frauen@fgs – Vielfalt in der steuerzentrierten Rechtsberatung 9783504387310

Die Publikation belegt eindrucksvoll die breitgefächerte und tiefe Expertise der Anwältinnen und Beraterinnen der Kanzle

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frauen@fgs – Vielfalt in der steuerzentrierten Rechtsberatung
 9783504387310

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frauen@fgs Vielfalt in der Steuerzentrierten Rechtsberatung

frauen@fgs

VIELFALT IN DER STEUERZENTRIERTEN RECHTSBERATUNG herausgegeben von

Flick Gocke Schaumburg

2021

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-06064-0 ©2021 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Geleitwort Unsere Partnerschaft steht für Steuerzentrierte Rechtsberatung, für Interdisziplinarität, für Freiberuflichkeit und für fachliche Exzellenz. Weniger ausgeprägt war dagegen bisher der Ruf unserer Kanzlei für Vielfalt. Vielmehr genoss sie in der Vergangenheit eher den Ruf, ein „reiner Männerladen“ zu sein. Dabei arbeiten sehr viele engagierte Frauen für Flick Gocke Schaumburg und leisten ausgezeichnete Arbeit. Unsere Sozietät steht auch für Vielfalt. Mit der Gründung von „frauen@fgs“ im Jahr 2014 wurde ein wichtiger Schritt getan, um insgesamt ein attraktiverer Arbeitgeber für weibliche Associates zu werden und Karriere und Vernetzung von Frauen in unserer Partnerschaft aktiv zu fördern. Seitdem hat sich in unserer Sozietät nicht nur im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf viel getan. Die Anwältinnen und Beraterinnen haben sich in allen Fachgebieten und an allen Standorten von Flick Gocke Schaumburg mit ihrer Leistung Gehör verschafft, selbstbewusst Anerkennung eingefordert und erfahren und ihre Visibilität innerhalb der Kanzlei und am Markt deutlich erhöht. Zweimal im Jahr findet an unserem Bonner Standort das frauen@fgs-Treffen statt. Zielsetzungen sind Fortbildung, Erfahrungsaustausch und Networking innerhalb und außerhalb der Kanzlei. Insbesondere aber sollen die fachlichen Mitarbeiterinnen und derzeitigen wie künftigen Partnerinnen bei diesen regelmäßigen Zusammenkünften sich gegenseitig unterstützen sowie Probleme und Wünsche, die sie bewegen, adressieren und Lösungsmöglichkeiten erörtern. Wir wollen, dass unsere Anwältinnen und Beraterinnen ihre Chancen im Diskurs und mit Unterstützung der Partnerinnen und Partner noch stärker als bisher ergreifen und noch visibler werden. Auch mit Blick darauf haben wir anlässlich des Sommertreffens 2019 die Idee eines Buchprojektes entwickelt. Das Ergebnis präsentieren wir hier mit dem Sammelband „frauen@fgs – Vielfalt in der Steuerzentrierten Rechtsberatung“. Frau Dr. Christina Hildebrand, Frau Dr. Susann Karnath und Frau Judith Mehren gebührt insoweit unser besonderer Dank. Sie haben die Initiative zu dem Buchprojekt ergriffen, die Organisation verantwortet und die Mitautorinnen betreut. Frau Saskia Kleinert danken wir für die Übernahme der formalen Redaktion. Die Publikation belegt eindrucksvoll die breitgefächerte und tiefe Expertise unserer Anwältinnen und Beraterinnen. Sie enthält aktuelle und Erkenntnisgewinn garantierende Beiträge zu Themen des Unternehmenssteuerrechts einschließlich des Internationalen Steuerrechts, zu Private Clients und NPOs, zu Fragen des Gesellschaftsund Wirtschaftsrechts, des Steuer- und Wirtschaftsstrafrechts sowie zu Transaktionen. Der hohe Sachverstand, der hier zum Ausdruck kommt, bestätigt uns auf unserem Weg. Wir freuen uns auf noch mehr weibliche Präsenz und Prägung in unserer Partnerschaft. Frankfurt/Bonn im Oktober 2020 Barbara Fleckenstein-Weiland und Thomas Rödder V

Jeanette Witte

frauen@fgs I. Warum ein Frauennetzwerk?

Inhaltsübersicht III. Aktivitäten und Erfolge

II. Ökonomische Vorteile

IV. Fazit und Ausblick

I. Warum ein Frauennetzwerk? Frauen bei FGS? Manchem mag ein Frauennetzwerk überflüssig erscheinen. Heutzutage sollte doch das Geschlecht im Berufsleben keine Rolle mehr spielen. Betrachtet man den Anteil von Frauen in Führungspositionen, drängen sich allerdings Fragen auf. Und diesbezüglich stellt FGS keine Ausnahme dar. Gemeinsam mit den Part­ nerinnen und Partnern wollen wir das ändern. Mittlerweile haben wir zwei Part­ nerinnen und 15 Assoziierte Partnerinnen. Die Zahl der Frauen in Führungspositionen hat sich damit gegenüber der Gründung von frauen@fgs fast verdreifacht. Und so soll es weitergehen. „Sie gibt mir keine Ratschläge beim Kochen und ich gebe ihr keine Ratschläge für die  Rechtsprechung.“ antwortete der Steuerrechtsanwalt und Juraprofessor Martin D. Ginsburg auf die Frage, ob er seine Ehefrau, die jüngst verstorbene Richterin am Supreme Court Ruth Bader Ginsburg, häufig berate. Die Justizikone mit Popstarstatus „Notorious RBG“ kämpfte Zeit ihres Lebens für die Gleichbehandlung der Geschlechter und die Chancen von Frauen am Arbeitsplatz. Die größten Erfolge erzielte Ruth Bader Ginsburg in ihrer Zeit als Professorin und Anwältin für die Organisation ACLU im Zuge des Women‘s Rights Project. Mit Hartnäckigkeit und konstruktiver, respektvoller Argumentationsstärke gelang es ihr, aufzuklären und zu überzeugen. 2016 umriss die Richterin am höchsten Gericht der USA die heutige Situation der Frauen: „Earlier, I spoke of great changes I have seen in women’s occupations. Yet one must acknowledge the still bleak part of the picture. […], women’s earnings here and abroad trail the earnings of men with comparable education and experience, our workplaces do not adequately accommodate the demands of childbearing and child rearing, and we have yet to devise effective ways to ward off sexual harassment at work […]. I am optimistic, however, that movement toward enlistment of the talent of all […] will continue.“1 In einem Interview ergänzte sie: „The large job yet to be done is dealing with unconscious bias.“2

1 Ruth Bader Ginsburg, New York Times, 02.10.2016, R.B.G.’s Advice for Living, https://www. nytimes.com/2016/10/02/opinion/sunday/ruth-bader-ginsburgs-advice-for-living.html​ ?smid=tw-share. 2 Ruth Bader Ginsburg im Interview mit Razia Iqbal, BBC News, bei der Verleihung des Berggruen-Preises am 16.12.2019, https://www.noemamag.com/ruth-bader-ginsburg-from-pe​ destal-cage-to-unconscious-bias/.

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Jeanette Witte

Die Initiative frauen@fgs wurde 2014 gegründet. Unser Ziel ist es, die Arbeitsbedingungen bei FGS für Frauen attraktiver zu gestalten und ihre Karrierechancen zu verbessern. Mit gebündelter Kraft wollen wir unser Berufsleben proaktiv gestalten, Verbesserungspotentiale identifizieren und dann konkrete Maßnahmen entwickeln und umsetzen. Ein wesentliches Element von frauen@fgs ist die Vernetzung der Kolle­ ginnen untereinander und in die Partnerschaft. Wir möchten die Eigeninitiative fördern, uns gegenseitig unterstützen, die Vorstellungen möglichst vieler Kolleginnen einbinden und Erfahrungen weitergeben. Unser Netzwerk lebt von Kolleginnen, die sich engagieren. Alle Fachmitarbeiterinnen von FGS sind herzlich willkommen, das Angebot zu nutzen und sich dauerhaft oder temporär, mit Ideen und Tatkraft oder Teilnahme an unseren Veranstaltungen einzubringen.

II. Ökonomische Vorteile Unsere Initiative ist Teil der Partnerschaft. Sie basiert auf der Überzeugung, dass unser Engagement für die Kanzlei und für jeden einzelnen von uns von Vorteil ist, wir das gleiche Ziel verfolgen und gemeinsam mit den Partnerinnen und Partnern schneller ans Ziel gelangen, eine Win-Win-Situation. Aufgrund des enormen Wachstums von FGS und einem immer kompetitiver werdenden Bewerbermarkt steht FGS wie alle Beratungsgesellschaften vor der Aufgabe, ein attraktives Arbeitsumfeld zu schaffen. Im offenen Austausch wollen wir möglichst zielgerichtete Maßnahmen finden und Irrtümer vermeiden. Die Vorteile gehen jedoch weit über die Gewinnung und Bindung guter Mitarbeiterinnen hinaus. Unternehmen, die Frauen im Topmanagement haben, sind einer aktuellen Studie ­zufolge erfolgreicher. Die dreißig fortschrittlichsten Unternehmen in Sachen Geschlechtervielfalt übertreffen die DAX-Konzerne in ihrer Entwicklung an der Börse um mehr als zwei Prozentpunkte. Auch die Volatilität der Aktienpreise, die das Investitionsrisiko spiegelt, ist bei diesen Unternehmen geringer. Weibliche Manager erhöhen zudem die Bindung weiblicher Talente ans Unternehmen. Ambitionierte Mitarbeiterinnen, die die Führungsriege ihres Arbeitgebers als divers wahrnehmen, wollen zu über 80% im eigenen Unternehmen Karriere machen. Ursachen für den schleppenden Gender-Diversity-Fortschritt könnten der Studie zufolge in den unterschiedlichen Auffassungen ambitionierter Frauen und männlicher Entscheidungsträger liegen.3 Die Corona-Krise rückt einen weiteren Aspekt in den Fokus. Einer aktuellen Studie und diversen Medienberichten zufolge waren Regierungschefinnen in der Pandemiebekämpfung erfolgreicher als ihre männlichen Kollegen.4 Bereits 1962 argumentierte 3 Lorenzo/Voigt/Zillner (alle BCG) sowie Welpe (TU München), Boarding Call. Wie Unternehmen mit Vielfalt den Sprung nach oben schaffen. BCG Gender Diversity Index Deutschland 2019, März 2020, https://media-publications.bcg.com/BCG-Gender-Diversity-Index2019-Deutsch.pdf. 4 Garikipati (University of Liverpool)/Kambhampati (University of Reading), Leading the Fight Against the Pandemic: Does Gender ‘Really’ Matter?, 3.6.2020, https://ssrn.com/abstract​=​

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der Ökonom und Nobelpreisträger Milton Friedman, dass diskriminierungsfreie Unternehmen wirtschaftlich im Vorteil sind.5 Eine (unbewusste) Berücksichtigung von für die Arbeitsqualität tatsächlich nicht relevanten Merkmalen bei Einstellungs-, ­Gehalts- oder Beförderungsentscheidungen führt zu wirtschaftlichen Ineffizienzen. Forschungsergebnisse belegen, dass insbesondere demografisch „bunte“ Teams bessere und kreativere Lösungen erarbeiten, wenn sich alle Beteiligten unabhängig von ihrem Geschlecht oder anderen Merkmalen geachtet fühlen.6 Ungerechtfertigte oder so empfundene Ungleichbehandlungen können dagegen zu Unmut, geringerer Arbeitsleistung und häufigerem Stellenwechsel führen.7

III. Aktivitäten und Erfolge Bei der Gründung von frauen@fgs im Jahr 2014 haben wir ein Handlungskonzept entwickelt, das sich die Partnerschaft zu Eigen gemacht und mit uns umgesetzt hat. Unsere Konzeptideen orientieren sich an Handlungsfeldern, die wir nach einer Analyse der verfügbaren Daten, Befragungen von Kolleginnen und externen Informationen identifiziert haben: – Vereinbarkeit von Beruf und Familie – Vernetzung – Vertrauenspersonen zur niederschwelligen Konfliktlösung – Kommunikation und Transparenz. Aus den Handlungsfeldern und Konzeptideen wurden sukzessive auf FGS zugeschnittene Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Selbstverständlich werden Handlungsfelder, Konzept und Maßnahmen permanent an Veränderungen in der Kanzlei und ihrem Umfeld und sich wandelnde Vorstellungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angepasst und weiterentwickelt. Vereinbarkeit von Beruf und Familie Eine eigene FGS-Kindertagesstätte stand zunächst ganz oben auf der Wunschliste. Nach Abwägung der Vor- und Nachteile dieser und weiterer Optionen haben wir 3617953; Stör, Corona-Krise weltweit: Besonders die Frauen beweisen Führungsstärke, Frankfurter Rundschau, 16.05.2020, https://www.fr.de/politik/corona-virus-krise-merkelardern-andere-chefinnen-frauen-beweisen-spitze-zr-13652720.html; Erdenberger, US-­Medien feiern Merkel und Co. Sind Anführerinnen „unverhältnismäßig gut“?, ntv, 16.04.2020, https:​// www.n-tv.de/politik/Sind-Anfuehrerinnen-unverhaeltnismaessig-gut--article21719264.​html. 5 Friedman, Capitalism and Freedom, 1962. 6 Goncalo et al., Creativity from Constraint? How the Political Correctness Norm Influences Creativity in Mixed-Sex Work Groups, Administrative Science Quarterly, 60 (2015) 1, S. 1-30. 7 Cohen-Charash/Spector, The Role of Justice in Organizations. A Meta-Analysis, Organi­ zational Behavior and Human Decision Processes, 86 (2001) 2, S. 278-321.

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schlussendlich die Zusammenarbeit mit einem professionellen Service empfohlen und für die Partnerschaft umgesetzt. Die Entscheidung basierte auf einer Befragung von Eltern, von denen viele ihre Kinder in Wohnortnähe betreut wissen wollen, und auf Informationen von Fachleuten zum Betreuungsangebot am Markt und den Voraussetzungen eines Betriebskindergartens. Mit dem Familienservice bieten wir Eltern eine kostenfreie 24/7-Notfallbetreuung in eigenen Einrichtungen, Ferien­ programme und die kurzfristige Vermittlung häuslicher Notfallbetreuung. Bei der täglichen Kinderbetreuung können sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu allen Alternativen beraten lassen, Kontakte zu lokalen Anbietern erhalten und die Vermittlung von Au-Pairs in Anspruch nehmen. Eine weitere Erleichterung für Eltern haben wir mit der Einrichtung eines ElternKind-Zimmers realisiert. Außerdem haben wir eine In-House-Kinderbetreuung während FGS-Veranstaltungen ins Leben gerufen, die es Eltern ermöglicht, an FGS-Veranstaltungen außerhalb regulärer Betreuungszeiten teilzunehmen. In Zusammenarbeit mit der Personalabteilung wurde ein Pilotprojekt aufgesetzt, das in den Beruf zu­ rückkehrende Mütter mit Informationen, Online-Communities und persönlichem Coaching begleitet, um die nicht ganz einfache Balance zwischen unserem fordernden Beruf, familiären Verpflichtungen und Freizeit ganz persönlich zu finden. Vernetzung Seit der Gründung organisiert frauen@fgs zweimal jährlich Netzwerktreffen für alle Fachmitarbeiterinnen. Diese Veranstaltungen dienen dem individuellen, zwanglosen Austausch der Kolleginnen untereinander, der Weitergabe von Erfahrungen und der Rückkopplung mit den Vorstellungen möglichst vieler Kolleginnen. Wir möchten Impulse zur aktiven Gestaltung der eigenen Karriere geben und Ideen für die Attraktivität unseres gemeinsamen Arbeitsumfeldes generieren und umsetzen. Wir laden Referentinnen aus Beratung und Industrie ein und organisieren Workshops zu beruflich relevanten Themen. Einige vor allem jüngere Kolleginnen entwickelten eine Zukunftsvision von FGS und stellten sie der Partnerschaft vor. Kolleginnen berichten über ihren Karriereweg und ihre Lösungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Partnerinnen und Partner nehmen aus Diskussionen die Vorstellungen der Kolleginnen mit, wie Arbeitsumfeld und Karrieremöglichkeiten für Frauen weiter verbessert werden können. Vertrauenspersonen zur niederschwelligen Konfliktlösung Zwei Vertrauenspersonen, eine weibliche und eine männliche, können bei Fragen angesprochen werden. Ziel ist es, die eigene Problemlösungskompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu unterstützen. Die Vertrauenspersonen stehen beratend zur Seite, weisen auf Informationsquellen hin und stellen Kontakte her. Die Gespräche sind vertraulich. Einmal jährlich berichten die Vertrauenspersonen in abstrakter, anonymisierter Form dem dafür zuständigen Gremium aus Partnerinnen und Partnern und unterbreiten gegebenenfalls Handlungsvorschläge.

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Kommunikation und Transparenz Im Handlungsfeld Kommunikation und Transparenz hat die Partnerschaft viel unternommen und den Weg von der durch informelle Vereinbarungen geprägten Steuerboutique zur Großkanzlei mit transparenten Strukturen und dokumentierten Regeln gestaltet. Dabei wurde Wert darauf gelegt, die durch größtmögliche unternehmerische Individualität und Freiheit getragene Unternehmensphilosophie zu erhalten. Im Code of Conduct sind die Unternehmenskultur, die Werte und die Regeln des Mit­ einanders niedergelegt. Hier wurde klargestellt, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei der täglichen Mandatseinbeziehung, kurzfristigen Freistellungen aus familiären Gründen und gegenseitiger Wertschätzung selbstverständlich ist. Eine Partnerschaft in Teilzeit ist möglich, Familie kein Karrierehindernis. Fachmitarbeiterinnen und -mitarbeiter erhalten schriftliche Informationen zu ihren Entwicklungsmöglichkeiten und den jeweiligen Voraussetzungen. Im Intranet werden relevante Informationen bereitgestellt und die Vernetzung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützt.

IV. Fazit und Ausblick Zusammenfassend lässt sich festhalten: Wir haben viel bewegt und auch wenn es wie in den meisten anderen Unternehmen noch reichlich Luft nach oben gibt: Wir sind auf einem guten Weg! Zur Intensivierung des Austauschs und weiteren Förderung der Win-Win-Möglichkeiten wurde jüngst ein Jour Fixe mit Mitgliedern von frauen@fgs und mehreren Partnerinnen respektive Partnern ins Leben gerufen. Und nicht zuletzt dieses Buch ist auf die Initiative von frauen@fgs sowie das Engagement und die fachliche Expertise der Organisatorinnen und aller Autorinnen zurückzuführen. Die gemeinhin als Indikator für Geschlechtervielfalt verstandene Zahl von Frauen im Topmanagement hat sich wie eingangs erwähnt seit 2014 fast verdreifacht, so dass wir heute zwei Partnerinnen und 15 Assoziierte Partnerinnen vorzeigen können. Die aktuelle Corona-Pandemie wird von vielen als Brennglas verstanden. Hinsichtlich der besonderen Führungskompetenz weiblicher Regierungen in der Krisen­ bewältigung scheint weitgehend Einigkeit zu bestehen.8 Was die gesellschaftliche 8 Garikipati (University of Liverpool)/Kambhampati (University of Reading), Leading the Fight Against the Pandemic: Does Gender ‘Really’ Matter?, 03.06.2020, https://ssrn.com/ abstract=3617953; Stör, Corona-Krise weltweit: Besonders die Frauen beweisen Führungsstärke, Frankfurter Rundschau, 16.05.2020, https://www.fr.de/politik/corona-virus-krisemerkel-ardern-andere-chefinnen-frauen-beweisen-spitze-zr-13652720.html; Erdenberger, US-Medien feiern Merkel und Co. Sind Anführerinnen „unverhältnismäßig gut“?, ntv, 16.04.2020, https://www.n-tv.de/politik/Sind-Anfuehrerinnen-unverhaeltnismaessig-gut-article21719264.html.

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­ ntwicklung angeht, gehen die Meinungen dagegen auseinander.9 Einer wirtschaftsE wissenschaftlichen Studie zufolge hat die Corona-Krise sowohl positive als auch negative Folgen für die Gleichstellung von Frauen am Arbeitsmarkt. Im Aufschwung noch nachwirkende negative Effekte werden erwartet, weil die eingeschränkten Kinderbetreuungsmöglichkeiten berufstätige Mütter und Alleinerziehende stärker getroffen haben. Nachhaltig positive Effekte prognostiziert die Studie aus den in der Krise erprobten und diese voraussichtlich überdauernden flexiblen Arbeitsort- und Arbeitszeitmodellen und dem in der Krise gewachsenen Familienengagement von Vätern.10 Viele berufstätige Mütter wünschen sich einen Kulturwandel mit weniger Präsenzkultur und mehr digitalem Arbeiten, mehr Homeoffice und flexibleren Arbeitszeiten.11 Diesbezüglich hat die COVID-19-Pandemie für Unternehmen neue Impulse gesetzt. „Anhänger der altgewohnten Präsenzkultur haben während der Corona-Krise gelernt, dass es auch anders geht.“, glaubt Peter Fieser, Vorstand der Hensoldt AG. Renate Wagner, Vorstand der Allianz SE, erwartet: „Wir gehen davon aus, dass es in Zukunft eine Art Hybridkultur geben wird“.12 Wir von frauen@fgs wollen mit Optimismus und Freude gemeinsam mit den Partnerinnen und Partnern die Arbeitsbedingungen und Karrierechancen für Frauen bei FGS weiter verbessern.

Jeanette Witte Wirtschaftsprüferin, Steuerberaterin, Diplom-Kauffrau Assoziierte Partnerin

9 Kohlrausch/Zucco, Die Corona-Krise trifft Frauen doppelt, WSI Policy Brief 40, Mai 2020, https://www.wsi.de/de/faust-detail.htm?sync_id=8906; Bujard/Laß/Diabaté/Sulak/Schneider, Eltern während der Corona-Krise. Zur Improvisation gezwungen, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Juli 2020, https://www.bib.bund.de/Publikation/2020/pdf/Elternwaehrend-der-Corona-Krise.pdf?__blob=publicationFile&v=7; Allmendinger, Zeit Online, 12.5.2020, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-05/familie-corona-krisefrauen-rollenverteilung-rueckentwicklung/komplettansicht. 10 Alon (University of California)/Doepke/Olmstead-Rumsey (beide Northwestern University)/​ Tertilt (Unversität Mannheim), The Impact of COVID-19 on Gender Equality, März 2020, http://tertilt.vwl.uni-mannheim.de/research/COVID19_Gender_Equality_March2020.pdf. 11 Gruitrooy/Palenberg, Blitzumfrage der Working Moms: Führungsfrauen als Gestalterinnen in der Krise, 20.4.2020, https://workingmoms.de/wp-content/uploads/2020/04/Blitzumfrage_Working_Moms_CG.pdf. 12 https://initiative-chefsache.de/home-office-steigert-akzeptanz-fuer-flexible-arbeitsmodelle/.

XII

Inhalt Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Jeanette Witte frauen@fgs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Verzeichnis der Autorinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII

I. Unternehmenssteuerrecht Nadia C. Altenburg/Christina Jagenburg Die Steuerbarkeit von extraterritorialen Lizenzvereinbarungen nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG – wenn ja, in welcher Höhe? . . . . 3 Hannah Gladitsch Wechselwirkung von Beschränkungen des Sonderbetriebsausgabenabzugs . 19 Carolin Gottschling Das neue Investmentsteuergesetz – Ausgewählte Aspekte zum Entwurf eines BMF-Schreibens zu den Spezial-Investmentfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Christina Hildebrand Der Änderungsbescheid im Steuerprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Susanne Igelbrink Durchführung der Tax Compliance durch den Einsatz von Blockchain Technologie in ausgewählten Anwendungsbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Susann Karnath Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Leistungsbeziehungen von Versicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Julia Kühn Steuern auf Finanztransaktionen in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Jing Li Besonderheiten der Verrechnungspreisermittlung bei Geschäftsbeziehungen mit China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Kamilla Lupczyk/Christina Jordan Verbindliche Auskünfte zu Umwandlungen – ausgewählte Probleme mit Blick auf die Antragsteller und Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

XIII

Inhalt

Charlotte Pötters Das Überkompensationsverbot als Grenze bei der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Theresa Siebing Hybride Gestaltungen – Kritischer Überblick über § 4k EStG-E . . . . . . . . . . 151 Noemi Strotkemper Jüngste Entwicklungen zur Streitbeilegung von Doppelbesteuerungskonflikten: Einordnung aus steuerverfahrensrechtlicher Perspektive . . . . . . 165 Helena Thor Die Auswirkungen von Upstream und Downstream Merger auf das steuerliche Einlagekonto einer Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Corinna Tigges/Marie-Luise Scheerer Behandlung organschaftlicher Ausgleichsposten bei ausgewählten Umwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Lisa Wäschenbach Digitalsteuern – ein Mittel zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle? . . . 213 Sara Wuttke/Theresa Kalfhaus Die Realteilung in der Gestaltungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

II. Private Clients und NPOs Ruth Junius-Morawe Die Güterstandsschaukel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Eva-Maria Kraus Haftungsvermeidung für geschäftsführende Organe gemeinnütziger Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Ulrike Leyh/Annika Thimm Nachfolgeklauseln für den Todesfall bei ­Personengesellschaften . . . . . . . . . . 269 Judith Mehren Unternehmensnachfolge mit Stiftungen – Vor- und Nachteile . . . . . . . . . . . . 285 Lisa Riedel Übertragung von Anteilen an vermögensverwaltenden Personengesellschaften im Wege der vorweggenommenen Erbfolge – ungeklärte Fragen hinsichtlich (vermieteter) Grundstücke im Gesamthandsvermögen . . . . . . . 301 Katja Rosa Die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 XIV

Inhalt

Tanja Schienke-Ohletz Die Besteuerung von Begünstigten ausländischer Trusts, insbesondere US-Trusts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

III. Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht Leonie Haßler/Katharina Odermatt Vorkaufsrechte auf dem Vormarsch – Bedeutung und Behandlung von ­gemeindlichen Vorkaufsrechten in Grundstückskaufverträgen . . . . . . . . . . . 347 Anja Herb Die virtuelle Hauptversammlung 2020 – Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . 361 Linda Karl Compliance-Pflichten der Geschäftsleiter: Implikationen der EU-Blocking-Verordnung zum Schutz vor extraterritorialen Embargo-Regelungen am Beispiel Iran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Nina Mušinović Schriftform im Gewerberaummietrecht – Problematik und Gesetzesvorhaben im Zusammenhang mit § 550 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Verena Roder-Hießerich Quellensteuerabzug nach § 50a EStG für die Entwicklung von Software im Ausland – ein urheberrechtlicher Diskussionsbeitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Margret Schellberg Deckelung der EEG-Umlage für die Jahre 2021 und 2022 – „technische“ Änderung mit rechtlichen Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Irka Zöllter-Petzoldt Organisationspflichten im Konzern in Bezug auf die ­Ad-­ hoc- Publizität nach Art. 17 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439

IV. Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht Jana Hammesfahr Kostenübernahme von Geldsanktionen und Verteidigungskosten durch Unternehmen – Überblick über strafrechtliche Risiken und steuerliche Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Nadine Oberherr Ausgewählte Praxisfragen zur Vergangenheitsbewältigung im Rahmen der Installation eines Tax CMS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 XV

Inhalt

Anja Stürzl-Friedlein/Berna Körpinar Weißer Kragen – dunkle Zeiten?! Neue Risiken für Unternehmen im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht: DS- GVO, Verbandssanktionengesetz und Tax Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491

V. Transaktionen Barbara Fleckenstein-Weiland/Susanne Hemme Die Immobilientransaktion – Ausgewählte grunderwerbsteuerliche und umsatzsteuerliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 Corina Hackbarth/Bettina Gerner Managementbeteiligungen im Rahmen von M&A Transaktionen . . . . . . . . . 533 Maria Huxol Ermittlung gemeiner Anteilswerte von Start-up ­Unternehmen unter Berücksichtigung steuerlicher ­Wertermittlungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . 549 Rebecca Wald/Lisa Frühwacht Besteuerung von inländischen Immobilieninvestitionen – ein Querschnitt der wesentlichen steuerlichen Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 Bettina Wirth-Duncan Managerhaftung bei M&A-Transaktionen – zwischen Schiffbruch und sicherem Hafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595

XVI

Verzeichnis der Autorinnen Dr. Nadia C. Altenburg Rechtsanwältin, Steuerberaterin Assoziierte Partnerin Dr. Barbara Fleckenstein-Weiland LL.M. Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Fachanwältin für Steuerrecht Partnerin Lisa Frühwacht Steuerberaterin, Diplom-Finanzwirtin Bettina Gerner Steuerberaterin, Master of Arts Hannah Gladitsch Steuerberaterin, Master of Science Carolin Gottschling Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Master of International Taxation Assoziierte Partnerin Corina Hackbarth Steuerberaterin, Diplom-Kauffrau Assoziierte Partnerin Jana Hammesfahr Rechtsanwältin Leonie Haßler Rechtsanwältin Dr. Susanne Hemme LL.M. Rechtsanwältin, Steuerberaterin Assoziierte Partnerin Dr. Anja Herb Rechtsanwältin Assoziierte Partnerin Dr. Christina Hildebrand Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Fachanwältin für Steuerrecht Assoziierte Partnerin Maria Huxol Steuerberaterin, Master of Science, CVA

XVII

Verzeichnis der Autorinnen

Susanne Igelbrink Steuerberaterin, Master of Science Christina Jagenburg Steuerberaterin, Master of Science Christina Jordan Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Diplom-Finanzwirtin Ruth Junius-Morawe Rechtsanwältin Theresa Kalfhaus Rechtsanwältin Linda Karl Rechtsanwältin Dr. Susann Karnath Steuerberaterin, Diplom-Volkswirtin (Int.) Assoziierte Partnerin Berna Körpinar LL.M. Rechtsanwältin Dr. Eva-Maria Kraus Rechtsanwältin, Steuerberaterin Assoziierte Partnerin Julia Kühn Steuerberaterin, Diplom-Kauffrau Ulrike Leyh Rechtsanwältin, Fachanwältin für Steuerrecht, Steuerberaterin Dr. Jing Li Steuerberaterin, Diplom-Volkswirtin Kamilla Lupczyk Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Diplom-Finanzwirtin Judith Mehren Rechtsanwältin, Fachanwältin für Steuerrecht, Steuerberaterin, ­Diplom-Finanzwirtin Assoziierte Partnerin Nina Mušinović Rechtsanwältin Nadine Oberherr Diplom-Finanzwirtin, Steuerberaterin Assoziierte Partnerin XVIII

Verzeichnis der Autorinnen

Dr. Katharina Odermatt Rechtsanwältin Dr. Charlotte Pötters Rechtsanwältin Dr. Lisa Riedel Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Master of Science Dr. Verena Roder-Hießerich Rechtsanwältin Dr. Katja Rosa Rechtsanwältin Marie-Luise Scheerer Rechtsanwältin Dr. Margret Schellberg Rechtsanwältin Assoziierte Partnerin Dr. Tanja Schienke-Ohletz Rechtsanwältin, Steuerberaterin Assoziierte Partnerin Dr. Theresa Siebing Maître en droit Rechtsanwältin, Steuerberaterin Dr. Noemi Strotkemper Rechtsanwältin, Steuerberaterin Dr. Anja Stürzl-Friedlein LL.M. Rechtsanwältin Annika Thimm Steuerberaterin, Diplom-Wirtschaftsjuristin Helena Thor LL.M. Steuerberaterin, Bachelor of Arts, Master of Laws Dr. Corinna Tigges Steuerberaterin, Diplom-Finanzwirtin (FH), Master of Science Dr. Rebecca Wald Steuerberaterin, Diplom-Finanzwirtin, Master of Arts Lisa Wäschenbach Steuerberatungsassistentin, Master of Science Dr. Bettina Wirth-Duncan Rechtsanwältin, Maître en droit XIX

Verzeichnis der Autorinnen

Jeanette Witte Wirtschaftsprüferin, Steuerberaterin, Diplom-Kauffrau Assoziierte Partnerin Sara Wuttke LL.M. Steuerberaterin Dr. Irka Zöllter-Petzoldt Rechtsanwältin Partnerin

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I. Unternehmenssteuerrecht

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Die Steuerbarkeit von extraterritorialen Lizenzvereinbarungen nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG – wenn ja, in welcher Höhe? Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Begründung eines Besteuerungsrechts dem Grunde nach – was ist eine inlän­ dische Quelle? 1. Beschränkte Steuerpflicht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG 2. Auslegung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG 3. Handhabung in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung 4. Zwischenfazit

III. Besteuerungsrecht der Höhe nach – ­Bestimmung des Besteuerungsumfangs 1. Zuteilung des Steueraufkommens anhand des Wertschöpfungsbeitrags 2. Besonderheiten für immaterielle Wirtschaftsgüter: Wertschöpfungsanalyse nach dem DEMPE Konzept 3. Zurechenbare DEMPE-Funktionen einer inländischen Registereintragung 4. Schutzfunktion mit Routinecharakter 5. Ermittlung der Ertragsberechtigung der Höhe nach 6. Anwendung eines Gewinnaufschlages IV. Fazit

I. Einleitung Im Rahmen der aktuellen Diskussionen über die Besteuerung der Digitalwirtschaft auf Ebene der OECD, der UN und der EU-Kommission steht insbesondere die Frage nach einem sachgerechten Anknüpfungspunkt für nationale Besteuerungsrechte im Fokus. Während das internationale Steuerrecht in seiner heutigen Form die Besteuerungsrechte stets an eine bestimmte Form der physischen Präsenz als Ausgestaltung des Territorialitätsprinzips knüpft, finden sich in der aktuellen Debatte immer wieder Vorschläge, sich von physischen Ansätzen zu lösen und neue Anknüpfungspunkte (sog. Nexus) zu definieren. Gleichzeitig führt die Verschärfung internationaler Auskunfts- und Mitteilungspflichten zu einer Erhöhung der Transparenz und Evidenz, insbesondere für grenzüberschreitende Sachverhalte.1 Diese beiden Entwicklungen haben unter anderem dazu geführt, dass Normen, die ihr Dasein seit fast 100 Jahren unbemerkt in völliger Bedeutungslosigkeit fristeten, plötzlich im Lichte der neuen Nexus-Ideen wahrgenommen werden und ungeahnte Brisanz entwickeln. Denn es stellt sich die Frage, welcher Verbindung eine Einkunftsquelle zu einem Staat bedarf, um damit die Begründung eines Besteuerungsrechts zu rechtfertigen. Die sachliche Verbindung zu einem Staat wird im internationalen 1 Engelen in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, vor §§ 138d–k AO Rz. 1, 94. EL 2020.

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Steuerrecht auch als genuine link bezeichnet2 und beruhte bislang auf dem Verständnis, dass nur solche Einkünfte der Besteuerung nach dem Territorialitätsprinzip unterliegen, die aus dem besteuernden Staat stammen, z.B. aufgrund eines inländischen Zahlungsflusses oder eines im Inland ansässigen Schuldners. Denn in diesen Fällen wird vermutet, dass der Steuerpflichtige aufgrund der Inanspruchnahme der lokalen Gegebenheiten z.B. durch Nutzung der Infrastruktur oder durch die Belegenheit von Vermögen, in der Lage war, Einkünfte zu generieren.3 In einem Zeitalter der zunehmenden virtuellen Integration von analogen Geschäftsmodellen, wie z.B. Einkauf 4.0 oder „Internet of Things“ und der allgegenwärtigen Präsenz der großen Tech-Konzerne Google, Amazon, Facebook und Apple in der globalen Wirtschaft, stehen die traditionellen Anknüpfungspunkte der internationalen Besteuerung zunehmend auf dem Prüfstand, da ihr Ursprung auf traditionellen, analogen Geschäftsmodellen zu Beginn der Industrialisierung und deren Weiterentwicklung im Kontext der Globalisierung zurückrührt. Bereits seit 2013 widmet sich die OECD im Rahmen des BEPSAktionspunktes 1 „Tax Challenges Arising from Digitalisation“4 der Schließung der zunehmend signifikanten Regelungs- und Besteuerungslücken. Ihre darauf gerichteten Lösungsansätze der letzten 5 Jahre hat sie i.R.d. Säule 1 im Regelungsentwurf zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft konkretisiert,5 die am 14. Dezember 2020 Gegenstand einer öffentlichen Anhörung sind. Die langwierige Erarbeitung eines internationalen Konsens sowie die Komplexität der vorgeschlagenen Regelungen haben viele Staaten in jüngster Vergangenheit dazu verleitet, nationale Gesetzesmaßnahmen zu ergreifen, um die (vermeintlich) derzeitige, strukturelle Besteuerungslücke zu schließen und die damit verbundene Steuerungerechtigkeit auszugleichen.6 Große Aufmerksamkeit hat in der Zwischenzeit die Diskussion um die Anwendbarkeit des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG für extraterritorialen Lizenzvereinbarungen multinationaler Konzerne und die Frage erregt, ob bereits die bloße Eintragung in ein inländisches Register ein Besteuerungsrecht dem Grunde nach rechtfertigen kann und zwar auch in solchen Fällen, in denen sowohl der Rechteinhaber als auch der Rechtenutzer im Ausland ansässig sind.7 Der Großteil der bisherigen Literatur in jüngster Zeit widmete sich der Frage, ob die Begründung des Be2 Schön, World Tax Journal 2009, 67 (90). 3 Jacobs/Endres/Spenge, in Jacobs, Int. Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl. 2016, S. 7. 4 OECD (2015), Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Action 1 - 2015 Final Report, abrufbar unter https://www.oecd.org/tax/addressing-the-tax-challenges-of-the-di​ gital-economy-action-1-2015-final-report-9789264241046-en.htm. 5 OECD (2020), Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint, abrufbar unter https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/beba0634-en.pdf?expires=16042627​ 84&id=id&accname=guest&checksum=00C4B99D9E4C7FA3EDE514591C01394B. 6 Auch in Deutschland wurde kurzzeitig diskutiert, ob auf Grund des § 50a EStG zumindest eine Quellenbesteuerung für Internetwerbung gerechtfertigt sein könnte, allerdings wurde dies schlussendlich verneint, vgl. BMF, Schr. v. 3.4.2019 – IV C 5-S 2411/11/10002, BStBl. I 2019, 256. 7 Schönfeld/Ellenrieder, IStR 2020, 567; Altenburg, IStR 2020, 561; vgl. Gosch, Gastbeitrag im Handelsblatt Steuerboard v. 4.9.2020, abrufbar unter: https://blog.handelsblatt.com/steuer​ board/category/gastbeitrage/gosch-dietmar/; abgerufen am 11.9.2020; auch in Gosch, Der Konzern 2020, 344.

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steuerungsrechtes allein auf Grundlage der inländischen Registereintragung vor dem Hintergrund maßgeblicher Auslegungsprinzipien sowie unter Berücksichtigung etwaiger, verfassungsrechtlicher Fragestellungen standhalten kann. Dieser Buchbeitrag geht darüber hi­naus auf die Fragestellung ein, in welchem Umfang die Vorschrift zu einer Besteuerung berechtigt, wenn das Besteuerungsrecht dem Grunde nach bejaht wird. Dabei dürften die hier niedergelegten Denkansätze zur Ermittlung einer Besteuerungsgrundlage insbesondere im Hinblick auf die verfügbaren Handlungsoptionen zur Erfüllung etwaiger Erklärungs- oder Mitwirkungspflichten für Unternehmen von Interesse sein.

II. Begründung eines Besteuerungsrechts dem Grunde nach – was ist eine inländische Quelle? Sind Steuerpflichtige nicht in einem Staat ansässig, knüpft die deutsche Steuergesetzgebung das Besteuerungsrecht an die „inländischen Quelle“. Man bezeichnet diese Form der Steueranknüpfung daher auch als Besteuerung nach dem Quellen- oder Ursprungsprinzip. Der Gesetzgeber ist allerdings frei darin zu definieren, unter welchen Bedingungen eine Einkunftsart ihren Ursprung (Quell) im Inland hat. Dies hat er in der Aufzählung der inländischen Einkünfte in § 49 EStG getan. Während die Tatbestände des Kataloges in §  49 Abs.  1 EStG stets einen Anknüpfungspunkt wählen, aus dem sich eine inländische Verwertung oder ein inländischer Zahlungsstrom ergibt, z.B. in Form einer Betriebsstätte oder aufgrund der Belegenheit von Grundbesitz, scheint ein Tatbestand von dieser Systematik abzuweichen: Nach dem Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG soll es für die Anknüpfung des Besteuerungsrechts ausreichen, dass Rechte in ein inländisches Register eingetragen sind, unabhängig davon, wo diese Rechte verwertet werden. Inländisches Register im Sinne dieser Vorschrift sind nach allgemeiner Literaturauffassung insbesondere die vom deutschen Marken- und Patentamt geführten Register. Auf den Streit, ob eine Eintragung in ein europäisches Register, die mittelbar zu einer Eintragung in ein inländisches Register führt, von der Vorschrift erfasst ist, wird nachfolgend nicht näher eingegangen.8 1. Beschränkte Steuerpflicht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG Der Regelungsgehalt des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG lautet wie folgt: „Inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Absatz 4) sind […] Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§§ 15 bis 17) […] die, soweit sie nicht zu den Einkünften im Sinne des Buchstaben a gehören, durch 8 Schönfeld/Ellenrieder, IStR 2020, 568; Klein in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz. 622 und 943; Haase in Haase, Geistiges Eigentum, Rz.  8.122; Reimer in Blümich, §  49 EStG Rz. 286; Naujok in Lademann, § 49 EStG Rz. 1425; Hidien in K/S/M, § 49 EStG Rz. I 107.

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aa) Vermietung und Verpachtung oder bb) Veräußerung von inländischem unbeweglichem Vermögen, von Sachinbegriffen oder Rechten, die im Inland belegen oder in ein inländisches öffentliches Buch oder Register eingetragen sind oder deren Verwertung in einer inländischen Betriebsstätte oder anderen Einrichtung erfolgt, erzielt werden. […]“ Nach dem Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG unterliegen der beschränkten Steuerpflicht nicht nur Zahlungen eines inländischen Schuldners, sondern grundsätzlich sämtliche Einkünfte, die durch Vermietung und Verpachtung von Rechten, die in ein inländisches öffentliches Buch oder Register eingetragen sind, erzielt werden. Eine ausdrückliche Einschränkung der Norm dahingehend, dass eine Besteuerung ­einen inländischen Zahlungsstrom oder eine inländische Verwertung voraussetzen,  erfolgt durch den Wortlaut nicht. Somit fallen dem Wortlaut nach grundsätzlich auch rein extraterritoriale Rechteüberlassungen in den Anwendungsbereich der Vorschrift. 2. Auslegung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG Der Wortlaut der Norm lässt wie erwähnt offen, ob mit der Eintragung eines Rechts in ein inländisches Register auch eine inländische Verwertung verbunden sein muss, um ein Besteuerungsrecht zu begründen. Der starke Anknüpfungspunkt, der für die danebenstehenden Tatbestandsmerkmale der Belegenheit unbeweglichen Vermögens oder des Vorliegens einer Betriebsstätte hergestellt wird, lässt jedoch darauf schließen, dass neben der schlichten Eintragung in einem inländischen Register eine Ver­wertung im Inland erforderlich ist, die zur Generierung eines inländischen Zahlungsstroms führt und dementsprechend der Besteuerung unterzogen werden kann. Zwingend ist diese Lesart nicht. Die historische Entwicklung der Vorschrift spricht allerdings dafür, dass der Wortlaut der Norm dahingehend zu verstehen ist, dass neben der inländischen Registereintragung ein zusätzlicher Abfluss liquider Mittel aus dem Inland in das Ausland erforderlich ist, um ein Besteuerungsrecht dem Grunde nach auszulösen. Die Vorgängernorm des §  49 EStG fand sich bereits im ersten reichseinheitlichen Einkommensteuergesetz 1920 und begründete das Konzept der beschränkten Steuerpflicht. Nach § 2 Nr. II EStG 1920 wurden Steuerpflichtige ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit, ihren Wohnsitz oder ihren Aufenthalt unter bestimmten Vo­ raussetzungen mit ihrem Einkommen der deutschen Besteuerung unterworfen. Die Vorschrift wurde kurz nach dem Ende des ersten Weltkriegs eingeführt und alle Tatbestände hatten gemein, dass sie ein Abfließen deutschen Besteuerungssubstrats ins Ausland vermeiden sollten, in dem sie im Inland erwirtschaftetes oder aus dem Inland stammendes Einkommen einer inländischen Steuerpflicht unterwarfen. Diese Zielsetzung findet sich auch ausdrücklich in der Gesetzesbegründung der Nachfolgenorm aus dem Jahr 1925: 6

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„Mit dem Wiedereintritt Deutschlands in die Weltwirtschaft erlangt die Frage der Besteuerung der Einkommensquellen bei ihrer Verknüpfung mit dem Ausland besondere Bedeutung. […] Es wird […] von dem Grundsatz ausgegangen, daß jeder, der aus dem Inland Einkommen bezieht, auch wenn er nicht Deutscher ist und nicht in Deutschland wohnt, mit den Einkünften aus diesem inländischen Quellen zur Besteuerung herangezogen werden muß: auch das entspricht dem Vorgang ausländischer Gesetze.“ (S.  20 der Gesetzesbegründung EStG 1925) und „Bei der gegenwärtigen Struktur der deutschen Wirtschaft muß […] darauf geachtet werden, daß möglichst alles, was aus dem Inland herausgewirtschaftet, was im Inland verdient wird, auch steuerlich erfaßt wird. Demgemäß stellt der Entwurf als Leitsatz in § 3 an die Spitze, daß das Einkommen, das im Inland bezogen wird, der beschränkten Steuerpflicht unterliegt.“ (S. 39 der Gesetzesbegründung EStG 1925) Dieses Verständnis wird auch durch den Aufbau des reformierten § 3 EStG 1925 unterstützt. So hieß es in § 3 EStG 1925 wörtlich: „(1) Mit Einkommen, das aus dem Inland bezogen wird (inländischem Einkommen), sind steuerpflichtig (beschränkt einkommensteuerpflichtig) alle natürlichen Personen, wenn Sie nicht schon nach § 2 unbeschränkt steuerpflichtig sind. (2) Als inländisches Einkommen im Sinne des Abs. 1 unterliegen der Besteuerung nur […] 3. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von unbeweglichem Vermögen, Sachinbegriffen und Rechtem, die im Inland belegen oder in ein inländisches öffentliches Register eingetragen sind. […]“ Der Absatz 2 ist mit seinem „nur“ somit als Einschränkung des Absatzes 1 und des Grundsatzes zu verstehen, dass sämtlichen inländischen Zahlungsströme der deutschen Besteuerung unterliegen. Würde Absatz 2 selbst ein konstitutives Besteuerungsrecht begründen, hätte es des Absatzes 1 nicht bedurft. Dieses Verständnis wurde zu diesem Zeitpunkt auch von der herrschenden Literaturauffassung9 vertreten und das inländische Besteuerungsrecht als Teilhabe an „den Vorteilen des inländischen Staatswesens verstanden.10 Auch unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks der beschränkten Steuerpflicht liegt es nahe, den Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f bzw. Nr. 6 EStG einschränkend dahingehend auszulegen, dass eine beschränkte Steuerpflicht nur dann besteht, wenn die Rechteüberlassung mit einer inländischen Verwertung einhergeht und da 9 Strutz in Fischer, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 1927, § 3 Rz. 2 ff.; Becker in Handkommentar der Reichsteuergesetze, 1928, Band II, § 3 Rz. 1. 10 Strutz in Fischer, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 1927, § 3 Rz. 3.

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mit ein territorialer Bezug besteht. Denn das geographische Element stellt im Rahmen der steuerlichen Gesetzgebung keinen Selbstzweck dar. Vielmehr wird durch den territorialen Bezug sichergestellt, dass die Staaten ihre Besteuerungsrechte derart gestalten, dass sie auch in der Lage sind, diese Besteuerungsrechte gleichmäßig gegenüber allen Steuerpflichtigen durchzusetzen und damit Steuerungerechtigkeiten zu vermeiden. Darüber hinaus liefe die Vorschrift andernfalls Gefahr, aufgrund eines strukturelles Vollzugsdefizits als verfassungswidrig eingestuft zu werden. Denn die deutsche Steuerverwaltung erlangt ohne einen geographischen Bezug i.d.R. schlicht keine Kenntnis von einem steuerbaren Sachverhalt, so dass ihr die Durchsetzung des Steueranspruchs unmöglich ist.11 Hängt die Durchsetzbarkeit eines Steueranspruchs aber allein von der Erklärungsbereitschaft des Steuerpflichtigen ab und bleibt ein Fehlverhalten bei der Erklärung ohne ein praktisch bedeutsames Entdeckungsrisiko, dann liefert bereits dies hinreichende Grundlagen für die Feststellung einer verfassungswidrigen, im Gesetz strukturell angelegten Ungleichmäßigkeit der Rechtsanwendung.12 Nicht zuletzt ist auch zu berücksichtigen, dass der zivilrechtliche Schutz, der mit der Eintragung in ein inländisches Register einhergeht, regelmäßig auf das Inland beschränkt ist. Gemäß §  9 S.  1 PatG entfalten beispielsweise Patente ihre materielle Wirkung nur innerhalb des Gebiets, für das die Patente erteilt wurden.13 Das gleiche gilt im Bereich des Markenrechts. Eine Marke entfaltet grundsätzlich nur auf dem Territorium des Staates Rechtswirkungen, nach dessen Recht ihr Schutz gewährt worden ist.14 Hieraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass Einkünfte i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f bzw. Nr. 6 EStG nur dann vorliegen können, wenn die Einkünfte tatsächlich in Verbindung mit der Nutzung des geschützten inländischen Rechts stehen. Somit kann eine deutsche beschränkte Steuerpflicht eines ausländischen Lizenzgebers nur dann entstehen, wenn die Lizenzgewährung zu einer Inanspruchnahme des inländischen Patents, also zu einer konkreten Verwertung im Inland führt. 3. Handhabung in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung Eine Untersuchung der finanzgerichtlichen Rechtsprechung führt ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Sowohl die Rechtsprechung des RFH15 als auch des BFH16 11 Gadzo, INTERTAX 2018, 194 ff. 12 BVerfG v. 9.3.2004 – 2 BvL 17/02, BStBl. II 2005, 56 Tn. 68; vgl. auch zu § 6 InvStG BMF, Schr. v. 21.5.2019 – IV C 1 – S 1980-1/16/10010 :001, BStBl. I 2019, 527, Rz. 6.13; andere Auffassung Gosch, Der Konzern 2020, 344. 13 Scharen in Benkard, Patentgesetz, 11. Aufl. 2015, § 9 Rz. 8 m.w.N.; BGH, GRUR 68, 195, 196; OLG Düsseldorf, InstGE 11, 203 Tz. 125; RGZ 30, 52, 55; 46, 14, 16; 51, 139, 140; 84, 370, 375; RG, JW 90, 280, 281; 94, 369 Nr. 27, 1, 2; LG Düsseldorf, GRUR Int. 68, 101, 102. 14 BGH v. 10.1.2008 – I ZR 38/05, GRUR 2008, 621; Ingerl/Rohnke in Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl. 2010, Einleitung Rz. 15. 15 RFH v. 7.6.1982 – IA 274/31, RStBl. I 1932, 739; RFH v. 12.11.1930 – VI A 725 u. 726/28, RStBl. I 1930, 234. 16 Vgl. BFH v. 24.10.2018 – I R 69/16, BStBl. II 2019, 401; BFH v. 27.7.2011 – I R 32/10, BStBl. II 2014, 513; Finanzgericht Berlin-Brandenburg v. 14.6.2012 – 9 K 156/05, EFG 2013, 934.

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stellen in ihren Entscheidungen stets auf einen inländischen Zahlungsstrom ab. So heißt es beispielsweise in einem Urteil vom 7.6.193217 zur Begründung: „Nach der amtlichen Begründung zu § 3 EStG soll allerdings möglichst alles, was aus dem Inland herausgewirtschaftet und was im Inland verdient wird, erfaßt werden.“ Auch der BFH scheint das Erfordernis eines inländischen Zahlungsflusses i.R.d. § 49 EStG implizit vorauszusetzen. In dem Leitsatz zu der Entscheidung vom 27.7.201118 heißt es: „Die Zuordnung bestimmter Einkünfte zu einer der in § 49 EStG 1990/1997 genannten Einkommensarten richtet sich allein nach dem objektiven Erscheinungsbild der jeweiligen (im Inland verwirklichten und aus dem Inland bezogenen) Einkünfte. In der Entscheidung,19 in der es um den Quellensteuereinbehalt auf die Zahlung einer Sublizenz geht, schweigt der BFH zu der Steuerpflicht des Hauptlizenzgebers, obwohl die Zahlung des Sublizenzgebers den Umfang der Quellensteuerpflicht in Deutschland als direkte Ausgabe aus EU-rechtlichen Gründen mindert. Würde die Hauptlizenzgeberin mit ihren Einnahmen der Sublizenznehmerin ebenfalls der deutschen Quellensteuer unterliegen, wäre es zumindest naheliegend gewesen, hervorzuheben, dass Deutschland seinen Steueranspruch gegenüber der Hauptlizenzgeberin geltend machen muss bzw. die Sublizenzgeberin ihrer Verpflichtung zum Quellensteuereinbehalt hinsichtlich der Hauptlizenzgeberin nicht nachgekommen ist und deshalb ein Erstattungsanspruch nicht durchgesetzt ggf. werden kann. 4. Zwischenfazit Während der Wortlaut der § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG ein weites Verständnis eines deutschen Besteuerungsrechts bereits aufgrund einer inländischen Registereintragung zulässt, sprechen Historie, Sinn und Zweck, sowie die finanzgerichtliche Rechtsprechung seit Einführung der Norm dafür, dass ein Besteuerungsrecht neben einer Registereintragung einen zusätzlichen Anknüpfungspunkt in Form eines inländischen Zahlungsflusses bzw. einer inländischen Verwertung erfordert. Im Lichte der aktuellen Diskussion zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft und um die Definition eines neuen Besteuerungsnexus, der losgelöst jeglicher physischer Präsenz ein Besteuerungsrecht begründen soll, ist jedoch nicht auszuschließen, dass sich auch die Auslegung einer Norm, die sich seit knapp 100 Jahren im Gesetz befindet, ändern kann und an die Bedürfnisse zunehmend digitaler und globalisierter Geschäftsmodelle angepasst wird. Daher wird nachfolgend untersucht, wie hoch ein etwaiger Besteuerungsanspruch wäre, wenn er denn durch eine reine Eintragung in ein inländisches Register begründet würde.

17 RFH v. 7.6.1932 – I A 274/31, RStBl. I 1932, 739. 18 BFH v. 27.7.2011 – I R 32/10, BStBl. II 2014, 513. 19 BFH v. 27.7.2011 – I R 32/10, BStBl. II 2014, 513.

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III. Besteuerungsrecht der Höhe nach – Bestimmung des Besteuerungsumfangs Sollte man  – entgegen der hier vertretenen Auffassung – eine Steuerbarkeit dem Grunde nach bejahen, stellt sich somit die Frage: Wie soll eine Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage der Höhe nach erfolgen? 1. Zuteilung des Steueraufkommens anhand des Wertschöpfungsbeitrags Internationalen Steuer- und Verrechnungspreisprinzipien folgend soll die Zuteilung des Steueraufkommens zwischen den Staaten im Rahmen der territorialen Zuordnung von Einkommen und Vermögen auf Basis der tatsächlichen Wertschöpfungsleistung eines Steuersubjektes in dem jeweiligen Staat vorgenommen werden.20 Hierdurch wird sichergestellt, dass nur der Staat sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach einen steuerlichen Zugriff auf etwaiges Einkommen oder Vermögen erhält, der durch die Bereitstellung staatlicher Infrastruktur die Schaffung und Bewirtschaftung einer Steuerquelle ermöglicht.21 Die Identifizierung des Wertschöpfungsbeitrags und die Quantifizierung eines solchen Beitrags zur Ermittlung einer steuerlichen Be­ messungsgrundlage ist grundsätzlich auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes ­vorzunehmen.22 Für den vorliegenden Fall ist demnach zu untersuchen, welchen Vergütungsanspruch ein hypothetisches, in Deutschland ansässiges Steuersubjekt (Rechtsträger oder Betriebsstätte), das im direkten Zusammenhang mit den regis­ trierten Rechten Funktionen ausübt und Risiken trägt, nach nationalen (§ 1 Abs. 1 AStG) und internationalen Verrechnungspreisgrundsätzen (Artikel 9 OECD-MA sowie die OECD-Verrechnungspreisleitlinien) erdienen würde. Die Durchführung eines solchen Fremdvergleiches orientiert sich insbesondere an den durch ein Unternehmen wahrgenommenen Funktionen und eingegangenen Risiken, da auch fremde Dritte die Chancen und Risiken aus der Ausübung der Funktionen im Rahmen Ihrer Vergütungsverhandlungen und -vereinbarungen berücksichtigen würden. In diesem Zusammenhang gilt spätestens seit der Novellierung der OECD-Verrechnungspreisleitlinien im Rahmen des BEPS-Projektes23 der Grundsatz, dass sich der Fremdvergleichsgrundsatz für grenzüberschreitende Sachverhalte nach

20 Vgl. EU-Kommission (2015): Eine faire und effiziente Unternehmensbesteuerung in der Europäischen Union – Fünf Aktionsschwerpunkte, COM (2015) 302 final, S. 10. 21 Vgl. Altenburg, IStR 2020, (561) 561 oder auch Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. 2018, Steuersystem und Steuerverfassungsrecht Rz. 45. 22 Sowohl im direkten Verhältnis bei grenzüberschreitenden Transaktionen gemäß § 1 AStG, aber analog auch bei der Zuweisung des Besteuerungsrechtes gemäß des „separate Entity Approaches“ bei Betriebsstätten gemäß § 1 Abs. 5 S. 1 AStG. 23 Dieser Ansatz geht maßgeblich aus dem Maßnahmenberichtes für BEPS-Aktionspunkt 8-10 „Aligning Transfer Pricing Outcome with Value Creation“ hervor und wurde im Rahmen einer Überarbeitung der OECD-Verrechnungspreisleitlinien am 10.7.2017 umgesetzt.

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den tatsächlichen Verhältnissen24 und der wirtschaftlichen Realität, bzw. den wirtschaftlich relevanten Faktoren („economically relevant characteristics“)25 zu richten hat und etwaige schriftliche oder vertragliche Gegebenheiten nur ein Ausgangspunkt für die steuerliche Beurteilung der Angemessenheit sein können („Substance over form“-Ansatz). In diesem Kontext ist die reine Eintragung eines Rechtes in ein inländisches Register einzuordnen, das anhand des Substance over form-Gedankens alleine nicht ausreichend ist, um eine inländische Einkommensquelle annehmen zu können. Dies ist auch konsequent, denn die Eintragung als solche trifft noch keine Aussage darüber, wo die mit dem Schutzrecht verbundenen Wertschöpfungsfunktionen ausgeführt werden und welche Auswirkungen sie auf die mit den Rechten verbundene Wertschöpfung zur Herleitung einer Steuerbemessungsgrundlage haben.26 2. Besonderheiten für immaterielle Wirtschaftsgüter: Wertschöpfungsanalyse nach dem DEMPE Konzept Gegenstand der Eintragung sind regelmäßig Marken und Patente, somit immaterielle Wirtschaftsgüter. Auf internationaler Ebene27 und mittlerweile auch nach nationaler  Praxis und jüngsten Reformüberlegungen im deutschen Außensteuerrecht28 ­werden die wertschöpfenden Funktionen im Zusammenhang mit immateriellen Wirtschaftsgütern als Entwicklung (Development), Verbesserung (Enhancement), Erhalt (Maintenance), Schutz (Protection) und Verwertung (Exploitation) umschrieben (sog. DEMPE-­Funktionen). Zur Identifizierung einer fremdüblichen Vergütung und Herleitung eines angemessenen Gewinnanteils ist daher zu untersuchen, welche Rechtsträger die DEMPE-Funktionen ausüben und die Risiken tragen, die mit dem registrierten Recht verbunden sind. Dieser fremdübliche Gewinnanteil aus der Ertragsberechtigung der immateriellen Wirtschaftsgüter kann nur dort einer beschränkten Besteuerung unterliegen, wo die mit dem Schutzrecht verbundenen DEMPE-Funktionen tatsächlich ausgeübt werden. Die Ertragsberechtigung richtet sich danach, welche Konzerneinheiten in welchem Umfang wertschöpfende Funktionen in Form von Entwicklung, Verbesserung, Erhaltung, Schutz und Verwertung29 für die betroffenen immateriellen Wirtschaftsgüter ausüben und mithin auch in der Lage sind, die mit den DEMPE-Funktionen ein-

24 Vgl. aktueller Referentenentwurf zum neuen § 1 Abs. 3 S.1 AStG − Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (RefE ATAD-Umsetzungsgesetz) v. 24.3.2020, zu Artikel 5 Änderungen des Außensteuergesetzes S. 14. 25 Vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 Tz. 1.37 ff. 26 Vgl. Maier in Kroppen/Rasch, Handbuch der internationalen Verrechnungspreise, 28. Lieferung 2018, Kapitel B.4. Anwendung der vorstehenden Prinzipien auf konkrete Sachverhalte, Rz. 426. 27 Vgl. Tz. 6.40 ff. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017. 28 Vgl. RefE ATAD-Umsetzungsgesetz v. 24.3.2020, zu Artikel 5, S. 74. 29 Sogenanntes DEMPE-Konzept der OECD; das auf die Funktionen und Risikotragung im Zusammenhang mit dem Development, Enhancement, Maintenance, Protection und ­Exploitation abstellt; vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017; Kapitel VI Abschnitt B ff.

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hergehenden Risiken zu kontrollieren und im Falle der Materialisierung finanziell zu tragen.30 Im Zusammenhang mit den genannten DEMPE-Funktionen dürfte es damit insbesondere auf die Verteilung der folgenden Funktionen und Verantwortlichkeiten sowie der mit den unten genannten Tätigkeiten verbundenen Risikotragung (Risikokontrolle und finanzielle Kapazitäten zur Risikoübernahme) ankommen: DEMPE Funktion

Erläuterung der Funktionen

Damit verbundenes Risiko

DEVELOPMENT / • Verantwortung für Definition • Entwicklungsrisiko: Risiko ENHANCEMENT / der Plankostenabweichung und Durchführung von BlueMAINTENANCE innerhalb der EntwicklungsSky Forschung bei Patenten phase bzw. Entwicklung / ­Verbesserung / • Risiko eines Abbruchs des • Marktforschung und Identi­Erhaltung des Entwicklungsprojektes mit fizierung des (Weiter-)Ent­immateriellen der Folge von Fehlinvestitiowicklungsbedarfs bei Mar­Wirtschaftsguts nen (sog. Sunk-Costs) ken • Design, Steuerung und Überwachung der Entwicklung • Definition von Milestones

• Verantwortung von Prioritäten und Analyse von Zwischen-Ergebnissen / Soll-Ist Vergleiche • Budgetverantwortung und Freigabe

• Verantwortung für strategische Entscheidungen (Abbruch, Fortsetzung des Projektes) und Entscheidungsfindung selbst

• Operative Entwicklungstätigkeiten

30 Tz. 1.61 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017.

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• Vergütungsrisiko / Performancerisiko: Abweichung der Verwertungsmöglich­ keiten eines immateriellen Wirtschaftsgutes nach Abschluss der Entwicklungsphase gegenüber der Planung

Die Steuerbarkeit von extraterritorialen Lizenzvereinbarungen DEMPE Funktion

Erläuterung der Funktionen

Damit verbundenes Risiko

PROTECTION

• Entscheidungsverantwortung für Patentierung / ­Markeneintragung

• Patentverletzungsrisiko: Risiko zusätzlicher Aufwendungen aus der Durchsetzung des rechtlichen Schutzes selbst entwickelter immaterieller Werte sowie auf Grund von Rechtsbehelfsverfahren (z.B. Klagen) im Zusammenhang mit etwaigen Patentverletzungen

Schutz

• Definition der Patentstrategie / Markenstrategie im ­Zusammenhang mit der Registrierung und Verteidigung der Marke/ des Patents

EXPLOITATION Verwertung

• Registrierung, Verteidigung und zugrundeliegende Strategie bei Patent- / Markenverletzung sowie dazugehörige Budgetverantwortung

• Entscheidung hinsichtlich der Verwertungsart (Eigennutzung oder Lizensierung) • Definition der zugrundeliegenden Marken- bzw. Werbe-, Vertriebsstrategie oder Produktstrategie (z.B. im Rahmen einer „corporate brand usage guideline“)

• Verwertungsrisiko: Unsicherheit der tatsächlichen Umsatzerlöse aus der Verwertung der immateriellen Wirtschaftsgüter (Plan / Ist)

Darüber hinaus enthalten die OECD-Verrechnungspreisleitlinien 201731 explizite Hinweise für eine entsprechende Zuordnung der DEMPE-Funktionen anhand der Risikoverteilung. Ausschlaggebend für eine sog. funktionale Zuordnung von iWG ist neben der Ausführungsverantwortlichkeit der DEMPE-Funktion mithin auch die Kontrolle und das Management der damit verbundenen Risiken (sog. „Control over Risk“-Approach).32 Die OECD nennt hierfür insbesondere folgende Aspekte für die Zuordnung des mit der Funktion verbundenen Risikos: – Entscheidungsfähigkeit und -möglichkeit33 für oder gegen die Inkaufnahme des Risikos – Entscheidungsfähigkeit über Risikosteuerungsmaßnahmen (sog. „Risikoreaktionsfähigkeit“) – Fähigkeit, die Risikomaterialisierung durch geeignete Maßnahmen zu begrenzen 31 Siehe auch Tz. 6.53 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017. 32 Vgl. Greinert et al, Ubg 2020 (524) 529. 33 Sowohl auf Grund des eingesetzten Personals (sog. „key personnel“) als auch des Zugangs zu Informationen über das funktionsbezogene Risiko für eine sachgerechte Einflussnahme.

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Nadia C. Altenburg/Christina Jagenburg

– Fähigkeit das Risiko im Falle einer Materialisierung tatsächlich finanziell tragen zu können34 Im Ergebnis ist im Rahmen des DEMPE-Konzeptes also nicht nur sicherzustellen, dass die ertragsberechtigte Konzerneinheit die Entscheidungsgewalt und strategische Kontrolle über die betroffenen Funktionen innehat, sondern auch über die Fähigkeit verfügt, die Risiken zu kontrollieren, zu steuern und sofern erforderlich, finanziell zu tragen. 3. Zurechenbare DEMPE-Funktionen einer inländischen Registereintragung Schutzfunktionen werden bei multinationalen Unternehmen alleine auf Grund von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen regelmäßig zentralisiert auf Ebene der obersten Konzerngesellschaft durchgeführt (im Rahmen einer zentralen Patent- und Markenrechtsabteilung bzw. Budgetverantwortung für die Beauftragung externer Berater). Die Schutzfunktion, die mit der inländischen Registereintragung einhergeht, kann somit maximal anteilig dem Staat, in dem das Register geführt wird, zugeordnet werden. Im Kontext des DEMPE-Konzepts kann sich die Zuordnung der Schutzfunktion und damit einhergehende Ertragsberechtigung nämlich nur an dem relativen Wertschöpfungsbeitrag durch die Registrierung und damit an der operativen Durchführung (Patentierung sowie Maßnahmen im Falle von Markenrechtsverletzungen/ Patentverletzungen) anhand einer zentral vorgegebenen Patent- und Marken-Strategie orientieren. Darüber hinaus ist – den voranstehenden Erläuterungen folgend – die mit der Schutzfunktion verbundene Risikotragung einer Patentverletzung, wenn überhaupt, auf die Schlechtleistung/ Fehlausübung der Schutzfunktion für in Deutschland registrierte (oder zu registrierende) Marken-/Patentrechte beschränkt. Ein Anspruch auf den vollständigen Ertrag aus einem immateriellen Wirtschaftsgut steht einer Konzerneinheit gemäß dem DEMPE-Konzepts allerdings nur dann zu, wenn sie alle relevanten DEMPE-Funktionen des immateriellen Wertes ausübt und kon­ trolliert und alle hierfür notwendigen Vermögenswerte (inkl. der Finanzierung) beibringt sowie die damit verbundenen Risiken übernimmt.35 Hieraus ergibt sich, dass aus einer Registereintragung allein keine signifikante Ertragsberechtigung erwachsen kann, die einer etwaigen Besteuerung im Inland unterliegen könnte. 4. Schutzfunktion mit Routinecharakter Unter Anwendung der hier dargelegten Grundsätze ist die Ertragszuordnung auf Grund der Registereintragung dem Umfang nach insoweit zu begrenzen, dass zu der inländischen Registereintragung die DEMPE-Funktionen anhand der vorstehend dargelegten Prinzipien zuzuordnen sind.36 34 Vgl. Tz 1.64 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017. 35 Vgl. Tz. 6.71 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017. 36 Vgl. Tz. 6.71 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017.

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Die Steuerbarkeit von extraterritorialen Lizenzvereinbarungen

In diesem Kontext ist zu beachten, dass die Ausübung der Schutzfunktion für in Deutschland registrierte Marken- und Patenrechte ohne weiteres an Dritte (Beratungsfirmen) in Auftrag gegeben werden kann und in der Praxis tatsächlich auch wird. Sie bedarf nur im geringen Umfang des Einsatzes von (immateriellen) Wirtschaftsgütern (wie z.B. Office-Applikationen und Software zum bestimmungsmäßigen Gebrauch oder Büro- und Geschäftsausstattung) und ist mit überschaubaren Risiken verbunden. Sie stellt folglich eine Routinefunktion dar, die regelmäßig lediglich zum Erhalt einer geringen, aber stabilen Vergütung berechtigt.37 Auch die OECD-Verrechnungspreisleitlinien 201738 gehen bei der Ausführung reiner Administrationstätigkeiten im Zusammenhang mit immateriellen Wirtschaftsgütern (z.B. die Eintragung von Markenrechten und Prozessbegleitung von Markenrechtsverletzungen) von einer konzerninternen Dienstleistung mit geringer Wertschöpfung aus. Eine solche Dienstleistung hat damit Routinecharakter und berechtigt ­folglich nur zum Erhalt einer Dienstleistungsgebühr (die regelmäßig durch die Anwendung einer kostenbasierten Verrechnungpreismethode vorgenommen wird). 5. Ermittlung der Ertragsberechtigung der Höhe nach Für die Ermittlung einer angemessenen Vergütung für eine solche Routinefunktionen ist nach deutschen39 sowie nach internationalen Grundsätzen die Kostenaufschlagsmethode als Standardmethode anwendbar. Die damit zusammenhängende Ermittlung und Zuordnung der zugrundeliegenden Kostenbestandteile muss sich in diesem Kontext ebenfalls am Fremdvergleichsgrundsatz orientieren. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, welche Kostenbestandteile in die Verrechnung miteinzubeziehen sind. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist der Fremdvergleich und damit die hypothetische Frage, wie eine Aufteilung zwischen fremden Parteien in einer vergleichbaren Situation vorgenommen und akzeptiert worden wäre. Für die Identifizierung der etwaig zurechenbaren Kostenbasis ist ausschlaggebend, dass die auf die Schutzfunktion des betroffenen Patentes entfallenden Kosten (direkt oder indirekt) zurechenbar sind. Bei der Wahl eines angemessenen Allokationsschlüssels für die Zuordnung etwaiger indirekter Kostenbestandteile (z.B. Gemeinkosten der Markenrechtsabteilung) ist daher darauf zu achten, dass sich der Allokationsschlüssel an der Art der Funktion und des damit immanenten ökonomischen Vorteils orientiert. Ein explizit durch die OECD vorgesehener möglicher Allokationsschlüssel ist auch die Zuordnung der indirekten Kosten anhand der Mitarbeiter, die für die Ausübung 37 Vgl. BMF, Schr. v. 12.4.2005 – IV B4 – S 1341 – 1/05 BStBl. I 2005, 570, Tz. 3.4.10.2 („VWGVerfahren“). 38 Vgl. Tz. 7.49 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017. 39 Für die Wahl der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode ist gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 AStG den Standardmethoden (Preisvergleichsmethode, Kostenaufschlagsmethode und Wiederverkaufspreismethode) Vorrang vor anderen Methoden einzuräumen, während die OECD-Verrechnungspreisleitlinien grundsätzlich darauf abstellen, welche Methode im Rahmen des Fremdvergleichsgrundsatzes am besten geeignet ist (d.h. den größten Vergleichbarkeitsmaßstab beinhaltet). Vgl. VWG-Verfahren Tz. 2.4.1 bzw. Tz. 2.2 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017.

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der Schutzfunktion im beschriebenen Maße tätig sind (soweit eine direkte Zuordnung zu der Schutzfunktion für deutsche Marken- Patentrechte möglich ist). 6. Anwendung eines Gewinnaufschlages Bei der Bemessung der fremdüblichen Dienstleistungsvergütung für die im Inland entfaltete Schutzfunktion anhand der Kostenaufschlagsmethode sollte ein Gewinnaufschlag berücksichtigt werden.40 Ein solcher Gewinnaufschlag ist allerdings der Höhe nach zu begrenzen, da die erbrachten Dienstleistungsfunktionen zu keiner signifikanten Risikoexponierung für den Dienstleister führen. Zur Vereinfachung dieses Ansatzes können die Grundsätze der „Safe-Harbor“ Regelungen der OECD und des EUJTP-Forums41 entsprechend herangezogen werden, die für rechtliche Beratungsdienstleistungen bzw. allgemeine administrative Leistungen mit geringer Wertschöpfung die Anwendung eines pauschalen Gewinnaufschlages auf die Kosten in Höhe von 2% − 5% vorsehen.

IV. Fazit Unter Berücksichtigung der klassischen Auslegungskriterien, insbesondere der historischen Entwicklung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG kann man sicher sagen, dass der Gesetzgeber bei Schaffung der Vorschrift, keine extraterrito­ rialen Lizenzbeziehungen erfassen und einer deutschen Besteuerung unterwerfen wollte. Im Lichte der aktuellen Diskussionen über die Reform der steuerlichen Anknüpfungspunkte und der Definition eines neuen Besteuerungsnexus im Rahmen der Besteuerung der Digitalwirtschaft scheint dieses Verständnis jedoch nicht in Stein gemeißelt, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der weite Wortlaut der Vorschrift aus dem Blickwinkel moderner und mobiler Geschäftsmodelle betrachtet und entsprechend weit verstanden wird. Der Rechtsanwender steht dann vor der Herausforderung, aus einem einheitlichen Zahlungsstrom den Anteil zu identifizieren, der dem deutschen Besteuerungsrecht zu Grunde gelegt werden soll. Die Eintragung einer Marke oder eines Patents bildet dabei nur den formellen Anknüpfungspunkt, da sie lediglich bestätigt, dass die formellen Kriterien der Anmeldungen sowie die Schutzfähigkeit der Marke bzw. des Patentes zu bejahen sind.42 Eine solche Eintragung enthält jedoch keine Aussage darüber, ob die eingetragenen Marken bzw. Patente tatsächlich zur Erzielung von im 40 Vgl. Tz. 7.35 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 bzw. EU-Joint Transfer Pricing Forum (EU-JTPF), Leitlinien zu konzerninternen Dienstleistungen mit geringer Wertschöpfung, abgedruckt in Schreiber/Nientimp Verrechnungspreise S. 485 ff. 41 Vgl. Tz. 7.61 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 und EUJTPF. 42 Beispielsweise erfolgt bei der Prüfung der Patentanmeldung durch das Patentamt eine Validierung der formellen Anforderungen nach §§ 34, 37 und 38 PatG sowie eine Überprüfung der Patentfähigkeit nach §§ 1 bis 5 PatG; vgl. Kaßer/Ann, Patentrecht, 7. Aufl. 2016, § 25 Rz. 53.

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Die Steuerbarkeit von extraterritorialen Lizenzvereinbarungen

Inland steuerbaren Erträgen führen und in welchem Umfang die Schutzfunktion dem Inland zuzuordnen sind. Sofern tatsächlich Erträge mit den eingetragenen Marken bzw. Patente erzielt werden, sind daher die tatsächlichen Gegebenheiten zu beurteilen, um zu bestimmen, ob Erträge aus rein ausländischen Lizenztransaktionen in eine inländische Bemessungsgrundlage gemäß §  49 Abs.  1 Nr.  2 Buchst.  f EStG einbezogen werden können. Für die Ermittlung einer sich daran anschließenden Ertragsberechtigung der Höhe nach ist der Fremdvergleich und somit die international anerkannten (sowie in Deutschland durch das ATAD-Umsetzungsgesetz zur Einführung vorgesehenen) DEMPE-Grundsätze maßgeblich. Die im vorliegenden Fall anwendbare Schutzfunktion stellt aus Verrechnungspreissicht eine auslagerungsfähige Routinefunktion dar, die nach OECD Grundsätzen regelmäßig nur mit der Kostenaufschlagsmethode unter Berücksichtigung eines begrenzten Gewinnaufschlages (z.B. 5% anhand der Safe-Harbor Regelungen) zu vergüten ist. Auf das inländische Besteuerungsrecht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG entfällt somit regelmäßig nur ein geringer Anteil, der mit großem Aufwand zu ermitteln ist. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Finanzverwaltung den erheblichen Verwaltungsaufwand auf sich nehmen wird, um einen solchen Steueranspruch, der regelmäßig nur durch Inanspruchnahme internationaler Amtshilfe durchführbar erscheint, zu verfolgen.

Dr. Nadia C. Altenburg Rechtsanwältin, Steuerberaterin Assoziierte Partnerin

Christina Jagenburg Steuerberaterin, Master of Science

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Hannah Gladitsch

Wechselwirkung von Beschränkungen des Sonderbetriebsausgabenabzugs Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Sonderbetriebsausgabenabzug bei ­Vorgängen mit Auslandsbezug III. Überschneidungspotential mit anderen Rechtsnormen 1. Betriebsausgabenabzug für Zinsaufwendungen (Zinsschranke), § 4h EStG

2. Grenzüberschreitende Sonder­ vergütungen, § 50d Abs. 10 EStG 3. Organschaftliche Verlustausgleichs­ beschränkung, § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG 4. Hybride Gestaltungen, § 4k EStG-E IV. Fazit

I. Einleitung Die Diskussion um Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung ist seit der Veröffentlichung des Entwurfs des ATAD-UmsG zur EU-Richtlinie ATAD II1 aktueller denn je. Insbesondere hybride Gestaltungen und die damit einhergehenden Steuerausweichpotentiale stehen im Fokus, wie es schon im Rahmen der Abschlussberichte der OECD zum BEPS-Projekt im Oktober 2015 der Fall war. Dies hatte der deutsche Gesetzgeber bereits im Dezember 2016 zum Anlass genommen, eine neue Rechtsnorm ins Gesetz einzuführen, den §  4i EStG, der sich mit dem Abzugsverbot von Sonderbetriebsausgaben (SBA) in grenzüberschreitenden Sachverhalten bei Personengesellschaften befasst. Im Zuge des ATAD-UmsG wird nun der § 4k EStG-E vorgestellt. Beide Normen haben gemein, dass diese den sog. Double Dip, also den doppelten Betriebsausgabenabzug verhindern sollen. Ziel dieses Aufsatzes ist es, einen kurzen Überblick über die Normen, welche einen (doppelten) Betriebsausgabenabzug insbesondere beim Sonderbetriebsvermögen von Mitunternehmerschaften verhindern sollen, zu geben und deren systematische Zusammenhänge zu erläutern. Dabei wird auf mögliche Normenkonkurrenzen des § 4i EStG zum Sonderbetriebsausgabenabzug bei Vorgängen mit Auslandsbezug, der Zinsschranke gem. § 4h EStG, der grenzüberschreitenden Sondervergütungen gem. § 50d Abs. 10 EStG, der organschaftlichen Verlustausgleichsbeschränkung gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG sowie des § 4k Abs. 4 EStG-E zu hybriden Gestaltungen eingegangen.

1 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie v. 10.12.2019.

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Hannah Gladitsch

II. Sonderbetriebsausgabenabzug bei Vorgängen mit Auslandsbezug Das deutsche Besteuerungskonzept von Mitunternehmerschaften gilt als internationale Besonderheit, aus der sich gerade im grenzüberschreitenden Kontext immer wieder Probleme ergeben.2 Der deutsche Gesetzgeber hatte bei Einführung des § 4i EStG eine bestimmte Konstellation im Blick: Die Aufwendungen hybrider Gesellschaften bei Finanzierung von Inbound-Akquisitionen, also den doppelten Abzug von (Zins-)Aufwendungen in Form von SBA im Zuge der Einlagenfinanzierung eines ausländischen Mitunternehmers an einer inländischen Personengesellschaft. Nach § 4i Satz 1 EStG dürfen Ausgaben nicht als SBA abgezogen werden, soweit sie auch die Steuerbemessungsgrundlage (StBMG) in einem anderen Staat mindern. Gem. § 4i Satz 2 EStG greift Satz 1 nicht, soweit diese Aufwendungen Erträge desselben Steuerpflichtigen mindern, die bei ihm sowohl der inländischen Besteuerung unterliegen als auch nachweislich der tatsächlichen Besteuerung in dem anderen Staat. Dieser Fall soll anhand des folgenden Beispiels verdeutlicht werden.3 § 4i EStG A-Ltd.

Zinsen 100 GE

GB D Komplementär GmbH

Darlehen

Einlage

B GmbH & Co. KG

Bank

– Finanzierungsdarlehen durch Beteiligung an B KG veranlasst (= SBV II); Abzug des Zinsaufwands i.H.v. 100 GE als SBA in D – Abzugsverbot des Zinsaufwands in D durch § 4i EStG, soweit dieser in GB als BA abzugsfähig ist

Die ausländische A-Ltd. (Kapitalgesellschaft) mit Sitz in Großbritannien ist als Kommanditistin an der inländischen B GmbH & Co. KG beteiligt und leistet eine Einlage in die Personengesellschaft, welche sie durch ein verzinsliches Darlehen bei einer Bank finanziert. Die Einkünfte der A-Ltd. aus dem Mitunternehmeranteil unterliegen der inländischen KSt-Pflicht gem. § 2 Nr. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG und § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Die steuerliche Gewinnermittlung bei deutschen Mitunternehmerschaften erfolgt gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nach einem Zwei-Stufen-Konzept. Der Gewinn aus der B-KG setzt sich zusammen aus dem Anteil am Gesamthandsgewinn der Personengesellschaft der ersten Stufe gem. §  15 2 Vgl. BR-Drucks. 406/16, S. 3; Prinz, DB 2018, 1615. 3 Vgl. BT-Drucks. 18/9956, S. 2; BR-Drucks. 406/16, S. 3–5; Heckerodt, IWB 2017, 720 (725).

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Wechselwirkung von Beschränkungen des Sonderbetriebsausgabenabzugs

Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Hs. 1 EStG und dem Sonderbetriebsergebnis der zweiten Stufe gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Hs. 2 EStG für Vergütungen, die der Mitunternehmer von der Gesellschaft für seine Tätigkeit im Dienste der Gesellschaft oder für die Hingabe von Darlehen oder die Überlassung von Wirtschaftsgütern erhält (SBV I) oder die dazu dienen, die Beteiligung des Gesellschafters an der Mitunternehmerschaft zu stärken (SBV II).4 Das Finanzierungsdarlehen stellt SBV II der A-Ltd. dar, die Refinanzierungszinsen demnach SBA. Diese Betriebsausgaben (BA) sind sowohl in Deutschland als SBA steuerlich abzugsfähig als auch in Großbritannien als BA, wo das Mitunternehmerkonzept unbekannt ist. Es erfolgt ein doppelter BA-Abzug (Double Dip).5 Diesen Double Dip soll § 4i EStG nun zu Lasten der Steuerzahler in Deutschland verhindern. Angesichts der stetig fortschreitenden Steuerharmonisierung innerhalb der EU wäre ein solcher Vorteil wirtschaftlich ungerechtfertigt gegenüber nicht inter­ national tätigen Unternehmen.6 Dabei dient die Norm als grenzüberschreitende ­Linking Rule i.S.d. OECD der Sicherung des nationalen Haushaltsaufkommens und der Missbrauchsabwehr.7 Es erfolgt die Verbindung des Abzugs der SBA im Inland mit dem Abzug nämlicher BA im Ausland, also die Versagung des SBA-Abzugs in Abhängigkeit von der Handhabung im Ausland.8 Es entsteht ein Zinsaufwand aus dem Finanzierungsdarlehen i.H.v. 100 GE. Ist dieser Aufwand sowohl in Deutschland als SBA als auch in Großbritannien als BA abziehbar, greift § 4i Satz 1 EStG ein und versagt den Abzug des Zinsaufwandes in Deutschland, sodass der Abzug des Aufwands gesamt gesehen nur einmal erfolgt, nämlich in Großbritannien.9 Sofern nun neben den SBA auch Sonderbetriebseinnahmen (SBE) bei der A-Ltd. anfallen, könnte die Rückausnahme gem. § 4i Satz 2 EStG greifen und den doppelten BA-Abzug zulassen. Dies könnte v.a. im Bereich des SBV I zutreffen, wenn die Rechtsfolge der Umqualifizierung von Sondervergütungen gem. §  50d Abs. 10 EStG die SBE zur Mitunternehmer-Betriebsstätte (B-KG in Deutschland) zuordnet, während Großbritannien über Art. 11 Abs. 1 OECD-MA das Besteuerungsrecht zusteht. Soweit die SBA die der Besteuerung unterliegenden SBE in Großbritannien gemindert haben, was hier der Fall ist, ist der doppelte Abzug zulässig. Auch wenn das Ausland das deutsche Mitunternehmerkonzept kennt, kann es wegen des SBV trotzdem zu doppeltem Abzug kommen.10 Dabei ist der belastungsmindernde Steuereffekt nicht Folge einer modellhaften Steuergestaltung, sondern liegt an der deutschen Technik zur Besteuerung von Mitunternehmerschaften. Durch § 4i EStG wird das deutsche Mitunternehmerkonzept teilweise aufgegeben und der internationalen Sichtweise, nämlich dem Zinsabzug beim Gesellschafter, der Vorrang gewährt. 4 Vgl. Heckerodt, IWB 2017, 720 (723); Gosch in Kirchhof19, § 4i EStG Rz. 5. 5 In Anlehnung an Bodden in Korn, § 4i EStG Rz. 2. 6 Vgl. Heckerodt, IWB 2017, 720 (724). 7 Vgl. Kanzler, NWB 2017, 326 (327). 8 Vgl. Gosch in Kirchhof19, § 4i EStG Rz. 5; Prinz, GmbHR 2017, 553 (556). 9 Vgl. Bodden in Korn, § 4i EStG Rz. 2. 10 Vgl. Bärsch/Böhmer, DB 2017, 567.

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Dadurch könnten parallele Besteuerungssysteme für Personengesellschaften in Abhängigkeit von der Ansässigkeit der Gesellschafter entstehen, deren Vereinbarkeit mit den Diskriminierungsverboten der EU äußert fraglich wäre.11 Es findet sich im § 4i EStG selbst keine Regelung, welchem Staat das vorrangige Recht zur Versagung des Abzugs zukommt. Es ergäbe sich dadurch z.B. bei einem Verlust das Risiko, dass es faktisch zu überhaupt keinem Zinsabzug kommt, wenn der Zinsabzug im Ausland keine steuermindernde Wirkung hat, die StBMG aber trotzdem gemindert wurde.12 Aus dem Wortlaut ließe sich ableiten, dass § 4i EStG faktisch hinter im Ausland anwendbaren Steuervorschriften zurücktritt, wenn der ausländische Staat den OECD-Vorgaben folgt und vorrangig den Abzug versagt, es also zur Versagung des Abzugs im Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters kommt. Der doppelte Abzug von BA ist mit Einführung des § 4i EStG zwar nicht mehr möglich, aber seine Anwendung ist sehr komplex und geht mit diversen praktischen und verfahrensrechtlichen Problemen einher.13

III. Überschneidungspotential mit anderen Rechtsnormen Hinsichtlich der Position des § 4i EStG im deutschen Rechtsgefüge stellt sich die Frage, wie die Norm mit anderen Rechtsnormen interagiert und wo ggf. Überschneidungspotential und Normkonkurrenzen bestehen. Im Folgenden soll das Konkurrenzverhältnis zu vier ausgewählten Regelungen betrachtet werden. Dabei wird von den allgemeinen Grundsätzen zur Lösung solcher Konkurrenzen ausgegangen. Höherrangiges Recht bricht niederrangiges Recht (lex superior derogat legi inferiori), jüngere Vorschriften gehen älteren vor (lex posterior derogat legi priori) und speziellere Normen gehen generelleren vor (lex specialis derogat legi generali). Zu beachten ist, dass generellere Normen, auch wenn sie jünger sind, nicht spezielleren älteren Normen vorgehen, sofern sich nicht ausnahmsweise ein gesetzgeberischer Wille diesbezüglich feststellen lässt. Es erfolgt dann ein Vergleich der Normzwecke der konkurrierenden Vorschriften.14 Sofern sich anhand dieser Grundsätze kein Vorrang ausmachen lässt, hat die Vorschrift, die die weitreichendsten Abzugsbeschränkungen beinhaltet, den Vorrang.15 1. Betriebsausgabenabzug für Zinsaufwendungen (Zinsschranke), § 4h EStG § 4h EStG ist eine Gewinnermittlungsvorschrift und begrenzt den Abzug von Zinsaufwand für Betriebe jeglicher Rechtsformen, führt also dazu, dass Zinsaufwendungen in bestimmter Höhe als (noch) nicht abzugsfähige BA gelten. Nach der Grund11 Vgl. Adrian/Fey/Selzer, StuB 2017, 94 (96). 12 Vgl. Jehl-Magnus, NWB 2017, 179 (180). 13 Vgl. Bergmann, FR 2017, 126 (128); Prinz, DB 2018, 1615. 14 Vgl. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 5 Rz. 3; Neumann, im Rahmen der Kölner Tage Organschaft 2017, S. 82; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 9. Aufl. 2016, Rz. 766. 15 Vgl. Pohl in Blümich, § 4i EStG Rz. 73; Wacker in Schmidt, § 4i EStG Rz. 2.

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regel des Abs. 1 Satz 1 sind Zinsaufwendungen eines Betriebs unbeschränkt in Höhe des Zinsertrags, darüber hinaus nur bis zur Höhe des verrechenbaren EBITDA abziehbar. Das nicht ausgenutzte EBITDA wird fünf Jahre vorgetragen, nicht abziehbare Zinsen zeitlich unbegrenzt. Von der Grundregel gibt es drei Ausnahmen gem. § 4h Abs. 2 Satz 1 EStG, nämlich die Freigrenze von drei  Millionen Euro, die Konzernklausel und die Escapeklausel.16 Sofern die Grundregel greift, erfolgt die außerbilanzielle Hinzurechnung von nicht abziehbaren Zinsen auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung.17 Auch § 4i EStG ist als Einkunftsermittlungsvorschrift zu sehen und greift als solche in die Mitunternehmerbesteuerung nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG ein.18 Aus der Norm geht nicht eindeutig hervor, auf welcher Gewinnermittlungsstufe § 4i EStG Anwendung findet. Aufgrund ihrer systematischen Einbettung wird sie aber vermutlich ebenfalls als außerbilanzielle Korrektur auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe greifen.19 Sowohl § 4i EStG als auch § 4h EStG klären bei der Gewinnermittlung nach innerstaatlichem Recht die Frage, ob Aufwendungen tatsächlich als BA abgezogen werden dürfen.20 Ein Konkurrenzverhältnis ergibt sich allerdings nur bei Zinsaufwand, welches im Folgenden geklärt werden soll. Laut dem Wortlaut des § 4i EStG muss auch die StBMG im anderen Staat gemindert werden, Voraussetzung ist also die vorherige Minderung der inländischen StBMG. Sofern die BA einem Abzugsverbot unterliegen, wie z.B. § 4 Abs. 4a, Abs. 5 und § 4h EStG, wird die StBMG nicht gemindert und § 4i EStG käme nicht zur Anwendung. Demnach hätte § 4h EStG den Vorrang.21 Allerdings erfasst die Zinsschranke nur den Zinsaufwand, der den maßgeblichen Gewinn gemindert hat, also nicht solchen, der bereits nach anderen Vorschriften nicht abziehbar ist, wie z.B. § 3c, § 4 Abs. 4a, § 15 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Hs. 5 EStG. Insofern ist §  4h EStG nachrangig gegenüber anderen Aufwandsabzugsbeschränkungen, zu denen auch § 4i EStG gehört.22 Beim Vorrang des § 4h EStG entstünde zwar ein deutlich höherer Zinsvortrag, bei welchem allerdings unklar ist, wann er tatsächlich genutzt werden kann.23 Folglich ist § 4i EStG als lex specialis zu § 4h EStG zu sehen, da es sich um eine spezielle Vorschrift für SBA bei Personengesellschaften handelt, wohingegen § 4h EStG ein generelles Aufwandsabzugsverbot darstellt. Die Zinsschranke führt nur zum zeitweisen Ausschluss der Abzugsfähigkeit von Zinsen als BA, ist insoweit also weniger 16 Vgl. Heuermann in Blümich, § 4h EStG Rz. 1; Heckerodt, IWB 2017, 720 (724). 17 Vgl. Liekenbrock, Ubg 2014, 785 (791). 18 Vgl. Prinz, GmbHR 2017, 553 (556). 19 Vgl. Pohl in Blümich, § 4i EStG Rz. 73. 20 Vgl. Ettinger, DStR 2019, 548 (550); Liekenbrock, Ubg 2014, 785 (788). 21 Vgl. Bodden in Korn, § 4i EStG Rz. 24; Hick in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4i EStG Rz. J 16−5; Kanzler in Kanzler et al., Einkommensteuergesetz Kommentar, 2.  Aufl. 2017, §  4i EStG Rz. 5. 22 Vgl. Wassermeyer/Richter/Schnittker, PersG im Internationalen Steuerrecht, 2. Aufl. 2015, Rz. 17.64. 23 Meist nur bei Änderung der Finanzierungsstruktur, vgl. Hick in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4h EStG Rz. 32.

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streng und weniger weitreichend als § 4i EStG.24 Bei vorrangiger Anwendung des § 4i EStG können die BA direkt steuerlich geltend gemacht werden und das ggf. sogar in größerem Umfang als bei Vorrang des § 4h EStG, wodurch dem Steuerpflichtigen ein Vorteil entstünde. Es erfolgt erst die Prüfung nach § 4i EStG, ob nicht ggf. eine doppelte Berücksichtigung des Zinsaufwands als BA erfolgt ist. Soweit dies nicht der Fall ist, wird anschließend gem. § 4h EStG geprüft, ob diese BA sofort abziehbar sind oder als Zinsvortrag i. S. d. § 4h Abs. 1 Satz 5 EStG vorgetragen werden.25 In der Vergangenheit entstandene Zinsvorträge werden nicht von § 4i EStG erfasst, da diese die ausländische StBMG nicht mindern, sondern bereits gemindert haben und somit nicht die Voraussetzungen des § 4i EStG erfüllen.26 Nach Anwendung der allgemeinen Grundsätze zur Lösung von Normenkonkurrenzen gilt der Vorrang von §  4i EStG vor §  4h EStG als speziellere (lex specialis) und auch als jüngere (lex posterior) Vorschrift.27 Gleiches gilt im Verhältnis zu den Abzugsverboten nach § 4 Abs. 4a und 5 EStG.28 2. Grenzüberschreitende Sondervergütungen, § 50d Abs. 10 EStG Sowohl mit § 50d Abs. 10 EStG als auch mit § 4i EStG wird versucht, Probleme zu lösen, die auf der Besonderheit des deutschen Mitunternehmerkonzepts nach §  15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG beruhen, nämlich dem Bereich des SBV.29 Durch die Einführung des § 50d Abs. 10 EStG sollte die Besteuerung von Sondervergütungen der Mitunternehmer, die im ausländischen DBA-Staat ansässig sind, gewährleistet werden, um so die steuerrechtliche Gleichbehandlung des Einzel- und des Mitunternehmers auch im internationalen Kontext umsetzen zu können.30 Bei der abkommensrechtlichen Behandlung von Sondervergütungen im InboundFall, also der von der Personengesellschaft an die Gesellschafter gezahlten Sondervergütungen, gibt es zwei unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten. Bei der autonomen Abkommensauslegung (ohne Rückgriff auf innerstaatliches Recht), welche vom BFH31 und der h.M.32 vertreten wird, steht dem Ausland als Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter das Besteuerungsrecht zu. Bei der anwenderstaatorientierten Auslegung (Auslegung nach innerstaatlichem Recht), welche von der deutschen Finanzverwaltung33 vertreten wird, hat Deutschland als Betriebsstättenstaat (Personengesellschaft vermittelt inländische BS für jeden Gesellschafter) das Besteuerungsrecht. Im Inbound-Fall ist das Besteuerungsrecht für Sondervergütungen nach autonomer 24 Vgl. Prinz, GmbHR 2017, 553 (556). 25 Vgl. Heckerodt, IWB 2017, 720 (731). 26 Vgl. Schnitger, IStR 2017, 214 (217). 27 Vgl. Prinz, DB 2018, 1615 (1617). 28 Vgl. Kahle/Braun, DStZ 2018, 381 (388). 29 Vgl. Gah/Wangler, IStR 2018, 817; Kudert/Kahlenberg, StuW 2017, 344 (345). 30 Vgl. Kanzler, NWB 2017, 326 (327); Pohl, IWB 2012, 120 (121). 31 Vgl. BFH v. 17.10.2007 − I R 5/06, BStBl. 2009 II, 356. 32 Vgl. Wassermeyer/Richter/Schnittker (Fn. 22), Rz. 11.37 m.w.N. 33 Vgl. BMF, Schr. v. 26.9.2014 − IV B 5 – S 1300/09/10003, BStBl. 2014 I, 1258 (1292).

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Abkommensauslegung regelmäßig nicht gegeben, weshalb durch § 50d Abs. 10 EStG das Besteuerungsrecht Deutschlands vermittelt wird.34 Wenn Deutschland hingegen der Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter ist (Outbound-Fall), sind die Sondervergütungen und dadurch veranlasste SBE/SBA spiegelbildlich als Betriebsstättengewinn von der deutschen Besteuerung auszunehmen. Kommt es aufgrund von Qualifikationskonflikten zu einer Doppelfreistellung, dann entfällt die Freistellung in Deutschland gem. § 50d Abs. 10 Satz 8 i.V.m. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG.35 § 50d Abs. 10 EStG gilt also als Nichtanwendungsgesetz zur abkommensrechtlichen Einordnung von Sondervergütungen und zur Behandlung des sonstigen Sonderbereichs, sofern die DBA keine Spezialregelung enthalten (wie z.B. DBA-Schweiz).36 Nach h.M. handelt es sich um einen Treaty Override, der wegen des Fehlens der sog. Melford-Doktrin „ungeachtet des Abkommens“ auf verfassungsrechtliche Zweifel stößt, aber gerade deshalb auch als bloße Auslegungshilfe zur korrekten Anwendung des DBA verstanden werden könnte.37 Die Rechtsfolge des §  50d Abs.  10 EStG ist die  abkommensrechtliche Umqualifizierung (Fiktion) von Sondervergütungen ausschließlich in Unternehmensgewinne i.S.d. Art. 7 OECD-MA (Satz 1) und übergeht damit die Verteilungsnormen gem. Art. 10, 11, 12 OECD-MA (Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren), auch abkommensrechtlicher Spezialitätengrundsatz genannt.38 Nach Satz 3 der Norm werden die Sondervergütungen derjenigen Betriebstätte zugerechnet (Fiktion), die den korrespondierenden Aufwand trägt.39 Nach h.M. soll ein Veranlassungszusammenhang zwischen den von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG erfassten Sondervergütungen in § 50d Abs. 10 Satz 1 EStG und den SBE/SBA in Satz 2 bestehen. Ist dies nicht der Fall, läuft Satz 3 ins Leere, da es keine zuzuordnenden entsprechenden Sondervergütungen gibt.40 Erträge und Aufwendungen des SBV I sind damit von der Norm erfasst, fraglich ist, wie die des SBV II behandelt werden. Auch wenn sich die Literatur oftmals aufgrund des vermeintlich eindeutigen Wortlautes des § 50d Abs. 10 EStG für einen Einbezug des SBV II ausspricht, so ist diese Ansicht unter o.g. Gesichtspunkten zu verneinen, da es hier an korrespondierenden Sondervergütungen mangelt.41 Auch die Finanzverwaltung ist 34 Vgl. Wassermeyer/Richter/Schnittker (Fn. 22), Rz. 11.34. 35 Vgl. BMF, Schr. v. 26.9.2014 (Fn. 34), 1258 (1296). 36 Vgl. Gebhardt in Kanzler et al., Einkommensteuergesetz Kommentar, 2. Aufl. 2017, § 50d EStG Rz. 179; Pohl, DB 2013, 1572 (1577). 37 Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4.  Aufl. 2017, Rz.  21.120 m.w.N.; Kudert/ Kahlenberg, StuW 2017, 344 (358); a.A. Hagemann/Kahlenberg, IStR 2015, 734 (737); Pohl, DB 2013, 1572 (1577). 38 Vgl. Gah/Wangler, IStR 2018, 817 (818); Hick in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4i EStG Rz. J 16-5; Hagemann, BFuP 2016, 474 (479). 39 Vgl. Bodden in Korn, § 4i EStG Rz. 10; Kudert/Kahleberg, PIStB 2017, 44 (45); Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl. 2016, S. 1263. 40 Vgl. Gebhardt, IStR 2015, 808 (809); Wacker in Lüdicke, Aktuelle Problemfelder im internationalen Steuerrecht, Forum der Internationalen Besteuerung, 2016, S. 111. 41 So auch Gosch in Kirchhof, § 50d EStG Rz. 45; Wassermeyer/Richter/Schnittker (Fn. 22), Rz. 2.79; Rogall/Schwan, DStR 2015, 2633 (2638); a.A. Hagemann/Kahlenberg, IStR 2015, 734; Hagemann, BFuP 2016, 474 (494).

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der Auffassung, dass, sofern keine Sondervergütungen geleistet werden oder es sich um Refinanzierungsaufwand im Zusammenhang mit einer Mitunternehmereinlage handelt, § 50d Abs. 10 EStG nicht anwendbar ist.42 Im Folgenden wird der Ausgangsfall so abgewandelt, dass die A-Ltd. ein verzinsliches Gesellschafterdarlehen an die B  GmbH  &  Co. KG weitergibt, welches als SBV  I zu klassifizieren ist. Der daraus entstehende Zinsertrag i.H.v. 60  GE gehört gem. §  15 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu den SBE. Hier greift § 50d Abs. 10 EStG und ordnet die Sondervergütungen der Betriebsstätte der Personengesellschaft zu, also der B-KG in Deutschland.43 § 50d Abs. 10 EStG und § 4i EStG Darlehen

A-Ltd.

Zinsen 100 GE

GB D Komplementär GmbH

Einlage

Darlehen (verzinslich) Zinsen 60 GE

B GmbH & Co. KG

Bank

– Finanzierungsdarlehen durch Beteiligung an B KG veranlasst (= SBV II); Abzug des Zinsaufwands i.H.v. 100 GE als SBA in D – Abzugsverbot des Zinsaufwands in D, soweit dieser in GB abzugsfähig ist – Zinsertrag i.H.v. 60 GE durch ein verzinsliches Gesellschafterdarlehen der A Ltd. an B KG nach § 50 d Abs. 10 EStG in D zu besteuern, Zinsertrag ist SBE i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG

Fraglich ist nun, wie die SBA aus dem SBV II i.H.v. 100 GE und die SBE aus dem SBV I i.H.v. 60 GE steuerlich zu behandeln sind. Die Abzugsfähigkeit des Zinsaufwands muss sowohl gem. § 50d Abs. 10 EStG als auch gem. § 4i Satz 2 EStG zumindest bis zur Höhe des Zinsertrags (60 GE) eindeutig zulässig sein. Für den darüber hinaus verbleibenden Aufwand i.H.v. 40 GE ergeben sich zwei Möglichkeiten: Bei Vorrang des §  50d Abs.  10 EStG als lex specialis wäre der Aufwand i.H.v. 100 GE komplett abzugsfähig.44 Hieraus entstünde allerdings ein anteiliger Double Dip, wel42 Vgl. Prinz, FR 2016, 589 (593). 43 In Anlehnung an Bergmann, FR 2017, 126 (128). 44 Vgl. Kanzler (Fn. 21), § 4i EStG Rz. 5; Bergmann, FR 2017, 126 (129).

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chen § 4i EStG explizit verhindern soll. Bei Vorrang des § 4i EStG würde der Abzug der Aufwendungen in Höhe der SBE (60 GE) gem. § 4i Satz 2 EStG zugelassen, der Abzug der verbleibenden SBA i.H.v. 40 GE würde allerdings versagt, was der Zielsetzung des §  4i EStG entspräche.45 Dieses Konkurrenzverhältnis von §  4i EStG und § 50d Abs. 10 EStG soll im Weiteren geklärt werden. Beide Rechtsnormen beziehen sich auf den SBV-Bereich bei grenzüberschreitenden Mitunternehmerschaften: § 4i EStG regelt, ob und in welcher Höhe BA tatsächlich abgezogen werden dürfen (innerstaatliches Recht), während § 50d Abs. 10 EStG bestimmt, wo die BA nach abkommensrechtlichen Maßstäben zuzuordnen sind, nämlich zum abkommensrechtlichen Unternehmensgewinn. Im vorliegenden Beispiel stehen SBA aus SBV II den SBE aus SBV I gegenüber. Wie bereits erläutert ist strittig, ob sich die Reichweite des § 50d Abs. 10 EStG aufgrund fehlender korrespondierender Sondervergütungen überhaupt auf das SBV II erstreckt. Der Bereich des klassischen SBV (SBV I) ist in § 50d Abs. 10 EStG geregelt, weshalb § 4i EStG für diesen Bereich entbehrlich wäre, aber für SBV  II absolut notwendig, wenn man der h.M. folgt, dass dieser nicht von § 50d Abs. 10 EStG erfasst wird.46 § 4i EStG soll grundsätzlich SBA sowohl aus SBV I als auch aus SBV II erfassen.47 Bei SBA des SBV I wird in den meisten Fällen die Rückausnahme des § 4i Satz 2 EStG greifen, weil es dabei zur gleichzeitigen Erfassung (korrespondierender) Erträge48 kommt und auch schon § 50d Abs. 10 EStG den Abzug der entsprechenden Aufwendungen gebietet. Für diese Fälle wäre § 4i EStG redundant. Der zu verhindernde Double Dip tritt demnach genau dann auf, wenn es SBA gibt, denen keine SBE gegenüberstehen, wie es beim SBV II der Fall ist. Würde man hier der Auffassung folgen, dass die verbleibenden SBA i.H.v. 40 GE durch die Vorrangigkeit des § 50d Abs. 10 EStG49 auch abzugsfähig sein müssten, würde die Absicht des Gesetzgebers, den Double Dip zu verhindern, konterkariert, wenn zufällig daneben stehende Sondervergütungen das Verbot des Abzugs aushebeln könnten. Daher ist § 4i EStG grundsätzlich vorrangig gegenüber § 50d Abs. 10 EStG anzuwenden. Wenn man vom Vorrang des § 4i EStG vor DBA und abkommensüberschreibenden Vorschriften ausgeht, weil sich die Einkünfteermittlung auch in DBA-Fällen nach innerstaatlichem Recht richtet, so würde § 4i EStG den § 50d Abs. 10 EStG allerdings entbehrlich machen.50 Es besteht ein idealkonkurrierendes Normverhältnis, bei dem beide Normen parallel zur Anwendung gelangen.51 Die Konkurrenz im Beispiel wäre 45 So auch Pohl in Blümich, § 4i EStG Rz. 20; Heckerodt, IWB 2017, 720 (730). 46 Vgl. Kudert/Kahlenberg, StuW 2017, 344 (353, 357). 47 Vgl. Hick in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4i EStG Rz. J 16-5. 48 Laut Kudert/Kahlenberg, StuW 2017, 344 (349), sollen es sogar „unter wirtschaftlich-funktionalen Veranlassungsgesichtspunkten zusammenhängende doppelt erfasst BE“ sein. 49 Vgl. Bergmann, FR 2017, 126 (128). 50 Vgl. Gah/Wangler, IStR 2018, 817 (822); Kahle/Braun, DStZ 2018, 381 (388); Gosch in Kirchhof19, § 4i EStG Rz. 4; Wacker in Schmidt, § 4i EStG Rz. 3; Pohl in Blümich, § 4i EStG Rz. 14. 51 Vgl. Hick in Herrmann/Heuer/Raupach, §  4i EStG Rz.  J 16-5; Kudert/Kahlenberg, StuW 2017, 344 (345).

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optimaler Weise wie folgt zu lösen: Die SBA in Höhe der SBE sind unstreitig abzugsfähig, weil es sich um SBA des SBV II handelt, denen keine korrespondierenden Erträge gem. § 4i Satz 2 EStG gegenüberstehen. Das Abzugsverbot des § 4i Satz 1 EStG greift und versagt den Abzug der SBA i.H.v. 40 GE. Würde der Gesetzgeber die Anwendung des § 4i EStG allein auf den Bereich des SBV II begrenzen, ergäbe sich das passende Gegenstück zum § 50d Abs. 10 EStG, der das SBV I umfasst.52 3. Organschaftliche Verlustausgleichsbeschränkung, § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG bleiben negative Einkünfte des Organträgers oder der Organgesellschaft bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt, soweit sie in einem ausländischen Staat im Rahmen der Besteuerung des Organträgers, der Organgesellschaft oder einer anderen Person berücksichtigt werden. Die Norm beschränkt die Rechtsfolgen der Organschaft i.S. eines partiellen Abzugsverbots.53 Hier zeigt sich das Überschneidungspotential mit § 4i EStG, der – wie bereits erläutert – ebenfalls ein partielles Abzugsverbot zur Verhinderung von Double Dips darstellt. Allerdings handelt es sich bei § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG um keine generelle Regelung zur Vermeidung von Double Dips, da sich diese nur auf Organschaften bezieht.54 Zwar können in Deutschland gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG auch Personengesellschaften, die eine originär gewerbliche Tätigkeit i. S.  d. §  15 Abs.  1 Nr. 1 EStG ausüben, Organträger sein, es ist jedoch äußerst strittig, ob diese in den Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG fallen. In der alten Fassung wurde der Einbezug von Personengesellschaften klar ausgeschlossen, da diese kein Einkommen haben.55 In der neuen Fassung ab 201456 stellt § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG auf negative Einkünfte ab und könnte somit die Anwendung auf Personengesellschafts-Organträger ausdehnen. Dies wird durch die h.M.57 verneint, da die Personengesellschaft nicht Subjekt der Einkünfteerzielung ist und deshalb auch keine negativen Einkünfte der Personengesellschaft als Organträgerin vorliegen können. Das folgende Beispiel zur Untersuchung des Konkurrenzverhältnisses zu § 4i EStG erfolgt unter der Prämisse der Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG auf Personengesellschafts-Organträger, da andernfalls keine Überschneidungen der beiden Normen zustande kämen.58 Gleicher Ausgangsfall wie bei Kapitel 2, nur nutzt die B-KG die Mittel (Einlage durch A-Ltd.) nun zum Erwerb einer Zielgesellschaft, der C-GmbH. Im Anschluss begründet die B-KG mit der C-GmbH eine Organschaft. 52 Vgl. Kudert/Kahlenberg, StuW 2017, 344 (360). 53 Vgl. BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, BFHE 256, 32 (36, 42); Wacker, IStR 2017, 278 (288). 54 Vgl. Schaden/Polatzky, IStR 2013, 131 (134); Pohl in Blümich, § 4i EStG Rz. 24. 55 Vgl. Schaden/Polatzky, IStR 2013, 131 (133) m.w.N. 56 Vgl. Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung, BGBl. 2013 I, 285 (289). 57 Vgl. Kahle/Braun, DStZ 2018, 381 (389); Wacker, IStR 2017, 278 (288); Schaden/Polatzky, IStR 2013, 131 (134); Müller, IStR 2005, 181 (168); von Freeden/Liekenbrock, DB 2013, 1690 (1691); a.A. Frotscher in Frotscher/Drüen, § 14 KStG Rz. 499; Kolbe in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 14 KStG Rz. 271; Gründig/Schmid, DStR 2013, 617 (619). 58 Vgl. Prinz, DB 2018, 1615 (1619); Neumann (Fn. 14), S. 78; Kahlenberg, ISR 2017, 201 (205).

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Wechselwirkung von Beschränkungen des Sonderbetriebsausgabenabzugs

Der Zinsaufwand auf Ebene der A-Ltd. beträgt weiterhin 100 GE, darüber hinaus erwirtschaftet die C-GmbH einen Gewinn i.H.v. 70 GE, welcher der B-KG im Rahmen der Organschaft zugerechnet wird.59 § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG und § 4i EStG A-Ltd.

Darlehen Zinsen 100 GE

GB D Komplementär GmbH

Einlage

B GmbH & Co. KG

2. Organschaft

1. Erwerb mit Mitteln der A-Ltd. C-GmbH Gewinn 70 GE

Bank

– Finanzierungsdarlehen durch Beteiligung an B KG veranlasst (= SBV II); Abzug des Zinsaufwands i.H.v. 100 GE als SBA in D – Abzugsverbot des Zinsaufwands in D durch § 4i EStG, soweit dieser in GB als BA abzugsfähig ist – Nach § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG wäre nur Saldo i.H.v. 30 GE (100 GE SBA70 GE Gewinn) in D nicht abziehbar, nach § 4i EStG sind SBA in voller Höhe von 100 GE nicht zu berücksichtigen

Fraglich ist nun, inwieweit der Zinsaufwand auf Ebene der A-Ltd. i.H.v. 100 GE abzugsfähig ist. Da die B-KG mit der C-GmbH eine Organschaft begründet hat, eröffnet sich der Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG. Die geforderten negativen Einkünfte des Organträgers meinen das konsolidierte Ergebnis nach Zurechnung des Organgesellschafts-Ergebnisses.60 Auf Ebene der Personengesellschaft entsteht insgesamt ein Saldo von -30 GE, bestehend aus dem Zinsaufwand i.H.v. 100 GE im SBV, gemindert um den an die B-KG abgeführten Gewinn der C-GmbH i.H.v. 70 GE. Der Saldo i.H.v. -30 GE wurde bereits im Rahmen der Gewinnermittlung auf Ebene der A-Ltd. als BA berücksichtigt, also bei einer „anderen Person“ i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG. Damit dürfen die BA in Deutschland nicht nochmal abgezogen werden. Bei Anwendung des § 4i EStG sind allerdings die gesamten Zinsaufwendungen i.H.v. 100 GE nicht abziehbar, soweit sie die Steuerbemessungsgrundlage in Großbritanni59 In Anlehnung an Pohl in Blümich, § 4i EStG Rz. 24 und Neumann (Fn. 14), S. 78-84. 60 Vgl. Prinz, GmbHR 2017, 553 (556); vgl. BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, BFHE 256, 32 (36).

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en gemindert haben, was vorliegend der Fall ist. Das auf Ebene der B-KG anfallende Organeinkommen i.H.v. 70 GE ist ohne Berücksichtigung der SBA festzustellen. Da sich auf Ebene der B-KG nun kein Verlust ergibt, findet § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG keine Anwendung mehr. Es zeigt sich, dass beide Normen in Bezug auf die Organgesellschaft C-GmbH zu unterschiedlichen Rechtsfolgen führen. Im Folgenden wird eine Möglichkeit dargestellt, das vorliegende Konkurrenzverhältnis zu lösen. Sofern sich aus dem Gesetz kein Hinweis ergibt, ist die Normenkonkurrenz nach den allgemeinen Regeln zu lösen, die speziellere Rechtsnorm geht der generellen und die jüngere der älteren Rechtsnorm vor. Grundsätzlich betrifft § 14 KStG Einkünfte, während § 4i EStG Erwerbsaufwendungen betrifft. Es kann also nur dann zur Konkurrenz kommen, wenn ausländische Einkünfte mit inländischen SBA in Zusammenhang stehen und gleichzeitig negative Einkünfte einer Organträger-Personengesellschaft bestehen.61 §  14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG gilt als lex specialis in Organschaftsfällen62 und könnte deshalb dem generellen Abzugsverbot des § 4i EStG vorgehen. Aufgrund der Tatsache, dass beide Normen zwar zusammen zur Anwendung kommen können, aber nicht müssen, ist kein grundsätzliches Verhältnis zwischen allgemein und speziell auszumachen. Nach dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ wäre ein Vorrang des § 4i EStG vor § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG denkbar, also Geltung der jüngeren Rechtsnorm vor der älteren. Dafür spricht auch, dass § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG „keine schützende und bewahrende Funktion gegenüber dem Rechtsbefehl des § 4i EStG“63 hat. Ausgehend vom Vorrang des §  4i EStG wäre auch die Frage, ob §  14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG auf Personengesellschaften anwendbar ist, hinfällig, da der Double Dip durch § 4i EStG in jedem Fall verhindert würde.64 4. Hybride Gestaltungen, § 4k EStG-E Im Zuge des ATAD-UmsG soll der neue § 4k EStG-E weitergehende Inkongruenzen bei der Besteuerung hybrider Gestaltungen durch ein Betriebsausgabenabzugsverbot verhindern.65 Dies soll für Aufwendungen gelten, deren entsprechende Einnahmen minder- oder nicht besteuert werden (sog. weiße Einkünfte) oder die auch in einem anderen Staat als Aufwand berücksichtigt werden. Voraussetzung für die Anwendung des § 4k EStG-E ist eine Beziehung zwischen nahestehenden Personen sowie eine unterschiedliche Qualifikation oder Zurechnung dieser Beziehung in mindestens zwei Staaten.66 § 4k Abs. 4 EStG-E behandelt den Fall des doppelten Betriebsausgabenabzugs. Danach sind Aufwendungen insoweit nicht als Betriebsausgabe abziehbar, als sie bereits in einem anderen Staat berücksichtigt werden. Zwar stellt § 4k EStG-E grundsätzlich auf das Vorliegen von Besteuerungsinkongruenzen aufgrund 61 Vgl. Prinz, DB 2018, 1615 (1619). 62 Vgl. Pohl in Blümich, § 4i EStG Rz. 24. 63 Vgl. Neumann (Fn. 14), S. 83. 64 Vgl. Kanzler (Fn.  21), §  4i EStG Rz.  5; Adrian/Fey/Selzer, StuB 2017, 94; Schnitger, IStR 2017, 214 (217). 65 Vgl. Loschelder in Schmidt, § 4k EStG Rz. 1. 66 Vgl. Voß, DB 2020, 1197.

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hybrider Gestaltungen ab, jedoch ist für die Anwendung des § 4k Abs. 4 EStG-E gerade keine solche hybride Gestaltung notwendig, weshalb auch SBA hierunter fallen dürften. Sofern es sich bei den Mitunternehmern einer Personengesellschaft i.S.d. § 4i EStG um nahestehende Personen i.S.d. § 4k Abs. 6 Satz 1 EStG-E handelt, wäre der persönliche Anwendungsbereich beider Normen eröffnet. Der sachliche Anwendungsbereich des § 4k EStG-E reicht deutlich weiter und umfasst sämtliche Betriebsausgaben, wohingegen § 4i EStG nur den doppelten SBA-Abzug versagt. Damit erfasst der Anwendungsbereich § 4k Abs. 4 EStG-E den des § 4i EStG vollständig.67 Die Anwendung beider Normen im Verhältnis zu ausländischen Abzugsverboten unterscheidet sich dahingehend, dass bei unbeschränkter Steuerpflicht in Deutschland § 4k EStG-E vorrangig gegenüber ausländischen Normen anzuwenden wäre, § 4i EStG hingegen nicht. Für die Rückausnahme nach § 4i Satz 2 EStG verlangt die Norm Personenidentität („derselbe Steuerpflichtige“), die Einbeziehung in die StBMG ist für die Erfüllung des Tatbestandmerkmals der tatsächlichen Besteuerung ausreichend. Eine Auswirkung auf die Steuerschuld ist nicht zwingend gefordert. Nach § 4k Abs. 4 Satz 3 EStG-E ist keine Personenidentität notwendig, diese ist bei hybriden Gesellschaften gerade nicht gegeben. § 4k Abs. 4 Satz 4 EStG-E setzt für die Rückausnahme des Abzugsverbots die positive Berücksichtigung des Aufwands im Rahmen der Steuerschuld voraus. Darüber hinaus soll das Abzugsverbot nach § 4k EStG-E nach § 4k Abs. 6 EStG-E nur bei bewusstem Ausnutzen der Inkongruenzen greifen, während § 4i EStG jede Form der doppelten Berücksichtigung von SBA abdeckt. Eine unterschiedliche Bewertung ergibt sich für Fälle nicht korrespondierender, doppelt berücksichtigter Erträge und in Deutschland als SBA qualifizierter Aufwendungen, bei denen die im Ausland geminderten Erträge nicht der deutschen Besteuerung unterliegen. § 4k Abs. 4 EStG-E versagt den Abzug der Aufwendungen, § 4i Satz 2 EStG nicht.68 In einem solchen Fall, in dem beide Normen anwendbar wären, aber zu einem unterschiedlichen Ergebnis kommen, ist zu klären, welche Norm sich durchsetzt. Denn trotz des sich in persönlicher und sachlicher Hinsicht überschneidenden Anwendungsbereichs beider Normen gab es im Zuge der geplanten Einführung des §  4k EStG-E keinen Hinweis des Gesetzgebers im Hinblick auf eine Klärung der Anwendungskonkurrenz. Bei § 4k EStG-E handelt es sich um die jüngere Rechtsnorm, weshalb diese nach dem Grundsatz lex posterior Anwendungsvorrang hätte. Überzeugender erscheint hier jedoch die Klärung nach dem Grundsatz des Vorrangs der spezielleren Norm (lex specialis). § 4k EStG-E ist in persönlicher Hinsicht spezieller (nur nahestehende Personen), während § 4i EStG durch die Beschränkung auf SBA sachlich enger gefasst ist. Mangels expliziter Einschränkung der Regelungskraft des § 4i EStG durch den Gesetzgeber im Rahmen der Einführung des § 4k EStG-E kann davon ausgegangen werden, dass diese unangetastet fortbesteht und § 4i EStG vor-

67 Vgl. Marquardsen, IStR 2020, 623 (625). 68 Vgl. Marquardsen, IStR 2020, 623 (626).

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rangig anzuwenden sein dürfte.69 Der Gesetzgeber könnte diesem weiteren Konkurrenzverhältnis im Bereich der Betriebsausgabenabzugsbeschränkungen durch die Integration der Abzugsbegrenzung des § 4k Abs. 4 EStG-E in den Regelungsbereich des § 4i EStG von vornherein Abhilfe schaffen.70

IV. Fazit Der deutsche Gesetzgeber hat in den letzten Jahren viele Regelungen geschaffen, um den durch die fortschreitende Internationalisierung entstehenden Problemen bei der Besteuerung deutscher Mitunternehmerschaften Einhalt zu gebieten, und stößt dabei zunehmend an seine Grenzen. Die Normen zur Beschränkung des (doppelten) Betriebsausgabenabzugs sind nicht ausreichend aufeinander abgestimmt und führen zu weitergehenden Konkurrenzverhältnissen, welche die Komplexität der Personengesellschaftsbesteuerung im internationalen Kontext weiter erhöhen.71 Hier wäre eine sinnvolle Systembereinigung geboten, wie sie bspw. durch die (teilweise) Abschaffung des SBV72 oder zumindest durch eine zielgerichtete Abstimmung und Integration der bestehenden Regelungen erreicht werden könnte.

Hannah Gladitsch Steuerberaterin, Master of Science

69 Vgl. Marquardsen, IStR 2020, 623 (626); Marquardsen in Kirchhof/Kulosa/Ratschow, ­BeckOK, 7. Edition 2020, § 4i EStG Rz. 14d; Wacker in Schmidt, § 4i EStG Rz. 2; Frase in Fuhrmann/Kraeusel/Schiffers, § 4k EStG-E Rz. 14. 70 Vgl. Rüsch, DStZ 2020, 274 (283); Marquardsen, IStR 2020, 623 (627). 71 Vgl. Kahle/Braun, DStZ 2018, 381 (391). 72 Vgl. Prinz, DB 2018, 1615 (1620).

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Das neue Investmentsteuergesetz – Ausgewählte Aspekte zum Entwurf eines BMF-Schreibens zu den Spezial-Investmentfonds Inhaltsübersicht I. Hintergrund 1. Schmutzgrenze – aktives Nutzen noch möglich? a) Grundsätze b) Wesentlicher Verstoß c) Schmutzgrenze des § 26 Nr. 4 Satz 1 InvStG 2. Anlegerqualifikation 3. Investmentanteile an inländischen und ausländischen Investmentfonds (§ 26 Nr. 4 Buchst. h InvStG)

4. Transparenzoption des § 30 InvStG a) Grundsatz b) Formalita c) Zeitraum d) Einheitliche Ausübung? 5. Rechtsfolgen eines wesentlichen ­Verstoßes a) Ebene des Spezial-Investmentfonds b) Anlegerebene II. Fazit

I. Hintergrund Seit dem 1. Januar 2018 gilt das neue Investmentsteuergesetz (InvStG). Auf Grundlage der Empfehlung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform des Investmentsteuergesetzes1 wurde dieses komplett neu gefasst und einem Systemwechsel unterzogen. Das InvStG hat in der Folge bereits einige Änderungen sowohl materieller2 als auch redaktioneller Art erfahren,3 um bestehende Unklarheiten und Fehler zu korrigieren. Das neue System unterscheidet zwischen Investmentfonds und Spezial-Investmentfonds. Letztere unterliegen besonderen Anforderungen und Anlagebestimmungen. Die Bestimmungen zum Spezial-Investmentfonds wurden durch das Investmentsteuerreformgesetz aus dem damaligen § 1 Abs. 1b, 1d, 1f Nr. 3 InvStG 2004 in einen neuen § 26 InvStG überführt, und zum Teil neu gefasst. Die Anlagebestimmungen sind damit nur noch für die Qualifikation als Spezial-Investmentfonds relevant, gel1 Hessisches Ministerium der Finanzen, Neukonzeption der Investmentbesteuerung – Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe v. 24.2.2012. 2 So wurde z.B. (korrekterweise) die Mindestanlagequote in Immobilien bzw. ImmobilienGesellschaften für die Qualifikation als Immobilienfonds von „in Höhe von 51%“ auf „mehr als 50%“ angepasst. 3 Unter anderem § 26 InvStG durch das Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 11.12.2018, BGBl. I 2018, 2338.

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ten jedoch nicht mehr allgemein für alle Investmentfonds. § 26 InvStG enthält nun die wesentlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Spezial-Investmentfonds. Insoweit steht dem Investmentfonds bzw. seinen Anlegern faktisch ein Wahlrecht zu,4 ob er sich diesem Regime unterwerfen will, oder ob er als „Publikums“-Investmentfonds nach den allgemeinen Regeln behandelt wird.5 Die Voraussetzungen gelten für inländische und ausländische Investmentfonds gleichermaßen6 und müssen kumulativ erfüllt sein. 7 Für erstere gilt darüber hinaus der Rechtsformzwang des § 27 InvStG. Wesentliche Verstöße gegen auch nur eine der Voraussetzungen führen zu einem Verlust der Qualifikation als Spezial-Investmentfonds. § 52 Abs. 1 S. 1 InvStG fingiert als Folge die Auflösung des Spezial-Investmentfonds und die Neuauflage eines Investmentfonds, soweit dessen Voraussetzungen vorliegen. Zusammenfassende Übersicht zu der Qualifikation der Investmentfonds:

Auch 2,5 Jahre nach Inkrafttreten des InvStG hat das Bundesfinanzministerium es jedoch immer noch nicht geschafft, ein umfassendes Schreiben zum InvStG und seinen offenen Rechtsfragen zu erlassen. Nach zahlreichen Entwurfsfassungen sowie diverser Schreiben zu Einzelfragen wurde am 21.5.20198 immerhin ein erster Teil zu den allgemeinen Vorschriften des InvStG veröffentlicht. Seit dem 16.6.2020 liegt nun ein erweiterter Entwurf für die Regelungen des § 26 InvStG zu den Spezial-Investmentfonds vor.9 Wann mit einer endgültigen Fassung zu rechnen ist, lässt sich derzeit 4 Indem er seine Anlagebestimmungen entsprechend fasst. 5 Ausführlich Gottschling, in Frankfurter Kommentar zum Kapitalanlagerecht, Bd. 2 InvStG, 2. Aufl. 2020, § 26 Rz. 7. 6 Vgl. BT-Drucks. 18/8045, 94. 7 Siehe auch BMF-Entwurf v. 16.6.2020 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 26.1. 8 BMF, Schr. v. 21.5.2019 – IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, BStBl. I 2019, 527. 9 BMF-Entwurf v. 16.6.2020 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001.

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Das neue InvStG – Entwurf eines BMF-Schreibens zu den Spezial-Investmentfonds

noch nicht absehen. Der nachfolgende Beitrag behandelt ausgewählte Problembereiche des bisher vorliegenden Entwurfes des BMF-Schreibens. 1. Schmutzgrenze – aktives Nutzen noch möglich? a) Grundsätze Der Spezial-Investmentfonds muss die Anlagebestimmungen des §  26 Nr.  1 bis 10 InvStG zwingend einhalten. Ein Verstoß gegen auch nur eine der Voraussetzungen genügt nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes, da die einzelnen Anlagebestimmungen kumulativ erfüllt sein müssen.10 Aufgrund der gravierenden Folgen – als ultima ratio steht immerhin die steuerliche Auflösung des Spezial-Investmentfonds nach §  52 InvStG im Raum  – soll jedoch nicht jede noch so geringfügige Abweichung schädlich sein.11 Dies wurde von der Finanzverwaltung zwischenzeitlich erfreulicherweise bestätigt. b) Wesentlicher Verstoß Erforderlich ist daher ein wesentlicher Verstoß gegen die Anlagebestimmungen. Wann ein solcher wesentlicher Verstoß vorliegt, wurde vom BMF unterschiedlich beurteilt. Im ersten Entwurf des BMF-Schreibens12 war die Finanzverwaltung noch der Auffassung, dass ein wesentlicher Verstoß jedenfalls dann gegeben sei, wenn dieser bewusst und zweckgerichtet für missbräuchliche Steuergestaltungen herbeigeführt wurde. Damit führt z.B. das Überschreiten der Anlagegrenzen durch bloße Wertveränderungen der Vermögensgegenstände nicht zu einem schädlichen wesentlichen Verstoß. Gleiches gilt, wenn diese Überschreitungen kurzfristig zurückgeführt werden. Demgegenüber ist der neue Entwurf des BMF-Schreibens13 wesentlich ausführlicher und strikter. Er deckt sich im Wesentlichen mit der Frage, wann ein wesentlicher Verstoß für die Qualifikation als Aktienfonds im Sinne des § 2 Abs. 6 InvStG vorliegt. Zu berücksichtigen sind daher nach Auffassung der Finanzverwaltung die folgenden Aspekte: – Grad des Verschuldens des Verwalters bei der Entstehung des Verstoßes, – Zeitdauer des Verstoßes, – wertmäßiger Umfang des Verstoßes im Verhältnis zum Gesamtwert des Fondsvermögens, – Umfang der Bemühungen des Verwalters, die auf eine Beseitigung des Verstoßes gerichtet sind.14 10 Ebenso Wenzel, in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 26 InvStG 2018 Rz. 12; Helios/Mann, DB-Sonderausgabe 1/2016, 1, 18. 11 BT-Drucks. 18/8045, 94. 12 BMF-Entwurf v. 16.12.2019 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 26.3. 13 BMF-Entwurf v. 16.6.2020 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 26.3. 14 BMF-Entwurf v. 16.6.2020 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 26.3.

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In jedem Fall ist eine Einzelfallbetrachtung durchzuführen. Vor dem Hintergrund, dass die Abwicklung des Spezial-Investmentfonds nur die ultima ratio sein soll, ist dem Spezial-Investmentfonds Gelegenheit zur Beseitigung eines Verstoßes zu geben.15 Wie diese „Gelegenheit“ aussehen soll, führt die Finanzverwaltung leider nicht näher aus. Jedoch bedeutet dies meines Erachtens, dass das zuständige Finanzamt – in Abhängigkeit von der Art des jeweiligen Verstoßes  – den Spezial-Investmentfonds  zunächst darauf hinweisen muss, dass es vom Vorliegen eines wesentlichen Verstoßes ausgeht und worin dieser besteht. Dies verbunden mit der Möglichkeit, auf den Hinweis zu reagieren und den Verstoß unter Einhaltung einer angemessenen Frist zu beseitigen.16 Weiterhin gilt, dass in der Regel von einer Wesentlichkeit auszugehen ist, wenn der Verstoß bewusst und zweckgerichtet für missbräuchliche Steuergestaltungen herbeigeführt wurde.17 In diesem Fall kann dann bereits ein an sich ­objektiv betrachtet geringfügiger Verstoß gegen die Anlagebedingungen schädlich sein.18 c) Schmutzgrenze des § 26 Nr. 4 Satz 1 InvStG § 26 Nr. 4 Satz 1 InvStG legt fest, dass der Spezial-Investmentfonds mindestens 90% seines Wertes in die Vermögensgegenstände anlegen muss, die in § 26 Nr. 4 Buchst. a) bis m) InvStG aufgezählt sind. Konsequenterweise ist es daher unschädlich, wenn der Spezial-Investmentfonds bis zu 10% des Fondsvermögens in anderen Vermögensgegenständen (z.B. in Anteile an gewerblichen oder gewerblich geprägten Personengesellschaften) hält (sog. „Schmutzgrenze“). Diese Schmutzgrenze geht auf die bisherige Verwaltungspraxis für ausländische Fonds zurück.19 Dieser Puffer soll sicherstellen, dass nicht jede noch so geringfügige Abweichung von den zulässigen Vermögensgegenständen einen wesentlichen Verstoß begründet.20 Dies ist schon aus praktischer Hinsicht erforderlich, um auch äußeren Einflüssen zu begegnen, die sich der Kontrolle der Kapitalverwaltungsgesellschaft entziehen. So können z.B. auch Wertschwankungen bei den gehaltenen Vermögensgegenständen die vorgesehenen Anlagegrenzen verletzen, da diese auf Grundlage des Nettoinventarwertes berechnet werden.21 Auch bei mittelbaren Investments über Master-Feeder-­ 15 BMF-Entwurf v. 16.6.2020 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 26.3 Satz 4. 16 Gottschling in Frankfurter Kommentar zum Kapitalanlagerecht, Bd. 2 InvStG, 2. Aufl. 2020, § 26 Rz. 36. 17 BT-Drucks. 18/8045, 95; BMF-Entwurf v. 16.6.2020 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 26.6. 18 Siehe Jetter/Mager, in Beckmann/Scholtz/Vollmer, Investment, § 26 InvStG Rz. 18. 19 Vgl. BaFin, Rundschreiben 14/2008 v. 22.12.2008 − WA41-Wp2136-2008/0001 zum Anwendungsbereich des Investmentgesetzes nach § 1 Satz 1 Nr. 3 InvG, https://www.bafin.de/Sha​ redDocs/Veroeffentlichungen/DE/Rundschreiben/rs_0814_wa.html (Abruf: 2020); Bäuml, FR 2013, 746, 747. 20 Ebenso Wenzel, in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 26 InvStG 2018 Rz 38. 21 Vgl. BMF, Schr. v. 18.8.2009 – IV C 1 - S 1980 1/08/10019, BStBl. I 2009, 931 Rz. 5 i.V.m. Anhang 7 (BaFin-Rundschreiben 14/2008, v. 22.12.2008 − WA41-Wp2136-2008/0001, Tz I.1.c).

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Das neue InvStG – Entwurf eines BMF-Schreibens zu den Spezial-Investmentfonds

Strukturen kann oftmals nicht hinreichend sichergestellt werden, ob die Anlagebedingungen eingehalten werden oder Einfluss auf die genaue Zusammensetzung des jeweiligen Fonds zu nehmen. Unproblematisch und insoweit unstreitig sind weiterhin passive und unbeabsichtigte kurzfristige Abweichungen vom Katalog des § 26 Nr. 4 InvStG.22 Die Finanzverwaltung vertritt demgegenüber eine – meines Erachtens unnötig – strengere Auffassung. Danach sollen nur ungeplante Verstöße gegen die Anlagegrenzen unschädlich sein. Jedoch dürfe dies nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht dazu führen, dass der Spezial-Investmentfonds bewusst und planmäßig dauerhaft unzulässige Vermögensgegenstände halten könne.23 Dies soll danach als ein Indiz für die billigende Inkaufnahme eines wesentlichen Verstoßes gelten.24 Folgt man dieser Auffassung, könnte das bloße Halten selbst von Altanteilen einen wesentlichen Verstoß darstellen. Dem ist nicht zuzustimmen. Die Auffassung der Finanzverwaltung geht wesentlich zu weit. Sie findet keinen Rückhalt im Gesetz, das gerade nicht auf eine Absicht abstellt.25 2. Anlegerqualifikation Nach § 26 Nr. 8 Satz 1 InvStG dürfen sich maximal 100 Anleger an einem Spezial-­ Investmentfonds beteiligen. Anleger ist nach § 2 Abs. 10 InvStG derjenige, dem die Anteile an dem Spezial-Investmentfonds zuzurechnen sind. Für die Berechnung der zulässigen Anlegerzahl sind neben den Direktanlegern auch mittelbar über Personengesellschaften gehaltene Anteile zu berücksichtigen.26 Insoweit hat dann eine Durchschau stattzufinden.27 Natürliche Personen dürfen sich nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 26 Nr. 8 Satz 2 InvStG an einem Spezial-Investmentfonds beteiligen. Dies gilt auch

22 BMF-Entwurf v. 16.6.2020 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 26.21; siehe hierzu auch Stadler/Sotta, BB 2020, 279 mit dem Beispiel einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft, die zu einem späteren Zeitpunkt gewerblich wird. 23 BMF-Entwurf v. 16.12.2019 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 26.16; hierzu auch BMF, Schr. v. 23.10.2014 − IV C 1 - S 1980-1/13/10007 :007, DStR 2014, 2346 Rz. 2 ff.; teilw. anders noch BMF, Schr. v. 4.6.2014 − IV C 1 – S 1980-1/13/10007 :002 (Schreiben an Verbände), DStR 2014, 1168, Rz. 2.4 zu Anteilen an Personengesellschaften. 24 BMF-Entwurf v. 16.6.2020 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 26.21 Satz 4. 25 Siehe auch Stadler/Sotta, BB 2020, 279 f.; Mann, in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, §  26 InvStG 2018 Rz.  15; Berger in Berger/Steck/Lübbehüsen, InvG/InvStG, §  1 InvStG Rz. 74; a.A. Wenzel, in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 26 InvStG 2018 Rz. 38; zustimmend Jetter/Mager in Beckmann/Scholtz/Vollmer, Investment, § 26 InvStG Rz. 74, allerdings mit Verweis auf BMF, der so m.E. nicht mehr haltbar ist. 26 Siehe auch Jansen/Greger, DStR 2018, 282, 284. 27 BMF-Entwurf v. 16.12.2019 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 26.41.

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für die mittelbare Beteiligung einer natürlichen Person über eine Personengesellschaft.28 So sollen Umgehungen vermieden werden.29 Ausnahmen gelten nur in den folgenden Fällen: a) Natürliche Personen, die ihre Spezial-Investmentanteile im Betriebsvermögen halten. So soll eine nicht sachgerechte Beeinträchtigung der betrieblichen Altersvorsorge und deren Anlagemöglichkeiten vermieden werden. b) Die Beteiligung natürlicher Personen, die aufgrund aufsichtsrechtlicher zwingend Regelungen erforderlich ist, so z.B. die Regelung, nach der eine Vergütung der Fondsverwalter zumindest teilweise zwingend in Anteilen an dem Spezial-Investmentfonds zu erfolgen hat.30 c) Beschränkte Bestandsschutzfälle. Der Bestandsschutz ist auch für Gesamtrechtsnachfolger von natürlichen Personen anzuwenden. Die Aufzählung ist abschließend. Soweit sich an dem Spezial-Investmentfonds na­ türliche Personen beteiligen dürfen, kann es aus Gründen, die der Spezial-Investmentfonds nicht in der Hand hat, zur Überschreitung der Anlegergrenze kommen, so in Erbfällen oder durch vorweggenommene Erbfolge (z.B. Schenkung). Aus Kulanzgründen beanstandet die Finanzverwaltung in diesen Fällen nicht, wenn in­ nerhalb von drei Jahren wieder die zulässige Anlegerzahl hergestellt wird.31 Diese Auffassung ist zu begrüßen, da hier kein Verschulden auf Seiten des Spezial-Investmentfonds vorliegt.32 3. Investmentanteile an inländischen und ausländischen Investmentfonds (§ 26 Nr. 4 Buchst. h InvStG) § 26 Nr. 4 InvStG enthält den Katalog der zulässigen Vermögensgegenstände, die ein Spezial-Investmentfonds erwerben darf. Nach dessen Buchstabe h) dürfen danach auch Investmentanteile an inländischen und ausländischen Organismen für gemeinsame Kapitalanlagen in Wertpapieren sowie an inländischen und ausländischen Investmentfonds, die die Voraussetzungen der § 26 Nr. 1 bis 7 InvStG erfüllen, erworben werden. „Investmentanteile“ sind aus deutscher Sicht vor allem Anteilscheine an einem Sondervermögen (§ 95 KAGB) und Aktien an Investmentaktiengesellschaften 28 Insoweit „klarer“ gefasst und zurückgehend auf einen Vorschlag der Bund-Länder-AG zur Reform der Investmentbesteuerung, siehe Hessisches Ministerium der Finanzen, Neukonzeption der Investmentbesteuerung – Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe v. 24.2.2012; die bislang herrschende Meinung hielt demgegenüber eine mittelbare Beteiligung natürlicher Personen für nicht schädlich, siehe z.B. Mann in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, § 1 InvStG 2018 Rz. 26; offenlassend Ackert/Füchs, in Haase, InvStG, § 15 Rz. 181. 29 Siehe Wenzel, in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 26 InvStG 2018 Rz. 54. 30 BT-Drucks. 18/8045, 96; BMF-Entwurf v. 16.12.2019 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 26.42. 31 BMF-Entwurf v. 16.12.2019 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 26.41. 32 Bindl/Schober, BB 2020, 599 (603); Gottschling, in Frankfurter Kommentar zum Kapitalanlagerecht, Bd. 2 InvStG, 2. Aufl. 2020, § 26 Rz. 270.

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mit veränderlichem Kapital (§ 109 KAGB). Da aber grundsätzlich keine Beschränkung auf bestimmte Anteile an offenen Investmentvermögen besteht, können hie­ runter auch Anteile an Kaskadenfonds, Dach-Hedgefonds oder ausländischen Spezial-­ AIF fallen,33 sowie Master-Feeder-Strukturen, sofern die Fonds die Voraussetzungen des § 26 InvStG erfüllen.34 Nach meiner Auffassung entfaltet § 26 Nr. 4 Buchst.  h) InvStG keine Sperrwirkung gegenüber den anderen Buchstaben des § 26 Nr. 4 InvStG. Investmentvermögen, die nach den Voraussetzungen des § 26 Nr. 4 Buchst. h) InvStG nicht als tauglicher Vermögensgegenstand qualifizieren, können daher trotzdem erworben werden, wenn sie die Voraussetzungen einer der anderen Buchstaben des § 26 Nr. 4 InvStG erfüllen.35 Relevantester Fall dürfte hierbei die Qualifikation als Wertpapier nach §  26 Nr. 4 Buchst. a InvStG sein. Darüber hinaus können Investmentanteile auch als Kapitalgesellschaftsanteile oder als Immobiliengesellschaft erworben werden, soweit sie die sie die entsprechenden Voraussetzungen und Beschränkungen erfüllen.36 Daher sind Investmentfonds, die als geschlossener Fonds nach §  193 Abs.  1 Nr.  7 KAGB qualifizieren, als Wertpapier erwerbbar. Dies ist auch nur folgerichtig. Wenn solche Investmentfonds taugliche Anlagegegenstände nach der OGAW-Richtlinie sind, und der Spezial-Investmentfonds einen OGAW erwerben darf, sollte dies entsprechend auch für den unmittelbaren Erwerb gelten.37 Dem stimmt die Finanzverwaltung nunmehr zu,38 auch wenn sie zunächst der Auffassung war, dass § 26 Nr. 4 Buchst. g InvStG als lex specialis zu § 26 Nr. 4 Buchst. a InvStG anzusehen sei. Danach würden Investmentanteile nur dann als taugliche Anlagegegenstände qualifizieren, wenn sie die Voraussetzungen des § 26 Nr. 4 Buchst. h InvStG erfüllen, selbst wenn sie als Wertpapier oder Immobiliengesellschaft ausgestaltet wären.39 Der neue Entwurf des BMF-Schreibens geht nunmehr korrekterweise davon aus, dass als Wertpapier ausgestaltete Investmentanteile alternativ nach § 26 Nr. 4 Buchst. a InvStG erworben werden können.40 Letztlich ist zu begrüßen, dass das BMF-Schreiben nunmehr klarstellt, dass Investmentanteile nach § 26 Nr. 4 Buchst. h InvStG nicht zusätzlich als Kapitalgesellschafts33 Vgl. BaFin, Fragenkatalog zu erwerbbaren Vermögensgegenständen (Eligible Assets) („FAQ Eligible Assets“), v. 22.7.2013, zuletzt geändert am 5.7.2016, Teil 2 Nr.  3 abrufbar unter https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Auslegungsentscheidung/ WA/ae_130722_fragen_ea.html (Abruf: 2020). 34 Vgl. BaFin, Fragenkatalog zu erwerbbaren Vermögensgegenständen (Eligible Assets) („FAQ Eligible Assets“), v. 22.7.2013, zuletzt geändert am 5.7.2016, Teil 2 Nr. 5 abrufbar unter https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Auslegungsentscheidung/​ WA/ae_130722_fragen_ea.html (Abruf: 2020). 35 Ebenso Jetter/Mager, in Beckmann/Scholtz/Vollmer, Investment, § 26 InvStG Rz. 105. 36 Ebenso Bödecker, in Bödecker/Ernst/Hartmann, BeckOK InvStG, § 26 Rz. 212. 37 Siehe Bödecker, in Bödecker/Ernst/Hartmann, BeckOK InvStG, § 26 Rz. 211. 38 BMF-Entwurf v. 16.6.2020 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 26.17. 39 BMF-Entwurf v. 16.6.2020 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 26.19. 40 BMF-Entwurf v. 16.6.2020 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 26.26.

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anteile qualifizieren. Dies gilt selbst – und gerade – dann, wenn diese die Voraussetzungen als Anteil an einer Kapitalgesellschaft i.S.d. §  26 Nr.  4 Buchst.  m InvStG erfüllen. In der Konsequenz werden solche Investmentanteile daher auch nicht auf die 20 %-Grenze nach § 26 Nummer 5 Satz 1 InvStG angerechnet.41 4. Transparenzoption des § 30 InvStG a) Grundsatz Auch Spezial-Investmentfonds unterliegen grundsätzlich dem intransparenten Besteuerungsregime des neuen Investmentsteuerrechts, es sei denn, dieser übt die sog. Transparenzoption des § 30 InvStG aus, die die Besteuerung grundsätzlich auf Anlegerebene verlagert. Dem Spezial-Investmentfonds steht insoweit ein Wahlrecht zu. b) Formalita Die Ausübung der Transparenzoption hat unwiderruflich gegenüber dem Entrichtungspflichtigen zu erfolgen. Es handelt sich um eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die ansonsten jedoch an keine besondere Form gebunden ist. Es kommt demgemäß auf den Zugang der Erklärung an. Eine zeitliche Begrenzung, etwa auf ein Geschäftsjahr, ist nicht vorgesehen. Aus Billigkeitsgründen sollte ein Widerruf bis zu dem Zeitpunkt zugelassen werden, in dem erstmals relevante inländische Beteiligungseinnahmen oder sonstige inländische Einkünfte mit Steuerabzug erzielt werden.42 Für das Kalenderjahr 2019 ist die Finanzverwaltung dem gefolgt. Darüber hinaus beanstandet es die Finanzverwaltung in dem neuen Entwurf des BMF-Schreibens43 nicht, wenn eine vor Veröffentlichung dieses Schreibens ausgeübte Transparenzoption vor dem Zufluss der ersten inländischen Beteiligungseinnahme oder der ersten dem inländischen Steuerabzug unterliegenden sonstigen inländischen Einkünfte im Jahr 2021 mit Wirkung ab dem Jahr 2021 zurückgenommen wird. Eine erneute Ausübung der Transparenzoption wird dadurch nicht ausgeschlossen. Wie genau die Erklärung zur Ausübung der Transparenzoption auszusehen hat, ist noch nicht vollständig geklärt, insbesondere inwieweit sie sich streng an den Gesetzeswortlaut zu halten hat. Nach Auffassung der Finanzverwaltung muss der SpezialInvestmentfonds gegenüber dem Entrichtungspflichtigen erklären, dass (i) gegenüber seinen Anlegern Steuerbescheinigungen gem. §  45a Abs.  2 EStG ausgestellt werden sollen, sowie in geeigneter Weise zum Ausdruck bringen, dass (ii) nachträg-

41 BMF-Entwurf v. 16.6.2020 − IV C 1 - S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 26.27. 42 So auch Bindl/Schober, BB 2020, 599, 604. 43 BMF-Entwurf v. 16.6.2020 – IV C 1 – S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 30.4.

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liche Änderungen der Erklärung zur Ausübung der Transparenzoption ausgeschlossen sind und dass (iii) auf ein Widerrufsrecht verzichtet wird.44 c) Zeitraum Unstreitig ist, dass die Transparenzoption sowohl mit sofortiger Wirkung als auch erst mit Wirkung ab einem späteren Zeitpunkt ausgeübt werden kann. Für die Frage einer rückwirkenden Anwendung gilt dies jedoch nicht. Der Entwurf des BMFSchreibens verneint diese Möglichkeit.45 Dem ist nicht zuzustimmen. Eine solche Begrenzung lässt sich aus dem Gesetzeswortlaut nicht herleiten. Darüber hinaus handelt es sich bei der Ausübung der Transparenzoption um ein steuerliches Wahlrecht, das schon nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen grundsätzlich auch rückwirkend ausgeübt werden kann. d) Einheitliche Ausübung? Letztlich ist auch nach dem Entwurf des BMF-Schreibens noch nicht geklärt, ob nur eine einheitliche oder auch eine separate Ausübung der Transparenzoption gegenüber mehreren Entrichtungspflichtigen möglich ist. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist nur eine einheitliche Ausübung möglich,46 so dass sie eine entsprechende Ausübung gegenüber allen Entrichtungspflichtigen fingiert. Aus dem Wortlaut des Gesetzes lässt sich dies jedoch nicht herleiten. Dieser spricht von „dem“ Entrichtungspflichtigen, so dass eine individuelle Betrachtung und Entscheidung zu erfolgen hat. 5. Rechtsfolgen eines wesentlichen Verstoßes Liegt ein wesentlicher Verstoß gegen die Anlagebedingungen des §  26 InvStG vor, verliert der Spezial-Investmentfonds seinen Status. Die Rechtsfolgen werden in § 52 InvStG geregelt. a) Ebene des Spezial-Investmentfonds § 52 Abs. 1 Satz 1 InvStG fingiert den Spezial-Investmentfonds als aufgelöst, wenn ein wesentlicher Verstoß gegen die Anlagebedingungen des §  26 InvStG vorliegt. Gleiches gilt, wenn dieser seine Anlagebedingungen dergestalt ändert, dass die Vo­ raussetzungen des § 26 InvStG nicht mehr erfüllt sind. Der Spezial-Investmentfonds muss also sowohl in formaler als auch in tatsächlicher Hinsicht für die Einhaltung der Anlagebedingungen sorgen. 44 BMF-Entwurf v. 16.6.2020 – IV C 1 – S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 30.2 f. 45 BMF-Entwurf v. 16.6.2020 – IV C 1 – S 1980-1/16/10010 :001, Rz. 30.3, 30.13. 46 A.A. Mann, in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 30 InvStG 2018 Rz. 16, wonach die Ausübung der Transparenzoption ungültig sein soll, wenn sie nur gegenüber einem und nicht gegenüber allen Entrichtungspflichtigen ausgeübt wird.

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Eine gesonderte Feststellung durch die Finanzverwaltung ist hierfür nicht Voraus­ setzung,47 der Verstoß als solcher reicht aus, um die Fiktionswirkung auszulösen. In der Praxis dürften weiterhin die Voraussetzungen eines Investmentfonds vorliegen, so dass nach § 52 Abs. 1 Satz 2 InvStG mit der Auflösung des Spezial-Investmentfonds ein Investmentfonds als neu aufgelegt gilt. Umstritten ist allerdings immer noch, ob und welche Rechtsfolgen dies auf Fondsebene hat. Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll eine fiktive Veräußerung aller Vermögensgegenstände durch den Spezial-Investmentfonds vorliegen.48 Dies führt dazu, dass auf Fondsebene grundsätzlich Körperschaftsteuer auf einen Veräußerungsgewinn anfällt. Dies ist insbesondere im Hinblick auf inländische Immobilieninvestitionen problematisch.49 Hat der Spezial-Investmentfonds nach §  33 Abs.  1 InvStG die Transparenzoption ausgeübt, entfällt zwar eine Steuerpflicht auf SpezialInvestmentfonds-Ebene. Jedoch werden die Erträge dann als ausschüttungsgleiche Erträge auf Anlegerebene als steuerpflichtig behandelt.50 Diese Auffassung der Finanzverwaltung ist problematisch, da sie keine Grundlage im Gesetz oder dessen Begründung findet.51 b) Anlegerebene Auf Anlegerebene gelten die Anteile an dem Spezial-Investmentfonds zu dem Zeitpunkt als veräußert, zu dem die Voraussetzungen nach § 26 InvStG entfallen.52 Als Veräußerungserlös ist dabei der Rücknahmepreis am Ende des Geschäftsjahres oder Rumpfgeschäftsjahres anzusetzen. Wird kein Rücknahmepreis festgesetzt, so tritt der Börsen- oder Marktpreis an die Stelle des Rücknahmepreises. Eine vor dem 1. Januar 2020 festgesetzte Steuer bzw. ein Solidaritätszuschlag gilt nach § 52 Absatz 2 Satz 4 InvStG in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung bis zur tatsächlichen Veräußerung des Anteils als zinslos gestundet.53 Durch das JStG 2019 wurde diese Regelung aufgehoben. Leider lässt die Finanzverwaltung weiterhin eine Klarstellung vermissen, auf welchen Zeitpunkt sie bei der „Festsetzung“ der Steuer abstellt. Hierbei kann es sich jedoch nur um den Zeitpunkt der fiktiven Veräußerung handeln, da die Stundung andernfalls von der Bearbeitungszeit der Finanzverwaltung und der Veranlagung abhängen würde.

47 So auch schon nach § 15 Abs. 3 InvStG a.F. 48 BMF-Entwurf v. 16.12.2019 – IV C 1 – S 1980-1/19/10008 :005, Rz. 52.2. 49 Siehe § 6 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. § 29 Abs. 1 InvStG. 50 BMF-Entwurf v. 16.12.2019 – IV C 1 – S 1980-1/19/10008 :005, Rz. 52.2 f. 51 Buge, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Anhang zu § 20 EStG, § 52 InvStG Rz. 5. 52 § 52 Abs. 12 Satz 1 InvStG. 53 BMF-Entwurf v. 16.12.2019 – IV C 1 – S 1980-1/19/10008 :005, Rz. 52.15.

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Das neue InvStG – Entwurf eines BMF-Schreibens zu den Spezial-Investmentfonds

II. Fazit Die Finanzverwaltung arbeitet sich in kleinen Schritten zu einem umfassenden Schreiben zum Investmentsteuerrecht vor. Auch wenn das jetzige Entwurfsschreiben erfreulicherweise wieder von der strengen Auffassung in Bezug auf den Vorrang der Definition der Investmentfondsanteile zurückrudert, bleiben viele Fragen ungeklärt. Es bleibt zu hoffen, dass die Finanzverwaltung die diesbezüglichen Stellungnahmen berücksichtigt und wir in naher Zukunft endlich mit einem finalen BMF-Schreiben zum Investmentsteuergesetz rechnen können.

Carolin Gottschling Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Master of International Taxation Assoziierte Partnerin

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Christina Hildebrand

Der Änderungsbescheid im Steuerprozess Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Fortbestehende Korrekturbefugnis der Finanzbehörde III. Auswirkungen des Änderungsbescheides auf das Klageverfahren IV. Prozessuale Voraussetzungen für den Austausch des Verfahrensgegenstandes

V. Identifikation des verfahrensauswechselnden Bescheides 1. Jahressteuerbescheid als Ersetzung des Vorauszahlungsbescheides 2. Gewinnfeststellungsbescheid 3. Ermessensverwaltungsakte

VI. Einspruch gegen den Änderungs­ bescheid unzulässig VII. Handlungsoptionen im finanzgerichtlichen Klageverfahren bei bekanntem Änderungsbescheid 1. Belastender Änderungsbescheid mit zusätzlich für rechtswidrig erachteter Beschwer 2. Nicht inhaltlich zu beanstandender ­belastender Änderungsbescheid



3. Vollumfänglicher Abhilfebescheid 4. Teilweiser Abhilfebescheid 5. Besonderheiten beim Gewinnfeststellungsbescheid

VIII. Fehlende Kenntnis des Prozessbevollmächtigten vom Änderungsbescheid IX. Kenntnis des Prozessbevollmächtigten vom Änderungsbescheid in „letzter“ Minute kurz vor oder in der münd­ lichen Verhandlung X. Finanzgericht entscheidet in Unkenntnis des Änderungsbescheides XI. Änderungsbescheid im Revisions­ verfahren 1. Auswirkungen des Änderungsbescheides auf das Revisionsverfahren 2. Handlungsoptionen für das Revisionsverfahren XII. Änderungsbescheid im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren XIII. Fazit

I. Einleitung Der Erlass von Änderungsbescheiden durch die Finanzbehörde während des anhängigen Steuerprozesses1 entspricht dem Rechtsalltag. Für den betroffenen Kläger stellt sich dann die Frage, ob, und wenn ja, wie er auf den Änderungsbescheid reagieren soll. Der Kläger wird sich dabei stets fragen, ob er gegen den Änderungsbescheid Einspruch einlegen muss oder ob der neue Bescheid zum Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden ist. Die Finanzgerichtsordnung sieht in § 68 Satz 1 FGO letzteres vor. § 68 Satz 1 FGO ist als Schutznorm zugunsten des Klägers konzipiert; 1 Soweit nicht im Folgenden näher spezifiziert, soll unter dem Begriff des Steuerprozesses sowohl das finanzgerichtliche Klageverfahren, das Revisionsverfahren als auch das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren verstanden werden.

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gleichwohl kann sich die Norm für den Rechtschutzsuchenden schnell zur Recht­ schutzfalle entwickeln. Die Gefahr hierfür ist dann besonders groß, wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht oder nicht rechtzeitig vom Änderungsbescheid Kenntnis erlangt. Aber selbst wenn der Prozessbevollmächtigte rechtzeitig von dem Änderungsbescheid Kenntnis erlangt, kommt es in der Praxis immer wieder vor, dass fehlerhaft – zum Teil mit unumkehrbaren Nachteilen – auf den Änderungsbescheid reagiert wird. Um in der Praxis angemessen auf den Änderungsbescheid reagieren zu können, ist es zunächst notwendig, sich zu vergegenwärtigen, welche Fälle in der Praxis unter § 68 Satz 1 FGO zu subsumieren sind (dazu unter IV. und V.). Hierauf aufbauend werden konkrete Handlungsempfehlungen für ausgewählte prozessuale Situationen im finanzgerichtlichen Klageverfahren gegeben (dazu unter VII. bis X.). Abschließend wird darauf eingegangen, welche Rechtsfolgen Änderungsbescheide, die im Laufe des Revisionsverfahrens bzw. eines Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens vor dem BFH ergehen, auslösen und wie hierauf als Beteiligter angemessen zu reagieren ist (dazu unter XI. und XII.).

II. Fortbestehende Korrekturbefugnis der Finanzbehörde Auch während des Klageverfahrens behält die Finanzbehörde die Herrschaft über ihren Verwaltungsakt.2 Sie kann – genauso wie außerhalb des Prozesses – unter Beachtung der tatbestandlichen Voraussetzungen der einschlägigen Korrekturvorschriften den angegriffenen Steuerbescheid zugunsten wie zu Lasten des Klägers ändern (§ 132 Satz 1 AO sowie § 172 Abs. 1 Satz 2 AO).3 In der Praxis kommt es sehr regelmäßig vor, dass Änderungsbescheide erlassen werden. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig. Sie reichen von der Umsetzung eines Grundlagenbescheides nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO bspw. aufgrund eines Gewinnfeststellungsbescheides, den Erlass eines Abhilfebescheids der Finanzbehörde, um den Ausgang des Klageverfahrens bspw. über die „Reparatur“ von Ermessensverwaltungsakten nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a a.E. AO vorwegzunehmen, bis hin zur Umsetzung der Ergebnisse aus einer abgeschlossenen Betriebsprüfung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO.

III. Auswirkungen des Änderungsbescheides auf das Klageverfahren Wird der angefochtene Verwaltungsakt während des finanzgerichtlichen Klageverfahrens geändert oder ersetzt,4 wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Klageverfahrens, §  68 Satz 1 FGO. Der Verfahrensgegenstand wird kraft Gesetzes aus­ 2 Dunke in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 3; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 1. 3 Dunke in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 3; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 1. 4 Um den Lesefluss zu erleichtern, wird nachfolgend nur der Fall des Änderungsbescheides beschrieben. Die Ausführungen gelten – soweit nicht gesondert gekennzeichnet – genauso für den Ersetzungsfall.

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Der Änderungsbescheid im Steuerprozess

gewechselt.5 Es handelt sich um eine objektive Klageänderung.6 Der Wechsel des Verfahrensgegenstandes trägt in prozessualer Hinsicht dem Umstand Rechnung, dass der ursprüngliche Bescheid keine Rechtswirkungen mehr entfaltet, solange der Änderungsbescheid Bestand hat, da der Änderungsbescheid den ursprünglichen Bescheid in seinen Regelungsinhalt mit aufnimmt.7 So wird über § 68 Satz 1 FGO sichergestellt, dass der streitbefangene Teil des ursprünglichen Verwaltungsaktes weiterhin Gegenstand des Verfahrens bleibt.8 Die Regelung dient zum einen dem Schutz des Klägers, der durch eine Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts durch die Finanzbehörde nicht aus dem Klageverfahren herausgedrängt und gegen seinen Willen wieder in das Einspruchsverfahren zurückversetzt werden soll.9 Zum anderen dient die Norm der Prozessökonomie, insbesondere der Verfahrensbeschleunigung.10 Das Klageverfahren soll trotz des erlassenen Änderungsbescheides fortgeführt und Verzögerungen vermieden werden, die mit der Unterbrechung jenes Verfahrens und der Einleitung eines weiteren, auf den Änderungsbescheid bezogenen Rechtsbehelfsverfahrens verbunden sein könnten.11 Infolge der Regelung des § 68 Satz 1 FGO darf das FG nur noch über den neuen Bescheid entscheiden. Der Einspruch gegen den Änderungsbescheid ist insoweit ausgeschlossen, § 68 Satz 2 FGO.

IV. Prozessuale Voraussetzungen für den Austausch des Verfahrensgegenstandes Maßgeblich für die Anwendung des § 68 Satz 1 FGO ist, dass nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung12 ein Klageverfahren durchgeführt wird.13 Die Norm ist originär bei Anfechtungsklagen,14 entsprechend aber auch bei Verpflichtungs- und Fest 5 Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 73. 6 Dunke in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 7; Paetsch in Gosch, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 4. 7 Der ursprüngliche Bescheid ist suspendiert. Wird der Änderungsbescheid aufgehoben, wird der ursprüngliche Bescheid wieder wirksam. So die ständige Rechtsprechung seit BFH v. 25.10.1972  – GrS 1/72, BStBl.  II 1973, 231 Rz.  36. Vgl. nur: BFH v. 20.10.2010  – I R 117/08, BFH/NV 2011, 669. 8 Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 24. 9 BFH v. 6.8.1996 – VII R 77/95, BFHE 181, 107, 114, BStBl. II 1997, 79; BFH v. 23.2.2010 – VII R 1/09, BFH/NV 2010, 1566, Rz. 12. 10 BFH v. 23.2.2010 – VII R 1/09, BFH/NV 2010, 1566, Rz. 12; BFH v. 25.7.1991 – XI R 2/86, BStBl. II 1992, 37. 11 BFH v. 23.2.2010 – VII R 1/09, BFH/NV 2010, 1566, Rz. 12; BFH v. 16.12.2008 – I R 29/08, BStBl. II 2009, 539. 12 Anders als der Wortlaut es vermuten lässt, ist § 68 FGO gleichwohl bei einer Sprungklage anwendbar. An die Stelle der Einspruchsentscheidung tritt dann die Zustimmung des Finanzamts i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO. Vgl. dazu auch: FG München v. 14.1.2004 – 1 K 40/03, EFG 2004, 828 Rz. 12; Jesse, DStZ 2005, 139 (140). 13 Zu der Fallgestaltung, dass nach Erlass der Einspruchsentscheidung innerhalb der Klagefrist der Änderungsbescheid ergeht: Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 61 ff. 14 § 68 Satz 1 FGO spricht vom „angefochtenen“ Verwaltungsakt.

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stellungsklagen anwendbar.15 Zum Austausch des Verfahrensgegenstandes kommt es nicht nur im finanzgerichtlichen Klageverfahren, sondern – wie sich aus § 121 Satz 1 FGO ergibt – auch im Revisions-16 und im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BFH (dazu ausführlich unter XI. und XII.). Die gegen den ursprünglichen Verwaltungsakt in Gestalt der Einspruchsentscheidung erhobene Klage muss zudem zulässig sein.17 Dem Rechtschutzsuchenden soll durch §  68 FGO allein ein erneutes außergerichtliches Vorverfahren erspart werden – nicht mehr und nicht weniger.18 Der Steuerpflichtige soll durch den von der Finanzbehörde erlassenen Änderungsbescheid weder besser noch schlechter gestellt werden als zuvor, weshalb eine zuvor unzulässige Klage nicht durch die Auswechselung des Verfahrensgegenstandes zulässig werden kann. Erkennt der Kläger bspw. im Laufe des Klageverfahrens, dass eine unzulässige Klage bspw. unter Verstoß gegen § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO erhoben worden ist, ist gegen den Änderungsbescheid Einspruch einzulegen, verbunden mit dem Antrag das Einspruchsverfahren nach § 363 Abs. 1 AO bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Klageverfahren auszusetzen.19 Endet dann das ursprüngliche Klageverfahren durch klageabweisendes Prozessurteil, kann der Steuerpflichtige sein Begehren im Rahmen des neu angestoßenen Rechtsbehelfsverfahrens umsetzen.20

V. Identifikation des verfahrensauswechselnden Bescheides Voraussetzung für die Auswechselung des Verfahrensgegenstandes nach § 68 Satz 1 FGO ist, dass der angefochtene Verwaltungsakt „geändert“ oder „ersetzt“ wird. Wann dies der Fall ist, wird im Gesetz nicht definiert. Entsprechend dem Zweck der Norm, ein erneutes Einspruchsverfahren zu vermeiden, legt die Rechtsprechung die Tatbestandsvoraussetzungen des § 68 Satz 1 FGO weit aus.21 Weder der Begriff der Änderung noch der Begriff der Ersetzung sind im Gesetz geregelt. Allgemein wird unter dem Begriff der Änderung die partielle Änderung des Regelungsgegenstandes und 15 Herbert in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 68 FGO Rz. 10 m.w.N. aus der Rechtsprechung. 16 Vgl. nur: BFH v. 29.6.2010 – XI E 1/10, BFH/NV 2010, 2087 Rz. 9. 17 So die ganz herrschende Meinung: BFH v. 11.7.2017 – IX R 41/15, BFH/NV 2018, 185; FG Münster v. 19.6.2002 – 5 K 8288/99, EFG 2002, 1243; Herbert in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 68 FGO Rz. 60. A.A. FG Rheinland-Pfalz v. 26.4.2017 – 3 K 1078/17, EFG 2017, 1105 Rz. 20 ff.; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 18, hier kann jedoch die Einordnung des vorgenannten Urteils des BFH v. 11.7.2017 nicht nachvollzogen werden. 18 Herbert in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 68 FGO Rz. 60. 19 So auch: Herbert in Gräber, 9.  Aufl. 2019, §  68 FGO Rz.  60; Hendricks/Hildebrand, Ubg 2018, 361(361) Fn. 8. 20 Hendricks/Hildebrand, Ubg 2018, 361 (361) Fn. 8. Das bei Unzulässigkeit ergehende Prozessurteil erwächst nur insoweit in Rechtskraft, als über die Zulässigkeitsvoraussetzungen entschieden worden ist. 21 BFH v. 12.5.2016 – II R 17/14, BStBl. II 2016, 822 Rz. 13; BFH v. 16.12.2014 – X B 113/14, BFH/NV 2015, 510 Rz. 18; BFH v. 29.6.2010 – XI E 1/10, BFH/NV 2010, 2087 Rz. 9; BFH v. 23.2.2010 – VII R 1/09, BFH/NV 2010, 1566 Rz. 13; zustimmend: Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 8.

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Der Änderungsbescheid im Steuerprozess

unter dem Begriff der Ersetzung der unter Aufhebung des bisherigen Verwaltungsakts neu erlassene Bescheid verstanden.22 In beiden Fällen genügt es, wenn beide Bescheide – der ursprüngliche und der „neue“ Bescheid – „dieselbe Steuersache“, d.h. dieselben Beteiligten und denselben Besteuerungsgegenstand betreffen.23 Die beiden Verwaltungsakte müssen lediglich einen zumindest partiell identischen Regelungsbereich haben, damit es zu einem Austausch des Verfahrensgegenstandes kraft Gesetzes kommt.24 Während der „klassische“ Änderungsbescheid, der bspw. die Ergebnisse der abgeschlossenen Außenprüfung gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO umsetzt oder eine Änderung wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ohne Weiteres als Anwendungsfall des § 68 Satz 1 FGO identifiziert werden kann, führt die weite Auslegung der Begriffe selbst für den fachkundigen Prozessbeteiligten bisweilen dazu, dass eine wesentliche Hürde darin besteht, einen Anwendungsfall („Ob“) des § 68 Satz 1 FGO und dessen Umfang („Wie“) zu identifizieren. Dies soll an drei Beispielen illustriert werden. 1. Jahressteuerbescheid als Ersetzung des Vorauszahlungsbescheides Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung25 „ersetzt“ i.S.d. § 68 Satz 1 FGO der USt-Jahresbescheid die einzelne USt-Voranmeldung. Entscheidend ist – in Anwendung der o.g. Rechtsprechungsgrundsätze –, dass der Jahressteuerbescheid denselben Steuerpflichtigen und teilweise denselben Regelungsbereich betrifft wie die USt-Voranmeldung.26 Mit Erlass des USt-Jahressteuerbescheides wird dieser zum Gegenstand des Klageverfahrens. Die Auswechselung des Verfahrensgegenstandes hat zur Folge, dass in dem Klageverfahren sodann über sämtliche Streitpunkte des Jahres entschieden wird, selbst wenn die ursprüngliche Klage nur gegen eine einzelne UStVoranmeldung erhoben worden ist.27 Die Rechtsprechung28 wendet darüber hinaus § 68 Satz 1 FGO generell auch auf das Verhältnis vom Vorauszahlungsbescheid zum Jahressteuerbescheid bei den Ertragsteuern an. Der KSt-Vorauszahlungsbescheid wird durch den KSt-Jahresbescheid, der GewSt-Messbescheid für Vorauszahlungszwecke wird durch die Festsetzung für den Erhebungszeitraum nach §  14 GewStG genauso wie der ESt-Vorauszahlungs­ bescheid durch den ESt-Jahresbescheid ersetzt wird. In diesem Zusammenhang be22 Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 8a. 23 BFH v. 16.12.2014 – X B 113/14, BFH/NV 2015, 510 Rz. 18. 24 BFH v. 12.5.2016 – II R 17/14, BStBl. II 2016, 822 Rz. 13; BFH v. 16. 12.2014 – X B 113/14, BFH/NV 2015, 510 Rz. 18. 25 BFH v. 3.7.2014 – V R 32/13, BStBl. II 2017, 666 Rz. 11; BFH v. 24.10.2013 – V R 17/13, BStBl. II 2015, 513 Rz. 11. 26 Herbert in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 68 FGO Rz. 30. 27 Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 26. 28 Exemplarisch: Für KSt: BFH v. 12.3.2020 – V R 9/20, juris Rz. 7; BFH v. 27.3.2012 – I R 62/08, BStBl. II 2012, 745 Rz. 10. Für GewSt-Messbescheid: BFH v. 27.3.2012 – I R 62/08, BStBl. II 2012, 745 Rz. 10; BFH v. 23.4.2009 – IV R 73/06, BStBl. II 2010, 40 Rz. 16. Für ESt: BFH v. 3.12.2002 – IX R 71/00, BFH/NV 2003, 600 Rz. 12.

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steht jedoch ein wesentlicher Unterschied zwischen der USt-Voranmeldung/UStJahressteuerbescheid und dem Vorauszahlungsbescheid/Jahressteuerbescheid bei den Er­tragssteuern: Im Gegensatz zur USt ergehen bei den Ertragsteuern die Voraus­ zahlungsbescheide regelmäßig veranlagungszeitraumübergreifend. Bislang ist noch nicht hinreichend geklärt, auf welche Veranlagungszeiträume die Rechtsfolgen des § 68 Satz 1 FGO anzuwenden sind, wenn der angegriffene Vorauszahlungsbescheid mehrere Veranlagungszeiträume umfasst und lediglich für das „Erstjahr“ der Jahressteuerbescheid ergeht. In diesen Fällen sollte es zur Auswechselung des Verfahrensgegenstandes nur für das „Erstjahr“, nicht aber für die übrigen Veranlagungszeiträume kommen, da zu einer entsprechenden Wirkung für die anderen Veranlagungszeiträume nur die jeweiligen Jahressteuerbescheide führen sollten.29 2. Gewinnfeststellungsbescheid Der gesonderte und einheitliche Feststellungsbescheid i.S.d. §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a AO („Gewinnfeststellungsbescheid“) enthält eine Vielzahl selbständig anfechtbarer Feststellungen, die eigenständig in Bestandskraft erwachsen können und nur äußerlich durch den Bescheid zusammengefasst werden.30 Wird gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid Klage erhoben, bilden die mit der Klage angegriffenen einzelnen gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen (§  157 Abs.  2 AO) den Streitgegenstand.31 Deshalb ist bei der Klageerhebung besondere Sorgfalt darauf zu legen, welche selbständige Besteuerungsgrundlage mit der Klage angegriffen werden soll.32 Nach Ablauf der Klagefrist tritt für die nicht zum Gegenstand der Klage gemachten selbständigen Besteuerungsgrundlagen Teilbestandskraft ein. Die prozessuale Selbständigkeit setzt sich im Klageverfahren fort, wenn der Gewinnfeststellungsbescheid geändert wird. Ein nachträglich geänderter Gewinnfeststellungsbescheid wird deshalb nur hinsichtlich der bereits zulässig mit der Klage angefochtenen Besteuerungsgrundlagen (partiell) zum Gegenstand des anhängigen Verfahrens.33 Hat sich der Kläger mit der Klage bspw. nur gegen die Qualifikation der Einkunftsart gewendet, wird durch eine Änderung der Höhe des festgestellten Gewinns diese Teilfeststellung nicht zum Gegenstand des Klageverfahrens.34 3. Ermessensverwaltungsakte Auch soweit Ermessensverwaltungsakte den Gegenstand des Klageverfahrens bilden, kommt § 68 FGO zur Anwendung. Dies ist (unproblematisch) bspw. der Fall, wenn 29 In diesem Sinne BFH v. 20.8.2014 − I R 43/12, BFH/NV 2015, 306 Rz. 11; Herbert in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 68 FGO Rz. 31; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 11. A.A. möglicherweise BFH v. 13.12.2016 – X R 18/12, BStBl. II 2017, 450 Rz. 14. 30 Vgl. BFH v. 27.3.2013 – IV B 81/11, BFH/NV 2013, 1108 Rz. 12. 31 Vgl. BFH v. 9.2.2011 – IV R 15/08, BStBl. II 2011, 764 Rz. 14. 32 Vgl. Werth, BFH/PR 2019, 170. 33 BFH v. 11.12.2018  – VIII R 11/16, BFH/NV 2019, 746 Rz.  21; BFH v. 16.7.2015  – IV B 72/14, BFH/NV 2015, 1351 Rz.  6; BFH v. 27.3.2013  – IV B 81/11, BFH/NV 2013, 1108 Rz. 12 für ein Beschwerdeverfahren. BFH v. 9.2.2011 – IV R 15/08, BStBl. II 2011, 76 Rz. 18. 34 Vgl. auch: Herbert in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 68 FGO Rz. 33.

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Der Änderungsbescheid im Steuerprozess

der ursprünglich angefochtene Haftungsbescheid bereits Ermessenserwägungen enthalten hat, die dann in dem neuen Bescheid ergänzt werden. Der geänderte Bescheid steht dann in Einklang mit § 102 Satz 2 FGO. Danach kann die Finanzbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen.35 Problematischer ist die Situation hingegen dann, wenn der ursprüngliche Bescheid überhaupt keine Ausführungen zur Ermessensausübung enthält und diese in dem neuen, „ersetzenden“ Bescheid erstmals nachgeholt werden. In dieser Situation besteht eine gewisse Diskrepanz zwischen § 102 Satz 2 FGO, der nur die „Ergänzung“ von Ermessenserwägungen im finanzgerichtlichen Klageverfahren erlaubt und § 68 Satz 1 FGO. § 68 Satz 1 FGO erlaubt die vollständige „Ersetzung“ des angefochtenen Bescheids und enthält im Hinblick auf die Ermessensverwaltungsakte keine Einschränkungen.36 Die höchstrichterliche Rechtsprechung löst diesen Widerspruch durch die teleologische weite Auslegung des § 68 Satz 1 FGO, nach der im Anwendungsbereich des § 68 FGO die Nachholung von Ermessenserwägungen nicht gemäß §  102 Satz  2 FGO beschränkt ist.37 In dieser Situation verliert der Steuerpflichtige durch § 68 Satz 2 FGO die Möglichkeit zur behördenseitigen Überprüfung der Ermessensentscheidung. Aber auch das Gericht führt nur eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle des Ermessensverwaltungsaktes durch, § 102 Satz 1 FGO. Durch die extensive Auslegung des § 68 Satz 1 FGO wird in diesem Fall der Individualrechtschutz erheblich verkürzt.38

VI. Einspruch gegen den Änderungsbescheid unzulässig Greift § 68 Satz 1 FGO ein, ist nach Satz 2 der Einspruch gegen den neuen Verwaltungsakt insoweit ausgeschlossen. In der Praxis weisen die meisten Änderungsbescheide bereits in der Rechtsbehelfsbelehrung in allgemeiner Form auf die Regelung des § 68 FGO hin.39 35 Die Behörde darf ihre hinsichtlich des Verwaltungsakts zuvor angestellten und dargelegten Ermessenserwägungen vertiefen, verbreitern oder verdeutlichen. Sie ist demgegenüber nicht befugt, Ermessenserwägungen im finanzgerichtlichen Verfahren erstmals anzustellen, die Ermessensgründe auszuwechseln oder vollständig nachzuholen. 36 BFH v. 16.12.2008 – I R 29/08, BStBl. II 2009, 539 Rz. 13. 37 BFH v. 12.5.2016 – II R 17/14, BStBl. II 2016, 822 Rz. 14; BFH v. 16.12.2008 – I R 29/08, BStBl. II 2009, 539 Rz. 17; FG Münster v. 29.8.2019 – 5 K 4028/16 U, juris Rz. 53 (nrkr. NZB anhängig unter VIII B 103/19). A.A. Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 4. 38 Für die Beachtung des § 102 Satz 2 FGO innerhalb des § 68 FGO: Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 4. 39 Vgl. exemplarisch: OFD Frankfurt a.M. v. 21.6.2017, FG 2026 A-004-St 21, juris Rz. 4.5: „Ein Einspruch ist jedoch ausgeschlossen, soweit dieser Bescheid einen Verwaltungsakt ändert oder ersetzt, gegen den ein zulässiger Einspruch oder (nach einem zulässigen Einspruch) eine zulässige Klage, Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde anhängig ist. In diesem Fall wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens. Dies gilt auch, soweit sich ein angefochtener Vorauszahlungsbescheid durch die Jahressteuerfestsetzung erledigt.“

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Sind die Voraussetzungen des §  68 Satz 1 FGO erfüllt, wird aber gleichwohl Einspruch eingelegt, ist dieser nicht statthaft (§ 68 Satz 2 FGO). Der Einspruch ist von der Finanzbehörde gemäß § 358 Satz 2 als unzulässig zu verwerfen.40 Da das erfolglose Einspruchsverfahren für den Steuerpflichtigen aber mit keinem (Verfahrens-) Kostenrisiko verbunden ist, sollte dieser Fehler jedoch im Übrigen zu keinem weiteren „Schaden“ führen  – solange der Prozessbevollmächtigte des Klägers über den Änderungsbescheid informiert ist und im Rahmen des Klageverfahrens in angemessener Weise auf den neuen Bescheid reagiert.41 Ist hingegen aus Sicht des Steuerpflichtigen nicht mit hinreichender Sicherheit zu bestimmen, ob der neue Bescheid die Voraussetzungen des § 68 Satz 1 FGO erfüllt (z.B. weil die zuvor erhobene Klage unzulässig sein könnte), empfiehlt es sich aus Vorsichtsgründen Einspruch gegen den geänderten Bescheid einzulegen. Mit der Einlegung sollte angeregt werden, das Einspruchsverfahren zumindest faktisch bis zum Abschluss des anhängigen Klageverfahrens42 ruhen zu lassen. Auf diese Weise kann der Steuerpflichtige sicherstellen, dass er sich gegen den Änderungsbescheid auch tatsächlich wehren kann. Ist der Steuerpflichtige hingegen zu Unrecht davon ausgegangen, dass ein Verwaltungsakt nach § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist und legt er mit Rücksicht auf § 68 Satz 2 FGO keinen Einspruch ein, wird der neue Bescheid mit Ablauf der Einspruchsfrist formell bestandskräftig. Der Steuerpflichtige kann sich mit Eintritt der formellen Bestandskraft nicht mehr gegen den neuen Bescheid wehren. Lediglich in Einzelfällen, wenn bspw. die Finanzbehörde zu Unrecht auf § 68 Satz 2 FGO hingewiesen hat und daher die Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft ist, kann die dann nach § 356 Abs. 2 AO geltende Jahresfrist für die Einlegung des Einspruchs dazu führen, dass doch noch fristwahrend gegen den Änderungsbescheid Einspruch eingelegt werden kann.43 In derartigen Fällen sollten geringe Anforderungen daran zu stellen sein, ob ein gegen den Änderungsbescheid gerichteter Rechtsbehelf vorliegt. Gibt beispielsweise der Kläger innerhalb der Einspruchsfrist im Klageverfahren zu erkennen, dass er sich nun auch gegen den Änderungsbescheid wenden möchte, kann diese Aussage im Einzelfall als Sprungklage i.S.d. § 45 FGO auszulegen sein.44 Im Einzelfall dürfte – gerade bei irreführenden Äußerungen des Finanzgerichts bzw. der Finanzbehörde zur Anwendung des §  68 FGO  – auch ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die Einspruchsfrist in Betracht kommen.45 40 BFH v. 29.9.2017 – I B 61/16, BFH/NV 2018, 210 Rz. 11; BFH v. 11.11.2008 – V B 2/08, BFH/NV 2009, 401 Rz. 7; Paetsch in Gosch, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 47; a.A. Jesse, DStZ 2005, 139 (142), der den Einspruch gegen den Änderungsbescheid nur bzgl. des bisherigen Streitgegenstandes ausschließen will, im Übrigen aber zulassen möchte. 41 So auch Hendricks/Hildebrand, Ubg 2018, 361 (362). 42 In dem Klageverfahren sollten die Handlungsempfehlungen unten unter VI. befolgt werden. 43 Herbert in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 68 FGO, Rz. 67. 44 Herbert in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 68 FGO, Rz. 67. 45 In diesem Sinne auch: BFH v. 20.12.2013  – X B 160/12, BFH/NV 2014, 558; Herbert in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 68 FGO, Rz. 67.

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VII. Handlungsoptionen im finanzgerichtlichen Klageverfahren bei bekanntem Änderungsbescheid Ergeht während des finanzgerichtlichen Klageverfahrens ein Änderungsbescheid, muss der Kläger hierauf im anhängigen Klageverfahren reagieren. Die Auswechselung des Verfahrensgegenstandes zwingt zum Handeln. Handelt der Kläger nicht, können hieraus für ihn u.U. ganz erhebliche (vermeidbare) Rechtsnachteile entstehen, die unumkehrbar sind. Wie im Einzelnen zu reagieren ist, bestimmt sich nach dem Inhalt des Änderungsbescheides. Es können folgende Fallgruppen unterschieden werden: 1. Belastender Änderungsbescheid mit zusätzlich für rechtswidrig erachteter Beschwer In vielen Fällen enthält der während des Klageverfahrens ergehende Änderungsbescheid eine zusätzliche Beschwer. Dies betrifft bspw. den Fall, dass während des noch laufenden Klageverfahrens die Außenprüfung abgeschlossen wird und dann der die Außenprüfung auswertende Änderungsbescheid ergeht. Wird die den Änderungsbescheid enthaltene zusätzliche Beschwer (bspw. die Erhöhung der festgesetzten KSt infolge des Mehrergebnisses aus der Außenprüfung) von der Klägerseite für rechtswidrig gehalten, muss der Kläger sein Klagebegehren erweitern und seine Klageanträge entsprechend anpassen.46 Dies folgt auch aus der im Anwendungsbereich des § 68 FGO maßgeblichen Dispositionsmaxime.47 Der Kläger muss sein Klageziel bezogen auf den geänderten Verfahrensgegenstand neu bestimmen. Begehren und Klageantrag können infolge der geänderten Prozesssituation auch über das ursprüngliche Klagebegehren hinausgehen.48 Der Prozessbeteiligte muss konkret beschreiben, worin die zusätzliche Beschwer besteht und welches weitere Begehren er verfolgt. Die bisherige Klagebegründung ist mit Rücksicht auf den Änderungsbescheid zu ergänzen. In der ergänzenden Klagebegründung ist der Sachverhalt bezogen auf den „neuen“ Verfahrensgegenstand darzustellen. Ggf. sind insoweit auch Beweisanträge zu stellen. Zudem ist die Rechtsauffassung des Klägers zur weiteren Beschwer darzulegen. Ferner ist der Klageantrag49 an die geänderte Situation anzupassen. Sind zur 46 Vgl. zu dieser Situation auch: Herbert in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 68 FGO Rz. 77; Hendricks/ Hildebrand, Ubg 2018, 361 (362). Für insoweit geringere Anforderung zugunsten des Klägers, um dem Schutzzweck des § 68 FGO gerecht zu werden: Krumm in Tipke/Kruse, AO/ FGO, § 68 FGO Rz. 24. 47 BFH v. 29.6.2010 – XI E 1/10, BFH/NV 2010, 2087 Rz. 9. 48 BFH v. 29.6.2010 – XI E 1/10, BFH/NV 2010, 2087 Rz. 9; Herbert in Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 68 Rz. 77; Hendricks/Hildebrand, Ubg 2018, 361 (362). 49 Es empfiehlt sich grundsätzlich in der Klagebegründung die Klageanträge lediglich voranzukündigen, um im weiteren Verlauf des Klageverfahrens mit ausreichender Flexibilität auf weitere Entwicklungen reagieren zu können. Aus diesem Grund sollte der lediglich (vorangekündigte) Klageantrag nicht auf die Bezifferung einer Zielsteuer (z.B. Änderung der festgesetzten Körperschaftsteuer von 500.000 Euro auf 350.000 Euro) gerichtet sein. Es empfiehlt sich in dem Klageantrag genau zu beschreiben, welche Besteuerungsgrundlage in welcher Höhe geändert werden soll. Ist dann im laufenden Klageverfahren ein Änderungs-

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Aufklärung der neuen Streitpunkte aus dem Änderungsbescheid umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen erforderlich, empfiehlt es sich u.U. zudem hilfsweise einen allein auf die Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide i.S.d. § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO gerichteten Antrag zu stellen.50 Reagiert der Kläger nicht auf die geänderte Verfahrenssituation, ist das Gericht an das ursprüngliche Klagebegehren gebunden (ne ultra petita-Grundsatz, § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO).51 Das Gericht darf dem Kläger nicht mehr zusprechen, als er begehrt. Entscheidet das Finanzgericht in Kenntnis des zwischenzeitlich ergangenen Änderungsbescheids in der Sache und wird das Klagebegehren – trotz der zusätzlichen Beschwer des Änderungsbescheides – nicht angepasst, verliert der Kläger die Möglichkeit, die „zusätzliche“ Beschwer des Änderungsbescheides anzugreifen.52 Der Bescheid (bspw. die Körperschaftsteuerfestsetzung) ist mit Eintritt der Rechtskraft auch im Hinblick auf die „zusätzliche“ Beschwer rechtskräftig bestätigt (§ 110 Abs. 1 FGO). Tritt dieser Fall ein, entpuppt sich § 68 Satz 1 FGO für den Kläger als Rechtsschutzfalle. Die Gefahr, dass es zu einer solchen Situation kommt, ist dann besonders groß, wenn das finanzgerichtliche Klageverfahren gegen den ursprünglichen Bescheid bereits zu einem Zeitpunkt anhängig wird, bevor für den betroffenen Veranlagungszeitraum eine Außenprüfung durchgeführt bzw. abgeschlossen worden ist. Hierzu kann es kommen, wenn sich der Kläger unmittelbar gegen den „Erstbescheid“ wendet oder sich die Verfahrensbeteiligten zu Beginn der Außenprüfung darauf einigen, dass ein abgegrenzter, bestimmter Sachverhalt einer zügigen gerichtlichen Klärung zugeführt werden soll und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Hierzu kommt es in der Praxis häufig dann, wenn in Bezug auf die steuerliche Behandlung eines konkreten abgegrenzten Sachverhalts (z.B. atypisches Wertpapierdarlehen) für die Verfahrensbeteiligten in der Außenprüfung kein Verhandlungsspielraum besteht  – sei es aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung für den Steuerpflichtigen, sei es, dass eine oberbehördliche Anweisung besteht. Werden dann die im Nachgang zur später abgeschlossenen Außenprüfung erlassenen steuererhöhenden Bescheide während des bescheid ergangen, muss in dem ursprünglichen Klageantrag lediglich die zusätzlich zu ändernde Besteuerungsgrundlage angegeben werden. Ferner ist zu beziffern, in welcher Höhe die weitere zu ändernde Besteuerungsgrundlage geändert werden soll. Wird entgegen dieser Empfehlung im Klageantrag die Zielsteuer genannt, ist diese im Fall des Änderungsbescheides neu zu berechnen, was den Klageantrag aber wesentlich fehleranfälliger macht. Vgl. zum Klageantrag allgemein: Schaumburg in Schaumburg/Hendricks, Der Steuerrechtschutz, 4. Aufl. 2018, Rz. 3.122 ff. insb. 3.125. 50 Vgl. auch: Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz, 29. Gibt das FG dem Hilfsantrag statt, kann zwar der Zweck des § 68 FGO nicht mehr erfüllt werden, da die Finanzbehörde dann erst einmal ihrer Sachaufklärungspflicht nachkommen muss. Von der Aufhebensmöglichkeit nach §  100 Abs.  3 FGO wird in der Gerichtspraxis im Einzelfall dann Gebrauch gemacht, wenn die Sachaufklärung durch die Behörde nach ihrer personellen oder sachlichen Ausstattung besser durchgeführt werden kann. Vgl. Stapperfend in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 100 FGO Rz. 59. 51 BFH v. 29.6.2010 – XI E 1/10, BFH/NV 2010, 2087 Rz. 9; Herbert in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 68 FGO Rz. 77; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 24. 52 Vgl. auch: Hendricks/Hildebrand, Ubg 2018, 361 (362).

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laufenden Klageverfahrens bekannt gegeben und die Bescheide – wie üblich – unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung auf §  164 Abs.  2 Satz 1 AO gestützt, muss der Steuerpflichtige die vorgehend dargestellten Mechanismen vor Augen haben, um in Bezug auf die Änderungen keine Rechtsschutzmöglichkeiten zu verschenken: Will sich der Steuerpflichtige gegen die prüfungsbedingten Änderungen wehren, hilft ihm ein Einspruch insoweit nicht weiter; vielmehr muss er sein Klagebegehren im laufenden Klageverfahren um die streitigen BP-Änderungen erweitern. Versäumt er dies vor Abschluss des Klageverfahrens, werden die Änderungen durch das verfahrensabschließende Urteil im Ergebnis rechtskräftig bestätigt. 2. Nicht inhaltlich zu beanstandender belastender Änderungsbescheid Ist der Änderungsbescheid inhaltlich nicht zu beanstanden und beeinflusst der Änderungsbescheid nicht die Streitpunkte des bisherigen Klageverfahrens, besteht kein Anlass das Klagebegehren inhaltlich anzupassen.53 Dies betrifft bspw. den Fall, dass der streitbefangene Steuerbescheid im Wege einer reinen Folgeänderung nach §  175 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen der Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft geändert wird. Obwohl das Klagebegehren unverändert bleibt, sollte der Kläger bei der Formulierung des Klageantrages im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Auswechselung des Verfahrensgegenstands berücksichtigen und die neuen Bescheiddaten in den Klageantrag mit aufnehmen. Nimmt der Kläger in dieser Situation keine ausdrückliche Anpassung des Klageantrags vor, dürfte das FG den Klageantrag im Rahmen einer rechtsschutzgewährenden Auslegung anpassen.54 Um nicht auf eine solche richterliche Unterstützung angewiesen zu sein, sollte der Kläger von sich aus den Klageantrag anpassen. 3. Vollumfänglicher Abhilfebescheid Entspricht das Finanzamt mit dem Änderungsbescheid hingegen vollständig dem Klagebegehren, ist der Kläger klaglos gestellt.55 Dies betrifft bspw. den oben beschriebenen Fall, in dem ein Haftungsbescheid allein wegen der fehlenden Ermessensausübung angefochten worden ist und die beklagte Finanzbehörde die Ermessenser­ wägungen in dem neuen Bescheid während des Klageverfahrens in nicht zu

53 Vgl. zu dieser Situation auch: Herbert in Gräber, 9. Auf. 2019, § 68 FGO Rz. 77; Hendricks/ Hildebrand, Ubg 2017, 361 (363). 54 Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 24. Jeweils zur Situation eines Änderungsbescheids im Laufe eines Revisionsverfahrens: BFH v. 10.10.2012 – VIII R 44/10, BFH/NV 2013, 359 (360); BFH v. 23.1.2003 – IV R 71/00, BStBl. II 2004, 43; BFH v. 13.11.2002 – VI R 164/00, BStBl. II 2003, 350. 55 Vgl. zu dieser Situation auch: BFH v. 7.7.2011 – V R 21/10, BStBl. II 2014, 81 Rz. 49 (zur vergleichbaren Situation im Revisionsverfahren); Dunke in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 14; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 9; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, §  68 FGO Rz.  80; Hendricks/Hildebrand, Ubg 2018, 361 (362 f.).

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beanstandender Weise nachholt.56 Mit Wirksamwerden des neuen Bescheides entfällt dann das Rechtschutzbedürfnis für die Fortführung des Klageverfahrens.57 In dieser Situation sollte der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären.58 Dem wird sich das beklagte Finanzamt anschließen, mit der regelmäßigen Folge, dass dem beklagten Finanzamt die Kosten des Verfahrens auferlegt werden (§ 138 Abs. 2 Satz 1 FGO).59 Die Rücknahme der Klage stellt für den Kläger keine geeignete Option dar, weil der Kläger dann die Kosten des Verfahrens zu tragen hätte (§ 136 Abs. 2 FGO).60 Reagiert der Kläger nicht auf die geänderte Verfahrenssituation und hält der Kläger an seinem bisherigen Klagebegehren fest, wird das Finanzgericht die Klage mit Rücksicht auf das nunmehr fehlende Rechtsschutzbedürfnis durch Prozessurteil als unzulässig abweisen und dem Kläger die kompletten Kosten des Verfahrens auferlegen (§ 135 Abs. 1 FGO). Obwohl der Kläger mit dem Vollabhilfebescheid sein eigentliches Prozessziel erreicht hat, würde er durch die Klageabweisung in prozessualer Hinsicht gleichwohl unterliegen. 4. Teilweiser Abhilfebescheid Anders ist die Situation hingegen dann zu beurteilen, wenn dem bisherigen Klagebegehren mit dem Änderungsbescheid (nur) teilweise entsprochen wird.61 Um insoweit eine (kostenpflichtige) Klageabweisung zu verhindern, hat der Kläger das bisherige Klagebegehren einzuschränken. An dem bisherigen Klagebegehren sollte nur insoweit festgehalten werden, wie diesem durch den Änderungsbescheid noch nicht entsprochen wurde. Hierdurch entstehen der Klägerseite keine Kostennachteile, da die Einschränkung im Rahmen der einheitlichen Kostenentscheidung als teilweise Erledigung berücksichtigt wird und die Kosten insoweit gem. §  138 Abs.  2 Satz 1 FGO der beklagten Finanzbehörde aufzuerlegen sind.62

56 Vgl. hierzu zu diesem Fall auch Wackerbeck, NWB 2017, 3237 (3237). 57 Herbert in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 68 FGO Rz. 77; Paetsch in Gosch, AO/FGO, § 68 FGO Rz.  43; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, §  68 FGO Rz.  80; Nöcker, AO-StB 2014, 180 (181): Beschwer fehlt. 58 Herbert in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 68 FGO Rz. 77; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 9. Im Einzelfall ist ggf. weiter zu differenzieren. Vgl. dazu: Bartone, AO-StB 2001, 56 (58). 59 Aus Sicht des Finanzamts ist diese Vorgehensweise gleichwohl kostengünstiger als ein klagestattgebendes Urteil zu „kassieren“, da sich die Gebühren für das Klageverfahren (Nr. 6111 Ziffer 2 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) halbieren und sich die zu erstattenden Kosten für den Prozessbevollmächtigten reduzieren. 60 Die Gebühren für das Gerichtsverfahren werden in diesem Fall regelmäßig von 4,0 Gebühren auf 2,0 Gebühren reduziert, Nr. 6111 Ziffer 1 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG. 61 Vgl. zu dieser Situation auch: Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 68 FGO Rz.  80; Paetsch in Gosch, AO/FGO, §  68 FGO Rz.  43; Hendricks/Hildebrand, Ubg 2018, 361 (363). 62 Paetsch in Gosch, AO/FGO, § 68 FGO, Rz. 43; in diesem Sinne auch BFH v. 7.7.2005 – V R 78/03, BStBl. II 2005, 849.

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5. Besonderheiten beim Gewinnfeststellungsbescheid Wie bereits oben unter V.2. dargestellt, wird ein nachträglich geänderter Gewinnfeststellungsbescheid nach § 68 Satz 1 FGO nur hinsichtlich der bereits zulässig mit der Klage angefochtenen Besteuerungsgrundlagen (partiell) Gegenstand des anhängigen Verfahrens.63 Insoweit sind die vorstehend beschriebenen Handlungsoptionen zu beachten. Soweit § 68 Satz 1 FGO nicht eingreift, die geänderten Feststellungen also die nicht zuvor angefochtenen Besteuerungsgrundlagen betreffen, ist unter Beachtung der allgemeinen Regeln64 Einspruch einzulegen.65 Ist die betreffende, durch Einspruch anzugreifende Besteuerungsgrundlage gegenüber einer im Klageverfahren streitigen Besteuerungsgrundlage logisch vorrangig, wird das Klageverfahren nach § 74 FGO bis zur Entscheidung über das andere Rechtsbehelfsverfahren ausgesetzt werden müssen.66 Dies dürfte dann beispielsweise der Fall sein, wenn im finanzgerichtlichen Klageverfahren über die Tarifbegünstigung des Gewinns gestritten wird, im nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO im Laufe des Klageverfahrens geänderten Gewinnfeststellungsbescheid hingegen die Qualifikation der Einkünfte geändert wird.

VIII. Fehlende Kenntnis des Prozessbevollmächtigten vom Änderungsbescheid Prekär ist die Situation dann, wenn der Prozessbevollmächtigte keine Kenntnis von dem ergangenen Änderungsbescheid erlangt. Im Worst Case entscheidet das Finanzgericht über den eine zusätzliche Beschwer enthaltenen Änderungsbescheid, ohne dass für den Prozessbevollmächtigten im finanzgerichtlichen Klageverfahren in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit bestanden hat, auf den zwischenzeitlich erlassenen Änderungsbescheid zu reagieren. Nur soweit der Prozessbevollmächtigte nach Abschluss des finanzgerichtlichen Klageverfahrens beim BFH die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung an das FG – aus anderen67 Gründen als dem Änderungsbescheid  – im Revisions- bzw. Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erreichen kann, besteht für den Prozessbevollmächtigten in einem zweiten Rechtsgang die Möglichkeit, sich gegen die sich aus den Änderungsbescheiden ergebende zusätzliche Beschwer zu wehren. In allen anderen Fällen besteht keine Möglichkeit mehr, sich gegen den Änderungsbescheid zu wehren, sobald das Urteil rechtskräftig wird.

63 BFH v. 11.12.2018  – VIII R 11/16, BFH/NV 2019, 746 Rz.  21; BFH v. 16.7.2015  – IV B 72/14, BFH/NV 2015, 1351 Rz.  6; BFH v. 27.3.2013  – IV B 81/11, BFH/NV 2013, 1108 Rz. 12 für ein Beschwerdeverfahren. BFH v. 9.2.2011 – IV R 15/08, BStBl. II 2011, 76 Rz. 18. 64 Bei Gewinnfeststellungsbescheiden in dieser Situation ist insbesondere § 352 AO sowie die Regelung des § 351 Abs. 2 AO zu beachten. 65 Vgl. BFH v. 11.12.2018 – VIII R 11/16, BFH/NV 2019, 746 Rz. 21; BFH v. 16.7.2015 – IV B 72/14, BFH/NV 2015, 1351 Rz. 6; BFH v. 9.2.2011 – IV R 15/08, BStBl. II 2011, 76 Rz. 19. 66 Vgl. Wendt, BFH/PR 2011, 358 (359). 67 Die Unkenntnis des Prozessvertreters über den während des finanzgerichtlichen Klageverfahrens erlassenen Änderungsbescheid stellt keinen Verfahrensfehler i.S.d. §  115 Abs.  2 Nr. 3 FGO bzw. § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO dar.

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Die vorbeschriebene Situation sollte auf jeden Fall vermieden werden, denn die Gefahr, dass für den Steuerpflichtigen unumkehrbare Rechtsnachteile entstehen, ist sehr groß. Um sie zu vermeiden, ist es notwendig – so banal es auch klingen mag – sicherzustellen, dass der Prozessbevollmächtigte immer über den Erlass eines neuen Bescheids informiert wird, damit er auf die geänderte Verfahrenssituation reagieren kann.68 Hierfür sollten entsprechende Prozesse beim Steuerpflichtigen (ggf. im Rahmen des Tax Compliance-Managements-Systems) eingerichtet werden.69 In der Praxis kommt es jedoch immer wieder vor, dass der Prozessbevollmächtigte über den Erlass von zwischenzeitlichen Änderungsbescheiden nicht informiert wird. Zwar sollen Finanzbehörden i.d.R. während des Klageverfahrens den Änderungsbescheid dem Prozessbevollmächtigten gegenüber bekanntgeben.70 Gerade bei Konzernsachverhalten kommt es jedoch häufig vor, dass die Bescheide dem Steuerpflichtigen bzw. dem „regulären“ steuerlichen Berater bekannt gegeben werden und dort vielleicht auch in Unkenntnis der Regelung des § 68 FGO auf den zwischenzeitlich ergangenen Bescheid mit der Einspruchseinlegung reagiert wird. Nicht selten fällt dies erst dann auf, wenn der Einspruch gegen den Änderungsbescheid unter Hinweis auf § 68 Satz 2 FGO durch die Finanzbehörde als unzulässig verworfen wird. Auch ist über die Verpflichtung der Finanzbehörde dem FG eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts gemäß § 68 Satz 3 FGO zu übermitteln, nicht immer gewährleistet, dass der Prozessbevollmächtigte eine Abschrift des Änderungsbescheides erhält. Die für die Vertretung der Finanzbehörde zuständige Rechtsbehelfsstelle kann diesen Verpflichtungen nur dann nachkommen, wenn sie selbst von der für den Erlass des Änderungsbescheids zuständigen (Veranlagungs-)Stelle hierüber informiert wird.71 Innerorganisatorisch ist dies jedoch nicht durchgängig sichergestellt; im Rahmen der Massenverwaltung kann eine solche Information auch untergehen.72 Vor diesem Hintergrund sollte der Prozessbevollmächtigte proaktiv beim Steuerpflichtigen während des Klageverfahrens immer wieder standardisiert –  bzw. an­ lässlich eines im Klageverfahren zu erstellendem Schriftsatzes  – abfragen, ob zwischenzeitlich Änderungsbescheide ergangen sind. Spätestens wenn eine Ladung zur mündlichen Verhandlung vorliegt, ist eine solche Abfrage unerlässlich.

IX. Kenntnis des Prozessbevollmächtigten vom Änderungsbescheid in „letzter“ Minute kurz vor oder in der mündlichen Verhandlung Problematisch ist die Situation auch dann, wenn der Prozessbevollmächtigte erst in „letzter“ Minute vor oder in der mündlichen Verhandlung vom zwischenzeitlich er68 Hendricks/Hildebrand, Ubg 2018, 361 (364). 69 Hendricks/Hildebrand, Ubg 2018, 361 (364). 70 Vgl. AEAO zu § 122 Rz. 1.7.3; OFD Frankfurt a.M. v. 21.6.2017, FG 2026 A-004-St 21, juris Tz. 2. 71 Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 93 Fn. 5. 72 Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 93 Fn. 5.

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gangenen Änderungsbescheid erfährt und dieser Bescheid eine eigenständige Beschwer enthält.73 Wird dem Prozessbevollmächtigten der neue Bescheid zu kurzfristig vor Abschluss des Klageverfahrens bekannt, ist es nahezu unmöglich, mit der nötigen Sorgfalt auf die Situation zu reagieren (dazu oben unter VII.1.). Zeichnet sich ab, dass zur Aufklärung der „neuen“ Streitpunkte, die aus dem Änderungsbescheid resultieren, umfangreiche gerichtliche Ermittlungsmaßnahmen notwendig sind, sollte der Prozessbevollmächtigte die Aufhebung des Änderungsbescheids nach § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO anregen bzw. hilfsweise beantragen. In einzelnen Fällen mag es auch möglich sein, eine Vertagung der mündlichen Verhandlung zu erreichen. Gleichwohl sollte eine solche Situation nicht eintreten. Sie ist auch für den Prozessbevollmächtigten vermeidbar (dazu oben unter VIII.).

X. Finanzgericht entscheidet in Unkenntnis des Änderungsbescheides In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass auch das Finanzgericht während des finanzgerichtlichen Klageverfahrens nicht über den zwischenzeitlich ergangenen Änderungsbescheid informiert wird.74 Entscheidet das Finanzgericht allein über den zunächst mit der Klage angefochtenen Bescheid und nicht über den erst während des Klageverfahrens ergangenen und gemäß § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Änderungsbescheid, stellt dies einen wesentlichen Verfahrensfehler i.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO bzw. § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO dar.75 Dem Urteil liegt dann ein nicht mehr existierender Bescheid zu Grunde.76 Das Urteil verstößt gegen die Grundordnung des Verfahrens.77 Auf die entsprechende Rüge des Klägers hin, wird der BFH das Urteil der Vorinstanz im Rahmen eines Nichtzulassungsbeschwerde- bzw. Revisionsverfahrens aufheben und die Sache an die Vorinstanz zurückverweisen.78

73 Vgl. zu dieser Situation auch: Hendricks/Hildebrand, Ubg 2018, 361 (363). 74 Die Rechtskraftwirkung eines den ursprünglichen Verwaltungsakt betreffenden Urteils erfasst nur den ursprünglichen Verwaltungsakt, weil nur dieser Entscheidungsgegenstand war. Die Urteilswirkung geht ins Leere, weil der ursprüngliche Verwaltungsakt in seiner Wirkung suspendiert ist. Die Rechtskraftwirkung erstreckt sich nicht auf den geänderten Verwaltungsakt. Dementsprechend würde der Urteilsausspruch einer neuerlichen Änderung nicht entgegenstehen, § 110 Abs. 2 FGO. Vgl. dazu auch: BFH v. 13.12.2006 – VIII R 31/05, BStBl. II 2007, 393 Rz. 31; Herbert in Gräber, 9. Aufl. 2019 § 68 FGO Rz. 92. 75 BFH v. 29.9.2017 – I B 61/16, BFH/NV 2018, 210 Rz. 8; BFH v. 2.12.2013 – III B 157/12, BFH/NV 2014, 545. 76 BFH v. 29.9.2017 – I B 61/16, BFH/NV 2018, 210: zu einem Änderungsbescheid der zwischen Urteilsverkündung und Urteilszustellung ergangen ist; BFH v. 14.9.2017  – IV R 28/14, BFH/NV 2018, 1; BFH v. 28.6.2012 – III R 86/09, BStBl. II 2013, 855. 77 BFH v. 12.3.2020 – V R 9/20, n.v. Rz. 7; BFH v. 11.7.2017 – IX R 41/15, BFH/NV 2018, 185 Rz. 15; BFH v. 2.12.2013 – III B 157/12, BFH/NV 2014, 545. 78 Vgl. exemplarisch: BFH v. 29.9.2017 − I B 61/16, BFH/NV 2018, 210 Rz. 11.

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Eine solche Vorgehensweise betrachtet der BFH jedoch dann ausnahmsweise als entbehrlich, wenn das Finanzgericht in Unkenntnis79 des Änderungsbescheids entschieden hat, durch den Änderungsbescheid kein neuer Streitpunkt geschaffen worden ist und im Rechtsmittelverfahren Spruchreife (dazu im Folgenden auch unter XI. und XII.) besteht.80 In diesen Fällen reicht aus prozessökonomischen Gründen die Richtigstellung in der Rechtsmittelentscheidung aus.81 Andernfalls würde sich die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG darin erschöpfen, der Vorinstanz Gelegenheit zu geben, die Daten des Änderungsbescheides in das Urteil einzuarbeiten. In derartigen Fällen ist der Umweg über den BFH vermeidbar. Für den Kläger besteht auch die Möglichkeit einen Antrag auf Ergänzung des Urteils beim FG zu stellen, § 109 Abs. 1 FGO.82 Dieser Antrag ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Urteils gemäß § 109 Abs. 2 FGO zu stellen. Es lässt sich damit festhalten, dass für den Kläger keine wesentlichen Rechtsnachteile entstehen, wenn das FG in Unkenntnis des zwischenzeitlich ergangenen Änderungsbescheids entscheidet – vorausgesetzt der Prozessbevollmächtigte selbst erfährt spätestens während der Rechtsmittelfrist von dem Änderungsbescheid, um den Verfahrensfehler noch rügen zu können. Der Steuerprozess verzögert sich lediglich.83 Über den „Umweg“ beim BFH kann der Kläger sicherstellen, dass das FG in dem zurückverwiesenen Verfahren über alle Streitpunkte des Rechtsstreits entscheiden kann.

XI. Änderungsbescheid im Revisionsverfahren 1. Auswirkungen des Änderungsbescheides auf das Revisionsverfahren Änderungsbescheide werden nicht nur während des Klageverfahrens vor dem FG, sondern auch während des Revisionsverfahrens durch die Finanzbehörde erlassen. Auch im Revisionsverfahren ist § 68 FGO anwendbar, § 121 Satz 1 FGO. Voraussetzung dafür ist, dass eine zulässige Revision erhoben worden ist.84 Im Übrigen muss der neue Bescheid − genauso wie im finanzgerichtlichen Klageverfahren −

79 Hat das Finanzgericht bewusst über den ursprünglichen Bescheid entschieden, scheidet eine Richtigstellung von vornherein aus. Vgl. BFH v. 11.12.2018 – VIII R 11/16, BFH/NV 2019, 746; BFH v. 11.7.2017 – IX R 41/15, BFH/NV 2018, 185 Rz. 15. 80 BFH v. 16.5.2013 – IV R 15/10, BStBl. II 2013, 858 Rz. 22; BFH v. 19.7.2011 – XI R 21/10, BStBl. II 2012, 434 Rz. 22 f.; BFH v. 7.8.2008 – I B 161/07, BFH/NV 2008, 2053 Rz. 11. Weitergehender: BFH v. 19.5.2010 – I R 62/09, BFH/NV 2010, 1919 Rz. 17 auch für den Fall, dass das Finanzgericht den Änderungsbescheid kannte. 81 BFH v. 7.8.2008 – I B 161/07, BFH/NV 2008, 2053 Rz. 11. 82 Vgl. auch: FG Rheinland-Pfalz v. 2.12.2010 – 4 K 2699/06, EFG 2011, 820 Rz. 27; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 68 FGO Rz. 32. 83 So auch Hendricks/Hildebrand, Ubg 2018, 361 (364). 84 BFH v. 7.7.2011 – V R 21/10, BStBl. II 2014, 81 Rz. 49: Ratschow in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 127 FGO Rz. 1. Ist die Revision bereits unzulässig, ist sie nach § 126 Abs. 1 FGO zu verwerfen.

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dieselbe Steuersache“, d.h. dieselben Beteiligten und denselben Besteuerungsgegenstand betreffen (dazu oben unter V.). Ändert die Finanzbehörde den angefochtenen Bescheid während des Revisionsverfahrens, tritt an die Stelle des ursprünglichen Verwaltungsakts, über den das FG entschieden hat, der Änderungsbescheid, der nach §§ 121 Satz 1 i.V.m. 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Die Fortsetzung des Revisionsverfahrens gegen den Änderungsbescheid stellt eine Klageänderung dar, die ansonsten im Revisionsverfahren unzulässig ist, § 123 Abs. 1 Satz 1 FGO.85 Da das FG über einen nicht mehr wirksamen Bescheid entschieden hat, ist das angefochtene Urteil gegenstandslos und aufzuheben.86 Der Kläger87 soll keine Rechtsnachteile dadurch erleiden, dass der BFH grds. keine Tatsachen ermitteln und feststellen darf. Vor dem Hintergrund kann der BFH gemäß § 127 FGO das angefochtene Urteil aufheben und die Sache an das Tatsachengericht zurückverweisen. Ob der BFH in der Sache selbst ­entscheidet oder die Sache gemäß § 127 FGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückverweist, hängt davon ab, ob die Sache spruchreif ist oder nicht. Spruchreif ist die Sache nur, wenn und soweit die vom FG festgestellten tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs durch die Änderung oder Ersetzung des angefochtenen Verwaltungsaktes unberührt geblieben sind und soweit darüber kein Streit besteht.88 Da der neue Bescheid nicht in einem außergerichtlichen Verfahren und ebenso wenig vom FG als Tatsacheninstanz geprüft worden ist, weil die Tatsachenfeststellungen des FG nur den ursprünglichen Verwaltungsakt betreffen, kann der BFH nur dann über den neuen Verfahrensgegenstand entscheiden, wenn neue Tatsachenfeststellungen unter keinen Umständen geboten sind.89 Um festzustellen, ob der bisherige Streitstoff durch den neuen Bescheid unberührt geblieben ist, hört der BFH die Beteiligten des Revisionsverfahrens regelmäßig an.90 Eine Entscheidung in der Sache selbst kommt bspw. dann in Betracht, wenn im Änderungsbescheid allein ein Grundlagenbescheid nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO umgesetzt wird. Ist die Sache spruchreif, hebt der BFH das angefochtene Urteil aus verfahrensrechtlichen Gründen auf und entscheidet in der Sache selbst.91 Mit der Aufhebung der Vor85 Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 127 FGO Rz. 2. 86 BFH v. 10.10.2012 – VIII R 44/10, BFH/NV 2013, 359 Rz. 9; BFH v. 3.12.2019 – VIII R 23/17, BFH/NV 2020, 613 Rz.  10; BFH v. 26.6.2019  – II R 58/15, BFH/NV 2019, 1222 Rz. 10; BFH v. 14.11.2018 − II R 34/15, BStBl. II 2019, 674; BFH v. 20.10.2010 – VIII R 34/08, BFH/NV 2011, 585 Rz. 16. 87 Um den Lesefluss nicht unnötig zu beeinträchtigen, wird auch im Fall des Revisionsklägers vereinfachend vom Kläger gesprochen. 88 Ratschow in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 127 FGO Rz. 2. m.w.N. 89 Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 127 FGO Rz. 11. 90 Vgl. BFH v. 23.8.2007 – V R 10/05, BFH/NV 2007, 2217 Rz. 30; Ratschow in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 127 FGO Rz. 2. 91 Exemplarisch Fälle, in denen der BFH selbst in der Sache entschieden hat: BFH v. 3.12.2019 – VIII R 23/17, BFH/NV 2020, 613 Rz. 15; BFH v. 26.6.2019 – II R 58/15, BFH/ NV 2019, 1222 Rz. 11; BFH v. 10.10.2012 – VIII R 44/10, BFH/NV 2013, 359 Rz. 9; BFH v.

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entscheidung fallen die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht weg, so dass der BFH auf Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG in der Sache entscheiden kann. Voraussetzung hierfür ist jedoch dass das FG verfahrensfehlerfrei entschieden hat.92 Entscheidet der BFH dann trotz des Änderungsbescheids in der Sache selbst, gelten im Übrigen die allgemeinen Regeln.93 Fehlt es an der Spruchreife bspw. weil der Änderungsbescheid einen weiteren Streitpunkt enthält oder lässt sich die Spruchreife nicht zweifelsfrei feststellen, hebt der BFH das angefochtene Urteil wegen des Änderungsbescheides auf und verweist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück, §  127 FGO.94 Es kommt dann zur Zurückverweisung ohne Rücksicht auf die Begründetheit der Revision im Übrigen.95 Das FG trifft dann im zweiten Rechtsgang auf Grundlage des neuen Verwaltungsaktes neue Tatsachenfeststellungen und auf deren Basis eine erneute Entscheidung.96 2. Handlungsoptionen für das Revisionsverfahren Hat sich der Gegenstand des Revisionsverfahrens nach §§ 121 Satz 1 i.V.m. 68 Satz 1 FGO geändert, hat der Revisionskläger seinen Antrag an die geänderte verfahrensrechtliche Situation anzupassen.97 Ist die Sache spruchreif, sollte es ausreichen, wenn der Prozessbevollmächtigte im Revisionsverfahren auf den zwischenzeitlich ergangenen Änderungsbescheid hinweist, diesem dem Gericht zur Verfügung stellt und darlegt, dass gegen den Inhalt des Änderungsbescheides keine Einwendungen bestehen.98 Zudem ist der Revisions23.1.2003 – IV R 71/00, BStBl. II 2004, 43 Rz. 12; Ratschow in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 127 FGO Rz. 3. 92 BFH v. 10.10.2012 – VIII R 44/10, BFH/NV 2013, 359 Rz. 9; BFH v. 23.1.2003 – IV R 71/00, BStBl. II 2004, 43 Rz. 12. 93 Der BFH kann bspw. auch die Sache an das FG gemäß § 126 Abs. 2 Nr. 2 FGO zurückverweisen, weil seiner Auffassung nach eine entscheidungserhebliche Tatsache noch nicht durch das FG aufgeklärt worden ist. Aufhebungsgrund ist in diesem Fall jedoch nicht der zwischenzeitlich erlassene Änderungsbescheid, sondern die fehlerhafte Entscheidung des FG in der Sache selbst. In diesem Fall sind die Ausführungen hinsichtlich der Zurückverweisung bindend, § 126 Abs. 5 FGO. Vgl. Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/ FGO. § 127 FGO Rz. 16. 94 Exemplarisch Fälle, in denen der BFH nach §  127 FGO zurückverwiesen hat: BFH v. 25.2.2004 – I R 1/03, juris. 95 § 127 FGO ist lex specialis zu § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO. Vgl. Ratschow in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 127 FGO Rz. 2. Sofern der BFH in dem Beschluss nach § 127 FGO im Einzelfall zusätzliche Rechtsausführungen zur Sache seiner Entscheidung beifügen sollte, sind diese ohne Bindungswirkung für das FG. Vgl. Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/ FGO. § 127 FGO Rz. 13; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 127 FGO Rz. 5. 96 Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 127 Rz. 12. 97 BFH v. 29.6.2010 – XI E 1/10, BFH/NV 2010, 2087 Rz. 9; Ratschow in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 127 FGO Rz. 1. 98 Dabei wird an dieser Stelle vorausgesetzt, dass die Revision bereits begründet worden ist und der Änderungsbescheid erst zu einem späteren Zeitpunkt ergangen ist.

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antrag an die neue Bescheidsituation anzupassen. Der BFH hat in der Vergangenheit entschieden, dass jedenfalls in den Fällen, in denen der BFH in der Sache selbst entscheidet, keine Anpassung des Revisionsantrags erforderlich ist.99 Das Gerichts selbst habe den ursprünglichen Revisionsantrag an die veränderte Prozesslage anzupassen.100 Hierauf sollte sich der Prozessbevollmächtigte jedoch nicht verlassen, sondern eigenständig auf die geänderte Prozesssituation reagieren.101 Enthält der Änderungsbescheid eine zusätzliche für rechtswidrig erachtete Beschwer, ist die Sache nicht spruchreif. Auch in diesem Fall ist der BFH über den zwischenzeitlich ergangenen Änderungsbescheid zu informieren. Der Bescheid sollte dem Gericht zur Verfügung gestellt werden. Um eine Zurückverweisung nach § 127 FGO zu erreichen, sollte der Prozessbevollmächtigte die Gründe für die fehlende Spruchreife darlegen und den bisherigen Revisionsantrag umstellen. Es ist in dieser Situa­ tion weder erforderlich, den in Streit stehenden Sachverhalt detailliert darzustellen noch hat der Prozessbevollmächtigte im Einzelnen darzulegen, warum er den Änderungsbescheid als rechtswidrig qualifiziert. Vielmehr reicht es mit Rücksicht auf den Änderungsbescheid aus, darzulegen, dass Sachaufklärungsbedarf besteht. Bleibt der Prozessbevollmächtigte (womöglich aus Unsicherheit) zunächst untätig und ist der befasste Senat aber über den Änderungsbescheid informiert, wird in der Praxis regelmäßig der Vorsitzende Richter des Senats darauf hinwirken, dass sachdienliche an die geänderte Verfahrenssituation angepasste Anträge gestellt werden, §§ 121 Satz 1 FGO i.V.m. 76 Abs.  2 FGO. Hierauf sollte sich der Prozessbevollmächtigte jedoch keinesfalls verlassen. Im Fall der Untätigkeit des Prozessbevollmächtigten besteht die Gefahr, dass über den neuen Verfahrensgegenstand im Revisionsverfahren mit unumkehrbaren Rechtsnachteilen entschieden wird. Übersieht der BFH bei seiner Entscheidung über die Revision trotz des an die geänderte Verfahrenssituation durch den Prozessbevollmächtigten angepassten Revisionsantrags die Auswechselung des Verfahrensgegenstandes, lässt die Rechtsprechung es zur Vermeidung einer das verfassungsrechtliche Rechtschutzgebot (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzenden Rechtschutzlücke zu, dass die Beteiligten in analoger Anwendung des § 109 FGO binnen zwei Wochen nach Zustellung der gerichtlichen Entscheidung des BFH eine Ergänzung beantragen können.102 Dies ist vom BFH für den Fall bejaht worden, dass der im Revisionsverfahren ergangene Änderungsbescheid bereits zu einer Minderung der festgesetzten Steuer geführt hatte,103 so dass die Ergänzung des 99 BFH v. 20.10.2010 – VIII R 34/08, BFH/NV 2011, 313; BFH v. 23.1.2003 – IV R 71/00, BStBl. II 2004, 43 Rz. 14. Zustimmend: Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 120 FGO Rz. 101 für den Fall, dass der Streitgegenstand derselbe bleibe. 100 BFH v. 20.10.2010 – VIII R 34/08, BFH/NV 2011, 313; BFH v. 23.1.2003 – IV R 71/00, BStBl. II 2004, 43 Rz. 14. 101 Kritisch gegenüber der Rechtsprechung: Ratschow in Gräber, 9.  Aufl. 2019, §  127 FGO Rz. 1. 102 Vgl. BFH v. 12.1.2011 – II R 37/09, BFH/NV 2011, 629 Rz. 4; FG Berlin-Brandenburg v. 29.4.2014 – 4 K 4222/10, EFG 2014, 1419 Rz. 40; vgl. Brandt in Gosch, AO/FGO, § 109 FGO Rz. 7. 103 BFH v. 12.1.2011 – II R 37/09, BFH/NV 2011, 629 Rz. 4.

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Urteils lediglich zu einer datumsmäßigen Anpassung der Entscheidung des BFH geführt haben dürfte. Nichts anderes sollte jedoch dann gelten, wenn der Änderungsbescheid eine zusätzliche Beschwer beinhaltet. In diesem Fall dürfte die „Ergänzung“ des Urteils nach §  109 FGO ausnahmsweise zu einer Aufhebung des Urteils mit Rückverweisung an das FG führen, so dass der gerichtliche Fehler im Interesse effektiven Rechtschutzes im Ergebnis geheilt werden dürfte.

XII. Änderungsbescheid im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Ergeht während des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens ein Änderungsbescheid, wird dieser Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Sowohl § 68 FGO als auch § 127 FGO sind im Beschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden.104 Erlässt die Finanzbehörde während des Beschwerdeverfahrens über eine zulässige105 aber unbegründete Nichtzulassungsbeschwerde einen Änderungsbescheid zulasten des Klägers, ist das Urteil des FG entsprechend § 127 FGO aufzuheben und die Sache an das Finanzgericht zurückzuverweisen.106 Die Vorentscheidung ist aber dann nicht nach § 127 FGO aufzuheben, wenn der neue Bescheid keine verbösernde Entscheidung enthält oder der Inhalt des neuen Bescheids nicht streitig ist.107 Ist die Beschwerde in einem solchen Fall begründet, dürfte der Beschwerde „regulär“ stattgegeben und die Revision zugelassen werden, ohne dass das Urteil der Vorinstanz aufgehoben wird.108 Mit Rücksicht auf Art. 19 Abs. 4 GG dürfte es jedoch nicht möglich sein, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, denn andernfalls würde der BFH sehenden Auges ein Urteil formell bestandskräftig werden lassen, dass sich auf einen nicht mehr existenten Bescheid bezieht. Mit Rücksicht auf die statistischen Erfolgsaussichten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens109 kann die Bekanntgabe eines belastenden Änderungsbescheides während des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens für den Steuerpflichtigen einem „Glücksfall“ darstellen, da er die Aufhebung des Urteils und Rückverweisung an das FG „sichert“. Generell gilt für das Beschwerdeverfahren, dass der Prozessbevollmächtigte wieder von sich aus proaktiv tätig werden sollte: Er sollte seinen Antrag im Beschwerdeverfahren an die geänderte Prozesssituation anpassen, den Änderungsbescheid dem Ge104 BFH v. 29.9.2017 – I B 61/16, BFH/NV 2018, 210 Rz. 9; BFH v. 21.5.2015 – IX B 132/14, BFH/NV 1688 Rz. 2; Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 127 Rz. 9. 105 § 68 FGO kommt nur dann zur Anwendung, wenn das Beschwerdeverfahren zulässig ist. 106 BFH v. 21.5.2015 – IX B 132/14, BFH/NV 2015, 1688 Rz. 2; Bergkemper in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 127 FGO Rz. 9. 107 BFH v. 25.11.2014 – X B 98/14, BFH/NV 2015, 504; BFH v. 30.7.2014 – IX B 151/13, BFH/ NV 2014,1580; Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 127 FGO Rz. 9. 108 Wohl in diesem Sinne: BFH v. 7.5.2020 – V R 1/18, DStR 2020, 1672 Rz. 19. 109 Im Jahr 2019 lag die Erfolgsquote der Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren bei 17 %. Vgl. Jahresbericht 2019 des BFH, abrufbar unter: https://www.bundesfinanzhof.de/fileadmin/ media/pdf/jahresberichte/Jahresbericht_2019.pdf.

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richt zur Verfügung stellen und kurz darlegen, dass der Änderungsbescheid bspw. eine streitige zusätzliche Belastung für den Steuerpflichtigen beinhaltet. Reagiert der Prozessbevollmächtigte nicht auf die geänderte Verfahrenssituation, wird die unbegründete Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschluss abgelehnt, so dass das Urteil mit der Ablehnung der Beschwerde formell rechtskräftig wird. Anders ist die Situation hingegen dann zu beurteilen, wenn der Prozessbevollmächtigte seinen Antrag im Hinblick auf § 68 FGO angepasst hat, der BFH aber gleichwohl den Änderungsbescheid im Rahmen seiner Beschlussfassung nicht berücksichtigt. Auch in diesem Fall sollte der Steuerpflichtige die Ergänzung des Urteils in entsprechender Anwendung des § 109 FGO anstreben (dazu oben unter XI.2.).

XIII. Fazit Erlässt der Beklagte während des finanzgerichtlichen Klageverfahrens einen Änderungsbescheid, wird der neue Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens, § 68 Satz 1 FGO. Der Einspruch gegen den Änderungsbescheid ist insoweit ausgeschlossen, § 68 Satz 2 FGO. Der Austausch des Verfahrensgegenstands zwingt den Kläger zum Handeln, um zu vermeiden, dass sich der Änderungsbescheid zu einer Rechtschutzfalle entwickelt. Reagiert der Kläger nicht oder nicht angemessen auf den Änderungsbescheid, kann dies für den Rechtschutzsuchenden mit unumkehrbaren Nachteilen verbunden sein. Zentral ist daher, dass der Prozessbevollmächtigte über den Erlass des Änderungsbescheides informiert wird. Ist dies der Fall und reagiert der Prozessbevollmächtigte wie hier unter VII. beschrieben in angemessener Weise auf den Änderungsbescheid, übersieht jedoch das FG den Änderungsbescheid, wird der Steuerpflichtige regelmäßig den „Umweg“ über den BFH nehmen müssen, damit das FG auch über den neuen Verfahrensgegenstand entscheiden kann. Wird der angegriffene Bescheid während des Revisionsverfahrens oder des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens zulasten des Steuerpflichtigen geändert, wird der Prozessbevollmächtigte i.d.R. die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz erreichen können, so dass im zweiten Rechtsgang über den streitigen Änderungsbescheid entschieden werden kann.

Dr. Christina Hildebrand Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Fachanwältin für Steuerrecht Assoziierte Partnerin 65

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Durchführung der Tax Compliance durch den Einsatz von Blockchain Technologie in ausgewählten Anwendungsbereichen Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Grundlagen der Blockchain Technologie 1. Konzept und Funktionsweise 2. Öffentliche und private Blockchain 3. Smart Contracts III. Digitale Transformation steuerlicher ­Prozesse zur Durchführung der Tax Compliance

1. Bedeutung von Tax Compliance 2. Blockchain-basierte Systeme und Tax Compliance 3. Anwendungsbereiche a) Umsatzsteuer b) Verrechnungspreise 4. Herausforderungen bei der Umsetzung IV. Zusammenfassung und Ausblick

I. Einleitung In den vergangenen Jahren hat die digitale Währung Bitcoin in unterschiedlichen Kontexten große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregt. Die Besonderheit an dieser digitalen Währung ist, dass Transaktionen sowie die Verwaltung der Währung durch ein verteiltes Netzwerk und ohne den Einfluss einer zentralen Institution sicher durchgeführt werden können.1 Aus diesem Grund wird die zugrundeliegende Blockchain Technologie häufig als der eigentliche innovative Durchbruch hinter Bitcoin gesehen. Experten zufolge hat die Blockchain Technologie das Potenzial, weit über das Gebiet der digitalen Währung hinaus, etliche Bereiche der Gesellschaft zu verändern. Die Bedeutung der Blockchain Technologie wird auch daran sichtbar, dass von unterschiedlichen Marktteilnehmern seit geraumer Zeit eruiert wird, ihre Geschäftsprozesse mittels Blockchain umzustellen. Gerade im Rahmen der informationstechnologischen Unterstützung staatlicher Aufgaben und Prozesse zeigt sich nach wie vor großer Aufholbedarf. Die Bundesregierung hat daher eine Blockchain Strategie im vergangenen Jahr veröffentlicht, in der sie die Chancen der Technologie nutzen und ihre Potenziale für die digitale Transformation mobilisieren will.2 Ein klarer Trend zur Digitalisierung und der damit einhergehenden Forderung nach einem verstärkten Einsatz von Technologien ist auch im Steuerbereich zu beobach1 Nakamoto, 2008, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, abrufbar unter: https:// bitcoin.org/bitcoin.pdf, zuletzt abgerufen am 1.8.2020. 2 BMWi/BMF, 2019, Blockchain-Strategie der Bundesregierung, abrufbar unter: https://www. bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Digitale-Welt/blockchain-strategie.pdf?__blob=pu​ blicationFile&v=8, zuletzt abgerufen am 6.8.2020.

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ten. Entwicklungen wie Tax Compliance Management-Systeme oder die durch die GoBD3 manifestierten Vorgaben befeuern das Thema Digitalisierung im steuerlichen Kontext.4 Blockchain-Ansätze werden hier für eine technologiegetriebene Verbesserung der Steuerprozesse analysiert. In ihren Rahmenempfehlungen zur Tax Compliance hat die OECD die Blockchain Technologie als eine Schlüsseltechnologie identifiziert, die zukünftig unter anderem einen Beitrag zur zutreffenden Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen leisten kann, sodass die Möglichkeiten einer Steuervermeidung deutlich reduziert werden. Darüber hinaus lassen sich auch die administrativen Kosten für die Erfüllung steuerlicher Pflichten senken.5 Der Steuerbereich bietet als Anwendungsfeld erhebliche Potenziale, da er sich durch die Verarbeitung von großen Datenmengen kennzeichnet und viele der dort anfallenden Aufgaben auf hoch repetitiven Routinetätigkeiten basieren.6 Diese Merkmale prädestinieren die Steuerfunktion für eine zunehmende Digitalisierung und Automatisierung. Der Blockchain Technologie wird in diesem Zusammenhang die Fähigkeit eines disruptiven „GameChangers“ zugeschrieben.7 Für die Steuerfunktion sind viele der Eigenschaften der Blockchain Technologie interessant, die einen Beitrag dazu leisten können, Problematiken der Steuervermeidung und Steuerhinterziehung insbesondere auch im internationalen Kontext einzudämmen und die Tax Compliance zu erhöhen. Im nachfolgenden Beitrag soll der vielversprechende Technologietrend zunächst in seinen Grundzügen erläutert werden. Darauf aufbauend werden die Anforderungen einer effektiven Tax Compliance mit den Eigenschaften der Blockchain Technologie verknüpft und anhand der Anwendungsbereiche Umsatzsteuer und Verrechnungspreise in der möglichen Umsetzung dargestellt. Anschließend werden die derzeit bestehenden Herausforderungen bei der Implementierung der Blockchain Technologie gesondert betrachtet. In einem abschließenden Ausblick werden die weiteren zukünftigen Einwirkungsmöglichkeiten der Technologie skizziert.

II. Grundlagen der Blockchain Technologie 1. Konzept und Funktionsweise Die Blockchain wird als eine Technologie der Buchführung in Form eines dezentralen Datenspeichers (sog. „Distributed Ledger“ oder „Ledger“) verstanden, in dem die

3 Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff, BMF, Schr. v. 28.11.2019 − IV A 4 – S 0316/19/10003:001, BStBl. I 2019, 1269. 4 Groß, RET 2019, 50. 5 OECD, 2018, Tax and digitalisation, abrufbar unter: https://www.oecd.org/tax/beps/taxand-digitalisation-policy-note.pdf, zuletzt abgerufen am 6.8.2020. 6 Fettke, DB 2018, 19. 7 Deloitte, 2016, Blockchain Technology: A game-changer in accounting?, abrufbar unter: https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/de/Documents/Innovation/Blockchain_​ A%20game-changer%20in%20accounting.pdf, zuletzt abgerufen am 6.8.2020.

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Informationen in kryptografisch verketteten Blöcken organisiert sind.8 Die Funk­ tions- und Praxisfähigkeit eines solchen Systems setzt voraus, dass drei Grundvo­ raussetzungen erfüllt sind: Korrektheit, Einigkeit und Anwendbarkeit.9 Korrektheit meint die Gültigkeit von Transaktionen, die in das System aufgenommen werden. Dafür ist ein Mechanismus notwendig, der sicherstellt, dass sich Transaktionen nicht auf frei erfundene Vermögenswerte beziehen. Einigkeit wird erreicht, wenn alle Netzknoten über die gleichen Informationen verfügen und keine unterschiedlichen bzw. widersprüchlichen Informationsstände existieren. Die Aufnahme von Transaktionen in den Ledger erfolgt über einen Konsensmechanismus. Konsens meint in diesem Zusammenhang die Einigung auf einen gemeinsamen Ledger durch mehrere Parteien, die sich nicht zwangsläufig vertrauen müssen.10 Die Informationen, auf die sich die Netzknoten geeinigt haben, dürfen nachträglich nicht mehr geändert werden können. Denn die Unveränderlichkeit des Ledgers ist ein weiterer Bestandteil für die Manipulationssicherheit der Blockchain Technologie. Als dritte Grundvoraussetzung umfasst die Anwendbarkeit den zeitlichen Rahmen, in dem der Einigungsprozess liegen muss. Dieser hat grundsätzlich den fachlichen Anwendungsanforderungen an das Blockchain-System zu entsprechen.11 Der für die Aufnahme notwendige Einigungsprozess wird aus diesem Grund nicht für jede einzelne Transaktion durchgeführt. Die Knoten sammeln anstatt dessen die eingehenden Transaktionen über einen bestimmten Zeitraum in einem temporären Speicher (z.B. bei Bitcoin über etwa 10 Minuten)12 und bringen sie als Gruppe in den Einigungsprozess ein. Anschließend werden sie in einem Konsensprozess von sog. „Minern“ zu einem Block geschnürt und an den Ledger angefügt. Die Blöcke sind vor Manipulationen abgesichert, indem in jeden Block ein kryptografisches Abbild (sog. „Hashwert“ oder „Digitaler Fingerabdruck“) des vorhergehenden Blocks eingebaut ist.13 Auf diese Weise werden die Blöcke zu einer Kette verbunden. Das kryptographische Abbild eines jeden nachfolgenden Blocks hängt dabei von allen vorhergehenden Blöcken ab.14 Innerhalb eines Blockchain-Netzwerks finden Transaktionen ohne Intermediäre direkt von Nutzer zu Nutzer statt (sog. „Peerto-Peer“-Netzwerk). Jede Transaktion wird dabei elektronisch signiert, wofür eine Identifikationsnummer sowie ein geheimer Schlüssel notwendig sind.15 Durch die 8 Walport, 2016, Distributed Ledger Technology: beyond blockchain, abrufbar unter: https:// assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/ file/492972/gs-16-1-distributed-ledger-technology.pdf, zuletzt abgerufen am 7.8.2020. 9 Schwartz/Youngs/Britto, The Ripple Protocol Consensus Algorithm, 2014, abrufbar unter: https://ripple.com/files/ripple_consensus_whitepaper.pdf, zuletzt abgerufen am 5.8.2020. 10 Swanson, Consensus-as-a-service, 2015, abrufbar unter: https://www.ofnumbers.com/​ 2015/04/06/consensus-as-a-service-a-brief-report-on-the-emergence-of-permissioneddistributed-ledger-systems/, zuletzt abgerufen am 6.8.2020. 11 Roßbach in Möslein/Omlor, FinTech-Handbuch, 1. Aufl. 2019, S. 79. 12 Cap, HMD, 2012, 84. 13 Rückeshäuser in Leimeister/Brenner (Hrsg.), Towards Thought Leadership in Digital Transformation, Tagungsband 2017, S. 17. 14 De Filippi/Wright, Blockchain and the Law, 1. Aufl. 2018, S. 11 ff. 15 Meisser in Weber/Thouvenin (Hrsg.), Rechtliche Herausforderungen durch webbasierte und mobile Zahlungssysteme, 1. Aufl. 2015, S. 80.

