wie bei Reisen in historische Räume. Nach Schenk gewinnt »die Vergangenheit […] nur im Gegenüber und im Kontrast zum Jetzt und zum Morgen Kontur.«232 Gleichzeitig ist die Gegenwärtigkeit ein Begriff, »der an den emphatischen Begriff der Vergangenheit, also an die Differenz geschichtlicher Zeiten, gekoppelt ist.«233 Nur was in diesem Sinne nicht überholt ist, kann als aktuell gelten.234 Die Differenz geschichtlicher Zeiten in Verbindung mit der Aktualität der Gegenwärtigkeit, wie sie Dietmar Schenk skizziert, ist eine der Haupteigenschaften der postgalizischen Reisen. Die Be229 Schlögel, Karl: Horror vacui. Die Schrecken der Gleichzeitigkeit. In: Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit, S. 48–51; hier: S. 49. 230 Vgl. ebd., S. 51. 231 Ebd., S. 49. 232 Schenk: Kleine Theorie des Archivs, S. 26. 233 Ebd. 234 Vgl. ebd.

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deutung der unterschiedlichen Zeitebenen ist für die Reisen und Texte grundlegend, denn die Gegenwart wird hauptsächlich aus der Perspektive der Vergangenheit gesehen. Das Vergangene und teilweise gar nicht Sichtbare ist im gegenwärtigen Raum von Interesse, so suchen die Reisenden auch primär nach dem Vergangenen im gegenwärtigen Raum. Die Vergangenheit und Gegenwart stehen bei der Bekundung des postgalizischen Raums in einer interdependenten Beziehung und können erst durch ihre Zusammenführung Sinn entfalten. Dies macht die Besonderheiten dieses Raumes, dieser Reisen und dieser Texte aus. In ihnen vereinigen sich Gegenwart und Vergangenheit, wobei die Zukunft als potenzieller Rezeptions- und Transformationsraum immer impliziert ist. Die Bewegung im Raum erschließt die Raumbeziehung. Die Beziehung von Raum und Zeit verbunden durch die Reisebewegung bestimmen den Handlungsverlauf sowie die Handlungs- und Betrachtungsmöglichkeiten des Reisenden innerhalb des Textes. Verzeitlichte Geschichte(n) Die Gleichzeitigkeit der historischen Archivmaterialien, die aus verschiedenen Zeiten stammen, können erst durch den Autor erzählt werden: »Historiographie heißt Transformation der Räumlichkeit des Archivs in den Effekt einer Temporalisierung (Erzählung).«235 Was Ernst hier für die Historiographie beschreibt, gilt genauso für die Literatur und die Reisetexte. Umso klarer erscheinen die zentrale Rolle der AutorInnen (der Reisenden) und die historische Gleichzeitigkeit des Archivs Galizien. Die zeitgenössischen postgalizischen Reisen sind geprägt durch unterschiedlichste Facetten der Vergangenheit in der Gleichzeitigkeit, durch eine Synchronizität, die der Autor aktiv in eine »verzeitlichte Geschichte« zu transformieren versucht, sie demnach in ein Narrativ verwandelt.236 De Certeau spricht über die Synchronisierung von verschiedenen Zeitschichten. Der literarische Ausgangstext, die Reiserfahrungen und die Verschriftlichungen im Reisebericht sind Verbindungsstellen zwischen dem, was war und dem, was ist. Die Gegenwart und Vergangenheit treffen an einem Ort aufeinander und werden durch das Betrachten und Erinnern aktiviert, wodurch sich eine Art Palimpsest bildet. Kehren wir erneut zu de Certeaus Essay Gehen in der Stadt zurück: Die Erinnerung ist auf der Reise wie ein schöner Prinz, der eines Tages das Dornröschen unserer wortlosen Geschichten wachküßt. »Das hier war eine Bäckerei; dort hat Mutter Depuis gewohnt«. Verblüffend dabei ist, daß lebendig wahrgenommene Orte so etwas wie die Gegenwart von Abwesendem sind. Das, was sich zeigt, bezeichnet, was nicht mehr ist: »Sehen Sie, hier gab es…, aber es ist nicht mehr zu sehen.« Die Demonstra235 Ernst: Rumoren der Archive, S. 49. 236 Vgl. ebd.

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tivpronomen sprechen die unsichtbaren Identitäten aus; der Ort wird gerade dadurch definiert, daß er aus den Reihen dieser Verschiebungen und Wechselwirkungen zwischen den zerstückelten Schichten, aus denen er zusammengesetzt ist, gebildet wird und daß er mit diesen sich veränderlichen Dichten spielt.237

De Certeau zeigt in diesem Textabschnitt, wie eine Betrachtung des gegenwärtigen Raums durch die Folie der Vergangenheit kognitiv vor sich geht. Die »lebendig wahrgenommenen Orte« werden zur »Gegenwart von Abwesendem«, das Vergangene ist im Raum des Hier und Jetzt immer noch anwesend. Das »was [im Raum] nicht mehr ist«, ist in der Erinnerung immer noch vorhanden und der gegenwärtige Ort definiert sich »aus den Reihen dieser Verschiebungen und Wechselwirkungen zwischen den zerstückelten Schichten.« Die gegenwärtigen Orte definieren sich aus dem Zusammenspiel der Vergangenheit und der Gegenwart, wobei die Vergangenheit teils durch die aktive Erinnerung des Betrachters selbst der Gegenwart hinzugefügt wird (Erinnerungsraum, Imaginationsarchiv) und teils durch materielle Überlieferungen tatsächlich im Raum der Gegenwart verortet ist (Gedächtnisraum, Raumarchiv). De Certeau führt weiter aus: »Die Orte sind fragmentarische und umgekrempelte Geschichten, der Lesbarkeit für Andere entzogene Vergangenheiten und erfüllte Zeiten, die sich entfalten können, die aber mehr noch als die Geschichten in Form von Bilderrätseln bereitstehen.«238 Die »in Form von Bilderrätseln« bereitstehenden Geschichten müssen jedoch erst durch den Betrachter erkannt, interpretiert und erzählt werden. Die Bilderrätsel sind im realen Raumarchiv, also im postgalizischen Raum, verwurzelt, erhalten ihre Bedeutung jedoch erst durch die Archivmaterialien des Imaginationsarchivs. Der eigentliche Rückbezug kann nur durch beide Archivarten, verbunden durch die Bewegung im Raum, aktiviert werden, denn »die körperliche Fortbewegung hat die Funktion des herumwandernden ›Aberglaubens‹ von früher und heute.«239 Dabei eröffnet die Reise »den Raum für das Andere« und »durch eine gewisse Rückwendung ›eine Erforschung der Wüsten meiner Erinnerung‹.«240 Die Reise ist für de Certeau demnach eine Auseinandersetzung auch mit der privaten Vergangenheit, nicht nur der aus dem kollektiven kulturellen Gedächtnis. Eine solche Beschäftigung zeigt sich nachdrücklich in den postgalizischen Reisen: »Die Reise ist (wie das Gehen) ein Ersatz für die Legenden, die den Raum für das Andere öffneten.«241 Die Reisebewegung eröffnet den Blick für das Vergangene angesichts der Gegenwart, den Rückbezug auf das Ferne, Andere und Vergangene. Die 237 238 239 240 241

De Certeau: Gehen in der Stadt, S. 205. Ebd., S. 206. Ebd., S. 203. Ebd. Ebd.

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Reisen charakterisieren sich durch die andauernde Zeitschichtenüberlagerung, wodurch die Vergangenheit stetig in der Gegenwart präsent ist. Die Reisetexte machen diese Erfahrungen verfügbar, veräußerlichen und verdichten sie in Form von Sprache, in Form einer Collage: Die verbalen Relikte, aus denen die Erzählung zusammengesetzt ist und die mit vergessenen Geschichten und undurchsichtigen Gebärden verbunden sind, werden zu einer Collage zusammengefügt, bei der ihre Zusammenhänge nicht gedacht werden und daher ein symbolisches Ganzes bilden.242

Die Reise und der Reisetext schaffen das symbolische Ganze in ihrer Anhäufung von Sequenzen, die durch die zeitliche Begrenzung der Reise und eine beschränkte Auswahl von im Text dargebotenen Referenzen aus dem Archiv Galizien (intertextuelle Verweise, aufgegriffene Persönlichkeiten, Fotografien, Stereotype, Bräuche etc.) eben dieses symbolische Ganze erschafft. Der Reisende tätigt die Auswahl dieser Referenzen, maßgeblich durch die Auswahl der Orte, an die er sich begibt, und der Quellen, aus denen er schöpft. Auch in de Certeaus Überlegungen zur Rhetorik des Gehens und Reisens spielt die Auswahl eine entscheidende Rolle: Indem er eine Auswahl unter den Signifikanten der räumlichen »Sprache« vornimmt oder indem er sie durch den Gebrauch, den er von ihnen macht, verändert, schafft er also Diskontinuität. Einige Orte verurteilt er dazu, brach zu liegen oder zu verschwinden, und mit anderen bildet er »seltene«, »zufällige« oder gar unzulässige räumliche »Wendungen« (wie Redewendungen). Und das führt bereits zu einer Rhetorik des Gehens.243

Die Auswahl des Gehweges bestimmt somit die Bezugspunkte der Reise und so auch des Textes. Diese Auswahl impliziert das Erinnern und Vergessen, sowie das konstant alles begleitende Nicht-Wissen und Subjektiv-Beliebige. De Certeau kommt auf die Variation der Signifikanten zu sprechen: die »Neuverteilung des Raums« und der darin enthaltenen Signifikanten ist für Galizien eben mit der Aktualisierung, Re-modellierung oder einfach Neukonstruktion Galiziens verbunden. Mit der Terminologie »Signifikant« (Signifikat) erscheinen die Semiotik und damit die Vorstellbarkeit von der Lesbarkeit der Welt, genauer der Lesbarkeit der galizischen Welt, die eben in den Archivmaterialien als Zeichen verankert ist. Bei den Reisen nach Galizien bestimmen die Archivmaterialien Reiseroute, Poetik, Themen sowie die Betrachtungsweise des gegenwärtigen Raums. Der Reisende tut aber vor allem eines: Er aktualisiert, indem er die Zeichen liest.

242 Ebd., S. 204. 243 Ebd., S. 191.

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Historisch-literarisches Archiv Die Geschichte Galiziens war ohne die Ostjuden nicht zu denken; bald sind die Ostjuden in Galizien nur noch zu denken.244 (Kaspar Schnetzler) Ich habe die verworrene polnisch-ruthenisch-jüdische Welt des alten Polens nicht mehr angetroffen. Das, was ich in meiner Fantasie trage, ist nur ein Freilichtmuseum.245 (Anna Stron´ska)

Dieses Kapitel ist der ersten Archivart gewidmet: dem historisch-literarischen Archiv. Die sich dieses Archivs bedienenden Reisenden begeben sich auf den Spuren berühmter Persönlichkeiten (allen voran Schriftstellern246), historischer Orte und Ereignisse in den postgalizischen Raum. Dabei greifen die Reisenden auf Quellen unterschiedlicher Nationalliteraturen und -kulturen zurück, wodurch das aktualisierte Galizienbild auf einem meistens trans- und multinationalen Netz von Archivmaterialien basiert und sich oft, aber nicht immer, durch eine galizische Polyphonie auszeichnet.247 Die Archivmaterialien des historischliterarischen Imaginationsarchivs beinhalten literarische und historische Texte (sowie damit zusammenhängende Topoi), alte Landkarten, Photographien, Postkarten etc. Auch die Erzählungen und Informationen der vor Ort angetroffenen Menschen sowie die aufgesuchten Orte des Raumarchivs gehören dazu. Hier tritt oft die Figur des Anamnestes an die Seite der Autorinstanz und beliefert diesen mit neuen Archivmaterialien, aus denen die Reisenden erneut für den eigenen Reisetext auswählen. Diese Selektion findet permanent auf mehreren Ebenen statt. Die meisten Reisenden wählen für ihre Reise thematische Schwerpunkte und festigen damit einen bestimmten Aspekt (Post-)Galiziens, wobei sie sich an bereits gefestigten Narrativen und Diskursen orientieren. Die meisten deutschsprachigen postgalizischen Reisetexte bedienen sich dieses Archivs. Nachfolgend werden zunächst die deutschsprachigen und im Anschluss die polnischen Reisetexte analysiert. Den Überblick ergänzen tiefgreifende Text244 Schnetzler: Meine galizische Sehnsucht, S. 38. 245 Stron´ska: Tyle szcze˛s´cia dla szewców, S. 5. Original: »Rozminełam sie˛ z zawiłym polskorusko-z˙ydowskim ´swiatem dawnej Polski. To, co ja moge˛ nosic´ w wyobraz˙ni, to jest tylko skansen.« 246 Es handelt sich hier nicht um ein generisches Maskulinum, tatsächlich sind die zumeist zitierten Personen männlich. 247 Woldan, Alois: Polyphony in Galicia. Voices, Perspectives and Contexts. In: Molisak/Wierzejska: Galician Polyphony, S. 15–26.

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Historisch-literarisches Archiv

analysen, die die Poetik der Texte mit ihrem vieldimensionalen Interpretationsspektrum freilegen. Die wichtigsten Themen und Diskurse werden verdeutlicht, der Kontext immer beachtet und hervorgehoben.

3.1

Deutschsprachige Reiseliteratur

3.1.1 Die 1990er: Die verschwundene Welt und das jüdische Erbe Es gibt kaum Reisen in den postgalizischen Raum, die sich so sehr über das historische Galizien definieren, wie jene Anfang der 1990er unternommenen und publizierten. Sie sind Musterbeispiele einer auf historisch-literarischen Texten beruhenden Auseinandersetzung mit Raum und Geschichte. Das Archiv kommt in dieser Archivart am deutlichsten zum Vorschein: direkte und indirekte Zitate und Verweise, Anhäufung von Namen, Fokus ersten Ranges auf die Vergangenheit und explizit auf Galizien. Was mit Martin Pollacks rein imaginärer Reise begann, wird nun in der Realität umgesetzt. »Wie strömten die Österreicher um 1990 nach Lemberg und Stanislau, Künstler und Schriftsteller und andere Leute, und wie schnell erlosch ihr Interesse wieder,«248 soll Jurij Andruchovycˇ bei seinem Treffen mit Roswitha Schieb, das die Autorin in ihrem Reisebericht Reise nach Schlesien und Galizien beschreibt, bemerkt haben. So erschien in den 1990er und den beginnenden 2000er Jahren eine ganze Reihe von diesem Raum gewidmeten Reisetexten. Nach der Öffnung der Grenzen strömten all jene dorthin, die sich seit jeher mit Galizien anhand von Büchern und anderen Quellen auseinandersetzten. Für diese Reisenden ist Galizien keine terra incognita. Sie haben ein klares Bild von diesem Raum und begeben sich auf die Reise, um dieses Bild zu überprüfen und zu aktualisieren. Dabei benutzen sie ganz gezielt bestimmte Materialien, auf denen ihr Bild beruht. Welche Materialien und AutorInnen dies genau sind, welcher Narrative und Diskurse sich die Reisenden bedienen und welches Galizienbild dabei vermittelt wird, wird nachfolgend ermittelt. 3.1.1.1 Verena Dohrns Grenzlandschaften des alten Europa Wildnis vs. Vielvölkerkultur Ein großer Teil der deutschsprachigen Reisen nach Galizien behandelt das jüdische Erbe im postgalizischen Raum. Der erste nach 1989 im deutschsprachigen Raum erschienene galizische Reisetext war Reise nach Galizien. Grenzland248 Schieb: Reise nach Schlesien und Galizien, S. 121.

Deutschsprachige Reiseliteratur

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schaften des alten Europa249 (1991) von Verena Dohrn (*1951). Die Erzählerin kann in diesem Reisetext mit der Autorin gleichgesetzt werden: Die Autorin unternahm die reale Reise in den postgalizischen Raum mit ihrem Mann noch vor 1989 und bewegte sich durch die Volksrepublik Polen und die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik/Sowjetunion. In jener Zeit war dieser Raum für den Westen eine verklärte terra incognita, über die man nur wenig wusste, was über die gängigen Vorstellungen eines sozialistischen, osteuropäischen Landes hinausging – so stellt es die Autorin dar. Informationen sind laut Dohrn schwer zu erhalten und so reist auch sie mit unzulänglichen alten Karten: Durch Südpolen fahren wir in die Sowjetunion, […] haben historische Landkarten, auch Karten der deutschen Wehrmacht dabei – die Geschichte dieser Gegend interessiert uns. Abgesehen davon gibt es noch keine besseren als die. Sowjetische Karten sind rar, dazu, weil irreführend, oft unbrauchbar. Darüber spricht man mittlerweile auch in sowjetischen Medien. Die schottische Straßenkarte »USSR Western«, Maßstab eins zu zwei Millionen, die beste, die wir bekommen konnten, genügt gerade, um sich im Groben zu orientieren.250

Reisen anhand historischer Karten ist Teil der Inszenierung des Nachreisens auf historisch-literarischen Spuren und fördert das palimpstestartige Betrachten der Landschaft. Es ist eben, wie Dohrn angibt, »die Geschichte dieser Gegend«, die sie besonders interessiert. Die Gegenwart der allgemeinen Umbruchssituation und der Straßenunruhen wird nur nebenbei erwähnt,251 der Fokus liegt auf der Vergangenheit Galiziens. Durch das Fehlen der Karten macht die Autorin überdies auf das totale Vergessen und die Negation dieser Gegend sowohl durch Russland als auch Westeuropa aufmerksam. Die Landschaft in der »Mitte des europäischen Kontinents«252 scheint in den Nationaldiskursen der dominierenden Länder des Westens sowie der Sowjetunion keine Rolle zu spielen. Umso mehr hebt die Erzählerin ihre eigene Rolle als »Entdeckerin« hervor und stellt die Pionierleistung ihrer Reise durch diese »Wildnis ganz anderer Art« in den Vordergrund.253 In der gegenwärtigen Landschaft will sie die Vergangenheit entdecken: Doch die Ukraine verspricht Wildnis und Abenteuer ganz anderer Art – ist nicht Natur, sondern verwilderte Zivilisation. […] Verwüstete Kulturlandschaft lockt Reisende, versteht sich, weniger als die Wüste. Ob es uns noch wohl gelingen wird, durch die Schrecken der Geschichte hindurch noch etwas von der alten Schönheit des südöstli-

249 250 251 252 253

Dohrn: Reise nach Galizien. Ebd., S. 7. Vgl. De Berg: Nach Galizien, S. 132. Dohrn: Reise nach Galizien, S. 8. Vgl. ebd., S. 7.

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chen Polen, der Westukraine, zu entdecken, etwas von der einzigartigen Vielvölkerkultur dort, damals, vor jenem »einunddreißigjährigen Krieg« von 1914 bis 1945?254

Während die gegenwärtige Ukraine mit »Wildnis«, »Abenteuer«, »verwilderter Zivilisation« oder »Wüste« gleichgesetzt wird, steht das vergangene Galizien für »Schönheit« oder »Vielvölkerkultur«. Die am Anfang des Reiseberichts auffällige Gegenüberstellung verstärkt sich im Laufe des Textes. Wie der Vergleich dieser zwei Räume für sie ausfällt, verdeutlicht Dohrn in den Zeilen: »Welten, finstere Zeiten trennen uns von dieser Grenzlandschaft«255 und »tot ist die jüdische, die Vielvölkerkultur«256 heute. Die Reise beginnt in Auschwitz, verläuft über Krakau, Zamos´c´, Bełz, Przemys´l, Lwiw nach Brody, womit die Reiseroute auf dem historischen Gebiet Galiziens endet. Weiter geht es nach Rivne, Zˇytomyr, Berdycˇiv, Vinnycja, Medzˇybizˇ, Chmel’nyc’kyj, bis nach Kam’janec’-Podil’s’kyj – Orte auf den Gebieten des ˇ ernivci in der historischen Wolhynien und Podolien.257 Die Reise endet in C Bukowina. Schon die Auswahl der Orte verrät zweierlei. Erstens den Fokus auf das Jüdische, denn »ihre Spurensuche ist primär von der Encyklopedia Judaica geleitet«,258 wie Alois Woldan feststellt. Mnemotechnisch ist die Auswahl dieser Orte ausschlaggebend für die Richtung der Befragung und für die imagines, die nun den Reisebericht bestimmen werden: das Bild von Galizien soll ein jüdisches sein. Die erste Station Auschwitz wird als »Tor nach Galizien«259 bezeichnet und gibt als Symbol für die Shoa den Reisefokus vor.260 Feststellbar ist auch eine Ausweitung des Bezugsrahmens des literarischen und kulturellen Post-Galiziens auf ein Gebiet, das weitaus größer ist als die Verwaltungseinheit der historischen Provinz.261 Die Historikerin und Publizistin Dohrn ist sich dessen bewusst und 254 255 256 257 258 259 260 261

Ebd., S. 7–8. Ebd., S. 8. Ebd., S. 9. Auf die fehlerhafte Schreibweise vieler slawischer Namen (auch der Städtenamen) wie auf inhaltliche Fehler im Reisebericht Dohrns macht Alois Woldan aufmerksam. Vgl. Woldan: Zum deutschsprachigen Galiziendiskurs, S. 16–19; De Berg: Nach Galizien, S. 111–112. Vgl. Woldan, Alois: Galizien-Literatur – Texte und Kontexte. In: Purchla/Kos/Komar/Rydiger: Mythos Galizien, S. 223–230; hier: S. 230. Dohrn: Reise nach Galizien, S. 10. Vgl. De Berg: Nach Galizien, S. 113. Zu beachten ist, dass die Reise vor 1991 stattfand, somit war keine vollkommene Reisefreiheit gegeben. De Berg macht auf die strengen Vorschriften der sowjetischen Botschaft aufmerksam, die für BRD-Bürger eine Liste von Hotels und Reiseorten festlegte, welche die möglichen Reiseziele beschränkten (vgl. De Berg: Nach Galizien, S. 112). Dohrn selbst verweist darauf im Text: »Wie gern würden wir länger in Brody, Schitomir, Berditschew, Medschibosch bleiben! Übernachten dürfen wir aber nur in Lwów, Rowno, Winniza und Tschernowzy. Nur in diesen Städten hat »Intourist« Hotels oder Dépendancen, und bisher hält die staatliche sowjetische Tourismusorganisation – noch jedenfalls –, was die Organisation der Reisen aus dem westlichen Ausland angeht, ihr Monopol.« (Dohrn: Reise nach Galizien, S. 10).

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gibt an, die Reise zu unternehmen, »um die alten Grenzlandschaften Galizien, Wolhynien, Podolien, die unserem Land zugewandte ukrainische Provinz kennenzulernen.«262 Das titelgebende Galizien als Überbegriff all dieser Grenzlandschaften ist ihr Sinnbild. Musterbeispiel für die Nutzung des historisch-literarischen Archivs Ebenso beschränkt sich Dohrns Auswahl auf »galizische« Persönlichkeiten vornehmlich jüdischer Herkunft. Der Bericht ist hochgradig intertextuell verfasst, was auch das Ziel ihrer Reise erklärt: »um das Gepäck von Angelesenem und am Schreibtisch gefaßten Vorurteilen im Gespräch zu erproben, an lebendigen Eindrücken zu messen und Lesarten miteinander zu vergleichen.«263 Dohrns Text kann als ein Musterbeispiel einer Reise auf der Grundlage des historisch-literarischen Archivs gelten. Entscheidend ist für die Autorin nur das, was zuvor schon »angelesen« wurde, worauf schon Anna de Berg aufmerksam machte: »Außerdem ist es auch eine vorgefasste Vorstellung vom Ziel der Reise, unterstützt oder vielmehr geprägt durch die Lektüre der galizischen Autoren.«264 Nur das aus den Werken dieser galizischen AutorInnen Bekannte ist von Belang, speziell das Jüdische der Vergangenheit im gegenwärtigen Raum: Nach den Ruthenen und den Polen waren die Juden die größte Minderheit in Galizien, Wolhynien und Podolien, machten in Galizien zehn bis zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung aus, in den Städten und Städtchen oft mehr als die Hälfte der Einwohnerschaft. Menschen mit großen Namen – Joseph Roth, Rosa Luxemburg, Paul Celan, Rose Ausländer, Manès Sperber, Wilhelm Reich, Helene Deutsch, die Familie der Brüder Isaac Bashevis und Israel Joschua Singer kommen aus der Provinz Galizien.265

Die polnische Literatur bleibt fast gänzlich im Hintergrund, Ausnahmen bilden Verweise auf Zbigniew Herbert und Stanisław Lem. Von den ukrainischen Quellen wird Ivan Franko, Taras Sˇevcˇenko und Mychajlo Kocjubyns’kyj im Text angeführt. Anhand der Auswahl dieser Personen offenbart sich die Ausweitung des Bezugsrahmens des literarischen und kulturellen Post-Galiziens auf ein viel weiteres Gebiet, denn von den dreien kommt nur Franko aus Galizien. Während Kocjubyns’kyj aus Podolien stammt und seine Erwähnung somit erklärbar ist, ist die Berücksichtigung Taras Sˇevcˇenkos nur durch seine Zugehörigkeit zur ukrainischen Kultur begründbar. Der Reisebericht vermittelt jedoch den Eindruck der galizischen Herkunft all dieser Personen, wodurch sich der Raum PostGaliziens stetig erweitert.

262 263 264 265

Dohrn: Reise nach Galizien, S. 7. Ebd, S. 9–10. De Berg: Nach Galizien, S. 113. Dohrn: Reise nach Galizien, S. 9.

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Verweise auf berühmte Persönlichkeiten wie zum Beispiel in Zamos´c´ u. a. auf den von dort stammenden Klassiker der jiddischen Literatur Jizchak Lejb Perez, sind den gesamten Reisebericht hindurch zu finden: »Was heißt das, ein Mensch? Bin ich doch ein Jude, bin ich dann kein Mensch?« »Der verrückte Batlen«, ein mittelloser jüdischer Student, verkörpert diese Frage […]: »Nein, Bruder Berl, mach dir nichts vor! Du bist ein Mannbild, bist ein Jude, stimmt, stimmt, aber nicht du bist ein Mann, nicht du bist der Jude. Du bist etwas anderes. […]« Nicht auszuschließen, daß Perez’ Batlen Berl Chantsche jenes Zwiegespräch, natürlich auf jiddisch, in einem Zamos´c´er [sic!] Bethaus führte.266

Dohrns Reisedarstellung zitiert die literarischen und publizistischen Galizientexte unmittelbar im Text. Auch die Reiseroute ist im Wesentlichen Zitat – die besuchten und beschriebenen Orte stehen immer im Zusammenhang mit literarischen Texten, dem Leben ihrer Verfasser, historischen Persönlichkeiten und Ereignissen, die auch in historischen und literarischen Quellen verankert sind. Dies macht auch das Zitat von Perez deutlich, wenn es die Figuren ganz genau im Raum lokalisiert. Zur Orientierung und Hilfe während der Reise verwendet Dohrn historische Landkarten, durch deren Benutzung ein für die Reise typisches Palimpsest entsteht: Vergangenheit und Gegenwart liegen übereinander und sind ineinander verflochten, wobei der Zeit vor 1918 die größte Bedeutung gegeben wird. Man findet in Reise nach Galizien nicht viele eigene Beschreibungen von Orten: Der Text und die Darstellung der Orte entstehen durch intertextuelle Verweise, Anspielungen und Zitate von Texten, die sich mit diesen Orten auseinandersetzen, sowie durch die Anführung von Biographien von Persönlichkeiten, die an diesen Orten aufgewachsen sind, dort geboren wurden, dorthin reisten oder sich aus sonstigen Gründen dort befanden. Die von der Autorin bereisten Orte stehen fortwährend mit literarischen Werken oder berühmten Persönlichkeiten in Verbindung. Nur selten werden Plätze aufgesucht, zu denen es keine Bezüge einer solchen Art gibt, meistens handelt es sich dann um Restaurants oder Orte, an denen man zufällig gelandet ist (wie die Rotunde in Zamos´c´267). Häufig findet die Erzählerin aber dann ein zum Ort, zur Atmosphäre oder zum Thema passendes Zitat, welches die Funktion eines Kommentars übernimmt. Die Lektüre bestimmt Dohrns Reiseroute, manchmal sogar während der Reise selbst: Ob im Bogen über Biłogoraj oder geradewegs über Szczebrzeszyn nach Zamos´c´ zu fahren sei, entscheidet bei Butterbrot, Knoblauch und Tee ein polnisches Buch über jüdische Grabsteine, Time of Stones von Monika Krajewska, 1983 in Warschau erschienen. In Szczebrzeszyn soll noch ein jüdischer Friedhof zu finden sein.268 266 Ebd., S. 23. 267 Vgl. ebd., S. 31–32. 268 Ebd., S. 14.

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Weil bei Dohrn nichts ohne Intertext funktioniert, so enthält das Werk außerdem am Ende eine mehrseitige »Ausgewählte Bibliographie«, an der die Schwerpunkte der »archivarischen« Arbeit nachzuverfolgen sind.269 Diese Quellen des Imaginationsarchivs werden immer durch die Quellen des Raumarchivs ergänzt, wie auf dem jüdischen Friedhof in Szczebrzeszyn, wo die Erzählerin nach Spuren sucht: »Verstohlen suchen meine Augen nach Einkerbungen, Spuren von der Mesusah im Holz der Türrahmen. Vergeblich.«270 Sie findet die die Vergangenheit symbolisierenden Grabsteine, die als Verweis auf das Fehlende in Galizien gedeutet werden: »Was ist geblieben von den Juden in Polen außer Steinen, Grabsteinen, Synagogen in Dörfern und Städten?«271 Mit diesem Verweis schließt Dohrn die Lücke dieses historisch-literarischen Imaginationsarchivs, indem sie die fehlenden Menschen in das Galizienbild der Gegenwart einfügt. Zudem bezeugen die materiellen Relikte des Raumarchivs, die »Steine«, »Grabsteine« und »Synagogen«, die frühere Existenz der in den Büchern dargestellten Welten. Sie stehen für das, was einmal war und belegen es damit. Diese Spuren im konkreten Raum Galizien sind Teil des Raumarchivs. Im Imaginationsarchiv befindet sich in diesem Fall der Text von Monika Krajewska, der Dohrn erst zu diesem Ort führt. So verläuft ihre Reise stets nach diesem Prinzip. In ihrer Betrachtung des gegenwärtigen Raums arbeitet Dohrn palimpsestartig und stellt den literarischen Text mit der Ortsbeschreibung (Imaginationsarchiv) immer dem gegenwärtigen Raum gegenüber (Raumarchiv). Mnemotechnisch geht die Erzählerin durch die Straßen und erkennt im gegenwärtigen Raum die Erinnerungen bzw. Niederschriften vergangener Zeit. »Die Chronologie der erwähnten Gebäude und Straßen entspricht deren wirklicher Topographie«,272 stellt dazu de Berg fest. So wandert die Reisende durch die Stadt und holt an bestimmten Orten eben an jene Orte gebundene Texte in den Reisebericht und an die Textoberfläche. Beispiele: Stanisław Lem, Günther Eich, Bertha Pappenheim Das mnemotechnische Verfahren anhand der Quellen des Archivs kennzeichnet insbesondere auch die Auseinandersetzung mit Stanisław Lem. Während die Erzählerin das Geburtshaus von Lem sucht, betont sie das Ziel ihrer Reise sowie ihre Vorgehensweise bei der Spurensuche. Dabei verbindet sie die Multiethnizität Galiziens mit der individuellen Biographie des Schriftstellers: Auf der Suche nach der Geschichte des Vielvölkerstaats, die von Österreichern, Deutschen, Polen, Ukrainern, Juden zu verschiedenen Zeit unterschiedlich wahrgenommen

269 270 271 272

Vgl. ebd., S. 187–192. Ebd., S. 15. Ebd. De Berg: Nach Galizien, S. 129.

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und beschrieben, so viele Facetten wie Perspektiven hat, ist die Adresse des polnischen Schriftstellers die einzig sichere im Reisegepäck.273

Die Topoi Multikulturalität und Vielvölkerstaat prägen im Text die Biographie Lems: Die Erzählerin stellt fest, dass Lem eben aufgrund seiner Herkunft wurde, was er war.274 Bei der Beschreibung des Hauses von Lem geht Dohrn auf die Multikulturalität Lwiws vor dem Krieg ein und auf das, was heute noch davon geblieben ist: »Nur seine Bewohner sind, wie die Menschen auf dem LeninProspekt, wahrscheinlich andere als vor dem Krieg, sind selten Polen, eher Ukrainer, Russen, vielleicht Juden – Juden nicht aus dem alten Lemberg, sondern aus anderen Gegenden der Sowjetunion.«275 Die von Lem in Wysoki Zamek (Das hohe Schloß) (1966) abgefassten Kindheitserinnerungen bestimmen den erzählten Spaziergang durch Lwiw. Die im Buch geschilderten Spaziergänge Lems durch das polnische »Lwów« nimmt die Erzählerin als Vorlage und geht dieser genau nach: »An der Hand des Vaters, des Hals-Nasen-Ohren-Arztes Lem, sei er oft in den nahegelegenen Jesuitengarten gegangen, vorbei an der Jan-KazimierzUniversität.«276 Während des Gangs über die ehemalige Mickiewicz-Straße werden Lems Beschreibungen aufgerufen: Wir überqueren die Mickiewicz-Straße, die heute wie vor dem Krieg so heißt, gehen zur Universität hinüber. In seiner Kindheit, schreibt Lem, sei die Fahrbahn vor der Universität mit Holzwürfeln gepflastert gewesen. Wenn Pferdehufe darüber hinwegliefen, habe es gehallt, wie wenn sich darunter ein großer Raum befände. […] Heute ist die Straße vor dem Gebäude asphaltiert. Wir hören nur den Lärm von Automotoren und Baumaschinen. Merkwürdige halbnackte Steinfiguren mit Hüten, darunter ein Knabe mit einem aufgeschlagenen Buch, flankieren noch immer das Hauptportal.277

In der Passage überlagern sich zwei Zeitebenen im Raum: die Vergangenheit Lems und die Gegenwart Dohrns. Die im realen Raumarchiv verankerte Mickiewicz-Straße bekommt ihre Bedeutung aus dem im Imaginationsarchiv enthaltenen Text Lems. Die Gegenwart ist aber nur ein negativer Opponent der Vergangenheit: Während es in Lems Zeiten neben der Universität noch romantisch und mysteriös gehallt hat, ist heute nur noch der Lärm von Automotoren und Baumaschinen zu hören. Es geht darum »die Differenz von Gestern und Heute zum Ausdruck zu bringen«:278 Hinter dem Denkmal liegt der ehemalige Jesuitengarten, der älteste Park von Lwow, der ursprünglich einmal der Garten des Stadtbürgermeisters war. Heute heißt er Iwan273 274 275 276 277 278

Dohrn: Reise nach Galizien, S. 62. Vgl. ebd., S. 62–64. Ebd., S. 62. Ebd., S. 63. Ebd., S. 63–64. De Berg: Nach Galizien, S. 132.

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Franko-Park. Die Spaziergänge dorthin seien nicht besonders aufregend gewesen, erinnert sich Stanisław Lem. Wieder einmal stehen wir auf einer Baustelle: der Platz um das Denkmal wird gerade gepflastert, und so lädt der kleine Park auch heute nicht zu einem Spaziergang ein. Wir machen uns auf wie zuweilen Vater und Sohn Lem, die Mickiewicz-Straße zur Kirche Sankt Georg hinaufzugehen (für Ukrainer und Polen ist sie die Kirche des Heiligen Jura), […].279

Obwohl der Park auch in der Vergangenheit keinen besonderen Reiz gehabt haben soll, scheint die Gegenwart hier erneut ein noch weniger einladendes Bild darzustellen: eine Baustelle. Die Nennung des polnischen Namens der Kirche bringt das polnische Erbe der Stadt in den Text, wodurch aus der Sicht der 1990erJahre erneut die Multiethnizität und Mehrsprachigkeit der Stadt zum Ausdruck kommt und eine solche Überlieferung im kollektiven, kulturellen Gedächtnis verfestigt. Lems Wysoki Zamek bestimmt also die Route des Spaziergangs, die Perzeption des Raums und in der Folge auch den Text Dohrns. Der zitierte Text wird demnach zuerst de- und dann reterritorialisiert/rekontextualisiert,280 indem er dem Quelltext entnommen und in den neu entstehenden Text eingefügt wird. Dohrns Reisebericht wird durch den Intertext generiert, wobei diesem eine ganz bestimmte Funktion zugeordnet wird. Diese skizziert Alois Woldan: Die Funktion der Intertexte und im Zusammenhang damit auch die Absicht der Verfasserin scheint […] nicht die Rekonstruktion einer »verschwundenen Welt« in Form der literarischen Anthologie, sondern die Dokumentation dieser Welt anhand verlässlicher literarischer und historischer Quellen, die auf den Vergleich mit dem IstZustand von heute hinausläuft.281

Dabei kann der ursprüngliche Text im neuen Werk eine ganz andere Funktion erhalten und in unterschiedlicher Art und Weise gebraucht werden: als Ausgangspunkt für historische Darstellungen, Dokumentationen und Rückblenden, als Landkarte, die die Wege der Autorin bestimmt, als Argument für Ausführungen der Autorin oder als Erzeuger von verschiedenen Stimmungen wie z. B. Nostalgie. Mit welchen Assoziationen Dohrn arbeitet und wie sie ihre Intertexte auswählt, wird auch gut an der Textstelle erkennbar, in der sie sich auf ein Zitat 279 Dohrn: Reise nach Galizien, S. 64–65. 280 Ein Bezug auf das Konzept der Deterritorialisierung von Gilles Deleuze und Félix Guatarri, welches im Rahmen ihrer Auseinandersetzung mit kleinen Literaturen entwickelt wurde. Vgl. Deleuze, Gilles/Guattari, Félix: Kafka. Für eine kleine Literatur. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1976, S. 27–37. Für eine Betrachtung der Reiseliteratur zu Galizien unter dem Aspekt der kleinen Literaturen siehe: Baran-Szołtys, Magdalena: Reisedarstellungen von Galizien zwischen »kleiner« und »großer« Literatur. In: Balogh, András/Leitgeb, Christoph (Hrsg.): Zur kulturellen Funktion von kleiner Differenz. Verwandtschaften, Freundschaften und Feindschaften in Zentraleuropa. Wien: Praesens 2017, S. 47–65. 281 Woldan: Zum deutschsprachigen Galiziendiskurs nach der Wende von 1989/1991, S. 92.

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von Günter Eich bezieht. Nachdem das Gedicht Eichs direkt im Text wiedergegeben wird, richtet sie den Blick auf den gegenwärtigen Raum und seine Beschreibung: Der deutsche Soldat Günter Eich hat ein Gedicht über die Stadt hinterlassen, die ich zwischen den Straßenbahnschienen auf dem Kopfsteinpflaster in der abschüssigen Straße-des-Friedens, alias Stalin-Straße, alias Straße-Leon-Sapieni [sic!282], rechts und links die geschlossenen, gleichförmigen, hellgelben Fassaden der alten Wohnhäuser, wiederfinde.283

Lektüre- und Schreibart verdeutlichen: Die Reise und ihre Darstellung verbindet verschiedene historische und literarische Werke. Die Überlagerung von Zeit- und Textschichten dominiert die Betrachtungsweise und wird im oben genannten Textausschnitt direkt durch die Nennung der historisch nacheinander folgenden Straßennamen deutlich.

Abb. 3: Lwów, ul. Leona Sapiehy / Lemberg, Leon-Sapieha-Gasse (1916), Kraków: Wydawnictwo Sztuka (Quelle: Biblioteka Narodowa, Poczt.2892).

Auf textueller Ebene ist es ein Palimpsestieren, das die verschiedenen Zeitschichten nebeneinander stellt. Dieser Palimpsest spiegelt die Geschichte der Stadt und ihren chronotopischen Charakter wider, wobei die Erzählerin verdeutlicht, dass ohne die vorbereitende Lektüre diese Aspekte im gegenwärtigen 282 Gemeint ist Leon Sapieha, wobei der korrekte historische Straßenname »Sapieha-Gasse« bzw. »ulica Leona Sapiehy« wäre. 283 Dohrn: Reise nach Galizien, S. 67.

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Raum nicht zu sehen wären. Zum Besuch der Kirche des Heiligen Jura (Kirche Sankt Georg) schreibt sie: »Andere Besucher suchen wie wir nach einer offenen Tür. Stanisław Lem ist vergessen, ukrainische Geschichte drängt sich auf.«284 Auf der Suche nach dem jüdischen Lwiw verweist sie wiederholt auf das Fehlen der Hinweise auf die Vergangenheit im gegenwärtigen Raum: Wir wollen wissen, was von dem jüdischen Lwów/Lemberg geblieben ist, in dem Sacher Masochs »Iluj« Benaja, Martin Buber, Scholem Alejchem zuweilen lebten, aus dem der Revolutionär Karl Radek, David Bergelsons »Zeuge« und viele andere bekannte und unbekannte Juden kommen. Doch wie sollen wir jenes Lemberg finden? Der neue Stadtplan gibt keine Anhaltspunkte. Er zeigt das sowjetukrainische, sehr wenig vom polnischen und nichts vom jüdischen Lwow. Der Wehrmachtsplan weist nur auf den alten Judenfriedhof im Zentrum und auf den neuen unweit der Janowsker-Straße, am Rande der Stadt, hin.285

Die ehemalige Vielvölkerstadt ist auf den Karten und im Raum nicht klar erkennbar, denn jede Nation konzentriert sich nun nur auf ihr eigenes Narrativ. An dieser Stelle nennt Dohrn auch ihre Quellen des Imaginationsarchivs: einerseits literarische Figuren wie Benaja aus Sacher-Masochs Iluj, zum anderen faktische Personen wie Martin Buber, Scholem Alejchem, Karl Radek und »viele andere bekannte und unbekannte Juden«, andererseits Karten der Vergangenheit und Gegenwart. In ihrer Frage »Doch wie sollen wir jenes Lemberg finden?« zeigt sich, dass mit »jenem Lemberg« vor allem das jüdische gemeint ist. Die Hoffnung auf das Auffinden »jenes Lembergs« liegt in den Einheimischen als Teil des Raumarchivs (»Vielleicht können uns Leute aus dem heutigen Lwow weiterhelfen«286), doch auch diese Hoffnung wird enttäuscht. Auf den Spuren von Bertha Pappenheim und der Darstellung ihrer Galizienreise aus dem Jahr 1904287 sucht die Erzählerin nach dem ehemaligen jüdischen Krankenhaus und dem dahinter liegenden jüdischen Friedhof: »Bertha Pappenheim ist hier gewesen, hat über dieses Krankenhaus geschrieben […].«288 Dohrn sieht den gegenwärtigen Raum durch das Prisma des Textes und der Vergangenheit. Das Krankenhaus ist heute zwar noch vorhanden, doch der Friedhof fehlt: »Hinter dem Krankenhaus ist kein Judenfriedhof mehr. Diese Gegend gehört zu dem von den Deutschen im Krieg verwüsteten Gelände. Nichts erinnert daran.«289 Sie stellt keine Überbleibsel und keine Erinnerungstafel fest, alles ist vernichtet. Der Judenfriedhof ist somit im realen Raumarchiv nicht mehr vorhanden. Nur durch die Inhalte des 284 285 286 287

Ebd., S. 66. Ebd., S. 68–69. Ebd., S. 69. Zur Analyse der Reiseberichte von Bertha von Pappenheim siehe: Weismann: Pappenheims Reiseberichte. 288 Dohrn: Reise nach Galizien, S. 71. 289 Ebd., S. 72.

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historisch-literarischen Imaginationsarchivs können die Erinnerungen an diese Orte gespeichert und weitergeben werden. Dohrns Reisebeschreibung und ihr Hinweis auf den Friedhof sichern seine weitere Überlieferung und aktualisieren seinen Status im Archiv. Die Bewegung im realen Raum und die Auseinandersetzung damit ermöglicht die Aktualisierung. Das Aufsuchen des fehlenden Friedhofs gleicht dem Aufsuchen der Reste des Friedhofs, denn im Text ist er durchaus vorhanden, ebenso wie imaginativ im Bewusstsein von Dohrn und den späteren Rezipienten ihres Textes. Superioritätspose Zudem versucht Dohrn durch die Benutzung vieler Sprachen die Mehrsprachigkeit des Gebiets zu zeigen. Deutsch, Polnisch, Ukrainisch und Jiddisch kommen neben Ausdrücken aus den galizischen Dialekten oft nebeneinander vor – als Beispiel ein Zitat zum Einkaufstourismus der Polen in die Ukraine Ende der 1980er/Anfang der 1990er-Jahre: Mit auffällig viel Gepäck sind die Polen unterwegs. An der Tankstelle sehen wir sie stehen, die Autos mit dem geöffneten Kofferraum. Sie sind mit Ukrainern im Gespräch. Eine Ukrainerin kommt auf mich zu, den Mund voll goldener Zähne: »Prosze˛, ma Pani cos´ na sprzedaz˙?« - Ob wir nicht auch etwas zu verkaufen hätten, irgendetwas Schönes vielleicht. Sie hat uns für Polen gehalten. Wer reise sonst schon durch diese gottverlassene Gegend? Die Polen fahren über Land, nicht um Urlaub zu machen, sondern Geschäfte.290

Neben dem Zitat in polnischer Sprache finden wir in der Textstelle einen Hinweis auf Galizien als peripheres, unpopuläres Reiseziel, wobei ein Aspekt zum Vorschein kommt, auf den mehrmals hingewiesen wurde: Die gegenwärtige Ukraine wird, wie in den alten aufklärerischen Reiseberichten, als rückständig, schmutzig, exotisch, peripher oder einfach trist dargestellt. Bemerkbar wird dies ferner in Dohrns Beschreibung der Lwiwer Einwohner, die sie der Schilderung von Joseph Roth gegenüberstellt: Damen bewunderte er [Joseph Roth – Anm. d. Verf.] in eleganten Kleidern, den neuesten Toiletten aus Paris. Sie waren auf dem Weg in die Konditorei. […] Müde, unwirsche, graue Gesichter kommen uns entgegen, Körper, deren Formen und Bewegungen von schlechter Ernährung, harter Arbeit, Vergeblichkeit zeugen.291

Armut und Vergeblichkeit prägen Dohrns Bild des heutigen Lwiw und der heutigen Ukraine. Die Erzählerin nimmt gegenüber den Einheimischen immer wieder eine überhebliche Haltung ein und kritisiert oftmals deren mangelndes Interesse an der Geschichte der Orte. Diese »zelebrierte Superioritätspose Westeuropas gegenüber 290 Ebd., S. 55. 291 Ebd., S. 61.

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Osteuropa«,292 wie sie Christian Prunitsch beschreibt, ist bei Dohrn öfters zu finden, wie im Textausschnitt über das polnische Zamos´c´: Nicht in Ruinen, aber im krassen Gegensatz zur alten »idealisierten« Stadt gesichtslos grau, halb Wiese, halb Baustelle, liegt die Neustadt von Zamos´c´ im Nordosten. Vergeblich suchen wir dort nach einem gastlichen Ort, werden in einem modernen Restaurant auf einer Kuhweide freundlich abgewiesen, weil üppig gedeckte Tische eine geschlossene Gesellschaft erwarten, bekommen schließlich in einer öden Betonhalle von einem unfreundlichen Kellner Cola und Schnitzel serviert und werden, fliegenumsirrt, beim Essen vom Knistern und Rauschen eines Radios und dem traurigen Selbstgespräch eines Betrunkenen in der Ecke unterhalten.293 Jerz˙y [sic!] Polanski erzählt uns von Reisenden aus der DDR, die er am frühen Morgen schon hat führen müssen, allerdings nicht in die Altstadt, sondern zu Jeansgeschäften in die Neustadt von Zamos´c´.294

Die Beschreibung des Aufenthalts im Restaurant erinnert an die Schilderung von Franzos’ Bahnhofsrestaurantbesuch. Ferner wird in Bezug auf das gegenwärtige Polen vorzugsweise Negatives hervorgehoben: »gesichtslos grau«, »halb Baustelle«, »öde Betonhalle«, »unfreundlicher Kellner«, »fliegenumsirrt« etc. Der »Betrunkene in der Ecke« ist eine Bestätigung der gängigen Stereotype und Vorurteile über Osteuropa, die Dohrn vervielfältigt und festigt. Im zweiten Zitat ist speziell die Differenzierung zwischen DDR und BRD auffallend. Dohrns Beschreibungen erinnern beständig an die boshaften Beschreibungen von Karl Emil Franzos und erschaffen ein Gesamtbild, »das für das westliche Publikum nach wie vor exotisch, amüsant oder erschreckend wirken mag, aber keineswegs ›gezähmt‹ erscheint.«295 Fazit Dohrn rekonstruiert ein jüdisches Galizien. Das ukrainische und polnische Erbe wird fast gänzlich ausgeblendet.296 Die polnischen, ukrainischen/ruthenischen oder österreichischen Spuren werden kaum ausgewählt bzw. entziffert und scheinen somit fast gar nicht im Text auf. Unterdessen werden stereotype Bilder von Osteuropa reproduziert und verfestigt. Das Verhältnis zwischen Wissen und Nicht-Wissen bzw. Interesse und Desinteresse bestimmt somit grundlegend die 292 Prunitsch, Christian: Zur Semiotik kleiner (slavischer) Kulturen. In: Zeitschrift für Slavische Philologie 63/1 (2004), S. 181–211; hier: S. 206. 293 Dohrn: Reise nach Galizien, S. 21. 294 Ebd., S. 22. 295 De Berg: Nach Galizien, S. 131. 296 Das liegt sicherlich am Forschungsschwerpunkt der Autorin: Als Wissenschaftlerin spezialisiert sie sich auf die russisch-jüdische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie auf jüdische Studien mit Schwerpunkt Geschichte und Kultur der osteuropäischen Diaspora. Vgl. Verena Dohrn. http://www.dohrn.eu/ [26. 08. 2020].

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Selektion der Archivmaterialien und deren Lesart. Je größer das Wissen zu den unterschiedlichen Kulturkreisen Galiziens, desto breiter das Spektrum der Auswahl der Archivmaterialien und desto vielseitiger das dargelegte Bild. Das Nicht-Wissen führt zum Fehlen der einzelnen Aspekte im Reisenarrativ und somit zum Vergessen. 3.1.1.2 Kaspar Schnetzlers galizische Sehnsucht Geschichten und Sehnsüchte Meine galizische Sehnsucht. Geschichte einer Reise297 von Kaspar Schnetzler (*1942) erschien 1991 und hat den gleichen Schwerpunkt wie Dohrns Reisebericht – das jüdische Erbe: »Die Geschichte Galiziens war ohne die Ostjuden nicht zu denken; bald sind die Ostjuden in Galizien nur noch zu denken.«298 Schnetzler unterstreicht das Fehlen der Juden, eine Lücke im gegenwärtigen Raumarchiv. Der Schweizer Schriftsteller thematisiert in seinem Buch den Untergang des Ostjudentums, die Shoa, und schreibt dem Vergessen des jüdischen Erbes entgegen. Schnetzler realisiert dies auf literarischer Ebene anders als Dohrn; sein Werk ist durch innovative Form geprägt. Es handelt sich nicht um einen klassischen Reisebericht, sondern vielmehr um eine Sammlung von unterschiedlichen persönlichen Begegnungen, Erlebnissen, Eindrücken. Es sind 27 kurze, anspruchsvolle literarische Prosastücke, die keinesfalls einem chronologischen Reiseplan folgen: Der Autor nennt sie im Untertitel »Geschichten einer Reise«. Die im Buch vorkommenden und vom Autor aus der Perspektive eines Reisenden ˇ ernivci, Lwiw, Ternopil’, Pidvolocˇys’k, Bucˇacˇ, C ˇ ortkiv beschriebenen Orte sind C ˇ und Sokolivka. Einer von den 27 Abschnitten ist zwar Hrusiv gewidmet, jedoch wird nicht klar, ob sich der Erzähler tatsächlich dort aufhielt. Auffallend ist das Fehlen von Drohobycˇ und Ivano-Frankivs’k, die sich sonst in fast allen Reiseberichten finden. Der polnische Teil Galiziens wird ausgelassen: Die Reise konzentriert sich ausschließlich auf den nun ukrainischen Teil Galiziens. Genau wie Dohrn begibt sich Schnetzler auf eine literarisch-historische Spurensuche. Er bezieht sich direkt auf den Vorgang der Lektüre als Vorbereitung und Voraussetzung für seine Vorstellung von Galizien, also auf die Beschäftigung mit den Quellen des Imaginationsarchivs: »Kuriosität […], von der ich in Büchern gelesen habe«,299 »ich werde dort oben all jene sehen, die ich mir unten bloß angelesen habe«300 oder »ich [hatte] mich in galizische Lektüre verkrochen.«301 297 298 299 300 301

Schnetzler: Meine galizische Sehnsucht. Ebd., S. 38. Ebd., S. 131. Ebd., S. 167. Ebd., S. 71.

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Der Text ist hochgradig intertextuell, die Quellen werden im Text allerdings nicht immer angegeben. Eine Bibliographie wie bei Dohrn sucht man bei Schnetzler vergeblich. Die Lektüren der Texte aus dem literarisch-historischen Archiv eröffnen seine Faszination von Galizien als diffuser Größe: »Seit ich lesen konnte: Galizien.«302 Die von Schnetzler aufgegriffenen Archivmaterialien sind nicht nur literarische Werke, sondern auch Zeitungsartikel, Grabinschriften, russische und jüdische Sprichwörter oder Erzählungen von Überlebenden, die mittlerweile als historische Figuren fungieren und durch ihre Geschichten die Vergangenheit aufleben lassen. Prominent kommen Joseph Roth, Karl Emil Franzos und Leopold von Sacher-Masoch im Text vor und manchmal auch selber zu Wort, besonders im letzten Abschnitt »Gericht«.303 Gleichzeitig bezieht sich Schnetzler primär auf deutschsprachige AutorInnen und diese machen seinen literarischen Bezugsrahmen aus. Während der Reise sucht er intensiv die jüdischen Orte Galiziens auf: jüdische Friedhöfe, jüdische Gemeinschaften oder noch immer in Galizien lebende Juden. Seine Darstellungen sind verfremdet: Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Imagination, reale und fiktive Figuren vermischen sich, die Grenzen zwischen ihnen sind nicht erkennbar. Die Vergangenheit bestimmt den Blick auf den postgalizischen Raum. Im Abschnitt »Endstation« schildert Schnetzler den Bahnhof in Pidvolocˇys’k,304 der Endstation der Karl-Ludwigs-Bahn: »Und doch scheint sie [die Doppelmonarchie], scheint die Vergangenheit hier weniger weit weg als die westeuropäische Gegenwart. Hier ist als ob der Magnet Wien noch wirkte.«305 Galizien ist allgegenwärtig, doch der Grund für diese Allgegenwärtigkeit wird vom Erzähler angegeben. Es ist die Auseinandersetzung mit dem Archiv Galizien: »Oder sind es bloß die vielen Fäden galizischer Literatur, die zurückbinden und die Beziehung zur Gegenwart gelockert haben?«306 Galizische Literatur dominiert den Blick auf diesen Raum – die Vergangenheit bestimmt die Ansicht der Gegenwart. Doch es ist nicht nur die Literatur, es sind auch die Menschen, die als Quellen fungieren und das Galizienbild entstehen lassen. Der Erzähler trifft Überlebende der Shoa, erinnert an bereits Verstorbene auf Friedhöfen oder lässt Literaten wie Joseph Roth im Text auferstehen. All diese Begegnungen sind Mitautoren der Texte, genau in der Art wie Ryszard Kapus´cin´ski die kollektive Autorenschaft der Gattung der literarischen Reportage beschrieben hat: »Jede Reportage hat viele Autoren […], weil an ihrem Entstehen Dutzende Menschen beteiligt sind – die Gesprächspartner, denen wir auf unseren Reisen […] begegnen und die uns 302 303 304 305 306

Ebd., S. 161. Vgl. ebd., 167–176. Bei Schnetzler: Podvolocˇisk. Vgl. Schnetzler: Meine galizische Sehnsucht, S. 111. Ebd. Ebd., S. 112.

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Geschichten aus ihrem Leben oder dem Leben in ihrer Gemeinschaft erzählen.«307 Schnetzler eignet sich die Geschichten der noch lebenden, realen Menschen aus dem postgalizischen Raumarchiv sowie der imaginierten, teils fiktiven Persönlichkeiten aus dem Imaginationsarchiv an. All jene Figuren kommen in diesen kurzen Reisetexten zu Wort. Galizische Lebensgeschichten Ganz im mnemotechnischen Sinn erinnert Schnetzler an bestimmten Orten an die mit diesen Orten verbundenen Personen oder Ereignisse. Allerdings wird jeder Ort durch andersgeartete Archivmaterialien und Darstellungsweisen charakterisiert: im Mittelpunkt stehen fortwährend die Menschen, durch sie werden die einzelnen Orte geschildert. Die Geschichte »F.S.A.« spielt z. B. am Judenfriedhof von Ternopil’, welcher anhand einer Begegnung geschildert wird: Dr. Sehava Karlweis, eine achtzigjährige Psychiaterin aus Toronto, trifft dort auf Juri Register, den Präsidenten der Aalev-Gesellschaft, der an der Bestandsaufnahme der Gräber arbeitet und sie durch den Friedhof führt. Beim Grab von Mosche Wechsler, dessen Grabsteinaufschrift im Buch vollständig angegeben wird, kramt Register einen Artikel aus der »Tarnopoler Allgemeinen Zeitung« von 02. April 1919 hervor und liest den Bericht über den Selbstmord des siebzehnjährigen Jungen.308 Danach ändert sich die Zeitebene: die erzählte Zeit ist nun die Lebzeit von Mosche Wechsler, wobei seine Gedankengänge und Gründe für den Selbstmord geschildert werden. Unterdessen findet eine Zeitraffung statt, in der die Biographie seiner Familie dargestellt wird. Der Tote, die Beteiligten und Familienmitglieder sprechen im Text selbst, ob dies Fakt oder Fiktion ist, bleibt ungewiss – eine Eigenschaft des Textes, auf die auch Alois Woldan hinweist: »wie sehr die Fiktion des Autors hier übliche Genreszenen überlagert und umgeformt hat.«309 Immer wieder wechselt die erzählte Zeit in jene Gegenwart, in der Register aus dem Zeitungsartikel liest.310 Abschließend erwidert Sehava Karlweis: »›Er war mein Bruder.‹«311 Auf nur sieben Seiten verwertet Schnetzler mannigfache Archivmaterialien (Grabinschriften, Zeitungsartikel, Erinnerungen der Beteiligten etc.), anhand derer er ein komplexes Bild von religiösen Traditionen, lokalen Bräuchen und historischen Ereignissen sowie deren Einfluss auf das Leben der einzelnen Menschen schildert. Dieses Leben wird bestimmt durch den Raum, in dem es stattfindet, denn hier versammeln sich alle dieses Leben beeinflussenden Fak307 Kapus´cin´ski, Ryszard: Wiener Vorlesungen. In: Kapus´cin´ski, Ryszard: Der Andere. Aus d. Polnischen v. Martin Pollack. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2008, S. 9–49; hier: S. 11. 308 Vgl. Schnetzler: Meine galizische Sehnsucht, S. 22. 309 Woldan: Zum deutschsprachigen Galiziendiskurs nach der Wende von 1989/1991, S. 96. 310 Vgl. Schnetzler: Meine galizische Sehnsucht, S. 23–27. 311 Ebd., S. 27.

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toren: Der aus einer streng gläubigen Familie stammende Mosche Wechsler, »Muniu«,312 verliebt sich in »eine Goi [sic!]«313 und lässt sich von der Angst vor dem Vater und seinem Urteil über diesen »Verrat« in den Selbstmord treiben. Die Familie Wechsler nimmt nach dem Unglück die Möglichkeit zu einem Onkel nach New York zu ziehen nicht in Anspruch und übersiedelt stattdessen nach Brody, wo der Vater Bension Wechsler stirbt. Die Schwester Sehava Wechsler will ohne Mutter Sarah nicht nach Kanada emigrieren. Dr. Slama,314 einem ausgedienten kaiserlich-königlichen Garnisonsarzt, gelingt es dennoch die Schwester zu überreden, indem er die Mutter bei sich aufnimmt, so emigriert Sehava in die USA. Dr. Slama und die Mutter sterben beide einige Zeit später im KZ Janow. Dies sind Lebensgeschichten, die das historische Galizien widerspiegelt, man könnte von galizischen Lebensgeschichten sprechen. Schnetzler schildert Galizien durch das Schicksal seiner Bewohner: »Statt von Millionen Toten zu wissen, hätte ich ein einziges Leben kennen wollen. Nie vergessen.« Er schreibt gegen das Vergessen und aktualisiert das Archiv Galizien: »Geschichten dieser Art sind […] für den Autor durchaus ›galizisch‹ und zumindest ebenso wichtig wie authentische Berichte.«315 Schnetzler verfolgt somit vor allem ein Ziel: die Sicherung der weiteren Überlieferung des jüdischen Galiziens. Joseph Roth im Bahnhofsrestaurant Eine solche Verknüpfung von Menschenschicksalen und literarischen Archivmaterialien, die Fakt und Fiktion verwischen lassen, kommt gut in der Geschichte »Triumph der Normalität« zum Vorschein. Hier sucht der Erzähler, »wie es, seit Eisenbahnen fahren, bei der Gelegenheit alle Autoren tun«,316 während seines zweistündigen Aufenthalts in Lwiw das Bahnhofsrestaurant auf und trifft dort auf seinen Journalistenkollegen Joseph Roth. Dieser befiehlt ihm, sich zu ihm zu setzen und erzählt die Lebensgeschichte eines gegenübersitzenden Besuchers – Dr. Mischnigg. Roth erwähnt auch seinen Freund Dr. Skworonnek und wundert sich, dass der Erzähler diesen bereits aus dem Roman Radetzkymarsch und der Erzählung Triumph der Schönheit kennt.317 Die Charakterisierung der Figur 312 Eine mögliche Anspielung auf den aus Brody stammenden Joseph Roth, geboren als Moses Joseph Roth, der von seiner Familie den Kosenamen »Muniu« bekam und vor allem von seiner Mutter so genannt wurde. Vgl. De Berg: Nach Galizien, S. 157; Grubel, Fred: Schreib das auf eine Tafel, die mit ihnen bleibt. Jüdisches Leben im 20. Jahrhundert. Wien: Böhlau 1998, S. 90; Sternburg, Wilhelm von: Joseph Roth. Eine Biographie. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2009. 313 Schnetzler: Meine galizische Sehnsucht, S. 25. 314 Der Name ist eine Anspielung auf den Wachtmeister Slama aus Joseph Roths Radetzkymarsch (1932). 315 Woldan: Zum deutschsprachigen Galiziendiskurs nach der Wende von 1989/1991, S. 94. 316 Schnetzler: Meine galizische Sehnsucht, S. 49. 317 Vgl. ebd., S. 52

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Abb. 4: Lwów, Im Inneren der Bahnhofshalle (1925), Marek Münz (1872–1937) (Quelle: Biblioteka Narodowa, F.7796/II).

Roths legt seine imaginative Universalität nahe: seine Hand ist »gewichtlos«,318 »sein Alter war unmöglich zu schätzen«319 und »er hat dagesessen wie eine Spinne, in einer unendlichen Ruhe lauernd, als gehöre er nicht zu dieser Welt.«320 Der Text erzeugt eine Überlagerung von Realität und Imagination sowie von Gegenwart und Vergangenheit, die grundsätzlich vom Raum bestimmt wird. Auch darauf macht Woldan aufmerksam: »Galizien ist für Schnetzler auch in der Gegenwart ein Raum, in dem sich Erfahrung, Tradition und Imagination überlagern.«321 Diese Überlagerung von Zeitschichten erscheint nicht nur in den Figuren und Erzählungen, sondern auch im Interieur des Bahnhofsrestaurants: »Der Eßsaal kündete in seiner Dimension und dem abblätternden Charme der Dekoration von großartigen, von k.u.k. Zeiten.«322 Die Überlagerung der Zeitschichten wird ebenfalls in den von Schnetzler beschriebenen Symbolen sichtbar, wie am Stuckmedaillon, »aus dem der Doppeladler weggeflogen war, um Hammer und Sichel Platz zu machen.«323 Die Beschreibung der Orte erzeugt ein 318 319 320 321 322 323

Ebd., S. 53. Ebd., S. 51. Ebd., S. 51. Auch hier ein Verweis auf Roths Das Spinnennetz (1923). Woldan: Galizien-Literatur, S. 230. Schnetzler: Meine galizische Sehnsucht, S. 50. Ebd.

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gegenwärtiges Bild des Vergangenen: Der Doppeladler ist in der Gegenwart gar nicht vorhanden, der Autor schreibt ihn hinzu. Ebenso stellt der Charme der Dekoration von großartigen k.u.k.-Zeiten nur das subjektive Empfinden Schnetzlers dar. Der Autor projiziert Galizien nicht nur durch Roth in den Text, sondern auch durch die Art der Charakteristik der Orte. Nostalgie Diese konkrete räumliche Modellierung wird vorrangig von der von Schnetzler selbst zur Schau gestellten Nostalgie bestimmt. Die galizische Sehnsucht basiert, wie der Titel verrät, vordergründig auf einer melancholisch-nostalgischen Rückbesinnung auf die historische Zeit von Galizien und die eigene Kindheit. »There is a gap between the present writing self, and the past that self is trying to capture; a gap that can ultimately not be crossed: hence the characteristic note of loss and yearning, of nostalgia,«324 so beschreibt Dennis Walder Prozesse wie diese. So geht Schnetzler von der individuellen Nostalgie nach der eigenen Kindheit aus, die hauptsächlich in der individuellen Erinnerung anzusiedeln ist, um sich auf die kollektive Erinnerung zu stützen und auf konkrete Gegebenheiten zu beziehen. Dabei wird er mit seinem Werk selbst Teil des kollektivkulturellen Gedächtnisses und auf diese Weise Teil des Archivs. Als Nostalgiker rekonstruiert Schnetzler die »verlorene« Vergangenheit und macht damit die Diskrepanz zur Gegenwart sichtbar, wobei sich diese beiden Zeitschichten überlagern. Was bleibt, ist die universelle Nostalgie für Dinge, die für immer verloren sind und heute nur Sehnsüchte bedienen, wie David Lowenthal erläutert: »[f]ormerly confined in time and place, nostalgia today engulfs the whole past.«325 Auch Svetlana Boyms Definition von Nostalgie als »a longing for a home that no longer exists or has never existed«,326 beschreibt die Beziehung Schnetzlers zu Galizien: »Mein Heimweh nach dem fremden Land war grundlos wie der galizische Sumpf. Ich war Schweizer, die Spur meiner Vorfahren verlief sich in der Vergangenheit des Emmentals und des Klettgaus.«327 Doch in seinen nostalgischen Imaginationen von Galizien bedient er sich jener für die Nostalgie typischen Instrumentarien: »Nostalgia is a sentiment of loss and displacement, but it is also a romance with one’s own fantasy. Nostalgic love can only survive in

324 Walder, Dennis: Remembering Rousseau. Nostalgia and the Responsibilities of the Self. In: Third World Quarterly 26/3 (2005), S. 423–430; hier: S. 425. 325 Lowenthal, Dawid: The Past is a Foreign Country. Cambridge: Cambridge University Press 1985, S. 6. 326 Boym, Svetlana: Off-Modern Homecoming in Art and Theory. In: Hirsch, Marianne/Miller, Nancy K. (Hrsg.): Rites of Return. Diaspora Poetics and the Politics of Memory. New York: Columbia University Press 2011, S. 151–165; hier: S. 151. 327 Schnetzler: Meine galizische Sehnsucht, S. 161.

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a long distance relationship.«328 Diese Fernbeziehung hat die Liebe zu Galizien erst ermöglicht: Galizien als Projektionsfläche kann also für alles stehen. Damit formt der Autor die Vergangenheit und kommentiert die Gegenwart. Dies geschieht subjektiv, denn Schnetzler versteht »seine Galizienreise nicht als Dokumentation der Unterschiede zwischen einst und jetzt, sondern als persönliche Aneignung von etwas Neuem,«329 wobei das Neue an Galizien in den postgalizischen Reisen explizit angesprochen wird. Auch das Subjektiv-Beliebige der Reisen kommt bei Schnetzler in seinen Kindheitserinnerungen und persönlichen Lebensreflexionen zum Zug. Der Wunsch nach Erneuerung und Aktualisierung, entstehend aus der Überlagerung von Vergangenheit und Gegenwart, ist neben dem der Überlieferung die Hauptmotivation des Erzählers. Dieser sucht nach Neuem, kommentiert und reflektiert wiederholt seine Beziehung zu Galizien; am offensichtlichsten bei der Begegnung mit dem kleinen Jungen Mitja in Brody: In Brody […] war ich mir in meiner eigenen kleinen unversehrten Vergangenheit begegnet, nach der ich mich mein Leben lang sehnte. Mitja, der Ahnungslose, hatte mir die Erklärung für meine galizische Sehnsucht gebracht. Erklärt war sie, aber ihre Erfüllung würde ich, solange die Zeit vorwärts lief, vergeblich suchen. In Galizien und überall. Das war schmerzlich und schön zugleich. Denn das war mein Leben.330

Wiederholt wird Galizien zu einer Projektionsfläche für die eigenen unerfüllbaren Sehnsüchte. Schnetzler vermischt diese individuelle Nostalgie mit der Erinnerung an das kulturelle jüdische Erbe,331 indem er den Jungen Mitja mit dem Judenbuben Muniu aus Ternopil’ bzw. dem jungen Joseph Roth gleichsetzt: Wenn es in einem Land, das so durchdrungen war von Geschichte wie Galizien, Zufälle hätte geben können, dann hätte mich die grausliche Nachbarschaft des unvermindert funktionierenden Kamins hinter dem Postgebäude und der Synagoge, der alten Schule, dazu verführt, im armseligen Mitja vor mir den Judenbuben Muniu zu sehen.332

Galizien ist in Meine galizische Sehnsucht durchdrungen von Geschichte, die sich in den einzelnen Lebensschicksalen spiegelt. Die Kenntnis der Geschichte überlagert den Blick auf die Gegenwart, die ohne das Vergangene nicht gesehen werden kann. Die Diskrepanz zwischen galizischer Vergangenheit und sowjetischer Gegenwart ist in der Realität unüberwindbar und nur in einem Text realisierbar: »[E]s war keine Beziehung herzustellen zwischen der galizischen Vergangenheit und der ukrainisch-sowjetrepublikanischen Gegenwart. Die Spuren

328 329 330 331 332

Boym: Off-Modern Homecoming in Art and Theory, S. 151. Woldan: Galizien-Literatur, S. 230. Schnetzler: Meine galizische Sehnsucht, S. 110. Ein ähnliches Prinzip wendet Andrzej Stasiuk an. Siehe: Kapitel 5.1.1.1. Schnetzler: Meine galizische Sehnsucht, S. 106.

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verliefen sich alle im Staub.«333 Die einzelnen Geschichten innerhalb des Buches überlagern und stützen einander. Grundsätzlich können sie getrennt voneinander gelesen werden, ergeben aber in ihrer Gesamtheit das vollständige Bild von Schnetzlers galizischer Welt. Der reflektierte Blick des »Westlers« Ein anderes aufgegriffenes Thema ist die Beziehung zwischen den »Westlern«, wie die Westeuropäer mehrmals im Text genannt werden, und den Bewohnern der Westukraine. Die Haltung der Reisenden aus dem Westen gegenüber der Ukraine wird kritisch beleuchtet, besonders frappant am Beispiel der Jüdin Rose ˇ ernivci. Das Bild ihrer Person offenbart den Zynismus mancher Rapaport aus C westlicher Reisender sowie JournalistInnen: Rose Rapaport war die Vorzeige-Czernowitzerin, sie wurde als guter Tipp in der westlichen Journaille gehandelt. Zeitzeugin: sie hatte das richtige Alter, war Jüdin – nicht gläubig wie die meisten, aber »kulturell«, wie sie sagte – sprach Deutsch mit österreichischem Akzent. Telegen insofern alles.334

Die Textstelle drückt die Ausbeutung des ostjüdischen Erbes durch westliche Intellektuelle aus, deren Interesse von den in dieser Arbeit untersuchten Reisetexten bestätigt wird. Andererseits offenbart es den steten ausschließenden Rückständigkeitsdiskurs um Galizien, was ein paar Textzeilen weiter verstärkt wird: »Wie die beiden mir vom Balkon aus nachschauten, taten sie, als würden sie mich nicht kennen. Nachbarn waren in der engen Gasse. Es gab Antisemitismus in der Stadt.«335 Dabei visualisiert Schnetzler selbst den Fortschrittsgedanken und die immanente Polarisierung zwischen Ost und West: Befremdend ist die Unvorstellbarkeit, daß eines Tages all das nicht mehr sein wird. Daß die Straßen geebnet, geteert und geglättet sein werden, die Häuser renoviert, verputzt, bemalt. Daß Farben herrschen. Daß die Auslagen und Angebote der Ladengeschäfte reichlich, daß die Kleider der Lembergerinnen bunt sein werden.336

Dass Schnetzler Galizien an den letzten Tagen seiner Zugehörigkeit zur Sowjetunion bereist, verstärkt dieses Argument. Sein Blick in die Zukunft, die zukünftige Angleichung der Ukraine an den Westen, ist bis heute nicht realisiert (was nachfolgend mit der Analyse der neuesten Reise nach Galizien von Stefan Weidner bestätigt wird337). Der Schweizer zeigt aber die Wandelbarkeit Galiziens: »Dafür habe ich das alte Galizien noch gesehen, das alte Lemberg. Das alte? Heute ist das k.u.k. Galizien das alte, morgen wird die sowjetrussische Ukraine das alte 333 334 335 336 337

Ebd., S. 117. Ebd., S. 11. Ebd., S. 13. Ebd., S. 59–60. Siehe: Kapitel 3.1.3.

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Galizien sein.«338 So beschreibt er den gerade während seiner Reise stattfindenden Transformationsprozess der Ukraine und beleuchtet dabei die Bedeutung des westlichen Reisenden: An dieser historischen Zeitenwende, wo sich Osteuropa bis an die sowjetrussische Grenze geöffnet hatte, sah sich jeder Reisende nach dem neuen alten Drüben zum Träger der Idee des neuen Europa bestimmt, der neuen Weltordnung vielleicht. Er brachte, bevor sich das Land öffnete, den Vorgeschmack der freien Zukunft mit sich […].339

Doch im Text findet man keinen überheblichen, unreflektierten Blick, wie man ihn in der Superioritätspose in Dohrns Reisebericht ausmachen kann. In der Geschichte »Besucherpflicht«340 wird der Kontaktaustausch zwischen den Reisenden und den Einwohnern Galiziens beschrieben: »Visitenkarten zu hinterlassen wurde in Galizien zu einer eigentlichen Passion.«341 Dies sollte ein »humanitäter Akt« sein, um »Kontakt zu schaffen und Kontakt zu wahren.«342 Doch diese Haltung entlarvt Schnetzler, indem er seine zufällige Begegnung mit zwei Ärzten schildert, welche um seine Hilfe bei der Emigration aus der Ukraine bitten. Zurück in der Schweiz erhält der Erzähler einen Anruf von einem der Ärzte. Nach dem Auflegen des Hörers bringt er seine inneren Ängste zum Ausdruck: »Wenn nun, wie von Moskau angekündigt, dieses Jahr noch die Grenze aufging und alle […] ausreisen konnten, wann würden dann die beiden Ärzte vor meiner Türe stehen […]. Und: Würden sie wieder gehen?«343 Dieser Aspekt kann in Verbindung mit den neuesten Reisen nach Galizien gesehen werden, die nun in ein Land im Krieg führen und die Flüchtlingsthematik aufgreifen.344 Das »humanitäre« Gehabe der Reisenden wird entblößt: Schnetzlers Reisetext ist eine reflektierte Fortführung der Reisen der Aufklärung. Einerseits gibt es eine exotisierende Betrachtung der Bewohner des bereisten Landes, andererseits wird die eigene Haltung kritisch reflektiert, was den Mehrwert des Reisetextes ausmacht. Ein anderes Textbeispiel dafür wäre der Besuch eines Huzulenehepaars in Sokolivka. Seine Faszination für die Huzulen beschreibt der Erzähler wie folgt: »Ich reiste zu den Huzulen. Der Klang des Wortes hatte mich gereizt, weil er so kindlich war. Die Huzulen selbst hatten den Reiz des Exotischen.«345 Als er in ein huzulisches Haus ein- und somit die intime Sphäre des Anderen betritt, resümiert er seine eigene Rolle während der Reise: 338 339 340 341 342 343 344 345

Schnetzler: Meine galizische Sehnsucht, S. 60. Ebd., S. 153. Vgl. ebd., S. 153–160. Ebd., S. 153. Ebd. Ebd., S. 160. Siehe: Kapitel 3.1.3. Schnetzler: Meine galizische Sehnsucht, S. 129.

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Was wollte ich denn? Ich kam über tausend Kilometer her in eine Landschaft, zu der mir jede Beziehung fehlte. Wollte zu Menschen, von denen ich persönlich keine Ahnung hatte, daß es sie gab, die mich einzig und allein als ethnische Kuriosität anzogen, von der ich in Büchern gelesen hatte. Anzogen? Was bedeutete eine Reportage anderes, als in die Intimität von Fremden einzudringen und das verletzte Geheimnis auszuplaudern. Ein Voyeur war der Reporter und ein Blagueur.346

Der Erzähler überdenkt bewusst die Rolle des Reisenden, wobei drei Aspekte der postgalizischen Reisen hervorstechen: Erstens die Betrachtung des postgalizischen Raums aus der durchaus überheblichen Perspektive des aufgeklärten »Westlers«, die erneute Ausverhandlung der Ost-West-Dichotomie; zweitens der exotisierende Blick des westlichen Reisenden – beides sind Eigenschaften der aufklärerischen Reiseberichte. Drittens – die Betrachtung des gegenwärtigen Raums aus der Perspektive des Vergangenen, das für die Reisenden bedeutender als die Gegenwart ist. Der gegenwärtige Raum erhält seinen Wert durch seine Geschichte, was eine Abwertung des heutigen Galiziens und dessen Bewohnern bedeutet. Diese werden als rückständiges »Exotikum« betrachtet, das allenfalls durch die bevorstehende Transformation mit dem Westen vergleichbar sein wird. Schnetzlers Reisetexte offenbaren diese Haltung. Während der Text Dohrns diese drei Aspekte unreflektiert und ohne Selbstreferenz verwirklicht, entblößt Schnetzler sie durch seine vielschichtigen Reflexionen. Für die westlichen Reisenden gibt es eine besonders aus den ersten zwei Aspekten entspringende Verbindung zwischen dem jüdischen Erbe und der sowjetischen Gegenwart: Warum die Juden? – Weil mein Herz für die Schwächeren schlug. Kinder, Ausländer, Juden. Gegen die Arroganz der Mächtigen. Und weil der Verstand aufkommende Emotionen gegen diese Schwächeren kontrollieren wollte, sobald diese sich meiner gemüthaften Bevormundung durch Selbstbehauptung entzogen. Es war ein Training in praktischer Toleranz.347

Das Interesse an den Juden der Vergangenheit kann mit dem Interesse an den Ukrainern der Gegenwart gleichgestellt werden. Dies tut der Text z. B. beim Vergleich des jüdischen Muniu und des ukrainischen Mitja. Die Schwächeren sind Kinder, Ausländer und Juden, sie finden sich jedoch nur in der ukrainischen Realität. Die Reisenden werden zu den »Mächtigen«, die Einwohner des bereisten Landes zu den »Schwächeren« – erneut eine Fortschreibung der aufklärerischen Berichte.

346 Ebd., S. 131. 347 Ebd., S. 110.

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Spurensicherung Schnetzler reflektiert das Prinzip seiner Reise und spricht direkt die Spurensuche und -sicherung an. Er macht bewusst auf das aufmerksam, was in dieser Studie als Archiv Galizien bezeichnet wird, und beschreibt seine Rolle darin. Die Geschichte »Spurensicherung«348 erzählt vom Besuch in Bucˇacˇ, dessen Grund unverständlich bleibt: »Warum ausgerechnet nach Buczacz?«349 Die Antwort liegt in der Bedeutung des Ortes in der Literatur: »›Der Pojaz‹ war der Anlaß, nach Buczacz zu fahren. Spurensicherung.«350 Es geht um weitaus mehr: darum, nun an diesem bedeutenden Ort selbst eine Spur zu hinterlassen und sich in das galizische Narrativ um Bucˇacˇ einzuschreiben. Das Prinzip der Reisen nach Galizien wird erkennbar: Man begibt sich auf Spurensuche, führt eine Spurensicherung durch und hinterlässt nun selbst Spuren, indem man Teil des Archivs wird. Denn nur Elemente der Vergangenheit, die Spuren hinterlassen haben, können später verfolgt werden. Sie erschließen sich einen Platz in der zukünftigen Beschäftigung mit diesem Raum. »Die Spur zeigt somit hier, im Raum, und Jetzt, in der Gegenwart, das Vorübergegangensein lebendiger Wesen an; sie weist der Suche, der Untersuchung und Forschung die Richtung,«351 um einmal mehr Paul Ricœur zu zitieren. Und auch Schnetzler versucht durch die Beschäftigung mit dem Einst im Jetzt sich selbst seinen Platz im zukünftigen Einst zu sichern. Es ist Schnetzlers eigener Einstieg ins Archiv: »Weil ich nun dagewesen war und meine für immer unsichtbare Spur im galizischen Staub hinterlassen hatte.«352 An diesem Beispiel kommt auch das Nicht-Wissen bzw. das Vergessen zum Ausdruck. Es hätte nämlich noch einen Grund gegeben nach Bucˇacˇ zu fahren. Eine wichtige Quelle aus dem Archiv wird im Zusammenhang mit Bucˇacˇ oft nicht beachtet: der aus jenem Ort stammende Literatur-Nobelpreisträger (1966) Samuel Joseph Agnon (1888–1970) – der erste Literaturnobelpreisträger für hebräische Literatur. Trotz seiner Bedeutung für die jüdische Literatur geht er im historisch-literarischen Archiv Galizien unter, weder Dohrn noch Schnetzler erwähnen ihn trotz ihres Interesses am Judentum. In der Folge wird Agnon im galizischen Raum keine Bedeutung zugeschrieben, obwohl es viele Möglichkeiten für eine Aufnahme gäbe. Er war mit Martin Buber befreundet, einem Autor, der in den galizischen Kanon Eingang fand. Agnon unternahm im Jahr 1930 selbst eine Reise in seine ehemalige Heimat Galizien, deren Erfahrungen er im Roman Nur wie ein Gast zur Nacht353 (1939) einfließen ließ.354 Dieses Beispiel zeigt die 348 349 350 351 352 353

Vgl. ebd., S. 113–118. Ebd., S. 113. Ebd., S. 114. Ricœur: Archiv, S. 129. Schnetzler: Meine galizische Sehnsucht, S. 118. Agnon, Samuel Joseph: Nur wie ein Gast zur Nacht. Aus d. Hebr. von Karl Steinschneider. Frankfurt/Main: Fischer 1964.

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Selektivität des Vergessens, das größtenteils auf Nicht-Wissen basiert: dieses urteilt über das Vergessen, das komplementäre Wissen über das Erinnern. NichtWissen hängt aber mit dem Umfang des Materials zusammen – niemand kennt das ganze Archiv, wodurch eben die Auswahl und Recherche interessant bleiben. Fazit Schnetzlers melancholisch-nostalgischer Text verbindet und vermischt in sich das jüdische kulturelle Erbe mit Elementen der individuellen Sehnsucht nach der eigenen Kindheit, einer nicht zu tilgenden Nostalgie. Damit stellt dieser Text eine kreative Aneignung des galizischen Themas und der Materialien des historischliterarischen Archivs Galizien und der Reise darin dar. Unterdessen reflektiert der Text komplexe Gefüge wie die Spurensicherung oder die Beziehung zwischen Ost und West. Er verzichtet dabei auf stereotype Darstellungen und schafft es, diese zu entschleiern. Dies sowie der kritische Blick auf die Vormachtstellung des Westens gegenüber dem Osten unterscheidet sein Galizienbild trotz der Konzentration auf ein jüdisches Galizien von dem Dohrns und vieler anderer Reisenden.

3.1.2 Die 2000er: Die postgalizische und -sowjetische Realität 3.1.2.1 Publizistische Populärreisen In den 2000er Jahren begeben sich die Reisenden vermehrt in den postgalizischen Raum, um sich der postsowjetischen Realität zu widmen. Neben dem galizischen Erbe wird nun intensiv die Lebensrealität der Menschen beleuchtet. Die Reisen führen weiter vorwiegend nach Ostgalizien, demnach in den postsowjetischen Raum der Ukraine: Zehn Jahre nach der Wende wird die Realität des neuen demokratischen Landes betrachtet. Nachfolgend werden zwei dieses Reisen skizziert. Verwehte Spuren In Verwehte Spuren. Von Lemberg bis Czernowitz. Ein Trümmerfeld der Erinnerung355 (1999) von Ernst Hofbauer (*1941) und der Fotografin Lisa Weidmann steht laut deren Angaben das jüdische Erbe im Zentrum: »Wir haben uns bemüht, den jüdischen Hintergrund dieses vielfach vergessenen östlichen Winkels des historischen Österreichs in Wort […] und Bild […] auszuleuchten und zu

354 Ronen, Shoshana: A Decline of a Town. Buczacz in A Guest for the Night by S.Y. Agnon. In: Molisak/Wierzejska: Galician Polyphony, S. 40–54. 355 Hofbauer/Weidmann: Verwehte Spuren.

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dokumentieren.«356 Wie Dohrn und Schnetzler macht es sich Hofbauer zur Aufgabe, an die Auslöschung des Ostjudentums in diesem Gebiet zu erinnern: Dort aber, wo diese Musik entstanden ist, in den jiddischen Schtetl, spielt und hört sie keiner mehr. Denn jiddisches Leben ist dort ausgestorben. Wenn das Ausmaß der absoluten Macht über Menschen und ihre religiösen und kulturellen Symbole topographisch überhaupt erfaßbar ist, dann sind die Städte und Schtetl Galiziens und der Nordbukowina authentische Trümmerfelder der Vertreibung, Verlassenheit und des Vergessens.357

Der Bericht basiert auf literarischen Texten – überwiegend von Joseph Roth, Rose Ausländer, Paul Celan, Leopold von Sacher Masoch oder Salcia Landmann – den üblichen Vertretern des galizischen Literaturkanons, und auf Gesprächen mit Zeitzeugen sowie Akteuren des gegenwärtigen jüdischen Lebens in der Ukraine (Alexander Lisen, Josef Burg, Max Schickler u. a.). Galizien steht im Text für das Jüdische als Teil der österreichischen Geschichte und zeigt auf, wie die Politik der Habsburger das Entstehen einer ukrainischen Nation förderte – somit entsteht neben dem jüdischen auch ein österreichisches Narrativ. Überdies liefert der publizistische Text neben der Sicherung des jüdischen Erbes eine Darstellung der westukrainischen Realität Ende der 1990er Jahre. Dies ist ein neuer Teil, den Hofbauer zum Archiv Galizien hinzufügt. Ihn interessiert die Vergangenheit und was aus ihr geworden ist, und das nicht auf eine nostalgische oder verklärende Art. Die Beschreibung der sozioökonomischen und politischen Verhältnisse samt geschichtlichem Hintergrund bei einer völligen Ausblendung der polnischen Perspektive dominiert diesen Reisetext. Der aus Wirtschafts- und Politkreisen stammende österreichische Skandalautor358 zeichnet ein tristes, hoffnungsloses Bild der desolaten sowie von Mafiakriegen und Korruption gezeichneten Ukraine, das leicht überzeichnet zu sein scheint. Das heutige Galizien steht für Rückständigkeit, wie am Beispiel Brodys ersichtlich wird: »Die kurze Fahrt […] erinnert an eine Fahrt durch eine schlampig organisierte Dritte-Welt-Stadt.«359 Der überhebliche westliche Blick führt zur Entstehung bestimmter Galizienbilder, die literarischen Ambitionen des Texts sind gering. Die Reise führt nur durch den ukrainischen Teil der einstigen Provinz: ˇ ernivci; demnach schreibt dieser Bericht sich Lwiw, Brody, Zabolotiv, Sadhora, C 356 Ebd., S. 8. 357 Ebd., S. 7. 358 Ernst Hofbauer verfasste zahlreiche medial vieldiskutierte Bücher, die sich überwiegend der österreichischen Politik und Wirtschaft widmen. Vgl. Hofbauer, Ernst: Das war der Schilling. Eine Erfolgsgeschichte mit Hindernissen. Wien: Ibera 1998; Hofbauer, Ernst: Das Waldheim-Komplott. Eine politische Sittengeschichte. Wien: Ibera 1998; Hofbauer, Ernst: Heinz Fischer – der Mann im Schatten. Drei Pfeile im Köcher. Wien: Ibera 2004; Hofbauer, Ernst: Faymann – der Kanzler im Zwielicht. Wien: W3 2012. 359 Hofbauer/Weidmann: Verwehte Spuren, S. 101.

