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German Pages 280 Year 2003
VERONIKA GRIESER
Flexible Integration in der Europäischen Union: Neue Dynamik oder Gefährdung der Rechtseinheit?
Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von
Siegfried Magiera und Detlef Merten Band 100
Flexible Integration in der Europäischen Union: Neue Dynamik oder Gefährdung der Rechtseinheit?
Von
Veronika Grieser
Duncker & Humblot . Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Regensburg hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-11137-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @
Meinen Eltern
Vorwort Diese Arbeit wurde im Sommersemester 2002 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Regensburg als Disseration angenommen. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Ulrich Becker, der mir die Anregung zu diesem Thema gegeben und mich in konstruktiven Diskussionen mit wertvollen Hinweisen unterstützt hat. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Rainer Amold für die Erstellung des Zweitgutachtens und der Hanns-Seidel-Stiftung für die Gewährung eines Promotionsstipendiums, das mir ermöglichte, mich völlig auf diese Arbeit zu konzentrieren. Regensburg, im April 2003
Veronika Grieser
Inhaltsverzeichnis Einleitung
21
I. Hintergründe flexibler Integration ............................................
21
11. Ziel der Untersuchung ......... . .......... . ..................... . .......... . ...
22
Erstes Kapitel
Grundlagen
24
I. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands ..................................
24
1. Flexibilität mit dem Ziel der Förderung der Integration .......................
24
2. Begrenzung auf interne flexible Integration ..................................
27
11. Systematisierung verschiedener Formen flexibler Integration. . . . . . . . . . . . . . . .
28
1. Verschiedene Systematisierungsvorschläge ...................................
29
a) Time, space und matter ...................................................
29
b) Gesamtkonzept oder Integrationsmechanismus ............................
30
c) Bereichsbezogen und einzelfall bezogen ...................................
30
2. Generalklausel, case-by-case und konkrete Flexibilität ...... . . . ............ . .
31
111. Grundlagen der Diskussion über flexible Integration .........................
32
1. Verschiedene Konzepte flexibler Integration. . . .. . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . .. . .. . . . .
32
a) Erste Überlegungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
aa) Die Anregungen Willy Brandts .......................................
33
bb) Der Vorschlag Leo Tindemans . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . .
34
b) Das Konzept der abgestuften Integration ..................................
34
c) Variable Geometrie.......................................................
35
a La carte
.........................................................
36
e) Kerneuropa ...............................................................
37
d) Europe
Inhaltsverzeichnis
10
2. Das Protokoll zur Sozialpolitik als Vorläufer flexibler Integration im Vertrag von Amsterdam ..............................................................
38
a) Hintergründe .............................................................
38
b) Die Rechtsnatur des Protokolls und des Abkommens zur Sozialpolitik ....
40
aa) Die Rechtsnatur des Protokolls .......................................
40
bb) Die Rechtsnatur des Abkommens ....................................
40
c) Institutionelle Konsequenzen ...................... . ........ . ... . . . .......
43
aa) Organleihe ...........................................................
43
bb) Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Organe.................
44
(I) Rat...............................................................
44
(2) Parlament........................................................
45
(3) Fazit................................. . ...........................
46
d) Rechtsetzung ............................. . .......... . .......... . .........
46
aa) Konkurrenz der Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
bb) Wirkung des auf der Grundlage des Abkommens erlassenen Rechts ..
48
cc) Auswirkungen auf die Rechtsprechung des EuGH ....................
48
e) Fazit....... . . . . . ...... . . . ........ . ...... . . . ........ . . . ...... . ... . . . .......
49
Zweites Kapitel
Die verstärkte Zusammenarbeit I. Überblick
52 52
1. Hintergründe ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
2. Geltungsbereich verstärkter Zusammenarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
a) Vertrag von Amsterdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
b) Vertrag von Nizza ........................................................
54
3. Systematik der Regelungen über verstärkte Zusammenarbeit .................
55
a) Vertrag von Amsterdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
b) Vertrag von Nizza ........................................................
56
11. Allgemeine Voraussetzungen im Vertrag von Amsterdam ....................
56
I. Förderung der Ziele der Union .......................... . ....................
56
2. Beachtung der Grundsätze der Verträge ......................................
57
Inhaltsverzeichnis
II
3. Ultima-ratio-Prinzip .........................................................
58
a) Verfahrensschritte in der Ersten Säule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
aal Kommission ......................................... . ...............
58
bb) Rat...................................................................
59
ce) Parlament ............................................................
60
dd) Scheitern des Rechtsakts .............................................
60
ee) Heilung durch sonstige Verfahrensanforderungen .....................
60
ff) Verstärkte Zusammenarbeit bei qualifizierter Mehrheit? ..............
61
b) Verfahrensschritte in der Dritten Säule ....................................
62
c) Auswirkungen des ultima-ratio-Prinzips auf die Verhandlungen im Rat ...
62
4. Mehrheitsprinzip .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
5. Verbot der Beeinträchtigung des Besitzstands ................................
64
6. Wahrung der Belange der anderen Mitgliedstaaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
7. Offenheitsprinzip ...................... . ....................... . ........ . ....
66
8. Fazit.........................................................................
67
III. Spezielle Voraussetzungen für den EGV im Vertrag von Amsterdam ........
68
I. Bereichsausnahmen ................................................. .. .......
69
a) Ausschließliche Gemeinschaftszuständigkeit ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
aal Abgrenzung ausschließlicher und nicht-ausschließlicher Gemeinschaftskompetenzen ....... .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .
69
(I) Allgemeines .................................................. . ..
69
(2) Bestimmung ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit .......
70
(3) Kompetenz in Fragen des Binnenmarktes ........................
72
(4) Gleichstellung ausgeübter konkurrrierender Kompetenzen mit den ausschließlichen Kompetenzen? .............................
73
(5) Fazit .............................................................
75
bb) Außenkompetenzen ..................................................
75
b) Unionsbürgerschaft ...... . .......... . ..................... . ...............
76
2. Beeinträchtigungsverbote ....... . ................... . ........................
77
a) Handel und Wettbewerb ..................................................
77
b) Gemeinschaftspolitiken, -aktionen oder -programme...... . .......... . ....
80
3. Begrenzung auf Befugnisse der Gemeinschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
4. Fazit.........................................................................
82
12
Inhaltsverzeichnis
IV. Spezielle Voraussetzungen für die PJZ im Vertrag von Amsterdam ..........
82
1. Begrenzung auf Thematik und Ziele der P1Z
83
2. Förderung der Weiterentwicklung der Union
84
3. Fazit.........................................................................
84
V. Durch den Vertrag von Nizza vorgesehene Änderungen ......................
85
1. Zulässigkeitsvoraussetzungen nach Art. 43 EUV-Nizza ............... . . . . . . . .
85
a) Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen ................................
85
aal Stärkung des Integrationsprozesses ...................................
85
bb) Beachtung der Verträge und des einheitlichen institutionellen Rahmens .................................................................
86
cc) Beachtung des Besitzstands der Gemeinschaft........................
86
dd) Beachtung der Zuständigkeiten und Ausschluß der Bereiche ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit ............................
87
ee) Mindestquorum ......................................................
88
ff) Beachtung der Belange der anderen Mitgliedstaaten ..................
89
gg) Vorrang des Schengen-Protokolls .....................................
90
hh) Offenheit gegenüber allen Mitgliedstaaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
b) Bereichsausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
aal Binnenmarkt und wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt........
91
bb) Innergemeinschaftlicher Handel ......................................
92
2. Ultima-ratio-Prinzip .........................................................
92
3. Offenheitsprinzip ................................ . . . .........................
93
4. Säulenspezifische Zulässigkeitsbedingungen .................................
93
a) Besondere Voraussetzungen für verstärkte Zusammenarbeit in der P1Z ....
94
b) Besondere Voraussetzungen für verstärkte Zusammenarbeit in der GASP
94
aal Wahrung der Kohärenz der Union....................................
94
bb) Beschränkung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
5. Wegfall von Zulässigkeitsbedingungen durch den Vertrag von Nizza ... . . . ...
97
a) Bereichsausnahme der Unionsbürgerschaft ............................ . ...
97
b) Beeinträchtigungsverbot für Gemeinschaftspolitiken ......................
97
6. Fazit....................................... . . . .......... . ............ . . . .....
97
VI. Das Verfahren im Vertrag von Amsterdam ................................... 100 I. Das Verfahren im EGV ....................................................... 100 a) Überblick................................................................. 100
Inhaltsverzeichnis
13
b) Antrag der Mitgliedstaaten ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 c) Vorschlag der Kommission ............................................... 10 1 aa) Entscheidungsspielraum der Kommission ............................ 102 bb) Inhalt des Kommissionsvorschlags ................................... 104 d) Anhörung des Parlaments ................................................. 105 e) Ermächtigungsbeschluß des Rats.......................................... 105 f) Ausübung des Vetorechts .................................................
107
g) Fazit...................................................................... 110 2. Das Verfahren in der P1Z ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Überblick.................................................................
111
b) Antrag der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 c) Stellungnahme der Kommission, Stellung des Parlaments .................
111
d) Ermächtigungsbeschluß des Rats......... . ................................ 112 e) Ausübung des Vetorechts ................................................. 112 f) Fazit ........ . ................ .".. . ................................ . ........
113
VII. Das Verfahren im Vertrag von Nizza ..................................... . .... 113
1. Das Verfahren im EGV ................... . ...... . ....................... . .... 113 2. Das Verfahren in der P1Z ..................................... . .......... . .... 114 3. Das Verfahren in der GASP ............ . ..................... . .......... . .... 115 4. Fazit.........................................................................
115
VIII. Die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit .............................
116
1. Institutionelle Auswirkungen ................................................. 116 a) Rat ....................................................................... 117 aa) Beschlußfassung ............................ . ........................ 117 bb) Vorsitz............................................................... 118 b) Kommission ........ . ..................................................... 119 c) Parlament................................................................. 120 d) EuGH .................................................................... 121 e) Ausschüsse............................................................... 121
14
Inhaltsverzeichnis 2. Rechtsakte und Beschlüsse im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit
122
a) EGV .................................................. . ...... . ... . . . ...... 122 aa) Geltung des partikularen Sekundärrechts ............................. 123 bb) Verhältnis des partikularen Sekundärrechts zum übrigen Gemeinschaftsrecht .......................................................... 123 (I) Verhältnis des Partikularrechts zu schon bestehendem Gemeinschaftssekundärrecht ............................................. 124 (2) Verhältnis des Partikularrechts zu später erlassenem Gemeinschaftssekundärrecht ............................................. 125 cc) Auslegung gleichlautender Rechtsbegriffe ............................ 126 b) PIZ....................................................................... 127 c) Vertrag von Nizza: GASP ................................................. 128 d) Faktische Bindungswirkung der nicht beteiligten Mitgliedstaaten ......... 130 e) Verstärkte Zusammenarbeit und acquis communautaire ................... 130 f) Verhältnis zu den Schengen-Protokollen ..................................
131
3. Andere Durchführungsbestimmungen............................... . ........ 132 a) Obstruktions verbot ....................................................... 132 b) Finanzierung verstärkter Zusammenarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 132 c) Regelmäßige Information des Parlaments ............. . ................... 133 d) Durch den Vertrag von Nizza bedingte Änderungen ....................... 133 4. Mehrfache verstärkte Zusammenarbeit ....................................... 134 5. Auswirkungen auf die Kompetenzverteilung im EGV ........................ 135 6. Verstärkte Zusammenarbeit und Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 7. Auswirkungen auf die internationale Handlungsfähigkeit ............ . . . ...... 136 a) EGV ...................................................................... 136 aa) Begründung von Außenkompetenzen durch verstärkte Zusammenarbeit ................................................................ 137 bb) Zulässigkeit der Ausübung von Außenkompetenzen in verstärkter Zusammenarbeit ........................................................ 138 cc) Konsequenzen für den Abschluß von Abkommen in verstärkter Zusammenarbeit ........................................................ 139 dd) Fazit........................................................ . ........ 141 ee) Haftung................................. . .......... . ................. 141 b) PIZ.................................... . .............. . .......... . ........ 141 c) Vertrag von Nizza: GASP ................................................. 142 IX. Anwendungsfelder verstärkter Zusammenarbeit............................. 143
Inhaltsverzeichnis
15
X. Aufnahme zunächst nicht beteiligter Mitgliedstaaten......................... 147 I. Voraussetzungen................ . ............................................ 147
2. Verfahren ..................... . ................... . .......... . ............... 148 a) Vertrag von Amsterdam ................................................... 148 aa) Das Verfahren im EGV ........... . . . ...... . .......... . . . ...... . . . . . .. 148 bb) Das Verfahren in der P1Z ............................................. 150 b) Vertrag von Nizza ........................................................ 152 aa) Das Verfahren im EGV ......... . .......... . .......... . .......... . .... 152 bb) Das Verfahren in der P1Z .................... . ........................ 152 cc) Das Verfahren in der GASP .......................................... 153 3. Solidaritätspflicht nach dem Vertrag von Nizza ............................... 153
XI. Ausscheiden eines Mitgliedstaats ......................... . .................... 154 XII. Beendigung der verstärkten Zusammenarbeit..... . .......................... 155 I. Beteiligung aller Mitgliedstaaten ............................................. 155
2. Beendigung durch Beschluß. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3. Nichtigkeit................................................................... 156
XIII. Justiziabilität ....................................... . .......... . ............... 157 1. Zuständigkeit des EuGH ..................................................... 157 a) Besondere Zuständigkeit bezüglich verstärkter Zusammenarbeit .......... 157 b) Sachzuständigkeit ................................... . .................... 158 c) Fazit...................................................................... 159 d) Vertrag von Nizza: lustiziabilität in der GASP ......................... . .. 159 2. Überprütbare Handlungen - Mögliche Klagekonstellationen .................. 160 a) Vertragsverletzungsverfahren ............................................. 160 b) Nichtigkeitsklage......................................................... 160 aa) Entscheidung der Kommission ....................................... 160 bb) Gründungsbeschluß und Durchführungsbestimmungen verstärkter Zusammenarbeit ........................................................ 162 cc) Ablehnung bzw. Zurückstellung eines Beitrittsantrags ................ 163 c) Untätigkeitsklage ......................................................... 164 d) Vorabentscheidungsverfahren ............................................. 165
16
Inhaltsverzeichnis 3. Folgen der Zuständigkeit des EuGH für partikulares Gemeinschaftsrecht aus verstärkter Zusammenarbeit ................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Klagebefugnis nicht beteiligter Mitgliedstaaten ........................... 165 aa) Vertragsverletzungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 bb) Nichtigkeitsklage
166
cc) Untätigkeitsklage
166
dd) Vorlageverfahren ........................... . .......... . .............. 167 b) Bindungswirkung von Urteilen des EuGH ................................. 168 c) Relevanz verschiedener Auslegungsmaßstäbe ............................. 169
XIV. Zusammenarbeit außerhalb der Verträge ................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 XV. Fazit........................................................................ . ... 174 1. Verstärkte Zusammenarbeit im Vertrag von Amsterdam ...................... 174
2. Verstärkte Zusammenarbeit im Vertrag von Nizza ............................ 177
Drittes Kapitel
Case-by-case- Flexibilität
179
I. Konstruktive Enthaltung in der GASP ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Möglichkeit der Stimmenthaltung ............................................ 179
2. Abgabe einer förmlichen Erklärung - konstruktive Enthaltung................ 180 3. Spezialproblem: Wirtschaftssanktionen nach Art. 301 EGV .................. 181 4. Finanzierung................................................................. 183 5. Beitritt ....................................................................... 183 6. lustiziabilität . . . . .. . . . . . . . . .. . . . .. . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . .. 184 7. Fazit......................................................................... 184 8. Vertrag von Nizza: Konsequenzen aus der Einführung der verstärkten Zusammenarbeit für die konstruktive Enthaltung .................................... 185 11. Case-by-case-Flexibilität in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik .................................................................... 186 1. Die WEU als "integraler Bestandteil" der Union ................... . ......... 186
2. Durch den Vertrag von Nizza vorgesehene Änderungen....................... 189
Inhaltsverzeichnis
17
III. Nationale Schutzklausein ...................................................... 190 1. Rechtsangleichung nach Art. 95 IV, V, X EGV ............................... 190 a) Die Schutzverstärkungsklauseln des Art. 95 IV - IX EGV ................. 190 b) Die Schutzklausein nach Art. 95 X EGV .................................. 192 2. Weitere Schutzverstärkungsklauseln .......................................... 192 3. Möglichkeit zur vorübergehenden Differenzierung bei der Verwirklichung des Binnenmarktes, Art. 15 EGV ................................................. 193 4. Fazit......................................................................... 194 IV. Übereinkommen im Rahmen der PJZ ......................................... 195 V. Opt-in für gerichtliche Kontrolle in der PJZ .................................. 195
Viertes Kapitel
Konkrete Flexibilität
197
I. Die Wirtschafts- und Währungsunion, WWU ................................. 197 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 197 2. Das EWS als Vorläufer der WWU ............................................ 198 a) Hintergründe ............................................................. 198 b) Kernpunkte des EWS ............... . ..................................... 199 c) Flexibilität des EWS ...................................................... 200 d) Das EWS als Vorläufer differenzierter Integration ......................... 201 3. Die Wirtschafts- und Währungsunion......................................... 202 a) Die erste und die zweite Stufe der WWU .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 204 b) Die Konvergenzkriterien als objektive Teilnahmekriterien . . . . . . . . . . . . . . . .. 204 c) Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt ...................... 206 aa) Die Mitgliedstaaten .................................................. 206 (I) Schweden ................................................ . . . . . . .. 206 (2) Griechenland ............................... . .................... 207 bb) Die Konsequenzen der Ausnahmeregelung ................. . ......... 208 cc) Auswirkungen auf die Beschlußfassung im Rat ....................... 208 d) Die Beziehungen zwischen beteiligten und nicht beteiligten Mitgliedstaaten ........................................................................ 209 aa) Der Wechselkursmechanismus II ..................................... 209 2 Grieser
18
Inhaltsverzeichnis bb) Die Beteiligung am ESZB .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 212 cc) Beitritt zur WWU .................................................... (I) Allgemeines .................................................. . .. (2) Teilnahme Griechenlands seit 2001 .......... . ................... (3) Schweden................................................... . . . ..
212 212 213 214
e) Sonderrege\ungen der Mitgliedstaaten mit opt-out ........................ 214 aal Das dänische opt-out ................................................. 214 bb) Das opt-out des Vereinigten Königreichs ............................. 215 f) Auswirkungen auf die Außenkompetenzen .............................. .. 217
aal Kompetenzlage im Bereich der Wirtschaftspolitik .... . ............... 217 bb) Kompetenzlage im Bereich der Währungspolitik ..................... 217 4. Fazit ............................................................. . . . ......... 219 11. Der Schengen-Besitzstand ...................... . .............................. 222 1. Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 222
2. Die Einbeziehung des Schengen Besitzstands ................................ 223 a) Die Beteiligung des Vereinigten Königreichs und Irlands. . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Die Beteiligung Dänemarks ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 228 3. Die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands ........................... 229 a) Die Beteiligung des Vereinigten Königreichs und Irlands ..... . . . . . . . . . . . .. 230 b) Die Beteiligung Dänemarks ........................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 231 4. Assoziierung Islands und Norwegens ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 233 5. Übernahme des Schengen-Besitzstands durch Beitrittskandidaten ............ 235 6. Gerichtliche Kontrolle l1ustiziabilität ........................................ 236 a) Bestimmungen des Schengen-Besitzstands ................... .. . . .. . . . . . .. 236 b) Bestimmungen der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands ........ 239 c) Sonderfall Dänemark ..................................................... 239 7. Fazit .......................... . ...... . . . ........ . . . . . ........ . . . ............. 240 III. Sonderregelungen in Titel IV EGV ............................................ 245
1. Der neue Titel IV EGV ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 245 2. Die Sonderregelungen für das Vereinigte Königreich und Irland .............. 246 a) Opt-out mit Beteiligungsoption .................. . .......... . .......... . .. 246 b) Beitrittsmöglichkeit Irlands ............................................... 248
Inhaltsverzeichnis
19
3. Die Sonderregelungen Dänemarks ........................................... 248 a) Opt-out ohne Beteiligungsoption ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. 249 b) Beitrittsmöglichkeit Dänemarks........................................... 249 4. Fazit ........................................................... . ............. 249 IV. Das opt-out Dänemarks in der Verteidigungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 251 I. Opt-out ohne Beteiligungsoption ............................................. 251 2. Beitritt durch einseitige Verzichtserklärung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 251
Fünftes Kapitel
Flexible Integration - eine Abkehr von der Einheitlichkeit der Rechtsordnung?
252
I. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung ......... . ............. 252 11. Die Erscheinungsformen flexibler Integration vor dem Hintergrund der Einheitlichkeit der Rechtsordnung ............................................ 254 I. Konkrete Flexibilität ........ . ...... . ... . . . .... . ............ . . . ............... 254 2. Case-by-case-Flexibilität . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 256
3. Die Generalklausel der verstärkten Zusammenarbeit ........... . ............. 257 III. Fazit............................................................................ 258 IV. Ausblick......................... . .......... . ..................... . .......... . .. 259 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 261 Stichwortverzeichnis ... . . . . . ........ . . . . . .... . . . . . .......... . ........ . . . .......... . .. 276
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Einleitung I. Hintergründe flexibler Integration Die Union ist mit aktuell 15 Mitgliedstaaten durch eine große Vielfalt und Heterogenität gekennzeichnet. Unterschiedliche Traditionen und wirtschaftspolitische Ausrichtungen in den Mitgliedstaaten bedingen sowohl verschiedene Standpunkte als auch unterschiedliche Leistungsfähigkeit. I Das gemeinschaftliche Handeln berührt darüber hinaus zunehmend Kernbereiche der nationalen Souveränität,2 in denen die Bereitschaft der Mitgliedstaaten zu Zugeständnissen aufgrund nationaler Vorbehalte gering ist. 3 Die gemeinsame Bewältigung anspruchsvollerer Politikbereiche wird in Zukunft erhöhte Anforderungen an die einzelnen Mitgliedstaaten stellen. 4 Deutliche Beispiele für die Schwierigkeit der Konsensfindung bei der Verwirklichung neuer Integrationsschritte stellen die in Protokollen zum Vertrag über die Europäische Union niedergelegten Sonderregelungen für das Vereinigte Königreich und Dänemark betreffend den Schengen-Besitzstand und die Materien Visa, Asyl und Einwanderung5 dar. Das opt-out des Vereinigten Königreichs aus der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion war ein Auslöser dafür, trotz des zunächst bestehenden Widerstands einiger Mitgliedstaaten, Flexibilität in Form der verstärkten Zusammenarbeit in den Vertrag von Amsterdam aufzunehmen. 6 Die bestehenden Probleme werden durch die anstehende Osterweiterung noch verschärft.? Wenn auch zwischen den 15 Mitgliedstaaten bislang meist ein Weg zur Verwirklichung verschiedener Ziele gefunden werden konnte, so steigern sich die Meinungs- und Leistungsunterschiede mit wachsender Zahl der Mitgliedstaaten. Die Heterogenität in der Europäischen Union wird allein durch die größere Anzahl von Mitgliedstaaten erheblich zunehmen. Hinzu kommt, daß sich die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Wirklichkeit in den mittel- und Vgl. Becker; EuR 1998 - Beiheft I, S. 30. s. EhLermann, in: Winter I Curtin u. a., Reforrning the Treaty on European Union, S. 40; Deubner; in: Ehlerrnann, Der rechtliche Rahmen, S. 118; Edwards/Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 6. 3 Vgl. de La Serre/Wallace, Flexibility and Enhanced Cooperation, S. 18 ff.; Curtin, Aussenwirtschaft 1995, S. 239. 4 Deubner; in: Ehlerrnann, Der rechtliche Rahmen, S. 118. 5 Dazu Kapitel 4. 6 Vgl. Duff, in: ders., The Treaty of Amsterdam, S. 186 ff. 7 s. Curtin, Aussenwirtschaft 1995, S. 239; EhLermann, in: Winter I Curtin, Reforrning the Treaty on European Union, S. 40 f. 1
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Einleitung
osteuropäischen Staaten beträchtlich von der in den bisherigen Mitgliedstaaten der Union unterscheidet. 8 Darüber hinaus ist zu erwarten, daß die Beitrittskandidaten nicht in der Lage sein werden, nach den Anstrengungen zur Erfüllung der Beitrittsvoraussetzungen sogleich weitere signifikante Integrationsfortschritte mitzutragen. 9 Die geplante Erweiterung war deshalb ein wichtiger Beweggrund für die Aufnahme der Flexibilitätsbestimmungen in den Vertrag von Amsterdam. Die Ansicht, die Begründung der Flexibilität mit den Problemen der bevorstehenden Osterweiterung sei eine Projektion interner Probleme auf eine externe Sphäre, um das Problem außerhalb der bestehenden Union ansiedeln zu können,lo findet ihre Grundlage in den Sonderwegen aktueller Mitgliedstaaten. Obwohl interne Probleme ausreichend Gründe für eine Flexibilisierung des Unionsrechts bieten, erfordert die anstehende Erweiterung um so mehr, das System der Europäischen Union der Vielfalt und Heterogenität ihrer Mitgliedstaaten anzupassen. Flexible Integration soll eine Lösungsmöglichkeit in der Frage des Konflikts zwischen Erweiterung und Vertiefung bereithalten,11 indem sie durch die Ermöglichung neuer Impulse durch einen Teil der Mitgliedstaaten einer Stagnation des Integrationsprozesses vorbeugt.
11. Ziel der Untersuchung Durch den Vertrag von Amsterdam wurde mit der verstärkten Zusammenarbeit erstmals eine Generalklausel zur Ermöglichung flexibler Integration im Rahmen gemeinschafts- und unionsrechtlichen Handeins geschaffen. Diesem Schritt wird eine erhebliche Bedeutung beigemessen, teilweise wird von einem Paradigmenwechsel 12 in der Europäischen Union gesprochen. Die Darstellung der verschiedenen Erscheinungsformen flexibler Integration im geltenden Unions- und Gemeinschaftsrecht soll zeigen, ob sich in der Union tatsächlich ein Wandel von Uniformität zu Diversität vollzieht, ob das Prinzip der einheitlichen Integration zugunsten eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten oder gar eines Europa a La carte aufgegeben wird. Dabei stellt sich die Frage, ob ein solcher Paradigmenwechsel überhaupt mit der rechtlichen Systematik des EUV und des EGV vereinbar wäre. Kritiker warnen vor folgenschweren Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit und des Zusammenhalts der Union. 13 Der 8 de La Serre / Wallace, Flexibility and Enhanced Cooperation, S. 16; Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 6. 9 Deubner; in: Ehlermann, Der rechtliche Rahmen, S. 118. !O Shaw, EU 1998, S. 67. 11 s. de La Serre/Wallace, Flexibility and Enhanced Cooperation, S. 5; Weatherill, in: Usher, The State of the European Union, S. 10. 12 de Burca/Scott, in: dies., Constitutional Change, S. 1. 13 Vgl. Martenczuk, EuR 2000, S. 359 f.; Janning, integration 1997, S. 287; Weatherill, in: Usher, The State of the European Union, S. 3; AreiLza, Enhanced Cooperations, S. 9.
H. Ziel der Untersuchung
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Rückgriff auf flexible Handlungsoptionen kann zum einen zu einer Beeinträchtigung der Rechtseinheit und der institutionellen Einheit l4 und damit zu einer Fragmentierung der Europäischen Union führen. Ein kritischer Punkt ist auch der Verlust an Transparenz der Rechtsordnung, welcher notwendig mit einer Flexibilisierung des Rechts verbunden ist,15 ein Aspekt, der vor dem Ziel eines Europas der Bürger an Gewicht gewinnt. 16 Durch die Aufgabe des Postulats der gemeinsamen Bewältigung der verschiedenen Handlungsziele kann überdies die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten gestört werden. 17 In diesem Zusammenhang werden auch Befürchtungen geäußert, durch Flexible Integration werde einer Kembildung innerhalb der Union, welche zu einer Kontrolle der Integration durch einige starke Mitgliedstaaten führen kann, Vorschub geleistet. 18 Da Flexible Integration möglicherweise bewährte Grundlagen der europäischen Zusammenarbeit in Frage stellt, ist in der Tat eine kritische Würdigung der betreffenden Bestimmungen vor dem Hintergrund der maßgeblichen Grundsätze erforderlich. Dies ermöglicht eine Beurteilung, ob sich flexible Integration im Vertrag von Amsterdam und im Vertrag von Nizza in die bisherige Systematik der Unionsrechtsordnung einfügt, oder ob das Prinzip der Einheitlichkeit zugunsten von Fortschritten einzelner Mitgliedstaaten aufgegeben und Flexibilität damit zu einem neuen Struktur- und Verfassungsprinzip der Europäischen Union wird. Darüber hinaus unterscheiden sich die einzelnen Erscheinungsformen flexibler Integration, wie die Darstellung zeigen wird, zum Teil ganz erheblich, so daß sich die Frage stellt, welche Art flexiblen Vorgehens vorzuziehen ist. Maßgeblich für eine Beurteilung ist zum einen, in welchem Ausmaß dadurch Integrationsfortschritte erzielt werden können bzw. ob die gemeinsame Zielverwirklichung gefördert wird oder zumindest eine reelle Option darstellt. Des weiteren sind die Auswirkungen auf die Effektivität und Transparenz der Rechtsordnung zu beurteilen. In Anbetracht der Sonderwege einzelner Mitgliedstaaten ist auch der Gesichtspunkt der Solidarität zwischen allen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Vor allem aber soll eine Analyse des Umfangs und der Möglichkeiten flexibler Integration zeigen, ob dadurch die Probleme, die durch die wachsende Heterogenität der Union entstehen, gelöst werden können. Angesichts der Herausforderungen, mit denen die Europäische Union zu Beginn des 21. Jahrhunderts konfrontiert ist, stellt sich die Frage, ob flexible Integration als Komprorniß zwischen Erweiterung und Vertiefung der Weg der Zukunft ist.
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Vgl. Martenczuk, EuR 2000, S. 359 f.; Janning, integration 1997, S. 287.
15 Vgl. Weatherill, in: Usher, The State of the European Union, S. 3. 16 Vgl. Areilza, Enhanced Cooperations, S. 9.
17 Vgl. Martenczuk, EuR 2000, S. 362; Edwardsl Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 41. 18 Vgl. Areilza, Enhanced Cooperations, S. 8; Janning, integration 1997, S. 289 f.
Erstes Kapitel
Grundlagen I. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands Die Diskussion innerhalb der Regierungskonferenz 1996 fand unter dem Stichwort Flexibilität statt. Vom allgemeinen Sprachgebrauch ausgehend kann der Begriff der Flexibilität sehr weit verstanden werden. Daran anknüpfend existieren neben der verstärkten Zusammenarbeit und den in Protokollen geregelten Ausnahmeregelungen für einzelne Mitgliedstaaten zahlreiche andere Beispielsfälle, in denen innerhalb und außerhalb des rechtlichen Rahmens der Verträge von dem Postulat der Einheitlichkeit des Rechts abgewichen wird. So zeichnet sich die Europäische Union durch eine gewisse strukturelle I und justitielle2 Flexibilität3 aus. Die Unterschiede zwischen der supranationalen Säule des EGV und den intergouvernementalen Säulen der GASP und der PIZ führen sowohl zu Differenzierungen in den einzelnen Verfahren als auch in der gerichtlichen Kontrolle durch den EuGH. Darüber hinaus führen auch andere Vorschriften wie etwa die Suspendierung von Vertragsrechten4 zu einem unterschiedlichen Status einzelner Mitgliedstaaten. Auch außerhalb von EGV und EUV gibt es verschiedene Beispiele für die unterschiedliche Bindung der einzelnen Mitgliedstaaten. Aufgrund dieser Vielfalt von flexiblen Regelungen ist zunächst eine Bestimmung des Untersuchungsgegenstands erforderlich. 1. Flexibilität mit dem Ziel der Förderung der Integration
Aus der Zielsetzung der Arbeit ergibt sich eine Begrenzung des Untersuchungsgegenstands auf Fälle, in denen eine unterschiedliche Bindung der einzelnen Mitgliedstaaten5 zur Förderung der Integration innerhalb der Europäischen Union beitragen soll. Diese Form der Flexibilität wird im folgenden als flexible Integration bezeichnet. Sie dient als Oberbegriff für alle Beispielsfälle und Konzepte, in denen s. Harmsen, NILQ 1994, S. 110; Walker, EU 1998, S. 363. s. Harmsen, NILQ 1994, S. 118; Walker, EU 1998, S. 363. 3 Von der unterschiedlichen Dichte der lustiziabilität zu unterscheiden ist Art. 35 EUV, der zu einer Differenzierung zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten führt. Dazu Kapitel 3. 4 Art. 7 EUV. 5 s. auch Walker, EU 1998, S. 363. I
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I. Abgrenzung des Untersuchungs gegenstands
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aufgrund unterschiedlicher Fähigkeiten oder unterschiedlicher Interessen statt eines gemeinsamen Vorgehens einige Mitgliedstaaten einen weiteren gemeinsamen Integrationsfortschritt unternehmen, während sich andere daran nicht oder erst später beteiligen. Der Begriff der flexiblen Integration ist für den vorliegenden Zusammenhang dem Begriff der differenzierten Integration vorzuziehen, da differenzierte Integration bereits in den 70er Jahren als Bezeichnung für ein spezielles Integrationskonzept verwendet wurde 6 und deshalb mit diesem und anderen vielfach umstrittenen Konzepten 7 assoziiert wird. 8 Flexible Integration ist demgegenüber ein neuer, d. h. in dieser Hinsicht unbelasteter Begriff, der in der aktuellen Entwicklung häufig verwendet wird. Obwohl die Förderung der Integration eine zentrale Rolle bei der Bestimmung des Untersuchungsgegenstands spielt, existiert keine allgemein akzeptierte Definition für Integration. 9 Die einzelnen Integrationstheorien betrachten die europäische Integration aus unterschiedlichen Perspektiven und legen verschiedene Analyseebenen zugrunde, oder haben verschiedene Zielsetzungen. lO Integration stellt ein multidimensionales Phänomen dar, II welches durch zahlreiche Faktoren bestimmt wird. Eine abschließende, generelle Bestimmung des Begriffs der Integration ist deshalb in diesem Rahmen nicht möglich. Ausgehend von der rechtlichen Struktur der Europäischen Union soll unter Integration im folgenden die Regelung einer Materie auf supranationaler bzw. intergouvernementaler Ebene verstanden werden. Ein Beispiel für Flexibilität, die zwar zu einer unterschiedlichen Bindung einzelner Mitgliedstaaten, jedoch nicht unmittelbar zu einem Integrationsfortschritt führt, ist das Opt-out bei Übereinkünften in der GASP und PJZ nach Art. 24 I S. 3 EUV. 12 Dieser Artikel sieht im Verfahren zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge in der GASP und in der PJZ 13 vor, daß ein Mitgliedstaat, dessen Vertreter im Rat erklärt, daß in seinem Land bestimmte verfassungsrechtliche Vorschriften eingehalten werden müssen, durch die Übereinkunft nicht gebunden ist. Art. 24 I S. 3 EUV 14 ermöglicht zwar ein opt-out eines oder mehrerer Mitgliedstaaten, welches 6 Weidenjeld/Janning, Strategien differenzierter Integration, S. 151; Vandamme, integration 1978, S. 87; Scharrer; Differenzierte Integration im Zeichen der Schlange, S. 154. 7 s. Kapitell. 8 So auch Giering, Zweckverband und Superstaat, S. 214. 9 Giering, Zweckverband und Superstaat, S. 24; Zimmerling, Externe Einflüsse, S. 31. 10 Cram, Policy-making, S. 7; Giering, Zweckverband und Superstaat, S. 11; Welz/ Engel. in: v. Bogdandy, Die europäische Option, S. 134. 11 Vgl. Puchala, in: Lindbergl Scheingold, Regional Integration, S. 128; Lindberg, in: Lindberg I Scheingold, Regional Integration, S. 46. 12 Art. 24 V EUV-Nizza. 13 Art. 24 11 i.Y.m. 38 EUV, Art. 24 IV S. 1 i.Y.m. 38 EUV-Nizza. 14 Art. 24 V EUV-Nizza.
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1. Kap.: Grundlagen
das Verfahren des Vertragsabschlusses erleichtert. Letztendlich kommt ein Abkommen aber nur unter Beteiligung aller Mitgliedstaaten zustande, weswegen ein Integrationsfortschritt der übrigen Mitgliedstaaten durch die Möglichkeit des nationalen Vorbehalts nicht zustande kommt. Diese Vorschrift ermöglicht zwar Flexibilität im Verfahren, jedoch keine flexible Integration. 15 Ein weiteres durch den Vertrag von Amsterdam eingeführtes Verfahren, welches zu einer unterschiedlichen Geltung von Gemeinschaftsrecht in den Mitgliedstaaten führen kann, sieht Art. 7 EUV vor. Im Falle der Feststellung einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung von in Art. 6 I EUV genannten Grundsätzen durch einen Mitgliedstaat können danach bestimmte vertragliche Rechte suspendiert werden. 16 Zwar wurde Art. 7 EUVaufgrund von Befürchtungen bezüglich der Fähigkeit oder des Willens mancher Beitrittskandidaten, die Prinzipien und Grundsätze des Art. 6 EUVeinzuhalten, in den Vertrag aufgenommen. 17 Dennoch handelt es sich bei der Suspendierung von Vertragsrechten nicht um flexible Integration. 18 Art. 7 EUV dient nicht der Förderung eines Integrationsziels sondern der Absicherung eines vertraglich vorgesehenen Standards, die Differenzierung stellt kein Mittel zum Fortschritt sondern eine Sanktion im Falle der Durchbrechung des status quo durch einen Mitgliedstaat dar. Darüber hinaus wird die Frage flexibler Integration auch bei Erweiterung der Europäischen Union relevant. 19 Übergangsregelungen ermöglichen den beigetretenen Mitgliedstaaten eine sukzessive Annahme des gemeinschaftlichen Besitzstands. Diese Form der graduellen Übernahme des acquis communautaire fand bei Erweiterungen zum Teil in zentralen Bereichen der Integration wie der Zollunion und der Landwirtschaft Anwendung?O Dabei handelt es sich nicht um Flexibilität zugunsten einer Vertiefung der Integration, sondern zur Erweiterung des Teilnehmerkreises. Auch diese Fälle sind nicht Gegenstand dieser Arbeit.
15 A.A. Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 125; Forg6, in: Breuss/Griller, Flexible Integration in Europa, S. 56, die Art. 24 EUV als einen Fall variabler Geometrie sieht. 16 Die institutionellen Konsequenzen der Aussetzung von vertraglichen Rechten sind mit den Folgen eines opt-out oder verstärkter Zusammenarbeit vergleichbar. I7 Manin, CJEL 1998, S. 23. 18 Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 43 EUV Rn. 16, sieht demgegenüber die Suspendierung von Vertragsrechten als einen Fall differenzierter Integration, wenn auch als Sanktionsmittel, an. 19 Dazu Becker, EU-Erweiterung und differenzierte Integration. 20 s. de La Serre/Wallace, Flexibility and Enhanced Cooperation, S. 10; vgl. etwa Art. 69 ff. der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Norwegen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassung der die Europäische Union begründenden Verträge, ABI. Nr. C 241 v. 29. 8. 1994, S. 21, geändert durch Beschluß (95/ 1 / EG) des Rates der Europäische Union v. 1. 1. 1994 zur Anpassung der Dokumente betreffend den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zur Europäische Union, ABI. Nr. L 1 v.1. 1. 1995, S. 1.
1. Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands
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2. Begrenzung auf interne flexible Integration Eine weitere Einschränkung erfolgt unter dem Gesichtspunkt, daß der Integrationsfortschritt, welcher durch die Flexibilisierung ermöglicht wird, innerhalb der Europäischen Union stattfindet. Untersuchungsgegenstand ist lediglich die interne flexible Integration, d. h. Differenzierungen innerhalb des rechtlichen und institutionellen Rahmens der Verträge. Davon abzugrenzen ist die völkerrechtliche engere Zusammenarbeit von Mitgliedstaaten außerhalb dieses Rahmens,21 die sogenannte externe Differenzierung. 22 Das bedeutendste Beispiel externer Kooperation von Mitgliedstaaten sind die Schengener Abkommen, welche mittlerweile durch den Vertrag von Amsterdam in das Gemeinschafts- und Unionsrecht inkorporiert wurden, allerdings mit eingeschränkter Geltung für das Vereinigte Königreich und Irland sowie Dänemark. Dies zeigt, daß auch externe Kooperation zu einem Integrationsfortschritt führen kann. Ziel muß jedoch sein, innerhalb der Europäischen Union Mechanismen zu schaffen, anhand derer die gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben bewältigt werden können. Externe Kooperationen beinhalten Gefahren für die institutionelle Ordnung und den Zusammenhalt der Union und führen zu einem Verlust demokratischer und justitieller Kontrolle. 23 Eine weitere Möglichkeit externer Zusammenarbeit stellt Art. 17 IV EUV 24 dar, der eine engere Zusammenarbeit25 im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorsieht. Die Mitgliedstaaten können auf bi- oder multilateraler Ebene zusammenarbeiten,26 auch eine Zusammenarbeit im Rahmen internationaler Organisationen ist möglich. 27 Hierbei handelt es sich nicht etwa um Verpflichtungen von Mitgliedstaaten aus ihrer Mitgliedschaft in der WEU und NATO,28 sondern um die Zusammenarbeit zweier oder mehrerer EU-Mitgliedstaaten im Rahmen von WEU 29 oder NATO. 3D Einzige Voraussetzung einer nach Art. 17 IV EUV zuZur Zulässigkeit externer Kooperationen der Mitgliedstaaten s. Kapitel 2, Punkt XlV. Vgl. Becker; EuR 1998 - Beiheft 1, S. 34 ff.; Ehlermann, EuR 1997, S. 364. 23 V gl. Dehaene / Weizsäcker / Simon, The Institutional Implications of Enlargement, Punkt 2.1. 24 Ex-Art. J.4 V EUV. Art. 17 IV EUV wird durch den Vertrag von Nizza nicht geändert. 25 Diese "engere Zusammenarbeit" ist der "verstärkten Zusammenarbeit" der Art. 43 ff. EUV zwar begrifflich ähnlich, ist jedoch inhaltlich etwas anderes. 26 Art. 17 IV spricht von Zusammenarbeit auf zweiseitiger Ebene. Nachdem jedoch auch mehr als zwei Mitgliedstaaten zusammenarbeiten können, ist davon auszugehen, daß es sich um ein Redaktionsversehen handelt und auch eine engere Zusammenarbeit auf multilateraler Ebene möglich ist. 27 Art. 17 IV betrifft aber keine Zusammenarbeit mit Drittstaaten, GTE-Burghardt /Tebbe, EGV /EUV, Art. J.4 Rn. 20. 28 Die Beachtung der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus der NATO ist in Art. 17 I UA. 3 vorgeschrieben. 29 Die WEU hat ihre Funktion als Akteur in der Krisenbewältigung aufgegeben, dazu im folgenden Punkt. 2\
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1. Kap.: Grundlagen
lässigen Zusammenarbeit ist, daß gemeinsame Aktivitäten im Rahmen der GASP nicht behindert werden. Diese engere Zusammenarbeit nach Art. 17 IV EUV ist kein Instrument der Union. Art. 17 IV EU stellt den Mitgliedstaaten lediglich frei, auf dem Gebiet der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, unabhängig von den Vorschriften und dem institutionellen Kontext der GASP zu kooperieren. Es handelt sich um einen Fall externer Differenzierung. Der Hintergrund besteht jedoch auch hier darin, daß durch solche Kooperationen die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union insgesamt gefördert wird. Als Beispiele für eine derartige Zusammenarbeit können bislang das EurokorpS,31 die aus deutschen, britischen, belgischen und niederländischen Truppen zusammengesetzte multinationale Division oder etwa die von Spanien, Frankreich, Italien und Portugal eingesetzten Eingreiftruppen für den Mittelmeerraum "Euroforce" und "Euromarforce" genannt werden. 32 Neben externer Kooperation unter Mitgliedstaaten der EU gibt es flexible Formen externer Zusammenarbeit mit Nicht-Mitgliedstaaten. Auch hier dient die Flexibilität nicht zur Vertiefung der Integration. Als Beispiel für die Kooperation mit Nicht-Mitgliedstaaten sind das EWR-Abkommen oder das Abkommen über die WEU zu nennen. 33 Auch diese Fälle gehören nicht zum Gegenstand dieser Arbeit.
11. Systematisierung verschiedener Formen flexibler Integration Die Erscheinungsformen flexibler Integration im EGV und EUV sowohl in der Fassung von Amsterdam als auch von Nizza sind zahlreich. Sie reichen von der verstärkten Zusammenarbeit, der Möglichkeit der konstruktiven Enthaltung in der GASP, den Regelungen für die nicht an der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion beteiligten Mitgliedstaaten bis hin zu opt-outs einzelner Mitgliedstaaten für bestimmte Politikfelder. Um diese Vielfalt in einer abschließenden Bewertung im Hinblick auf die Bedeutung flexibler Integration in der Europäischen Union ausreichend zu berücksichtigen, ist eine Systematisierung erforderlich.
Calliess/Ruffert-Cremer, EUV /EGV-Kommentar, Art. 17 Rn. 9. Das Eurokorps war ursprünglich deutsch-französisch, später beteiligten sich Belgien, Luxemburg und Spanien. 32 GTE-Burghardt/Tebbe, EGV /EUV, Art. J.4 Rn. 20. 33 s. Usher, ICLQ 1997, S. 243. 30
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11. Systematisierung verschiedener Formen flexibler Integration
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1. Verschiedene Systematisierungsvorschläge a) Time, space und matter
In jüngerer Zeit wurden zahlreiche, vorwiegend der Systematisierung differenzierter bzw. flexibler Integration dienende Studien veröffentlicht. 34 Unter anderem wurde eine Systematisierung flexibler Integration nach den Variablen time, space und matter vorgenommen?5 Dadurch soll zwischen Modellen, bei denen der wesentliche Aspekt der Differenzierung ein zeitlicher (time) ist - multi-speed -, solchen, bei denen der räumliche Aspekt (space) entsprechend der politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Unterschiede im Vordergrund steht - variable geometry -, und solchen, bei denen die Differenzierung aufgrund der zu regelnden Sachmaterie (matter) bzw. verschiedener Politikbereiche stattfindet - a la carte -, unterschieden werden. 36 Gegen diese Systematisierung läßt sich einwenden, daß sowohl eine räumliche (space) als auch eine zeitliche (time) Differenzierung immer auch eine Differenzierung nach der betreffenden Thematik (matter) beinhalten. 37 Die Schwierigkeit, anhand dieser Kriterien eine Einteilung der Konzepte vorzunehmen, zeigt sich u. a. daran, daß zur Unterscheidung der drei vorgestellten Modelle - multi-speed, variable geometry und a la carte - nicht die Variablen space, time, matter herangezogen werden, sondern vor allem der Aspekt der gemeinsamen Zielsetzung. 38 Darüber hinaus werden die verschiedenen Konzepte mehrfach zugeordnet, wenn mehrere Variablen zutreffen oder weil die Begriffe in der Literatur unterschiedlich gebraucht werden. 39 Schließlich gibt es neben diesen Variablen zahlreiche andere relevante Faktoren, welche für die Beschreibung und Abgrenzung der verschiedenen Konzepte ebenso aussagekräftig sind. Aus diesen Gründen ist der Erkenntnisgewinn einer Systematisierung anhand der Variablen space, time und matter als gering anzusehen.
34 Siehe etwa Stubb, JCMSt 1996, S. 283 ff.; Giering, integration 1997, S. 72 ff.; Forgo, in Breuss/Griller, Flexible Integration in Europa, S. 41 ff.; Chaltiel, RMC 1995, S. 5 ff.; de la Serre/Wallace, Flexibility and Enhanced Cooperation, S. 6 ff.; zu einer umfangreichen Darstellung systematisierender Kriterien s. auch Tuytschaever; Differentiation, S. 116 ff. 35 Stubb, JCMSt 1996, S. 287 ff.; diese Einteilung wurde mit geringen Einschränkungen übernommen von Ehlermann, in: Winter I Curtin, Reforming the Treaty on European Union, s. 28 ff. 36 Stubb, JCMSt 1996, S. 287 ff.; Ehlermann, in: Winter/Curtin, Reforming the Treaty on European Union, S. 28 ff. 37 Becker; EuR 1998 - Beiheft 1, S. 33. 38 Stubb, JCMSt 1996, S. 288 f. 39 s. Stubb, JCMSt 1996, S. 288 f.
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1. Kap.: Grundlagen
b) Gesamtkonzept oder Integrationsmechanismus
Des weiteren wird zwischen Integrationsmechanismus und Gesamtkonzept unterschieden. 4o In der Tat entfaltet flexible Integration auf beiden Ebenen Relevanz. Flexible Integration kann als Mechanismus in kleinerem Umfang als Alternative zu einheitlichem Vorgehen innerhalb eines Politikbereiches oder auch nur eines Einzelfalls dienen. Wenn jedoch generell zugunsten von Integrationsfortschritten in kleinerem Umfang auf das Postulat der Rechtseinheit verzichtet wird, wird die flexible Integration zum Strukturkonzept und somit zu einer alternativen Methode der Integration. Diese Dimension kann aber nur durch eine generelle Akzeptanz von Flexibilität als Integrationsmechanismus erreicht werden. Die bei den Ebenen sind deshalb so eng miteinander verwoben, daß eine isolierte Betrachtung weder möglich noch sinnvoll iSt. 41 Ob flexible Integration nach den geltenden Vorschriften schon die Bedeutung eines Strukturkonzepts hat, wird erst eine Analyse der verschiedenen Erscheinungsformen zeigen. Deshalb ist es zwar wichtig, daß beide Ebenen - flexible Integration als Strukturkonzept und als Integrationsmechanismus - Berücksichtigung finden. Sie stehen jedoch nicht in einem Alternativverhältnis, so daß eine Systematisierung nach diesen Kriterien nicht weiter führt.
c) Bereichsbezogen und einzelJalibezogen
Denkbar ist auch eine Einteilung in bereichsbezogene und einzelfall bezogene Differenzierungen. 42 Dafür ist maßgebend, ob sich flexible Regelungen auf ganze Sachbereiche oder lediglich auf Einzelfragen beziehen. Eine einzelfallbezogene Differenzierung soll dann vorliegen, wenn bereits gemeinschaftliche Harmonisierungsmaßnahmen getroffen wurden. 43 Da Gegenstand der vorliegenden Untersuchung lediglich primärrechtliche Normen sind, scheidet eine Differenzierung nach diesen Kriterien zur Systematisierung der einzelnen Erscheinungsformen flexibler Integration in EGV und EUVaus.
40 Tuytschaever; Differentiation, S. 137 f.; ähnlich Forgo, in: Breuss/Griller, Flexible Integration in Europa, S. 53, die z. B. als ein charakteristisches Merkmal des Begriffs der variablen Geometrie sieht, daß dieser nicht nur auf einzelne Integrationsmechanismen zu beziehen sei, sondern auch einen größeren Zusammenhang beschreibe. 41 A.A. Tuytschaever; Differentiation, S. 137 f. 42 Becker; EuR 1998 - Beiheft 1, S. 36 ff. 43 Becker; EuR 1998 - Beiheft I, S. 36.
II. Systematisierung verschiedener Formen flexibler Integration
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2. Generalklausel, case-by-case und konkrete Flexibilität
Die folgende Darstellung unterteilt die verschiedenen Formen interner flexibler Integration demgegenüber in drei Kategorien: Generalklausel, ad-hoc Flexibilität und konkrete Flexibilität. 44 Sie lehnt sich an die im Rahmen der Regierungskonferenz 2000 verwendete Terminologie an. Dort wurde zwischen Ermächtigungsklausets und im voraus geregelter Flexibilität46 unterschieden. Maßgebliches Unterscheidungskriterium ist hierbei, ob die Differenzierung auf der Ebene des Primärrechts oder auf der Ebene des Sekundärrechts vorgenommen wird. 47 So ist zu unterscheiden zwischen Fällen, in denen primärrechtlich differenzierende Regelungen getroffen werden und die Aexibilität somit vertraglich konkret bestimmt wird und Fällen, in denen Aexibilität zwar vertraglich dem Grundsatz nach abstrakt vorgesehen und zugelassen ist, die Durchführung jedoch sekundärrechtlich erfolgt. Die primärrechtlich festgelegte Flexibilität wird durch den Vertrag und die Protokolle begründet. In den anderen Fällen existieren Ermächtigungsklauseln kleineren oder größeren Umfangs, die von den Mitgliedstaaten bei Bedarf in Anspruch genommen werden können. Der Fall der primärrechtlichen Aexibilität kann als konkrete oder im voraus geregelte Flexibilität 48 bezeichnet werden. Als Beispiele sind hier die verschiedenen opt-outs, z. B. im Bereich der Schengen-Zusammenarbeit oder der Währungsunion, zu nennen, weIche in Protokollen auf der Ebene des Primärrechts konkret bestimmen, ob bei der gemeinsamen Regelung eines Sachbereichs Ausnahmevorschriften bestehen und wie die Durchführung und der Beitritt zunächst nicht beteiligter Mitgliedstaaten ausgestaltet werden. Die sekundärrechtliche Aexibilität wird durch vertragliche Ermächtigungsklauseln ermöglicht, die flexible Integration nicht unmittelbar einführen, sondern als Option im Bedarfsfall zur Verfügung stellen. Innerhalb dieser Kategorie potentieller Differenzierungen49 ist wiederum eine weitere Unterscheidung möglich. Die verstärkte Zusammenarbeit wird als Generalklause/ 50 bezeichnet, da sie erstmals 44 Diese Art der Systematisierung findet sich vorwiegend in der englischsprachigen Literatur, vgl. Walker, EU 1998, S. 367 f. und Kortenberg, CMLR 1998, S. 835 f., aber auch in der französischen, s. Labayle, RTDE 1997, S. 835. 45 s. etwa Regierungskonferenz über die institutionelle Reform, Bericht des Vorsitzes an den Europäischen Rat (Feira), Brüssel, 14.6.2000, CONFER 4750/00, S. 52. 46 Regierungskonferenz über die institutionelle Reform, Bericht des Vorsitzes an den Europäischen Rat (Feira), a. a. 0., S. 51. 47 Martenczuk, ZEuS 1998, S. 454 ff. 48 Edwards/Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 33; Shaw, EU 1998, S. 68; Kortenberg, CMLR 1998, S. 835; Regierungskonferenz über die institutionelle Reform, Bericht des Vorsitzes an den Europäischen Rat (Feira), Brüssel, 14.6. 2000, CONFER 4750/00, S. 51. 49 Vgl. Tuytschaever, Differentiation, S. 116 f. 50 General clause oder enabling clause, s. Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 13; Walker, EU 1998, S. 368; Kortenberg, CMLR 1998, S. 835.
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1. Kap.: Grundlagen
generell und umfassend einer Gruppe von Mitgliedstaaten ein flexibles Vorgehen ermöglicht. Andere Ermächtigungsklauseln ermöglichen im Einzelfall die Option der Zusammenarbeit eines Teils der Mitgliedstaaten. Diese Klauseln können als ad-hoc- oder case-by-case-Flexibilität51 bezeichnet werden. Der Übergang zwischen diesen bei den Kategorien ist fließend. Dennoch soll die verstärkte Zusammenarbeit aufgrund ihres umfassenden Charakters als Generalklausel einer gesonderten Betrachtung unterzogen werden.
III. Grundlagen der Diskussion über flexible Integration Grundlage der aktuellen Diskussion bilden in theoretischer Hinsicht verschiedene, in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion entwickelte Modelle flexibler Integration. Zum anderen konnte auf die praktischen Erfahrungen bei der Umsetzung des Protokolls zur Sozialpolitik zurückgegriffen werden. 1. Verschiedene Konzepte flexibler Integration
Die verschiedenen Konzepte des Europa der abgestuften Integration, a geometrie variable, a la carte oder des Kemeuropa wurden entwickelt, um einem Stillstand der Integration und einer damit verbundenen Handlungsunfähigkeit der Gemeinschaft vorzubeugen. Sie stellen die Grundlage der Diskussion im Rahmen der Regierungskonferenz 199652 und damit die gedanklichen Vorläufer der im Gemeinschafts- und Unionsrecht existierenden Formen flexibler Integration, insbesondere der Vorschriften über verstärkte Zusammenarbeit dar. Obwohl die verstärkte Zusammenarbeit keinem dieser Entwürfe konkret nachgebildet wurde, lehnen sich, wie sich bei der Erläuterung der Vorschriften zeigen wird, einzelne Elemente an diese Vorgaben an. Vor allem aber verdeutlichen diese Konzepte die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen flexibler Integration. Die Bandbreite reicht von einer integrationsverträglichen zeitlichen Abstufung der Teilnahme bis hin zu einem Europa a la carte, das, abhängig von der Existenz und vom Umfang differenzierungresistenter Kernbereiche, kaum mehr als Integrationskonzept gelten kann, da Ziel lediglich der Fortschritt einzelner Mitgliedstaaten ist, unabhängig vom Fortschritt der Gesamtheit der Mitgliedstaaten. Auch wenn es sich dabei lediglich um Modelle handelt, so zeigt sich, zu welchen Konsequenzen die Anerkennung flexibler Integration als Strukturkonzept führen kann. Für den vorliegenden Zusammenhang ist aus diesen Gründen vor allem interessant, welche Formen ein differenziertes Vorgehen annehmen kann, welche Vor51 Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 29, 32; Shaw, ELJ 1998, S. 68, 76; Kortenberg, CMLR 1998, S. 836. 52 Vgl. Dashwood, in: ders., Reviewing Maastricht, S. 158 ff.; Chaltiel, RMC 1995, S. 5 ff.
III. Grundlagen der Diskussion über flexible Integration
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aussetzungen und welche Ausgestaltungen in Betracht gezogen werden. Aus diesen Gründen bietet es sich an, die wichtigsten, während der Regierungskonferenz diskutierten Konzepte unter dem jeweils geläufigsten Namen darzustellen. Für die Charakterisierung der einzelnen Ansätze sind vor allem die folgenden Fragen von Bedeutung. Ist eine gemeinsame Zielbestimmung vorgesehen? Soll die Differenzierung befristet, unbefristet oder dauerhaft sein? Berechtigen nur objektive, wirtschaftliche Gründe zu einem opt-out, oder können auch subjektive, politisch motivierte Gründe eine Differenzierung ermöglichen? Welchen Umfang kann die Differenzierung annehmen, bzw. welche Bereiche stehen dafür offen? Wie sieht die nähere Ausgestaltung aus? Gibt es gegenseitige Beistandspflichten? Was sind die institutionellen Folgen? a) Erste Überlegungen
aa) Die Anregungen Willy Brandts Die Idee einer Abstufung der Integration wurde als erstes von Willy Brandt geäußert. 53 Angesichts "der schwierigsten Bewährungsprobe der Nachkriegsgeschichte,,54 sah dieser die Notwendigkeit, dem Einigungsprozeß durch praktische Lösungen neue Impulse zu geben. Sein sechs "Anregungen" umfassendes "Notprogramm" enthielt unter anderem die Idee der Abstufung der Integration. Aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Situation der einzelnen Mitgliedstaaten schlug er vor, daß "die ihrer Wirtschaftslage nach objektiv stärkeren Länder die wirtschaftliche Integration voranbringen, während andere Länder aufgrund ihrer objektiv abweichenden Lage hieran zunächst in Abstufungen teilnehmen. ,,55 Er betonte jedoch, daß es hierdurch nicht zu einer "Abkoppelung" kommen dürfe, sondern daß der gemeinsame Rahmen erhalten und gestärkt werden müsse. In einer sinnvollen Differenzierung sah er die einzige Möglichkeit, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, vor allem auch zum Vorteil der schwächeren Länder, zu bewältigen und eine Stagnation des Integrationsprozesses zu verhindern. 56 Bei diesem Vorschlag handelte es sich eher um einen Denkanstoß als um ein ausgereiftes Konzept. Dieser Vorstoß erfuhr in der Öffentlichkeit größtenteils Ablehnung 57 , hat aber - nach einer Phase der Tabuisierung58 - eine bis heute sehr kontroverse Diskussion eröffnet.
53 54
55 56 57 58
Brandt, EA 1975, D 33 ff. Brandt, EA 1975, D 33. Brandt, EA 1975, D 36. Brandt, EA 1975, D 36. Vgl. Scharrer; in: Grabitz, Abgestufte Integration, S. 7. Scharrer; in: GS Sasse, S. 478.
3 Grieser
1. Kap.: Grundlagen
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bb) Der Vorschlag Leo Tindemans Aufgegriffen und "salonfähig"S9 gemacht wurde das Thema von Leo Tindemans, dem damaligen Premierminister von Belgien, der ein Konzept differenzierter Integration für die gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik entwickelte. 6o Ebenso wie Brandt geht Tindemans davon aus, daß angesichts der bestehenden Unterschiede in der Wirtschafts- und Finanzlage der Mitgliedstaaten ein einheitliches Vorgehen aller Mitgliedstaaten oftmals nicht weiterführt. Sein "neuer Lösungsansatz" stellt konkret die Voraussetzungen auf, unter denen ein zeitlich abgestuftes Vorgehen der Mitgliedstaaten möglich sein soll. So sieht er vor, daß sämtliche Mitgliedstaaten einem Aktionsprogramm zustimmen. Dadurch werden die Staaten, die zur Verwirklichung dieses Programms in der Lage sind, zu dessen Umsetzung verpflichtet, während die Mitgliedstaaten, die nach Beurteilung des Rates objektiv keine Schritte unternehmen können, zunächst nicht gebunden werden. Die schwächeren Mitgliedstaaten sollen von den leistungsstärkeren in ihrem Bemühen, das Programm zu verwirklichen, unterstützt werden. 61 Ebenso wie der Ansatz Brandts sieht dieses Konzept als Voraussetzung objektive wirtschaftliche Unterschiede und eine zeitlich begrenzte Abstufung vor. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, daß das abgestufte Vorgehen innerhalb der Gemeinschaft im Rahmen eines von allen gebilligten Programms stattfindet. Diese bei den Vorschläge bilden die Grundlage für die bis heute andauernde Diskussion über Sinn, Form, Möglichkeiten und Auswirkungen eines differenzierten Vorgehens.
b) Das Konzept der abgestuften Integration
Ziel des Konzepts der abgestuften Integration 62 ist die Überwindung des toten Punkts in der Integrationspolitik. Den integrationsbereiten Mitgliedstaaten wird die Möglichkeit gegeben, auch ohne die sofortige Mitwirkung der anderen Länder zusammenzuarbeiten. 63 Dabei handelt es sich aber nur um eine vorübergehende Lösung. Im Ergebnis soll dieses Konzept zu einer Vertiefung des gemeinsamen Integrationsstandes beitragen. Wesentliches Merkmal ist daher die gemeinsame Zielfestlegung, die von allen Mitgliedstaaten im Interesse des Integrationsfortschritts vorgenommen wird. Der Beschluß umfaßt auch die zur Erreichung des Ziels erforderlichen Schritte. Diese Schritte werden von einigen Mitgliedstaaten Scharrer; in: Grabitz, Abgestufte Integration, S. 9. Tindemans, EG-Bulletin, Beilage 1176. 61 Tindemans, EG-Bulletin, Beilage 1176, S. 22. 62 Zum Konzept der abgestuften Integration Scharrer; in: Grabitz, Abgestufte Integration, S. 18 ff.; Grabitz, in: AK Europäische Integration, Integrationskonzepte auf dem Prüfstand, S. 70 ff.; das. I Langeheine, CMLR 1981, S. 38 f.; Langeheine, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Abgestufte Integration, S. 38 ff.; Ehlermann, Rechtliche Überlegungen, S. 24 f. 63 Scharrer; in: Grabitz, Abgestufte Integration, S. 19. 59
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III. Grundlagen der Diskussion über flexible Integration
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sofort durchgeführt, während anderen zugestanden wird, später nachzufolgen. Eine zeitliche Befristung findet, obwohl die Differenzierung als temporärer Zustand angesehen wird, nicht statt, um ein flexibles Vorgehen zu ermöglichen. Ein dauerhaftes Abweichen soll durch die gemeinsame Zielfestlegung verhindert werden. Im Gegensatz zu den von Brandt und Tindemans entworfenen Ansätzen werden die Gründe für die Nichtteilnahme nicht überprüft, ebenso wird auf das Erfordernis objektiver Gründe verzichtet und politische Erwägungen als ausreichende Begründung erachtet. Dahinter steht die Intention, eine Fixierung der Ländergruppen zu verhindern. Eine Abstufung darf nur im Interesse des Integrationsfortschritts und somit nur in neuen, noch nicht vergemeinschafteten Politikbereichen stattfinden. Die Zusammenarbeit der schnelleren Mitgliedstaaten darf sich nicht zum Nachteil der übrigen Mitglieder auswirken, vielmehr muß deren Aufschließen durch nationale und gemeinschaftliche Maßnahmen gefördert werden. Die Rechtsform der innerhalb der schnelleren Gruppe erlassenen Regelungen hängt vom jeweiligen Politikbereich ab. Die gemeinsame Zielfestlegung und die Mitwirkung der Gemeinschaftsorgane wirken einer Spaltung oder Aushöhlung der Gemeinschaft entgegen. c) Variable Geometrie
Anders als bei der abgestuften Integration ist beim Konzept der variablen Geometrie 64 keine gemeinsame Zielfestlegung und kein gemeinsamer Aktionsplan vorgesehen. Es handelt sich deshalb um eine U.U. dauerhafte 65 Differenzierung, die den unterschiedlichen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Gegebenheiten in der Europäischen Union Rechnung tragen und so die Vertiefung der Integration fördern soll. Ein Nachziehen zunächst nicht beteiligter Mitgliedstaaten ist nicht zwingend vorgesehen, aber möglich und erwünscht. Es gibt ebenfalls keine Beschränkung der für eine Nichtteilnahme zulässigen Gründe. Vielmehr soll eine Gruppe von Mitgliedstaaten, die bereit ist, einen bestimmten Integrationsfortschritt zu bewerkstelligen, über den im Plenum keine Einheitslösung gefunden werden kann, in dieser Konstellation zusammenarbeiten, während in einem anderen Gebiet, in dem keine Einigkeit erzielt werden kann, unter Umständen eine andere Gruppe kooperiert. Insofern erscheint dieses Konzept wie eine Rückbesinnung auf funktionale Integrationstheorien. 66 64 Dieses Konzept stimmt im wesentlichen mit dem Konzept der differenzierten Integration überein. Die beiden Konzepte werden daher in einem Punkt dargestellt. Hier wurde aus terminologischen Gründen die Bezeichnung "variable Geometrie" gewählt. 65 In diesem Punkt besteht keine Einigkeit. Maillet. in: ders. / Velo, L'Europe a Geometrie Variable, S. 39, spricht von einem compromis temporaire. Stubb. JCMSt 1996, S. 285, geht jedoch von einer dauerhaften, unumkehrbaren Differenzierung aus. 66 Wallace IWaliace. F1ying together, S. 56.
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1. Kap.: Grundlagen
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Nicht alle Bereiche stehen für eine Differenzierung offen, es wird zwischen obligatorischen und fakultativen Politikbereichen unterschieden. Im obligatorischen Bereich muß eine Einheitslösung gefunden werden, während in den "klar umrissenen,,67 fakultativen Politikbereichen verschiedene Gruppenbildungen und Differenzierungen möglich sein sollen. "Grundgedanke der Differenzierung ist ... , auf die spezifischen Anforderungen tiefer Integration ausgerichtete Strukturen zu schaffen und dazu den jeweils maximalen oder optimalen Kreis von Mitgliedstaaten zu gewinnen. Diese würden gemeinsam realisieren, was für die Gesamtheit der Mitgliedstaaten nicht erreichbar scheint, doch gleichwohl die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems erhöht.,,68 Durch die Beschränkung auf bestimmte Politikbereiche und die Wahrung des institutionellen Rahmens der Union soll eine Zersplitterung vermieden werden. Durch die Möglichkeit der Bildung je nach der zu regelnden Sachmaterie nach Mitgliedstaaten variierender Gruppen wird die Gefahr einer Kerngrupppenbildung und Spaltung der Union verringert. 69 Aus Gründen der Vollständigkeit sei darauf hingewiesen, daß diese Differenzierung auch auf außerhalb der Europäischen Union liegende Staaten ausgedehnt werden kann. In diesem Fall gehören auch Nicht-Mitgliedstaaten zu bestimmten Kreisen, die Teile des Gemeinschaftsrechts anwenden. In diesem Zusammenhang spricht man von einem Europa der konzentrischen Kreise oder concentric circles, auch wenn sich diese Kreise nicht um ein Zentrum bilden, sondern Schnittmengen ergeben. 7o
d) Europe aLa carte Von der Grundkonzeption ähnlich ist das Modell des Europe aLa carte71 • Danach stellt jedoch differenziertes Vorgehen keine Übergangslösung sondern einen gänzlich neuen Ansatz für die Zusammenarbeit in Europa dar. Anders als die oben dargestellten Konzepte ist dieses eher integrationsfeindlich. 72 Es bietet sich deshalb die Bezeichnung "flexible Version des Intergouvernementalismus" an?3 Ein gravierender Unterschied zum Konzept der variablen Geometrie besteht darin, daß der Kernbereich, in dem eine gemeinsame Entscheidungsfindung obliWeidenfeld/ Janning, in: Bertelsmann Stiftung, Das neue Europa, S. 154. Weidenfeld/ Janning, in: Bertelsmann Stiftung, Das neue Europa, S. 152. 69 Maillet, in: ders. / Velo, L'Europe Geometrie Variable, S. 36 ff.; Dashwood, in: ders., Reviewing Maastricht, S. 159; Usher, ICLQ 1996, S. 243 ff.; Weidenfeld/ Janning, in: Bertelsmann Stiftung, Das neue Europa, S. 151 ff.; Janning, EA 1994, S. 531 ff.; Toulemon, integration 1995, S. 66; ebenso aber unter Begrenzung auf die WWU: Vandamme, integration 1978, S. 87 ff.; s. auch Forgo, in: Breuss/Griller, Flexible Integration in Europa, S. 52 ff. 70 Usher, ICLQ 1996, S. 243; vgl. Giering, Europa, S. 138 ff.; Maillet, in: ders. / Velo, L'Europe aGeometrie Variable, S. 39. 71 Dahrendorf, A Third Europe, S. 20. 72 s. Janning, EA 1994, S. 534. 73 Giering, integration 1997, S. 75. 67 68
a
III. Grundlagen der Diskussion über flexible Integration
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gatorisch ist, sehr gering ist. 74 Dahrendorf spricht von einer "short list of common and genuinely political decisions" und begrenzt diese auf die Haushaltspolitik und Fragen der Zollunion. 75 Außerhalb dieses schmalen Kembereichs können die Mitgliedstaaten beliebig über ihre Teilnahme entscheiden. "Europe Cl La carte, that is common policies where there are common interests without any constraint on those who cannot, at any given point of time, join them, must become the rule rather than the exception".76 Dies bedeutet, daß gemeinsames und differenziertes Vorgehen gleichrangig nebeneinander stehen. Flexible Integration nach Art eines Europe Cl La carte würde zu einem Paradigmen wechsel in der Politik der Europäischen Union führen. e) Kerneuropa
Auch das Modell eines Kemeuropa77 sieht weder eine gemeinsame Zielbestimmung noch eine Befristung der Differenzierung vor. Die Gründe für ein differenziertes Vorgehen können wirtschaftlicher und politischer Natur sein. Beschränkt ist das Handeln der Kemgruppe auf Materien, die noch nicht zum acquis communautaire gehören. In den Bereichen des acquis soll die Kemgruppe ebenfalls als Motor der Integration wirken, hier aber in der Form, daß sie Strategien für ein gemeinsames Vorgehen aller Mitgliedstaaten entwirft. Wesentlicher Unterschied zum Konzept der variablen Geometrie ist, daß die vertieft zusammenarbeitenden Mitgliedstaaten einen für alle Differenzierungsfälle einheitlichen, im Voraus definierten Kreis bilden. 78 Anderen Mitgliedstaaten bleibt die Möglichkeit eines schnellen Beitritts verwehrt, auch wenn sie die Kriterien für einzelne Bereiche erfüllen. Die "privilegierte Staatengruppe,,79 sollte zunächst lediglich aus 5 Mitgliedstaaten, Deutschland, Frankreich und den Benelux-Ländem, bestehen. 8o
Maillet, in: ders.1 Velo, L'Europe aGeometrie Variable, S. 38. Dahrendorf, A Third Europe, S. 20. 76 Dahrendorf, A Third Europe, S. 20. 77 Deubner, Von Maastricht nach Kerneuropa, S. 174 ff.; CDU ICSU-Fraktion des Deutschen Bundestags, Überlegungen zur europäischen Politik. 78 Anders Forgo, in: Breuss/Griller, Flexible Integration in Europa, S. 53: Die Beurteilung ob es sich bei flexiblem Vorgehen Kemeuropa oder variable Geometrie soll erst nach einer Analyse der einzelnen Differenzierungsfälle möglich sein. Dagegen ist jedoch einzuwenden, daß das Wesen des Kerneuropa-Konzepts gerade darin besteht, daß eine feststehende Gruppe von Mitgliedstaaten als Vorreiter fungiert, siehe auch den folgenden Punkt. 79 Toulemon, integration 1995, S. 61. 80 Deubner, Von Maastricht nach Kemeuropa, S. 174 ff.; CDU I CSU-Fraktion des Deutschen Bundestags, Überlegungen zur europäischen Politik. 74 75
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I. Kap.: Grundlagen
2. Das Protokoll zur Sozialpolitik als Vorläufer flexibler Integration im Vertrag von Amsterdam Das Protokoll zur Sozialpolitik ist für die vorliegende Untersuchung aus verschiedenen Gründen aufschlußreich. Es diente in positiver und in negativer Hinsicht als Vorbild für die Ausgestaltung der Flexibilität im Vertrag von Amsterdam. 81 Überdies existiert noch kein praktischer Anwendungsfall verstärkter Zusammenarbeit, so daß die Erfahrungen bei der Umsetzung des Protokolls und des Abkommens zur Sozialpolitik auch für die Beurteilung der verstärkten Zusammenarbeit interessant sind. Schließlich ist das Protokoll zur Sozialpolitik ein Beispiel für erfolgreiches flexibles Vorgehen, weil sein Inhalt aufgrund der Beteiligung aller Mitgliedstaaten durch den Vertrag von Amsterdam in das Gemeinschaftsrecht überführt werden konnte. a) Hintergründe
Das Protokoll zur Sozialpolitik und das Abkommen über die Sozialpolitik entstanden gegen Ende der Verhandlungen über den Vertrag von Maastricht. Zunächst war geplant, den Vertrag im Bereich der Sozialpolitik weitergehend zu ändern und die im Abkommen enthaltenen Rechtsgrundlagen in den Titel Sozialpolitik des EGVaufzunehmen. Dieser Plan scheiterte jedoch aufgrund der ablehnenden Haltung der britischen Regierung. Die konservativen Regierungen hatten im Vereinigten Königreich eine Politik des laissezJaire und der Deregulierung begründet, die sie nicht bereit waren aufzugeben. Weiterhin wurde eine Stärkung der zuvor erfolgreich eingedämmten Gewerkschaften sowie erhebliche Wettbewerbsnachteile befürchtet. 82 Die Sozialund Arbeitskosten in Großbritannien gehörten zu den niedrigsten unter den Mitgliedstaaten. 83 Kündigungsschutz und Mindestlöhne wurden abgeschafft. 84 Diese Faktoren führten zur Verlagerung von Unternehmen nach Großbritannien 85 und trugen so zu erheblichen Wettbewerbsvorteilen bei, die Großbritannien nicht aufgeben wollte. 86 Eine opt-out-Regelung lehnte Großbritannien ab, wohl deshalb, weil es neben dem opt-out in der Währungsunion nicht ein zweites Mal eine derartige Sonder81 Bamard, in: de Burca/Scott, Constitutional Change, S. 197, nennt die Sozialpolitik einen Mikrokosmos der Flexibilitätsdebatte. 82 Watson, CMLR 1993, S. 487 f. 83 Eurostat, Jahrbuch 1997/1998, S. 152 ff., 318 f.; s. auch Falkner; in: Breuss 1 Griller, Flexible Integration in Europa, S. 99. 84 Vgl. Falkner; in: Breuss 1 Griller, Flexible Integration in Europa, S. 99. 85 Vgl. Falkner, in: Breuss/Griller, Flexible Integration in Europa, S. 99. 86 s. Erklärung des britischen Premierministers lohn Major; EA 1992, 0 104: "Ich war nicht bereit, Großbritanniens Wettbewerbsposition als Magnet für ausländische Investoren zu gefährden. Ich war nicht bereit, britische Arbeitsplätze zu gefährden."
III. Grundlagen der Diskussion über flexible Integration
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rolle einnehmen wollte. 87 Aus diesen Gründen scheiterte die Aufnahme der Sozialvorschriften in den Vertrag. Statt dessen wurde die Konstruktion eines opt-in der damals elf übrigen Mitgliedstaaten gewählt. 88 In dem von allen zwölf Mitgliedstaaten unterzeichneten, dem EGV beigefügten, Protokoll zur Sozialpolitik 89 wurden die elf Mitgliedstaaten ermächtigt, die entsprechenden Regelungen in einem Abkommen zur Soziaipolitik90 zu vereinbaren. 91 Des weiteren ermächtigt das Protokoll zur Inanspruchnahme der Organe, Verfahren und Mechanismen der Europäischen Gemeinschaft92 und bestimmt, daß das Vereinigte Königreich und Nordirland an den Beratungen im Rat nicht beteiligt sind. 93 Das Abkommen nennt die Ziele der gemeinsamen Sozialpolitik, enthält die zu deren Erreichen erforderlichen Rechtsgrundlagen und Verfahrensvorschriften, sowie Vorschriften über die Rechte und Pflichten von Kommission und Parlament. Dieser Komprorniß in der Sozialpolitik wurde vielfach sehr kritisch beurteilt. "Was politisch wie ein genialer Einfall kreativer Europapolitiker erscheint, stellt sich aus europarechtlicher Sicht als die Quadratur des Kreises dar. ,,94 Aufgrund der ungewöhnlichen ad-hoc-Konstruktion 95 ergaben sich zahlreiche Probleme, angefangen von der Rechtsnatur des Protokolls und des Abkommens, der Frage einer Vertragsänderung, der Qualität der auf der Grundlage des Abkommens erlassenen Rechtsakte, über die Organleihe bis hin zur grundlegenden Frage der Vereinbarkeit mit dem EGY. 87
Schulz, SF 1992, S. 80.