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Registrierung der Transaktion im Transaktionsregister wird diese zwischen dem ­Absender und dem Empfänger ausgelöst.16 Die Registrierung setzt den privaten Schlüssel des Absenders und den öffentlichen Schlüssel des Empfängers voraus. Nach entsprechender Validierung der Transaktion durch das Netzwerk werden die Änderungen im Transaktionsregister in die Blockchain aufgenommen und somit chronologisch an diese angehängt.17 Damit ermöglicht die Struktur von Blockchain-Systemen direkte Interaktionen zwischen den Teilnehmern im Netzwerk auf eine sichere und effiziente Weise, denen eine manipulationssichere Datenstruktur zugrunde liegt. 2. Öffentliche und private Blockchain Unterschiedliche Zielsetzungen führen dazu, dass die Blockchain als öffentliches oder privates System ausgestaltet sein kann.18 Bei einer öffentlichen Blockchain können grundsätzlich sämtliche Informationen durch jeden eingesehen und mitgeschrieben werden, so dass der Zugang zu einer öffentlichen Blockchain unbeschränkt und ohne namentliche Registrierung möglich ist.19 Kryptowährungen wie der Bit­ coin bilden das bekannteste Beispiel, das auf einer öffentlichen Blockchain basiert. Im Gegensatz dazu ist der Zugriff auf die Blockchain bei einem privaten System auf eine Gruppe Berechtigter beschränkt, so dass es sich üblicherweise um genehmigungsbasierte Systeme handelt.20 Die private Blockchain kann daher auch nur von dem im Voraus bestimmten Teilnehmerkreis aktualisiert werden.21 Anders als bei der dezentralen Konsensfindung in öffentlichen Blockchains wird die Validierung von Transaktionen an eine bestimmte Teilmenge von Knoten des Netzwerks delegiert.22 Dies führt zu einer höheren Performance hinsichtlich der Dauer der Validierung einer Transaktion sowie zu deutlich geringeren Energiekosten. Im Gegensatz zu der öffentlichen Blockchain, die gar keinen Dritteinfluss mehr kennt, sind noch einzelne Funktionen für eine zentrale Instanz vorgesehen.23

16 Graham-Siegenthaler/Furrer, The Position of Blockchain Technology and Bitcoin in Swiss Law, Jusletter 8.5.2017, Rz. 7. 17 Weber/Baumann, FinTech  – Schweizer Finanzmarktregulierung im Lichte disruptiver Technologien, Jusletter 21.9.2015, Rz. 26. 18 Gervais, Vorteile und Probleme von Blockchains, digma 2017, 128; BitFury Group, Public versus Private Blockchains, 2015, abrufbar unter: http://cryptochainuni.com/wp-content/ uploads/bitfury-public-vs-private-blockchains-part-1.pdf, zuletzt abgerufen am 4.8.2020. 19 Weber, Blockchain als rechtliche Herausforderung, Jusletter 18.5.2017, Rz. 42. 20 Fraunhofer Institut, Blockchain, 2017, abrufbar unter: https://www.aisec.fraunhofer.de/ content/dam/aisec/Dokumente/Publikationen/Studien_TechReports/deutsch/FhG-Positi​ onspapier-Blockchain.pdf, zuletzt abgerufen am 1.8.2020. 21 Bianchi/Bollinger, CapLaw 2016, 25. 22 Coyne/McMicke, JETA 2017, 101. 23 Wagner/Weber, SZW 2017, 59.

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3. Smart Contracts Die Blockchain bietet auch die Grundlage für einen gesicherten Informationsaustausch, der im Rahmen von sog. „Smart Contracts“ stattfindet.24 Hinter dem Begriff stehen vernetzte und selbst ausführende algorithmische „Wenn-Dann“25-Bedingungen, wodurch sich Leistungsansprüche zwischen den Parteien automatisch abwickeln lassen. Im zivilrechtlichen Sinne stellen Smart Contracts selbst keine eigentlichen Verträge dar, da der Vertragsschluss durch den Austausch von übereinstimmenden Willenserklärungen außerhalb des Smart Contracts stattfindet. Vielmehr dienen sie als Vollzugshilfe für die aus dem Vertrag fließenden Rechte und Verpflichtungen.26 Ein vereinbarter Vertragsinhalt wird hierbei in eine Programmiersprache übersetzt und sofern die vordefinierten Bedingungen eintreten, kommt es zu einer automatischen Ausführung der vereinbarten vertraglichen Konsequenz. In diesem Rahmen wird die Blockchain Technologie verwendet, um auslösende Ereignisse zu registrieren und die Ausführung des Smart Contracts zu verifizieren.27 Im Code von Smart Contracts kann darüber hinaus hinterlegt werden, dass nach der Validierung von Informationen und der Ausführung der Transaktion, diese an weitere interne Systeme wie den General Ledger oder an bestimmte Empfänger, wie z.B. die Steuerabteilung oder die Finanzverwaltung, weitergeleitet werden. Dabei wird die dezentrale und sichere Speicherung in der Blockchain durch Smart Contracts um eine automatisierte und vertrauenswürdige Verarbeitung von Informationen, die in Echtzeit abrufbar sind, erweitert.28

III. Digitale Transformation steuerlicher Prozesse zur Durchführung der Tax Compliance 1. Bedeutung von Tax Compliance Der Begriff Tax Compliance ist eine Spezifizierung des allgemeinen Compliance Begriffs. Die Compliance umfasst neben der allgemeinen Definition als „Handeln in Übereinstimmung mit bestimmten bestehenden Regeln“ auch die in einem Unternehmen strategisch gewollte und durchgeführte Gesetzesbefolgung, verbunden mit einem Sicherungssystem zum Schutz vor Gesetzesverstößen.29 Genauer wird aber erst durch den Begriff der Corporate Compliance der Unternehmensbezug hergestellt, da unter Compliance auch die Befolgung von Rechtsvorschriften im privaten, nicht-unternehmerischen Kontext eingeschlossen ist.30 Die Tax Compliance versteht sich aus Unternehmenssicht als wesentlicher Bestandteil zur Corporate Compliance, 24 Hess/Spielmann in Reutter/Werlen (Hrsg.), Kapitalmarkt  – Recht und Transaktionen, 1. Aufl. 2017, S. 172 f. 25 Fries, AnwBl. 2018, 86. 26 Hess/Spielmann (Fn. 24), S. 163 ff. 27 Bianchi/Bollinger, CapLaw 2016, 25 (26). 28 Quinkler/Reineke, Wpg 2019, 422. 29 Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Compliance, 2. Aufl. 2016, Kap. 1 Rz. 1. 30 Moosmayer, Compliance: Praxisleitfaden für Unternehmen, 3. Aufl. 2015, S. 1.

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die durch geeignete Prozesse systematisch und dauerhaft sicherstellen soll, dass die steuerlichen Pflichten von der Geschäftsführung und den Mitarbeitern beachtet und befolgt werden.31 Die Finanzverwaltung versteht unter dem Begriff der Tax Com­ pliance zunächst die „Einhaltung und Erfüllung steuerlichen Pflichten“.32 Das dahinter stehende strategische Interesse liegt aber in der Motivation des Steuerpflichtigen zu einer verbesserten Einhaltung der Steuergesetze. Für den einzelnen Steuerfall soll damit der Kontrollbedarf nachhaltig gesenkt, die Effizienz des Verwaltungshandelns erhöht und ein effektiverer Gesetzesvollzug ermöglicht werden.33 Zielsetzung der Tax Compliance ist aber nicht nur die Gesetzeskonformität sicherzustellen, sondern der eigentliche Wert besteht vielmehr darin, die negativen Folgen von gesetzeswidrigen Handlungen durch Maßnahmen zur Tax Compliance abzumildern oder in Gänze zu vermeiden.34 Das Bundesministerium für Finanzen hat sich in seinem Schreiben vom 23. Mai 2016 mit einer Ergänzung des Anwendungserlasses zu § 153 AO dazu geäußert, was für eine Bedeutung ein innerbetriebliches Kontrollsystem bzw. Tax Compliance ­Management-System für Unternehmen, deren Organe und ihre Mitarbeiter hat. Die Finanzverwaltung stellt damit klar, dass die Einrichtung derartiger Kontrollmaßnahmen als Indiz dafür zu werten sei, dass ein Steuerpflichtiger hinsichtlich eines Verstoßes gegen steuerliche Vorschriften nicht schuldhaft gehandelt habe.35 Auf europäischer Ebene wurden im gleichen Jahr Leitlinien zur Gestaltung eines Europäischen Kodex für Steuerpflichtige veröffentlicht.36 Ausgangspunkt ist der Aktionsplan zur verstärkten Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, in dem der Europäische Kodex für Steuerpflichtige mit aufgeführt wird. Dieser soll Teil einer spezifischen Strategie sein, deren Zielsetzung die Förderung der Einhaltung von Steuervorschriften in den Mitgliedstaaten umfasst.37 Das beiderseitige Verständnis von Steuerpflichtigen und den Steuerbehörden in Bezug auf die Wahrnehmung ihrer steuerlichen Rechte und Pflichten sollen die Risiken von Fehlern mit möglichen schwerwiegenden Folgen für Steuerpflichtige und die Folgekosten für die Steuerverwaltung mindern.

31 Geuenich/Kiesel, BB 2012, 155. 32 Nagel/Waza, DStZ 2008, 321 (323). 33 Schwedhelm AnwBl. 2009, 93. 34 Idler/Erl in Rübenstahl/Idler, Tax Compliance, 1. Aufl. 2018, S. 12. 35 BMF, Schr. v. 23.5.2016 − IV A 3 – S 0324/15/10001, IV A 4 - S 0324/14/10001, BStBl. I 2016, 490. 36 Europäische Kommission, Leitlinien zur Gestaltung eines Europäischen Kodex für Steuerpflichtige, 2016, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/files/ guidelines_for_a_model_for_a_european_taxpayers_code_de.pdf, zuletzt abgerufen am 8.8.2020. 37 Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, 2012, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CE​LEX​ %3A52012DC0722, abgerufen am 8.8.2020.

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2. Blockchain-basierte Systeme und Tax Compliance Vor dem Hintergrund eines verstärkten Compliance-Drucks und einer härteren Gangart in Betriebsprüfungen streben Unternehmen vielfach nach der Einführung eines Tax Compliance Management-Systems, um sich vor einer Strafverfolgung bei künftigen Fehlern abzusichern.38 Der Einsatz der Blockchain Technologie ermöglicht die Annäherung von Steuerpflichtigen und Finanzbehörden, indem die Digitalisierung von steuerlichen Prozessen neben mehr Möglichkeiten für ein ausgereiftes Tax Compliance Management-System auch bei der Aufdeckung steuerlichen Fehlverhaltens im Rahmen der steuerlichen Betriebsprüfung beitragen kann.39 In diesem Zusammenhang können auch Smart Contracts eine besondere Bedeutung erlangen, um steuerliche Vertragskonstellationen künftig „tax compliant“ mittels der Blockchain abzubilden.40 Zudem setzt die Entwicklung und Implementierung von zukunftssicheren Steuerprozessen voraus, dass als Projektziele neben der Sicherung, Dokumentation und Kontrolle der Steuerkonformität, auch die weitgehende Standardisierung sowie Automatisierung verfolgt werden.41 Die Grundlage bildet ein System, das die Integrität und Authentizität aller steuerlich relevanten Dokumente über die Dauer der jewei­ ligen Aufbewahrungsfrist gewährleistet. Die Datenintegrität bezeichnet den Nachweis, dass Daten vollständig und unveränderlich sind.42 Unter Authentizität wird die Echtheit der Datenherkunft sowie die zweifelsfreie Zuordnung zum Verfasser des Belegs verstanden. Durch die Blockchain werden eindeutige Identifizierungsmerkmale, ein Zeitstempel und weitere Merkmale eines steuerrelevanten Dokuments unveränderlich und transparent gespeichert, so dass neben einer revisionssicheren Archivierung auch zukünftig eine digitale Echtzeit-Betriebsprüfung denkbar wird.43 Somit könnte der Einsatz der Blockchain Technologie zukünftig auch dazu führen, dass die bislang zum Teil als „praxisfern“ eingestuften Anforderungen der GoBD von den Steuerpflichtigen systemseitig abbildbar werden. 3. Anwendungsbereiche Bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen haben Unternehmen insbesondere auch den erhöhten Anforderungen an internationale Umsatzsteuersachverhalte und an Verrechnungspreise gerecht zu werden.44 In beiden Bereichen besteht der Bedarf, Daten fälschungssicher in einen Datenbestand zu schreiben und länderübergreifend auszutauschen. Die Unabhängigkeit der nationalen Steuerbehörden lässt 38 Bleckmann/Hacker, BB 2020, 343. 39 Bachmann/Ertl/Gebhardt/Risse, RET 2020, 40. 40 Groß, RET 2019, 50. 41 Bachmann/Ertl/Gebhardt/Risse, RET 2020, 40. 42 Die Anforderungen an die Datenintegrität, also die Vollständigkeit und Unveränderbarkeit der Daten, wird seitens der Finanzverwaltung bereits durch die GoBD gefordert, BMF, Schr. v. 28.11.2019 − IV A 4 – S 0316/19/10003:001, BStBl. I 2019, 1269. 43 Loitz, DB 2016, M5. 44 Ernsting, Ubg 2020, 441 (447).

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eine harmonisierte, länderübergreifende Lösung unwahrscheinlich werden, was wiederum für eine Dezentralisierung des Datenaustausch und der Speicherung spricht.45 Anhand der nachfolgenden in der Literatur diskutierten Anwendungsbereiche im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer und den Verrechnungspreisen soll ein Überblick gegeben werden, wie der Einsatz der Blockchain Technologie zur Unterstützung der Steuerprozesse denkbar ist und zur effektiveren Durchführung der Tax Com­ pliance beitragen kann. Für die Umsatzsteuer wird ein besonderer Fokus auf die technische Ausgestaltung einer Blockchain-basierten Plattform für Unternehmen und Finanzbehörden gelegt, der aufgrund des Einsatzes einer privaten zugangsbeschränkten Blockchain auch zum Verständnis bei geschlossenen Systemen im Kontext von Verrechnungspreisen beiträgt. Im Bereich der Verrechnungspreise dienen Blockchain-Ansätze insbesondere zur Unterstützung der revisionssicheren Dokumentation und Automatisierung von Intercompany-Vereinbarungen mittels Smart Contracts in Konzernstrukturen. a) Umsatzsteuer aa) Ausgangsproblem des europäischen Umsatzsteuersystems Die zunehmende Komplexität bei der Abwicklung umsatzsteuerlicher Geschäfte birgt für Unternehmen die Gefahr, dass bei falschen bzw. fehlenden Angaben hohe Umsatzsteuernachzahlungen oder sogar (steuer-)strafrechtliche Konsequenzen drohen. Das konsequente Durchgreifen der Steuerbehörden hängt mit der Betrugsanfälligkeit des derzeitigen Mehrwertsteuersystems zusammen.46 Durch Umsatzsteuerbetrug entgehen EU-Staaten jährlich Einnahmen im schätzungsweisen zweistelligen Milliardenbereich.47 Die Schwächen des derzeitigen Systems liegen unter anderem in langen Berichtszeiträumen, der fehlenden Möglichkeit Rechnungen in Echtzeit zu prüfen und vorhandenen Datensilos bei den jeweiligen nationalen Finanzbehörden.48 Für Unternehmen besteht dabei ein erheblicher Dokumentationsaufwand, um die gesetzlichen Nachweispflichten zu erfüllen. Die Dokumentationspflichten beziehen sich sowohl auf erbrachte, als auch auf bezogene Leistungen, die beispielsweise durch Scheinrechnungen über fingierte Leistungen bzw. gefälschte Lieferscheine besonders betrugs- und fehleranfällig sind.49 Für umsatzsteuerliche Sachverhalte bietet allerdings die bisher bekannte Infrastruktur eines Tax Compliance-Systems, das unternehmensindividuell und in der Regel ohne systemgestützte Automatisierung ausgerichtet ist, keine hinreichende Basis für effiziente „Top-Down“-Kontrollen. Eine Blockchain-basierte Plattform ermöglicht hingegen den Daten- und Informations45 Fettke, HMD 2018, 1231 (1233). 46 Z.B. wurde massiver Umsatzsteuerbetrug durch die sog. Karussellgeschäfte Missing Trader Intra-Community (MTIC) begangen. 47 IfW, EU hat hohen Handelsüberschuss mit sich selbst, 2020, abrufbar unter: https://www. ifw-kiel.de/de/publikationen/medieninformationen/2020/eu-hat-hohen-handelsueber​ schuss-mit-sich-selbst-ein-grund-offenbar-umsatzsteuerbetrug-im-grossen-stil/, zuletzt abgerufen am 15.8.2020. 48 Figatowski, RET 2019, 12. 49 Fettke, HMD 2018, 1231.

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fluss zwischen allen Beteiligten einer Liefer- und Leistungskette papierlos, transparent und in Echtzeit.50 bb) Lösungsansatz über eine Blockchain-basiertes Umsatzsteuer-System Die Umsatzsteuer-Blockchain sollte aufgrund der notwendigen Zugangskontrolle und der Sensibilität steuerrelevanter Daten als privates System organisiert sein.51 Zur Teilnahme am System muss eine spezielle Berichtigung eingeholt werden, die von einer Legitimationsstelle zu vergeben ist.52 Als Legitimationsstelle treten die Finanzbehörden auf. Die Berechtigungen werden nur an Unternehmer vergeben und sind an verschiedene Merkmale wie der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer gebunden. Lediglich die Unternehmer und die autorisierten Behörden haben Zugriff auf die jeweiligen Transaktionen.53 Um eine Transaktion durchführen zu können, wird diese zunächst in einem Datenpool gesichert und durch die Miner geprüft. Nach erfolgter Bestätigung wird die Transaktion chronologisch und unveränderlich auf der Blockchain gespeichert.54 Die Miner werden durch die Finanzverwaltung repräsentiert, die die Transaktionen zu Blöcken bündeln und den teilnehmenden Unternehmern einen Hashwert zu Verfügung stellen. Als einmaliger Fingerabdruck des Unternehmers kann der Hashwert auf der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer basieren. Die Transaktionen des jeweiligen Unternehmers können mittels ihres privaten Schlüssels jederzeit eingesehen werden, eine nachträgliche Veränderung oder Löschung ist dabei ausgeschlossen.55 Die Finanzbehörden verfügen ebenso über eine Leseberichtigung der Transaktionen, so dass Informationsasymmetrien zwischen den Unternehmen und den Behörden abgebaut werden. Die Blockchain sollte dabei supranational auf EU-Ebene etabliert werden und auf einem harmonisierten Umsatzsteuersystem basieren. Prozessual wird zunächst jede Ausgangsrechnung elek­ tronisch auf der Blockchain erfasst.56 Bei kongruenten Informationen der Transak­ tionspartner zur Leistungserbringung und zum Leistungsempfang im Datenpool, werden die Daten von der Finanzverwaltung im Mining-Prozess gebündelt und irreversibel in die Blockchain eingetragen. Die Blockchain kann dabei mit Smart Contracts verknüpft werden, so dass die Durchführung der Leistung von einem Ereignis abhängt, dessen Eintritt von den im Peer-to-Peer-Netzwerk beteiligten Rechnern selbständig geprüft wird. Die Störanfälligkeit des Leistungsaustauschs in Form des Umsatzsteuerbetrugs kann somit deutlich reduziert werden.57 Sofern sich eine Umsatzsteuerschuld ergibt, kann diese mittels Smart Contracts auf Basis der Ausgangs50 Fettke/Risse, DB 2018, 1748 (1751). 51 Figatowski, RET 2019, 12 (15). 52 BaFin, Distributed Leger – Die Technologie hinter den virtuellen Währungen am Beispiel der Blockchain, 2016, abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/ BaFinJournal/2016/bj_1602.pdf?_blob=publicationFile&v=2, zuletzt abgerufen am 15.8.2020. 53 Loy, DStR 2018, 1097 (1102). 54 Schrey/Thalhofer, NJW 2017, 1431 (1432). 55 Kaulartz, CR 2016, 474 (476); Loy, DStR 2018, 1097 (1102). 56 Groß, UR 2017, 501 (502). 57 Kaulartz/Heckmann, CR 2016, 618.

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rechnung automatisch an die Finanzverwaltung abgeführt werden. Korrespondierend ist die simultane technische Zuordnung zum Vorsteuerabzugsberechtigten möglich, so dass auch nur in der Blockchain registrierte Umsatzsteuerzahlungen eine Vorsteuererstattung ermöglichen.58 Derzeit lassen sich Zahlungen durch Smart Contracts nur in Kryptowährungen auslösen. In ersten Tests wurde aber bereits gezeigt, dass in naher Zukunft funktionierende Schnittstellen mit den Zahlungsverkehrssystemen eingerichtet werden können.59 b) Verrechnungspreise aa) Ausgangsproblem der derzeitigen Verrechnungspreis-Systeme Die Bedeutung von Verrechnungspreisen für die internationale Gewinnabgrenzung nimmt vor dem Hintergrund, dass etwa zwei Drittel des Welthandels konzernintern abgewickelt werden, erheblich zu.60 Konzeptionell sind Verrechnungspreise geeignet, Unternehmensgewinne in Niedrigsteuerländer zu verlagern. Die Maßnahmen des BEPS-Aktionsplans auf OECD-Ebene stellen Unternehmen vor steigende Anforderungen an die Ausgestaltung und Dokumentation von Verrechnungspreisen. Internationale Finanzbehörden verpflichten sich in diesem Kontext zu einem automatischen Austausch des Country-by-Country-Reportings,61 um einen höheren Grad an Transparenz zu erlangen. Die Finanzbehörden verfügen damit über einen steigenden Datenbestand, der im Zusammenhang mit verbesserten Analysemethoden62 weitergehende Maßnahmen zur Risikominimierung in der Verrechnungspreisabteilung notwendig werden lässt.63 Daneben hat auch die oben erwähnte Ergänzung des AEAO zu § 153 hinsichtlich der Ausgestaltung eines Steuer-IKS Einfluss auf den Verrechnungspreisprozess.64 Die Herausforderung eines globalen Verrechnungspreis-Systems besteht in einer konsistenten Darstellung und Argumentation gegenüber den einzelnen lokalen Finanzbehörden. Ohne geeignete Nachweise über dessen Fremdüblichkeit drohen den Unternehmen einseitige Anpassungen und damit Doppelbesteuerungen.65 Das Kern58 Groß, UR 2017, (501) 502; Loy, DStR 2018, 1097 (1103). 59 Loy, DStR 2018, 1097 (1103). 60 Tönnissen/Teuteburg, HMD, 2018, 1167. 61 OECD, Country-by-Country exchange relationships, 2020, abrufbar unter: http://hbfm. link/4686, zuletzt abgerufen am 18.8.2020. 62 Die Finanzverwaltung ist z.B. in der Lage mittels der übermittelten Daten des CbC-Reportings innerhalb kürzester Zeit Kennzahlen für das zu prüfende Unternehmen zu ermitteln und im Vergleich zu Benchmark-Daten zu setzen. Mittels dieser Methodik lassen sich dann Prüfungsschwerpunkte festlegen oder sogar konkrete Problembereiche identifizieren. Insgesamt ist anzumerken, dass sich die Betriebsprüfung zukünftig immer mehr auf die Datenlage der Steuerpflichtigen ausweiten wird. Die zutreffende Vorhaltung einer gewissen Datenstruktur und Datenintegrität gewinnt somit für den Steuerpflichtigen eine essenzielle Bedeutung im zukünftigen Besteuerungsverfahren. 63 Braun/Köppe, DB 2019, 394 (395). 64 Henseler, DB 2018, 12. 65 Braun/Köppe, DB 2019, 394.

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stück der Compliance Anforderungen stellt die Verrechnungspreisdokumentation dar,66 die auch den Nachweis über die Einhaltung des Fremdvergleichsgrundsatzes erbringt. Die konsistente Erfassung verrechnungspreisrelevanter Daten ist vor dem Hintergrund unterschiedlicher Kompetenzbereiche verschiedener, rechtlich unabhängiger Unternehmen jedoch eine komplexe Aufgabe. Die Blockchain bietet in diesem Kontext technologische Unterstützung und Möglichkeiten der Automatisierung, um eine effizientere Ausgestaltung, Überwachung und Verteidigung des Verrechnungspreis-Systems zu gewährleisten. bb) Lösungsansatz über ein Blockchain-basiertes Verrechnungspreis-System Für den betrieblichen Anwendungsbereich ist eine private zugangsbeschränkte Blockchain ratsam, da in einer öffentlichen Datenbankstruktur vertrauliche Informationen im Zusammenhang mit Verrechnungspreisen für jeden einsehbar sind und erhöhte Anforderungen an interne Kontrollen gestellt werden müssen.67 Zudem werden in einem privaten System die Kosten des Validierungsprozesses durch die Delegation an nur eine bestimmte Teilmenge an Systemknoten für die Unternehmen erheblich gesenkt.68 Dabei erfordert ein nachhaltig effizientes Verrechnungspreis-System eine enge Kooperation unterschiedlicher Kompetenzbereiche von verschiedenen rechtlich unabhängigen (Konzern-)Unternehmen.69 Die Organisationseinheiten können hierfür über die konzernweit eingesetzte Blockchain miteinander verbunden werden, während der Datenschutz und die Vertraulichkeit erhalten bleiben.70 Eine Instanz zur Rollenzuteilung vorausgesetzt, lassen sich Schreib- und Leserechte an die teilnehmenden Knoten gezielt bzw. situationsabhängig vergeben.71 Die Eigenschaften der Blockchain ermöglichen in diesem Kontext die revisionssichere Archivierung von Vorgängen mit Bezug zu Verrechnungspreisen als auch den zugrundeliegenden Verträgen.72 Für Intercompany-Forderungen und -Verbindlichkeiten kann dabei lückenlos nachgewiesen werden, dass definierte Spannbreiten von Verrechnungspreisen eingehalten wurden. In Verbindung mit Smart Contracts lässt sich darüber hi­ naus die Einhaltung konzerninterner Vereinbarungen für Transaktionen überwachen und die geforderte Dokumentation von Verrechnungspreisen automatisch sicherstellen.73 Die Steuerbehörden sollten dabei als gleichberechtigter Teilnehmer in der geschlossenen Blockchain mit eingebunden sein. Die Datenintegrität wird auf diese Weise kostengünstig erhöht und zugleich das Vertrauen der Finanzbehörden in Bezug auf 66 Liebchen/Tcherveniachki in Jahrbuch Tax Compliance, 2018, S. 161. 67 Quinkler/Reineke, Wpg 2019, 422 (425). 68 Rückeshäuser (Fn. 13), S. 16. 69 Quinkler/Reineke, Wpg 2019, 422 (423). 70 Dai/Vasarhelyi, Journal of Information Systems, 2017, 6. 71 Pilkington, Blockchain technology: Principles and Applications, 2015, abrufbar unter: https:// papers.ssrn.com/sol3/-papers.cfm?abstract_id=2662660, zuletzt abgerufen am 16.8.2020. 72 Hinerasky/Kurschildgen, DB 2016, 35 (37). 73 Hinerasky/Kurschildgen, DB 2016, Kowallik, DB, 2018, 4 (10).

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die Einhaltung des Fremdvergleichsgrundsatz gesteigert, da diese über alle steuerlichen Vorgänge der Unternehmen in Echtzeit informiert werden.74 In diesem Zusammenhang lassen sich auch Smart Contracts einsetzen, um zu bestimmten Zeitpunkten die benötigten Informationen aus der Blockchain zu extrahieren und an den Betriebsprüfer elektronisch zu versenden. Der Finanzverwaltung wird somit die Durchführung einer Echtzeitprüfung ermöglicht.75 Betriebsprüfungen können dadurch effizienter ausgestaltet werden, was sich erheblich auf die Dauer der Betriebsprüfung auswirken dürfte. Zudem wird das Risiko von steuerlichen Anpassungen durch den Prüfer reduziert, so dass den Unternehmen wiederum mehr Planungssicherheit gegeben wird.76 Die revisionssichere Erfassung der Daten und deren nachvollziehbare Archivierung in der Blockchain sowie die Möglichkeit einer automatisierten steuerlichen Betriebsprüfung in Echtzeit kann auch im Kontext von Verrechnungspreisen einen Weg zur deutlichen Verbesserung der steuerlichen Compliance ebnen.77 4. Herausforderungen bei der Umsetzung Den Potentialen von Blockchain-basierten Systemen im Steuerbereich mit autorisierten Zugriffsrechten der Finanzbörden stehen derzeit noch große Herausforderungen gegenüber. Insbesondere fehlt es an einer Regulierung der Technologie, so dass hinsichtlich des Einsatzes der Blockchain große Unsicherheiten bestehen. Die rechtlichen Unklarheiten beziehen sich einerseits auf die Blockchain Technologie selbst für Zwecke der dezentralen Speicherung von Daten und andererseits auf die automatisierte Abwicklung von Prozessen mittels Smart Contracts. Deren Anerkennung als rechtlich gültige Verträge durch die Steuerbehörden im In- und Ausland bildet eine wesentliche Voraussetzung für die effiziente Implementierung solcher Systeme.78 Zur Erlangung von Rechtssicherheit in Bezug auf den Einsatz von Technologien sind digitale, automatisierbare Steuerprozesse gesetzlich zu legitimieren. Ferner bedarf es einheitlicher und anerkannter Dokumentationsvorgaben sowie der hinreichenden Synchronisierung von Rechtsfolgen in allen Rechtsgebieten.79 Darüber hinaus muss auch die Finanzverwaltung in der Lage sein, solche Datenmengen in Echtzeit zu verarbeiten und daraus die zutreffenden steuerrechtlichen Schlüsse zu ziehen. Nicht zielführend wäre in diesem Kontext, dass der Steuerpflichtige der Finanzverwaltung zwar eine große Datenmenge zur Verfügung stellt, diese allerdings nicht ausgewertet bzw. verarbeitet werden können. Auf Organisations- und Mitarbeiterebene ist zu berücksichtigen, dass die Transformation von einer standardisierten in eine technologiebasierte Steuerfunktion einer erheblichen Expertise und IT-Kompetenz bedarf. Zudem ist bei der Einführung neuer komplexer Technologien die Akzeptanz der Mitarbeiter grundsätzlich ein kriti74 Tönnissen/Teuteburg, HMD 2018, 1167 (1183). 75 Brück/Nikiforow/Wagener, DB 2018, 905. 76 Quinkler/Reineke, Wpg 2019, 422 (427). 77 Fettke/Risse, DB 2018, 1748 (1752), Quinkler/Reineke, Wpg 2019, 422 (427). 78 Tönnissen/Teuteburg, HMD 2018, 1167 (1182). 79 Wünnemann, RET 2020, 62 (63).

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scher Erfolgsfaktor.80 Der Abbau von Hemmnissen und zugleich der Aufbau der notwendigen Kompetenzen für den Betrieb einer komplexen Blockchain, sollte frühzeitig durch Schulungen für die verantwortlichen Mitarbeiter vollzogen werden. Eine zeitnahe Einbindung der Mitarbeiter in die relevanten Prozesse sowie eine freie, innovationsfreundliche Unternehmenskultur können zu einer erhöhten Akzeptanz beitragen und die Systemimplementierung positiv beeinflussen.81 Die Komplexität der technischen Einführung trifft insbesondere frühzeitige Anwender, die mit beträchtlichen finanziellen und zeitlichen Investments verbunden ist. Für eine effektive Nutzung der Blockchain muss dazu ausreichende Rechenleistung bzw. Internetbandbreite zur redundanten Speicherung und Validierung der Daten vorhanden sein.82 Die Leistungsstärke der Infrastruktur kann als „Achillesferse“83 für eine erfolgreiche digitale Transformation bezeichnet werden.

IV. Zusammenfassung und Ausblick Der Erfolg der digitalen Transformation hängt wesentlich vom Vorhandensein eines gesetzlichen Regulierungsrahmens ab sowie der Beseitigung aktueller technischer und organisatorischer Hürden. Die hier beschriebenen Lösungsansätze sind als private Blockchain ausgestaltet, so dass nur ein ausgewählter vordefinierter Kreis daran teilnimmt. Aber auch der Einsatz von öffentlichen Blockchains ist im Steuerbereich denkbar.84 Mit Hilfe von Smart Contracts können Lese- und Schreibrechte definiert werden, so dass bei unbeschränkter Teilnehmeranzahl trotzdem private Konsortien gebildet werden können. Die Anwendungsmöglichkeiten sind entsprechend vielfältig und mit unterschiedlichen Chancen bzw. Risiken verbunden. Die Blockchain eignet sich dabei grundsätzlich auch in staatenübergreifenden Prozessen von Unternehmen, um den hohen Nachweis- und Dokumentationspflichten  hinsichtlich steuerrelevanter Vorgänge nachzukommen. Erfahrungen aus der Unternehmenspraxis zeigen bereits, dass die Blockchain einer alternativen Überbrückung von länderspezifischen Insellösungen weit überlegen sein sollte und damit die beträchtlichen Kosten für die System-Entwicklung kompensiert.85 Als Schnittstelle zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung schafft die Blockchain durch die permanente Verifikation und Validierung von Daten, die unveränderlich chronologisch in der Blockkette abgelegt werden, Vertrauen in die Konsistenz der Daten. Dem Problem der steuerrechtlichen Anerkennung von Smart Contracts könnte begegnet werden, indem ein Wirtschaftsprüfer als weiterer Knoten in die Blockchain integriert wird und als vertrauensvolle dritte Instanz ein Testat im Rahmen der Jahresab80 Quinkler/Reineke, Wpg 2019, 422 (426). 81 Brück/Nikiforow/Wagener, DB 2018, 905 (912). 82 Brück/Nikiforow/Wagener, DB 2018, 905 (912). 83 Aussage von Prof. Dieter Kempf (Präsident des BDI) beim Tagungsbericht des 2. Berliner Umsatzsteuertags, Möhlenkamp, MwStR 2018, 461. 84 Denkbar ist z.B. die Verfikation der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer mittels öffentlicher Blockchain, Fettke, HMD 2018, 1231. 85 Loy, DStR 2018, 1097 (1104).

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schlussprüfung vergibt.86 Die revisionssichere Dokumentation mittels Blockchain hat dazu das Potential, die Qualität in der Abschlussprüfung zu erhöhen und Fehlerquellen zu minimieren. Somit könnten Finanzskandale künftig durch den Einsatz von Technologien deutlich reduziert werden.87 Blockchain-Lösungen bilden daher einen weiteren Schritt in Richtung Digitalisierung. Sie sind im Zusammenhang mit Technologietrends wie Cloud Computing, Machine Learning und künstlicher Intelligenz zu verstehen, um ein integriertes Gesamtkonzept zu schaffen. Zugleich stehen damit weitere Möglichkeiten zur Verfügung, mit denen sich die Steuerabteilung der Zukunft digital absichert und letztlich Tax Compliance in Echtzeit gewährleistet werden kann.88 Für die meisten Unternehmen stellen Blockchain Lösungen zwar noch eine Zukunftstechnologie dar, deren weitere Entwicklung jedoch unter anderem durch Regulierungsbestrebungen der EU-Kommission vorangetrieben wird.89 Der Gesetzgeber steht dabei vor der Herausforderung, eine Überregulierung zu vermeiden, um Innovationen im Zusammenhang mit der Blockchain Technologie auch realisieren zu können.90 Damit ist allerdings auch deutlich geworden, dass diese Technologie nicht nur ein vorübergehende Modeerscheinung darstellt. Für die Steuerabteilungen ist es umso notwendiger, ihre digitale Transformation im Gleichlauf zu beschleunigen, Steuerprozesse vollständig zu digitalisieren und zu standardisieren sowie Finanz- und Steuerdaten in revisionssicheren Datenbanken abzulegen und für Zukunftsentscheidungen zu nutzen.

Susanne Igelbrink Steuerberaterin, Master of Science

86 Tönnissen/Teuteburg, HMD 2018, (1182). 87 IT Finanzmagazin, Lünendonk-Studie: Können Finanzskandale mittels Technologie künftig vermieden werden?, 2020, abrufbar unter: https://www.it-finanzmagazin.de/luenendonkstudie-finanzskandale-technologie-vermeiden-110421/, zuletzt abgerufen am 20.8.2020, Figatowski, RET 2020, 47. 88 Groß, RET 2019, 50 (51). 89 F.A.Z., EU-Kommission will Krypto-Währungen regulieren, 2020, https://www.faz.net/ak​ tuell/finanzen/eu-kommission-will-krypto-waehrungen-regulieren-16918892.html, abgerufen am 24.8.2020. 90 Hildner, BKR 2016, 485 (495).

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Susann Karnath

Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Leistungsbeziehungen von Versicherungsunternehmen Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Zweistufiger Ansatz der Gewinn­ aufteilung bei (Versicherungs-) ­Betriebsstätten III. Ermittlung fremdüblicher Verrechnungspreise bei Versicherungsbetriebsstätten nach der BsGaV IV. Sicht der OECD 1. Aufteilung von Funktionen 2. Vergleichbarkeitsanalyse

3. Verrechnungspreisermittlung für ­typische Leistungsbeziehungen von ­Versicherungsunternehmen a) Zeichnungsprozess b) Risikomanagement und Rück­ versicherung c) Asset Management d) Produktmanagement und Produktentwicklung e) Marketing und Vertrieb V. Zusammenfassung und Fazit

I. Einleitung Die Ermittlung angemessener Verrechnungspreise für grenzüberschreitende Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen beruht auf dem Fremdvergleichsgrundsatz des § 1 AStG und des Art. 9 OECD-Musterabkommens. Der Fremdvergleichsgrundsatz gilt über den in §  1 Abs.  5 AStG umgesetzten Authorized OECD Approach, der die Verrechnungspreisgrundsätze des Art.  9 OECD-Musterabkommens auf Art.  7 OECD-Musterabkommen überträgt, auch für Geschäftsvorfälle (Dealings bzw. anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen) zwischen einem Stammhaus und seiner Betriebsstätte. Hierfür sind Betriebsstätten zunächst gemäß §  1 Abs.  5 Satz 2 AStG fiktiv einem eigenständigen und unabhängigen Unternehmen gleichzustellen. Dabei werden der Betriebsstätte nach § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG im ersten Schritt Funktionen zugeordnet, die von der Betriebsstätte ausgeübt werden; Vermögenswerte, die sie zur Ausübung der ihr zugeordneten Funktionen benötigt; Chancen und Risiken, die sie auf Grund der ausgeübten Funktionen und zugeordneten Vermögenswerte übernimmt; sowie ein angemessenes Eigenkapital (Dotationskapital). Für Versicherungsbetriebsstätten sind im Rahmen der Gewinnabgrenzung dabei die branchenspezifischen Regelungen der BsGaV,1 der Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung („VWG BsGa“)2 sowie des Betriebsstättenberichts der OECD3 zu berücksichtigen. Dies betrifft aufgrund des Zusammenspiels aufsichtsrechtlicher, bilanzieller und steuerrechtlicher Vorschriften insbesondere die Er1 §§ 23 ff. BsGaV. 2 BMF, Schr. v. 22.12.2016 − IV B 5 – S 1341/12/10001 – 03. 3 OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV.

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mittlung und Zuordnung eines angemessenen Dotationskapitals der Betriebsstätte.4 Im zweiten Schritt erfolgt dann nach § 1 Abs. 5 Satz 4 AStG die eigentliche Verrechnungspreisbestimmung für die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Mit Blick auf die Versicherungsbranche sind jedoch weder in der BsGaV noch in den VWG BsGa konkrete Regelungen enthalten, wie der Fremdvergleichsgrundsatz auf die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Versicherungsstammhaus und Versicherungsbetriebsstätte angewendet werden soll, so dass grundsätzlich die allgemeinen Verrechnungspreisregelungen gemäß § 23 i.V.m. § 16 Abs. 2 BsGaV gelten. Dagegen diskutiert die OECD in ihrem Betriebsstättenbericht zumindest im Ansatz die Besonderheiten bei der Verrechnungspreisermittlung für Transaktionen von Versicherungsunternehmen. Diese sollten nicht nur für anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte gelten, sondern – da die Betriebsstätte für Zwecke des § 1 Abs. 5 BsGaV im ersten Schritt ja bereits einem eigenständigen Unternehmen gleichgestellt wurde  – auch für Transaktionen zwischen verbundenen Versicherungsunternehmen. Nachfolgend wird zunächst der zweistufige Ansatz der Gewinnaufteilung zwischen Versicherungsstammhaus und Versicherungsbetriebsstätte nach dem AOA vorgestellt, bevor anschließend die nationalen Vorschriften sowie die Regelungen der OECD zur Ermittlung angemessener Verrechnungspreise bei Versicherungsbetriebsstätten diskutiert werden.

II. Zweistufiger Ansatz der Gewinnaufteilung bei (Versicherungs-) Betriebsstätten Der AOA5 bzw. § 1 Abs. 5 AStG beinhalten einen zweistufigen Ansatz zur Aufteilung der Gewinne eines Unternehmens zwischen dem Stammhaus und seiner Betriebsstätte. Im ersten Schritt sind auf Basis einer Funktions- und Risikoanalyse die maßgeblichen Personalfunktionen festzustellen, die der Betriebsstätte oder dem Stammhaus zuzuordnen sind; auf Grundlage der maßgeblichen Personalfunktionen die Vermögenswerte sowie Chancen und Risiken zuzuordnen; und auf Basis der Vermögenswerte, Chancen und Risiken ein Dotationskapital sowie Passivposten zuzuordnen. Im Ergebnis wird dadurch die dem AOA zugrundeliegende Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte umgesetzt. Im zweiten Schritt sind auf Basis einer Vergleichbarkeitsanalyse angemessene Verrechnungspreise für die Geschäftsvorfälle der Betriebsstätte mit verbundenen Unternehmen sowie für die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus bzw. anderen Betriebsstätten im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG zu bestimmen, die dem Fremdvergleichsgrundsatz des § 1 Abs. 1 AStG entsprechen.

4 Siehe Greinert/Karnath in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG, Rz. 3535 ff. zur Ermittlung des Dotationskapitals von Versicherungsbetriebsstätten nach der BsGaV. 5 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 90.

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Bei Versicherungsbetriebsstätten besteht dabei die Besonderheit, dass sich die im ­ersten Schritt vorzunehmende Zuordnung von Vermögenswerten, die durch den ­Abschluss eines Versicherungsvertrags entstehen, nicht nach der maßgeblichen Personalfunktion, sondern der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion („Key Entrepreneurial Risk Taking Function“) richtet.6 Die unterschiedliche Bezeichnung der für die Zuordnung von Vermögenswerten maßgeblichen Funktion soll verdeut­ lichen, dass bei Versicherungen (wie auch bei Banken) die Zuordnung von Funk­ tionen, Risiken und Kapital einheitlich zu betrachten ist, da die Übernahme eines Versicherungsrisikos durch die entsprechende Personalfunktion zugleich auch die Zuordnung der Vermögenswerte und des Kapitals bedingt, die dieses Risiko bedecken können.7 Bei Versicherungsunternehmen ist somit zunächst die unternehmerische Risikoübernahmefunktion zu identifizieren und anschließend im Hinblick auf den jeweiligen Versicherungsvertrag der Betriebsstätte oder dem Stammhaus zuzuordnen. Da der Abschluss eines Versicherungsvertrags und damit die Ausübung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion untrennbar mit dem Eingehen von Versicherungsrisiken verbunden ist, sind diese Risiken in Form versicherungstechnischer Rückstellungen ebenfalls dem Unternehmensteil zuzuordnen, das diese Funktion ausübt. Im nächsten Schritt werden die Vermögenswerte, insbesondere die Kapitalanlagen, sowie die Erträge und Aufwendungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus in Abhängigkeit des jeweils übernommenen Risikos aufgeteilt. Abschließend wird das Dotationskapital der Versicherungsbetriebsstätte ermittelt. Die unternehmerische Risikoübernahmefunktion, die über die Zuordnung der Versicherungsverträge und der damit verbundenen Chancen, Risiken und Vermögenswerte entscheidet, ist bei Versicherungsunternehmen gemäß §  24 Abs.  1 Satz 2 BsGaV die Personalfunktion des Zeichnungsprozesses.8 Der Zeichnungsprozess besteht aus der Festlegung der Zeichnungsstrategie, der Risikoklassifizierung und ­Risikoauswahl, der Preisgestaltung, der Analyse der Risikoweitergabe und der Annahme der versicherten Risiken.9 Werden einzelne Personalfunktionen des Zeichnungsprozesses in verschiedenen Teilen des Versicherungsunternehmens ausgeübt, so sind gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 BsGaV der Versicherungsvertrag und die damit verbundenen Risiken und Vermögenswerte dem Teil des Unternehmens zuzuordnen, dessen Personalfunktionen bis zum Abschluss des Versicherungsvertrags die größte Bedeutung zukommt. Gemäß dem Betriebsstättenbericht der OECD sind in diesem Fall die Risiken und Vermögenswerte dagegen zwischen den Teilen des Unterneh-

6 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 68. 7 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 73. 8 Gemäß der OECD stellt der Zeichnungsprozess in der Regel die unternehmerische Risikoübernahmefunktion dar, wobei hierfür auch andere Funktionen grundsätzlich in Frage kommen können; vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 94. 9 Vgl. § 24 Abs. 1 Satz 3 BsGaV; OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 34.

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mens, die an der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion beteiligt sind, aufzuteilen.10

III. Ermittlung fremdüblicher Verrechnungspreise bei Versicherungsbetriebsstätten nach der BsGaV Im zweiten Schritt der Gewinnaufteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte sind für die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sowie für die Transaktionen mit verbundenen Unternehmen fremdübliche Verrechnungspreise zu ermitteltn. Hierfür sind gemäß § 23 i.V.m. § 16 Abs. 2 Satz 1 BsGaV die allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätze des § 1 Abs. 1 AStG heranzuziehen. Grundlage hierfür ist eine Funktions- und Risikoanalyse, auf deren Basis eine Unternehmenscharakterisierung der an einem konzerninternen Geschäftsvorfall beteiligten Unternehmen bzw. an einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung beteiligten Unternehmensteile vorgenommen wird. Die Funktions- und Risikoanalyse sowie die Unternehmenscharakterisierung entscheiden darüber, welchem Unternehmen bzw. Unternehmensteil die Residualgewinne aus einem Geschäftsvorfall zustehen und wem lediglich Routinegewinne zuzuordnen sind. Zu den im Rahmen von Schritt 2 nach Maßgabe des Fremdvergleichsgrundsatzes zu vergütenden anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte gehören insbesondere die unterstützenden Personalfunktionen anderer Teile des Versicherungsunternehmens, die für den Unternehmensteil aus­ geübt werden, dem ein Versicherungsvertrag und die damit verbundenen Chancen, Risiken und Vermögenswerte zugeordnet werden. Zu diesen unterstützenden Per­ sonalfunktionen zählen gemäß § 24 Abs. 7 i.V.m. § 19 Abs. 5 BsGaV die Personalfunktionen, die der Sache nach zur unternehmerischen Risikoübernahmefunktion gehören können, aber in einem Teil des Versicherungsunternehmens ausgeübt werden, dem die unternehmerische Risikoübernahmefunktion nicht zugeordnet wird; Personalfunktionen, die der Verwaltung des Versicherungsvertrags nach dessen Abschluss dienen; sowie andere unterstützende Personalfunktionen.11 Nach Auffassung der Finanzverwaltung handelt es sich bei diesen Geschäftsvorfällen in der Regel um die Erbringung einer Dienstleistung, die im Regelfall unter Verwendung einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode zu vergüten ist.12 Die VWG BsGa enthalten hierzu ein Beispiel, in dem die unternehmerische Risikoübernahmefunktion zwar grundsätzlich in der Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt wird, die Festlegung der Zeichnungsstrategie, die Bestandteil des Zeichnungsprozesses ist, jedoch im Stammhaus erfolgt. Die Funktion der Festlegung der Zeichnungsstrategie  stellt damit eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung dar, die als fiktive 10 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 107 f. 11 Vgl. BMF, Schr. v. 22.12.2016 − IV B 5 – S 1341/12/10001 – 03, Rz. 313. 12 Vgl. BMF, Schr. v. 22.12.2016 − IV B 5 – S 1341/12/10001 – 03, Rz. 312.

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Dienstleistung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu vergüten ist.13 Die Annahme einer fiktiven Dienstleistung, die auf Basis der Kostenaufschlagsmethode vergütet wird, ohne detaillierte Analyse des zugrundeliegenden Funktions- und Risikoprofils der beteiligten Unternehmensteile, kann jedoch nur als Vereinfachungsregel zu verstehen sein, von der der Steuerpflichtige Gebrauch machen kann, aber nicht muss, da  gemäß §  1 Abs.  5 Satz 1 AStG die Verrechnungspreise für die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen der Betriebsstätte nach den allgemeinen Verrechnungspreisgrundsätzen zu ermitteln sind. Diese richten sich nach der Funktionsund Risikoanalyse der beteiligten Unternehmen bzw. Unternehmensteile und damit nach dem jeweiligen Sachverhalt des Einzelfalls. Die nationalen Regelungen der BsGaV und der VWG BsGa sehen damit jedoch eine klare Regelung zur Betriebsstättengewinnaufteilung sowohl im ersten als auch im zweiten Schritt der Analyse vor. So sind im ersten Schritt die Versicherungsverträge, die damit verbundenen Chancen und Risiken sowie die zur Bedeckung dieser Risiken erforderlichen Vermögenswerte (ausschließlich) dem Teil des Versicherungsunternehmens zuzuordnen, das die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ausübt bzw. dessen unternehmerischer Risikoübernahmefunktion die größte Bedeutung zukommt. Im zweiten Schritt sind alle anderen Funktionen anderer Teile des Versicherungsunternehmens, die im Zusammenhang mit diesem Versicherungsvertrag erbracht werden, in der Regel als fiktive Dienstleistung mit Hilfe der Kostenaufschlagsmethode zu vergüten. Die Residualgewinne verbleiben damit grundsätzlich auch nach dem zweiten Schritt allein bei dem Teil des Versicherungsunternehmens, das die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ausübt. Damit kommt der Identifizierung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion die zentrale Rolle bei der Aufteilung der (Residual-) Gewinne zwischen Stammhaus und Betriebsstätte zu. Ausnahmen von dieser Vereinfachungsregel der Verrechnungspreisermittlung auf Basis der Kostenaufschlagsmethode werden in der BsGaV und den VWG BsGa nicht diskutiert. Denkbar wären jedoch die Verrechnung von Lizenzen für die Nutzungsüberlassung von Marken oder anderer immaterieller Wirtschaftsgüter oder die Ausübung vergleichbarer Funktionen für unverbundene Unternehmen (z.B. Asset Management Funktionen), die gegenüber den fremden Dritten nicht auf Basis der Kostenaufschlagsmethode abgerechnet werden. Die Regelungen der BsGaV gelten zwar grundsätzlich nur für die Gewinnabgrenzung zwischen Versicherungsstammhaus und Versicherungsbetriebsstätte bzw. zwischen mehreren Versicherungsbetriebsstätten. Da die Betriebsstätte jedoch im ersten Schritt der Analyse einem selbstständigen Versicherungsunternehmen gleichgestellt wird und die Verrechnungspreisermittlung im zweiten Schritt somit auf der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte und dem allgemeinen Fremdvergleichsgrundsatz beruht, sollten die Regelungen der BsGaV auch für Transaktionen zwischen verbundenen Versicherungsunternehmen gelten. Der Verrechnungspreisermittlung ist jedoch auch hier eine detaillierte Funktions- und Risikoanalyse voranzustellen, aus der anschließend die Auswahl einer geeigneten Verrechnungspreismethode abgelei13 Vgl. BMF, Schr. v. 22.12.2016 − IV B 5 – S 1341/12/10001 – 03, Rz. 313.

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tet wird. Dieser Schritt kann auch mit Blick auf die Vereinfachungsregel der Finanzverwaltung zur regulären Anwendung der Kostenaufschlagsmethode nicht übersprungen werden.

IV. Sicht der OECD 1. Aufteilung von Funktionen Der Betriebsstättenbericht der OECD enthält mit Blick auf die zwei Schritte der Gewinnaufteilung zwischen Versicherungsstammhaus und Versicherungsbetriebsstätte weitaus komplexere und zugleich weniger eindeutige Regelungen. Zunächst ist ebenfalls im ersten Schritt zu ermitteln, welcher Teil des Versicherungsunternehmens die  unternehmerische Risikoübernahmefunktion (Key Entrepreneurial Risk Taking Function) ausübt. Übernehmen mehrere Teile des Unternehmens diese Funktion, gelten diese Unternehmensteile als gemeinsamer wirtschaftlicher Eigentümer des entsprechenden Versicherungsrisikos. Dieses Risiko sowie die damit verbundenen Vermögenswerte, Versicherungsprämien und Kapitalerträge sind deshalb zwischen den an der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion beteiligten Unternehmensteilen aufzuteilen.14 Damit beinhaltet bereits Schritt 1 im Ergebnis eine Gewinnaufteilung zwischen den einzelnen Teilen eines Versicherungsunternehmens, noch vor Anwendung der eigentlichen Verrechnungspreismethoden unter Schritt 2. Werden somit beispielsweise verschiedene Funktionen des Zeichnungsprozesses, die gemeinsam die unternehmerische Risikoübernahmefunktion im Hinblick auf einen spezifischen Versicherungsvertrag darstellen, sowohl vom Stammhaus als auch von der Betriebsstätte ausgeübt, sind der Versicherungsvertrag, die damit verbundenen versicherungstechnischen Rückstellungen sowie die Versicherungsprämien zwischen Stammhaus und Betriebsstätte auf Grundlage des jeweiligen Wertbeitrags zur unternehmerischen Risikoübernahmefunktion aufzuteilen. Im Rahmen der Aufteilung der Vermögenswerte, der Kapitalerträge und des Dotationskapitals wird diese Aufteilung des Versicherungsvertrags und des damit verbundenen Versicherungsrisikos ebenfalls berücksichtigt. Diese Zuordnung sollte dabei keine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung darstellen, da sie (lediglich) im ersten Schritt zur Umsetzung der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte und der Ermittlung und Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums an den Versicherungsverträgen und Versicherungsrisiken vorgenommen wird. Im zweiten Schritt der Betriebsstättengewinnaufteilung erfolgt dann die eigentliche Vergütung der von anderen Teilen des Unternehmens erbrachten Funktionen.15 Anders als die deutsche Finanzverwaltung geht die OECD jedoch nicht davon aus, dass diese Funktionen in der Regel Dienstleistungen darstellen, die über die Kosten­ aufschlagsmethode zu vergüten sind. Die OECD stellt vielmehr fest, dass die von 14 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 108. 15 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 181.

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a­ nderen Teilen des Versicherungsunternehmens ausgeübten Funktionen oder überlassenen Wirtschaftsgüter im Rahmen der gesamten Bandbreite möglicher Verrechnungspreise vergütet werden können, von der Vergütung als Routine-Dienstleistung bis hin zur Aufteilung der Gewinne auf Basis der Profit Split Methode.16 Dies würde bedeuten, dass grundsätzlich auch ein zweifacher Profit Split möglich wäre  – zunächst im ersten Schritt zur Zuordnung der Versicherungsverträge und der damit verbundenen versicherungstechnischen Rückstellungen, Prämien und Kapitalerträge auf Grundlage der anteiligen Ausübung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion; und anschließend im zweiten Schritt im Rahmen der Vergütung der an­ zunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte bzw. zwischen einzelnen Betriebsstätten. Durch die Aufteilung des wirtschaftlichen Eigentums an den Versicherungsverträgen, Vermögenswerten, Chancen und Risiken im ersten Schritt der Analyse wären im zweiten Schritt auch mehr anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zu unterstellen, als nach den nationalen Regelungen der BsGaV, da die unterstützenden Funktionen an alle wirtschaftlichen Eigentümer gleichzeitig und nicht nur an den einzigen wirtschaftlichen Eigentümer erbracht werden würden. Bei der Auswahl und der Anwendung der Verrechnungspreismethoden sind dabei die nachfolgenden Besonderheiten für die Versicherungsbranche zu berücksichtigen. 2. Vergleichbarkeitsanalyse Die Auswahl von Geschäftsvorfällen zwischen fremden Dritten, die der Verrechnungspreisermittlung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zugrunde gelegt werden können, beruht auf mehreren Vergleichbarkeitsfaktoren, anhand derer die Vergleichbarkeit und damit die Geeignetheit eines Fremdgeschäftsvorfalls für Verrechnungspreiszwecke geprüft werden können. Zu diesen Faktoren zählen (1.) die vertraglichen Bedingungen des Geschäftsvorfalls; (2.) die ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken; (3.) die Eigenschaften des übertragenen Wirtschaftsguts oder der erbrachten Dienstleistung; (4.) die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten und des relevanten Markts; (5.) und die von den Betei­ ligten verfolgten Geschäftsstrategien.17 Für die Anwendung der Vergleichsbarkeitsanalyse auf die Verrechnungspreisermittlung bei Betriebsstätten sind diese Vergleichbarkeitsfaktoren auf die Analyse vergleichbarer anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen zu übertragen.18 Hinsichtlich des ersten Vergleichbarkeitsfaktors, den vertraglichen Bedingungen des Geschäftsvorfalls, sollten keine Besonderheiten für Versicherungsbetriebsstätten bestehen, die im Rahmen der Verrechnungspreisanalyse zu berücksichtigen wären. Wie für Betriebsstätten anderer Branchen sind hier die Bedingungen des Geschäftsvor16 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 181. 17 Vgl. OECD, Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations, 2017, Rz. 1.36; BMF, Schr. v. 12.4.2005 − IV B 4 – S 1341 – 1/05, Rz. 3.4.12.7. 18 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 183.

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falls nicht aus (schriftlichen) Verträgen, sondern aus der Umsetzung der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte und deren Analyse ersichtlich.19 Maßgeblich sind dabei die im ersten Schritt der Betriebsstättengewinnaufteilung zugeordneten Personalfunktionen, Chancen und Risiken der Betriebsstätte, die die Bedingungen der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung vorgeben und der Vergleichbarkeitsanalyse zugrunde zu legen sind. Im Rahmen der Funktionsanalyse besteht die Besonderheit, dass das Versicherungsgeschäft aus einer Vielzahl meist stark integrierter Funktionen besteht, die zudem innerhalb eines Unternehmens häufig anders strukturiert werden, als zwischen ­unverbundenen Parteien. So werden in manchen Fällen einzelne Funktionen, z.B. ­innerhalb des Zeichnungsprozesses, zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. zwischen verbundenen Unternehmen aufgeteilt, die von unverbundenen Unternehmen ausschließlich allein und ohne Unterstützung anderer Unternehmen durch­ geführt werden. Diese integrierten Geschäftsvorfällen können nur schwer isoliert ­betrachtet werden, was die Anwendung einer geschäftsvorfallbezogenen Standardmethode – zumindest auf Transaktionsbasis – erschwert.20 Als Konsequenz sind die entsprechenden anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen entweder für Verrechnungspreiszwecke zu aggregieren, soweit dies möglich ist und hierfür Vergleichswerte vorhanden sind, oder die Verrechnungspreise sind mit Hilfe einer Gewinnmethode zu ermitteln. Hinsichtlich des dritten Vergleichbarkeitsfaktors, den Eigenschaften der erbrachten Dienstleistung, bestehen grundsätzlich keine Besonderheiten für Versicherungsunternehmen, so dass hier die allgemeinen Grundsätze der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien21 zu berücksichtigen sind.22 Der vierte Vergleichbarkeitsfaktor betrifft die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten und des relevanten Markts. Bei der Auswahl von Vergleichsunternehmen für anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen von Versicherungsunternehmen besteht dabei die Besonderheit, dass ein Vergleich von Unternehmen nicht-regulierter Branchen mit den nach jeweiligem nationalen Aufsichtsrecht regulierten Versicherungsunternehmen zum Teil nicht direkt möglich ist. Werden deshalb Vergleichsunternehmen anderer Branchen herangezogen, sollten entsprechende Anpassungen vorgenommen werden.23 Der Betriebsstättenbericht der OECD enthält jedoch kein Beispiel, wie eine solche Anpassung erfolgen könnte. Zudem ist auch fraglich, ob die 19 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 187. 20 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 186. 21 Vgl. OECD, Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations, 2017, Rz. 1.107 ff. 22 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 185. 23 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 189.

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Anpassung für jede Art von Geschäftsvorfall erforderlich ist. Insbesondere bei Rou­ tine-Dienstleistungen (z.B. allgemeine Verwaltung) sollte die aufsichtsrechtliche Regulierung keinen Einfluss auf die Vergütung der Vergleichstransaktion und damit die Verrechnungspreisermittlung haben. Dagegen können bei anderen Transaktionsarten, z.B. im Asset Management für Versicherungsunternehmen, Unterschiede bestehen, die Einfluss auf die Verrechnungspreisanalyse haben können, so dass hier Vergleichsunternehmen der gleichen Branche herangezogen werden sollten. Die Geschäftsstrategien der beteiligten Unternehmen, der fünfte Vergleichbarkeitsfaktor, beinhaltet dagegen wiederum keine versicherungsspezifischen Besonderheiten, die bei der Auswahl von Vergleichsunternehmen zu berücksichtigen wären.24 Damit besteht bei der Verrechnungspreisanalyse von Versicherungsunternehmen vor allem die Besonderheit, dass Funktionen sehr viel stärker innerhalb eines Unternehmens aufgeteilt werden, als zwischen fremden Dritten, und zugleich eine höhere Integration dieser Funktionen stattfindet, was die Auswahl von Vergleichstransaktionen und eine transaktionsbezogene Verrechnungspreisermittlung auf Basis der Standardmethoden erschwert. Für Verrechnungspreiszwecke sind diese Funktionen deshalb stärker zu aggregieren oder es sind Gewinnmethoden, insbesondere die Profit Split Methode, anzuwenden. Zudem ist zu prüfen, ob und für welche Arten anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen die aufsichtsrechtliche Regulierung des untersuchten Versicherungsunternehmens Einfluss auf die Preisgestaltung hat und wie dieser Einfluss für Verrechnungspreiszwecke zu berücksichtigen ist. 3. Verrechnungspreisermittlung für typische Leistungsbeziehungen von Versicherungsunternehmen Unter dem AOA (wie auch nach § 1 Abs. 5 AStG) sind alle Arten der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte wie zwischen selbstständigen Unternehmen zu vergüten. Dies betrifft bei Versicherungsunternehmen insbesondere die Erbringung von Dienstleistungen sowie die Nutzungsüberlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern. Der Betriebsstättenbericht der OECD beschreibt in diesem Zusammenhang die folgenden versicherungsspezifischen Funktionen und Leistungen: a) Zeichnungsprozess Der Zeichnungsprozess ist in der Regel die Funktion, die das wirtschaftliche Eigentum an einer Versicherungspolice und den damit verbundenen Prämien und Kapitaleinkünften vermittelt.25 Werden einzelne Unterfunktionen des Zeichnungsprozesses von anderen Teilen des Versicherungsunternehmens ausgeübt, so kann dies zu 24 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 190. 25 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 193.

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einer Aufteilung des wirtschaftlichen Eigentums im ersten Schritt der Verrechnungspreisanalyse führen. Eine zusätzliche Verrechnung im Rahmen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung sollte in diesem Fall ausgeschlossen sein. In Abhängigkeit des konkreten Geschäftsmodells und der Funktions- und Risikoanalyse kann der Zeichnungsprozess jedoch auch lediglich eine unterstützende Personalfunktion darstellen, während eine andere Funktion (z.B. die Produktentwicklung, die Vertriebs- und Marketingfunktion oder das Risikomanagement) als unternehmerische Risikoübernahmefunktion identifiziert wird.26 Die Ausübung von Funktionen des Zeichnungsprozesses durch einen anderen Teil des Unternehmens wäre in diesem Fall lediglich eine Dienstleistung, die jedenfalls nicht wirtschaftliches Eigentum an den abgeschlossenen Versicherungsverträgen vermittelt. Gleiches gilt auch, wenn der Zeichnungsprozess zwar von mehreren Teilen des Unternehmens ausgeübt und dieser auch als unternehmerische Risikoübernahmefunktion identifiziert wird, die Versicherungsverträge und die damit zusammenhängenden Vermögenswerte, Chancen und Risiken dennoch aber nur einem Teil des Versicherungsunternehmens zugeordnet werden würden (wie auch in der BsGaV und der VWG BsGa vorgesehen, siehe Abschnitt III). Werden Funktionen des Zeichnungsprozesses von anderen Teilen des Versicherungsunternehmens ausgeübt, ohne dass dies Einfluss auf die Zuordnung des Versicherungsvertrags hätte, ist mit Hilfe einer Funktions- und Risikoanalyse bzw. einer Wertschöpfungsanalyse zu ermitteln, wie diese Funktion zu qualifizieren und zu v­ ergüten ist. Grundsätzlich sollten dabei alle Verrechnungspreismethoden für die Ermittlung eines angemessenen Verrechnungspreises zur Verfügung stehen. Die Anwendung der Profit Split Methode würde allerdings erfordern, dass der transaktionsbezogene Gewinn aus der Ausübung (eines Teils) des Zeichnungsprozesses ermittelt werden kann. Es müsste folglich der Gewinn des leistungsempfangenden Teils des Versicherungsunternehmens identifiziert werden, der mit Hilfe der von einem anderen Teil des Unternehmens erbrachten Funktionen innerhalb des Zeichnungsprozesses erwirtschaftet wurde. Dies wäre jedoch in der Praxis kaum umsetzbar, da zwar die betroffenen Versicherungsverträge und damit die relevanten versicherungstechnischen Rückstellungen ermittelt werden könnten. Die Kapitalanlagen und die daraus resultierenden Kapitalerträge sind in der Regel jedoch nicht einzelnen Versicherungsverträgen zuordenbar, so dass der transaktionsbezogene Gewinn nicht direkt ermittelt werden kann. Zudem würde dadurch das Ergebnis des ersten Schritts der Analyse zum Teil ausgehebelt werden, in dem bereits ebenfalls Funktionen innerhalb des Zeichnungsprozesses vergütet werden. Auch sind in der Praxis kaum Fälle denkbar, in denen der Zeichnungsprozess zwar nicht als unternehmerische Risikoübernahmefunktion gewertet wird, dieser aber dennoch so bedeutend ist, dass die Ausübung dieser Funktion zu einer Beteiligung an den Residualgewinnen berechtigt. Wird auf Basis der Funktions- und Risikoanalyse der Zeichnungsprozess somit nicht als unternehmerische Risikoübernahmefunktion gewertet, der damit auch nicht zu einer auch nur partiellen 26 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 94.

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Zuordnung der Versicherungsverträge und der damit zusammenhängenden Vermögenswerte, Chancen und Risiken führt, so sollte im zweiten Schritt die Verrechnungspreisanalyse auch zu keinem anderen Ergebnis kommen. Die Ausübung dieser Funktion im Rahmen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung durch einen anderen Teil des Unternehmens sollte damit nicht auf Basis der Profit Split Methode, sondern als Dienstleistung, z.B. auf Grundlage der Kostenaufschlagsmethode vergütet werden. b) Risikomanagement und Rückversicherung Die Entscheidung darüber, ob ein Risiko extern rückversichert wird oder ob das Risiko im Unternehmen verbleibt, führt nicht zu einer internen Rückversicherung zwischen den einzelnen Teilen eines Versicherungsunternehmens, auch wenn diese Entscheidung von Personen außerhalb des „rückversichernden“ Unternehmensteils getroffen wird.27 Dies entspricht der Regelung des § 28 BsGaV, wonach eine Rückversicherung als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht möglich ist. Die Risikomanagement-Funktion im Hinblick auf die Frage der Rückversicherung von Versicherungsrisiken stellt in der Regel vielmehr eine Dienstleistung dar, die mit Hilfe der Kostenaufschlagsmethode vergütet werden kann.28 In einzelnen Fällen kann es nach Auffassung der OECD jedoch auch angemessen sein, diese Funktion auf Basis der Gewinne aus dem Rückversicherungsvertrag zu vergüten.29 Das Asset-Liability-Management als Bestandteil des Risikomanagement eines Versicherungsunternehmens kann eine wesentliche Rolle in der Ermittlung der Profitabilität des gesamten Versicherungsunternehmens spielen.30 Diese Funktion wird häufig zentral von einem Unternehmen einer Versicherungsgruppe für die verbundenen Unternehmen bzw. vom Stammhaus des Versicherungsunternehmens für die Versicherungsbetriebsstätte ausgeübt. Dabei kann es angemessen sein, die fremdvergleichskonforme Vergütung dieser Funktion mit Hilfe einer Gewinnmethode zu ermitteln. Dies ist insbesondere in den Fällen denkbar, in denen unverbundene Unternehmen für vergleichbare Funktionen eine gewinnbasierte Vergütung (z.B. Anteil des Brutto- oder Nettogewinns) erhalten oder wenn die von unterschiedlichen Teilen des Unternehmens ausgeübten Funktionen so integriert sind, dass eine isolierte Betrachtung nicht möglich ist.31 Dies sollte auf Basis einer detaillierten Vergleichbarkeitsanalyse untersucht werden. 27 Vgl. OECD, Report Teil IV, Rz. 185. 28 Vgl. OECD, Report Teil IV, Rz. 185. 29 Vgl. OECD, Report Teil IV, Rz. 179. 30 Vgl. OECD, Report Teil IV, Rz. 196. 31 Vgl. OECD, Report Teil IV, Rz. 196.

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c) Asset Management Auch die Funktion des Asset Managements wird in Versicherungskonzernen häufig in einem Teil des Versicherungsunternehmens zentralisiert und von diesem zentral für die anderen Teile des Unternehmens ausgeübt. Dabei ist zu beachten, dass die Kapitalanlagen des Versicherungsunternehmens bereits in Schritt 1 der Verrechnungspreisanalyse entsprechend dem jeweiligen anteiligen Versicherungsrisiko zwischen den einzelnen Teilen des Versicherungsunternehmens aufgeteilt werden. Die mit den Kapitalanlagen verbundenen Risiken (Kapitalanlagerisiko, Asset-LiabilityMismatch-Risiko, Renditerisiko) sind deshalb ebenfalls anteilig der Versicherungsbetriebsstätte zuzuordnen und nicht der Personalfunktion des Asset Managements zuzuweisen. Diese Funktion ist lediglich als Dienstleistung auf Basis einer angemessenen Verrechnungspreismethode zu vergüten. Dabei kann häufig auf Vergleichswerte mit oder zwischen fremden Dritten zurückgegriffen werden, die vergleichbare Asset Management Leistungen erbringen (z.B. Fonds Manager),32 unter Berück­ sichtigung versicherungsspezifischer Besonderheiten33 durch Verwendung von Vergleichswerten aus der gleichen Branche. d) Produktmanagement und Produktentwicklung Hinsichtlich der Funktion des Produktmanagements und der Produktentwicklung ist zunächst zu untersuchen, welche Bedeutung die Funktion für das untersuchte Unternehmen hat und welche Art von Geschäftsvorfall vorliegt. Hierzu zählt unter ­anderem die Frage, ob es sich bei dem entwickelten Versicherungsprodukt um ein Standardprodukt handelt, das von allen Teilen des Versicherungsunternehmens vermarktet wird (und auch von fremden Dritten vermarktet werden kann), oder ob ein speziell für einen bestimmten Teil des Versicherungsunternehmens entwickeltes Produkt vorliegt. Dabei ist auch zu klären, ob die Produktmanagement- und Produktentwicklungsfunktion als Dienstleistung qualifiziert wird oder zur Schaffung eines Intangibles führt und wie der Verrechnungspreis in diesen Fällen ermittelt werden kann.34 Je nach Bedeutung dieser Funktion handelt es sich somit um eine Dienstleistung, die auf Basis der Kostenaufschlagsmethode vergütet werden kann, oder um die Zurverfügungstellung eines Intangibles, das eher eine gewinnbasierte Verrechnungspreisermittlung erfordert. e) Marketing und Vertrieb Die Vertriebsfunktion fällt häufig mit dem Zeichnungsprozess zusammen, der als unternehmerische Risikoübernahmefunktion über die Zuordnung des Versiche32 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 198. 33 So verfolgen Versicherungen in der Regel langfristige Investitionsstrategien unter Einhaltung aufsichtsrechtlicher Anforderungen, anstelle kurzfristiger Gewinnstrategien über kontinuierlich aktives Management von Assets. 34 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 202.

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rungsvertrags und der damit zusammenhängenden Vermögenswerte, Chancen und Risiken entscheidet. Insbesondere durch die fortschreitenden Entwicklungen im Bereich des digitalen Marketings und Vertriebs können diese Funktionen jedoch auch von anderen Teilen des Versicherungsunternehmens ausgeübt werden, die nicht im Zeichnungsprozess involviert sind, ohne dass sich dadurch Änderungen im Hinblick auf die Zuordnung des Versicherungsvertrags ergeben. Hinsichtlich der Verrechnungspreisgestaltung bleibt der OECD-Betriebsstättenbericht bei dieser Funktion sehr vage und stellt lediglich fest, dass eine detaillierte Funktions- und Risikoanalyse erforderlich ist, um die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung genau abzugrenzen und eine geeignete Verrechnungspreismethode zu ermitteln.35 Im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung digitaler Geschäftsmodelle in der Versicherungsbranche, mit entsprechenden Herausforderungen an Marketing und Vertrieb, kann diese Funktion tatsächlich sowohl als reine Routine-Dienstleistung als auch als wesentliche wertschöpfende Funktion eingeordnet werden, abhängig vom Sachverhalt des konkreten Einzelfalls.

V. Zusammenfassung und Fazit Die Gewinnaufteilung zwischen Versicherungsstammhaus und Versicherungsbetriebsstätte folgt gemäß dem Betriebsstättenbericht der OECD als auch gemäß §  1 Abs. 5 AStG einem zweistufigen Ansatz. Während im ersten Schritt die Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte umgesetzt wird, erfolgt im zweiten Schritt die Verrechnungspreisermittlung für die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen. Dabei soll in Schritt 2 zwar grundsätzlich der Fremdvergleichsgrundsatz des §  1 Abs. 1 AStG bzw. Art. 9 OECD-Musterabkommens umgesetzt werden – die konkrete Umsetzung weicht dabei jedoch im Betriebsstättenbericht der OECD zum Teil von den Regelungen der deutschen Finanzverwaltung ab. Den größten Einfluss auf den Betriebsstättengewinn und damit das höchste Risiko einer Doppelbesteuerung birgt dabei die unterschiedliche Behandlung von Personalfunktionen, die Teil der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion sind. Dies beeinflusst auch die Abgrenzung und Anzahl der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen, die im zweiten Schritt der Gewinnaufteilung zu vergüten sind. Mit Blick auf die Auswahl einer geeigneten Verrechnungspreismethode sieht zwar die deutsche Finanzverwaltung die Kostenaufschlagsmethode als Regelmethode für die Vergütung anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen vor – dies findet sich jedoch nicht in § 1 Abs. 5 AStG, der in Satz 1 lediglich auf die Anwendung der in § 1 Abs. 3 AStG enthaltenen Verrechnungspreismethoden verweist. Damit sind für die Verrechnungspreisermittlung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen grundsätzlich alle Verrechnungspreismethoden anwendbar, wie auch im Betriebsstättenbericht der OECD vorgesehen.

35 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, 2010, Teil IV, Rz. 207.

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Hinsichtlich der konkreten Anwendung der Verrechnungspreismethoden auf die Geschäftsvorfälle zwischen Versicherungsstammhaus und Versicherungsbetriebsstätte ist zu beachten, dass die Umsetzung des Transaktionsbezugs der Verrechnungspreisbestimmung häufig mit Schwierigkeiten verbunden ist, da die Funktionen innerhalb eines Versicherungsunternehmens stark integriert sind und nicht zwingend in gleicher Weise zwischen fremden Dritten stattfinden. In diesen Fällen kann eine Zusammenfassung von Transaktionen erforderlich sein. Erfolgt die Verrechnungspreisermittlung dabei auf Basis der Profit Split Methode, so ist eine Abgrenzung zu einer möglichen Gewinnaufteilung unter Schritt 1 nach den Regelungen der OECD hinsichtlich einer im Unternehmen aufgeteilten unternehmerischen Risikoübernahmefunktion erforderlich. Bei der Suche nach Fremdvergleichsgeschäftsvorfällen sollte zudem geprüft werden, ob die aufsichtsrechtliche Regulierung der Versicherungsbranche auch Auswirkungen auf die Verrechnungspreisermittlung haben kann. Vergleichstransaktionen sollten in diesem Fall zwingend aus der Versicherungsbranche stammen, sofern keine Anpassungsrechnungen vorgenommen werden können. Dies betrifft beispielsweise Asset Management Leistungen, für die häufig Vergleichsdaten aus der Versicherungsbranche für die Anwendung der Preisvergleichsmethode verfügbar sind. Aufgrund dieser Abweichungen sollten bei einer grenzüberschreitenden Gewinnaufteilung zwischen Versicherungsstammhaus und Versicherungsbetriebsstätte unbedingt auch die Regelungen des Betriebsstättenberichts der OECD berücksichtigt werden. In vielen Ländern existieren keine spezifischen Regelungen zur Gewinnaufteilung bei Versicherungsunternehmen, so dass in diesen Fällen häufig allein auf die OECDRegelungen zurückgegriffen wird. Abweichungen der nationalen Vorschriften von den Regelungen der OECD stellen dadurch ein Doppelbesteuerungsrisiko dar. In Fällen, in denen ein Versicherungsstammhaus in mehreren Jurisdiktionen Betriebsstätten unterhält, wären bei Anpassungen häufig zudem alle Teile des Versicherungsunternehmens betroffen, nicht nur das Stammhaus, so dass sich hier das Doppelbesteuerungsrisiko noch erhöht. Wie bei den grenzüberschreitenden Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen ist zudem zu berücksichtigen, dass auch für die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte eine Verrechnungspreisdokumentation zu erstellen ist, in der die Angemessenheit der Verrechnungspreise dargelegt wird.

Dr. Susann Karnath Steuerberaterin, Diplom-Volkswirtin (Int.) Assoziierte Partnerin 94

Julia Kühn

Steuern auf Finanztransaktionen in Europa Inhaltsübersicht I. Einführung und historische Entwicklung II. Börsenumsatzsteuern 1. Britische Börsenumsatzsteuern 2. Emissionsabgabe und Umsatzabgabe in der Schweiz a) Emissionsabgabe b) Umsatzabgabe III. Finanztransaktionssteuern

1. Finanztransaktionssteuer in der Euro­ päischen Union a) Entwicklung b) Ausgestaltung 2. Taxe sur les transactions financières (Frankreich) 3. Imposta sulle transazioni finanziarie (­Italien) 4. Finanztransaktionssteuer in Deutschland IV. Fazit

I.  Einführung und historische Entwicklung Bei der Besteuerung von Finanztransaktionen sind drei Steuern zu unterscheiden − die Tobin-Steuer auf Spekulationen mit Devisen, eine Börsenumsatzsteuer auf Umsätze an einem bestimmten Finanzplatz sowie eine Finanztransaktionssteuer als ­Verkehrssteuer auf alle börslichen und außerbörslichen Finanztransaktionen. Dieser Artikel soll einen exemplarischen Überblick über aktuell erhobene Steuern auf Börsenumsätze und Finanztransaktionen sowie einen Ausblick auf die für Deutschland und die EU angedachten Maßnahmen geben. (EU-)Rechtliche Bedenken, die gegen die Einführung einer solchen Steuer auf europäischer Ebene sprechen, werden hierbei bewusst ausgeklammert und es wird auf die vielfältige Literatur zu diesem Thema verwiesen.1 Erste Überlegungen zu einer Finanztransaktionssteuer als Steuerungsmaßnahme für den Aktienmarkt tauchten als Folge der Großen Depression auf. John Maynard Keynes entwickelte im Jahr 19362 die Idee, dass eine nicht unerhebliche Finanztransaktionssteuer kurzfristige Spekulationen vermindern und stattdessen Marktteilnehmer dazu bringen würde, sich auf langfristige und nachhaltige Investitionen zu fokussieren. Gleichsam sah er das auch heute noch diskutierte Problem, dass eine

1 Vgl. u.a. Dietlein: Finanztransaktionssteuer im „nationalen Alleingang“, ZRP 2012, 82; Englisch/Krüger: Zur Völkerrechtswidrigkeit extraterritorialer Effekte der französischen Finanztransaktionssteuer, IStR 2013, 513; Mayer/Heidfeld: Europarechtliche Aspekte einer Finanztransaktionssteuer, EuZW 2011, 373; Wernsmann/Zirkl: Die Regelungskompetenz der EU für eine Finanztransaktionssteuer, EuZW 2014, 167. 2 Vgl. John Maynard Keynes: The General Theory of Employment, Interest and Money, 1936, S. 105 ff.

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Finanztransaktionssteuer zu einem geringeren Handelsvolumen und geringerer Liquidität auf den Kapitalmärkten führen könne. Häufiger als mit Keynes wird eine Finanztransaktionssteuer mit James Tobin und der von ihm im Jahr 1972 vorgeschlagenen Tobin-Steuer in Verbindung gebracht.3 Tobin wollte über die Einführung einer geringen Finanztransaktionssteuer auf internationale Devisengeschäfte die kurzfristige Spekulation auf Währungsschwankungen eindämmen und dadurch erreichen, dass Wechselkurse von Währungen die langfristige realwirtschaftliche Situation und nicht kurzfristige spekulative Erwartungen widerspiegeln. Durch die Einführung des Euros am 1. Januar 1999 rückte die Diskussion um die Einführung einer Tobin-Steuer in Europa in den Hintergrund, da durch die gemeinsame Währung Währungsspekulationen innerhalb der Euro-Länder nicht mehr möglich sind. Die heutige Idee der Finanztransaktionssteuer ist eng mit Finanzkrisen verbunden und wird häufig als Mittel zur Regulierung ausufernder Finanzmärkte und Beteiligung der Banken an den Kosten von Finanzkrisen erachtet.4 Daneben wird die Finanztransaktionssteuer in den letzten Jahren zunehmend mit sozialen Fragestellungen verknüpft und soll – wie beispielsweise in Deutschland – zur Finanzierung der Grundrente5 oder Bekämpfung von Armut6 dienen. Spätestens mit der weltweiten Finanzkrise ab 2007 wurde über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in Europa diskutiert. Eine Finanztransaktionssteuer oder auch Finanzmarkttransaktionssteuer (financial transaction tax, kurz: FTT) ist eine Steuer auf börsliche oder außerbörsliche Finanztransaktionen und zählt zu den Verkehrssteuern. Eine solche Steuer im neueren Sinne ist in Europa in Frankreich und in Italien zu finden. Daneben gibt es in verschiedenen Ländern sogenannte Börsenumsatzsteuern, die auf Umsätze an Wertpapierbörsen erhoben werden oder Emissionsabgaben für Neuemissionen.

3 Vgl. James Tobin: A Proposal for International Money Reform, in Eastern Economic Journal 4, 153−159. 4 Vgl. u.a. Mausbach: Finanztransaktionssteuer  – Der Weg aus der Krise, SteuerStud 2013, 278; Dahm/Hamacher: Finanztransaktionssteuern anderer Länder – (taugliche) Muster für die grenzüberschreitende Steuererhebung?, IStR 2013, 123; https://ec.europa.eu/commissi​ on/presscorner/detail/de/IP_11_1085 (zuletzt abgerufen am 18.9.2020); https://www.euro​ parl.europa.eu/legislative-train/api/stages/report/current/theme/deeper-and-fairer-inter​ nal-market-with-a-strengthened-industrial-base-taxation/file/financial-transaction-tax (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 5 Vgl. https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Schlag​ lichter/Steuergerechtigkeit/2019-12-10-Gesetzesvorschlag-Finanztransaktionsteuer.html (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 6 Vgl. u.a. Alt: Warum ist es Zeit für eine „Steuer gegen Armut, ZRP 2010, 109; u.a. https:// www.steuer-gegen-armut.org/ (zuletzt abgerufen am 18.9.2020); https://www.attac.de/­ kampagnen/finanztransaktions-steuer/finanztransaktions-steuer/ (zuletzt abgerufen am 18.9.2020); https://www.greenpeace.de/themen/umwelt-gesellschaft/wirtschaft/finanzkrisegreenpeace-und-die-steuer-gegen-armut (zuletzt abgerufen am 18.9.2020).

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II.  Börsenumsatzsteuern 1. Britische Börsenumsatzsteuern Unabhängig von Finanztransaktionssteuern werden und wurden in verschiedenen Ländern bereits seit langem Börsenumsatzsteuern auf Umsätze aus dem Handel mit Wertpapieren erhoben. Bereits seit 1986 existiert eine solche Steuer beispielsweise in Großbritannien. Großbritannien erhebt grundsätzlich eine Steuer von 0,5 % auf Aktientransaktionen innerhalb von Großbritannien.7 Von der Steuer wird der Handel mit Aktien von Unternehmen, die ihren Sitz in Großbritannien haben, mit Aktienoptionen, Beteiligungsrechten (interest in shares), Aktien ausländischer Unternehmen mit Aktienregister in Großbritannien sowie Rechten aus Aktien (rights arising from shares), z.B. Bezugsrechte bei der Ausgabe neuer Aktien, erfasst. Ausgenommen sind demgegenüber die unentgeltliche Übertragung von Aktien, die Neuemission von Aktien, der Kauf von Anteilen an offenen Investmentgesellschaften (open ended investment company, kurz: OEIC) vom Fondsmanager sowie der Kauf von Anteilen an einem sog. Unit Trust8 vom Trustmanager. Grundlage für die Besteuerung ist der Preis, der für die Aktie gezahlt wird. Es wird danach unterschieden, ob die Aktien elektronisch gehandelt werden (in diesem Fall greift die Stamp Duty Reserve Tax, kurz: SDRT) oder über das sogenannte stock transfer form (in diesem Fall kommt die Stamp Duty zur Anwendung). In letzterem Fall wird eine Steuer erst bei Transaktionen über 1.000 Pfund erhoben sowie die Höhe auf die nächsten 5,00 Pfund aufgerundet. Die jährlichen Einnahmen aus der Stamp Duty auf Aktien lagen in 2018 – laut Angaben der britischen Steuerverwaltung – insgesamt bei ca. 3,5 Mrd. Pfund.9 2. Emissionsabgabe und Umsatzabgabe in der Schweiz a) Emissionsabgabe In der Schweiz gibt es für Neuemissionen die Emissionsabgabe. Daneben wird  – ebenso wie in Großbritannien – für den Handel mit Wertpapieren eine Umsatzabgabe erhoben. Beide sind in der Schweiz den sog. Stempelabgaben zuzurechnen. Die Emissionsabgabe ist eine Bundessteuer, die in Höhe von 1,0 % auf die − entgeltliche oder unentgeltliche – Begründung und Erhöhung des Nennwerts von Beteiligungsrechten an folgenden inländischen Urkunden erhoben wird10: 7 Vgl. a.i.F.: https://www.gov.uk/tax-buy-shares (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 8 Bei einen Unit Trust handelt es sich um eine Unterform des offenen Investmentfonds, die auf einem Treuhandverhältnis (trust deed) basiert. Vgl. https://www.gevestor.de/details/sofunk​ tioniert-die-britische-urform-offener-fonds-764360.html (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 9 https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_ data/file/743345/ASTP-Release-Bulletin-Sept18.pdf, S. 1 (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 10 Art. 5 Satz 1 Bundesgesetz über die Stempelabgaben (StG) v. 27.6.1974 (Stand am 1.1.2020); Art. 8 Satz 1 StG; https://www.estv.admin.ch/estv/de/home/verrechnungssteuer/stempelab​

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– Aktien inländischer Aktiengesellschaften und Kommanditaktiengesellschaften; – Stammanteile von Gesellschaften mit beschränkter Haftung; – Anteilsscheine von inländischen Genossenschaften; – Genussscheinen inländischer Gesellschaften oder Genossenschaften;11 – Partizipationsscheinen und Beteiligungsscheine von Genossenschaftsbanken.12 Der Begründung von Beteiligungsrechten sind Zuschüsse, die die Gesellschafter oder Genossenschafter ohne entsprechende Gegenleistung an die Gesellschaft oder Genossenschaft erbringen, ohne dass das im Handelsregister eingetragene Gesellschaftskapital oder der einbezahlte Betrag der Genossenschaftsanteile erhöht wird sowie der Handwechsel der Mehrheit der Aktien, Stammanteile oder Genossenschaftsanteile an einer inländischen Gesellschaft oder Genossenschaft, die wirtschaftlich liquidiert oder in liquide Form gebracht worden ist, gleichgestellt. Es gilt eine Freigrenze in Höhe von 1 Million Franken, die bei der Gründung oder Kapitalerhöhung für entgeltlich ausgegebene Beteiligungsrechte greift. Ausgenommen von der Emissionsabgabe sind unter anderem die Begründung oder Erhöhung von Beteiligungsrechten im Zusammenhang mit Fusionen, Umwandlungen oder Spaltungen von Kapitalgesellschaften oder Genossenschaften sowie die Sitzverlegung einer ausländischen Gesellschaft in die Schweiz. Abgabepflichtig für die Emissionsabgabe ist gem. Art.  10 Satz 1 StG die Schweizer Gesellschaft. Die Abgabe wird gem. Art. 11 StG auf Genossenschaftsanteile 30 Tage nach Geschäftsabschluss, auf Beteiligungsrechte 30 Tage nach Ablauf des Viertel­ jahres, in dem die Abgabeforderung entstanden ist, sowie in allen anderen Fällen 30 Tage nach Entstehung der Abgabeforderung fällig. b) Umsatzabgabe Die Umsatzabgabe wird auf Käufe und Verkäufe von in- und ausländischen Wert­ papieren erhoben, die von inländischen Effektenhändlern getätigt werden.13 Hierzu  zählen gem. Art.  13 Satz 2 StG Obligationen, Aktien, Stammanteile von Ge­ sellschaften mit beschränkter Haftung, Anteilscheine und Beteiligungsscheine von Genossenschaften, Partizipationsscheine und Beteiligungsscheine von Genossenschaftsbanken, Genussscheine, Anteile an kollektiven Kapitalanlagen gem. Kollektivanlagengesetz vom 23. Juni 2006 (KAG) und Papiere, die gemäß StG diesen Wertpagaben/fachinformationen/stempelabgaben/emissionsabgabe-auf-eigenkapital.html (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 11 Als Genussscheine gelten Urkunden über Ansprüche auf einen Anteil am Reingewinn oder am Liquidationsergebnis. 12 Art. 1 Satz 1 StG. 13 Art. 13 Satz 1 StG; https://www.estv.admin.ch/estv/de/home/verrechnungssteuer/stempel​ ab­gaben/fachinformationen/stempelabgaben/umsatzabgabe.html (zuletzt abgerufen am 18.9.2020).

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pieren gleichgestellt sind. Die Umsatzabgabe beträgt für inländische Wertpapiere 1,5  ‰ sowie 3,0 ‰ für ausländische Wertpapiere und berechnet sich jeweils nach dem Entgelt.14 Ausgenommen von der Umsatzabgabe sind gem. Art. 14 StG insbesondere – Emissionsgeschäfte (mit Ausnahme der ausländischen Fondsanteile); – die als Gegenpartei auftretenden ausländischen Banken und Broker; – die als Gegenpartei auftretende ausländische Börse (z.B. Eurex) bei der Ausübung von standardisierten Derivaten; – der Handel mit Bezugsrechten und Optionen; – der Handel mit Geldmarktpapieren; – die ausländische Vertragspartei bei Transaktionen mit ausländischen Obligationen (Euroobligationen); – das Geschäft für den Handelsbestand eines gewerbsmäßigen Effektenhändlers; – der Handel für Rechnung von in- und ausländischen Anlagefonds; – institutionelle Investoren (Staaten, Zentralbanken, Einrichtungen der Sozialversicherung und der beruflichen Vorsorge, Lebensversicherer); – ausländische Gesellschaften, deren Aktien an einer anerkannten Börse notiert sind (sog. Corporates) inklusive deren ausländische konsolidierte Konzerngesellschaften. Die Steuer ist vom inländischen Effektenhändler,15 also z.B. der Bank, einem Händler, einem Anlageberater oder Vermögensverwalter, abzuführen. Inländische Einrichtungen der beruflichen und der gebundenen Vorsorge (z.B. Pensionskassen), die inländische öffentliche Hand (Bund, Kantone und politische Gemeinden mit ihren Anstalten), sofern sie in ihrer Rechnung mehr als 10 Millionen Franken steuerbare Urkunden ausweisen, und die inländischen Einrichtungen der Sozialversicherung (z.B. AHV-Ausgleichsfonds16) gelten ebenfalls als Effektenhändler. Im Fall der Vermittlung schuldet der Effektenhändler nach Art. 17 Satz 2 Buchst. a) StG je eine halbe Abgabe für jede Vertragspartei, die sich ihm gegenüber nicht als registrierter Effektenhändler oder als befreiter Anleger ausweist. Handelt der inländische Effektenhändler für eigene Rechnung im Rahmen der Betreuung seines eigenen Anlagevermögens, so schuldet er nach Art.  17 Satz 2 Buchst.  b) StG als Vertragspartei eine halbe Abgabe für sich selbst sowie eine (weitere) halbe Abgabe für die Gegenpartei, sofern sich diese nicht als registrierter Effektenhändler oder als befreiter Anleger ausweist. Die Steuer entsteht gem. Art. 15 Satz 1 StG mit Abschluss des Geschäftes und ist gem. Art. 20 StG 30 Tage nach Ablauf des Vierteljahres fällig, in dem die Abgabenforderung entstanden ist. 14 Art. 16 StG. 15 Art. 13 Satz 3 StG i.V.m. Art. 17 Satz 1 StG. 16 AHV: Alters- und Hinterlassenenversicherung.

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Im Jahr 2018 betrug der Bruttoertrag aus Emissions- und Umsatzabgabe – nach Angaben der Eidgenössischen Steuerverwaltung – ca. 1,434 Milliarden Franken.17

III.  Finanztransaktionssteuern 1. Finanztransaktionssteuer in der Europäischen Union a) Entwicklung Diverse europäische Staaten haben bereits Erfahrungen mit Börsenumsatzsteuer gemacht, diese jedoch im Laufe der Jahre aus vielfältigen Gründen abgeschafft– so auch Deutschland (1990) oder z.B. Schweden (1992).18 Häufig haben sich derartige „Umsatzsteuern“ für die einzelnen Staaten schlicht nicht gelohnt.19 Hierdurch unterliegen bzw. unterlagen Finanztransaktionen zu Zeiten der Finanzkrise um 2009 keiner Besteuerung. In Deutschland sind beispielsweise viele Finanztransaktionen gem. §  4 Nr. 8 UStG von der Umsatzsteuer befreit. Im Zuge der Finanzkrise wurden diverse Maßnahmen diskutiert, die eine Wiederholung einer solchen Krise verhindern sowie eine Partizipation der Finanzwirtschaft an den durch diese ausgelösten Kosten sicherstellen sollten. Insbesondere in der EU wurde zu diesem Zweck häufig die Einführung einer Finanztransaktionssteuer vorgeschlagen. Auf EU-Ebene laufen die Verhandlungen über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer bereits seitdem die Europäische Kommission am 28. September 2011 den Entwurf einer EU-Richtlinie zur Schaffung eines gemeinsamen Finanztransaktionssteuersystems durch die Mitgliedstaaten vorgelegt hatte.20 Ziel war es, im Nachgang zur Finanzkrise einheitlich für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein Besteuerungsregime zu etablieren, das eine Beteiligung der Banken an den Kosten der Krise sicherstellen und ausufernde Aktientransaktionen als Treiber der Krise bekämpfen sollte. Da im Europäischen Rat keine zur Verabschiedung erforderliche Mehrheit erreicht werden konnte, wurde das ursprüngliche Vorhaben einer europaweiten Einführung im Sommer 2012 aufgegeben.21 Im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit gem. Art. 20 EUV und Art. 326 AEUV haben daraufhin elf Mitgliedstaaten (Belgien, Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland, Italien, Österreich, 17 Vgl. https://www.estv.admin.ch/estv/de/home/allgemein/steuerstatistiken/fachinformatio nen/fiskaleinnahmen/fiskaleinnahmen-des-bundes.html (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 18 Vgl. BT-Drucks. 16/12571, Frage 17. 19 Vgl. https://www.wiwo.de/finanzen/steuern-recht/modelle-im-vergleich-boersenumsatzste​ uer-stempelsteuer/6129038-3.html (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 20 Europäische Kommission: Proposal for a Council Directive on a common system of financial transaction tax and amending Directive 2008/7/EC, COM (2011) 594 final – cf. Council document 14942/11, FISC 121 ECOFIN 651, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/taxati​ on_customs/sites/taxation/files/resources/documents/taxation/other_taxes/financial_sec​ tor/com%282011%29594_en.pdf (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 21 Vgl. a.i.F. Dahm/Hamacher: Finanztransaktionssteuern anderer Länder – (taugliche) Muster für die grenzüberschreitende Steuererhebung?, IStR 2013, 123; Streinz/Kamann, 3. Aufl. 2018, AEUV Art. 113 Rz. 27.

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Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien) bei der Europäischen Kommission einen Antrag zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer gestellt, der am 22. Januar 2013 durch den Rat der EU-Finanz- und Wirtschaftsminister in Brüssel angenommen wurde. Eine hiergegen gerichtete Klage des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland wurde durch den Europäischen Gerichtshof mit Urteil vom 30. April 2014 abgewiesen.22 Am 16. März 2016 stieg Estland offiziell aus den Verhandlungen im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit aus, sodass seitdem zehn Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer verhandeln. Am 19. Juni 2018 wurde bei einem Treffen in Meseberg der „Deutsch-Französische Fahrplan für das Euro-Währungsgebiet“ als neuer Vorschlag in die europäischen Verhandlungen eingebracht. Daraufhin hat der deutsche Finanzminister den an der Verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Staaten am 9. Dezember 2019 einen finalen Vorschlag für einen Richtlinientext zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer vorgelegt und um abschließende Zustimmung geworben, um das formelle Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene einleiten und schnell umsetzen zu können.23 Vonseiten des Bundesministerium der Finanzen hieß es bereits, dass die Verhandlungen über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene kurz vor dem Ziel stünden.24 Seitdem ruht das Verfahren zunächst wieder, da insbesondere Österreich Kritik an dem vorgelegten Entwurf äußerte, und soll nunmehr im Rahmen der deutschen EU-Präsidentschaft ab dem 1. Juli 2020 wieder auf die europäische Agenda kommen.25 Wann und ob mit einer Umsetzung in der Europäischen Union bzw. im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit zu rechnen ist, ist derzeit nur schwer absehbar. b) Ausgestaltung Im ursprünglichen Entwurf aus 2011 war vorgesehen, dass die Finanztransaktionssteuer ausschließlich auf Transaktionen von Finanzdienstleistern erhoben wird und Privatpersonen von der Besteuerung ausgenommen sind. Die Erhebung der Steuer sollte nach dem Ansässigkeitsprinzip erfolgen, sodass die Steuer die weltweiten Umsätze europäischer Finanzinstitute betroffen hätte.26 Der Steuersatz sollte mindestens 0,1 %27 des Bruttowertes28 auf den Kauf und Verkauf von Aktien, Anleihen, Invest-

22 EuGH v. 30.4.2014 − C-209/13 – Vereinigtes Königreich / Rat, IStR 2014, 407. 23 Vgl. u.a. BT-Drucks. 19/4167. 24 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Schlag​ lichter/Steuergerechtigkeit/2019-12-10-Gesetzesvorschlag-Finanztransaktionsteuer.html (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 25 https://www.tagesschau.de/wirtschaft/boerse/europa-finanztransaktionssteuer-101.html (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 26 Vgl. Art. 1 Abs. 2 des RL-Entwurfs v. 28.9.2011. 27 Vgl. Art. 8 Abs. 2 Buchst. a) des RL-Entwurfs v. 28.9.2011. 28 Vgl. Art. 5 Abs. 1 des RL-Entwurfs v. 28.9.2011. Bruttowert ist der Wert, der die für die Übertragung entrichtete und geschuldete Gegenleistung darstellt.

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mentfondsanteilen oder Geldmarktgeschäfte und mindestens 0,01 %29 des Nominalbetrages für Termingeschäfte,30 wie z.B. Derivate von Aktien und Anleihen, betragen. Devisengeschäfte am Spotmarkt sowie andere Derivate sollten von der Steuer befreit sein. Gleiches sollte für die Ausgabe neuer Staatsanleihen gelten.31 Andere Steuern auf Finanztransaktionen sollte es nicht geben.32 Die Steuer sollte mit Ausführung der Transaktion entstehen.33 Sie sollte von dem Finanzinstitut geschuldet werden, welches die Transaktion ausführt34 und in dem Land abgeführt werden, in dem dieses Finanzinstitut seinen Sitz hat.35 Es war vorgesehen, dass mit der in dem Entwurf vorgeschlagenen Finanztransaktionssteuer europaweit jährliche Einnahmen von 57 Milliarden Euro erzielt werden würden.36 Der hiernach im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit am 14. Februar 2013 vorgestellte Entwurf sah für alle teilnehmenden Staaten noch Einnahmen von rund 30 bis 35 Milliarden Euro vor,37 war jedoch inhaltlich im Wesentlichen identisch mit dem Richtlinien-Entwurf aus 2011. Der zuletzt von Deutschland und Frankreich vorgeschlagene Richtlinientext basiert grob auf der französischen Finanztransaktionssteuer.38 So sollen ab dem 1. Januar 2021 Aktienkäufe mit einer Steuer in Höhe von mindestens 0,2 % des Transaktionsvolumens belastet werden. Betroffen hiervon sind Aktienerwerbe von Emittenten, die ihren Sitz in einem der teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten haben und deren Marktkapitalisierung zum 1. Dezember des Vorjahres jeweils eine Milliarde Euro übersteigt. Es soll also wie in Frankreich das Emissionsprinzip gelten. Als Marktkapitalisierung gilt hierbei der Marktwert einer Aktie multipliziert mit der Anzahl aller im Umlauf befindlichen Titel, die für Geschäfte an einem Handelsplatz in der Europäischen Union oder an einem vergleichbaren Handelsplatz eines Drittlandes zugelassen sind.39 Der Marktwert bestimmt sich aus dem letzten Kurs der Aktie, der auf dem unter Liquiditätsaspekten wichtigsten Markt festgestellt worden ist. Aktienverkäufe unterliegen nicht der Besteuerung. Gleiches gilt für den Handel mit anderen Finanzinstrumenten außer Aktien. Erstemissionen und Geschäfte, die der sog. Marktpflege dienen, sollen ebenfalls von der Besteuerung ausgenommen werden. Auch der Kauf von Anteilen an OGAW-Fonds40 soll nicht erfasst werden, um Anleger vor einer Doppelbelastung − beim Kauf des Fonds und dem Erwerb von Aktien 29 Vgl. Art. 8 Abs. 2 Buchst. b) des RL-Entwurfs v. 28.9.2011. 30 Vgl. Art. 6 des RL-Entwurfs v. 28.9.2011. 31 Vgl. Art. 1 Abs. 2 und 3 des RL-Entwurfs v. 28.9.2011. 32 Vgl. Art. 12 des RL-Entwurfs v. 28.9.2011. 33 Vgl. Art. 4 Abs. 1 des RL-Entwurfs v. 28.9.2011. 34 Vgl. Art. 9 des RL-Entwurfs v. 28.9.2011. 35 Vgl. Art. 10 des RL-Entwurfs v. 28.9.2011. 36 RL-Entwurf v. 28.9.2011, S. 11. 37 RL-Entwurf v. 14.2.2013, S. 14. 38 Vgl. Council of the European Union (2019): Common position paper on the introduction of an EU-wide financial transaction tax (FTT), Working Paper WK 5672/2019 INIT. 39 Vgl. https://www.fondsprofessionell.de/news/recht/headline/finanztransaktionssteuer-was-​ wirklich-im-entwurf-steht-194459/ (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 40 OGAW: Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren.

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durch den Fonds – zu schützen. Schließlich sollen auch private Altersvorsorgeprodukte nicht der Finanztransaktionssteuer unterliegen. 2. Taxe sur les transactions financières (Frankreich) Frankreich hat zum 1. August 2012 als erster Staat in Europa infolge der Finanzmarktkrise eine Finanztransaktionssteuer zur Besteuerung bestimmter börsengehandelter sowie außerbörslicher Finanzinstrumente eingeführt (taxe sur les transactions financières, im Folgenden: „TTF“). Über die TTF sollen die Finanzinstitute an den Kosten der Bankenkrise beteiligt und das Volumen kurzfristiger Investitionen reduziert werden. Die TTF findet Anwendung auf den Handel mit Aktien französischer Unternehmen, deren Marktkapitalisierung zum 1. Dezember des vorangegangenen Jahres eine Milliarde Euro übersteigt.41 Zum 1. Dezember 2019 sind dies lt. französischer Finanzverwaltung 134 Aktien.42 Aufgrund des Ausgabe- oder Emissionsprinzips sind der Standort von Käufer oder Verkäufer für die Besteuerung irrelevant, d.h. es werden auch Transaktionen von französischen Aktien an ausländischen Börsenplätzen besteuert. Die TTF ist auf 0,3 % des Kaufpreises festgesetzt.43 Für Aktienlieferungen aus Derivaten und Aktien aus Wandelanleihen sind ebenfalls 0,3  % TTF auf den Ausübungspreis abzuführen. Ausgenommen von der Besteuerung sind Neuemissionen, konzerninterne Transaktionen, Aktivitäten von Clearinghäusern und Zentralverwahrern, Aktienrückkäufe, REPO-Geschäfte und Aktienanleihen sowie der Handel mit Derivaten und Wandelanleihen. Die TTF ist von dem orderausführenden Kontrahenten, z.B. einem Broker, abzuführen und vom Käufer zu entrichten.44 Sie ist am ersten Werktag des der Transaktion folgenden Monats fällig.45 Neben der Besteuerung von Aktientransaktion unterliegt auch der Hochfrequenzhandel der Besteuerung.46 Die TTF beträgt 0,01 % der Summe berichtigter und stornierter Transaktionen eines Handelstages.47 Voraussetzung ist, dass diese Transaktionen 80 % des Gesamthandels an einem Tag ausmachen. Der Gesamthandel besteht aus allen angebotenen, stornierten, berichtigten und angenommenen Transaktionen. Für die Besteuerung des Hochfrequenzhandels kommt das Ansässigkeitsprinzip zur Anwendung, sodass alle Finanzinstitute sowie französische Zweigstellen ausländi41 Vgl. Art. 235 ter ZD I. Code général des impôts (CGI). 42 Vgl. ANNEXE − TCA − Taxe sur les transactions financières − Liste des sociétés françaises dont la capitalisation boursière dépasse un milliard d‘euros, https://bofip.impots.gouv.fr/ bofip/9789-PGP.html/identifiant=BOI-ANNX-000467-20191218 (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 43 Vgl. Art. 235 ter ZD III., V. CGI. 44 Vgl. Art. 235 ter ZD VI. CGI. 45 Vgl. Art. 235 ter ZD IV. CGI. 46 Die ebenfalls 2012 eingeführte TTF auf ungedeckte Kreditausfallversicherungen, sog. Credit Default Swaps (kurz: CDS), auf Staatsanleihen von Mitgliedstaten der europäischen Union wurde zum 1.1.2019 außer Kraft gesetzt. Vgl. Art. 235 ter ZD ter CGI. 47 Vgl. Art. 235 ter ZD bis IV. CGI.

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scher Banken der Besteuerung unterliegen. Zweigstellen französischer Banken im Ausland sind hingegen nicht betroffen.48 Die TTF auf den Hochfrequenzhandel ist ebenfalls am ersten Werktag des Folgemonats zu entrichten.49 Wie die Europäische Kommission in einer Studie darlegen konnte, hatte die TTF negative Auswirkungen auf das Handelsvolumen der betroffenen französischen Aktien.50 Die Höhe der Einnahmen beläuft sich für den französischen Staat auf etwa eine Milliarde Euro pro Jahr.51 3. Imposta sulle transazioni finanziarie (Italien) Nach Frankreich hat Italien ab dem 1. März 2013 bzw. ab dem 1. Juli 2013 (bei Geschäften mit Finanzderivaten) mit dem sogenannten Stabilitätsgesetz52 eine Finanztransaktionssteuer (imposta sulle transazioni finanziarie, im Folgenden: „ITF“) eingeführt. Die ITF findet Anwendung auf den Handel mit Aktien in Italien ansässiger börsennotierter Unternehmen, deren durchschnittliche Marktkapitalisierung im November des vorangegangenen Jahres 500 Mio. Euro übersteigt.53 Da das italienische Finanzministerium nur eine Negativliste herausgibt, aus welcher ersichtlich ist, welche Unternehmen nicht von der ITF betroffen sind, kann abgeleitet werden, dass 2019 mindestens 70 Unternehmen der Besteuerung unterlegen haben.54 Die ITF kommt zudem beim Handel mit anderen Finanzinstrumenten, Finanzderivaten55 und anderen übertragbaren Wertpapieren sowie dem Hochfrequenzhandel56 zum Tragen. Die Besteuerung erfolgt für die Übertragung von Aktien und anderen Finanzinstrumenten unabhängig vom Ort der Transaktionsausführung und dem Wohnsitz des betroffenen Kontrahenten. Ebenso wie bei der TTF kommt also das Ausgabeprinzip zur Anwendung. Der Steuersatz beträgt zwischen 0,1 % des Kaufpreises an regulierten Märkten oder in multilateralen Handelssystemen (sistemi multilaterali di nego-

48 Vgl. Art. 235 ter ZD bis I. CGI. 49 Vgl. Art. 235 ter ZD bis V. CGI. 50 Did the new French tax on financial transactions influence trading volumes, price levels and/or volatility on the taxed market segment? − A trend analysis, abrufbar unter: https:// ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/files/docs/body/effect_french_ftt.pdf (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 51 https://www.latribune.fr/entreprises-finance/banques-finance/budget-2018-deux-petitscadeaux-a-la-finance-751895.html (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 52 Vgl. La legge di stabilità per il 2013 (legge 228/2012), Art. 1 Abs. 491 bis 500 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228; https://www.agenziaentrate.gov.it/portale/web/guest/schede/paga​ menti/imposta-sulle-transazioni-finanziarie/infogen-imposta-transazioni-finanziarie (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 53 Vgl. Art. 1 Abs. 491 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228. 54 Vgl. https://www.mef.gov.it/pubblicita_legale/societa_2019.html (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 55 Vgl. Art. 1 Abs. 492 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228. 56 Vgl. Art. 1 Abs. 495 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228.

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ziazione)57 und 0,2  % an anderen Börsenplätzen und wird auf den Gegenwert der Transaktion erhoben.58 Für Finanzderivate beträgt der Steuersatz ebenfalls 0,2 %, reduziert sich jedoch bei Transaktionen, die auf regulierten Märkten oder in multilateralen Handelssystemen stattfinden, auf 1/5.59 Auch hier kommt das Ausgabeprinzip zur Anwendung. Ausgenommen von der Besteuerung sind: – Erbschaften und Spenden; – die Ausgabe und Annullierung von Aktien und anderen Finanzinstrumenten sowie Wandelschuldverschreibungen; – die Ausübung von Optionen und gedeckten Optionsscheinen; – der vorübergehende Erwerb von Wertpapieren (z.B. Wertpapierleihe, Repo, usw.); 60 – Market-Making-Aktivitäten; – konzerninterner Handel und Umstrukturierungen; – Altersvorsorgesysteme; – Transaktionen, die mit der Europäischen Union (EU), der Europäischen Zentralbank, den Zentralbanken der EU-Mitgliedsstaaten und den Zentralbanken und juristischen Personen, die die offiziellen Staatsreserven verwalten sowie überstaatliche Organisationen abgeschlossen wurden; – ethische Finanzierungen; – die Eigentumsübertragung von Beständen an kollektiven Anlageinstrumenten (in Italien „OICR“), einschließlich der Anteile an SICAV-Fonds.61 Bemessungsgrundlage der ITF ist der Wert der Transaktion. Dieser bestimmt sich anhand der vereinbarten Gegenleistung (Nettoentgelt) oder ist zu berechnen.62 Dann ermittelt sich der Wert der Transaktion über den Wert des positiven Nettosaldos der täglichen regulären Transaktionen, die sich auf dasselbe Finanzinstrument beziehen und am selben Geschäftstag von demselben Subjekt abgeschlossen wurden. Von der ITF befreite Transaktionen werden bei der Berechnung der Nettobestände nicht berücksichtigt.

57 Vgl. Definition der regulierten Märkte und multilateralen Handelssysteme in Art.  1 Abs. 493 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228. 58 Vgl. Art. 1 Abs. 491 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228. 59 Vgl. Art. 1 Abs. 492 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228. 60 Vgl. Art. 1 Abs. 491 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228. 61 Vgl. Art.  1 Abs.  494 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228; https://www.clearstream.com/­ clearstream-en/products-and-services/asset-services/tax-and-certification/italien-einfue​ hrung-einer-italienischen-finanztransaktionssteuer-ifts--1292910 (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 62 Vgl. Art. 1 Abs. 491 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228.

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Ebenso wie in Frankreich unterliegt auch in Italien der Hochfrequenzhandel der Besteuerung.63 Hochfrequenzhandel im Sinne der ITF sind solche Aktivitäten, die von einem Computeralgorithmus erzeugt werden, der automatisch die Entscheidungen in Bezug auf das Senden, Ändern und Stornieren von Bestellungen und zugehörigen Parametern bestimmt, die mit einem Intervall von nicht mehr als einer halben Sekunde auftreten. Die Besteuerung greift, wenn diese Handelsaktivitäten in Bezug auf Finanzinstrumente gemäß den Absätzen 491 und 492 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228 auf einem italienischen Finanzmarkt ausgeführt werden. Der Steuersatz beträgt 0,02 % und ist fällig, wenn das Verhältnis zwischen der Summe der stornierten und geänderten Aufträge und der Summe der eingegebenen und geänderten Aufträge am einzelnen Handelstag in Bezug auf die einzelnen Finanzinstrumente mehr als 60 % beträgt. Bemessungsgrundlage ist der Wert stornierter oder geänderter Aufträge, die an einem Handelstag den festgelegten Schwellenwert von 60 %64 überschreiten. Die ITF ist von der Person zu zahlen, in deren Namen die Aufträge ausgeführt werden.65 Für Finanzderivate obliegt die Steuerzahlung zu gleichen Teilen den involvierten Kontrahenten.66 Die Steuer ist monatlich jeweils zum 16. Kalendertag des der Eigentumsübertragung folgenden Monats abzuführen.67 Die Abführung der Steuer wird den an den Transaktionen beteiligten Finanzdienstleistern (Banken, Fonds, Investmentfirmen, Notaren etc.) oder deren Fiskalvertretern in Italien auferlegt.68 Aussagen zu den aktuellen Einnahmen lassen sich nicht treffen. Ursprünglich geplant waren Einnahmen von ca. einer Milliarde Euro. Fraglich ist jedoch, ob sich diese angesichts starker Umsatzeinbrüche zumindest nach Einführung der ITF haben realisieren lassen.69 4. Finanztransaktionssteuer in Deutschland Eine Steuer auf Finanztransaktionen oder Börsengeschäfte ist auch in Deutschland nicht unbekannt. Steuern auf Finanztransaktionen oder Börsengeschäfte finden sich in Deutschland mit der Stempelsteuer des Deutschen Reichs auf Wertpapiere und Urkunden nach dem Gesetz betreffend die Erhebung von Reichsstempelabgaben 63 Vgl. Art. 1 Abs. 495 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228; https://www.agenziaentrate.gov.it/ portale/web/guest/schede/pagamenti/imposta-sulle-transazioni-finanziarie/infogen-im​ posta-transazioni-finanziarie (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 64 Gemäß Art. 1 Abs. 495 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228 wird dieser Wert durch Dekret festgelegt. 65 Vgl. Art. 1 Abs. 494 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228. 66 Vgl. Art. 1 Abs. 494 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228. 67 Vgl. Art. 1 Abs. 494 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228. 68 Vgl. Art. 1 Abs. 494 Legge del 24 dicembre 2012 n. 228; Eduard Lobis, in Mennel/Förster: Steuern in Europa, Amerika und Asien – Italien, Stand September 2018, Rz. 284; https:// www.agenziaentrate.gov.it/portale/web/guest/schede/pagamenti/imposta-sulle-transazio​ ni-finanziarie/responsabili-versamento-imposta-transazioni-finanziarie (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 69 Vgl. https://www.faz.net/aktuell/finanzen/strategie-trends/nach-einem-monat-finanztrans​ aktionssteuer-belastet-handel-in-italien-12141804.html (zuletzt abgerufen am 18.9.2020).

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vom 1. Juli 188170 und der Reformierung durch die Kapitalverkehrsteuer nach dem Kapitalverkehrsteuergesetz vom 8. April 192271 (Wertpapiersteuer und Börsenumsatzsteuer) bis zu deren Außerkrafttreten am 1. Januar 1992 im Zuge des Finanzmarktförderungsgesetzes vom 22. Februar 1990.72 Eine Besteuerung von Börsenumsätzen wäre also für Deutschland nichts Neues, wobei eine Finanztransaktionssteuer grundsätzlich auch außerbörsliche Transaktionen umfassen würde. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode des Bundestages, der nach der Bundestagswahl 2017 ausgehandelt wurde, wurde vereinbart, die Einführung einer substanziellen Finanztransaktionssteuer zum Abschluss zu bringen.73 Diese soll der Finanzierung der ab 2021 geltenden Grundrente dienen. Die Einführung soll im europäischen Kontext erfolgen, sodass die Ausgestaltung einer deutschen Finanztransaktionssteuer identisch mit der oben beschriebenen europäischen Finanztransaktionssteuer sein würde.74 Nach dem nunmehr vorgelegten deutsch-französischen Richtlinienvorschlag sollen allein Käufe von Aktien, deren Emittenten ihren Sitz in einem der teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten haben und deren Marktkapitalisierung zum 1. Dezember des Vorjahres jeweils eine Milliarde Euro übersteigt, mit einer Steuer von 0,2  % des Transaktionsvolumens belastet werden. Es soll das Emissionsprinzip gelten. Aktienverkäufe sowie der Handel mit anderen Finanzinstrumenten außer Aktien, Erstemissionen, Geschäfte, die der sog. Marktpflege dienen, der Kauf von Anteilen an OGAWFonds sowie „Altersvorsorgeprodukte“ sollen von der Besteuerung ausgenommen werden. Eine genaue Vorhersage der Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer kann die Bundesregierung zurzeit nicht treffen.75 Die Steuer soll ab dem 1. Januar 2021 gelten. Da es sich zurzeit jedoch bei der deutsch-französischen Initiative um einen Vorschlag für einen Richtlinien-Entwurf handelt, welcher nach Verabschiedung im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit dann erst einmal in nationales Recht umgesetzt werden müsste, stellt sich die Frage, ob eine Einführung zu diesem Termin realistisch ist. Wie eine vom Bundesministerium der Finanzen bereits im Jahr 2013 in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie konstatiert, sollten „nach vorausgehender Sicherstellung haushalterischer, personeller, organisatorischer und vergabebezogener

70 Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1881, Nr. 17, S. 185–198. 71 RGBl. I S. 335, 354. 72 BGBl. I S. 266, 283. 73 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode des Bundestages , abrufbar unter: https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitionsvertrag​ _2018.pdf?file=1, S. 8 (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 74 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode des Bundestages , abrufbar unter: https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitionsvertrag​ _2018.pdf?file=1, S. 69 (zuletzt abgerufen am 18.9.2020). 75 BT-Drucks. 19/4167; https://www.copenhageneconomics.com/dyn/resources/Publication/ publicationPDF/4/264/0/Eine%20Europ%C3%A4ische%20Finanztransaktionsteuer.%20 Einnahmen%20sowie%20Auswirkungen%20auf%20das%20deutsche%20BIP%20(Ger​ man).pdf. (zuletzt abgerufen am 18.9.2020).

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Aspekte […] für die Umsetzung einer FTT zusätzlich noch etwa 2 ½ Jahre zu veranschlagen“ sein.76

IV. Fazit Die Gründe für die Einführung einer Börsenumsatzsteuer oder einer Finanztransaktionssteuer sind vielfältig und entspringen zumindest in jüngster Zeit häufig sozialpolitischen Erwägungen und dem Wunsch Finanzmärkte an den Kosten von durch sie ausgelösten Krisen zu beteiligen sowie in ihrem als ausufernd angesehenen Handeln einzuschränken. Die bereits bestehenden Börsenumsatz- oder Finanztransaktionssteuern sind in der Art der betroffenen Anlagen sowie der Höhe relativ ähnlich. Wie sich jedoch insbesondere am Beispiel der Europäischen Union und dort besonders für Frankreich und Italien, als Länder, die bereits eine Finanztransaktionssteuer eingeführt haben, zeigt, ist eine insgesamt einheitliche Ausgestaltung der Besteuerung schwer zu erreichen. Daher stellt sich die Frage, ob es ohne eine solche Vereinheitlichung zu einer Erreichung der angestrebten Ziele kommen kann. Fraglich ist auch, ob eine Einführung lediglich im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit sinnvoll ist, da Ausweichreaktionen der Marktteilnehmer zu befürchten sind. In Zeiten niedriger Zinsen und mangelnder Investitionsalternativen kann der nun diskutierte europäische Entwurf durch Fokussierung auf Käufe von Aktien großer Unternehmen keine Lösung sein, da hierdurch insbesondere private Anleger sowie institutionelle Investoren wie (Renten- und Lebens-)Versicherungen getroffen werden, während professionelle Investoren und „Spekulanten“ beispielsweise über Derivate der Besteuerung entgehen könnten. Anpassungen sind daher geboten, um ein notwendigerweise gemeinsames Projekt „Finanztransaktionssteuer“ in der EU noch zu realisieren.

Julia Kühn Steuerberaterin, Diplom-Kauffrau

76 Vgl. BT-Drucks. 19/12142.

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Besonderheiten der Verrechnungspreisermittlung bei Geschäftsbeziehungen mit China Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die Umsetzung der Verrechnungspreisregelungen in China 1. Überblick über die Entwicklung der ­chinesischen Verrechnungspreis­ regelungen 2. Besonderheiten der chinesischen Verrechnungspreisregelungen a) Lokale Standortvorteile

b) Konzerninterne Dienstleistungen c) DEMPEP Funktion bei konzerninternen Transaktionen mit immateriellen Wirtschaftsgütern d) Besondere Vorschriften für Gesellschaften mit einzelnen Funktionen e) Verrechnungspreisdokumentationspflicht III. Schlussfolgerung

I. Einleitung Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen haben sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Deutschland ist mit Abstand Chinas größter europäischer Handelspartner. China war 2018 zum dritten Mal in Folge Deutschlands größter Handelspartner.1 Für viele multinationale Unternehmen mit ihren Wurzeln in Deutschland ist China ein bedeutsamer Standort für die Gestaltung eines international vernetzten Geschäftsmodells. Der chinesische Markt ist attraktiv in zweierlei Hinsichten. Einerseits sind die Kosten für Rohstoffe und Arbeitskräfte in China niedriger als in Deutschland, und andererseits sind die Gewinnmargen von deutschen Produkten vergleichsweise hoch auf dem chinesischen Markt, da die deutsche Qualität von den chinesischen Konsumenten geschätzt wird. Um die Standortvorteile zu nutzen, haben viele deutsche Unternehmen Tochtergesellschaften in China gegründet. Zwischen den deutschen Muttergesellschaften und den chinesischen Tochtergesellschaften entstehen zahlreiche konzerninternen Transaktionen wie Warenlieferungen, Dienstleistungen, Übertragungen oder Nutzungsüberlassungen von immateriellen Wirtschaftsgütern sowie Finanzierungen. Durch die Gestaltung der Verrechnungspreise für die grenzüberschreitenden konzerninternen Transaktionen besteht die Möglichkeit der Gewinnallokation innerhalb eines Konzernes. Als einer der G20 Staaten hat China aktiv im BEPS-Projekt von OECD mitgewirkt und seine eigenen BEPS Maßnahmen zum Großteil im Einklang mit den OECD BEPS-Aktionsplänen sukzessiv national verankert. Im Bereich der Verrechnungs1 Vgl. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Aussenwirtschaft/laendervermerk-china. html.

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preise betont die chinesische Finanzverwaltung die Bedeutung der Standortvorteile des chinesischen Markts und die Beiträge der lokalen Gesellschaften zur Wertschöpfungskette der multinationalen Konzerne. Die chinesische Finanzverwaltung vertritt die Auffassung, dass die lokalen Standortvorteile und die Beiträge der lokalen Gesellschaften bei der Verrechnungspreiskalkulation unzureichend betrachtet würden, so dass viele chinesischen Tochtergesellschaften entgegen ihrer Funktions- und Risikoprofile unzureichend vergütet seien oder überhöhte Vergütungen an ihre Muttergesellschaften geleistet hätten. Vor diesem Hintergrund prüft die chinesische Finanzverwaltung insbesondere die durch die chinesischen Tochtergesellschaften an die ausländischen Muttergesellschaften geleisteten Dienstleistungsentgelte und Lizenzgebühren sowohl dem Grunde nach als auch der Höhe nach sehr intensiv. Im vorliegenden Aufsatz wird im Kapitel II.1. ein Überblick über die Entwicklung der chinesischen Verrechnungspreisregelungen gegeben. Danach werden in Kapitel II.2. die Besonderheiten der chinesischen Verrechnungspreisregelungen im Vergleich mit den OECD-Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen 2017 („OECD-Verrechnungspreisleitlinien“) dargestellt. Für multinationale Unternehmen mit ihrer Präsenz in China ist es wichtig, auch die chinesischen Verrechnungspreisregelungen, insbesondere die von den OECD-Verrechnungspreisleitlinien abweichenden Regelungen in Auge zu behalten, um ein robustes internationales Verrechnungspreissystem zu gestalten.

II. Die Umsetzung der Verrechnungspreisregelungen in China 1. Überblick über die Entwicklung der chinesischen Verrechnungspreisregelungen China hält in Übereinstimmung mit den OECD-Verrechnungspreisleitlinien am Fremdvergleichsgrundsatz fest. Die entsprechenden gesetzlichen Regelungen zur Fremdüblichkeit der Verrechnungspreisgestaltung sowie zur Verrechnungspreisdokumentationspflicht sind hauptsächlich in Artikel 41-44 des chinesischen Körperschaftsteuergesetzes2 und Artikel 36 des chinesischen Steuerverwaltungsgesetzes3 verankert. Ausführliche Erläuterungen zur Begriffsinterpretation und Anwendung der entsprechenden Regelungen findet man in Artikel 109-123 der Durchführungsverordnung des chinesischen Körperschaftsteuergesetzes4 sowie Artikel 51-56 der Durchführungsverordnung des chinesischen Steuerverwaltungsgesetzes.5 2 Vgl. http://www.gov.cn/flfg/2007-03/19/content_554243.htm, für die englische Übersetzung vgl. Li/Su: China (People’s Rep.) Transfer Pricing, IBFD, 2020, Abschnitt 20.1.1. 3 Vgl. http://www.gov.cn/banshi/2005-08/31/content_146791.htm. 4 Vgl. http://www.chinatax.gov.cn/n810341/n810765/n812176/n812748/c1193046/content. html, für die englische Übersetzung vgl. Li/Su: China (People’s Rep.) Transfer Pricing, IBFD, 2020, Abschnitt 20.1.2. 5 Vgl. http://www.chinatax.gov.cn/n810341/n810755/c3357578/content.html, für die englische Übersetzung vgl. Li/Su: China (People’s Rep.) Transfer Pricing, IBFD, 2020, Abschnitt 20.1.4.

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Darüber hinaus hat die chinesische Finanzverwaltung State Taxation Administration („SAT“)6 seit 2009 eine Reihe von Verwaltungshinweisen mit Bezug auf Verrechnungspreise veröffentlicht. Die Verwaltungshinweise dienen der gesetzkonformen Umsetzung der Verrechnungspreisregelungen durch die chinesische Finanzverwaltung und gelten in der Praxis auch als Orientierung für Steuerpflichtige zur Einhaltung der chinesischen Verrechnungspreisregelungen. Im Januar 2009 hat die chinesische Finanzverwaltung Circular Guo Shui Fa [2009] Nr. 2, Maßnahmen für die Implementierung der speziellen steuerlichen Anpassungen („Circular 2“)7 veröffentlicht. In Bezug auf Verrechnungspreise wurden insbesondere Hinweise auf Verrechnungspreisdokumentation, Verrechnungspreismethoden, Verrechnungspreisanpassung, Advance Pricing Agreement („APA“) und Kostenumlagevereinbarungen gegeben. Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung vom finalen BEPS-Bericht 2015 hat die chinesische Finanzverwaltung durch den Erlass des Diskussionsentwurfs über die Umsetzungsmaßnahmen von speziellen steuerlichen ­Anpassungen vom 17. September 2015 („Discussion Draft 2015“)8 Änderungsvorschläge zu Circular 2 veröffentlicht und Leitfäden zu Verrechnungspreisdokumentation, Verrechnungspreismethoden, Verrechnungspreisanpassung, Verrechnungspreisen im Zusammenhang mit immateriellen Wirtschaftsgütern, Verrechnungspreisen im Zusammenhang mit konzerninternen Dienstleistungen, APA, Kostenumlagevereinbarungen, Überwachung des Profitabilitätsniveaus und Verständigungsverfahren erarbeitet. Die Leitfäden im Discussion Draft 2015 wurden in den folgenden Jahren sukzessive in verschiedenen SAT-Erlassen umgesetzt. Der SAT-Erlass über Angelegenheiten bezüglich der Anmeldung für Transaktionen mit nahestehenden Unternehmen vom 29. Juni 2016 („Public Notice 2016 No. 42“)9 regelt die Ver­ rechnungspreisdokumentation. Der SAT-Erlass zur Verbesserung der Verwaltung bei Verrechnungspreisgestaltungen vom 11. Oktober 2016 („Public Notice 2016 No. 64“)10 befasst sich hauptsächlich mit APAs. Der SAT-Erlass über die Veröffentlichung von Verwaltungsmaßnahmen für steuerliche Anpassungen bei Betriebsprüfung und Verständigungsverfahren vom 17. März 2017 („Public Notice 2017 No. 6“)11 behandelt Verrechnungspreisanpassungen und Verständigungsverfahren. In den SAT-Erlassen werden u.a. verschiedene Arten von konzerninternen Transaktionen 6 Der vormalige englische Name lautet State Administration of Taxation (Abkürzung: „SAT“). In der Literatur wird immer noch die Abkürzung SAT verwendet. 7 Vgl. http://www.chinatax.gov.cn/n810341/n810765/n812166/n812652/c1189827/content. html, für die englische Übersetzung vgl. Li/Su: China (People’s Rep.) Transfer Pricing, IBFD, 2020, Abschnitt 20.2.1. 8 Vgl. http://www.chinatax.gov.cn/chinatax/n810356/n810961/c1813314/content.html. 9 Vgl. http://www.chinatax.gov.cn/n810341/n810755/c2208516/content.html, für die eng­ lische Übersetzung vgl. Li/Su: China (People’s Rep.) Transfer Pricing, IBFD, 2020, Abschnitt 20.2.2. 10 Vgl. http://www.chinatax.gov.cn/n810341/n810755/c2292979/content.html, für die eng­ lische Übersetzung vgl. Li/Su: China (People’s Rep.) Transfer Pricing, IBFD, 2020, Abschnitt 20.2.3. 11 Vgl. http://www.chinatax.gov.cn/n810341/n810755/c2538695/content.html, für die eng­ lische Übersetzung vgl. Li/Su: China (People’s Rep.) Transfer Pricing, IBFD, 2020, Abschnitt 20.2.4.

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ausführlich definiert und Hinweise zu Verrechnungspreisgestaltung (z.B. Funktionsund Risikoanalyse, Vergleichbarkeitsanalyse) gegeben. Vor dem Hintergrund, dass viele chinesische Tochtergesellschaften ausländischer Muttergesellschaften Routinefunktionen im Rahmen ihrer Tätigkeiten als Vertriebsgesellschaften, Auftragsproduzenten oder Lohnfertiger ausüben und damit nur geringe Gewinne in China der Besteuerung unterliegen, hat die chinesische Finanzverwaltung spezielle Hinweise zur verrechnungspreislichen Behandlung solcher Tätigkeiten gegeben, um die künstliche Gewinnkürzung solcher Gesellschaften in China zu verhindern. Im Folgenden werden zusammenfassend die Besonderheiten der chinesischen Verrechnungspreisregelungen vorgestellt. 2. Besonderheiten der chinesischen Verrechnungspreisregelungen a) Lokale Standortvorteile Im Mittelpunkt der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes steht eine Vergleichbarkeitsanalyse der konzerninternen Geschäftsvorfälle und der Fremdvergleichsgeschäftsvorfälle. Bei der Vergleichbarkeitsanalyse sind unter anderem die wirtschaftlichen Umstände, die für die Bestimmung der Vergleichbarkeit der Märkte relevant sein können, zu berücksichtigen. Dazu zählen unter anderem die Merkmale des geografischen Markts, auf dem die Geschäftsvorfälle stattfinden, z.B. Standortvorteile, Kaufkraft und Produktpräferenzen der privaten Haushalte auf dem Markt, Intensität des Wettbewerbs auf dem Markt, usw. Die chinesische Finanzverwaltung, wie viele anderen Entwicklungsländer, betrachtet lokale Standortvorteile12 als einen der wesentlichen Einflussfaktoren für Verrechnungspreise und hat ihre Stellungnahme dazu im UN-Verrechnungspreishandbuch13 geäußert. Lokale Standortvorteile können sowohl durch lokale Kostenvorteile als auch durch lokale Marktprämien entstehen. Lokale Kostenvorteile werden durch geringere Ausgaben für Inputfaktoren wie Rohstoffe, Arbeitskräfte, Mieten, Transport und Infrastruktur erzielt, wenn die daraus entstehenden Kostenersparnisse die durch die Etablierung auf dem lokalen Markt verursachten zusätzlichen Ausgaben (wie z.B. höhere Ausbildungskosten als Gegenleistung für die Einstellung weniger qualifizierter Arbeitskräfte) übersteigen. Lokale Marktprämien beziehen sich auf den zusätzlichen Gewinn eines multinationalen Unternehmens auf einem lokalen Markt, der sich auf einzigartige Eigenschaften des Unternehmens zurückführt, die sich auf den Verkauf und die Nachfrage nach einer Dienstleistung oder einem Produkt auswirken. Nach Ansicht der chinesischen Finanzverwaltung sind die zusätzlichen Gewinne, die sich aus solchen einzigartigen Eigenschaften ergeben, der Besteuerung in China zu unterwerfen.14

12 In englischer Literatur bezeichnet als „location specific advantages (LSAs)“. 13 United Nations Practical Manual on Transfer Pricing („UN-Verrechnungspreishandbuch“), Part D.2. China Country Practice, United Nations. 14 UN-Verrechnungspreishandbuch, D.2.4.4.11.

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Die signifikante Bedeutung der lokalen Standortvorteile aus Sicht der chinesischen Finanzverwaltung schlägt sich auch in verschiedenen Public Notices mit Bezug auf Verrechnungspreise nieder. In den folgenden Public Notices wurde an entsprechenden Stellen ausdrücklich auf die Berücksichtigung von lokalen Standortvorteilen bei der Verrechnungspreisanalyse hingewiesen: (1) Public Notice 2016 No. 42: Nach Art. 14 (3) Nr. 1(4) sollen bei der Darstellung der Einflussfaktoren für Verrechnungspreise alle wesentlichen Faktoren berücksichtigt werden, darunter auch die lokalen Standortvorteile wie Kostenersparnisse und Marktprämien usw. Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass die Analyse der lokalen Standortvorteile sich auf solche Aspekte wie Personalkosten, Umweltkosten, Marktvolumen, Intensität des Wettbewerbs, Kaufkraft, Ersetzbarkeit der Waren oder Dienstleistungen auf dem Markt und regulatorische Kontrolle, die zu Kostenvorteilen und Marktprämien beigetragen haben, konzentrieren soll. Nach Art. 14 (3) Nr. 2 (3) müssen lokale Standortvorteile ebenfalls bei der Wertschöpfungsanalyse berücksichtigt werden. (2) Public Notice 2016 No. 64: Eine Erläuterung der lokalen Standortvorteile ist sowohl beim Vorgespräch vor einem APA15 als auch in der Wertschöpfungsanalyse oder Lieferkettenanalyse bei einem Antrag auf APA16 erforderlich. Die Steuerbehörde könnte einen Antrag auf APA bevorzugt bearbeiten, wenn die Antragsunterlagen vollständig sind, die Wertschöpfungsanalyse/Lieferkettenanalyse vollständig und verständlich sind, lokale Standortvorteile hinreichend berücksichtigt worden sind, und die angewendeten Verrechnungspreismethoden angemessen sind.17 (3) Public Notice 2017 No. 6: Bei einer Betriebsprüfung über Verrechnungspreise muss eine Vergleichbarkeitsanalyse durchgeführt werden, darunter auch die Analyse der lokalen Standortvorteile.18 Eine angemessene Verrechnungspreismethode soll ausgewählt werden, um die Beiträge der lokalen Standortvorteile zur Gewinngenerierung zu bestimmen.19 Aufgrund der großen Bedeutung von lokalen Standortvorteilen aus Sicht der chinesischen Finanzverwaltung wäre bei einer Vergleichbarkeitsanalyse für eine in China ansässige Tochtergesellschaft eines multinationalen Unternehmens eigentlich ein unmittelbarer Vergleich mit heimischen Unternehmen durchzuführen, um fremdübliche Verrechnungspreise zu ermitteln. Allerdings ist in der Praxis die Anzahl von solchen Unternehmen mit öffentlich verfügbaren und zuverlässigen Daten nur unzureichend. Alternativerweise kann man in den üblichen Datenbanken (z.B. Orbis) vergleichbare Unternehmen aus anderen Regionen mit ähnlichen Funktionsund Risikoprofilen auswählen und anschließend eine Vergleichbarkeitsanpassung bzgl. der lokalen Standortvorteile durchführen. In der Praxis wendet die chinesische 15 Public Notice 2016 No. 64, Art. 5 (2) Nr. 7. 16 Public Notice 2016 No. 64, Art. 6 (2) Nr. 7., Art. 7 (5). 17 Public Notice 2016 No. 64, Art. 7 (5). 18 Public Notice 2017 No. 6, Art. 15 (4), Art. 21. 19 Public Notice 2017 No. 6, Art. 27.

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Finanzverwaltung den folgenden Vier-Schritte-Ansatz zur Verrechnungspreisanpassung bzgl. der lokalen Standortvorteile an,20 wozu es aber keine gesetzliche Regelung oder Verwaltungshinweise gibt: 1) Identifizierung lokaler Standortvorteile; 2) Bestimmung, ob lokale Standortvorteile zusätzliche Gewinne generiert haben; 3) Quantifizierung der zusätzlichen Gewinne aus den lokalen Standortvorteilen; 4) Bestimmung der Verrechnungspreismethode zur Aufteilung der aus den Standortvorteilen erwirtschafteten Gewinne. Während im Schritt 2 durch eine Bruttobetrachtung untersucht werden soll, ob einzelne Standortvorteile zusätzliche Gewinne generiert haben, ist im Schritt 3 eine Nettobetrachtung vorzunehmen, um den Gesamteffekt der lokalen Standortvorteilen zu quantifizieren. Das folgende Zahlenbeispiel aus dem UN-Verrechnungspreishandbuch21 zeigt, wie die chinesische Finanzverwaltung eine Verrechnungspreisanpassung durchführen würde, wenn ein chinesisches Unternehmen für ein verbundenes Unternehmen Auftragsforschung tätigt. Beispiel 1: Die Kostenbasis je Produktionseinheit beträgt 100 bei einem chinesischen Auftragsforscher und 150 im Durchschnitt bei F & E Zentren in entwickelten Ländern. Die Fremdvergleichbarkeit wird an den Kostenaufschlag auf Vollkostenbasis (full cost mark up, „FCMU“) als Profit Level Indicator gemessen. Die chinesische Finanzverwaltung nimmt die folgenden 6 Schritte zur Ermittlung des fremdüblichen FCMU für das chinesische Unternehmen unter Berücksichtigung der lokalen Standortvorteile vor: Schritte

Berechnungen

1

Berechnung der fremdüblichen FCMU Bandbreite von vergleichbaren ausländischen Unternehmen

Ausgangsannahme: Median der FCMU in Höhe von 8%

2

Berechnung der Differenz zwischen der Kostenbasis des chinesischen Unternehmens (z.B. 100) und der durchschnittlichen Kostenbasis der ausländischen ­Vergleichsunternehmen (z.B. 150)

150 – 100 = 50

3

Multiplikation der Differenz in der Kostenbasis (z.B. 50) mit dem fremdüblichen FCMU (8%)

8% × 50 = 4

4

Zusätzlich dem chinesischen Unternehmen zuzuordnende Gewinne wegen der lokalen Kostenvorteile

4

5

Bestimmung des gesamten Gewinns für das chinesische Unternehmen

4 + 8% × 100 = 12

6

Bestimmung des angepassten fremdüblichen FCMU für das chinesische Unternehmen

12/100 = 12%

20 UN-Verrechnungspreishandbuch, D.2.4.4.5. 21 UN-Verrechnungspreishandbuch, D.2.4.4.9.

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Aus Schritt 2–5 der Berechnungen kann man ablesen, dass die chinesische Finanzverwaltung durch die Anpassung des Profit Level Indicators den gleichen Gewinn, den ein ausländischer Auftragsforscher in seiner Region erzielen kann, in China behalten möchte.22 b) Konzerninterne Dienstleistungen aa) Abzugsfähigkeit beim Dienstleistungsempfänger Bei der Analyse von Verrechnungspreisen für konzerninterne Dienstleistungen ist zum einen zu ermitteln, ob tatsächlich konzerninterne Dienstleistungen erbracht wurden („dem Grunde nach“). Zum anderen ist die fremdübliche Vergütung für die tatsächlich erbrachten Dienstleistungen („der Höhe nach“) zu bestimmen. Nach den OECD-Verrechnungspreisleitlinien sollte die Frage, ob eine konzerninterne Dienstleistung erbracht wird, wenn ein Konzernunternehmen für ein anderes oder mehrere andere Konzernunternehmen eine Tätigkeit ausübt, davon abhängen, ob die Tätigkeit diesen Konzernunternehmen einen wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteil verschafft, der ihre Geschäftsposition stärkt oder sichert („Vorteilstest“).23 Eine zutreffende Beurteilung hängt von den tatsächlichen Gegebenheiten und Umständen ab. Grundsätzlich muss sich nach dem Fremdvergleichsgrundsatz feststellen lassen können, dass ein unabhängiges Unternehmen unter vergleichbaren Umständen bereit gewesen wäre, diese Tätigkeit zu vergüten, wenn sie von einem unabhängigen Unternehmen ausgeübt worden wäre, oder es diese Tätigkeit betriebsintern als Eigenleistung erbracht hätte.24 In den OECD-Verrechnungspreisleitlinien wurden insbesondere Hinweise auf solche nicht als konzerninterne Dienstleistungen anzuerkennenden Tätigkeiten gegeben wie Gesellschaftertätigkeiten, Doppelarbeit oder zufällig entstehende Vorteile. Außerdem wurden zentral ausgeübte Dienstleistungen (z.B. ­administrative Dienstleistungen, Finanzdienstleistungen, Unterstützung im Produktions-, Einkaufs-, Vertriebs- und Marketingbereich, Dienstleistungen in Personal­ angelegenheiten) generell von den OECD-Verrechnungspreisleitlinien als konzerninterne Dienstleistungen anerkannt. Tochtergesellschaften in China erhalten häufig Unterstützung von ihren ausländischen Muttergesellschaften für ihre Geschäftsentwicklungen in China. Durch die Entrichtung von Dienstleistungsentgelten an die ausländischen Muttergesellschaften werden die Gewinne der chinesischen Tochtergesellschaften verringert. Die Abzugsfähigkeit solcher Dienstleistungsentgelte wird oft in Betriebsprüfungen durch die chinesische Finanzverwaltung aufgegriffen. Vor der Veröffentlichung der einschlägigen Public Notices hat die chinesische Finanzverwaltung ihre Aufmerksamkeit mehr auf die Höhe der Kostenaufschläge gelegt. Eine steuerliche Korrektur wurde in der Regel nur vorgenommen, wenn die Kostenaufschläge aus Sicht der chinesischen Fi22 Der dem chinesischen Unternehmen zuzuordnende Gewinn ist auf der Kostenbasis der ausländischen Vergleichsunternehmen und unter Anwendung der durchschnittlichen FCMU der ausländischen Vergleichsunternehmen zu ermitteln, d.h. 8% x 150 = 12. 23 Tz. 7.6 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 24 Tz. 7.6 OECD-Verrechnungspreisleitlinien.

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nanzverwaltung zu hoch waren. Während der Mitwirkung beim BEPS-Projekt hat die chinesische Finanzverwaltung allerdings systematische Prüfungsschritte entwickelt, um die Abzugsfähigkeit solcher Dienstleistungsentgelte nicht nur der Höhe nach sondern auch dem Grunde nach zu prüfen. Im Jahr 2014 hat die chinesische Finanzverwaltung bereits in einem Schreiben an die Vereinten Nationen auf die folgenden sechs Prüfungspunkte bezüglich der Abzugsfähigkeit von Dienstleistungsentgelten hingewiesen.25 – Nutzenprüfung: Sowohl der Dienstleistungsempfänger als auch der Dienstleistungserbringer müssen von der Dienstleistung profitieren. Dies betrifft insbesondere die Gesellschaftertätigkeiten sowie die zufällig entstehenden Vorteile. Wenn der Dienstleistungserbringer mehr von der erbrachten Dienstleistung, z.B. strategisches Management, profitiert, könnten die entsprechenden Dienstleistungsgebühren in China nicht abzugsfähig sein. – Notwendigkeitsprüfung: Es muss anhand der Funktionsanalyse und der KostenNutzenanalyse festgestellt werden, ob die erbrachten Dienstleistungen notwendig sind. Als Beispiel wurde Unternehmens- und Rechtsberatung an eine Produktionstochtergesellschaft in China genannt. Wenn solche hochwertigen Dienstleistungen dem Funktion- und Risikoprofil der Gesellschaft oder dem Kosten-Nutzen-Verhältnis für die Gesellschaft nicht entsprechen, wird die Abzugsfähigkeit der entsprechenden Dienstleistungsentgelte abgelehnt. – Wertschöpfungsprüfung: Eine Dienstleistung muss die wirtschaftlichen oder kommerziellen Werte des Unternehmens erkennbar erhöhen und die Geschäftsposition des Unternehmens (voraussichtlich) stärken können. Nach Auffassung der chinesischen Finanzverwaltung verfügen die meisten lokalen Tochtergesellschaften in China über eigene Management-Teams mit Entscheidungsbefugnis. Sie holen die Autorisierung ihrer Muttergesellschaften nach Vorgaben der Konzernrichtlinien ein. Die Tätigkeiten der Muttergesellschaft in diesem Zusammenhang sind nicht wertschöpfend und daher nicht als konzerninterne Dienstleistungen anzuerkennen. Die entsprechenden Vergütungen sind nicht abzugsfähig in China. – Duplikationsprüfung: Eine Management-Dienstleistung, die lediglich eine Dienstleistung dupliziert oder zu einer Gesellschaftertätigkeit gehört, ist nicht abrechenbar. – Vergütungsprüfung: Eine separate Vergütung ist nicht mehr angebracht, wenn die Dienstleistung schon im Rahmen anderer konzerninterner Transaktionen abgegolten wurde. Die chinesische Finanzverwaltung betrachtet es als unangemessen, wenn eine Muttergesellschaft Lizenzgebühren für die Nutzung von immateriellen Wirtschaftsgütern verrechnet und zusätzlich separate Dienstleistungsentgelte von dem verbundenen Lizenznehmer für die relevanten Management- und Überwa25 State Administration of Taxation People’s Republic of China, Views on Service Fees and Management Fees (abrufbar: www.un.org/esa/ffd/wp-content/uploads/2014/10/ta-tpCommentsPRC.pdf). Siehe auch Bär/Volk, Grenzüberschreitende Verrechnung von Dienstleistungen vor und nach Inkrafttreten des DBA-China zum 1.1.2017, ISR 2017, 244-254.

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chungstätigkeiten verlangt. Es wird ebenfalls als unangemessen angesehen, wenn die Muttergesellschaft Dienstleistungsentgelte für einen günstigeren Einkauf von Rohstoffen durch die Tochtergesellschaft verlangt, obwohl die Muttergesellschaft die gefertigten Waren von der Tochtergesellschaft einkauft und daher von den günstigen Einkaufspreisen für die Rohstoffe profitiert. – Authentizitätsprüfung: Die chinesische Finanzverwaltung weist auf die Schwierigkeiten bei der Identifizierung des tatsächlichen Vorhandenseins der konzerninternen Dienstleistung sowie der Einhaltung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Fall von unübersichtlich vielen konzerninternen Transaktionen hin. Ein Abzug von Dienstleistungsentgelten könnte abgelehnt werden, wenn die Unternehmen keine ausreichenden Unterlagen vorlegen können. Im März 2015 hat die chinesische Finanzverwaltung den SAT-Erlass über die körperschaftsteuerliche Behandlung der an ausländische verbundene Unternehmen zu entrichtenden Dienstleistungsentgelte („Public Notice 2015 No. 16“)26 veröffentlicht und sechs Kriterien für die Nichtabzugsfähigkeit von Dienstleistungsentgelten genannt. In Public Notice 2016 No. 42 wurden die Dokumentationsanforderungen für konzerninterne Transaktionen, darunter auch die Dokumentation bzgl. konzerninterner Dienstleistungen vorgegeben. Dies dient der Authentizitätsprüfung im Sinne des 2014 Schreibens an die Vereinten Nationen. In Public Notice 2017 No. 627 wurden entsprechend der anderen fünf im 2014 Schreiben erläuterten Prüfungspunkte Tätigkeiten, die nicht als konzerninterne Dienstleistungen anzuerkennen sind, detailliert definiert. Die Kriterien für die Abzugsfähigkeit der Dienstleistungsentgelte nach den chinesischen Vorgaben sind deutlich strenger als die entsprechenden Kriterien nach den OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Es ist besonders darauf hinzuweisen, dass die chinesische Finanzverwaltung, abweichend von den OECD-Verrechnungspreisleitlinien, die Dienstleistungsentgelte für die Management-Dienstleistungen in den Bereichen Finanzen, Controlling, Personal und IT, die von der deutschen Zentrale bereitgestellt werden, nicht als abzugsfähig anerkannt, da die Dienstleistungen nach Ansicht der chinesischen Finanzverwaltung weder direkten noch indirekten wirtschaftlichen Nutzen bringen und mehr der Gesellschaftertätigkeit zugeordnet werden. bb) Abgrenzung zwischen Entsendung und Dienstleistung Deutsche Unternehmen entsenden häufig erfahrene Mitarbeiter nach China zu ihren Tochtergesellschaften. Die Entsendung erfolgt auf Basis eines Entsendevertrags, den der jeweilige Mitarbeiter mit der entsendenden Gesellschaft abschließt und in dem alle Rechte und Pflichten des Mitarbeiters im Rahmen der Entsendung umfassend 26 Vgl. http://www.chinatax.gov.cn/chinatax/n810341/n810765/n1465977/201503/c1677497/​ content.html. 27 Vgl. Art. 35 Public Notice 2017 No. 6. Durch die Veöffentlichung von Publich Notice 2017 No. 6 wurde Publci Notice 2015 No. 16 aufgehoben.

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vereinbart werden. Die Einbindung des Mitarbeiters beim aufnehmenden Unternehmen sowie die Verrechnung der mit der Entsendung verbundenen Aufwendungen werden regelmäßig in einer zusätzlichen Vereinbarung zwischen dem entsendenden und dem aufnehmenden Unternehmen geregelt. Solche Entsendungsfälle sind seit Jahren Gegenstand der Betriebsprüfung in China. Nach der Prüfung der vertraglichen Ausgestaltung und der tatsächlichen Durchführung bzgl. der Verantwortlichkeit für die Arbeitstätigkeiten des entsandten Mitarbeiters und der Kostentragung sieht die chinesische Finanzverwaltung in solchen Fällen häufig eine verdeckte Dienstleistungsbeziehung zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem aufnehmenden Unternehmen. Nach dem seit 1.1.2017 anwendbaren neuen Doppel­ besteuerungsabkommen zwischen Deutschland und China („DBA China“) könnte dann eine Dienstleistungsbetriebsstätte begründet werden, wenn die Tätigkeiten im Rahmen der Dienstleistungsbeziehung (für dasselbe oder ein damit verbundenes Vorhaben) innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten insgesamt mehr als 183 Tage andauern.28 Dienstleistungen im Sinne der DBA China sind insbesondere Projekte, technische Dienstleistungen, Planungs-, Konstruktions- und Designleistungen, Schulungsleistungen und Beratungsleistungen.29 Sobald eine Dienstleistungsbetriebsstätte festgestellt wird, wäre ein angemessener Teil der vom deutschen Stammhaus erzielten Gewinne der chinesischen Dienstleistungsbetriebsstätte zuzuordnen und der Besteuerung in China zu unterwerfen. Bei Festsetzung der Besteuerungsgrundlage verwendet die chinesische Finanzverwaltung meistens die sogenannte „Deemed-Profit-Methode“ und setzt eine fiktive Gewinnspanne fest.30 Die anzuwendenden fiktiven Gewinnspannen sind branchenbezogen und betragen mindestens 15% vom Umsatz. Für Dienstleistungen in Form von Projekten, Designleistungen und Beratungsleistungen betragen die fiktiven Gewinnspannen 15%−30% vom Umsatz und für Managementleistungen betragen die fiktiven Gewinnspannen 30%–50% vom Umsatz.31 28 Das alte DBA China enthält ähnliche Regelung zur Dienstleistungsbetriebsstätte. Nach dem alten DBA China bestand eine Dienstleistungsbetriebsstätte, wenn die Erbringung von Dienstleistungen mehr als sechs Monate innerhalb der letzten zwölf Monate dauerte. 29 Vgl. SAT-Erlass zur Auslegung des zwischen China und Singapur abgeschlossenen DBA („Public Notice 2010 No. 75“) (http://www.chinatax.gov.cn/n810341/n810765/n812161/ n812547/c1085021/content.html), der ebenfalls zur Auslegung von DBA zwischen China und Deutschland anwendbar ist, sofern die Bestimmungen in den Artikeln der beiden DBA übereinstimmen. In Bezug auf Dienstleistungen im Zusammenhang mit Dienstleistungsbetriebsstätte befindet sich die entsprechende Definition in Art.  5 Abs.  2 Nr.  2 des Public Notice 2010 No. 75. 30 Vgl. SAT-Erlass zur Besteuerung von beschränkten steuerpflichtigen Körperschaften („­Public Notice 2010 No. 19“) (http://www.chinatax.gov.cn/chinatax/n810341/n810765/ n812161/201002/c1086092/content.html). Eine Gewinnermittlung kann auch anhand einer ordnungsgemäß erstellten Betriebsstättenbilanz durchgeführt werden. Allerdings werden in der Praxis kaum Betriebsstättenbilanzen von den chinesischen Steuerbehörden akzeptiert aufgrund der Aufwendigkeit des Verfahrens. Außerdem haben viele beschränkten Steuerpflichtigen unbewusst Dienstleistungsbetriebsstätten in China begründet. In diesem Fall kann auch keine Betriebsstättenbilanz erwartet werden. 31 Public Notice 2010 No. 19, Art. 5.

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Die chinesische Finanzverwaltung hat in Art. 7 Public Notice 2010 No. 75 Leitfäden für die Qualifikation der Entsendung vorgegeben. Im Jahr 2013 wurden durch die Veröffentlichung des SAT-Erlass über Fragestellungen zur Unternehmensbesteuerung der in China erbrachten Dienstleistungen durch entsandte Mitarbeiter von nicht in China ansässigen Unternehmen („Public Notice 2013 No. 19“)32 die Abgrenzungskriterien weiter konkretisiert und Hinweise zu erforderlichen Unterlagen zur Prüfung des Sachverhalts gegeben. Nach Public Notice 2013 No. 19 wird eine Dienstleistungsbetriebsstätte begründet, wenn das entsendende Unternehmen die Verantwortlichkeiten und Risiken für die Arbeitsergebnisse des entsandten Mitarbeiters vollständig oder teilweise trägt und die Leistungen des Mitarbeiters beurteilt und bewertet. Die folgenden Faktoren sind besonders als Indikatoren für das Bestehen einer Dienstleistungsbeziehung zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem aufnehmenden Unternehmen zu betrachten33: 1) Die aufnehmende Gesellschaft zahlt Management- oder Dienstleistungsentgelte an die entsendende Gesellschaft für die Leistung des entsandten Mitarbeiters; 2) Die Zahlung der aufnehmenden Gesellschaft an die entsendende Gesellschaft übersteigt den Betrag der Gesamtsumme von Löhnen und Gehältern, Sozialversicherung und anderen Aufwendungen, die durch die entsendende Gesellschaft getragen werden; 3) Die entsendende Gesellschaft behält einen Teil der Zahlungen der aufnehmenden Gesellschaft ein und zahlt nicht den vollen Betrag an den entsandten Mitarbeiter aus; 4) Das Gehalt des entsandten Mitarbeiters, das von der entsendenden Gesellschaft getragen wird, unterliegt nicht vollumfänglich der chinesischen Einkommensteuer; 5) Die entsendende Gesellschaft entscheidet über die Anzahl, Qualifikation, das Vergütungspaket sowie den Einsatzort des entsandten Mitarbeiters in China. Zur Prüfung der Kriterien sind die chinesischen Finanzbehörden aufgefordert, die folgenden Unterlagen heranzuziehen: 1) Verträge zwischen dem entsandten Mitarbeiter, dem entsendenden Unternehmen und dem aufnehmenden Unternehmen; 2) Regelungen des entsendenden Unternehmens und des aufnehmenden Unternehmens zur Verwaltung des entsandten Mitarbeiters (z.B. Verantwortlichkeiten und Arbeitsumfang des Mitarbeiters, Leistungsbeurteilung, Risikotragung, usw.); 3) Zahlungen des aufnehmenden Unternehmens an das entsendende Unternehmen, deren bilanzielle Behandlung sowie die Einkommensteuererklärung des entsandten Mitarbeiters;

32 Vgl. http://www.chinatax.gov.cn/n810341/n810755/c1144920/content.html. 33 Public Notice 2013 No. 19, Art. 1.

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4) Informationen zu möglichen verdeckten Ausgleichszahlungen durch das aufnehmende Unternehmen (z.B. Ausgleichstransaktion, Forderungsverzicht, andere konzerninterne Transaktionen, usw.). Public Notice 2013 No. 19 gilt als nationales Recht und findet Anwendung sowohl auf DBA-Fälle als auch auf Nicht-DBA-Fälle. Das nationale Recht sieht keine 183 Tage-Regelung vor, d.h. eine Dienstleistungsbetriebsstätte kann am ersten Tag schon begründet werden. Nur wenn zwischen China und der Ansässigkeitsstaat des entsendenden Unternehmens ein DBA besteht, gibt es die Möglichkeit, eine Dienstleistungsbetriebsstätte nach DBA zu beurteilen. Die Bedeutung der vorstehenden Regelungen soll anhand der folgenden Praxisbeispielsfälle verdeutlicht werden: Beispiel 234: Eine ausländische Muttergesellschaft entsendete ihre Mitarbeiter zu ihrem Joint Venture in China, wobei die Mitarbeiter im Zeitraum November 2011 bis Dezember 2014 technische Beratung und Kundendienst geleistet haben. Jeder einzelne Mitarbeiter war nicht länger als 183 Tage im Jahr in China geblieben und wurde von der Muttergesellschaft bezahlt. Aber die Mitarbeiter haben für ein zusam­ menhängendes Projekt gearbeitet. Die gesamte Aufenthaltsdauer der an dem Projekt mitwirkenden Mitarbeiter hat mehr als 183 Tage betragen. Die chinesische Finanzverwaltung hat eine Dienstleistungsbetriebstätte festgestellt und eine steuerliche Nachzahlung i.H.v. ca $ 3,6 Millionen festgesetzt. Beispiel 335: Der chinesische Steuerpflichtige hat im Januar 2015 € 22 Millionen ($ 25 Millionen) an ein verbundenes ausländisches Unternehmen (Unternehmen A) für technische Dienstleistungen gezahlt. Die chinesische Finanzverwaltung hat aus den unternehmensinternen Unterlagen gesehen, dass das Unternehmen A seine Mitarbeiter zur chinesischen Gesellschaft entsendet und die entsprechenden Personalkosten getragen hatte. Nach den Kriterien aus Public Notice 2013 No. 19 wurde nach Ansicht der chinesischen Finanzverwaltung durch die Mitarbeiterentsendung eine Dienstleistungsbetriebsstätte begründet. Die chinesische Finanzverwaltung hat eine steuerliche Nachzahlung (inkl. Einkommensteuer) i.H.v. $ 4,8 Millionen festgesetzt. Aufgrund des hohen Besteuerungsrisikos aus der Qualifikation einer Entsendung ist zu empfehlen, die Entsendungsvereinbarungen sowie deren Durchführung sorgfältig zu gestalten und zu dokumentieren, um eine ungewollte Dienstleistungsbetriebsstätte in China zu vermeiden. cc) Abgrenzung zwischen technischen Dienstleistungen und Lizenzierungen Zwischen verbundenen Unternehmen können sowohl technische Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Nutzung von immateriellen Wirtschaftsgütern als auch 34 Vgl. https://www.internationaltaxreview.com/article/b1f7ngmwywvy35/pe-risks-of-crossborder-services-to-china. 35 Vgl. https://www.internationaltaxreview.com/article/b1f7ngmwywvy35/pe-risks-of-crossborder-services-to-china.

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Nutzungsüberlassungen von immateriellen Wirtschaftsgütern stattfinden. Für Nutzungsüberlassungen von immateriellen Wirtschaftsgütern an eine chinesische Gesellschaft ist China nach Art. 12 DBA China berechtigt, Quellensteuer auf die von der chinesischen Gesellschaft entrichteten Lizenzgebühren einzubehalten. Für technische Dienstleistungen ist eine Betriebsstättenbesteuerung nach Art. 7 DBA China durchzuführen, wenn durch die Erbringung von technischen Dienstleistungen eine Dienstleistungsbetriebsstätte i.S.v. Art. 5 Abs. 2 Buchstabe b) DBA China in China begründet wird. Aufgrund der unterschiedlichen steuerlichen Behandlungen von Einkünften aus technischen Dienstleistungen und Nutzungsüberlassungen von immateriellen Wirtschaftsgütern legt die chinesische Finanzverwaltung besonderen Wert auf die Abgrenzung zwischen den beiden Leistungsarten. In Guo Shui Han 2009 No. 50736 hat die chinesische Finanzverwaltung die Nutzungsüberlassung von technischem Know-how näher definiert und auf die Abgrenzung zur technischen Dienstleistung Bezug genommen. Zum technischen Know-how gehören Informationen über gewerbliche, kaufmän­ nische oder wissenschaftliche Erfahrungen. Deren Nutzungsüberlassung ist Gegenstand einer Lizenzierung, wenn solche Informationen 1) notwendig für die Produktion oder Duplizierung des Produkts sind; 2) nicht veröffentlicht sind; und 3) einzigartige Technologien enthalten.37 Der Lizenzgeber stellt die unveröffentlichten Informationen dem Lizenznehmer entgeltlich zur Verfügung. Er nimmt aber nicht an der konkreten Implementierung der Technologien teil und bietet auch keine Garantie für die Resultate aus der Nutzung des lizenzierten Gegenstands. Die lizenzierten Technologien sind in der Regel schon vorhanden oder wurden nach Vereinbarung mit dem Lizenznehmer entwickelt und unter Beachtung der Geheimhaltung oder weiterer Beschränkungen entgeltlich zur Verfügung gestellt.38 Im Unterschied dazu handelt es sich um technische Dienstleistungen, wenn ein Dienstleister im Rahmen einer Dienstleistung einzigartiges Know-how verwendet, aber dieses Know-how weder überträgt noch zur Nutzung überlasst. Solche Vergütungen sind nicht als Lizenzgebühren, sondern als Dienstleistungsgebühren zu qualifizieren. Immer als Dienstleistung einzustufen sind 1) Kundendienstleistung im Rahmen von Handelsverkehr; 2) durch einen Verkäufer an einen Käufer erbrachte Dienstleistungen während der Garantiefrist; 3) Dienstleistungen durch fachliche Institutionen oder individuelle Personen in Engineering-, Management- und Beratungsbranchen. Beispiel 439: Unternehmen A aus China zahlt jährlich ca. 1,3 Millionen RMB an ein in Singapur ansässiges verbundenes Unternehmen B auf Basis einer Dienstleistungsvereinbarung zwischen A und B. Nach der Dienstleistungsvereinbarung führt B Kabeltests in Singapur mit eigenem CDW/T System für A durch. Die chinesische Fi36 Vgl. http://www.chinatax.gov.cn/chinatax/n810341/n810765/n812166/200909/c1087078/ content.html. 37 Vgl. Guo Shui Han 2009 No. 507, Art. 2. 38 Vgl. Guo Shui Han 2009 No. 507, Art. 3. 39 Vgl. https://www.shui5.cn/article/ab/123869.html.

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nanzverwaltung hat aus den folgenden Gründen die Dienstleistungsgebühren zu Lizenzgebühren umqualifiziert: – Das CDW/T System ist eine einzigartige Software, die von B entwickelt wurde und in seinem Besitz ist. – Die Gebühren sind unabhängig vom Arbeitsergebnis zu entrichten. B nimmt nicht an der konkreten Implementierung der Technologien teil und gibt keine Garantie für das Resultat aus der Nutzung des lizenzierten Gegenstands. – A bekommt ein exklusives Recht, die Software zu nutzen. Als Konsequenz musste Unternehmen B Quellensteuer i.H.v. ca. 130.000 RMB nachzahlen. Im Ausland erbrachte technische Dienstleistungen sind grundsätzlich nicht steuerpflichtig in China. Wenn allerdings die technischen Dienstleistungen als eine Nebenleistung der Lizenzierung erbracht wurden, wird die entsprechende Vergütung für die technischen Dienstleistungen nach chinesischem Recht als Lizenzgebühr behandelt und unterliegt der Quellensteuer in China. Technische Dienstleistungen sind aber nach dem DBA China nicht Gegenstand einer Lizenzierung. Dadurch ist eine Anrechnung der darauf entfallenden chinesischen Quellensteuer in Deutschland nicht möglich. c) DEMPEP Funktion bei konzerninternen Transaktionen mit immateriellen Wirtschaftsgütern Zur Bestimmung der fremdüblichen Bedingungen von Geschäftsvorfällen im Zusammenhang mit der Nutzung oder Übertragung immaterieller Werte ist es nach den OECD-Verrechnungspreisleitlinien notwendig, im Wege einer Funktionsanalyse zu bestimmen, welches bzw. welche Konzernunternehmen die Entwicklungs-, Verbesserungs-, Erhaltungs-, Schutz- und Verwertungsfunktionen, die sogenannten DEMPE Funktionen,40 ausüben und kontrollieren. Die chinesische Finanzverwaltung folgt den oben genannten Leitlinien bzgl. immaterieller Wirtschaftsgüter. Allerdings hat die chinesische Finanzverwaltung neben den DEMPE Funktionen ausdrücklich in Art. 30 Public Notice 2017 No. 6 eine weitere Funktion, nämlich die Vermarktungsfunktion im Zusammenhang mit immateriellen Wirtschaftsgütern eingeführt. Es ergeben sich die DEMPEP41 Funktionen, die für die chinesische Finanzverwaltung im Mittelpunkt der Funktionsanalyse stehen. Obwohl die Vermarktungsfunktion gegebenenfalls unter den anderen DEMPE Funktionen im Rahmen der OECD-Verrechnungspreisleitlinien subsumiert werden kann, zeigt der ausdrückliche Verweis auf die Vermarktungsfunktion dennoch die ­Bedeutung 40 DEMPE steht für die englische Abkürzung von Development (Entwicklung), Enhancement (Verbesserung), Maintenance (Erhaltung), Protection (Schutz) und Exploitation (Verwertung). 41 Der letzte „P“ steht für Promotion.

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der Vermarktungsfunktion auf die Wertschöpfungskette aus Sicht der chinesischen Finanzverwaltung. Eine wichtige Frage ist, ob das Marketing-/Vertriebsunternehmen nur eine Vergütung für die Erbringung von Werbe- und Vertriebsleistungen oder auch eine Vergütung dafür erhalten sollte, dass es den Wert der Marken und sonstigen immateriellen Marketingwerte durch die von ihm ausgeübten Funktionen, ­genutzten Vermögenswerte und übernommen Risiken gesteigert hat.42 In China ­tendieren die Betriebsprüfer zum zweiten Fall, insbesondere wenn die Marketing-­ Tätigkeiten mit den lokalen Standortvorteilen zusammenspielen. Lokale Standortvorteile an sich sind Vergleichsbarkeitsfaktoren zur Bestimmung von fremdüblichen Verrechnungspreisen. Allerdings sind Kenntnisse über die vorhandenen lokalen Standortvorteile, insbesondere über die lokalen Marktchancen, immaterielle Werte, die aus Sicht der chinesischen Finanzverwaltung einen hohen Beitrag zur Wertschöpfungskette leisten können. In Art. 31 Public Notice 2017 No. 6 weist die chinesische Finanzverwaltung darauf hin, dass steuerliche Anpassungen vorgenommen werden müssen, wenn die Konzernunternehmen keine angemessenen Vergütungen für ihren nachträglichen Beitrag im Weg der Ausübung ihrer DEMPEP Funktionen erhalten haben. Art. 32 Publich Notice 2017 No. 6 gibt vor, dass die Konzernunternehmen Vergütung im Einklang mit ihren Beiträgen erhalten müssen. Für den Bereich der Auftragsforschung ist die chinesische Finanzverwaltung der Meinung, dass die Beiträge der chinesischen Konzerngesellschaften in diesem Zusammenhang ebenfalls unterschätzt werden. Insbesondere erhalten viele Konzerngesellschaften in China Steuerbegünstigung durch die Anerkennung ihres Status als „High and New Technology Enterprise“, haben sich aber dennoch als Auftrags­forscher bezeichnet. Die Anerkennung als „High and New Technology Enterprise“ setzt voraus, dass die Gesellschaft wertvolle Kerntechnologie beherrscht. Dies spricht offenbar gegen die Rolle als Auftragsforscher, der in der Regel keine wertvolle Kerntechnologie besitzt. In diesem Fall könnte eine Vergütung nach der Kostenaufschlagsmethode als unzureichend betrachtet werden. Die chinesische Finanzverwaltung erwartet die Anwendung der Gewinnaufteilungsmethode, falls der Auftragsforscher einen signifikanten Beitrag zur Entwicklung oder Verbesserung von relevanten immateriellen Wirtschaftsgütern leistet. d) Besondere Vorschriften für Gesellschaften mit einzelnen Funktionen Der Fremdvergleichsgrundsatz folgt dem Ansatz, dass die Unternehmen eines multinationalen Konzerns als selbständige Unternehmen und nicht als untrennbare Teile eines einzigen einheitlichen Unternehmens zu behandeln sind (Grundsatz des selbständigen Unternehmens).43 Obwohl es Schwierigkeiten bei der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes gibt, z.B. weil der Grundsatz des selbständigen Unternehmens die durch die Unternehmensintegration bewirkten Synergieeffekte und wechselseitigen Beziehungen zwischen unterschiedlichen Aktivitäten nicht immer ausreichend berücksichtigt, bleiben die Mitgliedstaaten der OECD bei ihrer Auffas42 Tz. 6.78 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 43 Tz. 1.6 OECD-Verrechnungspreisleitlinien.

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sung, dass für die Beurteilung von Verrechnungspreisen zwischen verbundenen Unternehmen der Fremdvergleichsgrundsatz maßgebend ist. Im UN-Verrechnungshandbuch weist die chinesische Finanzverwaltung darauf hin, dass viele multinationalen Unternehmen in China separate Tochtergesellschaften in China gegründet haben mit separaten einzelnen Funktionen wie Produktion, Vertrieb, Forschung und Entwicklung und Dienstleistungen. Nach Ansicht der chinesischen Finanzverwaltung sollen die separaten Gesellschaften als Ganzes betrachtet werden, um die angemessenen Vergütungen zu bestimmen. Z.B. in Art.  26 Public Notice 2017 No. 6 gibt die chinesische Finanzverwaltung vor, eine Working-Capital Anpassung sei nur zulässig, wenn umfassende Daten über die gesamte Wertschöpfungskette mit Angaben zur Ertragslage der einzelnen Beteiligten Parteien geliefert werden. e) Verrechnungspreisdokumentationspflicht Die OECD-Verrechnungspreisleitlinien haben eine dreistufige Berichtsstruktur für die Verrechnungspreisdokumentation eingeführt, die sich aus einer Stammdokumentation („Master File“), einer Einzeldokumentation („Local File“) und einem länderbezogenen Bericht („Country-by-Country Report“) zusammensetzt.44 Deutschland hat diesen Ansatz der dreistufigen Berichtstruktur jeweils in §  90 (3) AO in Bezug auf die Stammdokumentation und die Einzeldokumentation und in §  138a AO in Bezug auf den länderbezogenen Bericht verankert. China folgt generell auch dem obengenannten Ansatz in Bezug auf die Verrechnungspreisdokumentation. Allerdings hat die chinesische Finanzverwaltung bezüglich der Einzeldokumentation in Public Notice 2016 No. 42 noch genauere Vorschriften je nach Transaktionsart und Transaktionsvolumen eingeführt. Für Sonderfälle wie dem Abschluss von Kostenumlagevereinbarungen oder dem Eintritt von Unterkapitalisierung im Rahmen der konzerninternen Transaktion ist unabhängig von dem Transaktionsvolumen eine Spezialdokumentation („Special Issue File“) zu erstellen. In anderen Fällen ist eine allgemeine Einzeldokumentation zu erstellen, wenn eine gewisse Schwelle für eine einzelne Transaktionsart oder für ein Bündel von konzerninternen Transaktionen überschritten worden ist. Darüber hinaus gibt die chinesische Finanzverwaltung in Public Notice 2017 No. 6 vor, dass Unternehmen mit Routinefunktionen wie Lohnfertigung, Auftragsfertigung, Vertrieb oder Auftragsforschung angemessene Profitabilitätsniveaus erreichen müssen. Wenn solche Routineunternehmen Verluste erwirtschaften, sind sie verpflichtet, für das relevante Geschäftsjahr eine Einzeldokumentation einzureichen, unabhängig davon, ob die Unternehmen nach den allgemeinen Vorschriften in Public Notice 2016 No. 42 die Verpflichtung zur Abgabe der Einzeldokumentation haben.45

44 Tz. 5.16 OECD-Verrechnungspreisleitlinien. 45 Public Notice 2017 No. 6, Art. 28.

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Verrechnungspreisermittlung bei Geschäftsbeziehungen mit China

III. Schlussfolgerung Aufgrund der spezifischen wirtschaftlichen Bedingungen in China hat die chinesische Finanzverwaltung strengere Verrechnungspreisregelungen als die OECD-Verrechnungspreisleitlinien eingeführt, um eine Gewinnaufteilung zuungunsten der chinesischen Finanzverwaltung zu verhindern. Multinationale Unternehmen mit konzerninternen Transaktionen mit chinesischen Tochtergesellschaften müssen bei der Gestaltung und Verteidigung ihrer Verrechnungspreissysteme auf solche Besonderheiten achten.

Dr. Jing Li Steuerberaterin, Diplom-Volkswirtin

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Verbindliche Auskünfte zu Umwandlungen – ausgewählte Probleme mit Blick auf die Antragsteller und Gebühren Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Antragsteller 1. Allgemeines 2. Ausübung des Antragswahlrechts zur Buchwertfortführung bei Umwandlungen a) §§ 20, 21, 24 UmwStG b) §§ 11 ff. und § 15 UmwStG, §§ 3 ff. und § 16 UmwStG 3. Nicht-Entstehung junger Finanzmittel i.S.d. § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 ErbStG a) Feststellungverfahren nach § 13b Abs. 10 ErbStG

b) Auswirkungen auf Antragstellung III. Gebühren 1. Anzahl der Gebühren a) Allgemeines b) Sachverhalt i.S.d. § 89 AO 2. Höhe der Gebühren 3. Rechtsfragen zur Buchwertfortführung i.S.d. §§ 20, 21, 24 UmwStG 4. Rechtsfragen zur Nicht-Entstehung ­junger Finanzmittel IV. Schluss

I. Einleitung Um eine Umwandlung in der Praxis rechtssicher zu beraten, ist es häufig notwendig verbindliche Auskünfte einzuholen. Dies ergibt sich zum einen aus dem Wert des übertragenen Vermögens, der es meist erfordert, jedes minimale Steuerrisiko auszuschließen und zum anderen aus der im Einzelfall unsicheren Rechtslage, da viele Rechtsfragen gesetzlich nicht geregelt sind und die Gerichte an die im Umwandlungssteuererlass niedergelegte Auffassung der Finanzverwaltung nicht gebunden sind. Da bei Umwandlungen mehrere Rechtsträger beteiligt sind, die steuerlichen Auswirkungen zumeist aber nicht bei allen beteiligten Rechtsträgern eintreten, ist es von Bedeutung, welche Rechtsträger als Antragsteller aufzunehmen sind, um eine umfassende Bindungswirkung der verbindlichen Auskunft zu erhalten. Damit zwangsläufig verbunden ist die Frage nach der Anzahl und der Höhe der Gebühren für die verbindliche Auskunft. Bei hohen Werten des übertragenen Vermögens wird oft ohnehin die Höchstgebühr anfallen. Da diese aber nur pro Antragsteller gilt, kann die Höchstgebühr bei mehreren Antragstellern mehrfach anfallen. Zudem stellt sich gerade bei Umwandlungen, die regelmäßig auch Vorbereitungsmaßnahmen erfordern und in mehreren Schritten umgesetzt werden, die Frage, ob es sich um einen Sachverhalt oder mehrere Sachverhalte handelt und hierfür je Antragsteller sogar mehrere Gebühren anfallen können. Diese Fragen sind in der Praxis von erheblicher Bedeutung, da es hierdurch zu einer Multiplikation der (Höchst-) Gebühr und damit im Extremfall zu Gebühren in Millionenhöhe kommen kann. Dieser Beitrag stellt dar, welche Rechtsträger bei Rechtsfragen zur Buchwertfortführung und Nicht-Entstehung von jungen Finanzmitteln i.S.d. § 13b ErbStG bei Um127

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wandlungen als Antragsteller aufzunehmen sind und welche Folgen sich daraus bei der Gebührenerhebung ergeben. Zudem wird beleuchtet, anhand welcher Merkmale zu bestimmen ist, ob von einem Sachverhalt (eine Gebühr) oder von mehreren Sachverhalten (mehrere Gebühren) auszugehen ist.

II. Antragsteller 1. Allgemeines Das Finanzamt ist verpflichtet, die spätere Festsetzung bzw. Feststellung auf der Grundlage der verbindlichen Auskunft durchzuführen, weil die verbindliche Auskunft Bindungswirkung entfaltet. Da die Bindungswirkung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 StAuskV in persönlicher Hinsicht aber nur für den Antragsteller gilt, liegt es vor allem im Interesse der betroffenen Steuerpflichtigen, alle in Betracht kommenden Antragsteller in den Auskunftsantrag aufzunehmen. Formal betrachtet ist Antragsteller derjenige, in dessen Namen der Auskunftsantrag gestellt wird. Demzufolge kann ein Dritter Antragsteller sein, ihm wird aber regelmäßig das besondere Interesse fehlen. Denn nach § 89 Abs. 2 Satz 1 AO muss an der verbindlichen Auskunft „im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse“ bestehen. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAuskV grenzt das besondere Interesse noch weiter ein, indem ein „besondere[s] steuerliche[s] Interesse […] des Antragstellers“ gefordert wird. Aus der StAuskV ergibt sich somit, dass auf die steuerlichen Auswirkungen beim Antragsteller abzustellen ist. Weder die AO noch die StAuskV bestimmen jedoch, nach welchen Kriterien das besondere Interesse von einem einfachen bzw. allgemeinen Interesse abzugrenzen ist. Im Hinblick auf den Sinn und Zweck der verbindlichen Auskunft – Planungs- und Entscheidungssicherheit für anstehende Dispositionen zu schaffen1 – wird das besondere Interesse überwiegend als Dispositionsinteresse verstanden.2 Der Antragsteller soll also darlegen,3 dass eine geplante Disposition mit erheblichen steuerlichen Auswirkungen von der verbindlichen Auskunft abhängt.4 Beim Steuerschuldner ist die Annahme eines besonderen steuerlichen Interesses mit Blick auf eventuelle Steuerbelastungen unproblematisch. Neben der Steuerschuld kann sich das besondere steuerliche Interesse jedoch auch aus anderen steuerlichen Pflichten, wie etwa Erklärungspflichten, ergeben. Denn für die Abgabe von Steuer- oder Feststellungserklärungen und für deren Richtigkeit sind die Steuerpflichtigen verantwortlich. Diese haben ein eigenes Interesse daran, eine zutreffende Steuer- oder Feststellungserklärung abzu1 Vgl. Söhn in Hüschmann/Hepp/Spitaler, § 89 AO Rz. 179 (Juli 2020) m.w.N. 2 Vgl. etwa Rätke in Klein, 15. Aufl. 2020, § 89 AO Rz. 19; Roser in Gosch, § 89 AO Rz. 35 (August 2018); Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 32 (Juni 2020). 3 Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAuskV ist das besondere steuerliche Interesse im Auskunftsantrag darzulegen. 4 Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 89 AO Rz. 190 (Juli 2020); Wünsch in Koenig, 3. Aufl. 2014, § 89 AO Rz. 26.

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geben und haben bei streitigen Rechtsfragen auch ein eigenes Interesse daran, zu diesen streitigen Rechtsfragen eine verbindliche Auskunft einzuholen. Da Steuerpflichtige aufgrund ihrer steuerlichen Pflichten am Besteuerungsverfahren beteiligt sind und mit deren steuerlichen Pflichten immer steuerliche Auswirkungen verbunden sind, haben diese stets ein besonderes Interesse an einer verbindlichen Auskunft. Steuerpflichtiger i.S.d. § 33 AO ist schließlich nicht nur der Steuerschuldner, sondern unter anderem auch derjenige, der eine Steuererklärung abzugeben oder andere ihm durch die Steuergesetze auferlegte Verpflichtungen zu erfüllen hat. Nur wenn Steuerpflichtiger und Antragsteller nicht identisch sind – etwa bei Antragstellung für noch nicht existente Steuerpflichtige – ist das besondere Interesse näher zu prüfen.5 Bezieht sich der Auskunftsantrag auf einen Sachverhalt, der mehreren Personen steuerlich zuzurechnen ist (§ 179 Abs. 2 Satz 2 AO) oder der Organschaftsverhältnisse – jedoch nur die in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 StAuskV genannten Fälle – betrifft, kann die verbindliche Auskunft nach § 1 Abs. 2 Satz 1 StAuskV nur von allen Beteiligten gemeinsam beantragt werden. Die Beteiligten bilden dann eine Antragstellergruppe. 2. Ausübung des Antragswahlrechts zur Buchwertfortführung bei Umwandlungen Insbesondere bei Umwandlungen kommt es regelmäßig vor, dass Handlungen eines Steuerpflichtigen steuerliche Folgen auf der Ebene eines anderen Steuerpflichtigen auslösen. Eine mit § 1 Abs. 2 Nr. 1 StAuskV vergleichbare Regelung zur einheitlichen Beantragung und Erteilung einer verbindlichen Auskunft besteht für Umwandlungen nicht. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist in Umwandlungsfällen jeder abgebende, übernehmende oder entstehende Rechtsträger eigenständig zu beurteilen.6 a) §§ 20, 21, 24 UmwStG Bei Sacheinlagen i.S.d. § 20 UmwStG, Anteilstauschen i.S.d. § 21 UmwStG und Einbringungen in Personengesellschaften i.S.d. § 24 UmwStG kann die übernehmende Gesellschaft das eingebrachte Betriebsvermögen bzw. die eingebrachten Anteile unter den Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG, § 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG bzw. § 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG auf Antrag mit dem Buchwert (oder einem Wert zwischen dem Buchwert und dem gemeinen Wert) ansetzen. Den Antrag kann le­ diglich die übernehmende Gesellschaft stellen,7 eine steuerliche Auswirkung ergibt sich bei ihr aber unmittelbar nicht, da der Zugang erfolgsneutral erfolgt. Beim Einbringenden hat die Ausübung des Antragswahlrechts durch die übernehmende Gesellschaft hingegen eine steuerliche Auswirkung, da der vom übernehmenden Rechtsträger angesetzte Wert nach §  20 Abs.  3 Satz 1 UmwStG, §  21 Abs.  2 Satz 1 5 Vgl. dazu auch Tz. 3.2.2. und 3.2.3. des AEAO zu § 89. 6 Vgl. Tz. 4.1.2. des AEAO zu § 89 zur Gebührenpflicht. 7 Siehe § 20 Abs. 2 Satz 3 UmwStG bzw. § 21 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 3 UmwStG bzw. § 24 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 3 UmwStG.

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UmwStG bzw. § 24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG als Veräußerungspreis für das eingebrachte Betriebsvermögen bzw. die Anteile an der Kapitalgesellschaft gilt und somit ein Ansatz über dem Buchwert zur Entstehung eines Einbringungsgewinns führt. Um durch eine verbindliche Auskunft abzusichern, dass die Voraussetzungen der Buchwertfortführung erfüllt sind, stellt die übernehmende Gesellschaft den Auskunftsantrag.8 Das besondere steuerliche Interesse i.S.d. §  1 Abs.  1 Satz 2 Nr.  3 StAuskV wird von der Finanzverwaltung nicht problematisiert und dürfte sich bereits aus der Verpflichtung, über die Ausübung des Wahlrechts zur Buchwertfortführung zu entscheiden, ergeben. Durch die verbindliche Auskunft für die übernehmende Gesellschaft wird sichergestellt, dass sie das Wahlrecht zur Buchwertfortführung ausüben darf, weil die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 und 2 UmwStG, § 21 Abs. 1 UmwStG bzw. § 24 Abs. 2 Satz 2 UmwStG für den Buchwertansatz erfüllt sind. Ungeachtet der in § 20 Abs. 3 Satz 1 UmwStG, § 21 Abs. 2 Satz 1 UmwStG bzw. § 24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG angeordneten zwingenden Wertverknüpfung sollte auch der Einbringende Antragsteller sein.9 Bei diesem ergibt sich das besondere steuerliche Interesse i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAuskV aus der im Falle der Versagung der Buchwertfortführung drohenden Steuerbelastung. Die verbindliche Auskunft für die übernehmende Gesellschaft mit der Zusage, dass die Voraussetzungen für die Buchwertfortführung erfüllt sind, entfaltet nämlich keine vollumfängliche Wirkung für die Besteuerung des Einbringenden. Daher ist es nicht ausgeschlossen, dass das für den Einbringenden zuständige Finanzamt beispielsweise nach eigener Prüfung die Auffassung vertritt, dass überhaupt keine Sacheinlage nach § 20 Abs. 1 UmwStG vorgelegen habe und dass deshalb auch keine zwingende Verknüpfung zwischen dem Wertansatz bei der übernehmenden Gesellschaft und dem Veräußerungspreis des Einbringenden besteht.10 Nach der Rechtsprechung des BFH tritt die Wertverknüpfung nämlich nur dann ein, wenn überhaupt eine Sacheinlage nach § 20 Abs. 1 Satz 1 UmwStG vorliegt.11 Der BFH hat in seiner Rechtsprechung hierzu auch explizit festgestellt, dass für die übernehmende Kapitalgesellschaft ergangene Steuerbescheide, die von einem Buchwertansatz ausgehen, keine Grundlagenbescheide für die Besteuerung beim Einbringenden sind.12 Damit hält der BFH trotz der unstreitigen Annahme einer steuerneutralen Einbringung bei der übernehmenden Gesellschaft eine nicht steuerneutrale Einbringung beim Einbringenden für möglich. 8 Vgl. Bayerisches Landesamt für Steuern v. 4.8.2018 − S 0224.2.1-21/4 St43 Tz. 5, wonach zunächst über den Wertansatz bei der aufnehmenden Kapitalgesellschaft zu entscheiden ist und hierfür primär das Körperschaftsteuer-Finanzamt zuständig ist. 9 Sollten mehrere Finanzämter zuständig sein, bietet sich eine Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO an, vgl. Hendricks/Rogall/Schönfeld, Ubg 2009, 197 (202 f.); Stangl in Rödder/ Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, Anhang 14 Rz. 61. 10 Vgl. Hendricks/Rogall/Schönfeld, Ubg 2009, 197 (198); Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, Anhang 14 Rz. 41, 56; Hageböke/Hendricks, Der Konzern 2013, 106 (115). 11 Vgl. BFH v. 16.12.2009 – I R 97/08, BStBl. II 2010, 808 Rz. 17. Die in diesem Verfahren maßgebliche Regelung des § 20 Abs. 4 Satz 1 UmwStG 1995 entspricht im Hinblick auf die Wertverknüpfung der Regelung des § 20 Abs. 3 Satz 1 UmwStG. 12 BFH a.a.O. Rz. 18.

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Nur wenn sowohl der Einbringende als auch die aufnehmende Gesellschaft den Auskunftsantrag stellen und der Einbringende somit von der Bindungswirkung der verbindlichen Auskunft erfasst wird, lässt sich sicherstellen, dass auch beim Einbringenden die zwingende Wertverknüpfung des §  20 Abs.  3 Satz 1 UmwStG, §  21 Abs.  2 Satz 1 UmwStG bzw. § 24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG gewährleistet ist.13 b) §§ 11 ff. und § 15 UmwStG, §§ 3 ff. und § 16 UmwStG Die sich bei den §§  20, 21 und 24 UmwStG ergebenden Probleme stellen sich bei Rechtsfragen zur Buchwertfortführung nach § 11 Abs. 2 UmwStG14 und § 3 Abs. 2 UmwStG15 nicht. Denn bei Verschmelzungen und Spaltungen, für die über den Verweis in den §§ 15 Abs. 1 und 2, 16 UmwStG die Verschmelzungsvorschriften entsprechend gelten, muss der übertragende Rechtsträger einen Antrag auf Fortführung der Buchwerte stellen und bei Nichterfüllung der Voraussetzungen einen eventuellen Übertragungsgewinn versteuern, sodass es ausreichen sollte, wenn lediglich er einen entsprechenden Antrag auf verbindliche Auskunft stellt. Trotz der in §  12 Abs.  1 UmwStG bzw. § 4 Abs. 1 UmwStG vorgesehenen Wertverknüpfung mit dem Ansatz beim übernehmenden Rechtsträger entsteht bei diesem, selbst wenn die übergehenden Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert angesetzt würden, keine unmittelbare steuerliche Auswirkung. 3. Nicht-Entstehung junger Finanzmittel i.S.d. § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 ErbStG Das im Rahmen von Umwandlungen übertragene Vermögen kann hohe Finanzmittel i.S.d. § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 1 ErbStG (z.B. Forderungen) enthalten. Häufig werden Finanzmittel nicht nur unmittelbar von dem übertragenden Rechtsträger, sondern auch mittelbar von Tochtergesellschaften gehalten. Gemäß § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 ErbStG stellen Finanzmittel in Höhe des positiven Saldos der eingelegten und der entnommenen Finanzmittel, welche dem Betrieb im Besteuerungszeitpunkt weniger als zwei Jahre zuzurechnen waren, sog. junge Finanzmittel dar. Insbesondere bei einer Seitwärtsverschmelzung empfiehlt sich daher im Rahmen einer verbindlichen Auskunft abzusichern, dass die unmittelbar und mittelbar gehaltenen Finanzmittel durch die Verschmelzung nicht zu jungen Finanzmitteln i.S.d. §  13b Abs.  4 Nr. 5 Satz 2 ErbStG werden. Diese wären im Falle einer Schenkung bzw. eines Erbfalles nicht von der erbschaftsteuerlichen Verschonung von Betriebsvermögen nach §§ 13a, 13b ErbStG erfasst und würden damit in voller Höhe der Erbschaftsteuer un13 Vgl. auch Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, Anhang 14 Rz. 41 ff., 61, 65 ff., 69 ff.; Hageböke/Hendricks, Der Konzern 2013, 106 (115); Hendricks/ Rogall/Schönfeld, Ubg 2009, 197 (200 ff.); Korn, KÖSDI 2008, 16099 (16102, 16109); a.A. Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, vor §§ 20–23 UmwStG Rz. 15, 15d (November 2019); wohl auch Bayerisches Landesamt für Steuern v. 4.7.2018 − S 0224.2.1-21/4 St34 Tz. 5, wonach das Finanzamt des Einbringenden lediglich im Wege der Amtshilfe mitwirken sollte. 14 Vgl. im Einzelnen Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, Anhang 14 Rz. 35. 15 Vgl. im Einzelnen Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, Anhang 14 Rz. 28.

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terliegen. Da bei der Beurteilung, ob junge Finanzmittel vorliegen, wohl auf den ertragsteuerlichen Einlagebegriff abzustellen ist,16 dürfte eine Verschmelzung nicht zur Entstehung junger Finanzmittel führen. Der BFH hat zwar in einer neuen Entscheidung angenommen, dass Wirtschaftsgüter, die durch eine Aufwärtsverschmelzung von der übertragenden auf die übernehmende Gesellschaft übergehen, zu jungem Verwaltungsvermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 Satz 3 ErbStG17 werden, da die Aufwärtsverschmelzung ein Aktivtausch sei.18 Die Argumentation ist jedoch nicht auf die Entstehung junger Finanzmittel übertragbar, weil es bei jungem Verwaltungsvermögen nicht auf eine Einlage, sondern lediglich die Zurechnung ankommt. Eine Absicherung lässt sich jedoch nur durch eine verbindliche Auskunft erreichen. Die Entscheidung, ob junge Finanzmittel bzw. junges Verwaltungsvermögen vorliegen, trifft das für die jeweilige Gesellschaft zuständige Betriebsfinanzamt und stellt u.a. die Höhe der jungen Finanzmittel bzw. des jungen Verwaltungsvermögens nach § 13b Abs. 10 ErbStG gesondert fest. Um eine umfassende Bindungswirkung der verbindlichen Auskunft für den Erbfall bzw. die Schenkung zu erreichen, ist es wichtig, dass alle Beteiligten des Feststellungsverfahrens als Antragsteller des Auskunftsantrages aufgenommen werden. Hierzu ist das Feststellungsverfahren i.S.d. § 13b Abs. 10 ErbStG näher zu betrachten. a) Feststellungverfahren nach § 13b Abs. 10 ErbStG Ist Betriebsvermögen Gegenstand einer Schenkung oder eines Erwerbs von Todes wegen, hat das Betriebsfinanzamt nach § 13b Abs. 10 ErbStG die Summe der gemeinen Werte der Finanzmittel, der jungen Finanzmittel, der Vermögensgegenstände des Verwaltungsvermögens und des jungen Verwaltungsvermögens gesondert festzustellen, wenn und soweit diese Werte für die Erbschaftsteuer oder eine andere Feststellung von Bedeutung sind. Handelt es sich um eine mehrstufige Beteiligungsstruktur, erfolgt die gesonderte Feststellung auf jeder Beteiligungsstufe.19 Diese Feststellungen sind bei einer Beteiligungskette jeweils Grundlagenbescheide i.S.d. § 171 Abs. 10 AO für die Feststellung auf der nächsthöheren Ebene bzw. für die abschließende Festsetzung der Erbschaftsteuer,20 sodass es zu einer Feststellungskette kommt.21 Eine gesonderte Feststellung u.a. junger Finanzmittel erfolgt demnach bei jeder einzelnen Gesellschaft, die unmittelbar oder mittelbar zum Betriebsvermögen gehört. Für den Antrag auf verbindliche Auskunft ist im Einzelfall von Bedeutung, bei welcher Gesellschaft infolge der Umwandlung junge Finanzmittel entstehen könnten. Dies ist z.B. bei einer Seitwärtsverschmelzung der übernehmende Rechtsträger, da es 16 Vgl. Korezkij in BeckOK ErbStG, § 13b ErbStG Rz. 288.1 (Juli 2020); Stalleiken in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 13b ErbStG Rz. 195. 17 I.d.F. v. 24.12.2008. 18 BFH v. 22.1.2020 – II R 41/18, DStR 2020, 1784. 19 Vgl. R E 13b.30 Satz 7 ErbStR 2019; Stalleiken in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 13b ErbStG Rz. 256 f. 20 Weinmann in Mönch/Weinmann/Kien-Hümbert, § 13b ErbStG Rz. 262 (März 2018). 21 R B 154 Abs. 4 ErbStR 2019; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, § 13b ErbStG Rz. 436 (November 2019).

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bei ihm zu einem Zugang von Finanzmitteln kommt. Da auf diesen das gesamte Vermögen des übertragenden Rechtsträgers einschließlich der Finanzmittel übergeht, dürfte im Rahmen der Feststellung i.S.d. § 13b Abs. 10 ErbStG beim übernehmenden Rechtsträger über die Entstehung junger Finanzmittel vom Betriebsfinanzamt zu entscheiden und demnach dort der Antrag zu stellen sein. Bei mehrstufiger Beteiligungsstruktur ist hinsichtlich der Feststellungen auf den höheren Ebenen hingegen keine verbindliche Auskunft erforderlich, da die Feststellung beim übernehmenden Rechtsträger als Grundlagenbescheid für die Feststellung auf den nächsthöheren Stufen bindend ist. Auf das Feststellungsverfahren sind gemäß § 13b Abs. 10 Satz 5 ErbStG die Regelungen in §§ 151 ff. BewG anzuwenden. Nach § 154 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG ist Beteiligter am Feststellungsverfahren derjenige, dem der Gegenstand der Feststellung zuzurechnen ist. Die Gesellschaft, auf deren Ebene die Feststellung erfolgt  – bei einer Seitwärtsverschmelzung der übernehmende Rechtsträger – ist somit Beteiligter i.S.d. § 154 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG. Zudem sind nach §  154 Abs.  1 Nr.  3 BewG auch diejenigen, die eine Steuer als Schuldner oder Gesamtschuldner schulden und für deren Festsetzung die Feststellung von Bedeutung ist, Beteiligte des Feststellungsverfahrens. Das sind gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG im Falle einer Schenkung der Schenker und Beschenkte und im Erbfall der Erbe. § 154 Abs. 1 Nr. 3 BewG gilt auch bei mehrstufigen Feststellungsverfahren.22 Nach §  154 Abs.  1 Satz 2 BewG wird gegenüber mehreren Beteiligten i.S.d. §  154 Abs. 1 Satz 1 BewG eine gesonderte und einheitliche Feststellung i.S.d. § 179 Abs. 2 Satz 2 AO durchgeführt. b) Auswirkungen auf Antragstellung § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StAuskV regelt, dass eine verbindliche Auskunft nur von allen Beteiligten gemeinsam beantragt werden kann, wenn sie sich auf einen Sachverhalt bezieht, der mehreren Personen steuerlich zuzurechnen ist und verweist dabei im Klammerzusatz explizit auf § 179 Abs. 2 Satz 2 AO. Nach § 179 Abs. 2 Satz 2 AO wird die gesonderte Feststellung gegenüber mehreren Beteiligten einheitlich vorgenommen, wenn dies gesetzlich bestimmt ist oder der Gegenstand der Feststellung mehreren Personen zuzurechnen ist. Bei der Vorschrift des § 154 Abs. 1 Satz 2 BewG handelt es sich um eine gesetzliche Bestimmung i.S.d. § 179 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AO, die eine gesonderte und einheitliche Feststellung (potentielle junge Finanzmittel und andere Besteuerungsmerkmale in der Beteiligungskette) anordnet. Angesichts des Zwecks des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StAuskV, widersprüchliche Anträge zu vermeiden und einheitliche Entscheidungen herbeizuführen, dürften beide Alternativen des § 179 Abs. 2 Satz 2 AO erfasst sein.23 22 Gleichlautende Ländererlasse v. 14.3.2016, Tz. 5, Beispiel 7 Buchst. b, BStBl. I 2016, 249. 23 Überwiegend wird dies nicht weiter problematisiert; vgl. Seer in Tipke/Kruse, §  89 AO Rz. 30a (Juni 2020), der nicht zwischen den Fällen des § 179 Abs. 2 Satz 2 AO differenziert;

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Daher sollte der Auskunftsantrag von allen an dem Feststellungsverfahren i.S.d. § 13b Abs. 10 ErbStG Beteiligten gestellt werden. Da der Beschenkte bzw. der Erbe noch nicht feststehen, können diese auch nicht als Antragsteller aufgenommen werden. Insoweit dürfte die Antragstellung durch den potentiellen Schenker, der selbst potentieller Steuerschuldner ist, bzw. den potentiellen Erblasser, der über die Erben und Gesamtrechtsnachfolger i.S.d. § 45 AO (Erbfall) an einem solchen Feststellungsverfahren nach § 13b Abs. 10 ErbStG i.V.m. § 154 Abs. 1 Nr. 3 BewG beteiligt wäre, erfolgen. Im Ergebnis dürften daher z.B. bei einer Seitwärtsverschmelzung die übernehmende Gesellschaft und der potentielle Schenker bzw. Erblasser Antragsteller sein.

III. Gebühren 1. Anzahl der Gebühren a) Allgemeines Für die Bearbeitung eines Auskunftsantrags wird gemäß § 89 Abs. 3 Satz 1 AO eine Gebühr erhoben. Soweit sich die rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts auf einen Steuerpflichtigen bezieht, liegt jeweils ein Antrag vor.24 Stellen mehrere Antragsteller zu einem Sachverhalt einen Antrag auf verbindliche Auskunft, liegen also grundsätzlich mehrere Auskunftsanträge vor und fällt je Antragsteller eine Gebühr an. Allerdings kommt es zu einer Gebührenbegrenzung, wenn eine verbindliche Auskunft gegenüber mehreren Antragstellern i.S.d. § 1 Abs. 2 StAuskV nur einheitlich erteilt werden kann – gemäß § 89 Abs. 3 Satz 2 AO ist dann nur eine Gebühr zu erheben. Die für die gesamte Antragstellergruppe anfallende eine Gebühr schulden diese nach § 89 Abs. 3 Satz 2 2. HS AO als Gesamtschuldner.25 b) Sachverhalt i.S.d. § 89 AO Grundlage für einen Antrag auf verbindliche Auskunft bildet ein rechtlich zu beurteilender Sachverhalt. Je Sachverhalt liegt ein Auskunftsantrag vor, für den je Antragsteller bzw. je Antragstellergruppe eine Gebühr anfällt. Was unter „Sachverhalt“ i.S.d. § 89 AO zu verstehen ist, ist für die Antragsteller demnach von entscheidender Bedeutung, weil die Gebührenpflicht daran anknüpft. Zum Begriff des Sachverhalts und damit zu der Frage, wie die Anzahl der Sachverhalte abzugrenzen ist, finden sich im Gesetz jedoch keine expliziten Regelungen. Insoweit ist daher eine Auslegung erforderlich. a.A. Roser in Gosch, § 89 AO Rz. 39 (August 2018), der nur auf § 179 Abs. 2 Alt. 2 AO verweist. 24 Tz. 4.1.2. des AEAO zu § 89. 25 Welcher Gesamtschuldner die Gebühr dann letztlich zahlt, ist im Innenverhältnis zu klären. Bedeutung kann diese Entscheidung hinsichtlich der steuerlichen Abziehbarkeit von Kosten haben.

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Verbindliche Auskünfte zu Umwandlungen

Steuerrechtliche Regelungen sind grundsätzlich normspezifisch auszulegen. Da die verbindliche Auskunft Planungs- und Investitionssicherheit hinsichtlich der steuerlichen Auswirkungen von Dispositionen des Steuerpflichtigen schaffen soll,26 muss eine Auslegung des Begriffs „Sachverhalt“ am dispositionsbezogenen Charakter der Norm ansetzen. Demzufolge gibt das geplante Vorhaben des Antragstellers die Reichweite des Sachverhalts vor. Sämtliche Schritte, die er zur Vorbereitung und Umsetzung eines Vorhabens vorzunehmen beabsichtigt, bilden den Sachverhalt, auch wenn zur Erreichung des angestrebten Ziels mehrere Schritte vollzogen werden müssen.27 Überträgt man diese Grundsätze auf geplante Umstrukturierungen, können somit mehrere Umstrukturierungsmaßnahmen einen einzigen Sachverhalt i.S.d. §  89 Abs. 3 AO bilden. Irrelevant ist insoweit, wie viele Steuertatbestände durch das geplante Vorhaben verwirklicht werden. Die Frage nach der Anzahl der abgrenzbaren Sachverhalte kann sich also nicht etwa an der Anzahl der Sacheinlagen, Anteilstauschen, Einbringungen in Personengesellschaften oder Verschmelzungen orientieren, weil eine derartige Sichtweise dem dispositionsbezogenen Charakter der verbindlichen Auskunft widersprechen würde. Diese dispositionsbezogene Auslegung des Sachverhaltsbegriffs wird durch die finanzgerichtliche Rechtsprechung bestätigt. So hat das FG München28 die Einbringung von Immobilien in eine Personengesellschaft und anschließende Übertragung der Mitunternehmeranteile an dieser Immobiliengesellschaft auf eine Familienstiftung als mehrere Schritte des einheitlichen Sachverhalts „Sicherung von Immobilienvermögen für zukünftige Generationen“ angesehen und entschieden, dass „[…] bei einem Antrag auf verbindliche Auskunft […] nach Ansicht des Senats nicht ein einzelner Steuertatbestand, sondern das vom Antragsteller geplante Vorhaben die Reichweite des Sachverhalts [bestimmt]. Alle Schritte, die der Steuerpflichtige zur Vorbereitung und Umsetzung dieses Vorhabens vorzunehmen beabsichtigt, bilden zusammen einen Sachverhalt. Dies gilt nach Ansicht des Senats gerade in einem Fall wie dem Streitfall, bei dem zur Erreichung des angestrebten Ziels mehrere Teilschritte vollzogen werden müssen. Eine separate Auskunft über einen einzelnen Teilschritt, an dem der Steuerpflichtige isoliert kein wirtschaftliches Interesse hat, wäre dann wertlos. Deshalb bilden alle Schritte, die der Kläger zur Umsetzung seines Ziels, das Immobilienvermögen für zukünftige Generationen zu sichern, vorgenommen hat, also sowohl die vorbereitende Einbringung der Immobilien in die A GmbH & Co. KG, als auch die nachfolgende Übertragung der KG-Anteile in die A Stiftung, zusammen einen Sachverhalt.“29 26 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 23 (Juni 2020); Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 89 AO Rz. 179 (Juli 2020). 27 Vgl. Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3.  Aufl. 2019, Anhang 14 Rz. 134 ff.; Dannecker/Werder, BB 2011, 2268 (2269); Eilers/Nosthoff-Horstmann, FR 2017, 170 (172). 28 FG München v. 5.4.2017 – 4 K 2058/14, EFG 2017, 967. 29 FG München v. 5.4.2017 – 4 K 2058/14, EFG 2017, 967 Rz. 27 in juris; in der gegen diese Entscheidung ergangenen Revision hat der BFH die Ausführungen des Finanzgerichts zur Bestimmung des Sachverhalts nicht beanstandet, sondern widerspruchslos den vom Fi-

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In einem weiteren vom BFH entschiedenen Fall beinhaltete der im Auskunftsantrag geschilderte Sachverhalt ebenfalls mehrere Maßnahmen.30 Zwar war der Begriff des Sachverhalts i.S.d. § 89 Abs. 3 AO nicht streitig, gleichwohl sah der BFH keine Veranlassung, das aus mehreren Schritten bestehende Umstrukturierungsvorhaben auf mehrere Sachverhalte i.S.d. § 89 Abs. 3 AO aufzuteilen. Konkret ging es in dem Urteilsfall um einen Gesellschafterwechsel, die Gründung einer KG, eine Anwachsung, die Einbringung von Mitunternehmeranteilen sowie die Übertragung einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft auf eine KG.31 Die Urteile belegen, dass ein Sachverhalt i.S.d. § 89 Abs. 3 AO aus mehreren Schritten bestehen kann und eine Gebührenerhebung abhängig von der Anzahl der Steuertatbestände nicht in Betracht kommt. Nicht entscheidend dürfte sein, ob die einzelnen Schritte theoretisch auch getrennt voneinander und in zeitlichem Abstand durchführbar wären, sondern nur, ob das Ziel des Antragstellers durch sämtliche Schritte erreicht wird. Denn maßgebend für die Reichweite des Sachverhalts ist die Absicht des Antragstellers. Daher ist ein mehraktiger Sachverhalt für Gebührenzwecke nicht in mehrere Sachverhalte aufzuteilen, wenn der Antragsteller an isolierten Auskünften zu einzelnen von mehreren Schritten kein Interesse hat und diese für ihn wertlos wären. Demzufolge müssen einzelne Maßnahmen eines großen Umstrukturierungsprojekts auch nicht derart aufeinander aufbauen, dass die eine nur nach einer anderen Maßnahme tatsächlich umsetzbar wäre. Nach hier vertretener Auffassung ist ausreichend, dass sich das geplante Vorhaben aus Schritten zusammensetzt, die inhaltlich durch einen inneren Zusammenhang verbunden sind. Der Sachverhalt i.S.d. § 89 Abs. 3 Satz 1 AO umfasst demnach jede steuerlich relevante und sinnvoll zusammenhängende Disposition des Antragstellers. Es scheiden nur solche geplanten Maßnahmen aus, die inhaltlich voneinander unabhängig sind, also erkennbar nur deswegen in einem Auskunftsantrag zusammengefasst werden, um Gebühren zu sparen. 2. Höhe der Gebühren Die Höhe der Gebühr berechnet sich gemäß §  89 Abs.  4 Satz 1 AO grundsätzlich nach dem Gegenstandswert, also dem Wert, den die Auskunft für den Antragsteller hat.32 Maßgebend für die Bestimmung dieses Wertes ist die steuerliche Auswirkung des vom Antragsteller dargelegten Sachverhalts.33 Dazu ist der Steuerbetrag, der bei Anwendung der von dem Antragsteller vorgetragenen Rechtsauffassung entstehen würde, dem Steuerbetrag gegenüberzustellen, der entstehen würde, wenn die Finanzbehörde eine entgegengesetzte Rechtsauffassung vertreten würde.34 Dass sich die nanzgericht angenommenen Sachverhalt auch seiner Entscheidung zugrunde gelegt, BFH v. 27.11.2019 – II R 24/17, BFH/NV 2020, 937. 30 BFH v. 22.4.2015 – IV R 13/12, BStBl. II 2015, 989. 31 BFH v. 22.4.2015 – IV R 13/12, BStBl. II 2015, 989 Rz. 4 in juris. 32 Tz. 4.2.1 des AEAO zu § 89. 33 Tz. 4.2.2. des AEAO zu § 89. 34 Vgl. BFH v. 22.4.2015 – IV R 13/12, BStBl. II 2015, 989 Rz. 27 in juris; BFH v. 9.3.2016 – I R 66/14, BStBl. II 2016, 706 Rz. 17 in juris.

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Wertgebühr dabei nach der individuellen steuerlichen Auswirkung beim jeweiligen Antragsteller bemisst, folgt bereits aus dem Wortlaut des § 89 Abs. 4 Satz 1 AO, der auf den „Wert […] für den Antragsteller“ abstellt. So hat auch der BFH zu Gebühren einer verbindlichen Auskunft ausgeführt, dass auf den „Wert der Auskunft für den individuellen Antragsteller“ abzustellen sei.35 Noch bevor die verbindliche Auskunft zur ertragsteuerlichen Organschaft in §  1 Abs.  2 Satz 1 Nr.  2 und 3 StAuskV geregelt war – nunmehr fällt für den Organträger und die Organgesellschaft nur eine Gebühr an –, hatte der BFH über die Gebührenfestsetzung gegenüber einem Organträger und einer Organgesellschaft zu entscheiden. In seinen beiden Urteilen hat er die Auffassung vertreten, dass sowohl auf Ebene der Organgesellschaft36 als auch auf Ebene des Organträgers37 eine Gebühr nach dem Gegenstandswert festzusetzen sei, die sich nach dem Differenzbetrag zwischen der Steuerbelastung mit und ohne Anerkennung der Organschaft bemesse. Für die Organgesellschaft hat der BFH darauf abgestellt, dass diese bei Anerkennung der Organschaft keine Ertragsteuern entrichtet und bei Nicht-Anerkennung der Organschaft Ertragsteuern zahlt. Für den Organträger hat der BFH herangezogen, dass bei Anerkennung der Organschaft höhere Ertragsteuern zu entrichten sind als bei Nicht-Anerkennung der Organschaft.38 Zur Ermittlung der steuerlichen Auswirkung beim Organträger hat der BFH gerade nicht auf die Steuerbelastung bei der Organgesellschaft abgestellt und ist somit dem Grundsatz gefolgt, dass sich die Gebühr nach dem Wert bestimmt, den die verbindliche Auskunft für den individuellen Antragsteller hat. Demzufolge kann sich auch ein Gegenstandswert von € 0 ergeben. Werden mehrere Rechtsfragen in einem Auskunftsantrag gestellt, wirkt sich dies gebührenerhöhend aus.39 Die steuerliche Auswirkung jeder einzelnen Rechtsfrage ist gesondert zu ermitteln und die steuerlichen Auswirkungen aller Rechtsfragen sind sodann zu addieren. Ist der Gegenstandswert nicht bestimmbar, fällt nach § 89 Abs. 6 Satz 1 AO eine Zeitgebühr an. 3. Rechtsfragen zur Buchwertfortführung i.S.d. §§ 20, 21, 24 UmwStG Stellen bei einer Sacheinlage i.S.d. §  20 UmwStG, einem Anteilstausch i.S.d. §  21 UmwStG bzw. einer Einbringung i.S.d. § 24 UmwStG sowohl der Einbringende als auch die übernehmende Gesellschaft eine verbindliche Auskunft, um sicherzustellen, dass die Voraussetzungen für die Buchwertfortführung erfüllt sind und kein Einbringungsgewinn entsteht,40 ist sowohl für den Einbringenden als auch für die aufnehmende Gesellschaft eine eigene Gebühr zu erheben.41 Es besteht für Umwandlungen 35 BFH v. 9.3.2016 – I R 66/14, BStBl. II 2016, 706 Rz. 11 in juris. 36 BFH v. 9.3.2016 – I R 66/14, BStBl. II 2016, 706. 37 BFH v. 9.3.2016 – I R 81/14, BFH/NV 2016, 1137. 38 BFH v. 9.3.2016 – I R 81/14, BFH/NV 2016, 1137 Rz. 20 f. in juris. 39 BFH v. 22.4.2015 – IV R 13/12, BStBl. II 2015, 989 Rz. 47 in juris. 40 Siehe I.2.a). 41 Tz. 4.1.2 des AEAO zu § 89; Misera/Baum, Ubg 2008, 221 (227).

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keine dem § 89 Abs. 3 Satz 2 AO i.V.m. § 1 Abs. 2 StAuskV entsprechende Regelung zur Erhebung nur einer Gebühr, obwohl dies wünschenswert wäre und dem Zweck der Norm, Mehrfachgebühren bei in der Sache einheitlich zu treffenden Entscheidungen zu verhindern, entsprechen würde.42 Da in der Sache dieselbe Auskunft erteilt wird, wird vertreten, für die Gebührenberechnung die steuerliche Auswirkung für alle Beteiligten zu ermitteln und auf die Antragsteller zu verteilen.43 Alternativ wird ein teilweiser Verzicht nach § 89 Abs. 7 Satz 1 AO vorgeschlagen.44 Auch wenn man der Auffassung der Finanzverwaltung folgt und jeden Antragsteller getrennt beurteilt, dürfte nur für den Einbringenden eine Wertgebühr auf Basis eines potentiellen Einbringungsgewinns erhoben werden. Denn nur dieser müsste im Falle einer nicht ertragsteuerneutralen Sacheinlage den dabei entstehenden Einbringungsgewinn versteuern. Bei der aufnehmenden Gesellschaft hingegen ergibt sich keine unmittelbare ertragsteuerliche Auswirkung, da sie das im Rahmen der Sacheinlage eingebrachte Vermögen lediglich übernimmt, aus der Sacheinlage aber keine Ertragsteuerbelastung hat.45 Im Hinblick darauf dürfte für die aufnehmende Gesellschaft allenfalls eine Zeitgebühr festgesetzt werden. 4. Rechtsfragen zur Nicht-Entstehung junger Finanzmittel Bei Rechtsfragen zur Nicht-Entstehung junger Finanzmittel durch eine Umwandlung kann die verbindliche Auskunft gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 StAuskV nur von allen Beteiligten gemeinsam beantragt werden, sodass gemäß § 89 Abs. 3 Satz 2 AO nur eine Gebühr zu erheben ist.46 Die Rechtsfragen betreffen das erbschaftsteuerliche Risiko, dass nicht begünstigte junge Finanzmittel entstehen, die bei einem Erbfall oder einer Schenkung Erbschaftsteuer auslösen. Die Gebühr richtet sich daher nach der drohenden Erbschaftsteuerbelastung, die beim Erben bzw. Schenker und Beschenkten eintreten würde. Bei den Gesellschaften besteht kein über das Erbschaftsteuerrisiko des Erben bzw. des Schenkers und Beschenkten hinausgehendes Steuerrisiko, sodass sich die Gebühr insoweit nicht erhöht. Auch scheidet insoweit die zusätzliche Erhe42 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 67 (Juni 2020); auch vor Einführung des § 89 Abs. 3 Satz 2 AO wurde die mehrfache Gebührenerhebung für dieselbe Rechtsfrage als nicht sachgerecht angesehen, vgl. Keß/Zillmer, DStR 2008, 1466 (1468f); Horst, Die verbindliche Auskunft nach §  89 AO, 196  f.; Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, vor §§  20–23 UmwStG Rz. 15d (November 2020). 43 Vgl. Keß/Zillmer, DStR 2008, 1466 (1468f); Horst, Die verbindliche Auskunft nach § 89 AO, 196 f. 44 Vgl. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 89 AO Rz. 350, 391d (Juli 2020); Korn, KÖSDI 2008, 16099 (16108). 45 Vgl. zur Berücksichtigung der steuerlichen Auswirkungen bei nur einem Antragsteller bei Kettenumwandlungen Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, Anhang 14 Rz. 137. 46 Siehe I.3.b). Wenn man die Auffassung vertritt, § 179 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AO sei nicht von § 1 Abs. 2 Nr. 1 StAuskV erfasst, könnte zwar für jeden Antragsteller eine eigene Gebühr erhoben werden. Jedoch dürfte für die Gesellschaft nach § 89 Abs. 6 AO lediglich eine Zeitgebühr festzusetzen sein, da bei dieser auch im Falle des Vorliegens von jungen Finanzmitteln keine Erbschaftsteuer entsteht und damit ein Gegenstandswert nicht bestimmbar ist.

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Verbindliche Auskünfte zu Umwandlungen

bung einer Zeitgebühr nach § 89 Abs. 6 AO aus, da es sich um eine Gebühr handelt, deren Gegenstandswert bestimmbar ist. Es wird daher für alle Antragsteller nur eine Gebühr festgesetzt, die diese nach § 89 Abs. 3 Satz 2 AO als Gesamtschuldner schulden.

IV. Schluss Es liegt vor allem im Interesse der von einer geplanten Disposition betroffenen Steuerpflichtigen, alle in Betracht kommenden Antragsteller in den Auskunftsantrag mit aufzunehmen, um die Bindungswirkung der verbindlichen Auskunft und somit möglichst umfassend Rechtssicherheit zu erlangen. Wie dieser Beitrag gezeigt hat, führt eine Erweiterung des Auskunftsantrags auf mehrere Antragsteller nicht zwangsläufig zu Mehrfach-Gebühren. Denn es kann auch Antragsteller geben, für die mangels steuerlicher Auswirkung keine Wertgebühr, sondern allenfalls eine Zeitgebühr anfällt oder die zu einer Antragstellergruppe i.S.d. § 1 Abs. 2 StAuskV zusammengefasst werden, für die ohnehin nur eine Gebühr zu erheben ist. Viel gravierender wirkt es sich auf die Gebührenfestsetzung aus, wenn das Finanzamt einen mehraktigen Sachverhalt in mehrere Sachverhalte i.S.d. § 89 Abs. 3 AO zerlegt. Um dies zu vermeiden, sollte das mit der verbindlichen Auskunft verfolgte Ziel genau dargelegt werden. In Umwandlungsfällen muss von vornherein erkennbar sein, dass mehrere Umstrukturierungsmaßnahmen inhaltlich miteinander verbunden sind und nicht etwa voneinander unabhängige Rechtsfragen in einem Antrag zusammengefasst werden, um schlicht Gebühren zu sparen.

Kamilla Lupczyk Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Diplom-Finanzwirtin

Christina Jordan Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Diplom-Finanzwirtin

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Charlotte Pötters

Das Überkompensationsverbot als Grenze bei der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs* Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die Grundzüge: Von Umsatzsteuer, ­Vorsteuer und Neutralität III. Der EuGH und das Korrektiv des ­Vorsteuerabzugs IV. Zur rechtlichen Grundlage des ­Missbrauchsverbots

V. Die Stellung des Überkompensations­ verbots 1. Konstellationen der Überkompen­ sation 2. Überkompensationsverbot als ­Schranke des Missbrauchsverbots 3. Einfluss des Grundsatzes der ­Verhältnismäßigkeit VI. Fazit: Ja zum Missbrauchsverbot, Nein zu dessen grenzenloser Anwendung

I. Einleitung Die Umsatzsteuer hat viele Facetten. Sie ist nicht nur ein probates Mittel zur Stabili­ sierung der Wirtschaft in Krisenzeiten und die mittlerweile aufkommensstärkste Steuerart der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch eine der betrugsanfälligs­ ten Steuerarten überhaupt. Ermöglicht wird ein Betrug durch das sog. Neutralitäts­ gebot, das dem Empfänger einer Leistung unter bestimmten Voraussetzungen den Abzug der von ihm an den Leistenden gezahlten Umsatzsteuer als Vorsteuer erlaubt. Der folgende Beitrag soll aufzeigen, dass eben dieses Neutralitätsgebot einerseits Stärke und andererseits Schwäche des modernen Systems der Allphasen-Netto-Um­ satzsteuer mit Vorsteuerabzug ist. Eingegangen wird in diesem Zusammenhang maßgeblich auf die Missbrauch-Rechtsprechung des EuGH sowie das Verbot einer Überkompensation zu Gunsten des Fiskus.

II. Die Grundzüge: Von Umsatzsteuer, Vorsteuer und Neutralität Die Umsatzsteuer knüpft an jeden Umsatz auf jeder Handelsstufe einer jeden Leis­ tungskette an. Sie ist im Handelsverkehr somit wirtschaftlich omnipräsent und trifft zunächst den Produzenten ebenso wie den Großhändler oder den Endkonsumenten. Es handelt sich um eine indirekte Verbrauchsteuer, da der Verbrauch einer Ware oder einer Dienstleistung nach Maßgabe des dafür aufgewendeten Vermögens besteuert

* Die Autorin dankt ihrem wissenschaftlichen Mitarbeiter Timm Stelzer für seine Unterstüt­ zung bei der Erstellung des Manuskripts.

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Charlotte Pötters

wird.1 Jeder Unternehmer, der eine umsatzsteuerbare und umsatzsteuerpflichtige Leistung erbringt, schuldet dem Fiskus demnach die Umsatzsteuer. Da die Umsatzsteuer aber konzeptionell nur den Endverbrauch belasten soll, ermittelt der leistende Unternehmer gleichzeitig die Vorsteuer, die er auf die für seine eigene Leistungserbringung erforderlichen eingekauften Leistungen entrichtet hat. Beide Positionen (geschuldete Umsatzsteuer und Anspruch auf Vorsteuervergütung) werden regelmäßig in der monatlichen Umsatzsteuer-Voranmeldung verrechnet. Grundsätzlich soll der Vorsteuerabzug den Unternehmer innerhalb der Leistungskette vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlasten.2 Das Recht auf Vorsteuerabzug ist dabei als integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ein fundamentales Prinzip des europäischen Mehrwertsteuersystems und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Das harmonisierte Mehrwertsteuersystem in der Europäischen Union gewährleistet somit völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen.3 Ob die Mehrwertsteuer, die für die vorausgegangenen oder nachfolgenden Verkäufe der betreffenden Gegenstände geschuldet war, tatsächlich an den Fiskus entrichtet wurde, ist für das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug nicht von Bedeutung.4

III. Der EuGH und das Korrektiv des Vorsteuerabzugs Normativ gründet das Recht des Unternehmers, die auf Eingangsleistungen gezahlte Umsatzsteuer als Vorsteuer abzuziehen, auf § 15 UStG bzw. Art. 168 MwStSystRL.5 Beide Normen enthalten – von einer etwaigen Zuordnungsabsicht der erworbenen Leistung zum Unternehmensvermögen einmal abgesehen  – keine subjektiven Vo­ raussetzungen. Trotz dessen, dass also Anlass und Motiv des Leistungsbezugs für den Vorsteuerabzug nach §  15 UStG irrelevant sind, hat der EuGH in richterlicher Rechtsfortbildung des Art. 168 MwStSystRL ein subjektives Korrektiv entwickelt, um den Missbrauch des Vorsteuerabzugs einzudämmen. Auf das Recht zum Vorsteuerabzug kann sich demnach nicht berufen, wer dieses in betrügerischer Weise miss1 Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. 2018, § 17 Rz. 10 ff.; statt vieler Hummel, UR 2017, 901 (903 f.). 2 EuGH v. 8.5.2013 – C-271/12, Martens, DStRE 2013, 1310; EuGH v. 6.9.2013 – C-324/11; Gábor Tóth, UR 2012, 851; EuGH v. 29.12.2011 – C-257/11; GVM, MwStR 2013, 33; EuGH v. 15.1.1998 – C-37/95; Ghent Coal Terminal, NZG 1998, 435; EuGH v. 3.3.2005 – C-32/03, Fini H; IStR 2005, 234; BFH v. 24.4.2013 – XI R 25/10, DStR 2013, 1544. 3 Vgl. u.a. EuGH v. 21.2.2006 – C-255/02; Halifax u.a., DStR 2006, 420; EuGH v. 6.7.2006 – C-439/04 und C-440/04, Kittel und Recolta Recycling, HFR 2006, 939; EuGH v. 22.12.2010 – C-438/09; Dankowski, BeckRS 2010, 91500. 4 Vgl. EuGH v. 12.1.2006 – C-354/03, C-355/03 und C-484/03, Optigen u.a., Slg. 2006, I-483; EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, HFR 2012, 917. 5 RL 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. L 347/1.

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Überkompensationsverbot und Umsatzsteuerbetrug

braucht.6 Das heißt im Klartext: Einem Unternehmer, der wusste oder hätte wissen müssen, dass der betreffende Umsatz in einem vom Lieferer begangenen Steuerhinterziehung einbezogen war oder dass in der Lieferkette bei einem anderen Umsatz, der dem getätigten Umsatz vorausging oder nachfolgte, Umsatzsteuer hinterzogen wurde, ist der Vorsteuerabzug zu versagen.7 Dogmatisch erinnert das subjektive Korrektiv des EuGH (keine Missbrauchsabsicht) an eine teleologische Reduktion des Art. 168 MwStSystRL auf unionsrechtlicher bzw. des § 15 UStG auf nationaler Ebene, indem gewissermaßen das negative Tatbestandsmerkmal „keine Missbrauchsabsicht“ implementiert wird. Seit dem 1. Januar 2020 bedarf es eines solchen methodischen Kunstgriffs jedoch nicht mehr, da § 25f UStG seitdem jene gefestigte Rechtsprechungslinie des EuGH zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs in Missbrauchsfällen kodifiziert.8 Die Beweis- und Darlegungslast für das Vorliegen derartiger Missbrauchsfälle trägt die Finanzbehörde.9 Das Ziel der Missbrauchsbekämpfung, das der EuGH in seinen Urteilen verfolgt und das nunmehr in § 25f UStG zum Ausdruck kommt, ist keineswegs in Abrede zu stellen. Aus Sicht des Rechtsanwenders ergeben sich jedoch eine Vielzahl von Folgepro­ blemen, zu denen sich das höchste Gericht der Europäischen Union bislang nicht geäußert hat; so ist etwa fraglich, wann von der besagten Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis des Unternehmers auszugehen ist. Hier fehlt es an belastbaren Kriterien, die eine rechtssichere Einschätzung erlauben. Klar ist, dass dieses subjektive Schuldmoment anhand objektiver Umstände zu beurteilen ist.10 Weiter stellt sich bereits auf objektiver Ebene die Frage, ob die Versagung des Vorsteuerabzugs auch dann erfolgen darf, wenn dem Fiskus überhaupt kein Schaden entstanden ist oder der Schaden bereits auf einer anderen Umsatzstufe beglichen wurde. Anders formuliert: Gilt ein Verbot der Überkompensation zu Gunsten des Fiskus auch bei der Beteiligung an einem Umsatzsteuerbetrug?

6 Vgl. u.a. EuGH v. 21.2.2006 – C-255/02, Halifax u.a., DStR 2006, 420; EuGH v. 6.7.2006 – C-439/04 und C-440/04, Kittel und Recolta Recycling, HFR 2006, 939; EuGH v. 22.12.2010 – C-438/09, Dankowski, BeckRS 2010, 91500; EuGH v. 12.1.2006  – C-354/03, C-355/03 und C-484/03, Optigen u.a., Slg. 2006, I-483; EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, HFR 2012, 917. 7 EuGH v. 29.4.2004 – C-487/01 und C-7/02, Gemeente Leusden und Holin Groep, DStRE 2004, 1473; EuGH v. 28.7.2016 – C-332/15, Astone, DStRE 2016, 1514; EuGH v. 21. 6.2012 – C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, HFR 2012, 917; EuGH v. 6.7.2006  – C-439/04 und C-440/04, Kittel und Recolta Recycling, HFR 2006, 939; EuGH v. 6.12.2012 – C-285/11, Bonik, DStRE 2013, 803; EuGH v. 18.12.2014  – C-131/13, C-163/13 und C-164/13, Italmoda, DStR 2015, 573; EuGH v. 29.3.2012 – C-414/10, Véleclair, DStR 2012, 697. 8 § 25f UStG ist durch das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 12.12.2019 („JStG 2019“, BGBl. I 2019, S.  2451) eingefügt worden. Zum missbrauchspräventiven Zweck der Norm vgl. BT- Drucks. 19/13436, S. 160 f. 9 BFH v. 11.3.2020 – XI R 38/18, DStR 2020, 1850. 10 BFH v. 11.3.2020 – XI R 38/18, DStR 2020, 1850, Rz. 38.

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Charlotte Pötters

Vor allem dieser Frage wird der Beitrag im Folgenden nachgehen und hierzu zunächst sowohl die Grundlagen als auch die Stellung des Missbrauchsverbots im Umsatzsteuerrecht untersuchen. Anschließend wird das Verbot der Überkompensation in das System der Mehrwertsteuer eingeordnet und in Bezug zum Missbrauchsverbot gesetzt.

IV. Zur rechtlichen Grundlage des Missbrauchsverbots Die vom EuGH entwickelte Rechtsprechung soll verhindern, dass der Staat gezwungen ist, im Falle eines Betrugs, Steuerbeträge auszuzahlen, die er nicht erhalten hat oder erhalten sollte. Sie basiert auf der Annahme, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ein Ziel ist, das von der Mehrwertsteuersystemrichtlinie anerkannt und gefördert wird.11 Der EuGH erhebt damit das Missbrauchsverbot zu einem immanenten Grundsatz des europäischen Mehrwertsteuersystems, der keiner weiteren rechtlichen Legitimierung bedarf. Normenhierarchisch verleiht der EuGH dem Missbrauchsverbot damit den Rang primären EU-Rechts, das über dem Sekundärrecht, wie bspw. den Verordnungen oder Richtlinien, steht. Dies ergibt sich aus den vielfachen Verweisungen in der Rechtsprechung des EuGH, die auf eine Interpretation der Grundfreiheiten zurückgehen, wonach ein missbräuchliches oder betrügerisches Berufen auf Unionsrecht generell nicht gestattet ist.12 Auf der Suche nach einer rechtlichen Grundlage für die Einschränkung des Vorsteuerabzugs in Missbrauchsfällen wird man auch in der Gesetzesbegründung zum neu eingeführten § 25f UStG nicht fündig, heißt es doch dort lediglich: „Im Interesse einer einheitlichen und praxisgerechten Rechtsanwendung wird mit der Regelung die vorliegende EuGH-Rechtsprechung in nationales Recht umgesetzt und damit auch dem Bestimmtheitsgrundsatz und den Anforderungen der Praxis entsprochen.“ Selbst für Rechtskundige, die das Umsatzsteuerrecht ihr Beratungsfeld nennen und es dementsprechend gewohnt sind, nicht mehr nur die deutschen Rechtsgrundlagen zur Auslegung des UStG heranzuziehen, stellt dies ein Novum dar. Abseits von verfassungsrechtlichen Zweifeln, ob ein normativer Grundsatz, der seine Rechtfertigung ausschließlich in der Rechtsprechung des EuGH findet, mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG) und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) vereinbar ist, ist der normative Hintergrund des Missbrauchsverbots zumindest bemerkenswert. Aus ihm folgt zwangsläufig, dass weiterhin der EuGH die entscheidenden Weichen für die Auslegung des Art. 168 MwStSystRL – bzw. mittelbar auch für die Auslegung des § 15 UStG – stellen und damit den Anwendungsbereich des Miss11 Vgl. u.a. EuGH v. 21.2.2006  – C-255/02, Halifax u.a., DStR 2006, 420 Rz.  71; EuGH v.  7.12.2010  – C-285/09, R, DStR 2010, 2572, Rz.  36; EuGH v. 27.10.2011  – C-504/10, ­Tanoarch, BeckRS 2011, 81562, Rz. 50. 12 Siehe nur EuGH v. 21.2.2006 – C-255/02, Halifax u.a., DStR 2006, 420 Rz. 68 m.w.N.

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Überkompensationsverbot und Umsatzsteuerbetrug

brauchsverbots definieren wird. Wie bei jeder richterlichen Rechtsfortbildung ist problematisch, dass sich allenfalls eine Kasuistik auf Basis von mehr oder weniger zufälligen Sachverhalten herauskristallisiert, die aufgrund ihrer Einzelfallbezogenheit eine abstrakte Systematisierung erschwert und letztlich für Rechtsunsicherheit sorgt.13 Da der EuGH zudem mehrfach betont hat, dass es einer nationalen Umsetzung nicht bedürfe, bedeutet dies für den Rechtsanwender außerdem, dass ein Rückgriff auf die Schranken des nationalen Rechts durch den EuGH selbst im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht stattfinden wird. Vielmehr bleibt es auch nach Umsetzung des Missbrauchsverbots in das nationale Recht (§  25f UStG) dabei, dass sich eine taugliche Grenze aus Sicht des EuGH ebenfalls nur aus den Grundsätzen des Primärrechts ergeben kann. Entscheidend ist daher, ob das sog. Überkompensationsverbot einen derartigen Rang einnimmt und damit überhaupt geeignet ist, das Missbrauchsverbot zu beschränken.

V. Die Stellung des Überkompensationsverbots Ein mögliches Überkompensationsverbot setzt schon semantisch eine Überkompensation voraus. Eine solche liegt in der hier betrachteten Konstellation vor, wenn die Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH zu einem Ausschluss des Vorsteuerabzugs führen würde, dem Fiskus jedoch tatsächlich kein Schaden entstanden ist. Im Ergebnis würde Umsatzsteuer an die Finanzbehörden abgeführt, ohne dass diese in gleicher Höhe Vorsteuer erstatten müssten, wie es das Neutralitätsgebot in nicht-betrugsbehafteten Fällen verlangen würde. Der Fiskus würde also besser stehen als er stünde, wenn die Umsätze nicht in Missbrauchskonstellationen eingebunden wären. Der Umsatzsteuer käme mit anderen Worten ein Sanktionscharakter zu, den sie nach richtiger Ansicht nicht haben darf.14 1. Konstellationen der Überkompensation Unter das Überkompensationsverbot fallen somit insbesondere Konstellationen, in denen mehrere Steuerpflichtige an einer Lieferkette beteiligt sind, die nachgewiesenermaßen einen betrugsbehafteten Umsatz beinhaltet und deswegen der Vorsteuerabzug auf allen Ebenen versagt wird. Dies führt dann dazu, dass beispielsweise bei einer Leistungskette von X über A zu B und zu C allen Beteiligten (A, B und C) der Vorsteuerabzug hinsichtlich derselben Waren versagt wird und auf der jeweilige Handelsstufe prima facie eine Definitivbelastung mit Umsatzsteuer eintritt, obwohl nur X die eingesammelte Umsatzsteuer nicht abgeführt hat.

13 Widmann, UR 2020, 633 (634). 14 Vgl. nur die Schlussanträge von Generalanwältin Kokott v. 17.1.2019 – C-712/17 (EN.SA. Srl), ECLI:EU:C:2019:35, insbesondere ab Rz. 55 ff.

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Im Falle des Missbrauchs erzielt die Kumulation ausgeschlossener Vorsteuerabzüge jedoch nur ein theoretisches Steueraufkommen. Denn bei einem normalem Geschehensablauf würde für den Steuergläubiger kaum ein relevantes Umsatzsteueraufkommen generiert werden, weil alle Teilnehmer in der Regel zum Vorsteuerabzug berechtigt sind und im Ergebnis nur Umsatzsteuer auf die jeweilige Wertschöpfung als Zahllast anfiele. Lediglich in den Fällen, in denen einzelne Steuerpflichtige ganz oder teilweise nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt wären, würde überhaupt ein finanziell relevantes Umsatzsteueraufkommen vorliegen. Gerade dies ist innerhalb einer Lieferkette regelmäßig nicht der Fall. Die Versagung des Vorsteuerabzugs auf allen Umsatzstufen nach einem vermeintlichen Betrug bei gleichzeitiger Bejahung der Steuerpflicht ist demzufolge keine reine Schadensbeseitigung, sondern eine verdeckte Steueraufkommenserhöhung zu Lasten des Unternehmers und die Umdeutung der Umsatzsteuer in eine Strafzahlung.15 Darüber hinaus kann eine Überkompensation eintreten, wenn mögliche Sanktionen kumulativ bei einem Steuerpflichtigen wirken, z.B. wenn diesem einerseits der Vorsteuerabzug und andererseits die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung versagt wird.16 In diesem Fall generiert der Fiskus sogar ein Steueraufkommen, auf das er im „Normalfall“ gar keinen Zugriff gehabt hätte – nämlich dieses eines anderen Mitgliedstaates, was zusätzlich zu einer territorialen Verschiebung des Mehrwertsteueraufkommens führt. Betrachtet man die Tatbestandsvoraussetzungen des §  25f UStG oder wie bisher die Grundsätze der EuGH-Rechtsprechung, so scheint eine derartige Belastung des Steuerpflichtigen mit dem Argument der Missbrauchsvermeidung durchaus begründbar. 2. Überkompensationsverbot als Schranke des Missbrauchsverbots Würde das Überkompensationsverbot als Grenze herangezogen, so dürfte es zu einer derartigen Steuerfestsetzung jedoch nicht kommen. Wie eingangs ausgeführt, kann das Überkompensationsverbot schon normenhierarchisch nur dann als Schranke des Missbrauchsverbots fungieren, wenn es ebenfalls ein Grundsatz des Primärrechts ist und damit denselben Stellenwert einnimmt. Das Überkompensationsverbot wird gemeinhin als Ausfluss des Neutralitätsprinzips verstanden, welches wiederum eine Ausprägung des in Art. 20 EU-Grundrechte-Charta verankerten unionsrechtlichen Gleichheitssatzes ist.17 Kokott beschreibt den unionsrechtlichen Gleichheitssatz „als Fundament jeder rechtstaatlichen (Steuer-)Ordnung, [der] in den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten anerkannt [ist]“.18 Damit dürfte eigentlich unzweifelhaft eine normenhierarchische Gleichrangigkeit von Überkompensationsverbot und Missbrauchsverbot anzunehmen sein. Die sodann logische Folge wäre, dass ein Ausschluss des Vorsteuerabzugs auf Grundlage des Missbrauchsverbots nur anzuerkennen ist, soweit der Ausschluss des Vorsteuerabzugs nicht zu einer Überkompensation 15 So im Ergebnis auch Hummel, UR 2014, 256 (258). 16 Vgl. hierzu mit Bsp. Widmann, UR 2020, 633 (637). 17 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union (2018), § 3 Rz. 1−3. 18 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union (2018), § 3 Rz. 1.