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in die Reihe der anderen deutschsprachigen Reisen ein, die Ostgalizien bereisen und die Bukowina als historischen Raum mit Galizien verbinden, sowie beide Regionen unter dem Begriff Galizien zusammendenken. Der stille Bug Eine innovative Art des Erzählens einer Galizienreise stellt Der stille Bug. Reise durch ein zerrissenes Land360 (2004) der Journalistin Annette Dittert (*1962) und des Journalisten Fritz F. Pleitgen (*1938) dar. Diese Reise galt der Produktion eines Dokumentarfilms, wobei die Verschriftlichung und Publikation des Buches erst im Nachhinein stattfand. Wie der Titel andeutet, liegt der Schwerpunkt im Kontext der geschichtlichen Umwälzungen und ihrer Entwicklungen. Der Erkundung der Transformationsprozesse in der Ukraine sowie der Darstellung historischer Zusammenhänge und ihrer Auswirkungen auf die Gegenwart wird viel Raum eingeräumt, ergänzt durch eine historische Zeittafel im Anhang. Den Ausgangspunkt bildet der Grenzfluss Bug mit seiner politischen und geschichtlichen Bedeutung für die Region; Die Reise führt bis nach Brest und überschreitet das Territorium des historischen Galiziens. Indem er sich auf die Gegenwart der Ukraine mit ihrer Geschichte konzentriert, ähnelt der publizistische Text dem von Hofbauer. Das jüdische Erbe steht nicht ausdrücklich und ausschließlich im Mittelpunkt der Reise. Die Zielgruppe dieses Reiseberichts ist viel breiter als die literarischer Reiseberichte. So verlangt Der stille Bug von den Lesern weniger Ausgangswissen. Laut Klappentext führen Annette Dittert und Fritz Pleitgen »den Leser in eine der aufregendsten Landschaften Europas, die lange vergessen war und nun durch die Erweiterung der EU wieder in unser Blickfeld rückt.«361 Die Osterweiterung der Europäischen Union im Jahr 2004 als neue Zäsur nach der Wende 1989/1991 begünstigt abermals die Aufmerksamkeit des öffentlichen Diskurses auf diesen Raum – nun ausgerichtet auf ein breiteres Publikum. Als Quellen für die Reise und für den Text dienen primär die dort lebenden und angetroffenen Menschen mit ihren im Text geschilderten Schicksalen und Berichten über den historischen und gegenwärtigen Raum. Doch auch die traditionellen literarisch-historischen Quellen (Rose Ausländer, Paul Celan, Martin Pollack, Joseph Roth etc.) des Kanons werden aufgegriffen. Hinzu kommen in einem kleineren Ausmaß literarische Quellen, die das Archiv Galizen streng genommen überschreiten, wie der Rückgriff auf Texte von Taras Sˇevcˇenko. Diese Quellen haben eigentlich nichts mit dem Bug an sich zu tun. Die Zusammenführung von Themen und Räumen ist größtenteils zufällig. Der 772 km lange Bug entspringt zwar in Kruhiv im Oblast Lwiw, fließt dann jedoch größtenteils nicht 360 Dittert/Pleitgen: Der stille Bug. 361 Ebd., Buchrücken.

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durch das postgalizische Territorium. Wichtig ist der Bug im galizischen Kontext, da die Poltwa, welche Lwiw unterirdisch durchquert, in der Stadt Busk in den Bug mündet. Der Bug bildet seit dem 1. Mai 2004 in seinem längsten Verlauf die Außengrenze der Europäischen Union, indem er die Grenze Polens mit der Ukraine und Weißrussland markiert. In Belarus passiert er die Stadt Brest und mündet dann in der Nähe von Warschau in das Jezioro Zegrzyn´skie (ZegrzeStausee). Fazit Die verwendeten historisch-literarischen Quellen aus dem Archiv Galizien werden somit in beiden Texten für ein Gebiet verwendet, das dem ehemaligen Galizien territorial größtenteils gar nicht entspricht – eine typische Eigenschaft Post-Galiziens. Dies macht die Dominanz dieses Archivs deutlich: durch seine Verfügbarkeit und Bekanntheit wird jenes auch auf Gebiete in der Umgebung angewendet, die nicht über einen so starken historisch-literarischen Nachlass und ein so populäres Nachleben verfügen. Es geht nicht um den Nachlass an sich, sondern um seine Verankerung und seine Zugänglichkeit in der Gegenwart. Durch seine Popularität ist der historisch-literarische Teil des Archivs Galizien leicht zugänglich, wodurch er stark rezipiert wird. Dies sichert sein Bestehen weit über die Grenzen (Post-)Galiziens hinweg. 3.1.2.2 Schlesisch-galizische Vertreibungsgeschichten nach Roswitha Schieb Vermischung der Archive Roswitha Schiebs (*1962) im Jahr 2000 veröffentlichter poetischer Reisebericht Reise nach Schlesien und Galizien. Eine Archäologie des Gefühls362 eröffnet insofern einen neuen Zugang zu Galizien, als sich die Erzählerin zunächst auf eine Reise auf den Spuren der Vergangenheit der eigenen Familie in Schlesien macht. Die Erzählerin und Autorin ist die Tochter zweier aus Schlesien vertriebener Deutscher. Der historische Kontext ist klar abgegrenzt: die Zwangsumsiedlungen und Vertreibungen der polnischen Bevölkerung aus Ostgalizien und der Deutschen aus Schlesien in den 1940er Jahren. Die beiden Regionen verbindet viel, worauf Alois Woldan hinweist: »Schlesien und Galizien haben viel gemeinsam, von einer multikulturellen Vergangenheit bis zu den leidvollen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, und es verwundert nicht, dass diese Bezüge von der deutschen Belletristik aufgegriffen werden.«363 So beginnt Schieb ihre Reise in Niederschlesien und gelangt später nach Galizien, denn erst durch die Begegnung mit 362 Schieb: Reise nach Schlesien und Galizien. 363 Woldan: Galizien-Literatur, S. 230.

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den galizischen Um- bzw. Ansiedlern in Schlesien wird ihr die interdependente Beziehung zwischen diesen Regionen bewusst: »Ebenso wie die Erinnerungen meiner Eltern nach fünfzig Jahren noch sehr deutlich waren, mussten es auch die Erinnerungen der älteren Bewohner Schlesiens sein, die aus Galizien, dem ehemaligen Ostpolen, stammen.«364 Die intertextuelle Komponente ist bei Schieb deutlich schwächer ausgebaut als bei den anderen AutorInnen aus der Gruppe des historisch-literarischen Archivs, weil sie sich vor allem auf die Schicksale der Vertriebenen und deren Nachfahren sowie die Gegenwart Schlesiens und Galiziens konzentriert. Da Galizien für sie vordergründig durch die vertriebenen Polen interessant wird, bekommen die polnischen Quellen einen höheren Stellenwert (u. a. Jan Parandowski, Józef Wittlin) als in den zuvor dargestellten Texten.365 Schiebs Text sticht durch Zweierlei hervor: einerseits durch den schlesischgalizischen, andererseits durch den persönlich-familienbezogenen Rahmen, der in dieser Art bei den deutschsprachigen AutorInnen einzigartig ist.366 Doch den Charakter der Vorbereitung vor der Reise nach Lwiw teilt Schieb mit den anderen deutschsprachigen AutorInnen: »Ich las so viel über die Stadt wie möglich, um mir ihre komplizierte Geschichte, ihre historischen Schichten und ihre ideologischen Vereinnahmungen zu verdeutlichen.«367 Die Reise und Auseinandersetzung mit Schlesien und Galizien beginnt scheinbar spontan und ungeplant. Als die Erzählerin eines Tages ein Foto von Schlesien betrachtet, das sie als »friedlich, heiter und beiläufig« beschreibt, auf dem »eine rotbunte Kuh graste« und »eine kleine weiße Barockkirche […] aus den Büschen« wuchs, beschließt sie am nächsten Tag mit einem nicht näher beschriebenen männlichen Reisegefährten nach Schlesien aufzubrechen.368 Die spontane Tour stellt sich schnell als Suche nach den Ursprungsorten der eigenen Vorfahren heraus: Was suchten wir hier, wenn nicht die Bilder zu den Namen, Oppeln – Katscher – Leobschütz – Woisselsdorf – Lohnau – Kleinalthammer – Grottkau – Osten!, diese Namen, die seit jeher nur als Klang meine Vorstellungswelt bevölkerten, überbordend gefüllt mit elterlichen Emotionen.369

364 Schieb: Reise nach Schlesien und Galizien, S. 9. Angemerkt sei, dass dies eine der wenigen Textstellen ist, in der Galizien tatsächlich in Zusammenhang mit dem »ehemaligen Ostpolen«, demnach der Zweiten Polnischen Republik, gebracht wird, sonst wird Galizien immer als eigener Raum präsentiert. Ausgeschlossen davon sind Bezüge auf die Kresy oder Sarmatien. 365 Vgl. Woldan: Zum deutschsprachigen Galiziendiskurs nach der Wende von 1989/1991, S. 98. 366 Vgl. De Berg: Nach Galizien, S. 117. 367 Schieb: Reise nach Schlesien und Galizien, S. 11. 368 Vgl. ebd., S. 13. 369 Ebd., S. 14.

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Mit einer zweisprachigen Landkarte unterwegs besucht sie Orte und Plätze, aus denen ihre Familie stammt, und beschließt im Sommer mit den Eltern wiederzukommen (auch diese Reise findet Eingang in den Text). Schieb thematisiert das Schicksal der aus Schlesien nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebenen Deutschen; bei der Auseinandersetzung mit diesem Teil der schlesischen Geschichte trifft sie auf die Schicksale der dort neu angesiedelten Menschen. Diese stammen hauptsächlich aus Galizien, wodurch Schiebs Neugier an diesem Raum geweckt und der zweite Teil des Berichts Galizien gewidmet wird. Der erste Teil des Reiseberichts verläuft in drei parallelen Handlungssträngen, die sich am Raum orientieren und zeitlich nacheinander dargestellt werden. Sie sind jeweils einer Zeitebene bzw. einer Reise gewidmet: (1) der ersten Reise mit dem männlichen Begleiter zu Ostern, (2) der zweiten mit den Eltern im Sommer und (3) der dritten mit dem männlichen Begleiter im November. Die besuchten Orte sind die gleichen, doch bei jedem Besuch wird eine andere Erinnerungsschicht aufgedeckt. Ist die erste Reise noch eine Entdeckungsreise, werden die individuellen Vorstellungen der Erzählerin während der zweiten Reise durch die Erinnerungen der Eltern ergänzt. In der dritten kommt die Schicht des kulturellen, kollektiven Gedächtnisses hinzu, die bei der Reise, den Museumsbesuchen in und den Spaziergängen durch Wrocław freigelegt werden. Schieb verwendet zwei Gruppen des Archivs Galizien: Während im Raum Schlesien die Autorin primär auf ein familiäres Archiv zurückgeht, wird aufgrund des Fehlens eines solchen (im individuellen Fall von Schieb) bei Galizien auf ein literarisch-historisches Archiv zurückgegriffen. Im ersten Teil kommen die Eltern oder Dorfbewohner zu Wort, das Raumarchiv wird bedient, ohne nähere Informationen, die aus den Quellen eines historisch-literarischen Archivs schöpfen würden. Ganz anders im zweiten, dem Galizien gewidmeten Teil des Buches. Die Darstellung dieses Raums geht vorrangig auf historisch-literarische Quellen zurück, die durch die Reiseeindrücke, die Bewegung durch den gegenwärtigen Raum und die Erzählungen der begegneten Personen ergänzt werden. Die Erzählerin unternimmt insgesamt zwei Reisen nach Galizien, eine im Sommer ( »Lemberg. Eine Explosion«370) und eine im Winter (»Lemberg. Schichten«371). Während sie bei der ersten Reise noch maßgeblich vom Raumarchiv ausgeht, sich mnemotechnisch der im Raum niedergeschriebenen und durch das Imaginationsarchiv ergänzten Materialien bedient, ist die zweite Reise gezielt der Suche nach bestimmten (auch nationalen) Spuren gewidmet. Im Folgenden wird aufgrund der Forschungsfrage der galizische Teil der Reisedarstellung analysiert.

370 Vgl. ebd., S. 103–141. 371 Vgl. ebd., S. 183–239.

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Erste Reise: Nostalgie und Gastfreundschaft Die erste als »Explosion«372 bezeichnete Reise wird vor allem durch eine Aktualisierung des bestehenden verklärt-nostalgischen Galizienbildes, das auf dem historisch-literarischen Archiv aufbaut, geprägt: »Ich musste lachen über meinen ewigen Hang zur Nostalgie und schwelgte sofort weiter in der Anmut dieser Landschaft wie aus dem Bilderbuch von Joseph Roth […].«373 Doch das Neue und Unbekannte an diesem aus der Literatur bekannten Bild wird sofort im nächsten Satz entblößt: »[…] und als wir die Eisentüren öffneten und hinausstiegen, hatten wir die bekannte Welt längst hinter uns gelassen.«374 Die Erzählerin bedient sich der literarischen Vorlagen und kennt den galizischen Kanon, trotzdem spielt das unbeschriebene gegenwärtige Galizien eine große Rolle. Sie zitiert die gängigen Klassiker, während sie durch die postgalizische Landschaft fährt: Ohne Fahrtwind stand die Luft wie im Radetzkymarsch […]. Das ist ja Tarnopol, wurde mir klar und ich assoziierte Markttage im galizischen Schlamm, von denen ich, ohne genau zu wissen, wo, gelesen hatte, Tarnopol und Kolomea, Don Juan von Kolomea, eine Erzähung von Leopold von Sacher-Masoch; Czortków lag in der Nähe, ein Abzweig nach links in die grüngelblichen Felder hinein, ein Ort der als Barnow in die Literatur eingegangen war, und weiter westlich Drohobycz, wo Bruno Schulz, der galizische Kafka, sein Leben verbracht hatte im Labyrinth der Zimtläden.375

Dem folgen Zitate aus den genannten Texten; auf dem Prospekt Svobody in Lwiw zitiert sie kurz Józef Wittlin: […] [wir] mischten uns unter die anmutigen Gazellenzüge, die sich unablässig über den Freiheitsprospekt bewegten, wie sie es vermutlich zu jeglicher Zeit getan hatten, auch als der Prospekt Swobody noch Carl-Ludwig-Straße hieß oder Uliza [sic!] Legionów oder Prospekt Lenina, »und so ohne Unterlass: voran und zurück, voran und zurück bis ins Unendliche, bis ans Ende aller Tage«, hatte sich Józef Wittlin 1946 in New York an die Lemberger Zeit vor 1922 erinnert […].376

Mnemotechnisch wird bei der Überquerung des Prospekts eine Stelle aus Wittlins Mój Lwów (Mein Lemberg) (1946) genau in der für die Reisetexte typischen Art zitiert. Doch Schieb interessiert sich für die Spuren der Vergangenheit ausschließlich im Kontext der Gegenwart, was ihren Bericht von den anderen unterscheidet. Es handelt sich nicht wie bei Dohrn um eine vollständige Konzentration auf das Vergangene. Schieb sieht die Anwesenheit des Vergangenen in der Gegenwart. Die Bewegung führt von der Gegenwart in die Vergangenheit, nicht umgekehrt 372 373 374 375 376

Ebd., S. 103. Ebd., S. 110. Ebd. Ebd., S. 135. Ebd., S. 127.

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wie bei Dohrn oder Schnetzler, demnach reiht ihr Buch sich in die in den 2000erJahren publizierten Texte ein. So kommen ferner sehr viele Einwohner Galiziens zu Wort, machen Aussagen zur Gegenwart und Geschichte, geben Einblick in das Leben, den Alltag und die Einstellung der dortigen Bevölkerung, ebenfalls im Hinblick auf historisch problematische Themen. Im Text lässt die Autorin ihre Bekannte und Reiseführerin Marina eine verharmlosende Darstellung des Verschwindens der Juden aus Lwiw geben, dies mit der Versicherung, es selbst erlebt zu haben: […] ja, erzählte uns Marina, […] die meisten Juden sind seit den siebziger Jahren emigriert, nach Amerika, Israel, Deutschland, ich weiß das genau, denn als Kind bin ich in den sechziger Jahren in eine Schule gegangen, die hier die jüdische Schule genannt wurde, weil hauptsächlich die Juden ihre Kinder auf diese Schule schickten. Und als es möglich war, sind die dann fast alle ausgewandert.377

Die Erzählerin erhebt dagegen Einspruch und bringt die »nationalsozialistische Ausrottungspolitik«378 zur Sprache. Zur selben Zeit erläutert sie: »Die Juden, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Lemberg wohnten, waren doch fast alle aus verschiedenen Gegenden der Sowjetunion neu hierher gekommen.«379 Unterschiedliche dominierende, historische Narrative werden nebeneinander gestellt: die nationalen Perspektiven werden deutlich, fern vereinfachender Stereotypisierung. Während Schieb auf die nationalsozialistischen Verbrechen aufmerksam macht und so das Fehlen der Juden begründet, geht das spätere Schicksal der aus den übrigen Teilen der Sowjetunion angesiedelten Juden unter. Durch den vorherrschenden Antizionismus waren viele Juden in den Ländern des »Ostblocks« gezwungen, ihr Land zu verlassen und verstärkt nach Amerika, Israel oder Westeuropa auszuwandern. Dies scheint der historische Hintergrund der Ereignisse zu sein, auf die Marina zurückgreift, die Schieb aber nicht erläutert. Doch die Vorstellung von Polen und Ukrainern als Antisemiten wird in Schiebs Bericht thematisiert: Im Zug von Krakau nach Przemys´l berichtet ein älterer Mann, der zwei Jahre in deutscher Kriegsgefangenschaft in Neubrandenburg war und Hitler auch etwas Positives abringen konnte, der Erzählerin: »Hitler hatte schließlich auch gute Seiten, die Judenvernichtung nämlich, und während er das sagte, hatte er uns freundlich angelächelt wenige Kilometer von Auschwitz entfernt.«380 Auch die stete Hilfsbereitschaft der Einwohner Galiziens kommt mehrmals zur Sprache. Eines Nachts, lang nach Mitternacht, kann die Erzählerin die Tür ihrer Wohnung nicht aufsperren. Der Nachbar spricht zwar kein Englisch, den377 378 379 380

Ebd., S. 119. Ebd. Ebd. Ebd., S. 106–107.

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noch kommt er den Reisenden zu Hilfe: Sein Sohn klettert über den Balkon eines Nachbarn in die verschlossene Wohnung und öffnet nun von innen die Tür. Darauf weiß sich die Erzählerin »vor Dankbarkeit kaum zu fassen«381, denn »so viel Hilfsbereitschaft waren wir nicht gewohnt.«382 Die Hilfsbereitschaft als eine Eigenschaft der post-galizischen Einwohner wird als etwas dargestellt, das die Einheimischen von den Reisenden unterscheidet. Dies verdeutlicht auch eine von der normalen Route abweichende Busfahrt, nur um die ausländischen Reisenden nach Hause zu bringen.383 Gegenwart: Jurij Andruchovycˇ Im Hinblick auf die Darstellung des gegenwärtigen Galiziens ist Schiebs Treffen mit niemand geringerem als Jurij Andruchovycˇ zu erwähnen, der erzählt »warum er nicht in Lemberg wohne, sondern in der südlich gelegenen Provinzstadt Iwano-Frankivsk, einstmal Stanislau, warum er sich für die galizische Geschichte und die k.u.k.-Zeit so sehr interessiere und warum er auf Ukrainisch schreibe.«384 So wird die neue ukrainisch-galizische Literatur durch das von Andruchovycˇ angesprochene »stanislawsky [sic!] fenomenon« [Stanislauer Phänomen] mit AutorInnen wie Taras Prochas’ko, Jurij Izdryk oder Halyna Petrosanjak dargestellt. Seine Charakterisierung dieser ukrainischen literarischen Gruppierung der 1990er Jahre stellt einen klaren Bezug zur Vergangenheit her, jedoch nur jener Vergangenheit, auf der man die Zukunft aufbauen möchte und die man erinnern will:385 »[…] wir können an Traditionen anknüpfen, die uns reizen, und die während der Sowjetzeit umfassend getilgt werden sollten, das Königreich Galizien und Lodomerien und die k.u.k.-Vergangenheit ein schwarzes Loch.«386 Dies ist ein gutes Beispiel für den Zugriff auf das Archiv Galizien, aus dem jeder nur das für sich Geeignete herausholt: ein permanentes Auswahl- und Aktualisierungsverfahren. Auch Schieb zitiert während ihres Spaziergangs durch Lwiw387 Gedichte von Andruchovycˇ und aktualisiert das Archiv Galizien (der deutschsprachigen Literatur) um diesen ukrainischen zeitgenössischen Autor.

381 382 383 384 385

Ebd., S. 130. Ebd., S. 131. Vgl. ebd., S. 128–129. Ebd., S. 121. Vgl. Dvoretska, Olena: »Phänomen Stanislau« als eine besondere kulturelle Erscheinung. In: Büttner/Hanus: Galizien als Kultur- und Gedächtnislandschaft, S. 225–237; Dvoretska, Olena: In search of the other Europe. The city of Ivano-Frankivs’k in the works of Yurii Andrukhovych. In: Central Europe 1–2/15 (2017), S. 4–17. 386 Ebd., S. 121. 387 Vgl. ebd., S. 122–123.

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Verlorene Multiethnizität Die Präsenz der Vielschichtigkeiten der Vergangenheit in der Gegenwart wird bei Schieb anhand zweier Darstellungen besonders gut ersichtlich. Einerseits beschreibt sie mehrmals die Stadt Lwiw als ein klassisches, städtisches multiethnisches Palimpsest: »die Aufschriften auf Polnisch, Russisch oder Deutsch«,388 »all diese polnischen, jüdischen, armenischen, österreichischen und ukrainischen Schichten haben mystischen Charakter«389 oder »polnische, russische, österreichische, ukrainische und deutsche Grabstätten nebeneinander in dieser unübersehbaren, auf einem Hügel aufgewachsenen Totenstadt, kyrillisch und lateinisch.«390 All diese Schichten sind Zeugnisse der Vergangenheit im gegenwärtigen Raumarchiv. Sie stellen durch die Reisenden und die Menschen, die auf sie zugreifen, einen direkten Bezug zur Vergangenheit dar und übernehmen in der Gegenwart eine aktive Rolle. Dabei sind sie abhängig von den Kompetenzen der Reisenden im Spurenlesen: Wissen und Nicht-Wissen bestimmen erneut Erinnern und Vergessen. Andererseits zeigt Schieb, wie die Multiethnizität bzw. die institutionelle Pflege dieses Erbes in der Gegenwart funktioniert. Dies tut sie anhand eines Hauses am Ringplatz, an dem Schilder befestigt sind, deren Aufschriften Schieb zitiert: »polnische Kulturgesellschaft, tschechische Gesellschaft, huzulisch-ukrainische Gesellschaft und deutsche Gesellschaft mit dem Namen »Deutsches Heim« in Frakturschrift und kyrillisch transkribiert als »Dojtsches Gaim«.391 Auf jeder Etage des Hauses ist eine der Nationen/Ethnien angesiedelt. Schiebs Beschreibung zeigt deren aktuelle Präsenz in der Stadt. Während die Polen in der ersten Etage »einen Höllenlärm« machen, herrschte »in der zweiten Etage, wo die Tschechen und die Deutschen sein mussten, […] Grabesstille« und »von den Huzulen im Dachgeschoss konnte man auch nichts hören.«392 In das »Deutsche Heim« tritt die Erzählerin ein: […] drei alte Frauen saßen auf einem Sofa, während die jüngere, die am Schreibtisch stand, uns gleich auf Polnisch erklärte, dass sie die Leiterin sei, aber kein Deutsch spreche, nur eine der alten Frauen sprach Deutsch, die anderen beiden bemühten sich kurzzeitig, aber fielen sofort wieder lachend ins Russische zurück, während uns die Deutsch sprechende Alte von ihren Plänen erzählte, nach Deutschland zu reisen, um ihren Großvater zu suchen, der allerdings schon tot sei, und als wir auf unsere Frage, wozu diese Einrichtung denn diene, die vage Antwort erhielten, dass hier eigentlich nichts stattfinde, verabschiedeten wir uns hastig […].393

388 389 390 391 392 393

Ebd., S. 115. Ebd., S. 120. Ebd., S. 117. Ebd., S. 124–125. Ebd., S. 125. Ebd.

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Die Darstellung der absurden Verhältnisse rund um dieses Haus bringt die gegenwärtige Lage des ukrainischen Staates, seine Auseinandersetzung mit der Geschichte, aber auch die nicht mehr gelebte Multiethnizität zum Vorschein. Die Institutionen sind ein Abbild des kollektiven, kulturellen Erbes, das zwar institutionell gepflegt werden soll, die Maßnahmen dazu sind jedoch dubios. Die jüdische Leerstelle im Raumarchiv betont die Erzählerin schon während ihrer ersten Reise: »nur die jüdischen Gräber fehlten ganz, wie überhaupt alles Jüdische nur als große unsichtbare Leerstelle in der Stadt existierte.«394 Aus dem ukrainisch-englischen Reiseführer entnimmt die Erzählerin eine Liste von Synagogen, die alle im gegenwärtigen Raum nicht mehr existieren, außer einer einzigen, »Tsori Gilod«, die die Reisenden in einer Seitenstraße zufällig entdecken.395 Deren kurze Beschreibung bleibt die einzige, räumlich verankerte Darstellung des jüdischen Erbes. Zweite Reise: Polnisches, jüdisches und sowjetisches Erbe Der Reisebericht zur zweiten, im Winter unternommenen und mit »Lemberg. Schichten«396 betitelten Reise gliedert sich in mehrere explizit der Spurensuche gewidmeten Teile. »Wir flogen nach Lemberg, um polnische Spuren zu suchen«397, schreibt Schieb eingangs und zieht einen Vergleich mit Schlesien: »Wie wir in Schlesien dem Verhältnis der Polen zur deutschen und österreichischen Geschichte nachgegangen waren, wollten wir nun dem Verhältnis der Ukrainer zur polnischen Geschichte nachspüren.«398 Beim Gang durch die Straßen wird gezielt das Polnische gesucht: »Wir liefen durch die Straßen und schärften unsere Blicke, ob wir nicht zwischen oder hinter all den kyrillischen Schildern und Aufschriften alte polnische Buchstaben und Wörter entdecken konnten.«399 Diese finden sie: PAF, ATRA, WIDO, A. BARAN LAKIER, CUKRY, CZEKOLADY, SEPY, FORD TACJABENZIN, SZPITAL S. LAZARA, sogar eine alte Hutreklame erhob sich plötzlich aus der Wand, und all die Palimpseste teilten uns nichts anderes mit, als dass es vor siebzig bis achtzig Jahren Polen gewesen war.400

Die polnischen Reste im Raumarchiv überlagern sich sogar in graphischer Form im Text. Schieb bedient sich des Raumarchivs: beim Sockel, wo »bis 1946 Aleksander Fredro […] gesessen hatte«, freuen sich die Reisenden, »dass wir hier

394 395 396 397 398 399 400

Ebd., S. 118. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 183–239. Ebd., S. 183. Ebd. Ebd., S. 188. Ebd.

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sozusagen eine topographische Wurzel Wrocławs vor uns sahen.«401 Sie finden auch eine »Gedenktafel für den romantischen polnischen Dichter Seweryn Goszczyn´ski von 1913«, die »nicht entfernt« wurde.402 Im Stryjs’kyj Park suchen sie nach der Rotunde, wo sich bis zum Zweiten Weltkrieg das Panorama von Racławice befand: »Wir kamen gar nicht dazu, geschichtsbewussten Pathos angesichts des leeren Schneckenhauses zu entwickeln, denn wir erkannten bald ernüchtert, dass die Panorama-Rotunde nun als Turnhalle diente.«403

Abb. 5: Lwów, Plac Powystawowy: Panorama Racławicka (1937), Kraków: Wydawnictwo Sztuka (Quelle: Biblioteka Narodowa, Poczt.3272).

Das Raumarchiv kann die anhand des Imaginationsarchivs aufgestellten Erwartungen zwar nicht erfüllen, doch das gegenwärtige Lwiw zeigen. Das romantisierende Bild Galiziens mit seinem polnischen Erbe wird durch den rein pragmatischen, unromantischen Turnsaal durchbrochen. Eine solche Aktualisierung umschließt die romantisierend-nostalgische Vergangenheit mit der ernüchternden Gegenwart. Trotz der einzelnen Kapitelüberschriften »Über Galizien«404, »Archeologia polska«405 oder »Galizien 1861«406 und eines realen Bezugs auf Galizien, wird die Zeit der Zweiten Polnischen Republik im Text nicht näher 401 402 403 404 405 406

Ebd., S. 189. Vgl. ebd., S. 188. Ebd., S. 189–190. Ebd., S. 183. Ebd., S. 188. Ebd., S. 190.

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beleuchtet. Es entsteht der Eindruck, als ob es sich um das historische Galizien handeln würde, wodurch erneut eine prägnante Ausweitung des Galizienbegriffs nicht nur auf topographischer, sondern auch auf zeitlicher Ebene feststellbar ist. Dies ist erneut auf das Wissen und das Nicht-Wissen der Autorin zurückzuführen bzw. auf die vereinfachende Darstellung der komplexen historischen Verhältnisse in diesem Grenzraum. Aus dem historisch-literarischen Archiv rekurriert Schieb auf den Illustrierten Führer durch Galizien407 von 1914, Jan Parandowskis Himmel in Flammen,408 Karl Emil Franzos’ Aus Halb-Asien409 und Dr. Josef Piotrowskis Lemberg und Umgebung,410 woraus zum Thema Polen immer wieder seitenlang direkt zitiert wird. Auch die Suche nach den jüdischen Spuren findet während der Reise ihren Platz. Durch das Lwiwer Raumarchiv spazierend entdecken die Reisenden »eine ehemalige chassidische Synagoge, die heute als jüdisches Kulturzentrum diente« oder »ein gestreiftes Gebäude mit bunt glasierter Kuppel im maurischen Stil und Eingängen in Eselsrücken-Form […], ehemaliges jüdisches Krankenhaus.«411 Auch der jüdische Teil des Janiwer-Friedhofs wird besucht.412 Dieses im Raum repräsentierte jüdische Erbe wird durch deren gegenwärtigen Bezug aktualisiert, doch die Synagoge ist heute nicht einmal als solche gekennzeichnet: »ohne dass eine Tafel es von außen kenntlich gemacht hätte, so zurückgenommen hielt sich die jüdische Gemeinde in Deckung«; das ehemalige jüdische Krankenhaus ist heute eine Entbindungsklinik.413 Das gegenwärtige, im Raum sichtbare jüdische Leben wird in den Text eingegliedert: »In der Nähe fanden wir zwei neue Schilder, die auf heutige jüdische Einrichtungen hinwiesen, das Schild der Lwiwer Gemeindeorganisation B’NAI B’RITH «LEOPOLIS», nach Emil Domberger benannt, und das Schild LVIV JEWISH STUDIES CENTER.«414 Außerdem greift Schieb zurück auf Soma Morgensterns Funken im Abgrund, was jedoch der einzige länger zitierte Auszug aus einem jüdischen literarischen Werk ist.415 Die sowjetischen Spuren werden vor allem in den Kommentaren der angetroffenen Menschen sichtbar: »Wir waren Kosmopoliten in der Sowjetunion, bevor alles in kleine Staaten zerfallen ist.«416 Schieb skizziert auch die Nostalgie der Bewohner nach besseren Zeiten, auch nach denen der Sowjetunion, und die Trauer um den Machtverlust sowie ihre heutige unscheinbare Rolle in Europa: 407 408 409 410 411 412 413 414 415 416

Vgl. ebd., S. 196. Vgl. ebd., S. 196–198. Vgl. ebd., S. 190–192. Vgl. ebd., S. 203–209. Ebd., S. 210. Vgl. ebd., S. 211–212. Vgl. ebd., S. 210. Ebd., S. 210–211. Vgl. ebd., S. 212–215. Ebd., S. 223.

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»Sie konnten es nicht fassen, dass der Osten Europas keine wichtige Rolle im öffentlichen Bewusstsein des Westens spielt, und wenn, dann am ehesten eine problematische.«417 In Bezug auf dieses Erbe wird im ex-sozialistischen »Hotel Lviv« (Raumarchiv) aus der Einleitung des »sowjetischen Reiseführer[s] über Lwów [sic!] […] für die Intouristen aus der DDR von 1987«418 zitiert. »Ukrainische Geschichten«419 erfahren sie vor allem durch ihren Cicerone, die junge Germanistikstudentin Natalja, die sie durch die Stadt und ihre Museen führt und die Perspektive einer jungen, ukrainischen Demokratin einbringt, die die Sowjetzeiten als Kind erlebt hat. Galizien in Schlesien Für Schieb ist das galizischen Archiv auch in Schlesien wichtig, welches sie bewusst in ihr Narrativ einbringt: Natürlich, viele der neuen polnischen Breslauer stammen ja als Vertriebene aus ebendiesem Gebiet, dem ehemaligen Ostpolen und einstigen k.u.k.-Kronland Galizien, und haben sich aus Wehmut über ihren verlorenen Osten die Büste des ostpolnischen Lustspieldichters Aleksander Fredro aus Lemberg mitgebracht, die nun auf dem Rynek neben dem Rathaus steht als kleiner Rest eines untergegangenen Mitteleuropa.420

Eine solche Charakterisierung passt sowohl zu Schlesien als auch Galizien und so wird Fredro an zwei Orten erinnert, in Wrocław und in Lwiw, denn »ursprünglich hatte es [Fredros Denkmal] in Lemberg gestanden und war später von dort Vertriebenen nach Breslau mitgebracht worden.«421 Beide aufeinander bezogene Städte stehen in einem Verwandtschaftsverhältnis, das Schieb darzustellen weiß: »Ich lief über polnische Gullideckel, wie ich in Schlesien über deutsche Gullideckel gelaufen bin.«422 Schiebs Bericht steht im Zeichen der »Schauplätze von Vertreibung und Neubesiedlung« und der damit zusammenhängenden »Traumata«,423 wobei die Reise und der Bericht das Ziel verfolgen, »die selbstverständliche Koexistenz der verschiedenen historisch übereinander gelagerten Schichten«424 in der Gegenwart aufzuspüren. Stephan Greenblatts Theorie zur translatio erleichtert so ein Verstehen kultureller Mobilität: »One cultural system is taken over or reshaped

417 418 419 420 421 422 423 424

Ebd., S. 224. Ebd., S. 226. Ebd., S. 232. Ebd., S. 20. Ebd., S. 7. Ebd., S. 11. Ebd., S. 6. Ebd.

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by another«,425 beschreibt Greenblatt den Vorgang der Übersetzung eines Systems in ein anderes. Auf diese Art übersetzen die Galizier ihr Erbe und ihre Erinnerungen in diesen neuen schlesischen Raum; einerseits in der Sphäre der Sprache, Traditionen und Erinnerungen, andererseits auf einer materiellen Ebene: Diese Vertriebenen hatten aber einen Teil ihrer kulturellen Wurzeln mit sich genommen. Im Breslauer Museum befinden sich etliche Bilder aus Lemberg, dem polnischen Lwów, Möbel aus polnisch-galizischen Adelspalais und sarmatische Kostüme. In einer Rotunde besichtigte ich das Panorama von Racławice […]. Bis 1945 befand es sich in Lemberg und gelangte dann mit den Vertriebenen nach Breslau – ebenso wie auch der polnische Lehrkörper der Lemberger Universität, soweit er überlebt hatte, ins zerstörte Breslau transferiert wurde.426

Diese Form der Übertragung wird im Kapitel zum familiären Archiv genauer erläutert.427 Fazit Zusammenfassend besticht Roswitha Schiebs Reise nach Schlesien und Galizien durch zwei Aspekte, die in den vorherigen Berichten so nicht zu finden waren: Einerseits setzt sie Schlesien und Galizien in Bezug zueinander, andererseits greift sie je nach Region auf ein anderes Archiv zu; für Galizien auf das literarisch-historische Archiv, für Schlesien auf das familiäre Archiv, welches sich aus ihrer Familiengeschichte erschließen lässt. Weiters bedient sie sich besonders vieler polnischer Quellen und will diesen Aspekt Galiziens darstellen, was in der Reihe der deutschsprachigen Reisen bislang ein Novum darstellt. Die Dominanz der Gegenwart und die Darstellung verschiedener nationaler Sichtweisen stellen Eigenschaften dar, die in den deutschsprachigen Reisetexten bisher ein Novum sind.

3.1.3 Die 2010er: Transparentes Palimpsestieren eines Landes im Krieg Die bislang jüngste Reise nach Galizien mit dem Titel Ins Griechenland des Ostens. Die Ukraine, Lemberg, die Juden und wir. Wiederholung einer Reise (2014/ 2015)428 ist ein, um es mit den Worten des Autors Stefan Weidner (*1967) zu sagen, »Nachreisen von Schriftstellerreisen.« Der deutsche Schriftsteller, Über425 Greenblatt, Stephen: Cultural Mobility. An Introduction. In: Greenblatt, Stephen/Zˇupanov, Ines G./Meyer-Kalkus, Reinhard u. a.: Cultural Mobility: Manifesto. Cambridge: Cambridge University Press 2010, S. 1–23; hier: S. 7. 426 Schieb: Reise nach Schlesien und Galizien, S. 10. 427 Siehe: Kapitel 4. 428 Weidner: Ins Griechenland des Ostens.

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setzer und Islamwissenschaftler Weidner bereiste im März 2014 Lwiw, initiiert durch die Ereignisse rund um die Ukrainekrise und den Euromaidan, wodurch die Ukraine im deutschsprachigen Raum wieder ins Zentrum des öffentlichen Interesses rückte. Einige publizistisch-literarische Veröffentlichungen erschienen,429 auch zahlreiche Reiseberichte u. a. aus den Kriegsgebieten.430 Weidner stützt seinen Bericht vor allem auf eine Archivquelle: Alfred Döblins Reise nach Polen, die den ganzen Text hindurch zitiert wird. Er besucht genau die von Döblin aufgesuchten Orte und stellt beide Eindrücke bzw. Texte, den seinen der Gegenwart und den Döblins der Vergangenheit, den ganzen Bericht hindurch nebeneinander. Döblins Text ist durch kursive Schrift markiert und nicht direkt belegt. Besonders bei Weidners Besuch des Krakauer Platzes in Lwiw ergänzen sich beide Blickpunkte fast deckungsgleich, die Zeitschichten und Perspektiven überlagern sich: […] vor uns ein länglicher Platz, zugestellt mit Verkaufsbuden, Bretterverschlägen. Während ich das Bild betrachte, […], spüre ich etwas – eine Erinnerung an Dinge, die ich selbst nie erlebt habe, bricht über mich hinein […]. Hinter dem Stadttheater fängt ein Morast an. Meine Stiefel überziehen sich mit Lehm. Mit Schneematsch. Dies ist, mit einer kribbelnden Masse von Händlern, Kleinhändlern, Kleinsthändlern, die stehen da wirklich, Herumlungerern, Schnorrern, davon weniger, liegt wohl am Schnee, die Judenstadt gewesen. Der Krakowskiplatz erweitert sich; er steht voller Holzbuden. Eine freie Fläche, zu Döblins Zeit noch wüste, grauenerregende Ruinenmassen. Ein einsames Haus ist erhalten. Ich sehe es.431

Transparentes Palimpsestieren – so könnte man Weidners Methode beschreiben. Weidner selbst findet für dieses Sichtbarmachen ursprünglicher Texte ein Bild an einer Lwiwer Hauswand: In einer Seitenstraße entdecken wir in Augenhöhe hebräische Inschriften auf einer Hauswand. Sie sind nicht noch lesbar, sondern wieder: Der Putz, mit dem sie überdeckt waren, beginnt abzublättern. Wenn man vorsichtig klopfen und schaben und meißeln würde, Farbschicht um Farbschicht abtragen, bis wir im Jahr 1941, im Jahr 1924, im Jahr 1918, im Jahr 1914 ankämen, träte womöglich das ganze jüdisch-polnische Leben zum Vorschein […].

429 Siehe u. a.: Andruchowytsch, Juri (Hrsg.): Euromaidan – Was in der Ukraine auf dem Spiel steht. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2014; Raabe, Katharina/Sapper, Manfred (Hrsg.): Testfall Ukraine – Europa und seine Werte. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2015; Schlögel, Karl: Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen. München: Hanser 2015. 430 Siehe u. a.: Mühling, Jens: Schwarze Erde. Eine Reise durch die Ukraine. Reinbeck: Rowohlt 2016; Sommerbauer, Jutta: Die Ukraine im Krieg. Hinter den Frontlinien eines europäischen Konflikts. Wien: Kremayr & Scheriau 2016; Kleveman, Lutz C.: Lemberg. Die vergessene Mitte Europas. Berlin: Aufbau 2017; Andruchowytsch, Juri/Ohlbaum, Isolde: Czernowitz und Lemberg. In Fotos und Text. Heidelberg: Das Wunderhorn 2017. 431 Weidner: Ins Griechenland des Ostens, S. 45.

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Außer Döblin werden Józef Wittlins Mein Lemberg und Stanisław Lems Das Hohe Schloss432 mehrmals angeführt, weiters zitiert der Verfasser eine Rede von Hans Frank, Zeugenaussagen eines Überlebendes des Lwiwer Professorenmords in Ostgalizien, Martin Pollacks Nach Galizien, Johann Gottfried Herders Journal meiner Reise im Jahr 1769 und Laura U. Marks Enfoldment and Infinity, was ein schmales, jedoch neuartiges Spektrum an Galizienliteratur darstellt. Die Reise, die eigentlich nur einen viertägigen Besuch in Lwiw umfasst, unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von den zuvor publizierten Reisetexten: Weidners Beschreibung ist reflektiert, distanziert und durchaus selbstkritisch. Der selbsternannte »Großstadtarchäologe«433 weiß wohl aufgrund seines theoretisch-methodischen Wissens, wie Erinnern funktioniert und führt dies auf exemplarische Weise vor: Was sind wir, denken wir, sprechen wir anderes als die Sprachen, die Gedanken, die Sichtweisen, die uns vererbt, in das Wachs unseres Gedächtnisses eingedrückt worden sind? Ich erkenne und finde dieses Erbe bloß wieder, nehme es bewusst als meines an. Wenn ich Döblin lese, mit ihm durch Lemberg laufe, finde ich, […] die Sätze und Bilder, die als Rudimente in mein Gedächtnis schon eingeschrieben waren, […]. Und zugleich lege ich, indem ich darüber schreibe, eine neue Gedächtnisschicht, die womöglich eines Tages von anderen wiedererkannt wird, denn sie ist selbst nur ein Ausfluss dessen, was sich einschreibt in uns, heute und nach uns […].434

Weidner nennt dies »Transsubstantion, Transmemoration« und beschreibt damit die in dieser Arbeit analysierte archivarische Rolle in der Überlieferungsbildung eines jeden Einzelnen und seine im Besonderen: Archivmaterialien werden verwaltet und produziert. Der Prozess der Auswahl aus einem vielschichtigen, galizischen Angebot wird so explizit artikuliert. Die archivarische Rolle übernimmt außerdem eine nationale Geschichtsschreibung und lässt unterschiedliche Narrative entstehen. Die Geschichte hinterlässt komplexe Palimpseste, zugleich erkennt man in ihnen nur das, was man möchte: Wer die Spuren nicht sehen will, muss sie nicht sehen. Wer sie sehen will, sieht sie, wenn er sich ein wenig bemüht. Das hat sie geschickt angestellt, die Beharrungskraft der Geschichte mit ihren archivarischen Tricks – hat sie machen lassen, die Ukrainer, die Sowjets, die Deutschen, zum Glück ohne deutsche Gründlichkeit, so dass auch die Polen und Juden, wiewohl nur als Schatten und Rost, hier anwesend sind.435

Das Vergessen wird impliziert, denn »dieses Vergessen ist die Erinnerung«:436

432 433 434 435 436

Die Titel sind hier auf Deutsch angegeben, so wie diese Ausgaben im Buch zitiert werden. Ebd., S. 30. Ebd. Ebd., S. 31–32. Ebd., S. 74.

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Es gibt kein größeres, zuverlässigeres Archiv als das Vergessene, als das, was nicht erinnert wird. Gut Verdrängtes ist unantastbar, vor dem Zugriff und der Manipulation geschützt, aber was ins Bewusstsein geholt und erinnert wird, wird missbraucht und verändert, verliert seine Kraft.437

So versucht Weidner, auf Döblin aufbauend, in der Gegenwart das zu sehen, was an der Oberfläche zum »Vergessen« verurteilt wurde; er schabt die Schichten ab, um das Verdrängte wieder erkennbar zu machen – eine archäologische Arbeit, wie sie den postgalizischen Reisen nach Galizien implizit ist. Doch lässt er einen Aspekt vollkommen außer Acht: den des Nicht-Wissens. Die Sätze »Wer die Spuren nicht sehen will, muss sie nicht sehen. Wer sie sehen will, sieht sie, wenn er sich ein wenig bemüht« ergeben somit nur unter der Voraussetzung Sinn, dass man über das Wissen und die Fähigkeit verfügt, die Spuren zu lesen. In Weidners Fall sind es vor allem die habsburgischen (deutschsprachigen) oder jüdischen Spuren, die entziffert werden können. Die polnischen und ukrainischen bleiben eher unangetastet. Aktualität Weidners Reisebericht ist medientechnisch zeitgenössisch: zunächst als E-Book erschienen, sieht der Autor, sich nicht mit traditionellen Landkarten, sondern mit Google Maps auf die Reise vorbereitend, Parallelen zu globalen gegenwärtigen politisch-ökonomisch-moralischen Fragestellungen. Er zieht wiederholt Vergleiche zu der gegenwärtigen Situation muslimischer Flüchtlinge in Europa. Ausgehend von den galizischen Reisenden der Zwischenkriegszeit, die an den osteuropäischen Juden ihre Klischeevorstellungen zu bestätigen suchten: »Um die zu finden, die waren wie man Juden sich vorstellte, musste man wie Döblin (und die Nazis) in Polen und der Ukraine suchen.« Das Ziel war es, »die Differenz zwischen wertvollen und weniger wertvollen Menschen« zu verstehen.438 Dies wendet Weidner als ein Warnsignal für die Gegenwart an: Es ist heute sehr wichtig, das zu verstehen, um nicht (wieder!) dem Wahn aufzusitzen, wer unter uns ist und anders als wir, müsse sich anpassen; um nicht so zu tun […] als sei die Vernichtung der Juden heute deshalb so unverständlich und schockierend, weil sie ja, so wie der Jude […], nicht anders waren als unsere Mütter, unsere Väter, nicht so ein komischer Fremder, der Lufthandel betreibt, eine komische andere Sprache spricht (Jiddisch! Arabisch! Türkisch!), als Sozialbetrüger verunglimpft wird (die feindseligen Worte von Parasiten, Schmarotzern), vernachlässigt ausschaut ( ja, die Juden in Galizien waren arm), an einen anderen Gott glaubt, Parallelgesellschaften bildet und Ähnliches, was viele heute den Muslimen unter uns vorwerfen und was das Gleiche ist wie der damals verbreitete Blick auf die Juden, die Döblin in Lemberg sah […].439 437 Ebd., S. 75. 438 Vgl. ebd., S. 22. 439 Ebd., S. 22–23.

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Gleichzeitig thematisiert er die Komplexität von leichtfertigen Urteilen der Täterund Opferschaft, wie sie zahlreiche westliche Reisende bisher ignorierten oder leichtfertig als Fortschreibung des Rückständigkeitsdiskurses und ihrer Überlegenheitsstellung fällten. Dies tut er anhand eines Hakenkreuz-Graffitis am Ort des früheren jüdischen Friedhofs und versetzt sich in die Rolle der Einheimischen: Für euch, genau für solche wie euch haben wir das Hakenkreuz hierhin geschmiert, ihr Besserwisser aus Deutschland und Russland und Israel, für euch, für alle, die zu diesem Spital pilgern, immer die jüdischen Spuren suchen: Ihr könnt uns mal! Und dann wäre das Hakenkreuz nicht ein Zeichen gegen die Juden, sondern gegen uns, die wir herkommen, um der Juden zu gedenken, die von unseren Vorfahren einst vernichtet wurden. Ein Zeichen dagegen, dass ich herkomme, um mein schlechtes Gewissen zu erforschen, und die Menschen an einer Vergangenheit messe, an der sie keinen Anteil haben; ihnen eine Vergangenheit aufstülpe, die nicht ihre ist, sondern meine; eine Vergangenheit, die größer ist, als ihre kleine arme Gegenwart je sein kann; und damit ihrer Gegenwart nicht die geringste Bedeutung lasse – erst auf sie aufmerksam werde, wenn sie mich vor den Kopf stoßen mit ihren Schmierereien.440

Eine solche Darstellung ist natürlich stark vereinfachend und setzt sich in keiner Weise mit der komplexen ukrainischen Geschichte im Kontext des Zweiten Weltkrieges (Judenpogrome, Waffen-SS-Division Galizien etc.) auseinander, während es einen möglichen Antisemitismus in der gegenwärtigen Ukraine herunterzuspielen scheint.441 Es bedeutet eher eine Auseinandersetzung mit der westlichen Perspektive auf den Osten und das Ostjudentum bzw. der Shoa, sowie ihrem Erbe im Raumarchiv, wodurch der Blick beschränkt bleibt. Jedoch ist es ein Versuch der Auseinandersetzung mit der ukrainischen Perspektive auf Galizien und ihrer Geschichte. Obwohl Weidner keine ukrainischen Quellen verwendet, lässt er das Ukrainische nicht unberücksichtigt und findet Erklärungen für dessen Geschichte. Er stellt Bezüge zum Euromaidan und der ukrainischen Politik her, ohne hart damit ins Gericht zu gehen. Weidners Blick ist kein überlegener, sondern ein empathischer, doch vielleicht aufgrund mangelnder Kenntnisse auch ein viel zu unkritischer. Es reist hier kein Osteuropahistoriker, sondern ein Islamwissenschaftler. Zugleich ist er einer der ersten Reisenden, der von Galizien auf den Westen schließt; auf das Fehlen einer solchen Betrachtung machte bereits Christoph Mick aufmerksam:

440 Ebd., S. 29. 441 Siehe auch: Bechtel, Delphine: Gedenken und Gewalt im heutigen L’viv. Selektive Erinnerung, Revisionismus, Alltagsfaschismus. In: Schoor, Kerstin/Schüler-Springorum, Stefanie (Hrsg.): Gedächtnis und Gewalt. Nationale und transnationale Erinnerungsräume im östlichen Europa. Göttingen: Wallstein 2016, S. 227–244.

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Was man weder bei Franzos noch sonst in der sonstigen Reiseliteratur zu Galizien findet, ist der Versuch, die Reise für die Gesellschaftskritik zu Hause zu nutzen. Zu weit scheinen die Lebenswirklichkeiten voneinander entfernt, zu groß war die galizische Armut.442

Im Jahr 2014 scheint das galizische Elend auch für den Westen nicht mehr so fern.

3.1.4 Fazit 3.1.4.1 Wie wird Galizien rekonstruiert? Die Darstellung der wichtigsten Reisen im postgalizischen Raum in der deutschsprachigen Literatur nach 1989 brachte mehrere Aspekte zum Vorschein. (1) Galizien wird nach 1989 vor allem mit Ostgalizien in Beziehung gebracht, die reale Verwaltungseinheit des Habsburgerreichs spielt keine Rolle mehr. (2) Die Reisen beruhen vorrangig auf einem etablierten literarischen Kanon und verlaufen größtenteils in ähnlichen Bahnen. (3) Die vorherrschenden Themen sind Multikulturalität, ihr Nachleben im Transnationalen und das jüdische Erbe (wobei dieses mit der Zeit immer stärker in den Hintergrund rückt). Immer wichtiger wird die Darstellung der ukrainischen Realität samt sozioökonomischen und politischen Erläuterungen. Das polnische Erbe wird nur nebenbei behandelt, ist aber nicht zu übersehen. Bezeichnend ist, dass polnische Werke eher als Vorlagen dienen als ukrainische, was wohl mit der Etablierung und Verfügbarkeit der polnischen Literatur in deutscher Übersetzung im deutschsprachigen Raum zu begründen ist. (4) Auch verändert sich die Einstellung der Reisenden zum postgalizischen Raum und dessen Einwohnern. Während in den 1990er Jahren noch eine belehrende, überhebliche Haltung vorherrscht, sind die neuesten Berichte selbstkritischer, empathischer und wertfreier. Sie neigen dazu, die GalizienReise für die Gesellschaftskritik im eigenen Land zu benutzen. Eine Tendenz, die vielleicht durch die immer kritischere Haltung gegenüber der vermeintlichen westlichen Allwissenheit und dem erbarmungslosen Neoliberalismus zu erklären ist. Unterdessen schreibt ein derartiges neues Narrativ den westlichen Blick weiter fort, der nun empathischer zu sein scheint, aber keineswegs auf ein größeres Wissen über die ukrainische und polnische Geschichte dieses Raums zurückgreift. Die Reisen bleiben immer noch eine 442 Mick, Christoph: Reisen nach »Halb-Asien«. Galizien als binnenexotisches Reiseziel. In: Stachel, Peter/Thomsen, Martina (Hrsg.): Zwischen Exotik und Vertrautem. Zum Tourismus in der Habsburgermonarchie und ihren Nachfolgestaaten. Bielefeld: Transcript 2014, S. 94– 112; hier: S. 111.

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Verhandlung der eigenen Vergangenheit in bzw. der eigenen Interessen an diesem Raum.

3.1.4.2 Kanon: Was ist? Die analysierten Werke und Reisen machen eines deutlich: Sie benützen alle das historisch-literarische Archiv. Mittlerweile entstand ein Kanon, auf den die meisten Reisenden zurückgreifen und ohne den Galizien im deutschsprachigen Raum nicht zu denken ist. Das historisch-literarische Archiv bleibt in sämtlichen Publikationen über einen Zeitraum von fast dreißig Jahren unverändert. Die Archivmaterialien bleiben die gleichen, nur die Art, wie man sie liest und aktualisiert, ändert sich innerhalb der neuen Werke. Das nachfolgend zusammenfassend abgegrenzte Archiv bestimmt die Reisen ab 1989 bis zum heutigen Tag und ist in den meisten Werken zu finden. Damit lässt sich die Frage beantworten, welche AutorInnen am häufigsten aus dem Archiv Galizien entnommen wurden und einen Kanon bilden. Die Kanonbildung entsteht durch die Auseinandersetzung mit dem Archiv und durch die Auswahl der Werke, die dann in aktualisierter Form im Gegenwartstext erscheinen und die Reise bestimmen. So wird schon bei der Auswahl der Quellen aus dem historisch-literarischen Archiv und beim Lesen der Spuren im Raumarchiv die Kompetenz im Spurenlesen der Reisenden sichtbar. Je weniger Wissen vorhanden ist und Mühe aufgewendet wird, desto stärker wird auf die Werke aus dem Zentrum des Kanons sowie auf den Kanon insgesamt zurückgegriffen. Den Grundstein für diesen gegenwärtigen Kanon legte Martin Pollack mit seinem imaginären Reisebericht: Nach Galizien. Von Chassiden, Huzulen, Polen und Ruthenen. Eine imaginäre Reise durch die verschwundene Welt Ostgaliziens und der Bukowina (1984). Durch zwei Sätze auf der Schmierseite seines »Reisebuch[s]«443 lässt sich die thematische Sichtweise auf Galizien erkennen: »Joseph Roth, der vielleicht beste Kenner dieser Welt, aber auch viele andere Schriftsteller entstammen jener Gegend. Der jüdische Witz war hier zu Hause, und die chassidischen Wunderrabbis, die im »Schtetl« die uneingeschränkte Macht darstellten.«444 Die Texte jüdischer Schriftsteller aus Galizien bestimmen diesen Reisetext. Pollack führt seitenlange Zitate aus den Originalen, insbesondere von Karl Emil Franzos, an. Es folgen: Joseph Roth, Bruno Schulz, Józef Wittlin. Allesamt jüdische Autoren. Zitiert werden auch die das polnische bzw. ukrainische Erbe repräsentierenden Autoren Stanisław Vincenz und Ivan Franko. Weitere Autoren, auf die Pollack zurückgreift, sind Hermann Blumenthal, Alexander 443 Pollack: Galizien, Schmierseite. 444 Ebd.

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Granach, Saul Raphael Landau, Józef Rogosz, Nathan Samuely und Manès Sperber. Helene Deutsch ist die einzige zitierte Autorin, was die männliche Dominanz in diesem Kanon zeigt. Bei der Auswahl seiner Quellen argumentiert Pollack wie folgt: Die Liste der in diesem Buch zitierten Werke erhebt keinen Anspruch, die umfangreiche Literatur zu diesem Thema auszuschöpfen; sie kann nicht einmal als repräsentativer Querschnitt bezeichnet werden. Es spiegelt sich darin vielmehr eine intensive, aber dennoch mehr oder weniger zufällige Lektüre wider, die sich keine wissenschaftlichen Ansprüche stellte.445

Für die Reisenden aus dem deutschsprachigen Raum stellt diese »zufällige« und nicht »repräsentative« Auswahl Pollacks bis heute den Kanon der galizischen Literatur dar. Karl Emil Franzos, Joseph Roth und Bruno Schulz sind Autoren, die in keinem der Berichte fehlen, sie bilden das Zentrum des historisch-literarischen Archivs Galizien. Gleichzeitig bleibt Pollacks Nach Galizien sowohl in der deutschsprachigen als auch, wie wir später sehen werden, in der polnischen Literatur kaum unerwähnt. Wichtige Positionen im unmittelbaren Zentrum des Kanons nehmen Alfred Döblin und Leopold von Sacher-Masoch ein. Ein bisschen weiter eröffnet sich auch Raum für polnische und ukrainische AutorInnen: Ivan Franko und Józef Wittlin stellen die wichtigsten prominent genannten Vertreter dar. Häufig, aber nicht immer, werden Rose Ausländer, Paul Celan,446 Isaak Babel, Helene Deutsch, Alexander Granach, Salcia Landmann, Stanisław Lem, Rosa Luxemburg, Soma Morgenstern, Bertha von Pappenheim, Isaak Lejb Perez, Isaac Bashevi Singer, Manès Sperber, Scholem Alejchem, Stanisław Vincenz erwähnt und prägen das jeweilige Galizienbild, das sich je nach Bedarf jüdischer, polnischer, ukrainischer oder multikultureller Elemente bedient und in dem im 20. Jahrhundert bereits mehrerer Autorinnen vertreten sind. Peripher treten weitere Autoren in Erscheinung, die teilweise mit Galizien nicht viel zu tun haben, jedoch wegen bestimmter Merkmale (nationale Zugehörigkeit, Sprache etc.) in das galizische Narrativ passen. Taras Sˇevcˇenko gehört in diese Gruppe. Hier angesiedelt sind auch Autoren, die mit Galizien zusammenhängen, jedoch nur selten und in bestimmten Kontexten angeführt werden: Jurij Andruchovycˇ vorwiegend im Zusammenhang mit der heutigen Ukraine; Seweryn Goszczyn´ski, Jan Parandowski, Józef Rogosz oder Aleksander Fredro im polnischen Kontext; Saul Raphael Landau oder Artur Sandauer dominieren das polnisch-jüdische Narrativ, Hermann Blumenthal wird in Bezug auf das jüdische Erbe herangezogen. 445 Pollack: Galizien, S. 235. 446 Rose Ausländer und Paul Celan stammen eigentlich aus der Bukowina. Dieser Raum wird jedoch überwiegend von Reisenden zum postgalizischen Raum gezählt.

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Gleichzeitig bildet der Kanon nicht das ganze historisch-literarische Archiv Galizien, dieses beinhaltet noch eine Unmenge von anderen Materialien, die fast in jedem Reisebericht in kleinerem Umfang vorkommen. Ob es nun Zeitungsartikel bei Martin Pollack sind, die Autorengruppe des Stanislauer Phänomens bei Roswitha Schieb oder Herders Journal einer Reise bei Stefan Weidner. Dabei stellt sich die Frage, was denn noch in diesem historisch-literarischen Archiv Galizien vorhanden ist und was nicht – eine Frage, die nicht beantwortet werden kann. Die in der Zukunft entstehenden Werke werden einen immer größeren Einblick ins Archiv gewähren. Bisher konnte aber gezeigt werden, dass ständig Elemente des Kanons aus dem Archiv verwertet werden. Indessen kommt bei jeder Reise mindestens ein bisher noch nicht aus dem Archiv abgelesenes Element hinzu. So hat das Archiv ein anscheinend unendliches Inventar. Auf diese Weise werden immer neue Archivmaterialien aus dem Archiv ausgewählt werden und an die textuelle Oberfläche gelangen. Das Zentrum des Kanons sowie der Kanon selber werden bestehen bleiben und weiter fortgeschrieben sowie gefestigt werden. 3.1.4.3 Kanon: Was wäre wenn…? Dennoch soll an dieser Stelle ein kleiner Einblick gegeben werden, wie man Galizien auf eine andere Art und Weise hätte erzählen können, wenn man andere Archivmaterialien ausgewählt hätte. Als Beispiel soll die Stadt Bucˇacˇ dienen, der viele berühmte Persönlichkeiten entstammen, die in den Reisedarstellungen überraschenderweise gar nicht vorkommen. Bucˇacˇ hätte man anhand der Werke und des Lebens des Nobelpreisträgers Samuel Joseph Agnon (1888–1970) erzählen können. Als einer der wichtigsten Vertreter der modernen hebräischen Literatur, erhielt er 1966 als erster hebräischer Schriftsteller den Nobelpreis für Literatur, und fand trotzdem keinen Eingang in den galizischen Kanon, obwohl ein Teil seiner Werke von Galizien handelt. Sein Roman Hakhnasat Kallah (Die Bräutigamssuche; 1931) erzählt vom jüdischen Leben im Galizien des 19. Jahrhunderts. Genauer, die Geschichte eines armen, aber gläubigen galizischen Juden, Rob Yudel, der mit seiner Gefährtin Nuta auf der Suche nach Bräutigamen für ihre drei Töchter durch das Land wandert;447 durchaus hätte sich diese Geschichte als Grundlage für einen intertextuellen Verweis geeignet. Ein anderes Werk, das bereits erwähnt wurde, soll auf einer von Agnon unternommenen Reise in seine Heimat Galizien im Jahr 1930 basieren: Ore’ach Nata Lalun (1939), auf Deutsch unter dem Titel Nur wie

447 Vgl. Agnon, Shmuel Yosef: The Bridal Canopy. Syracuse: Syracuse University Press 2000.

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Abb. 6: Pozdrowienia z Buczacza: Buczacz podczas wojny, ul. 3 Maja zniszczona / Gruß aus Buczacz: Buczacz während des Krieges, 3. Maigasse zerstört (1918), Stanislau: Filipp Schwarz (Quelle: Biblioteka Narodowa, Poczt.12513).

ein Gast zur Nacht448 1964 erschienen. Obwohl, wie Shoshana Ronen hinweist, »this Buczacz and Buczacz of the novel are two different towns«449, scheint die Reise Agnons nach Bucˇacˇ doch mit einer generellen Beschäftigung mit seiner Heimatstadt und Galizien verbunden. Im Roman zeichnet er Galizien durchaus trist, was während seiner Reise nicht der Fall gewesen sein soll: »Nevertheless, Agnon’s emotions and mood during his visit to Galicia certainly were not that of decline, neglect, bereavement, despair, helpless, and destruction, as one can find in A Guest for the Night.«450 Der Roman wird oft als ironische Autobiographie bezeichnet451 und als eigentlicher Protagonist darin das galizische Judentum.452 448 Agnon, Samuel Joseph: Nur wie ein Gast zur Nacht. Aus d. Hebr. von Karl Steinschneider. Frankfurt/Main: Fischer 1964. 449 Ronen: A Decline of a Town, S. 41. 450 Ebd. 451 Vgl. ebd., S. 42–42. 452 Feststellbar ist, dass Werke, die sich mit Galizien sowie Reisen nach Galizien beschäftigen oft ironische und zugleich autobiographische Züge tragen. Um nur ein paar zu nennen: Jonathan Safran Foers Everything is Illuminated. (2002), Tomasz Róz˙yckis Dwanas´cie stacji (2005) oder Maxim Billers Biografie (2016). Wie die Auflistung zeigt, handelt es sich keineswegs um ein nationales Phänomen, sondern ist das eine Auswirkung des transnationalen Erbes Galiziens. Die Ironie scheint eine Erzählstrategie zu sein: Die traumatische Familiengeschichte ist nur mithilfe der Ironie, welche zu einer zusätzlichen Stimme in den Texten wird (wie dies nachfolgend anhand der Gonzo-Reisen von Szczerek gezeigt werden wird),

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Eine solche Stimmung würde bei den neueren Reisen sicherlich auf fruchtbaren Boden fallen, genauso wie die Erzählung Der Schaß meines Großvaters (1925), die von Agnons Ehefrau Esther Marx ins Deutsche übersetzt worden ist.453 Der Autor hätte den gegenwärtigen Reisenden auch aus einer anderen Quelle bekannt sein können. Bereits 1998 kommt in der Anthologie Galizien erlesen ein Text von Agnon vor,454 ein Abschnitt aus dem Werk Der Verstoßene.455 Der Grund für das bisherige Fehlen Agnons in den Reisetexten ist wahrscheinlich der Mangel an deutschsprachiger Literatur sowie publizistisch-wissenschaftlicher Publikationen zu seiner Person. Auf hebräische oder englischsprachige Quellen wird selten zurückgegriffen, wobei es viele Materialien gäbe.456 Auch der zwanzig Jahre jüngere Simon Wiesenthal (1908–2005) wurde in Bucˇacˇ geboren und wuchs dort auf. Nach einem Studium der Architektur in Prag (in Lwiw wurde er zu einem Studium an der Polytechnischen Universität wegen der Quotenregelung gegenüber jüdischen Studenten nicht zugelassen), führte er bis zum Zweiten Weltkrieg ein Architekturbüro in Lwiw.457 Simon Wiesenthal und seine Frau Cyla, die der Familie Sigmund Freuds entstammte, planten ein Leben in ihrer Heimat Galizien, jedoch sollten die mit dem 1. September 1939 beginnenden Geschehnisse diese Lebensträume zerstören.458 Trotzdem findet seine Person keinen Eingang in die Reisen, genauso wie Jakob Frank (1726–1791) kaum Beachtung geschenkt wird. In seiner Chronik nennt er Bucˇacˇ als Geburtsort (obwohl andere Quellen Korolówka in Podolien angeben),459 aber viele seiner Lebensstationen waren in Galizien: Er lebte eine Zeit lang in Snjatyn und ˇ ernivci, das zwar in der Bukowina gelegen ist, doch im Kontext der auch in C Galizienreisen beständig aufgegriffen wird, doch nicht so im Fall Franks.460

453 454 455 456 457 458 459 460

erzählbar. Vgl. Foer, Jonathan Safran: Everything is Illuminated. Boston: Houghton Mifflin Company 2002. Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji; Biller, Maxim: Biografie. Köln: Kiepenhauer & Witsch 2016. Siehe dazu: Kapitel 5.2. Vgl. Jensen, Bernhard: Ein Kanon der jüdischen Renaissance. Sonciono-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches. Göttingen: Wallstein 2017, S. 110. Woldan/Simonek: Galizien erlesen, S. 157–158. Agnon, Samuel Joseph: Der Verstoßene. Aus d. Hebr. v. Nahum Norbert Glatzer und Moritz Spitzer. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1988. Vgl. Ronen: A Decline of a Town, S. 54. Vgl. Segev, Tom: Simon Wiesenthal. Die Biographie. Aus d. Hebr. von Markus Lemke. München: Siedler 2010, S. 513. Vgl. ebd., S. 43–56. Vgl. Dawidowicz, Klaus: Jakob Frank, der Messias aus dem Ghetto. Frankfurt/Main, Wien u. a.: Peter Lang 1998, S. 122. Zu Jakob Frank im Kontext Galiziens siehe: Molisak, Alina: Ein Messias aus Galizien? Jakob Frank und seine Lehren in Olga Tokarczuks Roman Ksie˛gi Jakubowe. In: Baran-Szołtys/ Dvoretska/Gude/Janik: Galizien in Bewegung, S. 233–244.

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2016 fand Bucˇacˇ erneut Eingang in die deutschsprachige Literatur. In Maxim Billers Roman Biografie461 stammen die jüdischen Familien der beiden Protagonisten Noah Karubiner und Soli Forlani aus der Stadt Bucˇacˇ. Durch die Herkunft verbunden sind die beiden in Hamburg lebenden Freunde und auch sie machen sich auf eine Reise nach Bucˇacˇ, die jedoch in dem fast 900 Seiten umfassenden Roman nur einen Nebenstrang des Handlungsgerüsts bildet und vor allem im zweiten, die Vergangenheit betreffenden Teil in den Mittelpunkt tritt. Bucˇacˇ wird hier zum Handlungsort des Romans: Noah sitzt am Friedhof in Bucˇacˇ und sinniert – eine typische Szene für die (vor allem englischsprachige) jüdischegalizische Literatur wie wir sie von Jonathan Safran Foer kennen. Auf zwei wichtige Punkte ist besonders hinzuweisen: Erstens wird Agnon im Roman erwähnt (Simon Wiesenthal bleibt immer noch vergessen). Zweitens hat Biller zunächst den Titel »Nach Buczacz« für den Roman angedacht, was deutlich macht, dass die Stadt im Bewusstsein des Autors eine große Rolle spielte.462 Eine genaue Analyse muss in dieser Studie ausbleiben, denn das Reisen steht nicht im Zentrum des Romans, jedoch bildet dieser Roman einen der neuesten Elemente des historisch-literarischen Archivs im Archiv Galizien.

3.2

Polnische Literatur

Während es in der deutschsprachigen Literatur in den 1990er Jahren zu einem Boom an Publikationen von Reisen nach Galizien kam, sah die Situation in der polnischen Literatur viel komplexer aus. Über Galizien wurde schon zu Zeiten der Volksrepublik Polen geschrieben, jedoch nicht in diesem Ausmaß und oft im Kontext der Kresy, welche nach der Wende noch stärker ins öffentliche Interesse rückten und das Narrativ rund um die östlichen Grenzlandschaften dominierten. So kann bei der Untersuchung der polnischen Reisen in den postgalizischen Raum der Kresy-Diskurs nicht unbeachtet bleiben, denn beide Konzepte sind in den Narrativen zumeist miteinander verwoben. Das andere die Reisetexte dominierende Thema ist die Auseinandersetzung mit den schwierigen polnisch-ukrainischen Beziehungen, weil die Volksrepublik Polen diesen Teil der polnisch-ukrainischen Geschichte innerhalb ihres dominierenden Narrativs vollkommen ausblendete. In der Zeit nach der Wende wurde diese wichtige Thematik aufgenommen, jedoch, wie die nachfolgenden Analysen zeigen werden, immer noch zurückhaltend. Die Ukraine blieb für viele Polen ein 461 Biller: Biografie. 462 Vgl. Rebhandl, Bert: Maxim Billers neuer Roman »Biografie«: »Ich spiele kein Spiel«. Interview. Der Standard, 9. April 2016. https://derstandard.at/2000034457899/Maxim-Billersneuer-Roman-Biografie-Ich-spiele-kein-Spiel [14. 03. 2017].

Polnische Literatur

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weißer Fleck auf den geopolitischen und historischen Landkarten Europas, was sich seit den Maidan-Protesten 2013/14 und dem Krieg in der Ostukraine, vor allem aber auch aufgrund der zahlreichen nach Polen immigrierten Ukrainer geändert haben dürfte. Davon zeugen vor allem die neuesten, an anderer Stelle dieser Arbeit analysierten Werke von Ziemowit Szczerek.463 Nachfolgend widmet sich die Analyse den Publikationen der ersten zwanzig Jahre nach der Wende und ihren dominierenden Themen, die überwiegend unter der thematischen Schirmherrschaft der Kresy stehen und sich vorwiegend dieses Aspekts des historisch-literarischen Archivs bedienen.

3.2.1 Galizien und die Kresy Galizien und die Kresy464 sind zwei in Beziehung stehende, historiographische und mythologisierende Konzepte, die sich mittlerweile im öffentlichen Diskurs in Polen vielfach überschneiden. Im Entstehungsprozess und in ihrer Entwicklung sind sie klar trennbar, doch waren beide entscheidend an der Herausbildung einer polnischen nationalen Identität beteiligt. Als Erinnerungsräume übernehmen sie innerhalb des nationalen Narrativs wichtige Funktionen, indem sie zum polnischen Mythos des Ostens gehören,465 wobei im polnischen Diskurs Galizien oft als Teil der Kresy gesehen wird.466 Während Galizien auf das tatsächlich existierende österreichische Kronland Galizien und Lodomerien zurückgeht, gründeten die Kresy von Anfang an auf einer Legende, die von Wincenty Pol, einem Autor des 19. Jahrhunderts, gestaltet wurde: die Geschichte vom Ritter Mohort, der die südöstlichen Grenzen der Adelsrepublik verteidigt. Das zwischen 1840 und 1852 entstandene Poem mit dem Titel Mohort. Rapsod rycerski z podania (1854)467 verbreitete sich relativ schnell in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und führt in den Kresy ein Nachleben bis heute.468 Über Jahre hinweg war es das populärste Werk von Wincenty Pol, der ab 1833 in Galizien lebte und ab 1849 das erste polnische 463 Siehe: Kapitel 5.2. 464 Mit dem Begriff Kresy werden hier die ehemaligen polnischen Ostgebiete bezeichnet, die im Polnischen »Kresy (Wschodnie)« oder einfach nur »kresy« genannt werden. Von diesen Kresy sind die von Wincenty Pol aufgegriffenen »kresy« der Adelsrepublik in ihrer historischen Bedeutung zu unterscheiden. Vgl. Schimsheimer, Christof: Galizien und die Kresy als polnische Erinnerungsorte im Vergleich. In: Baran-Szołtys/Dvoretska/Gude/Janik: Galizien in Bewegung, S. 37–55. 465 Vgl. Schimsheimer: Galizien und die Kresy, S. 37. 466 Vgl. Golec, Janusz: Od Wiednia do Czerniowiec. Galicja i Bukowina w wybranych niemieckoje˛zycznych utworach literackich. Lublin: UMSC 2017, S. 7–8. 467 Pol, Wincenty: Mohort. Rapsod rycerski z podania. Warszawa: M. Arct 1909. 468 Kolbuszewski, Jacek: Kresy. Wrocław: Wydawnictwo Dolnos´la˛skie 1995, S. 6.

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Historisch-literarisches Archiv

Institut für Geographie an der Jagiellonen-Universität in Krakau leitete. Dieses genoss großes Ansehen unter Schriftstellern wie Zygmunt Krasin´ski, Aleksander Fredro, Seweryn Goszczyn´ski oder Józef Ignacy Kraszewski.469

Abb. 7: Kafarek – Scena z »Mohorta« Wincentego Pola / Szene aus »Mohort« von Wincenty Pol (1878), schwarzweiß Photo des Holzstiches, gestochen von A. Choromanski nach dem Gemälde von Wojciech Kossak (1856–1942), gezeichnet nach einem Aquarell des Vaters Juliusz Kossak (1824–1899) (Quelle: Biblioteka Narodowa, G.53749/II).

Im Unterschied zum Mythos der Kresy entstand der Galizien-Mythos erst nach 1918 und verstärkt nach 1945–1948 bzw. 1989.470 Während die Kresy noch bis 469 Ebd. 470 Vgl. hierzu: Kowal, Grzegorz: Mit(y) Galicji. In: Janicka, Anna/Kowalski, Grzegorz/Ławski, Jarosław/Zabielski, Łukasz (Hrsg.): Pogranicza, Kresy, Wschód a idee Europy. Bd. 1. Białystok: Ksia˛z˙nica Podlaska im. Łukasza Górnickiego 2013, S. 609–652; Purchla, Jacek: Ein Galizien nach Galizien. Über den einzigartigen Mythos von einem »verschwundenen Königreich«. In: Purchla/Kos/Komar/Rydiger: Mythos Galizien, S. 49–53; Wia˛cek, Elz˙bieta/ Golemo, Karolina: Galicja for ever – nostalgiczny sen o utraconej Arkadii, moda na monarchie˛ czy atrakcja turystyczna? In: Wia˛cek, Elz˙bieta (Hrsg.): Semiotyczna mapa Małopolski, Kraków: Ksiegarnia Akademicka 2015, S. 141–223; Koz˙uchowski, Adam/Nell, Werner: Galizien. Zerrissene und wiedergefundene Geschichten. In: Hahn, Hans Henning/Traba, Robert (Hrsg.): Deutsch-Polnische Erinnerungsorte. Bd. 1: Geteilt/Gemeinsam. Paderborn: Ferdinand Schöningh 2015, S. 177–196.

Polnische Literatur

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1939 bzw. 1944 andauerten, ging Galizien mit dem Habsburgerreich 1918 unter, sodass die zeitliche Distanz der Erinnerung unterschiedlich ist und die Kresy stärker mit dem polnischen Nationalnarrativ verbunden sind. Durch seine Stellung als »Polnisches Piemont« und aufgrund der sogenannten »Galizischen Autonomie« existiert Galizien im polnischen Narrativ, doch nur in einer Randstellung, die auch eine starke regionale Komponente hat und sich vorwiegend auf das heutige Südostpolen beschränkt. Im öffentlichen Diskurs der Volksrepublik wurden Galizien und die Kresy stark zurückgedrängt. Während von offizieller Seite die Darstellung Galiziens weitgehend negativ geprägt war, wurden die Kresy bis in die 1980er Jahre tabuisiert. Die Erinnerung verlagerte sich in den privaten Bereich oder hielt Einzug in intellektuelle Kreise, wo dieses Konzept für Freiheit, Weitläufigkeit und historische Glanzzeiten Polens stand. Umso mehr florierte das Thema nach 1989, was von zahlreichen Publikationen wie Bildbänden, Reiseführern, Reiseberichten oder Memoiren,471 aber auch Neuauflagen alter Werke belegt wird.472 Diese Publikationen betreffen zumeist einen Raum, der sich mit 471 Die Anzahl dieser Publikationen ist fast unüberschaubar und stetig wachsend. Nachfolgend einige Beispiele in chronologischer Reihenfolge: Hauser, Zbigniew: Podróz˙e po cmentarzach Ukrainy – Dawnej Małopolski Wschodnie. Województwo Stanisławowskie. Bd. 1–4. Warszawa: Os´rodek Ochrony Zabytkowego Krajobrazu – Narodowa Instytucja Kultury 1998– 2009; Hauser, Zbigniew/Tokarski, Jacek: Ilustrowany przewodnik po zabytkach kultury na Ukrainie. Warszawa: Burchard Edition 2001; Baca, Aleksander/Zasada, Jacek Edmund: Kresy i Ukraina – zadanie dla siłaczy. Janów Lubelski: Społeczny Komitet Pomocy Parafii Rzymskokatolickiej w Równem na Wołyniu 2007; Jastrze˛bski, Stanisław: Moje Kresy wczoraj i dzis´. Relacja z podróz˙y po Kresach Południowo-Wschodnich. Katowice: Agencja Artystyczna PARA 2007; Michalski, Janusz: Wodami Polski, Litwy i Ukrainy. Reportaz˙e i wspomnienia. Lublin: bestprint 2007; Olszan´ski, Tadeusz: Kresy kresów. Stanisławów. Warszawa: Iskry 2008; Kozakowska-Zaucha, Urszula: Kresy w sztuce polskiej. Ze zbiorów Muzeum Narodowego w Krakowie. Kraków: Bosz 2009; Chrzanowski, Tadeusz: Kresy, czyli obszary te˛sknot. Kraków: Wydawnictwo Literackie 2009; Osip-Pokrywka, Magdalena/OsipPokrywka, Mirosław: Sentymentalna Ukraina. Warszawa: Carta Blanca 2011; Koper, Sławomir: Ukraina. Przewodnik historyczny. Tragiczne dzieje. Polskie s´lady. Warszawa: Bellona 2011; Kolowrotnik-Seniow, Stefania: Moje wspomnienia. Kraków, Budapest: Austeria 2011; Lodzin´ska, Ewa/Wieczorek, Waldemar: Polska niezwykła. Przewodnik, Atlas. Kresy Wschodnie. Warszawa: Agora 2011; Nicieja, Stanisław Sławomir: Kresowa Atlantyda. Historia i mitologia miast kresowych. Bd. 1–9. Opole: MS 2012–2017; Masłon´, Krzysztof: Puklerz Mohorta. Lektury kresowe. Poznan´: Zysk i S-ka 2014; Ostrowski, Jan K./Tarasow, Sergiej W.: Kresy. Pie˛kno utracone. Oz˙arów Mazowiecki: Olesiejuk 2015; Czarnowski, Ryszard Jan: Kresy utracone dzieje. Warszawa: Rytm 2017. 472 Zusätzlich sind verschiedene Neuauflagen (Reprints) alter Publikationen erschienen wie z. B. Antoni Urban´skis vierbändige Ausgabe Memento kresowe. Vgl. Urban´ski, Antoni: Z czarnego szlaku i tamtych rubiez˙y. Zabytki polskie przepadłe na Podolu, Wołyniu, Ukrainie. Bd. 1. Reprint Warszawa 1928, Gdan´sk: Graf 1991; Urban´ski, Antoni: Podzwonne na zgliszczach Litwy i Rusi. Bd. 2. Reprint Warszawa 1928, Gdan´sk: Graf 1991; Urban´ski, Antoni: Memento kresowe. Bd. 3. Reprint Warszawa 1929, Gdan´sk: Graf 1991; Urban´ski, Antoni: Pro memoria. 4-ta serja rozgromionych dworów kresowych. Bd. 4. Reprint Warszawa 1929, Gdan´sk: Graf 1991.

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Historisch-literarisches Archiv

dem galizischen territorial und erinnerungstechnisch überschneidet.473 In der Forschung wurden vor allem zwei Themenfelder abgearbeitet: die Beziehung zwischen den Kresy und den neu besiedelten, ehemals deutschen Ostgebieten474 sowie der postkoloniale Aspekt dieser Räume.475 Die räumliche Verortung beider Konzepte erscheint problematisch, da beide, wie oft bei Erinnerungsräumen, gängige territoriale Beschränkungen sprengen. Eindeutig ist jedoch, dass der östliche, heute zur Ukraine gehörende Teil Galiziens ein Teil der Kresy ist, wodurch sich bei den polnischen Reisen im postgalizischen Raum diese Erinnerungsräume in den Reisetexten verschränken. Die Kresy bauen stärker auf ihrem poetischen Erbe auf, worauf der polnische KresyForscher Jacek Kolbuszewski hinweist: Wenn sie sich auf Raum beziehen, sind die Kresy oft eine Metapher, öfters – ein mehrdeutiges Symbol. Es sieht so aus, als ob das Wort kresy sogar in seinem umgangssprachlichen Gebrauch den Status eines Elements der poetischen Sprache behalten würde.476

Dabei ist die im Begriff enthaltene territoriale Grenzstellung im Polnischen nur eine ihrer vielen Eigenschaften:477

473 Besonders ersichtlich wird dies in den dem galizischen Territorium sowie Städten wie Lwiw (»Lwów«) oder Ivano-Frankivs’k (»Stanisławów«) gewidmeten Publikationen, siehe u. a.: Koper, Sławomir: Spacer po Lwowie. Przewodnik po Kresach. Warszawa: Axel Springer 2008. 474 Siehe hierzu u.a.: Syrnyk, Jarosław: Ludnos´c´ ukrain´ska na Dolnym S´la˛sku (1945–1989). Wrocław: IPN 2007; Bömelburg, Hans-Jürgen/Stößinger, Renate/Traba, Robert (Hrsg.): Vertreibungen aus dem Osten. Deutsche und Polen erinnern sich. Olsztyn: Borussia 2000; Nowicka, Ewa/Bilewicz, Aleksandra: Pamie˛c´ utraconych ojczyzn. Warszawa: WUW 2012; Suleja, Włodzimierz: Trudny proces zakorzenienia. Kresowiacy na Dolnym S´la˛sku. In: Burzyn´ska-Kamienicka, Anna/Misiak, Małgorzata/Kamienicki, Jan (Hrsg.): Kresowe dziedzictwo. Studia nad je˛zykiem, historia˛ i kultura˛. Wrocław: ATUT 2012, S. 269–275. 475 Siehe hierzu u. a.: Bakuła, Bogusław: Colonial and Postcolonial Aspects of Polish Discourse on the »Borderlands«. In: Korek, Janusz (Hrsg.): From Sovietology to Postcoloniality. Poland and Ukraine from a Postcolonial Perspective. Stockholm: Södertörn hogsköla 2007, S. 41–59; Borkowska, Graz˙yna: Perspektywa postkolonialna na gruncie polskim – pytania sceptyka. In: Teksty Drugie 5 (2010), S. 40–52; Kołodziejczyk, Dorota: Postkolonialny transfer na Europe˛ S´rodkowo-Wschodnia˛. In: Teksty Drugie 5 (2010), S. 22–39. Genaueres zum Postkolonialismus in Bezug auf Polen, Kresy und Galizien siehe: Kapitel 5.2.1.3. 476 Kolbuszewski, Jacek: Kresy – poje˛cie, znaczenia, wartos´ci. In: Burzyn´ska-Kamienicka, Anna/ Misiak, Małgorzata/Kamienicki, Jan (Hrsg.): Kresowe dziedzictwo. Studia nad je˛zykiem, historia˛ i kultura˛. Wrocław: ATUT 2012, S. 11–23; hier: S. 13. Original: »Oznaczaja˛c przestrzen´, kresy sa˛ cze˛sto metafora˛, cze˛´sc´iej – wieloznacznym symbolem. Tak to wygla˛da, jakby słowo kresy nawet w jego potocznych uz˙yciach zachowywało status elementu je˛zyka poetyckiego.« 477 Zur Genese des Begriffs und seiner Bedeutung siehe: Kolbuszewski: Kresy; Kolbuszewski: Kresy – poje˛cie, znaczenia, wartos´ci; Kieniewicz, Stefan: Kresy. Przemiany terminologiczne w perspektywie dziejowej. In: Przegla˛d Wschodni 1 (1991), S. 3–13; Wedemann, Marek: Gdzie lez˙y Beresteczko? Kresy na mapie. In: Trybus´, Krzysztof/Kała˛z˙ny, Jerzy/Okulicz-

Polnische Literatur

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Es lohnt sich zu bemerken, dass diese Bedeutung des polnischen Ausdrucks kresy, seine Äquivalente in den Fremdsprachen nicht beinhalten (z. B. engl. borderland, dt. Grenzland, franz. confin, sk. pohranicˇie, lv. pierobezˇas apgabali etc.).478

Dies ist die Bestätigung ihrer Funktion als Erinnerungsraum. Wincenty Pol dachte in seinem Mohort die geographische Komponente des Wortes »kresy« gar nicht mit, diese entstand erst durch ihre Genese. Als Geograph und Karpatenforscher hätte er einen solchen territorialen Bezug sicherlich festgehalten, dies tat er jedoch in keiner seiner geographischen Arbeiten479 – eine Tatsache, die die Kresy teilweise in einem anderen Licht erscheinen lassen Die postgalizischen Reisen stützen sich hier auf die sich mit den Kresy überschneidenden Teile des Archivs Galizien. Auf die Notwendigkeit der Sammlung von Materialien zu den Kresy, wie im Archiv üblich, deutet Kolbuszewski hin: […] die Schaffung irgendeiner unvorstellbar großen Summe an Werken, in welchen Fakten, Erscheinungen, Leistungen, Objekte, die in diesen Kresy in verschiedenen Seinsformen entstanden und zu Elementen des nationalen Erbes geworden sind, fixiert, eingeschrieben, interpretiert und im Rahmen eines entsprechenden axiologischen Systems beurteilt worden sind. Unter bestimmten Aspekten und in manchen Bereichen wurden Teile, Teilchen und manchmal sogar größere Teile einer solchen Arbeit bereits durchgeführt.«480

Die Beschreibung Kolbuszewskis gleicht fast der Definition des Archivs Galizien. Dass ein gewisser Teil dieser Sammlung bereits vorhanden ist, scheint logisch, doch einen weiteren Ausbau treiben unter anderem die nachfolgend vorgestellten literarisch-publizistischen Werke voran. Kolbuszewski denkt bei seiner Abhandlung an systematische Darstellungen, doch bilden diese nur einen Teil eines semantisch-axiologischen Systems, den anderen machen alle übrigen Publikationen zu diesem Thema aus.

