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German Pages 260 [264] Year 2010
FRANZ THEODOR
KUGLER
DEUTSCHER KUNSTHISTORIKER UND BERLINER
DICHTER
FRANZ THEODOR DEUTSCHER
KUGLER
KUNSTHISTORIKER
UND BERLINER
DICHTER
Herausgegeben von Michel Espagne, Bénédicte Savoy, Céline Trautmann-Waller
Akademie Verlag
Gedruckt mit Unterstützung des ANR/DFG Projekts „Transnet"
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-05-00464S-7 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2010 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Druck: MB Medienhaus Berlin GmbH, Berlin Bindung: BUCHConcept GmbH, Calbe Printed in the Federal Republic of Germany
INHALTSVERZEICHNIS
M I C H E L ESPAGNE, B É N É D I C T E SAVOY U N D C É L I N E T R A U T M A N N - W A L L E R :
Einleitung VII LEONORE K O S C H N I C K :
Kugler als Chronist der Kunst und preußischer Kulturpolitiker 1 BÄRBEL H O L T Z :
Franz Kuglers Amtspraxis 15
HUBERTUS KOHLE:
Franz Kugler und Adolph Menzel 31
Kunsthistorische Studien, „weniger mit der Schreibfeder als mit dem Zeichenstifte gemacht". Franz Kuglers Zeichenkunst
HEINRICH DILLY:
45
Vorbild und Gegenbild - Franz Kuglers Darstellung von Italien und Frankreich in den Handbüchern der Kunstgeschichte
HUBERT LOCHER:
69 HENRIK KARGE:
Franz Kugler und Karl Schnaase - zwei Projekte zur Etablierung der „Allgemeinen Kunstgeschichte" 83
A D R I A N VON B U T T L A R :
Kuglers Schinkel - eine Relektüre 105
V
INHALTSVERZEICHNIS
JOHANNES RÖSSLER:
Franz Kugler als Architekturhistoriker 123
M I C H E L ESPAGNE:
Kugler und Burckhardt 143
ANDREA MEYER:
Der Begriff der Historie bei Franz Kugler 159
Das Bild als Dokument oder als Kunstnatur? Franz Kuglers Zeitschrift Museum und die darin rezensierten Gemälde Carl Blechens
KILIAN HECK:
173
Kugler, Eggers und das Deutsche Kunstblatt die problematische Verortung der Kunst
CÉLINE TRAUTMANN-WALLER:
oder
187
Lessing oder Literatur und Künste. Franz Kugler im (literarisch-)kulturellen Vereinsleben Berlins
ANIKE RÖSSIG:
203
Poetischer Realismus und idealistische Realpolitik. Franz Kuglers Verknüpfung von Poesie und Politik im Vormärz
RAINER HILLENBRAND:
221 R O L A N D BERBIG:
Ein glückliches Maklertalent. Franz Kugler als literarischer Förderer 231
Register 245
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EINLEITUNG
Michel Espagne, Bénédicte Savoy, Céline T r a u t m a n n - W a l l e r
Franz Theodor Kugler (1808-1858) gehört unbestritten zu den ersten namhaften deutschen Kunsthistorikern. Als Kunstdezernent im preußischen Kultusministerium konnte der Gelehrte zudem seine Ansichten in die Praxis der Kunstverwaltung umsetzen und einen entscheidenden Einfluss auf die Reorganisation der Berliner Akademie der Künste und allgemein auf die preußische Kunstverwaltung ausüben. Auch das Werk des Dichters, der von Zeitgenossen wie Heinrich Heine hochgeschätzt wurde, ja gar 1833 ein Liederbuch für deutsche Künstler schrieb, verdient besser gewürdigt zu werden. 1 Kugler hat schließlich durch seine Tätigkeit als Herausgeber des Kunstblatts, jener ersten deutschen Zeitschrift für Kunstwissenschaft, für die Entstehung einer gesamtdeutschen Debatte über das Wesen und die Entwicklung der Kunst gesorgt. Auf die Veröffentlichung seines Handbuchs der Geschichte der Malerei von Konstantin dem Großen bis auf die neuere Zeit (1837) folgte bald ein zweites bahnbrechendes Werk, das Handbuch der Kunstgeschichte (1842). Die zweite Ausgabe beider Bücher wurde von seinem Berliner Schüler Jacob Burckhardt bearbeitet. Man verdankt Kugler, der gemeinsam mit Ranke ein kleines Buch über Quedlinburg verfasste, insbesondere auch die Kunstgeschichte als ästhetische Auseinandersetzung mit den überlieferten Kunstwerken in die allgemeine Geschichte eingebettet zu haben. Er hatte zwar die übliche 1 Zu den wichtigsten Meilensteinen der bisherigen Kugler-Forschung gehören: Friedrich Eggers, „Friedrich Theodor Kugler. Eine Lebensskizze", in: Franz Kugler, Handbuch der Geschichte der Malerei seit Konstantin dem Großen, 3. Aufl., Bd 1, Leipzig 1867, S. 3-34; Wilhelm Waetzold, Deutsche Kunsthistoriker. Bd. 2: Von Passavant bis Justi, Leipzig 1924, S. 143-172; Walter Rehm: „Jacob Burckhardt und Franz Kugler", in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, 41 (1942), S. 155-252; Wilhelm Treue, „Franz Theodor Kugler. Kulturhistoriker und Kulturpolitiker", in: Historische Zeitschrift, 175 (1953), S. 483-526; Ernst Scheyer, „Franz Kugler, der musische Geheimrat", in: Aurora. Eichendorff-Almanach, 22 (1962), S. 45-73; Leonore Koschnick, Franz Kugler (1808-1858) als Kunstkritiker und Kulturpolitiker, Diss. FU Berlin, Berlin 1985; Rainer Hillenbrand (Hg.), Franz Kuglers Briefe an Emanuel Geibel, Frankfurt/Main u.a. 2001; Gabriele Bickendorf, „Die Berliner Schule: Carl Friedrich von Rumohr (1785-1843), Gustav Friedrich Waagen (1794-1868), Karl Schnaase (1798-1875) und Franz Kugler (1808-1858)", in: Ulrich Pfisterer, Klassiker der Kunstgeschichte, Bd. 1: Von Winckelmann bis Warburg, München 2007, S. 4 6 - 6 1 .
VII
EINLEITUNG
Italienreise 1835 absolviert, bevor er zum Professor an der Akademie der Künste berufen wurde, doch in seinen Schriften legte er auch den Akzent auf die Kunstgeschichte Berlins und seiner Umgebung und versuchte darüber hinaus die Kunstwissenschaft allgemein mit geographischen Betrachtungen zu verknüpfen, die ihn manchmal zu kunstanthropologischen Einsichten hinführten. Seine Geschichte der Baukunst, an der Jacob Burckhardt und Wilhelm Lübke mitwirkten, zeugt von seiner Neigung zu Gesamtdarstellungen. Sein weitverzweigtes Netz von Bekannten und Freunden unter den Berliner Schriftstellern der Zeit, von Emanuel Geibel und Paul Heyse bis zum jungen Theodor Fontane, illustriert eine paradigmatische Verbindung von Literatur- und Kunstbetrachtung, die von der Zusammenarbeit mit Adolph Menzel an einem Leben Friedrich des Großen oder aber von seinen eigenen Gedichten weiter dokumentiert wird. Das Haus Kuglers in der Friedrichstraße gehörte zu den Salons der Biedermeierzeit und war ein Zentrum des literarischen und künstlerischen Lebens Berlins. Die Figur Franz Kuglers ist dann später weitgehend in Vergessenheit geraten, obwohl sie für das Verständnis der Kunstwissenschaft, der Berliner Salonkultur und der allgemeinen deutschen Kulturgeschichte von den 1830er bis zu den 1850er Jahren unerlässliche Schlüssel liefert. Dieser Band möchte Kugler den ihm gebührenden Platz in der Geschichte der Kunstwissenschaft zurückgeben, gleichzeitig aber seine Ausstrahlung in der Berliner Stadtkultur wieder in Erinnerung bringen und die zahlreichen Berührungspunkte zwischen der Geschichte der Kunstgeschichte und der Entstehung der Kulturgeschichte beleuchten. Die eigentliche Bedeutung Kuglers lässt sich zunächst auf dem Gebiet der Berliner Kulturpolitik wahrnehmen. Die einzelnen Schritte des Kulturreferenten vermitteln einen Uberblick über seine Laufbahn. Leonore Koschnick, die der Kugler-Forschung einen ersten Impuls gab, und Bärbel Holtz lassen diesen Wirkungskreis ermessen. Die Zusammenarbeit von Menzel und Kugler an der Biographie Friedrichs II., die zu einer klassischen Selbstinszenierung der preußischen Tradition und zu einem echten Volksbuch wurde, ist für das politische Programm Kuglers kennzeichnend. Hubertus Kohle beobachtet allerdings, wie der Historiker Kugler den Illustrator Menzel kritisch kommentierte. Kugler hat unermüdlich Szenen gezeichnet und Heinrich Dilly liefert zum ersten Mal eine ausführliche Interpretation dieser zahlreichen Skizzen und Studien. Ob kunsthistorische Studien oder portraitierte Freunde, vermitteln diese Zeichnungen einen neuen Zugang zu Kuglers Kunstverständnis. Das Handbuch der Geschichte der Malerei gehört zu den allerersten deutschsprachigen Darstellungen dieser Kunstgattung und beleuchtet insbesondere die Rolle der italienischen und französischen Malerei. Hubert Locher zeigt, wie der sentimentale Historismus hier versucht, sich von der französischen Moderne abzuheben. Das Handbuch der Kunstgeschichte fand seinerseits eine Konkurrenz und eine Ergänzung in Schnaases Geschichte der bildenden Künste. Beide großangelegte Gesamtdarstellungen der Kunstgeschichte müssen allerdings in ihrer Parallelität untersucht werden. Henrik Karge entwickelt die These, dass die Wege von Kugler und Schnaase an der Frage von Totalität und Empirie allmählich auseinandergehen. Neben der Malerei interessierte sich Kugler besonders für die Architektur. Adrian von Buttlar untersucht seine Würdigung Schinkels und zeigt vor der Grundlage dieser Beurteilung des
VIII
EINLEITUNG
Berliner Architekten, wie sich der Kunsthistoriker als Instrument bürgerlicher Kunstpolitik begriff. Johannes Rößler widmet seinerseits seinen Aufsatz dem Modell der Architektur als Sprache. Der bedeutendste Nachfolger und Schüler Kuglers ist unbestritten Burckhardt gewesen. Michel Espagne bemüht sich, die Beziehung Burckhardts zu Kugler zugunsten des immer in den Hintergrund gerückten Lehrers zu hinterfragen. Uberhaupt sind beide als Kunsthistoriker und als Historiker zu betrachten. Andrea Meyer konzentriert sich anhand der Stellungnahme Kuglers zur Historienmalerei, beispielsweise zu den Gemälden Vernets, auf seinen Begriff der Geschichte. Was den Naturbegriff Kuglers betrifft, so ist er besonders an seinen Kommentaren zu der Kunst Carl Blechens zu erkennen. Kilian Heck demonstriert, wie Kugler hier gleichzeitig das Gesamtbild der Landschaft und die parzellierte Zeichnung befürwortet und in seiner Interpretation ein für Blechen typisches Spannungsmoment zwischen Naturraum und artifizieller Technik herausarbeitet. Das Problem der Kunstkritik ist eng verbunden mit der Frage der Kunstzeitschriften. Céline TrautmannWaller befasst sich mit dem Deutseben Kunstblatt, dessen Herausgeber Friedrich Eggers dank Kuglers Unterstützung wurde. Die Überlegungen über die angemessene Verortung der Kunst, in der privaten oder in der öffentlichen Sphäre, über die Folgen einer durchaus schon im Sinne Walter Benjamins diagnostizierten Reproduzierbarkeit und verlorenen Aura der Kunst, führen zu verschiedenen kritischen Bestandsaufnahmen und Strategien im Bereich der Kunstkritik oder der für die Kunst beanspruchten sozialen Stellung. Wenn die Kunstvereine hier eine wichtige Rolle spielen, so darf jedoch auch der wichtige Platz, den die literarischen Vereine in Kuglers Leben einnahmen, nicht vergessen werden. Anike Rössig erinnert an die verschiedenen Berliner Vereine, die Kugler besuchte, und legt einen besondern Akzent auf den Tunnel über der Spree und den Rütli als Foren und als Basis für Buchproduktionen und literarisch-künstlerische Zeitschriften und Journale. Der Herausgeber der Korrespondenz zwischen Kugler und Geibel, Rainer Hillenbrand, bemüht sich, die Verknüpfung von Poesie und Politik im Werke Kuglers näher zu bezeichnen und untersucht seinen Realismus, der die jüngere Generation, mit der er in Berührung kam, stark beeinflusste. Der Kunsthistoriker, der Geibel, Heyse und Fontane unterstützte, der Ehemann von Clara Hitzig, hat auch intensiv über literarische Förderung nachgedacht. Roland Berbig beschreibt Schritt für Schritt die Bestrebungen Kuglers, fördernd für die Berliner Literatur seiner Zeit zu wirken. Aus diesen verschiedenen Perspektiven auf einen Berliner Kunstwissenschaftler, Historiker, Beamten und Literaten des Vormärz ergibt sich am Ende ein neues und präziseres Bild des Berliner Kulturlebens in den 1830er und 1840er Jahren. Dieser Band beruht auf den ausgearbeiteten Fassungen der Beiträge zu einer Konferenz, die im Dezember 2008 im Rahmen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am Gendarmenmarkt stattfand. Die Herausgeber möchten sich bei der Akademie für ihre Unterstützung bedanken.
IX
K U G L E R ALS C H R O N I S T DER K U N S T U N D PREUSSISCHER
KULTURPOLITIKER
Leonore Koschnick
München und Berlin, die Hauptstädte Bayerns und Preußens, befanden sich zu Lebzeiten Kuglers in einem ständigen Wettstreit um die kulturelle Vorherrschaft in Deutschland. Die Könige Ludwig I. von Bayern einerseits und Friedrich Wilhelm I I I . und Friedrich Wilhelm IV. andererseits übertrafen sich gegenseitig bei der Vergabe spektakulärer Bauaufträge. Bei den Ankäufen zeitgenössischer Gemälde und Skulpturen bevorzugten die Könige die jeweils ortsansässigen Maler und Bildhauer. Trotz aller Bemühungen, durch Gründungen der Kunstvereine neue, bürgerliche Mäzene zu schaffen, waren die Künstler in Berlin und Düsseldorf ebenso wie die in München weiterhin von der Unterstützung der Landesherren abhängig. Dabei ließen die norddeutschen Künstler gegenüber den privilegierten Arbeitsbedingungen ihrer Münchner Kollegen sowohl Ablehnung als auch Bewunderung und Neid erkennen. Und auch die jeweiligen Kunstkritiker konnten sich diesem Konkurrenzdenken nicht ganz entziehen. Franz Kugler sah sich 1832 erstmals mit der Münchner Kunstszene konfrontiert, als er umherreiste, um einen Überblick über das aktuelle Kunstgeschehen in Deutschland zu gewinnen. In München traf er auf den Cornelius-Schüler Karl Heinrich Hermann ( 1 8 0 2 1880), der ihn bereitwillig zu den verschiedenen künstlerischen Arbeitsstätten führte und der ihn auch mit anderen Künstlern bekannt machte. D e r damals 24-jährige Kugler zeigte sich in den Briefen an seine Braut Clara beeindruckt: „Gewiß, das hiesige Kunstleben ist mehr als Grillen eines Königs!" 1 . Allerdings berichtete er auch von einer äußerst unangenehmen Begegnung mit Peter Cornelius (1783-1867), dem damals bedeutendsten Maler Münchens: Hermann [...] schlug mir vor, mich den Abend zu Cornelius zu führen und ich nahm das gern an. [...] Cornelius, ein kleiner Mann mit einem sehr scharfen Gesicht und
1 Brief Kuglers an Clara Hitzig, München, 15. September 1832 (Berlin, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (im Folgenden: GStA PK), I. HA Rep. 92, Kugler IV, Bl. 43).
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LEONORE KOSCHNICK
merkwürdig über den Augen hervortretender Stirn. Er hieß mich willkommen, brach aber hernach im Gespräch [...] die Gelegenheit von Zaun, über die Berliner Kunstbestrebungen, und von da ab insbesondere über die Düsseldorfer Schule, auf eine Weise herzuziehen, die ich weder gerecht noch würdig nennen möchte. [...] Ich suchte ihm anfangs zu widersprechen, konnte aber, als er immer heftiger wurde, nichts thun, als die Achseln zu zucken.2 Nach diesem Studienaufenthalt in München und einem Besuch in Stuttgart, wo er als Gast Carl Grüneisens (1802-1878) die Produktionsabläufe des in Stuttgart von Johann Friedrich Cotta (1764-1832) herausgegebenen Kunstblattes kennen lernte, entwickelte Kugler im Herbst 1832 die ersten Pläne für eine eigene, in Berlin ansässige Kunstzeitschrift. In einer zweiseitigen Anzeige, veröffentlicht im November 1832, erläuterte er das Konzept: Die Berichterstattung sollte auf zwei Schwerpunkten ruhen - den kunstgeschichtlichen Untersuchungen und den Mitteilungen und Kritiken zur neuen „einheimischen" Kunst unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses von Kunst und Handwerk. Die einzelnen Beiträge sollten von allgemeinem Interesse und nicht zu trocken formuliert sein, da man alle Kunstfreunde ansprechen wolle - Künstler, Gelehrte ebenso wie Laien.3 Der Berliner Verleger George Gropius (1802-1842) brachte 1833 trotz finanzieller Risiken die Zeitschrift Museum. Blätter für bildende Kunst auf den Markt und Kugler übernahm die Redaktion des Blattes. Da er vorrangig über „einheimische" Kunst berichten wollte, sich jedoch zunächst mit eigenen Urteilen über die zeitgenössische Kunst zurückhielt, bat er einige befreundete Kollegen, über die Ausstellungen in Düsseldorf und Berlin zu schreiben. Er selbst besprach stattdessen vor allem die Neuerscheinungen der Kunstverlage: Graphiken und illustrierte Bücher. Diese vorsichtige Zurückhaltung als Kritiker beruhte weniger auf einer mangelnden Urteilsfähigkeit Kuglers, sondern war vielmehr den engen freundschaftlichen Kontakten des Autors zu vielen Künstlern geschuldet. Für letztere stellten die Kunstkritiker eine ungeliebte Zunft dar. Kugler selbst schrieb für den Verein der jüngeren Künstler in Berlin ein Lied, in dem er auf die unerfreuliche Rolle des Rezensenten hinwies: O war ich doch ein Recensent Daß selbst ich recensiren könnt! Da schrieb ich's in die Zeitung hin, daß ich der größte Künstler bin. Doch nein! Er ist ein armer Wicht, Er macht ja keine Bilder nicht, 2 Brief Kuglers an Clara Hitzig, München, 18. September 1832 (Berlin, GStA PK, I. HA, Rep. 92 Kugler IV, Bl. 54v). 3 Anzeige für das Museum, Berlin, November 1832 (Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, Nachlass Schorn).
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K U G L E R A L S C H R O N I S T DER K u N S T U N D P R E U S S I S C H E R
KULTURPOLITIKER
Er kann ja nichts als schmähn und schrein, Ein Recensent mag ich nicht seyn.4 1835, nach einem weiteren Besuch in München, veröffentlichte Kugler seinen ersten kritischen Bericht über das dortige Kunstleben. Die Kritik an den Münchner Verhältnissen zielte zum einen auf die Politik und die Arbeit der Architekten, zum anderen aber vor allem auf die vorherrschende Richtung der dortigen Malerei. Seit Peter Cornelius bayerischer Hofmaler war und die Akademie leitete, genoss die idealisierende Historienmalerei in Form des Freskos unbedingten Vorrang, und alle anderen Fächer wurden demgegenüber vernachlässigt. Kugler äußerte sein Befremden darüber, dass in den historischen Darstellungen nicht „charakteristische e t h i s c h e Momente, in denen sich das innere Leben der Zeit spiegelt", gezeigt würden, sondern „vielmehr jenes äussere Schaugepränge der Geschichte: Belehnungen, Krönungen, kirchliche Trauungen, Kampfszenen usw. vorgeführt sind". Kugler bemängelte, dass zu viel auf die äußere Form geachtet würde und dass die Ausstrahlung der Bilder „zuweilen kalt" sei, dass die behandelten Themen häufig nur Vorwand für einen „stilvollen" Perfektionismus darstellten und dass die idealen Darstellungen biblischer, mythologischer oder historischer Szenen für den zeitgenössischen Betrachter vollkommen sinnlos und ohne Bezug seien, wenn nicht lange Erläuterungen dazu geliefert würden. Dabei stellte Kugler aber nicht die Historienmalerei an sich in Frage - ihr räumte er nach wie vor den ersten Rang in der Hierarchie der Kunstgattungen ein5 - sondern er wünschte sich nur realistischere Szenen, die auch für den Menschen des 19. Jahrhunderts eine Berechtigung hätten, mit lebendigen Figuren, in die man sich hineinversetzen könne.6 Im Vergleich zu den Münchner Werken kamen die Bilder der Düsseldorfer Malerschule in der Beurteilung Kuglers deutlich besser weg: Diese zeigten „mehr Weichheit, mehr Wärme, mehr Leben in der Farbe", hier stünden Gefühle und Leidenschaft im Mittelpunkt.7 Die Düsseldorfer Maler konnten auch bei den Berliner Akademieausstellungen den größten Zuspruch verbuchen. Eduard Bendemann (1811-1889) beispielsweise hatte seinen ersten großen Erfolg 1832 mit den Trauernden Juden im Exil. Daraufhin erhielt er vom preußischen Kronprinzen den Auftrag für ein ähnliches Werk. Bendemann malte nun Jeremias auf den Trümmern von Jerusalem, ein Bild, das auf der Akademieausstellung 1836 zu besichtigen war und wiederum großes Aufsehen erregte. Allerdings schwankten die Reaktionen diesmal zwischen begeisterter Zustimmung und radikaler Ablehnung. Die malerische Qualität des Bildes wurde von niemand bezweifelt, aber die Tatsache, dass dem Schicksal der Juden eine derartige Beachtung geschenkt wurde und die Art, wie dieses Volk dargestellt 4 5 des 6 7
Franz Kugler, Liederbuch für deutsche Künstler, Berlin 1833, S. 72. Dazu: Elisabeth Gurock, Fließende Gattungsgrenzen in der deutschen Kunstkritik und Malerei 19. Jahrhunderts, Diss., Münster 1990. Museum. Blätter für bildende Kunst, 3 (1835), S. 199. Ebd.
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LEONORE
KOSCHNICK
wurde, stießen auf Widerstand. Dies veranlasste Kugler, einen längeren Artikel zur Verteidigung des Künstlers zu verfassen: Einige Kritiker wundern sich, daß der Maler (als) Juden [...] nur schöne Menschen dargestellt habe. Ich weiss nicht was ich aus dieser Ansicht machen soll. Was für Juden verlangt ihr? Etwa jene knechtischen [...] Physiognomien, wie sie die Mehrzahl dieses unglücklichen Volkes durch die barbarische, jahrtausendlange Unterdrückung, mit der eure Väter dasselbe behandelt, angenommen hat? 8 Seinem Freund Robert Reinick (1805-1852) schrieb Kugler dazu: Bendemann's Jeremias - darüber hab ich im Museum geschrieben - mit Ingrimm [...]. Höchlichst alberne Urtheile sind darüber laut geworden; die jungen Künstler Berlins sind im höchsten Grade eifersüchtig und da sie dem Bilde nicht von der Seite der Technik beikommen können, so wenden sie sich an den Gedanken und sagen, die Composition tauge nichts!!9 In einem der ersten H e f t e des Museums hatte sich Kugler zur Meinungsvielfalt bekannt: er wolle „verschiedenen Parteien Gelegenheit geben, sich gegenseitig auszusprechen". 10 Die Erfahrungen, die er dann im Laufe der 1830er Jahre als Kunstkritiker machte, verunsicherten den harmonieliebenden Menschen jedoch zunehmend. Als die Zeitschrift Museum 1837 ihr Erscheinen wegen zu geringer Nachfrage und Unwirtschaftlichkeit einstellen musste, spielte Kugler mit dem Gedanken, die Besprechungen zeitgenössischer Werke ganz aufzugeben. In einem Brief an den Chefredakteur des Kunstblattes, Ludwig Schorn (1793-1842), schrieb er: Es ist wider meine Natur und ich fühle mich, aufrichtig gesagt, solchen Arbeiten auch nicht gewachsen; ich stecke zu tief in der Zeit; ich lebe zu sehr mit und ich habe auf der anderen Seite vielleicht zu individuelle Ansichten über das, was nach meiner Meinung N o t h thut, als daß ich einen solchen kritischen T h r o n wieder besteigen möchte. Wenn ich einmal wieder über Gegenwärtiges schreibe, so wird es aber nur auf diese oder jene ganz besondere Veranlassung sein.11 In den folgenden Jahren fand Kugler durchaus Anlässe, über zeitgenössische Kunst zu berichten. Er gewann in seinen Urteilen an Sicherheit und versuchte, sich von den starren 8 Museum. Blätter für bildende Kunst, 4 (1836), S. 138. 9 Brief Kuglers an Reinick, Berlin, 13. Mai 1836 (Düsseldorf, Heinrich-Heine-Institut, Slg. Robert Reinick). 10 Museum. Blätter für bildende Kunst, 1 (1833), S. 80. 11 Brief Kuglers an Schorn, Berlin, 29. Januar 1838 (Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, Nachlass Schorn).
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Gesetzen akademischer Regelkritik zu lösen, denn „die heutigen Leistungen sind nicht einseitig nach den vergangenen abzumessen". Er entwickelte eine Vorliebe für die Genremalerei, obwohl dieser in der Hierarchie der Bildgattungen nur eine untergeordnete Rolle zugebilligt wurde. Die Berliner Künstler Eduard Meyerheim und Theodor Hosemann hatten sich auf das sogenannte realistische Genre spezialisiert. Nach dem Aus für die Zeitschrift Museum bemühten sich der Chefredakteur des Kunstblattes Schorn und dessen Herausgeber Johann Georg Cotta (1796-1863) zunächst vergeblich um ein festes Engagement Kuglers. Eine völlig neue Situation entstand durch den plötzlichen Tod Ludwig Schorns Anfang 1842: Das Kunstblatt brauchte einen neuen Chefredakteur. Auf diesen Posten bewarb sich sofort der Münchner „Kritikerpapst" Ernst Förster (1800-1885), der die bayerische Hauptstadt als den geeigneteren Standort für die Redaktion der Kunstzeitschrift vorschlug, da Stuttgart vom Kunstleben her nicht genügend zu bieten habe.12 Unterdessen waren sich Kugler und Cotta längst einig: Kugler sollte aus Berlin berichten und alle Nachrichten und Beiträge aus dem norddeutschen bzw. nordeuropäischen Raum sammeln und nach Stuttgart weiterleiten. Förster hätte dementsprechend gern den gesamten südeuropäischen Raum betreut, bekam aber von Cotta nur die Bereiche München und Wien zugewiesen, alle anderen Berichte sollten direkt nach Stuttgart gehen.13 In den folgenden Jahren, in denen Reibereien zwischen Berlin und München nicht ausblieben, beschäftigte Kugler zunehmend junge Kunstkritiker, darunter auch Jacob Burckhardt (1818-1897). In Ubereinstimmung mit Kugler vertrat Burckhardt einen unvoreingenommenen Kritikstil, der sich in Ablehnung übergeordneter philosophischer Systeme „naiv" am einzelnen Kunstwerk orientierte und der sich parallel zur neuen kunsthistorischen Methode der Quellenforschung herausbildete. Im Gegensatz dazu standen die Vertreter eines neo-idealistischen Kritikstils in der Nachfolge Hegels, die von den Künstlern - als eine logische Konsequenz gesellschaftlicher Veränderungen - andere, neue und in die Zukunft weisende Kunstwerke erwarteten. Arnold Ruge (1802-1880) und Friedrich Theodor Vischer (1807-1889) gehörten dieser Schule an. Letzterer vertrat als Mitarbeiter der Hallescben Jahrbücher in seinen Kunstkritiken zunehmend radikale Standpunkte. Vischer äußerte sich voller Respekt über Kuglers fachliches Urteilsvermögen, warf ihm aber zugleich einen Mangel an philosophischer Erkenntnis vor: Er (Kugler) verschmäht die philosophische Erkenntniß der inneren Nothwendigkeit eines Entwicklungsgangs nach einem bestimmten Ziele hin, das als Aufgabe der modernen Kunst zu begreifen ist [...] und endlich die Kunst in die Welt und Freiheit für immer entläßt; aber er ist darum nicht ungerecht, kein Nazarener.14
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Brief Försters an Cotta, München, 20. März 1842 (Marbach, Cotta-Archiv). Brief Cottas an Förster, 18. April 1842 (ebd.). Jahrbücher der Gegenwart, 2 (1844), S. 831.
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LEONORE
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Kurz gesagt: Kugler trug keine ideologischen Scheuklappen. 1843 wurde Kugler als Referent in das preußische Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten berufen, u m sich dort der Kunstangelegenheiten anzunehmen. Parallel zu dieser kulturpolitischen Arbeit gewannen seine öffentlichen Stellungnahmen an Profil und Schärfe. Innerhalb des Kunstblattes brach die Rivalität zwischen München und Berlin erneut auf: Die beiden Redakteure, Ernst Förster und Franz Kugler, f ü h r t e n 1843 eine erbitterte Auseinandersetzung über die Wertigkeit des Idealismus und des Realismus in der Gegenwartskunst. Der Konflikt wurde teils offen im Kunstblatt ausgetragen, teils hinter den Kulissen, indem beide Autoren den Veröffentlichungen des „Gegners" zuvorzukommen suchten und indem Förster in einem Brief an Cotta die Unfähigkeit anderer Kunstblatt-Autoren auflistete, beispielsweise unter P u n k t 3: „Wenn I r r t h ü m e r unvermeidlich sind, so müssen sie wenigstens nicht das Gepräge vollkommener Unkenntniß tragen." 15 Aktueller Anlass dieser Wortgefechte war die Besprechung der Berliner Akademieausstellung von 1842, die Jacob Burckhardt auf W u n s c h Kuglers übernommen hatte. Burckhardt war mit der M ü n c h n e r Schule scharf ins Gericht gegangen und hatte dem gegenüber die aktuellen Historienbilder aus Belgien gerühmt. 1 6 Als Förster dem entschieden widersprach, n a h m Kugler wenig später zum selben T h e ma im Kunstblatt Stellung, indem er versuchte, am Beispiel des Bildes von Louis Gallait (1810-1887) die Merkmale einer realistischen und einer idealistischen Kunstauffassung herauszuarbeiten und den Realismus als die dem Zeitgeist entsprechende Richtung zu rechtfertigen. Für ein Historienbild sei es entscheidend, dass das Volk das dargestellte Ereignis, seine historische Bedeutung kenne. Von dieser Voraussetzung könne man bei der Abdankung Karls V, die ja eigentlich f ü r das belgische Publikum gemalt sei, ausgehen, und nun sei es Aufgabe des Künstlers, den gewählten Moment möglichst realistisch und mit allem ihm zu Gebote stehenden malerischen Können darzustellen. Dabei müsse eine Idealisierung der Gestalten vermieden werden, da dadurch die historische Bedeutung des Geschehens verfälscht würde: Wenn Sie die Historiker, und namentlich unsre gründlichen neueren Forscher, etwa Ranke, nachschlagen, so werden Sie finden, daß Karl eben gar nicht in wundersam idealer Resignation, sondern ganz anders, den Körper von Krankheit verzehrt und die Seele mit finstrer Hypochondrie belastet, mit Vernichtung seiner schönsten Pläne und ohne Mittel, neue durchzuführen, weil der Staatsbankerott vor der T h ü r war, vom T h r o n in das Kloster ging. Hätte Gallait also [...] einen ,über die irdische Herrlichkeit sich erhebenden Charakter' malen wollen, so hätte er ihn irgendwo anders suchen müssen.17
15 Brief Försters an Cotta, München 1843 (Marbach, Cotta Archiv). 16 Kunstblatt, 24 (1843), S. 1-1S. 17 Ebd., S. 242.
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KULTURPOLITIKER
Kugler sah die Geschichte als etwas „positiv gegebenes", das man nicht verfälschen dürfe. Hier kam sein Selbstverständnis als Historiker zum tragen, das auf einer Linie mit Ranke lag; beide fühlten sich der Quellenforschung verpflichtet. Außerdem zeigte sich Kugler fasziniert von den Möglichkeiten der neu entwickelten Daguerreotypie. Sowohl das Museum als auch das Kunstblatt berichteten regelmäßig über die neu entwickelten photographischen Verfahren des Malers Daguerre. Die Begeisterung für den Realismus in der Photographie schlug sich auch in der Beurteilung zeitgenössischer Malerei nieder. Eine weitere Meinungsverschiedenheit zwischen München und Berlin tat sich auf, als Peter Cornelius von Seiten des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. Ende 1840 den Auftrag erhielt, die von Schinkel entworfenen Fresken in der Vorhalle des Berliner Museums auszuführen. Kugler äußerte sofort seine Bedenken. Ernst Förster brachte dagegen seine Freude über diese Entscheidung zum Ausdruck. Cornelius übernahm die Ausführung der Schinkel-Entwürfe keineswegs selbst, sondern delegierte die Arbeiten an seine Schüler, darunter Karl Heinrich Hermann und Karl Stürmer. Durch die nachlässige Art, mit der Cornelius das Projekt leitete, verlor er die letzten Sympathien Kuglers, der in seinen Berliner Briefen (im Kunstblatt) die Gelegenheit ergriff, ausführlich mit dem Künstler und mit der von ihm propagierten idealistischen Malerei abzurechnen. Kugler besprach die einzelnen Kunstwerke von Cornelius, um schließlich auch noch über einen Besuch im Atelier des Künstlers zu berichten, den er eigentlich hatte vermeiden wollen, aber ein ,enthusiastischer Freund' habe ihn mitgezogen. Der Eindruck von den Kartons, mit denen er sich konfrontiert sah, war „keineswegs erfreulich" und er sei froh gewesen, „als mein Enthusiast mich entließ."18 Hier schloss sich ein Kreis: Auch sechzehn Jahre zuvor, bei seinem ersten Besuch in der Privatwohnung des Meisters in München, war Kugler erleichtert gewesen, sich empfehlen zu können. 1849 musste das Kunstblatt sein Erscheinen einstellen, da nach den revolutionären Ereignissen von 1848 die Zahl der interessierten Leser rapide geschrumpft war. In den 1850er Jahren kamen einige neue Kunstzeitschriften auf den Markt, darunter in Berlin das von Friedrich Eggers herausgegebene Deutsche Kunstblatt (1850-1858) und in Leipzig das von Robert Prutz gegründete Deutsche Museum (1851-1867). Kugler gehörte zu den ständigen Mitarbeitern des Deutschen Kunstblattes, während Prutz für das Deutsche Museum einige Mitarbeiter aus dem Kreis der ehemaligen Junghegelianer gewinnen konnte. In beiden Blättern war jedoch die Zeit der politisch engagierten Kunstkritik vorbei. Kugler verstand sich stets als Repräsentant des breiteren Publikums. Er lehnte es ab, für eine geistige Elite zu schreiben und hatte bereits im Prospekt des Museums die Autoren aufgefordert, einfach und verständlich zu formulieren, um allen sogenannten Kunstfreunden entgegenzukommen. Er ging davon aus, dass er sowohl von den Künstlern als auch von einem breiten Publikum gelesen würde. Es war sein Wunsch, zwischen diesen beiden Gruppen zu vermitteln, so dass beide davon profitierten: die Künstler sollten aus ihrem heiligen Gral befreit und zurück auf den Boden der Realität gestellt, und im Publikum sollte das 18 Kunstblatt, 29 (1848), S. 163.
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LEONORE KOSCHNICK
Interesse für anspruchsvolle Kunst geweckt und gefördert werden - Kunst als bildungspolitische Aufgabe. KUGLER ALS
KULTURPOLITIKER
Mit Politik, insbesondere der „großen" Politik, hatte Franz Kugler im Grunde nie viel im Sinn gehabt. Aus den wenigen Bemerkungen, die sich in seinen Briefen zu diesem Thema finden, kann man ersehen, dass er die politischen Diskussionen im Freundeskreis nicht schätzte, dass er sich gegenüber Andersdenkenden jedoch stets um Toleranz bemühte: „[...] daß ich - ohne Gleichgültigkeit - Jedem gern das Seine lasse".19 Bis zu seiner Berufung in das Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten als Dezernent für das Kunstressort am 23. Oktober 1843 hatte Kugler eine politische Tätigkeit nicht als sein vorrangiges Ziel angesehen. Als er sein Amt als Kunstdezernent antrat, konnte von einer staatlichen Kunstpolitik kaum die Rede sein. Die allgemeinen Missstände an den Kunstinstituten waren zwar bekannt, aber Minister Friedrich Eichhorn war durch die Reformen der Kirchenpolitik voll in Anspruch genommen, und die ihm zur Seite stehenden Sachbearbeiter waren Spezialisten für andere Bereiche des Kulturministeriums: für die Akademie der Wissenschaften, für die Universitäten, für das Schulwesen, für Bibliotheken, für naturwissenschaftliche Institute und medizinische Einrichtungen etc. etc. Kugler musste in diesem umfangreichen Ministerium also erst einmal um die Anerkennung seines Amtes und seiner Aufgaben kämpfen. Er nahm die neue Herausforderung aber gern an und „das Mitregieren im Kleinen" fing bald an, ihm „Spaß zu machen" 20 . Erst als er mit seinen Reformplänen auf Widerstand stieß, als er merkte, wie weit verbreitet „Schlendrian, Philistrismus und Dilettantismus" waren und wie sehr sich „das gemeine Berliner Spießbürgertum" 21 gegen Veränderungen wehrte, wurde sich Kugler seiner undankbaren Stellung „zwischen den beiden Parteien, die mir beide [...] verhaßt sind", bewusst, so dass er in einem „Glaubensbekenntnis" an Gottfried Kinkel schrieb: Es giebt zwei Sorten von , den einen gegen die großen Machthaber, den anderen gegen die dumme Menge. Die eine entspricht dem Begriff der Maitresse, der andere dem der Hure. Beide sind ekelhaft, der eine aber doch noch viel mehr als der andere.22 19 Brief Kuglers an Clara Hitzig, München, 16. September 1832 (GStA PK, I. HA, Rep. 92 Kugler IV, Bl. 54v). 20 Brief Kuglers an Heinrich Kruse, Berlin, 22. April 1847 (Düsseldorf, Heinrich-Heine-Institut, Nachlass Kruse). 21 Brief Kuglers an Kinkel, Berlin, 9. Juni 1846, zit. nach: Wolfgang Beyrodt, Gottfried Kinkel als Kunsthistoriker, Bonn 1979, S. 280f. 22 Brief Kuglers an Kinkel, Berlin, 15. Dezember 1846, zit. nach: Beyrodt 1979 (wie Anm. 21), S. 324f. u. S. 327.
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In seinen privaten Briefen äußerte sich Kugler über seine direkten Vorgesetzten, den Minister Friedrich Eichhorn (1779-1856) und dessen Nachfolger, Adalbert von Ladenberg (1798-1855) und Karl Otto von Raumer (1805-1859), gelegentlich sehr kritisch, während über den König kaum etwas Negatives zu finden ist. Kunstpolitik war für Kugler eine der zentralen Aufgaben des Staates, denn sie beinhaltete nicht nur die Förderung einer elitären Künstlerschicht, sondern auch und vor allem die Heranführung des Volkes an die Kunst. Bereits in den 1830er Jahren, als an eine kunstpolitische Tätigkeit noch gar nicht zu denken war, hatte er sich in einigen Aufsätzen mit der rechtlichen und wirtschaftlichen Situation der Künstler auseinandergesetzt. Er hatte die Zustände an den Kunstschulen kritisiert und die ungenügende Ausbildung der Handwerker bemängelt. Er hatte sich mit der Rolle des Kunsthandels beschäftigt und die Notwenigkeit öffentlicher Ausstellungen und Museen betont und die Inventarisierung und Pflege der nationalen Denkmäler gefordert. 23 Erster und wichtigster Schritt zur Verbesserung der Künstlerausbildung war für Kugler die Reorganisation der Königlichen Akademie der Künste in Berlin, deren Statut von 1790 ihm in vielen Bereichen überholt erschien und deren Lehrbetrieb sich nur noch müde dahinschleppte. Die 1818 von Karl Friedrich Schinkel in einer Denkschrift niedergelegten Reformpläne 24 und die 1828 von dem Akademiesekretär Ernst Heinrich Toelken (17851869) veröffentlichten Vorstellungen einer Reorganisation der Akademie 25 waren nicht umgesetzt worden. Kuglers Reformpläne zielten nicht nur auf die traditionellen Bereiche der bildenden Kunst-Malerei, Bildhauerei, Architektur und G r a p h i k - , sondern sie bezogen ausdrücklich das Kunstgewerbe - die Porzellanmanufaktur, die Eisengießerei und die Glasmalerei - mit ein, obwohl diese Bereiche eigentlich dem Ministerium für Handel und Finanzen unterstellt waren. Die Ausbildung der Handwerker sollte an eigenständigen Instituten besonders berücksichtigt werden, da von dieser Seite der größte Einfluss auf den Geschmack der breiteren Bevölkerung ausgehe. Kugler plädierte für einen eigenständigen Ausbildungsweg für „Kunsthandwerker". Diesen neuen Begriff für einen künstlerischen Berufszweig gebrauchte er erstmals 1844 in seinen Unterlagen - ebenso wie die Bezeichnung „Kunstgewerbe". 26
23 Franz Kugler, „Über den Beruf und die Bildung des Künstlers", in: Museum. Blätter für bildende Kunst, 4 (1836), S. 1-7; ders., „Uber die gegenwärtigen Verhältnisse der Kunst zum Leben", in: Handbuch zur Geschichte der Malerei, 1. Aufl., Berlin 1837, auch in: ders., Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte, Bd. 3, Stuttgart 1854, S. 206-232. 24 Dazu: Wilhelm Waetzoldt, „Preußische Kunstpolitik und Kunstverwaltung", in: Reichsverwaltungsblatt, 54(1933), S. 82. 25 Ernst Heinrich Toelken, „Über die Wichtigkeit und Notwendigkeit der Kunstakademien", in: Berliner Kunstblatt, 1828, S. 81-88; ders., „Neue Organisation der unteren Lehrklassen der Akademie zu einer besonderen Zeichenschule in: Berliner Kunstblatt, 1829, S. 1-4. 26 Dazu: Leonore Koschnick, „Die Initiatoren des Deutschen Gewerbe-Museums", in: Ulrike Laufer/Hans Ottomeyer (Hg.), Gründerzeit 1848-1871, Berlin 2008, S. 331-335.
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In den vierziger Jahren erlangte Kuglers Aufruf an die Künstler, sich dem Handwerk zuzuwenden, höchste Aktualität, da sich unter ihnen, ähnlich wie in anderen gesellschaftlichen Gruppierungen, eine zunehmende Arbeitslosigkeit breit machte. Im Kunstblatt wandte sich Kugler mit einem Artikel Ueber den Pauperismus auch in der Kunst27 an die Öffentlichkeit, um auf die Verwerfungen auf dem Kunstmarkt hinzuweisen: Es seien mehr Produzenten als Abnehmer vorhanden. „Arbeiten, die man hoffnungsvoll zur Reise durch die Kunstausstellungen hingab, (kehrten) in das leere Haus des Künstlers zurück." Schuld daran seien u. a. die Kunstvereine, die „eine Masse von Künstlern geschaffen" hätten, der Bedarf an Privatbildern aber nun weitgehend gestillt sei. Nicht nur den Kunstvereinen, sondern auch dem privaten Kunsthandel stand Kugler misstrauisch gegenüber, da dieser durch die Verbreitung von Massenprodukten wie häufig minderwertigen Kupferstichen und Medaillen einen großen Einfluss auf den allgemeinen Kunstgeschmack ausübten.28 Auch mit dem Berufsbild der Architekten und Restauratoren setzte sich Kugler immer wieder kritisch auseinander, obwohl er für diese Bereiche von Amts wegen nicht direkt zuständig war. Er plädierte für eine behutsame Denkmalpflege: Auf der dritten Versammlung deutscher Architekten und Ingenieure 1844 in Prag hielt er einen Vortrag „über die Restaurazion alter Baudenkmäler und über die mannigfachen Vorsichtsmaßregeln, welche zu beobachten wären, um die Originalität derselben möglichst zu schonen und ihnen den Charakter ihrer Erbauungszeit zu lassen".29 Seit dem Herbst 1842 war Kugler Mitglied des Senats der Akademie der Künste. In diesem Gremium trieb er die Diskussion um eine Erneuerung des Akademie-Reglements voran. In seiner Funktion als Dezernent im Ministerium nahm Kugler dann 1844 einen Bericht des Akademie-Senates entgegen. Dazu verfasste er wiederum eine Stellungnahme als Kunstdezernent, in der es heißt: „Die Verhältnisse [...] sind so verworren, der ganze gegenwärtige Zustand der Akademie so haltlos, daß die Thatsache ihres Fortbestehens für den, der mit der Sache einigermaßen vertraut ist, fast zu einem Rätsel wird. Eine totale Reform ist dringendstes Bedürfniß."30 Nachdem sich Kugler nochmals mit einigen Künstlern, darunter der Bildhauer Christian Daniel Rauch, die Maler Wilhelm Wach und Karl Begas sowie die Architekten August Stüler und Johann Heinrich Strack, beraten hatte, legte Kugler am 1. September 1845 seinem Minister einen Entwurf zu einem Statut für die Akademie der Künste vor, der bei allen folgenden Verhandlungen als Grundlage diente. Der Ausbau der wissenschaftlichen Vorlesungen gehörte ebenso zu den Neuerungen wie die weitgehende Abschaffung von Wettbewerben und die Einrichtung verschiedener Malerateliers, um den wirklichen Genies unter den Akademieschülern größere Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten. Ein wesentlicher Punkt 27 Kunstblatt, 1845, No. 71f. 28 Kugler 1854 (wie Anm. 23), S. 593ff. 29 Allgemeine Bauzeitung, Wien 1844, S. 244. 30 Berlin, GStA PK, I. H A , Rep. 76 Kultusministerium, Ve Kunstsachen, Reorganisation der Königlichen Akademie der Künste zu Berlin, Sekt. 17 Abt. I, Nr. 11, Bd. 1, Bl. 33.
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des Reformentwurfs betraf den zukünftigen Direktor der Akademie, der nicht mehr auf Lebenszeit, sondern nur noch für die Dauer von drei Jahren ernannt werden sollte. Die Möglichkeit einer Wiederwahl wurde dabei nicht ausgeschlossen.^ Diesem einen Direktor, zuständig für die bildende Kunst, sollte ein zweiter an die Seite gestellt werden, zuständig für die Abteilung Musik. Kugler trat mit Felix Mendelssohn-Batholdy in Kontakt und besuchte den Komponisten im M a i 1845 in Frankfurt a. M., um ihn für dieses Amt zu gewinnen. Mendelssohn zeigte sich interessiert, wollte aber den weiteren Verlauf der Reformen abwarten. 32 Kugler und Eichhorn bereiteten auch den König auf die Akademiereform vor und erläuterten deren Dringlichkeit an zwei Beispielen: Ein Beschäftigungsprogramm für Künstler sei notwendig, um diesen wieder Lebensmut zu geben, und die Qualität des künstlerischen Handwerks müsse unbedingt verbessert werden. 33 Am 1. Februar 1846 schrieb Friedrich W i l h e l m IV. an Minister Eichhorn, dass er den Ausbau der Musiksektion innerhalb der Akademie ablehne und statt dessen lieber ein eigenständiges Konservatorium bevorzugen würde, in dem alle Berliner Musikinstitute vereinigt werden sollten. In allen anderen Fragen behielt er sich eine Entscheidung vor, bis vom Akademiedirektor Schadow ein Gutachten vorgelegt worden sei. 34 Daraufhin ging Kugler daran, für den Musikbereich neue Pläne zu entwickeln, denn die Gründung eines Konservatoriums entsprach durchaus auch seinen Interessen. Außerdem setzte er (im Namen Eichhorns) ein weiteres Schreiben an den König auf, in dem er um Verständnis dafür bat, bei der „vorläufigen Bearbeitung des genannten Reorganisationsplans den Direktor Schadow übergangen,, zu haben: Der Grund, weshalb der Direktor Schadow von mir in dieser Sache noch nicht vernommen ist, beruht auf keine Weise in einer Verkennung seiner künstlerischen Wirksamkeit und der Verdienste, welche er sich hierin erworben hat. [...] Ebenso bin ich fern davon, gegen den ehrenwerthen Charakter dieses seltenen Mannes irgend einen Zweifel zu hegen. Es dürfte in dieser Beziehung nur das einfache Bedauern auszusprechen sein, daß er seine höhere künstlerische Thätigkeit schon in noch rüstigem Mannesalter eingestellt hat, während ζ. B. der Professor Rauch bei bald vollendetem 70sten Lebensjahr noch immer mit unermüdlicher und fast unausgesetzter erhöhter künstlerischer Kraft fortbildet. Bei alledem kann ich aber nicht umhin, ehrerbietigst darauf hinzudeuten, daß der üble Zustand, in welchem sich die hiesige Akademie der Künste befindet, zunächst doch ein 31 Ebd., Bl. 251. 32 Brief Kuglers an Clara, Aachen, 24. Mai 1845 (GStA PK, I. HA, Rep. 92 Kugler Ia, Bl. 186). 33 Brief des Kultusministers Eichhorn an Friedrich Wilhelm IV., Berlin, 17. November 1845 (Abschrift) (GStA PK, I. HA, Rep. 76 Kultusministerium, Ve Kunstsachen, Sekt. 17 Abt. I, Nr. 11, Bd. 1, Bl. 238, 238v). 34 Brief Friedrich Wilhelms IV. an Minister Eichhorn, 1. Februar 1846 (Berlin, GStA PK, I. HA, Rep. 76 Kultusministerium, Ve Kunstsachen, Sekt. 17 Abt. I, Nr. 11, Bd. 1, Bl. 286, 286v).