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des Umsatzsteueraufkommens in der Leistungskette führt. Der EuGH zeigt sich von dieser Schlussfolgerung jedoch offenbar unbeeindruckt, versagt er doch jedem Unternehmer in der Lieferkette (scheinbar) ohne weitere Einschränkung den Vorsteuerabzug.19 Eine derart weite Reichweite des – wohlgemerkt richterrechtlich entwickelten – Missbrauchsverbots kann meines Erachtens nicht damit gerechtfertigt werden, dass dem Neutralitätsgrundsatz nur ein primärrechtlicher Rang eingeräumt wird, soweit er Ausprägung des Gleichheitssatzes ist und darunter nicht der „fundamentale Grundsatz“ des Vorsteuerabzugs verstanden wird. Dieser ist laut Kokott „schlicht Folge einer wirtschaftspolitischen Entscheidung und steht zur Disposition des Unionsgesetzgebers“.20 Unabhängig von der Frage, ob diese Einordnung nicht zu kurz greift, da der Vorsteuerabzug auch bewirkt, dass die Leistung nur einmal besteuert wird − und zwar im Bestimmungsland, so dass insoweit sehr wohl ein Gleichheitsverstoß vorliegen kann,21 bleibt zudem unberücksichtigt, dass das Überkompensationsverbot auch einer verhältnismäßigen Besteuerung dient. 3. Einfluss des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der unstreitig als Grundsatz des europäischen Primärrechts verstanden wird, „sind Maßnahmen, durch die den Wirtschaftsteilnehmern finanzielle Belastungen auferlegt werden, nur rechtmäßig, wenn sie zur Erreichung der zulässigerweise mit der Regelung verfolgten Ziele geeignet und erforderlich sind. Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen; ferner müssen die auferlegten Belastungen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen.“22 Dass die Versagung des Vorsteuerabzugs ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs darstellt, dürfte klar sein. Sie ist zugleich auch ein sehr effektives Mittel, da die Versagung des Vorsteuerabzugs eine stark abschreckende Wirkung auf jeden Unternehmer entfaltet – jedenfalls auf Unternehmer, die regelmäßig nicht vorsätzlich, sondern gerne „bewusst blauäugig“ Geschäfte mit nicht-überprüften Geschäftspartnern eingehen. Des Weiteren dürfte zumindest fraglich sein, ob ein anderes gleichermaßen geeignetes und effizientes Mittel vorhanden ist, mit dem das erklärte Ziel der MwStSystRL, die Missbrauchsbekämpfung, weniger einschneidend verfolgt werden könnte. 19 EuGH v. 13.2.2014 – C-18/13, Maks Pen, Rz. 26 ff.; EuGH v. 6.12.2012 – C-285/11, Bonik, Rz. 36 ff.; EuGH v. 6.7.2006 – C-439/04 und C-440/04, Kittel und Recolta Recycling, HFR 2006, 939, Rz.  56  ff.; EuGH v. 13.3.2014  – C-107/13, FIRIN, DStR 2014, 650, Rz.  40 ff.; EuGH v. 7.12.2010 – C-285/09, R, DStR 2010, 2572, Rz. 54; EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, HFR 2012, 917, Rz. 41 f.; Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón v. 21.6.2012 zum Urt. v. 27.9.2012 – C-587/10, VSTR, Rz. 61. 20 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union (2018), § 3 Rz. 22. 21 So Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union (2018), § 3 Rz. 41. 22 EuGH v. 21.12.2011 – C-499/10, Vlaamse Oliemaatschappij, BeckRS 2012, 80021 m.w.N; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union (2018), § 2 Rz. 60 m.w.N.

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Neben dem Aspekt der Erforderlichkeit verdient jedoch auch der Aspekt der Angemessenheit Beachtung. Konkret stellt sich jedenfalls für das Umsatzsteuerrecht die Frage, ob die Belastung (Versagung des Vorsteuerabzugs) auch verhältnismäßig zum erstrebten Ziel (Missbrauchsbekämpfung) ist. Hierfür bedarf es noch einmal einer genaueren Betrachtung des Ziels des Missbrauchsverbots und zwar unter Beachtung der unterschiedlichen Zielsetzungen von Steuerrecht und Strafrecht. Das Missbrauchsverbot im gemeinsamen Mehrwertsteuerrecht kann und darf nur das Ziel verfolgen, die Neutralität der Mehrwertsteuer zu gewährleisten23 und dient damit primär dem Schutz des Steueraufkommens.24 Die Verfolgung von Strafzwecken muss hingegen dem (Steuer-)Strafrecht vorbehalten bleiben.25 Wie der EuGH selbst mehrfach betont hat, kommt es darauf an, dass der Fiskus nicht mehr Steuern ausbezahlt als er eingenommen hat. Zudem dürfen nach dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) ihre Maßnahmen nicht unverhältnismäßig in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten eingreifen (Art. 5 EUV). Insoweit ergänzt das Verhältnismäßigkeitsprinzip das Subsidiaritätsprinzip. Vor allem aber ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine übergesetzliche „Schranken-Schranke“ für Eingriffe in die Grundfreiheiten und Grundrechte. Art.  49 EU-Grundrechte-Charta gewährleistet nicht zuletzt dessen strikte Beachtung im Steuerstrafrecht. Aus dem fehlenden Sanktionscharakter der Umsatzsteuer müsste hingegen folgen, dass der Fiskus durch die Versagung des Vorsteuerabzugs umsatzsteuerlich nicht besser stehen darf, als er stünde, wenn keine „betrugsbehafteten“ Umsätze existieren würden. Die an der Leistungskette beteiligten Unternehmer dürften daher maximal nur als Gesamtschuldner betrachtet werden. 26 Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit macht insoweit strikt zu beachtende Vorgaben, um den Schutz des Steueraufkommens mit den Anforderungen an den Schutz des Unternehmens zu einem gerechten Ausgleich zu bringen. So ist zwar bei betrugsbehafteten Lieferketten grundsätzlich eine Verwehrung des Vorsteuerabzugs zugunsten der Missbrauchsbekämpfung möglich – diese hat aber stets verhältnismäßig zur Einschränkung der Rechte des Einzelnen zu sein. Hieraus ergibt sich, dass die Versagung des Vorsteuerabzugs immer dann scheitern dürfte, wenn dem Fiskus kein Schaden entstanden ist bzw. dieser bereits auf andere Weise kompensiert wurde. Hierzu gehört ferner auch, dass der Schaden aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten vorrangig beim Verursacher geltend zu machen ist und nur nachrangig bei denjenigen Unternehmern, die aufgrund fahrlässigen Verhaltens in die betrugsbehaftete Lieferkette eingebunden sind – und auch dies nur in Höhe des tatsächlich entstandenen Schadens und nicht etwa in mehrfacher Hinsicht.27 Sowohl in der Sache als auch normen23 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union (2018), § 3 Rz. 41; Hummel, UR 2014, 256 (257); im Ergebnis so auch Kokott, NZWiSt 2017, 409 (411). 24 Widmann, UR 2020, 633 (637). 25 Kemper, UR 2017, 449 (455). 26 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union (2018), § 3 Rz. 43. 27 So mit Recht etwa Schuska, MwStR 2015, 323 (328) sowie zuvor schon Grube, MwStR 2013, 8 (13). Dazu näher Ismer/Artinger, MwStR 2019, 56 (60 f.).

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hierarchisch beschränkt das Überkompensationsverbot daher die Versagung des Vorsteuerabzugs zum Zwecke der Missbrauchsbekämpfung.

VI. Fazit: Ja zum Missbrauchsverbot, Nein zu dessen grenzenloser Anwendung Der zum 1. Januar 2020 neu eingeführte § 25f UStG hüllt die gefestigte Rechtsprechungslinie des EuGH zum Missbrauchsverbot in ein rechtliches Gewand. Demnach ist der Vorsteuerabzug ausgeschlossen, soweit der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass seine Eingangs- oder Ausgangsleistung in einen Missbrauchsfall des § 25f Abs. 1 UStG (Steuerhinterziehung, Erlangung eines ungerechtfertigten Vorsteuerabzugs oder Schädigung des Umsatzsteueraufkommens) eingebunden war. § 25f UStG ist demnach immer im Zusammenhang mit § 15 UStG zu sehen: trotz dessen, dass objektiv alle Voraussetzungen nach §  15 UStG erfüllt sind, kann der Vorsteuerabzug zum Zwecke der Missbrauchsbekämpfung nach §  25f UStG ausgeschlossen sein. Anders als die Rechtsprechung des EuGH es vermuten lässt, kann das Missbrauchsverbot nach hier vertretener Auffassung jedoch nicht uneingeschränkt gelten, sondern ist durch das Überkompensationsverbot zu begrenzen, das in der europäischen Normenhierarchie ebenfalls primärrechtlichen Rang hat. Führt die Versagung des Vorsteuerabzugs also dazu, dass der Staat bessergestellt wird als er stünde, wenn kein Missbrauch vorgelegen hätte (Überkompensation), steht das Überkompensationsverbot dem Ausschluss des Vorsteuerabzugs entgegen. Andernfalls würden die Grenzen zwischen Steuerrecht und Strafrecht verwischt. Die Umsatzsteuer wäre fortan nicht mehr nur berufen, indirekt den Verbrauch von Waren und Dienstleistungen zu besteuern, sondern würde auch einen Sanktionscharakter erlangen, den sie nicht haben darf.

Dr. Charlotte Pötters Rechtsanwältin

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Hybride Gestaltungen – Kritischer Überblick über § 4k EStG-E Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die ATAD I und II Richtlinie I II. Umsetzung der ATAD I und II Richtlinie 1. Allgemeines 2. Persönlicher Anwendungsbereich des § 4k EStG-E a) § 4k Abs. 6 EStG-E im Überblick b) Kritische Würdigung

3. Sachlicher Anwendungsbereich des § 4k EStG-E a) D/NI-Inkongruenzen b) Importierte/indirekte Besteuerungsinkongruenzen c) DD-Inkongruenzen 4. Beweislast IV. Fazit

I. Einleitung Hybride Gestaltungen betreffen Strukturen, bei denen es zur Nichtbesteuerung von Erträgen in einem Staat oder zum doppelten Abzug von Betriebsausgaben in mehreren Staaten kommen kann. Hintergrund hierfür ist die diametrale (rechtliche) Qua­ lifikation von Finanzinstrumenten oder (Personen-)Gesellschaften in unterschiedlichen Staaten.1 Obgleich hybride Gestaltungen seit Jahrzehnten bekannt sind, stehen sie erst seit dem BEPS-Projekt der OECD weltweit im Fokus. Infolgedessen wurden sowohl auf nationaler2 als auch auf europäischer Ebene erste Abwehrmaßnahmen gefasst. Auf Grundlage des BEPS-Abschlussberichts aus 2015 hat die Europäische Union in 2016 die Richtlinie „zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes“ (Anti-Tax-Avoidance-Directive, „ATAD I“)3 erlassen, die mitunter die Bekämpfung hybrider Gestaltungen im Blick hat. Diese wurde in der Folge durch die Richtlinie zur Änderung der ATAD I in Bezug auf hybride Gestaltungen mit Drittländern („ATAD II“)4 erweitert. Die in der ATAD II vorgesehenen Regelungen gegen hybride Gestaltungen waren bis zum 31.12.2019 in nationales Recht umzusetzen. Dem ist der deutsche Gesetzgeber jedoch bis dato nicht nachgekommen.5 Erst am 10.12.2019 hat das Bundesministerium der Finanzen („BMF“) einen ersten offiziellen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der 1 Greinert/Siebing, Ubg 2020, 589 (589). 2 Vgl. Jochimsen/Zinowsky, ISR 2016, 106 (115). 3 Vgl. Richtlinie EU 2016/1164 v. 12.7.2016. 4 Vgl. Richtlinie EU 2017/952 v. 29.5.2017. 5 Vgl. Linn, IStR 2020, 77 (77); Rautenstrauch, GmbHR 2020, 36 (36); Kraft, FR 2020, 105 (105); Krause, DB 2019, 1097 (1097).

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ATAD veröffentlicht („ATADUmsG“).6 Nach dem Beschluss des Koalitionsausschusses vom 8.3.2020 soll der RefE des BMF angesichts des gegen Deutschland eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens wegen nicht fristgerechter Umsetzung der ATAD II zügig umgesetzt werden. Jüngste Entwicklung in dieser Hinsicht ist die am 24.3.2020 veröffentlichte überarbeitete Fassung des ATADUmsG durch das BMF. Die Änderungen im Bereich der hybriden Gestaltungen sind Teil von Art. 1 ATADUmsG, der die Einführung eines neuen §  4k EStG vorsieht. Ausweislich der Normüberschrift „Betriebsausgabenabzug bei Besteuerungsinkongruenzen“ soll hiernach der Betriebsausgabenabzug für bestimmte Aufwendungen in Kontext mit hybriden Gestaltungen versagt werden, soweit die den Aufwendungen entsprechenden Erträge beim Gläubiger nicht besteuert werden (Deduction/Non-Inclusion Inkongruenzen („D/NI-Inkongruenzen“)) oder diese Aufwendungen auch in einem anderen Staat abgezogen werden können, ohne dass den Aufwendungen Erträge gegenüberstehen, die in beiden Staaten besteuert werden (Double Deduction-Inkongruenzen („DD-Inkongruenzen“)). Entsprechendes soll bei importierten Besteuerungsinkongruenzen gelten. Angesichts der enormen Praxisrelevanz und der Komplexität der neuen Vorschriften verwundert es nicht, dass sich zwischenzeitlich erste kritische Stimmen aus der Fachwelt zu Wort gemeldet haben. Vor diesem Hintergrund beinhaltet der vorliegende Beitrag einen kritischen Überblick zur geplanten Neuregelung des § 4k EStG-E. Hierzu wird zunächst ein Überblick über das in der ATAD II getroffene Regelwerk zur Vermeidung hybrider Gestaltungen gegeben (II.). Sodann erfolgt eine kritische Abhandlung zur Umsetzung der ATAD II durch § 4k EStG-E. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf DD-Inkongruenzen i.S.d. § 4k Abs. 4 EStG-E sowie der Problematik der Beweislast (III.).

II. Die ATAD I und II Richtlinie Seit geraumer Zeit hat die OECD die Bekämpfung schädlichen Steuerwettbewerbs sowie aggressiver Steuerplanung auf ihrer Agenda. Im Rahmen von 15 Aktionspunkten hat sich die OECD hierzu mehrerer Bereiche angenommen, die die Möglichkeit international tätiger Unternehmen betrifft, Steuerschlupflöcher zu nutzen, die sich aus einer unzureichenden Abstimmung der Steuerrechtsordnungen verschiedener Staaten ergeben. Der in 2015 von der OECD veröffentlichte Aktionspunkt 2 betrifft die „Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen“.7 Angesichts der fehlenden Gesetzgebungskompetenz der OECD enthalten die Berichte bloße Handlungsempfehlungen für die Mitgliedsstaaten. Darauf aufbauend hat der Rat der EU am 12.7.2016 als Grundlage für eine einheitliche europaweite Implementierung der BEPS-Ergebnisse die ATAD I8 erlassen.9 Art.  9 ATAD I, der hybride Gestaltungen 6 Vgl. Referentenentwurf („RefE“) v. 10.12.2019, S. 1. 7 Vgl. OECD/G20, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, Aktionspunkt 2 – Abschlussbericht 2015. 8 Vgl. Richtlinie EU 2016/1164 v. 12.7.2016. 9 Vgl. Niedling/Rautenstrauch, BB 2017, 1500 (1500); Kahlenberg, IStR 2019, 636 (637); Benz/ Böhmer, Der Konzern 2020, 240 (240).

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zwischen verbundenen Unternehmen innerhalb der EU regelt, wurde durch die am 29.5.2017 erlassene ATAD II10 erweitert. Neu eingeführt wurden Regelungen betreffend umgekehrt hybride Gestaltungen (Art. 9a ATAD II) und Inkongruenzen bei der Steueransässigkeit (Art.  9b ATAD II). Art.  11 Abs.  5a ATAD II sieht insoweit vor, dass die Mitgliedsstaaten die Bestimmungen des Art. 9 ATAD II ab dem 1.1.2020 anzuwenden haben. Gleiches gilt für Inkongruenzen bei der Steueransässigkeit nach Art. 9b ATAD II. Demgegenüber sind die Regelungen des Art. 9a ATAD II erst ab dem 1.1.2022 anzuwenden.11 Ausweislich Art. 1 Abs. 1 ATAD II umfasst der Anwendungsbereich der Richtlinie alle Steuerpflichtigen, die in einem oder mehreren Mitgliedsstaaten (un-)beschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind oder in der EU eine Betriebsstäte unterhalten. Entsprechendes gilt für Personengesellschaften, wenn sie in mindestens einem Mitgliedsstaat als Körperschaftsteuersubjekt qualifiziert werden. Auch ihre Gesellschafter fallen in den Anwendungsbereich der Richtlinie.12 Die ATAD II umfasst verschiedene Formen hybrider Gestaltungen,13 die in Art.  2 Abs.  9 UAbs.  1 ATAD II abschließend aufgezählt sind. Dies betrifft (i) hybride ­Finanzinstrumente, (ii) hybride Unternehmen, (iii) hybride Betriebsstätten, (iv) hy­ bride Übertragung von Finanzinstrumenten, (v) aus Drittstaaten importierte Besteuerungsinkongruenzen mittels hybrider Gestaltungen sowie (vi) Besteuerungsinkongruenzen aus der doppelten Ansässigkeit von Unternehmen.14 Hiervon werden allerdings nur hybride Gestaltungen erfasst, durch die in mindestens zwei Steuerhoheitsgebieten Besteuerungsinkongruenzen in Form einer DD-Inkongruenz oder einer D/NI-Inkongruenz entstehen. Rein innerstaatlich wirkende hybride Gestaltungen unterliegen nicht dem Regelungsgegenstand der Richtlinie.15 Entsprechendes gilt für Besteuerungsinkongruenzen, die sich aus der Anwendung des Abkommensrechts ergeben.16 Zudem werden Steuerwirkungen aus hybriden Besteuerungsinkongruenzen nur neutralisiert, wenn an den hybriden Gestaltungen ein Steuerpflichtiger und ein verbundenes Unternehmen oder verbundene Unternehmen untereinander oder das Stammhaus sowie seine Betriebsstätte beteiligt sind oder es sich um eine strukturierte Gestaltung handelt.17 Während mit Blick auf das Stammhaus und seine Betriebsstäte stets eine Verbundenheit vorliegt, ist mit Blick auf Unternehmen zu differenzieren. Bei den meisten hybriden Gestaltungen besteht bei Unternehmen eine 10 Vgl. Richtlinie EU 2017/952 v. 29.5.2017. 11 Vgl. Grotherr, BB 2017, 1367 (1369). 12 Vgl. Benz/Böhmer, DB 2016, 307 (308). 13 Vgl. Jochimsen/Zinowsky, ISR 2016, 318 (323); Grotherr, BB 2017, 1367 (1368); Krause, DB 2019, 1097 (1097). 14 Vgl. Grotherr, BB 2017, 1367 (1368); Kahlenberg, IStR 2018, 93 (95); Kahlenberg, IStR 2019, 636 (636 f.); Kahlenberg/Radmanesh in Hagemann/Kahlenberg, 1. Aufl. 2019, Art. 2 ATAD Rz. 237, 240; Grotherr, BB 2017, 1367 (1368); Niedling/Rautenstrauch, BB 2016, 1303 (1304). 15 Vgl. Grotherr, BB 2017, 1367 (1368). 16 Vgl. Kahlenberg/Oppel, IStR 2017, 205 (207 f.); Krause, DB 2019, 1097 (1097); Grotherr, BB 2017, 1367 (1368). 17 Vgl. Art. 2 Abs. 9 UAbs. 2 Buchst. c ATAD II.

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Verbundenheit, wenn eine Beteiligung von mindestens 50% besteht.18 Entsprechendes gilt für Unternehmen, die derselben zu Rechnungslegungszwecken konsolidierten Unternehmensgruppe angehören19 sowie für Steuerpflichtige, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmensleitung ausüben können.20 Die in der ATAD II vorgesehenen Rechtsfolgen hängen vom steuerlichen Ergebnis der hybriden Gestaltung ab. Im Falle einer DD-Inkongruenz sieht Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a ATAD II vor, dass der Abzug nur im Mitgliedsstaat des Zahlenden stattfindet. Der Ansässigkeitsstaat des Zahlungsempfängers, der den Aufwand lediglich „importiert“, hat den Abzug zu verweigern. Wendet der Empfängerstaat die Primärmaßnahmen jedoch nicht an, greift Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b ATAD II, wonach der Mitgliedsstaat des Zahlenden die Zahlung nicht zum Abzug zulassen darf. Im Falle einer D/NI-Inkongruenz sieht Art. 9 Abs. 2 Buchst. a ATAD II vor, dass der Abzug im Mitgliedsstaat des Zahlenden verweigert wird. Verweigert dieser den Abzug jedoch nicht, hat der Mitgliedsstaat des Zahlungsempfängers die Zahlung gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. b ATAD II in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen.

III. Umsetzung der ATAD I und II Richtlinie 1. Allgemeines In Deutschland sind schon jetzt Regelungen verankert, die zumindest partiell als Vorboten der in der ATAD II verankerten Anti-Hybrid Regelungen eingestuft werden können. Dies betrifft §§ 4i, 4j, 50d Abs. 9 und 10 EStG, §§ 8 Abs. 3 Satz 4 KStG, 8b Abs. 1 Satz 2 sowie § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG.21 Allerdings decken diese nicht die Gesamtheit des in der Vergangenheit ausgeschöpften Gestaltungspotentials hybrider Gestaltungen ab. Insbesondere werden sie nicht den Vorgaben der ATAD II gerecht. Hinzukommt, dass das in 2014 initiierte gesetzgeberische Vorhaben zur Neutralisierung der Effekte hybrider Steuergestaltungen durch Einführung eines neuen §  4 Abs. 5a EStG im Rahmen des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften22 nicht umgesetzt wurde. Entsprechend dem Grundgedanken der ATAD II sollte hiernach der Abzug von Aufwendungen von einer korrespondierenden Be­ steuerung beim Empfänger abhängig gemacht werden. Hierdurch sollte vermieden werden, dass dem Betriebsausgabenabzug auf der einen Seite eine Steuerbefreiung oder Nichtbesteuerung der Einnahmen auf der anderen Seite gegenübersteht.23 Ne-

18 Vgl. Art. 2 Abs. 4 UAbs. 3 ATAD II. 19 Vgl. Art. 2 Abs. 10 ATAD II. 20 Vgl. Art. 2 Abs. 4 UAbs. 3 ATAD II. 21 Vgl. Kahlenberg, IStR 2019, 636 (638). 22 Vgl. BT-Drucks. 13/3158 v. 12.11.2014, S. 7 f. 23 Vgl. BT-Drucks. 13/3158 v. 12.11.2014, S. 8.

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ben Vorgängen mit hybriden Rechtsträgern sollten hiervon insbesondere Personengesellschaften mit ausländischen Gesellschaftern24 erfasst werden.25 Zwecks ordnungsgemäßer Umsetzung der ATAD I und II ist der nationale Gesetzgeber daher zum Handeln gezwungen (gewesen). Zwar liegt bis dato noch kein finales Gesetzespaket vor. Allerdings hat das BMF mit Datum vom 24.3.2020 einen zweiten  RefE veröffentlicht. Hiernach wird der Betriebsausgabenabzug für bestimmte Aufwendungen in Zusammenhang mit hybriden Gestaltungen versagt, sofern die den Aufwendungen entsprechenden Erträge beim Gläubiger nicht besteuert werden (D/NI-Inkongruenzen i.S.d. §  4k Abs.  1 bis 3 EStG-E) oder diese Aufwendungen auch in einem anderen Staat abgezogen werden können, ohne dass den Aufwendungen Erträge gegenüberstehen, die in beiden Staaten besteuert werden (DD-Inkongruenzen i.S.d. § 4k Abs. 4 EStG-E). Darüber hinaus ist der Betriebsausgabenabzug im Fall importierter Besteuerungsinkongruenzen zu versagen (§  4k Abs.  5 EStG-E).26 Entsprechend § 4k Abs. 7 EStG-E gelten diese Regelungen ungeachtet der Vorschriften eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. 2. Persönlicher Anwendungsbereich des § 4k EStG-E a) § 4k Abs. 6 EStG-E im Überblick Gemäß § 4k Abs. 6 EStG-E beschränkt sich der Anwendungsbereich des § 4k EStG-E auf Leistungsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG, zwischen einem Unternehmen und seiner Betriebsstätte sowie auf strukturierte Gestaltungen. Hinsichtlich des Begriffs der nahestehenden Person verweist der Gesetzeswortlaut des § 4k Abs. 6 Satz 1 EStG-E auf § 1 Abs. 2 AStG-E. Allerdings werden nach § 4k Abs. 6 Satz 2 EStG-E für Zwecke des § 4k Abs. 1 bis 6 EStG-E einer Person, die gemeinsam mit einer anderen Person handelt, die jeweiligen Merkmale der anderen Person zugerechnet. Hierdurch sollen ausweislich der Gesetzesbegründung Umgehungen des Anwendungsbereichs der Anti-Hybrid-Regelungen verhindert werden, indem Stimmrechts- oder Kapitalbeteiligungen auf verschiedene Personen verteilt werden, die einem gemeinsamen Handlungswillen unterliegen bzw. gleichgerichtete Interessen verfolgen.27 Demgegenüber enthält § 4k Abs. 6 Satz 3 EStG-E eine Legaldefinition der strukturierten Gestaltung. Hiernach ist eine strukturierte Gestaltung anzunehmen, wenn der steuerliche Vorteil, der sich ohne die Anwendung des § 4k EStG-E ergeben wür24 Hinweis: Mit Einführung des § 4i EStG durch das BEPS-UmsG v. 20.12.2016 (BGBL I 2016, 3000) wurde die bereits durch § 4 Abs. 5a Satz 2 EStG initiierte Regelung zur Verhinderung eines doppelten Sonderbetriebsausgabenabzugs in das deutsche Steuerrecht übernommen, vgl. Pohl in Blümich, § 4i EStG Rz. 1 (Mai 2020). 25 Krause, DB 2019, 1097 (1099). 26 Vgl. Begründung RefE v. 24.3.2020, S. 49 f. 27 Vgl. Begründung RefE v. 24.3.2020, S. 56.

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de, ganz oder zum Teil in die Bedingungen der vertraglichen Vereinbarungen eingerechnet wurde oder die Bedingungen der vertraglichen Vereinbarungen oder die den vertraglichen Vereinbarungen zugrunde liegenden Umstände darauf schließen lassen, dass die an der Gestaltung Beteiligten den steuerlichen Vorteil erwarten konnten. Eine Ausnahme besteht für Steuerpflichtige, denen die Besteuerungsinkongruenz nicht bewusst war und die nicht von der Besteuerungsinkongruenz profitiert haben. Um dem Steuerpflichtigen nicht die Beweis- und Darlegungslast für ein regelmäßig nur schwer bzw. nicht nachzuweisendes negatives subjektives Merkmal („nicht bewusst“) aufzuerlegen, enthält § 4k Abs. 6 Satz 4 EStG-E als Ausnahme hiervon eine objektive Komponente („wenn nach den äußeren Umständen vernünftigerweise nicht davon auszugehen ist, dass ihm der steuerliche Vorteil bekannt war und er nachweist, dass er nicht an dem steuerlichen Vorteil beteiligt wurde“). Ausweislich der Gesetzesbegründung greift der Ausnahmetatbestand insbesondere bei über eine anerkannte Börse an fremde Dritte ausgegebenen Anleihen, bei denen der Zins so berechnet ist, dass er auch für Anleger, bei denen die Zinserträge regulär besteuert werden, attraktiv ist.28 b) Kritische Würdigung Der persönliche Anwendungsbereich des § 4k EStG-E ist (zu) weit gefasst.29 Zum einen sollte die Legaldefinition der strukturierten Gestaltung i.S.d. § 4k Abs. 6 Satz 3 EStG-E überarbeitet werden. Insoweit sollte eindeutig klargestellt werden, dass Beschaffungen am Kapitalmarkt entgegen der Gesetzesbegründung nicht vom Tatbestand der strukturierten Gestaltung erfasst werden. Die Einbeziehung von üblichen Kapitalbeschaffungsmaßnahmen geht an der Zielsetzung der ATAD II vorbei, wonach lediglich Besteuerungsinkongruenzen bei konzerninternen Vorgängen vermieden werden sollen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Emittent bei Beschaffungsvorgängen von Kapital an der Börse regelmäßig keine Kenntnis darüber hat, ob und ggf. inwiefern der Anleihegläubiger die Erträge der Besteuerung unterwirft. Oftmals fehlt es bereits an der Kenntnis über die Investoren und es mangelt an individuellen Vereinbarungen im Rahmen des Emissionsvorgangs. Vielmehr kommt es dem Schuldner lediglich auf die Kapitalbeschaffung an. Mangels bewusster Berücksichtigung eines zu sanktionierenden steuerlichen Vorteils in den vertraglichen Vereinbarungen ist es somit verfehlt, von einer strukturierten Gestaltung auszugehen. Zum anderen ist eine Anpassung des § 4k Abs. 6 Satz 4 EStG-E veranlasst. Hiernach wird der Steuerpflichtige nicht als Teil einer strukturierten Gestaltung behandelt, wenn ihm die Besteuerungsinkongruenz nicht bewusst war und er von ihr nicht profitiert hat. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass sich diese Ausnahmeregelung zugunsten des Steuerpflichtigen auswirkt. Allerdings ist die Formulierung unklar bzw. in der Praxis nicht umsetzbar, sodass sich für den Steuerpflichtigen keine 28 Vgl. Begründung RefE v. 24.3.2020, S. 57. 29 Vgl. IDW Stellungnahme zum RefE eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) v. 2.4.2020, S. 4, 15 f.

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Rechtssicherheit erreichen lässt. Einerseits ist fraglich, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit „nach den äußeren Umständen vernünftigerweise nicht davon auszugehen ist, dass (dem Steuerpflichtigen) der steuerliche Vorteil bekannt war“. Andererseits ist es unmöglich, einen Nachweis über eine Nichtbeteiligung an einem nicht vorhandenen oder nicht bekannten Vorteil zu führen. Solcherart wird die Intention des Gesetzgebers, den Steuerpflichtigen von der Beweis- und Darlegungslast für ein regelmäßig nur schwer bzw. nicht nachweisbares negatives subjektives Merkmal zu befreien, ad absurdum geführt. 3. Sachlicher Anwendungsbereich des § 4k EStG-E a) D/NI-Inkongruenzen § 4k Abs. 1 bis 3 EStG-E regeln das Abzugsverbot im Fall einer D/NI Inkongruenz30: – § 4k Abs. 1 EStG-E setzt Art. 9 Abs. 2 Buchst. a i.V.m. Art. 2 Abs. 9 UAbs. 1 Buchst. a ATAD II um und regelt das Abzugsverbot im Fall einer D/NI Inkongruenz in Kontext mit hybriden Finanzinstrumenten, namentlich mit Kapitalvermögen. – § 4k Abs. 2 Satz 1 EStG-E setzt Art. 9 Abs. 2 Buchst. a i.V.m. Art. 2 Abs. 9 UAbs. 1 Buchst. e und f ATAD II um. Hierbei handelt es sich um eine quantitative Subsidiaritätsklausel. Die Vorschrift versagt den Betriebsausgabenabzug für Aufwendungen im Rahmen von Leistungsbeziehungen zwischen einem hybriden Rechtsträger und seinem Anteilseiger oder zwischen Betriebsstätten eines Unternehmens, soweit die korrespondierenden Erträge auf Grund einer abweichenden steuerlichen Behandlung des Rechtsträgers oder einer abweichenden Gewinnaufteilung zwischen den Betriebsstätten31 keiner tatsächlichen Besteuerung unterliegen. – § 4k Abs. 3 EStG-E setzt Art. 9 Abs. 2 Buchst. a i.V.m. Art. 2 Abs. 9 UAbs. 1 Buchst. b, c und d ATAD II um und erfasst als Auffangregelung D/NI-Inkongruenzen, die nicht unter §  4k Abs.  1, 2 EStG-E fallen. Dies betrifft insbesondere umgekehrt ­hybride Rechtsträger, die im Staat ihrer Errichtung als transparente, im Staat der unmittelbar oder mittelbar Beteiligten als intransparente Rechtsträger behandelt werden, sowie Inkongruenzen auf Grund einer abweichenden Zuordnung von Erträgen zu einzelnen Unternehmensteilen (Betriebsstätten). Letzteres betrifft Zurechnungskonflikte in Zusammenhang mit Betriebsstätten sowie Zahlungen an unberücksichtigte Betriebsstätten.32 b) Importierte/indirekte Besteuerungsinkongruenzen § 4k Abs. 5 EStG setzt Art. 9 Abs. 3 ATAD II um und sieht ein Betriebsausgabenabzugsverbot im Fall von importierten Besteuerungsinkongruenzen vor.33 Diese liegen 30 Greinert/Siebing, Ubg 2020, 589 (592 ff.). 31 Hinweis: Gemeint ist insofern eine abweichende steuerliche Beurteilung der anzunehmenden (d.h. fiktiven) schuldrechtlichen Beziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 und 5 AStG. 32 Vgl. BDI/Ebner Stolz in BDI/Ebner Stolz, Steuer- und Wirtschaftsrecht, 1. Aufl. 2020, Rz. 239. 33 Vgl. Hinz, IStR 2020, 397 (399).

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vor, wenn ein Effekt einer Besteuerungsinkongruenz, die zwischen anderen Staaten eingetreten und von diesen nicht beseitigt worden ist, ganz oder teilweise ins Inland verlagert wird. Voraussetzung ist, dass der Gläubiger des Steuerpflichtigen oder ein weiterer Gläubiger Aufwendungen hat, die nach §  4k EStG-E einem Abzugsverbot unterliegen würden, wenn der (weitere) Gläubiger unbeschränkt steuerpflichtig wäre. Hiervon sind sowohl importierte Besteuerungsinkongruenzen aus D/NI-Sachverhalten als auch aus DD-Sachverhalten betroffen.34 c) DD-Inkongruenzen aa) § 4k Abs. 4 EStG-E im Überblick A Co.

B Co. Zinsen

Darlehen Bank

Sachverhalt: Die in Staat A ansässige A Co. hält 100% an der in Staat B ansässigen B Co., die aus Sicht des Staates A als transparent, aus Sicht des Staates B hingegen als intransparent eingeordnet wird (hybrider Rechtsträger). B. Co. nimmt von einer dritten Partei C (z.B. einer Bank) ein Darlehen zu angemessenen Zinskonditionen auf. Staat A ordnet das Darlehen der A Co. zu, da B Co. aus Sicht des Staates A als transparent gilt. Die Zinsen mindern demnach als Betriebsausgabe das steuerliche Ergebnis der A Co. Demgegenüber qualifiziert die B Co. aus Sicht des Staates B als intransparent, so dass das Darlehen der B Co. zugerechnet wird und die Zinsen als Betriebsausgaben der B Co. berücksichtigt werden. Lösung: Derartige Strukturen stehen im Fokus von § 4k Abs. 4 EStG-E. Hiernach soll es fortan in Höhe der Steuervergünstigung zu einem Betriebsausgabenabzugsverbot auf Ebene der B Co. kommen.

§ 4k Abs. 4 Sätze1 bis 4 EStG-E setzen Art. 9 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 2 Abs. 9 UAbs. 1 Buchst. g und Art. 9b ATAD um und erfassen Gestaltungen, die zu einer Besteuerungsinkongruenz in Form eines doppelten Betriebsausgabenabzugs führen.35 34 Vgl. BDI/Ebner Stolz in BDI/Ebner Stolz, Steuer- und Wirtschaftsrecht, 1.  Aufl. 2020, Rz. 241. 35 Hinweis: § 4k Abs. 4 EStG-E dürfte somit auch die doppelt geltend gemachten (Sonder-) Betriebsausgaben umfassen, für die § 4i EStG seit 2017 eine eigenständige Regelung enthält. Sollte der im Referentenentwurf des ATAD-UmsG vorgeschlagene § 4k EStG-E in das EStG aufgenommen werden, stellt sich die Frage des Verhältnisses von § 4i zu § 4k Abs. 4 EStG-E. Auch wenn es sich bei § 4k EStG-E um das jüngere Gesetz handelt, dürfte § 4i als lex specialis vorgehen, vgl. Benz/Böhmer, Der Konzern 2020, 240 (245); Marquardsen in Kirchhof/Kulosa/Ratschow, BeckOK, § 4i EStG Rz. 14c (Mai 2020).

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Anders als im Richtlinientext36 wird hierbei jedoch kein hybrides Element vorausgesetzt.37 Ausweislich der Gesetzesbegründung basiert diese Besteuerungsinkongruenz vielfach auf einer Zahlung eines hybriden Rechtsträgers oder einer Anrechnungsbetriebsstätte an einen Dritten im Ausland. Beispielhaft wird hierzu auf einen hybriden Rechtsträger Bezug genommen, der vom Sitzstaat als intransparent, im Staat der Gesellschafter jedoch als transparent behandelt wird, weshalb die Aufwendungen (sofern der Staat der Gesellschafter die Aufwendungen keiner ausländischen Freistellungsbetriebsstätte zuordnet) sowohl im Sitzstaat des Rechtsträgers als auch im Staat der Gesellschafter steuerlich berücksichtigt werden. Darüber hinaus dürften vom Anwendungsbereich des §  4k Abs.  4 EStG-E auch Zahlungen einer hybriden Betriebsstätte38 an Dritte sowie doppelt ansässige Rechtsträger erfasst sein. Entgegen Art. 9 Abs. 1 Buchst. a ATAD II normiert § 4k Abs. 4 Satz 1 EStG-E bei DD-Inkongruenzen als Grundregel einen Betriebsausgabenabzug im Ansässigkeitsstaat des Zahlenden.39 Diese Grundregel findet selbst dann Anwendung, wenn der andere Staat den Abzug der Aufwendungen nach einer dem § 4k Abs. 1 bis 4 EStG-E entsprechenden Regelung versagt.40 Ausweislich der Gesetzesbegründung wird so sichergestellt, dass die Anwendung des § 4k Abs. 4 Satz 1 EStG-E bei Aufwendungen eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil der ausländische Staat in Umsetzung der ATAD ebenfalls ein Abzugsverbot vorsieht.41 Allerdings sieht § 4k Abs. 4 Satz 2 2. Hs. EStG-E eine Ausnahme vor. Insoweit heißt es: „dies gilt nicht, wenn der Abzug der Aufwendungen bei einem mittelbaren oder unmittelbaren Gesellschafter eines unbeschränkt Steuerpflichtigen im Sinne des §  1 des Körperschaftsteuergesetzes in einem anderen Staat auf Grund einer diesem Absatz entsprechenden Regelung nicht zugelassen wird“. (Nur) diese Regelung setzt die Anwendungsreihenfolge aus Empfehlung 6 des OECD/G20-Berichts 2015, Empfehlung 4 des Hybrid branch-Berichts 2017 sowie Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b ATAD II um, wonach vorrangig der Staat des Investors bzw. der Muttergesellschaft die Besteuerungsinkongruenz beseitigen soll und erst nachrangig der Staat des Zahlenden. In § 4k Abs. 4 Satz 3 und 4 EStG-E sind Ausnahmen vom Abzugsverbot enthalten.42 § 4k Abs. 4 Satz 3 EStG-E enthält eine Ausnahme vom Abzugsverbot nach Satz 1, soweit den Aufwendungen Erträge desselben Steuerpflichtigen gegenüberstehen, die der inländischen und nachweislich auch in dem anderen Staat einer tatsächlichen 36 Art. 2 Abs. 9 Buchst. g ATAD II: „“Hybride Gestaltung, eine Situation in Zusammenhang mit einem Steuerpflichtigen (…), in der (g) ein doppelter Abzug erfolgt“. 37 Vgl. Gesetzesbegründung, S. 53. 38 Hinweis: Die OECD hat fünf Grundtypen hybrider Gestaltungen identifiziert: (i) Disre­ garded Branch Structure, (ii) Diverted Branch Payment, (iii) Deemed Branch Payment, (iv) DD Branch Payment, (v) Imported Branch Payment, vgl. Kahlenberg, IStR 2018, 93 (95) m.V.a. OECD, Action 2: Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, 2017. 39 Vgl. Marquardsen, IStR 2020, 623 (623); BDI/Ebner Stolz in BDI/Ebner Stolz, Steuer- und Wirtschaftsrecht, 1. Aufl. 2020, Rz. 240; Voß, DB 2020, 1197 (1201). 40 Vgl. Benz/Böhmer, Der Konzern 2020, 240 (245). 41 Hinweis: Ob in diesem Fall der Betriebsausgabenabzug zu versagen ist, hängt letztlich davon ab, ob die Voraussetzungen des § 4k Abs. 4 Satz 3 EStG-E erfüllt sind. 42 Vgl. Marquardsen, IStR 2020, 623 (624).

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Besteuerung unterliegen. Infolge des überabeiteten RefE vom 24.3.2020 gelten als Erträge des Steuerpflichtigen i.S.d. Satzes 3 auch Erträge einer Organgesellschaft, deren Einkommen dem Steuerpflichtigen als Organträger zugerechnet wird.43 § 4k Abs. 4 Satz 4 EStG-E nimmt die Anrechnungsfälle bei unbeschränkt Steuerpflichtigen vom Abzugsverbot aus. So kann sich ein doppelter Betriebsausgabenabzug auch daraus ergeben, dass der Aufwand im Staat einer Anrechnungsbetriebsstätte abzugsfähig ist und auf Grund des Welteinkommensprinzips auch die Bemessungsgrundlage des Steuerpflichtigen (Investor) im Ansässigkeitsstaat mindert. In diesem Fall ist die steuerliche Erfassung von Aufwendungen und Erträgen im Staat des Investors ungeachtet der steuerlichen Berücksichtigung im anderen Staat systemimmanent. Aus diesem Grund sieht §  4k Abs.  4 Satz 4 EStG-E eine Ausnahme vom Abzugsverbot vor, wenn die Aufwendungen bei unbeschränkt Steuerpflichtigen Einkünfte einer Einkunftsquelle mindern, bei denen eine Doppelbesteuerung durch Anrechnung der auf diese Einkünfte erhobenen ausländischen Steuern vermieden wird. Allerdings ist das Abzugsverbot nicht ausgeschlossen, soweit die Aufwendungen auch Erträge in einem anderen Staat mindern, die nicht der inländischen Besteuerung unterliegen. Damit soll das Abzugsverbot nach § 4k Abs. 4 Satz 1 EStG-E ausweislich der Gesetzesbegründung auch Fälle erfassen, in denen z.B. eine Anrechnungsbetriebsstätte im Ausland Verluste erzielt, die mit im Inland nicht der Besteuerung unterliegenden Gewinnen des Steuerpflichtigen oder anderer Rechtsträger, beispielsweise über ein Gruppenbesteuerungssystem, im Ausland verrechnet werden können.44 bb) Kritische Würdigung Der Anwendungsbereich des § 4k Abs. 4 EStG-E ist weit gefasst, um möglichst viele (hybride) Gestaltungsmodelle zu erfassen. Hierzu trägt nicht nur der Umstand bei, dass die Regelung anders als die entsprechenden Richtlinienvorgaben nicht auf hybride Gestaltungen beschränkt ist,45 sondern auch die fehlende hinreichende Bestimmtheit des Begriffs der „Aufwendungen“. Letzteres ist gerade unter dem Blickwinkel der Rechtssicherheit bedenklich. Diese Bedenken sollten durch eine eindeutige Definition des Begriffs der „Aufwendungen“ im Gesetzestext ausgeräumt werden. Dies gilt nicht zuletzt, da noch nicht einmal durch die Gesetzesbegründung erkennbar wird, welche Gestaltungen durch die Regelung erfasst werden sollen. Weitere Rechtsunsicherheit entsteht dadurch, dass die Gesetzesbegründung mit Blick auf die beispielhaft von § 4k Abs. 4 EStG-E erfassten Fallgruppen von „vielfach“ spricht. Schließlich ist die in § 4k Abs. 4 Satz 3 EStG-E normierte Ausnahmeregelung wesentlich enger gefasst als die entsprechenden Richtlinienvorgaben46 und lässt den weiten Anwendungsbe43 Hinweis: Hierdurch wird ein „Gleichlauf “ mit § 4k Abs. 2 Satz 3 EStG-E hergestellt, der infolge des überarbeiteten RefE v. 24.3.2020 eine entsprechende Erweiterung seines Anwendungsbereichs erfahren hat. 44 Vgl. Gesetzesbegründung, S. 53, 55. 45 Hinweis: Gleichwohl erscheint dieses Vorgehen vor dem Hintergrund des Art. 3 ATAD I (Mindestschutzniveau) gerechtfertigt. 46 Art. 2 Abs. 9 UAbs. 2 Buchst. b ATAD II: „Für Zwecke dieser Nummer 9 (b) entsteht eine hybride Gestaltung gemäß Unterabsatz 1 Buchstabe e, f oder g nur insoweit, als es im Steuer-

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reich des § 4k Abs. 4 EStG-E somit weitgehend unberührt. Anders als der Richtlinientext stellt sie auf doppelt besteuerte Erträge desselben Steuerpflichtigen ab. Diese Begrenzung ist nicht sachgerecht, da hierdurch Steuerpflichtige benachteiligt werden, die beispielsweise von einer Gruppenbesteuerungsregelung erfasst werden. Auf Rechtsfolgenseite ist schließlich bemerkenswert, dass sich §  4k Abs.  4 EStG-E von den in Art. 9 Abs. 1 Buchst. a ATAD II normierten Vorgaben, denen zufolge das Betriebsausgabenabzugsverbot im Steuergebiet des Investors versagt wird, distanziert. So kommt es nach der Grundregel des § 4k Abs. 4 Satz 1 EStG-E im Ansässigkeitsstaat des Zahlenden zu einem Betriebsausgabenabzugsverbot, wodurch die Vorgaben der ATAD II in ihr Gegenteil „verkehrt“ werden. Im Übrigen drohen dem Zahlenden durch das in § 4k Abs. 4 Sätze 1, 2 1. Hs. EStG-E normierte Betriebsausgabenabzugsverbot erhebliche praktische Konsequenzen, sofern auf seiner Ebene ein „Betriebsausgabenüberschuss“, sprich ein Verlust, vorliegt. Ausweislich der insoweit offenen Ausgestaltung des §  4k Abs.  4 EStG-E dürfte es (auch) in diesem Fall zu einem Betriebsausgabenabzugsverbot mit der Folge einer Nichtberücksichtigung der Verluste kommen. Hiervon dürften insbesondere Verluste deutscher (Konzern-)Gesellschaften bei klassischen (US-amerikanischen) „checkthe-box“ Gestaltungen betroffen sein, die bei Anwendung des § 4k Abs. 4 EStG-E zukünftig unberücksichtigt blieben. Dies ist insbesondere mit Blick auf die ohnehin restriktiven Regelungen des deutschen Steuerrechts zur Verlustnutzung, namentlich des geringen Verlustrücktrags- bzw. Verlustvortragsvolumens angesichts der Mindestbesteuerung i.S.d. § 10d EStG sowie des eingeschränkten Verlustabzugs bei Körperschaften in Zusammenhang mit Anteilsübertragungen i.S.d. § 8c KStG bedenklich. In Krisensituationen  – wie der derzeitigen globalen Corona Krise  – wären hierdurch erhebliche wirtschaftliche Belastungen deutscher Unternehmen vorprogrammiert. Gerade vor diesem Hintergrund sollte der Gesetzgeber sensibilisiert sein, sich der Verlustthematik in Kontext mit § 4k Abs 4 EStG-E (nochmals) anzunehmen. Auch wenn die Verlustthematik nicht aus dem Anwendungsbereich des § 4k Abs. 4 EStG-E ausgenommen wird, sollte zumindest ausdrücklich festgeschrieben werden, dass und inwiefern verfahrensrechtlich die spätere Erzielung von Erträgen auf Ebene des Zahlenden Raum für eine „Nachholung“ zuvor versagter Betriebsausgaben öffnet. 4. Beweislast Der RefE enthält keine konkreten Vorgaben zur Frage der Verteilung der Beweislast. Grundsätzlich gilt im Verwaltungsverfahren vor den Finanzbehörden gemäß §  88 Abs.  1 Satz 1 AO, dass diese den steuerrechtlich relevanten Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln haben.47 Eingeschränkt wird diese Pflicht der Finanzbehörde und gebiet des Zahlenden gestattet ist, den Abzug mit einem Betrag zu verrechnen, der steuerlich nicht doppelt berücksichtigt wird“. 47 Entsprechendes gilt im finanzgerichtlichen Verfahren entsprechend § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO, vgl. Bartone in Korn, § 4 EStG Rz. 712 (September 2018).

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der Finanzgerichtsbarkeit durch die Mitwirkungspflichten der am Verfahren Beteiligten. Nach § 90 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO48 sind die Beteiligten zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet, indem sie die besteuerungserheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegen und die ihnen bekannten Beweismittel angeben.49 Bei internationalen Steuerfällen gilt die erweiterte Mitwirkungspflicht i.S.d. §  90 Abs.  2 AO. Hintergrund hierfür ist, dass die deutschen Finanzbehörden nach Maßgabe des formellen Territorialitätsprinzips völkerrechtlich grundsätzlich nicht befugt sind, hoheitliche Befugnisse außerhalb der Staatsgrenzen auszuüben. Insbesondere dürfen sie im Ausland keine Sachaufklärungsmaßnahmen treffen. Ihnen steht allerdings die Möglichkeit offen, internationale Rechts- und Amtshilfe in Anspruch zu nehmen.50 Über den Gedanken der Beweisnähe i.S.d. § 90 Abs. 2 AO obliegt es zudem dem Steuerpflichtigen, den in seiner Sphäre im Ausland verwirklichten Sachverhalt aufzuklären und die für die Finanzbehörde sonst unerreichbaren Beweismittel selbst zu beschaffen. Der Steuerpflichtige darf die Mög­ lichkeiten zur Beweismittelbeschaffung insoweit nicht vereiteln und muss bereits bei der Gestaltung seiner (steuer-)rechtlichen Verhältnisse Beweisvorsorge treffen. Diese Pflicht darf allerdings nicht verabsolutiert werden, sondern steht stets unter dem Vorbehalt der Möglichkeit und Zumutbarkeit.51 Wenn und soweit das amtswegige Ermittlungsverfahren unter Berücksichtigung der (erweiterten) Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen nicht zu einer sicheren Feststellung über das Vorliegen eines steuerrelevanten Sachverhalts führt, eine Feststellung mit reduziertem Beweismaß nicht in Betracht kommt und eine Schätzung ausscheidet, finden die Regeln der objektiven Beweislast (Feststellunglast) Anwendung. Hiernach hat der Steuerpflichtige die objektive Feststellungslast für steueraufhebende, -einschränkende, -ermäßigende und -befreiende Tatsachen, während die Finanzbehörde die objektive Feststellungslast hinsichtlich der steuerbegründenden oder -erhöhenden Tatsachen trägt.52 Somit gilt für den Bereich der Betriebsausgaben, dass der Steuerpflichtige diesbezüglich grundsätzlich die objektive Feststellungslast trägt, da es sich um steuermindernde Tatsachen handelt.53 Vor diesem Hintergrund erweist sich sowohl die Frage der Beweislast als auch der Mitwirkungspflichten in Kontext mit hybriden Strukturen i.S.d. § 4k EStG-E als unzureichend geregelt:

48 Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO Rz. 3 (Oktober 2017); Bartone in Korn, § 4 EStG Rz. 712 ff. (September 2018). 49 Für den Finanzprozess wird das Gleiche durch § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO angeordnet, vgl. Bartone in Korn, § 4 EStG Rz. 712 (September 2018). 50 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO Rz. 18 (Oktober 2017). 51 Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO Rz. 18 f., 26, 34 ff. (Oktober 2017). 52 Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 88 AO Rz. 356 f. (März 2010); Wirfler in Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Stand 1.1.2020, B. Allgemeines; Seer in Tipke/Kruse, § 96 FGO Rz. 83 (August 2018). 53 Vgl. BFH v. 22.4.2008 – X B 64/07, BFH/NV 2008, 1345; BFH v. 29.7.2015 – IV R 16/12, BFH/NV 2015, 1572.

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Hybride Gestaltungen – Kritischer Überblick über § 4k EStG-E

Zwar obliegt es grundsätzlich der Finanzverwaltung, das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 4k EStG-E zu ermitteln. Angesichts des grenzüberschreitenden Charakteristikums hybrider Gestaltungen i.S.d. § 4k EStG-E dürfte der Steuerpflichtige allerdings den erweiterten Mitwirkungspflichten des §  90 Abs.  2 AO unterliegen. Hierdurch dürfte er insbesondere in Inbound-Strukturen bei mehrstufigen Beteiligungsstrukturen mit einem erheblichen, teils unzumutbaren Complianceund Prüfungsaufwand belastet werden, wenn die steuerliche Behandlung auf „entfernteren Stufen“ von ihm ermittelt und identifiziert werden müsste. So wäre nicht gesichert, dass die in die hybride Struktur „eingeschalteten“ verbundenen Unternehmen mit dem Steuerpflichtigen kooperieren und ihm Zugang zu den für die Aufklärung erforderlichen Beweismitteln – bspw. ausländische Steuerbescheide oder Zahlungsbelege über die tatsächliche Entrichtung der Steuer – verschaffen. Ebenso wenig ist mit Blick auf ein eventuelles Steuergeheimnis klar, ob der Steuerpflichtige in Bezug auf verbundene Unternehmen Bestätigungen ausländischer Finanzbehörden zur Verfügung gestellt bekäme.54 Ob der Steuerpflichtige sich in diesen Fällen auf den Vorbehalt tatsächlicher und rechtlicher Unmöglichkeit berufen und damit seiner erweiterten Mitwirkungspflicht entledigen kann, ist nicht garantiert. Zugleich ist unklar, zu wessen Lasten die Unaufklärbarkeit des für die Besteuerung nach § 4k EStG-E relevanten Sachverhalts  – gerade unter Berücksichtigung ebendieser administrativen „Hürden“ – geht. Allerdings vertreten Teile der Literatur in den rechtssystematisch vergleichbaren Fällen des Betriebsausgabenabzugs(-verbots) in Kontext mit der Lizenzschranke i.S.d. §  4j EStG und des Sonderbetriebsausgabenabzugsverbots bei Vorgängen mit Auslandsbezug i.S.d. §  4i EStG eine „Beweislastumkehr“. Hiernach trifft die objektive Feststellungslast für das Vorliegen der tatbestandlichen Erfordernisse des § 4j Abs. 1 Sätze 1, 2 EStG bzw. des § 4i Satz 1 EStG – unter Beachtung der Mitwirkungspflichten des §  90 Abs.  2 AO  – die Finanzbehörde und nicht den Steuerpflichtigen. Hintergrund hierfür ist, dass die Normen die grundsätzliche Abzugsfähigkeit von Betriebsausgaben beschränken und solcherart das dem Betriebsausgabenabzug zugrunde ­liegende objektive Nettoprinzip und damit das Leistungsfähigkeitsprinzip ausschließen.55 Diese Überlegungen dürften sich angesichts der § 4j EStG bzw. § 4i EStG vergleichbaren Wertungen auf hybride Gestaltungen i.S.d. § 4k EStG-E übertragen lassen mit der Folge, dass die Finanzbehörde die objektive Feststellunglast tragen würde. 54 Vgl. Rüsch, DStZ 2020, 274 (284 f.). 55 Vgl. Gosch in Kirchhof, 19. Aufl. 2020, § 4j EStG Rz. 6; Loschelder, in Schmidt, 39. Aufl. 2020, § 4j EStG Rz. 21: „Den Stpfl trifft die obj Beweislast für Höhe und betriebl/berufl Veranlassung der Lizenzaufwendungen (…). Macht das FA geltend, dass die Aufwendungen der Abzugsbeschränkung unterliegen, muss es das Vorliegen einer abw, niedrigen Besteuerung nachweisen; bei Auslandssachverhalten trifft den Stpfl allerdings eine erhöhte Mitwirkungsund Beweisvorsorgepflicht, § 90 II AO“, Schnitger, IStR 2017, 214 (217); Gosch in Kirchhof, 19. Aufl. 2020, § 4i EStG Rz. 5a; Hick in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4i EStG Rz. 32 (April 2018): „Für die Tatbestandsmerkmale des Satzes 1 (Aufwendungen mindern die StBemessungsgrundlage in einem ausländ. Staat), trägt die FinVerw. die objektive Beweislast (…), da es sich um ein steuererhöhendes Merkmal handelt“; a.A.: Schneider/Junior, DStR 2017, 417 (424); Benz/Böhmer, DB 2017, 206 (210).

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Theresa Siebing

Hierdurch würde sie gleichsam als „Weltsteuerbehörde“ agieren, um unter Rückgriff auf die internationale Rechts- und Amtshilfe das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des §  4k EStG-E zu prüfen. Angesichts der insoweit bestehenden Un­ sicherheiten wäre es wünschenswert, wenn der Gesetzgeber in Kontext mit der ­Umsetzung des RefE eine allgemeine Regelung treffen würde, die hinsichtlich korrespondierender Besteuerungstatbestände – wie § 4k EStG-E – eine klare und verhältnismäßige Regelung dazu trifft, wie diesbezüglich mit der Beweislast sowie den (erweiterten) Mitwirkungspflichten umzugehen ist.56

IV. Fazit § 4k EStG-E stellt ein komplexes Regelwerk dar, dessen fiskalinteressengleitete Motivation sich sowohl in seinem weiten persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich als auch in seinen jeweils eng gefassten Ausnahmeregelungen widerspiegelt. Darüber hinaus fehlt es einzelnen Regelungen an hinreichender Bestimmtheit, was sich gerade unter dem Aspekt der Rechtsicherheit als äußerst problematisch erweist. Nicht zuletzt entbehrt § 4k EStG-E in Sachen Beweislast an konkreten Vorgaben. Unabhängig davon, ob der deutsche Gesetzgeber die diesbezüglich zwischenzeitlich zurecht geäußerte Kritik im weiteren Gesetzgebungsverfahren aufgreift, wird sich die geplante Neuregelung spätestens vor den europäischen Instanzen beweisen müssen. So sieht es jedenfalls Art. 10 ATAD II vor, der die EU-Kommission ermächtigt, die Maßnahmen der ATAD im Nachgang zu evaluieren. Hiernach soll die Bewertung der Anti-Hybrid-Regelungen bis zum 1.1.2022 erfolgen.57 Auch nach Abschluss des nationalen Gesetzgebungsverfahrens wird somit auf absehbare Zeit keine Rechtssicherheit hinsichtlich der Auswirkungen auf die Besteuerungspraxis deutscher und ausländischer Unternehmen in Kontext mit hybriden Gestaltungen eintreten.

Dr. Theresa Siebing Maître en droit Rechtsanwältin, Steuerberaterin

56 Vgl. Rüsch, DStZ 2020, 274 (285). 57 Vgl. Wargowski in Hagemann/Kahlenberg, 1. Aufl. 2019, Art. 10 ATAD, Rz. 11; Kahlenberg, IStR 2019, 636 (639).

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Noemi Strotkemper

Jüngste Entwicklungen zur Streitbeilegung von Doppelbesteuerungskonflikten: Einordnung aus steuerverfahrensrechtlicher Perspektive Inhaltsübersicht I. Einführung II. Hintergrund der Reformbestrebungen III. Überblick über jüngste Entwicklungen für obligatorische Verständigungs- und Schiedsverfahren 1. Reformmaßnahmen auf OECD/G20Ebene a) Mindeststandard und Empfehlungen für Verständigungsverfahren b) Verpflichtung zur Durchführung ­obligatorischer Schiedsverfahren 2. Reformmaßnahmen auf EU-Ebene

a) Zielsetzung der EU-SBLR b) Umsetzung der EU-SBLR in deutsches Recht c) Reichweite und Inhalt des EU-DBA-SBG für Verständi­gungsund Schiedsverfahren IV. Bewertung 1. Verständigungsverfahren 2. Obligatorische Schiedsverfahren 3. Staatliche Rechtsschutzalternative V. Fazit

I. Einführung Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist die Frage, wie aktuell auf der internationalen Ebene durchgesetzte Reformmaßnahmen für Verständigungs- und Schiedsverfahren aus steuerverfahrensrechtlicher Perspektive einzuordnen sind. OECD/G20seitig sind dies der Mindeststandard und Empfehlungen zum Verständigungsverfahren sowie das Multilaterale Instrument (MLI) und dessen Teil VI für obligatorische Schiedsverfahren jeweils als Ausflüsse des BEPS-Projekts.1 Im EU-Raum betrifft dies die Richtlinie (EU) 2017/1852 des Rates vom 10. Oktober 2017 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union (EU-SBLR).2 Diese Bestrebungen – und die jeweils auf nationaler Ebene damit verbundenen gesetzlichen Maßnahmen – werden im Nachfolgenden zunächst nach ihrem Inhalt und Anwendungsbereich beschrieben. Daran schließt eine Untersuchung auf steuerverfahrensrechtliche Effizienzsteigerungen an, in der überprüft wird, welche Bedeutung inhaltliche Schnittmengen oder Unterschiede der neu umgesetzten Verfahrensabläufe für Verständigungs- und Schieds1 OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, Verbesserung der Effizienz von Streitbeilegungsmechanismen, Aktionspunkt 14 − Abschlussbericht 2015, Rz.  9  ff. (Punkt I. A.), abrufbar unter http://dx.doi.org/10.1787/9789264190122-de, sowie das aus Aktionspunkt 15 zwischenzeitlich hervorgegangene Multilaterale Instrument (MLI). 2 Amtsblatt der Europäischen Union v. 14.10.2017, L 265/1.

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verfahren aufweisen und inwieweit die Anpassungen Eingang in schon bestehende Regelwerke oder in Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) finden. Zugleich werden Abwägungskriterien entwickelt, anhand derer je nach Konflikttyp gezielt entschieden werden kann, welches internationale oder nationale Verfahren zur erfolgreichen Lösung des Besteuerungskonflikts geeignet ist. So wird deutlich, dass die neue Regelungsdichte nach Art und Umfang durchaus ihre Berechtigung hat und aus steuerverfahrensrechtlicher Perspektive gewinnbringend eingesetzt werden kann.

II. Hintergrund der Reformbestrebungen Die zu beobachtenden Bestrebungen der EU-Mitgliedstaaten sowie der OECD/G20Staaten zur Verbesserung der Abläufe von Verständigungs- und Schiedsverfahren fußen auf praktischen Erfahrungen und Kritikpunkten zu Art.  25 OECD-Musterabkommen (OECD-MA). Denn betroffene Personen konnten sich bisher im Rahmen des Verständigungsverfahrens nicht mit hinreichender Rechtssicherheit auf einen erfolgreichen Verfahrensabschluss verlassen. Gründe für das Ausbleiben einer Verständigung sind vielschichtig. Sie betreffen mitunter alle Verfahrensstadien beginnend von der Einleitung des Verfahrens, über die Durchführung bis hin zu dem Abschluss, um den sich die beteiligten Staaten lediglich bemühen müssen, sowie schließlich die Umsetzung ins nationale Recht. Auch anhaltend hohe Fallzahlen zu nicht abgeschlossenen Verständigungsverfahren von OECD-weit rund 6.500 bis 7.000 Verfahren3 gestatten keine hinreichende Vertrauensgrundlage in das aus Sicht nur passiv beteiligter Steuersubjekte intransparent erscheinende Verfahren. Dass auch im Laufe der Zeit in Verständigungsklauseln integrierte verbindliche Schiedsklauseln die erhoffte streitbeendigende Wirkung noch nicht konsequent herbeiführen konnten, wurde erkannt und als Indiz für verfahrensrechtliche Defizite angesehen.4 Denn im Idealfall führt allein die Existenz obligatorischer Mechanismen zu erhöhter Verständigungsbereitschaft.5 Nur im Ausnahme- und Eskalationsfall sollte es tatsächlich zur Durchführung von Schiedsverfahren kommen. Dies gilt nicht nur für die DBA-Klauseln,6 denen es ersichtlich an geschriebenem Verfahrensrecht mangelt, sondern auch für die detaillierteren Regelungen des Übereinkommens Nr. 90/436/ EWG über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen 3 Dies waren die Inventarzahlen Ende 2018 bzw. 2017. Vgl. www.oecd.org/tax/dispute/mutual-­ agreement-procedure-statistics.htm. Siehe auch Strotkemper, IStR 2016, 479 ff. 4 Siehe bspw. Züger, Schiedsverfahren für Doppelbesteuerungsabkommen (2001); Diete, Das obligatorische Schiedsverfahren in der deutschen DBA-Praxis (2014); Strotkemper, Das Spannungsverhältnis zwischen Schiedsverfahren in Steuersachen und einem internationalen Steuergerichtshof – Möglichkeiten zur Verbesserung der Streitbeilegung im Internationalen Steuerrecht (2017). 5 Statt vieler Flüchter in: Schönfeld/Ditz, Doppelbesteuerungsabkommen, 2.  Aufl. 2019, Art. 25 DBA Rz. 263 f. 6 Deutschland verfügt mittlerweile mit einigen europäischen Staaten (Frankreich, Großbritannien, Luxemburg, Niederlande und Österreich), aber auch einigen Drittstaaten (Armenien, Australien, Japan, Liechtenstein, Schweiz und USA) über obligatorische Schiedsklauseln.

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zwischen verbundenen Unternehmen“ vom 23.7.1990 (EU-SK)7 sowie des dazugehörigen Code of Conducts des EU-Joint Transfer Pricing Forums (EU-JTPF).8

III. Überblick über jüngste Entwicklungen für obligatorische Verständigungs- und Schiedsverfahren 1. Reformmaßnahmen auf OECD/G20-Ebene a) Mindeststandard und Empfehlungen für Verständigungsverfahren Der Abschlussbericht aus 2015 zu Aktionspunkt 14 sieht bezogen auf das Verständigungsverfahren die Verpflichtung der OECD/G20-Staaten zur Umsetzung des Mindeststandards vor, um die Effizienz und Transparenz des Verfahrens zu steigern.9 Danach kann der Antrag auf Verfahrenseinleitung i.S.d. Art. 25 Abs. 1 OECD-MA nicht länger nur im Ansässigkeitsstaat, sondern stattdessen auch bei der zuständigen Behörde im Quellenstaat gestellt werden. Auch ist die Umsetzung der erzielten Einigung im Verständigungsverfahren ungeachtet bestehender innerstaatlicher Festsetzungs-, Bestandskrafts- oder Verjährungsfristen zu gewährleisten.10 Der Fristlauf der Zweijahresfrist für Verständigungsbemühungen beginnt hiernach erst mit Vorliegen aller angeforderten Unterlagen.11 Außerdem müssen die Staaten nunmehr Klauseln i.S.d. Art. 9 Abs. 2 OECD-MA 2017 vorsehen, die auf Erstkorrekturen im ersten Vertragsstaat wegen einer Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz zur Durchführung von Gegenkorrekturen im anderen Staat verpflichten – und erforderlichenfalls zur Einleitung eines Verständigungsverfahren anhalten  – um eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung zu vermeiden. Über den Mindeststandard hinaus wurden Empfehlungen als sog. best practices beschlossen.12 Die staatenseitige Umsetzung der Inhalte und Zusagen des Mindeststandards wird im Wege eines OECD-seitig eingesetzten und ausgeübten Überwachungsmechanismus, dem sog. Peer Review-Verfahren, überprüft und bis Ende 2021 bewertet werden.13 Ausweislich der beiden Peer Review Reports für Deutschland entsprechen deutsche DBA den Anforderungen des Mindeststandards weitgehend.14 Offen sind im Wesent 7 BStBl. I 1995, 166. 8 Hierbei handelt es sich um sog. soft law. Vgl. ABl. EU Nr. C 322/2009, 1 ff. Die Erstfassung stammt aus 2006. 9 OECD/G20 (Fn. 1), Rz. 9 ff. (Punkt I. A.). 10 Siehe Art. 25 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA 2017 bzw. Art. 16 Abs. 1 Satz 1 HS. 2 und Abs. 5 Buchst. c) MLI. 11 Siehe Art.  25 Abs.  5 Buchst.  b) OECD-MA 2017 bzw. Art.  19 Abs.  1 Buchst.  b) i.V.m. Abs. 8 MLI. 12 OECD/G20 (Fn. 1), Rz. 42 ff. (Punkt I. B.). 13 OECD/G20 (Fn.  1), Rz.  60  f. (Punkt I. C.). Siehe dazu auch Anhang A (Mandat für die ­Ausarbeitung der Leitlinien und der Bewertungsmethode). Vgl. den Zeitplan unter http://www.oecd.org/tax/beps/beps-action-14-peer-review-assessment-schedule.pdf. 14 So war die Anschrift des BZSt als zuständige Behörde im Merkblatt für Verständigungsund Schiedsverfahren (vgl. BMF, Schr. v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001, BStBl. I

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lichen nur noch vereinzelte Anpassungen in Altabkommen mit Italien, Griechenland, Tschechien und der Slowakei.15 Änderungen betreffen dabei u.a. die Aufnahme der dreijährigen Ausschlussfrist zur Verfahrenseinleitung, die Verpflichtung zur unilateralen Abhilfeprüfung, die Normierung der zwischenstaatlichen Bemühenspflicht, die Sicherstellung der Umsetzung von Verständigungen ungeachtet bestehender innerstaatlicher Festsetzungs-, Bestandskrafts- oder Verjährungsfristen sowie einheitliche Pflichten für Gegenberichtigungen. Im Übrigen macht Deutschland Gebrauch von dem Vorbehalt des Art. 16 Abs. 5 MLI und lässt Anträge auf Verfahrenseinleitung auch weiterhin nur im Ansässigkeitsstaat (bzw. bei Berufung auf das Diskriminierungsverbot (Art. 24 Abs. 1 OECD-MA) in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt) zu, muss aber nunmehr zweiseitige Verständigungen auch über eine beabsichtigte unilaterale Zurückweisung des Einleitungsantrags anstrengen. b) Verpflichtung zur Durchführung obligatorischer Schiedsverfahren aa) Umsetzung durch Art. 18 ff. MLI Soweit der Aktionspunkt 14 des BEPS-Projekts auch die Verbesserung der Effizienz von Schiedsverfahren zum Gegenstand hat, empfiehlt der Abschlussbericht aus 2015 weiterhin die Integration verbindlicher, das Verständigungsverfahren ergänzender, Schiedsklauseln. Allerdings wurde es den Staaten freigestellt, den verpflichtenden Einsatz entsprechender Mechanismen zu erklären. Das haben 20 Staaten, auch Deutschland, getan. Das als Ausfluss des BEPS-Aktionspunkts 15 entwickelte MLI stellt als völkerrechtliches Abkommen nunmehr das entsprechende verfahrensrechtliche Korsett. Das Inkrafttreten des MLI steht noch in fast der Hälfte der 94 Signatarstaaten aus.16 Der dazu vorausgesetzte Abschluss der innerstaatlichen Umsetzungsmaßnahmen steht in Deutschland unmittelbar bevor.17 Der Gesetzesentwurf zu dem Gesetz zu dem Mehrseitigen Übereinkommen vom 24. November 2016 zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (MLI-Umsetzungsgesetz) wurde nach der 2. Beratung im Bundestag am 8.10.2020 unverändert angenommen und verabschiedet. Mit der noch ausstehenden Zustimmung des Bundesrates ist in der Sitzung am 6.11.2020 zu rechnen.18 Ein 2018, 1122 Tz. 1.4) zu ergänzen und den Mitarbeitern des BZSt waren zur Wahrung der Unabhängigkeit von den Landesfinanzverwaltungen bei der Aufgabenerfüllung sog. guided principles vorzugeben. Siehe OECD/G20 Making Dispute Resolution More Effective – MAP Peer Review Reports, Germany, INCLUSIVE FRAMEWORK ON BEPS: ACTION 14 (Stage 1, 2017), abrufbar unter https://doi.org/10.1787/9789264285804-en. 15 Siehe OECD/G20 Making Dispute Resolution More Effective – MAP Peer Review Reports, Germany, INCLUSIVE FRAMEWORK ON BEPS: ACTION 14 (Stage 2, 2020), abrufbar unter http://dx.doi.org/10.1787/9789264285804-en. 16 Das MLI wurde bislang bereits in 53 Fällen in nationales Recht umgesetzt. Stand: 29.9.2020. Vgl. https://www.oecd.org/tax/treaties/beps-mli-signatories-and-parties.pdf. 17 Siehe m.w.N. zu dem Inhalt des Umsetzungsgesetzes etwa Oppel, ISR 2020, 295. 18 Deutscher Bundestag, BT-Drucks. 19/20979. Am 3.7.2020 wurde der Regierungsentwurf vom Bundesrat ohne Änderungen beschlossen und an den Präsidenten des Bundestags zur Beschlussfassung weitergeleitet. Die Empfehlung des Finanzausschusses des Bundestags

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darüber hinaus noch auf den Weg zu bringendes MLI-Anwendungsgesetz soll die konkreten Änderungen DBA-spezifisch aufbereiten und dazu jeweils eine – mit dem anderen Staat abgestimmte – konsolidierte Textfassung enthalten. Dieses Vorgehen wird von deutscher Seite für erforderlich gehalten, um die notifizierten Auswahlentscheidungen und Vorbehalte Deutschlands und der jeweiligen Vertragspartner sowie die konkreten Folgen für die Anwendung der einzelnen DBA klarzustellen.19 Damit bedarf jedes MLI-relevante DBA nicht länger einer Aktualisierung im Wege gesonderter bilateraler Verhandlungen. Vielmehr erfahren alle zweiseitig als Covered Tax Agreement (CTA) des MLI notifizierten 14 deutschen DBA20 die Anpassungen durch den Erlass des zweistufigen Umsetzungs- und Anwendungsgesetzes.21 Nach Art. 35 Abs. 7 MLI tritt das MLI in diesem Fall jedoch nicht bereits nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunden beider Staaten nach Maßgabe des Art. 34 Abs. 2 MLI in Kraft, sondern erst nach dem Abschluss und der Notifikation sämtlicher innerstaatlicher legislativer Verfahren – für Deutschland also erst nach der Verabschiedung des MLIAnwendungsgesetzes. Diese Maßnahme steht noch immer aus. Auf Basis noch einzuleitender, schon laufender oder bereits abgeschlossener (z.B. DBA-Japan 2015) bilateraler Verhandlungen sollen darüber hinaus weitere nicht vom MLI erfasste DBA auf Einzelfallbasis aktualisiert werden.22 Hierzu zählen auch die wichtigen DBA mit Großbritannien, der Schweiz und den USA. bb) Reichweite und Inhalt für obligatorische Schiedsverfahren nach Art. 18 ff. MLI Die Anwendung von Art. 18 ff. MLI setzt voraus, dass das MLI bereits für beide Staaten in Kraft getreten ist, beide Staaten das jeweilige DBA als CTA eingestuft haben, sie jeweils die Verpflichtung zur Durchführung obligatorischer Schiedsverfahren abgegeben haben, die Vorbehalte der Staaten nach Art. 29 Abs. 1 Buchst. a) bis t) MLI notifiziert wurden und diese inhaltlich nicht voneinander abweichen. Für Deutschland zeichnet sich ab, dass bezogen auf das von Teil VI vorgesehene Schiedsverfahren vom 7.10.2020 ist unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/231/1923163.pdf abrufbar. Vgl. zum Plenarprotokoll der 2. Beratung und Schlussabstimmung Deutscher Bundestag, BT-PlPr 19/183, S. 23035C - 23041B. 19 Im Bedarfsfall wird die einvernehmliche Klärung des konkreten Verfahrensablaufs im Wege eines Konsultationsverfahrens i.S.d. Art. 25 Abs. 3 OECD-MA empfohlen. Vgl. Deutscher Bundestag (Fn. 18), S. 8. 20 Dies sind die deutschen DBA mit Österreich, Kroatien, Tschechien, Frankreich, Griechenland, Ungarn, Italien, Japan, Luxemburg, Malta, Rumänien, der Slowakei, Spanien und der Türkei. 21 Dem zweistufigen legislativen Vorgehen und der Existenz der späteren Anwendungsgesetze geschuldet, kommt es rechtstechnisch auf keine self-executing Wirkung des MLI mehr an. Siehe dazu klarstellend Reimer, Schriftliche Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Mehrseitigen Übereinkommen v. 24. November 2016 zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung v. 16.9.2020, S. 5. 22 Zu den einzelnen DBA siehe etwa Reimer (Fn. 21), S. 5 ff.

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trotz der Option für obligatorische Schiedsverfahren und der bevorstehenden nationalen Umsetzung möglicherweise kein oder nur ein kleiner praktischer Anwendungsbereich für die im MLI niedergelegten Abläufe der Schiedsverfahren in deutschen DBA verbleibt. Dazu kommt es für acht der beidseitig als CTA anerkannten deutschen 14 DBA schon kategorisch nicht, weil Kroatien, Tschechien, Griechenland, Ungarn, Malta, Rumänien, die Slowakei und die Türkei ihrerseits nicht für die obligatorische Durchführung von Schiedsverfahren optiert haben. Für weitere vier DBA, die DBA mit Österreich, Frankreich, Japan und Luxemburg, wurde sich durch die Ausübung des Vorbehalts von Art.  26 Abs.  4 MLI ausdrücklich für die vorrangige Durchführung der schon bestehenden DBA-Schiedsklauseln ausgesprochen. Nach Maßgabe der ausgeübten Wahlrechte und erklärten Vorbehalte kann es daher allein im Übrigen, also für die beiden DBA mit Italien und Spanien, zu der Anwendung der Art. 18 ff. MLI mit folgendem Inhalt kommen: 1. Deutschland behält sich vor, dreijährige Verständigungsverhandlungen zu führen.23 2. Rechtskräftige innerstaatliche Gerichtsentscheidungen zu der offenen Frage sollen deutsche Verständigungs- oder Schiedsverfahren grundsätzlich nicht beenden können.24 Wegen der Ausübung des Vorbehalts nach Art. 19 Abs. 12 MLI von Italien und Spanien dürfte es im Ergebnis aber doch dazu kommen. 3. Zudem findet die Verschwiegenheitsklausel nach Art. 19 Abs. 4 und 6 MLI Anwendung, weil sich auch Italien und Spanien gegen eine Anwendung entscheiden dürften. 4. Weil Deutschland nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a) bis c) MLI keinen Vorbehalt für die Anwendung der Entscheidungsfindung nach dem sog. independent opinion approach erklärt hat, gelangt die sog. final offer arbitration standardmäßig zur Anwendung.25 5. Im Hinblick auf die Verbindlichkeit der Schiedsentscheidung gesteht Deutschland – ebenso wie Italien und Spanien – den zuständigen Behörden zu, sich innerhalb von drei Kalendermonaten nach Übermittlung des Schiedsspruchs in einem sog. Zweiten Verständigungsverfahren auf eine abweichende Lösung zu verständigen.26 23 Vgl. Art. 19 Abs. 1 Buchst. b) und Abs. 11 MLI. Diese verlängerte Standardfrist würde nach dem Stand der Notifikationen mit Italien und Spanien momentan zur Anwendung gelangen. 24 Ob und inwiefern diese Auffassung den Anforderungen der umstrittenen Zulässigkeit der Durchbrechung der Rechtskraftwirkung des § 110 Abs. 1 und 2 FGO gerecht wird, bleibt ohne Erörterung. Vgl. Deutscher Bundestag (Fn. 18), S. 148. Zum Streitstand etwa Lehner in Vogel/Lehner, 6. Aufl. 2015, Art. 25 OECD-MA Rz. 132; Ismer, IStR 2003, 394 (396); Stiewe, Die verfahrensrechtliche Umsetzung internationaler Verständigungsvereinbarungen (2010), S. 261 ff. 25 Dies bleibt auch – mangels seitens Italiens und Spaniens erklärter Vorbehalte nach Art. 23 Abs. 2 MLI – für die beiden relevanten CTAs so. 26 Vgl. Art. 24 Abs. 1 und 2 MLI.

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6. Hinzukommen frei formulierte Vorbehalte nach Art.  28 Abs.  2 a) MLI, deren Wirksamkeit jedoch von der Annahme der Abkommenspartner abhängt.27 Noch nicht abschließend geklärt erscheint die Frage, ob Art. 18 ff. MLI – im Falle der zu erwartenden Annahme von Italien und Spanien i.S.d. Art. 28 Abs. 2 b) MLI – automatisch zu einer Vorrangigkeit der EU-SK bzw. des EU-DBA-SBG führen oder ob sich der Vorrang erst ad hoc nach einer Auswahlentscheidung des antragstellenden Steuerpflichtigen ergeben soll. Dies geht auch aus der Gesetzesbegründung nicht klar hervor.28 Im Falle einer automatischen Vorrangigkeit würden Art. 18 ff. MLI für deutsche DBA ohne praktischen Anwendungsbereich verbleiben. Der Wortlaut des entsprechenden Vorbehalts Nr. 4 zu Art. 28 MLI in der Gesetzesbegründung schweigt hierzu. Für einen Vorrang auf bloßer ad hoc-Basis würde sprechen, dass dies dem in § 4 Abs. 4 EU-DBA-SBG und in Art. 15 EU-SK niedergelegten Wahlrecht entsprechen würde. 2. Reformmaßnahmen auf EU-Ebene a) Zielsetzung der EU-SBLR Mit dem 1.7.2019 war die EU-SBLR national umzusetzen. Die mit der Verabschiedung der EU-SBLR bezweckten verfahrensrechtlichen Erleichterungen für von abkommenswidrigen Besteuerungen betroffene Personen innerhalb der EU sollen durch eine Erstreckung des Anwendungsbereichs der Verfahren auch auf sonstige Auslegungs- und Anwendungskonflikte von Unternehmen oder natürlichen Personen, eine noch tiefergehende Verdichtung des geschriebenen Verfahrensrechts sowie der Etablierung diverser Überprüfungsmechanismen, die zur Durchsetzung des Verfahrensfortgangs zur Verfügung stehen, gelingen. b) Umsetzung der EU-SBLR in deutsches Recht Im deutschen Rechtsraum stellt das EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz (EU-DBA-SBG)29 erstmals ein geschriebenes Einzelsteuergesetz dar, das 27 Ein Verfahrensausschluss droht danach, wenn (1) eine Missbrauchsvermeidungsvorschrift zur Anwendung kommt, (2) Personen ordnungswidrig oder strafbar handeln, (3) keine doppelte Besteuerung streitgegenständlich ist, (4) der Anwendungsbereich von EU-SK bzw. EU-DBA-SBG eröffnet ist, (5) die Anwendung der Anrechnungsmethode anstelle der Freistellungsmethode fraglich ist oder (6) eine tatsächliche innerstaatliche Verständigung ergangen ist. 28 Ismer, Stellungnahme zur Sachverständigenanhörung v. 16. September 2020 im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zu dem Mehrseitigen Übereinkommen v. 24. November 2016 zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, BT-Drucks. 20/20939, S. 4 geht ebenfalls von einem Vorrang aus ([…], „zumal der EU-Streitbeilegungsrichtlinie ohnehin Vorrang zukommt“), legt hierbei aber nicht fest, ob sich der Vorrang direkt oder erst ad hoc ergibt. Mittlerweile von einer parallelen Anwendbarkeit ausgehend Piotrowski, IStR 2018, 257 (263 f.). 29 BGBl. I 2019, 2103. Der offizielle Titel lautet Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/1852 des Rates v. 10. Oktober 2017 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union.

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den Ablauf von internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren normiert.30 Das EU-DBA-SBG ist erst am 13.12.2019 – rückwirkend zum 1.7.2019 – in Kraft getreten.31 Der Anwendungsbereich erfasst Steuerjahre beginnend ab dem 1.1.2018 und Anträge, die ab dem 1.7.2019 bei dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) als zuständiger deutscher Behörde eingehen.32 Eine Aktualisierung des Merkblatts des BMF mit weiteren konkretisierenden Hinweisen und Empfehlungen zur konkreten Anwendung der vom EU-DBA-SBG vorgesehenen Regelungen zum Verständigungsund Schiedsverfahren wurde anlässlich der Verabschiedung des EU-DBA-SBG angekündigt, steht aber noch aus. c) Reichweite und Inhalt des EU-DBA-SBG für Verständigungs- und Schiedsverfahren Konzeptionell gesehen hält das EU-DBA-SBG weiterhin an dem verfahrensrechtlichen – aus Art. 25 OECD-MA sowie Art. 6 ff. EU-SK bekannten – Dreiklang bestehend aus Abhilfeverfahren, Verständigungsverfahren und Schiedsverfahren fest. aa) Verständigungsverfahren Die Charakteristika des initialen zwischenstaatlichen Verständigungsverfahrens erfahren in §§  13  ff. EU-DBA-SBG keine einschneidenden Veränderungen. Im ­ ­Antrag (sog. Streitbeilegungsbeschwerde i.S.d. § 4 Abs. 1 und 2 EU-DBA-SBG) ist ein rechtlicher Meinungsunterschied als Streitfrage i.S.d. § 1 EU-DBA-SBG darzulegen.33 Neu ist zudem, dass der alle notwendigen Informationen i.S.d. §  5 EU-DBA-SBG um­fassende Antrag grundsätzlich34 gleichzeitig35 beiden zuständigen Behörden zu unterbreiten ist.36 Es besteht standardmäßig eine zweijährige Verhandlungsfrist, die 30 Daneben wurde nur § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 FVG dahingehend ergänzt, dass Landesfinanzbehörden informiert werden und ihre Mitwirkung an den Verfahren auf einer Rechtsgrundlage beruht. 31 BGBl. I 2019, 2103. Vgl. zum Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens etwa Flüchter, ISR 2020, 56 (57). 32 Vgl. § 33 EU-DBA-SBG. Bis zum Inkrafttreten des EU-DBA-SBG folgte die unmittelbare Anwendung der EU-BLR aus BMF, Schr. v. 25.6.2019 – IV B 3 - S 1317/16/10058-010 – DOK 2019/0541626, BStBl. I 2019, 647. 33 Nach DBA setzt der Antrag indes die Darlegung einer die abkommenswidrige Besteuerung begründenden ersten Maßnahme voraus. Siehe m.w.N. zu rechtlichen Meinungsunterschiede Flüchter ISR 2020, 56 (58). 34 Im vereinfachten Verfahren nach § 28 Abs. 1 EU-DBA-SBG für natürliche Personen oder kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) bleibt es hingegen bei der Beantragung nur im Ansässigkeitsstaat. 35 Was unter gleichzeitigen Einreichungen der Beschwerde und Folgen von nicht gleichzeitig erfolgten Einreichungen zu verstehen ist, bleibt offen. Kritisch Blank in Kubik/SchmidjellDommes/Staringer, SWI-Spezial 12/2019 „Das EU-Besteuerungsstreitbeilegungsgesetz“, XVI. Die Umsetzung der EU-Streitbeilegungsrichtlinie in Deutschland, S. 180 (187). 36 Vgl. § 4 Abs. 1 bis 3 EU-DBA-SBG bzw. Art. 25 Abs. 1 Satz 1 und 2 OECD-MA bzw. Art. 6 Abs. 1 EU-SK.

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im Einzelfall von einer zuständigen Behörde durch Begründung gegenüber der anderen zuständigen Behörde auf drei Jahre verlängert werden kann.37 Werden nationale Rechtbehelfsverfahren zunächst aktiv betrieben und das Verfahren nach dem EU-DBA-SBG ruhend gestellt, beginnt der Lauf der Zweijahresfrist nach §  13 Abs.  3 EU-DBA-SBG nunmehr erst nach dem rechtskräftigen Abschluss lau­ fender nationaler Verfahren38 bzw. aus § 16 Abs. 3 EU-DBA-SBG folgt bei fehlender Abweichungsmöglichkeit durch Verständigungs- oder Schiedslösungen eine Verfahrensbeendigung. Das schon aus Art.  15 EU-SK bekannte Wahlrecht, von anderen Verständigungs- und Schiedsklauseln Gebrauch machen zu können, wird beibehalten.39 Verfahrensrechtliche Stärkungen der Position der betroffenen Person zeigen sich durch folgende Gesetzesinhalte: 1. Es gilt ein uneingeschränkter sachlicher Anwendungsbereich für alle DBA-Streitigkeiten unter räumlicher Beschränkung auf EU-Sachverhalte. 2. Im Unterschied zu Art. 16 MLI findet die Zulassungs- und Abhilfeprüfung nicht nur in einem Staat statt, sondern gleichzeitig und unabhängig voneinander von beiden zuständigen Behörden in beiden Staaten (sog. Beschwerdeverfahren). Das Zulassungsverfahren ist in zeitlicher Hinsicht auf eine Prüfung binnen sechs Monaten beschränkt – bei Fristüberschreitung wird die jeweilige Zulassung sogar nach § 8 Abs. 4 EU-DBA-SBG fingiert. Im Falle einer ein- oder zweiseitigen Zurückweisung durch die zuständigen Behörden können Rechtsbehelfe eingelegt werden, um die Zurückweisung zu überprüfen und die Zulassung noch zu erwirken.40 3. Neu ist auch, dass der Lauf der Verständigungsfrist behördenseitig durch Nachforderungen von ergänzenden Informationen nicht hinausgeschoben werden kann.41 37 Vgl. § 13 Abs. 4 EU-DBA-SBG. Eine Möglichkeit für eine kürzere Verlängerung besteht offenbar ebenso wenig wie eine Möglichkeit zur Zurückweisung des Antrags durch die andere zuständige Behörde. 38 Bisweilen war die Anordnung des Ruhens einer der Verfahren nicht normiert und beruhte auf reiner Staatenpraxis. 39 §  4 Abs.  4 EU-DBA-SBG ordnet aber den Ausschluss anderer Verständigungsverfahren bzw. die automatische Beendigung schon eingeleiteter anderer Verfahren in derselben Sache an und ist Ausdruck des Vorrangs von EU-Recht. 40 Vgl. im Einzelnen §§ 9 f. EU-DBA-SBG. Handelt es sich nur um die Zurückweisung durch eine zuständige Behörde, ist ein Beratender Ausschuss befugt, die Voraussetzungen für eine Zulassung zu überprüfen. Im Falle einer Zurückweisung durch beide Staaten, bedarf es vorrangig zunächst der Einschaltung der nationalen Gerichte. Nur wenn eine nationale zulassende Gerichtsentscheidung in einem der Staaten vorliegt, wird wiederum der Beratende Ausschuss einberufen, um seinerseits erforderlichenfalls die Zulassung in dem anderen Staat zu ersetzen. 41 Nach § 7 EU-DBA-SBG kann das BZSt zudem einmalig innerhalb von drei Monaten nach dem Eingang der Streitbeilegungsbeschwerde den Antragsteller um ergänzende Informationen ersuchen. Dieses Ersuchen ist wiederum innerhalb von drei Monaten zu beantworten.

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4. Eine erhöhte Transparenz wird zudem durch die die zuständigen Behörden treffende neue Begründungspflichten für zurückgewiesene Beschwerden (§ 8 Abs. 3 Satz 2 EU-DBA-SBG) bzw. für erfolglose verlaufende Verständigungsverhandlungen (§ 16 Abs. 1 EU-DBA-SBG) erzielt. Allerdings gehen mit dem EU-DBA-SBG auch erhöhte Pflichten und Risiken für Steuerpflichtige einher: 1. So ist mit der gleichzeitigen Unterbreitung der Beschwerde bei beiden zuständigen Behörden in der Regel nicht nur erhöhter administrativer Aufwand verbunden, sondern es kann auch die Pflicht zur Abfassung der Beschwerde in unterschiedlichen Sprachen bestehen.42 2. Außerdem wird die betroffene Person nunmehr in § 15 EU-DBA-SBG verpflichtet, die Annahme der Verständigungsvereinbarung innerhalb von 60 Tagen zu erklären, wenn es tatsächlich zu einer Umsetzung ins nationale Recht kommen soll. 3. Der betroffenen Person droht die Übernahme der Verfahrenskosten im Falle einer Rücknahme einer Streitbeilegungsbeschwerde oder einer seitens des Beratenden Ausschusses nach § 10 EU-DBA-SBG bestätigten Zurückweisung der Streitbeilegungsbeschwerde auf eine Entscheidung der zuständigen Behörden hin.43 bb) Obligatorische Schiedsverfahren Das Verfahren vor dem Beratenden Ausschuss ist in Besetzung44 und Entscheidungsfindung stark an Art. 7 ff. EU-SK angelehnt. Nunmehr kommt es aber nach § 17 EUDBA-SBG – wie nach DBA – nur auf Antrag der betroffenen Person zur Überleitung in das Schiedsverfahren. Die Schiedsentscheidung kann im Rahmen eines sog. Zweiten Verständigungsverfahrens binnen sechs Monaten wieder abweichend geregelt werden und steht ebenfalls unter dem Zustimmungsvorbehalt des Steuerpflichtigen. Anders als nach Art. 10 Abs. 2 EU-SK besteht kein durchsetzbares Recht des Steuerpflichtigen auf Beteiligung (vgl. §  23 EU-DBA-SBG); umgekehrt  – und im Unterschied zur EU-SK – kann seine Beteiligung zudem zwingend von den zuständigen Behörden angeordnet werden. Maßnahmen, die die Transparenz des Verfahrens steigern, sind die Führung einer Liste für unabhängige Personen, die als Schiedsrichter fungieren (nebst Verfahren für (Ersatz-)Benennungen (§§ 24 ff. EU-DBA-SBG)), die Veröffentlichung der Schiedsentscheidungen im Amtsblatt der EU-Kommission (vgl. 42 Für Deutschland wird Kommunikation nur auf Deutsch zugelassen (§ 3 EU-DBA-SBG). Der initiale Referentenentwurf hatte noch englischsprachige Kommunikation zugelassen. Vgl. Rüll, IStR 2019, 728 (730); Bühl, IWB 2019, 756. 43 Im Übrigen bleibt es – wie auch nach den anderen Regelwerken – dabei, dass sich die zuständigen Behörden die Verfahrenskosten zu gleichen Teilen teilen und die betroffenen Personen nur die ihnen selbst entstandenen Verfahrenskosten tragen (vgl. § 31 EU-DBASBG). 44 Es handelt sich um ein auf ad hoc-Basis einzusetzendes Gremium, bestehend aus dem Vorsitzenden und jeweils eine unabhängige Person und je einem Behördenvertreter. Wahlweise können auch neun Personen einberufen werden.

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Jüngste Entwicklungen zur Streitbeilegung von Doppelbesteuerungskonflikten

§ 19 Abs. 1 und 2 EU-DBA-SBG) bzw. jedenfalls von anonymisierten Basisinformationen entsprechend eines Musterformulars, klare Fristvorgaben für den Erlass der Entscheidung45 und die Annahme der Entscheidung durch den Steuerpflichtigen sowie Vorgaben für eine Geschäftsordnung. cc) Alternativer Einsatz des alternativen Ausschusses für Streitbeilegung Als Alternative zum Beratenden Ausschuss können die zuständigen Behörden innerhalb der Frist des § 22 EU-DBA-SBG die Einsetzung eines Ausschusses für alternative Streitbeilegung beschließen. Das ist auf ad hoc denkbar, aber auch auf ständiger Basis bzw. alternativ wäre es auch bei Einsatz des Beratenden Ausschusses möglich, allein die Form der Entscheidungsfindung auf die sog. final offer arbitration umzustellen.46

IV. Bewertung 1. Verständigungsverfahren Was die Ebene des Verständigungsverfahrens anbelangt, erscheinen sowohl die Neuerungen auf OECD/G20-Ebene als auch innerhalb der EU gelungen. Im Ergebnis leisten beide Reformbestrebungen Beiträge zur Harmonisierung der Verfahrensabläufe – sowohl separat, aber auch bei einer Gesamtbetrachtung. Dies beruht möglicherweise auch darauf, dass für die Staaten bei der Umsetzung kaum Gestaltungsspielräume bestanden haben. Diese Harmonisierung ist bereits per se zu begrüßen – insbesondere, weil sich die Staatenwelt seit jeher eher gegen entsprechende verfahrensrechtliche Verdichtungen und Autonomieverluste gesträubt hat. Auf dieser Basis wird auch die Rechtsanwendung für deutsche DBA weiter erleichtert. Dass Deutschland im Rahmen der Umsetzung des Mindeststandards allerdings den ausnahmslosen Weg für dreijährige Verständigungsverhandlungen gewählt hat, legt nicht gerade nahe, dass sich der Verfahrensablauf nach DBA in Zukunft schneller und effektiver vollziehen dürfte. Insofern ist das in der EU-SK sowie dem EU-DBA-SBG niedergelegte Modell von standardmäßig zwei Jahren mit einer maximal einjährigen Verlängerungsoption vorzuziehen. Über diese Frage hinaus kann bezogen auf das reine Verständigungsverfahren für Standardsachverhalte keine grundlegende und allgemeine Vorzugsentscheidung zwischen den einzelnen Verfahrensgrundlagen ausgemacht werden. Besteht in Einzelfällen indes keine hinreichende Klarheit darüber, ob die Einleitungsvoraussetzungen erfüllt sind, es sich um einen komplizierten Fall handelt oder sich die Verständigungsbemühungen für das BZSt mit einem Staat seit jeher schwierig 45 Die Entscheidung ist schriftlich innerhalb von sechs Monaten nach der Einsetzung zu treffen (vorbehaltlich einer einmaligen Fristverlängerung um drei Monate). 46 Deutschland hat hierzu federführend den Einsatz der sog. Fiskalis-Projektgruppe initiiert, die unterschiedliche Arbeitsmodelle für Ausschüsse für Alternative Streitbeilegung (z.B. ständig, rotierend, ad hoc) untersucht und Vorschläge ausarbeitet. Siehe Fiscalis Project Group, 093 Working Paper on the Implementation of Article 10 of Directive (EU) 2017/1852 on Tax Dispute Resolution Mechanisms in the European Union aus August 2019.

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gestalten, sollte für Fälle mit EU-Bezug das EU-DBA-SBG nicht nur vor DBA-Klauseln, sondern auch vor der EU-SK vorgezogen werden. Denn nur so können die ­zusätzlichen – wenn auch aufwendigeren und komplizierter ausgestalteten – verfahrensrechtlichen Facetten des EU-DBA-SBG gezielt eingesetzt werden. Weil Verständigungsbemühungen gerade mit vielen Drittstaaten häufig schwierig verlaufen und ergebnislos enden, wäre zu hoffen gewesen, dass die im Rahmen des Mindeststandards der OECD/G20-Staaten überarbeiteten Verfahren nicht hinter diesem erhöhten Niveau des EU-DBA-SBG zurückbleiben. Über den Tellerrand der EU hinaus verbleibt daher insoweit auch künftig weiterer Aufholbedarf. 2. Obligatorische Schiedsverfahren Ausgehend von der bislang bekannten Zurückhaltung der Staaten vor Reformierungen des Verständigungsverfahrens stellt bereits die zunehmende, wenn auch noch eher vereinzelt erscheinende, Akzeptanz der Aufnahme obligatorischer Klauseln für Verständigungs- und Schiedsverfahren in DBA einen deutlichen steuerpolitischen Fortschritt dar. Dass die Integration dieser Mechanismen in DBA nunmehr nicht mehr allein von einem bilateralen Gelingen abhängt, sondern auch durch die Umsetzung des MLI oder europäischer Rechtsinstrumente gelingen kann, führt zu einer weiteren wichtigen Weichenstellung. Nichtsdestotrotz wäre es zu hoffen gewesen, dass sich auch der Teil VI des MLI auf einem breiteren Fuß – und vor allem mit Drittstaaten – hätte umsetzen lassen. Dass dies ausbleibt, konterkariert den Nutzen deutlich. Denn gerade mit Staaten, mit denen auf neue obligatorische Mechanismen zu hoffen gewesen wäre – zu denken ist hier etwa an China, Indien oder Russland  – bleiben diese weiterhin komplett aus. Aber auch soweit der Teil VI für Deutschland umgesetzt wird, erscheint die Frage der Zweckdienlichkeit mehr als berechtigt. Das Ziel, die Abläufe der obligatorischen Verständigungs- und Schiedsverfahren über die EU hinaus zu vereinheitlichen, verfehlt das MLI – jedenfalls aus der Sicht Deutschlands – weitgehend. Vielmehr fällt nach wie vor eine deutliche verfahrensrechtliche Fragmentierung des Schiedsverfahrensablaufs nach DBA auf. Dem ungeachtet bleibt positiv festzuhalten, dass die Akzeptanz obligatorischer Mechanismen in neu aufgenommenen bilateralen Verhandlungen hoch ist und dieser Trend durch das BEPS-Projekt weiter begünstigt werden konnte.47 Diametral dazu gestaltet sich die Situation für EU-Mitgliedstaaten. Im Allgemeinen ist davon auszugehen, dass die Umsetzung der EU-SBLR dazu geeignet ist, die Effizienz von Verständigungs- und Schiedsverfahren zu steigern und den Rechtsschutz Steuerpflichtiger zu erhöhen. Dank der flächendeckend verpflichtenden und weitgehend vereinheitlichten Umsetzung der EU-SBLR in den EU-Mitgliedstaaten wird diese ihren Zielsetzungen dem Grunde nach mehr als gerecht. Bereits der Umstand, dass obligatorische Verständigungs- und Schiedsverfahren nunmehr erschöpfend auch für sonstige Steuerstreitigkeiten von natürlichen Personen und Unternehmen 47 Positive deutsche Beispiele sind hier z.B. Australien, Japan und Neuseeland.

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mit EU-Bezug zu Verfügung stehen – und dies nicht länger nur für Gewinnabgrenzungskonflikte nach der EU-SK der Fall ist48 – hebt das Rechtsschutzniveau auf eine neue Stufe. Die außerdem vollzogene verfahrensrechtliche Verdichtung der Abläufe für Verständigungs- und Schiedsverfahren – selbst gegenüber dem bereits erhöhten Niveau der EU-SK  – legt zugleich Grundsteine für planbarere und konsequentere Verfahrensdurchführungen und -abschlüsse. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie aufwendig sich das Durchlaufen der Verfahren tatsächlich erweisen wird. Im Idealfall sollte sich der Verfahrensablauf in der Praxis nicht als komplizierter erweisen, sondern ohne Umwege – über die neuen und zusätzlichen Rechtsbehelfe – zu einer Verständigung führen. Wenn Überprüfungen von zurückgewiesenen Streitbeilegungsbeschwerden und Schiedsverfahren nur im Bedarfsfall vorzunehmen sind und sodann einen unkomplizierten, nicht zu aufwendigen und fairen Verfahrensabschluss sicherstellen können, erweist sich die Umsetzung der Inhalte der EU-SBLR mehr als überfällig und ist als gelungen zu bewerten. Gelingt dies nicht, könnte aus guten Gründen – soweit der Anwendungsbereich eröffnet ist – dem Verfahren nach der EU-SK weiterhin der Vorzug gegeben werden. Kurzum: In Fällen ohne EU-Bezug sind alle betroffenen natürlichen Personen und Unternehmen weiterhin auf die Einleitung von Verständigungs- und Schiedsverfahren nach DBA angewiesen. Jedenfalls für deutsche DBA spielt das MLI hier – leider noch  – keine praktische Rolle. In Fällen mit EU-Bezug bedarf es differenzierterer Überlegungen. EU-SK und EU-DBA-SBG sollte in der Regel der Vorzug vor den Verfahren nach DBA eingeräumt werden. Für DBA ohne obligatorischen Mechanismus liegt dies per se auf der Hand; im Übrigen begründet sich dies durch die vorstehend aufgezeigten steuerverfahrensrechtlichen Stärkungen. Soweit Steuerpflichtige allerdings eine Rücknahme des Einleitungsantrags nicht ausschließen können, kann nach EU-DBA-SBG eine Kostenübernahme drohen, die ansonsten nicht besteht. Im Falle von Gewinnzuweisungsstreitigkeiten mit EU-Bezug bedarf es tiefergreifender Erwägungen: Für die EU-SK spricht das durchsetzbare Mitwirkungsrecht und der ressourcenschonendere Verfahrensablauf, während erhöhte Rechtsschutzniveaus und ein höherer Grad an Verfahrenstransparenz in den schon erwähnten komplizierteren Ausgangslagen bzw. bei Begehr einer einheitlichen Entscheidung über mit der Gewinnzuweisung verbundene Auslegungsfragen (z.B. Bestehen einer Betriebsstätte) Verfahren nach dem EU-DBA-SBG nahelegen. Werden Anträge nach dem EU-DBASBG gewählt, sollte wegen der aus § 4 Abs. 4 Satz 3 EU-DBA-SBG folgenden Ausschlusswirkung für Verfahren nach anderen Rechtsgrundlagen unbedingt vermieden werden, unzulässige oder unbegründete Anträge zu stellen. 3. Staatliche Rechtsschutzalternative Neben der Auswahlentscheidung zwischen einzelnen obligatorischen Mechanismen empfiehlt es sich auch, zu prüfen, ob die Einleitung eines nationalen Rechtsbehelfsverfahrens vorzuziehen ist. Weil Steuerpflichtige in nationalen Klageverfahren über starke Mitwirkungsrechte verfügen, eine Aussetzung der Vollziehung beantragt wer48 Zur guten Annahme der EU-SK Hendricks/Strotkemper, Ubg 2019, 535 (538).

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den kann und im Obsiegensfall ein Kostenerstattungsanspruch besteht, sollten entsprechende Erwägungen stets parallel angestellt werden. Denn den internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren ermangelt es an diesen Möglichkeiten. Mit Blick auf die einseitige – und den anderen Staat nicht bindende – Gerichtsentscheidung kann eine Doppelbesteuerung auf Basis nationaler Verfahren dagegen nicht ­sicher beseitigt werden. Insofern besteht nicht nur das Risiko des Unterliegens, sondern auch ein latentes Risiko für eine fortbestehende und nicht dem DBA entsprechende Besteuerung. Zu nationalen Rechtsbehelfsverfahren ist daher zu raten, wenn der Steuerpflichtige auf eine zu seinen Gunsten wirkende gefestigte höchstrichterliche nationale Rechtsprechung zurückgreifen kann. Auf dieser Basis kann die dem DBA nicht entsprechende Besteuerung unilateral ausgeräumt werden49 und der Steuerpflichtige profitiert von den erwähnten deutlich stärker ausgeprägten Verfahrensrechten.

V. Fazit Den neuen Instrumenten ist gemein, dass sie darauf abzielen, den Ablauf abkommensrechtlich seit langem etablierter Verständigungs- und Schiedsklauseln zu verbessern und die Rechtssicherheit zu erhöhen. Mit welcher Reichweite dies durch die neuen Maßnahmen der EU bzw. der OECD/G20 im Ergebnis tatsächlich gelingen wird, bleibt noch abzuwarten. Insbesondere für kritische Fälle sowie für Verfahren mit als schwierig geltenden Abkommenspartnern könnten die neuen Regelungsinhalte m.E. eine hohe Relevanz erlangen. Betroffene Steuerpflichtige können  – und sollten  – die Rechtsschutzverbesserungen insbesondere dann zu ihrem Nutzen gezielt einzusetzen wissen.

Dr. Noemi Strotkemper Rechtsanwältin, Steuerberaterin

49 Vgl. m.w.N. zu diesen Kriterien Hendricks in Schaumburg/Hendricks, Steuerrechtsschutz, 4. Aufl. 2018, Internationale Verfahren, Rz. 8.106 ff.

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Die Auswirkungen von Upstream und Downstream Merger auf das steuerliche Einlagekonto einer Kapitalgesellschaft Inhaltsübersicht I. Das steuerliche Einlagekonto bei Kapitalgesellschaften II. Die Verschmelzung im Umwandlungssteuerrecht

III. Auswirkungen der Verschmelzung auf das steuerliche Einlagekonto 1. Grundsätze 2. Upstream Merger 3. Downstream Merger IV. Fazit

I. Das steuerliche Einlagekonto bei Kapitalgesellschaften Als Up- und Downstream Merger sollen im Folgenden Verschmelzungen zwischen Kapitalgesellschaften bezeichnet werden, bei denen entweder die Tochtergesellschaft auf ihre Muttergesellschaft verschmolzen wird (Upstream Merger) oder die Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaft (Downstream Merger). Zur Vermeidung von Gestaltungsmissbrauch und der Gewährleistung einer sachgerechten Besteuerung gibt es für diese Vorgänge besondere Regelungen zur Behandlung des steuerlichen Einlagekontos, welche als lex specialis Vorrang vor den allgemeinen Regelungen der §§  27, 28 KStG haben.1 Das steuerliche Einlagekonto ist ein besonderes Konto bei Kapitalgesellschaften, legaldefiniert durch § 27 KStG. § 27 KStG setzt zwei Anwendungsbereiche voraus. Der persönliche Anwendungsbereich der Vorschrift umfasst gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG ausschließlich unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften. Dies sind insbesondere Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien sowie Europäische Gesellschaften, so § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG. Gemäß § 27 Abs. 7 KStG gelten die Regelungen des Einlagekontos auch für jede andere unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft oder Personenvereinigung, welche Leistungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1, 9 oder 10 EStG gewähren kann. Auch für in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften und Personenvereinigungen ist die Anwendung der Regelungen durch § 27 Abs. 8 KStG unter diesen Voraussetzungen möglich. Sachlich anwendbar ist §  27 KStG dann, wenn nicht in das Nennkapital geleistete Einlagen vorliegen. Zunächst ist also die Frage zu klären, ob Einlagen in das Nennkapital einer Kapitalgesellschaft geleistet wurden. Bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind Einlagen in das Nennkapital gemäß § 5 Abs. 1 GmbHG die Einlagen 1 Antweiler in Bott/Walter, KStG, 147. EL Juli 2013, § 29 KStG, Rz. 8.

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in das Stammkapital der Gesellschaft. Bei Aktiengesellschaften umfasst das Nennkapital alle Einlagen in das Grundkapital der AG gemäß §  6 AktG, gleiches gilt bei Kommanditgesellschaften auf Aktien gemäß §§ 278 Abs. 3, 6 AktG. Bei Europäischen Gesellschaften umfasst das Nennkapital ebenfalls alle Einlagen, die in das Grundkapital der Gesellschaft geleistet werden, Art. 4 Abs. 1 SE-VO, Art. 5 SE-VO, § 6 AktG.2 Somit ist §  27 KStG immer dann anwendbar, wenn Einlagen nicht in das Grundoder Stammkapital geleistet werden. Der zeitliche Anwendungsbereich des § 27 KStG beschränkt sich auf den Zeitpunkt der Leistung. Dies bedeutet, dass die Vorschrift erst im Zeitpunkt des Zuflusses der bei der Kapitalgesellschaft Anwendung findet, nicht bereits im Zeitpunkt der Vereinbarung.3 Für die Bewertung der Einlagen gelten die allgemeinen Grundsätze des § 8 KStG: Für offene und verdeckte Einlagen die Bewertung mit dem Teilwert gemäß R 8.9 Abs. 4 S. 1 KStR, § 8 Abs. 1 KStG, § 6 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 6 EStG. Das steuerliche Einlagekonto umfasst wie aufgezeigt die Einlagen der Gesellschafter, welche nicht in das Nennkapital geleistet werden. Gemäß §  20 Abs.  1 Nr.  1 Satz 3 EStG sind Ausschüttungen der Gesellschaft keine Einkünfte aus Kapitalvermögen beim Gesellschafter, sofern sie aus dem steuerlichen Einlagekonto stammen. Dadurch ist gewährleistet, dass insoweit keine Besteuerung bereits versteuerter Einlagen ausgelöst wird. Ausschüttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto vermindern hingegen die Anschaffungskosten der Beteiligung. Das steuerliche Einlagekonto stellt ein gesondert zu führendes Konto außerhalb der Steuerbilanz dar.4 Dieses Konto wird pro Gesellschaft geführt, nicht etwa gesellschafterbezogen.5 Daher verfügt nicht jeder Anteilseigner über ein eigenes Einlagekonto, sondern die Gesellschafter sind im Verhältnis ihrer Beteiligung an der Kapitalgesellschaft an deren steuerlichem Einlagekonto beteiligt. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 KStG wird das Konto um die jeweiligen Zu- und Abgänge fortgeschrieben. Wie bereits ausgeführt, erhöht sich das steuerliche Einlagekonto durch alle Einlagen im steuerlichen Sinn.6 Das können neben offenen und verdeckten Einlagen i.S.d. R 8.9 KStR der Gesellschafter in die Kapitalgesellschaft auch Kapitalherabsetzungen ohne Rückzahlung des Kapitals oder Minderabführungen im Organschaftsverhältnis sein.7 Eine Minderung des Einlagekontos erfolgt jedoch nur nach der gesetzlich vorgeschriebenen Verwendungsreihenfolge aus § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG. Dort ist geregelt, dass Leistungen der Gesellschaft, welche nicht in der Rückzahlung von Stammkapital bestehen, das Einlagekonto nur mindern, sofern sie den auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteigen und somit Einlagenrückgewähr darstellen. Der ausschüttbare Gewinn ist das in der Steuerbilanz ausgewiesene Eigenkapital abzüglich des gezeichneten Kapitals und abzüglich des Bestands des steuerlichen Einlagekontos, so § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG. Somit ist ein Zugriff auf das steuerliche Einla2 Bauschatz in Gosch, KStG, 4. Aufl. 2020, § 27 KStG, Rz. 37. 3 KStR 2015, H 27 KStH, „Abflusszeitpunkt“. 4 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, 97. EL November 2019, § 27 KStG, Rz. 28. 5 Bauschatz in Gosch, KStG, 4. Aufl. 2020, § 27 KStG, Rz. 40. 6 Oellerich in Blümich, KStG, 151. EL März 2020, § 27 KStG, Rz. 21. 7 Bauschatz in Gosch, KStG, 4. Aufl. 2020, § 27 KStG, Rz. 38.

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Steuerliches Einlagekonto einer KapGes bei Upstream und Downstream Merger

gekonto erst nach Verwendung des ermittelten ausschüttbaren Gewinns möglich. Ein Direktzugriff auf das Einlagekonto ist insoweit nicht denkbar.8 Vorher liegen reguläre Gewinnausschüttungen vor, welche dem Kapitalertragsteuerabzug unterliegen. Leistungen i.S.d. § 27 KStG sind alle Auskehrungen, welche durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind.9 Dies können offene oder verdeckte Gewinnausschüttungen, Vorabausschüttungen oder sonstige Leistungen sein. Gemäß §  27 Abs.  1 S.  4 KStG darf der Bestand des Einlagekontos grundsätzlich nicht negativ werden. Ausnahmen bilden lediglich die Rückzahlung von Nennkapital und die organschaftliche Mehrabführung, so §§ 27 Abs. 1 Satz 3, Abs. 6, 28 Abs. 2 Satz 3 KStG.10 Der Bestand des steuerlichen Einlagekontos wird jährlich mittels Grundlagenbescheid gesondert festgestellt, definiert durch § 27 Abs. 2 Satz 1 und 2 KStG. Erbringt die Kapitalgesellschaft Leistungen aus dem steuerlichen Einlagekonto, so hat sie ihren Anteilseignern gemäß § 27 Abs. 3 KStG Bescheinigungen hierüber auszustellen. Wird diese Bescheinigung nicht rechtzeitig oder in zu geringer Höhe erbracht, so gilt der ausgekehrte Betrag durch § 27 Abs. 5 KStG als steuerpflichtige Ausschüttung.11

II. Die Verschmelzung im Umwandlungssteuerrecht Die Verschmelzung ist zivilrechtlich im Umwandlungsgesetz in §§ 2 ff. geregelt. Eine Verschmelzung ist gemäß §  2 UmwG sowohl im Wege der Aufnahme als auch im Wege der Neugründung möglich. Bei der Verschmelzung durch Aufnahme geht das Vermögen des oder der übertragenden Rechtsträger als Ganzes auf den übernehmenden Rechtsträger über, wohingegen bei der Verschmelzung durch Neugründung das Vermögen von mindestens zwei übertragenden Rechtsträger auf einen hierdurch neu gegründeten Rechtsträger übergehen. Die Verschmelzung erfolgt gegen Gewährung von Anteilen oder Mitgliedschaften, definiert in § 2 UmwG. Gemäß § 3 UmwG können an einer Verschmelzung unter Anderem Personengesellschaften, Kapitalgesellschaften, eingetragene Genossenschaften oder eingetragene Vereine beteiligt sein. Eine Verschmelzung ist sowohl zwischen Rechtsträgern der gleichen Rechtsform, beispielsweise zweier Kapitalgesellschaften, möglich, als auch zwischen Rechtsträgern unterschiedlicher Rechtsformen, etwa zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften, so die Regelung des § 3 Abs. 4 UmwG. Die Verschmelzung führt dazu, dass das gesamte Vermögen des übertragenden Rechtsträgers auf den übernehmenden Rechtsträger übergeht. Steuerlich ist die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften im Umwandlungssteuergesetz geregelt. §  1 Abs.  1 Satz 1 Nr.  1, Abs.  2 Nr.  1 UmwStG regelt Umwandlun 8 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, 97. EL November 2019, § 27 KStG, Rz. 58. 9 Oellerich in Blümich, 151. EL März 2020, § 27 KStG, Rz. 26. 10 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, 97. EL November 2019, § 27 KStG, Rz. 58, 60. 11 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, 96. EL Juni 2019, § 27 KStG, Rz. 210.

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gen von Rechtsträgern innerhalb der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraums. Für die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften findet der dritte Teil des UmwStG Anwendung: §§ 11 bis 13. Je nachdem, in welche Richtung verschmolzen wird, wird zwischen verschiedenen Gruppen unterschieden. Eine Aufwärtsverschmelzung (Up­ stream Merger) ist die Verschmelzung einer Tochter- auf ihre Muttergesellschaft. Eine Abwärtsverschmelzung (Downstream Merger) liegt hingegen vor, wenn eine Mutter- auf ihre Tochtergesellschaft verschmolzen wird. Die Seitwärtsverschmelzung (Sidestep Merger) bezeichnet die Verschmelzung zweier Schwestergesellschaften. Die §§ 11 bis 13 UmwStG sind sowohl auf Auf-, Ab- und Seitwärtsverschmelzungen anwendbar,12 wobei § 13 UmwStG die Besteuerung der Anteilseigner regelt und bei der Aufwärtsverschmelzung nicht anwendbar ist.13

III. Auswirkungen der Verschmelzung auf das steuerliche Einlagekonto 1. Grundsätze Die Veränderungen des Kapitals aufgrund von Umwandlungen sind in § 29 KStG geregelt. Diese Vorschrift dient dazu, sicherzustellen, dass umwandlungsbedingt weder Doppelerfassungen noch Einlagenuntergänge auftreten.14 Die Vorschrift des §  29 KStG erstreckt sich auf drei Schritte,15 gesetzlich normiert durch die Absätze 1, 2 und 4. Schritt 1: Zuerst gilt das Nennkapital der übertragenden Kapitalgesellschaft gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 KStG in Umwandlungsfällen i.S.d. § 1 UmwG als in vollem Umfang herabgesetzt. Es handelt sich um eine fiktive Kapitalherabsetzung.16 § 1 UmwG bezieht sich auf Verschmelzungen, Spaltungen, Vermögensübertragungen und Formwechsel. §  29 Abs.  1 KStG regelt somit im Regelfall die Auswirkungen beim übertragenden Rechtsträger. Bei Aufwärts- und Abwärtsverschmelzung ist auch die übernehmende Gesellschaft betroffen. Die Rechtsfolgen des §  29 Abs.  1 KStG treten bei handelsrechtlicher Wirksamkeit der Verschmelzung ein, das heißt regelmäßig nach Anmeldung und Eintragung in das Handelsregister.17 Die Bestimmungen sind nur für Kapitalgesellschaften anwendbar, da lediglich diese über ein steuerliches Einlagekonto und einen Sonderausweis im Sinne der §§ 27, 28 KStG verfügen. Werden Personengesellschaften auf Kapitalgesellschaften verschmolzen oder gespalten, zählt dies steuerlich als Einbringung der Wirtschaftsgüter oder Mitunternehmeranteile gemäß § 20 12 UmwStE, Rz. 11.01. 13 Rödder in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, § 11 UmwStG, Rz. 14. 14 Pohl in Micker/Pohl, BeckOK KStG, 6. Aufl. 2020, Rz. 1. 15 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, 90. EL Juni 2017, § 29 KStG, Rz. 6. 16 BMF, Schr. v. 11.11.2011 − IV C 2 – S 1978-b/08/10001, Rz. K.03. 17 Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 298. EL Juni 2020, §  29 KStG, Rz. 10.

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UmwStG, sodass §  29 KStG nicht anzuwenden ist.18 Sind Personengesellschaften übernehmende Rechtsträger im Falle des § 29 KStG, so müssen die Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft den Teil des Nennkapitals, welcher bei fiktiver Kapitalherabsetzung zum Sonderausweis gehört, nach § 7 UmwStG versteuern.19 Der Sonderausweis gemäß § 28 KStG bildet den Teil des Nennkapitals der Gesellschaft ab, der aus Gewinnen stammt, nicht aus Einlagen der Anteilseigner.20 Die fiktive Herabsetzung des Nennkapitals erfolgt in einer steuerlichen Sonderrechnung und wird in Handels- und Steuerbilanz der Kapitalgesellschaft nicht abgebildet.21 Handelsrechtlich gilt die Kapitalgesellschaft als aufgelöst, ohne dass Vermögen an die Gesellschafter ausgekehrt wird.22 Die fiktive Herabsetzung des Nennkapitals der übertragenden Kapitalgesellschaft führt dazu, dass ein etwaiger Sonderausweis gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG zunächst in voller Höhe zu mindern ist. Hier ist der zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres bei der übertragenden Gesellschaft bestehende Sonderausweis maßgeblich. Die Minderung erfolgt bis auf 0 Euro, da ein Negativausweis nicht möglich ist. Die Minderung des Sonderausweises führt zu einer Erhöhung des ausschüttbaren Gewinns.23 Sofern der Bestand des Nennkapitals höher ist als der des Sonderausweises zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, ist der Bestand des steuerlichen Einlagekontos i.S.d. § 27 KStG zu erhöhen. Somit wird auf Ebene des übertragenden Rechtsträgers das Nennkapital fiktiv herabgesetzt und dem steuerlichen Einlagekonto gutgeschrieben, sobald der Sonderausweis überschritten wird. Während das steuerliche Einlagekonto der übertragenden Kapitalgesellschaft auf Null gemindert wird, erfolgt korrespondierend die Erhöhung des Einlagekontos der übernehmenden Gesellschaft.24 Maßgeblich sind die nach § 27 Abs.  2 Satz 1 KStG gesondert festgestellten Beträge. Bei der übertragenden Gesellschaft wird das Einlagekontos letztmalig auf den steuerlichen Übertragungsstichtag festgestellt, wohingegen beim übernehmenden Rechtsträger der Bestand zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs maßgeblich ist, da dort die letzte Feststellung erfolgt ist. Die letztmalige Feststellung des Einlagekontos der übertragenden Gesellschaft beinhaltet jedoch noch keine Berücksichtigung des Vermögensübergangs im Zuge der Verschmelzung.25 Ausnahmen gelten lediglich bei Gewinnausschüttungen 18 Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 298. EL Juni 2020, §  29 KStG, Rz. 10. 19 Bauschatz in Gosch, KStG, 4. Aufl. 2020, § 29 KStG, Rz. 16. 20 Dötsch/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, die Körperschaftsteuer, 97. EL November 2019, § 28 KStG, Rz. 7. 21 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, die Körperschaftsteuer, 90. EL Juni 2017, § 29 KStG, Rz. 9. 22 Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 298. EL Juni 2020, §  29 KStG, Rz. 11. 23 Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 298. EL Juni 2020, §  28 KStG, Rz. 42. 24 Binnewies in Streck, KStG, 9. Aufl. 2018, § 29 KStG, Rz. 25. 25 Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 1. Aufl. 2015, § 29 KStG, Rz. 33.

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der übertragenden Körperschaft im Rückbezugszeitraum.26 Der Feststellungsbescheid der übertragenden Körperschaft ist Grundlagenbescheid i.S.v. §  182 Abs.  1 AO für den Feststellungsbescheid des übernehmenden Rechtsträgers. Die weiteren Schritte erfolgen auf Ebene des übernehmenden Rechtsträgers. Hier ist zu differenzieren, ob eine Verschmelzung oder Auf- bzw. Abspaltung vorliegt. Schritt 2: Im zweiten Schritt legt § 29 Abs. 2 KStG fest, dass in Verschmelzungsfällen die Bestände des steuerlichen Einlagekontos von übertragender und übernehmender Gesellschaft grundsätzlich zusammenzurechnen sind. In Fällen der Auf- und Abspaltung gemäß § 15 UmwStG ist die Aufteilung des steuerlichen Einlagekontos durch § 29 Abs. 3 KStG geregelt.27 In diesem Beitrag werden die Auswirkungen von Verschmelzungen auf das steuerliche Einlagekonto dargestellt. § 29 Abs. 3 KStG wird daher nicht weiterführend thematisiert. § 28 Abs. 2 Sätze 2-4 KStG sind mangels Rückzahlung an die Anteilseigner nicht einschlägig, da lediglich eine fiktive Kapitalherabsetzung und keine tatsächliche Rückzahlung vorliegt.28 Grundsätzlich ist also gemäß §§ 28 Abs. 2 Satz 1, 29 Abs. 2 Satz 1 KStG bei einer Verschmelzung i.S.d. § 2 UmwG einer Kapitalgesellschaft auf eine andere unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft der Bestand des steuerlichen Einlagekontos der übertragenden Gesellschaft dem der übernehmenden Körperschaft hinzuzurechnen. Durch diese Hinzurechnung ist es möglich, auch nach der Verschmelzung eine Einlagenrückgewähr i.S.v. § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG vorzunehmen. Die Hinzurechnung hat auch dann zu erfolgen, wenn das Einlagekonto des übertragenden Rechtsträgers einen Negativbestand ausweist.29 Die Hinzurechnung des Einlagekontos hat in dem Wirtschaftsjahr zu erfolgen, in dem der steuerliche Übertragungsstichtag des Verschmelzungsvorgangs liegt.30 Die Auswirkungen einer Verschmelzung zweier Kapitalgesellschaften ohne gegenseitige Beteiligung wird durch nachfolgendes Beispiel veranschaulicht: Die X-GmbH (Nennkapital 25.000 Euro, steuerliches Einlagekonto 10.000 Euro, Sonderausweis 0 Euro) soll auf die Y-GmbH (Nennkapital 25.000 Euro, steuerliches Einlagekonto 1.000 Euro, Sonderausweis 0 Euro) verschmolzen werden. Das Nennkapital der Y-GmbH soll nach Verschmelzung 50.000 Euro betragen.

26 Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 1. Aufl. 2015, § 29 KStG, Rz. 34. 27 Pohl in Micker/Pohl, BeckOK KStG, 6. Aufl. 2020, Rz. 9. 28 Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 298. EL Juni 2020, §  29 KStG, Rz. 11. 29 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, 97. EL November 2019, § 27 KStG, Rz. 16. 30 Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 1. Aufl. 2015, § 29 KStG, Rz. 36.

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Steuerliches Einlagekonto einer KapGes bei Upstream und Downstream Merger Vorspalte X-GmbH: Anfangsbestand Fiktive Kapitalherabsetzung

25.000 €

Nennkapital

Einlagekonto

25.000 €

10.000 €

– 25.000 €

Verringerung Sonderausweis Zugang steuerliches Einlagekonto

Sonderausweis

0€ 25.000 €

X-GmbH: Endbestand

+ 25.000 € 0€

Auf Y-GmbH übergehendes Einlagekonto

35.000 €

0€

35.000 €

Y-GmbH:

25.000 €

1.000 €

0€

Anfangsbestand Übergang Einlagekonto von X-GmbH Endbestand nach erfolgter Verschmelzung

35.000 €

+ 35.000 € 25.000 €

36.000 €

0€

Schritt 3: Nach erfolgter Hinzurechnung des steuerlichen Einlagekontos ist als dritter Schritt § 29 Abs. 4 KStG zu beachten. Danach ist das Nennkapital der beteiligten Kapitalgesellschaften unter Berücksichtigung des § 28 Abs. 1 und 3 KStG anzupassen. Somit gelten die Vorschriften für Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmittel entsprechend.31 Während sich der erste und zweite Schritt außerhalb der Steuerbilanz abspielen, wird die Neubildung des Kapitals auch in Handels- und Steuerbilanz abgebildet.32 Durch diesen Schritt wird das Nennkapital nach steuerlichen Kapitalveränderungen letztendlich wieder an das handelsrechtliche Nennkapital angepasst.33 Im Regelfall erfolgt bei der aufnehmenden Kapitalgesellschaft eine Kapitalerhöhung.34 Bei der übertragenden Gesellschaft besteht grundsätzlich kein Anpassungsbedarf, da diese ja durch die Verschmelzung erloschen ist. Steuerlich gilt deren Nennkapital somit weiterhin als im vollen Umfang herabgesetzt.35 Bei Verschmelzungen auf neu gegründete Gesellschaften ist erstmalig ein Nennkapital zu bilden. Bei der übernehmenden Gesellschaft gilt das Nennkapital im Regelfall der Verschmelzung nicht als herabgesetzt. 31 Pohl in Micker/Pohl, BeckOK KStG, 6. Aufl. 2020, Rz. 10. 32 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, 90. EL Juni 2017, § 29 KStG, Rz. 7. 33 Bauschatz in Gosch, KStG, 4. Aufl. 2020, § 29 KStG, Rz. 10. 34 Binnewies in Streck, KStG, 9. Aufl. 2018, § 29 KStG, Rz. 25. 35 Berninghaus in Hermann/Heuer/Berninghaus, § 29 KStG, 269. EL Juni 2020, § 29 KStG, Rz. 41.

185

Helena Thor

Eine Anpassung des Nennkapitals ist hier erforderlich, sofern sich das Nennkapital erhöht hat.36 Dies geschieht laut BMF-Schreiben vom 11.11.2011 unter der Voraussetzung, dass die Kapitalerhöhung nicht durch bare Zuzahlungen oder Sacheinlagen zustande gekommen ist.37 Die Erhöhung des Nennkapitals ist in der Reihenfolge vorzunehmen, dass zunächst der positive Bestand des steuerlichen Einlagekontos der Übernehmerin und abschließend sonstige Rücklagen zu verwenden sind. Gegebenenfalls führt dies zu einem Sonderausweis des § 28 KStG.38 Die sonstigen Rücklagen werden jedoch nur verwendet, wenn das steuerliche Einlagekonto vollständig verbraucht ist. Weiterführung des Beispiels: Endbestand nach erfolgter Verschmelzung Anpassung Nennkapital ­gemäß § 29 Abs. 4 KStG Y- GmbH: Endbestände

25.000 € 25.000 €

36.000 €

0€

– 25.000 € 50.000 €

11.000 €

Die Absätze 1 bis 4 des § 29 KStG sind lediglich auf unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften anzuwenden, so § 29 Abs. 5 KStG. In Fällen von bis dato beschränkt steuerpflichtigen Körperschaften greift Absatz 6. Wenn für die Körperschaft bisher kein steuerliches Einlagekonto nach §  27 KStG festzustellen war, tritt gemäß §  29 Abs. 6 KStG der Bestand der nicht in das Nennkapital geleisteten Einlagen zum Zeitpunkt des Vermögensübergangs an die Stelle des Einlagekontos. 2. Upstream Merger Für die Fälle des Upstream und Downstream Merger bestehen Sonderregelungen hinsichtlich der Behandlung des steuerlichen Einlagekontos. Wird die Tochtergesellschaft im Zuge eines Upstream Merger auf die Muttergesellschaft verschmolzen, ist § 29 Abs. 2 Satz 2 KStG zu beachten. Im Grundsatz ist der Bestand des steuerlichen Einlagekontos der übertragenden Gesellschaft gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 KStG dem der übernehmenden Gesellschaft hinzuzurechnen. Im Falle eines Upstream Merger gilt jedoch die Ausnahme, dass eine Hinzurechnung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos in dem Verhältnis unterbleibt, in welchem der übernehmende Rechtsträger (Mutter) an dem übertragenden Rechtsträger (Tochter) beteiligt ist (§  29 Abs. 2 Satz 2 KStG).

36 Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, §  29 KStG, 299. EL Juni 2020, §  29 KStG, Rz. 41. 37 BMF, Schr. v. 11.11.2011 − IV C 2 – S 1978-b/08/10001, Rz. K.15. 38 Mössner in Mössner/Seeger/Oellerich, KStG Kommentar Online, Oktober 2019, § 29 KStG, Rz. 132.

186

Steuerliches Einlagekonto einer KapGes bei Upstream und Downstream Merger

Diese Ausnahmeregelung soll verhindern, dass das Einlagekonto durch Verschmelzungen künstlich erhöht wird, wodurch Auskehrungspotenzial entstehen würde, welches nicht zu Einkünften aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 EStG führen würde.39 Grundsätzlich erhält die übernehmende Körperschaft durch die Verschmelzung das gesamte Vermögen der übertragenden Gesellschaft. Dies beinhaltet auch die Einlagen der übertragenden Tochtergesellschaft. Die Vorschrift gewährleistet, dass die Muttergesellschaft lediglich die eigenen Einlagen als Einlagenrückgewähr auskehren kann und nicht auch die Einlagen, die die Gesellschafter der Tochtergesellschaft in diese getätigt haben. Würde die Hinzurechnung nicht gemäß Satz 2 unterbleiben, so könnte die übernehmende Muttergesellschaft unter Beachtung der Verwendungsreihenfolge des §  27 Abs.  1 KStG durch die Addition der Einlagekonten gemäß §  29 Abs. 2 Satz 1 KStG den durch das Einlagekonto der Tochtergesellschaft erhöhten Bestand des steuerlichen Einlagekontos steuerfrei an ihre eigenen Anteilseigner auszahlen. Somit verhindert die Vorschrift, dass beim übernehmenden Rechtsträger Bestände des steuerlichen Einlagekontos entstehen, welche bilanziell nicht vorhanden sind.40 Im Ergebnis dient die Vorschrift dazu, dass auf dem steuerlichen Einlagekonto der übernehmenden Gesellschaft lediglich Beträge ausgewiesen werden, welche von den Gesellschaftern der übernehmenden Gesellschaft eingelegt wurden und nicht solche, die von der Gesellschaft selbst stammen, d.h. keine virtuellen Bestände.41 Für die Anwendung der Regelung ist eine Beteiligung des übernehmenden Rechtsträgers am Übertragenden notwendig. Es muss eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung vorliegen, welche auf der Aktivseite der Steuerbilanz ausgewiesen ist.42 Fraglich bleibt, ob auch eine mittelbare Beteiligung ausreicht. Dies ist der Fall, wenn eine Körperschaft nicht auf die Muttergesellschaft, sondern auf die Großmutter-Kapitalgesellschaft verschmolzen wird. Die Übernehmerin ist vor der Verschmelzung nur mittelbar an der Überträgerin beteiligt. Die h.M. wendet §  29 Abs.  2 Satz 2 auch bei Verschmelzungen von Enkel- auf Großmuttergesellschaften an, sodass die Hinzurechnung quotal unterbleibt.43 Dem entgegen stehen jedoch sachliche Zweifel, begründet durch die Formulierung „Anteil am Übertragenden“.44 Liegt eine Beteiligung der Muttergesellschaft am Nennkapital der Tochtergesellschaft jedoch vor, dann unterbleibt ein Übergang des steuerlichen Einlagekontos prozentual im Umfang der Beteiligung. Maßgeblich ist lediglich die Beteiligung am Kapital, nicht etwa abweichende Vereinbarungen hinsichtlich der Stimmrechtsverteilung, Gewinn-

39 Binnewies in Streck, KStG, 9. Aufl. 2018, Rz. 27. 40 Oellerich in Blümich, KStG, 152. EL Mai 2020, § 29 KStG, Rz. 11. 41 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, 98. EL Februar 2020, § 29 KStG, Rz. 20. 42 Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 298. EL Juni 2020, §  29 KStG, Rz. 24. 43 Mössner in Mössner/Seeger/Oellerich, KStG Kommentar Online, Oktober 2019, § 29 KStG, Rz. 79. 44 Blümich in Oellerich, KStG, 152. EL Mai 2020, § 29 KStG, Rz. 11b.; Pohl in BeckOK KStG, 6. Aufl. Juni 2020, § 29 KStG, Rz. 104.

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Helena Thor

bezugsrechten o.Ä.45 Bei einer 100%igen Beteiligung der Mutter an der Tochtergesellschaft unterbleibt die Hinzurechnung i.H.v. 100%. Bei einer geringeren Beteiligung unterbleibt die Hinzurechnung quotal in Höhe der Beteiligung, beispielsweise zu 75%. Hierzu folgendes Beispiel: Die M-GmbH (Nennkapital 25.000 Euro, steuerliches Einlagekonto 1.000 Euro, Sonderausweis 0 Euro) hält 75% der Anteile an der T-GmbH (Nennkapital 25.000 Euro, steuerliches Einlagekonto 10.000 Euro, Sonderausweis 0 Euro). Nun soll die T-GmbH als übertragende Körperschaft im Zuge eines Upstream Mergers auf die M-GmbH als übernehmende Gesellschaft verschmolzen werden. Bei der M-GmbH erhöht sich das steuerliche Einlagekonto gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 KStG im Grundsatz um den Bestand des Einlagekontos der übertragenden T-GmbH nach fiktiver Kapitalherabsetzung, d.h. um 35.000 Euro. Da die M-GmbH jedoch 75% der Anteile an der T-GmbH hält, unterbleibt eine Hinzurechnung des Einlagekontos in Höhe von 75%. Somit ist das steuerliche Einlagekonto nur i.H.v. 25% zu übernehmen, um 8.750 Euro. Das Einlagekonto der M-GmbH beträgt nach Verschmelzung 9.750 Euro. Abwandlung: Die M-GmbH hält 100% der Anteile an der T-GmbH. In diesem Fall würde eine Hinzurechnung des steuerlichen Einlagekontos der TGmbH bei der M-GmbH in vollem Umfang unterbleiben. Nach § 29 Abs. 2 Satz 2 KStG würde kein steuerliches Einlagekonto übergehen, sodass sich die Endbestände der M-GmbH nicht verändern würden. 3. Downstream Merger Wird hingegen die Muttergesellschaft auf eine Tochtergesellschaft im Zuge eines Downstream Merger verschmolzen, ist § 29 Abs. 2 Satz 3 KStG zu beachten. Diese Vorschrift regelt die Behandlung des steuerlichen Einlagekontos bei Abwärtsverschmelzungen. Auch hier dient die Sondervorschrift dazu, einen unzutreffenden Eigenkapitalausweis durch die Verschmelzung zu verhindern. So soll das Einlagekonto lediglich Beträge ausweisen, welche von außenstehenden Gesellschaftern eingelegt wurden.46 Gemäß § 29 Abs. 2 Satz 3 KStG mindert sich der Bestand des steuerlichen Einlagekontos der übernehmenden Körperschaft anteilig im Verhältnis des Anteils des übertragenden Rechtsträgers am Übernehmer. Die Rechtsfolgen des Satz 2 und Satz 3 unterscheiden sich dadurch, dass beim Downstream Merger nach Satz 3 keine Übergangssperre für den übertragenden Rechtsträger wie im Falle des Upstream Mergers vorliegt, sondern eine Kürzung beim übernehmenden Rechtsträger erfolgt.

45 Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 298. EL Juni 2020, §  29 KStG, Rz. 25. 46 Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 1. Aufl. 2015, § 29 KStG, Rz. 40, 49.

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Steuerliches Einlagekonto einer KapGes bei Upstream und Downstream Merger

Fraglich ist auch hier, ob eine mittelbare Beteiligung zur Anwendung des § 29 Abs. 2 Satz 3 KStG ausreicht.47 Dies wäre der Fall, wenn eine Muttergesellschaft auf die Enkelgesellschaft verschmolzen wird. Während die h.M. auch in diesem Fall die Regelung für anwendbar erklärt,48 steht dieser das Argument entgegen, dass es an einem Anteil der Mutter- an der Enkelgesellschaft fehlt.49 Die anteilige Kürzung des steuerlichen Einlagekontos der übernehmenden Tochtergesellschaft erfolgt in der Ausführung einen Schritt eher als der Übergang des Einlagekontos der übertragenden Muttergesellschaft. Obwohl diese Reihenfolge nicht gesetzlich normiert wurde, ist die Einhaltung notwendig, da sonst das Einlagekonto der Muttergesellschaft an der quotalen Kürzung teilnehmen würde, was dem Sinn der Vorschrift entgegensteht.50 Würde die Kürzung nach Zusammenrechnung der Beträge der beiden Einlagekonten erfolgen, wäre bei der Verschmelzung einer Mutter- auf ihre 100%ige Tochtergesellschaft kein Bestand gemäß § 27 KStG mehr vorhanden.51 Liegt eine Beteiligung der Muttergesellschaft am Nennkapital der Tochtergesellschaft vor, erfolgt eine Kürzung des Einlagekontos prozentual im Umfang der Beteiligung. Maßgeblich ist auch hier lediglich die Beteiligung am Kapital. Für die Minderung ist es nicht relevant, ob die Einlagen vom übertragenden Rechtsträger selbst oder von früheren Anteilseignern erbracht wurden.52 Beim Downstream Merger ist das steuerliche Einlagekonto der übernehmenden Tochtergesellschaft in 5 Stufen zu ermitteln.53 Im ersten Schritt erfolgt gemäß § 29 Abs. 1 KStG die fiktive Kapitalherabsetzung des Nennkapitals der Tochtergesellschaft auf 0 Euro. Danach ist § 29 Abs. 2 Satz 3 KStG zu beachten, indem das nach Schritt eins erhöhte steuerliche Einlagekonto nun im Verhältnis der Beteiligung der Muttergesellschaft prozentual zu verringern ist. Darauf folgt die fiktive Herabsetzung des Nennkapitals der zu verschmelzenden Muttergesellschaft auf 0 Euro gemäß §  29 Abs. 1 KStG. Das so erhöhte steuerliche Einlagekonto der Mutter- ist nun dem der Tochtergesellschaft hinzuzurechnen (§ 29 Abs. 2 Satz 1 KStG). Im letzten Schritt erfolgt dann die Kapitalangleichung gemäß §  29 Abs.  4 KStG, indem das zuvor auf 0  Euro herabgesetzte Nennkapital der Tochtergesellschaft auf den Stand nach Verschmelzung wieder fiktiv erhöht wird. Falls beim Downstream Merger, ebenso beim Upstream Merger, das Nennkapital der übernehmenden Gesellschaft als herabgesetzt gilt, ist steuerlich eine Neubildung des Nennkapitals vorzunehmen.54

47 Berninghaus in Hermann/Heuer/Raupach, KStG, 298. EL Juni 2020, § 29 KStG, Rz. 24-26. 48 BMF, Schr. v. 11.11.2011, IV C 2 – S 1978-b/08/10001, Rz. K.14. 49 Berninghaus in Hermann/Heuer/Raupach, KStG, 298. EL Juni 2020, § 29 KStG, Rz. 26. 50 Berninghaus in Hermann/Heuer/Raupach, KStG, 298. EL Juni 2020, § 29 KStG, Rz. 27. 51 Förster in Förster/van Lishaut, Das körperschaftsteuerliche Eigenkapital i.S.d. §§  27-29 KStG 2001 (Teil 2), 2002, Rz. 1263. 52 Oellerich in Blümich, KStG, 152. EL Mai 2020, § 29 KStG, Rz. 12. 53 BMF, Schr. v. 11.11.2011, IV C 2 – S 1978-b/08/10001, Rz. K.13. 54 Berninghaus in Hermann/Heuer/Berninghaus, § 29 KStG, 269. EL Juni 2020, § 29 KStG, Rz. 41.

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Beispiel (wie im BMF-Schreiben vom 11.11.2011 dargestellt): Die M-GmbH (Nennkapital 120.000 Euro, steuerliches Einlagekonto 80.000 Euro, Sonderausweis 0 Euro) hält 100% der Anteile an der T-GmbH (Nennkapital 120.000 Euro, steuerliches Einlagekonto 0 Euro, Sonderausweis 50.000 Euro). Nun soll die MGmbH als übertragende Körperschaft im Zuge eines Downstream Mergers auf die T-GmbH als übernehmende Gesellschaft verschmolzen werden. Das Nennkapital der T-GmbH soll nach Verschmelzung 240.000 Euro betragen. T-GmbH

Vorspalte

Anfangsbestand

0€

Fiktive Kapitalherabsetzung

120.000€

Verringerung Sonderausweis

–50.000 €

Rest Zugang Einlagekonto

70.000 €

Zwischenergebnis

Sonderausweis 50.000 € –50.000 €

+70.000 € 70.000 €

Verringerung in Höhe der Beteiligung M-GmbH an T-GmbH

0€

–70.000 €

Zwischenergebnis

0€

Zugang Einlagekonto M-GmbH nach § 29 Abs. 1 KStG

0€

+200.000 €

Zwischenergebnis Fiktive Kapitalerhöhung

Einlagekonto

200.000 €

0€

240.000 €

Verringerung Einlagekonto

–200.000 €

–200.000 €

Rest Zugang Sonderausweis

40.000 €

0€

40.000 €

0€

40.000 €

Endbestand nach Verschmelzung

Abwandlung: Die M-GmbH hält 75% der Anteile an der T-GmbH In diesem Fall würde das steuerliche Einlagekonto der T-GmbH i.H.v. 75% gekürzt werden.

IV. Fazit Die Regelungen des § 29 KStG dienen der zutreffenden Erfassung von Einlagen bei Verschmelzungen. Es sollen Untergänge von Einlagen genauso vermieden werden wie unzutreffende Doppelerfassungen. So wird sichergestellt, dass die Möglichkeit der steuerfreien Einlagenrückgewähr nicht durch Verschmelzungsvorgänge miss190

Steuerliches Einlagekonto einer KapGes bei Upstream und Downstream Merger

braucht werden kann. Bei den Sonderfällen des Upstream und Downstream Merger sind die besonderen Vorschriften des § 29 Abs. 2 Satz 2 und 3 KStG geschaffen worden, damit nach Verschmelzungen verbundener Kapitalgesellschaften lediglich die eigenen Einlagen steuerfrei zurückgewährt werden können und keine künstliche Erhöhung des Einlagekontos möglich ist. Im Ergebnis führen die Sonderregelungen des § 29 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 KStG jeweils dazu, dass das steuerliche Einlagekonto der Tochtergesellschaft prozentual im Umfang der Beteiligung der Muttergesellschaft wegfällt. Sofern eine Muttergesellschaft beispielsweise zu 50% an der Tochtergesellschaft beteiligt wird, erfolgt im Ergebnis immer eine Zurechnung beim übernehmenden Rechtsträger in Höhe von 50%. Beim Upstream Merger wird gemäß § 29 Abs. 2 Satz 2 KStG das Einlagekonto der Tochtergesellschaft lediglich in Höhe von 50% dem der Muttergesellschaft hinzugerechnet. Beim Downstream Merger wird das Einlagekonto der Muttergesellschaft zu 100% dem der Tochtergesellschaft hinzugerechnet, jedoch erfolgt gemäß §  29 Abs. 2 Satz 3 KStG gleichzeitig eine Kürzung des Einlagekontos bei der übernehmenden Tochter in Höhe von 50%. Die Vorschriften des § 29 Abs. 2 Satz 2 und 3 KStG sind Spezialvorschriften, welche Vorrang vor § 27 KStG haben.55 Zusammenfassend dienen die Regelungen des § 29 KStG der Vermeidung von Gestaltungsmissbräuchen durch Umwandlungsvorgänge und somit der zutreffenden Erfassung von nicht in das Nennkapital geleisteten Einlagen.

Helena Thor LL.M. Steuerberaterin, Bachelor of Arts, Master of Laws

55 BMF, Schr. v. 11.11.2011 − IV C 2 – S 1978-b/08/10001, Rz. K.09.

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Corinna Tigges/Marie-Luise Scheerer

Behandlung organschaftlicher Ausgleichsposten bei ausgewählten Umwandlungen Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Grundlagen 1. Sinn und Zweck organschaftlicher ­Ausgleichsposten 2. Rechtsnatur von organschaftlichen ­Ausgleichsposten 3. Bildung und Auflösung organschaftlicher Ausgleichsposten III. Schicksal organschaftlicher Ausgleichsposten bei Umwandlungen 1. Umwandlung des Organträgers

a) Verwaltungsauffassung lt. UmwStE 2011 b) Kritische Auseinandersetzung 2. Umwandlung der Organgesellschaft a) Verschmelzung b) Spaltung IV. Exkurs: Abweichende Ergebnisse bei möglicher Einlagenlösung de lege ­ferenda V. Zusammenfassung

I. Einleitung Organschaftliche Ausgleichsposten stellen einen der „schillerndsten Bereiche des Körperschaftsteuerrechts“ dar.1 Dieser Beitrag widmet sich einer besonders schillernden Facette dieses Teilbereichs: Der Behandlung organschaftlicher Ausgleichsposten bei Umwandlungen. Die Frage, wie diese besonderen Ausgleichposten bei Umwandlungen zu behandeln sind, ist Teil einer kontroversen Diskussion in der Literatur, die der Umwandlungssteuererlass 20112 nicht beenden konnte. Ausgehend von der im UmwStE 2011 dargestellten Auffassung der Finanzverwaltung behandelt dieser Beitrag die Auswirkungen insbesondere von Verschmelzungen und Spaltungen auf bestehende organschaftliche Ausgleichsposten. Die eher restriktive Auffassung der Finanzverwaltung, die hohe Anforderungen an die Fortführung organschaftlicher Ausgleichsposten stellt, bietet zwar ausreichend Anlass zu Kritik, kann jedoch auch begünstigend für den Steuerpflichtigen wirken,3 wenn es zur aufwandswirksamen Auflösung aktiver Ausgleichposten kommt und eröffnet ggfs. sogar Raum für gezielte Gestaltungen.4 Damit besteht sowohl im Sinne der steuerlichen Beratung als auch aus fiskalischer Sicht ein Interesse an einer systematischen Lösung. Der Bei1 Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Oktober 2018, § 14 KStG Rz. 910. 2 BMF Schreiben v. 11.11.2011 − IV C 2 – S 1978-b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314; im Folgenden: UmwStE 2011. 3 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Januar 2017, Anhang 1 UmwStG Rz. 71. 4 Zur Problematik aus fiskalischer Sicht s. auch: Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl. 2019, Anhang 4 Rz. 71.

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Corinna Tigges/Marie-Luise Scheerer

trag gibt abschließend einen kurzen Ausblick auf die möglicherweise abweichende Rechtslage nach Einführung der sog. Einlagelösung.

II. Grundlagen 1. Sinn und Zweck organschaftlicher Ausgleichsposten Das Grundanliegen, welches der Gesetzgeber mit der Einführung von §  14 Abs.  4 KStG verfolgte, ist die Sicherung der Einmalbesteuerung beim Organträger.5 Durch aktive Ausgleichsposten soll eine Doppelbesteuerung von organschaftlichen Erträgen verhindert werden. Durch passive Ausgleichsposten soll eine Nichtbesteuerung von organschaftlichen Erträgen vermieden werden.6 Der BFH bezieht das Ergebnis aus der Veräußerung der Organbeteiligung in die Überprüfung der Sicherung der Einmalbesteuerung ein.7 Grund für die Einbeziehung des Veräußerungsergebnisses ist, dass § 14 Abs. 4 KStG unterstellt, dass der Erwerber den dem aktiven Ausgleichsposten zugrundliegenden Sachverhalt mit zahlt bzw. den dem passiven Ausgleichsposten zugrundeliegenden Sachverhalt nicht mit zahlt.8 2. Rechtsnatur von organschaftlichen Ausgleichsposten Die Frage nach der Rechtsnatur von organschaftlichen Ausgleichsposten ist so alt wie die organschaftlichen Ausgleichsposten selbst und dürfte weiterhin als unbeantwortet zu beurteilen sein. Sie stellt sich, da sich weder § 14 Abs. 4 KStG noch die diesbezügliche Gesetzesbegründung zu der Rechtsnatur der organschaftlichen Ausgleichsposten äußern.9 In Beantwortung dieser Frage kommt sowohl eine Einordnung der organschaftlichen Ausgleichsposten als steuerliche Bilanzierungshilfe10 als auch als Korrekturposten zum Beteiligungsansatz11 in Betracht. Die Einordnung als Bilanzierungshilfe oder als Korrekturposten kann Auswirkungen darauf haben, wie sich die Auflösung der Ausgleichsposten bei der Ermittlung des Einkommens technisch aus 5 BT-Drucks. 16/7036, S. 20; BFH v. 15.3.2017 – I R 67/15, BFH/NV 2017, 1276. Mit Blick auf den Sinn und Zweck von organschaftlichen Ausgleichsposten ist auf die überzeugende Konkretisierung von Dötsch/Pung, DB 2018, 1424 (1424 ff.); Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/ Möhlenbrock, Oktober 2018, § 14 KStG Rz. 937 hinzuweisen. 6 Dötsch/Pung, DB 2018, 1424 (1424); Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Oktober 2018, § 14 KStG Rz. 915, 932; von Freeden/Joisten, Ubg 2014, 512 (513). 7 BFH v. 15.3.2017 – I R 67/15, BFH/NV 2017, 1276. 8 Ronneberger, Stbg 2013, 297 (297 f.); Aichberger/Ritzer, DK 2014, 219 (222); von Freeden/ Joisten, Ubg 2014, 512 (513). 9 Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Oktober 2018, § 14 KStG Rz. 943; Suchanek/ Schaaf/Hanneweber, Ubg 2012, 223 (223) zum Gesetz. 10 Suchanek in Neumann/Suchanek, Ubg 2013, 549 (557); Pichler, Die ertragsteuerliche Organschaft im Umwandlungssteuerrecht, 2015, S. 35; Frotscher in Frotscher/Drüen, Stand: 22.6.2020, § 14 KStG Rz. 845. 11 Rödder, DStR 2011, 1053 (1054); Neumann in Neumann/Suchanek, Ubg 2013, 549 (558); Heurung/Engel/Thiedemann, DK 2012, 16 (24); Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Oktober 2018, § 14 KStG Rz. 949.

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Organschaftliche Ausgleichsposten bei ausgewählten Umwandlungen

wirkt. Da das Gesetz nicht regelt, wie die Ausgleichsposten aufzulösen sind, kommt es sowohl in Betracht, den Aufwand bzw. Ertrag als Teil des Ergebnisses aus der Veräußerung der Organbeteiligung (Nettomethode) als auch als separates Ergebnis neben dem Veräußerungsgewinn zu bestimmen (Bruttomethode).12 Unterschiede zwischen den Methode ergeben sich u.a. wenn ein Gewinn aus der Veräußerung der Anteile nicht oder nur anteilig steuerbefreit ist, wenn ein aktiver Ausgleichsposten bei einem Veräußerungsgewinn und ein passiver Ausgleichsposten bei einem Veräußerungsverlust aufgelöst wird.13 Unstreitig kommt bei einer Einstufung als Korrekturposten ausschließlich eine Auflösung nach Maßgabe der Nettomethode in Betracht, da der Korrekturposten das steuerliche Schicksal der Organbeteiligung teilt.14 Ob die Behandlung als Bilanzierungshilfe zwingend zu einer isolierten Betrachtung im Rahmen der Bruttomethode führt, dürfte (weiterhin)15 unklar sein.16 Der BFH hat sich in seiner Entscheidung vom 29.8.2012 ausdrücklich gegen eine Einordnung als Korrekturposten zum Beteiligungsansatz ausgesprochen und or­ ganschaftliche Ausgleichsposten vielmehr als steuerliche Bilanzierungshilfe qualifiziert.17 Die Auffassung der Finanzverwaltung ist weitaus weniger eindeutig als die des BFH.18 Zwar äußert sich der UmwStE 2011 nicht ausdrücklich zu dieser Frage, jedoch hat sich die Finanzverwaltung sowohl in den KStR als auch in dem BMF Schreiben vom 26.8.2003 mit der Rechtsnatur der organschaftlichen Ausgleichsposten auseinandergesetzt.19 Das BMF Schreiben vom 26.8.2003 bezeichnet Ausgleichsposten aus­ 12 Von Freeden/Joisten, Ubg 2014, 512 (512 f.); Rödder/Joisten in Rödder/Herlinghaus/Neumann, 1. Aufl. 2015, § 14 KStG Rz. 737. 13 Siehe dazu und zu weiteren Unterschieden umfassend von Freeden/Joisten, Ubg 2014, 512 (515 ff.). 14 Rödder/Joisten in Rödder/Herlinghaus/Neumann, 1.  Aufl. 2015, §  14 KStG Rz.  738; von Freeden/Joisten, Ubg 2014, 512 (519). 15 Nach hier vertretener Auffassung hat sich der BFH in seinem Urteil v. 29.8.2012 (BFH v. 29.8.2012 – I R 65/11, BStBl. II 2013, 555) ausschließlich zur Rechtsnatur der Ausgleichsposten geäußert. Mit der Einordnung als Bilanzierungshilfe hat der erkennende Senat weder ausdrücklich noch konkludent eine Aussage zur technischen Auswirkung der Auflösung der Ausgleichsposten bei der Ermittlung des Einkommens verbunden. 16 Nach zustimmungswürdiger Auffassung von von Freeden/Joisten, Ubg 2014, 512 (519) ist sowohl eine Anwendung der Brutto- als auch der Nettomethode denkbar. A.A. Erle/Heurung in Erle/Sauter, 3. Aufl. 2010, § 14 KStG Rz. 518; Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Oktober 2018, § 14 KStG Rz. 951 nach deren Auffassung die Einstufung als Bilanzierungshilfe eine Anwendung der Bruttomethode erforderlich machen dürfte. A.A. Brink in Schnitger/Fehrenbacher, 2. Aufl. 2018, § 14 KStG Rz. 1085, die unabhängig von der Rechtsnatur von einer Anwendung der Nettomethode ausgehen. 17 BFH v. 29.8.2012 – I R 65/11, BStBl. II 2013, 555. 18 Heurung/Engel/Thiedemann, DK 2012, 16 (24). So gehen Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/ Möhlenbrock, Oktober 2018, § 14 KStG Rz. 938, 946 davon aus, dass die Finanzverwaltung die organschaftlichen Ausgleichsposten als Bilanzierungshilfe einordnet. Suchanek/Schaaf/ Hannweber, Ubg 2012, 223 (223) sind dagegen der Auffassung, dass nach Ansicht der Finanzverwaltung die organschaftlichen Ausgleichsposten Korrekturposten sind. 19 Heurung/Müller-Tomczik, StB 2013, 111 (111).

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drücklich als Korrekturposten zum Beteiligungsbuchwert.20 R 14.8 Abs. 1 S. 2 KStR spricht dagegen davon, dass der steuerlicher Wertansatz unberührt bleibt. Dies spricht für ein Verständnis als Bilanzierungshilfe. R 14.8 Abs. 3 S. 4 KStR verlangt jedoch, dass für Zwecke der Veräußerungsgewinnbesteuerung (§  8b KStG bzw. §  3 Nr. 40 i.V.m. § 3c Abs. 2 EStG) die Ausgleichsposten mit dem Beteiligungsbuchwert zusammenzufassen sind. Eine solche Zusammenfassung erfolgt lediglich im Rahmen der Nettomethode, nicht im Rahmen der Bruttomethode. Dies kann möglicherweise für eine Einordnung der Ausgleichsposten als Korrekturposten seitens der Finanzverwaltung sprechen. 3. Bildung und Auflösung organschaftlicher Ausgleichsposten § 14 Abs. 4 S. 1 KStG normiert, dass für organschaftliche Mehr- oder Minderabführungen, die ihre Ursache in organschaftlicher Zeit haben,21 in der Steuerbilanz des Organträgers ein besonderer aktiver oder passiver Ausgleichsposten in Höhe des Betrags zu bilden ist, der dem Verhältnis der Beteiligung des Organträgers am Nennkapital der Organgesellschaft entspricht. Nach dem in § 14 Abs. 4 S. 6 KStG enthaltenen Regelbeispiel22 liegen Mehr- und Minderabführung, welche gemäß § 14 Abs. 4 S. 1 KStG zu einer Bildung besonderer Ausgleichsposten führen, insbesondere23 vor, wenn der an den Organträger abgeführte Gewinn von dem Steuerbilanzgewinn der Organgesellschaft abweicht und diese Abweichung in organschaftlicher Zeit verursacht ist. Die Bildung von organschaftlichen Ausgleichsposten ist einkommensneutral.24 Hinsichtlich der Auflösung von organschaftlichen Ausgleichsposten muss zwischen der einkommensneutralen und der einkommenswirksamen Auflösung unterschieden werden. Regelmäßig steht einer Minderabführung eine zeitlich nachfolgende Mehr20 BMF Schreiben v. 26.8.2003 – IV A 2 – S 2770 – 18/03, BStBl. I 2003, 437, Tz. 43. 21 § 14 Abs. 3 KStG findet Anwendung, wenn die Mehr- und Minderabführungen ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben. 22 BFH v. 29.8.2012 – I R 65/11, BStBl. II 2013, 555; BFH v. 15.3.2017 – I R 67/15, BFH/NV 2017, 1276 gehen richtigerweise davon aus, dass es sich bei § 14 Abs. 4 S. 6 KStG um ein Regelbeispiel handelt. Gegen die Auffassung der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/7036, S. 20), nach der es sich um eine Legaldefinition handelt, spricht der Wortlaut der Norm („insbesondere“). 23 Die Bedeutung des in § 14 Abs. 4 S. 6 KStG enthaltenen Worts „insbesondere“ ist umstritten, siehe dazu Dötsch/Pung, DB 2018, 1424 (1424  ff.); Joisten/Lüttchens, Ubg 2017, 561 (565); Rödder/Joisten in Rödder/Herlinghaus/Neumann, 1. Aufl. 2015, § 14 KStG Rz. 650 f. Es wird insoweit von einer überwiegenden Literaturmeinung zu Recht darauf hingewiesen, dass aus einer grammatikalischen Auslegung folgt, dass lediglich eine Erweiterung, nicht jedoch eine Einschränkung des Regelbeispiels möglich ist, Dötsch/Pung, DB 2018, 1424 (1424); Joisten/Lüttchens, Ubg 2017, 561 (565); a.A. Trautmann/Faller, DStR 2012, 890 (893). Zu beachten ist jedoch, dass der BFH insoweit eine andere Auffassung zu vertreten scheint. Dieser geht mit Blick auf § 15a EStG davon aus, dass auch eine Einschränkung des Regelbeispiels möglich sei, BFH v. 29.8.2012 – I R 65/11, BStBl. II 2013, 555. 24 Rödder/Joisten in Rödder/Herlinghaus/Neumann, 1. Aufl. 2015, § 14 KStG Rz. 712; Aichberger/Ritzer, DK 2014, 219 (220) Fn. 5; von Freeden/Joisten, Ubg 2014, 512 (512).

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abführung gegenüber (oder anders herum). In diesem Fall gleichen sich die beiden Vorgänge aus und die Auflösung des organschaftlichen Ausgleichsposten ist einkommensneutral.25 Anders dagegen die Auflösung im Zeitpunkt der Veräußerung der Organbeteiligung, § 14 Abs. 4 S. 2 KStG. Diese Auflösung erfolgt einkommenswirksam.26 Eine einkommenswirksame Auflösung ist in diesem Fall zwingend, da der Veräußerungsgewinn um Effekte zwischen vorheriger Abweichung von steuerlichem zuzurechnendem Einkommen und tatsächlichem Zufluss korrigiert werden muss. Bis zur Veräußerung ist eine solche Korrektur nicht erfolgt, da kein „Umkehreffekt“ während der Organschaft eingetreten ist und daher eine „Einpreisung“ im Veräußerungspreis stattfindet (siehe dazu bereits unter I. 1. sowie das nachfolgende Beispiel zur Gewinnrücklage). § 14 Abs. 4 S. 5 KStG stellt der Veräußerung insbesondere die Umwandlung der Organgesellschaft auf eine Personengesellschaft oder natürliche Person, die verdeckte Einlage der Beteiligung an der Organgesellschaft und die Auflösung der Organgesellschaft gleich. Ausdrücklich sei hier erwähnt, dass die Beendigung der Organschaft kein Grund ist, den besonderen Ausgleichsposten aufzulösen.27 Die Beendigung der Organschaft kann einer Veräußerung nicht gleichgestellt werden.28 Die Bildung einer nach § 14 Abs. 1 Nr. 4 KStG zulässigen Gewinnrücklage der Organgesellschaft soll als abschließendes Beispiel29 für die Bildung und Auflösung eines besonderen Ausgleichspostens dienen.30 Die A-GmbH und die B-GmbH bilden eine Organschaft. Im Rahmen dieser Organschaft ist die B-GmbH Organgesellschaft und die A-GmbH Organträgerin. Die BGmbH hat im Jahr 01 einen Jahresüberschuss i.H.v. 1.000.000 Euro. Von diesem Jahresüberschuss stellt sie (nach § 14 Abs. 1 Nr. 4 KStG zulässigerweise) 200.000 Euro in die Gewinnrücklage ein. Die sich nach dem Ergebnis der Handelsbilanz richtende Gewinnabführung beträgt aufgrund der Gewinnrücklage lediglich 800.000 Euro. Die sich aus der Steuerbilanz ergebende Betriebsvermögensmehrung beinhaltet dagegen die Gewinnrücklage und beträgt daher abweichend 1.000.000 Euro. Es liegt eine Minderabführung vor, die in organschaftlicher Zeit verursacht wurde. Folge der Minderabführung ist das Bilden eines aktiven Ausgleichspostens i.H.v. 200.000 Euro in der Steuerbilanz der A-GmbH. Das Organeinkommen, welches der Organträgerin zuzurechnen ist und von dieser im Jahr 01 versteuert wird, beträgt 1.000.000 Euro. 25 Rödder/Joisten in Rödder/Herlinghaus/Neumann, 1. Aufl. 2015, § 14 KStG Rz. 636; Pichler (Fn. 10), S. 40; Neumann in Gosch, 4. Aufl. 2020, § 14 KStG Rz. 460. 26 Dötsch/Pung in FS Förster, 2013, S.  51 (58); Aichberger/Ritzer, DK 2014, 219 (220); von Freeden/Joisten, Ubg 2014, 512 (512); Pichler (Fn. 10), S. 40; Neumann in Gosch, 4. Aufl. 2020, § 14 KStG Rz. 462 f. 27 Rödder/Joisten in Rödder/Herlinghaus/Neumann, 1. Aufl. 2015, § 14 KStG Rz. 714; Pichler (Fn. 1111), S. 270; Suchanek/Schaaf/Hannweber, Ubg 2012, 223 (226); Dötsch in Dötsch/ Pung/Möhlenbrock, Januar 2017, Anhang 1 UmwStG Rz. 69. 28 Rödder/Joisten in Rödder/Herlinghaus/Neumann, 1. Aufl. 2015, § 14 KStG Rz. 718. 29 Die Grundzüge des folgenden Beispiels sind Dötsch/Pung, DB 2018, 1424 (1425) sowie Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Oktober 2018, § 14 KStG Rz. 932 entnommen. 30 So auch R 14.8 Abs. 1 und 2 KStR.

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Die A-GmbH veräußert im Jahr 05 nun ihre Beteiligung an der B-GmbH. In diesem Zeitpunkt ist die Gewinnrücklage i.H.v. 200.000 Euro weiterhin vorhanden. Wie bereits oben erörtert, unterstellt § 14 Abs. 4 KStG, dass der Erwerber der Organbeteiligung den dem aktiven Ausgleichsposten zugrundliegenden Sachverhalt mit zahlt. Er bezahlt einen Veräußerungspreis, der die Gewinnrücklage umfasst. Diese Veräußerung führt gem. § 14 Abs. 4 S. 2 KStG zu einer gewinnmindernden Auflösung des aktiven Ausgleichsposten, sodass lediglich der um den aktiven Ausgleichsposten verminderte Veräußerungsgewinn einer Besteuerung gem. § 8b KStG (bzw. § 3 Nr. 40 i.V.m. §  3c Abs.  2 EStG) unterworfen wird. Ohne Bildung und gewinnmindernde Auflösung des aktiven Ausgleichsposten müsste die A-GmbH den auf die Gewinnrücklage entfallenden Veräußerungsgewinn i.H.v. 200.000 Euro im Jahr 05 erneut versteuern.31

III. Schicksal organschaftlicher Ausgleichsposten bei Umwandlungen 1. Umwandlung des Organträgers a) Verwaltungsauffassung lt. UmwStE 2011 Für das Schicksal von organschaftlichen Ausgleichsposten bei der Umwandlung des  Organträgers als übertragender bzw. umzuwandelnder Rechtsträger ist die in Tz.  00.02 UmwStE 2011 dargelegte grundsätzliche Einordnung jeglicher Umwandlung als Veräußerung maßgeblich. Daraus folgt, dass die auf das Organschaftsverhältnis entfallenden Ausgleichsposten nach § 14 Abs. 4 S. 2 KStG zum steuerlichen Stichtag aufzulösen sind, wenn die Organbeteiligung im Zuge der Umwandlung übertragen wird.32, 33 Von dieser grundsätzlichen Pflicht zur Auflösung der organschaftlichen Ausgleichposten macht Tz. Org.05 UmwStE 2011 für den Fall der Verschmelzung eine Ausnahme. Diese Ausnahme gilt entsprechend auch für die Aufspaltung gem. Tz. Org.06 UmwStE 2011 und für die Abspaltung gem. Tz. Org.07 UmwStE 2011. Gem. Tz. Org.05 UmwStE 2011 sind abweichend von der grundsätzlichen Pflicht zur Auflösung die organschaftlichen Ausgleichposten fortzuführen, wenn die Organschaft vom übernehmenden Rechtsträger fortgeführt wird und die Verschmelzung zum Buchwert erfolgt.34 31 So auch Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Oktober 2018, § 14 KStG Rz. 932 hinsichtlich des dort gebildeten Beispiels. 32 Wenn die Organbeteiligung im Zuge der Umwandlung nicht übertragen wird, da bspw. im Rahmen einer Abspaltung oder Ausgliederung eine die Mehrheit der Stimmrechte vermittelnde Beteiligung an der Organgesellschaft beim Organträger verbleibt, hat die Umwandlung keine Auswirkung auf die Ausgleichsposten, Tz. Org.09 UmwStE 2011. 33 Dies ergibt sich für die Verschmelzung des Organträgers aus Tz. Org.05 UmwStE 2011, für die Aufspaltung des Organträgers aus Tz. Org.06 UmwStE 2011 und für die Abspaltung der Organbeteiligung aus dem Vermögen des Organträgers aus Tz. Org.07 UmwStE 2011. 34 Diese Ausnahme gilt jedoch nicht bei einer Abwärtsverschmelzung des Organträgers auf die Organgesellschaft, denn die Fortführung der Organschaft scheide aus, Tz. Org.05

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Aufgrund der Verweisung von Tz. Org.06 und Org.07 UmwStE 2011 erscheint es sinnvoll, zu Klarstellungszwecken darzulegen, wie die Voraussetzung der Fortführung der Organschaft nach Auffassung der Finanzverwaltung zu verstehen ist. Für den Fall der Verschmelzung besagt Tz. Org.05 UmwStE 2011 ausdrücklich, dass die Organschaft mit der Organgesellschaft vom übernehmenden Rechtsträger fortzuführen ist. Dies ist möglich, da der übernehmende Rechtsträger grundsätzlich in den Gewinnabführungsvertrag eintritt35 und ihm die finanzielle Eingliederung zugerechnet wird.36 Gleiches gilt auch für die Abspaltung. Aufgrund des Verweises auf Tz. Org.05 UmwStE 2011 ist, obwohl anders als bei der Verschmelzung der ursprüngliche Organträger weiterhin existiert, nicht die ursprüngliche Organschaft für die Vo­ raussetzung der Fortführung der Organschaft maßgeblich, sondern vielmehr die ­Organschaft zwischen übernehmendem Rechtsträger und Organgesellschaft. Die dafür erforderliche Zuordnung des Ergebnisabführungsvertrags zum übernehmenden Rechtsträger37 sowie die Zurechnung der finanzielle Eingliederung regelt Tz. Org.06 UmwStE 2011. Bei der Aufspaltung geht die Organbeteiligung auf einen der übernehmenden Rechtsträger über. Wenn diesem der Ergebnisabführungsvertrag zugeordnet wird,38 kann zwischen diesem übernehmenden Rechtsträger und der Organgesellschaft die Organschaft fortgeführt werden. Die finanzielle Eingliederung kann gem. Tz. Org.06 UmwStE 2011 zugerechnet werden. Bei einem Ansatz zum Zwischenwert hat eine teilweise Auflösung zu erfolgen.39 b) Kritische Auseinandersetzung Wie bereits dargestellt ist der Ausgangspunkt der Behandlung von organschaftlichen Ausgleichsposten bei der Umwandlung des Organträgers durch die Finanzverwaltung die in Tz. 00.02 UmwStE 2011 dargelegte grundsätzliche Einordnung jeglicher Umwandlung als Veräußerung. Aus § 14 Abs. 4 S. 2 KStG folgt eindeutig, dass die UmwStE. Dem Ergebnis der Finanzverwaltung ist zuzustimmen, dem Grund nicht. Wie unter A. III. 1. b) dargelegt, ist die Fortführung der Organschaft für die Behandlung der Ausgleichsposten irrelevant. Vielmehr endet bei einer Abwärtsverschmelzung des Organträgers die Existenz des Organträgers und die Anteile an der Organgesellschaft gehen unter. Da somit eine spätere Veräußerung der Beteiligung an der Organschaft ausscheidet, ist aus diesem Grund eine Auflösung der Ausgleichsposten gerechtfertigt, siehe dazu Pichler (Fn. 10), S. 273, Fn. 1128; Neumann in Gosch, 4. Aufl. 2020, § 14 KStG Rz. 464a; Dötsch/ Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Oktober 2018, § 14 KStG Rz. 1054. 35 Boor, RNotZ 2017, 65, 85; Liebscher in MüKo GmbHG, 3.  Aufl. 2018, Anhang zu §  13 Rz. 1049; Altmeppen in MüKo AktG, 5. Aufl. 2020, § 297 Rz. 125. 36 Tz. Org.02 UmwStE 2011; BFH v. 27.8.2010 – I R 89/09, BStBl. II 2011, 528. 37 Liebscher in MüKo GmbHG, 3. Aufl. 2018, Anhang zu § 13 Rz 1051; Altmeppen in MüKo AktG, 5. Aufl. 2020, § 297 Rz. 126. 38 Die herrschende Meinung geht wohl davon aus, dass gesellschaftsrechtlich die Zuordnung zu einem der übernehmenden Rechtsträger möglich ist: Boor, RNotZ 2017, 65, 85; Liebscher in MüKo GmbHG, 3. Aufl. 2018, Anhang zu § 13 Rz. 1051; Altmeppen in MüKo AktG, 5. Aufl. 2020, § 297 Rz. 127 f. m.w.N. zu a.A. 39 Dies bestimmt Tz. Org.05 UmwStE 2011 für die Verschmelzung, Tz. Org.06 UmwStE 2011 für die Aufspaltung und Tz. Org.07 UmwStE 2011 für die Abspaltung.

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besonderen Ausgleichsposten im Zeitpunkt der Veräußerung aufzulösen sind. Diese nach der Logik der Tz. 00.02 UmwStE 2011 i.V.m. § 14 Abs. 4 S. 2 KStG zutreffende Auffassung sorgt für eine gewisse Reibung mit der umwandlungssteuerrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge.40 Denn die umwandlungssteuerrechtliche Gesamtrechtsnachfolge könnte zu einer Fortführung der Ausgleichsposten im Umwandlungsfall unabhängig von Wertansatz und Rechtsnatur der Ausgleichsposten führen.41 §§  4 Abs.  2 S.  1 und 12 Abs.  3 UmwStG, welche mittelbar für alle Umwandlungen des UmwStG gelten,42 normieren, dass der übernehmende Rechtsträger in die steuer­liche Rechtsstellung des übertragenden Rechtsträgers eintritt (umwandlungssteuerliche Gesamtrechtsnachfolge und sog. Fußstapfentheorie).43 Dieser umfassende Eintritt in die steuerliche Rechtsstellung gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Übertragung zum Zwischenwert oder gemeinen Wert erfolgt.44 Aus dem Eintritt in die steuerliche Rechtsstellung könnte die Fortführung der besonderen Ausgleichsposten auch unabhängig von deren Rechtsnatur resultieren. Denn die steuerliche Rechtsnachfolge des übernehmenden Rechtsträgers in die Position des Übertragenden ist dabei umfassend.45 Selbst in den bilanziellen Ausweis rückt der übernehmende Rechtsträger ein.46 Die Rechtsfolge der umfassenden Gesamtrechtsnachfolge wird lediglich ausgeschlossen, soweit die steuerlichen Merkmale an die steuerliche Rechtsperson anknüpfen.47 Da es sich bei den Ausgleichsposten unabhängig von der Rechtsnatur um objektbezogene steuerlich relevante Umstände handelt, verlangt die umwandlungssteuerrechtliche Gesamtrechtsnachfolge eine Fortführung der Ausgleichsposten sogar bei Einordnung als Bilanzierungshilfe.48 40 U.E. sind die Begriffe „Fußstapfentheorie“ und „umwandlungssteuerliche Gesamtrechtsnachfolge“ synonym zu benutzen, so wohl auch Suchanek in Neumann/Suchanek, Ubg 2013, 549 (557); Suchanek/Schaaf/Hannweber, Ubg 2012, 223 (225); Weigert in Kraft/Edelmann/Bron, 2. Aufl. 2019, § 4 UmwStG Rz. 84. 41 Pilcher, NWB 2018, 2640 (2653) und Pichler (Fn. 10), S. 274 ohne die unterschiedlichen Wertansätze oder die Rechtsnatur zu thematisieren; teilweise a.A. Neumann in Neumann/ Suchanek, Ubg 2013, 549 (558), welcher zwar die Ansicht vertritt, dass sich die Gesamtrechtsnachfolge auf die gebildeten Ausgleichsposten erstreckt, jedoch davon ausgeht, dass die Fußstapfentheorie/die Gesamtrechtsnachfolge nur in Fällen der Umwandlung zum Buch- oder Zwischenwert gilt. 42 Pichler (Fn. 10), S. 106 f. 43 BFH v. 28.7.2010 – I R 111/09, BFH/NV 2011, 67 zu § 12 Abs. 3 S. 1 UmwStG a.F., welche mit § 12 Abs. 3 HS. 1 UmwStG (n.F.) identisch ist. 44 Van Lishaut in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 3. Aufl. 2019, § 4 UmwStG Rz. 67; Suchanek/Schaaf/Hannweber, Ubg 2012, 223 (225); Edelmann in Kraft/Edelmann/Bron, 2. Aufl. 2019, § 12 UmwStG Rz. 152; a.A. wohl Neumann in Neumann/Suchanek, Ubg 2013, 549 (558), welcher davon ausgeht, dass die Fußstapfentheorie und die Gesamtrechtsnachfolge nur in Fällen der steuerlich begünstigten Umwandlungen gelten. 45 BFH v. 28.7.2010 – I R 111/09, BFH/NV 2011, 67; BFH v. 27.8.2010 – I R 89/09, BStBl. II 2011, 528; Pichler (Fn. 10), S. 274. 46 Edelmann in Kraft/Edelmann/Bron, 2. Aufl. 2019, § 12 UmwStG Rz. 153. 47 Van Lishaut in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 3. Aufl. 2019, § 4 UmwStG Rz. 68; Edelmann in Kraft/Edelmann/Bron, 2. Aufl. 2019, § 12 UmwStG Rz. 153, 158. 48 Ausdrücklich Heurung/Müller-Thomczik, StB 2013, 111 (112); so wohl auch Suchanek/ Schaaf/Hannweber, Ubg 2012, 223 (225 f.), da diese sowohl davon ausgehen, dass die be-

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Die Konsequenz der Finanzverwaltung, die sie aus den sich widersprechenden Folgen des Veräußerungscharakters und der umwandlungssteuerrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge zieht, ist die Ausnahmeregelung mit den Voraussetzungen der Buchwertfortführung und der Fortführung der Organschaft. Soweit die Finanzverwaltung die Fortführung der Ausgleichsposten von einer Buchwertfortführung abhängig macht, ist ihr zuzustimmen. Der BFH vertritt die Auffassung, dass der Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge und die Annahme eines Anschaffungsgeschäfts auseinander zu halten sind und sich nicht gegenseitig ausschließen.49 Folglich kann weder angenommen werden, dass die Veräußerung die Gesamtrechtsnachfolge überlagert, noch vice versa.50 Dadurch dass die Finanzverwaltung (u.a.) abhängig von einer Buchwertfortführung teilweise zu einer Auflösung und teilweise zu einer Fortführung der organschaftlichen Ausgleichsposten kommt, wird deutlich, dass auch sie diese Auffassung teilt.51 Da die Annahme einer Veräußerung und die umwandlungssteuerrechtliche Gesamtrechtsnachfolge jedoch zu konträren Folgen hinsichtlich der Behandlung von Ausgleichsposten bei Umwandlungen kommen, sind diese in Ausgleich zu bringen. Richtigerweise verknüpft die Finanzverwaltung dieses In-Ausgleich-Bringen mit der Buchwertfortführung. Denn nur im Fall der Buchwertfortführung wird der generelle Veräußerungscharakter der Umwandlung verdrängt.52 Grund dafür ist, dass es bei einer Umwandlung zum Buchwert nicht zu einer für eine Veräußerung typischen Realisation stiller Reserven kommt, welche auch die Gesetzesbegründung zu § 14 Abs. 4 KStG fordert.53 Bei einem Ansatz zum gemeinen Wert oder zum Zwischenwert kommt es dagegen ebenso wie bei einer Versonderen Ausgleichsposten Bilanzierungshilfen sind als auch, dass die Ausgleichsposten unabhängig vom Wertansatz i.R. der Umwandlung fortzuführen sind. 49 BFH v. 15.10.1997 – I R 22/96, BStBl. II 1998, 168; BFH v. 17.9.2003 – I R 97/02, BStBl. II 2004, 686; so auch van Lishaut in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 3.  Aufl. 2019, §  4 UmwStG Rz. 67; Hahn, DStZ 1998, 561 (563 ff.). 50 A.A. wohl Suchanek in Neumann/Suchanek, Ubg 2013, 549 (557) und Suchanek/Schaaf/ Hannweber, Ubg 2012, 223 (225 f.), die davon ausgehen, dass die Gesamtrechtsnachfolge den Veräußerungscharakter überlagert. Sie begründen ihre Auffassung damit, dass die Normen, welche die umwandlungssteuerliche Gesamtrechtsnachfolge regeln, als lex specialis zu § 14 Abs. 4 S. 2 und 5 KStG anzusehen seien. Dies ist zumindest für den Fall der Einordnung der Ausgleichsposten als Korrekturposten zum Beteiligungsbuchwert zwingend abzulehnen. 51 Anders verstehen jedoch Suchanek in Neumann/Suchanek, Ubg 2013, 549 (557 f.) und Suchanek/Schaaf/Hannweber, Ubg 2012, 223 (226) die Auffassung der Finanzverwaltung. Sie sind der Auffassung, dass die Finanzverwaltung davon ausgeht, dass eine Veräußerung in jedem Fall die umwandlungssteuerrechtliche Gesamtrechtsnachfolge überlagert. Daher empfinden sie diese Ansicht als inkonsequent, soweit eine Fortführung der Ausgleichsposten im Fall der Buchwertfortführung erfolgen soll. 52 Pichler (Fn. 10), S. 35, 273; Pichler, NWB 2018, 2640 (2653); A.A. wohl Suchanek/Schaaf/ Hannweber, Ubg 2012, 223 (228) die davon auszugehen scheinen, dass im Fall des Buchwertansatzes kein Veräußerungsvorgang vorliegt. Dies ist der oben dargestellten BFHRechtsprechung folgend abzulehnen. 53 BT-Drucks. 16/7036, S. 20; Rödder/Joisten in Rödder/Herlinghaus/Neumann, 1. Aufl. 2015, § 14 KStG Rz. 721; Grund dafür ist nicht, dass die Fußstapfentheorie lediglich im Fall des Buchwertansatzes gilt, so Neumann in Neumann/Suchanek, Ubg 2013, 549 (558).

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äußerung zu einer (jedenfalls teilweisen) Realisation von stillen Reserven. In diesem Fall ist es gerechtfertigt aufgrund der starken Ähnlichkeit zur Veräußerung keine Verdrängung des Veräußerungscharakters anzunehmen und zu einer Auflösung der Ausgleichsposten zu kommen.54 Auch nach dem Sinn und Zweck von organschaftlichen Ausgleichsposten ist deren Auflösung (nur) im Fall des Ansatzes zum gemeinen Wert oder zum Zwischenwert gerechtfertigt, da in diesem Fall die Umwandlung zu einem Übertragungsgewinn beim Organträger führt, der – soweit er auf die Aufdeckung der stillen Reserven der Organbeteiligung entfällt – um den steuerlichen Ausgleichsposten korrigiert werden muss. Anders als die Verknüpfung der Behandlung der Ausgleichsposten mit dem Buchwertansatz ist die Maßgeblichkeit der Fortführung der Organschaft für das Fortführen der Ausgleichsposten abzulehnen.55 Wie oben bereits ausgeführt, führt die Beendigung der Organschaft unstrittig nicht zu einer Auflösung der Ausgleichsposten. Es ist keinerlei Grund ersichtlich, warum dies in den steuerlich begünstigten Umwandlungsfällen anders zu beurteilen sein sollte.56 Abschließend stellt sich hinsichtlich der Auffassung der Finanzverwaltung die Frage, ob diese mit § 14 Abs. 4 S. 5 KStG vereinbar ist. Gem. § 14 Abs. 4 S. 5 KStG sind insbesondere die Umwandlung der Organgesellschaft auf eine Personengesellschaft oder eine natürliche Person, die verdeckte Einlage der Beteiligung an der Organgesellschaft und die Auflösung der Organgesellschaft einer Veräußerung gleichgestellt. Daraus könnte der Umkehrschluss gezogen werden, dass Umwandlungen des Organträgers sowie Umwandlungen der Organgesellschaft in Kapitalgesellschaften einer Veräußerung nicht gleichgestellt sind und Ausgleichsposten folglich nicht aufzulösen sind.57 Gegen ein solches Verständnis spricht, dass § 14 Abs. 4 S. 5 KStG durch das Wort „insbesondere“ im Gesetzeswortlaut gerade nicht abschließend ausgestaltet ist. Nach der Gesetzesbegründung sollen Ausgleichsposten im Fall der Veräußerung und in anderen Realisationsfällen aufzulösen sein.58 Daraus wird deutlich, dass §  14 Abs. 4 S. 5 KStG wohl ausschließlich zu einer Erweiterung nicht aber zu einer Einschränkung von § 14 Abs. 4 S. 2 UmwStG führen soll. Sieht man in der Umwandlung des Organträgers wie zuvor dargestellt eine Veräußerung seines Vermögens und damit einen Fall des § 14 Abs. 4 S. 2 KStG, steht § 14 Abs. 4 S. 5 KStG der Auflösung der Ausgleichposten damit nicht entgegen. Seinem Telos nach gilt dies jedenfalls dann, wenn die Umwandlung des Organträgers unter (teilweiser) Realisierung von stillen

54 Pichler (Fn. 10), S. 274, Fn. 1128. 55 Heurung/Engel/Thiedemann, DK 2012, 16 (24); Rödder, DStR 2011, 1053 (1054); Neumann in Neumann/Suchanek, Ubg 2013, 549 (558); Rödder/Joisten in Rödder/Herlinghaus/Neumann, 1.  Aufl. 2015, §  14 KStG Rz.  721; Neumann in Gosch, 4.  Aufl. 2020, §  14 KStG Rz. 463; Frotscher in Frotscher/Drüen, Stand: 15.5.2019, § 14 KStG Rz. 1024. 56 Heurung/Engel/Thiedemann, DK 2012, 16 (24); Rödder/Joisten in Rödder/Herlinghaus/ Neumann, 1. Aufl. 2015, § 14 KStG Rz. 721; Neumann in Gosch, 4. Aufl. 2020, § 14 KStG Rz. 463. 57 So etwa: Frotscher in Frotscher/Drüen, Stand: 15.5.2019, § 14 KStG Rz. 1025. 58 BT-Drucks. 16/7036, S. 20.

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Reserven erfolgt.59 Hinsichtlich der Umwandlung des Organträgers dürfte die Auffassung der Finanzverwaltung somit mit § 14 Abs. 4 S. 5 KStG vereinbar sein. 2. Umwandlung der Organgesellschaft a) Verschmelzung aa) Verwaltungsauffassung Gem. Tz. Org.21 UmwStE 2011 sind organschaftliche Ausgleichsposten auf Ebene des Organträgers bei Verschmelzung der Organgesellschaft auf einen anderen Rechtsträger stets in voller Höhe aufzulösen, da die Verschmelzung nach Verwaltungsauffassung eine Veräußerung der Organbeteiligung darstellt. Die Verwaltungsauffassung differenziert nicht nach der Rechtsform des übernehmenden Rechts­trägers und geht damit über §  14 Abs.  4 S.  5 KStG hinaus, der insbesondere die Umwandlung einer Organgesellschaft auf eine Personengesellschaft oder natürliche Person der Veräußerung gleichstellt. Ausnahmen sieht die Verwaltung nicht vor. bb) Kritische Auseinandersetzung Die Verwaltungsauffassung erscheint im Lichte des § 14 Abs. 4 S. 5 UmwStG zu undifferenziert. Wird die grundsätzliche Einordnung jeglicher Umwandlung (mit Ausnahme des homogenen Formwechsels) als Veräußerung in Tz. 00.02 und 00.03 UmwStE 2011 akzeptiert,60 ist zwar zuzugeben, dass die Verschmelzung der Organgesellschaft auf Ebene des Organträgers eine Beteiligungsveräußerung darstellt, die bereits nach dem Grundfall des § 14 Abs. 4 S. 2 UmwStG zu einer Auflösung der Ausgleichsposten führt, sodass es der ausdrücklichen Gleichstellung mit einer Veräußerung in § 14 Abs. 4 S. 5 KStG nicht bedarf. Außerdem wird durch das Wort insbesondere klar, dass die Fälle in § 14 Abs. 4 S. 5 UmwStG nicht abschließend sind, sondern weitere einer Veräußerung gleichstehende Fälle zur Auflösung von Ausgleichsposten führen können.61 Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Ge­ setzgeber in §  14 Abs.  4 S.  5 UmwStG ausdrücklich nur die Umwandlung in eine ­Personengesellschaft bzw. natürliche Person als Grund zur Auflösung der Ausgleichs59 Im Ergebnis ebenso: von Freeden, Minder- und Mehrabführungen nach § 14 Abs. 4, § 27 Abs. 6 KStG Ausgleichsposten und Einlagelösung, 2011, S. 100 f.; Frotscher in Frotscher/ Drüen, Stand: 22.6.2020, § 14 KStG Rz. 902a; Erle/Heurung in Erle/Sauter, 3. Aufl. 2010, § 14 KStG, Rz. 560, 566. 60 Diese Auffassung ist zwar in der Literatur teils kritisiert worden: vgl. bspw. Hageböke, Ubg 2011, 689 (689 ff.); Heurung/Engel/Thiedemann, DK 2012, 16 (24); Flick/Gocke/Schaumburg in Flick/Gocke/Schaumburg, Der Umwandlungssteuer-Erlass 2011, 1. Aufl. 2012, UmwStE 00.02. Sie wurde allerdings in verschiedenen Fallvarianten durch den BFH bestätigt, vgl. insbesondere zur Aufwärtsverschmelzung: BFH v. 24.1.2018 – I R 48/15, BStBl. II 2019, 45 m.w.N. zur Rechtsprechung bei anderen Umwandlungen. 61 Erle/Heurung in Erle/Sauter, 3. Aufl. 2010, § 14 KStG Rz. 560, 566; Frotscher in Frotscher/ Drüen, Stand: 22.6.2020, § 14 KStG Rz. 902a.

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posten bestimmt. Die Auflösung erscheint in diesen Fällen konsequent, da an Per­ sonengesellschaften nach steuerlichem Verständnis keine Beteiligung i.S. eines eigenständigen Wirtschaftsgutes besteht62 und es folglich auch keinen mit der Beteiligung in Zusammenhang stehenden Ausgleichsposten mehr geben kann. Die ausnahmslose Gleichbehandlung von Verschmelzungen der Organgesellschaft auf Personen- und Kapitalgesellschaften ohne weitere Problematisierung, wie sie in Tz. Org.21 UmwStE 2011 vorgenommen wird, widerspricht damit § 14 Abs. 4 S. 5 KStG.63 Für den Fall der Abspaltung ordnet die Finanzverwaltung in Tz. Org.22 UmwStE 2011 eine entsprechende Anwendung von Tz. Org.05 UmwStE 2011 an, sodass unter bestimmten weiteren Voraussetzungen eine Fortführung der Ausgleichsposten möglich ist.64 Diese Auslegung dürfte eher dem Rechtsgedanken von § 14 Abs. 4 S. 5 UmwStG entsprechen, da die Differenzierung nach der Rechtsform des übernehmenden Rechtsträgers umgesetzt wird. Es ist nicht ersichtlich, warum die Finanzverwaltung für die Verschmelzung anders als für die Spaltung eine entsprechende Anwendung von Tz. Org.05 UmwStE 2011 nicht vorsieht.65 Die Zuordnung des Ausgleichsposten zur Beteiligung am übernehmenden Rechtsträger wäre denkbar.66 Sie würde u.E. jedenfalls bei Buchwertfortführung durch den Anteilseigner auch zu sachgerechten Ergebnissen führen, da die stillen Reserven in der Beteiligung an der ursprünglichen Organgesellschaft auf die Beteiligung am übernehmenden Rechtsträger übergehen und in der Folge eine Korrektur dieses Veräußerungsgewinns zur Sicherstellung der zutreffenden Gesamtsteuerbelastung notwendig ist.67 Es kann auch nicht argumentiert werden, dass die Verschmelzung der Organgesellschaft auf einen anderen Rechtsträger mit ihrer Auflösung vergleichbar ist und daher ein Fall des § 14 Abs. 4 S. 5 KStG vorliegt.68 Zwar existiert die Organgesellschaft nach der Verschmelzung als Rechtsträger nicht mehr. Das UmwStG beurteilt die Ver62 Vgl. zur Spiegelbildmethode: Tiede in Herrmann/Heuer/Raupach, Juni 2020, §  15 EStG Rz. 496. 63 Ebenso: Suchanek/Schaaf/Hanneweber, Ubg 2012, 223 (228); zum Umkehrschluss aus § 14 Abs.  4 S.  5 UmwStG s. auch: Frotscher in Frotscher/Drüen, Stand: 15.5.2019, §  14 KStG Rz. 1025. 64 Vgl. zur Spaltung ausführlich unter A. III. 2. b). 65 Zum Widerspruch zwischen Tz. Org.21 und Org.22 UmwStE 2011 s.a. Dötsch in Dötsch/ Pung/Möhlenbrock, Januar 2017, Anhang 1 UmwStG Rz. 85; Heurung/Engel/Thiedemann, DK 2012, 16 (25). 66 So auch: Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 3.  Aufl. 2019, Anhang 4 zum UmwStG: Umwandlungen und Organschaft, Rz. 73; Dötsch, Ubg 2011, 20 (29). 67 Die Auflösung des Ausgleichsposten könnte sich im Fall einer Organschaft auch zum übernehmenden Rechtsträger durch Wegfall der Bewertungsdifferenzen und dadurch ausgelöste Mehr-/Minderabführung ergeben. Die Auflösung müsste spätestens bei Veräußerung der Beteiligung am übernehmenden Rechtsträger erfolgen. 68 So ausdrücklich für die Aufspaltung vertreten bei Neumann in Gosch, 4. Aufl. 2020, § 14 KStG Rz. 464g, der den „Untergang“ der Organgesellschaft ihrer Auflösung gleichstellt. Für den Fall der Verschmelzung spricht Neumann unter Rz. 464f ebenfalls vom „Untergang“ von Gesellschaft und Beteiligung, die hier aber bereits nach § 14 Abs. 4 S. 2 KStG zur Auflösung der Ausgleichsposten führen soll.

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schmelzung jedoch auf Ebene des Anteilseigners dem Grunde nach als Veräußerung der Beteiligung (§ 13 Abs. 1 UmwStG) und gerade nicht als Auflösung der Gesellschaft.69 Auch der UmwStE 2011 lässt nicht erkennen, dass die Finanzverwaltung von einer Auflösung der Organgesellschaft i.S.d. § 14 Abs. 4 S. 5 KStG ausgeht.70 Schließlich spricht auch § 14 Abs. 4 S. 5 UmwStG selbst gegen eine solche Argumentation. Stünde die Verschmelzung bzw. eine sonstige Umwandlung der Organgesellschaft einer Auflösung gleich, hätte es der gesonderten Nennung der Umwandlung auf Personengesellschaften bzw. natürliche Personen als veräußerungsähnlicher Vorgang nicht mehr bedurft.71 b) Spaltung aa) Verwaltungsauffassung Die Finanzverwaltung sieht eine unterschiedliche Behandlung von Auf- und Abspaltung der Organgesellschaft vor. Für den Fall der Abspaltung sollen gem. Tz. Org.22 UmwStE 2011 organschaftliche Ausgleichsposten grundsätzlich nach Maßgabe des Wertverhältnisses gem. § 15 Abs. 3 UmwStG, d.h. nach dem Verhältnis von abgespaltenem Vermögen zu dem gesamten vor der Spaltung vorhandenen Vermögen der Organgesellschaft, aufgelöst werden. Als Begründung wird § 15 i.V.m. § 13 UmwStG angeführt, wonach die Spaltung eine anteilige Veräußerung der Beteiligung an der abspaltenden Gesellschaft durch den Anteilseigner darstellt, also ein Fall des §  14 Abs. 4 S. 2 KStG vorliegt. Auf Abspaltungen soll aber Tz. Org.05 UmwStE 2011 entsprechend anwendbar sein, sodass unter bestimmten Voraussetzungen von einer Auflösung der Ausgleichsposten abzusehen ist.72 Die Ausgleichsposten sind in diesem Fall vom Organträger fortzuführen. Für die Aufspaltung verweist Tz. Org.23 UmwStE 2011 lediglich auf Tz. Org.21 UmwStE 2011, der die Verschmelzung regelt. Bei Aufspaltung sind organschaftliche Ausgleichsposten also vollständig aufzulösen. bb) Kritische Auseinandersetzung (1) Unterschiedliche Behandlung von Auf- und Abspaltung Wie bereits weiter oben zur Verschmelzung ausgeführt, ist kein Grund für die unterschiedliche Behandlung von Ab- und Aufspaltung im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung in Tz. Org.05 UmwStE 2011 ersichtlich. Auf die Ausführungen unter A. III. 2. a) kann vollumfänglich verwiesen werden. Insbesondere kann es keinen Unterschied machen, dass die Organgesellschaft im Falle der Abspaltung 69 I.E. ebenso Heurung/Engel/Thiedemann, DK 2012, 16 (25). 70 Dies gilt sowohl für die allgemeine Beurteilung gem. Tz. 00.02 UmwStE 2011 als auch für Tz. Org.21 UmwStE 2011 im Speziellen. 71 Mit ähnlicher Argumentation für den Fall der Verschmelzung auch: Suchanek/Schaaf/Hanneweber, Ubg 2012, 223 (228). 72 Zu Tz. Org.05 UmwStE 2011 vgl. bereits w.o. unter A. III. 1.

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als Rechtsträger bestehen bleibt, während sie bei der Aufspaltung untergeht. Denn die Ausnahmeregelung in Tz. Org.05 UmwStE 2011 findet auch bei der Abspaltung nur auf den Teil der Ausgleichsposten Anwendung, die anteilig auf den nach §  13 UmwStG veräußerten Anteil der Beteiligung entfallen. Die anteiligen Ausgleichsposten, die auf den verbleibenden Anteil entfallen, bleiben auch ohne die Ausnahmeregelung ohnehin bestehen (Tz. Org.22 S. 4 UmwStE 2011). Aus Sicht des Anteilseigners besteht aber zwischen einem im Wege der Abspaltung „veräußerten“ Anteil einer Beteiligung und einer durch Aufspaltung vollständig „veräußerten“ Beteiligung kein Unterschied. In beiden Fällen liegt ein Anwendungsfall von § 13 UmwStG vor, der die Annahme einer anteiligen Veräußerung i.S.d. § 14 Abs. 4 S. 2 KStG grundsätzlich rechtfertigt, aber auch in beiden Fällen die Anwendung der Ausnahmeregelung der Tz. Org.05 UmwStE 2011 erlauben muss.73 Für die Annahme einer aufspaltungsbedingten Auflösung der Organbeteiligung i.S.d. §  14 Abs.  4 S.  5 UmwStG74 bleibt damit kein Raum.75 (2) Unklarheiten bei der entsprechenden Anwendung von Tz. Org.05 Tz. Org.05 UmwStE 2011 ordnet für den Fall der Verschmelzung des Organträgers an, dass organschaftliche Ausgleichsposten nicht aufzulösen sind, wenn die Or­ ganschaft von dem übernehmenden Rechtsträger fortgeführt wird76 und wenn die Verschmelzung zum Buchwert erfolgt. Die Finanzverwaltung führt nicht weiter aus, was sie unter „entsprechender Anwendung“ versteht, sondern ordnet in Tz. Org.22 UmwStE 2011 lediglich an, dass Ausgleichsposten, die nach entsprechender Anwendung von Tz. Org.05 UmwStE 2011 nicht aufzulösen sind, durch den Organträger fortzuführen sind. Es bleibt daher eine Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Frage, durch wen die Organschaft fortzuführen ist und auf welcher Ebene die Buchwertfortführung gegeben sein muss. Hinsichtlich des Kriteriums „Fortführung der Organschaft“ stellt Tz. Org.05 UmwStE 2011 auf den übernehmenden Rechtsträger ab, d.h. die Organschaft wird durch einen neuen Organträger fortgeführt, auf den die Beteiligung an der Organgesellschaft sowie der Gewinnabführungsvertrag durch Verschmelzung übergehen. Im Falle der Abspaltung von Vermögen der Organgesellschaft verbleibt aber sowohl die bisherige Beteiligung an der Organgesellschaft als auch der Gewinnabführungsvertrag beim bisherigen Organträger. Auf die Fortführung der Organschaft zwischen dem bisherigen Organträger und der bisherigen Organgesellschaft kann es u.E. nicht ankommen,77 da ja gerade eine Ausnahme für den Ausgleichposten vorgesehen ist, der auf den als veräußert geltenden Teil der Organbeteiligung entfällt. Eine „entsprechen-

73 Zum Widerspruch zwischen Tz. Org.21 und Org.22 UmwStE 2011 s.a. Dötsch in Dötsch/ Pung/Möhlenbrock, Januar 2017, Anhang 1 UmwStG Rz. 85. 74 So Neumann in Gosch, 4. Aufl. 2020, § 14 KStG Rz. 464g. 75 I.E. ebenso: Heurung/Engel/Thiedemann, DK 2012, 16 (25). 76 Zur grundsätzlichen Kritik an dieser Voraussetzung siehe bereits oben unter A. III. 1. b). 77 So aber möglicherweise Schmidtmann, DStR 2014, 405 (407).

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de  Anwendung“ der Tz. Org.05 UmwStE 2011 könnte so zu verstehen sein, dass eine  Organschaft zwischen dem bisherigen Organträger und dem übernehmenden Rechtsträger der Abspaltung erforderlich ist.78 Mangels Übergang des Gewinnabführungsvertrags kann es sich dabei aber nicht um eine Fortführung der bisherigen Organschaft handeln. Es könnte stattdessen auf die Fortführung einer bereits vor der Abspaltung bestehenden Organschaft zwischen bisherigem Organträger und übernehmender Gesellschaft abgestellt werden. Es spricht jedenfalls viel dafür, dass eine „Fortführung“ die Identität des Organträgers voraussetzt. So ordnet bspw. Tz. Org.22 UmwStE 2011 eine Fortführung der Ausgleichposten durch „den Organträger“ an und unterscheidet sich damit von Tz. Org.05 UmwStE 2011, die von der Fortführung durch den übernehmenden Rechtsträger spricht. Die Forderung nach einer bereits vor Abspaltung bestehenden Organschaft zum übernehmenden Rechtsträger scheint indes zu weitgehend, da Tz. Org.05 UmwStE 2011 eindeutig auf die Fortführung der bisherigen Organschaft abstellt, die wie oben erläutert bei Abspaltung aus dem Vermögen der Organgesellschaft im Verhältnis zum übernehmenden Rechtsträger nicht gegeben sein kann. Es wäre willkürlich, stattdessen die Fortführung eines anderen, davon unabhängigen Organschaftsverhältnisses zu verlangen. Der Begriff der Fortführung dürfte daher allein aus Sicht des bisherigen Organträgers zu beurteilen sein, sodass es darauf ankommt, ob das abgespaltene Vermögen weiterhin durch Organschaft angebunden ist. Dann ist es unerheblich, ob die Organschaft zum übernehmenden Rechtsträger erst mit der Abspaltung begründet wird oder aber bereits bestand.79 Die Literatur äußert sich größtenteils nicht dazu, wie das Kriterium der Fortführung der Organschaft zu verstehen ist, was daran liegen mag, dass das Kriterium bereits dem Grunde nach in Frage gestellt wird.80 Hierstetter geht abweichend von den vorstehenden Überlegungen von einer Fortführung durch den „neuen Organträger“ aus.81 Es erscheint indes fraglich, worin die „Fortführung“ bestehen soll, wenn sowohl Organträger als auch Organgesellschaft nach der Abspaltung andere Rechtsträger sind. Tz. Org.05 UmwStE 2011 bestimmt hinsichtlich des Kriteriums der Buchwertfortführung lediglich, dass „die Verschmelzung“ zum Buchwert erfolgen muss. Wie unter A. III. 1 ausgeführt, dürfte damit die Buchwertfortführung nach § 11 UmwStG gemeint sein. Bei einer Abspaltung aus dem Vermögen der Organgesellschaft könnte sich die Buchwertfortführung jedoch sowohl auf die Anteilseignerebene, d.h. auf die Fortführung des Beteiligungsbuchwertes nach § 13 Abs. 2 UmwStG, als auch auf die Vermögensebene der abspaltenden Organgesellschaft, d.h. auf die Buchwertfortfüh-

78 Vgl. Heurung/Engel/Tiedemann, DK 2012, 16 (26). 79 I.E. wohl auch: Heurung/Engel/Tiedemann, DK 2012, 16 (26); Schmidtmann, DStR 2014, 405 (406). Für eine Auslegung i.S.d. Begründung einer Organschaft zwischen bisherigem Organträger und übernehmendem Rechtsträger auch: Widmann in Widmann/Mayer, Januar 2017, Kommentierung UmwStE Rz. Org.22. 80 Vgl. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Januar 2017, Anhang 1 UmwStG Rz. 85; zur Kritik am Kriterium der Fortführung der Organschaft s. bereits unter A. III. 1. 81 Vgl. Hierstetter in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Tz. 20.70.

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rung nach §§ 11 Abs. 2, 12 UmwStG hinsichtlich des übertragenen Vermögens,82 beziehen bzw. auch beides kumulativ voraussetzen. Eine entsprechende Anwendung von Tz. Org.05 UmwStE 2011 dürfte zunächst eine Fortführung des Beteiligungsbuchwertes an der Organgesellschaft, d.h. hier einen anteiligen Übergang des Beteiligungsbuchwertes an der alten Organgesellschaft auf die neue Organgesellschaft nach § 13 Abs. 2 UmwStG erfordern, da auch Tz. Org.05 UmwStE 2011 (nur) die Fortführung des Beteiligungsbuchwertes an der Organgesellschaft betrifft. Eine Fortführung der Ausgleichsposten wäre nicht vertretbar, wenn die Beteiligung an der Organgesellschaft (anteilig) gem. § 13 Abs. 1 UmwStG als zu gemeinen Wert veräußert gelten würde, da in diesem Fall kein Unterschied zur Veräußerung nach §  14 Abs.  4 S.  2 UmwStG besteht83 und folglich die erfolgswirksame Auflösung zur Sicherung der zutreffenden Organschaftsbesteuerung notwendig ist. Doch auch die Buchwertfortführung hinsichtlich des Vermögens der Organgesellschaft könnte Relevanz für die Fortführung des Ausgleichspostens haben, da sie sich auf die Bewertungsdifferenzen auswirkt, die ursächlich für die Ausgleichposten sind. Im Grundfall der Tz. Org.05 UmwStE 2011 bleiben die Buchwerte im Vermögen der Organgesellschaft unverändert, da sie nicht selbst an der Umwandlung teilnimmt und folglich kein Realisationstatbestand vorliegt. Dennoch wäre eine Auslegung von Tz. Org.22 i.V.m. Org.05 UmwStE 2011 in der Weise, dass kumulativ eine Buchwertfortführung auf Ebene des Organträgers und der abspaltenden Organgesellschaft notwendig ist, u.E. zu weitgehend. Die zwingende (einkommenswirksame) Auflösung von Ausgleichsposten ist gem. § 14 Abs. 4 S. 2 und 5 KStG stets aus Sicht des Organträgers an den Wegfall der Beteiligung geknüpft. Veränderungen im Vermögen der Organgesellschaft führen dagegen nur zu (einkommensneutralen) Veränderungen in der Höhe des Ausgleichspostens.84 Ebenso verhält es sich auch bei der Abspaltung. Der Wertansatz in der Übertragungsbilanz der Organgesellschaft wirkt sich ­allein auf die Höhe des fortzuführenden Ausgleichspostens aus,85 weil sich im Vergleich zur Handelsbilanz, die zwingend die Buchwerte enthält, Unterschiede ergeben ­können, die wiederum Mehr- oder Minderabführungen nach sich ziehen.86 Diese schlagen sich als einkommensneutrale Erhöhung oder Minderung des steuerlichen Ausgleichspostens beim Organträger nieder. Der entsprechend angepasste Ausgleichsposten ist dann entweder fortzuführen oder (einkommenswirksam) aufzulösen. Die Buchwertfortführung nach § 11 Abs. 2 UmwStG kann damit zwar die Höhe der fortzuführenden Ausgleichsposten beeinflussen, sie ist aber keine Voraussetzung für die grundsätzliche Möglichkeit zur Fortführung der Ausgleichsposten durch den

82 Vgl. hierzu Schmidtmann, DStR 2014, 405 (407), der jedenfalls nach dem reinen Wortlaut der Tz. Org.22 i.V.m. Tz. Org.05 UmwStE 2011 auch ein Abstellen auf die Buchwertfortführung durch die Organgesellschaft nach § 15 i.V.m. § 11 Abs. 2 UmwStG für möglich hält. 83 Vgl. Suchanek/Schaaf/Hannweber, Ubg 2012, 223 (228). 84 Vgl. dazu Rz. 14.8 Abs. 1 S. 4 KStR. 85 Vgl. zur Bedeutung der Ursachen der Mehr- oder Minderabführung nur für die Höhe der Ausgleichsposten, nicht aber für die Fortführung dem Grunde nach: Schmidtmann, DStR 2014, 405 (407). 86 Vgl. dazu bspw: Neumann/Suchanek, Ubg 2013, 549 (556 f.).

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Organträger. Letztere ist allein abhängig vom Buchwertansatz der Beteiligung nach § 13 Abs. 2 UmwStG.87 (3) Aufteilung der Ausgleichsposten nach Maßgabe des § 15 Abs. 3 UmwStG Der Aufteilungsschlüssel des § 15 Abs. 3 UmwStG gilt nach Tz. Org.22 UmwStE 2011 sowohl für den Fall, dass die Ausgleichsposten anteilig aufzulösen sind als auch für den Fall der Fortführung durch den Organträger. Fraglich ist, ob die Aufteilung anhand des Spaltungsschlüssels sachgerecht ist. Versteht man den Ausgleichsposten allein als Korrekturposten zum Beteiligungsbuchwert, der das Schicksal der Beteiligung teilt, erscheint eine Aufteilung anhand des Verhältnisses der gemeinen Werte von abgespaltenem Vermögen zu vor der Abspaltung vorhandenem Vermögen zutreffend, da dieses Verhältnis auch für die Aufteilung des Beteiligungsbuchwertes herangezogen wird.88 Allerdings resultieren organschaftliche Ausgleichposten jeweils aus einzelnen Abweichungen konkreter Bilanzpositionen in Handels- und Steuer­ bilanz der Organgesellschaft.89 Auch wenn in der Praxis regelmäßig nur ein Ausgleichsposten je Organbeteiligung in der Bilanz des Organträgers ausgewiesen wird, so beruht dieser doch auf mehreren einzelnen Geschäftsvorfällen bei der Organgesellschaft, die jeweils zu einer Mehr- oder Minderabführung geführt haben. D.h. der Ausgleichsposten steht in Zusammenhang mit einzelnen Bilanzpositionen bzw. sogar einzelnen Wirtschaftsgütern bei der Organgesellschaft, die bei der Abspaltung regelmäßig gerade nicht nach Spaltungsschlüssel aufgeteilt werden, sondern entweder beim übertragenden Rechtsträger verbleiben oder aber auf den neuen Rechtsträger übergehen. Fallen die Unterschiede zwischen Handels- und Steuerbilanz in den Folgejahren weg, kommt es nur bei der Gesellschaft zu einer gegenläufigen Mehr- oder Minderabführung, bei der die konkrete Bilanzposition vorhanden ist. Um die sachgerechte einkommensneutrale Auflösung des Ausgleichspostens durch diese Mehr-/ Minderabführung zu erreichen, muss aber der ursprüngliche einzelne Ausgleichsposten auch ausschließlich der Beteiligung an dieser Organgesellschaft zugeordnet 87 So wohl auch die herrschende Literaturauffassung: Walter in Bott/Walter, Stand: 1.6.2020, § 14 KStG Rz. 350.1; Frotscher in Frotscher/Drüen, Stand: 15.5.2019, § 14 KStG Rz. 1035; Heinsen/Benzler, Ubg 2011, 442 (449); Breier, DK 2011, 84 (90); Heurung/Engel/Thiedemann, DK 2012, 16 (25). 88 Tz. 15.43 UmwStE 2011 ordnet an, dass die Buchwerte nach dem im Spaltungsvertrag festgelegten Umtauschverhältnis und, falls dies nicht möglich ist, nach dem Verhältnis des übergegangenen Vermögens zum gesamten Vermögen der abspaltenden Gesellschaft aufzuteilen sind. In der Literatur wird überwiegend letztere Variante für zutreffend erachtet: Schießl in Widmann/Mayer, Januar 2014, § 15 UmwStG Rz. 1146 m.w.N.; Schumacher in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 3.  Aufl. 2019, §  15 UmwStG Rz.  110; Flick/Gocke/ Schaumburg in Flick/Gocke/Schaumburg, Der Umwandlungssteuer-Erlass 2011, 1.  Aufl. 2012, UmwStE 15.43 (explizit gegen ein Abstellen auf das Umtauschverhältnis); Asmus in Haritz/Menner/Bilitewski, 5. Aufl. 2019, § 15 UmwStG Rz. 48; a.A. Hörtnagl in Schmitt/ Hörtnagl/Stratz, 8. Aufl. 2018, § 15 UmwStG Rz. 291, m.w.N., der auf den gemeinen Wert der Anteile abstellen will. 89 Weitere denkbare Fälle, die über das Regelbeispiel in § 14 Abs. 4 S. 6 KStG hinausgehen, sollen hier aus Vereinfachungsgründen nicht betrachtet werden.

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worden sein.90 Auch für den Fall, dass es bis zur Veräußerung der Beteiligung nicht zu einer einkommensneutralen Auflösung des Ausgleichspostens kommt und der Ausgleichsposten bei Beteiligungsveräußerung einkommenswirksam aufzulösen ist, kommt es auf die tatsächlich noch bestehenden Ursachen des Ausgleichpostens bei der Organgesellschaft an. Denn nur insoweit liegt ein entsprechend höherer oder niedrigerer Veräußerungsgewinn vor,91 der durch Auflösung des Ausgleichspostens zu korrigieren ist.92 In der Literatur wird daher eine Aufteilung des Ausgleichspostens in der Weise vorgeschlagen, dass fiktiv angenommen wird, die spaltungsbedingte Aufteilung des Vermögens hätte schon von Beginn der Organschaft bestanden, sodass die Ausgleichspostens jeweils originär zu der einen oder anderen Beteiligung entstanden wären. Die Ausgleichsposten spiegeln so das tatsächlich in den Betei­ ligungen vorhandene Mehr- bzw. Mindervermögen wieder.93 Vorstehende Beurteilung gilt unabhängig davon, ob hinsichtlich des auf das abgespaltene Vermögen entfallenden Teils des Ausgleichspostens eine Fortführung zulässig ist, oder ob der Ausgleichposten insoweit zum steuerlichen Übertragungsstichtag einkommenswirksam aufgelöst werden muss. Denn für den anteilig verbleibenden Ausgleichsposten sind die vorstehend beschriebenen Effekte in Folgejahren zu beachten.

IV. Exkurs: Abweichende Ergebnisse bei möglicher Einlagenlösung de lege ferenda Die Bundesregierung hat in einem Anfang Juni 2020 veröffentlichten Eckpunkte­ papier ein Konjunkturpaket angekündigt, das u.a. auch eine Modernisierung des Körperschaftsteuergesetzes beinhalten soll.94 Dem Vernehmen nach könnte in einem  solchen Körperschaftsteuermodernisierungsgesetz auch die Einführung der sog. Einlagenlösung umgesetzt werden, die bereits im Gesetzgebungsprozess zum heutigen § 14 Abs. 4 KStG diskutiert wurde. Im Rahmen einer Einlagenlösung würden sich Minderabführungen beim Organträger steuerlich wie eine Einlage und Mehrabführungen wie eine Einlagenrückgewähr unter Direktzugriff auf das steuerliche Einlagekonto95 jeweils unmittelbar über eine Korrektur des Beteiligungsbuch-

90 Vgl. mit anschaulichem Beispiel bei: Vogel, Ubg 2010, 618 (624 f.). 91 So würde beispielsweise im eingangs beschriebenen Fall der Gewinnrücklage ein Erwerber diese nur in den Veräußerungspreis einpreisen, wenn sie auch im Vermögen der Gesellschaft vorhanden ist. Nur dann ist eine Korrektur des Veräußerungsgewinns nötig. 92 I.E. ebenso: Schmidtmann, DStR 2014, 405; wohl a.A. allerdings ohne weitere Begründung: Frotscher in Frotscher/Drüen, Stand: 15.5.2019, § 14 KStG Rz. 1035. 93 Vgl. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Januar 2017, Anhang 1 UmwStG Rz. 85 i.V.m. 76a; Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 3. Aufl. 2019, Umwandlungen und Organschaft Rz. 73. 94 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Schlag​ lichter/Konjunkturpaket/2020-06-03-eckpunktepapier.pdf?__blob=publicationFile&v=12, abgerufen am 6.9.2020. 95 Von Freeden (Fn. 59), S. 129.

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Organschaftliche Ausgleichsposten bei ausgewählten Umwandlungen

werts der Organbeteiligung auswirken.96 Dies würde zu einer übereinstimmenden Behandlung von Mehr- und Minderabführungen bei Organgesellschaften und Organträgern führen und die derzeitigen rechtlichen und technischen Probleme der „Ausgleichspostenlösung“ vollständig entfallen lassen. 97 Die überwiegende Literaturauffassung will die Ausgleichsposten bereits bisher wie einen Korrekturposten zum Beteiligungsbuchwert behandeln, sodass die Ausgleichsposten bei Umwandlungsvorgängen das Schicksal der Beteiligung teilen.98 Danach kommt es für die Fortführung allein darauf an, ob die Beteiligung an der Organgesellschaft zum Buchwert übertragen wird. Ist dies der Fall, werden die Ausgleichsposten fortgeführt, andernfalls müssen sie (ggfs. anteilig bei Ansatz eines Zwischenwertes) aufgelöst werden. Diese Auffassung würde durch die Einlagenlösung gesetzlich umgesetzt, wobei an die Stelle eines aktiven Ausgleichspostens die Behandlung der Minderabführung als Einlage und an die Stelle eines passiven Ausgleichspostens die Behandlung der Mehrabführung als Einlagenrückgewähr treten würde.99 Die in diesem Beitrag kritisierte unterschiedliche Behandlung verschiedener Umwandlungen auf Ebene der Organgesellschaft sowie die nach h.M. nicht gerechtfertigte Forderung einer Fortführung der Organschaft wären bei gesetzlicher Einführung der Einlagenlösung nicht mehr denkbar. Unterschiede würden sich allerdings für Fälle der Abspaltung ergeben, wenn man wie hier der von der Finanzverwaltungsauffassung ­abweichenden Auslegung folgt, die die Aufteilung des Ausgleichspostens von der Zuordnung der verursachenden Bilanzposition abhängig machen will.100

V. Zusammenfassung Die Behandlung von organschaftlichen Ausgleichsposten im Rahmen von Umwandlungen hängt maßgeblich davon ab, ob die Umwandlung zum Buchwert erfolgt. Wenn dies der Fall ist, werden die besonderen Ausgleichsposten fortgeführt. Bei einem Ansatz zum gemeinen Wert oder zum Zwischenwert sind die besonderen Ausgleichsposten (teilweise) aufzulösen. Denn nur im Fall der Buchwertfortführung wird der generelle Veräußerungscharakter der Umwandlung verdrängt. Indem die Finanzverwaltung für die Fortführung der Ausgleichsposten (neben der Buchwertfortführung) die Fortführung der Organschaft verlangt, legt sie eine unbegründete Zusatzvoraussetzung fest. Besonders zu kritisieren ist die Auffassung der Finanzver96 Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Oktober 2018, § 14 KStG Rz. 917, 924; Dötsch/ Pung in FS Förster, 2013, S. 51 (72). 97 Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Oktober 2018, § 14 KStG Rz. 917, 924; Dötsch/ Pung in FS Förster, 2013, S. 51 (72 f.). Zu beachten ist jedoch, dass die Möglichkeit besteht, dass die Einlagenlösung zu neuen Zweifelsfragen führt, von Freeden (Fn. 59), S. 134 ff. 98 Vgl. Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 3.  Aufl. 2019, Anhang 4 Rz.  71; Hierstetter in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, Tz. 20.71; Pichler, NWB 2018, 2640 (2654). 99 Von Freeden (Fn. 59), S. 123. 100 So mglw. auch: Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Januar 2017, Anhang 1 UmwStG Rz. 85 i.V.m. 76a.

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Corinna Tigges/Marie-Luise Scheerer

waltung hinsichtlich der Umwandlung der Organgesellschaft. Insoweit nimmt sie unnötige Differenzierungen zwischen Verschmelzung und Aufspaltung einerseits und Abspaltung andererseits vor, die zu nicht sachgerechten Ergebnissen führen. Es bleibt abzuwarten, ob die sog. Einlagenlösung durch das Körperschaftsteuermodernisierungsgesetz Eingang in das Gesetz findet. Dies wäre zu begrüßen, da die Einlagenlösung die Rechtslage auch hinsichtlich der Folgen von Umwandlungen deutlich vereinfachen würde.

Dr. Corinna Tigges Steuerberaterin, Diplom-Finanzwirtin (FH), Master of Science

Marie-Luise Scheerer Rechtsanwältin

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Lisa Wäschenbach

Digitalsteuern – ein Mittel zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle? Inhaltsübersicht I. Einführung

2. Verfahrensstand

II. Ertragsbesteuerungsprinzipien im internationalen Geschäftsverkehr und ihre Grenzen bei digitalen Geschäftsmodellen

IV. Auswirkungen der Digitalsteuer auf deutsche Unternehmen 1. Von der Steuer potenziell betroffene ­Geschäftsmodelle 2. Mögliche Folgen für Unternehmen

III. Der Vorschlag der EU-Kommission zur Digitalsteuer 1. Zielsetzung und Regelungsinhalt

V. Fazit und Ausblick

I. Einführung Die Digitalisierung, d.h. der verstärkte Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie, verändert viele Bereiche unseres täglichen Lebens und nimmt Einfluss darauf, wie unsere Wirtschaft funktioniert und unsere Gesellschaft organisiert ist.1 Den durch die Digitalisierung neu entstandenen oder veränderten Geschäftsmodellen der Unternehmen2 stehen internationale Besteuerungsprinzipien entgegen, die in den meisten Industrieländern zu Beginn des 20. Jahrhunderts konzipiert wurden. Zu dieser Zeit war die physische Anwesenheit eines Unternehmens am Ort des Konsums notwendig, um Handel zu treiben und Leistungen zu erbringen.3 Durch die zunehmende Relevanz des Internets sinkt jedoch die Notwendigkeit, am Ort der Leistungserbringung eine Geschäftsstelle zu unterhalten oder Personal zu beschäftigen. Die Diskussion zur Auswirkung der Digitalisierung auf das internationale Steuerrecht wird flankiert von Berichten über Steuervermeidungsstrategien internationaler Digitalkonzerne.4 Das mediale Interesse und die öffentliche Empörung über solche Praktiken setzen die Politik unter Handlungsdruck. Auf internationaler Ebene ist in diesem Zusammenhang v.a. das seit 2013 laufende „Base Erosion and Profit Shifting (BEPS)“-Projekt der OECD hervorzuheben. Die Vorschläge der aus dem Projekt hervorgegangen „Task Force on the Digital Economy“ zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle beruhen auf zwei Säulen: die Entwicklung bzw. Erweiterung von Steueranknüpfungstatbeständen und Gewinnallokationsmechanismen (sog. 1 Hamidian/Kraijo in Keuper/Hamidian/Verwaayen/Kalinowski/Kraijo, Digitalisierung und Innovation. Planung – Entstehung – Entwicklungsperspektiven, 2013, S. 10. 2 Richter/Slowinski, IIC 2019, 4 (26). 3 Pfister in University of Zurich, Zurich Open Repositiory and Archive, 2019, S. 145. 4 Vgl. bspw. die Enthüllungen im Zuge der „Paradise Papers“, abrufbar im Onlineportal der Süddeutschen Zeitung unter https://projekte.sueddeutsche.de/paradisepapers/politik/dasist-das-leak-e229478/, Stand: November 2017, Abfrage: 29.8.2020.

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Säule 1) und die Einführung einer globalen Mindestbesteuerung im Rahmen der sog. Säule 2. Die EU-Kommission begleitet als Mitglied der OECD das BEPS-Projekt. Nachdem zwei eigene Richtlinienvorschläge der Kommission zur Schaffung eines neuen steuerlichen Anknüpfungspunkt in Form der sog. „significant economic presence“5 und die Einführung einer Digitalsteuer6 als Übergangslösung auf europäischer Ebene vorerst gescheitert sind, konzentriert man sich zunächst auf einen global abgestimmten Konsens im Rahmen des OECD-Projekts. Insbesondere der Richtlinienvorschlag zur Einführung einer Digitalsteuer ist allerdings noch nicht „vom Tisch“: Sollte es nämlich bis Ende 2020 zu keiner Einigung auf Ebene der OECD kommen, könnten die Diskussionen um EU-weite Maßnahmen zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle wieder an Fahrt aufnehmen.7 Denn bereits jetzt haben einzelne europäische Staaten eigene Digitalsteuern eingeführt oder planen deren Einführung.8 Daher widmet sich dieser Beitrag nach einer kurzen Einführung in die Merkmale digitaler Geschäftsmodelle und den Problemen ihrer steuerlichen Erfassung den Implikationen einer Digitalsteuer nach dem Vorschlag der EU-Kommission, wobei ein besonderes Augenmerk auf potentielle Auswirkungen für betroffene Unternehmen in Deutschland gelegt wird. Ebenso soll kurz beleuchtet werden, ob Digitalsteuern zur Lösung der Besteuerungsproblematiken digitaler Geschäftsmodelle beitragen können.

II. Ertragsbesteuerungsprinzipien im internationalen Geschäftsverkehr und ihre Grenzen bei digitalen Geschäftsmodellen Mittelpunkt der Diskussion um die „Digital Economy“ sind v. a. die großen US-amerikanischen Digitalkonzerne Google, Amazon, Facebook und Apple (kurz „GAFA“). Sie stehen stellvertretend für eine Branche, die neuartige Geschäftsmodelle entwickelt und mit diesen innerhalb kurzer Zeit ein fester Bestandteil unseres Alltags sowie ein Motor unserer Wirtschaft geworden ist.9 Allgemein beschreibt ein Geschäftsmodell die Grundlogik, wie eine Organisation Werte schafft.10 Digitale Geschäftsmodelle nutzen dafür vordergründig Informationstechnologie und digitale Produkte.11 Diese werden ausschließlich oder vorwiegend über das Internet angeboten, wobei viele Arbeitsprozesse automatisiert und ortsungebunden erfolgen.12 Doch auch traditionelle Unternehmen unterliegen im Zuge der Digitalisierung Veränderungen, indem Prozesse automatisiert werden oder neue digitale Komponenten bestehende Geschäfts 5 COM(2018) 147 final, 2018/0072 (CNS). 6 COM(2018) 148 final, 2018/0073 (CNS). 7 Fehling, IStR 2020, 438 (440). 8 Vgl. für einen Überblick bspw. Keuper, BB 2020, 407 (410–413) u. Keuper, BB 2020, 471 (471–476). 9 Eilers/Oppel, IStR 2018, 361 (362); Kofler/Mayr/Schlager, BB 2017, 1751. 10 Bieger/Reinhold, in Bieger/zu Knyphausen-Aufseß/Krys, Innovative Geschäftsmodelle. Konzeptionelle Grundlagen, Gestaltungsfelder und unternehmerische Praxis, 2011, S. 32. 11 Dölker, BB 2019, 476; Büllingen in BMWi, Digitale Geschäftsmodelle. Themenheft Mittelstand-Digital, 2017, S. 5. 12 Farruggia-Weber, DStR 2019, 638.

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Digitalsteuern – ein Mittel zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle?

modelle ergänzen.13 Die „Digital Economy“ ist demnach Teil der Wirtschaft selbst und kann nicht abstrakt abgegrenzt werden. Insbesondere im Wertschöpfungsprozess lassen sich aber Unterschiede zwischen digitalen und klassischen Unternehmen herausarbeiten. Während klassische Industriebetriebe eine diversifizierte Wertschöpfungskette verfolgen, die sich regelmäßig aus Forschung und Entwicklung, Produktion, Vertrieb, Einkauf, Logistik und Lagerhaltung zusammensetzt, generieren Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen Werte primär aus der Entwicklung, Pflege und Instandhaltung von IT-Systemen und der Wertsteigerung ihrer immateriellen Vermögensgegenstände.14 Letztere, zu denen u.a. Marken, Softwares oder nutzerbasierte Netzwerke zählen, sind für den Wertschöpfungsprozess digitaler Unternehmen besonders relevant und entscheidende Erfolgsfaktoren ihrer Geschäftsmodelle.15 Hervorzuheben ist vor allem die zentrale Rolle von (Nutzer-)Daten für den Erfolg der von Unternehmen wie Google oder Facebook betriebenen Plattformen, Websites und anderen digitalen Schnittstellen, auf denen die von Nutzern meist kostenlos zur Verfügung gestellten Daten zu Werbezwecken erhoben, ausgewertet und vermarktet werden.16 Zwar werden immaterielle Vermögenswerte auch von klassischen Industriebetrieben genutzt, sind dabei aber meist in den allgemeinen Produktions- oder Vertriebsprozess integriert und stellen somit keinen wesentlichen Wertschöpfungsbestandteil dar.17 Durch die zentrale Rolle immaterieller Vermögenswerte im Zusammenspiel mit zumeist digitalen Vertriebswegen besteht für Unternehmen mit rein digitalen Ange­ boten eine physische Flexibilität, die für klassische Betriebe mit ihren ortsgebundenen Herstellungs- und Vertriebsprozessen nicht gegeben ist. Statt in Fabriken und mit Maschinen werden zentrale Teile der Wertschöpfung digitaler Geschäftsmodelle mithilfe immaterieller Vermögenswerte über das Internet ausgeübt und können somit ohne eigenes Personal oder eine Niederlassung am Ort wirtschaftlicher Aktivität erfolgen.18 Gleichzeitig stellen die – in den meisten Industrieländern zu Beginn des 20. Jahrhunderts konzipierten19 – Steuersysteme auf physische Anknüpfungspunkte ab. Dieses Konzept ist geleitet von dem Gedanken, dass Steuern dort entrichtet werden sollen, wo Unternehmen sich öffentlicher Ressourcen wie Infrastruktur bedienen. Es spiegelt den zur Zeit der Entwicklung der Regelungen vorherrschenden klassischen Wertschöpfungsprozess wider. So knüpft das Besteuerungsrecht eines Staates regelmäßig an das Vorhandensein einer Betriebsstätte, d.h. einen Ort der physischen 13 Eilers/Oppel, IStR 2018, 361 (363); OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy. Action 1 – Final Report. OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, 2015, S. 11; Wellmann/Junkers, IStR 2017, 847 (848). 14 Heggmair/Riedl/Wutschke, IStR 2015, 92 (93). 15 Farruggia-Weber, DStR 2019, 638; Schlund, DStR 2018, 937 (938); Schreiber, Besteuerung der Unternehmen. Eine Einführung in Steuerrecht und Steuerwirkung, 4.  Aufl. 2017, S. 618 f. 16 Marquardt, IStR 2020, 292. 17 Heggmair/Riedl/Wutschke, IStR 2014, 323. 18 Becker/Englisch/Schanz, How Data Should (Not) Be Taxed, 2018, S. 4. 19 Pfister (Fn. 3), S. 145.

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Tätigkeit in dem jeweiligen Land, an. Auch die Gewinnallokation ist an wesentlichen Personalfunktionen ausgerichtet. Durch die örtliche Flexibilität und die fehlende Notwendigkeit eigenen Personals am Ort der wirtschaftlichen Aktivität entstehen für digitale Geschäftsmodelle Spielräume zur Steueroptimierung, die traditionelle Unternehmen nicht in der gleichen Weise nutzen können. International besteht daher zunehmend das Bedürfnis nach einem System, welches nicht nur besondere Formen exzessiver Steuerplanung verhindert, sondern digitale  und nicht-digitale Geschäftsmodelle insgesamt steuerlich angemessen erfasst. Gleichzeitig sollen Rechts- und Planungssicherheit für Unternehmen gewährleistet werden. Setzen die Vorschläge des OECD-BEPS-Projekts insbesondere im Rahmen der Säule 1 an dem eingehend skizzierten veränderten digitalisierten Wertschöpfungsprozess an, beruhen die Initiativen zur Einführung einer Digitalsteuer auf einer anderen Idee: Die Digitalsteuer soll als „leicht umsetzbar[e]“ Zwischenlösung „zu gleichen Wettbewerbsbedingungen im Übergangszeitraum [beitragen]“,20 also quasi einen Ausgleich zu den für digitale Geschäftsmodelle bestehenden eingangs erläuterten möglichen Vorteilen im Bereich der Steuerplanung bieten, ohne die geltenden steuerrechtlichen Anknüpfungspunkte zu ändern. Die im Folgenden getroffenen Aussagen zu diesem Ansatz beruhen im Wesentlichen auf dem EU-Richtlinienvorschlag für ein „gemeinsame[s] System einer Digitalsteuer auf Erträge aus der Erbringung bestimmter digitaler Dienstleistungen“21 vom 21. März 2018. Dabei soll weniger der Entwurf im Detail analysiert werden, sondern vielmehr das allgemeine Konzept einer solchen Ausgleichsbesteuerung und die Implikationen für betroffene Unternehmen in Deutschland beleuchtet werden.

III. Der Vorschlag der EU-Kommission zur Digitalsteuer 1. Zielsetzung und Regelungsinhalt Mit dem Richtlinien-Entwurf zur Einführung einer Steuer auf digitale Dienstleistungen (im Folgenden DST-RL-E) soll den EU-Mitgliedstaaten steuerlicher Zugriff auf wirtschaftliche Aktivitäten digitaler Geschäftsmodelle ermöglicht werden, die aufgrund fehlender physischer Präsenz bislang keiner oder einer nur geringen Besteuerung unterlagen. So sollen durch die Besonderheiten digitaler Geschäftsmodelle entstehende mögliche Wettbewerbsverzerrungen zwischen Marktteilnehmern verringert und das Risiko einer Aushöhlung der körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlagen der Mitgliedstaaten vermieden werden. Durch die Besteuerung bestimmter Erträge aus der Erbringung digitaler Dienstleistungen soll die Digitalsteuer zu gleichen Wettbewerbsbedingungen beitragen und Konstellationen verhindern, „die es einigen digitalen Unternehmen ermöglichen, sich der Besteuerung in den Ländern zu entziehen, in denen sie tätig sind und ihre Wertschöpfung erzielen“.22 20 COM(2018) 148 final, 2018/0073 (CNS), S. 4. 21 COM(2018) 148 final, 2018/0073 (CNS). 22 COM(2018) 148 final, 2018/0073 (CNS), S. 4.

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Digitalsteuern – ein Mittel zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle?

Mit einem Steuersatz von drei Prozent sollen verschiedene Arten der Nutzerbeteiligung, die zur Wertschöpfung eines Unternehmens beitragen können, besteuert werden. Dazu zählen Erträge aus der Platzierung von Werbung auf einer digitalen Schnittstelle, die sich an die Nutzer der Schnittstelle richtet, und die Bereitstellung virtueller Marktplätze oder Vermittlungsdienste. Ebenso der Digitalsteuer unterliegen sollen Erträge aus der entgeltlichen Weitergabe von auf digitalen Schnittstellen generierten Nutzerdaten. Als Erträge gelten dabei die aus der Erbringung der genannten Tätigkeiten resultierenden Gesamtbruttoerträge nach Abzug der Mehrwertsteuer oder sonstiger vergleichbarer Steuern. Tatsächliche Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Dienstleistungserbringung anfallen, werden nicht berücksichtigt.23 Der Anwendungsbereich der Digitalsteuer wird durch Schwellenwerte eingegrenzt: Demnach müssen die weltweit gemeldeten Erträge eines Unternehmens 750 Mio. Euro übersteigen und die innerhalb der EU im Sinne der Digitalsteuer steuerbaren Erträge höher als 50 Mio. Euro jährlich liegen. Dadurch soll es gelingen, nur Unternehmen mit starker Marktposition zu erfassen, die im besonderen Maße Nutzen aus Netzwerkeffekten und der Auswertung von „Big Data“ ziehen können.24 Der Ort der Besteuerung richtet sich nach der Ansässigkeit der Nutzer der digitalen Dienstleistung, die anhand der IP-Adresse oder anderer Geolokalisierungsmethoden bestimmt werden soll. Liegen Besteuerungsorte in mehreren Mitgliedstaaten, sollen spezielle Verteilungsschlüssel greifen. Steuerschuldner ist nach Art.  9 Abs.  1 DST-RL-E der Erbringer der Dienstleistung. Der Steuerpflichtige ist gem. Art.  14 DST-RL-E zur Abgabe einer Digitalsteuererklärung ohne vorherige Aufforderung verpflichtet. Zur Vermeidung potenzieller Doppelbesteuerungen von in der EU ansässigen Unternehmen soll die Digitalsteuer als Betriebsausgabe von der körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage im Ansässigkeitsstaat des Unternehmens abgezogen werden und zwar unabhängig davon, ob Körperschaftsteuer und Digitalsteuer im selben Mitgliedstaat anfallen.25 Dies erfordert ebenso eine erhöhte Kooperation der Mitgliedstaaten wie das vorgesehene „One-Stop-Shop“-Verfahren:26 Unabhängig davon, in wie vielen Ländern die Digitalsteuer geschuldet wird, soll der Steuerpflichtige zur Vereinfachung eine einzige Anlaufstelle zur Erfüllung der Pflichten im Zusammenhang mit der Steuer haben. Diesen „Mitgliedstaat der Identifizierung“ kann der in mehr als einem EU-Staat Steuerpflichtige frei wählen.27

23 Auf die Frage, inwieweit die Digitalsteuer aufgrund ihrer Ausgestaltung als direkte oder indirekte Steuer angesehen werden kann und die sich daran anschließende Diskussion um die Regelungskompetenz der EU-Kommission soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Vgl. hierzu für einen Überblick bspw. Brauneck, EuZW 2018, 624. 24 COM(2018) 148 final, 2018/0073 (CNS), S. 12. 25 COM(2018) 148 final, 2018/0073 (CNS), S. 23. Hierbei handelt es sich jedoch nur um eine Erwartung der Kommission, die in den Erwägungsgründen zum Richtlinien-Entwurf wiedergegeben wird. 26 COM(2018) 148 final, 2018/0073 (CNS), S. 14 f. 27 COM(2018) 148 final, 2018/0073 (CNS), S. 15.