Kosaryn, Radosław (Hrsg.): Kresy. Dekonstrukcja. Poznan´: Wydawnictwo Poznan´skiego Towarzystwa Przyjaciół Nauki 2007, S. 11–35. 478 Kolbuszewski: Kresy – poje˛cie, znaczenia, wartos´ci, S. 13. Original: »Warto zauwaz˙yc´, z˙e tej ekspresji znaczeniowej, jaka˛ maja˛ polskie kresy, nie zawieraja˛ w sobie obce słownikowe odpowiedniki tego wyrazu (np. ang. borderland, niem. Grenzland, fr. confin, słow. pohranicˇie, łot. pierobezˇas apgabali etc.).« 479 Ebd., S. 17. 480 Ebd., S. 11. Original: »[…] stworzeni[e] jakiejs´ niewyobraz˙alnie duz˙ej sumy dzieł, w których by zostały utrwalone, zapisane, zinterpretowane i osadzone w ramach odpowiedniego systemu aksjologicznego, fakty, zjawiska, dokonania, objekty, które na tych Kresach zaistniały w róz˙nych formach bytu i stały sie˛ elementami narodowego dziedziwctwa. W pewnych aspektach i pewnych zakresach cza˛steczki, cza˛stki i czasem nawet wie˛ksze cze˛´sci takiej pracy zostały wykonane.«

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Historisch-literarisches Archiv

3.2.2 Katarzyna We‚glicka: Plaudereien über die Kresy Katarzyna We˛glickas rege Reisetätigkeit in die Kresy lässt sich anhand zahlreicher Publikationen nachverfolgen, in denen die Autorin mit der Erzählerin gleichgesetzt werden kann: Opowies´ci kresowe. Litwa481 (Grenzlanderzählungen. Litauen, 2004), Kresowym szlakiem. Gawe˛dy o miejscach, ludziach i zdarzeniach482 (Auf den Wegen des Grenzlandes. Plaudereien über Orte, Menschen und Ereignisse, 2005), We˛drówki kresowe. Gawe˛dy o miejscach, ludziach i zdarzeniach483 (Grenzlandwanderungen. Plaudereien über Orte, Menschen und Ereignisse; 2006), Białoruskie ´sciez˙ ki. Gawe˛dy kresowe484 (Belorussische Pfade. Grenzlandplaudereien, 2006), Na dalekiej Ukrainie. Gawe˛dy kresowe485 (Ferne Ukraine. Grenzlandplaudereien, 2007), Bliska Ukraina. Gawe˛dy kresowe486 (Nahe Ukraine. Grenzlandplaudereien, 2009) und »Moja« Litwa. Gawe˛dy kresowe487 (»Mein« Litauen. Grenzlandplaudereien, 2011). Dabei beschreiben We˛drówki kresowe. Gawe˛dy O miejscach, ludziach i zdarzeniach (2006) und Bliska Ukraina. Gawe˛dy kresowe (2009) Reisen innerhalb des postgalizischen Raums. We˛glicka schöpft aus polnischen Materialien des Archivs Galizien, besonders dem Teil, der sich mit den Kresy überschneidet,488 was der in allen Büchern gleiche Aufbau verdeutlicht: einer Einleitung folgen kurze Texte zu verschiedenen Städten und Reiseabschnitten, gefüllt mit Zitaten, historischen Daten und ständigen Verweisen auf historische Persönlichkeiten oder Ereignisse. Am Ende des Buches befindet sich ein Orts- und Personenindex, manchmal eine Bibliographie (überwiegend mit polnischen Quellen489) sowie alte Karten der östlichen Grenzgebiete bzw. der alten Territorien der Rzeczpospolita immer unter Einbeziehung der heutigen territorialen Grenzziehungen Polens.

481 We˛glicka, Katarzyna: Opowies´ci kresowe. Litwa. Warszawa: Dialog 2004. 482 We˛glicka, Katarzyna: Kresowym szlakiem. Gawe˛dy o miejscach, ludziach i zdarzeniach Warszawa: Ksia˛z˙ ka i Wiedza 2005. 483 We˛glicka: We˛drówki kresowe. 484 We˛glicka, Katarzyna: Białoruskie s´ciez˙ ki. Gawe˛dy kresowe. Warszawa: Ksia˛ z˙ ka i Wiedza 2006. 485 We˛glicka, Katarzyna: Na dalekiej Ukrainie. Gawe˛dy kresowe. Warszawa: Ksia˛z˙ ka i Wiedza 2007. 486 We˛glicka: Bliska Ukraina. 487 We˛glicka, Katarzyna: Moja Litwa. Gawe˛dy kresowe. Warszawa: Ksia̜z˙ ka i Wiedza 2011. 488 In den letzten Jahren hat Katarzyna We˛glicka noch weitere Bücher zu den Kresy veröffentlicht, die keinen Reisen gewidmet sind, jedoch dieses semantische Feld befüllen. Vgl. We˛glicka, Katarzyna: Polacy z Kresów. Znani i nieznani. Warszawa: Bellona 2015; We˛glicka, Katarzyna: Polskie Kresy. Warszawa: Bellona 2015; We˛glicka, Katarzyna: Polskie Kresy literackie. Warszawa: Bellona 2015; We˛glicka, Katarzyna: Wielcy Kresowiacy. Warszawa: Bellona 2015. 489 Vgl. We˛glicka: Bliska Ukraina, S. 370–372.

Polnische Literatur

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Laut Index kommt der Begriff Galizien in We˛drówki kresowe nur sechsmal vor,490 jedoch ist er als kontextueller Bezugspunkt durch das gesamte Werk hindurch und in fast allen Abschnitten präsent. In Bliska Ukraina finden wir den Begriff vierzehnmal491 und tatsächlich bekommt Galizien hier einen wichtigeren Stellenwert, obwohl in diesem Buch keine Karte von Galizien zu finden ist, sondern nur die der Rzeczpospolita zwischen 1569 und 1648 wie in Gawe˛dy Kresowe.492 Landkarten We˛drówki kresowe beinhalten im Anhang mehrere Karten. Die erste, größte und wichtigste bildet die Karte der Rzeczpospolita in ihren Grenzen zwischen 1569 und 1648 – ein riesiges Territorium. Die Karte stellt mit unterschiedlichen Schattierungen und Schraffierungen die Unterschiede des Territoriums der Rzeczpospolita je nach historischer Periode dar.493 Die Kennzeichnung der heutigen Grenzen Polens macht eines ganz deutlich: die heutige Dritte Polnische Republik (III Rzeczpospolita) ist weitaus kleiner als das damalige Gebiet. Nachkommend folgen Karten der verschiedenen Woiwodschaften der Zweiten Polnischen Republik (II Rzeczpospolita): Województwo Białostockie, Województwo Lwowskie, Województwo Nowogródzkie, Województwo Poleskie, Województwo Stanisławowskie, Województwo Tarnopolskie, Województwo Wilen´skie und Województwo Wołyn´skie.494 All diese im polnischen Narrativ mittlerweile mythisierten Landschaften erzeugen den Eindruck eines riesigen von Polen erlittenen Verlustes und veranschaulichen das polnische Erbe dieses Raums. Von Galizien ist hier keine Karte zu finden, doch die Texte behandeln den galizischen Teil der polnischen Geschichte – man bedient sich aus dem Archiv Galizien. Die Karten verdeutlichen, dass der Text den Raum im Kontext der Zeit sieht, dabei wird die polnische Geschichte vom Raumarchiv aus erzählt: »In Lemberg erzählt uns jedes Haus, fast jeder Stein seine Geschichte. »495 Dass es sich hierbei vor allem um die polnische Geschichte handelt, macht das Motto von Zygmunt Gloger klar: »Fremde Dinge zu wissen ist gut / die eigenen – Pflicht.«496 Dementsprechend geht We˛glicka den polnischen Spuren in diesem Raum nach, wobei sie sich auf den Spurencharakter der erhaltenen Materialien stützt, was erst seit der politischen Wende 1989/1991 wurde:

490 491 492 493 494 495 496

We˛glicka: We˛drówki kresowe, S. 94. Vgl. We˛glicka: Bliska Ukraina, S. 374. Vgl. ebd., S. 292. Vgl. We˛glicka: We˛drówki kresowe, S. 400. Vgl. ebd., S. 401–407. Ebd., S. 96. Original: »We Lwowie kaz˙dy dom, nieomal kamien´ opowie nam swoja˛ historie˛.« Ebd., S. 2. Original: »Cudze rzeczy wiedziec´ dobrze jest / swoje – obowia˛zek.«

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Als sich das Rad der Geschichte gedreht hat, bin ich zu den früheren Kresy aufgebrochen, um zu sehen, was überlebt hat, und in die Schatten der Vergangenheit zu versinken. Es kam die Zeit, wo man nach Spuren suchen konnte, obwohl so wenige noch geblieben sind. […] Man muss über diese Kresy-Vergangenheit sprechen, die Bruchstücke der Geschichte sammeln, an die Menschen erinnern.497

Laut We˛glicka ist es die Aufgabe dieser Galizien und den Kresy gewidmeten Archivarbeit, die Reste der Vergangenheit zu sammeln und für die nachfolgenden Generationen verfügbar zu machen: Ich hoffe, dass dieses Buch in die Hände von vielen jungen Leuten gerät, die noch nie in den Kresy waren. Vielleicht wird es sie ermutigen, sich mit der Vergangenheit der Kresy zu beschäftigen. Zwischen dem, was für immer unumkehrbar zu Ende ist, können sie jenes finden, was dauerhaft und kostbar ist.498

Das Wertvolle und Fortwährende soll aufbewahrt werden, das Urteil über diese Eigenschaften fällen die Reisenden als Archivierende selbst. We˛glicka ist auf das Raumarchiv und auf das Imaginationsarchiv bei der Aktualisierung und Produktion ihrer weiteren Überlieferung angewiesen – nachfolgend ein Beispiel wie ein solcher Entstehungsprozess im Hinblick auf Galizien und die Kresy vonstattengeht. Beispiel: Artur Grottger Im Abschnitt »Grottger i Lwów«499 (Grottger und Lwiw) aus dem Band Gawe˛dy Kresowe geht es um den im Jahr 1837 in Galizien geborenen Maler und Zeichner Artur Grottger (1837–1867), dessen Leben und sozialer Umgebung samt historischem und topographischem Kontext nachgegangen wird; dies anhand einer zufälligen Station auf We˛glickas Reise. Die Erzählerin trifft bei ihrer Fahrt nach Lwiw Herrn Antoni, der sie überredet mit ihm in die ukrainisch-polnische Grenzstadt und seine Geburtsstadt Uhnów (ukr. Uhniv) mitzukommen. Der diese Reiseetappe als Cicerone führender Herr Antoni ist selbst auf einer Heimatreise, um seine Verwandten in seiner Herkunftsstadt zu besuchen. Das an die Erzählerin weitergegebene Wissen über Uhniv stammt aus einem ganz individuellen Kontext, vermischt familiäre mit kulturellen Elementen und bereichert so das historisch-literarische Archiv um den Aspekt des Subjektiv-Beliebigen. Ganz mnemotechnisch geht We˛glicka bei ihrer Darstellung des Bezugs von 497 We˛glicka: Bliska Ukraina, S. 8. Original: »Kiedy odwrócił sie˛ bieg historii, wyruszyłam na dawne Kresy, aby zobaczyc´, co ocalało, i pogra˛z˙yc´ sie˛ w cieniach przeszłos´ci. Nastał czas, kiedy moz˙na było szukac´ ´sladów, chociaz˙ zostało ich tak niewiele. […] Trzeba mówic´ o tej kresowej przeszłos´ci, zbierac´ okruchy historii, pamie˛tac´ o ludziach.« 498 Ebd., S. 9. Original: »Mam nadzieje˛, z˙e ksia˛z˙ka […] trafi do ra˛k wielu ludzi młodych, którzy nie byli nigdy na Kresach. Moz˙e zache˛ci ich do zapoznawania sie˛ z przeszłos´cia˛ Kresów. Pos´ród tego, co nieodwracalnie skon´czone, be˛da˛ mogli znalez´c´ to, co trwałe i cenne.« 499 Vgl. We˛glicka: We˛drówki kresowe, S. 66–72.

Polnische Literatur

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Grottger zu Uhniv vor. Ausgehend vom Raumarchiv wird hier auf das historischliterarische Archiv zurückgegriffen und ein weitaus größeres Spektrum eröffnet, durch das die Vergangenheit in die Betrachtungen und den Text hereingeholt werden kann. We˛glicka bindet diese Vergangenheit primär an die polnische Geschichte. Leerstellen in der Gegenwart füllt sie durch Rückgriffe auf das Archiv: Ausgehend von einem kleinen Ort und einem Grab wird anhand von Archivmaterialien die Welt des 19. Jahrhunderts und der darin lebenden polnischen KünstlerInnen entworfen. Sie zitiert aus der dreibändigen Grottger-Biographie Rapsod powstan´czy (Aufstandsrhapsodie) von Ludwik S´wiez˙awski. Zunächst führt sie S´wiez˙awskis Beschreibung der Landschaft und der Kirche in Uhniv an. Dieser vergangenen Darstellung stellt sie die gegenwärtigen Verhältnisse gegenüber: Heute können wir so eine Erscheinung des Gotteshauses in Uhnów, welches aus der Entfernung schön und lebendig scheint, nicht mehr sehen. […] Im Dorf gibt es keine Polen mehr, also auch keine Katholiken und das Gotteshaus wird von niemandem mehr gebraucht […].500

In We˛glickas Augen prägen der Verfall und die Abwesenheit des Polnischen den gegenwärtigen Ort; die Autorin selbst konzentriert sich über die Darstellung der Lebensgeschichte Grottgers auf die Geschichte des Ortes. Sie skizziert sein Leben mit seiner Verlobten Wanda Monné, erwähnt seine Bekannten und Nachfahren aus dieser galizischen Gegend. Dies beinhaltet auch Grottgers Grab auf dem Lycˇakivs’kyj -Friedhof in Lwiw aus dem Jahr 1868 und die von ihm geprägten, von der Autorin ebenso aufgesuchten Orte in der Stadt. Der genauen Beschreibung des Grabes folgt ein Tagebucheintrag der jungen Wanda Monné über ihre Empfindungen sowie die Geschehnisse rund um den Tod ihres Geliebten, zitiert nach den Briefen und Tagebucheinträgen, die Maryla Wolska und Michał Pawlikowski zum Druck freigaben: Artur i Wanda. Dzieje miłos´ci Artura Grottgera i Wandy Monné (Artur und Wanda. Die Geschichte der Liebe zwischen Artur Grottger und Wanda Monné). Als Weiterführung von Grottgers Leben erwähnt We˛glicka im Anschluss Maryla Wolska, die Tochter von Monné und ihrem späteren Ehemann sowie Freund Grottgers Karol Młodnicki, und gibt durch die Darstellung des von ihr geführten literarischen Salons ein Bild der damaligen Intellektuellen- und Künstlerkreise von Lwiw. Dieses wird mit einem die Atmosphäre dieser Villa beschreibenden direkten Zitat aus Quodlibecik der Dichterin und Enkelin von Monné, Beata Obertyn´ska, unterlegt.501 Als Gegenseite steht die triste Gegenwart: 500 Ebd., S. 67. Original: »Dzis´ takiego obrazu uhnowskiej s´wia˛tyni, która tylko z oddali wydaje sie˛ ładna i z˙ywa, juz˙ nie zobaczymy. […] W wiosce nie ma juz˙ Polaków, wie˛c nie ma katolików i s´wia˛tynia stoi nikomu niepotrzebna […].« 501 Vgl. ebd., 70–71.

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Abb. 8: Lwów, Pomnik Artura Grottgera w kos´ciele oo. Dominikanów / Artur-Grottger-Denkmal in der Dominikanerkirche, nach 1906 (Quelle: Biblioteka Narodowa, Poczt.676).

»Die alte Villa der Wolskis, früher ein literarischer Salon Lwiws, existiert nicht mehr, sie wurde vollständig zu einer neuen, geschmacklosen und nicht zur Umgebung passenden neureichen Residenz umgebaut.«502 Illustriert wird dies durch Bilder Lwiws aus dem 19. Jahrhundert, die die Dominanz der Vergangenheit verstärken und das polnische »Lwów« zeigen. Die ukrainische Gegenwart wird durchwegs negativ dargestellt, besonders in Bezug auf ihre Einstellung zum 502 Ebd., S. 70. Original: »Stara willa Wolskich, niegdys´ salon literacki Lwowa, juz˙ nie istnieje, została całkowicie przebudowana na nowa˛, pozbawiona˛ gustu i niepasuja˛ca˛ do otoczenia rezydencje˛ nowobogackich.«

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kulturellen und ganz speziell zum polnischen Erbe, ein Aspekt der bereits in den deutschsprachigen Werken auffiel. Unbekannte Orte We˛glicka zählt zudem weniger bekannte polnische Orte in Galizien auf. In »Lwowskie Ciekawostki«503 (Interessantes aus Lwiw) besucht sie den JaniwerFriedhof in Lwiw aus dem Jahr 1883, auf dem während des Ersten Weltkriegs viele Soldaten verschiedener nationaler Herunft sowie die polnischen und ukrainischen Gefallenen aus den Kämpfen um Lwiw 1918–1919 beigesetzt wurden. Die Erzählerin ruft dabei polnische Touristen zum Besuch und zum Gedenken dieses polnischen Ortes in Lwiw auf: »Vielleicht lohnt es sich, außer den Gräbern auf dem Friedhof der »Jungen Adler«, auch diesen Ort zu pflegen. Ein Erinnern steht doch allen Gefallenen zu!«504 Hinweise auf vergessene Orte und eine Rüge polnischer Touristen, welche diese Orte nicht besuchen, kommen vermehrt vor, auch in Bezug auf den katholischen Friedhof in Brody: »Schade, dass nur so wenige Touristen hier hinschauen.«505 Dadurch erzeugt der Text einen zweifachen Eindruck. Erstens weist er auf eine gewisse Beschränktheit der touristischen Reisetätigkeit hin, zweitens versucht We˛glicka diese durch ihre Erwähnung der Orte und den direkten Aufruf zum Besuch auszuweiten. So verstärkt sie die Bedeutung dieser Orte im Imaginationsarchiv. Auf den Stryjs’kyj-Park mit dem Pavillon für das Panorama von Racławice macht We˛glicka (wie zuvor Dohrn oder Schieb) aufmerksam und beschreibt ausgiebig die Geschichte seiner Entstehung und die heutige Nutzung des Pavillons als Sporthalle der Lwiwer Technischen Universität.506 Auch das Denkmal von Bartosz Głowacki im heutigen Lycˇakivs’kyj-Park wird erwähnt.507 Neben diesem polnischen Erbe erinnert We˛glicka in einem einzigen Absatz an die jüdischen Orte in Lwiw, wie das ehemalige jüdische Krankenhaus bei der Rappaport-Straße oder an die sich in diesem ehemals jüdischen Stadtteil befindende Erinnerungstafel für Scholem Alejchem.508 Diese jüdischen Orte bilden in den deutschsprachigen Reiseberichten den Schwerpunkt, in den Kresy-Reiseberichten finden sie nur am Rande Platz. Außerdem erwähnt die Erzählerin aus der deutschsprachigen Literatur bekannte Orte wie Brody, wobei sie erneut Kritik an der selektiven Reisezielauswahl polnischer Reisender übt: »Unbegreiflicherweise fahren viele polnische Reise503 Vgl. ebd., S. 93–96. 504 Ebd., S. 93. Original: »Moz˙e warto, oprócz mogił na Cmentarzu Orla˛t, zaopiekowac´ sie˛ i tym miejscem. Przeciez˙ pamie˛c´ nalez˙y sie˛ wszystkim poległym!« 505 We˛glicka: Bliska Ukraina, S. 50. Original: »Szkoda, z˙e tak niewielu turystów tutaj zagla˛da.« 506 We˛glicka: We˛drówki kresowe, S. 95. 507 Vgl. ebd., S. 95–96. 508 Vgl. ebd., S. 94.

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gruppen an dieser Stadt vorbei.«509 Den Geburtstort von Joseph Roth würdigt sie mit zwei Zitaten aus seinen Werken Juden auf Wanderschaft und Reise durch Galizien, die sie jedoch nach Martin Pollack bzw. Antoni Worobiec zitiert.510 Diese Sekundärzitate deuten erneut auf die Materialienzirkulation hin: Sobald eine Quelle aus den Archivmaterialien ausgewählt und in einem neuen Text aktualisiert wurde, vergrößert sich ihr Rezipientenkreis und die Wahrscheinlichkeit, dass sie in weiteren Werken wieder aufgegriffen wird. Martin Pollacks Nach Galizien als Kanon der galizischen Literatur nach der Wende 1989/1991 kann seine Rolle bei dieser Zirkulation immer wieder behaupten, auch außerhalb des deutschsprachigen Raums, wie man an diesem Beispiel sieht. Während dieses Reiseabschnitts werden Zitate aus literarischen Texten der Vergangenheit direkt mit der gegenwärtigen Realität konfrontiert und im Text gegenübergestellt, der Glanz der Vergangenheit siegt erneut gegen die Trostlosigkeit der Gegenwart, so wie in allen weiteren Darstellungen We˛glickas. In Brody sucht die Autorin neben den allgemein bekannten auch weniger populäre polnische Orte auf, die bisher keinen Eingang in Reiseberichte gefunden haben, wie den katholischen Friedhof. We˛glicka macht ferner auf die für die polnische Geschichte so wichtige Festung und ihren generellen Verfall aufmerksam: »Wie lange wird man sie noch anschauen können, bevor sie von der Erdoberfläche verschwindet? Immer weniger Sehenswürdigkeiten der Kresy überdauern im Osten.«511 Die Tatsache, dass der polnische Schriftsteller Józef Korzeniowski hier zur Welt kam, wird an vorderster Stelle erwähnt. Somit öffnet sie das von Joseph Roth dominierte Brody für die polnische Perspektive und deren Narrativ, wobei auch das jüdische Erbe durch die Darstellung des ehemals jüdischen Lebens der Stadt gekennzeichnet wird. Jüdisches Erbe: »Galizische Städtchen« Im Abschnitt »Galicyjskie miasteczka«512 (Galizische Städtchen) tritt das jüdische Erbe besonders stark in den Vordergrund, nicht zuletzt durch die zwei Abbildungen eines Juden und einer Jüdin aus dem 18. Jahrhundert. Es ist erneut eine typische Gegenüberstellung eines Referenztexts aus der Vergangenheit mit den gegenwärtigen Beschreibungen der Autorin im Reisebericht. In diesem Fall stellt We˛glicka der verlorenen Welt aus Hermann Blumenthals Der Weg der Jugend (allerdings nach Antoni Worobiec zitiert) ihre nostalgische Darstellung der Gegenwart gegenüber. Sie beschreibt das Treiben eines galizischen Städtchens: 509 We˛glicka: Bliska Ukraina, S. 46. Original: »Nie wiedziec´ czemu, wiele wycieczek z Polski omija to miasto.« 510 Vgl. ebd., S. 46, S. 51. 511 Ebd., S. 48. Original: »Jak długo jeszcze be˛dzie moz˙na ja˛ ogla˛dac´, zanim zniknie z powierzchni ziemi? Coraz mniej kresowych zabytków trwa na Wschodzie.« 512 Vgl. ebd., S. 84–90.

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So sah die heute schon vergessene Welt aus, die wie aus den Romanen von Julian Stryjkowski oder Andrzej Kus´niewicz zu sein schien – Schriftstellern, die aus Galizien stammen. Ihre Erzählungen über die Welt, die fortging, werden heute selten gelesen. Und jetzt, wenn ich auf Wanderschaft durch die galizischen Städte aufbreche, weiß ich schon, dass ich diese vergangene Zeit, diese Gerüche, die Atmosphäre, das Markttreiben nicht mehr finden werde. Anstatt der Ausrufe: cymes oder gescheft werde ich hören: Ce je dobre oder Ce normalno, dajte odno pywo. Es wird den alten Trubel, das Geschrei nicht geben: gewałt. Auf dem Marktplatz wird die Sprache Sˇevcˇenkos erklingen, und nicht die von Scholem Alejchem. So sind die Zeiten.513

Aus dem Archiv Galizien werden die polnischen Autoren Julian Stryjkowski und Andrzej Kus´niewicz sowie der jiddischsprachige Autor Scholem Alejchem befördert, zusätzlich die jiddische Sprache, die der ukrainischen gegenübergestellt wird. Obwohl die Textpassage der untergegangenen Welt nachtrauert und erneut auf die geringe Popularität mancher galizischer Autoren bei der heutigen Leserschaft hinweist, demnach das nostalgische Galizien-Narrativ übernimmt, wechselt We˛glicka gleich darauf die Perspektive. Sie preist den gegenwärtigen Raum als Voraussetzung für die Beschäftigung mit dem Vergangenen, also in der Funktion des Raumarchivs: Aber diese Welt ist auch interessant. Manchmal zeigt sie ein Fragment der vergessenen Vergangenheit. Wie durch ein Wunder gibt sie ein Geheimnis preis. Es zahlt sich aus auf Wanderschaft durch die kleinen galizischen Städtchen zu gehen, […].514

Polnisch-ukrainische Beziehungen Allgemein lässt sich feststellen, dass in We˛glickas Texten eine Auseinandersetzung mit der polnischen Geschichte im postgalizischen Raum vor allem die Funktion eines gesellschaftlich-historischen Wissenstransfers sowie deren Überlieferung trägt. Das historische Nationalbewusstsein wird durch den Rekurs auf den polnischen Aspekt dieses Raums gestärkt. We˛glickas Versprechen aus der Einleitung des Buches, die polnisch-ukrainischen Beziehungen zu stärken, kann so nicht eingelöst werden, jedoch ist eine Entwicklungstendenz zum Transnationalen zu beobachten: Der sich nur auf die Ukraine beschränkende, drei Jahre später erschienene Band Bliska Ukraine konzentriert sich stärker auf die anderen 513 Ebd., S. 85. Original: »Tak wygla˛dał zapomniany juz˙ dzis´ ´swiat rodem z powies´ci Juliana Stryjkowskiego czy Andrzeja Kus´niewicza – pisarzy wywodza˛cych sie˛ włas´nie z Galicji. Ich opowies´ci o ´swiecie, który odszedł, sa˛ dzis´ rzadko czytane. I teraz, kiedy wyruszam na we˛drówke˛ po galicyjskich miasteczkach, juz˙ wiem, z˙e nie odnajde˛ tamtego czasu, zapachów, atmosfery, jarmarcznej krza˛taniny. Zamiast okrzyków: cymes lub geszeft usłysze˛: Ce je dobre albo Ce normalno, dajte odno pywo. Nie be˛dzie dawnego rwetesu, krzyków: gewałtu. Na targu be˛dzie rozbrzmiewac´ mowa Szewczenki, a nie Szolema Alejchema. Takie czasy.« 514 Ebd., S. 85. Original: »Ale ten s´wiat tez˙ jest interesuja˛cy. Czasami pokazuje fragment zapomnianej przeszłos´ci. Jakims´ cudem uchyla ra˛bke˛ tajemnicy. Warto sie˛ udac´ na we˛drówke˛ do małych galicyjskich miasteczek, […].«

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Ethnien und beinhaltet neben dem polnischen manchmal auch ein übernationales Narrativ – vermeintlich die Absicht der Autorin: Ohne Kenntnis der Geschichte kann man unsere Nachbarn nicht verstehen. Man darf die schwierigen Phasen der Vergangenheit nicht verschweigen und die schlechten Taten unserer Vorfahren nicht verleugnen. Wenn wir nach hinten schauen, denken wir über die Gegenwart und die Zukunft nach. Man muss sehr viel über die gegenseitige Geschichte lernen, damit man reden kann. Man darf die gemeinsame Geschichte nicht nur oberflächlich anschauen, weil uns dies verwirren und die Missverständnisse vertiefen könnte. Was weiß ein durchschnittlicher Pole von der Ukraine? Besonders für die jüngere Generation blieben die Gebiete östlich von unserer Grenze fast schon ein weißer Fleck auf der Landkarte.515

Die ukrainisch-polnischen Beziehungen und die gemeinsame, verflochtene Geschichte dieser beiden Länder ist ein weiteres Themenspektrum der postgalizischen Reisen in der polnischen Literatur. Oft macht We˛glicka auf Konflikte zwischen Polen und Ukrainern aufmerksam, die gegenwärtig besonders häufig konfessionellen Hintergrund haben, wie im Hinweis auf die ehemals römischkatholische Kirche in Brody festzustellen war.516 Dies ist für die polnischen AutorInnen ein spezifisches Thema. Die Reisenden aus den deutschsprachigen Ländern haben dafür kein Gespür, ihnen fehlen die Kenntnisse der polnischen Geschichte. Trotz des klar deklarierten Ziels der Autorin die ukrainisch-polnischen Beziehungen zu beleuchten, bleibt die ukrainische Perspektive auf diesen Raum unterbeleuchtet, mehr noch, die ukrainische Gegenwart wird negativ dargestellt. Fazit In We˛glickas Texten kann ein klarer Unterschied in der Darstellung zwischen den Kresy- und Galizien-Texten festgestellt werden. Zwar steht überall das polnische Erbe im Vordergrund, doch kommen in Bezug auf Galizien verstärkt übernationale Narrative zum Tragen, besonders, was das jüdische Erbe anlangt. Dies macht sichtbar, dass auch im polnischen Bewusstsein Galizien vor allem mit dem jüdischen Erbe in Verbindung gebracht wird, wie im Abschnitt zu den »Galizischen Städtchen« ersichlich wurde. Dies ist besonders spannend, denn auch in 515 Ebd., S. 392. Original: »Bez znajomos´ci historii nie moz˙na zrozumiec´ naszych sa˛siadów. Nie wolno przemilczac´ trudnych okresów z przeszłos´ci ani wypierac´ sie˛ złych czynów popełnianych przez naszych przodków. Ogla˛daja˛c sie˛ wstecz, mys´limy o teraz˙niejszos´ci i przyszłos´ci. Trzeba bardzo duz˙o nauczyc´ sie˛ o wzajemnej historii, aby móc rozmawiac´. Nie moz˙na tylko powierzchownie patrzec´ na wspólne dzieje, poniewaz˙ moz˙e to zaprowadzic´ na manowce i pogłe˛bic´ wzajemne nieporozumienia. Co przecie˛tny Polak wie o Ukrainie? Szczególnie dla młodego pokolenia tereny lez˙a˛ce na wschód od naszej granicy pozostaja˛ nieomal biała˛ plama˛ na mapie.« 516 Vgl. ebd., S. 50–51.

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Zeiten der Kresy lebten auf den Gebieten Juden, doch kommen sie im Text nur in Verbindung mit Galizien vor und werden auf diese Art und Weise nicht Teil des polnischen Narrativs – das polonozentrierte Narrativ der Kresy wird damit erneut bestätigt. So scheint in der sich mit Galizien überschneidenden polnischen Kresy-Literatur das Spezifische an Galizien sein multikulturelles und vor allem jüdisches Erbe zu sein, was diese Reisedarstellungen mit den zuvor behandelten deutschsprachigen verbindet. Das ukrainische Narrativ bleibt in den Reisen von We˛glicka im Hintergrund, trotz der Deklaration eines solchen Ziels in der Einleitung: Die Kresy bleiben bis zum Schluss polnisch, Galizien bleibt polnisch mit einem kleinen jüdischen Einschlag.

3.2.3 Anna Stron´ska: Polnisch-ukrainische Beziehungen Was We˛glicka in Bezug auf die polnisch-ukrainischen Beziehungen verspricht, aber nicht einhält, setzt sich auch Anna Stron´ska zum Ziel: Stron´ska stellt die Reise in die Westukraine in den 1990er Jahren in den Dienst dieser Beziehungen. Galizien und ihr Erbe werden als Erklärung für bis heute anhaltende Phänomene und Konflikte innerhalb der polnisch-ukrainischen Symbiose ausgelegt. Da die Autorin wichtig, aber heute vollkommen vergessen ist, sind den Analysen ihrer Galizienreisen die wichtigsten biographischen Daten vorangestellt.517 3.2.3.1 Zur Autorin Anna Stron´ska Anna Stron´ska (1931–2007) – Publizistin, Reporterin, Prosaikerin und Dramatikerin, die »Grande Dame der polnischen Reportage«, begann ihre zahlreichen (Reise-)Reportagen in den 1960er Jahren zu publizieren. Ungeachtet eines beträchtlichen, nachgelassenen literarischen Werks, befasste sich die Wissenschaft kaum mit ihrem Schaffen, auch nicht im Kontext der Galizienliteratur. 1931 in Przemys´l in einer Gutsbesitzerfamilie geboren, lebte Stron´ska bis nach dem Zweiten Weltkrieg dort, zog 1949 nach Warschau und 1953 nach Krakau. Erst 1977 verlegte sie ihren Wohnsitz neuerlich nach Warschau, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2007 lebte.518 Ihre Wohnorte sind wichtig, denn sie bilden die Ausgangspunkte für ihre Reisetätigkeit und die literarisch-publizistische Beschäftigung mit den sie umgebenden Städten. Ihre Werken behandeln soziale 517 Ich danke Prof. Alois Woldan für den wertvollen Hinweis auf diese Autorin. 518 Vgl. Kotowska-Kachel, Maria: Anna Stron´ska. In: Czachowska, Jadwiga/Szałagan, Alicja (Hrsg.): Współczes´ni polscy pisarze i badacze literatury. Słownik biobibliograficzny. Bd. 8: Ste-V. Warszawa: Wydawnictwo Szkolne i Pedagogiczne 2003, S. 65–66; hier: S. 65.

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Angelegenheiten der ländlichen Bevölkerung sowie Probleme der an der Grenze zweier Kulturen und Nationalitäten lebenden Menschen (u. a. Głupi ´slub519 (Dumme Hochzeit; 1966), Niewolnice z Niepołomic520 (Sklavinnen aus Niepołomice; 1966), Prosze˛ nie podawac´ nazwiska521 (Bitte den Nachnamen nicht angeben; 1970), Kup mi serce522 (Kauf mir ein Herz; 1975). Im Zusammenhang mit dieser Thematik interessierte sie sich für die verschiedenen Ethnien und deren nationale Bestrebungen in der ehemaligen UdSSR sowie besonders auf den Gebieten des alten Polens: Litauen, Ukraine, Wolhynien, Podolien in Motyw wschodni523 (Das östliche Motiv; 1981), Dopóki milczy Ukraina524 (Solange die Ukraine schweigt; 1998), aber auch Russland in Droga˛ długa˛ jak Rosja525 (Auf einem Weg so lang wie Russland; 1979). Diverse Reisen der Autorin gingen den Reisereportagen voran. Sie schrieb ebenfalls Texte über Aufenthalte in westlichen Ländern, etwa in der Bundesrepublik Deutschland und Dänemark in S´cis´le prywatna Europa526 (Streng privates Europa; 1986) sowie England in Anglia, któregos´ dnia527 (England, eines Tages; 1988), dazu besuchte sie auch die USA und Kanada. Das Œuvre Stron´skas umfasst neben einer Fülle an Reportagen auch Texte anderer Gattungen, wie die Erzählung Palmy w kufrze528 (Palmen in der Truhe; 1972) oder zahlreiche Monodramen (u. a. Przyjechała Z˙ydówka529 (Eine Jüdin ist gekommen; 1990), die sowohl in Polen als auch im Ausland Bekanntheit erlangten. Stron´ska ist zudem die Drehbuchautorin des erfolgreichen Films von Jan Łomnicki Jeszcze tylko ten las530 (Nur noch dieser Wald; 1991).

Stron´ska, Anna: Głupi s´lub. Warszawa: Czytelnik 1966. Stron´ska, Anna: Niewolnice z Niepołomic. Kraków: Wydawnictwo Literackie 1965. Stron´ska, Anna: Prosze˛ nie podawac´ nazwiska. Warszawa: Czytelnik 1970. Stron´ska, Anna: Kup mi serce. Warszawa: Czytelnik 1975. Stron´ska, Anna: Motyw wschodni. Warszawa: Iskry 1981. Stron´ska, Anna: Dopóki milczy Ukraina. Warszawa: TRIO 1998. Stron´ska, Anna: Droga˛ długa˛ jak Rosja. Warszawa: Ksia˛z˙ka i Wiedza 1979. Stron´ska, Anna: Scis´le prywatna Europa. Warszawa: Czytelnik 1986. Stron´ska, Anna: Anglia, kto´regos´ dnia. Warszawa: Iskry 1988. Stron´ska, Anna: Palmy w kufrze. Warszawa: Czytelnik 1972. Przyjechała Z˙ydówka. Teatr Telewizji (Fernsehtheater). Regie: Barbara Łuczak., Drehbuch: Anna Stron´ska. Polen: TVP 1990. 530 Jeszcze tylko ten las. Film fabularny (Spielfilm). Regie: Jan Łomnicki, Drehbuch: Anna Stron´ska. Polen: Studio Filmowe Kadr 1991, 86’.

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3.2.3.2 Stron´skas Galizien531 Galizien nimmt in Stron´skas Werk eine besonders wichtige Stellung ein. Sie selbst ist in Przemys´l geboren und aufgewachsen, was wohl die häufigen, oft nostalgischen Bezüge in ihren Texten begründet. Neben Dopóki milczy Ukraina (1998532/2006533) beziehen sich vor allem zwei Texte auf Galizien: Sennik galicyjski534 (1993) und Tyle szcze˛´scia dla szewców535 (1977). Stron´ska ist aufgrund ihrer regen Reisetätigkeit (vor allem im Osten Europas) und ihrer seinerzeit erfolgreichen Reportagen ein sehr gutes Beispiel für Reisen nach Galizien, denn die oben genannten Werke enthalten viele Motive und Themen, die für die deutschsprachigen und polnischen Reisen in den postgalizischen Raum nach 1989 charakteristisch sind. Nachfolgend werden diese kurz skizziert, um Einblick in diese vergessenen Werke des wichtigen galizischen Œuvres Stron´skas zu gewähren und damit eine Lücke in der einschlägigen Forschung zu schließen. Familiensaga Sennik galicyjski, eine imaginäre Reise in die Vergangenheit ihrer aus Galizien stammenden Familie, gleicht einer Familiensaga und bedient sich des historischliterarischen sowie familiären Archivs. Das Genre ist schwer zu fassen: Es vereinigt in sich historische Reportage, Tagebuch, aber auch Biographie, Autobiographie, Memoirenliteratur, Essay und Familiensaga.536 Im Zentrum steht die Zeit der Kindheit und Jugend Stron´skas in den 1930er und 1940er-Jahren in ihrer Heimatstadt Przemys´l sowie das Leben ihrer Vorfahren. Dabei greift sie weit in die Vergangenheit zurück – bis zu ihrem Ururgroßvater Franciszek Pierzchała, der beim galizischen Bauernaufstand 1846 ums Leben kam. Von ihm ausgehend zeichnet sie die Familiengeschichte des auf das 15. Jahrhundert zurückgehenden Adelsgeschlechts Pierzchała nach,537 um sich später mit dem 19. und 20. Jahrhundert zu befassen. Die Ereignisse im Leben ihrer Vorfahren und ihrer Familie spiegeln die Geschichte Galiziens wider. Als Quellen verwendet Stron´ska neben ihren eigenen Erinnerungen die Erzählungen ihrer Eltern wie auch Familienalben und Tagebücher, z. B. die ihrer eigenen Mutter oder der Mutter ihrer Tante, der Enkelin des Ururgroßvaters Pierzchała – typische Quellen des familiären 531 Teile dieses Unterkapitels in einer aktualisierten und überarbeiteten Form übernommen aus: Baran-Szołtys, Magdalena: Auf Spurensuche – Anna Stron´skas ›Tyle szcze˛´scia dla szewców‹. In: Büttner/Hanus: Galizien als Kultur- und Gedächtnislandschaft, S. 239–259. 532 Stron´ska: Dopóki milczy Ukraina. 533 Stron´ska, Anna: Dopóki milczy Ukraina. 2. Aufl. Warszawa: Trio 2006. 534 Stron´ska: Sennik Galicyjski. 535 Stron´ska: Tyle szcze˛´scia dla szewców. 536 Vgl. Spyra, Paweł: O Przemys´lu i historii w »Senniku Galicyjskim« Anny Stron´skiej. In: Ogród Nauk i Sztuk 5 (2015), S. 608–614. 537 Vgl. Stron´ska: Sennik Galicyjski, S. 23–24.

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Archivs. Ihre noch lebenden Verwandten kommen mit ihrer eigenen Erinnerung an die Familiengeschichte selbst auf sie zu, Stron´ska dokumentiert, reflektiert, kommentiert und stellt diese in einen historisch-politischen Kontext. Dies machen bereits die Anfangssätze des Buches über ihren Geburtsort deutlich: Ich wurde weit von der sowjetischen Grenze geboren, nämlich in der Lemberger Woiwodschaft. Ich wuchs in derselben Stadt und in demselben Haus auf, jedoch schon nahe der Staatsgrenze. Was Hunderte von Kilometern von mir entfernt lang, näherte sich auf eine symbolische Distanz von einem Dutzend. Darum hatte man sich in Jalta gekümmert.538

Sprachlich wird die vergangene Zeit adaptiert, indem archaische polnische Wörter verwendet und die überlieferten Dokumente getreu wiedergegeben werden. Spurensammlerin Stron´skas Tyle szcze˛´scia dla szewców erzählt die Geschichten physischer Reisen auf der Suche nach Antiquitäten und Bildern von Amateurmalern in zahlreiche Städte und Dörfer des alten Westgaliziens, wobei Menschen, denen die Autorin begegnet, im Mittelpunkt stehen. Die Reisende und Erzählerin ist Anna Stron´ska selbst: Nach so vielen Jahren Przemys´l. […] Genau solche Monde beleuchteten auf den Hochweiden die Dörfer, die heute nicht mehr existieren und die Generationen, von denen nur ein bisschen Messing, ein bisschen Pergament übrig geblieben ist. Ich habe die verworrene polnisch-ruthenisch-jüdische Welt des alten Polens nicht mehr angetroffen. Das, was ich in meiner Fantasie trage, ist nur ein Museum. Über meine orthodoxen Kirchen wüten nur der Wind und der Händler.539

Przemys´l bildet neben Krakau den Ausgangsort für die verschiedenen im Text beschriebenen Reisen in kleine Dörfer der näheren oder ferneren Umgebung: Krasiczyn, Tarnawka, Wapowce, Kan´czuga, Ostrów, Radymno etc. Das Sammeln ist das wichtigste Thema dieses Buches und Teil der Archivarbeit von Stron´ska, denn die Suche nach und die Ansammlung von materiellen Relikten, Lebensgeschichten und sprachlichen Äußerungen wird im Buch zur Manie. Die beiden Faktoren, Sammeln als Archivierung und die damit verbundene Spurensuche, bedingen sich gegenseitig. In Tyle szcze˛´scia dla szewców werden zwei Arten von 538 Stron´ska: Sennik Galicyjski, S. 7. Original: »Urodziłam sie˛ daleko od granicy radzieckiej, bo w województwie lwowskim. Dorastałam w tym samym mies´cie i w tym samym domu, a juz˙ przy granicy pan´stwa. Co było o kilkaset kilometrów ode mnie, zbliz˙yło sie˛ na symboliczny dystans kilkunastu. Zadbano o to w Jałcie.« 539 Stron´ska: Tyle szcze˛´scia dla szewców, S. 5. Original: »Po tylu latach Przemys´l. […] Takie same ksie˛z˙yce przys´wiecały na połoninach wsiom, które nie istnieja˛ i pokoleniom, po których zostało tylko troche˛ mosia˛dzu, troche˛ pergaminu. Rozminełam sie˛ z zawiłym polsko-rusko-z˙ydowskim s´wiatem dawnej Polski. To, co ja moge˛ nosic´ w wyobraz´ni, to jest tylko skansen. Po moich cerkiewkach hula wiatr i handlarz.«

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Dingen gesammelt: Bilder von Amateurmalern, von denen ein großer Teil an einer psychischen Krankheit leidet, und Antiquitäten. Es handelt sich um verschiedenste für das materielle Archiv wichtige Raritäten: alte Ikonen, Postkarten mit dem Bild Kaiser Franz Josephs, bis hin zu Keramiktassen; doch besonders groß ist die Anzahl der Gegenstände aus der galizischen Zeit. Die Spurensuche dient dazu, eine alte Welt, in die die Autorin hineingeboren wurde und in der ihre Vorfahren lebten, zu finden, zu sammeln, zu rekonstruieren und durch die Darstellung der Materialien im Text abzubilden und für die Nachfahren zugänglich zu machen. Die gesammelten Fragmente und Bruchstücke einer vergangenen Zeit stellen eine Chronologie der Geschichte dieses Gebietes und der darin lebenden Menschen, wie der Juden, dar: Endlich habe ich das bekommen, worum es mir tatsächlich geht. Ich kann sie mir anschauen, die nicht mehr Existierenden und zu meiner Tochter sagen: Siehst du? Das sind Juden. Und noch dazu ihre Neugier beobachten, konzentriert aber flüchtig […].540

Die Spurensuche aus dem zitierten Beispiel findet auf drei Ebenen statt: der Sprache, der materiellen Relikte und der mündlichen Weitergabe. Diese drei Ebenen der Dokumentation dienen der Überlieferung für zukünftige Generationen und sind eng mit dem Raumarchiv verbunden, denn die Form der Archivmaterialien ist in den im postgalizischen Raum lebenden Menschen gespeichert. Auf der ersten Ebene wird nach einer längst vergangenen Sprache gesucht, die die Autorin selbst im Buch benutzt und auf die sie wiederholt hindeutet. Demnach wird die dem postgalizischen Archiv entnommene Sprache in der Form, wie sie von der Bevölkerung gesprochen wird, im Text angeführt: Der Sprachwissenschaftler hat die vox populi dermaßen unterdrückt, dass er mit seiner vox dei Verschiedenes, wie: »auf der Fabrik«, »auf der Kantine«…, billigen würde. Die Auswahl des Sprachwissenschaftlers ist schwächer als meine. Ich habe freie Hand, ich muss nicht auf die Kanons der Korrektheit hören oder sie mir ausdenken.541

Die zitierte Sprache ist die Sprache der Bewohner der galizischen Dörfer, was bereits im Titel verankert ist: – Er reinigt es sicher von den Schustern – beruhigte mich Frau Suchodolska. – Von Schustern? – Schuster fressen alles Alte auf, wenn es zu lange liegt. Um Gottes Willen nicht in die Wohnung lassen. Sie sind hartnäckige Würmer. Suchodolska wundert sich, wie man Schuster nicht kennen kann. Was macht der Schuster mit den Schuhen? Er 540 Ebd., S. 254. Original: »Wreszcie to, o co mi naprawde˛ idzie, to dostałam. Moge˛ sobie na nich patrzyc´, na nieistnieja˛cych i mówic´ do mojej córki: widzisz? to sa˛ Z˙ydzi. I jeszcze obserwowac´ jej ciekawos´c´, skupiona˛, lecz przelotna˛ […].« 541 Ebd., S. 99. Original: »Je˛zykoznawca tak stłamsił vox populi, z˙e swoim vox dei radby aprobowac´ róz˙ne tam: na fabryce, na stałówce… Wybór je˛zykoznawcy jest słabszy niz˙ mój. Ja mam swobodna˛ re˛ke˛, nie musze˛ słuchac´ kanonów poprawnos´ci ani ich wymys´lac´.«

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nagelt Sohlen fest. Er bohrt, bevor er den Nagel hineinsticht, Stelle um Stelle bohrt er hinein, und dasgleiche macht der Wurm.542

Die beschriebenen szewce (Schuster) sind die Bezeichnung für kołatki, das polnische Wort für Gemeine Nagekäfer, die umgangssprachlich auch als Holzwürmer bekannt sind. Diese befallen verbautes Holz und so auch Antiquitäten, wodurch der Bezug zum Thema des Textes hergestellt wird. »So viel Glück für Schuster« deutet auf die Suchobjekte der Erzählerin hin. Während ihrer Besuche bei den Bewohnern der von ihr aufgesuchten Dörfer, hört die Erzählerin immer ganz genau hin und achtet auf die Sprache der Menschen: Und diese Sprache, voll von chobzioki, chapsy, frygowania, eine Nach-Lwiwer Sprache. Chabziok – Strauch. Frygac´ verputzen, essen. Einen Chaps bekommen, verrückt nach jemandem werden. […] Es ist faszinierend, ihnen zuzuhören, mein Gott, wie diese Menschen sprechen!543

Es ist die Sprache einer vergangenen Welt – je˛zyk polwowski (Nach-Lwiwer Sprache). Die Autorin ist zudem fasziniert von den vielen verschiedenen Ortsnamen, die manchmal den Ausschlag geben für die zu besuchenden Orte: »Manchmal fragen sie mich, wonach ich mich bei der Ortsauswahl richte. Eben oft nach dem Namen.«544 So erhalten die Sprache und die kleinen Ortschaften einen Platz im Archiv. Die zweite Ebene der Spurensuche bilden die gesuchten Antiquitäten, materielle Relikte, die Geschichte vermitteln. Zumeist handelt es sich um Souvenirs aus der Zeit der Jahrhundertwende, als Galizien noch existierte, von Multikulturalität geprägt war und unter habsburgischer Herrschaft stand. Deshalb sind es verstärkt Relikte des österreichisch-jüdischen Lebens und Alltags (Chanukkaleuchter, Darstellungen von Juden etc.) oder der Souvenirindustrie um 1900 (Tassen und Fotos mit dem Antlitz von Kaiser Franz Joseph, Habsburg-Postkarten etc.). Die meisten von ihr angetroffenen Menschen wissen um den Wert der Dinge gar nicht Bescheid und bemerken diesen oft erst während des Verkaufs:

542 Ebd., S. 110. Original: »– Na pewno z szewców czys´ci – uspokoiła mnie pani Suchodolska. – Z szewców? – Szewcy zjedza˛ kaz˙da˛ staroz˙ytnos´c´, jak za długo lez˙y. Nie daj Bóg do mieszkania napus´cic´. Oni sa˛ natarczywe robaki. Suchodolska dziwi sie˛, jak moz˙na nie znac´ szewców. Co robi szewc od butów? Z˙elówki przybija. Kłuje, zanim wsadzi kołek, miejsce przy miejscu kłuje, a to samo robak.« 543 Ebd., S. 99. Original: »I ten je˛zyk, ge˛sty od chobzioków, chapsów, frygan´, je˛zyk polwowski. Chabziok – krzak. Frygac´ pałaszowac´, jes´c´. Chapsa, kre˛c´ka dostac´ moz˙na z czyjegos´ powodu. […] Słuchac´ pasjonuja˛ce zaje˛cie, Boz˙e jak ci ludzie mówia˛!« 544 Ebd., S. 100. Original: »Czasem mnie pytaja˛, czym kieruje˛ sie˛ przy wyborze miejscowos´ci. Otóz˙ che˛tnie nazwa˛.«

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Zu spät begreifen es die Leute, so wie jene Frau aus Łancut, bei welcher sich ein Frühstücksservice mit dem Bildnis von Franz Joseph erhalten hat. Auf jeder Tasse, der Zuckerdose, dem Kännchen – der Allergnädigste. Das ganze Frühstück zu Ehren.545

Erst durch die Erzählerin wird den Besuchten der Wert der Dinge bewusst. Dabei geht es den Käufern weniger um einen finanziellen Wert, der meistens gar nicht so hoch ist: Die materiellen Relikte haben einen nostalgischen Mehrwert. Die so entstehende Antiquitäten-Sammlung der Erzählerin ist groß. Sie sieht sich selbst als Konkurrenz zum Museum, dessen vorrangige Aufgabe im Sammeln und in der Aufbewahrung für die Nachwelt besteht, genauso wie beim Archiv. Die Erzählerin scheint in Bezug auf die Exponate aus der Habsburgerzeit der Institution des Museums aber weit voraus: Ich habe Franz Joseph schon fast in allen Versionen – von der Säuglings- bis zur Defileeversion, von der in Schülerkappe bis zu der in der himmelblauen Jacke mit rotgoldenem Stehkragen unter dem dünnen Backenbart. Ich habe ihn hinter dem Schreibtisch und im Sarg. Auf meinen Bechern, Töpfchen, Tassen ist der Monarch manchmal einsam, manchmal in Begleitung des schlauäugigen Wilhelm […]. Eine schon recht große Kollektion. Gott, wie ich mich gefreut habe, als der Direktor des Museums von Przemys´l in der »Polityka« bekannt gab, wie lange es gedauert hat, bis seine Einrichtung zwei Becher mit Franz und Willy erstanden hat. So ist es, zwei! In dieser Zeit habe ich wahrscheinlich elf gekauft.546

So bildet ihre materielle Sammlung einen Teil des Archivs, der in diesem Fall stark seine Schauseite zeigt und somit mit einem Museum vergleichbar ist, welches die Autorin in diesem Buch zu dokumentieren versucht. Die dritte Ebene bilden die (Lebens-)Geschichten der angetroffenen Menschen – ein kommunikatives Gedächtnis der Bewohner Galiziens, das nach Jan Assman die gegenwärtige Vergangenheit umfasst und in der Erinnerung der Zeitzeugen noch präsent ist.547 Die Betroffenen können die eigenen biographischen Erinnerungen mit ihren Zeitzeugen teilen und dies tun die Figuren in Tyle szcze˛´scia dla szewców auch. Das individuelle Gedächtnis wird durch den Text zu 545 Ebd., S. 86. Original: »Ludzie poniewczas orientuja˛ sie˛, jak owa kobieta z Łancuta, u której przechowywał sie˛ serwis s´niadaniowy z podobizna˛ Franciszka Józefa. Na kaz˙dej filiz˙ance, na cukiernicy, na dzbanuszku – Najjas´niejszy. Całe s´niadanie ku czci.« 546 Ebd., S. 49. Original: »Mam Franciszka Józefa juz˙ niemalz˙e we wszystkich wersjach – od niemowle˛cej po defiladowa˛, od tej w czaku uczniowskim po te˛ w błe˛kitnej kurtce z czerwono-złota˛ stójka˛ pod miotełkami bokobrodów. Mam go za biurkiem i w trumnie. Na moich kubkach, garnuszkach, filiz˙ankach niekiedy monarcha jest samotny, niekiedy wyste˛puje w kompanii sprytnookiego Wilhelma […]. Juz˙ stosunkowo duz˙a kolekcja. Boz˙e, jak ja sie˛ ucieszyłam, kiedy dyrektor przemyskiego muzeum ogłosił »Polityce«, ile zeszło, zanim jego placówka nabyła dwa kubki z Franzem i Wilusiem. Tak jest, dwa! W tym czasie ja kupiłam chyba jedenas´cie.« 547 Vgl. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München: Beck 1997, S. 37.

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einem kulturell-kollektiven,548 diese Ebene steht im Gegensatz zu der der materiellen Relikte, ist mit ihr aber eng verbunden: Woraus habe ich den größeren Nutzen, aus dem Handel oder von den Menschen? Einer Expertin in Ehebruch, der Besitzerin des Mannes, welcher sich der Harntherapie beugte »und nie mehr zu der verfluchten Hure ging«, verdanke ich meinen ersten Chanukkaleuchter mit einer Aushöhlung für das Öl, […].549

Die gesuchten Antiquitäten verbinden sich im Text mit ihren Besitzern: Irgendwo hier ging ich in ein Geschäft, um Schokolade für unterwegs zu kaufen, und was kann ich dafür, dass aus der Schokolade Babiennikowa wurde. Nach einem kurzen Moment waren wir verabredet. Babiennikowa frappierte mich mit zwei Informationen: der, dass sie eine Kuckucksuhr zu verkaufen hatte, und der, dass sie ihre Rückkehr aus Kasachstan herzlichst bereue.550

Die Erzählerin interessiert sich für die Geschichten der Menschen, die große Geschichte bildet nur den Hintergrund: »[…] weil für mich die Vergangenheit, die kleine persönliche, immer ein Thema ist, ich habe keine Ahnung von Geschichte, aber mich machen die nicht beachteten Menschen neugierig.«551. Doch der Text spielt ständig auf historische Ereignisse an. Im vorangegangenen Zitat wird die Deportation der Polen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten nach Kasachstan tangiert. Zahlreiche weitere historische Anspielungen prägen den Text: »Sie musste eine Ruthenin sein, obwohl ich zweifle, dass sie sich daran erinnert.«552 oder »Haben Ihnen Banderaleute die Hand abgeschnitten?«553 Das erste Zitat spielt auf die Aktion Weichsel und die Zwangsumsiedlungen der ethnischen Ukrainer, Bojken und Lemken aus dem Südosten der Volksrepublik Polen in den Norden und Westen des Landes als Folge der Grenzverschiebungen des Zweiten Weltkrieges und den damit verbundenen Konflikten zwischen den Polen und Ukrainern an, auch das zweite Zitat deutet auf diese Kämpfe hin. Mit »Banderaleuten« sind die Mitglieder der UPA und OUN gemeint, die während des Zweiten Weltkrieges in Wolhynien und Ostgalizien zahlreiche Massaker an 548 Vgl. ebd., S. 50–51. 549 Stron´ska: Tyle szcze˛´scia dla szewców, S. 28. Original: »Z czego ja mam wie˛ksze poz˙ytki: z tych handlów czy z tych ludzi? Ekspertce od zdrad małz˙en´skich, posiadaczce chłopa, co to ugia˛ł sie˛ przed moczoterapia˛ »i juz˙ wie˛cej nie poszedł do tej siódmej kurwy«, zawdzie˛czam pierwsza˛ lampke˛ chanukowa˛ z wyz˙łobieniami na olej, […].« 550 Ebd., S. 116. Original: »To gdzies´ tutaj wsta˛piłam tylko do sklepu po czekolade˛ na droge˛ i cóz˙ poradze˛, z˙e z czekolady zrobiła sie˛ Babiennikowa. Po małej chwili byłys´my umówione. Babiennikowa zafrapowała mnie dwiema informacjami: ta˛, z˙e miałaby do sprzedania zegar z kukułka˛, i ta˛, z˙e serdecznie z˙ałuje swojego powrotu z Kazachstanu.« 551 Ebd., S. 102. Original: »[…] bo dla mnie przeszłos´c´, ta mała osobista, zawsze jest tematem, nie mam poje˛cia o historii, ale intryguja˛ mnie nie zauwaz˙eni ludzie.« 552 Ebd., S. 93. Original: »Musiała byc´ Rusinka˛, chociaz˙ wa˛tpie, czy pamie˛ta o tym.« 553 Ebd., S. 121. Original: »Czy re˛ke˛ ucie˛li Pani banderowcy?«

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ethnischen Polen verübten. Diese Ereignisse gehören in Polen zum kollektiven Gedächtnis der Geschichte des 20. Jahrhunderts. In Tyle szcze˛´scia dla szewców wird dies nach den Worten der Autorin wie in einem Skansen, einem Freilichtmuseum, gesammelt, in dem durch den Gebrauch authentischer Gebäude und Gegenstände versucht wird, Authentizität zu erzeugen. Für die Erzählerin bildet das ganze Gebiet Galiziens, das Raumarchiv, die Grundlage ihres Skansen, auf dessen Material sie wie auf ein Archiv zurückgreift, wobei der Text eben zu einem Museum, das als »Schauseite« des Archivs gilt,554 einem Teil des Imaginationsarchivs, wird. Die Sammlung der Materialien im Text erzeugt eine künstliche Ganzheit. Durch die Sammlung und die Niederschrift wird aus dem individuellen Gedächtnis ein kulturell-kollektives; aus der für die Erzählerin selbst erschaffenen Privatsammlung wird durch den Text ein öffentliches Museum. 3.2.3.3 Ostgalizien der 1990er Jahre Dopóki milczy Ukraina berichtet von einer tatsächlich unternommenen Reise der Autorin und Erzählerin dieser Reportage in die Westukraine der 1990er-Jahre – neben Lwiw besuchte sie zahlreiche Kleinstädte: Brody, Ternopil’, Kolomyja, Pocˇaїv etc. Ausschnitte dieses reichen reportageartigen und historischen Materials wurden zunächst in der Pariser Zeitschrift Kultura publiziert. Der Reisebericht behandelt besonders die historischen und gegenwärtigen polnisch-ukrainischen Beziehungen, um diese aufzuarbeiten und verschiedene Aspekte anzusprechen: Konflikte zwischen der römisch-katholischen und griechisch-katholischen Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg in Przemys´l, das galizische Parlament in Lwiw, die Aktion Weichsel etc. Immer wieder spielt sie auf historische Ereignisse, andere Texte und historische Figuren an, ohne diese genauer zu erläutern, wobei für das Verständnis ein reiches Vorwissen des Lesenden vorausgesetzt wird. Die Bezüge zur Geschichte, Politik und Sprache stellen einen wichtigen Aspekt des Textes dar, ohne dessen Verständnis das Werk sich nicht erschliesst, weshalb bei der Rezeption eine gewisse Kenntnis des historisch-literarischen Archivs vorhanden sein muss. Man findet diverse Verweise auf literarische, wissenschaftliche und publizistische Texte sowie Statistiken. Dabei überwiegen Zitate aus wissenschaftlichen und publizistischen Texten von Autoren wie Bohdan Osadcˇuk (ukrainischer Journalist und Historiker), V’jacˇeslav Lypyns’kyj (ukrainischer Politiker und Historiker), Zbigniew Brzezin´ski (polnisch-amerikanischer Politikwissenschaftler) oder James Mace (amerikanischer Historiker), wobei Stron´ska diese nie einfach stehen lässt, sondern immer 554 Raulff, Ulrich: Sie nehmen gern von den Lebendigen. Ökonomien des literarischen Archivs. In: Ebeling/Günzel: Archivologie, S. 223–233; hier: S. 224.

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kritisch reflektiert. Sie bedient sich somit eines historisch-literarischen Archivs, hier um aktuellere wissenschaftliche Publikationen ergänzt. »Überhaupt sind die Reportagen Anna Stron´skas durchtränkt von Literatur und jeglichen literarischen Reminiszenzen […],«555 bemerkte bereits 1980 der polnische Literaturhistoriker Rene S´liwowski. Dabei greift Stron´ska nicht nur auf polnische Archivmaterialien zurück, sondern ebenso auf ukrainische; die Stimmen der in der Westukraine lebenden Menschen führen zu einer Zweistimmigkeit. Sie kommen zu Wort und schöpfen aus ihren persönlichen Erfahrungen, die Stron´ska nun im Text ins historisch-literarische Archiv weitergibt. Bei den Erzählungen wird neben dem Inhalt auch die Sprache archiviert, denn Stron´ska vertextualisiert die artikulierte Sprache der Menschen: »Welche Teufel, wie man in meinem Galizien zu sagen pflegte?«556 Stron´ska unterlegt ihre Beobachtungen und Reflexionen mit wissenschaftlichen Daten und publizistischem Material, wobei sie neben der Geschichtsaufarbeitung besonders der Frage nachgeht, wie denn die Ukraine ihre Zukunft sieht, eher bei Russland oder bei Polen/der EU557 – eine bis heute ungelöste Frage, welche die Aktualität dieses doch schon 20 Jahre alten Textes sichtbar werden und auf dessen Qualität schließen lässt. Der große Widerspruch, den das Buch Dopóki milczy Ukraina darzustellen vermag, ist im folgenden Tatbestand begründet: Während die ukrainischen Intellektuellen oder Emigranten sich nostalgisch mit der Geschichte und Galizien auseinandersetzen, herrscht unter dem breiten Volk die Nostalgie nach den besseren Zeiten während der Sowjetunion. Die ukrainischen Emigranten in Kanada sowie den USA und ihr Nationalismus sind ein anderes Thema des Textes und zeichnen ein vollkommen gegensätzliches Bild, was die Betrachtung der Geschichte anbelangt. Fokus: Gegenwart Einen großen Unterschied gibt es zwischen Dopóki milczy Ukraina und den anderen im Kontext des historisch-literarischen Archivs untersuchten Reisetexten. Während die bisherigen Texte für den Rückbezug auf die Vergangenheit benutzt wurden, sind es hier mündlich wiedergegebene Geschichten, die verwendet und den historisch-publizistischen Quellen der Autorin bzw. ihrer eigenen Bewertung der Aussagen gegenübergestellt werden – es ist eine historische und sozialpolitische Darstellung. Begegnungen mit Menschen geben Anstoß für Betrachtungen der Geschichte und der Gegenwart. Dies macht die Spezifik des Werks von Stron´ska aus: »Der Mensch ist zum Schlüssel für die Tür geworden, die es zu öffnen reicht, damit sich vor unseren Augen ein soziales Panorama eröff555 S´liwowski, Rene: Podróz˙ literacka. In: Polityka 23 (1980). Original: »W ogóle reportaz˙e Anny Stron´skiej przesia˛knie˛te sa˛ literatura˛ i wszelkimi reminiscencjami literackim.« 556 Stron´ska: Dopóki milczy Ukraina, S. 13. Original: »Ki diabli, jak mawiali w mojej Galicji?« 557 Vgl. ebd., S. 128.

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net.«558 Reflexionen der Autorin treten in direkten Kontakt mit den Archivmaterialien und werden neu verhandelt. Es ist nicht nur das mnemotechnische Aufeinandertreffen von Gegenwart und Vergangenheit im konkreten Raum und ihre Zusammenführung, wie in vielen der bisherigen Ausführungen, sondern auch im intellektuellen Raum des Textes: »[…] verflicht sie ihre unmittelbaren Beobachtungen von erlebten Situationen, getroffenen Menschen mit Reflexionen über diese oder jene Tatsache, mit Überlegungen zu einzelnen, heute aktuellen literarischen Werken.«559 Roth, Sienkiewicz oder andere Klassiker der Kresy- und Galizienliteratur kommen zwar vor, jedoch sollen sie nur als Folien für eine unkritische, stimmungsvolle, unreflektierte Überlieferung dienen, die bereits in dieser Arbeit in einigen der untersuchten Galizienreisen festzustellen war und die Stron´ska in ihrem Text kritisiert. Sie will die Kresy und den Osten erklären, nicht verklären, und macht auf das Fehlen einer öffentlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema aufmerksam: Aus all dem, was man heute so hört und liest, würde man schließen, dass östlich von Medyka unsere Leute wohnen: vorwiegend, wenn nicht ausschließlich. Das Fernsehen und die Presse ist im Grunde nicht an einem Land interessiert, das doch größer als Polen ist, in Zukunft – ich behaupte nicht, dass ab morgen – vielleicht sogar interessanter und attraktiver für den Westen, als Karte im wirtschaftlich-politischem Poker.560

Kresy Vor allem der rückwärtsgewandte Kresy-Diskurs wird von Stron´ska kritisiert und negativ dargestellt: Und wir werden immer noch von den ursprünglichen polnischen Kresy gefesselt. Unser Leser weiß über den fatalen Zustand des Gutshauses der Słowackis in Krzemieniec Bescheid, unser Zuschauer sieht sich von Burgen und Kirchen hinterlassene Mondlandschaften an, oft schon unumkehrbar baufällig, das ist wahr: doch wie lange kann man aus der Perspektive von Ruinen und Friedhöfen auf ein größeres, benachbartes, uns von der Supermonarchie trennendes Land schauen? Was wissen wir von der ukrainischen Kultur?561 558 Jagiełło, Krystyna: Kawał Polski. In: Nowe Ksia˛z˙ki 10 (1977), S. 25–26; hier: S. 25. Original: »Człowiek stał sie˛ kluczem do drzwi, które wystarczy otworzyc´, aby ukazała sie˛ naszym oczom panorama społeczna.« 559 S´liwowski: Podróz˙ literacka. Original: »[…] przeplataja˛c swe bezpos´rednie obserwacje ujrzanych sytuacji, napotkanych ludzi – z refleksjami nad tym czy innym faktem, z rozwaz˙aniami nad poszczególnymi, głos´nymi dzis´ utworami literatury pie˛knej.« 560 Stron´ska: Dopóki milczy Ukraina. S. 54. Original: »Z tego, co dzisiaj słyszy sie˛ i czyta, wynikałoby, z˙e na wschód od Medyki mieszkaja˛ nasi: przede wszystkim, jes´li nie wyła˛cznie. Telewizji czy prasy w zasadzie nie interesuje kraj przeciez˙ wie˛kszy od Polski, w przyszłos´ci – nie twierdze˛, z˙e od jutra – niestety moz˙e i atrakcyjniejszy dla Zachodu, jako karta w gospodarczo-politycznym pokerze.« 561 Ebd., S. 54. Original: »A nas niezmiennie absorbuja˛ byłe kresy polskie. Nasz czytelnik wie o fatalnej kondycji dworku po Słowackich w Krzemien´cu, nasz telewidz ogla˛da ksie˛z˙ycowe

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Diese Lücke zu schließen, nimmt sich der Text vor, denn »bemerkbar in den Grenzregionen, unbemerkt innerhalb der Grenzen des eigenen Landes: das ist der Status des Ukrainers im polnischen Bewusstsein.«562 Somit steht dieser Text im Gegensatz zu den im vorigen Unterkapitel analysierten Kresy-Reisen und spricht im vorangehenden Zitat die exkludierenden Diskurse zur Ukraine in Polen an. Das polnische Erbe im postgalizischen Raum nimmt in Dopóki milczy Ukraina erneut einen prominenten Platz ein, jedoch wird dieses exkludierende Narrativ, wie es bei We˛glicka festzustellen war, kritisiert und durchaus negativ beleuchtet. Die ukrainische Perspektive auf diesen Raum wird mit der polnischen in Dialog gebracht, was die Besonderheit dieses Reiseberichts ausmacht. Die Kresy sind in der Haltung der ukrainischen Polen laut Stron´ska bis heute sichtbar. Sie besucht mehrere polnische Gemeinden in der Ukraine, fast alle können wie folgt skizziert werden: »Die Pfarrgemeinde des Priesters Z˙ydowski zählt fünfzehntausend Polen (er sagt nicht: Gläubige. Das läuft auf dasselbe hinaus. Das ist der Kresy-Kanon, den man pflegt: der Glaube gleicht der Nationalität).«563 Die Polen werden als nationalistisch dargestellt, vor allem gegenüber den Ukrainern, wie am Beispiel zweier Kirchen in Przemys´l ersichtlich wird: »Vor dem Hauptaltar das Transparent: »Gott-Ehre-Vaterland«. Die Kirche der Patrioten…wenn dies alles wirklich eine Sache außerhalb von Nationalismus, außerhalb von Politik ist, warum werden ausgerechnet hier die Inhalte des Repertoirs der »wahren Polen« so herausgehoben?«564 Die polnisch-ukrainischen Konflikte rund um die Stadt werden mit Fokus auf beide Konfliktparteien kritisch beleuchtet. Glaube, Nationalität und Treue sind Werte der Kresy, die noch mehrmals im Text vorkommen und oft direkt neben die Probleme der Beziehungen zu den Ukrainern gesetzt werden: Der Pfarrer lebt »in einem sehr guten Frieden« mit dem griechisch-katholischen Priester, aber ich vermute, es ist ein bisschen so eine Vertrautheit wie zwischen dem

pejzaz˙e po zamkach i kos´ciołach, zruderowanych cze˛sto juz˙ nieodwracalenie, to prawda; tylko jak długo moz˙na patrzec´ na kraj wie˛kszy od własnego, na sa˛siednie, dziela˛ce nas od supermocarstwa pan´stwo z perspektywy ruin i cmentarzy? Co my wiemy o kulturze ukrain´skiej?« 562 Ebd., S. 53. Original: »zauwaz˙alni na pograniczach, niedostrzegani w granicach własnego kraju: oto status Ukrain´ców w polskiej s´wiadomos´ci.« 563 Ebd., S. 9. Original: »Parafia ksie˛dza Z˙ydowskiego liczy pie˛tnas´cie tysie˛cy Polaków (nie powie: wiernych. Na jedno wychodzi. Piele˛gnowany kanon kresowy: wiara równa narodows´ci).« 564 Ebd., S. 52. Original: »Przed głównym ołtarzem transparent: »Bóg-Honor-Ojczyzna«. Kos´ciół patriotów… jes´li sprawa istotnie jest poza nacjonalizmem, poza polityka˛, dlaczego akurat tu tak intensywnie eksponuje sie˛ tres´ci repertuaru ›prawdziwych Polaków‹?«

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Staatsanwalt und dem Rechtsanwalt: sogar private Freunde bekriegen sich im Gerichtssaal. Die Robe verpflichtet, die Soutane auch.«565

Die gegenwärtigen Beziehungen werden überwiegend durch die Einstellungen und Erzählungen der im Raumarchiv angetroffenen Menschen illustriert, die durch direkte Zitate selbst zu Wort kommen und die Komplexität ihrer Realität darlegen: Ich komme aus dem Haus Ornawka, habe einen Piecha geheiratet. Der Mann war Ukrainier, aber der Sohn eines Polen. Er ging in die griechisch-katholische Kirche, ich in die römisch-katholische. Die Leute waren gleich neugierig: Wieso trennt ihr euch? Da sagte ich: wir werden uns im Himmel vereinen.566

Galizien Galizien kommt in Dopóki milczy Ukraina vor allem als kulturelles und historisches Erbe vor, wobei politisch und geschichtlich relevante Ereignisse der Habsburgerzeit erwähnt werden, besonders die polnisch-ukrainischen Beziehungen. In diesem Zusammenhang macht Stron´ska auf die grundverschiedenen politischen, sprachlichen und religiösen Tendenzen zwischen der Ost- und Westukraine aufmerksam. Die Zeit, als Galizien Teil des Habsburgerreichs war, wird keiner Wertung unterzogen, es werden lediglich historische Ereignisse angeführt. Der persönliche autobiographische Bezug ist ausschlaggebend für die Beschäftigung mit Galizien: Ich komme aus Ostgalizien, podolische, pokutische, transkarpatische Landschaften sowie jene jenseits des Dneprs haben mich immer neugierig gemacht. Ich hatte die 180 Dollar ausgegeben, um zu überprüfen, ob man irgendwo noch die Provinz Roths, Babels, Pruszyn´skis findet…Heimlich, im Abseits bleibt immer irgendetwas im unwegsamen Gelände der Welt erhalten.567

Wie ersichtlich, bedient sich Stron´ska des historisch-literarischen Archivs sowie zu einem sehr geringen Teil das familiären Archivs. Antisemitismus und die Verdrängung der Geschichte der Shoa ist Teil der Darstellung des gegenwärtigen Galiziens. Während der Priester sich seines Na565 Ebd., S. 9. Original: »Ksia˛dz z˙yje ›w bardzo dobrej zgodzie‹ ze swiaszczennikiem grekokatolickim, ale podejrzewam, z˙e troche˛ taka to zaz˙yłos´c´ jak prokuratora z adwokatem: nawet prywatni przyjaciele jednak wojuja˛ na sa˛dowej sali. Toga obliguje, sutanna tez˙. 566 Ebd. Original: »Ja z domu Ornawka, pos´lubiłam Piecha. Ma˛z˙ był Ukrainiec, ale syn Polaka. On chodził do cerkwi, ja szłam do kos´cioła. Ludzie zaraz ciekawi: a czego wy sie˛ rozła˛czacie? To mówie˛: my sie˛ w niebie zła˛czymy.« 567 Ebd., S. 14. Original: »Jestem ze wschodniej Galicji, zawsze mnie intrygowały podola, pokucia, zadniestrza, zakarpacia. Przeciez˙ i tych 180 dolarów dałam na sprawdzenie, czy sie˛ gdzie nie znajdzie prowincja Rotha, Babla, Pruszyn´skiego… Chyłkiem, bokiem cos´ sie˛ zawsze uchowa na wertepach s´wiata.«

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mens schämt, »Ich bin der Priester Z˙ydowski [der Jüdische], dem fügt er bei: so einen hässlichen Nachnamen trage ich, was soll man da machen…«568, ignoriert eine Dorfbewohnerin das Verschwinden der Juden: Hier gab es viele Juden, Piechowa stimmt zu. Und wo sind sie? Sie sind weggefahren. Ist das wirklich wahr? Und wohin? »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich zu sich.« Ich riskiere die Frage, ob »Brojda« auch gefahren ist. Welch ein Wunder, ja. Piechowa ist lebendiger geworden, für einen Moment hat sie wieder festen Boden gefasst. Er hat sich gerettet, vor seiner Abfahrt ist er öfters gekommen, ein paar Mal hineingekommen und hat gedankt… Panie Brojda, sagt Vater zu ihm, aber Gott behüte, schreiben sie keine Briefe. Also hat er es versprochen und damit war es zu Ende.569

Ein Gespräch, das an jenes bei Roswitha Schieb erinnert.570 Brutale Gegenwart der Ukraine Die galizische Nostalgie ist laut Stron´ska nur den Reisenden vorbehalten. Das ukrainische »einfache Volk« ist davon nicht betroffen. Die Autorin zeigt widersprüchliche oder ignorierende Haltungen gegenüber der Geschichte bei gleichzeitiger Kritik an der brutalen Gegenwart, die diese legitimiert. Die Menschen »der Straße« interessieren sich nicht für Geschichte, sie leben ihren Alltag. Neben den nationalen Konflikten beschreibt der Reisetext die wirtschaftliche Situation in der Ukraine: die Armut und den Überlebenskampf vieler Familien, sowohl von Arbeitern als auch von Intellektuellen, überall herrscht Hoffnungslosigkeit: »Die Ukraine erhebt den Kopf nicht, weil die Menschen kein Ziel sehen. Sie begehren nicht auf, weil sie nicht daran glauben, dass sich etwas ändern könnte. Einstweilen glauben sie es nicht.«571 Die Korruption, der Kampf zwischen den einzelnen Konfessionen, der Faschismus vieler Ukrainer sowie die Schwierigkeiten beim Umgang mit der eigenen Geschichte sind behandelte Problemfelder. Dabei erzeugt der Text kein nostalgisches Galizienbild, denn die Gesprächspartner der Autorin sehnen sich nicht in die galizische Zeit zurück, ihr Sehnsuchtsobjekt ist die Sowjetunion: Die Meinung der sogenannten Straße: jemand, der unter Breschnew und später, hundertfünfzig Rubel verdient hat, bekommt heute das Äquivalent von fünfundzwanzig. 568 Ebd., S. 8. Original: »›ksia˛dz Z˙ydowski jestem, dorzuca: takie nieładne nazwisko nosze˛, co robic´…‹« 569 Ebd., S. 11. Original: »Tu było duz˙o Z˙ydów, zgadza sie˛ Piechowa. A gdzie sa˛? Powyjez˙dz˙ali. Czyz˙by? A doka˛d? ›Nie wiem. Pewno do siebie.‹ Ryzykuje˛ pytanie, czy ›Brojda‹ tez˙ wyjechał. O dziwo, tak. Piechowa oz˙ywiła sie˛, przez moment znowu jest na twardym gruncie. Uratował sie˛, przed wyjazdem przychodził, kilka razy zaszedł i dzie˛kował… Panie Brojda, mówi jemu ojciec, tylko Boz˙e bron´, z˙eby pan list przysłał. No to obiecał, z˙e nie, i na tym sie˛ skon´czyło.« 570 Siehe: Kapitel 3.1.2.2. 571 Ebd., S. 37. Original: »Ukraina nie podnosi głowy, bo ludzie nie widza˛ celu. Nie buntuja˛ sie˛, gdyz˙ nie wierza˛, by mogło to cos´ zmienic´. Na razie nie wierza˛.«

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Naja, vielleicht dreißig. Die sowjetische Ukraine hatte einen besseren Lebensstandard als das sowjetische Russland. Seit der Freiheit ist es umgekehrt.572 Es war nicht schlecht. Eine Person, deren Ehemann jahrelang in sowjetischen Straflagern gelitten hat, versucht mich zu überzeugen: Wir kauften. Wir lebten. Es gab alles. Die anderen stimmen zu. In ihrer Situation erscheint sogar die Sowjetzeit in der Erinnerung als Idylle.573

Resümee Dieser Reisebericht ist sehr politisch und fordert sowohl auf der polnischen als auch auf der ukrainischen Seite eine Auseinandersetzung mit der Geschichte und ihren Auswirkungen. Dabei scheint das Motto der Autorin einfach eine Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte zu sein: »die heutigen polnisch-ukrainischen Beziehungen darf man nicht auf eine Schadensrechnung herunterbrechen, aber man darf sie auch nicht bagatellisieren, denn das Negieren der Fakten wird Änderungen nicht beschleunigen.«574

3.2.4 Fazit Anhand dieser zwei unterschiedlichen Richtungen der polnischen Galizienreisen innerhalb des historisch-literarischen Archivs ist vor allem eine Tendenz erkennbar: Die Betonung des polnischen Erbes dieses postgalizischen Raums, in dem Kresy und Galizien zusammengedacht werden. Die polnischen Reisenden nach der Wende 1989/1991, die sich des historisch-literarischen Archivs bedienen, können nicht unabhängig vom Erbe der Kresy schreiben. Lwiw wird immer zum polnischen »Lwów«. Der Text von Stron´ska, der den Begriff der Kresy und des darin enthaltenen nationalistischen polnischen Erbes kritisiert, ist nur eine Bestätigung des dominierenden Narrativs. Wo liegt die Unterscheidung zwischen den Kresy und Galizien in diesen Reisedarstellungen? Die Kresy sind immer polnisch, die anderen Nationen bzw. Ethnien bleiben im Hintergrund, das Narrativ ist ein polnisch-nationales, oft ein polnisch-nationalistisches. Galizien dagegen beinhaltet das multikulturelle und 572 Ebd., S. 36. Original: »Z opinii tak zwanej ulicy: ktos´, kto za Brez˙niewa, i póz˙niej, zarabiał sto pie˛c´dziesia˛t rubli, teraz bierze równowartos´c´ ówczesnych dwudziestu pie˛ciu. No, trzydziestu. Sowiecka Ukraina miała wyz˙szy poziom z˙ycia, niz˙ sowiecka Rosja. Na wolnos´ci odwrotnie.« 573 Ebd., S. 36–37. Original: »Z´le nie było. Osoba, której ma˛z˙ przeme˛czył lata w łagrach, wpiera we mnie: Kupowalis´my. Z˙ylis´my. Było wszystko. Inni przytakuja˛. W ich sytuacji pamie˛c´ nawet o sowieckich czasach sielanka˛ tra˛ci.« 574 Ebd., S. 61. Original: »dzisiejszych relacji polsko-ukrain´skich nie wolno sprowadzac´ do rachunku krzywd, ale ich bagatelizowanie czy wre˛cz negacja faktów nie przyszpieszy zmiany.«

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vor allem jüdische, wodurch dieses aus dem polnischen Narrativ ausgeschlossen wird, weil es zum galizischen hinzugerechnet wird. Dadurch kann eine Erzählung vom dominierenden homogenen polnischen Erbe in den Kresy entstehen, ohne dieses Sinnbild mit dem jüdischen oder ukrainischen (ruthenischen) Erbe zu vermischen – diese werden als Teile des habsburgischen Galiziens qualifiziert. Dadurch wird folgendes Bild vermittelt: die Kresy sind homogen polnisch, Galizien heterogen multiethnisch mit einer polnischen Dominanz. So differenziert sich auch die Benutzung des historisch-literarischen Archivs. Bei der Benutzung der polnischen Quellen aus dem Archiv wird vorrangig ein typisch polnisches Bild für die Kresy konstruiert, die nicht-polnischen Quellen tragen dagegen zu einem multikulturellen Galizienbild bei; eine tatsächliche Polyphonie vieler gleichgestellter Stimmen innerhalb der Reisen lässt sich nicht feststellen.

3.3

Conclusio

Was zeigen die Reisen in den postgalizischen Raum innerhalb der polnischen und deutschsprachigen Literaturen? Die Gemeinsamkeiten sind eindeutig: sowohl in der polnischen als auch in der deutschsprachigen Literatur gilt das Interesse dem jüdischen Galizien. Obwohl in den polnischen Reisen das polnische Erbe vorherrscht, wird dieses vorwiegend im Zusammenhang mit den Kresy thematisiert. Bei der Erschaffung dieses jüdischen Galizienbilds bedienen sich beide des gleichen Kanons. Joseph Roth ist der nach wie vor meistzitierte Autor. Die beiden Literaturen verbindet das negative Urteil über die ukrainische Gegenwart bzw. deren vollkommene Ignoranz und eine überhebliche Haltung gegenüber den Ukrainern. Beide Literaturen projizieren außerdem einen nostalgischen Blick auf den postgalizischen Raum. Zwar hängt dieser in der polnischen Literatur mit der Ersten Polnischen Republik und der Zweiten Polnischen Republik und in der deutschsprachigen Literatur mit dem jüdischen Erbe des Schtetls sowie der habsburgischen Glorie eines Franz Josephs zusammen, doch fungiert der postgalizische Raum nahezu ausnahmslos als eine Projektionsfläche für Sehnsüchte nach eigener Vormachtstellung bzw. Unvergänglichkeit. Im Kontext der Shoa und des generellen Verlusts575 wird dieser Raum weitaus komplexer und vielschichtiger beurteilt: Die interdependente Verbindung von Verlust und Wiederauffinden ist für diese Reisen wesentlich. Die räumliche und textuelle Aneignung Post-Galiziens ist bei dieser Auseinandersetzung wichtig, 575 Die Kresy gingen mit der Konferenz von Jalta und dem Potsdamer Abkommen verloren, das Ostjudentum wurde durch die Shoa vernichtet.

Conclusio

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denn Neuaneignung setzt einen Verlust voraus und findet statt, um die eigene (nationale) Geschichte zu erzählen. Damit wird die Reise nach Galizien Teil der Erinnerungsaufarbeitung: in der deutschsprachigen Literatur vor allem der Shoa, in der polnischen Literatur der ehemaligen Größe der eigenen Nation, also der Kresy und der Vormachtstellung der Polen in Galizien. Gleichzeitig erinnern die polnischen Reisen auch an das jüdische Erbe dieses Raums, wobei dieses selten mit dem polnischen vermischt wird, was durch den polonozentrierten Blick der Kresy-Reisen sowie dem im Bewusstsein stärker mit diesem Raum verbundenen polnisch-ukrainischen Konflikt zu erklären ist. Die Auseinandersetzung mit dem jüdischen Erbe im Kontext von Pogromen, an denen auch Polen beteiligt waren, wird in den Texten nicht thematisiert. Dieser Teil der polnischen Geschichte bleibt ausgespart. Ein großer Unterschied zwischen der polnischen und deutschsprachigen Literatur besteht vor allem darin, dass die Thematik der Kresy und der polnischukrainischen Beziehungen in der deutschsprachigen Literatur vollkommen ausgeblendet wird. Das Thema mit seiner Bedeutung für die Geschichte des Raumes und der dort lebenden Menschen bleibt in diesen Texten überwiegend eine Leerstelle. Dieses Teils des Archivs bedient sich von den deutschsprachigen Reisenden niemand: Sie haben weder Interesse daran, noch Wissen davon. Überdies stellen die polnischen Werke wenige Bezüge zwischen Schlesien und Galizien her, wie sie in den deutschsprachigen Texten vielerorts zu finden sind.

4

Familiäres Archiv Das hier ist definitiv nicht das Ende der Welt. Das hier ist ihr Anfang.576 (Sabrina Janesch) »Hier ist es, hier werden wir jetzt wohnen, weiter fahren wir nicht.«577 (Tomasz Róz˙ycki)

Reisen in historische Räume wie Galizien können auch aus viel persönlicheren Gründen stattfinden. Zur Erinnerungsaufarbeitung finden anhand der im familiären Archiv aufbewahrten Gegenstände des Familiengedächtnisses Reisen auf den Spuren der eigenen Vorfahren statt. Dabei handelt es sich um (Re-) Konstruktionen von Familiengeschichten, die oft Leerstellen in den Familiennarrativen zu füllen versuchen und sich mit neuen poetischen Verfahren an eine oft traumatische Familiengeschichte wagen. Die Reise dient dazu, die Geschichte selbst zu erfahren und zu durchleben, indem man sich an die für die Familie wichtigen Orte im postgalizischen Erinnerungs- und Gedächtnisraum begibt. Bei den Erzählenden handelt es sich um Nachfahren von Migrierten, Flüchtlingen und Vertriebenen aus Galizien, zumeist um die dritte Generation, die Galizien nur aus den Inhalten des familiären Archivs kennt. Galizien ist für sie nicht nur ein mythischer Ort der Vergangenheit, der sowohl durch Trauma als auch Nostalgie geprägt ist, sondern auch ein bewusst oder unbewusst die Gegenwart und Zukunft bestimmendes Element: Die Reise aktualisiert die Ereignisse der Vergangenheit und lässt sie zu Erlebnissen der Gegenwart werden. Wie es für die Reisen in den postgalizischen Raum typisch ist, werden auch hier die Zeitschichten sowie zwei topographische Räume vermischt – Galizien und Schlesien. Der deutschsprachige Roman Katzenberge (2010) von Sabrina Janesch und das polnische Poem Dwanas´cie stacji (Zwölf Stationen) (2004) von Tomasz Róz˙ycki578 werden in diesem Kapitel als Beispiele dieses Phänomens analysiert und verglichen. 576 Janesch: Katzenberge, S. 247. 577 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 173; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 139: »To tutaj, tu be˛dziemy teraz mieszkac´, dalej nie jedziemy.« 578 Dies ist jedoch ein Phänomen, das nicht nur auf die deutschsprachige und polnische Literatur beschränkt ist, sondern auch in der jüdisch-amerikanischen Literatur vorkommt. Vgl. hierzu: Windsperger, Marianne: Shtetl revisited - Jüdische Familiengeschichten zwischen New York und Galizien. In: Mettauer, Philipp/Staudinger, Barbara (Hrsg.): »Ostjuden« – Geschichte und Mythos. Innsbruck, Bozen: Studienverlag 2015, S. 207–225.