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Unvermögen an derjenigen Stelle, an welcher die Fäden der inneren Verwaltung dieses Instituts zusammenlaufen, erkennen läßt. Ueber diese akademischen Zustände sind mir mannigfach Klagen vorgebracht worden. [...] Der Verfall der Akademie hängt hernach ohne Zweifel wesentlich mit der mehr und mehr sich kundgebenden Altersschwäche des Direktors zusammen. [...] Da ich [...] voraussetzen mußte, daß der Direktor Schadow das Bedürfnis einer Reform der Akademie überhaupt nicht empfindet, daß ihm der Verfall des Instituts nicht klar sein kann, [...] so habe ich es für nöthig erachtet, den p. Schadow zu den vorläufigen Berathungen nicht hinzuzuziehen. [...] Ich möchte lebhaft wünschen, die Sache erst dann vor den Direktor und den akademischen Senat zu bringen, wenn die wesentlichen Gesichtspunkte durch Ew. Königl. Majestät Allerhöchstselbst festgelegt sein würden. 35 Friedrich Wilhelm IV. bestand auf dem Gutachten Schadows, welches schließlich vier Monate später eintraf. Darin äußerte sich der mittlerweile 82-jährige Akademiedirektor ausführlich zu verschiedenen Punkten, die ihm unklar geblieben seien oder mit denen er sich nicht habe einverstanden erklären könne. Die Notwendigkeit großer Veränderungen wollte ihm nicht einleuchten: „Wenn man den Einrichtungen anderer Kunstschulen näher tritt, findet man ebenfalls Mängel." 36 Nach dieser abweisenden Stellungnahme Schadows wurden die gesamten Reorganisationspläne erst einmal auf Eis gelegt. Kugler plagten unterdessen grundsätzliche Zweifel, ob er in seinem Amt überhaupt etwas bewirken könne. Er war sich im Klaren darüber, dass sein Verhältnis zur Akademie seine Mitgliedschaft in deren Senat bei gleichzeitiger Ausübung eines Amtes im Kultusministerium - möglicherweise zu Interessenkollisionen führte und Misstrauen erzeugte. Andererseits fehlte ihm die Unterstützung einflussreicher Persönlichkeiten mit direktem Zugang zum König: Mit Alexander von Humboldt beispielsweise habe er trotz freundlichen Briefwechsels „kein näheres Verhältnis". 37 Die Chancen für eine Realisierung der Kuglerschen Pläne verschlechterten sich zusehends, da mittlerweile der Stuhl des Ministers Eichhorn wackelte. Es gab Überlegungen, ein eigenständiges Kunstministerium unter der Leitung des Generaldirektors der Königlichen Museen, Ignaz von Olfers, einzurichten. 38 Olfers genoss die Protektion Alexander von Humboldts. Im Februar 1848 informierte Kugler den in Rom weilenden Burckhardt dar-
35 Briefentwurf Kuglers an König Friedrich Wilhelm IV., 4. Februar 1846, mit dem Hinweis „Citissimé!" (ebd., Bl. 290-292v). 36 Gutachten Schadows, Berlin, 11. Juni 1846 (Berlin, GStAPK, I. HA, Rep. 89 Geheimes Zivilkabinett, Jüngere Periode, Nr. 20390, Bl. 2). 37 Brief Kuglers an Grüneisen, Berlin, 26. März 1846 (Marbach, Deutsches Literaturarchiv, Nachlass Grüneisen). 38 Brief Burckhardts an Andreas Heusler-Ryhiner, Rom, 19. Januar 1848, in: Jacob Burckhardt, Briefe, hg. v. Max Burckhardt, 8 Bde., Basel 1949-1974, Bd. 3, S. 93.
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über, dass seine Pläne gescheitert seien und damit auch die Aussicht, Burckhardt eine Stellung als Lehrer an der Akademie zu sichern. 39 Während der politischen Unruhen im März 1848 verlor Friedrich Eichhorn seinen Ministerposten. Es folgte ein kurzes Gastspiel des Maximilian Graf von Schwerin bis zur Berufung Adalbert von Ladenbergs am 3. Juli 1848. In der Akademie wurde derweil der Aufstand geprobt. In mehreren Vollversammlungen diskutierten die Künstler, unabhängig vom Senat, mögliche Reformen. Am 8. April beschloss das Plenum, vom Ministerium die „Vorarbeiten und Materialien zu einer Reform der Akademie zu erbitten". Kugler nahm an diesen Plenumssitzungen teil und führte auch das Protokoll! 40 Er spielte in der Situation allgemeiner Reformfreudigkeit sein zweideutiges Verhältnis zwischen Akademie und Ministerium erneut aus: In der Hoffnung, endlich eine breite Basis für sein Programm zu finden, trieb er auf beiden Seiten die Verhandlungen voran und versuchte, allen Parteien das Gefühl zu geben, er sei ihr Interessenvertreter. 41 Als die am 8. Juni tagende Vollversammlung beschloss, dass die „vom Plenum der Akademie unter Beisein der Mitglieder des Senats gefaßten Beschlüsse [...] ausgeführt [...] und nicht vom Senat durch neue Berathung mit der Akademie rückgängig gemacht werden" sollten,42 wähnte sich Kugler schon kurz vor dem Ziel. In der Hoffnung, die vorausgegangenen Beschlüsse seien tragfähig, verzichtete er ab August auf die Teilnahme an weiteren Akademiesitzungen. Die Dinge entwickelten sich aber genau umgekehrt: Die Bestrebungen der einzelnen Interessengruppen innerhalb der Akademie fielen immer weiter auseinander. Einigkeit herrschte nur darüber, vom Ministerium einen erhöhten Etat einzufordern. Während Kugler persönlich einen Karrieresprung erlebte und im Dezember 1848 vom König zum Geheimen Regierungs- und vortragenden Rath ernannt wurde, drohten seine Reorganisationspläne wie schon 1845/46 zu scheitern. Er konnte sich zwar der Unterstützung des Ministers Ladenberg sicher sein, aber Friedrich Wilhelm IV. war keinesfalls bereit, eine Neuordnung ohne die Zustimmung der alten Honoratioren im Akademievorstand zuzulassen. Ende Januar 1850 starb Johann Gottfried Schadow. Sein Direktorenposten stand vorerst nicht zur Disposition, bis im Sommer 1853 ein allgemeines Gerangel um die vakante Stelle einsetzte. Kugler schrieb dazu an seine in München weilende Frau, er fände die Vorstellung, den Maler Wilhelm Hensel auf dem Direktorenstuhl zu sehen, „erheblich komisch". Der Vorgang sei „auch schon bis an den König gegangen; der soll gesagt haben ,das
39 Brief Burckhardts an Andreas Heusler-Ryhiner, Rom, 19. Februar 1848, in: ebd., Bd. 3, S. 100. 40 Protokolle der Plenarversammhingen (Berlin, Akademie der Künste, Archiv der Preußischen Akademie der Künste 125). 41 Dazu Alexander von Humboldt in einem Brief an Ignaz von Olfers (undatiert): „Auch bin ich neugierig von Ihnen belehrt zu werden, wie die neue Verfassung der Akademie der Künste sich gestalten werde. Daß sich nur der unvermeidlich Kugler nicht zu sehr vordrängt." (Zit. nach: Alexander v. Humboldt, Briefe an Ignaz von Olfers, Nürnberg 1913, S. 149). 42 Berlin, Akademie der Künste, Archiv der Preußischen Akademie der Künste 125.
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ist ja vortrefflich, das wäre ja der dritte! Herr von Olfers will es werden und Herr von Quast will es werden, und nun Herr Hensel dazu!' - Ich lasse sie wirtschaften [...]"43 Die Direktorenstelle blieb unbesetzt. Der seit 1850 amtierende Kultusminister Karl Otto von Raumer zeigte an einer Akademiereform so wenig Interesse, dass Kugler resignierte und seine Geschäfte im Ministerium nur noch halbherzig wahrnahm. Stattdessen wandte er sich wieder verstärkt der Dichtung und der kunsthistorischen Forschung zu. Eine Veränderung der Zustände an der Akademie erlebte er nicht mehr, da er am 18. März 1858 starb. Im Jahr darauf veröffentlichte Kuglers Schwiegersohn Paul Heyse die bereits 1849 von Kugler entworfenen Grundbestimmungen für die Verwaltung der Kunstangelegenheiten im preußischen Staate. In einem Brief an Burckhardt schrieb er dazu: „Die Sachen sind trotz der 10 Jahre leider noch alle nagelneu, manche nicht nur von gestern sondern von übermorgen. Und werden es noch eine gute Weile bleiben f...]."44
43 Brief Kuglers an Clara, Berlin 15. September 1853 (Berlin, GStA PK, I. HA, Rep. 92 Kugler Ia, Bl. 290, 290v). 4 4 Brief Heyses an Burckhardt, München, 1. Februar 1858, zit. nach: Erich Petzet (Hg.), Der Briefwechsel von Jacob Burckhardt und Paul Heyse, München 1916, S. 83.
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Noch im Jahre 1909 wurde Kuglers Name vom preußischen Kultusminister Ludwig Holle in selbstverständlicher Routine und im gleichen Atemzug neben Schinkels genannt 1 , als es darum ging, für die Denkmalpflege in Preußen endlich zentrale Strukturen zu schaffen und sich auf frühere tragfähige Vorschläge zu besinnen. In der preußischen Kultusverwaltung war Franz Theodor Kugler demnach auch im frühen 20. Jahrhundert als ein nachhaltig tätig gewordener Beamter präsent. Ein Jahr zuvor hatte seiner der Verein für die Geschichte Berlins gedacht. Es war sein 50. Todestag und der Verein würdigte ihn in einer mehrseitigen biographischen Skizze als einen ,,Poet[en], Radierer und Zeichner, Kunstschriftsteller und Geschichtsschreiber sowie als Komponist[en]"2. Seine Tätigkeit als Vortragender Rat im Kultusministerium wurde dort zwar als sein Hauptberuf bezeichnet, aber nur als in einem knappen Satz gestreift. Auch 1858 wenige Tage nach seinem Tod hatte die „Königlich privilegierte Berlinische Zeitung" in ihrem Nachruf über den plötzlich verstorbenen Ministerialrat festgestellt: „Was Kugler in dieser Stellung gewirkt hat, ist niemals Gegenstand der öffentlichen Besprechung gewesen und deshalb in weiteren Kreisen nicht in dem Maße bekannt, als es bekannt zu sein verdiente."3 Dies also hatte sich im Laufe der Jahrzehnte nicht geändert.
1 Im Zusammenhang mit den Überlegungen zur Einrichtung eines Landesdenkmalrats bemerkte Kultusminister Holle am 1. Februar 1909 gegenüber Innenminister v. Moltke: „Von dem Gedanken, daß eine gedeihliche Denkmalpflege durch Einsetzung von beratenden und beschließenden Kommissionen am ehesten gefördert werden würde, ist schon Schinkel in seinem bekannten Berichte vom 17. August 1815 ausgegangen. Später trat Kugler mittels seines Promemorias vom 6. März 1846 [...] mit großem Nachdruck für die Bildung einer zentralen Kommission ein, welche aber erst durch die A K O vom 12. Januar 1853 in der Kommission zur Erhaltung und Erforschung der Denkmäler unter dem Vorsitze des Kultusministers ins Leben gerufen wurde." (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (im Folgenden: GstA PK), I. HA, Rep. 77, Tit. 1215 Nr. 3b, n. f.). 2 Aflfred] Schröder, „Franz Theodor Kugler. Zum 50. Todestage (18.3.1908)", in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 3 (1908), S. 6 6 - 6 8 . 3 Erste Beilage zur „Königl. privilegirten Berlinischen Zeitung", Nr. 71 vom 25. März 1858, S. 2-4, das Zitat S. 3.
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Das ungleiche Erinnern an Franz Kugler ist mit den Kriterien einer Innen- bzw. Außensicht - gewissermaßen regierungsintern und öffentlich - allein nicht erklärbar. Es hängt zum einen und vornehmlich mit seinem schaffensreich-prallem Leben als Wissenschaftler und Künstler, zum anderen aber mit der Bilanz und dem Selbstverständnis seines Amtes zusammen. 15 Jahre und somit immerhin die längste Zeit seines Berufslebens war Kugler als Beamter im preußischen Kultusministerium tätig, freilich ohne die Ambition zu eigener künstlerischer oder wissenschaftlicher Beschäftigung je ganz aufgegeben zu haben. Mit seinem Eintritt ins Ministerium im Oktober 1843 hatte er sich in jenes Doppelleben Beamter/ Künstler begeben, wie es vor ihm E.T. A. Hoffmann und Joseph Freiherr v. Eichendorff versucht hatten. 4 Im Vergleich zu ihnen verfügte Kugler bei seiner Entscheidung für den Staatsdienst indes über einen unverkennbaren Vorteil - anders als der Rat am Berliner Kammergericht Hoffmann oder der Bearbeiter für katholische Kirchenangelegenheiten im Kultusministerium Eichendorff konnte er in inhaltlicher Nähe gegenüber seinen musischen Neigungen verbleiben und nunmehr von Amts wegen für die Künste und Künstler wirken. Eine glückliche Symbiose, wie es schien. Jener Erwartung jedoch hatten spätestens die als Reaktionsjahrzehnt bezeichneten 1850er Jahre objektiv Grenzen gesetzt, was bereits zu Kuglers Lebzeiten offensichtlich wurde. Dies haben später wissenschaftliche Arbeiten von Wilhelm Treue und vor allem von Leonore Koschnick analytisch untermauert. 5 Kuglers Beamtenvita ist bekannt. 6 Auch seine in diesem Kontext erzielten bemerkenswerten Leistungen, auf die hier nur partiell einzugehen ist, sind der Forschung geläufig. Spätestens seit den Darlegungen Wilhelm Waetzoldts gilt Kugler als der Vordenker einer umfassenden Kunstpolitik des preußischen Staates, denn er definierte die Kunst als eine elementare Aufgabe der Staatsverwaltung.7 Davon ausgehend entwickelte er ein Grundsatzprogramm, das ein ganzes System an Ausbildung, Förderung, Popularisierung und Präsentation der Künste und des Kunsthandwerks wie auch die materielle Absicherung der Künst4 Julius Eduard Hitzig, Ε. T. A. Hoffmanns Leben und Nachlaß. Mit Anmerkungen zum Text und einem Nachwort von Wolfgang Held, Frankfurt/M. 1986, bes. S. 300-349; Günther Schiwy, Eichendorff. Der Dichter in seiner Zeit. Eine Biographie, München 2000, bes. S. 391-572. 5 Als zeitgenössische und im engsten persönlichen Umfeld Kuglers erwachsene Reflexion vor allem: Friedrich Eggers, „Friedrich Theodor Kugler. Eine Lebensskizze", in: Franz Kugler, Handbuch der Geschichte der Malerei seit Konstantin dem Großen, 3. Aufl., Bd. 1, Leipzig 1867, S. 3-34; Wilhelm Treue, „Franz Theodor Kugler - Kulturhistoriker und Kulturpolitiker. Fritz Härtung zum 70. Geburtstag", in: Historische Zeitschrift, 175 (1953), S. 483-529; Leonore Koschnick, Franz Kugler (1808-1858) als Kunstkritiker und Kulturpolitiker, Diss. FU Berlin, Berlin 1985. 6 Wichtige Eckdaten waren: 1835 Professor an der Königlichen Akademie der Künste zu Berlin, 1842 dort Mitglied des Senats, 1843 Hilfsarbeiter im Kultusministerium für die Kunstangelegenheiten, 7. Dezember 1848 Geheimer Regierungs- und Vortragender Rat, 21. Mai 1856 Geheimer Ober-Regierungsrat; vgl. hierzu außer den bereits (Anm. 6) genannten Titeln: Wilhelm Waetzoldt, „Franz Kugler, Preußens erster Kunstdezernent", in: Kunstchronik, Neue Folge, 29 (1917/1918), Nr. 4 v. 26. Oktober 1917, S. 42-46; Neue Deutsche Biographie, Berlin 1982, Bd. 13, S. 245-247 (W. Frh. v. Löhneysen). 7 Vgl. seine 1847 anonym in Berlin erschienene Schrift. „Ueber die Kunst als Gegenstand der Staatsverwaltung, mit besonderem Bezüge auf die Verhältnisse des preußischen Staates".
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1er und Kunsthandwerker beinhaltete. 8 Hier muss die Bemerkung genügen, dass Kugler auch Vorschläge zur Realisierung dieses Programms unterbreitete und sich beispielsweise für die Bildung von Gremien und Kommissionen aussprach, in denen Staat, Künstler und gesellschaftliche Kreise gleichermaßen eingeschlossen sein sollten. Dies alles hat er in den späten vierziger Jahren in Grundsatzpapieren festgehalten, selbst aber nicht umsetzen können. 9 Bis heute ist nicht vollends geklärt, inwieweit diese Vorstellungen innerhalb des Kultusministeriums oder sogar darüber hinaus ernsthaft diskutiert wurden. Ungeachtet dessen ist Kuglers kunstpolitische Agenda als seine Lebensleistung in die historische Forschung eingegangen. Ebenfalls unscharf ist die heutige Kenntnis darüber, wie seine administrative Tätigkeit in den 1840er/50er Jahren eigentlich ablief. Um Kuglers ministerielle Unternehmungen treffend einschätzen zu können, muss man aber das Bedingungsgefüge kennen, in dem er sich als Beamter bewegte. Was überhaupt war damals das Kultusministerium und welchen bürokratischen Mechanismen war er als Beamter dort unterworfen? Verfügte der Hilfsarbeiter und spätere Vortragende Rat tatsächlich über Handlungsspielräume, um die Interessen der Künste und der Künstler wirksam artikulieren zu können, und wie hat er diese ausgefüllt? Waren ihm Gestaltungsmöglichkeiten gegeben? Welchen Platz schließlich nahm er im Kunstbereich Preußens und in der Zentralbehörde, dem Kultusministerium, ein? Kenntnisse über kommunikative und organisationstechnische Strategien des damaligen (preußischen) Verwaltungsalltags auf ministerieller Ebene sind hilfreich, um über Kuglers Arbeitsleistung, über Beharrlichkeit oder Resignation, über Verdienst oder Scheitern urteilen zu können. Für verlässliche Aussagen bedarf es also neben dem Wissen über die allgemeine historische Situation ebenso des fragenden Blicks in das stereotyp anmutende Innenleben jener Behörde, die seine Arbeitsstätte war. Deshalb soll im Folgenden dargestellt werden, erstens welche Voraussetzungen Kugler für sein Amt mitbrachte, zweitens welchen Status allgemein ein Kunstreferent im Kultusministerium besaß und mit welchen Inhalten und Kompetenzen er ausgestattet war, drittens wie sich sein Arbeitsalltag als der eines M i nisterialbeamten im Preußen der 1840er/50er Jahre gestaltete und was daraus schließlich viertens über seine Leistungen gefolgert werden kann. KUGLERS VORAUSSETZUNGEN FÜR DAS M I N I S T E R I A L A M T Betrachtet man die Vorgeschichte, ist zunächst zum allgemeinen Verständnis voranzustellen, dass Kugler mit seiner Berufung als Hilfsarbeiter in das Kultusministerium gleich in eine Zentralbehörde gekommen war, ohne vorher - anders als die meisten Beamten - in einer unteren oder mittleren Verwaltungsebene des Staates tätig gewesen zu sein. Für eine damals 8 Hierzu ausführlich Koschnick 1985 (wie Anm. 6), bes. S. 1 9 9 - 2 2 4 . 9 Vgl. die 1849 von ihm intern vorgelegten „Grundbestimmungen f ü r die Verwaltung der KunstAngelegenheiten im Preußischen Staate. Aus dem Nachlasse des verstorbenen Geh. Ober-Regierungsraths Dr. Franz Kugler", die sein Schwiegersohn Paul Heyse posthum 1859 in Berlin veröffentlichte.
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übliche Beamtenkarriere hatte Kugler also viele mühselige und zeitaufwändige Etappen übersprungen und gleich die hohe Stufe der Ministerialbürokratie erklommen. Dies ist umso bemerkenswerter, weil - ebenfalls anders als bei vielen Berufungen ins Kultusministerium für ihn bislang keine persönliche Fürsprache oder Protektion zu ermitteln war. Auch in fachlicher Hinsicht war Kugler ein klassischer Seiteneinsteiger. E r hatte nicht, wie viele seiner ministeriellen Amtskollegen Rechts- oder Staatswissenschaften studiert und theoretische Kenntnisse in Verwaltungsabläufen erprobt und praktiziert. Kugler war studierter Archäologe, Philologe und hatte an der Bauakademie eine Architektenausbildung durchlaufen. Die Berufung ins Ministerium verdankte er seinem Engagement für die Kunstwissenschaft und Künste, wie es sich in seiner Redaktion der Zeitschrift Museum gezeigt hatte, und seinem Expertentum in der Kunstgeschichte, was er an der Akademie der Künste, an der Berliner Universität sowie in Fachbüchern ausbreitete und das man in der Kultusbürokratie offensichtlich zu schätzen wusste. Anfang der vierziger Jahre galt er als „die zentrale Gestalt der Berliner Schule der Kunstgeschichte". 1 0 Im Kultusministerium reihte er sich damit in die Experten (wie Schulmänner, Philologen oder Mediziner) ein, die im Vormärz unter den Räten noch recht zahlreich gegenüber den studierten Verwaltungsjuristen waren. U m mit Gewissheit auf Erfolge im Amt hoffen zu können, fehlten Kugler indes als Startkapital zwei wichtige Dinge: Er war weder mit den Abläufen in der Administration und Regierung vertraut noch war er mit anderen Räten und hohen Regierungsbeamten persönlich bekannt. Hinzu kam, dass die eigene Motivation, sich für eine Laufbahn in der Staatsverwaltung zu entscheiden, eher der Not, als einem inneren Bedürfnis entsprungen war. Seit Anfang der dreißiger Jahre hatte sich Kugler in Berlin um eine Festanstellung bemüht. Im M ä r z 1832 hatte ihm bei einem privat gehaltenem Treffen im Café Stehely der Referent für das höhere Unterrichtswesen im Kultusministerium, Johannes Schulze, 11 eröffnet, dass sein Minister Karl Freiherr v. Altenstein 12 einer Einstellung zugestimmt, aber der König zu der vorgesehenen Stelle noch einige Bedenken habe. „Wie schön", reagierte Kugler daraufhin überschwenglich, „daß ich endlich in eine amtliche Thätigkeit komme! und daß ich meine Malergeschäfte nicht angefangen habe!" 13 Die Freude erklärt sich daraus, dass es 1832 nicht u m eine Anstellung im Ministerium, sondern um eine an der Akademie der Künste ging. Wichtige Fürsprache hierfür hatte sein zukünftiger Schwiegervater, der am Berliner Kammergericht tätige und in der Stadt allge-
10 U d o Kultermann, Geschichte der Kunstgeschichte. Der W e g einer Wissenschaft, erw. Neuaufl., München 1990, S. 91; Wilhelm Waetzoldt, Deutsche Kunsthistoriker, Bd. 2, 3. Aufl., Berlin 1986, S. 143-172. 11 Schulze war seit 1818 vierzig Jahre eine zentrale Figur im Kultusministerium, auch wenn es um Berufungen an die Akademien und Universitäten ging. U b e r ihn immer noch grundlegend: C[onrad] Varrentrapp, Johannes Schulze und das höhere preussische Unterrichtswesen in seiner Zeit, Leipzig 1889, bes. S. 225-557. 12 Altenstein war von 1817 bis zu seinem T o d im M a i 1840 Preußens erster Kultusminister. 13 Brief Kuglers an seine Braut Clara Hitzig, Berlin, 5. M ä r z 1832 (Bayerische Staatsbibliothek (im Folgenden: BSB), Nachlass Kugler, Ana 549, Nr. 12, S. 22-23v, das Zitat S. 22).
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mein geachtete Kriminalrat, Buchhändler und Schriftsteller Julius Eduard Hitzig 1 4 geleistet, der einige Entscheidungsträger im Kultusministerium wie Johannes Schulze persönlich kannte. N a c h einem weiteren J a h r des W a r t e n s - Kugler lehrte inzwischen als Privatdozent an der Berliner Universität - schrieb Altenstein an Kugler, dass m a n „(mit Rücksicht auf Ihre liebenswürdige kleine Braut) beschlossen" habe, ihn „zum Lehrer bei der Königlichen Akademie der Künste zu bestellen." D e r Kultusminister genehmigte zugleich, dass Kugler an der Akademie zunächst die wissenschaftliche Vorlesung für Künstler eröffnen [solle], [...] welche nach dem unterm 26. v[origen] M[onats] eingereichten Plane aus reiner Archäologie der verschiedenen Zeiten bestehen wird. Ihren Vortrag über Geschichte der Baukunst können Sie vorläufig bei der hiesigen Universität fortsetzen. Deren Etat verstattet zur Zeit nicht, ein festes Gehalt für Sie zu disponieren; das Ministerium wird aber, bis solches erfolgen kann, durch die Anweisung einer angemessenen Remuneration Bedacht nehmen. 15 Kugler hatte also eine Tätigkeit gefunden, die ihn inhaltlich ausfüllte, aber pekuniär nach wie vor nicht ausreichend versorgte. N e u e H o f f n u n g auf eine dauerhafte und angemessen bezahlte Anstellung keimte 1838 bei der Mitteilung auf, dass in Bonn der Professor f ü r Kunstgeschichte Dalton im Sterben läge. Kugler sprach daraufhin mit dem f ü r die Künste zuständigen Referenten im Ministerium O t t o v. Harlem, der ihm zuredete, da solch eine Gelegenheit, in eine vernünftige Carriere hinein zu kommen, nicht leicht wiederkehren dürfte. (In solcher Stellung würde ich mich nämlich in einer ordentlichen Universitäts-Laufbahn befinden, wozu ich hier vor der Hand, wie Du weißt, noch keine sonderliche Aussicht habe.) Dabei aber, bemerkte Harlem, verstehe sich von selbst, daß mir die Stelle auch ein anständiges Einkommen bringen müsse. 16 Harlems bald erfolgte Information, dass Daltons Stelle in Bonn mit gerade einmal 800 T h a l e r besoldet war, zerschlug jedoch jegliche H o f f n u n g auf diese vernünftige Karriere}1 Die B e r u f u n g zum Hilfsarbeiter im Kultusministerium brachten i h m dann zwar gerade einmal 500 Thaler, so dass er mit seinen sonstigen E i n k ü n f t e n auf insgesamt 1.400 T h a l e r
14 Zu Leben und Wirken vgl. Nikolaus Dorsch, Julius Eduard Hitzig. Literarisches Patriarchat und bürgerliche Karriere. Eine dokumentarische Biographie zwischen Literatur, Buchhandel und Gericht der Jahre 1780-1815, Frankfurt/M. u. a. 1994. 15 Altensteins Schreiben an Kugler vom 10. Juli 1833 als Einlage in einem Brief Kuglers an seine Braut Clara, Berlin, 18. Juli 1833 (BSB, Nachlass Kugler, Ana 549, Nr. 18, Bl. 33-35, die Einlage Bl. 35). 16 Brief Kuglers an seine Frau Clara, Berlin, 6. Juli 1838 (ebd., Nr. 44, Bl. 91-92, das Zitat Bl. 91v). 17 Brief Kuglers an seine Frau Clara, Berlin, 10. Juli 1838 (ebd., Nr. 45, Bl. 93-95v).
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im Jahr kam. 18 Diese Einstellung war wohl aber die letzte Chance, wenigstens später zu einem geregelten Einkommen zu gelangen. Denn in jener Zeit folgte der Berufung zum Hilfsarbeiter nicht selten die zum Vortragenden Rat, mit der ein Jahressalär von 2.000 Thalern und damit ein damals gutes Einkommen verbunden war, was für Kugler dann auch mit den revolutionsbedingten Veränderungen und unter der neuen Ressortleitung Adalbert v. Ladenbergs eintrat. Von Anfang an aber war das Staatsamt für Kugler der berühmte Spatz in der Hand, da ihm die wissenschaftliche oder gar künstlerische Karriere als Taube auf dem Dach unerreichbar geworden war.
D E R STATUS EINES KUNSTREFERENTEN INNERHALB DES KULTUSMINISTERIUMS W i e sahen die Bedingungen seines Amtes aus, unter denen nun der Kunstreferent Kugler in der damaligen Binnenorganisation des Ministeriums sowie in den landesweiten Strukturen der preußischen Kunstverwaltung verortet war. Hier kann das bisherige Bild ergänzt und mitunter präzisiert werden, beispielsweise wenn es um seine Berufung ins Ministerium geht. Mit Kuglers Eintritt, so kann man immer wieder lesen, hätte man zum ersten Mal ins Kultusministerium einen Referenten berufen, der dort als Fachmann für die Künste und allein zur Bearbeitung der Kunstangelegenheiten eingestellt worden sei. Beides ist so nicht zutreffend: Weder war Kugler in diesem Ministerium der erste dort beschäftigte Kunstexperte noch war er der erste allein für Kunstdinge zuständige Referent. Die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte und hängt unmittelbar mit der Entwicklung des preußischen Kultusministeriums als Behörde zusammen. Das Ministerium wurde im November 1817 als weltweit eines der ersten Fachministerien jener Art, was wir heute mit Kulturpolitik bezeichnen, gegründet. 19 Allerdings war im frühen 19. Jahrhundert der Kulturbegriff in diesem Sinne längst noch nicht umrissen und auch Preußens Kultusministerium begriff sich zunächst keineswegs als ein Instrument staatlicher Kulturpolitik. 20 Es verstand sich vielmehr als ein verwaltendes Aggregat dreier 18 Vgl. eine Auflistung in seiner Personalakte für das Jahr 1848, wonach er außerhalb des Ministeriums als jährliche Einkünfte erzielte: für den Unterricht in der Kunstgeschichte und Altertumskunde 300 Thaler, als Lehrer der Mythologie und Symbolik 200 Thaler, als Assistent des Inspektors an der Akademie der Künste 400 Thaler (GStA PK, I. HA, Rep. 76,1 Sekt. 31 Lit. Κ Nr. 45, Bl. 49). 19 Vgl. zum Folgenden ausführlich: Das preußische Kultusministerium als Staatsbehörde und gesellschaftliche Agentur 1817-1934, 3 Bde., Bd. 1/1: Die Behörde und ihr höheres Personal, Berlin 2009, S. 4 - 7 1 (= Acta Borussica, Neue Folge, 2. Reihe: Preußen als Kulturstaat, hg. v. der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften unter der Leitung v. Wolfgang Neugebauer), eine Darstellung, die gemeinsam mit Christina Rathgeber, Hartwin Spenkuch, Reinhold Zilch und Rainer Paetau von der Verfasserin erarbeitet wurde. 20 Vgl. hierzu auch Walter Jaeschke, „Politik, Kultur und Philosophie in Preußen", in: Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels, hg. v. Otto Pöggeler und Annemarie Gethmann-Siefert, Bonn 1983, S. 29-48, bes. S. 29-36.
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sehr verschiedener Bereiche, nämlich der Bildung, der Religion und des Medizinalwesens. Diese drei Gebiete waren im Herbst 1817 aus dem Innenministerium ausgegliedert und eben im neuen Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten (kurz Kultusministerium) zusammengeführt worden. Inhaltlich war es - entsprechend seiner amtlichen Bezeichnung in drei Abteilungen strukturiert: die geistliche Abteilung, in der Fragen der Kirchenverwaltung und des innerkirchlichen Lebens bearbeitet wurden; die Unterrichtsabteilung, in deren Verantwortung das gesamte öffentliche Bildungswesen Preußens von der Elementarschule bis zur Universität sowie die Akademie der Wissenschaften fielen; die Abteilung zur Betreuung des wissenschaftlichen Medizinalwesens. Zu Kuglers Zeit existierte noch eine vierte Ministerialabteilung, die 1841 eigens für die katholischen Kirchenangelegenheiten eingerichtet worden war. Jede dieser vier Abteilungen bestand, das subalterne Personal vernachlässigend, aus einem Direktor, mehreren Vortragenden Räten und gegebenenfalls aus Hilfsarbeitern, die sämtlich dem Kultusminister als Ressortchef unterstanden. Insgesamt bewältigten auf zentraler Ebene bis weit in das 19. Jahrhundert hinein für ganz Preußen, dass sich immerhin von Königsberg bis Aachen erstreckte, gerade einmal 25 höhere Beamte den großen Bereich der Bildungs-, Kirchen-, Kunst- und Medizinalangelegenheiten. In seiner administrativen Kompetenz für die Künste erscheint das Ministerium indessen lange Zeit eher unübersichtlich. Bei seiner Gründung war ihm eine Sektion „Museen, Künste" nicht angegliedert worden, weil es eine solche vorher nicht gegeben hatte. Denn während die Zuständigkeit des Staates 1817 in bildungs- und kirchenpolitischen Fragen historisch gewachsen und klar umrissen war, fielen die Künste noch nicht in sein Selbstverständnis. Vielmehr wurden Förderung und Pflege der Kunst gesellschaftlichen Kräften überlassen. So galten Kunstangelegenheiten nach wie vor als eine starke Domäne des Hofes. Staatliche Museen oder Galerien, die in das neu geschaffene Ressort hätten fallen können, existierten 1817 in Preußen noch nicht. Aus dem Kunstbereich waren dem Ministerium somit als zentrale Institutionen die Akademie der Künste und die Bauakademie zu Berlin zugeordnet. Weiterhin unterstellt waren ihm die Provinzial-Kunst- und Baugewerkschulen, nämlich in Halle, Magdeburg, Düsseldorf, Erfurt, Königsberg und Breslau.21 Anders als seine MinisterialkoIIegen im Schul- und Kirchenbereich, verfügte Kugler allerdings nicht über ein landesweit gespanntes Netz ihm zugeordneter oder unterstellter Kunstbeamten in den Provinzen. N u r mittelbar fanden sich die Künste in der Binnenstruktur des Ministeriums, nämlich als inhaltliches Segment der Unterrichtsabteilung, wieder - ein Zustand, der nahezu 100 Jahre und somit auch während Kuglers Tätigkeit anhielt. Dies scheint: dem glanzvollen Bild des preußischen Staates schwer zu entsprechen. Jenem Staat, der im Jahre 1830 im Lustgarten sein erstes öffentliches Kunstmuseum eröffnete, der in den nachfolgenden Jahrzehnten durch eine konzertierte und staatlich betriebene Auftrags- und Ankaufs- sowie eine zielbe21 Die beim Kultusministerium ressortierenden Einrichtungen in: Handbuch über den KöniglichPreussischen Hof und Staat f ü r das Jahr 1818, Berlin 1818, S. 76-94, bes. S. 80-85.
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wusste Ausgrabungspolitik unzählige Gemälde, Skulpturen, antike Denkmäler und andere Kunstwerke erwarb und für diese die Berliner Museumsinsel erstehen ließ; der Kunstmuseen auch in den Provinzen aufwies und ein bemerkenswertes bildungsbürgerliches Engagement in lokalen und regionalen Kunstvereinen erlebte. Viele dieser Initiativen und Aktivitäten liefen damals am Kultusministerium vorbei und bündelten sich in solchen prominenten Akteuren wie dem kunstverständigen Kronprinzen Friedrich Wilhelm (IV.), dem Architekten Karl Friedrich Schinkel, dem Archäologen Aloys Hirt, dem Diplomaten Christian Carl Josias Bunsen, dem Kunsthistoriker Karl Friedrich v. Rumohr und den Brüdern Wilhelm und Alexander v. Humboldt. Später spielten solche Namen wie Ignaz v. Olfers, Kronprinz Friedrich ( I I I . ) oder Wilhelm (v.) Bode eine entscheidende, aber eben stets eine außerministerielle Rolle. Hinzu trat regionales, unterschiedlich starkes bildungsbürgerliches Engagement. Erst mit fortschreitender Säkularisierung von Staat und Gesellschaft und enger werdendem Konnex zwischen Bildung, Wissenschaft und Kunst änderte sich hierzu auch das Aufgabenfeld des preußischen Staates. Die allmähliche Ausprägung einer staatlichen Kunstpolitik und Kunstverwaltung spiegelte sich endlich auch im dafür zuständigen Ministerium wider, als dort 90 Jahre nach seiner Gründung im Jahre 1907 eine Kunstabteilung eingerichtet wurde. Im Revolutionsnovember 1918 dann fanden die Künste sogar an prominenter Stelle Eingang in die Behördenbezeichnung, als man es in preußisches Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung umbenannte. Franz Kugler indes gehörte zu einer Zeit dem Ministerium an, in der es sich nicht mehr als ein vornehmlich geistliches, sondern zunehmend als ein Unterrichts-, aber längst noch nicht als ein Kunstministerium begriff. Nur schrittweise besetzte es die Künste als eigenes Aufgabenfeld. Somit war Kugler in entscheidender Hinsicht wenig Gestaltungsmöglichkeit gegeben, denn die finanziellen Aufwendungen des Staates für den Kunstbereich fielen über Jahrzehnte vergleichsweise niedrig aus. Anders als für den Unterricht und die Kirchen gab es innerhalb des Ressorts lange keinen eigens ausgewiesenen Etatanteil für die Künste. Immerhin aber beschäftigte es bereits zwanzig Jahre vor Kuglers Berufung einen Referenten für Kunstangelegenheiten. Es war jener schon erwähnte Otto v. Harlem, der als studierter Archäologe und Kunsthistoriker und auf Protektion des Kultusministers Altenstein wie des Staatskanzlers Karl Fürst v. Hardenberg 1822 ins Kultusministerium geholt worden war. 22 Jedoch blieb er in dieser Tätigkeit ausgesprochen farblos, obwohl sich gerade Altenstein mit seinen kunstpolitischen Ambitionen davon eine fachlich kompetente Unterstützung ver22 Harlem hatte 1810 in Wolfenbüttel Studien der Kunstgeschichte, Archäologie und Bücherkunde begonnen, diente während der Befreiungskriege im Umfeld von Scharnhorst und Blücher und bewarb sich 1822 unter Berufung auf seine oben angeführten Kenntnisse bei Kultusminister Altenstein als Referent für die Bearbeitung der Kunstangelegenheiten; dies nach dem eigenhändigen Lebenslauf Harlems sowie den darüber 1822 geführten Schriftwechsel (GStA PK, I. HA, Rep. 76, I Sekt. 31 Lit. H Nr. 12, η. f. (Harlems Personalakte)). - Dort auch der Hinweis, dass sein Schwiegervater Burchard Friedrich Freiherr v. Maitzahn, Hofmarschall und Intendant der königlichen Schlösser, Altenstein um Harlems Anstellung gebeten hatte.
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sprachen hatte. Harlem, der bis 1848 im Ministerium verblieb, begnügte sich offensichtlich mit bloßer Verwaltungsarbeit und spielte auf den kunstpolitischen Großbaustellen des preußischen Staates keine bemerkenswerte Rolle. Kugler hatte also einen langjährigen Vorläufer im Amt, trat aber kein leichtes Erbe an. Seine Kompetenzen indes waren von Beginn an klar umrissen: Er war für die die Akademie der Künste zu Berlin und die in den Provinzen befindlichen Kunst- und Gewerbeschulen sowie die Kunstakademie zu Düsseldorf zuständig. Des Weiteren hatte er verwaltungstechnisch das Königliche Museum zu Berlin zu betreuen und sich „mit allem, was die Erwerbung oder Erhaltung von Gegenständen der Vorzeit betrifft, die altertümlichen oder Kunstwert haben, sowie mit den Musikangelegenheiten" 23 zu befassen. Dies blieb über die Jahre auffallend konstant, bis Jahre 1857 auch „endlich die Angelegenheiten wegen Ausbildung von Künstlern und der zu diesem Zweck zu gewährenden Unterstützungen" 24 zu seinen Aufgaben zählten. MINISTERIELLER ARBEITSALLTAG UND U M F E L D Innerhalb des Ministeriums war der Kunstreferent Kugler in die Unterrichtsabteilung integriert, befand sich dort jedoch mit seinen Arbeitsinhalten meist im Einzelkämpfertum. Zwar hatte er an den meist wöchentlichen Abteilungssitzungen 2 ' teilzunehmen, er dürfte dort jedoch eher selten die von ihm zu bearbeitenden Vorgänge thematisiert haben. Alles, was Kugler für seinen Bereich ausarbeitete, ob Denkschriften, Voten oder Korrespondenzen, musste er in jedem Falle dem Kultusminister und nur bei Diskussionsbedarf der Unterrichtsabteilung vorlegen. Dabei war es intern im Ministerium nahezu unwichtig, ob er dies im Status eines fachlich versierten Hilfsarbeiters oder später eines Ministerialrates offerierte. Das in der preußischen Verwaltung herrschende Kollegialprinzip lies hier keine Unterschiede bei der Gewichtung der Urteile zu. Nach außen allerdings waren die Dienstwege strikt einzuhalten. Alles, was Kugler ausarbeitete und „nach oben", also ins Staatsministerium oder gar zum Monarchen ging, trug prinzipiell nicht seinen Namen, sondern den des Ministers. Bei Korrespondenzen ins Land, also an die Akademien, Kunstschulen, an Kommunen und Bezirksregierungen, an Kunstvereine oder einzelne Künstler unterzeichnete in aller Regel ebenfalls der Minister bzw. der
23 Geschäftsverteilungsplan des Kultusministeriums von 1843 (GStA PK, I. HA, Rep. 76, IV Sekt. 1 Abt. 1 Nr. 1 Bd. 1, Bl. 77-91v, das Zitat Bl. 88). 24 Geschäftsverteilungsplan des Kultusministeriums von 1857 (ebd., Bl. 311—318v, das Zitat Bl. 315v316). 25 Dieser Rhythmus, der für die Unterrichtsabteilung auf montags 10 bis 12 Uhr festgelegt war und sich nach 12 Uhr auf ein Plenum ausdehnen konnte, wird aus der Instruktion des Kultusministers Friedrich Eichhorn vom 28. Januar 1841 zur Geschäftsführung im Ministerium ersichtlich (GStA PK, I. HA, Rep. 76, IV Sekt. I Abt. I Nr. 1, Bl. 21-24v, hier Bl. 23v).
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Ministerialdirektor 26 und nur selten der zuständige Referent. Dies war eines, aber nicht das ausschlaggebende Moment, warum Kugler letztendlich schwer eine innere Beziehung zu seinem Amt entwickelte. Anders als in der ihm bislang vertrauten Welt der Wissenschaften und der Künste musste er hier als Staatsdiener quasi anonymisiert arbeiten. Hinzu kam, dass er sich in seiner Meinungsäußerung immer auf Zustimmung und Wohlwollen eines Anderen angewiesen sah. Für seine administrative Arbeit war es deshalb mindestens genauso wichtig, ob sein Arbeitsbereich im Interesse des politischen Umfelds lag, er als Fachmann Anerkennung genoss und in seinem Verhältnis zu Vorgesetzten persönlich begründete Konstellationen förderlich oder hinderlich wirkten. Hier lagen mehrere Reibungspunkte, die Kuglers Wirkung in manchem verpuffen lies. Im Kultusministerium arbeitete er insgesamt unter fünf verschiedenen Ministern. Mit zwei von ihnen, mit dem Vormärzminister Friedrich Eichhorn und mit dem in den Revolutionsjahren amtierenden Adalbert v. Ladenberg konnte er eine für sein Aufgabenfeld gedeihliche Zusammenarbeit entwickeln. Die längste Zeit allerdings war er seit Dezember 1850 unter Karl Otto v. Raumer 27 tätig, der weder als liberal gesinnter Reformer galt noch aus der Kultusverwaltung stammte. Raumer war vor seiner Berufung zum Kultusminister in der Innenverwaltung tätig gewesen und instrumentalisierte das ihm neu anvertraute Ressort in den 1850er Jahren häufig für innenpolitische Zwecke. Dies war eine gerade für die Pflege und Förderung der Künste unfruchtbare Arbeitsumgebung. Kuglers dienstliches wie menschliches Verhältnis zu ihm gestaltete sich als ausgesprochen kühl und distanziert. Es bleibt Hypothese, ob er unter dem nachfolgenden liberalen Minister Moritz August v. Bethmann Hollweg und in der kurzen Aufbruchszeit der Neuen Ara seine kunstpolitische Programmatik aus der Schublade geholt und wirksam vertreten hätte. Raumer musste, so wie das gesamte Kabinett Manteuffel, Anfang November 1858 zurücktreten; Kugler aber war schon sieben Monate vorher verstorben. Tatsache hingegen ist, dass der Kunstreferent Kugler in der Dienstatmosphäre des Ministeriums nie richtig angekommen ist. So vertraute er 1853 seiner Frau an. „[...] wenn ich mich irgendwo fremd fühle, so ist und bleibt es dort."28 Aber schon 1847 und damit weit vor Raumers Zeit bezeichnete er in einer Tagebuch-Notiz seine Stellung im Ministerium als paralysiert. 29 Kugler hatte die Jahre davor im Auftrage des Königs die Kunstverwaltung in Belgien und Frankreich studiert und danach schriftlich ein erstes grundlegendes Konzept 26 So unterzeichnete in den 1850er Jahren Korrespondenzen mit der Regierung zu Potsdam über Denkmalpflege auffällig konstant der als Ministerialdirektor tätige Johannes Schulze und nicht Minister Karl Otto von Raumer (vgl. Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA), Pr. Br. Rep. 2 A, I Hb Nr. 1158 und Nr. 1187). 27 Über Person und Wirken vgl. Neue Deutsche Biographie, Berlin 2003, Bd. 21, S. 204f. (B. Holtz); eine moderne biographische Untersuchung fehlt. 28 Brief Kuglers an seine Frau Clara, Berlin, 5. August 1853 (BSB, Nachlass Kugler, Ana 549, Nr. 111, Bl. 266-267, das Zitat Bl. 267 (Hervorhebung im Original)). 29 Kuglers Eintrag vom 3. März 1847 (BSB, Cgm 6902, Bl. 46); ebd. auch die nachfolgend zitierte Bemerkung über sein „Aufschreiben von Erzählungen".
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für eine Kunstverwaltung in Preußen entwickelt. 3 0 Die darauf ausbleibende Resonanz beim Auftraggeber König Friedrich W i l h e l m IV. sowie innerhalb des Ministeriums ließ ihn jedoch schnell resignieren und inneren Trost im „Aufschreiben von Erzählungen", also bei den Künsten suchen. Dieses rasche Umschwenken ist ein Phänomen, das seine gesamte Beamtenlaufbahn durchzog. Unmittelbar nach Ausbruch der Märzrevolution, so gestand er seinem Freund Emanuel Geibel, fühlte der allgemein an Politik desinteressierte, königstreue Kugler sich plötzlich dazu berufen, sich an die Spitze der künstlerischen Bewegung zu setzen, die nothwendig mit der allgemeinen politischen und volksthümlichen Bewegung gleichen Schritt gehen muß, und da wo möglich Alles hinein zu werfen, was ich so lange von Neubauten in ästhetischen Dingen in mir herum getragen. 31 Sechs Wochen später schon sah dies ganz anders aus und er schrieb wiederum an Geibel: „Ich sehne mich nun aus der Politik heraus wieder aufs Lebhafteste zu meiner Freundin Jacobäa zurück." Ein anderes Beispiel für sein geringes Stehvermögen in Konfliktsituationen oder auch des von ihm bevorzugten Abwartens statt Eingreifens zeigte sich im J a h r 1853, als es in Preußen zu einer ernsthaften Kabinettskrise gekommen war und deshalb auch Raumers Abberufung nicht unmöglich schien. 32 Kugler hatte Vergnügen daran, als Beobachter im Abseits zu verbleiben, sich mit mexikanischen Bauwerken und altägyptischer Kunstgeschichte zu beschäftigen 3 3 und ansonsten wissenschaftlich ruhig fort zu arbeiten und abzuwarten, „ob und welche Resultate die Ergebnisse dieser Arbeiten haben werden." 34 Während mit der einsetzenden Reaktionspolitik nach 1850 sein kunstpolitisches Grundsatzprogramm in den Ministerialakten verstaubte, wählte er aus der ihm auferlegten amtlichen Starre für
30 Vgl. seine Schrift: „Kunstreise im Jahre 1845. Ü b e r die Anstalten und Einrichtungen zur Förderung der bildenden Künste und der Conservation der Kunstdenkmäler in Frankreich und Belgien. Nebst Notizen über einige Kunst-Anstalten in Italien und England", in: Franz Kugler, Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte, Bd. 3, Stuttgart 1854, S. 4 2 9 - 4 7 6 , sowie seine anonym erschienene Schrift über Preußen (wie Anm. 8). 31 Brief Kuglers an Geibel, 29. M ä r z 1848, zit. nach: Franz Kuglers Briefe an Emanuel Geibel, hg. v. Rainer Hillenbrand, Frankfurt/Main u. a. 2001, S. 150. Die nachfolgende, gegenüber Geibel am 10. Mai 1848 geäußerte Bemerkung Kuglers zit. nach: ebd., S. 158. 32 Vgl. hierzu Bärbel Holtz (Bearb.), Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1 8 1 7 1934/38, Hildesheim u. a. 2003, Bd. 4/1, S. 2 2 - 2 4 (= Acta Borussica, Neue Folge, 1. Reihe, hg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften unter der Leitung v. Jürgen Kocka und Wolfgang Neugebauer). 33 Erwähnt in Kuglers Briefen an seine Frau Clara, Berlin, 15. August und 12. September 1853 (BSB, Nachlass Kugler, Ana 549, Nr. 115 und 121, Bl. 275-276v, hier Bl. 276v sowie Bl. 2 8 7 - 2 8 8 v , hier Bl. 288v). 34 Brief Kuglers an seine Frau Clara, Berlin, 27. August 1853 (ebd., Nr. 118, Bl. 2 8 1 - 2 8 2 v , das Zitat Bl. 281).