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2. Verfahrensstand Die Verabschiedung der Richtlinie ist  – basierend auf einem Kompromisstext, der sich auf digitale Werbeleistungen beschränkt28 – vorerst gescheitert, woraufhin einzelne Mitgliedstaaten eine mit dem Kommissionsvorschlag vergleichbare Steuer eingeführt haben oder eine solche Einführung planen.29 Eigene Gesetzesinitiativen oder konkrete Gesetzesvorhaben für eine deutsche Digitalsteuer gibt es bislang nicht. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Falle des Nichterzielens einer Einigung auf Ebene der OECD zum Jahresende aber eine EU-weite Digitalsteuer wieder auf die politische Agenda gelangen könnte,30 bleiben die Auswirkungen einer solchen Ausgleichsabgabe auch für deutsche Unternehmen relevant.

IV. Auswirkungen der Digitalsteuer auf deutsche Unternehmen 1. Von der Steuer potenziell betroffene Geschäftsmodelle Eine vom Handelsblatt veröffentlichte Übersicht der EU-Kommission31 enthält von der Digitalsteuer mutmaßlich betroffene Unternehmen. Dies sind mehrheitlich USamerikanische Unternehmen; nur sieben der insgesamt 112 Unternehmen haben ihren Sitz in Deutschland. Allerdings basiert die Aufzählung auf einer Liste der 100 weltweit größten Digitalunternehmen der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD), womit der Kreis möglicher betroffener Unternehmen von vorneherein auf solche mit Kerntätigkeiten im digitalen Bereich beschränkt ist. Von der Digitalsteuer können aber auch digitale Angebote von Unternehmen erfasst werden, die vorwiegend in nicht-digitalen Bereichen operieren. Einschränkend auf das Ausmaß der Digitalsteuer unterliegender deutscher Unternehmen wirken die Ertragsschwellenwerte. Im Jahr 2018 betrug der Anteil der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) an allen Unternehmen mit Umsätzen aus Lieferungen und Leistungen und/oder sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland 99,4%.32 Gem. der KMU-Definition der EU-Kommission zählen dazu Unternehmen, deren Gesamtumsätze 50 Mio. Euro nicht überschreiten (neben weiteren Faktoren). Sämtliche in diese Kategorie fallenden Unternehmen wären somit 28 Für den Kompromisstext s. Internet: https://www.consilium.europa.eu/de/policies/digitaltaxation/, Stand: 12.3.2019, Abfrage: 29.8.2020. 29 Vgl. für eine Übersicht Becker/Van der Ham/Mühlhausen, BB 2019, 1623 (1625). Zur französischen Digitalsteuer vgl. bspw. Luther/Vail, MwStR 2019, 896. 30 FAZ v. 27.8.2019, Verstager & von der Leyen – Notfalls EU-Alleingang bei Digitalsteuer, https://www.faz.net/-gqe-9qipy, Stand: 27.8.2019, Abfrage: 3.9.2020. 31 Greive/Herwartz, Handelsblatt online v. 11.10.2018, Von Activision Blizzard bis Zalando: Diese Unternehmen könnten von der EU-Digitalsteuer betroffen sein, https://www.han​ delsblatt.com/politik/deutschland/internetkonzerne-von-activision-blizzard-bis-zalandodiese-unternehmen-koennten-von-der-eu-digitalsteuer-betroffen-sein/23176256.html?​ ­ticket=ST-8064811-yWtStiDcWcTeBc4BwHNB-ap1, Stand: 11.10.2018, Abfrage: 3.9.2020. 32 IfM Bonn, KMU in Deutschland gemäß der KMU-Definition der EU-Kommission, In­ ternet https://www.ifm-bonn.org/statistiken/unternehmensbestand/#accordion=0&tab=0, Stand 2020, Abfrage: 17.9.2020.

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Digitalsteuern – ein Mittel zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle?

von der Digitalsteuer ausgenommen, deren erster Ertragsschwellenwert bei 750 Mio. Euro liegt. Zwar dürfen Ertrag und Umsatz nicht per se gleichgesetzt werden (diese stimmen nur überein, wenn alle in einer Periode produzierten Güter auch in dieser verkauft werden), eine Klassifizierung der deutschen Unternehmen anhand ihrer Umsatzerlöse kann aber als Indikator dienen, welche Unternehmen von der Digitalsteuer erfasst würden. Insgesamt sollte daher nur eine geringe Anzahl großer deutscher Unternehmen von der Einführung betroffen sein, sofern diese entsprechend hohe Umsätze mit digitalen Leistungen erzielen, um auch den zweiten Schwellenwert zu überschreiten.33 Zentrales Anliegen des Richtlinien-Entwurfs zur Digitalsteuer ist die steuerliche Erfassung der Nutzerbeteiligung in Fällen, in denen das Geschäftsmodell ohne eine hinreichend große bzw. aktive Nutzerbasis nicht existieren oder funktionieren würde.34 Damit zielt der Entwurf v. a. auf Internetplattformen ab, bei denen Nutzer durch ihre Aktivitäten auf der Plattform zum Erfolg des Geschäftsmodells beitragen. So ist das Geschäftsmodell von Instagram bspw. gerade deswegen erfolgreich, weil viele Nutzer Inhalte hochladen oder anderweitig auf der Plattform aktiv sind. Werbeanzeigen auf Instagram haben daher eine große Reichweite und sind eine wichtige Einnahmequelle des sozialen Netzwerks. Solche Erträge aus der Platzierung von Werbung auf einer digitalen Schnittstelle, die sich an die Nutzer der Schnittstelle richtet, sollen einer Digitalsteuer im Sinne des EU-Vorschlags unterliegen.35 Auch Vermittlungsdienstleistungen durch die Bereitstellung digitaler Schnittstellen, über die sich Nutzer finden und interagieren können, werden durch Internetplattformen erbracht. Ein deutsches Beispiel ist das Karrierenetzwerk Xing. Die digitale Schnittstelle ist in der Website zu sehen, die Anbieter (Arbeitgeber) und Nachfrager (Arbeitnehmer) verbindet und damit Vermittlungsdienste i. S. d. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b DST-RL-E erbringt. Wird Werbung auf der Website platziert, die sich an die Nutzer richtet, ist auch der Tatbestand des Art.  3 Abs.  1 Buchst.  a DST-RL-E erfüllt. Sofern die von Xing generierten Daten über Nutzer der Plattform entgeltlich weiterveräußert werden – bspw. an Recruiting-Agenturen – wird auch der dritte im Richtlinienentwurf gelistete Tatbestand (Art.  3 Abs.  1 Buchst.  c DST-RL-E) verwirklicht. Dabei steht Xing als Plattform-Unternehmen exemplarisch für Geschäftsmodelle, die die EUKommission mit der Digitalsteuer erfassen will.36 33 Frankreich hat bspw. den ersten Schwellenwert des Richtlinienvorschlags übernommen (750 Mio. Euro), der Schwellenwert der im Sinne der Digitalsteuer steuerbaren Erträge liegt aber nur bei 25 Mio. Euro. 34 COM(2018) 148 final, 2018/0073 (CNS), S.  8. Damit sind reine Onlinehändler von der Digitalsteuer ausgenommen, sofern sie auf ihren Verkaufsplattformen keine zusätzlichen Vermittlungsdienstleistungen erbringen. 35 Schanz/Sixt, DStR 2018, 1985 (1987). 36 Würden die Ertragsschwellenwerte entsprechend des Entwurfs umgesetzt, wäre die New Work SE (vormals: XING SE) vermutlich von der Digitalsteuer befreit, da nach dem letzten veröffentlichten Konzernabschluss zum 31.12.2019 die Gesamterlöse mit 270 Mio. Euro unter dem Grenzwert des Richtlinienentwurfs liegen. Der Konzernabschluss ist abrufbar im Internet: https://www.bundesanzeiger.de/pub/de/suchergebnis?6, Stand: 9.6.2020, Abfrage: 3.9.2020.

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Ein weiteres von der Digitalsteuer potenziell betroffenes Geschäftsmodell, dessen primäre Funktionen auf den ersten Blick keine klassischen digitalen Dienstleistungen darstellen, sind Smart Home-Geräte, also Produkte, die durch intelligente Systeme miteinander vernetzt sind.37 Ansatzpunkt der Digitalsteuer sind Werbeerträge oder sonstige Erlöse im Zusammenhang mit auf digitalen Schnittstellen generierten (Nutzer-)Daten. Da gemäß der Formulierung in Art. 2 Nr. 3 des EU-Richtlinienentwurf der Begriff der digitalen Schnittstelle weit auszulegen ist, dürfte auch der Touchscreen eines Haushaltsgeräts dazu zählen. Können über diesen Bildschirm Apps installiert werden und wird darüber Werbung angezeigt, die sich an die Nutzer des Haushaltsgeräts richtet, ist der Tatbestand des Art. 3 Abs. 1 Buchst. a DST-RL-E als erfüllt anzusehen.38 Ebenso kann ein Smart Home-Gerät Vermittlungsdienstleistungen erbringen, indem bspw. Lebensmittel über die digitale Schnittstelle des Geräts bestellt werden. Konkret könnte das in Form einer vom Anbieter des Smart HomeGeräts betriebenen App geschehen, die den Inhalt eines Kühlschranks mit den Zutaten für ein vom Nutzer gewähltes Rezept vergleicht und die fehlenden Zutaten bei einem Lebensmittelanbieter online bestellt. Solche Möglichkeiten bestehen bereits heute.39 Auch bekannte deutsche Unternehmen wie Bosch, Siemens, Liebherr oder Miele sind mit smarten Haushaltsgeräten auf dem Markt vertreten, die solche Funktionen bereits jetzt anbieten oder zukünftig anbieten werden und damit der Digitalsteuer unterliegen können.40 Dieses Beispiel zeigt, dass von der Digitalsteuer nicht nur Unternehmen erfasst werden, deren Hauptgeschäftszweck die Erbringung digitaler Dienstleistungen ist. Da der erste Schwellenwert auf die gesamten weltweiten Erträge abzielt, können auch große Unternehmen betroffen sein, die ihre Umsätze zwar hauptsächlich mit nichtdigitalen Produkten erzielen, daneben aber auch digitale Geschäftsmodelle verfolgen. Dabei sollen nach Begründung der EU-Kommission mit der ersten Umsatzschwelle der weltweiten Gesamterträge nur solche Unternehmen der Digitalsteuer unterliegen, bei denen die Ertragserzielung von der Wertschöpfung der Nutzer abhängt und die sich in hohem Maße auf ausgedehnte Nutzernetzwerke sowie einen umfangreichen Nutzerverkehr stützen.41 Im Beispiel der Haushaltsgerätehersteller verfehlt die EU-Kommission dieses Ziel. Es handelt sich nicht um digitale Unternehmen, bei denen Nutzer für den Erfolg des Geschäftsmodells eine entscheidende Rolle spielen. Das digitale Angebot ist an den Verkauf physischer Produkte geknüpft, weshalb besondere Möglichkeiten zur Steuergestaltung im Zusammenhang mit einer fehlenden physischen Präsenz oder mangels Personalfunktionen nicht ersichtlich sind. Die Unternehmen betreiben primär ein traditionelles Geschäftsmodell, was in

37 Zöller, BB 2018, 2903 (2904). 38 Schanz/Sixt, DStR 2018, 1985 (1988). 39 Vgl. bspw. den intelligenten Kühlschrank von Samsung, https://www.smart-wohnen.de/ haus-garten/artikel/diese-kuehlschraenke-denken-mit/, Stand: Februar 2017, Abfrage: 29.8.2020. 40 Vgl. zum Wachstumspotential des Smart Home-Marktes, https://de.statista.com/outlook/​ 279/137/smart-home/deutschland#market-revenue, Stand: August 2020, Abfrage: 29.8.2020. 41 COM(2018) 148 final, 2018/0073 (CNS), S. 22 f.

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der Produktion und dem Vertrieb von Produkten wie Kühlschränken besteht. Die Digitalsteuer wirkt insofern überschießend. 2. Mögliche Folgen für Unternehmen Die Erhebung der Digitalsteuer ist grundsätzlich nicht an eine fehlende Besteuerung im Ansässigkeitsstaat gekoppelt. Neben der generellen finanziellen Zusatzlast durch die neue Abgabe entstehen steuerliche Mehrbelastungen für betroffene Unternehmen daher v.a. dann, wenn dieselben Erträge mehrfach besteuert werden. Denn neben der Digitalsteuer fällt auf die aus der digitalen Dienstleistung generierten Erträge auch Körperschaftsteuer im Ansässigkeitsstaat des Unternehmens an. Dies ist bereits jetzt durch die unilateral eingeführten Digitalsteuern in einigen europäischen Ländern der Fall.42 Der Richtlinienentwurf empfiehlt zwar, für den Fall einer EU-weiten Digitalsteuer diese als Betriebsausgabe von der körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage im Ansässigkeitsstaat zum Abzug zuzulassen.43 Fallen Digital- und Körperschaftsteuer nicht im selben Staat an, ist jedoch fraglich, ob der Ansässigkeitsstaat zugunsten eines anderen (Quellen-)Staates durch den Abzug auf Steuereinnahmen verzichtet.44 Da die Steuer zudem an Bruttobeträge anknüpft und die allgemeine Wirtschaftslage des Steuerzahlers nicht berücksichtigt, werden Unternehmen mit einer geringeren Umsatzrendite effektiv stärker belastet als ertragreiche.45 Es tritt ein verzerrender Effekt oberhalb der Schwellenwerte auf, der in der Ausgestaltung als Bruttobesteuerung begründet liegt – im Extremfall kann es zur Besteuerung im Verlustfall kommen.46 Dies kann v.a. problematisch für Unternehmen sein, die vorwiegend im nicht-digitalen Bereich ihre Umsätze erzielen und daneben neue digitale Geschäftsmodelle entwickeln oder diese in ihr bestehendes integrieren. Aufgrund ihrer Größe überschreiten sie den auf die Gesamterlöse bezogenen ersten Schwellenwert und können daher mit entsprechenden Umsätzen im digitalen Bereich der Steuer unterliegen. Ein Beispiel dafür sind die oben beschriebenen smarten Kühlschränke, die anders als gewöhnliche Kühlschränke noch nicht auf dem Markt etabliert sind. Um eine gefestigte Marktposition zu erreichen, sind hohe Investitionen erforderlich. Als Folge davon fallen Umsatzrenditen – ähnlich wie bei Start-Ups – geringer aus. Die Steuer kann hier ein Investitionshemmnis darstellen.47 Relativierend wirkt aber, dass ein bestehendes Unternehmen das digitale Angebot zwar ebenso wie ein Start-Up auf dem Markt etablieren muss, aber Synergien aus seinem Kernbereich nutzen kann. 42 Müller/Bauerfeld, IWB 2019, 941 (949). 43 COM(2018) 148 final, 2018/0073 (CNS), S. 23. 44 Roderburg, Ubg 2018, 249 (254); Rüscher, MwStR 2018, 419 (426); Kokott, IStR 2019, 123 (128). 45 Hohenwarter/Kofler/Mayr/Sinnig, Intertax 2019, 140 (142); Dorenkamp, IStR 2018, 640 (641). 46 Zöller, BB 2018, 2903 (2905); Kokott, IStR 2019, 123 (127). 47 Roderburg, Ubg 2018, 249 (255). Zur generellen Attraktivität Deutschlands für digitale Investments im internationalen Vergleich vgl. Olbert/Spengel/Werner, Intertax 2019, 148 (155 ff.).

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Steuerliche Mehrbelastungen können aber nicht nur bei Unternehmen entstehen, die der Digitalsteuer direkt unterliegen. Da von ihr insbesondere US-amerikanische und asiatische Großkonzerne betroffen sind,48 können protektionistische Gegenmaßnahmen dieser Länder  – z.B. Zölle auf europäische Exporte  – die Folge sein. Solche Druckmittel wurden im Zuge der unilateralen Einführung einer Digitalsteuer in Frankreich vom US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump bereits angekündigt.49 Hier besteht also die Gefahr einer Verschärfung der Handelskonflikte, die bereits jetzt Auswirkungen auf Unternehmen und die deutsche Wirtschaft allgemein haben. Ein weiterer Nachteil für nicht direkt der Digitalsteuer unterliegende Unternehmen besteht darin, dass große Digitalkonzerne wie Google aufgrund ihrer monopolistischen Struktur die Möglichkeit haben, die Digitalsteuer auf ihre Kunden abzuwälzen.50 Dadurch würden Werbedienstleistungen solcher Konzerne auch für deutsche Unternehmen teurer. Deren Möglichkeiten einer Überwälzung der Mehrbelastung auf ihre Kunden gestaltet sich schwieriger, da auch viele kleine und lokale Unternehmen, die über keine starke Marktposition verfügen, ihre Werbung über die Kanäle von Google oder Facebook schalten. Durch eine Überwälzung der Steuer oder die Verschärfung von Handelskonflikten können demnach mit der Digitalsteuer auch Unternehmen belastet werden, die explizit nicht von ihr getroffen werden sollen. Grundsätzlich entstehen für Unternehmen durch die Einführung einer neuen Steuer zudem allgemeine Befolgungskosten; so müssen die Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Steuer geprüft und Personal entsprechend geschult werden. Es muss eine Digitalsteuererklärung abgegeben und die dafür notwendigen Daten zusammengestellt werden. Der Aufwand unterscheidet sich im Einzelfall und hängt davon ab, welche Daten bereits im Unternehmen vorliegen. Unilaterale Einführungen von Digitalsteuern erhöhen den Verwaltungs- und Compliance-Aufwand enorm, da die Regelungen zwar im Kern denselben Gedanken verfolgen, im Detail aber von­ einander abweichen.51 Neben steuerlichen Zusatzausgaben entstehen bei betroffenen Unternehmen somit auch Mehrbelastungen in Bezug auf Verwaltung und Compliance. Fraglich ist, ob diese Mehrbelastungen durch eine Angleichung der Wettbewerbsbedingung i.S.d. Schaffung eines „Level Playing Fields“ aufgewogen werden können. Die Digitalsteuer ist konzipiert als Ausgleichsabgabe, d. h. den durch die Digitalisie48 Vgl. auch die oben angesprochene Liste der EU-Kommission zu potenziell betroffenen Unternehmen. 49 Vgl. bspw. tagesschau online v. 3.12.2019, Digitalsteuer und Airbus-Streit. USA drohen EU mit mehr Strafzöllen, https://www.tagesschau.de/wirtschaft/usa-frankreich-sonderzoelle­101.html, Stand: 3.12.2019, Abfrage: 2.9.2020. Inzwischen scheint man sich darauf geeinigt zu haben, zumindest bis Ende diesen Jahres auf französischer Seite auf die Erhebung von Digitalsteuern und auf amerikanischer Seite auf das Verhängen von Zöllen zu verzichten, s. zdfheute v. 22.1.2020, Einigung in Davos. Paris verschiebt Digitalsteuer – US-Zölle auf Eis, https://www.zdf.de/nachrichten/digitales/frankreich-digitalsteuer-zoelle-usa-100.html, Stand: 22.1.2020, Abfrage 3.9.2020. 50 Pinkernell, Ubg 2018, 139 (147). 51 Mammen/Jansen, Ubg 2019, 344 (349 f.).

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rung entstandenen Möglichkeiten zur Steuerplanung, die bei international agierenden Digitalkonzernen im besonderen Maße vorhanden sind, soll die Digitalsteuer entgegengesetzt werden, um damit Wettbewerbsnachteile von Unternehmen ohne solche Steuerplanungsmöglichkeiten auszugleichen. Die in Europa zu zahlenden Steuern der großen nicht-europäischen Digitalkonzerne würden sich mit Einführung der Digitalsteuer wahrscheinlich erhöhen, da die Steuer genau auf ihr Geschäftsmodell zugeschnitten ist. Insofern könnte die angestrebte Ausgleichswirkung erzielt werden. Einschränkend wirken hier aber die oben bereits angesprochenen Möglichkeiten zur Überwälzung der Steuer, wodurch auch nicht unter die Digitalsteuer fallende Unternehmen indirekt belastet werden. Ebenfalls nicht zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen trägt die Bruttobesteuerung bei, da es zu verzerrenden Effekten bei abweichenden Umsatzrenditen kommt. Renditeschwache Unternehmen werden effektiv stärker belastet als hochprofitable. Die Angleichung von Wettbewerbsbedingungen durch eine zusätzliche steuerliche Belastung digitaler Aktivitäten großer Internetkonzerne wird daher insgesamt aufgewogen durch entstehende Nachteile für kleinere und nicht primär im digitalen Bereich tätige Unternehmen. Da die Digitalsteuer auf Grundlage der in der EU erzielten Erträge bemessen wird, entstehen global betrachtet zudem Standortnachteile für Unternehmen, die ihre Absätze hauptsächlich innerhalb der EU erzielen.52 Die Digitalsteuer ist daher kein geeignetes Mittel, um die mit der Digitalisierung verbundenen steuerlichen Probleme zu lösen. Die von der EU-Kommission vorgebrachte Rechtfertigung, dass der Steuer nur die Unternehmen unterliegen, die durch ihr digitales Geschäftsmodell besondere Möglichkeiten zur Steuerplanung besitzen und dadurch Wettbewerbsvorteile erzielen, welche mit der zusätzlichen Steuerbelastung ausgeglichen werden sollen, überzeugt aufgrund der oben aufgeführten Argumente nicht. Die mit der Einführung verbundenen „Kollateralschäden“ sind größer einzuschätzen als mögliche Vorteile einer Angleichung der Wettbewerbsbedingungen durch eine höhere Steuerlast einzelner Digitalkonzerne, die bislang in der EU nicht oder nur geringfügig besteuert werden. Insofern wirkt die Steuer wie eine „Strafsteuer auf Digitales“,53 was im Widerspruch zum Ziel der EU-Kommission steht, „die Position Europas als weltweit führend in der digitalen Wirtschaft auszubauen“.54

V. Fazit und Ausblick Grundsätzlich erscheint es sinnvoll, sich auch im Steuerrecht mit den durch die Digitalisierung bestehenden Veränderungen der Wirtschaft auseinanderzusetzen. Das Anknüpfen an physische Merkmale für Besteuerungszugriffe ist im Zuge digitalisierter Geschäftsmodelle überholt und kann daher das Funktionieren des Steuersystems gefährden. Deutschland sollte sich im Interesse seiner Unternehmen aktiv in die Dis52 Pinkernell, Ubg 2018, 139 (147). 53 Schön in Max Planck Institute for Tax Law and Public Finance/ Department of Business and Tax Law, Working Paper No. 2017-11, 2017, S. 14 f. 54 COM(2018) 147 final, 2018/0072 (CNS), S. 5. Vgl. auch COM(2015) 192 final, S. 3.

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kussion einbringen, da aufgrund der internationalen Vernetzung steuerrechtliche Änderungen in anderen Staaten immer auch Einfluss auf deutsche Unternehmen haben können, die in diesen Staaten wirtschaftlich aktiv sind. Aufgrund der Abgrenzungsproblematik zwischen digitalen und nicht-digitalen Geschäftsmodellen und vor dem Hintergrund der damit verbundenen kaum vermeidbaren „Kollateralschäden“ sind Maßnahmen wie die Digitalsteuer, die explizit auf digitale Geschäftsmodelle abzielen, kritisch zu beurteilen. Untersuchungen zu Auswirkungen der bisherigen Implementierung von BEPS-Maßnahmen zeigen, dass die Sicherstellung steuerlicher Rechtssicherheit für die Mehrzahl der Unternehmen wichtiger ist als steuerliche Optimierungsmöglichkeiten.55 Auch vor diesem Hintergrund sollte eine multilaterale Lösung auf OECD-Ebene angestrebt werden, da nur möglichst breit abgestimmte Regelungen die Unternehmen vor doppelten Besteuerungszugriffen schützen können und die Rechtsbefolgung erleichtern. Der Einigungsprozess sollte zudem begleitet werden von der (Weiter-)Entwicklung effizienter Streitbeilegungsmechanismen, die v.a. dann relevant werden, wenn sich durch eine Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs Qualifikationskonflikte bei grenzüberschreitenden Transaktionen erhöhen.56 Vor diesem Hintergrund bleibt zu hoffen, dass auf Ebene der OECD eine Lösung gefunden und im Zuge dessen von der Einführung einer EU-weiten oder weiteren unilateralen Digitalsteuern Abstand genommen wird.

Lisa Wäschenbach Steuerberatungsassistentin, Master of Science

55 Ditz/Bärsch/Kluge, IStR 2019, 299 (300); zur Rechts- und Planungssicherheit als Entscheidungskriterium für Investitionen vgl. Burger/Kälberer, IStR 2020, 411. 56 Vgl. zur Streitbeilegungsverfahren bei grenzüberschreitender Gewinnabgrenzung Greil in Lüdicke, Internationales Steuerrecht am Scheideweg, 2018, S. 185-226.

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Die Realteilung in der Gestaltungspraxis Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Entwicklung der Realteilungsprinzipien III. Einkommensteuerliche Überlegungen 1. Zuteilung von Vermögen a) Abfindung in liquiden Mitteln b) Zuordnung von Verbindlichkeiten c) Überführung von Sonderbetriebs­ vermögen (SBV) d) Abfindung mit SBV 2. Sperrfrist bei Einzelwirtschaftsgütern 3. Spitzenausgleich

a) Übernahme von negativem Kapitalkonto b) Vermeidung eines Spitzenausgleichs c) Versteuerung eines Spitzenausgleichs IV. Überlegungen zu anderen Steuerarten 1. Realteilung und Gewerbesteuer a) Gewerbesteuerliche Verlustvorträge b) Anrechnung der Gewerbesteuer (§ 35 EStG) 2. Realteilung und Umsatzsteuer 3. Realteilung und Erbschaftsteuer V. Zusammenfassung

I. Einleitung Die Realteilungsgrundsätze in § 16 Abs. 3 Satz 2 ff. EStG sehen für die Auseinandersetzung von Personengesellschaften über Betriebsvermögen eine erhebliche Steuererleichterung vor. Es wird die zwingende Buchwertfortführung angeordnet, wenn, vereinfacht, das betriebliche Engagement auf andere Weise fortgeführt wird.1 Die Realteilung ist nicht nur ein Instrument zur Umstrukturierung von Personengesellschaften, z.B. zur Trennung von Gesellschafterstämmen, sondern kann auch in der Unternehmensnachfolge von Bedeutung sein. So kann eine vorweggenommene Erbfolge vorbereitet werden oder eine Erbauseinandersetzung über Betriebsvermögen erfolgen.2 Trotz einiger bislang ungeklärter Rechtsfragen ist die sogenannte unechte Realteilung seit ihrer Anerkennung durch die Finanzverwaltung in ihrem aktuellen Realteilungserlass3 in den praktischen Fokus gerückt und kann eine größere Rolle in der Gestaltungspraxis spielen. Die unechte Realteilung bietet sich u.a. an, wenn das operative Geschäft fortgeführt werden soll und nur einzelne Mitunternehmer ausscheiden möchten. Sämtliche Vertragsbeziehungen müssen nicht aufwändig übertragen werden, Kunden und Vertragspartner bleiben unbehelligt von den Veränderungen auf Gesellschafterebene. 1 Vgl. BT-Drucks. 14/6882, S. 34. 2 Z.B. Kulosa in H/H/R, EStG/KStG, 6/2020, § 16 EStG, Rz. 540. 3 BMF, Schr. v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002, DStR 2019, 55.

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II. Entwicklung der Realteilungsprinzipien Bevor die Realteilung gesetzlich normiert4 wurde, ist sie durch die Rechtsprechung des BFH entwickelt worden.5 Der BFH6 definierte die Realteilung zunächst als Aufgabe des Gewerbebetriebs auf Ebene der Mitunternehmerschaft7 durch Aufteilung des Betriebsvermögens auf die Mitunternehmer, wobei das Vermögen zumindest zum Teil in ein anderes Betriebsvermögen übertragen werden musste, sodass die Besteuerung der stillen Reserven weiterhin sichergestellt war.8 In 2015 und 2017 bestätigte der BFH,9 dass nicht nur bei Naturalteilung einer Mitunternehmerschaft (sog. echte Realteilung) die Vorschrift des § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG Anwendung finden sollten, sondern auch bei Ausscheiden von Mitunternehmern unter Mitnahme von mitunternehmerischem Vermögen aus einer zwischen den übrigen Mitunternehmern fortbestehenden Mitunternehmerschaft (sog. unechte Realteilung).10 Ob im Einzelfall eine echte oder eine unechte Realteilung vorliegt, bestimmt sich mithin danach, ob die Mitunternehmerschaft aufgelöst wird oder ob sie fortbesteht.11 Die Rechtsprechung des BFH veranlasste die Finanzverwaltung, ihren Realteilungserlass aus 200612 erst Ende 201613 und dann noch einmal Ende 2018 abzuändern.14 Es bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung die bislang ungeklärten Rechtsfragen und die aktuelle BFH-Rechtsprechung15 zum Anlass nehmen muss, den Erlass erneut zu aktualisieren. Im Folgenden sollen einige praktische Fragestellungen beleuchtet werden.16 4 Im Jahr 2000 durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 (StEntlG) v. 24.3.1999, BGBl. I 1999, 402, 409 normiert und 2001 durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts v. 20.12.2001 (UntStFG), BGBl. I 2001, 3858 geändert. 5 BFH v. 6.5.1952 – I 17/52 U, BStBl. III 1952, 183, bzgl. einer Realteilung unter Mitnahme von Teilbetrieben, zusammenfassend BFH v. 10.12.1991 – VIII R 69/86, BStBl. II 1992, 385. 6 BFH v. 19.1.1982 - VIII R 21/77, BStBl. II 1982, 456; v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017; v. 30.3.2017 – IV R 11/15, DStR 2017, 1376. 7 § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG enthält keine Einschränkungen der Mitunternehmerschaften, dazu zählen u.a. Erbengemeinschaften mit Betriebsvermögen und Bruchteilsgemeinschaften, vgl. Wacker in Schmidt, EStG, 39. Aufl. 2020, § 16 EStG Rz. 538; BMF-Schreiben zur Erbauseinandersetzung v. 14.3.2006, BStBl. I 2006, 253 wurde durch Aufnahme der unechten Realteilung angepasst, 27.12.2018, BStBl. I 2019, 11, Rz. 52. 8 BFH v. 11.4.2013 – III R 32/12, BStBl. II 2014, 242. 9 BFH v. 17.9.2015 (Fn. 6); v. 16.3.2017 – IV R 31/14, BStBl. II 2019, 24; v. 30.3.2017 (Fn. 6). 10 BFH v. 16.3.2017 (Fn. 9); v. 30.3.17 (Fn. 6); auch z.B. v. 2.10.2018 − IV R 24/15, BFH/NV 2019, 516; sowie BMF, Schr. v. 19.12.2018 (Fn. 3), Rz. 1 bis 4. 11 BFH v. 16.3.2017 (Fn. 9), Rz. 30. 12 BMF, Schr. v. 28.2.2006 − IV B 2 - S 2242 - 6/06, BStBl. I 2006, 228. 13 BMF, Schr. v. 20.12.2016 − IV C 6 - S 2242/07/10002: 004, BStBl. I 2017, 36. 14 BMF, Schr. v. 19.12.2018 (Fn. 3), Rz. 6. 15 Z.B. BFH v. 2.10.2018 (Fn. 10), Rz. 44 zur Übertragung zwischen Gesamthandsvermögen, dazu auch zusammengefasst bei Wendt, FR 2019, 768, 771 zu BFH v. 15.1.2019 – VIII R 24/15, BFH/NV 2019, 940. 16 Die Betrachtung beschränkt sich auf Realteiler als natürliche Personen.

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III. Einkommensteuerliche Überlegungen 1. Zuteilung von Vermögen Es können Teilbetriebe, Mitunternehmeranteile und Einzelwirtschaftsgüter i.R. einer Realteilung übertragen werden (§ 16 Abs. 3 Satz 2 EStG). Hinsichtlich der Art der zu übertragenden Wirtschaftsgüter unterliegt die Realteilung insoweit keinen Beschränkungen.17 a) Abfindung in liquiden Mitteln Ob die isolierte Abfindung mit Barvermögen zulässig ist, ist umstritten: Der BFH18 schloss sich in seinem Urteil vom 17.9.2015 der Auffassung in der Literatur19 an, nach der die Zuordnung von liquiden Mitteln (Geld und Forderungen) aus dem Gesellschaftsvermögen neben weiterem Vermögen nach Realteilungsgrundsätzen möglich sein soll. Im aktuellen Erlass20 äußert sich die Finanzverwaltung hingegen dahingehend, als dass kein Fall der Realteilung vorläge, wenn ein Mitunternehmer aus einer Mitunternehmerschaft ausscheidet, sein Anteil anwächst und er eine Abfindung in Geld erhält. Es ist unklar, ob damit die Zuordnung von ausschließlich Geld (bzw. liquiden Mitteln) im Sinne einer „Barabfindung“ gemeint ist oder auch eine Zuordnung von Barvermögen neben Sachwerten. Hier ist Rechtssicherheit dringend erwünscht, denn in jedem realzuteilenden Betrieb wird es Barvermögen und liquide Mittel geben (die sich natürlich auch dazu eignen, einen Spitzenausgleich zu vermeiden). Die Abgrenzung zwischen einer Barabfindung und der Zuordnung von liquiden Mitteln neben weiterem Vermögen ist aber nicht definiert bzw. relativ leicht abgrenzbar.21 Es bedarf daher entweder einer klaren Regelung dahingehend, wie viel Barvermögen (bzw. liquide Mittel) bei Anwendung der Realteilungsgrundsätze übergehen darf (ähnlich z.B. in § 20 Abs. 2 Nr. 4 UmwStG oder als „nahezu ausschließlich“-Grenze22) oder einer Entscheidung, dass die Barabfindungskomponente gänzlich unschädlich ist, wenn im Übrigen die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist. b) Zuordnung von Verbindlichkeiten Während es i.R. der ergangenen BFH-Urteile zur unechten Realteilung noch umstritten war, ob eine Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern bei gleichzeitiger Über17 Kulosa (Fn. 2), § 16 EStG, Rz. 546. 18 BFH v. 17.9.2015 (Fn. 6), Rz. 44 f. 19 Kulosa (Fn. 2) § 16 EStG, Rz. 557; Seer in Kirchhof, EStG, 19. Aufl. 2020, § 16 EStG, Rz. 218; Schallmoser in Blümich, EStG, 5/2020, §  16 EStG Rz.  420; Wacker (Fn.  7), §  16 EStG, Rz. 544 f., jeweils m.w.N. 20 BMF, Schr. v. 19.12.2018, (Fn. 3), Rz. 3. 21 Stenert, DStR 2019, 245, 248, ebenso Demuth, KÖSDI 2019, 21392, 21411. 22 Demuth plädiert für eine solche 90%-Grenze (Fn. 21), 21411.

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nahme von Verbindlichkeiten nach Realteilungsgrundsätzen erfolgsneutral oder unter Anwendung der Trennungstheorie nach §  6 Abs.  5 Satz 3 Nr.  1 EStG erfolgen muss, ist ersteres nun auch seitens der Finanzverwaltung anerkannt.23 Wenn also zum Vermögen der Mitunternehmerschaft auch Passiva gehören (was in der Regel der Fall ist und auch zur Abwendung eines Spitzenausgleichs relevant ist), können diese i.R. der Realteilung zugeteilt werden, ohne dass sie steuerlich als Entgelt eingeordnet werden.24 c) Überführung von Sonderbetriebsvermögen (SBV) I.R. der Realteilung wird den Mitunternehmern Vermögen entweder quotal oder disquotal zugeordnet. Soll eine GmbH & Co. KG − wie in der Praxis häufig − realgeteilt werden, ist es unschädlich, wenn die vermögensmäßig nicht beteiligte Komplementärin kein Vermögen erhält.25 Gegenstand der Realteilung ist grundsätzlich das Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft. Das SBV soll insoweit Gegenstand der Realteilung sein, als es Gegenstand eines Gesellschafterwechsels wird.26 Im Gegensatz zur Übertragung von SBV erfolgt die Überführung von SBV nach § 6 Abs. 5 Satz 2 EStG. So ist es möglich, dass i.R. der Auseinandersetzung für die Übertragung einiger Wirtschaftsgüter die Buchwertneutralität nach §  16 Abs.  3 Satz 2 EStG, für die Übertragung anderer Wirtschaftsgüter nach § 6 Abs. 5 Satz 2 EStG gegeben sein kann.27 Dies hat Auswirkungen auf die anwendbare Sperrfrist nach § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG, denn im Gegensatz zu einer Überführung nach § 6 Abs. 5 Satz 2 EStG ist für die Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter (statt Teilbetriebe oder Mitunternehmeranteile) eine Sperrfrist vorgesehen.28 Aufgrund der restriktiven Auffassung der Finanzverwaltung, dass Wirtschaftsgüter nicht von einem Gesamthandsvermögen in das Gesamthandsvermögen einer (ggf. sogar personenidentischen) Schwestergesellschaft, an der der Realteiler beteiligt ist, übertragen werden können (weder nach § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG noch nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG), ist es nach Ansicht der Finanzverwaltung notwendig, Wirtschaftsgüter in ein SBV einer (Schwester-) Personengesellschaft des Realteilers zu überführen.29 23 Im BMF, Schr. v. 19.12.2018, (Fn. 3), Rz. 5 nicht sehr deutlich, dafür über den aktualisierten Verweis auf vorgenanntes Schreiben in BMF, Schr. v. 8.12.2011 − IV C 6 - S 2241/10/10002, BStBl. I 2011, 1279, Rz. 37. 24 BMF, Schr. v. 8.12.2011 (Fn. 23), Rz. 37; vgl. auch BFH v. 11.4.2013 – III R 32/12, BStBl. II 2014, 242; z.B. Kulosa (Fn. 2) § 16 EStG Rz. 557, Seer (Fn. 19), § 16 EStG, Rz. 218, Wacker (Fn. 7), § 16 EStG, Rz. 545, Pupeter, DB 2017, 684; Steiner/Ullmann, DStR 2017, 912. 25 BFH v. 16.3.2017, (Fn. 9), Rz. 41. 26 BMF, Schr. v. 19.12.2018, (Fn. 3), Rz. 5. 27 BFH v. 16.3.2017, (Fn.  9), Rz.  46, BMF, Schr. v. 19.12.2018, (Fn.  3), Rz.  5; auch Pupeter (Fn. 24), 2122, ablehnend Wacker (Fn. 7), § 16 EStG, Rz. 543 auch mit Verweis auf Heß, BB 2017, 363. 28 Im Gesetzesentwurf war noch eine Behaltensfrist von sieben Jahren vorgesehen, was den Charakter einer Umstrukturierungsmaßnahme unterstreicht, vgl. Drucks. 14/6882, S. 1, 34. 29 BMF, Schr. v. 19.12.2018, (Fn. 3), Rz. 12, BMF, Schr. v. 8.12.2011, (Fn. 23), Rz. 18.

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Inzwischen gibt es aber noch unveröffentlichte BFH-Urteile, die den Weg dafür bereiten.30 d) Abfindung mit SBV In der Praxis kann es vorkommen, dass die an der (un-)echten Realteilung teilnehmenden (quantitativ oder funktional-)31 wesentlichen Betriebsgrundlagen ausschließlich im SBV der Gesellschafter bei der Mitunternehmerschaft befindlich sind, beispielsweise in Form von Grundstücken oder Beteiligungen an Kapitalgesellschaften. Es ist fraglich, ob für die Annahme einer begünstigten Realteilung nicht auch wenigstens eine wesentliche Betriebsgrundlage im Gesamthandsvermögen verortet sein muss. Abzugrenzen ist diese Frage von jener, ob eine Realteilung von gänzlich gesamthandslosen Mitunternehmerschaft möglich ist (z.B. Innengesellschaften).32 Die Finanzverwaltung äußerte sich dazu bisher nicht. In der vorhergehenden Fassung sah das BMF-Schreiben zwar i.R. der Definition der Realteilung noch vor, dass zumindest ein Realteiler eine wesentliche Betriebsgrundlage im Betriebsvermögen halten müsse („Eine Realteilung setzt voraus, dass mindestens eine wesentliche Betriebsgrundlage nach der Realteilung weiterhin Betriebsvermögen eines Realteilers darstellt.“).33 Das aktuelle BMF-Schreiben zur Realteilung enthält diesen Satz nicht mehr, stattdessen schränkt es dahingehend ein, „dass nicht jeder Realteiler wesentliche Betriebsgrundlagen des Gesamthandsvermögens“34 erhalten müsse, was zumindest die Möglichkeit offenlässt, dass wesentliche Betriebsgrundlagen vor und nach Realteilung auch ausschließlich im SBV verortet sein können. Der BFH entschied im Jahr 1995 (vor gesetzlicher Normierung des § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG i.d.F. des StEntlG bzw. UntStFG), dass eine Realteilung einer Personengesellschaft auch dann anzunehmen sei, wenn die wesentlichen Betriebsgrundlagen ausschließlich im SBV befindlich waren.35 In der Literatur wird unter Verweis auf dieses Urteil vertreten, dass eine Realteilung unabhängig davon anzunehmen sei, ob sich die wesentlichen Betriebsgrundlagen im Gesamthands- oder Sonderbetriebsvermögen befänden.36 Dem ist zuzustimmen. Denn i.R. einer Realteilung wird das Überspringen von stillen Reserven auf einen anderen Rechtsträger ausdrücklich in Kauf genommen.37 Wenn mithin interpersonelle Verschiebungen von stillen Reserven i.R.

30 Vgl. Fn. 15. 31 BMF, Schr. v. 19.12.2018, (Fn. 3), Rz. 8. 32 Kauffmann in Frotscher/Geurts, EStG, 9/2013, § 16 EStG, Rz. 177m, vertritt die Auffassung, dass eine Realteilung bei Mitunternehmerschaften ohne Gesamthandsvermögen nicht möglich sei, a.A. z.B. Kulosa (Fn. 2), § 16 EstG, Rz. 545. 33 BMF, Schr. v. 20.12.2016 (Fn. 13), unter I. 34 BMF, Schr. v. 19.12.2018 (Fn. 3), Rz. 8. 35 BFH v. 23.3.1995 – IV R 93/93, BStBl. II 1995, 700. 36 Kulosa (Fn. 2), § 16 EStG, Rz. 545 mit Verweis auf BFH v. 23.3.1995 (Fn. 35). 37 Vgl. Drucks. 14/6882, S.  23, durch Anwendung der Kapitalkontenanpassungsmethode, BMF, Schr. v. 19.12.2018, (Fn. 3), Rz. 22 f., z.B. Wacker (Fn. 7), § 16 EStG, Rz. 547, m.w.N.

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dieser Umstrukturierungsmaßnahme38 hinnehmbar sind, dann sollte es auch keinen Unterschied machen, ob diese stillen Reserven im gesamthänderischen oder im SBV entstanden sind. Dieser Rechtsauffassung folgt auch die Finanzverwaltung in der Praxis, wonach sie z.B. gestattet, wenn i.R. der unechten Realteilung ein Mitunternehmer ausschließlich Sonderbetriebsvermögen erhält. 2. Sperrfrist bei Einzelwirtschaftsgütern Für den jeweiligen Übertragungsvorgang ist rückwirkend der gemeine Wert anzusetzen, soweit Einzelwirtschaftsgüter übertragen und innerhalb der Sperrfrist veräußert oder entnommen worden sind. Dazu zählen Grund und Boden, Gebäude39 oder andere wesentliche Betriebsgrundlagen.40 Bei der unechten Realteilung gilt die Sperrfrist nur für die ausscheidenden Mitunternehmer.41 Die Erlasslage zum Umgang mit einem Sperrfristverstoß wird dahingehend kritisiert, dass die echte und unechte Realteilung ungleich behandelt werden: Im Fall der echten Realteilung entsteht der Gewinn aus dem rückwirkenden Ansatz des gemeinen Wertes bezogen auf das veräußerte oder entnommene Wirtschaftsgut42 nur auf Ebene der Mitunternehmerschaft und ist entweder nach dem (damaligen) Gewinnverteilungsschlüssel oder nach abweichender Vereinbarung zuzurechnen. I.R. der unechten Realteilung soll (wie bei einer Sachwertabfindung in das Privatvermögen43) der Ausscheidende einen Veräußerungsgewinn (seiner Anteile an der Gesamthand) realisieren, der auf Ebene der Mitunternehmerschaft zu einer Aufstockung der verbleibenden Buchwerte führt und die verbleibenden Mitunternehmer das Einzelwirtschaftsgut an den Ausscheidenden verkaufen, sodass ebenfalls ein Gewinn entsteht.44 In der Praxis werden häufig Beteiligungen übertragen, die insbesondere durch die Definition der quantitativen Wesentlichkeit45 tendenziell wesentliche Betriebsgrundlagen darstellen. Ein 100%-Anteil an einer Kapitalgesellschaft stellt aber grundsätzlich kein Einzelwirtschaftsgut, sondern einen (nicht sperrfristbehafteten) fiktiven Teilbetrieb dar.46 Etwas anderes kann sich aber z.B. ergeben, wenn die Mitunter­ nehmer einer Mitunternehmerschaft jeweils Teile einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft in ihrem jeweiligen SBV halten (z.B. die Betriebsgesellschaft in Betriebsaufspaltungsfällen) und ein Mitunternehmer i.R. der unechten Realteilung gegen 38 Vgl. Drucks. 14/6882, S. 23, 34. 39 Wobei nach dem Erlass Grund und Boden und Gebäude nicht wesentlich sein müssen, um einen Sperrfristverstoß auszulösen. 40 BMF, Schr. v. 19.12.2018, (Fn. 3), Rz. 24. 41 BMF, Schr. v. 19.12.2018, (Fn. 3), Rz. 25. 42 Aus dem Gesamthandsvermögen, ansonsten abweichende Zurechnung. 43 BMF, Schr. v. 14.3.2006, BStBl. I 2006, 253, Rz. 51, Bsp. zur Sachwertabfindung, ausführlich auch Ley, in FS Korn, 2005, 335, 337. 44 Dorn/Müller, DStR 2019, 726 mit ausführlichem Beispiel, BMF, Schr. v. 19.12.2018, (Fn. 3), Rz. 29, 31. 45 BMF, Schr. v. 19.12.2018, (Fn. 3), Rz. 8. 46 BMF, Schr. v. 19.12.2018, (Fn. 3), Rz. 6.

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Abfindung durch diese Beteiligung ausscheiden möchte. Werden diese Teile der Beteiligung aus den jeweiligen SBV der verbleibenden Mitunternehmer auf ein (Sonder-)Betriebsvermögen des ausscheidenden Mitunternehmers übertragen, so übertragen die verbleibenden Mitunternehmer jeweils nur Teile einer Beteiligung. Auch der ausscheidende Mitunternehmer hält bereits selbst einen Anteil in seinem SBV und muss ihn nach § 6 Abs. 5 Satz 2 EStG in ein anderes SBV überführen. Ob dann ein sperrfristbehaftetes Einzelwirtschaftsgut vorliegt, dürfte nicht danach zu beurteilen sein, ob der ausscheidende Mitunternehmer eine 100%-Beteiligung erhält, sondern ob eine solche im Ganzen übertragen wird. Ein Teil eines 100%-Anteils an einer Kapitalgesellschaft stellt hingegen ein einzelnes Wirtschaftsgut dar.47 Entsprechend sind die Anteile an der Kapitalgesellschaft (Einzelwirtschaftsgüter) dann aber auch nur insoweit (quotal) sperrfristbehaftet, als sie Gegenstand der Übertragung (und nicht der Überführung) waren. Vorsicht ist auch im Nachlauf der (un-)echten Realteilung geboten, da sich die Sperrfrist durch die Anbindung an die Abgabe der Steuererklärung48 über die im Gesetz genannten drei Jahre nach Realteilungszeitpunkt hinaus verlängert.49 3. Spitzenausgleich Wenn der Mitunternehmer, der durch die (un-)echte Realteilung der Mitunternehmerschaft mehr erhält, als ihm gemäß seiner Quote zustehen würde, einen entsprechenden Ausgleich in Geld oder Sachwerten aus eigenen Mitteln (Privatvermögen oder anderes Betriebsvermögen,50 d.h., nicht Gesellschaftsmittel) leistet, liegt ein Spitzenausgleich vor.51 Es liegt insoweit ein entgeltliches Geschäft vor.52 a) Übernahme von negativem Kapitalkonto Es ist unklar, ob die Übernahme eines negativen Kapitalkontos bzw. der fehlende Ausgleich des Mitunternehmers eine Gegenleistung für die Veräußerung seines Mitunternehmeranteils darstellt,53 und ob es z.B. einen Unterschied macht, dass die in den Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven das negative Kapitalkonto übersteigen. Laut Sachverhalt des BFH-Urteils vom 16.3.2017 übernahm ein Realteiler zwar auch das negative Kapitalkonto des anderen Mitunternehmers; dies wurde aber leider nicht weiter thematisiert.54

47 Kulosa (Fn. 2), § 16 EStG, Rz. 546, mit Verweis auf Carlé/Bauschatz, KÖSDI 2002, 13133, 13136. 48 Feststellungserklärung. 49 Z.B. Schallmoser (Fn. 19), § 16 EStG, Rz. 412 m.w.N. 50 Oppel in BeckOK EStG, 5/2020, § 16 EStG, Rz. 1060. 51 BFH v. 11.4.2013 – III R 32/12, BStBl. II 2014, 242; BMF, Schr. v. 19.12.2018, (Fn. 3), Rz. 16. 52 BMF, Schr. v. 19.12.2018, (Fn. 3), Rz. 17. 53 Demuth (Fn. 21), sieht den Verzicht auf den Ausgleich des negativen Kapitalkontos als Unterfall des Spitzenausgleichs für den Mehrerwerb, ansonsten als sonstige Gegenleistung. 54 BFH v. 16.3.2017, (Fn. 9), Rz. 7.

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Das FG Nürnberg entschied in 201855 in einem Fall, in dem ein Gesellschafter nach Unstimmigkeiten i.R. einer unechten Realteilung aus einer Sozietät ausschied und unter Mitnahme von Anlage- und Umlaufvermögen seine eigene Kanzlei weiter fortführte, dass die Übernahme des negativen Kapitalkontos einen Veräußerungsgewinn darstelle. Das FG Nürnberg nahm einen Aufgabegewinn nach § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG für den ausscheidenden Mitunternehmer an, der aus der Höhe des negativen Kapitalkontos und einer Barzahlung bestand, stellte aber keinen Spitzenausgleich fest. In der folgenden Nichtzulassungsbeschwerde, die abgewiesen wurde, wird deutlich, dass die Berechnung des Gewinns umstritten war:56 Das FG Nürnberg berechnete den Aufgabegewinn wie folgt: Buchwerte Teilbetrieb zzgl. negatives Kapitalkonto zzgl. Barzahlung abzgl. Buchwert Teilbetrieb abzgl. Veräußerungskosten.57 Aus der Begründung der Abweisung der Nichtzulassungsbeschwerde geht hervor, dass das Finanzamt mit Hinweis auf das BFH-Urteil vom 17.9.201558 insofern eine Divergenz sah, als sich der Veräußerungsgewinn nicht wie folgt berechnete: sonstige Gegenleistung (= Barzahlung) zzgl. Buchwerte Teilbetrieb abzgl. Veräußerungskosten abzgl. Kapitalkonto. So hatte der 3. Senat in seinem Urteil vom 17.9.2015 den Veräußerungsgewinn nämlich berechnet.59 Der BFH sah jedoch deswegen keine Divergenz zwischen der Entscheidung des FG Nürnberg und der des III. Senates, da er eine implizit vorgenommene Aufstockung des Kapitalkontos annahm.60 Die Gewinnrealisierung wird bei einer Realteilung bilanziell grundsätzlich dadurch vermieden, dass das Kapitalkonto an die Buchwerte angepasst wird, sodass sich Aktiva und Passiva entsprechen.61 Der BFH sah in der Auffassung des Finanzamtes die Überzeugung, dass bei einer unechten Realteilung keine Kapitalkontenanpassung vorzunehmen sei.62 Würde man der Auffassung des Finanzamtes, so stellte der BFH i.R. des Abweisung der Nichtzulassungsbeschwerde fest, folgen, so würde – „abweichend zu von der im BFH-Urteil in BFHE 252, 17, BStBl. II 2017, 37 für zutreffend gehaltenen Rechtsfolge, dass nur hinsichtlich der zusätzlichen Leistungen eine Gewinnrealisierung gegeben sei – in Höhe des Differenzbetrages zwischen dem Buchwert der aus dem Gesellschaftsvermögen übertragenen Wirtschaftsgüter und dem Buchwert des Kapitalkontos des ausscheidenden Gesellschafters eine weitere Gewinnrealisierung anzunehmen [sein]“.63 Im Fall des FG Nürnberg führte der Verzicht auf den Ausgleich des

55 FG Nürnberg v. 21.2.2018 − 4 K 1425/15, DStRE 2019, 799, Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch BFH v. 3.7.2019, VIII B 86/18 (NV). 56 BFH v. 3.7.2019 (Fn. 55). 57 FG Nürnberg v. 21.2.2018 (Fn. 55), 805 f. 58 BFH v. 17.9.2015 (Fn. 6). 59 BFH v. 17.9.2015, (Fn. 6), Rz. 60: „Als Veräußerungsgewinn der Klägerin ist der Kapitalwert der Rente zuzüglich der Buchwerte des Y Teilbetriebs (Veräußerungspreis) abzüglich etwaiger Veräußerungskosten und des Werts ihres Kapitalkontos anzusetzen.“ 60 BFH v. 3.7.2019 (Fn. 55), Rz. 7. 61 Z.B. Wendt, FR 2016, 536, 540, BMF, Schr. v. 19.12.2018 (Fn. 3), Rz. 22. 62 BFH v. 3.7.2019 (Fn. 55), Rz. 8. 63 BFH v. 3.7.2019 (Fn. 55), Rz. 8.

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negativen Kapitalkontos aber gerade zu einer Gewinnrealisierung und wurde als „zusätzliche Leistung“, jedoch nicht als Spitzenausgleich, eingestuft. Es ist unklar, ob der Verzicht auf den Ausgleich eines negativen Kapitalkontos nicht auch wie eine zuzuordnende Forderung oder Verbindlichkeit rechnerisch Teil des Abfindungsanspruchs sein kann. b) Vermeidung eines Spitzenausgleichs Die quotale Aufteilung der Realteilungsmasse erfordert eine detaillierte Bewertung. Die Trennung von Gesellschafterstämmen oder die Vorbereitung einer vorweggenommenen Erbfolge kann jedoch mehrere Unternehmenseinheiten umfassen, sodass sichergestellt sein muss, dass die aufzuteilende Realteilungsmasse auch nur beschränkt auf das Vermögen der realzuteilenden Gesellschaft bewertet wird. Es ist davon auszugehen, dass häufig die Zahlung eines Spitzenausgleichs entweder durch die Zuordnung von bereits im Gesellschaftsvermögen vorhandenen Forderungen oder Verbindlichkeiten grundsätzlich vermieden werden kann. Alternativ wird die sogenannte „Einlagenlösung“ diskutiert, bei der kurz vor der Realteilung der Mitunternehmerschaft Einlagen geleistet werden, um einen Ausgleich herbeiführen zu können. Der BFH ließ die Qualifikation der Einlagenlösung offen,64 in der Literatur wird auf die Grenze zur missbräuchlichen Gestaltung hingewiesen.65 Auch vor dem Hintergrund der Vorbereitung einer vorweggenommenen Erbfolge könnten aber durch die Einlagen ggf. junge Finanzmittel geschaffen werden, was es grundsätzlich zu vermeiden gilt. c) Versteuerung eines Spitzenausgleichs Kann oder soll ein Spitzenausgleich nicht vermieden werden oder wird die Thematik des Spitzenausgleichs im Nachhinein (z.B. Außenprüfung, Schiedsgericht) relevant, so entsteht ein Veräußerungsgewinn. Im Fall der unechten Realteilung ist denkbar, dass entweder der ausscheidende Gesellschafter an die verbleibenden Mitunternehmer oder die verbleibenden Gesellschafter an den Ausscheidenden einen Ausgleich leistet. Wird der ausscheidende Mitunternehmer überquotal abgefunden, so muss dieser nach Ansicht der Finanzverwaltung seine Aktiva um den Betrag aufstocken, um den die Abfindung die auf den entgeltlichen Teil entfallenden Buchwerte übersteigt.66 Die verbleibenden Mit64 BFH v. 17.9.2015 (Fn. 6), Rz. 45. 65 Z.B. Oppel (Fn. 50), § 16 EStG, Rz. 1069, „Scheineinlage“, so Wacker (Fn. 7), § 16 EStG, Rz. 550, Kulosa (Fn. 2), § 16 EStG, Rz. 557, u.a. mit Verweis auf BFH v. 17.9.2015, (Fn. 6), Rz. 45; Schallmoser (Fn. 19), § 16 EStG, Rz. 420 m.w.N. 66 BMF, Schr. v. 19.12.2018 (Fn. 3), Rz. 20, 21; es kann denkbar sein, dass auch ein Firmenwert aufzudecken ist, wenn nicht genügend stille Reserven in den bereits bilanzierten Wirtschaftsgütern ruhen.

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unternehmer müssen einen entsprechenden laufenden Veräußerungsgewinn versteuern. Im umgekehrten Fall, dass die verbleibenden Mitunternehmer einen Ausgleich an den Ausscheidenden leisten, entsteht bei ihm entsprechend ein laufender Veräußerungsgewinn.67 Die o.g. Gewinnermittlung ist jedoch umstritten.68 Im Falle einer echten Realteilung sah der BFH in der Entscheidung v. 1.12.199269 den gesamten als Spitzenausgleich gezahlten Betrag als laufenden Gewinn an. Da in den neueren BHF-Urteilen kein Spitzenausgleich angenommen wurde, blieb die Frage zur Berechnung des Veräußerungsgewinns bei Spitzenausgleich leider offen.70 Als weitere Berechnungsmethode wird jene nach der Einheitstheorie diskutiert, nach der der Veräußerungsgewinn die Differenz zwischen Spitzenausgleich und Buchwert betragen würde.71

IV. Überlegungen zu anderen Steuerarten Neben den einkommensteuerlichen Implikationen sind auch Überlegungen zu weiteren Steuerarten anzustellen. 1. Realteilung und Gewerbesteuer Soweit i.R. einer echten Realteilung ein Gewinn durch Sperrfristverletzung, Spitzenausgleich oder Entnahmen in das Privatvermögen entsteht, ist dieser Gewinn als Betriebsaufgabegewinn  – soweit er auf natürliche Personen als unmittelbar beteiligte Mitunternehmer entfällt (§ 7 Satz 2 GewStG) − nicht zum Gewerbeertrag zu rechnen (auch wenn nicht alle stillen Reserven aufgedeckt werden).72 I.R. der unechten Realteilung unterscheidet die Finanzverwaltung zwischen dem ausscheidenden Mitunternehmer und der Mitunternehmerschaft, was, wie oben erwähnt, kritisiert wird.73 Der Gewinn, den der ausscheidende Gesellschafter erzielt, unterliegt nach dem oben Gesagten74 bei unmittelbar Beteiligten natürlichen Personen grundsätzlich nicht der Gewerbesteuer. Bei der Mitunternehmerschaft75 soll der

67 BMF, Schr. v. 19.12.2018 (Fn. 3), Rz. 17. 68 Zusammenfassend Wacker (Fn. 7), § 16 EStG, Rz. 548. 69 BFH v. 1.12.1992 – VIII R 57/90, BStBl. II 1994, 607. 70 BFH v. 17.9.2015 (Fn. 6), Rz. 61 ff. 71 Zusammenfassend Wacker (Fn.  7), §  16 EStG, Rz.  548 mit Verweis auf Strahl,  KÖSDI 13, 18528/33. 72 BMF, Schr. v. 19.12.2018 (Fn. 3), Rz. 18 u. 30 sowie bereits vorher v. 20.12.2016 (Fn. 13), Rz. IX., Kulosa, (Fn. 2), § 16 EStG, Rz. 562. 73 Die Ungleichbehandlung der echten und unechten Realteilung kritisierend Dorn/Müller (Fn. 44) mit ausführlichem Beispiel. 74 § 7 Satz 2 GewStG. 75 Dorn/Müller (Fn. 44), 727.

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Gewinn hingegen zum laufenden Gewerbeertrag zählen.76 Hier bleibt abzuwarten, wie sich das Rechtsverständnis der unechten Realteilung weiterentwickeln wird. a) Gewerbesteuerliche Verlustvorträge Die Voraussetzungen zum Verlusterhalt sind für den Fall einer echten Realteilung nach Ansicht der Rechtsprechung und Finanzverwaltung sehr hoch: So können vortragsfähige Verluste nur berücksichtigt werden, wenn Teilbetriebe übernommen werden, insoweit Unternehmensidentität herrscht und der Verlust auch der jeweiligen Unternehmenseinheit konkret zuordenbar ist.77 Es kann höchstens der Teil des Fehlbetrages abgezogen werden, der dem übernommenen Teilbetrieb tatsächlich zugeordnet werden kann. Das bedeutet, es kann den Realteilern nur der Verlust zugerechnet werden, der im übernommenen Teilbetrieb auch tatsächlich entstanden ist.78 Denkbar ist eine solche Zuordnung vermutlich höchstens bei mehrstöckigen Personengesellschaften oder buchhalterisch sehr klar abgrenzbaren Teilbetrieben. Die Finanzverwaltung hat bisher bezüglich der Behandlung der Verlustvorträge i.R. der unechten Realteilung noch keine Stellung bezogen. In vergleichbaren Fällen, d.h. der Teilbetriebsveräußerung oder dem Ausscheiden von Gesellschaftern aus einer bestehenden Personengesellschaft, bleibt der Verlustvortrag bezogen auf die verbleibenden Mitunternehmer bestehen, während der Verlustvortrag, der auf die ausscheidenden Gesellschafter entfällt, untergeht.79 Unter der Annahme, dass für die unechte Realteilung dieselben Grundsätze wie für die echte Realteilung gelten,80 bleiben die Verlustvorträge, die auf die verbleibenden Mitunternehmer entfallen, dem Grunde nach bestehen. Ebenso wie bei der echten Realteilung stellt sich allerdings die Frage nach der Höhe des Erhalts der Verlust­ vorträge. Dies muss abhängig davon sein, ob die Abfindung aus einem Teilbetrieb, Mitunternehmeranteil oder Einzelwirtschaftsgütern (oder in Barvermögen) besteht. Insbesondere in Fällen, in denen der ausscheidende Mitunternehmer wenig betriebsnotwendige Wirtschaftsgüter (oder nur eine Barabfindung, sofern anerkannt) als Abfindung erhält, könnte die Unternehmensidentität leichter zu erhalten sein als bei einer echten Realteilung.

76 BMF, Schr. v. 19.12.2018 (Fn. 3), Rz. 19 u. 31, Neufang/Schäfer, StB 2019, 167, 177; Dorn/ Müller (Fn. 44). 77 BFH v. 5.9.1990 – X R 20/89, BStBl. II 1991, 25; H 10a.2 GewStR 2009, R 10a.3 Abs. 3 Nr. 7 GewStR 2009; Drüen in Blümich, GewStG, 5/2020, § 10a, Rz. 58; Güroff in Glanegger/Güroff, GewStG, 9. Aufl. 2017, § 10a Rz. 23e; Stöcker, DStZ 1991, 61. 78 R 10a.3 Abs. 3 Satz 9 Nr. 7 GewStR 2009, H. 10a.3 Abs. 3 Bsp. “Realteilung”. 79 R 10a.3. Abs. 3 Satz 8, 9 Nr. 1, 3, 4 GewStR 2009, H. 10a.3 Abs. 3 Bsp. „Ausscheiden von Gesellschaftern aus einer Mitunternehmerschaft“, H 10a.2 „Teilbetriebsveräußerung“ GewStH 2009. 80 So auch Scherer in Unternehmensnachfolge, 6. Aufl. 2020, § 25 Unternehmensveräußerung, Rz. 245, Schnitter in Frotscher/Drüen, GewStG, 7/2018, § 10a Rz. 63.

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b) Anrechnung der Gewerbesteuer (§ 35 EStG) Bei unterjährigen Realteilungen sollte der potenzielle Verlust der Gewerbesteueranrechnung nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 EStG bedacht werden. Die tarifliche Einkommensteuer von unmittelbar oder mittelbar beteiligten Mitunternehmern i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG ermäßigt sich anteilig auf die im zu versteuernden Einkommen enthaltenen gewerblichen Einkünfte, § 35 Abs. 1 Nr. 2 EStG.81 Bei unterjährigen Gesellschafterwechseln ist nach Ansicht des BFH und der Finanzverwaltung auf die Verhältnisse zum Ende der Erhebungszeitraums abzustellen82 und führt nicht zu einem abgekürzten Erhebungszeitraum gemäß § 14 Satz 3 GewStG.83 Für den Verlust der Anrechnungsberechtigung ist unerheblich, wie das unterjährige Ausscheiden erfolgt, d.h. entgeltlich oder unentgeltlich.84 Mithin ist davon auszugehen, dass i.R. der unechten Realteilung zumindest für den ausscheidenden Gesellschafter die Anrechnungsberechtigung entfällt. In der Literatur werden vertragliche Ausgleichsvereinbarungen vorgeschlagen, die für den Verlust des Anrechnungspotentials entschädigen sollen.85 Im Fall der echten Realteilung liegt gewerbesteuerlich eine Betriebsaufgabe vor,86 sodass argumentiert werden kann, dass nach § 14 Satz 3 GewStG die Gewerbesteuerpflicht nicht während des ganzen Jahres gilt, sondern an die Stelle des Kalenderjahres der Zeitraum der Steuerpflicht als abgekürzter Erhebungszeitraum tritt, mit der Folge, dass die Anrechnungsberechtigung nicht verloren geht. 2. Realteilung und Umsatzsteuer Die Realteilung kann, je nach Ausgestaltung, ein umsatzsteuerbarer Vorgang sein. Die umsatzsteuerlichen Implikationen im Zuge einer Realteilung sind mithin genau zu überprüfen und sollten auch Eingang in die vertragliche Ausgestaltung der Auseinandersetzung finden.87 Grundsätzlich gilt, dass wenn bei einer Realteilung die Personengesellschaft den Gesellschaftern88 Betriebsvermögen überträgt, diese Abfindung als Lieferung oder sons81 BMF, Schr. v. 3.11.2016, BStBl. I 2016, 1187, Rz. 1. 82 BFH v. 14.1.2016 – I V R 5/14, BStBl. II 2014, 875; BMF, Schr. v. 3.11.2016, (Fn. 81), Rz. 28 f. 83 De Hesselle in Lenski/Steinberg, 5/2020, § 14 GewStG, Rz. 76. 84 Dreßler/Oenings, DStR 2017, 625; Levedag in H/H/R, EStG, 6/2020, § 35 EStG Rz. 129. 85 Schrade, FR 2017, 862; ebenso Levedag (Fn.  84), §  35 EStG, Rz.  132  ff., Dreßler/Oenings (Fn. 84). 86 BMF, Schr. v. 19.12.2018, (Fn. 3), Rz. 17 f. 87 Hier nur grundlegend, im Einzelfall sind die diversen Konstellationen, z.B. echte/unechte Realteilung, Bar- /Sachwertabfindung, mit/ohne Spitzenausgleich zu prüfen, siehe dazu ausführlich z.B. Stenert, DStR 2018, 765. Die Anwachsung von Gesellschaftsvermögen ist nicht steuerbar, Oelmaier, in Sölch/Ringleb, UStG, 6/2020, § 1 UStG Rz. 87 f. 88 Der Verzicht auf die Gesellschafterrechte ist nicht steuerbar, so z.B. Oelmaier (Fn. 87), § 1 UStG, Rz. 87 f. mit Verweis auf BFH v. 17.11.1960 – V 170/58 U, BStBl. III 1961, auch Stenert (Fn. 87), 767.

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tige Leistung umsatzsteuerbar sein kann,89 soweit nicht z.B. die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1a UStG für eine Geschäftsveräußerung im Ganzen gegeben sind.90 Eine Geschäftsveräußerung im Ganzen könnte zumindest anzunehmen sein, wenn einkommensteuerrechtlich ein Teilbetrieb übertragen wird.91 Zu beachten wäre dann z.B. die Fortführung des Berichtigungszeitraums nach § 15a Abs. 10 UStG.92 In der Realteilungsvereinbarung sollte die Umsatzsteuerklausel jedenfalls den Fall regeln, dass die Finanzverwaltung wider Erwarten eine Umsatzsteuerpflicht annimmt. Die Sachwertabfindung kann in Abhängigkeit von der Lieferung oder sonstigen Leistung steuerbefreit sein (§  4 UStG), beispielsweise, wenn dem ausscheidenden Ge­ sellschafter ein Grundstück übertragen wird (§  4 Nr.  9a UStG, Option nach §  9 UStG). 3. Realteilung und Erbschaftsteuer Da sich die Realteilung als Umstrukturierungsmaßnahme vor allem von kleinen und mittelständischen Familienunternehmen eignet, sollte vor der Planung einer Realteilung sichergestellt sein, dass existierende erbschaft- und schenkungsteuerliche Sperrfristen nicht tangiert werden. Erfolgt eine Realteilung von begünstigt erworbenem Vermögen, so ist fraglich, ob und in welchem Umfang ein solcher Vorgang nachsteuerschädlich i.S.d. § 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 ErbStG sein könnte. Unklar ist dabei, ob die Realteilung als Sonderfall der Betriebsaufgabe nach §  13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 ErbStG93 oder als „Tausch“ von Anteilen nach § 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 ErbStG zu bewerten wäre,94 ob die Realteilung überhaupt einen Nachsteuertatbestand erfüllt95 oder beispielsweise nur, wenn sie nicht ertragsteuerneutral erfolgt.96 In einem Urteil aus 2005 wies das FG Rheinland-Pfalz darauf hin, dass das damals geltende Buchwertwahlrecht i.R. einer Realteilung unerheblich sei für die Nachsteuerschädlichkeit, da die Buchwertfortführung in der Ertragsteuer und § 13a ErbStG unterschiedliche Ziele verfolgten: Während in der Ertragsteuer die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt werde, würde es in der Erbschaftsteuer

89 Oelmaier (Fn. 87), § 1 UStG, Rz. 87 f., Nieskens, in Rau/Dürrwächter, UStG, 7/2020, § 1 UStG, Rz. 974, Stenert (Fn. 87). 90 Dies gilt sowohl für die echte als auch unechte Realteilung, vgl. Stenert (Fn. 87), 767. 91 In Anlehnung an Abs. 1.5 Abs. 6 Satz 4 UStAE. 92 Z.B. auch Neufang/Schäfer, StB 167, 177 mit Bsp. zur Vertragsgestaltung. 93 So z.B. BFH v. 17.9.2015, (Fn. 6), Rz. 37. 94 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, § 13a ErbStG, Rz. 74. 95 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, 11/2019, § 13a ErbStG, Rz. 272, verneint dies für den Fall der Realteilung als Erbauseinandersetzung oder Teilung von Gesamthandsvermögen ohne Veräußerung; vgl. auch R E 13a.13 Abs. 3 Satz 1, 2 ErbStR 2019, nach der FinVerw sei eine Realteilung unschädlich, „soweit der Realteiler nicht nur einzelne Wirtschaftsgüter erhält“. 96 Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, 8/2020, § 13a ErbStG, Rz. 115, 125.

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auf die Fortführung der Sozialpflichtigkeit des Betriebes durch den Erwerber ankommen.97 Die erbschaft- und schenkungsteuerliche Behandlung der neuen Rechtsprechung des BFH zur unechten Realteilung98 wird bisher kaum diskutiert.99 Das FG Baden-Württemberg verneinte in zwei Verfahren in 2017100 das Vorliegen einer Realteilung, ließ aber offen, ob eine nachsteuerunschädliche unechte Realteilung zu bejahen gewesen wäre, wenn ein Teilbetrieb übertragen worden wäre. Die Finanzverwaltung äußert sich zur Realteilung in den ErbStR 2019 nur sehr kurz: „Die Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils in eine Kapital- oder eine Personengesellschaft (§§ 20, 24 UmwStG) gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen ist selbst kein Verstoß gegen die Behaltensregelungen. Dies gilt auch für […] die Realteilung von Personengesellschaften, soweit der Realteiler nicht nur einzelne Wirtschaftsgüter erhält.“101 Im Gegensatz zu den ErbStR 2003102 wurde der Halbsatz „soweit der Realteiler nicht nur einzelne Wirtschaftsgüter erhält“ eingefügt. In dem weiterhin denkbaren Fall, dass innerhalb der Realteilungssperrfrist nach § 16 Abs.  3 Satz 3 EStG eine unentgeltliche Übertragung (Schenkung/Erbfall, Erbausei­ nandersetzung) erfolgt, tritt der Erwerber in die Sperrfrist ein. Bei (teilweiser) Entgeltlichkeit (z.B. Erbauseinandersetzung mit Ausgleichszahlung) könnte hingegen eine (teilweise) Veräußerung und damit Sperrfristverstoß vorliegen.103

V.  Zusammenfassung Die Anerkennung der unechten Realteilung durch Rechtsprechung und Finanzverwaltung ist begrüßenswert. So kann die unechte Realteilung nicht nur im freiberuflichen, sondern auch im gewerblichen Bereich Vorteile mit sich bringen, sowohl bei der Umstrukturierung von Mitunternehmerschaften als auch i.R. der Unternehmensnachfolge oder Erbauseinandersetzung. Allerdings sind einige wichtige Rechtsfragen, z.B. hinsichtlich der Abfindung in liquiden Mitteln sowie der Behandlung von SBV, aber auch des Vorliegens und der Versteuerung eines Spitzenausgleichs noch ungeklärt. Solange die Besteuerung der stillen Reserven im Betriebsvermögen

97 FG Rheinland-Pfalz v. 25.2.2005 – 4 K 17777/02 (rkr.), unter 2.b)bb). 98 BFH v. 17.9.2015, (Fn. 6); v. 16.3.2017, (Fn. 9); v. 30.3.2017, (Fn. 6). 99 Soweit bisher ersichtlich ausdrücklich nur Löcherbach in Viskorf/Schuck/Wälzholz, ErbStG/BewG, 1/2020, § 13a ErbStG, Rz. 96. 100 FG Baden-Württemberg v. 17.1.2017 – 11 K 3976/13, juris. 101 R 13a.13 Abs. 3 Satz 1, 2 ErbStR 2019. 102 R 63 Abs. 3 Satz 2 ErbStR 2003. 103 Dieser Fall ist nicht als schädlicher Veräußerungsvorgang im BMF, Schr. v. 19.12.2018, (Fn.  3), Rz.  26 genannt, obgleich sogar Umwandlungen nach §§  20, 24 UmwStG zum Buchwert schädlich sein sollen. Die Erbauseinandersetzung ist aber ohne Entgelt kein Veräußerungsvorgang, so auch BMF, Schr. v. 14.3.2006 (Fn. 7), Rz. 10, 14.

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Die Realteilung in der Gestaltungspraxis

der Realteiler sichergestellt ist, sollten die Anforderungen an die Realteilung als Umstrukturierungsmaßnahme nicht künstlich erhöht werden. In ebenfalls betroffenen Rechtsgebieten (z.B. Erbschaftsteuer, Gewerbesteuer) wurde die Rechtsprechung zur unechten Realteilung noch nicht verarbeitet und vermittelt daher Rechtsunsicherheit. Eine enge Abstimmung mit der Finanzverwaltung ist daher notwendig, die Klärung einiger der o.g. Rechtsfragen wäre wünschenswert.

Sara Wuttke LL.M. Steuerberaterin

Theresa Kalfhaus Rechtsanwältin

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Ruth Junius-Morawe

Die Güterstandsschaukel Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Das Instrument 1. Zivilrechtliche Durchführung a) Notarielle Beurkundung b) Durchführung des Zugewinn­ ausgleichs c) Pflichtteilsfestigkeit d) Vorbereitungsmaßnahmen

2. Steuerliche Folgen a) Fehlende Freigebigkeit b) Nichtsteuerbarkeit in voller Höhe c) Anrechenbarkeit und ertragsteuerliche Risiken d) Grenzen der Gestaltungsfreiheit? III. Fazit und Ausblick

I. Einleitung Häufig ist die sprachbildliche Vielfalt in der Gesellschaft auch der Treiber für die Vielfalt der steuerzentrierten Rechtsberatung − so auch ganz zentral bei dem Instrument, das Thema dieses Beitrages sein soll: die Güterstandsschaukel. Voraussetzung ist zunächst die Ehe bzw. eingetragene Lebenspartnerschaft zwischen zwei Partnern (zur Vereinfachung wird im Folgenden für beide Institute von „den Partnern“ gesprochen). Ziel ist es, steuerneutral Vermögen von einem auf den anderen Partner zu übertragen. Das Mittel dazu findet sich im Güter- und Erbschaft-/ Schenkungsteuerrecht. Die Gründe für die Güterstandsschaukel liegen jedoch regelmäßig nicht nur in der steuerlichen Attraktivität, sondern können z.B. auch in Form der Reduzierung von Haftungsmasse („Asset Protection“)1 oder von Pflichtteilsansprüchen der Kinder (eines der Partner) bestehen.2

II. Das Instrument Vereinfacht gesagt wechseln die zunächst im Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheirateten Partner durch notariellen Ehe- bzw. Lebenspartnerschaftsvertrag in den Güterstand der Gütertrennung. Hierdurch wird der Zugewinnausgleichsanspruch ausgelöst und darf steuerfrei an den ausgleichsberechtigten Partner ausbezahlt werden. Im nächsten Schritt wechseln die Partner ebenfalls durch notariellen Ehe- bzw. Lebenspartnerschaftsvertrag wieder zurück in den Güterstand der Zugewinngemeinschaft (sog. große Güterstandsschaukel). Wie schon dem Namen des 1 S. dazu eingehend von Oertzen/Ponath, Asset Protection im deutschen Recht, 2. Aufl. 2019, S. 31 ff.; Werner, StBW 2011, 715, 717; Friedrich-Büttner/Herbst, ErbStB 2011, 45, 49. 2 Wachter, FR 2020, 816, 818.

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Instruments zu entnehmen ist, schaukeln die Partner zwischen dem Güterstand der Zugewinngemeinschaft und dem der Gütertrennung hin und her. Nach dem Zurückschaukeln in den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft ist es möglich, dass erneut Zugewinn erwirtschaftet wird, der zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls steueroptimiert übertragen werden kann. Die Zugewinngemeinschaft wird zudem häufig deshalb als Ziel-Güterstand gewählt, da die Pflichtteilsansprüche der Kinder geringer ausfallen als im Güterstand der Gütertrennung.3 Denkbar ist es jedoch auch, dass die Partner den Güterstand der Gütertrennung nach erfolgter Güterstandsschaukel dauerhaft beibehalten (sog. kleine Güterstandsschaukel).4 1. Zivilrechtliche Durchführung Der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft ist davon geprägt, dass während der bestehenden Ehe bzw. Lebenspartnerschaft die jeweiligen Vermögens­ sphären der Partner getrennt bleiben.5 Bei Beendigung des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft ist dann jedoch ein etwaig entstandener Zugewinn nach §  1363 Abs. 2 Satz 2 BGB zwischen den Partnern auszugleichen. Die Beendigung des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft kann durch Tod eines Partners, durch Scheidung oder durch vertragliche Beendigung unter Fortbestand der Ehe bzw. Lebenspartnerschaft eintreten. Für die Güterstandsschaukel relevant ist die letzte Variante der vertraglichen Beendigung des Güterstandes. a) Notarielle Beurkundung § 1408 Abs. 1 BGB normiert die güterrechtliche Vertragsfreiheit. Den Partnern steht es demnach frei, im Rahmen eines Ehe- bzw. Lebenspartnerschaftsvertrages ihre güterrechtlichen Angelegenheiten frei zu regeln. Dazu bedarf der Vertrag nach §  1410 BGB der notariellen Beurkundung unter gleichzeitiger Anwesenheit beider Partner. Für diese Beurkundung fallen in Deutschland Notarkosten nach dem Gerichts- und Notarkostengesetz an, die sich grundsätzlich am Gegenstandswert, d.h. im Falle eines Ehe- bzw. Lebenspartnerschaftsvertrages an der Höhe des gemeinsamen Vermögens beider Partner (§ 100 Abs. 1 Satz 1 GNotKG), bemessen. Hinzuzurechnen ist der Zugewinnausgleichsanspruch (§ 35 Abs. 1 GNotKG).6 So können beispielsweise bei einem gemeinsamen Vermögen von 2 Millionen Euro und einem Zugewinnausgleichsanspruch von 500.000 Euro schnell Beurkundungskosten in Höhe von 8.000 bis 9.000 Euro zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer entstehen. Maximal kann jedoch pro Beurkundung ein Geschäftswert von 60 Millionen Euro zum Ansatz kommen (§ 35 Abs. 2 GNotKG), der zu Notarkosten von rund 60.000 Euro führt. Die Notar3 Systematik der §§ 1371 Abs. 1, 1931 Abs. 1, 3 und 4 BGB jeweils in Verbindung mit § 2303 Abs. 1 BGB; Friedrich-Büttner/Herbst, ErbStB 2011, 45, 46. 4 Vgl. Werner, StBW 2011, 715; Friedrich-Büttner/Herbst, ErbStB 2011, 45, 46. 5 Brudermüller in Palandt, 79. Aufl. 2020, Vorb. § 1363 BGB Rz. 2, 3; Schneider/Weinberger, UVR 2020, 15, 17. 6 Münch in Bergschneider, 5. Aufl. 2017, Form. H.I.2. Anm. 6.

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Die Güterstandsschaukel

kosten sind bei der Güterstandsschaukel doppelt zu berücksichtigen, da sowohl für den Wechsel in die Gütertrennung als auch den Wechsel zurück in die Zugewinngemeinschaft jeweils ein Ehe- bzw. Lebenspartnerschaftsvertrag notwendig ist. Dies gilt auch, wenn die Güterstandsschaukel vollständig in ein und derselben Urkunde vorgenommen wird, da es sich um unterschiedliche Beurkundungsgegenstände i.S.d. § 35 Abs. 1 GNotKG handelt.7 Aufgrund der unter Umständen nicht unerheblichen Kosten, wurde in der Vergangenheit häufig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Beurkundung im Ausland z.B. in der Schweiz durchzuführen. Hintergrund ist, dass Schweizer Notare in der Regel nicht nach Geschäftswert, sondern nach Zeitaufwand abrechnen. Aus diesem Grunde entstanden insbesondere bei sehr vermögenden Paaren wesentlich geringere Notarkosten. Die Wirksamkeit der Schweizerischen notariellen Beurkundung für das Formerfordernis des §  1410 BGB ergab sich aus Art.  11 Abs.  1 EGBGB. Hiernach kommt es für die Formgültigkeit auf die Erfüllung der Anforderungen des Ortsrechtes am Ort der Vornahme des Rechtsgeschäfts, also am Ort der Beurkundung, an. Die nach Schweizer Recht ordnungsgemäß durchgeführte Beurkundung wurde demnach als ausreichend anerkannt. Seit Beginn der Anwendbarkeit der EU-Güterrechtsverordnung8 (EUGüVO) gilt jedoch für Ehen bzw. Lebenspartnerschaften, die ab dem 29. Januar 2019 geschlossen wurden bzw. für die ab diesem Zeitpunkt eine Rechtswahl getroffen wurde, dass Vereinbarungen über den Güterstand wirksam nur nach den Formvorschriften des Landes geschlossen werden können, in dem einer oder beide Partner bei Eheschließung bzw. Abschluss der Lebenspartnerschaft ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (Art. 69 Abs. 3 i.V.m. Art. 25 Abs. 2 EUGüVO). Wird dennoch in einem anderen Land beurkundet, so ist dies nur wirksam möglich, sofern die Be­urkundung im Durchführungsstaat den Formerfordernissen im Aufenthaltsstaat gleichwertig ist. Da es bisher jedoch an Rechtsprechung zur sog. Gleichwertigkeit der Schweizerischen Beurkundung zur deutschen Beurkundung in Bezug auf Ehe- und Lebenspartnerschaftsverträge fehlt, bleibt hier bei allen finanziellen Vorteilen ein nicht unerhebliches Wirksamkeitsrisiko. b) Durchführung des Zugewinnausgleichs Materiell entsteht durch die vertragliche Beendigung des gesetzlichen Güterstands der Zugewinngemeinschaft von Gesetzes wegen (§ 1378 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 BGB) ein Zugewinnausgleichsanspruch, der sich grundsätzlich aus der Höhe des während der Dauer der Ehe bzw. Lebenspartnerschaft erwirtschafteten Zugewinns der Partner ergibt. Hat ein Partner mehr Vermögen hinzugewonnen als der andere, steht dem anderen die Hälfte der Differenz des jeweils erwirtschafteten Zugewinns als Ausgleich zu. Gesetzgeberischerseits wird davon ausgegangen, dass beide Partner etwas

7 Münch in Bergschneider, 5. Aufl. 2017, Form. H.I.2. Anm. 6; Münch, Handbuch Familiensteuerrecht, 1. Aufl. 2015, Rz. 38. 8 Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates v. 24.6.2016.

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zum während der Ehe bzw. Lebenspartnerschaft erwirtschafteten Vermögen beigetragen haben und es daher zu teilen ist.9 Der Zugewinnausgleichsanspruch kann einerseits nach den gesetzlichen Regelungen durch Vergleich der Differenz aus End- und Anfangsvermögen der zwei Partner (§ 1373 BGB) ermittelt werden. Hat beispielsweise die Ehefrau während der Ehe 2 Millionen Euro hinzugewonnen, der Ehemann hingegen keinen Zugewinn erwirtschaftet, so bestünde bei Beendigung des Güterstandes ein Ausgleichsanspruch in Höhe von 1 Millionen Euro zugunsten des Ehemannes. Das Anfangsvermögen definiert sich nach §  1374 BGB als das Vermögen, das ein Partner bei Eheschließung bzw. Abschluss der Lebenspartnerschaft abzüglich etwaiger Verbindlichkeiten hatte (§  1374 Abs.  1 BGB). Durch den Abzug der Verbindlichkeiten kann sich auch ein negatives Anfangsvermögen ergeben (§  1374  Abs.  3 BGB). Der Abbau etwaiger Schulden während der Ehe bzw. Lebenspartnerschaft geht also als Erwerb von Vermögen in die Berechnung mit ein.10 Dem Anfangsvermögen fiktiv hinzugerechnet wird solches Vermögen, das während der Dauer der Ehe bzw. Lebenspartnerschaft von Todes wegen oder durch vorweggenommene Erbfolge erlangt wurde (§  1374 Abs. 2 BGB). Das Endvermögen auf der anderen Seite ermittelt sich spiegelbildlich als das Vermögen, das im Zeitpunkt der Beendigung des Güterstandes den Partnern gehört (§ 1375 BGB). Auch bei der Ermittlung des Endvermögens sind Verbindlichkeiten zu berücksichtigen, so dass auch das Endvermögen negativ ausfallen kann (§ 1375 Abs. 1 BGB). § 1375 Abs. 2 und 3 BGB enthalten Regelungen für den Fall, dass ein Partner den anderen Partner durch Vermögensminderungen bewusst benachteiligen will. Vermögensverfügungen dieser Art werden in diesem Fall dem Endvermögen fiktiv hinzugerechnet. Diese Regelungen sind jedoch regelmäßig in Konstellationen in denen von der Möglichkeit der Güterstandsschaukel Gebrauch gemacht wird, nicht relevant, handelt es sich doch größtenteils um intakte Partnerschaften, in denen keine Benachteiligung des Partners, sondern vielmehr eine absichernde und auch steuerlich sinnvolle Vermögensverteilung für beide Partner angestrebt wird. Abweichend von den insoweit dispositiven Vorschriften des BGB, können die Partner im Vorfeld einer Güterstandsschaukel in einem Ehe- bzw. Lebenspartnerschaftsvertrag auch alternative Regelungen vereinbaren, anhand derer sich der Zugewinnausgleichsanspruch berechnet.11 Hierfür ist es einerseits denkbar, dass Wirtschaftsgüter bei der Ermittlung unberücksichtigt bleiben (so häufig in Unternehmerfamilien aus Gründen des Liquiditätsschutzes des Unternehmens) oder anders bewertet werden, als gesetzlich vorgesehen. Zudem kann auch ein fixer Zugewinnausgleichsanspruch durch Ehe- bzw. Lebenspartnerschaftsvertrag festgelegt werden, dies kann insbesondere auch in Vorbereitung einer geplanten Güterstandsschaukel sinnvoll sein.

9 RegE, BT-Drs. 1/3802, 62 (Begründung zu § 1393 Abs. 2 BGB). 10 Friedrich-Büttner/Herbst, ErbStB 2011, 45. 11 Reich in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 5 ErbStG Rz. 67 ff.

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Die Güterstandsschaukel

c) Pflichtteilsfestigkeit Da der Ausgleichsanspruch von Gesetzes wegen entsteht, führt seine Erfüllung nicht zu Pflichtteilergänzungsansprüchen der Kinder des ausgleichsverpflichteten Partners, denn es fehlt an der für § 2325 Abs. 1 BGB notwendigen freigebigen Zuwendung an den anderen Partner (§ 1378 Abs. 3 Satz 1 BGB).12 d) Vorbereitungsmaßnahmen Zur Vorbereitung einer Güterstandsschaukel ist es zudem auch zulässig, rückwirkend den Güterstand zu wechseln, d.h. mit Wirkung ab dem Zeitpunkt der Eheschließung bzw. Abschluss der Lebenspartnerschaft einen anderen als den ursprünglich vereinbarten Güterstand zu wählen oder eine gewählte Modifikation aufzuheben oder abzuändern.13 Diese Möglichkeit folgt aus der güterrechtlichen Vertragsfreiheit in § 1408 Abs. 1 BGB.14 Sollten z.B. die Partner vor 20 Jahren geheiratet haben und damals den Güterstand der Gütertrennung gewählt haben, können sie dennoch heute mit Wirkung ab Eheschließung den Güterstand der Zugewinngemeinschaft vereinbaren, den erwirtschafteten Zugewinn ermitteln, dann den Güterstand der Zugewinngemeinschaft beenden, um den Zugewinn zwischen den Partnern auszugleichen und im nächsten Schritt wieder in die Zugewinngemeinschaft zu wechseln. Diese Konstellation nennt man auch „doppelte“ Güterstandsschaukel. Verbleiben die Partner hingegen am Schluss in der Gütertrennung spricht man auch von einer „umgekehrten“ Güterstandsschaukel.15 Ebenfalls im Hinblick auf etwaige rückwirkende Änderungsmöglichkeiten des bestehenden Ehe- bzw. Lebenspartnerschaftsvertrages, sind Modifikationen einer bestehenden Zugewinngemeinschaft im Vorfeld einer geplanten Güterstandsschaukel zu überprüfen. Denn ggfs. führen ursprünglich vereinbarte Modifikationen zu einem geringeren Zugewinnausgleichsanspruch, was dem Ziel einer möglichst hohen steuerfreien Vermögensübertragung zwischen den Partnern entgegenstehen kann.16 Zudem sollte ein etwaig zu Beginn einer Güterstandsschaukel geltender Ehe- bzw. Lebenspartnerschaftsvertrag die Möglichkeit des Zugewinnausgleichs auch für Fälle der vertraglichen Beendigung des Güterstandes überhaupt vorsehen (sog. Öffnungsklausel).17 Insgesamt empfiehlt es sich, die bestehenden ehe- bzw. lebenspartnerschaftsvertraglichen Regelungen im Vorfeld einer Güterstandsschaukel genau zu überprüfen. 12 Schlitt in Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht, 2. Aufl. 2017, § 5 Rz. 66 ff.; Schlünder/ Geißler in Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 3. Aufl. 2020, § 18 Rz. 52; Von Oertzen/Cornelius, ErbStB 2005, 349, 350. 13 BGH v. 1.4.1998 − XII ZR 278/96, NJW 1998, 1857; R E 5.2 Abs. 2 S. 4 ErbStR; Reich in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 5 ErbStG Rz. 67, 82; Friedrich-Büttner/Herbst, ErbStB 2011, 45, 47; Wachter, FR 2020, 816, 820 ff. 14 BFH v. 12.7.2005 – II R 29/02, BStBl. II 2005, 843. 15 Spieker, NZFam 2020, 671, 677. 16 Vgl. Reich in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 5 ErbStG Rz. 82; Wachter, FR 2020, 816. 17 Von Oertzen/Cornelius, ErbStB 2005, 349, 350.

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2. Steuerliche Folgen a) Fehlende Freigebigkeit Grundsätzlich sind nach dem Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz Schenkungen unter Lebenden steuerbar (§  1 Abs.  1 Nr.  2 i.V.m. §  7 ErbStG). Dies gilt auch für Schenkungen zwischen Ehe- bzw. Lebenspartnern.18 Diese sind nur in begrenzten Ausnahmefällen von der Besteuerung ausgenommen (z.B. Familienwohnheim gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG und insbesondere der Freibetrag in Höhe von 500.000 Euro alle zehn Jahre gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 ErbStG). Eine Schenkung liegt immer dann vor, wenn freigebig unter Lebenden eine Zuwendung getätigt wird, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird (§  7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, vgl. auch § 516 Abs. 1 BGB).19 Man könnte in der Konstellation einer Güterstandsschaukel, in der es den Partnern jedenfalls auch um die Vermögensverschiebung und damit die Bereicherung des anspruchsberechtigten Partners auf Kosten des anderen Partners ankommt, mithin auf den Gedanken kommen, dass es sich um eine freigebige und damit auch steuerbare Zuwendung handele. Bei genauerer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass es sich bei der Vermögensübertragung eben nicht um eine freigebige Zuwendung, sondern um eine Zahlung in Erfüllung eines Anspruchs handelt, welcher − wie gesehen − durch die ehevertragliche Beendigung der Zugewinngemeinschaft von Gesetzes wegen (§  1378 Abs.  3 Satz 1 BGB) entstanden ist.20 Zwar hat der verfügende Partner freiwillig bei der ehevertraglichen Beendigung des Güterstandes mitgewirkt, allerdings stellt das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz auf die Freiwilligkeit der Zuwendung und nicht auf die Freiwilligkeit der Eingehung des Rechtsgrundes für die spätere Verfügung ab. Im Falle der Güterstandsschaukel ist der verfügende Partner mithin verpflichtet, den entstandenen Zugewinn auszugleichen. Für Freigebigkeit bleibt kein Raum. Es handelt sich somit schon ganz grundsätzlich um keinen schenkungsteuerbaren Vorgang.21 In § 5 Abs. 2 ErbStG findet sich darüber hinaus eine klarstellende Regelung,22 die Zugewinnausgleichsansprüche als weder erbschaft- noch schenkungsteuerbar deklariert. Nach dieser Norm fällt ein Zugewinnausgleichsanspruch, der aufgrund einer vertraglichen Beendigung des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft entsteht und nach §  1371 Abs.  2 BGB ausgeglichen wird, weder unter den erbschaftsteuerbaren Erwerb von Todes wegen nach §  3 ErbStG noch unter die schenkungsteuerbaren Schenkungen unter Lebenden nach § 7 ErbStG und ist damit nicht steuerbar im Sin18 S.  zu diesem Themenkomplex ein zuletzt viel besprochenes Urteil des FG Hamburg v. 12.6.2018 – 3 K 77/17, online abrufbar auf der Homepage der Justiz Hamburg, Revision eingelegt, Az. BFH: II R 24/18; weitergehend zu dem Thema Schneider/Weinberger, UVR 2020, 15. 19 BFH v. 24.8.2005 – II R 28/02, FamRZ 2006, 1670. 20 BFH v. 12.7.2005 – II R 29/02, BStBl. II 2005, 843. 21 BFH v. 12.7.2005 – II R 29/02, BStBl. II 2005, 843. 22 BFH v. 10.3.1993 – II R 87/91, BFHE 171, 321, BStBl. II 1993, 510; BFH v. 12.7.2005 − II R 29/02, BStBl. II 2005, 843; Reich in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 5 ErbStG Rz. 65; Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 5 ErbStG Rz. 251.

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Die Güterstandsschaukel

ne des ErbStG (§ 1 Abs. 1 ErbStG). In Konsequenz bedarf die Durchführung einer Güterstandsschaukel auch keiner Anzeige i.S.d. § 30 ErbStG beim Finanzamt.23 b) Nichtsteuerbarkeit in voller Höhe Für die Nichtsteuerbarkeit existiert keine Höchstgrenze. Der gesamte entstandene Zugewinnausgleichsanspruch ist steuerfrei auf den Partner übertragbar.24 Dies gilt einerseits für den Zugewinnausgleichsanspruch, der nach den BGB-Regelungen ermittelt wird, jedoch gleichfalls auch für solche Ansprüche, die sich aus abweichenden vertraglichen Regelungen ergeben.25 Inwieweit davon auch ein durch ehe- bzw. lebenspartnerschaftsvertragliche Regelung höher ausfallender Zugewinnausgleichsanspruch umfasst ist, ist allerdings umstritten. Für die schenkungsteuerliche Anerkennung ehe- bzw. lebenspartnerschaftsvertraglich vereinbarter Regelungen, die einen höher ausfallenden Ausgleichsanspruch zur Folge haben, spricht sich insbesondere Reich mit dem Argument der güterrechtlichen Vertragsfreiheit (§ 1408 Abs. 1 BGB) aus.26 Die Stimmen, die sich gegen die schenkungsteuerliche Anerkennung „überhöhter“ Ausgleichsansprüche aussprechen, argumentieren mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhof27 und der Auffassung der Finanzverwaltung,28 welche die Ge­ staltungsgrenzen dort zieht, wo die güterrechtlichen Maßnahmen überwiegend erbrechtlich motiviert sind oder sich ein „überhöhter“ Ausgleichsanspruch durch Vereinbarung eines vor dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses liegenden Beginns des Güterstandes oder eines abweichenden Anfangsvermögens ergibt.29 Erbrechtliche Motive können z.B. überwiegen, wenn lediglich aus Gründen der Pflichtteilsreduzierung für die Kinder der Güterstandswechsel durchgeführt wird. Gegen letzteres Argument spricht jedoch bereits, dass nach BFH-Rechtsprechung bei einer vollständigen Beendigung des Güterstandes und seiner Abwicklung davon auszugehen sei, dass der Güterstandswechsel nicht rein erbrechtlich motiviert war.30 Dennoch kann es angeraten sein, die Motive für den Güterstandswechsel z.B. in der Präambel des Ehe- bzw. Lebenspartnerschaftsvertrages zu dokumentieren.31 Dem Rest der Ar­ gumentation ist entgegenzuhalten, dass schon begrifflich nicht von „überhöhten“ 23 A.A. Thonemann-Micker in Erkis/Thonemann-Micker, §  5 ErbStG Rz.  215; Wachter, FR 2020, 841, 857. 24 Reich in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 5 ErbStG Rz. 73. 25 R E 5.2 Abs. 2 S. 1 ErbStR; Reich in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 5 ErbStG Rz. 68 ff.; Cziupka in Hau/Poseck, § 1378 BGB Rz. 26; Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 5 ErbStG Rz. 253; Milatz in Burandt/Rojahn, 3. Aufl. 2019, § 5 ErbStG Rz. 16; von ­Oertzen/ Cornelius, ErbStB 2005, 349, 352. 26 Reich in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 5 ErbStG Rz. 69 ff.; i.d.S. auch Werner, StBW 2011, 715, 717. 27 BFH v. 12.7.2005 – II R 29/02, BStBl. II 2005, 84. 28 R E 5.2 Abs. 2 S. 2 und 3 ErbStR. 29 Von Hertzberg, RnotZ 2019, 245, 250; Cziupka in Hau/Poseck, § 1378 BGB Rz. 26; Schlünder/Geißler in Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 3. Aufl. 2020, § 18 Rz. 49. 30 BFH v. 12.7.2005 – II R 29/02, BStBl. II 2005, 84. 31 Von Oertzen/Cornelius, ErbStB 2005, 349, 350.

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Ausgleichsansprüchen zu sprechen ist, wenn im Rahmen der güterlichen Gestaltungsfreiheit wirksame Regelungen zur Ermittlung des Zugewinnausgleichsanspruchs vereinbart wurden. Denn die wirksame Berechnungsgrundlage ergibt sich in diesen Fällen aus dem vereinbarten Ehe- bzw. Lebenspartnerschaftsvertrag.32 Es wird dennoch, um rechtssicher von der Güterstandsschaukel Gebrauch machen zu können, zu empfehlen sein, den tatsächlich durchgeführten Zugewinnausgleichsanspruch nicht oberhalb der gesetzlich ermittelten Anspruchshöhe anzusetzen. c) Anrechenbarkeit und ertragsteuerliche Risiken Sollten im Vorfeld einer Güterstandsschaukel bereits steuerbare Schenkungen durchgeführt worden sein, so besteht nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG die Möglichkeit, diese auf den Zugewinnausgleichsanspruch anzurechnen und damit nachträglich für diese Verfügungen Steuerfreiheit zu erlangen.33 Grundsätzlich ist der Zugewinnausgleichsanspruch in Geld zu erfüllen.34 Wird der Anspruch durch Hingabe bestimmter Vermögenswerte erbracht, sind etwaige ertragsteuerliche Folgen zu berücksichtigen, sofern es sich um steuerverstrickte Gegen­ stände handelt. Grund dafür ist, dass die Leistung an Erfüllungs statt steuerlich als Veräußerungsgeschäft behandelt wird, so dass etwaige Veräußerungsgewinne unter Umständen zu versteuern sind (u.a. nach §§ 16, 17, 20 und 23 EStG).35 Ertragsteuerlich unschädlich bietet es sich aber z.B. an, eine vermietete Immobilie jenseits der 10-jährigen Haltefrist (die Übertragung einer Immobilie zwischen Ehegatten ist zudem nach § 3 Nr. 4 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit) oder Aktienaltbestände, die bereits vor dem 1. Januar 2009 (Einführung der Abgeltungssteuer) erworben wurden, zu übertragen. Zudem können die Partner bereits ehe- bzw. lebenspartnerschaftsvertraglich vereinbaren, dass im Falle der (lebzeitigen) Beendigung des Güterstandes ein bestimmter (steuerverstrickter) Gegenstand zu übertragen ist. Hierdurch entsteht der Zugewinnausgleichsanspruch nicht erst in Geld und wird dann stattdessen durch Hingabe eines Vermögensgegenstands erfüllt (einkommensteuerbares Veräußerungsgeschäft). Vielmehr entsteht in diesen Fällen der Anspruch von Anfang an als Forderung eines bestimmten Vermögensgegenstandes. Somit ist die Übertragung des Gegenstandes dann keine Erfüllung an Leistungs statt und löst damit auch nicht die unerwünschten 32 Reich in von Oertzen/Loose, 2.  Aufl. 2020, §  5 ErbStG Rz.  69  ff.; i.d.S.  auch Milatz in ­Burandt/Rojahn, 3. Aufl. 2019, § 5 ErbStG Rz. 16; Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 5 ErbStG Rz. 292. 33 Von Oertzen/Cornelius, ErbStB 2005, 349, 354; Reich, DStR 2011, 59; Wälzholz, FR 2007, 638, 644; Langenfeld/Milze, Handbuch der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen, 8. Aufl. 2018, Rz. 466. 34 Brudermüller in Palandt, § 1378 BGB Rz. 1; Spieker, NZFam 2020, 671, 674. 35 BFH v. 16.12.2004 – III R 38/00, BStBl. II 2005, 554; BFH v. 8.3.2006 – IX R 34/04, BFH/NV 2006, 1280; Von Oertzen/Cornelius, ErbStB 2005, 349, 352 ff.; Stein, DStR 2012, 1063; Spieker, NZFam 2020, 671, 675; Gräfe in Erkis/Thonemann-Micker, §  15 ErbStG Rz.  150; Wachter, FR 2020, 841, 846.

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Die Güterstandsschaukel

ertragsteuerlichen Folgen aus.36 Allerdings ist in diesen Fällen sehr genau auf die Formulierung der ehe- bzw. lebenspartnerschaftsvertraglichen Regelungen zu achten, damit nicht doch eine schädliche Veräußerungs- oder Anrechnungsvariante hineingelesen werden kann. Unter Umständen empfiehlt es sich daher sogar, die geplanten Schritte vorab mit den zuständigen Finanzämtern zu erörtern.37 d) Grenzen der Gestaltungsfreiheit? Die Nichtsteuerbarkeit der Zahlung des Zugewinnausgleichanspruchs macht sich die Güterstandsschaukel zu Nutze. Aus diesem Grunde könnte argumentiert werden, dass es sich um Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO) handele. Dies hat der BFH jedoch mit Urteil vom 12. Juli 200538 grundsätzlich abgelehnt. Was das Zivilrecht durch die güterrechtliche Vertragsfreiheit (§ 1408 Abs. 1 BGB) ermögliche, könne steuerlich nicht als Rechtsmissbrauch ausgelegt werden und müsse mithin durch das Schenkungsteuerrecht anerkannt werden.39 Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn der Güterstand der Zugewinngemeinschaft tatsächlich beendet und finanziell abgewickelt wird40 und der Güterstandswechsel nicht allein erbrechtlich motiviert ist.41 Eine vorwiegend erbrechtliche und damit unter Umständen schädliche Motivation könnte zum Beispiel dann angenommen werden, wenn der Güterstandswechsel unmittelbar vor dem offensichtlich bevorstehenden Tod des vermögenderen Partners herbeigeführt wird,42 um die Pflichtteilsrechte der Kinder zu mindern. In dem dem Urteil43 zugrunde liegenden Fall hatten die Ehegatten die Zugewinnge­ meinschaft innerhalb einer Urkunde beendet und neubegründet.44 Das erstinstanzlich zuständige Finanzgericht Köln entschied, dass auch in dieser Konstellation eine wirksame Beendigung des gesetzlichen Güterstandes vorlag und damit die Zugewinnausgleichszahlung steuerfrei war.45 Diese Würdigung wurde durch den BFH nicht überprüft, so dass in Konsequenz jedenfalls unter gewissen Umständen auch eine zeitlich 36 S. dazu eingehend Stein, DStR 2012, 1063, 1065 f.; zustimmend Wachter, FR 2020, 841, 848. 37 Wachter, FR 2020, 841, 848. 38 BFH v. 12.7.2005 – II R 29/02, BStBl. II 2005, 843. 39 BFH v. 28.6.1989 – II R 82/86, BFHE 157, 229, BStBl. II 1989, 897; BFH v. 12.5.1993 – II R 37/89, BFHE 171, 330, BStBl. II 1993, 739; BFH v. 12.7.2005 – II R 29/02, BStBl. II 2005, 843. 40 BFH v. 24.8.2005 – II R 28/02, FamRZ 2006, 1670; Brudermüller in Palandt, § 1378 BGB Rz. 2; Reich in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 5 ErbStG Rz. 83; vgl. Begründung zum Entwurfe eines zweiten Steuerreformgesetzes, BT-Drucks. VI/3418, 63; Schlünder/Geißler in Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 3. Aufl. 2020, § 18 Rz. 49. 41 BFH v. 12.7.2005  – II R 29/02, BStBl.  II 2005, 843; ErbStR 5.2 Abs.  2 Satz 4; BGH v. 27.11.1992 – IV ZR 266/90, NJW 1992, 558; Schlünder/Geißler in Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 3. Aufl. 2020, § 18 Rz. 51; von Oertzen/Cornelius, ErbStB 2005, 349, 350. 42 Von Oertzen/Cornelius, ErbStB 2005, 349, 350. 43 BFH v. 12.7.2005 – II R 29/02, BStBl. II 2005, 843. 44 BFH v. 12.7.2005 – II R 29/02, BStBl. II 2005, 843. 45 FG Köln v. 4.6.2002 – 9 K 5053/98, DStRE 2002, 1248.

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sehr nahe an der Beendigung gelegene Neubegründung der Zugewinngemeinschaft zulässig sein kann.46 Um jedoch der Finanzverwaltung und der Finanzgerichtbarkeit die Auslegung dahingehend zu erleichtern, dass der Güterstand der Zugewinngemeinschaft tatsächlich – wie vom BFH gefordert – beendet und abgewickelt wird, bevor wieder zurück in die Zugewinngemeinschaft geschaukelt wird, empfiehlt es sich, zwischen der Beendigung der Zugewinngemeinschaft und deren Neubegründung eine gewisse „Schamfrist“ verstreichen zu lassen und die Güterstandsschaukel nicht im Rahmen einer Urkunde vorzunehmen.47 Ausdrücklich entschied der BFH weiterhin in dem Fall, dass es den Ehegatten frei­ stehe, ihren Güterstand mehrfach und damit nicht endgültig zu wechseln.48 Denn auch für diesen Schritt könnten Gründe außerhalb der steuerlichen Motivation liegen, zudem sei weder vom Wortlaut noch vom Telos des Gesetzes der zeitlich unmittelbare Wechsel zwischen den Güterständen ausgeschlossen. Eindeutig nicht schenkungsteuerfrei ist jedoch der sog. fliegende Güterstandswechsel, bei dem der gesetzliche Güterstand beibehalten wird und lediglich der bisher erwirtschaftete Zugewinn ausgeglichen werden soll.49 Dies gilt auch dann, wenn im gleichen Zuge auf einen späteren weiteren Zugewinnausgleichsanspruch verzichtet wird.50

III.  Fazit und Ausblick Das Instrument der Güterstandsschaukel eröffnet unter Beachtung der hier aufgezeigten Rahmenbedingungen eine weitgehend rechtssichere Möglichkeit, steueroptimiert Vermögen zwischen den Ehe- bzw. Lebenspartnern zu übertragen. Die vielfältigen Motivationen zu ihrer Anwendung tragen dabei zu ihrer steuerlichen Anerkennung bei.

46 BFH v. 12.7.2005 – II R 29/02, BStBl. II 2005, 843; Reich in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 5 ErbStG Rz. 85; Münch in Bergschneider, 5. Aufl. 2017, Form. H.I.1. Anm. 2. 47 Wachter, FR 2020, 841, 842  ff.; Werner, StBW 2011, 715, 716; Münch in Bergschneider, 5. Aufl. 2017, Form. H.I.1. Anm. 3; Münch, Handbuch Familiensteuerrecht, 1. Aufl. 2015, Rz.  38; von Oertzen/Cornelius, ErbStB 2005, 349, 354; Ponath, ZEV 2006, 49, 53; Carlé, Kösdi 2018, 20676; Cziupka in Hau/Poseck, § 1378 BGB Rz. 49; Gottschalk in Troll/Gebel/ Jülicher/Gottschalk, § 5 ErbStG Rz. 254; a.A. Reich in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 5 ErbStG Rz. 85. 48 BFH v. 12.7.2005 – II R 29/02, BStBl. II 2005, 843; Werner, StWB 2011, 715, 716. 49 BFH v. 24.8.2005 – II R 28/02, FamRZ 2006, 1670; R E 5.2 Abs. 3 ErbStR; Reich in von Oertzen/Loose, 2.  Aufl. 2020, §  5 ErbStG Rz.  81; Werner, StBW 2011, 715, 716; Carlé, Kösdi 2018, 20676; Münch in Bergschneider, 5. Aufl. 2017, Form. H.I.1. Anm. 2; Koch in Münchener Kommentar, § 1378 BGB Rz. 63; Milatz in Burandt/Rojahn, 3. Aufl. 2019, § 5 ErbStG Rz. 17. 50 BFH v. 24.8.2005 – II R 28/02, FamRZ 2006, 1670; Werner, StBW 2011, 715, 716.

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Die Güterstandsschaukel

Im Rahmen des Entwurfs zum Jahressteuergesetz 202051 sollen die Regelungen zum Zugewinnausgleich im Rahmen der güterrechtlichen Lösung nach dem Tod eines Partners gemindert werden (Art. 28 Abs. 2 des Gesetzesentwurfs). Durch diese Änderung würden die lebzeitigen Möglichkeiten zur steueroptimierten Vermögensübertragung zwischen den Partnern − zu denen zweifelsohne an vorderster Stelle auch die Güterstandsschaukel gehört − noch attraktiver.

Ruth Junius-Morawe Rechtsanwältin

51 Abzurufen auf der Homepage des Bundesfinanzministeriums unter: https://www.bundes​ finanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilun​ gen/Abteilung_IV/19_Legislaturperiode/Gesetze_Verordnungen/2020-09-02-JStG-­2020/​ 2-Regierungsentwurf.pdf?__blob=publicationFile&v=4, (zuletzt besucht 10.9.2020).

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Eva-Maria Kraus

Haftungsvermeidung für geschäftsführende Organe gemeinnütziger Organisationen Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Rahmenbedingungen und Haftungs­ risiken für Organe 1. Pflichtverletzung als Voraussetzung 2. Business Judgment Rule III. Haftungsvermeidung und Haftungs­ begrenzung 1. Satzung und Co. 2. Kontrollgremium

3. Ressortverteilung 4. Einbindung der Mitglieder bzw. Gesellschafter 5. Klare Trennung der Interessen bei nahestehenden kommerziellen Unternehmen 6. Haftungsrisiken erkennen, ComplianceManagement-System 7. Dokumentation 8. D&O-Versicherung IV. Zusammenfassung

I.  Einleitung Die Arbeit gemeinnütziger Organisationen lebt von dem Engagement ihrer Organe, Mitarbeiter und Förderer. Mit der Übernahme eines Amtes in einem geschäftsführenden Organ einer gemeinnützigen Organisation – sei es als Vorstand einer Stiftung oder eines Vereins, als Geschäftsführer einer gGmbH oder als besonderer Vertreter in einer dieser Organisationen  – gehen aber auch eine große Verantwortung und Haftungsrisiken einher. Gemeinnützige Organisationen müssen ihre Mittel ausschließlich und unmittelbar zur Verfolgung ihrer gemeinnützigen Zwecke einsetzen. Handelt es sich bei der gemeinnützigen Organisation – wie in vielen Fällen – um eine Stiftung, sind zusätzlich die Anforderungen des Stiftungsrechts zu beachten, insbesondere die Wahrung des Stifterwillens und die dauerhafte Erfüllung des Stiftungszwecks bei gleichzeitiger dauerhafter Erhaltung des Stiftungskapitals. Das geschäftsführende Organ muss die Einhaltung und Beachtung dieser grundlegenden Vorgaben sowie eine Reihe weiterer gesetzlicher Vorschriften und Sorgfaltspflichten sicherstellen. Immer wieder kommt es natürlich vor, dass bei der Arbeit der gemeinnützigen Organisationen Fehler passieren, finanzielle Mittel fehlverwendet oder Vermögensverluste entstehen. Zwangsläufig kommt dann die Frage auf, wer hierfür die Verantwortung trägt und ob  jemand für den Schaden aufkommen muss. Öffentlichkeitswirksame Skandale der  letzten Zeit tragen dazu bei, dass die Behörden zunehmend sensibilisiert sind und die Frage der Haftung von Organen immer häufiger in den Blick gerät. Wir er­ leben beispielsweise Fälle, in denen die Stiftungsaufsicht bei einem vermeintlichen Pflichtenverstoß des geschäftsführenden Organs dem betroffenen Organmitglied die  Amtsführung einstweilen untersagt und auf eine Neubesetzung des Vorstands drängt, damit dieser mögliche Ansprüche der Stiftung gegen das alte Vorstandsmitglied prüft und ggf. gerichtlich geltend macht. 255

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Gleichwohl spielt das Thema Haftung bei vielen gemeinnützigen Organisationen erst dann eine Rolle, wenn tatsächlich eine Haftungsinanspruchnahme droht. Bei Stiftungen sind die Stiftungsaufsichtsbehörden gehalten, Organverschulden zivilrechtlich verfolgen zu lassen. In Bezug auf Gemeinnützigkeitsverstöße prüft vielfach die Finanzbehörde das Vorliegen eines Verstoßes, was dann die Organe der gemeinnützigen Organisation ggf. zwingt, Verantwortlichkeiten festzustellen. Dabei könnten Haftungsrisiken für Organe gemeinnütziger1 Organisationen durch verschiedene Maßnahmen im Vorfeld deutlich minimiert werden.

II. Rahmenbedingungen und Haftungsrisiken für Organe 1. Pflichtverletzung als Voraussetzung Um gemeinnützige Organisationen erfolgreich zu führen, müssen deren geschäftsführende Organe  – ebenso wie die geschäftsführenden Organe gewinnorientierter Unternehmen  – fortlaufend Entscheidungen treffen und dabei auch unternehmerische Risiken eingehen. Dies gilt unabhängig davon, ob die gemeinnützige Organisation einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhält oder nicht. Dass dabei auch Fehlentscheidungen getroffen werden, ist normal und grundsätzlich nicht zu beanstanden. Eine Haftung des geschäftsführenden Organs2 kommt immer erst dann in Betracht, wenn die Entscheidung gleichzeitig einen Pflichtenverstoß darstellt und die schuldhafte Verletzung der Pflicht einen Vermögensschaden verursacht hat. Die Pflichten und die Verantwortlichkeit des Organs gegenüber der gemeinnützigen Organisation ergeben sich unmittelbar aus seiner Organstellung3 und – sofern vorhanden – aus dem Anstellungsvertrag. Daneben gibt es Regelungen, die eine Haftung des Organs auch gegenüber Dritten begründen, beispielsweise wegen unerlaubter Handlung4 oder gegenüber dem Finanzamt für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten.5

1 Der Beitrag betrachtet insbesondere die gemeinnützigen Organisationen. Im Grundsatz gelten die Aussagen jedoch auch für die anderen nach den Vorschriften der §§ 51 bis 68 AO steuerbegünstigten Organisationen. 2 Sofern das Organ aus mehreren Mitgliedern besteht, ist das einzelne Mitglied des Organs und nicht die Gesamtheit der Organmitglieder gemeint, da jedes Organmitglied für sich allein haftet und insbesondere gegenüber der gemeinnützigen Organisation nicht haftungsmindernd einwenden kann, ein anders Organmitglied hafte ebenfalls, BGH v. 14.3.1983 – II ZR 103/82, Rz. 6. Zur besseren Lesbarkeit wird im Folgenden ohne Unterscheidung, ob es sich um ein Organ mit nur einem oder mehreren Mitgliedern handelt, mitunter pauschal nur von dem Organ gesprochen. 3 Für den Vereinsvorstand aus § 27 Abs. 3 i.V.m. §§ 664 ff. und 280 Abs. 1 BGB, für den Stiftungsvorstand aus § 86 Satz 1 i.V.m. § 27 Abs. 3, §§ 664 ff. und 280 Abs. 1 BGB, für den gGmbH-Geschäftsführer aus § 43 Abs. 1 und 2 GmbHG und für den besonderen Vertreter aus § 30 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB und ggf. i.V.m. § 86 Satz 1 BGB (bei der Stiftung) oder in entsprechender Anwendung (bei der gGmbH, vgl. Schwennicke in Staudinger, Neubearbeitung 2019, § 30 BGB Rz. 37 m.w.N.). 4 § 823 BGB. 5 § 69 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO.

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Haftungsvermeidung für geschäftsführende Organe gemeinnütziger Organisationen

Das geschäftsführende Organ haftet, sofern die Satzung nichts anderes vorgibt, grundsätzlich bereits bei leichter Fahrlässigkeit mit seinem gesamten Privatvermögen. Für geschäftsleitende Organe von Vereinen und rechtsfähigen Stiftungen, die ­lediglich eine Vergütung von maximal 720 Euro pro Jahr erhalten, ist hinsichtlich der Haftung gegenüber der gemeinnützigen Organisation leichte Fahrlässigkeit allerdings ausgenommen.6 Eindeutige Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben werden regelmäßig nicht als leichte Fahrlässigkeit gewertet. Von den Organen wird Gesetzeskenntnis erwartet, ggf. müssen sie fachlichen Rat einholen. Durch eine Geschäftsverteilung im geschäftsführenden Organ, ggf. auch in Aufsichtsgremien, kann die Verantwortlichkeit bei einzelnen Organmitgliedern für bestimmte Bereiche konzentriert werden. 2. Business Judgment Rule Eine Pflichtverletzung ist regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn die Entscheidung des geschäftsführenden Organs den vertretbaren Rahmen überschritten hat. Innerhalb des vertretbaren Rahmens ist es Sache des Organs eine von mehreren denkbaren Entscheidungen auszuwählen. Solange die Entscheidung aus der ex ante-Sicht vertretbar war, liegt keine Pflichtverletzung vor, auch wenn sich später herausstellt, dass es ggf. nicht die optimale Entscheidung war. Hintergrund für den haftungsfreien Ermessensspielraum ist die sogenannte Business Judgment Rule. Danach stellt eine unternehmerische Entscheidung des geschäftsführenden Organs keine Pflichtverletzung dar, wenn es vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Organisation zu handeln. Die Business Judgment Rule stammt aus dem Aktienrecht, wo sie in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gesetzlich verankert ist. Nach herrschender Auffassung sind die Grundsätze der Business Judment Rule aber auch auf die GmbH, den Verein und die Stiftung anwendbar7 und zwar unabhängig davon, ob sie gemeinnützig sind oder nicht.8 6 § 31a Abs. 1 Satz 1 BGB, bei rechtfähigen Stiftungen i.V.m. § 86 Satz 1 BGB. Gegenüber einem Dritten kann diese Haftungsprivilegierung nicht eingewandt werden. Allerdings hat das Organmitglied im Innenverhältnis gegenüber der gemeinnützigen Organisation einen Freistellungsanspruch, § 31a Abs. 2 Satz 1 BGB. Damit verbunden ist eine Beweislastumkehr, so dass der Verein bzw. die Stiftung das vorsätzliche oder grob fahrlässige Handeln des Vorstands beweisen muss, Arnold, Non Profit Law Yearbook 2009, 89 (111). 7 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, GmbHR 2003, 113 (zur GmbH); BGH v. 14.7.2008 – II ZR 2020/07, GmbHR 2008, 1675 (zur GmbH); Arnold in Non Profit Law Yearbook 2009, 89 (96) (zu Verein und Stiftung); Burgard in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 6.28 (zu Verein und Stiftung); Fleischer in MüKo, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 71 (zur GmbH); eingehend zur Stiftung Gollan, Vorstandshaftung in der Stiftung, 2009, S. 267 ff.; Hüttemann in Non Profit Law Yearbook 2006, S. 33 (37 ff.) (zu Verein und Stiftung); Hüttemann/Rawert in Staudinger, Neubearbeitung 2017, § 86 BGB Rz. 68 (zur Stiftung); Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 23 (zur GmbH); Leuschner in MüKo, 8. Aufl. 2018, § 27 BGB Rz. 69 (zum Verein); Schwennicke in Staudinger, Neubearbeitung 2019, § 27 BGB Rz. 102 (zum Verein); eingehend zur GmbH Taube, Die Anwendung der Business Judgment Rule auf den GmbH-Geschäftsführer, 2018; Weitemeyer in MüKo, 8. Aufl. 2008, § 86 Rz. 49 (zu Stiftung). 8 Hüttemann in Non Profit Law Yearbook 2006, S. 33 (37 ff.).

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Für die Stiftung könnte die Business Judment Rule im Rahmen der seit langem anstehenden Stiftungsrechtsreform bald ausdrücklich ins Gesetz aufgenommen werden.9 Vorgesehen ist in dem vom Bundesjustizministerium vorgelegten Referentenentwurf eine entsprechende Regelung bei den Vorschriften über die Stiftung im BGB. Der Professorenentwurf zur Stiftungsrechtsreform 2020 spricht sich dagegen für eine ausdrückliche Kodifizierung im Vereinsrecht aus, um die Anwendung sowohl für den Verein als auch – über den Verweis in § 86 Satz 1 BGB – für die Stiftung zu kodifizieren.10 Die Formulierung im Einzelnen ist aber noch umstritten. Beispielsweise enthält der Referentenentwurf die Einschränkung, dass nur Entscheidungen, die „unter Beachtung der gesetzlichen und satzungsgemäßen Vorgaben“ getroffen werden, erfasst sein sollen. Demgegenüber möchte der Professorenentwurf auf diesen Passus verzichten, da das Legalitätsprinzip ohnehin gelte. Stattdessen solle die Business Judment Rule an „Entscheidungen unter Un­sicherheit“ anknüpfen. Gleichzeitig wird klargestellt, dass damit keine Festlegung hinsichtlich der Anwendbarkeit der Business Judment Rule bei Entscheidungen unter unsicherer Rechtslage beabsichtigt sei und überlässt die Klärung dieser Frage der Rechtsprechung und Wissenschaft. Nach meiner Auffassung sollte geschäftsführenden Organen auch bei Entscheidungen unter unsicherer Rechtslage ein Ermessensspielraum zugestanden werden. Vor allem bei gemeinnützigen Organisationen stellen nämlich die meisten Pflichtverletzungen gleichzeitig einen Verstoß gegen das Gemeinnützigkeitsrecht oder das Stiftungsrecht und damit einen Gesetzesverstoß dar. Es ist grundsätzlich richtig, dass es bei Gesetzesverstößen keinen Ermessensspielraum geben kann, denn es steht selbstverständlich nicht im Ermessen des Organs, ob es gegen ein Gesetz verstößt oder nicht. Der Grundsatz sollte aber nicht dahingehend missverstanden werden, dass jeder Gesetzesverstoß gleichbedeutend mit einer Pflichtverletzung des handelnden Organs wäre. Es ist nämlich keineswegs so, dass die Rechtslage stets eindeutig und mit Gewissheit bestimmbar wäre. Dies ist selbst bei feststehendem Sachverhalt nicht so, was häufig genug aus der ex ante-Sicht des handelnden Organs im Vergleich zur ex post-Sicht der Behörden bereits nicht der Fall ist. Das eigentliche Problem liegt darin, zu beurteilen, ob ein Sachverhalt einen gesetzlichen Tatbestand noch oder nicht mehr erfüllt. Hier gibt es (ex ante) häufig eine Bandbreite von vertretbaren Entscheidungen. Die Rechtsauslegung entwickelt sich ständig fort. Der Maßstab wäre zu eng, wenn man dem Organ einige Jahre nach dessen Entscheidung vorwerfen würde, seine seinerzeitige Entscheidung hätte nach dem heutigen Erkenntnisstand bezüglich der Auslegung der betroffenen Norm beispielsweise gegen das Gemeinnützigkeitsrecht verstoßen. Insoweit ist zu unterscheiden zwischen der Rechtsfolge, die der später festgestellte Verstoß mit sich bringt (z.B. Steuernachzahlung) und der Haftung des handelnden Organs. Nicht jeder später festgestellte Gesetzesverstoß ist somit automatisch eine Pflichtverletzung des handelnden Organs. Sofern die Auslegung der rechtlichen Norm, die das Organ seinerzeit vorgenommen hat, unter Anwendung der Grundsät 9 § 84a Abs. 3 Satz 2 Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts, Referentenentwurf v. 28.9.2020. 10 Beilage zu ZIP 10/2020, 1 (5).

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ze der Business Judment Rule (insbesondere ausreichende Informationsgrundlage ggf. unter Einholung von (steuer-)rechtlichem Rat) vertretbar, also nicht abwegig war, ist die Annahme einer Pflichtverletzung durch das geschäftsführende Organ nicht gerechtfertigt. Festzuhalten ist, dass es aus haftungsrechtlicher Sicht nicht die eine richtige Entscheidung, sondern regelmäßig eine Bandbreite von vertretbaren Entscheidungen gibt, wenn vor der Entscheidung eine angemessene Informationslage geschaffen wurde. Dies gilt auch für solche Sachverhalte, bei denen ein Gutachten eingeholt werden kann. Möchte eine gemeinnützige Organisation beispielsweise eine Beteiligung verkaufen, muss der Verkauf zu einem vertretbaren Preis erfolgen. Darüber kann ein Wertgutachten Aufschluss geben. Das Gutachten ist aber nur so gut, wie die dafür gelieferten Annahmen. Diese können zwar auf Plausibilität überprüft werden, sie bleiben aber Prognosen. Der eine richtige Wert kann daher – entgegen verbreiteter Annahme – auch durch ein Gutachten nicht ermittelt werden. Hilfreicher sind daher  meist Szenario-Betrachtungen. Da es bei einem Gutachten maßgeblich auf die Prognosen ankommt, welche die gemeinnützige Organisation dem Gutachter zur Verfügung stellt, kommt das geschäftsführende Organ nicht umhin, sich selbst mit der Beteiligung auseinanderzusetzen. Dies muss im Zweifel nachgewiesen werden können. Damit kommt man zu einem Punkt, an dem es in der Praxis häufig hapert. Der haftungsfreie Raum, den die Business Judgment Rule eröffnet, setzt nämlich voraus, dass das geschäftsführende Organ – nachweisbar – auf einer ausreichenden Informationsgrundlage entschieden hat. Die Dokumentation der Überlegungen und vorliegenden Informationen in dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung gefällt wird, kommt wesentliche Bedeutung zu. Dies bedeutet nicht, dass in schwierigen Entscheidungssituationen stets ein Gutachten oder Rat von Dritten eingeholt werden müsste. Bei der Frage, mit welchem Aufwand Informationen eingeholt werden müssen, ist auch zu berücksichtigen, dass der Kostenaufwand in einem angemessenen Verhältnis zu der zu treffenden Entscheidung steht.11 Wichtig ist stets, dass das geschäftsführende Organ dokumentiert, auf welcher Informationsgrundlage es entschieden hat und welche Argumente für und wider die Entscheidung es gegeneinander abgewogen hat. Häufig ist im Nachhinein die mangelnde Dokumentation der Informationsgrundlagen das Problem.

III. Haftungsvermeidung und Haftungsbegrenzung Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Rahmenbedingungen gibt es bei gemeinnützigen Organisationen eine Reihe von Möglichkeiten, wie das Risiko einer Haftung der geschäftsführenden Organe minimiert bzw. die Haftung begrenzt werden kann.

11 Ebenso Leuschner in MüKo, 8. Aufl. 2018, § 27 BGB Rz. 69.

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1. Satzung und Co. Eine häufig leider ungenutzte Möglichkeit bietet die Gestaltung der Satzung. Hier können die Stifterin oder der Stifter bzw. die Gründungsmitglieder ihre Vorstellungen zum Handlungsrahmen für das geschäftsführende Organ niederlegen. Insbesondere bei der Gründung einer gemeinnützigen Organisation sollte die Chance genutzt werden und in der Satzung Vorgaben zu der Frage gemacht werden, welche Risiken bei der Mittelbeschaffung und der Mittelverwendung eingegangen werden dürfen. Darüber hinaus kann beispielsweise vorgeben werden, wie mit dem zur Verfügung gestellten Kapital umgegangen werden soll und ob hingegebene Gegenstände und Unternehmensbeteiligungen generell erhalten werden sollen bzw. unter welchen Bedingungen sie verkauft werden dürfen. Insbesondere Angaben zur Risikobereitschaft können eine wertvolle Hilfestellung für das geschäftsführende Organ sein. Von der Verwendung von Mustersatzungen ist abzuraten. Sie verleiten meist dazu, sich zu diesen Punkten keine Gedanken zu machen, so dass die aufgezeigte Chance bei der Gründung ungenutzt bleibt. Natürlich sollten in der Satzung nur die Leitplanken des zulässigen Handelns festgelegt werden, so dass noch ausreichend Spielraum für die Zukunft und damit einhergehende Veränderungen verbleibt, die naturgemäß nicht vorhergesagt werden können. Der Handlungsrahmen für das geschäftsführende Organ sollte außerhalb der Satzung in einer Geschäftsordnung, einer Anlagerichtlinie, in einer Förderrichtlinie und bei einer Stiftung in einem Kapitalerhaltungskonzept weiter konkretisiert werden. Hält sich das geschäftsführende Organ an die Vorgaben in der Satzung und den Richtlinien, kann kein pflichtwidriges Verhalten gegenüber der gemeinnützigen Organisation angenommen werden. Zudem kann in der Satzung vorgesehen werden, dass das geschäftsführende Organ dann nicht haften soll, wenn ihm lediglich leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann.12 2. Kontrollgremium Ein Kontrollgremium (z.B. Kuratorium, Stiftungsrat, Beirat) ist bei Vereinen, Stiftungen und i.d.R. auch bei der gGmbH fakultativ, gleichwohl empfehlenswert. Zwar wird die eigene Haftung des geschäftsführenden Organs nicht dadurch herabgesetzt, dass das Kontrollgremium die Entscheidung mitgetragen hat, da das Verschulden des anderen Organs bei der eigenen Schadensersatzpflicht nicht schadensmindernd angerechnet wird.13 Eine Kontrolle durch ein unabhängiges Gremium reduziert jedoch in der Praxis häufig das Risiko, dass es tatsächlich zu Entscheidungen kommt, die den vertretbaren Rahmen überschreiten, da dabei beispielsweise eine noch nicht ausreichende Informationsgrundlage offenbar wird. Dies gilt natürlich nur, wenn das Kontrollgremium auch effektiv kontrollieren kann und dies auch tatsächlich tut. 12 Siehe zu dieser Möglichkeit Arnold in Non Profit Law Yearbook 2009, 89 (93 ff.); Burgard in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3.  Aufl. 2017, Rz.  6.58  f.; Hüttemann in Non Profit Law Yearbook 2006, S. 33 (45 f.). 13 BGH v. 14.3.1983 – II ZR 103/82, Rz. 6.

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Dazu gehört nicht nur die Kontrolle im Nachhinein, sondern vor allem auch vor der Fällung von Entscheidungen mit gewisser Tragweite für die gemeinnützige Organisation. Im Idealfall fungiert das Kontrollgremium nicht nur als Kontrolle, sondern auch als Sparringspartner für den Vorstand und trägt damit aus Sicht der gemeinnützigen Organisation zu möglichst guten Entscheidungen bei. Andererseits sollte die zusätzliche Kontrollinstanz nicht zu einer Trägheit der gemeinnützigen Organisation führen, weil Entscheidungsprozess zu lange dauern und tot diskutiert werden. Damit ein Kontrollgremium diesen Anforderungen gerecht werden kann, muss sorgfältig überlegt werden, mit welchen Personen das Gremium besetzt wird (auch diese Personen setzen sich einem Haftungsrisiko aus), in welchen Fällen eine Hinzuziehung sinnvollerweise vorgesehen wird und welche Informationen in welcher Form das Gremium erhalten muss, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Ein pro forma-Aufsichtsgremium, das eigentlich gar nichts kon­ trollieren (können) soll, ist ebenso wenig hilfreich wie ein Aufsichtsgremium, das durch ausufernde Zuständigkeiten eine effektive Geschäftsführung behindert. 3. Ressortverteilung Sofern das geschäftsführende Organ aus mehreren Mitgliedern besteht, ist zur Reduzierung des Haftungsrisikos der einzelnen Organmitglieder eine Ressortverteilung sinnvoll. Durch eine Ressortverteilung innerhalb des geschäftsführenden Organs werden den einzelnen Mitgliedern durch die Satzung oder die Geschäftsordnung einzelne Bereiche (Ressorts) zur alleinigen Verantwortung übertragen. Dadurch kann nicht nur die oft unterschiedliche Expertise der einzelnen Mitglieder optimal genutzt, sondern auch das Haftungsrisiko für die einzelnen Organmitglieder gesenkt werden. Die zu beachtenden Pflichten und die Verantwortlichkeit für deren Erfüllung beschränken sich grundsätzlich auf das eigene Ressort. Hinsichtlich der anderen Ressorts sinkt die Pflicht auf eine Überwachungspflicht ab.14 Eine Ressortverteilung sollte aber nicht dazu verleiten, sich blind auf die vermeintlichen Zuständigkeiten zu verlassen. In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass in dem Glauben, ein anderer habe den Vorgang bereits geprüft, von einer eigenen Prüfung abgesehen wird. Gegenseitige Kontrolle funktioniert nur, wenn die jeweiligen Verantwortlichkeiten klar definiert sind. Dies gilt nicht nur für die Ressortverteilung innerhalb des geschäftsführenden Organs, sondern auch für alle anderen Richtlinien zur Freigabe und Prüfung von Vorgängen. Ein Vier-Augen-Prinzip ist wertlos, wenn nicht zugleich klar geregelt ist, wer dabei was zu prüfen und zu kontrollieren hat.

14 Der Umfang der Überwachungspflicht ist umstritten, siehe hierzu Hüttemann in Non Profit Law Yearbook 2006, S. 33 (39 ff.), der zutreffend von einer generellen Überwachungspflicht ausgeht; ebenso Arnold in Non Profit Law Yearbook 2009, 89 (96).

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4. Einbindung der Mitglieder bzw. Gesellschafter Bei weitreichenden Entscheidungen ist bei Verein und gGmbH zudem stets zu prüfen, ob vorab ein Beschluss der Mitglieder- bzw. Gesellschafterversammlung herbeizuführen ist. Aber auch in Fällen, in denen eine Zustimmungspflicht der Mitglieder- bzw. Gesellschafterversammlung nicht zwingend erforderlich ist, kann es aufgrund der Tragweite oder dem damit verbundenen Risiko sinnvoll sein, einen Beschluss der Mitgliederbzw. Gesellschafterversammlung herbeizuführen. Ein solcher Beschluss schließt, sofern den Mitgliedern bzw. den Gesellschaftern die entscheidungserheblichen Umstände vollumfänglich mitgeteilt wurden, die Haftung des geschäftsführenden Organs gegenüber der gemeinnützigen Gesellschaft grundsätzlich aus.15 Gegenüber Dritten, z.B. dem Finanzamt oder der Staatsanwaltschaft, kann der Beschluss dagegen nicht eingewandt werden. Fraglich ist, ob in Anspruch genommene Organmitglieder in diesem Fall im Innenverhältnis Rückgriff auf die gemeinnützige Organisation nehmen können. Dieses Problem tritt beispielsweise bei gegen die ­geschäftsführenden Organmitglieder verhängte Bußgelder, Geldstrafen oder Geldauflagen zur Einstellung eines strafrechtlichen Verfahrens auf. Ein Anspruch des ­geschäftsführenden Organmitglieds auf Übernahme durch die gemeinnützige Organisation scheidet aber praktisch stets aus. Grund hierfür ist, dass gesetzeswidrige Weisungen der Mitglieder- oder Gesellschafterversammlung vom geschäftsführenden Organmitglied nicht befolgt werden müssen und ihm grundsätzlich zumutbar ist, sich zu widersetzen. Nur in Ausnahmesituationen, z.B. wenn ganz konkret mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gedroht wird, kann diese Erwartung unzumutbar sein und eine Verpflichtung zur Übernahme des Bußgelds etc. in Betracht kommen.16 Da im Regelfall keine Pflicht des Arbeitgebers besteht, Bußgelder etc. zu übernehmen, wäre eine freiwillige Übernahme durch die gemeinnützige Organisa­ tion eine unangemessene Vergütung und damit eine Mittelfehlverwendung, die zum Verlust der Gemeinnützigkeit führt. 5. Klare Trennung der Interessen bei nahestehenden kommerziellen Unternehmen Schließlich ist insbesondere bei unternehmensnahen gemeinnützigen Organisationen auf eine klare Trennung der Interessen des kommerziellen Unternehmens und der Interessen der, der Allgemeinheit verpflichteten, gemeinnützigen Organisation zu achten.17 Dies fängt bei der Besetzung der Organe an und hört bei der Anbindung der gemeinnützigen Organisation an die Unternehmensgruppe auf. 15 Arnold in Non Profit Law Yearbook 2009, 89 (95); Burgard in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 6.46 f.; Hüttemann in Non Profit Law Yearbook 2006, S. 33 (41 f.). 16 Eufinger, RdA 2018, 224 (231 f.). 17 Siehe hierzu auch die Empfehlungen für gemeinnützige Unternehmensstiftungen des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, abrufbar unter www.Stiftungen.org.

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Dies heißt nicht, dass Vertreter des Unternehmens per se nicht Mitglied in Gremien der gemeinnützigen Organisation sein dürfen. Eine Beherrschung der Willensbildung innerhalb der Geschäftsführung der gemeinnützigen Organisation durch das Unternehmen sollte jedoch vermieden werden. Da die ausschließliche Verfolgung der gemeinnützigen Zwecke sichergestellt sein muss, sollte idealerweise bereits der Anschein einer Vermischung von Interessen vermieden werden. Hält die gemeinnützige Organisation Anteile an Unternehmen und sind die geschäftsleitenden Organe personenidentisch besetzt, kann dies außerdem zu einer vom Regelfall abweichenden Einordnung der Beteiligung als steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb anstelle von steuerfreier Vermögensverwaltung und damit zu anderen steuerlichen Pflichten führen.18 6. Haftungsrisiken erkennen, Compliance-Management-System Eine große Herausforderung besteht für die geschäftsführenden Organe sicherlich darin, neben der täglichen gemeinnützigen Arbeit die Vielzahl der sich ständig fortentwickelnden Regelungen des Gesetzgebers und der Verwaltung sowie deren Interpretation durch die Gerichte im Blick zu behalten. Bei der stetig zunehmenden Regelungsdichte ist es nicht einfach, die Haftungsrisiken, die sich individuell für den eigenen Tätigkeitsbereich ergeben, stets rechtzeitig zu erkennen. Aber nur wer weiß, wo Risiken lauern, kann möglichen Verstößen gezielt vorbeugen. Eine wichtige Hilfestellung kann dabei ein individuell auf die jeweilige gemeinnützige Organisation zugeschnittenes Compliance-Management-System sein. Dieses hilft nicht nur dabei, Haftungsfallen zu vermeiden, sondern kann, falls doch einmal etwas übersehen wird, für die Annahme eines unverschuldeten Verstoßes sprechen.19 Das Compliance-Management-System sollte individuell auf die betroffene gemeinnützige Organisation zugeschnitten sein. Der Erfolg der Compliance-Regelungen hängt ganz wesentlich von der, der Entwicklung der internen Regelungen vorgeschalteten, individuellen Risikoanalyse ab. Je nachdem auf welchem Gebiet die gemeinnützige Organisation tätig ist, ist sie mit anderen Risiken konfrontiert. Dabei spielen u.a. der Tätigkeitsbereich (z.B. Forschung, Bildung, Gesundheit), die Art der Finanzierung (z.B. Sponsoring, Spenden, öffentliche Zuschüsse, Vermögensanlage, Betei­ ligungen), die Art der Tätigkeit (z.B. operative oder fördernde Tätigkeit, Hilfsper­ soneneinsatz, Zusammenarbeit mit anderen gemeinnützigen Organisationen), der Einsatzort (Inland oder Ausland) sowie ihre Organisation (z.B. Konzernstruktur) eine maßgebliche Rolle.20 So hat jede gemeinnützige Organisation ihre eigenen risikobehafteten und damit haftungsträchtigen Vorgänge. Teil des Compliance-Management-Systems sollten bei gemeinnützigen Organisa­ tionen die oben bereits erwähnte Anlagerichtlinie, Förderrichtlinie und bei Stiftun18 Siehe zu den Voraussetzungen und den steuerlichen Folgen ausführlich Kraus/Mehren, DStR 2020, 1593. 19 Vgl. zu steuerlichen Pflichten AEAO Tz. 2.6 Satz 6 zu § 153 AO. 20 Vgl. hierzu ausführlich Mehren, npoR 2020, 15.

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gen ein Kapitalerhaltungskonzept sowie Geschäftsordnungen sein. Darüber hinaus kommt es auf die individuelle Risikosituation an. So muss eine gemeinnützige Organisation beispielsweise, die häufig Hilfspersonen einsetzt, z.B. weil sie in Entwicklungsländern Schulen aufbaut und vor Ort betreiben lässt, gewährleisten, dass die vertraglichen Vereinbarungen mit kommerziellen Partnern die von der Finanzverwaltung vorgegeben Anforderungen (Weisungs-, Kontroll-, Rückforderungsrechte)21 erfüllen. Helfen kann hierbei ein für die typischen Fälle der Organisation entwickelter Mustervertrag mit Meilenstein-Plan, Zahlungsplan und Berichtsvorlagen. Bei der Entwicklung sollte besonderer Wert darauf gelegt werden, dass die Verträge in der Praxis auch gelebt werden können, da andernfalls Verstöße vorprogrammiert sind. Es sollte darauf geachtet werden, dass das Projekt so ausführlich beschrieben ist, dass daraus ersichtlich ist, wie es der Verwirklichung des gemeinnützigen Zwecks dienen soll. Gemeinnützige Organisationen schulden nicht, dass die Welt tatsächlich besser wird, aber das Streben danach wird von § 63 AO vo­ rausgesetzt. Es sollte zudem ein System geschaffen werden, wie die Überprüfung der Einhaltung der vertraglichen Vereinbarungen, allen voran die zweckgemäße Mittelverwendung durch die Hilfspersonen, überwacht werden kann. Wird die Zahlung vom Erreichen bestimmter Meilensteine abhängig gemacht, muss gewährleistet sein, dass intern vor Zahlungsfreigabe deren Erreichen geprüft und dokumentiert wird. Ebenso muss sichergestellt sein, dass Berichte über die Mittelverwendung eingefordert, geprüft und ggf. Mittel zurückgehalten bzw. zurückgefordert werden. In der Regel gibt es innerhalb der gemeinnützigen Organisationen bereits gelebte Strukturen auch wenn sie nicht verschriftlicht sind. Häufig ist dies eine gute Grundlage, da sich diese in der praktischen Handhabung bereits bewährt haben. Das bereits Gelebte braucht dann nur auf Lücken, die meist an den Schnittstellen von verschiedenen internen Zuständigkeiten bestehen, untersucht, ggf. ergänzt und – mit Augenmaß – verschriftlicht werden. Wichtiger als eine Vielzahl von Richtlinien und Anweisungen ist, dass insbesondere die zuvor identifizierten individuellen Risiken abgedeckt werden. Im Idealfall lehnen sich die Regelungen und Anweisungen – sofern möglich  – möglichst nahe an die bereits gelebten Prozesse an. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie, nachdem sie den Mitarbeitern über eine ComplianceOrganisation und -Kommunikation zugänglich gemacht wurden, im täglichen Geschäft tatsächlich eingehalten werden, am größten. Geht man in dieser Weise vor, ist die Einführung eines Compliance-Management-Systems für gemeinnützige Organisationen weniger aufwändig als von manchem geschäftsführenden Organ befürchtet. Wird insbesondere die vorgeschaltete Risikoanalyse sorgfältig und ehrlich durchgeführt, bringt ein solches System einen echten Mehrwert in puncto Haftungsvermeidung.

21 Siehe hierzu AEAO Tz. 2 zu § 57 AO; Schauhoff in Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit, 3. Aufl. 2010, § 9 Rz. 52; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 4. Aufl. 2018, Rz. 4.46 ff.

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7. Dokumentation Immer wieder passiert es, dass bei einer – oft erst Jahre später stattfindenden – Aufarbeitung einer möglicherweise pflichtwidrigen Handlung des geschäftsführenden Organs der zugrundeliegende Entscheidungsprozess wegen unzureichender Dokumentation nicht mehr nachvollzogen werden kann. Häufig bleibt dann unklar, auf welcher Informationsgrundlage die Entscheidung seinerzeit getroffen wurde, wie die Abwägung durchgeführt wurde und aus welchen Gründen die Entscheidung letztlich so und nicht anders ausgefallen ist. Wie oben ausgeführt ist es nach den Grundsätzen der Business Judgment Rule aber essenziell, dass nachvollziehbar ist, ob die Entscheidung auf ausreichender Informationsgrundlage getroffen wurde. Eine ordentliche Dokumentation ist nicht nur unter Nachweisaspekten empfehlenswert. Sie erleichtert außerdem die regelmäßige Überprüfung der Risikoeinschätzung, der Richtlinien und sonstigen internen Anweisungen, so dass Anpassungen, die beispielsweise aufgrund von Wachstum oder anderen Veränderungen erforderlich werden, nicht übersehen werden. 8. D&O-Versicherung Ergänzend kann eine D&O-Versicherung abgeschlossen werden. Diese minimiert für das einzelne Organmitglied die finanziellen Risiken, die mit der Übernahme eines Amtes in einem Organ einer gemeinnützigen Organisation verbundenen sind. Eine D&O-Versicherung schließt i.d.R. die gemeinnützige Organisation für die Organmitglieder ab.22 Eine D&O-Versicherung hat den Vorteil, dass sie dem betroffenen Organmitglied bereits bei der Abwehr vermeintlicher Ansprüche zur Seite steht. Nicht selten kommt es vor, dass nach einem erhobenen Vorwurf nicht nur Untersuchungen durch die gemeinnützige Organisation, sondern auch langwierige Ermittlungen der Stiftungsaufsicht, des Finanzamts und im schlimmsten Fall auch noch der Staatsanwaltschaft folgen, gegen die sich das Organ – sofern es direkt betroffen ist – selbstverständlich verteidigen möchte. Sofern es nicht zu gerichtlichen Verfahren kommt, bleibt der Betroffene – auch wenn sich die Vorwürfe irgendwann als haltlos erweisen – regelmäßig auf den Verteidigungskosten sitzen. Eine D&O-Versicherung kann hierbei helfen. Wie groß der Nutzen dann tatsächlich ist, hängt von den Versicherungsbedingungen im Detail ab.23

22 Zu der umstrittenen Frage, ob hierfür ein Beschluss der Mitglieder- bzw. Gesellschafterversammlung oder eine Regelung in der Stiftungsverfassung erforderlich ist, siehe Dreher/ Fritz, npoR 2020, 171 (175) und Hüttemann in Non Profit Law Yearbook 2006, S. 33 (54). 23 Siehe hierzu ausführlich Dreher/Fritz, npoR 2020, 171.

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IV. Zusammenfassung Als Mitglied des geschäftsführenden Organs einer gemeinnützigen Organisation übernimmt man Verantwortung. Damit sind zwangsläufig auch Haftungsrisiken verbunden, derer man sich als Organmitglied bewusst sein sollte. In ihrem eigenen wie auch im Interesse der gemeinnützigen Organisation sollten sich die Mitglieder des geschäftsführenden Organs damit beschäftigen, bevor tatsächlich ein Haftungsanspruch behauptet wird. Es gibt verschieden Maßnahmen, wie Risiken im Vorfeld effektiv vermieden bzw. reduziert werden können. Damit sollte bereits bei der Satzungsgestaltung begonnen werden und dort die Leitplanken für den Umgang mit Risiken festgeschrieben werden. In einer Geschäftsordnung, einer Anlagerichtlinie, einer Förderrichtlinie und bei Stiftungen in einem Kapitalerhaltungskonzept können weitere Konkretisierungen getroffen werden. Klare und durchdachte Rahmenbedingungen erleichtern dem geschäftsführenden Organ nicht nur die Arbeit, sondern schützen es auch vor unnötigen Haftungsrisiken. Dabei sollte vor allem bei gemeinnützigen Organisationen, die einem kommerziellen Unternehmen nahe stehen, weil es von ihm oder dessen Gesellschafter gegründet wurde, auf eine klare Trennung zwischen den Interessen des Unternehmen einerseits und denen der gemeinnützigen Organisation andererseits geachtet werden. Auch über die Einrichtung eines Kontrollorgans sollte nachgedacht werden, das bei richtiger Ausgestaltung einen wichtigen Beitrag zu einer erfolgreichen Arbeit der gemeinnützigen Organisation leistet und darüber hinaus das Risiko von Haftungsfallen reduziert. In der Praxis bewährt hat sich bei geschäftsführenden Organen mit mehreren Mitgliedern zudem eine Ressortverteilung. Bei Verein und GmbH kommt bei risikoträchtigen Entscheidungen außerdem eine Absicherung durch die Einholung eines Mitglieder- bzw. Gesellschafterbeschlusses in Betracht. Zusätzlich können Haftungsrisiken in gewissem Umfang durch den Abschluss einer D&O-Versicherung finanziell abgesichert werden. Um die Vielzahl der Haftungsrisiken im Griff zu behalten, ist es auch für gemeinnützige Organisationen hilfreich, ein sogenanntes Compliance-Management-System einzurichten. Damit ein solches System tatsächlich einen Mehrwert bringt, muss eine ehrliche und vor allem höchst individuelle Risikoanalyse durchgeführt werden. ­Konzentriert man sich anschließend auf diese Bereiche und setzt so eng wie möglich auf bereits bestehende Prozesse auf, ist die Einführung auch nicht besonders aufwendig. Zuletzt ist an eine ausreichende Dokumentation der Arbeit der geschäftsführenden Organe zu erinnern. Es mag sich banal anhören, aber hieran fehlt es in der Praxis häufig. Die Business Judgment Rule ist zwar auch bei gemeinnützigen Organisationen anwendbar. Damit sich das geschäftsführende Organe auf den dadurch eröffneten haftungsfreien Raum berufen kann, müssen seine Entscheidungen aber nachweisbar auf ausreichender Informationsgrundlage getroffen worden sein. Die der Entscheidung zugrunde gelegten Informationen sowie der Entscheidungs- und Abwägungsprozess selbst ist daher hinreichend zu dokumentieren. 266

Haftungsvermeidung für geschäftsführende Organe gemeinnütziger Organisationen

Beherzigen die Organe gemeinnütziger Organisationen und deren Gründer die aufgezeigten Punkte, reduzieren sie das Haftungsrisiko der geschäftsführenden Organe. Diese können sich besser auf die Verwirklichung der gemeinnützigen Zwecke konzentrieren und der gemeinnützigen Organisation wird es leichter fallen, weiterhin Personen zu finden, die das Amt als geschäftsführendes Organ und die damit einhergehende Verantwortung übernehmen wollen.

Dr. Eva-Maria Kraus Rechtsanwältin, Steuerberaterin Assoziierte Partnerin

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Nachfolgeklauseln für den Todesfall bei ­Personengesellschaften Inhaltsübersicht I. Einführung II. Zivilrecht 1. Rechtsnachfolge von Todes wegen in die Beteiligung an einer Personengesellschaft 2. Gesetzliche Regelungen a) Vorab: Nachfolge durch Sonder­ erbfolge bei mehreren Erben als ­Besonderheit b) Gesellschaft bürgerlichen Rechts c) Offene Handelsgesellschaft d) Kommanditgesellschaft e) Abfindungsanspruch 3. Gesellschaftsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten a) Fortsetzungsklausel b) Nachfolgeklausel c) Eintrittsklausel d) Besonderheit § 139 HGB

e) Abfindungsregelungen f) Auslegungs-/Umdeutungsregeln III. Steuerrecht 1. Steuerrechtliche Folgen des Todes eines Mitunternehmers 2. Einkommensteuer a) Auflösung der Gesellschaft b) Fortsetzung der Gesellschaft durch verbleibende Gesellschafter c) Übergang des Gesellschaftsanteils d) Eintrittsrecht 3. Erbschaftsteuer a) Auflösung der Gesellschaft b) Fortsetzung der Gesellschaft durch verbleibende Gesellschafter c) Übergang des Gesellschaftsanteils d) Eintrittsrecht IV. Fazit

I. Einführung Ein Familienpool in Form einer Personengesellschaft ist ein beliebtes Gestaltungsinstrument, um Familienvermögen zu bündeln. Die gesetzlichen Folgen des Erbfalls eines Gesellschafters werden häufig als unbefriedigend empfunden. In den Gesellschaftsvertrag werden deshalb oft Nachfolgeklauseln aufgenommen. Die Regelung der Gesellschafternachfolge gehört daher zunehmend zum kautelarjuristischen Alltag. Leider gibt es in der Praxis immer wieder Probleme mit gesellschaftsvertraglichen Nachfolgeklauseln, etwa weil sie Regelungslücken oder Widersprüche in sich aufweisen, die letztwillige Verfügung nicht mit den gesellschaftsvertraglichen Regelungen abgestimmt ist und/oder die steuerlichen Folgen nicht hinreichend berücksichtigt werden. Gegenstand dieses Beitrags ist die Rechtsnachfolge in Gesellschaftsanteile an gewerblichen Personengesellschaften. Zunächst wird ein Überblick über die zivilrechtlichen Rahmenbedingungen einer Nachfolge von Todes wegen in Personengesellschafts­ anteile gegeben (vgl. II.), bevor im Anschluss die steuerrechtliche Behandlung der Nachfolgeregelung, unterteilt in einkommen- und erbschaftsteuerrechtliche Folgen (vgl. III.), dargestellt wird. Die Ausführungen enden mit einem Fazit (vgl. IV.). 269

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II. Zivilrecht 1. Rechtsnachfolge von Todes wegen in die Beteiligung an einer Personengesellschaft Die Rechtsfolgen des Todes eines Gesellschafters einer Personengesellschaft richten sich zum einen nach der Gesellschaftsform (GbR, OHG oder KG) und zum anderen danach, ob und welche Regelungen im Gesellschaftsvertrag und in einer etwaigen letztwilligen Verfügung des Erblassers getroffen wurden. Weder durch das Personengesellschaftsrecht noch durch gesellschaftsvertragliche Regelungen wird die Testierfreiheit eingeschränkt. Der Erblasser kann daher – im Rahmen des erbrechtlich zulässigen  – beliebige Anordnungen auch über seine Personengesellschaftsbeteiligung treffen. Die Erfüllbarkeit der letztwilligen Anordnungen hängt dann aber von der gesetzlichen Regelung bzw. von der Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages ab. Vor diesem Hintergrund sind gesellschaftsrechtliche Regelung und letztwillige Verfügung zwingend eng miteinander abzustimmen. Ansonsten können erbrechtliche Nachfolgeregelungen aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Vorgaben „ins Leere gehen“, d.h. die gewünschte Nachfolge mit verheerenden finanziellen Konsequenzen, insbesondere für die Mitgesellschafter und die Gesellschaft, scheitern.1 2. Gesetzliche Regelungen Die gesetzlichen Regelungen für den Todesfall eines Gesellschafters einer Personengesellschaft sind überschaubar und weitgehend dispositiv. Die aktuellen Reformüberlegungen („Mauracher Entwurf “) sind nicht Gegenstand dieses Beitrags.2 a) Vorab: Nachfolge durch Sondererbfolge bei mehreren Erben als Besonderheit Der Erblasser kann eine oder mehrere Personen zu seinem/seinen Erben bestimmen. Mehrere Miterben bilden grundsätzlich eine Erbengemeinschaft, §§  2032  ff. BGB. Sind Gesellschafter einer Personengesellschaft darüber einig, dass die Gesellschaft bei Tod eines Gesellschafters mit den Erben fortgesetzt werden soll, können erbrechtliche Grundsätze (Beschränkung der Erbenhaftung auf den Nachlass, Gesamthand der Erbengemeinschaft bis zur Erbauseinandersetzung) mit gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen (unbeschränkte persönliche Haftung eines GbR-/OHG-Gesellschafters oder eines Komplementärs einer KG) kollidieren. Diesen Widerspruch löst die ständige Rechtsprechung mittels der Rechtsfigur der „Sonderrechtsnachfolge“. Danach geht eine Personengesellschaftsbeteiligung nicht wie der übrige Nachlass im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (Universalsukzession) auf die Erbengemeinschaft, sondern im 1 I.d.S. Bregulla-Weber in Scherer, Unternehmensnachfolge, 6. Aufl. 2020, § 4, Rz. 22. 2 Unter der Bezeichnung „Mauracher Entwurf “ wurde am 20.4.2020 auf der Internetseite des BMJV ein Gesetzentwurf zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts veröffentlichet. Schwerpunkt dieses Entwurfs ist eine Reform des Rechts der GbR mit einer Vielzahl von Folgeänderungen in anderen Gesetzen.

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Wege der Sonderrechtsnachfolge (Singularsukzession) direkt auf die Erben über. Diese werden also bereits mit dem Erbfall mit einem ihrer Erbquote entsprechenden Anteil Gesellschafter.3 b) Gesellschaft bürgerlichen Rechts Eine GbR wird durch den Tod eines ihrer Gesellschafter aufgelöst, sofern sich nicht aus dem Gesellschaftsvertrag ein anderes ergibt, § 727 Abs. 1 BGB. Die Vorschrift des § 727 BGB trägt der höchstpersönlichen Natur der Gesellschafterstellung in der werbenden Gesellschaft und ihrer grundsätzlichen Unübertragbarkeit Rechnung. Durch den Tod eines Gesellschafters wandelt sich die GbR in eine Liquidationsgesellschaft.4 Der Anteil des Verstorbenen fällt ungeteilt in seinen Nachlass. Der Alleinerbe bzw. die Erbengemeinschaft des verstorbenen Gesellschafters werden gem. §§  1922  ff. (i.V.m. 2032 ff.) BGB Mitglied der abzuwickelnden GbR. Eine Sonderrechtsnachfolge in der Form, dass bei einer Mehrheit von Erben nicht die Erbengemeinschaft, sondern jeder Erbe eine eigene Mitgliedschaft erhält (vgl. eben unter II. 2. a)), erfolgt nicht.5 Damit ist zwar nicht die Mitgliedschaft in der werbenden GbR, wohl aber die (vermögensmäßige) Beteiligung des (verstorbenen) Gesellschafters an der durch dessen Tod aufgelösten und nach den allgemeinen Regeln zu liquidierenden Gesellschaft vererblich.6 c) Offene Handelsgesellschaft Wenn im Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt ist, scheidet der Gesellschafter einer OHG mit seinem Tode aus der Gesellschaft aus, § 131 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 u. S. 2 HGB. Die Beteiligung ist demnach kraft Gesetzes nicht vererblich. Die für sämtliche Fälle des Ausscheidens und alle Arten der Personengesellschaften geltenden §§ 738– 740 BGB (i.V.m. §§ 105 Abs. 2 HGB bzw. i.V.m. §§ 161 Abs. 2, 105 Abs. 2 HGB) regeln die Rechtsfolgen des Ausscheidens eines Gesellschafters aus der im Übrigen fortbestehenden Gesellschaft. Nach dem zwingenden § 738 Abs. 1 S. 1 BGB wächst der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters den übrigen Gesellschaftern zu. Für den Verlust der Mitgliedschaft erhält der Ausgeschiedene nach § 738 Abs. 1 S. 2 Fall 3 BGB (i.V.m. §§ 105 Abs. 2 HGB) einen schuldrechtlichen Anspruch auf Abfindung. Der Abfindungsanspruch ist Nachlassbestandteil. Wird der Erblasser von mehreren Erben beerbt, so fällt der Anspruch der Erbengemeinschaft an.7

3 Statt vieler Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB, 5. Aufl. 2019, § 177 HGB, Rz. 5 und Klein/Lindemeier in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 1, 5. Aufl. 2019, § 79, Rz. 33. 4 Schäfer in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 727 BGB, Rz. 1. 5 Schöne in BeckOK BGB, Hau/Poseck, 55. Edition (1.5.2020), § 727 BGB, Rz. 3. 6 Zöller, MitttRhNotK 1999, 122 (123). 7 I.d.S.  Lehmann-Richter in BeckOK HGB, Häublein/Hoffmann-Theinert, 29. Edition (15.7.2020), § 131 HGB, Rz. 38.

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d) Kommanditgesellschaft aa) Tod eines Komplementärs Auch für den Tod eines Komplementärs gilt §  131 Abs.  3 S.  1 Nr.  1 u. S.  2 (i.V.m. § 161 Abs. 2) HGB, d.h. die Beteiligung ist − wie beim OHG-Gesellschafter − nicht vererblich. Der Komplementär scheidet vielmehr aus der fortbestehenden Gesellschaft aus, seine Mitgliedschaft erlischt, seine Mitberechtigung am Gesamthandsvermögen wächst den Mitgesellschaftern kraft Gesetzes (ohne weiteren Übertragungsakt) an und seine Erben erhalten einen Abfindungsanspruch.8 bb) Tod eines Kommanditisten Beim Tod eines Kommanditisten wird die Gesellschaft mangels abweichender vertraglicher Bestimmung mit den Erben fortgesetzt, § 177 HGB. Die Kommanditbeteiligung ist somit bereits kraft Gesetzes vererblich. Geht sie auf mehrere Erben über, so wird nicht die ungeteilte Erbengemeinschaft gesamthänderische Kommanditistin, sondern die Erben erwerben nach gefestigter Rechtsprechung als einzelne die Beteiligung entsprechend ihren Erbquoten9 (Fall der sog. Sondererbfolge bzw. Singularsukzession, vgl. hierzu bereits unter II. 2. a)). e) Abfindungsanspruch Scheidet der verstorbene Gesellschafter aus der fortbestehenden Gesellschaft aus, steht – sofern nicht wirksam ausgeschlossen − den Erben (mehreren Erben in Erbengemeinschaft10) eine Abfindung als Nachlassgegenstand zu (vgl. auch II. 2. c) und II. 2. d) aa)). Nach der Prämisse des § 738 Abs. 1 S. 2 HS. 2 BGB (i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB, ggf. i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB) sind die übrigen Gesellschafter verpflichtet, den Erben dasjenige zu zahlen, was der verstorbene und damit ausgeschiedene Gesellschafter erhalten hätte, wenn die Gesellschaft zum Zeitpunkt seines Todes (Ausscheidens) aufgelöst worden wäre. Schuldner der Abfindung ist – entgegen des Gesetzeswortlauts – die Gesellschaft.11 Vom Abfindungsanspruch sind etwaige (Ausgleichs-/Pflichtteils-) Ansprüche von Erben zu unterscheiden. Deren Schicksal ist eine Frage des Erbrechts und nicht des Gesellschaftsrechts.

8 Vgl. Bregulla-Weber in Scherer, Unternehmensnachfolge, 6. Aufl. 2020, § 4, Rz. 27. 9 Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, 4. Aufl. 2019, § 177 HGB, Rz. 16. 10 Klein/Lindemeier in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 1, 5.  Aufl. 2019, § 79, Rz. 102. 11 Habermeier in Staudinger, BGB, 2003, § 738 BGB, Rz. 12 und Hennrichs/Pöschke in Schulze-Osterloh/Hennrichs/Wüstemann, Handbuch des Jahresabschlusses, 74. Lief. (02.2020), Das Eigenkapital des Einzelkaufmanns, der offenen Handelsgesellschaft und der Kommanditgesellschaft, Rz. 130.

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Nachfolgeklauseln für den Todesfall bei Personengesellschaften

3. Gesellschaftsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten Da die gesetzlichen Folgen des Erbfalls eines Gesellschafters häufig unbefriedigend und nicht interessengerecht wären, kommt den abweichenden gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen in der Praxis eine große Bedeutung zu. Das Personengesellschaftsrecht ist insoweit durch eine weitreichende Vertragsfreiheit geprägt.12 Im Folgenden werden die gebräuchlichsten gesellschaftsvertraglichen Regelungsmöglichkeiten  – schwerpunktmäßig im Hinblick auf die Nachfolge in die Beteiligung – dargestellt. a) Fortsetzungsklausel Unter einer Fortsetzungsklausel wird eine Vereinbarung verstanden, bei welcher die Gesellschaft bei Tod eines Gesellschafters unter den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt wird, während der verstorbene Mitgesellschafter aus der Gesellschaft durch Erlöschen seiner Mitgliedschaft ausscheidet. Die Mitberechtigung des ausgeschiedenen Gesellschafters am Gesamthandvermögen erlischt, den verbleibenden Gesellschaftern wächst der Anteil des verstorbenen Gesellschafters im Verhältnis ­ihrer Beteiligung am Vermögen der Gesellschaft (ohne weiteren Übertragungsakt) zu, wodurch ein Abfindungsanspruch entsteht, der dem/den Erben des mit seinem Tod ausgeschiedenen Gesellschafters zusteht.13 Die Vereinbarung eines Abfindungsausschlusses mit der Folge, dass der Anteil (Anteilswert) nicht dem Nachlass zufällt, sondern den verbleibenden Gesellschaftern anwächst, ist grundsätzlich zulässig.14 Mit der Vereinbarung einer Fortsetzungsklausel wird für die GbR der Rechtszustand hergestellt, der von Gesetzes wegen für die Personenhandelsgesellschaften besteht. Aber auch in Bezug auf die Beteiligung eines Kommanditgesellschafters kann eine Fortsetzungsklausel sinnvoll sein, da hiermit die in § 177 HGB gesetzlich angeordnete Vererblichkeit des Kommanditanteils ausgeschlossen werden kann (damit Wirkung einer Ausschließungsklausel).15 b) Nachfolgeklausel aa) Einfache (erbrechtliche) Nachfolgeklausel Wie bereits gezeigt ist die Vererblichkeit eines Personengesellschaftsanteils von Gesetzes wegen nur beim Tod eines Kommanditisten vorgesehen (vgl. II. 2. d) bb)). Mittels gesellschaftsvertraglicher Regelung kann die unmittelbare Nachfolge in die Gesellschaftsbeteiligung kraft Erbrechts und Fortsetzung mit allen Erben des verstorbenen Gesellschafters auch bei den übrigen Personengesellschaften bestimmt werden. Durch eine solche „einfache“ Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag wird der 12 Zu Nachfolgeklauseln vgl. auch Lüke in Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2017, C. 1.00, Rz. 19 ff. 13 Vgl. Döbereiner in Münchener Vertragshandbuch, Bürgerliches Recht II., Herrler, 8. Aufl. 2020, XIII, 1. Rz. 3. 14 Gergen in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 2032 BGB, Rz. 66. 15 Gergen in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 2032 BGB, Rz. 65.

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Gesellschaftsanteil schlicht vererblich gestellt. Ist nur ein Erbe vorhanden, tritt dieser ohne weiteres in die Gesellschafterstellung ein, die im Wege der Gesamtrechtsnachfolge automatisch mit dem Todesfall übergeht. Da eine Miterbengemeinschaft aber nicht Gesellschafter einer Personengesellschaft sein kann (vgl. hierzu bereits II. 2. a)), spaltet sich der Anteil des verstorbenen Gesellschafters bei mehreren Erben und jeder Miterbe wird durch Sondererbfolge unter Durchbrechung des Grundsatzes der Gesamtrechtsnachfolge mit einem Kapitalanteil entsprechend der Größe seines Erbteils Gesellschafter.16 Mit der Vererblichstellung des Gesellschaftsanteils wird vermieden, dass die Gesellschaft und ihre verbleibenden Gesellschafter Ansprüchen der Erben ausgesetzt werden, die auf dem Ausscheiden des Gesellschafters von Todes wegen beruhen (insbesondere Abfindungsansprüche).17 bb) Qualifizierte (erbrechtliche) Nachfolgeklausel Bei der qualifizierten Nachfolgeklausel ist im Gesellschaftsvertrag bestimmt, dass nicht alle Erben in die Gesellschafterstellung des verstorbenen Gesellschafters einrücken sollen, sondern nur einzelne oder einer. Dies kann etwa durch die Benennung bestimmter Personen oder durch die Beschränkung auf bestimmte Personengruppen (z.B. Abkömmlinge des Gesellschafters) geschehen.18 Sofern der Gesellschafter-Erblasser durch Verfügung von Todes wegen nur den oder die im Gesellschaftsvertrag (abstrakt oder konkret) als Nachfolger vorgesehenen Personen zu seinen Erben einsetzt, vollzieht sich die Nachfolge in den Gesellschaftsanteil wie bei der einfachen erbrechtlichen Nachfolgeklausel (vgl. eben unter II. 3. b) aa)). Wird der verstorbene Gesellschafter allerdings auch von weiteren Personen beerbt, die im Gesellschaftsvertrag für die Nachfolge in die Beteiligung nicht vorgesehen sind, können „automatisch“ Nachfolger nur der- oder diejenigen Miterben werden, der/die im Gesellschaftsvertrag vorgesehen sind, da nur insoweit die Beteiligung vererblich gestellt wurde.19 Nach gefestigter Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Praxis vollzieht sich der Rechtserwerb, wenn der Erblasser-Gesellschafter eine Erbenmehrheit hinterlässt, von denen nur einzelne Mitglieder gesellschaftsvertraglich zur Nachfolge zugelassen sind, im Zweifel dahingehend, dass die Gesellschaftsbeteiligung insgesamt (d.h. nicht nur zu einem der Erbquote des Nachfolgers entsprechenden Anteil) unmittelbar erbrechtlich auf die gesellschaftsvertraglich zugelassenen Nachfolger-Erben übergeht, und zwar unter Ausgrenzung der nichtnachfolgeberechtigten Miterben. Die weichenden Miterben sind in diesem Fall auf die Geltendmachung erbrechtlicher Ausgleichsansprüche gegen die Miterben beschränkt.20 16 Gergen in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 2032 BGB, Rz. 71. 17 Bregulla-Weber in Scherer, Unternehmensnachfolge, 6. Aufl. 2020, § 4, Rz. 33. 18 Vgl. hierzu Heinrich in Reichert, GmbH & Co. KG, 7. Aufl. 2015, § 35, Rz. 9. 19 Döbereiner in Münchener Vertragshandbuch, Bürgerliches Recht II, Herrler, 8. Aufl. 2020, XIII. 1. Rz. 10. 20 I.d.S.  Klein/Lindemeier in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 1, 5.  Aufl. 2019, § 79, Rz. 35 und Gergen in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 2032 BGB, Rz. 77.

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c) Eintrittsklausel Während bei den Nachfolgeklauseln der Gesellschaftsanteil im Zeitpunkt des Todes „automatisch“ auf den/die Nachfolger übergeht (ohne dass es einer Aufnahme des/ der Nachfolger in die Gesellschaft bedarf), verschafft die Eintrittsklausel dem/den Eintrittsberechtigten nur ein schuldrechtliches Recht auf Aufnahme in die – zunächst (auch ohne ausdrückliche entsprechende gesellschaftsvertragliche Vereinbarung)21 unter den übrigen Gesellschaftern allein fortgesetzte  – Gesellschaft.22 Hinsichtlich der Person des Eintrittsberechtigten besteht ein weiter Gestaltungsspielraum. Rechtlich handelt es sich regelmäßig um einen echten Vertrag zugunsten Dritter i.S.v. §§ 328 Abs. 1, 331 BGB. Der Eintritt in die Gesellschaft vollzieht sich nicht von selbst (kraft Erbrechts), sondern aufgrund rechtsgeschäftlichen Aufnahmevertrags (also Neubegründung der Mitgliedschaft) zwischen dem Eintrittsberechtigten und den verbleibenden Gesellschaftern. Alternativ kann bereits in die Eintrittsklausel ein bindendes Angebot der Gesellschafter bzw. ein Optionsrecht vorgesehen werden, das der Eintrittsberechtigte kraft einseitiger Erklärung annehmen kann. Die Hauptschwierigkeit bei der Eintrittsklausel besteht darin, wie dem Eintrittsberechtigten die Kapitalbeteiligung des verstorbenen Gesellschafters zugewendet werden kann, obwohl infolge des Ausscheidens zunächst ein Abfindungsanspruch der Erben des verstorbenen Gesellschafters entsteht. Dem Eintretenden kann der Ab­ findungsanspruch per Vermächtnis oder Teilungsanordnung zugewendet werden, damit er statt einer Geldeinlage diesen in die Gesellschaft einbringt (eigentliche „erbrechtliche“ Eintrittsklausel). Alternativ kann im Gesellschaftsvertrag der Abfindungs­ anspruch auch (auflösend bedingt auf den Eintritt) ausgeschlossen werden, verbunden mit einer Verpflichtung der übrigen Gesellschafter nach § 328 BGB die mit dem Anteil verbundenen Vermögensrechte zu treuen Händen zu halten und bei Eintritt auf den Eintrittsberechtigten zu übertragen (eigentliche „rechtsgeschäftliche“ Eintrittsklausel).23 d) Besonderheit § 139 HGB Während die Weiterführung der Gesellschaft mit den Erben eines eingetragenen Kommanditisten für diese gefahrlos ist – sie haften nur beschränkt nach Maßgabe der §§ 171 ff. HGB –, kann sich das Einrücken in die Gesellschaft als Nachfolger eines offenen Handelsgesellschafters oder Komplementärs nachteilig auswirken. Durch die handelsrechtlich unbeschränkte Haftung wäre insbesondere der Vorzug der zivilrechtlich beschränkten Erbenhaftung (§§ 1975 ff. BGB) für Gesellschafter-Erben entwertet. Die mit so einer Beteiligung zusammenhängenden Risiken und Bindungen wird nicht jeder Erbe, namentlich wenn er dem Gegenstand des Unternehmens und den Mitgesellschaftern fernsteht, auf sich zu nehmen bereit sein. Um den Erben nicht vor die 21 So Klein/Lindemeier in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 1, 5. Aufl. 2019, § 79, Rz. 74. 22 Schäfer in Staub, Handelsgesetzbuch Großkommentar, 5. Aufl. 2009, § 139 HGB, Rz. 16. 23 Zu dieser Thematik vgl. auch Schäfer in Staub, Handelsgesetzbuch Großkommentar, 5. Aufl. 2019, § 139 HGB, Rz. 17.

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unzumutbare Wahl zu stellen, die Erbschaft auszuschlagen oder als persönlich haftender Gesellschafter in einer OHG oder KG24 zu verbleiben, löst § 139 HGB diesen Konflikt durch ein Wahlrecht des Erben, verbunden mit einem Haftungsprivileg.25 Der Erbe muss nicht unbeschränkt haftender Gesellschafter bleiben. Er kann sein Verbleiben in der Gesellschaft davon abhängig machen, dass er Kommanditist wird. Damit kann er der unbeschränkten gesellschaftsrechtlichen Außenhaftung entgehen.26 e) Abfindungsregelungen Enthält der Gesellschaftsvertrag keine Nachfolge-, sondern eine Fortsetzungs- oder Eintrittsklausel, kann es sich empfehlen, zusätzlich noch Vereinbarungen darüber zu treffen, was mit dem Abfindungsanspruch geschehen und ggf. wem er zustehen soll. Um den Bestand der Gesellschaft nicht zu gefährden, werden in der Praxis häufig Minderabfindungen vereinbart. Für den Todesfall kann im Gesellschaftsvertrag die Zahlung einer Abfindung auch ganz ausgeschlossen werden. Dies soll insbesondere bezwecken, das Gesellschaftsvermögen unangetastet zu lassen und vor einem Liquiditätsabfluss zu verschonen.27 Schließlich kann bei Bedarf auch die Berechnung der Abfindung erleichtert und dadurch langwierige Auseinandersetzungsstreitigkeiten vermieden werden. f) Auslegungs-/Umdeutungsregeln Bei Nachfolgeklauseln geht der Gesellschaftsanteil kraft Erbrechts und nicht kraft Gesellschaftsrecht auf den Erben über (vgl. auch II. 3. b)). Daher ist zwingend erforderlich, dass Erbfolgenregelung und Nachfolgeklausel übereinstimmen. Ist dies nicht der Fall oder ist die gesellschaftsvertragliche Klausel missverständlich oder unzureichend formuliert, stellt sich die Frage, ob die Regelung ausgelegt bzw. umgedeutet werden kann. Grundsätzlich sind gesellschaftsrechtliche Regelungen – wegen der für die Gesellschaft günstigeren Rechtsfolgen28  – dahingehend auszulegen, dass sie den Gesellschaftsanteil „vererblich“ stellen, d.h. im Zweifel liegt eine Nachfolgeklausel und nicht nur ein Eintrittsrecht vor.29 Macht ein Eintrittsberechtigter von seinem Eintrittsrecht keinen Gebrauch, ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Gesellschaft von den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt wird. Scheitert eine erbrechtliche Nachfolgeklausel (etwa weil die bestimmten Nachfolger nicht Erben werden), kann ggf. ein Eintrittsrecht angenommen werden.30 24 Zum Meinungsstand, ob §  139 HGB auch für die GbR gilt (oder nicht) vgl. Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, 4. Aufl. 2016, § 139 HGB, Rz. 60 und Roth in Baumbach/Hopt, HGB, 39. Aufl. 2020, § 139 HGB, Rz. 8, jeweils m.w.N. 25 Vgl. zu dieser Problematik auch Klein/Lindemeier in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 1, 5. Aufl. 2019, § 79, Rz. 38 ff. 26 I.d.S. Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, 4. Aufl. 2016, § 139 HGB, Rz. 5. 27 So Gergen in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 2032 BGB, Rz. 67. 28 Schäfer in Staub, Handelsgesetzbuch Großkommentar, 5. Aufl. 2009, § 139 HGB, Rz. 20. 29 I.d.S. Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, 4. Aufl. 2016, § 139 HGB, Rz. 26 und Heinrich in Reichert, GmbH & Co. KG, 7. Aufl. 2015, § 35, Rz. 14 (m.w.N.). 30 Schäfer in Staub, Handelsgesetzbuch Großkommentar, 5. Aufl. 2009, § 139 HGB, Rz. 22.

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III. Steuerrecht 1. Steuerrechtliche Folgen des Todes eines Mitunternehmers Stirbt ein Gesellschafter einer gewerblichen Personengesellschaft wird  – wie vor­ stehend dargestellt – die Gesellschaft entweder aufgelöst (vgl. auch II. 2. b)), durch die verbleibenden Gesellschafter fortgeführt (vgl. auch II. 2. c) und II. 2. d) aa) bzw. II. 3. a)), oder es findet eine erbrechtliche Nachfolge (vgl. II. 2. d) bb) und II. 3. b)) bzw. eine rechtsgeschäftliche „Nachfolge“ (vgl. II. 3. c)) in die Beteiligung statt. 2. Einkommensteuer Die Einkommensteuerpflicht des Erblassers endet mit seinem Tod.31 Mit dem Tod des Erblassers gehen Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis (z.B. ein mit todesbedingtem Ausscheiden verwirklichter Veräußerungs-/Aufgabegewinn) auf den Rechtsnachfolger über, § 45 Abs. 1 S. 1 AO. a) Auflösung der Gesellschaft Bestimmt der Gesellschaftsvertrag einer GbR nicht die Fortsetzung der Gesellschaft, wird die Gesellschaft durch den Tod eines der Gesellschafter gemäß § 727 Abs. 1 BGB aufgelöst (vgl. II. 2. b)). Der Erbe bzw. die Erbengemeinschaft des verstorbenen Gesellschafters tritt in die dadurch entstehende Liquidationsgesellschaft ein.32 Einkommensteuerlich wird hierdurch eine nach den §§ 16, 34 EStG begünstigte Betriebsaufgabe verwirklicht, soweit eine Buchwertfortführung sowohl nach den Grundsätzen der Realteilung als auch nach §  6 Abs.  5 EStG ausgeschlossen ist.33 Den Mitgesellschaftern und der Erbengemeinschaft wird der durch die Auflösung verwirklichte Gewinn entsprechend ihrer jeweiligen Anteile zugerechnet.34 b) Fortsetzung der Gesellschaft durch verbleibende Gesellschafter Wird die Gesellschaft nach dem Erbfall durch die verbleibenden Gesellschafter fortgesetzt (so bei OHG-/Komplementärbeteiligung gemäß Gesetz oder aufgrund einer gesellschaftsvertraglich vereinbarten Fortsetzungsklausel, vgl. II. 2. c) und II. 2. d) aa) bzw. II. 3. a)), scheidet der verstorbene Gesellschafter aus der Gesellschaft aus und seine Erben erlangen – soweit nicht ausgeschlossen − einen Anspruch auf Abfindung. Einkommensteuerlich verwirklicht der verstorbene Gesellschafter dadurch einen gewerblichen Veräußerungs- oder Aufgabegewinn. Die Höhe des Gewinns bestimmt sich durch Abzug des Buchwerts des Kapitalkontos des Erblassers vom Abfindungsanspruch.35 31 Rauch in Blümich, 152. EL (05.2020), § 1 EStG, Rz. 90. 32 OLG München v. 7.9.2010 – 34 Wx 100/10, NWJ-RR 2010, 1667. 33 BMF, Schr. v. 14.3.2006 – IV B 2-S 2242-7/06, BStBl. I 2006, 253, Rz. 11. 34 Wacker in Schmidt, 39. Aufl. 2020, § 16 EStG, Rz. 680. 35 BMF, Schr. v. 14.3.2006 – IV B 2-S 2242-7/06, BStBl. I 2006, 253, Rz. 69.

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Etwaiges Sonderbetriebsvermögen verliert durch das Ausscheiden des Gesellschafters seine Eigenschaft als Betriebsvermögen, wird damit Privatvermögen. Für die Gewinnermittlung ist insoweit der gemeine Wert des Sonderbetriebsvermögens im Zeitpunkt des Ausscheidens maßgeblich (§  16 Abs.  3 S.  7 EStG). Eine Ausnahme kann vorliegen, wenn einzelne oder alle übernehmenden Gesellschafter Erben des Erblassers sind. Übernehmen diese Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens, sodass die Wirtschaftsgüter ihre Betriebsvermögenseigenschaft behalten, mithin keine Entnahme ins Privatvermögen erfolgt, liegen die Voraussetzungen einer Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 5 S. 3 EStG vor. Mangels Realisierung aller stillen Reserven im Mitunternehmeranteil kann eine Begünstigung des Gewinns nach §§ 16, 34 EStG in diesem Fall aber dann ausscheiden.36 Die Verwirklichung des Aufgabe-/Veräußerungsgewinns erfolgt durch den Erblasser, sodass es für eine Begünstigung des Gewinns gemäß §§  16, 34 EStG auf die Ver­ hältnisse des Erblassers ankommt.37 Die Erben verwirklichen dagegen durch Vereinnahmung der Abfindungszahlung keinen einkommensteuerbaren Sachverhalt.38 Die gezahlte Abfindung führt bei den verbleibenden Gesellschaftern zu Anschaffungskosten.39 Ist der Abfindungsanspruch des verstorbenen Gesellschafters und seiner Erben gesellschaftsvertraglich ausgeschlossen (vgl. auch II. 3. e)), liegt eine unentgeltliche Übertragung des Mitunternehmeranteils vor, wenn diese Regelung auf familiäre Gründe zurückzuführen ist. Die übernehmenden Gesellschafter haben keine neuen Anschaffungskosten und treten im Übrigen in die Rechtsstellung des Erblassers ein. Ist der Ausschluss betrieblich veranlasst, entsteht in der Person des Erblassers ein Veräußerungsverlust.40 c) Übergang des Gesellschaftsanteils aa) Übergang der Beteiligung auf alle Erben Treten alle Erben aufgrund der gesetzlichen Regelung für einen Kommanditanteil oder aufgrund einer einfachen Nachfolgeklausel in die Gesellschaft ein (vgl. II. 2. d) bb) bzw. II. 3. b) aa)), liegt eine unentgeltliche Übertragung des Mitunternehmeranteils des Erblassers auf die Erben gemäß § 6 Abs. 3 EStG vor. Damit werden sie zu Mitunternehmern und führen die steuerlichen Buchwerte fort.41 Durch die unentgeltliche Übertragung auf die Erben entstehen für diese keine neuen Anschaffungskosten.42 Auch mögliche Pflichtteils- oder Vermächtnisverbindlichkeiten führen zu keinen 36 Fischer/Palenker in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 2, 5.  Aufl. 2019, § 44, Rz. 8. 37 Esskandari, ZEV 2012, 249 (250). 38 Wacker in Schmidt, EStG, 39. Aufl. 2020, § 16 EStG, Rz. 661 und von Sothen in Scherer, Unternehmensnachfolge, 6. Aufl. 2020, § 27, Rz. 286. 39 Esskandari, ZEV 2012, 249 (250). 40 Wacker in Schmidt, EStG, 39. Aufl. 2020, § 16 EStG, Rz. 663 m.w.N. 41 BFH v. 16.5.1995 – VIII R 18/93, DStR 1995, 1423 (1425). 42 BMF, Schr. v. 14.3.2006 – IV B 2-S 2242-7/06, BStBl. I 2006, 253, Rz. 71.

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neuen Anschaffungskosten der Erben.43 Aufgrund der Buchwertfortführung entsteht kein Veräußerungsgewinn. Die Erben erzielen als Mitunternehmer zukünftig Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Da auch Sonderbetriebsvermögen durch den Eintritt aller Miterben in die Personengesellschaft seine Eigenschaft als Betriebsvermögen nicht verliert, mithin durch den Erbfall nicht ins Privatvermögen entnommen wird, können Mitunternehmeranteile und zugehöriges Sonderbetriebsvermögen, welche auf alle Erben übergehen, in die Erbauseinandersetzung einbezogen werden, sodass hierdurch die Möglichkeit einer gewinnneutralen Realteilung des Nachlasses eröffnet wird.44 bb) Übergang der Beteiligung nur auf bestimmte Erben Geht der Gesellschaftsanteil des Erblassers nur auf einen oder mehrere qualifizierte Erben über (vgl. II. 3. b) bb)), werden diese Mitunternehmer, nicht dagegen die übrigen Erben.45 Es liegt auch hier, wie bereits eben für die einfache Nachfolgeklausel beschrieben, ein unentgeltlicher Übergang des Mitunternehmeranteils gemäß §  6 Abs. 3 EStG vor. Die Buchwertfortführung ist auch in diesem Fall zwingend. Mangels Aufdeckung stiller Reserven entsteht auch bei der qualifizierten Nachfolge kein Veräußerungsgewinn beim Erblasser.46 Leistet der oder die qualifizierten Erben Abfindungszahlungen an nichtqualifizierte Miterben, liegen hierin keine Anschaffungskosten.47 Als Mitunternehmer erzielt ein qualifizierter Erben zukünftig gewerbliche Einkünfte. Hatte der Erblasser Sonderbetriebsvermögen, wird dieses durch den Erbfall zivilrechtlich Gesamthandsvermögen der Erbengemeinschaft. Die durch die qualifizierte Nachfolgeklausel ausgelöste Sonderrechtsnachfolge gilt nur für den Gesellschaftsanteil selbst, nicht hingegen für das beim verstorbenen Mitunternehmer vorhandene Sonderbetriebsvermögen.48 Bei den qualifizierten Miterben bleiben die Wirtschaftsgüter in Höhe ihrer Erbquote Sonderbetriebsvermögen, während sie in Höhe der Erbquoten der übrigen (nichtqualifizierten) Miterben ihre Eigenschaft als Betriebsvermögen verlieren und Privatvermögen werden. Dadurch entsteht beim Erblasser ein Entnahmegewinn.49 Eine zeitnah nach dem Erbfall vorgenommene Erbauseinandersetzung mit der Folge, dass das Sonderbetriebsvermögen auf den qualifizierten Erben übergeht, ändert an der Realisierung des Entnahmegewinns nichts. Eine Realisierung des 43 Fischer/Palenker in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 2, 5.  Aufl. 2019, § 44, Rz. 13. 44 BMF, Schr. v. 14.3.2006 – IV B 2-S 2242-7/06, BStBl. I 2006, 253, Rz. 71. 45 BMF, Schr. v. 14.3.2006 – IV B 2-S 2242-7/06, BStBl. I 2006, 253, Rz. 72 und Stahl/Carlé in Korn, 124. EL (1.8.2012), § 16 EStG, Rz. 379 und Wacker in Schmidt, EStG, 39. Aufl. 2020, § 16 EStG, Rz. 672. 46 Wacker in Schmidt, EStG, 39. Aufl. 2020, § 16 EStG, Rz. 672. 47 BMF, Schr. v. 14.3.2006 – IV B 2-S 2242-7/06, BStBl. I 2006, 253, Rz. 72. 48 Fischer/Palenker in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 2, 5.  Aufl. 2019, § 44, Rz. 17. 49 BFH v. 29.10.1991 – VIII R 51/84, DStR 1992, 610 (611).

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Entnahmegewinns kann nur verhindert werden, wenn kein Durchgangserwerb bei der Erbengemeinschaft stattfindet, sondern im Zeitpunkt des Erbfalls bereits ein Übergang der Wirtschaftsgüter auf qualifizierte Miterben erfolgt.50 d) Eintrittsrecht Wird lediglich eine gesellschaftsvertragliche Eintrittsklausel vereinbart, die einzelnen oder allen Miterben das Recht zum Eintritt in die Gesellschaft gibt, wird die Gesellschaft zunächst mit den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt (vgl. II. 3. c)). Tritt kein Erbe aufgrund einer Eintrittsklausel in die Gesellschaft ein, entsteht zugunsten der Erben ein Abfindungsanspruch gegenüber der Gesellschaft. Den verbleibenden Gesellschaftern wächst der Gesellschaftsanteil des Erblassers an. Es entsteht entsprechend zu den Folgen einer Fortsetzungsklausel ein begünstigter Veräußerungsgewinn i.S.v. §§ 16, 34 EStG. Hinzu kommt durch die Entnahme etwaigen Sonderbetriebsvermögens ins Privatvermögen ggf. ein Entnahmegewinn. Vgl. hierzu bereits unter III. 2. b). Machen hingegen alle Erben von ihrem Eintrittsrecht innerhalb von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt des Erbfalls Gebrauch, hat die Eintrittsklausel dieselben einkommensteuerlichen Folgen wie die einfache Nachfolgeklausel (dazu bereits unter III. 2. c) aa)). Machen dagegen einer oder einzelne, aber nicht alle Miterben von ihrem Eintrittsrecht Gebrauch, werden nur diese Mitunternehmer und es treten dieselben einkommensteuerlichen Folgen wie bei der qualifizierten Nachfolgeklausel ein (dazu bereits unter III. 2. c) bb)).51 3. Erbschaftsteuer Im Erbfall unterliegt nicht der Nachlass als solcher der Erbschaftsteuer, sondern es erfolgt im Rahmen einer sog. Erbanfallbesteuerung die Besteuerung der Bereicherung jedes Empfängers. Die bei Erbfall eines Mitunternehmers einschlägigen (gesetzlichen/gesellschaftsvertraglichen) Regelungen können dabei nicht nur den Inhalt des Rechts, sondern auch die Art der Rechtsnachfolge verändern und damit letztlich über die Qualifikation des Zuwendungsgegenstandes (begünstigtes Betriebsvermögen oder unbegünstigter Abfindungsanspruch) entscheiden.52 a) Auflösung der Gesellschaft Den Erben des Gesellschafters fällt mit dem Erbfall ein Erwerb von Todes wegen i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG an. Eine Begünstigung für Betriebsvermögen (§§ 13a– 50 Von Sothen in Scherer, Unternehmensnachfolge, 6. Aufl. 2020, § 27, Rz. 294. 51 BMF, Schr. v. 14.3.2006 – IV B 2-S 2242-7/06, BStBl. I 2006, 253, Rz. 70. 52 I.d.S. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, 58. EL (11.2019), § 13b ErbStG, Rz. 86.

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13c, 19a, 28a ErbStG) kann bei Liquidation der Gesellschaft (insbesondere im Falle einer GbR ohne Gesellschaftsvertrag) nicht in Anspruch genommen werden.53 b) Fortsetzung der Gesellschaft durch verbleibende Gesellschafter Wird bei OHG-/Komplementärbeteiligung die Gesellschaft gemäß Gesetz durch die verbleibenden Gesellschafter fortgesetzt (vgl. II. 2. c) und II. 2. d) aa)) oder wurde eine gesellschaftsvertragliche Fortsetzungsklausel vereinbart (vgl. II. 3. a)), gelangt die Beteiligung des Erblassers nicht in den Nachlass. Vielmehr gehört der Abfindungsanspruch zum Nachlassvermögen. Dieser Abfindungsanspruch ist ein Erwerb von Todes wegen i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG und unterliegt damit der Besteuerung mit Erbschaftsteuer. 54 Die Bewertung des Anspruchs erfolgt grundsätzlich gemäß §  12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 12 BewG mit seinem Nennbetrag, wobei ggf. vereinbarte Zahlungsmodalitäten zu beachten sind.55 Der Gesellschaftsanteil des Erblassers wächst den verbleibenden Gesellschaftern an. Wurde eine Abfindungsbeschränkung vereinbart, sodass die von der Gesellschaft an die Erben gezahlte Abfindung hinter dem Wert des Anteils zurückbleibt (vgl. II. 3. e)), liegt bezüglich des Anwachsungserwerbs eine sog. Schenkung auf den Todesfall vor (Fiktion gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 ErbStG).56 Ob der Erblasser bei Vereinbarung der Abfindungsbeschränkung eine Bereicherung der verbleibenden Gesellschafter hierdurch beabsichtigt hat, ist für die Besteuerung nicht relevant.57 Steuerliche Begünstigungen für Betriebsvermögen stehen den Erben im Hinblick auf ihre Abfindung mangels übernommenen Betriebsvermögens nicht zu.58 Die verbleibenden Gesellschafter können diese aber ggf. für ihren Anwachsungserwerb (bei Minderabfindung) in Anspruch nehmen.59 c) Übergang des Gesellschaftsanteils aa) Übergang der Beteiligung auf alle Erben Der Erwerb des Anteils durch alle Erben gemäß Gesetz bei einer Kommanditbeteiligung oder aufgrund einer einfachen Nachfolgeklausel (vgl. auch II. 2. d) bb) bzw. II. 3. b) aa)), führt bei diesen jeweils zu einem Erwerb von Todes wegen gemäß § 3 Abs. 1 Nr.  1 ErbStG. Der Gesellschaftsanteil inklusive etwaigem Sonderbetriebsvermögen wird mit seinem Anteilswert in den Gesamtnachlass einbezogen.60 Bei der Besteue53 Esskandari/Winter in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, 120.1. EL (08.2020), § 3 ErbStG, Rz. 198. 54 Kirchdörfer/Lorz, Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2011, Kapitel 7, Rz. 22. 55 Von Sothen in Scherer, Unternehmensnachfolge, 6. Aufl. 2020, § 27, Rz. 74. 56 R E 3.4 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 2 ErbStR 2019. 57 BFH v. 1.7.1992 – II R 20/90, NJW 1993, 157 (157). 58 Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, 83. EL (03.2020), § 13a ErbStG, Rz. 6. 59 R E 13b.1 Abs. 1 S. 4 Nr. 3 ErbStR 2019. 60 BFH v. 10.11.1982 – II R 85-86/78, DStR 1983, 305 (306).

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rung können die gesetzlichen Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen zur Anwendung gelangen.61 bb) Übergang der Beteiligung nur auf bestimmte Erben Der Übergang eines Gesellschaftsanteils auf einen/mehrere qualifizierte(n) Erben aufgrund qualifizierter Nachfolgeklausel (vgl. II. 3. b) bb)) wird erbschaftsteuerlich wie ein Erwerb durch Erbanfall behandelt.62 Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens werden − soweit neben dem qualifizierten Erben weitere nicht berechtigte Erben miterben − mit dem Erbfall ins Privatvermögen entnommen (zur ertragsteuerlichen Behandlung der Entnahme vgl. bereits unter III. 2. c) bb)). Daraus folgt, dass für diese Nachlassgegenstände − soweit daran nicht qualifizierte Erben beteiligt sind − gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 BewG der gemeine Wert anzusetzen ist. Übersteigt der Wert des Gesellschaftsanteils den Wert des dem qualifizierten Erben am Gesamtnachlass aufgrund seiner Erbquote zustehenden Wert, unterliegt er den Miterben gegenüber einer Ausgleichsverpflichtung. Da die Rechtsprechung die qualifizierte Nachfolgeklausel allerdings als einen speziellen Fall der Teilungsanordnung ansieht,63 ist diese Ausgleichszahlung erbschaftsteuerlich unbeachtlich, d.h. die Miterben haben keinen weiteren Erwerb von Todes wegen. In Betracht kommt allerdings der Ausschluss einer solchen Ausgleichsverpflichtung durch den Erblasser. In diesem Fall liegt auch in Höhe des seine Erbquote übersteigenden Teils beim qualifizierten Erben ein Erwerb von Todes wegen vor. Die erbschaftsteuerlichen Begünstigungen für Betriebsvermögen können nur vom qualifizierten Erben in Anspruch genommen werden, § 13a Abs. 5 ErbStG. d) Eintrittsrecht Wurde im Gesellschaftsvertrag eine Eintrittsklausel vereinbart (vgl. II. 3. c)), fällt mit dem Tod des Erblassers zunächst der Anspruch auf Abfindung in den Nachlass. Der Gesellschaftsanteil wächst den verbleibenden Gesellschaftern an. Der Abfindungs­ anspruch ist gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 12 BewG mit seinem Nennwert zu bewerten. Für Sonderbetriebsvermögen erfolgt ertragsteuerlich eine Entnahme ins Privatvermögen, sodass für die erbschaftsteuerliche Beurteilung der gemeine Wert dieser Wirtschaftsgüter gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 BewG anzusetzen ist. Erbschaftsteuerliche Privilegierungen für Betriebsvermögen können zunächst nicht in Anspruch genommen werden. Bei diesem Ergebnis bleibt es, wenn kein Berechtigter sein Eintrittsrecht ausübt. Im Ergebnis erfolgt damit eine erbschaftsteuerliche Behandlung wie bei einer Fortset61 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Stand: 58. EL (11.2019), § 13b ErbStG Rz. 92. 62 R E 13b.1 Abs. 2 S. 1 ErbStR 2019. 63 BFH v. 10.11.1982 – II R 85-86/78, DStR 1983, 305 (306).

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zungsklausel, sodass die verbleibenden Gesellschafter bei Abfindungsbeschränkung einen Anwachsungserwerb nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 ErbStG verwirklichen (vgl. auch III. 3. b)). Macht der zum Eintritt in die Gesellschaft berechtigte Erbe dagegen von seinem Eintrittsrecht Gebrauch, geht die Finanzverwaltung bei Erwerb des Anteils von einem Erwerb von Todes wegen aus, mit der Folge, dass der Erbe die erbschaftsteuerlichen Begünstigungen für Betriebsvermögen in Anspruch nehmen kann.64 Bei Eintritt des Erben in die Gesellschaft ist der steuerliche Anteilswert maßgeblich für die Bewertung.65 Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens sollten danach ggf. nur anteilig als Privatvermögen und damit mit ihrem gemeinen Wert zu bewerten sein. Das Ergebnis entspricht damit der erbschaftsteuerlichen Behandlung einer qualifizierten Nachfolgeklausel (vgl. auch III. 3. c) bb)).

IV. Fazit Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass die jeweils „beste“ Nachfolgeregelung stets auf die Besonderheiten des Einzelfalls individuell angepasst werden muss. In der Praxis werden dabei zunächst die persönlichen Wünsche und Vorstellungen des Erblassers zu berücksichtigen sein. Diese müssen dann in einem zweiten Schritt mit den zivilrechtlichen Vorgaben und unbedingt auch mit den einkommenund erbschaftsteuerlichen Folgen koordiniert werden. Die Herausforderung der Beratung ist dabei, möglichst viele Risiken und Eventualitäten im Rahmen einer klaren und praktikablen Regelung möglichst rechtssicher abzudecken.

Ulrike Leyh Rechtsanwältin, Fachanwältin für Steuerrecht, Steuerberaterin

Annika Thimm Steuerberaterin, Diplom-Wirtschaftsjuristin 64 R E 13b.1 Abs. 2 S. 2 ErbStR 2019. 65 Von Sothen in Scherer, Unternehmensnachfolge, 6. Aufl. 2020, § 27, Rz. 78.

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Unternehmensnachfolge mit Stiftungen – Vor- und Nachteile Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Eignung der Stiftung als Mittel der ­Unternehmensnachfolge 1. Empirische Erkenntnisse 2. Alternative Familiengesellschaft 3. Governance über Stiftung und Unter­ nehmen 4. Gewinnthesaurierung 5. Die Änderbarkeit der Stiftungssatzung 6. Publizität III. Gestaltungsoption gemeinnützige ­Stiftung 1. Besteuerung bei Errichtung einer ­steuerbegünstigten Stiftung

a) Erbschaft- und Schenkungsteuer b) Ertragsteuern c) Spendenabzug 2. Laufende Besteuerung IV. Gestaltungsoption Familienstiftung 1. Besteuerung bei Errichtung einer ­Familienstiftung a) Ertragsteuern b) Erbschaft- und Schenkungsteuer 2. Laufende Besteuerung a) Ertragsteuern b) Erbschaft- und Schenkungsteuer V. Zusammenfassung

I. Einleitung Stiftungen gibt es in verschiedenen Ausgestaltungen und Sonderformen. Unterschieden wird gemeinhin zwischen rechtsfähigen und nicht rechtsfähigen Stiftungen, privatnützigen und gemeinnützigen Stiftungen, Stiftungen des privaten Rechts und des öffentlichen Rechts. Familienstiftungen und Unternehmensstiftungen stellen lediglich Sonderformen der vorgenannten Stiftungsarten dar. Nicht rechtsfähige Stiftungen (auch unselbstständige Stiftung oder Treuhandstiftung genannt) sind zwar weit verbreitet und bieten mitunter Vorteile gegenüber der rechtsfähigen Stiftung. Sie können schnell errichtet werden, unterliegen nicht der Stiftungsaufsicht und die Stiftungssatzung kann bei entsprechender Gestaltung nachträglich leichter geändert werden.1 Diese vermeintlichen Vorteile erweisen sich für die eigene Unternehmensnachfolge jedoch dann als nachteilig, wenn der Stifter gerade nicht möchte, dass sich über seinen, in dem Stiftungsgeschäft und der Stiftungssatzung zum Ausdruck gebrachten Willen nach seinem Ableben hinweggesetzt wird. Für eine Unternehmensnachfolge ist die rechtsfähige Stiftung daher in der Regel geeigneter als die nicht rechtsfähige Stiftung, sodass sich die folgenden Ausführungen auf rechtsfähige Stiftungen des privaten Rechts i.S.d. §§ 80 ff. BGB beschränken. Wird eine Stiftungsgestaltung für die eigene Unternehmensnachfolge grundsätzlich in Betracht gezogen, stellen sich im Einzelnen zahlreiche stiftungsrechtliche und 1 Vgl. im Einzelnen Hackenberg, NWB 2016, 179.

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steuerrechtliche Fragen, aber auch interessante Möglichkeiten, die im Folgenden näher beleuchtet werden. Von vornherein sollte sich ein potenzieller Stifter jedoch bewusst machen, dass eine Stiftung eine eigenständige, von seinem Willen und seiner Familie unabhängige juristische Person ist, an die er das im Stiftungsgeschäft versprochene Vermögen verschenkt. Nach der Anerkennung der Stiftung kann der Stifter selbst nicht mehr frei über dieses Vermögen verfügen.2 Dieses geht in das Eigentum der Stiftung über, eine Rückforderung ist nach dem Motto „Einmal gestiftet, immer gestiftet“ in den seltensten Fällen möglich. Auch wenn der Stifter als Stiftungsvorstand die Geschicke der Stiftung leitet und diese rechtlich vertreten kann, ggf. sogar mit Sonderrechten ausgestattet ist, ist er in seinem Handeln an die Stiftungssatzung, das Stiftungsgeschäft und den dort zum Ausdruck gekommenen Stifterwillen  – wie er zum Zeitpunkt der Anerkennung der Stiftung bestand  – gebunden.3 Erkennt der Stifter diese besonderen Rahmenbedingungen der Rechtsform Stiftung an, ist er „stiftungsreif “.4

II. Eignung der Stiftung als Mittel der Unternehmensnachfolge 1. Empirische Erkenntnisse In der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion finden sich neben vielen Anhängern der Stiftungslösung auch vereinzelt skeptische Stimmen bezüglich der betriebswirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit eines stiftungsverbundenen Unternehmens.5 Empirisch belegt sind diese Einwände nicht. Insbesondere eine Untersuchung in Dänemark zeigt, dass der wirtschaftliche Erfolg stiftungsverbundener Unternehmen keineswegs hinter Familienunternehmen oder am Kapitalmarkt befindlichen Unternehmen zurücksteht, sondern sogar tendenziell vorteilhaft ist.6 Entscheidend scheint vor allem zu sein, welche Persönlichkeiten für die jeweiligen Gremien gefunden werden, um gute Entscheidungen zu treffen. Auf die Auswahl dieser Personen hat der Stifter nach seinem Ableben zwar nur noch begrenzt Einfluss. Mit der Stiftungssatzung und weiteren Konkretisierungen des Stifterwillens, wie z.B. einer gesonderten Verschriftlichung des Stifterwillens oder einem Kapitalerhaltungskonzept, kann der Stifter diesen Personen aber auch für die Zukunft Richtlinien an die Hand geben.

2 Von Oertzen, BB 2019, 2647. 3 Dieser stiftungsrechtliche Grundsatz soll durch die Stiftungsrechtsreform nun auch im BGB kodifiziert werden, vgl. § 83 Abs. 3 des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts v. 28.9.2020. 4 Schiffer/Pruns in Schiffer, Die Stiftung in der Beratungspraxis, 4. Aufl. 2016, § 3 Rz. 16, § 14 Rz. 31 ff.; von Löwe, Familienstiftung und Nachfolgegestaltung, 2. Aufl. 2016, § 3 Rz. 6. 5 Vgl. im Einzelnen Fleisch in Fleisch/Eulerich/Krimmer/Schlüter/Stolte, Modell unternehmensverbundene Stiftungen, 2008, S. 41 ff. 6 Fleisch in Fleisch/Eulerich/Krimmer/Schlüter/Stolte, Modell unternehmensverbundene Stif­ tungen, 2008, S.  41  ff. m.w.N.; Schauhoff, Stiftungen als Unternehmensträger, in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018, S. 91.

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Für den Erhalt eines stiftungsverbundenen Unternehmens und für seine Entwicklungsmöglichkeiten kann die Stiftungslösung daher uneingeschränkt empfehlenswert sein. Wichtig ist, dass die konkrete Ausgestaltung der Satzungsregelungen und die Besetzung der Organe im Einzelfall gut gelöst wird. Aus dem Grund sollte die Erstellung dieser Dokumente mit besonderer Sorgfalt unter Berücksichtigung praktischer Erwägungen erfahrener Rechtsberater/innen vorgenommen werden. 2. Alternative Familiengesellschaft Als Alternative zur Familienstiftung wird zuweilen eine Familiengesellschaft in Betracht gezogen. Die passende Rechtsform einer solchen Gesellschaft hängt von verschiedenen Faktoren, wie der Vermögensstruktur, der Haftungsbereitschaft der Gesellschafter, Publizitätspflichten und nicht zuletzt steuerrechtlichen Erwägungen ab. Dabei kann versucht werden, durch den Gesellschaftsvertrag eine enge Bindung der Familienmitglieder im Hinblick auf das Familien- bzw. Gesellschaftsvermögen sicherzustellen. Der wesentliche Unterschied zwischen der Stiftung und einer gesellschaftsvertraglichen Lösung ist, dass bei der Stiftung der Stifter – grundsätzlich auf ewig – die Regeln vorgibt, wie das Familienvermögen zu erhalten und die Stiftung organisiert ist, während bei einer Gesellschaft die Gesellschafter jederzeit einvernehmlich grundlegende Änderungen des Gesellschaftsvertrags oder sogar die Auf­ lösung der Familiengesellschaft beschließen können. Spätere Veränderungen im ­Unternehmen oder im Gesellschafterstamm können relativ flexibel abgebildet werden. Bei einer Familienstiftung sind die Organisation und die Tätigkeit der Stiftung nach ihrer Entstehung zumindest im Grundsatz auch durch den Stifter nur noch ­relativ schwer änderbar, was als Vor- oder Nachteil gesehen werden kann. Soll vor allem dafür Vorsorge getroffen werden, dass das Familienvermögen auseinanderfällt oder durch weitere Erbgänge oder Verkäufe eine Zersplitterung stattfindet, kann die Zusammenfassung des Familienvermögens einschließlich unternehmerischer Beteiligungen in einer Familienstiftung eine sachgerechte Lösung sein. Da es bei der Stiftung weder Gesellschafter noch übertragbare Anteile gibt, lässt sich ein „Kassemachen“ der Unternehmensnachfolge durch Verkauf ebenso wirksam vermeiden wie jedwede Abfindungsproblematik, die ansonsten bei Kündigung der Gesellschaftsbeteiligung entstehen würde. Stiftungsverbundene Unternehmen haben zwar unter Umständen eingeschränktere Finanzierungsmöglichkeiten als Unternehmen von Familiengesellschaften, wenn sie bei der Beschaffung zusätzlichen Kapitals nicht auf die Anteilseigner zurückgreifen können. Dies bedeutet jedoch keineswegs Einschränkungen für Wachstumsfinanzierungen, da es vielfältige weitere Möglichkeiten der Fremdfinanzierung gibt, die in der Praxis auch genutzt und nicht als nachteilig empfunden werden.7

7 Fleisch in Fleisch/Eulerich/Krimmer/Schlüter/Stolte, Modell unternehmensverbundene Stiftungen, 2008, S. 44 f.

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3. Governance über Stiftung und Unternehmen Auch wenn die Stiftung nach ihrer Anerkennung selbstständige Vermögensinhaberin und nur dem ursprünglichen Stifterwillen unterworfen ist, kann ein nachhaltiger Einfluss des Stifters auf die Stiftung – und so auch auf das Unternehmen – durch entsprechende Gestaltung der Stiftungssatzung erreicht werden.8 Es beginnt mit der Formulierung des Stiftungszwecks, die so bestimmt sein sollte, dass die Stiftungs­ organe einen eindeutigen und abgrenzbaren Auftrag erhalten, auf welche Art und Weise der Stiftungszweck verwirklicht werden soll.9 Hinsichtlich des Stiftungsver­ mögens sollte der Stifter anordnen, ggf. durch ein gesondertes Kapitalerhaltungskonzept, ob dieses gegenständlich, nominal oder real zu erhalten ist, inwiefern es umgeschichtet werden darf und ob es sogar ganz oder teilweise und wenn ja, in welchem Zeitraum verbraucht werden darf. Auf die Vermögensverwaltung kann der Stifter durch Anlagerichtlinien Einfluss nehmen, die dem Stiftungsvorstand als Entscheidungsgrundlage für die Anlagestrategie und das Risikoprofil der Vermögensanlage dienen.10 Zu Lebzeiten kann der Stifter selbstverständlich selbst Mitglied eines ­Stiftungsorgans, des Vorstands oder eines Beirats (Kuratoriums) sein, sich ein Mehrstimmrecht und/oder das Vetorecht für alle Maßnahmen des Stiftungsvorstands und die Benennung der Vorstandsmitglieder vorbehalten.11 Darüber hinaus kann die Satzung dezidierte Regelungen beispielsweise zur Auswahl und zur Qualifikation der Organmitglieder, zur Entscheidungsfindung und Stimmrechtsverteilung innerhalb des Vorstands, aber auch und insbesondere zur Kompetenzverteilung zwischen Vorstand und Beirat vorsehen. Insoweit macht es einen Unterschied, ob der Stiftungsvorstand als einziges Stiftungsorgan über die Stiftung herrscht oder ob neben ihm ein Überwachungsorgan mit gewissen Kontrollrechten installiert wird. In der Praxis finden sich ganz viele unterschiedliche Gestaltungsformen. Dabei sollte jedoch stets auf eine klare und widerspruchsfreie Kompetenzverteilung geachtet werden, andernfalls zwischen den Organen Streitigkeiten über die jeweiligen Befugnisse aufkommen können.12 Weiterer wichtiger Bestandteil der Governance über das Unternehmen ist die Besetzung seiner Organe. Im Regelfall empfiehlt es sich, die Gremien, die die Geschäftsführung des Unternehmens überwachen, anders zu besetzen als die Gremien, die den Stiftungsvorstand in seiner Tätigkeit wiederum überwachen.13 Dies soll jedoch nicht eine teilweise Personalunion zwischen Unternehmensgremien und Stiftungsgremien ausschließen, zumal eine solche auch sinnvoll sein kann, um eine Verknüpfung der Stiftung mit den Unternehmensorganen sicherzustellen. Letztlich muss der Stifter die entscheidenden Vorgaben dazu machen. Dabei sollte stets beachtet wer 8 Sieger/Bank, NZG 2010, 641. 9 Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit, 3. Aufl. 2010, § 3 Rz. 45. 10 von Boehm-Bezing, Stiftung & Sponsoring 02.20, S. 26. 11 Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit, 3. Aufl. 2010, § 3 Rz. 45. 12 Schauhoff, Stiftungen als Unternehmensträger, in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018, S. 99. 13 Schauhoff, Stiftungen als Unternehmensträger, in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018, S. 99.

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den, dass durch derartige Regelungen der Handlungsspielraum der Stiftungsorgane nicht unangemessen eingeschränkt wird, sondern diese bei veränderten wirtschaftlichen und/oder rechtlichen Bedingungen noch angemessen reagieren können.14 4. Gewinnthesaurierung Stiftungsrechtlich nicht zulässig ist, dass sich der Zweck der Stiftung in der Erhaltung des gestifteten Unternehmens erschöpft und dauerhaft sämtliche Unternehmensgewinne auf Unternehmensebene thesauriert werden. Aufgrund des Verbots der Selbstzweckstiftung darf das Stiftungsvermögen nur ein Mittel zur Erfüllung eines darüber hinausgehenden Zwecks sein, sei es die Erfüllung gemeinnütziger Zwecke oder die Versorgung der Familie. In der Rechtspraxis wird in Deutschland eine Thesaurierung von Gewinnen in erheblichem Umfang bislang so gut wie nicht beanstandet; welche Rendite aus dem Stiftungsvermögen gezogen wird, wird gegenwärtig kaum kontrolliert.15 Auch wenn das deutsche Recht keine Ausschüttungsverpflichtung kennt, könnte insbesondere bei gemeinnützigen Stiftungen zunehmend problematisiert werden, ob es vernünftige wirtschaftliche Gründe für die Gewinnthesaurierung auf Unternehmensebene gibt. Als Gestaltungsmaßnahme wird heute bereits vielfach das Modell der Doppelstiftung empfohlen, bei der eine andere (in der Regel nicht gemeinnützige) Stiftung über die Ausschüttungshöhe entscheidet.16 Auf Ebene der gemeinnützigen Stiftung unterliegen die ausgeschütteten Erträge grundsätzlich der zeitnahen Mittelverwendung, allerdings kann regelmäßig ein Drittel der Dividenden einer freien Rücklage zugeführt und in das Unternehmen reinvestiert werden.17 5. Die Änderbarkeit der Stiftungssatzung Die Stiftung gilt gemeinhin wegen der angeblichen „Änderungsfestigkeit“ der Satzung, die viele Stifter aber auch schätzen, als wenig flexibel. Sowohl unternehmerische als auch Entwicklungen des Stiftungsvermögens sind aber oftmals nicht vorhersehbar und bedürfen situativer Entscheidungen. In der Stiftungssatzung gilt es somit die Balance zu finden zwischen verbindlichen Vorgaben des Stifters und einem hinreichenden Handlungsspielraum für den Stiftungsvorstand. Ein Schlüssel zum Erfolg liegt in einer durchdachten Gestaltung der Satzungsregelungen, und zwar auch der zur Änderbarkeit der Satzung. Ohne eine solche Regelung hängt die Änderbarkeit derzeit noch von dem jeweils anzuwendenden Landesstiftungsrecht ab, im Rahmen der Stiftungsrechtsreform sollen die Voraussetzungen für Satzungsänderungen im

14 Söffing/Blusz in Schäfer/Sethe/Lang, Handbuch der Vermögensverwaltung, 2.  Aufl. 2016, § 14 Rz. 21. 15 Schauhoff, Stiftungen als Unternehmensträger, in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018, S. 97. 16 Zu den Gestaltungsgrenzen siehe Hüttemann/Rawert in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2017, Vorbem. zu §§ 80 ff. BGB Rz. 237. 17 Vgl. §§ 55 Abs. 1 Nr. 5, 62 Abs. 1 Nr. 3 AO.

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BGB festgeschrieben werden.18 Sicher ist, dass der Stifter die Voraussetzungen für Satzungsänderungen in der Satzung abweichend regeln kann; so kann eine Satzungsänderung durch die Stiftungsorgane ganz oder teilweise ausgeschlossen, aber auch erleichtert werden. Voraussetzung für eine erleichterte Änderbarkeit ist allerdings, dass der Stifter Inhalt und Umfang möglicher Satzungsänderungen in der Satzung hinreichend bestimmt festlegt. Er darf den zuständigen Stiftungsorganen keine Blanko- oder Pauschalermächtigung zur Änderung der Satzung erteilen, sondern muss ihnen Leitlinien und Orientierungspunkte vorgeben.19 Dass diese vorausschauende Sichtweise nicht immer einfach ist, zeigt sich an der möglicherweise zu regelnden Frage, unter welchen Voraussetzungen der Stiftungsvorstand eine Veräußerung des Unternehmens prüfen kann oder sogar muss. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen, erscheinen sie zum Zeitpunkt der Stiftungserrichtung auch noch so abwegig, sollten antizipiert werden. Im Ergebnis führt dies dazu, dass bei keiner anderen Rechtsform als der der Stiftung der Stifter derart autonom entscheiden kann, welche Regelungen grundsätzlich für die Ewigkeit gelten sollen und welche unter welchen Voraussetzungen geändert werden dürfen oder sogar müssen. Die Kunst liegt in einer vorausschauenden, von Vertrauen geprägten Sichtweise des Stifters, bei der er aber auch an persönlichen Idealen festhalten darf, und der kreativen Umsetzung dieser Überlegungen in abstrakter Form durch den/die mit der Satzungsgestaltung beauftragte/n Berater/in. 6. Publizität Stiftungen konnten bis vor ein paar Jahren mit relativ geringen Publizitätspflichten punkten. Mit ihrer Errichtung werden sie von der Stiftungsaufsicht in das nach dem jeweiligen Landesstiftungsgesetz geführte Stiftungsverzeichnis eingetragen, in der Regel mit Angabe des Stiftungszwecks, der vertretungsberechtigten Personen und nur vereinzelt20 des im Stiftungsgeschäft angegebenen Stiftungsvermögens.21 Die Stiftungsverzeichnisse entfalten jedoch keine Publizitätswirkung mit Richtigkeitsvermutung wie das Handels- oder Vereinsregister. Aus dem Grund müssen rechtsfähige Stiftungen des privaten Rechts seit Änderung des Geldwäschegesetzes im Jahr 2017 bestimmte Angaben zu ihren sogenannten wirtschaftlich berechtigten Personen dem Transparenzregister mitteilen. Als zu meldende wirtschaftlich Berechtigte einer Stiftung kommen dabei insbesondere die Mitglieder des Vorstands in Betracht.22 Der Stifter als solcher muss nicht dem Transparenzregister mitgeteilt werden, nur wenn er auch Mitglied des Vorstands oder Begünstigter ist oder einen unmittelbaren oder

18 Vgl. §§ 85, 85a des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts v. 28.9.2020. 19 Vgl. Begründung zu § 85 Abs. 4 Satz 3 des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts v. 28.9.2020. 20 § 15 Abs. 2 Nr. 4 StiftG SchlH. 21 Zu den unterschiedlichen Handhabungen in einzelnen Ländern vgl. nur Lorenz, Ubg 2020, 279, 283. 22 Vgl. im Einzelnen § 3 Abs. 3 GWG.

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mittelbaren Einfluss auf die Vermögensverwaltung oder Ertragsverteilung ausübt.23 Darüber hinaus kann ein Stiftungsvorstand, der einen beherrschenden Einfluss auf die Stiftung ausüben kann, mittelbar wirtschaftlich Berechtigter einer Tochtergesellschaft der Stiftung sein und auch von dieser dem Transparenzregister zu melden sein.24 Da ein Verstoß gegen die gegenüber dem Transparenzregister vorzunehmenden Mitteilungspflichten eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit darstellen kann, sollten die Meldepflichten ernst genommen werden. Eine stiftungsspezifische Pflicht für Stiftungen, ihre Rechnungslegung anderen als der Stiftungsaufsichtsbehörde gegenüber offenzulegen, wird es allerdings weiterhin nicht geben. Nur wenn Unternehmensträger-Stiftungen unter das Publizitätsgesetz fallen, kommt eine Rechnungslegungspublizität nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 325-329 HGB in Betracht.25 Die Mehrheit der Stiftungen unterliegt dadurch einer geringeren Publizität als wenn sie in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft organisiert wäre.

III. Gestaltungsoption gemeinnützige Stiftung Sollen mit der Stiftung dauerhaft gemeinnützige Zwecke verfolgt werden, ist eine gemeinnützige Stiftung eine interessante Gestaltungsoption. Sowohl die Besteuerung bei Errichtung der Stiftung als auch die laufende Besteuerung sind äußerst günstig. 1. Besteuerung bei Errichtung einer steuerbegünstigten Stiftung a) Erbschaft- und Schenkungsteuer Wird einer Stiftung im Rahmen ihrer Errichtung oder später, von Todes wegen oder als Schenkung unter Lebenden, Vermögen übertragen, unterliegen diese Vorgänge grundsätzlich der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer.26 Selbstverständlich gelten auch für Vermögensübertragungen an Stiftungen die allgemeinen Steuerbefreiungen des § 13 ErbStG sowie die besonderen Steuerbefreiungen für Betriebsvermögen, Betriebe der Land- und Forstwirtschaft und Anteile an Kapitalgesellschaften gemäß §§  13a, 13b, 13c ErbStG. Für gemeinnützige Stiftungen ist jedoch vor allem die Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b ErbStG bedeutsam, wonach Zuwendungen an Stiftungen, die nach ihrer Satzung, dem Stiftungsgeschäft und nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar kirchlichen, gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken im Sinne der §§  52-54 23 § 3 Abs. 3 Nr. 5 GWG; vgl. auf der Internetseite des Bundesverwaltungsamts veröffentlichte Fragen und Antworten zum Geldwäschegesetzt (Stand: 19.8.2020), C.III. Frage 3; Lorenz, Ubg 2020, 279, 288. 24 Vgl. BVA-FAQs (Fn. 16), C.III. Frage 9. 25 Spiegel in Richter, Stiftungsrecht, 2019, § 20 Rz. 20. 26 Gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 bzw. 8 ErbStG bei lebzeitigen Übertragungen, gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 Nr. 1 ErbStG bei Zuwendungen von Todes wegen.

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AO dienen, von der Erbschaft- und Schenkungsteuer befreit sind.27 Steuerfreie Vermögensübertragungen in diesem Sinne sind sowohl die Zuwendungen in den Vermögensstock einer Stiftung bei Errichtung oder späterer Zustiftung als auch die Zuwendungen, die für die unmittelbare (zeitnahe) Verwendung zu steuerbegünstigten Zwecken bestimmt sind. b) Ertragsteuern Wird einer gemeinnützigen Stiftung ein Betrieb oder ein Teilbetrieb unentgeltlich zugewendet, ist die Übertragung ertragsteuerneutral nach § 6 Abs. 3 EStG. Handelt es sich dagegen um eine Beteiligung an einer Personengesellschaft, ist danach zu differenzieren, ob bei der Stiftung die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist. Das bedeutet, dass eine ertragsteuerneutrale Übertragung nach § 6 Abs. 3 EStG nur dann möglich ist, wenn der gemeinnützigen Stiftung ein Mitunternehmeranteil übertragen wird, der bei ihr einen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb begründet.28 Dies ist bei einem Mitunternehmeranteil an einer gewerblich tätigen Per­ sonengesellschaft der Fall, nicht jedoch bei einem Mitunternehmeranteil an einer vermögensverwaltenden gewerblich geprägten GmbH & Co. KG (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG).29 In letzterem Fall kann eine Buchwertfortführung dennoch erreicht werden, wenn in Bezug auf den übertragenen Mitunternehmeranteil die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 EStG erfüllt sind.30 Bei der Entnahme eines Wirtschaftsguts kann der Buchwert angesetzt werden, wenn dieses unmittelbar nach seiner Entnahme einer nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG steuerbefreiten Körperschaft zur Verwendung für steuerbegünstigte Zwecke unentgeltlich überlassen wird. Für das Vorliegen einer unentgeltlichen Überlassung ist dann allerdings zu beachten, dass mit den (ideell) übertragenen Einzelwirtschaftsgütern nicht auch Verbindlichkeiten übergehen.31 Ferner ist nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG nur die Übertragung des gesamten Mitunternehmeranteils steuerlich privilegiert, nicht die Übertragung eines Teils des Mitunternehmeranteils. Hat der Übertragende für den übertragenen Betrieb oder Mitunternehmeranteil in der Vergangenheit die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG in Anspruch genommen, löst die unentgeltliche Übertragung auf die Stiftung die Nachversteuerung des begünstigt besteuerten thesaurierten Gewinns mit 25 % Einkommensteuer aus gem. § 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3, Abs. 4 EStG. Vereinzelt wird vertreten, dass eine Nachversteuerung im Fall der Übertragung eines Mitunternehmeranteils an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG nicht greift, 27 Zum rückwirkenden Wegfall der Steuerbefreiung vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 16 b) Satz 2 ErbStG. 28 Vgl. BMF, Schr. v. 20.11.2019 – IV C 6 – S 2241/15/10003, DStR 2019, 2482, Rz. 3 ff. 29 BFH, Urt. v. 25.5.2011 – I R 60/10, BStBl. 2011 II, 858; AEAO zu § 64 Nr. 3; BMF, Schr. v. 20.11.2019 – IV C 6 – S 2241/15/10003, DStR 2019, 2482, Rz. 3 ff.; Demuth, KÖSDI 2018, 20909, 20913; im Einzelnen zur Zuordnung von Gesellschaftsbeteiligungen zum wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb vgl. Kraus/Mehren, DStR 2020, 1593. 30 Ley/Bodden in Korn, EStG, § 34a Rz. 191.2 (Stand: 1.10.2017). 31 Ley/Bodden in Korn, EStG, § 34a Rz. 191.2 (Stand: 1.10.2017).

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weil in dem Fall – wie oben dargelegt – § 6 Abs. 3 EStG nicht anwendbar ist.32 Nach anderer Auffassung greift in dem Fall jedoch die Nachversteuerung nach § 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 EStG, weil von einer Betriebsaufgabe im Sinne des § 16 Abs. 3 EStG auszugehen sei.33 Im Hinblick auf die unter Umständen erheblichen Steuerbelastungen, die eine Nachversteuerung auslösen kann, sollte die Ertragsteuerneutralität durch verbindliche Auskunft abgesichert werden. Die unentgeltliche Übertragung einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft auf eine gemeinnützige Stiftung ist in jedem Fall ertragsteuerneutral möglich. Zählt die Kapitalgesellschaftsbeteiligung beim Stifter zum Privatvermögen, liegt weder eine Veräußerung im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG noch eine verdeckte Einlage in eine Kapitalgesellschaft im Sinne des §  17 Abs.  1 Satz 2 EStG vor.34 Befindet sich die Beteiligung im (Sonder-)Betriebsvermögen des Stifters, wird die Beteiligung durch die unentgeltliche Übertragung auf die Stiftung aus dem Betriebsvermögen ent­ nommen. Bei Übertragung auf eine gemeinnützige Stiftung greift jedoch das Buchwertprivileg nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 EStG.35 Dies gilt unabhängig davon, ob die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft bei der Stiftung zur Vermögensverwaltung gehört, wie üblicherweise, oder ausnahmsweise ein wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb begründet.36 Verfügt die Kapitalgesellschaft, deren Anteile auf die Stiftung übertragen werden sollen, über körperschaftsteuerliche Verlustvorträge oder einen vortragsfähigen Gewerbeverlust, sind die Verlustabzugsbeschränkungen nach §§ 8c, 8d KStG zu beachten, die auch auf Stiftungen und unentgeltliche Übertragungen an Stiftungen Anwendung finden.37 Im Rahmen der Errichtung einer Stiftung fallen naturgemäß Kosten an, wie beispielsweise Rechtsberatungskosten im Zusammenhang mit dem Entwurf der Satzung oder Notargebühren für eine Beurkundung. Sollen die Gründungskosten durch die Stiftung übernommen werden, ist eine entsprechende Erklärung im Stiftungsgeschäft erforderlich.38

32 Ley/Bodden in Korn, EStG, § 34a Rz. 191.2 (Stand: 1.10.2017); Demuth, kösdi 2018, 20909 [17]; kk, KÖSDI 2019, 21297 [329]. 33 Wacker in Schmidt, EStG, 39. Aufl. 2020, § 34a Rz. 79 unter Verweis auf BMF, BStBl. I 2019, 1291 Rz. 5. 34 Demuth, kösdi 2018, 20909 [18]; Winheller in Werner/Saenger/Fischer, Die Stiftung, 2. Aufl. 2019, § 12 Rz. 11. 35 Demuth, kösdi 2018, 20909 [19]. 36 Im Einzelnen zur Zuordnung von Gesellschaftsbeteiligungen zum wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb vgl. Kraus/Mehren DStR 2020, 1593. 37 FG Münster v. 4.11.2015 – 9 K 3478/13 F, EFG 2016, 412, rkr.; BMF, Schr. v. 28.11.2017, BStBl. 2017 I 1645 Rz. 1, 4; die von der Finanzverwaltung gewährte Billigkeitsregelung zu unentgeltlichen Übertragungen im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge gilt nur für Übertragungen zwischen Angehörigen im Sinne von § 15 AO, zu denen eine Stiftung nicht zählt. 38 Siehe im Einzelnen Hüttemann/Rawert, ZIP 2020, 245 ff.

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c) Spendenabzug Natürliche Personen können die im Rahmen der Neugründung einer Stiftung getätigten Zuwendungen sowie Zustiftungen nach Errichtung der Stiftung in das zu erhaltende Vermögen (Vermögensstock) einer steuerbegünstigten Stiftung bis zu einem Gesamtbetrag von 1 Million Euro (bei zusammen veranlagten Ehegatten bis zu einem Gesamtbetrag von 2 Millionen Euro) im Rahmen ihrer Einkommensteuerveranlagung zusätzlich zu dem regulären Spendenabzug nach § 10b Abs. 1 EStG (20 % vom Gesamtbetrag der Einkünfte) als Sonderausgaben abziehen gem. § 10b Abs. 1a EStG. Der Steuerpflichtige hat dabei zum einen ein Wahlrecht, ob die Zuwendung im Rahmen der Höchstbeträge nach § 10b Abs. 1 EStG oder als zusätzlicher Abzugsbetrag nach § 10b Abs. 1a EStG berücksichtigt werden soll. Zum anderen kann er den besonderen Abzugsbetrag nach §  10b Abs.  1a EStG im Veranlagungszeitraum der Zuwendung und/oder in den folgenden neun Veranlagungszeiträumen in Anspruch nehmen. Hierdurch kann die persönliche Einkommensteuerbelastung gezielt minimiert werden. Für den Zeitpunkt des Spendenabzugs ist bei Zuwendungen aus dem Privatvermögen nach § 11 EStG der Abfluss der Zuwendung beim Stifter, also die wirtschaftliche Belastung, maßgeblich. Allerdings ist zu beachten, dass eine Spende in den Vermögensstock einer rechtsfähigen Stiftung regelmäßig erst mit Anerkennung der Stiftung durch die Stiftungsbehörde akzeptiert wird.39 Soll kurz vor dem Jahreswechsel noch eine Zuwendung zwecks Erlangung des besonderen Sonderausgabenabzugs nach § 10b Abs. 1a EStG getätigt werden, kann aber die Anerkennung einer rechtsfähigen Stiftung aus zeitlichen Gründen nicht mehr bewerkstelligt werden, empfiehlt sich zunächst die Gründung einer nicht rechtsfähigen (unselbstständigen) Stiftung, auf die das Vermögen noch vor Jahresende übertragen wird. Im Anschluss kann die nicht rechtsfähige Stiftung in eine rechtsfähige Stiftung umgewandelt werden. Nach § 10b Abs. 3 Satz 3 EStG ist eine Sachzuwendung, wie die Zuwendung von Gesellschaftsanteilen, grundsätzlich mit dem gemeinen Wert zu bewerten. Stammt das der steuerbegünstigten Stiftung zugewandte Wirtschaftsgut aus dem Privatvermögen und würde eine Veräußerung im Zeitpunkt der Zuwendung einen Besteuerungstatbestand erfüllen (z.B. § 17 EStG bei Anteilen an Kapitalgesellschaften von mindestens 1 Prozent am Grund-/Stammkapital), ist der Spendenabzug auf die fortgeführten Anschaffungs-/Herstellungskosten gedeckelt (§  10b Abs.  3 Satz 4 EStG). Bei Wirtschaftsgütern, die unmittelbar vor der Zuwendung einem Betriebsvermögen entnommen wurden, bemisst sich die Zuwendung nach dem bei der Entnahme angesetzten Wert, gegebenenfalls zuzüglich der bei der Entnahme angefallenen Umsatzsteuer (§ 10b Abs. 3 Satz 2 EStG). Hier hat der Steuerpflichtige bei der Bewertung der Entnahme ein Wahlrecht zwischen Teilwert (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG) und Buchwert (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 EStG). Das Buchwertprivileg kommt jedoch wiede-

39 BFH v. 11.2.2015 – X R 36/11, BStBl. II 2015, 545.

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rum nicht in Betracht, wenn die Sachspende als verdeckte Gewinnausschüttung anzusehen ist, da eine solche mit dem gemeinen Wert bemessen wird.40 Nach der Rechtsprechung kann eine Spende einer Kapitalgesellschaft jedenfalls dann als verdeckte Gewinnausschüttung gewertet werden, zu Beteiligungserträgen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG und zum Anfall von Kapitalertragsteuer führen, wenn sie durch ein besonderes Näheverhältnis zwischen der spendenempfangenden Stiftung und dem Gesellschafter der spendenden Kapitalgesellschaft veranlasst ist.41 Ein Indiz für ein solches Näheverhältnis soll vorliegen, wenn die begünstigte Stiftung durch die Gesellschafter der Kapitalgesellschaft errichtet wurde.42 Dieses Kriterium allein dürfte für die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung jedoch nicht ausreichen; maßgeblich ist vielmehr, ob die der vermeintlich nahestehenden Stiftung zugewandte Spende einem Fremdspendenvergleich standhält.43 2. Laufende Besteuerung Gemeinnützige Stiftungen sind nach §  5 Abs.  1 Nr.  9 KStG von der Körperschaftsteuer befreit, wenn sie nach dem Stiftungsgeschäft, der Satzung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigten Zwecken dienen (§§ 51 ff. AO). Die Befreiung gilt jedoch ausdrücklich nicht für den steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb im Sinne der §§ 14, 64 AO. Gemeinnützige Stiftungen können somit Einnahmen im ideellen Bereich, innerhalb der Vermögensverwaltung sowie aus einem Zweckbetrieb im Sinne der §§ 65-68 AO ertragsteuerfrei vereinnahmen. Sie haben jedoch genauso wie andere steuerbegünstigte Körperschaften die weiteren gemeinnützigkeitsrechtlichen Voraussetzungen der §§  51  ff. AO zu beachten und unterliegen insoweit gewissen Beschränkungen. Die Erträge der Stiftung unterliegen grundsätzlich der zeitnahen Mittelverwendung (§ 55 Abs. 1 Nr. 5 AO), sodass eine Thesaurierung von Erträgen auf Ebene der Stiftung nur eingeschränkt möglich ist.44 Die Versorgung des Stifters und naher Familienangehörigen durch die Stiftung unterliegt ebenfalls gewissen Restriktionen.45

IV. Gestaltungsoption Familienstiftung Soll die Stiftung in erster Linie der Versorgung des Stifters, seiner Angehörigen und seiner Abkömmlinge dienen, handelt es sich in der Regel um eine sog. Familienstif-

40 H 8.6 „Hingabe von Wirtschaftsgütern“ KStH 2015; OFD NRW, Stiftungen aus steuerlicher Sicht (Arbeitshilfe), S. 53 (Stand 13.1.2020). 41 BFH v. 19.12.2007 – I R 83/06, BFH/NV 2008, 988. 42 FG Köln v. 21.3.2018 – 10 K 2146/16, EFG 2018, 1676, Rev. anhängig BFH I R 16/18. 43 BFH v. 9.8.1989 – I R 4/84, BStBl. II 1990, 237; FG Hamburg v. 12.12.2007 – 6 K 131/06, EFG 2008, 634. 44 Siehe hierzu bereits oben unter II.4. 45 Vgl. § 58 Nr. 6 AO.