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4.1

Familiäres Archiv

Die dritte Generation: Tomasz Róz˙ycki und Sabrina Janesch

Eine Reise auf den Spuren der Familiengeschichte unternimmt die jüngste Generation: Nele Leipert heißt die Erzählerin in Katzenberge und ist die Enkelin von Stanisław Janeczko, einem aus Galizien vertriebenen Polen, der sich dann in Schlesien angesiedelt hat. Róz˙ycki nennt seinen Erzähler schlicht Wnuk (Enkel). Róz˙yckis eigene Vorfahren stammen aus Galizien und siedelten sich in Opole in Oberschlesien an. Die Großeltern von Janesch wurden aus Wolhynien nach Westen umgesiedelt,579 wodurch beide selbst biographische Bezüge zu Schlesien und Galizien (erweitert um Wolhynien) haben. Sabrina Janesch Die polnischen Großeltern mütterlicherseits der deutsch-polnischen Schriftstellerin Sabrina Janesch (*1980 in Gifhorn, Niedersachsen) stammen aus Wolhynien, wodurch sie selber das Schicksal der von Ost nach West Vertriebenen erlitten. Dieses doppelte Vertreibungstrauma thematisiert Janesch in ihrem ersten autofiktionalen Roman Katzenberge: »Neles und meine Biographie decken sich, was ihre Familiengeschichte angeht,«580 meint Janesch in einem Interview. Sie selbst verbrachte seit jüngster Kindheit ihre Ferien auf dem großelterlichen Bauernhof in Niederschlesien und pflegte eine enge Beziehung zum polnischen Großvater. Dadurch lernte sie Polnisch und pflegte ihren Bezug zu Polen.581 So ist naheliegend, dass sie neben ihrem Studium des Kreativen Schreibens und Kulturjournalismus in Hildesheim auch zwei Semester Polonistik an der Jagiellonen-Universität in Krakau studierte.582 Der Debütroman wurde u. a. mit dem Mara-Cassens-Preis für das beste Romandebüt des Jahres 2010, dem Nicolas-Born-Förderpreis und dem Anna Seghers-Preis ausgezeichnet,583 was zur Popularität der Autorin führte. 2009 war Janesch durch ein Stipendium des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Zusammenarbeit mit

579 Vgl. Egger, Sabine: Magischer Realismus als Modus einer transgenerationellen ›felt history‹. Heimat, Flucht und Vertreibung in Sabrina Janeschs Katzenberge. In: Iztueta, Garbine/ Saalbach, Mario/Talavera, Iraide/Bescansa, Carme u. a. (Hrsg.): Raum – Gefühl – Heimat. Literarische Repräsentation nach 1945. Marburg: LiteraturWissenschaft.de 2017, S. 141–156; hier: S. 144. 580 Sabrina Janesch im Interview mit Gunnar Cynybulk. http://www.sabrinajanesch.de/werke /interview-mit-sabrina-janesch/ [07. 09. 2017]. 581 Vgl. Burdziej, Aleksandra: Sabrina Janesch. In: Korte, Hermann (Hrsg.): Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (KLG). München: Edition Text + Kritik 2013. Online verfügbar unter: http://www.nachschlage.net/document/16000005031 [25. 01. 2017]. 582 Vgl. Literaturport. Sabrina Janesch. http://www.literaturport.de/Sabrina.Janesch/ [25. 01. 2017]. 583 Vgl. Janesch: Katzenberge, Schmierseite.

Die dritte Generation: Tomasz Róz˙ycki und Sabrina Janesch

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der Stadt Danzig erste Stadtschreiberin in Danzig.584 2010 wurde sie für den Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis nominiert. Tomasz Róz˙ycki Tomasz Róz˙ycki (*1970 in Opole) gehört in Polen seit Jahren zu den bedeutendsten Lyrikern. Er wurde mehrfach ausgezeichnet und dreimal für den wichtigsten polnischen Literaturpreis Nike nominiert (2005, 2007, 2011). Er studierte an der Jagiellonen-Universität Romanistik und unterrichtet bis heute Französisch und französische Literatur an der Universität in Opole,585 was sich in zahlreichen intertextuellen Verweisen und Anspielungen aus dieser Literatur bemerken lässt. Er debütierte bereits in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, war jedoch zu Beginn in keiner der Gruppierungen der in den 1970er-Jahren geborenen polnischen Dichter zu finden, da er weder in den poetischen Gruppen der postbruLioni (PostbruLionen) noch der neolingwis´ci (Neolinguisten) angehörte. Der Grund lag darin, dass seine Poetik durch die Postmoderne bei gleichzeitiger starker Anlehnung an die polnische Romantik geprägt ist.586 Das beste Beispiel hierfür ist das heroisch-komische Epos Dwanas´cie stacji aus dem Jahr 2004, das heute in Polen bereits zum Kanon gehört.587 Das Pastiche auf Adam Mickiewiczs Nationalepos Pan Tadeusz erhielt den Kos´cielski-Preis und wurde für den bedeutendsten polnischen Literaturpreis Nike nominiert. Es porträtiert die Geschichte einer Familie in Schlesien, welche benutzt wird, um die Ukraine, Galizien und die Kresy-Gebiete aus der Erinnerung der Familienmitglieder wiederauferstehen zu lassen.588 Der namenlose Protagonist, einfach »Enkel« genannt, ist ein Nachfahre von Vertriebenen aus Galizien, die nun in Opole wohnen, einer Stadt in den sogenannten Ziemie Odzyskane (Wiedergewonnene Gebiete). Er bekommt den Auftrag, die in ganz Polen verstreute Verwandtschaft zu finden und mit allen in die Heimat, aus der sie vertrieben wurden, zurückzukehren. Genauer in die Stadt Gliniane, damals im alten Galizien, nun als Hlynjany in der Ukraine gelegen. Weiters soll er die Erbstücke der Familie retten: die von den 584 Vgl. Sabrina Janesch. Stadtschreiberin Danzig 2009. http://stadtschreiber-danzig.blogspot. co.at/2009/07/sabrina-janesch-stadtschreiberin-danzig.html [25. 01. 2017]. 585 Vgl. Culture.pl. Tomasz Róz˙ycki. http://culture.pl/pl/tworca/tomasz-rozycki [25. 01. 2017]. 586 Vgl. Cies´lak, Tomasz: Inspiracje romantyczne w poezji polskiej roczników 60. i 70. (na wybranych przykładach). In: Łukaszuk, Małgorzata/Seweryn, Dariusz (Hrsg.): Polska literatura współczesna wobec romantyzmu. Lublin: Towarzystwo Naukowe KUL 2007, S. 177– 202; hier: S. 196. 587 Bei der polnischen Matura 2007 zählte es im Prüfungsfach Polnisch zu den Prüfungsaufgaben. Vgl. Centralna Komisja Egzaminacyjna. Arkusze maturalne. https://cke.gov.pl/ima ges/_EGZAMIN_MATURALNY_OD_2015/Arkusze_egzaminacyjne/2007/polski_pr.pdf [06. 06. 2018]. 588 Stan´czyk, Ewa: Ukraine and Kresy in Tomasz Róz˙ycki’s Dwanas´cie Stacji. Postcolonial Analysis. In: Zagadnienie Rodzajów Literackich LII 1–2 (2009), S. 93–109; hier: S. 94.

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Deutschen hinterlassene bürgerliche Standuhr und den noch aus dem galizischen Z˙eniów (heute Zˇeniv in der Ukraine) von der Großmutter mitgebrachten Ringkragen.589 Auch in Katzenberge begibt sich die Protagonistin auf Spurensuche, um ein Familiengeheimnis aufzuklären, und auch ihre Reise beginnt in Schlesien und endet in Galizien. Postmemory Für beide sind die Reisen durch die Herkunft der Großeltern motiviert, denn die Texte basieren zu einem großen Teil auf Rückgriffen auf das Familiengedächtnis. Der von Marianne Hirsch geprägte Begriff Postmemory beschreibt solche Phänomene, bei denen die Nachkommen Bezüge zu vor ihrer Geburt stattgefundenen Ereignissen in der eigenen Familie entfalten: »Postmemory« describes the relationship that the »generation after« bears to the personal, collective, and cultural trauma of those who came before-to experiences they »remember« only by means of the stories, images, and behaviors among which they grew up.590

Von der Geschichte der Eltern, Großeltern oder der Urgroßeltern werden in Erzählungen weitergegebene Erinnerungsreste überliefert, die bis in die Gegenwart prägen und andauern.591 Im Nachlass gefundene Objekte dienen der Nacherinnerung und Nacherzählung der Geschichte, die Reise schließt die in den Familiennarrativen vorhandenen Erinnerungslücken, hinterfragt, revidiert und aktualisiert Vorstellungen. Die Geschichte der Vorfahren wird in ein Verhältnis zur eigenen gesetzt, denn, wie David Lowenthal diagnostiziert, ist jede Erinnerung an die Vergangenheit ausschlaggebend für die eigene Identität.592 So ist Postmemory als Fortführung des Familiengedächtnisses ein wichtiges Element der Selbstidentifikation und des autobiographischen Selbstverständnisses, das vererbte Traumata der Vorfahren umfasst, womit Marianne Hirsch vornehmlich die Weitergabe des Traumas des Holocausts meint. In den Werken von Janesch und Róz˙ycki sind es die Traumata von Ereignissen aus der neueren polnischen, ukrainischen und deutschen Geschichte: »These events happened in the past, but their effects continue into the present. This is, I believe, the structure of postmemory and the process of its generation.«593

589 Vgl. Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 39. 590 Hirsch, Marianne: The Generation of Postmemory. Writing and Visual Culture After the Holocaust. New York: Columbia University Press 2012, S. 5. 591 Vgl. Hirsch, Marianne: The Generation of Postmemory. In: Poetics Today 29:1 (2008), S. 103–128; hier: S. 106–107. 592 Vgl. Lowenthal: The Past is a Foreign Country, S. 197. 593 Hirsch: The Generation of Postmemory. Writing and Visual Culture After the Holocaust, S. 5.

Die dritte Generation: Tomasz Róz˙ycki und Sabrina Janesch

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Historischer Kontext: Vertreibungen und Umsiedlungen Das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Neuaufteilung des europäischen Territoriums nach der Konferenz in Jalta und dem Potsdamer Abkommen führten für die Gebiete des vormals polnischen Galiziens und deutschen Schlesiens zu Veränderungen, die Auslöser für Migrationsbewegungen wurden. Das Dritte Reich hatte im Hitler-Stalin-Pakt neue europäische Staatsgrenzen geschaffen; die anschließenden Deportationen der Polen, um »Lebensraum« für die Deutschen zu schaffen, fielen nach dem Krieg auf Deutschland zurück. Die Sowjetunion behielt die annektierten polnischen Ostgebiete, was eine Entschädigung Polens auf Kosten Deutschlands zur Folge hatte.594 Die neuen Grenzziehungen Polens, westlich an der Oder-Neiße Linie, östlich mit leichten Veränderungen an der so genannten Curzon Linie, zwangen Millionen Menschen sich auf die neue Situation des von ihnen bewohnten Territoriums einzustellen. Zudem verfolgten die Alliierten nach 1945 das Ziel, möglichst homogene Nationalstaaten zu schaffen, weshalb die Polen aus den vormals polnischen Ostgebieten und die Deutschen aus den vormals deutschen Ostgebieten flüchten mussten oder ausgesiedelt wurden. Für den galizisch-schlesischen Kontext sind vor allem zwei Ereignisse prägend: Einerseits der blutige ukrainisch-polnische Konflikt in Wolhynien und Galizien sowie die damit zusammenhängenden Vertreibungen der polnischen Bevölkerung aus diesem Gebiet zwischen 1943 und 1946.595 Andererseits die »Repatriierung« der Vertriebenen bzw. Zwangsumsiedlung von Polen in das ehemals deutsche Schlesien, das selbst von der Vertreibung der dortigen deutschen Bevölkerung betroffen war.596 Im Jahr 1939 sollen 7,1 Millionen Deutsche in den deutschen Ostgebieten gelebt haben, die nach dem Zweiten Weltkrieg Polen zuerkannt und so zu polnischen Westgebieten wurden, neben Schlesien auch Ost- und Westpreußen, Brandenburg, Danzig und Hinterpommern.597 Gleichzeitig lebten ca. vier Millionen Polen in den sogenannten Kresy, den polnischen Ostgebieten, die nach 1945 zur Sowjetunion gehören sollten. Auch diese Polen wurden nun in den in der Volksrepublik Polen als Ziemie Odzyskane

594 Vgl. Ther, Philipp: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945–1956. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998, S. 11–12. 595 Vgl. Ther, Philipp/Siljak, Ana: Redrawing Nations. Ethnic Cleansing in East-Central Europe 1944–1948. Lanham: Rowman & Littlefield 2001, S. 138. 596 Siehe hierzu: Wylegała, Anna: Przesiedlenia a pamie˛c´. Studium (nie)pamie˛ci społecznej na przykładach ukrain´skiej Galicji i polskich »ziem odzyskanych«. Torun´: Wydawnictwo Naukowe Uniwersytetu Mikołaja Kopernika 2014. 597 Vgl. Roszkowski, Wojciech: Najnowsza historia Polski 1945–1980. Warszawa: S´wiat Ksia˛z˙ki 2003, S. 28; Beer, Matthias: Flucht und Vertreibung der Deutschen. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen. München: C.H. Beck 2011, S. 85.

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bezeichneten Territorien598 angesiedelt. So begannen die Polen, die ihre Häuser in Galizien verlassen hatten, in den von den Deutschen zurückgelassenen Häusern in Schlesien zu leben. Trotz der Schwierigkeit über genaue statistische Daten zu verfügen, kann davon ausgegangen werden, dass ungefähr 20 Prozent der Gesamtbevölkerung sowohl in Polen als auch Deutschland von den Vertreibungen direkt betroffen waren.599 Die Vertreibung lässt sich im Fall der Deutschen und Polen in drei Phasen gliedern: Flucht, »wilde Vertreibungen« und die vertraglich festgelegten Vertreibungen bzw. Zwangsumsiedlungen;600 wobei sich Flucht und Vertreibung im Nachhinein kaum unterscheiden lassen.601 Das polnische Territorium wurde auf Vorschlag von Winston Churchill um knapp 200 Kilometer westwärts verschoben. Polen verlor die östlichen Kresy mit Wilna und Lwiw, bekam aber im Westen Breslau, Stettin und Danzig dazu. Nur 54 % des Territoriums der Zweiten Polnischen Republik gehörten zur neu gegründeten Volksrepublik Polen. Die neuen Gebiete wiesen aber im Unterschied zu den hauptsächlich schwach entwickelten landwirtschaftlichen Ostgebieten Bodenschätze, eine ausgebaute Industrie, ein großes Straßen- und Bahnnetz und eine hohe Anzahl von Städten und Häfen auf.602 Eine Nostalgie gegenüber den Kresy ist bei vielen Polen bis heute zu finden. Trauma und Narrative der Nachgenerationen Diese Analogie zwischen Schlesien und Galizien zeigt sich in den Narrativen der jüngsten Generation: Erzählanlässe finden sich in den polnischen und deutschen Archivmaterialien, die beide Perspektiven immer wieder vereinen. In Schlesien vermischen sich die von den Deutschen zurückgelassenen Gegenstände mit den aus Galizien mitgebrachten Dingen wie Büchern, Haushaltsutensilien, Standuhren etc. Diese Materialien deuten in den Texten auf die komplexe Situation 598 Die Vertriebenen aus den ehemals polnischen Ostgebieten nach 1945 wurden in Polen als repatrianci (Repatrianten) und der gesamte Vorgang als repatriacja (Repatriierung) bezeichnet. So wurde (auch propagandistisch) vermittelt, dass man in urpolnische Gebiete, die nun Ziemie Odzyskane genannt wurden, zurückkehre. 599 Vgl. Bömelburg, Hans Jürgen/Traba, Robert: Erinnerung und Gedächtniskultur. Flucht und Vertreibung in deutschen und polnischen Augenzeugenberichten. In: Bömelburg, Hans Jürgen/Stößling, Renate/Traba, Robert (Hrsg.): Vertreibungen aus dem Osten. Deutsche und Polen erinnern sich. Olsztyn: Borussia 2000, S. 7–21; hier S. 13. 600 Vgl. Ther: Deutsche und polnische Vertriebene, S. 12. Zum genauen Verlauf der Vertreibungen siehe: Ther: Deutsche und polnische Vertriebene 1998, S. 50–88; Zum deutschpolnischen Konflikt nach 1939 mit Schwerpunkt auf der Bevölkerungsverschiebung siehe: Borodziej, Włodzimierz/Ziemer, Klaus (Hrsg.): Deutsch-polnische Beziehungen 1939– 1945–1949. Eine Einführung. Osnabrück: Fibre 2000. 601 Vgl. Ther, Philipp: Die dunkle Seite der Nationalstaaten. »Ethnische Säuberungen« im modernen Europa. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, S. 142. 602 Vgl. Davies, Norman: Boz˙e igrzysko. Historia Polski. Aus d. Englischen v. Elz˙bieta Tabakowski. Kraków: Znak 2010, S. 949–951.

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beider Gruppen und deren Schwierigkeiten beim Aufbau einer nachgalizischen bzw. nachschlesischen Identität der Umgesiedelten hin. Das Trauma der Vertreibung wird an die Nachfolgegenerationen weitergegeben und zwingt sie, darüber Rechenschaft abzulegen, um diese Erfahrungen für spätere Generationen in Form von Literatur, Kunst, Film oder Bild verfügbar zu machen.603 Die Reise nach Galizien auf den Spuren der eigenen Vorfahren ist somit eine Etappe in der Aufarbeitung der familiären und persönlichen Erinnerung. Das Hauptanliegen der beiden Werke liegt in der erzählten Aufarbeitung der Familiengeschichte anhand der im familiären Archiv überlieferten Elemente. In einem generationsübergreifenden Ausmaß wird der Umgang mit der Vergangenheit thematisiert – die Frage nach der Übertragung des Traumas auf die nachfolgenden Generationen stellt Nele Leipert selbst: »In meinem Kopf hörte ich den Tonfall, mit dem Djadjo sagen würde: Mädchen, kämpf mit deinen eigenen Dämonen. Mir fiel erst jetzt, nach seinem Tod, die Antwort ein: Was wenn Dämonen, wie Sprache oder Land, vererbbar sind?«604 Werke, die diesen »Dämonen« nachgehen, werden zu »palimpsestartigen Geschichten«, wie Christine Brooke-Rose diese Art von Erzählungen nennt.605 Solche Familienerzählungen, basierend auf dem transgenerationell übertragenen Trauma der Vertreibung und Heimatlosigkeit, sind nur literarisiert und verfremdet möglich. Ulrike Vedder weist darauf hin, dass literarische Räume eben durch Fiktion und Imagination eröffnet werden und ebenso historisch Verborgenes zum Ausdruck bringen können.606 Janesch und Róz˙ycki suchen in ihren Werken nach neuen Darstellungsmöglichkeiten; diese äußern sich in einer ironischen Nostalgie bei Róz˙ycki einerseits, sowie einem phantastischen Realismus bei Janesch andererseits. Der Einsatz solcher mythisierender Verfahren, hier an der Mythisierung von Schlesien und Galizien ersichtlich, soll gegen einen Realitätsdruck vorgehen. Eine nichtrealistische, distanzierende Schreibweise wird dank der Mythos-Bezüge möglich.607 Der Umgang mit der Vergangenheit kann nur auf diese Art und Weise stattfinden. »Sometimes legends make reality, and become more useful than the facts«608, wie es Salman Rushdie in Midnight’s Children beschrieb. 603 Vgl. Kaniowska, Katarzyna: Postpamie˛c´. In: Orłowska, Paulina (Hrsg.): Pamie˛c´. Rejestry i terytoria. Memory. Registers and Territories. Ausstellungskatalog. Kraków: MCK 2013, S. 38–47; hier: S. 41. 604 Janesch: Katzenberge, S. 181. 605 Vgl. Brooke-Rose, Christine: Palimpsest History. In: Collini, Stefan (Hrsg.): Interpretation and Overinterpretation. Cambridge: Cambridge University Press 1992, S. 125–138. 606 Vgl. Vedder, Ulrike: Luftkrieg und Vertreibung. In: Caduff, Corinna/Vedder, Ulrike (Hrsg.): Chiffre 2000 – Neue Paradigmen der Gegenwartsliteratur. München: Wilhelm Fink 2005, S. 59–79; hier: S. 60. 607 Vgl. ebd., S. 65. 608 Vgl. Rushdie, Salman: Midnight’s Children. London: Knopf 1981, S. 47.

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4.2

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Galizisch-schlesisches Familienarchiv

»Die gesammelten Merkwürdigkeiten verändern sich mit der Zeit, sie werden nicht nur mehr, sondern auch immer phantastischer«,609 notiert Sabrina Janesch am Anfang ihres Romans Katzenberge und beschreibt damit den polnischdörflichen Umgang mit Ereignissen, die »von den genauestens bekannten und sorgfältig studierten Abläufen des Alltags«610 abweichen. Als Merkwürdigkeiten bezeichnet die Autorin die Dinge, die ganze Jahrzehnte im Familiengedächtnis überdauert haben. Diese ausgewählten und gesammelten materiellen und immateriellen Elemente der Vergangenheit haben einen Platz im familiären Archiv, welches je nach Familie bzw. Familientradition bewusster oder unbewusster gepflegt wird. Phantastisch sind auch die hier analysierten Werke, phantastisch im doppelten Sinne: einerseits im umgangssprachlichen als »begeisternd«,611 was aus der äußerst breiten und positiven Rezeption herauszulesen ist, andererseits im bildungssprachlichen als »von Illusionen, unerfüllbaren Wunschbildern, unwirklichen, oft unklaren Vorstellungen oder Gedanken beherrscht und außerhalb der Wirklichkeit oder im Widerspruch zu ihr stehend.«612 Im Hinblick auf die Werke bezieht sich dies auf zwei Konstrukte und den Umgang mit ihnen: Erstens auf die verlorene Heimat Galizien mit den dazugehörenden Vertreibungen und Neuansiedlungen, zweitens auf die damit zusammenhängende mythisierende und verfremdende, auf Materialien des familiären Archivs beruhende Familienerzählung. Die Überlegungen zum Familienalbum von Annegret Pelz charakterisieren diese Eigenschaft: Wenn der Zugriff der Geschichte die Kontinuität von Gedächtnis und Raum zerstört und es notwendig wird, dem herausgerissenen Gedächtnis ein Medium zu widmen, entscheidet der Besitz von Alben, ob ein Dislozierter ein Gedächtnis hat oder nicht. […] Wer in einem Album blättert, hat es also mit einer problematischen und unvollständigen Rekonstruktion dessen zu tun, was nicht mehr ist.613

Die im Zitat aufgegriffenen Alben sind Teil des familiären Archivs, welches als Imaginationsarchiv des Archivs Galizien, auf dem die Geschichten um Galizien und Schlesien aufbauen, aus zwei Teilen besteht. Einerseits aus einem immateriellen Erbe: Erzählungen der Familienmitglieder, sprachlichen Eigenheiten, 609 Janesch: Katzenberge, S. 9. 610 Ebd. 611 Duden. Fantastisch/Phantastisch. http://www.duden.de/rechtschreibung/fantastisch [24. 10. 2018]. 612 Vgl. ebd. 613 Pelz, Annegret: Vom Bibliotheks- zum Albenphänomen. In: Kramer, Anke/Pelz, Annegret (Hrsg.): Album. Organisationsform narrativer Kohärenz. Göttingen: Wallstein 2013, S. 40– 58; hier: S. 45–46.

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Bräuchen und Traditionen, Lebensweisen. Andererseits ist es verankert in weitergegebenen Dingen: Postkarten, Fotos, Alben, Familienerbstücken oder übersetzten Kulturgütern. Auf der Basis dieser Archivmaterialien kann die Familiengeschichte erzählt werden und die Reise in das Raumarchiv stattfinden, denn sie sind die von den Narrativen eingegliederten Beglaubigungsmittel. Diese Spuren der Vergangenheit im Imaginationsarchiv werden zum Ausgangspunkt der Reise, während der sie im Raumarchiv aktualisiert werden. Die Aktualisierungen der Vergangenheit lassen sich mit den beiden Archivfiguren Eumenestes und Anamnestes verbildlichen.614 Die Großeltern übernehmen dabei die Rolle des Eumenestes, die das Archiv in materieller oder immaterieller Weise verkörpern, und die Enkel die des Anamnestes, die auswählen und Teile davon zur Schau stellen.

4.2.1 Beglaubigungsstrategien: Materielles und immaterielles Archiv Mündliche Geschichten des Großvaters Den Ausschlag für die Reise in Katzenberge gibt der Tod des Großvaters Stanisław Janeczko, der simultan auch für das Verschwinden einer alten Welt zu stehen scheint: »Ohne Djadjo […] steht dem Verschwinden nichts mehr entgegen. Djadjos Geschichten sind es gewesen, die hier alles zusammengehalten haben.«615 Und Djadjos Geschichten sind es auch, die in dem Roman die Narration bestimmen. Sie sind wesentlicher Teil des immateriellen familiären Archivs und auch ein gutes Beispiel, wie anhand bedeutungsvoller Inhalte im Archiv die galizische Familiengeschichte rekonstruiert wird. »Alte Geschichten«616 werden die im kommunikativen Familiengedächtnis überlieferten Erzählungen bei Janesch genannt. »Großvater sagte,…« diese oft wiederholte Formulierung bildet das Leitmotiv: die Erzählungen des Großvaters dienen als Grundlage der Reise, der Spurensuche und der Auseinandersetzung mit dem Raum Galizien. Aus den Erzählungen des Großvaters sowie der Reise der Erzählerin entsteht die Narration, die aus zwei Zeit- und Handlungsebenen (der Gegenwart und der Vergangenheit) besteht. Die Handlungsebene der Vergangenheit, die immer mit »Großvater sagte,…« eingeleitet wird, besteht aus Textabschnitten, die offensichtlich Teile des immateriellen, mündlich überlieferten familiären Archivs sind. Die in der Familie weitergegebenen Geschichten bilden die Hauptachse des Romans. Die Leerstelle ist hier zentral: Der Großvater hat die Geschichte so nie erzählt, es sind fiktive Rekonstruktionen der Enkelin auf der Basis von erzählten 614 Siehe: Kapitel 2.4. 615 Janesch: Katzenberge, S. 46. 616 Ebd., S. 216.

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Sequenzen: »Großvater sagte, als man ihn zum ersten Mal nach Schlesien gebracht habe, sei er beinahe erstickt,«617 »Großvater sagte, der Weg nach Wydrza habe über die große Stadt geführt und die große Stadt sei der Irrsinn gewesen«618 oder »Großvater sagte, die Überquerung des Bugs sei die einzige Rettung gewesen.«619 Anhand dieser wiederholten Satzeinleitung zu den Geschichten des Großvaters wird die Flucht aus der Vergangenheit rekonstruiert, immer als Gegenentwurf zu der Reise in der Gegenwart. Janeschs Roman enthält auch eine Metaebene, die die Lücke im Archiv sowie das Bedürfnis der Rekonstruktion anspricht: »Djadjos Erzählungen aus Wydrza waren immer vage geblieben, unruhig, waren weder Erzählungen aus dem Jenseits noch aus dem Diesseits gewesen.«620 Wiederholt wird die Erinnerungsweitergabe reflektiert und so die Bedeutung des Textes innerhalb dieser angesprochen: »Was interessiert es dich schon, hatte Djadjo gesagt, die ganzen alten Geschichten. Es ist doch bloß das, an was ich mich erinnere. Wenn du es mir erzählst, können wir uns beide daran erinnern, hatte ich ihm geantwortet.«621 Sprache Der Erzählung mit Sprache als ihrem wesentlichen Mittel wird eine große Rolle bei der Überlieferung der Familiengeschichte zugeschrieben, was die Erzählerin erstmals bei ihrem Besuch in Wydrza thematisiert; es ist vor allem die Art zu sprechen, die Aussprache, das für Galizien und damit den Osten steht: »Babus´’ ostpolnischer Akzent war unverkennbar. […] Genau so hatte Djadjo auch gesprochen, dieses leicht schleppende, gedehnte A, das verkürzte O, und das L, das fast schon russisch klang.«622 Auch als Nele im Heimatort des Großvaters in der Ukraine ankommt, wird die Sprache nicht nur zur Darstellung des Erbes Galiziens sowie der Verwandtschaft zwischen Schlesien und Galizien, sondern auch zur Beglaubigung verwendet, jedoch nun schon im realen Raumarchiv. Aufgrund des gleichen Dialekts kann Nele feststellen, dass sie tatsächlich am richtigen Ort angekommen ist: Ich wunderte mich, warum ich ihr Ukrainisch so gut verstand, aber als sie uns in einer Sprache aufforderte, die mehr Polnisch als Ukrainisch war, endlich zuzugreifen und zu essen, wurde mir klar, dass es an ihrem Sprachgemisch lag. Ich war am richtigen Ort angekommen, endlich.623

617 618 619 620 621 622 623

Ebd., S. 22. Ebd., S. 155. Ebd., S. 236. Ebd., S. 214. Ebd., S. 216. Ebd., S. 184. Ebd., S. 259.

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Die Sprache ist Spur einer vergangenen Welt, kulturelles Erbe, und dient der Beglaubigung der Abstammung. Zudem kommen in Janeschs deutschsprachigem Roman polnische Wörter vor, die jedoch nicht der korrekten polnischen Rechtschreibung entsprechen und den Text verfremden: »Na zdrowie, wujkowie!«624, »jaktwjamka!«625 oder »Djadjo.« Auch Róz˙ycki spielt mit der alten Sprache der Vorfahren: Zu den phonetischen Eigenschaften wie den von »den Weiblein podolischer Rasse«626 gesprochenen Sprache »mit singendem Akzent, ihre Stimmen sich zu einer einzigen Fisharmonie verein[end]«627, kommt noch eine aus Galizien mitgebrachte und mit dem schlesischen Dialekt vermischte Lexik, wie »rynka«628 [»Reindel«629], »so nannte man hier Töpfe und Rondells.«630 Sitten und Bräuche Róz˙ycki beschreibt »die hiesige[n] Sitte[n]«,631 die in Schlesien noch gelebt werden und ursprünglich aus Galizien stammen, genauestens, denn sie stellen die Basis des alltäglichen Lebens dar, »in diesen Gefilden galten eigene Gesetze«632: Die Türen bleiben geöffnet (»dass hiesige Sitte es gestattete, / Wohnungstüren, Fenster und Haustore offen zu lassen«633), den Hausherrn muss man in der Wohnung suchen (»Wer unangemeldet kam, musste manchmal die ganze Wohnung / durchsuchen nach dem Besitzer«634), sich dann manchmal auch unfreiwillig bewirten lassen (»so wie das hier Brauch war / jemanden, der von einer Reise kommt – / und wenn es nur zum Einkaufsladen war – / […] zu tränken und ordentlich zu füttern«635) und am Freitag pierogi zu essen:

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Ebd., S. 11. Ebd. Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 9; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 8: »babcie rasy podolskiej.« Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 9; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 8: »z akcentem / tak s´piewnym, z˙e na słowa jednej zaraz naste˛pne dos´piewywały.« Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 13. Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 15. Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 15. Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 13: »tak tu nazywano garnki oraz rondle.« Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 9; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 9: »tutejsze zwyczaje.« Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 10; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 9: »ta kraina bowiem swoimi rza˛dziła sie˛ prawami.« Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 9; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 9: »tutejsze zwyczaje, / które pozwalały zostawic´ otwarte wszystkie drzwi do domów.« Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 10. Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 9: »Kto przychodził niezapowiedziany, / musiał czasami po całym mieszkaniu szukac´ gospodarza.« Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 15. Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 13: »tak jak to było w tutejszym zwyczaju, aby takiego, co wraca z podróz˙y – / choc´by to miałabyc´ podróz˙ do sklepu – zaraz napoic´ i dobrze nakarmic´«.

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lud die Großmutter den Enkel für morgen zu Piroggen ein, denn anderntags war tatsächlich Freitag, immer noch Fastentag in diesen Gefilden, der der Vergangenheit lebten, und somit die beste Gelegenheit, Gäste aus den ganzen Familie, von nah und fern, mit Piroggen zu beglücken.636

Die Piroggen dominieren sowohl bei Janesch als auch bei Róz˙ycki den kulinarischen Aspekt des galizischen Erbes. Das polnische Poem verewigt als Teil des familiären Archivs sogar ein ganzes Piroggenrezept,637 welchem neben den traditionellen Familienwerten universell-existenzielle Werte zugeschrieben werden, vor allem dem Akt der Vorbereitung: »bei dem der Ausführende Gelegenheit hat / zu begleitenden Meditationen über das Leben und seine Existenz.«638 Auch bei Janesch gehört das stereotype, exzessive gemeinsame Essen und Feiern samt Alkoholkonsum zum schlesisch-galizischen Erbe: Es wurde eine lange Nacht: Warten, bis die Schweinshaxen aufgegessen waren, die Mayonnaiseeier und die gebackenen Pilze; warten, bis man alle Lieder, die man kannte und auch solche, die man nicht kannte, gesungen hatte; bis man allen Wodka und allen Selbstgebrannten ausgetrunken hatte. Dann stand der Tag am Horizont.639

Einen anderen Teil dieses mündlichen immateriellen Archivs stellen im Roman Katzenberge die das mythische Bild Galiziens konstruierenden überlieferten Geschichten dar, die im nachfolgenden Kapitel zum magischen Realismus genauer analysiert werden. Ofen und Verzierungen In Katzenberge stellen zwei materielle Objekte die dominierenden Spuren Galiziens dar: der galizische Ofen in der Küche des Großvaters und seine traditionellen Verzierungen der Bienenstöcke mit Girlanden von Klatschmohn und Kornblumen. Beide Objekte stammen vom Großvater und beide sind räumlich in Schlesien verortet. Die Protagonistin verbindet diese sowohl mit ihren Kindheitserinnerungen an Schlesien und den Großvater, als auch mit Galizien an sich. Sie stehen für das vom galizischen Erbe materiell Übriggebliebene und sind das schlesische Verbindungsglied zu Galizien – Spuren einer zurückgelassenen, für die Betroffenen nicht mehr real existierenden Welt. Nele sucht diese galizischen

636 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 20; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 16–17: »Babcia prosiła Wnuka jutro na pierogi, poniewaz˙ wypadał rzeczywis´cie / Pia˛tek, który był w tej krainie z˙ycja˛cej przeszlos´cia˛ nadal dniem postu, / a co za tym idzie, okazja˛ najlepsza˛, by pierogami ugos´cic´ cała˛ rodzine˛, / bliska˛ i daleka˛.« 637 Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 24–28. 638 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 32; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 25: »wykonawca cze˛sto ma okazje˛ / do dodatkowych przemys´len´ nad z˙yciem i kształtem swej egzystencji.« 639 Janesch: Katzenberge, S. 11.

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Spuren auf ihrer Reise auf und begegnet den Objekten im Raumarchiv – im Herkunftsort des Großvaters, nun in der Ukraine: Mein Blick glitt zu den Bienenstöcken, und plötzlich meinte ich, knapp unterhalb ihrer Dächer filigrane Malereien zu erkennen. Ich ging zu ihnen hinüber, begrüßte die Frau und hockte mich zu den Häuschen. Girlanden von Klatschmohn und Kornblumen. Ich kenne das, sagte ich, zu Michał gewandt, aber an seiner statt antwortete die Frau: Nein, unmöglich, das machen nur wir hier so, das ist so eine alte Tradition. Jeder Landstrich hat seine eigenen Girlanden. Ich lächelte. Die Tradition gibt es seit ein paar Jahrzehnten auch woanders. Sie ist nach Westen mitgereist.640

Das zweite Objekt, den Ofen, zeigt ihr im ukrainischen Heimatdorf des Großvaters Zastavne eine alte, ein Gemisch von Polnisch und Ukrainisch sprechende Frau, die eine längst vergangene Zeit symbolisiert. Als konstituierendes Element der galizischen Kultur und Identität trägt der Ofen sogar einen Namen: Malina Rafailiwna führte mich in ihre Küche und lächelte zufrieden, als ich vor dem braun gekachelten Ofen stehen blieb […]. Außer dem Ofen gab es nicht viel in der Küche: Er nahm etwa zwei Drittel des Raumes ein […]. Das ist Boris, sagte Malina Rafailiwna zufrieden und verscheuchte eine Katze, die eine saure Gurke aus dem Fässchen angeln wollte. Was wäre ich ohne ihn? Sie legte ihre Hände auf Boris’ Kacheln.641

Die im realen Raumarchiv wiedergefundenen Öfen und Bienenhäuschen sind Beglaubigungsstrategien: Galizien hat wirklich existiert und seine Spuren existieren weiter. Es handelt sich nicht nur um einen imaginierten Raum, ein »Hirngespinst«642 des Großvaters. Die materiellen Objekte im physischen postgalizischen Raum beweisen die Authentizität des Galizischen: Das Raumarchiv beglaubigt das Imaginationsarchiv. Bücher Wie bei Janesch finden sich auch bei Róz˙ycki solche Objekte, hier jedoch vor allem auf das deutsche Erbe in Schlesien verweisend, wie die von der deutschen Familie Peters hinterlassenen Bücher in gotischer Schrift: Aus diesem Buch nun, das die Vormieter, die Peters, Vertreter des germanischen Volkes des Deutschen Reiches in seiner Tausendjährigen Variante, in der Wohnung zurückgelassenen hatten,

640 Ebd., S. 246–247. 641 Ebd., S. 262–263. 642 Ebd., S. 85.

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erfuhr unser bescheidener Held viel über das Leben und lernte seine Symptome zu schätzen.643

Die Bücher enthalten das Wissen der »Vertreter der weißen, arischen Rasse.«644 [D]ie schweren Wälzer, die alle Rätsel des Daseins und Lebens enthielten, in dunklen, reich verzierten Einbänden, geschrieben in einer auch als gotisch bezeichneten Geheimschrift. In dieser alten Schrift offenbarte sich gewiss die Zukunft und unentzifferbare Begebenheiten.645

4.2.2 Die Lücke im Archiv »[…] dass es Dinge gebe, die man seinen Enkeln lieber nicht erzählte. Auch nicht seinen Kindern. Man müsse ja nicht lügen, aber auslassen, das könne man schon«646, so erklärt eine entfernte Tante Janeschs Protagonistin Nele im galizischen Wydrza die Tatsache, dass der Großvater ihr nicht alles über sein Leben erzählt hat. Bei den transgenerationellen familiären Archiven sind nicht immer nur die Inhalte des Archivs der Ausgangspunkt der Reise und des Erzählens, sondern oft die fehlenden Elemente in diesem Archiv. In den Erzählungen der Nachgenerationen ist es oft die Lücke, die ein Erzählen überhaupt veranlasst.647 Die Leerstellen sollen anhand der Reise und der Erzählung gefüllt werden. Bei Janesch weckt das Geheimnis des Großvaters um die unausgesprochenen Dinge das Interesse der Protagonistin Nele. Die Beschäftigung damit wird durch den Tod des Großvaters hervorgerufen, dessen Fehlen nun die Lücke par excellence darstellt. Die »blinden Flecken« veranlassen die Reise und die Erzählung: 643 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 13; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 12: »Z tejz˙e ksie˛gi, pozostawionej w mieszkaniu przez wczes´niejszych / jego lokatorów, pan´stwa Petersów, przedstawicieli narodu german´skiego / Rzeszy Niemieckiej w wersji Tysia˛cletniej, nasz skromny Bohater / uczył sie˛ z˙ycia i szacunku dla jego objawów.« 644 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 12. Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 11: »przedstawicieli rasy białej, aryjskiej.« 645 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 13; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 10: »[C]ie˛z˙kie ksie˛gi, które zawierały wszelkie tajemnice istnienia i z˙ycia, / w ciemnych, zdobionych bogato oprawach, zapisane szyfrem, / sekretnym pismem / zwanym tez˙ gotykiem. Owym pismem starym / wyjawiona była zapewne przyszłos´c´ i wszelkie wypadki nie do odczytania.« 646 Janesch: Katzenberge, S. 217. 647 Darauf macht die Komparatistin Marianne Windsperger aufmerksam. Sie widmet sich in ihren Untersuchungen den jüdischen Familiengeschichten in der jüdisch-amerikanischen, auf Galizien bezogenen Literatur. Vgl. Windsperger: Shtetl revisited; Windsperger, Marianne: Generation 3.0. Narrative der dritten Generation. Eine Bestandsaufnahme. In: Keil, Martha/Mettauer, Philipp (Hrsg.): Drei Generationen. Innsbruck, Wien u. a.: Studienverlag 2016, S. 89–100.

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Im Archiv ist das leicht. In einem alten Buch ersetzt man die Seiten, die im Laufe der Zeit verlorengegangen sind […]. Trotz der blinden Flecken bleibt es ein Original, man kann es lesen und ungefähr seinen Lauf nachvollziehen. […] Wenn man aber das Original in ein zwei Meter tiefes Loch wirft, mit Erde zuschaufelt und einen Stein obendrauf stellt, ist es unwiederbringlich verloren. Auch wenn es Leute gibt, die sich noch daran erinnern: Weg ist weg. Nicht, wenn man es neu aufschreibt, die blinden Flecken könne man ja durch etwas Neues ersetzen oder so stehen lassen, aber Hauptsache… Mutter war sich ihrer Sache längst sicher. […] Geschichte zu konservieren ist etwas völlig anderes, als Geschichten zu erzählen, sagte sie […]. Fahr nach Galizien. Dort wird mehr von ihm zu finden sein als hier.648

Die »blinden Flecken« durch etwas Neues ersetzen, um eine kontinuierliche Familiengeschichte erzählen zu können – das ist das Ziel der Reise von Nele. Erst durch Großvaters Tod, den Moment, als der letzte Zeitzeuge, der noch von Galizien erzählen konnte, stirbt, entsteht das Bedürfnis des Reisens nach und des Erzählens über Galizien. »[D]as ist kein gewöhnliches Begräbnis eines alten Mannes, das ist ein Abschiednehmen von der alten Zeit. Und die alte Zeit wird nicht ohne göttlichen Beistand in die Erde und die Geschichte eingehen, und Schluss!«,649 rechtfertigt der Pfarrer die katholische Bestattung des Großvaters entgegen dem Wunsch des Verstorbenen. Der Großvater symbolisiert die Vergangenheit und Tradition, die nun Gefahr läuft, vergessen zu werden. Für die Nachbarn symbolisierte Janeczko Galizien, für Nele stand er für Schlesien: »Schlesien war Großvater, Großvater war Schlesien, und Schlesien, mit Großvater, tot.«650 Doch dies allein reicht nicht aus, um Nele zu einer Reise in die Herkunftsgebiete ihrer Familie zu bewegen. Den Anlass gibt schließlich ein düsteres Familiengeheimnis – ein vermeintlicher Brudermord. Der Großvater soll seinen Bruder Leszek, der angeblich mit den Ukrainern kooperiert hat, während der Flucht aus Galizien getötet haben. Das Fehlen des Bruders in den Erzählungen des Großvaters, die Vermeidung dieses Themas in den Familiengesprächen und die mysteriösen bissigen Kommentare von Onkel Darek sind Spuren einer nicht erzählten Geschichte und bilden die Lücke im Archiv. All das leitet die nachfolgende Spurensuche ein: »Gerne hätte ich gewusst, wie Großvaters Bruder Leszek gewesen war, aber niemand hatte ihn je kennengelernt«651, sinniert Nele und macht gleich im Anschluss auf die Leerstelle in den Familienerzählungen aufmerksam: »Abgesehen von ein, zwei kryptischen Andeutungen war mir nie

648 649 650 651

Janesch: Katzenberge, S. 46–47. Ebd., S. 17. Ebd., S. 16. Ebd., S. 41.

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etwas von ihm zu Ohren gekommen.«652 Eine Bemerkung von Onkel Darek auf dem Begräbnis des Großvaters ergibt eine konkrete Spur. Er spricht über ein mögliches Zusammentreffen des Großvaters und Leszek im Jenseits, die er mit folgendem Satz beendet: »dass der Vater jetzt erfährt, wie schwer so eine Sünde wiegt.«653 Der Satz weckt Neles Neugier ohne konkrete Vorstellungen von dem zu haben, was sie tatsächlich erwartet. Ihre Vorstellung von Galizien basiert nur auf den Geschichten des Großvaters und so liegt auch der Fokus ihrer Reise auf den vom Großvater in Galizien hinterlassenen Elementen – die Reise wird zur Spurensuche. Nele soll die Lücken im Archiv schließen: »Warum sollte man nach Galizien reisen, wenn alles, was Großvater betrifft, hier in Schlesien ist?«654, fragt Nele noch am Anfang des Romans und bekommt von ihrer Mutter zur Antwort: »Eben nicht alles. […] Hier in Schlesien […] ist höchstens die Hälfte,«655 so wird die Notwendigkeit der Reise begründet.

4.3

Heimat übersetzen: Galizien und Schlesien

Die Beschäftigung mit dem Ursprungsgebiet und den damit zusammenhängenden Traditionen basiert auf der Geschichte der Umsiedlung. Dieses Problem lässt sich mit der Folie von Stephan Greenblatts Theorie zur translatio im Kontext seiner Überlegungen zu den Mobility Studies betrachten. Grundsätzlich geht Greenblatt davon aus, dass »the reality, for most of the past as once again for the present, is more about nomads than natives.«656 Dabei ist seit Jahrhunderten bei Mobilität ein Phänomen zu beobachten: die translatio, eine Übertragung eines kulturellen Systems auf verschiedenen Ebenen, die das Verstehen von kultureller Mobilität erleichtert. »One cultural system is taken over or reshaped by another«657, so beschreibt Greenblatt den Vorgang und führt als eines der Beispiele die Transformation der jüdischen Thora in das Alte Testament durch die Christen an. »Pieces can be isolated and savored«, dabei werden sie zu einer »symbolic affirmation of the continuity, the immortality.«658 Nostalgie begleitet diesen Prozess.

652 653 654 655 656

Ebd. Ebd., S. 37. Ebd., S. 42. Ebd. Greenblatt, Stephen: Cultural Mobility: an introduction. In: Greenblatt, Stephen/Zˇupanov, Ines G./Meyer-Kalkus, Reinhard u. a.: Cultural Mobility: Manifesto. Cambridge: Cambridge University Press 2010, S. 1–23; hier: S. 6. 657 Ebd., S. 7. 658 Ebd., S. 15.

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Neuansiedlung Auch auf Stanisław Janeczko aus Katzenberge ist Greenblatts Modell anwendbar. Bereits bei der Ansiedlung im ehemals deutschen Dorf sondert er sich, um dem galizischen Siedlungsmodell nachzugehen, von den zwölf anderen aus Galizien Geflüchteten ab, die sich im Dorf nebeneinander häuslich einrichten wollen: »Die anderen Männer gingen auf ein paar eng beieinanderstehende Stallungen und Wohnhäuser zu. Janeczko blieb dabei: Er wollte in die Nähe des Waldes. In Galizien habe jeder für sich gesiedelt, und die Gehöfte seien wie Inseln gewesen, […].«659 Janeczko will die galizischen Traditionen auf den schlesischen Raum übertragen. Gleich zu Beginn wird das von den Deutschen hinterlassene Haus nach galizischer Sitte umgebaut, denn dies hat oberste Priorität: Der unfertige Ofen erweckte den Eindruck, als sei das gesamte Haus eine Anlage, etwas das einmal ein Haus hätte werden können, aber noch nicht war. Da half das Schindeldach wenig, auch der erste Stock und die Treppe beeindruckten Janeczko nicht – wo es keinen fertigen Ofen gab, gab es auch kein vollwertiges Haus. In Galizien hatte man die Häuser genau andersherum gebaut: Man begann immer mit dem Ofen, seine Mauern waren die genauesten und stabilsten, die Kacheln sein unverwechselbares Gesicht. Um ihn herum baute man das Haus, das zu einem Gehäuse wurde. Wenn man von draußen kam, sagte Großvater, und gefragt wurde, wohin man gehe, sagte man nicht: nach Hause, sondern: zum Ofen.660

Der Ofen wird in Janeschs Roman zum galizisch-schlesischen Symbol schlechthin. Er kommt wiederholt im Roman vor und konstituiert Heimat. Diese versucht man auf einem neuen Territorium nachzubauen. Für Janeczko symbolisiert der Ofen Galizien, für Janesch Schlesien, womit wieder die interdependente Beziehung der Räume im Hinblick auf die Generationen ersichtlich wird. Ein weiteres Beispiel für eine translatio aus Katzenberge ist die Benennung der neuen Orte bzw. Waldlichtungen nach galizischen Vorbildern: Czoło zaje˛cia, Plecy Baba Jagi, Kurzy Pazur, Brzeg Czapy, Koniec S´wiata. Hasenstirnbusch, Kopftuchwiese, Hexenbuckel, Zylinderkrempe, Hahnenklaue, Ende der Welt. […] Das sind vernünftige Namen. So ähnlich hießen Orte in Galizien, so sollen sie auch hier heißen.661

Diese Namen tragen das Mythische Galiziens sowie die Lage Galiziens und Schlesiens in sich: an der Peripherie, am Ende der Welt.

659 Janesch: Katzenberge, S. 33. 660 Ebd., S. 64. 661 Ebd., S. 115.

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Familiäres Archiv

Schlesien als Übergangsort Schlesien ist bei Janesch für die Umgesiedelten immer als ein Übergangsort dargestellt: »Schlesien, hatte er geglaubt, das schlesige, schleimige, schissige Schlesien, sei eine Übergangslösung, eine Art makabrer Scherz, den man sich so lange erlaubte, bis daheim in Galizien alles in Ordnung gebracht wurde.«662 Schlesien nicht als neue Heimat, sondern als Zwischenstation kommt noch an zahlreichen anderen Stellen vor, z. B. in einem Gedanken des Großvaters gleich nach der Ankunft in Schlesien: Es würde aufwendig sein, »in Zukunft die Toten mit dem Zug nach Galizien bringen zu müssen, um sie dort zu begraben.«663 Von Beginn an war Schlesien für die Vertriebenen nicht nur eine Übergangslösung, sondern auch immer mit Angst behaftet: Wir wussten nicht, wohin wir fahren, sagte der Großvater, wohin sie uns bringen würden. Einer der jüngeren Männer im Waggon habe gemurmelt, dass es nun vorbei sei, jetzt bringe man sie dorthin, wohin sie auch die Juden gebracht hatten. Es gäbe gar kein Schlesien. Erfunden hätten sie es: ein Lager namens Schlesien.664

Die Angst vor der Rückkehr der vertriebenen Deutschen und der Rückforderung ihres Besitzes ist stets anwesend: Großvater sagte, er habe nicht gewusst, dass er sich für den Rest seines Lebens an ein Stück Land binden würde. Überhaupt sei es schwer auszuwählen: einen Ort, ein Stück Erde, das ihm zusagte, oder eines, das er nicht ausstehen konnte, das er verabscheuen würde für den Fall, dass die Deutschen wiederkämen. Der Hass und die Angst, sagt Großvater, haben, wie die Liebe, ihre eigene Logik: Er wolle nichts mögen oder sein Eigen nennen müssen, das sie gelassen hatten, wollte nicht ihre Teller benutzen, ihre Pferde zureiten, von den Früchten der Bäume essen, die sie gepflanzt hatten.665

Abgesehen von der ausgeprägten Erzählweise des Großvaters, erkennt man an der Textstelle vor allem eines: die Schwierigkeiten bei der Aneignung der hinterlassenen Dinge und eine innere Bereitschaft sich darauf einzulassen: »Jesttam-ktos´?, rief Janeczko und dachte, dass dieses »Ist-da-wer?« auf immer verbunden bliebe mit Schlesien.«666 Das Trauma, den eigenen Besitz bereits einmal zurückgelassen zu haben und die Hoffnung nach Galizien zurückzukehren, bleibt für immer bei den Vertriebenen; parallel dazu besteht die Angst vor der Rückkehr der Deutschen nach Schlesien. Dieses Schicksal verbindet die Opfer der Vertreibungen mit den in Galizien gebliebenen Ukrainern, wie Nele während ihrer Ankunft in Zastavne, dem nun ukrainischen Herkunftsort des Großvaters, feststellen wird. Nach dem Hinweis 662 663 664 665 666

Ebd., S. 43. Ebd., S. 34. Ebd., S. 23. Ebd., S. 43. Ebd., S. 120.

Heimat übersetzen: Galizien und Schlesien

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ihres Reisegefährten Michał, sie solle nun kein Polnisch reden, erklärt er: »Die Leute würden hier nach wie vor keine Polen mögen. Viele hätten noch immer Angst, dass ihnen ihr Land genommen würde von denen, die früher hier gewohnt hätten.«667 Durch die Antwort, »Ja, […] das kommt mir bekannt vor«,668 verknüpft sie Galizien mit Schlesien (durch die Einstellung gegenüber den Deutschen). Unterdessen verbindet die Angst, dass man das, was man besiedelt und sich angeeignet hat, wieder dem »rechtmäßigen« Besitzer zurückgeben wird müssen, die polnischen und ukrainischen Galizienstämmigen miteinander. So dachten die Männer, die zunächst das Land besiedelten und ihre Frauen meistens bei Verwandten in Ostpolen ließen, wie es auch bei Janeczko der Fall war: »Wir fahren nach Deutschland.«669 Denn »[s]ie waren gekommen, ohne zu wissen, wo Polen anfängt, noch, wo es aufhört, mit nichts als ihren Kleidern am Leibe.«670 Zusätzlich wird ein anderer Aspekt deutlich: wie sich die schlesischen zurückgelassenen materiellen Dinge mit den neu dazugekommenen galizischen vermischen. In ihnen verbinden sich die Schicksale der Vertriebenen, der Opfer aus beiden Regionen. Die hinterlassenen Dinge sind für Janeczko ab seiner Ankunft in Wrocław prägend: »Durch das Loch im Fußboden sah er etwas, das sein Bild von Wrocław bis zu seinem Tod bestimmen würde: Die Schuhsohle eines deutschen Wehrmachtsstiefels, Größe 43, die Biss um Biss im Maul der feistesten Ratte verschwand.«671 Podolisches Schlesien Róz˙yckis Poem steckt bereits in den ersten Zeilen seinen historischen Kontext ab: »Opole […], Oppeln auf Deutsch. / […] irgendwo an der Grenze zwischen Grober- und Biederschlesien, das man in Schlesien podolisch nennt / wegen der großen Anzahl von Aussiedlern.«672 Das Poem sowie die Reise nach Galizien beginnen in Opole, der Stadt in Schlesien, die von den aus den Kresy-Gebieten Vertriebenen bewohnt wird. Bereits hier zeichnet sich die interdependente Beziehung zwischen den zwei Regionen ab. Schon der Name Podolisches Schlesien integriert seinen wesentlichen Grundstoff: das »Östliche«, welches die Aussiedler mitbrachten und in dem sich sowohl die Kresy als auch Galizien vermischen. Dabei wird Schlesien durch verschiedene im familiären Archiv abgespeicherte

667 668 669 670 671 672

Ebd., S. 246. Ebd. Ebd., S. 43. Ebd. Ebd., S. 24. Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 7; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 7: »Opole, po niemiecku Oppeln. / […] gdzies´ na granicy pomie˛dzy Durnym / oraz Polnym S´la˛skiem, na S´la˛sku zwanym czasami Podolskim, / Z uwagi na duz˙a˛ liczbe˛ ekspatriantów.«

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und lebendige Bräuche, Traditionen und Überlieferungenvom restlichen Polen abgegrenzt: So war das in Polen, dem noch immer so genannten Land, wenn auch die alten Sitten völlig ausgemerzt und / die Ehre im letzten Krieg verloren war, nicht aber hier. Das Licht von Aufklärung und Zivilisation drang nur schwach hierher und das dunkle Volk unterhielt sich lieber, traf sich miteinander, statt fernzusehen. Hier scharte sich alles um die älteste Person in der Familie, heilig waren die Feiertage und heilig / die von Großmutter gekochten Mittagessen, […] Selten stießen hier die Moden der Welt auf ungeteilte Zustimmung. Askese beherrschte die Einrichtung und Bescheidenheit die Kleidung […].673

– Schlesien als provinziell, peripher und zurückgeblieben dargestellt, doch keinesfalls negativ. Die rückständigen, ironisch-liebevoll ausgelegten Traditionen werden durch die Verknüpfungen mit der eigenen Herkunft als wertvoll angesehen. In Schlesien ist alles anders: »Doch nicht hier, hier war es anders.«674 Das »podolische« Schlesien erhält einen Charme, der z. B. an der »Kunst des Kämmens« sichtbar wird: »Auch die Kunst des Kämmens / war die anspruchsloseste, und an kühlen Tagen trugen / die Frauen noch immer ein Kopftuch, / das unter dem Kinn zusammengebunden war / – Embleme von Armut und Rückständigkeit / schon vor dem letzten Krieg in Europa und jenseits / des Ozeans.«675 Schlesien werden Eigenschaften zugeschrieben, die von je her zu Galizien gehören: provinziell, rückständig und arm. Den wesentlichen Unterschied bildet die Lebensauffassung der Repatrianten, die in Schlesien, »in diesen Gefilden, in der Vergangenheit lebten.«676 Während die Zeit (sogar) in Galizien weiterging, blieb sie hier stehen und die Umgesiedelten leben immer noch in der Vergangenheit. 673 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 18; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 15: »Tak było w Polsce, kraju nazywanym tak wcia˛z˙ pomimo zupełnej zagłady / dawnych obyczajów oraz honoru w czas ostatniej wojny, / ale nie tutaj. Tutaj jeszcze promien´ os´wiecenia i cywilizacji słabo docierało / tutaj ciemny naród wolał wciaz˙ rozmawiac´ i spotykac´ sie˛ / niz˙ patrzec´ w telewizor. Tu centrum rodziny była osoba / najstarsza, s´wie˛te były s´wie˛ta i s´wie˛te obiady, gotowane przez Babcie˛, […]. / Tutaj mody ´swiata rzadko znajdowały zupełne uznanie. / Tutaj przewaz˙ała asceza urza˛dzenia oraz skromnos´c´ stroju, […].« 674 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 17. Polnisch: »Ale nie tutaj, tutaj tak nie było.« (Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 15.) 675 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 18; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 16: »Równiez˙ sztuka czesania była jak najprostsza i w chłodnie dni / Kobiety nadal chodziły w chustce na głowie, wia˛zanej pod broda˛, / która juz˙ w czasach przed ostatnia˛ wojna˛ w Europie / i za Oceanem była emblematem biedy i zacofania.« 676 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 20; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 17: »w tej krainie z˙yja˛cej przeszłos´cia˛.«

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Doch nicht nur Opole stellt einen geschlossenen Raum der Rückständigkeit dar. Jede Station auf der Reise des Enkels ist es; das galizische Erbe in Schlesien muss rückständig sein. Als übertriebenes Beispiel steht hierfür die in Moszczanka bei Prudnik lebende Cousine der Großmutter namens Malwinka, welche aus Angst vor dem Klingeln des Telefons flieht: »[Sie] floh aus der Wohnung / aufs Feld, sobald das Telefon klingelte.«677 Eine Differenzierung des familiären Schlesiens vom deutsch-tschechischen Schlesien und den ländlichen Regionen an sich lässt sich durch die von Róz˙ycki beschriebenen und bis heute etablierten Essgewohnheiten der Familie feststellen. Róz˙ycki bleibt dabei wie gewohnt durchaus ironisch: »Besser gegessen wurde auch bereits auf dem Lande, / dem schlesischen besonders, denn die Küche dieses Landstrichs / ist in aller Welt bekannt und bewundert dafür, / dass sie tschechische Eleganz mit deutschem Temperament ungemein erfolgreich verbindet.«678 Das Essen markiert den Unterschied zu den Tschechen, Deutschen und zum Rest Polens, deutet erneut auf die Rückständigkeit bei gleichzeitiger Einmaligkeit dieses Raums hin: »So aß man hier, / doch nirgendwo anders. So aß man hier das Mahl der Armen, / der Piroggen Fastenmahl, während ganz Polen weit und breit / längst anders aß, erlesener und gesünder, / um Himmelsweiten reichere und bessere Delikatessen.«679 Eigene Regeln regieren diese Landschaft, nicht einmal der Fernseher gehört hier zum Alltag, da dieser vom Teufel angetrieben sein soll,680 obwohl im Rest Polens das Fernsehen bereits zur gewöhnlichsten Freizeitgestaltung von Großmüttern geworden ist: »Doch war das zu einer Zeit, / als sich in ganz Polen die Großmütter zu Tausenden / schon rührende Fernsehserien aus Mexiko, Brasilien / und Amerika ansahen.«681So wird »S´la˛sk Podolski« zu einem geschlossenen Raum der Vergangenheit, der zwischen den Gegenpolen Idylle und Antiidylle pendelt. Zur Stadt Opole wird eine ambivalente Beziehung sichtbar, wie aus dem, an Mickiewiczs Lobpreisungen seiner Heimatstadt Wilno angelehnten, jedoch ironisierenden, Anfang des Poems herauszulesen ist: 677 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 16; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 14: »uciekała˛ zaraz / z domu na pole, gdy dzwonił telefon.« 678 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 36; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 28: »[…] lepiej jadano takz˙e juz˙ na wsi, / szczególnie s´la˛skiej wsi, bo przeciez˙ kuchnia tej krainy, / znana i podziwiana w ´swiecie całym, ła˛czy w sobie / z ogromnym powodzeniem czeska˛ wykwintnos´c´ z niemieckim polotem.« 679 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 35; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 27: »Tak sie jadało tutaj, / Ale nie gdzie indziej. Tak sie˛ jadało tutaj potrawe˛ ubogich, / Postne przeciez˙ pierogi, podczas gdy w Polsce całej, jak długa i szeroka, / Jadano juz˙ inaczej, zdrowiej i wykwintniej, bogatsze i lepsze o niebo.« 680 Vgl. Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 14–15. 681 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 17; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 15: »A było to w czasach, / kiedy w całej Polsce babcie tysia˛cami juz˙ ogla˛dały wzruszaja˛ce serie / telewyzyjne produkcji Meksyku, Brazylii, Ameryki […].«

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Opole, […] trauriger Tumor, der in der Seele wuchert – wie ich dich hasse, Stadt! / Dich aufgeben, verlassen, wegfahren für immer! Zudringlicher Alb, Ungeheuer ohne Seele, gesichtsloser Keim! Fort mit dir, vergeh, böser Geist, du Smog vergeblicher Wünsche, unverwirklichter Pläne und Träume, Fluch jeden Morgens, fort mit dir auf immer und ewig! Ach Stadt – diese Stadt, Zeugin all meiner Begeisterungen und Sorgen! […] Ach, wie gern würde ich dir sagen: ›Leb wohl‹!«682

Galizische Erde Der Vergleich zwischen Schlesien und Galizien in Katzenberge lässt Schlesien geordnet und leblos wirken, während Galizien als abwechslungsreich und lebendig gilt. Die von Janeczko beschriebene Bauweise der Häuser dokumentiert dies folgendermaßen: »Die verputzten Backsteinhäuser (Schlesiens) ähnelten einander, als hätten alle Bauern sie nach demselben, akkuraten Plan gebaut und in immer gleichen, genau ausgemessenen Abständen voneinander aufgestellt.«683 Dagegen hätte sich in Galizien kaum ein Haus gefunden, »das einem zweiten geähnelt hätte.«684 »In Galizien hatten die Häuser alle unterschiedlich ausgesehen«, dies sei daran gelegen, dass »jeder sein Haus selber gebaut und jeweils andere Dinge falsch gemacht hat.«685 Diese »falsche« individualisierte und identitätsstiftende Bauweise macht symbolisch die eigene Heimat Galizien aus und fehlt in Schlesien: Mal sei das Fenster zu hoch gewesen, mal keines vorhanden, das Dach zu tief, die Wände schief, aber, sagte Großvater, wenn du sie selbst gebaut hast, ziehst du die eigene Hütte jedem Palast aus Stein vor, brauchst kein elektrisches Licht, kein fließend Wasser und schon gar keinen Boden aus Holz, wie die deutschen Häuser einen hatten.686

Die stark symbolisch geprägte, identitäts- und lebensspendende »galizische« Erde markiert den mythischen Status Galiziens und steht für die Zugehörigkeit des Menschen zu einem bestimmten Gebiet: »Natürlich habe er sich mehr für die

682 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 7; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 7–8: »Opole, […] / […] smutny tumor / rozrastaja˛cy sie˛ w duszy – jakz˙e cie˛ nienawidze˛, miasto! / Zostawic´ cie˛, wyjechac´, opus´cic´ na zawsze! Namolny / Kosmarze, potworze bez duszy, bez twarzy zarazku! / Zgin´, przepadnji, zły duchu, smogu marnych z˙yczen´, / porzuczonych planów, marzen´, przeklen´stwo kaz˙dego ranka, / przepadnji na wieki! Ach, miasto – to miasto, / wszelkich mych uniesien´ s´wiadek i mych zgryzot! […] / Ach, jakz˙e chciałbym ci powiedziec´: »Z˙egnaj!« 683 Janesch: Katzenberge, S. 44. 684 Ebd. 685 Ebd. 686 Ebd.

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Erde entschieden, als für die Familie, in die er hineingeboren wurde«687, erzählt der Großvater über seine Geburt. Die »ölig schimmernd[e] galizische Erde« bildet für ihn die Grundlage des Lebens und auch im Roman wird sie als Metapher verstanden, als »Humus des Imaginären, aus dem der Roman hervorgeht«688: »Janeczko […] war Teil seines Weizens, stimm- und reglose Wucherung des czarnoziem, der ölig schimmernden galizischen Schwarzerde.«689 Diese fruchtbare galizische Erde steht auch im Gegensatz zu der schlesischen Erde, die als »sauber […], feinkörnig, locker, steril«690 beschrieben wird und dabei ohne Leben sei: »kein Wurm, kein Käfer, kein Engerling, nichts.«691 Die galizische Erde symbolisiert Leben und Furchtbarkeit, die schlesische Tod und Sterilität. Diesen Gegensatz sieht man auch in der idealisierten Vorstellung von der galizischen Vergangenheit, als Polen und Ukrainer noch friedlich miteinander lebten: »so lebten in Z˙dz˙ary Wielkie auf kleinstem Raum Polen und Ukrainer eng beieinander und sprachen beide Sprachen, fürchten musste man sich nur vor den Kältegeistern […].«692Im Gegensatz zu der fast idyllischen Darstellung des friedlichen Zusammenlebens im galizischen Heimatdorf des Großvaters, wo man »im Wechsel ukrainische und polnische Lieder«693 sang und die Mutter Janeczko »anstelle des Vaterunsers die Namen unserer ukrainischen Nachbarn«694 beibrachte, steht Schlesien. Dies zeigt das durch die Vertreibung und Zwangsumsiedlung getrennte Leben von Polen und Ukrainern sowie den Deutschen. Schlesien war der Verlust und der Tod eingeschrieben. Dafür steht der tote Deutsche, Herr Friedrich, den der Großvater nach der Ankunft am Dachboden des von ihm ausgesuchten Hauses in Schlesien erhängt findet.695 Galizien als Symbol des friedlichen Miteinanders, Schlesien als Ausgrenzung und Verbannung: »Es war eine Welt, die mit Schlesien nichts gemein hatte«696, stellt die Erzählerin in Bezug auf Galizien an einer Stelle fest. Małgorzata Dubrowska weist weiters darauf hin, dass Janeczko die schlesische Erde »mit Geschichtslosigkeit

687 Ebd., S. 254. 688 Telaak, Anastasia: Geteilte Erinnerung. Galizien in Sabrina Janeschs »Katzenberge« und Jenny Erpenbecks »Aller Tage Abend«. In: Büttner/Hanus: Galizien als Kultur- und Gedächtnislandschaft, S. 299–316; hier: S. 303. 689 Janesch: Katzenberge, S. 238. 690 Ebd., S. 40. 691 Ebd. 692 Ebd., S. 254. 693 Ebd., S. 251. 694 Ebd., S. 68. 695 Vgl. ebd., S. 73–75. 696 Ebd., S. 71.

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und Erinnerungsschwund« assoziiert, »denen er durch Geschichten, die er der Enkelin erzählt, beizukommen versucht.«697 Der historische Hintergrund der von Ukrainern an Polen verübten Massaker, der Vertreibungen und des damit in Zusammenhang stehenden Traumas kommt in den Antipoden Galizien und Schlesien zum Vorschein. In Analogie mit Christus und den Aposteln müssen die Polen aus dem ehemals polnischen, nun ukrainischen Dorf fliehen: »Die zwölf Galizier, mit denen Janeczko zusammen im Waggon lag, waren die polnischen Bauern des neuerdings ukrainischen Dorfes Zastavne, das, bevor sie vertrieben wurden, Z˙dz˙ary Wielkie geheißen hatte.«698 Vor allem durch den vermeintlichen Brudermord, den der Großvater verübt haben soll, der ebenso der biblisch-archaischen Geschichte von Kain und Abel entspricht, und durch den infolgedessen auf der Familie ruhenden Fluch sowie durch die Vertreibung werden der Konflikt und das Trauma deutlich. Die die Familie verfolgende »schwarze Bestie« kann erst durch eine Bannung des Familienfluchs mithilfe der galizischen Erde, die Nele von ihrer Reise aus Galizien mitbringt, durchgeführt werden. Mit dieser »haarfeine[n], schwarze[n] Spur«,699 die noch von der mitgebrachten galizischen Erde übriggeblieben ist, soll auch der Dämon der Geschichte gebannt werden. Das Trauma der Umsiedlungen trägt man sein Leben lang mit sich: […] es sei auch ziemlich einfach, ein erfülltes Leben zu führen auf demselben Hof, auf dem man geboren wurde. Hingegeben wenn man wie er Tausende Kilometer von seinem Geburtstort getrennt sei, dieser noch dazu plötzlich in einem fremden Land mit einer fremden Sprache liege – wen verwundere es da, dass man sich schwerer tue mit dem Leben? 700

Dass dieser Dämon eben durch die Erzählerin und Reisende Nele Leipert gebannt werden soll, ist kein Zufall, denn sie ist selbst Tochter einer Polin, die nach Deutschland emigrierte, und eines Deutschen. Sie stellt in sich verschiedene Schichten dar: die polnische und deutsche, die galizische und die schlesische: »In mir habe alles zusammengefunden: das galizische Blut meiner Großeltern, die kommen mussten, und das deutsche Blut der väterlichen Familie, die gehen musste.«701 Deutlich wird auch die räumliche Perspektive, aus der erzählt wird – aus Schlesien. Die galizischen Großeltern mussten hierher kommen, die schle697 Dubrowska, Małgorzata: Zwischen Flucht und Fluch. Zum Motiv der mitteleuropäischen Reise in Sabrina Janeschs Roman Katzenberge. In: Dubrowska, Małgorzata/Rutka, Anna (Hrsg.): »Reise in die Tiefe der Zeit und des Traums«. (Re-)Lektüren des ostmitteleuropäischen Raumes aus österreichischer, deutscher, polnischer und ukrainischer Sicht. Lublin: Wydawnictwo KUL 2015, S. 165–174; hier: S. 170. 698 Janesch: Katzenberge, S. 22. 699 Ebd., S. 270. 700 Ebd., S. 36. 701 Ebd., S. 51.

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sischen Großeltern von hier gehen. Nele, die beides in sich vereint, scheint die Person zu sein, die zwei Generationen später eben von diesen Ereignissen erzählen kann. Selbst in Deutschland aufgewachsen, bringt sie einen ganz neuen Blickwinkel ein. So scheint sie auch berechtigt zu sein, eben in deutscher Sprache auf die Schicksale der galizischen bzw. polnischen Bevölkerung in Schlesien hinzuweisen und die Geschichte der Vertreibungen der Deutschen auch von dieser Seite darzustellen. Die Perspektive der Deutschen bekommt jedoch keinen Platz. Nele erzählt nur von den Eltern mütterlicherseits, den Galiziern, den Polen, den Besiedlern, wobei sie selbst bei den Polen als Deutsche gilt (»Agnieszka! Die Deutsche ist da!«702). In ihr vereint sich beides, wodurch auch sie als einzige aus der Familie neben dem Großvater die Bestie als Inkarnation des Traumas sehen und ihre Anwesenheit spüren kann. So erklärt der Großvater auch der Enkelin: »dass es sich vielleicht deshalb ausgerechnet mir gezeigt hätte, weil ich beide Teile vereinte, von drüben, von jenseits der Oder, und von hier.«703 Das transgenerational übertragene Trauma wird nun auch transnational. Bei Róz˙ycki kommt dagegen den ukrainisch-polnischen Beziehungen eine ambivalente und zugleich relative Rolle zu. In den Familienmitgliedern vereinigt sich beides, das Polnische und das Ukrainische, wobei an vielen Stellen eine ablehnende Haltung der Familienmitglieder gegenüber den Ukrainern feststellbar ist. Auf die polnisch-ukrainische Überschneidung deuten vor allem ihre Träume hin, in denen sich »polnische Wörter und ukrainische Seufzer« vermischen.704 Ebenso wird an manchen Stellen weder das Polnische noch das Schlesische für gut befunden, wodurch sich beide Positionen relativieren und eine unabhängige Positionierung stattfindet, wie bei Streitigkeiten, »und man sich gegenseitig einmal ukrainischen, dann wieder polnischen Einfluss vorwarf.«705 Die Ambivalenz relativiert: Die Familienmitglieder bedienen sich dessen, was ihnen gerade entsprechender scheint. Familienfeiern Hochzeiten und Begräbnisse bekommen in beiden Werken eine menschen- und völkerverbindende Funktion. Bei Janesch ist es das Begräbnis des Großvaters, der alle Dorfbewohner zum Friedensschluß zwingt: Am Tag seines Todes war Großvater nämlich geglückt, was keinem Gottesdienst je gelungen war: Großvater hatte die Menschen der beiden Dörfer zusammengebracht, die sich seit Jahrzenten feind waren, und […] er hatte die Toten auferstehen lassen. […] Am 702 Ebd., S: 168. 703 Ebd., S. 27. 704 Vgl. Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 28; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 22: »słowa i polskie, i ukrain´skie westchnienia.« 705 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 33; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 26: »zarzucaja˛c sobie nawzajem wpływy raz ukrain´skie, drugi raz znów polskie.«

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Tag von Großvaters Beerdigung wurden Leute gesehen, die man seit Jahren tot geglaubt hatte, Menschen, die man vor Jahrzehnten zum letzten Mal auf der Straße erblickt und seitdem vergessen hatte.706

So ist Janeczko als Symbol der Vergangenheit ein alle verbindendes Glied, dessen Abschied zur Versöhnung führt. Ähnlich wird dies bei Róz˙ycki durch die ersehnte Hochzeit der Völker dargestellt: »Eine Art mystischer Ehe wäre diese Feier, eine Völkerhochzeit, / Erfüllung der Prophezeiung der Heiligen Kinga.«707 Doch zu so einer Versöhnung kann es im demythologisierenden Poem von Róz˙ycki nicht kommen, denn die Reise in die alten Grenzgebiete wird schon bald mit neuer Mission versehen: »den Ukrainern das Land wieder abzunehmen, das Polentum / und das Reich gegen die Barbarei zu verteidigen, / den Erben ihre Güter im Osten zurückzugeben / und das Volk dort wieder zu unterdrücken.«708 Die Ukrainer fürchten sich »vor einer Rückkehr / der Lechen und erneuter polnischer Kolonisierung.«709 Róz˙yckis ironische Nostalgie ermöglicht ein Spiel mit nationalen Narrativen und die Behandlung konfliktreicher Themen.

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Trauma erzählen Róz˙ycki und Janesch lassen in den analysierten Werken die dritte Generation erzählen; die betroffene interessierte Enkelgeneration erarbeitet die von der ersten und zweiten Generation ausgesparten Themen der Vertreibung und Aussiedlung auf eine innovative Art und Weise, was Ulrike Vedder wie folgt erklärt: Fasziniert vom erzählerischen Potenzial der oft nur angerissenen halb verschwiegenen Erinnerungen ist für die Enkelgeneration eine vielfältige Deutung der gebotenen Geschichtenfragmente möglich, die immer neu erprobt wird, woraus keine eindimensionale Opfergeschichte entsteht.710

Durch die neue Perspektivierung und kreative Aneignung eröffnen die Texte innovative Wege, sich an das Thema zu wagen – die Enkel-Generation sucht »in 706 Janesch: Katzenberge, S. 34. 707 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 44; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 34: »s´lubem mistycznym, / weselem narodów, spełnieniem proroctw s´wie˛tej Kingi.« 708 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 132; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 106: »[…] zabrania ziem Ukrain´com, / obrony polskos´ci oraz Macierzy przed barbarzyn´stwem, / przywrócenia maja˛tków dziedzicom na Wschodzie / i powrotu do ucisku ludu tamtejszego.« 709 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 132; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 163: »powrotu Lachów i kolejnej polskiej kolonizacji.« 710 Vedder: Luftkrieg und Vertreibung, S. 75.

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der Rekonstruktion der großelterlichen Geschichte oft die problematische Versöhnung von emotionaler Nähe und historischer Distanz;«711 Eigenschaften, die der ersten und zweiten Generation so nicht gegeben waren. Die zeitliche Distanz ermöglicht zwar einen befreiten, jedoch stets durch Emotionalisierung geprägten Blick auf die familiären Verstrickungen sowie auf die Täter- und Opferschaft.712 Hinzu kommt das transgenerational übertragene Trauma nicht als genetische Vererbung, sondern nach Freud als eine Vererbung erworbener Eigenschaften sogar über Jahrhunderte hinweg. Das Trauma ist, nach Ulrike Vedder in Anlehnung an Sigrid Weigel, eine »Übertragung der psychischen Umarbeitung verkapselter Erinnerungsspuren«713 »von einer oder mehreren Vorgängergenerationen auf eine oder mehrere nachgeborene Generationen, was zur Identifizierung der Nachgeborenen mit ihren Eltern und Großeltern führt.«714 Dabei wird die Einsicht in die historische Bedingtheit eigener Gegenwärtigkeit mit der Positionierung als zweite und dritte Generation durch eine mythische Zeitvorstellung überlagert. Auf diese Weise können die überlagerten Zeitstrukturen in den literarischen Werken interpretiert werden – die spezifische, brüchige Zeitstruktur des Traumas wird verdeckt und oft gerade nicht repräsentiert. Die Zeitstruktur stellt in der Folge eine der größten Herausforderungen für die Literarisierung von Traumata und deren Übertragung dar.715 Zur traumatischen deutsch-polnischen Besiedlungsgeschichte Schlesiens kommt in Katzenberge und Dwanas´cie stacji der problematische Aspekt der konfliktreichen polnisch-ukrainischen Beziehungen hinzu. Diese spannungsgeladene Relation wird bei Janesch durch den angeblichen Brudermord sowie Bemerkungen der Familienmitglieder (»Sattel das Pferd, wir reiten zurück in die Ukraine, nach Galizien!«716) sichtbar, bei Róz˙ycki vorwiegend durch überzeichnete, ironisierende Kommentare (»Dort warten sie nur auf uns, da wimmelt es von Bandera-Leuten!«717).

711 Ebd., S. 71. 712 Ebd., S. 70–71. 713 Weigel, Sigrid: Téléscopage im Unbewußten. Zum Verhältnis von Trauma, Geschichtsbegriff und Literatur. In: Bronfen, Elisabeth/Erdle, Birgit R./Weigel, Sigrid (Hrsg.): Trauma. Zwischen Psychoanalyse und kulturellem Deutungsmuster. Köln: Böhlau 1999, S. 51–76; hier: S. 65. 714 Parnes, Ohad/Vedder, Ulrike/Willer, Stefan: Das Konzept der Generationen. Eine Wissenschafts- und Kulturgeschichte. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2008, S. 309. 715 Vgl. ebd., S. 312. 716 Janesch: Katzenberge, S. 11. 717 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 45; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 35: »Tylko na nas czekaja˛, banderowców pełno!«

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Dritte vs. Zweite Generation Die zweite Generation bekommt nur bedingt eine Stimme in den Narrativen. Bei Janesch wird die Reise zur Spurensuche, welche konkret von der Mutter während des Begräbnisses initiiert wird: »Es gibt da etwas, das ich mir von dir wünsche. Für uns alle, auch für dich. […] Nutze die Gelegenheit und fahre nach Galizien. Niemand ist jemals dorthin gefahren, du hättest die Chance, zu sehen, wo wir eigentlich herkommen.«718 Ersichtlich wird die Abgabe der Verantwortung für die Aufarbeitung der Familiengeschichte von der zweiten auf die dritte Generation: die Tochter, selbst Historikerin, fährt nicht, die Enkelin, die Journalistin, soll fahren. Diese wehrt sich zunächst mit dem Argument, keine Lust auf eine »sentimentale Spurensuche« und ein Herumfahren in der »Weltgeschichte« zu haben.719 Die distanzierte, verächtliche und befremdliche Betrachtungsweise der Enkelin, die sich erst während der Reise emotionalisiert, unterscheidet die dritte von der zweiten Generation, die sich zum Erzählen noch nicht befähigt fühlt bzw. noch nicht bereit dazu ist;720 die Recherchen der zweiten Generation könnten durch die zeitliche und emotionale Nähe viel intensiver ausfallen.721 Die Enkelgeneration kann kreativer als die Kinder vorgehen, da bei ihnen von einem gewissen Wissen ausgegangen wird, wie Nele ihre Mutter erinnert, »dass sie doch Historikerin sei, alle kleinen Geschichten kenne und wisse, wie sie zusammenhängen mit der großen.«722 Gleichzeitig will die Mutter die Vergangenheit loslassen: »Ohne Djadjo […] steht dem Verschwinden nichts mehr entgegen,«723 während die dritte Generation dem etwas entgegenhält: »Nichts, woran sich noch jemand erinnere, sei verschwunden.«724 Die polnische Germanistin Aleksandra Burdziej, die verlorene Heimat und Familienerinnerungen als identitätsstiftendes Element bei der Enkelgeneration in der deutschen Gegenwartsliteratur untersuchte,725 meint über die »Enkelliteratur«, der sie Janesch zuordnet, dass diese »keine Gewissensfragen mehr stellen müsse, sondern der Frage nachgehe, wie die Vergangenheit imaginativ aufzuarbeiten sei.«726 Ulrike Vedder bringt es in ihrer Untersuchung zur Literarisierung der Bombardierungen und Vertreibungen 718 719 720 721 722 723 724 725

Janesch: Katzenberge, S. 41. Vgl. ebd. Vedder: Luftkrieg und Vertreibung, S. 61. Vgl. Parnes/Vedder/Willer: Das Konzept der Generationen, S. 309–310. Janesch: Katzenberge, S. 46. Ebd. Ebd. Vgl. Burdziej, Aleksandra: Utracony Heimat. Pamie˛c´ rodzinna a toz˙samos´c´ »niemieckich wnuków« we współczesnej prozie niemieckiej. Torun´: Wydawnictwo Naukowe Uniwersytetu Mikołaja Kopernika 2018. 726 Egger, Sabine/Lagiewka, Agata Joanna: »Die andere Seite mit ihren eigenen Augen sehen«? Deutschland- und Polenbilder in der deutschen und polnischen Literatur nach 1989. Ein Tagungsbericht. In: Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 5:1 (2014), S. 173–178; hier: S. 176.

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während des Zweiten Weltkrieges in der deutschsprachigen Literatur nach 2000 auf den Punkt: Eine solche Entwicklung vollzieht sich, indem das Vergangene nicht wieder und wieder »unmittelbar« begegnet, sondern indem es als Unvergängliches, das weder vergessen noch ungeschehen gemacht noch nutzbringend angeeignet werden kann, in der Kultur der Gegenwart denkbar und erkennbar wird.727

Durch die kreative Aneignung fungieren die Reisen und die dadurch entstandenen Texte als Speicher der Hinterlassenschaften der Großeltern – Literatur wird zu einem Geschichtsspeicher als Medium zur Vermittlung von Vergangenem;728 ein Aspekt, dem die Reisen in den postgalizischen Raum stets nachkommen und darauf basieren. Die Erinnerung und das Gedächtnis sind hierbei insofern identitätsstiftend, als diese im Kontext von Begriffen wie Heimat, verlorene Heimat etc. ansetzen und die Generationen miteinander vergleichen. Claudia Winkler untersuchte den Wandel des Begriffs »Heimat« zwischen der ersten und dritten Generation in Katzenberge und kam zum Schluss, dass, während der Großvater an einem statischen Verständnis von »Heimat« festhält, die dritte Generation diese »verlorene Heimat« von ihren physischen Beschränkungen befreit: »A road trip east allows for the demystification of the verlorene Heimat and its transformation from an idealized physical space that can be symbolically claimed and possessed to an unbounded set of intersecting stories and memories.«729 Die Reise und Bewegung ostwärts ist zwar einerseits entmystifizierend, andererseits ermöglicht sie ein kreatives Spiel mit Geschichten und Erinnerungen, welche jedoch stets auf den diskursiven und räumlichen Überlieferungen des Großvaters aufbauen, deren bestes Beispiel der galizische Ofen im Roman darstellt. In Dwanas´cie stacji wird der Zugang zur Vergangenheit und somit zum Gedächtnis besonders gut anhand der deutschen Standuhr sichtbar. Die Großmutter beauftragt den Enkel, die Uhr wegzubringen, aus Angst, dass der Onkel diese beseitigen würde. Symbolisch steht die Uhr für die Zeit und ihre Geschichte, als Zeitzeuge der Geschehnisse des Raums. Die Großmutter und der Enkel werden als Retter der Uhr, somit der Erinnerung, inszeniert, während der Onkel als Vertreter der zweiten Generation diese wörtlich demontiert: Der Onkel begann also, die Uhr zu demontieren, indem er erst die schweren Gewichte abnahm, von denen das schwerere für das ihm so verhasste 727 Vedder: Luftkrieg und Vertreibung, S. 79. 728 Vgl. ebd. 729 Winkler, Claudia: A Third-Generation Perspective on German-Polish Flight and Expulsion. Discursive and Spatial Practices in Sabrina Janesch’s Novel »Katzenberge« (2010). In: German Politics and Society 31:4/109, (2013), S. 85–101; hier: S. 88.

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Läuten verantwortlich war. Zu allem Übel demontierte er auch das Pendel, also offen gesagt, das Herz der Uhr – das leichteste Teil vielleicht, aber von unschätzbarem Wert.730

Durch die Demontage des Pendels zerstört der Onkel das Herz der Uhr, das hörbare Abzählen der Zeit, wodurch er sich gegen die Erinnerung und das Gedächtnis stellt. Unterdessen folgt er sehr wohl dem Geschehen, sein Interesse hält er aber geheim: In Wirklichkeit hatte er nämlich alles gehört und wusste von allem, tat gleichwohl so, als gingen ihn die besprochenen Dinge nichts an, und war der ganzen Sache doch völlig hingegeben, auch wenn sich das auf eine seltsame und in anderen Familien unbekannte Art und Weise äußern sollte.731

Diese anscheinend distanzierte Haltung nimmt ebenfalls Neles Mutter in Katzenberge ein, die als Historikerin ihre Tochter dazu überredet nach Galizien zu fahren, selbst aber noch nie dort war. Das Poem weist aber auch darauf hin, dass die junge Generation kein wirkliches Interesse an der Reise und dem Zusammentreffen mit den auf der Welt verstreuten Familienmitgliedern hat, denn »ihre Welt war hier.«732 Zugleich wird der für diese Generation stehende Wnuk (Enkel) ausgeschickt, um die Mission der Rettung bzw. Bewahrung des Familienerbes zu erfüllen. Dabei sind die ihm begegnenden Familienmitglieder richtungsweisend für das Familien- und Kulturerbe: »Jetzt lagen sie quer / über dem Tisch mit ausgestrecktem Finger, zum Denkmal / erstarrte Wegweiser für künftige Generationen«733 Dass jene im Werk alkoholisiert, dement oder schlafend sind, scheint programmatisch: der Enkel soll eine Welt porträtieren und erinnern, die es de facto nicht mehr gibt und die implizit verfremdet sowie surreal sein muss.

730 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 49; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 37–38: »Wujek wie˛c zacza˛ł zegar demontowac´, najpierw zdejmuja˛c / Cie˛z˙kie odwaz˙niki, z których ten cie˛z˙szy był odpowiedzialny / za to dzwonienie tak mu dokuczliwe. Na domiar złego / zdemontował jeszcze wahadło, czyli mówia˛c szczerze / Serce zegara – cze˛s´c´ moz˙e najlz˙ejsza˛, lecz bardzo cenna˛.« 731 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 75; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 59: »Tak naprawde˛ słyszał on wszystko / i o wszystkim wiedział, udaja˛c wszakz˙e, z˙e go nie dotycza˛ / omawiane rzeczy i całej sprawie równiez˙ był oddany, / chociaz˙ przejawiac´ sie˛ to miało na dziwne i nieznane / w innych rodzinach sposoby. Teraz zas´ z wielkim przeje˛ciem / pomagał w transporcie zegara, poniewaz˙ równoczes´nie sprzyjał / i pomagał Wnukowi.« 732 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 138; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 111: »ich s´wiat był juz˙ na miejscu.« 733 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 134; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 107: »A teraz lez˙eli na s´rodku stołu z wycia˛gnie˛tym palcem, / jak posa˛g-drogowskaz dla przyszłych pokolen´.«

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Überlieferte Erinnerungen Als Metapher der von den Großeltern an die Enkel überlieferten Erinnerungen kann bei Róz˙ycki auch der dem Enkel von der Großmutter zugesteckte Fisch gesehen werden, sowie alle weiteren dem Enkel von der Großmutter übergebenen Dinge: Ach, das berühmte großmütterliche Geschenke-Unterjubeln! Unterjubeln, heimlich und unangekündigt! Wie viele Male hatte der Enkel nach Monaten getrocknete Lebensmittel entdeckt, Mittel, die im Rucksack, in den Taschen und Winkeln seiner Garderobe ein zweites Leben führten. […] Wie viele Male hatte Toffi-Schokolade, zwischen den Büchern zu Pulver zerrieben, seine Papiere, die Steuererklärung oder eine notarielle Urkunde braun gefärbt. […] Dieses Mal schwor sich der Enkel, heftig erschrocken, an den Fisch zu denken und ihn bei nächster Gelegenheit freizulassen.734

Die von der Großmutter geschenkten Speisen symbolisieren überlieferte Erinnerungen mit all ihren Auswirkungen – eine Verbildlichung des transgenerational weitergegebenen Traumas. Der vom Enkel vergessene, stinkende Fisch, den er erst am Ende der Reise im Zug in seinem Rucksack wiederentdeckt, führt zu einer Naturkatastrophe mit Exodus735 – das Vergessen führt zu Unheil und zur Wiederholung von Geschichte. Das Weitergeben (Gedächtnis) sichert die Erinnerung (Wiederauffinden): »Die Reisenden konnten das nicht mehr sehen, / sie waren weit östlich vom Schauplatz des Geschehens, / doch wahr ist etwas Erstaunliches, dass nämlich / das Gestorbene und sich selbst Überlassene / nach längerer Zeit wieder zum Leben erwacht / und auf wundersame Weise aufersteht.« Dieses Wiederauferstehen wird so beschrieben: So ist alle tote Substanz nur tot für eine gewisse Zeit, denn irgendwann kehrt das Leben zu ihr zurück, sie wieder zu erfüllen. Die Form der Substanz verändert sich, sie selbst aber ist wieder in Bewegung, und bewegliche Form

734 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 21–22; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 18: »Ach, te słynne babcine wsuwanie / prezentów! Wsuwanie znienacka i bez uprzedzenia! / Ilez˙ to razy juz˙ Wnuk po miesia˛cach odkrywał suszone / produkty spoz˙ywcze, w plecaku, w kieszeniach / i zakamarkach swojej garderoby, produkty / które z˙yły drugim z˙yciem. […] / Ilez˙ to razy toffi w czekoladzie roztarte na proszek pomie˛dzy / Ksia˛z˙kami barwiły na brunatny kolor jego dokumenty, / Zeznanie podatkowe czy akt notarialny. […] / Tym razem wie˛c, […] / Wnuk poprzysia˛gł sobie o rybie pamie˛tac´ i pus´cic´ ja˛ / wolno przy pierwszej okazji.« 735 Vgl. Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 115.