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sich einen Ausweg in Detailmaßnahmen. „Was Kugler durch eine vollständige Umgestaltung des Kunstwesens nicht erreichen konnte," schrieb die Königlich privilegirte Berlinische Zeitung in ihrem Nachruf, „dafür suchte er mit der emsigsten Hingebung im Einzelnen zu wirken. Wenige der unter uns lebenden Künstler wird es geben, welche ihm nicht um Rath und Förderung zu danken haben."35 Mehr als aus seiner Resignation erklärt sich Kuglers Einzelkämpfertum im Kultusministerium aber aus seinem persönlichen wie dienstlichen Umfeld. Privat verkehrte er nahezu ausschließlich in beamtenfernen Kreisen, aus denen ebenfalls vornehmlich die Stammgäste des Salons kamen, den seine Frau Clara in der häuslichen Wohnung in der Berliner Friedrichstraße von etwa 1845 bis 1858 führte. 36 Zu seinen persönlichen Freunden und Bekannten zählten prominente Künstler, Schriftsteller, Bildhauer und Musiker. Aber das waren genau die Kreise, für die er von Amts wegen der Lobbyist sein musste und auch sein wollte. Er selbst indes verfügte für derartige, ob dienstlich oder außerdienstlich ihm vorgetragene Anliegen über keine wirksame Lobby. Weder besaß er persönliche Kontakte in Regierungskreise noch verkehrte er in solchen Salons, in denen man beim Tee hohen Beamten oder gar Ministern sensible Themen zur wohlwollenden Bescheidung nahe bringen konnte. Außerdem fehlte Kugler - was sich im Bereich der Künste immer als besonders dienlich erwies der Zugang zum Hof. Es ist schon auffällig, dass gerade der kunstinteressierte Friedrich Wilhelm IV. für seinen ambitionierten Kunstreferenten so gar kein Interesse bekundete. Weder der Wissenschaftler und schon gar nicht der Künstler Kugler hatten je seine persönliche Beachtung gefunden. Die Berufung als Hilfsarbeiter in das Kultusministerium, die von Kultusminister Eichhorn zu beantragen war, genehmigte der Monarch 1843 vermutlich auch wegen Kuglers Biographien über Friedrich den Großen und Schinkel, zu denen Friedrich Wilhelm IV. eine enge innere Bindung besaß. Kuglers Karriereaufstieg zum Vortragenden Rat setzte Kultusminister Ladenberg im gerade noch revolutionsbewegten Dezember 1848 durch. Für den König aber blieb dieser Kunstreferent immer nur einer seiner vielen Ministerialbeamten, der zu verwalten und nicht zu gestalten hatte. Diese Nichtbeachtung ist vermutlich durch eine gewisse Abweisung sogar verstärkt worden, denn Kuglers kunstpolitisches Grundsatzprogramm dürfte dem Monarchen zu demokratisch ausgefallen sein, sollten demnach doch sämtliche im königlichen Besitz befindlichen Kunstwerke prinzipiell öffentlich zugänglich sein. Gestaltende Einflussnahme in diesem Bereich überließ der König vielmehr Ignaz v. Olfers, der als Generaldirektor der Königlichen Museen weitreichende Handlungs- und Entscheidungsspielräume für die bildenden Künste besaß und sich gern als eigentlicher Kunstminister Preußens sah.37 So wurden die ehrgeizigen Kunstpro35 Erste Beilage zur „Königl. privilegirten Berlinischen Zeitung", Nr. 71 vom 25. März 1858, S. 2-4, das Zitat S. 3. 36 Petra Wilhelmy, Der Berliner Salon im 19. Jahrhundert (1780-1914), Berlin 1989, bes. S. 213-219 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 73). 37 Vgl. die biographische Studie „Ignaz von Olfers. ,Die ganze Spree-Insel eine Freistätte für Kunst und Wissenschaft'" (eher unkritisch), in: Paul Ortwin Rave, Kunst in Berlin. Mit einem Lebensbericht des Verfassers von Alfred Hentzen, Berlin 1965, S. 118-134; David E. Barclay, Anarchie und
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jekte des preußischen Staates der 1840er/50er Jahre, wie das Museum im Lustgarten und die Gestaltung des ägyptischen Museums, nicht vom Kultusministerium und vom darin zuständigen Kunstreferenten Kugler vorgedacht oder inhaltlich mit begleitet, sondern von dem auch privat eng miteinander verkehrenden Dreigestirn Monarch, Generaldirektor Olfers und Alexander v. Humboldt konzipiert. 38 In diesem Umfeld erschien der aus einer Stettiner Bürgerfamilie stammende Beamte Kugler eher als nicht ebenbürtig. Gerade auch Humboldt, der damals als eine Schlüsselfigur zum Monarchen galt und den Kontakt für den höchsten Kunstbeamten Preußens leicht hätte vermitteln können, zeigte hier auffallende Passivität. Der Beamte Kugler war also in mehrfacher Hinsicht isoliert. Außerdem begriff er sich selbst mehr als Künstler und Wissenschaftler und fühlte sich begreiflicherweise in diesen Kreisen heimisch. Ein weiterer Aspekt des Einzelkämpfertums in seinem Arbeitsalltag sei erwähnt: Auch aus objektiven Gründen fand Kugler wenig inhaltlichen Austausch und Gelegenheit zur Kommunikation, weil es das Ministerium als täglich funktionierende Gesamtbehörde gar nicht gab. Bis in die 1870er Jahre verfügten lediglich der Minister, die Kanzlei und das Zentralbüro des Ministeriums über Büros im Dienstgebäude. Alle anderen und vor allem die Referenten arbeiteten am häuslichen Schreibtisch. Nur zu den wöchentlich stattfindenden Abteilungssitzungen oder wenn der Minister zum Vortrag in das Dienstgebäude rief, begegnete man sich. Dies hatte in den Zeiten vor der Erfindung von Telefon, Schreibmaschine und Automobil für den innerbehördlichen Betrieb Konsequenzen. Das Ministerium besaß als Transportmittel eine Pferdekutsche, die nach einem strengen Terminplan den Hin- wie Abtransport der Akten zwischen dem Dienstgebäude und den Wohnungen der Räte erledigte. Bei Rückfragen oder später nochmals erforderlicher Akteneinsicht musste man sich ins Ministerium begeben, das sich bis 1849 in der Leipziger Straße, danach Unter den Linden nahe dem Brandenburger Tor befand. Das Kultusministerium war also ein Konglomerat aus Dienstgebäude und zahlreichen Privat-Filialen. Unter diesen räumlich-separierten Bedingungen hatten die Beamten indes keinen geringen Aktenberg zu bewältigen. Nach einer durch den Minister intern geführten Statistik betrug Kuglers Arbeitspensum durchschnittlich immerhin 1.100 bis 1.400 Vorgänge im Jahr. 39 Damit befand er sich im guten Mittelfeld, für den Referenten des höheren Unterrichtswesens gab es auch jährlich 3.700 bis 4.000 Vorgänge. Und dennoch, so kann man aus zahlreichen privaten Briefen Kuglers herauslesen, bewältigte er dieses Pensum derart, dass ihm immer wieder ausreichend Zeit für gesellige Mittagessen, ausgiebige Spaziergänge, tagsüber erfolgte Besuche bei Freunden und Künstguter Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie, Berlin 1995, bes. S. 168. 38 Erwähnt seien die oft täglichen Besuche Humboldts beim König, der auch Olfers häufig an seine Tafel holte. Uber das Verhältnis zwischen beiden vgl. die über Jahrzehnte geführte Korrespondenz: Briefe Alexander v. Humboldt's an Ignaz von Olfers, Generaldirektor der Kgl. Museen in Berlin, hg. v. Dr. E[rnst] Werner Maria v. Olfers, Nürnberg und Leipzig [1913], 39 Vgl. die im Kultusministerium zwischen 1833 und 1866 geführten Übersichten der eingegangenen und dort zu bearbeitenden Sachen, aufgelistet nach Abteilungen und einzelnen Räten (GStA PK, I. HA, Rep. 76,1 Sekt. 3 Nr. 37, Bde. 1-2).
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BÄRBEL
HOLTZ
lern sowie vor allem zur Beschäftigung mit Kunst und Kunstgeschichte blieb. Die „Aktenarbeit", wie Kugler seine Tätigkeit oft bezeichnete, bereitete ihm dabei wenig Vergnügen, sie war ihm unangenehme Pflicht. Sein Amt empfand er als Bürde, aber nicht als Würde. W E R T U N G SEINER A M T L I C H E N
LEISTUNGEN
Mit dem hier vorgenommenen Blick in Kuglers Amtspraxis lassen sich seine Tätigkeit und Geltung als Kunstreferent differenzierter als bisher einschätzen. Dabei scheint nach wie vor unstrittig, dass Kugler als der Vordenker einer kunstpolitischen Programmatik des preußischen Staates gelten darf. Aber vieles unterhalb dieser Einschätzung erweist sich als ambivalent. Mit seinen kunstpolitischen Entwürfen war er seiner Zeit weit voraus. Viele seiner Ideen wurden später aufgegriffen, ohne sich immer ihres geistigen Urhebers bewusst zu sein. Kugler blieb mit seinen Forderungen aber auch deshalb ein Visionär, weil er selbst selten Beharrung oder Durchsetzungswillen bewies. Das zeigte sich nicht nur in der großen Strategie, sondern auch in vielen Einzelkonflikten, wie mit der Akademie der Künste40. Als ambivalent erwies sich auch ein Teil seiner Amtspraxis. In seinen kunstpolitischen Forderungen spielten die Kunstvereine eine zentrale Rolle, um die Kunst als eine allgemeine, im Volk verwurzelte Angelegenheit zu etablieren. Das war eine moderne Sicht auf Beschäftigung mit und Verbreitung der Kunst in breite Bevölkerungskreise hinein, wie sie so noch nicht lange geläufig war. Dem aber steht eine gewisse Zurückhaltung Kuglers gegenüber, wenn es um direkte Kontakte zu diesen Kunstvereinen ging. Von den großen Kunstvereinen in den Provinzen durfte sich lediglich der Pommersche seiner Mitgliedschaft erfreuen - der Verein seiner Heimatprovinz. Als Vergleich sei erwähnt, dass andere Räte im Kultusministerium hier ein breiteres Engagement bewiesen. Eine Einladung „zur Versammlung der Kunstvereins-Vorstände"41 kommentierte er mit der Ankündigung, dass er da nicht lange bleiben werde. Es ist bekannt, dass Kugler als Künstler in seine literarischen Vereine viel Kraft und Ideen steckte. Für ein amtlich erwiesenes Interesse an Kunstvereinen seinerseits blieb da nicht viel Raum. Eine weitere Diskrepanz in seinem Handeln als Künstler wie Wissenschaftler und als Beamter sei lediglich angemerkt. Es fällt auf, dass Kugler für seine bauhistorischen Abhandlungen oder kunstgeschichtlichen Arbeiten intensive Reisen unternommen und vieles nach eigener Beobachtung erarbeitet hatte. Die zentralstaatlichen Akten indes zeigen, dass er in seiner darauffolgenden Tätigkeit als Ministerialrat das meiste an seinem häuslichen Schreibtisch in der Berliner Friedrichstraße entschieden hat. Anders als beispielsweise die Referenten für das Schulwesen oder für Kirchensachen im Kultusministerium verzichtete Kugler auf regelmäßige Visitationsreisen in die Provinzialkunstschulen oder andere Kunsteinrich-
40 Vgl. hierzu vor allem Koschnick 1985 (wie Anm. 6), bes. S. 204-234. 41 Brief Kuglers, 16. Oktober (o. J.) (BSB, Nachlass Kugler, Ana 549, Nr. 218, Bl. 44-45, das Zitat Bl. 44).
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FRANZ KUGLERS AMTSPRAXIS
tungen und direkte Kontakte zu den ihm zugewiesenen Institutionen. Hier wäre weitere Forschung nötig, um dies im Einzelnen zu untersuchen. Kugler, so könnte man zusammenfassen, befand sich mit seinem Ministerialamt in einer Doppelrolle und fühlte sich zwei Seiten zugleich verpflichtet. Aber auch hier war er von Ambivalenz beherrscht: Als Beamter musste er sich innerlich dem Staat und nach außen den Künsten verbunden fühlen. In seinem subjektiven Selbstverständnis betrachtete sich Kugler aber als Künstler und empfand genau andersrum: Seine innere Verpflichtung galt den Künsten und seine äußere dem Staat. Das musste zu Konflikten führen, die er zeitlebens nicht bewältigte. Es hat schon etwas Tragisches, dass eine seiner frühen Einsichten über Preußens Leistung und Grenzen im Bildungs- und Kunstbereich symbolisch gedacht zur Bilanz seiner eigenen Amtstätigkeit wurde. Mehr als ein Jahr vor seinem Amtsantritt hatte Kugler 1842 an Geibel geschrieben: „In allem Thun, wo es auf Einzelkräfte ankommt, sind wir unseren Nachbarn überlegen; in allem Thun, wo es auf das Zusammenwirken der Kräfte ankommt, stehen wir unseren Nachbarn, wenigstens Engländern und Franzosen, bedeutend nach."42
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Brief Kuglers an Geibel, 22. Juni 1842, zit. nach: Franz Kuglers Briefe 2001 (wie Anm. 32).
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A D O L P H M E N Z E L UND F R A N Z KUGLER Hubertus Kohle
Wie bekannt, spielte Franz Kugler für den frühen Adolph Menzel eine große Rolle. Es war nicht selbstverständlich, dass der Kunsthistoriker ihn, der zu diesem Zeitpunkt noch jung und wenig an die Öffentlichkeit getreten war, 1839 als Illustrator für seine später zu einem echten Volksbuch gewordene Geschichte Friedrichs des Großen auswählte. Dem Graphiker und Maler erschloss sich mit diesem Großunternehmen - insgesamt fertigte er über 400 Holzschnitte - ein historisches Thema, dem er sich bis in die frühen 1860er Jahre widmen sollte. Programmatisch führt er in einem Brief von 1839 dazu aus: „Meine Intention war, den Fürsten darzustellen, den die Fürsten haßten und die Völker verehrten, dieß war das Ergebnis dessen was Er war, mit einem Wort: den alten Fritz, der im Volke lebt".1 Menzel hat dieses Interesse im Anschluss an seine Arbeit für das Kugler-Buch in einer Reihe von umfangreichen Illustrationszyklen etwa zur Geschichte Friedrichs des Großen und seiner Armee entfaltet, seit den späten 1840er Jahren dann auch in der berühmten Ölbilderfolge, die in der Ansprache Friedrichs des Großen vor der Schlacht bei Leuthen kulminiert und plötzlich abbricht. Bis zu seinem Tod war damit Menzels Image als „Ruhmeskünder Friedrichs des Großen" festgelegt, ein Image, das genauso scheinbar offensichtlich wie letztlich irreführend ist. Denn missachtet ist darin zweierlei: Erstens die Tatsache, dass sich die Ästhetik der Ölbilder kaum dazu eignet, die Rolle der Ruhmesverkündung zu übernehmen - darauf ist zurückzukommen. Und zweitens, dass sich der Maler in der zweiten Hälfte seines langen Lebens eben radikal weiteren Verarbeitungen des Stoffes entzog, ja historische Stoffe insgesamt weitgehend mied.2 Auch jenseits ihrer Zusammenarbeit am Projekt der Geschichte Friedrichs des Großen, die sich bis 1842 hinzog, sind sich Kugler und Menzel häufig begegnet. Sie waren nach der 1848er Revolution beide Mitglieder des Tunnels über der Spree und des zugehörigen Rütli, 1 Brief Menzels an J. J. Weber, 17. Juli 1839, zit. nach: Adolph von Menzel. Briefe, hg. v. Claude Keisch und Marie Ursula Riemann-Regher, Berlin/München 2009, Bd. 1, S. 114. 2 Vgl. zu dem Komplex: Hubertus Kohle, Adolph Menzels Friedrich-Bilder: Theorie und Praxis der Geschichtsmalerei im Berlin der 1850er Jahre, München 2001.
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HUBERTUS
KOHLE
hatten offenbar im Kontext der Bestrebungen zur Neuorganisation der Kunstangelegenheiten im preußischen Staat viel miteinander zu tun, und Kugler schrieb Kritiken in den führenden deutschen Kunstzeitschriften zu Menzels Arbeiten. Auffällig ist allerdings, dass diese Kritiken kaum über die 1840er Jahre hinausgehen, die Ölbilder scheinen Kugler nicht interessiert zu haben. Es soll sich hier zeigen, dass dies mit einem Entfremdungsprozess zu tun hat, der letztlich auch auf einen divergierenden Kunstbegriff der beiden zurückgeht. Als Ausgangspunkt wähle ich eine Begebenheit, die sich im Jahr 1853 ereignet hat. Für das Jahrbuch der Rütli-Gesellschaft hatte Menzel ein Titel-Blatt konzipiert, in dem er die Ankunft der Argonauten in Kolchis thematisierte, genauer gesagt die Begrüßungsszene zwischen Jason und dem Wächter des Goldenen Vließes, den er als einen geflügelten Berliner Bären gestaltete. (Abb. 1) Letzteres deutet den Ulkcharakter des Blattes an, mit dem sich Menzel in die Phalanx der Berliner Künstler einreiht, die sich der Antikenpersiflage widmeten.3 Kugler konnte hiermit wenig anfangen. „Das Ganze, zumal mit dem Papierdrachen der Argonauten, ist doch nur ein Kladderadatsch-Witz!" soll er zu Menzels Idee gesagt haben, der intellektuelle und ästhetische Gestus des erfolgreichen Kladderadatsch war ihm allgemein ein Graus. „Man will nicht lesen, am wenigsten genießen, man will witzeln und sich überheben; das ist alles."4 Für Kugler war Kunst etwas durch und durch Ernstes, ja in einer von den nachromantischen Malern Frankreichs praktizierten vaterländischen Kunst hatte er sogar ein wesentliches volksbildendes Element auf dem Weg zum ersehnten Nationalstaat erblickt. Karikaturen, solche zumal, die sich über ein Erbe lustig machten, das auch noch für Kugler unantastbar war, passten hier kaum ins Konzept. Auch persönlich scheint sich Menzels Beziehung zu Kugler nicht ins Positive gewendet zu haben. Des Historikers Bildungsbeflissenheit hat Menzel offenbar einmal dazu verleitet, ihn als einen „geistigen Wasserkopf" zu titulieren, 5 er selbst und die ganze „Kunstschwätzerei" scheint dem Maler gehörig auf den Wecker gegangen zu sein. Der Völkerpsychologe Moritz Lazarus, dem Menzel sehr vertraute, berichtet, der Maler habe sich im Rütli sehr viel besser aufgehoben gefühlt als im Hauptverein Tunnel über der Spree. Und weshalb? Alles ihm Unbequeme hat er ausscheiden oder wegsterben sehen, erst Lübke, dann Kugler, dann Blomberg. Ein von Kunsthistorie purifiziertes Rütli blieb übrig. Ich verdenke es keinem Maler, also auch M. nicht, wenn er der Wissenschaft das Recht des entscheidenden Mitredens abspricht, aber die Kunsthistoriker können einem nachgerade leid tun!6 3 Vgl. hierzu Peter Springer, „Berlin gegen die Antike. Antikenrezeption in der Nachfolge Schinkels", in: Berlin und die Antike, hg. v. Willmuth Arenhövel, Berlin 1979, S. 431-453. 4 Vgl. Roland Berbig, „Ascania oder Argo? Zur Geschichte des Rütli 1852-1854 und der Zusammenarbeit von Theodor Fontane und Franz Kugler", in: Theodor Fontane im literarischen Leben seinerzeit, hg. v. Otfried Keiler, Berlin 1987, S. 107-133, hier S. 120. 5 Vgl. Vgl. Hermann Fricke, „Die Argonauten von Berlin", in: Der Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins, 13 (1964), S. 27-49, hier S. 31. 6 Vgl. Moritz Lazarus, Lebenserinnerungen, Berlin 1906, S. 598.
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ADOLPH MENZEL
UND FRANZ
KUGLER
( 1 ) A d o l p h Menzel, Berliner A r g o n a u t e n , Titelblatt für die Zeitschrift Argo, S e p t e m b e r 1853, Radierung und Kaltnadel, 23,7 χ 17,8 c m (Blattgröße), Berlin, S M P K , Kupferstichkabinett
Nun ist es ja geradezu topisch, dass Künstler mit Kunsthistorikern wenig anfangen können, nein, dass sie ihnen gewöhnlich herzlich verhasst sind. Lohnend scheint es mir trotzdem, den Gründen hierfür im Fall der Beziehungen zwischen Kugler und Menzel noch etwas weiter nachzugehen. Hilfreich dafür dürfte es sein, sich etwas genauer mit den Reaktionen Kuglers auf Menzels Arbeit zu beschäftigen. Kuglers Kritiken an Menzels künstlerischen Produkten sind nicht immer so apologetisch, wie man meinen sollte. Zwar hatte er ihn als Illustrator seiner Geschichte Friedrichs ausgewählt, aber seine Meinung etwa über die wenig vorher erschienenen Illustrationen Menzels zu den Denkwürdigkeiten
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aus der
brandenburgisch-preußischen
HUBERTUS
KOHLE
(2) A d o l p h Menzel, Schlacht bei Fehrbellln (Blatt 6 aus den Denkwürdigkeiten preußischen
Geschichte),
aus der
brandenburgisch-
Kreidelithographie, 31,5 χ 36,9 c m (ohne Schrift), 1834, Berlin, S M PK, Kupferstichkabinett
Geschichte war doch durchaus gespalten. Vorbehalte meldete Kugler insbesondere gegenüber der überscharfen Charakteristik in der Behandlung der Figuren an.7 Er begründete das mit der Tatsache, dass sich die moderne Kleidung, also die allzusehr der jeweiligen Zeit verfallene, durchweg wenig zur künstlerischen Darstellung eigne und daher zumindest leicht verallgemeinert bzw. antikisiert werden sollte. Bezeichnend auch sein Kommentar zur Schlacht bei Fehrbellin (Abb. 2) aus dem gleichen Zyklus: „Doch scheint es, als ob der Moment des Sieges einer noch grossartigeren, unmittelbarer überzeugenden Darstellung fähig gewesen wäre. Das Ganze ist, wie insgemein die Schlachtenbilder, mehr Genre-artig gehalten, während der historische Styl eine grössere Massenwirkung verlangt." 8 Schon hier gerät Menzels Realismus-Anspruch überkreuz mit Kuglers Idealitätsforderung, die bei letzterem die Funktion hatte, den Betrachter aus der Ebene des rein Faktischen in die des Bewusstseinsprägenden zu heben. Zwar zeichnete sich Kugler insbesondere im Vormärz als beherzter Vorkämpfer gegen nazarenische Romantik und „blutleere" Klassizität aus und wurde zum begeisterten Anhänger der sogenannten belgischen Bilder, realistisch ausgerichteten Geschichstbildern,
7 Vgl. Museum. Blätter für bildende Kunst, 5 (1837), S. 86. 8 Vgl. Museum. Blätter für bildende Kunst, 5 (1837), S. 88. Auch ein dem M a l e r nahestehender Literat wie Alexander von Sternberg warnte - wie viele seiner Kollegen - vor allzu starker Charakteristik und sah die echte erneuerte Historienmalerei noch jenseits von Menzel. Vgl. ders., Ein Carneval in Berlin, Leipzig 18S2, S. 187.
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KUGLER
(3) A d o l p h Menzel, Einzug der Herzogin von Brabant mit ihrem Sohne Heinrich zu M a r b u r g 1247 (sogenannter „Kasseler Karton"), Kohle- und Kreidezeichnung, 311 χ 5 2 5 cm, ' 847/48, ehemals M a g d e b u r g , Kaiser Friedrich-Museum
die in der ersten Hälfte der vierziger Jahre durch Deutschland tourten. \Yenn aber der Künstler sich seiner Meinung nach allzu sehr im Individuellen verlor und vergaß, die Aussage seines Werkes in den Vordergrund zu rücken, dann reagierte er allergisch. Dies im übrigen verstärkt in den Jahren nach der 1848er Revolution, die sich flächendeckend bei den Theoretikern durch eine deutliche Reidealisierungstendenz gegenüber dem Aufbruch der Vormärz-Zeit auszeichneten. Und das eben auch bei Menzel. Eine weitere Reaktion ist in dieser Hinsicht aufschlussreich: Denn nicht nur Menzels Hang zum pointierten Charakterisieren war Kugler ein Dorn im Auge, in diesem Zusammenhang von fast noch größerer Bedeutung ist auch die Reaktion auf seine Art der Bildkomposition Der Aufbau des Kasseler Kartons von 1847/48, in dem Menzel den Einzug der Herzogin von Brabant in it ihrem Sohne Heinrich zu Marburg 1247 darstellte, war in der Tat ungewöhnlich und wurde von Kugler fast beleidigt zurückgewiesen. 9 (Abb. 3) „Auch bin ich vor das Bild hingetreten, um den Einzug der Herzogin zu sehen, den mir die Rücken eben verdecken." 10 Einem Betrachter, der im Bild den Ubersetzungsversuch einer vorher gefassten Idee erblickte, musste die von Kugler angesprochene Tatsache tatsächlich eigentümlich erscheinen. Die Verunklärung der
9 Vgl. Kunstblatt, 29 (1848), S. 177f. Dazu Claude Keisch, „Von Kassel bis Leuthen. Mehrdimensionalität des Augenblicks in Menzels Geschichtsmalerei", in: Kunstverhältnisse. Ein Paradigma kunstwissenschaftlicher Forschung (Festschrift für P.H. Feist), Berlin 1988, S. 74-79. 10 Kunstblatt, 29 (1848), S. 178.
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HUBERTUS
KOHLE
(4) Christian Daniel Rauch, Reiterstandbild Friedrichs des Großen, 1 8 3 6 - 5 1 , Berlin, Unter den Linden
Hauptszene durch die vorn angesiedelten Zuschauer und der auch hier zu beobachtende Verzicht auf den privilegierten Standort scheinen schon auf die gebrochene Heldendarstellung der Friedrich-Bilder zu verweisen, auf die gleich zurükzukommen sein wird. 11 Kuglers Kunstbegriff, der in den 1850er Jahren immer ausgewogener - kritisch könnte man sagen: kompromisslerischer - wurde, zeigt sich in Reinform in einem Kommentar zu Christian Daniel Rauch, dem Schöpfer des Friedrich-Denkmals Unter den Linden. (Abb. 4) Der Bildhauer kam Kuglers Vorstellung von dem, was Kunst im nationalen Staat zu leisten hatte, letztlich sehr viel näher als Menzel. In einem Artikel des Deutschen Kunstblattes aus Kuglers Todesjahr 1858 charakterisiert er den Ausgangsszustand in Berlin zu Beginn von Rauchs Schaffen: Hiermit lagen die beiden Grundelemente des künstlerischen Schaffens, wie sie der Geist der Neuzeit forderte, schon in bestimmt ausgesprochener Weise vor. Einerseits ein kühner Naturalismus, welcher der Selbständigkeit des Individuellen ihr volles 11 Zu Menzels Verbitterung über die Reaktion der Öffentlichkeit vgl. Keisch (wie Anm. 9), vor allem S. 75.
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(5) Adolph Menzel, Ansprache Friedrichs II. an seine Generäle vor der Schlacht bei Leuthen (1757), Öl auf Leinwand, 318 χ 424 cm, 1 8 5 8 - 1 8 6 1 , Berlin, SMPK, Nationalgalerie
R e c h t gab, - schon d u r c h a u s in jener E m a n c i p a t i o n von h e r k ö m m l i c h e n Regeln u n d doch zugleich in jener k ü n s t l e r i s c h e n H a l t u n g , die von der e r i n n e r u n g s l o s e n T h e o r i e des h e u t i g e n T a g e s als eine E r r u n g e n s c h a f t der j ü n g s t e n G e g e n w a r t p r o k l a m i r t wird; a n d r e r s e i t s das B e d i n g n i ß h ö c h s t e r W ü r d e u n d R e i n h e i t des Styles, welcher die Bes c h r ä n k t h e i t des I n d i v i d u e l l e n in die ,Freiheit des G e d a n k e n s ' h i n ü b e r f ü h r e n sollte,
M i t „ h ö c h s t e r W ü r d e u n d R e i n h e i t des Stils" k o n n t e M e n z e l w e n i g a n f a n g e n , das h ä t t e i h n a n die v e r h a s s t e n A k a d e m i k e r v o m T y p u s W i l h e l m K a u l b a c h s e r i n n e r t . 1 5 F ü r K u g l e r a b e r w a r sie z e n t r a l , u n d er h a t t e sie s c h o n viel f r ü h e r i m m e r w i e d e r b e t o n t , e t w a in s e i n e m K o m m e n t a r zu H o r a c e V e r n e t in d e r G a l e r i e h i s t o r i q u e in V e r s a i l l e s v o n 1848, d e m er z u b i l l i g t ,
12 Franz Kugler, „Christian Daniel Rauch. Eine Charakteristik seiner künstlerischen W i r k s a m keit", in: Deutsches Kunstblatt, 1858, S. 34. 13 Vgl. hierzu Conrad Dielitz, „Menzel und Kaulbach - Erinnerungen", in: Die Kunstwelt, 3 (1914), S. 412-418.
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die „Anforderung des höheren Kunststyles" berücksichtigt und „anekdotische Spielerei" vermieden zu haben. 14 Auch wenn wir - wie gesagt - kaum Zeugnisse aus Kuglers Feder die Menzelschen Friedrich-Bilder betreffend haben: Es steht doch zu vermuten, dass er in ihnen öfter als ihm lieb war „anekdotische Spielerei" entdeckt hätte. Hatte er Menzel in seiner Geschichte Friedrichs des Großen aus naheliegenden Gründen die Darstellung von Marginalia noch erlaubt, so dürfte ihm Menzels Akzentuierung des Nebensächlichen in den Friedrichbildern der späten 40er und der 50er Jahre nicht gefallen haben. Im Anschluss an seine Bemerkungen zum Kasseler Karton bietet es sich an, gleich zum letzten der Friedrichbilder, der erwähnten Ansprache Friedrichs des Großen vor der Schlacht bei Leuthen überzugehen, das die Anfeuerungsversuche des Königs vor der Schlacht gegen die Österreicher thematisiert. (Abb. 5) Hier nämlich ist ebenfalls die eigentliche Hauptfigur, Friedrich, der seine Offiziere auf die eigentlich aussichtslos scheinende Schlacht einschwört, einigermaßen verunklärt, ganz im Gegensatz übrigens zu der Darstellung in den Denkwürdigkeiten aus der Brandenburgisch Preußischen Geschichte. Nicht nur, dass er als eine der Figuren im Bild daherkommt, die kaum ausgeführt ist. Selbst wenn er es wäre, würde er in der Gruppe der Umstehenden kaum zur Geltung kommen. Und vor allem würde er gegenüber der Gestalt der Figur ganz vorn verblassen, die man als den General Moritz von Dessau identifiziert hat. Sie ist in ihrer massiven Präsenz dem malenden Künstler wie dem registrierenden Betrachter so gegenwärtig, dass sie ihn geradezu physisch bedrängt; mit skeptisch zurückgeworfenem Kopf vernimmt sie die zwiespältige Prophezeiung des Königs, eine mächtige, aber in der Torsion nicht hieratische Person, die fast genau im Zentrum der Komposition steht und dem rechts daneben nur in der unausgefüllten Silhouette anwesenden König schlichtweg „die Schau stiehlt". W i e Claude Keisch nachweisen konnte, hat die nach oben fast aus dem Bild heraus zu kippen scheinende Figur des Moritz von Sachsen Anlass zur Kritik geliefert, die hier sogar von allerhöchster Stelle kam. 15 Keisch entdeckte nämlich Spuren in der Bildoberfläche, die man nur als die vorhergehende Absicht des Malers deuten kann, die Figur des Generals weiter nach hinten zu verlegen. Sie wäre damit sozusagen in Reih und Glied eingeordnet worden, das Bild hätte gleichzeitig erheblich konventioneller ausgesehen. Nachdem diese Idee vom Künstler offenbar verworfen wurde, blieb die Figur in ihrer ungewöhnlichen Disposition erhalten. An anderer Stelle scheint Menzel kompromissfähiger gewesen zu sein: Für das Flötenkonzert hatte er ursprünglich vor, ganz im Sinne des Kassler Kartons und auch noch der Leuthen-Szene eine Ansicht des spielenden Königs zu konstruieren, in der Friedrich zwar nicht von der vorne positionierten Hofdame verdeckt war, diese sich aber doch auf eigentlich ganz ungehörige Weise in den Mittelpunkt schob. (Abb. 6) W i r wissen nicht, wie es zu der
14 Franz Kugler, „Vorlesung über das historische Museum zu Versailles", in: Ernst Guhl, Die neuere geschichtliche Malerei und die Akademien, Stuttgart 1848, S. XIX. 15 Vgl. Claude Keisch, „Adolph Menzels ,Ansprache Friedrichs des Großen an seine Generale vor der Schlacht bei Leuthen'. Vermutungen über ein unvollendetes Meisterwerk", in: Forschungen und Berichte der Staatlichen Museen Berlin, 26 (1987), S. 259-282, hier S. 278.
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(6) A d o l p h M e n z e l , Das F l ö t e n k o n z e r t Friedrichs des G r o ß e n in Sanssouci (Skizze), Öl auf Papier auf L e i n w a n d , 3 1 , 5 χ 4 3 , 8 c m , 1 8 4 8 (?), Berlin, S M P K , Nationalgalerie
Planänderung kam und ob sich Menzel von Kommerzienrat Jacobs aus Potsdam dazu hat überreden lassen, der den Maler mit der Fortsetzung des schon mindestens im J a h r 1849 begonnenen Bildes Anfang 1851 beauftragte. Relevant für meine Argumentation bleibt es in jedem Fall. Und wenn er auch im ausgeführten Bild ganz links eine Zuhörerfigur einbaute, die in ihrer genießerischen Versenkung fast ans Karikaturale grenzt, so zeigt Menzel, dass er auch im fertigen Werk nicht auf scharfe Charakteristik verzichten will. Ich bin fast sicher, dass Kugler auch hier wieder Kritik geübt hätte. Menzel hat die Wirklichkeit nie der Idee geopfert, und auch wenn es sich bei den Friedrich-Bildern natürlich um eine imaginierte Wirklichkeit handelt, so betont er doch deren Unwägbarkeit und Undurchschaubarkeit. In der Hochkirchschlacht, genauer gesagt Friedrich und die Semen bei Hochkirch, kulminiert meiner Meinung nach diese Tendenz, und sie sei hier etwas ausführlicher beschrieben, obwohl auch zu ihr keine Reaktion Kuglers vorliegt. (Abb. 7) Auf den ersten Blick ist es eine Heldenapotheose wie sie wohl auch Kugler gefallen hätte, obwohl er selber in seiner schon einmal zitierten Besprechung der Galerie de Versailles, die als Vorwort zu Ernst Guhls Die neuere geschichtliche Malerei und die Akademien von 1848 fungierte, einmal etwas formuliert hatte, was man geradezu als Vorwegnahme von Menzels Hochkirchbild begreifen könnte:
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(7) A d o l p h Menzel, Friedrich und die Seinen bei Hochkirch, 13./14. O k t o b e r 1758, Öl auf Leinwand, 2 9 5 χ 3 7 8 cm, 1856, ehemals Berlin, S M P K , Nationalgalerie
Die Geschichte ist nicht allein groß in den Thaten des Glanzes; auch in denen des passiven Heroismus, auch in denen des Schreckens und der Noth. Sollen wir die Geschichte des Vaterlandes kennen lernen und uns an diesen auferbauen und zu eignem Thun kräftigen, so müssen wir nicht allein die sonnigen Höhen unserer Geschichte besteigen [...] auch mit dem Grauen der Abgründe müssen wir uns vertraut machen.16 Kugler aber, wie dessen kunsttheoretisierende Kollegen vor allem in den 50er Jahren, die ich vorhin als einer Tendenz zur Reidealisierung verfallen beschrieben habe, tendierten gewöhnlich dazu, Not und Schrecken im Bild zwar zu akzeptieren, aber immer nur dann, wenn darin eine Perspektive der Rettung aufschien. Vorbild konnte ihnen auch hier wieder Rauchs Denkmal Unter den Linden sein. Rauch hatte ursprünglich vorgehabt, Friedrich nach der verlorenen Schlacht bei Kollin zu zeigen. Der Großherzog Georg von Strelitz, ein Freund und Mentor Rauchs, riet ihm davon ab und empfahl, die Episode zwar auszuwählen, 16
Kugler in Guhl 1848 (wie Anm. 14), S. XXIV.
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sie aber in eine Reihe von historischen Darstellungen einzubinden, die diese Niederlage in eine positivere Perspektive integrierten - so wie es schließlich i m Denkmal tatsächlich erfolgte. Friedrich bei Kollin wäre dann in der von Georg gewählten glücklichen Metapher einer „Dissonanz in der M u s i k ähnlich, welche durch ihre Auflösung den Reiz der H a r m o nie nur erhöht". 17 M e n z e l aber u n t e r n i m m t nichts dergleichen, was ja bei einem Einzelbild auch nicht möglich war. Er verzichtet allerdings ebenfalls darauf, innerbildliche Trost- und Rettungsmotive einzuführen, und seien diese nur als A n r e g u n g f ü r die Phantasie des Betrachters gedacht. Nein, seine Hochkirchschlacht ist eine Vision des Unterganges, und selbst die F i g u r Friedrichs ist in ihrer Heldenhaftigkeit entschieden relativiert. Es würde zu weit führen, die Analyse des Bildes in der gebotenen Tiefenschärfe an dieser Stelle durchzuführen. Daher nur einige Verweise auf die kritischen Reaktionen zu dem Bild, die den m i r wichtigen P u n k t betonen. Insbesondere drei Eigenheiten sind dabei herauszustellen, die Tatsache, dass i m Hochkirchbild W i r k l i c h k e i t eher simuliert als nachgeahmt wird, das Verhältnis der Friedrich- zu den Vordergrundfiguren und die Erscheinung des königlichen H e e r f ü h r e r s selber. Ein Düsseldorfer Kritiker formulierte im Angesicht des Hochkirchbildes und durchaus im Geiste Kuglers: Es ist zwar möglich, daß in der Wirklichkeit dieses Ereignis eine Szene darbot, wie die vom Künstler geschilderte, aber daraufkommt es nicht an. Die Kunst hat ihre eigenen Gesetze und nur zu oft vermag der Künstler der poetischen Wahrheit dadurch nahe zu kommen, daß er die thatsächliche verletzt. Darin besteht eben der Unterschied zwischen Prosa und Poesie, Realismus und Idealismus und über der Verkennung dieses Unterschiedes ist dem berühmten Künstler sein beabsichtigtes Geschichtsbild in ein Genrebild umgeschlagen. 1 8 Der Eindruck übermäßiger W i r k l i c h k e i t s s ä t t i g u n g d r ä n g t sich vielen Kritikern des Bildes auf, und dies insbesondere i m Angesicht der lebensgroß dargestellten Soldatenfiguren i m 17 Vgl. Friedrich Eggers, Christian Daniel Rauch, 4 Bde., Berlin 1873-86, hier Bd. 4, S. 79. 18 Deutsches Kunstblatt, 9 (1858), S. 55. Konzeptionell ähnlich wie der Rezensent der Düsseldorfer Ausstellung argumentierte Julius Große, Die deutsche allgemeine und historische Kunst-Ausstellung zu München im Jahre 1858. Studien zur Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts, München 1859, S. 152f. Der innerliche Zusammenhang von Geschichtsbild, Genrebild und Charakteristischem, der im Rahmen der idealistisch inspirierten Kritik fundamental war, zeigt sich besonders in der Aussage von Johann G. von Quandt, Vortrage über Ästhetik für bildende Künstler in der Königlichen Acadmie für bildende Künste zu Dresden gehalten, Leipzig 1844. S. 47, der zu den verschiedenen Klerikercharakteren in Lessings Huß vor dem Konstanzer Konzil bemerkte: „Zur Darstellung der Idee gehören diese nicht, sie sind unwesentliche, zufällige und äußerliche Merkmale der zeitlichen Beschaffenheit des Clerus und so bewunderungswürdig und meisterhaft auch diese Figuren gemalt, so treffend und physiognomisch fein diese Charaktere auch aufgefaßt sind, so ziehen solche doch gerade dieses schöne Bild aus der Höhe idealer Wahrheit zur zeitlichen Geschichtdarstellung, ja fast zu der Wirklichkeit eines Genrebildes herab".
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Vordergrund, in deren Phalanx sich der Betrachter geradezu hineingesogen fühlt. In dem Zusammenhang bemängeln viele Kritiker, dass das räumliche Verhältnis von Vordergrundfiguren zum reitenden Friedrich im Mittelgrund übertrieben auseinandergezogen, die Soldaten zu groß und der König zu klein dargestellt seien. „Dazu kommt, daß der geistige und lokale Mittelpunkt des Bildes, nämlich eben Friedrich selbst, so weit in die Entfernung zurück ist, daß er als Nebensache erscheint, während der Vordergrund von einer Menge lebensgroßer Figuren angefüllt ist"19 heißt es bei einem Kritiker des Frankfurter Museums, der strukturell wie Kugler die ungebührliche Betonung des Nebensächlichen verwirft. Menzel selber war dies natürlich wichtig, denn er wollte nicht „Friedrich" zeigen, sondern „Friedrich und die Seinen". Gültig bleibt der Einwand der Kritik nichtsdestoweniger, und er zeigt die Problematik einer Historienbildkonzeption an, die sich der traditionellen Phänomenologie entzieht, in der zwischen Haupt- und Nebenfiguren eindeutig zu hierarchisieren war. Und auch der Auftritt Friedrichs selber will den Kritikern durchweg nicht behagen. Einem von ihnen erscheint Friedrich wie „ein fahles Gespenst",20 und obwohl er aus der Menge der umgebenden Kämpfenden deutlich herausragt, bildet er - der ganz unheldisch „in seiner ganzen Haltung die Besorgnis ausdrückt, daß er von den Oesterreichern überwunden werden könne"21 - eben keinen ruhenden Pol, der die Forderung nach Darstellung einer auf das Unglück perspektivisch folgenden Aufhellung wenigstens implizit andeuten könnte. Max Schasler fasst den Eindruck des im Bild vorherrschenden Dunklen und Ungeordneten zusammen, der in der Rezeption vorherrscht. Er verwirft Thema und Durchführung des Hochkirchbildes, da „der Moment selbst ein viel zu bewegter und thatsächlich beschränkter war"22 und unterstreicht damit einen im emphatischen Sinn impressionistischen Charakter, dem der Atem des Idealen entschieden abgeht.
19 D. R., „Ein Gang durch die akademische Kunstausstellung zu Berlin, II", in: Frankfurter Museum, 2 (1856), S. 403-405, hier S. 404. 20 Anonym, „Die deutsche Geschichtsmalerei", in: Stimmen der Zeit, 2 (1859), S. 338-349, hier S. 348. Der Verlust des Heroischen in der bürgerlichen Kunst des 19. Jahrhunderts ist natürlich eine längst beobachtete Entwicklung. Wegweisend dazu Heinz Schlaffer, Der Bürger als Held. Sozialgeschichtliche Auflösungen literarischer Widersprüche, Frankfurt 1981. Für die Malerei des beginnenden 19. Jahrhunderts wurde das Phänomen schon früh kunstgeschichtlich verarbeitet. Vgl. das sehr inhaltsreiche Buch von Franz Reber, Geschichte der neueren deutschen Kunst vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis zur Wiener Weltausstellung 1873 mit Berücksichtigung der gleichzeitigen Kunstentwickelung in Frankreich, Belgien, Holland, England, Italien und Russland, Stuttgart 1876, vor allem S. 579. Systematischer zu diesem Aspekt die Arbeiten von Werner Busch, vgl. stellvertretend: „Über Helden diskutiert man nicht. Zum Wandel des Historienbildes im englischen 18. Jahrhundert", in: Historienmalerei in Europa, hg. v. Eckehard Mai, Mainz 1990, S. 57-76; danach auch zusammenfassend ders., Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne, München 1993, vor allem S. 24ff. Die klassische philosophische Reflexion bei Hegel, Ästhetik, Stuttgart 1977 (zuerst 1835), S. 564ff. 21 Zeitung für die elegante Welt, 56 (1856), S. 568f. 22 Die Dioskuren, 15 (1870), S. 230.
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Menzels eigenes Programm seiner Friedrich-Bearbeitung geht aus seiner Bemerkung hervor, er wolle die „tragische Größe" des preußischen Königs herausarbeiten. 23 In dieser Sichtweise eignet sich die Figur letztlich wohl als moderne Reflexionsfigur, nicht aber als dröhnende Vaterlandsikone, zu der sie dann vor allem nach der Reichsgründung stilisiert und verflacht wurde. Ich will nicht behaupten, dass Kugler für Letzteres Gewährsmann sein kann. Sein in der Summe arg beschränkter idealistisch-patriotischer Kunstbegriff aber scheint mir weder geeignet, die Krise des Historienbildes im 19. Jahrhundert zu erfassen, noch die speziell im Fall des Menzelschen Geschichtsbildes ausgetragene Thematisierung einer welthistorischen Figur, die der Maler eher problematisiert als affirmiert.
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Vgl. Gustav Kirstein, Das Leben Adolph Menzels, Leipzig 1919, S. 61.
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K U N S T H I S T O R I S C H E S T U D I E N , „ W E N I G E R M I T DER S C H R E I B F E D E R ALS M I T D E M Z E I C H E N S T I F T E F R A N Z KUGLERS
GEMACHT"
ZEICHENKUNST
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( l a ) Selbstportraitskizze aus d e m Brief v o n Franz K u g l e r v o m 3. u n d 4. M ä r z 1 8 3 3 an C l a r a Hitzig, M ü n c h e n , Bayerische Staatsbibliothek
„So eben, mein holdes Herz," - schrieb Franz Kugler am 3. März 1833 gegen Mitternacht seiner Braut Clara - „bin ich aus der Eichendorffschen Gesellschaft heimgekehrt und da ich noch keinen Beruf zum Schlafengehen verspüre, so benütze ich dies schlechte Papier, dieses einzige Briefpapier, was noch in meiner Mappe aufzutreiben war, um noch ein wenig mit Dir zu plaudern." 1 Und er begann über „Seine Excellenz Minister Schön" zu erzählen, wofür sich aber, bei aller Liebe, Clara Hitzig kaum interessiert haben dürfte. 2 Denn durch das 1 Brief Kuglers an Clara Hitzig, 3. März 1833 (Bayerische Staatsbibliothek München, Nachlass Kugler, Ana 549, Nr. 213, S. 54 v. u. r.) 2 Clara Hitzig (1812-1873) hielt sich an diesen Tagen bei ihren zukünftigen Schwiegereltern in Stettin auf. Der Brief ist adressiert: „An Fräulein Clara Hitzig Wohlgeboren zu Stettin, abzugeben beim Stadtrath H g [?] Kugler". Kuglers Vater hieß Johann Georg Emmanuel Kugler, er war geh. Oberregierungsrat und Konsul.