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tung.46 Nicht nur die Unternehmenserbschaftsteuerreform hat ihr zu neuer Attraktivität verholfen, sie erlaubt der Familie auch eine steuergünstige Vermögensbildung auf Stiftungsebene und ist ein geeignetes Vehikel zur Vermeidung einer Wegzugsteuer. Wird die Familienstiftung Trägerin des Familienunternehmens, ist dem bei der Satzungsgestaltung besonders Rechnung zu tragen durch differenzierte Regelungen zu den Stiftungsorganen (z.B. einer Destinatärsversammlung neben Stiftungsvorstand und ggf. Stiftungsbeirat) und den gegenseitigen Informations- und Kontrollrechten.47 1. Besteuerung bei Errichtung einer Familienstiftung a) Ertragsteuern Ertragsteuerlich gelten die obigen Ausführungen im Zusammenhang mit der Besteuerung bei Errichtung einer steuerbegünstigten Stiftung grundsätzlich entsprechend. Anders als bei gemeinnützigen Stiftungen können auf Familienstiftungen jedoch auch Mitunternehmeranteile an einer gewerblich geprägten GmbH & Co. KG ertragsteuerneutral nach § 6 Abs. 3 EStG übertragen werden, da die Familienstiftung die Beteiligung als Mitunternehmerin fortführt und insoweit Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 EStG erzielt. b) Erbschaft- und Schenkungsteuer Die Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 16 b) ErbStG ist auf Zuwendungen an eine Familienstiftung nicht anwendbar, da diese nicht der Förderung der Allgemeinheit dient. Der Fokus liegt daher regelmäßig auf den Begünstigungen für Betriebsvermögen nach den §§ 13a, 13b, 13c ErbStG. Insbesondere bei begünstigtem Vermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG im Wert von über 26 Millionen Euro kann der Einsatz einer Familienstiftung und die Inanspruchnahme des Erlassmodells nach §  28a ErbStG interessante Gestaltungen eröffnen.48 Hiernach wird unabhängig von dem Wert des insgesamt auf die Familienstiftung übergehenden Vermögens die auf das begünstigte Vermögen entfallende Erbschaftsteuer auf Antrag erlassen, soweit diese aus sogenanntem verfügbaren Vermögen nicht beglichen werden kann. Zum verfügbaren Vermögen der Familienstiftung gehören gemäß §  28a Abs.  2 ErbStG 50 % des nicht begünstigten Vermögens im Sinne des § 13b Abs. 2 ErbStG, welches die Stiftung zeitgleich erhalten hat oder – sofern es sich um eine Zustiftung handelt – ihr bereits gehört. Erfolgt die Übertragung auf eine neu errichtete Familienstiftung und wird diese ausschließlich mit begünstigungsfähigem Vermögen nach §  13b Abs. 1 ErbStG dotiert, wird lediglich das in diesem Vermögen enthaltene nicht begünstigte (Verwaltung-)Vermögen mit der Hälfte seines Wertes zur Begleichung der auf das begünstigte Vermögen entfallenden Erbschaftsteuer herangezogen. 46 Zum Verständnis der Finanzverwaltung zum Vorliegen einer Familienstiftung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG vgl. R E 1.2 Abs. 2 ErbStR 2019. 47 Vgl. von Oertzen/Reich, DStR 2017, 1118. 48 Vgl. insbesondere von Oertzen, BB 2019, 2647 ff. zu aktuellen Stiftungsstrukturen.

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Die Besteuerung der Stiftungserrichtung selbst (nicht späterer Zustiftungen!) richtet sich gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG nach dem Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde „entferntest Berechtigten“ zu dem Erblasser oder Schenker, also zum Stifter. Dieses sog. Steuerklassenprivileg ist maßgeblich für die Steuerklasse, den Freibetrag und den Steuersatz.49 Sind als Destinatäre der Stiftung neben dem Stifter und seinem Ehegatten ausschließlich Kinder des Stifters und Abkömmlinge dieser Kinder vorgesehen, führt § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG zur Anwendung der Steuerklasse I für die Besteuerung bei Errichtung der Stiftung.50 Errichten mehrere Personen mit ihren Anteilen am Familienunternehmen gemeinsam eine Familienstiftung, kann die Anwendbarkeit der Steuerklasse I fraglich sein, weil die Stifter und die Destinatäre nicht in dem für die Steuerklasse I erforderlichen Verwandtschaftsverhältnis zueinanderstehen. In dem Fall kann versucht werden, durch die Bildung von Stiftungsunter- bzw. Sondervermögen und Destinatärsgruppen die Errichtungsbesteuerung nach Steuerklasse I zu erreichen.51 2. Laufende Besteuerung a) Ertragsteuern Eine Familienstiftung erfährt keine besondere ertragsteuerliche Begünstigung. Sie ist mit ihrem Einkommen unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig, wenn sie Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat.52 So wie natürliche Personen, aber anders als Kapitalgesellschaften, kann eine Familienstiftung alle Einkunftsarten im Sinne des § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. §§ 13 ff. EStG verwirklichen (mit Ausnahme der nichtselbstän­digen und der freiberuflichen Tätigkeit). Die Fiktion des § 8 Abs. 2 KStG, wonach alle Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln sind, gilt für sie nicht, sodass eine Familienstiftung nur dann der Gewerbesteuer unterliegt, wenn sie tatsächlich gewerbliche Einkünfte erzielt.53 Abhängig von ihrer Vermögensausstattung kann eine Stiftung somit bspw. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 EStG oder Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 EStG erzielen, die bei ihr zum Bereich der Vermögensverwaltung gehören. Dabei gilt sowohl für Beteiligungserträge (Dividenden) als für Veräußerungsgewinne die Steuerbefreiung nach §  8b KStG.54 5 % der Bezüge, die bei der Einkünfteermittlung nach § 8b Abs. 1 und 2 KStG außer Ansatz bleiben, gelten pauschal als nichtabzugsfähige Betriebsausgaben und unterliegen der Besteuerung.55 Im Ergebnis bleiben damit aber 95 % der Beteiligungsein49 §§ 15 Abs. 1, 16 Abs. 1, 19 Abs. 1 ErbStG. 50 Zur Problematik, wenn eine gemeinnützige Stiftung als satzungsmäßige Anfallsberechtigte für den Fall des Fehlens von Destinatären vorgesehen wird, vgl. Reich DStR 2019, 1341; a.A. M. Söffing, ErbStB 2020, 107. 51 Eingehend hierzu vgl. von Oertzen/Reich, DStR 2019, 317. 52 § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG. 53 Vgl. H 2.1 Abs. 1 GewStR, R 15.7 EStR. 54 Vgl. BMF, Schr. v. 28.4.2003, BStBl. I 2003, 292, Tz. Rz. 4; Werder/Wystrcil, BB 2016, 1558; Alber/Seemann, FuS 2012, 183, 189. 55 § 8 Abs. 3, 5 KStG.

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künfte einer privatnützigen Stiftung nach §§ 17, 20 EStG steuerfrei.56 Für Dividendenerträge gilt die Befreiung nach § 8b Abs. 1 KStG allerdings nur, sofern die Stiftung zu mindestens 10 % am Stammkapital der Gesellschaft beteiligt ist.57 Auf das zu versteuernde Einkommen der Familienstiftung ist nach Abzug eines Freibetrages in Höhe von 5.000 Euro ein Körperschaftsteuersatz i.H.v. 15 % anzuwenden. Sofern die Familienstiftung Erträge aus dem Stiftungsvermögen an den Stifter, seine Angehörigen oder deren Abkömmlinge auszahlt, sind diese als Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG zu qualifizieren, wenn sie wirtschaftlich mit einer Gewinnausschüttung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG vergleichbar sind, unabhängig davon, ob die Leistungen einmalig oder wiederkehrend gewährt werden.58 Die Vergleichbarkeit mit einer Gewinnausschüttung ist dann gegeben, wenn die Destinatäre unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen können.59 Die Destinatszahlungen unterliegen dann dem Kapital­ ertragsteuerabzug in Höhe von 25  %, der grundsätzlich abgeltende Wirkung hat. Alternativ kommt eine Besteuerung als sonstige Einkünfte gem. §  22 Nr.  1 Satz 2 Buchst. a EStG in Betracht. b) Erbschaft- und Schenkungsteuer Die satzungskonforme Auskehrung der auf Ebene der Stiftung erzielten Erträge an ihre Destinatäre unterliegt nicht der Schenkungsteuer.60 Sofern die Zuwendung dem Satzungszweck entspricht, fehlt es an der für die Erfüllung des Schenkungsteuertatbestandes nach §  7 Abs.  1 Nr.  1 ErbStG erforderlichen Freigebigkeit. Im Umkehrschluss sind Leistungen von Stiftungen an ihre Destinatäre nur dann steuerbar, wenn sie eindeutig gegen den Satzungszweck verstoßen. Dabei ist jedoch nach der Rechtsprechung,61 der sich die Finanzverwaltung angeschlossen hat,62 ein den Stiftungsorganen gesetzlich oder satzungsmäßig zugebilligter Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu berücksichtigen. Nur eine unvertretbare Auslegung des Satzungszwecks führt zu einem Verstoß gegen selbigen. Als wesentlicher Nachteil der Familienstiftung wird die Erbersatzsteuer angesehen, die alle 30 Jahre nach der Errichtung anfällt. Dies mag ein Nachteil gegenüber der gemeinnützigen Stiftung sein; im Übrigen wird man zu berücksichtigen haben, dass 56 Richter, Stiftungsrecht, 2019, § 11 Rz. 77. 57 § 8b Abs. 4 KStG. 58 BMF, Schr. v. 27.6.2006 – IV B 7 – S 2252 – 1/06, BStBl. I 2006, 417; OFD NRW, Stiftungen aus steuerlicher Sicht (Arbeitshilfe), S. 42 (Stand: 13.1.2020). 59 BFH, Urt. v. 3.11.2010 – I R 98/09, BStBl. 2011 II S. 417; FG Schleswig-Holstein, Urteil v. 7.5.2009 – 5 K 277/06, EFG 2009, 1558; FG Baden-Württemberg v. 24.10.2011 – 10 K 3397, EFG 2012, 174. 60 BFH, Urt. v. 13.4.2011 − II R 45/09, BStBl. II 2011, 732; ebenso BFH, Urt. v. 3.7.2019 – II R 6/16, BStBl. II 2020, 61 zu Leistungen ausländischer Stiftungen. 61 BFH, Urt. v. 3.7.2019 – II R 6/16, BStBl. II 2020, 61. 62 OFD Frankfurt a.M., Rundvfg. v. 19.6.2020, VV HE OFD Frankfurt 2020-06-19 S 3806 ­A-032-St 710, juris; Bayerisches Landesamt für Steuern v. 5.3.2020 − S 3806.2.1-104/42 St 34, juris.

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Unternehmensnachfolge mit Stiftungen – Vor- und Nachteile

das auf die Familienstiftung übertragene Vermögen bei Erbfällen keiner Erbschaftbesteuerung mehr unterliegt und auch nicht der Wechsel in der Destinatärstellung. Nach derzeitiger Rechtslage greifen zudem auch bei der Erbersatzsteuer die Verschonungsregelungen für Unternehmensvermögen. Im Rahmen der Steuerberechnung wird der doppelte Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG gewährt,63 insgesamt also 800.000 Euro; die Steuer ist nach dem Prozentsatz der Steuerklasse I zu berechnen, der für die Hälfte des steuerpflichtigen Vermögens gelten würde.

V. Zusammenfassung Stiftungen stellen grundsätzlich ein geeignetes und attraktives Mittel für die Unternehmensnachfolge dar. Die Stiftung kann als gemeinnützige Stiftung, als Familienstiftung oder als Unternehmensstiftung ausgestaltet werden. Als Verbrauchsstiftung kann sie nur für einen bestimmten Zeitraum errichtet werden, wobei auch regelbar ist, dass das Stiftungsvermögen erst nach einer bestimmten Zeit, bspw. 30 oder 60 Jahre nach dem Tod des Stifters, verbraucht werden darf. Von der Idee, die eigene Unternehmensnachfolge mit einer Stiftung zu gestalten, bis zur Umsetzung sind viele Fragen zu bedenken und Entscheidungen zu treffen. Dieser Prozess erfordert Zeit und Arbeit, kann dann aber dem Stifter die Gewissheit geben, die eigene Unternehmensnachfolge nach den eigenen Vorstellungen bestmöglich und nachhaltig gestaltet zu haben. Können den weiteren Generationen durch die Stiftung zudem die eigenen Werte und Vorstellungen weitergegeben werden, sei es aus unternehmerischer oder aus gesellschaftsverantwortlicher Sicht, darf zurecht von einer gelungenen Nachfolgeplanung gesprochen werden. Alles in allem handelt es sich um eine höchst individuelle Entscheidung, die es in ihren Einzelheiten gut zu durchdenken gilt.

Judith Mehren Rechtsanwältin, Fachanwältin für Steuerrecht, Steuerberaterin, Diplom-Finanzwirtin Assoziierte Partnerin

63 § 15 Abs. 2 Satz 3 ErbStG.

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Übertragung von Anteilen an vermögensverwaltenden Personengesellschaften im Wege der vorweggenommenen Erbfolge – ungeklärte Fragen hinsichtlich (vermieteter) Grundstücke im Gesamthandsvermögen Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Rechtslage 1. Ausgangspunkt: Transparenzbetrachtung nach § 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG 2. Zur Anwendung von erbschaftsteuer­ lichen Begünstigungsvorschriften auf Vermögensgegenstände des Gesamthandsvermögens a) Steuerbefreiung für Familienwohn­ heime b) Steuerbefreiung für zu Wohnzwecken vermietete Grundstücke

3. Anteilige Berücksichtigung von ­Gesellschaftsschulden nach § 10 Abs. 6 ErbStG III. Ertragssteuerliche Fragen und ­Gestaltungserwägungen 1. Vermeidung der Besteuerung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 4 EStG 2. Vermeidung eines gewerblichen ­Grundstückshandels IV. Fazit

I. Einleitung Mietimmobilen sind insbesondere in der derzeitigen Niedrigzinsphase beliebte Investitionsobjekte und spielen daher auch in der Nachfolgeberatung eine erhebliche Rolle. Wird die Immobilieninvestition dabei in Form der Beteiligung an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft getätigt und soll der Gesellschaftsanteil hieran auf die nachfolgende Generation übertragen werden, stellen sich regelmäßig zahlreiche verschiedene Fragen, die zu weiten Teilen weder höchstrichterlich geklärt noch seitens der Finanzverwaltung in den Verwaltungsanweisungen adressiert sind. Der folgende Beitrag soll einen Überblick über die schenkungs- und ertragsteuer­ lichen Probleme, Fallstricke und mögliche Gestaltungen bei der unentgeltlichen Übertragung von Anteilen an vermögensverwaltenden Immobilienpersonengesellschaften geben. Das Augenmerk liegt dabei insbesondere auf Auslegungsfragen im Zusammenhang mit § 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG, § 23 EStG, der Anwendung der Steuerbefreiungen des ErbStG und der Begründung eines gewerblichen Grundstückshandels durch Anteilsschenkung.1 1 Zu diesen sowie weiteren Detailfragen im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Übertragung von Anteilen an vermögensverwaltenden Personengesellschaften vgl. Kotzenberg/ Riedel, Ubg 2020, 332.

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II. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Rechtslage 1. Ausgangspunkt: Transparenzbetrachtung nach § 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG Die Übertragung eines Anteils an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft wird erbschaft- und schenkungssteuerlich nicht als die Übertragung eines einzigen Wirtschaftsguts angesehen. Das Gesetz nimmt stattdessen eine Transparenzbetrachtung vor.2 Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG gilt der mittelbare oder unmittelbare Erwerb einer Beteiligung an einer Personengesellschaft oder einer anderen Gesamthandsgemeinschaft, die nicht unter § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BewG fällt, als Erwerb der anteiligen Wirtschaftsgüter; die dabei übergehenden Schulden und Lasten sind bei der Ermittlung der Bereicherung des Erwerbers wie eine Gegenleistung zu behandeln.3 § 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG ähnelt insoweit § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO. Sinn und Zweck der Regelung des §  10 Abs.  1 Satz 4 ErbStG ist es, die Grundsätze der gemischten Schenkung bei der unentgeltlichen Übertragung eines Anteils an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft zur Anwendung zu bringen.4 Die Anteilsübertragung wird dabei so behandelt, als würden die Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens als Rechtsbündel in Form der Beteiligung an einer vermögensverwaltenden Gesellschaft übertragen werden.5 Hieraus folgt, dass für schenkungssteuerliche Zwecke die anteiligen Wirtschaftsgüter der Gesellschaft als zugewendet gelten und die gesellschaftsbezogenen Verbindlichkeiten wie eine Gegenleistung zu behandeln sind.6 2. Zur Anwendung von erbschaftsteuerlichen Begünstigungsvorschriften auf Vermögensgegenstände des Gesamthandsvermögens Hinsichtlich der Vermögensgegenstände des Gesamthandsvermögens ist fraglich, ob die erbschaftsteuerlichen Befreiungs- und Begünstigungsvorschriften auch beim ­Erwerb des Gesellschaftsanteils uneingeschränkt gelten. Insbesondere bei Immobiliengesellschaften können die partielle Steuerbefreiung nach § 13d ErbStG (zu Wohn-

2 Zu möglichen Einschränkungen im Rahmen von erbschaft- und schenkungssteuerlichen Begünstigungen siehe unten unter I.2. 3 Zu nicht gewerblich geprägten Fonds-KGen siehe FG Münster v. 16.4.2015 – 3 K 1402/12 F, EFG 2015, 1170; zur alten Rechtslage vor Einführung von § 10 Abs. 1 Satz 3 ErbStG a.F. bzw. § 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG: BFH v. 17.2.1999 – II R 65/97, BStBl. II 1999, 476. 4 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, § 10 Rz. 25; Fumi in von Oertzen/Loose, ErbStG, 2017, § 10 Rz. 9; Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk/Gottschalk/Gebel, § 10 Rz. 59; Konrad in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, 6. Aufl. 2017, § 10 Rz. 52; Jochum in ErbStG – eKommentar, § 10 Rz. 57. 5 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, § 10 Rz. 25; Fumi in von Oertzen/Loose, ErbStG, 2017, § 10 Rz. 9; Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk/Gottschalk/Gebel, § 10 Rz. 59; Konrad in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, 6. Aufl. 2017, § 10 Rz. 52; Jochum in ErbStG – eKommentar, § 10 Rz. 57. 6 Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 10 Rz. 52.1.

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zwecken vermietete Immobilien) sowie § 13 Abs. 1 Nr. 4a und b ErbStG (Familien­ wohnheim) einschlägig sein.7 Zieht man § 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG als Grundregel heran, ist die Anwendung der Befreiungsvorschriften auf Vermögensgegenstände des Gesamthandsvermögens konsequent.8 Denn die Anordnung des § 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG, wonach der Erwerb eines Gesellschaftsanteile den Erwerb der gesamthänderisch gebundenen Vermögensgegenstände bedeutet,9 lässt darauf schließen, dass auch die einschlägigen Steuerbegünstigungen für den Erwerb der Vermögensgegenstände Anwendung finden müssen. a) Steuerbefreiung für Familienwohnheime Nach RE 10.4 Abs. 2 Satz 1 ErbStR 2019 gilt der unmittelbare oder mittelbare Erwerb eines Gesellschaftsanteils an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft als Erwerb der Miteigentumsanteile an den zum Gesamthandsvermögen gehörenden Wirtschaftsgütern und sonstigen Besitzposten.10 Da § 13 Abs. 1 Nr. 4a und b ErbStG tatbestandlich zumindest die Übertragung von Miteigentum an dem entsprechenden Grundstück voraussetzen und die Finanzverwaltung das Gesamthandseigentum dem Miteigentum gleichstellt, mag es zunächst naheliegen, dass die Finanzverwaltung die Anwendung der Steuerbegünstigung für Familienheime als gegeben ansieht. Jedoch sind die Erfolgsausschichten in einem eventuellen gerichtlichen Verfahren aufgrund der restriktiven und stark wortlautorientierten Rechtsprechung des BFH im Bereich der Steuerbefreiungen düster zu beurteilen.11 So setzt die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG nach einer jüngeren Entscheidung des BFH voraus, dass der Erblasser zivilrechtlicher Eigentümer oder Miteigentümer des Familienheims war und der Erbe das zivilrechtliche Eigentum oder Miteigentum an dem Familienheim von Todes wegen erwirbt, wohingegen der durch eine Auflassungsvormerkung gesicherte Verschaffungsanspruch nicht unter die Begünstigungen fallen soll.12 Tragend ist für den II. Senat des BFH insbesondere der Wortlaut der Norm. Die Anwendung von § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG sei auf die dort benannten Erwerbe von Eigentum oder Miteigentum am Familienheim zu beschränken, während alle anderen Erwerbe von der Steuerbefreiung auszunehmen seien. Es besteht demnach das Risiko, dass anlässlich dieser höchstrichterlichen Auslegungsmethodik ein Fi 7 Entsprechend § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG, der die Steuerbefreiung für Erwerbe von Familienheimen von Todes wegen regelt, sieht § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG die Befreiung von Zuwendungen unter Lebenden vor, mit denen ein Ehegatte dem anderen Ehegatten Eigentum oder Miteigentum an einem Inland oder einen EU-/EWR-Staat belegenen Familienheims verschafft. 8 So zu § 13d ErbStG Halaczinsky, ErbStB 2015, 365, 366. 9 Anwendung der Grundsätze der gemischten Schenkung, vgl. RE. 10.4 (2) i.V.m. RE 7.4 (3) ErbStR 2011 und ErbStR-E 2019; sowie bereits die Ausführungen oben II.1. 10 Hervorhebung von der Verfasserin. 11 Vgl. hierzu auch Hübner, DStR 2013, 2257. 12 BFH v. 29.11.2017 – II R 14/16, BStBl. II 2018, 362.

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nanzgericht in einem möglichen Gerichtsverfahren die Ansicht vertritt, dass der ­Erwerb eines Anteils an einer Gesamthandsgemeinschaft für die Anwendung des §  13 Abs.  1 Nr.  4a und b ErbStG nicht ausreiche, da ein Gesellschaftsanteil gerade keinen Miteigentumsanteil am Grundstück begründe.13 Da die Finanzverwaltung die BFH-Rechtsprechung anwendet, ist es zudem naheliegend, dass auch sie entgegen ihrer grundsätzlichen These der Gleichstellung von Gesamthands- und Miteigentum in RE 10.4 Abs. 2 ErbStR die Anwendung der Steuerbefreiung für Familienwohnheime bei Anteilsschenkungen versagt. b) Steuerbefreiung für zu Wohnzwecken vermietete Grundstücke § 13d Abs. 1 ErbStG bestimmt, dass Grundstücke i.S.d. § 13d Abs. 3 ErbStG mit 90 % ihres Wertes anzusetzen sind, wenn sie zu Wohnzwecken vermietet werden, im Inland oder einem Mitgliedstaat der EU/des EWR belegen sind und nicht zum begünstigten Betriebsvermögen oder begünstigten Vermögen eines Betriebs der Land- und Forstwirtschaft im Sinne des § 13a ErbStG gehören. Die Anwendung von § 13d ErbStG wird beim Erwerb von Gesellschaftsanteilen von der Finanzverwaltung zutreffend bejaht.14 Gemessen an der wortlautorientierten BFH-Judikatur sollten die Aussichten auch in einem eventuellen finanzgerichtlichen Verfahren positiver zu bewerten sein. Denn der Bewertungsabschlag bezieht sich nach der Ausgangsregelung des § 13d Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 ErbStG abstrakt auf bebaute Grundstücke oder Grundstücksteile. § 13d Abs. 2 ErbStG sieht eine Rückausnahme vor und stellt hierbei auf den „Erwerber“ sowie das „erworbene Grundstück“ ab. Anders als §  13 Abs.  1 Nr.  4b ErbStG knüpft die Norm insgesamt also nicht ausdrücklich an das zivilrechtliche Eigentum oder Miteigentum an der Immobilie an. Zudem ist zu beachten, dass es sich bei §  13d ErbStG um eine zwingende Bewertungsvorschrift und keine Steuerbefreiung im engeren Sinne handelt, so dass gute Gründe dafür sprechen, dass der 10% ige Abschlag auf Vermögensgegenstände des Gesamthandsvermögens Anwendung findet.15

13 Ähnlich bereits BFH v. 11.6.2013 – II R 4/12, BStBl. II 2013, 742 zur Nichtanwendbarkeit von § 13a Abs. 4 Nr. 3 ErbStG a.F. bei der Beteiligung an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft, die ihrerseits am Nennkapital einer Kapitalgesellschaft beteiligt ist. Zur Begründung stellt der BFH insbesondere darauf ab, dass § 13a Abs. 4 Nr. 3 ErbStG a.F. für die Begünstigung eine unmittelbare Beteiligung am Nennkapital der Kapitalgesellschaft verlange. 14 Siehe RE 13d Abs. 4 Satz 1 ErbStR, wonach § 13d ErbStG sogar bezüglich Immobilien im Betriebsvermögen einer Personengesellschaft Anwendung findet, falls hierfür die Anwendung von §  13a ErbStG aufgrund des Umstands vollständig ausgeschlossen ist, weil die Verwaltungsvermögensquote i.S.d. § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG mindestens 90 % beträgt. Siehe zudem RE 13d Abs. 5 ErbStR, wonach die Anwendung von § 13d ErbStG beim Erwerb von Kapitalgesellschaftsanteilen deshalb ausgeschlossen ist, weil Gegenstand des Erwerbs der Anteil an der Kapitalgesellschaft ist und nicht die von der Kapitalgesellschaft zu Wohnzwecken vermieteten Grundstücke oder Grundstücksteile. 15 Im Ergebnis gl. A. Halaczinsky, ErbStB 2015, 365, 366.

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3. Anteilige Berücksichtigung von Gesellschaftsschulden nach § 10 Abs. 6 ErbStG Sofern die Vermögensgegenstände des Gesamthandsvermögens begünstigt sind bzw. nicht mit ihrem vollen Wert in den steuerpflichtigen Erwerb (z.B. gemäß § 13 Nr. 4b ErbStG oder § 13d Abs. 1 ErbStG) eingehen, ist nach Ansicht der Finanzverwaltung bezüglich der Schulden der Gesellschaft § 10 Abs. 6 ErbStG zu beachten.16 Demnach sind Schulden und Lasten nicht als Nachlassverbindlichkeiten abziehbar, soweit sie in wirtschaftlichem Zusammenhang mit steuerbefreiten Vermögensgegenständen stehen. Schulden und Lasten, die mit teilweise befreiten Vermögensgegenständen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, sind nach §  10 Abs.  6 Satz 2 ErbStG nur mit dem Betrag abzugsfähig, der dem steuerpflichtigen Teil entspricht. Die Anwendung der Abzugsbeschränkung des § 10 Abs. 6 ErbStG bei der Anteilsschenkung beruht letztendlich auf dem Rechtsgedanken, dass § 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG eine Übertragung der Vermögensgegenstände und Schulden des Gesamthandsvermögens fingiert und somit die Grundsätze der gemischten Schenkung anwendbar sind.17 Kommt bei der Übertragung von Vermögensgegenständen durch eine natürliche Person eine Steuerbefreiung zur Anwendung, ist auch hier der Abzug der hiermit im wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Nachlassverbindlichkeiten begrenzt. Bei der schenkweisen Übertragung von Gesellschaftsanteilen an vermögensverwaltenden Immobiliengesellschaften gilt daher insbesondere Folgendes: Schulden und Lasten des Gesamthandsvermögens sind nicht als Gegenleistung zu berücksichtigen, soweit sie in wirtschaftlichem Zusammenhang mit z.B. nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG steuerbefreiten Vermögensgegenständen (Familienwohnheim) stehen.18 Schulden und Lasten, die mit nach § 13d ErbStG befreitem Vermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, sind nach § 10 Abs. 6 Satz 5 ErbStG nur mit dem Betrag abzugsfähig, der dem Verhältnis des nach Anwendung des § 13d ErbStG anzusetzenden Werts dieses Vermögens zu dem Wert vor Anwendung von § 13d ErbStG entspricht.19 Da sich neben dem vermieteten Grundvermögen in aller Regel noch weitere Ver­ mögensgegenstände im Gesamthandsvermögen einer Gesellschaft befinden, müssen die Gesellschaftsverbindlichkeiten zur Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs anhand des wirtschaftlichen Veranlassungszusammenhangs dem begünstigten Grundvermögen zugeordnet werden.20 Dieser wirtschaftliche Veranlassungszusammenhang bestimmt sich im Rahmen des § 10 Abs. 6 ErbStG danach, ob die Entstehung der Verbindlichkeit ursächlich und unmittelbar auf Vorgängen beruht, die den begünstigten Vermögensgegenstand betreffen.21 Steht eine Gegenleistung im Zusam16 RE 10.10 (1) Satz 1 und (2) i.V.m. RE 7.4 (3) ErbStR. 17 Vgl. auch der Verweis nach RE. 10.10 (2) i.V.m. RE 7.4 (3) ErbStR. 18 Vgl. zur Anwendung der Steuerbefreiungen für Familienwohnheime oben unter II.2.a. 19 Siehe auch RE 10.10 (5) ErbStR; vgl. zur Anwendung von § 13d ErbStG oben unter II.2.b. 20 Vgl. RE. 10.10 (2) i.V.m. RE 7.4 (3) ErbStR. 21 R. 10.10 (1) i.V.m. RE 7.4 (3) ErbStR; BFH v. 22.7.2015 – II R 21/13, BStBl. II 2016, 228; v. 21.7.1972 – III R 44/70, BStBl. II 1973, 3; Fumi in von Oertzen/Loose, ErbStG, 2017, § 10 Rz. 81.

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menhang mit allen Vermögensgegenständen, ohne dass sie wirtschaftlich einem einzelnen Vermögensgegenstand oder einzelnen Vermögensgegenständen zugeordnet werden kann, ist sie auf die einzelnen Vermögensgegenstände nach dem Verhältnis der Steuerwerte aufzuteilen.22 Bei Darlehensverbindlichkeiten der Gesellschaft, welche anlässlich der Finanzierung vermieteter Wohnobjekte entstanden sind, sollte demnach der wirtschaftliche Zusammenhang zum Objekt i.S.d. § 10 Abs. 6 ErbStG gegeben sein. Weist die Gesellschaft Verbindlichkeiten aus, die der Finanzierung des allgemeinen Geschäftsbetriebs dienen und nicht etwa einer konkreten Aktivität, dürfte demgegenüber eine quotale Aufteilung und partielle Nichtabzugsfähigkeit der Verbindlichkeit angezeigt sein.

III. Ertragssteuerliche Fragen und Gestaltungserwägungen 1. Vermeidung der Besteuerung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 4 EStG Steuerrechtliche Fragen ergeben sich zudem im Anwendungsbereich von § 23 EStG, falls der Anteil an der vermögensverwaltenden Gesellschaft noch keine zehn Jahre gehalten wurde oder sich im Gesamthandsvermögen der Gesellschaft Grundstücke befinden, welche innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Anteilsübertragung durch die Gesellschaft angeschafft wurden.23 Für Beteiligungen an vermögensverwaltenden Personengesellschaften, die über Grundbesitz verfügen, sieht bekanntlich § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG eine Regelung vor, die entsprechend § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO eine steuerliche Transparenz normiert. Nach §  23 Abs.  1 Satz 4 EStG gelten die Anschaffung oder Veräußerung einer unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung an einer Personengesellschaft als Anschaffung oder Veräußerung der anteiligen Wirtschaftsgüter. Es stellt sich in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage, ob die unentgeltliche Übertragung des Anteils im Wege der vorweggenommenen Erbfolge eine Veräußerung i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 EStG auslöst. Da bei einer unentgeltlichen Anteilsübertragung für die Übertragung des Anteils selbst vom Erwerber keine Gegenleistungen erbracht werden, kommt hier nur eine Berücksichtigung der (anteiligen) Verbindlichkeiten der Personengesellschaft als Auslöser für eine Veräußerung innerhalb der Spekulationsfrist in Betracht.24 Gegen das Vorliegen einer Veräuße22 RE 10.10 (1) i.V.m. RE 7.4 (3) Satz 3 ErbStR. 23 Zu möglichen Fallkonstellationen, die § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG erfasst, siehe Schmidt/WeberGrellet, § 23 Rz. 47. 24 Nur bei einer Qualifizierung der Übertragung als entgeltlich wird der Tatbestand nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 1 Satz 4 EStG ausgelöst, während im Fall der unentgeltlichen Übertragung die Fußstapfentheorie nach § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG greift. Zur Entgeltlichkeit der Übertragung siehe die ständige Rechtsprechung, z.B. BFH v. 22.9.1987 − IX R 15/84, BStBl. II 1988, 250; v. 2.2.1982 – VIII R 3/79, BStBl. II 1982, 459; v. 18.10.2006 – IX R 7/04, BStBl. II 2007, 258; v. 6.8.2018 – IX R 33/17, BStBl. II 2018, 525; ebenso die h.A. in der Literatur: Schmidt/Weber-Grellet, § 23 EStG Rz. 50; Wernsmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 23 EStG Rz. B 110; Hoheisel in Littmann/Bitz/Pust, § 23 Rz. 110; Ratschow in Blümich, § 23 EStG Rz. 91 f.

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rung bei der unentgeltlichen Anteilsübertragung spricht jedenfalls die jüngere Rechtsprechung des IX. Senats des BFH25 zur Rückabwicklung von Immobilienfonds. Hiernach sollen für Zwecke des § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG nur solche Leistungen als Gegenleistungen zu qualifizieren sein, die vom Erwerber direkt an den veräußernden Gesellschafter gezahlt werden. Dem gleichgesetzt sein sollen sonstige Formen der persönlichen Haftungsfreistellung durch den Erwerber hinsichtlich der im Zeitpunkt der Anteilsübertragung bestehenden Gesellschaftsverbindlichkeiten, die den veräußernden Gesellschafter betreffen. 26 Die Argumentation des BFH bezieht sich zwar ausdrücklich nur auf die Ermittlung des Veräußerungsgewinns nach §  23 Abs.  3 EStG. Folge dieser Rechtsprechungsgrundsätze ist jedoch, dass die Gesellschaftsverbindlichkeiten auch für die Beantwortung der Vorfrage, ob ein Rechtsgeschäft als entgeltlich und damit als Veräußerung dem Grunde nach zu qualifizieren ist, grundsätzlich unbeachtlich sind. 27 Ob diese Rechtsprechung allerdings für Zwecke der Anteilsübertragung im Rahmen der Vermögensnachfolge ohne Einschränkung gilt, ist u.E. mit Zurückhaltung zu beurteilen. Insbesondere ist auffällig, dass die Ausführungen des BFH in der Beraterpraxis kritisch gesehen werden.28 Die Kritik beruht hauptsächlich darauf, dass Sinn und Zweck der Einbeziehung von Anteilsveräußerungen in die Besteuerung nach § 23 EStG die Gleichbehandlung von Grundstücks- und Anteilsveräußerungen ist.29 Denn die Gesetzesbegründung zur Einführung des § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG gibt an, dass über § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG mittelbare Grundstücksveräußerungen durch die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen als Umgehungsgestaltungen verhindert werden und diese Rechtsgeschäfte den Besteuerungsgrundsätzen nach § 23 EStG unterworfen werden sollen.30 Dies legt es nahe, dass nicht nur die mittelbare Grundstücksübertragung tatbestandsrelevant ist, sondern korrespondierend hierzu auch die mittelbare Erbringung von Gegenleistungen in Form der fiktiven Übernahme anteiliger Gesellschaftsverbindlichkeiten. Aus diesen Gründen sollten bei einer im Übrigen unentgeltlichen Anteilsübertragung die Gesellschaftsverbindlichkeiten im Zuge der Gestaltungsberatung jedenfalls als potenzielle schädliche Gegenleistung im Blick behalten werden.31 25 BFH v. 6.9.2016 – IX R 44/14, IX R 45/14 und v. 11.7.2017 – IX R 27/16, BStBl. II 2018, 323, 335 und 348. 26 Besondere Aufmerksamkeit sollte in diesem Zusammenhang einer etwas älteren, nicht veröffentlichten Entscheidung des FG Münster zur Erwerberseite gewidmet werden. Nach FG Münster v. 19.1.2011 – 12 K 4470/08 F sind Haftungsverbindlichkeiten für Gesellschaftsschulden beim Erwerber nur dann als Anschaffungskosten zu berücksichtigen, wenn dieser bei Eintritt den austretenden Gesellschafter im Innenverhältnis freistellt oder im Außenverhältnis als Gegenleistung eine befreiende Schuldübernahme vereinbart wird. In diesem Sinne hat auch kürzlich das FG Köln entschieden, siehe FG Köln v. 10.10.2018  – 9 K 3049/15, Rev. unter IX R 22/19. 27 Zutreffend Lupczyk, FR 2017, 177, 183 f. 28 Lupczyk, FR 2017, 177, 184; Fink, NWB 2016, 3912; ders., NWB 2017, 643, 648 a.A. allerdings Seibert, WM 2017, 1968, 1971. 29 Lupczyk, FR 2017, 177, 183. 30 BT-Drucks. 12/5630, S. 59; Lupczyk, FR 2017, 177, 183. 31 Lupczyk, FR 2017, 177, 183; ebenso i.E. Fink, NWB 2016, 3912; ders., NWB 2017, 643, 648.

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Besonders kritisch zu beurteilen ist zudem, dass die benannte Rechtsprechung des IX. Senats des BFH zwar seitens der Finanzverwaltung über die Aufnahme in das BStBl. II angenommen wurde, jedoch eine entsprechende Änderung des Erlasses zur vorweggenommenen Erbfolge32 bisher unterblieben ist. Die Finanzverwaltung vertritt zur Übertragung von Wirtschaftsgütern durch einzelne natürliche Personen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge die Ansicht, dass ein Veräußerungsentgelt nicht lediglich in der Zahlung eines Geldbetrags bestehen kann, sondern auch in der Übernahme von Verbindlichkeiten des Übergebers durch den Übernehmer. Sind dabei die übernommenen Verbindlichkeiten niedriger als der Verkehrswert des übertragenen Wirtschaftsguts, ist von einem Teilentgelt auszugehen, wenn die Parteien subjektiv nicht von der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung ausgegangen sind. Nach der ganz h.M. ist dann von einer Veräußerung i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG auszugehen, bei der im Fall eines Teilentgelts der Veräußerungsgewinn nach der reinen Trennungstheorie zu ermitteln ist.33 Es ist daher jedenfalls möglich, dass die Finanzverwaltung bei Anteilsschenkungen diese Grundsätze unter Berufung auf das Transparenzprinzip nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO und § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG angewendet wissen will. Folge einer Qualifizierung der Gesellschaftsverbindlichkeiten als Entgelt wäre jedoch, dass nahezu jede Schenkung eines Anteils an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft zumindest als teilentgeltliches Geschäft zu beurteilen wäre und der entgeltliche Teil des Geschäfts nach Maßgabe der strengen Trennungstheorie34 der Besteuerung unterläge.35 Allerdings kann insbesondere bei der rein unentgeltlichen Anteilsübertragung durchaus anders argumentiert werden. Die Übertragung eines Anteils an einer Personengesellschaft unterscheidet sich von der Übertragung 32 BMF, Schr. v. 13.1.1993, BStBl. I 1993, 80 Tz. 2, 9 und 23. 33 Grundlegend BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847; hieran anknüpfend auch BFH v. 6.9.2016  – IX R 44/14, BStBl.  II 2018, 323; Schmidt/Weber-Grellet, §  23 R. 43  f.; Ratschow in Blümich, § 23 Rz. 204; Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, § 23 EStG Rz. 213; Lupczyk, FR 2017, 177, 181; Seibert, WM 2017, 1968, 1970. 34 Zur Anwendung der strengen Trennungstheorie bei teilentgeltlichen Übertragungen im Privatvermögen siehe BMF, Schr. v. 13.1.1993, BStBl.  I 1993, 80 Tz. 9 und 23; BFH v. 17.7.1980 – IV R 15/76, BStBl. II 1981, 11; v. 12.7.1988 – IX R 149/83, BStBl. II 1988, 942; v. 24.4.1991 – XI R 5/83, BStBl. II 1991, 793; v. 16.9.2002 – IX B 35/02, BFH/NV 2003, 40; v. 29.6.2011 – IX R 63/10, BStBl. II 2011, 873; v. 19.3.2014 – X R 28/12, BStBl. II 2014, 629; v. 27.10.2015 – X R 28/12, BStBl. II 2016, 81; Schmidt/Weber-Grellet, § 23 R. 43 f.; Ratschow in Blümich, § 23 Rz. 98; Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, § 23 EStG; Felix, FR 1987, 601; Schmidt in Festschrift für Clemm, 1996, 349, 354. Zwar ging der X. Senat des BFH in seinem Vorlagebeschluss an den Großen Senat davon aus, dass bei Vorgängen im Privatvermögen auch im Fall des Teilentgelts die Einheitstheorie gelten soll, mithin kein Gewinn erzielt wird, wenn das Entgelt den Buchwert bzw. die Anschaffungskosten nicht übersteigt, siehe BFH v. 19.3.2014 – X R 28/12, BStBl. II 2014, 629; v. 27.10.2015 – X R 28/12, BStBl. II 2016, 81. Der Vorlagebeschluss GrS 1/16 wurde allerdings nach Erledigung der Hauptsache aufgehoben, sodass weiterhin die strenge Trennungstheorie für Übertragungen im Privatvermögen h.A. ist. 35 Siehe ausdrücklich Hoheisel in Littmann/Bitz/Pust, §  23 Rz.  191 sowie Paus, EStB 2014, 270, 272.

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einzelner Grundstücke insbesondere dadurch, dass hiermit eine qualifizierte Sachgesamtheit in Form der gesamthänderischen Beteiligung übertragen wird.36 In diesem Sinne hat kürzlich das FG Köln zum Erwerb eines Anteils an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft daher zu Recht entschieden, dass negative Wirtschaftsgüter der Gesellschaft – wie im Rahmen der Vorschriften §§ 6 Abs. 3, 16 EStG – lediglich unselbstständige Bestandteile des Übertragungsgeschäfts darstellten und bei Anteilsübertragungen demnach im Allgemeinen eine Nettobetrachtung vorzunehmen sei.37 Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung ist hierbei aufmerksam zu beobachten. 2. Vermeidung eines gewerblichen Grundstückshandels Insbesondere bei Immobiliengesellschaften ist neben den aufgezeigten möglichen Steuerfolgen nach § 23 EStG zu prüfen, ob die unentgeltliche Anteilsübertragung einen gewerblichen Grundstückshandel begründet. Die Finanzverwaltung adressiert in ihrem Erlass zur Abgrenzung zwischen privater Vermögensverwaltung und gewerblichem Grundstückshandel jedenfalls den Fall einer (voll) entgeltlichen Anteilsveräußerung.38 Die Veräußerung der Beteiligung ist dann gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO einer anteiligen Grundstücksveräußerung gleichzustellen.39 Für die Überschreitung der „Drei-Objekt-Grenze“ kommt es in dem Fall auf die Zahl der im Gesamthandsvermögen befindlichen Grundstücke an, d.h. der Gesellschafter wird grundsätzlich so behandelt als hätte er sämtliche im Gesamthandsvermögen liegenden Grundstücke über seine Beteiligung erworben und wieder veräußert. Voraussetzung ist hierbei jedoch nach Ansicht der Finanzverwaltung, dass der Gesellschafter an der jeweiligen Gesellschaft zu mindestens 10 % beteiligt ist oder dass eine Beteiligung von weniger als 10  % einen Verkehrswert von mehr als EUR 250.000 hat.40

36 Zur Differenzierung zwischen einzelnen Wirtschaftsgütern und betrieblichen Sachgesamtheiten im betrieblichen Bereich siehe ausführlich Riedel, Das Umwandlungssteuerrecht der Mitunternehmerschaft – Eine Analyse der § 6 Abs. 5 EStG, § 24 UmwStG und der Realteilung anhand der Prinzipien der Umwandlungs- und Mitunternehmerbesteuerung, 2018, S. 103 ff. 37 FG Köln v. 10.10.2018 – 9 K 3049/15, Rev. IX R 22/19, FR 2020, 261 m. Anm. Riedel. 38 BMF, Schr. v. 26.3.2004, BStBl. I 2004, 434 Tz. 18. 39 BMF, Schr. v. 26.3.2004, BStBl. I 2004, 434 Tz. 18; BFH v. 24.6.1981 – III R 49/78, BStBl. II 1982, 2; 7.3.1996 – IV R 2/92, BStBl. II 1996, 369; v. 10.12.1998 – III R 61/97, BStBl. II 1999, 390; v. 3.7.2002 – XI R 31/99, BFH/NV 2002, 16; v. 28.11.2002 – III R 1/01, BStBl. II 2003, 250; Engel, Vermögensverwaltende Personengesellschaften im Ertragssteuerrecht, 2. Aufl. 2015, Rz. 781; Schmieszek in Gosch, AO/FGO, § 39 AO Rz. 157; Fischer in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 39 AO Rz. 307; andere, allerdings kaum beachtete Ansicht speziell hinsichtlich der Beteiligung an einem Immobilienfonds Schmidt-Liebig, BB 1998, 563; Schmidt/Wacker, § 15 Rz. 55. 40 BMF, Schr. v. 26.3.2004, BStBl. I 2004, 434 Tz. 18.

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Zur unentgeltlichen Übertragung von Gesellschaftsanteilen bezieht der Erlass der Finanzverwaltung41 jedoch keine Stellung. Allerdings ist die unentgeltliche Übertragung einzelner Grundstücke ausführlich adressiert. So sollen Objekte, mit deren Weitergabe kein Gewinn erzielt werden soll, in die Betrachtung, ob die „Drei-­ObjektGrenze“ überschritten ist, grundsätzlich nicht einzubeziehen sein.42 Hierunter soll insbesondere die unentgeltliche Übertragung bzw. Schenkung43 sowie die teilentgeltliche Übertragung44 eines Objekts an nahe Angehörige fallen.45 Entsprechendes sollte u.E. auch in dem Fall gelten, in dem die Objekte im Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft gehalten werden und der Anteil hieran unentgeltlich oder teilentgeltlich an nahe Angehörige übertragen wird, da die Regelungssituation und Interessenlage vergleichbar ist. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der gewerbliche Grundstückshandel als Tätigkeit i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG immer auch eine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr erfordert, was voraussetzt, dass eine Tätigkeit am Markt gegen Entgelt und für Dritte äußerlich erkennbar angeboten wird.46 Entscheidend ist hierfür, dass sich der Verkäufer an den „allgemeinen“ Markt wendet, also er einen nicht abgeschlossenen Personenkreis in dem Sinne ansprechen will, dass er grundsätzlich an

41 BMF, Schr. v. 26.3.2004, BStBl. I 2004, 434 Tz. 18. 42 BMF, Schr. v. 26.3.2004, BStBl. I 2004, 434 Tz. 18. 43 Siehe nochmals BMF, Schr. v. 26.3.2004, BStBl. I 2004, 434 Tz. 11; BFH v. 18.9.2002 – X R 183/96, BStBl. II 2003, 238; v. 9.5.1996 – IV R 74/95, BStBl. II 1996, 599; ebenso Schmidt/ Wacker, § 15 EStG Rz. 56; vgl. auch BFH v. 9.5.1996 – IV R 74/95, BStBl. II 1996, 599, zitiert nach juris Rz. 31, wonach zur Beurteilung eines unentgeltlichen Erwerbs für Zwecke des (Nicht-)Vorliegens eines gewerblichen Grundstückshandels auf Fälle der Realteilung vermögensverwaltender Gesellschaften verwiesen und festgehalten wird, dass es sich in diesen Fällen auch dann um einen unentgeltlichen Erwerb handelt, wenn im Rahmen der Realteilung Schulden der vermögensverwaltenden Personengesellschaft übernommen werden. Der BFH hält in der vorgenannten Entscheidung ausdrücklich fest, dass ein Grundstück für die Frage nach der Begründung eines gewerblichen Grundstückshandels auch dann als unentgeltlich übertragen anzusehen ist, wenn es im Rahmen einer gegenständlichen Teilauseinandersetzung gegen Übernahme von Schulden der vermögensverwaltenden Gesellschaft übertragen wird. 44 BMF, Schr. v. 26.3.2004, BStBl. I 2004, 434 Tz. 11; BFH v. 23.7.2002 – VIII R 19/01, BFH/NV 2002, 1571; v. 18.9.2002 – X R 183/96, BStBl. II 2003, 238; v. 9.5.1996 – IV R 74/95, BStBl. II 1996, 599; siehe auch FG Düsseldorf v. 10.10.2007, 7 K 2177/04 F, EFG 2008, 377, rkr., ebenso Schmidt/Wacker, § 15 Rz. 56. 45 Für das Vorliegen einer Unentgeltlichkeit bzw. einer Teilentgeltlichkeit kommt es beim gewerblichen Grundstückshandel ausschließlich darauf an, ob der Verkaufspreis die Selbstkosten (Anschaffungs- und Herstellungskosten oder Einlagewert) übersteigt, sodass die Definition an dieser Stelle anders erfolgt als z.B. im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wo Gegenleistung und Verkehrswert gegenübergestellt werden, vgl. BMF, Schr. v. 26.3.2004, BStBl. I 2004, 434 Tz. 18; diese Kategorisierung wird von der Literatur teilweise übernommen, vgl. Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG (Stand: 01.2019), § 15 Rz. 1133. 46 Ständige Rechtsprechung, z. B. BFH v. 12.7.1991 – III R 47/88, BStBl. II 1992, 143; siehe auch BFH v. 15.12.1999 – I R 16/99, BStBl. II 2000, 404.

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jede Person zu verkaufen bereit ist, die seine Verkaufsbedingungen erfüllt.47 Eine solche Vorgehensweise ist in Fällen der Übertragung von Grundstücken für Zwecke der privaten Vermögensnachfolge, sei es unmittelbar oder mittelbar in Form von Beteiligungen, zu verneinen. Denn der Übertragende ist in aller Regel nicht bereit, das Objekt zu den gewählten Konditionen, nämlich lediglich gegen Übernahme der Verbindlichkeiten und im Übrigen unentgeltlich, jedermann am Markt anzubieten. Folglich sprechen gute Gründe dafür, dass Anteilsübertragungen im Zuge der vorweggenommenen Erbfolge nicht zu einem gewerblichen Grundstückshandel führen.48

IV. Fazit Ziel einer steueroptimierten Übertragung von Anteilen an vermögensverwaltenden Personengesellschaften im Zuge der vorweggenommenen Erbfolge ist es in aller Regel, keine Schenkungssteuer und keine Ertragsteuern auszulösen. Das Schenkungssteuerrecht normiert für die Anteilsübertragung an vermögensverwaltenden Personengesellschaften gemäß § 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG, dass diese wie der Erwerb der anteiligen Wirtschaftsgüter und Schulden der Gesellschaft anzusehen ist. Mittels dieser Transparenzbetrachtung finden die Grundsätze über die gemischte Schenkung entsprechende Anwendung. Folge dessen ist, dass im Fall der Übertragung eines bewertungstechnisch überschuldeten Anteils mögliche negative schenkungsteuerliche Effekte durch entsprechende Einlagen in das Gesamthandsvermögen der Gesellschaft vermieden werden können. Obwohl die Transparenzbetrachtung des § 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG es durchaus zulässt, dass sämtliche Steuerbefreiungen (z.B. die Begünstigung des Familienheims) auch auf die Übertragung von Anteilen an vermögensverwaltenden Personengesellschaften Anwendung finden, sind die Erfolgsaussichten in einem eventuellen Rechtsbehelfs- oder Klageverfahren aufgrund der wortlautorientierten Rechtsprechung des II. Senats des BFH insgesamt kritisch zu beurteilen. Demnach dürfte insbesondere § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG (Steuerbegünstigung für Familienheime) nicht zur Anwendung kommen, während die Anwendung der 10% igen Befreiung nach § 13d ErbStG durchaus realistisch ist. Kommen Steuerbefreiungen zur Anwendung, ist analog zur gemischten Schenkung gemäß § 10 Abs. 6 ErbStG ein (begrenztes) Abzugsverbot für im Zusammenhang mit den betreffenden Wirtschaftsgütern stehenden Gegenleistungen zu beachten. Aus ertragsteuerlicher Sicht gilt es bei Anteilsübertragungen, insbesondere die Entstehung steuerpflichtiger Veräußerungsgewinne i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 4 EStG sowie einen gewerblichen Grundstückshandel zu vermeiden. Hierbei ist der Fokus insbesondere darauf zu richten, ob Gesellschaftsverbindlichkeiten eine schädliche Gegenleistung begründen. Hiergegen sprechen zwar die Rechtsansicht des IX. Senats des BFH sowie die Argumentation einiger Finanzgerichte, wonach nur un47 BFH v. 12.7.1991 – III R 47/88, BStBl. II 1992, 143; v. 23.2.1998 – X B 136/97, BFH/NV 1998, 1084; v. 22.10.2002 – X B 24/02, BFH/NV 2003, 165. 48 So auch Söffing, NJW 1997, 302, 303.

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mittelbar auf Gesellschafterebene erfolgende Leistungen relevant sein sollen. Die weitere rechtliche Entwicklung hierzu sollte jedoch aufmerksam beobachtet werden, insbesondere da die Finanzverwaltung laut ihrem Erlass zur vorweggenommenen Erbfolge die Übertragung von Verbindlichkeiten als schädliche Gegenleistung ansieht. Die unentgeltliche Übertragung von Anteilen an vermögensverwaltenden Personengesellschaften dürfte hingegen keinen gewerblichen Grundstückshandel ­begründen. Hiergeben spricht die fehlende Gewinnerzielungsabsicht sowie die mangelnde Teilnahme am Markt bei dieser Form von Übertragungsgeschäften.

Dr. Lisa Riedel Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Master of Science

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Die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Zivilrechtliche Grundlagen 1. Entstehung der Erbengemeinschaft 2. Rechtnatur der Erbengemeinschaft 3. Verwaltung des Nachlasses durch die ­Erbengemeinschaft III. Die Erbauseinandersetzung 1. Erbauseinandersetzung – das gesetzliche Auseinandersetzungsverfahren

2. Erbauseinandersetzung – einvernehmliche Wege der Erben a) Erbauseinandersetzungsvertrag b) Erbteilübertragung c) Abschichtung 3. Steuerliche Auswirkungen der ­Erbauseinandersetzung a) Erbschaftsteuer b) Ertragsteuerliche Behandlung der Erbauseinandersetzung

I. Einleitung Hinterlässt der Erblasser mehrere Erben, bilden diese eine so genannte Erbengemeinschaft. Ein grundlegender Unterschied zu anderen Gemeinschaften des BGB, Vereinen, Gesellschaften oder einer ehelichen Gemeinschaft besteht darin, dass die Erbengemeinschaft nicht aufgrund rechtsgeschäftlicher Vereinbarung der Beteiligten begründet wird. Die Erbengemeinschaft entsteht automatisch und ohne Gründungsakt völlig unabhängig vom Willen der Erben selbst. Die Erben finden sich nach dem Erbfall damit in einer Art „Zufalls- oder Zwangsgemeinschaft“1 wieder, ohne mit dem entsprechenden umfangreichen zivil- und steuerrechtlichen Regelwerk vertraut zu sein, und ohne sich die anderen Personen, mit denen sie eine Gemeinschaft bilden, ausgesucht zu haben. Die häufig unterschiedlichen Vorstellungen der Miterben zur Aufteilung des Nachlasses, zur Bewertung von Nachlassgegenständen und die teils gegenläufigen tatsächlichen, wirtschaftlichen und steuerlichen Interessen müssen bis zur finalen Erbauseinandersetzung in Einklang gebracht werden. Ohne entsprechende Vorkehrungen stehen die Erben mit dieser Aufgabe zunächst allein da. In der Praxis stellt die Erbengemeinschaft die wohl konfliktträchtigste Gemeinschaft im deutschen Rechtssystem dar und stellt auch uns Praktiker immer wieder vor neue tatsächliche und rechtliche Herausforderungen. Nüchtern betrachtet ist das eigentlich klar, denn es handelt sich um eine Zwangsgemeinschaft, die von Anfang an als Liquidationsgesellschaft konzipiert und damit nicht auf Dauer angelegt ist.2 Nicht immer wenden sich die Miterben gemeinsam nach dem Erbfall an qualifizierte juristische und steuerliche Berater und lassen sich über ihre Rechte, Pflichten und Möglichkeiten von Beginn an aufklären – obwohl dies dringend anzuraten ist. Der Erblasser selbst 1 Lange, Erbrecht, 2. Aufl. 2017, Kap. 14 Rz. 10. 2 Wetzel in Wetzel/Odersky/Götz, Handbuch Erbengemeinschaft 2019, § 2 Rz. 1.

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überblickt bei seinen Nachfolgeüberlegungen oftmals die Aufgaben nicht, die er seinen gemeinschaftlichen Erben aufbürdet, obwohl er zu Lebzeiten viele Gestaltungsmöglichkeiten hätte, um das Konfliktpotential nach seinem Versterben deutlich zu begrenzen. Häufig werden wir konsultiert, wenn der Konfliktfall bereits eingetreten und schon viel kostbare Zeit vergangen ist. Ein Konflikt unter den Erben, der nicht zeitnah sachlich und interessengerecht gelöst wird, geht stets mit einem Schaden für den Nachlass und jeden Miterben einher. Es geht dann in der Beratung nicht mehr um Schadensvermeidung, sondern nur noch um Schadensbegrenzung. Wir erleben immer wieder, dass sich Nachlässe durch jahrelange Auseinandersetzungen zwischen den Erben erheblich verringern, Unternehmen insolvent und Immobilien versteigert bzw. teilweise selbst große Nachlässe sogar vollständig aufgezehrt werden. Die persönliche Beziehung der Erben zueinander ist am Ende häufig vollständig zerrüttet, selbst in Fällen, in denen sich die Erben vor dem Erbfall einmal gut verstanden haben. Unabhängig von diesen Konflikthemen, werden erb- und ertragsteuerliche Fallstricke und Gestaltungsmöglichkeiten bei der Erbauseinandersetzung häufig verkannt. Die Verteilung von Nachlassgegenständen auf einzelne Miterben kann im Rahmen der Erbauseinandersetzung je nach Zusammensetzung des Nachlassvermögens und Umsetzung zu Veräußerungsgewinnen und Anschaffungskosten führen, aber auch zur Entstehung von steuerpflichtigen Entnahme- oder Aufgabegewinnen. Erbschaftsteuerlich sind vor allem steuerliche Begünstigungstatbestände relevant, die bei der Konzeption einer Erbauseinandersetzung zu berücksichtigen und möglichst umzusetzen sind, damit steuerliche Vorteile nicht verloren gehen, aber auch die vom Erblasser gewünschten wirtschaftlichen Begünstigungsverhältnisse der Miterben nicht ungewollt verschoben werden. Der hiesige Beitrag befasst sich nicht mit dem denklogisch ersten Schritt, nämlich einer sinnvollen Nachfolgeplanung des Erblassers, dem viele Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen durch lebzeitige und letztwillige Verfügungen, um eine Erbengemeinschaft von Anfang bestenfalls zu vermeiden und damit eine Erbauseinandersetzung entbehrlich zu machen, oder in die Erbengemeinschaft nur solches Vermögen fallen zu lassen, welches leicht bewertbar und möglichst teil- bzw. verteilbar ist. Vorliegend wird vielmehr die Situation der Erbengemeinschaft und der einzelnen Erben ab dem Erbfall beleuchtet. Hierfür sollen zunächst die notwendigen Grundlagen zur Erbengemeinschaft erläutert werden, um dann auf die Wege der Beendigung einer Erbengemeinschaft unter Berücksichtigung des Zivil- und Steuerrechts näher einzugehen.

II. Zivilrechtliche Grundlagen 1. Entstehung der Erbengemeinschaft Die Erbengemeinschaft entsteht kraft Gesetzes automatisch und ohne Gründungsakt völlig unabhängig vom Willen der Erben mit dem Erbfall, wenn mehr als eine Person denselben Erblasser beerben. Selbstverständlich werden nur die Personen, die die Erbschaft annehmen (also die Erbschaft nicht ausschlagen), Teil der Gemeinschaft. 314

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Obwohl der Gesetzgeber im Bürgerlichen Gesetzbuch systematisch die Regelungen für den Fall der Alleinerbschaft den Regelungen einer Erbengemeinschaft voranstellt (§ 1942 bis § 2031 BGB), stellt es eher die Ausnahme dar, dass es einen alleinigen Erben gibt. Wenn der Erblasser keine letztwillige Verfügung (Testament/Erbvertrag) mit einer wirksamen Erbeinsetzung hinterlassen hat, dann tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Die gesetzliche Erbfolge wird vom sog. Verwandtenerbrecht (§§  1924  ff. BGB) und dem danebenstehenden Ehegattenerbrecht (§ 1931 BGB) bestimmt. War der Erblasser im Zeitpunkt des Erbfalls verheiratet, ist davon auszugehen, dass grundsätzlich neben dem Ehegatten auch dessen nächsten Verwandten nach den Regeln der §§ 1924 ff. BGB Erben werden und damit eine Erbengemeinschaft entsteht. Es gibt wenige Fälle einer Alleinerbschaft nach gesetzlichem Erbrecht. Eine Variante wäre der Fall des geschiedenen oder verwitweten Erblassers mit einem Kind, denn dann entfällt ein Ehegattenerbrecht und ein vorhandener Abkömmling schließt sämtliche übrigen Verwandten von der Erbfolge aus. Erbeinsetzungen im Wege der letztwilligen Verfügung (gewillkürte Erbfolge) gehen der gesetzlichen Erbfolge vor (§ 1937 BGB). Insofern steht dem Erblasser die Möglichkeit offen, die Bildung von Erbengemeinschaften nach seinem Tod zu vermeiden. Dennoch ist die Scheu groß, zur Vermeidung einer Erbengemeinschaft beispielsweise nur eins von mehreren Kindern als Erbe einzusetzen oder den Ehegatten nicht mit in die Erbfolge einzubeziehen. Der Erblasser hat häufig die nicht ganz unberechtigte Sorge, dass sich nach seinem Tod einer seiner Liebsten nicht entsprechend wertgeschätzt fühlt. Der psychologische Aspekt und die Enttäuschung über eine „Enterbung“ darf bei keinem Beteiligten unterschätzt werden. Somit kommt es auch bei der gewillkürten Erbfolge in der Praxis überwiegend zur Bildung von Erbengemeinschaften. 2. Rechtnatur der Erbengemeinschaft Das Verständnis der Rechtsnatur der Erbengemeinschaft ist für das Verständnis der mit der Bildung einer Erbengemeinschaft verbundenen Schwierigkeiten zwangsnotwendig. Die Erbengemeinschaft ist in den §§ 2033 ff. BGB als eine sogenannte Gesamthandsgemeinschaft ausgestaltet. Sie ist kein selbstständiges Rechtssubjekt, keine juristische Person.3 Der BGH hat die Rechts- und Parteifähigkeit der Erbengemeinschaft ausdrücklich verneint.4 Das Vermögen der Erbengemeinschaft (Nachlassvermögen) bil-

3 BGH v. 21.12.1988 – VIII ZR 277/87, NJW 1989, 2133 f.; BGH v. 11.9.2002 – XII ZR 187/00, NJW 2002, 3389 f.; Gergen in MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, § 2032 Rz. 12; Weidlich in Palandt, 79. Aufl. 2020, § 2032 Rz. 1; Wetzel in Wetzel/Odersky/Götz, Handbuch Erbengemeinschaft 2019, § 3 Rz. 4. 4 BGH v. 11.9.2002 – XII ZR 187/00, NJW 2002, 3389 f.; darin besteht ein wesentlicher Unterschied zu anderen Gemeinschaften und Gesellschaften, wie der BGB-Gesellschaft.

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det ein vom Privatvermögen der einzelnen Miterben getrenntes, durch den Verwaltungs-, Nutzungs- und Liquidationszweck dinglich gebundenes Sondervermögen.5 Der einzelne Miterbe hat eine (ideelle) Gesamtberechtigung am Nachlass (§  2033 BGB) sowie einen Anspruch auf Auseinandersetzung. Bis zur Erbauseinandersetzung hat der einzelne Miterbe damit keine unmittelbare dingliche Berechtigung an einzelnen Nachlassgegenständen und der einzelne Miterbe kann bis zur Auseinandersetzung des Nachlasses lediglich über seinen Erbteil, nicht aber über einzelne Nachlassgegenstände verfügen (§ 2033 Abs. 1 BGB). Hierzu bestehen wenige Ausnahmen. Insbesondere gehen Beteiligungen an Personengesellschaften im Wege der Sondererbfolge unmittelbar, im Verhältnis der Erbquoten, auf die jeweiligen Erben über.6 Um Brüche zwischen Gesellschafts- und Erbrecht zu vermeiden, hat die Rechtsprechung insoweit auf die Bildung von Gesamthandsvermögen verzichtet und das Gesellschaftsrecht dem Erbrecht vorgezogen („Gesellschaftsrecht bricht Erbrecht“). Einer Auseinandersetzung bedarf es insoweit nicht. Sollte der Gesellschaftsvertrag eine Beschränkung des Kreises der nachfolgeberechtigten Personen vorsehen (durch sogenannte Nachfolgeklauseln), gehen die Anteile des Erblassers unmittelbar auf diejenigen Erben über, die die Qualifikation gemäß der Nachfolgeklausel erfüllen.7 Allerdings ist bei der Bestimmung der Teilungsquote die unmittelbar an den oder die Nachfolgeerben gefallene Beteiligung wertmäßig zu berücksichtigen.8 3. Verwaltung des Nachlasses durch die Erbengemeinschaft Der Gesetzgeber gibt den Erben für eine Auseinandersetzung des Nachlasses und die Beendigung der Erbengemeinschaft keine zeitliche Vorgabe, obwohl die Erbengemeinschaft als Liquidationsgemeinschaft konzipiert ist. Erbengemeinschaften können daher über Jahre und selbst über Generationen hinweg fortbestehen. Bis zu einer endgültigen Erbauseinandersetzung muss der Nachlass von den Erben verwaltet werden. Im Ergebnis ist die Erbengemeinschaft als Organisationsform für das Halten und Verwalten von Vermögen allerdings schwerfällig.9 Da es sich bei der Erbenge­ meinschaft um eine Gesamthandsgemeinschaft handelt, verwalten die Miterben das Sondervermögen Nachlass gemeinschaftlich (§ 2038 Abs. 1 S. 1 BGB), sind also zu5 Gergen in MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, § 2032 Rz. 7; Flechtner in Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Aufl. 2019, § 2032 Rz. 12; Lange, Erbrecht, 2. Aufl. 2017, Kap. 14 Rz. 9; Weidlich in Palandt, 79. Aufl. 2020, § 2032 Rz. 1; Wetzel in Wetzel/Odersky/Götz, Handbuch Erbengemeinschaft 2019, § 3 Rz. 4. 6 BGH v. 22.11.1956 – II ZR 222/55, BGHZ 22, 186; weitere Ausnahmen: Liquidationsgesellschaften, BGH v. 21.9.1995 – II ZR 273/93, NJW 1995, 3314. 7 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 120/75, BGHZ 68, 225. 8 Gergen in MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, § 2032 Rz. 60b; Hannes in Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge 2017, B.3.01 Anm. 4. 9 Winkler, ZEV 2001, 435.

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sammen dessen handlungsfähiges Organ.10 Die gemeinschaftliche Verwaltung des Nachlasses umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherung, Erhaltung, Vermehrung und Nutzung des Nachlasses dienen. Es wird unterschieden zwischen ordentlicher, außerordentlicher und der Notverwaltung und je nach Einordnung der Maßnahme – was in der Praxis häufig schon Streitthema sein kann  – gelten unterschiedliche ­Voraussetzungen. Für Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung (die laufende Verwaltung des Nachlasses betreffend) gilt das Stimmmehrheitsprinzip. Ist eine Einstimmigkeit unter den Erben nicht erreichbar, beschließen die Miterben über eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung und Benutzung mit Stimmmehrheit, die nach der Größe der Erbteile zu berechnen ist (§ 2038 Abs. 2 i.V.m. § 745 Abs. 1 S. 2 BGB). Für außerordentliche Verwaltungsmaßnahmen, also Maßnahmen, die eine wesentliche Veränderung des Nachlasses herbeiführen, gilt das Einstimmigkeitsprinzip (§ 2038 Abs. 2 i.V.m. § 745 Abs. 3 S. 1 BGB). Eine Notgeschäftsführung umfasst die Maßnahmen, die zur Erhaltung gemeinschaftlicher Gegenstände notwendig sind und kann bei unaufschiebbaren Maßnahmen auch von einzelnen Erben vorgenommen werden (§ 2038 Abs. 1 S. 2 HS. 2 BGB). Jeder Miterbe ist gemäß § 2038 Abs. 1 S. 2 BGB verpflichtet, an der gemeinschaftlichen Verwaltung mitzuwirken und kann sich schadensersatzpflichtig machen, wenn er ohne nachvollziehbaren Grund eine Mitwirkungshandlung verweigert. Auch können Miterben die Zustimmung eines Erben zu angestrebten Verwaltungsmaßnahmen notfalls durch Klage erzwingen.11 Die gerichtlichen Verfahren sind indes zeitund kostenintensiv und führen durch die zeitweise Handlungsunfähigkeit der Erbengemeinschaft in der Regel zu Nachlasseinbußen.

III. Die Erbauseinandersetzung Die Erbengemeinschaft endet mit der Auseinandersetzung über den letzten Gegenstand oder wenn ein Miterbe sämtliche Anteile am Nachlass erwirbt.12 Die Liquidation ist der eigentliche Zweck der Erbengemeinschaft als Gesamthandsgemeinschaft. Durch die vollständige Auseinandersetzung endet auch die gesamthänderische Bindung.13 Doch ist die Auseinandersetzung häufig nicht so einfach, wie es zunächst scheint oder der Erblasser es sich vorgestellt hat. Miterben können den Auseinandersetzungsprozess erheblich blockieren. Hintergrund kann ein Streit über Bewertungen oder die Zuordnung einzelner Nachlassgegenstände sein oder einzelne Miterben fordern vielleicht einen Ausgleich für streitige erbrachte Leistungen oder Schenkungen, die wiederum ein anderer Miterbe zu Lebzeiten des Erblassers erhalten haben soll. Oder der eine Erbe möchte Immobilien aus dem Nachlass halten, kann seinen oder 10 Weidlich in Palandt, 79. Aufl. 2020, § 2038 Rz. 1. 11 BGH v. 8.5.1952 – IV ZR 208/51, BGHZ 6, 76. 12 Gergen in MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, § 2032 Rz. 5; Wetzel in Wetzel/Odersky/Götz, Handbuch Erbengemeinschaft 2019, § 2 Rz. 2. 13 Löhning in Staudinger, BGB Bearbeitung 2016, § 2042 Rz. 1.

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seine Miterben nicht auszahlen, blockiert auf der anderen Seite aber jeden Verkaufsprozess. In anderen Fällen geht es um reine Psychologie, mangelndes Vertrauen, das Gefühl, ein Leben lang hinten anstehen zu müssen und von den Eltern benachteiligt worden zu sein  – in dem Fall geht es einfach nur noch darum, „dagegen“ zu sein ohne jede sachliche Grundlage. Was auch immer den Konflikt hervorruft, schon die Blockade eines einzelnen Miterben kann zu großen Schwierigkeiten und jahre­langem Streit führen. Das gilt für die Nachlassverwaltung sowieso, aber genauso auch für den Auseinandersetzungsprozess. Da der Auseinandersetzungsprozess nach herrschender Rechtsprechung keine Verwaltungsmaßnahme gem. §  2038 BGB darstellt, reichen Mehrheitsentscheidungen nicht mehr aus, die Erben müssen die Erbauseinandersetzung vielmehr einstimmig umsetzen.14 1. Erbauseinandersetzung – das gesetzliche Auseinandersetzungsverfahren Der Gesetzgeber räumt grundsätzlich jedem Miterben das gem. § 2042 Abs. 2 i.V.m. §  758 BGB unverjährbare Recht ein, jederzeit Auseinandersetzung des Nachlasses verlangen zu dürfen. Der Anspruch nach § 2042 BGB richtet sich gegen die Miterben und verpflichtet sie, an allen zur Auseinandersetzung notwendigen Maßnahmen entweder gemäß den Anordnungen des Erblassers in seiner letztwilligen Verfügung oder nach den gesetzlichen Teilungsregeln der §§ 2046 ff. BGB mitzuwirken.15 Dieser Grundsatz wird vom Gesetz mehrfach durchbrochen. So ist die Auseinandersetzung ausgeschlossen, wenn der Erblasser dies durch letztwillige Verfügung angeordnet hat. Eine Auseinandersetzung ist ferner ausgeschlossen, so lange der Kreis der Miterben noch nicht feststeht (§ 2043 BGB). Und gemäß § 2045 BGB kann sich ein Miterbe einer Auseinandersetzung widersetzen, so lange ein Aufgebotsverfahren läuft. Das gesetzliche Auseinandersetzungsverfahren gestaltet sich im Übrigen wie folgt: In einem ersten Schritt sollen stets die Nachlassverbindlichkeiten berichtigt bzw. erfüllt werden (§ 2046 BGB). Dazu gehören insbesondere auch Vermächtnisse und Pflichtteilsansprüche, selbst wenn Miterben selbst Gläubiger sind. Sind im Nachlass nicht genug liquide Mittel vorhanden, um alle Verbindlichkeiten zu erfüllen, kann jeder Miterbe verlangen, dass der Nachlass insoweit in Geld umgesetzt wird, soweit es nötig ist, um die Verbindlichkeiten zu tilgen (§ 2046 Abs. 3 BGB). Im zweiten Schritt werden die Teilungsquoten festgestellt. Der restliche Nachlass ist als Überschuss entsprechend dem Verhältnis der Erbteile zu verteilen (§ 2047 Abs. 1 BGB). Dabei sind allerdings mögliche Ausgleichungspflichten der Erben untereinander zu berücksichtigen. Diese können sich aus §§  2050  ff. BGB (lebzeitige ausgleichungspflichtige Zuwendungen des Erblassers) ergeben, genauso aus vom Erblasser angeordneten Teilungsanordnungen (§ 2048 BGB), aus §§ 2042 Abs. 2 i.V.m. 756 S. 1 BGB oder aus nur einzelnen Erben zur Last fallenden Verbindlichkeiten. Erblasseranordnungen gehen den gesetzlichen Teilungsregelungen grundsätzlich vor. Aller-

14 Weidlich in Palandt, 79. Aufl. 2020, § 2046 Rz. 3 m.w.N. 15 Ann in MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, § 2042 Rz. 4; Hartlich, RNotZ 2018, 285.

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dings dürfen sich die Miterben einverständlich auch durch gesonderte Vereinbarung über solche Erblasseranordnungen hinwegsetzen.16 In einem dritten Schritt soll sodann die Aufteilung des Nachlasses in Natur (bei teilbaren Gegenständen wie Bargeld) oder durch Verwertung erfolgen. Die Teilung in Natur soll stets den Vorrang genießen. Die Teilung durch Verkauf unter Aufteilung der Veräußerungserlöse soll lediglich das letzte Mittel darstellen. Kommt es in der Erbengemeinschaft zu Auseinandersetzungen, erfolgt die Verwertung von Mobilien im Wege des Pfandverkaufs (§§ 1235 Abs. 1, 383 Abs. 3 BGB), die Verwertung von Immobilien im Wege der Teilungsversteigerung (§§  753 Abs.  1 S.  1 BGB, 180  ff. ZVG). Die zwangsweise Verwertung, die gerichtlich auch von einzelnen Erben gegen die übrigen Miterben durchgesetzt werden kann, endet am Ende in der Regel mit erheblichen Wertverlusten. Können sich die Erben untereinander nicht auf einen gemeinsamen Weg verständigen, dann muss die Auseinandersetzung notfalls zwangsweise durchgesetzt werden. Der Prozess ist indes mühsam und häufig nicht erfolgsversprechend. Zivilprozessual wird der Auseinandersetzungsanspruch der Miterben durch eine Klage auf Zustimmung zu einem bestimmten Teilungsplan durchgesetzt, wobei der Klageantrag zugleich auf die dinglichen Erklärungen zur Durchführung des Plans gerichtet sein kann.17 Gerichtlich geltend zu machen ist daher regelmäßig die Pflicht zur Zustimmung zu bestimmten genau bezeichneten Maßnahmen.18 Das impliziert allerdings auch, dass der Nachlassbestand, die Nachlasswerte, Nachlassverbindlichkeiten und mögliche Ausgleichspflichten, beispielsweise durch lebzeitige Schenkungen, bekannt und bestenfalls unstreitig sind, ein konkreter Teilungsplan vorgelegt werden kann und der Nachlass mithin teilungsreif ist. Das Gericht ist nicht befugt, den Teilungsplan zu ändern. An der Teilungsreife scheitern die meisten Auseinandersetzungsklagen dann auch. Insofern bietet es sich ggf. an, den Erbauseinandersetzungsprozess durch vorläufige Feststellungsklagen zu einzelnen, bereits bekannten Streitpunkten vorzubereiten. Der BGH hat solche Feststellungsklagen aus prozessökonomischen Gründen trotz deren Subsidiarität zur Leistungsklage ausnahmsweise als zulässig erachtet.19 Die Verfahrensdauer bis zu einem rechtskräftigen Urteil über die Erbaus­ einandersetzung beträgt infolgedessen in der Regel viele Jahre. Der Gesetzgeber hilft also der Erbengemeinschaft bei der konfliktären Auseinandersetzung nur bedingt. Werden sich die Erben untereinander über den Nachlassbestand, die Werte der einzelnen Nachlassgegenstände, mögliche Nachlassverbindlichkeiten und Ausgleichungspflichten nach §§  2050  ff. BGB nicht einig, gibt es keine gesetzliche Regelung, die es einem Miterben ermöglicht eine amtliche Stelle anzurufen, die den Nachlass vom Amts wegen und mit Bindungswirkung gegenüber den übrigen Erben ermittelt und feststellt. Auch das vom Gesetzgeber eingeführte Ver16 Ann in MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, § 2048 Rz. 9; Muscheler, ZEV 2010, 340, 341; Hartlich, RNotZ 2018, 285, 287 f. 17 Hartlich, RNotZ 2018, 285, 288 m.w.N. 18 Ruhwinkel, Die Erbengemeinschaft 2013, Rz. 559. 19 BGH v. 17.1.1951 – II ZR 16/50, NJW 1951, 311.

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mittlungsverfahren gem. §§ 363 ff. FamFG setzt letztlich voraus, dass die Grundlagen der Erbauseinandersetzung gerade nicht streitig sind, so dass das Vermittlungsverfahren in der Praxis letztlich keine relevante Rolle spielt.20 2. Erbauseinandersetzung – einvernehmliche Wege der Erben Es gibt weitere Wege, wie eine Erbengemeinschaft aufgelöst werden kann. Der Auseinandersetzungsprozess kann individuell und losgelöst von dem gesetzlich vorgesehenen Prozedere gestaltet werden. Die gesetzlichen Teilungsregeln wie auch die letztwilligen Anordnungen des Erblassers zur Teilung des Nachlasses sind gegenüber einer einvernehmlichen Erbauseinandersetzung der Erben stets subsidiär. a) Erbauseinandersetzungsvertrag Ein sehr häufig gewählter Weg zur Beendigung der Erbengemeinschaft ist die sogenannte Erbauseinandersetzungsvereinbarung zwischen den Erben.21 Der Erbausei­ nandersetzungsvertrag dient in erster Linie der Aufteilung und Überführung des gesamthänderisch gebundenen Nachlassvermögens in Allein- oder Bruchteilseigentum der einzelnen Miterben unter weitestgehender Vermeidung der Zerschlagung wirtschaftlicher Werte. Er tritt an die Stelle des von jedem Miterben klageweise durchsetzbaren soeben dargestellten gesetzlichen Teilungskonzepts, welches hinsichtlich des unteilbaren Nachlassvermögens, zu dem insbesondere regelmäßig auch Unternehmen gehören, eine Zwangsverwertung oder Teilungsversteigerung vorsieht. Eine solche Zwangsverwertung führt regelmäßig nicht nur zu Werteinbußen bis hin zu einer Wertvernichtung, sondern zudem auch häufig zu unnötigen Liquiditätsbelastungen durch Steuern und die dabei entstehenden Veräußerungsgewinne. Die Erbauseinandersetzungsvereinbarung ist ein äußerst flexibles Instrument zur Beendigung der Erbengemeinschaft und ist gut durchdacht auch ein geeignetes Mittel, um den Familienfrieden zu wahren oder wiederherzustellen. Die Erben sind in der Gestaltung letztlich frei. Auf diese Weise lässt sich die Erbauseinandersetzung differenziert, interessengerecht und wirtschaftlich vernünftig regeln. Die Erben schließen am Ende im Wesentlichen einen Vertrag, in dem sich die Erben gegenseitig zur Übertragung der Nachlassgegenstände aus dem Gesamthandsvermögen der Erbengemeinschaft an einen oder mehrere Miterben verpflichten. Der Erbauseinandersetzungsvertrag unterliegt keinen Formerfordernissen. Allerdings gelten die allgemeinen Formvorschriften, so dass auch der Erbauseinandersetzungsvertrag notariell beurkundet werden muss, sobald beispielsweise Immobilien (§  311b Abs.  1 BGB) oder GmbH-Anteile (§  15 GmbHG) im Nachlass vorhanden sind und übertragen werden sollen.

20 Holtmeyer in Wetzel/Odersky/Götz, Handbuch Erbengemeinschaft 2019, § 39 Rz. 2. 21 Für Formulare zu verschiedenen Erbauseinandersetzungsverträgen vgl. Hannes in Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2017, Abschnitt B.3.

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b) Erbteilübertragung Eine weitere Möglichkeit ist die Erbanteilübertragung auf Miterben gegen Abfindung und Erbanteilübertragungen auf Dritte. Die Erbengemeinschaft findet auf diesem Weg dadurch ihr Ende, dass alle Erbteile auf einen Miterben oder einen Dritten übertragen werden, der dann alle Erbteile in einer Hand vereint und damit das gesamte Nachlassvermögen hält. Die ihren Erbteil Übertragenden erhalten eine entsprechende Abfindung, der Dritte zahlt einen Kaufpreis. Sowohl die Erbteilübertragung auf Miterben als auch der Erbteilverkauf bedürfen stets der notariellen Beurkundung (§§ 2033 Abs. 1 S. 2, 2371 BGB). c) Abschichtung Aus Kostengründen, oder weil sich ein Mitglied der Erbengemeinschaft beispielsweise im Ausland aufhält, kann es sinnvoll sein, über Alternativen zu einem Erbteilungsvertrag nachzudenken. Eine solche vom BGH seit 1998 in analoger Anwendung der §§ 1135, 2094, 2095 BGB anerkannte, aber in der Praxis wenig beachtete Alternative stellt eine sog. Abschichtung dar. Darin gibt der lösungswillige Miterbe seine Mitgliedschaft an der Erbengemeinschaft und damit auch sein Recht auf ein Auseinandersetzungsguthaben auf. Sein Erbteil wächst den übrigen Miterben kraft Gesetzes gemäß § 738 BGB analog an. Es handelt sich hierbei seinem Wesen nach nicht um eine Übertragung des Erbteils, sondern um einen Verzicht des Miterben auf seine Mitgliedschaftsrechte an der Erbengemeinschaft. Daher ist die Abschichtungsver­ einbarung  – anders als der Erbteilübertragungsvertrag  – grundsätzlich formfrei möglich.22 Insbesondere, wenn Immobilien zum Nachlass gehören, kann die Abschichtungsvereinbarung eine sinnvolle und kostengünstige Variante zu einem Erbteilübertragungsvertrag sein. Die Abschichtungsvereinbarung wirkt allerdings ausschließlich im Innenverhältnis der Erben untereinander. Der ausgeschiedene Miterbe scheidet im Außenverhältnis gegenüber Dritten nicht aus dem Haftungsverband der Erbengemeinschaft aus. Sind also noch Nachlassverbindlichkeiten offen oder zu erwarten, sollte ein anderes Gestaltungsmittel gewählt werden. Eine Abschichtung kann nur in Bezug auf den gesamten Nachlass erfolgen. Die Abschichtung muss zu einem gänzlichen und endgültigen Ausscheiden des Miterben aus der Erbengemeinschaft führen. Es gibt zahlreiche weitere individuelle Lösungsmöglichkeiten (z.B. der freihändige Verkauf von Nachlassgegenständen, die Übertragung der Nachlassgegenstände auf alle Miterben in Bruchteilsgemeinschaft, die Umwandlung der Erbengemeinschaft in eine Personengesellschaft, oder sogar die Ausschlagung des Erbes). Bei allen Vereinbarungen ist zu beachten, dass in ihnen nicht zwingend eine endgültige Erbauseinandersetzung zu liegen braucht, die nur dann erreicht wird, wenn entweder der letzte Nachlassgegenstand verteilt ist oder sich sämtliche Erbteile in einer Hand vereinigen und die Erbengemeinschaft dadurch erlischt.23 22 §§ 2033, 2371 BGB werden nicht analog angewendet. 23 Hartlich, RNotZ 2018, 285, 286.

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3. Steuerliche Auswirkungen der Erbauseinandersetzung a) Erbschaftsteuer Aus erbschaftsteuerlicher Sicht ist der Erbanfall bei der Erbengemeinschaft mit dem unmittelbaren Vermögensübergang, der kraft Gesetzes mit dem Erbfall erfolgt, abgeschlossen. Die nachfolgende Erbauseinandersetzung ist daher für die Besteuerung grundsätzlich ohne Belang.24 Es gilt der Grundsatz, dass Erbanfall und Erbauseinandersetzung getrennt voneinander zu behandeln sind und den Erben aus erbschaftsteuerlicher Sicht der Erwerb von Todes wegen wertmäßig ausschließlich nach dem Verhältnis ihrer Erbquoten zugerechnet wird.25 Beim einzelnen Miterben wird der Erwerb mit dem Anteil am Gesamtnachlasswert erfasst, der seinem Erbteil entsprechend auf ihn entfällt. Daraus folgt, dass es für die Höhe der Steuerschuld, die dem einzelnen Miterben aus dem gemeinsamen Erwerb erwächst, grundsätzlich unerheblich ist, welche Nachlassgegenstände ihm im Rahmen der Auseinandersetzung zugewiesen werden und welchen Wert diese Gegenstände haben.26 Überschreitet der Wert des steuerpflichtigen Nachlasses den jeweiligen Freibetrag des Miterben fällt grundsätzlich Erbschaftsteuer an. Nun sieht das ErbStG allerdings für bestimmte Vermögensarten unter bestimmten Voraussetzungen erbschaftsteuerliche Begünstigungen bis hin zu erbschaftsteuer­ lichen Befreiungen vor. Gerade bei komplexen Vermögen hinterlässt der Erblasser regelmäßig Vermögen, das erbschaftsteuerlichen Begünstigungstatbeständen unterliegen kann, sowie nicht steuerbegünstigtes Vermögen, das mit der vollen Erbschaftsteuer angesetzt wird.27 Bei der (noch) ungeteilten Erbengemeinschaft werden die erbschaftsteuerlichen Begünstigungen entsprechend dem Erbanteil auf die einzelnen Miterben verteilt. Durch die Auseinandersetzung des Nachlasses besteht aber die Möglichkeit, dass jeder Erbe die erbschaftsteuerlichen Begünstigungen für die von ihm im Rahmen der Erbauseinandersetzung tatsächlich erhaltenen Nachlassgegenstände direkt zugeordnet erhält. Das Erbschaftsteuergesetz sieht hierfür einen sogenannten Begünstigungstransfer vor mit dem Inhalt, dass eine zusätzliche Steuerbefreiung dann gewährt wird, wenn ein Erbe Vermögen aus dem Nachlass auf einen anderen Erben überträgt, um von diesem wiederum erbschaftsteuerlich begünstigtes Vermögen zu erhalten. Die steuerlichen Begünstigungen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers insoweit auch bei der Nachlassteilung grundsätzlich dort ankommen, wo auch die vom Gesetzgeber als begünstigungswürdig angesehene Tätigkeit ausgeübt und das als begünstigungswürdig qualifizierte Vermögen tatsächlich gehalten wird28 und sieht im ErbStG entsprechen24 BFH v. 30.6.1960 – II 254/57 U, BStBl. III 1960, 348. 25 RE 3.1 Abs. 1 und 2, 13a.11 ErbStR 2019. 26 Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG § 3 Rz. 112−113a (Werkstand 58. Ergänzungslieferung 2019). 27 So beispielsweise, wenn in einem Nachlass Unternehmensbeteiligungen, Immobilien wie ein Familienheim und Mietshäuser sowie liquides Vermögen wie Bargeld, Aktien und Wertpapierdepots vorhanden sind. 28 Begründung des Regierungsentwurfs, BR-Drs. 4/08, 57; Hannes in Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2017, B.3.01, Anm. 71.

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de Regelungen für den Begünstigungstransfer vor.29 Damit können sich die Steuerlasten der Miterben wesentlich verschieben, was gegebenenfalls zwischen den Erben im Rahmen einer Erbauseinandersetzungsvereinbarung berücksichtigt und ausgeglichen werden sollte. Die Finanzverwaltung möchte – entgegen der inzwischen ausdrücklichen Auffassung des BFH30 – bei einer freien Erbauseinandersetzung einen Begünstigungstransfer allerdings nach wie vor regelmäßig nur dann vornehmen, wenn die Auseinandersetzung innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall erfolgt. Bei einer späteren Auseinandersetzung soll ein Begünstigungstransfer nur dann ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn der Steuerpflichtige besondere Gründe für die Verzögerung darlegen kann.31 Als solche Gründe nennt die Finanzverwaltung beispielhaft Erbstreitigkeiten oder die Erstellung von Gutachten. Das stellt die Praxis vor Schwierigkeiten, da Erbauseinandersetzungen sich gerade bei komplexen Nachlässen regelmäßig über Monate, teilweise über Jahre hinziehen.32 Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Finanzverwaltung die deutliche BFH-Rechtsprechung künftig einheitlich umsetzen wird, dennoch sollte nach wie vor zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten auf einen nahen zeitlichen Zusammenhang zum Erbfall geachtet werden. Voraussetzung für die steuerlichen Begünstigungen sind in der Regel Haltefristen sowie weitere Vorgaben, die wieder neu durch den Vermögenstransfer ausgelöst und vom Übernehmenden verwirklicht werden müssen.33 Am Beispiel des begünstigten Betriebsvermögens muss der übernehmende Miterbe ab der Übertragung nunmehr die Anforderungen der Lohnsummenkontrolle34 sowie die Behaltensfrist35 neu er-

29 Für unternehmerisches Vermögen §§ 13a Abs. 5, 13c Abs 2, 28a Abs. 1 S. 3 und 4, 19a Abs. 2 ErbStG, für das Familienheim § 13 Abs. 1 Nr. 4b und 4c ErbStG sowie für zu Wohnzwecken vermietete Grundstücke § 13d Abs. 2 ErbStG. 30 BFH v. 23.6.2015 – II R 39/13, BStBl. II 2016, 225. 31 RE 13a.11 Abs. 2 S. 7 ErbStR 2019 („zeitnah“ zum Erbfall) sowie noch konkret im Ländererlass v. 3.3.2016, BStBl. I 2016, 280 und H 13a.3 AEErbSt 2017. 32 Das hat auch der BFH erkannt. So entschied er in einem Fall der Erbauseinandersetzung zur erbschaftsteuerlichen Begünstigung eines Familienheims (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG), dass Kinder des Erblassers ein Familienheim im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG steuerfrei erwerben können, wenn sie innerhalb angemessener Zeit nach dem Erbfall die Absicht fassen, dieses für eigene Wohnzwecke zu nutzen. Erwirbt also ein Kind als Miterbe im Rahmen der Nachlassteilung über seinen Erbteil hinaus das Alleineigentum am Familienheim, erhöht sich sein steuerbegünstigtes Vermögen über den erbschaftsteuerlichen Freibetrag von derzeit 400.000,00 Euro hinaus unabhängig davon, ob die Vereinbarung über die Erbauseinandersetzung zeitnah, das heißt binnen sechs Monaten nach dem Erbfall (Ansicht der Finanzverwaltung) erfolgt. Entsprechendes gilt beim Erwerb eines zu Wohnzwecken vermieteten Grundstücksteils im Sinne des § 13c ErbStG, BFH v. 23.6.2015 – II R 39/13, BStBl. II 2016, 225. 33 RE 13a.11 Abs. 1 S. 5 ErbStR 2019. 34 § 13a Abs. 3 ErbStG. 35 Fünf Jahre bei der Normalverschonung, § 13a Abs. 6 ErbStG, und sieben Jahre bei der Vollverschonung, § 13a Abs. 10 ErbStG.

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füllen.36 Die steuerlichen Folgen eines Verstoßes hat ab Übertragung der übernehmende Miterbe allein zu tragen.37 Um weiter am Beispiel der Verteilung von begünstigtem unternehmerischem Vermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 ErbStG zu bleiben, trifft § 13b Abs. 5 S. 3 ErbStG in diesem Zusammenhang zudem eine Sonderregelung für die Bemessungsgrundlage. Überträgt der eine Miterbe begünstigtes Vermögen auf einen anderen Miterben und gibt dieser andere Miterbe nicht begünstigtes Vermögen hin, so ist bei der Berechnung der Begünstigung der Wert des nicht begünstigten Vermögens anzusetzen, höchstens jedoch der Wert des begünstigten Vermögens. Außerdem sind bei hohen Vermögen im Rahmen der Gestaltung der Erbauseinandersetzung die über die Anwendung der verschiedenen Verschonungsarten entscheidenden Wertgrenzen  – Normalverschonung bis 26 Mio. Euro, Abschmelzung bis maximal 90 Mio. Euro und unbegrenzt Erlass – zu berücksichtigen.38 Für die Erbschaftsteuer ist schließlich auf dasjenige Erbschaftsteuerrecht abzustellen, welches auf den Erbfall Anwendung findet. Je nach Dauer der Erbauseinandersetzung kann das zur Folge haben, dass ein aus Sicht der Erben altes Erbschaftsteuerrecht zur Anwendung gelangt.39 b) Ertragsteuerliche Behandlung der Erbauseinandersetzung Einkommensteuerlich wird die Erbauseinandersetzung streng als selbstständiger Rechtsvorgang angesehen, der mit dem Erbfall keine rechtliche Einheit bildet. Unabhängig von der Dauer der Erbengemeinschaft hat der Miterbe nach der Auffassung des BFH nicht unmittelbar vom Erblasser erhalten, sondern erlange es vielmehr aus dem Gesamthandsvermögen der Erbengemeinschaft.40 Aus ertragsteuerlicher Sicht kann die Erbauseinandersetzung damit sowohl entgeltlich als auch unentgeltlich bzw. teilentgeltlich erfolgen.

36 Findet die Erbauseinandersetzung nach Ablauf der vorgenannten Behaltensfrist statt, so sollte es allerdings zu keinem Verlust der Begünstigung auf der Ebene des abgebenden Miterben kommen. § 13a Abs. 5 ErbStG tritt insoweit hinter § 13a Abs. 6 ErbStG zurück. Es ist indes unklar, inwieweit die Finanzverwaltung diese Auffassung teilen wird, so dass das steuerliche Risiko in die Erbauseinandersetzung einbezogen werden muss; vgl. Meincke/ Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, § 13 Rz. 58; Hannes in Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2017, B.3.01, Anm. 76; Wälzholz ZEV 2009, 113, 116 f. zur Rechtslage vor dem 1.7.2016. 37 RE 13a 11 Abs. 1 S. 5 ErbStR 2019. 38 Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 17. Aufl. 2018, § 13 Rz. 58 sowie Hannes in Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2017, B.3.01 Anm. 72 ff., der ab Anm. 73 im Einzelnen die Fallstricke der Zuweisung von begünstigtem unternehmerischem Vermögen aufzeigt. 39 Vgl. Hannes in Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2017, B.3.01 Anm. 65. 40 BFH v. 5.7.1990 – GrS 2/89, BStBl. II 1990, 837.

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Die ertragsteuerlichen Folgen geplanter Auseinandersetzungen werden häufig unterschätzt. In der Praxis lässt sich der Nachlass nur im Idealfall unter mehreren Erben ohne jede Abfindungszahlung real teilen. Eine wertmäßige Aufteilung der Nachlassgegenstände, die exakt die Höhe der Erbquote erreicht, ist häufig praktisch nicht umsetzbar. Soweit einer der Miterben dann Nachlassvermögen erhält, welches den Wert seines Erbteils übersteigt, und er deshalb den anderen Miterben einen Ausgleich aus seinem Eigenvermögen zu leisten hat, können ertragsteuerliche Belastungen entstehen. Der Erwerb dieses Mehrempfangs gegen einen sogenannten Spitzenausgleich ist regelmäßig als Veräußerungsgeschäft zu qualifizieren. Abfindungszahlungen eines Miterben führen in dem Fall grundsätzlich zu Anschaffungskosten und beim sogenannten weichenden Miterben zu einem Veräußerungserlös. Ob den veräußernden Miterben ein Veräußerungsgewinn entsteht und ob dieser steuerpflichtig ist, hängt dann wesentlich davon ab, ob die anteilig veräußerten Nachlassgegenstände (z.B. ­Unternehmen, eigengenutzte und fremdvermietete Immobilien, Wertpapiere etc.) steuerverstrickt sind oder nicht und wie hoch ihr Buchwert ist oder ihre Anschaffungskosten waren. Steuerpflichtige Veräußerungsgewinne können so bei der Auseinandersetzung über Nachlassgegenstände entstehen, die zum steuerlichen Betriebsvermögen gehören, genauso kann eine Auseinandersetzung mit Spitzenausgleich auch dann zu steuerlichen Belastungen führen, wenn es sich bei den Nachlassgegenständen beispielsweise um Anteile an Kapitalgesellschaften im Sinne von § 17 EStG oder § 20 Abs. 2 EStG, einbringungsgeborene Anteile im Sinne des § 21 UmwStG a.F. oder um Wirtschaftsgüter wie Immobilien handelt, bei denen die in § 23 EStG bestimmten Spekulationsfristen noch nicht abgelaufen sind. Bei der Konzeption der Erbauseinandersetzung eines Nachlasses mit Betriebsvermögen sind zudem versteuernde Entnahmegewinne, genauso wie ein möglicher Aufgabegewinn zu berücksichtigen. Die Zuweisung einzelner zum Betriebsvermögen oder Sonderbetriebsvermögen gehörender Nachlassgegenstände an Miterben, die an dem Betrieb oder der Personengesellschaft, der der Nachlassgegenstand als (Sonder-)Betriebsvermögen zugeordnet ist, nicht beteiligt sind und die den ihnen zugewiesenen Nachlassgegenstand auch keinem anderen, eigenen Betriebsvermögen zuordnen, kann insoweit zu einer steuerlichen Entnahme führen. Es entsteht dann ein Entnahmegewinn in Höhe der Differenz aus dem Verkehrswert und dem Buchwert des Nachlassgegenstands im Zeitpunkt der Entnahme. Es trifft dann nicht den übernehmenden Miterben, sondern sämtliche Miterben der Erbengemeinschaft in Höhe ihrer Erbquote die Steuerlast, da es sich um eine Entnahme der Erbengemeinschaft handelt. Genauso ist ein möglicher Aufgabegewinn dann zu bedenken, wenn die Erben das Betriebsvermögen untereinander aufteilen, ohne den Betrieb fortzuführen. Es handelt sich in dem Fall steuerlich um eine Betriebsaufgabe, die wiederum zu einer Realisierung der stillen Reserven führt. Dieselben Erwägungen gelten letztlich auch bei der Erbteilübertragung (§  2033 Abs. 1 BGB). Wird ein Erbteil verschenkt, entstehen weder Anschaffungskosten noch ein Veräußerungserlös, der Vorgang ist ertragsteuerlich neutral (schenkungsteuerlich aber gegebenenfalls relevant). Wird ein Erbteil verkauft bzw. gegen eine Abfindung übertragen, hat der Erwerber dagegen Anschaffungskosten und der Verkäufer 325

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einen Veräußerungserlös.41 Auch hier muss wieder nach der Art des Nachlasses (Betriebsvermögen/Privatvermögen/Mischnachlass) differenziert und geprüft werden, inwieweit eine Nachlassteilung mit und/oder ohne Abfindungszahlungen ertragsteuerlich relevant sein kann. Die Ausschlagung der Erbschaft gegen eine Ab­findung steht der entgeltlichen Veräußerung des Erbteils gleich.42 Einen weiteren Unterfall zur Veräußerung des Erbfalls bildet die Gestaltung, dass ein Miterbe freiwillig aus der Erbengemeinschaft ausscheidet, so dass sein Anteil am Gesamthandsvermögen den verbliebenen Miterben anwächst.43 Die steuerlichen Auswirkungen spielen daher für die Gestaltung der Erbauseinandersetzung eine wesentliche Rolle und sind möglichst frühzeitig in die Überlegungen mit einzubeziehen. Es ist stets eine gesamtheitliche zivil- und steuerrechtliche Betrachtung geboten, um am Ende eine Win-Win-Situation für alle Miterben erreichen zu können. Sollten sich Konflikte unter den Miterben anbahnen, dann hilft es nicht, diese auszusitzen, weil allein der Zeitablauf und die sich verhärtenden Konflikte unter den Erben sich zwangsläufig negativ auf die Nachlassmasse auswirken. Der prozessuale Weg über die Zivilgerichte hilft den Miterben nur bedingt, steuerliche Aspekte finden überhaupt keine Berücksichtigung. Sollten die Miterben nicht in der Lage sein, sich untereinander zu einigen, dann stellt die außergerichtliche Mediation, geleitet von zivil- und steuerrechtlich versierten Mediatoren, eine sinnvolle Alternative dar, die von Erbengemeinschaften noch viel zu wenig genutzt und von Beratern viel zu wenig angepriesen wird. Bei allen denkbaren Wegen sind im Ergebnis bei der Konzeption zur Beendigung einer Erbengemeinschaft stets der Wille des Erblassers, die teils gegenläufigen Interessen der Miterben sowie steuerliche und sonstige Kostengesichtspunkte (beispielsweise für notarielle Beurkundungen, Umschreibungen von Registern) einzubeziehen.

Dr. Katja Rosa Rechtsanwältin

41 BMF, Schr. v. 14.3.2006 IV B 2 – 7/06, BStBl. I 2006, 253. 42 BFH v. 20.4.2004, BStBl. II 2004, 987. 43 Im Detail mit zahlreichen Fallbeispielen vgl. BMF, Schr. v. 14.3.2006 IV B 2 – 7/06, BStBl. I 2006, 253; Hannes in Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge, 2.  Aufl. 2017, B.3.01 Anm. 28; Stinn in Götz/Hülsmann/Markwald/Stinn, Die Erbengemeinschaft im Steuerrecht, 2017, Teil D sowie Götz in Wetzel/Odersky/Götz, Handbuch Erbengemeinschaft 2019, § 41.

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Die Besteuerung von Begünstigten ausländischer Trusts, insbesondere US-Trusts Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die Rechtsform des Trusts 1. Grundstruktur eines Trusts 2. Verschiedene Funktionen eines US-Trusts III. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Folgen für in Deutschland ansässige ­Begünstigte 1. Errichtung eines US-Trusts a) Vermögensmasse b) Vermögensmasse ausländischen Rechts c) Zweck der Bindung fremden ­Vermögens d) Zwischenergebnis 2. Ausschüttungen aus dem US-Trust an in Deutschland ansässige Begünstigte 3. Auflösung eines US-Trusts



4. Erwerb einer Begünstigtenposition 5. Steuerschuldner

IV. Einkommensteuerrechtliche Folgen für Begünstigte eines US-Trusts 1. Errichtung eines US-Trusts 2. Laufende Besteuerung eines Begünstigten a) Hinzurechnungsbesteuerung des § 15 AStG b) Ausschüttungen aus dem US-Trust c) Doppelbesteuerung mit Schenkungsteuer

V. Antragsrecht nach Art. 12 Abs. 3 DBA USA Erbschaftsteuer

VI. Mitteilung von grenzüberschreitenden Steuergestaltungen VII. Zusammenfassung

I. Einleitung Der deutsche Steuergesetzgeber steht ausländischen Trust seit jeher skeptisch gegenüber. Nicht erst seit der Einführung einer besonderen Trustbesteuerung durch das Steuerentlastungsgesetz (StEntlG 1999/2000/20021) drohen für in Deutschland ansässige Begünstigte eines Trusts steuerliche Folgen, die den Trust insgesamt als unattraktiv erscheinen lassen. Hinzu kommt, dass der Trust auch im deutschen Zivilrecht nicht anerkannt wird.2 In den USA sind Trusts insbesondere deswegen attraktiv, weil durch die Errichtung eines Trusts das Verfahren zur Einsetzung eines Administrators oder Executors im Erbfall verhindert werden kann (Probate-Verfahren).3 Das Probate-Verfahren hat die Funktion, den Nachlass des Erblassers abzuwickeln, die angefallenen Steuern zu zahlen und den Überschuss an die Erben auszukehren. Nachteile am Probate-Verfahren sind neben der langwierigen Abwicklung des Nachlasses auch die damit verbundenen Kosten sowie Publizität. Wird hingegen ein US Trust von To1 BGBl. I 1999, 402, Gesetz v. 24.3.1999. 2 Deutschland hat die Haager Konvention über das auf Trusts anzuwendende Recht und ihre Anerkennung v. 1.7.1985 weder signiert noch ratifiziert. 3 Jorde/Götz in Festschrift für Spiegelberger, 2009, S. 1301, 1303.

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des wegen lebzeitig gegründet, hat dies nach Eintritt des Erbfalls den Vorteil, dass der Nachlass durch den Trust abgewickelt wird. Dies ist vergleichbar mit einer deutschen ­Testamentsvollstreckung. Insoweit ist die Errichtung von Trusts in den USA nicht unbedingt steuerlich motiviert, hat allerdings für in Deutschland ansässige Begünstigte nachteilige steuerliche Folgen. Der nachfolgende Beitrag soll die ertrag- und erbschaftsteuerlichen Folgen eines US Trusts für in Deutschland ansässige Begünstigte darstellen und gegebene Zweifelsfragen klären. Es sollen auch Lösungsansätze dargestellt werden, welche Möglichkeiten zum Umgang mit Trusts in der Praxis gegeben sind.

II. Die Rechtsform des Trusts 1. Grundstruktur eines Trusts Die Rechtsform des Trusts existiert vor allem im anglo-amerikanischem Rechtskreis und findet keine Entsprechung im deutschen Recht. Es handelt sich aus deutscher Sicht um ein Rechtsverhältnis, bei dem einer Person Vermögen übertragen wird, das sie für bestimmte begünstigte Personen (Beneficiaries) nach den Regeln der Trusturkunde verwalten oder verwenden soll. Es ist dabei gar nicht erforderlich, dass der Errichter des Trusts (Settlor) eine andere Person ist als der Begünstigte. Des Weiteren gibt es den Verwalter des Trustvermögens (Trustee), der das Vermögen und die Einkünfte nach den Regeln der Trusturkunde verwaltet. Der Remainderman ist die ­Person, die im Falle der Auflösung des Trusts das Vermögen zugewiesen bekommt. Häufig findet sich auch in Trustgestaltungen ein Protector, dem Aufsichtsfunktion zukommt. Das Vermögen wird auf den Trustee übertragen, d. h. nicht der Trust selbst wird Eigentümer des Vermögens, sondern der Trustee. Er ist allerdings aufgrund der Trusturkunde gebunden. Das Eigentum wird insoweit aufgespalten in das sog. legal ownership und das Eigentumsrecht des Begünstigten, das sog. equity ownership.4 2. Verschiedene Funktionen eines US-Trusts Es wird zwischen verschiedenen Formen der US-Trusts unterschieden. Zunächst gibt es den sog. Grantor‘s Trust, bei dem der Errichter des Trusts dieselbe Person ist wie der Begünstigte und der Trustee. Das bedeutet, dass der Grantor‘s Trust nur aus einer Person bestehen kann.5 Des Weiteren können Trusts auch so gestaltet sein, dass der Trustee eine vom Settlor und den Begünstigten unabhängige Person ist und einen weiten Ermessenspielraum über die Verwendung der Erträge und die Verwaltung des Vermögens hat (Discretionary Trust). Bei einem Strict Trust hingegen hat der Begünstigte unentziehbare, gerichtlich durchsetzbare Leistungsansprüche.6 Genauso 4 Habammer, DStR 2002, 425, 426; Wacker in Spiegelberger, Vermögensnachfolge, 3.  Aufl. 2020, § 19, Rz. 87. 5 Vgl. zur steuerlichen Behandlung eines Grantor’s Trust FG Baden-Württemberg v. 15.7.2010 – 7 K 37/07, 7 K 38/07, EFG 2011, 162 f. 6 Habammer, DStR 2002, 425, 426; Weiss, IStR 2020, 124, 129.

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wie bei Stiftungen kann ein Trust von Todes wegen als sog. Testamentary Trust oder als Inter-Vivos Trust unter Lebenden errichtet werden. Des Weiteren wird auch immer unterschieden zwischen dem sog. irrevocable und dem revocable Trust. Ein revocable Trust kann von dem Trustee jederzeit widerrufen werden, d.h. er kann das Vermögen wieder zurückholen, aber auch die Trusturkunde noch ändern. Des Weiteren kann er aber auch unter Lebenden bereits einen irrevocable Trust gründen, d.h. der Trust kann nicht mehr geändert oder widerrufen werden. Spätestens im Zeitpunkt des Todes des Settlors entsteht i.d.R. ein unwiderruflicher Trust.

III. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Folgen für in Deutschland ansässige Begünstigte 1. Errichtung eines US-Trusts Die Übertragung von Vermögen auf einen Trust bzw. dessen Errichtung und Dotierung kann zu einem Erbschaft- oder Schenkungssteuertatbestand führen, wenn eine in Deutschland ansässige Person gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) ErbStG Vermögen auf einen US-Trust überträgt. In einem solchen Fall ist der persönliche Anknüpfungspunkt für eine unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland gegeben, so dass das Weltvermögen besteuert wird und insoweit auch die Übertragung von Vermögensgegenständen auf einen US-Trust. Dies gilt entsprechend, wenn gem. § 2 Abs. 1 Nr.  1 Buchst.  b ErbStG ein deutscher Staatsangehöriger aus Deutschland wegzieht und innerhalb von fünf Jahren Vermögensgegenstände auf einen US-Trust überträgt, weil dieser noch der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland unterliegt. In Bezug auf die USA ist Art. 4 Abs. 3 DBA USA E zu berücksichtigen. War eine natürliche Person im Zeitpunkt ihres Todes oder der Schenkung (i) Staatsangehöriger eines Vertragsstaats, ohne gleichzeitig Staatsangehöriger des anderen Vertragsstaats zu sein, und (ii) hatte sie einen Wohnsitz nach dem DBA USA in beiden Vertragsstaaten und (iii) hatte sie im anderen Vertragsstaat ihren Wohnsitz nach dem DBA für die Dauer von nicht mehr als zehn Jahren gehabt, so gilt der Wohnsitz dieser Person in dem Vertragsstaat gelegen, dessen Staatsangehörige sie war (Art. 4 Abs. 3 DBA USA E). Art. 4 Abs. 3 DBA USA E geht der Tie-breaker Rule des Art. 4 Abs. 2 DBA USA E vor.7 Art. 4 Abs. 3 DBA USA E bewirkt z.B., dass das erbschaft- und schenkungsteuerliche Besteuerungsrecht während der ersten 10  Jahre der Erlangung eines deutschen Wohnsitzes durch einen US-Staatsbürgers den USA zugewiesen wird. Eine Besteuerung in Deutschland ist mit Ausnahme der Sondertatbestände nach  Art.  5  ff. DBA USA E nicht gegeben.8 Seit 1999 bestehen Steuervorschriften (Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002), die eine Übertragung von Vermögensgegenständen auf einen US-Trust in Deutschland der Erbschaft- und Schenkungsteuer unterwerfen. Zuvor behandelte der BFH die Übertragung von Vermögen auf einen Trust als sog. aufschiebend bedingten Erwerb. Es kam nur zu einer Besteuerung, wenn der Trust beendet wurde und der Begünstigte das Vermögen erhielt. Der Trustee ist nie 7 Jülicher in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 4 DBA USA E Rz. 4. 8 Von Oertzen/Stein, ZEV 2010, 500, 504.

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Eigentümer des Vermögens geworden, weil er aufgrund der Herausgabeverpflichtungen kein Eigentum erwerben konnte. Der Begünstigte hatte lediglich ein Anwartschaftsrecht, das allerdings nicht zu einem erbschaftsteuerlichen Vorgang führt.9 Diesen Steueraufschub wollte der Gesetzgeber mit Einführung der Steuertatbestände der §§ 3 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2, 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 ErbStG verhindern, so dass die Bildung oder Ausstattung einer Vermögensmasse ausländischen Rechts, deren Zweck auf die Bindung von Vermögen gerichtet ist, der Erbschaft- und Schenkungsteuer unterworfen werden sollte. Fraglich ist, wann der Tatbestand der §§ 3 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG erfüllt ist. Dafür müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: (i) Es muss sich um eine Vermögensmasse handeln, (ii) diese muss ausländischen Rechts sein und (iii) der Zweck der Vermögensmasse muss auf die Bindung von Vermögen gerichtet sein. a) Vermögensmasse Ob eine Vermögensmasse gegeben ist, richtet sich aus steuerrechtlichen Aspekten danach, ob das Vermögen des Errichters auf den Trust endgültig übergegangen ist oder ob es nach allgemeinen Zurechnungsregeln nach wie vor dem Errichter zuzurechnen ist.10 In der Regel bleibt das wirtschaftliche Eigentum beim Errichter, wenn folgende Kriterien erfüllt sind: (i) Der Verwalter muss wie ein Treuhänder an die Weisungen des Errichters strikt gebunden sein.11 (ii) Die Vermögensübertragung kann jederzeit ohne sachliche Gründe widerrufen und die jederzeitige Herausgabe des Treuguts herbeigeführt werden. (iii) Der Errichter hat einen wesentlichen Einfluss auf die Anlageentscheidungen des Trusts. Liegen die Voraussetzungen vor, sind die Einkünfte und die Vermögenswerte weiterhin dem Errichter des Trusts zuzurechnen.12 Sind die o.g. Voraussetzungen nicht gegeben, liegt eine selbstständige Vermögensmasse vor. b) Vermögensmasse ausländischen Rechts Aufgrund der zivilrechtlichen Struktur wird der Trust als Schuldverhältnis angesehen, so dass das anwendbare Recht durch Rechtswahl bestimmt werden kann. Wenn nach dem anwendbaren ausländischen Recht (z.B. US Recht) eine Vermögensmasse wirksam begründet wurde, wird dieses Ergebnis im deutschen internationalen Privatrecht ebenfalls anerkannt. In der Regel wird daher bei Trustgestaltungen eine Ver 9 BFH v. 20.12.1957− III 250/56, BStBl. III 1958, 79; BFH v. 7.5.1986 – II R 137/79, BStBl. II 1986, 615. 10 BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388, 390; BMF, Schr. v. 16.9.2004 – IV A 4-S 1928-120/04 zur Frage 19 betreffend das StraBEG; Habammer, DStR 2002, 425, 427. 11 BFH v. 5.12.2018 – II R 9/15, NV 2019, 632. 12 BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, DStRE 2007, 1170; zum Trust speziell Jülicher, ZErb 2015, 357; ders., ZErb 2003, 3.

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mögensmasse ausländischen Rechts gegeben sein, wenn nach international privatrechtlichen Vorschriften nicht deutsches Recht anzuwenden ist.13 c) Zweck der Bindung fremden Vermögens Fraglich ist, ob das in den §§ 3 Abs. 2 Nr. 1, 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG genannte Tatbestandsmerkmal der Vermögensbindung berücksichtigt werden muss.14 M.E. ist dies schon aufgrund des Wortlauts der Fall. Dies ergibt sich aus einem Vergleich zum Körperschaftsteuerrecht. Nach dem Körperschaftsteuerrecht unterliegen Trusts der Körperschaftsteuer als sog. „Zweckvermögen des privaten Rechts“ nach §  1 Abs.  1 Nr. 5 KStG. Ein Zweckvermögen ist danach eine selbstständige, einem bestimmten Zweck gewidmete Vermögensmasse, die aus dem Vermögen des Widmenden ausgeschieden ist und eigene Einkünfte bezieht. Ein Zweckvermögen soll nur dann vorliegen, wenn das gewidmete Vermögen nicht beliebig zurückgefordert werden kann und dauerhaft für einen bestimmten Zweck zur Verfügung steht.15 Eine ähnliche Definition gilt auch bei beschränkt steuerpflichtigen Körperschaften nach § 2 Nr. 1 KStG.16 Daher wird auch der Estate (Nachlass) nach US-Recht als eigenständige Vermögensmasse im deutschen Ertragsteuerrecht qualifiziert.17 Eine Bindung des Vermögens ist nicht Tatbestandsmerkmal. Dies gilt auch für die Vermögensmasse i. Satz d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. d) ErbStG als Subjekt der persönlichen Erbschaftsteuerpflicht. Es wird eine Unterscheidung des Gesetzgebers vorgenommen, dass für die Frage nach der Steuerpflicht auf das Vorhandensein einer Vermögensmasse abgestellt wird, wohingegen für die speziellen Tatbestände der §§ 3 Abs. 2 Nr. 1 und 7 Abs. 1 Nr. 8, 9 ErbStG zusätzlich der Zweck der Bindung von Vermögen durch diese Vermögensmasse verfolgt werden muss. Dies ergibt sich auch aus dem Zweck der Vorschriften, die einen Vergleich zur Stiftung herstellen sollen.18 Nach Satz 1 soll der Übergang von Vermögen auf eine vom Erblasser angeordnete Stiftung besteuert werden. Dem soll gleichstehen eine vom Erblasser angeordnete Bildung oder Ausstattung einer Vermögensmasse ausländischen Rechts, deren Zweck auf die Bindung von Vermögen gerichtet ist. Daher kommt es auch m.E. nicht auf eine bestimmte Dauer des Trusts an, sondern auf den Zweck, den der Trust verfolgt. Liegt z.B. ein sog. testamentary trust vor, der mit dem Tod des Settlors den Nachlass abwickeln soll und daher eine zeitnahe Auflösung nach dem Erbfall geplant ist, kann es sich demzufolge nicht um eine Vermögensmasse mit der Bindung von Vermögen handeln. Dies entspricht auch

13 Nach dem Schuldvertragsstatut können die Parteien selbst wählen, welche Rechtsordnung auf den Trust anwendbar ist, so dass dies in der Praxis in der Regel das US-Recht sein wird und dies auch nach deutschem internationalem Privatrecht so anerkannt wird; vgl. zum Internationalen Privatrecht, Wienbracke, ZEV 2007, 413. 14 Schienke-Ohletz, IStR 2019, 21, 23 ff. 15 Klein in Hermann/Heuer/Raupach, § 1 EStG Rz. 62; Hummel in Gosch, 4. Aufl. 2020, § 1 KStG Rz. 92. 16 Pfirrmann in Gosch, 4. Aufl. 2020, § 2 KStG Rz. 16; BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388. 17 von Oertzen/Lemmer, IStR 2015, 952, 955. 18 von Oertzen in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 7 ErbStG Rz. 400.

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dem Urteil des BFH vom 27.9.2012,19 wonach eine Vermögensbindung bei einem Trust nur dann anzunehmen ist, wenn die Verwalter des Trusts das Vermögen im Interesse der später Begünstigten verwalten und auf diese im Rahmen einer sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Vermögensnachfolge übertragen sollen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist unklar, ob eine bestimmte Dauer des Trusts Voraussetzung für das Vorhandensein einer Vermögensbindung sein kann. Vielmehr geht die Finanzverwaltung davon aus, dass mit Eintritt der Unwiderruflichkeit eine Vermögensmasse entsteht.20 M.E. kann eine Vermögensbindung jedenfalls dann verneint werden, wenn tatsächlich mit dem Erbfall eine zeitlich bestimmbare zeitnahe Abwicklung des Trusts erfolgen kann. d) Zwischenergebnis Bei unbeschränkt steuerpflichtigen Errichtern von Trusts führt eine Übertragung von Vermögen zu Erbschaft- und Schenkungsteuer in Steuerklasse III, weil das Steuerklassenprivileg des § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG nur auf inländische Stiftungen anwendbar ist.21 Aufgrund der ungünstigen Anwendung der Steuerklasse III sollte im Falle der Errichtung eines Trusts sicher ausgeschlossen werden, dass eine unbeschränkte Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a oder Buchst. b ErbStG des Errichters gegeben ist. Ist der Errichter lediglich beschränkt steuerpflichtig (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG), ist eine Besteuerung nach deutschem Erbschaftsteuerrecht nur gegeben, wenn es sich um Inlandsvermögen nach § 121 BewG handelt. Dient der Trust lediglich zur Abwicklung eines Nachlasses und ist dies von vornherein auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt ist, sollte keine Vermögensmasse i.S.d. §§  3 Abs.  2 Nr.  1, 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG vorliegen.22 2. Ausschüttungen aus dem US-Trust an in Deutschland ansässige Begünstigte Bei inländischen Familienstiftungen ist unstreitig, dass satzungsmäßige Ausschüttungen an die Destinatäre nicht der Schenkungsteuer unterliegen, weil diese nicht freigebig i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erfolgen.23 Ein Ermessen des Stiftungsvorstandes, wie es in vielen Stiftungssatzungen vorgesehen ist, führt auch nicht zu einer Freigebigkeit i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, weil der Stiftungsvorstand dem Stifterwillen 19 II R 45/10. 20 Vgl. von Oertzen in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 3 ErbStG Rz. 123 Fn. 3. 21 Vgl. allerdings FG Hessen v. 7.3.2019 – 10 K 541/17, EFG 2019, 930, wonach die Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG eine verbotene Beschränkung des Kapitalverkehrs darstellt, weil sie bei Zuwendungen eines Inländers einer in einem Inland ansässigen Familienstiftung eine Privilegierung gewährt, die bei einer Übertragung an ausländische Stiftungen verwehrt wird. Allerdings ist aufgrund des Wortlauts des § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG zweifelhaft, ob dies auch auf ausländische Trusts anwendbar ist, weil der Wortlaut ausdrücklich die Rechtsform der Stiftung meint und nicht Vermögensmassen generell. 22 Vgl. im Einzelnen Schienke-Ohletz, IStR 2019, 21 ff. 23 Biermann/Koslowski in Scherer Unternehmensnachfolge, 6.  Aufl. 2020, §  9 Rz.  117; Demuth, KÖSDI 2018, 20909, 20918.

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unterliegt und an den Stiftungszweck gebunden ist.24 Allerdings ergibt sich bei Ausschüttungen aus ausländischen Vermögensmassen wegen §  7 Abs.  1 Nr.  9 Satz  2 ErbStG eine andere Rechtslage. Gem. § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG gilt als Schenkung unter Lebenden der Erwerb bei Auflösung einer Vermögensmasse ausländischen Rechts, deren Zweck auf die Bindung von Vermögen gerichtet ist, sowie der Erwerb durch Zwischenberechtigte während des Bestehens der Vermögensmasse. Der Begriff des Zwischenberechtigten ist nicht eindeutig. Es wurde von der Rechtsprechung des BFH vertreten, dass Zwischenberechtigte alle Personen seien, die während des Bestehens eines Trusts Auszahlungen aus dem Trustvermögen er­ halten.25 Da grundsätzlich § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG nicht differenziert, ob Vermögen oder Erträge ausgekehrt werden, sondern vom Wortlaut her alles erfasst, würde damit jede Person, die aus einem Trust etwas erhält, in Höhe der gesamten Ausschüttung schenkungssteuerpflichtig. Problematisch ist dies vor allem, wenn gleichzeitig nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG ein Einkommensteuertatbestand erfüllt wird.26 Daher hat bereits der BFH in einem Beschluss v. 21.7.201427 ernsthafte Zweifel in einem AdV-Verfahren angemeldet, dass eine ordentliche Ausschüttung einer ausländischen Stiftung unter den Schenkungsteuertatbestand subsumiert werden kann.28 Es wurde angezweifelt, dass der Begriff der ausländischen Vermögensmasse auch Stiftungen erfasse. Zudem führte die dadurch entstehende Doppelbesteuerung mit Schenkung- und Einkommensteuer zu Zweifeln des BFH, dass eine Besteuerung mit Schenkungsteuer in Betracht komme. In einer neueren Entscheidung des BFH v. 3.7.201929 hat der BFH den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG restriktiver ausgelegt. Danach ist nicht jede Person Zwischenberechtigter, die etwas aus einer ausländischen Vermögensmasse erhält, sondern nur derjenige, der ein abstrakt generelles Recht auf die Ausschüttung geltend machen kann. In dem zugrundeliegenden Fall ging es um eine ausländische schweizerische Stiftung.30 Die Rechtsprechung lässt sich m.E. auch ohne Weiteres auf die Besteuerung von Begünstigten eines Trusts übertragen. Die rechtlichen Strukturen eines Trusts sind der ausländischen Stiftung sehr ähnlich.31 Damit ist auch bei Trusts zu differenzieren, ob die Begünstigten einen konkreten Anspruch haben oder ob der Trustee ermessensabhängig über eine Auskehrung entscheiden kann. Der BFH hat keine Differen­zierung hinsichtlich einer Stiftung und einer ausländischen Vermögensmasse vor­genommen. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der BFH darüber hinaus festgestellt hat, dass eine Schenkung unter Lebenden gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auch nicht gegeben ist, wenn eine satzungsmäßige Ausschüttung der jeweiligen Stiftung vorliegt. D.h. es kann nur 24 Feick, in Stiftung als Nachfolgeinstrument, 1. Aufl. 2015, § 26 Rz. 26. 25 BFH v. 27.9.2012 – II R 45/10, BStBl. II 2013, 84. 26 Vgl. dazu IV. 2. b). 27 BFH v. 21.7.2014 – II B 40/14, NV 2014, 1554. 28 Vgl. dazu auch Küster, DStR 2018, 2613. 29 BFH v. 3.7.2019 – II R 6/16, BStBl. II 2020, 61. 30 Das FG Baden-Württemberg hatte in der Vorinstanz noch die Auffassung vertreten, dass eine Ausschüttung eine Schenkung sei und dies auch für Stiftungen als Vermögensmassen des ausländischen Rechts gelten müsse, vgl. FG Baden-Württemberg v. 22.4.2015  – 7 K 2471/12, EFG 2015, 1461. 31 Schienke-Ohletz, Anm. zu BFH v. 3.7.2015 – II R 6/16, Ubg 2019, 718, 720.

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dann eine Schenkung im Sinne einer freigebigen Zuwendung gegeben sein, wenn der Vorstand der Stiftung satzungswidrig handelt, weil nur dann eine Bereicherungsabsicht gegeben ist.32 M.E. wollte der BFH auch Trusts in die Wertung mit einbeziehen, weil er die Auslegung des Zwischenberechtigten mit der Entstehungsgeschichte der Besteuerung für Trusts nach dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 9.11.1998 begründet.33 In diesem Zusammenhang wurde auch der Begriff des Zwischenberechtigten geschaffen und sollte – so der BFH – gedanklich Rechte und Ansprüche voraussetzen. Es ist daher in jeder Trusturkunde genau zu definieren, ob Ermessen des Trustees besteht oder nicht. Ist ein Ermessen des Trustees gegeben, kann auf der Grundlage der BFH-Rechtsprechung vertreten werden, dass ein Schenkungsteuertatbestand im Falle der Ausschüttung nicht gegeben ist. Die Entscheidung hat auch die Finanzverwaltung anerkannt.34 3. Auflösung eines US-Trusts Die Auflösung eines US Trusts und Auskehrung an in Deutschland ansässige Begünstigte führt ebenfalls zu einem Erbschaft- oder Schenkungsteuertatbestand gemäß §§ 3 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 bzw. § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG. Allerdings kommt es hier zu einer Privilegierung zur Besteuerung in Steuerklasse III, weil für die Besteuerung das Verhältnis des Stifters bzw. Errichters des Trusts zum Letztbegünstigten ­zugrunde gelegt wird (vgl. §  15 Abs.  2 Satz 2 ErbStG). Der Erbschaft- und Schenkungsteuertatbestand im Falle der Auflösung einer ausländischen Vermögensmasse wird auch dann nur relevant, wenn es sich um eine Vermögensmasse ausländischen Rechts handelt, deren Zweck auf die Bindung von Vermögen gerichtet ist. Wenn der Rechtsträger nicht tatsächlich und rechtlich frei über das Vermögen während seiner Existenz verfügen konnte, kann auch die Auflösung oder Rückübertragung des Vermögens auf Begünstigte nicht unter § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG fallen.35 Ein Vermögensrückfluss an den Errichter des Trusts wird nach der Finanzverwaltung unter §  7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG erfasst.36 Er unterliegt der Steuerklasse III. 37 In der Regel hat die Vermögensmasse ausländischen Rechts ihren Sitz im Ausland, so dass der Steuertatbestand regelmäßig nur dann erfüllt sein wird, wenn der Erwerber Inländer ist oder Inlandsvermögen übertragen wird.38 Eine Teilliquidation in dem Sinne, dass zwar Vermögens- und Einkünftebestandteile auf die Begünstigten übertragen werden, aber der Trust danach noch besteht, fällt nicht unter § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 ErbStG, dürfte aber dann ein Erwerb eines Zwischenberechtigten nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG sein. Die Vermögenszuwendung, von der die Rede ist, muss anlässlich einer Auflösung erfolgen. 32 So BFH v. 3.7.2019 – II R 6/16, BStBl. II 2020, 60. 33 BT-Drucks. 14/23, 200; BT-Drucks. 14, 443, 41. 34 So zumindest LfSt Bayern, Vfg. v. 5.3.2020 – S 3806.2.1-104/42 St 34, npoR 2020, 135. 35 Von Oertzen in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 7 ErbStG Rz. 381. 36 LfSt Bayern, Vfg. v. 10.4.2019 – S 3806.2.1-110/7 St 34. 37 Richter/Gummert, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, 4.  Aufl. 2016, §  80 Rz. 165. 38 Seltenreich in P/R/S, § 7 ErbStG Rz. 659; von Oertzen in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 7 ErbStG Rz. 401.

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4. Erwerb einer Begünstigtenposition Wird eine in Deutschland ansässige Person Begünstigter eines US Trusts, liegt darin kein Erbschaft- oder Schenkungsteuertatbestand. Die Erlangung der Begünstigtenposition – sei es, dass eine im Ausland ansässige Person einen ausländischen Trust errichtet und einen in Deutschland Ansässigen als Begünstigten aufnimmt oder dass der ausländische Trust unwiderruflich wird – führt nicht zu einer Besteuerung des Begünstigten, weil dieser lediglich eine Art Anwartschaftsrecht erwirbt. Darin liegt allerdings kein relevanter erbschaft- oder schenkungsteuerlicher Vorgang.39 Dies ergibt sich auch aus den Grundsätzen des BFH v. 27.9.201240: Der Gesetzgeber hatte seinerzeit mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 24.3.199941 die §§ 3, 7 ErbStG für die Besteuerung von Übertragungen auf Vermögensmassen ausländischen Rechts ergänzt, so dass sowohl die Errichtung als auch die Auflösung bzw. Auskehrungen aus solchen Vermögensmassen der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer unterliegen. Diese Vorschriften sind abschließend, so dass z.B. der Erwerb einer Begünstigtenposition in einem Trust ausdrücklich nicht unter das ErbStG fällt. 5. Steuerschuldner Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 ErbStG ist in den Fällen der Errichtung einer ausländischen Vermögensmasse nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 oder § 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 ErbStG die Vermögensmasse Erwerber und Steuerschuldner.42 Dies ist bei Errichtung eines ausländischen Trusts der Trust selbst, auch wenn er nicht rechtsfähig ist.43 In den Fällen des § 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 ErbStG, d.h. bei der Bildung oder Ausstattung einer Vermögensmasse unter Lebenden, ist auch der Errichter wie ein Schenker zu behandeln und kann als Gesamtschuldner neben der Vermögensmasse in Anspruch genommen werden.

IV. Einkommensteuerrechtliche Folgen für Begünstigte eines US-Trusts 1. Errichtung eines US-Trusts Neben der Erbschaft- und Schenkungsteuer können auch ertragsteuerliche Entstrickungstatbestände bei der Übertragung von Vermögen auf US-Trusts relevant sein. Werden anlässlich der Errichtung des US Trusts z.B. Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen, so kann die Wegzugsbesteuerung des §  6 AStG eingreifen. Vo­ raussetzung ist, dass der Steuerpflichtige seit mindestens zehn Jahren in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist und innerhalb der letzten fünf Jahre an einer Kapitalgesellschaft zu mindestens 1 % beteiligt war sowie die Anteile im Privat39 Siehe zu den einkommensteuerlichen Folgen unter IV. 2. b). 40 BFH v. 27.9.2012 – II R 45/10, FR 2013, 562. 41 BGBl. I 1999, 402. 42 Loose in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, § 20 ErbStG, Rz. 19. 43 Zur Rechtsfähigkeit und Steuerrechtsfähigkeit von Trusts vgl. Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 20 ErbStG Rz. 43.

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vermögen hält. Die Wegzugsteuer wird in diesem Falle ausgelöst, weil es sich bei einem US Trust um einen Trust in einem Drittstaat handelt, so dass auch eventuelle Stundungsregeln innerhalb der EU/EWR nach §  6 Abs.  5 AStG nicht eingreifen.44 Des Weiteren kann es auch bei Übertragung eines Betriebsvermögens auf einen US Trust zu einer Wegzugsbesteuerung nach § 4 Abs. 1 Satz 3, 4 i.V.m. § 16 Abs. 3a EStG kommen, wenn nach dem Wegzug hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts im Betriebsvermögen das Besteuerungsrecht von Deutschland ausgeschlossen oder beschränkt wird. Insbesondere in Bezug auf die USA wird das Besteuerungsrecht nicht ausgeschlossen oder beschränkt, weil bei deutschen Betriebsvermögen die USA zwar besteuern darf, aber die deutsche Steuer anrechnet (Art. 7, 23 Abs. 1 Buchst. a) DBA USA).45 2. Laufende Besteuerung eines Begünstigten Bezüglich der laufenden Besteuerung ist zu unterscheiden zwischen der Hinzurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG hinsichtlich der Einkünfte des US-Trusts und den Ausschüttungen aus dem US-Trust an den in Deutschland ansässigen Begünstigten. a) Hinzurechnungsbesteuerung des § 15 AStG aa) Grundsätze Relevant für die Besteuerung eines Begünstigten in Deutschland ist die Hinzurechnungsbesteuerung des § 15 AStG. § 15 AStG ermöglicht einen Besteuerungszugriff auf Einkünfte ausländischer Familienstiftungen und ähnlicher Rechtsformen unter Durchbrechung des Trennungsprinzips und rechnet die Einkünfte unabhängig von einem Zufluss dem in Deutschland ansässigen Stifter oder den in Deutschland ansässigen Bezugs- und Anfallsberechtigten anteilig zu (§ 15 Abs. 1 AStG).46 § 15 AStG regelt die Hinzurechnung bei ausländischen Familienstiftungen, erfasst aber auch nach § 15 Abs. 4 AStG sonstige Zweckvermögen, Vermögensmassen und rechtsfähige und nichtrechtsfähige Personenvereinigungen, so auch den Trust.47 Eine Familienstiftung liegt vor, wenn der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugs- oder anfallsberechtigt sind. Dies gilt entsprechend für einen US Trust. In der Praxis dürfte diese Voraussetzung in den meisten Fällen gegeben sein, weil in den USA Trusts häufig gegründet werden, um einen Nachlass abzu44 Vgl. aber dazu auch die geplante Verschärfung durch das Gesetz zur Umsetzung der sog. europäischen ATAD-Richtlinie, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-SteuerVermeidungs-Richtlinie und zur Verschärfung der Wegzugsteuer auch bei der Übertragung auf EU/EWR-Vermögensmassen; vgl. Kühn/Weiss, IWB 2020, 46. 45 Wied in Blümich, § 4 EStG, Rz. 486c; anders, wenn US-Steuer auf die deutsche Steuer angerechnet werden muss, dann ist eine Beschränkung des Besteuerungsrechts gegeben, Loschelder in Schmidt, 39. Aufl. 2020, § 4 EStG Rz. 251. 46 Vgl. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2017, Rz. 14.2, 18; Vogt in Blümich, § 15 AStG Rz. 20. 47 BFH  v. 2.2.1994,  I R 66/92,  BStBl.  II 1994,  727; BFH  v. 5.11.1992,  I R 39/92,  BStBl.  II 1993, 388; Rundshagen in Strunk/Kaminski/Köhler, § 15 AStG Rz. 71.

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wickeln. Nach der gesetzlichen Regelung ist vornehmlich der Settlor des Trusts Steuersubjekt der Hinzurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG.48 In der Praxis ist idR der Settlor des Trusts nicht in Deutschland ansässig, sondern im Ausland. Hingegen können die Begünstigten eines US Trusts in Deutschland ansässig sein und unterliegen als Bezugs- oder Anfallsberechtigte der Hinzurechnungsbesteuerung. bb) Bezugs- und Anfallsberechtigte Fraglich ist, wann eine Bezugs- bzw. Anfallsberechtigung zu bejahen ist. Nach dem Anwendungserlass zum AStG49 ist eine Person bezugsberechtigt, die nach der Satzung der Familienstiftung (oder des Trusts) in der Gegenwart oder Zukunft Vermögensvorteile aus der Stiftung erhält oder erhalten wird oder bei der nach der Satzung damit gerechnet werden kann, dass sie Vermögensvorteile erhalten wird. Es ist nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht erforderlich, dass ein Rechtsanspruch besteht. Anfallsberechtigter ist in der Regel die Person, die die Übertragung des Vermögens rechtlich verlangen oder tatsächlich bewirken kann.50 Der Bezugsberechtigte eines Trusts partizipiert in der Regel an den laufenden Erträgen, während der Anfallsberechtigte (sog. Remainderman) das Vermögen des Trusts bei dessen Auflösung erwirbt.51 Die Rechtsprechung des BFH hat sich zum Begriff des Bezugsberechtigten in einem Urteil dahingehend geäußert, dass eine gesicherte Rechtsposition er­ forderlich ist. Ein einklagbarer Rechtsanspruch muss nicht bestehen.52 In einem ­solchen Fall wäre z.B. bei einem absoluten Ermessen der Trustees keine Bezugsberechtigung gegeben. Eine Bezugsberechtigung wäre dann zu bejahen, wenn z.B. die Trustees mit einem recht geringen Ermessen hinsichtlich der Beträge und der Begünstigten Auskehrungen vornehmen müssten.53 Es sollte in der Praxis von einer weiten Auslegung ausgegangen werden.54 Das bedeutet, dass, wenn eine in Deutschland ansässige Person in der Trusturkunde bezeichnet wird oder sich aus den Umständen ergibt, dass sie eine Auskehrung als Begünstigter erhalten könnte, ist die Anwendung des § 15 AStG indiziert. Aber auch Fälle, in denen z.B. eine aufschiebend bedingte Begünstigung in der Trusturkunde enthalten ist, führen ggf. zu einer Anwendung des § 15 AStG. Dies ist z.B. eine Bestimmung, dass der Begünstigte nur etwas erhält, wenn er z.B. nicht in Deutschland ansässig ist oder wenn einige Personen in der Generationenabfolge vor ihm nicht mehr leben. Teilweise wird in der Literatur vertreten, dass im Falle einer Bedingung die Anwendung des § 15 AStG ausgeschlossen ist.55 Dies ist zwar sachgerecht, weil vor Eintritt der Bedingung kein Recht auf 48 Vgl. Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4.  Aufl. 2017, Rz.  14.19; Wenz/Linn in Haase, § 15 AStG, Rz. 18. 49 BMF, Schr. v. 14.5.2004 – IV B 4 – S 1340 – 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, Tz. 15.2.1. 50 BMF, Schr. v. 14.5.2004, Tz. 15.2.1, vgl. dazu ausführlich Weiss, IStR 2020, 124. 51 Schulz in Lademann, AStG, 2. Aufl. 2015, § 15 Rz. 29; Weiss, IStR 2020, 124, 126. 52 BFH v. 25.4.2001 – II R 14/98, IStR 2001, 589. 53 Weiss in IStR 2020, 124, 126; Kraft in Kraft, 2. Aufl. 2019, § 15 Rz. 215. 54 Wassermeyer in F/W/B/S, § 15 AStG Rz. 56; vgl. auch Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2017, Rz. 14.25; Wenz/Linn in Haase, 3. Aufl. 2016, § 15 AStG Rz. 22. 55 Rundshagen in Strunk/Kaminski/Köhler, § 15 AStG Rz. 37.

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Erträge aus dem Trust besteht. Allerdings ist dies nicht rechtssicher. Unstreitig ist die steuerliche Behandlung von Zufallsdestinatären, bei denen eine Berechtigung von vornherein ausscheidet. Solche liegen vor, wenn Zuwendungen von der Stiftung nur in unvorhersehbaren Fällen gewährt werden sollen. Aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheit wird in der Praxis empfohlen, in bereits vergangenen Fällen eine Bezugsberechtigung anzunehmen und ggf. im Rahmen der Veranlagung gegenüber der Finanzverwaltung zu argumentieren, warum eine Bezugsberechtigung im Einzelfall nicht gegeben ist. Ansonsten empfiehlt sich eine Formulierung, die statt einer Bezugsberechtigung eher eine Position wie die eines Zufallsdestinatärs beinhaltet. cc) Ausnahme des § 15 Abs. 6 AStG Nach §  15 Abs.  6 AStG gilt die Hinzurechnungsbesteuerung bei innerhalb der EU oder EWR ansässigen Stiftungen und sonstigen Vermögensmassen nicht, wenn nachgewiesen wird, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der Stifter und Bezugs- und Anfallsberechtigten rechtlich und tatsächlich entzogen ist und zwischen Deutschland und dem Ansässigkeitsstaat des Trusts aufgrund des EU-Amtshilfegesetzes oder einer vergleichbaren Vorschrift Auskünfte zur Besteuerung erteilt werden. Für US-Trusts ist diese Ausnahmebestimmung nicht relevant.56 dd) Rechtsfolgen (1) Grundsätze der Hinzurechnung Rechtsfolge des § 15 AStG ist eine anteilige Besteuerung der Einkünfte des US-Trusts beim unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter, ersatzweise beim unbeschränkt steuerpflichtigen Anfalls- oder Bezugsberechtigten. Das bedeutet, dass vorrangig dem Stifter die Einkünfte zugerechnet werden. Wenn auch andere beschränkt steuerpflichtige Personen vorhanden sind, werden dem Stifter nur die auf ihn entfallenden anteiligen Einkünfte zugerechnet. Wenn der Stifter nicht mehr vorhanden ist, dann kommt die Besteuerung von Bezugs- und Anfallsberechtigten in Betracht. Die Zurechnung erfolgt nach der Berechtigungsquote, die sich nach der Trusturkunde richtet. Ergibt sich daraus keine nachvollziehbare Quote, so kann eine Verteilung nach Köpfen erfolgen oder nach dem faktischen Ausschüttungsverhalten der letzten Jahre. Ratsam ist, im Rahmen der steuerlichen Veranlagung einen Anhaltspunkt für die Ermittlung der Berechtigungsquote anzugeben. Der Zurechnungszeitpunkt ist nicht geregelt, kann aber für die Anwendung des §  15 AStG relevant sein, wenn z.B. eine steuerpflichtige Person z. B. nicht im gesamten Veranlagungszeitraum der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt. Der Wortlaut der Vorschrift bis 2013 ordnete die Hinzurechnung des „Einkommens“ an, das erst zum 31.12. eines VAZ feststeht. Seit 2013 werden nach dem Wortlaut „Einkünfte“ zugerechnet, die theoretisch jederzeit entstehen 56 Zu Liechtenstein, vgl. Schönfeld in F/W/B/S, §  15 AStG Rz.  194; Lademann, EStG, §  15 AStG Rz. 66; Blümich, § 15 AStG Rz. 85; Haase, § 15 AStG, Rz. 144; Kirchhain, IStR 2015, 246; Lüdicke/Oppel, ISR 2015, 265; a.A. wohl FG Düsseldorf v. 22.1.2015 – 16 K 2858/13F, 16 K 2858/13, EFG 2015, 629 – rkr.

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können. Mangels eines Zuflusses sollte allerdings m.E. einheitlich das Kalenderjahr maßgeblich sein, da dann die Rechengröße „Gesamtbetrag der Einkünfte“ unter § 15 AStG fällt.57 (2) Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags Die zurechnungspflichtigen Einkünfte des US-Trust werden nach § 15 Abs. 7 AStG nach den Vorschriften des EStG und KStG ermittelt. Die Ermittlung der Einkünfte erfolgt nach den Regeln des deutschen Steuerrechts, sodass auch Pauschbeträge, etc. Anwendung finden. Der Trust kann daher sämtliche Einkunftsarten erzielen mit Ausnahme der Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Nach § 15 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. §  10 Abs.  3 AStG bleiben bestimmte Steuerbefreiungen außer Betracht z.B. § 8b Abs. 1 und 2 KStG. Nach Auffassung der Literatur sollen auch die Abs. 3 und 5 des § 8b KStG nicht anwendbar sein, sodass Veräußerungsgewinne unabhängig von der Beteiligungshöhe in voller Höhe zu berücksichtigen sind. Auf den Zurechnungsbetrag fällt mangels steuerlicher Ansässigkeit des US-Trusts im Inland keine Kapitalertragsteuer i.S.d. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7a EStG an. Ein negativer Hinzurechnungsbetrag kann nicht zugerechnet werden, nur die Anwendung des § 10d Abs. 4 EStG ist möglich. (3) Verhältnis zu Doppelbesteuerungsabkommen Nach § 20 Abs. 1 AStG steht der Zurechnung des § 15 AStG ein Doppelbesteuerungsabkommen nicht entgegen. Dies ergibt sich insbesondere beim DBA USA bereits aus Art. 1 Abs. 6 DBA USA.58 Allerdings soll ein Besteuerungsrecht durch § 15 AStG lediglich gesichert aber nicht begründet werden. Die abkommensrechtlichen Regelungen sind insoweit für die Einkünfteermittlung anwendbar. Werden z.B. Mieteinkünfte aus einem anderen Staat von dem Trust erzielt und ein DBA würde eine Freistellung dieser Einkünfte in Deutschland vorsehen (so z.B. Art. 6, 23 Abs. 3 Buchst. a) DBA USA bei in den USA belegenem Grundbesitz), können diese nicht in den Hinzurechnungsbetrag einbezogen werden. Sollten allerdings dann die Erträge ausgeschüttet werden, würde dies in Deutschland der Besteuerung unterliegen.59 (4) Steuersatz Gemäß § 15 Abs. 8 Satz 1 AStG gehören die zuzurechnenden Einkünfte zu fiktiven Einkünften aus Kapitalvermögen. Es gilt auch der Subsidiaritätsgrundsatz des § 20 Abs.  8 EStG. Besteuert wird der Zurechnungsbetrag mit dem Abgeltungsteuersatz nach §  32d EStG. Die Vorschriften des §  8b Abs.  1 und 2 KStG, §  3 Nr.  40 Satz 1 57 Von Oertzen/Kühn, IStR 2016, 930; Wassermeyer, in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 15 AStG Rz. 208. 58 Vgl. zur Verfassungsmäßigkeit von Treaty Overrides BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, NJW 2016, 1295; Vogt in Blümich, § 20 AStG, Rz. 15. 59 Baßler in F/W/B/S, § 15 AStG, Rz. 233; Seibold, IStR 1993, 545, 550; von Oertzen/Kühn, IStR 2019, 931, 932.

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Buchst. d) und § 32d EStG sind nur anwendbar, wenn sie bei unmittelbarem Bezug für den Steuerpflichtigen auch anwendbar wären. Bei einem körperschaftsteuerpflichtigen Zurechungsadressaten ist der Zurechnungsbetrag nach § 8 Abs. 2 KStG zu besteuern. Die zulasten des Trusts erhobenen ausländischen sowie inländischen Steuern sind gemäß § 15 Abs. 5 i.V.m. § 12 Abs. 1 AStG beim Zurechnungsempfänger anzurechnen. Ein Abzug der Steuern von den zugerechneten Einkünften ist mangels Verweises auf § 10 Abs. 1 AStG nicht möglich.60 b) Ausschüttungen aus dem US-Trust Neben der Hinzurechnungsbesteuerung werden auch tatsächliche Ausschüttungen der Einkommensteuer unterworfen. Diese unterliegen nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG der Abgeltungsteuer. Allerdings sollte § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG nur dividendenähnliche Ausschüttungen erfassen. Die Leistung muss bei wirtschaftlicher Betrachtung durch die Überlassung von Kapital veranlasst sein.61 Dies setzt normalerweise eine mitgliedschaftliche kapitalmäßige Beteiligung an einer ausschüttenden Körperschaft voraus, was bei einem Trust gerade nicht der Fall ist.62 Im Zweifel greift dann § 22 Nr. 1 Satz 1, 2 EStG ein, der aber nur wiederkehrende Bezüge besteuert. Die Finanzverwaltung hat sich zu dieser Differenzierung bisher nicht explizit geäußert, geht aber in der Praxis vorrangig von einer Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG aus. Sollte eine Ausschüttung bereits Gegenstand der Hinzurechnungsbesteuerung gewesen sein, so erfolgt auf der Ebene der Einkommensteuer nicht nochmalig eine Besteuerung (§ 15 Abs. 11 AStG). Um eine Doppelbelastung zu vermeiden, sollte in der Praxis nachgehalten werden, inwiefern eine Hinzurechnungsbesteuerung schon erfolgt ist. Nicht erfasst von § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG ist die Rückgewähr von Einlagen. Dies ergibt sich bereits aus einem Verweis von § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2, 3 EStG, der Auskehrungen aus einem steuerlichen Ein­ lagekonto ausdrücklich von der Besteuerung ausnimmt. Unabhängig davon, ob ­Stiftungen und ähnliche Vermögensmassen ein steuerliches Einlagekonto führen können,63 kann die Auskehrung von Einlagen oder von Nennkapital nicht zu einer dividendenähnlichen Ausschüttung führen.64 Dies ist vor allem im Hinblick auf eine mögliche Doppelbesteuerung mit Schenkungsteuer im Falle einer Ausschüttung relevant.

60 Baßler in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, §  15 AStG, Rz.  240; Kirchhain in Fuhrmann, 3. Aufl. 2017, § 15 AStG, Rz. 109. 61 Orth, DStR 2001, 325; BFH v. 3.11.2010 – I R 89/09, BStBl. II 2011, 417; Ratschow in Blümich, § 20 EStG Rz. 338. 62 Werder/Wystrcil, BB 2015, 412, 417. 63 So FG Münster v. 16.1.2019 – 9 K 1107/17 F, DStR 2019, 755, Rev. eingelegt, BFH-Az.: I R 21/19; Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 27 KStG, Rz. 252; Kraft/Kraft, DStR 2011, 1837; von Oertzen/Friz, BB 2014, 87; Bauschatz in Gosch, § 27 KStG Rz. 131; Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Naumann, 2015, § 27 KStG Rz. 197; Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, 2017, § 27 Rz. 145, aber a.A. die Finanzverwaltung. 64 BFH v. 10.4.2019 – I R 15/16, NV 2019, 1312; BFH v. 13.7.2016 – VIII R 47/13, VIII R 73/13, DStR 2016, 897, 2395; Mayer-Theobald/Süß, DStR 2017, 137.

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c) Doppelbesteuerung mit Schenkungsteuer Aufgrund der verschiedenen Besteuerungstatbestände sowohl im Einkommensteuerrecht als auch im Schenkungsteuerrecht kann es zu einer Doppelbesteuerung im Falle einer Auskehrung aus einem Trust kommt. Dabei sind zwei verschiedene Fälle zu unterscheiden: Einerseits erfolgt eine Doppelbesteuerung, wenn nach § 15 AStG hinzugerechnete Beträge ausgekehrt und dann der Schenkungsteuer nach § 7 Abs 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG unterliegen. Außerdem kann auch eine Doppelbesteuerung vorliegen, wenn ohne vorherige Hinzurechnungsbesteuerung eine Auskehrung aus dem Trust erfolgt, die dann sowohl nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG als auch nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG besteuert werden kann. Grundsätzlich geht die Finanzverwaltung davon aus, dass der volle Ausschüttungsbetrag der Einkommensteuer bzw. der Schenkungsteuer unterliegt, d.h. es wird nicht danach differenziert, ob es sich um Einkünfte oder um Substanz aus dem Trust handelt. Gerade im Hinblick auf die Hinzurechnungsbesteuerung und die Schenkungsteuer geht die Rechtsprechung des Finanzgerichts München davon aus, dass eine Doppelbesteuerung zulässig ist, weil nicht derselbe Sachverhalt vorliegt. Mangels eines Zuflusses knüpft die Hinzurechnungsbesteuerung an den Einkünften an, während die Schenkungsteuer an die Ausschüttung anknüpft.65 Allerdings hatte der BFH bereits im Falle von Ausschüttungen aus einer ausländischen Stiftung entschieden, dass eine Doppelbesteuerung mit Einkommensteuer und Schenkungsteuer nicht in Betracht kommt.66 Bezüglich einer Doppelbesteuerung von Lebenssachverhalten mit Einkommensteuer und Schenkungsteuer hat sich der BFH in vielen Fällen gegen eine Doppelbesteuerung ausgesprochen.67 Aufgrund der nicht eindeutigen Rechtslage sollte stets versucht werden, die Steuerbescheide offen zu halten, um die weitere Entwicklung der Rechtsprechung im Auge zu behalten.

V. Antragsrecht nach Art. 12 Abs. 3 DBA USA Erbschaftsteuer In Art. 12 Abs. 3 DBA USA Erbschaftsteuer findet sich ein besonderes Antragsrecht eines Steuerpflichtigen im Rahmen der deutschen Besteuerung, wenn dieser Begünstigter eines Trusts oder eines Estates (Nachlass) ist. Wenn eine Vermögensübertragung auf einen Trust nach dem deutschen Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht zum Zeitpunkt der Übertragung nicht zu einer Besteuerung führt, kann der Begünstigte aus einem Trust innerhalb von fünf Jahren nach Übertragung verlangen, dass er zur deutschen Steuer (einschließlich der Einkommensteuer) so herangezogen wird, als habe im Zeitpunkt der Übertragung ein steuerpflichtiger Vorgang stattgefunden. 65 FG München v. 15.5.2019 – 4 K 2033/16, 4 K 2034/16, BeckRS 2019, 12162; vgl. hierzu Az. BFH II R 31/19, II R 32/19. 66 BFH v. 21.7.2014 – II B 40/14, ZEV 2014, 504, 506. 67 Z.B. BFH v. 12.9.2011 – VIII B 70/09, ZEV 2012, 58; BFH v. 21.7.2014 – II B 40/14, NV 2014, 1554; BFH v. 15.7.2014 – X R 41/12, ZEV 2015, 60; FG Münster v. 24.10.2013 – 3 K 103/13 Erb, ZEV 2014, 215; BFH v. 20.1.2016 – II R 40/14, NV 2016, 848; vgl. zur Doppelbelastung mit Schenkungs- und Einkommensteuer speziell bei Leistungen aus Trusts Keß, ZEV 2015, 254, 258; vgl. für die Stiftung Birnbaum, ZEV 2014, 482, 483.

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Es wird aufgrund eines Antrags unterstellt, dass im Zeitpunkt des Übergangs des Vermögens auf die genannte Vermögensmasse ein steuerbarer Vorgang bei den Begünstigten eingetreten ist.68 Des Weiteren ist auch die Anrechnung von US-Steuern möglich, wenn diese durch den Vermögensübergang auf den Trust ausgelöst wurden. Voraussetzung ist nur, dass eine Vermögensübertragung auf einen Trust nicht zu einer Besteuerung nach deutschem Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht geführt hat. Dies ist i.d.R. der Fall, wenn der Errichter nicht im Inland steuerpflichtig war, z.B. wenn es sich um eine in den USA ansässige Person handelt, die US-Vermögen auf einen US-Trust überträgt.69 Antragsberechtigter ist ein in Deutschland ansässiger Begünstigter eines Trusts. Es muss sich um einen Nachlass oder ein Trust handeln und die Antragstellung muss innerhalb von fünf Jahren nach der Übertragung erfolgen. Grundsätzlich soll der Antrag bewirken, dass fiktiv die Vermögenswerte vom Begünstigten unmittelbar gehalten werden (wie nach einem Erbanfall), so dass weder Ausschüttungen noch eine Hinzurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG denkbar sind.70 Es wird auch für einkommensteuerrechtliche Zwecke unterstellt, dass der Begünstigte Vermögen erworben hat. Daher kann m.E. die Anwendung des § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG nach dem Antragsrecht nicht mehr eingreifen, weil aus deutscher Sicht der Trust negiert wird und insoweit keine Ausschüttungen mehr aus dem Trust kommen können (auch wenn er nach US-Recht nach wie vor existiert).71 In einer Verfügung des Bayerischen Landesamtes für Steuern soll ohne nähere Begründung nach einem Antrag nach Art. 12 Abs. 3 DBA USA § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG anwendbar sein.72 Das Antragsrecht würde dann ins Leere gehen. Diese Auffassung der Finanzverwaltung ist bei der Entscheidung über das Antragsrecht zu berücksichtigen.

VI. Mitteilung von grenzüberschreitenden Steuergestaltungen Insbesondere ist bei der Beratung von Truststrukturen zu überlegen, ob ggf. eine Mitteilungspflicht wegen grenzüberschreitender Steuergestaltung nach § 138d, e AO gegeben ist. Sollte der Steuerberater lediglich damit befasst sein, die Einkünfte eines Trusts zu veranlagen oder sich gegen eine drohende Doppelbesteuerung durch Einspruch oder finanzgerichtlichem Verfahren zu wehren, ist kein Kennzeichen erfüllt.73 Wird allerdings ein Trust für eine doppelt ansässige Person oder inländische Begünstigte gegründet, so kann der Anwendungsbereich eröffnet sein (§ 138d Abs. 2 Nr. 2 AO). Eine meldepflichtige Steuergestaltung könnte daraus resultieren, dass es sich bei einem US-Trust um eine standardisierte Dokumentation oder Struktur der Ge68 Von Oertzen in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, Art. 12 DBA USA, Rz. 42. 69 Jülicher in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 12 DBA USA E Rz. 39 ff.; Von Oertzen in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, Art. 12 DBA USA, Rz. 29. 70 Von Oertzen in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, Art. 12 DBA USA, Rz. 47. 71 Jülicher, IStR 2001, 178; Wurm/Bödecker in G/K/G/K, Art. 12 DBA USA, Rz. 11; von Oertzen in von Oertzen/Loose, 2. Aufl. 2020, Art. 12 DBA USA, Rz. 47. 72 Bayerisches Landesamt für Steuern v. 13.12.2018 – S 3806.1.1 – 26/6 St 34, IStR 2019, 156; ablehnend: von Oertzen/Kühn/Weiss, IStR 2020, 743. 73 Engelen/Bärsch, DStR 2020, 676; Grotherr, Ubg 2019, 633, 637.

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staltung handelt, die für mehr als einen Nutzer verfügbar ist, ohne dass sie für die Nutzung wesentlich individuell angepasst werden muss (§  138e Abs.  1 Nr.  2 AO). Eine Dokumentation ist standardisiert, wenn sie ungeachtet ihrer äußeren Form inhaltlich so aufgebaut ist, dass sie ohne wesentliche Anpassung der Struktur in einer Vielzahl weiterer Fälle in gleicher Weise eingesetzt werden kann.74 Dies ist bei Trusts zweifelhaft, weil sie häufig wie letztwillige Verfügungen anzusehen sind und einen individuellen Nachlass regeln sollen. In einem solchen Fall kann keine stan­dardisierte Dokumentation oder Struktur vorliegen. Fraglich ist zudem, worin der Steuervorteil begründet ist, zumal ohne weitere Gestaltung die Besteuerung von Begünstigten oder Errichtern von Trusts in Deutschland nicht mit einer geringen Besteuerung einhergeht. Weiteres Kennzeichen könnte die Umwandlung von Einkünften (§  138e Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b AO) sein. Dies liegt zwar grundsätzlich vor, wenn die Person nach der Übertragung von Vermögen auf einen Trust aus diesem Ausschüttungen erhält (Einkünfte aus Kapitalvermögen) und zuvor die Einkünfte unmittelbar bezogen hat. Die Umwandlung von Einkünften ist aber nicht mit einer Besserstellung des Steuerpflichtigen verbunden. Auch das Tatbestandsmerkmal der zirkulären Vermögensverschiebung (§ 138e Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c AO), d.h. die Transaktion durch die Einbeziehung zwischengeschalteter Unternehmen, ist nicht gegeben, weil eine solche mindestens zwei Transaktionen voraussetzt.75 Wird Vermögen auf einen Trust in einem Schritt übertragen, liegt eine zirkuläre Vermögensverschiebung tatbestandlich schon nicht vor. Je nach Trustgestaltung sollte dies im Einzelfall überprüft werden, insbesondere im Hinblick auf den steuerlichen Vorteil. Bei einer in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Person ist zudem streitig, ob eine Anzeigepflicht nach § 138 Abs. 2 Nr. 3 AO besteht, wenn diese Begünstigte eines US-Trusts wird. Vom Wortlaut her ist § 138 Abs. 2 Nr. 3 AO nicht erfüllt, weil dieser eine „Beteiligung“ voraussetzt, die es bei einem Trust nicht gibt. Bei Stiftungen soll daher eine Meldepflicht nach der steuerrechtlichen Literatur nicht bestehen.76 Die Finanzverwaltung geht indes von einer Meldepflicht aus, sodass davon auszugehen ist, dass sie diese auch bei Trusts annimmt.77

VII. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Trusts nach wie streng besteuert werden. Eine Doppelbesteuerung der Erträge bzw. bei Ausschüttungen sollte mit einem Einspruch angefochten werden, um die weitere Rechtsprechung zu dieser Frage abzuwarten und Steuerbescheide offen zu halten. Richtig ist, Einkünfte aus dem Trust der Einkommensteuer und Substanzausschüttungen der Erbschaft- und Schenkungsteu74 Entwurf des BMF-Schreibens v. 14.7.2020 – IV A 3 – S0304/19/10006:008, Tz. 123, 129; Rätke in Klein, § 138e AO, 15. Aufl. 2020, Rz. 15. 75 Rätke in Klein, 15. Aufl. 2020, § 138e AO, Rz. 34; Brandis in Tipke/Kruse, § 138e AO, Rz. 14. 76 Jesse, Ubg 2018, 545, 549; Kraft, Ubg 2016, 613, 614; Brandis in Tipke/Kruse, § 138 AO, Rz. 6c. 77 Vgl. BMF, Schr. v. 5.2.2018 – IV B 5 - S 1300/07/10087, IV A 3 - S 0303/17/10001 , BStBl. I 2018, 289, Anlage 1, Erläuterungen (7).

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er zu unterwerfen. Dadurch würde eine Doppelbesteuerung vermieden, aber auch eine Erfassung der Einkünfte bzw. der Bereicherung sichergestellt. Bei Zuzug eines Begünstigten nach Deutschland ist zu überlegen, ob vor dem Zuzug ein Ausscheiden aus dem US-Trust sinnvoll sein kann, um die nachteiligen Folgen zu vermeiden.78

Dr. Tanja Schienke-Ohletz Rechtsanwältin, Steuerberaterin Assoziierte Partnerin

78 Schienke-Ohletz/Kühn, ZEV 2015, 150.

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Vorkaufsrechte auf dem Vormarsch – Bedeutung und Behandlung von gemeindlichen Vorkaufsrechten in Grundstückskaufverträgen – Inhaltsübersicht I. Einleitung

2. Vorlagepflicht bei Share Deals

II. Die gemeindlichen Vorkaufsrechte 1. Bestehen eines Vorkaufsrechts 2. Ausschluss des Vorkaufsrechts 3. Verfahren der Ausübung 4. Rechtsfolgen

IV. Praxishinweise: Regelungen im Grundstückskaufvertrag 1. Fälligkeitsvoraussetzungen 2. Rücktritt 3. Ausschluss von Schadensersatz­ ansprüchen

I II. Asset Deal und Share Deal 1. Vorkaufsfall und Umgehungs­geschäfte

V. Zusammenfassung

I. Einleitung In den letzten Jahren sind gemeindliche Vorkaufsrechte immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Man gewinnt den Eindruck, dass Gemeinden zunehmend von ihren gemeindlichen Vorkaufsrechten gem. §§ 24 ff. BauGB Gebrauch machen.1 Die Gründe hierfür können vielfältig sein – wesentlich sind aber sicherlich die stetig steigenden Wohnraummieten.2 Dabei schwebt den Gemeinden und der Öffentlichkeit oftmals das Bild des verdrängenden Investors vor: Dieser erwirbt renovierungsbedürftige Wohnimmobilien mit meist niedrigen Mietpreisen und führt umfassende Modernisierungen durch, um anschließend die Miete erhöhen zu können. Denn für die Festlegung der Miete nach einer umfassenden Modernisierung greift gem. § 556f BGB die sog. Mietpreisbremse nicht, die andernfalls eine erhebliche Mietsteigerung verhindern würde. Dabei besteht aus Sicht der Gemeinden die Gefahr, dass es als Folge der erheblich steigenden Mieten zu einer Gentrifizierung des Stadtgebietes kommt, die verhindert werden soll.3 1 Laut Medienberichten kam es insbesondere in Berlin und München in den letzten Jahren zu einer erheblichen Steigerung bei der Ausübung von gemeindlichen Vorkaufsrechten, vgl. https://www.tagesspiegel.de/berlin/symbolpolitik-oder-wirksames-instrument-was-dasvorkaufsrecht-wirklich-bringt/24900606.html (zuletzt abgerufen am 24.8.2020); https:// www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-wohnungsnot-gentrifizierung-vorkaufsrechtimmobilien-1.4719694 (zuletzt abgerufen am 24.8.2020). 2 Vgl. Döring, ZfIR 2020, 333; Kronisch, NVwZ 2019, 1471. 3 Vgl. https://www.tagesspiegel.de/berlin/symbolpolitik-oder-wirksames-instrument-was-das-­ vorkaufsrecht-wirklich-bringt/24900606.html (zuletzt abgerufen am 24.8.2020); https://

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Vor diesem Hintergrund ist derzeit jedenfalls bei Immobilientransaktion über Mehrparteienwohnhäuser die Prüfung des Bestehens von gemeindlichen Vorkaufsrechten im Rahmen einer Due Diligence von zentraler Bedeutung. Sollte man dabei zu dem Ergebnis kommen, dass der Gemeinde ein solches Vorkaufsrecht zustehen könnte, empfehlen sich besondere Vorkehrungen bei der Gestaltung des Grundstückskaufvertrages. In diesem Beitrag wollen wir die Voraussetzungen für das Bestehen von gemeindlichen Vorkaufsrechten näher betrachten, um anschließend zu den üblichen Gestaltungsmöglichkeiten in Grundstückskaufverträgen Stellung zu nehmen.

II. Die gemeindlichen Vorkaufsrechte Ziel der gemeindlichen Vorkaufsrechte ist die Sicherung der Bauleitplanung, insbesondere von städtebaulichen Maßnahmen.4 Dabei regelt § 24 BauGB das allgemeine gemeindliche Vorkaufsrecht und § 25 BauGB das besondere gemeindliche Vorkaufsrecht. Im Unterschied zum allgemeinen gemeindlichen Vorkaufsrecht bedarf es zur Entstehung eines besonderen gemeindlichen Vorkaufsrechts einer entsprechenden ausdrücklichen Regelung in einer gemeindlichen Satzung. 1. Bestehen eines Vorkaufsrechts Sowohl das allgemeine als auch das besondere gemeindliche Vorkaufsrecht sind jeweils als Katalogtatbestände ausgestaltet.5 Ein allgemeines Vorkaufsrecht gem. § 24 BauGB liegt etwa dann vor, wenn ein Grundstück verkauft wird, dass in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet bzw. einem städtebaulichen Entwicklungsbereich (§  24 Abs.  1 Nr.  3 BauGB), im Geltungsbereich einer Satzung zur Sicherung von www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-wohnungsnot-gentrifizierung-vorkaufsrechtimmobilien-1.4719694 (zuletzt abgerufen am 24.8.2020). 4 Reidt in BKL, 14. Aufl. 2019, Vorbem. zu den §§ 24 ff. BauGB Rz. 1; Grziwotz in BeckOK BauGB, 49. Edition, § 24 BauGB Rz. 1.1; Stock in EZBK, § 24 BauGB Rz. 1. 5 Im Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat eines Baulandmobilisierungsgesetzes ist auch eine Änderung der gemeindlichen Vorkaufsrechte vorgesehen. So soll §  24 BauGB dahingehend erweitert werden, dass der Gemeinde ein Vorkaufsrecht beim Kauf von Grundstücken in Gebieten nach §§ 30, 33 oder 34 BauGB zusteht, „wenn die Grundstücke dadurch einen städtebaulichen oder anlagenbezogenen Missstand darstellen, dass sie erhebliche nachteilige Auswirkungen auf das soziale und städtebauliche Umfeld aufweisen, insbesondere durch ihren baulichen Zustand oder ihre missbräuchliche Nutzung“ (Referentenentwurf eines Baulandmobilisierungsgesetzes, Bearbeitungsstand 9.6.2020 17:00 Uhr, S. 5). Ferner soll der Gemeinde in einer Ergänzung des § 25 BauGB das Recht eingeräumt werden „im Geltungsbereich eines Bebauungsplans an brachliegenden Grundstücken oder im Zusammenhang bebauter Ortsteile (§ 34 [BauGB]) an unbebauten oder brachliegenden Grundstücken durch Satzung ihr Vorkaufsrecht [zu] begründen, wenn a) diese vorwiegend mit Wohngebäuden bebaut werden können und b) es sich um ein Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt handelt“ (Referentenentwurf eines Baulandmobilisierungsgesetzes, Bearbeitungsstand 9.6.2020 17:00 Uhr, S. 6).

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Durchführungsmaßnahmen des Stadtumbaus bzw. einer Erhaltungssatzung (§  24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB) oder in Gebieten, die nach §§ 30, 33 oder 34 Abs. 2 BauGB vorwiegend mit Wohngebäuden bebaut werden können, soweit die Grundstücke unbebaut sind (§ 24 Abs. 1 Nr. 6 BauGB), liegt. Ein besonderes Vorkaufsrecht kann die Gemeinde etwa im Geltungsbereich eines Bebauungsplans an unbebauten Grundstücken (§ 25 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) begründen. Weitere Voraussetzung für das Bestehen eines Vorkaufsrechts ist, dass ein Grundstückskaufvertrag über ein Grundstück (sog. Asset Deal) zustande kommt. Dabei ist gem. § 200 Abs. 1 BauGB auch der Verkauf von Teilflächen erfasst.6 Nicht erfasst sind grundsätzlich Schenkungen, Tauschverträge, Einbringungen von Grundstücken in eine Gesellschaft und die Veräußerung von Anteilen an einer Grundstücksgesellschaft (sog. Share Deal).7 Solche Rechtsgeschäfte können gleichwohl unter dem Gesichtspunkt des Umgehungsgeschäfts zur Vorlage der transaktionsbezogenen Dokumente verpflichten und ggf. einen Vorkaufsfall darstellen, auf den die §§ 24 ff. BauGB Anwendung finden (siehe hierzu ausführlich unter Ziff. III). Der Grundstückskaufvertrag, der zur Entstehung des Vorkaufsrechts führt, muss wirksam sein.8 Dabei sind neben den zivilrechtlichen Nichtigkeitsgründen (wie bspw. §§ 134, 138, 139, 311b BGB) für Grundstückskaufverträge insbesondere etwaige zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Genehmigungserfordernisse zu beachten.9 Sollte also etwa das verkaufte Grundstück in einem Sanierungsgebiet liegen, wäre Voraussetzung für das Entstehen des Vorkaufrechts, dass eine Genehmigung nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 BauGB erteilt wird. 2. Ausschluss des Vorkaufsrechts Die Gemeinde kann grundsätzlich nach freiem Ermessen entscheiden, ob sie ein gemeindliches Vorkaufsrecht ausübt oder nicht.10 Allerdings sieht das Gesetz auch gewisse Grenzen für die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts vor. So ist etwa nach § 26 Nr. 4 BauGB die Ausübung des Vorkaufsrechts ausgeschlossen, wenn das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans oder den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete Anlage keine Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und 3 Satz 1 BauGB aufweist. 6 Vgl. ausführlich Mayer, NJW 1984, 100. 7 Vgl. nur Reidt in BKL, 14. Aufl. 2019, Vorbem. zu den §§ 24 ff. BauGB Rz. 5, § 24 BauGB Rz. 16; Grziwotz in BeckOK BauGB, 49. Edition, § 24 BauGB Rz. 2; Stock in EZBK, § 24 BauGB Rz. 51 ff. jeweils m.w.N. 8 Vgl. Reidt in BKL, 14. Aufl. 2019, § 24 BauGB Rz. 17; Grziwotz in BeckOK BauGB, 49. Edition, § 24 BauGB Rz. 3; Stock in EZBK, § 24 BauGB Rz. 50; OVG Münster v. 13.8.2014 – 8 ­B 340/14, NVwZ-RR 2014, 918. 9 Vgl. BGH v. 15.6.1960 – V ZR 105/59, NJW 1960, 1808; Stock in EZBK, § 24 BauGB Rz. 55. 10 BVerwG v. 26.4.1993 – 4 B 31/93, NVwZ 1994, 282 (284); Reidt in BKL, 14. Aufl. 2019, § 28 BauGB Rz. 4; Stock in EZBK, § 24 BauGB Rz. 66; Grziwotz in BeckOK BauGB, 49. Edition, § 28 BauGB Rz. 21 m.w.N.

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In Literatur und Rechtsprechung wird diskutiert, ob im Rahmen des Ausschlusstatbestandes des § 26 Nr. 4 BauGB bei einem Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 BauGB – wenn das Grundstück also im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung liegt – die gegenwärtige oder die zukünftige Nutzungsabsicht zu beachten ist.11 Hintergrund ist, dass oftmals das Grundstück zum Zeitpunkt des Verkaufs (und damit zum Zeitpunkt der Vorkaufsrechtsausübung) noch entsprechend der Erhaltungssatzung verwendet wird und somit eine Vorkaufsrechtsausübung gem. §  26 Nr.  4 BauGB grundsätzlich ausgeschlossen wäre, in Zukunft aber etwa eine Modernisierung beabsichtigt ist. In der Praxis wird von dem Käufer in diesem Fall häufig verlangt, eine entsprechende Abwendungsvereinbarung abzuschließen.12 Dem ist entschieden entgegenzutreten: Diese Auslegung widerspricht nicht nur dem Wortlaut (Formulierung im Präsens: „bebaut ist“, „genutzt wird“, „aufweist“), sondern die Gemeinde hat auch durch § 172 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 4 BauGB zu Genüge die Möglichkeit, etwaige geplante Modernisierungs-, Umbau- oder Abrissarbeiten zu verhindern.13 Neben den weiteren in § 26 BauGB normierten Ausschlussgründen dürften für die Praxis insbesondere die Einschränkungen der §§ 24 Abs. 3, 25 Abs. 2 BauGB von Bedeutung sein, wonach das Vorkaufsrecht jeweils nur ausgeübt werden darf, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt. Hintergrund dieser Einschränkungen ist der mit der Ausübung des Vorkaufsrechts verbundene Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG.14 Bei dem Begriff des Wohls der Allgemeinheit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der einer Auslegung zugänglich ist und dieser auch bedarf. Ob das Wohl der Allgemeinheit die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigt, muss jeweils nach den Umständen des Einzelfalls entschieden werden.15 Das BVerwG geht davon aus, dass die Ausübung eines Vorkaufsrechts zum Wohl der Allgemeinheit erfolgt, „wenn im Hinblick auf eine bestimmte gemeindliche Aufgabe überwiegende Vorteile für die Allgemeinheit angestrebt werden.“16 Weiter führt das OVG Koblenz aus, dass eine Interessenabwägung stattzufinden hat, „bei der das gesetzlich anerkannte Erwerbsmotiv der Gemeinde ein solches Gewicht haben muss, dass dahinter das entgegenstehende Interesse der Vertragsparteien an freier Disposition zurückzutreten hat.“ 17 Die Interes11 Grziwotz in BeckOK BauGB, 49. Edition, § 26 BauGB Rz. 14; Stock in EZBK, § 26 BauGB Rz. 22 m.w.N.; VG Berlin v. 17.5.2018 – VG 13 K 724.17, BeckRS 2018, 23813; OVG BerlinBrandenburg v. 22.10.2019 – OVG 10 B 9.18, juris; a.A. Reidt in BKL, 14. Aufl. 2019, § 24 BauGB Rz. 25; Kronisch, NVwZ 2018, 1161 (1163 f.). 12 Kritisch: Kronisch, NVwZ 2019, 1471 (1472). 13 Kronisch, NVwZ 2018, 1161 (1164); Reidt in BKL, 14. Aufl. 2019, § 24 BauGB Rz. 25. 14 Stüer in Hoppenberg/deWitt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, 56. Aufl. 2020, Kap. B Rz. 1636. 15 Vgl. BVerwG v. 15.2.1990 – 4 B 245/89, NJW 1990, 2703 (2703); Reidt in BKL, 14. Aufl. 2019, § 24 BauGB Rz. 20; Grziwotz in BeckOK BauGB, 49. Edition, § 24 BauGB Rz. 21; Wiggers, NJW-Spezial 2010, 300 (300). 16 BVerwG v. 15.2.1990 – 4 B 245/89, NJW 1990, 2703 (2704); vgl. auch Reidt in BKL, 14. Aufl. 2019, § 24 BauGB Rz. 20; Wiggers, NJW-Spezial 2010, 300 (300). 17 OVG Koblenz v. 12.4.2011 − 8 A 11405/10, NVwZ-RR 2011, 611 (613); vgl. auch Stock in EZBK, § 24 BauGB Rz. 63.

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sen der Allgemeinheit müssen insofern etwaige private Interesse übersteigen.18 Wesentlich dürfte dabei sein, ob durch die Ausübung des Vorkaufsrecht dem Sinn und Zweck des jeweiligen Vorkaufsrechts gedient wird.19 Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist etwa nicht vom Wohl der Allgemeinheit gedeckt, wenn sie lediglich aus allgemeinen bodenpolitischen Zwecken oder zur Vorratshaltung erfolgt.20 Grundsätzlich hat der Käufer eines Grundstücks, bezüglich dessen eine Gemeinde ihr Vorkaufsrecht ausüben möchte, die Möglichkeit, die Ausübung des Vorkaufsrechts abzuwenden.21 Hintergrund ist, dass ein Eingriff in die Eigentumsgarantie gem. Art.  14 Abs.  1 GG dann nicht mehr gerechtfertigt ist, wenn die von der Gemeinde mit der Ausübung des Vorkaufsrechts bezweckten Ziele bereits durch den Käufer erreicht werden.22 Das Abwendungsrecht des Käufers ist in § 27 BauGB geregelt. Der Käufer muss sich gegenüber der Gemeinde dazu verpflichten, das Grundstück binnen einer angemessenen Frist entsprechend den baurechtlichen Vorschriften oder den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme zu benutzen, sofern die Verwendung des Grundstücks danach bestimmt oder jedenfalls mit ausreichender Sicherheit bestimmbar ist (§ 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB). In der Literatur ist umstritten, ob dafür eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung oder der Abschluss einer Vereinbarung mit der Gemeinde erforderlich ist;23 in der Praxis würde man stets zu einer zweiseitigen Vereinbarung raten. Insbesondere bei Vorkaufsrechten im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung kommt die Gemeinde oftmals unmittelbar auf den Käufer mit einer bereits vorformulierten Abwendungsvereinbarung zu. In dieser ist dann häufig formuliert, dass sich der Käufer verpflichtet, über eine gewisse Dauer (nicht selten über 20 Jahre) keine Aufteilung in Wohnungseigentum und keine (Luxus-)Sanierung vorzunehmen, flankiert mit entsprechenden Vertragsstrafen.24 Ob dieses Vorgehen dem entspricht, was der Gesetzgeber bei Einführung des § 27 BauGB vor Augen hatte, mag bezweifelt werden. 18 VGH München v. 6.2.2014 – 2 B 13.2570, BeckRS 2014, 47685; Stock in EZBK, § 24 BauGB Rz. 64. 19 Reidt in BKL, 14. Aufl. 2019, § 24 BauGB Rz. 20; Grziwotz in BeckOK BauGB, 49. Edition, § 24 BauGB Rz. 21. 20 Vgl. BVerwG v. 25.1.2010 – 4 B 53/09, NVwZ 2010, 593 (594); VGH München v. 26. 6. 1985 – 1 B 84 A.1420, FHOeffR 37 Nr. 8090; Stock in EZBK, § 24 BauGB Rz. 64; Reidt in BKL, 14. Aufl. 2019, § 24 BauGB Rz. 23; Wiggers, NJW-Spezial 2010, 300 (300 f.). 21 Das Abwendungsrecht besteht gem. § 26 Abs. 2 BauGB nicht in den Fällen des § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB sowie in einem Umlegungsgebiet, wenn das Grundstück für Zwecke der Umlegung benötigt wird. 22 Stüer in Hoppenberg/deWitt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, 56. Aufl. 2020, Kap. B Rz. 1644; Stock in EZBK, § 27 BauGB Rz. 1. 23 Für eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung: Reidt in BKL, 14. Aufl. 2019, § 27 BauGB Rz. 4; Stock in EZBK, § 27 BauGB Rz. 2, 14; Stüer in Hoppenberg/deWitt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, 56. Aufl. 2020, Kap. B Rz. 1644; OVG Münster v. 19.4.2010 – 7  A  1041/08, BeckRS 2010, 50401; für eine Vereinbarung: Grziwotz in BeckOK BauGB, 49. Edition, § 27 BauGB Rz. 5; VG Berlin v. 17.5.2018 – VG 13 K 724.17, BeckRS 2018, 23813. 24 Vgl. Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 8. Aufl. 2017, Rz. 2372; Stock in EZBK, § 27 BauGB Rz. 21.

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3. Verfahren der Ausübung Der Verkäufer eines Grundstückes ist gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 BauGB verpflichtet, der Gemeinde den Inhalt des Grundstückskaufvertrages unverzüglich nach dessen Abschluss mitzuteilen. Üblicherweise wird diese Verpflichtung in den Grundstückskaufverträgen auf den Notar übertragen.25 Erst durch diese Mitteilung wird die Gemeinde in die Lage versetzt, über die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts zu entscheiden, da sie erst hierdurch Kenntnis von dem Verkauf erhält. Um sicherzustellen, dass keine Eigentumsübertragung eines Grundstücks ohne Mitteilung an die Gemeinde bezüglich der Ausübung des Vorkaufsrechts stattfindet, regelt § 28 Abs. 1 Satz 2 BauGB, dass das Grundbuchamt den Käufer nur dann als Eigentümer in das Grundbuch eintragen darf, wenn ihm die Nichtausübung oder das Nichtbestehen des Vorkaufsrechts nachgewiesen wird (sog. Grundbuchvollzugssperre). Diesen Nachweis wird der Käufer üblicherweise durch die Vorlage eines sog. Negativattests führen.26 Das Negativattest gilt gem. § 28 Abs. 1 Satz 4 BauGB als Verzicht der Gemeinde auf die Ausübung des Vorkaufsrechts. Gem. § 28 Abs. 1 Satz 3 BauGB hat der Käufer gegenüber der Gemeinde einen Anspruch auf Ausstellung eines solchen Negativattests. Die Gemeinde hat gem. § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB ab Mitteilung über den Inhalt des Grundstückskaufvertrages zwei Monate27 Zeit, ihr Vorkaufsrecht gegenüber dem Verkäufer durch Verwaltungsakt28 auszuüben. Dabei steht der Gemeinde auch die Möglichkeit offen, das Vorkaufsrecht zugunsten eines Dritten gem. § 27a BauGB auszuüben. Der Dritte muss dabei die Voraussetzungen des § 27a Abs. 1 BauGB erfüllen, mithin etwa zu der mit der Ausübung des Vorkaufsrechts bezweckten Verwendung des Grundstücks in der Lage sein und sich auch hierzu verpflichten. Oftmals ist ein Dritter ein kommunales Wohnungsbauunternehmen.29 Bei einer entsprechenden Anwendung kommt gem. § 27a Abs. 2 BauGB der Grundstückskaufvertrag zwischen dem Verkäufer und dem Dritten zustande, wobei die Gemeinde dem Verkäufer gegenüber als Gesamtschuldner neben dem Dritten haftet.

25 Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 8. Aufl. 2017, Rz. 2375; Stock in EZBK, § 28 BauGB Rz. 12. 26 Zur Möglichkeit des Widerrufs eines solchen Negativattests siehe ausführlich: DNotI, DNotI-Report 2019, 21. 27 Im Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat eines Baulandmobilisierungsgesetzes ist vorgesehen, die Frist auf drei Monate zu verlängern (Referentenentwurf eines Baulandmobilisierungsgesetzes, Bearbeitungsstand 9.6.2020 17:00  Uhr, S. 6). 28 Siehe hierzu ausführlich und m.w.N.: Grziwotz in BeckOK BauGB, 49. Edition, § 28 BauGB Rz. 21. 29 Reidt in BKL, 14. Aufl. 2019, § 27a BauGB Rz. 3.

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4. Rechtsfolgen Folge der Ausübung eines Vorkaufsrechts ist, dass zwischen dem Verkäufer und dem Vorkaufsrechtsberechtigten ein Grundstückskaufvertrag zustande kommt, der mit dem Grundstückskaufvertrag zwischen dem Verkäufer und dem ursprünglichen Käufer grundsätzlich identisch ist (§  28 Abs.  2 Satz 2 BauGB i.V.m. §  464 Abs.  2 BGB). Nur sofern gesetzlich etwas anderes geregelt ist, kommt es zu Änderungen des Inhalts des Grundstückskaufvertrages. So regelt etwa § 28 Abs. 3 Satz 1 BauGB, dass die Gemeinde den zu zahlenden Betrag nach dem Verkehrswert des Grundstücks im Zeitpunkt des Kaufes bestimmen kann, wenn der vereinbarte Kaufpreis den Verkehrswert in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich überschreitet.30 Gleichwohl ist der Verkäufer in diesem Fall nicht verpflichtet, das infragestehende Grundstück zu dem geringeren Verkehrswert an die Gemeinde zu veräußern: Ihm steht nach § 28 Abs. 3 Satz 2 BauGB ein Rücktrittsrecht zu. Ferner sind nach der Fremdkörperrechtsprechung des BGH Regelungen im Grundstückskaufvertrag, die einen Fremdkörper des Grundstückskaufvertrages darstellen, gegenüber dem Vorkaufsberechtigten unwirksam.31 Ein solcher Fremdkörper liege „in der Regel […] bei einer Vertragsgestaltung [vor], die − bei objektiver Betrachtungsweise − völlig außerhalb des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung (Synallagma) des Kaufs liegt, so nur für den Vorkaufsfall getroffen wurde und den Parteien des Erstvertrages bei dessen Durchführung keine irgendwie gearteten Vorteile bringt.“32 Die Fremdkörperrechtsprechung betrifft dabei zumeist Maklerklauseln (siehe hierzu sogleich). Daneben stellt sich die Frage, ob und falls ja, welche Ansprüche dem Käufer gegenüber dem Vorkaufsberechtigten im Hinblick auf etwaige bereits entstandene Kosten zustehen. Insofern hat sich eine differenzierende h.M. gebildet:33 Vom Vorkaufsberechtigten zu erstatten sind etwa die Notarkosten des Erstvertrages34 sowie die Kosten für die Eintragung der Auflassungsvormerkung des Erstkäufers.35 Strittig ist, ob auch eine Erstattung der Kosten für die Löschung der Auflassungsvormerkung des Erstkäufers geschuldet ist.36 Jedenfalls soll der Vorkaufsberechtigte nicht verpflichtet sein, die Kosten für die Bestellung, Eintragung und Löschung einer Finanzierungs-

30 Siehe ausführlich: Döring, ZfIR 2020, 334. 31 BGH v. 14.12.1995 – III ZR 34/95, NJW 1996, 654 (655). 32 BGH v. 14.12.1995 – III ZR 34/95, NJW 1996, 654 (655); ausführlich zu Maklerklauseln in Verbindung mit der Fremdkörperrechtsprechung: Althammer, NZM 2008, 25. 33 Zu grunderwerbsteuerlichen Auswirkungen siehe ausführlich: Behrens, BB 2019, 1047; Bruschke, UVR 2019, 244. 34 OLG Frankfurt am Main v. 11.4.2012 – 16 U 226/10, RNotZ 2012, 443; Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 8. Aufl. 2017, Rz. 2387; Grziwotz in BeckOK BauGB, 49. Edition, § 28 BauGB Rz. 25 m.w.N. 35 BGH v. 15.10.1981  – III ZR 86/80, juris; Grziwotz in BeckOK BauGB, 49.  Edition, §  28 BauGB Rz. 25; a.A. LG Bonn v. 29.12.1964 – 5 S 84/64, NJW 1965, 1606. 36 Für eine Kostentragungspflicht: Grziwotz in BeckOK BauGB, 49.  Edition, §  28 BauGB Rz. 25 m.w.N.

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grundschuld zu tragen.37 Hingegen ist der Vorkaufsrechtsberechtigte bei der Ausübung des Vorkaufsrechts im Hinblick auf eine Teilfläche verpflichtet, die Kosten der Vermessung zu tragen.38 Bei den Maklerkosten ist zu differenzieren:39 Sofern  zwischen dem Erstkäufer und dem Makler unmittelbar ein Maklervertrag besteht, erlischt der Provisionsanspruch bei der Ausübung des Vorkaufsrechts.40 Besteht hingegen der Maklervertrag zwischen dem Verkäufer und dem Makler, bleibt der Provisionsanspruch bestehen.41 Ist in dem Grundstückskaufvertrag vorgesehen, dass der Käufer die vom Verkäufer zu zahlende Provision zu übernehmen hat, so handelt es sich hierbei um eine Gegenleistung, die grundsätzlich auch vom Vorkaufsberechtigten zu übernehmen ist.42 Gleiches gilt, wenn es sich um einen Vertrag zugunsten Dritter handelt, sofern bei Abschluss des Grundstückskaufvertrages bereits ein Maklervertrag bestand.43 Die Maklergebühren sind vom Vorkaufsberechtigten nicht zu tragen, wenn die Maklerklausel nur im Vorkaufsfall gelten soll, eine unüblich hohe Provision vereinbart ist oder wenn erst durch den Grundstückskaufvertrag eine Maklerprovision begründet wird.44 Dann handelt es sich jeweils um Fremdkörper.

III. Asset Deal und Share Deal 1. Vorkaufsfall und Umgehungsgeschäfte Wird ein Grundstück45 vom Vorkaufsverpflichteten gegen Entgelt an einen Dritten verkauft (Asset Deal), liegt regelmäßig ein Vorkaufsfall vor, der gemeindliche Vorkaufsrechte auslösen kann (siehe hierzu ausführlich unter Ziff. II.1). Gleiches gilt für kaufähnliche Vertragsgestaltungen, die zum Zwecke der Vereitelung des Vorkaufsrechts gewählt werden. Es bedarf hierfür eines Umgehungsgeschäftes, 37 Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 8. Aufl. 2017, Rz. 4295; Grziwotz in BeckOK BauGB, 49. Edition, § 28 BauGB Rz. 25. 38 Grziwotz in BeckOK BauGB, 49. Edition, § 28 BauGB Rz. 25. 39 Vgl. hierzu ausführlich: Althammer, NZM 2008, 25 und Grziwotz, MDR 2004, 61 (62). 40 RG v. 22.3.1938 – VII 216/37, RGZ 157, 243 (244); BGH v. 7.7.1982 – IVa ZR 50/81, juris; Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 8. Aufl. 2017, Rz. 2388; Althammer, NZM 2008, 25 (27); Grziwotz, MDR 2004, 61 (62). 41 RG v. 22.3.1938 – VII 216/37, RGZ 157, 243 (243); Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 8. Aufl. 2017, Rz. 2388; Grziwotz, MDR 2004, 61 (62). 42 RG v. 22.3.1938 – VII 216/37, RGZ 157, 243 (244); BGH v. 15.10.1981 – III ZR 86/80, juris; Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 8. Aufl. 2017, Rz. 2388; Grziwotz in BeckOK BauGB, 49. Edition, § 28 BauGB Rz. 25 m.w.N.; Althammer, NZM 2008, 25 (26 ff.); Grziwotz, MDR 2004, 61 (62). 43 BGH v. 11.1.2007 – III ZR 7/06, NZM 2007, 256 (257); Lindemann/Mormann, MDR 2007, 1113 (1114); Grziwotz in BeckOK BauGB, 49. Edition, § 28 BauGB Rz. 25 m.w.N.; kritisch Soester, RNotZ 2018, 1 (5 f.). 44 BGH v. 11.1.2007 – III ZR 7/06, NJW-RR 2007, 563 (564); BGH v. 12.5.2016 – I ZR 5/15, NZM 2016, 804 (805); Grziwotz in BeckOK BauGB, 49. Edition, § 28 BauGB Rz. 25 m.w.N. 45 Mit dem Verkauf von Erbbaurechten hat sich jüngst beschäftigt: Graf Wolffskeel v. Reichenberg, NJW 2019, 3549.

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das einem Grundstückskaufvertrag gleichgestellt werden kann. Nach der Rechtsprechung des BGH46 gilt: „Vertragsgestaltungen, die zur Umgehung des Vorkaufsrechts ohne formellen Kaufvertrag in ihrer Gesamtheit einem Kaufvertrag nahezu gleichkommen und in die der Vorkaufsberechtigte zur Wahrung seiner Erwerbs- und Abwehrinteressen ‚eintreten‘ kann, ohne die vom Verpflichteten ausgehandelten Konditionen der Veräußerung zu beeinträchtigen, können nach Treu und Glauben den Vorkaufsfall auslösen.“ Ein solches Umgehungsgeschäft könne bspw. dann angenommen werden, wenn das Grundstück zunächst unentgeltlich vom Vorkaufsverpflichteten in eine von ihm beherrschte Gesellschaft eingebracht wird und anschließend die Gesellschaftsanteile (Share Deal) entgeltlich an einen Dritten übertragen werden.47 Demnach kann die Kombination aus Grundstücksübertragung im ersten Schritt und Entgeltlichkeit im zweiten Schritt  – je nach Einzelfall  – eine Einstufung als Vorkaufsfall auslösende kaufähnliche Vertragsgestaltung rechtfertigen. Die Gemeinde als potenzielle Vorkaufsberechtigte nach §§ 24 ff. BauGB kann hier zur Erforschung des Sachverhaltes von § 208 Satz 1 Nr. 2 BauGB Gebrauch machen und die Vorlage der transaktionsbezogenen Dokumente verlangen (hierzu sogleich ausführlicher unter Ziff. III.2). Mangels Entgeltlichkeit stellen Schenkungen48 regelmäßig keinen Vorkaufsfall dar. Auch der Tausch49 wird trotz Gegenleistung in anderer Form als durch Geldleistung aus unterschiedlichen Gründen ausscheiden müssen. Dies mag auf den ersten Blick verwundern, da auch eine Gegenleistung in anderer Form grundsätzlich ein Entgelt darstellt, erklärt sich jedoch häufig bereits daraus, dass ein Vorkaufsberechtigter, der mit Ausübung des Vorkaufsrechts in das Vertragsverhältnis eintreten würde, meist nicht zur Erbringung der Gegenleistung im Stande sein wird (z.B. Übereignung eines anderen Grundstücks). Der Vorkaufsberechtigte könnte also gerade nicht ohne Weiteres in den Vertrag eintreten, ohne – wie im zitierten Leitsatz des BGH formuliert – die vom Vorkaufsverpflichteten ausgehandelten Konditionen zu beeinträchtigen. Gleichermaßen kann es an der synallagmatischen Verknüpfung der beiden Leistungspflichten mangeln: Es bedürfte eines in Geld bestimmten Preises, der durch andere Leistung (insbesondere an Erfüllung statt, § 364 Abs. 1 BGB, oder erfüllungshalber, §  364 Abs.  2 BGB) ersetzt werden kann. Im Falle einer Einbringung eines Grundstücks in eine vom Vorkaufsverpflichteten beherrschte Gesellschaft (wirtschaftliche Beteiligungsidentität) gegen schuldbefreiende Übernahme von Verbindlichkeiten, wird jedoch in der Regel weder ein Preis festgelegt noch ist in der Verbindlichkeitenübernahme ein Entgelt für die Übertragung des Grundstücks zu sehen, 46 BGH v. 11.10.1991 – V ZR 127/90, DNotZ 1992, 414 (Leitsatz); vgl. auch BGH v. 11.12.1963 – V ZR 41/62, NJW 1964, 540; OLG München v. 25.9.2015 – 34 Wx 121/15, NJW-RR 2016, 340. 47 Vgl. BGH v. 27.1.2012 − V ZR 272/10, NJW 2012, 1354 (1354  f.); OLG Nürnberg v. 27.9.1990 – 2 U 950/90, NJW-RR 1992, 46. 48 Vgl. BGH v. 24.11.1978 – V ZB 14/78, NJW 1979, 875 (876). 49 Vgl. BGH v. 11.12.1963 – V ZR 41/62, NJW 1964, 540; OLG Düsseldorf v. 26.5.2010 – 3 Wx 90/10, NJW-RR 2011, 307.

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sondern es geht den Beteiligten dabei vorrangig um die Rechtsformumwandlung; die Verbindlichkeitenübernahme erfolge in diesem Falle zwecks Vermögensverschiebung „eins zu eins“.50 Diese Erwägungen dürften gerade im Zusammenhang mit der Etablierung von Wohnungsunternehmen, die aus erbschaftsteuerlichen Gründen gegründet werden, einschlägig sein. Etwas anderes gilt freilich dann, wenn im Anschluss an die Einbringung eine entgeltliche Veräußerung der Geschäftsanteile an einen Dritten erfolgt. 2. Vorlagepflicht bei Share Deals Bei Asset Deals holt der Notar üblicherweise im Rahmen der zu prüfenden Fälligkeitsvoraussetzungen ein Negativattest der zuständigen Behörde bezüglich der gemeindlichen Vorkaufsrechte ein, bevor der Kaufpreis fließen und anschließend das Eigentum im Grundbuch auf den Käufer umgeschrieben werden kann (hierzu bereits unter Ziff. II.3 und sogleich ausführlicher unter Ziff. IV.1). Ohne dieses Dokument darf das Grundbuchamt keine Umschreibung vornehmen und kann daher der Grundstückskaufvertrag nicht vollzogen werden. Da der Share Deal jedoch einen Kauf von Anteilen und damit gerade keinen „Kauf von Grundstücken“ im Sinne von § 24 Abs. 1 BauGB darstellt, im Zuge dessen die Einholung und Vorlage eines Negativattests notwendig wäre,51 beschreiten die Behörden hier zur Prüfung von Umgehungsgeschäften nun neue Wege: Das Bezirksamt Neukölln von Berlin erlangte im August 2019 Kenntnis von einem Kaufvertrag betreffend die Geschäftsanteile an einer grundstücksverwaltenden GmbH, der im April 2019 notariell beurkundet worden war. Dabei erwarb Käufer 1 (deutsche GmbH) 89,9 % und Käufer 2 (zypriotische Limited) 10,1 % der Geschäftsanteile; die gewählte Transaktionsstruktur war nach Angaben des Käufer 1 grunderwerbsteuerlich motiviert. Mit Bescheid vom 18.10.2019 ordnete die Behörde gegenüber Käufer  1 (Antragsgegner) auf Grundlage von §  208 Satz 1 Nr.  2 BauGB die Vorlage des Geschäftsanteilskaufvertrages sowie der Bezugsurkunde an und erklärte diese Vorlageanordnung unter Zwangsgeldandrohung für sofort vollziehbar. Hiergegen wehrte sich der Antragsgegner mithilfe eines Widerspruchs und im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes (Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung). Das Verwaltungsgericht Berlin wies den zulässigen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz als unbegründet ab.52 Das von der Zielgesellschaft gehaltene Grundstück liege im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung, sodass das gemeindliche Vorkaufsrecht gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Var. 2 BauGB grundsätzlich in Betracht käme. Für die Befugnisnorm des §  208 BauGB, die die Erforschung des Sachverhaltes zum Ziel habe, reiche aus, dass nicht von vornherein sicher ausgeschlossen werden könne, dass in der kaufähnlichen Vertragsgestaltung ein Umgehungsgeschäft liegen könnte. 50 Vgl. AG Charlottenburg v. 13.5.2014 – 206/617/13, BeckRS 2014, 119941. 51 Siehe zu den Schwierigkeiten des Vorkaufsrechtsausübung bei einem Share Deal ausführlich: Beckmann/Ellner, NVwZ 2018, 1187. 52 VG Berlin v. 13.12.2019 – 19 L 566.19, abrufbar unter juris.

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Mehr müsse im Rahmen der summarischen Prüfung des einstweiligen Rechtsschutzes auch nicht geprüft werden. Erst durch Vorlage der notariellen Unterlagen könne die Transaktionsstruktur und etwaige hinter der Transaktion stehende Motive untersucht werden, um feststellen zu können, ob in der konkreten Vertragsgestaltung ein Umgehungsgeschäft gesehen werden kann. Eine solche Vorlageanordnung diene daher nicht nur dem effizienten Verwaltungshandeln, sondern auch einer effektiven Durchsetzung der Regelungen in § 172 Abs. 1 BauGB und §§ 24 ff. BauGB, die zum Schutz des Allgemeinwohls erlassen wurden. Der Bezirksstadtrat des Bezirksamtes Neukölln Jochen Biedermann äußerte gegenüber der Legal Tribune Online: „Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin bestätigt unsere Einschätzung nun, in einem solchen Fall Nachforschungen anzustellen.“53 Es dürfte damit zu rechnen sein, dass dies kein Einzelfall bleiben wird. In der Praxis sollte sich daher bei Share Deals rechtzeitig mit diesem Szenario und etwaigen Folgen eines verwaltungsbehördlichen bzw. ‑gerichtlichen Verfahrens (z.B. Kostentragung) sowie – je nachdem wie naheliegend die Einstufung als Umgehungsgeschäft ist – einer möglichen Vorkaufsrechtsausübung auseinandergesetzt werden.

IV. Praxishinweise: Regelungen im Grundstückskaufvertrag 1. Fälligkeitsvoraussetzungen In einem Grundstückskaufvertrag ist die Fälligkeit der Leistungen vor dem Hintergrund, dass eine ungesicherte Vorleistung von sämtlichen Parteien vermieden werden soll, Gegenstand umfangreicher Regelungen. So erfolgt der Besitzübergang und (zeitlich nachfolgend) die Eigentumsübertragung etwa erst nach Zahlung des Kaufpreises, welcher wiederum erst nach Eintritt etlicher Fälligkeitsvoraussetzungen, insbesondere nach Eintragung einer Auflassungsvormerkung, fällig wird. Wie oben dargelegt, ist bei den gemeindlichen Vorkaufsrechten eine Eigentumsumschreibung auf den Käufer gem. §  28 Abs.  1 Satz 2 BauGB erst dann vom Grundbuchamt vorzunehmen, wenn die Nichtausübung oder das Nichtbestehen des Vorkaufsrechts nachgewiesen ist (Negativattest). Würde nun die Kaufpreisfälligkeit unabhängig vom Vorliegen eines solchen Negativattests eintreten, so bestünde für den Käufer das Risiko einer ungesicherten Vorleistung, d.h. dass er den Kaufpreis bereits bezahlen müsste, obwohl er eine Eigentumsumschreibung nicht veranlassen könnte. Um dies zu verhindern, ist die Praxis dazu übergegangen, das Vorliegen des Negativattests als Fälligkeitsvoraussetzung zu vereinbaren.54 Voraussetzung für die Fälligkeit des Kaufpreises ist damit stets, dass dem Notar ein Negativattest vorliegt.

53 Abrufbar unter https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/vg-berlin-19l56619-immobilienvorkaufsrecht-bgh-grundstuecke-share-deal/ (zuletzt abgerufen am 24.8.2020). 54 Vgl. Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 8. Aufl. 2017, Rz. 2362; gegen eine solche Fälligkeitsvoraussetzung und mit alternativen Regelungsmöglichkeiten: Falkner, MittBayNot 2016, 465 (470 f.).

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2. Rücktritt Da bei der Ausübung des Vorkaufsrechts ein zweiter Grundstückskaufvertrag zwischen dem Verkäufer und dem Vorkaufsrechtsberechtigten zustande kommt, gleichwohl aber der Grundstückskaufvertrag zwischen dem Verkäufer und dem Erstkäufer nicht qua Gesetzes aufgelöst wird, muss den Vertragsparteien des ersten Grundstückskaufvertrages die Möglichkeit gegeben sein, sich von dem Vertrag zu lösen. Insofern empfiehlt es sich regelmäßig, ein beiderseitiges Rücktrittsrecht aufzunehmen55 und mit diesem Recht ggf. auch die Frage zu verbinden, wer welche Kosten im Falle der Rückabwicklung zu tragen hat (siehe hierzu bereits Ziff. II.4). Zwar steht dem Käufer grundsätzlich auch ein Rücktrittsrecht gem. § 326 Abs. 5 BGB zu, da dem Verkäufer im Hinblick auf die Grundstückssperre des § 28 Abs. 1 Satz 2 BauGB eine Übereignung an den Erstkäufer gem. § 275 Abs. 1 BGB unmöglich ist. Der Käufer trägt insofern aber die Beweislast dafür, dass dem Verkäufer die Leistungserbringung unmöglich ist. Dem Verkäufer ist die Grundstücksübereignung jedoch nur dann unmöglich, wenn die Gemeinde ihr Vorkaufsrecht wirksam ausgeübt hat. Der Käufer hat allerdings nicht zwingend die Möglichkeit, die Wirksamkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts zu beurteilen. Insofern steht die Vereinbarung eines vertraglichen Rücktrittsrechts, für den Fall der Ausübung (nicht der Wirksamkeit der Ausübung)56 eines Vorkaufsrechts, auch im Interesse des Käufers.57 Im Interesse des Verkäufers steht ein solches Rücktrittsrecht ohnehin, da ihm gesetzlich ein solches nicht zusteht. Der Verkäufer bedarf insofern des Schutzes vor einer Doppelverpflichtung. Die Gemeinden haben die Möglichkeit, ihr Vorkaufsrecht auch nur im Hinblick auf eine Teilfläche auszuüben.58 Dies kann ggf. dann sinnvoll sein, wenn die Gemeinde lediglich einen Teil des Grundstücks beispielsweise zur Erweiterung der Verkehrsflächen benötigt. Insbesondere bei großen Grundstücken ist in diesem Fall nicht auszuschließen, dass die Vertragsparteien des Erstkaufvertrages trotz der Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Gemeinde im Hinblick auf eine verhältnismäßig kleine Fläche, ein Interesse an der Durchführung des Grundstückskaufvertrages im Hinblick auf die übrige Fläche haben. Da das üblicherweise vereinbarte Rücktrittsrecht lediglich ganz oder gar nicht ausgeübt werden kann, sollte für den Fall, dass die Möglichkeit der Teilflächenausübung für nicht unwahrscheinlich gehalten wird, hierzu eine gesonderte Regelung in den Grundstückskaufvertrag aufgenommen werden. Eine solche Regelung sollte das vertragliche Rücktrittsrecht des Verkäufers dahingehend einschränken, dass dieser im Fall der Vorkaufsrechtsausübung bezüglich einer Teilfläche nicht mehr ohne Weiteres von dem ganzen Grundstückskaufvertrag zurück55 Falkner, MittBayNot 2016, 465 (471); Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 8. Aufl. 2017, Rz. 2383 f. mit einem Formulierungsvorschlag. 56 Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 8. Aufl. 2017, Rz. 2383 f. mit einem Formulierungsvorschlag. 57 Ähnlich auch Soester, RNotZ 2018, 1 (13 f.) im Hinblick auf den Vorzug eines Rücktrittsrechts im Vergleich zu einer aufschiebenden Bedingung. 58 Grziwotz in BeckOK BauGB, 49. Edition, § 24 BauGB Rz. 9; Stock in EZBK, § 24 BauGB Rz. 48.

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Vorkaufsrechte auf dem Vormarsch

treten kann. Vielmehr muss dem Käufer eine „Überlegungsfrist“ eingeräumt werden, um zu entscheiden, ob er Interesse an der übrigen Fläche hat. Entscheidet sich der Käufer, das übrige Grundstück trotz der teilweisen Ausübung des Vorkaufsrechts zu erwerben, so sollte ihm die Möglichkeit nur eines teilweisen Rücktritts eingeräumt werden. Im Hinblick auf den Kaufgegenstand wäre insofern dann zu vereinbaren, dass dieser lediglich noch den Teil des Grundstücks umfasst, der nicht von der Vorkaufsrechtsausübung betroffen ist. Ferner müsste zwischen den Parteien bestimmt werden, ob und wie sich im Hinblick auf eine Vorkaufsrechtsausübung bezüglich einer Teilfläche der Kaufpreis verändert (ggf. Reduzierung des Kaufpreises in Höhe des Verhältnisses zwischen der Fläche, bezüglich derer von dem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht wurde, und der Gesamtfläche des Grundstücks). Erst wenn diese Frist abläuft, sollte der Verkäufer die Möglichkeit haben, von seinem Rücktrittsrecht im Hinblick auf den Gesamtvertrag Gebrauch zu machen. 3. Ausschluss von Schadensersatzansprüchen Sofern ein Vorkaufsrecht ausgeübt wird, stellt sich die Frage, ob dem Erstkäufer gegen den Verkäufer ein Schadensersatzanspruch gem. §§  283, 280 Abs.  1 BGB zusteht.59 Voraussetzung für einen solchen Schadensersatzanspruch ist, dass der Verkäufer die Unmöglichkeit der Leistung an den Erstkäufer – wegen der Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Gemeinde – verschuldet hat. Das Verschulden des Verkäufers wird insofern gem. §  280 Abs.  2 BGB widerlegbar vermutet. Sicherlich stehen dem Verkäufer gute Argumente zu, um das Vorliegen des Verschuldens zu widerlegen, immerhin stand es allein in dem Machtbereich der Gemeinde, ob diese ihr Vorkaufsrecht ausübt oder nicht. Der Verkäufer hat hierauf keinen Einfluss. Nicht auszuschließen ist allerdings wohl, dass dem Verkäufer jedenfalls Fahrlässigkeit im Hinblick auf eine ggf. bestehende Vorhersehbarkeit der Ausübung vorwerfbar ist. In einem solchen Fall scheint das Bestehen von Schadensersatzansprüchen gleichwohl wenig interessengerecht. Um hier Klarheit zu schaffen, empfiehlt sich der ausdrückliche Ausschluss von Schadensersatzansprüchen für den Fall der Vorkaufsrechtsausübung durch einen Dritten.60

V. Zusammenfassung Es steht zu erwarten, dass die Ausübung von Vorkaufsrechten aufgrund des anhaltenden angespannten Wohnungsmarktes weiter zunimmt. Dabei dürfte die Ausweitung des Vorkaufsrechts durch das im Entwurf vorliegende Baulandmobilisierungsgesetz nicht der letzte Schritt gewesen sein. Vor diesem Hintergrund sollte in der Zukunft umso kritischer geprüft werden, ob die Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts, insbesondere das Kriterium des Wohls der Allgemeinheit, tatsächlich vorliegen. Gerade bei der Gestaltung von Grundstückskaufverträgen muss 59 Vgl. Soester, RNotZ 2018, 1 (3 f.). 60 Falkner, MittBayNot 2016, 465 (471); Krauß, Immobilienkaufverträge in der Praxis, 8. Aufl. 2017, Rz. 2383 mit einem Formulierungsvorschlag.

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Leonie Haßler/Katharina Odermatt

darauf geachtet werden, dass die notwendigen Vorkehrungen für den Fall der Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts getroffen werden.

Leonie Haßler Rechtsanwältin

Dr. Katharina Odermatt Rechtsanwältin

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Die virtuelle Hauptversammlung 2020 – Rückblick und Ausblick Inhaltsübersicht I. Einführung II. Die virtuelle Hauptversammlung nach § 1 Abs. 2 COVID-19-Gesetz III. Die virtuelle Hauptversammlungssaison 2020 1. Praktische Umsetzung 2. Einschätzung der Investoren und Stimmrechtsberater 3. Die virtuelle Hauptversammlung 2020 in der Rechtsprechung

a) VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 26. März 2020 b) LG München I, Beschluss vom 26. Mai 2020 IV. Ausblick auf die Zukunft der Haupt­ versammlung 1. Diskussion über die Zukunft der ­virtuellen Hauptversammlung 2. Ausblick auf die Hauptversammlungs­ saison 2021

I. Einführung In Zeiten der COVID-19-Pandemie läuft vieles anders als gewohnt. Dies gilt auch für die Hauptversammlungssaison 2020. Die Ausbreitung des neuartigen SARS-CoV2-Virus führte Anfang des Jahres 2020 zu ganz erheblichen Einschränkungen in allen Bereichen des Privat- und Wirtschaftslebens.1 Versammlungsbeschränkungen, Abstandsregeln, Hygienevorgaben und schließlich Versammlungsverbote machten im Frühjahr 2020 die Durchführung von Hauptversammlungen im aktienrechtlichen Präsenz-Format zunehmend schwierig und schließlich weitgehend unmöglich. Dabei traf die COVID-19-Pandemie mitten in die Kernzeit der Hauptversammlungssaison. Die Möglichkeit einer rein virtuellen (präsenzlosen) Hauptversammlung sah  das geltende Aktienrecht nicht vor.2 Zahlreiche Gesellschaften mussten daher ihre für das Frühjahr geplanten Jahreshauptversammlungen absagen bzw. verschieben. Wichtige Hauptversammlungsbeschlüsse, von der Gewinnverwendung über die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern und des Abschlussprüfers bis hin zu Kapitalmaßnahmen und Umstrukturierungen, konnten nicht gefasst werden.3 Der Gesetzgeber reagierte in beispielloser Geschwindigkeit und verabschiedete innerhalb kürzester Zeit ein „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“, das am 27. März 2020 im Bundesgesetzblatt 1 Vgl. auch BT-Drucks. 19/18110, S. 1. 2 Vgl. Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 118 AktG Rz. 30; Höreth/Pickert in Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 4. Aufl. 2018, § 7 Rz. 25. 3 Vgl. Stellungnahme des Deutschen Aktieninstituts v. 19.3.2020, „Coronavirus – Notfallgesetzgebung für Hauptversammlungen“, S. 2 ff., abrufbar unter www.dai.de.

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verkündet wurde.4 Um die betroffenen Unternehmen in die Lage zu versetzen, auch bei weiterhin bestehenden Beschränkungen der Versammlungsmöglichkeiten er­ forderliche Beschlüsse zu fassen und handlungsfähig zu bleiben, wurden in Art.  2 des  Gesetzes durch ein „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie“ (nachfolgend: COVID-19-Gesetz) substantielle Erleichterungen für die Durchführung von Hauptversammlungen im Jahr 2020 geschaffen und erstmals die Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung eröffnet.5 Seither ist etwa ein halbes Jahr vergangen. Nach einem kurzen Überblick über die gesetzlichen Regelungen zur virtuellen Hauptversammlung (II.) gilt es nachfolgend, einen Rückblick auf die bisherige Hauptversammlungssaison 2020 zu unternehmen (III.) und einen Ausblick auf die Zukunft der Hauptversammlung zu werfen (IV.).

II.  Die virtuelle Hauptversammlung nach § 1 Abs. 2 COVID-19-Gesetz Gemäß § 1 Abs. 2 COVID-19-Gesetz kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 1 Abs. 6 COVID-19-Gesetz) entscheiden, dass die Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten als virtuelle Hauptversammlung abgehalten wird. Die Regelung gilt dabei für börsennotierte und nicht börsennotierte Aktiengesellschaften (AG) und Europäische Gesellschaften (SE) ebenso wie für Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA) und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG).6 Voraussetzung für die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung ist, dass eine Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung (einschließlich Generaldebatte und Abstimmungen) erfolgt und die Stimmrechtsausübung der Aktionäre über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie Vollmachterteilung ermöglicht wird (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 COVID-19-Gesetz).7 Ferner setzt die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung voraus, dass den Aktionären eine Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt wird (§  1 Abs.  2 Satz 1 Nr.  3 COVID-19-Gesetz). Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 COVID-19-Gesetz kann der Vorstand dabei auch vorgeben, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind.8 Schließlich verlangt §  1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 COVID-19-Gesetz für die virtuelle Hauptversammlung, dass den Aktionären, die ihr Stimmrecht ausgeübt haben, unter Verzicht auf das Erfordernis

4 BGBl. I 2020, S. 569. 5 Vgl. BT-Drucks. 19/18110, S. 5. 6 Vgl. im Einzelnen § 1 Abs. 2, 8, 9 COVID-19-Gesetz; BT-Drucks. 19/18110, S. 17, 26 f. 7 Vgl. hierzu BT-Drucks. 19/18110, S.  26; Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811 (811  f.); Stel­ maszczyk/Forschner, Der Konzern 2020, 221 (228 ff.); Wicke, DStR 2020, 885 (886 ff.); Lieder, ZIP 2020, 837 (841 ff.); Noack/Zetzsche, AG 2020, 265 (268). 8 Vgl. hierzu BT-Drucks. 19/18110, S.  26; Simons/Hauser, NZG 2020, 488 (494  ff.); Noack/ Zetzsche, AG 2020, 265 (270 ff.); Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811 (812 f.).

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Die virtuelle Hauptversammlung 2020 – Rückblick und Ausblick

des Erscheinens in der Hauptversammlung eine Möglichkeit zum Widerspruch gegen Beschlüsse der Hauptversammlung eingeräumt wird.9 Um die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung auch denjenigen Gesellschaften zu ermöglichen, deren Satzung bislang keine Ermächtigungen gemäß § 118 AktG für die elektronische Teilnahme, Briefwahl sowie Bild- und Tonübertragung enthalten, regelt § 1 Abs. 1 COVID-19-Gesetz ergänzend, dass die Entscheidung über die Teilnahme der Aktionäre an der Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikation nach §  118 Abs.  1 Satz 2 AktG (elektronische Teilnahme), die Stimmabgabe im Wege elektronischer Kommunikation nach §  118 Abs.  2 AktG (Briefwahl), die Teilnahme von Aufsichtsratsmitgliedern im Wege der Bild- und Tonübertragung nach § 118 Abs. 3 Satz 2 AktG und die Zulassung der Bild- und Tonübertragung nach § 118 Abs. 4 AktG auch ohne entsprechende Satzungs- oder Geschäftsordnungsermächtigung möglich sind.10 Als weitere Erleichterung für die Gesellschaften und zur Erhöhung der Flexibilität eröffnet § 1 Abs. 3 COVID-19-Gesetz zudem die Möglichkeit, die Einberufungsfrist für die Hauptversammlung auf 21 Tage zu verkürzen („Einberufung spätestens am 21. Tag vor dem Tag der Versammlung“).11 Die vorgenannten Regelungen gelten gemäß § 7 Abs. 1 COVID-19-Gesetz für Hauptversammlungen, die im Jahr 2020 stattfinden (zur Verlängerungsmöglichkeit durch das Bundesjustizministerium nachfolgend unter IV.2.). Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Hauptversammlung räumt der Gesetzgeber mit § 1 Abs. 5 COVID-19-Gesetz den Gesellschaften dabei die Möglichkeit ein, ihre Hauptversammlung im Jahr 2020 innerhalb des Geschäftsjahres – und damit auch nach der 8-Monats-Frist des § 175 Abs. 1 Satz 2 AktG – durchführen zu können.12 Für Europäische Gesellschaften (SE) verabschiedete der Europäische Gesetzgeber am 25. Mai 2020 eine entsprechende Regelung, nach welcher auch Europäische Gesellschaften ihre Hauptversammlung im Jahr 2020 innerhalb von zwölf Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres abhalten können.13

III. Die virtuelle Hauptversammlungssaison 2020 1. Praktische Umsetzung Seit Inkrafttreten des COVID-19-Gesetzes am 28. März 2020 finden die Hauptversammlungen der Saison 2020 weit überwiegend als virtuelle Hauptversammlungen 9 Vgl. hierzu BT-Drucks. 19/18110, S. 26; Simons/Hauser, NZG 2020, 488 (500); Noack/Zetzsche, AG 2020, 265 (272 f.); Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811 (814); Lieder, ZIP 2020, 837 (842). 10 BT-Drucks. 19/18110, S. 26. 11 Vgl. im Einzelnen § 1 Abs. 3 COVID-19-Gesetz und BT-Drucks. 19/18110, S. 27, auch zu der hiermit verbundenen Abkürzung weiterer Hauptversammlungsfristen. 12 Vgl. BT-Drucks. 19/18110, S. 27. 13 Verordnung (EU) 2020/699 v. 25.5.2020, ABl. EU L 165/25.

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im Sinne des COVID-19-Gesetzes statt. Im DAX 30 wurden – nach einzelnen Präsenz-Hauptversammlungen Anfang des Jahres 2020 – seither die Hauptversammlungen virtuell durchgeführt. Den Auftakt machte insoweit die Bayer AG, die am 6. April 2020 ihre Einberufung zur virtuellen Hauptversammlung im Bundesanzeiger veröffentlichte und die Hauptversammlung an dem ursprünglich geplanten Termin durchführte.14 Andere Gesellschaften entschieden sich, ihre Hauptversammlung auf einen späteren Zeitpunkt im Jahr 2020 zu verschieben. Charakteristisch für die Ausgestaltung der virtuellen Hauptversammlungen 2020 sind bei Publikumsgesellschaften die folgenden Merkmale:15 Die Versammlungen wurden zumeist für die (angemeldeten) Aktionäre über ein zugangsbeschränktes Online-Portal übertragen. Für die Stimmrechtsausübung der Aktionäre und ihrer Vertreter wurden typischerweise die Wege der (elektronischen) Briefwahl (§  118 Abs.  2 AktG) sowie der Bevollmächtigung eines von der Gesellschaft benannten Stimmrechtsvertreters angeboten; lediglich in einzelnen Fällen wurde zusätzlich oder alternativ zur Briefwahl eine elektronische Teilnahme der Aktionäre und ihrer Vertreter gemäß § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG ermöglicht. Charakteristisch war ferner die Vorgabe, dass Fragen der Aktionäre entsprechend der Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 2 COVID-19-Gesetz bis spätestens zwei Tage (bzw. einen Tag16) vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen waren. Eine Möglichkeit für die Aktionäre, (Rück-)Fragen während der Hauptversammlung zu stellen, wurde regelmäßig nicht vorgesehen. Die vorab einzureichenden Aktionärsfragen wurden im Regelfall durch Vorstand und Aufsichtsrat in der virtuellen Hauptversammlung beantwortet. Im Hinblick auf den Umgang mit Anträgen von Aktionären ist im Rahmen der virtuellen Hauptversammlungen 2020 regelmäßig eine restriktive Hand­ habung zu beobachten. Von Aktionären vorab eingereichte Gegenanträge und Wahlvorschläge wurden von den Gesellschaften regelmäßig entsprechend §§  126, 127 AktG veröffentlicht, bei einer Reihe von Gesellschaften jedoch in der virtuellen Hauptversammlung nicht behandelt. Andere Gesellschaften kündigten in ihrer Hauptversammlungseinberufung an, vorab eingereichte Gegenanträge und Wahlvorschläge in der virtuellen Hauptversammlung so zu behandeln, als seien sie gestellt worden. Aktionärsanträge zur Geschäftsordnung in der virtuellen Hauptversammlung waren regelmäßig nicht möglich. 2. Einschätzung der Investoren und Stimmrechtsberater Angesichts der sich zuspitzenden COVID-19-Pandemie erklärte im Frühjahr 2020 eine Reihe von Institutionellen Investoren und Stimmrechtsberatern ausdrücklich ihr grundsätzliches Einverständnis mit der Durchführung virtueller Hauptversammlungen unter den aktuellen Umständen. So fasste etwa der Stimmrechtsberater Glass 14 Die Einberufung der Hauptversammlung ist abrufbar unter www.bundesanzeiger.de. 15 Vgl. auch DIRK-IR-Guide, Band XV: Martin/Labas/Freutel, „Virtuelle HV: Notlösung oder Zukunftsmodell“, 09/2020, S. 8 ff.; Danwerth, AG 2020, 418; Stelmaszczyk/Forschner, Der Konzern 2020, 221. 16 Vgl. hierzu Simons/Hauser, NZG 2020, 488 (495); Danwerth, AG 2020, 418 (422); Herb/ Merkelbach, DStR 2020, 811 (813).

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Die virtuelle Hauptversammlung 2020 – Rückblick und Ausblick

Lewis zusammen: „While Glass Lewis acknowledges concerns regarding virtual-only meetings, given the current situation, we believe that such meetings provide compelling advantages for both companies and shareholders to preserve the timing, c­ ertainty, agendas and voting of shareholder meetings. We do not believe discouraging virtual-only meetings during this time serves the interests of shareholders or com­panies.“17 Auch der Stimmrechtsberater Institutional Shareholder Services (ISS) stellte fest: „‘Virtual-only‘ meetings may both be necessary and desirable in the current situation.“18 Investoren und Stimmrechtsberater mahnten dabei aber zugleich ausdrücklich, die Aktionärsrechte und eine angemessene Aktionärsbeteiligung „so weit wie möglich“ zu gewährleisten; gefordert wurden insbesondere die Gewährleistung eines „effek­ tiven Fragerechts“ mit der Möglichkeit zur Stellung von (Nach-)Fragen vor und während der Hauptversammlung sowie eine Möglichkeit zum Dialog mit dem Ma­nage­ ment der Gesellschaft.19 BlackRock erklärte etwa: „Given the circumstances, BIS supports companies holding virtual only shareholder meetings, but expects the board and executive management to ensure that the meeting is conducted in a manner that enables meaningful shareholder participation, including the ability to raise questions and receive answers from key board and/or executive leadership, as well as the corporate secretary.“20 Der Deutsche Fondsverband BVI forderte die Unternehmen auf, „eine aktivere Teilnahme der Aktionäre zu ermöglichen und bestenfalls eine virtuelle Generaldebatte zu gestalten“.21 Vor diesem Hintergrund fällt die Zwischenbilanz vieler Institutioneller Investoren und Investorenvertreter mit Blick auf die oben skizzierte, in der Hauptversammlungssaison 2020 typische Ausgestaltung der virtuellen COVID-19-Hauptversammlung kritisch aus. Die virtuelle Hauptversammlung 2020 wird dabei etwa als „lieblose EinKanal-Kommunikation“,22 als „Katastrophe für die deutsche Aktionärsdemokratie“23 oder als „zwischen komatös und blutleer“24 charakterisiert. Mit Blick auf die Frage 17 Glass Lewis, „Immediate Glass Lewis Guidelines Update on Virtual-Only Meetings due to  COVID-19 (Coronavirus)“, 19.3.2020, abrufbar unter www.glasslewis.com. Vgl. auch ­BlackRock, „Q1 2020 Investment Stewardship Global Quarterly Stewardship Report”, April 2020, S. 10, abrufbar unter www.blackrock.com. 18 ISS, „Impacts of the Covid-19 Pandemic, ISS Policy Guidence“, 8.4.2020, S.  5, abrufbar unter www.issgovernance.com. 19 Vgl. etwa BVI, „Vorschläge des BVI mit Blick auf die Durchführung virtueller Hauptversammlungen in 2020“, 12.5.2020, S. 1, abrufbar unter https://www.dirk.org/dirk_webseite/ static/uploads/200512-virtuelle-HV-Vorschlaege-BVI.pdf; ISS (Fn.  18), S.  5; BlackRock (Fn. 17), S. 10. 20 BlackRock, „Q1 2020 Investment Stewardship Global Quarterly Stewardship Report”, April 2020, S. 10, abrufbar unter www.blackrock.com. 21 BVI (Fn. 19), S. 1. 22 Ingo Speich, Deka Investment, in Börsen-Zeitung v. 18.8.2020, „Einiges als Krisenthema verkauft“, S. 8. 23 Ingo Speich, Deka Investment, in boerse.ARD.de v. 13.7.2020, „Entmachtete Aktionäre, zufriedene Vorstände“, abrufbar unter www.boerse.ard.de. 24 Marc Tüngler, DSW, in Handelsblatt v. 3.9.2020, „Reform der Aktionärstreffen“, abrufbar unter www.handelsblatt.com.

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zukünftiger Ausgestaltungen virtueller Hauptversammlungen sind sich Investoren und deren Vertreter dementsprechend weitgehend einig, dass die virtuelle Hauptversammlung nach dem COVID-19-Gesetz eine zeitlich begrenzte Notfalllösung bleiben müsse und keine Blaupause für eine zukünftige allgemeine gesetzliche Regelung einer virtuellen Hauptversammlung sein dürfe (hierzu noch nachfolgend unter IV.).25 3. Die virtuelle Hauptversammlung 2020 in der Rechtsprechung Die gerichtliche Aufarbeitung der Hauptversammlungssaison 2020 hat  – mit zwei Beschlüssen des VG Frankfurt am Main und des LG München I  – bereits begonnen.26 Beiden Entscheidungen lag dabei ein Eilrechtsschutzverfahren im Vorfeld der Hauptversammlung zugrunde. Im Hinblick auf den nachträglichen Rechtsschutz sieht das COVID-19-Gesetz einen weitgehenden Ausschluss des Anfechtungsrechts der Aktionäre im Zusammenhang mit der virtuellen Hauptversammlung vor (vgl. § 1 Abs.  7 COVID-19-Gesetz). Der Gesetzgeber wollte hierdurch insbesondere die Grundsatzentscheidung zur Versammlung ohne physische Präsenz „weitgehend anfechtungsfrei“ stellen, um zu verhindern, „dass die Gesellschaften zur Vermeidung von Klagen in der Notsituation es nicht wagen, von diesem Mittel Gebrauch zu machen“.27 So regelt §  1 Abs.  7 COVID-19-Gesetz insbesondere, dass die Anfechtung nicht auf eine Verletzung von § 1 Abs. 2 COVID-19-Gesetz gestützt werden kann, es sei denn, der Gesellschaft ist Vorsatz nachzuweisen. Die Reichweite des Anfechtungsausschlusses ist in den Details noch nicht abschließend geklärt.28 Auch wenn die Einlegung von Widersprüchen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung 2020 vielerorts bereits per „Maus-Klick“ über das ­Internetportal möglich ist, ist vor dem Hintergrund der Regelungen in §  1 Abs.  7 COVID-19-Gesetz und § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG davon auszugehen, dass eine Anfechtung der auf der virtuellen Hauptversammlung 2020 gefassten Beschlüsse nur in sehr engen Grenzen möglich ist.29 Die beiden bislang im Eilrechtsschutz ergangenen Gerichtsentscheidungen haben wichtige Aspekte im Zusammenhang mit der Hauptversammlung im Kontext der COVID-19-Pandemie beleuchtet. a) VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 26. März 2020 In dem Verfahren vor dem VG Frankfurt am Main begehrte ein Aktionär einer Aktiengesellschaft im März 2020, die Stadt Frankfurt am Main zu verpflichten, der Ge25 Vgl. etwa boerse.ARD.de v. 13.7.2020, „Entmachtete Aktionäre, zufriedene Vorstände“, abrufbar unter www.boerse.ard.de; Handelsblatt v. 3.9.2020, „Reform der Aktionärstreffen“, abrufbar unter www.handelsblatt.com. 26 VG Frankfurt v. 26.3.2020 – 5 L 744/20.F, COVuR 2020, 56; LG München I v. 26.5.2020 – 5 HK O 6378/20, ZIP 2020, 1241. 27 BT-Drucks. 19/18110, S. 27 f. 28 Vgl. Noack/Zetzsche, AG 2020, 265 (276 f.); Schäfer, NZG 2020, 481 (482 ff.). 29 Vgl. auch Noack/Zetzsche, AG 2020, 265 (276); Schäfer, NZG 2020, 481 (488); vgl. auch Tröger, Handelsblatt v. 18.5.2020, „Es wird zu Anfechtungsklagen kommen“, S. 15.

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Die virtuelle Hauptversammlung 2020 – Rückblick und Ausblick

sellschaft durch ordnungsbehördliche Verfügung die Durchführung ihrer für Mai 2020 geplanten Hauptversammlung zu untersagen.30 Nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt plante die Aktiengesellschaft für den 20. Mai 2020 die Durch­führung ihrer Hauptversammlung; eine Einberufung der Hauptversammlung war allerdings im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht erfolgt und stand auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch aus.31 Zur Begründung seines Antrags machte der Antragsteller geltend, angesichts der weltweiten COVID-19-Pandemie seien sämtliche Großveranstaltungen mit sofortiger Wirkung zu verbieten, bei denen sich Menschen über längere Zeit ungeschützt und in Enge aufhielten. Diese Verantwortung trage auch die im Verfahren beigeladene Aktiengesellschaft für die Gesellschaft sowie ihre Aktionäre und Arbeitnehmer.32 Da die technischen und örtlichen Gegebenheiten der Stadt Frankfurt am Main eine dem Gesundheitsschutz entsprechende Durchführung der Hauptversammlung nicht zulassen würden, sei die avisierte Haupt­ versammlung angesichts ihres Charakters als Massenveranstaltung zum Schutz der Teilnehmer „augenblicklich“ zu untersagen. Das VG Frankfurt am Main hat den Antrag abgelehnt.33 Nach Auffassung des Gerichts fehlte es bereits an der vom Antragsteller glaubhaft zu machenden besonderen Erforderlichkeit eines gerichtlichen Eilrechtsschutzes. Dabei betonte das VG Frankfurt am Main ausdrücklich, es verkenne nicht, dass das Robert-Koch-Institut die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland derzeit insgesamt als hoch einschätze und dass nach den Allgemeinen Prinzipien und Handlungsempfehlungen des Robert-Koch-Instituts der vorrangigen Gesundheitssicherheit der Bevölkerung Rechnung zu tragen sei.34 Nach Auffassung des VG Frankfurt am Main habe der An­tragsteller jedoch im vorliegenden Fall schon nicht glaubhaft gemacht, dass die Gesellschaft bei unveränderter Risikobewertung der COVID-19-Pandemie ihre Hauptversammlung im Mai 2020 durchführen werde und dass die Stadt Frankfurt am Main in diesem Fall nicht die notwendigen Schutzmaßnahmen und Anordnungen treffen werde.35 Im Gegenteil sei den vorgelegten Prozessunterlagen zu entnehmen, dass die Gesellschaft die Lage genau beobachte und Entscheidungen über die Hauptversammlung zu gegebener Zeit treffen und kommunizieren werde. Zudem sah es das VG Frankfurt am Main als nicht glaubhaft gemacht an, dass allein eine Untersagung der Hauptversammlung dem Rechtsschutzbegehren des Antragstellers Rechnung tragen könne. Hierzu verweist das VG Frankfurt am Main zum einen auf das  – zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits im Entwurf vorliegende  – COVID19-Gesetz und zum anderen auf die in der Satzung der Gesellschaft vorgesehenen Ermächtigungen zur Ermöglichung einer Online-Teilnahme und Briefwahl durch die Aktionäre gemäß § 118 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AktG.36 30 VG Frankfurt v. 26.3.2020 – 5 L 744/20.F, COVuR 2020, 56 (56). 31 VG Frankfurt v. 26.3.2020 – 5 L 744/20.F, COVuR 2020, 56 (56). 32 VG Frankfurt v. 26.3.2020 – 5 L 744/20.F, COVuR 2020, 56 (56). 33 VG Frankfurt v. 26.3.2020 – 5 L 744/20.F, COVuR 2020, 56 (56 f.). 34 VG Frankfurt v. 26.3.2020 – 5 L 744/20.F, COVuR 2020, 56 (57). 35 VG Frankfurt v. 26.3.2020 – 5 L 744/20.F, COVuR 2020, 56 (57). 36 VG Frankfurt v. 26.3.2020 – 5 L 744/20.F, COVuR 2020, 56 (57).

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Im Zusammenhang mit dem Vorbringen des Antragstellers, dass er als „kritischer Aktionär“ an den Hauptversammlungen der Gesellschaft teilgenommen und verschiedentlich Beschlussfassungen angefochten habe, stellte das VG Frankfurt am Main ausdrücklich klar, dass weder das Infektionsschutzgesetz als Teil des Gefahrenabwehrrechts noch das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren der Verfolgung von Aktionärsinteressen dienen.37 Der Entscheidung des VG Frankfurt am Main ist zuzustimmen. Sie bestätigt, dass die Verantwortung für die Frage, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Weise die ordentliche Hauptversammlung durchgeführt wird, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen grundsätzlich bei der Gesellschaft bzw. deren Organen liegt.38 Geltende öffentlich-rechtliche Vorgaben, insbesondere infektionsschutzrechtliche Regeln und ordnungsbehördliche Anordnungen sind hierbei selbstverständlich zu beachten. Der Beschluss des VG Frankfurt am Main dokumentiert zugleich, in welch schwieriger und ungewisser Gesamtlage die Hauptversammlungssaison 2020 begonnen hat. b) LG München I, Beschluss vom 26. Mai 2020 In dem vom LG München I entschiedenen Fall versuchte ein Aktionär auf dem Zivilrechtsweg, der Gesellschaft die Abhaltung und Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung verbieten zu lassen.39 Die Aktiengesellschaft hatte ihre ordentliche Hauptversammlung ursprünglich für den 25. Juni 2020 angekündigt. Am 7. Mai 2020 erhielt die Antragstellerin, eine Minderheitsaktionärin der Gesellschaft, eine Einladung bereits für den 28.  Mai 2020, nach welcher die Hauptversammlung als virtuelle Hauptversammlung abgehalten werden sollte.40 Eine Möglichkeit, per Audio-/Videokommunikation an der virtuellen Hauptversammlung teilzunehmen, war für die Aktionäre nicht vorgesehen. Die Antragstellerin beantragte daraufhin vor dem LG München I, der Gesellschaft die Abhaltung und Durchführung ihrer virtuellen Hauptversammlung am 28. Mai 2020 im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen; hilfsweise beantragte sie, den Mehrheitsaktionären der Gesellschaft durch einstweilige Verfügung zu untersagen, am Zustandekommen der Beschlüsse mitzuwirken, die in der Einberufung und einem eingegangenen Tagesordnungsergänzungsantrag näher bezeichnet wurden.41 Zur Begründung berief sich die Antragstellerin im Wesentlichen darauf, es sei ihr nicht zuzumuten, erkennbar gesetzwidrige Beschlüsse hinzunehmen.

37 VG Frankfurt v. 26.3.2020 – 5 L 744/20.F, COVuR 2020, 56 (57). 38 Vgl. auch Stelmaszczyk/Forschner, Der Konzern 2020, 221 (225); Bücker/Kulenkamp/ Schwarz/Seibt/von Bonin, DB 2020, 775 (777); zur Zuständigkeit für die Hauptversammlungseinberufung und der Einberufung auf Verlangen einer Minderheit gemäß § 122 AktG vgl. Reichert/Balke/Schlitt in Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 4. Aufl. 2018, § 4 Rz. 1 ff. 39 LG München I v. 26.5.2020 – 5 HK O 6378/20, ZIP 2020, 1241. 40 LG München I v. 26.5.2020 – 5 HK O 6378/20, ZIP 2020, 1241 (1241). 41 LG München I v. 26.5.2020 – 5 HK O 6378/20, ZIP 2020, 1241 (1242).