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ist doch die Essenz des Lebens, da das Leben bekanntlich eine Form von Bewegung oder die Bewegung der Form ist.736

Form und Bewegung als interdependente, in Reisetexten vereinte Größen stellen die Essenz des Lebens dar, womit nicht nur die Reise von Bedeutung, sondern auch die literarische Form ihrer Realisierung ist. Bei Janesch ist es ein Roman im Stil des phantastischen Realismus und bei Róz˙ycki ein groteskes Poem, geprägt von ironischer Nostalgie. Nostalgie ist auch in Katzenberge zu finden und begleitet sowohl die Großeltern- als auch die Enkelgeneration. Nostalgie: Galizien als verfremdeter Sehnsuchtsraum Svetlana Boyms Beobachtungen zur Nostalgie bringen deren Wesen auf den Punkt: »Nostalgia is a sentiment of loss and displacement, but it is also a romance with one’s own fantasy. Nostalgic love can only survive in a long distance relationship.«737 Eine solche nostalgische Liebe ist in beiden der analysierten Werke zu finden: Galizien als verlorene Heimat wird zum Sehnsuchtsraum, dessen literarische Bearbeitung durch die Nachfahren der Vertriebenen nur durch Verfremdung möglich wird. Der phantastische Realismus und die ironische Nostalgie ermöglichen eine Darstellung des Themas und das Sprechen über dieses. Die Reise nach Galizien selbst ist bei Róz˙ycki nicht möglich, da diese nur einen Mythos darstellt. Es ist eine Reise in die eigenen Sehnsüchte und die eigene Vergangenheit, die sich nur im Rahmen der Literatur und ihrer kreativen Möglichkeiten realisieren lässt, wie Marianne Hirsch zusammenfasst: »Postmemory’s connection to the past is thus actually mediated not by recall but by imaginative investment, projection, and creation.«738 Dabei basieren die Reisen auf spurenähnlichen Archivmaterialien, von denen die nostalgisch-kreative Aneignung des Raums ausgeht. Diese lässt die Trennung zwischen Subjekt und Objekt verschwimmen, denn in einer nostalgischen Stimmung überträgt das Subjekt (Erzähler, Reisender) seine Stimmung auf die Objekte. Nostalgie ist nach Linda Hutcheon weder Eigenschaft des Objekts noch des Raums, sondern »responses of subjects – active, emotionally – and intel-

736 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 144; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 116: »Tak kaz˙da substancja martwa jest martwa˛ przejs´ciowo, /poniewaz˙ z˙ycie powraca do niej po jakims´ czasie, / aby w nia˛ znów wsta˛pic´. Forma jej sie˛ zmienia, / ale ona sama znowu jest w ruchu, forma zas´ ruchoma / jest esencja˛ z˙ycia, skoro, jak wiadomo, z˙ycie jest forma˛ ruchu / albo ruchem formy.« 737 Boym, Svetlana: Off-Modern Homecoming in Art and Theory. In: Hirsch, Marianne/Miller, Nancy K. (Hrsg.): Rites of Return. Diaspora Poetics and the Politics of Memory. New York: Columbia University Press 2011, S. 151–165; hier: S. 151. 738 Hirsch: The Generation of Postmemory. Writing and Visual Culture After the Holocaust, S. 5.

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lectually-engaged subjects.«739 Die Bedeutung wird den Dingen erst durch den Erzähler zugeteilt und kann unterschiedliche Formen annehmen. Den Dingen ist keine eigene immanente Bedeutung implizit, die reisenden Menschen geben sie ihnen, wodurch die Archivmaterialien und die Orte ohne Reisende und Erzählende bedeutungslos sind.

4.4.1 Der magische Realismus der Sabrina Janesch Den Roman Katzenberge prägt ein magischer Realismus, den man einerseits in der Darstellung Galiziens, andererseits in dem Versuch, den auf der Familie lastenden Fluch zu bannen und die Familiengeschichte zu erzählen, sieht. Galizien funktioniert im Text vor allem durch seine den ganzen Roman umspannenden Elemente des »Zauberisch-Abergläubischen«740, die das Bild von Galizien prägen und auf imaginierten mythischen Komponenten beruhen. In den Geschichten des Djadjo wird Galizien als ein Ort dargestellt, »wo Geister, Dämonen, Teufel, Hexen und Waldfeen ihr Unwesen trieben.« Man begegnete dort öfters »Wesen aus der anderen Welt.« Es ist eine Welt »in die man nicht einfach so gelangen konnte«, wie die Erzählerin selbst feststellt.741 Diese Vorstellung von Galizien ist bei den Nachfahren der aus Galizien stammenden Menschen tief verankert: »Und was ist mit den Wäldern, und diesen ganzen Kreaturen darin«, fragt Neles Cousin Maciek, als er sie von der Reise abhalten möchte. Die polnischen Familienmitglieder glauben an diese »Hirngespinste«.742 Eine Ausnahme bilden nur Nele und die angeheiratete Aldona. Die überlieferten mythischen Geschichten sind zur Grundlage einer Vorstellung von Galizien geworden, die jetzt als Realität fungiert; denn dies sei die Welt, »wie sie wirklich war.«743 Die verlorene Heimat Galizien besteht nur noch in den Imaginationen der Familienmitglieder, die auf den Erzählungen des Großvaters basieren – die Grenzen zwischen Mythos und Realität sind längst verschwommen. Eine Reise nach Galizien scheint den übrigen Nachfahren unmöglich, »weil noch überhaupt niemand dorthin gefahren ist.«744 Galizien existiert für sie nur im Familiengedächtnis, ist jedoch ein stark identitätsstiftendes Element.

739 Hutcheon, Linda: Irony, Nostalgia, and the Postmodern. University of Toronto, English Department Site, Main Collection 1998. http://www.library.utoronto.ca/utel/criticism/hut chinp.html [08. 11. 2015], S. 4. 740 Telaak: Geteilte Erinnerung, S. 303. 741 Vgl. Janesch: Katzenberge, S. 71. 742 Vgl. ebd., S. 85. 743 Ebd., S. 223. 744 Ebd., S. 85.

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Das vom Großvater erinnerte und weitergegebene Bild des mythischen, zaubervollen Galiziens führt die Enkelin romantisierend und spielerisch-ironisch weiter. Trotz der aufgeklärten Haltung Neles und der Aufdeckung des Familiengeheimnisses um den Brudermord ist das mythische Galizien nicht verschwunden: Indem Nele den abergläubischen Bann mithilfe einer magischen Formel zu lösen versucht, steht ihr Handeln für das Fortleben des galizischen Erbes in den Nachkommen. »Mit Hirngespinsten hatte mich Djadjo infiziert«,745 stellt die Enkelin fest. Die »märchenhaft-mythischen Bilder« von Galizien vermischen sich mit »traumatischen« – eine Verknüpfung mit den Erlebnissen der Vertreibung.746 Der auf der Familie lastende, an die Nachfahren weitergegebene Fluch hängt sowohl mit dem Brudermord als auch mit den Vertreibungen zusammen, er soll von Nele gebannt werden, doch ob dies tatsächlich gelingt, bleibt offen. Das Biest Das Trauma um die Vertreibungen und Neuansiedlungen wird, abermals durch eine märchenhafte Verfremdung, die die Familie von der Ansiedlung in Schlesien an verfolgt, vergegenständlicht und als ein die Familie beobachtendes »Wesen der anderen Welt«747 beschrieben. Das Biest symbolisiert die Heimatlosigkeit der vertriebenen Galizier und das Erbe der ebenso vertriebenen Deutschen, das sich in ihrer immerwährenden Anwesenheit in Schlesien äußert.748 Nun soll es durch die Erzählung und Aufarbeitung durch die dritte Generation gebannt werden. Einmal attackiert das Biest den Säugling Darek (den späteren Onkel Darek), dessen Leben immer von der Vergangenheit und der damit zusammenhängenden Heimatlosigkeit bestimmt wird. Schon die Großmutter Maria wird von ihm in Träumen aufgesucht und versucht erfolglos den Fluch zu bannen. Doch ist es in Schlesien kein starkes Wesen, die Großmutter beschreibt es als »das jämmerlichste Biest […], das sie jemals gesehen hatte. Dürr war es, mit stumpfem Fell und unsicherem Gang. Es war sein durchdringender Blick, vor dem sie sich gefürchtet hatte.«749 Die Großeltern kennen »Biester« aus Galizien, aber dieses scheint anders zu sein: »Die galizischen Teufel…, fing sie an, aber Janeczko winkte ab. Es hat keinen Sinn, zu vergleichen, sagte er. Oder würde sie etwa irgendetwas an zu Hause erinnern? Er suchte etwas, sagte sie schließlich. Es hat mit dem Hof oder dem Haus zu tun.«750 Es wird schnell kenntlich, dass es sich bei 745 Ebd., S. 196. 746 Vgl. Rogge, Florian: Trauma und Tabu in S. Janeschs »Katzenberge«. In: Büttner/Hanus: Galizien als Kultur- und Gedächtnislandschaft, S. 283–298; hier: S. 290. 747 Janesch: Katzenberge, S. 104. 748 Siehe: Kapitel 4.5. 749 Ebd., S. 114. 750 Ebd.

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dem Biest um ein schlesisches Biest handelt, das den ehemals deutschen Besitzern des Hofes zuzuordnen ist. Deshalb beschließen die Großeltern dem deutschen, durch Freitod aus dem Leben geschiedenen Gutsbesitzer Herrn Dietrich, ein Grabmal zu fertigen: »Weil sie es ihm schuldeten. Vor allem aber um ihn fernzuhalten vom Hof.«751 Der Großvater zimmert aus dem Stamm einer Blutbuche ein Grabmal, »das stark genug wäre, nicht nur Herrn Dietrich, sondern auch alle anderen Deutschen, lebendige wie tote, fernzuhalten.«752 Doch es gelingt nicht, den Fluch zu bannen, die Großmutter weiß, »dass etwas in diesen Wiesen und Wäldern lauerte und auf den richtigen Moment wartete zurückzukehren.«753 Die Angst gegenüber der Vergangenheit wie auch Zukunft wird deutlich – die einzige Hoffnung zumindest in der Gegenwart diesen Fluch zu brechen, liegt bei der Enkelin und der von ihr aus Galizien mitgebrachten Erde. Die Reise soll ein Weiterleben ohne Fluch ermöglichen: »Man müsse sich schließlich auch um die Zukunft kümmern, nicht nur um die Vergangenheit.«754

4.4.2 Die ironische Nostalgie des Tomasz Róz˙ycki »O Phantasma, o Imagination!/O Grausen, Gnosis und Hyperbolik!«755 anhand dieser zwei einleitenden Ausrufe zur dritten Station seiner Reise bringt Róz˙ycki seinen Text auf die Metaebene und dessen Haupteigenschaften zur Sprache. Phantasma, Imagination und Hyperbolik sind stilistische Eigenschaften des Textes. Grausen und Gnosis sind Aspekte, die nicht nur zu Reimzwecken angeführt werden, sondern auf der inhaltlich-stilistischen Ebene zum Tragen kommen; Nostalgie wird Thema des Poems: »Hat jemand von euch je gehört, / wie auf den Bahnhöfen Abfahrten, Ankünfte / und Verspätungen angesagt werden? Kommt diese Stimme, / diese schiere Verkörperung der Nostalgie, nicht direkt / aus dem Jenseits?«756 Zweifellos scheint diese Stimme aus der Vergangenheit zu kommen, welche eine zentrale Rolle in diesem heroisch-komischen Epos spielt. Die ironische Nostalgie mit ihrer surrealen Wirkung gepaart mit Mnemotechnik wird beson-

751 752 753 754 755

Ebd. Ebd., S. 116. Ebd., S. 105. Ebd., S. 114. Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 29; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 23: »O Fantastyko, i Imaginacjo! O Grozo, Gnozo oraz Hiperbolo!« 756 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 137; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 110: »Czy ktos´ z was słyszał kiedys´, jak na dworcach / zapowiada sie˛ odjazdy, przyjazdy, opóz˙nienia? Czy głos ten, / czyste wcielenie nostalgii, nie dochodzi z zas´wiatów?«

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ders gut in einigen wichtigen Elementen des familiären Archivs in Dwanas´cie stacji sichtbar. Dachboden Der Dachboden ist ein paradigmatischer Ort für das Aufbewahren und Abspeichern von Details und Spuren der Vergangenheit im Sinne von Svetlana Boym. Bei Róz˙ycki ist es der Ort des familiären Archivs und kommt in dieser Funktion mehrmals vor, zunächst in einem Traum der Großmutter: […] kürzlich, sagte Großmutter, habe sie geträumt, jemand sei über den Dachboden gelaufen und die Bohlen hätten gequietscht, und man habe die Melodie gehört, die ihre jüngere Schwester Hela immer sang, und Großmutter habe gleich an die baldige Begegnung gedacht, obwohl Hela schon vor zehn Jahren gestorben sei.757

Der Traum ist prophetisch, denn tatsächlich wird es zur vorausgesagten Begegnung kommen, aber erst am Ende des Textes, bis dahin funktioniert der Dachboden als Spiegel des Gedächtnisses: Der Dachboden war nämlich nach herrschender Sitte ausersehen als Ort, wo alles mögliche alte Gerümpel und Kroppzeug [….] hingetragen wurde, alte Briefe, Postkarten, Bilder, Möbel, eine Uhr, Medaillons und Alben mit Fotos. Auch ein Schrank stand hier, der Teil einer Anrichte, vier Koffer mit Büchern noch aus der Zeit der großen Flucht, […]. So begann der Enkel in diesem Königreich zu kreisen, wanderte unterwegs alle Provinzen ab, die sich ihm in Staubwolken unterwarfen, grüßte mit Schluchzausbrüchen immer neue Stationen auf dem Pfad seiner Erinnerung. Das Trugbild der Vergangenheit schwebte über diesem Erbe und stieg bei geringster Bewegung aus den Schubladen auf.758

757 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 51–52; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 40: »[…] mówiła Babcia, / z˙e jej sie˛ ostatnio ´sniło, jakby ktos´ chodził po strychu / i deski skrzypiały, i dało sie˛ słyszec´ melodie˛, która˛ ´spiewała / zawsze jej młodsza siostra, Hela, i Babcia zaraz mys´lała / o rychłym spotkaniu, chociaz˙ Hela umarła juz˙ dziesie˛c´ lat temu.« 758 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 108; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 86: »Strych był bowiem zgodnie ze zwyczajem miejscem obranym / do znoszenia nan´ wszelkich starych rupieci oraz dupereli, / […], jak stare listy, / pocztówki, obrazy, meble, zegar, medaliony oraz albumy / razem ze zdje˛ciami. […] / Zacza˛ł wie˛c wnuk kra˛z˙yc´ po owym królestwie, / obchodza˛c wszystkie po drodze prowincje, które poddawały mu sie˛ / po kolei w tumanach kurzu, […] witaja˛c kolejne / stacje na szlaku swych wspomnien´. Ułuda przeszłos´ci / wznosiła sie˛ nad tym całym dziedzictwem i wychodziła z szuflad / za najmniejszym ruchem […].«

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Der Vergleich mit einem Königreich und seinen Provinzen ist eine Anspielung auf die alten Imperien; diese imaginierten Räume ermöglichen Rückblicke auf die im Gedächtnis gespeicherte Vergangenheit, die man durchstreifen und dadurch unterschiedliche Erinnerungen hervorrufen kann – eben diese Art von Vergangenheit dominiert als Trugbild die Erinnerung und den Text. Der Enkel sieht sich selbst in einem Labyrinth von Erinnerungen, in dem die individuellen Erinnerungen an das kollektive Familiengedächtnis geknüpft sind – eine Strategie vergleichbar mit der Mnemotechnik: Manchmal gelang es daher, wenn man nach unten lief, mithilfe der Stufen ein ganzes Gaude Mater Polonia abzuspielen. Auch jetzt als er hinaufstieg, hatte er seine jungen Jahre vor Augen, und jeder neue Laut der verzogenen Bretter öffnete ihm neue Gedächtnisräume, und neue bisher undurchdrungene Löcher erschienen vor ihm wie ein riesiger Käse, das Labyrinth der Erinnerung. Wie in der Kindheit erklang einmal Wenn das Morgenrot sich hebt und Mein Gott, was hast du Polen, am Ende wieder Lobet die bemaiten Wiesen und die Stimme, die ihn leitete, führte ihn bis ganz nach oben, irrlichterte und verführte ihn […].759

Die Reise ist nicht nur eine Reise durch den physischen Raum, sondern auch durch die »Räume« des Gedächtnisses und somit der Erinnerungen des Enkels. Die Erinnerung an die alten polnischen national-historischen und religiösen Lieder, welche während seiner Jugend gesungen wurden, bewirkt zusätzlich eine durch persönliche Jugenderinnerungen hervorrufende Nostalgie, welche keineswegs naiv, sondern ironisch wirkt. Die Subjektivität dieses Phänomens wird in der Illumination der vermeintlichen alten Tante textuell materialisiert: Auf dem halb zerlegten Bett bemerkte er eine sitzende Gestalt, gewiss dereinst altersbedingt mitsamt den Möbeln hierhergetragen, um Platz in der Wohnung zu schaffen, und dann alsbald vergessen. Sogleich dachte er auch, dass diese Gestalt ihm bekannt sein müsse und bestimmt eine Tante oder ein Onkel aus seiner Familie sei, deshalb druckste er höflichkeitshalber ein »meine Verehrung«. 759 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 107; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 85: »Nieraz wie˛c, zbiegaja˛c z góry, dało sie˛ odegrac´ za pomoca˛ stopni / całe Gaude Mater Polonia. I teraz tez˙ wchodza˛c, / miał przed oczami swe młode lata, a kolejne dzwie˛ki / wypaczonych desek odsłaniały wcia˛z˙ nowe pokoje w pamie˛ci / i nowe dziury dota˛d niezgłebione jawiły sie˛ przed nim / niby ser ogromny, labirynt pamie˛ci. Jak za lat dziecie˛cych / brzmiało po kolei Kiedy ranne wstaja˛ zorze i Boz˙e cos´ Polske˛, / a na koniec znowu Chwalcie la˛ki umajone i głos, / co go prowadził, zawiódł go na sama˛ góre˛, / zwodził i omamił, […].«

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[…] Die Gestalt, die er in so bedrohlicher Reglosigkeit und vermeintlich seit Jahrhunderten währender völliger Stille sitzen sah, erschien ihm plötzlich wie die Offenbarung des Allmächtigen Gottes, denn wo, wenn nicht genau hier, hätte diese Erleuchtung, in all ihrem Wesen, statthaben sollen. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit metaphysischem Schauder und Imperativ.760

Róz˙ycki konstruiert eine ironische Offenbarung, die damit endet, dass es sich bei der Gestalt weder um die alte Tante noch um Gott handelt, sondern um ein Wespennest. Alina S´wies´ciak stellt fest, dass wir es mit einer totalen Ironie im Sinne von Baudelaire zu tun haben: Die alte Welt vergeht, die neue will nicht kommen. Der Sohn sucht in Familienmythen, in denen er die Wahrheit über die Welt, die Familie und sich selber zu finden hofft, nach Authentizität. Diese soll den Sinn des Mythos bestätigen und stärken. Aber der Enkel findet sie nicht, denn er kommt nie in Gliniane an – es ist unmöglich dort anzukommen, da es sich dabei eben nur um einen Mythos handelt.761 Am Ende sitzt die ganze Familie im Zug nach Gliniane und kommt an der ukrainischen Grenze, die gleichzeitig die Grenze ins Jenseits symbolisiert, an. Im Zug sitzen nicht nur die lebenden, sondern auch die toten Verwandten, am Steuer als Lokführer der bereits verstorbene Großvater. Der Text und die Visionen des Enkels laufen der Realität entgegen, was sich als Wiederherstellung der verlorenen Zeit und des verlorenen Raums im Mythos, im Phantastischen entpuppt. Die surrealen Visionen mit ihrer ironischen Sprache und Narration zeigen, dass Heimkehr nicht möglich ist. Die Nostalgie wird für immer bestehen bleiben, weil es kein existierendes Objekt in der realen Welt gibt, auf welches sie sich bezieht; so kann auch die Nostalgie nicht befriedigt werden und die Sehnsucht nicht aufhören. Es ist demnach, um Svetlana Boyms Definition von Nostalgie zu verwenden, ein »longing for a home that no longer exists or has never existed.«762

760 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 109–110; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 87: »Na łóz˙ku zas´, […], / zauwaz˙ył siedza˛ca˛ tam postac´, / pewnie zapomniana˛ i tu ze staros´ci razem z meblami / kiedys´ wyniesiona˛ dla pozyskania przestrzeni mieszkalnej. / Zaraz tez˙ pomys´lał, z˙e owa postac´ musi byc´ znajoma / i z˙e na pewno jest z jego rodziny która˛´s tam ciocia˛ / albo i wujaszkiem i z grzecznos´ci mrukna˛ł jej / »Uszanowanie«, […]. / Postac´, która˛ zobaczył w groz˙nym bezruchu / i w zupełnej ciszy siedza˛ca˛ od wieków, wydała mu sie˛ nagle / czystym objawieniem i figura˛ samego Boga Wszechmocnego, / o gdzie, jes´li nie tutaj włas´nie, miała sie˛ dokonac´ / taka to iluminacja, w całej swej istocie. Mys´l ta przejeła go / metafizycznym dreszczem i imperatywem.« 761 S´wies´ciak, Alina: Ironiczna nostalgia. In: Dekada literacka 5–6 (2004), S. 62–65. 762 Boym: Off-Modern Homecoming in Art and Theory, S. 151.

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Alkohol Alkohol spielt im Text eine wichtige Rolle, stellt die eigentliche Vergegenständlichung der ironischen Nostalgie dar und ist eine Möglichkeit mit dem Trauma umzugehen. Genauso wie Nostalgie und Trauma beeinflusst dessen bewusstseinsverändernde Wirkung die Wahrnehmung. So wird das Geld aus dem Reisebudget für Alkohol ausgegeben, da dieser die erwünschte Wahrnehmung ermöglicht: Man reist um diese Wirkung zu erzielen. In diesem Zusammenhang sind die Kommentare über die angebliche Abstinenz des Enkels zu betrachten, der sich zu einem Nichttrinker stilisiert (»schließlich war er abstinent«763, »denn im Grunde trank er nicht«764, »gegen Alkohol / war er als Kind schon allergisch«765), unterdessen beschreibt das Poem eine Aneinanderreihung von Trinkgelagen. Die alkoholischen Eskapaden stellen Ausnahmezustände dar, die jedoch die ganze Reise dominieren. Ebenso sind die nostalgischen Betrachtungen zu verstehen. Das eigentliche Ziel der Reise, die Kirchenglocken in Gliniane auszugraben, rückt in den Hintergrund, die Reise an sich wird zelebriert und dem Enkel bleibt ein gewisser Optimismus, da die Realität sowieso bedeutungslos ist. Bezeichnungen wie »Beratungsnachwehen«766 (»choroba postobradowa«767) für die schlechte körperliche und seelische Verfassung nach exzessivem Alkoholgenuss sollen diesen als gesellschaftliche Norm legitimieren. Alkoholkonsum als tradierter gesellschaftlicher Brauch, der als Ritual oder Zeremonie gesehen und in Gesellschaft gepflegt wird, muss die Reise des Enkels begleiten. Der familiäre Aspekt verstärkt die Ironie und vermindert den Anspruch der realitätsnahen Wiedergabe des Geschehens, was die surreal-absurden Darstellungen Róz˙yckis fördert. Durch den übermäßigen Alkoholkonsum verschwimmt das Raum- und Zeitgefühl ähnlich wie bei einer Zeitreise: »[…] auch wenn er längere Zeit keinen Zugang zur vollständigen / Datenbank und zu belastbaren Argumenten fand, / die exaktere Rückschlüsse auf die topographischen Zusammenhänge / zwischen Zeit und Raum erlaubt hätten, in dem er sich befand.«768 Ironisch, die Realität und Vorstellungkraft verkehrend, geht der Text auf den Alkoholkonsum ein: »Und 763 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 113; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 90: »wnuk, jako osoba jednak niepija˛ca.« 764 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 121; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 97: »bo był osoba˛ z gruntu niepija˛ca˛.« 765 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 146; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 117: »poniewaz˙ od dziecka miał uraz do alkoholu.« 766 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 141. 767 Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 114. 768 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 114; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 90 . »[…], choc´ przez dłuz˙sza˛ chwile˛ / nie mógł odzyskac´ pełnej bazy danych i dosyc´ pewnych argumentów, / które by mogły pozwolic´ na dokładne ustalenie topograficznych / zalez˙nos´ci miejsca i czasu, w którym sie˛ znajdował.«

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da das Thema des Gesprächs und sein Gewicht einen klaren Verstand, eine wendige Zunge und scharfes Urteil / verlangten, holte der Cousin aus geheimem Ort / ein Fläschchen Wodka.«769 Bei der Ankunft an der Grenze startet der Enkel den Versuch, die Zollbeamten zu bestechen, doch diese sind betrunken und unansprechbar:770 Die Grashalm-Wodka-Flasche versenkte er, verschluckte die Magenbitter-Flasche und trat dann hinaus, nur um mit dem Gesicht gegen die Lok zu stoßen. Die erschrockenen Passagiere halfen ihm, da sie seine Entsagung und seinen Todesmut sahen, einsteigen und die Mission fortsetzen. Als er nun wieder so weit aus den Augen gucken konnte, dass das große Nashorn, das sich trotz allen Glotzens und Mühens nicht aus seinem Blickfeld trollen wollte.771

Das große Nashorn ist an dieser Stelle eines von zahlreichen intertextuellen Verweisen. Durch den Bezug auf Eugène Ionescos Erzählung bzw. Theaterstück Die Nashörner (Rhinocéros; 1957) positioniert sich Róz˙ycki im Feld des Surrealistisch-Absurden und gibt die Leseart des Textes vor. Ionescos Drama thematisiert Patriotismus und Rassismus, der in Frankreich während des Algerienkrieges aufkam. Dieser Krieg wird bei Róz˙ycki durch die schwierigen ukrainischpolnischen Beziehungen, die Auseinandersetzungen um die Kresy und in deren Folge die Vertreibungen ersetzt. Ionescos Protagonist Behringer ist genau wie der Enkel dem Alkohol nicht abgeneigt, zugleich erscheint das erste Nashorn des Dramas bei einem Gespräch über übermäßigen Alkoholkonsum. Die Grenzstation zwischen Realität und Imagination ist als Erscheinungsort des Nashorns symptomatisch für das epische Poem Róz˙yckis. Er arbeitet sich an einem dem Osten anhaftenden Stereotyp ab – dem exzessiven Alkoholkonsum. Diese Sucht stellt eine Bewältigungsstrategie gegenüber dem Trauma dar.772

769 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 113; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 90: »A poniewaz˙ temat rozmowy oraz jego waga / wymagały jasnos´ci umysłu, gie˛tkiego je˛zyka i przenikliwos´ci sa˛dów, / kuzyn wydobył z miejsc utajnionych flaszeczke˛ wódki.« 770 Vgl. Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 133. 771 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 166; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 134: »Flaszke˛ po z˙ubrówce utopił, a po z˙oła˛dkowej gorzkiej połkna˛ł, / po czym wyszedł, uderzaja˛c twarza˛ o lokomotywe˛. Wstrza˛s´nie˛ci / podróz˙ni, widza˛c pos´wie˛cenie i szalona˛ odwage˛, dopomogli mu / wsia˛s´c´ i kontynuowac´ zadanie. Zaraz tez˙, gdy wzrok odzyskał na tyle, / z˙e uciekł mu sprzed oczu w lewo wielki nosoroz˙ec, którego wcia˛z˙ widział.« 772 Ein auch bei Stasiuk und Szczerek abgehandeltes Thema. Siehe: Kapitel 5.

Flucht verkehrt: Zur familiären Mnemotechnik

4.5

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Flucht verkehrt: Zur familiären Mnemotechnik

»Die Ukraine. Sie könnte der Anfangs- und Endpunkt sein von so vielem. Die Beerdigung blitzte auf, meine Reise, und immer wieder: Schlesien und seine Schatten«773, sinniert die Erzählerin Nele bei Janesch, bevor sie die ukrainische Grenze überquert und im Herkunftsort des Großvaters ankommt. Die beiden in die Familiengeschichte eingeschriebenen Räume Schlesien und Galizien bilden die Basis von Janeschs Roman und Róz˙yckis Poem. Den erzählerischen Rahmen stellt die Reise in das Land der Vorfahren, Galizien, dar. Während die Großeltern nach dem Zweiten Weltkrieg von Osten nach Westen flüchten mussten, vollziehen die Enkel eine Rückbewegung von Westen nach Osten und erinnern sich anhand des bereisten Raums der eigenen Lebensereignisse sowie jener der Großeltern. Der reale Raum ist bestimmend für die in den Narrativen verankerte Topographie der Erinnerung.

4.5.1 Janeschs Umkehr von Zeit und Raum Die zwei sich in der Spur kreuzenden Zeitregime (das Moment des Hinterlassens der Spur und das des Aufsuchens) 774 verdeutlichen sich in der Narration von Janeschs Roman. Der Roman verfügt über zwei Zeit- und Handlungsebenen. Die eine beschreibt die Flucht des Großvaters aus Galizien, aus dessen von der Autorin rekonstruierter Perspektive. Die erzählte/erinnerte Zeit umfasst die Jahre zwischen 1920 und 1944, die Spur wird in der Bewegung von Ost nach West hinterlassen. Die zweite Handlungsebene stellt das Aufsuchen jener Spuren durch die erzählende Enkelin in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts dar, eine Bewegung nun von West nach Ost. Die erzählte Geschichte des Großvaters wird nicht chronologisch, sondern räumlich rekonstruiert, abhängig von dem jeweiligen Aufenthaltsort der Enkelin. Der Reise stehen die Flucht und die Vertreibung, das Hinterlassen und Aufsuchen der Spur gegenüber. Deshalb kommt es auch zu einer Verschränkung von Zeitebenen. Gerade die Zeitstrukturen, so Ulrike Vedder, sind eine Herausforderung bei der Literarisierung von Traumata,775 der Janesch auf diese Weise beizukommen versucht. Nele selbst lebt nicht in Schlesien, sondern in Deutschland, wo auch ihre eigentliche Reise zum Begräbnis des Großvaters beginnt. Der Ausgangspunkt der Reise hat sich noch weiter westwärts verlagert und beginnt nun symbolisch dort, wohin die Bewohner der schlesischen Gebiete einst auswandern mussten, wobei 773 Janesch: Katzenberge, S. 231. 774 Vgl. Krämer: Was also ist eine Spur?, S. 14–15. 775 Vgl. Parnes/Vedder/Willer: Das Konzept der Generationen, S. 312.

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diese Dimension auch in den Roman hineinverlagert wird. Die Reisestationen sind bei Janesch: Berlin, Wrocław, Bagno, Osola, Oborniki und Morze˛cin Mały, Kraków, Lwiw, Wydrza, Grenze: der Bug, Zastavne. All diese Orte, außer Berlin, werden von zwei erzählerischen Zeitebenen und zwei Narrationen verbunden: die aus der Gegenwart wie die aus den 1940er-Jahren. Durch diese Verbindung findet auch eine logische Umkehr statt: der Anfang wird zum Ende und die Peripherie wird zum Zentrum des Romans776 und der eigenen Familien- und Lebensgeschichte. »Das hier ist definitiv nicht das Ende der Welt. Das hier ist ihr Anfang«,777 denkt Nele bereits bei ihrer Ankunft in Zastavne, dem Heimatort des Großvaters. Hier liegt der Anfang ihrer Familiengeschichte und hier scheinen die Antworten auf ihre Fragen zu sein. Die Bedeutung der Himmelsrichtungen innerhalb des Romans ist zugleich ambivalent und interdependent, Schlesien steht für den Westen und Galizien für den Osten. »Man flieht immer westwärts!«778 ruft eine Frau Janeczko während der Flucht in Lwiw zu. Dies scheint nun sowohl für die Galizier als auch die Schlesier zu gelten. Zugleich aber assoziiert der Großvater den Westen schon damals mit den Deutschen: »Aus dem Westen kam die Dunkelheit, aus dem Westen waren die Deutschen gekommen.«779 Nun gehen die Vertriebenen selbst in Richtung Westen, denn »im Osten, sagen sie, zerfällt die Welt zu Staub und Asche.«780 Durch die Reise Neles werden diese Richtungen umkehrt: Im Osten sind die Antworten zu finden, im Westen die Fragen. Dabei reist Nele selbst als Deutsche und realisiert erneut, knapp 60 Jahre später, die Vorstellungen ihres Großvaters.

4.5.2 Róz˙yckis verkehrte Zeitreise Bei Róz˙ycki finden wir eine ähnliche Vorstellung vom Westen und Osten: »Nach Europa fahren, nach Westen, in den Westen / nicht in Sumpf, Dreck, Gestank und Armut! […] / Aber nicht nach Osten, nein, um Gottes willen / nicht nach Osten! Schlechte Ernährung, kein Netz.«781 Der Osten gilt als provinziell, schmutzig und rückständig, eine Reise dorthin wird als unsinnig eingestuft. Doch wird der Ort der Familie eindeutig in den Osten verlagert, was u. a. dadurch zum Ausdruck 776 Vgl. May-Chu, Karolina: Measuring the Borderland in Sabrina Janesch’s Katzenberge. In: Monatshefte 108/3 (2016), S. 350–361. 777 Janesch: Katzenberge, S. 247. 778 Ebd., S. 158. 779 Ebd., S. 159. 780 Ebd., S. 158. 781 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 45–46; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 35: »Jechac´ do Europy, na Zachód, na Zachód, / a nie w błoto, brud, smród i ubóstwo! […] / Ale nie na Wschód, nie, / Bron´ciepanieboz˙e na Wschód! Wyz˙ywienie niedobre, brak zasie˛gu komórek.«

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kommt, dass die Familie im Osten der Stadt wohnt oder sich oft auf östliche Traditionen bezieht (»gemäß uralter, östlicher Tradition«782). Der Osten steht trotz oder eben gerade wegen seiner Rückständigkeit für die Heimat und den Glauben, eines Tages dorthin zurückzukehren. Davon zeugen die Schienen, in deren Nähe man wohnt: »unweit von Bahngleisen und drei Trinkhallen.«783 Einerseits symbolisieren sie die Vertreibung und Umsiedlung, andererseits die Möglichkeit einer Rückkehr. Man kann den hohen Stellenwert des Alkohols im Poem als auch die räumliche Nähe des Wohnhauses zu drei Trinkhallen als ein Verdrängen und den rauschartigen Gegenwartszustand als Pendant nostalgischen Imaginationen lesen – Folgen der Vertreibungen und des Traumas, sowie ironisches Spiel mit Stereotypen. Mission »Wenn wir zum Juni / zur Feier der Pfarrei alle gesammelt dorthin fahren würden«,784 mit diesem Satz spricht die Schwägerin der Großmutter, Tante Sydzia, erstmals die Reise an. Im Heimatdorf der Familie Gliniane soll zudem mit ihrer Hilfe die römisch-katholische Kirche wiederaufgebaut werden: »Du verstehst, die Kirche ist eine Ruine, aber bis zum Juni soll die Renovierung abgeschlossen sein, jedenfalls von oben, und der Pfarrer wird die ganze Gemeinde wieder übernehmen, es braucht nur ein wenig Geld […] und die versteckte Monstranz, die vergrabenen Glocken, die Kisten mit anderen Gefäßen, Gewändern und allem was notwendig ist, noch aus der Zeit vor dem Krieg, müssen gefunden werden. Mein Staszek war doch dabei, wie sie das vergraben haben und ich weiß jetzt wo es versteckt ist. […] […] könnte man sie finden.«785

782 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 60; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 46: »a zgodnego ze wschodnia˛, pradawna˛ tradycja˛.« 783 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 8; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 8: »nieopodal torów kolejowych i trzech barów piwnych.« 784 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 24; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 19: »Gdyby na czerwiec, / na s´wie˛to parafii tak zebrac´ wszystkich i pojechac´.« 785 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 23; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 19: »›Otóz˙ sam rozumiesz, kos´ciół jest w ruinie, ale na czerwiec / remont ma sie˛ skon´czyc´, przynajmniej z wierzchu i ksia˛dz znów obejmie/ cała˛ parafie˛, potrzeba tylko troszeczke˛ pienie˛dzy […] / oraz odnalez´c´ ukryta˛ monstrancje˛ i zakopane dzwony, / skrzynie z innymi naczyniami, sztami i wszystkim, co potrzebne, / jeszcze gdzies´ sprzed wojny. A przeciez˙ mój Staszek był przy tym, / jak zakopywali i teraz ja wiem, gdzie to ukryte. […] / moz˙na by odnalez´c´.‹«

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Für die Wiedereröffnung der Kirche sollen sich alle Familienmitglieder im nun ukrainischen Dorf einfinden. Die römisch-katholische Kirche stellt dabei das ethnische und religiöse Erbe der vertriebenen Polen dar. Da die Familienmitglieder »über ganz Polen […] verstreut« sind,786 soll der Enkel deren Zusammenkunft und im Heimatdorf die Ausgrabung der katholischen Monstranz organisieren, die symbolisch für die Wiedererlangung eines alten Zustandes steht, von dem die Großmutter regelmäßig in ihrem Büchlein »Prophezeiungen für Polen und die Welt«787 liest: Polen soll das »Neue Jerusalem«788 werden und seine alten Völker wie Litauen, Ukraine und Belarus, kurz die Kresy, mit sich verbinden.789 Es soll eine Zeitreise in die Zeiten der Zweiten Polnischen Republik oder sogar der Adelsrepublik Polen-Litauen werden, denn die meisten der Mitreisenden gehören der alten Generation an, »da ihr Altersdurchschnitt weit über achtzig lag«790 und viele von ihnen »die Zeit in eine Epoche vor Piłsudski und eine nach Piłsudski […], / oder auch vor und nach Franz Joseph«791 einteilten. Die Reise wird zu einer Realität und Imagination vermischenden Zeitreise. Dennoch bewegen sich die Protagonisten erstmals durch reale Orte und mit deren Hilfe kommt die Erinnerung in Gang. Wie bei Janesch findet die Reise in entgegengesetzter Richtung der Flucht statt und es werden Wohnorte von Verwandten, die fliehen mussten und sich in Schlesien neu ansiedelten, im Text als »Landsleute«792 bezeichnet, aufgesucht. Im Unterschied zu Janesch ist die Reise jedoch nicht durch den Tod der Großeltern hervorgerufen, der Enkel soll die Familienmitglieder noch vor ihrem Tod zusammenbringen und die Mission erfüllen, »bevor sie restlos ausstürben.«793 Die lebende Großmutter ist die Schlüsselfigur und ihr letztes Wiedersehen mit allen Verwandten ein Ziel der Reise: »sich mit der Großmutter zu treffen, denn wer konnte wissen, / ob es dazu in unsicheren Zeiten überhaupt noch / Gelegenheit geben würde.«794 Daneben sollen die zerstrittenen Völker, Polen und Ukrainer, durch die Reise vereinigt werden.795 Geld für den Aufbau der katholischen Kirche zu sammeln und die 786 Vgl. Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 20; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 17: »po całej Polsce przeciez˙ rozsypani.« 787 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 26. 788 Ebd. 789 Vgl. Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 21. 790 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 38; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 29: »ich ´sredni wiek przekraczał / z góra˛ osiemdziesia˛t lat.« 791 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 38; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 29: »na okres przed Piłsudskim i po Piłsudskim, albo tez˙ przed i po Francu Jozefie.« 792 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 38; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 29: »swojaki.« 793 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 38; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 29: »zanim nie wymra˛ juz˙ do samej reszty.« 794 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 43; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 33: »zobaczyc´ sie˛ z Babcia˛, poniewaz˙ kto mógł wiedziec´, czy taka okazja / w ogóle sie˛ trafi w tak niepewnych czasach.« 795 Vgl. Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 34.

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Kirchengüter auszugraben, das Wiedersehen aller Verwandten zu organisieren und den Zusammenschluss der polnischen und ukrainischen Nation herbeizuführen, ist das Ziel der Mission des Enkels. Stationen der Reise Die meisten Reisestationen des Enkels liegen auf schlesischem Gebiet und nicht auf galizischem, obwohl von der alten Heimat die meiste Zeit die Rede ist. Die Reise beginnt in Opole, führt weiter nach Prudnik und Moszczanka, und dann weiter als Bahnreise über Gliwice, Chorzów, Zabrze, Bytom, Ruda S´la˛ska, Katowice, Mysłowice und Siemianowice,796 anschließend Jaworzno, Szczakowa, Trzebinia und Krakau,797 bis die im Zug versammelten Familienmitglieder später bis jenseits der ukrainischen Grenze, also auf postgalizisches Gebiet, kommen: Der Zug fuhr »Richtung Osten, zur Grenze dieses unseligen Landes.«798 Diese Grenze ist nur scheinbar eine nationale, sie stellt eine metaphysische Grenze zu einer anderen Welt dar, wo sich Vergangenheit und Gegenwart vermischen und alle Familienmitglieder, ob tot oder lebendig, vertreten sind. So wird die Reise in ein historisches Gebiet als Reise im Raum und in der Zeit realisiert. Umkehr der Flucht Wie bei Janesch ist es die Umkehr der Flucht: Róz˙ycki spielt auf Vertreibungen an und beschreibt an Fluchtbewegungen erinnernde Bilder. Das Fortbewegungsmittel bedingt die Art der Reise: Während die Reise mit dem Bus bzw. mit dem Auto eine tatsächliche Bewegung im Raum bedeutet, ist die Reise mit dem Zug eine auf der imaginären Ebene stattfindende Reise in der Zeit. Der Zug und die Schienen als Symbol von Flucht und Vergangenheit sind ein wiederkehrendes Motiv, während der Enkel mit den zunächst von Osten nach Westen verfrachteten Menschen wieder zurück in den Osten reist. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Trauma und dem Erzählen vergegenständlicht durch die Eisenbahn, die die Überwindung von räumlichen und zeitlichen Grenzen ermöglicht: Mit dem Zug zu reisen, heißt das nicht, den Tod transzendieren? […] Ist nicht das Reisen mit dem Zug die vollendete Figur unseres Wandels und Vergehens? Und der Film über die unberührbare Welt, der im Fenster abläuft, ist er kein Souvenir unseres Seins? […] Ist demnach die Zugreise kein Bild des Todes?

796 Vgl. ebd., S. 122. 797 Vgl. ebd., S. 123. 798 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 153; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 123: »kieruja˛c sie˛ na wschód, ku granicy tego nieszcze˛snego kraju.«

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Bedeutet sie nicht, ihn zu erleben? […] [Ist es] [n]icht die Verbindung von Sein und Nichtsein, Metapher des Traums? 799

Die Zugfahrt wird so zu einer Metapher des Traums, in dem sich die gesamte Familie aus mehreren Generationen und unterschiedlichen Regionen trifft. Der Enkel reist aber nicht nur auf den Spuren der Vergangenheit der Familie, sondern auch auf denen seiner eigenen Kindheit. In Prudnik angekommen, begibt er sich auf den Weg zu seinen Verwandten, seinem Cousin und dessen Familie. Dabei bereist er Plätze, die ihn an seine hier verbrachte Kindheit denken lassen, ganz im Sinne der Mnemotechnik: Hier, in dieser Umgebung, fanden einst die meisten Spiele mit den Kindern der Nachbarschaft statt, wie Tomate, zwei Feuer, Verstecken, Einszweidrei die Hexe guckt, und davon abgeleitet, also Doktor- und Indianerspiele. Hier auch war die Basis für Raubzüge und Forschungsexpeditionen […] und hier nahmen die ersten Lieben ihren Anfang, harmlos natürlich, in vitro. Doch wenig war geblieben von jener heroischen Zeit, anstelle der Bretterbude ragte eine Wellblechgarage empor, an der Stelle des Hühnerstalls war ein betonierter Grillplatz. Schwer betrübt zog der Enkel weiter, um endlich die Orte der Jugend zu finden.800

Dies führt zur Kartierung des Raums durch unterschiedliche Familiengeschichten: Erinnerungen und unterschiedliche zeitliche Dimensionen be- und überschreiben diesen. Manche Gebäude und Dinge an bestimmten Orten sind in der Gegenwart der Reise gar nicht mehr vorhanden, durch das Aufsuchen dieser Orte wird ihr Fehlen deutlich. Somit entsteht im Text ein Palimpsest von unterschiedlichen Zeit- und Raumschichten, ganz im Sinne von De Certeau und Schlögel.

799 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 135; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 109: »Podróz˙owanie pocia˛giem czyz˙ nie jest przekraczaniem s´mierci? / […] Czyz˙ podróz˙ pocia˛giem / nie jest doskonała˛ figura˛ naszego odejs´cia, przemienienia? / A film o s´wiecie juz˙ niedotykalnym, puszczanym przez okna, / czyz˙ nie jest pamia˛tka˛ po bytowaniu? […] / […] Czy podróz˙ pocia˛giem nie jest w takim razie / obrazem ´smierci? Czy nie jest jej przez˙ywaniem? […] / […] Czyz˙ nie jest poła˛czniem istnienia z niebytem, / metafora˛ snu?« 800 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 116; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 92: »Tu w tych okolicach, miała niegdys´ miejsce / wie˛kszos´c´ zabaw z udziałem sa˛siednich nieletnich, / takich jak pomidor, dwa ognie, chowanego, razdwatrzybabajagapatrzy, / oraz pochodne, czyli w doktora albo Indian. / Tu tez˙ była baza wypraw łupiez˙czych i ekspedycji badawczych […] / […] i tutaj pierwsze sie˛ poczeły / miłos´ci, oczywis´cie niewinne, in vitro. Jednakz˙e mało juz˙ zostało / z tamtych heroicznych czasów, w miejsce budy z desek / wznosił sie˛ garaz˙ z falowanej blachy, w miejsce kurnika / wzbetonowany teren grilowy. Zasmucony wielce, / Wnuk ruszył dalej, chca˛c odnalez´c´ wreszcie miejsca młodos´ci.«

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Labyrinth der Erinnerung In diesem Sinne ist auch das mehrmals im Text vorkommende Labyrinth zu verstehen, als ein mnemotechnischer Irrgarten, dem die Bedeutungen immer wieder neu zugewiesen werden, nachdem diese zunächst einmal gefunden werden müssen. Das »Labyrinth der Erinnerung«801 verbindet sich mit den Bahngleisen und somit mit der Erinnerung an die Vertreibungen und Umsiedlungen: […] über die Gleise, bis zum Haupttor, hinter dem schon die Wilden Felder, Schrebergärten genannt, erstreckten, ein nie durchmessenes Labyrinth, schreckliches Geheimnis mit einem vermutlich mitten im Kleingärtner-Zentrum eingeschlossenen Minotaurus oder Bullenkerl, der noch immer auf seinen Telesphorus wartete. Mutig tauchte der Enkel ein in das Labyrinth, fand halb aus der Erinnerung den Pfad, der neben den Gleisen in eine unklare Gegend führte, besprenkelt von irgendwo in der Region gesammelten und hier auf einen Haufen geworfenen, vormals deutschen Einmann-Bunkern, deren schwarze Schlünder bis heute klafften. […] der Enkel aber konnte bis heute seine Todesangst nicht überwinden, dort hineinzugehen und das Innere zu fühlen.«802

Diese Geschichte zu erinnern und wirklich ins Innere des Labyrinths bzw. des Bunkers zu gelangen, ist von Angst begleitet. Das Gefängnis der Erinnerung in Form eines Labyrinths ist die Widerspiegelung des Familientraumas. Dem menschenfressenden Minotaurus kann der Enkel entkommen, weil er einen Ausweg entlang der Schienen, dem Ariadnefaden gleich, findet. Die Schienen sind somit die Spuren des Weges in die eine Richtung und führen auch zurück, was ein weiteres Mal eine Umkehrung der Flucht bedeutet. Dabei werden die Schienen während der Reise erneut als ein alles verschlingendes Labyrinth dargestellt: »Tausende von Schienen, / Gleisen, Gabelungen, Sackbahnhöfen und falschen Fährten, / grausamen Weichen und irreführenden Stellwerken bildeten / ein einziges, riesiges Labyrinth, das immer neue Personen801 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 107. 802 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 67–68; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 53: »[…] przez […] tory, az˙ do głównej bramy, / za która˛ juz˙ sie˛ rozpos´cierał obszar Dzikich Pól zwanych Działkami, / nieprzebytego nigdy labiryntu, straszliwej zagadki z zamknie˛tym w s´rodku, / pewnie w samym Os´rodku Działkowca, Minotaurem, / albo tez˙ Chłopobykiem, który wcia˛z˙ czekał na swojego Telesfora. / S´miało Wnuk zagłe˛bił sie˛ w ów labirynt, troszeczke˛ na pamie˛c´ / wynajduja˛c s´ciez˙ke˛, która prowadziła wzdłuz˙ torów / w niejasne okolice pełne zebranych gdzies´ w regionie / i rzuconych na kupe˛ poniemieckich bunkrów jednoosobowych, / strasza˛cych do dzisiaj swymi czarnymi paszczami. […] / […] Wnuk do dzisiaj / nie przemógł w sobie s´miertelnego strachu, z˙eby tam wejs´c´ / i poczuc´ w s´rodku jakby to mogło byc´.«

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züge, / Frachtzüge und Schnellzüge verschlang.«803 Falsche Fährten und blinde Stationen sind Zeichen für die Schwierigkeiten beim Erinnern und die Unmöglichkeit einer realitätstreuen Wiedergabe der Geschehnisse. Das Überwinden dieses Labyrinths ist unmöglich: »Die Ältesten konnten ein Lied / von jenem Haudegen singen, die das Labyrinth dennoch / durchmessen hatten, doch das war lange vor dem Krieg. / Jetzt drangen sie darin ein und waren nach kurzer Zeit / schon völlig verloren, verschlungen von den Innereien / einer riesigen Bestie.«804 Das Trauma der Erinnerung zerstört die Überlebenden und deren Nachfahren, was mit der Metapher des Biests bei Janesch einhergeht. Róz˙ycki überwindet sie mithilfe des Surrealismus, z. B. mit den »Geisterzüge[n]«805 (»pocia˛giwidma«806): Alle Reisenden, ob von den Toten auferstanden oder noch nicht verstorben, verbindet ihr Ursprung und das Ziel der Reise, die Stadt Gliniane, in der sie aber nicht ankommen können, weil es sich dabei nur um eine nostalgische Vorstellung aus ihrer Vergangenheit handelt. Die Reise wird zu einer »Reisehalluzination«807 (»podróz˙na˛ iluzja˛«808). Der Großvater als Lokführer wird zum dominierenden Richtungsweiser innerhalb der Familie, die Spuren seiner Vergangenheit wie Lokführermütze und Lokführeruniform sind schon Teil des familiären Archivs.809 Zudem steht die Bahnreise als Bild des Todes für die zahlreichen Opfer, die die Umsiedlungen mit sich gebracht haben, aber auch für ihre Überwindung.810 Da zeigt sich jene Bezähmung im kreativen Potential der Erinnerung nicht nur der Generationen, die die Ereignisse tatsächlich erlebt hat, sondern auch ihrer Nachfahren, wie beim Zusammentreffen des Enkels mit dem Großvater, bei dem dieser seiner eigenen Wahrnehmung misstraut: […] schaute er auf seine Hände, von denen er mit jedem Abteil mehr hatte, überzeugt davon, dass auch er Teil dieser seltsamen Sinnestäuschung sei, immer wieder prüfend, ob er Geschmack und Geruch empfinde, ob er höre wie früher, […]

803 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 150; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 120: »Tysia˛ce szyn, torów, rozjazdów, s´lepych stacyjek i fałszywych tropów, / okrutnych zwrotnic i błe˛dnych nastawni, tworzyło jeden ogromny / labirynt, wcia˛z˙ pochłoniaja˛c nowe składy osobowe, / towarowe i pospieszne.« 804 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 150; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 121: »Najstarsi ´spiewali pies´ni o tych s´miałkach, / którzy jednak przejechali ten labirynt, było to wszakz˙e daleko / przed wojna˛. A teraz oni wen´ sie˛ zagłe˛bili i juz˙ po chwili / przepadli zupełnie, znalez˙li sie˛ bowiem w czyms´ na kształt / ogromnej bestii […].« 805 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 150. 806 Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 121. 807 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 172. 808 Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 139. 809 Vgl. Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 54. 810 Vgl. ebd., S. 109: »przekraczaniem s´mierci«, »figura˛ naszego odejs´cia, przemienienia«.

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Denn wohin fuhr er, und warum / befand er sich unter all diesen Spukgestalten, die so leib- und wahrhaftig waren?811

Die Antwort auf die hier gestellte Frage findet sich in der erneuten Begegnung mit dem Großvater, diesmal an der Spitze des Zuges in der Dampflok. Diese Begegnung bedeutet das Ankommen am Ursprung, nicht nur beim Großvater, sondern auch beim eigenen Haus, sozusagen in der Heimat: […] sah er […] […] den Großvater in Uniform, in seiner Mütze mit Adler. Er war es, der den Zug in den letzten Augenblicken gelenkt hatte, und er lächelte nun und begann mithilfe eines Hebels langsam zu bremsen. Als der Zug an Fahrt verlor, sagte er, auf ein fern gelegenes, einzeln stehendes Haus zeigend, mit Garten, ganz nett anzusehen, aber nichts Besonderes, irgendwie vertraut und doch ganz anderes, sagte so laut, dass der Enkel es durch das Bremsenquietschen hörte: »Hier ist es, hier werden wir jetzt wohnen, / weiter fahren wir nicht«.812

Der gleiche Satz mag auch bei der Ankunft in Schlesien gefallen sein, wie aus einem prophetischen Traum der Großmutter am Anfang des Epos geschlossen werden kann. So bildet diese Sequenz den Anfang und das Ende der Reise, beide als Abbildung von Realitäten im Traum. Dass eben diese Ankunft das Eintreffen in der eigentlichen Heimat darstellt, bezeugt eine andere Reflexion des Erzählers über die Begriffe »Richtung« und »Bewegung«: Die Bewegung wiederum besitzt andere wichtige Eigenschaften, die über des Lebens Form entscheiden. Eine solche Eigenschaft ist die Richtung. Tod ist demnach in der Form Stillstand der Bewegung. Innehalten auf dem Weg, Station auf der Reise. Und was gestorben ist, wird wieder lebendig werden, bevor es aus einer fremden Stadt nach Hause zurückkehrt.813 811 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 172; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 139: »[…] patrza˛c sobie na re˛ce, których w kaz˙dym przedziałem / miał wie˛cej, przes´wiadczony, z˙e on tez˙ uczestniczy / w tym dziwnym złudzeniu i sprawdzaja˛c co chwile˛, / czy czuje˛ smak, zapach, czy słyszy tak jak słyszał, [….] / Gdziez˙ bowiem jechał i dlaczego znalazł sie sam pos´ród / wszystkich tych zjaw, tak prawdziwych?« 812 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 173; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 139–140: »Zobaczył […] / […] dziadka w mundurze, w swojej czapce z orłem. / On to prowadził pocia˛g przez ostatnie chwile, teraz zas´ sie˛ us´miechna˛ł / i za pomoca˛ dz´wigni zacza˛ł hamowac´ powoli. Kiedy zas´ pocia˛g zwolnił, / powiedział, wskazuja˛c dom w oddali, osobny, z ogródkiem, niczego sobie, / nic nadzwyczajnego, bardzo znajomy, ale całkiem inny, / powiedział tak głos´no, z˙e Wnuk usłyszał mimo pisku hamulców: / »To tutaj, tu be˛dziemy teraz mieszkac´, dalej nie jedziemy.« 813 Róz˙ycki: Zwölf Stationen, S. 144–145; Róz˙ycki: Dwanas´cie stacji, S. 116: »Ruch zas´ ma inne waz˙ne cechy, które o z˙ycia formie decyduja˛. / Cecha˛ taka˛ jest kierunek. S´mierc´ jest wie˛c w formie ruchu / zatrzymaniem, przystankiem w drodze, stacja˛ dla podróz˙y. / I co umarłe z˙ywym znów sie˛ stanie, zanim sie˛ znowu do domu / powróci z obcego miasta.«

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Idiosynkratisches Archiv Wenn man durch Galizien fährt und sich die ganzen Höfe anschaut, dann ist jeder anders: der eine ein bisschen demoliert, der andere ein bisschen geordnet, einfach ganz unterschiedliche Welten, wie irgendwelche Mikrokosmen. Man kann schauen und schauen. Es ist wirklich eine Freude für das Auge und die Phantasie.814 (Andrzej Stasiuk)

Vor den schmutzigen Gardinen erstreckte sich Galizien. Jetzt ukrainisch, früher polnisch. Und es sah ganz danach aus, als hätte ich mich auf das Terrain einer alternativen Geschichte meines eigenen Landes begeben. So war es ja auch in echt.815 (Ziemowit Szczerek)

Im folgenden Kapitel steht die polnische Literatur im Mittelpunkt, genauer zwei Autoren: »der« galizische Autor der polnischen Literatur Andrzej Stasiuk (*1960) und sein potenzieller Nachfolger Ziemowit Szczerek (*1978). In ihren Werken stellt Galizien ein idiosynkratisches Archiv dar, in dem sich individuelle und kollektive Aspekte verbinden und existenzielle Fragestellungen zu Identität, Selbstbild oder Erinnerung im postgalizischen Raum erörtert werden. Die Ergebnisse dieser Reflexionen stehen für mehr als nur Galizien, sie gelten für den mitteleuropäischen, postsozialistischen Raum. Die Schwerpunkte sind bei beiden andere, doch bleiben die Texte (geo-)poetisch ähnlich. Idiosynkrasie Das idiosynkratische Archiv beruht auf Archivmaterialien sowohl des historischliterarischen als auch des familiären Archivs; seine Spezifik macht jedoch das Subjektiv-Beliebige aus, das in diesem Archivzugriff besonders stark zum Ausdruck kommt und wie kein anderes Element des Archivs diese Reisenarrative gestaltet. Eng verbunden ist diese Eigenschaft mit der Idiosynkrasie, die Bedeutungsvielfalt ankündigt, aus dem Griechischen als eigene oder eigentümliche Mischung übersetzt wird und zu keiner semantischen Klarheit führt.816 Das 814 Stasiuk, Andrzej/Wodecka, Dorota: Z˙ycie to jednak strata jest. Wołowiec: Czarne; Warszawa: Agora 2015, S. 79. Original: »Jak sie˛ jedzie przez Galicje˛ i patrzy na te podwóreczka, to kaz˙de jest inne: jedno troche˛ rozpirzone, drugie troche˛ poukładane, poprostu oddzielne s´wiaty, mikrokosmosy jakies´. Patrzec´ i patrzec´. To naprawde˛ rados´c´ dla oka i wyobraz˙ni.« 815 Szczerek: Mordor kommt, S. 14; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 10. »Za brudnymi firankami cia˛gneła sie˛ Galicja. Teraz juz˙ ukrain´ska, nie polska. I wygla˛dało to wszystko tak, jakbym wjechał na teren historii alternatywnej własnego kraju. Tak zreszta˛ było przeciez˙ naprawde˛.« 816 Vgl. Bovenschen, Silvia: Über-Empfindlichkeit. Spielformen der Idiosynkrasie. Frankfurt/ Main: Suhrkamp 2000, S. 9.

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Idiosynkratisches Archiv

Themenfeld zur Idiosynkrasie ist innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses recht unerforscht, doch bietet es als Mischphänomen viel Potenzial,817 auch für die vorliegende Untersuchung.

5.1

Andrzej Stasiuks poetische Reisen

Stasiuks Hinwendung zu Galizien als Gedächtnis- und Erinnerungsraum äußert sich in seinem Gebrauch Galiziens als Imaginationsfläche. Die Untersuchung konzentriert sich auf die Erzählung Dukla (Die Welt hinter Dukla; 1997) und den Essay Dziennik okre˛towy (Logbuch; 2000), die aufgrund ihrer Beliebtheit in Polen und im deutschsprachigen Raum sowie ihrer symptomatischer Bedeutung für Stasiuks Beschäftigung mit Galizien ausgewählt wurden. Sie bringen zwei wichtige Aspekte im galizischen Schaffen von Stasiuk ein – Galizien als Mitteleuropa und Galizien als Imaginationsfläche, wobei der Fokus der Studie vor allem auf dem zweiten Aspekt liegt, weil Galizien im Kontext von Mitteleuropa bei Stasiuk bereits oft untersucht wurde.818 Da Stasiuks Beschäftigung mit Galizien in den 1990er und Anfang der 2000er Jahren ihren Höhepunkt erreichte, konzentriert sich die Analyse auf die aus dieser Zeit stammenden Reisetexte. Raum bzw. Geographie und Imagination sind in Stasiuks Texten zwei voneinander abhängige, aktive Kräfte, die sich in den Texten oft vereinigen. Die erste beruht auf der Erfahrung des Reisens und der sinnlichen Erfahrung von Orten, die zweite auf der soziokulturellen Sphäre. Sie gleicht einem Archiv von Lektüren, Stereotypen und kollektiven Ideen.819

817 Eine der wenigen einschlägigen Publikationen zu Idiosynkrasien ist eine Ende der 1990er Jahre als Themenheft erschienene Sammelpublikation. Vgl. Kamper, Dietmar/Ternes, Bernd (Hrsg.): Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie: Idiosynkrasien. Bd. 8, Heft 2 (1999). 818 Siehe u. a.: Ewertowski, Tomasz: Demitologizacja i remitologizacja Europy S´rodkowej? Stasiuk i Andruchowych na prowincji. In: Podteksty 4/18 (2009); Frey, Irina: Literarische Topographie Mitteleuropas: Mitteleuropa aus der Sicht von Andrzej Stasiuk und Juri Andruchowytsch. München: GRIN 2009; S´łomin´ska, Natalia: Rozwaz˙ania podkarpackie, czyli o we˛drówkach bohatera »Dukli« i »Dziennika okre˛towago« Andrzeja Stasiuka. In: Pamie˛tnik Literacki XCVII/4 (2006); Szczepaniak, Monika: On the road auf Slawisch. Figurationen des Aufbruchs in der Prosa von Andrzej Stasiuk. In: Von Hoff, Dagmar/Szczepaniak, Monika/ Wetenkamp, Lena (Hrsg.): Poetiken des Auf- Und Umbruchs. Frankfurt/Main: Peter Lang 2013, S. 19–46; Zajas, Krzysztof: Czy moja Europa to twoja Europa? Stasiuk i Andruchowycz. In: Konteksty Kultury 8/1 (2012), S. 114–124. 819 Vgl. Rybicka, Elz˙bieta: Wschód wyobraz˙ony. Wokół najnowszej prozy Andrzeja Stasiuka. In: Przegla˛d Humanistyczny 4/451 (2015), S. 59–76; hier: S. 59.

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Vermittler Mitteleuropas Was liegt zwischen Ost und West? Das sogenannte Mitteleuropa. Das wäre im Jahr 2000 Andrzej Stasiuks und Jurij Andruchovycˇ’ Antwort gewesen. Moja Europa. Dwa eseje o Europie zwanej S´rodkowa˛820 (Mein Europa. Zwei Essays über das sogenannte Mitteleuropa821) heißt das »literarische Doppelporträt«822 des polnischen galizischen Autors und seines ukrainischen Pendants. Erschienen sind die Essays erstmals im Jahr 2000 in dem von Andrzej Stasiuk und seiner Frau Monika Sznajdermann in den Niederen Beskiden angesiedelten Verlag Czarne.823 Der Verlag hat seinen Namen nach dem damaligen Wohnort der beiden erhalten: dem ehemaligen lemkischen Dorf Czarne (das Schwarze).824 In Moja Europa wagen sich beide Autoren auf zweierlei Weise an den postgalizischen Raum heran und entwerfen unterschiedliche Bilder dieser Landschaft, womit sie sich einen Platz in einem seit Jahrzehnten im Wandel befindenden Diskurs zu Mittel- bzw. 820 Andruchowycz, Jurij/Stasiuk, Andrzej: Moja Europa. Dwa eseje o Europie zwanej S´rodkowa˛. Wołowiec: Czarne 2000. 821 Andruchowytsch, Juri/Stasiuk, Andrzej: Mein Europa. Zwei Essays über das sogenannte Mitteleuropa. Aus d. Ukrainischen v. Sofia Onufriv u. aus d. Polnischen v. Martin Pollack. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2004. Die ukrainische Ausgabe erschien unter dem Titel: Moja Jevropa. Dva eseji pro najdynisˇu cˇastynu svitu. L’viv: VNTA-Klasyka 2001. 822 Andruchowytsch/Stasiuk: Mein Europa, Schmierseite. 823 Andrzej Stasiuk und seine Frau, die Kulturanthropologin Monika Sznajderman, gründeten den Verlag Czarne im Jahr 1996. Den Verlag führen sie bis heute, wobei der Sitz nun im Dorf Wołowiec liegt, wo das Ehepaar auf einer Art Bergbauernhof für Intellektuelle, auf dem KollegInnen aus der Kunst- und Literaturszene empfangen werden, bis heute arbeitet und lebt. Der Verlag konzentriert sich seit seinen Anfängen auf die Publikation von jungen wie auch angesehenen AutorInnen aus Mittel-, Ost- und Südeuropa: Jurij Andruchovycˇ, ˇ olovicˇ, Irena Karpa, Danilo Kisˇ, Jáchym Topol, Taras Prochas’ko, Svjatlana Aleksievicˇ, Ivan C Natalka S´niadanko, Dubravka Ugresˇicˇ, Aglaja Veteranyi, Serhij Zˇadan etc. Die Serie »Inna Europa. Inna Literatura« (Ein anderes Europa. Eine andere Literatur) mit dem Logo eines Pferdefuhrwerks mit einem Bauern als ironisches Symbol der Rückständigkeit ist ein Markenzeichen des Verlags. Weiters spezialisierte sich der Verlag mit den Serien »Reportaz˙« (Reportage), »Selina« und »Mikrokosmos/makrokosmos: literatura faktu« (Mikrokosmos/ Makrokosmos: Sachliteratur) auf Sachliteratur. Der Beitrag des Verlages zur Popularisierung ukrainischer Literatur in Polen, aber auch im deutschsprachigen Raum, ist durch die intensive Zusammenarbeit von Monika Sznajderman mit der Lektorin des Suhrkamp Verlags Katharina Raabe nicht zu unterschätzen. Auch die österreichischen Schriftsteller Martin Pollack und Karl-Markus Gauß, beide als Popularisatoren Galiziens im deutschsprachigen Raum berühmt, werden in Polen von Czarne vertreten. Vgl. Wydawnictwo Czarne. http://cza rne.com.pl/ [09. 04. 2016]; Gnauck, Gerhard: Der Ruf der Beskiden. Neue Zürcher Zeitung, 16. 08. 2012. http://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/der-ruf-der-beskiden-1.17482029 [09. 04. 2016]. 824 Hierzu findet man u. a. einen Hinweis bei Jurij Andruchovycˇ: »Andrzej Stasiuk hat mir einen seltsamen Weg gezeigt – einen steinigen Waldweg, rechts und links Wald, Wald, nichts als Wald, und dennoch ist das einmal die Hauptstraße einen lemkischen Dorfes mit dem vielsagenden Namen »Czarne« (Schwarze) gewesen.« (Andruchowytsch, Juri: Mittelöstliches Memento. Aus d. Ukrainischen v. Sofia Onufruv. In: Andruchowytsch/Stasiuk: Mein Europa, S. 5–74; hier: S. 15).

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Zentraleuropa verschaffen und den Platz Galiziens darin einschreiben.825 Wie Jagoda Wierzejska und viele andere WissenschaftlerInnen feststellen, ist das Mitteleuropa der beiden Autoren mit Galizien gleichzusetzen und wurde schon vielfach untersucht,826 weshalb auf die genaue Analyse hier verzichtet wird. Jedenfalls entnimmt Stasiuk in diesem Fall aus dem Archiv Galizien Bilder, die mit dem Konzept von Mitteleuropa zusammenhängen und verbindet sie mit anderen verwandten Konzepten und Vorstellungen wie Peripherie, Kakanien oder Postkolonialität.827 »Manchmal bereue ich, dass Jurij Andruchovycˇ und ich Mein Europa geschrieben haben, weil wir eben dadurch in der Schublade der mitteleuropäischen Autoren gelandet sind.«828, meint Stasiuk knapp 15 Jahre nach dem Erscheinen des Essays, betrachtet die Publikation des Bandes durchaus kritisch. In gleicher Weise spielt er aber ironisch mit diesem Erbe, das ihm doch bis heute seine starke Position innerhalb der Literaturlandschaft in Polen und auch außerhalb sichert. Durch sein literarisches Schaffen und seinen Verlag gilt er ja als ein Botschafter Mitteleuropas weit über Polens Grenzen.829 Seine Skepsis mag mit seiner allgemeinen Distanziertheit gegenüber einengenden Definitionen und der zunehmenden Ausrichtung seiner Reisen und Texte auf Südosteuropa und »den Osten« (Russland, China), ersichtlich anhand seines neueren Werks mit dem einschlägigen Titel Wschód830 (Der Osten831; 2014), zusammenhängen. Auch der Verlag Czarne publiziert Werke »mitteleuropäischer« AutorInnen. Obwohl sich Stasiuks Essay Dziennik okre˛towy an einer Poetik des Raums versucht, kann man seine in 825 Nachfolgend wird nur auf einen der beiden Autoren eingegangen: Andrzej Stasiuk. Zu Jurij Andruchovycˇ bzw. beiden Autoren und Mitteleuropa vgl. u. a. Hnatiuk, Aleksandra: Poz˙egnanie z imperium. Ukrain´skie dyskusje o toz˙samos´ci. Lublin: Wydawnictwo Uniwersytetu Marii Curie-Skłodowskiej 2003; Marszałek: Anderes Europa. Zur (ost)mitteleuropäischen Geopoetik. In: Marszałek/Sasse: Geopoetiken, S. 43–67; Woldan, Alois: Regionale Identität am Beispiel von Andrzej Stasiuk und Jurij Andruchovycˇ. In: Rytel-Kuc, Danuta/Schwarz, Wolfgang F./Trepte, Hans-Christian (Hrsg.): Polonistik im deutschsprachigen Bereich. Hildesheim u. a.: Olms Weidmann 2005, S. 295–309. 826 Wierzejska, Jagoda: Idea Galicji po(st)granicznej w ukrain´skim i polskim dyskursie postkolonialnym. Na przykładzie eseistyki Jurija Andruchowycza i Andrzeja Stasiuka. In: Teksty Drugie 6 (2014), S. 283–304. 827 Vgl. Baran-Szołtys, Magdalena: Andrzej Stasiuk’s Galician Middle Europe: Half-Dark, Empty, and Boundless. In: Baran-Szołtys, Magdalena/Glosowitz, Monika/Konarzewska, Aleksandra (Hrsg.): Imagined Geographies. Central European Spatial Narratives between 1984 and 2014. Stuttgart: Ibidem 2018, S. 87–129. 828 Stasiuk/Wodecka: Z˙ycie to jednak strata jest, S. 148. Original: »Czasem pluje˛ sobie w brode˛, z˙es´my napisali z Jurkiem Andruchowyczem Moja˛ Europe˛, bo to przez nia˛ włoz˙ono nas do szufladki pisarzy s´rodkowoeuropejskich.« 829 Vgl. Cobel-Tokarska, Marta: Bieda Europy S´rodkowej w narracjach Andrzeja Stasiuka. In: Kultura i Społeczen´stwo 1 (2012), S. 51–80; hier: S. 51–53. 830 Stasiuk, Andrzej: Wschód. Wołowiec: Czarne 2014. 831 Stasiuk, Andrzej: Der Osten. Aus d. Polnischen v. Renate Schmidgall. Berlin: Suhrkamp 2016.

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den Raum und somit auch in den Text eingeschriebene politische Dimension nicht außer Acht lassen. Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Bandes im Jahr 2000 war Polen bereits seit einem Jahr NATO-Mitglied und der Beitritt zur Europäischen Union (2004) und zum »grenzfreien«832 Schengen-Raum (2007), was für Polen die Pflicht zur Sicherstellung der Undurchlässigkeit der EU-Außengrenze zur Ukraine bedeutete, war nur noch eine Frage der Zeit. Umso stärker zeichnet Stasiuk in diesem Text die Abgegrenztheit und Einmaligkeit »seines« mitteleuropäischen Raums. Wie im Umschlagtext des Suhrkamp-Verlags angegeben, versuchen sich beide Autoren in ihren Essays aus dem Band Mein Europa an einer »Geopoetik«,833 die ja immer mit Geopolitik in engem Zusammenhang steht. Dabei geht es nach Magdalena Marszałek darum, »das Politische ins Poetische umzukehren oder aber das Poetische zum Mittel des Politischen werden zu lassen.«834 Logbuch beruft sich auf das habsburgische Erbe, auf Kakanien und damit auf ein Mitteleuropa, bevor es zu einem »Vorposten des sozialistischen und des kapitalistischen Lagers«835 geworden ist. Die Vermischung der sich auf diesen Raum beziehenden politisch-historischen und kulturellen Konzepte steht nach Marszałek »paradigmatisch für die neue literarische Kartierung Ostmitteleuropas.«836 Diese ist »inspiriert durch die Veränderungen der politischen Geographie Europas«837 nach 1989/1991, was »im östlichen Teil des Kontinents [als] ein Prozess der Selbst(er)findung«838 erlesen werden kann. Diese poetische wie auch markttechnische Strategie ist aufgegangen. Stasiuks Position als Vermittler der ostmitteleuropäischen Literatur innerhalb der westlichen Länder ist nicht zu unterschätzen. 2016 wurde ihm der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur verliehen, wobei der österreichische Kulturminister Thomas Drozda die Auswahl Stasiuks aus vermittelnder geopolitischer Sicht argumentierte: Mit der Gründung des Staatspreises im Jahre 1965 […] war die Hoffnung verbunden, mit unseren Nachbarn hinter dem Eisernen Vorhang wieder ins Gespräch zu kommen.

832 Europäische Kommission. Europa ohne Grenzen. Der Schengen-Raum. Broschüre 2015, S. 6. http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/e-library/docs/schengen_brochure/schengen_brochu re_dr3111126_de.pdf [11. 04. 2016]. 833 Andruchowytsch/Stasiuk: Mein Europa, Umschlagtext. 834 Marszałek: Anderes Europa, S. 66. 835 Schlögel, Karl: Lehrstück I. Fall der Berliner Mauer 1989. In: Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit, S. 25–35; hier: S. 25. 836 Vgl. Marszałek: Anderes Europa, S. 52. 837 Ebd. 838 Ebd., S. 45.

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[…] Die Werke von Andrzej Stasiuk haben seit Anfang der 1990er Jahre wesentlich zur Osterweiterung unserer literarischen Weltwahrnehmung beigetragen.839

Stasiuk nimmt die Rolle eines Vermittlers ein, indem er in seinen Werken die Konzepte des Westens, Ostens und Mitteleuropas behandelt, gleichzeitig stilisiert er sich als ein mit diesen Begrifflichkeiten spielenden Außenseiter. Zugleich wird er selbst Opfer der Instrumentalisierung durch den Westen, indem er zu einer »Osterweiterung« der literarischen Weltwahrnehmung des Westens, um die Worte Drozdas zu verwenden, beiträgt. So wird ihm als öffentliche Person innerhalb Europas die gleiche Position zugeschrieben, die Mitteleuropa in seinen literarischen Werken der 1990er Jahre hat.

5.1.1 Galizien als Imaginationsraum »Jenseits von Identität und Differenz liegt der Bereich des Undifferenzierten, Indifferenten, Beliebigen, Banalen, Unscheinbaren, Uninteressanten, Nichtbeachtenswerten, Nichtidentischen und Nichtdifferenten«,840 so beschreibt Boris Groys Bereiche, die sich gängigen Definitionen und Zuschreibungen entziehen und (noch) nicht festgeschrieben sind. Die von Groys aufgezählten Eigenschaften werden im Werk Stasiuks Galizien zugewiesen. Diese Rolle entspringt aus der Freiheit und Leere einer völligen Andersartigkeit: Löst man sich von der vermeintlichen Ost-/West-Opposition Galiziens, so werden Möglichkeiten eröffnet, wie sie Groys anführt. Für Galizien bedeutet das, als leere Imaginationsfläche zu fungieren und verschiedene Bedeutungen annehmen zu können. Durch die Wahl der scheinbaren Peripherie als Ziel seiner wiederkehrenden Reisen distanziert sich Stasiuk vom dominierenden polnischen Narrativ zu Galizien: Die Umwertung der Peripherie bei Stasiuk findet ein Äquivalent in seiner Perspektive auf die polnische Kulturgeschichte, die sich […] nicht länger in Form einer teleologischen Meistererzählung präsentieren lässt, sondern nur noch im Fragment, in der assoziativen Reihung greifbar wird.841

Die assoziative Reihung zeigt sich in der nominalistischen Sprachhaltung; die Namen dominieren, das Bezeichnete ist unwichtig. Stasiuks Texte entsprechen kleinen literarischen Formen und liebäugeln mit dem Fragment. In Dukla macht die Umwertung der Peripherie die Kleinstadt zu Stasiuks persönlichem Zen-

839 Bundeskanzleramt Österreich. Kunst und Kultur. Kulturminister Drozda zeichnet Andrzej Stasiuk aus, 29. 07. 2016. http://www.kunstkultur.bka.gv.at/site/cob__63451/currentpage__ 0/8230/default.aspx [29. 03. 2017]. 840 Groys: Über das Neue, S. 48. 841 Prunitsch: Ostatni obwarzanek, S. 52.

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trum842 und holt, wie später dargestellt wird, fast vergessene Figuren der polnischen Geschichte in den Text. Die Kleinstadt Dukla besitzt demnach in der gleichnamigen Erzählung während der zahlreichen Reisen die Funktion eines Zentrums: »Dann wird Dukla zum Zentrum der Welt, zum Omphalos des Universums.«843 Der Grund liegt im hiesigen Raum, den Stasiuk vor allem als leer und somit frei für jegliche Zuschreibungen beschreibt: »Dukla also […] – Dukla, die Ouvertüre zum leeren Raum. Wohin fahren von Dukla? In Dukla kann man nur kehrtmachen.«844 Der Punkt, von dem man nur zurückkehren kann, ist das Zentrum – eine Umkehr von Zentrum und Peripherie findet hier statt. Dieser zentrale Raum besitzt bei Stasiuk noch eine weitere Eigenschaft, die der bewegungslosen Gegenwart, die für die Unendlichkeit von Möglichkeiten steht: »alles war bereit für die verrücktesten Gedanken. Hier passierte so wenig, daß einem die Zukunft eine endlose Anzahl von Möglichkeiten eröffnete.«845 Auf diese Weise wird der postgalizische Raum durch seine zentrale Bedeutung für den Erzähler sowie seine Ereignislosigkeit zu einem Mikrokosmos für Imaginationen und bildet dementsprechend das idiosynkratische Archiv. Die Bewegungs- und Ereignislosigkeit löst verschiedene Imaginationen aus, unterschiedliche Formen annehmend und sich auf unterschiedliche Bereiche der Vergangenheit beziehend. Die Vergangenheit mit all ihren Möglichkeiten ist konkret an den Ort, an das Raumarchiv, gebunden: »Dukla voll von Raum, in dem Bilder ausgebrütet werden und die Vergangenheit dich überfällt.«846 In Dukla als einem Galizien repräsentierenden Raum überlagern sich diverse Zeitschichten. Christoph Schimsheimer stellt fest, dass Stasiuk gegen einen »modernistischen Zeitbegriff« ankämpft: »Zeit soll viel mehr in ihrer Erfahrbarkeit transzendiert werden, als eine unendliche Abfolge von Erinnerungen […], als ein Kreislauf von Werden und Vergehen.«847 Die vom Raum ausgehenden Erinnerungen nehmen vielfältige Gestalten an, wobei prägnant ist, dass 842 Siehe: Kliems, Alfrun: Aggressiver Lokalismus. Undergroundästhetik, Antiurbanismus und Regionsbehauptung bei Andrzej Stasiuk und Jurij Andruchovycˇ. In: Zeitschrift für Slawistik 2 (2011), S. 197–213. 843 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 68; Stasiuk: Dukla, S. 45: »Dann wird Dukla zum Zentrum der Welt, zum Omphalos des Universums.« 844 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 68; Stasiuk: Dukla, S. 44: »No wie˛c Dukla. […] – Dukla, uwertura pustych przestrzeni. Doka˛d pojechac´ z Dukli? Z Dukli moz˙na tylko wracac´.« 845 Stasiuk: Logbuch, S. 110; Stasiuk: Dziennik okre˛towy, S. 107: »wszystko stało gotowe na przyje˛cie najbardziej szalonej mys´li. Wydarzyło sie˛ tutaj tak mało, z˙e przyszłos´c´ oferowała nieskon´czona˛ ilos´c´ moz˙liwos´ci.« 846 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 101; Stasiuk: Dukla, S. 66: »Dukla wypełniona przestrzenia˛, w której legna˛ sie˛ obrazy i dopada przeszłos´c´.« 847 Schimsheimer, Christof: Die Galizische Geschichte. Zur Reproduktion literarischer und historischer Narrative am Beispiel von Andrzej Stasiuks Prosa. In: Büttner/Hanus: Galizien als Kultur- und Gedächtnislandschaft, S. 261–281; hier: S. 276.