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(5) Seite 204 und 205 aus: Franz Kugler, Geschichte der Baukunst, Bd. 3, Stuttgart 1858
G r ü n d l i c h k e i t n a c h g e w i e s e n hat. 3 2 A b e r auch die I l l u s t r a t i o n e n , die K u g l e r n u n an Stelle der e i g e n e n Z e i c h n u n g e n bzw. der e i g e n e n R e p r o d u k t i o n e n in den T e x t setzen ließ, bzw. auf die er v e r w i e s , w a r e n b i l d l i c h e G l e i c h n i s s e . Als solche z e i g t e n sie auf das, w a s f ü r K u g l e r und mit i h m f ü r die j u n g e D i s z i p l i n K u n s t g e s c h i c h t e das K ü n s t l e r i s c h e hieß. D e n n d a d u r c h sollte sich die j u n g e W i s s e n s c h a f t von einer A l t e n K u n s t g e s c h i c h t e u n d A r c h ä o l o g i e u n t e r scheiden: „Auf d i e D a r s t e l l u n g des K ü n s t l e r i s c h e n in d e r A r c h i t e k t u r u n d i h r e m h i s t o r i s c h e n E n t w i c k l u n g s g a n g e " k o n z e n t r i e r t e sie sich und n a h m auf „das A r c h ä o l o g i s c h e " und „Technische" n u r soweit Bezug, „als es z u r E r k e n n t n i s der k ü n s t l e r i s c h e n E r s c h e i n u n g n ö t h i g war." 33 Das K ü n s t l e r i s c h e aber m a n i f e s t i e r t e sich v o r n e h m l i c h i m O r n a m e n t , in a r c h i t e k 32 Raabe nannte an erster Stelle die Kunst- und Architekturhistoriker Oscar Mothes, W i l h e l m Lübke und Jacob Burckhardt, dann den Kostümkundler Hermann Weiss und den Kulturhistoriker Alwin Müller. 33 Franz Kugler, Geschichte der Baukunst, Bd. 1, Stuttgart 1859, S. V (Vorwort). Kugler definierte seine „Darstellung des Künstlerischen" in der Architektur des Weiteren so: „Die Geschichte der Baukunst begreift einen wichtigen Theil der allgemeinen Culturgeschichte; sie enthält nicht minder das Material für einen wichtigen Theil der allgemeinen Kunstlehre. Sie giebt eine Geschichte des
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tonischen Gliedern und Profilen und in der menschlichen Gestalt, insbesondere in deren Gesicht! Kugler war jedoch alles andere als ein Purist. Als Multitalent nutzte er alle Möglichkeiten und in diesem Fall auch die herkömmlichen, entweder ein- oder angebundenen Bildtafeln. Wenn es ihm nötig erschien, hat auch er sie zwischen die Lagen eines Buches einlegen lassen. Auch dies lässt sich in den Kleinen Schriften und Studien zur Kunstgeschichte bestens verfolgen. Denn er ahnte vermutlich, dass die simultane Illustration letztendlich dem Geschriebenen und der Autorität des Schreibenden schadet. Es besteht nämlich die große Gefahr, dass die Leser das im Satzspiegel illustrierte Buch für ein Bilderbuch nehmen und sich dann ein Satz bewahrheitet, den Herman Grimm allerdings erst vierzig Jahre später angesichts photographischer Illustrationen behauptet hat: In unserem Bildgedächtnis haften Reproduktionen, nicht Originale! Es sind die Bilder, die sich metaphorisch gesprochen stets vor den Text geradezu drängeln. Sowohl Menzels tintennasse Friedrich-Illustrationen als auch Kuglers trockene bildliche Ergänzungen' sind hervorragende Beispiele dafür. Man fliegt auf beide, insbesondere auf die abstrakten Schnitte und Profile, von denen Kuglers Geschichte der Baukunst durchsetzt ist! Muss man jedoch nach den bildlichen Belegen, den wissenschaftlichen Ergänzungen, den Bestimmtheiten und anschaulichen Charakterisierungen in einem Anhang bzw. Bildteil oder im eigenen Bildband erst suchen, dann bleibt der Text fraglos das Werk seines Autors, der das Bild eines anderen Autors - des bildenden und des reproduzierenden Künstlers - dokumentiert, kommentiert und interpretiert. Ansonsten wird zwar eine unmittelbare Vergleichbarkeit gewonnen, doch der eine Moment der Unterbrechung, des Suchens und Bedenkens geht darüber verloren. Kugler trug dem insofern Rechnung, als er von seinen anscheinend in sich geschlossenen, auch handlichen Werken wie der „gänzlich umgearbeiteten dritten Auflage" des Handbuchs der Kunstgeschichte und der Geschichte der Architektur auf die weithin verbreiteten, im Format sehr viel größeren Tafelbände verwies, insbesondere auf den kunsthistorischen Atlas mit dem Titel Denkmäler der Kunst, der „von A. Voit und H. Merz begonnen" und „E. Guhl und J. Caspar fortgesetzt" im gleichen Stuttgarter Verlag erschien. 34
Ursprunges, der Entwickelung, der Aus- und Umbildung der architektonischen Formen und Gestaltungen. Für den Begriff der letzteren habe ich je nach den einzelnen Systemen das nach meiner Ansicht Erforderliche beigebracht. Eine umfassende Darlegung der ästhetischen Principien, welche in dem architektonischen Schaffen wirksam sind, würde mich wiederum von meiner eigentlichen Aufgabe abgeführt haben; ich hoffe, dass es mir später vergönnt sein wird, selbständige Beiträge hiezu zu liefern." - Es sollte Kugler nicht mehr vergönnt sein. Der Band, aus dem hier zitiert ist, wurde bereits posthum gedruckt. 34 Kugler 1859 (wie Anm. 33), S. V I (Vorwort).
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K U G L E R S GEZEICHNETE
EXZERPTE
Nach den eigenhändigen Vorlagen Kuglers für die Reproduktionen in den Kleinen Schriften und Studien hat Paul Raabe offenbar nicht gesucht. Vielleicht ahnte er, dass Kugler die Vorlagen und Manuskripte der meisten veröffentlichten Werke nicht aufbewahrt hat, und sah deshalb den wissenschaftlichen Nachlass in der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin nicht ein. Erst dieser belegt jedoch das intensive Studium, das Kugler nicht erst vor Ort, wie man gern erwarten würde, sondern in den heimischen Bibliotheken und am häuslichen Schreibtisch betrieben hat. Denn sein Studium bestand erstens selbstverständlich aus dem Besuch der Vorlesungen und den Disputen mit den Dozenten und Kommilitonen. Es bestand zweitens aus schriftlichen Exzerpten und Kompilationen, die er in Bibliotheken und auf seinem Zimmer anfertigte. Ebenso selbstverständlich bestand es drittens aus dem zeichnerischen Nachvollzug von Illustrationen, die sich in Tafelbänden fanden. Diese Studien betrieb Kugler mit Hilfe von Bleistift und Papier und zwar von hauchdünnem, gelblich durchscheinendem Papier und einem mittelweichen Graphitstift. Dafür legte er das Papier, das auch ,Copir-' oder , Serpentepapier' genannt wurde, 35 über die Abbildungen. Mit einem bewundernswerten Gleichmaß pauste er diese dann bis zu dem Punkt durch, an dem man das Motiv auf einen Blick wiedererkannte. Denn kaum eine Durchzeichnung ist in einem üblichen, bildmäßigen Sinn durchgearbeitet. Vielmehr muten sie wie Reduktionen auf ein Wesentliches an, so dass man die Pausen wohl auch als Exzerpte, zeichnerische Exzerpte, ansprechen kann. Dafür, dass er sich dabei verschiedener Hilfsmittel wie etwa des pantographs' bediente, die das Kopieren erleichterten und auch eine Verkleinerung oder Vergrößerung der Pausen ermöglichten, 36 spricht der stets gleichstarke Strich, der im Allgemeinen ohne abzusetzen, nur selten strichelnd in der jeweils gegebenen Richtung geführt ist. Vergleicht man diese Zeichnungen mit Kuglers Schreibschrift, so möchte man es kaum glauben: während diese, wie in der Einleitung gesehen, sehr lebhaft, ja so lebhaft ist, dass sie sich nicht leicht entziffern lässt, lesen sich die durchgepausten oder, wie Kugler selbst sagte, „durchgezeichneten" Blätter ohne Anstrengung in andauerndem Gleichmaß. Sie lassen die Stille, die Freude, die Spannung ahnen, aus einem nur durchscheinenden Gebilde allein pausend eine reine Strichzeichnung werden zu lassen. War die Pause oder eine Reihe von Pausen fertig, dann schnitt Kugler die einzelnen Motive aus, befestigte die feinen Rechtecke, die sich auf ein bestimmtes Objekt - meist ein Gebäude - bezogen, mit vier unverhältnismäßig dicken Klebstoffklecksen auf einem hadernhaltigen, grünlich getönten Blatt Papier vom Format von etwa 35 zu 21 cm. (Abb. 6) Er 35 Die Bezeichnung ist wohl von der abgelegten Schlangenhaut abgeleitet. 36 Vgl. Charles Humphry, Der englische Zeichenmeister. Oder die neuesten Methoden, Erfindungen und Verbesserungen im Zeichnen, Tuschiren, Coloriren, Malen und Farbenbereiten nebst Abbildung und Beschreibung der verschiedenen, jetzt gebräuchlichen Instrumente und Maschinen, Quedlinburg und Leipzig 1831. A. M. Perrot, Kleine, theoretisch-praktische Zeichnen-Schule. Oder gründliche Anweisung zum Linear-, Blumen-, Figuren-, Landschafts- und Situationszeichnen, sowie zum Tuschen, Quedlinburg und Leipzig 1833.
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(6) Franz Kugler, Montage von vier Pausen und zwei Kupfern mit Darstellungen der Kathedrale in Chartres, Berlin, SMPK, Kunstbibliothek
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(7) Franz Kugler, Fragment eines Skizzenbuchs, P o m m e r n 1829: Z e i c h n u n g der Fensterblenden a m C h o r ä u ß e r e n der Marienkirche, Stargard, Berlin, S M P K , Kunstbibliothek, Nachlass Franz Kugler, D 2
wählte unterschiedliche Details und montierte diese groß auf das Blatt, um dann recht klein, das Großeganze im unteren Teil des Blattes - gleichsam unterm Strich - unterzubringen. Doch dem nicht genug. W i e am Beispiel mit Ansichten von der Kathedrale Notre Dame de Chartres zu sehen ist, 37 hatte er diese kleinen Radierungen - horribile dictu - aus einem Buch oder einer Loseblattsammlung ausgeschnitten. Auf seinen ausgesprochenen Studienreisen, die er bis in die vierziger Jahre hinein regelmäßig unternahm, scheint er sich dann diese Tableaux wieder vorgenommen und vor Ort lediglich dessen vergewissert zu haben, was er zuvor zeichnerisch sich angeeignet hatte. Von den montierten Tableaux voller gezeichneter Exzerpte finden sich sehr viele - ich habe sie leider nicht gezählt - in den Kästen des Nachlasses in der Kunstbibliothek. Vorlagen waren Tafelwerke wie die von Jules David Le Roy, von Antonio Bosio, Giovanni Gaetano Bottari, von Alexandre Lenoir, Alexandre de Laborde, von Jean Baptiste L. G. Seroux dAgincourt und vielen anderen mehr. Doch finden sich auch einige Originalzeichnungen unter den Blättern. Kugler hat sie von Gebäuden und Gebäudeteilen angefertigt, von denen es zu seiner Zeit - genau genommen 1929 - noch keine Reproduktionen gab. Davon kann hier ein Skizzenblatt mit den zeichnerischen Notizen der Backsteinornamente an der Marien37 Montage von fünf Pausen, einem Stich von A. Falyor und einem anonymen Kupfer zur Kathedrale von Chartres. Kunstbibliothek der Staatlichen Museen Berlin Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Nachlass Franz Kugler Kasten 2, F2 Französische Kathedralen.
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kirche des kleinen O r t s Stargard in Pommern wiedergegeben werden. 38 (Abb. 7) Auf den anderen Blättern dieses achtzehn Seiten starken Skizzenbuchs sind die architektonischen Details noch sehr viel kleiner! Erneut sind es fast ausschließlich unterschiedliche Profile und Muster, die den jungen Kunsthistoriker interessierten. Beliebig streute er sie über das Blatt, notierte mit Stichworten deren Verortung und schuf somit feinste Zeugnisse seines Suchens nach den individuellen, künstlerischen Spuren einzelner, längst vergessener Leute vom Bau in der tiefsten Provinz. Bevor ich zum Schluss und zur eingangs versprochenen, bildlichen Rarität im persönlichen Nachlass Kuglers komme, gilt es zusammenzufassen und Kuglers Zeichnungen vom zeichnerischen T u n einiger seiner Kollegen abzusetzen. Franz Kugler musste, wie gesagt, sein Studium der Kunstgeschichte zu einem Gutteil autodidakt betreiben, weil in den zwanziger und f r ü h e n dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts an der Friedrich Wilhelms-Universität Unter den Linden wohl Vorlesungen über Ästhetik, auch über Alte Kunstgeschichte und Archäologie, doch noch nicht explizit über Mittlere und Neuere Kunstgeschichte angeboten worden sind. - In Hegels Vorlesungen über die Ästhetik fand sich allerdings eine solche! 39 - Erst nach seiner Habilitation im Jahr 1835 konnte Kugler als Privatdozent selbst kunstgeschichtliche Vorlesungen ankündigen und halten. 40 Das historische Handwerk daf ü r hatte er vornehmlich bei Philologen und in erster Linie wohl bei Friedrich von der Hagen gelernt, der Kuglers Interesse an der mittelalterlichen Buchillustration gefördert hat und schließlich dessen Doktorvater wurde. I m anschaulichen Denken, Darstellen und D a r legen hatte sich Kugler außerdem in F o r t f ü h r u n g gymnasialer Ü b u n g e n zuerst an der Bauakademie geschult, an der er 1829 auch das Feldmesser-Examen bestanden hat. Doch betrieb er die zeichnerischen Studien wohl vornehmlich autodidakt in Bibliotheken auf die beschriebene Weise, die man mit ihm zurückhaltend als „durchzeichnen", mit dem „englischen Zeichenmeister" und anderen Zeichenbüchern seiner Zeit auch unmissverständlich als pausen bzw. durchpausen bezeichnen kann. Daraus erklärt es sich der rein lineare Stil, der dem äußeren K o n t u r der Formen folgt und Binnenformen nur insoweit aufnimmt, als sie zum Verständnis des Objekts unabdingbar sind. D e m Kuglerschem Stil ähnelt auch eine Reihe von Zeichnungen, die Adolph Goldschmidt, Jahrzehnte später Kunsthistoriker in Berlin, Halle, wieder Berlin und schließlich in Basel, hinterlassen hat. Goldschmidt ist auch der einzige, der freimütig über diese Art der Reproduktion von Kunstwerken geplaudert hat. D e n n in seiner Autobiographie erzählte er,
38 Entbundenes Skizzenbuch bestehend aus acht Blättern, auf denen sich 14 Zeichnungen finden. Kunstbibliothek der Staatlichen Museen Berlin Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Nachlass Franz Kugler Kasten 2, D2 Stargard. 39 Höchstwahrscheinlich hat Kugler diese Vorlesung nicht gehört. Aus seiner Korrespondenz geht hervor, dass ihm philosophische Themen zu fremd waren. 40 Über Kuglers Lehrerfolge ist bislang nicht mehr bekannt, als dass sich Jacob Burckhardt als sein Schüler bezeichnet, nichts aber über Kommilitonen erzählt hat. Dass von den Künstler-Kollegen an der Akademie der Künste von kunsthistorischen Vorlesungen nicht viel gehalten wurde, geht aus den Auseinandersetzungen während der 48er Debatten hervor.
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wie er den Albani-Psalter in einem Hildesheimer Hotelzimmer „unter Aufsicht eines Subalternbeamten" studierte. Weil er T a g e dafür brauchte, machte es sich der Aufsichtsmann im Z i m m e r „bequem" und rauchte Stumpen. Weil aber Goldschmidt den Knaster des M a n n e s schwer ertrug, bot er ihm an, sich seiner Zigarren zu bedienen. G i n g es doch darum, den Aufseher „in guter S t i m m u n g " zu halten, u m in Ruhe arbeiten zu können. Der Albani-Psalter im Rauchzug zweier Männer! D o c h dem nicht genug! Goldschmidt fertigte dabei, wie er erzählt, „von einer ganzen Anzahl Bilder Pausen" an, „die später in der Publikation reproduziert wurden." 4 1 L ä s s t Goldschmidts unbefangene Erzählung vermuten, dass das Durchpausen oder Durchzeichnen unter Kunstbegeisterten eine Tradition hatte, so darf man wohl auch davon ausgehen, dass Kugler nicht der Erfinder solcher Pausen war, sondern etwas tat, was zu seiner Zeit vermutlich unter Kunstinteressierten wenn schon nicht g a n g und gäbe, so doch üblich war. Wahrscheinlich wurde es wohl gepflegt, doch nicht so hoch geschätzt, dass man die Pausen archiviert hätte. Bestens archiviert, kommentiert und analysiert sind dagegen die Zeichnungen des italienischen Kunsthistorikers Giovanni Battista C a v a l c a s e l i , der wie Burckhardt und Ruskin etwa zehn J a h r e jünger als Kugler war. C a v a l c a s e l i hatte an der Kunstakademie in Venedig zu zeichnen gelernt und nutzte sein Talent und sein K ö n n e n fast ausschließlich dazu, G e mälde zeichnerisch - nicht pausend! - zu reproduzieren, worüber Susanne Müller-Bechtel jüngst eine Dissertation erstellt und bestens illustriert veröffentlicht hat. 42 Müller-Bechtel unterscheidet bei C a v a l c a s e l i drei verschiedene Zeichnungstypen: a) die Ansicht, b) das Detail und c) das Schema, so dass man bei ihm über ein deutlich breiteres Interesse als bei Kugler sprechen darf. C a v a l c a s e l i eignete sich zuerst das jeweils Großeganze zeichnerisch an, während Kugler sich gleich auf das künstlerisch charakteristische Detail konzentrierte. N u r selten skizzierte er allein ein Schema, was C a v a l c a s e l i häufig tat. Beiden gemeinsam ist die M i s c h u n g aus Umrissstil und einer die Binnenkonturen umspielenden Linienfolge mit zwei charakteristischen Einschränkungen: Während bei C a v a l c a s e l i die feinen Striche schnell fließen und sich immer mal wieder verspielen, erscheinen sie bei Kugler wie ein bildliches Gerüst. Sie finden sich schließlich isoliert auf einzelnen, feinsten Blättern und Blättchen und diese wiederum auf den großen, hellgrünen Tableaux, während Cavalcaselles Zeichnungen in unterschiedlich großen Skizzenbüchern ineinander und in Beschreibungen übergehen, ja mit diesen so verbunden sind, dass Bild und Text im Skizzen- bzw. Notizbuch eine Einheit bilden. Eine dritte, wieder andere Art, die Zeichnung als wissenschaftliches Arbeitsinstrument zu nutzen, pflegte J a c o b Burckhardt, der sich selbst einen höllischen Pfuscher auf diesem Gebiet nannte. Aufgrund seiner gleichmäßigen Strichführung darf man wohl davon ausge-
41 Marie Roosen-Runge-Mollwo (Hg.), Adolph Goldschmidt 1863-1944. Lebenserinnerungen. Mit Beiträgen von Kai Robert Möller, Wolfgang Krönig, Klaus Niehr, Josef Kern, Berlin 1989, S. 90. 42 Susanne Müller-Bechtel, Die Zeichnung als Forschungsinstrument. Giovanni Battista Cavalcasene (1819-1897) und seine Zeichnungen zur Wandmalerei in Italien vor 1550, Berlin 2009.
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hen, dass er sich ebenfalls mit Hilfe von Pausen geschult hat. Doch sind seine 345 Zeichnungen, die Yvonne Boerlin-Brodbeck 1994 publiziert hat, ausgesprochen bildmäßig. Nach Veduten aus dem 18. Jahrhunderts sind sie komponiert. Denn anders als Kugler interessierte sich der zeichnende Burckhardt nicht allein für die Struktur der abgebildeten Werke, sondern für deren ganzes Erscheinungsbild und dies bei wechselndem Licht. Dazu kommen, wie es sich bei Veduten gehörte, belebende, kleine Gestalten. Wenn diese Staffagefiguren auch selten gelungen sind, so zeugen sie doch von einem zweiten historischen Interesse des Baslers: Es war auf die Zeitlichkeit selbst gerichtet und sorgte dafür, dass der Kontrast zwischen der großen Vergangenheit perspektivisch monumentalisierter Gebäude und dem nichtigen, gegenwärtigem Leben in diesen Zeichnungen erfahrbar wird. Selbstverständlich machte sich Burckhardt außerdem in seinen Arbeitsheften zeichnerische Notizen von den Grundstrukturen bestimmter Architekturen, Malereien und Skulpturen. Gemeinsam ist Kugler, Cavalcaseli und Burckhardt - die Zeichnungen Herman Grimms, Adolph Goldschmidts, Georg Dehios und Heinrich Wölfflins sind noch zu studieren43 - der selbständige Ausbau des zeichnerischen Grundwissens und -könnens. Unterschiedlich jedoch sind bei den drei wissenschaftlich ambitionierten Männern die Ziele der Übung. Während es bei Kugler darum geht, künstlerisch charakteristische Details herauszuschälen und im Selbststudium sich einzuprägen, geht es bei Burckhardt darum, Bilder zu wahren, die so offen gelassen sind, dass sie freischwebend kombiniert werden können. Cavalcaselles Zeichnungen dagegen bilden Zeichnungstexte. Sie sind durch das reiche, spielerische Strichgewebe und durch die, in diese greifenden Texte unmittelbare Spuren, ja geradezu Abdrucke der kunsthistorischen Praxis, die sich in einem ständig prüfenden und korrigierenden Hin und Her zwischen Subjekt und Objekt ergeht. Dazu kommt, dass Cavalcaselles Zeichnungen der Verständigung mit dem Freund Joseph Archer Crowe dienten. Denn mit ihm, der ebenfalls malte und zeichnete, hat Cavalcaselle seine Beobachtungen anhand der Zeichnungen diskutiert und dann die Druckfassungen erstellt, die unter beider Namen erschienen sind. 44 In ihren Büchern wurden die Zeichnungen allerdings von den Texten wieder getrennt. So wurden aus den ursprünglich in Texte verwobenen Zeichnungen isoliert eingebundene Umrissreproduktionen, auf denen durch eine verstärkend begleitende Strichführung bestimmte Gestalten hervorgehoben sind. - Bleibt ein Name unkommentiert: John Ruskin, für den sich jedoch sehr viel mehr als ein paar Zeilen, als ein Referat, ein Buch geziemt.
43 Beste Vorarbeit dafür hat geleistet: Elke Schulze, Nulla dies sine linea. Universitärer Zeichenunterricht - eine problemgeschichtliche Studie, Stuttgart 2004. 44 Uber diese Zusammenarbeit berichtet Crowe sehr plastisch. Vgl. Joseph Crowe, Lebenserinnerungen eines Journalisten, Staatsmannes und Kunstforschers 1825-1860, Berlin 1897, S. 198-202. Vgl. auch Donata Levi, Cavalcaselle. Il pionere della conservazione dell'arte italiana, Turin 1988.
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FRANZ KUGLERS
ZEICHENKUNST
KuGLERS TOTENBILD „Immer Notizen machen und hie und da krumm und kümmerlich skizzieren, das ist mein Leben" klagte Jacob Burckhardt in einem Brief an Robert Grüninger 1878.45 Nur schwerlich ist zu ahnen, was ihn an diesem Tag zu einer solch kümmerlichen Sicht auf sein Leben bewogen hat. Auch Kugler hätte solches schreiben können, doch hätte er es gewiss noch sehr viel seltener getan. Zeichnete er doch wie Burckhardt, schrieb wie dieser Gedichte, war aber doch um einiges geselliger als der zehn Jahre jüngere Schweizer. Der Ministerialrat genoss das Gespräch in der familiären Runde, in zwei literarischen Clubs, im wissenschaftlichen Kunstverein und spielte diesen immer mal wieder am Klavier oder gar auf dem Waldhorn auf. Aus diesen Geselligkeiten gingen ebenfalls Zeichnungen hervor,46 von denen Kugler vom Veröffentlichen wie besessen - schon als Student einige in einem Büchlein reproduzieren ließ. Es ist der Gedichtband, den er Skizzenbuch nannte und 1830 herausgegeben hat.47 Einige der Gedichte hat er mit Ranken verziert, andere mit Arabesken illustriert. Am anrührendsten ist aber die Zeichnung auf der Rückseite des Bucheinbands. Zu sehen ist der Umriss eines erwachsenen Mannes mit Schulranzen; dem Betrachter und Leser kehrt er den Rücken zu und gibt somit den fahrenden Studenten ab, der nicht in die Welt hinauszieht, sondern in das Buch hineingeht. Wenn dieser Künstler auf dem vorderen Buchdeckel auch in einer Ansicht en face erscheint, so kann der Mann auf der Rückseite, der in das Buch eindringt, fast zum Sinnbild für Kuglers Leben als bildender Künstler werden. Mehr und mehr widmete er sich seinen kunsthistorischen, kunstkritischen und literarischen Texten. Daneben förderte er das Reproduktionswesen in Form von Kupferstichen, Lithographien und Holzstichen, verfolgte aber eigenartigerweise die modernste Technik nicht weiter, die er in seinem Handbuch der Kunstgeschichte 1842 die „Wunder-Erfindung" seiner Zeit genannt hat: den [sie] „Daguerrotype".48 Er hat der Photographie eine große Zukunft verheißen, selbst aber hat er sich anders als sein jüngerer Freund Jacob Burckhardt der Photographie nie bedient. Anders als dieser und viele Zeitgenossen hat er sich offenbar auch nicht photographisch porträtieren lassen. Allein so wie er sich selbst,49 wie Adolph Menzel und Franz Krüger ihn sahen,' 0 wünschte 45 Brief Burckhardts an R o b e r t G r ü n i n g e r , 18. August 1878, zit. nach: Jacob Burckhardt, Briefe. Vollständige und kritisch bearbeitete Ausgabe, 10 Bde. u. Gesamtregister, hg. v. M a x Burckhardt, Basel 1 9 4 9 - 1 9 9 4 , Bd. V I , S. 2 6 6 , Nr. 787. 4 6 Dazu darf auch eine etwa postkartengroße, handgezeichnete K a r i k a t u r gerechnet werden, die im Kupferstichkabinett der Staatlichen M u s e e n Berlin S t i f t u n g Preußischer K u l t u r b e s i t z a u f b e w a h r t wird. M i t „F.K. in einer T u n n e l - S i t z u n g 1852" ist sie signiert. 47
Franz Kugler, Skizzenbuch, Berlin 1830. Das Buch enthält insgesamt sechs Zeichnungen von
K u g l e r und zwei von seinem Freund R o b e r t Reinick. 4 8 Franz Kugler, Handbuch der Kunstgeschichte, Stuttgart 1 8 4 2 , S. 8 6 0 . 4 9 Neben dem hier besprochenen Selbstportrait aus der Bayerischen Staatsbibliothek M ü n c h e n existiert noch ein zweites, das in der S a m m l u n g Schäfer in S c h w e i n f u r t a u f b e w a h r t wird. 50 Franz K r ü g e r skizzierte K u g l e r f ü r das v o n Friedrich W i l h e l m III. in A u f t r a g gegebene G e m ä l d e Parade auf dem Opernplatz,
das er 1839 fertiggestellt hat. Die farbige Skizze, die K u g l e r im Zylinder
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(8) Photographierte Zeichnung von F. Weiß, Kugler auf dem Totenbett, 1858, M ü n c h e n , Bayerische Staatsbibliothek
er bildlich zu überleben. Dieser Zurückhaltung wegen berührt wohl umso mehr ein Karton, der sich im Münchner Nachlass findet und etwa 20 zu 27 cm groß ist. (Abb. 8) Auf einem darauf montierten, sehr dünnen Papier ist das Portrait des toten Franz Kugler im Profil zu sehen. Auf den ersten Blick erscheint das Bild wie photographiert. So gleichmäßig sind Tönung und Körnung der Linien. Bedenkt man dann aber die Lichtführung und sucht man nach Anhaltspunkten dafür, dass ein ablenkendes Ambiente wegretuschiert worden ist, dann entdeckt man in den Falten des Totenbetts die Signatur eines Zeichners „F. Weiß" und das Datum des 19. März 1858.51 Am Tag zuvor, war Kugler einer Lungenentzündung erlegen. Es kann wohl nur Clara Kugler gewesen sein, die sich dieses Bild ihres Mannes zu bewahren wünschte. Nach der Beisetzung und der Beerdigung Kuglers zog sie nach München zu Tochter und Schwiegersohn. 15 Jahre nach dem Tod ihres Mannes folgte sie 1873 ihrem Sohn Johannes in den Tod.
zeigt, wird im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin Stiftung Preußischer Kulturbesitz aufbewahrt. 51 Es könnte sich um den Maler und Illustrator Ferdinand Friedrich Wilhelm Weiß handeln, der 1814 in Magdeburg geboren und 1878 in Berlin verstorben ist. Von ihm stammen auch Portraits von Adelbert von Chamisso und Gottfried Kinkel.
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VORBILD UND GEGENBILD -
FRANZ
KUGLERS
D A R S T E L L U N G V O N I T A L I E N U N D F R A N K R E I C H IN D E N H A N D B Ü C H E R N DER
KUNSTGESCHICHTE
Hubert Locher
Der wissenschaftliche Wert von Handbüchern der Kunstgeschichte, die seit dem dritten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts in wachsender Zahl entstehen, wird im Allgemeinen nicht hoch angesetzt. Tatsächlich handelt es sich im Wesentlichen um strukturierte Zusammenstellungen von Objekten auf chronologischer und topographischer Basis. Uber das einzelne Werk, den einzelnen Künstler erfährt man wenig mehr als den Namen bzw. den Standort. Der Kommentar beschränkt sich oft auf einen einordnenden Satz, eine pauschale Bemerkung zur Bewertung und zum historischen Stellenwert in der Gruppe und im Kontext der Entwicklung. Schon aus Platzgründen finden sich keine tiefschürfenden Interpretationen. Besonders gravierend mag aber sein, dass die Bemerkungen und Wertungen zu einzelnen Werken häufig nicht einmal auf der Betrachtung von Originalen basieren. Der im Handbuch wirksame, synthetisierende Zugriff entspricht denn auch nicht dem Blick des Sammlers oder Kenners, sondern jenem des sich bildenden bürgerlichen Museumsbesuchers, dem allerdings der Kunstgelehrte neuer Art - der Kunsthistoriker - nun auch zuarbeitet. Im 19. Jahrhundert wird der Bereich der Kunst dem bürgerlichen Betrachter, der Kunstwerke nur in Ausnahmefällen materiell besitzen oder für seine partikulären Zwecke nutzen könnte, im Museum, in der Ausstellung, aber auch im - immer öfter illustrierten - Buch zugänglich gemacht. Dabei erscheinen die Werke, im Buch ebenso wie im Museum, nicht als singuläre Einzelstücke, sondern als Elemente eines Zusammenhanges, innerhalb einer Gruppe. Diese Betrachtungsweise bringt die Tendenz zum pauschalen Urteil, das Bedürfnis nach einer Zusammenfassung mit sich. Hintergrund des sich im Lauf des 19. Jahrhunderts akzentuierenden Interesses am Überblick scheint aber besonders die Vereinnahmung des gesamten Bereiches der bildenden Kunst für die Zwecke nationaler Selbstvergewisserung und Repräsentation zu sein. Dieser Aspekt ist, so darf man annehmen, für die schnelle Institutionalisierung des Faches Kunstgeschichte an den Universitäten der deutschen Länder wesentlich mit verantwortlich. Das Fach wirkt entscheidend daran mit, dem Bürgertum einen Begriff kollektiver Identität zu vermitteln, indem Kunst und Architektur in der Tradition des 18. Jahrhunderts, insbesondere Winckelmanns, als Artikulationen von kollektiven Einheiten, Schulen und Nationen erklärt wird und dabei der Anteil
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der eigenen Nation in Relation zu den anderen gestellt werden kann. 1 Dies ist ein zentraler Aspekt in der Argumentation der deutschsprachigen Handbücher der Kunstgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und besonders auch der Handbücher Franz Kuglers. Zum Kunsthistoriker ist Franz Kugler nicht erst durch seine Kompendien geworden. Schon vor der Veröffentlichung seines Handbuches der Malerei von Constantin dent Großen bis auf die neuere Zeit 1837 hat Kugler die Erforschung der Geschichte der Kunst, durchaus unter dem Dach einer „allgemeinen historischen Wissenschaft", als spezifische wissenschaftliche Disziplin vertreten. Dies allerdings nicht unter dem erst später das Fach bezeichnenden Namen „Kunstgeschichte". In einem Text von 1833 ist da die etwas verklausulierte Rede von einer „allgemeineren Verbreitung einer wahrhaft wissenschaftlichen Kunstbildung" als einer „Lehre von den ersten Versuchen, der Entfaltung, Vollendung, Verzweigung, dem theilweisen Absterben, dem Neuaufblühen der Kunst [...] mit geschichtlich-philosophischer Begründung". 2 Dies ist jene wissenschaftliche Disziplin, deren Gegenstandsfeld und implizit auch das Erkenntnisziel im 1842 erschienenen Handbuch der Kunstgeschichte synthetisch zusammengefasst werden. Kuglers Konzeption, wie sie in der zitierten Passage umrissen ist, fußt auf Johann Joachim Winckelmann einerseits, was die historische Stufenfolge betrifft, aber auch auf der historisch begründeten Kunstphilosophie Hegels, die Kugler aus Vorlesungen kannte. Doch sei hier auch auf Giorgio Vasari verwiesen. Die Bedeutung von dessen Vite als Quellenwerk für Kugler zu unterstreichen ist weder besonders originell, noch vielleicht auf den ersten Blick besonders plausibel, angesichts der offensichtlichen Differenz im Ansatz - hier Viten, da Geschichte der Malerei. Doch lässt sich vielleicht schon aus dem Untertitel seines Handbuches der Malerei die Art der differenzierenden Bezugnahme auf diesen ersten der vielen „Väter der Kunstgeschichte" ermessen. Kugler grenzt hier seinen Gegenstand, die „Geschichte der Malerei" mit den Worten ein: „von Constantin dem Grossen bis auf die neuere Zeit".3 Das erinnert an den Untertitel von Vasaris Werk „da Cimabue insino a' tempi nostri".4 Die ähnliche Formulierung einschließlich der Nennung von zwei Anfangspersonen mit der gleichen Inititale mag eine beiläufige Koinzidenz sein. Doch eindeutig ist die Nennung von
1 „Die Art zu denken, so wohl der Morgenländer und Mittägigen Völker, als der Griechen, offenbaret sich in den Werken der Kunst." (Johann Joachim Winckelmann, Geschichte der Kunst des Alterthums, hg. v. Adolf Borbein, Thomas W . Gaehtgens, Johannes Irmscher, Max Kunze, Mainz 2002, 1. Aufl., 1764,1. Theil. Erstes Capitel, S. 23/25, hier S. 44). 2 Franz Kugler in der Rezension zu Anordnung des Vorraths von Kunstwerken etc. [...] von Prof. Schildener, in: Museum. Blätter für bildende Kunst, 1 (1833), No. 35, auch in: ders., Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte, Bd. 3, Stuttgart 1854, S. 4 3 - 4 4 . 3 Franz Kugler, Handbuch der Geschichte der Malerei von Constantin dem Großen bis auf die neuere Zeit, 2 Bde., Berlin 1837. Das zweite Titelblatt im ersten Band lautet: „Geschichte der Malerei in Italien seit Constantin dem Großen". 4 Giorgio Vasari, Le vite de' più eccellenti architetti, pittori et sculptori italiani da Cimabue insino a' tempi nostri, descritte in lingua toscana, Florenz 1550.
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Vasaris Werk im kommentierten Literaturverzeichnis zu Beginn des ersten Bandes des Handbuchs, wo dieses als „Hauptwerk bis auf die Geschichte der Zeitgenossen des Verfassers" bezeichnet wird (S. XIII). Diese Auszeichung wird wiederholt an jener Stelle, an der Kugler auf Vasari als Künstler zu sprechen kommt. Hier heißt es: Giorgio Vasari aus Arezzo (1512-1574). Ein vielseitiger Künstler, Historienmaler und Architekt; [...] Sein grösseres Verdienst besteht in seiner literarischen Thätigkeit, indem die von ihm verfassten Künstlerbiographien [...] das erste bedeutende Werk sind, welches über neuere Kunstgeschichte verfasst wurde. Dies Werk ist noch immer die Quelle, vornehmlich für die Geschichte seiner Zeitgenossen und nächsten Vorgänger; und wenn in der Zusammenstellung der mannichfaltigen Notizen auch nicht diejenige scharfe Kritik, welche der heutige Standpunkt der Wissenschaft erfordert, hervortritt, so ist es doch in der Gemüthlichkeit des Vortrages und der lebendigen Anschaulichkeit der Schilderungen bisher noch nicht übertroffen. (S. 326) Diese Bewertung ist signifikant, weil Kugler auch die neuere Literatur kennt und nach Kategorien geordnet benennt. Es folgen nach der Nennung des Hauptwerks die an Vasari sich anschließende Literatur, topographische Studien, eine Auswahl an Werken zur allgemeinen Geschichte der italienischen Malerei, „Neuere Werke zur Aufklärung der Entwickelungsgeschichte der italienischen Kunst", darunter Seroux d'Agincourt und Rumohr, Reiseliteratur und schließlich Abbildungswerke. Monographien zu Künstlern sind dagegen nur im Text genannt. Vasaris Vitenwerk ist in der Binnenstruktur offensichtlich anders angelegt als Kuglers Handbuch, aber es enthält doch ein dreigliedriges Modell, das Kugler, in Anwendung der Winckelmannschen Einteilung, erweitert. Die Darstellung von Ursprung, Wachstum, Veränderung und Fall, wie es bei Winckelmann heißt,5 wird ausgearbeitet und modifiziert, indem der Wiederaufstieg nach Vasaris Vorstellung eingebaut und nachgewiesen wird. Prinzip und Inhalt der Darstellung ist „Entwicklung" der Kunst nach ihrem Stil. Im Inhaltsverzeichnis des ersten Bandes wird diese aufgegliedert in das Christliche Altertum, auf welches nummeriert die Stadien der „Entwicklung" folgen, in drei Stufen bis zur „Periode der Blüthe und des Verfalls", gefolgt vom Schlussabschnitt „Restauration und neuer Verfall". Zeigt nun also das Inhaltsverzeichnis die Stadien der Entwicklung an, so nennt der jeweilige Untertitel stets die „Meister" des jeweiligen Jahrhunderts - was wiederum an Vasari erinnert. Jedes Entwicklungsstadium wird demnach vom Werk der einzelnen Meister repräsentiert, selbst wenn deren Biographien nicht Gegenstand der Darstellung sind. Die besondere Bedeutung Vasaris für Kuglers Projekte liegt aber darin, dass seine Darstellung der italienischen Kunst das Muster eines Kunstentwicklungszyklus gibt und Italien damit zur ersten Referenznation werden kann. Zwar zielt Kugler auf die Darstellung der
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Winckelmann 1764/2002 (wie Anm. 1), S. XVI.
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Geschichte der gesamten europäischen Malerei christlicher Zeit, doch ist die italienische Kunst und die italienische Kunsthistoriographie gleichermaßen vorbildlich für die Gesamtdarstellung. Die hohe Bewertung Italiens schlägt sich in der Gliederung des Werks nieder. Der ganze erste Band des Malereihandbuches befasst sich allein mit der Darstellung der italienischen Malerei. Im zweiten Band wird die „nordische Kunst" behandelt, wobei die verschiedenen Nationen nacheinander je separat behandelt werden. Offensichtlich hängt Kugler hier einerseits der seit dem 18. Jahrhundert üblichen Einteilung nach geographisch unterschiedenen Schulen an, die ja auch im Italienband berücksichtigt ist. Zugleich ist aber in der Reihenfolge und Mengengewichtung die jeweilige Abstufung der Wertschätzung angezeigt. Kuglers Reihenfolge entspricht einer hierarchischen Folge entsprechend dem vorgeblichen Gewicht der jeweiligen Nation, ihrem Anteil an der Gesamtentwicklung der Kunst. Auffällig - und keineswegs selbstverständlich - ist nun, dass Kugler an erster Stelle des zweiten Bandes die deutsche Malerei behandelt. Es schließen sich die Niederlande an, gefolgt von Spanien. Erst an vierter Stelle wird Frankreich behandelt, immerhin noch vor England, bevor im Schlussabschnitt die Sprache noch einmal auf die deutsche Malerei kommt. Diese Platzierung muss als Zurücksetzung erscheinen, bedenkt man, welches Gewicht der französischen Malerei üblicherweise zugestanden wird. So wird beispielsweise in Fiorillos Geschichte der zeichnenden Künste, ein Kompendium, das die Geschichte der Malerei streng nach Nationen aufgeteilt behandelt, Frankreich nach Italien an zweiter Stelle aufgeführt. 6 Frankreich ist zu Zeiten Kuglers die nach wie vor prägende Kulturnation in Europa, aus politischen Gründen allerdings zugleich Antipode und Vorbild für die deutschen Patrioten, zu denen man Kugler zählen darf. Nun wird die Platzierung Frankreichs von Kugler im Vorwort allerdings historischgenetisch begründet, wie überhaupt ein historisch-genetischer Gesamtzusammenhang behauptet wird. Das Verhältnis der Nationen zueinander wird im Vorwort des zweiten Bandes kurz kommentiert: Die hier zusammengestellten „Schulen der Malerei" - Kugler verwendet den Begriff - würden generell „als ein Ganzes behandelt, welches zwar von mannigfachen Einflüssen der italienischen Kunst nicht frei" sei, aber „zugleich in sich in einem gewissen nothwendigen Zusammenhange" stehe (Bd. II, S. VI). Die jeweiligen Schulen sind also isolierbar, wenn es auch untereinander „Wechsel-Verhältnisse" geben kann, wie zumal für die deutsche und die niederländische Malerei festgestellt wird. Entscheidend ist für Kugler aber, wann eine Schule relative Selbständigkeit erlangt. Die Positionierung Frankreichs in diesem Reigen an vierter Stelle ist demnach genetisch begründet. Die französische Malerei wird dort behandelt, wo sie entwicklungsgeschichtlich relevant werde, indem eine „selbständige Entwickelung" eintrete und sie „auf einige Zeit den Mittelpunkt der außer-italienischen Leis6 Johann Dominik Fiorillo, Geschichte der zeichnenden Künste von ihrer Wiederauflebung bis auf die neuesten Zeiten, 5 Bde., Göttingen 1798-1808, Band 3: Geschichte der Malerey in Frankreich, Göttingen 1805, dritten Bandes erste Hälfte, mit Ersch. Jahr 1803 bis S. 311, Im zweiten Teilband, S. 312ff, Titelblatt mit Erscheinungsjahr 1805, ebd. S. 546. Vervollständigt durch vier Bände zu Deutschland und den Niederlanden: Geschichte der zeichnenden Künste in Deutschland und den vereinigten Niederlanden, 4 Bde., Hannover 1815-1818.
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tungen" bilde (S. VII). Das „erste bedeutende Auftreten der englischen Schule" schließt sich an. Danach folgt der bemerkenswerte Satz: „Diese Zwischenstufen [gemeint sind die niederländische, die französische, die spanische und die englische Malerei, H. L.] führen endlich wieder zu der deutschen Kunst zurück, deren neues Aufblühen ohne Betrachtung der letztern zu isolirt erscheinen dürfte, und mit deren Bestrebungen das Buch zu beschliessen dem deutschen Schriftsteller gewiss verstattet ist, - dies um so mehr, als sie in der T h a t von der wesentlichsten Bedeutsamkeit für die Gegenwart sind." Damit wird die französische M a l e rei des klassischen Zeitalters zwar gewürdigt, aber zu einer „Zwischenstufe" erklärt und die Behauptung erhoben, Deutschland sei aktuell - um 1837 - die führende Kunstnation Europas. Dies ist eine kühne Behauptung, wenn man denn die Situation der Kunst in diesen Jahren überblickt und dabei besonders Frankreich beachtet, nach wie vor und schon seit zweihundert Jahren die tonangebende Nation im Bereich der Kunst, Architektur und Mode. Kuglers Bild Frankreichs und der französischen Kunst in den Handbüchern ist denn auch negativ getönt, um die entwicklungsgeschichtliche Leistung der deutschen Kunst davon abzuheben. Er sieht die französische Tradition in jenem Akademismus verankert, den er in den jüngeren deutschen Kunstbestrebungen seit der frühen Romantik überwunden glaubte. Diesen einst europaweit und auch im deutschen Raum wirksamen Akademismus nach französischem Muster kritisiert er grundsätzlich, worin er der Linie der älteren deutschen Kritik, insbesondere Friedrich Schlegels folgt. Den Beginn der Dekadenz setzt er mit Charles le Brun an: Derjenige unter Vouet's Schülern, welcher den meisten Einfluss auf die Richtung der französischen Malerei ausübte und welcher die Kunst mit demselben Despotismus beherrschte wie sein König Ludwig XIV. den Staat, war Charles le Brun (1619-1690), ein Künstler von grossem Talent, von reicher Phantasie und leichtester Darstellungsgabe, aber ohne die innere Lauterkeit und Sammlung, welche dem Werke der Hand das Gepräge des Geistes giebt. Seine Gemälde [es wird hier auf den Alexanderzyklus verwiesen, besonders auf die Scene des Alexander im Zelt des Darius, H. L.] sind als die blendenden Dekorationen jener pomphaften aber innerlich hohlen Regierung zu betrachten, welche der gesammten / gebildeten Welt ihre Gesetze vorschrieb; bei allem Aufwand an Gestalten und Farben entbehren sie sowohl des inneren Gefühles und der individualisirenden Durchbildung, wie der künstlerischen Gemessenheit und Klarheit. (S. 277-278) M i t Le Brun, dessen Malerei als künstlerische Parallele zum politischen Despotismus dargestellt wird, datiere sich „die tiefe Entartung der französischen Malerei, der Uebergang zu einer hohlen, theatralischen Manier, welche als der letzte Verfall der modernen Kunst" zu betrachten sei (S. 278). Obwohl nicht ohne Sympathie für einzelne Künstler der folgenden Zeit, etwa Watteau, der mit wenigen Sätzen noch für den heutigen Leser durchaus angemessen gewürdigt wird, ist Kugler vom „tiefen Verfall der französischen Historienmalerei" überzeugt (S. 282), welche in der „Befolgung derselben manierirten Richtung" die „Jahr-
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bûcher der französischen Kunstgeschichte schmücken". Die Rückwendung zur Antike seit Mitte des 18. Jahrhunderts sieht Kugler endlich als eine positive „künstlerische Revolution [...], welche dem neuen Leben der Kunst einen gereinigten Boden bereitete und die giftigen Dünste zerstreute". Die in der Passage zu Le Brun schon bemerkenswerte Parallelisierung von Kunst und Politik setzt sich in den Passagen über die Kunst der Revolutionszeit fort. Zwar sieht Kugler in der französischen Malerei „fast denselben Terrorismus" am Werk, wie er in den politischen Prozessen zu beobachten gewesen sei (S. 282), doch ist er andererseits von der Qualität der Malerei Jacques Louis Davids überzeugt, wie er in einer in ihrer Treffsicherheit für Kugler exemplarischen Charakterisierung darlegt: Das energische, aus dem Innern hervorbrechende Pathos, der grossartige Rhythmus in den Bewegungen seiner Gestalten, die feierlich gemessene Gesammtanordnung seiner Gemälde, sind die vornehmsten Umstände, in denen die siegreichen Erfolge derselben beruhen; ist ihm dabei jene hohe Stille und Reinheit der Seele, welche das Hauptverdienst der griechischen Kunstwerke ausmacht, fremd geblieben, so liegt dies vielleicht in den Verhältnissen der Zeit, in der kriegerischen Stellung, welche er gegen die vorangegangenen Leistungen einnehmen musste. Mehr zu bedauern ist es, dass das leidenschaftliche Pathos seiner Darstellungen nicht selten die Berechnung des Verstandes durchblicken lässt, dass es in Manier übergeht, und dass es seiner Kunst an dem belebenden Elemente eines durchgebildeten Colorits mangelt. (S. 283) Es folgt im Anschluss die Würdigung der David-Schüler und ihrer Antipoden: Ingres wird sehr knapp erwähnt, Richard, Granet, dann, als „unstreitig der grösste Schüler David's" Leopold Robert, dem er „Reinheit des Styles, [...] lautere Harmonie in Form und Farbe" bescheinigt, schließlich „hohe Anmuth und Stille des Geistes" (S. 286). Horace Vernet wird ausführlicher besprochen als Delacroix, dessen „bizarre, outrierte Nachahmung mittelalterlicher Motive" Kugler moniert (S. 288). Ary Scheffer wird wohlwollend erwähnt, dann, als Vertreter des „sogenannten romantischen Genre", der aber schon darüber hinausgehe, Paul Delaroche (S. 289). Kugler gibt schließlich zu, dass „überhaupt [...] die gegenwärtige Malerei in Frankreich eine grosse Anzahl bedeutender Leistungen" zähle, die man allerdings noch kaum in eine gute Übersicht fassen könne (S. 289). Diese Würdigung verblasst aber, wenn Kugler, nach der pflichtbewussten Behandlung der englischen Malerei - es handelt sich nicht um viel mehr als eine Namensliste - die „Bestrebungen der Gegenwart" in der deutschen Kunst vorstellt und schließlich dieser bescheinigt, dass man nun, durch das Studium der älteren Maler, das Eingehen auf die „Vorbilder des Mittelalters" - womit hier, ohne dass dies besonders ausgeführt wird, die ältere italienische Malerei ebenso gemeint sein muss wie auch die ältere deutsche und niederländische Malerei 7 - letztlich „innerlich gekräf7 Vgl. hierzu die Qualifikation der deutschen Malerei des 16. Jahrhunderts im Vergleich mit der gleichzeitigen italienischen, Handbuch der Malerei (wie Anm. 3), II, S. 84: „In Italien entfaltete sich eine reichste Blüthe höchster, vollkommen schöner Kunstleistungen; hier ward jene Wunderzeit des
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tigt, die geheimeren Tiefen des Geistes erschlossen, [...] mit erneuter Begeisterung das Wesen vollendeter Schönheit ins Auge zu fassen" vermochte (S. 315). Franz Kugler mag hinsichtlich der Beurteilung der Bedeutung der französischen Kunst im Vergleich mit der deutschen Malerei parteiisch sein, aber er bemüht sich um qualifiziertes, vergleichendes Abwägen des Anteils Frankreichs an der Gesamtentwicklung. Immerhin gesteht er zu, dass die erste „Wende" vor 1800 zu einer neuen Kunst „nicht ganz ohne die Einwirkung französischer Leistungen" erfolgt sei (II, S. 309), während allerdings die entscheidende „zweite Revolution des Geschmackes" (II, S. 312) eine Angelegenheit der deutschen Kunst wäre. Wie moderat Kuglers Position ist, zeigt sich im Vergleich mit Karl Schnaases Niederländischen Briefen, die 1834 noch vor Kuglers Malerei-Handbuch veröffentlicht wurden. 8 Es handelt sich zwar nicht um ein eigentliches „Handbuch" der Kunstgeschichte, aber die Briefe können als Vorläufer, insbesondere der von Schnaase verfassten achtbändigen Geschichte der bildenden Künste (1843-79) gelten. 9 Beim früheren Werk handelt es sich um einen Reisebericht in Briefen, der von einer philosophischen Grundhaltung getragen wird. Von Osten nach Westen, von Brabant bis Flandern reisend, durchläuft Schnaase, wie er berichtet, „einen ziemlich vollständigen Cursus der Geschichte der christlichen Kunst [...]. Freilich in umgekehrter Ordnung" (S. IV). Und da, „jede Periode die Totalität des menschlichen Wesens" enthalte, „so konnte es nicht fehlen, daß das ganze Gebiet der Kunstgeschichte mehr oder weniger berührt wurde". Schnaase versteht die Briefe sowohl als „Beiträge zur Geschichte der Kunst" wie als „Beiträge zur Theorie der Kunst", schließlich als „Beiträge zur Philosophie der Geschichte, einer Disciplin, welche eben so sehr Erfahrungswissenschaft wie a priori ist, und für welche die Gestalt der Kunstgeschichte eine unbestrittene Wichtigkeit hat." (S. V) Der philosophische Ansatz führt Schnaase immer wieder zu spekulativen Erörterungen, insbesondere im Sechzehnten Brief, in welchem seine Vorstellung vom Zusammenwirken der Nationen in der historischen Entfaltung des Systems der Künste in origineller Weise zur Sprache kommt (S. 436-480). Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist hier die tiefe Befremdung angesichts der Konfrontation mit dem, was er „französischer Geist" nennt. Im August war er nach Tournai gekommen, wo ihn dieser „französische Geist" anwehte. Schnaase berichtet: „Da so viele Reisende herüber kamen, alle erfüllt von den Wundern des Julius, ließ ich mich verleiten, die Gränze zu überschreiten, um auch unter der neu aufgepflanzten dreifarbigen Fahne hindurch zu gehen." (S. 436) Doch wurde er enttäuscht: „Im Ganzen wurde ich für meine Neugierde eher bestraft als belohnt." Die Revolutionseuphorie irritiert ihn, weil ob dieser Ereignisse sich nun keiner mehr für „Religion, Wissenschaft und griechischen Alterthums wiedergeboren, da die Schönheit dem Auge des Sterblichen sich offenbarte [...]. In Deutschland vermochte man es nicht, sich von der hergebrachten, mehr oder minder befangenen Weise der Darstellung gänzlich zu befreien; [...]" 8 Karl Schnaase, Niederländische Briefe, Stuttgart/Tübingen 1834. 9 Karl Schnaase, Geschichte der bildenden Künste, Düsseldorf 1843 (I, II), 1844 (III), 1850 (IV, 1, 1), 1854 (IV, 1,2), 1856 (V), 1861 (VI), 1864 (VII), 1879 (VIII). Der letzte Band behandelt die „Geschichte der bildenden Künste im 15. Jahrhundert".