Die Unterscheidung zwischen opt-out und opt-in ist jedoch lediglich nomineller Art. Richtigerweise ergeben sich keine für eine Systematisierung oder für die rechtliche Bedeutung maßgeblichen Unterschiede, da die Beurteilung als opt-in oder opt-out eine Frage des Standpunktes ist. (So Schauer. Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 25. A.A. Forgo, in: Breuss / Griller, Flexible Integration in Europa, S. 61, die zwischen Ausstiegsoptionen und Vertiefungsoptionen unterscheidet). Das Protokoll und Abkommen zur Sozialpolitik sind ein Beispiel dafür, daß sich allein durch eine Ausgestaltung der Regelungen als opt-out, etwa in einem "Protokoll über die Position des Vereinigten Königreichs in der Frage der Sozialpolitik" keine tatsächlichen Auswirkungen ergeben hätten. Der Bezeichnung als opt-in- oder opt-out-Regelung kommt deshalb eher politische Bedeutung zu. Von dieser Fallkonstellation der Begründung differenzierter Integration zu unterscheiden ist der opt-in genannte Beitritt eines Mitgliedstaats in den Kreis bereits zusammenarbeitender Mitgliedstaaten. 89 BGBI. 199211,1313. 90 BGBI. 1992 11,1314. 91 Zur Entstehungsgeschichte näher s. Kampmeyer, Protokoll und Abkommen, S. 35 ff.; KLiemann, Die europäische Sozialintegration, S. 75 f.; ArL, Sozialpolitik, S. 123 ff.; RingLer. Sozialunion, S. 182 ff.; Schu/z, SF 1992, S. 79 f. 92 Ziffer I des Protokolls. 93 Ziffer 2 des Protokolls. 94 Hailbronner; in: GS Grabitz, S. 127. 95 Curtin, CMLR 1993, S. 29 spricht von einer "acutely anomalous construction"; s. auch WaLLace/WaLLace, Flying together, S. 78; Falkner; in: Breuss/Griller, Flexible Integration in Europa, S. 88 ff. 88
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1. Kap.: Grundlagen
b) Die Rechtsnatur des Protokolls und des Abkommens zur Sozialpolitik
Unklar war, ob es sich bei der Kooperation von 11 bzw. 14 Mitgliedstaaten in sozialpolitischen Fragen um einen Fall externer oder vertragsinterner Differenzierung handelte. Praktische Bedeutung erlangte diese Unterscheidung für die Qualität der auf der Grundlage des Abkommens erlassenen Rechtsakte, für die lustiziabilität durch den EuGH, sowie für die Frage, ob diese Maßnahmen zum acquis zählten, welcher von beitretenden Mitgliedstaaten zu übernehmen war. 96 aa) Die Rechtsnatur des Protokolls Das Protokoll zur Sozialpolitik war gern. dessen Ziffer 3 dem EGV beigefügt. Gern. Art. 311 EGV 97 sind die dem Vertrag beigefügten Protokolle Bestandteil des Vertrags. Deshalb herrschte weitgehende Einigkeit darüber, daß das Protokoll zur Sozialpolitik integraler Bestandteil des Gemeinschaftsrechts war. 98 bb) Die Rechtsnatur des Abkommens Komplizierter stellte sich die Situation beim Abkommen über die Sozialpolitik dar. Art. 311 EGV ist nicht auf Abkommen anwendbar. Die Beurteilung der Rechtsnatur des Abkommens ergab sich deshalb aus dem Grad der formellen und materiellen Verknüpfung des Abkommens mit dem EGY. 99 Als ein gewichtiges Indiz wurde die formale Verknüpfung mit dem Protokoll angesehen. 1OO Nach der Präambel des Protokolls war das Abkommen dem Protokoll 96 Ringler; Sozialunion, S. 186; Kampmeyer; Protokoll und Abkommen, S. 152 f.; Kliemann, Die europäische Sozialintegration, S. 145 f.; Wank, RdA 1995, S. 15. 97 Damals Art. 239 EGY. 98 GTE-Krück, Art. 164 EGV Rn. 13; Arl, Sozialpolitik, S. 146 f.; Ringler; Sozialunion, S. 187; Kampmeyer; Protokoll und Abkommen, S. 158; Kliemann, in: v. Danwitz u. a., Auf dem Wege zu einer Europillschen Staatlichkeit, S. 180; Eichenhofer; in: Rengeling, Europäisierung des Rechts, S. 158; Hailbronner; in: GS Grabitz, S. 128; Whiteford, ELR 1993, S. 204; Coen, EuZW 1995, S. 51; Watson, CMLR 1993, S. 493; Koenig, EuR 1994, S. 184; a.A. Schuster; EuZW 1992, S. 182, mit der Begründung, daß es sich bei Teilen des Protokolls um eine Vertragsänderung handle. 99 Schwartz, in: FS Grewe, S. 555; Kampmeyer; Protokoll und Abkommen, S. 151 ff.; Kliemann, in: v. Danwitz u. a., Auf dem Wege zu einer Europäischen Staatlichkeit, S. 180 f. 100 Kliemann, Die europäische Sozialintegration, S. 156 f.; dies., in: v. Danwitz u. a., Auf dem Wege zu einer Europäischen Staatlichkeit, S. 180 f.; Kampmeyer; Protokoll und Abkommen, S. 161; Arl, Sozialpolitik, S. 140; BBPS, Europäische Union, S. 186; Schweitzerl Hummer; EuR, Rn. 1512; Whiteford, ELR 1993, S. 203; Watson, CMLR 1993, S. 493; zweifelnd: Bleckmann-Coen, EuR, Rn. 2576; Coen, EuZW 1995, S. 51; a.A. Curtin, CMLR 1993, S. 55.
III. Grundlagen der Diskussion über flexible Integration
41
beigefügt und somit Bestandteil des Protokolls, welches integraler Bestandteil des Gemeinschaftsrechts war. 101 Somit bestand eine "Legitimationskette,,102 vom Gemeinschaftsrecht über das Protokoll zum Abkommen. Der Wortlaut des Abkommens wurde in der Literatur sowohl als Indiz für seine gemeinschaftsrechtliche als auch für seine völkerrechtliche Natur herangezogen. 103 Neben der formellen Verknüpfung wurden der materielle und der inhaltliche Bezug zum Gemeinschaftsrecht zur Beurteilung der Rechtsnatur herangezogen. Als relevant wurde in diesem Zusammenhang erachtet, ob das Abkommen eine Materie behandelte, die ihrem Sinn und Zweck nach mit dem Gemeinschaftsrecht verbunden war. 104 Wenn auch die Kompetenz für die Regelung der Sozialpolitik grundsätzlich noch bei den Mitgliedstaaten lag,105 so standen die im Abkommen geregelten Rechtsgrundlagen doch in engem Zusammenhang mit den Programmsätzen des Titels Sozialpolitik im EGV und wiesen zum Teil Überschneidungen auf. 106 Darüber hinaus besaß die Gemeinschaft zwar - mit Ausnahme des Art. lI8a 11 EGV für Mindestvorschriften zum Schutz der Arbeitsbedingungen - keine Rechtsetzungskompetenz im Bereich der Sozialpolitik, gestützt auf andere Rechtsgrundlagen wie Art. 100, 100a und Art. 235 EWGV wurde jedoch Sekundärrecht erlassen. 107 Auch die Judikatur des EuGH im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit zeigte Auswirkungen auf die nationalen Sozialsysteme. 108 In der Praxis wurde das Abkommen sowohl von den Gemeinschaftsinstitutionen 109 als auch von den Mitgliedstaaten 110 wie Gemeinschaftsrecht behandelt. 101
Art. 311 EGV; ex-Art 239 EGY.
102
Ar!, Sozialpolitik, S. 140.
103 Den Wortlaut aufgrund seiner gemeinschaftsrechtlichen Prägung als Indiz für den gemeinschaftsrechtlichen Ursprung des Abkommens sahen Watson, CMLR 1993, S. 493 f.; Ringler; Sozialunion, S. 187; Kliemann, Die europäische Sozialintegration, S. 159; Schuster; EuZW 1992, S. 181; Kampmeyer; Protokoll und Abkommen, S. 165; a.A. Curtin, CMLR 1993, S. 58 mit Hinweis auf den anderen Wortlaut des 11. Protokolls über einige Bestimmungen betreffend das Vereinigte Königreich und Nordirland in Bezug auf die WWU, BGBL 199211,1312. 104 Schuster; EuZW, S. 181. 105 Koenig, EuR 1994, S. 177; Whiteford, ELR 1993, S. 207; Falkner; in: Breuss 1 Griller, Flexible Integration in Europa, S. 83; Seche, CDE 1993, S. 512; Eichenhofer; in: RengeIing, Europäisierung des Rechts, S. 153; EuGH Verb. Rsen. 281, 283 - 285, 287/85 (Deutschland u. a.1 Kommission), Alg. 1987, S. 3202 Rn. 14; s. auch Rs. 149/77 (Defrenne 1Sabena) Slg. 1978, 1365 Rn. 30/32. 106 Kampmeyer; Protokoll und Abkommen, S. 166; Schermers, in: Ress 1 Stein, Europäischer Sozialraum, S. 47. 107 Hierzu auch Koenig, EuR 1994, S. 178; Falkner; in: Breuss/Griller, Flexible Integration in Europa, S. 83; Seche, CDE 1993, S. 513 f., 516 ff. 108 Falkner; in: Breuss 1 Griller, Flexible Integration in Europa, S. 83; zur dieser Komponente der Arbeitnehmerfreizügigkeit siehe auch: Ketelsen, Die soziale Dimension des freien Personenverkehrs. 109 s. etwa die Entschließung des EP vom 7. 4. 1992 zu den Ergebnissen der Regierungskonferenzen, ABI. Nr. C 125 v. 18.5. 1992, S. 81, 83; sowie die Antwort des Rats auf die
42
I. Kap.: Grundlagen
So wurde in der Beitrittsakte lll anläßlich des Beitritts von Schweden, Finnland und Österreich das Abkommen zur Sozialpolitik nicht gesondert erwähnt. 112 Darüber hinaus wurde auch kein gesondertes Übereinkommen über den Beitritt zum Sozialabkommen geschlossen, wie das z. B. beim EuGVÜ der Fall war. 113 Ebenso wurde die RL über europäische Betriebsräte l14 , die auf der Grundlage des Abkommens ergangen ist, im Amtsblatt veröffentlicht und in den entsprechenden Mitgliedstaaten wie sekundäres Gemeinschaftsrecht behandelt, d. h. wie eine Richtlinie umgesetzt und nicht wie ein Völkerrechtsakt in nationales Recht transformiert. Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf Großbritannien erfolgte ebenfalls durch eine Richtlinie. I 15 Obwohl viele Indizien für eine Zuordnung des Abkommens zum Gemeinschaftsrecht sprachen, wurde bezüglich der Rechtsnatur des Abkommens, solange es bestand, in der Literatur keine Einigung gefunden. 116
schriftliche Anfrage Nr. 595 192 von Herrn Jaak Vandemeulebroucke, ABI. Nr. C 40 v. 15.2. 1993, S. 12. 110 Mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs, siehe Curtin, CMLR 1993, S. 57 Anm.156. 111 Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Norwegen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassung der die Europäische Union begründenden Verträge, ABI. Nr. C 241 v. 29. 8. 1994, S. 21, geändert durch Beschluß des Rates der Europäischen Union 95 111 EG v. I. I. 1994 zur Anpassung der Dokumente betreffend den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zur Europäischen Union, ABI. Nr. L 1 v. I. I. 1995, S. I. 112 Vgl. Schwanz, in: FS Grewe, S. 588. 113 Übereinkommen (97/C 15/01) über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABI. Nr. C 15 v. 15. I. 1997, S. I. 114 RL 94/45/EG v. 22. 9. 1994 über die Einsetzung Europäischer Betriebsräte, ABI. Nr. L 254 v. 30. 9. 1994, S. 64. 115 RL 97174/EG v. 15. 12. 1997, ABI. Nr. L 10 v. 16. I. 1998, S. 22. 116 Für eine gemeinschaftsrechtliche Einordnung Kliemann, in: v. Danwitz u. a., Auf dem Wege zu einer Europäischen Staatlichkeit, S. 180 f.; dies., Die europäische Sozialintegration, S. 168 f.; Kampmeyer; Protokoll und Abkommen, S. 178 f.; Ringler; Sozialunion, S. 187; GTE-Meng, EUV IEGV, Art. N Rn. 2; BBPS, Europäische Union, S. 186; Arl, Sozialpolitik, S. 150 f.; Eichenhofer; in: Renge\ing, Europäisierung des Rechts, S. 158; Koenig, EuR 1994, S. 144 f.; Hailbronner; in: GS Grabitz, S. 128; Seche, CDE 1993, S. 528 f.; Schermers, in: Ress1Stein, Europäischer Sozialraum, S. 47 f.; Everling, CMLR 1992, S. 1066; Watson, CMLR 1993, S. 493; Schuster; EuZW 1992, S. 181; Whiteford, ELR 1993, S. 204; für eine völkerrechtliche Einordnung hingegen Curtin, CMLR 1993, S. 60 f.; Streinz, Europarecht, Rn. 890; Szyszczak, in: O'Keeffe/Twomey, Legal Issues of the Maastricht Treaty, S. 323; wohl auch Coen, EuZW 1995, S. 51.
III. Grundlagen der Diskussion über flexible Integration
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c) Institutionelle Konsequenzen
aa) Organleihe Das Protokoll und das Abkommen zur Sozialpolitik enthielt ferner Neuerungen und damit ungeklärte Fragen hinsichtlich der institutionellen Konsequenzen. So bestand u. a. Uneinigkeit darüber, ob es sich bei der Ermächtigung zur Inanspruchnahme der Organe im Rahmen des Sozialprotokolls um eine Organleihe handelte. Organleihe liegt vor, wenn das Organ eines Rechtsträgers "ermächtigt und beauftragt wird, einen Aufgabenkomplex eines anderen Rechtsträgers wahrzunehmen, ... ,,117. Folglich wurde vertreten, daß keine Organleihe vorliegen könnte, da die Organe letztlich durch die Gemeinschaft in Anspruch genommen würden, da es sich um Gemeinschaftsrecht handelte. Il8 Häufig wurde jedoch dahingehend argumentiert, daß die Organe nicht für die Gemeinschaft tätig würden, sondern an die Sozial union ausgeliehen würden, was die Annahme einer Organleihe begründen sollte. 1 19 Bei der sogenannten Sozialunion handelte es sich aber nicht um einen anderen Rechtsträger. Die Organe der Gemeinschaft wurden zwar in der Sozialpolitik nicht für die gesamte Europäische Gemeinschaft, sondern für eine Gemeinschaft mit Beteiligung von 11 bzw. 14 Mitgliedstaaten tätig. Unabhängig von diesen internen Regelungen war Zuordnungsobjekt aber die Gemeinschaft und nicht eine neu gegründete Sozialunion. Kernpunkt einer Organleihe ist, daß die Organe für einen anderen Rechtsträger tätig werden, wie etwa die Tätigkeit des EuGH im Rahmen des EWR. 120 Da dies beim Protokoll zur Sozialpolitik nicht der Fall war, lag keine Organleihe vor. Trotzdem stellte sich in diesem Zusammenhang die Frage, in welchem Ausmaß die Gemeinschaftsorgane für andere als die in den Verträgen vorgesehenen Zwecke tätig werden konnten. Grundsätzlich dürfen ohne vertragliche Ermächtigung keine vertragsfremden Aufgaben übernommen werden. 121 Das Protokoll und das Abkommen waren jedoch Bestandteil des Gemeinschaftsrechts, so daß eine vertragliche Ermächtigung vorlag und zudem vertragsinterne Aufgaben ausgeführt wurden. Eine absolute Grenze ist erst erreicht, wenn die vertraglich vorgegebene Identität der Organe beeinträchtigt wird. 122 Eine derartige Arbeitsüberlastung war jedoch durch das Protokoll zur Sozialpolitik nicht zu erwarten. 117 BVerwG NJW 1976, 1468, 1469; so auch Lerche in: Maunz-Dürig, GG, Art. 83 Rn. 26; ähnlich Maurer; Verwaltungsrecht, § 21 Rn. 54. 118 Grabitz/Hilf-Jansen, Recht der EU (a.F.), Nach Art. 122 EGV Vorb. Rn. 7. 119 Koenig, EuR 1994, S. 184 f.; Eichenhofer; in: Rengeling, Europäisierung des Rechts, S. 161; GTE-Bieber; EUV /EGV, Art. 4 Rn. 32 f.; Schuster; EuZW 1992, S. 183; ohne Begründung Szyszczak, in: O'Keeffe/Twomey, Legal Issues ofthe Maastricht Treaty, S. 323. 120 Vgl. EuGH-Gutachten 1/91 (EWR), Slg. 1991,1-6079. 121 GTE-Bieber; EUV /EGV, Art. 4 Rn. 16. 122 GTE-Bieber; EUV /EGV, Art. 4 Rn. 33.
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1. Kap.: Grundlagen
bb) Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Organe Ein grundsätzliches Problem wurde im Spannungsverhältnis zwischen der Einheitlichkeit des institutionellen Rahmens gern. Art. 3 EUV I23 und den mit dem Sozialprotokoll verbundenen Auswirkungen auf die Organe, insbesondere den personellen Veränderungen in der Besetzung des Rates gesehen. 124 Für eine Änderung der vertraglich festgelegten Zusammensetzung der Organe ergeben sich aus der in Art. 3 EUV nonnierten Einheit des institutionellen Rahmens enge Grenzen. 125 Das Protokoll zur Sozialpolitik sah jedoch lediglich für den Rat institutionelle Änderungen vor. Für Kommission, Gerichtshof und Parlament wurden keine Regelungen getroffen. In Anbetracht der Unabhängigkeit der Richter des EuGH, Art. 223 EGV, sowie der Tatsache, daß die Mitglieder der Kommission den Interessen der Union verpflichtet sind, wäre eine andere Regelung nicht vertretbar gewesen. 126 Auch für das Parlament bestimmte das Protokoll keine Auswirkungen, was jedoch in der Literatur häufig sehr kritisch beurteilt wurde. 127 (1) Rat
Gern. Art. 2 des Protokolls wurde der Vertreter des Vereinigten Königreichs an den Beratungen und Beschlußfassungen nicht beteiligt. Er durfte also weder an der Beschlußfassung noch an den Beratungen teilnehmen. Die Stimmengewichtung bei der Beschlußfassung wurde der veränderten Besetzung angepaßt. Unklar war, ob der Ausschluß der Teilnahme an den Beratungen lediglich den Ausschluß der aktiven Teilnahme l28 oder auch der passiven Beobachterrolle l29 bedeutete. Des weiteren wurde auch die Frage des Vorsitzes im "Sozialprotokollrat" unterschiedlich beurteilt. 130 Das VK hätte diese Aufgabe aufgrund des Ausschlusses von den Beratungen nicht wahrnehmen können. 131 Häufig wurde vorgeschlagen, dem Damals Art. C EUV. GTE-Bieber, EUV I EGV, Art. 4 Rn. 32 f. 125 GTE-Bieber, EUV IEGV, Art. 4 Rn. 32 f. 126 s. Schuster, EuZW 1995, S. 186; Grabitz/Hilf-Jansen, Recht der EU (a.F.), Nach Art. 122 EGV Vorb. Rn. 7; Watson, CMLR 1993, S. 503 f.; Koenig, EuR 1994, S. 188; Falkner, in: Breuss I Griller, Flexible Integration in Europa, S. 91; Hailbronner, in: Hummer, Europäische Union und Österreich, S. 122. 127 Dazu sogleich näher. 128 So Schuster, EuZW 1992, S. 184; Arl, Sozialpolitik, S. 159; Kampmeyer, Protokoll und Abkommen, S. 115. 129 So Ringler, Sozialunion, S. 194; Hailbronner, in GS Grabitz, S. 137; wohl auch Grabitz/Hilf-Jansen, Recht der EU (a.F.), Nach Art. 122 EGV Vorb. Rn. 7. 130 Schuster, EuZW 1992, S. 184; Ringler, Sozialunion, S. 195; Kampmeyer, Protokoll und Abkommen, S. 116. 131 A.A. Schauer, Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 89, unter Verweis darauf, daß ein Ratsmitglied in seiner Funktion als Ratspräsident über den nationalen Interessen stünde. 123
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III. Grundlagen der Diskussion über flexible Integration
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darauf folgenden Vorsitzenden den Vorsitz im "Sozialrat" zu übertragen. 132 In der Praxis ist dieses Problem aufgrund der kurzen Geltungsdauer des Protokolls zur Sozialpolitik nicht aufgetreten. (2) Parlament
Obwohl das Protokoll zur Sozialpolitik keine Regelung über Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Parlaments enthielt, wurde teilweise gefordert, die Stimmrechte der Abgeordneten aus dem Vereinigten Königreich und Nordirland zu suspendieren oder zumindest zu modifizieren. 133 Dies wurde aus der Stellung der Abgeordneten gefolgert. Die Abgeordneten des Parlaments wären gern. Art. 189 EGV Vertreter der Völker und die Anzahl der Abgeordneten entsprechend den Mitgliedstaaten quotiert, was für eine Vertretung der einzelnen Mitgliedstaaten im Parlament, also für dessen mitgliedstaatlich-gouvernementale Ausrichtung sprechen sollte. 134 Darüber hinaus bestand wohl auch die Befürchtung, daß britische Abgeordnete für bestimmte, die Sozialkosten steigernde Regelungen stimmen würden, um den Wettbewerbsvorteil Großbritanniens zu erhöhen. 135 Gegen eine Änderung der Zusammensetzung des Parlaments sprach jedoch die Funktion der Abgeordneten. Sie sind gern. Art. 189 EGV grundsätzlich "Vertreter der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten"136, also nicht Vertreter der einzelnen Staaten, sondern der in der Europäische Union vereinigten V61ker. Der Plural "V61ker" spricht nicht gegen eine solche Interpretation, sondern trägt der Realität Rechnung, da es noch kein europäisches Staats volk gibt. Die Abgeordneten des EP haben kein imperatives Mandat, sie sind nicht von ihren Regierungen oder ihrem Staatsvolk weisungsabhängig, sondern sie repräsentieren alle V61ker der in der Europäischen Union zusammengeschlossenen Staaten. 137 Diese Stellung der Abgeordneten wird unter anderem auch daran deutlich, daß die Fraktionen im EP nicht aus Abgeordneten eines Mitgliedstaates bestehen, sondern nach Parteigruppierungen gebildet werden. 138 132 Schuster; EuZW 1992, S. 184; Kampmeyer, Protokoll und Abkommen, S. 116 schlägt zusätzlich den vorherigen Ratspräsidenten vor; Hai/bronner, in: Hummer, Europäische Union und Österreich, S. 121, sieht auch noch die Möglichkeit einer einvernehmlichen Lösung. 133 Schuster; EuZW 1992, S. 185; Ringler; Sozialunion, S. 197; Hailbronner; in GS Grabitz, S. 137 f.; ähnlich, aber im Ergebnis doch eine Teilnahme unter freiwilliger Enthaltung der Vertreter des VK befürwortend: Arl, Sozialpolitik, S. 160 ff.; a.A. Grabitz/Hilf-Jansen, Recht der EU (a.F.), Nach Art. 122 EGV Vorb. Rn. 7; Watson, CMLR 1993, S. 503 ff.; Eichenhofer; in: Rengeling, Europäisierung des Rechts, S. 161; Kampmeyer; Protokoll und Abkommen, S. 117 f. 134 Schuster; EuZW 1992, S. 185. 135 Falkner; in: Breuss I Griller, Flexible Integration in Europa, S. 91. 136 Hervorhebungen durch Autorin. I37 Kapteyn/VerLoren van Themaat, The Law of the EC, S. 209 ff.; Grabitz/Hilf-Läufer; Recht der EU (a.F.), Art. 137 EGV Rn. 3, 5. 138 Grabitz/Hilf-Läufer; Recht der EU (a.F.), Art. 138 a EGV Rn. 5 ff.
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I. Kap.: Grundlagen
Ein wichtiger Aspekt bei der Beurteilung dieser Frage ist auch Art. 3 EUV. Aufgrund des Grundsatzes der Einheitlichkeit des institutionellen Rahmens darf die Zusammensetzung der Organe nur in sehr begrenztem Umfang verändert werden darf. 139 Ein so entscheidender Eingriff wie der Ausschluß von Abgeordneten des Parlaments müßte deshalb zumindest ausdrücklich erfolgen. Eine analoge Anwendung des Art. 2 des Sozialprotokolls 14o wäre also mit Art 3 EUV nicht zu vereinbaren gewesen. (3) Fazit
Institutionelle Konsequenzen ergaben sich aus dem Protokoll zur Sozialpolitik also lediglich für den Rat. Der Ausschluß der Vertreter Großbritanniens läßt sich durch die Funktion des Rates als Repräsentativorgan der Mitgliedstaaten rechtfertigen. Die Mitglieder des Rates sind weisungsgebunden und vertreten die Interessen ihres Staates, Art. 203 I EGv. 141 Der Rat verkörpert "das intergouvernementale Element zur Wahrung mitgliedstaatlicher Souveränität.'d42 Da sich für Kommission und Gerichtshof, sowie für das Parlament keine Änderungen ergaben, sind die institutionellen Auswirkungen nicht als Beeinträchtigung des Grundsatzes des einheitlichen institutionellen Rahmens gern. Art. 3 EUV anzusehen. d) Rechtsetzung
aa) Konkurrenz der Rechtsgrundlagen Eine in ihren praktischen Auswirkungen sehr bedeutende, weithin strittige Frage war das Verhältnis der im Vertrag bestehenden und der im Abkommen geregelten Rechtsgrundlagen. Das Abkommen zur Sozialpolitik enthielt speziell für die Sozialpolitik geltende Rechtsgrundlagen. 143 Bereits vor der Vereinbarung dieses Abkommens war die Gemeinschaft jedoch auf der Grundlage anderer allgemeiner Rechtsgrundlagen 144 auf dem Feld der Sozialpolitik tätig geworden. GTE-Bieber, Art. 4 Rn. 32 f. Ring/er, Sozialunion, S. 197. 141 Grabitz/Hilf-Schweitzer, Recht der EU (a.F.), Art. 145 EGV Rn. I; KapteynlVerLoren van Themaat. The Law of the EC, S. 186 ff. 142 Grabitz/Hilf-Hummer, Recht der EU (a.F.), Vor Art. ISS EGV Rn. 23. 143 Tatsächlich war die Anzahl der auf das Abkommen gestützten Rechtsetzungsprojekte sehr niedrig. Trotz des Erfordernisses von Kompromissen nach mühsamen Verhandlungen und dadurch bedingten niedrigen Standards wurde ein gemeinsames Vorgehen von der Kommission und den Mitgliedstaaten favorisiert. Vgl. hierzu Falkner, in: Breuss I Griller, Flexible Integration in Europa, S. 92 ff. 144 Art. 100, 100a, 235 EGV, hierzu auch Koenig. EuR 1994, S. 178; Falkner, in: Breuss/ Griller, Flexible Integration in Europa, S. 83; Seche. CDE 1993. S. 513 f., 516 ff. 139
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III. Grundlagen der Diskussion über flexible Integration
47
Grundsätzlich wäre die Frage nach dem Verhältnis verschiedener Rechtsgrundlagen nach dem lex specialis-Grundsatz zu lösen. Danach würden die speziellen, sozialrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen den allgemeinen Handlungsermächtigungen des Vertrags vorgehen. Gegen die Anwendung der lex-specialis Regelung sprach, daß dadurch die Entstehung partiellen Gemeinschaftsrechts gefördert worden wäre. 145 Dies hätte zum einen dem Wortlaut der Präambel, nach dem der wirtschaftliche und soziale Fortschritt ihrer Länder durch gemeinsames Handeln der Mitgliedstaaten gesichert werden SOlll46 und dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts l47 widersprochen. Zum anderen hätte die Zielsetzung der gemeinschaftlichen Sozialpolitik, die Verhinderung von Sozialdumping, also Wettbewerbsverzerrungen durch soziale Schutzvorschriften, entgegengestanden. 148 Darüber hinaus sollte nach dem Wortlaut der Präambel des Protokolls der EG-Vertrag, insbesondere die Bestimmungen über die Sozialpolitik, unberührt bleiben. Deshalb war eine Einschränkung des Geltungsbereichs dieser Normen durch eine vorrangige Anwendung der Rechtsgrundlagen des Abkommens nicht vertretbar. 149 Weitgehende Einigkeit bestand darüber, daß im Interesse der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts von der Kommission versucht werden sollte, Sekundärrecht so weit wie möglich auf die Vorschriften des EGV zu stützen. 150 Dennoch wurde dadurch kein allgemeiner Vorrang der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen begründet. Vielmehr standen die bei den Regime alternativ nebeneinander, mit der Einschränkung, daß zunächst ein alle Mitgliedstaaten umfassendes Einverständnis erzielt werden sollte. Erst nach einern Scheitern der Bemühungen, eine für alle geltende Vorschrift zu erlassen, sollte ein Vorgehen nach dem Abkommen möglich sein. 151 Bei allen einschlägigen Rechtsgrundlagen lag das Initiativrecht bei der Kommission, so daß ein Wechsel der Verfahren relativ unproblematisch möglich war. Ungeklärt war die genaue praktische Ausgestaltung des Vorgehens der Kommission in diesen Fällen. Zum einen stellte sich die Frage, wann ein Vorschlag der Grabitz/Hilf-Jansen, Recht der EU (a.F.), Nach Art. 122 EGV Vorb. Rn. 8. Kliemann, Sozialintegration, S. 178. 147 Arl, Sozialpolitik, S. 194; auch Hailbronner, in: GS Grabitz, S. 132 betonte zwar die Anforderungen des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts, nahm jedoch an, daß sich dennoch faktisch eher die Rechtsgrundlagen des Abkommens durchsetzen würden. 148 Burrows I Mair, European Social Law, S. 296. 149 Art, Sozialpolitik, S. 193; so auch Grabitz / Hilf-Jansen, Recht der EU (a.F.), Nach Art. 122 EGV Vorb. Rn. 8; Schuster, EuZW 1992, S. 187; BurrowslMair, European Social Law, S. 296. 150 Grabitz/Hilf-Jansen, Recht der EU (a.F.), Nach Art. 122 EGV Vorb. Rn. 8; Arl, Sozialpolitik, S. 194; Kliemann, Sozialintegration, S. 177 f., S. 183; Schuster, EuZW 1992, S. 186; a.A. Bieback, EuR 1993, S. 156; ähnlich Konzen, EuZW 1995, S. 43 f. 151 A.A. Arl, Sozialpolitik, S. 195 ff., der für das Verhältnis zu den generellen Handlungsermächtigungen und zu ex-Art. ll8a EGV zwischen Fällen, in denen das Abkommen Einstimmigkeit vorsieht, und solchen, in denen qualifizierte Mehrheit erforderlich ist, differenziert. 145
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48
1. Kap.: Grundlagen
Kommission für eine gemeinsame Handlung als gescheitert angesehen werden konnte. Zum anderen bestanden teilweise unterschiedliche Verfahrensanforderungen, so z. B. die Beteiligung der Sozialpartner nach Art. 3 des Abkommens. 152 bb) Wirkung des auf der Grundlage des Abkommens erlassenen Rechts Neben der Frage der Konkurrenz der Rechtsgrundlagen stellte sich das Problem des Verhältnisses des auf der Grundlage des Abkommens erlassenen Sekundärrechts zu dem für alle Mitgliedstaaten geltenden Sekundärrecht. Für das Vereinigte Königreich galt nur das auf die Vorschriften des EGV gestützte Sekundärrecht. Für alle anderen elf bzw. vierzehn Mitgliedstaaten konnte jedoch zusätzlich zu diesen Vorschriften weitergehendes, möglicherweise abweichendes sekundäres Sondergemeinschaftsrecht existieren. Dabei handelte es sich um Rechtsakte nach Art. 249 EGV mit eingeschränktem räumlichen Geltungsbereich. Diese waren für die beteiligten Mitgliedstaaten gegenüber früheren, allgemein geltenden Sekundärrechtsakten spezieller und damit vorrangig. 153 Ebenso verhielt es sich bei der Konkurrenz von unmittelbar anwendbarem Primärrecht, so z. B. ex-Art. 119 EGV und Art. 6 III des Abkommens. 154 Dies führte zur Existenz von zwei Teilrechtsordnungen im Bereich der Sozialpolitik. cc) Auswirkungen auf die Rechtsprechung des EuGH Die Existenz zweier Teilrechtsordnungen erschwerte die Anwendung und Auslegung des Rechts in diesem Bereich. Dementsprechend wurden für die Rechtsprechung des EuGH zum Teil erhebliche Probleme gesehen. Für das Verfahren nach Art. 234 EGV wurde problematisiert, ob britische Gerichte Fragen zur Auslegung des Sozialabkommens vorlegen konnten. Aufgrund der Zugehörigkeit des Abkommens zum Gemeinschaftsrecht wurde diese Frage bejaht, d. h. ein britisches Gericht sollte, sofern die Auslegung des Abkommens oder von Sekundärrecht im Bereich der Sozialunion für ein Verfahren entscheidungserheblich war, dem EuGH diese Frage vorlegen können. 155 Probleme hätten auch bei der Auslegung und Anwendung von Gemeinschaftsrecht bzw. von "Sozialabkommensrecht" auftreten können. Wenn Bestimmungen des Sozialabkommens oder auf dessen Grundlage erlassene Sekundärrechtsbestimmungen vom Gerichtshof ausgelegt wurden, waren im Rahmen einer systema152 Hierzu ausführlicher Kliemann, Sozialintegration, S. 178 ff.; Schuster, EuZW 1992, S. 187. 153 Grabitzl Hilf-Jansen, Recht der EU (a.F.), Nach Art. 122 EGV Vorb. Rn. 8; Kliemann, Sozialintegration, S. 185. 154 Kliemann, Sozialintegration, S. 183 f.; a.A. Curtin, CMLR 1993, S. 61. 155 Kliemann, Sozialintegration, S. 187; Curtin. CMLR 1993, S. 60.
III. Grundlagen der Diskussion über flexible Integration
49
tischen oder teleologischen Interpretation die Normen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden, da es sich beim Sozialabkommen und dem entsprechenden Sekundärrecht um Gemeinschaftsrecht handelte. 156 Insofern galten die gleichen Auslegungsmaßstäbe wie bei anderen Gemeinschaftsrechtsakten. Natürlich war darüber hinaus der Kontext der sozialrechtlichen Vorschriften der Elf zu beachten.& Andererseits konnten die Vorschriften des Sozialabkommens grundsätzlich nicht als Auslegungsmaßstab für das Gemeinschaftsrecht der Zwölf bzw. Fünfzehn herangezogen werden. 157 Im anderen Falle wäre das Vereinigte Königreich quasi durch die Hintertür an den Konsequenzen des Sozialabkommens beteiligt worden. Hierbei war jedoch zu bedenken, daß im Rahmen der Sozialpolitik der Elf bzw. Vierzehn nicht nur das Sozialrecht des Sozialabkommens relevant war, sondern daß in diesem Zusammenhang auch andere, allgemeinere Rechtsfragen aufgetreten sind und Begriffe des allgemeinen Gemeinschaftsrechts auszulegen waren. Dies hätte die problematische Konsequenz haben können, daß gleichlautende oder sogar identische Begriffe einmal rein gemeinschaftsrechtlich und einmal gemeinschaftsrechtlich und sozialabkommensrechtlich ausgelegt worden wären. Ein und derselbe Begriff hätte dann unterschiedliche Bedeutung gehabt je nachdem, in weIchem Zusammenhang er gebraucht wird. Im Prinzip ist das ebenso wie die oben genannten Fallkonstellationen eine logische Konsequenz einer differenzierten Vorgehensweise. Jedoch ist offensichtlich, daß hier erhebliche Probleme hätten auftreten können, insbesondere dann, wenn es sich um Begriffe handelte, die nicht direkt dem Sondergemeinschaftsrecht entstammten, sondern dem Gemeinschaftsrecht, die aber für die Elf bzw. Vierzehn im Lichte deren Sozialpolitik ausgelegt wurden. Deshalb wurde vorgeschlagen, gemeinschaftsrechtliche Begriffe und Grundsätze auch in Fällen, die im Bereich der Sozialpolitik der Elf bzw. Vierzehn angesiedelt waren, so weit wie möglich gemeinschaftsrechtlich auszulegen. 158 Teilweise wurde jedoch "aus praktischen Gründen" davon ausgegangen, daß eine unterschiedliche Auslegung nicht möglich sei und eine Beeinflussung des Vertragsrechts durch das Sondergemeinschaftsrecht auftreten würde. 159 e) Fazit
Die durch das Protokoll und das Abkommen zur Sozialpolitik geschaffene Situation der Differenzierung wurde größtenteils kritisch und skeptisch aufgenommen. Wenn auch ein flexibles Vorgehen politisch wünschenswert schien, so wurde die rechtliche Ausgestaltung in verschiedener Hinsicht kritisiert. Ein zentraler Kritik156 Hailbronner; in: GS Grabitz, S. 139; Koenig, EuR 1994, S. 192; a.A. für zukünftige Entwicklungen Schuster; EuZW 1992, S. 186. 157 Kampmeyer; Protokoll und Abkommen, S. 131; Kliemann, Sozialintegration, S. 188; Whiteford, ELR 1993, S. 215; so wohl auch Schuster; EuZW 1992, S. 186. 158 Koenig, EuR 1994, S. 192. 159 Hailbronner; in: GS Grabitz, S. 139.
4 Grieser
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1. Kap.: Grundlagen
punkt war die Vereinbarkeit mit der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts. Manche Stimmen setzten die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts so hoch an, daß sie ein differenziertes Vorgehen generell für gemeinschaftsrechtswidrig oder jedenfalls für sehr bedenklich hielten,160 so daß dieses Urteil nicht unmittelbar mit der Konstruktion von Protokoll und Abkommen über die Sozialpolitik zusammenhing. Konkret auf das Sozialprotokoll bezogen wurde sehr negativ bewertet, daß dieses im Gegensatz zum Konzept der abgestuften Integration sowohl unbefristet als auch potentiell dauerhaft differenzierte, da zunächst nicht abzusehen war, daß Großbritannien irgendwann bereit sein würde, am Voranschreiten der Sozialintegration teilzunehmen. 161 Ein ganz wesentlicher Punkt der Kritik an der Sozialunion der Elf bzw. Vierzehn war darüber hinaus, daß ein Gebiet, das für Wettbewerbsverzerrungen derartig sensibel ist, für eine differenzierte Regelung nicht geeignet ist. 162 Soziale Sicherung ist ein erheblicher Kostenfaktor und kann die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen beeinflussen. Das Protokoll zur Sozialpolitik schuf somit die Möglichkeit zu Sozialdumping und zur Beeinträchtigung des einheitlichen Wettbewerbs innerhalb der Europäischen Union. 163 Im schlimmsten Fall hätte dies dazu führen können, daß Unternehmen nach Großbritannien abwandern und die anderen Mitgliedstaaten deshalb, um negative Folgen für ihre Wirtschaft und die Arbeitslosigkeit zu verhindern, gezwungen gewesen wären, den Standard ihrer Sozialvorschriften zu senken. Somit bestand die Gefahr, daß sich die gewünschte Sogwirkung von Protokoll und Abkommen zur Sozialpolitik in ihr Gegenteil verkehrte. Die Gewährleistung der gleichen Marktzugangsbedingungen ist eines der zentralen Ziele der Europäischen Union. Schon aus den in Art. 2 EGV definierten Aufgaben und den Zielsetzungen des Art. 3 EGV ergibt sich, daß die Sozialpolitik mit dem Kernbereich der Union, der Wirtschaftspolitik, aufs engste verwoben ist. 164 Dieser Bereich ist relativ sensibel und für eine differenzierende Entwicklung nicht, oder nur unter strengeren Voraussetzungen, geeignet. 165 Tatsächlich ist es zwar nicht in dem Umfang zu den befürchteten Wettbewerbsverzerrungen gekommen, was aber hauptsächlich der aufgrund der Veränderung der politischen Verhältnisse im Vereinigten Königreich kurzen Existenzdauer des Abkommens und der in diesem Bereich zurückhaltenden Tätigkeit von Kommission und Mitgliedstaaten zuzuschreiben ist. 166 160 Everling, CMLR 1992, S. 1066; Eichenhofer, in: Rengeling, Europäisierung des Rechts, S. 165; Grabitz/Hilf-Jansen, Recht der EU (a.F.), Nach Art. 122 EGV Vorb. Rn. 5. 161 Grabitz/Hilf-Jansen, Recht der EU (a.F.), Nach Art. 122 EGV Vorb. Rn. 5; Whiteford, ELR 1993, S. 217. 162 Watson, CMLR 1993, S. 512; Hailbronner, in: GS Grabitz, S. 140; Everling, CMLR 1992, S. 1066; Grabitz/Hilf-Jansen, Recht der EU (a.F.), Nach Art. 122 EGV Vorb. Rn. 6. 163 Watson, CMLR 1993, S. 512; Hailbronner, in: GS Grabitz, S. 140; Everling, CMLR 1992, S. 1066; Grabitz/Hilf-Jansen, Recht der EU (a.F.), Nach Art. 122 EGV Vorb. Rn. 6. 164 Hailbronner, in: GS Grabitz, S. 139; ähnlich auch Whiteford, ELR 1993, S. 217. 165 Falkner, in: Breuss/Griller, Flexible Integration in Europa, S. 97.