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diese immer Überlegungen des Erzählers zur Metaphysik und der Beziehung zwischen Raum und Zeit begleiten. Im dominierenden Raum sind bestimmte Bilder eingelagert: »dem Ding, in dem alle Dinge beginnen, dem Stamm, auf dem sich immer neue Schichten bewegter Ereignisse ablagern und unwiderruflich zu reglosen Fiktionen werden.«848 Aus den bewegten Ereignissen, dem Geschehenen, werden statische Fiktionen: Der fiktive Text beansprucht den Raum, stabilisiert und verfremdet ihn. Die Vergangenheit ist in den postgalizischen Raum um Dukla eingeschrieben und löst beim Erzähler Erinnerungen aus. Diese fiktionalen Erinnerungen stehen im Unterschied zur historischen Vergangenheit im Mittelpunkt der Erzählung. Ausgelöst werden sie durch das Vorhandene und das Fehlende, durch Leerstellen: »Wenn im Raum existierende Dinge kaputtgehen, bleibt eine Leere, die wir mit anderen Dingen füllen.«849 Eine Eigenschaft, die typisch für den galizischen Raum ist und in dieser Arbeit bereits öfters beleuchtet wurde: heutige Erzählungen von Galizien entspringen oft einer Lücke (dem Verlust eines Raums oder der Vergangenheit) und versuchen diesen idiosynkratisch zu füllen (diese mit einem Narrativ zu semantisieren). Ersichtlich wird dabei die unterschiedliche Instrumentalisierung der Provinz sowie die implizite Künstlichkeit und Wandelbarkeit dieses Konstrukts »Galizien«.850 Die Konstruktion geschieht bei Stasiuk durch den Raum: Der Raum ist primär, jeglicher Überbau sekundär. Er ist untrennbar mit der Geographie verbunden, in der palimpsestartig verschiedene Zeitschichten eingelagert sind. Dabei wird der Gegenwart aufgrund ihrer Kurzlebigkeit die unbedeutendste Rolle zugewiesen. Die Aufmerksamkeit liegt auf dem privaten, individuellen Gedächtnis des Erzählers. Doch die Vergangenheit kann nur durch die Gegenwart betrachtet werden, wodurch sich verschiedene Zeitschichten auftun, die in einem komplementären Verhältnis zueinander stehen – die Vergangenheit kann nur aus der Perspektive der Gegenwart betrachtet werden, unterdessen ist die gegenwärtige Betrachtungsweise Ergebnis der Vergangenheit. und so wie jetzt, da ich dies alles zu beschreiben versuche, diese Zwiebelschichten, die sich in Kopf und Körper ablagern, eine scheint unter den anderen hervor, wie das Hemd unter dem abgetragenen Pullover, wie der nackte Hintern unter der durchgescheuerten Hose. Denn die Gegenwart ist am schwächsten, sie verdirbt und zerfällt am schnellsten.851

848 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 68; Stasiuk: Dukla, S. 45: »rzecz, w której zaczynaja˛ sie˛ wszystkie rzeczy, rdzen´, na który nizaja˛ sie˛ kolejne warstwy ruchomych zdarzen´, nieodwracalnie zmienionych w nieruchome fikcje.« 849 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 69; Stasiuk: Dukla, S. 45: »Gdy niszczeja˛ rzeczy istnieja˛ce w przestrzeni, pozostaje po nich próz˙nia, która˛ napełniamy innymi rzeczami.« 850 Vgl. Wolff: Inventing Galicia; Wolff: The Idea of Galicia. 851 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 22–23; Stasiuk: Dukla, S. 15: »[…] i tak jak teraz, gdy próbuje˛ to wszystko opisac´, te cebulaste warstwy, które odkładaja˛ sie˛ w ciele i w głowie, jedna

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Die Geschichte im Sinne einer Historie ist unwichtig, wesentlich sind die vielen privaten Geschichten in ihrer erinnerten bzw. erzählten Form. Dem Erzähler darf allerdings nicht getraut werden, denn der Text ist losgelöst von der faktischen Geschichte und steht für sich selber: »denn die Zeit ist das Gegenteil des Raums, durch ihren Vorhang sieht man die Dinge immer deutlicher, schon deshalb, weil man sie nie wieder wird berühren können.«852 Gedanken und Imaginationen bestimmen und urteilen über das Geschehene. Arkadiusz Bagłajewski stellt in seiner Analyse zu Stasiuks Werk fest, dass sich dieser der Geschichtlichkeit vollkommen entledigen möchte.853 Doch Dukla kommt ohne Bezüge auf Geschichtlichkeit nicht aus, wie im nächsten Unterkapitel zum kulturellen Gedächtnisraum gezeigt wird. Denn, wie Oksana Weretiuk darlegt, nutzt Stasiuk zur Konstruktion literarischer Räume historische Vorlagen, doch zieht er die Geographie der Geschichte vor854 – die Spezifik des mitteleuropäischen Raums bestimmt den Fokus: Wenn ich mir für Mitteleuropa ein Wappen ausdenken müßte, würde ich in die eine Hälfte Halbdunkel und in die andere Leere tun. Das erste als Zeichen der Unselbstverständlichkeit, das zweite als Zeichen für den nach wie vor nicht gezähmten Raum. Ein schönes Wappen mit etwas undeutlichen Konturen, die man mit seiner Vorstellung ausfüllen kann. Oder mit Träumen.855

»Halbdunkel« und »Leere« als Zeichen von »Unselbstverständlichkeit« und des »nicht gezähmten Raum[s]« ermöglichen individualisierte Zuschreibungen: »An all das erinnere ich mich immer deutlicher.«856 Erinnern ist immer eine persönliche Erfahrung: das Gedächtnis und die Erinnerung, die in der polnischen Sprache durch ein und dasselbe Wort repräsentiert werden – pamie˛´c –, sind dabei grenzenlos, unberechenbar und endlos reproduzierbar:

852 853 854 855

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spod drugiej przes´wieca jak koszula spod przetartego swetra, jak skóra na tyłku spod zetlałych spodni. Bo teraz´niejszos´c´ jest najsłabsza, najszybciej sie˛ niszczy i rozłazi.« Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 21; Stasiuk: Dukla, S. 87: »bo czas jest odwrotnos´cia˛ przestrzeni i przez jego zasłony rzeczy widac´ coraz wyraz´niej choc´by dlatego, z˙e nigdy juz˙ nie be˛dzie moz˙na ich dotkna˛c´.« Bagłajewski, Arkadiusz: Mit Galicji a idea »mojej Europy« (Stasiuk– Andruchowycz – Topol). In: Trybus´, Krzysztof/Kała˛z˙ny, Jerzy/Okulicz-Kozaryn, Radosław (Hrsg.): Kresy. Dekonstrukcja. Poznan´: Poznan´skie Towarzystwo Przyjaciół Nauki 2007, S. 69–87; hier: S. 76. Weretiuk, Oksana: Jurij Andruchowycz i Andrzej Stasiuk o toz˙samos´ci ukształtowanej przez historie˛. In: Porównania 9 (2011), S. 89–100; hier: S. 91. Stasiuk: Logbuch, S. 105; Stasiuk: Dziennik okre˛towy, S. 102: »Jez˙eli miałbym wymys´lic´ dla Europy S´rodkowej jakis´ herb, to w jednym z jego pół umies´ciłbym półmrok, a w jakims´ innym pustke˛. To pierwsze jako znak nieoczywistos´ci, to drugie jako znak wcia˛z˙ nie oswojonej przestrzeni. Bardzo pie˛kny herb o nieco niewyraz´nych konturach, który moz˙na wypełnic´ wyobraz´nia˛. Albo snem.« Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 22; Stasiuk: Dukla, S. 15: »Pamie˛tam to wszystko coraz wyraz´niej.«

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Das alles gleicht so sehr dem Gedächtnis mit seiner unberechenbaren Struktur und der unfaßbaren Zahl von Orten, an denen alles wieder und noch einmal von vorn beginnen kann wie in einem wahnwitzigen Inventar, einem gründlichen Verzeichnis der Dinge und Möglichkeiten, das niemals den Grund erreicht, denn immer tut sich gleich ein weiterer auf und noch einer […].857

Der postgalizische Raum wird im Text mit unterschiedlichen Vorstellungen gefüllt, die erinnerungstheoretisch zwei Gebieten entspringen: dem kulturellen, kollektiven Gedächtnis und der individuellen Erinnerung. So greifen beide auch auf unterschiedliche Arten des Archivs zurück: sowohl auf das historisch-literarische Archiv als auch auf ein individuelles Archiv der Reisenden, wobei dem Ganzen Elemente aus der eigenen Phantasie angefügt werden – diese Verbindung nenne ich idiosynkratisches Archiv. Es sind Variationen erinnerter Geschehnisse gemischt mit Phantasien, somit immer zu einem gewissen Grad fiktiv. Beide Archivarten werden im Text vereint und stellen, wie das oben beschriebene, aus zwei Teilen bestehende Wappen, eine Einheit dar. Ein idiosynkratisches Galizienbild erscheint: Der Rückgriff auf das Archiv ist willkürlich und beliebig, ganz eigentümlich und schwer reproduzierbar – hier entsteht kein konsequentes Raummodell, denn es handelt sich um ein kreatives Füllen der Leerstellen. 5.1.1.1 Kultureller Gedächtnisraum: Historisch-literarisches Archiv858 »Ich schreibe das in der Nacht zum Montag, während vom Schwarzen Meer her ein feuchtes Tief über Galizien (pardon, das östliche Kleinpolen) aufzieht und es wie aus Eimern schüttet.«859 An dieser Stelle, auf der dritten Seite des Essays, erwähnt Stasiuk in Logbuch erstmals Galizien. Die Einführung des Terminus geschieht in einer für den Autor typischen, die Multidimensionalität Galiziens aufzeigenden Manier. Stasiuk bezieht sich auf das historische Galizien, das Gebiete des heutigen Polen und der Ukraine einschließt, und führt mit dem Begriff des »Östlichen Kleinpolens« eine nationale auf die Gegenwart bzw. die Zwi857 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 46; Stasiuk: Dukla, S. 31: »To wszystko tak bardzo przypomina pamie˛c´ z jej nieobliczalna˛ struktura˛ i niepoliczalna˛ ilos´cia˛ miejsc, w których wszystko znów i po raz kolejny moz˙e zaczynac´ sie˛ od pocza˛tku jak w jakims´ obłe˛dnym inwentarzu, spisie rzeczy i moz˙liwos´ci az˙ po najgłe˛bsze dno, a dna i tak nie be˛dzie, bo zaraz otworzy sie˛ naste˛pne i naste˛pne […].« 858 Teile dieses Unterkapitels in einer aktualisierten und überarbeiteten Form übernommen aus: Baran-Szołtys, Magdalena/Dvoretska, Olena: Das letzte galizische Territorium. Die Städte Dukla und Stanislau in den Werken von Andrzej Stasiuk und Jurij Andruchovycˇ. In: Jahrbuch des Wissenschaftliches Zentrum der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wien, Band 7 (2016). S. 179–211. 859 Stasiuk: Logbuch, S. 81; Stasiuk: Dziennik okre˛towy, S. 79: »Pisze˛ to wszystko w nocy, w poniedziałek, gdy znad Morza Czarnego nadcia˛gna˛ł nad Galicje˛ (pardon, Małopolske˛ Wschodnia˛) mokry niz˙ i leje jak z cebra.«

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schenkriegszeit bezogene Komponente ein, womit er die historische Geographie des Gebiets samt seiner Bedeutung der in den Raum eingeschriebenen Zeitschichten illustriert. Die Historizität, Literarizität und Konstruiertheit von Galizien wird ein paar Zeilen später durch einen Verweis auf Joseph Brodsky unterstrichen: Ich glaube, es war Josif Brodski, der schrieb, das Wasser sei ein Spiegel der Zeit, womit er völlig recht hat. Wenn etwas untergehen oder in Vergessenheit geraten soll, kann man getrost darüber reden, weil es uns nicht widersprechen kann. Jedenfalls nicht aus der Perspektive der Ewigkeit.860

Damit ist Stasiuks Bezug zu Galizien klar: Es ist für ihn ein frei beschreibbarer Raum, ideal als Vorlage für Imaginationen. Galizien als kultureller Gedächtnisraum beruht auf Materialien des historisch-literarischen Archivs und Spuren: »Hier beginnt eine Strecke ohne alle Wegweiser, dafür umso mehr Spuren.«861: Die Poetik des Textes wird zum Instrument: Aber was soll man mit den seltsamen Inseln anfangen, auf denen gestern noch Menschen lebten und heute Gras die Grundrisse ihrer Häuser bedeckt und auf denen man den Instinkt eines Tieres oder die Übung eines Archäologen braucht, um die Spuren des noch gar nicht so lange vergangenen Lebens zu entdecken?862

Zerstörung und Vertreibung gelten als die dem Gebiet durch Spuren inskribierten Dispositionen: Stasiuks Texte schreiben in die der Spur immanente Lücke eine eigene Geschichte, sichtbar anhand des alten Lemkendorfs Czarne: Wenn ich jemanden aus dem Westen in diese Gegend mitnehme und ihm zu erklären versuche, daß er durch ein belebtes lärmendes Dorf geht, kann er nicht glauben, daß ich eine Geschichte erzähle, die fünfzig und nicht fünfhundert Jahre her ist. »Und nichts ist geblieben?« – »Nichts.«863

Das »Nichts« wird durch die vertextualisierte Geschichte durchbrochen und verliert seine Nichtigkeit. Diese Textstelle ist symptomatisch für Stasiuks Gali860 Stasiuk: Logbuch, S. 81; Stasiuk: Dziennik okre˛towy, S. 79–80: »To chyba Josif Brodski napisał, z˙e woda jest lustrem czasu, i miał zupełna˛ racje˛. Jes´li cos´ ma utona˛c´ albo byc´ zapomniane, moz˙na s´miało o tym mówic´, poniewaz˙ nie zada nam kłamu. Przynajmniej w perspektywie wiecznos´ci.« 861 Stasiuk: Logbuch, S. 88¸Stasiuk: Dziennik okre˛towy, S. 86: »Tutaj zaczyna sie˛ odcinek bez z˙adnych drogowskazów, natomiast pełen ´sladów.« 862 Stasiuk: Logbuch, S. 88; Stasiuk: Dziennik okre˛towy, S. 86: »Ale co pocza˛c´ z dziwnymi wyspami, gdzie jeszcze wczoraj mieszkali ludzie, a dzis´ trawa kryje zarysy ich domów i trzeba zwierze˛cego instynktu albo wprawy archeologa, by odkryc´ znaki niedawnego z˙ycia?« 863 Stasiuk: Logbuch, S. 88; Stasiuk: Dziennik okre˛towy, S. 86: »Gdy zabieram w te rejony jakiegos´ człowieka Zachodu i próbuje˛ mu wyjas´nic´, z˙e idzie przez ludna˛ i gwarna˛ wies´, nie moz˙e uwierzyc´, z˙e opowiadam historie˛ sprzed pie˛c´dziesie˛ciu lat, a nie sprzed pie˛ciuset. ›I nic nie zostało?‹. ›Nic.‹«

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zienreisen: Er erzählt »Geschichten« aus dem »Nichts.« Die von ihm an bestimmten, als Trigger funktionierenden Orten imaginierten Geschichten, ganz nach dem Muster von Simonides und der Mnemotechnik, betreten den Text und erschaffen eine in der Gegenwart de facto nicht mehr existierende Welt: »Diese historische Einöde wirkt wie ein Memento, wenn einem ein Satz einfällt, der nicht im Konditional steht.«864 Dabei kann das Memento vieles auslösen, ein »belebtes lärmendes Dorf«865 oder ein Markttreiben: Man trinkt ein Bier in der Graniczna-Straße, stellt sich mitten auf den Marktplatz, und die Phantasie schwillt an wie der Ballon im Physikunterricht […]: Ein Einspänner aus Iwonicz 3 Kronen, ein Zweispänner 7 Kronen, die Eilpostkutsche eine Krone fünfzig. Die Postkutsche geht um 06.00, um 7.30 und um 2.00 Uhr nachmittags. Schlafen kann man in der Herberge bei Lichtmann für eine Krone fünfzig, Essen im Frühstückszimmer bei Herrn Henryk Muzyk. Dreitausend Einwohner, zweieinhalb davon Juden. Man schreibt, sagen wir, das Jahr 1910.866

Bei dieser Beschreibung des Marktplatzes von Dukla handelt es sich um eine kreative Konstruktion der öffentlichen, kulturellen Vergangenheit, welche auf historischen Ereignissen und deren Überlieferungen basiert: Stasiuk erschafft anhand des literarisch-historischen Galizienarchivs ein Dukla »um das Jahr 1910« und verwendet hierfür als Quelle einen polnischen Reiseführer, auf welchen er nicht verweist.867 Im Original lautet der Text des Reiseführers wie folgt: Ein Einspänner aus Iwonicz nach Dukla kostet 3 K, ein Zweispänner 7 K, ein Platz in der Eilpostkutsche 1.50 K; sie fahren aus Iwonicz um 06.00 und 7.30 in der Früh, wie auch um 2.00 nachmittags ab. Herberge bei Lichtmann mit Restaurant (Zi. 1.50–2 K), überdies ein Restaurant im Casino und Frühstückszimmer bei Henryk Muzyk.868

Der polnische Heimatforscher Mieczysław Orłowicz (1881–1959) beschreibt in seinem Ilustrowany przewodnik po Galicji, Bukowinie, Spiszu, Orawie i S´la˛sku 864 Stasiuk: Logbuch, S. 89; Stasiuk: Dziennik okre˛towy, S. 87: »To historyczne pustkowie spełnia role˛ memento, gdy przychodzi do głowy jakies´ zdanie w trybie innym niz˙ warunkowym.« 865 Stasiuk: Logbuch, S. 88. 866 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 68; Stasiuk: Dukla, S. 44–45: »Wypija sie˛ piwo w Granicznej, wychodzi na s´rodek Rynku i wyobraz˙nia puchnie jak balon na lekcji fizyki: […] Doroz˙ka jednokonna z Iwonicza 3 korony, dwukonna 7 koron, dyliz˙ans korona pie˛c´dziesia˛t. Dyliz˙ans odchodzi o 6.00, 7.30 i o 2 po południu. Spac´ moz˙na w zajez´dzie u Lichtmanna za korone˛ pie˛c´dziesia˛t, zjes´c´ w pokoju s´niadaniowym u Pana Henryka Muzyka. Trzy tysia˛ce mieszkan´ców, z czego dwa i pół Z˙ydzi. Rok, powiedzmy, 1910.« 867 Orłowicz, Mieczysław: Ilustrowany przewodnik po Galicji, Bukowinie, Spiszu, Orawie i S´la˛sku Cieszyn´skim. Lviv: Akademicki Klub Turystyczny w Lwowie 1919; Reprint Krosno: Ruthenus 2004, S. 380–384. 868 Ebd., S. 380. Original: »Doroz˙ka jednokonna z Iwonicza do Dukli kosztuje 3 K, dwukonna 7 K, miejsce w dyliz˙ansie pocztowym 1.50 K; odjez˙dz˙aja˛ one z Iwonicza o godz. 6 i 7.30 rano, oraz o godz. 2 popołudniu. Zajazd Lichtmanna z restauracya˛ (pok. 1.50–2 K), nadto restauracye w Kasynie i pokój do s´niadan´ Henryka Muzyka.«

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Cieszyn´skim (IIlustrierter Reiseführer durch Galizien, die Bukowina, die Zips, die Arwa und das Teschener Schlesien) aus dem Jahr 1919 auf insgesamt vier Seiten Dukla. Nach 1989 wurde der Reiseführer als Reprint mehrmals herausgegeben und erfreut sich bis heute großer Beliebtheit, weshalb Stasiuks historische Daten größtenteils auf ihm beruhen, obwohl in der Erzählung auch ein anderen Reiseführer genannt wird869: Dukla i okolice (Dukla und Umgebung) von Janusz Michalak.870 Der Erzähler möchte ihn in Krosno kaufen, doch es gibt ihn nicht: »Über Dukla gab es nichts.«871 Das Fehlen jeglicher Reiseführer in der hiesigen Buchhandlung ist ein Indiz für die öffentliche Inexistenz des Ortes, dem der Text entgegenwirkt: »Und ich hatte mich nicht geirrt. Dukla war von Nichtexistenz bedroht.«872 Spuren bewahren den Ort vor der Inexistenz, wie die Ruinen der Synagoge873 und der orthodoxen Kirche, das Schloss mit seinen Bildern von Lorrain oder die Kirche der Hl. Maria-Magdalena mit dem Sarkophag der Amalia Brühl – alles Teile des postgalizischen Raumarchivs, welche durch die imaginative Komponente des historisch-literarischen Archivs ergänzt werden. Das Spiel mit der Bedeutung dieser Materialien wird an einer Textstelle deutlich: Der Erzähler thematisiert sein Desinteresse an der Geschichte dieses Ortes: »Wenn ich also auf Dukla zurückkomme, scheren mich nicht die Postkutschen und die Juden und alles übrige. Mich interessiert nur, ob die Zeit ein Einweg-Artikel ist […].«874 Ebenso vermitteln die Illustrationen von Kamil Targosz bildlich zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Imaginationen. Vom Stil erinnern sie an Bilder von Marc Chagall, Repräsentationen des ostjüdischen Erbes. Dukla war ein größtenteils jüdischer Ort. Im Unterschied zu Chagalls bunten Gemälden sind Targosz’ Bilder schwarz-weiß, Vergänglichkeit andeutend. Die Illustration der über der Stadt schwebenden Amalia Brühl, die in Form des Sarkophags der historischen Figur der Amalia Mniszech gezeigt wird, bringt dies gut zum Ausdruck.875 Auch wenn der Erzähler wiederholt auf die angebliche Bedeutungslosigkeit von historischen Figuren und Ereignissen hindeutet, stellt er sie immer wieder in den Mittelpunkt, was die Diskrepanz zwischen Inhalt und Form veranschaulicht: 869 Vgl. Stasiuk: Dukla, S. 38. 870 Michalak, Janusz: Dukla i okolice. Nie tylko przewodnik. Krosno, Dukla: Roksana, Urza˛d Miasta i Gminy 1996. 871 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 58; Stasiuk: Dukla, S. 38: »o Dukli nie ma nic.« 872 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 59; Stasiuk: Dukla, S. 39: »No i nie myliłem sie˛. Dukli groziło nieistnienie.« 873 Vgl. Stasiuk: Dukla, S. 41. 874 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 69; Stasiuk: Dukla, S. 45: »No wie˛c gdy powracam do Dukli nie obchodza˛ mnie dyliz˙anse ani Z˙ydzi ani reszta. Interesuje mnie tylko to, czy czas jest artykułem jednorazowego uz˙ytku.« 875 Stasiuk: Dukla, Abb. 3, S. 3–4.

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Wenn im Raum existierende Dinge kaputtgehen, bleibt eine Leere, die wir mit anderen Dingen füllen. […] Was aber, wenn die Mniszechs, die Juden und die Kutschen Leerstellen hinterlassen haben, Hohlräume, wie Brandlöcher von Zigaretten im Ausgehanzug?876

Die Beschäftigung mit historischen Figuren und Geschichte füllt Lücken und entspringt dabei einem individuellen Bedürfnis der Auseinandersetzung mit sich selbst: und in zweihundert Jahren wird mich jemand hier finden, zu seinem eigenen Fluch, denn er wird ein Netz von Mutmaßungen spinnen, die Maschen der Erzählung zusammenflicken müssen, um den eigenen Kopf zu füllen, um dieses innere Echo loszuwerden, um zu benutzen, was ihm gegeben, zu was er verdammt ist […].877

Erzählen als Überlebensstrategie mit dem Vermögen zwischen dem kulturellen, kollektiven Gedächtnis und der individuellen Erinnerung zu vermitteln, beruht im Text auf persönlichen Fragestellungen. »Die Landschaft hinter dem Fenster bestimmt mich. Um zu schreiben, brauche ich meine Geographie,«878 stellt Stasiuk 2010 in einem Interview fest. Johannes von Dukla In Dukla stehen zwei historische Figuren im Fokus: der Hl. Johannes von Dukla und Amalia Mniszchowa (Brühl). Beide repräsentieren den beskidischen Raum und waren dafür mitverantwortlich, dass Dukla zumindest zeitweise als Zentrum dieser Region angesehen wurde. Beide Figuren sind historisch nur bedingt mit Galizien verbunden, ihre Taten und deren Erbe sind jedoch für die galizische Geschichte von Bedeutung. Der Heilige Johannes von Dukla, der in Stasiuks Text als Gegenstück zu Amalia Brühl fungiert, wurde um 1410 in Dukla geboren und starb in odore sanctitatis 1484 in Lwiw. Über sein Leben ist nicht viel bekannt: Seine Ausbildung genoss er im Kindes- und Jugendalter wahrscheinlich in Dukla, Krosno oder Krakau.879 Die 876 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 68–69; Stasiuk: Dukla, S. 45: »Gdy niszczeja˛ rzeczy istnieja˛ce w przestrzeni, pozostaje po nich próz˙nia, która˛ napełniami innymi rzeczami. […] A jes´li po Mniszchowej, Z˙ydach i doroz˙kach zostały jakies´ miejsca, jakies´ nie zaje˛te przestrzenie, jakies´ dziury, podobne do tych wypalonych papierosem w wyjs´ciowym ubraniu?« 877 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 86; Stasiuk: Dukla, S. 56: »i za dwies´cie lat ktos´ mnie tutaj odnajduje na swoje przeklen´stwo, bo be˛dzie musiał snuc´ siec´ domysłów, sztukowac´ oczka opowies´ci, z˙eby wypełnic´ własna˛ głowe˛, z˙eby pozbyc´ sie˛ tego echa wewna˛trz, z˙eby wykorzystac´ to, co mu dano, to, na co go skazano […].« 878 Wierzejska, Jagoda: Przygody pisarza to tylko cze˛´sc´ podróz˙y. In: Nowe Ksia˛z˙ki 2 (2010), S. 4– 7; hier S. 5: »Determinuje mnie krajobraz za oknem. Do pisania potrzebuje˛ swojej geografii,« 879 Vgl. Wyczawski, Hieronim: Jan z Dukli. In: Lepszy, Kazimierz u. a. (Hrsg.): Polski Słownik Biograficzny. Bd. 10. Wrocław, Warszawa u. a.: Zakład Narodowy im. Ossolin´skich – Wydawnictwo Polskiej Akademii Nauk 1962–1964, S. 450.

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Legende besagt, dass er in seiner Jugend ein Einsiedlerleben unter dem Berg Cergowa südlich von Dukla führte. Eine weitere, bis heute lebendige Legende stellt Johannes von Dukla als Retter Lwiws dar, dessen Schutzpatron er bis heute ist. Bei der Belagerung der Stadt Lwiw im Jahr 1648 während des gegen die Adelsrepublik Polen-Litauen gerichteten Aufstands der Kosaken unter der Führung von Bohdan Chmel’nyc’kyj, unterstützt von den Krimtataren unter Tuhaj-Bej, soll Johannes von Dukla die Belagerer zum Abziehen bewogen haben. Seine Besonderheit war strikte Askese und moralische Strenge – selbst die Franziskaner waren ihm zu wenig enthaltsam, weshalb er 1463 zu den viel rigoroseren Bernhardinern übertrat. Weiters soll er die Gabe der Weissagung besessen haben.880 In Dukla wird besonders seine ökumenische Rolle betont, erneut im Rückbezug auf einen Reiseführer ohne genauere Angaben.881 1733 wurde Johannes von Dukla von Papst Klemens XII. selig und 1997 von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen.882 Damit verbunden kam es im Juni des gleichen Jahres zu einem päpstlichen Besuch in Dukla, den der Text vornehmlich als ein kommerzielles Phänomen beschreibt: Der religiöse Kult wird durch Kommerz ersetzt. Materialität und Spiritualität überschneiden sich und spiegeln sich in der »Materialisierung von Heiligkeit«883 wider. Ein Phänomen, das der Erzähler auch in der Gestalt des Großvaters kennenlernt, dazu später mehr. Die Feierlichkeiten zum Papstbesuch werden aus der Sicht des Erzählers jedenfalls zu einem von der Kommerzialisierung dominierten Jahrmarkt: An der Maria Magdalena bekommt man fluoreszierende Rosenkränze, phosphoreszierende Gottesmütter, ein ägyptisch-chaldäisches Traumbuch, und an der ParkowaStraße wird Fleisch am Rost gebraten. […] Eine kleine Alte in schwarz betrachtet die seligen Jans in unterschiedlichen Posen. Reihenweise stehen sie auf dem Preßspanntisch. Ein Typ mit Zigarette und Siegelringen paßt auf sie auf. Die größeren zu hundert, die kleineren zu achtzig, alle sind braun, vierzig sind es bestimmt, und noch warm.884

880 Vgl. Jan z Dukli. In: Karolczuk-Ke˛dzierska, Monika u. a. (Hrsg.): Encyklopedia Kresów. Kraków: Kluszczyn´ski 2005, S. 162. 881 Vgl. Stasiuk: Dukla, S. 55. 882 Jan z Dukli. In: Petrozolin-Skowron´ska, Barbara/Antos, Irena/Dylewski, Józef u. a. (Hrsg.): Nowa Encyklopedia Powszechna PWN. Bd. 3. Warszawa: Wydawnictwo Naukowe PWN 1996, S. 130. 883 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 126. 884 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 120; Stasiuk: Dukla, S. 78–79: »Pod Maria˛ Magdalena˛ moz˙na dostac´ fluorescencyjne róz˙ance, fosforyzuja˛ce Matki Boskie i Sennik EgipskoChaldejski, a przy Parkowej piecze sie˛ na rusztach mie˛so. […] Malen´ka staruszka w czerni ogla˛da błogosławionych Janów w róz˙nych pozach. Stoja˛ szeregami na laminatowym stoliku. Pilnuje ich koles´ z papierosem i sygnetami. Wie˛ksi po stówie, mniejsi po osiemdziesia˛t, wszyscy bra˛zowi, pewnie ze czterdziestu i jeszcze ciepli.«

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Abb. 9: Chmielnicki z Tuhaj-Bejem pod Lwowem / Chmielnicki mit Tuhaj-Bej bei Lemberg (1885), Jan Matejko (Quelle: Muzeum Narodowe w Warszawie).

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Stasiuk beschreibt die profane Verbindung der Geistlichkeit mit der Weltlichkeit: Es war Sonntag, und vor der Maria-Magdalena-Kirche weihte ein Priester eine Herde frischgewaschener Autos. Ein Stück weiter hatten Ukrainer ihre Ware auf verstaubten Shigulis ausgebreitet und sahen sich, die Hände auf der Brust verschränkt, diese heidnische Zeremonie an.885

Der Massenkonsum mit seinen Marken und Eigennamen wird zum Merkmal der Gegenwart, wobei sich erneut Zeitschichten überlagern: Stasiuk legt eine Klammer über den Ort und macht ihn zu einem grenz- und zeitüberschreitenden Zentrum. An die Stelle der Kultur ist der die Menschen verbindende, übernationale Kommerz getreten. Ironischerweise wird bei diesem Rummelfest der asketische Einsiedler heiliggesprochen, dem die enthaltsame Lebensweise zur Verwirklichung religiöser Ideale über allem stand. Amalia Im völligen Gegensatz zu Johannes von Dukla steht die zweite bedeutende historische Figur der Stadt, Maria Amalia Mniszchowa, die Machtstreben, Intrige, Dekadenz und Erotik verkörpert. Zwischen beiden Figuren gibt es ein Verbindungsglied: die Kapelle des Hl. Johannes von Dukla neben seiner Einsiedelei in Trzciana, einem kleinen Ort neben Dukla. Dieses kleine Gotteshaus ließ die Gräfin 1769 zu Ehren des Johannes von Dukla errichten, denn er soll ihr in einer Nacht erschienen sein und aufgetragen haben, eben an jener Stelle eine Kapelle zu errichten – sie folgte dem Auftrag. Das ursprüngliche Gebäude ist heute aufgrund eines Brands 1883 nicht mehr erhalten, doch auf seinem Platz befindet sich eine neugotische Kapelle aus dem Jahr 1908, die an den Heiligen und seine Erscheinung vor der Gräfin erinnert.886 Die historische Figur der Gräfin Maria Amalia Mniszchowa aus dem Haus Brühl (1736–1772) ist in zahlreichen Quellen verewigt. Sie ist die zweite mit Dukla verbundene prominente Persönlichkeit und in die Geschichte als eine »intelligente, scharfsinnige und gerissene«,887 obendrein »ehrgeizige und gutaussehende« »Diplomatin« und »Intrigantin«888 eingegangen. In Anwesenheit des Königs und der Königin heiratete sie am 14. Juli 1750 Hofmarschall Jerzy August 885 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 19–20; Stasiuk: Dukla, S. 13: »Była niedziela i przed Maria˛Magdalena˛ ksia˛dz s´wie˛cił stado wymytych samochodów. Kawałek dalej Ukrain´cy na zakurzonych z˙iguli rozłoz˙yli swoje towary i z re˛kami na piersiach przygla˛dali sie˛ tej pogan´skiej ceremonii.« 886 Vgl. Dukla. Transgraniczna informacja turystyczna w Dukli. Zabytki. Pustelnia ´sw. Jana w Trzcinie. http://it.dukla.pl/?page_id=863 [07. 09. 2016]. 887 Czaplin´ska, Maria: Mniszchowa z Brühlów Maria Amelia. In: Rostworowski, Emanuel u. a. (Hrsg.): Polski Słownik Biograficzny. Bd. 21. Wrocław, Warszawa u. a.: Polska Akademia Umieje˛tnos´ci 1976, S. 452–454; hier S. 454. 888 Ebd., S. 453.

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Mniszech und erlangte schnell politischen Einfluss. Verwandt mit der österreichischen Aristokratie und polyglott besuchte sie öfters den Hof von Maria Theresia in Wien, wo sie die Unterstützung der Kaiserin im Kampf gegen die Czartoryski-Familie zu erlangen versuchte. Beliebt bei Männern und dadurch sehr einflussreich, hatte sie auch eine dämonische Seite: Um ihre Tochter, Józefina, mit Stanisław Szcze˛sny Potocki zu vermählen, soll sie gemeinsam mit Franciszek Salezy Potocki, der zwischen 1756 und 1772 Woiwode der Woiwodschaft Kiew war889, zuerst zur Entführung, dann zur Gefangenschaft im Kloster in Lwiw und anschließend zum Tod von Gertruda Komorowska, der zu diesem Zeitpunkt schwangeren Gattin von Potocki, den sie sich als Schwiegersohn für ihre Tochter wünschte, beigetragen haben.890 Das erwähnt Stasiuk durchaus in seinem Text und lässt ihre Intrigenspiele nicht außer Acht: Hundert Jahre später zog Maria Amalia, Tochter von Brühl, im Schloß von Dukla ein, jenes Brühl, der das Zepter von August III führte und Geißel von Polen wie von Sachsen war; die Tochter stand dem Vater in Intrige und Großmannssucht in nichts nach, sie interessierte sich gleichermaßen für Rubens, Theater und Meuchelmorde und war, wie man erzählte, auch an der Ertränkung Gertruda Komorowskas in der Huczwa beteiligt. Jene hatte unvorsichtigerweise Szcze˛sny Potocki geheiratet, der von Amalia als Schwiegersohn und Ehemann für ihre Józefina auserkoren war. So war das.891

Erneut spielt Stasiuk mit der Vergangenheit bzw. dem kulturellen Gedächtnis. In der polnischen Fassung wird nebstdem für die Ertrunkene ein falscher Name angegeben – Gertruda Konarska.892 Ob es sich einfach um einen Fehler oder eine beabsichtigte Verfremdung handelt, bleibt ungewiss. Durch die Abänderung des Nachnamens der Ertrunkenen als auch des Flusses (die Quellen sind sich bei der genauen Lokalisierung uneins, ausgegangen wird aber von einem Gebiet weiter nördlich in der Umgebung von Jastrze˛bnica und Witków893 bzw. dem linken Zufluss des Bugs, dem Fluss Rata) erzielt Stasiuk, zumindest in der polnischen 889 Vgl. Czeppe, Maria: Potocki Fraciszek Salezy. In: Wis´niewski, Jerzy u. a. (Hrsg.): Polski Słownik Biograficzny. Bd. 27. Wrocław, Warszawa u. a.: Polska Akademia Umieje˛tnos´ci 1983, S. 814–823. 890 Vgl. Czaplin´ska: Mniszchowa z Brühlów, S. 454; Rostworowski, Emanuel: Potocki Stanisław Szcze˛sny. In: Rostworowski, Emanuel u. a. (Hrsg.): Polski Słownik Biograficzny, Bd. 28. Wrocław, Warszawa u. a.: Polska Akademia Umieje˛tnos´ci 1984–85, S. 183–202; hier S. 184. 891 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 31; Stasiuk: Dukla, S. 21: »A sto lat póz˙niej wprowadziła sie˛ do dukielskiego pałacu Maria Amalia, córka Brühla, tego, który kierował berłem Augusta III i trza˛sł tak Polska˛, jak i Saksonia˛, a córka godna była ojca w intrydze i w ges´cie, bo po równo interesowała sie˛ Rubensem, teatrem oraz skrytobójstwem, bo, jak powtarzano, maczała palce w utopieniu w Huczwie Getrudy Konarskiej, która nieopatrznie wyszła za Szcze˛snego Potockiego, a tymczasem Amalia jego włas´nie upatrzyła sobie na zie˛cia i me˛z˙a swojej Józefiny. Tak było.« 892 Vgl. Stasiuk: Dukla, S. 21. 893 Rabowicz, Edmund: Potocka z Komorowskich Getruda. In: Wis´niewski: Polski Słownik Biograficzny, S. 738–740; hier S. 739.

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Fassung des Textes, einen Verfremdungseffekt, den er mit seinem »So war das« auf die Spitze treibt. Bedenkt man, dass es sich bei der Ertränkungsgeschichte womöglich um eine Legende handelt, die von Franz Kratter im 22. Brief seiner Briefe über den itzigen Zustand von Galizien. Ein Beytrag zur Staatistik und Menschenkenntnis894 (1786) und von Alphons Heinrich Traunpaur Chevalier d’Ophanie im dreizehnten Brief seiner Dreißig Briefe über Galizien oder Beobachtungen eines unpartheyischen Mannes, der sich mehr als nur ein paar Monate in diesem Königreiche umgesehen hat895 schriftlich weitergegeben wurden, worauf Józef Ignacy Kraszewski in seinem Vorwort zur Staros´cina bełzka896 aufmerksam macht, so wird Stasiuks Umgang mit der Vergangenheit im Text klar: Es handelt sich um einen kreativen Umgang mit der öffentlichen kulturellen Vergangenheit, eine Strategie, der sich Stasiuk öfters bedient. Auch ein anderer, für diese Untersuchung wichtiger Aspekt wird deutlich: der Zugriff auf das historisch-literarische Archiv und die darin enthaltenen Archivmaterialien. In diesem Fall die verschiedenen Geschichten über Personen mit all ihren Legenden. Durch diesen Rückgriff stellt Stasiuk seinen galizischen Reisetext in direkte Verbindung zum ersten Reisebericht zu Galizien, wodurch er sich in diesen Diskurs einschreibt. In der Darstellung der Figur der Amalia sieht man die Vielschichtigkeit des Archivs Galizien besonders gut. Des Weiteren ist diese Geschichte in der polnischen Literatur durchaus bekannt und zwar durch Antoni Malczewskis lyrischen Roman Marya,897 erstmals im Jahr 1825 publiziert, dem die historischen Ereignisse um Getruda Komorowska als Vorlage dienen. In Bezug auf Dukla und Getruda Komorowska ist das historisch-literarische Archiv also gut gefüllt. Doch zurück zur Gräfin: Mniszchowa starb kurz nach dem Vorfall im Alter von knapp 36 Jahren in Dukla, wohl an Tuberkulose, wobei manche auch von einer Vergiftung sprechen.898 Zu Ehren seiner Frau ließ Jerzy Mniszech für sie 1773 in der Maria-Magdalena-Kirche einen Rokoko-Sarkophag von Jan Obrocki aus Lwiw errichten, die Grabschrift stammt von Rafał Modlibowski. »Sie wirkt gerade so, als ob sie auf dem Liegesofa ihres Boudoirs mit einem Buch in der Hand eingenickt wäre,«899 so beschreibt der polnische Kunsthistoriker Jerzy 894 Vgl. Kratter: Briefe über den itzigen Zustand von Galizien, S. 185–188. 895 Vgl. Traunpaur: Dreißig Briefe über Galizien, S. 61–65. 896 Vgl. Kraszewski, Józef Ignacy: Staros´cina bełzka (Gertruda z hr. Komorowskich hr. Potocka). Opowiadanie historyczne 1770–1774. Warszawa: S. Orgelbrand 1858. https://polona.pl /item/1007687/8/ [07.09. 2016], S. 7–8. 897 Malczewski, Antoni: Marya. Powies´c´ ukrain´ska wierszem. Sanok: Karol Pollak 1855. 898 Vgl. Czaplin´ska: Mniszchowa z Brühlów, S. 452–454. 899 Kowalczyk, Jerzy: Die Bedeutung des wettinischen Königshofes für den kulturellen und künstlerischen Austausch – Polen in Sachsen, Sachsen in Polen. In: Rexheuser, Rex (Hrsg.): Die Personalunionen von Sachsen-Polen 1697–1763 und Hannover-England 1714–1837. Ein Vergleich. Wiesbaden: Deutsches Historisches Institut Warschau 2005, S. 201–220; hier: S. 217.

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Abb. 10 : Grabmal von Amalia Mniszech in der St. Maria Magdalena-Kirche in Dukla (1773), Jan Obrocki (Quelle: Wikimedia Commons, Robert Niedz´wiedzki, 2011).

Kowalczyk die Pose der Gräfin auf ihrem Sarkophag aus schwarzem und weißem Marmor, der die Tote in modischer Hofkleidung mit zahlreichen Spitzen und einer Haube auf dem Kopf darstellt.900 Ähnlich ist die Beschreibung Stasiuks: »Dieser Rokoko-Tod riecht stark nach Boudoir.«901 Dieser »Rokoko-Tod« ist nun das materielle Ausgangsobjekt für Stasiuks Anbetungen und Imaginationen, die sogar auf einer der Illustrationen des Buches zu finden ist.902 Doch nicht nur er verarbeitete die historische Gestalt der Aristokratin aus Dukla literarisch. Auch Miron Białoszewski in Dukla Amaliowa903 oder Józef Ignacy Kraszewski in Staros´cina bełzka904 verewigten diese faszinierende Persönlichkeit.

900 Jerzy Kowalczyk verweist auf die hohe Qualität der Ausführung des im weltlichen Stil gehaltenen Sarkophags und stellt die Behauptung auf, dass dieser aufgrund seiner »absoluten Spitzenklasse« wahrscheinlich von einem französischen oder sächsischen Künstler stammen müsste. Dabei verweist er auch auf Tadeusz Man´kowskis Ansicht, dass das Grabmal aus der Lwiwer Werkstatt von Franciszek Ole˛dzki stammt, wodurch erneut ein galizischer Bezug hergestellt wäre. Vgl. Kowalczyk: Polen in Sachsen, Sachsen in Polen, S. 217. 901 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 31; Stasiuk: Dukla, S. 21: »Ta rokokowa s´mierc´ bardzo pachnie buduarem.« 902 Vgl. Stasiuk: Dukla, Abb. 3, S. 3–4. 903 Białoszewski, Miron: Dukla Amaliowa. In: Tygodnik Powszechny, 18. 1. 1976. 904 Kraszewski: Staros´cina bełzka.

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Abb. 11 : Portret vom Maria Amalia Fryderyka Mniszch, Autor: Józef Szemloth (?), Zeichnung, nach 1826 (Quelle: Biblioteka Narodowa, R.3480/I).

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Für die Entwicklung der Stadt Dukla war die Gräfin äußerst bedeutend. Die Familie Mniszech zog samt ihrem polnisch-sächsischen Hof nach dem Tod August III. in die Kleinstadt.905 Als kunst- und schönheitsaffine Mäzenin ließ Maria Amalia die Stadt Dukla umbauen, die Schloss- und Gartenanlage neu gestalten und zahlreiche Kunstwerke (Bilder von Rubens, Wouwerman, Claude-Lorrain, Lampi etc.906) erwerben.907 Das Schloß mit den Kunstwerken ist eines der Ziele der Spaziergänge des Erzählers durch Dukla. Daneben unterhielt die Familie Mniszech eine Musikkapelle und errichtete im Garten ein Theater, in dem die Familienmitglieder polnische zeitgenössische Theaterstücke aufführten. Durch Maria Amalia und ihren Ehemann kam es zu einer Neubelebung der Stadt in kultureller und architektonischer Hinsicht. Dukla erlebte seine Glanzzeit: Das Schloss wurde umgebaut, das Bernhardinerkloster samt dazugehöriger Kirche fertiggestellt, die Maria-Magdalena-Kirche nach neuester Mode in sächsischem und französischem Rokoko neu gestaltet. Sogar eine der ersten Freimaurerlogen in Polen wurde hier, je nach Quelle 1743 oder 1755, von Jerzy August Mniszech, Baron Piotr Le Fort sowie Jerzy Wielhorski und Michał Ogin´ski gegründet.908 Zweifellos gehört Maria Amalia zu den bedeutendsten und geheimnisvollsten Persönlichkeiten Duklas. Demnach ist es nicht verwunderlich, dass ihr Stasiuk ein Denkmal setzt. Er erinnert an die Familiensaga der Mniszechs ausgehend vom Sarkophag der Amalia sowie dem Schloss mit seiner Sammlung, die er eingehend beschreibt. Dabei bildet die Familiengeschichte eine Brücke zwischen Privatem und Öffentlichem, Vergangenem und Gegenwärtigen. Amalia Brühl ist nicht nur ein erotisches, kulturelles und poetisches Element, sondern auch ein geopolitisches: Durch ihre eigene Biographie verortet sie Dukla im europäischen Raum. Stasiuk stellt dem die eigene Biographie und die eigenen Bedürfnissen gegenüber. 5.1.1.2 Individueller Erinnerungsraum: Individuelles Archiv Wenn Galizien als individueller Erinnerungsraum fungiert, werden die persönlichen Erinnerungen des Erzählers aus seinem eigenen Archiv vertextualisiert. In Dukla ist es die Erinnerung an die Kindheit, an die sommerlichen Besuche bei der Großmutter und dem Großvater am Land, sowie an die erste Jugendliebe des Erzählers.

905 Vgl. Kowalczyk: Polen in Sachsen, Sachsen in Polen, S. 217. 906 Vgl. Orłowicz, Mieczysław/Kordys, Roman: Illustrierter Führer durch Galizien. Wien, Leipzig: Hartleben 1914, Reprint Berlin: Scherer 1989, S. 191. 907 Vgl. Czaplin´ska: Mniszchowa z Brühlów, S. 453. 908 Vgl. Czaplin´ska, Maria: Mniszech Jerzy August Wandelin. In: Rostworowski: Polski Słownik Biograficzny, S. 470–474, hier S. 473.

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Mit der Figur der Gräfin Mniszech hängt die Erinnerung an das erste Verliebtsein zusammen, bei einem seiner Sommerbesuche bei Verwandten auf dem Land um das Jahr 1973.909 Eine erotische Dimension erscheint: die Erinnerung an die erste Liebe verbindet sich mit der Faszination vom Sarkophag in der MariaMagdalena-Kirche bzw. der Figur der Amalia Brühl, wie im Text die Gräfin Maria Amalia Mniszech genannt wird. Das lebendige Anbetungsobjekt beobachtet er erstmals beim Tanzen in der benachbarten Ferienanlage, in ihrem hautengen weißen Kleid hebt sich die junge Frau deutlich von den anderen ab.910 Im Anschluss dominieren die Gedanken an sie sowie das Verlangen nach einem Wiedersehen den Text. Zum Treffen zwischen den beiden kommt es nur selten. Das letzte und intensivste Mal begegnet er ihr in der öffentlichen Duschanlage: Er reicht ihr das Handtuch, sieht zum ersten Mal einen nackten Frauenkörper, sie berührt ihn an Gesicht und Nacken. Zum Wortwechsel kommt es kein einziges Mal. Nach ihrer Abreise sucht der Erzähler erneut den Ort der Begegnung, die Dusche, auf. Dort erinnert er sich der vergangenen Begegnung und beschwört die Anwesenheit des Mädchens durch die Materie herauf: »Also stand ich fast reglos da und setzte diese blasphemische Parodie ihrer Existenz in Szene. […] Denn all das war wie ein lebendiges Grab, wie etwas Eingeschläfertes.«911 Durch die Materialität des konkreten Ortes kommen die Erinnerungen hoch. »Das lebendige Grab« bildet ein Verbindungsglied zum Sarkophag der Amalia Brühl, der ebenfalls eine erotische Faszination auf den Erzähler ausübt und für ihn zum Ausgangspunkt zahlreicher Imaginationen wird. Die historische Figur wird zu einer Klammer zwischen Privatem und Öffentlichem, wobei sie wie der Hl. Johannes von Dukla die Verbindung zwischen dem kollektiven, kulturellem Gedächtnis und der individuellen Erinnerung darstellt. So wie er zunächst als Dreizehnjähriger, angetrieben durch Begierde beständig die Ferienanlage durchstreift, in der Hoffnung seinem Lustobjekt, dem jungen, sinnlichen dunkelhaarigen Mädchen zu begegnen, sucht er nun als Erwachsener die MariaMagdalena-Kirche auf, um Amalia anzutreffen. Bei einem seiner Besuche imaginiert er ihre Auferstehung: […] und [ich] sah, daß Amalia sich auf ihrem Lager aufgesetzt hatte. […] Sie reckte sich. Die Haube rutschte ab, und das lange Haar floß auf ihren Schultern. Sie warf es zurück, stützte sich mit den Händen auf den Rand des Lagers und wandte das Gesicht dem schmalen Fenster zu, […]. Ihr magnetisches Skelett zog aus der Luft Elementarteilchen 909 Vgl. Stasiuk: Dukla, S. 28. 910 Die Figur hat große Ähnlichkeit mit der Figur der Marys´ka aus Opowies´ci galicyjskie, zwischen beiden Werken sind überhaupt starke Bezüge festzustellen. Vgl. Stasiuk: Opowies´ci galicyjskie, S. 94–101. 911 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 71–72; Stasiuk: Dukla, S. 47: »No wie˛c stałem niemal nieruchomo i odprawiałem bluz´niercza˛ parodie jej istnienia. […] Bo to wszystko było jak z˙ywy grób, jak cos´ us´pionego na s´mierc´.«

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an und bildete ihren früheren Körper nach. […] Alles, was ich im Leben gesehen hatte, alles, was andere gesehen hatten, ging in sie ein und gewann Gestalt. […] Die Auferstehung muss aus etwas bestehen. […] Alle Verstorbenen, alle ein für alle Mal vergangenen, verlorenen Dinge, verschollene Weltkrümel, Zeitspäne, alte Aussichten aus Fenstern, alles, was gewesen war und niemals zurückkommt, verwandelte sich jetzt in ihren Körper.912

Amalia, ihr Sarkophag und ihre Auferstehung sind Symbol der individuellen Aneignung und kreativen Umgestaltung einer historischen, in Dukla vergegenwärtigten Tradition: Das Dukla da draußen hatte aufgehört zu existieren. Es war in sie eingegangen samt allen Ereignissen, die ich erlebt, die ich eines nach dem anderen ihrem ruhigen Untergang hatte entgegengehen sehen. Und niemals kam mir eine Idee zur Wiederbelebung, außer der Erinnerung – dieses Bankerts der Zeit, der sich nie je zähmen ließ.913

Der Erzähler »begibt sich in die Kirche von Dukla, wo jenes Mädchen von vor über zwanzig Jahren und alles, was bisher der Erinnerung entglitt, aufersteht in den Figur der Amalia,« wie es Maciej Lecin´ski in einer der ersten Rezensionen des Buches auf den Punkt bringt.914 Der Sarkophag lässt auch die Erinnerung an die eigene Kindheit im Warschauer Stadtviertel Gróchow hochkommen, die Erinnerung an die Mutter und die allwöchentlichen Kirchenbesuche. Dabei wird deutlich, dass die MariaMagdalena-Kirche mit dem Sarkophag der Amalia für Stasiuk universell ist: »Und nun fielen mir all die Kirchen ein, in denen ich gewesen war.«915 Damit nimmt sie im Werk Stasiuks eine Stellung ein, die genauso auf Dukla und Galizien angewendet werden kann, wobei die Verbindung zwischen Materialität und Heiligtum sowie Realität und Imagination ausschlaggebend ist:

912 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 139–140; Stasiuk: Dukla, S. 90–91: »[…] i zobaczyłem, z˙e Amalia usiadła na swoim posłaniu. […] Przecia˛gne˛ła sie˛. Zsuna˛ł sie˛ czepek i długie włosy spłyneły na ramiona. […] Jej magnetyczny szkielet przycia˛gał z przestrzeni elementarne cza˛stki i odtwarzał dawne ciało. […] Wszystko, co widziałem w z˙yciu, wszystko, co widzieli inni wchodziło w nia˛ i przebierało kształt. […] Zmartwychwstanie musi sie˛ z czegos´ składac´. […] Wszyscy umarli, wszystkie minione raz na zawsze rzeczy, zagubione, przebrzmiałe okruchy s´wiata, ostruz˙yny czasu, dawne widoki z okien, wszystko co było i nigdy nie powróci zmieniało sie˛ teraz w jej ciało.« 913 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 140–141; Stasiuk: Dukla, S. 91: »Dukla przestawała istniec´ za ´sciana˛. Weszła w nia˛ razem z reszta˛ zdarzen´, które przez˙yłem, patrza˛c, jak odchodza˛ po kolei ku spokojnej zagładzie. I nigdy z˙aden pomysł na wkrzeszenie nie przyszedł mi do głowy, z˙aden prócz pamie˛ci – tego be˛karta czasu, nad którym nikt nigdy nie miał władzy.« 914 Lecin´ski, Maciej: Dziura. In: Czas Kultury 1 (1998), S. 109: »udaje sie˛ do dukielskiego kos´cioła, gdzie dziewczyna sprzed dwudziestu paru lat oraz wszystko to, co do tej pory umykało pamie˛ci – zmartwychwstaje w postaci Amalii.« 915 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 89; Stasiuk: Dukla, S. 58: »I wtedy przypomiałem sobie wszystkie kos´cioły, w których byłem.«

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In jenen Jahren verkörperte sich alles ein für allemal, kein Gedanke bringt das jetzt mehr auseinander, […] denn die Wirklichkeit hat das Symbol geschluckt, und das Symbol sich zur Wirklichkeit gemausert. Und als ich am Grab von Amalia stand, begriff ich mit einem Mal, daß damals, […] alles Unsichtbare in hölzerne, steinerne, räumliche und farbige Formen gepreßt worden war und alles Spätere nur Fiktionen waren, aufgespult auf reale Kerne […].916

Damit steht Amalia für eine Aussage über die Welt an sich: »Diese Kirche mit ihrer Schutzherrin, ihren Widerspiegelungen, ihrer Fiktion und Amalia ist, so dachte ich, menschlicher, als es scheinen mag.«917 Das Menschliche, das sich in der realen Materie spiegelt, ist beliebig. Alles kann an seiner Stelle Platz finden – Amalia als Imaginationsfläche für Universelles. Eine andere individuelle Erinnerung, die während seiner Aufenthalte in Dukla zum Vorschein kommt, ist die an Verwandte, vor allem die Großeltern. Der Großvater wird als arbeitsamer und strenger Mensch in dauernder Bewegung charakterisiert, dessen tiefer Glaube und die von ihm in seinem Haus mit den älteren Frauen aus dem Dorf abgehaltenen Messen und Litaneien im Enkel zum ersten Mal das Gefühl eines Widerspruchs entstehen lassen: »Ich fühlte mich von der Wirklichkeit verraten.«918 Erstmals im Leben spürt er den Gegensatz zwischen Materialität und Spiritualität (die zuvor im Kontext von Mitteleuropa und dem Hl. Johannes von Dukla behandelt wurden) sowie zwischen Realität und Imagination. Auch die Großmutter vereinigt diese zwei gegensätzlichen Sphären miteinander, die durch die Verbindung der Gegenwart und Vergangenheit sowie des Lebens und des Todes zum Ausdruck kommen. Sie sieht Geister und erzählt emotionslos von ihnen, als ob sie Teil der alltäglichen Welt wären: »Verwandte und Bekannte kamen eben einfach mal zu Besuch. Sie kamen aus der Vergangenheit […].«919 Die Vergangenheit ist Teil der Gegenwart, was sich in einer Initiation des Erzählers versinnbildlicht: Er wird durch das Hinscheiden der Großmutter zum ersten Mal mit dem Tod konfrontiert, der für ihn durch ihre Geschichten nicht endgültig ist: »und [ich] spürte, daß dieser Tod, und vielleicht 916 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 89–90; Stasiuk: Dukla, S. 59: »Wszystko w tamtych latach wcieliło sie˛ raz na zawsze i z˙adna mys´l teraz tego nie rozdzieli […], bo rzeczywistos´c´ połkne˛ła symbol, a symbol porósł pierzem realnos´ci. I stoja˛c u grobu Amalii poja˛łem w jednej chwili, z˙e wówczas […] wszystkie niewidzialne rzeczy zostały wcis´nie˛te w drewniane, kamienne, przestrzenne i barwne formy, a cała reszta potem to były tylko fikcje, nizane na realne rdzenie […].« 917 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 88; Stasiuk: Dukla, S. 59: »Pomys´lałem sobie, z˙e ten kos´ciół ze swoja˛ patronka˛, odbiciami, fikcja˛ i Amalia˛ jest bardziej ludzki niz˙ sie˛ na pozór mogło wydawac´.« 918 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 96; Stasiuk: Dukla, S. 63: »Czułem, jak zdradza mnie rzeczywistos´c´.« 919 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 134; Stasiuk: Dukla, S. 87: »Krewni i znajomi poprostu ja˛ odwiedzali. Przychodzili z przeszłos´ci […].«

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der Tod überhaupt, zu sehr – wie soll ich sagen – an die große Glocke gehängt wurde. Ich spürte, daß es meine Großmutter nur ein bisschen nicht mehr gab. […] Mit anderen Worten, ich wußte, daß sie lebte.«920 Erinnerungen an private Geschichten überkommen den Erzähler in Dukla: »Na ja. Ich stehe an der Parkmauer in Dukla und betreibe Ahnenkult.«921 Der konkrete Ort bringt die Erinnerungen in Gang. 5.1.1.3 Verbindungsglieder Wie die Gräfin Amalia Mniszech die Beziehung zu seiner Jugendliebe erschließt, so stellt der Hl. Johannes von Dukla durch Religion und Askese die Verknüpfung zu den Großeltern her. Auf diese Weise konstruiert Stasiuk eine Verbindung zwischen dem Öffentlichen und Privaten, dem Kollektiven und Individuellen. Die Figuren vereinigen noch mehr: Zeit und Raum, Materialität und Spiritualität sowie Realität und Imagination. Als Verbindungsglieder zwischen dem im Raum abgespeicherten kulturellen, kollektiven Gedächtnis und den individuellen Erinnerungen an die Personen des privaten Lebens, bekommen sie eine gesonderte Rolle in der Erzählung, denn durch sie kann eine historische Verbindung zwischen ambivalenten Sphären erzeugt werden. Die privaten Geschichten und der Raum treten miteinander verbunden in den Vordergrund: »Die authentische Wiedergabe individueller Erfahrungen dominiert über die Vermittlung eines kollektiv erarbeiteten und tradierten historischen Gedächtnisses.«922 In Stasiuks Dukla und seinem galizischen Raum dominiert die private Geographie und Erinnerung über die Historie, die trotzdem im Text deutlich wird und als Nahtstelle zwischen dem Raum als Gedächtnisspeicher des kollektiven kulturellen Gedächtnisses und Auslöser von individuellen privaten Erinnerungen fungiert, die beide untrennbar miteinander verbunden sind: Es ist wie mit der Erinnerung, die an einem Punkt ansetzt, einem Sprenkel, um dann Schichten aufzuhaspeln und immer größere Kreise zu ziehen, bis sie uns schließlich verschlingt und in einer Fülle ertränkt, die so überflüssig ist wie ein Kropf, und dann treten wir den Rückzug an, kehren um, tun so als wären wir da zufällig hineingeraten, wider Willen, als habe uns jemand da hineingeritten, uns verführt wie ein Kind, und

920 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 135; Stasiuk: Dukla, S. 87–88: »[…] i czułem, z˙e ta ´smierc´, i moz˙e s´mierc´ w ogóle, to sa˛ rzeczy – jakby to powiedziec´ – nieco przereklamowane. Czułem z˙e babki tylko troche˛ nie ma. […] Innymi słowami, wiedziałem, z˙e z˙yje.« 921 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 135; Stasiuk: Dukla, S. 88: »No tak. Stoje˛ pod parkowym murem w Dukli i uprawiam kult przodków.« 922 Prunitsch: Ostatni obwarzanek, S. 52.

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jetzt wollen wir nur noch zur Mama und uns unter ihrem Rock ausheulen vor Scham und Hilfslosigkeit.923

Stasiuk greift auf ein idiosynkratisches Archiv zurück. Er befüllt das Archiv Galizien mit eigenen Erinnerungen und erzeugt damit ein individualisiertes Galizienbild auf der Basis des historischen Galiziens.

5.1.2 Fazit Die Vergangenheit ist bei Stasiuk konkret an den Raum, den Ort und die Materie gebunden und löst die Imaginationen der Erinnerungen aus: Dukla voll von Raum, in dem Bilder ausgebrütet werden und die Vergangenheit dich überfällt und die Zukunft dich nichts mehr angeht, und ich könnte bis zum Dösigwerden auf der Westseite des Marktes sitzen, bis zur endgültigen Demenz, wie ein Dorftrottel, ein Weichsel-Buddhist […].924

Galizien als Bilder einlagernder Raum, wo Geographie und Vergangenheit den Text bestimmen. Der Umgang mit der Vergangenheit findet auf zwei unterschiedliche Weisen statt. Erstens lässt die Erfahrung des Raums generell Erinnerungen hochkommen, die nicht unbedingt in diesem Raum stattgefunden haben müssen. Zweitens greift Stasiuk auf das postgalizische Raumarchiv zurück, verwendet den Ort als Gedächtnisraum, in dem Dinge eingespeichert sind, die ihn an historische Ereignisse und Personen erinnern. Das Private ist wichtiger als das Kollektive. In dieser von Stasiuk entworfenen idiosynkratischen Welt ist Galizien das metaphysische Zentrum, in welchem sich unterschiedliche Zeitschichten überlagern und der Autor auf sein vielschichtiges Archiv zurückgreift. Diese Aspekte lassen ein vieldimensionales Galizienbild entstehen, das schlussendlich einen postgalizischen Raum und somit Galizien frei nach Stasiuk darstellt, sein idiosynkratisches Galizien.

923 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 64; Stasiuk: Dukla, S. 42: »Podobnie jak pamie˛c´, która zaczyna sie˛ od punktu, od kropki, a potem mota sie˛ warstwami i zatacza coraz wie˛ksze kre˛gi, by nas pochłona˛c´ i na koniec zgubic´ w guzik potrzebnej obfitos´ci, i wtedy zaczynamy sie˛ cofac´, zawracac´, udawac´, z˙e wdepne˛lis´my w to wszystko przez przypadek i niechca˛cy, z˙e włas´ciwie ktos´ nas wrobił, uwiódł jak dziecko i teraz chcemy tylko do mamy, z˙eby pod kiecka˛ płakac´ ze wstydu i bezsilnos´ci.« 924 Stasiuk: Die Welt hinter Dukla, S. 101; Stasiuk: Dukla, S. 66: »Dukla wypełniona przestrzenia˛, w której legna˛ sie˛ obrazy i dopada przeszłos´c´, a przyszłos´c´ przestaje obchodzic´ i mógłbym siedziec´ na zachodniej stronie Rynku az˙ do otumanienia, do ostatecznej demencji, niczym jakis´ wiejski głupek, czeres´niacki buddysta […].«

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Eine andere Art von idiosynkratischem Archiv stellen die Ukraine und Galizien für Ziemowit Szczerek dar. »Mordor« wird der Osten genannt, angelehnt an das Dunkle Reich aus Tolkiens Der Herr der Ringe. Je nach Betrachter verschiebt sich der Osten bzw. Mordor immer weiter östlich. Mit seinen Texten schlägt der polnische Publizist und Schriftsteller aber einen ganz anderen Weg ein als die Reisenden vor ihm: Von der Literatur der amerikanischen Beat-Generation der 1950er Jahre inspiriert, beschreibt er seine Reisen im Gonzo-Stil: satirisch, überzeichnet, subjektiv. Galizien und die Ukraine dienen ihm als ein Feld zur Neudefinition der Ost-West-Dichotomie unter besonderer Berücksichtigung des postsowjetischen Erbes. Von Stereotypenbrüchen, Selbstreflexionen und Identitätsverhandlungen über allgemeine Auseinandersetzungen mit Geschichte und ihrer Instrumentalisierung bis zur Satire auf den nostalgischen Kresy-Tourismus – soweit reicht die thematische und rhetorische Skala des erfolgreichen Romans Przyjdzie Mordor i nas zje, czyli tajna historia Słowian (Mordor kommt und frisst uns auf; 2013). Der satirische, Faktizität und Fiktion vermischende Text stieß auf ein großes öffentliches Interesse, ebenso wie weitere Texte des jungen polnischen Autors, die sich der Region Ostmitteleuropa und vor allem auch Polen widmen: Tatuaz˙ z tryzubem (Tattoo mit Dreizack; 2015)925 Mie˛dzymorze926 (Intermarium;927 2017), Siwy dym albo pie˛´c cywilizowanych plemion928 (Grauer Dunst oder fünf zivilisierte Stämme; 2018) und Via Carpatia. Podróz˙e po We˛grzech i Basenie Karpackim929 (Reisen in Ungarn und im Karpatenbecken; 2019). Sein Schaffen vergleicht man mit dem von Stasiuk, wobei sich beide Autoren ähneln: Der polnische Politikwissenschaftler Adam Balcer wirft in einem Anfang 2017 erschienen Artikel mit dem vielsagenden Titel Orientalizm. Wersja polska (Orientalismus. Polnische Version) Szczerek und Stasiuk vor, in ihren Texten die Stereotype über den Osten bzw. den östlichen Charakter Polens samt seines scheinbaren Okzidentalismus unbewusst zu verfestigen.930 Szczerek meldet sich nach diesen Vorwürfen zu Wort und bestreitet jene: Balcer habe die Ironie und

925 Szczerek, Ziemowit: Tatuaz˙ z tryzubem. Wołowiec: Czarne 2015. 926 Szczerek, Ziemowit: Mie˛dzymorze. Podróz˙e przez prawdziwa˛ i wyobraz˙ona˛ Europe˛ S´rodkowa˛.Wołowiec: Czarne 2017. 927 Szczerek, Ziemowit: Intermarium (Auszüge). Aus d. Polnischen v. Thomas Weiler. In: Jahrbuch Polen 2019, S. 175–200. 928 Szczerek, Ziemowit: Siwy dym albo pie˛c´ cywilizowanych plemion. Wołowiec: Czarne 2018. 929 Szczerek, Ziemowit: Via Carpatia. Podróz˙e po We˛grzech i Basenie Karpackim. Wołowiec: Czarne 2019. 930 Vgl. Balcer, Adam: Orientalizm. Wersja polska. In: Nowa Europa Wschodnia 2 (2017), S. 58– 67; hier: S. 58.

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Kritik der Texte nicht herausgelesen.931 Tatsächlich, Szczerek überspitzt, ironisiert, erfindet und lässt dies den Erzähler im Roman reflektieren: »Inzwischen kann ich gar nicht mehr sagen, wo bei der Geschichte die Wahrheit aufhört und wo die Erfindung anfängt.«932 Die Texte behandeln den Orientalismus und den überheblichen Blick des Westens auf den Osten. Inwieweit Szczerek in seinem Roman Przyjdzie Mordor i nas zje diese Stereotype weiter verfestigt, wird nachfolgend untersucht, ebenso wie die Abhängigkeit von der Ost-West-Dichotomie und deren Resultate unter besonderer Berücksichtigung des darin verarbeiteten galizischen Erbes und des produzierten Galizienbildes. Szczerek greift bei seinen Reisen teilweise auf das historisch-literarische Archiv zurück, jedoch vordergründig auf einen Aspekt dieses Archivs, der bisher so noch nicht zum Ausdruck kam: Er arbeitet sich an den Stereotypen ab, die im kollektiven Bewusstsein einen gesicherten Platz haben, sich aber je nach Raum und Zeit ändern können. Anhand dieser Stereotype, die er in Bezug zu historischen Ereignissen und tagespolitischen Themen setzt, schafft Szczerek ein Bild dieser Region. Stereotype sind somit Teil des Archivs Galizien, da sie sich auf das Erbe dieses postgalizischen Raums beziehen und auf seine komplexe polnische, ukrainische sowie polnisch-ukrainische Geschichte. Szczerek hinterfragt die Stereotype sowie Eigen- und Fremdbilder während der Reise. Szczerek GmbH Ziemowit Szczerek ist einer der umstrittensten und erfolgreichsten Autoren seiner Generation in Polen. Als Journalist schreibt er u. a. für Polityka, Tygodnik Powszechny, Krytyka Polityczna, Nowa Europa Wschodnia oder Ha!art, außerdem verfasste er seit 2013 sechs Bücher, mit prestigeträchtigen Preisen ausgezeichnet. Die hohe Produktivität des Autors verleitete Grzegorz Wysocki ihn in einem Artikel 2016 als »Szczerek sp.z.o.o.«,933 demnach als »Szczerek GmbH« zu bezeichnen. Szczerek selbst polarisiert, nutzt seine Popularität für politischen Aktivismus und Kritik sowie die Popularisierung Ostmitteleuropas in Polen. Somit passt er in die Reihe der AutorInnen des Stasiuk’schen Verlags Czarne, in dem auch seine letzten drei Bücher erschienen. Sein bisher populärster Roman ist Tatuaz˙ z tryzubem (2015), eine Reisereportage in die sich in einem Prozess der Veränderung befindenden Ukraine zu Zeiten des Euromaidan und des nachfolgenden Krieges im Osten des Landes. Sie wurde für den Nike-Preis nominiert und bereits ein Jahr nach der Erstauflage neu aufgelegt.

931 Vgl. Szczerek, Ziemowit: Wyobraz˙enia i rzeczywistos´c´. Odpowiedz´ Adamowi Balcerowi. In: Nowa Europa Wschodnia 2 (2017), S. 68–74. 932 Szczerek: Mordor kommt, S. 106; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 100: »Juz˙ nawet nie pamie˛tam, gdzie sie˛ w tej historii kon´czy prawda, a zaczyna s´ciema.« 933 Vgl. Wysocki, Grzegorz: Szczerek sp.z.o.o. In: Tygodnik Powszechny 3 (2016), S. 54–57.

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In der nachfolgenden Analyse gilt der Fokus dem Roman Przyjdzie Mordor i nas zje, czyli tajna historia Słowian (2013). Der keineswegs naive, sondern gut informierte Ich-Erzähler im Roman, in dem mehrere Reisen in die Ukraine beschrieben werden, heißt Łukasz Pon´czyn´ski, der mühelos als Intellektueller und Alter Ego von Ziemowit Szczerek gelesen werden kann, denn der Autor verstreut intertextuelle Bezüge und illustriert seine Fachkompetenz. Das Hauptaugenmerk liegt auf Ostgalizien, auf Halycˇyna, es werden aber auch einige Abstecher auf die Krim oder in den Osten, wie nach Dnipropetrowsk, unternommen. Die Faszination an der Ukraine liegt vor allem im postsowjetischen Erbe. Überdies schreibt der Erzähler unter dem Pseudonym Paweł Poncki eine Dissertation über den westukrainischen Separatismus und Gonzo-Artikel für die polnische Presse bzw. ein Krakauer Internetportal.934 Die vielfältigen Themen kreisen um einen Kernpunkt: die Beziehung der Polen und Ukrainer zueinander und zu ihren Ländern, dabei werden die Gründe für die Reisen von Polen in die Ukraine erörtert: Erwartungen, Erlebnisse, Reflexionen.

5.2.1 Gonzo als Strategie der Identitätsverhandlung zwischen Ost und West Tajna historia Słowian (die geheime Geschichte der Slawen) heißt der zweite Teil des Titels des Romans, der dessen Charakter ziemlich gut beschreibt: Er behandelt die Geschichte der Slawen, indem er mehrere (Verschwörungs-)Theorien zu deren Geschichte anführt und durch den ganzen Text hindurch slawische Identitäten erörtert. Der polnische Erzähler definiert sich durch die Betrachtung des Anderen selbst. Der Erzähler akzentuiert den Konstruktcharakter des Textes und der dargestellten Bilder der Ukraine, Galiziens und ihrer Bewohner. Der Roman erzeugt dies durch seine Autoreferentialität: Der Text enthält illusionsbrechende Elemente, die eine sich in der Metafiktion äußernde Autoreferentialität bewirken. Metafiktionale Kommentare thematisieren sowohl die Fiktionalität des eigenen Textes als auch die literarischen Konventionen, die sichtbar gemacht, parodiert und durchbrochen werden. Diese Autoreferentialität funktioniert als Entschleierungsstrategie und realisiert sich im Roman vor allem in drei Bereichen, die nachfolgend beleuchtet werden. Dabei liegt der Fokus auf den metafiktionalen Kommentaren und der Darstellung der durchbrochenen Illusionen.

934 Vgl. Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 99.

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5.2.1.1 Gonzo: Erzählen über das Erzählen Der erste Bereich betrifft den freigelegten Konstruktcharakter des Textes, der die Fiktionalität des bisher Erzählten zum Ausdruck bringt und die literarischen Konventionen, denen der Roman folgt, in Frage stellt: Es scheint eine Reisereportage zu sein, ist aber ein fiktiver Reiseroman. Der Ich-Erzähler als Autor kommentiert die Entstehungsgeschichte seiner Texte und ist als Alter Ego von Ziemowit Szczerek zeitgleich Kommentator des Textes selbst.935 Schon bald nach Reiseantritt stellt sich für den Erzähler heraus, dass seine Erwartungen an die Ukraine nicht erfüllt werden können: »Streng genommen gab es also überhaupt keinen westukrainischen Separatismus. Ich musste in meinen Aufsätzen und in der Diss ganz erbärmlich die Balken biegen.«936 Der Erzähler überzeichnet die Realität, um Erwartungen und Vorstellungen zu genügen, diese sogar zu übertreffen, wobei die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. Die Reisen und Texte des Erzählers basieren auf diesen »Verdunkelungen« (»s´ciemnianie«), wobei der Narrator dies explizit bloßlegt: Ja, das war der Beginn meiner Karriere als Schwarzmaler. Als Lügner. Oder etwas seriöser ausgedrückt – als Verstetiger nationaler Stereotype. Meist von der übleren Sorte. […] Ich wucherte in meinen Texten mit ukrainischer Arschderwelthaltigkeit. Dreckig sollte es sein, deftig und brutal. So geht Gonzo. Gonzo heißt Schnaps, Kippen, Drogen und Weiber. Und Vulgärsprache. Genauso schrieb ich – und alles war bestens.937

Dabei gibt der Erzähler klar an, in seinen Texten zu verschleiern und zu übertreiben – der Konvention des Gonzo zu folgen. Inwieweit sich diese Aussage auf den vorliegenden Text bezieht, bleibt vorerst unklar, doch diese explizite Metafiktion des Erzählers scheint zugleich eine implizite Metafiktion des Autors Ziemowit Szczerek zu sein. Die überzeichnete Realität des Romans, die fast alles ad absurdum führt, lässt darauf schließen, dass auch der Text und sein Autor 935 Ein typisches Merkmal des Gonzo Journalism nach Thompson ist die beim Autor festzustellende Verwischung der Grenzen zwischen biographischer Persönlichkeit und fiktionalisierter Persona. Vgl. Hendrik, Michael: The Weird turns Pro. Zur Funktion des Skandals in Hunter S. Thompsons gonzo-Reportagen. In: Bartl, Andrea/Kraus, Martin: Skandalautoren: Zu repräsentativen Mustern literarischer Provokation und aufsehenerregenden Autoreninszenierung. Bd. 2. Würzburg: Königshausen & Neumann 2014, S. 111–126; hier: S. 116. 936 Szczerek: Mordor kommt, S. 169; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 163: »Tak wie˛c w rzeczy samej, z˙adnego zachodnioukrain´skiego separatyzmu nie było. W doktoracie i artykułach musiałe˛m s´ciemniac´, ile wlezie.« 937 Szczerek: Mordor kommt, S. 105; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 199: »No i tak sie˛ porobiło, z˙e zawodowo zacza˛łem zajmowac´ sie˛ ´sciemnianiem. Łganiem. Bardziej fachowo sprawe˛ ujmuja˛c – utrwalaniem stereotypów narodowych. Najcze˛´sciej paskudnych. […] Epatowałem w tych tekstach ukrain´skim rozdupczeniem i rozwłóczeniem. Musiało byc´ brudno, mocno, okrutnie. Taka jest istota gonzo. W gonzo jest gorzała, sa˛ szlugi, sa˛ dragi, sa˛ panienki. Sa˛ wulgaryzmy. Tak pisałem i było dobrze.«

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diesen Prinzipien folgen. Die Story wird aufgrund ihrer unwahrscheinlichen Handlung und die stark übertriebenen Figuren entwertet, wodurch sich die implizite Metafiktion zeigt. Die sprachlichen und stilistischen Besonderheiten wie die Verwendung von Vulgärsprache machen dies deutlich. Der Gonzo-Stil des Romans ist inspiriert von Jack Kerouacs On the road (1957) und Hunter S. Thompsons Fear and Loathing in Las Vegas (1971):938 »Anstelle von Benzedrin hatten wir Vigor-Balsam. Anstelle des ländlichen Amerikas und des Mexikos der Fünfziger hatten wir die Ukraine. Aber es ging um dasselbe. Wir schnappten uns die Rucksäcke und waren on the road.«939 Die 1950er-Jahr als Zeit des Aufbruchs in Nordamerika werden mit den 1990ern in Ostmitteleuropa, Mexiko mit der Ukraine gleichsetzt. Beides sind Zeiten der Transformation und des Neuaufbruchs; die Polen nehmen eine überhebliche Haltung gegenüber der Ukraine ein und reproduzieren damit die Dichotomie von USA und Mexiko. Szczerek als Vertreter des sich aus dem New Journalism, als dessen Mustervertreter Tom Wolfe gilt940, entwickelten Gonzo Journalism zu bezeichnen, ist aus mehreren Gründen legitim. Der Historiker Szczerek begann seine Laufbahn im Journalismus und nannte seine anfänglichen Reiseberichte selbst Gonzo, wobei Przyjdzie Mordor seinen Erfolg festigte und ihn durch die Übersetzungen auch außerhalb Polens bekannt machte. Zahlreiche Merkmale des Gonzo Journalism sind im Roman zu finden: Journalistische Themen werden mit literarischen Techniken bearbeitet und können so eine gesteigerte Ambivalenz zwischen Subjektivität und Objektivität sowie Faktizität und Fiktionalität entwickeln. Thompsons Hypothese lautet: »Die Realität ist verrückter / unwirklicher als jede Fiktion.«941 Kontroverse Themen werden dadurch unprätentiös behandelt. Grenzüberschreitungen sind Ziel des Erzählens – Es geht um die »Konfrontation mit dem Abseitigen, dem Unmoralischen«, was dann »erlaubt […] moralische Normen zu bekräftigen und in der Grenzüberschreitung die Grenze selbst wieder sichtbar zu machen. Das ist Moral der Unmoral.«942 So entsteht nach den Medienwissenschaftlern Pörksen und Detel zwar ein Skandal, von welchem man 938 Als Paradebeispiel des Gonzo Journalism gilt heute Hunter S. Thompsons The Kentucky Derby Is Decadent and Depraved (1970). Vgl. Thompson, Hunter S.: The Kentucky Derby Is Decadent and Depraved. In: Thompson, Hunter S.: The Great Shark Hunt. Strange Tales from a Strange Time. London: Fawcett Popular Library 1980, S. 29–42. Siehe auch: Reichmann, Barbara: Gonzo Journalism. Hunter S. Thompson. Diplomarbeit, Universität Wien 1993, S. 62; Hendrik: The Weird turns Pro, S. 112. 939 Szczerek: Mordor kommt, S. 45; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 41: »Zamiast benzedryny mielis´my balsam Wigor. Zamiast wiejskiej Ameryki i Meksyku lat 50. – mielis´my Ukraine˛. Ale chodziło o to samo. Bralis´my plecaki i jechalis´my w droge˛.« 940 Vgl. Wolfe, Tom: The New Journalism. An Anthology. New York: Picador Books 1973. 941 Reichmann: Gonzo Journalism, S. 59. 942 Pörksen, Bernhard/Detel, Hanne: Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter. Köln: Herbert von Halem 2012, S. 22.

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sich aber durch die Gattung des Gonzo distanzieren kann, da nicht das Thema, sondern der Protagonist im Zentrum steht. Er »selbst bzw. seine Handlungen sind bereits mehr oder weniger in die Geschichten einbezogen.«943 Der Protagonist wird durch seine Dominanz mystifiziert: »Der gonzo-Reporter ist das Subjekt in medias res, das Haar in der Suppe (engl. ›fly in the ointment‹).«944 Unterdessen findet eine Doppelung zwischen Autor und literarischer Figur statt und führt zu einer »Multiplizierung der Rollen, welche eine in sich gebrochene und aus sich heraus brechende Persona«945 aufzeigt. Diese biographisch-narrative Dopplung ist bei Ziemowit Szczerek und Łukasz Pon´czyn´ski festzustellen. Wie bei Hunter S. Thompson geht es bei Szczerek vor allem darum, das GonzoThema schlechthin darzustellen – wie man zu seinen Geschichten kommt. Dies wird zum eigentlichen Material des Romans.946 Die Metaebene ist zentral, denn es geht um das Erzählen über die eigene journalistische Tätigkeit mit Einbeziehung aktueller Ereignisse aus Politik und Gesellschaft, unterminiert durch Kritik und Reflexion, wie Thompson vorführt: Thompsons gonzo-Reportagen zeichnen sich zunächst dadurch aus, dass nicht das Fremde, Exotische und Abseitige, sondern Altbekanntes und Alltägliches durch eine spezifische Handlungsweise und Perspektive des Reporters so verzerrt wird, dass der Leserschaft die dahinter lauernden Abgründe aufgezeigt werden.947

Das Potenzial solcher Inszenierungen besteht darin, »die Absurdität gesellschaftlicher Rituale und die Bigotterie seiner Mitmenschen zu entlarven.«948 Dies macht Szczerek, indem er Illusionen zunächst aufbaut und anschließend durch Übertreibung demontiert, vornehmlich durch das Mittel der »selbstironischen Differenzierung«, die in die Figur eingeschrieben ist, wodurch ein »antiautoritäres Konzept des liberalen Ironikers« entwickelt wird.949 5.2.1.2 Orientalismus: Kategorisierung und Illusionsbruch Stereotype In Przyjdzie Mordor werden Stereotype zu Osteuropa parodiert. Die semiologische Definition von Stereotypen als Zeichen für Gruppen beinhaltet immer drei Elemente: Wahrnehmung, Wertzuschreibung und emotionale Konnotation. Zugleich sind sie Teile eines Zeichensystems und können nur in diesem exis943 944 945 946 947 948 949

Reichmann: Gonzo, S. 33. Hendrik: The Weird turns Pro, S. 115. Ebd., S. 116. Vgl. Reichmann: Gonzo, S. 36. Hendrik: The Weird turns Pro, S. 115. Ebd. Vgl. ebd., S. 119.

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tieren.950 Im Roman bewegt sich das Spiel zwischen den existierenden Stereotypen und dem sich wiederholenden Prozess der Stereotypisierung: […] the application of stereotype-based knowledge to individual members of a social category or group. A central mechanism in the development of stereotypes is the continual readiness of people to categorize others – such as members of one’s own or a foreign group.951

Przyjdzie Mordor führt den Umgang mit Stereotypen exemplarisch vor und sprengt diese anhand von Illusionsbrüchen. Im Zentrum steht das postsowjetische Erbe, der eigentliche Grund der Reise: »Diesen postsowjetischen Raum sah ich zum ersten Mal. Eine Welt, die ich mir bis dahin nur hatte ausmalen können, hatte Gestalt angenommen, und was für eine!«952 Von Anfang an dominiert der exotisierende Blick die Reiseaufzeichnungen und wird zugleich entlarvt: »Ach verdammt, der Mensch braucht halt… das Orientalische,«953 stellt der Erzähler fest – die Ukraine ist der Orient, dass dieser imaginiert und konstruiert ist, ist spätestens seit den Ausführungen von Edward Said klar: […] the Orient is not an inert fact of nature. It is not merely there, just as the Occident itself is not just there either. […] [B]oth geographical and cultural entities – to say nothing of historical entities – such locales, regions, geographical sectors as »Orient« and »Occident« are men-made. Therefore as much as the West itself, the Orient is an idea that has a history and a tradition of thought, imagery, and vocabulary that have given it reality and presence in and for the West. The two geographical entities thus support and to an extent reflect each other.954

Der Osten ist nicht ohne Westen zu denken und umgekehrt. Auf die Künstlichkeit der dargestellten Ukraine inmitten der Ost-West-Dichotomie weist nicht

950 Hahn, Hans Henning: 12 Thesen zur Stereotypenforschung. In: Hahn, Hans Henning/ Mannová, Elena (Hrsg.): Nationale Wahrnehmungen und ihre Stereotypisierung. Beiträge zur historischen Stereotypenforschung. Frankfurt/Main: Peter Lang 2007, S. 15–24; hier: S. 16. 951 Besier, Gerhard: Boundaries Between Ourselves and Others: The Role of Prejudice and Stereotypes in General with Specific Reference to Border Regions. In: Stokłosa, Katarzyna/ Besier, Gerhard (Hrsg.): European Border Regions in Comparison. Overcoming Nationalistic Aspects or Re-Nationalization? New York, London: Routledge 2014, S. 307–320; hier: S. 308. 952 Szczerek: Mordor kommt, S. 12; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 8: »Pierwszy raz widziałem te˛ poradziecka˛ przestrzen´. S´wiat, który do tej pory mogłem sobie jedynie wyobraz˙ac´, nabierał kształtu, i to jakiego.« 953 Szczerek: Mordor kommt, S. 228; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 218: »Kurwa, człowiek potrzebuje …orientalizmu.« 954 Said, Edward: Orientalism. New York: Pantheon 1978, S. 4–5.

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nur der Erzähler hin, sondern Szczerek selbst: »die Texte, meine oder die von Stasiuk, handeln größtenteils von Imaginationen.«955 Hardcore Der orientalisierende Faktor in Przyjdzie Mordor wird durch den Begriff »hardkor« (Hardcore) ausgedrückt. Alles auf der Reise konzentriert sich auf den »hardkor«, der neben der Vorstellung von Alkoholkonsum mit einer generellen Rückständigkeit der Ukraine (Korruption, Verfall, Armut etc.) und ihrer Einwohner verbunden wird. Die Reise verläuft nach dem Prinzip »Sie wollten Hardcore haben, also bekamen sie Hardcore.«956 Dieser Hardcore wird von den Reisenden und von den Ukrainern selbst produziert, auch wenn er in dieser Form eigentlich nicht anzutreffen wäre. Die Erwartungen der polnischen Reisenden sollen befriedigt werden: So bemühen sich sowohl die Polen als auch die Ukrainer, dieses ersehnte Objekt »Ukraine« oder den »Osten« zu erschaffen: »aber eigentlich suchten wir den Osten. Diese östliche, postsowjetische Exotik. Das Russige.«957 Diese Exotik sollen die polnischen Reisenden bekommen. Die im Roman beschriebene Firma »Havran Tours« basiert auf einer einfachen Idee – »Pulle, Pub Crawl, Puff. […] [E]in paar potente Polen mit Exotiklüsten für eine Woche in die Ukraine entführen und ihnen ›Hardcore Ost‹ vorführen.«958 Ein häufiges Stereotyp ist jenes des »ewig betrunkenen Russen« oder des »russischen Banditen«: Außerdem treiben sich da die ganzen besoffenen Backpacker aus Polen auf der Suche nach Trinkrussen rum. Slawisten, Russlandversteher, Ukrainisten. Sobald ein Reisender so leichtsinnig war, ein Bier zu öffnen, hatte er zwanzig polnische Ostphilologen mit Wodkafahne am Hals, die russische Lieder sangen. Überhaupt benahmen sich […] die Polen auf der Suche nach Ost-Hardcore am russigsten von allen.959

955 Szczerek: Wyobraz˙enia i rzeczywistos´c´, S. 69: »teksty, moje czy Stasiuka, traktuja˛ w duz˙ym stopniu o wyobraz˙eniach.« 956 Szczerek: Mordor kommt, S. 105; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 99: »oczekiwali hardkoru, to hardkor dostawali.« 957 Szczerek: Mordor kommt, S. 27; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 23: »tak naprawde˛ wschodu szukalis´my. Tej wschodniej, posowieckiej egzotyki. Ruskos´ci.« 958 Szczerek: Mordor kommt, S. 195; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 187: »Bania, pub crawl i burdel na koniec. […] [Z]abrac´ paru nadzianych, łakna˛cych egzotyki Polaków na weekend na Ukraine˛ i pokazac´ im ›hardkorowy wschód.‹« 959 Szczerek: Mordor kommt, S. 109; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 103: »[…] włóczyli sie˛ po nich nawaleni polscy plecakowcy w poszukiwaniu »Ruska« do picia. Slawis´ci, rosjoznawcy, ukrainis´ci. Nie daj boz˙e, by jakis´ pasaz˙er otworzył piwo – od razu siedziało mu na głowie dwudziestu polskich filologów wschodnich te˛chna˛cych gorzała˛ i s´piewało piosenki po rosyjsku. Generalnie – najbardziej »po rusku« zachowywali sie˛ […] włas´nie Polacy poszukuja˛cy wschodniego hardkoru.« Die deutsche Übersetzung ist hier besonders treffend, da sie »po rusku« mit »russigsten« übersetzt und damit die Distinktion zwischen Ukrainer und Russe am ehesten wiedergibt, nicht so wie im weiteren Verlauf der Übersetzung.

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Der pejorative und umgangssprachliche Charakter des Wortes »rusek« bzw. des Adjektivs »ruski« darf nicht unerwähnt bleiben, hier wird eine weitere Verfremdung sichtbar, die zwar geschichtlich bedingt, aber nicht gegenwartskonform ist: Die Polen sehen die Ukrainer als »ruskie«, demnach als Russen. Dies wird gut in der deutschen Übersetzung des Textes klar, »ruski« wird als »Russe« übersetzt. Ursprünglich bezieht sich das Wort aber auf die Einwohner der ehemaligen Kresy Wschodnie ruthenischer bzw. ukrainischer Abstammung,960 wobei es hier eine Umdeutung in der sowjetischen Zeit gab. Die Ukrainer als Personifikationen aller ihnen zugeschriebener Stereotype sollen bei Bedarf durch die Reisenden selbst verwirklicht werden. Die beschriebenen Reisenden sind »Slawisten«, »Ukrainisten«, »Russlandversteher« und »polnische Ostphilologen«, was einen impliziten Hinweis auf die Vorbildung erschließt: gerade die sogenannten Fachleute sind anfällig für Stereotype und schreiben diese fort, wodurch Szczerek sein eigenes Vorgehen aufdeckt. Der Alkoholkonsum dient als gutes Beispiel für Realisierungen solcher Stereotype, andere wiederkehrende Charakterisierungen beinhalten Armut, Korruption und Verfall: »Iwan wollte sich so langsamen empfehlen, aber die Slawisten kannten kein Erbarmen. Sie schenkten nach und nahmen ihn ins Kreuzverhör: ob er beim Militär gewesen war, vielleicht sogar zufällig bei den Raketentruppen […]. Unterdessen hatten sie ihn genötigt, sich anderthalb Gläser in den Hals zu kippen, sodass schon seine Frau, die Babuschka, kam und die Slawisten mit Tränen in den Augen um Gnade für den alten Mann bat.«961

Das Ziel der Reisenden ist immer gleich: »Und das lustige ›Russen abfüllen‹-Spiel nahm seinen Lauf. Der Russe musste abgefüllt werden, um in der Slawistenszene Ruhm und Ehre zu erlangen. Oder unter den Tisch gesoffen! Das wäre es überhaupt!«962 Das Trinken mit den einheimischen »Russen« gilt als Erfüllung der 960 Die Bezeichnung wird in Polen auch für die aus den ehemaligen Kresy umgesiedelte und vertriebene ethnische Polen verwendet, die sich auf den nach dem Zweiten Weltkrieg zu Polen hinzugekommenen Territorien im Westen ansiedelten. 961 Szczerek: Mordor kommt, S. 132; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 126: »Dziadek chciał sie˛ powoli zbierac´, ale slawis´ci nie mieli litos´ci. Polali mu znowu i podpytywali: a to czy w wojsku słuz˙ył, a to czy w oddziałach rakietowych przypadkiem […]. W trakcie tego wszystkiego dziadek musiał wlac´ w siebie juz˙ w sumie półtorej szklanki i juz˙ jego z˙ona-babuszka za łzami w oczach przychodziła slawistów prosic´ o litos´c´ nad starowina˛.« 962 Szczerek: Mordor kommt, S. 131; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 125: »No i zaczeła sie˛ gra pod tytułem ›upic´ Ruskiego‹. Upic´ by zdobyc´ sławe˛ mołojecka˛ w s´rodowisku slawistów. A przepic´ Ruskiego! To by było dopiero!« In der Übersetzung wird das Wort »mołoje˛cki« weggelassen: das Adjektiv bezieht sich im Polnischen auf einen »jungen Kosaken« bzw. einen »kosakischen Soldaten« und ist in den Sprachgebrauch in Verbindung mit Eigenschaften wie Mut und Tüchtigkeit eingegangen. Vgl. PWN. Słownik Je˛zyka Polskiego. Mołoje˛cki https://sjp.pwn.pl/slowniki/mo%C5%82ojecki.html [25. 06. 2018]. Die Verwendung dieses Begriffs macht für die informierten (polnischen) Rezipierenden erneut ein neues

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wichtigsten Erwartung an die Reise in die Ukraine. Bei Nichterfüllung fühlen sich die Reisenden betrogen: »Ich trinke nicht«, antwortet Juri. Wir kippten stumm unsere Gläser, dankten und gingen los. Hawran fühlte sich betrogen. »Ein Zimmer bei einem Russen, der nicht trinkt«, knurrte er. »Hätte er ja gleich sagen können, dann hätten wir einen anderen genommen!«963

Die Ukrainer werden instrumentalisiert. Der aus der Ironie entstehende Zynismus tritt zutage und nimmt die Funktion der eigenen Entblößung an, die der Philosoph Vladimir Jankélévitch wie folgt beschreibt: »Das Spiel ist mit dem, der sich am besten tarnt: Der Starke parodiert den Schwachen, um ihn durch ironische Verstellung zu zerstören; und der Schwache ahmt den Starken nach, um durch scheinheilige Verstellung glaubhaft zu sein.«964 Hier ist auch ein anderes desillusionierendes Element zu finden: die Kritik der Einheimischen an diesen Fremdzuschreibungen durch die Polen und die Widersetzung gegen diese, was als Widerstand gegen die Orientalisierung gelesen werden kann. Die Ukrainer widersetzen sich dieser Zurschaustellung, was die Künstlichkeit der Situation und ihren höchst kommerziellen Charakter entblößt, wobei das Stereotyp der Korruption bedient wird. »›Was ziehst du hier vor den Polen für ein Affentheater ab? Machst du alles für Geld? Bist du so ein Ukrainer?‹«965 wirft der instrumentalisierte Ukrainer namens Misza dem Organisator der Havran Travels vor, wobei eine solche Handlungsweise von dem Ukrainer als Verrat angesehen wird. Moralischer Pragmatismus wird als Eigenschaft des sowjetischen Menschen dargestellt, die in die postsowjetische Zeit hineinwirkt: »›Ich bin ein Sowjetmensch‹ […] ›Wenn du nicht mitspielen willst, hau ab.‹«966 Zusätzlich erzeugt die Darstellung einer solchen Haltung in der Figur des Misza und dessen Benehmen beim Lesenden eine Abneigung gegen alles Sowjetische und Östliche. Eine unreflektierte Leseart ist möglich, wodurch eine Überlagerung dieser beiden Lese- bzw. Rezeptionsweisen entsteht. Gleichzeitig führt die Ironisierung des Autors zur Entblößung seiner selbst: »Die Ironie zwingt offen und brutal den Ungerechten, genau das zu sein, was er

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Konnotationsspektrum um die Kosaken und die polnischen Ostgebiete auf, führt somit das intellektuelle Spiel des Textes fort. Szczerek: Mordor kommt, S. 21; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 17: »– Ja nie pije˛ – odpowiedział pan Jurij. Wypilis´my w milczeniu, podzie˛kowalis´my i wyszlis´my. Hawran czuł sie˛ oszukany. – Co to za kwatera u Ruskiego, co nie pije – warczał – Mógł powiedziec´ na pocza˛tku, to bys´my poszukali u kogo innego!« Jankélévitch, Vladimir: Die Ironie. Aus d. Französischen v. Jürgen Brankel. Berlin: Suhrkamp 2012, S. 98. (Original: L′ironie, Paris: Flammarion 1964). Szczerek: Mordor kommt, S. 202; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 194: »Co ty, kurwa, dla Polaków igrzyska urza˛dzasz? Taka z ciebie szmata sprzedajna? Taki z ciebie Ukrainiec?« Szczerek: Mordor kommt, S. 202; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 194: »Ja sowieckij czeławiek. Nie chcesz sie˛ bawic´, to spierdalaj.«

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ist, damit er daran zugrunde geht; sie zwingt ihn, sich selbst ein Geständnis zu machen, denn sie weiß, dass dies sein Verderb sein wird.«967 Ob es sich um Ironie handelt, muss abermals neu beantwortet werden, bisweilen um eine zusätzliche Frage erweitert, auf die Christopher Hitchens hinweist: »I like the idea of leaving open the question whether that was an irony, and if so at whose expense.«968 So fühlen sich die Ukrainer durch die polnischen Reisenden wiederholt instrumentalisiert: »Hm, Orientalismus, wie? Exotik? Waren das hier deine Zoobesuche?«969 Der Vergleich der Ukraine mit einem Zoo und der Reise mit einer Safari wird mehrmals angeführt, vor allem durch den Westukrainer Taras: »Sind wir überhaupt Menschen für euch?«, rief er. »Oder bloß ein, was weiß ich, ein wilder Exotenstamm? Sind wir Zootiere, oder was?«970 Und vorher? Warst du hier auf Safari?971 Und du, mein, Himmelarsch, mein sogenannter polnischer Freund, erzählst mir, du hättest die ganze Zeit mich und meine Landsleute, mein ganzes Leben, angeschaut, wie die Affen im Zoo?972

Es ist kein Zufall, dass gerade Taras dieses Thema anspricht, denn ihn beschäftigt als Sohn eines Lwiwer Polen und einer Mutter, die zur Hälfte Ukrainerin und zur Hälfte Polin ist,973 die Frage nach seiner eigenen Identität besonders. Taras Kabat ist galizischer Separatist, bedient sich selbst westlicher Stereotype gegenüber dem Osten und wendet sie auf die östlichen Slawen an, nimmt dabei die Ukrainer aber aus. An ihm sieht man, wie das Ost-West Gefälle arbeitet, denn für ihn sind die Barbaren, die aus dem Osten, immer die anderen. Ganz nach dem Prinzip: Der Osten ist immer noch östlicher als wir es sind. Taras stellt im Roman die Personifizierung des ukrainisch-polnischen bzw. mitteleuropäischen Identitätskomplexes dar. Selbst in Polen aufgewachsen, wurde er dort als »ruski« aber nie akzeptiert und migrierte so zurück in die Ukraine.974 In ihm vermischen sich 967 Ebd., S. 99. 968 Hitchens, Christopher: Introduction. In: Thompson, Anita (Hrsg.): Ancient Gonzo Wisdom. Interviews with Hunter S. Thompson. Cambridge: Da Capo Press 2009, S. XIII–XX; hier: S. XX. 969 Szczerek: Mordor kommt, S. 228; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 218: »Co, orientalizm, tak? Egzotyka? Przyjez˙dz˙asz tu jak do zoo?« 970 Szczerek: Mordor kommt, S. 99; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 93: »– Czy wy kurwa, w ogóle traktujecie nas jak ludzi? – krzyczał. – Czy jak jakis´ kurwa, dziki szczep egzotyczny? Jak jakies´ zwierze˛ta w zoo?« 971 Szczerek: Mordor kommt, S. 228; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 218: »A póki co, tak jak – przyjez˙dz˙ałes´ tu na safari?« 972 Szczerek: Mordor kommt, S. 228–229; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 219: »A ty, mój, kurwa, tak zwany polski przyjaciel, mówisz mi, z˙e przez cały czas patrzyłes´ na mnie i na moich rodaków, na cały mój kraj – jak na małpy w zoo?« 973 Vgl. Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 66. 974 Vgl. ebd., S. 75.