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Kunst, und was sonst die höchsten Gegenstände des Menschen sind" interessiere. So sei er mit seiner „antiquarischen Kunstliebhaberei [...] gar übel" angekommen. Uberhaupt aber kann er es kaum fassen, „wie sehr es den Franzosen gelungen, die Ueberreste des Mittelalters zu vertilgen" (S. 437). Schnaases negativer Eindruck verstärkt sich, indem er sich angesichts der Situation an ein Klischee erinnert, das er bestätigt sieht und das ihn zu weiteren Erörterungen anstachelt: „Der alte Karl van Mander spricht es einmal bei Erwähnung von Tournay oder einer andern Stadt des französischen Flanderns geradehin aus, daß die Wälschen wenig Verstand von der Malerei hätten, und diese Bemerkung fiel mir unzählige Male ein, seitdem ich das französische Gebiet, nicht sowohl des Staats, als der Sprache betreten hatte" (S. 437). Das fällt ihm nicht etwa nur vor Gemälden ein, sondern auch in Betrachtung der Kleidung der Landleute, der Häuser und Geräte, schließlich meint er Anzeichen davon auch in der Architektur zu erkennen, „namentlich der Kirchen", wo sich „oft etwas Breites, Leeres, was die malerische Wirkung untergräbt" zeige. Eine Bestätigung beschert ihm der Besuch von Lille, wo man „sogar ein eigenes Museum" angeordnet habe, in dem er aber nur „ungünstige Proben" findet. Schnaase sieht Gemälde von Valentin, Watteau [de Lille] und anderen, die ihm „hart" und „farblos" scheinen, wenn auch „charakteristisch". Unter den „pomphaften Namen berühmter italienischer Meister" seien „die werthlosesten Machwerke ausgestellt, so daß auch hier aller Sinn für die Schätzung gefehlt zu haben scheint." (S. 438) Da Schnaase gleichwohl nicht rundweg einem ganzen Volk die Kunstfähigkeit aberkennen mag, kommt er auf die Lösung, dass jedes Volk in einem anderen Bereich der Künste begabt wäre, die Franzosen hauptsächlich im Bereich der Poesie. „Es scheint", so schreibt er zusammenfassend, „eine nothwendige Theilung der Arbeit unter diesen christlichen Nationen zu seyn; jede sollte ihr besonderes Feld haben, um es darin um so weiter zu treiben und die andern daran vortheilen zu lassen." (S. 442) In Bezug auf „die Franzosen" heißt es, hier sei „das Hinderniß jedenfalls ein ganz anderes als bei den Engländern und Spaniern, denn während bei diesen der Farbensinn eine phantastische Richtung nahm, ist er bei jenen durchaus nüchtern. Ihre überhaupt trockene Poesie läßt wenig Spuren desselben bemerken, und wenn auch hier eine frühere Anlage wirklich zu andern Zwecken verzehrt ist, so waren diese schwerlich künstlerische. Es scheint vielmehr, daß die verständige und materialistische Richtung, welche sie in allem Praktischen zu dem ersten, mindestens der Zeit nach voranschreitenden Volke Europa's macht, sie auch vom Malerischen abgeleitet haben mag. Näher sind sie daher den Deutschen verwandt, insofern bei beiden die Neigung zur Wahrheit für die Kunst nachtheilig wurde. Aber bei den / Deutschen war es der Trieb nach tieferer, religiöser Wahrheit, welcher daher auch Anfangs mit der künstlerischen Anlage Hand in Hand ging, und erst bei weiterer Reise beider sich übermächtig zeigte; bei den Franzosen dagegen erstickte die irdische, praktisch politische Klugheit schon den ersten Keim der Anlage." (S. 441-442)
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Das ist so deutlicher Ausdruck persönlichen Missfallens, wie es ein in Deutschland verbreitetes und wirksames Kultur-Klischee widerspiegelt. Auch Schnaases Argumentation beruht auf einem polaren Konzept: Auf der einen Seite steht, wie später auch bei Kugler, Italien. „Die andern christlichen Völker geben das Gegenbild der Italiener", heißt es weiter unten im selben Brief. Hier wird schließlich die Position Frankreichs auch im Gesamtbild betrachtet: „Die Franzosen machen zwar vielleicht mehr als die andern auf eine Einheit aller Künste Anspruch [...]. Aber dafür sind sie auch eigentlich in keiner Kunst wahrhaft ausgezeichnet, als allenfalls im Drama." Dass es hier auch um ein Konkurrenzproblem geht, belegt der folgende Satz: „Vielleicht können wir, die Deutschen der neuesten Zeit, mit größerm Rechte darauf Anspruch machen, da auch unsere Poesie und Malerei jetzt wohl höher stehen, als die der Franzosen je gestanden haben." (S. 469) Schnaases negativer Eindruck bestätigt und verstärkt sich endlich in Brüssel, wo er sich vor allem über die Belegung des Palais de l'industrie et des arts durch die Gewerbeausstellung ärgerte, da die älteren Kunstwerke deswegen nicht zu sehen waren. Schuld sei der französische Einfluss, denn der Franzose habe keinen Sinn für das Alte. So berichtet er folgende Episode vom Besuch der Sammlung des Prinzen von Oranien, bestehend vorzugsweise aus Gemälden der „älteren Schulen, die unsern neuern Geschmack am meisten ansprechen; wenigstens den Deutschen", denn die Franzosen würden häufig noch so denken, wie „einer, der, als ich eben vor einem Hemling [= Memling, H. L.] stand, auf dem glatten Parquet des Saales schnell vorbeigleitend seinem Begleiter zurief: Allons toujours, je ne veux pas de ces antiques là." (S. 485) So sei auch der Grund für die „traurige Veränderung", die Schnaase in der belgischen Kunst zu bemerken meint, dem „Einfluß der frühern französischen Schule" geschuldet: „So lange dieß Volk [der Niederländer, bzw. Belgier, H. L.] sein germanisches Blut verläugnet, und sich in der fremden, halbverstandenen Weise Frankreichs bilden will", bleibe die natürliche Anlage des Niederländers, seine Begabung zur Malerei, verschwunden, verdeckt. (S. 487) Der Frankreich gegenüber negativ voreingenommene Blick Schnaases in den Niederländischen Briefen ist Kugler fremd, aber ihn interessiert doch gleichermaßen das Zusammenwirken der verschiedenen Nationen. Noch stärker als im Handbuch der Malerei bemüht er sich in seinem 1842 veröffentlichten Handbuch der Kunstgeschichte um eine objektive Darstellung, im Versuch, den Anteil der Nationen an der Gesamtentwicklung der Kultur von den Anfängen bis zur Gegenwart historisch-genetisch zu bestimmen. Das Handbuch ist dementsprechend nicht mehr gewichtend nach Schulen gegliedert, sondern einerseits chronologisch aufgebaut, andererseits geographisch. Die Geographie gibt die Metapher für die Erkundung des Gebietes der Kunstgeschichte ab, indem Kugler im Vorwort feststellt, dass das „Reich" noch zu erobern sei, „dessen Thäler und Wälder wir erst noch zu lichten, dessen wüste Steppen wir noch urbar zu machen haben". (S. X) Grundsätzlich ist Kuglers Kunstbegriff anthropologisch fundiert: Zentral ist sein Begriff des „Denkmals", den er im ersten Paragraphen zur Erklärung des Prinzips der Kunst aller Zeiten einführt. Er beinhaltet als Prinzip das „Bedürfniss des Menschen, seinen Gedanken an eine feste Stätte zu knüpfen und dieser Gedächtnisstätte, diesem ,Denkmal' [der Begriff ist nun in Anführungszeichen
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gesetzt, um auf die Verwendung im eigentlichen Sinn hinzuweisen. H. L.] eine Form zu geben, welche der Ausdruck des Gedankens sei." (S. 3) Kugler gesteht mithin generell der Menschheit die Fähigkeit zur Kunst und ihre Entwicklung auf höhere Stufen zu. Träger der Kunstbestrebungen ist allerdings nicht pauschal „die Menschheit", sondern es sind die jeweiligen kollektiven Einheiten, die Völker, die als Akteure auftreten. Kugler ist auch hier um Gerechtigkeit bemüht, doch ist die Darstellung perspektivisch und zentriert, wie schon der Beginn anzeigt: Im ersten Kapitel werden die „Denkmäler des nordeuropäischen Alterthums" an den Anfang gestellt. Nur kurz ist zunächst die Rede von Asien als der Wiege der Menschheit, gehandelt wird dann sogleich von der europäischen Kunst. Hier wird bereits Frankreich ausdrücklich genannt, wo sich „das bedeutendste der celtischen Heiligthümer" in Carnac finde, ausführlicher werden jedoch Monumente in Skandinavien, England und Norddeutschland besprochen. In den folgenden Abschnitten behandelt er die weiter entwickelten außereuropäischen Kulturen, die Inseln Ozeaniens, Altamerika, Ägypten, Indien etc. Diese Abschnitte sind, ebenso wie diejenigen über die „classische Kunst" der Griechen und Römer, in sich abgeschlossene Teilstücke. Mit dem dritten Abschnitt zur „Geschichte der romantischen Kunst" beginnt der Hauptteil des Buches. Man könnte die hier anhebende Geschichte nun eigentlich die Erzählung von der sukzessiven Emanzipation der europäischen und insbesondere der „germanischen" Kunst von den älteren Kunstbestrebungen nennen. Dies ist Kuglers eigentliches Thema. Das Leitmotiv ist jene sich durch die europäische Kunst seit dem frühen Mittelalter ziehende Grunddifferenz zwischen dem Süden und dem Norden, die sich in der Differenz des „romanischen" und des „germanischen Styles" zeigt. Die entscheidenden Passagen begegnen uns fast genau in der Mitte des Bandes (S. 415). Es beginnt im 10. Jahrhundert der Aufstieg des ,,Geist[es] der germanischen Nationen" (ebd). Bis dahin hatten „für die Kunst [...] jene altchristlich römischen oder byzantinischen Formen den allgemeinen Typus gegeben; der Geist der germanischen Nationen hatte noch nicht die selbständige Kraft gewonnen, dass er vermögend gewesen wäre, diesen Formen zugleich ein ihm entsprechendes Gepräge aufzudrücken". Jetzt aber hatte „der germanische Volksgeist [...] diejenige Stufe der Entwickelung erreicht, dass er selbstbestimmend sich auch in den Formen, welche den Gedanken zu Erscheinung bringen, aussprechen, dass er namentlich auf die weitere Gestaltung der Kunst seinen Einfluss ausüben konnte." (S. 415) Das ist so deutlich wie man irgend sich wünschen könnte, verwirrend nur, dass der jetzt entstehende „Styl der Kunst am Passlichsten mit dem Namen des romanischen" benannt werde (S. 416), wo es doch eigentlich um den Aufstieg des „germanischen" Volksgeistes geht, der freilich zunächst noch in den „aus der Antike herübergenommenen Formen" erscheine. Im folgenden Kapitel wird klargestellt, dass als Höhepunkt der „romantischen Kunst" die „Kunst des germanischen Styles" eingeführt wird. 10 Damit ist natürlich die gotische Archilo Vgl. Schnaase, Niederländische Briefe (wie Anm. 7), S. 172-174. Er spricht von „gothisch" im Sinne von „germanisch", wobei er an „das gemeinschaftliche der nordeuropäischen Völker" denken will, jedoch nicht mehr, „so wie es bei den Germanen des Tacitus, nicht wie es in den frühern Jahr-
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tektur gemeint, die bekanntlich nicht im deutschsprachigen Gebiet entstanden ist - was Kugler leichthin zugibt (S. 514). Die Gotik sei gleichwohl der germanische Stil schlechthin, da es auch bei diesen „Mischvölkern" - es ist die Rede von Nordfrankreich und England „der Germanismus" sei, dem der Stil „seine Nahrung verdankt; dass er sich da am Lautersten und Vollendetsten ausbildet, wo der germanische Volksgeist vollkommen rein und im durchgebildeten Bewusstsein seiner Eigenthiimlichkeit auftritt". Es versteht sich, dass vor diesem Hintergrund die Darstellung der französischen Kathedralgotik eigenartig ausfallen muss (S. 529-39). Fast durchweg, so Kuglers Urteil, tragen diese zweifellos ältesten Gebäude des germanischen Styls, „auch wo sie in jüngerer Zeit entstanden sind [...] in ihren Hauptformen das Gepräge einer primitiven, noch nicht durchgebildeten Entwicklung" (S. 530). Interessant genug ist es, dass sich gerade hier Kugler mit einer Gruppe von Bauwerken konfrontiert sieht, die in hervorragender Qualität und Breite ihm auch in bildlicher Reproduktion zugänglich war. Dies beispielsweise im Werk von Nicolas-Marie Joseph Chapuy über die Cathedrales françaises.11 Die dort als französische Monumentalkunst gefeierten Kathedralen können für Kugler nur Vorstufen für die Entwicklung der in Deutschland kulminierenden Entwicklung sein. Das Fazit ist bekannt. Es gipfelt in der Behauptung Kuglers, „die vollendete Entwicklung des germanischen Baustyles [gehöre] wesentlich Deutschland an." (S. 547) Zwanzig Seiten sind der Darstellung gewidmet (S. 546-566). Trotz solcher parteiischer Argumentation ignorierte Kugler die Leistungen der französischen Kunst keineswegs. Wie schon im Handbuch der Malerei wird der Anteil Frankreichs aber qualitativ und quantitativ im Vergleich mit der italienischen Kunst relativiert. Deren Darstellung dominiert im vierten Abschnitt, der „Geschichte der modernen Kunst", über weite Strecken im fünfzehnten bis siebzehnten Kapitel. Erst im achtzehnten Kapitel findet sich ein Paragraph (§ 2, S. 750-51) über die französische Malerei, mit Verweis auf die Miniaturisten. Das neunzehnte Kapitel, die „zweite Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts" behandelnd, diskutiert französische Kunst (§ 3, S. 791-93) unter besonderer Berücksichtigung der Schule von Fontainebleau, nicht zufällig ein Ableger italienischer Kultur. Das zwanzigste Kapitel enthält dann einige Passagen zur französischen Historienmalerei des 17. Jahrhunderts (§ 4, S. 822-24) von Nicolas Poussin, Jacques Stella, Philippe de Champaigne, Eustache Le Sueur, Charles Le Brun. Von Mignard, Coypel, Jouvenet, Rigaud, Subleyras und schließlich Boucher werden nur die Namen genannt. Wo das „Siècle classique" angesprochen ist, auf das man in Frankreich besonders stolz war, kommt hinsichtlich der Nationenkonkurrenz dem ausgesprochenen Urteil besonderes Gewicht zu. Es entspricht dem im Handbuch der Malerei ausgesprochenen, ist aber wohl etwas abgemildert. Nach wie vor sieht Kugler in Charles Le Brun jene exemplarische und prägende Gestalt, die dem Zeitalter hunderten des Mittelalters, sondern so, wie es nach den Kreuzzügen sich zeigte, im Zeitalter der Troubadours und Minnesänger, wo alle Wirklichkeit ein poetisches Gewand erhielt". Für die Romanik verwendet Schnaase die Bezeichnung „vorgotisch". 11 Vgl. Kugler, Rezension von Nicolas-Marie-Joseph Chapuy, Le moyen âge pittoresque, Paris, 1838, in: Kleine Schriften (wie Anm. 2), I, 1853, S. 505-506. Die dritte Auflage des Handbuches der Kunstgeschichte, II. Bd., erste Abt., Stuttgart 1859, enthält Illustrationen nach Chapuy.
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Louis XIV. in ihrem künstlerischen Gestus entspricht. 12 Als Entwicklungstendenz wird ein qualitativer Abstieg festgestellt, wenn etwa vermerkt ist, dass sich in die „affektierte Grossartigkeit" ein „süsslich fades Element" mische. Der letzte Abschnitt C dieses zwanzigsten Kapitels behandelt schließlich unter dem Begriff „Kabinettmalerei" die Gattungen Genre, Landschaft, Tierstück und Stillleben. Dies zeigt an, dass die nationalen Abgrenzungen zwar nicht aufgehoben werden, aber die Kunstentwicklung seit dem 17. Jahrhundert grundsätzlich im internationalen Zusammenspiel gemeinsamer künstlerischer Problemstellungen zu betrachten ist. Auf dem Gebiet der Genremalerei kommt die französische Kunst nun im Vergleich mit der englischen Malerei zu Wort (S. 829/30). Diese Passage ist für Kuglers Redeweise und vergleichende Argumentation besonders charakteristisch und sei daher ausführlicher zitiert: Die eigentlichen französischen Genremaler folgen erst im Beginn des achtzehnten Jahrhunderts. Diese Meister wenden sich vorzugsweise jenen affektirt poetischen und idyllischen Lebensverhältnissen zu, welche die damalige Bühne und die Gesellschaft selbst - in ihren sogenannten ,Wirtschaften', wo Cavaliere und Damen in Haarbeuteln und Reifröcken sich in / süsse schäferliche Zustände zurückträumten, - zur Schau gab. Sie wissen solche Scenen, natürlich zwar nicht mit tiefem Gefühl und nicht mit energischer Lebenswahrheit, doch mit einer gewissen graziösen Anmuth darzustellen; und sie geben in ihnen, unbewusst, ganz artige parodische Bildchen. Das Haupt dieser Richtung ist Antoine Watteau (1684-1721); ihm folgen Paterre, Lancret, u. A. m. J. B. S. Chardin (1699-1779) und J. B. Greuze (1726-1805) strebten dagegen mehr der holländischen Genremalerei nach. - Den Gegensatz gegen jene unbewussten Parodien bildet die sehr bewusste und entschiedene Satire in den Bildern des Engländers William Hogarth (1697-1764), welche die Kehrseite der gesellschaftlichen Zustände jener Zeit mit scharfer Charakteristik hervorheben, sich jedoch so wenig in der malerischen Durchbildung wie in der Unbefangenheit des Humors den Bildern eines Jan Steen vergleichen lassen. Auf engstem Raum ist hier eine Zusammenfassung der Entwicklung mit Bezug auf eine Auswahl von Künstlern gegeben, die exemplarisch für den Beitrag ihrer Nation stehen. Kugler erfasst die französische Genremalerei des 18. Jahrhunderts als „unbewusste Parodien". Um zu zeigen, was dies meint, setzt er kontrastierend die „bewusste und entschiedene Satire" eines Engländers, Hogarth, dazu und vergleicht letzteren abschließend mit dem unbefangenen „Humor" des „malerischeren" Holländers Jan Steen. Frankreich, England und Holland sind damit so prägnant wie klischeehaft charakterisiert.
12 „Wie er [Le Brun] sich zum Herrscher über die Kunst seiner Heimath aufschwang, so folgt dieselbe auch willig seinen Schritten, nur dass sich im Verlauf des achtzehnten Jahrhunderts statt jener affektirten Grossartigkeit mehr und mehr ein süsslich fades Element einmischt."
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Den Zielpunkt der Kuglerschen Argumentation markiert endlich der Abschnitt zu den „Kunstbestrebungen der Gegenwart". Hier wird der Standpunkt des Verfassers noch einmal verdeutlicht. Gleich zu Beginn kommt die Rede auf den veränderlichen Anteil der Völker. Kugler stellt fest, dass der „Antheil, den die europäischen Völker an den künstlerischen Interessen" nähmen, sich wesentlich verändert habe. Zum ersten sei der Niedergang Italiens zu konstatieren: „Italien, Jahrhunderte hindurch als die Herrin und Meisterin im Bereiche des künstlerischen Schaffens anerkannt, erscheint von jener beneidenswerthen Höhe tief herabgesunken [...]." Zum anderen aber kann der Aufstieg von Frankreich und von Deutschland festgestellt werden: „Frankreich und Deutschland dagegen erscheinen als die beiden Mächte, denen vorzugsweise das neue Kunstleben angehört; glänzender, mehr in die Sinne fallend, zum Theil auch mehr umfassend, hat sich dasselbe in Frankreich entfaltet; stiller und schlichter, aber auch mit tieferem und reinerem Gefühle erfasst, in Deutschland". (S. 854)13 Diese Formulierung deutet an, wie sich die deutsche Kunstwissenschaft die Situation zurechtlegen wird. Es zeigt sich hier ein Argument, das sich bis ins zwanzigste Jahrhundert hält: Frankreich gesteht man den sichtbaren Erfolg zu und sucht gerade dies in den verschiedensten Formulierungen als äußerlich zu qualifizieren. Für die deutsche Kunst, die international ungleich weniger sichtbar und deren Bedeutung auch in Deutschland selbst im Vergleich etwa zu den französischen und belgischen Exponenten alles andere als unstrittig ist, behauptet man, ihre Qualitäten seien eben „stiller", woraus sich eine Begründung für den geringeren Erfolg auf dem Kunstmarkt und überhaupt in der Kunstöffentlichkeit ergibt. Offensichtlich gewinnt man aus dem Vergleich Argumente zur Rechtfertigung und Bestimmung der eigenen Position. Die Geschichte der Kunst aller Völker wird beschrieben, um letztlich den Anteil der deutschen Kunst am Ganzen bestimmen und im historischen Vergleich nachweisen zu können. Italien wird als Leitbild aus dem Hintergrund als historischer Bezugspunkt aufgebaut. Frankreich aber ist gegenwärtiger Antipode und womöglich beneidetes Vorbild in pragmatischer Hinsicht. Dieses Bild des Anteils der Nationen bleibt über das Jahrhundert im Prinzip stabil. Auch in späteren Handbüchern bleibt dieses Verhältnis als Problem erhalten. Wo immer es um das Kunstleben der Gegenwart geht, tritt Frankreich aufgrund der offensichtlichen Präsenz im europäischen Raum in den Vordergrund. Dennoch wird versucht, die Behauptung der Gleichwertigkeit zu erheben. Der Vergleich mit der französischen Kunst wird benutzt, um die Geltung der so „stillen" deutschen Malerei evident zu machen.
13 „In Frankreich hat sich als vorzüglich bezeichnend f ü r die dortigen Leistungen, eine Geschichtsmalerei entwickelt, die, im völligen Gegensatz gegen die einseitige Classicität der David'schen Schule, auf die lebendigste Individualisierung ausgeht, dabei aber nicht selten an das G e n r e streift (H. Vernet, P. Delaroche u. A. m.) zugleich aber auch eine Genremalerei, die das Leben des Tages so schlicht und doch so erhaben zu fassen weiss, dass sie der historischen Malerei ebenbürtig zur Seite steht (L. Robert)." (S. 859).
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Hierzu sei abschließend der durchaus frankophile Anton Springer aus einem seiner Uberblickswerke, der Geschichte der bildenden Künste im 19. Jahrhundert, zitiert.14 Die Hälfte dieses kleinen, aber doch etwa dreihundert Seiten starken Buches ist der deutschen Kunst gewidmet, gut zwanzig Seiten der belgischen, die als Intermezzo erscheint vor dem zweiten großen Teil, welcher sich der französischen Kunst zuwendet und immerhin gut achtzig Seiten umfasst. Weitere zwanzig Seiten diskutieren England, kaum mehr als zehn Seiten endlich die „Kunstmächte zweiten Ranges". Trotz des quantitativen Ubergewichtes der Erörterungen zur deutschen Kunst, muss Springer schließlich den Erfolg Frankreichs anerkennen, den er aber als „äußerlich" zu relativieren sucht: „Der äußere Erfolg, das kann der unbefangene Betrachter nicht leugnen, gibt der französischen Kunst den Vorrang vor jeder anderen in der Gegenwart und stempelt sie zur Weltkunst". (S. 262) „Deutschen Künstlern" dagegen, so klagt Springer, „begegnet in der eigenen Heimat nicht selten die größte Gleichgültigkeit. Und wenn sie auch hier Anerkennung besitzen, über Deutschlands Grenzen hinaus sind kaum ihre Namen, geschweige denn ihre Werke gedrungen." Die Kunstliteratur des 19. Jahrhunderts greift Klischees auf, die als Interpretationen politisch und kulturell bedingter Differenzen zu verstehen sind, verdichtet diese und setzt sie - im Fall Kuglers - in den historischen Raum um. Frankreich wird als das Land der Gegenwart und der Zukunft, des Rationalismus, der Realität, als das Symbol des gesellschaftlichen und kulturellen Fortschritts anerkannt. Die Konkurrenzsituation in Verbindung mit den politischen Differenzen zu Beginn des Jahrhunderts treibt auf deutscher Seite reflexhafte Ablehnung hervor. So wird aus dieser Oppositionssituation heraus in den Handbüchern Kuglers mittels historischer Relativierung die dominierende und im Kulturbetrieb so erfolgreiche Nation Frankreich gegenüber dem hinsichtlich der künstlerischen Produktion fast erloschenen Italien zurückgestellt. Italien dagegen, das Land der Vergangenheit, der Historie, wird als Referenzgröße für die deutsche Kunst forciert. Hieraus ergibt sich über weite Strecken das Signum der Kunst des 19. Jahrhunderts in Deutschland, wo typischerweise die frühe Moderne - maßgeblich aufgrund des Abgrenzungsbedürfnisses zu Frankreich - sich stärker dem Historismus, der romantischen Sentimentalität, der später so genannten „Innerlichkeit", hingibt; eine modernistische Regression.
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Anton Springer, Geschichte der bildenden Künste im 19. Jahrhundert, Leipzig 1858.
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FRANZ KUGLER UND K A R L SCHNAASE
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Z W E I P R O J E K T E ZUR E T A B L I E R U N G DER „ALLGEMEINEN
KUNSTGESCHICHTE"
Henrik Karge
Als Franz Kugler am 21. Juni 1841 zu einer ausgedehnten Reise ins Rheinland aufbrach, berichtete er seiner Frau Clara von einem ungewöhnlichen Problem beim Packen des Koffers: Schon beim Einpacken ist mir mancherlei Merkwürdigkeit passirt. Mein Koffer und meine Hutschachtel reichten gerade hin, um die verschiedenen Dinge, deren ich auf der Reise zu bedürfen meinte, in sich aufzunehmen, aber es war auch kein Winkelchen überflüssiger Platz; ich mußte also Alles möglichst kunstreich ineinander verschränken, sehr oft auch das gerade Gepackte wieder herausnehmen um es anders zu legen, kurz auf die größte Raumersparniß afficiren. (...) und da gab es dann sehr ernsthafte Ueberlegungen: was z. B. wichtiger für den reisenden Menschen sei, Schnaase's Niederländische Briefe (in denen ein Paar Blätter mit Notizen über Köln enthalten sind) oder ein Paar parchene Untermodesten [womit Kugler auf seine frotteeartige Unterwäsche anspielte] - beide füllten gleich viel Raum aus. Schnaases Buch ist kunstgeschichtlich sehr wichtig, aber die parchenen sind es auch, obgleich nicht für die Kunstgeschichte, und ich hätte am Ende doch die letzteren vorziehen müssen. (Und hat nicht am Ende die ganze Kunsthistorie selber, und ihre Professoren mit ihr, dasselbe Schicksal?)1 Nach dieser einigermaßen enigmatischen Reflexion vermag sich das kunsthistorische Buch schließlich doch noch durchzusetzen:
1 Brief Franz an Clara Kugler vom 21. Juni 1841. Bayerische Staatsbibliothek München, Nachlass Franz Kugler, Briefe Franz Kuglers an seine Frau Clara, Nr. 55. Ich danke Frau Dr. Landmann von der Sächsischen Landesbibliothek / Staats- und Universitätsbibliothek Dresden für ihre Hilfe bei der Entzifferung der schwierigen Textpassage.
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HENRIK
KARGE
Indeß gelang es doch meiner unverdrossenen Mühe, Alles ins Gleiß zu bringen, und so wollen wir hoffen, daß, wie Schnaase seinen Platz gefunden hat, so auch die Kunsthistorie und ihre Professoren den ihrigen finden werden.2 Diese Bemerkungen im familiären Scherzton erstaunen vor allem deshalb, weil Franz Kugler im unmittelbaren Vorfeld der Publikation seines Handbuchs der Kunstgeschichte - die ersten Lieferungen erschienen bereits 18413 - offenbar so sehr von seiner Mission der Begründung der Kunstgeschichte als Wissenschaft erfüllt war, dass ihn die Gedanken an sein Fach selbst beim Packen des Reisekoffers nicht losließen. Karl Schnaases 1834 erschienenem Frühwerk Niederländische Briefe4 kam dabei die Ehre zu, stellvertretend für die Kunsthistorie als ganze zu stehen. Andererseits war es eine eher zweifelhafte Ehre, beim Kofferpacken gegen ein Paar Unterhosen ausgewogen zu werden ... Eine persönliche Begegnung mit dem in Düsseldorf als Oberprokurator (Staatsanwalt) am Landgericht wirkenden Schnaase5, der durch enge persönliche Beziehungen zu den Schriftstellern Karl Immermann und Friedrich von Uechtritz und zu mehreren Künstlern der Düsseldorfer Malerschule, schließlich auch durch seine führende Position im Kunstverein für die Rheinlande und Westphalen einen erheblichen Einfluss auf das Kunstleben im Rheinland ausübte, kam bei Kuglers Rheinreise 1841 allerdings nicht zustande. Vier Jahre später traf Kugler Schnaase in Düsseldorf wiederum nicht an, da dieser sich gerade auf einer Frankreichreise befand - eines der vielen mittelbaren Verbindungsglieder in der Beziehung der zwei Kunsthistoriker besteht darin, dass Schnaase in Paris die Tischrunde des von Kugler verehrten Alexander von Humboldt aufsuchte und sich mit ihm über die Geschichte der
2 Ebendort. 3 Franz Kugler, Handbuch der Kunstgeschichte, Stuttgart 1842 (die ersten Lieferungen tragen noch die Jahreszahl 1841). 4 Karl Schnaase, Niederländische Briefe, Stuttgart / Tübingen 1834. 5 Grundlegend zur Biografie Schnaases: Wilhelm Lübke, Carl Schnaase. Biographische Skizze, in: Karl (Carl) Schnaase, Geschichte der bildenden Künste, Bd. 8 (hg. v. Oskar Eisenmann), Stuttgart 1879, S. X V I I - L X X X I V . W i e Handschriftenvergleiche mit dem im Weimarer Goethe-Schiller-Archiv (Nachlassbestände der Familie Immermann) befindlichen Manuskript ergeben haben, wurde die Biografie großenteils von Marianne Wolff, der Witwe des mit Schnaase befreundeten Schriftstellers Karl Immermann, verfasst. Die aktuellen biografischen Kenntnisse zusammengefasst in den Studien des Verf. zu Schnaase, insbesondere: Henrik Karge, Das Frühwerk Karl Schnaases. Zum Verhältnis von Ästhetik und Kunstgeschichte im 19. Jahrhundert, in: Antje Middeldorf-Kosegarten (Hrsg.), Johann Dominicus Fiorillo. Kunstgeschichte und die romantische Bewegung um 1800, Göttingen 1997, S. 402-419, hier S. 4 0 4 - 4 0 8 ; ders., Karl Schnaase. Die Entfaltung der wissenschaftlichen Kunstgeschichte im 19. Jahrhundert, in: Kunsthistorische Arbeitsblätter 2001, Heft 7/8, S. 87-100, hier S. 8 8 - 9 0 ; ders., Vom Konzert der Künste zum Kanon der Kunstgeschichte: Karl Schnaase, in: Oliver Huck / Sandra Richter / Christian Scholl (Hrsg.), Konzert und Konkurrenz. Die Künste und ihre Wissenschaften im 19. Jahrhundert, Hildesheim 2010 (im Druck).
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SCHNAASE
(1) Gemaltes Porträt S c h n a a s e s v o n Eduard Steinbrück, 1837, Düsseldorf, S t a d t m u s e u m
Kunst austauschte. 6 Nach den derzeit vorliegenden Quellen ist es jedenfalls durchaus denkbar, dass die beiden Autoren, die in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Grundlagenwerke der neuen Disziplin Kunstgeschichte schufen und mittels wechselseitiger Besprechungen in einem intensiven intellektuellen Austausch miteinander standen, sich erst nach Schnaases beruflichem Wechsel nach Berlin im Revolutionsjahr 1848 persönlich kennengelernt haben.
Ein kurzer Rückblick: Als Erstlingswerk eines weitgehend unbekannten Autors hatten die Niederländischen Briefe 1834 ein erstaunlich großes und nachhaltiges Echo gefunden. Es ist ein ungewöhnliches Buch: Ausgehend von Erlebnissen auf einer Reise durch Holland und das sich gerade revolutionär erhebende Belgien im Jahre 1830 stellt Schnaase in der Form fiktiver Reisebriefe Betrachtungen über die vorgefundenen Kunstschätze der Niederlande an, die ihm den Anlass bieten für tiefgehende Reflexionen über die Kunst und ihre Geschichte. Schnaases Ziel ist eine Grundbestimmung der Künste in ihren wechselseitigen Beziehungen herausragend die Abhandlungen über Landschafts-, Genre- und Stillebenmalerei im 3. und 5. Brief - und in ihrem Außenverhältnis zu Sprachen, Religionen, Kulturen, Nationen und 6 Schnaase reiste von April bis J u n i 1845 nach Paris und besuchte außerdem mehrere französische Kathedralstädte. Die Informationen stammen aus dem von M a r i a n n e Wolff verfassten Manuskript der Biografie Schnaases, W i l h e l m Lübke übernahm sie merkwürdigerweise nicht in die Druckfassung. Interessant sind vor allem die aus Briefen Schnaases entnommenen Schilderungen der Gespräche mit Humboldt, der intensiv auf Schnaases Geschichte der bildenden Künste einging (Marianne Wolff, M s . Schnaase-Biographie, S. 58-60).
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historischen Entwicklungen. 7 Trotz der freien literarischen Form, die eine systematische Rezeption der kunsttheoretischen Überlegungen erschwert, wurden die Briefe
Niederländischen
sofort als ein „Haupt- und Grundbuch", wie Immermann schrieb, 8 wahrgenommen;
der Philosoph Karl Rosenkranz - auf den noch näher einzugehen sein wird - hielt noch im Erscheinungsjahr 1834 in Königsberg eine Rede, die sich bereits im Titel auf Schnaases W e r k bezog und deren Druckfassung er im März 1835 an seinen Jugendfreund Franz Kugler sandte. 9 Auch Franz Kugler reagierte rasch auf die Publikation und stellte die Briefe
1834 in der von ihm redigierten Zeitschrift Museum.
Blätter
für
Niederländischen
bildende
Kunst
aus-
führlich vor. Gleich im ersten Satz betonte er, dass er Schnaases Buch f ü r „eine der bedeutendsten Erscheinungen, welche die Wissenschaft der Kunst in neuerer Zeit hervorgebracht hat", hielt. 10 So erscheinen auch die Scherze, die Kugler beim Kofferpacken vor der Rheinreise 1841 in den Sinn kamen, nicht als bedeutungsloser Einfall: Die Niederländischen
Briefe
hatten als Grundlagenwerk der Disziplin Kunstgeschichte für Kugler eine indiskutable Bedeutung gewonnen, so dass er gerade im Zuge der Konzeption einer eigenen streng systematischen Gesamtdarstellung des Faches - das Handbuch
der Kunstgeschichte
erschien wenige
Monate später - das Bedürfnis verspürte, sich mit dem fiktiven Briefwerk auseinanderzusetzen, um das gleichsam kein Weg vorbei führte. Das Buch des geschätzten Konkurrenten war
7 Vgl. die aktuelle Reprint-Edition: Karl Schnaase, Gesammelte Schriften, Bd. 1: Niederländische Briefe (Historia Scientiarum), hg. v. Henrik Karge, Hildesheim / Zürich / New York 2010 (im Druck), mit Einleitung und detailliertem Themenverzeichnis. Vgl. außerdem: Michael Podro, The critical historians of art, London / New Haven 1982, S. 31-43; Henrik Karge, Arbeitsteilung der Nationen. Karl Schnaases Entwurf eines historisch gewachsenen Systems der Künste, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 31, 1996, S. 295-306; ders., Karl Schnaases „Niederländische Briefe". Kunsttheorie in autobiographischer Fassung, in: Immermann-Jahrbuch 5, 2004, S. 121-135; ders., Artikel: Karl (auch Carl) Schnaase, Niederländische Briefe, in: Paul von NarediRainer (Hrsg.), Hauptwerke der Kunstgeschichtsschreibung, Stuttgart 2010, S. 399-403. 8 Karl Immermann, Düsseldorfer Anfänge. Maskengespräche, in: ders., Werke in fünf Bänden, hg. v. Benno von Wiese, Frankfurt am Main 1971-1977, Bd. 4, S. 549-651, hier S. 599. 9 Karl Rosenkranz, Das Verhältniß des Protestantismus zur bildenden Kunst, mit besonderer Rücksicht auf Schnaase's Niederländische Briefe. Rede, gehalten im Königsberger Kunstverein am 13. December 1834, in: Preußische Provinzialblätter 13, 1835, S. 113-132. Übersendung der Schrift erwähnt in Rosenkranz' Brief an Kugler vom 26. 3. 1835 (Joachim Butzlaff [Hrsg.], Karl Rosenkranz. Briefe 1827 bis 1850, Berlin / New York 1994 [Quellen und Studien zur Philosophie, 37], S. 92). Rosenkranz publizierte zudem eine Rezension in: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik 1835, Teil 2, Sp. 225-238. - Eine besonders intensive Nachfolge fand das Werk in seiner Funktion als Reisebuch: Johann Wilhelm Lobells Reisebriefe durch Belgien. Mit einigen Studien zur Politik, Geschichte und Kunst (Berlin 1837) orientieren sich außerordentlich eng an Schnaases Werk, und noch 1842 nahm Jacob Burckhardt die Niederländischen Briefe als Ausgangspunkt zu seinem andersartig konzipierten Frühwerk Kunstwerke der belgischen Städte (Düsseldorf 1842). 10 Franz Kugler, Niederländische Briefe von Karl Schnaase, in: Museum. Blätter für bildende Kunst 2, 1834, Nr. 50-52, S. 405-410, 413-417, 421-425, hier S. 405. Eine weitere wichtige Rezension veröffentlichte Ludwig Schorn in: Kunstblatt 16, 1835, Nr. 101-103, S. 421-431.
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für den selbsternannten Konquistador der neuen Wissenschaft" in symbolischer Hinsicht zu einer Belastung geworden. Um so größer muss die Befriedigung gewesen sein, als Schnaase 1843, zwei Jahre nach Kuglers Handbuch, den ersten Band seiner monumentalen Geschichte der bildenden Künste vorlegte - und das Werk dem ihm persönlich ja noch unbekannten Franz Kugler widmete, und zwar mit einem langen „Zueignungsschreiben als Vorrede".12 Nach einem Treffen mit Kugler schrieb der junge Jacob Burckhardt kurz darauf, im August 1843, in einem Brief an Gottfried Kinkel: „Auf den Schnaase bin ich doch höchst begierig. Kugler ist froh wie ein Kind, daß das Werk ihm dedicirt ist."13 So ist es nicht verwunderlich, dass Burckhardt seine frühen Baseler Vorlesungen zur Geschichte der Baukunst und der Malerei in den Jahren 1844-1846 ganz wesentlich auf den kunsthistorischen Handbüchern Kuglers wie auch Schnaases aufbaute und von letzterem auch die Niederländischen Briefe ausbeutete - die Adaptionen reichen bis zur wörtlichen Übernahme ganzer Textpassagen, allerdings ohne Nennung der Quellen. 14 Dafür hob Burckhardt die Bedeutung der beiden Autoren in seinem Artikel „Kunstgeschichte" in der 1845 erschienenen neunten Auflage des Brockhaus-Konversationslexikons ausdrücklich hervor, indem er allein diese mit dem neuen Konzept der „allgemeinen Kunstgeschichte" verband: Erst in der allerneuesten Zeit haben wir eine allgemeine Kunstgeschichte erhalten in Kugler's ,Handbuch der Kunstgeschichte' (Stuttgart 1842 fg.), welches das ungeheure Material in einer großen Übersichtlichkeit zusammenfaßt und den weltgeschichtlichen Epochen unterordnet. Eine Ergänzung derselben bildet Schnaase's ,Geschichte der bildenden Künste bei den Alten* (Bd. 1-3, Düsseldorf 1843-44), welche weniger auf vollständige Aufzählung, als auf tiefsinnige geschichts-philosophische Begründung der Stile und Übergänge gerichtet ist.15 Anknüpfend an Schnaases „Zueignungsschreiben" weist Burckhardt hier ausdrücklich auf die methodischen Unterschiede zwischen den Handbüchern Kuglers und Schnaases hin, die 11 Vgl. die Selbsteinschätzung des Autors im Vorwort des Handbuchs der Kunstgeschichte, siehe unten mit Anm. 33. 12 Karl (Carl) Schnaase, Geschichte der bildenden Künste, Bd. 1, Düsseldorf 1843, S. VII-XVI. 13 Brief Franz Kugler an Gottfried Kinkel vom 20.8. 1843. Jacob Burckhardt, Briefe. Vollständige und kritisch bearbeitete Ausgabe, 10 Bde. u. Gesamtregister, hg. v. Max Burckhardt, Basel 1949-1994, hier Bd. 2, Nr. 90, S. 35. 14 Dies näher ausgeführt in: Henrik Karge, „Die Kunst ist nicht das Maaß der Geschichte". Karl Schnaases Einfluß auf Jacob Burckhardt, in: Archiv für Kulturgeschichte 78, 1996, S. 393-431, bes. S. 402-411. 15 Jacob Burckhardt, Artikel „Kunstgeschichte", in: Allgemeine deutsche Real-Enzyklopädie für die gebildeten Stände. Conversations-Lexikon (Brockhaus), 9. Aufl., Bd. 8, Leipzig 1845, S. 435f., hier S. 436. Von großer Bewunderung für den Juristen und Kunstgelehrten zeugt auch Burckhardts Artikel „Schnaase" in Bd. 12 des Brockhaus (1847), S. 714f.
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seitdem zu den geläufigsten Deutungsmustern in der Geschichte der Kunstgeschichte zählen: Kuglers Versuch, das Material möglichst vollständig zu erfassen und morphologisch zu ordnen, steht Schnaases Bestreben gegenüber, die künstlerischen Stile und Prozesse geschichtsphilosophisch zu begründen. 16 Im Unterschied zu den meisten späteren Interpreten sieht Burckhardt hier jedoch zwei sich ergänzende Vorgehensweisen, und man darf behaupten, dass er in seinen späteren kunst- und kulturhistorischen Werken sowohl die methodischen Ansätze Kuglers als auch diejenigen Schnaases aufgegriffen und fortgeführt hat. ***
Der Blick auf die methodischen Differenzen zwischen den kunsthistorischen Handbüchern der zwei Konkurrenten verstellt rasch den Blick auf die gemeinsamen Grundlagen und Ziele.17 Dazu gehört in erster Linie das Streben nach Totalität in der Erfassung und Durchdringung des Gegenstandsbereichs der neuen kunsthistorischen Disziplin. In beiden Überblickswerken wird in diesem Sinne zum ersten Mal überhaupt der Versuch unternommen, die Kunstgeschichte durch die Einbeziehung der außereuropäischen Kulturen global auszulegen. Kugler war in dieser Hinsicht noch konsequenter als Schnaase, indem er auch die Monumente des präkolumbischen Amerika in seine universale Kunstgeschichte einbezog und diesen sogar einen höheren Entwicklungsstand als den frühen Artefakten aus Nordeuropa konzedierte. 18 Diese globale Erfassung des künstlerischen Materials ist sicher nicht ohne die Faszination für ferne, exotische Kulturräume zu verstehen, die für das 19. Jahrhundert, in dem die Entdeckungen der letzten unerforschten Winkel der Erde als Medienereignisse gefeiert wurden, so charakteristisch ist. Für das Streben nach Totalität in der Kunst-
16 Pointierung der methodischen Unterschiede bereits bei: Wilhelm Waetzoldt, Deutsche Kunsthistoriker, 2 Bde., Leipzig 1921-1924, hier Bd. 2, S. 7 0 - 9 2 , 1 4 3 - 1 7 2 , bes. 91f. Bis heute mangelt es allerdings an eingehenderen Vergleichen der Werke Schnaases und Kuglers. Interessante Ansätze dazu zeigt die jüngst erschienene Studie: Wolfgang Cortjaens, Modelllandschaft Rhein-Maas? Topographische und kulturpolitische Ordnungskriterien in der preußischen Kunstgeschichte des Vormärz. Karl Schnaase, Franz Kugler und Franz Mertens und die Konstruktion nationaler und regionaler ,Schulen', in: Wolfgang Cortjaens / Jan De Meyer / Tom Verschaffel (Hrsg.), Historism and Cultural Identity in the Rhine-Meuse Region: Tensions between Nationalism and Regionalism in the Nineteenth Century / Historismus und kulturelle Identität im Raum Rhein-Maas, Löwen (Leuven) 2008, S. 9 4 - 1 1 1 . 17 Darauf verweist auch: Regine Prange, Die Geburt der Kunstgeschichte. Philosophische Ästhetik und empirische Wissenschaft, Köln 2004, S. 145. 18 Vgl. Henrik Karge, Welt-Kunstgeschichte. Franz Kugler und die geographische Fundierung der Kunsthistoriographie in der Mitte des 19. Jahrhunderts, in: „Kunsttopographie". Theorie und Methode in der Kunstwissenschaft und Archäologie seit Winckelmann, hrsg. von der Winckelmann-Gesellschaft, Stendal, 2003, S. 19-31; ders., Die altamerikanische Kunst und der Kanon der klassischen Antike. Der „Neue Kontinent" in der Kunsthistoriographie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Herencias indígenas, tradiciones europeas y la mirada europea / Indigenes Erbe, europäische Traditionen und der europäische Blick (Ars Iberica et Americana 7), hrsg. von Helga von Kügelgen, Madrid /Frankfurt am Main 2002, S. 335-374 (zu Kugler S. 351-354).
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geschichte gibt es aber auch einen engeren wissenschaftsgeschichtlichen Kontext: die Parallelität der Gesamtdarstellungen in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen. In dieser Hinsicht sei nicht allein auf die Häufung dieser Wissenschaftssynthesen in den 1830er und 1840er Jahren verwiesen, sondern auch auf die möglichen Zusammenhänge mit den großen Systemdarstellungen in der spekulativen Philosophie, die kurz zuvor, in den Jahren um 1820-1830, ihren Höhepunkt erreicht hatten. Kaum zu überschätzen ist dabei die Wirkung der in verschiedene Einzelwissenschaften entfalteten Philosophie Hegels, 19 doch kann die allgemeine Konjunktur philosophischer Systementwürfe, die in der darauf folgenden Welle des Empirismus schärfster Kritik unterworfen wurden, 20 keineswegs allein auf diese eine Quelle zurückgeführt werden. 21 Als wichtige Persönlichkeit im Schnittfeld von Philosophie und Einzelwissenschaften erscheint der schon erwähnte Hegelschüler Karl Rosenkranz, der nicht allein Hegels Religionsphilosophie in Buchform herausbrachte, sondern 1832-1833 auch ein dreibändiges Handbuch einer allgemeinen Geschichte der Poesie publizierte.22 Mit Rosenkranz lässt sich der Empirieschub gut fassen, der die wissenschaftliche Produktion der Hegelschule in jenen Jahren von innen heraus verwandelte, ohne dass der Anspruch auf umfassende Synthesen der jeweiligen Fachgebiete aufgegeben wurde. So kritisierte Rosenkranz 1840 in seinen Kritischen Erläuterungen des Hegel'schen Systems die kunsthistorischen Defizite der von Heinrich Gustav Hotho kurz zuvor veröffentlichten Ästhetik seines Lehrers. 23 Besonders wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, dass Rosenkranz bereits 1835 - interessanterweise in einer Rezension der Niederländischen Briefe - das Ziel einer „allgemeinen Kunstgeschichte" vorgibt, zu dem seiner Ansicht nach die Werke Rumohrs und Schnaases hinführen würden. 24 Ebenso bemerkenswert ist die Forderung des Philosophen, dass die „systematische Ästhetik" sich an den Leistungen der „allgemeinen Kunstgeschichte" orientieren solle: „Wer wird sich nicht an der Ahnung entzücken, daß wir einst eine Aesthe19 Grundlegend dazu noch immer: Erich Rothacker, Einleitung in die Geisteswissenschaften, T ü bingen 1920, bes. S. 8-37. 20 Eine solche Kritik setzte auch innerhalb der Philosophie ein. Dies ist präzise dargestellt in: Klaus Christian Köhnke, Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus. Die deutsche Universitätsphilosophie zwischen Idealismus und Positivismus, Frankfurt am Main 1986, bes. S. 2 3 - 1 0 5 . 21 Auf dem Gebiet der Ästhetik etwa sei verwiesen auf: Karl W i l h e l m Ferdinand Solger, Vorlesungen über Ästhetik, hg. v. Karl W i l h e l m Ludwig Heyse, Leipzig 1829; Karl Friedrich Eusebius Trahndorff, Aesthetik oder Lehre von der Weltanschauung und Kunst, 2 Bde., Berlin 1827. 22 Karl Rosenkranz, Handbuch einer allgemeinen Geschichte der Poesie, 3 Teile, Halle an der Saale 1832-1833. Vgl. zu Rosenkranz: Eugen Japtok, Karl Rosenkranz als Literaturkritiker. Eine Studie über Hegelianismus und Dichtung, Diss. phil. Freiburg im Breisgau 1964; Heinz Boddin, Karl Rosenkranz als Literarhistoriker, unter besonderer Berücksichtigung seiner G o e t h e - und Diderotstudien, Diss. Berlin 1981. 23 Karl Rosenkranz, Kritische Erläuterungen des Hegel'schen Systems, Königsberg 1840 (Reprint Hildesheim 1963), S. 215: „Eben aus diesem G r u n d e ist nun Hegel auch mit der Geschichte der Kunst im Einzelnen nicht a u f s Reine gekommen [...]" 2 4 Rosenkranz 1835 (Rezension) (wie Anm. 9), Sp. 238. Es dürfte sich überhaupt um eine der frühesten Erwähnungen des Begriffs „allgemeine Kunstgeschichte" handeln.