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Das LG München I entschied, dass der Antragstellerin kein Anspruch auf Unter­ sagung der Hauptversammlung zustehe.42 Zur Begründung führte das Gericht aus, der Erlass einer einstweiligen Verfügung komme wegen des damit verbundenen Eingriffs in die innergesellschaftliche Willensbildung nur in Betracht, wenn anderenfalls wirksamer Rechtsschutz versagt bliebe.43 Als Kriterien hierfür seien die besondere Schutzbedürftigkeit des Antragstellers und die Eindeutigkeit der Rechtslage heranzuziehen. Die vollständige Untersagung der Durchführung einer Hauptversammlung mittels einstweiliger Verfügung sei daher nur dann möglich, wenn dem antragstellenden Aktionär die Glaubhaftmachung gelinge, dass die von der Hauptversammlung zu fassenden Beschlüsse insgesamt nichtig wären. Diese Voraussetzungen sah das LG München I im vorliegenden Fall nicht als erfüllt an.44 Eine Nichtigkeit der Hauptversammlungsbeschlüsse sei nicht vorgetragen worden. Soweit die Antragstellerin geltend gemacht hatte, der Vorstand der Gesellschaft habe von seinem durch § 1 Abs.  1 COVID-19-Gesetz eingeräumten Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht, führte das LG München I aus, ein etwaiger Ermessensfehlgebrauch könne als solcher – bei ansonsten ordnungsgemäßer Einberufung – nicht die Nichtigkeit im Sinne des §  241 Nr.  1 AktG begründen. Da §  1 Abs.  1 COVID-19-Gesetz eine virtuelle Hauptversammlung zulasse, könne auch nicht von einem Verstoß gegen das Wesen der Aktiengesellschaft im Sinne des § 241 Nr. 3 1. Alt. AktG ausgegangen werden. Ferner entschied das LG München I, dass trotz der eingeschränkten Teilnahmemöglichkeiten für die Aktionäre durch das COVID-19-Gesetz kein unzumutbarer Eingriff in das Teilnahmerecht der Antragstellerin gegeben sei.45 Aus denselben Gründen lehnte das LG München I auch die Hilfsanträge ab, die auf das Verbot der Mitwirkung an den in der Tagesordnung enthaltenen Hauptversammlungsbeschlüssen durch die Mehrheitsaktionäre gerichtet waren.46 Auch insoweit könne die Einwirkung auf die Willensbildung und Stimmabgabe anderer Aktionäre nur in den genannten Ausnahmefällen zulässig sein, welche das LG München I hier als nicht gegeben ansah. Ergänzend führte das LG München I im Zusammenhang mit seiner Entscheidung aus, dass im vorliegenden Fall eine Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen wegen eines möglichen Ermessensfehlgebrauchs des Vorstands in Betracht kommen könne. So hält das LG München I „bei einer sehr überschaubaren Zahl von Teilnehmern einer physischen Hauptversammlung“ eine Anfechtbarkeit wegen Ermessensfehlgebrauchs für denkbar, wenn der Vorstand unter Berufung auf § 1 Abs. 1 COVID-19-Gesetz zu einer virtuellen Hauptversammlung einberuft.47 Nach Auffassung des LG München I sei die Anfechtbarkeit in diesem Fall nicht durch § 1 Abs. 7 COVID-19-Gesetz ausgeschlossen, da letzterer die Regelung in § 1 Abs. 1 COVID19-Gesetz nicht einbeziehe. Mit Blick auf den vorliegenden Fall führte das LG München I insoweit aus, dass der Antragstellerin eine Anfechtung von Hauptversamm42 LG München I v. 26.5.2020 – 5 HK O 6378/20, ZIP 2020, 1241 (1242). 43 LG München I v. 26.5.2020 – 5 HK O 6378/20, ZIP 2020, 1241 (1242). 44 LG München I v. 26.5.2020 – 5 HK O 6378/20, ZIP 2020, 1241 (1242). 45 LG München I v. 26.5.2020 – 5 HK O 6378/20, ZIP 2020, 1241 (1242). 46 LG München I v. 26.5.2020 – 5 HK O 6378/20, ZIP 2020, 1241 (1243). 47 LG München I v. 26.5.2020 – 5 HK O 6378/20, ZIP 2020, 1241 (1242).

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lungsbeschlüssen auch zumutbar sei. Soweit sich die Antragstellerin darauf berufen hatte, dass es ihr unmöglich sei, einen Geschäftsordnungsantrag hinsichtlich der Reihenfolge der Abstimmung zu stellen, hielt das LG München I dem entgegen, dass in der Literatur „mit beachtlichen Gründen“ die Auffassung vertreten werde, „in analoger Anwendung von §  1 Abs.  2 COVID-19-Gesetz könne auch ein Geschäftsordnungsantrag gestellt werden“.48 Der Entscheidung des LG München I ist zunächst darin zuzustimmen, dass die Untersagung der Durchführung einer Hauptversammlung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht kommen kann und Aktionäre für Beanstandungen im Zusammenhang mit der Hauptversammlung im Regelfall auf die Mittel des nachträglichen Rechtsschutzes zu verweisen sind.49 Ferner bestätigt die Entscheidung grundsätzlich, dass eine virtuelle Hauptversammlung im Sinne des COVID-19-Gesetzes auch ohne Ermöglichung einer elektronischen Teilnahme der Aktionäre im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG möglich ist.50 So ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 COVID-19-Gesetz, dass eine virtuelle Hauptversammlung allein mit (elektronischer) Briefwahl und Vollmachterteilung durchgeführt werden kann.51 Fraglich erscheint vor diesem Hintergrund indes die Aussage des LG München I, dass „beachtliche Gründe“ für die Möglichkeit einer Stellung von Geschäftsordnungsanträgen im Rahmen der virtuellen Hauptversammlung „in analoger Anwendung von § 1 Abs. 2 COVID-19-Gesetz“ sprächen. Im Rahmen des Aktienrechts ist im Zusammenhang mit der Briefwahl gemäß § 118 Abs. 2 AktG allgemein anerkannt, dass den Briefwählern mangels aktienrechtlicher Teilnahme an der Hauptversammlung keine Antragsrechte in der Versammlung zustehen.52 Auch der Gesetzgeber des COVID-19-Gesetzes geht in der Gesetzesbegründung davon aus, dass dann, wenn die virtuelle Hauptversammlung nur mit Briefwahl und Vollmachterteilung durchgeführt wird, „natürlich alle Antragsrechte ‚in‘ der Versammlung wegfallen“.53 Dementsprechend wird die Möglichkeit einer Antragstellung in der Versammlung im Rahmen der Voraussetzungen für die virtuelle Hauptversammlung in § 1 Abs. 2 COVID-19-Gesetz auch nicht genannt. Unabhängig hiervon ist es umgekehrt aber nicht ausgeschlossen, dass die Gesellschaft auch bei Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung allein mit Briefwahl und Vollmachterteilung zum Beispiel vorab ord-

48 LG München I v. 26.5.2020 – 5 HK O 6378/20, ZIP 2020, 1241 (1242). 49 Vgl. auch OLG München v. 13.9.2006 – 7 U 2912/06, ZIP 2006, 2334 (2335); Linnerz, EWiR 2020, 429 (430). 50 Vgl. LG München I v. 26.5.2020 – 5 HK O 6378/20, ZIP 2020, 1241 (1241 f.). 51 Vgl. auch BT-Drucks. 19/18110, S.  26; Tröger, BB 2020, 1091 (1093); Stelmaszczyk/Forschner, Der Konzern 2020, 221 (228); Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811 (812). 52 Vgl. Kubis in MüKoAktG, 4. Aufl. 2018, § 118 AktG Rz. 94; Höreth/Pickert in Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 4. Aufl. 2018, § 7 Rz. 74. 53 BT-Drucks. 19/18110, S. 26; vgl. auch Simons/Hauser, NZG 2020, 488 (494); Wicke, DStR 2020, 885 (888); Schäfer, NZG 2020, 481 (484); vgl. demgegenüber Noack/Zetzsche, AG 2020, 265 (269).

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nungsgemäß eingereichte Gegenanträge in der virtuellen Hauptversammlung behandelt.54 Sehr weitgehend erscheinen auch die Ausführungen des LG München I zur Anfechtungsmöglichkeit wegen Ermessensfehlgebrauchs des Vorstands bei der Einberufung einer virtuellen Hauptversammlung. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte mit dem COVID-19-Gesetz gerade „die Grundsatzentscheidung zur Versammlung ohne physische Präsenz […] weitgehend anfechtungsfrei gestellt werden, um zu verhindern, dass die Gesellschaften zur Vermeidung von Klagen in der Notsituation es nicht wagen, von diesem Mittel Gebrauch zu machen“.55 Bei der Entscheidung über die Inanspruchnahme der durch das COVID-19-Gesetz eröffneten Erleichterungen, insbesondere über die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung gemäß § 1 Abs. 2 COVID-19-Gesetz, handelt es sich um eine unternehmerische Entscheidung des Vorstands (mit Zustimmung des Aufsichtsrats) im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG.56 Dabei ist im Ergebnis davon auszugehen, dass die Entscheidung für die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung im Sinne des COVID-19-Gesetzes – von atypischen Ausnahmefällen abgesehen – regelmäßig (und insbesondere bei Publikumsgesellschaften) nicht ermessensfehlerhaft ist, solange die COVID-19-Pandemie fortdauert und daher grundsätzlich nicht auszuschließen ist, dass (erneut) Versammlungsbeschränkungen ergehen könnten.57

IV. Ausblick auf die Zukunft der Hauptversammlung 1. Diskussion über die Zukunft der virtuellen Hauptversammlung Auf Grundlage der Eindrücke und Erfahrungen aus der virtuellen COVID-19-Hauptversammlungssaison 2020 hat die Diskussion um eine mögliche Zukunft für die virtuelle Hauptversammlung bereits begonnen.58 Hierbei besteht weithin Einigkeit da­ rüber, dass die digitalen Erfahrungen und Errungenschaften aus der virtuellen COVID-19-Hauptversammlung für die Zukunft nutzbar gemacht werden sollen.59 Andererseits gilt aber auch, dass die virtuelle Hauptversammlung in ihrer Ausprägung nach dem COVID-19-Notfallgesetz angesichts der (coronabedingt) weitrei54 Vgl. hierzu Herb/Merkelbach, DStR 2020, 811 (813); Simons/Hauser, NZG 2020, 488 (494); Schäfer, NZG 2020, 481 (484). 55 BT-Drucks. 19/18110, S. 27. 56 Vgl. auch Stelmaszczyk/Forschner, Der Konzern 2020, 221 (225); Bücker/Kulenkamp/ Schwarz/Seibt/von Bonin, DB 2020, 775 (777). 57 Vgl. auch Tröger, BB 2020, 1091 (1094); Stelmaszczyk/Forschner, Der Konzern 2020, 221 (225); Bücker/Kulenkamp/Schwarz/Seibt/von Bonin, DB 2020, 775 (777). 58 Vgl. DIRK-IR-Guide, Band XV: Martin/Labas/Freutel, „Virtuelle HV: Notlösung oder Zukunftsmodell“, 09/2020, S. 8 ff.; Herb/Merkelbach, BOARD 2020, 113; Dubovitskaya, NZG 2020, 647; Schäfer, Der Aufsichtsrat 2020, 59; Tröger, Handelsblatt v. 18.5.2020, „Es wird zu Anfechtungsklagen kommen“, S. 15. 59 Vgl. Noack/Zetzsche, AG 2020, 265 (278); Schäfer, Der Aufsichtsrat 2020, 59; Dubovitskaya, NZG 2020, 647 (648).

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chenden Einschränkungen der Aktionärsrechte keine Blaupause für eine zukünftige gesellschaftsrechtlich normierte virtuelle Hauptversammlung sein kann.60 Aus den „Lessons learned“ der COVID-19-Hauptversammlungssaison 2020 lässt sich zunächst positiv hervorheben, dass die virtuellen Hauptversammlungen sehr weitgehend störungsfrei durchgeführt werden konnten und die für die Gesellschaften wichtigen Hauptversammlungsbeschlüsse gefasst werden konnten. Die Abstimmungspräsenz bei den virtuellen Hauptversammlungen entsprach dabei in vielen Fällen in etwa den Präsenzen vergangener Präsenz-Hauptversammlungen.61 Zugleich bot die virtuelle Durchführung der Hauptversammlung den Gesellschaften grundsätzlich die Möglichkeit, einen größeren und räumlich weiter entfernten (v.a. internationalen) Aktionärskreis an der Versammlung teilhaben zu lassen. Mit Blick auf die den Gesellschaften durch §  1 Abs.  2 Satz 1 Nr.  3 COVID-19-Gesetz ein­ geräumte Möglichkeit, eine Vorabeinreichung von Aktionärsfragen zu verlangen, ­berichten zahlreiche Unternehmensvertreter von der Erfahrung, dass sich die hierdurch hinzugewonnene Vorbereitungszeit positiv auf die Qualität und Tiefe der Antworten ausgewirkt hat.62 Auf der anderen Seite haben die virtuellen Hauptversammlungen der COVID19-Saison 2020  – gerade auch in ihrer Gesamtbetrachtung über die Gesellschaften hinweg – gezeigt, dass eine künftige gesellschaftsrechtliche Regelung zur generellen Ermöglichung rein virtueller Hauptversammlungen eine gegenüber der typischen COVID-19-Hauptversammlung weiterreichende Gewährleistung der Aktionärsrechte vorsehen müsste. Dies gilt im Grundsatz für das Rede- und Fragerecht der Aktionäre ebenso wie für die Antragsrechte und das Anfechtungsrecht der Aktionäre. Ohne die Möglichkeit zur Formulierung von Rückfragen oder von Stellungnahmen konnte der im Rahmen der bisherigen „Generaldebatte“ mögliche und von den Investoren geschätzte direkte Austausch zwischen Verwaltung und Aktionären in der virtuellen COVID-19-Hauptversammlung nicht stattfinden. Wesentliche Herausforderung für eine erfolgreiche Implementierung einer künftigen rein virtuellen Hauptversammlung wird sein, die aktienrechtlichen Aktionärsrechte in die virtuelle Durchführung der Hauptversammlung zu transferieren, ohne dabei zugleich die rechtlichen und operativ-technischen Risiken für die Gesellschaften zu groß und unkalkulierbar werden zu lassen. Zum Teil wird in der aktuellen Diskus­

60 Vgl. Schäfer, Der Aufsichtsrat 2020, 59; Herb/Merkelbach, BOARD 2020, 113 (114); Noack/ Zetzsche, AG 2020, 265 (278); Tröger, Handelsblatt v. 18.5.2020, „Es wird zu Anfechtungsklagen kommen“, S. 15. 61 Vgl. auch DIRK-IR-Guide, Band XV: Martin/Labas/Freutel, „Virtuelle HV: Notlösung oder Zukunftsmodell“, 09/2020, S. 8, 11 f. 62 Vgl. DIRK-IR-Guide, Band XV: Martin/Labas/Freutel, „Virtuelle HV: Notlösung oder Zukunftsmodell“, 09/2020, S. 18 f.; boerse.ARD.de v. 13.7.2020, „Entmachtete Aktionäre, zufriedene Vorstände“, abrufbar unter www.boerse.ard.de.

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sion auch für eine Hybrid-Hauptversammlung plädiert, bei der die traditionelle Präsenz-Hauptversammlung um Online-Elemente ergänzt wird.63 2. Ausblick auf die Hauptversammlungssaison 2021 Mit Blick auf die nächste Hauptversammlungssaison 2021 stellt sich darüber hinaus angesichts der Unsicherheiten über die weitere Entwicklung der COVID-19-Pandemie bereits jetzt die Frage, ob die ordentliche Hauptversammlung 2021 wieder nach dem allgemeinen Aktienrecht als Präsenz-Hauptversammlung zu planen ist oder ob die Hauptversammlung auch im kommenden Jahr als virtuelle Hauptversammlung durchgeführt werden kann. Nach der Übergangsregelung in § 7 Abs. 1 COVID-19-­ Gesetz ist das Notfallgesetz zunächst nur auf Hauptversammlungen anzuwenden, die im Jahr 2020 stattfinden. Zugleich hat der Gesetzgeber allerdings in §  8 COVID19-Gesetz die Möglichkeit eröffnet, die Geltung der Hauptversammlungsvorschriften durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz um ein weiteres Jahr bis zum 31. Dezember 2021 zu verlängern, „wenn dies aufgrund fortbestehender Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in der Bundesrepublik Deutschland geboten erscheint“. Vor diesem Hintergrund haben sich ca. 60 Vorstände börsennotierter Unternehmen in einem Brief vom 1. September 2020 an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht dafür eingesetzt, die Regelungen zur virtuellen Hauptversammlung nach dem COVID-19-Gesetz zeitnah bis Ende 2021 zu verlängern.64 Angesichts der Unklarheit über den weiteren Verlauf der Pandemie sei eine frühzeitige Entscheidung zur Verlängerung der Ausnahmeregelungen für die  Wirtschaft von großer Bedeutung, um Planungssicherheit zu schaffen.65 Das Bundesjustizministerium hat am 19. September 2020 einen entsprechende Referentenentwurf für eine Verordnung vorgelegt, mit der die Geltung der Erleichterungen in § 1 COVID-19-Gesetz, insbesondere die Möglichkeit zur Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung, bis zum 31. Dezember 2021 verlängert werden sollen.66 Wird die Ausnahmeregelung zur virtuellen Hauptversammlung zeitnah um ein ­weiteres Jahr verlängert, bietet sich in diesem Fall zugleich die Möglichkeit, auf Grundlage der grundsätzlich positiven Erfahrungen aus der virtuellen Hauptversammlungssaison 2020 im nächsten Jahr eine gegenüber der virtuellen („Notfall-“) Hauptversammlung 2020 weitergehende Beteiligung der Aktionäre an der virtuellen Hauptversammlung zu ermöglichen.67 Hierbei könnten – unter Fortgeltung des weitgehenden Anfechtungsausschlusses durch das COVID-19-Gesetz (hierzu oben, III.3.)  – etwa weitergehende virtuelle Kommunikationsmöglichkeiten für die Ak­ 63 Vgl. Marc Tüngler, DSW, in Handelsblatt v. 3.9.2020, „Reform der Aktionärstreffen“, abrufbar unter www.handelsblatt.com; DIRK-IR-Guide, Band XV: Martin/Labas/Freutel, „Virtuelle HV: Notlösung oder Zukunftsmodell“, 09/2020, S. 22. 64 Das Schreiben ist abrufbar unter www.dai.de. 65 Schreiben v. 1.9.2020 (Fn. 64), S. 1. 66 RefE des BMJV einer Verordnung zur Verlängerung von Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (GesRGenRCOVMVV) v. 19.9.2020. 67 Vgl. auch das Schreiben v. 1.9.2020 (Fn. 64), S. 2.

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tionäre eingeräumt werden. Dies gäbe nicht nur die Möglichkeit, den in der laufenden Saison 2020 geäußerten Kritikpunkten der Aktionäre Rechnung zu tragen, sondern würde zugleich weitere wichtige Erkenntnisse und Erfahrungen im Hinblick auf eine mögliche zukünftige allgemeine gesetzliche Regelung einer virtuellen Hauptversammlung liefern.

Dr. Anja Herb Rechtsanwältin Assoziierte Partnerin

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Compliance-Pflichten der Geschäftsleiter: Implikationen der EU-Blocking-Verordnung zum Schutz vor extraterritorialen Embargo-Regelungen am Beispiel Iran Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Das US-amerikanische Iran-Sanktionsregime III. Die Blocking-Verordnung IV. Auswirkungen der Blocking-VO in internationalen Geschäftsbeziehungen mit Iran-Bezug

1. Verstößt eine ordentliche Kündigung gegenüber einem iranischen Geschäftspartner gegen die Europäische Blocking-VO? 2. Kündigung aus wichtigem Grund wegen des Risikos von US-Sanktionen? 3. Unwirksamkeit einer Kündigung bei ­einem Verstoß gegen die Blocking-VO? V. Fazit

I. Einleitung Die Geschäftsleitung des Unternehmens ist für die Einhaltung der unternehmens­ bezogenen Compliance-Pflicht zuständig und verantwortlich. So betonte das LG München I für die Aktiengesellschaft in seiner vielbeachteten „Siemens/Neubürger“Entscheidung, dass „die Einrichtung eines funktionierenden Systems zur Vermeidung von Gesetzesverstößen und die Überprüfung von dessen Wirksamkeit in die Gesamtverantwortung des Vorstands“ falle. 1 Dies gilt grundsätzlich gleichermaßen für Kapital- wie für Personengesellschaften.2 Gegenstand der Compliance-​Pflicht ist die Verantwortung der Geschäftsleiter einer Gesellschaft, sich selbst normkonform zu verhalten und normkonformes Verhalten der Mitarbeiter zu gewährleisten. Dazu gehört es, Normverstöße durch Unternehmensangehörige mittels geeigneter Maßnahmen zu verhindern, mögliche Verstöße im Verdachtsfall aufzuklären sowie aufgedeckte Normverstöße angemessen zu sanktionieren.3 Der Kreis der zu beachtenden Normen reicht dabei grundsätzlich über den Bereich des Gesetzesrechts hinaus und kann insbesondere auch die in bzw. von der betreffenden Gesellschaft selbst gesetzten Normen erfassen.4 1 LG München I v. 10.12.2013, 5 HK O 1387/10, NZG 2014, 345 (348). 2 Für die AG: Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. 2019, § 91 Rz. 58; Koch in Hüffer/Koch, 14. Aufl. 2020, AktG § 76 Rz. 11 f.; Wagner, CCZ 2009, 8 (11); für die GmbH: Fleischer in MünchKommGmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 Rz. 142, 145. Für die Personengesellschaft: Merkt, ZIP 2014, 1705 (1711); Balke in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 7, 6. Aufl. 2020, § 104 Rz. 40. 3 LG München I v. 10.12.2013  – 5 HK O 1387/10, NZG 2014, 345 (347); Fleischer, in: ­MüKoGmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 Rz. 149. 4 Merkt, ZIP 2014, 1705 (1706).

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Im internationalen Geschäftsverkehr entfalten dabei u.a. nationale, internationale und supranationale Embargoregelungen große Bedeutung. Das gilt zum einen mit Blick auf entsprechende Embargoregelungen selbst. Zum anderen können auch Sekundärakte relevant sein, welche die internationale Durchsetzung nationaler Embargoregelungen verhindern sollen. Zu diesen zählt in Europa insbesondere die EU-Blocking-Verordnung (EG) Nr. 2271/96 (nachfolgend: Blocking-VO). Diese Verordnung untersagt es europäischen Unternehmen, den US-Sanktionen gegen den Iran und Kuba, denen nach dem US-Recht extraterritoriale Wirkung zukommen soll, „nachzukommen“ (Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO). Eine Konkretisierung der Reichweite dieses euro­ parechtlich verhängten „Befolgungsverbotes“ und seiner Auswirkungen auf zivilrechtliche Vertragsbeziehungen enthält die Blocking-VO nicht. Dies stellt die ­Geschäftsleitung der betroffenen europäischen Unternehmen vor weitreichende He­ rausforderungen. Insbesondere stehen sie vor der Frage, welche Maßnahmen im ­Falle einer bestehenden Geschäftsbeziehung mit einem von den US-Sanktionen betroffenen Geschäftspartner oder im Vorfeld einer solchen Geschäftsbeziehung zu ­ergreifen sind, um zum einen nicht gegen das Befolgungsverbot des Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO zu verstoßen und zum anderen US-rechtliche Sanktionen zu vermeiden. Überdies beruht das US-amerikanische Iran-Sanktionsregime auf einer Vielzahl von Gesetzen, präsidentiellen Executive Orders und behördlichen Regulations sowie Praxishinweisen, welche die Beantwortung der Frage nach den konkreten CompliancePflichten der Geschäftsleiter abermals erschwert.5 Vor diesem Hintergrund hat die Beachtung der Vorgaben und der Reichweite des Anwendungsbereichs der Blocking-Verordnung insbesondere für europäische Unternehmen im internationalen Geschäftsverkehr mit Iran-Bezug große Bedeutung erlangt. Dies wird auch mit Blick auf die uneinheitliche Rechtsprechung der nationalen Gerichte zur Reichweite des Befolgungsverbotes aus Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO offenbar. So erging erst kürzlich ein Vorlagebeschluss des OLG Hamburg,6 in dem dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung des Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO vorgelegt worden sind. Diese Fragen sollen im Folgenden näher beleuchtet werden.

II. Das US-amerikanische Iran-Sanktionsregime Eingangs gilt es zunächst, einen Überblick über das Iran-Sanktionsregime zu geben. Grundsätzlich wird insofern zwischen Primärsanktionen (primary sanctions) und 5 Siehe insb. Iran Sanctions Act of 1996 (ISA), As Amended Through P. L. 114-277, enacted December 15, 2016; Comprehensive Iran Sanctions, Accountability and Divestment Act of 2010 (CISADA), P. L. 111195, enacted July 1, 2010, As Amended Through P. L. 112-239, enacted January 2, 2013; Iran Threat Reduction and Syria Human Rights Act of 2012 (ITRA), 22 USC 94; National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2012 (NDAA) 22 USC 8513 a, Sec. 1245; Iran Freedom and Counter-Proliferation Act of 2012 (IFCA), 22 USC 95; Iranian Transactions and Sanctions Regulation (ITSR), 31 CFR 560; Iranian Financial Sanctions ­Regulations (IFSR), 31 CFR 561; für einen vollständigen Überblick siehe die Website des U.S. Department of the Treasury. 6 OLG Hamburg, Vorlagebeschluss v. 2.3.2020 – 11 U 116/19; EuGH, Rs. C-124/20.

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Sekundärsanktionen (secondary sanctions) unterschieden.7 Die Primärsanktionen betreffen US-Personen und ihnen Gleichgestellte. Die Sekundärsanktionen hingegen adressieren Nicht-US-Personen. Hierzu zählen alle natürlichen Personen, die keine US-Staatsangehörigkeit besitzen und sich nicht in den USA aufhalten, und alle Unternehmen, die nicht nach US-amerikanischem Recht gegründet wurden.8 Das bedeutet für europäische Unternehmen, dass sie auch dann von US-Sanktionen betroffen sein können, wenn sie keinem US-Konzern angehören.9 Im Jahr 2018 wurden die Sekundärsanktionen, die zuvor aufgrund des Atomabkommens (Joint Comprehensive Plan of Action – JCPOA)10 weitgehend aufgehoben worden waren, wieder eingeführt und verschärft.11 So traten am 7.8.2018 zunächst u.a. Sanktionen betreffend den Erwerb von US-Dollar durch die iranische Regierung, den Handel mit Edelmetallen, den iranischen Automobilsektor und den Umtausch der iranischen Währung Rial wieder in Kraft.12 Weitere Sanktionen wurden am 5.11.2018 verhängt, die sich insbesondere gegen den iranischen Erdölsektor, die Schifffahrtsindustrie, den iranischen Energiesektor sowie die iranische Zentralbank richten.13 Die für europäische Unternehmen besonders maßgeblichen Sekundärsanktionen betreffen insbesondere das Verbot von Geschäften mit natürlichen und juristischen Personen, die auf der Specially Designated Nationals and Blocked Persons list (SDNList)14 aufgeführt sind. Dies umfasst u.a. eine Vielzahl von iranischen Banken,15 die Lieferung bestimmter Güter und Rohstoffe (insb. Treibstoff, Edelmetalle) sowie sämtlicher Waren mit US-Ursprung in den Iran, den Transport iranischen Rohöls  per Schiff sowie jegliche Geschäftstätigkeit im iranischen Hafen-, Schifffahrtsund Energie-sowie Automobilsektor.16 Hinzu kommt ein Umgehungsverbot, wonach jegliche Transaktionen, die den Zweck haben, US-Sanktionen zu umgehen oder diese tatsächlich umgehen, untersagt sind.17 Bei Verstößen drohen ausländischen Unter 7 Karpenstein/Sangi, EuZW 2019, 309. 8 Karpenstein/Sangi, EuZW 2019, 309. 9 Karpenstein/Sangi, EuZW 2019, 309. 10 Vgl. Executive Order 13716 of 16 January 2016, 2016 Revocation of Executive Orders 13574, 13590, 13622, and 13645 With Respect to Iran, Amendment of Executive Order 13628 With Respect to Iran, and Provision of Implementation Authorities for Aspects of Certain Statutory Sanctions Outside the Scope of U. S.  Commitments Under the Joint ­Comprehensive Plan of Action of July 2014, 2015, Federal Register Vol. 81, No. 13. 11 Vgl. Executive Order 13846. 12 E.O. 13846 Sec. 1 (a) (i), Sec. 2 (a) (i), Sec. 3 (a) (i); Sec. 6 (a) (i) (ii). 13 Karpenstein/Sangi, EuZW 2019, 309 (310). 14 Abrufbar unter: https://sanctionssearch.ofac.treas.gov/ [zuletzt abgerufen: 20.9.2020]. 15 Executive Order 13846 Sec. 1 (a) (iii). 16 Executive Order 13645 of June 3, 2013 Authorizing the Implementation of Certain Sanctions Set Forth in the Iran Freedom and Counter-Proliferation Act of 2012 and Additional Sanctions With Respect To Iran, Federal Register Vol. 78, No. 108. 17 E.O. 13846 Sec. 15 (a): „Any transaction that evades or avoids, has the purpose of evading or avoiding, causes a violation of, or attempts to violate any of the provisions set forth in this order […] is prohibited.”; darunter fallen auch Tauschgeschäfte (“barter arrangements”), siehe US Department of Treasury, Office of Foreign Assets Control (OFAC) FAQs: Iran Sanctions.

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nehmen erhebliche straf- und bußgeldrechtliche Folgen sowie verwaltungsrechtliche Sanktionen, darunter der Ausschluss von öffentlichen US-Vergabeverfahren oder die Abkopplung vom US-Finanzmarkt.18

III. Die Blocking-Verordnung Mit der Blocking-Verordnung wendet sich die Europäische Union gegen die Erstreckung des US-Rechts auf “EU-Wirtschaftsteilnehmer”19 und die extraterritoriale Wirkung der Secondary Sanctions.20 Am 6. 8. 2018 hat die EU-Kommission die ­Delegierte Verordnung (EU) 2018/1100 vom 6. 6. 2018 zu der Verordnung (EG) Nr. 2271/1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen21 im Amtsblatt der EU bekannt gemacht. Die Änderung der Blocking-VO ist am 7.8.2018 in Kraft getreten.22 Ursprünglich war die Blocking-VO im Jahr 1996 erlassen worden, um EU-Wirtschaftsteilnehmer vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung des Helms-Burton Act (Kuba-Embargo der USA) sowie des US-amerikanischen Iran and Libya Sanctions Act zu schützen.23 Die Änderung der Blocking-VO durch die Delegierte Verordnung 2018/1100 im Jahr 2018 sieht eine Neufassung des Anhangs zur Blocking-VO vor, sodass dieser nunmehr auch die folgenden US-Rechtsakte umfasst: – Iran Sanctions Act of 1996, – Iran Freedom and Counter-Proliferation Act of 2012, – National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2012, – Iran Threat Reduction and Syria Human Rights Act of 2012 und – Iran Transactions and Sanctions Regulations.

18 E.O. 13846 Sec. 4, Sec. 5. 19 Mit EU-​Wirtschaftsteilnehmer werden nachfolgend die dem persönlichen Anwendungsbereich der Blocking-​VO unterfallenden, natürlichen und juristischen Personen und Einrichtungen bezeichnet; vgl. Art. 11 Blocking-​VO; Walter, RIW 2018, 735 (736). 20 Vgl. Joint statement by High Representative Federica Mogherini and Foreign Ministers of E3 (Jean-​Yves Le Drian of France, Heiko Maas of Germany, Jeremy Hunt of the United Kingdom) on the re-​imposition of US sanctions due to its withdrawal from the Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) v. 6.8.2018. 21 Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates v. 22.11.1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen. 22 Delegierte Verordnung (EU) 2018/1100 zur Änderung des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen, Abl. EU v. 6.8.2018, L 199 I/1; Walter, RIW 2018, 735 (737). 23 Walter, RIW 2018, 735 (737); Karpenstein/Sangi, EuZW 2019, 309 (311).

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Compliance-Pflichten der Geschäftsleiter: Implikationen der EU-Blocking-Verordnung

Der Anhang zur Blocking-VO, der den Anwendungsbereich der Verordnung bestimmt, ist dabei von entscheidender Bedeutung. So dient die Verordnung gemäß Art. 1 Abs. 1 Blocking-VO: „… dem Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung der im Anhang aufgeführten Gesetze, einschließlich Verordnungen und anderer Rechtsakte, sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen und wirkt den Folgen der extraterritorialen Anwendung entgegen, soweit diese Anwendung die Interessen von Personen im Sinne des Art. 11 beeinträchtigt, die am internationalen Handels- und/ oder Kapitalverkehr und an damit verbundenen Geschäftstätigkeiten zwischen der Gemeinschaft und Drittländern teilnehmen“. Der personelle Anwendungsbereich der Verordnung erstreckt sich grundsätzlich auf alle in der Union ansässigen natürlichen Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates haben (Art. 11 Nr. 1 Blocking-VO) und auf juristische Personen, die in der Union eingetragen sind (Art. 11 Nr. 2 Blocking-VO), insbesondere auch auf alle in der Union registrierten selbstständigen Töchter ausländischer Unternehmen. Nicht unter die Verordnung fallen grundsätzlich die nach der Rechtsordnung von Drittstaaten gegründeten Tochterunternehmen von EU-Wirtschaftsteilnehmern, wohl aber die außerhalb der Union ansässigen Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten (Art. 11 Nr. 3 Blocking-VO i.V.m. Art. 1 Abs. 2 der VO [EWG] Nr. 4055/85). Darüber hinaus findet die Verordnung auf alle in der Union ansässigen Drittstaatsangehörigen Anwendung, sofern diese sich nicht in ihrem Heimatstaat aufhalten (Art.  11 Nr. 4 Blocking-VO), und auf alle übrigen natürlichen Personen im Unionsgebiet, die der Gerichtsbarkeit oder Kontrolle eines Mitgliedstaats unterstehen und die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit handeln (Art. 11 Nr. 5 Blocking-VO).24 Gemäß Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO darf keine Person im Sinne des Artikels 11 Blocking-­VO selbst oder durch einen Vertreter oder einen anderen Vermittler aktiv oder durch bewusste Unterlassung Forderungen oder Verboten, einschließlich Aufforderungen ausländischer Gerichte, nachkommen, die direkt oder indirekt auf den im Anhang aufgeführten Gesetzen oder den darauf beruhenden oder sich daraus ­ergebenden Maßnahmen beruhen oder sich daraus ergeben. Die Blocking-VO un­ tersagt folglich europäischen Unternehmen, den extraterritorialen US-Sanktionen ­gegen den Iran und Kuba nachzukommen (Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO). Die Reichweite dieses Befolgungsverbotes und seine Auswirkungen im Zivilrecht definiert die ­Blocking-VO nicht.25 Überdies ist in diesem Kontext zu beachten, dass die Blocking-VO selbst in Art. 6 einen Schadensersatzanspruch der europäischen Unternehmen vorsieht. Gemäß Art. 6 Abs.  1 Blocking-VO haben EU-Wirtschaftsteilnehmer Anspruch auf Ersatz aller Schäden, einschließlich Rechtskosten, die ihnen aufgrund der Anwendung der im Anhang zur Blocking-VO aufgeführten Gesetze oder der darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen entstanden sind. Die Einzelheiten des Scha24 Karpenstei/Sangi, EuZW 2019, 309 (311 f.). 25 Bälz, EuZW 2020, 416.

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densersatzanspruchs sind indes noch nicht abschließend geklärt. Die Kommission führt in ihrem Leitfaden diesbezüglich lediglich aus, dass die Person oder Stelle, von der Schadensersatz zu verlangen sei, nicht vorab und mit allgemeiner Gültigkeit ermittelt werden könne, und dass die Frage, wer genau der Beklagte sein werde, „von den Besonderheiten des Falls, von der Art des verursachten Schadens, der Person oder Stelle, die den Schaden tatsächlich verursacht hat, der möglichen gemeinsamen Verantwortung für die Verursachung dieser Schäden usw.“ abhänge und die Entscheidung hierüber letztlich Sache des zuständigen Gerichts sei.26 Schließlich sieht Art. 5 Abs. 2 Blocking-VO die Möglichkeit der Genehmigung vor. Gemäß Art.  5 Abs.  2 Blocking-VO kann betroffenen Personen genehmigt werden, ganz oder teilweise Forderungen oder Verboten nachzukommen, soweit anderenfalls ihre Interessen oder die der Gemeinschaft schwer geschädigt würden. Gemäß Art. 7 Buchst. b) Blocking-VO ist die EU-Kommission für die Erteilung der Genehmigungen gemäß Art. 5 Abs. 2 Blocking-VO zuständig. Einzelheiten zum Genehmigungsverfahren sind in der Durchführungsverordnung (EU) 2018/1101 (nachfolgend: DVO (EU) 2018/110127) festgelegt. Nach Art. 3 DVO (EU) 2018/1101 ist ein Antrag schriftlich bei der EU-Kommission zu stellen. Voraussetzung für die Erteilung einer Genehmigung gemäß Art. 5 Abs. 2 Blocking-VO ist, dass bei einer Nichtbefolgung des US-Rechts die Interessen des EU-Wirtschaftsteilnehmers als Antragsteller oder die Interessen der Europäischen Union schwer geschädigt würden. Art. 4 DVO (EU) 2018/1101 legt Kriterien fest, bei deren Vorliegen eine schwere Schädigung bejaht und entsprechend eine Genehmigung zur Befolgung des US-Rechts erteilt werden kann.28 Für EU-Wirtschaftsteilnehmer dürfte insbesondere Art. 4 Buchst.  b) DVO (EU) 2018/1101 von besonderem Interesse sein. Nach Art. 4 Buchst. b) DVO (EU) 2018/1101 kann eine schwere Schädigung angenommen werden, wenn Ermittlungen von US-Behörden oder Gerichten gegen den Antragsteller anhängig sind.

IV. Auswirkungen der Blocking-VO in internationalen Geschäftsbeziehungen mit Iran-Bezug Die Reichweite der Blocking-Verordnung ist gegenwärtig nicht abschließend geklärt. Die Blocking-Verordnung ist Gegenstand einer Reihe von Gerichtsentscheidungen. Dabei besteht in der Gerichtspraxis zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Einigkeit darüber, inwieweit das Befolgungsverbot des Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO einer Beendigung der Geschäftsbeziehung entgegensteht. 26 Europäische Kommission, Leitfaden, Fragen und Antworten: Annahme der aktualisier­ten Blocking-Verordnung (2018/C 277 1/03) Nr.  13; Niestedt/Göcke in Krenzler/Herrmann/ Niestedt, EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, 13. EL Mai 2019, VO (EG) 2271/96 Art. 6 Rz. 3. 27 Durchführungsverordnung (EU) 2018/1101 v. 3.8.2018 zur Festlegung der Kriterien für die Anwendung von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen. 28 Vgl. dazu Walter, RIW 2018, 735 (737).

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1. Verstößt eine ordentliche Kündigung gegenüber einem iranischen Geschäftspartner gegen die Europäische Blocking-VO? Zunächst stellt sich die Frage, inwieweit eine ordentliche Kündigung gegenüber einem iranischen Geschäftspartner mit dem Befolgungsverbot gemäß Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO vereinbar ist, wenn diese von einem europäischen Unternehmen ausgesprochen wird, um US-Sekundärsanktionen zu vermeiden. Diese Frage ist u.a. Gegenstand eines Verfahrens vor dem OLG Hamburg, in welchem sich eine iranische Bank mit einer Zweigniederlassung in Hamburg gegen die von der Beklagten, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom, erfolgte Kündigung des Vertragsverhältnisses im Rahmen der Telekommunikationsdienstleistung wendet. Als Kündigungsgrund führte die Beklagte die von den USA verhängten Wirtschaftssanktionen gegen den Iran an. Das OLG Hamburg hat mit Beschluss vom 2.3.2020 das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 Abs. 1, 3 AEUV vorgelegt.29 Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO verbietet seinem Wortlaut nach, Forderungen oder Verboten des US-Rechts, sei es unmittelbar durch das Gesetz oder durch Behörden oder Gerichte, aktiv oder durch bewusstes Unterlassen nachzukommen. Vor diesem Hintergrund hat das OLG Hamburg die Frage aufgeworfen, ob Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO nur dann anwendbar ist, wenn an den handelnden EU-Wirtschaftsteilnehmer im Sinne von Art. 11 Blocking-VO seitens der Vereinigten Staaten von Amerika direkt oder indirekt behördliche oder gerichtliche Anweisungen er­ gangen sind und er diese befolgt oder ob es für einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO genügt, dass das Handeln des EU-Wirtschaftsteilnehmers (ohne solche Anweisungen) darauf gerichtet ist, US-Embargoregelungen zu befolgen.30 Das OLG Köln hat in einem Parallelverfahren31 die Auffassung vertreten, dass in einer solchen Konstellation Art. 5 Abs.1 Blocking-VO nicht anwendbar sei. Dieser Auffassung ist das OLG Hamburg im Rahmen des Vorlagebeschlusses an den EuGH im Grundsatz entgegengetreten. So soll nach der Ansicht des OLG Hamburg allein die Existenz der Sekundärsanktionen für die Anwendbarkeit des Art.  5 Blocking-VO genügen, weil nur so das mit Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO verfolgte Verbot, solche Sanktionen zu befolgen, effektiv umgesetzt werden könne. Im Rahmen der Auslegung der Blocking-VO ist insofern der Leitfaden der Europäischen Kommission “Leitfaden Fragen und Antworten: Annahme der aktualisierten Blocking-Verordnung”32 zu berücksichtigen. Danach können EU-Wirtschaftsteilnehmer, ihre Geschäftstätigkeit unter Achtung des EU-Rechts und der geltenden ­nationalen Gesetze nach eigenem Ermessen ausüben. Dies bedeutet nach dem Leitfaden der Europäischen Kommission, dass sie frei entscheiden können, eine Ge29 OLG Hamburg, Vorlagebeschluss v. 2.3.2020 – 11 U 116/19. 30 OLG Hamburg, Vorlagebeschluss v. 2.3.2020 – 11 U 116/19; EuGH, Rs. C-124/20. 31 OLG Köln v. 7.2.2020 – 19 U 118/19, BeckRS 2020, 4132. 32 Europäische Kommission, Leitfaden, Fragen und Antworten: Annahme der aktualisierten Blocking-Verordnung (2018/C 277 1/03).

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schäftstätigkeit in Iran oder Kuba aufzunehmen, fortzusetzen oder einzustellen und auf der Grundlage ihrer Bewertung der wirtschaftlichen Lage in einem Wirtschaftszweig tätig zu werden oder nicht.33 Für dieses Verständnis spricht der Normzweck der Blocking-VO. So soll diese sicherstellen, dass europäische Unternehmen in ihrer Entscheidung frei sind, ob sie eine Geschäftstätigkeit mit dem Iran und Kuba unterhalten oder nicht.34 Diese Ausführungen sprechen dafür, den Anwendungsbereich des Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO erst dann als eröffnet anzusehen, wenn tatsächlich Anweisungen der US-Behörden gegen den jeweiligen EU-Wirtschaftsteilnehmer ergehen.35 Ferner hat das OLG Hamburg die Frage aufgeworfen, ob Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO einem Verständnis des nationalen Rechts dahin entgegensteht, dass es dem Kündigenden möglich ist, auch jedwede Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses mit einem Vertragspartner, der vom US-amerikanischen Office of Foreign Assets Control (OFAC) auf der Specially-Designated-Nationals-Liste (SDN) geführt wird – und damit auch eine Kündigung mit der Motivation, US-Sanktionen zu befolgen – auszusprechen, ohne dass es hierfür eines Kündigungsgrundes bedürfte und deshalb ohne dass er in einem Zivilprozess darzulegen und zu beweisen hätte, dass der Grund für den Ausspruch der Kündigung jedenfalls nicht sei, US-Sanktionen zu befolgen.36 Das OLG Köln hat in dem zuvor genannten Parallelverfahren37 in seinem Hinweisbeschluss vom 1.10.2019 die Auffassung vertreten, dass eine Vertragsbeendigung auch aus „durch die US-Außenpolitik geprägten Motiven“ zulässig sein könne.38 Das OLG Hamburg führt insofern aus, dass eine Kündigung, deren ausschlaggebendes Motiv es ist, die US-Sanktionen zu befolgen, gegen Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO verstößt. Beruhe die Handlung dagegen auf rein wirtschaftlichen Erwägungen ohne konkreten Bezug zu den Sanktionen, verstoße sie nicht gegen Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO, da ande-

33 Europäische Kommission, Leitfaden, Fragen und Antworten: Annahme der aktualisierten Blocking-Verordnung (2018/C 277 1/03) Nr. 5; Walter, RIW 2018, 735 (737 f.). 34 EU-Kommission, Leitfaden zur Blocking-VO v. 7.8.2018 Nr. 5; Bälz, NJW 2020, 878 (881). 35 Nach Nr. 23 des Leitfadens der Europäischen Kommission soll neben der Befolgung von US-Sanktionen durch bewusste Unterlassung auch bereits die Beantragung einer Lizenz bei den US-Behörden durch einen EU-Wirtschaftsteilnehmer, die eine Ausnahme/Befreiung von den im Anhang zur Blocking-VO genannten Rechtsakten gewährt, einen Verstoß gegen Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO darstellen, da die Antragstellung der Einhaltung dieser Rechtsakte gleichkommen würde. Die bloße Kontaktaufnahme zu den US-Behörden mit dem Ziel, Aufschluss über den Umfang der extraterritorialen Rechtsakte und darüber zu erhalten, wie sich diese Rechtsakte auf sie auswirken könnten, soll hingegen nicht dem Tatbestand des Art.  5 Abs.  1 unterfallen. Europäische Kommission, Leitfaden, Fragen und Antworten: Annahme der aktualisierten Blocking-Verordnung (2018/C 277 1/03) Nr. 23; Niestedt/Göcke in Krenzler/Herrmann/Niestedt/Niestedt/Göcke, EU-Außenwirtschaftsund Zollrecht, 13. EL Mai 2019, VO (EG) 2271/96 Art. 5 Rz. 5. 36 OLG Hamburg, Vorlagebeschluss v. 2.3.2020 – 11 U 116/19. 37 OLG Köln v. 7.2.2020 – 19 U 118/19. 38 OLG Hamburg, Vorlagebeschluss v. 2.3.2020 – 11 U 116/19, Rz. 27; Plath, EuZW 2020, 375 (377).

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renfalls niemals Geschäftsbeziehungen zum Iran beendet werden könnten.39 Als Konsequenz dieser Sichtweise müsste die Beklagte darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass die Entscheidung, den Vertrag zu beenden, nicht deshalb getroffen wurde, weil andernfalls Nachteile auf dem US-Markt befürchtet werden.40 2. Kündigung aus wichtigem Grund wegen des Risikos von US-Sanktionen? Weiterhin stellt sich die Frage, ob eine Kündigung in Ansehung von US-Sanktionen mit Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO vereinbar ist. So kann gemäß § 314 Abs. 1 BGB ein Dauerschuldverhältnis fristlos aus wichtigem Grund gekündigt werden. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. §  314 Abs.  1 BGB knüpft dabei nicht an die Leistungshandlung an und erkennt auch sonstige „wichtige Gründe“ an, die (jedenfalls in Ausnahmefällen) auch in der Person des Vertragspartners liegen können und nicht von diesem verschuldet sein müssen.41 Es ist indes allgemein anerkannt, dass die Kündigungsgründe grundsätzlich im Risikobereich des Kündigungsgegners liegen müssen.42 Dies konstatierte das LG Bonn43 in einem Fall, in dem eine nach deutschem Recht gegründete Tochtergesellschaft eines auf der SDN-Liste geführten Metallkonzerns wegen einer außerordentlichen Kündigung ihrer Telekommunikationsdienstleistungsverträge auf Erfüllung ihrer Verträge klagte. Die Missbilligung eines Rechtsgeschäfts durch einen Dritten und hierauf beruhende etwaige geschäftliche Nachteile liegen danach einzig in der Risikosphäre des Kündigenden. In dieser Konstellation entschied das LG Bonn, dass die Tatsache, dass dem Telekommunikationsunternehmen bei Vertragsfortführung ein Reputationsschaden, insbesondere mit Blick auf ihre Geschäftstätigkeit am US-amerikanischen Markt, drohe, eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zu begründen vermöge.44 Ähnlich hat das OLG Hamburg45 in einem Fall entschieden, in dem ein Telekommunikationsanbieter der deutschen Niederlassung einer iranischen Bank mit der ­Begründung gekündigt hatte, die Bank sei vom SWIFT-Verkehr ausgeschlossen ­worden. Die Klägerin wurde hier aufgrund von US-Sanktionen von dem im internationalen Zahlungsverkehr wichtigen SWIFT-Netz suspendiert. Hierin sah das OLG Hamburg keinen wichtigen Kündigungsgrund. Der Telekommunikationsanbieter sei nach Auffassung des Gerichts gegebenenfalls dazu verpflichtet, eine Barzahlung zu 39 OLG Hamburg, Vorlagebeschluss v. 2.3.2020 – 11 U 116/19, Rz. 28; Plath, EuZW 2020, 375 (377). 40 OLG Hamburg, Vorlagebeschluss v. 2.3.2020 – 11 U 116/19, Rz. 29. 41 Vgl. Gaier in MüKoBGB, 8. Aufl. 2019, § 314 Rz. 19 ff.; Bälz, NJW 2020, 878 (881). 42 Vgl. BGH, Urteil v. 7.3.2013 – III ZR 231/12, NJW 2013, 2021 (2022), Rz. 17; LG Bonn, Urteil v. 14.5.2019 – 10 O 505/18, Rz. 20; Grüneberg in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 314 Rz. 7. 43 LG Bonn v. 14.5.2019 – 10 O 505/18, Rz. 20. 44 LG Bonn v. 14.5.2019 – 10 O 505/18, Rz. 20. 45 OLG Hamburg Hinweisbeschluss v. 6.6.2019 – 11 O 257/18, BeckRS 2019, 19088 Rz. 17.

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akzeptieren.46 In einem ähnlich gelagerten Fall, der das Recht einer Sparkasse zur Kündigung eines Girokontos der deutschen Tochtergesellschaft einer iranischen Aktiengesellschaft wegen verstärkter Sorgfaltspflichten nach dem neuen Geldwäschegesetz zum Gegenstand hatte, sah das LG Düsseldorf47 in den erhöhten Haftungsrisiken für die Sparkasse einen „sachgerechten Grund“ für eine Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass abhängig von den Umständen des Einzelfalls Sanktionsrisiken geeignet sein können, einen wichtigen Kündigungsgrund zu begründen. 3. Unwirksamkeit einer Kündigung bei einem Verstoß gegen die Blocking-VO? Weiterhin stellt sich die Frage nach der Rechtsfolge eines Verstoßes einer Kündigung gegenüber einem iranischen Geschäftspartner gegen Art.  5 Abs.  1 Blocking-VO. Diesbezüglich ist zu klären, ob eine Kündigung gemäß § 134 BGB als unwirksam anzusehen ist oder ob diese bei Verstoß zivilrechtlich wirksam ist, das betroffene europäische Unternehmen aber nach den Regelungen der Blocking-VO mit einem Bußgeld sanktioniert werden kann. Das OLG Hamburg vertritt in seinem Vorlagebeschluss insoweit die Auffassung, dass eine Kündigung, die gegen Art. 5 Abs. 1 Blocking-VO verstößt, unwirksam ist. Im deutschen Zivilrecht ergebe sich das aus § 134 des BGB.48 Zudem weist das Gericht daraufhin, dass viel dafür spricht, dass eine Unwirksamkeit der Kündigung nach §134 BGB unverhältnismäßig sein könnte. So sehe Art. 9 Blocking-VO vor, dass jeder Mitgliedstaat wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen einschlägige Vorschriften der Verordnung festlegt.49 Vor dem Hintergrund, dass die Bundesrepublik Deutschland in Umsetzung des Art. 9 der Blocking-Verordnung mit § 82 Abs. 2 S. 1 der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) i.V.m. § 19 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 und Abs. 6 Außenwirtschaftsgesetz (AWG) einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 der Blocking-Verordnung als Ordnungswidrigkeit qualifiziert und mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 500.000 Euro bewährt hat, legt das OLG Hamburg nahe, dass es möglicherweise als unverhältnis­ mäßig anzusehen sei, betroffene europäische Unternehmen an der Beendigung der Vertragsbeziehung zu hindern, statt ihnen nur ein Bußgeld aufzuerlegen.50 Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich die Notwendigkeit einer Nichtigkeitsfolge im Sinne des §  134 BGB in Bezug auf ordentliche Kündigungen bestehender Geschäftsverbindungen weder aus der Blocking-Verordnung noch aus dem dazu veröffentlichten Leitfaden der Europäischen Kommission herleiten lässt.51

46 OLG Hamburg, Hinweisbeschluss v. 6.6.2019 – 11 O 257/18, BeckRS 2019, 19088 Rz. 17. 47 LG Düsseldorf v. 3.6.2020 – 10 O 140/20. 48 OLG Hamburg, Vorlagebeschluss v. 2.3.2020 – 11 U 116/19, Rz. 31. 49 OLG Hamburg, Vorlagebeschluss v. 2.3.2020 – 11 U 116/19, Rz. 34. 50 OLG Hamburg, Vorlagebeschluss v. 2.3.2020 – 11 U 116/19, Rz. 34 f. 51 Vgl. insoweit OLG Köln, v. 7.2.2020 – 19 U 118/19, Rz. 90; im Ergebnis so auch LG Hamburg, Urteil v. 15.8.2018 − 318 O 330/18, Rz. 43 f.

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Schließlich stellt sich die Frage, ob die Rechtsfolge der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung bei einem Verstoß gegen die Blocking-VO mit Blick auf die unternehmerische Freiheit gemäß Art.  16 und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ­gemäß Art. 52 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf der einen und der Möglichkeit der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen nach Art. 5 Abs. 2 Blocking-VO auf der anderen Seite auch dann gilt, wenn dem EU-Wirtschaftsteilnehmer mit der Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung zum gelisteten Vertragspartner erhebliche wirtschaftliche Verluste auf dem US-Markt drohen.52 Nach dem OLG Hamburg führt das Verbot der Befolgung von Sekundärsanktionen zu einem „Dilemma für EU-Wirtschaftsteilnehmer […], deren Schutz die Verordnung nach ihrer Präambel dienen soll. Befolgen sie das EU-Recht, droht ihnen der Ausschluss vom US-Markt, befolgen sie die Sanktionen, verstoßen Sie gegen EURecht. Angesichts der faktischen Durchsetzungskraft der US-Sanktionen drohen den EU-Wirtschaftsteilnehmern deshalb bei Befolgung des EU-Rechts unter Umständen erhebliche wirtschaftliche Einbußen.“53 In dem vom OLG Hamburg zu entscheidenden Fall erzielt das europäische Unternehmen 50 Prozent seiner Umsätze auf dem US-Markt.54 Die Blocking-Verordnung ist im Lichte der unternehmerischen Freiheit gemäß Art. 16 der EU-Grundrechtecharta und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszulegen. Vor diesem Hintergrund ist davon auszulegen, dass die Annahme einer Unwirksamkeit einer Kündigung bei Verstoß gegen die Blocking-VO in der Regel unverhältnismäßig sein wird.

V. Fazit Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beendigung einer Geschäftsbeziehung mit iranischen Geschäftspartnern, die als Specially Designated Nationals and Blocked Persons von US-Sanktionen betroffen sind, aktuell in erheblichem Maße in den Fokus der Rechtsprechung geraten ist. Kern der Verfahren ist jeweils die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen eine Beendigung von Geschäftsbeziehungen mit iranischen Vertragspartnern rechtswirksam erfolgen kann und welche Grenzen sich insofern aus der Blocking-VO ergeben. Diese Frage hat das OLG Hamburg dem EuGH im Rahmen eines Vorlageverfahrens jüngst zur Entscheidung vorgelegt. Angesichts der gravierenden US-Sanktionsrisiken für die betroffenen europäischen Unternehmen kommt der Entscheidung des EuGH weitreichende wirtschaftliche Bedeutung zu. Dabei muss gewährleistet bleiben, dass die Unternehmen auch in Zukunft frei entscheiden können, Geschäftsbeziehungen im Rahmen der bestehenden vertraglichen und gesetzlichen Möglichkeiten zu beenden.55 Bis zu einer abschließenden Klä52 OLG Hamburg, Vorlagebeschluss v. 2.3.2020 – 11 U 116/19. 53 OLG Hamburg, Vorlagebeschluss v. 2.3.2020 – 11 U 116/19, Rz. 38. 54 OLG Hamburg, Vorlagebeschluss v. 2.3.2020 – 11 U 116/19, Rz. 38. 55 Europäische Kommission, Leitfaden, Fragen und Antworten: Annahme der aktualisier­ten Blocking-Verordnung (2018/C 277 1/03) Nr. 5.

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rung des Anwendungsbereichs und der Grenzen der Blocking-VO ist aus Sicht der Geschäftsleiter betroffener Unternehmen sicherzustellen, dass eine etwaige Beendigung von Geschäftsbeziehungen mit iranischen Vertragspartnern unter Berücksichtigung der sich aus den dargestellten Urteilen ergebenden Leitlinien mit besonderer Sorgfalt vorbereitet und umgesetzt wird.

Linda Karl Rechtsanwältin

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Schriftform im Gewerberaummietrecht – Problematik und Gesetzesvorhaben im Zusammenhang mit § 550 BGB – Inhaltsübersicht I. Einleitung II. § 550 BGB 1. Schutzzweck der Norm 2. Rechtsfolgen & „Zweckentfremdung“ von § 550 BGB 3. Anforderungen an die Schriftform 4. Vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten

III. Gesetzesvorhaben 1. Vorgesehene Änderungen 2. Reaktionen und Kritik a) Stellungnahme der Bundesregierung b) Kritik aus der Literatur c) Alternativvorschläge 3. Ausblick IV. Zusammenfassung

I. Einleitung Ein in den vergangenen Jahren in der Immobilienrechtspraxis in erheblichem Umfang diskutierter und in der Rechtsprechung relevanter Aspekt im Bereich des Gewerberaummietrechts ist die Schriftform von Mietverträgen und der diesem Thema zugrundeliegende § 550 BGB. § 550 BGB lautet: „Wird der Mietvertrag für längere Zeit als ein Jahr nicht in schriftlicher Form geschlossen, so gilt er für unbestimmte Zeit. Die Kündigung ist jedoch frühestens zum Ablauf eines Jahres nach Überlassung des Wohnraums zulässig.“ Die Vorschrift ist knapp gefasst, gleichwohl sind ihre Auswirkungen auf die Mietrechtspraxis groß, insbesondere im Bereich des Gewerberaummietrechts. Schriftformwidrige Vereinbarungen führen zu einer ordentlichen Kündbarkeit eines Mietverhältnisses, hauptsächlich vor dem Hintergrund des Erwerberschutzes im Kontext des Grundsatzes „Kauf bricht nicht Miete“ aus §  566 BGB.1 Weil die Kündigungsmöglichkeit nach der Konzeption des §  550 BGB beiden Mietvertragsparteien un­ abhängig von einer Veräußerung der Mietsache zusteht, wird diese immer wieder genutzt, sich von unliebsam gewordenen Mietverträgen zu trennen, entgegen einer eigentlich vereinbarten langfristigen Laufzeit, sog. „Zweckentfremdung“ des §  550

1 Günter, Beitrag zum Mietgerichtstag 2019, Gewerberaummiete: Schriftform – Lösungsvorschlag für ein ewiges Problem, S. 15, abrufbar unter https://www.mietgerichtstag.de/mietge​ richtstage/download-vorträge/mietgerichtstag-2019/ (letzter Aufruf 20.9.2020).

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BGB.2 Die Frage nach der Wahrung der Schriftform hat daher in jeder Immobilientransaktion Relevanz, in der Mietverhältnisse eine Rolle spielen, und ist Prüfungsgegenstand nahezu jeder Due Diligence. Die Thematik ist in der Literatur vielfach besprochen und immer wieder Gegenstand auch höchstrichterlicher Entscheidungen.3 Von besonderer Aktualität ist sie zudem, weil Ende des Jahres 2019 ein Gesetzesvorhaben durch den Bundesrat in Gang gesetzt wurde, welches eine Aufhebung des § 550 BGB und Neuregelung der Schriftform von Mietverträgen vorsieht. Daher soll nach einer allgemeinen Darstellung der Schriftformthematik im ersten Teil, im zweiten Teil dieses Beitrags auf die geplanten gesetzlichen Änderungen eingegangen werden, insbesondere auf die im Zusammenhang mit dem konkreten Gesetzesentwurf geäußerten Kritiken.

II. § 550 BGB § 550 BGB ist sowohl auf Wohnraum-, als auch auf Gewerberaummietverhältnisse anwendbar.4 Die Vorschrift ist nicht abdingbar und muss von Amts wegen berücksichtigt werden.5 Sie ist insbesondere im Bereich der Gewerberaummiete zentral, weil vorrangig Gewerberaummietverhältnisse befristet abgeschlossen werden und deshalb dort ihre Auswirkungen besonders beachtlich sind (hierzu sogleich unter Ziffer II.2).6 1. Schutzzweck der Norm §  550 BGB dient dem Schutz eines Grundstückserwerbers und ist im Kontext mit dem aus §  566 BGB folgenden Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“ zu verstehen, wonach der Grundstückserwerber in bestehende Mietverhältnisse kraft Gesetzes eintritt. Um dies zu rechtfertigen, muss dem Erwerber die Möglichkeit gegeben werden, sich vorab ein Bild über die Vereinbarungen zwischen Veräußerer und Mieter machen zu können. Dies kann er verlässlich lediglich, indem er vor dem Erwerb die schriftlichen Vereinbarungen bestehender Mietverträge einsieht. Insbesondere im Rahmen einer Due Diligence werden die vorhandenen Verträge im Vorfeld des Erwerbs in der Regel eingehend gesichtet. Vereinbarungen, die nicht schriftformmäßig erfolgt sind, kann der Erwerber dagegen nicht oder nur bedingt im Voraus kennen.7 Daher soll der Erwerber insoweit geschützt werden, als er sich mittels ordentlicher Kündigung vom Vertrag lösen können soll, wenn Vereinbarungen bestehen, die ohne 2 Günter, Fn. 1, S. 3. 3 Vgl. beispielsweise BGH v. 26.2.2020 – XII ZR 51/19, NJW 2020, 1507. 4 Herrmann in Hau/Poseck, BeckOK, 55. Edition, Stand 1.8.2020, § 550 BGB, Rz. 2. 5 Schweitzer in Guhling/Günter, Gewerberaummiete, 2.  Aufl., §  550 BGB, Rz.  4; BGH v. 30.4.2014 – XII ZR 146/12, NZM 2014, 471 (473). 6 Leo in Schach/Schulz/Schüller, BeckOK Mietrecht, 21. Edition, Stand 1.8.2020, § 550 BGB, Rz. 1. 7 Herrmann in Hau/Poseck, BeckOK, 55. Edition, Stand 1.8.2020, § 550 BGB, Rz. 1.

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Einhaltung der Schriftform getroffen wurden und sich der Vertrag damit anders als erwartet darstellt.8 Weiterer Schutzzweck ist nach der Rechtsprechung des BGH über den Erwerberschutz hinaus, die Beweisbarkeit langfristiger Abreden zu gewährleisten und die Vertragsparteien vor einem unbedachten Eingehen langfristiger Bindungen zu schützen.9 2. Rechtsfolgen & „Zweckentfremdung“ von § 550 BGB Wie bereits unter Ziffer I angedeutet, folgt aus § 550 BGB im Falle einer Nichteinhaltung der Schriftform, dass ein Mietvertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt, mit der Folge, dass er unter Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen (von beiden Parteien!) ordentlich gekündigt werden kann. § 550 BGB fingiert somit die Vereinbarung eines unbefristeten Mietverhältnisses, was in der Gewerberaummiete bedeutet, dass ein Kündigungsgrund nicht erforderlich und die Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist möglich ist.10 Befristete Mietverhältnisse mit langfristigen Laufzeiten sind in der Gewerberaummiete die Regel, weil auf der Befristung die Investitionsentscheidungen beider Seiten basieren. Der Vermieter ist an einer langfristigen Mieteinnahme interessiert, welche den wirtschaftlichen Wert des Grundstücks (mit)bestimmt; der Mieter dagegen daran, seine Investitionen betreffend den Mietgegenstand zu planen und seinen Standort zu sichern.11 Kann das Mietverhältnis sodann vorzeitig gekündigt werden, drohen die Planungen und Investitionen obsolet zu werden mit z.T. einschneidenden wirtschaftlichen Konsequenzen. Eine langfristige Bindung des Vermieters ist auch im Hinblick auf häufig verwendete Indexierungsklauseln in Gewerberaummietverträgen relevant, denn sie ist für die Zulässigkeit solcher Klauseln nach dem Preisklauselgesetz (PrKG) erforderlich (vgl. insb. § 3 Abs. 1 Buchst. d), e) PrKG).12 Wie ebenfalls unter Ziffer  I bereits angedeutet, kommt es im Zusammenhang mit § 550 BGB immer wieder zu Kündigungen aufgrund von Schriftformverstößen, um sich von einem unliebsam gewordenen Mietvertrag vorzeitig zu lösen.13 Formmängel werden z.T. als „Schlupfloch“ genutzt um einer langfristigen Bindung zu entkommen,

8 Vgl. Schweitzer in Guhling/Günter Gewerberaummiete, 2. Aufl., § 550 BGB, Rz. 4; BGH v. 30.4.2014 – XII ZR 146/12 NZM 2014, 471 (473). 9 Vgl. BGH v. 11.4.2018 – XII ZR 43/17, NZM 2018, 515 (517). 10 Leo in Schach/Schultz/Schüller BeckOK Mietrecht, 20. Edition, Stand 1.3.2020, § 550 BGB, Rz. 405. 11 Günter, Fn. 1, S. 2. 12 Schweitzer in Guhling/Günter, Gewerberaummietrecht, § 3 PrKG, Rz. 8 f.; beispielsweise ist nach § 3 Abs. 1 Buchst. e PrKG eine zehnjährige Bindung des Vermieters erforderlich. 13 Bork, BB 2020, 1481 (1481 f.); BR-Drucks. 469/19B, S. 1 f.

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was in der Literatur als sog. „Zweckentfremdung“ des § 550 BGB immer wieder kritisiert wird.14 Eine aus §  550 BGB folgende Kündigungsmöglichkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Vertrag beispielsweise über Jahre ohne Berufung auf den Schriftformmangel ausgeführt wurde, allein im Berufen auf einen Schriftformmangel, der seit Jahren besteht, liegt keine Treuwidrigkeit.15 Nach Rechtsprechung des BGH kommt nur in Ausnahmefällen, wenn die vorzeitige Beendigung des Vertrags zu einem untragbaren Ergebnis führen würde, eine Heranziehung von § 242 BGB in Betracht.16 Weil sich also die Motive für die Kündigung unter Berufung auf die Nichteinhaltung der Schriftform mit den eigentlichen Schutzzwecken der Norm häufig nicht decken, es also immer wieder zu „Zweckentfremdungskündigungen“ kommt, ist die gesamte Rechtslage Gegenstand von Kritik.17 3. Anforderungen an die Schriftform Zur Vermeidung der Rechtsfolgen des §  550 BGB und des Risikos der vorzeitigen ordentlichen Kündbarkeit des Vertrags muss der für längere Zeit als ein Jahr abgeschlossene Mietvertrag der Schriftform genügen, also den Anforderungen aus § 126 BGB.18 Ein Vertrag kann ohne Wahrung der Schriftform geschlossen werden, ist also nicht unwirksam, die Rechtsfolgen des § 550 BGB sind dann jedoch zwingende gesetzliche Folge.19 In formeller Hinsicht bedarf der Vertragsschluss zur Wahrung der Schriftform nach § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB insbesondere der Unterschrift beider Parteien auf derselben Urkunde, die sich auf den gesamten Vertrag beziehen müssen, bzw. nach Satz  2 der  Unterzeichnung der für die jeweils andere Partei bestimmten Urkunde, soweit mehrere gleichlautende Urkunden erstellt werden. Auch Anlagen zum Mietvertrag müssen, soweit sie wesentliche Vertragsbestimmungen beinhalten dem Schriftformerfordernis genügen und mit der Vertragsurkunde eine Einheit bilden.20 Die Anforderungen gelten sowohl für den Erstabschluss des Mietvertrags als auch für den Abschluss von Nachträgen.21 14 Günter, Fn.1, S. 3. 15 Schweitzer in Guhling/Günter, Gewerberaummietrecht, § 550 BGB, Rz. 82 ff. 16 Vgl. BGH v. 26.2.2020 – XII ZR 51/19, NJW 2020, 1507 (1509): Als Fälle, bei denen ein Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit unter Heranziehung von § 242 BGB in Betracht kommt, führt der BGH dort die Beispiele an, dass ein Vertragspartner den anderen schuldhaft von der Einhaltung der Schriftform abgehalten hat, sich einer besonders schweren Treuepflichtverletzung schuldig gemacht hat oder die Existenz des anderen Vertragspartners bei Formnichtigkeit bedroht wäre. 17 Jaeger/Schulz, ZfIR 2020, 232 (233 f.). 18 Bieber in Säcker u.a., Münchener Kommentar, 8. Aufl. 2020, § 550 BGB, Rz. 11. 19 Vgl. Lammel in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Aufl. 2019, § 550 BGB, Rz. 24 ff. 20 Schweitzer in Guhling/Günter, Gewerberaummietrecht, § 550 BGB, Rz. 12 ff., 24; Bork, BB 2020, 1481 (1482 f.). 21 Gramlich in Gramlich, Mietrecht, 15. Aufl. 2019, § 550 BGB, Rz. 4.

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In materieller Hinsicht bedürfen nicht sämtliche Absprachen im Zusammenhang mit dem Mietverhältnis der Schriftform, jedenfalls aber die „essentialia negotii“, also die wesentlichen Vertragsbedingungen (z.B. Parteien, Mietgegenstand, Laufzeit, vereinbarte Miete etc.).22 Weil letztlich nicht pauschal gesagt werden kann, welche sonstigen Vertragsbedingungen wesentliche oder unwesentliche Vereinbarungen darstellen, verbleibt eine gewisse Unsicherheit.23 Eine Vielzahl an Entscheidungen hierzu führt zu Unübersichtlichkeit und diversen Einzelfallregelungen, was zum Teil stark kritisiert wird.24 Ein die Schriftform besonders gefährdender Aspekt sind Nachträge zu Mietverträgen, die nicht formwahrend abgeschlossen werden. Denn wenn nachträgliche Änderungen nicht der Form entsprechen, wirkt sich dies auf den Gesamtvertrag aus, unabhängig davon ob der ursprüngliche Mietvertrag formwahrend abgeschlossen wurde. In diesen Fällen wird das gesamte Mietverhältnis (vorzeitig) ordentlich kündbar.25 Dies kommt häufig im Rahmen nachträglicher Absprachen per Mail oder telefonisch vor oder auch schlicht konkludent durch abweichende Praxis von den schriftlichen vertraglichen Vereinbarungen.26 Die aktuelle Rechtslage rund um die Anforderungen an die Einhaltung der Schriftform ist jedenfalls nicht ohne Weiteres klar und rechtssicher. Der ursprüngliche Gedanke, dass auch im Mietrecht mit der Schriftform eine Form für Verträge bereitstehen soll, die am ehesten verfügbar und von jedermann ohne fachjuristischen Rat eingehalten werden kann, dürfte mit der aktuellen Rechtslage im Zusammenhang mit § 550 BGB und der Frage nach der Einhaltung der Schriftform jedenfalls im Widerspruch stehen.27 4. Vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten Aufgrund der einschneidenden Konsequenzen im Falle einer vorzeitigen ordentlichen Kündbarkeit des Mietverhältnisses, wurden in der Praxis verschiedene Wege vertraglicher Gestaltungen mit dem Ziel gesucht, die Rechtsfolgen des § 550 BGB zu verhindern. Hierunter sind insbesondere die Aufnahme doppelter Schriftformklauseln und Schriftformheilungsklauseln in den Mietvertrag zu nennen.28 Mit doppelten Schriftformklauseln vereinbaren die Parteien vertraglich, dass Änderungen des Vertrags zur Wirksamkeit der Schriftform bedürfen und auch die Aufhebung des vereinbarten Formerfordernisses die Schriftform erfordert.29 Weil jedoch 22 Schweitzer, NJW 2019, 198 (199). 23 Vgl. Niederstetter, NZM 2017, 550 (550). 24 Lindner-Figura/Reuter, NJW 2018, 897 (900); Leo in Schach/Schulz/Schüller, BeckOK Mietrecht, § 550 BGB, Rz. 467; Leo/Götz, NZM-info 05/2020, V (IX). 25 Vgl. BGH v. 26.2.2020 – XII ZR 51/19, NJW 2020, 1507 (1508). 26 Schweitzer, NJW 2019, 198 (198). 27 Jaeger/Schulz, ZfIR 2020, 232 (233); beispielhaft BGH v. 24.9.1997 – XII ZR 324/95, NJW 1998, 58. 28 Börstinghaus, NZM 2018, 529 (531). 29 Schweitzer in Guhling/Günter, Gewerberaummiete, 2. Aufl. 2019, § 550 BGB, Rz. 104.

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der BGH klargestellt hat, dass aufgrund des Vorrangs von Individualvereinbarungen nach §  305b BGB doppelte Schriftformklauseln der Wirksamkeit von mündlichen oder konkludenten Vereinbarungen nicht entgegenstehen, bieten diese keinen ausreichenden Schutz zur Vermeidung der Rechtsfolgen des § 550 BGB.30 Ein weiterer Versuch zur Umgehung der Konsequenzen des § 550 BGB war die Nutzung sog. Schriftformheilungsklauseln in Mietverträgen, nach denen sich die Parteien in Kenntnis der Schriftformerfordernisse und der Möglichkeit vorzeitiger Kündbarkeit gegenseitig zur Heilung eines etwaigen Schriftformmangels beispielsweise durch Nachtragsabschluss verpflichtet haben.31 Die Wirksamkeit solcher Schriftformheilungsklauseln war bereits längere Zeit umstritten.32 Der BGH hat im Jahr 2014 entschieden, dass entsprechende Klauseln im Verhältnis zu einem Grundstückserwerber unwirksam sind.33 Die Klauseln wurden in der Praxis daraufhin dergestalt angepasst, dass ein Grundstückserwerber vom Anwendungsbereich ausgenommen werden sollte.34 Jedoch hat der BGH 2017 die sog. Schriftformheilungsklauseln für insgesamt unzulässig und unwirksam erklärt, sodass auch diese Form der Vertragsgestaltung seitdem keine Sicherheit mehr bietet.35 Mit dem Ende der Schriftformheilungsklauseln ist die Rechtslage hinsichtlich der Einhaltung der Schriftform unsicherer geworden.36 In der Praxis bestehen zwar auch weitere Ansätze, durch Vertragsgestaltung Schriftformkündigungen zu verhindern (z.B. die Aufnahme einer Regelung unter dem Aspekt der Treuwidrigkeit Schriftformkündigungen auszuschließen, wenn nicht zuvor Anstrengungen zur Herstellung der Schriftform unternommen wurden37), aufgrund der vom BGH entschiedenen Unabdingbarkeit der Rechtsfolgen des § 550 BGB ist jedoch zweifelhaft, inwieweit diese erfolgsversprechend sind.38

30 BGH v. 25.1.2017 – XII ZR 69/16, NJW 2017, 1017; Börstinghaus, NZM 2018, 529 (531). 31 Lindner-Figura/Reuter, NJW 2018, 897 (897) mit dem Beispiel einer Schriftformheilungsklausel wie folgt: „Den Vertragsparteien sind die gesetzlichen Schriftformerfordernisse der §§ 550 S.1, 578, 126, 127 BGB bekannt. Sie verpflichten sich hiermit gegenseitig, auf jederzeitiges Verlangen einer Vertragspartei alle Erklärungen abzugeben und Handlungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um dem gesetzlichen Schriftformerfordernis Genüge zu tun. Dies gilt sowohl für den Abschluss dieses Vertrags als auch für alle etwaigen Nachtrags-, Änderungs- und Ergänzungsverträge sowie etwaige Anlagen zu diesem Vertrag.“ 32 Bork, BB 2020 1481 (1484). 33 BGH v. 22.1.2014 – XII ZR 68/10, NJW 2014, 1087; BGH v. 30.4.2014 – XII ZR 146/12, NJW 2014, 2102. 34 Ein Beispiel bei Bork, BB 2020, 1481 Fn. 47 „Ein nach §§ 578, 566 BGB in den Vertrag auf Vermieterseite eintretender Dritter ist an die vorstehende Vereinbarung nicht gebunden. Ihm stehen die gesetzlichen Rechte zu.“ 35 BGH v. 27.9.2017 – XII ZR 114/16, NJW 2017, 3772. 36 Vgl. Jaeger/Schulz, ZfIR 2020, 232 (233), die von „russisch Roulette“ bei der Frage der Einhaltung der Schriftform sprechen. 37 Lindner-Figura/Reuter, NJW 2018, 897 (900). 38 Lindner-Figura/Reuter, NJW 2018, 897 (900); Börstinghaus, NZM 2018, 529 (532).

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III. Gesetzesvorhaben Schon vor dem Ende der Schriftformheilungsklauseln durch die Rechtsprechung des BGH, aber insbesondere auch danach, wurde eine Reformierung des § 550 BGB in der Literatur gefordert.39 Im September 2019 hat sodann die nordrheinwestfälische Landesregierung dem Bundesrat einen Gesetzesentwurf zugeleitet, mit dem Ziel eine Klärung der sog. Schriftformproblematik herbeizuführen. Über den Entwurf hat der Bundesrat im Dezember 2019 beschlossen, woraufhin die Beschlussfassung von der Bundesregierung Anfang Februar 2020 dem Bundestag zugeleitet worden ist.40 1. Vorgesehene Änderungen Im Wesentlichen sieht der Gesetzesentwurf die Streichung des § 550 BGB vor sowie die Einfügung eines neuen § 566 Abs. 3 BGB-E wie folgt: „Ist der Mietvertrag für längere Zeit als ein Jahr nicht in schriftlicher Form geschlossen, ist der Erwerber berechtigt, das Mietverhältnis nach den gesetzlichen Vorschriften zu kündigen. Die Kündigung kann nur innerhalb von drei Monaten, nachdem der Erwerber Kenntnis von der ohne Wahrung der erforderlichen Schriftform getroffenen Vereinbarung erlangt hat, erfolgen. Sie ist jedoch frühestens zum Ablauf eines Jahres nach Überlassung des Wohnraums zulässig. Die Kündigung wird unwirksam, wenn der Mieter ihr binnen zwei Wochen seit Zugang widerspricht und sich mit der Fortsetzung des Mietverhältnisses zu den unter Wahrung der erforderlichen Schriftform getroffenen Vereinbarungen bereit erklärt. Die Kündigung kann nicht auf solche Verstöße gegen die Schriftform gestützt werden, die erst nach dem Erwerb erfolgt sind.“ Im Ergebnis soll also nur noch ein zeitlich beschränktes Kündigungsrecht des Erwerbers bestehen und die Norm auf den vom historischen Gesetzgeber vorgesehenen Schutzzweck des Erwerberschutzes begrenzt werden. Weder der ursprüngliche Vermieter noch der Mieter sollen wegen Schriftformverstößen kündigen können. Der Mieter soll dagegen einerseits durch die Befristung des Kündigungsrechts geschützt werden sowie durch die Möglichkeit, der Kündigung widersprechen und sich mit der Fortsetzung des Mietverhältnisses unter Wahrung der formwidrigen Vereinbarung einverstanden erklären zu können.41 Die Gesetzesänderung soll einheitlich auf bestehende und künftige Mietverhältnisse Anwendung finden und somit auch Altverträge erfassen, soweit nicht bereits eine Kündigung zugegangen ist. Hierzu ist die Einfügung einer Überleitungsvorschrift ins EGBGB geplant, nach deren Inhalt § 550 BGB für Mietverhältnisse, für die vor dem Tag des Inkrafttretens der Gesetzesänderung bereits eine Kündigung zugegangen ist, gültig bleiben soll.42 39 Vgl. Lindner-Figura/Reuter, NJW 2018, 897 (900). 40 BR Drucksache 469/19B; BT-Drucks. 19/17034. 41 BR Drucksache 469/19B, S.2; BT-Drucks. 19/17034, S. 2. 42 BR Drucks. 469/19B, Anlage S.2; BT-Drucks. 19/17034, Anlage  1; Bork, BB 2020, 1481 (1484): Die Anwendung auf Altverträge war ursprünglich nicht im Gesetzesantrag des Lan-

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2. Reaktionen und Kritik Das Tätigwerden des Gesetzgebers wird von vielen Stimmen begrüßt, zum Teil wird die gegenwärtige Rechtslage sogar mit einer „Bedrohung des Immobilieninvestitionsstandorts Deutschland“ in Verbindung gebracht.43 Von anderer Seite wird das Gesetzesvorhaben dagegen generell bzw. in der konkreten Art und Weise scharf kritisiert und dessen Aufgabe gefordert.44 Nachfolgend sollen einige der diskutierten Aspekte und Verbesserungsvorschläge aus Politik und Literatur überblicksartig dargestellt werden. a) Stellungnahme der Bundesregierung Die Bundesregierung hat im Rahmen der Weiterleitung des Gesetzesentwurfs an den Bundestag eine Stellungnahme abgegeben, mit der sie den Entwurf im Ergebnis ablehnt.45 Sie hält das Gesetzesvorhaben bzw. das damit verfolgte Anliegen zwar für nachvollziehbar für den Bereich des Gewerberaummietrechts, den Gesetzesentwurf jedoch für zu weitgehend und nur bedingt geeignet, das erstrebte Ziel zu erreichen, dem Bedürfnis verlässlicher Laufzeitplanung für Parteien eines Gewerberaummietverhältnisses gerecht zu werden und Formunwirksamkeiten zu vermeiden. Insbesondere kritisiert sie, dass die Gesetzesänderungen auch Auswirkungen auf den Bereich des Wohnraummietrechts hätten, sieht in diesem Bereich aber keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf und lehnt in solchen Fällen Gesetzesänderungen ab. Die Bundesregierung befürchtet im Bereich des Wohnraummietrechts erhebliche Auswirkungen, weil zwar mit § 575 Abs. 1 BGB eine weitere Vorschrift existiert, die für Zeitmietverträge die Schriftform fordert, dies jedoch nur hinsichtlich eines Befristungsgrundes und weil die Vorschrift zudem auch nicht für besondere Wohnraummietverhältnisse (§  549 Abs.  2 BGB) gilt. Zudem befürchtet die Bundesregierung ­einen Rückgang an Investitionssicherheit auf Mieterseite, weil ein einseitiges Kündigungsrecht des Vermieters entstehen würde. Die Bundesregierung sieht weiter die Gefahr, dass Vermieter sich unliebsamer Mietverträge insoweit entledigen könnten, indem sie den Mietgegenstand an nahestehende Personen oder verbundene Unternehmen veräußern, um eine Kündigung zu ermöglichen. Auch befürchtet die Bundesregierung den Rückgang schriftlicher Mietverträge und einen Anstieg an Rechtsstreitigkeiten.46 Zwar wird der Gesetzesentwurf in der juristischen Fachliteratur ebenfalls kritisiert, jedoch überwiegend aus anderen Gründen, als aufgrund jener, welche die Bundesredes Nordrhein-Westfalen vorgesehen, wurde auf Antrag Hamburgs jedoch aufgenommen um eine Rechtszersplitterung in Bezug auf die Schriftformthematik zu verhindern, da andernfalls § 550 BGB über Jahrzehnte noch auf Altverträge anwendbar geblieben wäre; zum Thema Rückwirkung vgl. Stellungnahme DAV Nr.16/2020, S. 8 f. 43 Jaeger/Schulz, ZfIR 2020, 232 (234). 44 Leo/Götz, NZM-info 05/2020, V (IX). 45 BT-Drucks. 19/17034, Anlage 2. 46 BT-Drucks. 19/17034, Anlage 2.

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gierung in ihrer Stellungnahme aufgegriffen hat. Die Auswirkungen auf das Wohnraummietrecht dürften gering sein, weil die Relevanz für Schriftformkündigungen aufgrund der Beschränkung von Zeitmietverträgen gemäß § 575 BGB begrenzt ist.47 Insbesondere ist stark anzuzweifeln, dass Vermieter Grundbesitz grunderwerbssteuerpflichtig allein aus dem Grund, eine schriftformbedingte Kündigung zu ermöglichen, übertragen würden.48 b) Kritik aus der Literatur In der Literatur werden überwiegend andere Aspekte im Zusammenhang mit dem Gesetzesentwurf aufgegriffen, hierunter insbesondere die Dreimonatsfrist, die Kenntnis des Erwerbers, dessen einseitiges Kündigungsrecht sowie das Widerspruchsrecht des Mieters. Diskutiert wird zum einen der Beginn der Dreimonatsfrist, die der Gesetzesentwurf für die Ausübung der Kündigung des Erwerbers vorsieht. Der Erwerber soll innerhalb von drei Monaten kündigen können, nachdem er Kenntnis von der ohne Wahrung der erforderlichen49 Schriftform getroffenen Vereinbarung erlangt hat.50 Problematisch ist in diesem Zusammenhang, wann die Frist für die Ausübung des Kündigungsrechts beginnen soll, auf welchen Zeitpunkt des Kenntniserlangens also abzustellen ist. In der Regel wird ein Erwerber im Rahmen des Ankaufsprozesses einen Mietvertrag zeitlich weit vor dem Vertragsschluss, geschweige denn Eigentumswechsel (Eintragung im Grundbuch) einsehen und damit häufig schon Kenntnis von der schriftformwidrigen Vereinbarung erlangen (können), gerade weil –  wie oben dargestellt  – die Identifizierung von Schriftformrisiken regelmäßig Teil einer Ankaufsprüfung ist. Folge hieraus wäre, stellte man auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntnisnahme ab, dass die Frist zur Kündigung bereits zu einem Zeitpunkt verstrichen wäre, zu dem der Erwerber mangels Eigentümerposition zu einer Kündigung nicht in der Lage war.51 Unklarheiten hinsichtlich des Fristbeginns könnten sich auch 47 Jaeger/Schulz, ZfIR 2020, 232 (238). 48 Lindner-Figura/Reuter, NJW 2020, 1039 (1040); Mönig/Frick, Legal Update v. 12.2.2020, https://www.goerg.de/de/aktuelles/veroeffentlichungen/12-02-2020/schriftformerforder​ nis-im-mietrecht-bundesrat-bringt-gesetzentwurf-ein-update-12-02-2020 (letzter Aufruf 20.9.2020). 49 Kritisch hinterfragend, woraus sich die „erforderliche Schriftform“ nach Abschaffung des § 550 BGB ergeben soll und darauf hinweisend, dass eine Schriftform nach dem Reformvorschlag weder für die Wirksamkeit noch zur besseren Beweisbarkeit eines Mietverhältnisses, sondern lediglich zum Schutz vor der Kündigung eines Erwerbers erforderlich ist, Hübner, ZfIR 2020, 125 (128). 50 BT-Drucksache 19/17034, Anlage 1. 51 Bork, BB, 2020 1481 (1487); Neumann, ZMR 2020, 174 (175); Lindner-Figura/Reuter, NJW 2020, 1039 (1042); vgl. Jaeger/Schulz, ZfIR 2020, 232 (236), die in diesem Zusammenhang thematisieren, ob es auf eine tatsächliche Kenntnis oder eine rechtliche Kenntnis, also die zutreffende Bewertung einer Vereinbarung als schriftformwidrig ankommen soll. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass aus rechtspolitischen Erwägungen allein die tatsächliche Kenntnis maßgeblich sein muss, weil andernfalls zu hohe Anforderungen an einen Erwerber gestellt würden; insbesondere, weil die Anforderungen an das Schriftformerfordernis im

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dann stellen, wenn mit dem künftigen Erwerber mittels Bevollmächtigung ein Nutzen- und Lastenwechsel bereits vor Eigentumsumschreibung vereinbart wird.52 Weder eine Kündigung aus eigenem Recht des Veräußerers käme dann in Betracht, da ein solches nicht bestehen würde, noch eine Ermächtigung des Erwerbers vor Eigentumsumschreibung wäre möglich, mangels bis dahin bestehender Eigentümerstellung, an die das Kündigungsrecht jedoch geknüpft ist.53 Teilweise wird erörtert, dass als einzige Auslegungsmöglichkeit des Wortlauts des neuen § 566 Abs. 3 BGB-E für den Fristbeginn auf den Eigentumswechsel abgestellt werden müsse. Systematisch folge dies daraus, dass auch die Wirkungen des §  566 Abs. 1 BGB mit Übergang des Eigentums eintreten und die dem § 566 BGB generell innewohnende Zäsurwirkung auch auf den neu vorgesehenen Abs. 3 zu übertragen sei.54 Der Umstand, dass in sämtlichen Besprechungen des Gesetzesentwurfes die unklare Situation des Fristbeginns thematisiert wird, zeigt, dass ein Klärungsbedarf definitiv besteht. Selbst wenn man der Meinung folgt, dass das Auslegungsergebnis eindeutig ist, wäre eine Klarstellung im Gesetz ohne Aufwand möglich und würde Streitpotential vorbeugen. Im Zusammenhang mit dem Aspekt der Kenntnis des Erwerbers werden verschiedene Änderungsvorschläge gemacht, beispielsweise eine Erweiterung der Voraussetzungen dahingehend, dass auch die fahrlässige Unkenntnis / das Kennenmüssen des Erwerbers fristauslösend sein soll, weil andernfalls der Anwendungsbereich zu sehr eingegrenzt und der Mieterschutz vermindert würde.55 Dies ist zu begrüßen, weil die Erweiterung zu größerer Rechtssicherheit führen würde. Uneinigkeit herrscht hinsichtlich der Angemessenheit der Länge der Frist: Zum Teil werden drei Monate als zu kurzes Zeitfenster bewertet, aus dem ein Handlungsdruck der Beteiligten folge. Als sicherster Weg für den Erwerber sei die sofortige Kündigung anzusehen, um Zustellungsproblemen zu entgehen und sodann aus einer Position der Stärke mit dem Mieter zu verhandeln.56 Von anderer Seite wird dagegen gar die Verkürzung der Frist angeregt, weil vergleichbare Ausübungsfristen nach § 469 Mietrecht nicht konkret oder abschließend geregelt, sondern lediglich abstrakt definiert und durch die Rechtsprechung entwickelt sind. 52 Vgl. Lindner-Figura/Reuter, NJW 2020, 1039. 53 Neumann, ZMR 2020, 174 (175). 54 Jaeger/Schulz, ZfIR 2020, 232 (236): Zudem führe ein Fristbeginn vor Eigentumsübergang zu einer Überhöhung des durch die Befristung des Kündigungsrechts bezweckten Mieterschutzes, was dem Zweck der neuen Vorschrift in Hinblick auf den Erwerberschutz nicht entspreche. 55 Jaeger/Schulz, ZfIR 2020, 232 (237); noch weitergehend Bork, BB 2020, 1481 (1487), der vorschlägt, den Erwerber, der vor Erwerb bereits Kenntnis eines Schriftformverstoßes hatte, auf den eine Kündigung gestützt werden könnte, von der Kündigungsberechtigung auszunehmen, weil kein Schutzbedürfnis bestehe, wenn der Schriftformverstoß bereits bekannt ist. 56 Leo/Götz, NZM-info 05/2020, V (VII).

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Abs.  2 BGB (Ausübung Vorkaufsrecht) oder §  561 BGB (Sonderkündigungsrecht nach Mieterhöhung) lediglich zwei Monate betragen und drei Monate in Abwägung mit dem Interesse des Mieters nach Rechtssicherheit zu lang seien, insbesondere wenn der Erwerber ohnehin schon im Rahmen der Due Diligence längere Zeit im Voraus Kenntnis von der schriftformwidrigen Vereinbarung hatte / haben konnte.57 Positiv an der zeitlichen Begrenzung der Ausübung des Kündigungsrechts ist jedenfalls, dass sie zu mehr Rechtssicherheit zwischen den nach Erwerb verbleibenden Mietvertragsparteien führt, da eine Schriftformkündigung nicht mehr jederzeit droht und zumindest der oben angesprochenen Zweckentfremdung die Grundlage entzogen würde. Eine Fristlänge von drei Monaten erscheint als angemessener Zeitraum, um sich als Erwerber darüber klar zu werden, wie auf einen identifizierten Schriftformverstoß reagiert werden soll. Zum anderen steht das einseitige Kündigungsrecht des Erwerbers im Fokus der Besprechungen, welches teils unterschiedlich bewertet wird. Kritisiert wird zum einen, dass durch Veräußerung einer vermieteten Immobilie ein Kündigungsrecht, das bis zum Verkauf nicht existent war, für den Erwerber neu geschaffen würde. Aus Sicht des Mieters ist dies nachteilig, weil das Kündigungsrecht in Sphären begründet ist, die von ihm nicht beeinflussbar sind, nämlich des Verkaufs an sich sowie der neuen Vertragspartei.58 Zwar sieht der Gesetzesentwurf einen Ausgleich der Interessen des Mieters dergestalt vor, dass einerseits die Kündigungsfrist des Erwerbers auf drei Monate beschränkt werden und andererseits dem Mieter ein Widerspruchsrecht zustehen soll.59 Insbesondere dieses Widerspruchsrecht ist jedoch scharf kritisiert worden und wird gar zum Teil als nicht praktikabel verurteilt (hierzu sogleich).60 Im Hinblick auf das vorgesehene einseitige Kündigungsrecht ist verwunderlich, dass der Gesetzesentwurf lediglich auf den Erwerberschutz als ursprünglichen, vom historischen Gesetzgeber vorgesehenen Schutzzweck abstellt. Aus der Entwurfsbegründung folgt explizit, dass Zweck der Gesetzesänderung ist, die Norm auf den Schutzzweck des vom historischen Gesetzgeber beabsichtigten Erwerberschutzes zu reduzieren.61 Dass aber der BGH die eingangs erwähnten Schutzzwecke der Beweisbarkeit langfristiger Abreden und des Übereilungsschutzes §  550 BGB zuschreibt und immer wieder betont, bleibt hierbei unberücksichtigt. Fraglich ist, ob es als zulässig angesehen werden kann, auf den Willen des historischen Gesetzgebers zurückzugreifen, ohne dabei die jahrzehntelange Anschauung und Auslegung einer Norm zu berücksichtigen.62 57 Jaeger/Schulz, ZfIR 2020, 232 (236). 58 Hübner, ZfIR 2020, 125 (126). 59 BR-Drucksache 469/19, S. 2. 60 Leo/Götz, NZM-info 05/2020, V (X). 61 BR-Drucksache 469/19, S. 2. 62 Hübner, ZfIR 2020, 125 (128); Dies wird von anderer Seite als unproblematisch empfunden, da die vom BGH statuierten Gesetzeszwecke nicht gegen eine Gesetzesänderung sprächen, insbesondere sei bei anderen Vertragstypen auch kein zusätzlicher Schutz der Beweisbarkeit und vor Übereilung vorgesehen: Stellungnahme DAV Nr.16/2020, S. 5.

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Nina Mušinović

Weiter ist auch das Widerspruchsrecht des Mieters, welches der neue § 566 Abs. 3 BGB-E vorsieht, Gegenstand zahlreicher Kritik. Ziel des Widerspruchsrechts soll der Schutz des Mieters sein, dem selbst nach der Gesetzesänderung kein Kündigungsrecht mehr zustehen soll.63 Der Widerspruch des Mieters soll daran geknüpft sein, dass er sich mit der Fortsetzung des Mietverhältnisses zu den Bedingungen, die nicht schriftformkonform getroffen wurden, bereit erklärt. Dass dies in einigen Fällen nicht praktikabel ist, wird hierbei nicht berücksichtigt, zeigt sich aber anhand diverser Beispiele64: Ist die Mietfläche in keiner schriftformwahrenden Vereinbarung ausreichend bestimmt, gibt es keine Vereinbarung, die die Basis für die Fortsetzung des Mietverhältnisses nach Widerspruch bilden kann. Auch ist eine Fortsetzung des Mietverhältnisses auf Grundlage der unter Wahrung der Schriftform getroffenen Vereinbarungen unter Umständen nicht möglich, wenn beispielsweise die Mietfläche verringert und der Teil, um den die Verringerung erfolgt ist, anderweitig vermietet wurde.65 Auch ist nicht ganz klar, welche Wirkung der Widerspruch des Mieters haben soll, ob mit der Erklärung desselben auch automatisch die Fortsetzung des Mietverhältnisses zu den unter Wahrung der Schriftform vereinbarten Bedingungen bewirkt wird oder ob der Erwerber noch die Möglichkeit hat, die Kündigung zurückzunehmen oder der Fortsetzung zustimmen muss. Als Grund für diese Zweifel wird angeführt, dass mit dem Widerspruch des Mieters dem Wortlaut des § 566 Abs. 3 BGB-E nach, lediglich eine ausdrückliche Willenserklärung des Mieters vorliegt und eine Entbehrlichkeit der Zustimmung des Erwerbers kein zwingender Schluss ist.66 Zwar werden die Unklarheiten, die im Zusammenhang mit dem vorgesehenen Widerspruchsrecht des Mieters möglich erscheinen, nicht von allen Stimmen als besonders relevant erachtet.67 Überwiegend wird jedoch eine Klarstellung oder gar die Aufgabe des Widerspruchsrechts im Gesetzesverfahren gefordert.68 Im weiteren Verlauf sollte daher jedenfalls eine Auseinandersetzung mit diesen Aspekten erfolgen, um nicht später dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, diese schlicht übersehen zu haben.

63 BR Drucksache 469/19 (B), Anlage, S. 5. 64 Ausführlich hierzu: Leo/Götz, NZM-info 05/2020, V (Vf.). 65 Leo/Götz, NZM-info 05/2020, V (Vf.); Jaeger/Schulz, ZfIR 2020, 232 (238). 66 Jaeger/Schulz, ZfIR 2020, 232 (238). 67 Vgl. Jaeger/Schulz, ZfIR 2020, 232 (239). 68 Leo/Götz, NZM-info 05/2020, V (VI.); Bork, BB 2020, 1481 (1486); Lindner-Figura/Reuter, NJW 2020, 1039 (1042); anders dagegen Jaeger/Schulz, ZfIR 2020, 232 (239), die in den Unklarheiten im Zusammenhang mit dem Widerspruchsrecht ein Scheinproblem sehen, da von wenigen Ausnahmefällen auszugehen sei und insbesondere der Erwerber in Fällen, in denen die Mietfläche von der aus einer Urkunde erkennbaren Bestimmung so stark abweicht, nicht schutzwürdig sei, weil er dies bei Betrachtung des Mietgegenstandes im Vorfeld erkennen könne.

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Schriftform im Gewerberaummietrecht

c) Alternativvorschläge Im Zuge der Besprechungen des Gesetzesentwurfs wurden zugleich diverse Alternativ- und Änderungsvorschläge unterbreitet, welche nachfolgend auszugsweise dargestellt werden sollen. Einige Autoren schlagen die ersatzlose Abschaffung des § 550 BGB und die Aufgabe des Schriftformerfordernisses vor.69 Hierzu wird beispielsweise angeführt, der Schutz­ würdigkeit des Erwerbers könne durch die Vereinbarung von Verkäufergarantien im Grundstückskaufvertrag entsprochen werden, beispielsweise durch die Bestätigung wirtschaftlicher Mietvertragskonditionen, oder auch in Gestalt von Dokumentationsverpflichtungen, z.B. im Wege von „tenant estoppel certificates“ nach US-amerikanischem Vorbild.70 Hinterfragt wird auch generell, inwieweit in der Praxis überhaupt ein Kündigungsrecht des Erwerbers gewollt ist, insbesondere im Hinblick darauf, dass jahrzehntelang versucht wurde, wie unter Ziffer II.4 bereits dargestellt insbesondere durch die Verwendung von Heilungsklauseln, Kündigungsrechte wegen Schriftformverstößen auszuschließen.71 Da im Wohnraummietrecht § 550 BGB ohnehin kaum eine Rolle spiele und die Parteien – entgegen der Befürchtung der Bundesregierung – Mietverträge aus Beweiszwecken weiterhin regelmäßig schriftlich abschließen werden, ständen diese Aspekte einer Streichung des § 550 BGB nicht entgegen.72 Im Zusammenhang mit dem Vorschlag einer ersatzlosen Streichung des § 550 BGB wird auch angeführt, dass der Schutz des Erwerbers lediglich im Rahmen von AssetDeals greift, weil im Rahmen von Share Deals kein Wechsel der Vermieterpartei erfolgt. Daher sei die Dringlichkeit des Erwerberschutzes durch ein Kündigungsrecht infrage zu stellen, wenn ein solches ohnehin nur bei Asset Deals existiert.73 Als weitere Alternative wird die Einführung eines Wahlrechts des Erwerbers vorgeschlagen, durch einseitige Erklärung der Fortsetzung des Mietverhältnisses zu den Bedingungen, die unter Wahrung der Schriftform getroffen wurden, zuzustimmen. Hierin wird eine interessengerechte Lösung gesehen, weil der Erwerber lediglich an solche Vereinbarungen nicht gebunden sein soll, über die er zuvor keine Kenntnis erlangen konnte; gleichwohl würden mit dieser Alternative dieselben Probleme auftreten, die im Zusammenhang mit dem Wahlrecht des Mieters beständen.74

69 Vgl. Bork, BB 2020, 1481 (1487). 70 Lindner-Figura/Reuter, NJW 2020, 1039 (1040); Bork, BB 2020, 1481 (1488 f.); Hübner, ZfIR 2020, 125 (129), bei „tenant estoppel certificates“ handelt es sich kurzgefasst um bestätigende Erklärungen des Mieters, dass gewisse Umstände im Zusammenhang mit dem Mietobjekt zutreffen. 71 Bork, BB 2020, 1481 (1488). 72 Bork, BB 2020, 1481 (1488). 73 Hübner, ZfIR 2020, 125 (127). 74 Neumann, ZMR 2020, 174 (177).

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Weiter wird auch die Auffassung vertreten, als Alternative zu dem vorliegenden Gesetzesvorhaben, schlicht keine gesetzgeberischen Veränderungen vorzunehmen und bei der aktuellen Lage zu verbleiben, weil ein Eingriff des Gesetzgebers als nicht erforderlich angesehen wird. Dies wird damit begründet, dass die Beschäftigung mit der Schriftformthematik in der Vergangenheit dazu geführt habe, dass den Anforderungen an die Schriftform bei den „wesentlichen Marktteilnehmern“ Beachtung geschenkt werde. Insbesondere durch die Identifizierung der Schriftformmängel im Rahmen von Due Diligence Prozessen sei die Anzahl der Prozesse im Zusammenhang mit der Schriftform reduziert worden; häufig könnten Schriftformmängel einvernehmlich beseitigt werden.75 3. Ausblick Vorstehende Ausführungen zeigen, dass gegenüber dem Gesetzesvorhaben insgesamt sowie gegenüber dem konkreten Gesetzesentwurf zahlreiche Ansichten vertreten werden. Sie zeigen aber auch generell, wie viele Fragen im Zusammenhang mit einer Gesetzesänderung berücksichtigt werden müssen und wie Komplex sich die Auswirkungen einer Gesetzesänderung darstellen können. Der Gesetzesentwurf wurde Anfang des Jahres dem Bundestag zugeleitet. Eine Beratung hat bisher noch nicht stattgefunden.76 Dies verwundert in Anbetracht des derzeitigen Pandemiegeschehens und der Vorrangigkeit anderer Themen nicht. Es bleibt daher zunächst offen, wie die Entscheidung über den Gesetzesentwurf ausfällt und ob und in welcher Form die hervorgebrachten Kritiken Berücksichtigung finden werden.

IV. Zusammenfassung Festzuhalten ist, dass der Hinterfragung und Prüfung der Einhaltung der Schriftformerfordernisse in Gewerberaummietverhältnissen im Rahmen von Immobilientransaktionen, Vertragsabschlüssen etc. weiterhin besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist. Unabhängig davon, wie die Entscheidung über das Gesetzesvorhaben ausfallen wird, bleibt das Thema in der Beratungspraxis relevant. Klar ist, dass mit einer Gesetzesänderung nicht sämtliche Rechtsfragen und Unsicherheiten gelöst werden können, weil mit ihr auch stets neue Fragestellungen ­geschaffen werden. Gleichwohl sollten die im Vorfeld bereits erkennbar problema­ tischen Aspekte im Rahmen der Beratungen aufgegriffen werden und eine Auseinandersetzung mit diesen erfolgen, sodass sie zumindest im Rahmen einer Nutzenabwägung einbezogen werden können. 75 Leo in Schach/Schultz/Schüller, BeckOK Mietrecht, 20.  Edition Stand 1.2.2020, §  550 Rz. 469. 76 http://dipbt.bundestag.de/dip21.web/searchProcedures/simple_search_list.do (letzter Aufruf 20.9.2020).

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Schriftform im Gewerberaummietrecht

Nach wie vor bleibt die Sensibilität der Berater in der immobilienrechtlichen Praxis für das Thema der Einhaltung der Schriftform von großer Bedeutung sowie die Sensibilisierung der Mandanten im Rahmen der Beratung.77

Nina Mušinović Rechtsanwältin

77 Hofele, IMR 2020, 20.

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Quellensteuerabzug nach § 50a EStG für die Entwicklung von Software im Ausland – ein urheberrechtlicher Diskussionsbeitrag Inhaltsübersicht I. Problemaufriss II. Hintergründe der Diskussion um einen Quellensteuerabzug bei der Beauftragung von Softwareentwicklung im Ausland 1. Urheberrechtliche Einordnung der bisherigen Verwaltungsanweisungen 2. BMF-Schreiben von 2010 (Steuerabzug gemäß § 50a EStG bei Einkünften aus künstlerischen, sportlichen, artistischen, unterhaltenden oder ähnlichen Darbietungen) a) Zeitlich begrenzte Rechteübertragung oder dauerhafter Rechtekauf b) Zeitlich befristete Nutzungsüber­ lassung bei der Überlassung von ­Persönlichkeitsrechten c) Verbrauchende Rechteüberlassung durch einmalige Veranstaltungen (Rechtekauf) d) Nach BMF kein Rechtekauf bei ­Urheberrechten 3. BMF-Schreiben von 2017 (grenzüberschreitende Überlassung von Software und Datenbanken) a) Erneut: Abgrenzung Rechtekauf und zeitlich begrenzte Rechteeinräumung b) Quellensteuerabzug bei (zeitlich ­begrenzter) Rechteüberlassung zur wirtschaftlichen Weiterverwertung c) Betroffene Nutzungsrechte (Verwertungsrechte) d) Vervielfältigungsrecht e) Verbreitungsrecht und öffentliche ­Zugänglichmachung f) Öffentliche Wiedergabe? g) Bearbeitungsrecht i. S. v. § 69c Nr. 2 i.V.m. § 23 UrhG h) Spannungsverhältnis bei überschießender Nutzungsrechteeinräumung



4. Zusammenfassung der Verwaltungsauffassung zur grenzüberschreitenden Softwareüberlassung

III. BFH-Urteile zum „Total Buy-Out“ 1. Sachverhalte der Entscheidungen zum „Total Buyout“ a) Romanverfilmung (BFH v. 24. ­Oktober 2018 – I R 69/16) b) Reportage (BFH v. 24. Oktober 2018 – I R 83/16) 2. Argumentation des BFH a) Betonung des BFH, dass beim „­Total Buy-Out“ kein Rechteverkauf geschieht b) Keine Trennung von Urheberrecht und Nutzungsrecht 3. Zusammenfassung der Rechtsprechung zum „Total Buy-Out“ IV. Urheberrechtliche Bewertung von Software-Verträgen

V. Europäischer Hintergrund des urheberrechtlichen Schutzes von Software

VI. Keine Anwendbarkeit von §§ 32, 32a UrhG auf Softwareentwicklungsverträge



1. Gesetzliche Differenzierungen bei den Regelungen zum Schutz des Urhebers vor Ausbeutung a) Schutz von Freiberuflern b) Keine Anwendung von § 40a UrhG auf angestellte Entwickler, § 69a Abs. 5 UrhG 2. Keine Anwendbarkeit von §§ 32, 32a UrhG auf Software-Entwickler nach der DSM-Richtlinie (2019)

VII. Fazit zur weiteren Beteiligung von Softwareentwicklern VIII. Zusammenfassung

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I. Problemaufriss Deutsche Unternehmen, die Verträge mit ausländischen Anbietern über die Entwicklung von Software abschließen, können einem Steuerabzug nach §  50a EStG unterliegen. Nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG ist die Einkommensteuer von beschränkt Steuerpflichtigen (hier dem ausländischen Softwareentwickler bzw. dem ihn anstellenden Unternehmen) durch Steuerabzug zu erheben, u. a. wenn es sich um Einkünfte handelt, die aus der Überlassung des Rechts auf Nutzung von Rechten, insb. von Urheberrechten und gewerblichen Schutzrechten erzielt werden. Wird vertraglich die Entwicklung von Software vereinbart, könnte dementsprechend das deutsche Unternehmen gemäß § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG verpflichtet sein, einen Steuerabzug vorzunehmen: Die Vergütung des ausländischen Unternehmens, welches mit der Entwicklung von Software betraut wurde, könnte also zu kürzen sein, damit die Steuerpflicht des nicht in Deutschland ansässigen Auftragnehmers erfüllt werden kann. Zweifel bei der steuerlichen Bewertung des Sachverhalts können durch die Beantragung eines Freistellungsbescheids oder im Veranlagungsverfahren geklärt werden. Problematisch ist, wenn die Verträge bereits in der Vergangenheit durchgeführt wurden und keine entsprechenden Beträge einbehalten wurden. Ein fälschlicherweise nicht vorgenommener Quellensteuerabzug kann steuerstrafrechtlich und mit Bußgeld (§ 380 AO) geahndet werden. Wirtschaftlich kommt erschwerend hinzu, dass nach sog. Tax-Gross-up-Klauseln Quellensteuern vereinbarungsgemäß vom Vergütungsschuldner (und damit vom deutschen Unternehmen) zu tragen sein können.1 Inwieweit ein Quellensteuerabzug für die Beauftragung von Softwareentwicklung im Ausland vorzunehmen ist, ist nicht eindeutig geklärt. Eine umfassende Rechteeinräumung bildet nach Auffassung des BMF die Basis einer wirtschaftlichen Weiterverwertung. Liegt eine wirtschaftliche Weiterverwertung der Rechte vor, werden bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen inländische Einkünfte nach §  49 Abs.  1 Nr.  2 Buchst. f und Nr. 6 EStG erzielt, für die Quellensteuer gemäß § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG abzuführen ist. Das BMF bezweifelt, dass es eine dauerhafte Rechteüberlassung (Rechtekauf) im Urheberrecht geben könne, sodass im Regelfall eine zeitlich begrenzte Nutzungsüberlassung vorläge. Im Folgenden wird insb. herausgearbeitet werden, dass bei der Bewertung, ob eine umfassende Rechteeinräumung durch das ausländische Unternehmen erfolgt ist, die Einräumung eines Bearbeitungsrechts (also die Befugnis zur Veränderung am Quellcode) von großer Bedeutung sein dürfte. Mit in den Blick zu nehmen sind die bisherigen Verwaltungsanweisungen, insb. ein BMF-Schreiben vom 27. Oktober 2017 sowie die – ein Jahr später ergangene – Rechtsprechung des BFH vom 24. Oktober 2018 zum „Total Buy-Out“. Der vorliegende Beitrag wird die vornehmlich steuerrechtlich geführte Diskussion um die urheber* Dr. Verena Roder-Hießerich ist Rechtsanwältin am Standort in Bonn. Sie berät im Gesellschaftsrecht (insb. M&A) sowie im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht. Die Autorin dankt ihrem wissenschaftlichen Mitarbeiter, Herrn Dennis Barzantny, für die Unterstützung bei der Recherche zu diesem Beitrag. 1 Schnitger/Oskamp, IStR 2017, 616 (617, Fn. 10).

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Quellensteuerabzug nach § 50a EStG für Software-Entwicklung im Ausland

rechtliche Perspektive ergänzen, da insb. nicht nur die BMF-Schreiben, sondern auch die Urteile des BFH urheberrechtliche Aspekte zur Grundlage ihrer Entscheidungen machen.

II. Hintergründe der Diskussion um einen Quellensteuerabzug bei der Beauftragung von Softwareentwicklung im Ausland 1. Urheberrechtliche Einordnung der bisherigen Verwaltungsanweisungen Die Steuerverwaltung, konkret das Bundesministerium für Finanzen („BMF“), hat seine Verwaltungsauffassung in zwei Schreiben kundgetan. 2. BMF-Schreiben von 20102 (Steuerabzug gemäß § 50a EStG bei Einkünften aus künstlerischen, sportlichen, artistischen, unterhaltenden oder ähnlichen Darbietungen) Ein BMF Schreiben aus dem Jahr 2010 betreffend den Steuerabzug gemäß § 50a EStG bei Einkünften beschränkt Steuerpflichtiger aus künstlerischen, sportlichen, artistischen, unterhaltenden oder ähnlichen Darbietungen setzt sich damit auseinander, was unter Einkünften aus der Überlassung von Rechten nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG zu verstehen ist. Dabei erfolgt insb. eine Abgrenzung zu einer endgültigen Übertragung von Rechten. a) Zeitlich begrenzte Rechteübertragung oder dauerhafter Rechtekauf Das BMF unterscheidet für den Steuerabzug nach § 50a EStG insb. zwischen einer zeitweisen Nutzungsüberlassung und einem dauerhaften Rechtekauf.3 Nach dem BMF-­Schreiben 2010 kommt eine zeitlich begrenzte Überlassung von Rechten in Betracht, wenn das Nutzungsrecht nicht endgültig bei dem aus einem Vertrag Berechtigten verbleibt, sein Rückfall nicht ausgeschlossen ist oder eine vollständige Übertragung nicht zulässig ist.4 b) Zeitlich befristete Nutzungsüberlassung bei der Überlassung von Persönlichkeitsrechten Da Persönlichkeitsrechte beim Betroffenen fortbestehen, soll die Überlassung solcher Rechte (Recht am eigenen Namen, Wort, Bild etc.) – bspw. eines Sportlers – immer nur auf Zeit möglich sein und daher keine endgültige Rechteüberlassung darstellen können. Eine Veräußerung sei aus diesem Grund nicht möglich, so das BMF.5 2 BMF, Schr. v. 25.11.2010 – IV C 3 – S 2303/09/10002 – DOK 2010/0861549, BStBl. I 2010, 1350 (im Folgenden „BMF-Schreiben 2010“ genannt). 3 BMF, Schr. v. 25.11.2010 (Fn. 2), Rz. 22 ff. 4 BMF, Schr. v. 25.11.2010 (Fn. 2), Rz. 23. 5 BMF, Schr. v. 25.11.2010 (Fn. 2), Rz. 25.

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c) Verbrauchende Rechteüberlassung durch einmalige Veranstaltungen (Rechtekauf) Kein Steuerabzug nach §  50a EStG ist nach Auffassung des BMF nötig, wenn ein Rechtekauf vorliegt:6 Ein solcher liege insb. vor, wenn das wirtschaftliche Eigentum mit der Nutzungsüberlassung übergehe. Das BMF verweist als Beispiele auf Bandenwerbung7 oder das Exklusivrecht zur Uraufführung eines Theaterstücks. In diesem Fall verbrauche sich das Recht vollständig während der eingeräumten Nutzung. Daher liege ein (endgültiger) Rechtekauf vor.8 d) Nach BMF kein Rechtekauf bei Urheberrechten Das BMF konstatiert, dass eine dauerhafte Übertragung bei „urheberrechtlich geschützten Rechten“ nach § 29 UrhG nicht zulässig sei.9 Damit liege nie ein Rechtekauf vor, sondern es wäre nur eine zeitlich begrenzte Überlassung möglich. Das BMF geht davon aus, dass der „Verbrauch“ eines Rechts in bestimmten Fällen schon der Sache nach ausgeschlossen sei. Es folgt als Beispiel das „Verbreitungsrecht“ am Werk eines Dichters oder Komponisten.10 Zutreffend ist, dass sich das Verbreitungsrecht (Verwertungsrecht) am Werk nicht verbraucht. Das Verbreitungsrecht am Werkexemplar erlischt nach § 17 Abs. 2 UrhG und kann damit sehr wohl „verbraucht“ werden. Ein Beispiel hierfür wäre ein gerahmter Druck eines Gedichts, welchen der Dichter veräußert. Der Käufer kann den Druck weiterveräußern, ohne das Verbreitungsrecht des Urhebers zu verletzen. Es muss also jeweils zwischen dem urheberrechtlich geschützten Werk als Ganzem und dem einzelnen Werkexemplar, dem sog. Vervielfältigungsstück, differenziert werden. 3. BMF-Schreiben von 201711 (grenzüberschreitende Überlassung von Software und Datenbanken) Im Jahr 2017 hat das BMF dann konkret zur grenzüberschreitenden Überlassung von Software und Datenbanken Stellung genommen.

6 BMF, Schr. v. 25.11.2010 (Fn. 2), Rz. 24. 7 Die Rechtsfigur der „verbrauchenden Rechteüberlassung wurde vom BFH anlässlich eines Falls von Bandenwerbung entwickelt: BFH v. 16.5.2001 – I R 64/99, BStBl. II 2003, 641, FR 2002, 102. 8 BMF, Schr. v. 25.11.2010 (Fn. 2), Rz. 24. 9 BMF, Schr. v. 25.11.2010 (Fn. 2), Rz. 23. 10 BMF, Schr. v. 25.11.2010 (Fn. 2), Rz. 24. 11 BMF, Schr. v. 27.10.2017 – IV C 5 – S 2300/12/10003 :004, DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 (im Folgenden „BMF-Schreiben 2017“ genannt).

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a) Erneut: Abgrenzung Rechtekauf und zeitlich begrenzte Rechteeinräumung Das BMF verweist im BMF-Schreiben 2017 auf das BMF-Schreiben 201012 und wiederholt die Aussage, dass eine Rechteüberlassung bei urheberrechtlich geschützten Werken, hier Software, grundsätzlich eine zeitlich begrenzte Überlassung darstelle, weil eine vollständige Übertragung urheberrechtlich geschützter Rechte ausgeschlossen sei.13 Es macht nach Auffassung des BMF keinen Unterschied, ob Standardsoftware oder Individualsoftware betroffen ist. Dies ist zu begrüßen, da somit auch für Individualsoftware die Möglichkeit bestünde, auf einen Steuerabzug zu verzichten.14 In der ­Literatur wird sogar vertreten, dass bei Individualsoftware die Rechteüberlassung hinter die Dienstleistung der Konzeptions- und Programmierarbeiten in den Hintergrund tritt.15 Nach der BMF-Auffassung ließe sich der Quellensteuerabzug nicht vermeiden, indem ein (dauerhafter) Rechtekauf in Bezug auf Urheberrechte vereinbart wird. b) Quellensteuerabzug bei (zeitlich begrenzter) Rechteüberlassung zur wirtschaftlichen Weiterverwertung Um Einkünfte aus der Überlassung von Rechten im Sinne von §  49 Abs.  1 Nr.  2 Buchst. f Doppelbuchst. aa und Nr. 6 EStG handelt es sich nach dem BMF-Schreiben 2017 in Fällen der grenzüberschreitenden Softwareüberlassung jedoch nur, wenn dem Nutzer umfassende Nutzungsrechte an der Software zur wirtschaftlichen Weiterverwertung eingeräumt werden. Im BMF-Schreiben 2017 legt das BMF dabei einen ganz eigenen Ansatz zur Abgrenzung, wann eine umfassende Rechteeinräumung vorliegt oder nicht, dar. Das BMF stellt für die Frage, ob ein Quellensteuerabzug zu erfolgen hat, darauf ab, ob eine umfassende Nutzungsrechteeinräumung zur wirtschaftlichen Weiterverwertung erfolgt.16 aa) Eigener wirtschaftlicher Nutzen (Relevanz des Vertragszwecks) Es scheint sich bei der Prüfung des BMF, ob eine umfassende Nutzungsrechteeinräumung zur wirtschaftlichen Weiterverwertung vorliegt, nicht um die Prüfung klassischer, abgrenzbarer Tatbestandsmerkmale zu handeln. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt zu klassifizieren, ob die Nutzungsrechte eingeräumt werden, um eine wirtschaftliche Weiterverwertung durch den Lizenznehmer zu ermöglichen. Der Ver-

12 BMF, Schr. v. 25.11.2010 (Fn. 2), Rz. 23. 13 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 11. 14 So auch Backu/Bayer, DStR 2017, 2368 (2370). 15 Petersen, IStR 2016, 975 (978); für den Fall der „unechten Auftragsentwicklung: Pinkernell/ Schlotter, FR 2020, 681 (687); Schlotter in Rödder/Hüttemann, StbJb 17/18, 667 (701). 16 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 3 ff.

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tragszweck hat damit Auswirkung auf die Bewertung der Frage, ob die Nutzungsrechte umfassend eingeräumt wurden.17 Mit Verwertung meint das BMF ein zielgerichtetes Tätigwerden, um selbst einen wirtschaftlichen Nutzen aus den überlassenen Rechten zu ziehen (Weiterverwertung).18 Die Weiterverwertung liegt in den Beispielen des BMF insb. dann vor, wenn die Software zuvor bearbeitet wurde und die bearbeitete Software weiter vertrieben wird.19 Keine Weiterverwertung der überlassenen Rechte soll nach den Beispielen des BMF vorliegen, wenn lediglich die Arbeitsergebnisse genutzt werden, also bspw. Vortragsfolien oder Kalender, die mit Hilfe von Software erzeugt wurden.20 bb) Eingriff in urheberrechtliche Verwertungsrechte Das BMF hat zwar einen eigenen Begriff der Verwertung definiert. Jedoch kann in diesem Zusammenhang der urheberrechtlich geprägte Begriff der „Verwertung“ im Bereich der Urheberrechte zur Auslegung herangezogen werden: Eine Weiterverwertung i.S.e. zielgerichteten Tätigwerdens, um selbst einen wirtschaftlichen Nutzen aus den überlassenen (urheberrechtlichen Nutzungs-)Rechten zu ziehen, dürfte daher insb. vorliegen, wenn urheberrechtlich relevante Verwertungshandlungen vorgenommen werden, die der Zustimmung des Urhebers bedürfen.21 Bei der Verwendung der unter Zuhilfenahme von urheberrechtlich geschützter Software erzeugten Arbeitsergebnissen (bspw. Vortragsfolien oder Kalender22) wird nicht in das Vervielfältigungs-, das Verbreitungs- oder das Bearbeitungsrecht des Software-Urhebers eingegriffen. Insoweit deckt sich der Ansatz des BMF mit der urheberrechtlichen Bewertung. c) Betroffene Nutzungsrechte (Verwertungsrechte) Nach dem BMF können umfassende Nutzungsrechte insb. Vervielfältigungs-, Bearbeitungs-, Verbreitungs- oder Veröffentlichungsrechte sein.23 Im Kern wird also an Verwertungsrechte angeknüpft. Der Begriff „Veröffentlichungsrecht“ bedeutet im Urheberrecht das Recht zu bestimmen, ob und wie das Werk veröffentlicht wird (§ 12 UrhG). Gemeint sein dürfte wohl die öffentliche Wiedergabe. Das Recht der öffentlichen Wiedergabe ist das Recht, das Werk in unkörperlicher Form öffentlich wiederzugeben, § 15 Abs. 2 Satz 1 UrhG. Offen ist, inwieweit das Recht der öffentlichen Wiedergabe i.w.S. in der konkreten Situ17 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 4 ff. 18 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 6. 19 Dazu unten unter II.3.g)bb). 20 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn.  11), Rz.  8; bisherige Auslegung auch von Pinkernell, Ubg 2012, 332 (333 f.). 21 So auch zutreffend Thiele, DStR 2018, 274 (278 f.). 22 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 8. 23 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 3.

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Quellensteuerabzug nach § 50a EStG für Software-Entwicklung im Ausland

ation von Software betroffen sein kann. Verwertungsrechte, bei denen ein Publikum unmittelbar anwesend ist (§  18 UrhG und §  19  UrhG), dürften bei Software wohl kaum einen Anwendungsbereich finden. In Betracht kommt hingegen auf jeden Fall die öffentliche Zugänglichmachung eines Computerprogramms im Internet nach § 19a UrhG. Es hätte sich angeboten, sich der Terminologie des UrhG zu bedienen und entsprechend §§ 69c Nr. 4, 15 Abs. 2 Satz 1 UrhG von „öffentlicher Wiedergabe“ zu sprechen. d) Vervielfältigungsrecht Das Recht zur Vervielfältigung nach § 69c Nr. 1 UrhG ist für den Urheber von Software grundsätzlich von Bedeutung, da durch illegale Vervielfältigungen, die nicht vergütet worden sind, seine Erwerbschancen gemindert werden. aa) BMF zum bloßen Werkgenuss durch bestimmungsgemäße Nutzung eines Computerprogramms Die Überlassung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch stellt nach zustimmungswürdiger Auffassung des BMF keine umfassende Rechteüberlassung dar, da die Funktionalität der Software im Vordergrund des Vertrags stehen soll.24 Das BMF bekräftigt auch noch einmal, dass keine umfassende Rechteeinräumung vorliegt, wenn die Zustimmung zur Nutzung nicht erforderlich ist.25 Dies ist konsequent, da § 69d UrhG notwendige Handlungen wie das Laden in den Arbeitsspeicher durch eine gesetzliche Lizenz legitimiert.26 Wie das Lesen eines Buches soll die Nutzung der Funktionalität eines Computerprogramms zustimmungsfrei möglich sein. Eine standardisierte Textverarbeitungssoftware als Betriebslizenz zur Nutzung von 5.000 Kopien stellt demnach keine umfassende Rechteeinräumung dar, da die Nutzung bereits über § 69d UrhG legitimiert wäre. Gleiches gilt, wenn der Lizenznehmer berechtigt ist, die Software an interne Betriebsabläufe anzupassen.27 Eine wirtschaftliche Weiterverwertung liegt nach dem BMF allerdings vor, wenn die Software nicht nur bestimmungsgemäß genutzt, sondern fortentwickelt und in dieser bearbeiteten Form weiterverbreitet werden darf.28

24 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 4. 25 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 5. 26 So auch zutreffend Hruschka in Rödder/Hüttemann, StbJb 17/18, 667 (693); abweichend Thiele, DStR 2018, 274 (280), der den Programmlauf – m.E. unzutreffend – nicht als Eingriff in das Vervielfältigungsrecht erachtet. 27 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 15. 28 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 19.

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bb) Individualsoftware Die Bewertung, dass bei Einräumung der Rechte, die dem bestimmungsgemäßen Gebrauch dienen, keine umfassende Rechteeinräumung vorliegt, sei – so das BMF – unabhängig davon, ob Standardsoftware oder Individualsoftware betroffen ist.29 Damit ist einer pauschalen Argumentation, dass bei Erwerb von Standardsoftware immer ein Rechtekauf vorliege und mithin kein Steuerabzug vorzunehmen sei und umgekehrt bei Individualsoftware immer umfassende Rechte eingeräumt würden, die zu einer Steuerabzugspflicht führen,30 der Boden entzogen. Trotzdem ist nicht zu verkennen, dass die beiden Kategorien ggf. eine erste indizielle Wirkung haben. Dabei darf es allerdings nicht bleiben, sondern es ist der jeweilige Vertrag im Einzelfall zu prüfen und zu würdigen. Es mag daher auch Fälle geben, in denen sich Entwickler zur Programmierung individuell auf den Kunden zugeschnittener Software verpflichten. Sofern diese beim Kunden jedoch lediglich bestimmungsgemäß intern verwendet wird, ist eine umfassende Rechteeinräumung zur wirtschaftlichen Weiterverwertung – die Ausführungen des BMF zu Ende gedacht – nicht nötig. Eine steuerliche Abzugspflicht sollte daher meiner Auffassung nach nicht bestehen. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass das Finanzamt dies anders bewertet. Die Zukunftsfähigkeit der entwickelten Software kann durch Wartungsverträge oder die Hinterlegung des Quellcodes bei einem Treuhänder gesichert werden (sog. „Software Escrow“). cc) Einzelplatz- und Mehrfachlizenzen Bei der vertraglichen Rechteeinräumung wird zwischen den Parteien vereinbart, wie viele (dauerhafte) Vervielfältigungen einer Programmkopie zulässig sind (Einzelplatzlizenz, Mehrfachlizenz etc.). Auch hierbei dürfte es sich daher zumindest im Grundsatz nicht um eine umfassende Rechteeinräumung handeln, wie die Beispiele im BMF-Schreiben 2017 zeigen. Eine Veränderung des Quellcodes findet bei der Vervielfältigung auch gerade nicht statt. dd) Ephemere Vervielfältigungen Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass vorübergehende Vervielfältigungen (ephemere Vervielfältigungen), wie sie bei „Software as a Service“ (SaaS) entstehen, über § 69d Abs. 1 UrhG bereits gedeckt sein dürften. Das BMF geht in einem Beispiel von einer Dienstleistung durch den Anbieter aus.31 Es muss also in jedem Einzelfall 29 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 12 ff.; Schnitger/Oskamp, IStR 2017, 616 (619) sind der Auffassung, dass bei Individualsoftware häufiger umfassendere Nutzungsrechte eingeräumt würden. Dies ist jedoch im jeweiligen Einzelfall konkret zu prüfen und kann nicht pauschal beantwortet werden. 30 Dazu Schewe, IWB 2018, 98 (101). Grundlage dieser Annahme war die Verfügung betr. Steuerabzug nach § 50 a Abs. 4 Nr. 3 EStG für Vergütungen aus dem Vertrieb von StandardSoftware im Inland v. 28.5.1998, OFD München v. 28.5.1998 – S 2303 – 34/11 St 41/42, FR 1998, 755; dafür: Lüdemann, FR 2000, 83 (85); Maßbaum/Müller, BB 2015, 3031 (3032 f.). 31 Beispiel 11, BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 32.

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geprüft werden, wie die technische Nutzung der Software ausgestaltet ist, um zu bewerten, ob durch die Nutzung grundsätzlich ein ggf. nicht gerechtfertigter Eingriff in das Vervielfältigungsrecht vorliegt oder nicht. e) Verbreitungsrecht und öffentliche Zugänglichmachung aa) BMF zum Vertrieb von Programmkopien Erwähnt wird vom BMF auch ein Recht zum Vertrieb von Programmkopien.32 Angesprochen ist damit urheberrechtlich das grundsätzlich dem Urheber bzw. dem Arbeitgeber-Unternehmen zustehende Verbreitungsrecht an Software, § 69c Nr. 3 UrhG. Dieses scheint aus Sicht des BMF am unteren Ende der Skala zu stehen, da eine umfassende Rechteeinräumung für den Vertrieb von Software nicht erforderlich ist. Denn der Vertrieb von Programmkopien ist nach erstmaligem Inverkehrbringen nicht mehr beschränkbar, da das Verbreitungsrecht an der jeweiligen Programmkopie erloschen ist. Es ist zu begrüßen, dass das BMF zwischen der Software als urheberrechtsschutzfähigem Werk und den darauf basierenden Werkstücken, hier den Programmkopien, unterscheidet. Es ist also zutreffend, dass die Verbreitung von Programmkopien keine umfassende Rechteeinräumung darstellt, da das Verbreitungsrecht an diesen mit Inverkehrbringen innerhalb der EU erloschen ist und andere Verwertungshandlungen bezüglich der Software beim Vertrieb der bereits bestehenden Programmkopien nicht betroffen sind: Die Nutzung durch den Anwender wird als bestimmungsgemäße Nutzung von § 69d UrhG abgedeckt. Die öffentliche Zugänglichmachung i.S.v. § 69c Nr. 4 UrhG dürfte damit zusammenhängen, da das Angebot von Software zum Download im Internet bloß eine andere Vertriebsart darstellt.33 Auch hier kann es zur Erschöpfung an der Programmkopie kommen, wie durch die Rechtsprechung herausgearbeitet wurde.34 Entsprechendes dürfte bei gedanklicher Fortschreibung der Beispiele des BMF gelten, wenn das Unternehmen ermächtigt wird, 1.000 Programmkopien35 der Software herzustellen und diese zu vertreiben. Allerdings ist in diesem Fall nicht das Verbreitungsrecht an der Software an sich erschöpft.36 Eine Erschöpfung kommt lediglich für Werkexemplare der Software in Betracht, die tatsächlich in Verkehr gebracht werden können. Vertraglich legitimiert wird der Eingriff in das Vervielfältigungsrecht des Urhebers. Aus Wertungsgründen dürfte dies noch keine Rechteüberlassung zur wirtschaftlichen Weiterverwertung sein: Das Unternehmen, welches die Programmkopien herstellt, benötigt zwar den Quellcode. Dieser wird jedoch nicht bearbeitet. 32 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 3, 20 ff. 33 Vgl. auch Pinkernell, Ubg 2017, 497 (506) mit Hinweisen auf Abgrenzungsschwierigkeiten in der Praxis. 34 EuGH v. 3.7.2012 – C-128/11 – ECLI:EU:C:2012:407 – UsedSoft, ZIP 2012, 1610 Rz. 35 ff. 35 Vgl. so auch Schnitger/Oskamp, IStR 2017, 616 (620); Thiele, DStR 2018, 274 (281). 36 So aber Thiele, DStR 2018, 274 (281).

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Die wirtschaftliche Verwertung geht nicht über einen Verkauf von Programmkopien hinaus. bb) BMF zur Konzernlizenz: Nutzung von Programmkopien innerhalb eines Konzerns Der BFH hatte 2005 entschieden, dass der Weitervertrieb von Software an Konzernunternehmen eine Verbreitung i.S.v. § 69c Nr. 3 UrhG sein kann.37 Dies entspricht der urheberrechtlichen Wertung, dass ein Angebot im Konzern bereits eine Ver­ breitung an die Öffentlichkeit sein kann.38 Im BMF-Schreiben 2017 wird allerdings klargestellt, dass auch eine Konzernlizenz, also die Möglichkeit der Lizenzübertragung an Konzerngesellschaften, keine umfassende Rechteeinräumung darstellt, also nicht der Abzugspflicht unterliegt.39 f) Öffentliche Wiedergabe? Zu beobachten bleibt, ob in der Praxis Fälle auftauchen, bei denen eine Software oder eine Benutzeroberfläche nach § 15 Abs. 2 UrhG im weiteren Sinne öffentlich wiedergegeben wird. Dies mag bei der Bildschirmanzeige eines Programms einschlägig sein. Sofern es allerdings für eine wirtschaftliche Weiterverwertung tatsächlich auf eine Veränderung am Quellcode ankommen sollte, wäre auch die Einräumung des Rechts der öffentlichen Wiedergabe keine umfassende Rechteeinräumung. Der Vertrag unterläge damit womöglich nicht der Steuerabzugspflicht. Dies bleibt abzuwarten. g) Bearbeitungsrecht i. S. v. § 69c Nr. 2 i.V.m. § 23 UrhG aa) Bestandteile des urheberrechtlichen Bearbeitungsrechts Zum Bearbeitungsrecht nach § 23 UrhG gehören sämtliche Umarbeitungen wie u. a. Übersetzungen oder das Arrangement.40 Eine Übersetzung von Software erfolgt bspw. auch durch kompilieren und dekompilieren.41 Gemeinsam ist allen Umarbeitungen der Eingriff in die Programmsubstanz.42 Beispiele für eine Bearbeitung sind: Fehlerbeseitigungen, Programmverbesserungen, Erweitern des Funktionsumfangs, Umwandlung des Quellprogramms in das Objektprogramm sowie die Anpassung an eine neue Benutzeroberfläche usw.43

37 BFH v. 25.11.2004 – V R 25/04, V R 26/04, MMR 2005, 529 (530 f.). 38 Spindler in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 6. Aufl. 2020, § 69c Rz. 24. 39 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 17. 40 Anders wohl Maßbaum/Imhof, FR 2018, 6 (7). 41 Spindler in Schricker/Loewenheim (Fn. 38), § 69c Rz. 13. 42 Spindler in Schricker/Loewenheim (Fn. 38), § 69c Rz. 14 m.w.N. 43 Spindler in Schricker/Loewenheim (Fn. 38), § 69c Rz. 14.

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Das im Programm vorgesehene Customizing,44 also die Anpassung an das jeweilige Unternehmen, selbst wenn es durch den Vergütungsschuldner selbst vorgenommen wird und werden darf, soll nach dem BMF keine umfassende Rechteeinräumung darstellen.45 Dies ist konsequent, da definitionsgemäß beim Customizing keine Veränderung des Quellcodes erfolgt. Änderungen zur Anpassung an individuelle Benutzerwünsche, die eine Bearbeitung darstellen sollen,46 müssen also darüber hinausgehen und auf Ebene des Quellcodes erfolgen. bb) Auswertung der Beispiele im BMF-Schreiben 2017 Zu den Nutzungsrechten, die eine umfassende Rechteeinräumung darstellen, dürfte recht eindeutig das Bearbeitungsrecht gehören, welches es dem Vergütungsschuldner ermöglicht, Veränderungen am Quellcode vorzunehmen. Dies zeigen die nachfolgend aufgeführten Beispiele im BMF-Schreiben 2017:47 – Beispiel 1: Eine Gesellschaft lässt sich u. a. ein Bearbeitungsrecht für die Übersetzung der Foto-Software sowie zum Vertrieb in einem Software-Paket einräumen.48 – Beispiel 5: Ein Unternehmen lässt sich ein Bearbeitungsrecht einräumen, um die Software fortzuentwickeln und anschließend das bearbeitete Programm weiter zu verbreiten.49 – Beispiel 7: Recht zur Fortentwicklung einer Archivierungs-Software und Vertrieb des bearbeiteten Programms in einem virtuellen Speicherort im Rahmen eines gemischten Vertrags.50 – Beispiel 9: Ein Computerprogramm, welches nicht zum Download bereitgehalten wird, wird durch den Vergütungsschuldner seinen Endkunden in Deutschland zur Verfügung gestellt, wobei der Vergütungsschuldner gegenüber dem Inhaber der Urheberrechte u. a. die Verpflichtung zur Programmpflege und Updates51 vertraglich übernommen hat.52 Durch die genannten Verpflichtungen dürfte es zu Veränderungen am Quellcode kommen.

44 „Anpassen von Systemkomponenten an die Anforderungen des Auftraggebers zur Erstellung des Gesamtsystems und zur Herbeiführung der Betriebsbereitschaft, die nicht auf Quellcodeebene erfolgen“, Definition von Müglich in Kilian/Heussen, ComputerrechtsHandbuch, 34. EL Mai 2018, Teil 19 Rz. 71. 45 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 15; keine Bearbeitung nach Spindler in Schricker/ Loewenheim (Fn. 38), § 69c Rz. 18 m.w.N. 46 Spindler in Schricker/Loewenheim (Fn. 38), § 69c Rz. 14. 47 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 7 ff. 48 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 7. 49 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn.  11), Rz.  19; vgl. auch Beispiel 6, BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 22: Fortentwicklung für Zwecke des Vertriebs. 50 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 25. 51 Abgedeckt als Programmverbesserungen; siehe auch oben unter aa). Dazu sogleich. 52 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 29.

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– Beispiel 10: Einräumung u. a. eines Bearbeitungsrechts bei cloudbasierten Geschäftsanwendungen.53 Insb. die Einräumung eines Bearbeitungsrechts nach § 69c Nr. 2 UrhG dürfte damit eine umfassende Rechteeinräumung darstellen. Dies sollte zumindest dann gelten, wenn die Bearbeitung nicht über § 69d Abs. 1 UrhG im Rahmen einer bestimmungsgemäßen Nutzung legitimiert ist.54 cc) These: Relevanz des Bearbeitungsrechts für die Einordnung als wirtschaftliche Weiterverwertung An dieser Stelle wird die These aufgestellt, dass insb. die Einräumung eines Bearbeitungsrechts nach § 69c Nr. 2 UrhG eine umfassende Rechteeinräumung darstellt. Das Bearbeiten von Software setzt eine Veränderung des Quellcodes voraus. Soweit lediglich Programmanpassungen der Software an den Kunden (Customizing) erfolgen, hat dies keine urheberrechtlich relevante Quellcodeveränderung zur Folge. Sofern allerdings das Bearbeitungsrecht nach § 69c Nr. 2 i.V.m. § 23 UrhG eingeräumt wird, liegt eine umfassende Rechteeinräumung zur wirtschaftlichen Weiterverwertung nahe. Eingeschränkt werden sollte dies für den Fall, dass das Bearbeitungsrecht nur vorsorglich eingeräumt wird und zur Erfüllung des Vertragszwecks nicht notwendig ist.55 Dies gebietet auch die Zweckübertragungslehre (§  31 Abs.  5 UrhG). Eine Berücksichtigung dessen ermöglicht auch das BMF-Schreiben 2017, welches den Vertragszweck im Rahmen des wirtschaftlichen Nutzens anspricht. h) Spannungsverhältnis bei überschießender Nutzungsrechteeinräumung Problematisch ist die Einräumung überschießender Nutzungsrechte, also solcher, die der Anwender eigentlich nicht benötigt. Durch sie wird die Gefahr begründet, dass steuerabzugspflichtige Einkünfte erzeugt werden.56 Hier besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der aus vertragsrechtlicher Sicht grundsätzlich zu empfehlenden breit angelegten und umfassenden Rechteeinräumung und der steuerlich zu empfehlenden Beschränkung auf die notwendigsten Rechte, die im besten Fall allein zum bestimmungsgemäßen Gebrauch der Software dienen. Jedenfalls in einfach gelagerten Fällen sollte daher der Vertrag über die Einräumung der Nutzungsrechte lediglich die Rechte zur bestimmungsgemäßen Nutzung vorsehen, um das steuerliche Risiko zu mindern. Sofern sich die These zukünftig als zutreffend erweist, dass insb. das Bearbeitungsrecht nach § 69c Nr. 2 UrhG wegen einer Änderung des Quellcodes zu einer beschränkten Abzugspflicht führen kann, ist da­ rauf zu achten, dass ein solches vom Lizenzgeber nur verlangt wird, wenn es auch tatsächlich erforderlich ist. Notfalls – nach einer entsprechenden Risikoabwägung – 53 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 31. 54 So Schlotter in Rödder/Hüttemann, StbJb 17/18, 667 (699), mit Zustimmung Hruschka. 55 Dazu sogleich unter II.3.h). 56 Schnitger/Oskamp, IStR 2017, 616 (621).

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könnte bis dahin vereinbart werden, dass sich die Vertragsparteien einvernehmlich auf eine (weitere) Rechteeinräumung in Form eines Bearbeitungsrechts verständigen, falls dies erforderlich wird. Ob dieses (umsichtige) Vorgehen bei Software-Entwicklungsverträgen tatsächlich möglich ist, ist allerdings fraglich, da Lizenznehmer in diesem Fall geneigt sein werden, vorsorglich auch ein Bearbeitungsrecht mit zu lizensieren, um auch künftig mit der entwickelten Software  – ggf. unter Hinzuziehung neuer, anderer Entwickler  – weiterarbeiten zu können. In der Praxis bietet es sich an, Treuhänder einzuschalten („Software-Escrow“). Der Quellcode einer Software wird bei einem Treuhänder hinterlegt und in einer Treuhandvereinbarung wird geregelt, dass nur bei Eintritt bestimmter Voraussetzungen, wie der Insolvenz des entwickelnden Unternehmens, der Quellcode durch den Treuhänder zur Verfügung gestellt und dem Auftraggeber in diesem Fall (und zwar nur in diesem) ein entsprechendes Bearbeitungsrecht zusteht. Darüber hinaus ist zu befürworten, dass bei der Bewertung, ob ein Quellensteuerabzug zu erfolgen hat, lediglich für den Vertragszweck zwingend erforderliche Rechte berücksichtigt werden. Eine überschießende Rechteeinräumung sollte insoweit bei der steuerrechtlichen Beurteilung nach hier vertretener Auffassung dem Zweckübertragungsgrundsatz gem. § 31 Abs. 5 UrhG entsprechend unbeachtlich sein. 4. Zusammenfassung der Verwaltungsauffassung zur grenzüberschreitenden Softwareüberlassung Das BMF geht davon aus, dass Urheberrechte nicht dauerhaft übertragen werden können. Dementsprechend kommt ein Rechtekauf nach der Verwaltungsauffassung nicht in Betracht, welcher dazu führen würde, dass kein Einbehalt für einen Steuerabzug erfolgen müsste. Dennoch ist ein Steuerabzug nicht zwingend, denn nach dem BMF kommt es darauf an, ob urheberrechtliche Nutzungsrechte zur wirtschaftlichen Weiterverwertung eingeräumt werden. Es konnte insoweit gezeigt werden, dass sich die Wertungen im BMF-Schreiben 2017 mit der urheberrechtlichen Rechtslage (Eingriffe in Verwertungsrechte des Urhebers) in Einklang bringen lassen. Das BMF erkennt an, dass der bloße Werkgenuss, also die bloße bestimmungsgemäße Nutzung, urheberrechtsfrei bleiben muss (§ 69d UrhG). Soweit das Verbreitungsrecht lediglich durch Verkauf von bereits existierenden Programmkopien betroffen ist, liegt auch keine wirtschaftliche Weiterverwertung vor. Es wurde herausgearbeitet, dass das urheberrechtliche Bearbeitungsrecht nach § 69c Nr. 2 i. V. m. § 23 UrhG und damit eine Veränderung des Quellcodes von Bedeutung dafür sein dürfte, wann nach Auffassung des BMF eine Rechteeinräumung zur wirtschaftlichen Weiterverwertung erfolgt. Dabei wird vorliegend die Auffassung vertreten, dass insoweit nur für den Vertragszweck zwingend erforderliche (Bearbeitungs-)Rechte berücksichtigt und eine überschießende Rechteeinräumung vernachlässigt werden sollte (§ 31 Abs. 5 UrhG).

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III. BFH-Urteile57 zum „Total Buy-Out“ Zur Erinnerung: Nach dem BMF-Schreiben 2010 liegt eine nur zeitlich begrenzte Überlassung von Rechten u. a. vor, wenn das Nutzungsrecht nicht endgültig beim Vertragspartner verbleibt oder sein Rückfall nicht kraft Gesetzes oder kraft Vertrags ausgeschlossen ist.58 1. Sachverhalte der Entscheidungen zum „Total Buy-Out“ a) Romanverfilmung (BFH v. 24. Oktober 2018 – I R 69/1659) Eine GmbH beabsichtigte, einen Roman für Kino und Fernsehen zu verfilmen. Dazu schloss diese zunächst mit einer Limited einen Autorenvertrag zur Überarbeitung eines von einem Dritten verfassten Drehbuchs. Später wurde ein Vertrag unter Beteiligung zweier Autoren zur Überarbeitung und Fortentwicklung des Drehbuchs abgeschlossen. Dabei wurden der GmbH umfassend alle Nutzungsrechte (inklusive dem Bearbeitungsrecht) unwiderruflich, ausschließlich und zeitlich wie räumlich unbeschränkt eingeräumt (sog. „Total Buy-Out“). Allerdings wurde vertraglich vereinbart, dass innerhalb von fünf Jahren mit der Verfilmung begonnen werden musste. Sollte dies nicht der Fall sein, sollten die Autoren den Rückfall der Rechte verlangen können. Auf die Rückfallrechte verzichteten sie entsprechend für fünf Jahre. b) Reportage (BFH v. 24. Oktober 2018 – I R 83/1660) Der zweiten Entscheidung lag ein Rahmenvertrag zwischen einer deutschen Produktionsgesellschaft sowie einem freien Produzenten mit Wohnsitz in Australien zugrunde. In diesem verpflichtete sich Letzterer, Produktionen, Reportschalten und Reporterleistungen für die Gesellschaft gegen Zahlung einer einmaligen pauschalen Vergütung zu erbringen. Wiederum wurde die zeitlich und örtlich uneingeschränkte und unwiderrufliche Übertragung sämtlicher urheberrechtlicher Nutzungs- und Leistungsschutz- sowie sonstiger Rechte an den Beiträgen, Bild- und Tonmaterialien ­sowie Recherche- und Reporterleistungen im Sinne eines „Total Buy-Out“ vereinbart. Der Gesellschaft kamen insb. Verfilmungs-, Sende-, Bearbeitungs- und Übertragungsrechte zu. 2. Argumentation des BFH Der BFH führt in den im Wesentlichen inhaltsgleichen Entscheidungen aus, dass keine zeitlich begrenzte Überlassung von Rechten vorliege, wenn das Nutzungsrecht dem Berechtigten mit Gewissheit endgültig verbleibe oder der Rückfall kraft Ver57 BFH v. 24.10.2018 – I R 69/16 – Total buy out, BStBl. II 2019, 401, DStR 2019, 916; BFH v. 24.10.2018 – I R 83/16, BFH/NV 2019, 522. 58 BMF, Schr. v. 25.11.2010 (Fn. 2), Rz. 23. 59 BFH v. 24.10.2018 – I R 69/16 – Total buy out, BStBl. II 2019, 401, DStR 2019, 916. 60 BFH v. 24.10.2018 – I R 83/16, BeckRS 2018, 41721, BFH/NV 2019, 522.

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trags nicht in Betracht komme.61 Die Frage, ob eine zeitlich begrenzte oder eine endgültige Überlassung vorliege, beurteile sich nach dem Vertrag. Der BFH bestätigt die Wertungen der Vorinstanzen,62 nämlich zum einen, dass nach der deutschen Rechtsordnung das Urheberrecht grundsätzlich unveräußerlich sei, §  29 UrhG, und zum anderen, dass durch die Einräumung eines Nutzungsrechts gemäß §  31 UrhG im Streitfall in wirtschaftlicher Hinsicht kein wirtschaftlicher Rechtekauf stattgefunden habe.63 Dies solle gelten, obwohl Nutzungsrechte steuerbilanziell aktiviert werden können.64 Der BFH stützt sich dabei auf das BMF-Schreiben 201065 und das BMF-Schreiben 201766 und entscheidet sich explizit gegen die Literaturmeinungen,67 welche einen Rechtekauf im Urheberrecht zulassen wollten. a) Betonung des BFH, dass beim „Total Buy-Out“ kein Rechteverkauf geschieht aa) Unveräußerlichkeit von Urheberrechten, § 29 UrhG (1) Trennung von Urheberrecht und Nutzungsrecht Aus urheberrechtlicher Sicht ist die Betonung der Unveräußerlichkeit des Urheberrechts durch den BFH bemerkenswert. Die Argumentation des BFH mit § 29 UrhG wird auch in der Literatur68 kritisch aufgegriffen. Man könnte meinen, sie decke sich mit dem urheberrechtlichen Verständnis des Urheberrechts in Deutschland nach der monistischen Theorie. Hintergrund der Unveräußerlichkeit nach §  29 UrhG ist, dass in Deutschland die monistische Theorie verfolgt wird, also das Urheberrecht nicht in Urheberpersönlichkeitsrechte einerseits und finanzielle Verwertungsrechte andererseits aufgeteilt wird.69 Die monistische Theorie existiert darüber hinaus in Österreich und Kroati61 BFH v. 24.10.2018 (Fn. 59), Rz. 17; BFH v. 24.10.2018 (Fn. 60), Rz. 17. 62 FG Köln v. 25.8.2016 – 13 K 2205/13, EFG 2017, 311; FG Köln v. 28.9.2016 − 3 K 2206/13, EFG 2017, 298. 63 BFH v. 24.10.2018 (Fn. 59), Rz. 18 f.; BFH v. 24.10.2018 (Fn. 60), Rz. 18 f. 64 BFH v. 24.10.2018 (Fn. 59), Rz. 23; BFH v. 24.10.2018 (Fn. 60), Rz. 23; kritisch hierzu bspw. Schlotter in Rödder/Hüttemann (Fn. 15), 667 (687); Schwetlik, GmbH-StB 2019, 185 (186). 65 BMF, Schr. v. 25.11.2010 (Fn. 2), Rz. 23. 66 BMF, Schr. v. 27.10.2017 (Fn. 11), Rz. 11. 67 Gosch in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 17. Aufl. 2018, § 50a Rz. 15; Hidien in Kirchhof/Mellinghoff/Söhn, Einkommensteuergesetz, 145. Lfg. August 2004, § 49 Rz. I 201 „Urheberrecht(e)“; Schlotter/Hruschka in Rödder/Hüttemann, StbJb 17/18, 667 (684 ff.); wohl ebenso Frase, KÖSDI 2017, 20341 (20342 f.); Loschelder in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 37.  Aufl. 2018, §  50a Rz.  13; a.A.: Boller/Gehrmann/Ebeling, IWB 2017, 273 (278); Cloer/Niemeyer, DStRK 2017, 177; Lüdicke/Warias, DB 2018, 1620 (1622 f.) zum Filmrecht; Wehmhörner, ISR 2018, 66 (68 f.). 68 Gosch in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 19. Aufl. 2020, § 50a Rz. 15; Pinkernell/Schlotter, FR 2020, 681 (684). 69 Ohly in Schricker/Loewenheim (Fn. 38), § 29 Rz. 1.

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en.70 Nicht vergessen werden sollte dabei, dass in der überwiegenden Zahl der europäischen Mitgliedstaaten wirtschaftliche Bestandteile des Urheberrechts frei ­ übertragen werden können (dualistische Theorie).71 Das europäische Recht lässt wiederum beide Konzeptionen zu.72 Die Auffassung des BMF hat also einen wahren Kern, übersieht aber die im europäischen Recht wurzelnde Heterogenität in dieser Rechtsfrage.73 Nach der monistischen Theorie ist das Urheberrecht mit einem Baum vergleichbar: der Baum wurzelt im Urheberrecht, die Verwertungsrechte stellen die Äste dar, wohingegen die Nutzungsrechte lediglich die Früchte des Baums bilden.74 Allerdings trennt man im Urheberrecht sehr klar zwischen dem beim Urheber verbleibenden Urheberrecht samt der ihm zustehenden Persönlichkeitsrechte und den Nutzungsrechten.75 Nutzungsrechte können vollständig übertragen werden und haben in der Form des ausschließlichen Nutzungsrechts dingliche Wirkung gegenüber jedermann, § 32 Abs. 3 Satz 1 UrhG. Bei der Einräumung eines ausschließlichen Nutzungsrechts verpflichtet sich der Urheber dazu, sein Werk nicht selbst neben dem Vertragspartner zu verwerten (wenn er sich nicht die Nutzung vorbehält), § 31 Abs. 3 Satz 2 UrhG. Ihm stünde also grundsätzlich weiterhin bspw. das Verwertungsrecht der Verbreitung zu, auch wenn das dazugehörige Nutzungsrecht einem Dritten übertragen worden ist und der Urheber sich verpflichtet hat, sein Werk selbst nicht mehr zu verbreiten. Jegliche Einschränkungen ergeben sich allein zum Schutz des Urhebers, insb., um ihm eine Beteiligung am Erfolg seines Werks zu sichern (wie der § 32a UrhG). Gedanklich anlehnen lässt sich das oben Gesagte an die vorzunehmende (wieder gedankliche) Trennung von schutzfähigem Werk und Werkexemplar. Der Dichter bleibt Urheber eines Gedichts und hält sämtliche ihm durch das UrhG zugewiesenen Verwertungsrechte (§ 15 UrhG). Entschließt er sich jedoch, die Niederschrift des Gedichts zu fotokopieren und zu verkaufen, erschöpft sich an diesen Werkexemplaren das Verbreitungsrecht (§ 17 Abs. 2 UrhG), es besteht insoweit nicht mehr. Das Erlöschen des Verbreitungsrechts für das jeweilige Werkexemplar bedeutet jedoch nicht, dass dem Urheber sein grundsätzliches Verbreitungsrecht nicht mehr zustünde. Er kann erneut Vervielfältigungen herstellen und diese vertreiben, da er weiterhin Inhaber des Verbreitungsrechts nach § 17 UrhG in Bezug auf sein Werk ist. Natürlich kommt auch ein Erlöschen des Verbreitungsrechts am Original in Betracht, bspw., wenn ein Bildhauer seine Skulptur (also hier das Original) veräußert. 70 Ohly in Schricker/Loewenheim (Fn. 38), § 29 Rz. 7, Fn. 15. 71 Ohly in Schricker/Loewenheim (Fn. 38), § 11 Rz. 3, § 29 Rz. 7. 72 Ohly in Schricker/Loewenheim (Fn. 38), § 11 Rz. 3, § 29 Rz. 7. 73 Vgl. auch Pohl, IStR 2019, 425 (428). 74 Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl. 1980, Rz. 116; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 9. Aufl. 2019, § 11 Rz. 343 f. 75 Siehe auch die Zusammenfassung von Thiele, DStR 2018, 274 (277 f.) im hier aufgegriffenen steuerrechtlichen Kontext; dies ausdrücklich ablehnend: BFH v. 24.10.2018 (Fn. 59), Rz. 23; BFH v. 24.10.2018 (Fn. 60), Rz. 23.

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Es wirkt für denjenigen, der sich mit dem Urheberrecht beschäftigt also etwas befremdlich, wenn pauschal argumentiert wird, das Urheberrecht sei unveräußerlich. Dies betrifft die Ebene des Werks, nach dem oben beschriebenen Bild des Baums also den Baum mit Wurzeln und Zweigen. Die davon zu unterscheidenden Nutzungsrechte, im Bild also die Früchte, die der Baum trägt, betreffen die zweite davon zu unterscheidende Ebene. Der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums durch Übertragung der urheberrechtlichen Nutzungsrechte dieser zweiten Ebene ist daher möglich. (2) Verwandte Schutzrechte Völlig in den Hintergrund zu treten scheint bei der steuerrechtlichen Einordnung die Frage, ob ein urheberrechtsschutzfähiges Werk eines Urhebers nach § 2 UrhG oder ein verwandtes Schutzrecht betroffen ist.76 Dazwischen ist aus urheberrechtlicher Sicht jedoch zu differenzieren, da sich Unterschiede ergeben, insb. mit Blick auf die freie Übertragbarkeit des Rechts: Die meisten verwandten Schutzrechte sind als Vermögensrechte frei übertragbar,77 denn sie haben keinen persönlichkeitsrechtlichen Ursprung.78 Dies ist auch ausdrücklich normiert für das verwandte Schutzrecht an der Ausgabe nachgelassener Werke nach § 71 Abs. 2 UrhG, das verwandte Schutzrecht des Tonträgerherstellers nach § 85 Abs. 2 Satz 1 UrhG,79 das verwandte Schutzrecht des Sendeunternehmens nach § 87 Abs. 2 Satz 1 UrhG, das verwandte Schutzrecht des Presseverlegers nach §  87g Abs.  1 Satz 1 UrhG sowie das verwandte Schutzrecht des Herstellers von Filmen und Laufbildern gemäß §  94 Abs.  2 Satz 1 (i.V.m. § 95) UrhG.80 Völlig von den Persönlichkeitsrechten gelöst zu bewerten sind – aufgrund des europäischen Kontextes – Rechte der Datenbankhersteller, denen ein Investitionsschutz zukommt.81 Damit ist die Argumentation mit der Unveräußerlichkeit des Urheberrechts nach § 29 UrhG bei der BFH-Entscheidung (I R 83/16) in Bezug auf Reportage-Leistungen insoweit angreifbar, als es bspw. um die Rechte des Herstellers von Laufbildern ging.82

76 Das BMF diskutiert Leistungsschutzrechte ausübender Künstler im Beispiel 11 des BMFSchreibens 2010, macht dort jedoch eine zeitlich begrenzte Überlassung zur Prämisse des Fallbeispiels. 77 Ohly in Schricker/Loewenheim (Fn. 38), § 29 Rz. 11, 44. 78 Ohly in Schricker/Loewenheim (Fn. 38), § 29 Rz. 44. 79 In Beispiel 14 des BMF, Schr. v. 25.11.2010 (Fn. 2), Rz. 105, ist vom BMF wohl das nach § 85 Abs.  2 Satz  1 UrhG frei übertragbare Recht des Tonträgerherstellers angesprochen und nicht primär, wie vom BMF angedeutet, das Recht am Musikwerk nach § 2 UrhG. 80 Ohly in Schricker/Loewenheim (Fn. 38), § 29 Rz. 44. 81 Das Recht des Datenbankherstellers ist dementsprechend auch frei übertragbar. 82 So zu Recht auch Pinkernell/Schlotter, FR 2020, 681 (683); zu Leistungsschutzrechten allgemein: Schlotter in Rödder/Hüttemann, StbJb 17/18, 667 (686).

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bb) Rückrufrecht nach § 41 UrhG Der BFH hat seine Entscheidungen zum „Total Buy-Out“ teilweise83 auch auf das Rückrufrecht des Urhebers in § 41 UrhG gestützt, welches verhindere, dass das Urheberrecht auf den Erwerber übergehen könne. In der Literatur84 wird die Auffassung, dass hinsichtlich urheberrechtlicher Nutzungsrechte (immer) aufgrund des gesetzlichen Rückrufrechts in § 41 UrhG nur eine zeitlich begrenzte Überlassung von Rechten möglich sei, angezweifelt. Schließlich handele es sich um ein Gestaltungsrecht.85 Bei Störung der Geschäftsgrundlage könne aber auch in anderen Fällen (§ 313 BGB) eine Rückabwicklung eines Geschäfts verlangt werden.86 Klein spricht sich dafür aus, die Überlassung solange als dauerhaft anzusehen, wie das Gestaltungsrecht aus § 41 UrhG nicht ausgeübt werde.87 cc) Fortdauernder Eventualanspruch auf Erfolgsbeteiligung nach § 32a UrhG („Fairness-Ausgleich“) Der BFH bestätigt auch die weitere Argumentation der Vorinstanzen zur Annahme  einer nur zeitweisen Rechteüberlassung statt eines Rechtekaufs: nämlich den ­fortdauernden Eventualanspruch des Urhebers auf eine Erfolgsbeteiligung.88 §  32a UrhG sichert dem Urheber die Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg seines Werks und gibt ihm einen Anspruch auf Vertragsänderung, wenn es zu einer nachträglichen Äquivalenzstörung kommt. Auch hier wird von der Literatur89 eingewandt, dass der „Fairness-Ausgleich“ (ehemals „Bestseller-Paragraph“, §  36 UrhG a.F.) als Sonderfall des Rechtsinstituts der Störung der Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 I BGB beurteilt werde und das abstrakte Risiko einer solchen grundsätzlich nicht ausreichen könne, um den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auszuschließen. dd) Keine verbrauchende Rechteüberlassung Der BFH folgt nicht der Argumentation der Klägerin, dass das Nutzungsrecht, welches den Kern des Vertrags ausmache, nicht angegriffen würde, selbst wenn es zu dem eher unwahrscheinlichen Fall eines auf eine Geldzahlung gerichteten Anspruchs aus § 32a UrhG kommen sollte. Der Anspruch betreffe die wirtschaftliche Substanz

83 Offen gelassen in BFH v. 24.10.2018 (Fn. 60). In BFH v. 24.10.2018 (Fn. 59) hätten die Autoren – unabhängig von § 41 UrhG – nach 5 Jahren den Rückfall der Rechte vertraglich verlangen können, wenn mit der Verfilmung nicht begonnen worden wäre. 84 Klein in Hermann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, 298. Lieferung Juni 2020, § 49 EStG Rz. 932; kritisch auch Gosch in Kirchhof (Fn. 68), § 50a Rz. 15; Schlotter in Rödder/Hüttemann, StbJb 17/18, 667 (685). 85 Klein in Hermann/Heuer/Raupach (Fn. 84), § 49 EStG Rz. 932; Pohl, IStR 2019, 425 (429). 86 Klein in Hermann/Heuer/Raupach (Fn. 84), § 49 EStG Rz. 932. 87 Klein in Hermann/Heuer/Raupach (Fn. 84), § 49 EStG Rz. 932. 88 BFH v. 24.10.2018 (Fn. 59), Rz. 20; BFH v. 24.10.2018 (Fn. 60), Rz. 20. 89 Pinkernell/Schlotter, FR 2020, 681 (682 f.).

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des Rechts, daher könne der Fall nicht mit einer verbrauchenden Rechteüberlassung gleichgestellt werden.90 b) Keine Trennung von Urheberrecht und Nutzungsrecht Der BFH erteilt der Argumentation eine Absage, dass das Nutzungsrecht des vertraglich Berechtigten vom Urheberrecht des Werkschöpfers getrennt werden müsse: Das Urheberrecht bestimme weiterhin den Inhalt des Nutzungsrechts (siehe oben, § 32a UrhG).91 Darüber hinaus könne auch nicht aus der bilanziellen Behandlung des Sachverhalts argumentiert werden, nach der in ein Nutzungsrecht und ein „Stammrecht“ eingeteilt werden könne.92 Der BFH verweist insoweit auf Wortlaut und Zweck des § 50a Abs. 1 Nr. 3 UrhG. 3. Zusammenfassung der Rechtsprechung zum „Total Buy-Out“ In den parallel ergangenen Entscheidungen zum „Total Buy-Out“ lehnt der BFH eine dauerhafte Überlassung von urheberrechtlichen Nutzungsrechten (Rechtekauf) ab. Die Entscheidung wird, wie dargestellt, auf folgende Argumentationsstränge gestützt: – generelle Unveräußerlichkeit des Urheberrechts nach § 29 UrhG; – ggf. Bestehen eines Rückrufrechts nach § 41 UrhG; – fortdauernder Eventualanspruch auf Vergütung nach §§ 32, 32a UrhG; – keine Vergleichbarkeit zur verbrauchenden Rechteüberlassung. Dabei ist aus urheberrechtlicher Sicht die fehlende Trennung zwischen dem Urheberrecht als Stammrecht und dem Nutzungsrecht zu bemängeln, sodass die Argumentation mit § 29 UrhG angreifbar ist. Das Rückrufrecht nach § 41 UrhG sieht der BFH selbst nicht als entscheidend an, sondern stützt sich vielmehr primär auf den fortbestehenden Vergütungsanspruch nach §§ 32, 32a UrhG.93 Daher ist im Folgenden für die hier interessierende Fallgestaltung der Softwareentwicklung durch (angestellte) Urheber insb. dieser Vergütungsanspruch in den Blick zu nehmen.

90 BFH v. 24.10.2018 (Fn. 59), Rz. 22; BFH v. 24.10.2018 (Fn. 60), Rz. 22. 91 BFH v. 24.10.2018 (Fn. 59), Rz. 23; BFH v. 24.10.2018 (Fn. 60), Rz. 23. 92 BFH v. 24.10.2018 (Fn. 59), Rz. 23; BFH v. 24.10.2018 (Fn. 60), Rz. 23. 93 Dieser ist auch bei Auslandsbezug nach deutschem Recht zwingend, §  32 b UrhG; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu den Gesetzesentwürfen betr. Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern, BT-Drucks. 14/8058, 20.

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IV. Urheberrechtliche Bewertung von Software-Verträgen Fraglich ist, wie sich die vom BFH aufgeworfenen Argumentationslinien in den Entscheidungen zum „Total Buy-Out“ auf die Beauftragung von Softwareentwicklungen im Ausland, insb. in Bezug auf angestellte Softwareentwickler, übertragen lassen. Die BFH-Entscheidungen aus dem Jahr 2018 bezogen sich auf die Verfilmung eines Romans bzw. Reporterleistungen, nicht auf die hier fraglichen Softwareprodukte. Die Entscheidungen sind also nicht unmittelbar übertragbar. Aus urheberrechtlicher Sicht ist die grundsätzliche Zulässigkeit von Buy-Out-Verträgen bei Software gut begründbar: – Anders als bei klassischen Werken, also geistigen Schöpfungen, tritt bei Software der persönlichkeitsrechtliche Anknüpfungspunkt in den Hintergrund.94 – Auch die arbeitsteilige Entwicklung von Software und das Interesse des Verwerters, möglichst umfassend das Wirtschaftsgut nutzen zu können, ohne mit einzelnen (Mit-)Urhebern nachverhandeln zu müssen, spricht für die Möglichkeit entsprechender Vereinbarungen.95

V. Europäischer Hintergrund des urheberrechtlichen Schutzes von Software Der BFH hatte in seinen Urteilen zum „Total Buy-Out“ mit der Unveräußerlichkeit des Urheberrechts nach § 29 UrhG argumentiert. Wie bereits dargestellt wurde, fußt dies in Deutschland auf der Vorstellung, dass der urheberrechtliche Schutz aus der persönlichen Schöpfung des Urhebers resultiert. In Deutschland wurde ein urheberrechtlicher Schutz von Software96 aufgrund der als gering eingestuften schöpferischen Leistung zunächst abgelehnt und später die Schwelle für eine schöpferische Gestaltungshöhe recht hoch angesetzt.97 Die USA forcierten hingegen einen weitreichenden Schutz.98 Daher wurde auf europäischer Ebene – um dieser Entwicklung zu begegnen – auf einen urheberrechtlichen Schutz hingearbeitet, der in der Computerprogramm-Richtlinie gipfelte.99 94 Dorner, MMR 2011, 780 (785); Grützmacher in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 5. Aufl. 2019, Vor §§ 69a ff. Rz. 13; Spindler in Schricker/Loewenheim (Fn. 38), Vor §§ 69a ff. Rz. 63. 95 Dorner, MMR 2011, 780 (785); Grützmacher in Wandtke/Bullinger (Fn. 94), Vor §§ 69a ff. Rz. 13 f.; Spindler in Schricker/Loewenheim (Fn. 38), Vor §§ 69a ff. Rz. 63. 96 Korrekt ist der Begriff „Computerprogramm“. Um den Lesefluss zu erleichtern, wurde im vorliegenden Beitrag insgesamt (und nicht differenzierend) der Begriff Software verwendet. 97 BGH v. 9.5.1985 – I ZR 52/83 – Inkassoprogramm, BGHZ 94, 276 (281 ff). 98 Grützmacher in Wandtke/Bullinger (Fn. 94), Vor §§ 69a ff. Rz. 4 m.w.N. 99 Richtlinie des Rates v. 14.5.1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (91/250/ EWG) (ABl. 1991 L 122, S. 42); jetzt Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.4.2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABl. 2009 L 111, S. 16).

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Der europäische Gesetzgeber hatte also vornehmlich einen Investitionsschutz für Software vor Augen (Erw. Grd. Nr. 2). Systematisch hätten Regelungen für Software aus deutscher Perspektive daher als Leistungsschutzrecht erfolgen sollen. Dementsprechend hat Deutschland die Computerprogramm-Richtlinie gesondert in den §§ 69a ff. UrhG umgesetzt. Der deutsche Gesetzgeber hat damit auch gesetzestechnisch zu verstehen gegeben,100 dass er den Schutz von Software als Fremdkörper im klassischen Urheberrecht als Schutz eigener geistiger Schöpfungen ansieht.101 Das Schöpferprinzip gilt also auch bei der Entwicklung von Software.102 Als Kompromiss zwischen Staaten, die der monistischen Theorie folgen und solchen, die zwischen Urheberpersönlichkeitsrechten auf der einen und finanziellen Verwertungsrechten auf der anderen Seite trennen, sieht die Computerprogramm-Richtlinie und dementsprechend §  69b UrhG vor, dass bei angestellten Software-Entwicklern die vermögensrechtlichen Befugnisse allein durch den Arbeitgeber ausgeübt werden.103 § 69b UrhG verdrängt als lex specialis die Regelung in § 43 UrhG. Zweifelhaft ist, ob § 29 UrhG auf Urheber von Software anwendbar ist.104 Jedenfalls sollen die vermögensrechtlichen Befugnisse i.S.v. § 69b UrhG übertragen werden können, da der Arbeitgeber nicht schutzwürdiger sein kann als der Arbeitnehmerurheber.105 Die Computerprogramm-Richtlinie kann in anderen Mitgliedstaaten der Union auch anders als in Deutschland umgesetzt sein und dementsprechend – der dualistischen Theorie folgend  – das unmittelbare Entstehen der Rechte beim Arbeitgeber vorsehen.

VI. Keine Anwendbarkeit von §§ 32, 32a UrhG auf Software­ entwicklungsverträge Eine maßgebliche Argumentationslinie des BFH zur nicht endgültigen Rechteübertragung im Rahmen eines „Total Buy-Out“ basierte zentral auf der fortgesetzten Beteiligung des Urhebers nach §§ 32, 32a UrhG. Es kann insoweit bezweifelt werden, dass die §§  32,  32a  UrhG auf Softwareentwickler als Urheber generell anwendbar sind. Dabei könnte es auch darauf ankommen, ob ein Softwareentwickler angestellt ist oder als Freiberufler arbeitet. Die Anwendbarkeit der §§ 32, 32a UrhG auf Arbeitnehmer-Urheber ist nämlich umstritten. Dies wurde zum Teil in der Literatur befür-

100 BRegE eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes, BT-Drucks. 12/4022, 7 f., 9. 101 Zum Ganzen Grützmacher in Wandtke/Bullinger (Fn. 94), Vor §§ 69a ff. Rz. 6. 102 Grützmacher in Wandtke/Bullinger (Fn. 94), § 69b Rz. 1. 103 Es handelt sich entweder um eine gesetzliche Lizenz oder eine Legalzession, gute Gründe sprechen jedenfalls gegen eine bloße Auslegungsregel, vgl. Grützmacher in Wandtke/Bullinger (Fn. 94), § 69b Rz. 1 m.w.N. 104 So auch Grützmacher in Wandtke/Bullinger (Fn. 94), § 69a Rz. 60. 105 Grützmacher in Wandtke/Bullinger (Fn. 94), § 69a Rz. 60.

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wortet,106 mit dem Argument, dass ansonsten eine – auch nicht durch das Arbeitsrecht aufzufangende – Schutzlücke entstünde.107 Im Folgenden wird gezeigt werden, dass zum einen der deutsche Gesetzgeber einen Schutz von freiberuflich tätigen Softwareentwicklern aufgrund ihrer schlechten Verhandlungsposition bezweckt und zum anderen, dass das europäische Recht verbietet, § 32a UrhG auf angestellte Softwareentwickler anzuwenden. 1. Gesetzliche Differenzierungen bei den Regelungen zum Schutz des Urhebers vor Ausbeutung Aus den Gesetzgebungsmaterialien zum UrhG ergibt sich, dass zwischen freiberuflich tätigen Softwareentwicklern und angestellten Entwicklern von Software zu unterscheiden ist: a) Schutz von Freiberuflern Mit dem „Gesetz zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung“108 wurden Regelungen in §§ 32d, 36b, 36c, 40a und 79b UrhG109 ergänzt, um „Total Buy-Outs“ entgegenzuwirken.110 Dabei kam es dem Gesetzgeber primär auf die freiberuflich tätigen Urheber an.111 In § 69a Abs. 5 UrhG wurden diese Normen explizit für Software ausgenommen. Auf der anderen Seite blieben Ansprüche zur angemessenen Vergütung nach §§ 32 und 32a UrhG – obwohl sie im Zuge dieses Gesetzes geändert wurden – anwendbar. Diese Normen beruhen auf Änderungen, die bereits im Jahr 2002 zur Bekämpfung von Buy-Out-Verträgen umgesetzt wurden.112 Es ist nicht ganz verständlich, wieso der Anspruch auf angemessene Vergütung bestehen blieb, Ansprüche auf Auskunft und Rechenschaft (§ 32d UrhG) jedoch ausgeschlossen wurden.

106 Dorner, MMR 2011, 780 (785). 107 Spindler in Schricker/Loewenheim (Fn. 38), § 69b Rz. 19. 108 Gesetz zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung und zur Regelung von Fragen der Verlegerbeteiligung v. 20.12.2016, BGBl. 2016 I, 3037. 109 § 32d = Anspruch auf Auskunft und Rechenschaft, § 36b = Unterlassungsanspruch bei Verstoß gegen gemeinsame Vergütungsregeln, § 36c = Individualvertragliche Folgen des Verstoßes gegen gemeinsame Vergütungsregeln, § 40a = Recht zur anderweitigen Verwertung nach 10 Jahren bei pauschaler Vergütung, § 79b = Vergütung des ausübenden Künstlers für später bekannte Nutzungsarten. 110 BRegE eines Gesetzes zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung, BT-Drucks. 18/8625, 1. 111 BT-Drucks. 18/8625 (Fn. 110), 12. 112 BT-Drucks. 14/8058 (Fn. 93), 1. Zur anstehenden Gesetzesänderung unter VI. 2.

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b) Keine Anwendung von § 40a UrhG auf angestellte Entwickler, § 69a Abs. 5 UrhG § 40a UrhG (Recht zur anderweitigen Verwertung nach zehn Jahren bei pauschaler Vergütung) ist bspw. nach dem Willen des Gesetzgebers auf angestellte Urheber nicht anwendbar, da der Arbeitnehmer das wirtschaftliche Risiko nicht trägt und der Arbeitgeber das Werk für spezifische Zwecke herstellen lässt; eine anderweitige Verwertung würde also seine berechtigten Interessen verletzen.113 Der Gesetzgeber hat die Ausnahme in § 69a Abs. 5 UrhG damit begründet, dass eine hohe Nachfrage nach Mitarbeitern in der Computerbranche besteht und daher eine geringere Gefährdungslage bestünde als in anderen Gebieten der Kreativwirtschaft.114 Darüber hinaus rechtfertigten Besonderheiten bei der Schaffung, Nutzung und Funktion dieser Werke die Ausnahme.115 2. Keine Anwendbarkeit von §§ 32, 32a UrhG auf Software-Entwickler nach der DSM-Richtlinie (2019) Zu prüfen ist, ob die Anwendung der § 32, 32a UrhG nicht aufgrund europäischen Rechts ausgeschlossen ist. § 69b UrhG beruht auf Art. 2 Abs. 3 Computerprogramm-Richtlinie und diese sieht entsprechende (ergänzende) Vergütungsansprüche nicht vor. Ob das Fehlen einer Regelung den Mitgliedstaaten Umsetzungsspielräume eröffnet, hätte letztlich der EuGH entscheiden müssen.116 Dies kann jedoch offenbleiben. Die Frage nach der Anwendbarkeit von § 32a UrhG in Bezug auf die Entwicklung von Software durch Arbeitnehmer dürfte nämlich aufgrund neuerer Entwicklungen überholt sein.117 Seit Mitte 2019 gilt die DSM-Richtlinie118 in der Europäischen Union. Art. 23 Abs. 2 DSM-Richtlinie sieht vor, dass die Art. 18 bis 22 DSM-Richt­linie nicht auf Urheber von Software angewendet werden sollen. Diese Artikel enthalten entsprechend §§ 32, 32a, 32c, 32d und 32e UrhG Regelungen über eine faire Vergütung in Verwertungsverträgen und auch einen entsprechenden Vertragsanpassungsmechanismus (Art. 20 DSM-Richtlinie). Die Richtlinie ist bis Juni 2021 in deutsches Recht umzusetzen. Der Diskussionsentwurf119 des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz sieht für die 113 Siehe dazu BT-Drucks. 18/8625 (Fn. 110), 30. 114 BT-Drucks. 18/8625 (Fn. 110), 27, 30. 115 BT-Drucks. 18/8625 (Fn. 110), 27. 116 Grützmacher in Wandtke/Bullinger (Fn. 94), § 69b Rz. 24. 117 So auch Pinkernell/Schlotter, FR 2020, 681 (687). 118 Richtlinie (EU) 2019/790 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.4.2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG (ABl. L 130 S. 92, ber. L 259 S. 86). 119 Referentenentwurf (Stand: 2. September 2020) des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/

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Neufassung des § 69a Abs. 5 UrhG-E vor, dass die „§§ 32 bis 32g, 36 bis 36c, 40 und 41 […] auf Computerprogramme nicht anzuwenden“ sind. Alternativ wäre  – entsprechend dem vom deutschen Gesetzgeber angestrebten Schutz von angestellten Softwareentwicklern – eine Regelung in § 69b UrhG möglich gewesen, welche sich ausdrücklich mit angestellten Urhebern befasst.120 Bis zur Änderung des UrhG121 dürften die genannten Normen aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung unanwendbar sein.122

VII. Fazit zur weiteren Beteiligung von Softwareentwicklern Die Diskussion um die Anwendung von §§ 32, 32a UrhG auf angestellte Softwareentwickler scheint sich durch die 2019 in Kraft getretene DSM-Richtlinie erledigt zu haben. Der Gesetzgeber wird wohl einen generellen Ausschluss dieser Normen für Software in § 69a Abs. 5 UrhG aufnehmen. Bis zur gesetzgeberischen Umsetzung ist das derzeit geltende Recht richtlinienkonform auszulegen. Eine Übertragung der Wertungen aus der BFH-Rechtsprechung zum „Total BuyOut“ auf Fälle der Softwareentwicklung im Ausland durch angestellte Entwickler ist damit sehr zweifelhaft bzw. zumindest angreifbar.

VIII. Zusammenfassung Deutsche Unternehmen sollten bei der Beauftragung von Softwareentwicklung im Ausland sicherheitshalber eine Freistellungsbescheinigung vom Auftragnehmer verlangen. Sachverhalte, die in der Vergangenheit liegen, sollten einer genauen Prüfung unterworfen werden, da es auf die jeweilige Gestaltung im Einzelfall ankommt. Da das BMF-Schreiben 2017 die Rechteeinräumung zur wirtschaftlichen Weiterverwertung in den Mittelpunkt stellt, sind die Verträge daraufhin zu prüfen, welche (urheberechtlichen) Rechte vom Vertragspartner eingeräumt werden. Dabei könnte es gegenüber dem Finanzamt eine Argumentationsbasis liefern, wenn die Rechte nicht zur wirtschaftlichen Weiterverwertung eingeräumt wurden, insb., wenn das deutsche Unternehmen keine Bearbeitung des Quellcodes nach § 69c Nr. 2 i.V.m. § 23 UrhG vornehmen kann. Sofern ein Bearbeitungsrecht eingeräumt wurde, ließe sich noch Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Urheberrecht.pdf;jsessionid=16FF0D516A​ DA009BB33012478ABA0B78.1_cid289?__blob=publicationFile&v=7 (zuletzt abgerufen am 28.10.2020); vgl. bereits Schulze, GRUR 2019, 682 (685). 120 Damit wäre Art. 23 Abs. 2 DSM-RL unvollständig umgesetzt. Es wäre noch zu klären gewesen, ob der europäische Gesetzgeber tatsächlich eine vollständige Bereichsausnahme statuieren wollte. Der Wortlaut der DSM-Richtlinie legt dies allerdings nahe. 121 Die Übergangsvorschrift in § 133 UrhG-E erweitert die Geltung der Neuregelungen auch auf Verträge, die vor dem 7.6.2021 abgeschlossen wurden. Konsequenterweise sollte diese Rückwirkung auch für den Ausschluss in § 69a Abs. 5 UrhG gelten. 122 Vgl. Haedicke/Peifer in Schricker/Loewenheim (Fn. 38), § 32a Rz. 4a.

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mit dem Zweckübertragungsgrundsatz nach § 31 Abs. 5 UrhG argumentieren, dass diese überschießende Rechteeinräumung nicht schadet. Es bleibt abzuwarten, inwieweit das Finanzamt sich dieser Auffassung anschließt. Bei der Vertragsgestaltung für die Zukunft ist mit dem Mandanten zu besprechen, inwieweit für ihn ein Bearbeitungsrecht von Bedeutung ist. Sofern darauf verzichtet werden kann, könnte dies für die Argumentation gegenüber dem Finanzamt von Vorteil sein. Es gibt darüber hinaus gute Gründe  – steuerrechtliche Gründe (welche vorliegend nicht erneut ausgeführt wurden) sowie die den Kern dieses Beitrags bildenden urheberrechtlichen Argumente – bei der Beauftragung von ausländischen Unternehmen mit der Entwicklung von Software einen Quellensteuerabzug nach §  50a Abs.  1 Nr. 3 UrhG generell zu verneinen. Der BFH hatte sich in seiner Rechtsprechung zum „Total Buy-Out“ maßgeblich auf den Fairness-Paragrafen § 32a UrhG gestützt. Dieser ist aufgrund der ins deutsche Recht umzusetzenden europäischen DSM-Richtlinie jedoch nicht auf die Entwicklung von Software anwendbar. Das deutsche Recht ist insoweit richtlinienkonform auszulegen. Eine quellensteuerfreie dauerhafte Rechteüberlassung sollte daher – entgegen der bisherigen BMF-Auffassung – möglich sein.

Dr. Verena Roder-Hießerich Rechtsanwältin

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Deckelung der EEG-Umlage für die Jahre 2021 und 2022 – „technische“ Änderung mit rechtlichen Folgen Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Entwicklung der EEG-Umlage hin zu ­ihrer Deckelung 1. Überblick über die Erhebung der EEGUmlage 2. Bestimmung der Höhe der EEG-Umlage 3. Deckelung der EEG-Umlage für die Jahre 2021 und 2022 a) Politische Entscheidung zur Deckelung der EEG-Umlage b) „Technische“ Änderung durch Ergänzung eines Einnahmentatbestands

c) Berücksichtigung der Haushaltsmittel auf dem EEG-Konto III. Deckelung soll durch Verwendung von Einkünften aus dem nationalen Emissionshandel und weiteren Haushaltsmitteln ermöglicht werden IV. Änderung des Finanzierungssystems wirft beihilfenrechtliche Fragen auf V. Auswirkung der Deckelung der EEGUmlage auf die Besondere Ausgleichs­ regelung des EEG VI. Fazit

I. Einleitung Das Forttreiben der Energiewende ist seit vielen Jahren eines der wichtigsten Ziele der Politik und der Gesellschaft. Kerninstrument dafür ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG).1 Das EEG sieht eine mittlerweile sehr stark ausdifferenzierte Förderung der Erneuerbaren Energien Anlagen vor. Im Jahr 2019 wurden 11 Milliarden Euro an Einspeisevergütung und 16 Milliarden Euro an Marktprämie an die Betreiber von Erneuerbaren Energien Anlagen ausgezahlt.2 Um die Finanzierung der Förderung dieser Anlagen sicherzustellen, sieht das Gesetz die sog. EEG-Umlage vor. Diese wird von den Letztverbrauchern im Grundsatz zu gleichen Teilen getragen. Insbesondere für stromintensive Unternehmen stellt die EEG-Umlage eine große wirtschaftliche Herausforderung dar. Deshalb sieht das EEG Möglichkeiten zur Befreiung bzw. Begrenzung der Pflicht zur Zahlung der EEG-Umlage vor. Allerdings hat der Gesetzgeber den Anwendungsbereich dieser Regelungen in den letzten Jahren immer weiter beschränkt. Hinzu kommt, dass die EEG-Umlage auch einen erheblichen Anteil am Strompreis hat. Grundsätzlich wäre – zum 20. Geburtstag des EEG – ein Zeitpunkt gekommen, zu dem die EEG-Umlage sinken könnte, da viele Anlagen aus der Förderung fallen und die Fördersätze sinken. Zudem wird die Höhe 1 Erneuerbare-Energien-Gesetz v. 21.7.2014, BGBl. I 2014, 1066, zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes v. 8.8.2020, BGBl. I S. 1818. 2 Vgl. Jahresendabrechnung für das EEG-Umlagekonto 2019 abrufbar unter https://www. netztransparenz.de/portals/1/EEG-Jahresabrechnung%202019.pdf.

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der Vergütung für Strom aus Erneuerbaren Energien seit dem EEG 2017 nicht wie bisher staatlich festgelegt, sondern durch Ausschreibungen ermittelt. Es ist aber anders gekommen: Bedingt durch verschiedene Einflüsse, beispielsweise die CoronaPandemie, droht die EEG-Umlage bereits im Jahr 2021 stark zu steigen.3 Die Übertragungsnetzbetreiber haben alleine im Juli 2020 bereits 2,8 Milliarden Euro an Vergütung an Erneuerbare Energien Anlagen ausgezahlt.4 Deshalb hat die Politik beschlossen, die Einkünfte aus dem ab 1. Januar 2021 in Deutschland anwendbaren nationalen Emissionshandelssystem und weitere Haushaltsmittel dazu zu nutzen, die EEG-Umlage für die Jahre 2021 und 2022 zu deckeln. Dieser grundsätzlich sinnvolle Schritt wurde mittels eines minimalen „technischen“ Eingriffs durch den Verordnungsgeber durchgeführt – die rechtlichen Auswirkungen dürfen jedoch nicht unterschätzt werden.

II. Entwicklung der EEG-Umlage hin zu ihrer Deckelung 1. Überblick über die Erhebung der EEG-Umlage Die EEG-Umlage stellt das Finanzierungsinstrument für den Ausbau der Erneuerbaren Energien dar. Auf Grundlage der §§  60  ff. EEG können die Übertragungs­ netzbetreiber die Kosten der Energiewende mittels der EEG-Umlage auf die Letztverbraucher umlegen. Nach den §§  60 Abs.  1 S.  1 bzw. 61 Abs.  1 EEG ist somit grundsätzlich für alle verbrauchten Strommengen unabhängig von einer Netznutzung die EEG-Umlage zu entrichten. §  61 Abs.  1 EEG ist die zentrale Anspruchsgrundlage für die EEG-Umlage in Eigenversorgungs-, Eigenerzeugungs- und sonstigen Letztverbrauchsfällen, die durch die nachfolgenden §§ 61a–61l EEG modifiziert werden.5 Das Gesetz sieht im Rahmen der Besonderen Ausgleichsregelung Vorgaben für stromkostenintensive Unternehmen (vgl. §  64 EEG) und Schienenbahnen (vgl. § 65 EEG) vor. Anliegen der Besonderen Ausgleichsregelung ist ein Interessensausgleich zwischen der klimapolitisch sinnvollen Förderung von Erneuerbaren Energien und der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Deutschland.6 In den letzten Jahren hat der Gesetzgeber die Möglichkeiten zur vollständigen Befreiung von der Pflicht zur Zahlung der EEG-Umlage immer weiter eingeschränkt, dies betrifft vor allem auch die Eigenerzeugung.7 Zusätzlich sind die Voraussetzungen für 3 Es wird mit einem Anstieg auf rund 8,6 Cent/kWh ohne staatliche Zuschüsse gerechnet, vgl. Agora Energiewende, abrufbar unter https://www.agora-energiewende.de/filead​min2/Pro​ jekte/2020/2020-05_Doppelter-Booster/A-EW_181_Kurzanalyse_Corona_EEG_​Umla​ge_ WEB.pdf, S. 2. 4 Záboji, FAZ, Art. v. 11.8.2020, EEG-Förderung so teuer wie nie, abrufbar unter https://www. faz.net/aktuell/wirtschaft/klima-energie-und-umwelt/eeg-foerderung-so-teuer-wienie-16900234.html. 5 Böhme in Greb/Boewe (Hrsg.), Beck´scher EEG-Kommentar, 10. Aufl., § 61 Rz. 4 unter Verweis auf BT-Drucks. 18/10209, S. 111. 6 Hammer in Greb/Boewe (Hrsg.) Beck´scher EEG-Kommentar, 10. Aufl., § 63 Rz. 1. 7 Vgl. dazu Richter/Schellberg, Schutzloser Bestandsschutz für die Eigenerzeugung im Konzern nach dem EEG 2017?, EnWZ 2017, S. 347 ff.

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den Antrag auf Anwendung der Besonderen Ausgleichsregelung für stromintensive Unternehmen sehr hoch; durch diese Regelung privilegierte Unternehmen unterliegen zudem zahlreichen Beschränkungen, z.B. bei Umstrukturierungen.8 2. Bestimmung der Höhe der EEG-Umlage Die Höhe der EEG-Umlage ist grundsätzlich nach §  3 der Erneuerbare-EnergienVerordnung (EEV)9 zu bestimmen. Mit den Zahlungen der EEG-Umlage wird die Differenz aus den Einnahmen und den Ausgaben der Übertragungsnetzbetreiber bei der EEG-Umsetzung nach § 3 Abs. 3 und 4 EEV sowie § 6 der Erneuerbare-Energien-Ausführungsverordnung (EEAV)10 gedeckt. Demnach stehen den Einnahmen der Übertragungsnetzbetreiber die Kosten der Energiewende und die Verwaltungskosten entgegen. Die Einnahmen, die bei der Ermittlung der EEG-Umlage durch die Übertragungsnetzbetreiber zu berücksichtigten sind, sind in § 3 Abs. 3 EEV abschließend aufgeführt. Die für die Ermittlung maßgeblichen Ausgaben sind in § 3 Abs. 4 EEV aufgelistet, die Verwaltungskosten enthält § 6 Abs. 1 EEAV. Einfluss auf die Höhe der EEG-Umlage können unter anderem folgende Faktoren haben: der erwartete Börsen-Strompreis, die Höhe des Letztverbrauchs, der Zubau der EEG-geförderten Anlagen, der aktuelle EEG-Kontostand und eine Liquiditätsreserve. Die Übertragungsnetzbetreiber ermitteln die EEG-Umlage jährlich gem. § 5 EEV zum 15. Oktober und veröffentlichen diese. Die EEG-Umlage hat sich von 2,047 ct/kWh im Jahr 2010 auf 6,756 ct/kWh im Jahr 2020 entwickelt. Zwischenzeitlich erreichte sie mit 6,880 ct/kWh im Jahr 2017 ihren vorläufigen Höchststand.11 Sie befindet sich damit in den letzten Jahren konstant auf einem sehr hohen Niveau. Grundsätzlich wäre dadurch, dass die ersten Erneuerbaren Energien Anlagen aus der Förderung fallen und die Vergütungssätze auch bedingt durch die Ausschreibungen sinken, zu erwarten gewesen, dass die EEG-Umlage insgesamt sinkt oder zumindest stabil bleibt. Es drohte aber aufgrund verschiedener Effekte  – unter anderem auch aufgrund des Lockdowns während der Coronapandemie – für das Jahr 2021 eine erhebliche weitere Steigerung der EEG-Umlage. Insbesondere der außergewöhnliche Rückgang der Stromnachfrage und die gesunkenen Großhandelsstrompreise sind die Gründe dafür, dass die EEG-Umlage im Jahr 2021 deutlich ansteigen würde.12 Denn das Aufkommen aus der EEG-Umlage begleicht die Differenz zwischen den ausgezahlten Vergütungen und dem Wert des eingespeisten Stroms. Aufgrund der gesunkenen Großhandelsstrompreise kann die EEG-Umlage diese Differenz jedoch nicht mehr 8 Einen Überblick bieten Große/Panknin: Die Besondere Ausgleichsregelung im EEG 2017, EnWZ 2016, S. 435 ff. 9 Erneuerbare-Energien-Verordnung v. 17.2.2015, BGBl. I 2015, 146. 10 Erneuerbare-Energien-Ausführungsverordnung v. 22.2.2010, BGBl. I 2010, 134. 11 Veröffentlichung der ÜNB abrufbar unter https://www.netztransparenz.de/EEG/EEG-Um​ lagen-Uebersicht. 12 EWI gGmbH, Studie: Einfluss der Covid-19-Pandemie auf den Großhandelsstrompreis und die EEG-Umlage, 2020, abrufbar im WWW unter https://www.ewi.uni-koeln.de/cms/ wp-content/uploads/2020/05/20200604_EWI_COVID-19_final_Konjunkturprogramm. pdf.

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ausgleichen, so dass der Saldo des durch die Übertragungsnetzbetreiber geführten EEG-Kontos in den Sommermonaten Juni, Juli und August 2020 bereits negativ war.13 3. Deckelung der EEG-Umlage für die Jahre 2021 und 2022 a) Politische Entscheidung zur Deckelung der EEG-Umlage Um eine weitere Steigerung der EEG-Umlage zu verhindern, hat der Gesetzgeber sich schließlich zu einem Schritt veranlasst gesehen, den es in der Historie der EEGUmlage bislang noch nicht gegeben hat. Ab dem 1. Januar 2021 soll die EEG-Umlage durch den Einsatz von Haushaltsmitteln entlastet werden. Schon vor der pandemiebedingten Krise hatte der Gesetzgeber mit dem Klimaschutzprogramm 2030 beschlossen, die Erlöse aus der Bepreisung fossiler Kohlendioxidemissionen für eine Senkung der EEG-Umlage zu verwenden. Durch die Entwicklung während der Corona-Krise ist die Entlastung der EEG-Umlage durch Einnahmen nach dem BEHG und weitere Haushaltsmittel aber noch dringlicher geworden. Im Rahmen des Konjunkturpakets wurden deshalb weitere Zuschüsse zur EEG-Finanzierung in Höhe von 11 Milliarden Euro beschlossen, um die EEG-Umlage im Jahr 2021 auf 6,5 Cent/ kWh und im Jahr 2022 auf 6,0 Cent/kWh zu deckeln. b) „Technische“ Änderung durch Ergänzung eines Einnahmentatbestands Eine Festlegung dieser Werte sucht man in dem RefE-EEG 2021 jedoch vergeblich; auch die EEV sieht keine Festlegung dieser Werte vor. Vielmehr möchte der Gesetzgeber es offenbar bei der bisherigen Systematik belassen, dass die Übertragungsnetzbetreiber die Höhe der EEG-Umlage für das Folgejahr ermitteln und zum 15. Oktober 2020 mitteilen. Bislang waren in der für die Ermittlung maßgeblichen EEV keine Regelungen enthalten, die eine Vereinnahmung staatlicher Mittel durch die Übertragungsnetzbetreiber mit dem Zweck einer Absenkung der EEG-Umlage vorgesehen hätten. Auch sah die EEV bisher nicht vor, dass die Höhe der EEG-Umlage gedeckelt werden könnte. Am 2. Juli 2020 hat der Bundestag die Änderung der EEV beschlossen, die eine Berücksichtigung von Haushaltsmitteln bei der Ermittlung und Festlegung der EEG-Umlage durch die Übertragungsnetzbetreiber ermöglicht. Der Verordnungsgeber hat bei der Auflistung der Einnahmetatbestände gem. § 3 Abs. 3 EEV eine neue Nr. 3a einfügt, die mit „Zahlungen der Bundesrepublik Deutschland an die Übertragungsnetzbetreiber zur Absenkung der EEG-Umlage nach §  60 Abs.  1 S.  1 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes“ überschrieben ist. Rechtstechnisch handelt es sich nur um einen vergleichsweise minimalen Eingriff in das System des EEG, den der Gesetzgeber auch bloß als „technische Anpassung“14 bezeichnet, rein tatsächlich hat die Änderung der EEV aber eine große Wirkung. Die Änderung hat der Verordnungsgeber – wie auch die Verordnung selbst – auf § 91 Nr. 1 Buchst. c EEG gestützt. Diese Ermächtigung erfasst „Anforderungen an die Vermarktung, Kontoführung 13 Záboji (Fn. 4). 14 Referentenentwurf zum EEG, Bearbeitungsstand 14.9.2020, abrufbar unter https://www. bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/Gesetz/referentenentwurf-aenderung-eeg-und-wei​ terer-energierechtlicher-vorschriften.pdf?__blob=publicationFile&v=4, S. 84.

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und Ermittlung der EEG-Umlage einschließlich von Veröffentlichungs- und Transparenzpflichten, Fristen und Übergangsregelungen für den finanziellen Ausgleich“. Ob Veränderung der Einnahmenpositionen, die auf das EEG-Konto fließen, unter „Ermittlung der EEG-Umlage“ zu fassen sind, dürfte zumindest fraglich sein, zumal mit der Berücksichtigung von Haushaltsmitteln mit dem Ziel der Deckelung der EEG-Umlage auch die grundsätzliche Systematik der Ermittlung der EEG-Umlage verändert wird. c) Berücksichtigung der Haushaltsmittel auf dem EEG-Konto Zur Abwicklung der Zahlung der Mittel aus dem Bundeshaushalt an die Übertragungsnetzbetreiber wird gemäß der EEV jeweils ein öffentlich-rechtlicher Vertrag i.S.d. §  54 VwVfG abgeschlossen. Ausweislich der Begründung zur Anpassung der EEV dient dieser auch dazu, die Verteilung der Mittel zwischen den Übertragungsnetzbetreibern zu regeln, um Ineffizienzen durch einen weiteren horizontalen Ausgleich zu vermeiden.15 Mit der Änderung der EEV werden Entscheidungen des Haushaltsgesetzgebers nicht umgangen. Der Verordnungsgeber betont ausdrücklich, dass die Entscheidung über das „Ob“ und die konkrete Höhe der zur Verfügung gestellten Mittel weiterhin beim Haushaltsgesetzgeber selbst liegt.16 § 3 Abs. 3a EEV regelt, auf welche Weise Zahlungen bei der Ermittlung der EEG-Umlage zu berücksichtigen sind. Da das Haushaltsgesetz zum Zeitpunkt der Ermittlung der EEG-Umlage (15. Oktober des Vorjahres) regelmäßig noch nicht verabschiedet sein dürfte, ist davon auszugehen, dass in der Praxis S. 2 der Vorschrift eingreifen wird, wonach die Haushaltsansätze zur Absenkung der EEG-Umlage im Entwurf des Haushaltsgesetzes für das nachfolgende Kalenderjahr zu berücksichtigen sind. Dieses Vorgehen kann mit Risiken behaftet sein, insbesondere könnten auf dem EEG-Konto Differenzen auflaufen. § 3 Abs. 10 EEV sieht vor diesem Hintergrund eine spezielle Evaluierungspflicht vor. Die Bundesregierung muss eine Neuregelung vorlegen, sofern das nun geltende System zu wesentlichen Risiken für die Übertragungsnetzbetreiber führen sollte.

III. Deckelung soll durch Verwendung von Einkünften aus dem nationalen Emissionshandel und weiteren Haushaltsmitteln ermöglicht werden Ein Teil der für die Deckelung eingeplanten Mittel soll aus dem nationalen Emissionshandelssystem in den Bundeshaushalt fließen, der in Deutschland zum 1. Januar 2021 startet. Die Emissionen der Industrie und der Stromerzeugung sind in Deutschland zwar bereits größtenteils im Europäischen Emissionshandel (EU-ETS) erfasst. Für Emissionen außerhalb dieser Bereiche fehlte in Deutschland bislang ein finanzieller Anreiz zur Emissionsminderung. Im Rahmen des Klimaschutzprogrammes 2030 hat der Gesetzgeber am 12. Dezember 2019 das Gesetz über einen nationa15 BT-Drucks. 19/19381, S. 6. 16 BT-Drucks. 19/19381, S. 8.

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len Zertifikatehandel für Brennstoffemissionen (Brennstoffemissionshandelsgesetz – BEHG) erlassen.17 Demnach sollen ab Anfang des Jahres 2021 die CO2-Emissionen in den Sektoren Wärme und Verkehr bepreist werden, indem von den durch das BEHG verpflichteten Brennstoffunternehmen entsprechende kostenpflichtige CO2Zertifikate erworben werden müssen. Damit ist das BEHG die Grundlage zur Einführung eines nationalen Emissionshandelssystems (nEHS). Schon bei Erlass des BEHG hatte der Gesetzgeber den Plan gefasst, Einnahmen aus dem nEHS für eine Reduzierung der EEG-Umlage einzusetzen. Neben den beihilfenrechtlichen Fragestellungen hinsichtlich der Verwendung der Einnahmen zur Reduktion der EEGUmlage löst insbesondere die Verfassungsmäßigkeit des BEHG und der CO2-Bepreisung Diskussionen aus, die Wissenschaft und Politik derzeit noch beschäftigen. Nach Auffassung der Bunderegierung handelt es sich bei der CO2-Bepreisung um eine nicht-steuerliche Abgabe, die sich auf die Sachgesetzgebungskompetenz des Bundes gem. Art. 74 Nr. 24 GG für die Luftreinhaltung stützt.18 Im Zuge des Gesetzgebungsprozesses hat bereits der Bundesrat  – vergeblich  – finanzverfassungsrechtliche Bedenken an dem Vorhaben der Bundesregierung geäußert.19 Hinlänglich wird die Rechtsauffassung vertreten, bei der Bepreisung handele es sich weder um eine zulässige Steuer noch um eine verfassungskonforme nicht-steuerliche Abgabe, sondern um eine Abgabe eigener Art.20 Die Bepreisung wird demnach nicht voraussetzungslos erhoben, da die Unternehmen im Gegenzug zur Zahlung nach § 10 Abs. 2 BEHG Emissionszertifikate erhalten.21 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur verfassungsrechtlichen Einordnung des Europäischen Emissionshandelssystems darf der Staat Abgaben zur Abschöpfung eines Sondervorteils, der in der Berechtigung einzelner Personen zur Nutzung einer natürlichen Umweltressource liegt, nicht als Gebühr, sondern als sog. „Vorteilsabschöpfungsabgabe“ im Sinne einer nicht-steuerlichen Abgabe eigener Art erheben.22 Ein solcher individueller Sondervorteil liegt in Form der Emissionsberechtigungen der CO2-Bepreisung vor.23 Die Rechtsprechung des BVerfG wird teilweise so verstanden, dass eine solche Abgabe jedoch nur zulässig ist, sofern sie für den Verbrauch eines knappen Guts, das mengenmäßig begrenzt ist, erhoben wird.24 Diesem Maßstab würde das BEHG nach einigen gewichtigen Stimmen25 zumindest anfangs nicht gerecht. Jedenfalls ist in der 17 BT-Drucks. 19/14746. 18 BT-Drucks. 19/14746, 37. 19 BR-Drucks. 607/1/19, S. 2 f. 20 Wernsmann, Verfassungswidrigkeit der CO2-Bepreisung nach dem BEHG, insbesondere im Zeitraum von 2021 bis 2025, abrufbar unter https://www.fdpbt.de/sites/default/files/​ 2020-06/Rechtsgutachten_BEHG_FDP.pdf. Rechtsgutachten BEHG, S. 14. 21 Wernsmann (Fn. 20), S. 42. 22 BVerfG, Beschl. v. 7.11.1995 – 2 BvR 413/88, BVerfGE 93, 319, Rz. 162; BVerfG, Beschl. v. 5.3.2018 – 1 BvR 2864/13, NVwZ 2018, 972, Rz. 31 f. 23 Klinski/Keimeyer, ZUR 2020, 342, 346; Wernsmann/Bering, NVwZ 2020, 497, 502; Wernsmann (Fn. 20), S. 43. 24 BVerfG, Urteil v. 30.10.1962 − 2 BvF 2/60, 1-3/61, NJW 1962, 2243; BVerfG, Beschl. v. 5.3.2018 – 1 BvR 2864/13, NVwZ 2018, 972, Rz. 35. 25 Klinski/Keimeyer, ZUR 2020, 342, 346; Wernsmann/Bering, NVwZ 2020, 497, 502; Wernsmann (Fn. 20), S. 43.

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Einführungsphase bis einschließlich des Jahres 2025 keine mengenmäßige Begrenzung der zum Festpreis veräußerten Zertifikate vorgesehen. Sofern die jährliche Menge der zulässigen Emissionen überschritten würde, soll gemäß § 5 Abs. 1 BEHG ein Zukauf von Zertifikaten aus anderen Mitgliedsstaaten erfolgen. Damit widerspräche die Regelung des BEHG der Rechtsprechung des BVerfG zur geforderten Knappheit der Emissionsberechtigungen und würde gegen die Anforderungen an eine gleichheitskonforme Ausgestaltung einer Vorteilsabschöpfung im Sinne des Art.  3 Abs.  1 GG verstoßen.26 Im Falle der Verfassungswidrigkeit könnte das BEHG im schlimmsten Fall das gleiche Schicksal wie die Kernbrennstoffsteuer erleiden. Diese wurde vom BVerfG gemäß §§ 78 S. 1, 95 Abs. 3 BVerfGG rückwirkend für nichtig erklärt und hatte damit zur Folge, dass die geleisteten Zahlungen von dem Staat an die Unternehmen zurückgezahlt werden mussten.27 Damit wäre auch die Verwendung der Einnahmen als Entlastung für die EEG-Umlage gefährdet, die Absenkung der EEG-Umlage müsste vollständig aus den übrigen Mitteln des Bundeshaushalts getragen werden.

IV. Änderung des Finanzierungssystems wirft beihilfenrechtliche Fragen auf Mit dem Eingriff in das System der Finanzierung des EEG-Fördermechanismus öffnet der Gesetzgeber aber möglicherweise die „Büchse der Pandora“. Zwar hatte der EuGH28 jüngst noch entschieden, dass das EEG 2012 nicht die Merkmale einer Beihilfe im Sinne des Beihilfenrechts der Europäischen Union erfüllt. Der EuGH hatte festgestellt, dass der Finanzierungsmechanismus des EEG 2012 nicht als staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV anzusehen sei. Entscheidend war für den EuGH, dass das EEG-Umlagesystem ausschließlich zwischen privaten Akteuren und gänzlich außerhalb hoheitlicher Kon­ trolle abgewickelt wurde. Das galt auch für die Bestimmung der EEG-Umlagehöhe für den einzelnen Letztverbraucher durch die Übertragungsnetzbetreiber. Die durch die Entscheidung gewonnenen (neuen) Spielräume bei der Gestaltung setzt der Gesetzgeber nun aufs Spiel: Soweit künftig nun auch Haushaltsmittel für die Finanzierung der EEG-Förderung und die Entlastung der Letztverbraucher von der EEGUmlage eingesetzt werden sollten, wird man an dieser Bewertung durch den EuGH nicht mehr festhalten können. Eine beihilfenrechtliche Neubewertung ist erforderlich. Da die Erlöse aus dem nationalen Emissionshandel nach § 10 Abs. 4 S. 1 BEHG dem Bund und damit dem Bundeshaushalt zustehen, wäre die Auszahlung dieser Mittel an Unternehmen grundsätzlich als „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe“ im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu qualifizieren. Weitere Haushaltsmittel, auf die für die EEG-Umlage zurückzugreifen wäre, sind ohnehin unmittelbar dem Bund zuzurechnen. Der EEG-Ausgleichsmechanismus würde zumindest 26 Klinski/Keimeyer, ZUR 2020, 342, 347; Wernsmann (Fn. 20), S. 47; a.A. Trappe, Ausschussdrucks. 19(16)378-A v. 16.9.2020. 27 BVerfG v. 13.4.2017 2 BvL 6/13, BVerfGE 145, 171. 28 EuGH v. 28.3.2019 – C-405/16, NVwZ 2019, S. 626 ff.

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teilweise „Einnahmen“ aus staatlichen Mitteln erhalten. Der Gesetzgeber ist sich dessen auch bewusst. Zumindest mit Blick auf die Besondere Ausgleichsregelung enthält der Referentenentwurf des EEG 2021 (RefE-EEG 2021)29 in § 105 Abs. 2 RefE-EEG 2021 einen beihilfenrechtlichen Genehmigungsvorbehalt. Die EEV enthält dagegen keinen derartigen Vorbehalt. Die Begründung sieht aber Erwägungen des Verordnungsgebers dazu vor. Demnach könne nach der Auffassung des Verordnungsgebers ein Notifizierungsverfahren erforderlich werden, sobald staatliche Mittel tatsächlich zum Einsatz kämen und zu einer konkreten Entlastung von Unternehmen führten. Dies sei allerdings frühestens am 1. Januar 2021 der Fall.30 Es sprechen insgesamt gute Gründe dafür, dass eine Bezuschussung der EEG-Umlage im Ergebnis beihil­ fenrechtlich zulässig sein dürfte. Denkbar wäre eine Freistellung der staatlichen Beihilfe als Umweltschutzbeihilfe zur Förderung Erneuerbarer Energien.31 Des Weiteren hat die Kommission einen – allerdings befristeten – (gelockerten) Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft in der Corona-Pandemie erlassen.32 Auch wenn Aussichten bestehen, dass die Maßnahme beihilfenrechtlich zulässig ist – letztlich führt der „technische“ Eingriff in die bisherige EEG-Umlagesystematik aber dazu, dass die durch die Entscheidung des EuGH gewonnenen Spielräume wieder aufgegeben werden.

V. Auswirkung der Deckelung der EEG-Umlage auf die Besondere Ausgleichsregelung des EEG Mit der Deckelung der EEG-Umlage verfolgte die Politik unter anderem das Ziel, Letztverbraucher zu entlasten und für mehr Verlässlichkeit bei den „staatlichen Strompreisbestandteilen“ zu sorgen.33 Dabei hatte der Gesetzgeber aber nicht berücksichtigt, dass die Senkung der EEG-Umlage für einige Unternehmen mittelbar auch einen negativen Effekt haben könnte. Stromkostenintensive Unternehmen und Schienenbahnen können auf Antrag hin eine Reduktion der EEG-Umlage erreichen (§§ 63 ff. EEG). Die sogenannte „Besondere Ausgleichsregelung“ sieht vor, dass die stromkostenintensiven Unternehmen lediglich eine reduzierte EEG-Umlage zahlen müssen. Diese Ausnahmeregelung gilt nur für stromkostenintensive Unternehmen aus Branchen, die im internationalen Wettbewerb stehen. Um von der Besonderen Ausgleichsregelung zu profitieren, müssen die Unternehmen die Antragsvoraussetzungen gem. § 64 EEG erfüllen. Der Erhalt der Besonderen Ausgleichsregelung setzt voraus, dass die maßgebliche Stromkostenintensität nach § 64 Abs. 1 Nr. 2 EEG er29 Referentenentwurf zum EEG, Fn. 14. 30 BT-Drucks. 19/19381, S. 6. 31 Mitteilung der Kommission, Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014-2020 (ABl. C 200 v. 28.6.2014, S. 1), verlängert für ein weiteres Jahr mit Mitteilung der Kommission (ABl. C 224/2 v. 8.7.2020). 32 Mitteilung der Kommission, abrufbar unter https://ec.europa.eu/germany/news/20200320coronakrise-staatliche-beihilfen_de. 33 Eckpunktepapier zum Klimapaket, abrufbar unter: https://www.bundesfinanz​ministerium. de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Schlaglichter/Konjunkturpa​ket/​2020-06-03-eck​ punktepapier.pdf?__blob=publicationFile&v=9, S. 2.

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reicht wird. Die Stromkostenintensität wird nach § 64 Abs. 6 Nr. 3 EEG als das Verhältnis von Bruttowertschöpfung zu den maßgeblichen Stromkosten definiert. Die Bruttowertschöpfung wird durch die pandemiebedingte Krise zwar teilweise sinken. Allerdings sinken u.a. bedingt durch die Krise auch die Stromkosten der Unternehmen. Vor diesem Hintergrund wäre es bei Beibehaltung der im EEG 2017 festgelegten Schwellenwerte wahrscheinlich, dass ein Teil der bisher begünstigten Unternehmen von der Besonderen Ausgleichsregelung nicht mehr profitieren kann.34 Um zu verhindern, dass dieser Effekt eintritt, versucht der Gesetzgeber, im Rahmen der EEG Novelle 2021 Abhilfe zu schaffen. In dem aktuellen RefE-EEG 2021 sind bereits notwendige Korrekturen in der Vorschrift zur Besonderen Ausgleichsregelung vorge­ sehen. Die Schwellenwerte der Stromkostenintensität für Unternehmen der Liste 1 werden für das Antragsjahr 2021 auf 14 Prozent vereinheitlicht. Danach soll der Schwellenwert in den Antragsjahren 2022 bis 2025 jährlich um einen Prozentpunkt reduziert werden, so dass er ab dem Antragsjahr 2025 bei 10 Prozent liegt. Die stufenweise Absenkung soll den stromkostenintensiven Unternehmen in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten Planungs- und Investitionssicherheit bieten.35 Die Regelung bietet auch Chancen für neue Antragsteller, die bislang knapp an dem Schwellenwert gescheitert sind. Zusätzlich gelten für Anträge für die Begrenzungsjahre 2022 bis 2024 weitere Erleichterungen. Nach § 103 Abs. 1 RefE-EEG 2021 sind dem Antrag anstelle der letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre zwei der letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre zugrunde zu legen. Dem Unternehmen wird insoweit ein Wahlrecht zugestanden. Mit diesen im Referentenentwurf bereits vorgesehenen Anpassungen des EEG könnte der Gesetzgeber den durch die Deckelung der EEG-Umlage entstandenen Nachteil für stromkostenintensive Unternehmen gerade noch abwenden.

VI. Fazit Die EEG-Umlage stellt bereits in der derzeitigen Höhe eine große Belastung aller Letztverbraucher, insbesondere aber der stromkostenintensiven Unternehmen dar. Sie würde aller Voraussicht nach kurzfristig erheblich steigen. Grundsätzlich ist  – insbesondere im Zusammenhang mit der pandemiebedingten Krise – der Schritt des Gesetzgebers zu begrüßen, eine Deckelung für die EEG-Umlage zumindest für die Jahre 2021 und 2022 vorzusehen. Allerdings schafft der Gesetzgeber mit diesem gut gemeinten Eingriff in das System möglicherweise eine Vielzahl an Folgeproblemen: Der bislang eingespielte Ausgleichsmechanismus wird durch die „technische“ Änderung in der EEV erheblich durcheinandergebracht. Dies birgt für alle Beteiligten Risiken. Einige Nachteile lassen sich durch Nachbesserung an anderen Gesetzen kurzfristig korrigieren, beispielsweise kann der Gesetzgeber mit der EEG-Novelle 2021 den Schwellenwert bezüglich der Stromkostenintensität bei der Besonderen Ausgleichsregelung anpassen. Die Bezuschussung der EEG-Umlage durch Haushaltsmit34 Vgl. dazu auch Panknin/Große, EnWZ 2020, 210, 215; vgl. insoweit auch die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten der FDP, BT-Drucks. 19/18857. 35 Referentenentwurf zum EEG, Fn. 14, Begründung, S. 138.

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tel dürfte auf die Bewertung des Fördersystems durch die Europäische Kommission und den EuGH Einfluss haben und damit längerfristig wirken; ein Notifizierungsverfahren wäre durchzuführen. Der deutsche Gesetzgeber verliert durch die Aufgabe des derzeitigen EEG-Umlageregimes die durch die EuGH-Entscheidung zum EEG 2012 gewonnene Entscheidungshoheit über den EEG-Umlagemechanismus und begibt sich erneut (und wahrscheinlich auch bei jeder weiteren Anpassung des EEGUmlagemechanismus) in die Abhängigkeit einer Notifizierung. Zudem ist derzeit noch unklar, ob das BEHG verfassungsrechtlichen Angriffen standhält und die erhofften Mittel überhaupt in den Bundeshaushalt spült. Angesichts dieser Umstände bleibt also noch abzuwarten, ob dem Gesetz- und Verordnungsgeber das anspruchsvolle Ziel, die EEG-Umlage mit Haushaltsmitteln auf ein zumutbares Maß zu deckeln, überhaupt gelingen kann und wenn ja, um welchen Preis.

Dr. Margret Schellberg Rechtsanwältin Assoziierte Partnerin

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Organisationspflichten im Konzern in Bezug auf die ­Ad-­ hoc- Publizität nach Art. 17 MAR* Inhaltsübersicht I. Einführung und Problemstellung II. Relevante rechtliche Gesichtspunkte 1. Kenntnis als mögliche Voraussetzung der Ad-hoc-Publizitätspflicht 2. Bisherige Stellungnahme zu Konzernsachverhalten 3. Berechtigung zur Weitergabe einer ­Insiderinformation III. Auswirkungen auf verschiedene ­Konzernkonstellationen sowie Schlussfolgerungen für die Konzernorganisation

1. Herrschender Einfluss der Emittentin auf eine Tochter-GmbH 2. Kein herrschender Einfluss der ­Emittentin auf eine nicht-börsennotierte Gesellschaft 3. Aktiengesellschaft als Tochtergesellschaft 4. Börsennotierte Tochter-Aktiengesellschaft oder Beteiligung der Emittentin an einer börsennotierten Aktiengesellschaft 5. Inhalt des Informationsweitergabe­ vertrages bzw. der Weisung auf Erteilung der Information IV. Zusammenfassung in Thesen

I. Einführung und Problemstellung Nach Artikel 17 Marktmissbrauchsverordnung (MAR) sind Emittenten verpflichtet, alle sie unmittelbar betreffenden Insiderinformationen unverzüglich zu veröffentlichen (Ad-hoc-Publizität). Solche Insiderinformationen stammen häufig aus der Herrschaftssphäre des Emittenten, z.B. bei geplanten Kapitalmaßnahmen oder im Falle von unerwarteten Geschäftszahlen. Möglich und gar nicht so selten ist jedoch auch der Fall, dass eine Information völlig außerhalb der Sphäre des Emittenten entsteht und dennoch den Emittenten unmittelbar betrifft und daher als Insiderinformation zu veröffentlichen ist. Beispiele hierfür sind Entscheidungen von Behörden (z.B. von Zulassungsbehörden für Arzneimittelpräparate)1 und von Gerichten (vgl. z.B. den VW-Fall). Auch Aktionäre können Entscheidungen treffen, die sogenannte Fundamentalwertrelevanz haben und somit durch die Gesellschaft ggf. ad-hoc zu veröffentlichen sind.2 Im Konzern können zudem Geschäftsvorfälle bei Tochtergesellschaften je nach Gewichtigkeit der Tochtergesellschaft Auswirkungen auf Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage der Gruppe haben und somit potentiell insiderrelevant sein. * Die Verfasserin bedankt sich bei Frau Barbara Jursch für ihre Unterstützung bei der Recherche für diesen Beitrag. 1 Beispiel von Ihrig, ZHR 2017, 381 (383). 2 Beispiel: Abschluss einer Stimmbindungsvereinbarung zwischen zwei Aktionären, infolge derer sich die Machtverhältnisse in der AG grundsätzlich ändern könnten.

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Solche Konstellationen werfen im Hinblick auf die Pflichten der börsennotierten Gesellschaft zur Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen eine Reihe von Fragen auf, die aufgrund der drohenden hohen Bußgelder und Schadenersatzansprüche hochgradig praxisrelevant sind. Der folgende Beitrag beleuchtet aus dem Themenkreis der extern entstandenen Insiderinformationen den Teilbereich der im Konzern entstandenen Insiderinformationen, den nötigen konzerninternen Informationsfluss sowie dessen rechtliche Absicherung genauer und gibt Handlungsempfehlungen für verschiedene praxisrelevante Situationen.

II. Relevante rechtliche Gesichtspunkte Bevor auf verschiedene Konzernkonstellationen eingegangen werden kann, ist zunächst zu beleuchten, ab welchem Zeitpunkt grundsätzlich, also auch unabhängig von der Konzernsituation, eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation vorliegt (dazu unter 1.) bzw. wie sich die hierzu vertretenen Ansichten auf Konzernsachverhalte auswirken (dazu unter 2.). Relevant in diesem Zusammenhang ist auch die Frage, ob die Person, die Kenntnis von einer Insiderinformation erhält, diese überhaupt an den Emittenten weitergeben darf (dazu unter 3.) 1. Kenntnis als mögliche Voraussetzung der Ad-hoc-Publizitätspflicht Zunächst ist schon grundsätzlich streitig, ab welchem Zeitpunkt bei unternehmensextern entstandenen Informationen überhaupt eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation vorliegt. Konkret dreht sich die Frage darum, ob der Tatbestand, der die Pflicht zur Ad-hoc-Meldung auslöst, rein objektiv zu bestimmen und daher von der Kenntnis des Emittenten unabhängig oder ob eine – noch näher zu definierende  – Kenntnis des Emittenten Voraussetzung für die Offenlegungspflicht ist. Diese Frage kann auch unabhängig von der Situation eines Konzerns eine Rolle spielen, zum Beispiel dann, wenn lediglich einzelne Mitarbeiter bzw. untere Managementebenen − nicht jedoch der Vorstand – Kenntnis der relevanten Umstände haben. Aktuell wird diese Diskussion insbesondere im Zusammenhang mit den noch anhängigen Schadensersatzklagen von Anlegern gegen Porsche und VW geführt und soll nicht Gegenstand dieses Beitrags sein. Zum besseren Verständnis der nachfolgenden Ausführungen zu Konzernsachverhalten sollen die verschiedenen Auffassungen hier jedoch – holzschnittartig – skizziert werden. Ausgangspunkt ist der Wortlaut von Art. 17 MAR: „Emittenten geben der Öffentlichkeit Insiderinformationen, die unmittelbar diesen Emittenten betreffen, unverzüglich bekannt.“ Dieser Wortlaut enthält keinerlei Hinweis auf ein Erfordernis von Kenntnis. Allenfalls aus der Pflicht zur „unverzüglichen“3 Veröffentlichung der Insiderin3 In der ursprünglichen deutschen Sprachfassung von Art. 17 Abs. 1 MAR hieß es noch „so bald wie möglich“. Diese Wendung wurde in dem dritten Corrigendum zur MAR durch „unverzüglich“ ersetzt.

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formation kann ein Kenntnisbezug hergeleitet werden. Nach deutschen Maßstäben ist hierunter ein „ohne schuldhaftes Verzögern“ im Sinne von § 121 BGB zu verstehen. Art. 17 MAR ist jedoch vollharmonisierend, so dass die Norm europäisch einheitlich ausgelegt werden muss. Aus der fehlenden Erwähnung eines Kenntnis-Elementes in Art. 17 MAR wird zum Teil geschlossen, dass es auf eine Kenntnis des Emittenten nicht ankommt, sondern die Offenlegungspflicht in dem Moment entsteht, in dem die Insiderinformation vorliegt. 4 In Fällen, in denen der Emittent keine Kenntnis von dieser Tatsache und damit von der Offenlegungspflicht hatte, müsse dies im Rahmen der Prüfung, ob ein Bußgeldtatbestand bzw. Schadenersatzansprüche vorliegen, berücksichtigen werden. Nach anderer, insbesondere von Ihrig vertretener Ansicht kann es keine Rechtsnorm geben, die ihrem Adressaten eine Pflicht auferlegt, obwohl der Adressat von dem pflichtbegründenden Umstand keine Kenntnis hat. Dies widerspreche dem römischrechtlichen Grundsatz des ultra posse nemo obligator (Unmögliches zu leisten, kann niemand verpflichtet werden). Wissen sei deshalb ein ungeschriebenes, pflichtbegründendes Tatbestandsmerkmal von Artikel 17 MAR.5 Ihrig beurteilt dabei – in Ermangelung einer Dogmatik der Wissenszurechnung bei der juristischen Person auf Ebene des EU-Rechts – die Wissenszurechnung nach deutschem Recht und den vom BGH entwickelten Grundsätzen. Ausgangspunkt sei die Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation interner Wissensverwaltung in der vielgliedrigen Unternehmensorganisation.6 Eine Zurechnung von Wissen erfolgt danach in dem Umfang, in dem die im jeweiligen Normkontext relevante Information bei ordnungsgemäßer Wissensorganisation den Entscheidungsträgern zur Verfügung stehen müsste.7 Im Ergebnis kommt diese Auffassung dazu, dass dem Emittenten im Hinblick auf die Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität Wissen in dem Umfang zuzurechnen ist, in dem es bei einer ordnungsgemäßen, normzweckgerechten Wissensorganisation im Unternehmen für den Vorstand (als dem zur Erfüllung der Ad-hoc-Publizität zuständigen Organ) verfügbar gemacht werden kann.8 Andere, z.B. Klöhn, kommen zu ähnlichen Ergebnissen wie Ihrig, in dem sie zwar die Kenntnis des Emittenten nicht als eine Voraussetzung für die Ad-hoc-Publizitätspflicht verstehen, aber den Pflichteninhalt der Ad-hoc-Publizitätspflicht anhand des

4 Vgl. Schäfer in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 4.  Aufl. 2018, §  15 Rz. 15.21; Braun in Möllers/Rotter, Ad-hoc-Publizität, 1. Aufl. 2003, § 8 Rz. 47; ebenso im Ausgangspunkt Spindler/Speier, BB 2005, 2031 (2032). 5 Ihrig, ZHR 2017, 381 (385); Leyendecker-Langner/Kleinhenz, AG 2015, 72 (76); ähnlich – allerdings unter Bezugnahme auf die Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung in §  15 WpHG a. F. – Pfüller in Fuchs, 2. Aufl. 2016, § 15 WpHG Rz. 328; Sajnovits, WM 2016, 765 f.; Habersack, DB 2016, 1551 (1554), ähnlich Voß in Just/Voß/Ritz/Becker, 1. Aufl. 2015, § 15 WpHG Rz. 93. 6 BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, NJW 1996, 1339 (1340). 7 Ihrig, ZHR 2017, 381 (389). 8 Ihrig, ZHR 2017, 381 (390, 391).

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Merkmals „unverzüglich“ eingrenzen bzw. konkretisieren.9 Der Emittent soll nur verpflichtet sein, die Informationen unverzüglich bekannt zu geben. Dieses Merkmal beinhalte aber auch eine Compliance-Dimension, indem es eine Informationssuch-, -aufklärungs-, -weiterleitungs- und -analysepflicht statuiere. Letztlich spielen diese unterschiedlichen dogmatischen Auffassungen in vielen Situationen keine große Rolle: Liegt eine Insiderinformation vor, die der Emittenten nicht veröffentlicht, obwohl er von dieser Information hätte Kenntnis haben können, gehen alle Meinungen von einem Verstoß gegen Art. 17 MAR aus. Es ist daher unstrittig, dass der Emittent verpflichtet ist, alle Vorkehrungen zu treffen, um sicherzustellen, dass er ohne Verzögerung Kenntnis von den Insiderinformationen erlangt. 2. Bisherige Stellungnahme zu Konzernsachverhalten Wenig beleuchtet ist bislang, wie sich die skizzierten Auffassungen auf Konzernsachverhalte auswirken. Die Vertreter dieser Auffassungen haben dazu nur vereinzelt und punktuell Stellung genommen. Die Vertreter der Auffassung, dass die fehlende Kenntnis des Emittenten sich nur im Rahmen der Beurteilung des Verschuldens als Merkmal des relevanten Bußgeldbzw. Schadensersatztatbestandes auswirkt, müssten Kriterien entwickeln, nach welchen Maßstäben dieses Verschulden zu beurteilen ist. Dies ist bislang allenfalls vereinzelt erfolgt. Ihrig als Vertreter der Auffassung, die die Kenntnis bereits als Voraussetzung der Pflichtwidrigkeit ansieht und daher der Wissenszurechnung entscheidende Bedeutung für die Pflichtwidrigkeit beimisst, verweist darauf, dass der BGH in anderem Zusammenhang festgestellt habe, dass eine konzernweite Wissenszurechnung auch dann in Betracht komme, wenn die Wahrnehmung der Aufgaben der juristischen Person so organisiert ist, dass ein Teil ihres Aufgabenbereichs auf eine selbstständige juristische Einheit ausgegliedert ist.10 Für die Frage der Wissenszurechnung bei Art. 17 MAR komme es auf die Aufgabenteilung im Konzern jedoch nicht an. Entscheidend sei vielmehr, ob und inwieweit der Emittent die Herrschaftsmacht hat, die von Art.  17 MAR geforderte Wissensorganisationen auf andere Konzernunternehmen zu erstrecken und diese in das System der Identifizierung und Weiterleitung insiderrelevanter Informationen einzubeziehen. Aus der Konzernverbindung allein folge keine Wissenszurechnung.11 Das herrschende Unternehmen müsse jedoch die ihr zustehende Leitungsbefugnis nutzen, um die abhängige Gesellschaft zur Weitergabe von in ihrer Sphäre entstehenden oder bekannt werdenden insiderrechtlichen Informationen „nach oben“ zu veranlassen. Im Ergebnis bejaht Ihrig somit eine Wissenszurechnung für den Fall, dass die Emittentin die jeweilige Gesellschaft beherrscht.

9 Klöhn in Klöhn, 1. Aufl. 2018, Art. 17 MAR Rz. 105 ff.; Klöhn, NZG 2017, 1285. 10 BGH v. 13.10.2000 – V ZR 349/99, NJW 2001, 359 (360). 11 Ihrig, ZHR 2017, 381 (411).

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Auch Klöhn, bei dem die Wissenszurechnung bei der Prüfung der „Unverzüglichkeit“ eine Rolle spielt, stellt auf die Herrschaftsmacht des Emittenten in dem verbundenen Unternehmen ab.12 Werde das Unternehmen wie eine Betriebsabteilung geführt, ergebe sich kein Unterschied gegenüber Umständen, die im Tätigkeitsbereich des Unternehmens selbst eintreten. Handele es sich dagegen um eine schlichte Finanzbeteiligung, sollen die Grundsätze über unternehmensexterne Umstände entsprechend gelten, was wohl bedeuten soll, dass der Emittent in diesem Fall in der Regel nicht verpflichtet sei, Informationen zu ermitteln.13 Diese Unterscheidung überzeugt jedoch nicht: Wenn es darum geht, den Umfang der Informationssuch-, -aufklärungs-, -weiterleitungs- und -analysepflichten zu bestimmen, kann es auf die tatsächlich gewählte Organisation nicht ankommen. Die tatsächliche Organisation muss dem jeweiligen Pflichtenmaßstab folgen und nicht umgekehrt. 3. Berechtigung zur Weitergabe einer Insiderinformation Neben dem Blick auf die Pflichten der Emittentin ist auch ein Blick auf die Rechte der (natürlichen) Person, die Kenntnis von einer Insiderinformation erhält, zu werfen. Insbesondere stellt sich die Frage, ob diese Person die Information überhaupt an die Emittentin weitergeben darf. Nach Art. 14 MAR ist die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen verboten. Art. 10 Abs. 1 MAR sagt aus, dass jede Weitergabe von Insiderinformationen unrechtmäßig ist, es sei denn, die Offenlegung geschieht im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben. Der EuGH hat in der Grongaard-und-BangEntscheidung ausgeführt, dass dies eine eng auszulegende Ausnahme darstelle. Die Weitergabe der Insiderinformation sei nur zulässig, wenn sie für die Ausübung einer Arbeit oder für die Erfüllung einer Aufgabe unerlässlich sei.14 Unstrittig ist, dass die Weitergabe von Insiderinformationen innerhalb eines Emittenten an den Vorstand zulässig ist.15 Ist der Inhaber der Information dagegen nicht Mitarbeiter des Emittenten sondern einer Tochtergesellschaft, ist die Frage schwieriger zu beantworten. Grundsätzlich stellt auch die MAR auf die einzelne Gesellschaft ab und bezieht Rechte und Pflichten auf die Einzelgesellschaft. Der Konzern kann somit weder Verpflichteter von kapitalmarktrechtlichen Regelungen sein noch privilegiert der Konzern per se, also ohne weitere Begründung, den Informationsfluss innerhalb des Konzerns. Ein Blick auf mögliche Auskunftsrechte der Muttergesellschaft hilft hier auch nicht weiter, da gesellschaftsrechtliche Auskunftsrechte desjenigen, der die Information anfordert, keinen Rückschluss auf die kapitalmarktrechtliche Befugnis desjenigen, der die Information innehat, zur Weitergabe von Insiderinformationen zulässt. Zum Beispiel könnten die Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft auch gegenüber Gesellschaftern die Erteilung einer Information, auf die der Gesellschafter nach § 51a GmbHG Anspruch hat, verweigern, wenn sie sich dadurch strafbar ma12 Klöhn in Klöhn, 1. Aufl. 2018, Art. 17 MAR Rz. 132. 13 Klöhn in Klöhn, 1. Aufl. 2018, Art. 17 MAR Rz. 132, 121. 14 EuGH v. 22.11.2005 – C-384/02 – Grøngaard und Bang, Slg. 2005, I-9939. 15 Vgl. z.B. Klöhn in Klöhn, 1. Aufl. 2018, Art. 10 MAR Rz. 105.

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chen würde.16 Die Befugnis zur Weitergabe der Information ist daher rein kapitalmarktrechtlich zu beurteilen. Dabei wird zum Informationsfluss innerhalb verbundener Unternehmen meist vertreten, dass Informationen an das herrschende (börsennotierte) Unternehmen weitergegeben werden dürfen. Dies wird in der Regel damit begründet, dass das herrschende Unternehmen zur Offenlegung dieser Informationen verpflichtet ist und daher ein Konzerninteresse bestehe, es der Konzernmutter zu ermöglichen, ihren Pflichten, die sich aus der Rolle als Konzernmutter ergeben, auch wahrzunehmen (Konzernermöglichungsfunktion).17 Nur vereinzelt wird die Frage aufgeworfen, welches rechtliche Interesse die Tochtergesellschaft eigentlich an einer solchen Weiterleitung hat.18 Es wird vertreten, dass die Weitergabe der Insiderinformation nur dann unbefugt sei, wenn sie nicht zu Zwecken der Einflussnahme auf die abhängige AG, der Konzernleitung oder der Fernüberwachung weitergegeben werden. Dies soll z.B. dann der Fall sein, wenn die Weitergabe dazu dienen soll, der Konzernmutter den Erwerb unterbewerteter Aktien der Tochtergesellschaft zu ermöglichen.19 Neben dem Konzerninteresse ist auch noch ein weiterer Aspekt relevant: Der Kapitalmarkt hat ein Interesse daran, dass die Informationen, die einen Emittenten unmittelbar betreffen und für diesen eine Insiderinformation darstellen, diesem Emittenten auch zugeführt werden, damit dieser Emittent die Insiderinformation auf dem Weg hierfür vorgesehenen Weg − nämlich als Ad-hoc-Meldung − veröffentlichen kann. Der Inhaber einer Insiderinformation hat ein gleichlaufendes Interesse, auch wenn er selbst nicht nach Art. 17 MAR veröffentlichungspflichtig ist. Mit der Veröffentlichung der entsprechenden Information über eine Ad-hoc-Meldung entfällt nämlich die Qualifikation der Information als Insiderinformation. Der Inhaber der Information ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr von den strafbewehrten Weitergabesowie Insiderhandelsverboten betroffen. Die Weitergabe einer Insiderinformation an den Emittenten, den die Insiderinformation betrifft, muss daher im Regelfall berechtigt sein.

III. Auswirkungen auf verschiedene Konzernkonstellationen sowie Schlussfolgerungen für die Konzernorganisation Im Folgenden sollen die geschilderten Grundsätze auf verschiedene Konzernkonstellationen angewandt und Schlussfolgerungen für die Konzernorganisation gezogen werden. Dazu werden die vier häufigsten Konzernkonstellationen diskutiert: (i) die Emittentin verfügt über herrschenden Einfluss auf eine GmbH, (ii) die Emittentin 16 Z.B. Hillmann in MüKO GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 51a GmbHG Rz. 74. 17 Vgl. Assmann in Assmann/Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, 7.  Aufl. 2019, Art.  10 VO (EU) Nr.  596/2014, Rz.  44; Meyer in Meyer/Veil/Rönnau, Handbuch zum Marktmissbrauchsrecht, 1. Aufl. 2018, § 8 Rz. 26; Singhof, ZGR 2001, 146 (161); kritisch, i.E. aber wohl zustimmend: Klöhn in Klöhn, 1. Aufl. 2018, Art. 10 MAR Rz. 126 ff. 18 Vgl. Klöhn in Klöhn, 1. Aufl. 2018, Art. 10 MAR Rz. 127, 129. 19 Klöhn in Klöhn, 1. Aufl. 2018, Art. 10 MAR Rz. 136.

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verfügt lediglich über eine Minderheitsbeteiligung an der GmbH, (iii) bei der Tochtergesellschaft handelt es sich um eine (nicht-börsennotierte) Aktiengesellschaft, und (iv) bei der Tochtergesellschaft handelt es sich um eine börsennotierte Aktiengesellschaft. 1. Herrschender Einfluss der Emittentin auf eine Tochter-GmbH In vielen Fällen sind Konzerne so organisiert, dass es sich bei der Emittentin um die  Muttergesellschaft handelt, die über herrschenden Einfluss auf (meist mehrere) nicht-börsennotierte Tochtergesellschaften verfügt. Je nach Gewichtigkeit dieser Tochtergesellschaft im Verhältnis zur gesamten Gruppe können Umstände, die in der Sphäre dieser Tochtergesellschaft eintreten, für die börsennotierte Muttergesellschaft eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation darstellen. Wie oben (unter II.3.) beschrieben, muss es zulässig sein, dass Insiderinformationen an die Emittentin zum Zwecke der Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung weitergegeben werden. Die Geschäftsführer und Arbeitnehmer einer Tochtergesellschaft verstoßen daher nicht gegen das Weitergabeverbot nach Art. 14 MAR, wenn sie solche Insiderinformationen an die Emittentin weitergeben. Umgekehrt ist die Emittentin verpflichtet, dafür zu sorgen, dass solche Insiderinformationen weitergegeben und nach Art.  17 MAR veröffentlicht werden. Kommt die Emittentin dem nicht nach, liegt nach allen skizzierten Auffassungen im Regelfall ein Verstoß gegen Art. 17 MAR vor: Geht man davon aus, dass es im Rahmen von Art. 17 MAR nicht auf die Kenntnis des Emittenten ankommt, liegt ohne weiteres ein Verstoß vor, der wohl in der Regel auch schuldhaft und damit bußgeld- bzw. schadensersatzbewehrt wäre. Folgt man der Auffassung von Ihrig, würde das Wissen der Tochtergesellschaft der Emittentin aufgrund der Herrschaftsbefugnis der Emittentin zugerechnet. Nach der Auffassung von Klöhn hätte die Emittentin zumindest dann gegen ihre aus Art.  17 MAR folgende Informationssuch-, -aufklärungs-, -weiterleitungs- und -analysepflicht verstoßen, wenn es sich um eine Tochtergesellschaft handele, die wie eine Betriebsabteilung geführt werde. Lediglich bei schlichten Finanzbeteiligungen soll etwas anderes gelten. Wie bereits ausgeführt wurde, überzeugt diese Unterscheidung nicht. Für diese Konstellation bleibt somit nur die Frage, wie die Emittentin ihre Ad-hocPublizitätspflicht gegenüber der Tochtergesellschaft durchsetzen kann. Ihrig schlägt vor, dass die Umsetzung dieser Pflichten durch Weisung zum Abschluss eines entsprechenden Informationsweitergabevertrages geschehen könne.20 Zumindest in 100%-Konstellationen ist jedoch auch der Erlass einer entsprechenden Informationsordnung bzw. die direkte Erteilung von entsprechenden Weisungen zulässig, solange klargestellt wird, dass die Insiderinformation nicht an jede beliebige Person bei der Emittentin, sondern an das Ad-hoc-Committee oder an den Vorstand der Emittentin gegeben werden muss. Zum Inhalt dieses Informationsweitergabevertrages bzw. der Weisung wird nachfolgend unter III.5 noch Stellung genommen.