III. Grundlagen der Diskussion über flexible Integration
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Schließlich wurde kritisiert, daß die durch das Protokoll und Abkommen zur Sozialpolitik geschaffene Konstruktion flexibler Integration übereilt vereinbart wurde, und deshalb zu wenig systematische Überlegungen angestellt wurden, die der Festlegung eines komplexen differenzierten Vorgehens eigentlich vorangehen sollten. 167 Eine Vielzahl der oben angesprochenen, teilweise ungeklärt gebliebenen Probleme stand sicherlich damit in Zusammenhang. Die tatsächliche Relevanz dieser Kritik an der Konstruktion von Protokoll und Abkommen zur Sozialpolitik hat sich aufgrund der kurzen Geltungsdauer nicht erwiesen. Der Gegenstand des Sozialprotokolls sowie des Abkommens wurde durch den Beitritt des Vereinigten Königreichs in den Vertrag von Amsterdam aufgenommen. Dennoch ist zu berücksichtigen, daß diese Vorgehensweise sich deutlich von der traditionellen Methode der Zielverwirklichung unterschied. Zwar war das Gemeinschaftsrecht nie durch völlige Uniformität gekennzeichnet. Es finden sich von jeher Beispiele für Differenzierungen, wie etwa Ausnahmeregelungen bei der Verwirklichung des Binnenmarktes 168 oder Übergangsregelungen. 169 Beim Sonderweg in der Sozialpolitik handelte es sich aber um eine Differenzierung, die in den Kernbereich, den ungestörten Wettbewerb, eingriff und als potentiell dauerhaft 170 konzipiert war. Im Gegensatz zu den Schengener Abkommen, fand diese verstärkte Zusammenarbeit von Anfang an innerhalb des Gemeinschaftsrechts statt. Dies zeigt, daß es sich beim Protokoll und Abkommen zur Sozialpolitik um die erste bereichsumfassende, gemeinschaftsinterne Differenzierung handelt und den Vorschriften Modellcharakter für die im Anschluß daran entwickelten Formen flexibLer Integration zukommt. Die folgende Darstellung dieser Beispiele wird zeigen, ob und in welchen Punkten die Erfahrungen auf der Grundlage des Protokolls zur Sozialpolitik bei der Gestaltung der aktuellen Vorschriften berücksichtigt wurden.
166 Auf der Grundlage des Abkommens über die Sozialpolitik wurde nur eine Richtlinie erlassen, die RL 94/45/EG v. 22. 9.1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen, ABI. Nr. L 254 v. 30. 9. 1994, S. 64; zur zurückhaltenden Anwendung des Protokolls s. Falkner; in: Breussl Griller, Flexible Integration in Europa, S. 92 ff. 167 Falkner; in: Breuss I Griller, Flexible Integration in Europa, S. 88 ff. 168 Art. 8 c EWGV, Art. 100 IV, V EWGV, eingeführt durch die EEA. 169 Zu einer umfassenden Darstellung der Erscheinungsformen differenzierter Integration vor dem Vertrag von Amsterdam s. Grabitz/ Iliopoulos, in: Grabitz, Abgestufte Integration, S. 34 ff.; Manin, in: ders.1 Louis, Vers une Europe differenciee, S. II ff.; Ehlermann, Rechtliche Überlegungen, S. 26 ff.; ders., in: Winter I Curtin, Reforming the Treaty on European Union, S. 32 ff.; Schauer; Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 35 ff.; Stubb, JEurPP 1997, S. 43 ff. 170 Dieser Aspekt wird auch von Grabitz/Hilf-Blanke, Recht der EU, vor Art. 43-45 EUV Rn. 14, betont. 4*
Zweites Kapitel
Die verstärkte Zusammenarbeit I. Überblick 1. Hintergründe Die verstärkte Zusammenarbeit ist durch den Vertrag von Amsterdam Bestandteil des Unions- und Gemeinschaftsrechts geworden. l EGV und EUV in der Form des Vertrags von Amsterdam sehen zum ersten Mal eine Generalklausel 2 vor, welche es den Mitgliedstaaten ermöglicht, wenn auch unter strikten Voraussetzungen, in kleinerer Zusammensetzung tätig zu werden, wenn ein gemeinsames Vorgehen nicht zu erreichen ist. Für die Interpretation und das Verständnis der Bestimmungen zur verstärkten Zusammenarbeit ist der Hintergrund der Verhandlungen in der Regierungskonferenz zum Vertrag von Amsterdam von erheblicher Bedeutung. Gerade beim Thema Flexibilität waren die Positionen der Mitgliedstaaten äußerst konträr. Die Mitgliedstaaten, die von sich annehmen konnten, daß sie, sofern sie dies wollten, immer in der Gruppe der Vorreiter sein würden, befürworteten ein großes Ausmaß an Flexibilität. 3 Die Mitgliedstaaten, die davon ausgehen mußten, daß sie häufig nicht in der Lage sein würden, die erforderlichen Beschlüsse umzusetzen, waren flexibler Integration nur in stark eingeschränktem Maß zugänglich. 4 Dies hatte zum einen den Hintergrund, daß sie befürchteten, zu einer Gemeinschaft zweiter Klasse zu werden. Zum anderen aber gewährte das Einstimmigkeitsprinzip gerade den kleinen Mitgliedstaaten erhebliche Verhandlungsvorteile, da sie für ihre Zustimmung in einem Bereich Zugeständnisse in anderen Bereichen aushandeln konnten. Ein großzügiger Anwendungsbereich für verstärkte Zusammenarbeit hätte diese Verhandlungspositionen zunichte gemacht. Die Vorschriften sind deshalb das Ergebnis 1 Die Bezeichnung verstärkte Zusammenarbeit stellt positive Aspekte und Fortschritt in Richtung einer weiteren Integration in den Vordergrund, s. Gaja, CMLR 1998, S. 855. 2 Sog. enabling clause, s. Edwards / Philippart, F1exibility and the Treaty of Amsterdam, S. 13; Walker, EU 1998, S. 368; Kortenberg, CMLR 1998, S. 835. 3 Auch das Vereinigte Königreich zählte zu den Befürwortem von Flexibilität, bestand jedoch auf einem Vetorecht jedes einzelnen Mitgliedstaats, s. Rifkind, EA 1996, Nr. 8, S. 99, sowie Duff, in: ders., The Treaty of Amsterdam, S. 190. 4 Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 8 f.; Kortenberg, CMLR 1998, S. 844.
I. Überblick
53
eines schwer durchsetzbaren Kompromisses. Die Befürworter flexibler Strategien waren zu Zugeständnissen in Form strikter Voraussetzungen gezwungen, um überhaupt die verstärkte Zusammenarbeit durchsetzen zu können. Die Vorschriften des Titels VII EUV werden schon im Vertrag von Nizza einer Änderung unterzogen, obgleich noch kein praktischer Anwendungsfall existiert. 5 Das Thema "Verstärkte Zusammenarbeit" wurde zunächst im Rahmen der Regierungskonferenz 20006 informell erörtert und sodann förmlich als Bestandteil der Erörterungen über die institutionelle Reform in die Tagesordnung der Konferenz aufgenommen.? Grundlage der Beratungen waren verschiedene Aspekte. Als wesentlich wurde angesehen, die verstärkte Zusammenarbeit nicht als Faktor einer Fragmentierung, sondern als integrationsfördernd zu betrachten, da in ihrem Rahmen ehrgeizigere Ziele gesteckt würden, die geeignet seien, Gemeingut aller Mitgliedstaaten zu werden. 8 Des weiteren wurde eine Erleichterung des Rückgriffs auf verstärkte Zusammenarbeit für erforderlich erachtet, um ein Ausweichen der Mitgliedstaaten auf eine Zusammenarbeit außerhalb der Verträge zu vermeiden, da dies der Kohärenz des Handeins der Union abträglich wäre. Die gegenwärtigen Bedingungen wurden für so strikt gehalten, daß die Inanspruchnahme der verstärkten Zusammenarbeit in der Praxis unmöglich erschien. 9 Aus diesen Gründen wurden wenige enge Zulässigkeitsbedingungen oder Verfahrensanforderungen gestrichen. Darüber hinaus wurden Anpassungen vorgenommen, welche im Hinblick auf die durch die Erweiterung der Union auf bis zu 27 Mitgliedstaaten zunehmende Heterogenität für erforderlich erachtet wurden. 10
2. Geltungsbereich verstärkter Zusammenarbeit a) Vertrag von Amsterdam
Die verstärkte Zusammenarbeit ist im Vertrag von Amsterdam auf die Bereiche des EGV und der PIZ beschränkt. Für die GASP ist keine verstärkte Zusammen5 Dies wurde auch als Argument gegen eine Reform der verstärkten Zusammenarbeit angeführt, s. Rodrigues, RMC 2001, S. 12. 6 Regierungskonferenz über die institutionelle Reform, Bericht des Vorsitzes an den Europäischen Rat (Feira), Brüsse! 14.6.2000, CONFER 4750/00, S. 51. 7 Vgl. auch Pache/Schorkopf, NJW 2001, S. 1378. 8 Regierungskonferenz über die institutionelle Reform, Bericht des Vorsitzes an den Europäischen Rat (Feira), Brüssel, 14.6.2000, CONFER 4750/00, S. 53; s. auch Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Aufzeichnungen des Vorsitzes, RK 2000 verstärkte Zusammenarbeit, Brüssel 30. 8. 2000, CONFER 4766/00, S. I. 9 Bericht des Vorsitzes an den Europäischen Rat (Feira), a. a. 0., S. 52 f.; Aufzeichnungen des Vorsitzes, RK 2000 - verstärkte Zusammenarbeit, a. a. 0., S. I. 10 Falls sich durch die Reform der Vorschriften Abweichungen von der folgenden Darstellung ergeben, wird darauf hingewiesen. Eine zusammenhängende Erläuterung der neuen Vorschriften erfolgt jeweils im Anschluß an die verschiedenen Abschnitte.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
arbeit vorgesehen. Zunächst wurde diese Säule zwar als optimales Anwendungsfeld betrachtet. 11 Es bestand grundsätzlich Einigkeit über das Bedürfnis für eine flexible Regelung, die es einer Avantgarde von Mitgliedstaaten ermöglichen würde, auch in Krisensituationen eine effektive gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu verfolgen. Dies zeigt sich insbesondere anhand der Handlungsunfähigkeit der Europäischen Union im Balkankonflikt. 12 Gegen Ende der Regierungskonferenz wurde dennoch von der Einführung verstärkter Zusammenarbeit in der zweiten Säule abgesehen und eine Art. 40 EUV bzw. II EGV entsprechende Spezialklausel gestrichen. 13 Gerade im Bereich der Außenbeziehungen wurde ein einheitliches Auftreten der Union für deren internationale Glaubwürdigkeit für unerläßlich gehalten. 14 Darüber hinaus befürchteten manche Mitgliedstaaten, daß die in der GASP existierenden Differenzen der einzelnen Staaten in der politischen Linie oder in den Kapazitäten durch Flexibilität nach dem Modell verstärkter Zusammenarbeit manifestiert würden. 15 Flexibilität in der GASP wurde deshalb auf das Verfahren der konstruktiven Enthaltung beschränkt. 16 b) Vertrag von Nizza
Nachdem das Thema "Verstärkte Zusammenarbeit" in die Tagesordnung der Regierungskonferenz aufgenommen worden war,17 wurde sehr bald auch die Überlegung, in der GASP Möglichkeiten der verstärkten Zusammenarbeit vorzusehen, 11 Vgl. etwa Ehlermann, in: Winter/Curtin u. a., Reforming the Treaty on European Union, S. 41. 12 Vgl. Rilinger; ZRP 1997, S. 400; s. auch Missiroli, The International Spectator 1998, S. 101 f.; Neuhold, in: Liber amicorum Seidl-Hohenveldem, S. 496 f.; Pechstein/ Koenig, Europäische Union, Rn. 315. 13 Vgl. Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 30; Gaja, CMLR 1998, S. 857; Duff, in: ders., The Treaty of Amsterdam, S. 196; Ehlermann, EuR 1997, S. 387; Griller/Droutsas u. a., The Treaty of Amsterdam, S. 411, Anm. 1445; a.A. Pechstein/ Koenig, Europäische Union, Rn. 304 f.; Becker; EuR 1998, S. 49. 14 Kotzias, Die Regierungskonferenz, S. 33; vgl. auch Sutton. in: Dashwood, Reviewing Maastricht, S. 173 f. Auch auf der Regierungskonferenz 2000 wurde betont, daß Flexibilität in der GASP einen Sonderfall darstelle, da das Interesse und die Stärke einer gemeinsamen Außenpolitik in erster Linie auf ihrer Einheitlichkeit beruhe. Regierungskonferenz über die institutionelle Reform, Bericht des Vorsitzes an den Europäischen Rat (Feira), Brüssel, 14.6.2000, CONFER 4750100, S. 54. 15 Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 30. 16 Dazu Kapitel 3. 17 Vgl. Regierungskonferenz über die institutionelle Reform, Bericht des Vorsitzes an den Europäischen Rat (Feira), Brüssel 14.6.2000, S. 51. Schon zuvor befürwortete die Kommission die Möglichkeit verstärkter Zusammenarbeit in der GASP, s. Institutionelle Reform für eine erfolgreiche Erweiterung, Stellungnahme der Kommission nach Artikel 48 des Vertrags über die Europäische Union zur Einberufung einer Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Änderung der Verträge, 26. 1. 2000, COM (2000), 34, S. 37.
I. Überblick
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Gegenstand der Verhandlungen. 18 Die Zweckmäßigkeit verstärkter Zusammenarbeit in der zweiten Säule wurde danach kaum mehr angezweifelt. 19 Dem Postulat der Einheitlichkeit der Außenpolitik der Union wurde jedoch ein erheblicher Stellenwert beigemessen, um die Identität der Union nach außen und ihre internationale Glaubwürdigkeit nicht zu gefährden?O Deshalb wurden für die verstärkte Zusammenarbeit in der GASP erhöhte Anforderungen sowie weitgehende Einschränkungen normiert.
3. Systematik der Regelungen über verstärkte Zusammenarbeit a) Vertrag von Amsterdam Die Vorschriften des Titels VII EUV des Vertrags von Amsterdam 21 enthalten die Generalklausel für die verstärkte Zusammenarbeit, in welcher die allgemeinen Bedingungen normiert sind. Sie werden durch Art. 11 EGV und Art. 40 EUV ergänzt, welche die speziellen Regelungen für verstärkte Zusammenarbeit im EGV bzw. die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen treffen. Art. 43 EUV bestimmt die allgemeinen Voraussetzungen sowie grundlegende Durchführungsbestimmungen, Art. 44 und 45 EUV treffen Finanzierungsregelungen und einige institutionelle Regelungen. In den Spezialvorschriften Art. 11 EGV und Art. 40 EUV sind jeweils die konkreten Voraussetzungen, das anzuwendende Verfahren bei der Gründung verstärkter Zusammenarbeit und bei der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten und sonstige damit in Zusammenhang stehende Fragen geregelt. Jede verstärkte Zusammenarbeit muß die generellen Bedingungen in den Art. 43 ff. EUV und, je nach Säule, die speziellen Voraussetzungen und das spezielle Verfahren nach Art. 11 EGV oder Art. 40 EUV einhalten, Art. 43 I h) EUV.
18 Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Vermerk des Vorsitzes, RK 2000 - Verstärkte Zusammenarbeit, Brüssel, 11. 7. 2000, CONFER 4758/00, S. 2 sowie Brüssel18. 7. 2000, CONFER 4761 100, S. 3. 19 s. Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Aufzeichnungen des Vorsitzes, RK 2000 - verstärkte Zusammenarbeit, Brüssel 30. 8. 2000, CONFER 4766/00, S. I; Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Aufzeichnung des Vorsitzes, RK 2000 - verstärkte Zusammenarbeit, Brüsse! 5. 10. 2000, CONFER 4780100, S. 1. Auch das EP befürwortete die Einführung verstärkter Zusammenarbeit in der GASP, Europäisches Parlament, Ausschuss für konstitutionelle Fragen, Bericht über die verstärkte Zusammenarbeit (2000 I 2162(INI)), 12. 10.2000, A5-0288 I 2000 endg., S. 6. 20 s. Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Aufzeichnungen des Vorsitzes, RK 2000 - verstärkte Zusammenarbeit, Brüssel 30. 8. 2000, CONFER 4766/00, S. 5; Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Aufzeichnung des Vorsitzes, RK 2000 - verstärkte Zusammenarbeit, Brüsse! 5. 10. 2000, CONFER 4780 I 00, S. 4. 21 Art. 43 bis 45 EUV.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
b) Vertrag von Nizza
Die Regelungen des Vertrags von Amsterdam werden durch den Vertrag von Nizza umstrukturiert. So wird die Aufteilung in allgemeine und säulenspezifische Voraussetzungen weitgehend aufgehoben und alle Zulässigkeitsbedingungen in die neue Generalklausel des Art. 43 EUV-Nizza aufgenommen. Diese Liste sämtlicher Voraussetzungen, die an den Anfang des Titels VII EUV gestellt wird, soll die Verständlichkeit und Transparenz verstärkter Zusammenarbeit fördern. 22 Lediglich für die verstärkte Zusammenarbeit der GASP stellt Art. 27 a EUV-Nizza zusätzlich spezielle Anforderungen auf. Einzelnen grundlegenden Voraussetzungen werden im Vertrag von Nizza eigene Artikel zugewiesen. 23 Andere Bestimmungen werden entsprechend ihrer Funktion in den richtigen Zusammenhang gestellt. 24 Datiiber hinaus werden Gtiindungsund Beitrittsverfahren in gesonderter Artikeln geregelt. 25 Durch diese und andere kleinere systematische Änderungen wird die Übersichtlichkeit und Praktikabilität der Vorschriften erheblich verbessert.
11. Allgemeine Voraussetzungen im Vertrag von Amsterdam J. Förderung der Ziele der Union Art. 43 I lit. a) EUV, weIcher die Förderung der Ziele der Union vorschreibt, stellt klar, daß die verstärkte Zusammenarbeit ein Mittel zur Förderung der Integration darstellen muß. Es darf dabei nur um ein schnelleres Voranschreiten einiger Mitgliedstaaten gehen, das letztendlich zu einer Weiterentwicklung der Union führen sol1.26 Rückschritte im Sinne einer Abkehr von bestehenden Bestimmungen sind nicht zulässig. Die Frage, ob Art. 43 I lit. a) EUV so zu verstehen sei, daß eine verstärkte Zusammenarbeit die Vertiefung der Einigung als Ganzes fördern oder lediglich mit Hilfe 22 Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Aufzeichnungen des Vorsitzes, RK 2000 - verstärkte Zusammenarbeit, Brüssel 30. 8. 2000, CONFER 4766/00, S. 2. Die gleiche Ansicht vertritt auch das EP, Europäisches Parlament, Bericht v. 12. 10. 2000 über die verstärkte Zusammenarbeit des Ausschuß für konstitutionelle Fragen, A5 - 0288 / 2000 endg., Punkt 10 der Grundsätze, S. 7. 23 Das ultima-ratio-Prinzip und der Offenheitsgrundsatz sind in Art. 43 a bzw. 43 b EUVNizza normiert. 24 Das Obstruktions verbot befindet sich im Vertrag von Nizza in Art. 44 II EUV-Nizza, also nach den Durchführungsbestimmungen, statt wie im Vertrag von Amsterdam bei den Zulässigkeitsbedingungen. 25 Art. 27 c, 40 a EUV-Nizza, 11 EGV-Nizza (Gründungsverfahren) bzw. Art. 27 e, 40 b EUV-Nizza, 11 a EGV-Nizza (Beitrittsverfahren). 26 Kortenberg, CMLR 1998, S. 845; Ehlermann, EuR 1997, S. 372; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 43 EUV Rn. 17.
Ir. Allgemeine Voraussetzungen im Vertrag von Amsterdam
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von Differenzierung die Chancen zur Verwirklichung der Integrationsziele vergrößern müsse,27 ist zugunsten der letzten Alternative zu beantworten. Denn es ist gerade das Ziel der verstärkten Zusammenarbeit, durch differenzierte Handlungsformen die Integration zu fördern. Ob bestimmte Integrationsziele von der Union unter Berücksichtigung sämtlicher Mitgliedstaaten verwirklicht werden können, entzieht sich einer ex-ante Beurteilung, da der Erfolg der Vertiefung der Integration der gesamten Union von der Beteiligung der einzelnen Mitgliedstaaten abhängt. 28 2. Beachtung der Grundsätze der Verträge
Durch Art. 43 I lit. b) EUV wird die Beachtung der Grundsätze der Verträge und des einheitlichen institutionellen Rahmens gesichert. Die Beachtung der Grundsätze der Verträge bei einer verstärkten Zusammenarbeit ist selbstverständlich, denn es handelt sich um Zusammenarbeit auf der Grundlage von Vertragsvorschriften, so daß wie bei jedem anderen Gemeinschafts- oder Unionshandeln die Grundsätze des EGV und des EUVeinzuhalten sind. Ähnlich verhält es sich bei der Beachtung des institutionellen Rahmens der Gemeinschaft. Die verstärkte Zusammenarbeit dient ja gerade dazu, einer Mehrheit der Mitgliedstaaten diesen institutionellen Rahmen zur Verfügung zu stellen?9 Art. 43 I lit. b) EUV geht aber über diese Klarstellung noch hinaus. Der Schutz des einheitlichen institutionellen Rahmens und der Grundsätze der Verträge beinhaltet, daß im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit keine abweichenden Regelungen getroffen werden dürfen. 3o Die verstärkt kooperierenden Mitgliedstaaten dürfen für ihre Teilgemeinschaft kein von den Vertragsgrundsätzen und dem institutionellen Rahmen abweichendes Sondergemeinschaftsrecht schaffen. Sie dürfen insbesondere keine eigenen Institutionen ins Leben rufen und keine neuen Verfahrensregeln oder Mitgliederpflichten schaffen, auch wenn dadurch nur die beteiligten Mitgliedstaaten betroffen sind. 3l Die Beachtung von Art. 43 I lit. b) EUV ist von entscheidender Bedeutung, um ein Zersplittern in verschiedene kleine Gemeinschaften oder die Abspaltung einer Teilgemeinschaft oder Teilunion zu verhindern. 32 27 Kotzias, in: Griller, Flexible Integration in Europa, S. 25. 28 Art. 43 a) EUV-Nizza fordert darüber hinaus, die verstärkte Zusammenarbeit müsse dar-
auf ausgerichtet sein, den Integrationsprozeß der Union und der Gemeinschaft zu stärken. 29 Ehlermann, EuR 1997, S. 371. 30 Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 43 EUV Rn. 18; Grabitz/Hilf-Blanke, Recht der EU, Art. 43 EUV Rn. 5. 3l Der Parallelität der Entscheidungsstrukturen wird auch große Bedeutung beigemessen, um ein "Aufweichen" der gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Verfahren zu verhindern, vgl. Piepenschneider, Vertrag von Amsterdam, S. 11. 32 Im Vertrag von Nizza wurde der Wortlauf des Art. 43 I b) EUV lediglich geringfügig geändert. So wurde die Bezugnahme auf die Grundsätze der Verträge gestrichen. Nach Art. 43 b) EUV-Nizza muß verstärkte Zusammenarbeit "die genannten Verträge" beachten.
2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
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3. Ultima-ratio-Prinzip Die verstärkte Zusammenarbeit darf gern. Art. 43 I lit. c) EUV nur als letztes Mittel in Anspruch genommen werden. Diese Bedingung zeigt, daß die Flexibilität im Vertrag von Amsterdam weit entfernt ist von einem pick and choose oder Europe Cl la carte und auch davon, ein neues Strukturprinzip einzuführen. Es geht nicht darum, daß die Mitgliedstaaten frei entscheiden könnten, an welchen Gemeinschaftsaktionen sie sich beteiligen oder mit welchen Mitgliedstaaten sie zusammenarbeiten. Die verstärkte Zusammenarbeit dient dazu, in Situationen, in denen aus verschiedenen Gründen kein allgemeiner Konsens gefunden werden kann, eine Stagnation zu verhindern. Sie soll darüber hinaus sozusagen als Damoklesschwert33 das Zustandekommen einer Einigung für alle Mitgliedstaaten erstrebenswerter machen. 34 Das ultima-ratio-Prinzip bringt diese Grundgedanken der verstärkten Zusammenarbeit zum Ausdruck. Art. 43 I lit. c) EUV dient wie Art. 43 I lit. b) EUV dazu, grundsätzlich die Einheitlichkeit der Union zu wahren und ein Zersplittern zu verhindern und ist insoweit verständlich. Viele andere Punkte sind jedoch unklar. Insbesondere ist nicht geregelt, welche Verfahrensschritte im einzelnen unternommen werden müssen, um den Versuch, Einstimmigkeit zu erzielen, als gescheitert betrachten zu können. a) Veifahrensschritte in der Ersten Säule
aa) Kommission In Bereichen, die im EGV geregelt sind, ist ein Vorschlag der Kommission erforderlich?5 Andernfalls könnte man noch nicht von einem Versuch sprechen, die Ziele mit den einschlägigen Verfahren zu erreichen. Unterläßt die Kommission einen Vorschlag, können die Mitgliedstaaten, die an einer verstärkten Zusammenarbeit interessiert sind, lediglich auf dem Weg der Untätigkeitsklage gern. Art. 208 EGV das Verfahren in Gang setzen. 36 Es ist insbesondere nicht ausreichend, wenn in der Kommission auf informellem Wege festgestellt wird, daß im Rat kein Einvernehmen hergestellt werden kann. 3 ? Auch wenn ein derartiges Vorgehen häufig der Praxis entspricht, ist es erBecker, EuR 1998 - Beiheft 1, S. 48. Im Vertrag von Nizza wurde dem ultima-ratio-Erfordemis ein eigener Artikel zugewiesen. Es wurden keine weitreichenden Änderungen vorgenommen, aber Art. 43 a EUV-Nizza weist dem Rat die Entscheidungskompetenz zu, und der Versuch, die Ziele mit den einschlägigen Mitteln zu erreichen, wird auf einen "vertretbaren Zeitraum" befristet. 35 Becker, EuR 1998 - Beiheft 1, S. 49; Manenczuk, ZEuS 1998, S. 461; Ehlel7TUlnn, EuR 1997, S. 372; a.A. Hatje, in: Schwarze, EGV I EUV-Kommentar, Art II EGV Rn. 5, zur Begründung s. folgender Punkt. 36 Becker, EuR 1998 - Beiheft I, S. 49. 33
34
11. Allgemeine Voraussetzungen im Vertrag von Amsterdam
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forderlich, daß die Kommission - wenigstens pro forma - einen Vorschlag vorbringt. Dagegen wird eingewendet, den Organen müsse ein Beurteilungsspielraum zugebilligt werden, ob verstärkte Zusammenarbeit im konkreten Fall ultima ratio ist. 38 Wenn ein gemeinsames Vorgehen offensichtlich nicht mehrheitsfahig ist, soll deshalb auf einen formellen Vorschlag der Kommission für gemeinsames Handeln verzichtet werden können. Statt dessen sei es ausreichend, wenn die Kommission bei der Ausübung ihres Vorschlagsrechts für verstärkte Zusammenarbeit darlege, weshalb ein gemeinsames Vorgehen aller Mitgliedstaaten unmöglich gewesen sei. 39 Bei dieser Argumentation bleibt jedoch ein Aspekt verstärkter Zusammenarbeit unberücksichtigt. Sie dient auch dazu, die Bereitschaft der Mitgliedstaaten zu einer Einigung zu fördern, indem sie ihnen als Konsequenz ein Gemeinschaftshandeln unter Ausschluß ihrer Beteiligung vor Augen führt. Die Möglichkeit, das Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit in Anspruch zu nehmen, ist eine Verhandlungsposition, die nur im Rahmen tatsächlicher Verhandlungen eine Wirkung entfalten kann, nicht jedoch im Wege eines informellen Austauschs zwischen einzelnen Kommissions- und Ratsmitgliedern. Darüber hinaus würde der Verzicht auf jegliche Formalitäten das ultima-ratio-Erfordernis - entgegen der ihm zugewiesenen herausragenden Bedeutung - verwässern. 4o bb) Rat Findet der Vorschlag der Kommission im Rat keine Zustimmung oder scheitert er in einem späteren Verfahrensstadium, so steht den Mitgliedstaaten der Weg der verstärkten Zusammenarbeit grundsätzlich offen. 41 Abgesehen von der Ablehnung eines Rechtsakts im Rat, was - je nach Verfahren 42 - in unterschiedlichen Verfahrensstufen der Fall sein kann, ist ein Scheitern auch aufgrund von Untätigkeit des Rats denkbar.
In diesem Fall ist ebenso wie bei Untätigkeit der Kommission auf Art. 232 EGV zu verweisen. Die Mitgliedstaaten oder die Kommission müssen dem Rat eine Entscheidungsfrist von zwei Monaten setzen. Wenn er innerhalb dieser Frist nicht tätig wird, müssen sie Untätigkeitsklage erheben. Das Verfahren kann nicht allein aufgrund der Untätigkeit des Rats als gescheitert angesehen werden. Art. 43 I lit. c) EUV spricht davon, daß das Ziel mit den "einschlägigen Verfahren" nicht erreicht werden konnte. Zu den einschlägigen Verfahren zählen auch die Rechtsbehelfe bei 37 So aber Hatje, in: Schwarze, EGV I EUV-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 5; Grabitz /HilfBlanke, Recht der EU, Art. 43 EUV Rn. 2. 38 Hatje, in: Schwarze, EGV I EUV-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 5. 39 Hatje, in: Schwarze, EGV I EUV-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 5. 40 Becke" EuR 1998 - Beiheft 1, S. 49. 41 Becke" EuR 1998 - Beiheft 1, S. 49; Manenczuk, ZEuS 1998, S. 461; Ehlermann, EuR 1997, S. 372. 42 Art. 251, 252 EGY.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Untätigkeit der Organe. Die verstärkte Zusammenarbeit dient nicht dazu, einen Verfahrens weg bei Untätigkeit von Organen zu eröffnen. Nur bei einer Ablehnung im Rat kann das Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit in Anspruch genommen werden. 43 cc) Parlament Im Verfahren der Zusammenarbeit gern. Art. 252 EGV ist ein Scheitern des Rechtsakts auch aufgrund der Ablehnung durch die absolute Mehrheit der Stimmen des Parlaments möglich. Fraglich ist, ob die Mitgliedstaaten auch in diesen Fällen ein Vorgehen in verstärkter Zusammenarbeit anstreben können. Man könnte annehmen, daß dieses Vorhaben nicht sehr aussichtsreich wäre, da dem Parlament beim Erlaß und der Durchführung von Rechtsakten im Rahmen verstärkter Zusammenarbeit die gleichen Beteiligungsrechte zustehen wie im "normalen" Verfahren. 44 Es ist aber durchaus denkbar, daß das Parlament ein gemeinsames Vorgehen nicht für sinnvoll hält, einer verstärkten Zusammenarbeit jedoch zustimmt. Flexibles Vorgehen ist nach dem Wortlaut des Art. 43 EUVauch dann zulässig, da es sich auch bei einer Ablehnung eines Rechtsaktes durch das Parlament um einen Fall handelt, in dem mit den einschlägigen Verfahren keine Einigung zustande kommt. dd) Scheitern des Rechtsakts Bei einem Scheitern des Rechtsaktes ist ein weiterer Vorschlag der Kommission nicht erforderlich. Dies würde das Verfahren zu sehr in die Länge ziehen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, daß sich die Kommission im Vorfeld über die Meinungslage informiert und ohnehin den aussichtsreichsten Vorschlag vorbringt. ee) Heilung durch sonstige Verfahrensanforderungen In der Literatur wird darauf hingewiesen, daß das ultima-ratio-Prinzip durch die detaillierten Verfahrensanforderungen für die jeweilige Säule und vor allem durch die faktische Vetomöglichkeit, die jedem Mitgliedstaat zusteht,45 gewahrt werde, bzw. seine Nichtbeachtung sogar ausgeglichen werden könnte. 46 Es ist sicher richtig, daß die Belange der Mitgliedstaaten auch ohne das ultima-ratio-Prinzip nicht 43 Um eine Hinauszögerung des Verfahrens zu verhindern, wurde deshalb vom EP vorgeschlagen, Fristen festzulegen, so daß bei fehlender Einstimmigkeit und dadurch drohender Blockierung eine Beschlußfassung nicht abgewartet werden muß. s. Europäisches Parlament, Bericht v. 12. 10.2000 über die verstärkte Zusammenarbeit des Ausschuß für konstitutionelle Fragen, A5 -0288/2000 endg., Punkt 6 der Grundsätze, S. 7. 44 Art. 44 I EUV. 45 Art. 11 11 UA. 2 EGV, Art. 40 11 UA. 2 EUV. 46 Edwards/Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 14; Kortenberg, CMLR 1998, S. 846.
Ir. Allgemeine Voraussetzungen im Vertrag von Amsterdam
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umgangen werden können. Die Bedeutung des Art. 43 I Iit. c) EUV darf deshalb aber nicht geringer geschätzt werden, da die einzelnen Verfahrensschritte wie das Erfordernis des Versuchs, eine für alle gültige Regelung zu finden, und die Verhandlungen über die Gründung verstärkter Zusammenarbeit unterschiedlichen Zwecken dienen. Das ultima-ratio-Erfordernis sichert den Vorrang gemeinsamen Vorgehens, die Vetomöglichkeit hingegen ausschließlich nationale Interessen. Darüber hinaus sind mit dem Gebrauch des Vetos durch den möglichen Verweis der Frage an den Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs 47 Konsequenzen wie erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit und erheblicher politischer Druck verbunden, die eine höhere Hürde für die Durchsetzung des nationalen Standpunkts bedeuten als gewöhnliche Verhandlungen im Rat. Die Vetomöglichkeit oder andere Verfahrensschritte machen die Beachtung des ultima-ratio-Prinzips deshalb nicht entbehrlich. ff) Verstärkte Zusammenarbeit bei qualifizierter Mehrheit? Eine Möglichkeit zur Gründung verstärkter Zusammenarbeit besteht also, abgesehen von einem Scheitern aufgrund der Ablehnung durch das Parlament, nur dann, wenn ein Vorschlag der Kommission im Rat nicht die erforderliche Mehrheit findet. In diesem Punkt stellt sich ein weiteres Problem. In der Literatur wird zum Teil vertreten, eine verstärkte Zusammenarbeit sei nur in Bereichen möglich, in denen Einstimmigkeit erforderlich sei. 48 Nachdem sich aus den Vorschriften für eine solche Einschränkung keine Anhaltspunkte ergeben, könnte diese Annahme lediglich daraus folgen, daß in Fällen, in denen eine qualifizierte Mehrheit ausreicht, unwiderleglich davon auszugehen ist, daß das gewünschte Ziel mit den einschlägigen Verfahren erreicht werden kann. Daran ist zwar richtig, daß der Beschluß zur Einsetzung der verstärkten Zusammenarbeit ebenfalls nur qualifizierte Mehrheit erfordert, Art. 11 II EGV bzw. 40 II EUV, die auch gleichermaßen nach Art. 205 II EGV zu berechnen ist. Es ist aber zu berücksichtigen, daß nur eine einfache Mehrheit der Mitgliedstaaten an der verstärkten Zusammenarbeit beteiligt sein muß. Deshalb ist es durchaus vorstellbar, daß Mitgliedstaaten, die selbst nicht an einer Maßnahme teilnehmen wollen, dennoch einer verstärkten Zusammenarbeit anderer Mitgliedstaaten zustimmen, entweder weil sie sich später anschließen möchten oder weil sie daran nicht interessiert sind und keine negativen Auswirkungen befürchten. 49 Ein Beispiel für derartige Erwägungen bot das Vereinigte Königreich, Bzw. in der P1Z an den Europäischen Rat, Art. 40 II VA. 2 S. 2 EVY. Martenczuk, ZEuS 1998, S. 466 Fn. 106. 49 Das EP hat innerhalb der Regierungskonferenz 2000 vorgeschlagen, die Bereiche, in denen mit qualifizierter Mehrheit entschieden wird, von der Anwendung verstärkter Zusammenarbeit auszunehmen, um zu verhindern, daß Bemühungen, eine Mehrheit zu finden, konterkariert werden. Dieser Vorschlag konnte sich jedoch nicht durchsetzen. s. Europäisches Parlament, Bericht über die verstärkte Zusammenarbeit, A5 - 0288 / 2000, Punkt 15 der Begründung, S. 12. 47
48
2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
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das im Protokoll zur Sozialpolitik einer gemeinsamen Sozialpolitik der restlichen elf Mitgliedstaaten zustimmte. b) Verfahrensschritte in der Dritten Säule
Im Bereich der polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen gilt hinsichtlich des Verfahrens weitgehend das gleiche. Eine Beteiligung des Parlaments ist hier jedoch nicht vorgesehen. Darüber hinaus ist die Position der Mitgliedstaaten stärker, da ihnen gern. Art. 34 11 EUVebenso wie der Kommission ein Initiativrecht zusteht. Die Mitgliedstaaten, die einen bestimmten Standpunkt, Rahmenbeschluß oder sonstigen Beschluß durchsetzen wollen, können die Beschlußfassung des Rats in der Sache auch ohne Beteiligung der Kommission fordern. Das Verfahren ist erheblich schneller, da weder eine Beteiligung des Parlaments noch bei Abweichungen vom Vorschlag eine erneute Beteiligung der Kommission erforderlich ist. Hinsichtlich der Folgen einer Untätigkeit von Kommission oder Rat und in Bezug auf Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit gelten die obigen Ausführungen. c) Auswirkungen des ultima-ratio-Prinzips
auf die Verhandlungen im Rat
In beiden Fällen, in der ersten und in der dritten Säule, ist zu bedenken, daß Einigungen über ein bestimmtes Thema häufig nicht isoliert erreicht werden, sondern in Form sogenannter package-deals. 50 Für ihre Zustimmung handeln einzelne Mitgliedstaaten Zugeständnisse in anderen Bereichen aus. Diese Zugeständnisse können zum Beispiel finanzieller Art sein oder beinhalten die Zustimmung eines Mitgliedstaats in einem anderen Bereich. In solchen Fällen stellt sich also die Frage, ob die Ausschöpfung der einschlägigen Verfahren es erfordert, unter allen Umständen die erforderliche Mehrheit zu erreichen, oder ob es ausreichend ist, wenn die Mitgliedstaaten, die an der Durchführung der Aktion interessiert sind, nicht bereit sind, auf die Forderungen anderer Mitgliedstaaten einzugehen und deshalb kein einheitliches Vorgehen zustande kommt. 51 Den Mitgliedstaaten, die eine gemeinsame Aktion befürworten, ist es nicht zuzumuten, auf sämtliche Forderungen anderer Staaten einzugehen. Jene könnten andernfalls ihre Position ausnützen, um durch überzogene Forderungen sowohl ein gemeinsames als auch ein Vorgehen nach Art. 43 ff. EUV unmöglich zu machen. Andererseits sollte die Möglichkeit zur verstärkten Zusammenarbeit nicht dazu führen, daß die Mitgliedstaaten auf Verhandlungen verzichten. Die Verhandlungsführung in Form von package-deals sollte durch den Ausweg der verstärkten Zusammenarbeit nicht völlig aufgegeben werden, da auf diese Art zahlreiche Fort50 51
Dazu etwa Harmsen, NILQ 1994, S. 129. Vgl. Ehlermann, EuR 1997, S. 373.