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Selbst- und Fremdbilder, deshalb ist er im Roman die prägnanteste Figur ukrainischer Abstammung und die einzige Figur mit einem ausgepräten Charakter neben dem Erzähler. 5.2.1.3 Postkolonialismus: Die verschleierte Selbstidentifikation Die dritte desillusionierende Eigenschaft des Textes ist die verschleierte Selbstidentifikation der polnischen Reisenden mit den Ukrainern und dem postgalizischen und -sowjetischen Raum samt einer dazugehörenden Identitätsverhandlung. »Eine Identität ist nie gegeben«,975 wie Jacques Derrida erläutert und den dekonstruktiv inspirierten Postkolonialismus pointiert. Die Beschäftigung mit der Ukraine wird zu einer Auseinandersetzung mit sich selbst, den eigenen Komplexen gegenüber dem Westen und dem Versuch diese zu überwinden. So funktioniert die Konstruiertheit dieses Gebiets darin, die stereotypen Bilder von Westen und Osten zu bedienen und zu durchbrechen. Es kommt zu einer profitgesteuerten künstlichen Performance der Stereotype, die schnell demaskiert wird. Die Funktionalisierung dieser Bilder liefert eine Neuverhandlung der OstWest-Dichotomie, sowie der Stellung der Polen und Ukrainer darin – eine aus dem Kolonialismus entspringende Problematik. Dem Kolonialismus gelingt es aus der kleinsten Metropole eine Peripherie zu schaffen.976 So ist das Mitteleuropa im Roman vorrangig ein imaginiertes und künstliches. In einem seiner Kommentare erläutert Ziemowit Szczerek: »[…] die Texte, meine oder die von Stasiuk, handeln größtenteils von Imaginationen, welchen der Mensch unterliegt, wenn er Richtung Osten blickt aus diesem Teil Europas, welcher sehr Mitteleuropa sein möchte. Ein im Mythos des Westens geformter Mensch, der von seiner Westlichkeit überzeugt ist, aber in Wirklichkeit dieser Westen nicht ist. Oder nicht ganz ist, was ihn frustriert.«977

975 Derrida, Jacques: Die Einsprachigkeit des Anderen oder die ursprüngliche Prothese. Aus d. Franz. v. Michael Wetzel. München: Wilhelm Fink 2003, S. 51. 976 Vgl. Thompson, Ewa: Postkolonialne refleksje. Na marginesie pracy zbiorowej »From Sovietology to Postcoloniality: Poland and Ukraine from a postcolonial perspective« pod redakcja˛ Janusza Korka. In: Komparatystyka i studia postkolonialne 1, Porównania 5 (2008), S. 113–125; hier S. 113. 977 Szczerek: Wyobraz˙nia i rzeczywistos´c´, S. 69: »[…] teksty, moje czy Stasiuka, traktuja˛ w duz˙ym stopniu o wyobraz˙eniach, jakim ulega człowiek spogla˛daja˛cy na Wschód z tej cze˛´sci Europy, która bardzo chciałaby byc´ S´rodkowa˛. Człowiek ukształtowany w micie Zachodu, przekonany o swojej zachodnios´ci, ale tym Zachodem faktycznie niebe˛da˛cy. Albo niebe˛da˛cy do kon´ca, co rodzi w nim frustracje˛.«

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Kolonisierung Das Bild, dass weder die Polen noch die Ukrainer sich dem Westen voll und ganz zugehörig fühlen und ihm gegenüber Komplexe verspüren, vermittelt der Roman Przyjdzie Mordor. Der Westen als Kolonisator beeinflusst die kulturelle Identität der Ostmitteleuropäer. Generell sehen imperialistische und kolonisierende Projekte vor, dass die Kultur und Ideologie des Kolonisators über die anderen gestellt werden und als Vorbilder dienen. Dabei soll die Überlegenheit der Kultur der Kolonisatoren den Kolonisierten eingeimpft werden. So beginnt der Kolonisierte in Konflikt zur eigenen Kultur und Geschichte sowie der des Kolonisators zu geraten.978 Die postsozialistischen Länder waren nach 1989/1991 zwischen zwei kolonisatorischen Mächten eingeschlossen: dem Westen und dem Osten. Der Westen galt als überlegenes Vorbild, doch eine Loslösung vom Osten, dessen sozialistisches Erbe bis heute unüberwindbar scheint, war nicht möglich. Die behauptete Formlosigkeit des Postsozialismus kann als Suche nach der eigenen Form verstanden werden: eine dem Westen zugewandte und sich vom Osten abwendende. Die komplexe Beziehung zu den beiden Kolonisatoren entspringt der Tatsache, dass sie keine Kolonisatoren im klassischen Sinn waren, d. h. nach dem Muster der westeuropäischen Mächte. Dennoch bedeutet dies nicht, dass man diese Art der Unterwerfung nicht Kolonisierung nennen kann. Die russische bzw. sowjetische Kolonisierung unterwarf Staaten und Nationen, nicht Übersee-Territorien, durch realpolitischen und ideologischen Einfluss. Das Ziel war nicht nur eine ökonomische Ausbeutung, sondern eine Dekulturation der Gesellschaft, der Abbau kultureller Wirklichkeiten durch Abweisungs-, Abbau- und Zerstörungsstrategien.979 Den größten Unterschied macht die Einstellung der Kolonisierten zum Kolonisator aus: Auf dem Territorium des russischen Imperiums bzw. der Sowjetunion respektierten die Kolonisierten den Kolonisator nicht, mehr noch, oft nahmen sie eine überhebliche und gönnerhafte Haltung ihm gegenüber ein. Die öffentliche Meinung konnte nicht von der zivilisatorischen Kompetenz des sowjetischen bzw. russischen Imperiums überzeugt werden.980 So nahm Westeuropa nach Ewa Thompson die Rolle eines Ersatz-Hegemons (»hegemon ze-

978 Vgl. Korek, Janusz: Postkolonializm a Europa S´rodkowo-Wschodnia. In: Komparatystyka i studia postkolonialne 1, Porównania 5 (2008), S. 75–90; hier: S. 82. 979 Vgl. Thurn, Hans-Peter: Dekulturation. Begriff, Probleme, Differenzierungen. In: Franz, Hans-Werner (Hrsg.): 22. Deutscher Soziologentag 1984. Opladen: VS Verlag für Sozialwissenschaften 1985, S. 226–227. 980 Vgl. Thompson: Postkolonialne refleksje, S. 117–118.

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ste˛pczy«/»the substitute hegemon«) ein.981 Die freiwillige Unterwerfung unter die intellektuellen Autoritäten des Westens ist eine Unterwerfung, die in die Situation der Peripherie zwingt.982 So ist Polens freiwillige Unterwerfung gegenüber Westeuropa nach 1989 laut Thompson eine Konsequenz der kolonialen Vergangenheit unter der Sowjetunion – ein Aspekt, auf den Tomasz Zarycki aufmerksam macht, der Thompsons Theorie kritisch beleuchtet, da sich dort in Bezug auf Polen der Kolonisator immer im Zarenreich, der Sowjetunion oder Russland, findet.983 In Mitteleuropa überschneiden sich nach 1989 zwei konkurrierende Hegemonien, die unterschiedliche Rollen einnehmen: The point is, therefore, that the alleged colonizer gave up its colonizing strategy and turned out to be »just« the military occupant and economic exploiter. […] [C]ulturally speaking: the East (USSR) was replaced by the West, but the East–this time speaking in terms of politics–was still the dominant political power in the region.984

Eine derartige kulturelle Überlegenheit des Westens gegenüber den mitteleuropäischen Staaten und wiederum deren Überlegenheit gegenüber Russland wird an einer Stelle im Roman von einem galizischen Westukrainer verdeutlicht: »Wenn die Deutschen oder die Franzosen den Weltkommunismus gemacht hätten, müssten wir wieder Komplexe vor ihnen haben. Aber bei den Sowjets hatten die Moskalen Komplexe vor uns, weil bei uns alles zivilisierter war als bei ihnen.«985 Aus der westukrainischen Perspektive ist Russland immer kulturell unterlegen, der Westen oder die Ukraine selbst dominierend. Die Abgrenzung gegenüber beiden Mächten und die Suche nach einer eigenen Stellung in dieser Ost-West-Dichotomie ist eine Abwehrstrategie der mitteleuropäischen Staaten, die sich bei den polnischen Reisenden sowie vielen der beschriebenen ukrainischen Protagonisten zeigt. Bei der Analyse solcher Wertungen kann die Doppelrolle Polens und ihre Funktionalisierung in den polnischen Diskursen zur Hilfe genommen werden. 981 Vgl. Thompson, Ewa: W kolejce po aprobate˛: kolonialna mentalnos´c´ polskich elit. In: Europa, 14. 09. 2007. 982 Vgl. Thompson: Postkolonialne refleksje, S. 117. 983 Zarycki verdeutlicht, dass aus der konservativen Perspektive, aus der Thompson und Skórczewski analysieren, die russische und sowjetische Dominanz immer im Vordergrund steht und Russland den charakteristischen Anderen darstellt. Vgl. Zarycki, Tomasz: Ideologies of Eastness in Central and Eastern Europe. London: Routledge 2014, S. 93–103; Skórczewski, Dariusz: Polska skolonizowana, Polska zorientalizowana. Teoria postkolonialna wobec »innej Europy«. In: Porównania 6 (2009), S. 95–105. 984 Piotrowski, Piotr: East European Art Peripheries Facing Post-Colonial Theory. In: nonsite.org 12 (2014). 985 Szczerek: Mordor kommt, S. 32; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 28: »Gdyby to Niemcy albo Francuzi robili s´wiatowy komunizm, to znowu trzeba by było miec´ wobec nich kompleksy. A w Sojuzie to Moskale mieli kompleks wobec nas, bo u nas zawsze było bardziej kulturno niz˙ u nich.«

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Ursula Philipps skizziert Polens Rolle darin kurz: »Poland may be described as a ›postcolonial‹ society, emerging from being ›colonized‹ in the ideological sense by the Soviet system, which in the Polish public psyche is heavily overwritten by the legacy of 19th-century domination/colonization by Tsarist Russia.«986 Unterdessen war Polen während der Zwischenkriegszeit auf seinen östlichen Territorien selbst Kolonisator.987 Oft kommt es zu Rückbezügen auf den österreichischen Kolonisator, wobei dieser zumeist positiv bewertet und deshalb nicht in der Rolle des Kolonisators gesehen wird. Zarycki veranschaulicht, wie sich die unterschiedlichen politisch-idealistischen Lager dieser Fakten bedienen: Während das konservativ-rechte Lager vor allem die Rolle Russlands dämonisiert und sich auf Polens Opferrolle konzentriert, verweist das links-liberale Lager auf Polen als Kolonisator, das nun seine Täterschaft aufarbeiten sollte.988 In der Diskussion um die Anwendbarkeit postkolonialer Theorien auf Polen werden Imperien wie das zaristische Russland / die Sowjetunion / Russland, die Habsburgermonarchie oder Westeuropa allgemein begriffen.989 Zeitgleich entwickelten sich in den letzten Jahren Post-Dependency Studies (»badania postzalez˙nios´ciowe«), welche als Weiterführung der postkolonialen Studien für den Fall Polens gelten. Eine ihrer Vertreterinnen, Dorota Kołodziejczyk, argumentiert, dass es sich hierbei um eine Ablehnung gegenüber dem postkolonialen Modell für die Peripherie handelt und dieses somit von den normativen und importierten Eigenschaften einer Modelltheorie befreit wäre.990 Die Figuren in Szczereks Roman bieten ein breites Spektrum für diese Betrachtungsweisen, wobei sie zwischen beiden Rollen wechseln, genau auf die gleiche Weise, wie es Polen innerhalb seiner Geschichte tat und die politischen Lager tun. Szczerek ist dem links-liberalen Lager zuzuordnen, bedient sich im Roman jedoch zahlreicher Elemente aus dem Diskurs des rechtskonservativen und nationalistischen Lagers. Durch seine satirische Erzählweise werden diese Argumente bloßgestellt und ins Gegenteil verkehrt – eine durchaus politische Erzählstruktur. 986 Phillips, Ursula: Generation, Transformation and Place in Inga Iwasiów’s Novels »Bambino« (2008) and »Ku słon´cu« (2010). In: Argument. Biannual Philosophical Journal 1 (2012), S. 17–35; hier: S. 18–19. http://philpapers.org/rec/PHIGTA-2 [14. 05. 2018]. 987 Ebd. 988 Zarycki: Ideologies of Eastness, S. 90, S. 111–112. Für das gesamte Spektrum der Übertragungen der postkolonialen Theorie im polnischen öffentlichen und wissenschaftlichen Dikurs siehe: S. 89–114. 989 Zum Postkolonialen im slawischen Kontext siehe: Kissel, Wolfgang Stephan (Hrsg.): Der Osten des Ostens. Orientalismen in slavischen Kulturen und Literaturen. Frankfurt/Main: Peter Lang 2012. 990 Kołodziejczyk, Dorota: Postkolonialny transfer na Europe˛ S´rodkowo-Wschodnia˛. In: Nycz, Ryszard (Hrsg.): Kultura po przejs´ciach, osoby z przeszłos´cia˛. Polski dyskurs postzalez˙nos´ciowy: konteksty i perspektywy badawcze. Kraków: Universitas 2011, S. 117–136; hier: S. 136.

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Othering Die Suche nach der eigenen Identität im Roman wird durch die Fremdwahrnehmung erschwert. Die für die postkoloniale theoretische Ausrichtung typischen Mechanismen des Othering werden in Przyjdzie Mordor musterhaft vorgeführt. Der von Gayatri Chakravorty Spivak in seinem Essay The Rani of Sirmur991 eingeführte Begriff bezieht sich auf Alteritätsbeziehungen. Spivak begründete darin die Basis für die späteren postkolonialen Arbeiten, u. a. von Wolff und Thompson: durch die dem kolonisierten Objekt vom Kolonisator zugeschriebenen Eigenschaften von Andersartigkeit, Fremdheit und Unizivilisiertheit wird die eigene Überlegenheit bestätigt und der Machtanspruch legitimiert. Der Vorgang ist eine Identitätsverhandlung und -stabilisierung des Kolonisators bzw. des Hegemonen. Wie Said beschreibt, hat der Orient einen rein imaginierten Konstruktcharakter, der nur durch den Blick aus dem Westen entsteht.992 Larry Wolff überträgt das Modell Saids auf den Osten. Dieser, »unterentwickelt« und »barbarisch«, gilt als Produkt der westeuropäischen Aufklärung und will durch den Blick auf den unzivilisierten Anderen seine eigene zivilisatorische und kulturelle Dominanz bestätigen.993 Larry Wolffs dekonstruktivistischer Ansatz kann auf Przyjdzie Mordor angewendet werden, dabei muss die Kritik an Wolffs Theorie mitgedacht werden. Dariusz Skórczewski gibt zu bedenken, dass der Historiker die Prozesse der Orientalisierung »Osteuropas« sichtbar macht, diese jedoch nicht widerlegt. Dies führt zur Aufrechterhaltung des für alle postkolonialen Völker charakteristischen Minderwertigkeitskomplexes und deren weiterer Manifestierung:994 Ostmitteleuropa wird damit – wieder einmal – in die Rolle eines nicht existenten und irrelevanten Objekts verwiesen, das seiner eigenen Subjektivität und seiner eigenen Erzählung beraubt ist. Es sind andere, die ihm seine Identität zuschreiben, die immer das Ergebnis der Zuordnungen der einen oder anderen Eigenschaften an die in diesen Ländern lebenden Bevölkerungen (ethnische, sprachliche, rassische Merkmale usw.) ist, nicht die immanente Eigenschaft dieser Gesellschaften oder das Ergebnis ihrer Selbstwahrnehmung.995

991 Spivak, Gayatri Chakravorty: The Rani of Sirmur. An Essay in Reading the Archives. In: History and Theory 24/3 (1985), S. 247–272. 992 Vgl. Said: Orientalism, S. 5. 993 Wolff: Inventing Eastern Europe. 994 Skórczewski: Polska skolonizowana. Polska zorientalizowana, S. 100–101. 995 Ebd., S. 101: »Europa S´rodkowo-Wschodnia zostaje tym samym – po raz kolejny – relegowana do roli nieistnieja˛cego i nieistotnego obiektu pozbawionego własnej podmiotowos´ci, i własnej narracji. To inni nadaja˛ jej toz˙samos´c´, która jest zawsze rezultatem rozpoznania takich czy innych włas´ciwos´ci zamieszkuja˛cych te ziemie populacji (cech etnicznych, je˛zykowych, rasowych etc.), nie zas´ immanentna˛ własnos´cia˛ tych społeczen´stw czy wynikiem ich samopostrzegania.«

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Diese Abhängigkeit vom Westen entblößt Taras: »Dem Westen entkommen wir sowieso nicht, schließlich hat er uns hervorgebracht.«996 Der orientalisierende Konstruktcharakter der dargestellten Ukraine wird durch die westlichen Reisenden in ihren Handlungen reproduziert und bestätigt. Durch den Blick von außen (den des Kolonisators) werden die eigenen Identitätskonstruktionen der Polen und der Ukrainer zerschlagen, eine eigene Definition wird verunmöglicht. Neben dem Westen kommt noch die vereinnahmende Wahrnehmung aus dem Osten hinzu. Der zweite Kolonisator, das russische Imperium, hat im Unterschied zum Westen keinen exkludierenden, sondern einen inkludierenden Blick. Beide Wahrnehmungen sind in dieser Form von den Betroffenen unerwünscht. Auch wenn Polen in die Ukraine reisen, um sich ihre eigene Zugehörigkeit zum Westen bzw. zu Mitteleuropa zu bestätigen, kann dieser Wunsch nicht befriedigt werden: »Die Stadt selbst ödete mich an. Das einzig Interessante an ihr war die Art und Weise, mit der der Osten Mitteleuropa nachzuahmen versuchte.«997 Aus der Konkurrenz von Eigen- und Fremdwahrnehmung entsteht der Konflikt der Reise und ihr Mehrwert. Die Ausverhandlungen wirken rekompensierend: »Hier konnte man sich an lokalem Hardcore berauschen, wie wir uns berauschten, die armen, besoffenen Idioten aus Rumpelland, die sich freuten, dass sie einen gefunden hatten, der noch rumpeliger war als sie.«998 Auf diesen Aspekt hat bereits Jagoda Wierzejska in Bezug auf Stasiuk hingewiesen,999 womit erneut eine Verbindung zwischen beiden Autoren hergestellt wird. Desillusionierender Zynismus vs. Verschleierte Naivität Der desillusionierende Zynismus des Erzählers wird bei vielen Reisenden durch eine verschleiernde Naivität ersetzt, wie bei den beiden Polonistik-Studentinnen Boz˙ena und Marzena: »Großer Gott, so ein armes und gleichzeitig faszinierendes Land […]. Es stimmt mich milde. Diese Zerstörung […]. Alles hier ist […] abgeranzt […]. Alles so unfertig.«1000 Diese Haltung ist touristisch und verklärend. Als die Frauen bei ihrer Rückfahrt nach Lwiw selbst Opfer von Korruption 996 Szczerek: Mordor kommt, S. 85; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 80: »A od Zachodu i tak nie mamy ucieczki, bo to on nas stworzył.« 997 Szczerek: Mordor kommt, S. 50; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 46: »Samo miasto mnie w zasadzie nudziło. Jedyne, co w nim było ciekawe, to sposób, w jaki Wschód próbuje˛ nas´ladowac´ Europe˛ S´rodkowa˛. Przypominało mi to nieco Polske˛, choc´ wmawiałem sobie, z˙e nie do kon´ca.« 998 Szczerek: Mordor kommt, S. 227; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 217: »Tutaj moz˙na było jarac´ sie˛ lokalnym hardkorem, jak jaralis´my sie˛ my biedni, pijani durnie z kalekiego kraju, którzy cieszyli sie˛, z˙e udało im sie˛ znalez´c´ jeszcze wie˛ksza˛ kaleke˛ od siebie.« 999 Vgl. Wierzejska: Idea Galicji, S. 286. 1000 Szczerek: Mordor kommt, S. 35–36; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 31: »Mój Boz˙e, jaki to biedny a zarazem fascynuja˛cy kraj […]. Koi mie˛ to. To zniszczenie […]. Wszystko tu jest […] rozjebane […]. Wszystko jest niedorobione.«

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werden, offenbart sich eine Abgrenzungshaltung samt Überheblichkeit: nicht mehr romantisierend, sondern abwertend. Polen wird dabei als Teil des »zivilisierten« Europa gesehen, die Ukraine nicht: »Dritte Welt, voll Dritte Welt«, ergänzte Marzena. »Die wollen Europa kopieren, aber aus diesen beschissenen Kopierversuchen wird nur eine Parodie auf Europa. Jesu Christe…Ich weiß ja, dass Polen ist, wie es ist, aber ich werde ordentlich die Erde küssen wie so ein Papst, sobald ich zurück bin!«1001

In postkolonialer Perspektive kommt Polen eine doppelte Rolle zu: In Bezug auf die Länder Ostmitteleuropas hat Polen in der Geschichte sowohl die Rolle des Kolonisators als auch des Kolonisierten eingenommen,1002 wobei beiden eine Opferrolle bei der Kolonisierung gegenüber dem Westen und Osten zukommt.1003 Die polnischen Identitätsverhandlungen aufgrund der Orientalisierung der Ukraine sowie Russlands verlaufen in Przyjdzie Mordor nach folgendem Muster, das Zarycki mit Rückbezug auf Edward Said skizziert: The conviction of the immanence of the perennial Russian barbarism, defined by the country’s supposedly immutable imperialist and authoritarian inclinations, seems to be a symptom of the parochialism of contemporary Poland. In this way Poland, like other peripheral countries, copies – somewhat mechanically – the dominant Western myths about Eastern Europe. The country carries on in this manner in the fervent hope that its zealotry in this matter will earn it at least partial exemption from having such myths applied to itself.1004

Die Hoffnung der in die Ukraine reisenden Polen, sich die eigene Zugehörigkeit zum Westen zu bestätigen, wird nicht erfüllt. Die Desillusionierung in Bezug auf die Zugehörigkeit zum Westen und die vermeintliche Superioritätsstellung gegenüber der Ukraine wird im Roman zumeist durch Dritte, vornehmlich Westeuropäer ausgelöst. Diese übernehmen in ihrer Betrachtungsweise einen kolonisierenden Blick, nur dass ihr Ausgangspunkt noch weiter westlich liegt als der polnische. So gehört für sie Polen zum Osten, wobei für sie die Kategorie des »slawischen Ostens« relevant zu sein scheint. Wie Janusz Korek hinweist, hat bis heute in den westlichen Diskursen (politischen, ideologischen sowie auch wissenschaftlichen und literarischen) die Vorstellung überlebt, dass alles, was sich 1001 Szczerek: Mordor kommt, S. 40; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 36: »– Trzeci ´swiat, no trzeci s´wiat – dodawała Marzena. – Kurwa, oni próbuja˛ nas´ladowac´ Europe˛, ale z tego nas´ladowania to jakas´ parodia Europy wychodzi. Jezu Chryste jednorodzony…ja wiem, z˙e Polska jest, jaka jest, ale normalnie ucałuje˛ ziemie˛ jak jaki papiez˙ jak wróce˛!« 1002 Korek: Postkolonializm a Europa S´rodkowo-Wschodnia, S. 79. 1003 Vgl. ebd., S. 81. Siehe auch: Sowa, Jan: Fantomowe ciało króla. Peryferyjne zmagania z nowoczesna˛ forma˛. Kraków: Universitas 2011. 1004 Zarycki, Tomasz: Poland’s Eastern Cultural Boundary and the Difficulties in Crossing It. In: Obieg 3 (2017), S. 9. http://obieg.u-jazdowski.pl/numery/polskosc/wschodnia-granica-kul turowa-polski-i-nbsp-trudnosci-jej-przekroczenia [07. 06. 2017].

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hinter der preußisch-polnischen Grenze befindet, slawisch ist, die baltischen Staaten inkludiert. Es ist ein konstruierter symbolischer Raum, der fremd und zivilisatorisch schlechter ist, gleichzeitig die Überlegenheit des Westens bestätigt.1005 Eine Strategie, die Polen gegenüber den Ukrainern anwenden, die logischerweise nicht ganz aufgeht. Die Deutsche Heike, die der Erzähler auf seiner Reise zufällig trifft und mit der er ein paar Tage verbringt, übernimmt die Rolle der »Westlerin«, die die überlegene Stellung Polens gegenüber der Ukraine negiert. Als Deutsche subsumiert sie ihre Sichtweise in einer rhetorischen Frage an den Erzähler: Aber erklär mir bitte mal, wieso ich immer, wenn ich hier einem Polen begegnen, zu hören bekomme, was er für krasse Sachen gesehen hat. Dass alles hier so total im Arsch ist und nichts funktioniert. Alle erzählen sie mir die wildesten Geschichten. […] dabei muss euch doch bewusst sein, dass es bei euch genauso aussieht. Ihr könnt doch gar nicht so vernagelt sein, das nicht zu verstehen. Oder?1006

Für die Deutsche ist Polen und die Ukraine gleich: der Verfall, die postsozialistische Realität und die Menschen samt ihrer Sprache und Kultur. An die Erklärung, die der Erzähler gibt, in dem er auf den Unterschied zwischen dem Katholizismus und der Orthodoxie hinweist, glaubt er selbst nicht.1007 Die europäische Vernunft der Aufklärung ist den immer noch romantisierenden Polen fremd: »dass wir in Europa das letzte Volk von Romantikern sind.«1008 Die Konfrontation mit der Gleichstellung Polens und der Ukraine verärgert Łukasz Pon´czyn´ski, was gut bei seiner Begegnung mit einem Kanadier sichtbar wird: Als er erfuhr, dass ich aus Polen kam, ließ er sich begeistert darüber aus, wie unberührt von jeder Zivilisation das Land noch wäre, Großmütterchen mit Kopftüchern auf dem Land, nachbarschaftliche Gemeinschaften vormoderner Prägung, Traditionen und Gebräuche, wenn einer stirbt, kommen die Nachbarn, zünden Kerzen an und singen …überhaupt, eine Gesellschaft gänzlich unberührt von den Abscheulichkeiten der Gegenwart, nur die gute, alte agrarische Idylle. Ruritanien. Er ging mir auf den Sack […].1009 1005 Vgl. Korek: Postkolonializm a Europa S´rodkowo-Wschodnia, S. 84–85. 1006 Szczerek: Mordor kommt, S. 154; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 148: »Wytłumacz mi wie˛c, dlaczego za kaz˙dym razem, gdy spotykam Polaka, ten mi opowiada, jakie tu cuda widział. Jak to wszystko rozpierdolone do szcze˛tu i nie działa. Kaz˙dy opowiada jakies´ historie nie z tej ziemi. […] przeciez˙ wy musicie sobie zdawac´ sprawe˛, z˙e u was jest tak samo. Przeciez˙ nie moz˙ecie byc´ tak nierozsa˛dni, by tego nie rozumiec´.« 1007 Vgl. Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 148. 1008 Szczerek: Mordor kommt, S. 147; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 141: »jestes´my chyba ostatnim romantycznym narodem w Europie.« 1009 Szczerek: Mordor kommt, S. 109; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 103: »Gdy dowiedział sie˛, z˙e jestem z Polski, zacza˛ł sie˛ zachwycac´, z˙e to kraj nietknie˛ty cywilizacja˛, z˙e po wsiach babiny w chustkach, z˙e wspólnoty sa˛siedzkie przednowoczesnego typu, z˙e tradycje i obrze˛dy, z˙e jak kto umrze, to przychodza˛ sa˛siedzi, pala˛ ´swiece i s´piewaja˛, z˙e – ogólnie –

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Der Erzähler weicht ihm aus, um dessen Sichtweise zu entkommen. Doch auch die Ukrainer entlarven den polnischen Protektionismus. Neben der daran verdienenden Gruppe gibt es auch die, die die Polen zu desillusionieren versuchen: Ihr kommt hierher, weil ihr woanders ausgelacht werdet. In anderen Ländern seid ihr das, was wir hier für euch sind: Rückständige Hinterwäldler, über die man ablästern kann. Denen man sich überlegen fühlen kann. […] Weil ihr für alle anderen bloß das verarmte Ostpack seid. […] Alle halten euch für einen Russlandverschnitt. Für Dritte Welt. Nur bei uns könnt ihr mal kurz den Hochmütigen spielen. Euch dafür abreagieren, dass ihr überall sonst die Arschkarte habt.1010

Der Erzähler weiß, dass es sich aus der polnischen Perspektive um einen Tabubruch handelt, denn der Blick auf Polen als einen postkolonialen Staat wird vorwiegend negiert,1011 worauf Thompson hinweist: »Im polnischen Kontext geht die Akzeptanz der Tatsache, dass man kolonisiert wurde, mit einer weiteren unangenehmen Tatsache einher, nämlich dass Ukrainer und Litauer die Polen oft als Kolonisatoren wahrnehmen […].«1012 Clare Cavanagh war eine der ersten, die im postkolonialen Diskurs auf die zweideutige Rolle Polens hingewiesen hat.1013 Eine Distanzierung von der im Text reproduzierten Meinung bei ihrer gleichzeitigen Manifestierung ist auch die Funktionsweise des Romans: Langsam fand ich sogar Gefallen an dieser Formlosigkeit. In Polen hasste ich sie. Hier hatte ich keine Wahl. Ich habe schon lange den Verdacht, dass eine Reise in den postsowjetischen Osten eine Reise in die Tiefen dessen ist, was wir im eigenen Land hassen. Das ist ja auch der Hauptgrund, aus dem die Polen hierherkommen. Weil es eine Reise in die Schadenfreude ist, eine Reise, auf die man sich begibt, um einen Anlass zur Rückkehr zu haben. Weil es im Grunde hier ist wie bei uns, nur deutlich intensiver. Eine Sondermülldeponie für alles, was wir loszuwerden versuchen. Ich habe schon lange

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społeczen´stwo nietknie˛te obrzydlistwem współczesnos´ci, tylko stara, dobra, agrarna idylla. Rurytania. Wkurwiał mnie […].« Szczerek: Mordor kommt, S. 42; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 37: »Przyjez˙dz˙acie tutaj, bo w innych krajach sie˛ z was s´mieja˛. I maja˛ was za to, za co wy macie nas: za zacofane zadupie, z którego sie˛ moz˙na ponabijac´. I wobec którego moz˙na poczuc´ wyz˙szos´c´. […] Bo wszyscy maja˛ was za zabiedzona˛, wschodnia˛ hołote˛. […] Wszyscy uwaz˙aja˛ was za troche˛ inna˛ wersje˛ Rosji. Za trzeci s´wiat. Tylko wobec nas moz˙ecie sobie pobyc´ protekcjonalni. Odbic´ sobie to, z˙e wsze˛dzie indziej podcieraja˛ sobie wami dupy.« Vgl. hierzu: Skórczewski, Dariusz: Postkolonialna Polska: projekt (nie)moz˙liwy. In: Teksty Drugie 1–2 (2006), S. 100–112; Skórczewski, Dariusz: Wobec eurocentryzmu, dekolonizacji i postmodernizmu. O niektórych problemach teorii postkolonialnej i jej polskich perspektywach. In: Teksty Drugie 1–2 (2008), S. 33–55. Thompson: Postkolonialne refleksje, S. 120: »W s´rodowisku polskim przyje˛cie do wiadomos´ci mało prestiz˙owego faktu, z˙e sie˛ było kolonizowanym, idzie w parze z innym niemiłym faktem, a mianowicie, z˙e Ukrain´cy i Litwini cze˛sto spostrzegaja˛ Polaków jako kolonizatorów […].« Vgl Cavanagh, Clare: Postkolonialna Polska. Biała plama na mapie współczesnej teorii. In: Teksty Drugie 2 (2003), S. 360–37; Cavanagh, Clare: Postcolonial Poland. In: Common Knowledge 10 (2004), S. 82–92.

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diesen Verdacht, aber schreiben kann man so was nur als Journalist in einem GonzoText. Sonst würde man glatt gekreuzigt.1014

Die Polen sehen in der Ukraine (vor allem im ehemaligen Ostgalizien) sich selbst, was ununterbrochen negiert und verschleiert wird: Das erinnerte mich etwas an Polen, obwohl ich mir gleich einredete, dass das nicht ganz richtig war.1015 […] und schaute mir dieses Land an, das mich mehr an Polen erinnerte als jedes andere. Genauso schön von der Natur herausgeputzt und genauso verkackt durch menschliches Zutun.1016

Vor allem die als sozialistisches Erbe gesehene Formlosigkeit stellt ein verbindendes Element zwischen beiden Ländern dar: »Form existierte hier tatsächlich nur noch als Antiquität. […] billigster Sorte. Provisorien. Postnomandentum oder so. Genau wie in Polen, nur krasser.«1017 Die Ukraine wird zur Hyperbel Polens, der Roman eine Reflexion der eigenen Gegenwart und Identität, sowie eine Neuverhandlung der Doppelrolle als Kolonisator und Kolonisierter. Slawentum Im Abschiedsbrief macht die Deutsche Heike den Erzähler noch auf eine andere seiner Obsessionen aufmerksam: »Sie hatte geschrieben, […] dass es nett war und ich mir nicht so eine Platte machen sollte wegen dieser ganzen Geschichten mit dem Slawentum, Germanentum, Deutschtum, Russentum und Polentum, das wäre doch am Ende scheißegal.«1018 Doch das Slawentum und seine Geschichte sind von zentraler Bedeutung, worauf der polnische Titel hinweist:

1014 Szczerek: Mordor kommt, S. 120; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 114: »Zaczynało mi sie˛ nawet podobac´ to bezformie. W Polsce go nienawidziłem. […] Zawsze podejrzewałem, z˙e podróz˙ na poradziecki wschód to podróz˙ w gła˛b tego, czego nienawidzimy we własnym kraju. I z˙e to jest włas´nie główny powód, dla którego Polacy tu przyjez˙dz˙aja˛. Bo to podróz˙ w Schadenfreude, podróz˙, w która˛ jedzie sie˛ po to, by było do czego wracac´. Bo tu jest w zasadzie to samo, co u nas, tylko w wie˛kszym nate˛z˙eniu. Gratowisko tego wszystkiego, co próbujemy wyrzucic´ od siebie. Zawsze to podejrzewałem, choc´ napisac´ to mógł tylko dziennikarz pisza˛cy gonzo. Bo inaczej by go ukrzyz˙owano.« 1015 Szczerek: Mordor kommt, S. 50; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 46: »Przypominało mi to nieco Polske˛, choc´ wmawiałem sobie, z˙e nie do kon´ca.« 1016 Szczerek: Mordor kommt, S. 79; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 75: »[…] i patrzyłem na ten kraj, który przypominał mi Polske˛ jak z˙aden inny na ´swiecie. Tak samo pie˛knie wyszlifowany przez nature˛ i tam samo zasrany przez działalnos´c´ człowieka.« 1017 Szczerek: Mordor kommt, S. 37; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 32: »Forma tutaj naprawde˛ istniała wyła˛cznie jako zabytek. […] tanios´c´. Prowizorka. Postnomadyzm jakis´. Tak samo jak w Polsce, tylko bardziej.« 1018 Szczerek: Mordor kommt, S. 159; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 152: »Pisała […] z˙ebym sie˛ tak nie przejmował tymi wszystkimi sprawami zwia˛zanymi ze słowian´skos´cia˛, german´skos´cia˛, niemieckos´cia˛, rosyjskos´cia˛ i polskos´cia˛, z˙e koniec kon´ców to gówno warte.«

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»tajna historia Słowian« (die geheime Geschichte der Slawen). Im Roman kommen Personen zu Wort, welche unterschiedliche Versionen dieser Geschichte erzählen – je nach Bedarf subjektiv zurechtgebogen. Dies macht die Welt erklärbar und ertragbar, sowohl von der ukrainischen als auch polnischen Seite. Svetlana Boym charakterisierte eine solche Perzeption der Realität in ihrem Konzept zu restorative nostalgia. Darin beschreibt sie den Zusammenhang von Nostalgie und Nationalismus: Nostalgische Erinnerungsnarrative können instrumentalisiert werden, um nationale Identität zu stärken. Gründungsmythen und Verschwörungstheorien dienen als Belege für einen Identitätsaufbau, der sich als Abwehr gegen die Anderen (they) konstituiert: Home is not made of individual memories but of collective projections […]. »We« (the conspiracy theorists) for whatever reason feel insecure in the modern world and find a scapegoat for our misfortunes, somebody different from us whom we don’t like. We project our dislike on them and begin to believe that they dislike us and wish to persecute us. »They« conspire against »our« homecoming, hence »we« have to conspire against »them« in order to restore our imagined community.1019

Eine instabile Identität bestätigt sich durch ein nostalgisches Vergangenheitsbild, in welchem die eigene Stellung dominiert. Die Anderen gehören nicht zu diesem Narrativ und werden exkludiert. Im Roman kommt diese Alteritätsverhandlung auf Basis von »us« und »them« am Beispiel von Mordor zum Vorschein. Taras vergleicht den Osten mit »Mordor«1020 und erklärt, dass J. R. R. Tolkiens Der Herr der Ringe »vom Konflikt zwischen dem zivilisierten, ordentlichen, ästhetischen und freien europäischen Westen und dem wilden, asiatischen, turanisch-slawischen deprimierenden Osten« handle,1021 wodurch er die in den postkolonialen Theorien vorgeführten Mechanismen bestätigt. Nach Taras’ Theorie leben in Mordor die Slawen, wobei Mordor ganz Osteuropa miteinschließt, egal ob slawisch oder nicht.1022 Dabei gilt erneut die preußisch-polnische Grenze als Demarkationslinie, wobei der Osten eindeutig negativ ausfällt: Aber im Osten ist nur dieses böse Mordor, die graue Masse, vor der sich alle fürchten. Die Barbaren. Stumpfsinnige, grobschlächtige Orks und Trolle mit Kohlrabivisagen. Die durch die graubraune Landschaft waten. Und in einer primitiven Vorstufe der

1019 Boym, Svetlana: The Future of Nostalgia. New York: Basic Books 2001, S. 43. 1020 Vgl. Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 165. 1021 Szczerek: Mordor kommt, S. 172; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 165–166: »jest o konflikcie cywilizowanego, porza˛dnego, estetycznego i wolnego europejskiego Zachodu z dzikim, azjatyckim, turan´sko-słowian´skim i przygne˛biaja˛cym Wschodem.« 1022 Vgl. Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 167.

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menschlichen Sprache herumstammeln. Na bitte, er nickte mit dem Kinn zum Fenster, da hast du diese Kacke ohne Sinn und Form.1023

Die stark wertende Darstellung verdeutlicht die Unzufriedenheit mit dem eigenem Land und der eigenen Herkunft: »dann weiß ich auch nicht, was besser ist. Die Verkörperung allen Übels auf dem Kontinent zu sein oder gar nicht zu existieren.«1024 Die Protagonisten hoffen sich von dieser Sichtweise zu befreien, schaffen es jedoch nicht aus dieser Binarität des Denkens herauszutreten, die ihnen beständig aufs Neue aufgedrängt wird, aber faktisch nicht existiert: »Die Trennung in ›Ost‹ und ›West‹, verteufelt, auf der Grundlage gegenseitiger Verleugnung geschaffen und als unersetzliche Alternative verstanden, existiert in Wirklichkeit nicht. Das ist es, was die postkoloniale Forschung beweist.«1025 Ebenso sind sie aber der Beweis für deren Wirkmächtigkeit und Existenz: Der Roman baut auf dieser Binarität auf. Das Fehlen einer stabilen Neudefinition der ukrainischen Identität und Staatlichkeit in der postsozialistischen Zeit wird in der materiellen Form der Landschaft ersichtlich. Das Sowjetische ist nicht das Problem, das Problem ist das Postsowjetische: »Nicht einmal sowjetisch, sonst hätte sie immerhin eine Form gehabt, nein – postsowjetisch. Also komplett kopf-, sinn- und formlos.«1026 Eine andere Sichtweise auf das Slawentun bietet die Theorie des Taxifahrers Jurij, der die Slawen ins Zentrum Europas stellt und ein panukrainisches Imperium herbeisehnt. Sein Beispiel begründet die Beliebigkeit solcher Theorien und Selbstdefinitionen: »Ich war nämlich […] Geschichtslehrer, mein Lieber. Da hatte ich zwar eine andere Geschichte zu unterrichten, aber die eigene kenne ich auch, ich habe da eigene Forschungen angestellt und bin zu eigenen Schlussfolgerungen gekommen.«1027 Es geht nicht um Fakten, sondern Konstruktionen und Imaginationen. Was sich Taras und der Erzähler wünschen, sind eine stabile, 1023 Szczerek: Mordor kommt, S. 173; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 166: »A na wschodzie jest tylko ten cały zły Mordor, szara masa, której wszyscy sie˛ boja˛. Barbarzyn´cy. Te˛pe, grubo ciosane orki i trolle o mordach jak kalarepa. Chlupia˛ce w szaroburym krajobrazie. Bełkocza˛ce w jakiejs´ niedorobionej wersji ludzkiego je˛zyka. No i prosze˛ – wskazał podbródkiem pejzaz˙ za oknem – to gówno bez kształtu i bez wyrazu.« 1024 Szczerek: Mordor kommt, S. 174; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 167: »nie wiem, co lepsze. Byc´ wcieleniem całego zła kontytentu czy w ogóle nie istniec´.« 1025 Korek: Postkolonializm a Europa S´rodkowo-Wschodnia, S. 88: »Podział na ›Wschód‹ i ›Zachód‹, zdemonizowany, tworzony na zasadzie wzajemnego zaprzeczenia i rozumiany jako niezaste˛powalna alternatywa, w rzeczywistos´ci nie istnieje. Dowodza˛ tego włas´nie badania postkolonialne.« 1026 Szczerek: Mordor kommt, S. 210; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 202: »Nie tyle sowjeckie, bo wtedy miałoby mimo wszystko jaka˛s´ forme˛, ale posowieckie. Czyli kompletnie bez głowy, sensu i kształtu.« 1027 Szczerek: Mordor kommt, S. 218; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 209: »byłem nauczycielem historii. Inna˛ mi, co prawda historie˛ kazano wykładac´, ale ja swoje wiem, bo własne robiłem badania, do własnych wniosków doszedłem.«

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selbstbewusste Identität und Nation, ohne Komplexe, Selbstzweifel und der Dominanz anderer, in ihrem Fall Westeuropas, die sie mit Imaginationen zu rekompensieren versuchen. Während sie in Zaporizˇzˇja in der Ostukraine sind, stellen sie beim Beobachten der dortigen Menschen fest: »Die kommen hier nicht mal auf den Gedanken, dass sie Europa sein könnten. […] Darum beneideten wir sie […].«1028 Ost-West-Dichotomie Diese rekompensierende Haltung gilt speziell in Bezug auf Galizien, denn Polen und Ukraine verbindet eine gemeinsame Geschichte: Die ehemaligen Ostgalizier sind es, die die unbefriedigte Sehnsucht nach Europa mit den Polen teilen. In einer allegorischen Darstellung erscheint Mitteleuropa als Fegefeuer: »Mitteleuropa, das zwischen Russland und dem Westen, ist das Fegefeuer. Der Westen ist die normale Welt […]. Und das Fegefeuer sind wir. Keiner lächelt. Alles kaputt und hoffnungslos. Alles verboten.« »Und wo ist der Himmel?«, fragte ich. Er zuckte die Schultern. »Ich weiß, wo die Hölle ist«, antwortete er.1029

Die Hölle ist der Osten: »Der Osten ist nämlich wirklich Hardcore und Gemetzel.«1030 In der Debatte gilt der Westen als zivilisatorisches Ziel, als Dominante; Mitteleuropa wird zur Erfindung des Westens. Als Alternative bietet Łukasz nicht eine Hinwendung zum Osten, sondern eine Überwindung der Nationen, was er als einzige Alternative darstellt.1031 Der Osten ist für die Protagonisten keine Möglichkeit, außer für einen Hardcore-Trip: »Alles russisch, bitte sehr. Die slawische Zivilisation, die aus Menschen Monster mache und aus Landschaften Scheißhäuser.«1032 Diese kann mit einer Abneigung gegenüber sich selbst gelesen werden, wobei eine Positionierung gegenüber dem Westen nötig wird: »Hence the major dilemma facing Central Europeans in attempts to define their attitude towards the West. Copy the West or try to retain and develop your own origi-

1028 Szczerek: Mordor kommt, S. 179; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 173: »Oni tutaj nawet nie mys´la˛, z˙e mogliby byc´ Europa˛. [….] Tego im zazdros´cilis´my.« 1029 Szczerek: Mordor kommt, S. 81; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 77: »– […] Europa S´rodkowa, ta pomie˛dzy Rosja˛ a Zachodem, to czys´ciec´. Zachód to ten normalny ´swiat […]. No a ten czys´ciec to my. Nikt sie˛ nie us´miecha. Wszystko jest rozjebane i beznadziejne. Pełno zakazów.– A gdzie jest niebo spytałem.Wzruszył ramionami. – Wiem, gdzie jest piekło – odpowiedział.« 1030 Szczerek: Mordor kommt, S. 81; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 76: »Bo wschód to faktycznie jest hardkor i masakra.« 1031 Vgl. Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 76. 1032 Szczerek: Mordor kommt, S. 72; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 68: »Rosyjska, niech be˛dzie: słowian´ska cywilizacja, mówił, to cywilizacja, która zmieniła ludzi w monstra, a przestrzen´ w sracz.«

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nality. In other words: Pursuit of Europe or Escape from Europe.«1033 Das konstruierte Wesen des Mitteleuropäers in Abgrenzung zu West und Ost wird an Taras sichtbar: Taras […] markierte eigentlich gar nicht den Westler. Er wusste, dass das lächerlich wäre. Deshalb hatte er sich den aktiven Panzer für sein Quasi-Gogol-Bordello-Image zugelegt: der streitlustige Wilde aus dem Osten mit dem krächzigen Quadratakzent eines transsylvanischen Vampirs, der Wodka trank und manchmal vielleicht auch Blut, der Wolga fuhr, aber bei all dem immer cool war. Aber er hatte das alles nur getan, um sich irgendwie zu dieser Welt zu verhalten. Für den Eigengebrauch hatte er nämlich absolut alles dekonstruiert, was ihn umgab, seinen kompletten Kontext – kulturell, zivilisatorisch, alles.1034

In ihrer von Taras skizzierten bizarren Form wird die melancholische Hoffnungslosigkeit der Bewohner Mitteleuropas nachempfunden: aufgrund ihrer geopolitischen und topographischen Position zwischen Osten und Westen haben sie nur ein begrenztes Repertoire an Möglichkeiten der Selbstwahrnehmung und -darstellung. Blendet man die Fremdwahrnehmung mit ihren schematischen Wahrnehmungsmustern aus, stellt sich die Frage, wie sich die Bewohner der Region selber sehen möchten. Die Figur des Taras verdeutlicht ein Phänomen, auf das Zarycki hindeutet: Beziehen sich die Bewohner Ostpolens, der Ukraine oder Belarus’ auf ihre östliche Lage oder ihre östliche Identität sowie ihre Nachbarschaft mit dem wirklichen Osten (Russland), führt dies zu ihrer weiteren Marginalisierung. »Es kann festgestellt werden, dass sowohl Visionen von Östlichkeit, Peripherie oder auch Grenzland Stereotype aktivieren können, wenn auch nicht eindeutig negative, dann jedoch unbewusst marginalisierende, was suggestiv eine Minderwertigkeit und Exotik impliziert.«1035 Taras’ Panzer soll ihn 1033 Zarycki, Tomasz: Attitudes Towards West and East as the Main Element of the Central European Identity. Reflections on the Polish Case. In: Gorzelak, Grzegorz/Jałowiecki, Bohdan (Hrsg.): The Identity of Central Europe. Warszawa: EUROREG UW 1997, S. 97–106; hier: S. 98. 1034 Szczerek: Mordor kommt, S. 91; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 86–87: »Taras nie udaje zachodniaka. Wie, z˙e to by było s´mieszne. […] Dlatego nakłada aktywny pancerz w postaci tego swojego image’u à la Gogol Bordello: zadziornegi barbarzyn´cy ze wschodu, mówia˛cego z chrapliwym, kwadratowym akcentem wampira z Transylwanii, pija˛cego wódke˛ i byc´ moz˙e czasem krew, jez˙dz˙a˛cego wołga˛, ale be˛da˛cego w tym wszystkim cool. Ale robił to tylko po to, by jakos´ okres´lic´ sie˛ wobec s´wiata. Bo na własny uz˙ytek dokonał absolutnej dekonstrukcji wszystkiego, co go otaczało, całego swojego kontekstu: kulturowego, cywilizacyjnego – kaz˙dego.« 1035 Zarycki, Tomasz: Polska wschodnia i orientalizm – wprowadzenie. In: Zarycki, Tomasz (Hrsg.): Polska wschodnia i orientalizm. Warszawa: Wydawnictwo Naukowe Scholar 2013, S. 7–10; hier: S. 8: »Da sie˛ bowiem zauwaz˙yc´, z˙e zarówno wizje ›wschodnios´ci‹, ›peryferyjnos´ci‹, jak i ›pogranicznos´ci‹ moga˛ aktywizowac´ stereotypy, jes´li nie jednoznacznie negatywne, to pods´wiadomie marginalizuja˛ce, implikuja˛ce sugestie niz˙szos´ci i egzotycznos´ci.«

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vor Fremdzuschreibungen schützen und eine eigene Identität ermöglichen, was unmöglich ist, denn durch seine Selbstinszenierung vervielfältig er die bereits bestehenden Stereotype und setzt die von Zarycki angeführte Unterlegenheit um. Die Protagonisten von Przyjdzie Mordor können ihrer Positionierung zwischen den zwei Hegemonen des Ostens und Westens nicht entkommen. Sie sind nicht in der Lage außerhalb der vorgegebenen Schemata zu denken und zu handeln, wodurch die von ihnen angestrebte Überwindung ihrer anscheinenden Minderwertigkeit unmöglich ist. Sie dekonstruieren die Denkmuster, können sich jedoch nicht von ihnen lösen. So kann das Schamgefühl des Erzählers am Ende des Romans gelesen werden. Der Zwang zu den vom Westen und Osten tradierten Denkweisen mit ihrer Wertung und deren Unüberwindbarkeit macht dem Protagonisten Łukasz Pon´czyn´ski seine marginalisierte und unterlegene Position bewusst und verwandelt sich in Scham.1036

5.2.2 Halycˇyna als alternative Geschichte und Parodie Polens Przyjdzie Mordor beschreibt größtenteils Reisen und Erlebnisse innerhalb des ehemaligen Galiziens und liefert somit ein spezifisches Bild der Westukraine, welche sich kulturell, historisch und architektonisch von der Ostukraine unterscheidet. Damit schafft Szczerek einen impliziten Kommentar zu Spannungen zwischen Ost- und Westukraine und dekonstruiert das polnische und ukrainische Galizienbild. Galizien erscheint in drei Formen: erstens in Bezug auf die ehemals in diesen Gebieten lebenden Polen und die Geschichte Polens in diesem Raum, zweitens in einer neuen Art der literarischen Spurensuche, die sich um den Aspekt des Exotischen erweitert, drittens dargestellt als politisch-kulturelles Argument der Westukrainer. Nachfolgend wird auf diese drei Aspekte eingegangen, wobei mit dem dritten begonnen wird. 5.2.2.1 Halycˇyna als Teil der Westukraine Galizien nimmt im Roman die Funktion der Legitimierung der ukrainischen bzw. westukrainischen Zugehörigkeit zum Westen ein – eine klassische Rolle im ukrainischen Diskurs zu Galizien. In Przyjdzie Mordor wird das Motiv anhand der galizischen/westukrainischen Intellektuellen bzw. Separatisten gezeigt. Ihr Stammlokal »Zielona karafka« (Grüne Karaffe) in Lwiw stilisiert sich zu einem mitteleuropäischen Ort: an der Wand hängt ein Bild von Franz Joseph, alle Schriftzüge sind in mit lateinischen Buchstaben geschriebenem Ukrainisch ver1036 Vgl. Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 220–221.

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fasst, zu späterer Stunde wird in betrunkenem Zustand die österreichische Kaiserhymne gesungen.1037 Der Roman entwirft ein hoffnungsloses Bild dieser Bewegung. Taras sieht nur den galizischen Teil der Ukraine als Mitteleuropa und wirft den Ukrainern der anderen Gebiete eine Zugehörigkeit zu den »Russen« vor: »Nur wir stechen aus diesem Einheitsrussenbrei hervor, wir: die Ukrainer aus der Halytschyna. Aus Galizien, wenn euch das lieber ist. Aber die – die sind alle gleich. Alle ein Russenvolk.«1038 Taras bedient sich der Orientalisierung: der Osten ist beliebig verschiebbar und mit Rückständigkeit gleichzusetzen. Aufgrund des österreichischen galizischen Erbes kann sich die Westukraine von der restlichen Ukraine absondern und ihre Westlichkeit einfordern: »Man müsste sich von der verrussten, versteppten Ostukraine losreißen und in Galizien alles hochhalten, was es mit der westlichen Welt verbindet. Und sich dieser Welt anschließen.«1039 Doch das ist nur eine subjektive Wahrnehmung der Beteiligten, die von Westeuropa nicht geteilt wird. Im Gegensatz dazu steht die polnische Vorstellung von Galizien, die sich auf die polnische und nicht die habsburgische Zeit bezieht. Unterdessen ist die im Zitat angesprochene »Steppe« ein positives Kennzeichen der Ukraine in der polnischen Romantik, was erneut die Komplexität der Beziehung zwischen Polen und der Ukraine bestätigt. 5.2.2.2 Ukraine als Teil Polens Das polnische Erbe auf dem Gebiet der Ukraine ist im Roman allgegenwärtig. Einerseits geht es hierbei um ein Überlegenheitsgefühl im Sinne der Kolonisatoren, wie im vorigen Abschnitt dargestellt, andererseits ist es eine nostalgische Reise in die Geschichte der eigenen Vorfahren. Szczerek vermittelt diesen Aspekt stets ironisch und übertrieben. Die Erzählweise parodiert die dominanten Narrative (wie das Kresy-Narrativ) und bricht sie durch Ironisierung, führt aber alle nacheinander (kritisch) an. Gleich bei der Einreise in die Ukraine wird der Erzähler Łukasz Pon´czyn´ski vom ukrainischen Grenzbeamten gefragt, was er in der Ukraine zu tun gedenke, worauf er »Die Knochen meiner Ahnen knutschen«1040 antwortet und damit beim Zöllner einen Lachanfall hervorruft. Die Szene steht symbolisch für die Bezie1037 Vgl. ebd., S. 70. 1038 Szczerek: Mordor kommt, S. 73; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 68–69: »Tylko my sie˛ od tej szarej ruskiej masy odróz˙niamy, my, Ukrain´cy z Hałyczyny. Z Galicji, jes´li wolicie. A oni – oni wszyscy sa˛ tacy sami. To jeden ruski lud.« 1039 Szczerek: Mordor kommt, S. 74; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 69–70: »Trzeba oderwac´ sie˛ od zruszczonej, zestepowionej wschodniej Ukrainy i piele˛gnowac´ to w Galicji, co wia˛z˙e ja˛ ze s´wiatem Zachodu. I przyła˛czyc´ sie˛ do tego s´wiata.« 1040 Szczerek: Mordor kommt, S. 11; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 7: »kos´ci przodków wycałowac´.«

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hung der beiden Nationen zu Galizien: die Polen verfolgen nostalgische Spuren der eigenen Vorfahren und der polnischen Nationalgeschichte, wobei die Ukrainer dies belächeln, in gleicher Weise aber die habsburgische Geschichte Galiziens als Argument für ihre Zugehörigkeit zu Europa verwenden. Symptomatisch steht hierfür die Tatsache, dass der Erzähler de facto gar keine Vorfahren aus den Gebieten der ehemaligen Ukraine hat: »obwohl ich gar nicht so richtig Ahnen in der Ukraine hatte.«1041 Die große Anzahl polnischer Touristen (v. a. ältere Nostalgiereisende und Rucksacktouristen) in der Ukraine begründet er mit »Werkstoffgedächtnis«1042 und damit, dass Polen das letzte romantische Volk Europas sei,1043 ein Bezug auf eine durchaus regressive Narration, die sich auf alte romantische Muster bezieht und seit der Wende 1989 als überwunden gilt.1044 Dennoch wird auf dieses Konzept zurückgegriffen: Damit eröffnet Galizien bzw. die Ukraine einen für Polen wichtigen, aber verlorenen historischen Raum: »klettert ihr euch garantiert kein Polen von Meer zu Meer zusammen.«1045 Der Roman Przyjdzie Mordor als Parodie auf die nostalgische Kresy-Literatur und -Reisen lässt zwei Aspekte deutlich werden: den mit der Rückständigkeit unzertrennlich verbundene Nationalismus sowie die kommerzielle Vermarktung des polnischen Erbes und der polnischen Mythen (vor allem um den Verlust von Lwów). Galizien ist von vornherein polnisch, nicht österreichisch: »Vor den schmutzigen Gardinen erstreckte sich Galizien. Jetzt ukrainisch, früher polnisch. Und es sah ganz danach aus, als hätte ich mich auf das Terrain einer alternativen Geschichte meines eigenen Landes begeben. So war es auch in echt.«1046 Auf der Textebene wird der exkludierende Charakter des polnischen Narrativs sichtbar. Die Ukraine wird als »alternative Geschichte meines eigenen Landes« beschrieben, womit ihr eine eigene Geschichte abgesprochen wird – sie wäre für Polen nicht hinnehmbar, besonders in Bezug auf Lwiw: Dann begann Lwiw. Diese Stadt dürfte gar nicht existieren, dachte ich beim Blick aus dem Fenster. Der polnische Mythos vom Verlust dieser Stadt war so machtvoll, dass es sie einfach nicht geben durfte. Aber sie stand seelenruhig da und besaß auch noch die Frechheit, fast genauso auszusehen wie vor ihrer regionalen Apokalypse…1047 1041 Szczerek: Mordor kommt, S. 11; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 7: »choc´ specjalnie przodków na Ukrainie nie miałem.« 1042 Szczerek: Mordor kommt, S. 146; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 140: »pamie˛c´ materiału.« 1043 Vgl. Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 141. 1044 Vgl. hierzu: Janion, Maria: Czy be˛dziesz wiedział, co przez˙yłes´. Warszawa: Sic! 1996. 1045 Szczerek: Mordor kommt, S. 147; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 141: »z˙adnej Polski od morza do morza nie wyłazicie.« 1046 Szczerek: Mordor kommt, S. 14; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 10: »Za brudnymi firankami cia˛gneła sie˛ Galicja. Teraz juz˙ ukrain´ska, nie polska. I wygla˛dało to wszystko tak, jakbym wjechał na teren historii alternatywnej własnego kraju. Tak zreszta˛ było naprawde˛.« 1047 Szczerek: Mordor kommt, S. 14; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 10: »A potem zacza˛ł sie˛ Lwów. To miasto nie powinno istniec´ – mys´lałem, patrza˛c przez okno. Polski mit jego

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Im Roman bekommt Galizien einen apokalyptischen Charakter. Die sowjetischen Autos in Lwiw sind »wie die lebenden Toten in diesen Zombie-ApokalypseFilmen.«,1048 die Art des Verkehrs ist wie ein »Festival der lebenden Toten«1049 und die Stiegenhäuser erinnern an »sämtliche Postapokalypse-Filme, die ich jemals gesehen hatte.«1050 Eine alternative Geschichte Ostgaliziens hätte die Zugehörigkeit zu Polen sein können: Ich schmeckte den Unterschied, schmeckte diesen östlichen Film, der sich über das gute, alte Galizien gelegt hatte, versenkte mich in Gesichter, die – wäre Stalins Feder nur um ein paar Millimeter verrutscht – heute nach polnischen Lebensmitteln anstehen würden, vor polnischen Ämtern, Autos mit polnischen Nummernschildern hätten, uns vertraut wären, so millionenfach vertraut und damit nicht der Rede wert […] in der polnischen Provinz.1051

Der Verlust hat sich stärker eingeprägt als die Beibehaltung der alten Territorien bewirken würde. Lwiw und das Gebiet Ostgaliziens der ehemaligen Małopolska Wschodnia (Westliches Kleinpolen), wie diese polnische Woiwodschaft in Zeiten der Zweiten Polnischen Republik hieß, lebt im Mythos weiter, welcher auf dem Kampf um die Stadt Lwiw zu Beginn des polnisch-ukrainischen Krieges gründet.1052 Menschen aus ganz Polen kommen nach Lwiw, um die polnischen Erinnerungsorte wie den Lycˇakivs’kyj-Friedhof aufzusuchen: »mit polnischen Kennzeichen. Kraków, Wrocław, Katowice, Lublin, Warszawa.«1053 Es handelt sich um einen überregionalen, nationalen Mythos. Einer Satire auf diese Reisenden ist ein ganzes Kapitel mit dem Titel »Orle˛ta« gewidmet.

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stracenia jest tak mocny, z˙e po prostu nie powinno go byc´. A ono stało sobie w najlepsze i w dodatku bezczelnie wygla˛dało mniej wie˛cej tak, jak przed swoja˛ regionalna˛ apokalipsa˛.« Szczerek: Mordor kommt, S. 15–16; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 11: »jak z˙ywe trupy w filmach o zombie apokalipsie.« Szczerek: Mordor kommt, S. 27; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 24: »festiwal z˙ywych trupów.« Szczerek: Mordor kommt, S. 157; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 151: »wszystkie filmy o postapokaliptycznym s´wiecie, jakie tylko widziałem.« Szczerek: Mordor kommt, S. 48; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 44: »Smakowałem te róz˙nice, smakowałem ten wschodni osad, który nalazł na stara˛, dobra˛ Galicje˛, kontemplowałem te twarze, które – gdyby Stalinowi pióro drgneło o milimetry – stałyby teraz w kolejkach do polskich spoz˙ywczaków, do polskich urze˛dów, jez´dziłyby samochodami na polskich blachach, byłyby swojskie, po milionkroc´ swojskie i – jako takie – niegodne niczyjej uwagi […] na polskiej prowincji.« Siehe: Mick, Christoph: Lemberg, Lwów, L’viv, 1914–1947. Violence and Ethnicity in a Contested City. West Lafayette: Purdue University Press 2015; Wierzejska, Jagoda: Do miasta, które jest duma˛ narodu. Ideologiczne aspekty polskiego krajoznawstwa i ruchu turystycznego zwia˛zanego z Lwowem w okresie mie˛dzywojennym. In: Wierzejska/Sosnowska/Molisak: Turystyka i polityka, S. 37–66. Szczerek: Mordor kommt, S. 57; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 53: »Rejestracje krakowskie, wrocławskie, katowickie, lubelskie, warszawskie.«

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Abb. 12 : Czes´c´ Orle˛tom / Ehre den Jungen Adlern – XI 1918, Text: Stanisław Rossowski (1861– 1940), Graphik: Tadeusz Rybkowski (1848–1926), Lwów: Drukarnia Zakł. Nar. im. Ossolin´skich (Quelle: Biblioteka Narodowa, DZ˙S I M p1/142).

Dieser Abschnitt verweist intertextuell auf die »Orle˛ta«-Literatur und parodiert diese, wobei Eigenschaften der Nostalgiereisen erscheinen. Erstens die Überheblichkeit Polens gegenüber der Ukraine: Sofort kamen ukrainische Kinder auf sie zu »Dyj pan, dyj pan, złoty, złoty, polski złoty.« Und die aus den Reisebussen weideten sich an diesem »dyj pan«. Sie fühlten sich als

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hohe Herren. Die meisten sicher zum ersten Mal in ihrem Leben. Manche bekamen etwas, andere nicht – hohe Herren leisteten sich ihre Launen.1054

Der zweite Aspekt ist die kommerzielle Ausnutzung des Mythos und der konfliktreichen polnisch-ukrainischen Geschichte durch die bettelnden Kinder; eine Kommerzialisierung des Mythos, des Erinnerungsortes und des polnischukrainischen Konflikts. Wie der Zollbeamte über eine Spurensuche nach den eigenen Vorfahren lacht, genauso nutzen die ukrainischen Kinder den Nationalismus und Katholizismus der polnischen Reisenden exemplarisch aus: Aber schon brachte einer der Jungs die altbekannte Nummer: »Dyj pan, dyj pani, ich Pole, ja Polak, Polak, tata, mama, Polaki, Ukrainer Schweine«, und hatte gleich die ganze Gruppe erwischt wie die Gürtelrose. »Das ist ein polnisches Kind, ein polnisches Kind!«, sagte mit vor Rührung erstickter Trompetenstimme so eine Brustraus-Mutti […] »Das ist ein polnisches Kind! Sag mal, mein Kind, wo ist deine Mama?« Sie zog schon die Geldbörse aus der Geldtasche. »Tot, erschlagen, Ukrainer, totgeschlagen«, heulte das »polnische Kind«, dieser junge Adler von Lemberg, und sogleich fingen sämtliche junge Bettler an zu jammern: »Wir sind Pooolen, Polaaaci, Ukrajina schlecht, Polen gut, Matka Boska, Matka Boska«, und die ganze Reisegruppe bezahlte ihre Rührung, tränenden Auges und »das ist ein polnisches Kind« schluchzend, großzügig in Scheinen, mal zehn Złoty, mal sogar zwanzig, weil fünfzig dann doch nicht.1055

Neben der Naivität der Polen und dem Zynismus der bettelnden Kinder als symbolische Vertreter der Westukraine erscheint eine distanzierte Beziehung zur Geschichte auf beiden Seiten. Die Einwohner Lwiws nutzen diese hemmungslos zu eigenen Zwecken aus, ohne über Werte wie Nationalstolz oder Ehre zu stolpern, die polnischen Reisenden scheinen diese Eigenschaften zwar zu besitzen, jedoch nur im begrenzten Rahmen: fünfzig Złoty ist sie ihnen dann doch nicht wert. Durch die übertriebene Darstellung wird dies in all seiner Überzogenheit erkennbar.

1054 Szczerek: Mordor kommt, S. 57; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 53–54: »Od razu podchodziły ukrain´skie dzieci. ›Dyj pan, dyj pan, złoty, złoty, polski złoty‹. A ci z autokarów sie˛ pas´li tym ›dyj pan‹. Czuli sie˛ jak paniska. Wie˛kszos´c´ pewnie po raz pierwszy w z˙yciu. Raz dawali, raz nie – kaprys pan´ski pokazywali.« 1055 Szczerek: Mordor kommt, S. 57–58; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 53: »Ale szybko którys´ z chłopaczków wystrzelił ze starym numerem: »dyj pan, dyj pani, ja Polak, Polak, tata, mama Polaki, Ukrain´cy łochy« – a polskie wycieczki jakby półpasiec s´cia˛ł. – To polskie dziecko, to polskie dziecko! – powiedziała hucza˛cym, ale stłumionym od wzruszenia głosem jakas´ kobieta […] – To polskie dziecko! Powiedz, dziecko, gdzie twoja mama? – juz˙ wyjmowała z torby portmonetke˛. – Nie z˙yje, pobili, Ukrain´cy, zabili – wyło »polskie dziecko«, orle˛ lwowskie, i juz˙ po chwili wszyscy młodzi z˙ebracy zawodzili: »my Polaaaaci, my Polaaaci, Ukrajina nedobre, Polska dobre, Matka Boska, Matka Boska«, a cała wycieczka hojnie, łykaja˛c łzy wzruszenia i szlochaja˛c »to polskie dzieci, polskie dzieci«, okupowała to wzruszenie banknotami – a to czasem dziesie˛cio-, a to czasem nawet dwudziestozłotowymi, bo pie˛c´dziesia˛tkami to juz˙ nie.«

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Die strikte ethnisch-nationale Trennung zwischen Ukraine und Polen karikiert Szczerek auch anhand der Lwiwer Vermieter, deren Zielgruppe patriotische, nostalgische, polnische Reisende sind. Die Vermieter wollen, dass polnische Reisende bevorzugt bei ihnen eine Bleibe suchen: »›Zu echten Polen! Polen zu Polen!‹«1056 Für das Polentum gibt es festgesetzte Maßstäbe und Bedingungen, die der »Verein Polnischer Eigentümer Polnischer Wohnungen Zur Vermietung An Polnische Reise-Touristen Im Lemberger Land«,1057 abgekürzt »PeEPeWeZetVauAPeeRTeIeLeL«,1058 schützt. Betrüger werden in einer katholisch-juristischen Rhetorik entlarvt: »›Aber der ist gar kein Pole! Der tut bloß so!‹, ruderte sie mit den Armen. ›Der ist ein falscher Pole ohne Konzession, der die polnischen Touristen in Versuchung führt!‹«1059 Ob die besagte Vermieterin lügt oder nicht, macht keinen Unterschied, ebenso wie die Schilderung dieser Begebenheit, denn ihr satirischer Charakter ist eindeutig. Die religiöse Terminologie verstärkt den religiös-nationalistischen Duktus dieser Einstellung und Sprache. Die ironische Darstellung spielt auf die nationalistische Propaganda der Zweiten Polnischen Republik während der Zwischenkriegszeit in Bezug auf Lwiw an. Neben der satirischen Darstellung vermittelt der Roman die Tragik einzelner Akteure des Krieges, jedoch in der schiefen Optik ihrer heutigen Instrumentalisierung, dem Drang nach Selbstdarstellung und fehlender Empathie: Wir starrten noch eine Weile auf die Polen, die zwischen den Reihen weißer Kreuze herumspazierten. Hawran machte mit einem schiefen Grinsen ein Handyfoto von einem Kerl, der ein Handyfoto von seiner Frau machte, die ein Handyfoto von dem weißen Kreuz machte, unter dem der jüngste junge Adler lag: Jan, der nur zehn geworden war.1060

Der unreflektierte, schematische Patriotismus und Nationalstolz wird in der Figur des Kusaj und seiner Familie in der Ukraine deutlich: »›Sie heißen Syrobrzycki‹, sagte er, ›alter polnischer Adel. Die haben ’39 nicht als Vaterlands1056 Szczerek: Mordor kommt, S. 23; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 19: »Do prawdziwych Polaków is´c´ z˙yc´! Polacy do Polaków!« 1057 Szczerek: Mordor kommt, S. 23; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 19: »Stowarzyszenie Polskich Włas´cicieli Polskich Mieszkan´ Pod Wynajem Dla Polskich Turystów Przyjez˙dz˙aja˛cych Na Lwowska˛ Ziemie˛.« 1058 Szczerek: Mordor kommt, S. 23; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 19: »eSpeWuPeeMpeWuDePeTePeeNeLZet.« 1059 Szczerek: Mordor kommt, S. 23; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 19: »– Ale on nie jest Polak! Tylko udaje! – machała re˛kami baba – on jest niekoncesjonowanym, nieprawdziwym Polakiem i polskich turystów na pokuszenie zwodzi!« 1060 Szczerek: Mordor kommt, S. 60; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 56: »Gapilis´my sie˛ przez chwile˛ na Polaków spaceruja˛cych pomie˛dzy białymi rze˛dami krzyz˙y. Hawran rozes´miał sie˛ nieszczerze i zrobił komórka˛ zdje˛cie facetowi, który robił komórka˛ zdje˛cie swojej z˙onie, która robiła komórka˛ zdje˛cie białemu krzyz˙owi, pod którym lez˙ało najmłodsze z Orla˛t: Jas´, który miał dziesie˛c´ lat.«

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verräter nach Rumänien rübergemacht, obwohl sie es nicht weit gehabt hätten. Leute mit Ehre im Leib.‹«1061 Diese Manifestierung des eigenen Adels und der Ehre der eigenen Familie durchbricht der Erzähler: »Ich wundere mich immer wieder, wie es sein konnte, dass ein zugedröhnter, minderbemittelnder Freak wie Kusai, sobald es um Historisches ging, daherredete wie ein rechter Hardliner: Verrat, Ehre.«1062 Ehre und Nationalstolz als leere Hülsen des Hochmuts und der Eitelkeit werden ins Lächerliche gezogen: die Mitreisenden dürfen zu Besuch bei Kusajs Familie nicht mit den Adeligen an einem Tisch sitzen.1063 Obwohl die Idee des Nationalismus historisch vom Bürgertum und nicht vom Adel forciert wurde, spielt dies heute keine Rolle. Die Kritik an einer nationalistischen, rechten Politik (»prawicowe oszołomy«1064/»rechte Hardliner«1065) spiegelt sich auch in der katholischen Kirche wider, die die Reisenden in dem westgalizischen Dorf vorfinden: »Zwischen den windschiefen ostgalizischen Häuschen wirkte das Pfarrhaus wie die Diktatorenvilla einer Bananenrepublik.«1066 Neben dem Pfarrhaus steht eine verwahrloste Kirche, der Pfarrer bettelt um Geld und beschwert sich über die allgegenwärtige Armut.1067 Die Unwahrscheinlichkeit und Unglaubwürdigkeit einer solchen Realität thematisiert der Erzähler selbst: »Sicher, das hört sich jetzt an wie ein Auszug aus einem kirchenfeindlichen Flugblatt, aber so war es.«1068 oder »Ich war fassungslos. Ich wollte einfach nicht glauben, dass dieser Typ so ein stereotyper Pfaffe sein konnte, ohne jede Ironie, einfach so. Wahrscheinlich war er Hipster-Priester.«1069 Der Pfarrer ist die Personifizierung aller Stereotype rund um den katholischen polnischen Klerus, wie die Familie von Kusaj für den polnischen Adel steht. 1061 Szczerek: Mordor kommt, S. 101; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 95: »Nazywaja˛ sie˛ Syrobrzyccy – mówił Kusaj – stara, polska szlachta. W 1939 roku nie zdradzili narodu i nie wypierdolili do Rumunii, mimo z˙e mieli blisko. Ludzie honoru.« 1062 Szczerek: Mordor kommt, S. 101; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 95: »Zawsze mnie zastanawiało, jak to jest, z˙e takie zac´pane, odklejone matołki jak Kusaj, gdy przychodzi mówic´ o historii, przemawiaja˛ takim samym je˛zykiem jak prawicowe oszołomy. Zdrada, honor.« 1063 Vgl. Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 97. 1064 Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 95. 1065 Szczerek: Mordor kommt, S. 101. 1066 Szczerek: Mordor kommt, S. 102; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 96: »Plebania wygla˛dała pos´ród tych uboz˙uchnych, wschodniogalicyjskich domków jak willa bananowego dyktatora.« 1067 Vgl. Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 96. 1068 Szczerek: Mordor kommt, S. 102; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 96: »Wiem, z˙e to wygla˛da jak z antyklerykalnej ulotki, ale tak włas´nie było.« 1069 Szczerek: Mordor kommt, S. 102–103; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 96: »Nie mogłem w to uwierzyc´. Nie wierzyłem, z˙e koles´ moz˙e byc´ takim stereotypowym katabasem nie ironicznie, a ot tak, zwyczajnie. Podejrzewałem, z˙e jest ksie˛dzem-hipsterem.«

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Die ethnischen Polen in der Ukraine nutzen die Touristen aus Polen in finanziellen Angelegenheiten genauso aus, wie es die Ukrainer tun. Selbst der Erzähler gibt eine Ausbeutung der Ukraine seinerseits zu: »Kurz gesagt, sie taten nichts anderes als ich. Sie machten aus der Ukraine das letzte Loch. Nur standen sie nicht dazu.«1070 5.2.2.3 »Die klassische Tour de Schulz« Przyjdzie Mordor ist eine Parodie auf die zahlreich erschienenen Reisetexte auf den Spuren von Literaten und historischen Personen, wie sie auch im Rahmen dieser Arbeit untersucht wurden. Es ist eine neue Art der literarischen Spurensuche, erweitert um den Aspekt des Exotischen, Absurden und Humoristischen. Vordergründig werden zwar die Orte aufgrund ihres in der Literatur verankerten kulturellen Erbes aufgesucht, doch Szczereks Reisende suchen tatsächlich etwas anderes: »Wir waren quasi auf der Suche nach Bruno Schulz nach Drohobytsch gekommen, aber eigentlich suchten wir den Osten. Diese östliche, postsowjetische Exotik. Das Russige.«1071 Während der Fahrt nach Drohobycˇ mit dem Ziel einer »die klassische Tour de Schulz«1072 wird die Aufmerksamkeit auf das sozialistische Erbe gelenkt: Aber es war überhaupt schwierig, sich in Drohobytsch irgendetwas vorzustellen, das sich vor der Sowjetunion abgespielt hatte. Selbst Galizien. Die Sowjetunion hatte Galizien mit ihrem plumpen Riesenleib plattgemacht, und dieser Leib lag immer noch hier herum, krepiert zwar, aber unmöglich zu beerdigen.1073

Der totale Verlust der Form – die provisorische Bauweise der postsozialistischen Zeit und ein gewisser Ramsch, der alle Sphären durchzieht – die Sowjetunion und der Sozialismus haben unübersehbare Spuren hinterlassen: »Form existierte hier tatsächlich nur noch als Antiquität. Der gesamte zivilisatorische Überwurf, der sich in den vergangenen Jahrzehnten auf Drohobytsch gelegt hatte, war billigster

1070 Szczerek: Mordor kommt, S. 128; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 122: »Słowem – robili to samo, co ja. Robili z Ukrainy burdel na kółkach. Tyle, z˙e sie˛ do tego nie przyznawali.« 1071 Szczerek: Mordor kommt, S. 27; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 23: »Niby pojechalis´my do Drohobycza szukac´ Schulza, ale tak naprawde˛ wschodu szukalis´my. Tej wschodniej, posowieckiej egzotyki. Ruskos´ci.« 1072 Szczerek: Mordor kommt, S. 38; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 34: »klasyczny tour de Schulz.« 1073 Szczerek: Mordor kommt, S. 34; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 30: »No, ale trudno w ogóle było sobie wyobrazic´ w Drohobyczu cokolwiek, co działo sie˛ przed czasami radzieckimi. Nawet Galicje˛. Zwia˛zek Radziecki przywalił Galicje˛ swym kostropatym cielskiem, i to cielsko nadal tu lez˙ało, bo choc´ zdechło, to nie było jak go pochowac´.«

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Abb. 13 : Drohobycz (1918), Drohobycz: Nakładem St. Balicki (Quelle: Biblioteka Narodowa, Poczt.13023).

Sorte. Provisorien. Postnomadentum oder so. Genau wie in Polen, nur krasser.«1074 Die Betrachtung dieser Zustände geht von einem Zitat von Bruno Schulz aus, das die mitreisende Polonistin Boz˙ena in Drohobycˇ aus dem Erzählband Zimtläden vorliest: »Der Pseudoamerikanismus«, las Boz˙ena mit ihrer Quäkstimme vor, denn sie hatte, klarer Fall, die Zimtläden dabei, »der dem alten und morschen Stadtboden aufgepfropft worden war, hatte hier eine üppige, wenn auch leere und farblose Vegetation des minderwertigen, armseligen Schwulsts emporschießen lassen.«1075

Die Betrachtung der Gegenwart in Bezug auf die vorsozialistische Vergangenheit ist unmöglich. Das sozialistische Erbe dominiert das gegenwärtige Stadtbild. Der von Schulz vorhergesagte Pseudoamerikanismus ist zwar da, jedoch verstärkt durch den Postsozialismus. Szczerek benutzt explizit den Text von Schulz als 1074 Szczerek: Mordor kommt, S. 37; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 32: »Forma tutaj naprawde˛ istniała wyła˛cznie jako zabytek. Cała ta cywilizacyjna narzuta, która˛ przyniosło Drohobyczowi ostatnie kilkadziesia˛t lat, to była tanios´c´. Prowizorka. Postnomadyzm jakis´.« 1075 Szczerek: Mordor kommt, S. 37; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 32–33: »›Pseudoamerykanizm‹ – czytała skrzecza˛cym głosem Boz˙ena, bo – jakz˙eby inaczej – miała ze soba˛ Sklepy Cynamonowe – »zaszczepiony na starył, zmurszałył gruncie miasta, wystrzelił tu bujna˛ i bezbarwna˛ wegetacja˛ tandetnej, lichej pretensjonalnos´ci.« Ale tak naprawde˛ było gorzej, niz˙ wyprorokował to Schulz.«

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Folie und analysiert die Gegenwart in Bezug auf Schulz’ Prophezeiung der Zukunft. Überdies imitiert er damit die zahlreichen Texte, die sich durch Intertextualität definieren.1076 Ein Zitat von Bruno Schulz wird zuerst wortgenau wiedergegeben, was die Anführungszeichen klar machen: »Man sah hier billige, miserabel gebaute Häuser, deren karikatureske Fassade mit monströser Stukkatur aus rissigem Gips beklebt waren. Den alten windschiefen Vorstadthäuschen waren hastig zusammengepfuschte Portale verpaßt worden, die sich erst bei näherer Betrachtung als erbärmliche Imitation großstädtischer Anlagen entpuppten.«1077

Diese Stelle untermauert adäquat Szczereks Sichtweise des gegenwärtigen Raums der Ukraine. Im Anschluss analysiert er auf dem Hintergrund der Folie des Textes von Schulz die gegenwärtige Realität: Nun war es so, dass man sie gar nicht näher betrachten musste. Alles, der ganze Schwulst und Schwindel, stach auf den ersten Blick ins Auge. Die Schönheit war nicht einmal vorgeschützt, sie blieb ganz förmlich. Ein bloßes Signal. Wenn zum Beispiel ein Händler, der eine Butze auf dem Markt pachtet, sich einen ollen Kübel packt und in diese Erde blindlings ein paar Blumen steckt, dann war das natürlich ein Scheiß von einer Schönheit. Aber es war ein Signal, dass dieser Händler uns eifrig zu verstehen zu geben versuchte: Er wollte an dieser Stelle etwas Schönes anbringen und hatte getan, was er konnte.1078

Die Absurdität erinnert stark an die satirisch dargestellte Realität der Sowjetunion bzw. der sozialistischen Länder. Die Ästhetik des Hässlichen wird als poetisches Mittel zur Exotisierung und Orientalisierung der Ukraine verwendet. Nach dem Muster der aufklärerischen Berichte wird die Ukraine als rückständig und primitiv dargestellt. Durch den wiederkehrenden Bezug auf Polen verdeutlicht sich die Orientalisierung des Heimatlandes der Reisenden. Die Realitäten beider Länder sind von Hoffnungslosigkeit geprägt, die in der Gegenwart besonders im Vergleich zu der durch Bruno Schulz symbolisierten Vergangenheit den Untergang diagnostizieren: »Unser Absturz, dachte ich, ist ein absoluter. 1076 Siehe: Kapitel 3. 1077 Szczerek: Mordor kommt, S. 37; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 33: »Widziało sie˛ tam tanie, marnie budowane kamienice o karykaturalnych fasadach, oblepione monstrualnymi sztukateriami z pope˛kanego gipsu. Stare, krzywe domki podmiejskie otrzymały szybko sklecone portale, które dopiero bliz˙sze przyjrzenie demaskowało jako ne˛dzne imitacje˛ wielkomiejskich urza˛dzen´.« 1078 Szczerek: Mordor kommt, S. 38; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 33: »Rzecz była w tym, z˙e nie trzeba było przygla˛dac´ sie˛ z bliska. Wszystko to, cały ten szwindel i tandete˛, dostrzegało sie˛ juz˙ na pierwszy rzut oka. To nie było nawet udawane pie˛kno, to było pie˛kno czysto umowne. Sygnalizowane. Polegało na tym, z˙e jes´li – na przykład – jakis´ kupiec dzierz˙awia˛cy sklepik w rynku postawił sobie przed sklepikiem stara˛ doniczke˛ i w te˛ doniczke˛ naładował ziemi, i do tej ziemi powsadzał z dupy podobierane kwiatki, to nie było to oczywis´cie z˙adne, kurwa, pie˛kno. Ale był to sygnał, z˙e sklepikarz bardzo chciał, z˙ebys´my zrozumieli, z˙e w tym miejscu chciał umies´cic´ cos´ pie˛knego i z˙e robił, co mógł.«

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Was Schulz damals verachtete, gilt uns heute als die Krönung in Sachen Schnitt und Façon. Im heutigen Drohobytsch würde er nicht eine Minute überleben. Er würde nicht erst auf die Gestapo-Leute warten, sondern sich selbst die beiden Kugeln in den Hinterkopf jagen.«1079 Das Heraufholen von Bruno Schulz aus dem Archiv und das Zitieren seines Werkes soll nicht die Möglichkeit der Rückbesinnung und Reimagination der habsburgischen Zeit bedeuten, sondern deren Unmöglichkeit. Der Sozialismus und Postsozialismus prägen den Raum und dessen Wahrnehmung so sehr, dass keine anderen Sichtweisen möglich sind.