20 Ihrig, ZHR 2017, 381 (412).

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2. Kein herrschender Einfluss der Emittentin auf eine nicht-börsennotierte Gesellschaft Hält die Emittentin dagegen nicht die Mehrheit der Stimmrechte an der Tochtergesellschaft, wird sie in der Regel keinen herrschenden Einfluss ausüben können. Ohne Mithilfe ihrer Mitgesellschafter kann die Emittentin in diesem Fall keine Weisung zum Abschluss eines Informationsweitergabevertrages bzw. direkt zur Informationsweitergabe erteilen. Auch in diesem Fall darf die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft die Information an die Emittentin weitergeben, aus den zuvor genannten Gründen ist eine Informationsweitergabe an die Emittentin mit dem Ziel, dass diese die Insiderinformation ad-hoc veröffentlicht oder pflichtgemäß über einen Aufschub der Veröffentlichungspflicht entscheidet, nicht unrechtmäßig im Sinne von Art.  14 MAR (vgl. oben unter II.3). Der Unterschied zu einer beherrschten Tochtergesellschaft liegt nur darin, dass die Emittentin diese Informationsweitergabe nicht ohne weiteres durchsetzen kann. Für die Ad-hoc-Publizitätspflicht der Emittentin bedeutet dies nach den geschilderten Meinungen Folgendes: Soweit vertreten wird, dass die Ad-hoc-Publizitätspflicht unabhängig von der Kenntnis der Emittentin besteht, wäre die Ad-hoc-Publizitätspflicht ausgelöst. Im Rahmen eines Bußgeld- oder Schadensersatzverfahrens müsste der fehlende herrschende Einfluss der Emittentin berücksichtigt werden. Nach der Auffassung von Ihrig würde das Wissen der (nicht-beherrschten) Beteiligungsgesellschaft dagegen der Emittentin nicht zugerechnet, so dass auf Ebene der Emittentin die Ad-hoc-Publizitätspflicht gar nicht erst entsteht. Auch Klöhn stellt auf die Herrschaftsmacht der Emittentin ab und käme wohl zu der Schlussfolgerung, dass die Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung nicht verletzt sei. Dies würde jedoch zu dem merkwürdigen Ergebnis führen, dass eine Insiderin­ formation, die eine Emittentin unmittelbar betrifft, nicht veröffentlicht würde. Ggf. wären die Mitgesellschafter der Emittentin bzw. die Geschäftsführung der Beteiligungsgesellschaft ja bereit, einen Informationsweitergabevertrag zu schließen, auch wenn die Emittentin dies nicht per Weisung durchsetzen kann. Stellt man ausschließlich auf die Herrschaftsmacht der Emittentin ab, wird dieser Aspekt ausgeblendet. Die Emittentin könnte somit bewusst die Augen verschließen und damit verhindern, dass Insiderinformationen veröffentlicht werden. Andererseits mutet es ebenso merkwürdig an, in solchen Fällen eine Pflicht der Emittentin, den Abschluss eines Informationsweitergabevertrages zu versuchen, anzunehmen  – eine harte „Pflicht zum Versuch“ kann es nicht geben, dies kann allenfalls im Rahmen des Verschuldens berücksichtigt werden. Darüber hinaus blendet der Fokus auf die Herrschaftsmacht der Emittentin aus, dass auch Minderheitsgesellschaftern einer GmbH Auskunftsrechte nach § 51a GmbHG zustehen. Die Emittentin könnte diese Auskunftsrechte geltend machen und auf diese Art und Weise die Insiderinformation erhalten. Wie gezeigt wurde, ist die Weitergabe einer Insiderinformation an die Emittentin mit dem Ziel, dass diese die Insiderinformation ordnungsgemäß veröffentlicht bzw. pflichtgemäß über einen Aufschub entscheidet, für die Geschäftsführung der Beteiligungsgesellschaft nicht unrechtmä446

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ßig, so dass sie die Weitergabe der Information auch nicht mit dem Hinweis auf eine drohende Strafbarkeit verweigern könnte. Für die Konzernorganisation heißt dies, dass die Emittentin im Falle von Beteiligungsgesellschaften, über die sie keinen herrschenden Einfluss ausüben kann, ihre Auskunftsrechte nach §  51 a GmbHG laufend geltend machen muss. Dies könnte dergestalt erfolgen, dass die Emittentin (einmalig) verlangt, zukünftig zu jeder Zeit und unverzüglich über näher bestimmte (dazu noch nachfolgend unter III.5) Geschäftsvorfälle unterrichtet zu werden. Kommt die Beteiligungsgesellschaft diesem Auskunftsverlangen nicht oder nicht unverzüglich nach, läge in der Tat (je nach dogmatischer Auffassung zur Ad-hoc-Publizitätspflicht) kein Pflichtverstoß oder kein Verschulden vor. Ist die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft dagegen bereit, die Muttergesellschaft bei der Erfüllung ihrer kapitalmarktrechtlichen Pflichten zu unterstützen, empfiehlt sich der Abschluss eines Informationsweitergabevertrages (siehe dazu unter III.5), um im Interesse beider Seiten ein solches „fortlaufendes Auskunftsersuchen“ zu vermeiden und die jeweiligen Pflichten zu konkretisieren. Anzumerken ist, dass in den Fällen, in denen die Emittentin lediglich eine Minderheitsposition an der betreffenden Gesellschaft hält, diese Beteiligung für die Gesamtgruppe bzw. für die Finanz-, Vermögens- und Ertragslage der Emittentin oftmals nicht allzu gewichtig sein wird. Die Emittentin kann daher auch zu dem Schluss kommen, dass selbst Geschäftsvorfälle, die für diese Beteiligungsgesellschaft existenzbedrohend wären, für die Emittentin selbst keine veröffentlichungspflichtigen Insiderinformationen darstellen würden. In diesem Fall kann das beschriebene Auskunftsverlangen auch unterbleiben. 3. Aktiengesellschaft als Tochtergesellschaft Handelt es sich bei der Tochtergesellschaft um eine Aktiengesellschaft, bestehen im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit einer Informationsweitergabe von der Tochter an die Mutter nach Art.  14 MAR keine Besonderheiten, sofern die Tochter-AG nicht börsennotiert ist (zum Sonderfall einer börsennotierten Tochtergesellschaft sogleich unter III.4). Der Vorstand der Tochter-AG darf die Information daher an die börsennotierte Muttergesellschaft weiterleiten. Allerdings bestehen – unabhängig von der Beteiligungshöhe der Emittentin − in der Regel keine Weisungsrechte der Emittentin gegenüber einer AG. Der Vorstand einer AG leitet die Gesellschaft nach § 93 AktG in eigener Verantwortung. Weisungen der Aktionäre sind unzulässig, sofern kein Beherrschungsvertrag geschlossen wurde. Es bestehen auch keine § 51a GmbHG vergleichbaren Auskunftsrechte: Zwar wird die Emittentin im Regelfall Vertreter im Aufsichtsrat der Tochter-AG haben, diese sind in dieser Funktion jedoch Organ der Tochter-AG und dürfen diese Informationen nicht ohne weiteres an die Emittentin weitergeben, es findet auch keine Zurechnung statt.21 § 131 AktG gewährt nur ein Auskunftsrecht in der Hauptversammlung, § 294 Abs. 3 HGB nur für Konzernrechnungslegung und Prüfung. 21 Ihrig, ZHR 2017, 381 (399).

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Die Emittentin hat daher tatsächlich keine Möglichkeit, die Informationsweitergabe durchzusetzen. Bei einer Beteiligungshöhe von mehr als 75% könnte erwogen werden, aus kapitalmarktrechtlichen Gründen eine Verpflichtung zum Abschluss eines Beherrschungsvertrages anzunehmen, angesichts der daraus resultierenden Verlustübernahmepflicht nach § 302 AktG erscheint dies viel zu weitgehend und nicht zumutbar. Ein Teilbeherrschungsvertrag nur bezogen auf die Informationspflichten wird, so weit ersichtlich, nicht diskutiert, würde wohl die Verlustübernahmepflicht nach § 302 AktG auch nicht vermeiden. Aber auch in diesem Fall empfiehlt es sich für die börsennotierte Muttergesellschaft, den Abschluss eines Informationsweitergabevertrages wenigstens anzustrengen, auch wenn der Abschluss eines solchen Vertrages nicht hart durchsetzbar ist. Zwar entsteht nach den Auffassungen von Ihrig keine Ad-hoc-Publizitätspflicht22 bzw. ist nach der Auffassung von Klöhn im Hinblick auf das Merkmal Unverzüglichkeit nicht verletzt. Soweit vertreten wird, dass die Ad-hoc-Publizitätspflicht unabhängig von der Kenntnis der Emittentin besteht, wäre die Ad-hoc-Publizitätspflicht jedoch ausgelöst. Im Rahmen der Prüfung des Verschuldens könnte berücksichtigt werden, wenn die Emittentin nicht einmal versucht hätte, einen solchen Vertrag abzuschließen. 4. Börsennotierte Tochter-Aktiengesellschaft oder Beteiligung der Emittentin an einer börsennotierten Aktiengesellschaft Ist die Tochtergesellschaft, in deren Sphäre die Insiderinformation entstanden ist, ebenfalls börsennotiert, können sich Besonderheiten für die Befugnis zur Weitergabe der Insiderinformation ergeben. Hier sind drei Situationen zu unterscheiden: (i) Bei der betreffenden Information handelt sich ausschließlich um eine Insiderinformation bei der Muttergesellschaft, (ii) es handelt sich ausschließlich um eine Insiderinformation bei der Tochtergesellschaft oder (iii) es handelt sich sowohl für die Mutterals auch für die Tochtergesellschaft um eine Insiderinformation. Situation (i) (Insiderinformation nur der Muttergesellschaft) ist kaum denkbar. Vorstellbar ist allenfalls, dass die Information der Tochtergesellschaft im Zusammenspiel mit weiteren, bei der Muttergesellschaft oder anderen Tochtergesellschaften vorliegenden Informationen sich zu einer Insiderinformation bei der Muttergesellschaft zusammenfügt. Dieser Sonderfall, den die Tochtergesellschaft nur bedingt in ihre Überlegungen einbeziehen kann und der wahrscheinlich nur im Rahmen des normalen Reportings überhaupt entdeckt wird, soll hier außen vor bleiben. Plausibel ist jedoch, dass eine in der Sphäre der Tochtergesellschaft entstandene Information ausschließlich für die Aktien der Tochtergesellschaft kursrelevant ist. Für die Muttergesellschaft, die oftmals noch über weitere Beteiligungen oder eigenes Geschäft verfügt, können die Auswirkungen der Information geringer und damit nicht mehr kursrelevant sein. Denkbar ist aber auch, dass die Information sowohl für die Tochter-AG als auch für die Mutter-AG kursrelevant und damit ad-hoc-pflichtig ist.

22 Ihrig, ZHR 2017, 381 (412); Mader, Der Konzern 2015, 476 (477 ff.).

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Für diese Fälle wird diskutiert, ob der Vorstand der Tochter-AG die betreffende Information an die Mutter-AG weitergeben darf. In beiden Fällen – Insiderinformation nur der Tochtergesellschaft bzw. Doppel-Insiderinformation – ist (auch) die TochterAG verpflichtet, die Information unverzüglich zu veröffentlichen. Unstrittig ist, dass sich der Zeitraum der Unverzüglichkeit nicht dadurch verlängert, dass die Tochtergesellschaft sich verpflichtet glaubt, die Information vorab mit der Muttergesellschaft abzustimmen. Liegt eine Insiderinformation der Tochtergesellschaft vor und entscheidet sich der Vorstand der Tochtergesellschaft nicht zu einem Aufschub der Veröffentlichung nach Art. 17 Abs. 4 MAR, muss die Insiderinformation sofort veröffentlicht werden Die Frage, ob die Insiderinformation an die Muttergesellschaft weitergegeben werden darf, stellt sich daher nur für den (sehr überschaubaren) Zeitraum, in dem die Veröffentlichung der Insiderinformation vorbereitet wird bzw. für den (möglicherweise längeren) Zeitraum, in dem die Tochtergesellschaft die Veröffentlichung nach Art. 17 Abs. 4 MAR aufschiebt. Nach der hier vertretenen Auffassung muss auch in diesem Fall eine Weitergabe der Insiderinformation an die Muttergesellschaft zulässig sein. Dass es sich ggf. gleichzeitig um eine Insiderinformation der börsennotierten Tochter-AG handelt, ändert nichts daran, dass die Weitergabe der Information an den Emittenten, den die Insiderinformation unmittelbar (auch) betrifft, zum Zwecke der Veröffentlichung bzw. pflichtgemäßen Entscheidung über einen Aufschub der Veröffentlichung zulässig sein muss. Dies gilt auch dann, wenn die jeweilige Information zwar eine Insiderinformation der börsennotierten Tochter-AG darstellt, nicht jedoch – z.B. wegen mangelnder Kursrelevanz – der börsennotierten Muttergesellschaft. Andernfalls müsste die Tochter-AG entscheiden, welche der (eigenen) Insiderinformationen gleichzeitig eine Insiderinformation der Muttergesellschaft darstellt. Diese Entscheidung kann die Tochtergesellschaft mangels Information über die übrigen Beteiligungen der Muttergesellschaft gar nicht treffen. Auch in diesem Fall muss daher eine Weitergabe rechtmäßig sein, damit die Muttergesellschaft ihren kapitalmarktrechtlichen Pflichten nachkommen kann bzw. prüfen kann, ob derartige Pflichten bestehen. Dass die Weitergabe der Information an die Muttergesellschaft rechtmäßig sein muss, zeigt auch folgende Überlegung: Kann die Information nicht weitergegeben werden, würde die Muttergesellschaft erst durch die Ad-hoc-Veröffentlichung der TochterAG von dem relevanten Umstand erfahren und müsste dann prüfen, ob die jeweilige Information auch für sie eine Insiderinformation darstellt. Diese Prüfung müsste regelmäßig zu dem Ergebnis kommen, dass eine veröffentlichungspflichtige Information nicht mehr vorliegt: Durch die Veröffentlichung durch die Tochter ist die Information öffentlich bekannt geworden und hat ihre Qualifikation als Insiderinformation verloren. Um eine bestmögliche Transparenz des Kapitalmarktes zu erreichen, ist es jedoch sinnvoller, wenn sowohl die Tochter- als auch die Muttergesellschaft Ad-hocMitteilungen veröffentlichen, damit die Ad-hoc-Mitteilungen die jeweils interessierten Anlegergruppen bestmöglich erreicht. Die Anleger der Muttergesellschaft müssten sonst jeweils die Ad-hoc-Mitteilungen der Tochtergesellschaften mit verfolgen. Im Interesse des Kapitalmarktes ist eine doppelte Ad-hoc-Mitteilung sicherlich vorzugswürdig. 449

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Bei Abschluss des entsprechenden Informationsweitergabevertrages sollte sich der Vorstand der börsennotierten Tochter-AG allerdings zweckmäßigerweise vorbehalten, die Information dann nicht weiterzugeben, wenn eine Weitergabe den berechtigten Interessen der Tochter-AG widerspricht. Ein solcher Fall wäre denkbar, wenn die Tochtergesellschaft einen Aufschub der Veröffentlichung beschlossen hat und die Gefahr sieht, dass die Muttergesellschaft eine gegenläufige Entscheidung trifft und damit die Interessen der Tochtergesellschaft, die zu dem Aufschub der Veröffentlichung geführt haben, gefährdet. Im Regelfall sollten jedoch die Interessen von Tochter- und Muttergesellschaft gleichgerichtet sein, so dass solche Fälle eher theoretischer Natur sein sollten. 5. Inhalt des Informationsweitergabevertrages bzw. der Weisung auf Erteilung der Information Der hier empfohlene Informationsweitergabevertrag23 bzw. die Weisung der Muttergesellschaft an die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft sollte konkretisieren, welche Informationen unverzüglich, also nicht erst im Rahmen des regulären Reportings, an die Emittentin weitergegeben werden müssen bzw. ab welchen Schwellenwerten die Muttergesellschaften von einer potentiellen Insiderinformation ausgeht. Je nach Gewichtigkeit der Tochtergesellschaft in der Gruppe werden dies oftmals nur wenige, schwerwiegende Geschäftsvorfälle oder Informationen sein – ggf. sogar nur solche Geschäftsvorfälle, welche die gesamte Existenz der Tochtergesellschaft bedrohen. Darüber hinaus sollten Informationskanäle definiert und konkrete Ansprechpartner und deren Vertreter benannt werden.

IV. Zusammenfassung in Thesen – Börsennotierte Aktiengesellschaften sollten ihre kapitalmarktrechtlichen Com­ pliance-Strukturen darauf überprüfen, ob ihre Tochtergesellschaften und Betei­ ligungen hinreichend eingebunden sind. Je nach dogmatischer Einordnung der Ad-hoc-Publizitätspflicht drohe die Zurechnung der Kenntnis einer Insiderinformation, jedenfalls jedoch ein Verschuldensvorwurf, und damit Bußgelder und Schadensersatzansprüche, wenn Insiderinformationen, die in der Sphäre einer solchen Tochtergesellschaft oder Beteiligung entstehen, erst mit Verzögerungen durch die börsennotierte AG veröffentlicht werden. – Für die Dokumentation und rechtliche Absicherung dieser Einbindung bietet sich der Abschluss eines Informationweitergabevertrages oder, bei herrschendem Einfluss der börsennotierten AG, eine entsprechende Weisung an, in der die Sachverhalte, die aus Sicht der Muttergesellschaft eine Ad-hoc-Publizitätspflicht auslösen können, definiert bzw. Schwellenwerte festgelegt und Informationskanäle vereinbart werden.

23 Bzw. Kooperationsvereinbarung Kapitalmarkt.

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Organisationspflichten im Konzern und Ad-hoc-Publizität nach Art. 17 MAR

– Besteht kein herrschender Einfluss der börsennotierten AG, sollte an Beteiligungen in der Rechtsform der GmbH ein entsprechendes Auskunftsverlangen nach § 51a GmbH gestellt und darauf hingewiesen werden, dass diesem Verlangen fortlaufend und unverzüglich nachzukommen ist. Die Möglichkeit dieses Auskunftsverlangens rechtfertigt darüber hinaus den Abschluss eines Informationsweitergabevertrages. – Bei Tochtergesellschaften in der Rechtsform der AG kann der Abschluss eines Informationsweitergabevertrages nicht hart durchgesetzt werden. Der Abschluss eines solchen Vertrages ist aber dennoch zulässig und sollte angestrebt werden. – Die Weitergabe von Insiderinformationen an die börsennotierte Muttergesellschaft ist auch für die Tochtergesellschaften oder Beteiligungen, die selbst börsennotiert sind, zulässig. Dass es sich ggf. gleichzeitig oder ausschließlich um eine Insiderinformation der börsennotierten Tochter-AG handelt, ändert daran nichts. Auch in diesen Fällen empfiehlt sich der Abschluss eines Informationsweitergabevertrages.

Dr. Irka Zöllter-Petzoldt Rechtsanwältin Partnerin

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Kostenübernahme von Geldsanktionen und Verteidigungskosten durch Unternehmen – Überblick über strafrechtliche Risiken und steuerliche Auswirkungen Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Strafrechtliche Risiken bzw. Einordnung der Kostenübernahme durch ein Unternehmen für Mitarbeiter 1. Keine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung gemäß § 258 StGB a) Nachträgliche Übernahme von Geldsanktionen in Form von Geldstrafen, Bußgeldern und Geldauflagen nach § 153a StPO b) Übernahme von Verfahrenskosten: Verteidigerhonorar 2. Mögliche Risiken und Strafbarkeit wegen Untreue gemäß § 266 StGB a) Pflicht zur Kostenübernahme durch das Unternehmen? b) Freiwillige Kostenübernahme von Geldsanktionen im Rahmen ordnungsgemäßer Geschäftsführung c) Freiwillige Kostenübernahme von Verteidigungskosten d) Zwischenfazit

III. Steuerrechtliche Einordnung der Kostenübernahme durch Unternehmen für ­Mitarbeiter, Organe und Gesellschafter 1. Steuerliche Behandlung der Kostenübernahme von Geldsanktionen a) Übernahme von Geldsanktionen als Arbeitslohn b) Abzugsfähigkeit oder Abzugsverbot? 2. Kostenübernahme von Strafverteidigungskosten und steuerliche Abzugsfähigkeit a) Kein steuerpflichtiger Arbeitslohn bei beruflich veranlasster Tätigkeit b) Steuerliche Abzugsfähigkeit von ­Strafverteidigungskosten c) EuGH: Kein Vorsteuerabzug bei der Übernahme von Verteidigungskosten bei ausschließlich gegen Geschäftsführer oder Mitarbeiter gerichtete Strafverfolgungsmaßnahmen 3. Besonderheiten bei der Kostenüber­ nahme für Gesellschafter einer Kapitaloder Personengesellschaft IV. Zusammenfassung

I. Einleitung Zunehmend rücken Unternehmen in das Visier der Ermittlungsbehörden. Aktuell zeigt sich dies deutlich an dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft,1 mit dem die Ahndung entsprechender 1 BR-Drs. 440/20, Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 7.8.2020, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2020/044020.pdf; der Bundesrat weist in seiner Stellungnahme auf fachlichen Änderungs- bzw. Streichungsbedarf an verschiedenen Passagen des Regierungsentwurfs hin, vgl. BR-Drs. 440/20 (Beschluss) v. 18.9.2020, https://www.bundesrat.de/drs.html?id=440-20%28B%29; die Bun-

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Verbandstaten auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt werden soll. Richten sich strafrechtliche Ermittlungen gegen leitende Mitarbeiter, Geschäftsführer oder Vorstände, ist seitens des Unternehmens oftmals die Bereitschaft zu beobachten, für das verantwortlich handelnde Organ oder den Mitarbeiter finanzielle Lasten in Form von Geldsanktionen bzw. Strafverteidigungskosten zu übernehmen. Dies soll selbstverständlich unter Ausschluss strafrechtlicher und steuerrechtlicher Risiken geschehen. Das Unternehmen wird häufig ebenfalls ein Interesse an einer schnellen Beendigung des Strafverfahrens haben, um den Schaden für den Mitarbeiter sowie für das Unternehmen selbst möglichst gering zu halten und einen störungsfreien Betriebsablauf sicherzustellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die vorgeworfene Tat zudem eine Anknüpfungstat i.S.d. § 30 OWiG darstellen könnte. In der Praxis stellt sich daher häufig die Frage, ob die einem Mitarbeiter für die Rechtsverfolgung entstehenden Kosten sowie Geldsanktionen von einem Unternehmen ohne Konsequenzen getragen werden dürfen, oder ob das Unternehmen gegebenenfalls sogar hierzu verpflichtet sein kann. Der Artikel soll einen schnellen Überblick über die strafrechtlichen Risiken und steuerlichen Auswirkungen der Kostenübernahme bieten.

II. Strafrechtliche Risiken bzw. Einordnung der Kostenübernahme durch ein Unternehmen für Mitarbeiter Für ein Unternehmen stellt sich im Zusammenhang mit der Übernahme von Geldsanktionen und Verteidigungskosten grundsätzlich die entscheidende Frage, ob hierdurch strafrechtliche Risiken begründet werden. In Betracht kommen insoweit die Tatbestände der Strafvereitelung gemäß § 258 StGB und der Untreue gemäß § 266 StGB. 1. Keine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung gemäß § 258 StGB a) Nachträgliche Übernahme von Geldsanktionen in Form von Geldstrafen, Bußgeldern und Geldauflagen nach § 153a StPO Die Frage, ob die mittelbare oder unmittelbare Bezahlung einer Geldstrafe durch einen Dritten den Tatbestand der Strafvereitelung − in der Alternative der Vollstreckungsvereitelung − nach § 258 Abs. 2 StGB verwirklicht, war lange Zeit umstritten.2 desregierung hat am 21.10.2020 eine Gegenäußerung zu der Stellungnahme des Bundesrates beschlossen, vgl. BT-Drs. 19/23568 (Vorabfassung) v. 21.10.2020, S.  151  ff., https://dip21. bundestag.de/dip21/btd/19/235/1923568.pdf. 2 Die Tatbestandsverwirklichung des § 258 Abs. 2 StGB wurde vor allem damit begründet, dass der Sinn und Zweck der Geldstrafe, nämlich dass die Strafe den Verurteilten persönlich treffen und für ihn ein spürbares Übel darstellen solle, unterlaufen werde, wenn ein anderer für den Verurteilten diese finanzielle Last trage, vgl. Fischer, Strafgesetzbuch, 67. Aufl. 2020, § 258 StGB Rz. 32 m.w.N.

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Kostenübernahme von Geldsanktionen und Verteidigungskosten durch Unternehmen

Mit seiner Entscheidung im Jahr 1990 hat der BGH3 jedoch klargestellt, dass die Übernahme einer Geldstrafe durch Dritte nicht den Tatbestand der Strafvollstreckungsvereitelung erfüllt. Die je nach Einzelfall vollkommen subjektiv empfundene persönliche Betroffenheit eines Verurteilten durch die Verhängung einer Geldstrafe ist nicht mit staatlichen Zwangsmitteln vollstreckbar und deshalb nicht Angriffsobjekt der Strafvereitelung. Übernimmt ein Dritter, also beispielsweise ein Unternehmen für einen seiner Mitarbeiter die Zahlung einer Geldstrafe ohne dabei in den äußeren Ablauf der Vollstreckung einzugreifen, und bewirkt so im Ergebnis lediglich, dass der Verurteilte „von der Strafe nicht oder weniger persönlich betroffen ist“, da er von der finanziellen Belastung der Geldsanktion befreit wird, liegt keine Strafvereitelung vor.4 Gleiches gilt auch für die Kostenübernahme von Geldauflagen und Bußgeldern.5 Letztere fallen schon nicht unter den Tatbestand des § 258 Abs. 2 StGB, da dieser nur die Vereitelung einer rechtskräftig verhängten Strafe oder Maßnahme erfasst.6 Im Gegensatz zur Geldstrafe kommt der Geldauflage kein Strafcharakter zu, weil die Zustimmung des Beschuldigten Voraussetzung ist.7 Die Übernahme einer Geldsanktion durch ein Unternehmen für seine Mitarbeiter erfüllt daher nicht den Tatbestand der Strafvereitelung. b) Übernahme von Verfahrenskosten: Verteidigerhonorar Erst recht ist die Übernahme von Verteidigungskosten durch ein Unternehmen für Mitarbeiter nicht nach § 258 Abs. 2 StGB strafbar. Die Übernahme des Verteidigerhonorars dient weder der Vereitelung der Bestrafung wegen einer rechtswidrigen Tat, noch wird verhindert, dass ein anderer einer Maßnahme i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB unterworfen wird. Als Organ der Rechtspflege ist der Strafverteidiger vielmehr Vo­ raussetzung für die Durchführung eines fairen Verfahrens und die Wahrung der Rechte des Beschuldigten, welche durch die Kostenübernahme gefördert werden.8 2. Mögliche Risiken und Strafbarkeit wegen Untreue gemäß § 266 StGB Näher zu betrachten ist hingegen die Frage, ob die nachträgliche Kostenübernahme einer Geldsanktion bzw. die Übernahme von Verfahrenskosten in Gestalt des Verteidigerhonorars eine Vermögensbetreuungspflichtverletzung der Unternehmensverantwortlichen darstellt und damit möglicherweise eine Strafbarkeit wegen Untreue begründen kann.

3 BGH v. 7.11.1990 – 2 StR 439/90, NJW 1991, 990 (992) m.w.N. 4 BGH v. 7.11.1990 – 2 StR 439/90, NJW 1991, 990 (992); vgl. auch Kühl in: Lackner/Kühl, 29. Aufl. 2018, § 258 StGB Rz. 13; Fischer, Strafgesetzbuch, 67. Aufl. 2020, § 258 StGB Rz. 32 m.w.N. 5 Horrer/Patzschke, CCZ 2013, 94; Spatscheck/Ehnert, StraFo 2005, 265 (266). 6 Fischer, Strafgesetzbuch, 67. Aufl. 2020, § 258 StGB Rz. 29. 7 Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Aufl. 2020, § 153a StPO Rz. 12. 8 Spatscheck/Ehnert, StraFo 2005, 265 (266); Hoffmann/Wißmann, StV 2001, 249.

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Im Ergebnis scheidet eine Strafbarkeit gemäß § 266 StGB aus, wenn die Kostenübernahme durch das Unternehmen nicht pflichtwidrig ist. Dies ist der Fall, soweit für die Kostentragung eine Rechtfertigung, wie beispielsweise eine ökonomisch sinn­ volle, ermessensfehlerfreie Entscheidung im Rahmen einer „ordnungsgemäßen Geschäftsführung“ angeführt werden kann bzw. das Unternehmen gegenüber dem ­verantwortlich handelnden Organ oder Mitarbeiter zur Übernahme der Kosten verpflichtet ist.9 Unter Umständen kann auch die vorherige Zustimmung von Gesellschaftsorganen, als tatbestandsausschließendes Einverständnis, eine Vermögensbetreuungspflichtverletzung ausschließen.10 Nicht zuletzt, weil noch immer keine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung in Bezug auf die Kostenübernahme für private Personen- oder Kapitalgesellschaften existiert, verbietet sich an dieser Stelle jedoch eine pauschalierte Betrachtungsweise.11 Es kommt im Ergebnis vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an, wobei einige grundlegende Linien zu erkennen sind. Zudem erscheint eine Differenzierung zwischen privatwirtschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Unternehmen geboten.12 Um strafrechtliche Risiken auszuschließen, sollten Unternehmen daher grundsätzlich im Vorfeld die Kostenübernahme zugunsten ihrer Organe und Mitarbeiter gründlich prüfen lassen. a) Pflicht zur Kostenübernahme durch das Unternehmen? Im Zusammenhang mit der Übernahme von Geldsanktionen oder Verteidigungskosten durch ein Unternehmen für einen Mitarbeiter, die im Zusammenhang mit ­einer unternehmensbezogenen Tat stehen, stellt sich die Frage, ob hierfür grund­ sätzlich eine Pflicht besteht, oder ob es sich vielmehr um eine freiwillige Kostenübernahme seitens des Unternehmens handelt. Aus dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung folgt, dass die Kostenerstattung jedenfalls dann nicht pflichtwidrig und damit nicht strafbar ist, wenn ein zivilrechtlicher Zahlungsanspruch besteht.13 aa) Geldsanktionen Eine solche Verpflichtung eines privatwirtschaftlichen Unternehmens zur Kostenerstattung von Geldstrafen, Bußgeldern bzw. Auflagen im Rahmen einer Einstellung nach § 153a StPO, also im Rahmen der Übernahme von Geldsanktionen, wird nach ganz überwiegender Meinung abgelehnt.14 Eine solche Pflicht lässt sich weder aus der 9 Kranz, ZJS 2008, 471 (473 f.); Spatscheck/Ehnert, StraFo 2005, 265 (267); Hoffmann/Wißmann, StV 2001, 249 (250). 10 Vgl. Fischer, Strafgesetzbuch, 67. Aufl. 2020, § 266 StGB Rz. 93 ff. m.w.N. 11 Brockhaus, StraFo 2019, 133 (137); Horrer/Patzschke, CCZ 2013, 94 (95). 12 Vgl. insoweit ausführlich zur Übernahme von Geldstrafen: Kranz, ZJS 2008, 471 (474 f.); Hoffmann/Wißmann, StV 2001, 249 (250). 13 Schott, StraFo 2014, 315 ff. 14 Kranz, ZJS 2008, 471 (474); Spatscheck/Ehnert, StraFo 2005, 265 (267).

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Kostenübernahme von Geldsanktionen und Verteidigungskosten durch Unternehmen

Treuepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer, noch aus §  670 BGB (analog) herleiten. Begründet wird dies damit, dass ein Arbeitnehmer, der seine Berufspflichten verletzt, die daraus entstehenden Kosten nicht mehr für erforderlich halten darf und dementsprechend keinen Ersatz dieser Kosten fordern kann. Der Mitarbeiter trage insofern selbst die Verantwortung dafür, Geldstrafen bzw. Geldauflagen durch ein gesetzeskonformes Verhalten zu vermeiden.15 bb) Verteidigungskosten Wiederum wird im Hinblick auf Verfahrenskosten, einschließlich der Kosten für eine anwaltliche Beratung und Verteidigung, unter bestimmten Voraussetzungen eine Pflicht des Unternehmens zur Kostenübernahme bejaht. Voraussetzung für einen Aufwendungsersatzanspruch ist, dass das schadensauslösende Ereignis nicht aus dem privaten Lebensbereich des Arbeitnehmers stammt, sondern dem Risikobereich des Arbeitgebers zuzurechnen ist, die Aufwendungen mithin in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausübung seiner betrieblichen Tätigkeit entstanden sind. Ebenso wird verlangt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich weder gegen gesetzliche noch gegen betriebliche Vorgaben verstoßen hat, ein unverschuldetes Handeln die Strafverteidigung notwendig macht, bzw. dass der Mitarbeiter die Strafverteidigungskosten für „erforderlich“ halten durfte. Darüber hinaus kann eine Verpflichtung des Arbeitgebers nur dann angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer die gemachten Aufwendungen nicht aufgrund einer speziellen Vergütung selbst tragen muss.16 Aufgrund bisher fehlender gefestigter Rechtsprechung kann jedoch „nicht mit Sicherheit von einem gesetzlichen Anspruch auf Strafverteidigungskosten im privatwirtschaftlichen Bereich auszugehen“ sein.17 Gegebenenfalls kann sich dieser Anspruch bei öffentlich-rechtlichen Unternehmen aus der in das Ermessen des Dienstherrn gestellten Fürsorgepflicht ergeben18 und in Form eines zinslosen Darlehens gewährt werden, bei dem auf eine Rückzahlung dann verzichtet werden kann, soweit kein schweres Verschulden vorliegt bzw. das Verfahren durch Freispruch oder Einstellung beendet wird.19 Insoweit stellt sich umso mehr die Frage, inwieweit in beiden Bereichen eine freiwillige Kostenübernahme durch das Unternehmen, als mögliche Vermögensbetreuungspflichtverletzung, zu beurteilen ist und wo die Grenze der Strafbarkeit verläuft.

15 Talaska, AG 2015, 118 (119); Spatscheck/Ehnert, StraFo 2005, 265 (267); Poller, StraFo 2005, 274 (275 f.); Hoffmann/Wißmann, StV 2001, 249 (250). 16 Dierlamm in: MüKo StGB, 3. Aufl. 2019, § 266 StGB Rz. 196; Brockhaus, StraFo 2019, 133 (137); Bergwitz, NZA 2016, 203; Schott, StraFo 2014, 315  ff.; Spatscheck/Ehnert, StraFo 2005, 265 (267); Poller, StraFo 2005, 274 (275); Hoffmann/Wißmann, StV 2001, 249 (250); BAG v. 16.3.1995 – 8 AZR 260/94, NJW 1995, 2372. 17 Vgl. umfassend Brockhaus, StraFo 2019, 133 (135 ff.). 18 BGH v. 7.11.1990 – 2 StR 439/90, NJW 1991, 990 (991). 19 Brockhaus, StraFo 2019, 133 (135); Bergwitz, NZA 2016, 203 (205).

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b) Freiwillige Kostenübernahme von Geldsanktionen im Rahmen ordnungsgemäßer Geschäftsführung Die freiwillige Zahlung von Geldsanktionen in Form von Geldstrafen, Bußgeldern und Geldauflagen nach § 153a StPO durch ein Unternehmen für seine Organe oder Mitarbeiter ist nicht grundsätzlich strafbar, kann jedoch im Einzelfall pflichtwidrig i.S.d. § 266 StGB sein.20 Nach ganz h.M. setzen beide Tatbestandsvarianten des § 266 Abs. 1 StGB, der Missbrauchs- als auch der Treubruchtatbestand, das Vorliegen einer Vermögensbetreuungspflicht voraus.21 Der Täter muss also gegenüber dem Vermögensträger eine Treuepflicht in Bezug auf sein Vermögen innehaben, die potentiell verletzt werden kann. Die Vermögensbetreuungspflicht stellt ein besonderes persönliches Merkmal dar, weshalb als Täter lediglich die Treupflichtigen selbst bzw. ihre Vertreter i.S.d. § 14 StGB in Frage kommen.22 Übernimmt ein Unternehmen für Mitarbeiter nachträglich23 und freiwillig die Kosten einer Geldsanktion, ist im Wesentlichen danach zu fragen, ob hierdurch gegebenenfalls die Unternehmensverantwortlichen gegen eine dem Unternehmen gegenüber obliegende Vermögensbetreuungspflicht verstoßen und diesem hierdurch einen Schaden zufügen. Auf den ersten Blick scheint auf Seiten des Unternehmers durch die Kostenübernahme ein Geldbetrag abzufließen, ohne dass das Unternehmen hierfür eine ersichtliche Gegenleistung erhielte. Eine Strafbarkeit erscheint daher zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen. Im Ergebnis scheidet allerdings die Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht und somit eine Strafbarkeit gemäß § 266 StGB aus, soweit hierfür eine Rechtfertigung besteht. Da wie oben ausgeführt keine generelle  Verpflichtung zur Kostenübernahme besteht, kann eine solche in einer ökonomisch sinnvollen, ermessensfehlerfreien Entscheidung im Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebs liegen.24 Potenziell gefährdete und verantwortlich handelnde Personen in einem Unter­ nehmen, denen eine Vermögensbetreuungspflicht zukommt, können insbesondere  Leitungsorgane von Personengesellschaften oder Kapitalgesellschaften wie z.B. Geschäftsführer einer GmbH, der geschäftsführende Gesellschafter einer GbR, Vorstandsmitglieder einer AG als auch Vorstände einer Stiftung bzw. eines Vereins sein. Auch Mitglieder eines Aufsichtsorgans, namentlich der Aufsichtsrat einer AG bzw. der Betriebsrat als Aufsichtsratsmitglied kommen als Vermögensbetreuungspflichti20 Fischer, Strafgesetzbuch, 67. Aufl. 2020, § 266 StGB Rz. 84a. 21 Heger in: Lackner/Kühl, 29. Aufl. 2018, § 266 StGB Rz. 4; Fischer, Strafgesetzbuch, 67. Aufl. 2020, § 266 StGB Rz. 6a, Rz. 21 m.w.N. 22 Heger in: Lackner/Kühl, 29. Aufl. 2018, § 266 StGB Rz. 2. 23 Sagt ein Unternehmen seinen Mitarbeitern bereits im Vorfeld, beispielsweise vertraglich zu, eine etwaige Geldsanktion bzw. Verfahrenskosten zu übernehmen, können sich mitunter rechtliche Probleme einer Anstiftungs- bzw. Beihilfestrafbarkeit nach §§ 26, 27 StGB ergeben, da hierdurch der Mitarbeiter zu einem strafrechtlichen Verhalten ermutigt bzw. sogar aufgefordert sein kann, vgl. insoweit Hoffmann/Wißmann, StV 2001, 249 (251). 24 Kranz, ZJS 5/2008, 471 (473).

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ge in Betracht.25 Ebenso können der Prokurist oder andere leitende Angestellte, denen ein gewisses Maß an Selbstständigkeit und Entscheidungsfreiheit zukommt, verantwortlich sein.26 Die Vermögensbetreuungspflicht bildet dabei den wesentlichen Inhalt einer fremdnützigen Geschäftsbesorgung von einer gewissen Bedeutung. Darüber hinaus sind eine gewisse Selbstständigkeit sowie Eigenverantwortlichkeit des Vermögensbetreuungspflichtigen im Rahmen seiner Entscheidungskompetenz und Pflichterfüllung erforderlich. Der Handelnde darf bei seinen Entscheidungen nicht derart gebunden sein, dass faktisch kein eigenständiger Entschluss mehr vorliegt.27 Erforderlich ist, dass der verantwortlich Handelnde gerade gegen eine Pflicht verstößt, die als Teil seiner spezifischen Vermögensbetreuungspflicht unmittelbar und spezifisch dem Vermögensschutz dient. Die jeweiligen Anforderungen können sich beispielsweise aus rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen, gesetzlichen Vorschriften oder aus den für das konkrete Rechtsverhältnis gesetzlich geregelten Sorgfaltsmaßstäben ergeben.28 Dabei bildet das zugrunde liegende Rechtsverhältnis jeweils den Umfang und die Grenzen der Pflichtwidrigkeit.29 Insoweit ist insbesondere auf die im Verkehr übliche Sorgfalt, die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns (§  347 HGB), Geschäftsmanns (§  43 Abs. 1 GmbHG) oder Vorstands (§ 93 Abs. 1 AktG) abzustellen.30 Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Als Maßstab, ob ein pflichtwidriges Handeln eines Unternehmensvertreters vorliegt, dient die vom BGH31 entwickelte und inzwischen auch gesetzlich in §  93 Abs.  1 Satz 2 AktG normierte sogenannte „Business Judgement Rule“32, wonach eine Pflichtverletzung nicht vorliegt, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass der Grundgedanke eines Geschäftsleiterermessens im Bereich unternehmerischer Entscheidungen nicht auf den Haftungstatbestand des § 93 AktG und nicht auf die Aktiengesellschaft beschränkt sein soll, sondern sich auch ohne positivrechtliche Regelung in allen Formen unterneh-

25 Vgl. ausführliche Aufzählung bei Fischer, Strafgesetzbuch, 67.  Aufl. 2020, §  266 StGB Rz. 48; Urs/Kindhäuser in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 266 StGB Rz. 58. 26 Spatscheck/Ehnert, StraFo 2005, 265 (267); Hoffmann/Wißmann, StV 2001, 249 (250). 27 Urs/Kindhäuser in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 266 StGB Rz. 33−36; Fischer, Strafgesetzbuch, 67. Aufl. 2020, § 266 StGB Rz. 21, 37; BGH v. 3.3.1953 – 1 StR 5/53, NJW 1953, 1272 (1273). 28 Dierlamm in: MüKo StGB, 3. Aufl. 2019, § 266 StGB Rz. 170. 29 Horrer/Patzschke, CCZ 2013, 94 (95). 30 Dierlamm in: MüKo StGB, 3. Aufl. 2019, § 266 StGB Rz. 170. 31 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244. 32 § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG eingeführt durch Art. 1 Nr. 1a Buchst. a Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) v. 22.9.2005, BGBl. I 2005, 2802.

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merischer Betätigung findet und damit auch auf andere Gesellschaftsformen – beispielsweise eine GmbH – übertragbar ist.33 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine Pflichtverletzung eines Vorstandsmitglieds oder Geschäftsführers i.S.d. § 266 StGB bei der Kostentragung für einen Mit­ arbeiter jedenfalls dann nicht vorliegt, wenn die Leitungspersonen mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters handeln (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, §  43 Abs.  1 GmbHG) und vernünftigerweise annehmen durften, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu agieren.34 Hierbei ist den handelnden Personen für die Leitung der Geschäfte grundsätzlich ein  weiter unternehmerischer Handlungsspielraum zuzubilligen, ohne den unter­ nehmerisches Handeln schlechterdings nicht vorstellbar ist. Neben dem bewussten ­Eingehen geschäftlicher Risiken sind hierzu grundsätzlich auch die Gefahr von Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen zu zählen, der jeder auch noch so verantwortungsbewusst handelnde Unternehmensleiter unterliegt.35 In der Praxis kann Rechtssicherheit durch Einholung eines Rechtsgutachtens erreicht werden. In Zweifelsfällen kann das Strafbarkeitsrisiko dadurch ausgeschlossen werden, dass die Zustimmung der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung eingeholt wird. Ein – wirksames  – Einverständnis des Vermögensinhabers wirkt bereits tatbestandsausschließend, weil die Pflichtwidrigkeit des Handelns Merkmal des Untreuetatbestands ist.36 Bei Kapitalgesellschaften ist darüber hinaus der Grundsatz der Kapitalerhaltung, nach dem die wirtschaftliche Existenz der Gesellschaft nicht gefährdet werden darf, zu beachten. Danach darf für die Kostenübernahme nicht auf Grund- bzw. Stammkapital zugegriffen werden.37 Wenn ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft durch eine Handlung, die Gegenstand eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens ist, gleichzeitig seine Pflichten gegenüber der Gesellschaft verletzt hat, ergibt sich nach der Rechtsprechung des BGH zudem die Besonderheit, dass die Hauptversammlung einer Übernahme der Geldstrafe, Geldbuße oder Geldauflage durch die Gesellschaft zustimmen muss.38 Selbst wenn man die Auffassung vertritt, die Zustimmung der Hauptversammlung wirke nicht tatbestandsausschließend, wird man jedenfalls annehmen können, sie lasse erkennen, dass die Übernahme der Geldsanktion für Vorstandsmitglieder durch die Gesellschaft im Unternehmensinteresse liegt.39 Gründe nach denen ein Unternehmen nach sorgfältiger Abwägung zu der Überzeugung gelangt im Unternehmenswohl zu handeln und es damit zur Kostentragung 33 BR-Drs. 3/05 v. 7.1.2005, S. 21, Entwurf eines Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG). 34 Schott, StraFo 2014, 315 ff. 35 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244. 36 Fischer, Strafgesetzbuch, 67. Aufl. 2020, § 266 StGB Rz. 90. 37 BGH v. 15.5.2012 − 3 StR 118/11, NJW 2012, 2366; Schott, StraFo 2014, 315 ff. 38 BGH v. 8.7.2014  – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26; Perron in: Schönke/Schröder, 30.  Aufl. 2019, § 266 StGB Rz. 19b. 39 Talaska, AG 2015, 118 (120 f.).

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veranlassen, sind in vielerlei Hinsicht vorstellbar. So kann die Übernahme einer Geldsanktion für einen Mitarbeiter dazu dienen, diesen auch künftig an das Unternehmen zu binden, da der Mitarbeiter – beispielsweise aufgrund seiner Qualifikation und Stellung für das Unternehmen – unentbehrlich ist und sein Ausfall einen deutlich größeren Verlust bedeuten würde. Weitere Gründe können die Vermeidung negativer Berichterstattung in der Öffentlichkeit und der daraus folgende Imageschaden sowie der drohende Verlust von (potenziellen) Kunden sein. Regelmäßig wird die umgehende, diskrete Beendigung des Strafverfahrens dem Unternehmenswohl dienen und ist somit geeignet, die Pflichtwidrigkeit auszuschließen.40 Auch die Übernahme einer Geldauflage i.S.d. §  153a StPO wird häufig im Interesse des Unter­ nehmens sein, da mit der Verfahrenseinstellung Rechtsfrieden hergestellt wird und gerade keine Schuldfeststellung des Mitarbeiters einhergeht.41 Häufig wird erst die Zusage der Kostenübernahme den Mitarbeiter dazu bewegen, der Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage zuzustimmen. Neben der Fortgeltung der Unschuldsvermutung lassen sich so auch die negativen Auswirkungen einer Hauptverhandlung wie z.B. das Bekanntwerden unternehmensinterner Informationen und Geschäftsgeheimnisse vermeiden.42 Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht43 gelten diese Grundsätze selbst dann, wenn der Mitarbeiter die in Rede stehende Straftat (möglicherweise) zum Nachteil des Unternehmens begangen hat. Insoweit ist jedenfalls keine pauschale Einschränkung abhängig von der begangenen Vortat anzuerkennen, sondern weiterhin auf das Unternehmenswohl abzustellen.44 Auch die Kostentragung einer Geldsanktion, welche aus einer gegen das Unternehmen gerichteten Straftat resultiert, kann in gewissen Fällen von unternehmerischen Erwägungen gedeckt sein, dem Unternehmenswohl dienen und ist somit geeignet, die Pflichtwidrigkeit auszuschließen. Man denke insoweit insbesondere an die diskrete Beendigung des Strafverfahrens sowie die damit einhergehende Vermeidung negativer Auswirkungen einer Hauptverhandlung in Form negativer Berichterstattung und den entscheidenden Umstand, dass mit der Verfahrenseinstellung gerade keine Schuldfeststellung einhergeht. Die Abgrenzung, ob der Mitarbeiter zum Nachteil des Unternehmens gehandelt hat, dürfte ohnehin im Einzelfall schwierig und von internen Unternehmensinteressen abhängig sein. Sicherlich muss auch in diesen Konstellationen eine Gesamtabwägung im Einzelfall gefordert werden. Eine allgemeingültige Einschränkung dahingehend, dass die Kostenübernahme grundsätzlich nicht mehr im Unternehmenswohl liegt, wenn der Mitarbeiter zu Lasten des Unternehmens gehandelt hat, dürfte aber nur in seltenen Ausnahmefällen anzunehmen sein.

40 Talaska, AG 2015, 118 (121); Kranz, ZJS 2008, 471 (474). 41 Horrer/Patzschke, CCZ 2013, 94 (97); vgl. BVerfG v. 29.5.1990  – 2 BvR 254/88, 2 BvR 1343/88, NJW 1990, 2741. 42 Talaska, AG 2015, 118 (121); Spatscheck/Ehnert, StraFo 2005, 265 (268). 43 Hoffmann/Wißmann, StV 2001, 249 (251). 44 Horrer/Patzschke, CCZ 2013, 94 (97 f.); Spatscheck/Ehnert, StraFo 2005, 265 (268).

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Eine Grenze dürfte erst dort angenommen werden, wo die finanzielle Entscheidung schlechterdings nicht nachvollziehbar – mithin wirtschaftlich sinnlos – erscheint und daher nicht mehr den Regeln einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung, die sich am Unternehmenswohl orientiert, entspricht. Allerdings sind hieran keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es handelt sich nämlich in der Regel um unternehmensinterne Entscheidungen, denen zahlreiche Abwägungen zugrunde liegen und die nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar sind.45 Die oben dargestellten Grundsätze gelten zunächst jedoch nur für privatwirtschaftliche Unternehmen und sind auf die Kostenübernahme durch öffentlich-rechtliche Unternehmen nicht ohne weiteres übertragbar. Im Unterschied ist hier insbesondere zu beachten, dass öffentlich-rechtliche Unternehmen wenigstens zu einem Großteil aus öffentlichen Geldern finanziert werden und den haushaltsrechtlich vorgegebenen Vorschriften der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit unterliegen. Danach stellt die Übernahme von Geldsanktionen regelmäßig eine pflichtwidrige Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht i.S.d. §  266 StGB dar. Dieser Ansicht ist zuzugeben, dass im Fall der Kostentragung einer Geldstrafe für einen Mitarbeiter öffentliche Mittel verwendet werden, die in der Regel der satzungsgemäßen Zielsetzung zuwiderlaufen. Die Verwendung staatlicher Zuschüsse zur Begleichung einer Geldstrafe entspricht jedenfalls nicht den haushaltsrechtlichen Vorschriften der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, sondern stellt vielmehr eine Vermögensbetreuungspflichtverletzung dar. Die Bezahlung einer Geldstrafe aus öffentlichen Mitteln ist, ohne dass es einer „ausführlichen Begründung“ bedarf unzulässig und fällt nicht in den Aufgabenkreis eines öffentlich-rechtlichen Unternehmens.46 c) Freiwillige Kostenübernahme von Verteidigungskosten Sofern nicht schon ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht, gelten für die freiwillige Übernahme von Verteidigungskosten durch das Unternehmen die vorstehend dargelegten Grundsätze entsprechend. Soweit sich die Übernahme im Rahmen einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung hält, ist diese nicht pflichtwidrig und erfüllt nicht den Tatbestand des § 266 StGB.47 Erforderlich ist insoweit, dass die Verantwortlichen nach gründlichem Abwägen zu dem ermessensfehlerfreien Ergebnis kommen, dass die Übernahme der Verteidigungskosten des Mitarbeiters für das Unternehmen zweckdienlich ist.48 Insoweit sind die zuvor aufgezeigten Grundsätze, nach denen sich die Kostenübernahme an einer ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführung zum Wohle der Gesellschaft zu orientieren hat, auf die Übernahme von Verteidigungskosten übertragbar. Als Arbeitgeber wird das Unternehmen insbesondere dann häufig ein Interesse an einer ordnungsgemäßen Verteidigung des Mitarbeiters haben, wenn die durch ihn 45 Kranz, ZJS 5/2008, 471 (474). 46 Kranz, ZJS 5/2008, 471 (475); BGH v. 7.11.1990 – 2 StR 439/90, NJW 1991, 990 (991). 47 Schott, StraFo 2014, 315 ff. 48 Brockhaus, StraFo 2019, 133 (138).

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begangene in Rede stehende Straftat gleichzeitig eine Anknüpfungstat i.S.d. §  30 OWiG darstellen könnte und insofern eine Unternehmensgeldbuße droht. Weitere Motive können sein, dass der Mitarbeiter sich keinen spezialisierten Anwalt leisten kann, die Abwendung von Imageschäden durch eine öffentliche Hauptverhandlung sowie die Vermeidung von Störungen im Geschäfts- und Betriebsablauf. Danach ist die Übernahme der Verteidigungskosten durch das Unternehmen – auch im Rahmen von Vereinbarungshonoraren  – jedenfalls dann nicht pflichtwidrig, wenn diese im Zusammenhang mit der Dienstverrichtung steht und dem Wohle der Gesellschaft entspricht.49 Auch im Zusammenhang mit der Kostentragung von Verteidigungshonoraren ist für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht bereits ausreichend, dass das Unternehmen durch die Handlung des Mitarbeiters selbst geschädigt sein könnte. Die Grenze dürfte erst zu ziehen sein, wenn der Mitarbeiter ausschließlich aus eigennützigen Motiven zum Nachteil des Unternehmens gehandelt hat oder die Straftat dem privaten Lebensbereich zuzuordnen ist und daher in keinerlei Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit steht. Zur Sicherheit kann das Unternehmen die Kostentragung unter einen Rückforderungsvorbehalt für den Fall der rechtskräftigen Schuldfeststellung stellen bzw. einen Gesellschafterbeschluss einholen.50 Auch kann im Bereich öffentlich-rechtlicher Unternehmen die Übernahme von Verteidigungskosten im Zusammenhang mit einer dienstlichen Verrichtung für Bedienstete im Rahmen der „Fürsorgepflicht geboten sein“. Die Gewährung ist in das pflichtgemäße Ermessen des Dienstherrn gestellt und hat gerecht, sachlich und im Zweifel wohlwollend zu erfolgen. Zudem ist das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu berücksichtigen.51 d) Zwischenfazit Seit der eindeutigen Entscheidung des BGH ist klar, dass die Übernahme von Geldsanktionen nicht den Tatbestand der Strafvereitelung i.S.d. §  258 Abs.  2 StGB verwirklicht. Gleiches gilt für die Übernahme von Verteidigungskosten. Bei der Übernahme von Geldsanktionen und Verteidigerhonoraren durch privatwirtschaftliche Unternehmen scheidet eine Vermögensbetreuungspflichtverletzung i.S.d. § 266 StGB aus, soweit eine ermessensfehlerfreie Entscheidung im Rahmen einer „ordnungsgemäßen Geschäftsführung“ zugrunde liegt, bzw. das Unternehmen gegenüber dem verantwortlich handelnden Organ oder Mitarbeiter zur Übernahme der Verteidigungskosten verpflichtet ist.

49 Dierlamm in: MüKo StGB, 3. Aufl. 2019, § 266 StGB Rz. 196. 50 Brockhaus, StraFo 2019, 133 (138). 51 BGH v. 7.11.1990 – 2 StR 439/90, NJW 1991, 990 (991); vgl. ausführlich: Brockhaus, StraFo 2019, 133 (135 ff.).

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Für öffentlich-rechtliche Verbände gilt, dass die Übernahme von Geldsanktionen häufig eine zweckwidrige Mittelverwendung öffentlicher Gelder darstellt und gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verstößt, wodurch eine Untreuestrafbarkeit häufig nahe liegt. Hingegen kann die Übernahme von Verteidigungskosten im Rahmen der Fürsorgepflicht des Dienstherrn geboten sein.

III. Steuerrechtliche Einordnung der Kostenübernahme durch Unternehmen für Mitarbeiter, Organe und Gesellschafter Übernimmt ein Unternehmen Geldsanktionen bzw. Verteidigungskosten für Mitarbeiter, Organmitglieder oder persönlich haftende Gesellschafter, ergeben sich auch steuerrechtliche Fragestellungen, nämlich ob es sich um steuerpflichtigen Arbeitslohn handelt, infolgedessen Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben abzuführen sind und ob eine steuerliche Abzugsfähigkeit beim Arbeitnehmer oder Arbeitgeber besteht.52 Das Unternehmen wird zudem regelmäßig ein Interesse daran haben, die Kosten steuerlich als Betriebsausgaben geltend zu machen bzw. die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer abzuziehen.53 1. Steuerliche Behandlung der Kostenübernahme von Geldsanktionen a) Übernahme von Geldsanktionen als Arbeitslohn Übernimmt ein Unternehmen als Arbeitgeber die Zahlung einer Geldsanktion in Form einer Geldstrafe, Geldbuße bzw. Geldauflage i.S.d. § 153a StPO für einen Mitarbeiter, entsteht grundsätzlich steuerpflichtiger Arbeitslohn gemäß §  19 Abs.  1 Satz 1 EStG, für den nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG Lohnsteuer durch den Arbeitgeber abzuführen ist.54 Als Kriterium wägt der BFH das Interesse des Arbeitnehmers an der Kostenübernahme mit dem eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers ab. Ausnahmsweise kann eine Lohnzuwendung zu verneinen sein, wenn nach einer Gesamtabwägung die Übernahme der Kosten durch den Arbeitgeber im „ganz überwiegend eigenbetriebliche[n] Interesse“ des Arbeitsgebers liegt und das Interesse des Ar­ beitnehmers in den Hintergrund tritt.55 Der BFH nimmt eine Wechselwirkung zwischen der Intensität des eigenbetrieblichen Interesses des Arbeitgebers und der Bereicherung auf Seiten des Arbeitnehmers an. Je höher die Bereicherung beim Arbeitnehmer, desto geringer das eigenbetriebliche Interesse des Arbeitgebers.56 Die Rechtsprechung stellt im Rahmen der Gesamtabwägung da­rauf ab, ob aus den Be52 Spatscheck/Ehnert, StraFo 2005, 265 (269). 53 Schott, StraFo 2014, 315 ff. 54 Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (72 ff.); Höpfner, PStR 2015, 127 (130); Spatscheck/Ehnert, StraFo 2005, 265 (269 f.); zur Übernahme einer Geldstrafe s. Kirchhof in: BeckOK EStG, 7. Edition 2018, § 12 EStG Rz. 237. 55 Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (72) m.w.N.; Spatscheck/Ehnert, StraFo 2005, 265 (270); BFH 22.7.2008 – VI R 47/06, NJW 2009, 1167. 56 Horrer/Patzschke, CCZ 2013, 94 (98); BFH v. 22.7.2008 – VI R 47/06, NJW 2009, 1167 (1168).

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gleitumständen erkennbar ist, dass der jeweils verfolgte betriebliche Zweck im Vordergrund steht. Insoweit werden als Kriterien u.a. Anlass, Art und Höhe der geleisteten Zahlung an den Mitarbeiter, die Auswahl des Be­günstigten sowie die besondere Geeignetheit des Vorteils für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck herangezogen. Übernimmt ein Arbeitgeber nicht aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse die Zahlung einer Geldbuße und einer Geldauflage, so handelt es sich hierbei um Arbeitslohn.57 Während der BFH in einem früheren Urteil im Zusammenhang mit der Übernahme von Verwarnungsgeldern gegen angestellte Fahrer wegen Verletzung des Halteverbots das Vorliegen von Arbeitslohn selbst bei einer Weisung des Arbeitgebers an die Arbeitnehmer zu rechtswidrigem Verhalten verneint hat ,58 hat er knapp zehn Jahre später vom Arbeitgeber übernommene Bußgelder wegen Verstoß gegen Lenk- und Ruhezeiten eines Kraftfahrers als Arbeitslohn qualifiziert.59 Von einer einheitlichen Rechtsprechung kann bisher nicht die Rede sein. Jedenfalls lässt der BFH aber erkennen, an dem Abgrenzungskriterium des „überwiegend eigenbetriebliche[n] Interesse[s]“ festzuhalten und insoweit einen hohen Maßstab anzusetzen.60 b) Abzugsfähigkeit oder Abzugsverbot? Der beschuldigte Mitarbeiter kann Geldsanktionen, als Kosten der privaten Lebensführung, steuerlich nicht als Werbungskosten, Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen geltend machen. Aufgrund von § 12 Nr. 4 EStG scheidet eine steuerliche Abzugsfähigkeit von gegen den Steuerpflichtigen verhängten Geldstrafen generell aus.61 Geldauflagen sind nicht als Werbungskosten abzugsfähig, da diese nicht lediglich der Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens dienen. Von einem inländischen Gericht oder einer Behörde festgesetzte Geldbußen, Ordnungsgelder und Verwarnungsgelder unterliegen dem Abzugsverbot des §  4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG und können ebenfalls nicht als Werbungskosten (§ 9 Abs. 5 Satz 1 EStG) abgezogen werden.62 Der Abzug als außergewöhnliche Belastung i.S.d. § 33 EStG scheidet ebenfalls aus, da es insoweit an der Zwangsläufigkeit fehlt.63 Im Hinblick auf das Unternehmen, welches die Sanktion übernimmt, ist hingegen umstritten, ob das Abzugsverbot eingreift.64 Teilweise finden sich Stimmen, die den gezahlten Betrag für das Unternehmen als eine durch das Arbeitsverhältnis veran-

57 BFH v. 22.7.2008 – VI R 47/06, NJW 2009, 1167. 58 BFH v. 7.7.2004 – VI R 29/00, DStR 2005, 417; Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (72). 59 BFH v. 14.11.2013 – VI R 36/12, DStRE 2014, 136; Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (72). 60 BFH v. 22.7.2008 – VI R 47/06, DStR 2008, 2310 ff; Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (72). 61 Heuel/Matthey, ZWH 2020, 9 (15); für Kapitalgesellschaften enthält § 10 Nr. 3 KStG eine inhaltsgleiche Vorschrift. 62 Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (73 f.); Schauf in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, 66. Lieferung 2020, § 370 AO Rz. 1150. 63 Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (74); Horrer/Patzschke, CCZ 2013, 94 (98). 64 Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (73).

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lasste, abzugsfähige Betriebsausgabe ansehen.65 Das Abzugsverbot stehe nicht entgegen, da hierdurch nur Strafen des Steuerpflichtigen selbst, nicht jedoch solche, die ein Dritter übernimmt, erfasst seien. Die wohl überwiegende Meinung66 und der BFH67 nehmen jedoch an, dass das Abzugsverbot auch in Bezug auf Dritte, also auch den die Geldsanktion übernehmenden Arbeitgeber, Anwendung findet. In diesem Zusammenhang hat der BFH entschieden, dass eine Steuerberatungs-GbR, die eine gegen einen Gesellschafter wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung festgesetzte Auflage nach §  153a StPO zahlt, diese selbst dann nicht als Betriebsausgabe abziehen kann, wenn die Handlung im Zusammenhang mit der Steuerberatungstätigkeit stand und durch die Kostenübernahme das Ansehen in der Öffentlichkeit gewahrt und somit ein Schaden für die GbR abgewendet werden soll.68 Hingegen gilt nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 EStG das Abzugsverbot nicht für Geldbußen, soweit der wirtschaftliche Vorteil, der durch den Gesetzesverstoß erlangt wurde, abgeschöpft worden ist, wenn die Steuern vom Einkommen und Ertrag, die auf den wirtschaftlichen Vorteil entfallen, nicht abgezogen worden sind. In der Praxis ist daher von besonderer Bedeutung, dass der Bußgeldbescheid zwischen Abschöpfungs- und Ahndungsteil differenziert und diese gesondert ausweist. Sollte ein Unternehmen gleichwohl von der steuerlichen Abzugsfähigkeit ausgehen, ist der Finanzbehörde die Erfassung als Betriebsausgabe zusammen mit der entsprechenden Steuererklärung ausdrücklich anzuzeigen, um die Begründung eines Strafbarkeitsrisikos zu vermeiden.

65 Höpfner, PStR 2015, 127 (130); Stetter in: MAH Strafverteidigung, 2. Aufl. 2014, § 44 Rz. 84; Spatscheck/Ehnert, StraFo 2005, 265 (270). 66 Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (73); Drüen in: Blümich, EStG, KStG, GewStG, 152. EL Mai 2020, § 4 EStG Rz. 886; Bruschke, StB 2016, 291 (295); s. auch bzgl. einer Geldauflage nach § 153a StPO: Wacker, DStR 2015, 1590 (1592); vgl. auch BT-Drs. 10/1314, S. 5: „Staatliche Sanktionen können ihren Zweck, den Verstoß gegen die Rechtsordnung zu ahnden, […], nur dann erfüllen, wenn sie den Täter oder das Unternehmen, für das der Täter gehandelt hat, in der vollen Höhe, die von dem Gericht oder einer Behörde festgesetzt ist, treffen. Dieser Zweck wird verfehlt, wenn die finanzielle Einbuße, die mit einer Geldbuße oder einem Ordnungsgeld verbunden ist, durch Abzug als Betriebsausgabe gemildert wird“; vgl. auch BT-Drs. 10/1634, S. 7. 67 BFH v. 22.7.2008 – VI R 47/06, NJW 2009, 1167; BFH v. 7.2.1957 – IV 547/56 U, BStBl. III 1957, 160; vgl. auch BFH v. 31.7.1991 – VIII R 89/86, NJW 1992, 1846 - danach steht § 12 Nr. 4 EStG dem Abzug einer Geldstrafe als Betriebsausgabe nicht entgegen, wenn die von einem ausländischen Gericht festgesetzte Geldstrafe wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung (ordre public) widerspricht. 68 BFH v. 16.9.2014 – VIII R 21/11, DStRE 2015, 647.

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2. Kostenübernahme von Strafverteidigungskosten und steuerliche Abzugsfähigkeit a) Kein steuerpflichtiger Arbeitslohn bei beruflich veranlasster Tätigkeit Auch die Übernahme von Verteidigungskosten durch das Unternehmen kann grundsätzlich Lohnsteuerpflicht auslösenden Arbeitslohn gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG darstellen, wenn es sich um einen zugewendeten Vorteil mit Entlohnungscharakter handelt.69 Strafverfahrenskosten, die der Arbeitgeber übernimmt, sind hingegen nicht als Arbeitslohn zu qualifizieren, wenn der den Gegenstand des Verfahrens bildende Vorwurf durch ein „beruflich bedingtes Verhalten veranlasst“ ist.70 Während teilweise auch insoweit nach den gleichen Kriterien wie bei der Über­nahme von Sanktionen abgegrenzt wird, nämlich danach ob ein überwiegend eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers vorliegt,71 wird andererseits, auch vom BFH,72 angenommen, dass in Bezug auf die Übernahme von Verteidigungskosten vielmehr auf das Veranlassungsprinzip abzustellen sei.73 Danach liegt jedenfalls dann kein Arbeitslohn vor, „wenn die dem Steuerpflichtigen zur Last gelegte Tat in Ausübung der beruflichen Tätigkeit begangen worden ist“.74 Die getätigten Aufwendungen müssen auf einem Vorwurf beruhen, der „ausschließlich und unmittelbar aus [der] betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit“ resultiert.75 Dies ist beispielsweise bei dem Vorwurf der Steuerhinterziehung zu Gunsten des Unternehmens in der Regel der Fall. In Fällen in denen die Übernahme von Verteidigungskosten als Arbeitslohn eingestuft wird, ist zu beachten, dass der Arbeitgeber Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben abzuführen hat, um sich nicht dem Risiko einer Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung nach §  370 AO bzw. nach §  266a StGB auszusetzten. Führt das Unternehmen keine Lohnsteuer ab, weil es davon ausgeht, es liege kein steuerpflichtiger Arbeitslohn vor, gilt auch hier, dass dies in Zweifelsfällen gegenüber dem Finanzamt vorsorglich offengelegt werden sollte, um keine unrichtigen Angaben i.S.d. § 370 AO gegenüber der Finanzverwaltung zu machen. b) Steuerliche Abzugsfähigkeit von Strafverteidigungskosten Strafverteidigungskosten sind als durch den Betrieb veranlasste Aufwendungen, als Betriebsausgaben gem. §  4 Abs.  4 EStG steuerlich abziehbar, wenn der gegen den 69 Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (68). 70 BFH v. 18.10.2007 – VI R 42/04, DStR 2007, 2254, m.w.N.; BFH v. 17.8.2011 – VI R 75/10, DStR 2011, 2235 (2236); Geserich in: Blümich, EStG, KStG, GewStG, 152. EL Mai 2020, § 19 EStG Rz. 280, „Strafverfahrenskosten“. 71 Höpfner, PStR 2015, 127 (131); Biesgen, SAM 2014, 158 (161); Beckschäfer, ZWH 2012, (345 f.); Wedemeyer/Hohlfeld, DStZ 1985, 79 (83). 72 BFH v. 17.8.2011 – VI R 75/10, DStR 2011, 2235. 73 Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (68); Geserich in: Blümich, EStG, KStG, GewStG, 152. EL Mai 2020, § 19 EStG Rz. 280, „Strafverfahrenskosten“. 74 BFH v. 13.12.1994 − VIII R 34/93, DStR 1995, 878, m.w.N. 75 BFH v. 12.6.2002 − XI R 35/01, DStRE 2002, 1359, m.w.N.

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Steuerpflichtigen gerichtete strafrechtliche Vorwurf durch das berufliche Verhalten veranlasst ist.76 Entscheidend ist, dass „die zur Last gelegte Tat in Ausübung der beruflichen Tätigkeit“ begangen wurde, mithin „ausschließlich und unmittelbar aus der betrieblichen bzw. beruflichen Tätigkeit“ erklärbar ist.77 Es kommt nicht darauf an, ob sich der Tatvorwurf im Ergebnis bestätigt oder es sich um eine vorsätzliche Tatbegehung handelt. Selbst bei vorsätzlichen Taten sind Verteidigungskosten als Betriebsausgaben abziehbar, vorausgesetzt sie sind betrieblich oder beruflich veranlasst.78 Eine Grenze ist erst zu ziehen, wenn die Tat ausschließlich in die private Sphäre fällt,79 die Tat nur bei Gelegenheit begangen wurde80 bzw. der Mitarbeiter den Arbeitgeber bewusst schädigen wollte oder sich bzw. einen Dritten bereichert.81 Soweit die übernommenen Verteidigungskosten dem Grunde nach abzugsfähig sind, besteht hinsichtlich der Höhe keine Begrenzung. Auch Strafverteidigungskosten aufgrund von Honorarvereinbarungen, die über den gesetzlichen Gebühren nach dem RVG liegen, sind abzugsfähig.82 Allerdings ist zu beachten, dass das Abzugsverbot gemäß §  4 Abs.  5 Satz  1 Nr.  10 EStG im Zusammenhang mit rechtswidrig zugewendeten Vorteilen sowie damit zusammenhängenden Aufwendungen nicht nur korrupte Zahlungen wie Bestechungsgelder, sondern auch die Kosten der Rechtsverteidigung des Korruptionsvorwurfs umfasst.83

76 Heuel/Matthey, ZWH 2020, 9 (10); Wagner in: Heuermann/Wagner, 54. EL Juli 2015, ABC der Werbungskosten, Rz. 1 „Anwaltskosten“. 77 BFH v. 12.6.2002 – XI R 35/01, DStRE 2002, 1359. 78 Heuel/Matthey, ZWH 2020, 9 (11); Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (68); Randt in: Joecks/ Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 370 AO, Rz. 646; BFH v. 16.4.2013 – IX R 5/12, NJW 2013, 3263; BFH v. 18.10.2007 – VI R 42/04, NJW 2008, 1342 m. w. N.; BFH v. 21.6.1989 – X R 20/88, BStBl. II 1989, 831. 79 BFH v. 17.8.2011 – VI R 75/10, DStR 2011, 2235. 80 Schauf in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, 66. Lieferung 2020, § 370 AO Rz. 1152. 81 Heuel/Matthey, ZWH 2020, 9 (12); BFH v. 18.10.2007 – VI R 42/04, NJW 2008, 1342. 82 Schauf in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, 66. Lieferung 2020, § 370 AO Rz. 1152; vgl. auch BFH v. 18.10.2007 – VI R 42/04, NJW 2008, 1342: „Da Verteidigungskosten – was ihren Abzug als Werbungskosten betrifft – bei einem Strafverfahren nicht zwangsläufig entstanden sein müssen, sind die auf Grund einer Honorarvereinbarung geleisteten Aufwendungen beim Werbungskostenabzug anders als bei den außergewöhnlichen Belastungen der Höhe nach nicht zu begrenzen.“; vgl. im Grundsatz auch Wagner in: Heuermann/Wagner, 54. EL Juli 2015, Rz. 1 „Anwaltskosten“, der die Abzugsfähigkeit der Höhe nach grds. auf die gesetzlichen Gebühren nach dem RVG beschränkt, jedoch höhere Honorarvereinbarungen unter besonderen Voraussetzungen als abzugsfähig ansieht, wenn z.B. eine anwaltliche Leistung zu den Bedingungen des RVG nicht zu erlangen ist. 83 BFH v. 14.5.2014 – X R 23/12, BStBl. II 2014, 684; BMF, Schr. v. 10.10.2002 – IV A 6 – S 2145 – 35/02, BStBl. I 2002, 1031.

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c) EuGH: Kein Vorsteuerabzug bei der Übernahme von Verteidigungskosten bei ausschließlich gegen Geschäftsführer oder Mitarbeiter gerichtete Strafverfolgungsmaßnahmen Grundsätzlich können Unternehmen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG unter bestimmten Voraussetzungen aus an sie gerichteten Rechnungen den Vorsteuerabzug für die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für das Unternehmen ausgeführt worden sind, geltend machen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Es muss sich um eine an das Unternehmen adressierte Rechnung des Verteidigers mit Umsatzsteuerausweis handeln und die Leistung des Verteidigers muss für das Unternehmen ausgeführt worden sein.84 Nach früherer BFH Rechtsprechung war es für das Unternehmen insoweit möglich selbst zu entscheiden, ob eine Leistung für das Unternehmen ausgeführt wurde. Dies konnte u.a. durch eine Zuordnungsentscheidung, z.B. in Form der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs, geschehen, falls der Leistungsgegenstand in einem objektiven und erkennbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit stand und diese fördern sollte.85 Mit Urteil vom 21. Februar 2013 hat der EuGH86 auf eine Vorlage des BFH hin diese weitreichende Möglichkeit zum unternehmerischen Vorsteuerabzug allerdings eingeschränkt, indem nunmehr als weitere Voraussetzung ein „direkter und unmittelbarer Zusammenhang“ zwischen den Eingangs- und Ausgangsumsätzen gefordert wird. Entscheidend für das Vorliegen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs war insoweit, ob sich dieser nach dem objektiven Inhalt der vom Steuerpflichtigen bezogenen Leistung (Gegenstände oder Dienstleistungen), also hier der Strafverteidigertätigkeit zur Wahrung der Rechte der natürlichen Person, oder nach dem Entstehungsgrund der bezogenen Leistung, also der zugrunde liegenden wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen selbst, als vermeintlichen Entstehungsgrund der Aufwendungen, bestimmt.87 Nach der Rechtsprechung des EuGH bestimmt sich der für den Vorsteuerabzug erforderliche direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen Eingangsleistung und der gesamten Tätigkeit des Steuerpflichtigen anhand des objektiven Inhalts der bezogenen Leistung. Abzustellen ist damit im Ergebnis auf die Strafverteidigertätigkeit. Der BFH hat das EuGH Urteil kurz darauf entsprechend umgesetzt und dabei mit der gleichen Begründung die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs aus Strafverteidigerleistungen abgelehnt: „Anwaltsdienstleistungen, deren Zweck darin besteht, strafrecht-

84 Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (65). 85 BFH v. 11.11.1993 – VR 52/91, BFHE 173, 239, BStBl. II 1994, 335. 86 EuGH v. 21.2.2013 – C 104/12, NJW 2013, 1585. 87 BFH v. 22.12.2011 – V R 29/10, DStRE 2012, 577.

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liche Sanktionen gegen natürliche Personen zu vermeiden, die Geschäftsführer eines steuerpflichtigen Unternehmens sind, eröffnen keinen Anspruch auf Vorsteuerabzug“.88 Im Ergebnis kommt für Unternehmen danach ein Vorsteuerabzug bei der Übernahme von Kosten für Anwaltsdienstleistungen, deren Zweck allein darin besteht strafrechtliche Sanktionen gegen den Geschäftsführer oder Mitarbeiter als natürliche Person zu vermeiden, nicht länger in Betracht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die strafrechtlichen Ermittlungen ausschließlich gegen die Geschäftsführer oder sonstige Mitarbeiter als natürliche Personen richten.89 Für den Fall, dass sich die Strafverfolgungsmaßnahmen zwar gegen Geschäftsführer oder Mitarbeiter richten, die Verteidigertätigkeit sich aber ausschließlich darauf beschränkt, die Interessen des Unternehmens zu vertreten („Unternehmensverteidigung“), ist das Unternehmen sowohl Auftraggeber als auch Vergütungsschuldner und weiterhin zum Vorsteuerabzug berechtigt.90 3. Besonderheiten bei der Kostenübernahme für Gesellschafter einer Kapitaloder Personengesellschaft Handelt es sich bei dem Organmitglied, für das die Kostenübernahme erfolgt, um einen Vorstand oder Geschäftsführer, gelten aus steuerrechtlicher Sicht die bereits dargestellten Grundsätze wie für sonstige Arbeitnehmer. Besonderheiten gelten jedoch bei der Übernahme von Kosten für Gesellschafter. Zu unterscheiden ist insoweit, ob es sich um einen Gesellschafter einer Kapital- oder Personengesellschaft handelt.91 Werden Geldsanktionen für einen Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft übernommen, so ist für die Beantwortung der Frage, ob möglicherweise eine verdecke Gewinnausschüttung (vGA) vorliegt, danach zu differenzieren, welcher Anlass der Übernahme zugrunde liegt. Liegen gesellschaftsrechtliche Motive zugrunde, führt dies zu einer verdeckten Gewinnausschüttung, die nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG das zu versteuernde Einkommen der Gesellschaft nicht mindern darf. Zur Abgrenzung wird darauf abgestellt, ob ein ordnungsgemäß und gewissenhaft handelnder Geschäftsführer die Kosten übernommen hätte. Ist dies der Fall, so liegen abzugsfähige Betriebsausgaben vor. Hätte ein ordentlicher Geschäftsmann die Kosten hingegen nicht getragen, handelt es sich um eine verdeckte Gewinnausschüttung. Bei betrieblichen Gründen für die Kostenübernahme führt dies dazu, dass die Aufwendungen als Betriebsausgaben abzugsfähig sind. Sind Grund für die Übernahme sowohl betriebliche als auch gesellschaftsrechtliche Beweggründe, ist nach der Rechtsprechung eine Aufteilung nach den Grundsätzen des sog. „Gemischten Aufwands“ vorzunehmen. 88 BFH v. 11.4.2013 – V R 29/10, BStBl. II 2013, 840; Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (65). 89 Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (65 f.). 90 Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (67); Höpfner, PStR 2015, 127 (131); Biesgen, SAM 2014, 158 (160). 91 Stetter in: MAH Strafverteidigung, 2. Aufl. 2014, § 44 Rz. 116; Spatscheck/Ehnert, StraFo 2005, 265 (273).

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Kostenübernahme von Geldsanktionen und Verteidigungskosten durch Unternehmen

Die Übernahme von Geldsanktionen für einen Gesellschafter einer Personengesellschaft führt dazu, dass sich sein Gewinnanteil erhöht und unterliegt bei diesem der Einkommensteuer, ohne dass es hierdurch zu einer Erhöhung des Gesellschaftsvermögens kommt. Da die Zahlung der Verbindlichkeit des Gesellschafters durch dessen Lebensführung veranlasst ist, liegt eine Entnahme vor.92 Dies gilt auch, wenn die Straftat im Zusammenhang mit dem Gewerbebetrieb der Gesellschaft steht. Ein Abzug als Betriebsausgaben ist nur ausnahmsweise93 möglich.94 Im vorliegenden Zusammenhang folgt die steuerliche Behandlung von Verteidigungskosten den gleichen Grundsätzen wie bei Geldsanktionen, da jeweils eine Verbindlichkeit des Gesellschafters vorliegt. Bei betrieblicher Veranlassung der Kostenübernahme kommt ein Abzug als Betriebsausgaben in Betracht.95 Begleicht der Gesellschafter die Verteidigungskosten selbst, handelt es sich um Sonderbetriebsausgaben des betroffenen Gesellschafters.96

IV. Zusammenfassung Die Übernahme von Geldsanktionen und Verteidigungskosten durch Unternehmen kann unter strafrechtlichen Gesichtspunkten zulässig sein, soweit einige grundle­ gende Aspekte beachtet werden. Für privatwirtschaftliche Unternehmen wird sich die Kostenübernahme häufig im Rahmen einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung bewegen. Dennoch sollte in Zweifelsfällen vorsorglich die Zustimmung der Hauptbzw. Gesellschafterversammlung eingeholt werden und immer auf eine genaue ­Dokumentation, aus der sich die Gründe für die Kostenübernahme durch das Unternehmen ergeben, geachtet werden. Eine weitere Möglichkeit stellt die Leistung unter dem Vorbehalt der Rückforderung dar. Eine zugunsten von Organen und leitenden Mitarbeitern abgeschlossene Directors und Officers-Vermögenshaftpflichtversicherung („D&O“-Versicherung) kann die verantwortlich Handelnden sowohl gegen die Inanspruchnahme des eigenen Unternehmens (Innenhaftung), als auch Dritter (Außenhaftung) schützen, also gegen persönliche Haftungsrisiken absichern. Für öffentlich-rechtliche Unternehmen sind grundsätzlich andere Maßstäbe anzusetzen, hier liegt eine Untreuestrafbarkeit häufig sehr viel näher.

92 Stetter in: MAH Strafverteidigung, 2. Aufl. 2014, § 44 Rz. 115 ff. 93 Dies ist der Fall, wenn die Straftat in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Tätigkeit für den Gewerbebetrieb der Gesellschaft begangen, die Geldstrafe von einem Gericht im Ausland festgesetzt wurde und die Strafe dem deutschen ordre public widerspricht, vgl. hierzu Stetter in: MAH Strafverteidigung, 2. Aufl. 2014, § 44 Rz. 120. 94 BFH v. 31.7.1991 – VIII R 89/86, BStBl. II 1992, 85. 95 Stetter in: MAH Strafverteidigung 2.  Aufl. 2014, §  44 Rz.  121; Spatscheck/Ehnert, StraFo 2005, 265 (273); vgl. Wedemeyer/Hohlfeld DStZ 1996, 79 (83), die nicht zwischen Geldstrafen und Verteidigerhonorar unterscheiden. 96 Heuel/Matthey, ZWH 2020, 64 (71).

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Jana Hammesfahr

Bei Kostenübernahme einer Geldsanktion entsteht grundsätzlich lohnsteuerpflichtiger Arbeitslohn. Nach überwiegender Ansicht finden Abzugsverbote sowohl in Bezug auf den Mitarbeiter als auch in Bezug auf Dritte Anwendung. Strafverteidigungskosten sind als Betriebsausgaben bzw. als Werbungskosten steuerlich abzugsfähig, wenn sie beruflich veranlasst sind. Bei der Kostenübernahme für Gesellschafter sind einige Besonderheiten zu beachten. Zudem ist nach aktueller Rechtsprechung bei der Übernahme von Verteidigungskosten bei ausschließlich gegen Geschäftsführer oder Mitarbeiter gerichtete Strafverfolgungsmaßnahmen der Vorsteuerabzug für Unternehmen ausgeschlossen.

Jana Hammesfahr Rechtsanwältin

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Nadine Oberherr

Ausgewählte Praxisfragen zur Vergangenheitsbewältigung im Rahmen der Installation eines Tax CMS Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Inwieweit ist eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erforderlich? 1. Anforderung an das nachträgliche ­Erkennen 2. Berichtigungspflicht aufgrund nach­ träglicher Kenntnis auch bei bedingtem Vorsatz und Leichtfertigkeit 3. Nachträgliches Erkennen im Zusammenhang mit Betriebsprüfungsverfahren III. Wie geht man mit identifizierten Fehlern konkret um? 1. Unverzüglichkeit der Anzeige 2. Einbezug von Personen in die Anzeige

a) Interne Personen b) Verantwortungswechsel/Ausgeschiedene Personen c) Externe Personen IV. Und wenn trotzdem ein straf- oder ­ordnungswidrigkeitsrechtlicher Vorwurf im Raum steht? 1. Hintergrund 2. Wirkungsweise eines Tax CMS „in ­Betrieb“ 3. Wirkungsweise eines Tax CMS „im ­Aufbau“ 4. Zur Anwendung in der Praxis V. Zusammenfassung

I. Einleitung Seit im Jahr 2016 der Anwendungserlass zu § 153 AO geändert wurde, wonach ein „innerbetriebliches Kontrollsystem … [zur] Erfüllung der steuerlichen Pflichten“ als Indiz gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit dient, hat sich schlagartig die Sensibilität für das Thema Tax Compliance erhöht. In vielen Unternehmen befindet sich das Tax Compliance Management System (Tax CMS) derzeit im Aufbau. Dabei wird es angesichts der Mannigfaltigkeit der Geschäftsvorfälle und der Komplexität des (nicht nur deutschen) Steuerrechts, sehr wahrscheinlich auch zur Aufdeckung von Altlasten kommen. Der Aufbau des Tax CMS provoziert daher fast zwangsläufig steuerstraf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Herausforderungen bzw. mindestens Berührungspunkte zum Steuerstrafrecht, die durch die Implementierung eigentlich gerade vermieden werden sollen. Der nachfolgende Beitrag befasst sich mit praxisrelevanten Fragen, die sich in diesem Zusammenhang ergeben.

II. Inwieweit ist eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erforderlich? Die Vorstellung, beim Thema Tax CMS einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen und sich nur mit der Zukunft zu befassen, klingt überaus verlockend, ist jedoch 475

Nadine Oberherr

nicht realistisch. Bei Erarbeitung eines auf das Unternehmen zugeschnittenen Tax CMS wird zur Identifikation steuerlicher Risiken und Pflichten zunächst eine umfassende Analyse vorgenommen, die einer Tax Due Diligence ähnelt. Im Fokus stehen hierbei − neben der Überprüfung von Themenfeldern, die der Steuerabteilung bereits bekannt sind, − insbesondere mögliche Fehlerquellen aufgrund von Kommunikationsmängeln. In Zeiten zunehmender Spezialisierung und gesteigerter Effizienzanforderungen einzelner Abteilungen kommt es nicht selten vor, dass grundsätzlich steuerlich relevante Themen unbemerkt ohne Involvierung der Steuerabteilung abgehandelt werden. Ebenso können sich Informationsverluste an der Schnittstelle zwischen Steuerabteilung und externen Steuerberatern ergeben. Dies ist umso wahrscheinlicher, wenn die vermeintlichen Kompetenzbereiche nicht lückenlos definiert sind. Im Rahmen dieser intensiven Befassung mit den steuerlichen Belangen eines Unternehmens ist es nahezu ausgeschlossen, dass nicht auch Sachverhalte identifiziert werden, bei denen eine Vergangenheitsbetrachtung unumgänglich ist. Gemäß § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO besteht die Pflicht zur Anzeige und Berichtigung eines Sachverhalts, wenn nach Abgabe einer Erklärung, aber vor Ablauf der (verlängerten) Festsetzungsfrist erkannt wird, dass diese unrichtig oder unvollständig ist und dies kausal für eine Verkürzung der Steuer ist oder sein kann. Sofern dieser Verpflichtung nicht oder nicht hinreichend zügig (s.u.) nachgekommen wird, begründet dies eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen ab dem Zeitpunkt der Kenntnis von der Fehlerhaftigkeit.1 Sofern also im Rahmen der Erarbeitung eines Tax CMS eine Änderung der Besteuerungspraxis von Dauersachverhalten vorgenommen wird, dürfte sich zwingend eine Korrekturverpflichtung nach § 153 AO ergeben. Inwieweit darüber hinaus die Vergangenheit bereinigt werden muss, ist – je nach Erkenntnis – einzelfallabhängig. 1. Anforderung an das nachträgliche Erkennen Das für die Korrekturverpflichtung erforderliche nachträgliche Erkennen bezieht sich zum einen auf das positive Wissen um die objektive Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Erklärung.2 Der Begriff der „Erklärung“ umfasst dabei nicht nur Steuererklärungen, sondern auch andere Rechtsakte, durch die der Steuerpflichtige steuerlich erhebliche Tatsachen gegenüber der zuständigen Finanzbehörde mitteilt.3 Hierunter 1 BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, BGHSt 53, 210 (221); Abschnitt 5.3 zu § 153 AEAO 2014 (Fassung v. 23.5.2016). Beziehungsweise genauer formuliert handelt es sich um einen Versuch der Steuerhinterziehung durch Unterlassen, da der Erfolg erst in dem Zeitpunkt eintritt, in dem das Finanzamt bei erfolgter Anzeige und Berichtigung Änderungsbescheide erlassen hätte, vgl. Wulf, wistra 2016, 337 (340). 2 BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, a.a.O.; übernommen von der Finanzverwaltung in Abschnitt 2.4 zu § 153 AEAO 2014 (Fassung v. 23.5.2016). 3 Helmrich, DStR 2009, S. 2132 (2136) m.w.N.; zur (diesseits zu verneinenden) Frage, ob es sich bei dem weitergehenden Verständnis ggf. nur um eine Analogie handelt, die wegen Art.  103 Abs.  2 GG ggf. nicht fürs Strafrecht übernommen werden kann, vgl. Madauß, NZWiSt 2016, S. 343 (349).

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Vergangenheitsbewältigung im Rahmen der Installation eines Tax CMS

sind, insbesondere auch bei der Möglichkeit abweichender Rechtsauffassungen, alle Sachverhaltsumstände zu verstehen, die es der Finanzbehörde ermöglichen, eine eigene rechtliche Würdigung vorzunehmen.4 Zum anderen ist erforderlich, dass erkannt wird, dass die fehlende oder fehlerhafte Angabe zumindest kausal für eine Steuerverkürzung sein kann. Bezüglich der etwaigen Steuerverkürzung ist keine Gewissheit erforderlich; es reicht aus, wenn die mögliche steuerliche Relevanz der Angabe erkannt wird.5 Eine Verpflichtung des Steuerpflichtigen, – im Rahmen der Implementierung eines Tax CMS oder auch sonst – aktiv die Vergangenheit zu durchforsten, besteht nicht.6 Gemäß der Rechtsprechung des BGH reicht die bloße Möglichkeit, eine Unrichtigkeit zu erkennen nicht aus.7 Die Pflichten gemäß §  153 AO werden folglich auch nicht durch ein leichtfertiges oder fahrlässiges Nichterkennen ausgelöst.8 Zumindest sofern nur (unkonkrete) Anhaltspunkte vorliegen, kann dem Steuerpflichtigen daher grundsätzlich nicht (erfolgreich) vorgeworfen werden, er habe es pflichtwidrig unterlassen, diesen nachzugehen.9 Für die Annahme einer Kenntnis ist die Finanzverwaltung nachweispflichtig. Dennoch sollte das Unternehmen idealweise keine Angriffspunkte dafür bieten, dass eine Kenntnis zumindest nahe liegt und damit weitere Ermittlungsmaßnahmen rechtfertigt. Eine so genannte „willful blindness“, nach der ein Nichterkennen geradezu mutwillig erfolgt, erscheint zumindest haftungsrechtlich problematisch und dürfte auch nur schwer mit der selbst auferlegten Definition der Compliance-Kultur vereinbar sein.10

4 Zur differenzierten Betrachtung und Auseinandersetzung mit verschiedenen Meinungen in der Literatur: Madauß, NZWiSt 2016, 343 (349). 5 FG München v. 6.9.2006 – 1 K 55/06, EFG 2007, 161 (163); Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, 161. Lieferung 06.2020, § 153 AO, Rz. 16 m.w.N.; a.A. Schwahn/Cziupka in Lüdicke/Sistermann, Unternehmensteuerrecht, 2.  Aufl. 2018, §  7 Tax Compliance und Risikomanagement, Rz. 83, wonach die Formulierung „zu einer Steuerverkürzung kommen kann …“ rein zeitlich zu interpretieren sei. 6 Allgemeines Verständnis; zum Beispiel auch Stahl/Durst, KÖSDI 2017, 20253. 7 BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, a.a.O.; übernommen in Abschnitt 2.4 zu § 153 AEAO 2014 (Fassung v. 23.5.2016). 8 Schindler  in Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1.  Aufl. 1995, 154. Lieferung, § 153 AO, Rz. 22; VG München v. 13.3.2017 – M 10 S 17.617, juris. 9 Schwahn/Cziupka, (Fn. 5), § 7 Tax Compliance und Risikomanagement Rz. 84 m.w.N.; gemäß Schemmel/Kirch-Heim, CCZ 2008, 96 (100), kann zwar ggf. eine Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO bei mutwilliger Unkenntnis durch teleologische Extension angenommen werden, aufgrund des Bestimmtheitsgebotes von Art. 103 Abs. 2 GG jedoch keine Steuerhinterziehung durch Unterlassen, wenn dieser Verpflichtung nicht nachgekommen wird. 10 Zur „willful blindness“ im Wirtschaftsstrafrecht siehe Schemmel/Kirch-Heim, CCZ 2008, 96 (100); zur haftungsrechtlichen Problematik siehe Ball/Papasikas, BB 2016, 1495 (1488).

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2. Berichtigungspflicht aufgrund nachträglicher Kenntnis auch bei bedingtem Vorsatz und Leichtfertigkeit Bedingter Vorsatz besteht, wenn der Taterfolg der Steuerverkürzung bzw. des ungerechtfertigten Steuervorteils i.S.d. § 370 AO zwar nicht angestrebt, aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen wird (d.h. eine Gleichgültigkeit vorliegt).11 Der bedingte Vorsatz ist strafbewehrt; eine Selbstanzeige ist gemäß § 371 AO möglich. Leichtfertigkeit i.S.d. § 378 AO ist gegeben, wenn die nach den persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen erforderliche Sorgfaltspflicht außer Acht gelassen wird, obwohl sich die drohende Steuerverkürzung hätte aufdrängen müssen.12 Leichtfertiges Handeln wird als Ordnungswidrigkeit (i.d.R. §§  30, 130 OWiG) sanktioniert; eine Selbstanzeige kann diesbezüglich gemäß § 378 Abs. 3 AO erfolgen. Prinzipiell gilt für strafrechtliche Taten der so genannte „nemo-tenetur-Grundsatz“, wonach der Steuerpflichtige nicht verpflichtet ist, sich selbst zu belasten. Die An­ zeige- und Berichtigungspflicht besteht jedoch gemäß der Rechtsprechung des BGH auch dann, wenn der Fehler auf einer leichtfertigen oder bedingt vorsätzlichen Tat beruht und nach Abgabe der Erklärung die bis dato nicht gegebene Kenntnis über die Fehlerhaftigkeit eintritt.13 Gemäß der Begründung des BGH soll kein Widerspruch zwischen den Verpflichtungen nach § 153 AO und dem nemo-tenetur-Grundsatz bestehen, weil dem Steuerpflichtigen eine Exkulpationsmöglichkeit durch die Selbstanzeige offensteht.14 In der Literatur ist das Urteil deutlich kritisiert worden, da die durch den BGH getroffene steuerliche Einordnung entgegen der Urteilsbegründung zumindest teilweise mit dem Strafrecht konfligiert.15 Dies gilt umso mehr seit der Verschärfung der Voraussetzungen einer wirksamen Selbstanzeige, sodass fraglich ist, ob der BGH seine Rechtsprechung diesbezüglich aufrechterhalten wird.16 In der Praxis besteht jedoch ohnehin Handlungsbedarf, sei es aufgrund des originären Fehlverhaltens in Form einer Selbstanzeige oder der Berichtigungspflicht. 3. Nachträgliches Erkennen im Zusammenhang mit Betriebsprüfungsverfahren Die oben dargestellte, vom BGH statuierte Anzeige- und Berichtigungsflicht bei Fällen leichtfertiger oder bedingt vorsätzlicher Steuerhinterziehung führt insbesondere 11 Ständige Rechtsprechung, u.a. BGH v. 11.2.2020 – 1 StR 119/19, wistra 2020, 375 (376). 12 BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 491/09, PStR 2010, 57 (58). 13 BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, a.a.O. 14 BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, a.a.O. Übernommen in Abschnitt 5.2 bzw. 2.7 zu § 153 AEAO 2014 (Fassung v. 23.5.2016). 15 Bülte; BB 2010, S. 607 (614).; Stahl/Durst in KÖSDI 2017, 20253. 16 Die Verschärfung der Voraussetzungen einer wirksamen Selbstanzeige sind durch das ­Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und Steuerhinterziehung v. 28.4.2011 und das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 22.12.2014 eingetreten. Kritisch zur Frage der Fortwirkung der BGH-Rechtsprechung u.a. Randt in Gedächtnisschrift Joecks 2018, S. 559 (570).

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Vergangenheitsbewältigung im Rahmen der Installation eines Tax CMS

auch bei Betriebsprüfungsfällen zu einer erhöhten Problematik. Die laufende oder angekündigte Betriebsprüfung stellt nämlich gemäß § 371 Abs. 2 bzw. § 378 Abs. 3 i.V.m. § 371 Abs. 2 AO einen mehrerer Sperrgründe für eine wirksame Selbstanzeige dar. Sofern also ein nachträgliches Erkennen hinsichtlich eines sachlich und zeitlich von der Betriebsprüfung umfassten Erklärungsmangels eintritt, besteht ein Konkurrenzverhältnis zwischen dem Verbot des Selbstbelastungszwangs hinsichtlich der leichtfertig oder bedingt vorsätzlich begangenen Tat und der Verpflichtung zur Anzeige zwecks Vermeidung einer neuerlichen Tathandlung durch Unterlassen. Auch diesbezüglich hat der BGH eine Lösung vorgezeichnet; für bedingt vorsätzliche Steuerstraftaten soll demnach ein Beweismittelverwertungs- oder Verwendungsverbot angenommen werden, bei Steuerordnungswidrigkeiten gemäß §  378 AO soll dem Umstand im Rahmen der Anwendung des § 47 OWiG Rechnung getragen werden.17 Diesbezüglich verbleiben aber steuerstrafrechtliche Fragestellungen, deren Erörterung dem Umfang dieses Beitrags überschreiten würden.18 Für Nacherklärungen, die im Zuge einer laufenden Betriebsprüfung abgegeben werden, hat gemäß Nr. 131 Abs. 1 AStBV (St) 2020 stets eine Meldung an die BuStra zu erfolgen. Der Begriff Nacherklärungen umfasst dabei auch „einfache“ Anzeigen i.S.d. §  153 AO.19 Insofern ist, sofern möglich, eine deutliche Distanzierung von einer Selbstanzeige geboten. Da sich dieser Beitrag mit der Vergangenheitsbewältigung bei der Implementierung eines Tax CMS befasst, erfolgen die nachfolgenden Ausführungen zu von der Betriebsprüfung entdeckten Unrichtigkeiten oder Unvollständigkeiten lediglich als Exkurs. Weil § 153 AO die Kenntniserlangung der Finanzbehörde sicherstellen soll, bedarf es gemäß dem Erlass vom 23.5.2016 keiner Anzeige für von der Betriebsprüfung umfasste Steuerarten und Zeiträume, wenn Fehler durch die Betriebsprüfung selbst aufgedeckt werden.20 Dem ist aus Logik- und Praktikabilitätsgründen zuzustimmen; allerdings ist beachtlich, dass der Wortlaut von §  153 AO grundsätzlich keine diesbezügliche Entbindung von der Anzeigepflicht vorsieht.21 Entsprechend hat der BFH bei einer fehlerhaften Angabe von Beteiligungseinkünften eine Leichtfertigkeit bejaht, obgleich die gesondert und einheitliche Feststellungserklärung die zutreffenden Werte enthielt und ein entsprechend korrekter Feststellungsbescheid erging.22 17 BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, a.a.O. 18 Zum Beispiel führt die BGH Rechtsprechung zu einer Ungleichbehandlung der Vorsatzformen; unklar ist auch, ob eine zweite Tathandlung durch Unterlassen der Anzeigepflicht als mitbestrafte Nachtat oder Vortat zu werten ist. Vgl. dazu Rolletschke in Rolletschke/ Kemper, Steuerstrafrecht, Stand Februar 2019 §  370 AO Rz.  146; Bülte, BB 2010, S.  607 (614); Madauß, NZWiSt 2016, 343 (349). 19 Zur begrifflichen Abgrenzung siehe z.B. Nr. 132 AStBV (St) 2020, der explizit Selbstanzeigen „die als solche bezeichnet oder erkennbar sind“ behandelt. 20 Abschnitt 3 zu § 153 AEAO 2014 (Fassung v. 23.5.2016). 21 Vgl. zu dieser Thematik auch Madauß, NZWiSt 2016, 343 (349) mit differenzierter Betrachtung der Literaturmeinungen. 22 BFH v. 23.7.2013 – VIII R 32/11, DStR 2013, 1999 (2002).

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Eine Anzeige sollte daher mindestens erwogen werden. In der Praxis wird hingegen sogar oftmals nicht einmal die Anzeigepflicht in dem vom BMF vorgesehenen reduzierten Umfang beachtet. Beispiel 1: Der Betriebsprüfer stellt fest, dass bei einem Strukturwandel die Grunderwerbsteuer „vergessen“ wurde und beabsichtigt den Umfang der Prüfung bzgl. der Grunderwerbsteuer zu erweitern. Eine Anzeige ist geboten, weil die Grunderwerbsteuer nicht vom Prüfungsumfang umfasst ist. Beispiel 2: Der Betriebsprüfer stellt für das letzte Jahr des Prüfungszeitraums einen Umstand (Tatsache, keine rechtliche Bewertung) fest, aufgrund derer der Warenbestand (einmalig) geringer zu bewerten ist. Auch in diesem Fall ist eine Anzeige i.S.d. § 153 AO erforderlich. Aufgrund des Bilanzenzusammenhangs ergibt sich im Folgejahr ein geringerer Wareneinsatz und damit ein höherer Gewinn. Zwar handelt es sich bei der Bilanz nicht um eine Erklärung, aufgrund der Unrichtigkeit in der Bilanz wird jedoch automatisch auch eine unrichtige Steuererklärung gegeben, weil das Ergebnis der Bilanz hierin verarbeitet wird. 23

III. Wie geht man mit identifizierten Fehlern konkret um? Die Anzeige regulärer Fehler, das heißt, solche ohne straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Relevanz, bedarf keinen gesteigerten Anforderungen. Die Anforderungen an eine wirksame Selbstanzeige straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlicher Verfehlungen nach § 371 bzw. § 378 Abs. 3 AO sind, auch wenn die Anzeige, wie zuvor dargestellt, im Rahmen der Berichtigungspflicht nach § 153 AO erfolgt, deutlich umfangreicher. Neben dem Vollständigkeitsgebot sind u.a. Sperrgründe, Haftungstatbestände (§§ 70, 71 AO) und verlängerte Festsetzungsfristen (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO) beachtlich. So weit so einfach in der Theorie. In der Praxis wird jedoch gerade die Fragestellung, ob es sich um einen strafrechtlich nicht erheblichen, regulären Arbeitsfehler gehandelt hat oder ggf. eine Leichtfertigkeit bzw. bedingter Vorsatz vorliegt, schwierig zu beantworten sein. Zudem besteht in der Regel die Bestrebung, möglichst wenige Korrekturen gegenüber der Finanzbehörde zu erklären, um sich nicht dem Vorwurf einer „Salamitaktik“ auszusetzen, auch wenn nicht bereits aufgrund der Häufigkeit von Berichtigungserklärungen ein Anfangsverdacht unterstellt werden darf.24 Gängig ist daher der Rat, die Anzeige – im ersten Schritt – nach Möglichkeit „selbstanzeigefest“ zu gestalten. Dies impliziert, dass die Anzeige ggf. im Schätzungswege und schnellstmöglich erfolgt, dabei aber alle Anforderungen an das in § 371 AO normierte Vollständigkeitsgebot erfüllt. Dies ist aus zwei Gründen schwierig. Einerseits besteht das Risiko, dass eine vorschnell als 23 Seer (Fn. 5), § 153 AO, Rz. 12 m.w.N. 24 Abschnitt 2.5 zu § 153 AEAO 2014 (Fassung v. 23.5.2016).

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Selbstanzeige ausgestaltete Anzeige nach § 153 AO ggf. zu einer Selbstbelastung führen könnte.25 Dem kann durch eine sehr sorgsame Ausgestaltung der Anzeige entgegengewirkt werden. Andererseits besteht bei der Installation eines Tax CMS jedoch die Schwierigkeit, dass bei der Kenntniserlangung des ersten Fehlers kaum absehbar sein dürfte, ob und in welcher Höhe weitere Fehler aufgedeckt werden. Insofern sollte sich das Unternehmen bemühen, die Hintergründe des Fehlers möglichst zügig und gründlich aufzuarbeiten. 1. Unverzüglichkeit der Anzeige In der Praxis stellt sich aufgrund der oben geschilderten Herausforderung die Frage, wie viel Zeit zwischen dem nachträglichen Erkennen der Fehlerhaftigkeit und der spätestmöglichen Anzeige bleibt, um sich nicht dem Vorwurf des pflichtwidrigen Unterlassens auszusetzen. Nach dem Gesetzeswortlaut hat mindestens die Anzeige i.S.d. § 153 AO unverzüglich zu erfolgen. Ob, dem Gesetz folgend, auch die Berichtigung unverzüglich zu erfolgen hat, ist nicht ganz eindeutig. Gemäß Erlass vom 23.5.2016 soll sowohl die Anzeige als auch die Berichtigung unverzüglich nach Kenntniserlangung erfolgen, wobei die Berichtigung ggf. auch nachgeholt werden kann.26 Eine konkrete Frist wird nicht genannt. Der Begriff „unverzüglich“ ist in § 121 BGB als „ohne schuldhaftes Zögern“ legaldefiniert. Der BGH formuliert diesbezüglich: „„Unverzüglich“ bedeutet nach dem auch in die Begriffsbestimmung des  §  121 BGB  eingegangenen Sprachgebrauch ein Handeln „ohne schuldhaftes Zögern“[…], d.h. sobald als möglich, ohne eine nicht durch die Sachlage begründete Verzögerung […].“27 bzw. das BAG „Schuldhaft ist ein Zögern, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalls nicht geboten ist. Da „unverzüglich“ weder „sofort“ bedeutet noch damit eine starre Zeitvorgabe verbunden ist, kommt es auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an […]. Nach einer Zeitspanne von mehr als einer Woche ist ohne das Vorliegen besonderer Umstände grundsätzlich keine Unverzüglichkeit mehr gegeben […].“28 In anderen Urteilen wurde in Anlehnung an die arbeitsrechtliche Regelung in § 626 BGB noch eine zweiwöchige Frist genannt.29 In der steuerrechtlichen Literatur wird – zumindest für den Regelfall ohne strafrechtliche Relevanz  – oftmals ebenfalls, in analoger Anwendung der arbeitsrechtlichen Regelungen, eine Zweiwochenfrist für die Anzeigepflicht thematisiert, die je nach

25 Von Wolfersdorff/Hey, WPg 2016, 934 (940). 26 Abschnitt 5.1 zu § 153 AEAO 2014 (Fassung v. 23.5.2016). 27 BGH v. 10.11.1967 – 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334 (367). 28 BAG v. 27.2.2020 – 2 AZR 390/19, NJW 2020, 1835 (1838). 29 Zum Beispiel BAG v. 14.12.1979 – 7 AZR 38/78, BAGE 32, 237 (249); OLG Oldenburg v. 30.10.2003 – 8 U 136/03, NJW 2004, 168 (169).

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Einzelfall aber über- oder unterschritten werden kann.30 Angesichts der o.g. jüngeren Rechtsprechung ist diesbezüglich jedoch Vorsicht geboten. Weitgehender Konsens besteht darüber, dass zumindest die Möglichkeit bestehen muss, Rechtsrat einzuholen, wobei keine vollständige Auswertung und rechtliche Bewertung der Sachlage abzuwarten ist, wohl aber eine erste Abwägung.31 Im Erlass heißt es weiter, dass die Anzeige solange als unverzüglich zu werten sei, wie dem Steuerpflichtigen eine angemessene Zeit zur Aufarbeitung einer Selbstanzeige nach § 371 AO zuzugestehen wäre. Aufgrund der Positionierung dieser Aussage im Erlass wird in der Literatur zum Teil davon ausgegangen, dass dies nur für strafrechtlich relevante Fehler mit Anzeige- und Berichtigungspflicht nach §  153 AO gelten soll.32 Dies überzeugt indes nicht. Der Erlass sollte gerade zu einer Entkriminalisierung nicht kriminalisierungswürdiger Sachverhalte beitragen.33 Bezöge man die Aussage nur auf strafrechtlich relevante Fehler und ginge im Übrigen von einer sehr kurzen Frist für die Anzeige aus, bliebe es Steuerpflichtigen mit regulären Fehlern verwehrt, aus Sicherheitsgründen eine Selbstanzeige vorzubereiten. Der schuldlose Steuerpflichtige würde dann, obschon er um eine Korrektur seines Fehlers bemüht ist, durch den Vorwurf des Unterlassens kriminalisiert. Genau solchen vorschnellen Vorverurteilungen sollte jedoch entgegengewirkt werden. Ein schuldhaftes Zögern dürfte bei nachweislich ernsthaften Bestrebungen einer alsbaldigen Anzeige gegenüber der Finanzbehörde jedenfalls ausgeschlossen sein. Aufgrund der erheblichen Rechtsunsicherheiten sollte bei jeder − auch nur kurzen − Verzögerung der Anzeige mindestens eine sorgfältige Dokumentation der Gründe der Verzögerung und der verbindlich angestrebten nächsten Schritte erfolgen. 2. Einbezug von Personen in die Anzeige Bei der Anzeige- und Berichtigungspflicht i.S.d. § 153 AO handelt es sich um eine höchstpersönliche Pflicht.34 Insofern stellt sich die Frage, ob und ggf. welche (weiteren) natürlichen oder juristischen Personen in eine Anzeige einzubeziehen sind. Nachfolgend wird, sofern nicht anders beschrieben, davon ausgegangen, dass eine „einfache“ Berichtigungsanzeige nach § 153 AO – das heißt, aufgrund regulärer Arbeitsfehler ohne Risiko eines straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Vorwurf – 30 Zur Zweiwochenfrist: Jesse, BB 2011, 1431 (1439) mit Verweis auf damalige Kommentierung zu § 121 BGB; die Zweiwochenfrist als Faustformel berücksichtigend aber mit gebotener Einzelfallbetrachtung: Seer (Fn. 5) § 153 AO Rz. 23; Schindler (Fn. 8), § 153, Rz. 27; Jehke/Dreher, DStR 2012, 2467 (2472); mit Übersicht über die Auswertung der bis dato ergangenen Rechtsprechung und Literaturmeinungen: Hornig, PStR 2020, 18 (19). 31 Siehe Übersicht von Hornig, PStR 2020, 18 (19). 32 Explizit: Schindler (Fn. 8), § 153 AO, Rz. 27; a.A. wohl Weigell/Görlich, FR 2016, 989 (992), die die Aussage, nach der ein Zeitraum zwecks Vorbereitung einer Selbstanzeige zugestanden wird, offensichtlich auch auf „einfache“ Berichtigungsanzeigen beziehen. 33 Wulf, wistra 2016, 337 (340); König/Teichert, DB 2017, 146 (152), referenzierend auf Aussagen von Behördenvertretern auf dem Ifst-Kolloquium v. 27.10.2016 in Köln. 34 Jesse, BB 2011, 1431 (1443).

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abzugeben ist. Eine Selbstanzeige nach den §§ 371 oder 378 Abs. 3 AO sollte mindestens auch die nach § 153 AO anzeigepflichtigen Personen umfassen. a) Interne Personen Anzeige- und Berichtigungspflichtig sind nach § 153 AO – bezogen auf Unternehmen – deren gesetzliche Vertreter (§ 34 AO), z.B. der Geschäftsführer einer GmbH oder der Vorstand einer AG und Verfügungsberechtigte (§ 35 AO). Als Verfügungsberechtigter i.S.d. § 35 AO ist zum Beispiel auch der Prokurist zu qualifizieren, wenn er qua Zuständigkeitsverteilung für die steuerlichen Belange des Unternehmens verantwortlich ist und diese auch nach außen hin wahrnimmt.35 Unter entsprechenden Voraussetzungen kommt auch ein Steuerabteilungsleiter als Verfügungsberechtigter i.S.d. §  35 AO und damit als anzeige- und berichtigungspflichtige Person in Betracht.36 Im Konzernverbund sollte – zumindest bei Vorbereitung einer Selbstanzeige bzw. einer „selbstanzeigefesten“ Anzeige – berücksichtigt werden, ob die Vertreter anderer Gesellschaften mit einzubeziehen sind. Dies gilt insbesondere bei Unregelmäßigkeiten, die die Geschäftebeziehung zwischen den Gesellschaften betreffen und in Organschaftsfällen. b) Verantwortungswechsel/Ausgeschiedene Personen Wie zuvor beschrieben, ist die Möglichkeit des Erkennens höchstpersönlich. Eine nachträgliche Kenntnis einer Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit kann daher z.B. auch bei einem neuen Geschäftsführer eintreten, wenn sein Vorgänger den Mangel der Erklärung bereits kannte. Dies gilt unabhängig davon, wie der Mangel zustande kam, das heißt, z.B. auch bei einem bewussten Fehlverhalten des Amtsvorgängers.37 Um zu vermeiden, dass eine Anzeige nach § 153 AO unterbleibt, um den Amtsvorgänger nicht zu denunzieren, wurde das Institut der Fremdanzeige geschaffen, § 371 Abs.  4 AO. Danach wirkt eine rechtzeitig und ordnungsmäßig erstattete Anzeige nach §  153 AO als Strafverfolgungshindernis für einen Dritten, der die „in §  153 [AO] bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig angegeben hat“, vorausgesetzt diesem ist bislang nicht die Einleitung eines diesbezüglichen Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden.38 Dabei ist je-

35 FG Hamburg v. 13.8.2012 – 6 V 51/12, juris; ebenso: Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 259. Lieferung 08.2020, § 35 AO, Rz. 19.; zu § 35 AO für steuerstrafrechtliche Belange im Allgemeinen: BGH v. 9.4.2013 − 1 StR 586/12, NStZ 2014, 98 (102). 36 Binnewies/Esteves Gomes, AG 2018, 881 (883); Buse in AO − eKommentar, § 370 Steuerhinterziehung (Fassung v. 25.6.2017) Rz. 27.1. 37 BFH v. 7.3.2007 – I B 99/06, BFH/NV 2007, 1801 (1802). 38 Da § 153 AO nicht auf bislang nicht abgegebene Steuererklärungen anzuwenden ist, gilt dies gleichermaßen für §  371 Abs.  4 AO, KG Berlin v. 24.11.2016  – (4) 121 Ss 169/16 (195/16), StraFo 2017, 83 (85).

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doch umstritten, wie weitreichend die Norm ist.39 Einigkeit besteht zumindest darüber, dass der Amtsvorgänger, der selbst erst nachträglich Kenntnis von der Unrichtig- oder Unvollständigkeit erlangt hat, umfasst ist.40 Der Gesetzeszweck und die Tatsache, dass eine Steuerverkürzung durch aktives Tun und durch Unterlassen in § 370 AO gleichwertig nebeneinander stehen, gebieten auch eine Schutzwirkung für denjenigen anzunehmen, der die ursprünglich fehlerhafte Erklärung bewusst abgegeben hat.41 Wegen verbleibender Rechtsunsicherheiten sollte der Amtsvorgänger idealerweise mit in die Anzeige aufgenommen werden, die damit ggf. als hybride Anzeige einerseits i.S.d. §  153 AO für den neuen Amtsträger und andererseits i.S.d. § 371/§ 378 Abs. 3 AO für den Amtsvorgänger fungiert. § 371 Abs. 4 AO ist überdies auch als Entpflichtungstatbestand für den Fall zu verstehen, dass nur einer von mehreren Anzeigepflichtigen eines Steuerpflichtigen eine Anzeige nach §  153 AO abgibt. Dabei muss es nicht erst zu einem pflichtwidrigen Unterlassen − z.B. wie zuvor geschildert durch einen Amtsvorgänger − gekommen sein. § 371 Abs. 4 AO spricht insofern nur von einem „Unterlassen“ und grenzt sich dabei im Wortlaut klar von dem „pflichtwidrigen Unterlassen“, z.B. in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, ab. Insofern ist es unschädlich, wenn eine Anzeige nach § 153 AO für nicht alle (potenziell) verpflichteten Personen umfasst. Die Entpflichtung muss aufgrund der Formulierung „die in § 153 AO bezeichneten Erklärungen“, die sich wiederum auf die einen (konkreten) Steuerpflichtigen beziehen, auch auf seine Vertreter begrenzt sein und darf nicht so weit verstanden werden, dass die Finanzbehörde aus der Anzeige ggf. auch unrichtige oder unvollständig Tatsachen eines anderen Steuerpflichtigen ersehen könnte. Die Anzeigepflicht nach § 153 AO ist an den nachträglich erkennenden Steuerpflichtigen bzw. die für ihn handelnden Personen gebunden und kann nur für diesen als ordnungsgemäß erstattet gelten. Besondere Umsicht ist daher weiterhin in Konzernfällen geboten. c) Externe Personen Bei der Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten sollte zusätzlich bedacht werden, ggf. externe Personen in den Prozess einzubinden. Zwar mag ein Reputationsschaden befürchtet werden, in der Regel überwiegen die Vorteile jedoch. Ein Geschäftspartner wird es letztlich zu schätzen wissen, wenn dessen strafrechtliche Risiken durch Einbezug in eine gemeinsame Anzeige gemindert werden können. Entscheidend ist die Einbindung zum rechten Zeitpunkt, damit die eigenen Interessen vom Mitstreiter nicht übereilt werden. Beispiel: Für ein Produkt der Warenpalette wurden fälschlicherweise 19 statt 7 Prozent Umsatzsteuer sowohl beim Erwerb als auch bei der Veräußerung berücksichtigt. 39 Wulf in Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Compliance, 3. Aufl. 2019, Steuerfahndung im Unternehmen – und wie man sich darauf vorbereitet, Rz. 3.337-3.339 m.w.N. 40 Wulf in Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Compliance (Fn. 39), Rz. 3.339 m.w.N. 41 Wulf in Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Compliance (Fn. 39), Rz. 3.339 m.w.N.; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 371 AO Rz. 410 m.w.N.

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Für die eigenen Belange problematisch erscheint zunächst nur die ungerechtfertigt in Anspruch genommene Vorsteuer. Der Ausgangsumsatz ist strafrechtlich regelmäßig nicht relevant, da die überhöht ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 1 UStG geschuldet wird und bereits abgeführt sein sollte. Eine Anzeige des Sachverhalts könnte, je nach Umfang der Darstellung, die ebenfalls überhöht in Anspruch genommene Vorsteuer des Geschäftspartners offenbaren und dadurch ggf. zu einem Sperrgrund für dessen Selbstanzeige i.S.d. § 371 bzw. § 378 AO führen. Ebenfalls kritisch kann es sein, ohne Anzeige i.S.d. §§ 153, 370, 378 AO zunächst Rechnungskorrekturen vorzunehmen, da operative Prozesse zumindest eine gewisse Zeit der Umsetzung erfordern und daher strenggenommen die Unverzüglichkeit der Anzeige negiert werden könnte.

IV. Und wenn trotzdem ein straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlicher Vorwurf im Raum steht? In der Literatur wird i.d.R. nur die Wirkung eines vollständig implementierten Tax CMS thematisiert. Der Prozess der Installation eines kompletten Tax CMS kann allerdings langwierig sein und unter Umständen mehrere Monate in Anspruch nehmen. Viele Unternehmen bezeichnen ihr Tax CMS aktuell entsprechend als teilfertig.42 Inwieweit dies jedoch bereits eine Schutzwirkung entfalten kann, ist bislang scheinbar nicht thematisiert, allerdings höchst praxisrelevant. Zur Beantwortung der Frage, ob auch ein im Aufbau befindliches Tax CMS positiv auf ein (potenzielles) Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren wirken kann, muss zunächst die Wirkungsweise eines bestehenden, gelebten und wirksamen Tax CMS geklärt werden. Relevant ist in dem Zusammenhang auch, in welchem Kontext der Erlass vom 23.5.2016 erarbeitet wurde. Auf die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um ein Tax CMS als ausreichend wirksam zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten anzusehen, soll in diesem Beitrag nicht eingegangen werden. 1. Hintergrund In den vergangenen Jahren hat die Tendenz zugenommen, insbesondere aus den im Rahmen einer Betriebsprüfung gewonnenen Erkenntnissen ein Strafverfahren zu eröffnen.43 Die Betriebsprüfer sind gemäß §  10 BpO (2000) angehalten, „tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat“ an die zuständige Stelle  – i.d.R. die Bußgeld- und

42 Gemäß einer Studie von PwC, Stand Januar 2020, abrufbar unter: https://www.pwc.de/de/ steuerberatung/pwc-tcms-studie-2020.pdf schätzen 62% der Befragten den Reifegrad ihres Tax CMS zwar erst, aber immerhin auf etwa 50%. 43 Von Wolfersdorff/Hey, WPg 2016, 934 (940); Neuling, DStR 2015, 558 (563) benennt allgemein eine Kriminalisierung von Unternehmen.

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Strafsachenstelle (BuStra) – zu melden.44 „Dies gilt auch, wenn lediglich die Möglichkeit besteht, dass ein Strafverfahren durchgeführt werden muss.“45 Entsprechendes gilt bei Verdacht einer Ordnungswidrigkeit, das heißt insbesondere auch beim Verdacht leichtfertigen Handelns im Sinne des § 378 AO.46 In den gleichlautenden Ländererlassen vom 31. August 2009 wurde indes klargestellt, dass auch für die „Möglichkeit“ eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahrens tatsächliche Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO gegeben sein müssen.47 In Zweifelsfällen soll der Betriebsprüfer jedoch stets Kontakt zur BuStra aufnehmen, „insbesondere dann, wenn aufgrund der bisher getroffenen Prüfungsfeststellungen erhebliche Nachzahlungen zu erwarten sind und der Verdacht einer Steuerstraftat nicht offensichtlich ausgeschlossen ist“.48 Die Formulierungen der AStBV (St) sind ähnlich, wenn auch etwas vorsichtiger.49 Die Hürden für eine Meldung waren bzw. sind daher eher gering. Einmal bei der BuStra angekommen, wurde bzw. wird oftmals vorschnell ein Steuerstrafverfahren eingeleitet, anstatt z.B. strafrechtliche Vorermittlungen gemäß Nr. 13 AStBV (St) 2020 als milderes Mittel zu wählen.50 Die hierdurch zugenommenen Spannungen zwischen Behörden und Steuerpflichtigen bzw. deren Vertretern sollten durch den Anwendungserlass zu §  153 AO vom 23.5.2016 entschärft werden.51 Das BMF formuliert dazu wie folgt: „Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann, jedoch befreit dies nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalls.“52 2. Wirkungsweise eines Tax CMS „in Betrieb“ Sofern von der Wirkungsweise eines Tax CMS gesprochen wird, ist dies stets hinsichtlich Unregelmäßigkeiten innerhalb eines ansonsten wirksam gelebten Tax CMS zu verstehen. Die Wirkungsweise eines Tax CMS wird dabei vorrangig auf die Prüfung des Anfangsverdachts bezogen.53 Diesbezüglich ist in der Literatur umstritten, 44 § 10 Abs. 1 S. 1 BpO (2000). 45 § 10 Abs. 1 S. 2 BpO (2000). 46 § 10 Abs. 2 BpO (2000). 47 Gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 31.8.2009, BStBl. 2009, S. 829 (830). 48 Gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 31.8.2009, a.a.O.; Hervorhebung durch den Autor. 49 In Nr. 130 Abs. 3 AStBV (St) 2020 heißt es, dass die Möglichkeit einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, aufgrund derer eine Unterrichtung der BuStra vorzunehmen ist, wenn „Anhaltspunkte […] zwar noch nicht zureichend sind, um einen Verdacht zu begründen, [… diese] jedoch eine Untersuchung des Falls […] geboten erscheinen lassen“. Gemäß Nr. 131 Abs. 1 AStBV (St) 2020 gilt dies auch für die Außenprüfung. 50 Madauß, NZWiSt 2016, S. 343 (349). 51 Siehe Fn. 33. 52 Abschnitt 2.6 zu § 153 AEAO 2014 (Fassung v. 23.5.2016). 53 Seer (Fn. 5), § 153 AO, Rz. 32; von Frantzki, Tax Compliance: Bedeutung für Steuerstrafverfahren und Bußgeldverfahren, HaufeIndex 11727631.

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ob die ggf. positive Indizwirkung bereits im Rahmen der Vorprüfung durch die Veranlagungsstelle oder Betriebsprüfung Berücksichtigung finden soll oder erst auf Ebene der BuStra.54 Sofern ein Anfangsverdacht letztlich verneint wird, ist aus Sicht des Steuerpflichtigen gleichgültig, an welcher Stelle der Finanzbehörde dies geschieht. Der fragwürdigen Tendenz − übereifrig und vorschnell eingeleiteter Verfahren aufgrund der Höhe der steuerlichen Auswirkung der Fehler − sollte zumindest durch den eindeutigen Wortlaut des Anwendungserlass vom 23.5.2016 Einhalt geboten sein, nachdem „insbesondere […] nicht automatisch vom Vorliegen eines Anfangsverdachts allein aufgrund der Höhe der steuerlichen Auswirkung der Unrichtigkeit der abgegebenen Erklärung oder aufgrund der Anzahl der abgegebenen Berichtigungen ausgegangen werden [kann].“55 Richtigerweise muss das Vorhandensein eines gelebten und – bis auf Ausnahmen – wirksamen Tax CMS auch im Rahmen eines laufenden Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfahrens ins Gewicht fallen, wenngleich die Strafgerichte selbstverständlich nicht an die Verwaltungsanweisungen gebunden sind.56 Dies ergibt sich aus der grundsätzlichen Überlegung, dass der Steuerpflichtige durch das Tax CMS seinen Willen und seine Bemühungen zur vollständigen und zeitgerechten Erfüllung der steuerlichen Pflichten ebenso wie die Bestrebung, die notwendige Sorgfalt walten zu lassen, dokumentiert. Selbstredend werden tatsächliche Nachweise bezüglich der subjektiven Komponente eines relevanten Fehlverhaltens jedoch – trotz Tax CMS – zu einer Sanktionierung führen. Allerdings soll gemäß der Rechtsprechung des BGH ein effizientes Compliance Management, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt ist, bei der Bemessung einer Geldbuße im Ordnungswidrigkeitsverfahren berücksichtigt werden.57 Dies gilt sogar dann, wenn erst aufgrund des Verfahrens entsprechende, weitergehende Regelungen zwecks Vermeidung oder deutlicher Erschwernis künftiger Normverletzungen installiert werden. Da die Voraussetzungen der subjektiven Komponente bei der Leichtfertigkeit im Gegensatz zur groben Fahrlässigkeit (die zumindest ein „für möglich halten“ des Taterfolges erfordert) in der Regel schwieriger nachweisbar sind, ist zu erwarten, dass das Tax CMS bezogen auf das Ordnungswidrigkeitenrecht eine größere praktische Relevanz hat.58

54 Seer (Fn. 5), § 153 AO, Rz. 32 sieht die Betriebsprüfung verpflichtet, ein Tax CMS bei der Prüfung des Anfangsverdachts zu berücksichtigen und keine Meldung lediglich auf Grund der Höhe der zu erwartenden Mehrsteuern vorzunehmen. Er spricht sich insoweit für eine klarstellende Anpassung der AStBV und des § 10 BpO aus. Hingegen hält von Frantzki in Tax Compliance: Bedeutung für Steuerstrafverfahren und Bußgeldverfahren, HaufeIndex 11727631, das Vorhandensein eines Tax CMS für die Meldepflichten gemäß AStBV und BpO für irrelevant. Seines Erachtens erfährt das Tax CMS erst durch die BuStra oder Steuerfahndung im Rahmen ihrer Verdachtsprüfung nach § 397 AO Berücksichtigung. 55 Abschnitt 2.5 zu § 153 AEAO 2014 (Fassung v. 23.5.2016). 56 Von Wolfersdorff/Hey, WPg 2016, 934 (940). 57 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, ZStV 2019, 148 (154). 58 Ebenso Wulf, wistra 2016, 337 (340).

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3. Wirkungsweise eines Tax CMS „im Aufbau“ In der Literatur wird z.T. vertreten, dass ein Tax CMS nur dann eine entlastende Funktion entfalten könne, wenn dieses „umfassend“ implementiert sei.59 Dies impliziert die Ablehnung der vorteilhaften Berücksichtigung eines teilfertigen Tax CMS. Diesbezüglich bedarf es allerdings einer differenzierten Betrachtung. Zunächst ist festzuhalten, dass ein fehlendes Tax CMS nicht geeignet ist, ein Indiz für einen Anfangsverdacht zu begründen; dem Unternehmen bleibt lediglich die positive Indizwirkung versagt. Bei einem im Aufbau befindlichen Tax CMS ist zunächst zu unterscheiden, ob der steuerlich relevante Fehler in zeitlicher und sachlicher Hinsicht innerhalb des teilfertigen und ansonsten wirksamen Tax CMS entstanden ist. Nicht selten wird es in der Praxis dazu kommen, dass zunächst einzelne Teilbereiche bearbeitet und fertiggestellt werden. Dies könnte bzw. sollte zum Beispiel so aussehen, dass zunächst die Prozesse zur Lohn- und oder Umsatzsteuer optimiert werden. Sofern dies bejaht wird, muss durch die Finanzbehörde konsequenterweise auch eine positive Indizwirkung berücksichtigt werden. Denn der Steuerpflichtige hätte sich in dem Fall bezogen auf den Fehler nicht „vorbildlicher“ verhalten können. Es ist nicht ersichtlich, warum noch nicht abgeschlossene Bemühungen des Steuerpflichtigen in anderen steuerlichen Bereichen einen Einfluss auf die gebotene Einzelfallprüfung des Anfangsverdachts haben sollten. Sofern die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit nicht innerhalb eines Bereiches entstanden ist, für den ein Tax CMS als teilfertig angesehen werden kann, ist eine positive Indizwirkung i.S.d. Erlasses vom 23.5.2016 hingegen wohl eher abzulehnen. Jüngere Bestrebungen des Steuerpflichtigen können selbstverständlich keine Auskunft darüber vermitteln, ob ein zurückliegendes Verhalten ggf. leichtfertig oder grob vorsätzlich erfolgte. Allerdings ist zumindest bei der Beurteilung der Leichtfertigkeit gemäß der Rechtsprechung des BFH eine Gesamtbewertung des Steuerpflichtigen geboten.60 Insofern sollte doch, wenn auch geringer, ins Gewicht fallen, welche Sorgfalt der Steuerpflichtige insgesamt walten lässt. Hierzu zählen auch ernsthafte Bemühungen zur Optimierung der steuerlichen Überwachung. Die (weiteren) Anstrengungen des Steuerpflichtigen können zudem unter Verweis auf die BGH Rechtsprechung (im Sinne eines zu honorierenden Nachtatverhaltens) für die Argumentation zwecks Minderung des Strafmaßes berücksichtig werden.61 Die Empfehlung für den Steuerpflichtigen kann in diesem Zusammenhang nur lauten, idealerweise abgrenzbare, funktionsfähige Teilziele eines Tax CMS fertigzustellen. 59 Explizit zum Beispiel Madauß, NZWiSt 2016, 343 (349) mit weiteren Verweisen, allerdings dort oftmals eher konkludent. 60 BFH v. 3.3.2015 – II R 30/13, DStRE 2015, 1003 (1008) (Rz. 44). 61 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, a.a.O.; siehe auch Moritz, jurisPR-Compl 5/2017 Anm. 1; Rübenstahl in Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltkommentar StGB, 3.  Aufl. 2020, §  73 Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern, Rz. 62.

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4. Zur Anwendung in der Praxis Wie zuvor erläutert, hat das BMF die Aussage zur (möglichen) Indizwirkung eines Tax CMS im Anwendungserlass zu § 153 AO positioniert. Es sollte unstrittig sein, dass ebenfalls eine Anwendung im laufenden Betriebsprüfungsverfahren in Betracht kommt. Die konkrete Berücksichtigung im Betriebsprüfungsverfahren erscheint eingängig. Der Betriebsprüfer verschafft sich zu Beginn der Prüfung zunächst einen Überblick über das Unternehmen; dabei wird er auch Kenntnis darüber erlangen, ob ein Tax CMS besteht und wie dieses ausgestaltet ist. Sodann wird er in die Prüfung der steuerlichen Themen einsteigen und kann die zum Tax CMS gewonnene Information bei einer identifizierten Prüfungsfeststellung und der aufkeimenden Frage nach der Notwendigkeit einer Meldung an die BuStra berücksichtigen. Alternativ kann die Information auch der BuStra für Zwecke der Vorermittlungen transferiert werden. Schwieriger gestaltet sich die praktische Anwendung bei einer Anzeige des Steuerpflichtigen i.S.d. § 153 AO außerhalb des Betriebsprüfungsverfahrens. In der Regel wird der Steuerpflichtige nicht in die Vorermittlungen einbezogen; die BuStra wird nicht – erst recht nicht in diesem Stadium – höflich nachfragen, ob denn ein internes Kontrollsystem besteht und welche Qualität es hat. Möglicherweise wird es perspektivisch eine behördeninterne Compliance-Bewertung des Steuerpflichtigen geben, bei der Erkenntnisse aus einer Betriebsprüfung vermerkt werden, sodass auch die Information über ein Tax CMS für alle Stellen, auch die BuStra, ersichtlich ist. Aktuell und insbesondere für Fälle, in denen eine Betriebsprüfung noch nicht über ein zwischenzeitlich implementiertes Tax CMS befinden konnte, wird eine positive Indiz­ wirkung aber nur auf Begehr des Steuerpflichtigen erfolgen können. In der Praxis hieße dies, bei jeder Nacherklärung, die als Anzeige i.S.d. § 153 AO verstanden werden will, selbst wenn sie „selbstanzeigefest“ ausgestaltet ist, eine möglichst detaillierte Beschreibung des Tax CMS mitzuliefern. Außerdem könnte frühzeitig und (noch) nicht anlassbezogen der Finanzbehörde (oder zumindest der Betriebsprüfung) Teilerfolge des Tax CMS sowie den Gesamtplan der Bemühungen kommuniziert werden.

V. Zusammenfassung Bei der Implementierung eines Tax CMS werden sich durch eine notwendigerweise sehr gründliche Anamnese höchstwahrscheinlich Erklärungsmängel offenbaren. Diese sind grundsätzlich, auch bei einem leichtfertigen oder grob vorsätzlichen Hintergrund, anzeige- und berichtigungspflichtig nach § 153 AO. Wer dieser Verpflichtung nicht oder nicht hinreichend zügig nachkommt, setzt sich dem Vorwurf der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO aus. Bei nachträglichem Erkennen eines Fehlers ist daher ein sehr zügiges und sorgsames Handeln angezeigt. Im ersten Schritt sollten die Hintergründe des Fehlers identi­ fiziert werden, weil eine „selbstanzeigefeste“ Nacherklärung nicht in jedem Fall die 489

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beste Option ist. Im zweiten Schritt hat mindestens eine Anzeige des Sachverhalts gegenüber der zuständigen Finanzbehörde zu erfolgen. Dies muss „unverzüglich“ geschehen, wobei Rechtsunsicherheit betreffend der Auslegung besteht und aus Vorsichtsgründen eine Zeitspanne von weniger als zwei Wochen angenommen werden sollte. In dem Zusammenhang ist es ratsam, die ergriffenen Maßnahmen, den Grund für Verzögerungen und die verbindlich geplanten nächsten Schritte zu dokumentieren. Erhöhte Sorgfalt ist auch bei der Ausgestaltung der Anzeige geboten. Insbesondere sollte wohlüberlegt sein, welche natürlichen, juristischen, internen und externen Personen in die Anzeige mit einzubeziehen sind. Ebenfalls erscheint es sinnvoll proaktiv Informationen über den Stand der Implementierung des Tax CMS beizufügen, damit idealerweise eine Berücksichtigung im Sinne einer vorteilhaften Indizwirkung bei der behördlichen Prüfung eines Anfangsverdachts erfolgen kann. Hinsichtlich des Tax CMS selbst erscheint es ratsam, zum Beispiel steuerartbezogene Teilziele zu definieren und dem Abschluss kleinerer funktionsfähiger Teile Vorzug zu geben.

Nadine Oberherr Diplom-Finanzwirtin, Steuerberaterin Assoziierte Partnerin

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Weißer Kragen – dunkle Zeiten?! Neue Risiken für Unternehmen im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht: DS- GVO, Verbandssanktionengesetz und Tax Compliance Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Steuerstraf- und (steuer-)ordnungs­ widrigkeitenrechtliche Risiken und die Bedeutung von Tax Compliance 1. Tax Compliance System: Keine gesetzliche, aber eine faktische Notwendigkeit 2. Strafrechtliche und (steuer-)ordnungswidrigkeitenrechtliche Risiken mangelnder Tax Compliance a) Steuerstrafrechtliche und (steuer-) ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionen gegen Mitarbeiter und Organe b) Sanktionen gegen das Unternehmen c) Tax Compliance System: Indiz gegen Vorsatz d) Implementierung und Ausgestaltung eines Tax CMS: Ein Überblick III. Das Verbandssanktionengesetz – Was Unternehmen zukünftig erwarten könnte 1. Aktueller Stand 2. Wesentliche Inhalte

a) Regelungsbereich und Legalitätsprinzip b) Die Verbandsverantwortlichkeit: verschuldensunabhängige Zurechnung c) Sanktionen: Vom „Naming and ­Shaming“ bis zur umsatzgekoppelten Verbandsgeldsanktion d) Lichtblick für Unternehmen? − Sanktionsmilderungen durch Kooperation und interne Ermittlungen 3. Auswirkungen auf das Steuerstrafrecht IV. Neue Risiken seit Geltung der DS-GVO 1. Überblick 2. Wann drohen Unternehmen Bußgelder nach Art. 83 DS-GVO? 3. „Bußgelder, die weh tun sollen“: Zumessungskriterien und das neue Berechnungsmodell der Aufsichtsbehörden 4. Wie sich Unternehmen schützen können: Prävention und Verteidigungsstrategien V. Fazit

I. Einleitung In den letzten Jahren sind Unternehmen sowie deren Leitungspersonen zunehmend in den Fokus der Behörden geraten. Gleichzeitig lässt sich auch eine zunehmende Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Fehlverhalten im Unternehmen feststellen.1 Hiermit einher gingen gesetzgeberische Bestrebungen ein Unternehmensstrafrecht zu schaffen. Der Ruf nach einer stärkeren Ahndung von Fehlverhalten in und von Unternehmen wird lauter.2 Das regulatorische Umfeld verschärft sich zunehmend:

1 Vgl. Füllsack/Bürger, StB 2019, 96 (110); Cappel/Duttiné, DStR 2020, 1685 (1685). 2 Cappel/Duttiné, DStR 2020, 1685 (1685).

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Seit Mitte 2018 haben Unternehmen die DS-GVO zu beachten. Bis heute bestehen zahlreiche Rechtsunsicherheiten. Die Umsetzung in der Praxis ist für viele Unternehmen noch schwierig.3 Dennoch drohen bei Verstößen empfindliche Sanktionen. Auch die steuerstraf- und (steuer-)ordnungswidrigkeitenrechtlichen Risiken stellen Unternehmen vor immer größere Herausforderungen. Unternehmen haben eine Vielzahl an steuerlich relevanten Vorgängen zu beachten, gleichzeitig nimmt die Komplexität und Regelungsdichte an steuerlichen Vorschriften stetig zu.4 Aktuelle Diskussionen verdeutlichen nochmal, wie schmal die Grenze zwischen legaler Steuergestaltung und Steuerhinterziehung in der Praxis sein kann. Zudem ist eine Verschärfung der Rechtsprechung in Steuerstrafsachen zu beobachten.5 Schnell kann es hier zu Fehlern kommen. Ermittlungsbehörden reagieren häufig mit der Einleitung von steuerstrafrechtlichen- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ermittlungsverfahren, obwohl gleichgelagerte Fälle vormals allein auf steuerlicher Ebene im Rahmen der Betriebsprüfung geklärt wurden.6 Die Schwelle zur Annahme von Vorsatz oder zumindest Leichtfertigkeit im Bereich von Steuerstraftaten oder -ordnungswidrigkeiten ist in der Praxis niedrig und die Anforderungen an die Tax Compliance Organisation im Unternehmen hoch. Diese Entwicklungen hin zu einer stärkeren und insbesondere unmittelbaren Verantwortlichkeit von Unternehmen zeigen sich auch in dem erst kürzlich veröffentlichten Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft. Das Gesetz befindet sich derzeit noch im Gesetzgebungsverfahren und soll erst zwei Jahre nach der Verkündung in Kraft treten. Doch schon jetzt ist recht klar, dass das Gesetz  – wenn auch ggf. mit einigen Änderungen  – kommen wird. Die drohenden Sanktionen sind einschneidend.

II. Steuerstraf- und (steuer-)ordnungswidrigkeitenrechtliche Risiken und die Bedeutung von Tax Compliance 1. Tax Compliance System: Keine gesetzliche, aber eine faktische Notwendigkeit Unter dem Begriff Tax Compliance versteht man das Selbstbekenntnis zur Einhaltung aller steuerrechtlichen Regeln, die für das Unternehmen gelten sowie die Sicherstellung der Einhaltung dieser Pflichten durch eine entsprechende Organisationsstruk-

3 Löschhorn/Fuhrmann, NZG 2019, 161 (162). 4 Kußmaul/Schmeer, Ubg 2019, 613 (617); bspw. die neuen Mitteilungspflichten bei grenzüberschreitenden Steuergestaltungen von Bredow, Stbg 2020, 122; siehe zur Verschärfung durch die neuen Regelungen durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz: Eich/Winkler, AOStB 2020, 256. 5 Bülte in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, 2.  Aufl. 2019, B. Die Verschärfung des Steuerstrafrechts durch Gesetzgeber, BGH und Steuerverwaltung Rz. 11 ff. 6 Aichberger/Schwartz, DStR 2015, 1691 (1691).

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tur.7 Selbstverständlich kann bei der steuerlichen Ausgestaltung im Unternehmen weiterhin der vom Gesetzgeber eingeräumte Spielraum ausgenutzt werden. In den letzten Jahren ist Tax Compliance zunehmend in den Fokus von Unternehmensverantwortlichen gerückt.8 Grund hierfür ist das stetig wachsende Risiko im Hinblick auf steuerstrafrechtliche oder steuerordnungswidrigkeitenrechtliche Ermittlungsverfahren, die sowohl Organe oder Mitarbeiter treffen können, wie auch das Unternehmen selbst. Auch das regulatorische Umfeld verschärft sich fortlaufend, so bspw. durch zusätzliche Anzeigepflichten.9 Hinzu kommt eine restriktivere Rechtsprechung des BGH in Steuerstrafsachen und die Tatsache, dass in der gegenwärtigen Verfahrenspraxis schneller Ermittlungsverfahren eingeleitet werden.10 Letztlich kommt erschwerend hinzu, dass – jedenfalls auf Ebene der Finanz- und Ermittlungsbehörden – scheinbar nur geringe Anforderungen an die Annahme eines vorsätzlichen oder leichtfertigen Handelns gestellt werden und häufig allein an die materiellrechtlich fehlerhafte steuerliche Behandlung angeknüpft wird, ohne dass ausreichend objektiv feststellbare Indizien vorliegen. Eine Verteidigung im subjektiven Tatbestand ist daher höchst schwierig und mit großen Unsicherheiten behaftet. Aufgrund der Komplexität und Vielfalt steuerlich relevanter Geschäftsvorfälle, sind Steuererklärungen in Unternehmen in höchstem Maße fehleranfällig. Letztlich lassen sich Fehler nicht zu 100 % ausschließen. Jedoch kann das Risiko fehlerhafter Erklärungen und insbesondere steuerstraf- und steuerordnungswidrigkeitenrechtlichen Risiken für das Unternehmen wie auch für seine Organe und Mitarbeiter durch ein effektives und dokumentiertes Tax Compliance-System erheblich reduziert werden. Eine gesetzliche Pflicht zur Einrichtung eines Tax Compliance-Systems existiert nicht, es besteht aber eine faktische Notwendigkeit, selbst für kleinere Unternehmen, auch wenn die Anforderungen sich selbstverständlich von denen großer Konzerne unterscheiden. 2. Strafrechtliche und (steuer-)ordnungswidrigkeitenrechtliche Risiken mangelnder Tax Compliance Kommt es im Unternehmen zu Fehlern im steuerlichen Bereich, ergeben sich nicht nur zivilrechtliche und steuerliche Haftungsrisiken (§§ 69 ff. AO) sowie Reputationsschäden, sondern insbesondere auch steuerstrafrechtliche und (steuer-)ordnungs-

7 Vgl. Menner/Bexa, CCZ 2019, 129 (129); Aichberger/Schwartz, DStR 2015, 1691 (1692). 8 Cappel/Duttiné, DStR 2020, 1685; Aichberger/Schwartz, DStR 2015, 1691 (1692); Menner/ Bexa, CCZ 2019, 129 (129); Fischer/Schwab, DStR 2018, 2040 (2040). 9 Kußmaul/Schmeer, Ubg 2019, 613 (617); zu nennen ist in diesem Zusammenhang die Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen, die mit Gesetz v. 21.12.2019 beschlossen wurde. Sog. Intermediäre, insbesondere Kreditinstitute, Steuerberater, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer müssen künftig dem Bundeszentralamt für Steuern grenzüberschreitende Steuergestaltungsmodelle mitteilen, die sie konzipiert, organisiert oder verkauft haben. Die Anzeigepflicht wird den Compliance-Aufwand erheblich erhöhen. 10 Aichberger/Schwartz, DStR 2015, 1691 (1691).

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widrigkeitenrechtliche Risiken sowohl für die Mitarbeiter und Organe als auch für das Unternehmen.11 a) Steuerstrafrechtliche und (steuer-)ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionen gegen Mitarbeiter und Organe aa) Steuerhinterziehung (§ 370 AO) und leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) Eine Steuerhinterziehung liegt vor, wenn gegenüber den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht werden, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen werden oder pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlassen wird und dadurch Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt werden. Täter der aktiven Steuerhinterziehung durch Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) kann nicht nur der Steuerpflichtige selbst, sondern jedermann sein.12 Somit können sich auch Mitarbeiter und Organe gem. § 370 AO strafbar machen, wenn die Steuererklärungen für das Unternehmen fehlerhaft sind. Hingegen kann Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) nur derjenige sein, den eine besondere Pflicht zur Aufklärung der Finanzbehörden trifft (Sonderdelikt). Dies sind beispielsweise bei juristischen Personen die gesetzlichen Vertreter. In der regelmäßig in Unternehmen vorzufindenden arbeitsteiligen Struktur wird die originär beim Vorstand oder der Geschäftsführung liegende Verantwortlichkeit (§ 34 AO) richtige und vollständige Steuererklärungen abzugeben, häufig auf andere Personen (z.B. externe Steuerberater) oder Abteilungen (z.B. die Steuerabteilung) delegiert. Dies ist zulässig und regelmäßig auch notwendig. Gleichwohl verbleibt bei der Geschäftsleitung eine Aufsichts- und Kontrollpflicht. Steuererklärungen im Unternehmen sollten daher durch die Geschäftsführung bzw. den Vorstand nicht ungeprüft unterschrieben werden. Auch bei der Beauftragung externer steuerlicher Berater darf zwar grundsätzlich darauf vertraut werden, dass die Steuererklärung richtig und vollständig vorbereitet wird, wenn sichergestellt worden ist, dass der Berater alle für die Anfertigung der Steuerklärung erforderlichen Informationen zur Verfügung hat.13 Gleichwohl wird von der Rechtsprechung erwartet, dass die Erklärung zumindest plausibilisiert wird. Eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) kommt nicht nur bei Nichtabgabe von Steuererklärungen und Steueranmeldungen, sondern auch 11 Siehe hierzu vertiefend Schwartz/Stürzl-Friedlein in Schulz (Hrsg.), Compliance-Management im Unternehmen Strategie und praktische Umsetzung, 2. Aufl. 2020. 12 Ständige Rechtsprechung BGH v. 5.9.2017 – 1 StR 198/17, BeckRS 2017, 131121; BGH v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, NJW 2013, 2449 (2451); BGH v. 6.6.2007 – 5 StR 127/07, NStZ 2007, 596; Jäger in Klein, 15. Aufl. 2020, § 370 AO Rz. 25a. 13 BFH v. 29.10.2013  – VIII R 27/10, DStR 2013, 2694 (2697); BFH v. 18.5.2005  – VIII R 107/03, BeckRS 2005, 25008695.

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bei der Nichterfüllung steuerlicher Anzeigepflichten in Betracht. Besonders praxisrelevant ist die Verletzung der Anzeigepflicht nach §  153 AO. Eine Anzeigepflicht gem. § 153 AO besteht, wenn ein Steuerpflichtiger nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist. Dann obliegt ihm die Pflicht, unverzüglich den Fehler anzuzeigen sowie die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. Nach § 153 Abs. 1 Satz 2 AO trifft diese Pflicht insbesondere auch die gesetzlichen Vertreter (§ 34 AO). Eine Berichtigungsanzeige gem. § 153 AO hat unverzüglich zu erfolgen. Die Anforderungen an die Unverzüglichkeit sind umstritten und mitunter schwer zu bestimmen. Insbesondere in Fällen mit komplexen Sachverhalten empfiehlt es sich daher frühzeitig eine Anzeige zu machen, in deren Rahmen die Zahlen ggf. großzügig zu schätzen sind und gleichzeitig mit der Finanzverwaltung eine Frist abzustimmen, die dem Unternehmen für die umfassende Aufbereitung gewährt wird. Wird die Anzeige nachträglich als verspätet gewertet, stellt sie zunächst bis zu dem Zeitpunkt, an dem bei ordnungsgemäßer Anzeige ein geänderter Steuerbescheid ergangen wäre, einen Rücktritt vom Versuch gem. § 24 StGB dar. Auch nach diesem Zeitpunkt kann jedoch noch eine strafbefreiende Wirkung eintreten, wenn die Anzeige alle Voraussetzungen des § 371 AO erfüllt. Sowohl § 153 AO als auch die Selbstanzeige gem. § 371 AO bzw. § 378 Abs. 3 AO stellen Korrekturvorschriften dar. Diesen ist gemein, dass in allen Fällen die Steuererklärung im Zeitpunkt der Abgabe objektiv falsch war. Der maßgebliche Unterschied liegt im subjektiven Tatbestand. Hat der Steuerpflichtige vorsätzlich oder leichtfertig gehandelt, ist die nachträgliche Berichtigung eine Selbstanzeige nach § 371 AO bzw. im Falle von leichtfertigem Handeln nach § 378 Abs. 3 AO. War hingegen die Abgabe einer unrichtigen Erklärung hingegen allenfalls fahrlässig, kommt ausschließlich eine Berichtigung gem. § 153 AO in Betracht. Problematisch ist insoweit, dass die Abgrenzung zwischen § 153 und § 370 AO nachträglich aus Sicht der Behörden erfolgt und auch deshalb schwierig einzuschätzen ist, da letztlich eine innere Tatsache maßgeblich ist. Folglich kann es zu der Situation kommen, dass eine Abwägung zu erfolgen hat zwischen einerseits der Notwendigkeit unverzüglich zu berichtigen und andererseits eine umfassende Sachverhaltsaufbereitung vorzunehmen, um nicht das Risiko einzugehen, eine unvollständige und damit unwirksame Selbstanzeige abzugeben, wenn nach Ansicht der Behörden von Vorsatz auszugehen ist.14 Aufgrund der Abgrenzungsschwierigkeiten und verbleibenden Unsicherheiten, sollte eine Berichtigung gem. § 153 AO immer selbstanzeigesicher ausgestaltet werden.15 Eine wirksame Selbstanzeige stellt einen persönlichen Strafaufhebungsgrund dar. Straffreiheit tritt somit für denjenigen ein, der die Selbstanzeige in seinem Namen abgegeben hat. Im Unternehmen wirken regelmäßig mehrere Personen an der Erstellung und Abgabe einer Steuererklärung mit und kommen potenziell auch als Täter 14 Vgl. Wegner, SteuK 2016, 289 (292). 15 Siehe auch Schauf/Schwartz, ZWH 2013, 212 (213).

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einer Steuerhinterziehung in Betracht. Da bereits mit der ersten Selbstanzeige der Sperrgrund der Tatentdeckung für alle weiteren Beteiligten greifen würde, können nur dann alle Betroffenen – wie auch das Unternehmen – von der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige profitieren, wenn alle potenziell Beteiligten in die Selbstanzeige einbezogen werden. In der Praxis werden hierzu Anschlusserklärungen erstellt. Die sorgfältige Prüfung des Personenkreises, der in die Selbstanzeige einzubeziehen ist, ergibt sich insbesondere auch daraus, dass eine selbstständige Festsetzung einer Geldbuße gegen das Unternehmen nach § 30 Abs. 4 S. 3 OWiG ausgeschlossen ist, wenn für alle Beteiligten eine wirksame Selbstanzeige vorliegt. Aufgrund der hohen Anforderungen, die an eine wirksame Selbstanzeige allgemein gestellt werden, dem regelmäßig vorliegenden Zeitdruck sowie der Notwendigkeit alle potenziell Beteiligten einzubeziehen, sollte ein erfahrener Steuerstrafrechtler hinzugezogen werden, denn die Folgen einer unwirksamen Anzeige können gravierend sein und bei Inkrafttreten des VerSanG sogar noch verstärkt werden (siehe unter III 3). Auf der subjektiven Seite setzt § 370 AO voraus, dass die Steuerhinterziehung vorsätzlich begangen worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist für ein vorsätzliches Handeln notwendig, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält (Steueranspruchstheorie) und ihn auch verkürzen will.16 Ausreichend ist, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestands zumindest billigend in Kauf nimmt („dolus eventualis“).17 Bei der leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit, die regelmäßig als Auffangtatbestand dient, wenn der Nachweis eines vorsätzlichen Handelns nicht erbracht werden kann.18 Ausreichend ist ein leichtfertiges Handeln. Leichtfertig handelt, „wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Einzelfalls und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird“.19 Die Sorgfaltspflicht begründet insbesondere Erkundigungspflichten.20 Fehlt dem Steuerpflichtigen selbst die Fachkenntnis oder hat er Zweifel an der rechtlichen Würdigung im Einzelfall, wird erwartet, dass er von sachkundiger Stelle Rat einholt.21 Ein leichtfertiges Handeln der Ge-

16 BGH v. 10.1.2019 – 1 StR 347/18, BeckRS 2019, 4021; BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160 (161) m.w. N. 17 St. Rspr. BGH v. 11.2.2020 – 1 StR 119/19, BeckRS 2020, 6341; BGH v. 24.1.2018 – 1 StR 331/17, NStZ-RR 2018, 180; BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160 (161). 18 BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160 (161); BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 491/09, BeckRS 2010, 239; Jäger in Klein, 15. Aufl. 2020, § 378 AO Rz. 1. 19 BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160 (161); st. Rspr. vgl. auch BGH v. 17.12.2014 – 1 StR 324/14, BeckRS 2015, 2618; BGH v. 16.12.2009 – 1 StR 491/09, HFR 2010, 866; BFH v. 18.11.2013 – X B 82/12, BeckRS 2014, 94067. 20 Schauf/Schwartz, ZWH 2013, 212 (213 f.). 21 BFH v. 19.2.2009 – II R 49/07, DStRE 2009, 877 (878) m.w.N.; BGH v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160.

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schäftsleitung kommt zudem auch dann in Betracht, wenn keine hinreichenden Aufsichts- und Überwachungsmaßnahmen getroffen werden.22 bb) Organisationsverschulden (§ 130 OWiG) Doch auch wenn nach dem Vorstehenden eine Strafbarkeit der Geschäftsleitung bzw. des Vorstands nicht in Betracht kommt, weil eine unmittelbare Beteiligung nicht gegeben oder jedenfalls nicht nachweisbar ist, kann eine Sanktionierung gem. §  130 OWiG in Betracht kommen. Nach §  130 OWiG kann eine Aufsichtspflichtverletzung23 bußgeldrechtlich sanktioniert werden. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass sich Leitungspersonen nicht durch eine Delegation der Aufgaben einer Verantwortlichkeit entziehen können. Eine Geldbuße kann festgesetzt werden, wenn eine aufsichtspflichtige Person (z.B. der GmbH-Geschäftsführer, aber gem. § 9 OWiG auch Ressort- oder Abteilungsleiter) vorsätzlich oder fahrlässig Aufsichtsmaßnahmen unterlassen hat, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, und eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Nach h.M. sind auch die §§ 370, 378 AO taugliche Anknüpfungstaten. Anknüpfungspunkt ist dann die Desorganisation im Unternehmen.24 In der Praxis häufig vorzufindende Beispiele für ein Organisationsverschulden im steuerlichen Bereich sind insbesondere: eine unzureichende Einbindung der Steuerabteilung; fehlende oder unzureichende Fortbildungsmaßnahmen der Mitarbeiter in Bezug auf steuerrechtlich relevante Vorgänge, eine Unterbesetzung der Steuerabteilung oder die fehlende Sicherstellung, dass Beanstandungen aus der Vor-Betriebsprüfung nicht erneut missachtet werden. b) Sanktionen gegen das Unternehmen In den letzten Jahren werden zunehmend Ermittlungsverfahren nicht nur gegen Unternehmensverantwortliche, sondern auch die Unternehmen selbst geführt. Zwar können sich Unternehmen als juristische Personen nicht „strafbar“ machen, da sie weder handlungs- noch schuldfähig sind. Jedoch kann eine Sanktionierung bereits nach aktueller Rechtslage gemäß § 30 OWiG (sog. Verbandsgeldbuße) erfolgen. Hat ein vertretungsberechtigtes Organ (z.B. der GmbH-Geschäftsführer) oder eine sonstige Leitungs- oder Kontrollperson eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen (sog. Anknüpfungstat), durch die Pflichten, welche das Unternehmen treffen, verletzt worden sind oder das Unternehmen bereichert worden ist oder werden sollte, kann gegen das Unternehmen eine Geldbuße verhängt werden. Dem Unternehmen wird dann die Tat einer natürlichen Person zugerechnet. Taugliche Anknüpfungsta22 Schauf/Schwartz, ZWH 2013, 212 (214). 23 Zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen zählen insbesondere Auswahl-, Instruktionsund Überwachungspflichten. 24 Schauf/Schwartz, ZWH 2013, 212 (216).

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ten sind insbesondere auch die Steuerhinterziehung (§ 370 AO) bzw. die leichtfertige Steuerverkürzung (§  378 AO) oder auch ein Organisationsverschulden gem. §  130 OWiG. Die Geldbuße kann neben der straf- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfolgung der natürlichen Person treten. Im Falle einer vorsätzlichen Straftat kann eine Geldbuße von bis zu zehn Millionen Euro festgesetzt werden. Der Sanktionsrahmen bezieht sich allerdings ausschließlich auf den Ahndungsteil. Neben diesen tritt bei einer Geldbuße gem. § 30 OWiG ein Abschöpfungsteil, der die Bußgeldgrenzen erheblich überschreiten kann (§ 17 Abs. 4 OWiG) und daher nicht unterschätzt werden sollte.25 c) Tax Compliance System: Indiz gegen Vorsatz Wird unternehmensintern durch entsprechende Organisationsstrukturen sichergestellt, dass die steuerlichen Pflichten eingehalten werden, ist dies regelmäßig als Indiz gegen ein vorsätzliches Handeln zu werten. Die besondere Bedeutung, die einem innerbetrieblichen Kontrollsystem in diesem Zusammenhang zukommt, hat auch das BMF hervorgehoben: „Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann“.26 Zu berücksichtigen ist zwar, dass es sich einerseits nur um ein Indiz handelt und andererseits die Schlussfolgerung nicht zwingend ist. Auch gibt es keine gesetzliche Verpflichtung ein Compliance System einzurichten.27 Dennoch besteht letztlich eine faktische Pflicht ein effektives Tax Compliance System zu installieren, wenn man die steuerstraf- und (steuer)ordnungswidrigkeitenrechtlichen Risiken sowohl für die Mitarbeiter, die Organe wie auch das Unternehmen selbst weitestgehend minimieren will.28 Dies zeigt sich auch in der Rechtsprechung des BGH. In seinem Urteil vom 9. Mai 2017 hat er zur Bedeutung von Compliance Bemühungen ausgeführt: „Für die Bemessung der Geldbuße ist zudem von Bedeutung, inwieweit die Nebenbeteiligte ihrer Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein effizientes Compliance-Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss“.29 d) Implementierung und Ausgestaltung eines Tax CMS: Ein Überblick Es gibt keine gesetzlichen Vorgaben wie ein effektives Tax Compliance System auszusehen hat, damit eine entlastende Wirkung gewährleistet ist. Auch in der Rechtsprechung sowie dem bereits erwähnten BMF-Schreiben finden sich hierzu keine An25 Gegen VW wurde im Abgasskandal eine Geldbuße in Höhe von 1 Milliarde Euro festgesetzt, bei der 995 Millionen auf den Abschöpfungsanteil entfielen. 26 BMF, Schreiben v. 23.5.2016 − Az. IV A 3 - S 0324/15/10001, IV A 4 - S 0324/14/10001, DOK 2016/0470583, DStR 2016, S. 1218, Abschnitt 2.6. 27 So auch Aichberger/Schwartz, DStR 2015, 1758 (1761); a.A. Bürkle, BB 2007, 1797 (1800). 28 So auch Menner/Bexa, CCZ 2019, 129 (129); Cappel/Duttiné, DStR 2020, 1685 (1686). 29 BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, BeckRS 2017, 114578.

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haltspunkte. Eine gewisse Hilfestellung bietet der IDW-Praxis Hinweis30 sowie der Hinweis der Bundessteuerberaterkammer.31 Die Ausgestaltung eines Tax Com­pliance Systems richtet sich nach den Umständen im Einzelfall.32 Jedes Unternehmen hat andere Bedürfnisse und Besonderheiten. In den Blick zu nehmen sind dabei die jeweiligen Gegebenheiten und Anforderungen wie z.B. Größe, Unternehmensstruktur, und Branche. Selbstverständlich bedarf das Tax Compliance System eines DAX-Konzerns einer anderen Komplexität wie das eines mittelständischen Unternehmens.33 Nach dem IDW-Praxishinweis sind bei der Implementierung und Ausgestaltung eines Tax Compliance Systems im Wesentlichen die folgenden sieben Kernelemente zu berücksichtigen:34 – Tax Compliance-Kultur (klares Bekenntnis der Geschäftsführung, sog. „tone from the top“ und Akzeptanz bei den Mitarbeitern) – Tax Compliance-Ziele (Definition von Zielen unter Berücksichtigung der verfügbaren Ressourcen) – Tax Compliance-Organisation (eindeutig geregelte Zuständigkeiten/Verantwortungsbereiche und Delegationsketten)35 – Tax Compliance-Risiken (Risikoanalyse: insbes. hinsichtlich der unternehmensinternen Organisationsstruktur, der steuerlichen Pflichtenerfüllung bzw. Fehlverhalten in der Vergangenheit sowie den unternehmensspezifischen materiell-rechtlichen Problemen) – Tax Compliance-Programm (Maßnahmen zur Optimierung der Prozesse/Reduzierung Risiken) – Tax Compliance-Kommunikation (Kommunikation ggü. Mitarbeitern) – Tax Compliance-Überwachung/Verbesserung (Überwachung der Einhaltung der Regelungen/laufende Überprüfung und Verbesserung)

30 IDW Praxishinweis 1/2016: Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980. 31 Hinweise der Bundessteuerberaterkammer für ein steuerliches innerbetriebliches Kontrollsystem  – Steuer-IKS, https://www.stbk-koeln.de/fileadmin/site-template/pdf/Berufsrecht​ liches_Handbuch/Berufsrechtliches_Handbuch_Ausgabe_StBK_Koeln_Stand_​M%C3​%​ A4rz_2020.pdf#page=719 (zuletzt abgerufen am 30. August 2020). 32 Köhler, StBp 2018, 43 (46). 33 Aichberger/Schwartz, DStR 2015, 1758 (1763). 34 Siehe hierzu auch Handel, DStR 2017, 1945. 35 Wesentliche Regelungen, die beachtet werden sollten, sind insbesondere (keinesfalls abschließend) folgende: eindeutig geregelte Zuständigkeiten sowie Delegationsketten, Aufsichts- und Kontrollmaßnahmen sowie Sanktionsmechanismen bei Verstößen, eine frühzeitige und regelmäßige Einbeziehung der Steuerabteilung; ausreichend qualifizierte Fachmitarbeiter, regelmäßige Schulungs- und Fortbildungsmaßnahmen und gut strukturierte und gelebte Informations- und Berichtswege zwischen den Abteilungen, Sicherstellung, dass Beanstandungen aus der Vor-BP aufgegriffen und Missstände behoben und für die Zukunft ausgeschlossen werden.

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Die ergriffenen Maßnahmen sind ausreichend zu dokumentieren (z.B. Richtlinien, Handlungsanweisungen etc.). Letztlich ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich auch insoweit nur um eine Richtschnur handelt. Die Ausgestaltung im Einzelnen hat sich am konkreten Unternehmen zu orientieren.36 In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass ein Tax Compliance System aufgrund der sich ständig wandelnden Begebenheiten im Unternehmen sowie im regulatorischen Umfeld ständig überprüft und ggf. an­ gepasst werden muss.37 Es ist möglich ein Tax Compliance System zertifizieren zu lassen.38 Doch auch eine Zertifizierung kann immer nur eine Momentaufnahme darstellen.39 Dennoch ist die  – zumindest für einen gewissen Zeitraum bestehen­de  – entlastende Wirkung nicht zu unterschätzen.

III. Das Verbandssanktionengesetz – Was Unternehmen zukünftig erwarten könnte 1. Aktueller Stand Die Bundesregierung vereinbarte 2018 in dem Koalitionsvertrag der 19. Legislaturperiode die Einführung eines Gesetzes zur wirksamen Verfolgung und Ahndung von Wirtschaftskriminalität durch die Neuordnung des Sanktionsrechts für Unternehmen.40 Nach dem ersten stark kritisierten Entwurf des Bundesjustizministeriums aus August 2019, wurde nunmehr – ohne große Änderungen zum Vorgängerentwurf – am 16. Juni 2020 der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft und sein Kernstück das Verbandssanktionengesetz (VerSanG-E) beschlossen und damit das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet.41 In Kraft treten würde das Gesetz nach der vorgesehenen Übergangsregelung nach einer zweijährigen Karenzzeit.42 2. Wesentliche Inhalte a) Regelungsbereich und Legalitätsprinzip Das VerSanG stellt die Sanktionierung von Verbänden auf eine eigenständige Rechtsgrundlage und verschärft die bisherigen Sanktionsmöglichkeiten nach §§  30, 130 36 Menner/Bexa, CCZ 2019, 129 (131); Fischer/Schwab, DStR 2018, 2040 (2042). 37 Breimann/Schwetzel, DStR 2017, 2626 (2628). 38 Siehe hierzu vertiefend Breimann/Schwetzel, DStR 2017, 2626 ff. 39 Breimann/Schwetzel, DStR 2017, 2626 (2628). 40 Koalitionsvertrag 2018, Rz. 5896, 5897. 41 https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Staerkung_Integritaet_ Wirtschaft.html. 42 Gesetzesentwurf, Artikel 15; am 8. September 2020 haben der federführende Rechtsausschuss und der Wirtschaftsausschuss eine Empfehlung angenommen, nach der die Länder den Gesetzesentwurf in Gänze ablehnen. Der Bundesrat hat am 18.9.2020 das Gesetz mit Änderungen und Prüfungsaufträgen zunächst passieren lassen. Am 21. Oktober 2020 hat der Bundestag eine Vorabfassung des Gesetzes veröffentlicht, BT-Drs. 19/23568.

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OWiG. Eine der wesentlichen Änderungen ist die Einführung des Legalitätsprinzips. Bisher liegt die Verfolgung von Straftaten in Unternehmen gemäß § 47 OWiG im Ermessen der Behörden (Opportunitätsprinzip). Gemäß §  3 Abs.  1 VerSanG-E (verhängt…wird) unterliegen die Ermittlungsbehörden bei einem Verdacht auf eine Verbandstat zukünftig einem Verfolgungszwang. Zudem sieht § 27 VerSanG-E vor, dass dem Unternehmen die gleichen (Verfahrens-) Rechte wie die eines Beschuldigten aus einem Strafverfahren aus der Strafprozessordnung eingeräumt werden, um seine Stellung im Verfahren zu stärken und laut der Gesetzesbegründung eine effektivere Verteidigung zu ermöglichen.43 b) Die Verbandsverantwortlichkeit: verschuldensunabhängige Zurechnung Die Verantwortlichkeit der Verbände ergibt sich aus § 3 Abs. 1 VerSanG-E, wonach eine Verbandssanktion dann verhängt wird, wenn entweder eine Leitungsperson des Verbandes eine Verbandstat selbst begeht (Nr. 1) oder sonst irgendjemand (z.B. ein Mitarbeiter) in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes eine Verbandstat begehen und die Leitungspersonen dabei ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen sind (Nr. 2).44 Verbände nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a – c VerSanG-E sind alle juristischen Personen (auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, somit auch öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen), nicht rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Personengesellschaften unabhängig von ihrer Rechtsform, deren Zweck nach § 1 VerSanG-E auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Ausgeschlossen sind somit z.B. gemeinnützige Vereine.45 Der Begriff der Leitungsperson aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 a – e VerSanG-E entspricht im Grundsatz dem Begriff aus § 30 OWiG, sodass insbesondere nach dem Auffangtatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. e VerSanG-E, jede (sonstige) Person, die für die Leitung des Betriebes oder Unternehmens eines Verbandes handelt, wozu auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung gehört. Umfasst ist damit auch der faktische Geschäftsführer bzw. die faktische Übernahme einer Leitungsfunktion.46 Erforderlich dabei ist ein innerer Zusammenhang zwischen der strafbaren Handlung und der Funktion der

43 Entwurfsbegründung, S. 109, 110. 44 Diese Zurechnung ist an die bereits existierende Gesetzessystematik der §§ 30, 130 OWiG angelehnt. 45 Entwurfsbegründung, S. 71, Die Qualifizierung eines Verbandes als einen nicht wirtschaftlichen Verein erfolgt hier nach den Grundsätzen der §§  21, 22 BGB, BGH Beschluss v. 16.5.2017 – II ZB 7/16, NJW 2017, 1943. 46 Maßgebend soll die Ausübung eines selbständigen Pflichtenkreises aus den Bereichen „Leitung“ oder „Überwachung“ in einem Betrieb oder Unternehmen sein. Dabei sei unter dem „Betrieb“ die technisch-organisatorische, unter einem „Unternehmen“ die rechtlich-wirtschaftliche Einheit, die mehrere Betriebe umfassen kann, zu verstehen sein. Eine Aufzählung der weiteren Fälle findet sich in den Buchstaben a − d des § 2 Abs. 2 VerSanG-E entsprechend der Aufzählung in § 30 Abs. 1 Nr. 1 - 4 OWiG.

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Leitungsperson.47 Wird die Verbandstat von einem sonstigen Mitarbeiter begangen, so ist das Vorliegen eines Organisationsverschuldens erforderlich (siehe unter III 2 a) bb)). Taugliche Verbandstaten gemäß §  2 Abs.  1 Nr.  3 VerSanG-E sind alle Straftaten, durch die entweder Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte.48 Die Voraus­setzung ist die Feststellung eines tatbestandsmäßigen, rechtwidrig und schuldhaft begangenen Straftatbestandes, wobei der konkrete Täter nicht ausermittelt werden muss.49 Eine eigenständige Verbandsschuld soll aber nicht erforderlich sein.50 Weiterhin soll auch im Gegensatz zum § 130 OWiG das vorsätzliche oder fahrlässige Unterlassen einer Aufsichtsverletzung keine Voraussetzung sein. Ausreichen soll die objektive Pflichtwidrigkeit, die regelmäßig indiziert sein wird.51 Umso wichtiger wird es auch in diesem Zusammenhang daher sein, in ausreichende Compliance Maßnahmen zu investieren, um diesem Vorwurf so weit wie möglich zu entgehen. c) Sanktionen: Vom „Naming and Shaming“ bis zur umsatzgekoppelten Verbandsgeldsanktion Als Rechtsfolge sieht der Entwurf die Verbandsgeldsanktion und die Verwarnung mit Verbandssanktionsvorbehalt vor.52 Eine bedeutende Rolle spielt dabei die Verbands­ geldsanktion, die über die Pflichtenmahnung der Geldbuße hinausgeht, aber auch keine Strafe im Sinne des Strafgesetzbuches sein soll.53 Daneben soll die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes nach § 14 VerSanG-E möglich sein. aa) Verbandsgeldsanktionen Der maximale Sanktionsbetrag aus § 9 VerSanG-E liegt bei einer vorsätzlichen Tat bei höchstens zehn Millionen Euro und bei einer fahrlässigen Tat bei höchstens fünf Millionen Euro. Hinzu kommt die Gewinnabschöpfung nach §§ 73 ff. StGB, die bisher nach § 30 Abs. 3 i.V.m. § 17 Abs. 4 OWiG den größten Teil der verhängten Geld47 Entwurfsbegründung, S. 78; Für § 30 OWiG fordert dies die Rspr., vgl. hierzu BGH NJW 2013, 2366; BGH NStZ 1997, 30, 31. 48 Verbandstat können Korruptionsdelikte, §  299  ff. StGB, Vermögensdelikte (§  263 StGB, § 266 StGB) oder Steuerstraftaten (§ 370 AO) sein. Umfasst sind jedoch keine steuerlichen Ordnungswidrigkeiten, wodurch für sie eine Ahndung nach den §§ 30, 130 OWiG bleibt. 49 Entwurfsbegründung, S. 75; Ströhmann, ZIP 2020, 105 (106). 50 Es wird versucht, sich von einem Unternehmensstrafrecht zu distanzieren, jedoch ist aus der Begründung nicht ersichtlich, inwiefern die Sanktionierung keine Bestrafung sein soll, vgl. Kindler, Das Unternehmen als haftender Täter, 257 ff.; Kämpfer/Travers/Schwerdtfeger: NZG 2020, 848 (849); Waßmer in Stellungnahme der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e. V. (WisteV), S. 2. 51 Entwurfsbegründung, S. 79. 52 § 8 VerSanG-E. 53 Kämpfer/Travers/Schwerdtfeger, NZG 2020, 848 (849); Kindler, Das Unternehmen als haftender Täter, 257 ff.

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bußen ausmachte und nunmehr zu der bereits festgelegten Höchstsumme hinzukommt. Neu ist hier zudem die viel kritisierte Umsatzregelung nach §  9 Abs.  2 VerSanG-E, die dann greift, wenn das Unternehmen einen Mindestjahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro vorweisen kann.54 Dadurch sollen insbesondere auch umsatzstarke Unternehmen bei einer Verbandstat empfindliche Sanktionen erwarten, um die im internationalen Vergleich zu niedrig empfundene Geldbuße des OWiG anzupassen und der Kritik zu entgegnen, dass die starre Obergrenze der Geldbuße nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht ein einkalkulierbares Risiko für umsatzstarke Unternehmen sei.55 bb) Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt Eine neue Sanktionsmöglichkeit ist die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt, die dem § 59 StGB nachgebildet wurde. Wichtig für die Praxis ist, dass nach § 10 Abs. 4 VerSanG-E das Gericht die Verwarnung mit Auflagen (§ 12 VerSanG-E) oder Weisungen (§ 13 VerSanG-E) verbinden kann, wodurch insbesondere im Rahmen der „Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten“ die Compliance Management Systeme (CMS) eine bedeutende Rolle einnehmen (siehe unter II).  cc) Öffentliche Bekanntmachung („Naming and Shaming“) Gänzlich neu ist die Möglichkeit der öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung (sog. „Naming and Shaming“). Diese kommt in Betracht, wenn eine große Anzahl von Geschädigten betroffen ist. Hintergrund ist, dass alle betroffenen Personen oder Verbände informiert werden sollen. Die Entscheidung der Bekanntmachung liegt im Ermessen des Gerichts, wobei eine Interessenabwägung im Einzelfall vorgenommen werden soll. Insbesondere soll die Bekanntmachung nach § 14 VerSanG-E bei einer bereits medienwirksamen Berichterstattung obsolet sein.56 Im Ergebnis bedeutet diese Art der Nebenfolge jedoch einen enormen Reputationsschaden für die Unterneh-

54 Diese wird bei einer vorsätzlichen Tat max. auf 10 % des Gesamtumsatzes erhöht, wenn der Verband mit einem auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichteten Zweck in den letzten drei Jahren weltweit im Durchschnitt mehr als 100 Mio. Euro Umsatz pro Jahr erwirtschaftete. Für die fahrlässige Begehung ergibt sich eine Erhöhung auf max. 5  % des Umsatzes, § 9 Abs. 2 Nr. 2 VerSanG-E. 55 Entwurfsbegründung, S. 85; Problematisch an dem Umsatz als Bezugsgröße ist jedoch, dass dieser weder auf den Gewinn noch auf den „cash flow“ eines Unternehmens schließen lässt. Eine angemessene Berücksichtigung der branchenüblichen Unterschiede oder aber Verluste des Unternehmens findet in dem Entwurf nicht statt. Kritisch kann dies insbesondere im Hinblick auf den Mittelstand sein, wenn gerade von hohen Umsätzen ausgegangen wird, die Gewinnmarge aber aufgrund anderer Kriterien recht gering ausfällt wie beispielsweise in Kleinst-, Familienunternehmen oder aber im Einzelhandel. Die in der Begründung dargestellte Entlastung kleinerer und mittlerer Unternehmen bleibt demnach aus, wenn diese Kriterien in die wirtschaftliche Betrachtung nicht miteinfließen; vgl. hier Beukelmann/ Heim, StraFo 2020, 230 (234). 56 Entwurfsbegründung, S. 90.

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men.57 Eine Ausnahme bildet hier die Verurteilung bei Steuerstraftaten, bei denen der Geschädigte der Fiskus ist. d) Lichtblick für Unternehmen? − Sanktionsmilderungen durch Kooperation und interne Ermittlungen Eine große Bedeutung wird zukünftig den Sanktionsmilderungen durch Compliance Maßnahmen und verbandsinterne Untersuchungen zukommen. In der Praxis spielen interne Ermittlungen schon seit längerer Zeit eine große Rolle. Begrüßenswert ist insoweit, dass nunmehr eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden soll. aa) Compliance Maßnahmen Bereits vorhandene Compliance Maßnahmen sind in der Strafzumessung nach § 15 Abs. 3 Nr. 6 VerSanG-E strafmildernd zu berücksichtigen. Im Gegenzug soll jedoch das Fehlen solcher Maßnahmen sowie nur nach dem äußeren Anschein nach vorhandene, aber nicht gelebte Compliance Maßnahmen strafschärfend in die Zumessung einfließen.58 Ein Kritikpunkt an der Regelung ist jedoch, dass es keine klare Vorgabe (wie beispielsweise im Tax Compliance, vgl. III 2 c)) gibt, wie ausreichende Compliance Maßnahmen auszusehen haben. Auch im Lichte der immer größer werdenden Bedeutung von Compliance Maßnahmen zeigt der Entwurf gute erste Ansätze, jedoch müsste für die Verbände die Rechtssicherheit erhöht werden, indem die Anforderungen an Compliance Maßnahmen auch konkretisiert werden. bb) Interne Untersuchungen Eine weitere Möglichkeit der Milderung der Sanktion sind interne Untersuchungen. Neben der Berücksichtigung von internen Untersuchungen in der Sanktionszumessung nach § 15 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG-E gibt es die Sanktionsmilderung bei kumulativem Vorliegen der Voraussetzungen von § 17 VerSanG-E.59 Nach §  17 VerSanG-E können interne Untersuchungen unternehmensintern oder durch Dritte wie z.B. durch externe Berater, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Rechtsanwälten durchgeführt werden. Wichtigste Voraussetzung des § 17 Abs. 1 VerSanG-E ist, dass die Untersuchung einen „wesentlichen Beitrag“ zur Sachverhalts­ aufklärung leistet (Nr. 1), wobei nicht konkretisiert wird, was unter einem wesentlichen Beitrag zu verstehen ist. Maßgeblich für einen wesentlichen Beitrag soll aber sein, dass die Verfolgungsbehörde den Sachverhalt nicht bereits selbst aufklären konnte.60 Höchst riskant für die Unternehmen ist daher der Zeitdruck, den Strafverfolgungsbehörden zuvorzukommen, um die relevanten Sachverhalte umfassend auf57 Entwurfsbegründung, S. 90. 58 Entwurfsbegründung, S. 95. 59 § 17 VerSanG-E hat insgesamt vier Voraussetzungen, die alle vorliegen müssen, damit das Unternehmen in den Genuss einer Milderung kommen kann. 60 Entwurfsbegründung, S. 99.

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zuklären. In diesem Zusammenhang wird die schnelle und kompetente Strafverteidigung für Unternehmen besonders wichtig. Eine weitere wichtige und viel kritisierte Voraussetzung ist die Trennung der verbandsinternen Untersuchungen von der Unternehmensverteidigung nach § 17 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E, die die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse sowie die Unabhängigkeit der Untersuchungen gewährleisten soll.61 Problematisch ist hier, dass zum einen dem Unternehmensverteidiger unterstellt wird, keine objektiven Ergebnisse der Untersuchungen zu präsentieren. Zum anderen führt diese Trennung dazu, dass dem Unternehmensverteidiger die Sachverhaltsaufklärung genommen wird, die er jedoch für die Abwägung aller relevanten Tatsachen und damit für seine Verteidigungsstrategie benötigt.62 Ein weiterer praxisrelevanter Punkt ist zudem die Durchführung von Mitarbeiterbefragungen nach § 17 Abs. 1 Nr. 5 a − c VerSanG-E. Hier ergeben sich nicht nur die datenschutzrechtlichen Probleme bei der Verwendung der Daten, sondern auch der Widerspruch der arbeitsrechtlichen Auskunftspflichten der Mitarbeiter aufgrund ihrer Weisungsgebundenheit nach § 626 BGB und dem strafrechtlichen nemo teneturGrundsatz. Wie der Arbeitnehmerschutz und die Aufklärungspflicht des Verbandes in Einklang gebracht werden und dieser Widerspruch konkret gelöst werden soll, bleibt leider offen.63 Insgesamt ist es daher bei diesem Modell der Sanktionsmilderung enorm wichtig, eine schnelle Entscheidung, ob interne Untersuchungen und eine vollständige Kooperation vorgenommen werden soll, zu treffen. Aufgrund des Umfangs der Milderung nach § 17 VerSanG-E bei einer Kooperation, stellt sich sogar unweigerlich die Frage, ob die Verantwortlichen des Unternehmens aufgrund ihrer Sorgfaltspflicht aus § 93 Abs. 1 S. 1 AktG einer Art Verpflichtung unterliegen, die internen Ermittlungen durchzuführen.64 3. Auswirkungen auf das Steuerstrafrecht Die Einführung des VerSanG-E hat auch die Änderung der Abgabenordnung zur Folge. Gemäß § 5 Nr. 1 VerSanG-E wird eine Verbandssanktion nicht verhängt, wenn eine Verbandstat nicht verfolgt werden kann, weil eine Strafe ausgeschlossen oder aufgehoben ist. Somit hindert eine strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO auch

61 Entwurfsbegründung, S. 99; Insbesondere wird auch darauf hingewiesen, dass gerade der unabhängige Ermittler dazu beitrage, dass das Unternehmen „sich selbst reinigen“ könne und somit ein „nachhaltiger Kulturwandel“ ermöglicht werde. 62 Willnow in KK-StPO, 8. Aufl. 2019, Vorbem. zu § 137 Rz. 4; Knauer; NStZ 2020, 441 (448); vertiefend: Nienaber/Schauenburg/Wenglarczyk, NZWiSt 2020, 223 (228). 63 Entwurfsbegründung, S. 100. 64 Knauer; NStZ 2020, 441 (449); Dies könnte aus der Verpflichtung gegenüber dem Unternehmen bestehen und auch steht in diesem Zusammenhang eine Untreue nach § 266 StGB im Raum.

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Sanktionen nach dem VerSanG-E.65 Eine ausdrückliche Erwähnung in der Begründung des § 5 VerSanG-E findet zwar nur § 371 AO und nicht § 398a AO. Jedoch soll § 398a AO dahingehend geändert werden, dass von der Regelung auch Steuerhinterziehungen, die über einem Hinterziehungsbetrag von 25.000 Euro liegen umfasst werden, da sie ansonsten faktisch leerliefe.66 Bezüglich der praxisrelevanten Selbstanzeigen wird mit Einführung des VerSanG-E das zeitliche und personellen Vollständigkeitsgebot auch in Bezug auf den Ausschluss der Sanktion nach § 5 Abs. 1 VerSanG-E eine große Bedeutung haben (siehe auch III 2 a) aa)). Auch wenn die Selbstanzeige ein persönlicher Strafaufhebungsgrund ist, so ist aus Unternehmenssicht die Einbeziehung aller an einer Steuerhinterziehung Beteiligter in die Selbstanzeige einzubeziehen, um in den Genuss des § 5 VerSanG-E zu kommen.67 Dabei sind auch insbesondere ehemalige Mitarbeiter davon nicht ausgenommen. Der aktuelle Geschäftsführer eines Unternehmens musste sich bisher keine Gedanken machen, welche Konsequenzen eine Korrektur nach §  153 AO für den Alt-Geschäftsführers haben könnte.68 Durch die Einführung des VerSanG-E ist die Einbeziehung des ehemaligen Geschäftsführers oder sonstiger mit den steuerlichen Angelegenheiten betrauter Mitarbeiter für das Unternehmen umso wichtiger, da sonst die Verbandstat dieser Personen den Sanktionsausschluss verhindert.69 Daneben wird nicht nur die Wirksamkeit der Selbstanzeige selbst, sondern auch die typischen Begleitdelikte der Selbstanzeige (z.B. Urkundenfälschung bei der Abgabe der Selbstanzeige) sorgfältiger geprüft werden müssen, da andernfalls durch die Mitverwirklichung der Begleittat auch eine Verbandstat vorliegt und folglich eine Verbandssanktion trotz wirksamer Selbstanzeige in Betracht käme.70

IV. Neue Risiken seit Geltung der DS-GVO 1. Überblick Mit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) hat nicht nur die Bedeutung des Datenschutzrechts allgemein zugenommen, sondern insbesondere auch die ordnungswidrigkeitenrechtlichen und strafrechtlichen Sanktionen bei datenschutzrechtlichen Verstößen. Seither wurde eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren

65 Entwurfsbegründung, S. 81. 66 Hierzu vertiefend: Cappel/Duttiné, DStR 2020, 1685 (1690); Scharenberg, NZWiSt 2020, 230 (232). 67 Cappel/Duttiné, DStR 2020, 1685 (1690); Scharenberg, NZWiSt 2020, 230 (233); Wegner, PStR 2020, 41 (43). 68 Cappel/Duttiné, DStR 2020, 1685 (1690); Scharenberg, NZWiSt 2020, 230 (233); Wegner, PStR 2020, 41 (43). 69 Cappel/Duttiné, DStR 2020, 1685 (1690); Scharenberg, NZWiSt 2020, 230 (233); Wegner, PStR 2020, 41 (43). 70 Scharenberg, NZWiSt 2020, 230 (233).

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eingeleitet und teilweise gravierende Bußgelder verhängt.71 Insbesondere die zahlreichen Rechtsunsicherheiten im Bereich des Datenschutzrechts stellen zusammen mit der Höhe der drohenden Geldbußen ein ernst zu nehmendes Risiko für Unternehmen dar.72 Relevante Normen finden sich in unterschiedlichen Gesetzen. Zu nennen sind beispielsweise die §§ 42, 43 aus dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) sowie die Art. 83, 84 DS-GVO. Daneben finden sich auch im StGB und Nebengesetzen weitere Sank­ tionstatbestände, die datenschutzrechtliche Verstöße sanktionieren. Besonders relevant für Unternehmen sind die Bußgelder nach Art. 83 DS-GVO. Hiernach hat jede Aufsichtsbehörde sicher zu stellen, dass die Verhängung von Geldbußen für Verstöße gegen die DS-GVO „in jedem Einzelfall wirksam, verhältnismäßig und abschreckend ist“. Taugliche Adressaten der Bußgeldnorm sind insbesondere sog. Verantwortliche und Auftragsverarbeiter. Taugliche Täter sind somit sowohl natürliche wie auch juristische Personen, wobei es sich bei den Verantwortlichen und Auftragsverarbeitern regelmäßig um juristische Personen handeln wird.73 Es ist umstritten, welcher Unternehmensbegriff zugrunde zu legen ist.74 Der Unternehmensbegriff ist dabei nicht nur für die Bußgeldbemessung von Bedeutung, sondern auch für die Frage einer Haftung im Konzern. Da insbesondere auch die Datenschutzkonferenz75 dem kartellrechtlichen Unternehmensbegriff folgt, ist zu erwarten, dass dieser in der Praxis herangezogen werden wird und somit ein weiter funktionaler Unternehmensbegriff Anwendung findet.76 Letztlich bleibt abzuwarten, wie die Gerichte hierüber entscheiden.

71 Seit Geltung der DS-GVO wurden bereits zahlreiche Bußgelder verhängt. In Baden-Württemberg 2018 wurde eine Geldbuße i.H.v. 20.000 Euro gegen einen Social-Media Anbieter wegen eines Verstoßes gegen die Datensicherheit nach Art.  32 DS-GVO ausgesprochen. Durch die Berliner Aufsichtsbehörde wurde ein Bußgeld in Höhe von insgesamt 195.407 Euro gegen ein Unternehmen festgesetzt. Grund war ein Verstoß gegen Betroffenenrechte nach den Art. 15 bis 22 DS-GVO. Und die Bußgeldstelle des LfDI Baden-Württemberg hat erst kürzlich eine Krankenkasse mit einer Geldbuße von 1.240.000 Euro wegen eines Verstoßes gegen die Pflichten zu sicherer Datenverarbeitung (Art. 32 DS-GVO) sanktioniert. 72 Vgl. Behr/Tannen, CCZ 2020, 120; Wenzel/Wybitul, ZD 2019, 290. 73 Holländer in BeckOK DatenschutzR, Art.  83 DS-GVO Rz.  832 (1.11.2019); Löschhorn/ Fuhrmann, NZG 2019, 161 (169). 74 Für eine weite Auslegung: Boehm in Simitis/Hornung/Spiecker, Datenschutzrecht, 1. Aufl. 2019 Art. 83 DS-GVO Rz. 43; Holländer in BeckOK DatenschutzR, Art. 83 DS-GVO Rz. 10 (1.11.2019); wohl auch Bergt in Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 83 DS-GVO Rz. 39 ff.; Ebner/Schmidt, CCZ 2020, 84 (87); a.A. Moos/Schefzig in Taeger/Gabel, 3. Aufl. 2019, DS-GVO, Art. 83 Rz. 89; zumindest krit. Gola in Gola, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Aufl. 2018 Rz. 20. 75 Die Datenschutzkonferenz besteht aus den unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder. 76 Datenschutzkonferenz, Kurzpapier Nr.  2, Aufsichtsbefugnisse/Sanktionen, https://www. datenschutzkonferenz-online.de/media/kp/dsk_kpnr_2.pdf (zuletzt abgerufen: 24.8.2020).

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2. Wann drohen Unternehmen Bußgelder nach Art. 83 DS-GVO? Es ist umstritten, ob die Behörden verpflichtet sind, Sanktionen zu verhängen oder ihnen ein Ermessen zukommt (Opportunitätsprinzip). Nach der wohl h.M. soll es sich um eine Ermessensentscheidung handeln.77 Ein Bußgeld gem. Art. 83 DS-GVO wird verhängt, wenn gegen eine der Bestimmungen aus den Absätzen 4 bis 6 ver­ stoßen wird. Zu berücksichtigen ist dabei, dass umstritten ist, ob ein schuldhaftes Handeln erforderlich ist.78 Letztlich wird jedoch in der Praxis in vielen Fällen ein zumindest fahrlässiges Handeln  – jedenfalls in Form eines Organisationsverschuldens – vorliegen, da die Voraussetzungen für eine einfache Fahrlässigkeit nicht allzu hoch sind, aber umfangreiche Pflichten nach der DS-GVO bestehen.79 Im Gegensatz zu einer Bebußung von Unternehmen gem. den §§  30, 130 OWiG, erlaubt Art.  83 DS-GVO eine direkte Unternehmensgeldbuße, wenn irgendein Mitarbeiter, der berechtigt ist, für das Unternehmen tätig zu werden, einen Tatbestand des Art. 83 DSGVO verwirklicht hat.80 Art. 83 DS-GVO schafft somit eine unmittelbare Verbandshaftung im deutschen Recht.81 Auch in der Entschließung der 97. Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder vom 3.  April 2019 hat die Datenschutzkonferenz82 festgestellt: „Unternehmen haften im Rahmen von Art. 83 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) für schuldhafte Datenschutzverstöße ihrer Beschäftigten, sofern es sich nicht um einen Exzess handelt. Dabei ist nicht erforderlich, dass für die Handlung ein gesetzlicher Vertreter oder eine Leitungsperson verantwortlich ist. Zurechnungseinschränkende Regelungen im nationalen Recht würden dem widersprechen“. Auch wenn eine derartige Auslegung der hier vertretenen Auffassung nach bedenklich ist, muss damit gerechnet werden, dass die Aufsichtsbehörden in der Praxis einen schuldhaften Datenschutzverstoß eines Mitarbeiters auch ohne Aufsichtsverschulden für ausreichend erachten werden. Folglich kann eine Bebußung selbst dann erfolgen, wenn die Leitungspersonen ihren Aufsichts- und Organisationspflichten ausreichend nachgekommen sind. Zwar mag der Tatsache, dass ein effektives Compliance-System vorhanden ist und allen Aufsichtspflichten genüge getan wurde, im Rahmen der Zumessung maßgebliche Bedeutung 77 Cornelius in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz, 3. Aufl. 2019, Teil XIV., Rz. 135 ff.; Frenzel in Paal/Pauly, DS-GVO, Art. 83 Rz. 10 ff.; Neun/Lubitzsch, BB 2017, 1538 (1542). 78 Teilweise wird vertreten, dass eine Bebußung auch ohne Verschulden erfolgen könne (Cornelius in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz, 3.  Aufl. 2019, Teil XIV., Rz. 127; Boehm in Simitis/Hornung/Spiecker, Datenschutzrecht, Art. 83 DS-GVO Rz. 26; Räther, ZHR 2019, 94 (96)). Die Gegenmeinung hält hingegen zu Recht im Hinblick auf das Schuldprinzip zumindest ein fahrlässiges Handeln für notwendig (Holländer in BeckOK DatenschutzR, Art.  83 DS-GVO Rz.  18, 28; Frenzel in Paal/Pauly, 2.  Aufl. 2018, Art.  83 ­DS-GVO Rz.  8, 14; Schantz/Wolff, Das neue Datenschutzrecht, 1.  Aufl. 2017, Rz.  1130; Neun/Lubitzsch, EU-Datenschutz-Grundverordnung − Behördenvollzug und Sanktionen, BB 2017, 1538 (1542 f.)). 79 Neun/Lubitzsch, BB 2017, 1538 (1543); Bergt, DuD 2017, 555 (558). 80 Holländer in BeckOK DatenschutzR, Art. 83 DS-GVO Rz. 11 (1.11.2019). 81 Moos/Schefzig in Taeger/Gabel, 3. Aufl. 2019, Art. 83 DS-GVO Rz. 82. 82 Die Datenschutzkonferenz besteht aus den unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder.

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zukommen. Eine Exkulpation, wie diese im Rahmen einer Bebußung nach den §§ 30, 130 OWiG anerkannt wird, gibt es jedoch nicht. Vom Anwendungsbereich ausgenommen sind sog. Exzesstaten. Überschreitet ein Mitarbeiter offensichtlich die Grenzen seiner Befugnisse im Unternehmen, wird das Verhalten auch nicht dem Unternehmen zugerechnet.83 Grundsätzlich ist die Verarbeitung personenbezogener Daten verboten, es sei denn es besteht entweder eine Rechtsgrundlage (z.B. einen behördliches Herausgabeverlangen nach § 95 StPO) oder es liegt eine wirksame Einwilligung des oder der Betroffenen vor (Art.  6 DS-GVO). Bei bestimmten Daten ist die Verarbeitung insgesamt untersagt (vgl. Art. 9 DS-GVO). Darüber hinaus ist eine Vielzahl weiterer Vorschriften zu beachten. Zu den relevanten Bestimmungen, deren Verletzung zu einem Bußgeld führen kann, gehören insbesondere die Art.  12  – 22, 25 bis 39 und 58 Abs.  2 DS-GVO. Beispielhafte Datenschutzverstöße sind: – Das Fehlen geeigneter technischer und organisatorischer Maßnahmen, die sicherstellen, dass die Datenschutzgrundsätze wie etwa der Grundsatz der Datenminimierung wirksam umgesetzt werden (Verstoß gegen Art. 25 Abs. 1 DS-GVO); – die fehlende bzw. nicht rechtzeitige Umsetzung von Betroffenenanfragen auf Auskunft, Löschung usw. (Verstoß gegen Art. 15 bis 22 DS-GVO); – oder die Nichtbefolgung einer Anweisung oder eine vorübergehende oder endgültige Beschränkung oder Aussetzung der Datenübermittlung durch die Aufsichtsbehörde gemäß Art. 58 Abs. 2 DSGVO. 3. „Bußgelder, die weh tun sollen“: Zumessungskriterien und das neue Berechnungsmodell der Aufsichtsbehörden Die Höhe der möglichen Geldbußen ist immens. Bei Verstößen gegen Art. 83 Abs. 4 DS-GVO kommt eine Geldbuße von bis zu zehn Millionen Euro oder im Falle eines Unternehmens von bis zu 2  % des gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahrs in Betracht. Verstöße nach Abs. 5 können sogar mit einer Geldbuße von bis zu zwanzig Millionen Euro oder im Fall eines Unternehmens von bis zu 4 % des gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes bebußt werden. Gleiches gilt auch für die Nichtbefolgung einer Anweisung der Aufsichtsbehörde nach Art. 58 Abs. 2 (Abs. 6). Mit der Regelung der Bußgeldrahmen wurde ein klares Zeichen gesetzt. Es war beabsichtigt Sanktionen zu schaffen, die „wehtun sollen“.84 Die Bußgeldzumessung erfolgt als Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung der je-

83 Bergt, DuD 2017, 555 (556); Holländer in BeckOK DatenschutzR, Art. 83 DS-GVO Rz. 11 (1.11.2019); Cornelius in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz, 3.  Aufl. 2019, Teil XIV., Rz. 88. 84 LIEBE-Ausschuss des Europäischen Parlaments, EU-Datenschutzgrundverordnung: Stand der Dinge – 10 wichtige Punkte v. 11.6.2015, S. 3.

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weiligen Umstände. Zugrunde gelegt wird dabei der – nicht abschließende – Katalog an Zumessungskriterien85 aus Art. 83 Abs. 2 S. 2 DS-GVO.86 4. Wie sich Unternehmen schützen können: Prävention und Verteidigungsstrategien Unternehmensverantwortliche müssen umgehend alle erforderlichen personellen, organisatorischen und technischen Maßnahmen ergreifen, um die hohen datenschutzrechtlichen Anforderungen zu erfüllen.87 Risiken, die sich insbesondere aus der DS-GVO ergeben, sind beträchtlich und werden dennoch häufig unterschätzt.88 Datenschutz muss fester Bestandteil des unternehmensweiten Compliance-Systems sein. Andernfalls drohen empfindliche Geldbußen. Im Falle eines Ermittlungsverfahrens wird häufig eine umfassende Kooperation der richtige Weg sein. Dies ergibt sich zum einen aus den Pflichten der Art. 31, 33 und 58 DS-GVO, auch wenn das Bestehen bzw. die Reichweite einer Kooperationspflicht umstritten sind,89 und zum anderen aus dem Zumessungskriterium des Art. 83 Abs. 2 S. 2 DS-GVO. Eine allgemeingültige Aussage lässt sich jedoch nicht treffen. Auch weitere Aspekte wie bspw. Reputationsschäden sind zu berücksichtigen. In jedem Fall sollte frühzeitig ein erfahrener Strafverteidiger hinzugezogen werden, um im Einzelfall die richtige Verteidigungsstrategie abzustimmen.

V. Fazit Weißer Kragen  – dunkle Zeiten? Die eingangs aufgeworfene Frage lässt sich angesichts der zahlreichen neuen Risiken sowie des sich anbahnenden Verbandssanktionengesetzes wohl mit ja beantworten. Die Risikolage für Unternehmen verschärft sich. Doch gleichzeitig ergeben sich auch neue Möglichkeiten, insbesondere einer Sanktionsmilderung durch Kooperation, interne Ermittlungen sowie einer ausreichenden Unternehmensorganisation. Wobei Letzteres auch präventiv zu einer Reduzierung von Verstößen führen wird. Letztlich wird es im Sinne einer general-präventiven Wirkung zu einem veränderten Selbstverständnis in Unternehmen kommen. Sowohl Mitarbeiter wie Leitungspersonen werden ein gesteigertes Problembewusstsein haben. Fest steht auch, dass die Implementierung bzw. Kontrolle und regelmäßi85 Zumessungskriterien sind beispielsweise Art, Schwere und Dauer des Verstoßes, Vorsätzlichkeit oder Fahrlässigkeit des Verstoßes, jegliche von dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter getroffenen Maßnahmen zur Minderung des den betroffenen Personen entstandenen Schadens; Grad der Verantwortung des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters, etwaige einschlägige frühere Verstöße des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters sowie der Umfang der Zusammenarbeit mit der Aufsichtsbehörde. 86 Bei der Bemessung der Geldbußen wenden die Aufsichtsbehörden ein Berechnungsmodell an (abzurufen unter: https://www.datenschutzkonferenz-online.de/media/ah/20191016_ bu%C3%9Fgeldkonzept.pdf; zuletzt abgerufen am 30. August 2020). 87 Löschhorn/Fuhrmann, NZG 2019, 161 (170). 88 Löschhorn/Fuhrmann, NZG 2019, 161 (162). 89 Siehe hierzu vertiefend Wenzel/Wybitul, ZD 2019, 290 (290 ff.).

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ge Anpassung von effektiven Compliance Management Systemen, insbesondere Tax Compliance Management Systemen, aber auch hinsichtlich datenschutzrechtlicher Belange, einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren und zukünftig unverzichtbar sein werden. Es sollte und wird nicht mehr eine Frage des „OB“ sein, sondern die eines „WIE“. Auf diese Weise können die drohenden massiven Auswirkungen, die sich nicht auf finanzielle Schäden beschränken, maßgeblich reduziert werden.

Dr. Anja Stürzl-Friedlein LL.M. Rechtsanwältin

Berna Körpinar LL.M. Rechtsanwältin

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Barbara Fleckenstein-Weiland/Susanne Hemme

Die Immobilientransaktion – Ausgewählte grunderwerbsteuerliche und umsatzsteuerliche Implikationen Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Ausgewählte grunderwerbsteuerliche Implikationen der Immobilientrans­ aktion 1. Asset Deal vs. Share Deal 2. Sog. RETT-Blocker Strukturierungen a) Aktuelle Rechtslage b) Reform des Grunderwerbsteuer­ gesetzes c) Konsequenzen der Reform für sog. RETT-Blocker Strukturierungen 3. Grunderwerbsteuer und Abbruch der Transaktion 4. Versicherung von Grunderwerbsteuerrisiken III. Ausgewählte umsatzsteuerliche Impli­ kationen der Immobilientransaktion

1. Umsatzsteuerfreie Immobilientrans­ aktion 2. Umsatzsteuerpflichtige Immobilientransaktion a) Wirtschaftliche Akzeptanz beim ­Käufer b) Restriktionen der zeitlichen Möglichkeit einer Option bei Verkauf durch den XI. Senat des BFH c) Möglichkeit der Teiloption 3. Geschäftsveräußerung im Ganzen a) Verkauf eines vermieteten Grundstücks als Geschäftsveräußerung im Ganzen b) Partielle Geschäftsveräußerung im Ganzen bei teilweiser Vermietung c) Neuere Rechtsprechung zu Bau­ trägern

I. Einleitung Die Immobilienwirtschaft ist einer der größten Wirtschaftszweige und mit einer Zunahme an Beschäftigung und Wertschöpfung auch eines der dynamischsten Wachstumsfelder Deutschlands. Mit über 600 Milliarden Euro trug die Immobilienwirtschaft 19 % zur gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland 2019 bei. Sie ist damit wesentlich größer als der Fahrzeugbau, dessen Wertschöpfung 2017 bei 156 Milliarden Euro lag.1 Deutsche Immobilien stellen unverändert und auch in Krisenzeiten ein sehr interessantes Investment für inländische und ausländische Investoren dar. Es verwundert daher nicht, dass die Anzahl und Umsatzvolumina von Immobilientransaktionen seit Jahren stetig steigen und die Immobilienbranche als solche eine bedeutende Größe der deutschen Wirtschaft darstellt.

1 Quelle: https://www.zia-deutschland.de/marktdaten/bedeutung-der-immobilienbranche/, Abruf am 29.7.2020.

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Das große Interesse an deutschen Immobilien als Anlageobjekt und die stetig wachsenden Umsatzvolumina steigern die wirtschaftliche Bedeutung von Immobilientransaktionen zunehmend. Neben ökonomischen und rechtlichen Aspekten einer Transaktion sollten auch steuerliche Überlegungen nicht untergeordnet werden. Denn steuerliche Rahmenbedingungen können eine erhebliche Auswirkung auf die Rendite haben. Folglich sollten auch bei einer (reinen) Immobilientransaktion Strukturierungen sorgfältig geplant und durchgeführt werden.

II. Ausgewählte grunderwerbsteuerliche Implikationen der Immobilientransaktion 1. Asset Deal vs. Share Deal Für die Strukturierung einer Immobilientransaktion und die Überlegung, ob diese im Wege eines Asset Deals oder eines Share Deals erfolgen soll, spielt die Grunderwerbsteuer − neben wichtigen ertragsteuerlichen Überlegungen2  – eine erhebliche Rolle. Denn die grunderwerbsteuerlichen Konsequenzen einer Asset Deal Immobili2 Bei den ertragsteuerlichen Erwägungen stehen sich die Interessen von Käufer und Verkäufer in der Regel kontrovers gegenüber. Ein Share Deal ist grds. für den Verkäufer günstiger, da die Veräußerungsgewinne zumindest teilweise steuerfrei sind. Da der Käufer nur bei einem Asset Deal eine Aufstockung des Buchwerts und damit Abschreibungsvolumen generieren kann, wird der Käufer aus ertragsteuerlicher Sicht einen Asset Deal präferieren.

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entransaktion unterscheiden sich grundlegend von denen einer Share Deal Immobilientransaktion. Bei einem Erwerb der Immobilie im Wege eines Asset Deals entsteht die Grunderwerbsteuer grundsätzlich mit Unterzeichnung des notariellen Kaufvertrags gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG.3 Die Höhe der Grunderwerbsteuer bemisst sich nach der Gegenleistung, d.h. insbesondere nach dem Kaufpreis und anderen Leistungen, die für den Erwerb des Grundstück gewährt werden. Steuerschuldner sind gem. §  13 Nr. 1 GrEStG die an dem Erwerbsvorgang als Vertragsteile beteiligten Personen als Gesamtschuldner. In der Regel sieht der Kaufvertrag vor, dass die Grunderwerbsteuer vom Käufer zu tragen ist. Diese Vereinbarung hat das Finanzamt bei der Ausübung des Auswahlermessens zu berücksichtigen, sodass es die Grunderwerbsteuer (zunächst) regelmäßig gegen Käufer festsetzt.4 Der Share Deal ist hingegen aus grunderwerbsteuerlicher Sicht komplexer. Zu unterscheiden sind zunächst grundbesitzende Personengesellschaften und grundbesitzende Körperschaften. Bei einem Share Deal mit einer grundbesitzenden Körperschaft als Kaufobjekt wird die Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Abs. 3 GrEStG nur dann ausgelöst, wenn ein Erwerber nach der Transaktion mindestens 95% der Anteile an der grundbesitzenden Körperschaft hält.5 Die maximale Beteiligung eines Gesellschafters ist in diesem Fall dauerhaft auf 94,9% begrenzt, wenn das Auslösen von Grunderwerbsteuern vermieden werden soll. Ist das Kaufobjekt hingegen der Anteil an einer grundbesitzenden Personengesellschaft, löst eine Anteilsübertragung gemäß § 1 Abs. 2a GrEStG nur dann Grunderwerbsteuern aus, wenn innerhalb der letzten fünf Jahre mindestens 95% der Anteile am Gesellschaftsvermögen auf neue Gesellschafter übergegangen sind. Hier wird somit nicht auf die maximale Beteiligung eines Gesellschafters, sondern auf die Übertragung von Anteilen auf neue Gesellschafter innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren abgestellt. Bei einem Share Deal wird die Grunderwerbsteuer nicht anhand des Kaufpreises für die Anteile bemessen. Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GrEStG wird die Grunderwerbsteuer nach den Grundbesitzwerten im Sinne des § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 157 Abs. 1 bis 3 BewG bemessen. Dieser Grundbesitzwert soll grundsätzlich dem Verkehrswert entsprechen. In den Fällen des § 1 Abs. 2a GrEStG und § 1 Abs. 3 GrEStG wird die Grunderwerbsteuer stets in Bezug auf 100% des Grundbesitzwertes festgesetzt, auch wenn bei dem auslösenden Ereignis ein wesentlich geringerer Anteil an der grundbesitzenden Gesellschaft übertragen wird.

3 Etwas anderes gilt, wenn das Verpflichtungsgeschäft unter einer aufschiebenden Bedingung gestellt wird. 4 BFH v. 12.5.1976 – II R 187/72, BStBl. II 1976, 579; BFH v. 26.6.1996 – II R 31/93, BFH/ NV 1997, 2; v. 31.3.2004 – II R 54/01, BStBl. II 2004, 658. 5 Ausnahmsweise kann § 1 Abs. 3 GrEStG auch im Falle einer grundbesitzenden Personengesellschaft einschlägig sein. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Gesellschafter zu 100% am Gesellschaftsvermögen der grundbesitzenden Personengesellschaft über unmittelbare und mittelbare Beteiligungen beteiligt ist.

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2. Sog. RETT-Blocker Strukturierungen a) Aktuelle Rechtslage Sowohl bei dem Erwerb von Anteilen an einer grundbesitzenden Körperschaft als auch bei dem Erwerb von Anteilen an einer grundbesitzenden Personengesellschaft lässt sich die Grunderwerbsteuer nach aktueller Rechtslage vermeiden, indem die Beteiligungsgrenze von 95% unterschritten wird. Bei grundbesitzenden Körperschaften erfolgt heute regelmäßig eine sog. RETT-Blocker Strukturierung, indem ein Erwerber lediglich 94,9% und ein Minderheitsinvestor die restlichen 5,1% der Anteile erwirbt oder aber, der Verkäufer mit 5,1% an der Gesellschaft beteiligt bleibt (Beispiel 1):

Die Beteiligungen von B und C können ohne Auslösen von Grunderwerbsteuern an neue Investoren weiterveräußert werden, solange kein Anteilseigner mindestens 95% der Anteile an der PropCo erwirbt. Bei grundbesitzenden Personengesellschaften findet man eine entsprechende Strukturierung (Beispiel 2):

Bei grundbesitzenden Personengesellschaften besteht jedoch die Besonderheit, dass der Mehrheitsgesellschafter B nach einer Haltedauer von fünf Jahren auch die restlichen Anteile von 5,1% erwerben könnte und lediglich in Bezug auf diese 5,1% Grunderwerbsteuern auslösen würde. Die Vereinigung aller Anteile an PropCo erfüllt grds. den Tatbestand des § 1 Abs. 3 GrEStG. In Bezug auf die bereits seit fünf 518

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Jahren gehaltenen 94,9% kann B die Steuerbefreiung gemäß §  6 Abs.  3 GrEStG in Anspruch nehmen, sodass im Ergebnis lediglich 5,1% des Grundbesitzwertes mit Grunderwerbsteuer besteuert werden. b) Reform des Grunderwerbsteuergesetzes Seit Mitte 20166 arbeitet der Gesetzgeber an einer Reform des Grunderwerbsteuergesetzes. Das Ziel der Reform des Grunderwerbsteuergesetzes ist, die Besteuerung von Share Deals zu verschärfen und die Implementierung sog. RETT-Blocker Strukturen zu erschweren. Ein erster Referentenentwurf des Reformgesetzes war im Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 8.5.2019 enthalten. Dieses wurde durch den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes vom 31.7.20197 abgelöst. Der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes vom 31.7.2019 sieht folgende Eckpunkte bezogen auf Share Deals vor: – Die relevanten Beteiligungsgrenzen sollen von 95% auf 90 % abgesenkt werden. – Die bisherigen Fünf-Jahres-Fristen werden auf zehn Jahre verlängert; bei einem zeitlich gestreckten Erwerb von 100% der Anteile an einer grundbesitzenden Personengesellschaft8 soll die Vorbehaltensfrist für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf 15 Jahre verlängert werden. – Ein neuer Ergänzungstatbestand § 1 Abs. 2b GrEStG-E soll eingefügt werden, der die Regelung des § 1 Abs. 2a GrEStG für Kapitalgesellschaften nachbilden soll; d.h. Grunderwerbsteuer soll ausgelöst werden, wenn mindestens 90% der Anteile an einer grundbesitzenden Körperschaft innerhalb von zehn Jahren auf neue Gesellschafter übertragen werden. – Das neue Recht soll auf Erwerbsvorgänge ab dem 1.1.2020 anwendbar sein. Teilweise soll das alte Recht zudem bis zum 31.12.2024 parallel weitergelten. Dem Vernehmen nach werden auf Bund- und Länderebene immer noch kontroverse Diskussionen über die Reform geführt. Insbesondere wird die Herabsetzung der Beteiligungsschwelle auf 90% vielfach für unzureichend gehalten und eine Herabsetzung auf bis zu 75% gefordert.9 Anstelle einer Verlängerung der Betrachtungszeiträume auf zehn bzw. 15 Jahre wird über einen Betrachtungszeitraum von lediglich sieben Jahren nachgedacht. 6 Die Finanzminister der Länder beschließen am 8.9.2016 die Einsetzung einer Bund-/Länder-Arbeitsgruppe, die ein Reformgesetz erarbeiten soll. 7 Abrufbar auf der Homepage des Bundesfinanzministeriums. 8 Vgl. Beispiel 2. 9 So kommt eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags v. 15.9.2016 zu dem Ergebnis, dass eine Herabsetzung auf 75% verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, Az. WD 4 - 3000 - 108/16, PE 6 – 3000 – 122/16, S. 10.

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c) Konsequenzen der Reform für sog. RETT-Blocker Strukturierungen Die oben dargestellten RETT-Blocker Strukturierungen zur Optimierung der Grunderwerbsteuerbelastung bei Share Deals könnten wesentlich unattraktiver werden, sollte die Reform der Grunderwerbsteuer tatsächlich umgesetzt werden. So müssten Minderheitsgesellschafter zukünftig mit mindestens 10,1% an der grundbesitzenden Gesellschaft beteiligt werden, um die Grunderwerbsteuer zu vermeiden. Die beabsichtigte Einführung eines neuen § 1 Abs. 2b GrESt-E hätte den Effekt, dass Alt-Gesellschafter mit mind. 10,1% an der grundbesitzenden Gesellschaft beteiligt bleiben müssten, um die Verwirklichung des § 1 Abs. 2b GrEStG-E zu vermeiden. Dies wird die derzeit gegebene Flexibilität der Beteiligten, ihre Anteile beliebig auf mind. zwei neue Gesellschafter übertragen zu können, faktisch erheblich beschränken. Nach der Reform der Grunderwerbsteuer bleiben folgende Übertragungen ohne ein Auslösen von Grunderwerbsteuern möglich (Beispiel 3):

Grundsätzlich können bis zu 89,9% der Anteile an grundbesitzenden Gesellschaften10 auf einen oder mehrere neue Gesellschafter übertragen werden. Eine weitere Übertragung von mind. 0,1% der Anteile an der C GmbH an D oder einen anderen neuen Gesellschafter innerhalb von zehn Jahren nach Übertragung der bis zu 89,9% würde gem. § 1 Abs. 2b GrEStG-E Grunderwerbsteuern auslösen. Möglich wäre hingegen die Übertragung von Anteilen an der B GmbH von bis zu 89,9% an einen neuen Gesellschafter.

10 Körperschaften wie auch Personengesellschaften.

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Die B GmbH bleibt in diesem Fall Altgesellschafterin der C GmbH, sodass der § 1 Abs. 2b GrEStG-E nicht ausgelöst werden würde. Anders wäre dies bei einer Übertragung von mind. 90% der Anteile an der B GmbH. 3. Grunderwerbsteuer und Abbruch der Transaktion Die Grunderwerbsteuer entsteht − mit Ausnahme des Erwerbs von Anteilen an einer grundbesitzenden Personengesellschaft mit dem Abschluss eines auf die Übertragung des Grundstücks oder der Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft gerichteten wirksamen Verpflichtungsgeschäfts. Aus verschiedenen von den Parteien beeinflussbaren oder auch nicht beeinflussbaren Gründen kann es dazu kommen, dass das Verpflichtungsgeschäft nicht vollzogen wird. In diesen Fällen wollen die Beteiligten die Festsetzung der Grunderwerbsteuer vermeiden oder rückgängig machen. Gemäß § 16 Abs. 1 und 2 GrEStG besteht die Möglichkeit, die Steuer für einen bereits verwirklichten Grunderwerbsteuertatbestand rückwirkend zu beseitigen. Die Tatbestandsvoraussetzungen unterscheiden sich danach, ob das Eigentum an dem Grundstück bereits auf den Erwerber übergegangen ist oder nicht. Wenn das Eigentum an dem Grundstück noch nicht auf den Erwerber übergegangen ist, kann eine Rückgängigmachung (1) durch Vereinbarung, durch Ausübung eines vorbehaltenen Rücktrittsrechts oder eines Wiederkaufsrechts erfolgen, wenn dies innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer stattfindet, oder (2) wenn Vertragsbedingungen nicht erfüllt werden und der Erwerbsvorgang deshalb auf Grund eines Rechtsanspruchs rückgängig gemacht wird. Wenn das Eigentum an dem Grundstück bereits auf den Erwerber übergegangen ist, wird die Grunderwerbsteuer nicht festgesetzt oder wieder aufgehoben, wenn (1.) der Rückerwerb innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang stattfindet,11 (2.) das dem Erwerbsvorgang zugrundeliegende Rechtsgeschäft nichtig oder infolge einer Anfechtung als von Anfang an nichtig anzusehen ist oder (3.) die Vertragsbedingungen des Rechtsgeschäfts, das den Anspruch auf Übereignung begründet hat, nicht erfüllt werden und das Rechtsgeschäft deshalb auf Grund eines Rechtsanspruchs rückgängig gemacht wird. Ein Rückgängigmachen setzt jedoch in allen Varianten voraus, dass die zugrunde liegenden Sachverhalte vollständig und fristgerecht gemäß §§ 18 bis 20 GrEStG angezeigt worden sind. Anderenfalls schließt §  16 Abs.  5 GrEStG den Anspruch auf Nichtfestsetzung der Grunderwerbsteuer oder Aufhebung der Steuerfestsetzung aus.12 Die Anzeige ist u.a. an das für die Besteuerung und in den Fällen des § 17 Abs. 2 und 3 GrEStG an das für die gesonderte Feststellung zuständige Finanzamt zu richten.13 Die Anzeige muss grundsätzlich an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Fi11 Ist für den Rückerwerb eine Eintragung in das Grundbuch erforderlich, so muss innerhalb der Frist die Auflassung erklärt und die Eintragung im Grundbuch beantragt werden. 12 BFH v. 22.5.2019 – II R 24/16, DStR 2019, 2258. 13 Vgl. § 18 Abs. 5 GrEStG und § 19 Abs. 4 GrEStG.

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nanzamtes übermittelt werden oder sich zumindest nach ihrem Inhalt eindeutig an die Grunderwerbsteuerstelle richten. Bei der Bestimmung des örtlich zuständigen Finanzamts sollte größte Sorgfalt angewendet werden. Wenn die Bestimmung des örtlich zuständigen Finanzamts zweifelhaft sein sollte, sollte Kontakt mit den in Frage kommenden Finanzämtern aufgenommen werden, um die Zuständigkeit zu klären. Positiv für den Steuerpflichtigen ist, dass es nach Ansicht des BFH für die Inanspruchnahme des § 16 GrEStG ausreichend ist, wenn entweder der Notar oder ein Beteiligter die ordnungsgemäße Anzeige beim zuständigen Finanzamt erstattet.14 4. Versicherung von Grunderwerbsteuerrisiken Ein relativ neuer Trend, der sicherlich auch der mittlerweile sehr langen politischen Diskussion um die Reform der Grunderwerbsteuer geschuldet ist, ist der Wunsch von Immobilieninvestoren Risiken, insbesondere auch hinsichtlich einer Rückwirkung des Inkrafttretens der Grunderwerbsteuerreform, durch eine Versicherung abzusichern. Viele Versicherer haben hierauf reagiert und bieten einen Versicherungsschutz für Grunderwerbsteuerrisiken an. Erfahrungsgemäß scheinen die einschlägigen Versicherer das Risiko eines rückwirkenden Inkrafttretens der Grunderwerbsteuerreform etwa auf den 1.1.2020 für relativ gering zu halten, da dieses Risiko relativ günstig versicherbar ist.

III. Ausgewählte umsatzsteuerliche Implikationen der Immobilientransaktion Wie im 1. Teil zur Grunderwerbsteuer ausgeführt, kann der Verkauf einer Immobilie als Share Deal oder als Asset Deal ausgestaltet sein. Liegt ein Share Deal vor, werden aus umsatzsteuerlicher Sicht Anteile an einer Gesellschaft veräußert. Umsatzsteuerlich wird dies in Deutschland nicht etwa der Übertragung einer Immobilie gleichgestellt.15 Die Übertragung von Gesellschaftsanteilen ist nicht umsatzsteuerbar, wenn der Verkäufer die Anteile nicht in seinem unternehmerischen Bereich hält. Dies ist der Regelfall, da das reine Halten und Verwalten von Gesellschaftsanteilen keine unternehmerische Tätigkeit darstellt.16 Alternativ kann der Verkauf der Gesellschaftsanteile einen umsatzsteuerfreien Vorgang nach § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG darstellen, wenn die Anteile im Unternehmensbereich des Verkäufers gehalten werden. Dies ist etwa der Fall, wenn es sich um eine strategische Beteiligung handelt oder wenn der Verkäufer entgeltliche Leistungen (z.B. als Managementholding) an das Traget er-

14 BFH v. 22.5.2019 – II R 24/16, DStR 2019, 2258. 15 EuGH v. 5.7.2012 – C-259/11, DTZ Zadelhoff, ABl EU 2012, Nr. C 287, 14. 16 EuGH v. 14.11.2000 – C-142/99, Floridienne und Berginvest v. 27.9.2001 – C-16/00, ABl EG 2001, Nr C 28, 7-8; Abschn. 2.3 (2) UStAE.

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bringt.17 Eine Option zur Umsatzsteuerpflicht ist im letzten Fall zwar möglich, wenn auch der Käufer die Anteile seinem unternehmerischen Bereich zuordnet. In der Praxis kommt eine Umsatzsteueroption beim Share Deal aber kaum vor, da die Anteile dann bei einem Weiterverkauf vorsteuerbehaftet wären und auch der Käufer gezwungen wäre, beim Weiterverkauf wieder zur Umsatzsteuer zu optieren, um einen Vorsteuerschaden nach § 15a UStG zu vermeiden. In Ausnahmefällen mag ein Share Deal auch zu einer sog. Geschäftsveräußerung im Ganzen führen.18 Unter einer Immobilientransaktion im umsatzsteuerlichen Sinne versteht man allerdings eher einen Asset Deal. Er kann zu verschiedenen umsatzsteuerlichen Rechtsfolgen führen. So kann entweder eine umsatzsteuerfreie Grundstückslieferung, eine umsatzsteuerpflichtige Grundstückslieferung oder eine Geschäftsveräußerung im Ganzen nach § 1 Abs. 1a UStG vorliegen. Nachfolgend werden die möglichen Formen des Asset Deals näher untersucht sowie einige Besonderheiten und aktuelle Themen behandelt. 1. Umsatzsteuerfreie Immobilientransaktion Gemäß § 4 Nr. 9a UStG sind Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen, steuerfrei. Eine umsatzsteuerfreie Grundstückslieferung liegt insbesondere vor, wenn eine unvermietete Immobilie veräußert wird und keine sog. Option zur Umsatzsteuerpflicht erfolgt. Dies kommt in der Praxis insbesondere dann vor, wenn der Verkäufer keine Vorsteuer im Zusammenhang mit Anschaffung oder Herstellung der Immobilie geltend gemacht hat. 2. Umsatzsteuerpflichtige Immobilientransaktion Eine umsatzsteuerpflichtige Immobilientransaktion ist gegeben, wenn eine unvermietete Immobilie veräußert wird und der Verkäufer zur Umsatzsteuerpflicht optiert (§ 9 UStG).19 Gemäß § 9 Abs. 1 UStG kann der Veräußerer einen nach § 4 Nr. 9a UStG steuerfreien Grundstücksumsatz steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. Die Option zur Steuerpflicht ist für den Veräußerer wichtig, um eine ansonsten nach § 15a UStG bestehende Berichtigungspflicht zu vermeiden. Nach § 13b Abs. 2 Nr. 3 UStG schuldet der Erwerber des Grundstücks die Umsatzsteuer. Der Veräußerer weist daher keine Umsatzsteuer in der Rechnung aus. Er hat jedoch auf die Steuerschuldnerschaft des Erwerbers hinzuweisen. Die vom Leistungsempfänger nach § 13b UStG geschuldete Steuer ist bei ihm gemäß § 15 Abs. 1 17 EuGH v. 11.7.1996, C-306/94, Régie dauphinoise; EuGH v. 27.9.2001 – C‑16/00, ABl EG 1996, Nr C 354, 1; Cibo Participations; EuGH v. 16.7.2015 – C‑108/14, Larentia + Minerva, C‑109/14, Marenave, BStBl. 2017 II S. 604; Abschn. 2.3 (3) Satz 5 Nr. 2 und Nr. 3 UStAE. 18 Zu den Voraussetzungen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen beim Share Deal und zur Frage des Vorsteuerabzugs siehe Jansen, UR 2019, 121 ff. 19 Friedrich-Vache, in Beck‘sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, 2. Aufl. 2020.

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Nr.  4 UStG als Vorsteuer abzugsfähig, wenn und soweit er das erworbene Grundstück für vorsteuerunschädliche Umsätze nutzt. a) Wirtschaftliche Akzeptanz beim Käufer Der Käufer des Grundstücks wird eine Option im notariellen Kaufvertrag im Regelfall wirtschaftlich nur akzeptieren, wenn er das Grundstück für steuerpflichtige Ausgangsumsätze nutzt. Bei einer Weitervermietung wird der Käufer die Option im Kaufvertrag also nur akzeptieren, wenn er seinerseits zur Umsatzsteuer gemäß §  9 Abs. 2 UStG optieren kann. Auch die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken ist – wie die Veräußerung einer Immobilie  – grundsätzlich umsatzsteuerfrei (§  4 Nr.  12a UStG). Dies führt dazu, dass grds. kein Recht zum Vorsteuerabzug besteht (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG). Eine Option zur Umsatzsteuer ist für den Vermieter deshalb von Interesse, da er bei gültiger Option seinerseits den Vorsteueranspruch aus Anschaffungs- und Herstellungskosten sowie laufenden Unterhaltungskosten geltend machen kann. Nach §  9 Abs. 2 UStG ist jedoch eine Option zur Umsatzsteuer bei der Vermietung nur möglich, wenn der Endmieter (bei einer Vermietungskette der letzte Unternehmer in der Kette) das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Verwendet der Endmieter das Grundstück nur in sehr geringem Umfang für Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen (Bagatellgrenze i.H.v. 5  %), ist eine Option zur Vermeidung von Härten ebenfalls möglich (Abschnitt 9.2 Abs. 3 S. 2 UStAE). Bei einer Vermietung an z.B. Kreditinstitute ist eine Option nach § 9 Abs. 2 UStG jedoch im Regelfall nicht zulässig. Der Vermieter hat die Voraussetzungen nach § 9 Abs. 2 S. 2 UStG nachzuweisen und trägt das Risiko einer Vorsteuerkorrektur, wenn die Nutzung vorsteuerschädlich ist. Auch wenn die Einschränkung der Option nach § 9 Abs. 2 UStG nur bei Vermietung, nicht aber bei Immobilientransaktionen Anwendung findet, hängt doch die Optionsmöglichkeit bei der Immobilientransaktion in der Praxis von der wirtschaftlichen Akzeptanz des Käufers ab. Daher hat die Beschränkung zumindest indirekte Auswirkungen auf Grundstücksverkäufe. b) Restriktionen der zeitlichen Möglichkeit einer Option bei Verkauf durch den XI. Senat des BFH Die Option zur Umsatzsteuer kann nach § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG bei einer Immobilientransaktion nur im notariell beurkundeten Kaufvertrag erklärt werden. Bis zum Jahr 2010 war es einhellig Auffassung in Rechtsprechung und Verwaltung, dass sowohl die Option als auch ihr etwaiger Widerruf bis zur materiellen Bestandskraft – also auch noch etwa während einer Betriebsprüfung Jahre nach Abschluss des Kaufvertrags  – nachgeholt werden konnte. Im Jahr 2010 änderte die Finanzverwaltung jedoch den Anwendungserlass aufgrund eines BFH-Urteils,20 was im Zusammen20 BFH v. 10.12.2008 – XI R 1/08, BStBl. II 2009, 1026.

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hang mit dem Wahlrecht zur Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (§  20 UStG) und damit zu einem völlig anderen Thema ergangen war. Die Verwaltung vertrat die Auffassung, dass die Option zur Umsatzsteuer nur noch bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft der Umsatzsteuerfestsetzung erfolgen könne.21 In seinen Urteilen aus dem Jahr 2013 verwarf der V. Senat des BFH die Rechtsauffassung der Verwaltung und stellte klar, dass der Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 UStG zurückgenommen werden kann, solange die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung anfechtbar oder bspw. aufgrund eines Vorbehalts der Nachprüfung gem. § 164 AO noch änderbar ist.22 Damit widersprach das Gericht der Verwaltungsauffassung, nach der sowohl die Erklärung zur Option als auch deren Rückgängigmachung auf den Eintritt der formellen Bestandskraft begrenzt sein soll. Nach Ansicht des V. Senats würde eine zeitliche Begrenzung zwar für Rechtssicherheit und frühzeitig klare Verhältnisse sorgen, gleichwohl den Steuerpflichtigen unverhältnismäßig in der Ausübung seines Wahlrechts einschränken. Eine solche Einschränkung sei jedoch nur dann zulässig, wenn dies ausdrücklich im Gesetz geregelt sei.23 Demgegenüber entschied der XI. Senat des BFH in seinem Urteil vom 21.10.2015, dass der Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung nur in dem der Grundstückslieferung zugrunde liegenden notariell beurkundenden Vertrag erklärt werden kann.24 Ein späterer Verzicht auf die Steuerbefreiung sei selbst dann unwirksam, wenn dieser notariell beurkundet wird.25 In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt erwarb der Kläger im Jahr 2003 ein Grundstück und verpachtete es umsatzsteuerpflichtig an seine Organgesellschaft (GmbH), die es selbst zur Ausführung steuerpflichtiger Ausgangsumsätze verwendete. Der Kläger zog die ihm beim Erwerb des Grundstücks in Rechnung gestellte und gezahlte Umsatzsteuer als Vorsteuer ab. Sechs Jahre später veräußerte der Kläger das Grundstück an seine Ehefrau, welche die umsatzsteuerpflichtige Verpachtung an die GmbH fortsetzte. In dem zugrundeliegenden notariellen Kaufvertrag wurde ein Verzicht auf die Steuerbefreiung der Grundstückslieferung nicht erklärt. Das Finanzamt änderte die unter Vorbehalt der Nachprüfung stehende Umsatzsteuerfestsetzung für das Jahr der Grundstücksveräußerung und berichtigte den Vorsteuerabzug zu Lasten des Klägers nach § 15a UStG, weil dieser das Grundstück vor Ablauf des zehnjährigen Berichtigungszeitraums umsatzsteuerfrei veräußert habe. Daraufhin ergänzten die Parteien – zwecks Vermeidung einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG – den ursprünglichen Kaufvertrag durch eine notariell beurkundete Neufassung, in welcher der Veräußerer des Grundstücks einen nachträglichen Verzicht auf die Steuerbefreiung des Grundstücksumsatzes erklärte. Anders als die Vor21 BMF, Schr. v. 1.10.2010 – IV D 3 – S 7198/09/10002, BStBl. I 2010, S. 768. 22 BFH v. 19.12.2013 – V R 6/12, BStBl. II 2017, 837 und V R 7/12, BStBl. 2017, II 841. 23 BFH v. 19.12.2013 – V R 6/12, BStBl. II 2017, 837. Anzumerken ist, dass die BFH-Rechtsprechung zu Streitfällen vor dem 1.1.2004 ergangen ist, in denen § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG noch nicht galt. 24 BFH v. 21.10.2015 – XI R 40/13, BStBl. II 2017, 852. 25 BFH v. 21.10.2015 – XI R 40/13, BStBl. II 2017, 852.

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instanz erkannte der XI. Senat in seiner Nachfolgeentscheidung eine gesetzliche, zeitliche Befristung in § 9 Abs. 3 S. 2 UStG. Zur Begründung stützt sich der XI. Senat insbesondere auf den Wortlaut des § 9 Abs. 3 S. 2 UStG, wonach der Verzicht auf die Steuerbefreiung nur in „dem“ gemäß §  311b Abs.  1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs notariell zu beurkundenden (Erst-)Kaufvertrag erklärt werden könne. Ebenfalls sieht der Senat ein besonderes Schutzbedürfnis des Leistungsempfängers, der letztlich als Erwerber des Grundstücks die Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 2 Nr. 3 UStG schuldet. Eine nachträgliche Optierung führe zu einer Missachtung des Schutzzwecks des § 9 Abs. 3 S. 2 UStG, weil dadurch eine nachträgliche Steuerschuld bei dem Leistungsempfänger entstehe, die nach der Gesetzesbegründung zur Einführung des § 9 Abs. 3 S. 2 UStG gerade verhindert werden soll. Schließlich verweist der Senat auf die Gefahr möglicher Steuerausfälle, die sich bei einer nachträglichen Verzichtsmöglichkeit ergeben würden, wenn bei einem nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigten Leistungsempfänger eine nachträgliche Steuerschuld nach § 13b Abs. 2 Nr. 3 UStG entstünde, welche nicht festgesetzt werden könne, weil dessen Steuerfestsetzung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht mehr änderbar sei.26 Im Hinblick auf die Option zur Steuerpflicht bei Grundstückslieferungen i.S.d. § 4 Nr. 9 Buchst. a) UStG hat die Finanzverwaltung mittlerweile die restriktive Sichtweise des XI. Senats in ihrem BMF-Schreiben vom 2.8.2017 sowie in Abschn. 9.2 Abs. 9 UStAE umgesetzt.27 Im wissenschaftlichen Schrifttum finden sich dagegen zahlreiche Stimmen, die der Auffassung des XI. Senats widersprechen.28 Auf Kritik stößt dabei vor allem die vom XI. Senat vorgenommene Auslegung des Wortlauts des § 9 Abs. 3 S. 2 UStG, nach der ein Verzicht nur im Ursprungsvertrag zulässig sei.29 Eine derartige Einschränkung widerspreche dem Verständnis, wonach im Zivilrecht grundsätzlich alle Verträge durch Nachbeurkundung wirksam abgeändert werden können.30 Ferner lasse sich eine Versagung der nachträglichen Option weder aus dem Wortlaut noch aus der Gesetzesbegründung entnehmen.31 Im Übrigen setze eine spätere Vertragsänderung die Mitwirkung des Leistungsempfängers voraus, weshalb der Schutz und das Interesse des Leistungsempfängers, der als Steuerschuldner fungiert, ausreichend gewahrt sei.32 In der Praxis führt die Rechtsprechung des XI. Senats vor allem in solchen Fällen zu Problemen, in denen der Unternehmer seine Grundstücksübertragung zunächst als nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung im Sinne von § 1 Abs. 1a UStG ansieht, diese Annahme sich später jedoch als unzutreffend erweist und es ohne eines nachträglichen Verzichts der Steuerbefreiung zu einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG

26 BFH v. 21.10.2015 – XI R 40/13, BStBl. II 2017, 852. 27 BMF Schreiben v. 2.8.2017 – III C 3-S 7198 / 16 / 10001, BStBl. I 2017, 1240; Abschn. 9.2 Abs. 9 UStAE. 28 U.a. Wäger, UR 2016, 125; Prätzler, MwStR 2017, 740; Sterzinger, DStR 2016, 1303. 29 Sterzinger, DStR 2016, 1303, 1304; Prätzler, MwStR 2017, 740, 741; Wäger, UR 2016, 125. 30 Prätzler, MwStR 2017, 740, 741. 31 Wäger, UR 2016, 125, 149; Prätzler, MwStR 2017, 740, 741. 32 Wäger, UR 2016, 125, 147 f.