11. Allgemeine Voraussetzungen im Vertrag von Amsterdam
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schritte erzielt werden konnten. Es würde dem Sinn und Zweck der ultima-ratioBedingung zuwiderlaufen, wenn Kompromisse nicht mehr erforderlich wären, da dies letztendlich bedeuten würde, daß auf langwierige Verhandlungen zugunsten einer verstärkten Zusammenarbeit verzichtet werden könnte und schwächere Mitgliedstaaten übergangen werden könnten. Aus diesen Gründen ist ein Mittelweg zu finden. Von den bei derartigen Verhandlungen üblichen Maßstäben ausgehend muß es darauf ankommen, ob Forderungen der einer Frage ablehnend gegenüber stehenden Mitgliedstaaten sich in einem vertretbaren Rahmen halten, oder völlig außer Verhältnis stehen. Wenn diese Mitgliedstaaten offensichtlich ihre Verhandlungsposition ausnützen, können von der Gegenseite keine weiteren Versuche erwartet werden. Überprüfbar wird letzten Endes wohl nur sein, ob ein offensichtlicher Mißbrauch vorliegt, oder ob Kompromisse gar nicht angestrebt wurden. Alles andere kann weder von der Kommission noch vom Gerichtshof nachvollzogen werden und entzieht sich so einer rechtlichen Beurteilung. Zudem ist zu bedenken, daß ein Mitgliedstaat, der seine Interessen und Forderungen in den Verhandlungen zu wenig berücksichtigt sieht, ein Veto aus wichtigen Gründen der nationalen Politik einlegen kann 52 , so daß in solchen Fällen die Verhandlungen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs weitergeführt werden und nicht nachprüfbare Verhandlungsfehler dadurch ausgeglichen werden dürften. Eine Mißbrauchskontrolle ist deshalb ausreichend. 4. Mehrheitsprinzip Die verstärkte Zusammenarbeit muß gern. Art. 43 I lit. d) EUV mindestens die Mehrheit der Mitgliedstaaten betreffen. Anders als im Gründungsbeschluß, der eine qualifizierte, gewogene Mehrheit erfordert, ist hier nur die Beteiligung einer einfachen Mehrheit der Mitgliedstaaten ohne Gewichtung erforderlich. Diese Vorschrift soll eine Zersplitterung der Union verhindern, die dadurch entstehen könnte, daß verschiedene Kleingruppen in einem Bereich unterschiedlich tätig werden. Bei der momentanen Anzahl von Mitgliedstaaten müssen also mindestens acht Mitgliedstaaten beteiligt sein. 53 Nach in der Literatur vertretener Ansicht ist das geltende Mehrheitserfordernis zur Wahrung der Einheitlichkeit und Kohärenz der Union nicht geeignet. 54 Eine einfache Mehrheit der Mitgliedstaaten ist jedoch ausreichend, um ein Nebeneinander mehrerer Gruppen zu verhindern, für welche, auf eine Materie bezogen, jeArt. 40 11 UA 2 EUV, 11 11 UA 2 EGY. Im Vertrag von Nizza wurde das Mehrheitserfordemis gestrichen und durch eine festes Quorum von acht beteiligten Mitgliedstaaten ersetzt, Art. 43 g) EUV-Nizza. 54 Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 14; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 461. 52 53
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
weils unterschiedliche Regelungen gelten. Nur eine derartige Konstellation könnte die Einheitlichkeit der Union ernsthaft gefährden. So ist aber gewährleistet, daß es höchstens zwei Gruppen gibt: Die an der verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten und die nicht beteiligten Mitgliedstaaten. Zwar ist eine verstärkte Zusammenarbeit denkbar, in der keiner der "großen" Mitgliedstaaten beteiligt ist. 55 Wie die Mitgliedstaaten jeweils auf diese beiden Gruppen aufgeteilt sind, ist jedoch lediglich politisch bedeutsam und hat keinerlei Auswirkungen auf den Grad der Zersplitterung der Union. Darüber hinaus wäre eine höhere Grenze unpraktikabel und könnte zu einer Verlagerung der Zusammenarbeit von der Union in völkerrechtliche Abkommen führen. 56 Diese Befürchtung besteht schon für die geltende Mehrheitsgrenze. 57 In Anbetracht der Auswirkungen der Existenz mehrerer paralleler Kooperationen nach dem Konzept eines pick-and-choose auf die Einheitlichkeit der Rechtsordnung ist das Mehrheitserfordernis jedoch nicht als zu strikt anzusehen. Wenn dieses Risiko möglicherweise durch materielle Anforderungen behoben werden könnte, bliebe bei einer niedrigeren Grenze dennoch die Gefahr einer dauerhaften Spaltung in ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Die Wahrscheinlichkeit der Bildung einer avant-garde-Gruppe von leistungsstarken Mitgliedstaaten, welche in verschiedenen Bereichen kooperiert, würde bei einem niedrigeren Mindestquorum erheblich erhöht. Deshalb ist die Mehrheitsgrenze für die derzeitige Anzahl von Mitgliedstaaten einerseits praktikabel, bietet andererseits aber hinreichenden Schutz vor Zersplitterung.
5. Verbot der Beeinträchtigung des Besitzstands
Art. 43 I lit. e) EUV verbietet eine Beeinträchtigung des Besitzstands. 58 Diese Bedingung wird in der Literatur sehr unterschiedlich eingeschätzt. Teilweise wird ihr fundamentale Bedeutung zugesprochen. 59 Andere hingegen halten sie für überflüssig, da selbstverständlich sei, daß der acquis communautaire nicht beeinträchtigt werden dürfe. 6o Interpretiert man diese Klausel in der Weise, daß damit festgelegt werden soll, daß die verstärkte Zusammenarbeit eine "positive integrationspolitische Ausrichtung,,61 haben muß, also nicht zu Rückschritten vom bisherigen 55 Dies wäre z. B. der Fall, wenn die Beneluxstaaten, Österreich, Irland, Schweden, Griechenland und Portugal kooperieren würden. 56 Zur Frage der Zulässigkeit völkerrechtlicher Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten außerhalb des rechtlichen Rahmens der Verträge s. Kapitel 2, Punkt XlV. 57 Ehlermann, EuR 1997, S. 372. 58 Der Wortlaut der Bestimmung wurde in Nizza geändert. Nach Art. 43 lit. c) EUV-Nizza muß verstärkte Zusammenarbeit den Besitzstand beachten. 59 Ehlermann, EuR 1997, S. 371. 60 Gaja, CMLR 1998, S. 862; Calliess I Ruffert-Ruffert, EGV I EUV, Art. 43 EUV Rn. 16; Grabitz I Hilf-Blanke, Art. 43 EUV Rn. 6.
11. Allgemeine Voraussetzungen im Vertrag von Amsterdam
65
Besitzstand führen darf, kann es sich bei der Bestimmung lediglich um eine Klarstellung handeln. Denn aus rechtlicher Sicht versteht sich von selbst, daß die von allen Mitgliedstaaten vereinbarten Vertrags bestimmungen und das auf deren Grundlage für alle Mitgliedstaaten geltende Sekundärrecht nicht einseitig von einem Teil der Mitgliedstaaten für nicht anwendbar erklärt werden können,62 weder durch formelle Rechtsänderung noch durch faktische Auswirkungen. 63 Daraus ergibt sich, daß eine verstärkte Zusammenarbeit Integrationsfortschritte zum Gegenstand haben muß und nicht zu Rückschritten führen darf. 64 Verstärkte Zusammenarbeit kann Flexibilität nur für die Zukunft, nicht aber rückwirkend für bereits geltende Regelungen ermöglichen, d. h. sie darf nicht zu einer - wenn auch räumlich beschränkten - Aufgabe des status quo der erreichten Integration führen. 65 Auch wenn dieser Schutz des Besitzstandes sich schon aus allgemeinen Erwägungen ergibt, dürfte das Bestreben, ein Europe a la carte zu verhindern,66 Anlaß gegeben haben, diese Schutzklausel explizit in die neuen Bestimmungen aufzunehmen. Insofern ist es richtig, daß es sich bei dieser Bedingung weniger um eine rechtliche Voraussetzung als um eine politisch motivierte Deklaration handelt. 67 6. Wahrung der Belange der anderen Mitgliedstaaten
Gern. Art. 43 I lit. f) EUV sind die Zuständigkeiten, Rechte, Pflichten und Interessen der anderen Mitgliedstaaten zu wahren. 68 Diese Bestimmung ist Ausfluß der Loyalitätspflicht zwischen den Mitgliedstaaten, die als allgemeiner Rechtsgrundsatz sowohl dem EGVals auch dem EUV zugrunde liegt. 69 Problematisch ist lediglich die Bezugnahme auf die Interessen der anderen Mitgliedstaaten. Eine Beeinträchtigung der Interessen anderer Mitgliedstaaten dürfte mit verstärkter Zu sam61 Martenczuk, ZEuS 1998, S. 462; ähnlich Hatje, in: Schwarze, EGV I EUV-Kommentar, Art. 43 EUV Rn. 21. 62 Vgl. Gaja, CMLR 1998, S. 862. 63 Vgl. Hatje, in: Schwarze, EGV I EUV-Kommentar, Art. 43 EUV Rn. 21. 64 Martenczuk, ZEuS 1998, S. 462; Constantinesco, RTDE 1997, S. 758; Huber, EuR 1996, S. 356. 65 Hatje, in: Schwarze, EGV I EUV-Kommentar, Art. 43 EUV Rn. 21. 66 So auch Martenczuk, ZEuS 1998, S. 462. 67 Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 14 f., bezeichnen die einzelnen Bedingungen der Generalklausel des Art. 43 I EUV als hochpolitische Formulierungen; a.A. EhLermann, EuR 1997, S. 372, der Art. 43 I lit. e) fundamentale Bedeutung beimißt. 68 Art. 43 lit. h) EUV-Nizza ist leicht modifiziert. Der Begriff Interessen wurde aus der Klausel gestrichen. Des weiteren müssen die Belange der nicht beteiligten Mitgliedstaaten beachtet werden, und nicht wie bisher nicht beeinträchtigt. 69 GTE-ZuLeeg, EGV I EUV, Art. 5 Rn. 1; Grabitz I Hilf-von Bogdandy, Recht der EU (a.F.), Art. 5 EGV Rn. 6; Calliess I Ruffert-KahL, EGV I EUV, Art. 10 EGV Rn. 6.
5 Grieser
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
menarbeit fast immer verbunden sein. 7o Ein Gegenbeispiel zu dieser Annahme könnte im britischen opt-out zur Sozialpolitik zu finden sein, durch das sich das Vereinigte Königreich wirtschaftliche Vorteile versprach. 71 Zum einen ist jedoch fraglich, ob dieser Weg tatsächlich nur Vorteile für britische Unternehmen brachte, weil einige Firmen freiwillig "europäische" Standards übernahmen. 72 Zum anderen ist es nicht möglich, die Beeinträchtigung von Interessen anderer Staaten ex ante zweifelsfrei auszuschließen, insbesondere wenn Staaten, die einer verstärkten Zusammenarbeit ablehnend gegenüber stehen, derartige Beeinträchtigungen vorbringen. Um verstärkte Zusammenarbeit nicht völlig auszuschließen, muß der Begriff der Interessen eng ausgelegt werden. Von einer Beeinträchtigung der Interessen anderer Mitgliedstaaten i. S. d. Art. 43 I lit. f) EUV ist deshalb nur dann auszugehen, wenn es sich um konkrete, bereits in irgendeiner Art und Weise manifestierte Interessen handelt.
7.0fTenheitsprinzip Von grundlegender Bedeutung ist das Erfordernis der Offenheit des Art. 43 I lit. g) EUV. 73 Um zu verhindern, daß die verstärkte Zusammenarbeit zu einem geschlossenen Kern wird, der sich immer weiter von den restlichen Mitgliedstaaten entfernt, ist es wichtig, den zunächst nicht beteiligten Mitgliedstaaten die spätere Teilnahme jederzeit zu ermöglichen, sofern sie die erforderlichen Voraussetzungen erfüllen. Ohne diese Beitrittsgarantie würde das Ziel, durch verstärkte Zusammenarbeit einen Integrationsfortschritt der gesamten Union zu erreichen, zu Gunsten der Interessen leistungsstarker Mitgliedstaaten aufgegeben. Die Einordnung dieser Bedingung als fundamentalen Grundsatz 74 ist deshalb keineswegs übertrieben. Schon in den Diskussionen anläßlich der Regierungskonferenz bestand darüber weitgehender Konsens. 75 Martenczuk, ZEuS 1998, S. 461; Walker, EU 1998, S. 386. Die Annahme, daß durch das Protokoll und das Abkommen zur Sozialpolitik die Interessen ds Vereinigten Königreichs nicht beeinträchtigt wurden, stützt sich auf die Äußerungen Majors, der die seinem Land durch den Sonderweg entstehenden wirtschaftlichen Vorteile hervorhob, s. Kapitel 3, Fn. 86. 72 Vgl. Bamard, in: de Burcal Scott, Constitutional Change, S. 203. 73 Art. 43 lit. g) EUV-Nizza regelt, daß eine verstärkte Zusammenarbeit allen Mitgliedstaaten offen stehen muß und verweist dazu auf Art. 43 b EUV-Nizza, welcher ausschließlich den Grundsatz der Offenheit betrifft. Über die Forderungen des Vertrags von Amsterdam hinausgehend verlangt Art. 43 b EUV-Nizza von der Kommission und den beteiligten Mitgliedstaaten die Förderung des Beitritts der zunächst nicht beteiligten Mitgliedstaaten. 74 Ehlermann, EuR 1997, S. 372; Hofmann, EuR 1999, S. 723; Kortenberg, CMLR 1998, S. 846; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 43 EUV Rn. 23: Grabitz I Hilf-Blanke, Recht der EU, Art. 43 b EUV Rn. I. 75 Ehlermann, in: Winter/Curtin u. a., Reforming the Treaty on European Union, S. 41 f.; Curtin, Aussenwirtschaft 1995, S. 249. 70 71
11. Allgemeine Voraussetzungen im Vertrag von Amsterdam
67
Die spätere Teilnahme der Mitgliedstaaten wird an das Vorliegen objektiver Kriterien geknüpft. Wenn sie diese Voraussetzungen, die Umsetzung des Grundsatzbeschlusses und der im Rahmen der verstärkte Zusammenarbeit bereits gefaßten Rechtsakte und Beschlüsse, erfüllen, steht ihnen eine Teilnahme offen. Daß Art. 43 I lit. g) EUV, anders als Art. 43 11 und 44 I EUV, nur von Beschlüssen und nicht von Rechtsakten spricht, ist als Redaktionsversehen anzusehen. 76 Die Festlegung objektiver Kriterien sichert die vom Willen der anfänglichen Mitglieder unabhängige Gestaltung der Aufnahme. Art. 43 I lit. g) EUV erinnert diesbezüglich an die Konstruktion der WWU, in der die Konvergenzkriterien des Art. 121 I EGV die gern. Art. 122 11 EGV ausschlaggebenden objektiven Kriterien darstellen. Im Sozialprotokoll hingegen war eine spätere Beteiligung Großbritanniens nicht geregelt,77 woraus ersichtlich wird, daß eine gemeinsame Sozialpolitik sämtlicher Mitgliedstaaten offensichtlich nicht vorgesehen war. Dies führte dazu, daß ein Beitritt des Vereinigten Königreichs zur Sozialpolitik nur im Rahmen einer Vertragsrevision78 möglich war. 79 Art. 43 I lit. g) EUV entfaltet seine Wirkung - anders als die übrigen in Art. 43 I EUV genannten Bedingungen - vor allem bei der Durchführung verstärkter Zusammenarbeit. Die genannten Beitrittsvoraussetzungen werden vorwiegend im Zusammenhang mit der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten relevant. Für die Zulässigkeit des Grundbeschlusses bedeutet das Offenheitsprinzip zunächst, daß er keine Klauseln, enthalten darf, welche die Offenheit für sämtliche Mitgliedstaaten beeinträchtigen könnten. Eine Regelung, wonach verstärkte Zusammenarbeit auf eine bestimmte Gruppe von Mitgliedstaaten beschränkt ist, wäre unzulässig. so 8. Fazit In der Literatur wird an den allgemeinen Zulässigkeitsbedingungen des Art. 43 I EUV kritisiert, daß sie politisch motiviert und nicht justiziabel seien, was langfristig zu einer Beeinträchtigung der Rechtsordnung führen könne. sl Teilweise werden Bedingungen als Selbstverständlichkeiten eingestuft. s2 In diesem Zusammenhang sind jedoch die völlig unterschiedlichen, teilweise kontroversen Stand76 Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 115; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 43 EUV Rn. 23. 77 Unzutreffend daher Martenczuk, ZEuS 1998, S. 462, der von einer Anknüpfung an das Sozialprotokoll spricht. 78 Art. 48 EUV. 79 s. Gaja, CMLR 1998, S. 859; Barnard, in: de Burca/Scott, Constitutional Change, S.202. 80 So auch Hatje, in: Schwarze, EGV I EUV-Kommentar, Art. 43 EUV Rn. 23; Hall, in: Bergmann I Lenz, Der Amsterdamer Vertrag, Kapitel 20 Rn. 20. 81 Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 14. 82 Gaja, CMLR 1998, S. 862. 5*
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
punkte der einzelnen Mitgliedstaaten während der Regierungskonferenz zu berücksichtigen. Auf der einen Seite wurde von einem Kerneuropa gesprochen, das den leistungsfähigen Mitgliedstaaten ein ungehindertes Voranschreiten ennöglichen sollte. Auf der anderen Seite wurde jegliche Flexibilität abgelehnt, zum Teil aus der Befürchtung heraus, Verhandlungspositionen zu verlieren und von Integrationsfortschritten abgeschnitten zu werden, zum Teil aber auch aus Angst vor der dadurch entstehenden Sogwirkung. Um Mißverständnissen vorzubeugen und den unterschiedlichen Befürchtungen entgegenzuwirken, war es wichtig, den gefundenen Komprorniß in den neuen Bestimmungen des Vertrags von Amsterdam genau zu definieren. Die Regelung konkreter Zulässigkeitsvoraussetzungen steht in Art. 43 I EUV hinter dem Bedürfnis einer Charakterisierung der verstärkte Zusammenarbeit zurück. So stellt das uLtima-ratio-Erfordernis klar, daß Flexibilität kein gleichberechtigter Weg und kein neues Strukturprinzip ist. Ebenso wird durch die Bedingungen der Förderung der Ziele der Union und der Wahrung des Besitzstands deutlich, daß keineswegs ein Europe a La carte etabliert wurde. Das Offenheitsprinzip schließlich zeigt, daß die verstärkte Zusammenarbeit ein Mittel darstellen soll, die Integration aller Mitgliedstaaten zu fördern und nicht die Gründung eines Kerneuropas oder eines Europas zweier Klassen zum Gegenstand hat. 83 Allerdings gehen die Regelungen der verstärkten Zusammenarbeit nicht so weit, Vorkehrungen gegen eine dauerhafte Abspaltung einer engeren Zusammenarbeit zu treffen. Als solche wären eine zeitliche Beschränkung, eine Verpflichtung der beteiligten zur Förderung der nicht beteiligten Mitgliedstaaten oder eine Pflicht der nicht beteiligten Mitgliedstaaten zur Ausräumung von Hindernissen denkbar. Eine Befristung würde die Praktikabilität verstärkter Zusammenarbeit zu stark einschränken, was sich auch daran zeigt, daß in keinem der früher diskutierten Konzepte differenzierter Integration eine Befristung vorgesehen war, auch wenn sie nicht auf Dauer angelegt waren. 84 Maßnahmen, welche die spätere Beteiligung der übrigen Mitgliedstaaten fördern sollten, waren hingegen zum Beispiel beim Konzept der abgestuften Integration vorgesehen. 85
111. Spezielle Voraussetzungen für den EGV im Vertrag von Amsterdam Während der Regierungskonferenz wurden verschiedene Möglichkeiten zur Regelung der verstärkten Zusammenarbeit diskutiert. Im wesentlichen ging es darum, ob anhand einer Positivliste die Bereiche aufgeführt werden sollten, die einer verstärkten Zusammenarbeit offen stehen, oder ob in einer Negativliste alle einer ver83
84 85
Vgl. Wesseis. in: Westlake, European Union beyond Asmterdam, S. 80. Vgl. etwa das Konzept der abgestuften Integration, s. Kapitel I. Zu den einzelnen Konzepten siehe Kapitel I.
III. Spezielle Voraussetzungen für den EGV
69
stärkten Zusammenarbeit nicht zugänglichen Bereiche aufgelistet werden sollten. 86 Die Erstellung einer Positivliste wurde abgelehnt. Eine Festlegung der Bereiche schien nicht durchführbar, weil sich im Laufe konkreter Verhandlungen erst zeigen würde, wann und in welchen Bereichen eine verstärkte Zusammenarbeit erforderlich wäre. Es wurde dann aber auch davon abgesehen, eine Negativliste im Sinne einer Aufzählung der verschlossenen Bereiche zu erstellen. 87 Vielmehr enthält Art. 11 I EGVeine Reihe von Negativbedingungen, welche einzelne Bereiche von der Anwendbarkeit verstärkter Zusammenarbeit ausnehmen und Beeinträchtigungsverbote normieren. 1. Bereichsausnahmen
a) Ausschließliche Gemeinschaftszuständigkeit
Art. 11 I lit. a) EGV verbietet die Inanspruchnahme verstärkter Zusammenarbeit in Bereichen ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit. 88 aa) Abgrenzung ausschließlicher und nicht-ausschließlicher Gemeinschaftskompetenzen ( 1) Allgemeines
Bereiche ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit sind verstärkter Zusammenarbeit verschlossen. Dahinter steht der Gedanke, daß gemeinsames Vorgehen in den Kernbereichen der Gemeinschaft unverzichtbar ist. Bei einer Ermittlung möglicher Anwendungsfelder stellt sich deshalb das Problem der Bestimmung der Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten, da ein Kompetenzverteilungskatalog wie etwa im deutschen Grundgesetz im EGV nicht existiert. Diese Frage der Kompetenzabgrenzung wurde bislang vor allem bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips relevant, welches gern. Art. 5 11 EGV nicht für Bereiche ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit gilt. In diesem Zusammenhang entstand in der Literatur eine umfangreiche Diskussion zur Bestimmung der Gemeinschaftskompetenzen. Es gibt Stimmen, welche den Vorbehalt ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit in Art. 5 11 EGV für bedeutungslos halten, da er mit dem Vorrang bzw. der Sperrwirkung des Gemeinschaftsrechts gleichzusetzen sei. 89 Wie man dieser Beur86 Der erste offizielle Entwurf für eine Ermächtigungsklausel verstärkter Zusammenarbeit enthält noch beide Varianten, vgl. Schutz, Flexibilität in der Europäischen Union, S. 492 ff. 87 Vgl. Edwardsl Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 10; Kortenberg, CMLR 1998, S. 848. 88 Der Ausschluß der Bereiche ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit ist im Vertrag von Nizza in Art. 43 lit. d) EUV-Nizza geregelt. 89 Everling, in: FS für Stern, S. 1237. Von diesem Aspekt der Entbehrlichkeit des Begriffs der ausschließlichen Gemeinschaftskompetenz zu unterscheiden ist die Frage, ob die Sperr-
70
2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
teilung auch gegenübersteht,90 die Situation bei der verstärkten Zusammenarbeit ist eine andere. Im Rahmen des Art. 11 I lit. a) EGV 91 wird nicht die Frage relevant, ob Zuständigkeiten von der Gemeinschaft oder von den Mitgliedstaaten ausgeübt werden, sondern vielmehr, ob die Gemeinschaft für alle oder für einen Teil der Mitgliedstaaten handelt. In Bereichen, in denen eine Handlungsverpflichtung der Gemeinschaft besteht,92 soll verstärkte Zusammenarbeit ausgeschlossen sein, weil die Gemeinschaft diese Verpflichtung nur gegenüber allen Mitgliedstaaten erfüllen kann. Bei der Anwendung des Art. 11 I lit. a) EGV 93 kann eine Argumentation mit der Sperrwirkung des Gemeinschaftsrechts die Bestimmung ausschließlicher Gemeinschaftkompetenzen deshalb nicht erübrigen. (2) Bestimmung ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit
Der EuGH unterscheidet zwischen ausschließlichen und parallelen Kompetenzen. 94 In der Literatur wird häufig zwischen drei Kategorien unterschieden: ausschließliche, konkurrierende oder parallele Kompetenzen. 95 Im Bereich konkurrierender Zuständigkeiten sind die Mitgliedstaaten demnach nur solange und soweit zuständig, als die Gemeinschaft keine abschließenden Rechtsakte erlassen hat. In Fällen paralleler Zuständigkeiten sind die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft nebeneinander zuständig. Auch hier gilt der Vorrang des Gemeinschaftsrechts, und bestehende Gemeinschaftspolitiken dürfen gern. Art. 10 EGV von den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt werden. Abgesehen davon, daß sowohl im Rahmen des Art. 11 als auch des Art. 5 II EGV lediglich zwischen ausschließlicher und nichtausschließlicher Zuständigkeit differenziert wird, ist bei dieser Einteilung zu beachten, daß auch im Bereich konkurrierender Zuständigkeiten ein Verstoß gegen wirkung, welche aufgrund der Ausübung konkurrierender Kompetenz entsteht, zu einer nachträglich exklusiven Gemeischaftskompetenz führt. 90 Ablehnend Calliess. Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 85. 91 Art. 43 lit. d) EUV-Nizza. 92 Nicht in allen Fällen, in denen eine Handlungsverpflichtung der Gemeinschaft besteht, handelt es sich um ausschließliche Gemeinschaftskompetenz, jedoch besteht in allen Fällen exklusiver Gemeinschaftskompetenz eine Handlungsverpflichtung der Gemeinschaft, s. Calliess. Subsisdiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 86; Kortenberg. CMLR 1998, S. 848; a.A. Lenaertslvan Ypersele. CDE 1994, S. 26, nach denen kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Handlungsverpflichtung und exklusiver Kompetenz besteht soll. Trotzdem seien Handlungsverpflichtungen im Bereich exklusiver Kompetenzen häufiger anzutreffen. 93 Art. 43 lit. d) EUV-Nizza. 94 s. etwa EuGH Gutachten 1/75 (lokale Kosten), Sig. 1975, S. 1355, 1363 f.; Gutachten 2/91 (Abkommen Nr. 170 IAO), Sig. 1993, S. 1061 Rn. 8. 95 Grabitz/Hilf-v. BogdandylNettesheim. Recht der EU (a.F.), Art. 3b Rn. II ff.; Calliess/Ruffert-Calliess. EUV /EGV, Art. 5 EGV Rn. 32 ff.; Kapteyn/van Themaat. The Law of the EC, S. 139 f.; Schweitzerl Hummer; EuR, Rn. 343 ff.; Calliess. Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 98 f.; Streinz. Europarecht, Rn. 128 ff. unterscheidet davon noch Rahmengesetzgebungskompetenzen; Schima. Subsidiaritätsprinzip, S. 100 zählt die subsidiären Kompetenzen als vierte Kategorie.
III. Spezielle Voraussetzungen für den EGV
71
die "Zuständigkeitsordnung" im Gemeinschaftsrecht nicht zur Nichtigkeit der nationalen Rechtsvorschrift führt, also auch hier "nur" ein Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts besteht. Andererseits sind die Mitgliedstaaten in beiden Fällen gern. Art. 10 EGV verpflichtet, bestehendes Gemeinschaftsrecht in seiner Wirkungsweise nicht zu beeinträchtigen. Die Unterscheidung zwischen konkurrierenden und parallelen Kompetenzen ist also, anders als zwischen ausschließlichen und nicht-ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeiten, nicht zwingend. 96 Einigkeit besteht weitgehend darüber, daß exklusive Gemeinschaftszuständigkeiten danach zu bestimmen sind, ob Kompetenzen, die der Gemeinschaft im Vertrag zugewiesen werden, dem Wortlaut, Sinn und Zweck der Norm nach ausschließlich von dieser ausgeübt und die Mitgliedstaaten in diesem Bereich von jeglicher Gesetzgebung ausgeschlossen werden sollen. 97 Nach allgemeiner Meinung sind deshalb die gemeinsame Handelspolitik gern. Art. 133 EGV und die Erhaltung der Fischereibestände gern. Art. 102 der Beitrittsakte von 1972 der exklusiven Kompetenz der Gemeinschaft zuzurechnen. 98 Häufig werden auch Bereiche des internen ürganisationsrechts,99 die Festlegung des Gemeinsamen Zolltarifs gern. Art. 26 EGV,100 die Währungspolitik, \01 Bereiche der Verkehrspolitik nach Art. 71 EGV, \02 die Agrarmarktpolitik \03 und Teile des materiellen WettbewerbsVgl. GTE-Zuleeg, EUV IEGV, Art. 3b Rn. 6. GTE-Zuleeg, EUV IEGV, Art. 3b Rn. 5; Calliess, EuZW 1995, S. 694, 696; Bieber, in: Bieber/Ress, Dynamik des Gemeinschaftsrechts, S. 293; Schwartz, in: FS für Everling, S. 1337; von Borries, in: FS für Deringer, S. 28; Lenaerts/van Ypersele, CDE 1994, S. 14 f.; kritisch: Schima, Subsidiaritätsprinzip, S. 98. 98 EuGH Rs. 41176 (Donckerwolcke), Slg. 1976, S. 1921 Rn. 31/37; EuGH Gutachten 11 75 (lokale Kosten), Sig. 1975, S. 1355, 1363; einschränkend: EuGH Gutachten 1178 (Naturkautschuk), Sig. 1979, S. 2871 Rn. 63; Gutachten 1/94 (GATS, TRIPS), Sig. 1994, 1-5267 LS. 1 - zur Handelspolitik; EuGH verb. RS.en 3, 4, 6176 (Kramer), Sig. 1976, S. 1279 Rn. 30/33.; Rs. 32179 (Kommission/VK), Sig. 1980, S. 2403 Rn. 14; Rs. 804179 (Kommission/VK), Sig. 1981, S. 1045 Rn. 18 - zu Fischereierhaltungsmaßnahmen; GTE-Zuleeg, EUV IEGV, Art. 3b Rn. 5; Lienbacher, in: Hatje, EU-Kommentar, Art. 5 EGV Rn. 14; Streinz, Europarecht, Rn. 129; Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 87; Bieber, in: Bieber/Ress, Dynamik des Gemeinschaftsrechts, S. 301; Lenaerts/van Ypersele, CDE 1994, S. 15; von Borries, in: FS für Deringer, S. 28; Schwartz, AfP 1993, S. 413; Kapteyn/VerLoren van Themaat, The Law of the EC, S. 139; a.A.: Schima, Subsidiaritätsprinzip, S. 93 ff., der die gemeinsame Handelspolitik zum Bereich ausgeübter konkurrierender Kompetenz zählt. 99 Lienbacher, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 5 EGV Rn. 14; Streinz, Europarecht, Rn. 129; Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 87; Bieber, in: Bieber/Ress, Dynamik des Gemeinschaftsrechts, S. 301. 100 EuGH verb. Rsen 37, 38173 (lndiamex), Sig. 1973, S. 1609 Rn. 22/25; Lienbacher, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 5 EGV Rn. 14; Streinz, Europarecht, Rn. 129; Schweitzer/ Hummer, EuR, Rn. 343; a.A. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 87. 101 Lienbacher, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 5 EGV Rn. 14; Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 87; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 465. 102 EuGH Rs. 22170 (AETR), Sig. 1971, S. 263 Rn. 30/31; Streinz, Europarecht, Rn. 129; von Borries, in: FS für Deringer, S. 28; Kapteyn/VerLoren van Themaat, The Law of the EC, S. 139; Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 87. 96 97
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
rechts l04 dazu gezählt. Abgesehen von diesen Bereichen variiert der Umfang, weIcher der ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeit in der Literatur zugewiesen wird, ganz erheblich. Dazu trägt sicherlich der Spielraum der genannten Definition bei. Grundsätzliche Unterschiede bei der Bestimmung der ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeit ergeben sich aber vor allem durch zwei Gesichtspunkte. Zum einen handelt es sich dabei um die Frage, ob die Rechtsangleichung zur Verwirklichung des Binnenmarktes oder möglicherweise sogar alle diesen flankierenden Politiken in den Bereich exklusiver Gemeinschaftsregelungen einzubeziehen sind. Zum anderen geht es um die Entscheidung, ob der Gemeinschaft durch die Ausübung konkurrierender Kompetenzen ausschließliche Kompetenzen im Sinne des Art. 11 I lit. a) bzw. des Art. 5 II EGV zuwachsen. 105 (3) Kompetenz in Fragen des Binnenmarktes Die Einordnung der Rechtsgrundlagen zur Verwirklichung des Binnenmarktes ist äußerst umstritten. 106 Die Kommission sieht in der Verpflichtung der Gemeinschaft zur Herstellung des Binnenmarktes den Kernpunkt der Definition ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit. 107 Auch in der Literatur wird teilweise damit argumentiert, daß die Verwirklichung des Binnenmarktes so zentral sei, daß die Regelungskompetenz ausschließlich der Gemeinschaft zukommen könne. 108 Die Überlassung dieser Bereiche an die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten würde nach dieser Ansicht die Realisierung des Binnenmarktes gefährden. Der Bereich der ausschließlichen Kompetenz wird dementsprechend weit verstanden und soll die Rechtsangleichung zur Verwirklichung des Binnenmarktes, die Gewährleistung des unverfälschten Wettbewerbs und die Grundfreiheiten 109 um103 GTE-Zuleeg, EUV / EGV, Art. 3b Rn. 5; Grabitz / Hilf-von Bogdandy I Nettesheim, Recht der EU (a.F.), Art. 3b EGV Rn. 28; a.A. Grabitz/Hilf-Gilsdoif, Recht der EU (a.F.), Vor Art. 38 Rn. 26; Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 88. 104 von Borries, in: FS für Deringer, S. 28; a.A. Calliess, Subisdiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 88. 105 Lenaertslvan Ypersele, CDE 1994, S. 14ff. bezeichnen sie anschaulich als "Les competences exc1usives par nature" und "Les competences exclusives par exercice". 106 Lienbacher; in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 5 EGV Rn. 14. 107 Das Subsidiaritätsprinzip, Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, SEK (92) 1990 endg. 108 Schwartz, Afp 1993, S. 414; Hatje, in: Schwarze, EGV / EUV-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 7; a.A. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 83; Jarass, EuGRZ 1994, S. 210; Schirna, Subsidiaritätsprinzip, S. 100; Oppermann, EuR, Rn. 1210; unentschieden KapteynlVerLoren van Themaat, The Law of the EC, S. 139; von Borries, in: FS für Deringer, S. 28. 109 Lenaerts Ivan Ypersele, CDE 1994, S. 15 bemerken hierzu sehr richtig, daß im Bereich direkt anwendbarer Rechte die Kompetenzen der Mitgliedstaaten zwar beschränkt seien, daß die Grundfreiheiten hier jedoch nicht relevant seien, da sie keine Gesetzgebungskompetenzen der Gemeinschaft beinhalteten. Vgl. dazu auch Becker; in: Schwarze, EGV /EUV-Kommentar, Art. 28 EGV Rn. 17.
III. Spezielle Voraussetzungen für den EGV
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fassenYo Nach einer Ansicht sollen sogar sämtliche im ursprünglichen EWGV genannten Politiken und alle durch die EEA und den Vertrag von Maastricht eingeführten Politikbereiche, wie Umweltschutz, Gesundheit und Bildung, soweit sie mit dem Binnenmarkt eng verbunden sind, zur exklusiven Gemeinschaftskompetenz gezählt werden. III Dies wird damit begründet, daß die Mitgliedstaaten diese Aufgaben unwiderruflich an die Gemeinschaft übertragen hätten und deshalb die Wahrnehmung dieser Aufgaben nicht wieder zurückfordern könnten. Diese Argumentation macht die exklusive Gemeinschaftskompetenz zum Regelfall und geht damit zu weit. ll2 Die Einordnung als nicht-ausschließliche Kompetenz bedeutet keineswegs, daß die entsprechenden Aufgaben von den Mitgliedstaaten wahrgenommen werden. Auch bei Vorliegen einer konkurrierenden Kompetenz werden die Mitgliedstaaten - mit den durch das Subsidiaritätsprinzip bewirkten Einschränkungen - nur tätig, so lange und so weit die Gemeinschaft keine Regelungen erläßt. Bei einer anderen Sichtweise wäre eine Regelung wie das Subsidiaritätsprinzip nicht erforderlich. Die Realisierung des Binnenmarktes ist durch die Einordnung der entsprechenden Kompetenzen in den Bereich nicht-exklusiver Kompetenzen nicht gefährdet. Der Binnenmarkt wird nach der Konzeption des EGV vorwiegend durch Beschränkungsverbote verwirklicht. ll3 Darüber hinaus würde eine derartige Ausdehnung der ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeit den Anwendungsbereich der verstärkten Zusammenarbeit und des Subsidiaritätsprinzips minimalisieren. Dies widerspräche zumindest der der Einführung des Art. 5 11 EGV zugrundeliegenden Intention. 1l4 Im Hinblick auf binnenmarktbezogene Kompetenzen ist festzuhalten, daß diese nicht zu den ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeiten zu zählen sind. Dieser Bereich ist also nicht durch Art. 11 I lit. a) EGV einer verstärkten Zusammenarbeit versperrt.
(4) Gleichstellung ausgeübter konkurrierender Kompetenzen mit den ausschließlichen Kompetenzen? Somit bleibt noch die Frage, ob ausgeübte konkurrierende Kompetenzen in ihrer Wirkungsweise den anfänglich ausschließlichen Kompetenzen gleichzustellen und gern. Art. 11 I lit. a) EGV vom Anwendungsbereich der verstärkten Zusammenarbeit auszunehmen sind. Der Begriff der ausgeübten konkurrierenden Kompetenzen umschreibt die Bereiche, in denen durch Gemeinschaftsregelungen eine Sperrwirkung ll5 entsteht. Diese hat zur Folge, daß die Mitgliedstaaten unabhängig vom BeSchwartz, AfP 1993, S. 414. Toth, CMLR 1992, S. 1091 f. 112 s. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 83; von Borries, EuR 1994, S.275. 113 Zu diesem Aspekt Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 83. 114 Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 83; ders., EuZW 1995, S. 695. 115 Im englischsprachigen Raum: pre-emption; zu den verschiedenen Ausprägungen der pre-emption-Lehre vgl. Furrer, Sperrwirkung des sekundären Gemeinschaftsrechts, S. 20 ff. 110 111
2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
74
stehen konkreter Gemeinschaftsregelungen keine Maßnahmen treffen können, wenn diese der Zielsetzung oder Konzeption des in diesem Bereich schon existierenden Gemeinschaftsrechts widersprechen. 116 Zum Teil wird vertreten, daß durch die Ausübung konkurrierender Kompetenzen nachträgliche ausschließliche Zuständigkeiten der Gemeinschaft entstehen. Diese sollen den anfänglich exklusiven gleichzusetzen sein und die Anwendung der Normen der verstärkten Zusammenarbeit bzw. des Subsidiaritätsprinzips ausschließen. ll7 Daß die Sperrwirkung sekundären Gemeinschaftsrechts die Mitgliedstaaten von der Befugnis, eigenständige nationale Maßnahmen zu treffen, ausschließt, muß jedoch nicht zwangsläufig heißen, daß in diesen Fällen eine ausschließliche Kompetenz entsteht, die in ihrer Wirkung der anfänglichen ausschließlichen Kompetenz entspricht. Sperrwirkung und ausschließliche Kompetenz sind nicht unbedingt gleichzusetzen. 118 Gegen eine Gleichstellung spricht in erster Linie, daß nach dieser Annahme die primärrechtliche Kompetenzverteilung im EGV durch den Erlaß von Sekundärrecht durch die Organe verändert werden könnte. 1l9 Auch wenn im EGV kein expliziter Kompetenzverteilungskatalog existiert, ergibt sich aus dem Wortlaut oder dem Zusammenhang bestimmter Vorschriften, ob bestehende Kompetenzen der Gemeinschaft zur exklusiven Ausübung oder zur parallelen Ausübung übertragen sind. Dies beinhaltet zwar, daß die Ausübung nicht-ausschließlicher Kompetenzen die Rechtsetzungsbefugnisse der Mitgliedstaaten einschränkt, ändert jedoch nichts an der grundsätzlichen, dem Vertrag zugrunde liegenden Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten. Darüber hinaus unterscheiden sich ausgeübte konkurrierende dadurch von anfänglich ausschließlichen Kompetenzen, daß es sich nicht um eine endgültige Kompetenzzuweisung handelt, sondern die Sperrwirkung nur besteht, so lange die entsprechende sekundärrechtliche Regelung existiert. 120 Ein weiteres Argument gegen die oben genannte Ansicht ist, daß auch durch diese Ausdehnung des Bereichs ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit der Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips drastisch eingeschränkt würde. Art. 5 11 EGV wäre lediglich beim erstmaligen Erlaß einer Regelung anwendbar, nicht hingegen bei späteren 116
Z. B. EuGH Rs. 31/74 (Galli), Sig. 1975, S. 47 Rn. 29/31; Rs. 106/77 (Simmenthal
11), Sig. 1978, S. 629 Rn. 17/18; Rs. 127/87 (Kommission/Griechenland), Sig. 1988,
S. 3333 Rn. 8. 117 Thun-Hohenstein, in: Hummer, Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 131; Shaw, EU 1998, S. 73; Bieber; in: Bieber/Ress, Dynamik des Gemeinschaftsrechts, S. 297; Schima, Subsidiaritätsprinzip, S. 100; Schwartz, AlP 1993, S. 413; Jarass, EuGRZ 1994, S. 410; Oppermann, EuR, Rn. 518 sieht lediglich ausgeübte konkurrierende Kompetenzen als ausschließliche an. 118 s. Weatherill, Law and Integration, S. 137; Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 94 f. 119 Calliess, EuZW 1995, S. 699; ders., Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 95; Calliess/Ruffert-Calliess, EUV /EGV, Art. 5 EGV Rn. 31. 120 Lenaertslvan Ypersele, CDE 1994, S. 21; von Bornes, EuR 1994, S. 274; Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip, S. 95.