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tik besitzen müssen, in der jedes Element so speculativ und historisch zugleich entwickelt wird, als Schnaase ζ. B. mit der Lehre vom Pfeilerabstand und Kreuzgewölbe gethan hat."25 Interessant ist Karl Rosenkranz in unserem Zusammenhang aber auch deshalb, weil ihn mit Franz Kugler seit einem gemeinsamen Studiensemester in Heidelberg (Sommer 1827) eine enge Freundschaft verband. Die erhaltenen Briefe an den Berliner Freund reflektieren nicht nur Rosenkranz' eigene Erfahrungen als populärer und entschieden liberal auftretender Universitätslehrer in Königsberg, 26 sondern auch indirekt Kuglers Lebensverhältnisse, seine persönlichen, beruflichen und wissenschaftlichen Pläne in höchst aufschlussreicher Weise. 27 Der Philosoph ging dem Kunsthistoriker in der Konzeption umfassender Handbücher zu einem Fachgebiet voraus, und es steht zu vermuten, dass selbst der Titel von Rosenkranz' Handbuch einer allgemeinen Geschichte der Poesie (1832/33) bei der Konzeption von Kuglers frühem Handbuch der Geschichte der Malerei (1837) Pate gestanden hat. 28 Nachdem er Letzteres von seinem Freund zugesandt bekommen hatte, schrieb Rosenkranz am 5. Juni 1837 voller Anerkennung: „Dein Buch ist für mich ein Werk, wie ich es mir lange gewünscht habe. Ich habe es mit auf das Land genommen, es recht ruhig auszuschmecken." 29 Aus der Erfahrung seiner eigenen Publikation heraus warnte er Kugler jedoch auch vor dem schwierigen Publikum, das jeder Handbuchautor zu erwarten hatte: Auch Du wirst von gewissen hochmütigen Kunstkennern, deren Kunstkniff am Ende darin besteht, immer anderer Meinung zu sein, als die ganze Welt, und sich dadurch ein vornehmes air zu geben, auch Du wirst von solchen tatlosen Allesbesserwissern hören müssen, daß Deine Arbeit eine Kompilation ohne eigenes Urteil sei. Die Narren! [...] Sie verdanken unserem Fleiß oft ihre Kenntnisse. [...] Doch Dir winken bessere Sterne. Dein Buch bezwingt das Vorurteil. 30 Schließlich hebt Rosenkranz das entscheidende Verdienst des Kuglerschen Malerei-Handbuchs hervor: „Aber Dein Buch müßte noch viel mehr anerkannt werden, denn es ist das erste in dieser Totalität,"31 Mit aller Deutlichkeit hat der Philosoph damit ein Ziel formuliert, das Kugler bei der Konzeption des Handbuchs der Kunstgeschichte wenige Jahre später sicher-
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Ebendort. Rosenkranz bezieht sich hierbei auf die berühmte Analyse des Antwerpener Doms im
achten der Niederländischen Briefe. 26 Dazu näher: Boddin 1981 (wie Anm. 22), S. 12-44. 27 Mehrere wichtige Briefe befinden sich im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Abt. Nachlässe, Allg. Sammlung. Glücklicherweise liegt seit einigen Jahren die wertvolle Edition der Rosenkranz-Briefe von Joachim Butzlaffvor: Butzlaff 1994 (wie Anm. 9). 28 Rosenkranz 1832-1833 (wie Anm. 22); Franz Kugler, Handbuch der Geschichte der Malerei seit Constantin dem Grossen, 2 Bde., Berlin 1837. Dieser Zusammenhang ist m. W. bislang nicht beobachtet worden. 29 Butzlaff 1994 (wie Anm. 9), S. 140. 30 Ebendort, S. 140f. 31 Ebendort, S. 141.
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lieh noch weit klarer vor Augen stand: als erster das Gegenstandsfeld der neuen Disziplin Kunstgeschichte in seiner Totalität zu erfassen. Bedenkt man Kuglers intensive Korrespondenz mit dem Hegelschüler Rosenkranz, so erscheint auch seine Übernahme der Epochenbegrifflichkeit - „classische" und „romantische Kunst" - aus Hegels Ästhetik in sein Handbuch der Kunstgeschichte nicht ganz so beiläufig, wie dies zuweilen behauptet wird. Zugleich muss man festhalten, dass die relativ schlichte Argumentationsweise Kuglers sich von dialektischen Modellen in der Art Hegels oder auch Schnaases doch recht grundsätzlich unterscheidet. 32 * * *
Im Handbuch der Kunstgeschichte herrscht stattdessen ein anderer, zuweilen geradezu militärischer Ton vor, mit dem sich Franz Kugler gleichsam auf den Feldherrnhügel in der Schlacht um die globale Kunstgeschichte versetzt: Das Ganze unsrer Wissenschaft ist noch gar jung, es ist ein Reich, mit dessen Eroberung wir noch eben erst beschäftigt sind, dessen Thäler und Wälder wir noch erst zu lichten, dessen wüste Steppen wir noch urbar zu machen haben; da wird noch die mannigfaltigste Thätigkeit für das Einzelne erfordert, da ist es schwer, oft fast unausführbar, ein behagliches geographisches Netz darüber zu legen und Provinzen, Bezirke, Kreise und Weichbilder mit säubern Farbenlinien von einander zu sondern. [...] Wenn wir auch noch viel, recht sehr viel in unsrer Wissenschaft zu thun haben, so liegt denn doch bereits eine so grosse Masse von Einzelheiten vor, dass für diese soviel Ordnung, als eben möglich ist, geschafft werden muss.33 Diese Worte zielten in erster Linie auf die schon erwähnte kunsthistoriografische Erschließung der Hochkulturen fremder Kontinente, insbesondere der frühen Kulturen Amerikas, Ägyptens, des vorderen Orients und Indiens, die Kugler erstmals in nahezu umfassender Weise in eine Gesamtdarstellung der Kunstgeschichte einbezog, die von den primitiven Anfängen der Kunst bis in die Gegenwart reichte. 34 Hinsichtlich der mittelalterlichen Kunst findet sich im Handbuch der Kunstgeschichte eine höchst materialreiche Zusammenstellung
32 In diesem Sinne auch: Hubert Locher, Kunstgeschichte als historische Theorie der Kunst, 1750— 1950, München 2001, S. 248f. 33 Kugler 1842 (wie Anm. 3), S. IX-X. 34 Siehe Anm. 18. Vgl. zum Handbuch der Kunstgeschichte auch: Dan Karlholm, Handböckernas konsthistoria. Om skapandet av „allmän konsthistoria" i Tyskland under 1800-talet, Stockholm 1996, bes. S. 62-64, 83-86, 102-110, 127-129; Locher 2001 (wie Anm. 32), S. 244-254; Prange 2004 (wie Anm. 17), S. 144-147; Henrik Karge, Zwischen Naturwissenschaft und Kulturgeschichte. Die Entfaltung des Systems der Epochenstile im 19. Jahrhundert, in: Bruno Klein / Bruno Boerner (Hrsg.), Stilfragen zur Kunst des Mittelalters. Eine Einführung, Berlin 2006, S. 47-50; Timo Niegsch, Artikel: Franz Theodor Kugler, Handbuch der Kunstgeschichte, in: Naredi-Rainer 2010 (wie Anm. 7), S. 261-265.
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der Bauten und Bildwerke der Länder Europas, und in einem vorgeschalteten Kapitel kommt auch die islamische Kunst zu ihrem Recht. Zwei etwa gleich starke Kapitel sind der „Kunst des romanischen Styles" und der „Kunst des germanischen Styles" gewidmet, unterteilt jeweils in einen großen Abschnitt zur Architektur und einen zur bildenden Kunst. 35 Die Feingliederung erfolgt jeweils leicht variierend nach Ländern und Einzelgattungen. Hinsichtlich der romanischen Architektur etwa reihen sich Abschnitte über Italien, Spanien, Frankreich, England, Deutschland und Skandinavien aneinander, und der Drang zur Vollständigkeitwird eindrucksvoll durch einige Zeilen zu den baulichen Zeugnissen der Wikinger auf Grönland und in Nordamerika unterstrichen. 36 Im Gotik-Kapitel („germanischer Styl") folgen nach einer Einführung in das neue architektonische System gemäß der nun erkannten Priorität der nordfranzösischen Gotik Abschnitte über Frankreich, die Niederlande, England, Deutschland, den Ostseeraum, Italien, Spanien und Portugal. 37 Kugler enthielt sich keineswegs einseitiger Wertungen, die noch in der nationalistischen Tradition der Verherrlichung der Gotik als „deutscher Baukunst" stehen: Der Kölner Dom gilt ihm „als das vollendetste Meisterwerk der germanischen Architektur - somit als das bewunderungswürdigste Werk aller Architektur". 38 Auf der anderen Seite wirkt allein schon die gleichmäßige Erfassung einer Vielzahl von Monumenten verschiedenster Epochen, Länder und Gattungen der wirkungsvollen Hervorhebung einzelner als vorbildhaft geltender Kunstwerke entgegen. Dies gilt in besonderem Maße für die Monumente der klassischen Antike, deren noch im frühen 19. Jahrhundert weitgehend unhinterfragte Kanonizität in einer Gesamtdarstellung der Kunstgeschichte, die die griechischen und römischen Werke zwischen der altindischen Kunst auf der einen und der frühchristlichen und islamischen Kunst auf der anderen Seite ansiedelt, förmlich untergeht. An die Stelle des normativen Kanons der antiken Baukunst und Skulptur bzw. der gotischen Architektur tritt nun ein neuer historiografischer Kanon, der die Abfolge etwa der mittelalterlichen Stile bis heute wirkungsvoll festgeschrieben hat. Das von Kugler durchgesetzte stilgeschichtliche Modell, das weitgehend dem rationalistischen Muster der französischen Architekturhistoriografie 39 folgt, bezieht seine Evidenz aus morphologischen Vergleichen, die wesentlich auf der Isolierung der jeweiligen Artefakte
35 Kugler 1842 zur „Kunst des romanischen Styles": S. 415-512; zur „Kunst des germanischen Styles": S. 513-620. 36 Kugler 1842 zur romanischen Architektur: S. 4 1 8 - 4 8 2 , zu den Monumenten in Skandinavien, Grönland und Nordamerika: S. 478-482. 37 Kugler 1842, S. 515-575. 38 Kugler 1842, S. 551. 39 Man denke an das von Arcisse de Caumont erstmals 1823 entwickelte taxonomische System der Stile, das in seinem Hauptwerk entfaltet wurde: Cours d'antiquités monumentales professé à Caen. Histoire de l'art dans l'ouest de la France depuis les temps les plus reculés jusqu'au XVII e siècle, 6 Bde., Paris / Caen 1830-1841 (Bd. 4, 1831: Moyen Age. Architecture religieuse). Vgl. dazu Jean Nayrolles, L'invention de l'art roman à l'époque moderne (XVIII e -XIX e siècles), Rennes 2005, S. 91-103.
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aus ihrem kulturellen Kontext basieren. 40 Ähnlich wie ein Zoologe Schmetterlinge nach ihren äußeren Merkmalen in Arten und Familien einteilt, stellt der Kunsthistoriker Reihen morphologisch vergleichbarer Objekte - seien dies nun ganze Kirchenbauten oder einzelne Dekorformen - zusammen, um daraus eine chronologische Folge abzuleiten. 41 Die von Kugler postulierte Orientierung der Kunstgeschichte am Leitbild der Naturwissenschaften, die durch das bekannte Empirie-Zitat Alexander von Humboldts in der zweiten Auflage des Malerei-Handbuchs 42 unterstrichen wird, führte in erster Linie zur nachhaltigen Legitimierung der Stilgeschichte. Aufgrund der visuellen Evidenz der Formanalysen und Formvergleiche errang diese um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Führungsstellung innerhalb der kunsthistorischen Methoden, die durch den Verweis auf die adaptierte Exaktheit der Naturwissenschaften stets aufs Neue begründet werden konnte. So erschien auch die von Kugler behauptete Abfolge von Stilen als ein Resultat „exakter" Wissenschaft, obwohl davon im Grunde keine Rede sein konnte. So ergab sich die paradoxe Situation, dass gerade die hochgradig subjektive und durch terminologische Zufälligkeiten geprägte Konstruktion des Systems von Epochenstilen durch den Verweis auf das Leitmodell der Naturwissenschaften in einem Maß kanonisiert worden ist, dass es noch heute als weitgehend unhinterfragte Verständigungsgrundlage nicht allein für Laien, sondern auch für Kunsthistoriker fungiert. 43 Mit den experimentellen Forschungen der Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts hat Kuglers morphologische Ordnung des kunsthistorischen Materials allerdings wenig gemein. Er orientierte sich vielmehr an der naturwissenschaftlichen Methodik früherer Jahrhunderte, am taxonomischen Modell etwa eines Carl von Linné, dessen Einteilung der Pflanzenwelt nach genetischen Gesichtspunkten in Arten, Familien etc. bei Kuglers Fein-
4 0 Entgegen der Aussage von Cortjaens 2 0 0 8 (wie Anm. 16), S. 102, kann m.E. kein Zweifel an der stilgeschichtlichen Ausrichtung der Kuglerschen Handbücher bestehen. 41 Das Denken in Naturanalogien konnte sogar so weit gehen, dass die „organische" Struktur gotischer Kirchenbauten durch den Verweis auf Parallelen in der T i e r - oder Pflanzenwelt erklärt wurde, so in: Johann Metzger, Gesetze der Pflanzen- und Mineralienbildung angewendet auf den altdeutschen Baustyl, Stuttgart 1835; dazu: Klaus Niehr, Gotikbilder - Gotiktheorien. Studien zur W a h r nehmung und Erforschung mittelalterlicher Architektur in Deutschland zwischen ca. 1750 und 1850, Berlin 1999, S. 191. Der Vergleich gotischer Baustrukturen mit dem Knochenbau von Tieren lässt sich sogar bis zu einer Bemerkung des französischen Brückenarchitekten Jean-Rodolphe Perronets aus dem Jahre 1770 zurückverfolgen; vgl. Philip Steadman, T h e evolution of designs. Biological analogy in architecture and the applied arts, Cambridge u. a. 1979, hier S. 4 1 - 4 3 . 42 Franz Kugler, Handbuch der Geschichte der Malerei seit Constantin dem Grossen, 2. Aufl., hg. v.Jacob Burckhardt, 2 Bde., Berlin 1847, Bd. 1, Vorsatz. 43 Merkwürdigerweise ist die Frühgeschichte der Stilgeschichte bislang so gut wie unerforscht geblieben. Dagegen gibt es inzwischen mehrere Studien, die sich dem Einfluss naturwissenschaftlicher Vorstellungen auf die Kunstgeschichte widmen, so z. B.: Steadman 1979 (wie Anm. 41); Niehr 1999 (wie Anm. 41); Karge 2 0 0 6 (wie Anm. 34); Henrik Karge, Anton Springer und Adolph Goldschmidt: Kunstgeschichte als exakte Wissenschaft?, in: G u n n a r Brands / Heinrich Dilly (Hrsg.), Adolph Goldschmidt ( 1 8 6 3 - 1 9 4 4 ) . Normal A r t History im 20. Jahrhundert, W e i m a r 2007, S. 131-145.
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einteilung der Kunstgeschichte Pate gestanden haben könnte.44 Das Defizit des Kuglerschen Modells der Kunstgeschichte besteht darin, dass er nur die äußeren Erscheinungen der Kunstwerke beschreibt und sie in Zusammenhänge einordnet, aber nicht die zugrunde liegenden Strukturen erforscht. Wie Michel Foucault gezeigt hat, beruht die mit den Werken des Biologen Georges Cuvier verbundene Revolution in den Naturwissenschaften aber gerade auf dem Paradigmenwechsel von der Erforschung morphologischer Erscheinungen zu derjenigen tieferer, visuell nicht erkennbarer Wirkmechanismen. 45 Kugler bleibt insofern der älteren Auffassung von Wissenschaft verpflichtet, als er - im Gegensatz zu dem auf kulturhistorische Tiefenstrukturen ausgerichteten Schnaase - auf die vielfältigen historischen und kulturellen Bedingungen der Kunstproduktion nur am Rande eingeht und eine Stilgeschichte der Kunst konstruiert, die als ein nahezu autonomes Gebilde erscheint. ***
In den Schriften Karl Schnaases wird die Stilgeschichte dagegen durch ein komplexeres Modell der Kunsthistoriografie ersetzt: Stil und Kulturepoche werden hier nicht als einfache Entsprechungen, sondern als dialektisch aufeinander bezogene Systeme in je eigener Gliederung aufgefasst. Besonders deutlich wird dies in den Mittelalterbänden der Geschichte der bildenden Künste, jenes gigantischen Unternehmens, das Schnaase mit der Publikation des ersten Bandes über die Kunst der alten Kulturen von Indien bis Ägypten im Jahre 1843 begann, in sieben Bänden bis 1864 aber nur bis ins europäische Spätmittelalter zu führen vermochte, da er sich in den folgenden Jahren der Neubearbeitung der bereits erschienenen Bände für eine zweite Auflage widmete (1879 erschien posthum noch der Band zur Kunst des 15. Jahrhunderts).46 Auch in seiner unvollendeten Gestalt dürfte Schnaases Hauptwerk mit über 4000 Seiten eine der umfangreichsten und zugleich die gedanklich komplexeste Kunstgeschichte geblieben sein, die ein Einzelner bis heute geschrieben hat. Ungewöhnlich
44 Weiterführend dazu: Wolf Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1978; Steadman 1979 (wie Anm. 41), S. 23ff. 45 Michel Foucault, Les mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines, Paris 1993, S. 275-292 ; Steadman 1979 (wie Anm. 41), S. 33-41. 46 Karl (Cari) Schnaase, Geschichte der bildenden Künste, 7 Bde., Düsseldorf 1843-1864; 2. Aufl.: 7 Bde., Stuttgart 1866-1876; Bd. 8, Stuttgart 1879. In die Neubearbeitung seines Werks für die 2. Auflage bezog Schnaase mehrere Kunsthistoriker der jüngeren Generation, wie Johann Rudolf Rahn und Alfred Woltmann, ein. Vgl. Karlholm 1996 (wie Anm. 34), bes. S. 110-116; Locher 2001 (wie Anm. 32), S. 238-240; Karge 2001 (wie Anm. 5), S. 9 6 - 1 0 0 ; Prange 2004 (wie Anm. 17), S. 137-144; Katharina Krause / Klaus Niehr / Eva-Maria Hanebutt-Benz (Hrsg.), Bilderlust und Lesefrüchte. Das illustrierte Kunstbuch von 1750 bis 1920, Leipzig 2005, S. 110-112; Karge 2006 (wie Anm. 34), S. 51-54; Henrik Karge, Artikel: Karl (auch Carl) Schnaase, Geschichte der bildenden Künste, in: Naredi-Rainer 2010 (wie Anm. 7), S. 394-399; ders., Stil und Epoche. Karl Schnaases dialektisches Modell der Kunstgeschichte, in: Sabine Frommel / Maurizio Ghelardi (Hrsg.), L'idea di stile nella storiografia artistica / L'idée du style dans l'historiographie artistique, Paris / Genf 2010 (im Druck).
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ist zudem die weit ausgreifende kunsttheoretische Einleitung seines Werks im ersten Band, in der Schnaase die philosophischen Grundlagen seiner Argumentation offenlegt. 47 Im Unterschied zu Kuglers kurz zuvor erschienenem Handbuch der Kunstgeschichte unternahm Schnaase mit der Geschichte der bildenden Künste den Versuch, jede Kunstepoche und jede fremde Kultur in ihrer historischen und weltanschaulichen Bedingtheit zu erfassen, um so die Kunstwerke in ihren jeweiligen Kontext einzuordnen. Dies erwies sich keineswegs als unproblematisch, und zwar nicht allein aufgrund der kaum zu bewältigenden Fülle an Quellenmaterial. Schnaase versuchte noch in den fremdesten Kulturen historische Tiefenstrukturen aufzuzeigen, was ihm in bezug auf die außereuropäischen Kulturen aufgrund mangelnder Spezialkenntnisse und von mancherlei Vorurteilen immer nur rudimentär gelingen konnte und stellenweise zu gravierenden Fehleinschätzungen führte. Ausgesprochen erfolgreich war seine Methode jedoch dort, wo er die historischen Zusammenhänge besser kannte, und dies war vor allem auf dem Gebiet der mittelalterlichen Kunst der Fall. Die einzelnen Bände werden mit ausgreifenden Betrachtungen zur historisch-kulturellen Situation der jeweiligen Epoche eingeleitet. So stehen am Anfang des sechsten Bandes über die „Spätzeit des Mittelalters" (1861) Abschnitte über den Verfall der großen Institutionen von Kirche und Staat, die Städte und das Fortleben des Rittertums, über Nominalismus und Realismus in der Wissenschaft, besonders ausführlich über die deutsche Mystik, aber auch über verschiedene Aspekte des weltlichen Lebens, wie Musik, Tracht, Bewaffnung, „Festlust" sowie Reisen und Pilgerfahrten. Darauf folgt eine systematische Darstellung der Architektur, Skulptur und Malerei in Mittel- und Westeuropa. Bewusst werden somit allgemeine kulturhistorische und spezifische kunsthistorische Zusammenhänge nebeneinander dargestellt, ohne dass allerdings eine enge argumentative Verknüpfung beider Bereiche angestrebt würde. Besonders innovativ ist die Periodisierung der mittelalterlichen Kunstgeschichte in der Geschichte der bildenden Künste·. Hier zeigt es sich, dass Schnaase die Kunstwerke nicht allein in bezug auf die Kultur, in der sie entstanden sind, betrachten will, sondern dass er auch eine epochenübergreifende Wirksamkeit künstlerischer Modelle annimmt. Damit kommt ein stilgeschichtliches Moment zum Tragen, das aber nur im Zusammenwirken mit den kulturellen Faktoren, zuweilen sogar im Kontrast zu diesen, zu begreifen ist. 48 Dieser dialektische Ansatz unterscheidet Schnaases Hauptwerk grundsätzlich von den zahlreichen stilgeschichtlich orientierten Darstellungen der Kunstgeschichte, die in der Nachfolge von Kuglers Handbuch der Kunstgeschichte bis in die jüngste Zeit erschienen sind. 49 Die Modernität des von Schnaase entwickelten Systems besteht unter anderem darin, dass nicht die gesamte Kunst- und Architekturhistorie einem generellen stilgeschichtlichen
47 Schnaase 1843-1864 (wie Anm. 46), Bd. 1 (1843), S. 3-96. 48 Das komplexe taxonomische Modell ist erläutert in der Einleitung der zweiten Abteilung des vierten Bandes unter der Uberschrift „Begrenzung und Epochen des Mittelalters". Schnaase 18431864 (wie Anm. 46), Bd. 4, Abt. 2 (1854), S. 3-7. 49 Dazu näher: Karge 2006 (wie Anm. 34), S. 54-56.
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Mainstream unterworfen wird, der nur gleichgerichtete Entwicklungen unterschiedlicher Geschwindigkeit kennt. Stattdessen vermag der vergleichende Blick auf unterschiedliche stilistische Phänomene innerhalb derselben historischen Epoche die Potenziale älterer künstlerischer Systeme aufzudecken, die durch die Mainstream-Entwicklung gleichsam verschüttet wurden. So erkennt er in der englischen Architektur des 12. Jahrhunderts ein strukturelles System, das sich im Sinne der späteren Renaissance hätte entwickeln können, was jedoch durch den Import der französischen Gotik unterbunden wurde.so Hier wird deutlich, dass Schnaase in der Kunst- und Architekturgeschichte die Herausbildung selbstbezüglicher Formsysteme beobachtet, die nur in einer sehr allgemeinen Weise unter die konventionellen Stilbegriffe subsummiert werden können. Diese Formsysteme können nur unter bestimmten kulturellen Bedingungen entstehen, entfalten dann aber eine gewisse Eigenexistenz, die nur ganz bestimmte gestalterische Fortentwicklungen erlaubt und sich gegenüber den Wandlungen des kulturellen Kontextes auch abzuschließen vermag. Interessant ist an diesen Überlegungen nicht allein die Aufdeckung teilautonomer Formsysteme, die in einem dialektischen Verhältnis zum kulturellen Umfeld stehen, sondern auch der Verzicht auf einen Determinismus künstlerischer Entwicklung, wie er die allgemeinen Vorstellungen bis heute beherrscht. Die mittelalterliche Architektur lief nach seiner Ansicht nicht zwangsläufig auf das System der französischen Gotik zu, sondern es gab im 12. Jahrhundert verschiedene strukturelle Optionen mit jeweils eigenen Entwicklungspotenzialen, die sich aufgrund äußerer Bedingungen jedoch nicht alle auf Dauer durchsetzen konnten. Dieser Gedanke war auch Franz Kugler nicht fremd, der im Handbuch der Kunstgeschichte die antikisierende Architektur der frühen Neuzeit überwiegend kritisch betrachtete und in der italienischen Baukunst der Frührenaissance ein Entwicklungspotenzial sah, das später verschüttet worden sei: An der Gränzscheide des romantischen Zeitalters stehend, weht auf sie noch ein frischerer Lebenshauch herüber, der ihnen ein eigenthümlich anziehendes Gepräge verleiht. Noch bemüht man sich, mit Selbständigkeit die klassischen Formen aufzufassen und diese mit besondrer Rücksicht auf das, von den antiken Gebäuden abweichende Ganze auszubilden, während sich später das Ganze vielmehr dem, als unabweisliches Prinzip aufgenommenen antiken Systeme fügen muss. Hätte die moderne Architektur diese Schritte des fünfzehnten Jahrhunderts verfolgt, hätte sie sich nicht durch die Regeln der antiken Schule blenden lassen, so würde sie sich ohne Zweifel zu einer eigenthümlicheren Schönheit entwickelt haben, als es der Fall gewesen ist.51 Diese Textstelle macht deutlich, dass nicht allein Schnaase, sondern auch Kugler eine zwanghaft deterministische Interpretation der Stilgeschichte fern lag. Der parallel entwikkelte Gedanke, in der Geschichte der Kunst auch nach Konzepten Ausschau zu halten, die 50 Schnaase 1843-1864 (wie Anm. 46), Bd. 5 (1856), S. 228-299, bes. S. 237-239. 51 Kugler 1842 (wie Anm. 3), S. 630. 96
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andere Entwicklungen als die tatsächlich erfolgten ermöglicht hätten, mag als Beispiel dafür dienen, dass die kunsthistoriografischen Auffassungen Schnaases und Kuglers trotz der evidenten methodischen Unterschiede auch wichtige Berührungspunkte aufweisen. *+*
Es muss eine eigenartige Situation gewesen sein, als Karl Schnaase nach einem für ihn höchst turbulenten Revolutions)ahr, das ihn in einer kurzen liberalen Phase beinahe auf den Posten des preußischen Justizministers gebracht hätte,' 2 im Spätjahr 1848 ins Berliner Obertribunal versetzt wurde und nun in das Wirkungsfeld seines kunsthistorischen Mitstreiters und Rivalen Franz Kugler eintrat. Jahrelang hatten beide wohl ohne jeden persönlichen Kontakt, aber im steten Bewusstsein der monumentalen Leistung des jeweils Anderen ihre wissenschaftlichen Werke aufgebaut, sich wohl auch etwas belauert, aber in ihren wechselseitigen programmatischen Rezensionen im Schornschen Kunstblatt doch auch eine beeindruckende Kultur der Höflichkeit in der intellektuellen Auseinandersetzung entfaltet, die eine eigene Darstellung verdienen würde.' 3 Diese Kultur konnte im unmittelbaren persönlichen Verkehr keine angemessene Fortsetzung erfahren, zumal nun die Unterschiede der Persönlichkeiten voll zum Tragen kamen: Dem bis zur Penetranz energischen Vollblutmenschen Kugler trat mit Schnaase ein Mann des Geistes gegenüber, der im Gespräch stets freundlich-zurückhaltend blieb, dessen argumentative Schärfe für Manche aber auch etwas Beängstigendes haben konnte, wie einem Nachruf zu entnehmen ist.' 4 Eine Äquivalenz zu dem literarisch-künstlerischen Wirkungskreis, den sich Schnaase in Düsseldorf aufgebaut hatte, konnte es in Berlin nicht mehr geben - schon aus dem Grund, weil Kugler dieses Feld völlig beherrschte und hier auch keinen Zweiten neben sich duldete. Allerdings vermochte Schnaase intensive persönliche Verbindungen zu jüngeren Kunsthistorikern aus dem Umfeld Kuglers - allen voran Friedrich Eggers und Wilhelm Lübke aufzubauen, die durch umfangreiche Korrespondenzen belegt sind und den Tod Kuglers im Jahre 1858 überdauerten. So reiste er 1858 zusammen mit Wilhelm Lübke und Carl von Lützow durch Oberitalien und unternahm in den folgenden Jahren noch weitere Reisen in Begleitung Lübkes. Zeitweise scheint sich Schnaase auch im „Tunnel über der Spree" be-
52 Schnaases politische Ansichten gehen aus einer Schrift aus dem Revolutionsjahr hervor: Karl Schnaase, Politischer Katechismus für das Volk, Düsseldorf 1848. Zum Hintergrund: Dietmar Niemann, Düsseldorf während der Revolution 1848/49. Dokumente - Erläuterungen - Darstellung, Münster 1983. Dass Schnaase in der Ministerliste Hermann v. Beckeraths figurierte, geht u.a. aus einem Brief Karl Rosenkranz' an Theodor v. Schön hervor: Butzlaff 1994 (wie Anm. 9), S. 378. 53 Einige dieser Besprechungen sind aufgenommen worden in die Anthologie: Werner Busch / Wolfgang Beyrodt (Hrsg.), Kunsttheorie und Malerei. Kunstwissenschaft (Kunsttheorie und Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Texte und Dokumente, Bd. 1), Stuttgart 1982, S. 323-337. 54 Alfred Woltmann, Karl Schnaase, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 1876, S. 194-208, hier S. 206f.
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wegt zu haben, denn er äußerte sich gegen Ende der 1850er Jahre mehrfach in vertrautem Ton über diesen renommierten Berliner Kreis von Literaten und Literaturliebhabern.55 Uber Schnaases Verhältnis zu diesem Zirkel gibt ein Brief Theodor Fontanes an den im Tunnel-Seitenzweig „Rütli" engagierten Wilhelm von Merckel (Tunnelname „Immermann") Auskunft, den er am 18. Februar 1858 von London aus schrieb: Hier bezeichnet Fontane den „Rütli", in dem Franz Kugler eine zentrale Rolle spielte, als einen inzwischen erstarrten Literatur- und Gesellschaftskreis, der sich unbedingt aus dem größeren Kreis des „Tunnel über der Spree" neue Mitglieder rekrutieren solle, damit wieder „Leben in die Bude" komme. Unter den Tunnel-Mitgliedern, die Fontane zur Aufnahme in den „Rütli" vorschlägt, befinden sich auch die Kunsthistoriker Schnaase und Lübke sowie der Schrifsteller Otto Roquette, die „alle drei zu gebrauchen sind".56 Schnaase revanchierte sich 1860 mit einem programmatischen Gutachten zur Finanzierung der Wanderungen durch die Mark Brandenburg, einem wertvollen Dokument auch für die neue kulturhistorische Ausrichtung des eigenen wissenschaftlichen Denkens.57 Letztlich hielt sich die Intensität des Berliner gesellschaftlichen Lebens für Karl Schnaase und seine Ehefrau Charlotte jedoch sehr in Grenzen, da beide sich mit chronischen Krankheiten plagten und deshalb abendliche Zusammenkünfte und gesellschaftliche Ereignisse - die Tummelplätze Kuglers - weitgehend mieden.58 Dennoch trafen beide Kunsthistoriker in den 1850er Jahren bei verschiedenen Gelegenheiten aufeinander und begegneten sich - nach allem, was die auffallend spärlichen Quellen hergeben - stets mit freundlichem Respekt. Positiv wirkte sich aus, dass Kugler und Schnaase in politischen und wissenschaftlichen Grundfragen weitgehend übereinstimmten und deshalb zusammen mit dem jüngeren Wilhelm Lübke als „Berliner Schule der Kunstgeschichte" wahrgenommen wurden. Verbindend wirkte etwa der gemeinsame Kampf ge55 So bezeichnete Schnaase in einem Brief an Friedrich Eggers vom 8. Januar 1858 (Eggers-Nachlass in Kiel, Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek) Wilhelm Lübke mit dessen Tunnelnamen „Irus", was eine Vertrautheit mit den Vorgängen im „Tunnel über der Spree" bezeugt. Auch das unten genannte Gutachten für Fontane nimmt auf dessen mündliche Darlegungen im „Tunnel" Bezug, was auf die Anwesenheit Schnaases schließen lässt. 56 Theodor Fontane, Werke, Schriften und Briefe, hg. v. Walter Keitel und Helmuth Nürnberger, 22 Bde., München 1982-1997 (Hanser Fontane-Ausgabe), Abt. IV: Briefe, Bd. 1: 1833-1866, Nr. 290, S. 604-612, hier S. 607. Zum Hintergrund: Roland Berbig, Ascania oder Argo? Zur Geschichte des Rütli 1852-1854 und der Zusammenarbeit von Th. Fontane und F. Kugler, in: Theodor Fontane im literarischen Leben seiner Zeit. Beiträge zur Fontane Konferenz 1986, Berlin 1987, S. 107-133; ders., „[...] den langentbehrten Lafontaine wieder in seiner Mitte". Fontanes Rückkehr in den „Tunnel über der Spree" 1859/60, in: Fontane-Blätter 58, 1994, S. 43-61. 57 Dazu näher: Henrik Karge, Theodor Fontane und Karl Schnaase. Ein neugefundenes Gutachten beleuchtet die Anfänge der Wanderungen durch die Mark Brandenburg, in: Fontane-Blätter 67, 1999, S. 1-25; ders., Poesie und Wissenschaft. Fontane und die Kunstgeschichte, in: Claude Keisch / Peter-Klaus Schuster / Moritz Wullen (Hrsg.), Fontane und die bildende Kunst (Ausst.-Kat. Berlin, Nationalgalerie, 1998), Berlin 1998, S. 267-278. 58 Zu nennen ist immerhin die Mitwirkung im Verein für mittelalterliche Kunst, im Verein der Kunstfreunde im preußischen Staate und im Verein für religiöse Kunst in der evangelischen Kirche.
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gen August Reichensperger und das ultramontane Organ für christliche Kunst in Köln. So wandte sich Schnaase in einer Besprechung des Jahres 1858, in der er seinen Freund Lübke gegen Angriffe des Organs in Schutz nahm, ausdrücklich gegen die von der Kölner Zeitschrift verfochtene alleinige Orientierung der aktuellen Baukultur an der gotischen Architektur und plädierte für eine freie Entwicklung der Architektur. 3 ' Selbst innerhalb der Berliner Gelehrtenszene hatten sich Kugler und Schnaase gemeinsam der Angriffe des Architekturhistorikers Franz Mertens zu erwehren. Mertens hatte sich in den 1830er und 1840er Jahren große Verdienste um die Erforschung der gotischen Architektur erworben, da er der erste gewesen war, der die Anfänge der Gotik klar in der Ile-deFrance verortet hatte. 60 Die öffentliche Anerkennung für diese Entdeckung blieb jedoch weitgehend aus, und so steigerte sich Mertens in die Vorstellung hinein, dass die von Kugler und Schnaase publizierten Bücher im Wesentlichen auf der Aneignung seiner eigenen Forschungsergebnisse beruhten. Mertens' von pathologischer Selbstüberschätzung geprägte Attacken galten in erster Linie seinem Intimfeind Franz Kugler, doch auch Schnaase warf er vor, in seinen Mittelalterbänden Mertens' Forschungsergebnisse zu plagiieren: „Man begreift nicht, warum der Dr. Schnaase sich so beeilt, den Vorwurf eines so unverhüllten Plagiats zu verdienen [...] dass er durch einen ersten, vielleicht unüberlegten Fehltritt sich für immer an das Schicksal des Dr. Kugler geschmiedet hat."61 Schnaase und Kugler waren durch ihre gemeinsamen Studiengebiete wie durch ihre gemeinsamen Grundauffassungen tatsächlich aneinander geschmiedet, und so gab es trotz aller Gegensätze der Temperamente und Methoden doch wohl auch ein Band der Sympathie zwischen ihnen, wie einige spätere Zeugnisse erkennen lassen. So schrieb Schnaase am 12. Mai 1858 an den gemeinsamen Freund Friedrich Eggers, dass der frühe Tod Kuglers einen „schweren, nicht zu ersetzenden Verlust" bedeute. 62 Eine kleine Episode zeigt, dass die Erinnerung an den wissenschaftlichen Mitstreiter auch Jahre nach dem Tod noch lebendig 59 Karl (Carl) Schnaase, Archäologischer Rückblick auf das Jahr 1857, in: Deutsches Kunstblatt 9, 1858, S. 144-148, 170-175, bes. S. 147f. Entgegen Cortjaens 2008 (wie Anm. 16), S. 96f., ist trotz Schnaases Religiosität nicht die Nähe, sondern der Gegensatz zum Organ für christliche Kunst hervorzuheben. 60 Hervorzuheben besonders: Franz Mertens, Historische Uebersicht der bisherigen Abhandlungen über die Baukunst des Mittelalters, in: Museum 3, 1835, Nr. 15, 17, 23-26; Paris baugeschichtlich im Mittelalter, in: Allgemeine Bauzeitung 8, 1843, S. 159ff., 153ff.; fortgesetzt in: Die französische (gothische) Baurevolution, in: Allgemeine Bauzeitung 12, 1847, S. 62ff. Aktuelle Studien zu Mertens nun von Wolfgang Cortjaens: Der Berliner Bauforscher Franz Mertens, die Schule von Franzien und der Kölner Dom. Ein Beitrag zur Verwissenschaftlichung der Architekturhistoriographie in Deutschland und Frankreich um 1840, in: Kölner Domblatt 70, 2005, S. 201-236; Cortjaens 2008 (wie Anm. 16), S. 106-109. Die offenkundig krankhafte Entwicklung des späten Mertens wird hier jedoch weitgehend ausgeklammert. 61 Franz Mertens, Anhang zum „Vorwort zur Baukunst in Deutschland" vom 17. 12. 1851, abgedruckt in: ders., La Question de l'architecture du Moyen Age, Berlin 1858 (ohne durchgehende Paginierung). Schnaase reagierte in einer knappen „Entgegnung" nicht ohne einen Anflug von Humor: Deutsches Kunstblatt 3, 1852, Nr. 6, S. 50. 62 Eggers-Nachlass in der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek Kiel.
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blieb: Am 9. April 1864 sandte Schnaase eine frühe Studie Franz Kuglers über die Bilderhandschrift der Eneidt aus seinem Besitz als Leihgabe an einen unbekannten Briefpartner, legte aber besonderen Wert darauf, das kleine Werk wiederzubekommen, da es „den Beginn einer langjährigen Verbindung mit dem Verfasser" markiere und von ihm als „pretium affectionis" (Lohn der Zuneigung) betrachtet würde. 63 In Berlin wurden beide Kunsthistoriker letztlich in einer monumentalen Form der Memoria vereinigt, die vor wenigen Monaten am ursprünglichen Platz wiedererstanden ist. ***
Fast am Ende seines Lebens, im Jahre 1873, blickte Karl Schnaase in einem Sendschreiben an den in Wien veranstalteten 1. Kunstwissenschaftlichen Kongress noch einmal auf die Anfänge der wissenschaftlichen Kunstgeschichte zurück, die von ihm und Franz Kugler gemeinsam geprägt worden waren: Unsere Wissenschaft gehört im Vergleiche mit den älteren, auf langer Tradition beruhenden Disziplinen zu den jüngeren, neu hinzugekommenen. Die älteste Generation, die fast allein noch in mir ihre Vertretung findet, begann ihre Arbeiten vor etwa vierzig Jahren. In begeisterter Ueberzeugung von der Berechtigung dieser neuen Wissenschaft, die, wie es gewöhnlich geschieht, wenn die Zeit reif ist, fast gleichzeitig an verschiedenen Stellen und in verschiedenen Individuen erwachte, dachten wir nur daran, das Gebiet dieser Wissenschaft im Allgemeinen zu umgrenzen und die Nothwendigkeit ihrer Existenz darzuthun. Meine niederländischen Briefe' hatten gewissermassen den Zweck, als eine Einleitung in diese Wissenschaft zu dienen, in der sie, von der gegenwärtigen Kunst und von ästhetischen Anforderungen ausgehend und zu der Kunst der frühern Zeiten aufsteigend, den thatsächlichen Beweis der inneren Einheit der gesammten Kunstentwickelung führen sollte. Es war dies ein etwas dilettantisches, aber vielleicht nicht fruchtloses Bestreben.64 Schnaase sieht einen wesentlichen Unterschied zwischen der älteren und der jüngeren Generation in der Kunstgeschichte: „Wir legten vielleicht zu grosses Gewicht auf den Zusammenhang des Ganzen, während jetzt die Fülle des Einzelnen und kritische Unterscheidung stärker betont wird." Darin liegt für Schnaase „der notwendige Gang der Dinge", denn „es ist an der Zeit, das Einzelne kritisch zu sichten, sobald der Zusammenhang des Ganzen genügend festgestellt ist." In Kunst wie Geistesleben der Gegenwart fehlt ihm jedoch „die kühne, lebendige Regsamkeit der Phantasie. Unsere Zeit kennt kaum das andeutende, durch
63 Deutsche Staatsbibliothek Berlin, NL Schnaase 2 i 1834, acc. Darmst. 1920.122. 64 Karl (Carl) Schnaase, Grußadresse an die Teilnehmer des ersten Kunstwissenschaftlichen Kongresses, in: Mitteilungen des k.k. Osterreichischen Museums für Kunst und Industrie 8, 1873, Nr. 97, S. 449-451; neu ediert in: Busch / Beyrodt 1982 (wie Anm. 53), S. 356-361, hier S. 356.
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die entgegenkommende Einbildungskraft des Empfangenden belebte Wort, sie verlangt überall materielle, naturalistische oder urkundliche, greif- und messbare Wahrheit." 65 Die von ihm durchaus kritisch gesehene Konzentration auf empirische Spezialstudien hat Schnaase in seinen späten Jahren mit vollzogen, da ihm eine Rückkehr in die Zeit des Denkens in großen Zusammenhängen nicht mehr möglich schien. 66 Dagegen ist überliefert, dass Kugler in seinen letzten Jahren noch einmal von einer allumfassenden wissenschaftlichen Synthese aller Künste geträumt hatte 67 - hier erscheint noch einmal der Wunsch nach Totalität in der Wissenschaft, der bereits in Kuglers Korrespondenz der 1830er Jahre mit Karl Rosenkranz eine so wichtige Rolle gespielt hatte, nun allerdings in utopischer Ubersteigerung. 68 Wenn also die wissenschaftlichen Wege der beiden Hauptvertreter der „allgemeinen Kunstgeschichte" letztlich doch auseinander gingen, so wurden sie im Zuge der repräsentativen Vergegenwärtigung der „Berliner Schule" posthum vereint - in der Büstengalerie des Neuen Museums in Berlin (Abb. 2-3). 69 Der 1843-1855 nach Plänen Friedrich August Stülers errichtete Museumsbau erhielt ab ca. 1870 unter der Kolonnade der zu der ab 1867 gebauten Nationalgalerie ausgerichteten Ostfassade, eine Serie von Büsten auf Konsolen, die die Bedeutung Berlins auf den Gebieten der Kunstforschung und der Bildhauerei veranschaulichen sollten. Von den Porträts der Bildhauer August Kiss und Friedrich Drake eingefasst, zeigen die vier mittleren Büsten (von links nach rechts) die Kunstgelehrten Franz Kugler, Gustav Friedrich Waagen, Carl Schnaase und Aloys Hirt. Bei der Zerstörung des Neuen Museums 1945 wurden auch die Büsten schwer beschädigt und verschwanden für Jahrzehnte im Depot der Alten Nationalgalerie. Erst jüngst, im Zuge der Wiedereröffnung des rekonstruierten Neuen Museums im Jahre 2009 70 , wurden die nur leicht restaurierten 65 Ebendort, S. 358. 66 Dazu näher: Karge 2009 (wie Anm. 5); vgl. auch Karge 2007 (wie Anm. 43). Grundlagen bei Rothacker 1920 (wie Anm. 19), S. 130-207. 67 In der Allgemeinen Deutschen Biographie findet sich der Hinweis auf Kuglers Vorhaben der letzten Lebensjahre: „[...] plante er schon eine Geschichte aller Künste oder richtiger des gesammten ästhetischen Strebens in redenden und bildenden Künsten, in Historiographie, Philosophie und jeglicher Schriftstellerei." Robert Eitner, Artikel „Kugler, Franz Theodor", in: ADB, Bd. 17, Leipzig 1883, S. 307-315, hierS. 314. 68 Bereits am 15. April 1853 berichtete Kugler Emanuel Geibel von seinem Plan, „[...] meine Wissenschaft aufs Neue zu einer Totalsumme herauszuarbeiten". Rainer Hillenbrand (Hrsg.), Franz Kuglers Briefe an Emanuel Geibel, Frankfurt am Main / Berlin / Bern etc. 2001, S. 229. Siehe oben mit Anm. 31. Für die wertvollen Hinweise danke ich herzlich Frau Dr. Silke Walther, Karlsruhe. 69 Einzige eingehende Untersuchung zu diesem Thema: Bernhard Maaz / Jörg Trempler, Denkmalkultur zwischen Aufklärung, Romantik und Historismus. Die Skulpturen der Vorhalle im Alten Museum und im Säulengang vor dem Neuen Museum in Berlin, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins f ü r Kunstwissenschaft 56/57, 2002-2003, S. 211-254, bes. S. 243-248. 70 In den großen Publikationen zur Wiedereröffnung des Neuen Museums ist die Porträtgalerie im Säulengang weder thematisiert noch abgebildet worden. Genannt seien: Elke Blauert (Hrsg.), Neues Museum - Architektur, Sammlung, Geschichte, Berlin 2009; Oliver G. H a m m (Red.), Das Neue Museum Berlin: Konservieren, Restaurieren, Weiterbauen im Welterbe, Leipzig 2009; Carola Wedel
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(2) Porträtbüste Kuglers von Bernhard Afinger, u m 1870, neu angebracht a m alten Standort an der O s t w a n d des N e u e n M u s e u m s in Berlin (Fotografie A n d r e s Kilger)
Gelehrten- und Künstlerbüsten wieder an der Ostwand des Museumsbaus auf mittlerer Fensterhöhe angebracht. Von der Öffentlichkeit bislang so gut wie unbemerkt, steht die Rekonstruktion dieser Büstenserie 71 für einen Rückblick auf eine Epoche, in der die junge Disziplin Kunstgeschichte bereits eine erstaunliche Anerkennung erreicht hatte. Das „auf Kosten eines Privatcomites" von dem Bildhauer Bernhard Afinger 72 1870 oder kurz zuvor ausgeführte Porträt Kuglers (Abb. 2) bildete den Auftakt der „Serie mit den Büsten von Männern, die sich hervorragende Verdienste um die Kunst erworben haben".73 Während im Falle Kuglers wahrscheinlich eine lokale Berliner Gruppe - es ist naheliegend, hierbei an Mitglieder des „Tunnel über der Spree" zu denken - für die Anfertigung der Büste
(Hrsg.), Das Neue Museum - eine Ruine wird zum Juwel / The New Museum - a ruin becomes a jewel, Berlin 2009. 71 Die hier gezeigten Fotografien der Büstern Kuglers und Schnaases dürften die ersten publizierten Abbildungen der Porträts in ihrer wiedergewonnenen Position am Neuen Museum sein. Für die Anfertigung der Bilder im Februar 2010 danke ich sehr herzlich den Mitarbeitern der Alten Nationalgalerie in Berlin, insbesondere Stephan Helms und dem Fotografen Andres Kilger. 72 Die bereits von Wilhelm Waetzoldt vorgenommene Zuschreibung der Büste an Afinger wurde nachdrücklich bestätigt in: Maaz / Trempler 2002/03 (wie Anm. 69), S. 244 mit Anm. 137. Es ist unverständlich, warum die letztlich auf Fontane zurückgehende Fehlzuschreibung der Büste an Wilhelm Wolff noch in der neuesten Literatur zum Neuen Museum erscheint: Blauert 2009 (wie Anm. 70), S. 316 (Künstlerverzeichnis von Heiner Sommer). 73 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin, HA I, Rep. 89 Nr. 20474, fol. 2-3; zitiert nach: Maaz / Trempler 2002/03 (wie Anm. 69), S. 245.