5.2.3 Fazit Szczerek greift aus dem idiosynkratischen Archiv identitätsstiftende Themen auf: Stereotype über den Osten und den Westen sowie das polnische und habsburgische Erbe, die im historisch-literarischen Archiv gespeichert sind. Doch der Roman ist in Bezug auf die Gegenüberstellung von Ost und West von einer Doppelbödigkeit geprägt: Der autodiegetische Erzähler demaskiert Stereotype durch anti-illusionistische Verfahren wie Ironisierung oder Nichtentsprechung inhaltlicher und formaler Erwartungen und bestätigt sie durch Einhaltung der sprachlichen und narrativen Grenzen des textuellen Mediums. Auf dieser Ambivalenz zwischen Illusionsbildung und -durchbrechung basiert die Wirkung des Textes. Eben dies wird auch an seinem Ende ersichtlich, als der Erzähler nach einem Streit mit Taras, bei dem die stereotype und überhebliche Sichtweise des Erzählers auf die Ukraine entblößt wird, die Grenze zu Polen überschreitet und von einem starken Gefühl der Scham überfallen wird: »Ich ballte die Fäuste und schämte mich. Verdammt, wie ich mich schämte.«1080 Eine solche Durchbrechung geschieht auch durch die Reflexion des Erzählers am Anfang des letzten Kapitels mit dem Titel »Orientalismus«,1081 wo er sein immer größeres Desinteresse und seine Abneigung gegenüber der Ukraine und Lwiw zugibt und dabei mit seiner immer größer werdenden Ähnlichkeit mit Polen argumentiert: »Dieses Lwiw zum Beispiel. Es glich zunehmend einer gewöhnlichen polnischen Stadt. Von vor ein paar Jahren, sagen wir mal. Die komplette

1079 Szczerek: Mordor kommt, S. 38; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 33–34: »Nasz upadek, mys´lałem, jest absolutny. Przeciez˙ to, czym on gardził, my teraz uwaz˙amy za szczyty sznytu i fasonu. Schulz nie przez˙yłby w dzisiejszym Drohobyczu ani minuty. Nie czekałby na gestapowców, tylko sam by sobie strzelił te dwa razy w potylice˛.« 1080 Szczerek: Mordor kommt, S. 231; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 221: »Zaciskałem pie˛´sci i było mi wstyd. Tak bardzo, kurwa, wstyd.« 1081 Szczerek: Mordor kommt, S. 225; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 215: »Orientalizm.«

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postsowjetische Exotik war dahin. Da gab es nur noch Raubtierkapitalismus.«1082 Damit wird noch einmal deutlich, dass es sich um eine Identitätsverhandlung des Erzählers und seiner polnischen Herkunft handelt. Mit der Exotisierung der Ukraine versucht er die eigene Exotisierung zu verschleiern, was sich ins Gegenteil verkehrt. Eben die Exotisierung der Ukraine macht ersichtlich, was der Erzähler zu verbergen sucht: Polen und Ukraine nehmen genau die gleiche Rolle ein. Szczerek müht sich an der auf dem Sozialismus aufbauenden Ost-West-Dichotomie ab. Kein Ereignis und keine Zeitspanne verbindet den mittelosteuropäischen Raum so sehr miteinander wie die sozialistische Erfahrung zur Zeit des Kalten Krieges bzw. wie die spätere Exotisierung jenen Erbes aus dieser Zeit. Sogar das Slawentum wird durch diese Erfahrungen überlagert, durch die eine Verbindung zu Staaten wie Rumänien oder Ungarn hergestellt werden kann: »Rumänien ist Transsylvanien, das Land der Vampire und Werwölfe, für den durchschnittlichen Westler das Osteuropa schlechthin, slawisch oder nicht.«1083 Der als objektiv geltende Blick ist der von Westen, eine typisch kolonialistische Haltung. Wie bei Stasiuk findet man in Przyjdzie Mordor Kommerz gleichgesetzt mit Religion. Ein Bazar, den Szczerek mit der Krokodilstraße aus Schulz’ gleichnamiger Erzählung in Verbindung bringt, stellt ein Beispiel dafür dar: Der größte Basar, den ich je gesehen habe. Er zog sich kilometerlang hin. […] Hier war die wahre Krokodilstraße. […] Neben diesem ganzen Irrsinn stand ein bescheidenes Kirchlein. Es sah aus wie die nächste Marktbude. Klar. Wenn alle ihre Stände aufbauen, stellt Jesus auch einen hin.1084

Der Kommerz gleicht in seiner Expansion dem Sozialismus: Er verschont nichts. Genauso entsprechen die Einstellungen der hier lebenden Menschen dem Postsozialismus; aufgrund ihrer bäuerlichen Herkunft sind sie nicht imstande das habsburgische Erbe in einer ansprechenden Form zu revitalisieren. Am ˇ ernivci und seiner Jugendstil-Architektur, als »mini-Lwów« (MiniBeispiel von C

1082 Szczerek: Mordor kommt, S. 225; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 215: »Taki Lwów na przykład. Był coraz bardziej podobny do zwykłego polskiego miasta. Sprzed kilku lat, powiedzmy. Znikneła z niego cała ta posowiecka egzotyka. Był to juz˙ tylko dziki kapitalizm.« 1083 Szczerek: Mordor kommt, S. 174; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 167: »Rumunia to Transylwania, kraina wampirów i wilkołaków, dla przecie˛tnego człowieka Zachodu – Europa Wschodnia włas´nie, wszystko jedno: słowian´ska czy niesłowian´ska.« 1084 Szczerek: Mordor kommt, S. 97–98; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 92: »Najwie˛kszy bazar jaki kiedykolwiek widziałem. Cia˛gna˛ł sie˛ kilometrami. […] To była prawdziwa ulica Krokodyli. […] Obok tego wszystkiego stała niewielka cerkiewka. Wygla˛dała jak kolejny pawilon handlowy. A co. Wszyscy wystawili kramiki, to Jezus tez˙.«

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Lwiw) und »miasto austriackie« (österreichische Stadt) charakterisiert, verdeutlicht Szczerek: Das waren Menschen, die schon immer in dieser Gegend gelebt hatten, gleich nebenan, aber nicht sie hatten diese Städte und diese Gebäude hochgezogen. Dieser Jugendstil war ihnen fremd, sie verstanden ihn nicht, wussten nichts mit ihm anzufangen, er war ihnen, nüchtern betrachtet, scheißegal, und wenn er manchen nicht egal war, dann zeugten ihre Versuche, ihn für die Nachwelt zu erhalten, von einer entwaffnenden Ungeschicktheit und Unfähigkeit.1085

Jurij Andruchovycˇ beschreibt in einem seiner Essays genau dieses Phänomen: Die Aneignung eines städtischen, kulturellen Raums durch eine ländliche, pragmatisch orientierte Bevölkerung, die diesen Raum überhaupt nicht versteht.1086 Ein derartiger Rückbezug auf das kakanische Erbe macht die Diskrepanz zwischen dem vornehmlich fortschrittlichen, zivilisierten, städtischen Westen und einem rückständigen, barbarischen, ländlichen Osten noch ersichtlicher. Die Ironisierung des Erzählers bleibt an dieser Stelle unklar, was teilweise die Stereotypen bestätigt, die der Erzähler sonst durch Überstilisierung des textuellen Mediums anti-illusionistisch durchbricht.

5.3

Conclusio

Das idiosynkratische Archiv zeigt sich in Werken von Szczerek und Stasiuk besonders gut. Es charakterisiert sich durch Inhalte des historisch-literarischen Archivs, doch die Auseinandersetzung mit diesen Archivmaterialien ist nicht das Ziel der Reise, denn dieses beruht auf dem Zugriff auf das idiosynkratische Archiv, das höchst individuell mit dem postgalizischen Raum zusammenhängt, nicht per se im kollektiven Gedächtnis dieses Raum gespeichert ist und sich durch das Subjektiv-Beliebige definiert. Somit ist das idiosynkratische Archiv eine Verbindung sowohl des historisch-literarischen Archivs als auch des familiären Archivs ergänzt durch weitere individuelle Elemente. Diese Verknüpfungen erzeugen ein idiosynkratisches Bild von Galizien.

1085 Szczerek: Mordor kommt, S. 95–96; Szczerek: Przyjdzie Mordor, S. 90: »To byli ludzie, którzy od zawsze z˙yli w tych stronach, zaraz obok, ale to nie oni wznies´li te miasta, te budynki. Ta secesja nie była ich, wie˛c jej nie rozumieli, nie umieli jej uz˙ywac´ i – generalnie – mieli w dupie, a jes´li nie mieli, to i tak ich próby zachowania jej dla potomnych były rozbrajaja˛co niezgrabne i nieudolne.« 1086 Vgl. Baran-Szołtys, Magdalena/Dvoretska, Olena: Das letzte galizische Territorium. Die Städte Dukla und Stanislau in den Werken von Andrzej Stasiuk und Jurij Andruchovycˇ. In: Jahrbuch des Wissenschaftliches Zentrum der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Wien, Band 7 (2016). S. 179–211; hier: S. 205–208.

Conclusio

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Darüber hinaus ist die Form dieser Texte eine höchst individuelle: bei Stasiuk die lyrische Prosa, bei Szczerek der Gonzo-Stil, was sie ihrer Form nach nicht in eine Reihe mit den klassischen Galizienreisen einordnen lässt. Eine thematische Tendenz charakterisiert die analysierten Texte: die OstWest-Dichotomie samt dazugehörenden Identitätsverhandlungen. Das Motiv der Suche nach der eigenen Identität zwischen den dominierenden Gegenpolen Ost und West bewirkt, dass Szczereks Werk trotz unterschiedlicher Tendenzen letzten Endes dem von Stasiuk gleicht. Was die Verhandlung der Stereotype bei Szczerek ist, ist bei Stasiuk die metaphysische Fragestellung rund um Identität, Raum und Zeit. Bei beiden geht es um Fragen der Selbstdefinition und eine damit verbundene Universalität. Dabei gehen beide Autoren unterschiedlich vor. Während Stasiuks Texte den Raum und die Geographie fokussieren und daraus ihre geopoetische und geopolitische Bedeutung ableiten, stellt Szczereks Przyjdzie Mordor eine Bearbeitung der aufgrund der Ost-West-Dichotomie bestehenden Stereotype dar. Der Raum bekommt seine Bedeutung durch seine Zuschreibungen aufgrund der Gegenüberstellung von Osten und Westen sowie der damit zusammenhängenden Geschichte mit ihren Konsequenzen für Bewohner dieser Territorien. Der Roman dekonstruiert die Stereotype durch die Wahl des Genres Gonzo und stellt Bezüge zu zahlreichen polnischen Themen dar, wobei er auf mehreren Interpretationsebenen gelesen werden kann. Die Lektüre des Textes wird für den Lesenden zu einem intellektuellen Spiel, das im Erkennen der Fülle von Anspielungen auf den unterschiedichsten Ebenen, von der sprachlichen bis zur inhaltlichen, besteht. Es handelt sich weniger um intertextuelle Verweise, obwohl auch diese zu finden sind (Tolkien, Schulz, Mickiewicz u. a.), als um Hinweise auf diverse politische, historische sowie popkulturelle Ereignisse und damit zusammenhängende Bedeutungen. Der Autor lässt sich unschwer als Intellektueller entlarven, was aus Verweisen auf Konzepte wie Orientalismus oder sprachlich-historische Anspielungen erkennbar wird. Der satirisch-dekonstruktivistische Text ist mit einer Fülle von Bedeutungen gefüllt, die nur ein informierter Leser entziffern kann. Demnach baut der Roman auf intellektuellen Konzepten, der Raum ist nur ein Ausgangspunkt für das Kokettieren mit ihnen. Eine andere Art von Kokettiere erzeugen die Texte Stasiuks. Hier wird mit Worten gespielt, die jedoch von ihrer üblichen Bedeutung befreit werden. Szczereks Aufbau von historisch-literarischen Bezügen steht im Gegensatz zur nominalistischen Sprachhaltung Stasiuks, dessen ansprechende lyrischen Sprachspiele autoreferentiell sind. So rückt auch der Raum in den Mittelpunkt des Textes, die Bezüge auf Begebenheiten sind verfremdet und bilden kein einheitliches System. Obwohl auch Stasiuk intertextuelle und historische Verweise gebraucht, haben sie für das Verständnis des Textes fast gar kein Gewicht. Der Text kreist um die Imaginationen und das Spiel mit Worten. In Szczereks Roman hingegen bilden die historischen Bezüge die Hauptbedingung

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für das Verständnis des Textes. Auch Stasiuk dekonstruiert diese Stereotype und ironisiert bei seinen Überlegungen zu Mitteleuropa und seiner Stellung zwischen Ost und West, doch bei ihm stehen nicht intellektuelle Konzepte, sondern die Menschen, der Raum und die Sprache im Vordergrund. Sprachlich ist eine Anlehnung an Stasiuks lyrische Prosa festzustellen. An der Oberfläche sind Vergleiche zwischen Stasiuk und Szczerek stimmig. Die Formlosigkeit dieses Raums, erzeugt durch das postsozialistische Erbe, was sich bei Stasiuk in der Verbindung von Kommerz und Religion zeigt, ist bei beiden Autoren zu finden. Die Idiosynkrasie zeigt sich dabei am besten in der Verbindung von Gegensätzen, die sich in der Formlosigkeit widerspiegelt. Stasiuks Texte und Szczereks Roman weisen viele Ähnlichkeiten auf und verfolgen teilweise die gleichen Ziele, jedoch realisieren sie diese auf andere Weise. Beide sind dabei nicht nur geopoetisch, sondern auch geopolitisch.

6

Abschließende Bemerkungen

Die vorliegende Studie widmete sich Reisen in den postgalizischen Raum der letzten dreißig Jahre in der polnischen und deutschsprachigen Literatur und stellte die Frage nach der Funktionsweise von Reisen in historischen Räumen. Das Ziel war es ein Modell zu entwerfen, welches das Prinzip solcher Reise veranschaulichen und ein methodisches Gerüst für deren Untersuchung bieten könnte. Das erschlossene Modell des »Archivs Galizien« spiegelt die Entstehung solcher Reisenarrative wider und ermöglicht eine verflochtene und mehrschichtige Analyse der Reisen in Bezug auf ihre Quellen und deren Aktualisierung während der Reisen. Die Wahl des Archivzugangs führt zu einer Brechung exkludierender Perspektiven und bietet eine vieldimensionale Untersuchungsund Ausdrucksart. Durch den Archivbegriff wird eine innovative Herangehensweise an die Gattung ermöglicht, welche neue Betrachtungsmöglichkeiten im Gattungs- und Galiziendiskurs eröffnet. Das Archiv Galizien, so konnte gezeigt werden, konstituiert sich in seiner Verwendung zur Gänze durch die gegenseitige Ergänzung seiner beiden Teile: dem Imaginationsarchiv und dem Raumarchiv. Das Imaginationsarchiv wird durch die Bewegung im Raum und die Begegnung mit dem realen Raumarchiv mittels der neu entstandenen Reisetexte sukzessiv erweitert. Die Reisen können nur auf den zu Verfügung stehenden Quellen, Dokumenten und Spuren basieren. Bei ihrer Aktualisierung während der Reise und ihrer Aufzeichnung handelt es sich um Imaginationen von Galizien, um kreative Aneignungen dieses Raums, nicht um der Realität verpflichtete historische Darstellungen. Das Neue dieser Repräsentationen von Galizien in den Reisenarrativen wird durch den gegenwärtigen Raum und das darin enthaltene Erbe Galiziens erzeugt, aber auch durch die unterschiedlichen zeitgenössischen Perspektiven auf diesen Raum sowie die damit verbundenen Imaginationen, die der zeitgenössischen Literatur zu Galizien anhaften. Durch die Aktualisierung und Ergänzung der gegenwärtigen Betrachtungen in die bestehenden Galizienbilder positioniert sich der neue Text zwischen Vergangenheit und Zukunft und kann neue Narrative begründen, die über das Überlieferte hinausgehen und Galizien neu konstruieren. Dies kann nur

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Abschließende Bemerkungen

auf der Basis dessen stattfinden, was das Archiv Galizien vorgibt, kann aber um individuelle Elemente des Subjektiv-Beliebigen ergänzt werden. Auswahl, Aktualisierung und Aufzeichnung sind die drei Ebenen des Entstehungsprozesses der untersuchten Reisetexte. Die Richtung der Befragung und der damit zusammenhängende »Griff ins Archiv« spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die Untersuchung zeigte, dass abhängig von der Art des Zugriffs auf das Archiv Galizien bei den Reisen im postgalizischen Raum drei Archivarten zu unterscheiden sind: das historisch-literarische Archiv, das familiäre Archiv und das idiosynkratische Archiv. Unverkennbar ist, dass deutschsprachige Reisende vor allem auf das historisch-literarische Archiv zurückgreifen. Dabei änderten sich die Themenschwerpunkte der Reisetexte innerhalb der letzten dreißig Jahre: Während in den ersten Reisen noch überwiegend das jüdische Erbe im Zentrum des Interesses stand und vornehmlich ein jüdisches Galizien entworfen wurde, ist in den späteren Texten Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre die Tendenz feststellbar, sich verstärkt der sozioökonomischen und politischen Situation der Ukraine sowie der Lebensrealität der dort lebenden Menschen zu widmen. Die Beziehung zwischen Schlesien und Galizien bildete ein anderes Thema, polnische Quellen wurden herangezogen. Obwohl das Bild des jüdischen Galiziens vorherrschte, integrierte man die anderen Ethnien Galiziens stärker in die Reisenarrative. Ferner sieht man speziell am Beispiel des letzten analysierten Texts, Stefan Weidners Ins Griechenland des Ostens, dass die Reisen immer selbstreflektiertender werden; von einer überheblichen Haltung wie in Verena Dohrns Reise nach Galizien entwickelt sich über dreißig Jahre ein Narrativ, das empathischer ist und zur Kritik an der Gesellschaft des eigenen Landes neigt. Bezüge zur gegenwärtigen politischen Themen werden hergestellt, die Reise nach Galizien wird zu einer historischen Lehrreise für die Gegenwart. Reise als Selbst-Erfahrung Eine wichtige Bilanz ist, dass Reisen auch heute noch die gleiche Rolle wie seit ihren Anfängen übernehmen – »als Medium der Selbstverständigung und SelbstErfahrung.«1087 Die Reisenden versuchen anhand der Reise ihre eigene Geschichte zu erzählen, wobei es sich sowohl um die Geschichte des eigenen Landes bzw. der eigenen Nation/Ethnie als auch um die Geschichte der eigenen Familie oder des individuellen Lebens handeln kann. Dabei ist die Auswahl der Quellen ausschlaggebend. Die polonozentrierten Kresy-Reisen, welche die Galizienreisen überlagern und die das polnische Erbe dieses Raums suchen, rufen in diesem Kontext die polnische Nationalgeschichte in Erinnerung. Jüdische Orte bilden den Schwerpunkt in den deutschsprachigen Reiseberichten, die die Geschichte 1087 Brenner: Reisebericht, S. 664.

Abschließende Bemerkungen

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des Ostjudentums und die Shoa rekurrieren, was mit der Präsenz dieses Themas in der eigenen Geschichte sowie der Dominanz deutschsprachiger Autoren (Joseph Roth, Karl Emil Franzos, Leopold von Sacher-Masoch etc.) im Diskurs begründet werden kann. Die polnischen Texte zeichnen dagegen ein auf dem polnischen Erbe basierendes Bild, doch auch im polnischen Bewusstsein wird Galizien wesentlich mit dem jüdischen Erbe in Verbindung gebracht. Das polozentrierte Narrativ der Kresy wird damit erneut bestätigt. So scheint in der sich mit Galizien überschneidenden polnischen Kresy-Literatur das Spezifische an Galizien sein multikulturelles und vor allem jüdisches Erbe zu sein; dies verbindet die polnischen Reisedarstellungen mit den deutschsprachigen. Das ukrainische Narrativ bleibt in den Kresy-Reisen im Hintergrund: Die Kresy bleiben bis zum Schluss polnisch, Galizien bleibt polnisch mit einem jüdischen Einschlag. Festzuhalten ist, dass die Benutzung des historisch-literarischen Archivs Narrative fördert, die sich vielmehr mit Nationalgeschichte befassen. In polnischen Reisen dominiert die Tendenz zur Betonung des polnischen Erbes dieses postgalizischen Raums, in dem Kresy und Galizien zusammengedacht werden. Die sich des historisch-literarischen Archivs bedienenden polnischen Reisenden können nicht unabhängig vom Erbe der Kresy reisen bzw. schreiben, auch wenn ihre Texte, wie im Fall von Anna Stron´ska, diesem Diskurs gegenüber kritisch sind. Galizien-Kanon Dazu kommt, dass zudem die historisch-literarischen Quellen aus dem Archiv Galizien für ein Gebiet verwendet werden, das territorial dem historischen Galizien größtenteils gar nicht entspricht – eine typische Eigenschaft Post-Galiziens. Dies macht die Dominanz dieses Archivs deutlich: durch seine Verfügbarkeit und Bekanntheit wird jenes auf umgebende Gebiete ausgeweitet, die nicht über einen so starken historisch-literarischen Nachlass verfügen. Es geht jedoch nicht um den Nachlass an sich, sondern um seine Verankerung und Zugänglichkeit in der Gegenwart. Aufgrund seiner Popularität ist der historisch-literarische Teil des Archivs Galizien leicht zugänglich, weshalb er breiter rezipiert wird. Das sichert sein Bestehen weit über die Grenzen (Post-)Galiziens hinweg – eine Folge des galizischen Literaturkanons. Nach 1989/1991 konnte sich innerhalb der Reisen bereits ein literarischer Galizien-Kanon etablieren, den Martin Pollacks Nach Galizien und Joseph Roths Werke sowohl in der deutschsprachigen als auch in der polnischen Literatur dominieren. Im Zentrum des Kanons sind auch Alfred Döblin und Leopold von Sacher-Masoch zu finden, weiters Ivan Franko und Józef Wittlin. In den Reisetexten werden oft Sekundärzitate verwendet, die auf eine Zirkulation von Materialien hindeuten; sobald eine Quelle aus den Archivmaterialien ausgewählt und im neuen Text aktualisiert wurde, vergrößert sich ihr Rezipientenkreis und die Wahrscheinlichkeit, dass sie in weiteren Wer-

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Abschließende Bemerkungen

ken aufgegriffen wird. Pollacks Nach Galizien als kanonischer Text der galizischen Literatur nach der Wende 1989/1991 kann seine Rolle bei dieser Zirkulation wiederholt behaupten, auch außerhalb des deutschsprachigen Raums. Familiennarrative In den auf das familiäre Archiv zurückgreifenden Reisenarrativen finden sich mehr Verbindungspunkte zwischen der deutschsprachigen und polnischen Literatur. Die zur familiären Erinnerungsaufarbeitung stattfindenden Reisen auf den Spuren der eigenen Familie sind (Re-)Konstruktionen von Familiengeschichten und werden aus der Perspektive der dritten Generation erzählt. In beiden analysierten Texten, Sabrina Janeschs Katzenberge und Tomasz Róz˙yckis Dwanas´cie stacji, sind die Kontexte gleich: die Vertreibungen bzw. Zwangsumsiedlungen aus Galizien und die Beziehung zwischen Schlesien und Galizien. Auch die rhetorische Form der Verfremdung, bei Janesch durch den magischen Realismus, bei Róz˙ycki durch ironische Nostalgie, kommt in beiden Fällen zum Einsatz, um das posttraumatische Thema und die schwierige Familiengeschichte erzählbar zu machen. Obwohl Janeschs Text nicht so komplex wie der Róz˙yckis ist, weisen doch beide in Bezug auf die Darstellung der Galizienreise zahlreiche Gemeinsamkeiten auf. Die Funktion der Reise als Mittel der Selbsterfahrung ist im Kontext der eigenen Familie zu finden. Diese auf dem familiären Archiv basierenden Reisen enthalten ein Narrativ, das im Vergleich zu den Reisetexten der anderen Archivarten besonders transnational angelegt ist. Durch die Verbindung von Schlesien und Galizien sowie die implizite familiäre und transgenerationelle Vertreibungs- bzw. Migrationsgeschichte entsteht ein integrierendes Narrativ, das nicht nur ein europäisches, sondern vielmehr ein globales Phänomen darstellt – eine spezifische Eigenschaft des familiären Archivs. Idiosynkrasie Das idiosynkratische Archiv wird nur von polnischen Texten beansprucht. Andrzej Stasiuk und Ziemowit Szczerek eignen sich den postgalizischen Raum auf eine höchst individuelle Weise an, was der Grund für das Fehlen einer solchen Zugriffsweise in der deutschsprachigen Literatur sein kann. Ein individueller, idiosynkratischer Zugriff ist nicht möglich, da Post-Galizien nicht Teil der eigenen politisch-kulturellen Lebensrealität ist, wie dies bei den beiden Autoren der Fall ist. Ihre Reisen können die Archive um zahlreiche individuelle, subjektivbeliebige Elemente erweitern, denn Galizien ist für sie, wie für viele Polen, Teil ihres Alltags. Eine thematische Tendenz charakterisiert beide Texte: die OstWest-Dichotomie samt dazugehörenden, teils ironisierten Identitätsverhandlungen, die im Rahmen der Funktion der Reisen als Mittel der Selbsterfahrung zu verstehen sind.

Abschließende Bemerkungen

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Entwicklung Im Zuge der Untersuchung konnte eine Entwicklung dargestellt werden: Von der Dominanz der deutschsprachigen Reisen im historisch-literarischen Archiv über die transnationale Erzählweise des familiären Archivs bis zur Dominanz der polnischen Literatur im idiosynkratischen Archiv. Die deutschsprachige Literatur muss auf externe in Literatur und Geschichtsschreibung verankerte Quellen zurückgehen, um über Galizien schreiben und in den postgalizischen Raum reisen zu können. Im Gegensatz dazu kommt die polnische Literatur durch die Nähe zu Galizien fast gänzlich ohne diese Quellen aus und hat einen individuellen, persönlichen Zugang zu diesem Raum, was anhand des ausschließlich polnischen Rückgriffs auf das idiosynkratische Archiv sichtbar wurde. Das transgenerationelle familiäre Archiv kann durch seine Transnationalität die Grenzen der Nationalliteraturen am ehesten überwinden und ein Zugriff darauf ist deshalb in vielen Nationalliteraturen und verschiedenen Sprachen zu diagnostizieren. Die auf das historisch-literarische Archiv zurückgreifenden Reisetexte entsprechen in ihrer Form am ehesten traditionellen Reiseberichten und sind stärker publizistisch, wohingegen die Texte des idiosynkratischen Archivs eine literarisch sehr innovative Form aufweisen. Als Grund kann die Aktualität Galiziens innerhalb der polnischen Literatur mit seinem Thema der Identitätsverhandlung nach der Wende 1989 und der damit zusammenhängenden Neupositionierung zwischen Ost und West genannt werden. Die deutschsprachige Literatur stellt an ihre Galizienreise keine solchen existenziellen Ziele, weshalb die meisten Texte weniger auf Kreativität als auf publizistische Absichten bauen. Gattung Reise Allen Reisenarrativen ist gemeinsam, dass sie die Funktion der Reise zur Ausverhandlung des eigenen Selbstbildes nutzen. Im historisch-literarischen Archiv ist es die Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen Kultur und Nation, im familiären Archiv das Erzählen der eigenen Familiengeschichte, im idiosynkratischen Archiv die Benutzung der Ost-West-Dichotomie sowie subjektiv-beliebiger Archivmaterialien für die eigenen Identitätsverhandlungen. So kann man keineswegs von einem Ende der Gattung sprechen, denn in ihren grundlegenden Funktionen ist sie, wie die Untersuchung zeigte, bis heute lebendig, was eine wichtige Erkenntnis dieser Arbeit ist. Alle vorliegenden Texte konnten eine gemeinsame, bis heute aktualisierte Poetik aufweisen, die sich in den Funktionen der Reise gezeigt hat: »Medium der Selbstverständigung und Selbst-Erfahrung«, »Reiseform, welche touristische Massenerfahrungen mit absoluter Singularität zu verbinden vermag«1088, und Reflexion der Interdependenz von Fremderfah-

1088 Brenner: Reisebericht, S. 664.

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Abschließende Bemerkungen

rung und Schreibpraxis, also die Intertextualität.1089 Das Ergebnis bezeugt die Existenz einer gemeinsamen Poetik der Reisetexte, die an jenen drei markanten Funktionen nachzuweisen ist. Konstant bleibt über den Untersuchungszeitraum eine durchgängige Produktion und Publikation galizischer Reisetexte, die an ihrer Popularität nichts einbüßen und wiederholt ein breites, öffentliches Interesse wecken, wobei anhand des Raums ständig neue, gegenwärtige Fragestellungen ausverhandelt werden, wodurch Galizien stets aktuell bleibt, sich ständig wandelt und so sein Nachleben sichert. Galizische Narrative Eine andere, allen postgalizischen Reisen gemeinsame Eigenschaft ist die Ausverhandlung von bestimmten Topoi, die Galizien inhärent zu sein scheinen: West vs. Ost, Zentrum vs. Peripherie, Zivilisation vs. Rückständigkeit. Diese Galizien seit seinen Anfängen zugeschriebenen Vorstellungen sind bis heute Thema bei der Beschäftigung mit diesem Raum, nehmen verschiedene Züge und Schwerpunkte an, sind in ihrer Grundform aber immer anzutreffen. Des Weiteren wird Galizien in den Reisen nach (Post-)Galizien heute überwiegend mit Ostgalizien gleichgesetzt, Westgalizien spielt in den galizischen Reisenarrativen der polnischen und deutschsprachigen Literatur nach 1989 fast keine Rolle und ist als Reiseland unbedeutend. Obwohl diese Diagnose für einen breiteren Kontext gilt, ist sie im Rahmen dieser Arbeit besonders aus den Reisetexten, die sich des historisch-literarischen Archivs bedienen, abzuleiten. Die steten Reisen in den postgalizischen Raum mit ihren beharrlich wiederkehrenden Bezügen auf die historische Provinz verdeutlichen eine Gegebenheit ausdrücklich, auf die Alois Woldan aufmerksam machte: »dass Galizien ein großes Narrativ ist, das auch heute noch Schreibende aus den verschiedenen Sprachen und Kulturen vereint.«1090 Jedoch schreibt jede Sprache und Kultur – in dieser Untersuchung die polnische und deutschsprachige – ihr eigenes Narrativ von Galizien fort und erzeugt je nachdem ein polnisches, jüdisches oder österreichisches Bild von (Post-)Galizien, worin die Ukraine tendenziell als Hintergrund fungiert. Eine tatsächliche Polyphonie vieler gleichwertiger Stimmen innerhalb der postgalizischen Reisen, aber auch innerhalb der Galizien-Forschung, findet sich kaum. In der vorliegenden Arbeit wurde eine multidisziplinäre und transnationale Herangehensweise an diesen historischen Raum gewählt, um anhand einer komparatistischen Arbeit die Vielstimmigkeit Galiziens mithilfe verschiedener Nationalliteraturen und -kulturen darzustellen, ein Ansatz, der bisher in der Forschung noch nicht ausgiebig praktiziert wurde. Die deutsch1089 Vgl. Biernat: Ich bin nicht der erste Fremde hier, S. 19–20. 1090 Woldan: Galizien-Literatur, S. 230.

Abschließende Bemerkungen

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sprachige und polnische Literatur wurden aufgrund ihrer großen Produktivität ausgewählt, die zu einer Dominanz innerhalb des internationalen Galiziendiskurses führte. Die Reisetexte aus diesen Literaturen bilden den dominierenden Kanon der Galizienliteratur über ihre eigenen Grenzen hinweg und wurden in viele anderen Sprachen übersetzt, wodurch sie das Bild Galiziens global prägen. Der multinationale Ansatz stellt einen Mehrwert dieser Arbeit dar und soll dem polyethnischen Galizien und der galizischen Tradition des Nebeneinanders mehrerer sprachlichen Codes gerecht werden. Eine vergleichende Analyse des Befundes in der deutschsprachigen und polnischen Literatur, welche Gemeinsamkeit und Unterschied bei Rückgriff auf die verschiedenen Formen des Archivs feststellt, konnte die Diskrepanzen und Besonderheiten dieser Beziehung besser nachzeichnen als es die Untersuchung nur einer Nationalliteratur vermocht hätte.

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Abschließende Bemerkungen

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306

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Sonstiges Przyjechała Z˙ydówka. Teatr Telewizji [Fernsehtheater]. Regie: Barbara Łuczak, Drehbuch: Anna Stron´ska. Polen: TVP 1990. Jeszcze tylko ten las. Film fabularny [Spielfilm]. Regie: Jan Łomnicki, Drehbuch: Anna Stron´ska. Polen: Studio Filmowe Kadr 1991, 86’. Die literarischen Reisen des Herrn Pollack [Dokumentation]. Regie: Björn Kölz, Gernot Stadler. Österreich: ORF 2017,45’.

Editorische Notiz

Alle Übersetzungen aus dem Polnischen in dieser Arbeit stammen, wenn nicht anders angegeben, von der Autorin. Die polnischen Originale sind überwiegend in der Fußnote angeführt. An prägnanten Textstellen sind sowohl die polnischen Originale als auch die deutschsprachigen Übersetzungen im Fließtext zu finden. Übersetzungen von Titeln der Primärliteratur sind bei Erstnennung in Klammer angegeben. Bei häufig in deutscher Sprache verwendeten Namen polnischer Städte wie Warschau oder Krakau wird der deutsche Stadtname verwendet, bei seltener gebrauchten Namen der polnische. In Bezug auf die Stadt L’viv wird für eine eindeutige Unterscheidung zum historischen Lemberg die deutsche Version des ukrainischen Namens nach der vom Duden empfohlenen Schreibweise »Lwiw« verwendet. Andere ukrainischen Eigen- und Städtenamen werden aus dem Ukrainischen transliteriert. Bei Zitaten und Verweisen wird die Schreibweise aus dem jeweiligen Text übernommen. Die Verwendung einer gendergerechten Sprache wird in der Arbeit angestrebt. An einigen Stellen wird in Anlehnung an die übliche Verwendung in Forschungsarbeiten bei manchen Termini das generische Maskulinum verwendet. Bei direkten Zitaten mit alter deutscher Rechtschreibung wurde diese beibehalten.

Danksagung

Das dem Buch vorangestellte Motto Thomas Bernhards trifft nicht nur auf die vorliegende Untersuchung der postgalizischen Reisen sowie auf sie konkret zu, sondern auf jegliches Lernen: Man fügt Zitaten Zitate hinzu, man setzt in Beziehung, man kommt zu Erkenntnisse. Solche Prozesse fanden auch bei der Entstehung dieses Buchs statt, wobei die Zitate nicht nur aus Büchern stammen, sondern ebenso von Menschen – ihnen gilt meine Dankbarkeit. Allen voran gebührt mein aufrichtigster Dank Alois Woldan, der mich seit seiner Ankunft an der Slawistik der Universität Wien im Jahr 2005 als Wissenschaftler und Mensch stets inspirierte, motivierte und unterstützte. Mein Interesse an Galizien sowie die Neugier Vergessenes aufzugreifen und zu erforschen, ist ihm zu verdanken. Ohne ihn hätte ich dieses Buch wohl nie geschrieben. Annegret Pelz danke ich für die wertvolle Betreuung meiner Dissertation. Besonders dankbar bin ich für ihre Hilfestellungen zur Theorie des Archivs und Gedächtnisses sowie für ihren Humor – die Erinnerungen an manche Situationen lassen mich bis heute lächelnd zurück. Ohne ihre theoretischen Hinweise wäre das Konzept Galiziens als Archiv nie aufgekommen. Zu großem Dank verpflichtet bin ich den Mitgliedern der Faculty des Doktoratskollegs Galizien an der Universität Wien, die ihr Vertrauen in mich gesetzt haben und mir ermöglichten, in diesem Rahmen an meinem Forschungsprojekt zu arbeiten. In besonderem Maße danke ich Christoph Augustynowicz und Kerstin Susanne Jobst für die zahlreichen anregenden Diskussionen. Olaf Terpitz und Patrice Dabrowski bin ich für ihre fachliche und organisatorische Unterstützung dankbar, den Kolleginnen und Kollegen aus den vorigen Generationen für ihre Einführung in die galizische Welt, besonders Lyubomyr Borakovskyy, Marianne Windsperger und Burkhard Wöller. In diesem Sinn gilt mein Dank ebenfalls Börries Kuzmany, der mir von Anfang an mit anregenden Ideen und fachlichen Erläuterungen zur Seite stand und immer noch steht. Cornelia Göls danke ich für die aufschlussreichen Gespräche, Elisabeth Janik-Freis und Nino Gude für die ertragreiche Arbeit am ersten herausgegebenen Sammelband.

310

Danksagung

Besonders danke ich Olena Umlauff (Dvoretska) und Matthias Kaltenbrunner für die unzähligen (nicht nur) fachlichen Diskussionen und die schönen Erlebnisse. Ohne ihre Freundschaft wären die unvergesslichen Erinnerungen an die gemeinsame DK-Zeit – um Matthias zu zitieren: »I had the best time of my life« – nie entstanden. Für Hinweise, Diskussionen und Hilfestellungen danke ich zudem Svetlana Boym (Cambridge, MA), Aleksandra Burdziej (Torun´), Moritz Csáky (Wien), Larissa Cybenko (Wien), Roman Dubasevych (Greifswald), Bogusław Dybas´ (Torun´/Wien), Lubomyr Hajda (Cambridge, MA), Halyna Hryn (Cambridge, MA), Tamara Hundorova (Kiew), Bill Johnston (Bloomington, IN), Celina Juda (Kraków), Andreas Kappeler (Wien), Kristin Kopp (Columbia, MO), Katarzyna Kotyn´ska (Warszawa/Kraków), Alfrun Kliems (Berlin), Magdalena Marszałek (Potsdam), Alina Molisak (Warszawa), Joanna Niz˙yn´ska (Bloomington, IN), Halyna Petrosanjak (Ivano-Frankivs’k), Martin Pollack (Wien), Ljiljana Radonic´ (Wien), Roswitha Schieb (Berlin), Stefan Simonek (Wien), Danuta Sosnowska (Warszawa), Malwina Talik (Wien), Dirk Uffelmann (Passau), Ulrike Vedder (Berlin), Ievgeniia Voloshchuk (Frankfurt/Oder) und Jagoda Wierzejska (Warszawa). Ohne ihre Teilhabe wäre das Buch nie so vielfältig gereift. Mein außerordentlicher Dank gilt meinen unermüdlichen Korrekturleserinnen und -lesern: Luise Artner-Sulzer, Kornelia Gass, Matthias Kaltenbrunner, Sabine Menges und Christian Wimplinger. Mein ausdrücklicher Dank geht an meine Freundin Kerstin Mayerhofer, die mich seit Jahren fachlich und kollegial unterstützt, dementsprechend auch die Erstversion des Buchs lektoriert hat. Ohne ihre Hilfe wäre das Buch nicht (fast) fehlerfrei geworden. Danken möchte ich auch meinen Eltern und Großeltern, meiner Familie sowie meinen Freundinnen und Freunden. Ein besonderer Dank gebührt meinem Mann Maciej Szołtys, der mich unermüdlich daran erinnert, konsequent meine Ziele und Träume zu verfolgen, sowie meinem Großvater Wojciech Sitarz, der mich das kritische Denken gelehrt hat. Ohne ihren Halt hätte ich es nie durch die schwierigen Phasen geschafft. Abschließend gilt mein Dank dem Doktoratskolleg »Das österreichische Galizien und sein multikulturelles Erbe«, der Universität Wien sowie dem FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung), die die Entstehung des vorliegenden Buchs finanziell und institutionell ermöglichten. Ohne ihren Rahmen hätte ich nie begonnen zu forschen.

Personenregister

Agnon, Samuel Joseph / Agnon, Shmuel Yosef 98f., 121–124 Aleksievicˇ, Svjatlana 209 Anamnestes 66–69, 75, 165 Andruchovycˇ, Jurij / Andruchowycz, Jurij / Andruchowytsch, Juri / Andrukhovych, Yurii 24, 76, 107, 114, 120, 208–211, 213, 215f., 272 Antos, Irena 221 Aristoteles 64, 68 Artner-Sulzer, Luise 310 Assmann, Aleida 52, 58–68 Assmann, Jan 58, 145 August III 224, 228 Augustynowicz, Christoph 39, 45, 309 Ausländer, Rose 79, 100f., 120 Babel, Isaak 120, 151 Baca, Aleksander 127 Bagłajewski, Arkadiusz 215 Bakuła, Bogusław 128 Balcer, Adam 234 Balogh, András F. 45f., 83 Baran-Szołtys, Magdalena 12f., 39, 44f., 83, 123, 125, 141, 210, 216, 272 Bartl, Andrea 237 Baseglia, Guido 21 Bashevi, Isaac 79 Bechtel, Delphine 20, 43, 117 Berg, Anna de 46f., 77–79, 81f., 87, 91, 103, 221 Bergelson, David 85 Bernhard, Thomas 5, 309 Bescansa, Carme 158

Besier, Gerhard 240 Bialasiewicz, Luiza 43 Białoszewski, Miron 226 Biernat, Ulla 27–29, 34, 36, 280 Bilewicz, Aleksandra 128 Biller, Maxim 122–124 Blumenthal, Hermann 60, 119f., 136 Bömelburg, Hans Jürgen 128, 162 Borakovskyy, Lyubomyr 40, 309 Borer, Nadja 66 Borkowska, Graz˙yna 128 Borodziej, Włodzimierz 162 Bovenschen, Silvia 207 Boym, Svetlana 26, 93f., 188, 192, 194, 255, 310 Brachmann, Botho 57 Bredetzky, Samuel 35 Brenner, Peter J. 27–29, 31, 33, 37, 45, 276, 279 Breschnew, Leonid Iljitsch 152 Brinkmann, Rolf Dietrich 30 Brinkmann, Stephan 65 Bronfen, Elisabeth 183 Brooke-Rose, Christine 163 Brühl, Maria Amalia / Mniszech, Maria Amalia / Mniszchowa (Brühl), Amalia / Brühl, Amalia 62, 219f., 223–229, 232 Brzezin´ski, Zbigniew 147 Buber, Martin 85, 98 Burdziej, Aleksandra 158, 184, 310 Burg, Josef 100 Burzyn´ska-Kamienicka, Anna 128 Büttner, Ruth 44, 107, 141, 179, 190, 213 Byczkiewicz, Anna 46

312

Personenregister

Caduff, Corinna 163 Carruthers, Mary 66 Cavanagh, Clare 253 Celan, Paul 79, 100f., 120 Certeau, Michel de 66, 71–73, 202 Chagall, Marc 219 Chrzanowski, Tadeusz 127 Cicero, Marcus Tullius 49, 64f., 68f. Cies´lak, Tomasz 159 Cobel-Tokarska, Marta 210 Collini, Stefan 163 ˇ olovicˇ, Ivan 209 C Corbea-Hois¸ie, Andrei 43 Coxe, William 45 Csáky, Moritz 60, 310 Cybenko, Larissa 42, 310 Cynybulk, Gunnar 158 Czachowska, Jadwiga 139 Czaplin´ska, Maria 223–225, 228 Czarnowski, Ryszard Jan 127 Czeppe, Maria 224 Czernin, Monika 22 Dabrowski, Patrice 309 Da˛browski, Mieczysław 20 Davies, Norman 162 Dawidowicz, Klaus 123 Deleuze, Gilles 83 Derrida, Jacques 58, 245 Detel, Hanne 238 Deutsch, Helene 79, 120 Dittert, Annette 21, 101 Döblin, Alfred 22, 35, 45f., 114–116, 120, 277 Dohrn, Verena 21, 25, 33, 47, 76–89, 96– 100, 105f., 135, 276 Drozda, Thomas 211f. Dubasevych, Roman 292, 310 Dubrowska, Małgorzata 179f. Dvoretska, Olena 39, 44, 107, 123, 125, 216, 272, 310 Dylewski, Józef 221 Dybas´, Bogusław 310 Dzikowska, Elz˙bieta 42 Ebeling, Knut

57, 60, 147

Egger, Sabine 158, 184 Eich, Günther 81, 84 Eimermacher, Karl 62 Erdle, Birgit R. 183 Ernst, Wolfgang 49, 51, 57f., 71 Erpenbeck, Jenny 179 Espagne, Michel 51 Eumenestes 66f., 69, 165 Ewertowski, Tomasz 208 Faymann, Werner 100 Feyerabend, Carl 45 Fichte, Hubert 30 Fischer, Heinz 100 Foer, Jonathan Safran 122–124 Foucault, Michel 50f., 58 Frank, Jakob 123 Franko, Ivan 79, 83, 119f., 277 Franz, Hans-Werner 246 Franz Joseph I / Franciszek Józef I 143– 145, 154, 200, 259 Franzos, Karl Emil 14, 35, 40, 42, 46, 87, 89, 111, 118–120, 247, 277 Fredro, Aleksander 109, 112, 120, 126 Freud, Sigmund 183 Frey, Irina 208 Fuchs, Anne 29, 33 Gansel, Carsten 41 Gass, Kornelia 310 Gauß, Karl-Markus 22, 209 Giersch, Paula 44f. Glatzer, Nahum Norbert 123 Gloger, Zygmunt 131 Glosowitz, Monika 210 Gnauck, Gerhard 209 Golec, Janusz 125 Golemo, Karolina 126 Goszczyn´ski, Seweryn 35, 110, 120, 126 Göls, Cornelia 309 Gradinari, Irina 53 Granach, Alexander 120 Greenblatt, Stephen 112f., 172f. Grimberg, Martin 37 Grottger, Artur 132–134 Groys, Boris 53, 212

313

Personenregister

Grube, Gernot 54 Grubel, Fred 91 Grübel, Rainer 43 Guatarri, Félix 83 Gude, Nino 39, 44, 123, 125, 309 Günzel, Stephan 57, 60, 147 Hacquet, Balthasar 35, 46 Hahn, Hans Henning 41, 43, 126, 240 Haid, Elisabeth 36, 44 Hajda, Lubomyr 310 Hamann, Christof 58f. Hamilton, Albert Charles 67f. Hann, Christopher 43f., 238 Hanus, Anna 44, 107, 141, 179, 190, 213 Harth, Dietrich 63 Hauser, Zbigniew 127 Haverkamp, Anselm 64 Hendrik, Michael 237–239 Herder, Johann Gottfried 36, 43f., 115, 121 Hirsch, Marianne 26, 93, 160, 188 Hitchens, Christopher 244 Hitler, Adolf 106, 161 Hnatiuk, Aleksandra 210 Hofbauer, Ernst 21, 25, 47, 99–101 Hoff, Dagmar von 208 Honold, Alexander 58f. Hryn, Halyna 310 Hüchtker, Dietlind 43 Hundorova, Tamara 310 Hutcheon, Linda 188f. Ionesco, Eugène 196 Iwasiów, Inga 248 Izdryk, Jurij 107 Iztueta, Garbine 158 Jagiełło, Krystyna 149 Jakubowska, Urszula 43 Jandaurek, Julius 45 Janesch, Sabrina 22, 24, 26, 34, 157–160, 163–171, 173f., 178–184, 188–190, 197f., 200f., 204, 278 Janicka, Anna 126 Janik, Elisabeth 39, 44, 123, 125, 309 Janion, Maria 261

Jastrze˛bski, Stanisław 127 Jelecˇ, Marijana 45 Jensen, Bernhard 123 Jerzmanowski, Józef 36 Joachimsthaler, Jürgen 42 Jobst, Kerstin S. 43, 309 Johannes von Dukla / Jan z Dukli 62, 220– 223, 229, 231f. Johnston, Bill 310 Juda, Celina 310 Kafka, Franz 83, 105 Kahlenberg, Friedrich P. 57 Kaltenbrunner, Matthias 310 Kała˛z˙ny, Jerzy 128, 215 Kamienicki, Jan 128 Kamper, Dietmar 208 Kaniowska, Katarzyna 163 Kappeler, Andreas 39, 45, 310 Kapus´cin´ski, Ryszard 59, 89f. Karolczuk-Ke˛dzierska, Monika 221 Karpa, Irena 209 Kaszyn´ski, Stefan H. 43 Keen, Suzanne 68 Keil, Martha 170 Kerouac, Jack 238 Kieniewicz, Stefan 128 Killy, Walther 28 Kimmich, Dorothee 40f. Kinga von Polen / S´wie˛ta Kinga 182 Kirn, Paul 54 Kisˇ, Danilo 209 Kissel, Wolfgang Stephan 248 Kłan´ska, Maria 42 Klein, Peter 19, 22, 51, 57f., 70 Kleveman, Lutz C. 114 Kliems, Alfrun 213, 310 Knop, Andreas 55 Kocjubyns’kyj, Mychajlo 79 Koeppen, Wolfgang 30 Kogge, Werner 54 Kohl, Johann Georg 45 Kohler, Gun-Britt 43 Kolbuszewski, Jacek 125, 128f. Kołodziejczyk, Dorota 128, 248 Kolowrotnik-Seniow, Stefania 127

314 Kölz, Björn 15 Komar, Z˙anna 45, 78, 126 Komorowska, Gertruda 53, 224f. Konarzewska, Aleksandra 210 Koper, Sławomir 127f. Kopp, Kristin 310 Kordys, Roman 228 Korek, Janusz 128, 246, 251f., 256 Korte, Hermann 158 Korzeniowski, Józef 136 Kos, Wolfgang 45, 78, 126 Kotowska-Kachel, Maria 139 Kotyn´ska, Katarzyna 40, 310 Kowal, Grzegorz 126 Kowalczyk, Jerzy 225f., 228 Kowalski, Grzegorz 126 Kozakowska-Zaucha, Urszula 127 Koz˙uchowski, Adam 41, 43, 126 Krajewska, Monika 80f. Kramer, Anke 164 Krämer, Sybille 54–57, 197 Krasin´ski, Zygmunt 126 Kraszewski, Józef Ignacy 126, 225f. Kratochvil, Alexander 41 Kratter, Franz 35, 46, 225 Kraus, Martin 237 Krcˇal, Katharina 45 Krobb, Florian 44f. Kühl, Olaf 23f. Kuzmany, Börries 40, 46, 309 Lagiewka, Agata Joanna 184 Lamping, Dieter 29 Landau, Saul Raphael 40, 120 Landmann, Salcia 100, 120 Lasatowicz, Maria K. 42 Ławski, Jarosław 126 Le Fort, Piotr 228 Le Rider, Jacques 39 Lecin´ski, Maciej 230 Leitgeb, Christoph 45f., 83 Lem, Stanisław 25, 79, 81–83, 85, 115, 120 Lemke, Markus 123 Łepkowski, Józef 36 Lepszy, Kazimierz 220 Lesisz, Ewelina 43

Personenregister

Lipin´ski, Krzysztof 36, 42 Lisen, Alexander 100 Lodzin´ska, Ewa 127 Łomnicki, Jan 140 Lotman, Jurij M. 62 Lovric´, Goran 45 Lowenthal, David 93, 160 Łukaszuk, Małgorzata 159 Luxemburg, Rosa 79, 120 Lypyns’kyj, V’jacˇeslav 147 Mace, James 147 Magocsi, Paul Robert 43f. Makarska, Renata 41, 55 Malczewski, Antoni 225 Man´kowski, Tadeusz 226 Mannová, Elena 240 Maria Theresia 224 Mark, Laura U. 115, 223 Marszałek, Magdalena 19, 41, 55, 210f., 310 Marx, Esther 123 Masłon´, Krzysztof 127 May-Chu, Karolina 198 Mayerhofer, Kerstin 310 Menges, Sabine 310 Merklin, Harald 65 Mettauer, Philipp 157, 170 Meyer-Kalkus, Reinhard 113, 172 Michaelis-König, Andree 41 Michalak, Janusz 219 Michalski, Janusz 127 Mick, Christoph 117f., 262 Mickiewicz, Adam 82f., 159, 177, 273 Middell, Katharina 51 Middell, Matthias 51 Miller, Nancy K. 93, 188 Misiak, Małgorzata 128 Mniszech, Jerzy 225 Mniszech, Jerzy August Wandelin 223– 225, 228 Mohort 125f., 129 Molisak, Alina 14, 45, 75, 99, 123, 262, 310 Morgenstern, Soma 111, 120 Mühling, Jens 114 Müller, Dorit 53

315

Personenregister

Müller, Herta 22 Müller, Michael G. 43 Müller-Funk, Wolfgang 53 Müller-Oberhäuser, Gabriele Nell, Werner 41, 126 Nicieja, Stanisław Sławomir Nickel, Martin 30f. Niz˙yn´ska, Joanna 310 Nowicka, Ewa 128 Nünning, Ansgar 64 Nycz, Ryszard 248

64, 68

127

Obertyn´ska, Beata 133 Obrocki, Jan 225f. Ogin´ski, Michał 228 Ohlbaum, Isolde 114 Okulicz-Kosaryn, Radosław 129 Oldenhage, Klaus 57 Ole˛dzki, Franciszek 226 Olszan´ski, Tadeusz 127 Onufriv, Sofia 24, 209 Orłowicz, Mieczysław 218, 228 Orłowska, Paulina 163 Osadcˇuk, Bohdan 147 Osip-Pokrywka, Magdalena 127 Osip-Pokrywka, Mirosław 127 Ostrowski, Jan K. 127 Owsianowska, Sabina 20 Pappenheim, Bertha von 46, 81, 85, 120 Parandowski, Jan 62, 103, 111, 120 Parnes, Ohad 183f., 197 Pauli, Z˙egota 35 Pause, Johannes 53 Pawlikowski, Michał 133 Pelz, Annegret 39, 164, 309 Perez, Isaak Lejb / Perez, Jizchak Lejb 80, 120 Petri, Rolf 43 Petrosanjak, Halyna 107, 310 Petrozolin-Skowron´ska, Barbara 221 Phillips, Ursula 248 Pierzchała, Franciszek 141 Piotrowski, Josef 111 Piotrowski, Piotr 247

Pleitgen, Fritz F. 21, 101 Pol, Wincenty 125f., 129 Pollack, Martin 15, 21f., 24f., 36f., 47, 59f., 62, 76, 90, 101, 115, 119–121, 136, 209, 277f., 310 Pörksen, Bernhard 238 Possin, Hans-Joachim 31f. Potocki, Franciszek Salezy 224 Potocki, Stanisław Szcze˛sny 224 Prochas’ko, Taras 209 Prunitsch, Christian 87, 212, 232 Purchla, Jacek 45, 78, 126 Pytel, Ewa 43 Raabe, Katharina 114, 209 Rabowicz, Edmund 224 Radek, Karl 85 Radler, Rudolf 31 Radonic´, Ljiljana 310 Rapaport, Rose 95 Raschel, Heinz 39 Raulff, Ulrich 147 Rebhandl, Bert 124 Reich, Wilhelm 79 Reichmann, Barbara 238f. Rexheuser, Rex 225 Richard A.H. King 68 Ricœur, Paul 55, 57, 98 Rinner, Fridrun 36, 43 Rogge, Florian 190 Rogosz, Józef 120 Ronen, Shoshana 99, 122f. Rostworowski, Emanuel 223f., 228 Roszkowski, Wojciech 161 Roth, Joseph 21, 25, 35, 42f., 45f., 79, 86, 89, 91–94, 100f., 105, 119f., 136, 149, 151, 154, 277 Rott, Dariusz 30 Róz˙ycki, Tomasz 24, 26, 34, 122f., 157– 160, 163, 167–170, 175–178, 181–183, 186–188, 191–205, 278 Rubel, Alexander 43 Rushdie, Salman 163 Rutka, Anna 180 Rybicka, Elz˙bieta 208 Rydiger, Monika 45, 78, 126

316 Rytel-Kuc, Danuta

Personenregister

210

Saalbach, Mario 158 Sacher-Masoch, Leopold von 21, 40, 42, 85, 89, 105, 120, 277 Said, Edward 240, 249, 251 Sajó, Tomás 64 Samuely, Nathan 40, 120 Sandauer, Artur 120 Sapper, Manfred 114 Sasse, Sylvia 19, 41, 55, 210 Sauerland, Karol 45 Schahadat, Schamma 40f. Schellow, Constanze 66 Schenk, Dietmar 19, 51, 57f., 70 Schickler, Max 100 Schieb, Roswitha 22, 24, 47, 62, 76, 102– 109, 111–113, 121, 135, 152, 310 Schimmel, Nina 66 Schimsheimer, Christof 125, 213 Schlögel, Karl 22, 47, 63, 69f., 114, 202, 211 Schlösser, Helmut 30–32 Schnetzler, Kaspar 21, 33, 47, 75, 88–100, 106 Scholem Alejchem 85, 120, 135, 137 Schoor, Kerstin 117 Schößler, Franziska 44f. Schreyer, Hermann 57 Schüler-Springorum, Stefanie 117 Schulz, Bruno 21, 25, 105, 119f., 267–270, 273 Schwarz, Wolfgang F. 210 Schweikle, Günther 29 Schweikle, Irmgard 29 Schwitin, Katharina 41 Sˇevcˇenko, Taras 79, 101, 120, 137 Seweryn, Dariusz 35, 159 Shakespeare, William 64 Siewior, Kinga 20 Siljak, Ana 161 Simonek, Stefan 36, 39, 123, 310 Simonides von Keos 63f., 69 Singer, Isaac Bashevi 120 Singer, Israel Joschua 79 Sitarz, Wojciech 310 Skórczewski, Dariusz 247, 249, 253

S´liwowski, Rene 148f. S´łomin´ska, Natalia 208 S´niadanko, Natalka 209

Solomon, Francisca 40 Sommerbauer, Jutta 114 Sosnowska, Danuta 13, 41, 262, 310 Sowa, Jan 251 Spenser, Edmund 66–69 Sperber, Manès 79, 120 Spitzer, Moritz 123 Spivak, Gayatri Chakravorty 249 Spyra, Paweł 141 Stachel, Peter 60, 118 Stadler, Gernot 15 Stan´czyk, Ewa 159 Stasiuk, Andrzej 23f., 26, 34, 53, 62, 94, 196, 207–221, 223–226, 228–235, 241, 245, 250, 271–274, 278 Staudinger, Barbara 157 Stefanowska, Lidia 41 Steinschneider, Karl 98, 122 Sternburg, Wilhelm von 91 Stillmark, Alexander 45 Stokłosa, Katarzyna 240 Stößling, Renate 162 Stron´ska, Anna 12, 23, 25, 75, 139–142, 146–153, 277 Suleja, Włodzimierz 128 Syrnyk, Jarosław 128 Szałagan, Alicja 139 Szczepaniak, Monika 208 Szczepanowski, Stanisław 14 Szczerek, Ziemowit 24, 26, 34, 53f., 122, 125, 196, 207, 234–245, 247f., 250–262, 264–274, 278 Szołtys, Maciej 310 Tabakowski, Elz˙bieta 162 Talavera, Iraide 158 Talik, Malwina 310 Tarasow, Sergiej W. 127 Targosz, Kamil 219 Telaak, Anastasia 179, 189 Ternes, Bernd 208 Terpitz, Olaf 309 Ther, Philipp 93, 161f.

317

Personenregister

Thompson, Anita 244 Thompson, Ewa 245–247, 249, 253 Thompson, Hunter S. 237–239, 244 Thomsen, Martina 118 Thurn, Hans-Peter 246 Tokarski, Jacek 127 Tolkien, J. R. R. 234, 255, 273 Topol, Jáchym 209, 215 Traba, Robert 41, 126, 128, 162 Traunpaur d’Ophanie, Alphons Heinrich 35, 46, 225 Trepte, Hans-Christian 210 Trybus´, Krzysztof 128, 215 Tumiłowicz, Bronisław 20 Uffelmann, Dirk 43, 310 Ugresˇicˇ, Dubravka 209 Urban´ski, Antoni 127 Uspenkij, B.A. 62 Vedder, Ulrike 163, 182–185, 197, 310 Veteranyi, Aglaja 209 Vincenz, Stanisław 119f. Voloshchuk, Ievgeniia 310 Wagner, Karl 45 Walder, Dennis 93 Waldheim, Kurt 100 Wanda Monné 133 Warmholz, Hugo 45 Weck, Nadja 45 Wedemann, Marek 128 We˛glicka, Katarzyna 23, 25, 130–133, 135– 139, 150 Weidmann, Lisa 21, 99f., 210 Weidner, Stefan 22, 33, 95, 113–117, 121, 276 Weigel, Sigrid 183 Weiler, Thomas 24, 234 Weismann, Stephanie 36, 40, 44f., 85 Werberger, Annette 40f., 55 Weretiuk, Oksana 215 Wetenkamp, Lena 208 Wetzel, Michael 245 Wia˛cek, Elz˙bieta 126

Wieczorek, Waldemar 127 Wiegandt, Ewa 42f. Wielhorski, Jerzy 228 Wiens, Birgit 66 Wierzejska, Jagoda 13, 45, 75, 99, 210, 220, 250, 262, 310 Wiesenthal, Simon 123f. Willer, Stefan 183f., 197 Wimplinger, Christian 310 Windsperger, Marianne 45, 157, 170, 309 Winkler, Claudia 185 Wischenbart, Rüdiger 22, 47, 52 Wis´niewski, Jerzy 224 Witosz, Boz˙ena 30, 32f. Wittlin, Józef / Wittlin, Joseph 43, 62, 103, 105, 115, 119f., 277 Wodecka, Dorota 207, 210 Wodianka, Bettina 66 Wodzicki, Kazimierz 36 Woldan, Alois 11f., 36f., 40, 42, 52f., 75, 78, 83, 90–92, 94, 102f., 123, 139, 210, 280, 309 Wolfe, Tom 238 Wolff, Larry 14, 36, 61, 214, 249 Wolfram, Werner 57 Wöller, Burkhard 36, 44, 309 Wolska, Maryla 133 Worobiec, Antoni 136 Wyczawski, Hieronim 220 Wylegała, Anna 161 Wysocki, Grzegorz 235 Yates, Frances A. 64f. Youngs, Tim 30, 37 Zabielski, Łukasz 126 Zˇadan, Serhij 209 Zajas, Krzysztof 208 Zarycki, Tomasz 247f., 251, 258f. Zasada, Jacek Edmund 127 Zerinschek, Klaus 36, 43 Ziemer, Klaus 162 Zimniak, Pawel 41 Zudrell, Petra 46 Zˇupanov, Ines G. 113, 172

Sachregister

Adelsrepublik Polen-Litauen 200, 221 Aktion Weichsel / Akcja Wisła 146f. Album 164 Alkohol 168, 186, 195f., 199, 241f. Antisemitismus 95, 106, 117, 151 Architektur 123, 228, 259, 271 Archiv 11, 16f., 19f., 23, 25f., 33f., 49–53, 55, 57–60, 62, 67–71, 75f., 79, 81, 86, 89, 93, 98f., 101–105, 111–113, 116, 119, 121, 124f., 129, 132f., 141–145, 147f., 151, 153–155, 157, 163–166, 168, 170–172, 175, 192, 204, 207f., 213, 216f., 219, 225, 228, 233–235, 249, 270, 272, 276–280, 281, 309 Archivar 19, 50–52, 58, 62 Archiv Galizien 18f., 34, 49–54, 56, 60f., 66, 69, 71, 73, 89, 91, 98–100, 102, 104, 107, 119–121, 124, 129–131, 137, 164, 210, 225, 233, 235, 275–277 Armenier 13, 108 Armut 14, 86, 118, 152, 176, 198, 241f., 266 Aufklärung / aufklärerisch 35f., 61, 86, 96f., 176, 249, 252, 269 Autobiographie 28, 122, 141 Autofiktion / autofiktional 158 Autoreferentialität 236 Bahnhof 89, 91 Batiar 43 Beglaubigung 166f. Begräbnis 171f., 181, 197 Bibliothek 11, 57, 60, 164 Bojken 13, 146

Cicerone 112, 132 Collage 73 Dachboden 179, 192 Deportation 146, 161 Desillusionierung 251 Deutschen 12, 28, 31, 33, 37, 41, 53, 77, 81, 85, 102, 104, 108f., 115, 128, 158, 160– 162, 169, 173–175, 177–181, 184f., 190f., 198, 203, 242, 247 Deutschösterreicher 13 Diaspora 87, 93, 188 Doppeladler 92f. Dritte Generation 26, 157f., 170, 182–185, 190, 278 Eisenbahn / Bahn 91, 118, 201 Eiserner Vorhang 15, 20f., 211 Emigration 96 Enkel 158f., 165, 168, 170, 177, 182, 185– 187, 192–197, 200–205, 231 Erbe 12, 14, 17, 19, 21, 25, 33, 39, 52, 56, 60, 76, 83, 87f., 94f., 97, 99–101, 108–113, 115, 117–120, 122, 128f., 131, 135f., 138f., 150f., 153–155, 164, 166–169, 177, 182, 190, 192, 200, 210f., 219f., 234–236, 240, 246, 254, 260f., 267f., 270–272, 274– 277, 310 Erinnerung 20f., 26, 33, 36, 41, 43, 62–69, 71f., 81, 86, 90, 93f., 99, 103f., 113–115, 117, 127, 141f., 145, 153, 157, 159f., 162f., 179, 182, 185–187, 189, 192f., 197, 200, 202–204, 207, 213–216, 220, 228– 233, 276, 309f.

320 Erinnerungsraum 50, 63, 72, 129, 208, 228 Erster Weltkrieg 14, 135 Ethnie / Ethnizität / ethnisch 14, 33, 44, 54, 97, 108, 138, 140, 146f., 153, 162, 200, 242, 249, 265, 267, 276 EU / UE / Europäische Union / Unia Europejska 101f., 148, 211 Exodus 187 Exotik / Exotisierung / exotisierend 96f., 118, 240f., 244, 258, 267, 269, 271 Faktizität 234, 238 Familiäres Archiv / Familienarchiv 11, 25f., 34, 104, 113, 141f., 151, 157, 163– 165, 168, 170, 175, 192, 204, 207, 272, 276, 278f. Familiengedächtnis 69, 160, 164f., 189, 193 Faschismus 152 Fiktion 31, 90f., 163, 214, 231, 234, 237f. Fiktionalität 28, 236–238 Flucht / Flüchtlinge 116, 157f., 161f., 166, 171, 180, 192, 197f., 200f., 203 Fremdbild 235, 245 Fremdwahrnehmung 46, 249f., 258 Friedhof 80f., 85f., 90, 111, 117, 124, 133, 135f., 262 Funktionsgedächtnis 59–61 Galizienbild 14, 18, 25, 42, 45f., 75f., 81, 89, 99f., 105, 120, 152, 154, 216, 233, 235, 259, 275 Galizienliteratur 11, 37, 40f., 43, 115, 139, 149, 281 Gattung 11, 27–33, 37, 39, 46, 59, 89, 140, 239, 275, 279 Gedächtnis 14, 17f., 44, 49–51, 60f., 63–65, 67–69, 72, 83, 115, 117, 145, 147, 164, 185–187, 193, 208, 214–216, 220, 224, 229, 232, 272 Gedächtnisraum 43, 72, 157, 215–217, 233 Gegenwartsliteratur 41, 43, 45, 58, 158, 163, 184 Gehen 29, 39, 66, 71–73, 82, 96, 117, 137, 180f., 198, 273 Geopoetik 19, 41, 55, 210f.

Sachregister

Gesellschaftskritik 118 Gonzo 26, 53f., 122, 234, 236–239, 244, 254, 273 Grenze 13, 18, 20, 28–30, 41, 43, 45f., 76, 89, 96, 102, 125, 131, 138, 140, 142, 150, 175, 189, 194, 196–198, 201, 210f., 237f., 252, 255, 270, 277, 279, 281 Grenzraum 111 Großmutter 160, 168, 176f., 185, 187, 190– 192, 199f., 205, 228, 231f. Großvater 108, 123, 158, 165f., 168–174, 178–182, 185, 189–191, 194, 197f., 204f., 221, 228, 231, 310 Habsburg 13f., 43, 100, 144 Habsburgermonarchie / Österreichische Monarchie / Donaumonarchie / Habsburgerreich / k.u.k.-Monarchie 20, 118, 127, 151, 248 Hardcore 234, 241, 250, 257 Heimat 21, 24f., 43, 98, 121, 123, 158f., 164, 172–174, 178, 184f., 188f., 199, 201, 205 Historischer Raum 14–19, 24f., 37, 39f., 43, 49–52, 59f., 63, 69f., 101, 157, 261, 275, 280 Historisch-literarisches Archiv 23, 25f., 33, 75, 79, 98, 103–105, 119–121, 124f., 132, 147f., 151, 153f., 216f., 219, 225, 235, 270, 272, 276f., 279f. Holocaust 160, 188 Hucul’sˇcˇyna 41 Huzulen 13, 15, 22, 37, 43, 96, 108, 119 Identität 42f., 45, 61, 72, 125, 145, 160, 163, 169, 178, 207, 210, 212, 236, 244–246, 249, 254–259, 273 Idiosynkrasie 207f., 274, 278 Idiosynkratisches Archiv 25, 27, 207, 216, 233 Illusion 164, 236, 239 Imagination 49–51, 89, 92f., 163, 189, 191, 196, 199f., 208, 213, 215, 217, 219, 226, 229–233, 241, 245, 256f., 273, 275

Sachregister

Imaginationsarchiv 49–54, 69, 72, 75, 81f., 85f., 88, 90, 104, 110, 132, 135, 147, 164f., 169, 275 Imagines 49, 65, 68f., 78 Interpretativität 56 Intertextualität 11, 21, 25, 34, 46, 269, 280 Ironie / Irony 122, 189, 194f., 234, 243f., 266 Ironische Nostalgie 163, 182, 188, 191, 195, 278 Islam 114, 117 Jiddisch 21, 80, 86, 100, 116, 137 Juden 13, 22, 79, 81f., 85, 88f., 97, 106, 113, 115–117, 121, 136, 139, 143f., 152, 174, 218–220 Jüdisches Erbe 21, 25, 52, 76, 88, 94, 97, 99– 101, 109, 111, 118, 120, 136, 138f., 154f., 219, 276f. Kakanien / Kakania 41f., 46, 210f. Kanon 37, 60, 98, 101, 105, 118–121, 123, 136, 143, 150, 154, 159, 277, 281 Karl-Ludwigs-Bahn 37, 89 Kollektives Gedächtnis 147, 216, 220, 232, 272 Konstruktion 14, 17, 43, 61f., 157, 214f., 218, 256, 278 Konzentrationslager / KZ 91 Korruption 35, 100, 152, 241–243, 250 Kresy / Borderlands 20, 23–26, 33, 103, 124–130, 132, 135f., 138f., 149f., 153– 155, 159, 161f., 175, 196, 200, 215, 234, 242, 260f., 276f. k.u.k. 92f., 95, 107, 112 Kulturelles Gedächtnis 43, 57, 60, 72, 83, 145, 224, 229 Landkarte 15, 25, 33, 39, 50, 52, 54, 75, 77, 80, 83, 104, 116, 125, 131, 138 Leerstellen 133, 157, 170, 214, 216, 220 Lemken 13, 146 Loci 50, 65, 68f. Lücke 23, 47, 53, 81, 88, 141, 150, 166, 170– 172, 214, 217, 220

321 Magischer Realismus 158, 168, 189, 278 Maidan 125 Massenmord 41 Memoria 64, 66, 68f., 127 Metafiktion 236–238 Migration / Migrierten 14, 25, 30, 157, 161, 278 Mikrokosmos 209, 213 Minderheiten 79 Mitteleuropa / Europa S´rodkowa 11, 23f., 27, 41, 112, 208–212, 215, 231, 245, 247, 250, 257f., 260, 274 Mnemotechnik / mnemotechnisch 17, 50, 63–66, 68f., 78, 81, 90, 104f., 132, 191, 193, 197, 202f., 218 Mobilität 112, 172 Moderne 11, 36, 44, 87, 121, 162 Mordor 24, 26, 53, 207, 234–244, 246f., 249–262, 264–273 Multiethnizität / multiethnisch 81, 83, 108f., 154 Multikulturalität / multikulturell 12, 39, 42, 60, 82, 102, 118, 120, 139, 144, 153f., 277, 310 Multilingualität / Mehrsprachigkeit / mehrsprachig 14, 30, 41, 83, 86 Multinationalismus / multinational 40, 55, 75, 281 Museum 11, 34, 45, 57, 113, 142, 145, 147 Muslime 116 Mythos / Mit / Myth 20, 42f., 45, 61, 78, 125f., 157, 163, 168, 178, 182–195, 215, 245, 251, 261–264 Nacherinnerung 160 Narrativität 56 Nationalismus / nationalistisch 20, 148, 150, 153, 248, 255, 261, 264–266 Nationalsozialismus 106 Nation / national 13f., 18, 33–35, 39, 41– 43, 54, 85, 100, 104, 106, 108, 113, 115, 117, 120, 122, 125, 129, 135, 140, 152f., 155, 161, 182, 193, 201, 216, 237, 240, 246, 255, 257, 261f., 265, 276, 279 NATO 211 Neoliberalismus 118

322 New Journalism 238 Nicht-Wissen 52f., 73, 87f., 98f., 108, 111, 116 Nostalgie / Nostalgia 26, 39, 41, 43, 83, 93f., 99, 105, 111, 148, 152, 157, 162, 172, 188f., 191, 193–195, 255 Ofen 168f., 173, 185 Okzident / Occident 240 Orient 240, 249 Orientalismus 234f., 239, 244, 270, 273 Ostblock 106 Osten / Ost 21f., 33f., 41, 53, 64, 95, 99, 103, 112–114, 117, 125, 128, 136, 141, 149, 151, 158, 161f., 166, 182, 196–199, 201, 209f., 212, 234–236, 240f., 244–246, 248–251, 253, 255–260, 267, 270, 272– 274, 276, 279f. Ostjudentum 33, 39, 88, 100, 117, 154, 277 Ost-West-Dichotomie 26, 97, 234f., 240, 245, 247, 257, 271, 273, 278f. Othering 249 OUN 146 Palimpsest 71, 80, 84, 108f., 115, 163, 202 Panorama von Racławice / Panorama Racławicka 110, 113, 135 Park 82f., 110, 135 Patriotismus / Patrioten 196, 265 Peripherie 34, 36, 40, 44, 173, 198, 210, 212f., 245, 247f., 258, 280 Pogrom 13, 155 Polen 13, 15, 20, 24, 26, 35, 37, 45f., 62, 75, 78f., 81–83, 86f., 102f., 106, 108f., 111, 114–116, 119, 124f., 127f., 130f., 133, 138, 140, 142, 146–151, 155, 158f., 161f., 175–177, 179–181, 193, 200, 208–211, 216, 224–226, 228, 234–236, 238, 241– 248, 250–254, 257, 259–265, 267–271, 278 Polnisch-Ukrainischer Krieg 13 Polyphonie 13, 75, 154, 280 Polysemie 56 Post-Galizien 11, 15, 41, 44, 78f., 102, 154, 277f.

Sachregister

Postkolonialismus / Postkolonialität 128, 210, 245 Postmemory 26, 160, 188 Postsowjetisches Erbe 236, 240 Potsdamer Abkommen 154, 161 Quelle 15, 18, 26, 37, 41, 44, 54, 57, 73, 75, 76, 79, 80, 81, 83, 85, 88, 89, 98, 101, 102, 103, 104, 113, 117, 119, 120, 123, 130, 136, 141, 148, 154, 218, 223, 224, 228, 275, 276, 277, 279 Raumarchiv 49–53, 66, 69, 72, 75, 81f., 85, 88, 90, 104, 108–112, 117, 119, 131–133, 137, 143, 147, 151, 165f., 169, 213, 219, 233, 275 Reisebericht 14f., 22, 27–33, 35–37, 44–47, 49, 71, 76, 78–81, 83, 85f., 88, 96f., 101f., 104, 109, 114, 116, 119, 121, 127, 135f., 147, 150, 153, 225, 238, 276, 279 Reiseführer 15, 109, 112, 127, 218f., 221 Reiseliteratur 11, 17, 21f., 27–33, 37, 39, 46, 59, 76, 83, 118 Reisende 19, 26, 31–34, 36, 50–53, 55, 62f., 68f., 71, 73, 75–77, 81, 87f., 95–97, 99, 107–109, 111, 116–120, 123, 132, 135, 138, 142, 152f., 155, 180, 187–189, 204, 216, 234, 241–245, 247, 250f., 262, 264– 267, 269, 276f. Reise / Podróz˙ 14–29, 31–37, 39, 42, 45–47, 49–55, 58–60, 62f., 66, 69–73, 75–89, 94– 105, 108f., 111–116, 118f., 121–124, 128–130, 132, 136, 138–142, 147–150, 154f., 157f., 160, 163, 165–167, 169–172, 175, 177, 180, 182, 184–189, 191, 193, 195, 197–205, 208, 210, 212f., 234–237, 240f., 243f., 250, 252–254, 259–261, 265, 272, 275–280, 309 Religion / religiös 13, 33, 40, 90, 100, 151, 193, 200, 221, 223, 232, 265, 271, 274 Reportage 22f., 47, 89, 97, 139–141, 147f., 209, 237, 239 Rhetorik 64, 73, 265 Rückständigkeit 35, 100, 176f., 199, 209, 241, 260f., 280 Ruinen 41, 50, 52, 87, 149, 219

Sachregister

323

Russen 13, 82, 241–243, 260 Ruthenen / ruthenisch 13, 15, 37, 75, 79, 87, 119, 142, 154, 242

Trauma 122, 157, 160, 162f., 174, 180–183, 187, 190, 195f., 199, 201, 204 Tschechen 13, 108, 177

Sammlung 21f., 34, 42, 44, 88, 129, 145, 147, 228 Sarkophag 219, 225f., 228–230 Sarmatien / sarmatisch 35, 103 Schlesien / S´la˛sk / Silesia 22, 24, 26, 76, 102–104, 109, 112f., 155, 157–164, 166– 169, 171–181, 183, 190, 197f., 200, 205, 276, 278 Selbst-Erfahrung / Selbsterfahrung 30, 33f., 276, 278f. Selbstidentifikation 160, 245 Shoa 13, 33, 78, 88f., 117, 151, 154f., 277 Slawen / slawisch 208, 236, 244, 252, 255f., 271 Spaziergang 46, 82f., 107 Speichergedächtnis 60–62 Spur 21f., 25f., 33, 54–59, 67, 75, 77, 81, 85, 87, 93f., 98–100, 102, 104f., 109, 111, 115–117, 119, 131f., 157f., 163, 165, 167– 169, 171f., 180, 192, 197, 202–204, 217, 219, 261, 267, 275, 278 Spurenlesen 54, 56, 108, 119 Spurensuche 21–24, 36, 45f., 78, 81, 88, 98, 109, 141–144, 160, 165, 171f., 184, 259, 264, 267 Stanislauer Phänomen 62, 107, 121 Stereotype / Stereotypisierung 14, 73, 87, 99, 106, 168, 199, 208, 234f., 237, 239f., 242, 244f., 258f., 266, 270, 272–274 Superioritätspose 86, 96 Synagoge 81, 94, 109, 111, 219

Ukrainer 13, 22, 81–83, 86, 97, 106, 109, 115, 125, 138, 146, 150, 152, 154, 171, 174, 179–182, 200, 223, 236, 241–246, 250, 252f., 260f., 264, 267 Umsiedlung 161, 172, 180, 199, 203f. UPA 146

Touristen 15, 135, 261, 265, 267 Transformation 71, 97, 172, 185, 238, 248 Transkulturalität 40f. Translatio 112, 172f. Transnationalismus / transnational 13f., 17, 19, 39f., 43–45, 55, 117f., 122, 137, 181, 278–280

Verflechtungsgeschichte 40 Verfolgung 55 Vergessen 53, 55, 60, 62, 64, 73, 77, 85, 88, 91, 98–101, 108, 114–116, 124, 135, 137, 139, 141, 171, 182, 185, 187, 193, 213, 309 Vertreibung / Vertriebenen 22, 24f., 100, 102–104, 112f., 128, 157–159, 161–164, 174f., 179–182, 184f., 188, 190, 196–201, 203, 217, 278 Vielvölkerstaat 13, 81f. Wende 11, 20, 37, 42, 53, 83, 90f., 99, 101, 103, 124f., 131, 136, 153, 261, 278f. Westen / West 20, 23, 53, 77, 95, 97, 99, 112, 117f., 146, 149, 158, 162, 169, 197f., 201, 209, 212, 217, 235f., 240, 242, 244–247, 249–252, 255–259, 262, 270–274, 279f. Westukrainischer Separatismus 236f. Westukrainische Volksrepublik / Zachidnoukraїns’ka Narodna Respublika 13 Zentraleuropa / Europa Centralna / Central Europe 41, 45f., 83, 107, 161, 210, 258 Ziemie Odzyskane / Wiedergewonnen Gebiete 20, 159, 161f. Zweite Generation 182–185 Zweite Polnische Republik / II Rzeczpospolita 13, 103, 110, 131, 154, 162, 200, 262, 265 Zweiter Weltkrieg 13f., 22, 104, 106, 110, 117, 123, 139, 146f., 161, 185, 197, 242 Zwischenkriegszeit 20, 116, 217, 248, 265

Ortsregister

Amerika 106, 177, 238 Auschwitz 78, 106 Bagno 198 Belarus 102, 200, 258 Bełz 78 Berdycˇiv / Berditschew 78 Berlin 19, 22, 35, 41, 49, 54, 57, 60, 64, 66, 68, 114, 198, 210f., 228, 243, 310 Beskiden / Beskidy 209, 220 Biłogoraj 80 Brandenburg 161 BRD 78, 87 Breslau / Wrocław 35, 104, 110, 112f., 125, 128, 162, 175, 198, 220, 223f., 262 Brest 101f. Brody 40, 46f., 78, 91, 94, 100, 135f., 138, 147 Bucˇacˇ / Buczacz 88, 98, 99, 121, 122, 123, 124 Bug 21, 101f., 166, 198, 224 Bukovina / Bukowina 14, 15, 17, 35, 37, 42, 46, 47, 50, 78, 101, 119, 120, 123, 125, 219 Busk 102 Bytom 201 China 210 Chmel’nyc’kyj 78, 221 Chorzów 201 ˇ ortkiv / Czortków 88, 105 C Czarne 23f., 207, 209f., 217, 234f. ˇ ernivci / Tschernowzy 21f., Czernowitz / C 43, 47, 52, 78, 88, 95, 99f., 114, 123, 271

Danzig / Gdan´sk 127, 159, 161f. DDR 87, 112, 161 Deutschland 31, 45, 106, 108, 117, 140, 161f., 175, 180f., 184, 197 Dnipropetrowsk 236 Drohobycˇ / Drohobytsch / Drohobycz 88, 105, 267, 268, 270 Dukla 23, 26, 53, 62, 208, 212, 213, 214, 215, 216, 218, 219, 220, 221, 223, 224, 225, 226, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 272 England / Anglia 140, 225 Europa 13, 21f., 24, 36, 41, 52, 76f., 96, 101, 111f., 114, 116f., 125, 140f., 158, 162, 176, 198, 208–212, 234f., 245–247, 249, 251f., 256f., 261, 271 Frankreich / Francja

196

Gifhorn 158 Gliniane / Hlynjany 159, 194f., 199, 204 Gliwice 201 Griechenland 22, 33, 113f., 276 Gróchow 230 Grottkau 103 Habsburgermonarchie / Österreichische Monarchie / Donaumonarchie / Habsburgerreich 20, 118, 127, 151, 248 Hrusˇiv 88 Huczwa 224 Israel

106, 117

326

Ortsregister

Ivano-Frankivs’k / Stanislau / IwanoFrankiwsk / Iwano-Frankivsk / Stanisławów 76, 107, 127, 128, 216, 272, 310 Jastrze˛bnica 224 Jaworzno 201 Kam’janec’-Podil’s’kyj 78 Kanada 91, 140, 148 Kan´czuga 142 Karpaten / Karpathen / Karpaty 22, 35f., 52 Katowice 30, 127, 201, 262 Katscher 103 Kiew 114, 224, 310 Kleinalthammer 103 Kleinpolen / Małopolska 216, 262 Kolomea / Kolomyja 105, 147 Korolówka 123 Kraków / Krakau 24, 40, 42, 45, 78, 106, 114, 126, 127, 139, 140, 142, 158, 162, 163, 198, 201, 220, 221, 236, 248, 251, 262, 307, 310 Krasiczyn 142 Krim 236 Krosno 218–220 Kruhiv 101 Krzemieniec 149 Łancut 145 Leobschütz / Głubczyce 103 Litwa / Litauen 130, 140, 200 Lohnau 103 Lublin 125, 127, 159, 180, 210, 262 Lwiw / Lemberg / Lviv / L’viv / Lwów / Lvov / Lwow / Leopolis 14, 21f., 37, 40, 47, 52, 64, 76, 78, 82, 85f., 88, 91, 95, 99– 117, 123, 128, 131–135, 142, 144, 147, 153, 162, 198, 209, 218, 220f., 224–226, 244, 250, 259, 261f., 264f., 270–272, 307 Medzˇybizˇ / Medschibosch Mexiko 177, 238 Morze˛cin Mały 198 Moszczanka 177, 201

78

Mysłowice

201

Neiße 161 Niedersachsen 158 Niepołomice 140 Oborniki 198 Oder 161, 181, 310 Opole / Oppeln 24, 42, 103, 127, 158f., 175, 177f., 201 Orawa / Arwa 219 Osola 198 Österreich / Austria 15, 39, 42f., 60, 76, 99, 212 Osteuropa 61, 87, 96, 239, 249, 255, 271 Ostgalizien 13, 15, 22–24, 37, 42, 53, 99, 101f., 115, 118f., 146f., 151, 236, 254, 262, 280 Ostmitteleuropa 211, 234f., 238, 249, 251 Ostrów 142 Ostukraine 125, 257, 259f. Pidvolocˇys’k / Pidvolochysk / Podvolocˇisk 88f. Pocˇaїv / Pocˇajiv 147 Podolien / Podole / Podolia 78f., 123, 140, 151 Pokutien 151 Polen 13, 15, 20, 24, 26, 35, 37, 45f., 62, 75, 78f., 81–83, 86f., 102f., 106, 108f., 111, 114–116, 119, 124f., 127f., 130f., 133, 138, 140, 142, 146–151, 155, 158f., 161f., 175–177, 179–181, 193, 200, 208–211, 216, 224–226, 228, 234–236, 238, 241– 248, 250–254, 257, 259–265, 267–271, 278 Poltwa 102 Pommern 161 Prag 123 Preußen 161 PRL / Polska Ludowa / Volksrepublik Polen 15, 20, 77, 124, 146, 161f. Prudnik 177, 201f. Przemys´l 37, 47, 78, 106, 139, 141f., 145, 147, 150

327

Ortsregister

Radymno 142 Rata 224 Rivne / Rowno 78 Ruda S´la˛ska 201 Rumänien 14, 35, 266, 271 Russland / Rosja 46, 77, 102, 117, 140, 148, 153, 210, 247f., 251, 257f. Sadhora / Sadagora 43, 100 Schlesien / S´la˛sk / Silesia 22, 24, 26, 76, 102–104, 109, 112f., 155, 157–164, 166– 169, 171–181, 183, 190, 197f., 200, 205, 276, 278 Schwarzes Meer 216 Siemianowice 201 S´la˛sk Cieszyn´ski / Teschener Schlesien 219 Snjatyn 123 Sokolivka 88, 96 Sowjetunion / UdSSR / Zwia˛zek Socjalistycznych Republik Radzieckich / ZSRR 15, 77, 82, 95, 106, 111, 140, 148, 152, 161, 246–248, 267, 269 Szczakowa 201 Szczebrzeszyn 80f. Tarnawka 142 Tatra / Tatry 35f. Ternopil’ / Tarnopol 90, 105 Toronto 43f., 68, 90, 189 Transkarpatien 151 Trzebinia 201 Tschernobyl 17 Uhniv / Uhnów 132f. Ukraine / Ukraina 22f., 25, 77f., 86, 95f., 99–102, 113f., 116f., 120, 124, 127f., 130–132, 135–138, 140f., 147–153, 159f., 166, 169, 183, 197, 200, 211, 216, 234– 238, 240f., 243–245, 247, 250–252, 254,

257f., 260f., 263, 265, 267, 269–271, 276, 280 Ungarn 234, 271 USA / Vereinigten Staaten von Amerika / Stany Zjednoczone Ameryki 91, 140, 148, 238 Vinnycja / Winniza

78

Wapowce 142 Warszawa / Warschau / Warsaw 14, 23, 36, 41, 43, 45, 80, 102, 125, 127f., 130, 139– 141, 161, 207, 220f., 223–225, 230, 258, 261f., 307, 310 Westeuropa 77, 86, 106, 246–248, 257, 260 Westgalizien 15, 142, 280 Westukraine 26, 41, 53, 78, 95, 139, 147f., 151, 244, 247, 259f., 264 Wien / Wieden´ / Vienna 12, 15, 21f., 30, 35, 39f., 42, 44–46, 52f., 60, 63, 66, 83, 89–91, 100, 114, 123, 170, 216, 224, 228, 238, 272, 309f. Wilno / Vilnus 177 Wisła / Weichsel 233 Witków 224 Woisselsdorf 103 Wolhynien / Wołyn´ / Volhynia 78f., 140, 146, 158, 161 Wołowiec 23f., 207, 209f., 234 Wydrza 166, 170, 198 Zabolotiv 47, 100 Zabrze 201 Zamos´c´ 78, 80, 87 Zaporizˇzˇja 257 Zastavne 169, 174, 180, 198 Z˙dz˙ary Wielkie 179f. Z˙eniów / Zˇeniv 160 Zips / Spisz 219 Zˇytomyr / Schitomir 78