III. Spezielle Voraussetzungen für den EGV
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Änderungen oder Ergänzungen. 121 Dies würde der Zielsetzung des Art. 5 11 EGV widersprechen. Man mag zwar angesichts anderer weitgehender Einschränkungen der verstärkten Zusammenarbeit anzweifeln, ob derartige Argumente für die Auslegung des Art. II I lit. a) EGV stichhaltig sind. Es ist jedoch davon auszugehen, daß der Begriff der ausschließlichen Zuständigkeit im Gemeinschaftsrecht einheitlich verwendet wird. Im Zusammenhang mit der Auslegung des Anwendungsbereichs des Art. 5 11 EGVergibt sich deshalb, daß der Begriff der ausschließlichen Zuständigkeit nicht zu umfassend verstanden werden und dieser kein Regelcharakter zukommen darf. (5) Fazit
Im Ergebnis ist also festzuhalten, daß unter den Begriff der ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeit gern. Art. II I lit. a) EGV nur anfänglich ausschließliche Zuständigkeiten fallen. 122 Diese sind, wie sich gezeigt hat, schwer zu bestimmen. Unter Berücksichtigung der genannten Aspekte kann man die Gemeinsame Handelspolitik (Art. 133 EGV), Fischereierhaltungsmaßnahmen (Art. 102 Beitrittsakte 1972), die Festlegung des gemeinsamen Zolltarifs (Art. 26 EGV), die Währungspolitik (Art. 106, 110, 111 EGV), das interne Verfahrens- und Organisationsrecht und die gemeinsame Verkehrspolitik nach Art. 71 EGVals ausschließliche Zuständigkeiten werten. In diesen Bereichen ist eine verstärkte Zusammenarbeit nach Art. 11 I lit. a) EGV nicht möglich. bb) Außenkompetenzen Einer gesonderten Betrachtung bedarf die Frage der Einordnung der Außenkompetenzen. Grundsätzlich gilt auch hier, daß verstärkte Zusammenarbeit bei Vorliegen ausschließlicher Außenkompetenzen nicht zulässig ist. Es stellt sich jedoch die Frage, wann von einer ausschließlichen Außenkompetenz in diesem Sinne auszugehen ist. Von den expliziten Außenkompetenzen sind nach dem Wortlaut und dem Normzweck der Vorschriften Abkommen im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik (Art. 133 III EGV), der Fischereipolitik (Art. 102 Beitrittsakte 1972) und Abkommen nach Art. 111 EGV ausschließlich 123 und fallen somit in den von Art. 11 I lit. a) EGV gesperrten Bereich. Calliess, EuZW 1995, S. 699. Jarass, EuGRZ 1994, S. 210; von Borries, EuR 1994, S. 274; Calliess, Subsidiaritätsund Solidaritätsprinzip, S. 96 f.; Furrer, Sperrwirkung des sekundären Gemeinschaftsrechts, S. 236. GTE-Zuleeg, Art. 3b Rn. 5 und Lenaertslvan Ypersele, CDE 1994, S. 28 zählen zwar die ausgeübten konkurrierenden Kompetenzen ("Ies competences exclusives par exercice") zu den ausschließlichen Kompetenzen, nehmen diese aber vom Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips aus. 123 Vgl. Gilsdoif, EuR 1996, S. 149; Geiger, JZ 1995, S. 976. 121
122
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Nach der Rechtsprechung des EuGH entwickeln sich die impliziten Außenkompetenzen erst dann zu ausschließlichen Gemeinschaftskompetenzen, wenn die ausschließliche Beteiligung der Gemeinschaft zur Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft zwingend erforderlich ist, wenn und soweit die Gemeinschaft eine interne Harmonisierungsmaßnahme, sei es eine Verordnung oder eine Richtlinie, erlassen hat, die durch ein Abkommen der Mitgliedstaaten mit Drittstaaten beeinträchtigt würden, oder wenn und soweit sie ihre externen Kompetenzen bereits in Anspruch genommen hat. 124 In diesen Fällen handelt es sich um ausgeübte konkurrierende Kompetenzen, die, wie oben dargelegt wurde, nicht zu den ausschließlichen Kompetenzen zu zählen sind. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß in diesen Fällen eine verstärkte Zusammenarbeit zwar unter dem Gesichtspunkt des Art. 11 I lit. a) EGV möglich, aber in der Regel nicht mit Art. 11 I lit. b) EGV zu vereinbaren wäre, da ein Abkommen in verstärkter Zusammenarbeit wohl unweigerlich die interne Rechtsetzung der Gemeinschaft beeinträchtigen würde, es sei denn die Ausschließlichkeit gilt nur für die an der verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten. b) Unionsbürgerschaft
Verstärkte Zusammenarbeit darf nach Art. 11 I lit. c) EGV 125 nicht dazu führen, daß Staatsangehörige nicht an der Kooperation beteiligter Mitgliedstaaten in ihren Rechten als Unionsbürger beeinträchtigt werden. Der bislang verwirklichte Mindeststatus an Gewährleistungen 126 steht allen Unionsbürgern zu. Dazu zählen insbesondere die politischen Mitwirkungs- und Kontrollrechte 127, die Gewährleistung der Freizügigkeit nach Art. 18 EGV bzw. des allgemeinen Aufenthaltsrechts und des Rechts auf diplomatischen und konsularischen Schutz. 128 Des weiteren wird durch Art. 11 I lit. c) EGVausgeschlossen, daß verstärkte Zusammenarbeit zu einer Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit führt. Hier sind die im Rahmen des allgemeinen Diskriminierungsverbots 129 entwickelten Grundsätze heranzuziehen. 130 Auch mittelbare bzw. versteckte Diskriminierun124 EuGH Rs. 22170 (AETR), Sig. 1971, S. 263 Rn. 15/19; Gutachten 2/91 (ILO), Sig. 1993, 1-1061 Rn. 9; Gutachten 1/94 (WTO), Sig. 1994, 1-5267 Rn. 77; vgl. Dörr; EuZW 1996, S. 41 f. 125 Diese Klausel wird durch den Vertrag von Nizza gestrichen. 126 Vgl. Calliess 1Ruffert-Kluth, EUV IEGV, Art. 17 EGV Rn. 7. 127 Z. B. das Wahlrecht zum Europäischen Parlament, Art. 138 EGV; das Kommunalwahlrecht, Art. 19 EGV und das Petitionsrecht, Art. 21, 194 EGV. 128 Fischer; EuZW 1992, S. 568 f.; Constantinesco, in: Schwarze, Vom Binnenmarkt zur Europäischen Union, S. 29 ff.; GTE-Haag, EUV IEGV, Art. 8 Rn. 10; Calliess/RuffertKluth, EUV IEGV, Art. 17 EGV Rn. 13; Oppermann, EuR, Rn. 1552 ff. 129 Art. 12 EGY. 130 Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 119; ders., in: Hummer, Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 132.
III. Spezielle Voraussetzungen für den EGV
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gen sind ausgeschlossen.1 31 Zu beachten ist jedoch, daß nicht schon die Existenz unterschiedlicher Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten eine Diskriminierung darstellt. Eine verstärkte Zusammenarbeit ist erst dann diskriminierend, wenn Rechte Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten vorenthalten werden, welche die gleichen Voraussetzungen erfüllen wie die Angehörigen der kooperierenden Mitgliedstaaten. 132 Verstärkte Zusammenarbeit ist als gemeinschafts- bzw. unionsrechtliches Verfahren an die Grundsätze des EUV und des EGV gebunden. 133 Insofern bilden die Unionsbürgerschaft des Art. 17 EGV und das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGVohnehin Grenzen für jegliche verstärkte Zusammenarbeit. Art. II I lit. d) EGV stellt klar, daß Ungleichbehandlungen durch partikulares Gemeinschaftsrecht nicht gerechtfertigt werden können. 134 Vor allem beinhaltet die ausdrückliche Ausnahme der Unionsbürgerschaft von jeglicher verstärkter Zusammenarbeit, daß die Fortentwicklung des rechtlichen Status der Unionsbürgerschaft einem gemeinsamen Vorgehen vorbehalten iSt. 135 Die Unionsbürgerschaft kann auch dann nicht Gegenstand verstärkter Zusammenarbeit sein, wenn dies einen Fortschritt gegenüber dem für alle geltenden Stand an unionsbürgerschaftlichen Rechten bedeuten würde. 136
2. Beeinträchtigungsverbote a) Handel und Wettbewerb N ach Art. II I lit. e) EGV 137 darf verstärkte Zusammenarbeit keine Diskriminierung oder Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen und den Wettbewerb zwischen ihnen nicht verzerren. Diese Bestimmung wird häufig mit dem Verbot der verschleierten Beschränkung des Handels in Art. 95 VI EGV verglichen, 138 auch Art. 30 S. 2 EGV läßt sich heranziehen. Hinsichtlich ihrer Ziel131 EuGH Rs. 29/95 (Pastoors), Sig. 1997,1-285 Rn. 16; Rossi, EuR 2000, S. 210 f.; GTEZuleeg, EUV IEGV, Art. 6 Rn. 4; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 9. 132 Kortenberg, CMLR 1998, S. 848; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 9. 133 Art. 43 I lit. b) EUV. 134 Calliess 1 Ruffert-Ruffert, EUV IEGV (1. Aufl.), Art. 11 EGV Rn. 5; s. auch Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 Rn. 9. 135 Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 9. 136 Dies wird sich durch die Streichung des Art. 11 I lit. c) EUV im Vertrag von Nizza ändern. 137 Durch den Vertrag von Nizza wird der Wortlaut dieser Bestimmung modifiziert. Der Ausdruck Beschränkung wird durch Behinderung ersetzt. 138 Unter Bezugnahme auf den früheren Art. 100 a IV EGV s. Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 119 f.; Kortenberg, CMLR 1998, S. 849; Constantinesco, RTDE 1997, S.761.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
setzung sind diese Klauseln sicherlich vergleichbar. 139 Verstärkte Zusammenarbeit darf ebenso wenig wie nationale Ausnahmen von der Verwirklichung des freien Warenverkehrs oder nationale Sonderwege bei der Rechtsangleichung des Binnenmarktes zu einer Abschottung der nationalen Märkte führen oder Produkte, welche in den an verstärkter Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten hergestellt werden, gegenüber anderen Gemeinschaftsprodukten bevorzugen. 140 Der gemeinsame Binnenmarkt erfährt dadurch eine zusätzliche Absicherung. 141 Zu einer genaueren Bestimmung des Umfangs des Verbots der Diskriminierung oder Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten kann die Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit 142 herangezogen werden. Nachdem neben Diskriminierungen auch Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels ausgeschlossen sein sollen, kann die Dassonville-Formel und die dazu entwickelte Kasuistik auf den vorliegenden Zusammenhang übertragen werden. Diese umfaßt jede Regelung, welche "geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern.,,143 Jede verstärkte Zusammenarbeit, welche diese Voraussetzungen erfüllt, wäre demnach mit Art. 11 I lit. e) EGV nicht vereinbar. Zur Bestimmung des Begriffs des Wettbewerbs kann auf die im Rahmen der Art. 81 ff. EGV entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Übertragen auf die Situation der verstärkten Zusammenarbeit bedeutet dies, daß sich die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit der Unternehmen und damit die Wettbewerbsverhältnisse in den einzelnen Mitgliedstaaten durch verstärkte Zusammenarbeit nicht negativ entwickeln dürfen. 144 Die Bedeutung des Art. 11 I lit. e) EGV 145 kann durch diese Parallelen weitgehend bestimmt werden. Problematisch ist jedoch, daß eine strikte, wörtliche Auslegung dieser Kriterien den Anwendungsbereich verstärkter Zusammenarbeit im Gemeinschaftsrecht drastisch einschränken würde. 146 Eine Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels kann in vielen Fällen wohl nicht ausgeschlossen werden. 147 Beispielsweise bei umweltpolitischen Maßnahmen sowie 139 Eine Interpretation, wonach Art. 11 I lit. e) EGVeine Konkretisierung der Klauseln des Art. 43 I lit. e) und f) EUV darstellen soll (so Schauer, Schengen-Maastricht-Amsterdam, S. 168 f.), ist zwar U.U. zutreffend, da eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs zumindest die Interessen der nicht beteiligten Mitgliedstaaten schmälert, wird jedoch der Bedeutung des Art. 11 I lit. e) EGV nicht gerecht. 140 s. Constantinesco, RTDE 1997, S. 761. 141 Martenczuk, ZEuS 1998, S. 465; Shaw, EU 1998, S. 74. 142 Vgl. auch Calliess I Ruffert-Ruffert, EUV IEGV (I. Aufl.), Art. 11 EGV Rn. 7. 143 EuGH Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, S. 837 Rn. 5. 144 Vgl. Brinker; in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 81 EGV Rn. 36 ff. 145 Art. 43 lit. f) EUV-Nizza. 146 Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 11; Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 119 f.; Kortenberg, CMLR 1998, S. 849; GrillerlDroutsas u. a., The Treaty of Amsterdam, S. 216.
III. Spezielle Voraussetzungen für den EGV
79
Maßnahmen zur Hannonisierung indirekter Steuern liegt dies nahe. In der Sozialpolitik wurde diese Erfahrung mit dem Protokoll zur Sozialpolitik bereits gemacht. 148 Dort richtete sich die potentielle Wettbewerbs verzerrung zwar gegen die beteiligten Staaten zugunsten des nicht beteiligten Staates. Auch eine solche Beeinträchtigung wäre jedoch von Art. 11 I lit. e) EGV I49 erfaßt, da dieser den innergemeinschaftlichen Handel und Wettbewerb als solches und nicht nur die Interessen der nicht beteiligten Mitgliedstaaten schützt. Darüber hinaus ist zu bedenken, daß der Binnenmarkt nicht vollkommen gewährleistet ist. ISO Zahlreiche Ausnahmeregelungen für einzelne Mitgliedstaaten schaffen unmittelbar in diesem zentralen Bereich ein unterschiedliches Regelungsniveau. 15t Vor allem aber dient die verstärkte Zusammenarbeit dem Ziel der Förderung der Integration und somit auch der Verwirklichung des Binnenmarktes. 152 Aus diesen Gründen und in Anbetracht der Tatsache, daß Ziel des Art. 11 I lit. e) EGV t53 nicht die weitgehende Einschränkung des Anwendungsbereichs verstärkter Zusammenarbeit sein kann, ist diese Bestimmung einschränkend auszulegen. In der Literatur werden verschiedene Möglichkeiten vorgeschlagen. Nach einer Ansicht ließe sich das Dilemma dadurch lösen, daß man den Anwendungsbereich dieser Sperrklausel auf rechtliche Diskriminierungen und spürbare Handelsbeeinträchtigungen beschränkt. 154 Nach anderer Ansicht ist bei Auswirkungen verstärkter Zusammenarbeit auf den Handel und den Wettbewerb eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, vorausgesetzt ein gemeinsames Ziel rechtfertigt die Maßnahmen. ISS Bei dieser Abwägung soll auch der status qua beachtet werden, d. h. Beeinträchtigungen des Wettbewerbs ohne die Einführung verstärkter Zusammenarbeit sind zu berücksichtigen. 156 Dabei wird es nach dieser Meinung häufig zu Verschiebungen der Vorteile und der Kosten kommen, welche in die Abwägung einzubeziehen sind. t57 In Anbetracht der Komplexität der Auswirkungen verstärkter Zusammenarbeit auf den innergemeinschaftIichen Handel und Wettbewerb weist eine Verhältnismä147 Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 119; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 11; Griller / Droutsas u. a., The Treaty of Amsterdam, S. 216. 148 Vgl. Kapitel 3. 149 Art. 43 Iit. f) EUV-Nizza. 150 Nach Calliess/Ruffert-Ru.f{ert, EUV IEGV, Art. 43 EUV Rn. 17, übersteigt das mit dem Verbot der Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen zwischen den Mitgliedstaaten angestrebte Leitbild das bisherige Leitbild des (unvollkommenen) Binnenmarktes. 151 Vgl. de Burca, in: de Burcal Scott, Constitutional Change, S. 138 ff. 152 Vgl. Griller/Droutsas u. a., The Treaty of Amsterdam, S. 216. 153 Art. 43 lit. f) EUV-Nizza. 154 Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 11. 155 Griller/ Droutsas u. a., The Treaty of Amsterdam, S. 216. 156 Griller/Droutsas u. a., TheTreaty of Amsterdam, S. 216. 157 Griller/ Droutsas u. a., The Treaty of Amsterdam, S. 216.
2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
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ßigkeitsprüfung gegenüber der abstrakten Einschränkung des Wortlauts den Vorteil auf, der konkreten Situation besser gerecht zu werden. Darüber hinaus entspricht die Einbeziehung der Yerhältnismäßigkeit auch der in den Art. 11 I lit. e) EGy 158 vergleichbaren Fällen der Art. 95 YI und 30, S. 2 EGYangewandten Praxis. 159 Die Anforderungen des Art. 11 I lit. e) EGy 160 sind deshalb einschränkend auszulegen, so daß lediglich unverhältnismäßige Beeinträchtigungen des Wettbewerbs unzulässig sind. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Voraussetzung muß darüber hinaus sein, daß die Beeinträchtigung zugunsten eines gemeinschaftlich erstrebenswerten Ziels erfolgt. Gern. Art. 43 I lit. a) EGY ist verstärkte Zusammenarbeit nur zur Förderung der Ziele der Union zulässig. Darüber hinaus muß das konkret angestrebte Ziel im Rahmen der Prüfung des Art. 11 I lit. e) EGy 161 aber die verursachte Wettbewerbs beeinträchtigung überwiegen. b) Gemeinschaftspolitiken, -aktionen oder -programme
Diese Bestimmung konkretisiert gewissennaßen die acquis-Schutzklausel des Art. 43 I lit. e) EUy 162 für den Bereich des Gemeinschaftsrechts. 163 Weiterhin steht sie in engem Zusammenhang mit dem Vorbehalt der ausschließlichen Gemein schafts kompetenz des Art. 11 I lit. a) EGY. Hier geht es jedoch nicht um die Existenz von Gemeinschaftskompetenzen, sondern um deren Ausübung. 164 In diesem Punkt ist also die im vorigen Punkt erwähnte, für Art. 11 I lit. a) EGY als nicht relevant erachtete Sperrwirkung des Gemeinschaftsrechts interessant, da die Ausübung von Gemeinschaftskompetenzen den betreffenden Bereich besetzt und ihn einer verstärkten Zusammenarbeit verschließt. Die Regelung des Art. 11 I lit. b) EGY ist allgemein gefaßt, so daß sich auch hier das Problem der Reichweite stellt. Einerseits könnte man die Begriffe Gemeinschaftspolitiken, -aktionen und -programme dynamisch verstehen. Das hieße, daß auch Entscheidungen über zukünftige Yorgehensweisen durch verstärkte Zusammenarbeit nicht beeinträchtigt werden dürften. 165 Dagegen wird eingewendet, diese Bestimmung dürfe nicht wörtlich verstanden werden, sondern müsse eng ausgelegt werden, um den Anwendungsbereich der verstärkten Zusammenarbeit nicht zu sehr einzuschränken. Deshalb sei Art. 11 I lit. b) EGY so zu verstehen, Art. 43 lit. f) EUV-Nizza. Vgl. Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 30 EGV Rn. 63 ff.; Call1iesslRuffertEpiney, EUV IEGV, Art. 30 Rn. 42 ff.; Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 95 EGV Rn. 69; Calliess I Ruffert-Kahl, EUV IEGV, Art. 95 EGV Rn. 32. 160 Art. 43 lit. f) EUV-Nizza. 161 Art. 43 lit. f) EUV-Nizza. 162 Durch den Vertrag von Nizza wird Art. 11 I lit. b) EGVersatzlos gestrichen. 163 Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 8. 164 Shaw, EU 1998, S. 73. 165 Constantinesco, RTDE 1997, S. 760; ähnlich: Martenczuk, ZEuS 1998, S. 365. 158
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1II. Spezielle Voraussetzungen für den EGV
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daß sich verstärkte Zusammenarbeit auf den Besitzstand der genannten Bereiche nicht negativ auswirken dürfe. 166 Dieses flexibilitätsfreundliche Verständnis geht zu weit. Der Begriff "Programme" impliziert ein zukunftsgerichtetes Element. Wenn zukünftige gemeinschaftliche Vorgehensweisen konkret geplant sind, dürfen sie durch verstärkte Zusammenarbeit nicht beeinträchtigt werden. Insofern steht diese Bedingung auch im Zusammenhang mit dem ultima-ratio-Erfordernis. Wenn sich jedoch abzeichnet, daß das beabsichtigte gemeinsame Vorgehen aufgrund mangelnder weiterer Übereinstimmung der Mitgliedstaaten nicht möglich ist, ist der Geltungsbereich des Art. ll I lit. b) EGV dahingehend einzuschränken, daß er in diesen Fällen einer verstärkten Zusammenarbeit nicht entgegensteht.
3. Begrenzung auf Befugnisse der Gemeinschaft Die verstärkte Zusammenarbeit darf die Befugnisse der Gemeinschaft nicht überschreiten. Diese Bedingung ist eine Selbstverständlichkeit. Handeln auf der Grundlage verstärkter Zusammenarbeit spielt sich auf der Ebene der Gemeinschaft, nicht der Mitgliedstaaten ab. Art. ll EGV ist keine neue Kompetenzgrundlage, sondern stellt eine neue Möglichkeit dar, die vorhandenen Kompetenzen zu nutzen. Deshalb gilt hier ebenso wie bei jeglichem Gemeinschaftshandeln das Prinzip der ausdrücklichen Kompetenzzuweisung des Art. 5 I EGY. Dementsprechend sind auch implizite Kompetenzen und nach Art. 308 EGV begründete Kompetenzen vom Anwendungsbereich der verstärkten Zusammenarbeit erfaßt. 167 Die Bedeutung, die dieser Bestimmung teilweise in der Literatur beigemessen wird,168 ist deshalb nur begrenzt nachvollziehbar. Es ist sicherlich richtig, daß verstärkte Zusammenarbeit nicht zu einer Ausweitung der Kompetenzen der Gemeinschaft unter Umgehung des Art. 48 EUV führen darf,169 dies folgt aber nicht erst aus Art. ll I lit. d) EGV, sondern schon aus der Tatsache, daß es sich um einen Mechanismus des Gemeinschaftsrechts handelt, der an die Grenzen gemeinschaftlichen Handeins gebunden ist. 170 166 Thun-Hohenstein, in: Hummer, Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 131. 167 Vgl. Gaja, CMLR 1998, S. 863; Thun-Hohenstein. Vertrag von Amsterdam, S. 119; ders., in: Hummer, Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 136 f. 168 Constantinesco, RTDE 1997, S. 761; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 465. 169 So Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 10; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 465. 170 Dennoch regelt auch der Vertrag von Nizza explizit, daß verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen der Zuständigkeit der Gemeinschaft bleiben muß. Diese Bestimmung findet sich jedoch ab Inkrafttreten des Vertrags von Nizza auch in der Generalklausel, Art. 43 d) EUVNizza.
6 Grieser
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Art. 11 I lit. d) EGV - oder der zugrunde liegende Grundsatz der begrenzten Kompetenzzuweisung - regelt nicht nur die Einhaltung der gemeinschaftlichen Kompetenzen, sondern betrifft darüber hinaus auch die Ausübung dieser Zuständigkeiten. Schon daraus ergibt sich, daß die entsprechenden Verfahrensregeln einzuhalten sind. 17 I Auch das Subsidiaritätsprinzip ist dementsprechend als Kompetenzausübungsregel auf die verstärkte Zusammenarbeit anwendbar. Das wird teilweise nicht als selbstverständlich angesehen. 172 Da die verstärkte Zusammenarbeit durch ein gemeinschaftsrechtliches Verfahren begründet wird und es sich um Maßnahmen auf supranationaler Ebene handelt, gibt es keine Gründe, die verstärkte Zusammenarbeit von der Anwendung bestimmter Vertragsvorschriften auszunehmen. I73 Ein derartiger Vorbehalt müßte sich aus dem Vertragstext ergeben. Dieser sieht jedoch keine Ausnahmen vor, sondern unterwirft die Rechtsakte und Beschlüsse zur Durchführung verstärkter Zusammenarbeit im EGV allen einschlägigen Bestimmungen des EGv. I74 Probleme, die bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips auf die verstärkte Zusammenarbeit auftreten, rechtfertigen möglicherweise eine Modifikation oder teleologische Anpassung der Vorschrift, nicht aber deren Unanwendbarkeit. 4. Fazit Die verstärkte Zusammenarbeit ist für den Bereich des EGV relativ genau geregelt. Der Schwerpunkt liegt in der Absicherung der Kernpunkte der Verwirklichung des Binnenmarktes gegen Differenzierungen. Das Bestreben, die Verwirklichung des Binnenmarktes und anderer gemeinsamer Politiken einheitlichen Regelungen vorzubehalten, führte jedoch dazu, daß manche Bestimmungen so eng gefaßt sind, daß eine wörtliche Auslegung die verstärkte Zusammenarbeit jeglichen Anwendungsbereichs berauben würde, und auch eine einschränkende Auslegung dieser Bestimmungen kaum Raum für verstärkte Zusammenarbeit beläßt.
IV. Spezielle Voraussetzungen für die PJZ im Vertrag von Amsterdam Der Bereich der polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen eignet sich aufgrund seines thematischen Inhalts, aber auch aufgrund seiner intergouvernementalen Natur gut für flexible Vorgehensweisen. Ferner gehen die Vor-
173
Explizit ist dies in Art. 44 I EUV geregelt. Constantinesco, RTDE 1997, S. 755 Anm. 13; Gaja, CMLR 1998, S. 863. Editorial Comments, CMLR 1997, S. 769; im Ergebnis ebenso: Gaja, CMLR 1998,
174
Art. 11 IV EGY.
171 172
S.863.
IV. Spezielle Voraussetzungen für die P1Z
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stellungen der einzelnen Mitgliedstaaten in diesem Feld weit auseinander. Dies zeigt sich schon daran, daß das Schengener Abkommen das bislang wohl umfassendste Beispiel außervertraglicher Differenzierungen darstellt, wenngleich weite Teile des Schengener Abkommens mittlerweile nicht mehr in die dritte Säule des EUV, sondern unter Titel IV des EGV fallen. 1. Begrenzung auf Thematik und Ziele der PJZ Verstärkte Zusammenarbeit in der dritten Säule erfordert gern. Art. 40 I lit. a) EUV die Wahrung der Zuständigkeiten der Gemeinschaft und der Ziele der PJZ. Das Erfordernis der Wahrung der Zuständigkeiten der Gemeinschaft gewährleistet, daß über eine verstärkte Zusammenarbeit in der dritten Säule die Voraussetzungen und das Verfahren des Art. 11 EGV nicht dadurch umgangen werden, daß Mitgliedstaaten in einem eigentlich supranational zu regelnden Bereich intergouvernemental enger zusammenarbeiten. Die Beschränkung auf die Ziele der Dritten Säule stellt sicher, daß sich verstärkte Zusammenarbeit in dem in Art. 29 ff. EUV festgesteckten Rahmen bewegt und sich nicht verselbständigt und dadurch andere Themen mit einbezieht. Die gemeinsame Regelung anderer, nicht von Titel VI EUV erfaßter Punkte wird den Mitgliedstaaten dadurch nicht verwehrt,175 aber sie können sich in diesem Fall nicht der Organe, Verfahren und Mechanismen der Verträge bedienen, wie dies in Art. 43 I EUV vorgesehen ist. 176 Zum Teil wird in der Literatur darauf hingewiesen, daß in diesem Bereich eine Beschränkung auf die Zuständigkeiten der Union fehle, was zu einer Ausweitung der Zuständigkeiten der Union durch verstärkte Zusammenarbeit führen könne. 177 Die durch Art. 40 I lit. a) EUV I78 vorgeschriebene Wahrung der Ziele der PJZ beschränkt verstärkte Zusammenarbeit auf die Handlungsbereiche und -formen des Titels VI EUV und erfüllt so eine Art. 11 I lit. d) EGV vergleichbare Funktion. 179 Art. 40 I lit. a) EUV sichert die Einhaltung des unionsrechtlichen Rahmens bei verstärkter Zusammenarbeit in der dritten Säule. 180 Darüber hinaus ist eine Über175 Generell zur Frage, ob außervertragliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten neben verstärkter Zusammenarbeit möglich ist Kapitel II, Punkt XIV. 176 Die Wahrung der Zuständigkeiten der Gemeinschaft wird im Vertrag von Nizza durch die für gemeinschafts- und unionsrechtliche verstärkte Zusammenarbeit geltende Bestimmung des Art. 43 lit. d) EUV-Nizza geregelt. Die Bezugnahme auf die Ziele der P1Z ist jedoch gestrichen. 177 Martenczuk, ZEuS 1998, S. 469. 178 Art. 43 d) EUV-Nizza bezieht sich anders als Art. 40 I lit. a) EUV auf die Zuständigkeit der Union. 179 s. auch Grabitz / Hilf-Röben, Recht der EU, Art. 40 EUV Rn. 11. 180 Es ist ohnehin fraglich, ob man im Bereich intergouvemementaler Zusammenarbeit von Kompetenzen der Union im Sinne der Gemeinschaftskompetenzen sprechen kann.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
schreitung dieses Rahmens schon auf Grund der Tatsache, daß eine unionsrechtliche Handlungsform vorliegt, ausgeschlossen.
2. Förderung der Weiterentwicklung der Union Gern. Art. 40 I lit. a) EUV muß Ziel verstärkter Zusammenarbeit die Weiterentwicklung der Union sein. Dieser Bestimmung liegt der Gedanke zugrunde, daß verstärkte Zusammenarbeit das Ziel der Entwicklung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nicht nur den beteiligten Mitgliedstaaten, sondern der gesamten Union näher bringen soll. Dies kann jedoch nicht bedeuten, daß schon die Einführung der verstärkten Zusammenarbeit diese Weiterentwicklung bewirken muß. Die Entwicklung zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in welchem die Freiheit des Personenverkehrs umfassend gewährleistet ist,181 muß langfristig bei Beteiligung aller Mitgliedstaaten erzielt werden können. Zum einen wäre sonst verstärkte Zusammenarbeit nach Art. 40 EUV praktisch nicht möglich, denn Bestimmungen, die nur einen Teil der Mitgliedstaaten betreffen, können keine derartigen Auswirkungen auf die gesamte Union haben. Zum anderen ergibt ein Vergleich mit dem Schengen-Protokoll, in dessen Erwägungen der gleiche Gedanke zugrunde gelegt wird, daß das Ziel der Weiterentwicklung der Union unabhängig von der Nichtbeteiligung mancher Mitgliedstaaten zu sehen ist. 182 Fraglich ist, welche Bedeutung dem Wort "rascher" beizumessen ist. Es wird kaum überprüfbar sein, ob durch eine verstärkte Zusammenarbeit das Ziel schneller erreicht werden kann als ohne diese. Ausgeschlossen sind deshalb durch diese Bestimmung definitiv wohl nur Fälle, in denen eine verstärkte Zusammenarbeit vorwiegend auf Vorteile für die beteiligten Mitgliedstaaten ausgerichtet ist. 183
3. Fazit Der Eindruck, der sich schon durch die geringe Anzahl der Bedingungen ergibt, wird durch ihren Inhalt bestärkt. Die Voraussetzungen sind relativ weit gehalten und wesentlich weniger einschränkend als in der ersten Säule. Dies hängt sicherlich damit zusammen, daß die Mitgliedstaaten in der intergouvernementalen dritten Säule ihre Rechte durch flexibles Vorgehen weniger beeinträchtigt sehen. Darüber Calliess I Ruffert-Blanke, EUV I EGV, Art. 2 EUV Rn. 11. Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 122, stellt allerdings sehr richtig fest, daß die Chancen einer Weiterentwicklung der gesamten Union durch das Schengen-Protokoll insofern besser sind, als dieses im Gegensatz zur verstärkten Zusammenarbeit zum Besitzstand gehört, der von beitretenden Mitgliedstaaten zu übernehmen ist. 183 Diese Bestimmung findet sich in dieser Art nicht im Vertrag von Nizza. Inhaltlich dürfte ihr Inhalt aber durch Art. 43 lit. a) EUV-Nizza abgedeckt sein, welcher fordert, daß verstärkte Zusammenarbeit den Integrationsprozeß stärkt. 181
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V. Durch den Vertrag von Nizza vorgesehene Änderungen
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hinaus ennöglichte schon ex-Art. K.7 EUV Differenzierungen von Maßnahmen der PJZ, wenn auch außerhalb des EUV, so daß der Stellenwert der Einheitlichkeit von Anfang an als geringer angesehen wurde als im EGY.
V. Durch den Vertrag von Nizza vorgesehene Änderungen Nach Art. 43 EUV-Nizza können die Mitgliedstaaten, die beabsichtigen, untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit zu begründen, die im EUV und im EGV vorgesehenen Organe, Verfahren und Mechanismen in Anspruch nehmen, sofern die Zusammenarbeit die Voraussetzungen der lit. a) bis j) erfüllt. Der Wortlaut entspricht Art. 43 I EUY. Die einzelnen Voraussetzungen dieser Vorschrift wurden jedoch erweitert, da Art. 43 EUV-Nizza aus Gründen der Einheitlichkeit und Verständlichkeit als zentrale Nonn eine Liste sämtlicher Bedingungen enthalten sollte. 184 So wurde die im Vertrag von Amsterdam begründete Einteilung in allgemeine und säulen spezifische Voraussetzungen grundsätzlich aufgehoben. Die Bedingungen der Art. 11 EGV bzw. 40 EUV des Vertrags von Amsterdam wurden so gefaßt, daß sie sowohl für unionsrechtliche als auch für gemeinschaftsrechtliche verstärkte Zusammenarbeit zutreffen können. 1. Zulässigkeitsvoraussetzungen nach Art. 43 EUV-Nizza
a) Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen
aa) Stärkung des Integrationsprozesses Art. 43 lit. a) EUV-Nizza stimmt weitgehend mit Art. 43 I lit. a) EUV überein. Er sieht die Förderung der Ziele der Union und der Gemeinschaft und die Stärkung des Integrationsprozesses vor. Neu ist, daß neben den Zielen der Union auch die Ziele der Gemeinschaft erwähnt sind. Diese Bezugnahme auf die Gemeinschaft ist ein Resultat der Vereinheitlichung der Zulässigkeitsbedingungen, da Art. 11 EGVNizza keine gesonderten gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen enthält. Darüber hinaus muß verstärkte Zusammenarbeit nach dem Vertrag von Nizza darauf ausgerichtet sein, den Integrationsprozeß von Gemeinschaft und Union zu stärken. In Art. 43 I lit. a) EUV wurde zwar nicht explizit auf den Integrationsprozeß Bezug genommen, dennoch beinhaltet auch die Fassung des Vertrags von Amsterdam, daß verstärkte Zusammenarbeit ein Mittel zur Förderung der Integration darstellen muß. Die ausdrückliche Forderung des Art. 43 lit. a) EUV-Nizza nach einer Stärkung des Integrationsprozesses hat deshalb eine eher klarstellende Wir184 Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Aufzeichnungen des Vorsitzes, RK 2000 - verstärkte Zusammenarbeit, Brüssel 30. 8. 2000, CONFER 4766/00, S.2.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
kung. Sie wird insbesondere im Zusammenhang der Verhandlungen der Regierungskonferenz verständlich. Denn die Bedeutung verstärkter Zusammenarbeit als integrationsfördernder Faktor stellte einen zentralen Punkt in der Reformdisskussion dar. 185 Diese Zweckbestimmung soll sicherstellen, daß verstärkte Zusammenarbeit nicht zu einem Europa a La carte oder zu einem Kern von Mitgliedstaaten führt, welche sich abspalten und durch ihr Voranschreiten die übrigen Mitgliedstaaten lenken. 186 bb) Beachtung der Verträge und des einheitlichen institutionellen Rahmens Im Vertrag von Nizza wurde der Wortlauf des Art. 43 I b) EUV lediglich geringfügig geändert. So wurde die Bezugnahme auf die Grundsätze der Verträge gestrichen, statt dessen muß verstärkte Zusammenarbeit nach Art. 43 lit. b) EUVNizza die genannten Verträge beachten. Dies verbietet eine Interpretation, wonach lediglich grundlegende Bestimmungen des Gemeinschafts- und Unionsrechts maßgeblich sein könnten, sondern stellt klar, daß sämtlichen Bestimmungen in vollem Umfang Rechnung getragen werden muß. cc) Beachtung des Besitzstands der Gemeinschaft Diese Bedingung entspricht weitgehend Art. 43 I lit. e) EUV. Der Wortlaut der Bestimmung wurde jedoch in einem Punkt geändert. So heißt es in der Amsterdamer Fassung, der Besitzstand der Gemeinschaft dürfe nicht beeinträchtigt werden, gern. Art. 43 lit. c) EUV-Nizza muß der Besitzstand hingegen beachtet werden. 187 Es ist fraglich, ob sich durch diese Änderung des Wortlauts materielle Konsequenzen ergeben. Einerseits kann es sich um eine rein sprachliche Modifikation handeln, die aus dem Bestreben resultiert, den Schutz des acquis communautaire zu verdeutlichen. Andererseits könnte dadurch eine positive Verpflichtung zur aktiven Rücksichtnahme auf den Besitzstand begründet werden. Dadurch ergäben sich allerdings kaum Veränderungen, da die Beachtung des Besitzstands nicht weiter gehen kann als der Ausschluß von Beeinträchtigungen. Insofern ist die dritte Überlegung vorzuziehen, nach der die Änderung des Wortlauts eine Verminderung 185 s. Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Aufzeichnungen des Vorsitzes, RK 2000 - verstärkte Zusammenarbeit, BTÜssel 30. 8. 2000, CONFER 4766/00, S. 1; Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Vermerk des Vorsitzes, RK 2000 - verstärkte Zusammenarbeit, BTÜssel, 18.7.2000, CONFER 4761/00, S. 1; European Parliament, Notice to members, Overview of the results of the IGC, Brussels 19. 12.2000, S. 4. 186 s. Europäisches Parlament, Ausschuss für konstitutionelle Fragen, Bericht über die verstärkte Zusammenarbeit (2000/2162(1NI» v. 12. 10.2000, A5 -0288/2000 endg., S. 10. 187 Auch in der französischen Fassung wurde der Wortlaut von n'affecte pas in respecte, sowie in der englischen Fassung von does not affect in respects geändert.