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(3) Porträtbüste Schnaases von Joseph von Kopf, 1875, neu angebracht a m alten Standort an der O s t w a n d des Neuen M u s e u m s in Berlin (Fotografie A n c r e s Kilger)
verantwortlich war, ging im Fall des Schnaase-Porträts die Initiative von dem in Stuttgart lehrenden W i l h e l m Lübke aus, der im Namen „einer Anzahl Fachgenossen" handelte, um das Gedenken an den kurz zuvor verstorbenen Gelehrten wachzuhalten 74 - hier wird eine Unterstützung durch die Disziplin Kunstgeschichte auf überregionaler Ebene erkennbar. Noch im Todesjahr 1875 schuf der bekannte Bildhauer Joseph von Kopf die Porträtbüste (Abb. 3).7> Ihm kam dabei die Erinnerung an eine Begegnung im Jahre 1857 zustatten, als Schnaase den Künstler in seinem römischen Atelier besuchte. Der tiefe Eindruck, den die Erscheinung des Berliner Kunsthistorikers auf den Bildhauer ausübte - die Gesichtszüge erinnerten ihn „an die schönsten Köpfe der Renaissance, an die herrlichen Reliefe von Donatello" 76 - ist noch in dem posthum geschaffenen Bildnis zu spüren. 77
74 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin, H A I, Rep. 89 Nr. 20474, fol. 35; zitiert nach: Maaz / Trempler 2002/03 (wie Anm. 69), S. 245f. 75 Die Büste ist auf der rechten Seitenfläche bezeichnet: „J. KOPF ROMA, 1875". Insofern kann die Angabe „um 1875" bei M a a z / Trempler 2002/03 (wie Anm 69), S. 247, präzisiert werden. 76 Joseph von Kopf, Lebenserinnerungen eines Bildhauers, Stuttgart / Leipzig 1899, S. 140. Ein erster Verweis auf diese Stelle mit längeren Zitaten, die die Begeisterung des Künstlers über die Begegnung mit Schnaase zum Ausdruck bringen, findet sich in M a a z / Trempler 2002/03 (wie Anm. 69), S. 246. 77 Schnaase hatte seinerseits einen Artikel über Kopf verfasst: Joseph Kopf, in: (Augsburger) Allgemeine Zeitung 1866, Kr. 268, Beilage, S. 4400f.
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Auch wenn die Aufstellung der Büsten keinem zentral konzipierten Programm folgte, erweist sich die Anbringung der Porträts von Schnaase und Kugler am Neuen Museum 78 doch als überraschend sinnreich. Das System der universalen Kunstgeschichte, das diese zwei Gelehrten kurz nach 1840 mit ihren großen Überblickswerken erstmals etabliert hatten, fand im Berliner Neuen Museum als dem zentralen Ausstellungsort der historischen Weltkulturen - mit Sammlungen ägyptischer, griechischer und römischer Kunst, aber auch einer ethnographischen und einer nordischen Abteilung - eine weitgehende Spiegelung.79 Hartmut Dorgerloh spricht hier zu Recht vom „finalen Höhepunkt einer Museumsidee, die die größer werdende kulturelle und künstlerische Vielfalt der Welt in eine wissenschaftliche Ordnung und vermittelbare Systematik bringen wollte."80 In der von mancherlei Zufälligkeiten bestimmten Realität des Sammlungswesens81 ließ sich dieses Anliegen allerdings nicht in der gedanklichen Geschlossenheit und Komplexität verwirklichen, die die großen kunsthistorischen Werke Franz Kuglers und Karl Schnaases ausgezeichnet hatte.
78 Erwähnt sei, dass Schnaase sich 1859 in die Auseinandersetzungen um die bildnerische Ausstattung des Neuen Museums eingemischt hat. Der engagierte Protestant versuchte in einem Brief vom 7. Januar Wilhelm von Kaulbach davon zu überzeugen, im letzten Wandgemälde des Treppenhauszyklus auf die einseitige Hervorhebung der Reformation zugunsten einer angemessenen Darstellung der katholischen Renaissance zu verzichten. Bayerische Staatsbibliothek München, Kaulbach-Archiv VI, 6 a, Schnaase, K. 79 Dies ist freilich nicht losgelöst vom Alten Museum als dem O r t der europäischen Kunstgeschichte zu begreifen. 80 H a r t m u t Dorgerloh, Das Neue Museum. O r t und Ordnung der Weltkunst, in: Blauert 2009 (wie Anm. 70), S. 66-75, hier S. 74. Die von Dorgerloh genannte Parallele des Kosmos von Alexander von Humboldt lässt sich in mancherlei Hinsicht auch auf die Werke Kuglers und Schnaases beziehen. 81 Vgl. dazu: Astrid Bähr, Zwischen kulturgeschichtlicher Erhellung und räumlicher Enge. Die Sammlungen im Neuen Museum 1855-1939, in: Blauert 2009 (wie Anm. 70), S. 76-85.
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RELEKTÜRE
Adrian von Buttlar
Bis heute kommt keine Publikation über Karl Friedrich Schinkel ohne Zitate oder Referenzen aus bzw. auf Franz Kuglers Schinkelwürdigung aus, die zu Lebzeiten des Meisters 1838 in den Hallischen Jahrbüchern unter dem Titel „Karl Friedrich Schinkel. Eine Charakteristik" 1 und nach dessen Tod 1842 als aktualisierte selbständige Schrift mit dem Zusatz „in seiner künstlerischen Wirksamkeit" 2 erschienen ist. Sie wurde 1854 fast unverändert in Kuglers Kleine Schriften, Bd. III, aufgenommen. 3 In der etwa 150 Druckseiten des Oktavformats umfassenden Darstellung und Deutung wurde erstmals nicht nur die ganze Breite des SchinkePschen Schaffens umrissen, sondern auch sein künstlerisches Ethos und seine Leistung angesichts der spezifischen Herausforderungen seiner Epoche. Der anhaltende Rekurs auf wichtige Facetten des durch Kugler etablierten Schinkelbildes legt nahe, in einer Relektüre auf den Spuren von Leonore Koschnicks Kugler-Studie (1985)4 aus heutiger Sicht noch einmal detaillierter nach den diesbezüglichen Erkenntnisinteressen und -leistungen des Kunsthistorikers und Kunstkritikers Kugler zu fragen. Revolutionäre Funde und Umdeutungen sind dabei nicht zu erwarten, möglicherweise aber eine vertiefte Würdigung seines Urteils. Ich widme mich zunächst einer knappen formalen Analyse des Textes im Vergleich zu zwei anderen frühen Schinkel-Laudatoren, versuche dann die spezifischen Diskurse und Wertungen Kuglers beispielhaft herauszustellen, um schließ-
1 Franz Kugler, „Karl Friedrich Schinkel. Eine Charakteristik", in: Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst, 1 (1838), Nr. 197, Sp. 1569-1575; Nr. 198, Sp. 1577-1583; Nr. 199, Sp. 1585-1592; Nr. 200, Sp. 1593-1597; Nr. 201, Sp. 1601-1604; Nr. 202, Sp. 1609-1616; Nr. 205, Sp. 1633-1640; Nr. 206, Sp. 1644-1648; Nr. 207, Sp. 1655-1656. 2 Separatschrift: Franz Kugler, Karl Friedrich Schinkel. Eine Charakteristik seiner künstlerischen Wirksamkeit, Berlin 1842. 3 Franz Kugler, Kleine Schriften und Studien zur neueren Kunstgeschichte, Bd. 3, Stuttgart 1854, S. 305-362. 4 Leonore Koschnik, Franz Kugler (1808-1858) als Kunstkritiker und Kulturpolitiker, Diss. FU Berlin, Berlin 1985. Zu Schinkel und zur Schinkelschule vgl. S. 183-192.
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lieh den Stellenwert des Kugler'schen Schinkelbildes in fachgeschichtlicher Hinsicht zu verorten. Der Text, als Textsorte gesehen, steht in der Tradition der Vitenschreibung des von ihm hoch geschätzten Vasari, indem Kugler - im Gegensatz zu spezielleren Architekturkritiken, etwa von Johann Heinrich Wolff (1827/28) oder Alexis de Chateauneuf (1829)5 - Biographie, Geschichte, Werk und Wertung miteinander verknüpft und somit das Format einer kleinen, in sich abgeschlossenen Monographie beansprucht. In diese sind eigene frühere Beiträge, etwa aus der Zeitschrift Museum 6 , eingegangen. In der ersten Fassung von Kuglers Text stand Schinkel - der im folgenden Jahr 1839 zum Preußischen Oberbaudirektor ernannt wurde - noch im Zenit seines Schaffens. Eine gelegentliche Fortsetzung der Würdigung war somit durchaus denkbar, zumal der Text als Fortsetzungsfolge erschienen war. Einen anderen Charakter besitzt zwangsläufig die zweite Fassung, die als gebundener Separatdruck wenige Monate nach Schinkels Tod 1842, bereichert um ein Kupferstichporträt und ein handschriftliches Faksimile, bei Georg Gropius in Berlin publiziert wurde. Im Sinne eines Nachrufes auf eine der bedeutendsten Künstlerpersönlichkeiten der Gegenwart gewann die Ausgabe eine erhabenere historische und patriotische Bedeutung. Kugler hat in seinem Vorwort diesen Bedeutungszuwachs reflektiert, indem er explizit auf die Unmöglichkeit hinweist, dem gesteigerten Anspruch gerecht werden zu können, „das Bild des geschiedenen Meisters in seiner ganzen Eigenthümlichkeit, vornehmlich in dem Entwicklungsgang seines Innern, darzustellen ..." Dies müsse denjenigen vorbehalten bleiben, „welche ihm nahe genug standen, um ihn in der geheimen Werkstätte seines Schaffens zu beobachten, und denen er willig sein Inneres erschloss. Dann lässt sich's fast mit Zuversicht voraussetzen, dass es für solche Darstellung auch nicht an mancherlei schriftlichen Urkunden, Briefen und dergl. mangeln werde." Denn trotz aller Verehrung Schinkels, einiger Begegnungen und „vertraulicher Unterredungen" sowie eines knappen Briefaustauschs über die Wandbilder des Alten Museums, 7 stand Kugler „zu Schinkel nicht in einem näheren Verhältnisse", wie er betont. 8 Andererseits wird ihm die mangelhafte Quellenlage für eine umfassendere Beurteilung bewusst. Daraus folgt auch die als abschließende Bemerkung des Textes fungierende Mahnung, Schinkels Nachlass nicht zu zerstreuen, sondern durch die Einrichtung eines Schinkel-Museums in der Bauakademie der Nachwelt zugänglich zu machen - eine
5 Klaus Jan Philipp, ,„... denn wer wollte wohl einen Schinkel tadeln ...'. Kritik an Schinkel im frühen 19. Jahrhundert", in: Von Schinkel bis van de Velde. Architektur- und kunstgeschichtliche Beiträge vom Klassizismus bis zum Jugendstil - Festschrift für Dieter Dolgner zum 65. Geburtstag, hg. v. Angela Dolgner, Leonard Helten und Gotthart Voß, o. O. 2005, S. 127-140. 6 Vgl. die Liste der Kugler'schen Veröffentlichungen zur zeitgenössischen Kunst vor seinem Schinkelbeitrag, in: Koschnick 1985 (wie Anm. 4), S. 261-265. 7 Vgl. Brief Karl Friedrich Schinkels an Franz Kugler, 13. November 1832, in: Jörg Trempler, Das Wandbildprogramm von Karl Friedrich Schinkel - Altes Museum Berlin, Berlin 2001, S. 210. 8 Kugler 1842, zit. nach: Kugler 1854 (wie Anm. 3), S. 307 und 306.
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von Friedrich Wilhelm IV. aufgegriffene und von Peter Christian Beuth zügig umgesetzte Forderung, deren Realisierung in den Kleinen Schriften 1854 freudig festgestellt wird. 9 Mit der Eröffnung dieses Museums (1844) und der vierbändigen Publikation Aus Schinkels Nachlass des Schinkel-Schwiegersohnes Alfred von Wolzogen (1862-64) 10 wurde das geistige und theoretische Innenleben Schinkels, soweit es die Quellen verraten, sukzessive der Forschung erschlossen. Bis dahin war man quellenmäßig auf die Äußerungen und Beschreibungen in der ab 1819 erschienenen Folge ¿er Architektonischen Entwürfe ... und ab 1840 der Werke der höheren Baukunstu, auf wenige anderweitig publizierte Beiträge des Meisters sowie auf die Überlieferungen der ,oral history' angewiesen. Trotz der veränderten Funktion des Kugler-Textes beschränken sich die Abweichungen der Separatpublikation von 1842 im Wesentlichen auf die genannte Einleitung sowie auf „diejenigen Veränderungen und Zusätze [...], welche durch die seitdem veränderten Verhältnisse und durch die neuerlich herausgegebenen Werke Schinkel's nöthig waren."12 Es geht also lediglich um ergänzende Informationen zu Vita und Werdegang sowie Hinweise auf Fortführung und Fertigstellung bislang unvollendeter Werke bzw. deren neuerliche oder erstmalige Bekanntmachung. In der dritten Text-Fassung der Kleinen Schriften (1854) wird allerdings eine Passage ausgelassen, in der Kugler aus ästhetischer Sicht die Einführung des extrem flach geneigten „griechischen" Daches durch Schinkel und die Schinkelschule (die so genannten Dorn'schen Dächer: eine Erfindung der Eindeckung von flachgeneigten Dächern mit Dachpappe durch den Neustrelitzer Baumeister und Schinkelschüler Friedrich Wilhelm Buttel) in höchstem Maße gepriesen hatte.13 Angesichts des schon von Gustav Friedrich Waagen (1844) kritisch
9 Vgl. Kugler 1842, zit. nach: Kugler 1854 (wie Anm. 3), S. 362, und Anm. 1 über das Schinkelmuseum. 10 Aus Schinkels Nachlaß, Reisetagebücher, Briefe und Aphorismen. Mitgetheilt und mit einem Verzeichnis sämtlicher Werke Schinkel's versehen von Alfred Freiherr von Wolzogen, 3 Bde., Berlin 1862-1863, Bd. 4 (Katalog des künstlerischen Nachlasses), Berlin 1864, Reprint in 2 Bänden, Mittenwald 1981. 11 Karl Friedrich Schinkel, Sammlung Architektonischer Entwürfe enthaltend theils Werke welche ausgeführt sind, theils Gegenstände deren Ausführung beabsichtigt wird, 28 Hefte, Berlin 18191840, vollständiger Reprint nach der Ausgabe Potsdam 1866, Chicago 1981; ders., Werke der höheren Baukunst. Für die Ausführung erfunden und dargestellt [...], Bd. I: Entwurf zu einem Königspalaste auf der Akropolis zu Athen, Potsdam 1840-1843, Bd. 2: Orianda, Potsdam 1846-1849. 12 Kugler 1842, zit. nach: Kugler 1854 (wie Anm. 3), S. 306. 13 Kugler 1838 (wie Anm. 1), Spalte 1614: „[Die Dorn'schen Dächer] ... entfernen somit die unförmliche, alle Schönheit vernichtende Last der bisher üblichen Ziegeldächer, deren barbarische Erscheinung zu ertragen allein durch die Uebergewalt einer steten Gewöhnung möglich gemacht werden konnte. Es ist bekannt, daß diese Ziegeldächer es waren, die Winckelmann (den man das Auge der Schönheit genannt hat) aus der nordischen Heimath vertrieben, als er sie nach langer Trennung zu besuchen kam". Vgl. dazu „Praktische Erfahrungen über Dorn'sche Dächer nebst ausführlicher Beschreibung, Kostenberechnung und Zeichnung solcher Construktionen [...], Neuhardenberg 1842.
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angedeuteten „Dächerstreits"14, der jenseits der bauphysikalischen Frage nach den Vorteilen des altdeutschen Steil- und Spitzdaches schon damals zur ideologisierten Auseinandersetzung mutierte, verzichtete Kugler 1854 auf die Wiederholung seines Lobliedes. Betrachten wir nun den Aufbau seiner Schinkel-Würdigung und ihre thematischen Schwerpunkte etwas genauer: Nach dem genannten, einordnenden Vorwort zeichnet Kugler zunächst in einer - wie er einräumt - „sehr flüchtigen biographischen Skizze" den Lebensweg Schinkels nach: von Neuruppin über das Graue Kloster, sein Studium bei JaquesLouis David und Friedrich Gilly und die nachfolgende erste Italienreise 1803/04, seine berufliche Karriere bis hin zur Thronbesteigung des Hoffnungsträgers Friedrich Wilhelm IV. 1840 und zu dem schon unmittelbar darauf einsetzenden gesundheitlichen Verfall und tragischen Ende Schinkels. Dabei werden bereits erste entscheidende Charakterisierungen und Akzentuierungen gesetzt. Im zweiten Abschnitt fasst er „Schinkel's künstlerische Richtung im Allgemeinen" zusammen, indem er dessen „klassische Ausrichtung", seine Orientierung an den Formen und Harmonien der Griechen, namentlich der perikleischen Zeit - und mithin die zentrale Aufgabe, diese auf die Bauaufgaben und Bedürfnisse der Gegenwart anzuwenden - hervorhebt. Im Gegensatz dazu stünden Schinkels „romantische" Bestrebungen in Anlehnung an die mittelalterliche Architektur, die sich am reinsten in den Architekturgemälden und Theaterdekorationen, also bildhaft ausdrücke, zumal eine „unmittelbare Anwendung solcher Studien auf die Architektur selbst in seinen Werken nicht stattfindet]". 15 Die durchaus abwertend verstandene Dichotomie des Werkes in den „klassischen" und den „romantischen" Schinkel hat unter dem Primat des historischen Stilbegriffs16 seit dem 19. Jahrhundert das Schinkelbild nachhaltig geprägt. Allerdings habe Schinkel, fügt Kugler hinzu, sich auch bei den Werken und Entwürfen, die von ihm „in einem mittelalterlichen Baustyl begehrt wurden", bemüht, „diesen nicht minder nach den Principien der classischen Kunst umzubilden".17 Damit war ein bis heute wirksames, die Antithese einschließendes und differenzierendes Deutungsschema seiner Werke etabliert. Die Einteilung der Werke in solche im „antiken Architekturstyle" und in „Werke, vom antiken Architekturstyle abweichend"18 signalisiert jedoch eine schon auf den ersten Blick begrifflich unbefriedigende Kategorie, da unter 14 Gustav Friedrich Waagen, „Karl Friedrich Schinkel als Mensch und als Künstler", in: Berliner Kalender, 1844, S. 306-428, Reprint hg. und eingeleitet von Werner Gabler, Düsseldorf 1980, hier S. 407: „Bei den Dorn'schen Dächern, welche ungefähr um diese Zeit in Aufnahme kamen, ließ sich Schinkel von dem außerordentlich großen Vortheil, welchen dieselben durch die flachen Giebel in ästhetischer Hinsicht darboten, zu sehr bestechen, und brachte sie gleich bei verschiedenen größeren und kleineren Gebäuden in Anwendung [...] Unter allen Umständen haben die Dorn'schen Dächer viel beigetragen, das Vorurtheil, als ob unser Klima schlechterdings spitze Giebel erheische, zu zerstören, und den so ungleich schöneren flachen Giebeln mehr Eingang zu verschaffen." 15 Kugler 1842, zit. nach: Kugler 1854 (wie Anm. 3), S. 314 u. 325-327. 16 Vgl. Friedrich Piel: Der historische Stilbegriff und die Geschichtlichkeit der Kunst, in: Hermann Bauer/Lorenz Dittmann (Hg.), Probleme der Kunstwissenschaft I, Berlin 1963, S. 18-37. 17 Kugler 1842, zit. nach: Kugler 1854 (wie Anm. 3), S. 314-315. 18 Ebd., S. 315-324 bzw. 325-327.
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letztere alle Bauten subsumiert werden, die vage von den „klassischen" abweichen: sie reicht von dem gotisierenden Schloss Kurnik in Schlesien über Entwürfe, „die eine Verwandtschaft mit dem Baustyle der toskanischen Paläste des 15. Jahrhunderts aufweisen", bis zu dem Gebäude der „neuen Bauschule", deren wiederum „griechischer Geist" stark hervorgehoben wird. 19 Weiteren Spekulationen über „griechische" oder - wie Leo von Klenze es in einem unvollendeten Manuskript ausdrückte 20 - „nichtgriechische" Auffassungen entzieht Kugler den Boden, indem er nun einfach zur Kategorie der Bauaufgaben überwechselt und der umfassenden Gruppe von Bauprojekten und Entwürfen zum Kirchenbau ein eigenständiges Kapitel widmet, weil dieser - wie er bekennt - „durch den ehrwürdigen Gebrauch vieler Jahrtausende [...] als die höchste Aufgabe betrachtet werden muss."21 Tatsächlich stellt der Kirchenbau, wie Andreas Haus (2001) vermerkt, überraschenderweise insgesamt immer noch den umfänglichsten Werkkomplex in Schinkels Oeuvre dar.22 Noch deutlicher als in den bisher besprochenen Fallgruppen orientiert sich Kugler in seiner Darstellung an den in den „Architektonischen Entwürfen" publizierten Ansichten, Plänen und Beschreibungen und schließt die realisierten und mithin weniger idealen Kirchenbauten nur en passant mit ein. Die nüchternen Anforderungen des protestantischen Kirchenbaus in Preußen als Häuser für die Predigt („möglichst klein, möglichst viele Menschen fassend, möglichst bequeme Sitzplätze darbietend, möglichst berechnet auf die Gesetze der Akustik - und gewöhnlich auch, ich muss es hinzusetzen, möglichst wohlfeil ausführbar") befriedigen nach Kugler lediglich „Bedürfnisse, die [...] die Freiheit des Architekten oder vielmehr das Gesetz (das innerliche) der Kunst wesentlich beeinträchtigen." Deshalb gebe es unter Schinkels Entwürfen „nur wenig Kirchenpläne von einer die höchste Aufgabe erfüllenden Bedeutung." 23 Im nächsten Abschnitt geht Kugler auf eine andere, aber in der Wertehierarchie rapide aufholende Bauaufgabe, nämlich auf die monumentalen Denkmäler und Denkmalentwürfe Schinkels ein, die die enge Verbindung der tektonischen und plastischen Künste belegen und ein besonders greifbares Zeugnis des preußischen Patriotismus darstellen. Er betont die dominante „classische Behandlungsweise" 24 und widmet den überwiegenden Teil des Textes der Vorstellung der diversen Entwürfe für das Denkmal Friedrichs des Großen, wobei das Verhältnis von Architektur und Skulptur sowie von Idealität und Historizität umfassend reflektiert wird. Die im Zuge der Freiheitskriege an die Gotik anknüpfenden Projekte, namentlich das so genannte „eiserne Monument auf dem Kreuzberg" - damals noch ohne den 19 Ebd., S. 326. 20 Leo von Klenze, „Architektonische Erwiederungen [sie] und Erörterungen über Griechisches und Nichtgriechisches von einem Architekten", Manuskript ca. 1860 -1863, Klenzeana 1,9 (Bayerische Staatsbibliothek München, Handschriftenabteilung). 21 Kugler 1842, zit. nach: Kugler 1854 (wie Anm. 3), S. 327-333. 22 Andreas Haus, Karl Friedrich Schinkel als Künstler, München/Berlin 2001, S. 267-281, hier S. 280. 23 Kugler 1842, zit. nach: Kugler 18S4 (wie Anm. 3), S. 327. 24 Ebd., S. 334.
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1875-78 hinzugefügten Unterbau - überzeugten ihn hingegen weniger, da „Schinkel's Eigentümlichkeit in der mittelalterlichen Kunst nicht ihre ursprüngliche Heimat findet".25 Nach einem sehr knappen, zusammenfassenden Resümee der „architektonischen Prinzipien" Schinkels, das einen Ausblick auf die Weiterentwicklung der Schinkelschule einschließt, geht Kugler zu den „Entwürfen zu plastischen Arbeiten, zumeist für architektonische Zwecke" über.26 In diesem Abschnitt, der eindringlich die Einheit der bildenden Künste und der Architektur beschwört, arbeitet er Schinkels besondere Begabung für plastische, bildkünstlerische und nicht zuletzt bedeutsame ikonografische Erfindungen heraus - beispielsweise am Entwurf (1817/1819) des erst 1842-1846 ausgeführten Giebels für die Neue Wache. Besondere Aufmerksamkeit schenkt er auch den Programmzyklen der Reliefs der Bauakademie. Drei Kapitel sowie einen 1842 hinzugefügten Anhang widmet Kugler den Leistungen Schinkels als Maler in den Bereichen der Historischen Malerei, der Landschaftsmalerei und der Theaterdekoration: „Man ist nicht darauf vorbereitet, den Architekten auch in der freien bildenden Kunst als einen vollendeten Meister wiederzufinden", bemerkt er zu den ausführlich erläuterten Entwürfen für die Wandbilder des Museums, die ab 1828 entstanden waren.27 Jörg Trempler und Helmut Börsch-Supan28 haben in jüngster Zeit noch einmal auf die Bedeutung dieser Kuglerschen Charakterisierungen für die Schinkelrezeption, insbesondere hinsichtlich der Idealität der Bildgedanken hingewiesen, die - wie Kugler schreibt - nicht nur mit „den strengen Gesetzen der Architektur [...] in Ubereinstimmung" träten, sondern auch mit dem „allgemeinen Zweck des Museums, die unmittelbaren Zeugnisse des [...] Entwicklungsganges der menschlichen Cultur vor die Augen des Beschauers zu führen." 29 Kuglers Beschreibung (erste Fassung 1833 in „Museum"), die allerdings hinter den differenzierten Urteilen Waagens zurückbleibt, endet 1842 mit der freudigen Mitteilung, dass der König die Realisierung der Fresken in den Hallen des Museums, das bislang mit seinen noch „leeren, kalten Wänden fast den Eindruck einer Ruine" mache, befohlen habe.30 Eine andere Verbindung gehen Malerei und Architektur nach Kuglers Einschätzung in Schinkels Landschaftsgemälden ein, in denen „Baulichkeiten zum Hauptgegenstande" der landschaftlichen Darstellungen gemacht würden, wobei dieselben als „Denkmal der verschiedenen Entwicklungsperioden der Geschichte" dienten. Angeführt werden hier allerdings nur wenige Beispiele, etwa das Bildpaar der „Griechischen Stadt" mit Palast und Dioskurengruppe versus „Gotischer Dom über einer mittelalterlichen Stadt", die als Pendants in Schinkels Wohnung hingen.31 In den Theaterdekorationen, die Kugler 1855 noch einmal 25 Ebd., S. 338. 26 Ebd., S. 341-345. 27 Ebd.,S. 346-362, hier S. 347. 28 Trempler 2001 (wie Anm. 7); Helmut Börsch-Supan, Bild-Erfindungen München/Berlin 2007 (Karl Friedrich Schinkel. Lebenswerk, Bd. XX), S. 12f£, S. 488ff. 29 Kugler 1842, zit. nach: Kugler 1854 (wie Anm. 3), S. 347. 30 E b d , S. 349. 31 Ebd., S. 351.
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gesondert zum Thema seiner Schinkel-Rede im Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin machte 32 , gilt das gleiche Prinzip, entfernte Orte und Zeiten in einer dem Medium Oper und Schauspiel dienenden Funktion zu vergegenwärtigen. Im Sinne strenger archäologischer und historischer Erkenntnis spricht Kugler von „geistreichen Restaurationen" (wir würden heute wohl „Rekonstruktionen" sagen), die Schinkels „ausgebreitete Studien im Fache der schönen Baukunst" belegen. 33 Schließlich folgt noch ein kurzer Abschnitt zur angewandten Kunst, nämlich Schinkels „Einwirkung auf das Handwerk" 34 , die wesentlich zur „Bildung des Formensinns unserer Zeit beigetragen" und die „Kunstindustrie Berlins" maßgeblich gefördert habe, nicht zuletzt durch Publikation der prachtvollen „Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker". Hinzugefügt wurde dem Text 1842 ein von Schinkels Gönner Wilhelm Gropius bzw. dessen Sohn Carl beigesteuerter Anhang mit Katalogangaben über die perspektivisch-optischen Gemälde und Panoramen aus den Jahren der französischen Besatzungszeit, die gleichfalls eine dienende und kommerzielle Funktion erfüllten, zugleich aber durch ihre „Genialität in der Composition", ihre „lebensvolle Wahrheit" und „höchst poesiereiche Durchführung" zu den „merkwürdigsten und eigenthümlichsten Leistungen, welche die Kunst in solcher Art jemals hervorgebracht hat, gezählt werden müssen."35 Der Aufbau der Kugler-Würdigung zeigt eine klare, auch quantitativ ausgeglichene und aussagekräftige Systematik, die letztendlich auf die Verdeutlichung des harmonischen Zusammenwirkens aller Künste zielt. Nach den Zerfallsprozessen des 18. Jahrhunderts werde durch Schinkel, so wird uns von Kugler suggeriert, die vielfach beklagte Separierung und Aufspaltung der Künste in autonome Kunstgattungen und Spezialistentum überwunden, indem sein ganzheitliches, vom Städtebau bis zum kunsthandwerklichen Detail reichendes künstlerisches Denken, Empfinden und Gestalten besonders betont wird. Die Architektur verband sich im System der Künste um 1800 theoretisch aufs innigste mit der Skulptur, indem beide zu den „plastischen Künsten" gezählt werden. 36 Beide Gattungen kulminieren in der zentralen Aufgabe des monumentalen Denkmals, das nun bei Schinkel der nominell noch immer höchsten aber faktisch dahinsiechenden Bauaufgabe, dem Kirchenbau, den Rang abzulaufen droht. Dieser klassizistischen Sichtweise wird durch Kuglers besondere Betonung und argumentative Integration des malerischen Talentes Schinkels eine neue „romantische Komponente"37 hinzugefügt, die weitreichende Bedeutung, insbesondere für das
32 Franz Kugler, „Die Dekorationsmalerei der Bühne und Schinkels Entwürfe", in: Deutsches Kunstblatt, 6 (1855), S. 101-105. 33 Kugler 1842, zit. nach: Kugler 1854 (wie Anm. 3), S. 353. 34 Ebd., S. 354. 35 Ebd., S. 362. 36 „Die anorgische Kunstform oder die Musik in der Plastik ist die Architektur" (F. W. J. Schelling, Philosophie der Kunst, § 107), zit. nach: ders., Werke, hg. v. Manfred Schröter, München 1927-1959, 3. Erg. Bd. (I960 2 ), S. 223. Vgl. Hermann Bauer, „Architektur als Kunst. Von der Größe der idealistischen Architektur-Ästhetik und ihrem Verfall", in: Bauer/Dittman 1963 (wie Anm. 16), S. 133-171. 37 Haus 2001 (wie Anm. 22), S. 91.
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Verhältnis die Inversion der künstlerischen Gattungen und deren Rolle bei der Konstitution des modernen Gesamtkunstwerks gewinnen sollte: Erstens wird - etwa in der Vorhalle des Alten Museums - in Anlehnung an das altgriechische Vorbild der Stoa Poikile in Athen neben der Plastik auch die Malerei wieder zum sinngebenden Gestaltungselement der Öffentlichen Architektur. In diesem Zusammenhang ist auch die damals aktuelle Polychromie-Diskussion - der neuerliche Einzug der Vielfarbigkeit in die Baukunst- zu reflektieren, an dem sich Kugler und auch Schinkel maßgeblich beteiligten. Zum zweiten stellt Schinkels malerische Sichtweise auf Architektur dominante Ordnungsprinzipien der klassischen vitruvianischen Tradition in Frage, etwa die Symmetrie der Baukörperkomposition und ihren städtebaulichen Rahmen, den geometrisch organisierten Achsenraum, der von Schinkel durch eine malerische, stadtlandschaftliche Auffassung ersetzt wird. Nicht zuletzt macht die bildhafte Rezeption historischer Architektur im anbrechenden Historismus die historischen Stile zum Medium der Architekturikonographie - ein Verfahren, das in den Bühnendekorationen und in den Staffagen und Szenen der Landschaftsgärten des 18. Jahrhunderts erprobt worden war. Freilich bleibt Schinkel nie bei der abbildenden Nachahmung historischer Leitbilder und bei der malerischen Auflösung des Objektes stehen, sondern betont im Gegenteil stets deren organische Transformation in eine ganzheitlich definierte und konstruierte zeitgemäße Architektur: „Die freie Beweglichkeit seiner Phantasie hätte sich vielleicht, wäre er statt solcher Beschäftigungen [als Malerkünstler] gleich von strengeren Berufsarbeiten in Anspruch genommen worden, minder glänzend entwickelt. Und es ist fast wunderbar, dass er sich dennoch eine so gemessene Strenge des architektonischen Systems bewahrt hat, wie aus all seinen späteren Werken ersichtlich wird." 38 Bevor wir auf diese zukunftsweisenden Komponenten des Kuglerschen Schinkelbildes zurückkommen, möchte ich kurz auf zwei zeitnahe Schinkelwürdigungen eingehen, die uns als Kontrastfolie zu Kuglers Sicht dienen können. Gegen Kuglers Sicht argumentiert der 1804 geborene Philosoph und Schriftsteller Otto Friedrich Gruppe 39 , Feuilleton-Redakteur der Allgemeinen Preußischen Staatszeitung, Mitarbeiter im Ministerium für geistliche Angelegenheiten und ab 1844 außerplanmäßiger Professor an der Berliner Universität, dessen umfangreicher Nachruf 1842 in der Allgemeinen Bauzeitung erschienen ist. 40 Ausgerechnet er liefert - Schinkels malerische Leistungen fast gänzlich ignorierend - die strengste Reduktion des Schinkelschen Œuvres auf die Architektur und die sie leitenden konstruktiven Prinzipien, wobei er die Herausforderungen der Gegenwart und die Innovationskraft Schinkels in ausführlichen Analysen, hauptsächlich anhand der gebauten Werke, herausarbeitet. So widmet er beispielsweise eine längere Passage Schinkels Wiederbelebung des Backstein-
38 Kugler 1842, zit. nach: Kugler 1854 (wie Anm. 3), S. 310. 39 Vgl. Meyers Konversations-Lexikon, Bd. 7, Leipzig 1889, S. 877f. 40 Otto Friedrich Gruppe, „Karl Friedrich Schinkel", in: Allgemeine Bauzeitung, 1842, S. 147-170 u. S. 275-286.
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baus an der Friedrichs-Werderschen Kirche, die sich im Geiste der von Material und Konstruktion bestimmten Tektonik-Debatte den historischen Stilkategorien eher entzieht. 41 Gruppes These, dass Schinkels Uberwindung der überkommenen Typologien und stilistischen Vorbilder im Sinne einer „Stilsynthese" 42 Kuglers unglückliche Dichothomie in antikische und gotische Werke außer Kraft setzt, ist zwar heute allgemein akzeptiert, bleibt aber ihrerseits insofern einseitig, als sie den von Kugler postulierten universalen und komplexen künstlerischen Anspruch Schinkels wieder aus den Augen verliert. Schinkels hauptsächliches Verdienst sei, „daß er in einer eklektischen Zeit kein Eklektiker war... Er ging von den Griechen aus, er ist aber nicht bei den Griechen geblieben." 43 Vergleicht man Kuglers „Schinkel" mit dem zwei Jahre später erschienenen Beitrag von Gustav Friedrich Waagen, der zuerst unter dem Titel „Karl Friedrich Schinkel als Mensch und als Künstler" im Berliner Kalender von 1844 publiziert wurde 44 , so werden in der Annäherung an die Person Schinkels und in der Sache lediglich unterschiedliche Akzentsetzungen deutlich. Der dreizehn Jahre jüngere Waagen gehörte als von Schinkel eingeladener und sogar finanziell unterstützter Begleiter auf der zweiten Italienreise 1824 zu jenem engeren Kreis vertrauterer Freunde des Meisters, von denen Kugler sich Aussagen zu Schinkels „innerer Entwicklung" erhofft hatte. 45 Die einfühlsame biografische Charakteristik Schinkels ist bei Waagen in der Tat stark ausgeweitet und vertieft. Doch wird sein methodischer Ansatz eines streng chronologisch geordneten Lebens- und Werkberichtes zur Falle, weil übergeordnete Aussagen nur mühsam aus dem stetigen Themen- und Szenenwechsel des Textes herauszufiltern sind. Dominant ist zweifellos Schinkels Rolle in Hinsicht auf die Bildenden Künste dargestellt. Waagen, der 1822 mit der ersten großen Arbeit über Hubert und Jan van Eyck hervorgetreten war, blieb ein Fachwissenschaftler im Reich der Malerei, der sich als Mitarbeiter beim Bau des Berliner Museums und ab 1830 als Galeriedirektor nicht ohne Sympathie, aber in erster Linie funktionsbezogen mit Schinkels Architektur auseinandersetzte. Er habe sich auf keine Details „bei der Beurtheilung seiner Bauwerke eingelassen, welches ohnehin mehr die Sache der Architekten vom Fach ist", erläutert Waagen, der zeitlebens keine Zeile zur Architekturgeschichte veröffentlichte, und beruft sich
41 Ebd., S. 164. Vgl. Die Begründung des „Rundbogenstils" durch Heinrich Hübsch, In welchem Style sollen wir bauen?, Karlsruhe 1828, und dessen Abgrenzung der griechischen von der römischen Bauweise, in: ders., Vertheidigung der griechischen Architektur gegen A. Hirt, Heidelberg 1824. 42 Ebd., S. 152 u. 284. Vgl. Norbert Knopp, „Schinkels Idee einer Stilynthese", in: Beiträge zum Problem des Stilpluralismus, hg. v. Werner Hager und Norbert Knopp, München 1977 (Studien zur Kunst des 19.Jhs., Bd. 38), S. 245-253. 43 Gruppe 1842 (wie Anm. 40), S. 281. 44 Waagen 1844 (wie Anm. 14), S. 305-428, wieder abgedruckt in: Gustav Friedrich Waagen, Kleine Schriften, Stuttgart 1875, S. 297-381. 45 S. o. Anm. 8.
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diesbezüglich auf das Urteil des studierten Architekten Kugler. 46 Kugler folgend erkennt auch er Schinkels Modernität und Originalität vor allem in der Durchdringung der künstlerischen Gattungen Architektur und Malerei: „Er hat die Fesseln eines geistlosen, pedantischen Schulzwanges in der Architektur für immer zerbrochen; an deren Stelle zuerst die freie Anwendung der Principien und des Geschmacks echt-griechischer Architektur auf unsere Verhältnisse eingeführt, und sie, was besonders charakteristisch für ihn ist, auf das Innigste mit einem malerischen Princip vermählt". 47 Gemessen an diesen beiden jüngeren Darstellungen, stellt Kugler schon quantitativ am ausgewogensten Schinkels Begabung in allen Künsten und die Spannweite seiner ganzheitlichen und praktischen künstlerischen Bestrebungen von der Ästhetik und Kunsttheorie über die Bildenden Künste und die Architektur bis zum Handwerk dar. Die Architektur wird bei Kugler nicht nur traditionell wie bei Waagen als Mutter von „Töchterkünsten" 48 definiert, sondern durch die Implementierung des Malerischen und Plastischen gleichsam selbst zur Bildenden Kunst erklärt. Zu diesem eher wertkonservativen, aus der älteren Kunstgeschichte abgeleiteten Künstlerbild eines „uomo universale", tritt als zweites ein historischer Entwicklungs- und Modernitätsdiskurs, der für uns noch heute Wesentliches an Schinkel aufdeckt: „Es war vornehmlich meine Absicht, die Stelle zu bezeichnen, welche Schinkel, seiner künstlerischen Thätigkeit gemäß, in dem allgemeinen kunsthistorischen Entwicklungsgange einnimmt." Schinkels auf die Moderne vorausweisender utopischer Anspruch, aus der profunden Verankerung in der Geschichte vorwärts schreitend das ganze Dasein durch künstlerische Gestaltung neu formen und veredeln zu können, wird in Kuglers Betrachtungsweise immer wieder spürbar, obwohl ihm zentrale Schinkel-Zitate aus Gutachten und Briefwechseln, die heute unsere stützenden Belege für eine solche Deutung darstellen, 1838 und 1842 noch nicht zur Verfügung standen. An einem einzigen Beispiel möchte ich dieser Deutungsperspektive Kuglers nachgehen: Warum beginnt Kugler seine Besprechung der Bauten „im antiken Styl" ausgerechnet mit dem 1834 kläglich gescheiterten und zudem 1838 noch unpublizierten „Entwurf eines Königsschlosses auf der Akropolis für König Otto von Griechenland", der unter Kennern als „romantischeste", aber vielleicht auch weltfremdeste Schöpfung Schinkels galt? Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen hatte diese kühne Idee für den Sitz des jungen Königs Otto von Griechenland, Sohn Ludwigs. I. von Bayern, 1833 angeregt. Schinkels bewundernder bayerischer Rivale Leo von Klenze hat dann den Entwurf im Sommer 1834 in Athen zu Fall gebracht und den Planungsauftrag für einen Bauplatz unterhalb des Burgberges selbst über-
46 Waagen 1844 (wie Anm. 14), S. 403. Lediglich sein Eingehen auf Schinkels Lehrbuchplanung und die mittlerweile zugänglichen Skizzen zu diesem Komplex einschließlich der idealen Residenz eines Fürsten stellen eine Ausweitung des Stoffes dar. 47 Ebd., S. 427. 48 Ebd., S. 312f.
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nommen (am Ende errichtete bekanntlich 1836-1839 Klenzes Konkurrent Friedrich von Gärtner das Athener Schloss am Syntagmaplatz). 49 Klar, dass Kugler hier - am Geburtsort der Griechischen Kunst - die größte Rechtfertigung ihrer modernen Wiedergeburt sieht. Zudem hatten Schinkels Originalblätter zumindest in künstlerisch-ästhetischer Hinsicht bereits legendäre Begeisterung hervorgerufen. Von Ludwig Ross erfahren wir, dass König Otto auch nach dem Scheitern des Projekts noch lange den Wunsch hegte, „die reizenden und durch harmonische Farbgebung noch anmutigeren Bilder wirklich ausgeführt zu sehen".50 Begeistert war auch Klenze: „Schinkel selbst hatte mir mehrere male darüber geschrieben und mich gebeten, ihm meine Meinung über den Entwurf [...] mitzuteilen [...] Ich erkannte darin die große Genialität des trefflichen Architekten, allein von vornherein die Unmöglichkeit einer Verwirklichung und Ausführung [...] Ich musste denselben auf der Akropolis selbst dem Könige erläutern. Der Styl, die Einzelheiten, die malerische höchst geschmackvolle Disposition waren der reinsten Antike würdig und unübertrefflich schön". Dann folgt das große Aber im Namen der „Realitäten": Klenze setzt mit seiner Kritik bei der angeblich technischen Unmöglichkeit an, auf der Akropolis das Leben eines modernen Hofstaates anzusiedeln, etwa hinsichtlich der Wasserversorgung, des unerträglich heißen Klimas, des steilen Aufstiegs und mühseligen Güterund Materialtransports. 51 Zwar steckte Schinkel in der Folge Klenze gegenüber rhetorisch zurück und bezeichnete seinen Entwurf selbst abwertend nur als „Gefälligkeitssache" und „schönen Traum" 52 , doch hatte er in seinen Erläuterungen zu den Plänen gerade die genannten natürlichen Hindernisse durch moderne Wissenschaft und Technik für überwindbar erklärt: beispielsweise durch Tiefbohrungen, unterirdische Druckwasserleitungen und durch von Dampfmaschinen getriebene Pumpen sowie durch den Bau einer bequemen Fahrstraße und die Anlage von schattigen Höfen und Gärten. 53 Auch wenn keiner der drei frühen Biographen explizit auf Schinkels Interesse an modernen technologischen Entwick49 Margarethe Kühn, Ausland - Bauten und Entwürfe, München/Berlin 1989 (Karl Friedrich Schinkel. Lebenswerk, Bd. XV), S. 3-45; Adrian von Buttlar, Leo von Klenze - Leben, Werk, Vision, München 1999, S. 342-356; Klaus Jan Philipp: Karl Friedrich Schinkel - Späte Projekte. Late Projects, Stuttgart/London 2000. Ein aquarellierter Plansatz befand sich in Berlin im Schinkelmuseum, heute Kunstbibliothek (z.T. Kriegsverlust), der zweite ging über München nach Athen und kam aus dem Nachlass König Ottos an die Staatliche Graphische Sammlung München (nicht vollständig). Ab 1840 erscheinen die lithographierten Blätter als „Werke der höheren Baukunst" nach den Berliner Vorlagen. Ferdinand von Quast hatte 1834 in Mittbeilungen über Alt- und Neu-Athen bzw. in Museum aber nur eine kurze Beschreibung und einen kleinen Grundriss veröffentlicht, worauf Kugler 1838 (wie Anm. 1), Sp. 1577, hinweist, während er 1842 eine ausführliche Fußnote zu den 12 Blättern der Werke der höheren Baukunst hinzufügt. 50 Ludwig Ross, Reisen des Königs Otto und der Königin Amalia, Bd. I, Halle 1848, S. 6. 51 Leo von Klenze, Memorabilien (Klenzeana 1/2, fol.59r und v, Bayerische Staatsbibliothek München/Handschriftenabteilung). 52 Brief Schinkels an Klenze, 20. November 1834 (Klenzeana XV, Bayerische Staatsbibliothek München/Handschriftenabteilung). 53 Vgl. Schinkel an Kronprinz Maximilian von Bayern, 9. Juni 1834 (Wittelsbachisches Geheimes Hausarchiv, Nachlass König Maximilians II, in: Kühn 1989 (wie Anm. 49), S. 5f.).
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hingen eingeht: Eine solche Adaption neuer Technik hatte Schinkel bereits 1825 unauffällig in seinem Gemälde „Blick in Griechenlands Blüte" (Kopie in Berlin, Alte Nationalgalerie) eingebracht, wo er den Tempelbau im Vordergrund mit der Darstellung einer maschinellen Hebebühne neuerer Bauart verbindet. Übrigens widerlegt auch Kugler die offizielle Lesart der „Undurchführbarkeit" durch seinen Verweis auf die mit ihren üppigen Gärten und Brunnenspielen auf einem Felsenberg errichtete, dem Schinkelprojekt verwandte mittelalterliche Alhambra von Granada 54 , die in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts durch die Erzählungen von Washington Irving und die entsprechenden Texte und malerischen Veduten von James C. Murphy, Alexandre Laborde, John Frederick Lewis, G. de Prangey und Owen Jones 55 große Popularität gewann und wahrscheinlich Schinkel inspiriert hatte, da dieser Verglich auch von Ferdinand von Quast 1834 gezogen wurde: „Ueberhaupt müssen wir den lieblichen Eindruck, den besonders die Anlage dieser Wohnung der Königin in uns erweckt, mit der Anmuth vergleichen, welche aus den ,ewig blühenden Mauern' der weiland stolzen Residenz der Könige Granada's zu uns spricht." 56 Unter ganz neuen technischen Rahmenbedingungen musste Ahnliches in Athen machbar sein. Schließlich fand Schinkel auch eine von Kugler und Gruppe57 extra angemerkte, äußerst modern gedachte Antwort auf die begrenzten finanziellen Mittel der jungen griechischen Monarchie: Seine neuartige malerische Disposition erlaube den Status sukzessiver Realisierung je nach Konsolidierung der Staatsfinanzen - ein Argument, das Schinkel gleichzeitig auch auf die malerische, alle finanziellen Vorgaben überschreitende Komposition von Schloss Babelsberg bei Potsdam anwendete und das Klenze für eigene Planungen von Museen in Athen und London aufgriff.58 Ein weiteres Argument für Kuglers Eröffnung mit dem Akropolis-Entwurf ist Schinkels nicht zuletzt durch den außergewöhnlichen Bauplatz und die Berücksichtigung des Klimas und mediterraner „Lebensweise" bedingte kompositorische Modernität im Sinne eines malerischen Klassizismus, der sich von der rigiden und als langweilig gebrandmarkten aka-
54 Kugler 1838 (wie Anm. 1), Sp. 1578. 55 Alexandre Laborde, Voyage pittoresque et historique de l'Espagne, Paris 1812; James C. Murphy, T h e Arabian Antiquities of Spain, London 1816; Plans, elevations, sections and details of the Alhambra: from drawings taken on the spot on 1834, by Jules Goury and in 1834 und 1837 by Owen Jones. With a complete translat. of the Arabic inscriptions ..., 2 Bde., London 1842-1845. 56 Ferdinand von Quast, Mittheilungen aus Alt und Neu Athen, Berlin 1834, S. 40. Auch Schinkels Gartenanlagen von „Orianda" lehnten sich an die des „Generalife" von Granada an. Vgl. Klaus-Jan Philipp 2000 (wie Anm. 49), S. 63f. u. S. 88. Zur nachfolgenden „maurischen" Rezeption der Schinkelschule vgl. Uta Caspary, „Maurische Architektur in Berlin und Brandenburg im 19. Jahrhundert", in: Brandenburgische Denkmalpflege 15(2006/2), S. 5-15. 57 Kugler 1838 (wie Anm. 1), Sp. 1578; Gruppe 1842 (wie Anm. 40), S. 279. 58 Schinkel an Kronprinz Maximilian von Bayern, 9. Juni 1834 (wie Anm. 53); Schinkel, in: Architektonische Entwürfe, 26 (1838), No. 162. Klenze griff den Gedanken des ,work in progress' umgehend für seinen Plan eines Akropolismuseums (1838) und später für seine Vorschläge zu einem neuen Britischen Nationalmuseum im Londoner Hyde-Park (1854) auf (vgl. Buttlar 1999 (wie Anm. 49), S. 357 u. 366).