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kommen könnte.33 Um ein solches (ungewolltes) Szenario zu vermeiden, ist es angezeigt, eine vorsorgliche Option bei der (vermeintlichen) Geschäftsveräußerung festzuhalten.34 Derweil scheint eine für die Beratungspraxis dringend notwendige und baldige Rechtssicherheit hinsichtlich des (letzt-)möglichen Zeitpunktes eines wirksamen Verzichts sowie dessen Rücknahme nicht in Sicht. Zwar ist das FG Baden-Württemberg in seinem jüngsten Urteil35 der Rechtsauffassung des XI. Senats insoweit gefolgt, als der Wortlaut des § 9 Abs. 3 S. 2 UStG auch nach Auffassung des FG den nachträglichen Verzicht auf die Steuerbefreiung formal und zeitlich begrenze. An anderer Stelle stellt das FG fest, dass eine (spätere) Rücknahme des Verzichts bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft möglich sei. Mit Spannung bleibt nun abzuwarten, wie der XI. Senat im Rahmen der Revision zu dieser Frage entscheiden wird.36 c) Möglichkeit der Teiloption Soweit einzelne Teilflächen eindeutig bestimmbar sind, kann der Unternehmer den Verzicht gemäß § 9 Abs. 2 S. 1 UStG auch teilweise ausüben.37 Voraussetzung für die Ausübung einer Teiloption ist ein hinreichend objektiv nachprüfbarer Aufteilungsmaßstab.38 Ob die Option ausgeübt wird, liegt allein in der Entscheidung des leistenden Unternehmers. Der Leistungsempfänger hat dagegen keinen Anspruch auf die Ausübung der Option durch den Leistenden.39 Der Grundsatz der Teiloption gilt seit dem EuGH-Urteil in der Rs. Armbrecht40 auch bei gemischt-genutzten einheitlichen Gegenständen. Zwar äußerte sich der EuGH in diesem Urteil nur zur Abgrenzung von gemischt genutzten Gegenständen in Bezug auf deren Zuordnung zum unternehmerischen und nichtunternehmerischen Bereich.41 Daran anknüpfend entschied der BFH jedoch, dass die Möglichkeit einer Teiloption auch bei solchen Grundstücken bestehe, die insgesamt dem unternehmerischen Bereich zugeordnet sind.42 Interessant ist die Möglichkeit einer Teiloption damit vor allem bei unterschiedlich genutzten Gebäudeteilen mit verschiedenen Mietparteien.43 Im Rahmen der Ausübung der Teiloption hat der EuGH in der Rs. Breitsohl44 entschieden, dass die Gebäude oder Gebäudeteile und der dazugehörige 33 BFH v. 19.12.2013 – V R 6/12, BStBl. II 2017, 837. 34 Zu denken ist in diesem Zusammenhang auch an eine Grundstücksübertragung im Rahmen einer (vermeintlichen) Organschaft, vgl. hierzu auch Grünwald, DStR 2016, 50, 56. 35 FG Baden-Württemberg v. 1.8.2019 – 1 K 3115/18, EFG 2020, 168. 36 BFH, Az: XI R 22/19. 37 BFH v. 24.4.2014 – V R 27/13, BStBl. II 2014, 732. 38 Heidner, in Bunjes 18. Aufl. 2019, UStG § 9 Rz. 23. 39 Heidner; in Bunjes 18. Aufl. 2019, UStG § 9 Rz. 24. 40 EuGH v. 4.10.1995 – C-291/92, Rs. Armbrecht, BStBl. II 1996, 392. 41 Heidner; in Bunjes 18. Aufl. 2019, UStG § 9 Rz. 24. 42 BFH v. 26.6.1996 – XI R 43/90, BStBl. II 1997, 98; siehe auch BFH v. 15.4.2015 – V R 46/13, BStBl. II 2015, 947. 43 Heidner in Bunjes 18. Aufl. 2019, UStG § 9 Rz. 24. 44 EuGH v. 8.6.2000 – C-400/98, Rs. Breitsohl, BStBl. II 2003, 452.

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Grund und Boden umsatzsteuerrechtlich als Einheit gelten und das Optionsrecht daher nicht getrennt voneinander ausgeübt werden darf. Als problematisch erweist sich die Ausübung der (Teil-)Option erneut im Hinblick auf deren zeitliche Begrenzung. Die Rechtsprechung des XI. Senats stellt sich hier als nicht praxistauglich dar, wenn das künftig gemischt genutzte Gebäude im Zeitpunkt des Verkaufs noch nicht erbaut wurde, da noch nicht feststeht, welche exakten Flächen später umsatzsteuerfrei und welche umsatzsteuerpflichtig genutzt werden sollen. Infolgedessen wird es dem leistenden Unternehmer bei „Verkauf auf grüner Wiese“ quasi unmöglich gemacht, sein Optionsrecht auszuüben. Dies führt in der Folge zu einem Vorsteuerschaden beim Verkäufer, wenn er nicht optiert, oder beim Käufer, wenn die Option zwar erklärt, die Optionsfläche dann aber später doch umsatzsteuerfrei genutzt wird. 3. Geschäftsveräußerung im Ganzen a) Verkauf eines vermieteten Grundstücks als Geschäftsveräußerung im Ganzen Anstelle einer steuerbaren Grundstückslieferung kann es sich bei einer Veräußerung einer Immobilie unter bestimmten Voraussetzungen um eine Geschäftsveräußerung im Ganzen handeln. Die umsatzsteuerliche Einordnung, ob eine Grundstücksübertragung eine nach § 1 Abs. 1a UStG nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen oder eine steuerbare, aber regelmäßig nach § 4 Nr. 9 Buchst. a) UStG steuerfreie Grundstückslieferung darstellt, ist insbesondere in Bezug auf die Optionsmöglichkeit nach § 9 UStG sowie für die Frage, ob beim Veräußerer im Zeitpunkt der Veräußerung eine Berichtigung des beim Erwerb der Immobilie in Anspruch genommenen Vorsteuerabzugs erfolgen muss, von entscheidender Bedeutung. Gemäß § 1 Abs. 1a S. 2 UStG liegt eine Geschäftsveräußerung vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird; zusätzlich muss der Erwerber Unternehmer sein (§ 1 Abs. 1a S. 1 UStG.). Dieser muss nach ständiger Rechtsprechung von EuGH und BFH die Absicht haben, den übertragenden Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteils fortzuführen.45 Dabei ist es im Rahmen einer Gesamtwürdigung für das Vorliegen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen entscheidend, ob das übertragende Unternehmensvermögen als hinreichendes Ganzes die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht und ob die vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten übereinstimmen oder sich hinreichend ähneln.46 Die Geschäftsveräußerung im Ganzen nach §  1 Abs.  1a UStG ist nicht steuerbar.

45 U.a. EuGH v. 27.11.2003  – C-497/01, Rs. Zita Modes Sàrl, BFH/NV 2004, 128; BFH v. 30.4.2009 – V R 4/07, BStBl. II 2009, 863. 46 U.a. BFH v. 19.12.2012 – XI R 38/10, BStBl. II 2008, 447.

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Auch ein Grundstücksverkauf kann in bestimmten Fällen eine Geschäftsveräußerung im Ganzen darstellen. Eine Geschäftsveräußerung im Immobilienbereich ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn ein Vermietungsunternehmen fortgeführt wird. In diesem Fall überträgt der Veräußerer ein vermietetes oder verpachtetes Grundstück  – bei gleichzeitigem Übergang der jeweiligen Miet- bzw. Pachtverträge  – auf den Erwerber, der die Vermietung bzw. Verpachtung fortsetzt.47 Die Veräußerung eines Grundstücks ohne fortführbaren Miet- oder Pachtvertrag stellt daher grundsätzlich keine Geschäftsveräußerung im Ganzen dar.48 Gleichwohl kann eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung in Ausnahmefällen auch ohne fortführbaren Mietvertrag vorliegen, wenn eine Anschlussvermietung gesichert ist.49 So gehören beispielsweise bei Verkauf einer nicht vermieteten Ferienwohnung Leerstände zur typischen Unternehmenstätigkeit und schließen deshalb bei der Übertragung die Geschäftsveräußerung im Ganzen nicht aus.50 Zudem ist bei dauerhaft vermieteten Grundstücken keine Identität bzw. Teilidentität der Mietverhältnisse erforderlich, denn die Geschäftsveräußerung setzt nicht die Fortsetzung der ursprünglichen ­Tätigkeit voraus, sondern nur, dass sich die vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten hinreichend ähneln.51 Demnach ist unbeachtlich, ob ein alter und neuer Mietvertrag in Einzelfragen wie beispielsweise Kündigungsfristen mit unterschiedlichen Regelungen ausgestaltet sind und in welcher Branche der Mieter vor und nach der Grundstücksübertragung tätig ist.52 Eine Geschäftsveräußerung im Sinne von §  1 Abs.  1a UStG setzt voraus, dass die Fortführung des Unternehmens durch den Erwerber ohne erheblichen finanziellen Aufwand möglich ist.53 Daran mangelt es beispielsweise, wenn ein Gebäude im Rohbau veräußert wird, das nach Fertigstellung durch den Erwerber vermietet werden soll. Keine Geschäftsveräußerung liegt nach der Rechtsprechung des BFH ebenfalls vor, wenn der Grundstücksveräußerer auch nach der Veräußerung sein Vermietungsunternehmen als Zwischenmieter nach außen gegenüber den Endmietern weiterführt.54 Ebenfalls ist keine Geschäftsveräußerung nach § 1 Abs. 1a UStG anzunehmen, wenn ein Organträger ein an seine Organgesellschaft vermietetes Gebäude erwirbt, da der erwerbende Organträger das übertragene Gebäude durch die Organgesellschaft als Teil seines Unternehmens eigenunternehmerisch nutzt und nicht umsatzsteuerrechtlich vermietet.55

47 BFH v. 11.10.2007 – V R 57/06, BStBl. II 2008, 447; OFD-München v. 1.8.2005 − S 7100b 3/St 433, UR 2001, 174. 48 BFH v. 11.10.2007 – V R 57/06, BStBl. II 2008, 447. 49 Robisch, in Bunjes, 18. Aufl. 2019, UStG § 1 Rz. 125. 50 BFH v. 5.6.2014 – V R 10/13, BFH/NV 2014, 1600. 51 Robisch, in Bunjes, 18. Aufl. 2019, UStG § 1 Rz. 125. 52 Vgl. BFH v. 6.5.2010 – V R 25/09, BFH/NV 2010, 1873. 53 Leicht in Beck`sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Geschäftsveräußerung im Ganzen, Rz. 15 (01/2020). 54 BFH v. 3.7.2014 – V R 12/13, BFH/NV 2014, 1603. 55 BFH v. 6.5.2010 – V R 26/09, BStBl. II 2010, 1114.

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b) Partielle Geschäftsveräußerung im Ganzen bei teilweiser Vermietung Eine Geschäftsveräußerung im Ganzen liegt nicht vor, wenn der Erwerber des Grundstücks die Vermietungstätigkeit des Überträgers nicht fortführt, sondern das Grundstück ausschließlich selbst nutzt. Führt der Erwerber des vermieteten Grundstücks die Vermietung jedoch teilweise fort und nutzt den anderen Teil des Gebäudes selbst, stellt dies eine partielle Geschäftsveräußerung im Ganzen dar. Die partielle Geschäftsveräußerung bei teilweiser Vermietung ist gesetzlich nicht geregelt, sondern durch die Rechtsprechung entwickelt worden.56 In diesem Fall ist die Grundstückstransaktion aufzuteilen.57 Dabei stellt der weiterhin fremdvermietete Teil eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung gem. §  1 Abs.  1a UStG dar, während der nicht mehr fremdvermietete, sondern selbst genutzte Teil des Grundstücks, als steuerbarer Umsatz behandelt wird. Nach Auffassung des BFH kommt es dabei nicht darauf an, ob der vermietete Teil als zivilrechtlich selbstständiger Gebäudeteil (bspw. in Form von Teileigentum) gilt. Vielmehr sei ausschlaggebend, dass der Grundstückserwerber mit dem Übergang der Mietverhältnisse in der Lage ist, eine unternehmerische Tätigkeit aufzunehmen oder fortzuführen.58 c) Neuere Rechtsprechung zu Bauträgern Zuletzt hat sich die Rechtsprechung vermehrt mit der Frage beschäftigt, ob auch im Rahmen sog. Bauträgerfälle eine Geschäftsveräußerung im Ganzen nach § 1 Abs. 1 a UStG vorliegt. In der Regel erwirbt ein Bauträger ein Grundstück mit der Absicht, auf diesem ein Gebäude zu errichten, einen Mieter für das Objekt zu finden und die Immobilie im Anschluss daran wieder zügig zu veräußern.59 Im Gegensatz zu den üblichen Fällen der Immobilienveräußerung, ist bei der Veräußerung durch einen Bauträger nicht die Fortführung durch den Erwerber der Immobilie streitig, sondern die Frage, ob im Zeitpunkt der Veräußerung überhaupt ein fortführungsfähiges Vermietungsunternehmen vorliegt.60 In älteren Urteilen ging der BFH davon aus, dass im Rahmen der Veräußerung einer Immobilie durch den Bauträger selbst dann kein fortführungsfähiges Vermietungsunternehmen übertragen wird, wenn die Immobilie durch den Veräußerer im Zeitpunkt der Veräußerung langfristig vermietet ist oder das Bauträgerunternehmen für eine bestimmte Übergangszeit (ein bzw. sieben Monate) mit der Vermietungstätigkeit begonnen hat.61 Die Voraussetzungen einer Geschäftsveräußerung lagen nach Ansicht des BFH nicht vor, weil der Veräußerer in den jeweiligen Fällen keine nachhaltige Vermietung im Rahmen eines Vermietungsunternehmen betrieben hat, das

56 BFH v. 6.7.2016 – XI R 1/15, BStBl. II 2016, 909 57 BFH v. 6.7.2016 – XI R 1/15, BStBl. II 2016, 909. 58 BFH v. 6.7.2016 – XI R 1/15, BStBl. II 2016, 909. 59 Schuska, MwStR 2015, 669. 60 Lohmer, Ubg 2016, 31. 61 Vgl. BFH v. 28.10.2010 – V R 22/09, BFH/NV 2011, 854; BFH v. 18.9.2008 – V R 21/07, BStBl. 2009, II 254; BFH v. 24.2.2005 – V R 45/02, BStBl. II 2007, 61.

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die Erwerber hätten fortführen können. Stattdessen handelte es sich um ein auf ein Großprojekt mit Veräußerungsabsicht beschränktes Bauunternehmen.62 Demgegenüber hat der BFH im Rahmen seiner jüngsten Rechtsprechung zu dieser Thematik in zwei Urteilen eine hinreichende Unternehmensfortführung bei Grundstücksverkäufen durch Bauträger erkannt.63 In dem Urteil vom 12.8.2015 lag dem BFH ein Sachverhalt zugrunde, in dem ein Bauträger über einen Zeitraum von über zwei Jahren mehr als 50  % der Flächen vermietete und im Zeitpunkt des Verkaufs 90 % der Flächen vermietet waren. Das Gericht ging trotz der Tätigkeit des Veräußerers als Bauträger von einem Vermietungsunternehmen aus, weil eine nachhaltige Vermietungstätigkeit vorgelegen habe.64 Eine hinreichend nachhaltige Vermietungstätigkeit erkannte der BFH auch in seiner Entscheidung vom 25.11.2015, in der ein Bauträger bis zur Veräußerung bereits 17 Monate eine fortdauernde Vermietungstätigkeit ausübte.65 Nach Ansicht des Gerichts stehe „eine anfängliche, weiter bestehende und ihrem Unternehmenszweck entsprechende Absicht der Veräußerin, das Objekt wieder zu verkaufen, einer nachhaltigen Vermietungstätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG nicht zwingend entgegen.“66 In beiden Entscheidungen war für das Vorliegen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen somit ausschlaggebend, dass der veräußernde Bauträger das bebaute Grundstück nicht sofort veräußerte, sondern es zunächst eine nicht unerhebliche Zeit selbst vermietet hat.

Dr. Barbara Fleckenstein-Weiland LL.M. Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Fachanwältin für Steuerrecht Partnerin

Dr. Susanne Hemme LL.M. Rechtsanwältin, Steuerberaterin Assoziierte Partnerin 62 BFH v. 24.2.2005 – V R 45/02, BStBl. II 2007, 61. 63 BFH v. 12.8.2015 – XI R 16/14, BFH/NV 2016, 346; v. 25.11.2015 – V R 66/14, BFH/NV 2016, 497. 64 BFH v. 12.8.2015 – XI R 16/14, BFH/NV 2016, 346. 65 BFH v. 25.11.2015 – V R 66/14, BFH/NV 2016, 497. 66 BFH v. 25.11.2015 – V R 66/14, BFH/NV 2016, 497.

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Managementbeteiligungen im Rahmen von M&A Transaktionen Inhaltsübersicht I. Konzepte der Managementbeteiligung 1. Motive für den Einsatz von Managementbeteiligungen 2. Typische Strukturen von Managementbeteiligungen a) Direktbeteiligung b) Beteiligung des Managements über eine MEP KG c) Einräumung einer Unterbeteiligung an einem Kapitalgesell­ schaftsanteil d) Einräumung virtueller Anteile II. Steuerliche Aspekte der Konzeption von Managementbeteiligungen am Beispiel der MEP KG 1. Zeitpunkt des Einstiegs 2. Haltephase und Ausstieg a) Indizien für das Vorliegen von ­Einkünften aus nicht selbstständiger Tätigkeit (§ 19 EStG)

b) Indizien für das Vorliegen von ­Kapitaleinkünften nach § 20 EStG bzw. Veräußerungsgewinnen nach § 17 EStG III. Steuerliche Risiken aus erworbenen ­Managementbeteiligungen im Rahmen von M&A Transaktionen IV. Absicherung steuerlicher Risiken aus Managementbeteiligungen im Rahmen von M&A Transaktionen a) Absicherung gegen identifizierte Risiken im Rahmen der laufenden Transaktion b) Absicherung gegen Risiken beim Aufsetzen neuer Managementbeteiligungen V. Aktuelle Entwicklungen: Potentielle ­Meldepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen VI. Fazit

I. Konzepte der Managementbeteiligung 1. Motive für den Einsatz von Managementbeteiligungen Im Rahmen von Unternehmenserwerben durch Private Equity Investoren wird den gesetzlichen Vertretern (Geschäftsführer bzw. Vorstand) und ggf. weiteren leitenden Mitarbeitern der Zielgesellschaft (zusammen nachfolgend als „Management“ bezeichnet) oftmals eine (mittelbare) Beteiligung an der Zielgesellschaft angeboten.1 Die Managementbeteiligung dient dazu, dass Management langfristig an das Unternehmen zu binden und an der Steigerung des Unternehmenswertes zu beteiligen.2 Denn neben der fixen und ggf. variablen Vergütung partizipiert das Management so an der weiteren positiven wie auch negativen Entwicklung des Unternehmens und 1 Vgl. Richter in Meyer-Sparenberg/Jäckle, Beck´sches M&A Handbuch, 1. Aufl. 2017, § 55 Rz. 8 ff. 2 Vgl. Rödding, DStR 2017, 437 (438).

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trägt, wie der Private Equity Investor, die wirtschaftlichen Chancen und Risiken aus der Beteiligung.3 Darüber hinaus soll das vorhandene Know-how des bisherigen Managements über die Transaktion hinaus weiterhin an die Zielgesellschaft gebunden werden. 2. Typische Strukturen von Managementbeteiligungen Managementbeteiligungen können auf Basis einer gesellschaftsrechtlichen oder schuldrechtlichen Beteiligung eingeräumt werden. Dabei bestehen vielfältige Möglichkeiten diese Managementbeteiligungen konkret auszugestalten, wie z.B. über Gesellschaftsanteile, Optionen, stille Beteiligungen, Treuhandverhältnisse, Unterbeteiligungen, virtuelle Anteile, virtuelle Optionen, partiarische Darlehen oder Genussrechte. Im Folgenden sollen vier mögliche Managementbeteiligungsmodelle kurz dargestellt werden: a) Direktbeteiligung Bei einer sog. Direktbeteiligung wird dem jeweiligen Manager eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung, meist in Form einer Beteiligung an der Zielgesellschaft über eine Holdinggesellschaft gegen entsprechende Einlage (Eigenkapitalbeteiligung) und ggf. Gewährung von Gesellschafterdarlehen eingeräumt.4 In einem Umfeld hoher Kaufpreise, steigt für das Management häufig das Verlustrisiko aus einer reinen Eigenkapitalbeteiligung. In letzter Zeit werden häufiger zusätzlich sog. Rachet-Vereinbarungen angeboten, nach denen der Manager ab einem gewissen Mindest-MoneyMultiple bzw. Mindest-IRR des Investors, von den über den Schwellen anfallenden Erlösen einen Zusatzbetrag erhält.5 Aus Sicht der Private Equity Investoren handelt es sich zwar um eine sehr einfach umzusetzende Struktur, die jedoch den Nachteil mit sich bringt, dass die Gesellschaftervereinbarung (das sog. „Shareholders Agreement“), in der festgelegt wird, welche Gesellschafterrechte dem einzelnen Manager in welcher Ausprägung zustehen und wie er über seine Anteile in Form von Mitverkaufsrechten und -pflichten verfügen kann (sog. „Tag-Along and Drag-Along Vereinbarungen“), mit jedem Manager einzeln verhandelt werden muss. Daneben stellt sich die Frage, was mit den vom Mana3 Vgl. Koch-Schulte, BB 2020, 1131 (1134); Mantke in Holzner/Mantke/Stenzel, Handbuch Managementbeteiligungen, 1.  Aufl. 2017, Rz.  1; Richter (Fn.  1), §  55 Rz.  17; von Braunschweig/Hohaus, Managementbeteiligungen in Private-Equity-Transaktionen, 1. Aufl. 2011, S. 12 ff. 4 Vgl. Richter (Fn. 1), § 55 Rz. 5; Stenzel in Holzner/Mantke/Stenzel, Handbuch Managementbeteiligungen, 1. Aufl. 2017, Rz. 375. 5 Vgl. Mackensen, in Eilers/Koffka/Mackensen/Paul, Private Equity, 3. Aufl. 2018, § VI Rz. 63, 69; solche Ratchets führen regelmäßig zu Diskussionen mit der Finanzverwaltung, ob steuerpflichtiger Lohn vorliegt.

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ger gehaltenen Anteilen passiert, wenn dieser vorzeitig aus dem Management ausscheidet (sog. „Leaver Event“) oder verstirbt. Bei Managern hingegen, ist diese Form der Beteiligung beliebt, da sie einen sehr direkten Zugriff auf die Anteile einräumt. b) Beteiligung des Managements über eine MEP KG Um den administrativen Aufwand beim Aufsetzen der Beteiligungsstruktur zu minimieren, wird der Kreis des zu beteiligenden Managements in der Praxis häufig über eine Personengesellschaft, z.B. in der Rechtsform einer steuerlich vermögensver­ waltenden GmbH & Co. KG (nachfolgend „MEP KG“; MEP steht dabei für Management Equity Participation bzw. Management Equity Program6) gebündelt, welche sodann an der Holdinggesellschaft beteiligt ist.7 Im Regelfall wird die MEP KG durch den Private Equity Fonds aufgesetzt, welcher ebenfalls den Komplementär und die sog. Warehouse GmbH stellt.8 Die zumeist geschäftsführende Warehouse GmbH hält die Anteile an der MEP KG, um nachfolgend die Anteile den zu beteiligenden Managern zu übertragen.9 Anders als bei der Direktbeteiligung genügt es nun, dass die Gesellschaftervereinbarung mit der MEP KG verhandelt wird. In dieser können dann die o.g. Leaver-Klauseln sowie die Mitveräußerungsrechte- und -pflichten geregelt werden.10 Im Ausscheidensfall oder dem Fall, dass ein Manager verstirbt, kann z.B. im Gesellschaftsvertrag der MEP KG festgelegt werden, dass die Warehouse GmbH ein Vorkaufsrecht auf die vom ausscheidenden Manager gehaltenen KG-Anteile hat.11 Aus steuerrechtlicher Sicht wird die MEP KG mit einem geschäftsführenden Kommanditisten errichtet, z.B. übernimmt die Warehouse GmbH oder (seltener) einer der Manager die Geschäftsführung, um die gewerbliche Prägung nach §  15 Abs.  3 Nr. 2 EStG zu vermeiden. Die Manager sind an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft beteiligt, weshalb dem Management die anteiligen Gesellschaftsanteile an der Holdinggesellschaft gem. § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO zuzurechnen sind. Daher ist aus steuerrechtlicher Sicht die Situation der unmittelbar gehaltenen Anteile an der Holdinggesellschaft mit den mittelbar über eine MEP KG gehaltenen Anteilen vergleichbar.12 Dennoch möchten sich Manager nicht immer über eine solche KG-Struktur beteiligen. Zum einen, da ihre Gesellschafterrechte in Bezug auf die gehaltenen Anteile meist stärker eingeschränkt sind, zum anderen, weil zusätzliche steuerliche Unsicherheiten im Zusammenhang mit einer mittelbaren Beteiligung bestehen können, soweit die über die MEP KG gehaltenen Anteile nicht eindeutig einem spezifischen Manager zugeordnet sind. 6 Vgl. Hohaus in Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, S.  208; Mihm, RdF 2020, 113 (117); Richter (Fn. 1), § 55 Rz. 7. 7 Vgl. Holzner in Holzner/Mantke/Stenzel, Handbuch Managementbeteiligungen, 1.  Aufl. 2017, Rz. 681 ff.; Koch-Schulte, BB 2020, 1131 (1134); Mackensen (Fn. 5), § VI Rz. 30; von Braunschweig/Hohaus (Fn. 3), S. 72. 8 Vgl. Mihm, RdF 2020, 113 (117). 9 Vgl. Mihm, RdF 2020, 113 (117). 10 Vgl. Mihm, RdF 2020, 113 (117). 11 Vgl. Rödding, DStR 2017, 437 (438). 12 Vgl. Mackensen (Fn. 5), § VI Rz. 31.

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c) Einräumung einer Unterbeteiligung an einem Kapitalgesellschaftsanteil Unterbeteiligungen sind Innengesellschaften die auf Basis eines Gesellschaftsvertrages zwischen dem Gesellschafter als Hauptbeteiligtem und den Managern als Unterbeteiligten begründet werden.13 Der Hauptbeteiligte bleibt zivilrechtlich alleiniger Eigentümer des Gesellschaftsanteils, wobei der Unterbeteiligte am Gewinn beteiligt wird, eine Beteiligung am Verlust jedoch nicht zwingend erforderlich ist.14 Wirtschaftlicher Zweck ist es, Gewinnchancen und ggfls. Verlustrisiken (in Höhe der Einlage) aus der Gesellschafterstellung in einer Hauptgesellschaft zu teilen.15 Gegenstand der Beteiligung ist eine Unterbeteiligung an den Anteilen der Holdinggesellschaft. Wird dem Unterbeteiligten lediglich eine Beteiligung am Gewinn zugesprochen, ohne an der Wertveränderung des Gesellschaftsanteils zu partizipieren und erhält der Unterbeteiligte mindestens seine Einlage zurück, liegt in der Regel eine typische Unterbeteiligung vor.16 Hieraus erzielt der Unterbeteiligte grundsätzlich Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Im Fall der atypischen Unterbeteiligung erhält der Manager das wirtschaftliche Eigentum am Kapitalgesellschaftsanteil. Er erhält als Anteilseigner (§ 20 Abs. 5 EStG) Einkünfte nach § 20 EStG oder § 17 EStG.17 Ein wirtschaftliches Eigentum des Unterbeteiligten Managers am Kapitalgesellschaftsanteil ist gegeben, wenn dieser aufgrund der im Unterbeteiligungsvertrag getroffenen Abreden alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte ausüben und im Konfliktfall auch effektiv durchsetzen kann.18 Sowohl aus Sicht der Private Equity Investoren als auch aus Sicht der Manager handelt es sich um eine komplexere Struktur der Managementbeteiligung. Aus Sicht der Private Equity Investoren ist zu bestimmen, an welchen Gesellschaftsanteilen dem Management eine Unterbeteiligung eingeräumt wird. Vor allem bei Co-Investments oder bei ausländischen Investoren (wie ist z.B. eine Unterbeteiligung zu behandeln, die eine luxemburgische Kapitalgesellschaft als Hauptbeteiligter einem Manager einräumt?) gestalten sich diese Strukturen häufig als problematisch. Eine Einräumung durch die Fondsgesellschaft selbst scheidet in der Regel aus, soweit es sich dabei um ein vermögensverwaltendes Vehikel handelt. Aus Sicht des Managers besteht kein oder nur ein limitierter Zugriff auf die Anteile, bei dem stets eine direkte Abstimmung mit dem Hauptbeteiligten erfolgen muss. Daher trifft man Unterbeteiligungen in der Praxis vergleichsweise seltener an.

13 Vgl. Blaurock, in Blaurock, Handbuch Stille Gesellschaft, 9. Aufl. 2020, Rz. 30.1. 14 Vgl. Blaurock (Fn. 13), Rz. 30.1. 15 Vgl. Blaurock (Fn. 13), Rz. 30.2. 16 Vgl. Holzner (Fn. 7), Rz. 954. 17 Vgl. Blaurock (Fn. 13), Rz. 31.54. 18 Vgl. BFH v. 18.5.2005 – VIII R 34/01, DStR 2005, 1849 (1852).

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d) Einräumung virtueller Anteile Virtuelle Anteile als Unterform der virtuellen Beteiligung beruhen auf rein schuldrechtlichen Vereinbarungen zwischen der Gesellschaft und dem Management, wodurch dem Management keine gesellschaftsrechtliche Stellung eingeräumt wird.19 Vielmehr wird die gesellschaftsrechtliche Beteiligung schuldrechtlich nachgebildet, sodass dem Manager oftmals ein Anteil am Gewinn bzw. am Exit-Erlös zugesprochen wird.20 Somit ist die virtuelle Beteiligung in Form virtueller Anteile auf eine am Anteilswert orientierte Barvergütung ausgerichtet.21 Soweit virtuelle Anteile ohne Kapitalinvestment des Managers gewährt werden, stellen die resultierenden Einkünfte stets Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit dar. Erfolgt die Gewährung virtueller Anteile auf Basis eines Kapitalinvestments des Managers, kann – bei entsprechender Ausgestaltung  – argumentiert werden, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt werden.22 Allerdings bedeutet das Vorliegen einer Kapitalbeteiligung nicht zwingend, dass aus steuerlicher Sicht Kapitaleinkünfte angenommen werden können. Vielmehr müssen weitere Indizien hinzutreten.23 Virtuelle Beteiligungen kommen in der Praxis häufig zum Einsatz, wenn seitens der Private Equity Investoren eine gesellschaftsrechtrechtliche Beteiligung und die damit verbundenen Einflussmöglichkeiten des Managements nicht gewollt sind oder auf Grund der Wertentwicklung nicht möglich sind. Für die Manager bieten virtuelle Anteile im Vergleich z.B. zu einer MEP KG die Möglichkeit individueller Ausgestaltungen, die auf die Interessen der einzelnen Manager zugeschnitten werden können. Für beide Seiten handelt es sich damit um ein flexibel ausgestaltbares Beteiligungsinstrument, das in der Praxis – gerade auch im Venture Capital Bereich – häufig eingesetzt wird.

II. Steuerliche Aspekte der Konzeption von Managementbeteiligungen am Beispiel der MEP KG Beim Aufsetzen einer MEP KG Struktur im Rahmen eines Unternehmenserwerbs sind steuerliche Aspekte in allen Phasen des Beteiligungsprogramms, nämlich (1) im Zeitpunkt des Einstiegs des Managers, (2) während der Haltephase und (3) im Zeitpunkt des Ausstiegs (Exit), zu beurteilen. 1. Zeitpunkt des Einstiegs Im Zeitpunkt des Einstiegs des Managements stellen sich aus steuerlicher Sicht insbesondere zwei Fragen: (1) die Frage nach der Finanzierung des Anteilserwerbs und (2) die Frage nach der Höhe des zu leistenden Betrages seitens des Managers. 19 Vgl. Mantke (Fn. 3), Rz. 14; Schrade/Denninger, DStR 2019, 2615 (2616). 20 Vgl. Stenzel (Fn. 4), Rz. 207 sowie Rz. 392. 21 Vgl. Arbter/Skowronek, BC 2014, 138 (138). 22 Vgl. Schrade/Denninger, DStR 2019, 2615 (2616). 23 Vgl. BFH v. 5.11.2013 – VIII R 20/11, DStR 2014, 258 (260).

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Bei Gesellschaftergeschäftsführern, die ihr Unternehmen an einen Private Equity Investor veräußern, erfolgt die Finanzierung der Managementbeteiligung häufig in Form einer sog. Rückbeteiligung. Hierzu bringt der beteiligte Manager zunächst seine Anteile in die Erwerbs- und sodann in die Holdinggesellschaft gegen Ausgabe neuer Anteile – soweit möglich – steuerneutral ein. Daran anschließend legt der Manager die erhaltenen Anteile an der Holdinggesellschaft als Sacheinlage in die MEP KG ein. Neben der Rückbeteiligung kann der Erwerb der Managementbeteiligung mit Zahlungsmitteln aus dem Privatvermögen bewirkt werden, vor allem wenn es sich um neue Manager handelt, oder wenn das Management bisher nicht am Unternehmen beteiligt war. In diesem Fall erwerben die Manager Anteile an der MEP KG von der Warehouse GmbH und damit mittelbar Anteile an der Holdinggesellschaft. Um Anreize für eine (Rück-)Beteiligung des Managements zu schaffen, können dem Management die Anteile zu einem Kaufpreis unterhalb des gemeinen Werts gewährt werden oder der Private Equity Investor leistet disproportionale Zahlungen in die bevorzugte Kapitalrücklage oder er erbringt zusätzlich Gesellschafterdarlehen, welche das Management nicht oder nicht in gleichem Umfang aufbringen muss (sog. „Sweet Equity“).24 Bei verbilligtem Erwerb durch das Management geht die Finanzverwaltung und Rechtsprechung regelmäßig von einem Veranlassungszusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis der Manager aus, wodurch dieser gewährte geldwerte Vorteil in Höhe der Differenz aus gemeinem Wert der Anteile und tatsächlich getätigten Anschaffungskosten lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn darstellt.25 Dabei ist der gemeine Wert  der Anteile vorrangig aus Verkäufen innerhalb des letzten Jahres abzuleiten, oder auf Basis der Vermögens- und Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen (§ 11 BewG).26 Da der Private Equity Investor häufig zeitnah vor oder nahezu zeitgleich mit dem Management einsteigt, sollte der Erwerbspreis des Private Equity Investors als Vergleichsmaßstab herangezogen werden können. Anders gestaltet sich dies bei neu hinzutretenden Managern, die manchmal erst einige Monate nach dem Private Equity Investor die Anteile erwerben. Hier stellt sich in der Praxis häufig die Frage, in welchem Zeitfenster man sich bei den Anschaffungskosten des neu hinzukommenden Managers noch am Kaufpreis des Private Equity Investors orientieren kann. Inwieweit den Managern ein geldwerter Vorteil gewährt wird und somit Arbeitslohn zufließt, wenn der Private Equity Investor disproportionale Zahlungen in die bevorzugte Kapitalrücklage leistet bzw. Kapitalinstrumente disproportional zeichnet, ist 24 Vgl. von Braunschweig/Hohaus (Fn. 3), S. 60 sowie Bloß, GmbHR 2016, 104 (109). 25 Vgl. BFH v. 4.10.2016 – IX R 43/15, DStR 2017, 247 (250), Rz. 26; BFH v. 15.3.2018 – VI R 8/16, DStRE 2018, 900 (901), Rz. 27; FG Baden-Württemberg v. 9.5.2017 – 5 K 3825/14, DStRE 2018, 1092 (1094); FG Düsseldorf v. 6.3.2018 – 9 K 298/15E, BeckRS 2018, 87953 (87953), Rz. 15. 26 Vgl. BFH v. 15.3.2018 (Fn. 25), 900 (902).

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abhängig von der konkreten Ausgestaltung der Beteiligung. Die Zahlung in die bevorzugte Kapitalrücklage ist meist Bestandteil der Ausgestaltung von Vorzugs­ geschäftsanteilen, die eine Erlöspräferenz gewähren.27 Eine solche disproportionale Zuzahlung in die Kapitalrücklage durch den Private Equity Investor sollte dem ­Management keinen geldwerten Vorteil gewähren, da dem Manager kein Wert bzw. Vermögensvorteil aus der Zuzahlung zuwächst.28 Gleiches sollte auch für die disproportionale Gewährung von Gesellschafterdarlehen seitens des Private Equity Investoren gelten.29 Der 8. Senat des FG Baden-Württemberg hat in seinem Urteil vom 26.6.2017 jedoch bei der Beteiligung eines selbständigen Beraters eine abweichende Auffassung vertreten.30 Das Urteil ist derzeit noch beim BFH unter VIII R 21/17 anhängig. Disproportionale Zuzahlungen einzelner Gesellschafter führen darüber hinaus zu keinem Anwendungsfall des § 7 Abs. 8 ErbStG, soweit der Leistende als Gegenleistung hierfür zusätzliche Rechte in der Gesellschaft erlangt. Hierunter fällt auch eine mit den Vorzugsgeschäftsanteilen des Private Equity Investors in der Regel verbundene Erlöspräferenz.31 Als weitere Möglichkeit ein Investment des Managements zu erleichtern, kann der Arbeitgeber oder der Private Equity Investor dem Manager ein Darlehen zur Finanzierung des Anteilserwerbs gewähren. Ein solches Darlehen muss fremdüblich ausgestattet sein und der Manager muss auch bei Darlehensgewährung weiterhin das Verlustrisiko aus der Beteiligung tragen. Andernfalls drohen Diskussionen über einen geldwerten Vorteil in Höhe des Zinsvorteils, über die Anerkennung des Darlehensverhältnisses oder gar über den Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums an der Beteiligung.32 33 Abschließend soll noch darauf hingewiesen werden, dass sich beim Aufsetzen einer MEP KG ein sog. Tracking der jeweiligen Gesellschaftsanteile in der MEP KG – insbesondere in Bezug auf die oben beschriebene Rückbeteiligung – als vorteilhaft erweisen kann. Über das Tracking wird sichergestellt, dass bestimmte Anteile an der 27 Vgl. Schulze-Osterloh, BB 2018, 427 (430). 28 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 9.5.2017 (Fn. 25), 1092 (1095); andere Auffassung: FG Baden-Württemberg v. 26.6.2017 − 8 K 4018/14, DStRE 2019, 5 (9). 29 Vgl. Holzner (Fn. 7), Rz. 734 f.; von Braunschweig/Hohaus (Fn. 3), S. 60 f. 30 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 26.6.2017 (Fn. 28), 5 (9). 31 Vgl. Gleichlautender Ländererlass v. 20.4.2018, BStBl. I 2018, 632, Rz. 3.3.5. 32 Vgl. Holzner (Fn.  7), Rz.  737; BFH v. 3.7.2019 (NV) − VI R 12/16; BeckRS 2019, 29319 (29319): dort wurde eine verzinslich gestundete Zahlungsverpflichtung des Arbeitnehmers als reines, zukünftiges Zahlungsversprechen nicht als Vereinbarung über eine Unterbetei­ ligung an einem Geschäftsanteil anerkannt und damit ein später erfolgte Beteiligung des Arbeitnehmers am Veräußerungslohn als Arbeitslohn gewertet; sowie BMF, Schr. v. 19.5.2015, BStBl. I 2015, 484, Rz. 3 f.; BFH v. 4.5.2006 – VI R 28/05, NZA-RR 2006, 589 (590). 33 Das Private Equity Haus muss prüfen, ob eine solche Darlehensgewährung nach dem Fondsvertag, aber auch rechtlich überhaupt möglich ist (z.B. auf Grund §  285 Abs.  2 KAGB).

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Holdinggesellschaft einem bestimmten Manager als Gesellschafter der MEP KG im Rahmen des Gesellschaftsvertrages der MEP KG eindeutig steuerlich zugerechnet werden (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 AO). Hierzu werden die von jedem Manager eingebrachten Anteile an der Holdinggesellschaft als sog. Pflichteinlage auf dem Kapitalkonto II der MEP KG gebucht. Das Kapitalkonto II jedes Managers reflektiert damit seine ihm zugeordneten Anteile an der Holdinggesellschaft. Idealerweise handelt es sich bei den Anteilen an der Holdinggesellschaft um nummerierte und damit um eindeutig identifizierbare Anteile. Bei der oben beschriebenen Rückbeteiligung der Manager soll damit bezüglich der Einlage der Anteile an der Holdinggesellschaft in die MEP KG, das Risiko minimiert werden, dass die Finanzverwaltung darin eine (anteilige) steuerpflichtige Veräußerung der Anteile an der Holdinggesellschaft sehen könnte.34 Aber auch bei späteren Übertragungen zwischen bestimmten Managern und der Warehouse GmbH kann das Tracking helfen, steuerliche Risiken für die anderen nicht-übertragenden Manager der MEP KG zu reduzieren. 2. Haltephase und Ausstieg In der Regel werden laufende Gewinne der Holdinggesellschaft (soweit solche auf Ebene der Holding überhaupt anfallen) thesauriert. Als Folge daraus fließen dem Management während der Haltephase (Zeitraum des geplanten Investments) in den meisten Fällen keine laufenden Einkünfte in Form von Gewinnausschüttungen zu. Sollten ausnahmsweise doch laufende Einkünfte zufließen, können die erzielten Einkünfte in Abhängigkeit von der konkreten Ausgestaltung der Managementbetei­ ligung als begünstigt besteuerte Einkünfte aus Kapitalvermögen, die dem Abgeltungssteuersatz von 26,375% unterliegen, zu qualifizieren sein.35 Damit teilen die laufenden Einkünfte während der Haltephase grundsätzlich das Schicksal der ExitErlöse. Da nicht zugleich Arbeitslohn und Kapitaleinkünfte vorliegen können, kommt es für die steuerliche Beurteilung einer Managementbeteiligung in Form einer Beteiligung der Manager an einer MEP KG und der Annahme von Einkünften aus Kapitalvermögen entscheidend darauf an, ob von einer Kapitalanlage des Managers (in Abgrenzung zu seinem Dienstverhältnis) ausgegangen werden kann und der Manager das rechtliche und wirtschaftliche Eigentum an den mittelbar gehaltenen Anteilen inne hat.36 Kriterien zur Abgrenzung der im Hinblick auf die in der Haltephase und beim Exit realisierten Einkünfte aus einer Managementbeteiligung wurden durch die Rechtsprechung über die Jahre herausgearbeitet. Maßgelblich ist dabei immer eine Gesamtschau und Würdigung aller einschlägigen Sachverhaltsumstände der konkreten Beteiligungsstruktur.37 34 Vgl. BFH v. 6.10.2004 – IX R 68/01, DStRE 2005, 49 (50). 35 Vgl. Rödding, DStR 2017, 437 (438). 36 Vgl. Hohaus (Fn. 6), S. 227. 37 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 26.2.2020  – 2 K 1774/17, BeckRS 2020, 15959 (15959) Rz. 98; BFH v. 4.10.2016 (Fn. 25), 247 (249), Rz. 15 sowie BFH v. 3.7.2019 (NV) (Fn. 32), 29319 (29319) Rz. 25.

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a) Indizien für das Vorliegen von Einkünften aus nicht selbstständiger Tätigkeit (§ 19 EStG) Für die Annahme von Einkünften aus nicht selbstständiger Tätigkeit spricht, wenn ein konkreter Veranlassungszusammenhang zwischen den Einkünften und dem Arbeitsverhältnis besteht und der Vorteil für die Zurverfügungstellung der eigenen Arbeitskraft gewährt wird.38 Dabei führt die Tatsache alleine, dass die Managementbeteiligung nur einem Teil der Arbeitnehmer zum Erwerb angeboten wird und ein Arbeitnehmer die Anteile am Arbeitgeber veräußert, nicht zu Arbeitslohn.39 Ebenso unschädlich sei das reine Bestehen sog. „Leaver-Klauseln“.40 In den Leaver-Klauseln wird festgelegt, zu welchen Konditionen ein frühzeitig ausscheidender Manager seine Anteile übertragen muss. Dabei unterscheiden sich die Konditionen grundsätzlich in Ab­ hängigkeit vom Ausscheidungsgrund. Danach erhält der sog.“Good Leaver“, der unverschuldet ausscheidet, in der Regel das Höhere aus Einstiegskosten und Marktpreis, während der sog. „Bad Leaver“, der aufgrund eigenen Verhaltens ausscheidet, typischerweise das Niedrigere aus Einstiegskosten und Marktpreis erhält.41 Dazu führt das FG Baden-Württemberg aus, dass Leaver-Klauseln, welche die Höhe des Veräußerungspreises abhängig von dem Ausscheidensgrund des ­Managers festlegen, auf das Verhalten des jeweiligen Mangers in seiner Person als Arbeitnehmer abzielen und somit ein gewisser Veranlassungszusammenhang nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann.42 Wobei auf der anderen Seite im Rahmen der Rechtsprechung auch die Auffassung vertreten wird, dass eine LeaverKlausel, welche im ungünstigsten Fall die Rückzahlung der Einlage und einer ­Verzinsung vorsieht, als fremdüblich zu erachten wäre und daher kein Veranlassungszusammenhang zum Arbeitsverhältnis bestehe.43 Die reine Möglichkeit einen späteren Veräußerungsgewinn zu erzielen, ist für sich genommen nicht stark genug um per se einen Veranlassungszusammenhang zum Arbeitsverhältnis zu begründen, da diese Chance jeder Kapitalbeteiligung innewohnt.44 Als Indiz für das Vorliegen von Arbeitslohn muss dem Management zusätzlich ein spezieller Vorteil gewährt werden, welcher z.B. in einer erhöhten Rendite oder einem marktunüblichen Veräußerungserlös bestehen kann und einem

38 Vgl. BFH v. 17.6.2009 – VI R 69/06, DStR 2009, 2092 (2093); BFH v. 4.10.2016 (Fn. 25), 247 (249); BFH v. 3.7.2019 (NV) (Fn. 32), 29319 (29319) Rz. 23. 39 Vgl. BFH v. 17.6.2009 (Fn. 38), 2092 (2094). 40 Vgl. BFH v. 4.10.2016 (Fn. 25), 247 (247); (abweichend: BFH v. 5.11.13 (Fn. 23), 258 (260)), FG Köln v. 20.5.2015 – 3 K 3253/11, DStRE 2016, 209 (213) sowie BFH v. 17.6.2009 (Fn. 38), 2092 (2094). 41 Vgl. Rödding, DStR 2017, 437 (438). 42 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 9.5.2017 (Fn. 25), 1092 (1094). Im entschiedenen Fall war die Leaver-Regelung das einzige Indiz für die Annahme von Arbeitslohn, sodass unter Gesamtwürdigung aller Umstände das FG das Vorliegen von Arbeitslohn verneinte. 43 Vgl. BFH v. 4.10.2016 (Fn. 25), 247 (249) sowie FG Köln v. 20.5.2015 (Fn. 40), 209 (213). 44 Vgl. BFH v. 4.10.2016 (Fn. 25), 247 (250) sowie BFH v. 17.6.2009 (Fn. 38), 2092 (2094).

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fremden Dritten so nicht gewährt worden wäre.45 Wobei zur Beurteilung, ob der Veräußerungserlös unüblich hoch war, keine ex post Betrachtung vorgenommen werden darf.46 Denn hat der Manager ausschließlich reguläre Anteile und der Private Equity Investor daneben Vorzugsanteile erworben, darf der Vergleich der Verzinsung im Zeitpunkt der Veräußerung nicht über die verschiedenen Anteilsarten hinweg erfolgen, da im Falle einer weniger positiven Geschäftsentwicklung, die Rendite für den Investor über die Vorzugsanteile vorteilhafter hätte ausfallen ­können.47 Die Tatsache, dass die Managementbeteiligung eventuell zu einem Vorzugspreis erworben wurde, hat ebenfalls keine Indizwirkung darauf, ob der aus der Veräußerung der Anteile erzielte Exit-Erlös seine Grundlage im Beschäftigungsverhältnis hatte,48 sondern ist nach Würdigung und Gewichtung aller Umstände des konkreten Einzelfalls getrennt davon zu entscheiden.49 Mitveräußerungsrechte und -pflichten des Managements, wie man sie in der Regel in klassischen MEP KG Strukturen findet, seien hingegen nicht als Indiz für Arbeitslohn zu werten, da es sich hierbei in der Regel um reguläre gesellschaftsvertragliche Regelungen handele.50 Bestimmungen, die Rechte des Managers im Verhältnis zum Mehrheitseigentümer einschränken oder die dingliche Vinkulierung der Gesellschaftsanteile, sind für sich ebenfalls kein Indiz für das Vorliegen von Arbeitslohn.51 b) Indizien für das Vorliegen von Kapitaleinkünften nach § 20 EStG bzw. Veräußerungsgewinnen nach § 17 EStG Für die Annahme von Kapitaleinkünften bzw. Veräußerungsgewinnen im Sinne des § 17 EStG spricht hingegen, wenn die Vergütungen auf einer Sonderrechtsbeziehung beruhen, welche neben dem Arbeitsverhältnis und losgelöst von diesem besteht,52 kein arbeitsvertraglicher Anspruch auf den Erwerb der Managementbeteiligung vereinbart ist53 oder kein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Bestehen des Arbeitsverhältnisses und dem Erwerb der Managementbeteiligung aufzuweisen ist.54

45 Vgl. FG Köln v. 20.5.2015 (Fn. 40), 209 (213). 46 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 9.5.2017 (Fn. 25), 1092 (1095). 47 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 9.5.2017 (Fn. 25), 1092 (1095). 48 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 26.2.2020 (Fn. 37), 15959 (15959) Rz. 116 sowie BFH v. 17.6.2009 (Fn. 38), 2092 (2094). 49 Vgl. BFH v. 1.9.2016 – VI R 67/14, DStR 2016, 2638 (2640). 50 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 9.5.2017 (Fn. 25), 1092 (1095). 51 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 9.5.2017 (Fn. 25), 1092 (1095). 52 Vgl. BFH v. 17.6.2009 (Fn. 38), 2092 (2093); BFH v. 4.10.2006 (Fn. 25), 247 (249). 53 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 9.5.2017 (Fn. 25), 1092 (1095). 54 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 9.5.2017 (Fn. 25), 1092 (1095); FG Düsseldorf v. 9.10.2018 – 13 K 1257/17E, BeckRS 2018, 43160, (43160) Rz. 42, derzeit anhängig beim BFH – VIII R 40/18.

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Darüber hinaus sind wichtige Indizien für das Vorliegen von Einkünften i.S.d. §§ 20, 17 ESG die Übertragung des zivilrechtlichen Eigentums an den Anteilen, der Erwerb mit Eigenmitteln des Managers sowie das Innehaben der wirtschaftlichen Chancen und Risiken aus der Beteiligung und damit das Vorliegen des wirtschaftlichen Eigentums an den Anteilen.55 Dabei geht es sowohl um das Innehaben von Gewinnbezugsrechten als auch um die Einräumung wichtiger Kern-Gesellschafterrechte56 Ein weiteres starkes Indiz für das Vorliegen einer „echten“ Beteiligung ist die Behaftung des Investments der Manager mit dem vollen Verlustrisiko.57 Bei einer Beteiligung eines Managers im Rahmen eine MEP KG Struktur, fließen dem Manager in der Haltephase und beim Ausstieg Einnahmen aus einer eigenständigen Kapitalanlage zu, die als eine vom Dienstverhältnis losgelöste Erwerbsgrundlage gewertet werden kann. Die resultierenden Einnahmen können damit grundsätzlich als Einkünfte aus Kapitalvermögen qualifizieren. Nur wenn im Rahmen der konkreten Ausgestaltung der Gesellschaftervereinbarung und/oder des Gesellschaftsvertrages der MEP KG weitere Umstände hinzutreten oder dem Manager zusätzlich ein nicht fremdüblicher Vorteil zugewandt wird, kann es im Einzelfall zur (teilweisen) Umqualifizierung von Einkünften in Arbeitslohn kommen.58 Auch wenn sich die Rechtsprechung in letzter Zeit leicht positiv im Hinblick auf die Anerkennung von Kapitaleinkünften aus MEP KG Strukturen entwickelt hat, werden Managementbeteiligungen in Betriebsprüfungen weiterhin aufgegriffen. Es bleibt wichtig, beim Aufsetzen der konkreten MEP-Struktur gute Argumente und ausreichend Indizien gegen das Vorliegen von Arbeitslohn zu schaffen.

III. Steuerliche Risiken aus erworbenen Managementbeteiligungen im Rahmen von M&A Transaktionen Häufig kommt es im Rahmen von M&A Transaktionen vor, dass ein Unternehmen erworben wird, an dessen Anteilen bereits eine sog. Managementbeteiligung besteht. Im Rahmen der steuerlichen Due Diligence Prüfung werden  – aufgrund des oben dargestellten Spannungsfeldes und den nicht immer einfach abzugrenzenden Einkünften – häufig mögliche Risiken aus bestehenden Managementbeteiligungen identifiziert. Dabei geht es meist um das Risiko, dass die Finanzverwaltung einen bestimmten Teil oder alle Einkünfte des Managers aus der Managementbeteiligung von Einkünften 55 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 9.5.2017 (Fn. 25), 1092 (1095). 56 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 26.2.2020 (Fn. 37), 15959 (15959) Rz. 126. 57 Vgl. FG Baden-Württemberg v. 26.2.2020 (Fn. 37), 15959 (15959) Rz. 128. 58 Vgl. Schrade/Denninger, DStR 2019, 2615 (2617) sowie Frey/Schmid, DStR 2015, 1094 (1096).

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aus Kapitalvermögen nach § 20 EStG bzw. Veräußerungsgewinnen nach § 17 EStG in Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit i.S.d. §  19 EStG umqualifizieren könnte oder dass die Finanzverwaltung im Zeitpunkt des Einstiegs59 des Managers einen lohnsteuerpflichtigen geldwerten Vorteil argumentieren könnte. In der Regel hat das Unternehmen als Arbeitgeber des Managers historisch keine Lohnsteuer einbehalten, da es von Einkünften aus Kapitalvermögen ausging bzw. keinen geldwerten Vorteil annahm. Als Arbeitgeber haftet das Unternehmen jedoch gesamtschuldnerisch mit dem jeweiligen Manager für die nicht einbehaltene Lohnsteuer (§  42d  Abs.  1  Nr.  1 EStG, §  42d  Abs.  3  S.  1 u. S.  4  Nr.  1  EStG i.V.m. § 38 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und § 38 Abs. 3 S. 1 EStG). Darüber hinaus haftet das Unternehmen für die Sozialversicherungsbeiträge, wobei in der Regel die Beitragsbemessungsgrenze bereits mit dem laufenden Gehalt des Managers überschritten ist und damit keine zusätzlichen Beiträge anfallen sollten (§ 28e Abs. 1 S. 1 SGB IV). Die gesamtschuldnerische Haftung für die Lohnsteuer gilt für den Arbeitgeber grundsätzlich auch für Lohn von Dritter Seite (§ 38 Abs. 1 S. 3 EStG). Um diese Haftung zu minimieren, hat der Arbeitgeber eine Anzeige gem. § 38 Abs. 4 S. 3 und 4 EStG zu stellen, sofern der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den entsprechenden Fehlbetrag nicht zur Verfügung stellt und der geleistete Arbeitslohn des Arbeitgebers nicht zur Deckung ausreicht. Bei der Quantifizierung des tatsächlichen steuerlichen Risikos ist zu prüfen, inwieweit der Arbeitslohn und abgeführte Lohnsteuern als steuerlich abzugsfähige Betriebsausgaben geltend gemacht werden können und so als gegenläufiger Effekt zu berücksichtigen sind.

IV. Absicherung steuerlicher Risiken aus Managementbeteiligungen im Rahmen von M&A Transaktionen a) Absicherung gegen identifizierte Risiken im Rahmen der laufenden Transaktion Zur Absicherung identifizierter steuerlicher Risiken innerhalb von M&A Transaktionen bestehen grundsätzlich drei wesentliche Möglichkeiten: (1) die Vereinbarung von Steuerfreistellungen und Steuergarantien innerhalb des Anteilskaufvertrags, (2) der Abschluss von käufer- oder verkäuferseitigen Warranty & Indemnity Versicherungen (sog. „W&I Versicherungen“) oder (3) ein direkter Kaufpreisabzug. Oben beschriebene Risiken in Zusammenhang mit bestehenden Managementbeteiligungen, werden klassischerweise über Steuerfreistellungen im Anteilskaufvertrag abgesichert, sodass der Erwerber von möglichen historischen Risiken, die nach dem wirtschaftlichen Übergang festgesetzt werden, vom Veräußerer freigestellt wird. Zusätzlich können die Interessen des Käufers durch Steuergarantien des Verkäufers in59 Vgl. Bloß, GmbHR 2016, 104 (107).

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Managementbeteiligungen im Rahmen von M&A Transaktionen

nerhalb des Anteilskaufvertrags abgesichert werden. Allerdings lassen sich Steuerfreistellungen und Steuergarantien im aktuell sehr verkäuferfreundlichen Markt immer schwieriger durchsetzen. W&I-Versicherungen schließen entsprechende Risiken häufig in Form eines Haftungsausschlusses aus ihren Policen aus bzw. übernehmen steuerliche Risiken, die bereits im Rahmen einer Tax Due Diligence identifiziert wurden und denen ein bestimmtes erhöhtes Risikoprofil zugeordnet wurde, nicht. Hier kann der Abschluss einer erweiterten Haftung der W&I-Versicherung (sog. „­Affirmative Coverage“) für steuerliche Risiken helfen. Dies führt jedoch auch zu höheren Kosten für die Versicherungspolice. Für einen direkten Kaufpreisabzug liegen häufig im Rahmen des Due Diligence Prozesses zu wenige Informationen vor, um das entsprechende Risiko ausreichend zu quantifizieren, so dass vor allem in sog. Bieterverfahren in der Regel kein Kaufpreisabzug vorgenommen wird. b) Absicherung gegen Risiken beim Aufsetzen neuer Managementbeteiligungen Im angelsächsischen Raum ist der Abschluss von Versicherungspolicen zur speziellen Absicherung von lohnsteuerlichen Risiken aus Managementbeteiligungen bereits möglich. Abgesichert wird dabei die zusätzliche Steuerlast, die sich aus einer Umqualifizierung der Einkünfte als Einkünfte aus nicht-selbständiger Tätigkeit statt als Kapitaleinkünfte ergibt sowie zusätzliche Verteidigungskosten. In Deutschland hat sich das Konzept noch nicht etabliert. In Zukunft könnte jedoch der Abschluss von Versicherungspolicen, welche das o.g. lohnsteuerliche Risiko aus Managementbeteiligungen übernehmen sollen, auch in Deutschland üblicher werden. Um potenzielle Haftungsrisiken aus Lohn von Dritter Seite zu minimieren, sollten die Manager eine Verpflichtungserklärung unterzeichnen, nachdem sie den Arbeitgeber freistellen.

V. Aktuelle Entwicklungen: Potentielle Meldepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen Die Richtlinie 2018/822/EU des Rates der Europäischen Union vom 25. Mai 2018 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über mitteilungspflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen (sog. „DAC 6“) wurde durch Einführung der §§ 138d – 138k AO zum 1. Juli 2020 in nationales Recht umgesetzt. Hiernach sind grenzüberschreitende Steuergestaltungen zu melden, welche ein Kennzeichen (sog. „Hallmark“) des § 138e Abs. 1 AO aufweisen und deren Hauptvorteil die Erlangung eines steuerlichen Vorteils ist (sog. „Main-Benefit-Test“) oder welche alternativ ein Kennzeichen des § 138e Abs. 2 AO aufweisen. In diesem Fall bedarf es keines Main-Benefit-Tests. In Bezug auf die Strukturierung von Managementbeteiligungen in Form einer MEP KG oder in Form einer ausländischen Personengesellschaft (z.B. in Form einer luxemburgischen SCSp) könnte als meldepflichtige Steuergestaltung qualifizieren. Das 545

Corina Hackbarth/Bettina Gerner

Merkmal der grenzüberschreitenden Steuergestaltung im Sinne des §  138d  Abs.  2 AO könnte dabei erfüllt sein durch Einbezug (i) einer ausländischen Holdinggesellschaft an der die MEP KG beteiligt ist, (ii) einer ausländischen MEP Personengesellschaft, die an einer deutschen Holdinggesellschaft beteiligt ist oder (iii) eines ausländischen Managers, welcher an einer deutschen MEP KG beteiligt ist. Im Hinblick auf möglicherweise anzuwendende Hallmarks könnte seitens der Finanzverwaltung vertreten werden, dass eine standardisierte Dokumentation i.S.d. § 138e Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 AO durch nicht im entscheidenden Umfang angepasste KGVerträge und Gesellschaftervereinbarungen vorliegt.60 Hier ist aber einzuwenden, dass diese Art von Vereinbarungen häufig eine bedeutende Individualisierung aufweisen. Die MEP KG und insbesondere die in der Regel vorzufindende „Entprägung“ der MEP KG führt unseres Erachtens nicht zu einer standardisierten Struktur i.S.d. §  138e Abs.  1 Nr.  2 Alt. 2 AO, denn die Errichtung einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft wird zu Recht auch schon nicht als Steuergestaltung im Sinne von §  138d AO, sondern lediglich als Wahl einer üblichen Rechtsform angesehen. Eine Umwandlung von Einkünften in niedriger besteuerte Einkünfte im Sinne von § 138e Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b) AO sollte nicht vorliegen, da mit der Beteiligung ein anderer Rechtsgrund für die Zahlung als das Arbeitsverhältnis vorliegt und nicht innerhalb der Struktur eine Umwandlung stattfindet.61 Unabhängig von der Bejahung der oben aufgeführten Hallmarks – über die in der Praxis aktuell umfangreich diskutiert wird – muss bei allen diesen Hallmarks zusätzlich der Main Benefit-Test erfüllt sein, damit auch eine meldepflichtige Steuergestaltung vorliegt. Grundsätzlich sollte durch den Einsatz einer MEP KG oder eines entsprechenden ausländischen Vehikels kein steuerlicher Vorteil erlangt werden, der als Hauptvorteil der Gestaltung zu sehen ist, da die MEP KG oder ein entsprechendes ausländisches Vehikel rein der Bündelung des Managements dient und die Beteiligung an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft durch die Bruchteilsbetrachtung steuerlich identisch zur direkten Beteiligung des Managements an der Holdinggesellschaft zu sehen ist. Anders ausgedrückt, der Einsatz einer MEP KG führt nicht zu einer (Um-) Qualifizierung von Einkünften in Kapitaleinkünfte. Im Ergebnis sollte daher in der Regel durch den Einsatz einer MEP KG oder eines entsprechenden ausländischen Vehikels keine meldepflichtige Steuergestaltung anzunehmen sein.

VI. Fazit Um das Management zu incentivieren, gibt es verschiedene Möglichkeiten und Formen diesem eine Managementbeteiligung zu gewähren. Im Zusammenhang mit den einzelnen Beteiligungsphasen sind dabei unterschiedliche steuerliche Aspekte zu be60 Vgl. Bindl/Stadler, RdF 2019, 33 (39). 61 Vgl. Bindl/Stadler, RdF 2019, 33 (39).

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Managementbeteiligungen im Rahmen von M&A Transaktionen

achten, die je nach konkreter Ausgestaltung der gewählten Struktur variieren können. Trotz einer positiven Entwicklung der Rechtsprechung greift die Finanzverwaltung nach wie vor Managementbeteiligungen im Rahmen von steuerlichen Betriebsprüfungen an. In der Praxis verbleibt daher eine gewisse Unsicherheit inwieweit die ­angenommenen Kapitaleinkünfte im Rahmen einer zukünftigen Betriebsprüfung verteidigt werden können. Dabei sind alle einschlägigen Sachverhaltsumstände der konkreten Beteiligungsstruktur im Rahmen einer Gesamtschau zu würdigen. Erhöhter steuerlicher Beratungsbedarf im Rahmen von M&A Transaktionen besteht sowohl beim Aufsetzen und der konkreten Strukturierung der Managementbeteiligung als auch bei der Identifikation und Absicherung der steuerlichen Risiken aus bestehenden Managementbeteiligungen im Rahmen von Unternehmenserwerben. Eine Meldepflicht unter der neuen DAC 6-Gesetzgebung für grenzüberschreitende Managementbeteiligungen in Form der gängigen MEP KGs sollte nicht bestehen.

Corina Hackbarth Steuerberaterin, Diplom-Kauffrau Assoziierte Partnerin

Bettina Gerner Steuerberaterin, Master of Arts

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Maria Huxol

Ermittlung gemeiner Anteilswerte von Start-up ­Unternehmen unter Berücksichtigung steuerlicher ­Wertermittlungsgrundsätze Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Start-up Unternehmen und ihre ­Besonderheiten III. Grundlagen der steuerlichen Wert­ ermittlung IV. Ableitung gemeiner Anteilswerte aus Verkäufen unter fremden Dritten 1. Besonderheiten von Start-up Unter­ nehmen 2. Abbildung der Werteffekte von ­Liquidationspräferenzen

V. Ableitung des Unternehmenswertes ­unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode 1. Ableitung des Unternehmenswertes 2. Aufteilung des Unternehmenswertes auf die Anteilsklassen VI. Zusammenfassung

I. Einleitung Die neuen Geschäftsmodelle und alternativen Ansätze der Geschäftsführung von Start-up Unternehmen standen in den vergangenen Jahren wiederholt im Fokus der Öffentlichkeit. Gleiches gilt für ihre Unternehmenswerte, sobald die aus den Finanzierungsrunden mit Investoren hochgerechneten Unternehmenswerte die Milliarden-Grenze übersteigen. Start-up Unternehmen mit einer Milliarden-Bewertung werden „Unicorns“,1 Einhörner, genannt. Die aus Finanzierungsrunden pro rata hochgerechneten Bewertungen können dabei durchaus die Kapitalmarktbewertungen lang etablierter Unternehmen übersteigen.2 Hier kann die „vorsichtige“ Frage aufgeworfen werden, ob Unternehmenswerte in dieser Höhe für junge Unternehmen, die nur in seltenen Fällen bereits Gewinne erzielen, gerechtfertigt sein können. Im steuerlichen Umfeld stellt sich die Frage nach dem Unternehmenswert von Startups immer dann, wenn für steuerliche Anlässe der gemeine Wert der Unternehmen selbst oder der Gesellschaftsanteile daran ermittelt werden muss. Typische steuerliche Anlässe, zu denen eine solche Bewertung vorzunehmen ist, sind die Wegzugsbe1 Vgl. Gornall/Strebulaev, Squaring Venture Capital Valuations with Reality, 2017, (2). 2 So wurde das Fintech N26 nach eigenen Angaben im Januar 2019 von Investoren mit 2,3 Mrd. Euro bewertet. Die Marktkapitalisierung der Deutschen Bank lag in diesem Zeitraum bspw. bei 13 Mrd. Euro, die der Commerzbank bei 6,7 Mrd. Euro und die der comdirekt Bank AG bei rd. 1,5 Mrd. Euro. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung Online v. 10.1.2019, https://www.faz.net/-ikh-9ij9i, abgerufen am 10.1.2019 und Refinitiv Eikon.

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steuerung von Gesellschaftern, Einbringungen von Gesellschaftsanteilen an Start-up Unternehmen bspw. aus dem Privatvermögen der Gründer in eine von ihnen ge­ haltene Beteiligungskapitalgesellschaft oder im Rahmen eines sog. US flip,3 um das Unternehmen für US-amerikanische Investoren attraktiv zu machen, sowie erbschaft- und schenkungssteuerliche Anlässe. Durch die hohe Relevanz der Wertermittlung für die Besteuerung ist es dabei umso wichtiger, die Besonderheiten von Start-up Unternehmen in der Bewertung zutreffend abzubilden. In diesem Beitrag wird erörtert, wie die Wertermittlung von Start-ups im steuerlichen Umfeld erfolgen kann, damit diese zu angemessenen Anteilswerten führt, die mit den steuerlichen Wertkonzepten übereinstimmen. Der Beitrag beschränkt sich auf die Ermittlung von Anteilswerten. Die Unternehmensbewertung von Start-ups stellt einen eigenständig zu behandelnden Problemkreis dar. Ein besonderer Fokus liegt auf den sog. Liquidationspräferenzen, einer üblichen Gestaltung der Gewinnund Erlösverteilung bei Venture Capital Finanzierungen, die im steuerrechtlichen Diskurs bislang wenig Aufmerksamkeit erfahren haben.4 Zunächst werden Start-up Unternehmen und ihre Besonderheiten vorgestellt. Im Anschluss werden die Grundzüge der steuerlichen Wertermittlung dargestellt. Anhand des zweischrittigen steuerlichen Wertermittlungsverfahrens für nicht notierte Anteile an Kapitalgesellschaften wird sodann erläutert, wie die Ermittlung gemeiner Anteilswerte an Start-up Unternehmen gelingen kann.

II. Start-up Unternehmen und ihre Besonderheiten Start-ups5 sind junge Unternehmen, deren Ziel die Umsetzung einer innovativen Geschäftsidee ist. Die Gründung erfolgt häufig mit nur geringem Startkapital, so dass meist früh, teilweise bereits zur Finanzierung der Produktentwicklung, zusätzliche Finanzierung von Venture Capital oder Seed Capital Gebern (bspw. Business Angel) aufgenommen werden muss.6 I.d.R. benötigt ein Start-up bis zum Erreichen eines stabilen, etablierten und profitablen Geschäftsmodells mehrere Kapitalzuführungen, die in separaten Finanzierungsrunden durch unterschiedliche Investoren geleistet werden.7 3 Ein US flip bezeichnet die Umwandlung in eine US-amerikanische Unternehmenseinheit. Für eine detaillierte Darstellung vgl. Weitnauer in Weitnauer, Handbuch Venture Capital, 6. Aufl. 2019, H Rz. 45 ff. 4 Vgl. Grisar/Zantopp, DStR 2020, 1768 (1775). 5 Die Darstellung von Start-up Unternehmen in diesem Beitrag erfolgt typisierend. Natürlich kann es hiervon in der Praxis Abweichungen bspw. bei der konkreten Ausgestaltung der Gesellschaftsanteile, der Definition eines Exitereignisses, der Ausgestaltung der Liquidationspräferenzen etc. geben. 6 Definition in Anlehnung an Gabler Wirtschaftslexikon Online, Start-up-Unternehmen, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/start-unternehmen-42136/version-265490, abgerufen am 31.8.2020. 7 Vergleichbar ist auch die Definition von Wachstumsunternehmen in dem für Bewertungen durch Wirtschaftsprüfer einschlägigen Bewertungsstandard IDW S 1: „Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“ (IDW S 1 i.d.F. 2008) Rz. 146.

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Ermittlung gemeiner Anteilswerte von Start-up Unternehmen

Die Unternehmen befinden sich zum Zeitpunkt der Aufnahme zusätzlichen Kapitals meist in einer Phase starken Wachstums, in der das Geschäftsmodell noch entwickelt wird und die Ertragslage volatil ist. Die Investition in diese Unternehmen stellt für die Kapitalgeber daher ein nicht unerhebliches Risiko dar, das sie sich im Erfolgsfall durch hohe Renditen vergüten lassen. Von den Portfolioinvestitionen der Venture Capital Geber führen etwa 30% bis 70% zu einem Ausfall.8 Zur Kompensation dieser Ausfallrisiken erwarten Venture Capital Geber in Deutschland in Abhängigkeit von der Entwicklungsstufe des Start-ups Renditen von 15% bis 50% aus ihren Investments.9 Die Realisierung dieser Renditen erfolgt üblicherweise in Form eines sog. Exits, in dem die Investoren ihre Anteile veräußern.10 Im Erfolgsfall handelt es sich bei einem Exit bspw. um einen erfolgreichen Börsengang, einen mehrheitlichen Verkauf der Gesellschaftsanteile oder der Vermögensgegenstände des Unternehmens an einen strategischen Investor oder auch die Lizensierung des geistigen Eigentums. Auch die Liquidation des Unternehmens kann einen Exit darstellen. Neben ihren hohen Renditeerwartungen, die Ausdruck des mit der Investition verbundenen Risikos sind, lassen sich die Kapitalgeber zur Absicherung ihres In­ vestments in das Start-up Unternehmen oftmals weitreichende Gesellschafterrechte einräumen. Beispiele hierfür sind Mehrfachstimmrechte, Veto-Rechte oder Sonderrechte bei der Besetzung wichtiger Gremien wie der Geschäftsführung. Hinzukommen Rechte, die den Verkauf der Gesellschaftsanteile für einzelne Investoren erschweren und die Realisierung eines Exiterlöses erleichtern sollen (bspw. „Right of First Refusal“/Andienungsrechte, „Take-along Rights“, „Drag-along Rights”).11 Die Anteile der unterschiedlichen Finanzierungsrunden werden dabei in verschiedene Klassen eingeteilt. Die Unternehmensgründer halten i.d.R. sog. Common Shares bzw. Stammanteile, die ohne Sonderrechte und Liquidationspräferenzen ausgestaltet sind und häufig Veräußerungsrestriktionen aufweisen. Frühe Investoren oder Business Angel erhalten mit sog. Seed (Preferred) Shares die erste Serie von Investor-­ Vorzugsanteilen. In den nachfolgenden Runden werden Investor Preferred Shares ausgegeben, deren Zugehörigkeit zu einer Finanzierungsrunde durch eine Serienbezeichnung (bspw. Series A Preferred Shares) gekennzeichnet wird. Die Regelung der Sonderrechte, die mit den einzelnen Anteilsklassen verbunden sind, erfolgt zumeist im Beteiligungsvertrag oder einer Gesellschaftervereinbarung und somit rein schuldrechtlich im Verhältnis der Gesellschafter zueinander.12 Die mit den unterschiedlichen Anteilsklassen verbundenen Sonderrechte wirken sich auf die jeweiligen Anteilswerte aus, da mit einer besseren Ausstattung der Anteile c.p. ein höherer Anteilswert ver 8 Vgl. Zellmann/Prengel/Lebschi, BewertungsPraktiker 3/2014, 74 (80) m.w.N. 9 Vgl. Zellmann/Prengel/Lebschi, BewertungsPraktiker 3/2014, 74 (81). Honold/Hümmer/ Prengel, CorporateFinance 11-12/2018, 359 (360) beobachten eine Bandbreite von 6% bis 55% unter zusätzlicher Differenzierung nach Anpassung oder Annahme des Business Plans. 10 Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon Online, Start-up-Unternehmen, https://wirtschaftslexikon. gabler.de/definition/start-unternehmen-42136/version-265490, abgerufen am 31.8.2020. 11 Vgl. Weitnauer (Fn. 3), F Rz. 188 ff. 12 Vgl. Weitnauer (Fn. 3), F Rz. 85 ff.

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bunden ist. Daher ist für die Anteilsbewertung eine genaue Kenntnis der InvestorenSonderrechte erforderlich. Eines der prominentesten dieser Sonderrechte, das vor allem in der frühen Entwicklungsphase von Start-ups hohe Wertrelevanz entfalten kann, sind sog. Liquidationspräferenzen:13 Sie regeln eine disproportionale Verteilung des Exiterlöses vornehmlich für den Fall, dass dieser nicht ausreicht, um die Investitionen der Preferred Shareholder zurückzuzahlen. Liquidationspräferenzen sind meist so ausgestaltet, dass die Investoren, die in der aktuellsten Finanzierungsrunde eingestiegen sind, im Fall eines Exits zuerst ihr Investment zurückerhalten. Reicht der Exiterlös bereits dafür nicht aus, erfolgt die Verteilung zwischen den Investoren dieser Finanzierungsrunde pro rata nach Anteilen. Danach erhalten die Investoren der nächst jüngeren Finanzierungsrunde ihr Investment zurück. So wird der Exiterlös erst an die Preferred Shareholder verteilt, bevor zuletzt ein dann noch verbleibender Erlös pro rata an die Common Shareholder und, falls vertraglich so vereinbart, an alle oder einige Preferred Shareholder verteilt wird. Durch die Liquidationspräferenzen wird somit eine Wasserfallstruktur der Auszahlungen des Exiterlöses geschaffen. Um die Liquidationspräferenzen an die fortschreitende Unternehmenswertentwicklung anzupassen und den Investoren über die Dauer ihres Investments eine Verzinsung des von ihnen investierten Kapitals zu ermöglichen, bestehen vielfältige Möglichkeiten: So können Liquidationspräferenzen als „multiple“ ausgestaltet sein, der Investor erhält dann ein zuvor bestimmtes Vielfaches seines Investments zurück. Sie können auch über die Laufzeit des Investments mit einem fixen Zins verzinst werden, der auf die Liquidationspräferenz aufgeschlagen wird. Alternativ kann eine Beteiligung an der pro-rata-Verteilung eines nach Berücksichtigung der Liquidationspräferenzen verbleibenden Erlöses vereinbart sein (sog. „participating liquidation preference“). Für die Preferred Shares ist i.d.R. eine Pflichtwandlung in Common Shares im Rahmen eines Börsenganges des Unternehmens vorgesehen, womit diese ihre Sonderrechte verlieren. Zudem wird den Preferred Shareholdern zumeist ein (jederzeitiges) freiwilliges Wandlungsrecht in Common Shares eingeräumt. Im Hinblick auf die Verteilung eines Exiterlöses ist diese Wandlungsmöglichkeit dann von Bedeutung, wenn die Preferred Shareholder durch eine Beteiligung an der pro-rata-Verteilung auf Ebene der Common Shares einen größeren Anteil des Exiterlöses erhalten als über ihre Liquidationspräferenz. Dieser Fall kann bspw. bei steigenden Unternehmenswerten des Start-ups und Liquidationspräferenzen, die nicht an der pro-rataVerteilung partizipieren, eintreten. Hingegen ist eine Wandlung, rein im Hinblick auf 13 In der von Honold/Hümmer/Prengel, CorporateFinance 11-12/2018, 359 (361) durchgeführten Marktstudie werden insbesondere Liquidationspräferenzen als das InvestorenSonderrecht mit wesentlicher Relevanz für den Anteilswert genannt. Für eine Darstellung möglicher Regelungen zu Liquidationspräferenzen aus rechtlicher Sicht vgl. Zätzsch in Drygala/Wächter (Hrsg.), Venture Capital, Beteiligungsverträge und „Unterkomplexitätsprobleme“, 2018, S.  103  ff. und aus wirtschaftlicher Sicht vgl. Kaboth/Schreiter/Tschöpel, CorporateFinance 01-02 2019, 36.

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die Verteilung eines Exiterlöses, für Preferred Shareholder mit „participating“ Liquidationspräferenzen i.d.R. nie optimal, da sie zusätzlich zu ihrer Liquidationsprä­ ferenz immer ihren pro-rata-Anteil an der Residualgewinnverteilung erhalten. Mit steigendem Unternehmenswert nimmt jedoch in allen Fällen die Bedeutung der Liquidationspräferenzen ab. Die Höhe der Liquidationspräferenzen ist zwar vertraglich fixiert, so dass mit Ausnahme der von der Investitionsdauer abhängigen Verzinsung die Erlösverteilung zu jedem Zeitpunkt bekannt ist. Anders als bei klassischen Gesellschaftsverträgen erfolgt die Verteilung von Exiterlösen jedoch nicht pro rata nach der Beteiligung am Nennkapital oder einer zuvor festgelegten, davon abweichenden Quote. Denn durch die Liquidationspräferenzen, die als absolute Beträge fixiert werden, und ihre Wasserfallstruktur, verändert sich der Anteil der einzelnen Gesellschafter am Exiterlös mit dessen Höhe.14 Liegt der Exiterlös bspw. unterhalb der Summe der Liquidationspräferenzen, erhalten die Common Shareholder keinen Anteil daran. Bei einer reinen pro-rata-Verteilung hingegen würden sie in diesem Fall den ihnen anteilig zuzurechnenden Anteil erhalten. Neben den weiteren Sonderrechten der Investoren führen vor allem die Liquidationspräferenzen in den frühen Lebensjahren des Start-ups dazu, dass die Anteilswerte der einzelnen Anteilsklassen nicht dem anteiligen pro-rata-Wert entsprechen.15 Vielmehr ist den Preferred Shares i.d.R. ein höherer Wertbeitrag zuzumessen als bspw. den Common Shares. Die durch die Liquidationspräferenzen hervorgerufene Wertverschiebung kann durch den Einsatz von Optionspreismodellen oder simulationsbasierten Bewertungsmodellen in der Aufteilung des Unternehmenswertes auf die Anteilsklassen abgebildet werden.16 In der (steuerlichen) Wertermittlung für Start-up Unternehmen führt dies zu Besonderheiten auf zwei Ebenen: zum einen ist bei der Ermittlung des Unternehmenswertes der geringen Unternehmenshistorie, den operativen Verluste und den volatilen Zukunftserwartungen Rechnung zu tragen.17 Zum anderen ist bei der Überleitung zwischen Unternehmens- und Anteilswerten zu berücksichtigen, dass eine reine prorata-Verteilung des Unternehmenswertes auf die Anteile aufgrund der zahlreichen 14 Vgl. auch Kaboth/Schreiter/Tschöpel, CorporateFinance 01-02 2019, 36 (46). 15 Vgl. auch Kaboth/Schreiter/Tschöpel, CorporateFinance 01-02 2019, 36 (47) sowie Ruiz de Vargas/Schließer/Zollner, BewertungsPraktiker 2/2016, 42 (51) zur Erfordernis indirekter Anteilsbewertungen bei Beteiligungen von PE- und VC-Fonds aufgrund der InvestorenSonderrechte wie insbesondere der Liquidationspräferenzen. 16 Eine Übersicht der zusätzlichen Investorenrechte, die in den USA als einer Bewertung zugänglich klassifiziert werden, ist American Institute of Certified Public Accountants ­ („­AICPA“), Valuation of Privately-Held-Company Equity Securities Issued as Compen­ sation, 2013, S. 53, zu entnehmen. 17 Für eine Darstellung der Schwierigkeiten einer Unternehmensbewertung nach IDW S 1 von Start-up Unternehmen siehe bspw. Wollny in Drygala/Wächter (Hrsg.), Venture ­Capital, Beteiligungsverträge und „Unterkomplexitätsprobleme“, 2018, S. 3 ff. Die Besonderheiten der Unternehmensbewertung von Start-ups sollen in diesem Beitrag nicht näher erörtert werden.

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Investorenrechte i.d.R. zu unzutreffenden Anteilswerten führt. Gleiches gilt bei der Ableitung von Anteilswerten aus Verkaufspreisen.

III. Grundlagen der steuerlichen Wertermittlung Für steuerliche Bewertungsanlässe von Unternehmen(-santeilen) ist zumeist deren gemeiner Wert zum Bewertungsstichtag anzusetzen.18 Bei dem gemeinen Wert handelt es sich nach § 9 Abs. 1 BewG um den steuerlichen Bewertungsmaßstab, der als Standard heranzuziehen ist und nach § 9 Abs. 2 BewG wie folgt definiert wird: „Der gemeine Wert wird durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind nicht zu berücksichtigen.“ Der gemeine Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften wird nach § 11 Abs. 2 BewG ermittelt, der über die Verweise in § 109 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 BewG auch für die Wertermittlung des Betriebsvermögens von Gewerbebetrieben und freiberuflich Tätigen sowie für Anteile an Mitunternehmerschaften einschlägig ist. Zur Wertermittlung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, die nicht börsennotiert sind (§ 11 Abs. 1 BewG), wird in § 11 Abs. 2 BewG ein zweischrittiges Vorgehen vorgegeben: Zunächst soll, sofern möglich, der Wert der Anteile aus Verkäufen unter fremden Dritten, die nicht mehr als ein Jahr zurückliegen, abgeleitet werden (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Ist dies nicht möglich, soll eine Wertermittlung unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Gesellschaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nicht steuerliche Zwecke üblichen Methode erfolgen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Der Substanzwert, definiert als die Summe der gemeinen Werte der Wirtschaftsgüter und Schulden des Unternehmens, bildet bei dieser zweiten Bewertungsmethode die Wertuntergrenze (§  11 Abs.  2 Satz 3 BewG).

IV. Ableitung gemeiner Anteilswerte aus Verkäufen unter fremden Dritten 1. Besonderheiten von Start-up Unternehmen Eine Ableitung des gemeinen Wertes von Anteilen an Start-up Unternehmen aus Verkäufen bietet sich aufgrund der regen Investorentätigkeit in diesem Bereich oft an, zumal aus Sicht der Finanzverwaltung gem. R B 11.2 Abs. 1 Satz 4 ErbStR auch Kapitalerhöhungen zur Aufnahme neuer Gesellschafter grundsätzlich als Verkauf im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG herangezogen werden können. Für Start-ups kann eine Wertableitung daher sowohl aus sog. Secondaries (Verkäufen bereits ausgegebe18 Vgl. bspw. § 109 BewG, § 151 Abs. 1 Nr. 3 BewG, § 16 Abs. 3 EStG, § 17 Abs. 2 Satz 2 EStG, § 6 Abs. 6 Satz 1 EStG, § 23 Abs. 3 Satz 2 EStG, § 6 Abs. 1 AStG, § 3 Abs. 1 (u.a.) im UmwStG.

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ner Anteile durch Gesellschafter) als auch durch in Finanzierungsrunden ausgegebenen Anteilen erfolgen. Handelt es sich bei den veräußerten Anteilen um Anteile der gleichen Klasse wie die zu bewertenden Anteile, ist hinsichtlich der Investorenrechte und Liquidationspräferenzen eine direkte Vergleichbarkeit gegeben. Sind jedoch Anteile einer anderen (zumeist höheren) Anteilsklasse veräußert worden, sind die gezahlten Preise aufgrund der unterschiedlich ausgestalteten Investorenrechte und Liquidationspräferenzen der Anteilsklassen im ersten Schritt nur eingeschränkt vergleichbar. Eine reine pro-rata-Berechnung des Unternehmenswertes aus den gezahlten Preisen und einer darauffolgenden pro-rata-Ermittlung des gesuchten Anteilswertes führt in diesem Fall zu unzutreffenden Unternehmens- und Anteilswerten. Für die Ableitung des gesuchten Anteilswertes sind daher die mit der jeweiligen Anteilsklasse verbundenen Rechte gegenüberzustellen und es ist zu prüfen, in wie weit die Unterschiede Wertrelevanz entfalten und sie einer Bewertung zugänglich sind. Unterschiedlich ausgestaltete Liquidationspräferenzen haben gerade in den Anfangsjahren eines Start-up Unternehmens, in denen die künftige Entwicklung noch sehr volatil ist, eine erhebliche Wertrelevanz für die Investoren, die auch einer Wertermittlung zugänglich ist. Zu beachten ist allerdings, dass ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse bei der steuerlichen Wertermittlung nicht zu berücksichtigen sind (§ 9 Abs. 2 Satz 3 BewG). Liquidationspräferenzen stellen jedoch ein übliches Instrument in Venture Capital Beteiligungsverträgen dar und sind mit disquotalen Gewinnverteilungen gem. § 97 Abs. 1b Satz 4 BewG vergleichbar (siehe dazu unter V.2.). Zudem sind Liquidationspräferenzen, auch wenn sie nur schuldrechtlich in Gesellschaftervereinbarungen zwischen den Gesellschaftern vereinbart werden, auch für mögliche Erwerber von Anteilen an Start-ups relevant, da die übrigen Gesellschafter i.d.R. die zumeist erforderliche Zustimmung zur Übertragung der Anteile an einen fremden Dritten an den Beitritt des Erwerbers zu den relevanten Gesellschaftervereinbarungen knüpfen.19 Liquidationspräferenzen sind somit nicht als ungewöhnlichen oder persönlichen Verhältnisse zu qualifizieren, die in einer steuerlichen Wertermittlung keine Berücksichtigung finden dürfen. 2. Abbildung der Werteffekte von Liquidationspräferenzen Die Ermittlung der Wertverschiebung durch die Liquidationspräferenzen kann über Optionspreismodelle vorgenommen werden.20 Bei diesem Vorgehen wird unterstellt, 19 So auch Grisar/Zantopp, DStR 2020, 1768 (1775 f.), Weitnauer (Fn. 3), F Rz. 88. 20 Die hier vorgestellte Vorgehensweise zur Berücksichtigung von Liquidationspräferenzen in der Anteilswertermittlung von Start-up Unternehmen ist dem Praxishinweis Valuation of Privately-Held-Company Equity Securities Issued as Compensation (2013) des American Institute of Certified Public Accountants („AICPA“) entnommen. Für eine Einführung in finanzmathematische Optionen und Modelle zur Bewertung von Optionen siehe Hull, Optionen, Futures und andere Derivate, 8. Aufl. 2012, S. 253 ff. Siehe auch Kaboth/Schreiter/

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dass die Anteilseigner des Start-up Unternehmens mit dem Erwerb ihrer Anteile Kauf-Optionen auf den Unternehmenswert abgeschlossen haben, deren Ausübung bei einem Exit erfolgt, zu dem vereinfachend der Unternehmenswert in Form des Exit­ erlöses realisiert werden kann. Mit den Optionspreismodellen wird dabei die durch die Liquidationspräferenzen geschaffene Wasserfallstruktur der Verteilung des Exiterlöses in der Form abgebildet, dass über die Staffelung mehrerer Optionspreismodelle mit unterschiedlichen Ausübungspreisen die Auszahlungsstruktur nachgebildet wird. Als Ausübungspreise werden die unterschiedlichen (kumulierten) Liquidationspräferenzen der einzelnen Anteilsklassen herangezogen sowie ein Unternehmenswert, zu dem sich der Verteilungsmechanismus zwischen den Anteilsklassen bspw. aufgrund einer vorteilhafteren freiwilligen Wandlung von Investorenanteile in Common Shares verändert. Mit den Optionspreismodellen wird ermittelt, welcher Wertbeitrag bei einer zukünftigen Verteilung des Exiterlöses auf die Liquidationspräferenzen und die pro-rata-Verteilungen entfallen. Die Werte der einzelnen Anteilsklassen bestimmen sich danach, an welchen Schritten der Verteilung des Exiterlöses sie partizipieren. Ist der Verkehrswert von Anteilen einer Anteilsklasse bekannt, können durch die so mit den Optionspreismodellen aufgebaute Verteilung des Exiterlöses in einem Schritt sowohl der zugrunde gelegte Unternehmenswert als auch die Werte für die übrigen Anteilsklassen ermittelt werden. Diesem Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass sich aus dem bekannten Wert einer Anteilsklasse und den ihr im Falle eines Exits zustehenden Erlösanteilen der Unternehmenswert im Bewertungszeitpunkt ermitteln lässt. Ausgehend von dem Unternehmenswert werden dann die Werte der übrigen Anteilsklassen ermittelt. Wesentlich für das Gelingen dieses Ansatzes ist eine genaue Kenntnis der vertraglich vereinbarten Liquidationspräferenzen und der jeweiligen vertraglichen Definition eines Exits bzw. der Anwendungsfälle der Liquidationspräferenzen sowie die Umsetzung dieser Struktur in den Optionspreismodellen. Eingabeparameter für eines der bekanntesten Optionspreismodelle, das sog. BlackScholes Modell, sind neben dem aktuellen Unternehmenswert, der in dieser Anwendung ermittelt wird, und dem Ausübungspreis, der durch die Struktur der Liquidationspräferenzen vorgegeben ist, die Optionslaufzeit, der risikolose Zins und die Volatilität der Anteilswerte.21 Die Optionslaufzeit entspricht dabei der erwarteten Dauer bis zum Exitereignis, zu dem der Unternehmenswert realisiert werden kann. Diese kann selten zum Bewertungsstichtag mit Sicherheit bestimmt werden und ist daher nur im Rahmen einer Schätzung zu ermitteln. Branchenstatistiken über Venture Capital Exits und Investitionsdauern können hier eine erste Orientierung bieten. Darüber hinaus ist in der Schätzung vor allem der Entwicklungsstand des Unternehmens sowie das aktuelle Kapitalmarktumfeld zu berücksichtigen. Für die Ermittlung der Volatilität der Anteilswerte kann auf die Volatilität von Aktienkursen vergleichbarer börsennotierter Unternehmen zurückgegriffen werden. Bei börsennotierten Unternehmen handelt es sich allerdings um deutlich etabliertere Unternehmen, deTschöpel, CorporateFinance 01-02 2019, 36 (47) bezüglich der Forderung nach der Entwicklung eines optionsbasierten ex-ante Bewertungsmodells für Liquidationspräferenzen. 21 Vgl. zum Black-Scholes Modell Hull (Fn. 20), S. 381 ff.

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Ermittlung gemeiner Anteilswerte von Start-up Unternehmen

ren Aktienkurse (i.d.R.) einer geringeren Volatilität ausgesetzt sind, als Anteilswerte von Start-up Unternehmen. Diesem Umstand kann bspw. durch den Ansatz eines Wertes im oberen Bereich einer quartilen Bandbreite Rechnung getragen werden. Bereits der Gesetzeswortlaut verdeutlicht, dass der gemeine Wert der zu bewertenden Anteile nicht per se dem zur Wertermittlung herangezogenen Verkaufspreis entsprechen muss, spricht das Gesetz in § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG davon, den gemeinen Wert aus Verkäufen „abzuleiten“.22 Die Finanzverwaltung erkennt grundsätzlich an, dass die zur Wertableitung herangezogenen Verkaufspreise gegebenenfalls an die Eigenschaften des zu bewertenden Anteils angepasst werden müssen. So sieht bspw. R B 11.2 Abs. 1 Satz 7 ErbStR eine Kürzung des Kaufpreises vor, wenn darin ein Zuschlag für den Beteiligungscharakter des veräußerten Anteils enthalten ist (sog. Paketzuschlag), der für den zu bewertenden Anteil nicht anzusetzen ist. Auch bei der Wertermittlung von Aktien ist eine Ableitung des Wertes einer nicht notierten Aktiengattung aus den Preisen der notierten Gattung explizit zugelassen. Der unterschiedlichen Ausstattung dieser Aktiengattungen ist dabei durch Zu- und Abschläge Rechnung zu tragen (R B 11.1 Abs. 4 ErbStR). Da die Finanzverwaltung die Anpassung von Verkaufspreisen an abweichende Ausstattungen unterschiedlicher Anteilsklassen grundsätzlich akzeptiert und der Wertbeitrag der Liquidationspräferenzen über anerkannte finanzmathematische Modelle einer Objektivierung zugänglich ist, kann eine entsprechende Differenzierung der Anteilswerte unterschiedlicher Anteilsklassen von Start-up Unternehmen auch bei der Ermittlung steuerlicher gemeiner Werte Berücksichtigung finden.

V. Ableitung des Unternehmenswertes unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode 1. Ableitung des Unternehmenswertes Ist eine Ableitung der gesuchten Anteilswerte aus Verkäufen unter fremden Dritten nicht möglich, ist eine Wertermittlung unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode erforderlich (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Diese Wertermittlung kann bspw. im steuerlichen vereinfachten Ertragswertverfahren oder im Rahmen eines nach den Grundsätzen des IDW S 1 erstellten Gutachtens erfolgen.23 Bei dieser Form der Wertermittlung darf der Substanzwert des Unternehmens nicht unterschritten werden (§ 11 Abs. 2 Satz 3 BewG). 22 Vgl. Eisele in Rössler/Troll, § 11 BewG Rz. 25 (Mai 2020). 23 Zur eingeschränkten Anwendbarkeit des vereinfachten Verfahrens bei Start-up Unter­ nehmen vgl. R B 199.1 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 4 ErbStR (Vorliegen begründeter Zweifel

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2. Aufteilung des Unternehmenswertes auf die Anteilsklassen Unabhängig davon, wie der Unternehmenswert im ersten Schritt ermittelt worden ist, stellt sich im Anschluss stets die Frage nach der Verteilung des Unternehmenswertes auf die verschiedenen Anteilsklassen. Sowohl im Steuerrecht als auch im IDW S 1 ist im Grundsatz eine quotale Verteilung des Unternehmenswertes auf die Gesellschaftsanteile als Aufteilungsmaßstab vorgesehen.24 Bei Start-up Unternehmen, die bereits einige Finanzierungsrunden durchlaufen haben, ist dieses Vorgehen jedoch aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung der Anteilsklassen nicht sachgerecht. Vielmehr sind bei der Aufteilung des Unternehmenswertes wiederum die unterschiedlichen Sonderrechte und insbesondere die Liquidationspräferenzen zu beachten.25 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die unterschiedlichen Investorenrechte und vor allem die Liquidationspräferenzen zwar die Ermittlung der Anteilswerte, nicht jedoch des Unternehmenswertes beeinflussen.26 Durch diese Gesellschafterrechte wird lediglich eine Wertverschiebung zwischen den Anteilseignern vorgenommen, die dazu führt, dass der fundamental ermittelte Unternehmenswert nach von einer pro-rata-Verteilung abweichenden Maßstäben auf die Anteile verteilt werden muss. Wie bereits bei der Wertableitung aus Verkäufen soll auch nachfolgend eine Fokussierung auf die Berücksichtigung von Liquidationspräferenzen erfolgen. Im einfachsten Fall kann eine Verteilung des Unternehmenswertes am Bewertungsstichtag so vorgenommen werden, als würde an diesem Tag der Exit erfolgen: Der Unternehmenswert wird anhand des durch die Liquidationspräferenzen geschaffenen Wasserfalls auf die Anteilsklassen verteilt. Dieses Vorgehen berücksichtigt die Liquidationspräferenzen und ist daher zumindest einer reinen pro-rata-Verteilung des Unternehmenswertes vorzuziehen. Allerdings bleibt bei dieser Betrachtung unberücksichtigt, dass nur in seltenen Fällen der Bewertungsstichtag tatsächlich mit dem Exit zusammenfällt. Zumeist handelt es sich bei dem Exit um ein erwartetes, zukünftiges Ereignis, bis zu dessen Eintritt der Unternehmenswert noch deutlichen Schwankungen ausgesetzt sein kann. Gerade für die unteren Anteilsklassen (wie die Common Shares) kann sich bei der Verteilung des Unternehmenswertes unter der an der Anwendbarkeit bei neugegründeten und Wachstumsunternehmen) sowie Wollny (Fn.  17), S.  3 (9) und Ruiz de Vargas/Schließer/Zollner, BewertungsPraktiker 2/2016, 42 (52). Für eine Darstellung der Schwierigkeiten einer Unternehmensbewertung nach IDW S 1 von Start-up Unternehmen siehe Wollny (Fn. 17), S. 3 ff., zur Anwendbarkeit von Zukunftserfolgswertmodellen und marktorientierten Multiplikatorverfahren bei Start-up Unternehmen Kröll in Weitnauer, Handbuch Venture Capital, 6. Aufl. 2019, H Rz. 117 ff. und Aders/Ballwieser/Neumeier, CorporateFinance 07-08/2019, 214. Vgl. für eine Darstellung und Würdigung der unterschiedlichen Methoden sowie Erhebungen über die Anwendung in der Venture Capital Praxis: Weitnauer (Fn. 3), F Rz. 21 ff.; Honold/Hümmer/Prengel, CorporateFinance 11-12/2018, 359; Zellmann/Prengel/Lebschi, BewertungsPraktiker 3/2014, 74; Ruiz de Vargas/Schließer/Zollner, BewertungsPraktiker 2/2016, 42; Rzepka/­ Hille/Schießl, CorporateFinance 09/2016, 311. 24 Vgl. § 97 Abs. 1b Satz 1 BewG, der auf den Anteil am Nennkapital abstellt, sowie IDW S 1 Rz. 13. 25 So auch Rzepka/Hille/Schießl, CorporateFinance 09/2016, 311 (319 f.). 26 So auch Kaboth/Schreiter/Tschöpel, CorporateFinance 01-02 2019, 36.

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Annahme eines Exits am Bewertungsstichtag ein vergleichsweise geringer Anteilswert oder gar ein Wert von Null ergeben. Dabei wird jedoch künftiges Wertsteigerungspotential des Unternehmens, das zu einer anderen Verteilung des Unternehmenswertes führt, nicht in ausreichendem Maße erfasst. Durch die Abhängigkeit des Verteilungsmechanismus vom zu verteilenden Unternehmenswert gewinnt somit auch die Frage des Verteilungszeitpunktes an Bedeutung. Zu einer zutreffenderen Verteilung des Unternehmenswertes gelangt man, wenn das bereits bei der Ableitung des Anteilswertes aus Verkäufen unter fremden Dritten angesprochene Verteilungsmodell auf Basis von Optionspreismodellen herangezogen wird. Dabei kann grundsätzlich das gleiche Modell zur Wertableitung aus Verkäufen und zur Wertaufteilung eines berechneten Unternehmenswertes genutzt werden. Abweichend von dem Vorgehen bei der Ableitung von Anteilswerten aus Verkäufen unter fremden Dritten ist nun der Unternehmenswert am Bewertungsstichtag bekannt und das Modell wird rein zur Verteilung dieses Unternehmenswertes auf alle Anteilsklassen genutzt. Alle weiteren Parameter des Modells sind hier genauso zu ermitteln wie im Fall der Wertableitung aus Verkäufen. Bei besonders komplexen Liquidationspräferenzen bietet es sich zudem an, auf analytische Optionspreismodelle wie das Black-Scholes Modell zu verzichten. Stattdessen können in simulationsbasierten Modellen komplexere Auszahlungsstrukturen leichter abgebildet werden. Das grundsätzliche Vorgehen und auch die wesentlichen Eingabeparameter verändern sich jedoch bei diesen Modellen nicht. Das Erfordernis, von einer reinen pro-rata-Verteilung abweichende Aufteilungen des Unternehmenswertes auf die Gesellschaftsanteile anzusetzen, ist auch für Bewertungen nach IDW S 1 anerkannt. So nennt der Praxishinweis 1/2014 beispielhaft als Auslöser einer abweichenden Gewinnverteilung gesetzliche, vertragliche oder faktische Verfügungsbeschränkungen, Unterschiede bei der Gewinn- und Verlustallokation sowie den Umfang der Einflussmöglichkeiten der Anteilseigner.27 Auch steuerlich wird die Notwendigkeit der Berücksichtigung einer von einer prorata-Verteilung abweichenden Gewinn- oder Liquidationserlösverteilung anerkannt und im Rahmen der Wertermittlung von Anteilswerten berücksichtigt:28 Nach § 97 Abs. 1b Satz 4 BewG kann bspw. eine vom Verhältnis des Anteils am Nennkapital abweichende Gewinnverteilung bei der Ableitung der Anteilswerte berücksichtigt werden. R B 97.6 Abs. 2 Satz 2 ErbStR erweitert dies um die Berücksichtigung einer vom Anteil am Nennkapital abweichenden Verteilung des Liquidationserlöses.29 Unge27 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014: Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswertes kleiner und mittelgroßer Unternehmen, Rz. 56. 28 Vgl. zur steuerlichen Anerkennung inkongruenter Dividenden- und Erlösverteilungen aus Liquidationspräferenzen Grisar/Zantopp, DStR 2020, 1768 (1774 f.) und Weitnauer (Fn. 3), F Rz. 215 f. 29 Dabei handelt es sich nur um mögliche Aufteilungsmaßstäbe für eine von den Anteilen am Nennkapital abweichenden Aufteilung des Unternehmenswertes, Eisele in Rössler/Troll, § 97 BewG Rz. 38 (Mai 2020). Die Kommentierung bezieht sich zwar auf den gleich lautenden Ländererlass v. 2.3.2016 (BStBl. I 2016, 246) zur Anwendung des § 97 Abs. 1b BewG

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wöhnliche oder persönliche Verhältnisse gem. § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG bleiben jedoch weiterhin außer Ansatz.30 Konkretisiert wird das Vorgehen der Finanzverwaltung bei abweichender Gewinn- oder Liquidationserlösverteilung durch die in H  B  97.6 ErbStH dargestellten Beispiele, die eine Teilung des Unternehmenswerts in eine Substanz- und eine Ertragswertkomponente vorsehen. Der Substanzwert wird dabei anhand der Anteile am Nennkapital oder, sofern anwendbar, nach der abweichenden Beteiligung am Liquidationserlös auf die Gesellschaftsanteile verteilt. Der darüber hinaus gehende Teil des Unternehmenswertes wird als Ertragswertkomponente aufgefasst, die den Wertbeitrag künftiger Gewinne widerspiegelt. Diese Komponente wird entweder anhand der Anteile am Nennkapital oder, sofern anwendbar, anhand einer davon abweichenden Gewinnverteilung auf die Anteile verteilt. Eisele schlägt alternativ vor, den Verteilungsschlüssel in Abhängigkeit von der Be­ wertungsmethode anzuwenden. Ein Ertragswert, der auf zukünftigen Gewinnen fußt, soll damit anhand der Gewinnverteilungsregelungen verteilt werden und ein Substanzwert nach den Anteilen am Nennkapital. Lediglich im Liquidationsfall soll ein Substanz- oder Liquidationswert nach einer abweichenden Verteilung des Liquidationserlöses verteilt werden.31 Diesem alternativen Vorschlag ist insoweit zuzustimmen, als die Zerlegung eines Unternehmenswertes in zwei Wertkomponenten mit unterschiedlichem Verteilungsmuster bei einem einheitlich ermittelten Unternehmenswert nicht sachgerecht erscheint und an die betriebswirtschaftlich nicht mehr zeitgemäßen Übergewinnverfahren wie das Stuttgarter Verfahren erinnert. Zudem berücksichtigt der Ansatz der Finanzverwaltung nicht, dass den unterschiedlichen Wertkonzepten (Ertrags-, Liquidations- und Substanzwert) unterschiedliche zukünftige Nutzungskonzepte zugrunde liegen, die sich auch in den Verteilungsmechanismen abweichender Gewinn- und Liquidationserlösverteilung sowie einer Verteilung nach Anteilen am Nennkapital widerspiegeln. Im Fall von Start-up Unternehmen wird der Verteilung künftiger Gewinne i.d.R. wenig Bedeutung beigemessen, da die Investoren die Rendite aus ihrem Investment überwiegend im Rahmen eines Exits realisieren. Gelegentlich finden sich zwar Regelungen zu Vorzugsdividenden in den entsprechenden Beteiligungsverträgen, da jedoch Start-ups zumeist noch keine Gewinne erzielen oder die erwirtschafteten Erträge zur Finanzierung weiteren Wachstums benötigen, sind diese Regelungen nur von eingeschränkter wirtschaftlicher Bedeutung. Der Verteilung des Exiterlöses nach den vertraglichen Regelungen, vor allem anhand der Liquidationspräferenzen, i.d.F. des StÄndG 2015, der jedoch insoweit identisch ist mit den ErbStR 2019. Siehe auch Wälzholz in Viskorf/Schuck/Wälzholz, § 97 BewG Rz. 41 (Januar 2020) zur Berücksichtigung eines Liquidationsvoraus bei der Aufteilung des Unternehmenswertes. 30 Vgl. Eisele in Rössler/Troll, § 97 BewG Rz. 36 (Mai 2020) mit einer Nennung der Komponenten, die bei der Aufteilung des Unternehmenswertes damit weiterhin unberücksichtigt bleiben. 31 Vgl. Eisele in Rössler/Troll, § 97 BewG Rz. 38 f. (Mai 2020). Die Kommentierung bezieht sich zwar auf den gleich lautenden Ländererlass v. 2.3.2016 (BStBl. I 2016, 246) zur Anwendung des § 97 Abs. 1b BewG i.d.F. des StÄndG 2015, der jedoch insoweit identisch ist mit den ErbStR 2019.

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kommt hingegen eine deutlich wichtigere Rolle zu. Dabei ist zu beachten, dass die Verteilung des Exiterlöses anhand der Liquidationspräferenzen je nach Vertragsgestaltung nicht nur bei einer Liquidation des Unternehmens greift, sondern bspw. auch bei einem sog. Trade Sale (mehrheitlicher Verkauf der Unternehmensanteile oder der wesentlichen Vermögensgegenstände) oder einer Lizensierung des wesentlichen geistigen Eigentums. Das in R B 97.6 Abs. 2 ErbStR aufgezeigte Vorgehen ist daher nicht direkt auf die Anteilsbewertung von Start-up Unternehmen übertragbar. Zudem berücksichtigt es nicht, dass die tatsächliche Verteilung des Liquidationserlöses zumeist nicht am Bewertungsstichtag erfolgt, sondern zu einem zukünftigen Exitzeitpunkt. Die Abhängigkeit des Verteilungsmaßstabes von der Höhe des Unternehmenswertes, die aus den Liquidationspräferenzen folgt, erfordert daher vielmehr eine zukunftsbezogene Betrachtung. Grundsätzlich kann dieser Ansatz jedoch als Anerkennung der Wertrelevanz einer von einer pro-rata-Verteilung abweichenden Verteilung des Unternehmenswertes auf die Gesellschaftsanteile gewertet werden, die bei der steuerlichen Anteilsbewertung zu berücksichtigen ist.32

VI. Zusammenfassung Start-up Unternehmen weisen Besonderheiten in ihren Geschäftsmodellen, ihrer Art, Geschäfte zu führen, den Chancen und Risiken ihres operativen Betriebes sowie ihrer Finanzierungs- und Beteiligungsstruktur auf, die sich auch auf die Bestimmung des Unternehmens- bzw. Anteilswertes zu steuerlichen Zwecken auswirken. So sind bei der Ableitung von gemeinen Anteilswerten aus Verkäufen unter fremden Dritten, der steuerlich der Vorrang vor der Anwendung anderer Bewertungsmethoden eingeräumt wird, vor allem die sog. Liquidationspräferenzen zu berücksichtigen, die eine von einer pro-rata-Verteilung abweichende Verteilung des Exiterlöses festlegen. Nur so kann eine zutreffende Wertableitung aus Finanzierungsrunden oder Anteilsverkäufen für Anteile anderer Anteilsklassen gelingen. Ist eine Wertableitung aus Verkäufen nicht möglich, ist der Unternehmenswert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten oder einer anderen, anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nicht steuerliche Zwecke üblichen Methode zu ermitteln und auf die Gesellschaftsanteile aufzuteilen. Auch bei der Ableitung von Anteilswerten im Anschluss an eine Unternehmensbewertung sind die unterschiedlichen Ausstattungen der Anteilsklassen und besonders die Liquidationspräferenzen zu berücksichtigten. Die disproportionale Erlösverteilung der Liquidationspräferenzen kann dabei durch Optionspreismodelle abgebildet werden. Zwar finden sich in den Verlautbarungen der Finanzverwaltung keine Start-up-spezifischen Regelungen, nichtsdestotrotz ist eine Abbildung der Besonderheiten von 32 Auch Grisar/Zantopp, DStR 2020, 1768 (1775 f.) sehen in der Regelung des § 97 Abs. 1b Satz 4 BewG eine Öffnung des quotalen Aufteilungsmaßstabes dahingehend, dass die durch Liquidationspräferenzen geschaffene disquotale Gewinn- bzw. Exiterlösverteilung bei der Anteilswertermittlung grundsätzlich zu berücksichtigen ist.

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Start-ups in der Ermittlung gemeiner Anteilswerte grundsätzlich möglich. Eine zutreffende Ermittlung gemeiner Werte von Start-ups kann im steuerlichen Umfeld somit gelingen, wenn ihre Besonderheiten bekannt sind und diese Eingang in die Wertermittlung finden.

Maria Huxol Steuerberaterin, Master of Science, CVA

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Besteuerung von inländischen Immobilieninvestitionen – ein Querschnitt der wesentlichen steuerlichen Aspekte Inhaltsübersicht I. Einführung II. Überblick über mögliche Investitionsstrukturen 1. Vorüberlegungen 2. Steuerliche Aspekte der Rechtsformwahl a) Privatvermögen versus Betriebs­ vermögen b) Investition über eine Personen­ gesellschaft c) Investition über eine Kapital­ gesellschaft 3. Sonstige Aspekte der Rechtsformwahl III. „Lebenszyklus“ einer Immobilien­ investition 1. Steuerliche Folgen des Erwerbs a) Ertragsteuer b) Grunderwerbsteuer c) Umsatzsteuer d) Erbschaft- und Schenkungsteuer 2. Laufende Besteuerung während der ­Haltephase a) Ertragssteuer aa) Privatvermögen versus Betriebs­ vermögen bb) Personengesellschaft

cc) Kapitalgesellschaften b) Gewerbesteuer c) Grundsteuer d) Umsatzsteuer e) Erbschaft- und Schenkungsteuer 3. Veräußerung bzw. Übertragung der ­Immobilie a) Vorüberlegungen b) Ertragsteuer aa) Asset Deal bb) Besonderheiten bei Personen­ gesellschaften (1) GmbH & Co. KG (2) Vermögensverwaltung – ­Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung c) Gewerbesteuer d) Grunderwerbsteuer e) Umsatzsteuer f) Erbschaft- und Schenkungsteuer aa) Begünstigungsmöglichkeiten im Privatvermögen bb) Begünstigungsmöglichkeiten im Betriebsvermögen cc) Sonstige Gestaltungen IV. Fazit

I. Einführung Das seit Jahren anhaltende niedrige Zinsniveau ist ein zusätzlicher Nährboden für Investitionen in attraktive Immobilien. Ferner bieten Immobilien aus Gründen einer ausgewogenen Investitions- und Vermögensstruktur spannende Möglichkeiten. Eine gelungene Investitionsplanung unter Berücksichtigung möglicher Renditeaussichten sollte dabei auch die bisweilen nicht zu unterschätzenden steuerlichen Effekte – sowohl als steuerliche Chancen als auch Risiken  – einbeziehen. Die steuerliche Betrachtung bildet in diesem Rahmen bestenfalls den vollständigen Investitionszyklus ganzheitlich ab, d.h. von Erwerb bis zur (Weiter-)Übertragung.

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II. Überblick über mögliche Investitionsstrukturen 1. Vorüberlegungen Die Besteuerung von Immobilien ergibt sich aus den einzelgesetzlichen Regelungen, welche in allen Phasen von Erwerb, Halte- bzw. Nutzungsdauer sowie dem anschließenden Verkauf bzw. der Übertragung einer Immobilie auf einen Nachfolger, d.h. über den gesamten „Lebenszyklus einer Immobilieninvestition“ zu beachten ist. Neben der Ertragsteuer, der Umsatzsteuer, der Grund- und Grunderwerbsteuer, spielt auch die Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer häufig eine nicht unbeachtliche Rolle. Die konkreten Rechtsfolgen werden im Folgenden anhand dieser einzelnen Phasen, dargestellt, sodass die wesentlichen steuerlichen Auswirkungen des gesamten Lebens­ zyklus betrachtet werden. Der Erwerb einer Immobilie kann auf verschiedene Arten vollzogen werden. Einerseits ist der Direkterwerb einer Immobilie als sog. „Asset Deal“ denkbar. Andererseits kann der Einstieg in eine bestehende Struktur durch Anteilserwerb an immobilienbesitzenden Gesellschaften, dem sog. „Share Deal“, erfolgen.1 Der Vorteil eines Asset Deals liegt durch den Direkterwerb in der Flexibilität der Strukturierung sowie dem regelmäßig höheren Abschreibungspotenzial während der Haltedauer der Immobilie.2 Anstelle einer vom Veräußerer zu übernehmenden Struktur kann die neu erworbene Immobilie nach eigenen Bedürfnissen entweder in eine bestehende Einheit – Personen- oder Kapitalgesellschaft – eingegliedert oder durch eine neu errichtete Gesellschaftsstruktur bzw. eine natürliche Person direkt selbst erworben werden. Im Weiteren sollen die steuerlichen Rechtsfolgen einer Immobilieninvestition daher einschränkend auf den Asset Deal beleuchtet werden. Welche Investitionsstruktur sich im Einzelnen eignet, hängt allerdings von einer Vielzahl von Kriterien ab und kann in Abhängigkeit der individuellen Anforderungen des Investors stark variieren.3 2. Steuerliche Aspekte der Rechtsformwahl a) Privatvermögen versus Betriebsvermögen Kategorisierend kann steuerlich zwischen Investitionen im Privat- oder Betriebsvermögen unterschieden werden. Die Zuordnung zu einer der beiden Vermögenssphären sowie die damit verbundenen Rechtsfolgen richten sich grundsätzlich nach der 1 Keller in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, 2. Aufl. 2020, § 1 D Rz. 51 ff.; siehe auch den Beitrag von Fleckenstein-Weiland/Hemme, Die Immobilientransaktion – Ausgewählte grunderwerbsteuerliche und umsatzsteuerliche Implikationen, S. 515 ff. 2 Aufgrund der zu erwartenden Gesetzesänderungen zur Abschaffung eines grunderwerbsteuerneutralen Ankaufs von Immobilien im Share Deal, wird der Asset Deal voraussichtlich zunehmend an Bedeutung gewinnen. 3 Schiffers in Prinz/Kahle, Beck’sches Handbuch der Personengesellschaft, 5. Aufl. 2020, § 1 B Rz. 54 ff.

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konkreten Einkunftsart.4 Für die Einkünftequalifikation ist bei Immobilieninves­ titionen entscheidend, ob es sich noch um eine reine Fruchtziehung aus der zu er­ haltenden Substanz handelt (Vermögensverwaltung) oder die Tätigkeit (z.B. durch Vermögensumschichtungen oder Dienstleistungen) gewerblichen Charakter annimmt.5 Während im Bereich der gewerblichen Einkünfte (§ 15 EStG) Betriebsvermögen vorliegt,6 findet die Erzielung von vermögensverwaltenden Vermietungseinkünften (§ 21 EStG) grundsätzlich im Privatvermögen statt.7 Die ertragsteuerlichen Vorteile einer Immobilieninvestition im Privatvermögen liegen insbesondere darin, dass Veräußerungen nach Ablauf von zehn Jahren in der Regel nicht mehr besteuert werden8 und bei rein vermögensverwaltender Tätigkeit auch keine Gewerbesteuer auf die laufenden Mieterträge anfällt.9 Erfolgt die Investition in der betrieblichen Sphäre, werden Wertsteigerungen hingegen in die Besteuerung einbezogen.10 Zudem besteht üblicherweise eine Gewerbesteuerpflicht.11 Dafür weist das Betriebsvermögen Vorzüge hinsichtlich einiger dem Betriebsvermögen vorbehaltenen Sonderregelungen auf (siehe hierzu im Einzelnen nachfolgender Abschnitt B „Lebenszyklus einer Immobilieninvestition“). Mit Blick auf die Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer kann die Qualifikation als Privatoder Betriebsvermögen ebenfalls von Bedeutung sein. So ergeben sich bspw. für Immobilien im Betriebsvermögen etwas weitreichendere Begünstigungsmöglichkeiten als für Immobilien im Privatvermögen.12 Neben der Art der Tätigkeit kann die Vermögenssphäre – also die Qualifikation als Privat- oder Betriebsvermögen  – auch allein durch die Investitionsstruktur beeinflusst werden. Vereinfachend lässt sich zwischen Personen- und Kapitalgesellschaftsstrukturen differenzieren.13

4 BVerfG v. 11.5.1970 – 1 BvL 17/67, NJW 1970, 1539; Ratschow in Blümich, § 2 EStG Rz. 73 (Mai 2020). 5 BFH v. 10.12.2001 − GrS 1/98, BStBl. II 2002, 291; Wacker in Schmidt, 39. Aufl. 2020, § 15 EStG Rz. 46. 6 R 4.2 Abs. 1 Satz 13 EStR 2012; Wied in Blümich, § 4 EStG, Rz. 340 f. (Mai 2020). 7 BMF, Schr. v. 26.3.2004 – IV A 6 – S 2240 46/04, BStBl. I 2004, 424, Tz. 2; Kulosa in Schmidt, 39. Aufl. 2020, § 21 EStG Rz. 101. 8 Vosseler/Regierer, ZEV 2018, 434 (436). 9 Güroff in Glanegger/Güroff, 9. Aufl. 2017, § 2 GewStG Rz. 100. 10 Grashoff in Steuerrecht 2011, 7. Aufl. 2011, 2. Kapitel Rz. 117. 11 Hidien/Pieper in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 2 GewStG Rz. 19 (August 2020); Vosseler/Regierer, ZEV 2018, 434 (437). 12 Die wohl wesentlichste Begünstigung für Immobilieninvestitionen im Betriebsvermögen greift dabei für sogenannte Wohnungsunternehmen i.S.d. §  13b Abs.  4 Satz 2 Buchst.  d ErbStG, vgl. hierzu auch Scheffler/Blank, DStR 2018, 2538 (2538 ff.). 13 Rödl in FS Rödl 2009, S. 61 (63).

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b) Investition über eine Personengesellschaft Als Personengesellschaften kommen für Immobilieninvestitionen insbesondere die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die offene Handelsgesellschaft (OHG), die Kommanditgesellschaft (KG) sowie die Sonderform der Kommanditgesellschaft, die GmbH & Co. KG, in Betracht. Auch eine (atypisch) stille Gesellschaft kann sich in bestimmten Konstellationen anbieten.14 Bei vermögensverwaltender Tätigkeit kann das Vermögen der Personengesellschaft grundsätzlich als steuerliches Privatvermögen qualifizieren.15 Aufgrund einer Sonderregelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG genügt allerdings eine geringfügige gewerb­liche Nebentätigkeit für eine schädliche Infektion sämtlicher Erträge auf Ebene der Personengesellschaft (sog. „gewerbliche Abfärbung“).16 Der Bereich der Vermögensverwaltung wird dann insgesamt verlassen und führt zu Betriebsvermögen.17 Einen Sonderfall bildet die GmbH & Co. KG. Hier kann sich die Gewerblichkeit allein aus der Rechtsform ergeben. So führen die Vollhafterstellung und Einflussmöglichkeit der Komplementär-GmbH nämlich auch bei bloßer Vermögensverwaltung grundsätzlich zu gewerblichen Einkünften (sog. „gewerbliche Prägung“ nach §  15 Abs. 3 Nr. 2 EStG).18 Durch gesellschaftsvertragliche Ausgestaltung kann die GmbH & Co. KG jedoch zur Erreichung von steuerlichem Privatvermögen „entprägt“ werden, sodass sich für die GmbH & Co. KG ein gewisser Gestaltungsspielraum ergibt.19 Aufgrund ihrer großen Flexibilität sind Personengesellschaften, insbesondere die GmbH & Co. KG, gerade im Mittelstand ein beliebtes Investitionsvehikel.20 Für die Anwendbarkeit der erbschaftsteuerlichen Betriebsvermögensbegünstigungen nach §§  13a, 13b ErbStG existieren insoweit  – anders als bei Kapitalgesellschaftsbeteiligungen – auch keine Anforderungen an eine Mindestbeteiligung der Gesellschafter (Erblasser oder Schenker).21 c) Investition über eine Kapitalgesellschaft Als Kapitalgesellschaft inländischen Rechts sind vor allem die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) sowie die Aktiengesellschaft (AG) zu nennen. Nach § 8 Abs. 2 KStG erzielen (inländische) Kapitalgesellschaften stets gewerbliche Einkünf14 Wichmann/Dißars, ZEV 2018, 441 (441); Blaurock in Blaurock, Handbuch stille Gesellschaft, Rz. 2.11 ff. 15 Kemcke/Schäffer in Haase/Dorn, Vermögensverwaltende Personengesellschaft, 3.  Aufl. 2018, Kapitel 3, A.I. Rz. 2. 16 Kanzler/Kraft/Bäuml in Meyer/Bäuml, §  15 EStG Rz 491  f. (Januar 2020); Korn/Scheel, DStR 2019, 1165 (1667 f.). 17 Korn/Scheel, DStR 2019, 1665 (1665 f.). 18 BFH v. 3.8.1972 – IV R 235/67, BStBl. II 1972, 799; Krumm in Kirchhof/Seer, 19. Aufl. 2020, § 15 EStG Rz. 135. 19 Haase, StuB 2004, 871 (873). 20 Holler in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 7, 6. Aufl. 2020, § 75 Rz. 72. 21 Vgl. Wortlaut in § 13b Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ErbStG.

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te22 und verfügen somit zwangsläufig über Betriebsvermögen.23 Eine Unterscheidung der Einkunftsart in Vermögensverwaltung und Gewerblichkeit ist nicht möglich. Gerade bei einem hohen individuellen Einkommensteuersatz des Gesellschafters und einer beabsichtigten (langfristigen) Thesaurierung kann sich der niedrige Steuersatz einer Kapitalgesellschaft (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG) von 15 % (zzgl. Solidaritätszuschlag) vorteilhaft auswirken – und zwar selbst dann, wenn eine Gewerbesteuerbelastung nicht durch Anwendung der erweiterten Kürzung vermieden werden kann. Sind aufgrund eines bestehenden Liquiditätsbedarfs des Investors (laufende) Ausschüttungen erforderlich, sollten wegen des für Kapitalgesellschaften geltenden Trennungsprinzips auch die draus resultierenden Auswirkungen auf Ebene des Anteilseigners in die Gesamtsteuerbelastung einkalkuliert werden.24 Die Investition über eine Kapitalgesellschaft kann sich dann ggf. nachteilig auswirken.25 Für unentgeltliche Übertragungen im Rahmen der Erbfolge bzw. Schenkung besteht für Kapitalgesellschaftsbeteiligungen zur Nutzung der Betriebsvermögensbegünstigungen nach §§ 13a, 13b ErbStG allerdings eine Mindestbeteiligungshöhe von 25 % als Einstiegshürde. Bei geringeren Beteiligungsquoten kann eine „Poolung“ von Anteilen Abhilfe schaffen, um die grundsätzliche Begünstigungsfähigkeit der Gesellschaftsanteile herzustellen.26 Nicht zu vernachlässigen ist bei langfristigen Investitionen im Familienverbund auch die (Familien-)Stiftung. Aufgrund des niedrigen Körperschaftsteuersatz von 15  %, einer Gewerbesteuerfreistellung, steuerfreier Veräußerungsmöglichkeiten nach Ablauf von zehn Jahren, der erbschaftsteuerlichen Begünstigungen sowie der immensen Schutzwirkung sind Stiftungslösungen absolut „en vogue“ und bei zahlreichen Familien als Investitionsvehikel im Einsatz.27 3. Sonstige Aspekte der Rechtsformwahl Ausgangspunkt für die Frage nach der richtigen Rechtsform einer Immobilieninvestition sind jedoch nicht allein die steuerlichen Folgen. Vorrang haben zunächst die wirtschaftlichen Ziele der Investition. Während für einen Projektentwickler wohl eher die Konsequenzen der Immobilienveräußerung – also dem Exit – im Fokus ste22 Scheffler/Blank, DStR, 2018, 2538 (2543). 23 St. Rspr. BFH v. 28.10.2015 – I R 10/13, BStBl. II 2016, 298, Rz. 11; Musil in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 4 EStG, Rz. 100 (Juni 2020); Bode in Kirchhof, § 4 EStG, 19. Aufl. 2020, Rz. 64; Rengers in Blümich, § 8 KStG, Rz. 61 (Mai 2020); Wied in Blümich, § 4 EStG, Rz. 391 (Mai 2020). 24 Für natürliche Personen gilt grundsätzlich die Abgeltungsteuer (§ 20 Abs. 1, § 32b i.V.m. §§ 43 ff. EStG) bzw. das Teileinkünfteverfahren (§ 3 Nr. 40 i.V.m. § 3c EStG). Kapitalgesellschaften können bei einer Beteiligung von mehr als 10 % eine effektive Steuerfreistellung von 95 % erreichen (§ 8b KStG). 25 Vgl. Scheffler/Blank, DStR 2018, 2538 (2538  f.); Kußmaul/Meyering, GmbHR 2016, 385 (391 ff.). 26 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13b ErbStG Rz. 198, 205 (November 2019). 27 Vgl. von Oertzen, BB 2019, 2647 (2647).

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hen, wird sich ein Bestandshalter mehr mit der Haltephase auseinandersetzen. Auch Faktoren wie Haftung, Mitbestimmung, Leitungsstruktur und Publizität kommt eine wesentliche Rolle zu.28 Darüber hinaus können die Liquiditätsanforderungen des Anlegers sowie die Art der Finanzierung entscheidenden Einfluss auf das Investitionsvehikel haben. Gerade für Privatpersonen sollten ferner Aspekte der Nachfolgeplanung sowie damit verbundene Übertragungsmöglichkeiten nicht unberücksichtigt bleiben.29 Doch nicht bei jeder Investition ist von vornherein klar, welcher Zweck später tatsächlich verfolgt wird. Unvorhersehbare Marktentwicklungen, Veränderung der persönlichen Verhältnisse oder Neuerungen der Gesetzgebung können zu einer nachträglichen Änderung der Investitionsabsicht führen, sodass das ursprünglich gewählte Rechtskleid kontinuierlich überprüft werden sollte. Somit kann auch die Flexibilität der gewählten Rechtsform vor dem Hintergrund künftiger Umstrukturierungen von Bedeutung sein.30

III. „Lebenszyklus“ einer Immobilieninvestition 1. Steuerliche Folgen des Erwerbs a) Ertragsteuer Unabhängig von der Einkunftsart, der gewählten Rechtsform und der Frage, ob die Investition im Privat- oder Betriebsvermögen erfolgt, liegt mit Erwerb einer Immobilie im Wege des Asset Deals eine erfolgsneutrale Anschaffung vor. Die Anschaffungskosten, d.h. die Aufwendungen für den Erwerb (regelmäßig der Kaufpreis) einschließlich der Anschaffungsnebenkosten (z.B. Notargebühren, Grunderwerbsteuer, Maklergebühren und Beratungskosten)31 sind zunächst auf die einzelnen steuerlichen Wirtschaftsgüter des Grundstücks – Gebäude sowie Grund und Boden, Außenanlagen und etwaige selbständige Gebäudeteile – zu verteilen. Im Falle eines einheitlichen Kaufpreises ist eine Kaufpreisallokation vorzunehmen. Zur Verwaltungsvereinfachung wurde seitens des Bundesfinanzministeriums eine Arbeitshilfe zur Kaufpreisaufteilung veröffentlicht, die jedoch als unverbindliches Serviceangebot keine Rechtssicherheit bietet.32 28 Vgl. Keller in Haase/Jachmann (Hrsg.), Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, § 1 Rz. 1 ff. 29 Vgl. Rödl in FS Rödl, 2008, S. 61 (62 f.). 30 Schiffers in Prinz/Kahle, Beck`sches Handbuch der Personengesellschaft, § 1 Rz. 82 ff. 31 Die steuerliche Definition der Anschaffungskosten schließt sich an die handelsrechtliche Definition nach §  255 Abs.  1 HGB an. Besteht Vorsteuerabzug, zählt etwaige Vorsteuer nicht zu den Anschaffungskosten (§ 9b EStG). 32 Sog. „Arbeitshilfe zur Aufteilung eines Gesamtkaufpreises für ein bebautes Grundstück (Kaufpreisaufteilung)“, abrufbar unter www.bundesfinanzministerium.de. Die Eignung der Arbeitshilfe zur Kaufpreisaufteilung steht noch zur Entscheidung vor dem Bundesfinanzhof aus (BFH v. 21.1.2010 − IX R 26/19, Beitritt BMF; Vorinstanz FG Berlin-Brandenburg v. 14.8.2019 − 3 K 3137/19; Jacoby/Geiling, DStR 2020, 481 (481 ff.)).

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Hinsichtlich der abnutzbaren Wirtschaftsgüter, d.h. insbesondere des aufstehenden Gebäudes sowie selbständiger Gebäudeteile, sind die Anschaffungskosten auf die Gesamtdauer der Verwendung oder Nutzung zu verteilen und wirken sich im Betriebssowie im Privatvermögen lediglich im Wege der jährlichen Absetzung für Abnutzung („AfA“) aus. Ertragsteuerlich bietet der direkte Erwerb einer Immobilie im Wege des Asset Deals folglich den Vorteil (gegenüber grundsätzlich nicht abschreibungsfähigen Kapitalgesellschaftsbeteiligungen) von jährlichem Abschreibungspotential, das sich über die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer steuermindernd auswirkt. Sowohl im Bereich des Betriebs- als auch des Privatvermögens und unabhängig von der Rechtsform wirkt sich der auf die nicht abnutzbaren Wirtschaftsgüter (Grund und Boden) entfallende Kaufpreisanteil erst bei künftiger Realisation (bspw. Verkauf, Übertragung oder Entnahme der Immobilie) aus. Ausschließlich im Rahmen von Betriebsvermögen und damit gewerblichen Einkünften besteht die Möglichkeit, zuvor (bspw. durch Veräußerung) realisierte stille Reserven auf ein neu erworbenes Grundstück (Grund und Boden sowie Gebäude) unter Beachtung der Grundsätze des § 6b EStG zu übertragen (sog. § 6b-Rücklage). Das mindert im Erwerbszeitpunkt zwar die steuerlichen Anschaffungskosten und damit einhergehend das Abschreibungsvolumen, der steuerliche Vorteil liegt jedoch in der Verlagerung der Besteuerung stiller Reserven in die Zukunft und der Möglichkeit zur Sicherung eines gewissen Liquiditätsvorteils („Steuerstundungs-Effekt“). b) Grunderwerbsteuer Der Erwerb einer inländischen Immobilie durch Abschluss eines Kaufvertrags sowie anderer Rechtsgeschäfte, die den Anspruch auf Übereignung begründen, sind grunderwerbsteuerbare Vorgänge nach § 1 GrEStG. Die Grunderwerbsteuer bemisst sich grundsätzlich nach dem Wert der Gegenleistung, mithin regelmäßig am Kaufpreis, sowie dem für jedes Bundesland individuellen Grunderwerbsteuersatz (bspw. Bayern 3,5% und Nordrhein-Westfalen 6,5%). Bei einem Asset Deal ist die Grunderwerbsteuer in der Regel auch nicht zu vermeiden.33 c) Umsatzsteuer Der Erwerb einer im Inland belegenen Immobilie durch einen Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes stellt grundsätzlich eine steuerbare Lieferung dar, die regelmäßig von der Umsatzsteuer befreit ist. Aus Gründen des Vorsteuerabzugs kann sich die Option zur Umsatzsteuerpflicht bei Veräußerungen an einen Unternehmer für dessen Unternehmen  – sowohl aus Sicht des Veräußerers als auch des Erwerbers  – positiv auswirken. Voraussetzung ist, dass die Option (bei Zulässigkeit der Option dem Grunde nach) im notariell beurkundeten Vertrag ausgeübt wird. Dabei ist allerdings die umgekehrte Steuerschuldnerschaft zu beachten, wonach der Erwer33 Ausnahmen gelten jedoch im Rahmen des § 3 GrEStG z.B. für den Verkauf an nahe Angehörige oder Ehegatten.

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ber sowohl die Umsatzsteuer schuldet als auch über den (womöglich anteiligen) Vorsteuerabzug verfügt. Bei Immobilienverkäufen an Unternehmer können allerdings auch die Voraussetzungen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen (§  1 Abs.  1a UStG) vorliegen, wenn u.a. die vermietete Immobilie als gesondert geführter Betrieb qualifiziert. Der Verkauf unterliegt sodann generell nicht der Umsatzsteuer. In diesen Fällen tritt der Erwerber an die Stelle des Veräußerers, was insbesondere für den Vorsteuerabzug und eine etwaige Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG zu beachten wäre. d) Erbschaft- und Schenkungsteuer Erbschaft- und schenkungsteuerliche Folgen einer Immobilienanschaffung sind insbesondere dann zu beachten, wenn zwischen Veräußerer und Erwerber ein Näheverhältnis besteht. Soll ein Rechtsgeschäft unter nahen Angehörigen wie unter Dritten steuerlich anerkannt werden, sind die tatsächliche Durchführung der zivilrechtlichen Vereinbarungen sowie die Kaufpreisbemessung zu fremdüblichen Konditionen unerlässlich.34 Auch die Grundsätze des § 42 AO sind zu beachten.35 Anderenfalls können überraschende Erbschaft- bzw. Schenkungsteuerbelastungen sowohl auf Seiten des Erwerbers als auch des Veräußerers die Folge sein (Erwerb als (teilweise) Schenkung). 2. Laufende Besteuerung während der Haltephase a) Ertragssteuer aa) Privatvermögen versus Betriebsvermögen Während bei Privatvermögen die Ermittlung der Einkünfte durch Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten erfolgt, ist bei Betriebsvermögen der Gewinn im Sinne des § 4 EStG (als Betriebseinnahmen abzüglich Betriebsausgaben) maßgeblich. Ein wesentlicher Unterschied für die laufende Besteuerung besteht bspw. in unterschiedlichen Abschreibungssätzen. Dabei beträgt der AfA-Satz bei gewerblichen Einkünften 3% (§ 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG) und der für Privatvermögen und Vermietungseinkünfte nach § 21 EStG nur 2% (§ 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 a) EStG). Zudem bestehen weitere dem Betriebsvermögen vorbehaltene Sonderregelungen (z.B. Teilwertabschreibungen). bb) Personengesellschaft Die Besteuerung von Personengesellschaften erfolgt für Zwecke der Einkommensbesteuerung transparent, weswegen die Einkünftequalifikation und -ermittlung zwar zunächst nach den allgemein geltenden Grundsätzen auf Ebene der Personengesell34 Günther, GStB 2020, 135 (135 f.); Hermann, NWB 2007, 4 (4 ff.). 35 BFH v. 10.7.2019 – X R 21-22/17, juris − zu Grundstücksübertragungen zwischen Ehegatten.

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schaft erfolgt; die tatsächliche Besteuerung findet hingegen (ggf. nach einer Umqualifizierung der Einkünfte36) erst nachgelagert auf Ebene der Gesellschafter statt. Aufgrund der unmittelbaren Zurechnung von Einkünften kommt es auf einen Ausschüttungsbeschluss oder dergleichen nicht an. Die Einkünfte werden den Gesellschaftern entsprechend der Beteiligungsquote mit Ablauf des Wirtschaftsjahres zugewiesen. Die tatsächliche Steuerbelastung orientiert sich dann an der Besteuerung des betreffenden Gesellschafters. Dementsprechend wirkt sich die Vermögensverwaltung einer Personengesellschaft nur dann bei der Besteuerung der Einkünfte auch tatsächlich aus, wenn der Gesellschafter eine natürliche Person ist, die außerhalb einer betrieblichen Sphäre beteiligt ist. Handelt es sich bei dem Gesellschafter um eine Kapitalgesellschaft, beträgt der Steuersatz 15% zzgl. Solidaritätszuschlag. Für natürliche Personen als Gesellschafter greift der progressive Einkommensteuertarif zzgl. Solidaritätszuschlag, wobei für natürliche Personen als Gesellschafter im Falle von gewerblichen Einkünften der Personengesellschaften anstelle der Sofortversteuerung auf Antrag eine Thesaurierungsbegünstigung für nicht entnommene Gewinne in Anspruch genommen werden kann. Die Folge ist eine günstigere Besteuerung der anteiligen Einkünfte des entsprechenden Veranlagungszeitraums mit pauschal 28,25 %. Zu beachten ist jedoch eine Nachversteuerung zu 25% im Zeitpunkt der Entnahme der zuvor begünstigt besteuerten und thesaurierten Einkünfte. Im Ergebnis lohnt sich die Thesaurierungsbegünstigung daher regelmäßig nur, wenn der Gesellschafter als natürliche Person dem Spitzensteuersatz unterliegt.37 Die Berücksichtigung negativer laufender Einkünfte von Personengesellschaften ist grundsätzlich im Wege des horizontalen und vertikalen Verlustausgleichs auf Ebene des Gesellschafters (mit dessen anderen Einkünften38) möglich. Für beschränkt haftende Gesellschafter, wie den Kommanditisten einer Kommanditgesellschaft, kann allerdings die Verlustberücksichtigung nach Maßgabe des §  15a EStG beschränkt sein. Demnach sind Verluste nur insoweit abzugsfähig, als ihnen für den einzelnen Gesellschafter ein positives Kapitalkonto bei der Personengesellschaft gegenübersteht. Sobald und soweit das Kapitalkonto durch Zurechnung von Verlusten negativ wird oder sich der negative Kapitalkontenstand erhöht, sind die Verluste nur „verrechenbar“, d.h. innerhalb der nämlichen Personengesellschaft vortragsfähig und nur mit Gewinnen künftiger Jahre – dafür ohne Beachtung der Mindestbesteuerung im Sinne des § 10d Abs. 2 EStG – zu verrechnen. cc) Kapitalgesellschaften Die laufenden Einkünfte einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft aus der Vermietung unterliegen als gewerbliche Einkünfte grundsätzlich der Körperschaftsteuer mit 15% (zzgl. Solidaritätszuschlag) und der Gewerbesteuer. 36 Köhler in Kessler/Körner/Köhler, Konzernsteuerrecht, 3. Aufl. 2018, § 4 Rz. 170. 37 Vgl. Ratschow in Blümich, § 34a EStG, Rz. 5 (Mai 2020); Schiemann Stbg 2008, 141 ff. 38 Allgemeine Verlustverrechnungsbeschränkungen (z.B. § 20 Abs. 6 EStG) sind zu beachten.

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Im Fall von negativen Einkünften werden gesondert festzustellende Verlustvorträge auf Ebene der Gesellschaft angehäuft, die in späteren Jahren in den Grenzen der Mindestbesteuerung künftige positive Einkünfte (bspw. durch erzielte Veräußerungsgewinne) mindern können. Eine Verlustverrechnung auf Gesellschafterebene ist hier ausgeschlossen. b) Gewerbesteuer Mit einer (regelmäßig vorliegenden) inländischen Betriebsstätte (§  12 AO) besteht im Fall von gewerblichen Einkünften zudem Gewerbesteuerpflicht (§§ 2, 7 GewStG). Das gilt für Kapital- als und gewerbliche Personengesellschaften gleichermaßen. Vermögensverwaltende Personengesellschaft fallen nicht in die Gewerbesteuerpflicht. Die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer basiert zunächst auf dem ertragsteuerlichen Gewinn (§ 7 GewStG), der um Hinzurechnungen und Kürzungen vermehrt bzw. vermindert wird. Die Höhe der Gewerbesteuer richtet sich nach dem individuellen Gewerbesteuerhebesatz der Gemeinde, wo der steuerpflichtige Rechtsträger ansässig ist und beläuft sich in der Regel auf ca. sieben bis 19%. Bei Immobilienbesitz im Betriebsvermögen von Kapital- und Personengesellschaften erfolgt zur Vermeidung der Doppelbelastung von Grundsteuer und Gewerbesteuer grundsätzlich eine Kürzung in Höhe von 1,2% des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen gehörenden Grundbesitzes.39 Wird indes ausschließlich eigener Grundbesitz genutzt und verwaltet, ist darüber hinaus eine erweiterte Kürzung des Teils des Gewerbeertrags gem. § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG möglich, der auf die Nutzung und Verwaltung eigenen Grundbesitzes entfällt. Diese sog. erweiterte Grundbesitzkürzung kommt aber nur unter strengen Kriterien zur Anwendung. Die Ausübung anderer Tätigkeiten oder der Mitvermietung von Wirtschaftsgütern, die gewerbesteuerlich nicht als Grundbesitz qualifizieren (wie bspw. Betriebsvorrichtungen) sind für die Anwendung des § 9 Nr. 1 S. 2 ff. GewStG schädlich. Zur beabsichtigen Anwendung der erweiterten Grundbesitzkürzung ist daher sorgsam auf die Einhaltung der Vo­ raussetzung durch Nutzung und Vermietung eigenen Grundbesitzes zu achten. Im Falle einer tatsächlichen Gewerbesteuerbelastung für gewerblich tätige Personengesellschaften verschafft zumindest eine partielle Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer für natürliche Personen als Gesellschafter eine Entlastung (§  35 EStG). Eine analoge Gewerbesteueranrechnung für Kapitalgesellschaften ist nach aktueller Rechtslage nicht verfügbar. c) Grundsteuer Inländischer Grundbesitz unterliegt der Grundsteuer. Als Bemessungsgrundlage wird der Einheitswert der wirtschaftlichen Einheit herangezogen.40 Für Immobilien 39 Geils in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, 2020, § 7, Rz. 62; Gosch in Blümich, § 9 GewStG, Rz. 19 (Mai 2020). 40 Keller/Petersen in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, 2020, § 7, Rz. 264 ff.

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ist somit das Grundstück maßgeblich (§§ 68, 70 BewG). Die Umsetzung der ab dem Jahr 2025 gültigen Grundsteuerreform ist bundeslandindividuell möglich und abzuwarten. d) Umsatzsteuer Die Vermietung und Verpachtung von inländischen Grundstücken ist grundsätzlich von der Umsatzsteuer befreit (§ 4 Nr. 12 a) UStG). Auf die Qualifikation als Privatoder Betriebsvermögen kommt es aufgrund eigenständiger Kriterien (Unternehmensvermögen i.S.d. UStG) nicht an. Auch die Rechtsform ist unerheblich. Bei Vermietung an einen Unternehmer für dessen unternehmerische Zwecke besteht indes die Möglichkeit der Option zur Umsatzsteuerpflicht (§ 9 UStG). Die Option ist insbesondere mit Blick auf den Vorsteuerabzug vorteilhaft, denn mit der Option wird zugleich die grundsätzliche Abzugsfähigkeit von Vorsteuerbeträgen erreicht. Allerdings ist zu beachten, dass sich im Fall der Nutzungsänderung von steuerpflichtigen zu steuerfreien Vermietungsumsätzen (und vice versa) Auswirkungen auf den Vorsteuerabzug ergeben können, die zu Berichtigungspflicht nach § 15a UStG führen. Zur Überwachung derartiger Auswirkungen sollte insbesondere bei gemischt genutzten Immobilien und gewerblich genutzten Immobilien eine Dokumentation der Berichtigungsobjekte im Sinne des § 15a UStG geführt werden. e) Erbschaft- und Schenkungsteuer Auch bei der laufenden Besteuerung können erbschaft- bzw. schenkungsteuerliche Folgen resultieren. Zu denken ist hier bspw. an überhöhte Gewinnbeteiligungen, disquotale Einlagen41 bzw. Ausschüttungen oder Zahlungen an nahstehende Personen außerhalb des Gesellschafterkreises.42 3. Veräußerung bzw. Übertragung der Immobilie a) Vorüberlegungen Die Beendigung einer Immobilieninvestition kann – vergleichbar mit dem Erwerb – ebenfalls in unterschiedlicher Weise erfolgen. In Betracht kommen sowohl der finale Exit durch Verkauf der Immobilie im Asset Deal bzw. dem im Weiteren nicht näher thematisierten Verkauf der Anteile an der die Immobilie haltenden Gesellschaft im Share Deal. Denkbar sind jedoch auch unentgeltliche oder teilentgeltliche Übertragungen, wobei sich die Übertragung sowohl auf das Einzelwirtschaftsgut „Immobilie“ als auch einen Betrieb oder Gesellschaftsanteil im Gesamten erstrecken kann. Entscheidend sind auch hier letztlich die individuellen Bedürfnisse des betreffenden Investors.

41 BFH v. 5.2.2020 – II R 9/17, DStR 2020, 1721. 42 Für einen Überblick vgl. Brüggemann, ErbBstg 2020, 12 (12 f.); Grever, RNotZ 2019, 1 (13 ff.).

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b) Ertragsteuer aa) Asset Deal Die Veräußerung der Immobilie (Asset Deal) ist im Betriebsvermögen in die Gewinnermittlung der gewerblichen Einkünfte einzubeziehen. Der Veräußerungsgewinn ermittelt sich aus dem Veräußerungspreis abzgl. des Restbuchwerts (Gebäude und Grund und Boden) und den Veräußerungskosten. Entstandene Veräußerungsgewinne können bei Realisation durch Kapitalgesellschaften mit bestehenden Verlustvorträgen innerhalb der Grenzen der Mindestbesteuerung verrechnet werden. Dafür sind Verlustvorträge in Höhe von 1 Mio. Euro sofort abzugsfähig und der übersteigende Betrag lediglich zu 60%. Eine Verlustberücksichtigung für Veräußerungsgewinne von Personengesellschaften ist aufgrund der transparenten Besteuerung grundsätzlich erst auf Ebene der Gesellschafter zu prüfen. Nach den Grundsätzen des § 6b EStG können die bei einer Veräußerung entstandenen Gewinne (stille Reserven) im Rahmen gewerblicher Einkünfte auch auf neu angeschaffte oder neu zu erwerbende Immobilien übertragen werden.43 Mit dieser Begünstigungsvorschrift besteht ein Instrument, die Versteuerung aufgedeckter stiller Reserven auf unbestimmte Zeit in die Zukunft zu verlagern. Im Privatvermögen sind Grundstücksveräußerungen bei natürlichen Personen grundsätzlich nur innerhalb von zehn Jahren seit Erwerb der Immobilie (Maßgeblichkeit des obligatorischen Rechtsgeschäfts, d.h. dem Kaufvertrag) als private Veräußerungsgeschäfte (§ 23 EStG) steuerlich erfasst. Die Veräußerung der Immobilie außerhalb dieser Zehnjahresfrist sollte grundsätzlich nicht steuerbar sein, unabhängig von der Höhe etwaiger realisierter stiller Reserven. Mit der im Ergebnis steuerfreien Veräußerung nach Ablauf der Zehnjahresfrist zeigt sich der enorme Vorteil der Investitionsstruktur im Privatvermögen. Zwar greift insoweit nicht die Begünstigung der 6b-Rücklage, allerdings ist der Verkauf nach zehn Jahren unabhängig von der Höhe etwaig realisierter stiller Reserven nicht steuerbar. bb) Besonderheiten bei Personengesellschaften (1) GmbH & Co. KG Unabhängig von der Einkunftsart sowie von Betriebs- und Privatvermögen wird mit der Realisation von Veräußerungsgewinnen für beschränkt haftende Kommanditisten einer GmbH & Co. KG die Berücksichtigung verrechenbarer und vorgetragener Verluste früherer Veranlagungszeiträume gem. § 15a EStG eröffnet. Während laufende negative Einkünfte während der Haltedauer für Kommanditisten nur nach Maßgabe des § 15a EStG abzugsfähig sind, offenbart sich der Vorteil der Struktur über eine Kommanditgesellschaft im Veräußerungsmoment. Ungeachtet der Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG werden vor Ergebniszuweisung bereits auf Ebene der Personengesellschaft vorgetragene Verluste mit entstandenen Gewinnen verrech43 Die Begünstigungsvorschrift ist ebenfalls für Kapitalgesellschaften anwendbar, siehe R 8.1 Abs. 1 Nr. 1 KStR (2015).

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net und im Wege der gesonderten und einheitlichen Feststellung verminderte anteilige Einkünfte den Kommanditisten zugewiesen. Angehäufte verrechenbare Verluste können daher über den Betrag von 1 Mio. Euro hinaus mit Veräußerungsgewinnen verrechnet werden. (2) Vermögensverwaltung – Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung Zu den vermögensverwaltenden Einkünften einer Personengesellschaft aus Vermietung und Verpachtung zählt auch die Veräußerung der zur Einkünfteerzielung genutzten Immobilie durch die Personengesellschaft. Aufgrund der Bruchteilsbetrachtung, wonach die Wirtschaftsgüter der vermögensverwaltenden Personengesellschaft anteilig den einzelnen Gesellschaftern zugerechnet werden, wird prinzipiell auch die Veräußerung anteilig den Gesellschaftern zugerechnet und dort verwirklicht.44 Die tatsächliche Besteuerung der Veräußerungsgewinne richtet sich daher nach den Besteuerungsgrundsätzen der Gesellschafter. Bei natürlichen Personen und im Privatvermögen somit nur in den Grenzen der privaten Vermögenssphäre sowie der privaten Veräußerungsgeschäfte (§ 23 EStG), Etwas anderes gilt nur, wenn mit der Veräußerung mehrerer Immobilien die Grenze der Vermögensverwaltung hin zur Gewerblichkeit überschritten wird, sog. Gewerblicher Grundstückshandel. Davon ist regelmäßig mit der Veräußerung von mehr als drei Objekten innerhalb von fünf Jahren (sog. Drei-Objekt-Grenze) auszugehen.45 In diesen Fällen unterliegen die Veräußerungsgewinne als gewerbliche Einkünfte gem. § 15 EStG auch nach Ablauf der Zehnjahresfrist der Besteuerung. c) Gewerbesteuer Gewinne aus der Veräußerung von Immobilien aus dem Betriebsvermögen durch Kapital- sowie Personengesellschaften und natürlichen Personen sind Bestandteil der gewerblichen Einkünfte und unterliegen (zumindest im Inlandsfall) somit auch der Gewerbesteuer. Bei Anwendung der erweiterten Grundbesitzkürzung sind auch die Veräußerungsgewinne von der Begünstigung erfasst. Verlustvorträge können auch bei der Gewerbesteuer bis zu 1 Mio. Euro unbeschränkt und darüber hinaus lediglich zu 60% verrechnet werden (§ 10a Abs. 2 GewStG). d) Grunderwerbsteuer Die Veräußerung einer Immobilie im Wege des Asset Deals unterliegt grundsätzlich der Grunderwerbsteuer (§  1 GrEStG). Der Grunderwerbsteuersatz bestimmt sich nach dem Bundesland, in dem die Immobilie belegen ist.46 44 OFD Frankfurt, Rundvfg. v. 7.8.2014 – S 2256 A – 41 St 213, DStR 2014, 1832; Geils in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, 2020, § 16, Rz. 52 ff.; Trossen in BeckOK EStG, Kirchhof/Kulosa/Ratschow, § 23 EStG, Rz. 78 (Mai 2020). 45 Im Detail, BMF, Schr. v. 26.3.2004 − IV A 6 – S 2240 – 46/04, BStBl. I 2004, 434. 46 Siehe Tz. III. 1. b).

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e) Umsatzsteuer Ebenso wie bei Erwerb, ist auch die Veräußerung einer Immobilie bei Vorliegen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen ein nicht umsatzsteuerbarer Vorgang (§ 1 Abs. 1a UStG). In allen anderen Fällen ist die Veräußerung grundsätzlich umsatzsteuerbefreit. Durch Ausübung einer Option im notariellen Kaufvertrag kann die Umsatzsteuerpflicht des Verkaufs herbeigeführt werden. Als Konsequenz findet die umgekehrte Steuerschuldnerschaft im Sinne des §  13b UStG Anwendung, wodurch der Erwerber die Umsatzsteuer schuldet und unter den Voraussetzungen des § 15 UStG den Vorsteuerabzug geltend machen kann. f) Erbschaft- und Schenkungsteuer Soweit die Übertragung des Immobilieninvestments unentgeltlich erfolgt, stellt sich die Frage nach den erbschaft- bzw. schenkungsteuerlichen Folgen. Gerade bei Im­ mobilienvermögen, welches nur in begrenztem Umfang einer erbschaftsteuerlichen Begünstigung zugänglich ist, steht der Erbschaftsteuerbelastung im Unterschied zu einer Veräußerungsgewinnbesteuerung jedoch keine entsprechende Liquidität gegenüber.47 Im ungünstigsten Fall bleibt nur die Veräußerung des Vermögens, um die Erbschaftsteuerzahllast begleichen zu können. Es lohnt daher bereits zu Beginn einer Investition auch den erbschaft- bzw. schenkungsteuerlichen Folgen einen Gedanken zu widmen. aa) Begünstigungsmöglichkeiten im Privatvermögen Hauptanwendungsfall der erbschaftsteuerlichen Begünstigungen für Immobilien im steuerlichen Privatvermögen außerhalb der Eigennutzung (Direktinvestition bzw. vermögensverwaltende Personengesellschaft) ist die 10%-ige Steuerbefreiung für zu Wohnzwecken vermieteten Grundbesitz nach § 13d ErbStG. Daneben existieren für denkmalgeschützte Immobilien, Immobilien als eingetragene Kulturgüter sowie für Zwecke der Volkswohlfahrt eingesetzter Grundbesitz (wie beispielsweise Museen oder öffentlich zugängliche Parkanlagen) besondere Befreiungen (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 bzw. 3 ErbStG).48 bb) Begünstigungsmöglichkeiten im Betriebsvermögen Für Immobilieninvestitionen im Betriebsvermögen haben die Begünstigungsmöglichkeiten seit der Anpassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in 2016 erheblich an Bedeutung gewonnen. Seither erfolgt bezüglich des zu übertragenden Vermögens eine stringente

47 Vosseler/Regierer, ZEV 2018, 434 (435). 48 Stalleiken in Haase/Jachmann, Beck’sches Handbuch Immobiliensteuerrecht, § 4 Rz. 77 ff.

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Trennung in begünstigtes und nicht begünstigtes Vermögen.49 Dritten zur Nut­ zung überlassenes Immobilienvermögen unterliegt als „schädliches“ Verwaltungsver­ mögen daher im Grundsatz der Besteuerung.50 Zwar lag insoweit auch nach alter Rechtslage Verwaltungsvermögen vor, allerdings wurde durch das zuvor geltende „Alles-oder-Nichts-Prinzips“ regelmäßig eine „mit“-Begünstigung mit dem übrigen (operativen) Betriebsvermögen ermöglicht.51 Dies ist nun nicht mehr der Fall. Das Gesetz sieht hinsichtlich der im Betriebsvermögen gehaltenen und Dritten zur Nutzung überlassenen Immobilien in § 13b Abs. 4 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a bis f ErbStG einige Ausnahmen vor,52 die auf isolierte Immobilieninvestitionen im Sinne einer Kapitalanlage allerdings nur selten zutreffen dürften (so z.B. für Überlassungen im Rahmen einer Betriebsaufspaltung oder als Sonderbetriebsvermögen, Überlassung von Betriebsgrundstücken innerhalb von Konzernstrukturen sowie Grundstücks­ überlassungen im Zusammenhang mit Lieferungsverträgen bzw. für Zwecke der land- und forstwirtschaftlichen Bewirtschaftung). Für großvolumige Immobilienin­ vestitionen mit einem Wohnungsbestand von mehr als 300 Wohneinheiten53 ist die Ausnahme vom Verwaltungsvermögen für sogenannte „Wohnungsunternehmen“ nach § 13b Abs. 4 Nr. 1 Satz 2 Buchst. d ErbStG allerdings interessant und bietet nach aktueller Rechtslage nicht unbeachtliches Gestaltungspotenzial.54 Greift keine der in § 13b Abs. 4 Satz 2 ErbStG vorgesehenen Ausnahmen, verbleibt jedoch auch im Betriebsvermögen bei Vorliegen der Voraussetzungen zumindest in bestimmten Fällen eine entsprechende Anwendung der 10 %-Befreiung nach § 13d ErbStG.55 cc) Sonstige Gestaltungen Aufgrund der nur begrenzten Begünstigungsmöglichkeiten für Immobilien außer­ halb einer Eigennutzung werden häufig Gestaltungen im Hinblick auf die Minderung der erbschaft- bzw. steuerlichen Bemessungsgrundlage gewählt. Ziel ist dabei den Wert der Immobilie für Zwecke der Besteuerung zu mindern (z.B. durch Übertra­ gung unter Nießbrauchvorbehalt zur Erlangung eines Bewertungsabschlags).56 Die „mittelbare Grundstücksschenkung“ ist ebenfalls ein beliebtes Instrument, da hier zwar „Geld“ verschenkt wird, allerdings der ggf. niedrigere Grundbesitzwert besteu­ 49 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz, 17. Aufl. 2018, § 13b ErbStG Rz. 47. 50 §  13b Abs.  4 Nr.  1 Satz 1 ErbStG; Stalleiken in von Oertzen/Loose, 2.  Aufl. 2020, §  13b ErbStG Rz. 106. 51 Dannecker, DStR 2020, 853 (853). 52 Schley, NWB-EV 2020, 227 (228). 53 Vgl. R E 13b.17 Abs. 3 Satz 2 ErbStR 2019; a.A. BFH v. 24.10.2017 – II R 44/15, BFH/NV 2018, 502; FG Münster v. 25.6.2020 − 3 K 13/20 F, juris. 54 Lorenz, ZEV 2020, 281. 55 R E 13d Abs. 4 ErbStR 2019; Gibhardt in BeckOK ErbStG, Erkis/Thonemann-Micker, § 13b ErbStG Rz.  50 (Juli 2020); Stalleiken in von Oertzen/Loose, 2.  Aufl. 2020, §  13d ErbStG Rz. 20. 56 Für eine nähere Betrachtung vgl. Weber, NWB-EV 2020, 146 (146 f.).

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ert wird.57 Auch ein gut gewählter Übertragungszeitpunkt (z.B. bei gesunkenen Marktwerten) kann durch die Stichtagsbetrachtung die Steuerzahllast senken. Aufgrund der unterschiedlichen Bewertungsmethoden für Privat- und Betriebsvermögen, sind die Einflussmöglichkeiten allerdings sehr unterschiedlich.58

IV. Fazit Der Erfolg einer Immobilieninvestition hängt von zahlreichen Aspekten ab. Der Einfluss steuerlicher Folgen ist nicht zu unterschätzen und sollte bei der Planung, während der Haltedauer und auch mit Blick auf den Exit oder die Übertragung auf einen Nachfolger berücksichtigt werden. Welche Struktur sich mit Blick auf das Investitionsvorhaben im Einzelnen eignet, ist genau abzuwägen. Eine Universallösung für jegliche Investments existiert angesichts unterschiedlicher Motivationen und Absichten leider nicht. Stattdessen empfiehlt sich eine detaillierte Begutachtung der Vorund Nachteile des Einzelfalls unter Berücksichtigung individueller Interessen.

Dr. Rebecca Wald Steuerberaterin, Diplom-Finanzwirtin, Master of Arts

Lisa Frühwacht Steuerberaterin, Diplom-Finanzwirtin

57 von Fragstein und Niemsdorff, NWB 2019, 793 (795). 58 Erb/Regierer/Vosseler, Bewertung von Erbschaft und Schenkung, Kap. 1 Rz. 93 (Mai 2018).

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Managerhaftung bei M&A-Transaktionen – zwischen Schiffbruch und sicherem Hafen Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Das Haftungsregime für das Management bei M&A-Transaktionen 1. Die Haftung der Geschäftsleitung ­gegenüber der Gesellschaft a) Die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen b) Das spezifische Haftungsregime bei M&A-Transaktionen 2. Die Haftung der Geschäftsleitung ­gegenüber Dritten a) Haftung aufgrund Inanspruchnahme besonderen Vertrauens b) Haftung aus Managementgarantien c) Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung

III. Das Instrument der W&I Versicherung – neues Haftungsrisiko bei M&A-Transaktionen? 1. Die W&I Versicherung – Was ist das ­eigentlich? 2. Die W&I Versicherung und der Pflichtenkatalog der Geschäftsleitung a) Pflicht der Geschäftsleitung zum ­Abschluss einer W&I Versicherung? b) Pflichten der Geschäftsleitung im ­Zusammenhang mit dem Instrument der W&I Versicherung IV. Möglichkeiten zur Haftungsvermeidung V. Fazit

I. Einleitung M&A-Transaktionen stellen das Management eines Unternehmens vor große He­ rausforderungen und verlangen von ihm äußerste Sorgfalt: Erwerb und Veräußerung von Gesellschaften sind von enormer wirtschaftlicher Tragweite und hoher Komplexität, selten völlig ohne Risiko. Die Gefahr, dass die Entscheidung für die Durchführung der Transaktion sich am Ende doch als Fehlentscheidung herausstellt, schwingt während des gesamten Prozesses immer mit. Die Geschäftsleitung der beteiligten Gesellschaften sieht sich hier zunehmenden Haftungsrisiken ausgesetzt, deren sich die Beteiligten nicht immer in ausreichendem Maße bewusst sind. Insbesondere in wirtschaftlich oder politisch unsicheren Zeiten müssen Unternehmenskäufe und -verkäufe äußerst kritisch geprüft werden: Die Vorund Nachteile müssen abgewogen, die Risiken umfassend geprüft und die Vertragsdokumentation bestmöglich verhandelt werden. Rechtsprechung und Gesetzgebung geben den Managern hier nur begrenzt Hilfestellung. Leitlinien für den besonderen Risikobereich der M&A-Transaktion fehlen. Es ist allerdings eine Tendenz zu erkennen, Pflichtverletzungen des Managements zunehmend zu ahnden. So nahm etwa die Lufthansa das Management wegen des Kaufs 579

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eines Unternehmens durch eine Tochtergesellschaft in Regress. Auch die Bayern LB nahm ehemalige Vorstände wegen des Verkaufs der Hypo Alpe Adria in Anspruch.1 Vor diesem Hintergrund soll nachfolgend untersucht werden, welches die besonderen Haftungsrisiken sind, die ein Geschäftsleiter bei M&A-Transaktionen zu berücksichtigen hat und welche Rolle in diesem Zusammenhang das neue Instrument der W&I Versicherung spielt.2

II. Das Haftungsregime für das Management bei M&A-Transaktionen Ein spezielles Haftungsregime für M&A-Transaktionen enthält das deutsche Gesellschaftsrecht nicht. Die Verantwortlichkeit des Managements im Rahmen des Erwerbs und der Veräußerung von Unternehmen richtet sich daher nach den allgemeinen Haftungsgrundlagen, insbesondere nach den Vorschriften des GmbHG und des AktG. Unterscheiden muss man hier zwischen der Haftung gegenüber der Gesellschaft (Innenhaftung)3 einerseits und gegenüber Dritten (Außenhaftung) andererseits. 1. Die Haftung der Geschäftsleitung gegenüber der Gesellschaft a) Die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen Gemäß § 93 Abs. 1 AktG haben „die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. […]“ § 93 Abs. 2 AktG bestimmt: „Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. Ist streitig, ob sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben, so trifft sie die Beweislast.“ Für Geschäftsführer einer GmbH gilt § 43 GmbHG, der – mit Ausnahme des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG – eine gleichlautende Regelung enthält. 1 S. hierzu mit weiteren Beispielen Reuter, Rückbau oder Ausbau der Managerhaftung? Eine Befundung im Licht der neueren Rechtsprechung und der Unternehmenspraxis, ZIP 2016, 597, 602. 2 Bei den nachfolgenden Ausführungen wird angenommen, dass es sich bei den an der Unternehmenstransaktion beteiligten Unternehmen um Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder nicht börsennotierte Aktiengesellschaften handelt. Die spezifischen Erfordernisse, die bei der Beteiligung einer börsennotierten Gesellschaft zu beachten sind, bleiben außer Betracht. 3 Dieser Beitrag beschränkt sich auf die Innenhaftung nach gesetzlichen Vorschriften. Eine etwaige vertragliche Haftung aus dem Vorstands- bzw. Geschäftsführeranstellungsvertrag wird nicht behandelt.

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aa) Das Haftungssystem: Mangelnde Sorgfalt führt zu Schadensersatzpflicht Die Geschäftsleiter sind bei der Erfüllung all ihrer Aufgaben also verpflichtet, die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Welche Anforderungen hier praktisch zu erfüllen sind, bestimmt das Gesetz nicht. Einen allgemeingültigen Maßstab kann es aufgrund der Vielzahl von unterschiedlichen Entscheidungssituationen nicht geben. Wie ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter zu agieren hat, bestimmt sich daher stets nach den besonderen Umständen des Einzelfalls.4 Was aber für alle Entscheidungen des Managements gilt: Bestehen Risiken, müssen diese genau analysiert und ausgeschlossen oder zumindest minimiert werden; Schaden muss von der Gesellschaft möglichst abgewendet werden.5 Verletzt die Geschäftsleitung ihre Sorgfaltspflicht und kann ihr ein Verschulden vorgeworfen werden, so hat sie der Gesellschaft einen etwa entstandenen Schaden zu ersetzen, gemäß § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG. Die Schadensersatzpflicht trifft jedes einzelne Vorstandsmitglied bzw. jeden einzelnen Geschäftsführer. Denn jeder ist selbst für die ordnungsgemäße Pflichterfüllung verantwortlich. Durch eine Aufgabenverteilung oder -delegation kann sich das Management nur in sehr begrenztem Umfang von seiner Verantwortung befreien.6 Das bestehende Haftungsrisiko wird noch dadurch vergrößert, dass nach der Rechtsprechung des BGH der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft verpflichtet ist, einen etwaigen Schadensersatzanspruch gegen den Vorstand zu prüfen und ggf. auch gerichtlich durchzusetzen.7 Etwaige Ansprüche verjähren in fünf Jahren, §  43 Abs.  4 GmbHG bzw. § 93 Abs. 6 AktG.8 bb) Die Ausnahme: Business Judgment Rule Um zu verhindern, dass jede Entscheidung, die das Management trifft, von vornhe­ rein dem Haftungsrisiko des § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG unterfällt, hat der BGH bereits im Jahre 1997 in seiner berühmten ARAG/Garmenbeck-Ent-

4 Spindler in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl. 2019, § 93 Rz. 25. 5 OLG Zweibrücken, Urteil v. 22.12.1998 – 8 U 98/98, NZG 1999, 506, 507; Böttcher, Organpflichten beim Unternehmenskauf, NZG 2007, 481, 482; Spindler (Fn. 4), § 93 Rz. 26. 6 Uwe H. Schneider in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. neu bearbeitete und erweiterte Aufl. 2017, S.  25, Rz.  2.38  ff.; Hülsmann, Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung zum GmbH-Geschäftsführer in 2018/2019, GmbHR 20/2019, 1093, 1102. S. zu den Anforderungen an eine wirksame Ressortaufteilung auch BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, GmbHR 2019, 227 ff. 7 Lutter in Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 6), S. 8, Rz. 1.18; BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244. 8 Anders bei Banken und börsennotierten Aktiengesellschaften; die Verjährung beträgt dann 10 Jahre.

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scheidung9 festgelegt, dass Geschäftsleiter nicht für jedes unternehmerische Risiko haften sollen.10 Konkret: Bei „unternehmerischen“ Entscheidungen haben Vorstände einen weitreichenden Ermessensspielraum, ohne den – so der BGH – „eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar ist.“11 Diese Überlegungen des BGH wurden inzwischen auch in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, der sog. Business Judgment Rule, kodifiziert. Danach befinden sich Vorstände dann im „sicheren Hafen“ (safe harbour), wenn sie (i) eine unternehmerische Entscheidung, (ii) zum Wohle der Gesellschaft, (iii) ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse, (iv) auf Grundlage angemessener Information und (v) gutgläubig treffen.12 Obwohl eine dem § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG entsprechende Regelung in § 43 GmbHG fehlt, wendet die ganz herrschende Ansicht die Business Judgment Rule gleichermaßen auf die Haftung des Geschäftsführers einer GmbH an.13 cc) Die Beweislast: Eine Bürde für das Management Die Gesellschaft trägt nur die Beweislast dafür, dass und in welcher Höhe ein Schaden eingetreten ist und dass dieser durch ein – möglicherweise pflichtwidriges − Verhalten des Geschäftsleiters herbeigeführt wurde.14 Das in Anspruch genommene Management dagegen muss beweisen, dass es die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat. Alternativ ist allenfalls der Nachweis möglich, dass der Schaden auch bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt eingetreten wäre.15 Will die Geschäftsleitung sich auf das Haftungsprivileg des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG berufen, muss es auch die dafür erforderlichen Voraussetzungen beweisen. Zusätzlich obliegt ihr der Beweis, dass sie kein Verschulden trifft, denn das Verschulden wird nach dem Gesetz vermutet. b) Das spezifische Haftungsregime bei M&A-Transaktionen Für Unternehmenskäufe und -verkäufe gilt im Grundsatz nichts anderes: Vorstände und Geschäftsführer haben für jede Pflichtverletzung nach den allgemeinen Haftungs 9 BGH v. 21.4.1997 (Fn. 7), S. 253. 10 BGH v. 21.4.1997 (Fn. 7), S. 253; s. auch Uwe H. Schneider in Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 6), S. 19, Rz. 2.18. Bestätigend: OLG Zweibrücken (Fn. 5), S. 506. 11 BGH v. 21.4.1997 (Fn. 7), S. 253. 12 Sieg/Zeidler in Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3.  Aufl. 2016, §  3 Rz.  17  ff.; Nauheim/Goette, Managerhaftung im Zusammenhang mit Unternehmenskäufen – Anmerkungen zur Business Judgment Rule aus der M&A-Praxis, DStR 2013, 2520, 2521; Seibt, Krisenmanagement: Rechtsrahmen für Geschäftsleiterhandeln, BB 2019, 2563, 2569; Koch in Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 93 AktG Rz. 15. 13 Werner, Haftungsrisiken bei M&A-Projekten (Teil 1), Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers bei Unternehmenskäufen, ZWH 2014, 169; Lutter in Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 6), S. 7 Rz. 1.16; BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 282; Beurskens in Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 43 Rz. 33 ff. 14 Spindler (Fn. 4), § 93 Rz. 203 ff. 15 Uwe H. Schneider in Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 6), S. 28, Rz. 2.46.

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normen einzustehen. Allerdings kommt bei M&A-Transaktionen der Eingehung geschäftlicher Risiken eine besondere Bedeutung zu. Denn Transaktionen sind riskante Geschäfte, die jederzeit zu einem Schaden für die Gesellschaft führen können. aa) Die M&A-Transaktion als haftungsprivilegierte Entscheidung? Die drängendste Frage, die sich für das Management daher bei Unternehmenskäufen und –verkäufen stellt, ist: Handelt es sich bei einer M&A-Transaktion um eine unternehmerische Entscheidung, und wann kann die eigene Entscheidung auf das Haftungsprivileg des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gestützt werden? (1) Unternehmerische Entscheidung Was eine unternehmerische Entscheidung ist, bestimmt sich in Abgrenzung zur gebundenen Entscheidung. Gebunden ist eine Entscheidung, wenn ihr Inhalt durch Gesetze, den Gesellschaftsvertrag oder Gesellschafterbeschlüsse vorgezeichnet ist und eine davon abweichende Handlungsmöglichkeit nicht gegeben ist.16 Dagegen liegt eine unternehmerische Entscheidung vor, wenn „zum ex-ante-Zeitpunkt der Entscheidung Informationen über den weiteren Geschehensablauf nicht zur Verfügung stehen, die ex-post bekannt sein werden und es deshalb nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden kann, ob sich eine bestimmte Entscheidung positiver oder negativer als die anderen Entscheidungsmöglichkeiten auswirkt.“17 Maßgebend für die Qualifikation als unternehmerische Entscheidung ist also, dass es sich um eine Prognoseentscheidung handelt, deren Entwicklung sich zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung nicht oder jedenfalls nicht vollständig absehen lässt.18 Bei der Entscheidung, ein Unternehmen zu kaufen oder zu verkaufen handelt es sich nach ganz herrschender Ansicht um eine solche unternehmerische Entscheidung.19 Sie geht nämlich stets mit komplexen Einschätzungen, Wertungen und Unwägbarkeiten einher,20 die im Zeitpunkt des Abschlusses nicht oder nicht vollständig verifizierbar sind. Die Geschäftsleitung profitiert hier grundsätzlich also von einem weiten „unternehmerischen“ Ermessensspielraum. Das bedeutet aber nicht, dass sie im Rahmen des ihr zugestandenen Ermessens auch jede beliebige Entscheidung treffen darf, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Eine Pflichtverletzung ist ja nur dann ausgeschlossen, wenn auch die weiteren Anforderungen an die Business Judgment Rule gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG erfüllt sind. 16 Uwe H. Schneider in Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 6), S. 18, Rz. 2.15. 17 Nauheim/Goette (Fn. 12), S. 2521; Werner (Fn. 13), S. 169. 18 Begr. RegE, BR-Drs. 3/05, S. 19; Nauheim/Goette (Fn. 12), S. 2522. 19 Böttcher (Fn. 5), S. 482 m.w.N.; Bücker/Kulenkamp in Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 6), S. 916, Rz. 29.91; zur Frage, ob es im Rahmen der Transaktion einzelne Entscheidungen gibt, die gebundene Entscheidungen sind, siehe nachfolgend unter I.1.b)bb). 20 Bücker/Kulenkamp in Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 6), S. 885, Rz. 29.2.

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(2) Entscheidung zum Wohle der Gesellschaft ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse Hierfür ist zunächst erforderlich, dass die vom Management getroffene Entscheidung zum Wohle der Gesellschaft erfolgt. Das ist bei einer M&A-Transaktion immer dann der Fall, wenn sie sich zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung aus Sicht des ­Geschäftsleiters als langfristig positiv für die Entwicklung des Unternehmens darstellt.21 Die Bandbreite dessen, was dem Wohle der Gesellschaft dient, reicht sehr weit: Aus Verkäuferperspektive von dem Ziel, die Insolvenz abzuwenden, oder dem Unternehmen notwendige Investitionen zu verschaffen bis zum Wunsch nach Größe, wenn damit nur ein zusätzliches Ertragspotential verbunden ist. Aus Erwerbersicht dient eine Transaktion dem Wohle der Gesellschaft, wenn damit der Eintritt in einen neuen Markt bezweckt wird oder Synergieeffekte geschaffen werden sollen.22 Nicht mehr zum Wohle der Gesellschaft ist die Entscheidung für eine M&A-Transaktion allerdings dann, wenn sie von Sonderinteressen oder sachfremden Einflüssen geleitet wird. Vorstand oder Geschäftsführer dürfen die Entscheidung also nicht nur deshalb treffen, weil sie für sie selbst oder eine ihnen nahestehende Person Vorteile bringt.23 Besondere Sorgfalt ist in diesem Zusammenhang bei einem ManagementBuy-Out anzuwenden. Hier werden die Anteile an einem Unternehmen von der aktuellen Geschäftsleitung übernommen, eine Situation, in der sich von vornherein verschiedene Interessen gegenüberstehen. Ebenso kritisch zu würdigen ist die Be­teiligung des Geschäftsleiters am Veräußerungserlös zum Zwecke seiner Incenti­vierung. Wenn solche eigenen Interessen aber im Einzelfall mit den Interessen der Gesellschaft gleich laufen, stehen sie der Anwendung des Haftungsprivilegs nicht entgegen.24 (3) Entscheidung auf der Grundlage angemessener Informationen – Due Diligence Weiter setzt § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG voraus, dass die Entscheidung auf der Grundlage umfassender Information getroffen wird.25 Nach der Rechtsprechung des BGH müssen dabei „alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausgeschöpft werden, um auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen“.26 Das klingt zunächst nach einer sehr umfassenden Informationsbeschaffungspflicht. Anerkannt ist allerdings, dass von Vorstand und Geschäftsführer nicht verlangt wer21 Werner (Fn. 13), S. 170. 22 Bücker/Kulenkamp in Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 6), S. 912, Rz. 29.76; Begr. RegE, BRDrucks. 3/05, 19 ff. 23 Werner (Fn. 13), S. 170; Begr. RegE, BR-Drucks. 3/05; 19; s. auch Nauheim/Goette (Fn. 12), S. 2524. 24 Hölters in Hölters, AktG, 3. Aufl. 2017, § 93 Rz. 38; Begr. RegE, BR-Drs. 3/05, 20. 25 Begr. RegE, BR-Drucks. 3/05, 19 ff. 26 BGH v. 12.10.2016 – 5 StR 134/15, NJW 2017, 578 (580).

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den kann, jede erdenkliche Information zu beschaffen. Das hat auch der Gesetzgeber erkannt und in der Regierungsbegründung zu § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG festgehalten: „Eine unternehmerische Entscheidung beruht häufig auch auf Instinkt, Erfahrung, Phantasie und Gespür für künftige Entwicklungen und einem Gefühl für die Märkte […]. Dies lässt sich nicht vollständig durch objektive Information ersetzen. […].“ 27 Danach obliegt es der Geschäftsleitung, die „vernünftigerweise als angemessen erachtete Information“28 auszuwerten, um eine Beurteilung der Erfolgsaussichten und der Risiken der beabsichtigen Transaktion zu ermöglichen.29 Im Rahmen einer M&ATransaktion wird hierfür − zumindest aus Sicht des Erwerbers30 – die Durchführung einer Due Diligence-Prüfung unverzichtbar sein,31 auch wenn – das sei noch einmal betont − eine absolute Pflicht hierzu nicht besteht.32 In der Praxis besteht hier oft aber auch praktisch die Notwendigkeit, den Umfang der Unternehmensprüfung gegenständlich zu beschränken. Die Kosten für die Gewinnung und detaillierte Auswertung sämtlicher Informationen zur Zielgesellschaft erreichen schnell exorbitante Höhen. Ausreichende Kapazitäten für eine unbegrenzte Prüfung stehen meist weder auf Erwerber- noch auf Verkäuferseite zur Verfügung. Darüber hinaus steht dem Interesse des potentiellen Erwerbers, möglichst viele Informationen zu sammeln, das Geheimhaltungsinteresse der Zielgesellschaft entgegen. Die Offenbarung von vertraulichen Informationen kann ihrerseits eine Pflichtverletzung darstellen. Die Geschäftsleitung der Beteiligten muss daher dafür Sorge tragen, dass beide Positionen in Einklang gebracht werden: Einerseits muss die Due Diligence dem Risikoprofil des Zielunternehmens gerecht werden und andererseits darf die Zielgesellschaft nicht überfrachtet werden mit Informationsanfragen. Das Management muss aber nicht persönlich für die angemessene Entscheidungsgrundlage sorgen. Es entspricht common practice, dass hierfür externe Berater eingesetzt werden. Eine derartige Delegation von Pflichten befreit das Management allerdings nicht davon, die zur Verfügung gestellten Informationen selbst auf Plausibilität zu prüfen und etwaige Empfehlungen der Berater ggf. umzusetzen.33 Außerdem muss

27 Begr. RegE BR-Drs. 3/5, S. 20. 28 Begr. RegE BR-Drs. 3/5, S. 20. 29 Heer, Sorgfaltspflichten der Geschäftsleitung vor dem Hintergrund beschränkter Verkäuferhaftung in Unternehmenskaufverträgen, GWR 2018, 125, 126. 30 Auch aus Sicht des Verkäufers kann es sinnvoll sein, eine Prüfung im Hinblick auf das eigene Unternehmen durchzuführen. Nur bei gleichem Wissensstand auf beiden Seiten kann angemessen auf Forderungen der Gegenseite reagiert werden. Daneben sollte sich die Zielgesellschaft auch ein umfassendes Bild vom Erwerber machen, um die Chancen und Risiken eines Zusammenschlusses ausreichend beurteilen zu können. 31 OLG Oldenburg v. 22.6.2006 – 1 U 34/03, NZG 2007, 434. 32 S.  hierzu Goette, Managerhaftung: Handeln auf Grundlage angemessener Information, Umfang einer Due-Diligence-Prüfung beim Unternehmenskauf, DStR 2014, 1776, 1777. 33 Werner, Sorgfaltspflichten des Geschäftsführers bei Unternehmensakquisitionen, Due ­Diligence, Informationspflichten und Haftungsrisiken, GmbHR 2007, 678 (680); Werner (Fn. 13), S. 172.

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der Geschäftsleiter den Berater sorgfältig auswählen und ihm vollständige Informationen zur Verfügung stellen.34 (4) Gutgläubigkeit – Fehlen von Klumpenrisiken Schließlich muss sich die getroffene Entscheidung aus Sicht des Geschäftsleiters insgesamt als vernünftig darstellen. Er darf keine sog. Klumpenrisiken eingehen– auch nicht in finanziell schwieriger Lage. Dies ist etwa dann der Fall, wenn das „Handeln schlechterdings nicht zu rechtfertigen ist und ein verantwortungsbewusst denkender und handelnder Kaufmann“ zur Übernahme solcher Risiken „zu keiner Zeit bereit wäre.“35 Hier geht es also um extreme Sonderfälle;36 schlichte Fehleinschätzungen reichen nicht. bb) Transaktionsentscheidungen ohne Haftungsprivilegierung? Dass die Entscheidung für oder gegen die Transaktion im Grundsatz haftungsprivilegiert ist, schließt aber nicht aus, dass es im Rahmen des Transaktionsprozesses auch Entscheidungen gibt, die nicht unternehmerisch im Sinne des §  93 Abs.  1 Satz 2 AktG sind. Sie fallen daher nicht unter die Haftungsprivilegierung und führen im Falle der Pflichtverletzung zu einem Schadensersatzanspruch der Gesellschaft. Hier handelt es sich insbesondere um gestalterische Maßnahmen, die der Transaktionssicherheit dienen und das Haftungsrisiko minimieren sollen.37 (1) Entscheidungen zu Struktur und Strategie Regelmäßig keine Ermessensentscheidung ist die Ausrichtung der Transaktion an finanziellen und gesellschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen der beteiligten Unternehmen. So kann eine Transaktion jedenfalls nicht umgesetzt werden, wenn die zwischen den Parteien verhandelten finanziellen Rahmenbedingungen völlig unvertretbar sind.38 Dies ist etwa dann der Fall, wenn der vereinbarte Kaufpreis von dem Erwerber nur unter Angriff auf das Stammkapital – und ohne entsprechenden Zufluss im Gesellschaftsvermögen − aufgebracht werden kann. Ausgeschlossen ist der Abschluss eines Unternehmenskaufvertrages auch, wenn der Gesellschaftsvertrag die Beteiligung an anderen Unternehmen ausdrücklich verbietet.39 Die Transaktion muss vom Unternehmensgegenstand des Erwerbers gedeckt sein. Weiter muss die M&A-Transaktion auch im Hinblick auf etwaige steuerliche Auswirkungen bei den Beteiligten strukturiert werden. 34 Krieger in Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 6), S. 47 Rz. 3.9. 35 So Henze, Leitungsverantwortung des Vorstands – Überwachungspflicht des Aufsichtsrats, BB 2000, 209, 215. 36 BGH v. 21.4.1997 (Fn. 7), S. 253; Begr. RegE, BR-Drucks. 3/05, 20. 37 Bücker/Kulenkamp in Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 6), S. 917 Rz. 29.91 f. 38 Werner (Fn. 13), S. 170; OLG Zweibrücken (Fn. 5), S. 506. 39 S. hierzu auch Werner (Fn. 13), S. 171.

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(2) Entscheidungen im Hinblick auf den Vollzug Maßnahmen zur Sicherung des Vollzugs sind ebenfalls nur bedingt dem Ermessen der Geschäftsleitung zugänglich. In diese Kategorie fallen Zustimmungserfordernisse nach dem Gesetz und der Satzung oder einer Geschäftsordnung für die Geschäftsführung. Zu beachten ist insbesondere die Vorschrift des §  179a AktG: Handelt es sich bei dem Veräußerer um eine Aktiengesellschaft,40 die ihr gesamtes Vermögen veräußert, ist vor Abschluss des Kaufvertrages zwingend ein Hauptversammlungsbeschluss einzuholen. Andernfalls ist das schuldrechtliche Geschäft nichtig; der ­Vertrag kann rückabgewickelt werden. Auch wenn die Transaktion einer Satzungsänderung gleichkommt, muss der Vorstand einen Zustimmungsbeschluss der Hauptversammlung einholen.41 Daneben muss das Management sicherstellen, dass etwaige Anzeige- oder Genehmigungspflichten erfüllt werden. Hier kommen insbesondere das Fusionskontrollverfahren beim Bundeskartellamt im Sinne des § 41 Abs. 1 GWB, Genehmigungspflichten nach den Vorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes oder etwaige Anzeigepflichten bei der Bafin zum Tragen. (3) Entscheidungen im Rahmen der Vertragsgestaltung Auch bei der Vertragsgestaltung ist das Ermessen von Vorstand und Geschäftsführer nicht grenzenlos. Sichergestellt werden muss insbesondere, dass der Vertrag keine Unwirksamkeitsrisiken enthält. Die notwendigen Formvorschriften müssen beachtet werden. Gleichzeitig müssen aber unnötige Kosten für die eigene Gesellschaft – etwa für eine nicht zwingend erforderliche Beurkundung – vermieden werden.42 Ein zumindest reduziertes Ermessen dürfte für die Geschäftsleitung des Erwerbers auch bei der Frage bestehen, ob vom Veräußerer Garantien verlangt werden. Im Rahmen der Sorgfaltspflicht muss Schaden ja grundsätzlich abgewendet werden. Ganz ohne Garantiekatalog wird es daher in der Regel nicht gehen, wenn das Management seiner Risikominimierungspflicht vollumfänglich nachkommen will. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein etwa bestehendes Haftungsrisiko tatsächlich nicht besteht oder zumindest nur in sehr geringem Maße oder wenn die Konditionen für den Erwerber so günstig sind, dass das Fehlen eines Garantiekatalogs rein tatsächlich kein (wirtschaftliches) Risiko bedeutet.

40 Die Rechtsprechung wendet diese Vorschrift analog auch auf andere Gesellschaftsformen an, insbesondere auf Personengesellschaften, s. BGH v. 9.1.1995 – II ZR 24/94, NJW 1995, 596; OLG Düsseldorf v. 23.11.2017 – I-6 U 225/16, ZIP 2018, 72. Auf GmbHs soll § 179a AktG dagegen nicht mehr anwendbar sein, s. BGH v. 8.1.2019 – II ZR 364/18, NZG 2019, 505. 41 Bücker/Kulenkamp in Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 6), S. 905 Rz. 29.58. 42 Bücker/Kulenkamp in Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 6), S. 918 Rz. 29.92.

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(4) Entscheidungen rund um die Post-M&A-Phase Ein besonderes Haftungsrisiko bergen auch Entscheidungen, die gar nicht den eigentlichen Transaktionsprozess betreffen, sondern ihre Wirkung erst nach dem Vollzug entfalten oder sogar erst danach getroffen werden. So ist zwingend, dass die Geschäftsleitung des Erwerbers Maßnahmen ergreift, um das Zielunternehmen in die Unternehmensstruktur des Erwerbers zu integrieren,43 auch wenn die Frage, um welche Maßnahmen es hier geht, ihrerseits eine Ermessensentscheidung sein dürfte. Sowohl der Geschäftsleiter der Zielgesellschaft als auch das Management des Erwerbers sind außerdem gehalten, nach Abschluss der Transaktion die Einhaltung der von den Vertragsparteien im Unternehmenskaufvertrag eingegangenen Verpflichtungen sicherzustellen. Auf Erwerberseite dürfte es daher zum Pflichtenkatalog gehören, eine ergänzende Prüfung der Zielgesellschaft vorzunehmen, insbesondere wenn die vorvertragliche Due Diligence nicht umfassend war. In diesem Rahmen sind dann etwaige Gewährleistungsfälle aufzudecken und die entsprechenden Ansprüche geltend zu machen.44 2. Die Haftung der Geschäftsleitung gegenüber Dritten Neben der Haftung der Geschäftsleitung gegenüber der Gesellschaft kommt im Rahmen von M&A-Transaktionen – in Ausnahmefällen – auch eine unmittelbare Haftung gegenüber Dritten in Betracht. Im Wesentlichen geht es hier um drei Fallgruppen: Inanspruchnahme von besonderem Vertrauen, Abgabe von Garantieerklärungen und vorsätzliche sittenwidrige Schädigung. a) Haftung aufgrund Inanspruchnahme besonderen Vertrauens Die Vertragsverhandlungen werden für die Beteiligten auf beiden Seiten regelmäßig durch das Management geführt. Nimmt der Vorstand oder Geschäftsführer in diesem Zusammenhang in besonderem Maße Vertrauen des Verhandlungspartners für sich in Anspruch und beeinflusst damit die Verhandlungen erheblich, kann dadurch ein eigenes Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 BGB unmittelbar zum Geschäftsleiter entstehen.45 Erforderlich sind hierfür nach der Rechtsprechung des BGH „Erklärungen im Vorfeld einer Garantiezusage“.46 Es muss also der Eindruck erweckt werden, das Management stehe persönlich für das Zustandekommen des Geschäfts ein.47

43 S. hierzu insbesondere Munkert, Unternehmenstransaktionen erfolgreich managen, DStR 2008, 2501, 2508. 44 Dietzel in Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, Band 1, 2001, § 9 Rz. 104. 45 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, GmbHG Großkommentar, 3. Aufl. 2020, § 43 Rz. 345. 46 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181. 47 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe (Fn. 45), § 43 Rz. 345.

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Aus dem dadurch begründeten Schuldverhältnis resultiert die Pflicht des Geschäftsleiters, wichtige Informationen an den Verhandlungspartner weiterzugeben und diesen über wesentliche Sachverhalte aufzuklären. Um einen Schadensersatzanspruch zu verhindern, sollte stets eine vertragliche Vereinbarung abgeschlossen werden, die das Zustandekommen eines solchen Schuldverhältnisses explizit ausschließt.48 b) Haftung aus Managementgarantien Eine unmittelbare Außenhaftung der Geschäftsleitung kommt auch in Betracht, wenn sog. Managementgarantien abgegeben werden. Darin erklärt die Geschäftsleitung der Zielgesellschaft persönlich, dass die im Unternehmenskaufvertrag vereinbarten Garantien richtig sind. Hintergrund dieser Erklärung ist die Tatsache, dass nicht die Zielgesellschaft, sondern das Management der eigentliche Wissensträger des Unternehmens ist. Zwar besteht nach ganz herrschender Ansicht keine Pflicht der Geschäftsleitung, eine Managementgarantie abzugeben, auch nicht gegenüber der eigenen Gesellschaft.49 Oft liegt aber beiden Parteien des Unternehmenskaufvertrages daran, die Geschäftsleitung zur Abgabe solcher eigenständiger Garantieerklärungen zu bewegen: Die Erwerbergesellschaft bekommt neben dem Veräußerer einen weiteren Schuldner; die Zielgesellschaft fühlt sich mit der Abgabe der Garantien wohler, wenn das Management deren Richtigkeit nochmals geprüft hat. Für die Geschäftsleitung allerdings können sich aus solchen Erklärungen erhebliche Haftungsrisiken ergeben. Stellt sich nach Abschluss der Transaktion heraus, dass Garantien falsch sind, kann der Erwerber aufgrund einer abgegebenen Garantie unmittelbar auf das Management zugreifen. Bei Abschluss und Ausgestaltung solcher Erklärungen ist daher größte Sorgfalt anzuwenden.50 c) Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung In seltenen Ausnahmefällen kommt im Rahmen einer Unternehmenstransaktion auch eine Haftung der Geschäftsleitung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB in Betracht. Danach ist derjenige zum Schadensersatz verpflichtet, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt. Nach der Rechtsprechung und Literatur kann dies etwa dann der Fall sein, (i) wenn die Zielgesellschaft sich in der Krise befindet oder bereits völlig überschuldet ist und (ii) der Geschäftsleiter in dieser Situation dem Vertrags48 Werner (Fn. 13), S. 174. 49 Lips in Hettler/Stratz/Hörtnagl, Beck’sches Mandatshandbuch Unternehmenskauf, 2. Aufl. 2013, § 3, Rz. 227 ff. m.w.N. Anders unter Umständen, wenn das Management an der Zielgesellschaft beteiligt ist. 50 Seibt/Wunsch, Managementgarantien bei M&A-Transaktionen, ZIP 2008, 1093 ff; Hohaus/ Kaufhold, Garantien des Managements bei Private Equity-Transaktionen, BB 2015, 709, 711 ff; Jakobs/Thiel: Managementerklärungen bei Unternehmenskäufen – Risiken und Absicherung aus Sicht der Geschäftsführung, BB 2016, 1987, 1990.

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partner verschweigt, dass eine Sanierung keine Aussicht auf Erfolg mehr hat oder gar Zahlungsfähigkeit vorspiegelt.51

III. Das Instrument der W&I Versicherung – neues Haftungsrisiko bei M&A-Transaktionen? Als seien all diese Anforderungen an die Geschäftsleitung nicht schon genug, gibt es seit einigen Jahren auch in Deutschland das Instrument der sog. W&I Versicherung.52 Was als Risikominimierungsmaßnahme für die an einer M&A-Transaktion beteiligten Unternehmen daherkommt, könnte sich schnell als neue Haftungsfalle für das Management entpuppen. 1. Die W&I Versicherung – Was ist das eigentlich? Bei der Warranty & Indemnity Versicherung („W&I Versicherung“) handelt es sich um eine sog. Gewährleistungsversicherung. Sie deckt Haftungsrisiken ab, die sich aus einer unzutreffenden Garantieerklärung ergeben.53 Das Garantieregime ist ja traditionell der Bereich der M&A-Transaktion, über den stets am kontroversesten verhandelt wird: Der Erwerber möchte einen möglichst umfassenden Garantiekatalog, um ein weitgehend risikofreies Geschäft abzuschließen. Der Veräußerer dagegen möchte möglichst wenig Garantieerklärungen abgeben, um seine Haftung zu minimieren. Die W&I Versicherung nun ist ein Mittel, um diesen Konflikt aufzulösen: Mit ihr wird einerseits dem Wunsch des Verkäufers nach einem sog. „clean cut“ Genüge getan. Andererseits bringt die W&I Versicherung auch dem Erwerber Vorteile: Schäden müssen nicht mehr beim Veräußerer geltend gemacht werden, mit dem Risiko, dass er bei Geltendmachung des Schadens vielleicht bereits zahlungsunfähig ist.54 Außerdem kann eine W&I Versicherung insgesamt dazu beitragen, dass die Vertragsverhandlungen zwischen Erwerber und Veräußerer harmonischer verlaufen: Der Streit um den Garantiekatalog verliert an Bedeutung, wenn ein Dritter für etwaige Unrichtigkeiten einsteht. Und schließlich bleibt die künftige Geschäftsbeziehung im Falle einer Garantieverletzung unbelastet, weil sie nicht durch die Verhandlung über eine Schadensregulierung getrübt wird.55

51 Für die AG s. Hölters (Fn. 24), § 93 Rz. 374; Spindler (Fn. 4), § 93 Rz. 370; für die GmbH s. Ziemons in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbH-Gesetz, 3.  Aufl. 2017, §  43 Rz. 628. 52 S. hierzu insgesamt Giessen/Lüttges, Aktuelle Trends bei W&I Versicherungen und Abwicklungspraxis bei Schäden, M&A Review 11/2019, 331 ff. 53 S. ausführlich zur W&I Versicherung Franz/Keune, Warranty and Indemnity Insurance – Die Gewährleistungsversicherung bei Unternehmenskäufen ist auch in Deutschland auf dem Vormarsch, VersR 2013, 1371. 54 Bücker/Kulenkamp in Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 6), S. 920 Rz. 29.97. 55 Giessen/Lüttges (Fn. 52), S. 331.

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Managerhaftung bei M&A Transaktionen

Dabei kann die Versicherung durch jede Partei des Unternehmenskaufvertrages abgeschlossen werden, die dann selbstverständlich auch die entsprechenden Kosten trägt. Die sog. Verkäufer-Police ist die klassische Form der Gewährleistungsversicherung. Sie wird vom Verkäufer mit dem Versicherungsunternehmen abgeschlossen und schützt diesen vor Haftungsrisiken. Der Anspruch auf Schadensregulierung steht hier dem Käufer allerdings nicht unmittelbar gegen die Versicherung zu. Ein weiterer Nachteil ist dabei der üblicherweise mit der Versicherung zu vereinbarende Selbstbehalt, so dass im Ergebnis für den Verkäufer dennoch ein gewisses Resthaftungsrisiko verbleibt. Wird dagegen eine Käufer-Police abgeschlossen, hat der Erwerber einen direkten Anspruch gegen die Versicherung und muss sich nicht erst mit dem Veräußerer auseinandersetzen.56 2. Die W&I Versicherung und der Pflichtenkatalog der Geschäftsleitung Die W&I Versicherung präsentiert sich also als „Ideallösung“ zur Risikominimierung für alle Beteiligten. Hier kann es doch eigentlich nichts mehr zu überlegen geben, könnte man meinen: Der Geschäftsleiter muss künftig bei M&A-Transaktionen eine W&I Versicherung abschließen. Denn schließlich ist es seine Pflicht, Schaden von der Gesellschaft abzuwenden und etwa bestehende Risiken zu minimieren. a) Pflicht der Geschäftsleitung zum Abschluss einer W&I Versicherung? Eine ausdrückliche gesetzliche Pflicht zum Abschluss einer W&I Versicherung im Rahmen von Unternehmenskäufen und -verkäufen gibt es – bislang – allerdings nicht. Ob das Management im Rahmen von §  93 Abs.  1 Satz 1 AktG bzw. §  43 Abs.  1 GmbHG verpflichtet ist, eine W&I Versicherung abzuschließen, ist nicht geklärt. Bei der Gewährleistungsversicherung handelt es sich um ein Instrument der Vertragsgestaltung, die – wie oben ausgeführt − regelmäßig eine unternehmerische Entscheidung darstellt. Auch die Sinnhaftigkeit einer solchen Versicherung hängt doch ganz maßgeblich von Prognosen und Einschätzungen ab, deren Eintritt zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhergesehen werden kann. Im Wesentlichen geht es hier nämlich um die Frage, wie hoch das Risiko der Verletzung einer Garantie aus dem Unternehmenskaufvertrag ist und mit welcher Wahrscheinlichkeit aufgrund der Garantieverletzung auch tatsächlich ein Schaden beim Erwerber eintritt. Sind die Kosten, die für den Abschluss der W&I Versicherung entstehen, höher, als der von der Zielgesellschaft unter Umständen zu ersetzende Schaden, muss die Kosten-Nutzen-Analyse wohl zu einer Entscheidung gegen die W&I Versicherung führen. Dass ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter stets eine Gewährleistungsversicherung abzuschließen hat, kann vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht angenommen werden. 56 Zur Abgrenzung der beiden Policen-Arten im Detail s. Franz/Keune (Fn. 53), 1372 f.

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Bettina Wirth-Duncan

b) Pflichten der Geschäftsleitung im Zusammenhang mit dem Instrument der W&I Versicherung Die Tatsache, dass die Entscheidung für oder gegen eine W&I Versicherung als unternehmerische Entscheidung zu verstehen ist, befreit das Management aber keineswegs – und zwar weder auf Erwerber- noch auf Veräußererseite – von der Pflicht, im Umgang mit diesem neuen Instrument der Transaktionsgestaltung größte Sorgfalt walten zu lassen und sich im Rahmen seines unternehmerischen Ermessens vollumfänglich damit auseinanderzusetzen. Welchen Umfang eine solche Auseinandersetzung haben muss, ist bislang ungeklärt. Verlangt werden dürfte hier zumindest die grundsätzliche Erwägung, eine solche Versicherung abzuschließen sowie die sorgfältige Abwägung des Für und Wider im Einzelfall.57 Eine nähere Auseinandersetzung mit den Details der Versicherungslösung dürfte dagegen nur dann erforderlich sein, wenn die W&I Versicherung auch tatsächlich geeignet ist, die im jeweiligen Fall bestehenden Risiken zu reduzieren.58 Ob dies der Fall ist, hängt insbesondere von den Ergebnissen der durchgeführten Due Diligence sowie davon ab, ob die Versicherung überhaupt die Punkte abdeckt, die generell am risikoträchtigsten sind.59 Selbst wenn man die Geeignetheit der W&I Versicherung zur Risikominimierung im Einzelfall bejaht, ergeben sich weitere Anforderungen für die Geschäftsleitung aus rein praktischen Erwägungen: Zur Sorgfaltspflicht gehört es dann, unter den zahlreichen Gesellschaften die „geeignete“ Versicherung auszuwählen und die besten Versicherungsbedingungen mit der gewählten Versicherungsgesellschaft zu verhandeln. Diese Aufgabe stellt – neben der zeitintensiven Verhandlung des Unternehmenskaufvertrages – einen ganz eigenen workstream dar, der in den eigentlichen Transaktionsprozess integriert werden muss.

IV. Möglichkeiten zur Haftungsvermeidung Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie das Management die beschriebenen Haftungsrisiken vermeiden, zumindest reduzieren kann. Die sicherste Variante – zumindest im Bereich der Innenhaftung − dürfte sein, sämtliche wesentlichen Entscheidungen bei Transaktionen nur nach Abstimmung mit der Gesellschafter- bzw. Hauptversammlung zu fassen. Gibt es eine ordnungsmäßige Weisung von oben,60 ist eine Sorgfaltspflichtverletzung per se ausgeschlossen. Vo­ raussetzung hierfür ist, dass die Gesellschafter eine „informierte“ Entscheidung treffen können, also über den Sachverhalt und alle damit verbundenen Risiken umfas57 Heer (Fn. 29), S. 126. 58 S. hierzu ausführlich Heer (Fn. 29), S. 128 ff. 59 Hoger/Baumann, Der M&A-Vertrag bei Abschluss einer W&I-Versicherung, NZG 2017, 811, 812. 60 Uwe H. Schneider in Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 6), S. 22 Rz. 2.27 ff.

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Managerhaftung bei M&A Transaktionen

send informiert werden. Weil das bei komplexen Gesellschaftsstrukturen oder einer Vielzahl von Gesellschaftern oft nicht möglich sein dürfte, reicht es für die Haftungsbefreiung, wenn die Gesellschafter das Handeln des Managements nachträglich genehmigen. Daneben kann die Haftung – jedenfalls bei der GmbH – vertraglich ausgeschlossen oder beschränkt werden. So kann etwa im Rahmen des Geschäftsführeranstellungsvertrages der Pflichtenmaßstab herabgesetzt, eine betragsmäßige Haftungsbeschränkung oder eine Verjährungsverkürzung festgesetzt werden.61 Darüber hinaus sollte der Vorstand bzw. Geschäftsführer stets darauf achten, dass die Gesellschaft für ihn eine D&O Versicherung abschließt, die ihn von etwaigen Schadensersatzansprüchen wegen Pflichtverletzungen freistellt – wenn auch ein gewisser Selbstbehalt vom Handelnden selbst zu tragen ist. Schließlich ist es unabdingbar, die zu treffenden Entscheidungen sorgfältig vorzubereiten und dabei alle zur Verfügung stehenden Varianten der Risikominimierung einer Abwägung zu unterziehen: Für eine „sorgfältige“ Entscheidung sind insbesondere die Instrumente der Due Diligence, Garantien und W&I Versicherung einzubeziehen. Dabei hängt die Gewichtung dieser Elemente – auch untereinander − vom jeweiligen Einzelfall ab, insbesondere vom Risikopotential der Transaktion, der Strategie der Beteiligten sowie der Struktur des Unternehmenserwerbs oder -verkaufs.

V. Fazit Eine M&A-Transaktion ist für das Management aller Beteiligten mit weitreichenden Haftungsrisiken verbunden. Geschäftsleiter bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Risikovermeidung und Chancenrealisierung. Neben der eigentlichen Entscheidung für oder gegen die Transaktion gilt es, eine Vielzahl von Weichenstellungen auf dem Weg zum Abschluss des Unternehmenskaufvertrages vorzunehmen. Jede einzelne Entscheidung muss dabei mit größtmöglicher Sorgfalt vorbereitet und dokumentiert werden.

Dr. Bettina Wirth-Duncan Rechtsanwältin, Maître en droit 61 S. hierzu Lutter in Krieger/Uwe H. Schneider (Fn. 6), S. 9 Rz. 1.19 ff.

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Stichwortverzeichnis

Ad-hoc-Publizität nach Art. 17 MAR

S. 439 ff. – Aktiengesellschaft als Tochtergesellschaft S. 447 – Auswirkung auf verschiedene Konzernkonstellationen S. 444 – Berechtigung zur Weitergabe einer Insiderinformation S. 443 – Beteiligung der Emittentin an börsennotierter AG S. 448 – Börsennotierte Tochter-AG S. 448 – Herrschender Einfluss der Emittentin auf Tochter-GmbH S. 445 – Informationsweitergabevertrag S. 450 – Kein herrschender Einfluss der ­Emittentin auf nicht-börsennotierte Gesellschaft S. 446 – Kenntnis als mögliche Voraussetzung der Publizitätspflicht S. 440 – Konzernorganisation S. 444 – Konzernsachverhalte S. 442 – Weisung auf Erteilung der Information S. 450 Änderungsbescheid im Steuerprozess – Austausch des Verfahrensgegenstandes S. 47 – Auswirkungen auf Klageverfahren S. 46 f. – Einspruch S. 51 f. – Ermessensverwaltungsakt S. 50 – Fehlende Kenntnis des Prozessbevollmächtigten S. 57 – FG entscheidet in Unkenntnis des Bescheides S. 59 – Gewinnfeststellungsbescheid S. 50, S. 57 – Handlungsoptionen im finanzgerichtl. Klageverfahren S. 53 ff., s.a. ­finanzgerichtliches Klageverfahren – Jahressteuerbescheid als Ersetzung des Vorauszahlungsbescheides S. 49

– Kenntnis des Prozessbevollmächtigten kurz vor/in mündl. Verhandlung S. 58 – Korrekturbefugnis der Finanzbehörde S. 46 – Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren S. 64 ff., s. a. dort – Prozessbevollmächtigter S. 57 – Revisionsverfahren S. 60 ff., s.a. dort – Verfahrensauswechselnder Bescheid S. 48 – Verfahrensgegenstand, Austausch S. 47 – Vorauszahlungsbescheid S. 49 ATAD I und II Richtlinie S. 151 ff. – Beweislast S. 161 ff. – Persönlicher Anwendungsbereich des § 4k EStG-E S. 155 ff. – Sachlicher Anwendungsbereich des § 4k EStG-E S. 157 ff. – D/NI-Inkongruenzen S. 157 – DD-Inkongruenzen S. 158 ff. – Importierte/indirekte Besteuerungsinkongruenzen S. 157 – Umsetzung S. 154 ff.

Bitcoin S. 67 ff.

Blockchain Technologie S. 67 ff. – Funktionsweise S. 68 ff. – Herausforderungen bei der Umsetzung S. 78 ff. – Konzept S. 68 ff. – Öffentliche S. 70 – Private S. 70 – Smart Contracts S. 71 – Tax Compliance S. 72 ff., s.a. dort – Umsatzsteuer-System S. 75 f. – Verrechnungspreis-System S. 77 f. Blocking-Verordnung S. 375 ff. – Auswirkungen in internationalen Geschäftsbeziehungen mit Iran-Bezug S. 380 ff. 595

Stichwortverzeichnis

– Inhalt S. 378 ff. – Kündigung aus wichtigem Grund wg. d. Risikos von US-Sanktionen S. 383 f. – Kündigung ggü. einem iranischen Geschäftspartner S. 381 ff. – Unwirksamkeit einer Kündigung bei Verstoß gegen - S. 384 Börsenumsatzsteuern S. 97 ff. – Britische S. 97  – Schweiz – Emissionsabgabe S. 97 f. – Umsatzabgabe S. 98 f. BsGaV S. 84 ff.

Compliance-Pflicht der Geschäftsleiter

S. 375 ff. COVID-19-Gesetz S. 361 ff.

Datenschutzgrundverordnung

(­DS-GVO) – Bußgeld nach Art. 83 DS-GVO S. 508 – Bußgeld-Berechnungsmodell der Aufsichtsbehörden S. 509 – Prävention S. 507 – Überblick S. 506 – Verteidigungsstrategien S. 507 – Zumessungskriterien für Bußgeld S. 509 DEMPE/DEMPEP – Inländische Registereintragung S. 14 – Konzept S. 11 ff. – Konzerninterne Transaktion mit immateriellen Wirtschaftsgütern, China S. 122 Digitalsteuer – Auswirkungen auf dt. Unternehmen S. 218 – Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle S. 213 ff. – Ertragsbesteuerungsprinzipien im ­internationalen Geschäftsverkehr S. 214 ff. – EU-Kommission, Vorschlag S. 216 – Regelungsinhalt S. 216 f. – Verfahrensstand S. 218 596

– Zielsetzung S. 216 f. – Folgen für Unternehmen S. 221 ff. – Geschäftsmodelle, potentiell betroffene S. 218 ff. Doppelbesteuerungsverfahren – Schiedsverfahren S. 167 ff., s.a. Verständigungs- und Schiedsverfahren – Streitbeilegung von Konflikten S. 165 ff. – Verständigungsverfahren S. 167 ff., s.a. Verständigungs- und Schiedsverfahren

EEG-Umlage 2021 und 2022

– Beihilfenrechtliche Fragen S. 435 – Besondere Ausgleichsregelung des EEG S. 436 – Deckelung für die Jahre 2021 und 2022 S. 432 – Haushaltsmittel auf dem EEGKonto S. 433 – Politische Entscheidung S. 432 – Technische Änderung d. Ergänzung eines Einnahmentatbestands S. 432 – Einkünfte aus dem nationalen Emissionshandel S. 433 – Entwicklung der EEG-Umlage bis zur Deckelung S. 430 – Erhebung der EEG-Umlage S. 430 – Haushaltsmittel S. 433 – Höhe der EEG-Umlage S. 431 Erbengemeinschaft – Abschichtung S. 321 – Auseinandersetzung S. 317 ff. – Einvernehmliche Lösungen der Erben S. 320 – Entstehung S. 314 ff – Erbauseinandersetzungsvertrag S. 320 – Erbschaftsteuer S. 322 ff. – Erbteilübertragung S. 321 – Ertragsteuer S. 324 f. – Gesetzliches Auseinandersetzungsverfahren S. 318 – Rechtsnatur S. 315

Stichwortverzeichnis

– Steuerliche Auswirkungen der Auseinandersetzung S. 322 – Verwaltung des Nachlasses S. 316 Erbschaft- und Schenkungsteuer – Immobilieninvestition, inländische S. 570, S. 573 – Realteilung S. 237 f. Ermessensverwaltungsakt S. 50 Extraterritoriale Lizenzvereinbarungen S. 3 ff. – Besteuerungsrecht dem Grunde nach S. 5 ff. – Auslegung des § 49 Abs. 1 EStG S. 6 – Beschränkte Steuerpflicht gem. § 49 Abs. 1 EStG S. 5 – Finanzgerichtliche Rechtsprechung S. 8 – Besteuerungsrecht der Höhe nach S. 10 ff. – DEMPE-Funktionen einer inländ. Registereintragung S. 14 – DEMPE-Konzept S. 11 ff. – Ertragsberechtigung der Höhe nach S. 15 – Gewinnaufschlag S. 16 – Immaterielle Wirtschaftsgüter S. 11 – Kostenaufschlagsmethode S. 15 – Schutzfunktion mit Routinecharakter S. 14 – Wertschöpfungsanalyse nach dem DEMPE Konzept S. 11 – Wertschöpfungsbeitrag S. 10 – Zuteilung des Steueraufkommens S. 10 – Besteuerungsumfang S. 10 ff.

Familienpool – Personengesellschaft S. 269 Finanzbehörde – Korrekturbefugnis S. 46 Finanzgerichtliches Klageverfahren S. 53 ff. – Abhilfebescheid, teilweiser S. 56 – Abhilfebescheid, vollumfänglicher S. 55

– Änderungsbescheid mit zusätzlicher rechtswidriger Beschwer S. 53 ff. – Änderungsbescheid, nicht inhaltlich zu beanstandender S. 55 – FG entscheidet in Unkenntnis des Bescheides S. 59 – Gewinnfeststellungsbescheid S. 57 Finanztransaktionen, Steuern S. 95 ff. – Börsenumsatzsteuern S. 97 ff., s.a. dort – Deutschland S. 106 ff. – Europäische Union S. 100 ff. – Imposta sulle transazioni finanziarie (Italien) S. 104 ff. – Taxe sur les transactions financières (Frankreich) S. 103 Fremdvergleichsgrundsatz – Leistungsbeziehung von Versicherungsunternehmen S. 81 ff., s.a. Versicherungsunternehmen

Geldsanktion s. Kostenübernahme von

Geldsanktionen und Verteidigungskosten Gemeinnützige Organisation – Business Judgment Rule S. 257 – Haftungsbegrenzung und -vermeidung S. 259, s.a. Haftung – Haftungsrisiko für Organe S. 255 ff. – Pflichtverletzung S. 256 Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht S. 347 ff. Gewerberaummietrecht S. 387 ff. – § 550 BGB S. 388 ff. – Rechtsfolgen S. 389 – Schutzzweck der Norm S. 388 ff. – Zweckentfremdung S. 389 – Anforderungen an die Schriftform S. 390 – Gesetzesvorhaben S. 393 ff. – Schriftform von Mietverträgen S. 387 ff. – Vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten S. 391 f. Gewerbesteuer – Immobilieninvestition, inländische S. 572, S. 575 s.a. dort

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Stichwortverzeichnis

– Realteilung S. 234 f. Gewinnfeststellungsbescheid S. 50 Grunderwerbsteuergesetz – Immobilieninvestition, inländische S. 569, S. 576, s.a. dort – Immobilientransaktion S. 516 ff., s.a. dort Grundsteuer – Immobilieninvestition, inländische S. 573, s.a. dort Grundstück – im Gesamthandsvermögen S. 301 ff. – gewerblicher -shandel S. 309 – vermögensverwaltende Personengesellschaft S. 301 ff. Güterstandsschaukel – Anrechenbarkeit S. 250 – Durchführung des Zugewinnausgleichs S. 245 f. – Ertragsteuerliche Risiken S. 250 – Fehlende Freigebigkeit S. 248 f. – Grenzen der Gestaltungsfreiheit S. 251 f. – Instrument S. 243 ff. – Nichtsteuerbarkeit S. 249 – Notarielle Beurkundung S. 244 – Pflichtteilsfestigkeit S. 247 – Steuerliche Folgen S. 248 – Vorbereitungsmaßnahmen S. 247

Haftung

– Begrenzung und Vermeidung S. 259 ff. – Einbindung der Mitglieder/Gesellschafter S. 262 – Kontrollgremium S. 260 – Ressortverteilung S. 261 – Satzung S. 260 – Trennung der Interessen bei nahestehenden Unternehmen S. 262 – Compliance-Management-System S. 263 – D&O-Versicherung S. 265 – Dokumentation S. 265 – Organe von gemeinnützigen Organisationen S. 255 ff.

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Hauptversammlung, virtuelle – nach § 1 Abs. 2 COVID-19-Gesetz S. 362 – Hauptversammlungssaison 2021 S. 373 – Investoren S. 364 – Rechtsprechung S. 366 – LG München I, 26.5.2020 S. 368 ff. – VG Frankfurt am Main, 26.3.2020 S. 367 – Stimmrechtsdienstleister S. 364 – Virtuelle Hauptversammlungssaison 2020 S. 363 – Zukunft der Hauptversammlung S. 371 ff. Hybride Gestaltungen – ATAD I und II Richtlinie S. 151 ff. – Sonderbetriebsausgabenabzug S. 30 ff.

Immobilieninvestition, inländische

– Asset Deal S. 574 – Erbschaft- und Schenkungssteuer S. 570, S. 573, S. 576 – Begünstigungsmöglichkeiten im Betriebsvermögen S. 577 – Begünstigungsmöglichkeiten im Privatvermögen S. 576 – Sonstige Gestaltungen S. 577 – Gewerbesteuer S. 575 – GmbH & Co. KG S. 574 – Grunderwerbsteuer S. 569, S. 576 – Kapitalgesellschaft S. 566, S. 572 – Laufende Besteuerung während Haltephase S. 570 – Lebenszyklus einer - S. 568 – Mögliche Investitionsstrukturen S. 564 – Personengesellschaft S. 566, S. 571, S. 574 – Privatvermögen vs. Betriebsvermögen S. 564, S. 570 – Sonstige Aspekte der Rechtsformwahl S. 567 – Steuerliche Aspekte der Rechtsformwahl S. 564

Stichwortverzeichnis

– Steuerliche Folgen des Erwerbs S. 568 – Übertragung der Immobilie S. 573 – Umsatzsteuer S: 569, S. 573, S. 576 – Veräußerung der Immobilie S. 573 – Vermögensverwaltung S. 575 Immobilientransaktion – Abbruch der Transaktion S. 521 – Asset Deal vs. Share Deal S. 516 ff. – Bauträger S. 530 – Geschäftsveräußerung im Ganzen S. 528 ff. – Grunderwerbsteuerliche Implikation S. 516 ff. – RETT-Blocker Strukturierungen S. 518 – Aktuelle Rechtslage S. 518 f. – Konsequenzen der Reform des GrEStG S. 520 – Reform des Grunderwerbsteuergesetzes S. 519 – Umsatzsteuerliche Implikationen S. 522 ff. – Option bei Verkauf, Restriktionen S. 524 – Teiloption S. 527 – Umsatzsteuerfreie - S. 523 – Umsatzsteuerpflichtige - S. 523 – Wirtschaftl. Akzeptanz beim Käufer S. 524 – Versicherung von Grunderwerbsteuerrisiken S. 522 Inländische Quelle S. 5 Investmentsteuergesetz S. 33 ff., s.a. Spezial-Investmentfonds

Jahressteuerbescheid S. 49 Kommanditgesellschaft

– Tod eines Kommanditisten S. 272 – Tod eines Komplementärs S. 272 Konzern – Organisationspflichten in Bezug auf die Ad-hoc-Publizität s. Ad-hoc-Publizität nach Art. 17 MAR Kostenübernahme von Geldsanktionen und Verteidigungskosten – Abzugsfähigkeit oder -verbot S. 467

– Arbeitslohn S. 466, 468 – Beruflich veranlasste Tätigkeit S. 468 – Einordnung der Kostenübernahme d. Unternehmen für Mitarbeiter S. 456 ff. – EuGH: kein Vorsteuerabzug S. 470 – Freiwillige Kostenübernahme i.R. ordnungsgemäßer Geschäftsführung S. 459 ff. – Freiwillige Kostenübernahme von Verteidigungskosten S. 464 f. – Gesellschafter einer Kapital-/Personengesellschaft S. 472 – Keine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung gem. § 258 StGB S. 456 – Geldsanktionen S. 456 – Verfahrenskosten, Verteidigerhonorar S. 457 – Pflicht zur Kostenübernahme durch das Unternehmen S. 458 – Geldsanktionen S. 458 – Verteidigungskosten S. 459 – Steuerrechtliche Einordnung der Kostenübernahme S. 466 – Strafrechtliche Risiken S. 456 ff. – Strafverteidigungskosten, steuerl. Abzugsfähigkeit S. 468 ff. – Übernahme von Geldsanktionen als Arbeitslohn S. 466 – Untreue gem. § 266 StGB S. 457 – Vorsteuerabzug S. 470

Lizenzvereinbarung, extraterritoriale S. 3 ff.

M&A Transaktionen S. 533 ff., S. 579 ff. Managementbeteiligung – Ausstieg S. 540 – Beteiligung über eine MEP KG S. 535 – Direktbeteiligung S. 534 – Haltephase S. 540 – Indizien für Einkünfte aus nicht selbständiger Tätigkeit S. 541 – Indizien für Kapitaleinkünfte S. 542 – Indizien für Veräußerungsgewinne S. 542 599

Stichwortverzeichnis

– Management Equity Participation/ Program (MEP) S. 535 – Motive für den Einsatz S. 533 – Potentielle Meldepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen S. 545 – Steuerliche Aspekte S. 537 – Steuerliche Risiken i.R. von M&A Transaktionen S. 543 – Absicherung beim Aufsetzen neuer Managementbeteiligungen S. 545 – Absicherung i.R.d. laufenden Transaktion S. 544 – Absicherung steuerlicher Risiken S. 544 – Typische Strukturen S. 534 – Unterbeteiligung an Kapitalgesellschaftsanteil S. 536 – Virtuelle Anteile S. 537 – Zeitpunkt des Einstiegs S. 537 ff. Managerhaftung bei M&A-Transaktionen – Beweislast S. 582 – Business Judgment Rule S. 581 – Due Diligence S. 584 – Entscheidung im Hinblick auf Vollzug S. 587 – Entscheidung i.R.d. Vertragsgestaltung S. 587 – Entscheidung rund um Post-M&APhase S. 588 – Entscheidung zu Struktur und Strategie S. 586 – Entscheidung zum Wohl der Gesellschaft S. 584 – Gutgläubigkeit S. 586 – Haftung der Geschäftsleitung ggü. der Gesellschaft S. 580 – gesellschaftsrechtl. Haftungsnormen S. 580 – Haftungsregime bei M&A-Transaktionen S. 582 – Haftung der Geschäftsleitung ggü. Dritten S. 588 – Inanspruchnahme besonderen Vertrauens S. 588 600

– – – – – – –

– Managementgarantien S. 589 – Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung S. 589 Haftungsprivilegierte Entscheidung S. 583 Haftungsregime für das Management S. 580 ff. Haftungsvermeidung S. 592 ff. Schadensersatzpflicht bei mangelnder Sorgfalt S. 581 Transaktionsentscheidung ohne Haftungsprivilegierung S. 586 Unternehmerische Entscheidung S. 583 W&I Versicherung S. 590, s.a. dort

Nichtzulassungsbeschwerde

– Änderungsbescheid S. 64 ff.

OECD

– Reformmaßnahmen zum Verständigungs- und Schiedsverfahren, s. dort Organschaftliche Ausgleichsposten – Auflösung S. 196 ff. – Aufteilung nach Maßgabe des § 15 Abs. 3 UmwStG S. 209 ff. – Bildung S. 196 ff. – Einlagenlösung S. 210 f. – Rechtsnatur S. 194 ff. – Sinn und Zweck S. 194 – Umwandlungen S. 198 ff. – Aufteilung der Ausgleichsposten S. 209 ff. – des Organträgers S. 198 ff. – der Organgesellschaft S. 203 ff.

Personengesellschaft, Nachfolgeklau-

seln für den Todesfall S. 269 ff. – Einkommensteuer S. 277 ff. – Auflösung der Gesellschaft S. 277 – Eintrittsrecht S. 279 – Fortsetzung der Gesellschaft durch verbleibende Gesellschafter S. 277 – Übergang des Gesellschaftsanteils S. 277 ff.

Stichwortverzeichnis

– Erbschaftsteuer – Auflösung der Gesellschaft S. 280 – Eintrittsrecht S. 282 – Fortsetzung der Gesellschaft durch verbleibende Gesellschafter S. 281 – Übergang des Gesellschaftsanteils S. 281 ff. – Gesellschaftsvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten S. 273 ff. – Abfindungsregelungen S. 276 – Auslegungs-/Umdeutungsregeln S. 276 – Besonderheit § 139 HGB S. 275 – Eintrittsklausel S. 275 – Fortsetzungsklausel S. 273 – Nachfolgeklauseln S. 273 ff. – Gesetzliche Regelungen für den Todesfall S. 270 – Abfindungsanspruch S. 272 – Gesellschaft bürgerlichen Rechts S. 271 – Kommanditgesellschaft S. 272, s. dort – Offene Handelsgesellschaft S. 271 – Sondererbfolge bei mehreren Erben S. 270 – Rechtsnachfolge von Todes wegen in die Beteiligung S. 270 ff. – Steuerrechtliche Folgen des Todesfalls S. 277 ff. Personengesellschaft, vermögensverwaltende – Erbschaftsteuerliche Begünstigungsvorschriften S. 302 – Ertragsteuerliche Fragen S. 306 ff. – Gesellschaftsschulden, anteilige Berücksichtigung S. 305 – Gestaltungserwägungen S. 306 ff. – Gewerblicher Grundstückshandel S. 309 – Grundstücke im Gesamthandsvermögen S. 301 ff. – Steuerbefreiung für Familienwohnheime S. 303 – Steuerbefreiung für zu Wohnzwecken vermietete Grundstücke S. 304

– Transparenzbetrachtung nach § 10 Abs. 1 S. 4 ErbStG S. 302 – Übertragung von Anteilen S. 302 – Vorweggenommene Erbfolge S. 301 ff. Private Clients und NPOs S. 243 ff.

Quellensteuerabzug für die Entwick-

lung von Software im Ausland S. 403 ff., s.a. Softwareentwicklung im Ausland – BFH-Urteile zum „Total Buy-out“ S. 416 – Argumentation des BFH S. 416 – Fairness-Ausgleich S. 420 – Fortdauernder Eventualanspruch auf Erfolgsbeteiligung S. 420 – Kein Rechteverkauf S. 417 – Keine Trennung von Urheber- und Nutzungsrecht S. 421 – Keine verbrauchende Rechteüberlassung S. 420 – Reportage S. 416 – Romanverfilmung S. 416 – Rückrufrecht nach § 41 UrhG S. 420 – Unveräußerlichkeit von Urheberrechten S. 417 – BMF-Schreiben von 2010 – Kein Rechtekauf bei Urheberrechten S. 406 – Nutzungsüberlassung bei Überlassung v. Persönlichkeitsrechten S. 405 – Rechteüberlassung d. einmalige Veranstaltungen S. 406 – Rechteübertragung oder Rechtekauf S. 405 – BMF-Schreiben von 2017 – Abgrenzung Rechtkauf/Rechteeinräumung S. 407 – Bearbeitungsrecht, urheberrechtl. S. 412 – Beispiele S. 413 – Einzelplatz- und Mehrfachlizenzen S. 410 601

Stichwortverzeichnis

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– Ephemere Vervielfältigungen S. 410 – Individualsoftware S. 410 – Konzernlizenz S. 412 – Nutzungsrechte S. 408 – Nutzungsrechteeinräumung, überschießende S. 414 – Öffentliche Wiedergabe S. 412 – Rechteüberlassung zur wirtschaftl. Weiterverwertung S. 407 – Relevanz des Bearbeitungsrechts für Einordnung als wirtschaftl. Weiterverwertung S. 414 – Verbreitungsrecht S. 411 ff. – Vertrieb von Programmkopien S. 411 – Vervielfältigungsrecht S. 409 – Verwertungsrechte S. 408 – Werkgenuss durch bestimmungsgem. Nutzung eines Computerprogramms S. 409 f. – Zugänglichmachung, öffentliche S. 411 Eigener wirtschaftl. Nutzen S. 407 Eingriff in urheberrechtl. Verwertungsrechte S. 408 Europäischer Hintergrund des urheberrechtl. Schutzes von Software S. 422 Hintergründe der Diskussion um Quellensteuerabzug S. 405 ff. Keine Anwendbarkeit von §§ 32, 32a UrhG auf Software-Entwicklungsverträge S. 423 Relevanz des Vertragszwecks S. 407 Urheberrechtliche Bewertung von Software-Verträgen S. 422

Realteilung

– Einkommensteuerliche Überlegungen S. 227 ff. – Entwicklung der Realteilungsprinzipien S. 226 – Erbschaftsteuer S. 237 f. – Gewerbesteuer S. 234 – Anrechnung S. 236

602

– Verlustvorträge S. 235 – Sperrfrist bei Einzelwirtschaftsgütern S. 230 f. – Spitzenausgleich S. 231 ff. – Übernahme von negativem Kapitalkonto S. 231 f. – Vermeidung S. 233 – Versteuerung S. 233 – Umsatzsteuer S. 236 f. – Zuteilung von Vermögen S. 227 – Abfindung in liquiden Mitteln S. 227 – Abfindung mit Sonderbetriebsvermögen S. 229 f. – Überführung von Sonderbetriebsvermögen S. 228 f. – Zuordnung von Verbindlichkeiten S. 227 f. Revisionsverfahren – Änderungsbescheid, Auswirkungen S. 60 ff. – Handlungsoptionen bei Änderung des Streitgegenstandes S. 62 ff.

Softwarenentwicklung im Ausland

S. 403 ff. – Angestellte Entwickler S. 425 – Keine Anwendbarkeit von §§ 32, 32a UrhG auf Softwareentwicklungsverträge S. 423 ff. – Schutz von Freiberuflern S. 424 – Software-Entwickler S. 425 Sonderbetriebsausgabenabzug S. 19 ff. – Grenzüberschreitende Sondervergütungen S. 24 ff. – Hybride Gestaltungen S. 30 ff. – Organschaftl. Verlustausgleichsbeschränkung S. 28 ff. – Überschneidungspotential mit anderen Rechtsnormen S. 22 – Verlustausgleichsbeschränkung, organschaftl. S. 28 ff. – Vorgänge mit Auslandsbezug S. 20 ff. – Zinsaufwendungen (Zinsschranke) S. 22 ff.

Stichwortverzeichnis

Spezial-Investmentfonds S. 33 ff. – Anlegerqualifikation S. 37 – Investmentanteile an inländ. und ausländ. Investmentfonds S. 38 ff. – Rechtsfolgen eines wesentl. Verstoßes S. 41 f. – Schmutzgrenze S. 35 ff. – Transparenzoption des § 30 InvStG S. 40, s.a. Transparenzoption – Verstoß gegen Anlagebestimmungen S. 35, S. 41 f. Start-up Unternehmen – Ableitung des Unternehmenswerts S. 557 – Anteilswerte, Ableitung aus Verkäufen unter fremden Dritten S. 554 – Aufteilung des Unternehmenswerts auf Anteilsklassen S. 558 – Begriff S. 550 – Besonderheiten S. 550 ff. – Gemeine Anteilswerte S. 549 ff., S. 554 ff. – Steuerliche Wertermittlung S. 554 – Werteffekte von Liquidationspräferenzen S. 555 Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht S. 455 ff. Steuerbarkeit v. extraterritorialen Lizenzvereinbarungen S. 3 ff. Steuerhinterziehung S. 494 Steuerliches Einlagekonto bei Kapitalgesellschaften – Auswirkung einer Verschmelzung S. 182 ff. – Downstream Merger S. 179 ff., S. 188 f. – Upstream Merger S. 179 ff., S. 186 f. – Verschmelzung im Umwandlungssteuerrecht S. 181 ff. Steuerprozess S. 45 ff., s.a. Änderungsbescheid im Steuerprozess Steuerverkürzung, leichtfertige S. 494 Stiftung als Mittel der Unternehmensnachfolge – Alternative Familiengesellschaft S. 287

– Empirische Erkenntnisse S. 286 – Erbschaft- und Schenkungsteuer S. 291 f., S. 296 f., S. 298 – Ertragsteuern S. 292 f., S. 296, S. 297 – Familienstiftung S. 295 ff. – Besteuerung bei Errichtung S. 296 ff. – Laufende Besteuerung S. 295 – Gemeinnützige Stiftung S. 291 ff. – Besteuerung bei Errichtung S. 291 ff. – Laufende Besteuerung S. 295 – Gewinnthesaurierung S. 289 – Governance über Stiftung und Unternehmen S. 288 – Publizität S. 290 – Satzung, Änderbarkeit S. 289 – Spendenabzug S. 294

Tax Compliance S. 67 ff.; S. 491 ff. – – – –

Anwendungsbereiche S. 73 ff. Bedeutung S. 71 ff., S. 492 ff. Begriff S. 492 Blockchain-basierte Systeme S. 72, s.a. Blockchain Technologie – Datenschutzgrundverordnung S. 506 ff., s.a. dort – Digitale Transformation steuerliche Prozesse S. 71 ff. – Faktische Notwendigkeit S. 492 ff. – Indiz gegen Vorsatz S. 498 – Management System s. Tax Compliance Management System – Organisationsverschulden S. 497 – Sanktionen gegen das Unternehmen S. 497 – Steuerhinterziehung S. 494 – Steuerstraf- und ordnungswidrigkeitenrechtl. Risiken S. 492 ff. – Umsatzsteuer S. 74 ff. – Verbandssanktionengesetz S. 500 ff., s.a. dort – Verrechnungspreise S. 76 ff. Tax Compliance Management System (Tax CMS) – Anforderung an das nachträgliche Erkennen S. 476 603

Stichwortverzeichnis

– Anwendung in der Praxis S. 489 – Auseinandersetzung mit der Vergangenheit S. 475 ff. – Ausgestaltung S. 498 – Berichtigungspflicht aufgrund nachträglicher Kenntnis S. 478 – Einbezug von Personen in die Anzeige S. 482 – Ausgeschiedene Personen S. 483 – Externe Personen S. 484 – Interne Personen S. 483 – Verantwortungswechsel S. 483 – Identifizierte Fehler S. 480 – Implementierung S. 498 – Nachträgliches Erkennen i.Z.m. Betriebsprüfungsverfahren S. 478 – Strafrechtl./ordnungswidrigkeitsrechtl. Vorwurf S. 485 – Unverzüglichkeit der Anzeige S. 481 – Wirkungsweise eines Tax CMS im Aufbau S. 488 – Wirkungsweise eines Tax CMS in Betrieb S. 486 f. Total Buy-out S. 416 ff. Transaktionen S. 515 ff. Transparenzoption des § 30 InvStG S. 40 ff. – Einheitliche Ausübung S. 41 – Formalia S. 40 – Zeitraum S. 41 Trust – Antragsrecht nach Art. 12 Abs. 3 DBA USA S. 341 – Auflösung eines US-Trusts S. 334 – Ausschüttungen aus einem US-Trust S. 332, S. 340 – Begünstigtenposition S. 335 – in Deutschland ansässige Begünstigte S. 329 ff., S. 332 ff. – Doppelbesteuerung mit Schenkungsteuer S. 341 – Doppelbesteuerungsabkommen S. 339 – Einkommensteuerrechtliche Folgen S. 335 604

– Erbschaft- u. schenkungsteuerliche Folgen S. 329 ff. – Errichtung eines US-Trusts S. 329 ff., S. 335 ff. – Vermögensmasse S. 330 – Vermögensmasse ausländischen Rechts S. 330 – Zweck der Bindung fremden Vermögens S. 331 – Funktionen eines US-Trusts S. 328 – Grundstruktur S. 328 – Hinzurechnungsbesteuerung des § 15 AStG S. 336 – Ausnahme S. 338 – Bezugs- und Anfallsberechtigte S. 337 – Grundsätze S. 336 – Rechtsfolgen S. 338 ff. – Hinzurechnungsbetrag S. 339 – Laufende Besteuerung eines Begünstigten S. 336 – Mitteilung von grenzüberschreitenden Gestaltungen S. 342 – Rechtsform S. 328 – Steuersatz S. 339 – Steuerschuldner S. 335

Überkompensationsverbot

– Grundsatz der Verhältnismäßigkeit S. 147 ff. – Konstellationen der Überkompensation S. 145 ff. – Schranke des Missbrauchsverbots S. 146, S. 149 Umsatzsteuergesetz – Betrug S. 141 ff. – Immobilieninvestition, inländische S. 569, S. 573, S. 576 s.a. dort – Immobilientransaktion S. 522, s.a. dort – Korrektiv des Vorsteuerabzugs S. 142 ff. – Missbrauchsverbot, rechtl. Grundlage S. 144 ff. – Neutralität S. 141 – Realteilung S. 236 f.

Stichwortverzeichnis

– Überkompensationsverbot S. 145 ff., s.a. dort – Vorsteuer S. 141 Umwandlung – Organgesellschaft S. 203 ff. – Spaltung S. 205 ff. – Verschmelzung S. 203 ff. – Organschaftliche Ausgleichsposten S. 193 ff., s.a. dort – Organträger S. 198 ff. – Verbindliche Auskunft s. Verbindliche Auskunft zu Umwandlungen – Verschmelzung S. 181 ff. Unternehmensnachfolge mit Stiftungen S. 285 ff. Unternehmenssteuerrecht S. 3 ff. Up- and Downstream Merger – Auswirkungen auf das steuerl. Einlagekonto bei Kapitalgesellschaft S. 179 ff., s.a. steuerliches Einlagekonto bei Kapitalgesellschaften US-amerikanisches Iran-Sanktionsregime S. 376 ff.

Verbandssanktionengesetz

– Aktueller Stand S. 500 – Auswirkungen auf das Steuerstrafrecht S. 505 – Bekanntmachung, öffentliche S. 503 – Compliance Maßnahmen S. 504 – Inhalte S. 500 – Interne Untersuchungen S. 504 – Legalitätsprinzip S. 500 – Naming and shaming S. 503 – Regelungsbereich S. 500 – Sanktionen S. 502 – Sanktionsmilderungen durch Kooperation und interne Ermittlung S. 504 – Verbandsgeldsanktion S. 502 ff. – Verschuldensunabhängige Zurechnung S. 501 Verbindliche Auskunft zu Umwandlungen – Antragsteller S. 128 ff. – Antragswahlrecht zur Buchwertfortführung S. 129 ff., 137 f.

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Gebühren S. 134 ff. Höhe der Gebühren S. 136 Junge Finanzmittel S. 131 ff., 138 Rechtsfragen zur Buchwertfortführung S. 137 f. – Rechtsfragen zur Nicht-Entstehung junger Finanzmittel S. 138 f. Verrechnungspreise – Besonderheiten bei Geschäftsbeziehungen mit China S. 109 ff. – China S. 109 ff. – Dokumentationspflicht S. 124 – Konzerninterne Dienstleistungen, China S. 115 ff. – Lokale Standortvorteile, China S. 112 ff. – Versicherungsbetriebsstätten S. 84 ff., S. 89 ff., s.a. Versicherungsunternehmen Versicherungsunternehmen S. 81 ff. – Asset Management S. 92 – Aufteilung von Funktionen S. 86 f. – Ermittlung fremdüblicher Verrechnungspreise S. 84 ff. – Gewinnaufteilung bei Betriebsstätten S. 82 ff. – Marketing S. 92 f. – OECD S. 86 ff. – Produktmanagement u. -entwicklung S. 92 – Risikomanagement S. 91 ff. – Rückversicherung S. 91 ff. – Vergleichbarkeitsanalyse S. 87 ff. – Verrechnungspreisermittlung für typische Leistungsbeziehungen S. 89 ff. – Vertrieb S. 92 f. – Zeichnungsprozess S. 89 ff. Verständigungs- und obligatorische Schiedsverfahren – Alternativer Ausschuss für Streitbeilegung S. 175 – Bewertung – Obligatorische Schiedsverfahren S. 176 f. – Staatl. Rechtsschutzalternative S. 177 605

Stichwortverzeichnis

– Verständigungsverfahren S. 175 f. – Empfehlungen S. 167 f. – Mindeststandards S. 167 f. – Reformmaßnahmen auf EU-Ebene S. 171 – EU-DBA-SBG, Reichweite und Inhalt S. 172 ff. – EU-SBLR S. 171 – Umsetzung der EU-SBLR in deutsches Recht S. 171. – Reformmaßnahmen auf OECD/G20Ebene – Verpflichtung zur Durchführung obligatorischer Schiedsverfahren – Reichweite und Inhalt S. 169 ff. – Umsetzung durch Art. 18 ff. MLI S. 168 f. Verteidigungskosten s. Kostenübernahme von Geldsanktionen und Verteidigungskosten Virtuelle Hauptversammlung s. Hauptversammlung, virtuelle Vorauszahlungsbescheid S. 49 Vorkaufsrecht, gemeindliches – Asset Deal S: 354

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Ausschluss S. 349 ff. Begriff S. 347 Bestehen eines - S. 348 Rechtsfolgen S. 353 f. Regelungen im Grundstückskaufvertrag S. 357 – Fälligkeitsvoraussetzungen S. 357 – Rücktritt S. 358 – Schadensersatzansprüche Share Deal S. 354 Umgehungsgeschäfte S. 354 Verfahren der Ausübung S. 352 Vorkaufsfall S. 354 Vorlagepflicht bei Share Deals S. 356

W&I Versicherung

– Abschluss, Pflicht der Geschäftsleitung? S. 591 – Begriff S. 590 – Pflichtenkatalog der Geschäftsleitung S. 591 ff.

Zugewinnausgleich

– Güterstandsschaukel s. dort