V. Durch den Vertrag von Nizza vorgesehene Änderungen
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des Schutzes des Besitzstandes bedeutet. 188 Art. 43 lit. c) EUV-Nizza könnte danach so interpretiert werden, daß lediglich erhebliche Beeinträchtigungen 189 des gemeinschaftlichen Besitzstands der Zulässigkeit verstärkter Zusammenarbeit entgegenstehen. Dies läßt sich damit begründen, daß durch die Änderungen des Vertrags von Nizza die Inanspruchnahme verstärkter Zusammenarbeit erleichtert werden soll. Es ist also davon auszugehen, daß beachten eine weniger restriktive Auslegung des Schutzes des acquis communautaire impliziert. Vorschläge im Rahmen der Regierungskonferenz 2000, wonach der Begriff des Besitzstands und sein Status konkretisiert werden sollten,190 wurden im Vertrag von Nizza nicht umgesetzt. dd) Beachtung der Zuständigkeiten und Ausschluß der Bereiche ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit Die Vorschrift des Art. 43 lit. d) EUV-Nizza, welche die Beachtung der Zuständigkeit der Union und der Gemeinschaft und den Ausschluß der Bereiche ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit vorsieht, setzt sich im wesentlichen aus Art. 40 I lit. a) EUv, 11 lit. a) und lit. d) EGv in der Amsterdamer Fassung zusammen. Die in Art. 40 I lit. a) EUV der Amsterdamer Fassung enthaltene Festlegung auf die Ziele der P1Z wurde - vermutlich aus Gründen der Vereinheitlichung der Bedingungen für unions- und gemeinschaftsrechliche verstärkte Zusammenarbeit - durch die Bezugnahme auf den Rahmen der Zuständigkeit der Union ersetzt. Inhaltlich bedeutet dies weiterhin, daß verstärkte Zusammenarbeit in der P1Z auf die in Titel VI festgelegten Ziele beschränkt ist. Art. 43 lit. d) EUV-Nizza verdeutlicht also einerseits, daß bei verstärkter Zusammenarbeit innerhalb der Union die Grenzen zwischen den verschiedenen Säulen eingehalten werden müssen. Andererseits wird auch betont, daß die Befugnisse von Gemeinschaft und Union im Rahmen verstärkter Zusammenarbeit nicht überschritten werden dürfen. So darf verstärkte Zusammenarbeit weder zu einer Supranationalisierung von Materien der P1Z oder der GASP noch zu einer Flucht ins Völkerrecht bei bestehender Gemeinschaftskompetenz führen. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um eine Klarstellung. In Anbetracht der Tatsache, daß es sich um ein unions- bzw. gemeinschaftsrechtliches Verfahren handelt, ergibt sich das Gebot der Einhaltung der Zuständigkeiten schon aus allgemeinen Grundsätzen des Unions- und Gemeinschaftsrechts. 191
Epiney / Abt / Mosters, DVBI. 2001, S. 946. So zur gleichlautenden Änderung des Wortlauts in Art. 43 lit. h) EUV-Nizza Epiney/ Abt/Mosters, DVBI. 2001, S. 946. 190 Regierungskonferenz über die institutionelle Reform, Bericht des Vorsitzes an den Europäischen Rat (Feira), Brüssel14. 6. 2000, CONFER 4750/00, S. 56. 191 Vgl. Art. 5 I EGVund Art. 5 EUV. 188
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
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ee) Mindestquorum Art. 43 lit. g) EUV-Nizza sieht die Beteiligung von mindestens acht Mitgliedstaaten vor. Die Änderung des Teilnahmequorums von der Mehrheit der Mitgliedstaaten auf die absolute Zahl von acht Mitgliedstaaten ist eine der bedeutenderen Änderungen der Flexibilitätsvorschriften durch den Vertrag von Nizza. 192 Bei dem derzeitigen Stand von 15 Mitgliedstaaten ergeben sich keine Änderungen. Wenn die Anzahl der Mitgliedstaaten auf 24 oder mehr steigt, wird aber lediglich ein Drittel oder ein noch geringerer Teil der Mitgliedstaaten für verstärkte Zusammenarbeit genügen. Die Mehrheitsklausel war seit Beginn der Reformdiskussion über verstärkte Zusammenarbeit Thema der Verhandlungen. Die Herabsetzung der im Vertrag von Amsterdam geforderten Mindestanzahl von Mitgliedstaaten stellte nach Ansicht des Vorsitzes,193 der Kommission 194 und des Parlaments 195 eine Möglichkeit dar, das Verfahren zu vereinfachen und so die Inanspruchnahme verstärkter Zusammenarbeit zu fördern. Dieser Vorschlag wurde damit begründet, daß die Sicherung vor einer Zersplitterung der Union ausreichend durch die materiellen Bestimmungen gewährleistet würde, die formellen Bedingungen jedoch gelockert werden müßten, um ein Ausweichen auf eine Zusammenarbeit außerhalb der Verträge zu verhindern. Für die Herabsetzung des Teilnahmequorums wurden verschiedene Optionen in Erwägung gezogen. Diskutiert wurde etwa eine Differenzierung nach Bereichen oder abhängig von der Anzahl der antragstellenden Mitgliedstaaten. 196 Die Stellungnahme der Kommission sieht für die Zeit nach der Erweiterung generell eine Mindestanzahl von einem Drittel der Mitgliedstaaten vor. 197 Durchgesetzt hat sich schließlich die absolute Grenze von acht Mitgliedstaaten. 198 So auch Grabitz/Hilf-Blanke, Recht der EU, Art. 43 EUV Rn. 10. Regierungskonferenz über die institutionelle Reform, Bericht des Vorsitzes an den Europäischen Rat (Feira), Brüssel 14.6.2000, CONFER 4750/00, S. 53; Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Aufzeichnungen des Vorsitzes, RK 2000 - verstärkte Zusammenarbeit, Brüssel30. 8. 2000, CONFER 4766/00, S. 3. 194 Institutionelle Reform für eine erfolgreiche Erweiterung, Stellungnahme der Kommission nach Art. 48 des Vertrags über die Europäische Union zur Einberufung einer Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Änderung der Verträge v. 26. I. 2000, COM (2000) 34, S. 37. 195 Europäisches Parlament, Ausschuss für konstitutionelle Fragen, Bericht über die verstärkte Zusammenarbeit (2000/2162(INI)) v. 12. 10.2000, A5 -0288/2000 endg., S. 7. 196 Regierungskonferenz über die institutionelle Reform, Bericht des Vorsitzes an den Europäischen Rat (Feira), Brüssel 14.6.2000, CONFER 4750/00, S. 53. 197 Institutionelle Reform für eine erfolgreiche Erweiterung, Stellungnahme der Kommission nach Art. 48 des Vertrags über die Europäische Union zur Einberufung einer Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Änderung der Verträge, COM (2000) 34, S. 37. 198 Aufgrund der Verschiedenartigkeit der dieser Anzahl zugrundeliegenden Vorschläge sprechen Giering / Janning, integration 2001, S. 151, von einer "willkürlich" gesetzten Grenze. 192 193
V. Durch den Vertrag von Nizza vorgesehene Änderungen
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Bei der derzeitigen Anzahl von Mitgliedstaaten wird sich deshalb durch den Vertrag von Nizza nichts ändern. Nach der bevorstehenden Erweiterung der Union kann sich durch die neue Regelung jedoch ein völlig anderes Bild der Flexibilität ergeben, da u.U. lediglich ein Drittel der Mitgliedstaaten beteiligt ist. Die Gefahr einer dauerhaften Spaltung steigt dadurch, da die Zugkraft der kooperierenden Gruppe geschmälert wird. 199 Darüber hinaus können sich verschiedene Gruppierungen in unterschiedlicher Zusammensetzung bilden, was, auch wenn jeweils eine andere Materie betroffen ist, die Einheitlichkeit der Union gefährden kann?OO Andererseits ist zu berücksichtigen, daß Flexibilität in einer erweiterten Union an Bedeutung gewinnt, weil die zunehmenden Differenzen zwischen einer größeren Anzahl von Mitgliedstaaten gemeinsame Fortschritte zu gleichen Zeitpunkt unwahrscheinlich machen werden. Die größere Heterogenität erfordert daher ein geringeres Teilnahmequorum, um die Praktikabilität flexiblen Vorgehens zu gewährleisten. 201 Die hohen materiellen Anforderungen lassen Befürchtungen einer übermäßigen Zersplitterung der Union unwahrscheinlich erscheinen. Eine formelle Absicherung bietet darüber hinaus das Erfordernis des Gründungsbeschlusses mit qualifizierter Mehrheit. 202 Daß auch eine kleine Gruppe Anziehungskraft entwickeln und zu einem beträchtlichen Integrationsfortschritt fast aller Mitgliedstaaten führen kann, zeigt sich am Beispiel der Schengen-Kooperation, welche von fünf MS gegründet wurde und durch den Vertrag von Amsterdam in den Besitzstand der Union überführt wurde?03 Die Herabsetzung des Teilnahmequorums ist deshalb als wichtiger Schritt zur Vereinfachung des Verfahrens zu begrüßen. ff) Beachtung der Belange der anderen Mitgliedstaaten
Gern. Art. 43 lit. h) EUV-Nizza sind die Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten der nicht an der Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten zu beachten. Hier wird durch den Vertrag von Nizza gegenüber Art. 43 I lit. f) EUVeine leichte Modifikation vorgenommen. Zum einen wird wie in Art. 431it. c) EUV-Nizza das Ver199 Diese Ansicht vertritt - anders als das EP - der Berichterstatter Gil-Robles Gil-Delgado, Europäisches Parlament, Ausschuss für konstitutionelle Fragen, Bericht über die verstärkte Zusammenarbeit (2000/2162 (INI)), A5 -0288 12000, S. 12, Punkt 16. 200 Berichterstatter Gil-Robles Gil-Delgado, Europäisches Parlament, Ausschuss für konstitutionelle Fragen, Bericht über die verstärkte Zusammenarbeit (2000/2162 (lNI)), A50288/2000,S. 12,Punkt 16. 201 Bei einer Mitgliederzahl von 24 Mitgliedstaaten würde die derzeitige Mindestanzahl eine Teilnahme von 12 Mitgliedstaaten erfordern. Diese ist unter Umständen sehr schwer realisierbar. 202 s. Institutionelle Reform für eine erfolgreiche Erweiterung, Stellungnahme der Kommission nach Art. 48 des Vertrags über die Europäische Union zur Einberufung einer Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Änderung der Verträge v. 26. 1. 2000, COM (2000) 34, S. 36. 203 Dazu näher Kapitel 4.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
bot der Beeinträchtigung durch das Gebot der Beachtung ersetzt. 204 Zum anderen wird die Bezugnahme auf die Interessen der nicht beteiligten Mitgliedstaaten gestrichen. 205 Da dieses Kriterium nicht sehr aussagekräftig ist, ist dieser Schritt zu begrüßen. Die belgische Regierung hatte darüber hinaus auch die Änderung des Kriteriums der Kompetenzen der nicht beteiligten Mitgliedstaaten angeregt, da auch dieses als überflüssig oder zweideutig anzusehen sei. 206 Dieser Vorschlag konnte sich aber nicht durchsetzen. Im Gegensatz zum Schutz der Interessen ist der Schutz der Zuständigkeiten der nicht beteiligten Mitgliedstaaten auch keineswegs als überflüssig anzusehen. Durch Rechtsetzung in verstärkter Zusammenarbeit findet ein Kompetenzzuwachs der Gemeinschaft gegenüber den beteiligten Mitgliedstaaten statt, im Verhältnis zu den nicht beteiligten Mitgliedstaaten ergeben sich jedoch keine Änderungen in der Kompetenzverteilung. gg) Vorrang des Schengen-Protokolls Im Vertrag von Amsterdam wird der Vorrang des Schengen-Protokolls in Art. 40 V EUV sowie Art. 11 V EGV jeweils gesondert geregelt. Entsprechend dem Wunsch, eine einheitliche Liste sämtlicher Bedingungen zu erstellen, findet sich diese Regelung im Vertrag von Nizza in der Generalklausel in Art. 43 lit. i) EUV-Nizza. hh) Offenheit gegenüber allen Mitgliedstaaten Der Grundsatz der Offenheit wird im Vertrag von Nizza mit etwas erweitertem Inhale07 beibehalten. Jedoch wird innerhalb der Zulässigkeitsbedingungen in Art. 43 lit. j) EUV-Nizza lediglich kurz festgestellt, daß verstärkte Zusammenarbeit allen Mitgliedstaaten offen stehen muß. Für die näheren Bedingungen wird auf Art. 43 b EUV-Nizza verwiesen, welcher sich mit den Einzelheiten des Offenheitsprinzips befaßt. Diese Aufspaltung des Offenheitsprinzips entspricht der Systematik verstärkter Zusammenarbeit, denn für die Gründung ist zunächst lediglich ausschlaggebend, daß die Kooperation allen Mitgliedstaaten offen steht.
Zu den Konsequenzen dieser Formulierung siehe Kapitel 2, Punkt V.l.a) ce). Diese Änderung wurde auch vom EP unterstützt, Europäisches Parlament, Ausschuss für konstitutionelle Fragen, Bericht über die verstärkte Zusammenarbeit (2000/2162(INI)), A5-0288/2000 endg., S. 7. 206 Conference of the Representatives of the Govemments of the Member States, Translation of letter from Mr Frans Van Daele, representative of the Govemment of Belgium, IGC 2000 - Closer Cooperation, Brussels 28. 8.2000, CONFER 4765 /00, S. 3. 207 Art. 43 b EUV-Nizza enthält - anders als Art. 43 I lit. g) EUV in der Amsterdamer Fassung - die Forderung an die Kommission und die beteiligten Mitgliedstaaten, die anderen Mitgliedstaaten zur Beteiligung anzuregen. 204 205
V. Durch den Vertrag von Nizza vorgesehene Änderungen
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b) Bereichsausnahmen aa) Binnenmarkt und wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt Art. 43 lit. e) EUV-Nizza verbietet Beeinträchtigungen des Binnenmarktes und des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts. In der Regierungskonferenz wurde neben den Überlegungen, daß die Inanspruchnahme verstärkter Zusammenarbeit grundsätzlich erleichtert werden müßte, auch zum Ausdruck gebracht, daß die Gefahren verstärkter Zusammenarbeit für die Kohärenz der Union je nach Anwendungsfeld zum Teil erheblich sein können. zo8 Aus diesem Grund wurde erwogen, einzelne zentrale Bereiche der Integration völlig vom Geltungsbereich verstärkter Zusammenarbeit auszunehmen. 209 Für den Binnenmarkt und den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt ist dies in Art. 43 lit. e) EUV-Nizza geregelt worden. Er geht somit über die Bestimmungen des Vertrags von Amsterdam hinaus. Verstärkte Zusammenarbeit darf nach Art. 43 lit. e) EUV-Nizza den Binnenmarkt i. S. d. Art. 1411 EGV nicht beeinträchtigen. Der Binnenmarkt umfaßt nach Art. 14 11 EGVeinen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags gewährleistet ist. Z10 Im Wege der Rechtsangleichung bereits erlassene Maßnahmen zur Vereinheitlichung des Binnenmarktes, der status quo, werden schon von Art. 43 lit. c) EUV-Nizza erfaßt. Art. 43 lit. e) EUV-Nizza schützt darüber hinaus die Freiheiten des Binnenmarktes sowie die Abwesenheit von Regelungen im Sinne des Wettbewerbs der Systeme und der gegenseitigen Anerkennung. Teile des Binnenmarktes waren auch im Vertrag von Amsterdam geschützt, denn Art. 11 I lit. e) EGV sicherte den innergemeinschaftlichen Handel und Wettbewerb und Art. 11 I lit. c) EGV die Unionsbürgerschaft. Durch Art. 43 lit. e) EUV-Nizza ist jetzt der gesamte Binnenmarkt von differenziertem Vorgehen in der Form verstärkter Zusammenarbeit ausgenommen. Zu beachten ist jedoch, daß die Harmonisierung des Binnenmarktes durch die Schutzverstärkungsklauseln des Art. 95 IV - IX EGV sowie die Möglichkeit, gem. Art. 95 X EGV Schutzklausein vorzusehen, ohnehin nicht durch völlige Einheitlichkeit, sondern vielmehr durch ein Konzept der Diversifizierung Z11 gekennzeichnet ist. Dadurch werden Impulse für die Rechtsvereinheitlichung gegeben, und die 208 Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Aufzeichnungen des Vorsitzes, RK 2000 - verstärkte Zusammenarbeit, Brüssel 30. 8. 2000, CONFER 4766/00, S.1. 209 Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Aufzeichnungen des Vorsitzes, RK 2000 - verstärkte Zusammenarbeit, Brüssel 30. 8. 2000, CONFER 4766/00, S. 3; vgl. auch Rodrigues, RMC 2001, S. 14. 210 Art. 14 wird durch den Vertrag von Nizza nicht geändert. 211 Calliess/Ruffert-Kahl, EUV IEGV, Art. 95 EGV Rn. 22.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Akzeptanz der Regelungen wird gesteigert?12 Insofern ist nicht ganz verständlich, warum die Skepsis gegenüber flexiblen Regelungen im Binnenmarkt so groß ist. Andererseits bieten die Flexibilitätsklauseln des Art. 95 EGV 213 für den Bereich des Binnenmarktes speziellere Differenzierungsmöglichkeiten als die verstärkte Zusammenarbeit. Dies schafft jedoch keinen vollständigen Ausgleich, da verstärkte Zusammenarbeit demgegenüber die Umsetzung umfassender Konzepte ermöglicht. Neben dem Binnenmarkt schützt Art. 43 lit. e) EUV-Nizza den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt nach Titel XVII EGV 214 . Das bedeutet, daß die "harmonische Entwicklung der Gemeinschaft als Ganzes,,215 durch Flexibilität nicht gestört werden darf. Verstärkte Zusammenarbeit darf also den Bemühungen, mit der Strukturpolitik ein wirtschaftliches Gleichgewicht zwischen den Mitgliedstaaten zu schaffen, nicht zuwider laufen. Die Solidarität zwischen allen Mitgliedstaaten darf durch das Voranschreiten einzelner nicht beeinträchtigt werden. bb) Innergemeinschaftlicher Handel Die Bedingung des Art. 43 lit. f) EUV-Nizza entspricht weitgehend Art. 11 I e) EGV in der Amsterdamer Fassung. Der Wortlaut wurde geringfügig geändert. Maßgeblich ist nicht mehr eine Diskriminierung oder Beschränkung des Handels, sondern eine Behinderung oder Diskriminierung des Handels. Dadurch ergeben sich jedoch keine inhaltlichen Änderungen, da der Begriff der Beschränkung schon im Vertrag von Amsterdam anhand der Dassonville-Formel zu konkretisieren ist, welche von einer Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels ausgeht. Dies ist insofern bedauerlich, als durch diese Bestimmung der Anwendungsbereich verstärkter Zusammenarbeit gravierend eingeschränkt wird.
2. Ultima-ratio-Prinzip Das ultima-ratio-Prinzip findet sich im Vertrag von Nizza nicht mehr in der Liste der allgemeinen Zulässigkeitsbedingungen, sondern in Art. 43 a EUV-Nizza. Neu ist, daß dem Rat die Entscheidungsbefugnis zugewiesen wird, ob die verstärkte Zusammenarbeit im konkreten Fall als letztes Mittel anzusehen ist. Art. 43 a EUV-Nizza sieht keinen gesonderten Beschluß vor, so daß davon auszugehen ist, daß der Rat in seinem Ermächtigungsbeschluß darüber wie über das Vorliegen der übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen mitentscheidet. Insofern ergeben sich aus dieser Änderung wohl keine praktischen Auswirkungen, da auch 212
213 214 215
Calliess/Ruffert-Kahl, EUV IEGV, Art. 95 EGV Rn. 22.
Dazu näher Kapitel 3. Art. 158 ff. EGY. Art. 158 I EGY.
V. Durch den Vertrag von Nizza vorgesehene Änderungen
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nach der Regelung im Vertrag von Amsterdam letztlich aufgrund der dem Rat in Bezug auf den Gründungsbeschluß zustehenden Entscheidungsbefugnis dessen Beschluß maßgeblich ist. Durch eine weitere Modifikation wird der Versuch, die angestrebten Ziele unter Anwendung der einschlägigen Bestimmungen der Verträge zu verwirklichen, auf einen "vertretbaren Zeitraum,,216 eingeschränkt. Wann ein Zeitraum als vertretbar anzusehen ist, liegt aufgrund der Entscheidungsbefugnis des Rats in dessen Ermessen,z17 Genauere Richtlinien enthält Art. 43 a EUV-Nizza nicht. Der Vorschlag des Europäischen Parlaments, genaue Fristen festzulegen,218 konnte sich nicht durchsetzen. Die Regelung des Art. 43 a EUV-Nizza hat demgegenüber den Vorzug, daß der Rat im konkreten Fall entscheiden kann, ob die vertraglichen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden. 3. Offenheitsprinzip
Auch dem Offenheitsprinzip wird im Vertrag von Nizza mit Art. 43 b EUV-Nizza ein eigener Artikel gewidmet. Art. 43 b EUV-Nizza ist zwar etwas anders formuliert als Art. 43 I lit. g) EUV, bestimmt jedoch wie dieser die Offenheit verstärkter Zusammenarbeit sowohl bei ihrer Gründung als auch zu jedem späteren Zeitpunkt, sofern die betreffenden Mitgliedstaaten dem Gründungsbeschluß und den in jenem Rahmen gefaßten Beschlüssen nachkommen. Darüber hinaus enthält Art. 43 b EUV-Nizza gegenüber dem Vertrag von Amsterdam eine wichtige Neuerung. Er bestimmt, daß die Kommission und die an einer verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, daß eine möglichst große Zahl von Mitgliedstaaten zur Beteiligung angeregt wird,z19 4. Säulenspezifische Zulässigkeitsbedingungen
Ursprünglich war geplant, bei der Reform der Bestimmungen sämtliche Zulässigkeitsbedingungen verstärkter Zusammenarbeit in der Generalklausei aufzuführen. 22o Diesem Gedanken der Einheitlichkeit verstärkter Zusammenarbeit entsprechend enthält Art. ll EGV-Nizza keine weitergehenden Bedingungen. Art. 27 a ff. EUV-Nizza sowie in geringerem Umfang Art. 40 EUV-Nizza legen jedoch zusätzliche säulenspezifische Voraussetzungen fest. 216 Art. 43 a EUV-Nizza. 217 So auch Epiney/ Abt/ Mosters, DVBI. 2001, S. 946. 218 Europäisches Parlament, Ausschuss für konstitutionelle Fragen, Bericht über die ver-
stärkte Zusammenarbeit (2000/2162(INI)) v. 12. 10.2000, A5 -0288/2000, S. 7. 219 Dazu ausführlicher Kapitel 2, Punkt X.3. 220 Konferenz der Vertreter der Mitgliedstaaten, Aufzeichnung des Vorsitzes, RK 2000 Verstärkte Zusammenarbeit, Brüssel30. 8. 2000, CONFER 4766/00, S. 2.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
a) Besondere Voraussetzungen!ür verstärkte Zusammenarbeit in der PJZ Art. 40 I EUV-Nizza fordert für verstärkte Zusammenarbeit unter diesem Titel, sie müsse zum Ziel haben, "dass sich die Union unter Wahrung der Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft sowie der in diesem Titel festgelegten Ziele rascher zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts entwickeln kann.,,221 Diese Formulierung entspricht Art. 40 I lit. a) und b) in der Amsterdamer Fassung. Die Forderung nach der Wahrung der Zuständigkeiten der Gemeinschaft sowie der Ziele der PIZ hat jedoch über Art. 43 lit. d) EUV-Nizza hinaus keine eigenständige Bedeutung. Auch der Aspekt der Förderung der Entwicklung der Union zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist - in allgemeiner Form - in Art. 43 lit. a) EUV-Nizza enthalten. Dort wird die Förderung der Ziele der Union, welche nach Art. 29 EUV in der PIZ das Ziel eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts umfassen, sowie die Stärkung des Integrationsprozesses vorgeschrieben. Deshalb ist Art. 40 I EUV-Nizza weniger als Zulässigkeitsbedingung mit eigenständigem rechtlichen Gehalt anzusehen als vielmehr als Konkretisierung von Grundsätzen des Unionsrechts für verstärkte Zusammenarbeit in der PIZ, welche gern. Art. 43 lit. b) EUV-Nizza ohnehin zu beachten wären. b) Besondere Voraussetzungen!ür verstärkte Zusammenarbeit in der GASP Die durch den Vertrag von Nizza eingeführten Vorschriften über verstärkte Zusammenarbeit in der GASP bilden ebenfalls eine Ausnahme vom Ziel einheitlicher Zulässigkeitsbedingungen. Für die zweite Säule sind weiterhin spezielle Bedingungen vorgesehen. Im wesentlichen sollen diese die Kohärenz der Unionspolitik sowie die Wahrung der Identität der Europäischen Union auf internationaler Ebene sichern?22 Die spezifischen Vorschriften der Art. 27 a f. EUV-Nizza für verstärkte Zusammenarbeit in der GASP sind darauf zurückzuführen, daß Flexibilität in der zweiten Säule aufgrund der Sensibilität dieser Materie genauen Maßgaben unterworfen sein sollte?23 aa) Wahrung der Kohärenz der Union Die einzelnen Punkte des Art. 27 a I EUV-Nizza stellen jedoch eher Richtlinien als konkrete Bedingungen für flexibles Vorgehen in der GASP auf. Verstärkte ZuArt. 40 I EUV-Nizza. s. Art. 27 aIS. I EUV-Nizza. 223 V gl. Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Aufzeichnungen des Vorsitzes, RK 2000 - verstärkte Zusammenarbeit, Brüssel 30. 8. 2000, CONFER 4766/ 00, S. 5. Regierungskonferenz über die institutionelle Reform, Bericht des Vorsitzes an den Europäischen Rat (Feira), Brüssel 14.6.2000, CONFER 4750/00, S. 54. 221
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V. Durch den Vertrag von Nizza vorgesehene Änderungen
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sammenarbeit in diesem Bereich muß zum Ziel haben, "die Werte der gesamten Union zu wahren und ihren Interessen zu dienen, unter Behauptung der Identität der Union als kohärenter Kraft auf internationaler Ebene.,,224 Diese Festlegung spezifiziert die Anforderungen des Art. 11 EUV für verstärkte Zusammenarbeit, hat aber insofern - wie Art. 40 I EUV-Nizza -lediglich klarstellende Funktion, als die Beachtung der Ziele der Union, also auch des Art 11 EUV, schon durch Art. 43 lit. a) EUV-Nizza vorgeschrieben ist. Ähnliches gilt für die Festlegung des Art. 27 aIS. 2, 1. Spstr. EUV-Nizza, wonach "die Grundsätze, die Ziele, die allgemeinen Leitlinien und die Kohärenz der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie die im Rahmen dieser Politik gefassten Beschlüsse" zu beachten sind. Dabei handelt es sich um eine Selbstverständlichkeit, denn schon Art. 43 lit. c) EUV-Nizza fordert die Beachtung der nach Maßgabe der Verträge getroffenen Maßnahmen, also auch der im Bereich der GASP getroffenen. Des weiteren ist, abgesehen von allgemeinen Grundsätzen, schon durch. Art. 43 lit. d) EUV-Nizza bestimmt, daß die in der Außen- und Sicherheitspolitik maßgeblichen Grundsätze und Handlungsformen eingehalten werden müssen. Auch die folgende Bedingung des Art. 27 a EUV-Nizza, wonach die Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft zu beachten sind, ergibt sich grundsätzlich schon aus Art. 43 lit. c) EUV-Nizza, ist jedoch insofern konsequent, als auch Art. 40 I EUV-Nizza gesondert darauf hinweist. Verstärkte Zusammenarbeit in der GASP muß des weiteren "die Kohärenz zwischen der Unionspolitik insgesamt und dem außenpolitischen Handeln der Union,,225 beachten. Auch dieser Punkt stellt weniger eine rechtliche Zulässigkeitsbedingung auf als vielmehr eine Betonung von in der Union für die GASP ohnehin geltenden Grundsätzen?26 bb) Beschränkung des Anwendungsbereichs Im Gegensatz zu Art. 27 a EUV-Nizza, welcher eher eine Definition verstärkter Zusammenarbeit in der GASP bietet, schränkt Art. 27 b EUV-Nizza deren Anwendungsbereich entscheidend ein. So ist eine engere Kooperation einiger Mitgliedstaaten lediglich bei der Durchführung einer gemeinsamen Aktion oder bei der Umsetzung eines gemeinsamen Standpunktes möglich.2 27 Dadurch sind zunächst Grundsätze, allgemeine Leitlinien und gemeinsame Strategien nach Art. 13 EUV verstärkter Zusammenarbeit verschlossen. Da der Europäische Rat mit diesen Instrumenten einstimmig die gemeinsame Außenpolitik der Union definiert, wäre ein flexibles Vorgehen hier kontraproduktiv bzw. würde ein einheitliches Auftreten auf der internationalen Ebene unmöglich machen?28 Ebenfalls ausgeschlossen ist 224 225 226 227
Art. 27 aIS. 1 EUV-Nizza. Art. 27 aIS. 2, 3. Spstr. EUV-Nizza. Vgl. die Anforderungen des Art. 1 III S. 2, 11 EUV. Art. 27 b, S. 1 EUV-Nizza.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
die Annahme gemeinsamer Aktionen nach Art. 14 EUV und die Annahme gemeinsamer Standpunkte nach Art. 15 EUV,229 welche der Umsetzung der gern. Art. 13 EUV festgelegten Grundlagen dienen. 23o Lediglich die Durchführung gemeinsamer Aktionen sowie die Umsetzung gemeinsamer Standpunkte kann in verstärkter Zusammenarbeit stattfinden. Dies läßt einen sehr geringen Spielraum für Flexibilität in der GASP, denn in einer im Plenum angenommenen gemeinsamen Aktion sind gern. Art. 14 I EUV Ziel, Umfang, Mittel, Bedingungen und gegebenenfalls Zeitraum festgelegt. Auch ein gemeinsamer Standpunkt nach Art. 15 EUVenthält bereits ein konkretes Konzept. Die Durchführungsbeschlüsse enthalten dementsprechend häufig die Festlegung finanzieller Beiträge231 oder z. B. die Lieferung von Ausrüstungsgegenständen,232 die Genehmigung der Lieferung und Ausfuhr von Erdölerzeugnissen 233 oder ähnlichem beinhalten. Die zweite, durch Art. 27 b EUV-Nizza getroffene Einschränkung des Anwendungsbereichs umfaßt Fragen mit militärischen oder verteidigungs politischen Bezügen,z34 Das bedeutet, daß Aktivitäten, welche den Einsatz militärischen Personals vorsehen,235 sowie Kooperation in der Rüstungsindustrie 236 einem flexiblen Vorgehen nicht offenstehen.
228 Vgl. Conference of the Representatives of the Member States, Translation of Letter from Mr Frans Van Daele, representative of the Government of Belgium, IGC 2000 - Closer Cooperation, Brussels 28.8.2000, CONFER 4765/00, S. 5. 229 Regelsberger; integration 200 I, S. 160. 230 Calliess 1 Ruffert-Cremer; EUV IEGV, Art. 13 EUV Rn. 1 ff. 231 Vgl. den Beschluß zur Durchführung der gemeinsamen Aktion 1999/341 GASP betreffend den Beitrag der Europäischen Union zur Bekämpfung der destabilisierenden Anhäufung und Verbreitung von Kleinwaffen und leichten Waffen, ABI. Nr. L 9 v. 15. 1. 1999, S. 1: Beschluß des Rates v. 10.5. 1999 - vom Rat aufgrund von Artikel 14 des Vertrags über die Europäische Union angenommen - betreffend einen Beitrag der europäischen Union zur Einsammlung und Vernichtung von Waffen in Albanien (\999 1320IGASP), ABI. Nr. L 123 v. 13. 5.1999, S. 12. 232 Beschluß des Rates v. 14. 12. 2000 zur Durchführung der Gemeinsamen Aktion 19991 34/GASP betreffend einen Beitrag der Europäischen Union zur Bekämpfung der destabilisierenden Anhäufung und Verbreitung von Kleinwaffen und leichten Waffen in Südossetien, ABI. Nr. L 326 v. 22. 12.2000, S. 1. 233 Beschluß des Rates v. 1. 2. 2000 zur Durchführung des Gemeinsamen Standpunkts 1999/6911 GASP betreffend die Unterstützung für die demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik Jugoslawien (2000/821 GASP), ABI. Nr. L 26 v. 2. 2. 2000, S. I. 234 Diese Einschränkung wurde auf Forderung des Vereinigten Königreichs vorgenommen, s. Rodrigues, RMC 2001, S. 15; Epiney/Abt/Mosters, DVBI. 2001, S. 948. 235 Calliess 1 Ruffert-Cremer; EUV 1EGV, Art. 17 EUV Rn. 8; Pechstein/ Koenig, Europäische Union, Rn. 297, spricht in Anlehnung an ein Treffen des Rates von einer Situation, "durch welche die Sicherheitsinteressen der Union unmittelbar berührt werden." 236 Pache/Schorkopf, NJW 2001, S. 1383.
V. Durch den Vertrag von Nizza vorgesehene Änderungen
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5. Wegfall von Zulässigkeitsbedingungen durch den Vertrag von Nizza a) Bereichsausnahme der Unionsbürgerschaft
Der Ausschluß der Unionsbürgerschaft aus dem Anwendungsbereich verstärkter Zusammenarbeit wird durch den Vertrag von Nizza gestrichen. Der rechtliche Status eines Unionsbürgers wird weiterhin durch Art. 17 EGV vor einer Beeinträchtigung durch verstärkte Zusammenarbeit geschützt, die Diskriminierung von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten ist durch Art. 12 I EGVausgeschlossen. Die Änderung öffnet aber die Weiterentwicklung der mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte für verstärkte Zusammenarbeit und ermöglicht auf diese Weise einen Integrationsfortschritt durch flexibles Vorgehen beim Erlaß von Maßnahmen nach Art. 1811 EGV. 237
b) Beeinträchtigungsverbot für Gemeinschaftspolitiken
Auch das Verbot der Beeinträchtigung der Gemeinschaftspolitiken, -aktionen oder -programme wird durch den Vertrag von Nizza gestrichen. Ein ähnlicher Schutz ergibt sich jedoch aus anderen Regelungen. So werden der Besitzstand der Gemeinschaft und die auf Grundlage von Vertragsbestimmungen getroffenen Maßnahmen durch Art. 43 lit. c) EUV-Nizza, sowie die ausschließlichen Gemeinschaftskompetenzen durch Art. 43 lit. d) EUV-Nizza geschützt. Allerdings enthalten diese Bedingungen nicht das zukunftsgerichtete Element, das Art. 11 I lit. b) EGV durch die Bezugnahme auf die Gemeinschaftsprogramme begründet. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Sicherung in Planung befindlicher Maßnahmen nicht mehr gewährleistet ist. Auch aus dem ultima-ratio-Prinzip folgt, daß verstärkte Zusammenarbeit nicht zulässig ist, wenn konkrete Pläne für ein gemeinsames Vorgehen bestehen und diese umgesetzt werden können. 6. Fazit Das Ziel, die Voraussetzungen verstärkter Zusammenarbeit zu vereinheitlichen und dadurch transparenter und übersichtlicher zu gestalten,238 konnte durch die Umstrukturierung der Vorschriften weitgehend erreicht werden. Die für jede ver237 Aus diesem Grund sprach sich das Europäische Parlament für die Abschaffung des Art. 11 I lit. c) EGVaus, Europäisches Parlament, Ausschuss für konstitutionelle Fragen, Bericht über die verstärkte Zusammenarbeit (2000 / 2162(1NI» v. 12. 10. 2000, A5 - 0288 / 2000, S. 13. 238 s. Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Aufzeichnungen des Vorsitzes, RK 2000 - verstärkte Zusammenarbeit. Brüssel 30. 8. 2000, CONFER 4766/00, S.2.
7 Grieser
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
stärkte Zusammenarbeit maßgebliche Liste der Zulässigkeitsbedingungen des Art. 43 EUV-Nizza trägt erheblich zur besseren Verständlichkeit der Vorschriften bei. Zwar wurde das Konzept der Vereinheitlichung der Voraussetzungen für die GASP und die PIZ nicht konsequent verfolgt, aber bei den säulenspezifischen Anforderungen der Art. 27 asowie 40 I EUV handelt es sich mehr um eine Konkretisierung allgemeiner unionsrechtlicher Grundsätze für verstärkte Zusammenarbeit als um die Aufstellung besonderer Zulässigkeitsbedingungen. Die Einschränkung des Anwendungsbereichs verstärkter Zusammenarbeit durch Art. 27 b EUV-Nizza hingegen ist insofern folgerichtig in den speziellen Vorschriften geregelt, als sie die einzige konkrete Bereichsausnahme darstellt. 239
In inhaltlicher Hinsicht ist zunächst festzuhalten, daß die Art. 11 I lit. b) und lit. c) EGV völlig gestrichen wurden. Deren Regelungsgehalt wird weitgehend von anderen Vertragsbestimmungen abgedeckt. Der Wegfall der Bereichsausnahme der Unionsbürgerschaft führt aber gegenüber dem Vertrag von Amsterdam zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs verstärkter Zusammenarbeit. Dadurch wird in dieser wichtigen Materie Fortschritt durch flexible Integration möglich. 24o Davon abgesehen sind alle Bedingungen der Art. 43 I, 40 I EUV und Art. 11 I EGV in der Fassung des Vertrags von Amsterdam - z.T. in etwas abgeänderter Form - in Art. 43 EUV zusammengefaßt worden. Die materiellen Anforderungen wurden dabei teilweise verstärkt. Hier ist insbesondere der Schutz des Binnenmarktes und des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts nach Art. 43 lit. e) EUV-Nizza, sowie auch die Änderungen des Wortlauts in Art. 43 lit. c) und lit. h) EUV-Nizza zu nennen. Dagegen wurde die formelle Anforderung des Mindestquorums gesenkt. Diese Tendenz, das Verfahren zu vereinfachen, die materielle Anforderungen hingegen zu verstärken, bewirkt eine sinnvolle Differenzierung: In den Kernbereichen des Integrationsprozesses wird verstärkte Zusammenarbeit durch die erhöhten materiellen Anforderungen nahezu völlig ausgeschlossen, in anderen Bereichen wird ihre Inanspruchnahme durch die Herabsetzung der Mindestanzahl erleichtert. 241 239 Zwar führen z. B. Art. 43 lit. e) oder f) EUV häufig zu ähnlichen Konsequenzen wie Bereichsausnahmen. Grundsätzlich sind dadurch jedoch lediglich Beeinträchtigungen durch verstärkte Zusammenarbeit ausgeschlossen, nicht jedoch die Inanspruchnahme verstärkte Zusammenarbeit an sich. 240 Das EP forderte mit derselben Begründung die Abschaffung des Art. 11 I lit. d) EGV, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Europäisches Parlament, Ausschuss für konstitutionelle Fragen, Bericht über die verstärkte Zusammenarbeit (2000/2152(1NI)) v. 12. 10.2000, A5-0288/2000, S. 13. 241 Dieser Gedanke war Inhalt des "Orientierungsrahmens" für die Beratungen der Regierungskonferenz. So sollte bei der Festlegung der Bedingungen für den Rückgriff auf verstärkte Zusammenarbeit berücksichtigt werden, daß deren Bedeutung sowie die potentiellen Gefahren je nach Bereich unterschiedlich groß seien. Vgl. Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Aufzeichnung des Vorsitzes, RK 2000 - Verstärkte Zusammenarbeit, Brüssel30. 8. 2000, CONFER 4766/00, S. 1.