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demischen Symmetrie der Beaux-Arts-Tradition absetzte: „... auch in ganz neuer und eigent ü m l i c h e r Zusammenstellung führt er uns diese Formen vor, ganz neue und eigenthümliche Compositionen lässt er aus dem inneren Geiste der antiken Kunst sich mit vollkommener Freiheit entwickeln." 59 Schinkel selbst hatte schon in einem vorausgehenden Brief an Kronprinz Maximilian auf die Frage nach einem Ideal in der Baukunst, namentlich im Hinblick auf Griechenland, die „lang abgenutzten neuitalienischen und neufranzösischen Maximen" gegeißelt, „worin besonders ein Mißverstand in dem Begriff von Symmetrie soviel Heuchelei und Langeweile erzeugt hat und eine ertödtende Herrschaft errang". 60 Und für den Entwurf selbst erläutert er, dass die verschiedenen Teile „mit Gartenanlagen mannigfaltig gemischt, sich mehr in malerischer Gruppierung den antiken Anlagen und unregelmäßigen Formen der alten Burg anschließen], als dass die ganze neue Anlage mit der alten in einem modern präteniösen Contrast" auftrete. 61 Diese „alte" (akademische) Moderne gerät mithin in Verruf und wird durch eine neue (romantische) Moderne abgelöst. Die durch Klima und Sitte bestimmte mediterrane Lebensweise, die nicht nur den neuen fürstlichen Wohnsitz, sondern auch die städtebauliche Neuordnung der Hauptstadt Athen insgesamt bestimmen sollte , wurde von den Zeitgenossen unter dem Aspekt der Opposition gegen das aufgezwungene zentraleuropäische Leitbild der geometrisch und symmetrisch geordneten Planstadt diskutiert. Gegen den von Eduard Schaubert und Stamatios Kleanthes 1833 vorgelegten spätabsolutistischen Grundriss der Neustadt (im Sinne der akademischen Moderne) propagierte Schinkels Gewährsmann Ferdinand von Quast in seinen „Mittheilungen aus Alt- und Neu-Athen 1834" eine malerisch sich dem Gelände anpassende „Hügelstadt" zwischen Areopag und Akropolis, die sich als Fortsetzung der gewachsenen Altstadt definierte. Mit der lockeren Asymmetrie des Schinkelschen Schlossentwurfs hätte sie sich harmonisch verbunden. 62 Von Klenze selbst, der sich daraufhin unverzüglich diese neue Argumentation für seine Athen-Planungen zu eigen machte, Schinkels freie Kompositionsweise übernahm und am Beispiel des Potsdamer Gärtnerhaus-Ensembles als Meisterstück moderner Transformation des Griechentums pries 63 , bis hin zu Margarethe Kühn, Eva Borsch-Supan und Barry Bergdoll, die auf diesbezügliche Einflüsse Schinkels auf die Moderne des 20. Jahrhunderts, etwa auf Frank Lloyd Wright, Peter Behrens und Mies van der Rohe hinwiesen, ist Schin-
59 Kugler 1842, zit. nach: Kugler 1854 (wie Anm. 3), S 312. 6 0 Schinkel an K r o n p r i n z Maximilian, 1833/34, zit. nach: Wolzogen 1 8 6 2 - 1 8 6 3 , Bd. 3, S. 335. 61 Schinkel an K r o n p r i n z Maximilian von Bayern, 9. Juni 1834 (wie A n m . 53). 62 Vgl. Alexander Papageorgiou-Venetas, Hauptstadt Athen - ein Stadtgedanke des Klassizismus, München/Berlin 1994, insbes. Kapitel 2 und 3. Klenze übernahm umgehend die Polemiken gegen die öde Langeweile des akademischen Städtebaus und die Begeisterung f ü r Schinkels malerische Kompositionsweise, indem er entsprechende Effekte in seine Planung des Athener Schloss- und Regierungsviertels übernahm und sich f ü r die Erhaltung der Athener Altstadt Plaka als Gelenkzone zwischen Neustadt und Akropolis einsetzte (vgl. Buttlar 1999 (wie A n m . 49), S. 358f.). 63 Vgl. Adrian von Buttlar, „Ein erstes feuriges Wollen" - Klenzes Verhältnis zu Schinkel, in: Aufsätze zur Kunstgeschichte. Festschrift f ü r Hermann Bauer zum 60. Geburtstag, hg. v. Karl Möseneder und Andreas Prater, Hildesheim/Zürich/New York 1991, S. 312f.
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kels malerischer Klassizismus als „Blick nach vorne" herausgestellt worden. 64 Und auch das damit verbundene, von Schinkel und von Kuglers Studienfreund Ferdinand von Quast 65 vertretene Städtebau-Ideal kann als Antizipation moderner malerischer und stadtlandschaftlicher Ideen verstanden werden. Weiterhin verbindet sich Schinkels malerischer Klassizismus mit der Einführung der Polychromie: die sparsame Anwendung farbiger Akzentuierungen der Architekturglieder im Akropolisentwurf folgt den Erkenntnissen diverser Archäologen und Architekten, die jedoch recht unterschiedliche Ziele mit ihren Forschungen verbanden. Während Gottfried Semper in seiner Publikation „Vorläufige Bemerkungen über bemalte Architektur und Plastik bei den Alten" (1834) radikale und weitreichende Schlussfolgerungen im Sinne seiner späteren „Bekleidungstheorie" formulierte, startete Klenze - ein scharfer Kritiker Sempers 1836 am Monopteros im Münchner Englischen Garten einen rekonstruktiven polychromen Modellversuch, den er dem Royal Institute of British Architects widmete. 66 Kugler, dessen Bedeutung für die deutsche Polychromiediskussion derzeit von Maria Ocón Fernández 67 untersucht wird, plädierte 1835 für ein eher restriktives polychromes System, das sich auf die Nahtstellen der tektonischen Elemente konzentriert. Gleichwohl bedeutete auch diese restriktive Anwendung von Farbe in Schinkels Akropolisentwurf einen Schritt in Richtung auf die Verschmelzung von Bauwerk und städtebaulichem und landschaftlichen Raum in einem malerischen Gesamtkunstwerk. Schließlich spiegelt Schinkels Akropolisentwurf bereits das Dilemma zwischen Denkmalpflege und - wie man es heute ausdrücken würde - „Weiterbauen im Bestand". Der 1834 vor Ort für alle Maßnahmen verantwortliche Klenze ebnete - und darin liegt zweifellos eines seiner größten Verdienste - dem Denkmalschutz den Weg , indem er 1834 nicht nur die Athener Denkmalstatuten durchsetzte, sondern auch die Entmilitarisierung und Bereinigung der Akropolis von den Bauten der türkischen Garnison. Er führte die erste Anastylose einer Säule des Parthenon durch und verwahrte sich gegen jeglichen konkurrierenden Neubau an geheiligter Stätte. W i e aus der Denkmalpflege-Charta von Venedig (1964) liest sich Klenzes Forderung, notwendige Ergänzungen am wieder freigelegten Parthenon64 Margarethe Kühn, „Schinkels Blick nach vorn", in: Ausst.-Kat. Karl Friedrich Schinkel - Werke und Wirkungen, Berlin 1981, S. 7-12; Eva Börsch-Supan, Architektur und Landschaft, ebd., S. 47-78; Barry Bergdoll, Mies and Schinkel: nature and conciousness in the modern house, in: Karl Friedrich Schinkel - Aspects of his Work, Aspekte seines Werkes, hg. ν. Susan M. Peik, Stuttgart/London 2001, S. 125-135. 65 Vgl. Koschnik 1985 (wie Anm. 4), S. 16. 66 Vgl. Adrian von Buttlar, „Klenzes Beitrag zur Polychromie-Frage", in: Ausst.-Kat. Ein Griechischer Traum. Leo von Klenze. Der Archäologe, Staatl. Antikensammlungen und Glyptothek München, München 1985, S. 213-226; ders., „,Die Unterhose als formgebendes Prinzip?'. Klenzes Kritik an Sempers ,Stil'", in: Stilstreit und Einheitskunstwerk. Internationales Historismus-Symposium Bad Muskau, hg. im Auftrag der Stiftung „Fürst-Pückler-Park Bad Muskau" von Heidrun Laudel und Cornelia Wenzel, Dresden 1998 (Muskauer Schriften Bd. 1), S. 186-198. 67 Arbeitstitel: „Colorful Athena - Antike-Bild und Europa-Vorstellungen. Die europäische Polychromie-Debatte des 19. Jahrhunderts und der Beitrag Spaniens (1833-1898)".
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Tempel durchzuführen „jedoch ohne diese Restaurationen zu verstecken und unkenntlich machen zu wollen". Auch seine Forderung, dass „der antike Boden, so wie man ihn findet, mit allen Absätzen, Terrassen, Piedestalen und Substruktionsresten vollkommen erhalten werden muß", orientiert sich strikt am historischen Bestand. 68 Schinkel hatte sich zwar auf dem Papier in der Höhenentwicklung seines Akropolispalastes bewusst unterhalb der Maße des Parthenon und der übrigen antiken Denkmäler bewegt: Nie habe er auch nur einen Quadratzentimeter heiligen antiken Bodens preisgeben wollen, entschuldigt er sich (und in diesem Sinne verteidigt ihn auch Kugler)69. Aus der Ferne Berlins aber hatte er nicht bedacht, dass aus dem gut 60-80 Meter tiefer liegenden Blickwinkel der Stadt Athen alle seine am Rand des Akropolisplateaus platzierten einstöckigen Neubauten dennoch die antiken Ruinen dominieren und weitgehend verdecken würden. Das Medium des schönen Bildes, das seinem Entwurf - ob zu Recht oder Unrecht - von Anbeginn anhaftete, überdeckte die Schwächen seiner denkmalpflegerischen Strategie, die allerdings zumindest viele Architekten heute wohl wieder als „modernere" Position verorten würden. Wie dem auch sei: Das Exemplum des Akropolisentwurfs als Auftakt zu Kuglers Schinkel-Würdigung war programmatisch, weil dieser Entwurf Schinkels Modernität umfassend verkörperte. Im Vorfeld dieses Auftrags hatte Schinkel, wohl noch 1833, die Fragen des bayerischen Kronprinzen Maximilian nach einem Ideal in der gegenwärtigen Baukunst mit einem Credo beantwortet, das seine fortschrittlliche Position in der Architekturentwicklung des 19. Jahrhundert deutlich definierte. Hier mahnte er: „... daß aber auch neue Erfindungen nothwendig werden, um zum Ziele zu gelangen, und daß, um ein wahrhaft historisches Werk hervorzubringen, nicht abgeschlossenes Historisches zu wiederholen ist, wodurch keine Geschichte erzeugt wird, sondern ein solches Neue geschaffen werden muß, welches im Stande ist, eine wirkliche Fortsetzung der Geschichte zuzulassen." Diese Äußerung konnte Kugler so noch nicht kennen, weil sie erst 1863 von Wolzogen veröffentlicht wurde.70 Dieser eher implizit formulierte Modernitätsdiskurs, der das Schinkelbild des damals dreißigjährigen Kugler bis heute fruchtbar macht, passt zum Publikationsorgan der unter dem Einfluss der Junghegelianer stehenden Hallischen Jahrbücher, die 1843 aufgrund ihrer linken politischen Positionen verboten wurden.71 Auch Kugler selbst hatte in den 1820er Jahren bei Hegel studiert (von ihm stammt die berühmte Skizze des Philosophen am Katheder 1828), auch wenn er keinen nachhaltigen Zugang zu seinem philosophischen System 68 Papageorgiou-Venetas 1994 (wie Anm. 62), Anhang V, S. 350-364. Leo von Klenzes Denkmalpflegeprogramm vom 18. September 1834, in: Leo von Klenze, Aphoristische Bemerkungen. Gesammelt auf seiner Reise in Griechenland, Berlin 1838, S. 392-395. Vgl. Buttlar 1999 (wie Anm. 49), S. 352-354. 69 Brief Schinkels an Klenze (wie Anm. 52); Kugler 1842, zit. nach: Kugler 1854 (wie Anm. 3), S. 316; Gruppe 1842 (wie Anm. 40), S. 278. 70 Vgl. Anm. 58, S. 334. 71 Die von Arnold Ruge und Theodor Echtermeyer herausgegebenen Hallischen Jahrbücher, die 1838-1843 erschienen, gelten als das wichtigste publizistische Organ der Junghegelianer.
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fand.72 Vielmehr signalisiert der zweite Akzent von Kuglers Schinkelbild eine eher traditionalistische Position, nämlich die Schinkel ausdrücklich bescheinigte Qualität des ganzheitlichen „organischen" Schaffens. Die seinerzeit dominant werdende „Stilfrage" schien erstaunlicherweise allen Laudatoren letztlich sekundärer Natur: Kugler, obwohl selbst in den unglücklich polarisierenden Ordnungskategorien des „Klassischen" und „Romantischen" befangen, sieht die künstlerische Bedeutung Schinkels in seinem ausgeprägten kreativen Sinn für Form, Proportion und Harmonie, im schöpferischen Umgang mit Vorbildern, überkommenen Typologien und Stilen: Immer wieder beschwört er Schinkels reflektierte „Freiheit" im Prozess des Planens und Bauen, etwa die „eigenthümlich freie Behandlung" der griechischen Bauformen der Neuen Wache des Museums als „Zeugniß der freieren Cultur unserer Zeit" oder am Schauspielhaus, wo in „freier Combination ein eigenthümliches Ganzes" als „charakteristischer Punkt der neuesten Architekturgeschichte" entstanden sei.73 Er verschweigt auch nicht das Dilemma, dass die griechische Architektur mit ihrem begrenzten Formenrepertoire nicht „die ganze Reihe derjenigen räumlichen Eindrücke hervor[...]bringen [könne], die wir heutiges Tages zu einer vollendeten Befriedigung unserer Existenz verlangen." 74 Er rügt, dass bei der notwendigen neuen Synthese und Modifikation der Elemente und Bauglieder „unter diesen Umständen (wie es leider der Beispiele zur Genüge giebt) gegen die Grundsätze der griechischen Kunst gar arg gesündigt" werden könnte und spielt damit auf Leo von Klenze an, dessen „Anweisung zur Architectur des Christlichen Cultus" er 1834 im „Museum" vernichtend rezensierte. Klenzes verräterische Formulierung, die Architektur „zerfalle" in zwei Komponenten, „Analogie" (bewährte klassische Form) und „Syntaxis" (moderne Zusammensetzung bzw. Komposition) geißelte Kugler als Verstoß gegen die organische Beziehung zwischen Form und Struktur: „Hierauf erscheint die einfache Erwiderung genügend, daß wenn die griechische Architektur eine vollendete ist, auch ihre einzelnen Formen mit Notwendigkeit aus der besonderen Zusammenstellung der Theile hervorgehen müssen, diese Formen also nicht dieselben bleiben können, wenn durch ein anderes Princip der Struktur andere Beziehungen und Verhältnisse hervorgerufen sind."75 W i e Leonore Koschnick anhand der Kritik von Schnaase (1844) angemerkt hat, drohte der Qualitätsbegriff des „Organischen" allerdings auch bei Kugler zur Worthülse zu verkommen. 76
72 Koschnik 1985 (wie Anm. 4), S. 39f. 73 Kugler 1842, zit. nach: Kugler 1854 (wie Anm. 3), S. 318, 320, 321. 74 Ebd., S. 313. 75 Franz Kugler, „Anweisung zur Architectur des Christlichen Cultus von Leo von Klenze", in: Museum. Blätter für die Bildende Kunst, 40 (1834), wiederabgedruckt in: Kugler 1854 (wie Anm. 3), S. 126-133, hier S. 90. Vgl. Buttlar 1999 (wie Anm. 49), S. 294-301; ders. „Vorwort", in: Leo von Klenze, Anweisung zur Architectur des Christlichen Cultus, Nachdruck der Erstausgabe München 1822/24, Nördlingen 1990, Einführung, S. 5-27. 76 Koschnik 1985 (wie Anm. 4), S. 176f., Anm. 39. Vgl. Caroline van Eck: Organicism in nineteenth-century Architecture, Amsterdam 1994.
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K u G L E R S SCHINKEL - EINE
RELEKTÜRE
In letzter Konsequenz der Kuglerschen Einordnung der Gegenwart in den Gang der Geschichte fallen Kuglers zahlreiche Hinweise auf die Notwendigkeit der Vollendung der Schinkelschen Bauwerke auf, etwa hinsichtlich des Giebels der Neuen Wache, der Figurengruppen der Schlossbrücke und der Museumsfresken, die etwas vom Zusammenhang zwischen Erkenntnis und Interesse verraten: Denn das war wohl neu an der aus dem Geiste der Humboldtschen Reformideen hervorgegangenen „Berliner Schule" der Kunstgeschichte, dass die sich etablierende Fachwissenschaft, und insbesondere Franz Kugler, sich offen auch als ein Instrument fortschrittlicher (bürgerlich-demokratischer) Kunst- und Kulturpolitik begriff. 77 Und dieser Zusammenhang zwischen Erkenntnis und Interesse erscheint trotz aller Gefahren der „Ideologisierung" auch heute nicht unsympathisch.
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K o s c h n i k 1985 (wie A n m . 4), S. 254ff.
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F R A N Z KUGLER ALS
ARCHITEKTURHISTORIKER
Johannes Rößler
Das architekturhistorische Werk von Franz Kugler umfasst den gesamten Zeitraum seiner kunsthistorischen Tätigkeit. Es beginnt spätestens 1827 mit Reiseaufzeichnungen und endet mit der vierbändigen Geschichte der Baukunst, die 1859 postum erschien und deren letzter Band von Burckhardt und Lübke 1867 notdürftig vollendet wurde. 1 Zwischen den Stadien der frühen Aneignung und der vollen systematischen Erfassung einer Weltgeschichte der Architekturen stehen zahlreiche Einzelstudien und das mehrfach überarbeitete gattungsübergreifende Handbuch der Kunstgeschichte, in dem die Architektur ebenfalls einen prominenten Platz einnimmt. In gewisser Weise an Rankes Diktum von der gleichen Nähe aller Epochen zu Gott erinnernd, umfasst die universalhistorische Perspektive gleichmäßig die Epochen von der Antike bis zur Spätgotik und Renaissance. Sie bezieht desweiteren die Frühgeschichte und die außereuropäischen Kulturen wie Indien und den islamisch geprägten Raum mit ein. Mit der Pommerschen Kunstgeschichte aus dem Jahr 1840 und vielen anderen empirischen Untersuchungen wies sich Kugler zudem als versierter Fachmann einer regionalhistorischen und quellenkritisch fundierten Bauforschung aus. Topographische Empirie und kompilierende Systematik halten sich damit die Waage. Nicht gering zu veranschlagen ist schließlich Kuglers fachhistorische Bedeutung hinsichtlich eines veränderten Bewusstseins im wissenschaftlichen Umgang mit Architektur. Die Brechung der ästhetischen Superiorität bestimmter Bauperioden - sei es die Antike, die frühchristliche Architektur oder die Gotik - führte dazu, dass Kugler die normativen Ansprüche so unterschiedlicher Architekturtheoretiker wie Aloys Hirt, Heinrich Hübsch oder Sulpiz Boisserée weitgehend zurückweisen konnte. Aber auch innerhalb von Kuglers kunsthistorischem Gesamtwerk nimmt die Architektur eine zentrale Rolle ein. Es ist sicher keine Übertreibung, ihr dabei den Wert einer erkenntnistheoretischen Leitfunktion zuzuerkennen. Die von Kugler zum Durchbruch gebrachte morphologisch-formanalytische Sicht auf die Kunstgeschichte wäre ohne die exakte 1 Vgl. hierzu Nikolaus Meier, „Wilhelm Lübke, Jacob Burckhardt und die Architektur der Renaissance", in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, 85 (1985), S. 151-212.
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JOHANNES
RÖSSLER
Kenntnis der Bauhistorie und ihrer terminologischen Fundierung kaum realisierbar gewesen. Im Gegensatz zu Malerei und Plastik, für die nur das technische Vokabular der Ateliers bzw. die schwankende wie vage Begrifflichkeit der Ästhetiken zur Verfügung stand, konnte Kugler in der Bauanalyse nahtlos auf das elaborierte und unstrittige Fachvokabular der Architekten zurückgreifen. Keineswegs selbstverständlich für die Kunstwissenschaft zur Mitte des 19. Jahrhunderts, erhält dadurch die Architekturanalyse ein methodisches Primat: Ihre epistemische Vorrangstellung wird schon dadurch deutlich, dass im Handbuch der Kunstgeschichte die Epochenabschnitte stets mit der Architektur beginnen und somit die stilgeschichtlichen Vorgaben antizipieren. In Gegensatz dazu verfolgte die Geschichte der Baukunst das Prinzip einer einheitlichen und geschlossenen Geschichte der Bausysteme mit regionalhistorischen Bezugnahmen,2 womit der von Beginn an verfolgte lokalhistorische Ansatz in ein diachron wie synchron differenzierendes Gesamtsystem überführt wurde. Die darstellerische Konzeption unterschied sich damit grundlegend von den pragmatischen Ansätzen der Vorgänger wie Stieglitz oder Hirt, die die Architekturentwicklung vorwiegend als Ergebnis der Ereignisgeschichte auffassten und die immanent-strukturalen Aspekte der Architektur-Entwicklung vernachlässigten. Nachfolgende Ausführungen konzentrieren sich auf drei Aspekte der Kuglerschen Architekturgeschichtsschreibung:3 Erstens auf die frühen Konstitutionsbedingungen von Kuglers Verständnis einer Entwicklungsgeschichte der Baukunst und ihrer Periodisierung nach Bausystemen; zweitens auf die Frage nach der Generierung von Forschungsergebnissen durch die zeichnerische Praxis; drittens auf Kuglers kritischen Umgang mit zeitgenössischen Architekturauffassungen und auf seine Bezugnahmen auf Historisierungskonzepte angrenzender Disziplinen. V O N DER B A U A K A D E M I E ZUM P E R I O D E N S Y S T E M
Die Genese von Kuglers methodischem Zugriff auf die Baukunst wurde vor allem durch zwei Faktoren in seiner Ausbildung bestimmt: Erstens durch das Studium der Philologie in Heidelberg und Berlin, das Kugler 1826 begann und 1831 mit der Promotion über die Bilderhandschrift von Werinher von Tegernsee an der Berliner Universität abschloss. Zweitens durch die seit 1827 parallel zum Studium aufgenommene Ausbildung an der Berliner Bauakademie, die 1829 zum Feldmesser-Examen führte. Wie Kugler rückblickend berichtet,
2 Franz Kugler, Geschichte der Baukunst, Stuttgart 1859, Bd. 1, Vorwort, S. VI: „Im Handbuch, bei den Wechselbeziehungen zwischen der Architektur und den übrigen räumlichen Künsten, musste eine strenger periodenmässige Gliederung vorgezogen werden; hier durfte ich, von derartigen Wechselbeziehungen minder gebunden, das Gesetz der lokalen Gruppirung, welches bei der Architektur vielfach von so wesentlicher Bedeutung ist, je nach Erforderniss mehr in den Vordergrund treten lassen." 3 Ausgeklammert bleiben Aspekte wie z. B. der Polychromiestreit mit Gottfried Semper. Hierzu bereitet María Ocón Fernández eine umfassende Studie vor.
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ARCHITEKTURHISTORIKER
hatte ihn sein akademischer Lehrer Friedrich Heinrich von der Hagen bereits früh für bauliche und bildnerische „Denkmäler" gewonnen: Von der Hagen habe ihn auf die „Styl-Unterschiede und deren geschichtliche Folge" hingewiesen, die in ihrer „bunten Fülle" eine „gesetzliche Entwickelung" erkennen ließen.4 Frühe Aufzeichnungen zu Exkursionen (1827) belegen das Interesse am romanischen Ornament und vor allem an bauplastischen Details.5 Doch erst an der Bauakademie scheint sich ein Problembewusstsein für architektonische Proportionen und Bausysteme eingestellt zu haben. Die im Nachlass fragmentarisch erhaltene Nachschrift der Vorlesung Bau-System, der Griechen bei dem Schinkel-Schüler Wilhelm Stier (1799-1856) vermittelt ein konkretes Bild über die dortigen Lehrmethoden: Stier, der als Architekt und Entwerfer kühner neogotischer Konstruktionen kaum erfolgreich war,6 hatte 1828 seine Lehrtätigkeit an der Bauakademie aufgenommen und war bei den Eleven schnell zu einem der beliebtesten Lehrer geworden.7 In der Nachschrift Kuglers betont er den Vorrang der griechischen Architektur: „Das Studium der antiken Bau-Systeme ist besonders aufschlußreich für die Belehrung über den Geist der Architektur, - über die Weise der harmonischen und consequenten Ausbildung und Vollendung eines Systems, - für die Bildung des Kunstsinnes überhaupt, - den Bedürfnissen und Anforderungen der Zeit am Nächsten gelegen."8 Stier betont desweiteren, dass sich die römische Baukunst gravierend von derjenigen Großgriechenlands unterscheide: „wir [behandeln] das Bau-System der Griechen von dem der Römer gesondert, gegen den allgemeinen Gebrauch im Studium und in den Lehrbüchern. Dieser Gebrauch beruht in ungründlicher Kenntniss der betreffenden beiden Gebiete, in Verschlossenheit des Sinnes besonders für das Griechische Bau-System".9 Die von Stier betonte Zäsur zwischen der Baukunst Großgriechenlands und der des römischen Weltreichs war offenbar aus eigener Anschauung gewonnen worden und resultierte aus seiner Tätigkeit als Zeichner römisch-antiker Baudenkmäler für den Tafelband der von Ernst Plainer und Christian von Bunsen herausgegebenen Beschreibung der Stadt Rom in den 1820er Jahren. 10 Die konsequente und scharfe Formulierung ist keine Selbstverständlichkeit: Die Divergenz von griechischer und römischer Baukunst war zwar den zeitgenössischen Architekturhistorikern bekannt, aber nicht in der Form maßgebend, dass sie zum ausschlaggebenden Faktor für eine klare Scheidung innerhalb des antiken Perioden4 Franz Kugler, „Studien in Berlin und der Umgegend" (1827), in: ders., Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte, 3 Bde., Stuttgart 1853-1854, Bd. 1, S. 101. 5 So die 1853 publizierten Tagebuchauszüge von einer Exkursion nach Wimpfen 1827, in: Kugler 1853-1854 (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 96-101. 6 Vgl. Stiers Konkurrenzentwurf für die Votivkirche Wien (1854), abgebildet in: Hugo Borger (Hg.), Der Kölner Dom im Jahrhundert seiner Vollendung, Ausst.-kat. Joseph-Haubrich-Kunsthalle Köln 1980/1981, Köln 1980, Bd. 2, S. 239. 7 Vgl. Wilhelm Lübke, Lebenserinnerungen, Berlin 1891, S. 216f. 8 Nachschrift von Franz Kugler, „Bau-System der Griechen. Nach Stier's Vorträgen (Bau-Akademie)", Kunstbibliothek Berlin, Nachlass Franz Kugler Κ 6, S. 1. 9 Ebd. 10 Ernst Platner/Carl von Bunsen/Eduard Gerhard/Wilhelm Röstell, Beschreibung der Stadt Rom, 3 Bde., Stuttgart 1829-1842.
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systems wurde. Die Werke von Aloys H i r t betonen noch die prinzipielle Einheit von griechischer und römischer Architektur. So umgeht der entsprechende Abschnitt in der Baukunst nach den Grundsätzen der Alten die Frage nach der Existenz des Kuppelbaus bei den Griechen. 11 Für Kugler hingegen sollte der von Stier lancierte Hinweis von dem gravierenden Gegensatz zwischen Griechen und Römern zu einem entscheidenden Moment seines eigenen Historisierungskonzepts werden: Bereits die frühe Schrift Uber die Römisch-Christlichen Bausysteme von 1833 betont eingangs, dass Kuppelbau und Rundbogen autochthone Elemente römischer Baukunst sind, die von zentraler Bedeutung für die weitere Entwicklung der europäischen Architektur waren. 12 Das Gewölbe widerspreche der horizontalen Auffassung der Griechen und habe die Römer zu einem neuen Bausystem provoziert, in welchem die von Griechenland kommenden Elemente zu dekorativem Beiwerk verkommen seien. Von dieser Warte aus erklärt sich für Kugler die weitere Entwicklung der frühchristlichen Architektur, die sich nach einer westeuropäischen und einer byzantinischen Richtung unterscheiden lasse. Freilich hat sich gegenüber den Erkenntnissen Hirts nichts substantiell verändert. Doch zentral ist, dass Kugler im Unterschied zu diesem die Kuppel und den Rundbogen aus der Spannbreite der bei H i r t additiv besprochen antiken Bauelemente herausgreift und zu den beherrschenden Faktoren eines neuen Systems erhebt. Dies f ü h r t auf einen zweiten methodischen Impuls, der von der Bauakademie ausgegangen sein muss: Nämlich die starke Konzentration auf Bausysteme, in denen einzelne Elemente in Beziehung zum Ganzen stehen. Ein weiteres undatiertes Manuskript Kuglers trägt den Titel Einleitung in das Studium der Monumente der Baukunst. Es ist zu vermuten, dass auch dieser Text auf Vorträge Wilhelm Stiers zurückgeht, da in der oben zitierten Nachschrift ein solcher allgemein gehaltener Vortragszyklus erwähnt wird. 13 In Kuglers Manuskript heißt es: Es wird der natürlichste (und kürzeste Weg zur Verfolgung unseres Zweckes) sein, wenn wir uns zuerst [...] über die Bau-Style im Allgemeinen [...] unterrichten, ehe wir zum Studium der einzelnen Monumente übergehen. Nur durch diese Weise des Studiums werden wir im Stande sein, die einzelnen Monumente vollkommen in der Ursache aller einzelnen Theile ihrer äußeren Erscheinung zu verstehen und in ihrem Werthe zu würdigen. 14
11 Aloys Hirt, Baukunst nach den Grundsätzen der Alten, Berlin 1809, Bd. 1, S. 168. 12 Franz Kugler, „Über die Römisch-Christlichen Bausysteme", in: Kugler 1853—1854 (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 181-203, S. 181 (zuerst 1833). 13 Vgl. Kugler nach Stier (wie Anm. 8), S. 1: „Die Möglichkeit, den Weg, welchen wir betreten, zu rechtfertigen, wird geringerem Zweifel unterworfen sein bei Erwägung der ursprünglichsten Elemente des einen wie des anderen BauSystems (welche bereits in der allgemeinen Einleitung zu unseren Studien angegeben wurden)[.]" - Format und Schrift beider Manuskripte legen zudem eine zeitnahe Entstehung nahe. 14 Kugler nach Wilhelm Stier (?): „Einleitung in das Studium der Monumente der Baukunst", Kunstbibliothek Berlin, Nachlass Franz Kugler M 1, S. 1.
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Das mehrfache Insistieren auf das „Einzelne" macht das Bemühen deutlich, die Bauelemente integral aufeinander zu beziehen und dabei das jeweilige System in seiner historischen Entwicklungsdynamik zu fassen. Dabei gibt sich der Vortragstext betont anti-normativ, indem er jedem Volk ein bestimmtes „Gefühl für die Proportion" zugesteht und nicht auf einer allgemeinen Proportionslehre beharrt: So sind die „Höhenmaaße der architektonischen Räume ein Produkt aus der Vereinigung der Bestimmungen", welche sich aus den ..äußeren Bedürfnissen des Gebäudes, - aus der Construction. - aus Form und Maaß des Baumaterials. - aus den vorhandenen äußeren Mitteln, - aus dem vernünftigen Gleichgewicht der Masse und Last der Decke zur Masse ihrer Unterstützung, wie der Breite der Decken zur Höhe ihrer Unterstützung, - und endlich aus dem bei den verschiedenen Völkern vorhandnen Gefühle für die Proportion" ergeben. 15 Dennoch (oder vielleicht gerade deshalb) ist die zeittypische Polarität von Griechentum und Gotik präsent: Die beiden grundlegenden Alternativen in den Auffassungen manifestieren sich nämlich im Horizontalen und im Perpendikulären, womit unschwer der griechische Tempel und die gotische Kathedrale als implizite Referenzmuster erkennbar werden. Am Ende des 18seitigen Fragments wird ein Erklärungsmodell erarbeitet, nach dem die Entwicklung von Bausystemen betrachtet werden soll. Neben funktionalen und materiellen Aspekten scheint vor allem die langsame Elaborierung von Proportionsregeln das zentrale Moment von Bauentwicklungen zu sein, was sich in einem ständigen Prozess des Abgleichens zwischen den einzelnen Elementen vollziehe: Die allgemeine Entwicklung der Architektur bestehe in der ..Verbindung." d.h. in ,,de[m] allmähligen Uebergang von solchen Theilen" zur „sichtbaren Construktion, die sonst schroff und noch zusammenstoßen würden; wie die bestimmte Sonderung solcher charakteristischer Theile [...], die sich sonst auf eine unbestimmte unvorhersehbare Weise verbinden würden". 16 Die Vorstellung von einem langsamen Aufbau aus einem aggregathaften und ungeordneten Zustand hin zu einem nach immanenten Gesetzen gegliederten, charakteristischen System tritt damit bereits in den frühen Aufzeichnungen als Forschungsimperativ der Kuglerschen Bauhistorik hervor. Indem griechischer Tempel und gotische Kathedrale als absolute Gegensätze in Form des Horizontalen und des Perpendikulären erkannt werden, zugleich die Einheit von Griechen und Römern kritisch hinterfragt wird, scheinen in Kuglers frühen Manuskripten zur Architektur zentrale Ansätze zu einer schlüssigen Periodisierung der nachantiken Baugeschichte angelegt zu sein. Vor diesem Hintergrund wird nichts anderes als das anspruchsvolle Projekt erkennbar, die entwicklungsgeschichtliche Lücke zwischen spätantiker und gotischer Baukunst zu schließen. Und wie kein anderer Architekturhistoriker vor ihm hat es Kugler verstanden, diese Entwicklungsgeschichte als eine Strukturgeschichte zu beschrei-
15 Ebd., S. 7 (Abschnitt „II. Allgemeine Bestimmung der räumlichen Ausdehnungen"). 16 Ebd., S. 14 (Abschnitt „C. Vollendung des architektonischen Systems und einzelner Theile desselben").
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ben, in der sich Kontinuitäten und Diskontinuitäten überlagern. 17 Es ist auffallend, dass die Genese eines Baustils immer wieder nach demselben Muster erklärt wird: In einem instabilen Moment historischer Verunsicherung (Einführung des Christentums; Völkerwanderung u. ä.) öffnet sich ein Kulturkreis für neue Anregungen. Indem hierbei neue Formelemente aufgenommen werden, entsteht ein vom Zufall bestimmtes Aggregat unterschiedlicher Formen. Dann setzt sich eines der vielen neuen Einzelmerkmale durch, das in der weiteren Folge leitend für die Stilentwicklung wird. Es verdrängt die störenden Elemente und übernimmt eine steuernde Funktion im Angleichungsprozess zwischen den übrigen Bauteilen: Der römische Kuppelbau und Rundbogen überwinden die griechische Horizontale; die Einführung des Stützenwechsels am Übergang von der frühchristlichen zur vorromanischen Architektur führt zu einem „neue [n] Gewinn, für das Einzelne, wie für das Ganze," 18 in dessen Folge das romanische Bausystem zur Entfaltung gebracht wird; die Verschmälerung der Joche in der Spätromanik ist wiederum die Bedingung für die Entstehung des gotischen Stils. 19 Kuglers Entwicklungsgeschichte ist damit in weiten Teilen eine Problemgeschichte, in der die einzelne bauliche Innovation zum formbestimmenden Faktor einer gesamten Stilentwicklung wird. Diese Struktur des Periodensystems erhält ihre jeweiligen Höhepunkte dadurch, dass die Strukturen im Inneren und im Äußeren eines Bauwerks weitgehend zur Homogeneität gebracht werden.
17 Vor allem in diesem Punkt wird man die Differenz zu Vorgängern wie Christian Ludwig Stieglitz oder Aloys Hirt sehen müssen. Beispielsweise strukturiert Hirt die Geschichte der Baukunst bei den Alten nach dynastischen Gesichtspunkten. Bauentwicklung ist stark an die jeweilige Bauvorhaben und -entschlüsse, wie etwa die der römischen Kaiser, gebunden, eine Auffassung von am Kausalnexus orientierter Geschichtsschreibung, wie es v. a. die pragmatische Aufklärungshistorie befolgte (vgl. Daniel Fulda, Wissenschaft aus Kunst. Die Entstehung der modernen deutschen Geschichtsschreibung 1760-1860, Berlin, New York 1996 (= European Cultures 7), S. 49-183). Statt des integrativen Ansatzes Kuglers befolgt Hirt ferner eine Zweiteilung, die womöglich von Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums (1864) herrührt: Auf den historisch-pragmatischen Teil folgt ein systematisches Lehrgebäude zu den Bautypen in Band III. Aloys Hirt, Die Geschichte der Baukunst bei den Alten, 3 Bde. und ein Tafelband, Berlin 1821-1827. Vgl. hierzu allgemein: Hanno-Walter Kruft, Geschichte der Architekturtheorie. Von der Antike zur Gegenwart, München 1985, S. 331-335, 18 Kugler 1859 (wie Anm. 2), Bd. 2, S. 16: „An die Stelle gleichartiger Einzelheiten trat ein rhythmischer Wechsel, der schon an sich eine räumliche Gliederung hervorbrachte." 19 Ebd., Bd. 3, S. 10.
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D I E ERKENNTNISSTIFTENDE FUNKTION DER ZEICHNUNG In der Einleitung der Geschichte der Baukunst gibt Kugler unumwunden zu, dass seine Ausführungen auf den Leistungen der Vorgänger aufbauen. 20 Nur den geringeren Teil der Baubeschreibungen hatte er aus der eigenen Anschauung der Objekte gewonnen, womit er auf Abbildungswerke von Cicognara, Serioux d'Agincourt und vieler anderer angewiesen war. 21 Die Illustrationen pauste Kugler oftmals ab und klebte sie auf Kartons (Abb. I),22 um das verstreute Abbildungsmaterial eines Bauwerks zur synoptischen Ubersicht zu bringen. Bisweilen gleicht das Pausverfahren demjenigen des Exzerpts, was eine Durchpausung aus dem Abbildungswerk Architecture toscane belegt (Abb. 2): In jenem Werk werden auf zwei Tafeln Ansichten des Pisaner Camposanto abgebildet. Tafel 108 (Abb. 3) gibt den Grundriss und die Aufrisse der mit Blendarkatur versehenen Außenmauer und der Arkaden im Hofinneren des ausgehenden 13. Jahrhunderts wieder. Die folgende Tafel 109 (Abb. 4) zeigt den zentralperspektivischen Blick durch die (nachträglich) mit gotischen Maßwerk gefüllten Rundbögen im Umgang des Friedhofs; der Hintergrund gibt den Blick auf die Kuppel und die Landschaft frei. Die Durchpausung Kuglers (Abb. 2) führt beide Tafeln zwecks vergleichender Analyse zusammen: Auf der rechten Seitenhälfte werden exemplarisch zwei der Blendarkaden von der Außenmauer wiedergegeben. Darunter befindet sich ein Ausschnitt aus dem Grundriss, der zwei Pfeilerprofile des Umgangs zeigt. Auf der linken Seite des Blattes paust Kugler schließlich Teile der Innendarstellung von Tafel 109 ab - bezeichnend ist auch hier die Konzentration auf die wesentlichen binnenstrukturellen Merkmale: Nur der linke Pfeiler der mittleren Arkade und die Schenkel der beiden von dort ausschwingenden Bögen werden bis knapp über ihren Scheitelpunkt durchgepaust. Um das reichhaltige und differenziert gestaltete Maßwerk wiederzugeben, zeichnet Kugler die Vierblattfüllung der beiden äußeren Arkaden rechts neben den Pfeiler. Alles andere, wie z. B. die Landschaft im Hintergrund, wird nicht erfasst. Damit ist die isolierende Darstellung und die Zurückdrängung des perspektivischen Tiefenraums entscheidend. Der Blick auf die architektonische Totale
20 Ebd., Bd. 1, Vorwort, S. V: „Von dem weiteren und freieren Ausbau der historischen Wissenschaft, den wir den Forschungen der jüngeren Zeit verdanken, habe ich für meine Arbeit den entsprechenden Gewinn zu ziehen gesucht." Kugler ließ sich desweiteren brieflich über regionale Baudenkmäler mit teilweise ausführlichen Beschreibungen und Skizzen informieren. Vgl. die Briefe im Kugler-Nachlass: Dr. Esmarch an Kugler, 7. April 1857, betr. Kirchen in Krakau; Brief (Verfasser unleserlich) an Kugler vom 26. November 1856 betr. Salvator-Kirche in Duisburg; Brief (Verfasser unleserlich) an Kugler vom 17. Dezember 1855 zur Klosterkirche in Ilsenburg/Harz; Wilhelm Steuerwald an Kugler, 1. Januar 1856 zu Kloster Quedlinburg mit Grundriss der Krypta; Medow an Kugler zur Kirche in Wolkow (Pommern). Kunstbibliothek Berlin, Nl. Kugler, Β 1, Β 5, Β 6, Β 8 und D 1. 21 Zu den Architekturabbildungen im 19. Jahrhundert vgl. María Ocón Fernández, „Handbook, Outline or Textbook of art History? The Emergence of a History of German Art and Architecture and the Relationship between Image and Text", in: Zsuzsanna Böröcz / Luc Verpost (Hg.), Imag(in)ing Architecture. Iconography in nineteenth-Century Publications, Leuven 2008, S. 71-92 (zu Kugler: S. 75-79), sowie weitere Beiträge im Band. 22 Vgl. hierzu auch den Beitrag von Heinrich Dilly im vorliegenden Band.
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(1) Franz Kugler, Durchpausungen z u m Florentiner D o m (Campanile, Grundriss, Fassadendetails), Berlin, SMPK, Kunstbibliothek, Nachlass Franz Kugler, I 4
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wird nicht mehr zugelassen und zugunsten der morphologischen Erfassung von Details verdrängt. Der im Abbildungswerk verfolgte Kompromiss zwischen reizender Ansicht und Vermittlung der Baustruktur wird damit von Kugler auf die analytische und vergleichende Wiedergabe von Details reduziert. Indem Außenmauer und die kreuzgangartige Arkatur des Innenhofs auf einem Blatt gegenübergestellt werden, kann Kugler die Stildivergenz zwischen Grundsubstanz des späten 13. Jahrhunderts und Anreicherung durch das gotische Maßwerk in den Innenhofarkaden verdeutlichen. Die Durchpausung als Derivat der Abbildung wird zu einem reduktionistischen Mittel, welches das ursprüngliche Gezeigte auf den formanalytischen Aspekt abstrahiert. Die Vermeidung des Tiefenraums und die Erfassung architektonischer Elemente in ihrer zweidimensionalen Draufsicht verfolgt Kugler auch bei der direkten Autopsie vor Ort. Dies zeigt das im Berliner Nachlass befindliche Fragment eines Skizzenbuchs zur Kunstgeschichte Pommerns aus dem Jahr 1829 (Abb. 5): Die Zeichnung der Fensterblenden am Choräußeren der Marienkirche von Stargard (heute: Szczeciñski) erfolgt nach drei Schritten: Links skizziert Kugler die Grobstruktur, auf der oberen rechten Seite des Blatts splittert er die Einzelteile des Maßwerks nach nummerierten Detailzeichnungen auf, deren Ziffern auf die Gesamtskizze zurückverweisen. Im rechten unteren Teil gibt er in Form von schraffierten Querschnitten die Profilierung wieder. Die Zerlegung der Baustruktur in einzelne nummerierte Folgen ist für Kugler erkenntnisleitend: Die erste Auflage der Pommerschen Kunstgeschichte kommt bis auf das lithographierte Frontispiz ohne Abbildungen aus, in der Beschreibung des Maßwerks folgt aber Kugler genau den Sequenzen der Zeichnung: Die Streben treten hier [...] nur als flache Wandpfeiler vor; aber sie sind, und zwar in drei Geschossen, von denen jedes obere eine größere Höhe hat, ganz zu Fensterblenden umgestaltet. Jede dieser Blenden zerfällt in zwei kleine, reichverzierte Spitzbögen, über diesen ruht eine große bunte Rosette, die von einem, mit zierlichem Blattwerk geschmückten Giebel gekrönt wird. Zu den Seiten werden die Blenden durch geschmackvoll gegliederte Vorsprünge des Pfeilers eingefaßt, in denen sich oberhalb kleine Bildernischen befinden; auch letzere sind mit reichgeformten Giebelchen gekrönt. Alle Gliederungen des Stabwerks haben hier wiederum dasselbe Profil, welches an den Fensterblenden derThürme [...] durchgeht.23 Der erneute Abdruck der Abhandlung in den Kleinen Schriften von 1853 enthält hingegen Abbildungen (Abb. 6), die auf den Zeichnungen des Jahres 1829 beruhen: 24 Die vormals zersplitterten Details sind dort wieder zu einer integralen Einheit zusammengesetzt. Das Beispiel zeigt, dass die Architekturzeichnung für Kugler ein Verfahren der analytischen Vertiefung ins Detail und der Induktion ist. 23 Franz Kugler, Pommersche Kunstgeschichte, Stettin 1840 (Baltische Studien 8), S. 126. 24 Vgl. den Abdruck der Pommerschen Kunstgeschichte in: Kugler 1853-1854 (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 652-835, S. 756.
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(2) Franz Kugler, Durchpausung des Campo Santo in Pisa, nach Abbildungen aus: Grandjean de Montigny/Auguste Famin, Architecure toscane, siehe Abb. 3 und 4, Berlin, SMPK, Kunstbibliothek, Nachlass Franz Kugler, I 5
(3) Auguste-Henri-Victor Grandjean de Montigny / Auguste Famin, Architecture toscane, ou palais, maisons, et autres édifices de la Toscane, Paris 1815, Tafel 108
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(4) Auguste-Henri-Victor Grandjean de Montigny / Auguste Famin, Architecure toscane, ou palais, maisons, autres édifices de la Toscane, Paris 1815, Tafel 109
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Bezeichnend ist der Unterschied zur Praxis einer romantisch geprägten Architekturzeichnung: Die zeitgleichen denkmalpflegerischen Dokumentationen von Johann Anton Ramboux oder für Johann Peter Weyer 2 ' bestehen aus sorgfältig aquarellierten Zeichnungen, die den Tiefenraum betonen bzw. die Außenansichten in eine Beziehung zum städtebaulichen oder lebensweltlichen Umfeld setzen. Die mit Staffagefiguren angereicherten Abbildungen sind dort Ausdruck eines revitalisierten Verständnisses der Vergangenheit und den Vorstellungen von der christlich-nationalen Wiederbelebung mittelalterlicher Architektur verhaftet. In seinen Rezensionen hat Kugler lithographische Prachtwerke wie Sulpiz Boisserées Dotnwerk stets begrüßt, 2 6 aber auch Skepsis gegenüber deren verfälschenden und 25 Siehe die Abbildungen in: Johann Anton Ramboux. Ansichten von Trier, Ausst.-kat. Stadt. .Museum Simeonstift Trier, Trier 1991; sowie die aquarellierten Zeichnungen von T h o m a s C r a n z (1786— 1853) und Adolph W e g e l i n (1810-1881) in: Johann Peter Weyer, Kölner Alterthümer, hg. v. \Yerner Schäfke, 2 Bde., Köln 1993/1994. 26 Franz Kugler, „Rez. zu: Malerische Ansichten der merkwürdigsten und schönsten Cathedralen, Kirchen und Monumente der gothischen Baukunst, am Rhein, Main und an der Lahn. Nach der N'atur aufgenommen und gezeichnet von L. Lange, lithographirt von Borum und andern Künstlern [...]", in: Kugler 1853-1854 (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 234-236, S. 235 (zuerst 1833).
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(5) Franz Kugler, Fragment eines Skizzenbuchs, Pommern 1829: Zeichnung der Fensterblenden am Choräußeren der Marienkirche, Stargard, Berlin, SMPK, Kunstbibliothek, Nachlass Franz Kugler, D 2
ungenauen Totaleindruck formuliert. Wichtiger als die Abbildung von perspektivischen Ansichten und räumlichen Überschneidungen seien Detailabbildungen und die Wiedergabe der Gliederungen in Form von Grundriss, Querschnitt sowie Fassaden- und Wandaufriss. 27 Die auf diese Weise erzeugte Reduktion des Bauwerks auf zweidimensionale Binnenstrukturen und die Vernachlässigung räumlicher Qualitäten erscheint typisch für Kugler: Sie kommt der morphologischen Betrachtungsweise entgegen, verrät aber auch die kritische Distanz zur romantischen Gotik-Begeisterung, die in ihren Zeichnungen die Beziehung zwischen Bauwerk und Umfeld mitreflektiert. In diesem Punkt scheint es, als ob sich im ,bunten Durcheinander' 28 von Kuglers literarischen und wissenschaftlichen Ambitionen eine sorgfältige Scheidung zwischen subjektiv
27 Franz Kugler, „Zur Geschichte der deutschen Kunst im Mittelalter", in: Kugler 1853-1854 (wie Anm. 4), Bd. 2, S. 453-455 (zuerst 1844). 28 Vgl. Kugler, Lebenslauf: „Wissenschaftliche und die verschiedensten künstlerischen Beschäftigungen gingen noch immer bunt durcheinander." Zit. nach Wilhelm Waetzoldt, Deutsche Kunsthistoriker, 2 Bde., Leipzig 1921/1924, Bd. 2, S. 145.
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Kirchliche Arehltsktur.
4. (Hthischst Styl des IS. JsbrhuudsrM.
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eioer grösseren Biidemische angebOrig) mit einer phantastisch reichen Thurm-Architektur bckrOnt wird. Die lussere Architektur de» Chotea (oder vielmehr dea Chor-Umganges) entfaltet sich in reicher Pracht; sie bildet das gllnzendste Beispiel der dem Schmucke de» Aeusaerea vorzugsweise zugewandten spBerfin Entwickeluog