V. Durch den Vertrag von Nizza vorgesehene Änderungen
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Die Einführung verstärkter Zusammenarbeit in der GASP ist grundsätzlich zu begrüßen. In diesem Bereich besteht ein erheblicher Bedarf für flexible Lösungen, welcher durch die im Vertrag von Amsterdam allein bestehende Möglichkeit der konstruktiven Enthaltung nicht völlig abgedeckt werden kann. Konstruktive Enthaltung ist lediglich bei einzelnen Beschlüssen anwendbar, wohingegen verstärkte Zusammenarbeit auch ein mehrere Maßnahmen umfassendes Programm betreffen kann. Dieser Vorzug verstärkter Zusammenarbeit wird jedoch durch die konkrete Ausgestaltung in der GASP zunichte gemacht, weil ihre Anwendung auf die Durchführung gemeinsamer Aktionen und die Umsetzung gemeinsamer Standpunkte beschränkt ist. Dadurch ist der Handlungsspielraum der kooperierenden Staaten auf ein Minimum beschränkt. Insofern drängt sich die Frage auf, wie verstärkte Zusammenarbeit in der GASP die ihr zugedachte Funktion als integrationsförderndes und impulsgebendes Instrument erfüllen soll. Das Ziel, die GASP durch die Einführung verstärkter Zusammenarbeit effektiver zu gestalten, kann mit dieser Form der Zusammenarbeit nicht erreicht werden. 242 Ähnliches gilt für den Ausschluß von Fragen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen vom Anwendungsbereich verstärkter Zusammenarbeit. 243 Dieser ist insofern verwunderlich, da die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik bei den Erörterungen im Rahmen der Regierungskonferenz noch als idealer Anwendungsbereich gesehen wurde?44 Gerade auf diesem Gebiet besteht ein Bedürfnis, die Handlungsfähigkeit der Union zu erhöhen,245 zumal die Union plant, in den nächsten Jahren eine eigenständige Sicherheits- und Verteidigungspolitik aufzubauen?46 Gemeinsame militärische Einsätze werden jedoch in Zukunft weiterhin in externer Zusammenarbeit nach Art. 17 IV EUV stattfinden, wenn ein Konsens zwischen allen Mitgliedstaaten nicht möglich ist. So auch Regelsberger, integration 2001, S. 159. s. auch Giering/ Janning, integration 2001, S. 151; Epiney/ Abt/ Mosters, DVBl. 2001, S.948. 244 Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Aufzeichnung des Vorsitzes, RK 2000 - Verstärkte Zusammenarbeit, Brüssel 30. 8. 2000, CONFER 4766/00, S. 5.; s. auch Conference of the Representatives of the Member States, Translation of Letter from Mr Frans Van Daele, representative of the Government of Belgium, IGC 2000 - Closer Cooperation, Brussels 28.8.2000, CONFER 4765/00, S. 5. Diese Restriktion beruht nach Rodrigues, RMC 2001, S. 16, auf einer Forderung des Vereinigten Königreichs. 245 In der Vergangenheit scheiterte etwa die Entsendung einer europäischen Interposition Force durch die EU im Jugoslawienkonflikt am Widerstand Großbritanniens, s. Hochleitner, in: ders., Das europäische Sicherheitssystem, S. 188. 246 Vgl. Europäischer Rat (Santa Maria da Feira), 19./20. 6. 2000, Schlußfolgerungen des Vorsitzes, SN 200/00, S. 1 Punkt 6: "Der Europäische Rat bekräftig seine Entschlossenheit, eine Gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik aufzubauen, die geeignet ist, das außenpolitische Handeln der Union zu stärken, indem unter uneingeschränkter Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen eine militärische sowie eine nichtmilitärische Fähigkeit zur Krisenbewältigung entwickelt wird." 242 243
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
VI. Das Verfahren im Vertrag von Amsterdam 1. Das Verfahren im EGV
a) Überblick
Das Verfahren zur Gründung verstärkter Zusammenarbeit ist für den EGV in Art. 11 II EGV 247 geregelt und läuft wie folgt ab: 248 Die Initiative für den Auslösemechanismus der verstärkten Zusammenarbeit geht von der Kommission aus. Sie kann auf Antrag der Mitgliedstaaten, die beabsichtigen, verstärkt zusammenzuarbeiten, einen Vorschlag zur Gründung verstärkter Zusammenarbeit vorbringen. Nach Anhörung des Parlaments entscheidet der Rat mit qualifizierter Mehrheit über die Annahme dieses Vorschlags und erläßt gegebenenfalls den Gründungsbeschluß. Gern. Art. 11 II UA. 2 EGV steht jedoch jedem Mitgliedstaat ein Vetorecht aus wichtigen Gründen der nationalen Politik ZU,249 das nur durch einen einstimmigen Beschluß aller Mitglieder des Rats in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs überstimmt werden kann.
b) Antrag der Mitgliedstaaten
Gern. Art. 11 II UA. 3 EGV können Mitgliedstaaten einen Antrag an die Kommission richten, dem Rat einen Vorschlag zur Gründung verstärkter Zusammenarbeit vorzulegen. Dabei stellt sich die Frage, ob bereits dieser Antrag von einer Mehrheit der Mitgliedstaaten getragen werden muß. 250 Dafür spricht der Wortlaut des Art. 11 II UA. 3 EGV Danach können die "Mitgliedstaaten, die beabsichtigen, eine verstärkte Zusammenarbeit ... zu begründen, ... " sich an die Kommission wenden. Da zur Gründung die Mehrheit der Mitgliedstaaten erforderlich ist, kann nur eine Mehrheit der Mitgliedstaaten tatsächlich ein differenziertes Vorgehen beabsichtigen. Da der Wortlaut nicht unbedingt eindeutig ist, könnte man jedoch dagegen argumentieren, daß es ausreichend ist, wenn wenige Mitgliedstaaten eine Initiative der 247 Im Vertrag von Nizza ist der gesamte Art. 11 EGV dem Gründungsverfahren verstärkter Zusammenarbeit in der ersten Säule gewidmet. Die Bedingungen des Art. 11 I EGVAmsterdam wurden weitgehend in Art. 43 EUV-Nizza aufgenommen. In Art. 11 I EGV-Nizza wurde die Reihenfolge der Bestimmungen geändert. Dadurch entspricht der Aufbau in etwa der zeitlichen Abfolge des Verfahrens, wodurch die Regelung erheblich an Verständlichkeit gewinnt. 248 Davon zu unterscheiden ist das Verfahren zum Erlaß der einzelnen Rechtsakte und Beschlüsse auf der Grundlage verstärkter Zusammenarbeit. 249 Eine der bedeutenderen Neuerungen des Vertrags von Nizza ist die Aufgabe des nationalen Vetorechts und somit des faktischen Einstimmigkeitserfordemisses für verstärkte Zusammenarbeit. Art. 11 II UA. 2 EGV-Nizza sieht lediglich vor, daß der Europäische Rat befaßt werden kann. Letztendlich entscheidet jedoch der Rat. 250 So Becker, EuR 1998 - Beiheft 1, S. 50; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 467.
VI. Das Verfahren im Vertrag von Amsterdam
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Kommission beantragen und im Rahmen der Verhandlungen weitere Mitgliedstaaten überzeugen, die sich später anschließen, so daß vor der Entscheidung über die Genehmigung die erforderliche Mehrheit erreicht wird. Danach wäre eine beliebige Anzahl von Mitgliedstaaten befugt, das Einleiten des Verfahrens bei der Kommission zu beantragen. Letztendlich sprechen jedoch praktische Erwägungen für das Mehrheitserfordernis schon bei dem Antrag der Mitgliedstaaten. Verstärkte Zusammenarbeit ist nur ultima ratio, d. h. vor Einleitung dieses Verfahrens fand zwingend ein Verfahren statt, in dem der Versuch unternommen wurde, die erforderliche Mehrheit oder Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten zu erzielen. Insofern kann man davon ausgehen, daß die Meinungsbildung und Abstimmung unter den Mitgliedstaaten zum betreffenden Thema schon im Vorfeld der Antragstellung weitgehend abgeschlossen ist. Darüber hinaus überprüft die Kommission, bevor sie dem Antrag stattgibt und einen Vorschlag an den Rat richtet, ob die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu muß der Antrag hinsichtlich Gegenstand, Ziel und Beteiligung hinreichend bestimmbar sein?51 Die Anzahl der beteiligten Mitgliedstaaten muß sich deshalb schon aus dem Antrag ergeben. Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, daß der Antrag bei der Kommission nach Art. 43 11 UA. 3 EGV mindestens von der Mehrheit der Mitgliedstaaten gestellt werden muß?52
c) Vorschlag der Kommission
Über den Antrag der Mitgliedstaaten entscheidet zunächst die Kommission. Aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte253 des Art. 11 11 EGVergibt sich, daß ein Vorschlag ohne Antrag der Mitgliedstaaten nicht möglich ist. 254 Gern. Art. 11 11 UA. 1 EGV richtet die Kommission einen entsprechenden Vorschlag an den Rat. Dieses Initiativmonopol gibt der Kommission eine Schlüsselposition bei der Gründung verstärkter Zusammenarbeit in der ersten Säule. Ohne Kommissionsvorschlag kann der Rat nicht über die Gründung einer verstärkten Zusammenarbeit entscheiden. Mit der Entscheidung der Kommission über den Antrag der Mitgliedstaaten sind allerdings einige Fragen verbunden. Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 13. Auch Art. 11 I EGV-Nizza, welcher Art. 11 11 UA. 3 EGV-Amsterdam entspricht, führt in diesem Punkt nicht zu Klarheit. Der Wortlaut des Vertrags von Amsterdam wurde in anderer Hinsicht geringfügig geändert. 253 Vgl. dazu Schutz, Flexibilität in der Europäischen Union, S. 489, 539 f. 254 Dies wird durch Art. 11 I EGV-Nizza klargestellt, wonach die Mitgliedstaaten einen Antrag an die Kommission richten, wohingegen sie in der Amsterdamer Fassung einen Antrag richten können. 251
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
aa) Entscheidungsspielraum der Kommission Zunächst ist unklar, ob die Mitgliedstaaten einen Anspruch auf Entscheidung über ihren Antrag haben bzw. ob sie diesen im Wege der Untätigkeitsklage gern. Art. 232 EGV gerichtlich durchsetzen können,z55 Nach Art. 11 II UA. 3 S. 2 EGV ist die Kommission verpflichtet, im Falle einer Ablehnung des Antrags den betroffenen Mitgliedstaaten die Gründe dafür mitzuteilen,z56 Daraus ergibt sich, daß die Mitgliedstaaten eine Entscheidung der Kommission und, im Falle der Ablehnung, deren Begründung erzwingen können. 257 Daran schließt sich die Frage an, ob den Mitgliedstaaten lediglich dieses Recht auf Entscheidung und Begründung zusteht, oder ob sie bei Vorliegen aller Voraussetzungen eine positive Entscheidung erzwingen können. Dies hängt vom Prüfungsumfang und vom Entscheidungsspielraum der Kommission ab. Es ist nicht festgelegt, welche Gründe die Kommission zu einer Ablehnung des Antrags berechtigen Ermessen etwa bezüglich der Auswirkungen auf den Integrationsprozeß hat. Ein politisches Ermessen bezüglich der Einschätzung der Kommission hinsichtlich der Auswirkungen der verstärkten Zusammenarbeit auf den Integrationsprozeß, welches z. B. äußere Umstände wie die Stimmungslage unter den verschiedenen Mitgliedstaaten einbezieht, wäre gerichtlich nicht nachprüfbar. Dafür spricht der Wortlaut des Art. 11 II UA. 3 S. 2 EGY. Die Kommission "kann" dem Rat einen entsprechenden Vorschlag vorlegen. 258 Danach hätte sie die Möglichkeit, aufgrund ihrer eigenen politischen Einschätzung das Zustandekommen verstärkter Zusammenarbeit zu blockieren. Wenn man hingegen annimmt, daß der Prüfungsumfang der Kommission lediglich die Frage der Zu lässigkeit der geplanten verstärkten Zusammenarbeit umfaßt, so wäre ihr bei der Entscheidung über das Vorliegen einzelner Voraussetzungen zwar ein gewisser Beurteilungsspielraum gegeben, die Entscheidung an sich jedoch gerichtlich voll nachprüfbar. Dies wird in der Literatur mit einem Recht der Mitgliedstaaten auf verstärkte Zusammenarbeit begründet. 259 Aus dem Wortlaut des Art. 11 11 UA. 3 S. 2 EGV, dem einzigen Satz, der sich in dieser Hinsicht mit dem Vorschlag der Kommission befaßt,260 kann dieses Recht jedoch nicht abgeleitet werden. 261 Zu Fragen der lustiziabilität im einzelnen siehe Kapitel 11, Punkt XIII. In diesem Punkt wurde der Wortlaut des Art. 11 I EGV-Nizza gekürzt, woraus sich jedoch keine inhaltlichen Änderungen ergeben. 257 Becker; EuR 1998 - Beiheft 1, S. 51; Ehlemumn, EuR 1997, S. 378; Shaw, EU 1998, S. 75; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 14; a.A. Martenczuk, ZEuS 1998, S. 467, der allerdings nicht zwischen der Frage der Untätigkeitsklage und dem Recht auf positive Entscheidung unterscheidet. 258 Durch den Vertrag von Nizza hat sich in diesem Punkt nichts geändert. 259 So Thun-Hohenstein, in: Hummer, Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 133. 260 Art. ll I EGV bezieht sich lediglich auf die Ermächtigung durch den Rat. 255
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VI. Das Verfahren im Vertrag von Amsterdam
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Rückschlüsse für die Entscheidung dieser Frage kann man aus dem Vergleich der Funktion der Kommission im Verfahren in der ersten und in der dritten Säule ziehen. In der ersten Säule soll, anders als in der dritten Säule, in der die Befugnisse der Kommission wesentlich geringer sind,262 durch die relativ wichtige Stellung der Kommission die verstärkte Zusammenarbeit an das Gemeinschaftsinteresse gekoppelt werden. Dazu ist aber auch erforderlich, daß die Kommission ihre Entscheidung nach den Interessen der Gemeinschaft ausrichten kann, was im übrigen ohnehin ihre Pflicht ist,263 und ihr diesbezüglich ein Ermessen zusteht. Diese Auslegung korrespondiert auch mit den traditionellen Funktion des Initiativrechts der Kommission. Es gibt der Kommission die Möglichkeit, das Geschehen politisch zu Gunsten der Interessen der Gemeinschaft zu bestimmen und den Gang der Integration zu beeinflussen?64 Darüber hinaus würde eine Reduzierung der Position der Kommission auf die Überprüfung der Einhaltung der Voraussetzungen bedeuten, daß den Einwänden der Kommission - also letztlich dem Gemeinschaftsinteresse - weniger Bedeutung beigemessen würde als wichtigen Gründen der nationalen Politik, mit denen jeder einzelne Mitgliedstaat eine verstärkte Zusammenarbeit blockieren kann?65 Deshalb ist davon auszugehen, daß die Kommission bei der Entscheidung über den Antrag der Mitgliedstaaten nicht nur dessen Vereinbarkeit mit den einschlägigen Vorschriften prüft, sondern daß ihr in dieser Frage ein politisches Ermessen zusteht. 266 Dennoch muß es sich dabei um objektive Erwägungen handeln. Eine Ablehnung des Antrags durch nicht nachvollziehbare Gründe könnten die Mitgliedstaaten im Wege der Nichtigkeitsklage gern. Art. 230 EGV auf Ermessensmißbrauch hin überprüfen lassen. Soweit jedoch die Grenze des Ermessensmißbrauchs nicht überschritten ist, können die Mitgliedstaaten selbst bei Erfüllung aller Kriterien keinen Vorschlag erzwingen. Dementsprechend muß auch die Frage, ob die Kommission inhaltlich vom Antrag der Mitgliedstaaten abweichen darf, zugunsten der Kommission beantwortet 261 s. Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 14 f.; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 467. 262 Durch Art. 40 a EUV-Nizza wird der Kommission zwar ein Vorschlagsrecht eingeräumt. Im Falle einer negativen Entscheidung durch die Kommission können sich die Mitgliedstaaten jedoch auch direkt an den Rat wenden. 263 Kapteyn/Van Themaat, Law of the EC, S. 197; GTE-Schmitt von Sydow, EUV IEGV, Art. 155 Rn. 35. 264 Oppermann, EuR, Rn. 355; GTE-Schmitt von Sydow, EUV IEGV, Art. 155 Rn. 33 ff.; Kapteyn/van Themaat, Law of the EC, S. 202 f., S. 410 f.; Caliiess/Ruffert-Ruffert, EUV I EGV, Art. 211 EGV Rn. 12. 265 Das Vetorecht besteht lediglich nach den Vorschriften des Vertrags von Amsterdam. 266 Ehlermann, EuR 1997, S. 378; Shaw, EU 1998, S. 75; Hofmann, EuR 1999, S. 724; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 467; Grabitz/Hilf-Blanke, Recht der EU, Art. 11 EGV Rn. 3; wohl auch: Gaja, CMLR 1998, S. 864; Wesseis, in: Westlake, European Union beyond Amsterdam, S. 86; a.A. Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 120 Anm. 18.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
werden. 267 Wenn die Kommission dem Inhalt des Antrags in einem oder mehreren Punkten nicht zustimmt, könnte sie den Antrag ablehnen und von sich aus einen Vorschlag mit abgeändertem Inhalt an den Rat richten. Deshalb ist es sinnvoll, ihr das Recht zuzusprechen, den Antrag der Mitgliedstaaten gegebenenfalls abzuändern. Allerdings handelt es sich dabei um eine partielle Ablehnung des Antrags, so daß die Kommission verpflichtet ist, den Mitgliedstaaten entsprechend Art. 11 11 UA. 3 S. 2 EGV die Gründe für die Änderung mitzuteilen. bb) Inhalt des Kommissionsvorschlags Inhaltlich muß der Kommissionsvorschlag bereits der endgültigen Form des Gründungsbeschlusses entsprechen. 268 Das bedeutet, daß der Vorschlag bis in die Einzelheiten genau bestimmt sein muß, denn der Gründungsbeschluß muß sich im Rahmen der von Art. 43 EUV und Art. 11 EGVaufgestellten Voraussetzungen halten. Die beteiligten Mitgliedstaaten, der Gegenstand, auf den sich die verstärkte Zusammenarbeit beziehen soll, sowie die Grundlinien des geplanten Vorgehens müssen daraus hervorgehen. Fraglich ist, ob schon Pläne oder Entwürfe für die jeweils zu erlassenden Rechtsakte und Beschlüsse enthalten sein müssen. Nachdem ein Vorschlag bzw. ein Ermächtigungsbeschluß nur ergehen kann, wenn die vertraglich normierten allgemeinen und speziellen Voraussetzungen eingehalten werden, könnte man annehmen, daß dies der Fall ist. Denn ob die Kompetenzen der Gemeinschaft gewahrt, Interessen anderer Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden oder Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels auftreten, kann nur anhand der beabsichtigten Maßnahmen überprüft werden. In diese Richtung deutet auch der Aufbau des Art. 11 EGV, der die Voraussetzungen gemeinschaftlicher verstärkter Zusammenarbeit vor dem zur Gründung erforderlichen Verfahren regelt. Ferner spricht dafür der Wortlaut der Bestimmung, nach dem verstärkte Zusammenarbeit genehmigt werden kann, sofern sie die entsprechenden Voraussetzungen einhält. Es ist jedoch zu bedenken, daß das Verfahren zur Gründung verstärkter Zusammenarbeit gem. Art. 11 11 EGV zu unterscheiden ist von dem Verfahren zur Durchführung verstärkter Zusammenarbeit gern. Art. 44 I EUV. Insbesondere nehmen bei der Beschlußfassung im Rat gem. Art. 44 I EUV nur die beteiligten Mitgliedstaaten teil. Diese Modifikation des Beschlußverfahrens wäre sinnlos, wenn schon im Gründungsverfahren, das nach den allgemeinen Vertragsvorschriften verläuft, d. h. unter Beteiligung sämtlicher Mitgliedstaaten stattfindet, bis ins Detail über die zu erlassenden Rechtsakte abgestimmt würde. Darüber hinaus würde verstärkte Zusammenarbeit unpraktikabel, wenn jede einzelne Maßnahme detailliert im 267 Becker; EuR 1998 - Beiheft 1, S. 51; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 16; Grabitz/Hilf-Blanke, Recht der EU, Art. 11 EGV Rn. 2. 268 GTE-Schmitt von Sydow, Art. 155 Rn. 42.
VI. Das Verfahren im Vertrag von Amsterdam
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Gründungsbeschluß aufgeführt werden müßte bzw. vor Erlaß einer weiteren Regelung ein neuer Gründungsbeschluß erlassen werden müßte. Das Vorliegen der Voraussetzungen kann anhand des Gründungsvorschlags bzw. des Gründungsbeschlusses nur teilweise überprüft werden. Einige Voraussetzungen werden erst im Zusammenhang mit den einzelnen Rechtsakten und Beschlüssen relevant. Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, daß der Ermächtigungsbeschluß des Rats und damit auch der Vorschlag der Kommission lediglich die Ziele der verstärkten Zusammenarbeit und die Eckpunkte des geplanten Vorgehens enthalten müssen. Der Gegenstand, auf den sich die verstärkte Zusammenarbeit bezieht, bzw. der Bereich, innerhalb dessen sie stattfinden soll, muß jedoch genau eingegrenzt sein, ebenso wie die Zahl der beteiligten Mitgliedstaaten feststehen muß. 269
d) Anhörung des Parlaments Bevor der Rat über den Vorschlag der Kommission entscheidet, muß gern. Art. 11 H UA. I EGVeine Anhörung des Europäischen Parlaments stattfinden. 27o Das Parlament spielt bei der Gründung verstärkter Zusammenarbeit eine sehr untergeordnete Rolle. Die Anhörung, die schwächste der möglichen Mitwirkungsformen des Parlaments, ist dessen einzige Gelegenheit zur Stellungnahme bei der Einsetzung verstärkter Zusammenarbeit. 271 Abgesehen davon ist es gern. Art. 45 EUV regelmäßig über die Entwicklung der verstärkten Zusammenarbeit zu unterrichten. 272
e) Ermächtigungsbeschluß des Rats Nach Eingang der Stellungnahme des Parlaments beschließt der Rat gern. Art. 11 H UA. 1 EGV mit qualifizierter Mehrheit über den Vorschlag der Kommission. Die qualifizierte Mehrheit bestimmt sich nach Art. 205 H, 1. Alt. EGV. 273 269 Vgl. Hall, in: Bergmann/Lenz, Der Amsterdamer Vertrag, Kapitel 20 Rn. 32, der den Gründungsbeschluß als Generalermächtigung des Rates an die betroffenen Mitgliedstaaten sieht, bestimmte Rechtsgrundlagen zu nutzen, um Rechtsakte unter und für sich bindend zu erlassen. 270 Die Rechte des EP wurden durch den Vertrag von Nizza teilweise gestärkt. Wenn die verstärkte Zusammenarbeit einen Bereich betrifft, für den das Verfahren des Art. 251 EGV gilt, ist die Zustimmung des EP erforderlich. 271 Beim Erlaß von Rechtsakten oder anderen Maßnahmen im Rahmen verstärkter Zusammenarbeit hat es die ihm nach den jeweiligen Vertragsvorschriften zukommende Position. 272 Die Pflicht zur regelmäßigen Unterrichtung des EP gibt es im Vertrag von Nizza nicht mehr. 273 An der Beschlußfassung im Rat im Verfahren zur Gründung verstärkter Zusammenarbeit hat sich durch den Vertrag von Nizza grundsätzlich nichts geändert. Lediglich für die Stimmengewichtung im Rat ergeben sich durch Art. 3 Protokoll über die Erweiterung der Europäischen Union Konsequenzen.
106
2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Der Gründungsbeschluß 274 , der die betreffenden Mitgliedstaaten zu verstärkter Zusammenarbeit berechtigt, erfordert somit 62 Stimmen. Interessant ist, daß an den Ratsbeschluß in der ersten Säule weniger hohe Anforderungen gestellt werden als in der dritten Säule, wo, bedingt durch den Verzicht auf das Vorschlagsrecht der Kommission, die Zustimmung von mindestens zehn Mitgliedstaaten erforderlich ist, Art. 40 11 UA. 3 EUV i.V.m. Art. 205 11, 2. Alt. EGV. 275 Ein Ausschluß einer Minderheit von Mitgliedstaaten an der Beteiligung durch einen Mehrheitsbeschluß 276 dürfte aber, abgesehen vom Vetorecht jedes einzelnen Mitgliedstaats, in der ersten Säule schon aufgrund des Kommissionsvorschlags unrealistisch sein. Dieser Unterschied im Verfahren steht im Einklang mit der Regelung der verstärkten Zusammenarbeit in der ersten Säule, in welcher der supranationale Charakter und die Koppelung an das Gemeinschaftsinteresse durch die starke Position der Kommission hervorgehoben wird, und der dritten Säule, in welcher der intergouvernementale Charakter durch die zentrale Position des Rats und der Mitgliedstaaten betont wird. Da es sich bei der Ermächtigung gern. Art. 11 11 UA. 1 EGV um Beschlußfassung des Rats auf Vorschlag der Kommission handelt, ist Art. 250 EGV anwendbar. 277 Wenn der Rat den Vorschlag der Kommission inhaltlich abändern will, so muß er dies gern. Art. 250 I EGVeinstimmig tun. Handelt es sich um eine signifikante Abweichung, ist darüber hinaus eine erneute Anhörung des Europäischen Parlaments erforderlich. 278 Der Rat kann den Kommissionsvorschlag jedoch nicht grenzenlos abändern. 279 Der Ratsbeschluß muß im Kern weiterhin dem Kommissionsvorschlag entsprechen. Andernfalls würde das Initiativrecht der Kommission umgangen. Die Kommission kann hingegen gern. Art. 25011 EGV den Vorschlag wieder zurückziehen, solange noch kein Beschluß des Rats ergangen ist. Wenn sich eine Änderung des Vorschlags durch den Rat abzeichnet, kann sie also von diesem Recht Gebrauch machen und so verhindern, daß der Rat einen entsprechenden Beschluß erläßt, weil er dann mangels Kommissionsvorschlag nicht entscheidungsbefugt ist. Die Kommission kann aber auch ihren Vorschlag entsprechend der Änderungsvorschläge des Rats modifizieren, und so dem Rat entgegenkommen, der dann wieder nur eine qualifizierte Mehrheit benötigen würde. Allerdings ist auch in diesem Fall eine erneute Anhörung des Parlaments erforderlich. 274 Hatje. in: Schwarze. EU-Kommentar. Art. 11 EGV Rn. 17, spricht von einem Rechtsakt sui generis. 275 Dies wurde durch Art. 40 a II EUV-Nizza geändert. 276 Becke" EuR 1998 - Beiheft I, S. 51. 277 Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 17; zweifelnd, aber im Ergebnis bejahend: Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 120. 278 EuGH Rs. C-65/90 (Parlament/Rat), Sig. 1992,1-4593 Rn. 16; Rs. C-388/92 (Parlament/Rat), Sig. 1994,1-2067 Rn. 10; Oppermann, EuR, Rn. 267; GTE-Schoo. EUV /EGV, Art. 189a Rn. 13. 279 GTE-Schoo, EUV /EGV, Art. 189a Rn. 14.
VI. Das Verfahren im Vertrag von Amsterdam
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f) Ausübung des Vetorechts
Gern. Art. 11 11 UA. 2 EGV kann ein einzelner Mitgliedstaat aus "wichtigen Gründen der nationalen Politik" sein Veto einlegen, was zur Folge hat, daß keine Abstimmung im Rat erfolgt. 28o Der Rat kann jedoch mit qualifizierter Mehrheit beschließen, daß die Frage im Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs weiter verhandelt wird, welcher einstimmig unter Beteiligung all seiner Mitglieder, also auch des Vetostaats, den Gründungsbeschluß erlassen kann. Nachdem im Vertrag von Amsterdam erstmalig offiziell ein Vetorecht aus "wichtigen Gründen der nationalen Politik" eingeführt wurde281 , stellt sich die Frage nach der Auslegung dieses Vorbehalts. Nach einer Ansicht ergibt sich aus seiner Stellung im EGV, daß die genannten Gründe vom EuGH überprüft werden können. 282 Anderer Ansicht zufolge handelt es sich um rein politische Gründe, die im Ermessen des Mitgliedstaats stehen und keiner rechtlichen Kontrolle unterliegen. 283 Eine Bewertung dieser Gründe durch den Rat ist nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht vorgesehen und scheidet aus. Es bleibt somit die Frage, ob die Berufung auf diese Gründe völlig im nationalen Ermessen liegt, oder ob und wenn ja, wie weit sie vom EuGH, etwa im Rahmen eines durch die Kommission oder eines Mitgliedstaats nach Art. 226 bzw. 227 EGV angeregten Vertragsverletzungsverfahrens, gerichtlich überprüft werden können. Da es sich um einen Vorbehalt zugunsten nationaler Interessen handelt, kommt eine rein gemeinschaftsrechtliche Beurteilung nicht in Frage. Andernfalls würde die Bestimmung leerlaufen. Es würde jedoch auch zu weit gehen, die Frage völlig in das Ermessen des betreffenden Mitgliedstaats zu stellen. Dies kann außerdem nicht dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift entsprechen, denn dann wäre das Erfordernis, die Gründe zu nennen, abgesehen von einer psychologischen Hemmschwelle, bedeutungslos. Deshalb ist davon auszugehen, daß es zwar grundsätzlich im politischen Ermessen des einzelnen Mitgliedstaats liegt, wichtige Gründe der nationalen Politik284 zu benennen. Immerhin besteht die Schwelle, daß diese Gründe offengelegt werden müssen 285 und auf höchster Ebene im Rampenlicht einer 280 Durch den Vertrag von Nizza wurde das Vetorecht aus den Bestimmungen über die verstärkte Zusammenarbeit gestrichen. Zwar kann jeder Mitgliedstaat verlangen, daß der Europäische Rat mit der Frage befaßt wird. Dieser hat jedoch keine Entscheidungsbefugnis und die Befassung des Europäischen Rats hat keine Auswirkungen auf die Beschlußfassung im Rat. Anders als in Art. 11 11 UA. 2 EUV-Amsterdam wird in Art. 11 I UA. 2 EUV-Nizza der Europäische Rat tätig. 281 Außer in Art. 11 11 UA. 2 EGV finden sich vergleichbare Regelungen in Art. 40 11 UA. 2 und Art. 23 11 UA. 2 EUV. 282 Constantinesco, RTDE 1997, S. 762. 283 Becker; EuR 1998 - Beiheft 1, S. 50; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 466. 284 Constantinesco, RTDE 1997, S. 762, spricht bezeichnenderweise von einer "formulation diplomatique de la notion d'interet national". 285 Becker; EuR 1998 - Beiheft 1, S. 50.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Tagung des Rats in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs diskutiert werden?86 Jedoch sind diesem nationalen Veto gemeinschaftliche Grenzen zu setzen. Wenn sich ein Mitgliedstaat in mißbräuchlicher Weise auf wichtige Gründe der nationalen Politik beruft, etwa weil diese Gründe offensichtlich gar nicht vorliegen oder in keinem Zusammenhang mit der betreffenden Frage stehen, muß eine gemeinschaftsrechtliche Kontrolle im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens möglich sein. Dies ist vergleichbar mit der in Art. 95 IX EGV vorgesehenen gerichtlichen Mißbrauchskontrolle bei der Geltendmachung nationaler Schutzklauseln. Im Fall der Ausübung des Veto durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten kann der Rat die Frage an den Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs verweisen. Dazu bedarf es einer qualifizierten Mehrheit. Diese ist wiederum nach Art. 205 11 EGV zu berechnen. Das wirft die Frage auf, welche Variante des Art. 205 11 EGV Anwendung findet, d. h. ob eine Stimmenanzahl von 62 Stimmen ausreichend ist, oder ob die Stimmen die Zustimmung von zehn Mitgliedern umfassen müssen. Wenn man die Vorschriften wörtlich nimmt, müßte die Zustimmung von 10 Mitgliedstaaten vorliegen, denn der Rat beschließt in diesem Fall nicht unmittelbar auf Vorschlag der Kommission. Andererseits kann dadurch die paradoxe Situation auftreten, daß eine Mehrheit, die - abgesehen vom Veto - zur Gründung verstärkter Zusammenarbeit ausreichend gewesen wäre, nicht genügt, um die Frage an den Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs weiterzuleiten. Darüber hinaus erfolgte zwar kein Vorschlag der Kommission betreffend diesen Verfahrensschritt. Es existiert aber ein Vorschlag der Kommission in der Sache. Dieser betrifft den gesamten Sachverhalt und das gesamte in Art. 11 11 EGV vorgesehene Verfahren, so daß er auch diesen zusätzlichen Verfahrensschritt umfaßt. Somit handelt es sich um einen Beschluß im Sinne von Art. 205 11, 1. Alt. EGV, der auf Vorschlag der Kommission ergangen ist. Die einfache qualifizierte Mehrheit reicht also aus, um den Rat in der Zusammensetzung der Staatsund Regierungschefs mit der Frage zu befassen. Für den Gründungsbeschluß ist im Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs Einstimmigkeit erforderlich. Dies gibt dem oder den betreffenden Mitgliedstaaten eine gute Verhandlungsposition, aber auch ein entsprechendes Forum für ihre Bedenken und die Äußerung ihrer nationalen Interessen. Es ist denkbar, daß den Staaten, die in der Minderheit sind, schon eine entsprechende Publizität ihres Standpunktes ausreicht, sei es aus ideologischen oder nationalen partei politischen Erwägungen heraus,287 sie einer verstärkten Zusammenarbeit der anderen Mitgliedstaaten jedoch zustimmen. Andererseits können sie aber auch an ihrem Veto festhalten, jedem Verhandlungsdruck widerstehen und die Mehrheit der Mitgliedstaaten dazu zwingen, das Vorhaben verstärkte Zusammenarbeit aufzugeben oder möglicherweise einen anderen Weg außerhalb der Verträge zu finden. 288 286
287 288
Edwardsl Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 2l. So Edwards I Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 2l. Zur Frage ob und unter welchen Umständen dies möglich ist, s. Kapitel 2, Punkt XIV.
VI. Das Verfahren im Vertrag von Amsterdam
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Die Verankerung des Vetorechts eines einzelnen Mitgliedstaats ist im EGV einzigartig. Dieser Punkt genießt in der Literatur unter den Verfahrensvorschriften die größte Beachtung. Vielfach wird von einer Reminiszenz an den Luxemburger Komprorniß gesprochen. 289 Die Beurteilung der Einführung dieses Vetorechts variiert erheblich. Zum Teil wird aus integrationspolitischer Sicht positiv bewertet, daß eine verstärkte Zusammenarbeit gegen den Willen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten nicht eingeführt werden kann?90 Andererseits wird die Aufnahme dieses intergouvernementalen Elements in den EGV sehr kritisch betrachtet. Zum einen liege darin eine nachträgliche, offizielle Billigung des Luxemburger Kompromisses, der sich, einmal akzeptiert, auch in anderen Bereichen etablieren könne. 291 Zum anderen sei sie ein Beispiel für eine Tendenz der Intergouvemementalisierung des EGV. 292 Grundsätzlich sind wohl eher Bedenken angebracht. Ein Bedarf für ein derartiges Vetorecht besteht jedenfalls nicht. Denn die Gefahr, daß einzelne Mitgliedstaaten bei der Gründung verstärkter Zusammenarbeit von der Beteiligung ausgeschlossen werden, oder daß ihre - bezogen auf das Gemeinschaftsinteresse ernstzunehmenden - Einwände zu Unrecht nicht beachtet werden, ist auch ohne Veto aufgrund der Schlüsselposition der Kommission begrenzt. Selbst wenn die Kommission - unter dem Druck anderer Mitgliedstaaten - aufgrund sachfremder, nicht am Gemeinschaftsinteresse orientierter Erwägungen einmal zu einem anderen Ergebnis kommen würde, könnte dieses wegen Ennessensmißbrauchs vor dem EuGH keinen Bestand haben. Die Berücksichtigung des Gemeinschaftsinteresse durch die Kommission im Rahmen der Begründung verstärkter Zusammenarbeit muß auch beinhalten, daß zwischen den Mitgliedstaaten kein unüberbrückbarer Abstand entstehen kann. Schutzwürdige Interessen einzelner Mitgliedstaaten finden in diesem Rahmen ausreichend Berücksichtigung. Allerdings ist dabei zu bedenken, daß die Aufnahme dieser Bestimmung ein im Rahmen kontroverser Verhandlungen notwendiges Zugeständnis war. Es stellt sich die Frage, ob dieses Zugeständnis tatsächlich die Befürchtungen bezüglich der Legitimation des nationalen Vetos 293 rechtfertigt. Die Beantwortung dieser Frage könnte damit zusammenhängen, ob mit der expliziten Aufnahme des Vetorechts in die verstärkte Zusammenarbeit eine Aufwertung des nationalen Vetos bewirkt und 289 Kortenberg, CMLR 1998, S. 850; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 466; Ehlennann, EuR 1997, S. 377; Gaja, CMLR 1998, S. 864; Constantinesco, RTDE 1997, S. 762; Chaltiel, RMC 1998, S. 291. 290 Becker; EuR 1998 - Beiheft 1, S. 50; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 466. 291 Gaja, CMLR 1998, S. 864; Kortenberg, CMLR 1998, S. 850; Edwards/Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 21; Constantinesco, RTDE 1997, S. 762; Editorial Comments, CMLR 1998, S. 769. 292 Shaw, EU 1998, S. 75; ähnlich: Ehlennann, EuR 1997, S. 377. 293 Gaja, CMLR 1998, S. 864; Kortenberg, CMLR 1998, S. 850; Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 21; Constantinesco, RTDE 1997, S. 762; Editorial Comments, CMLR 1998, S. 769.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
dessen Gebrauch über den Anwendungsbereich verstärkter Zusammenarbeit hinaus legitimiert wird oder ob es dadurch auf eben diesen Anwendungsbereich beschränkt wird und in Zukunft in anderen Fällen mit einem argumentum e contra rio abgelehnt werden kann?94 Angesichts der Tatsache, daß ein derartiges Vetorecht, abgesehen von der vorliegenden Regelung, im EGV rechtlich nicht anerkannt ist, sondern politischer Praxis entspringt,295 ist in dieser Frage jede rechtliche Argumentation überflüssig. Man kann lediglich Mutmaßungen anstellen, welche Auswirkungen die vertragliche Verankerung des Vetorechts auf die politische Praxis hat. Es liegt nahe, daß der Gebrauch einer faktischen Vetomöglichkeit oder die Drohung mit deren Inanspruchnahme mit der politischen Situation auf europäischer und nationaler Ebene zusammenhängen und rechtliche Überlegungen eine untergeordnete Rolle spielen. Daher ist anzunehmen, daß die rechtliche Verankerung eines Vetorechts, das an den Luxemburger Komprorniß erinnert, keine Auswirkungen auf die politische Praxis der Mitgliedstaaten haben wird?96 g) Fazit
Das Verfahren zur Gründung verstärkter Zusammenarbeit entspricht in seinen wesentlichen Punkten - Initiativrecht der Kommission, Gründungsbeschluß des Rats mit qualifizierter Mehrheit, etc. - den im Gemeinschaftsrecht bereits existierenden Verfahrensfonnen. Die verstärkte Zusammenarbeit ist ein neuer Mechanismus, der in das bestehende Gemeinschaftsrecht eingearbeitet und diesem so weit wie möglich angepaßt wurde. Das Parlament wird, abgesehen von der regelmäßigen Unterrichtung gern. Art. 45 EUV und der obligatorischen Stellungnahme gern. Art. 11 II UA. 1 EGV, am Verfahren nicht beteiligt. Hingegen wurde die Position der einzelnen Mitgliedstaaten gegenüber anderen gemeinschaftlichen Verfahren gestärkt, einerseits durch das Antragsrecht, das es in dieser Fonn bislang noch nicht gab, andererseits durch das Vetorecht, das ebenfalls nicht der Systematik der Vertrags entspricht. Das Vetorecht zeigt, daß Flexibilität noch zu neu und einigen Staaten mit zu vielen Risiken behaftet ist, um darin tatsächlich eine Verfahrensmöglichkeit unter anderen zu sehen, und sie sich deshalb in den Verhandlungen diese Rechte vorbehalten haben. Mit deren Ausübung können sie das Verfahren in einer Art beeinflussen, die dem supranationalen Charakter des EGV fremd ist. Abgesehen von den strengen Voraussetzungen in der ersten Säule wird das Verfahren vennutlich am häufigsten an diesem Punkt scheitern. Die Schlüsselposition der Kommission, die in der Literatur häufig hervorgehoben wird,297 ist nicht außergewöhnlich, da es sich um ein gemeinschaftsrechtliches 294 295 296
So Ehlermann, EuR 1997, S. 377; Hilf/ Pache, NJW 1998, S. 711. Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 19. Ebenso Hall, in: Bergmann/Lenz, Der Amsterdamer Vertrag, Kap. 20 Rn. 25; ähnlich
Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 19.
VI. Das Verfahren im Vertrag von Amsterdam
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Verfahren handelt. Die Einflußmöglichkeiten der Kommission sind erforderlich, um verstärkte Zusammenarbeit im Bereich des EGVan das Gemeinschaftsinteresse zu binden. 298 Die Interessen der Mitgliedstaaten, die sich in der Minderheit befinden, können allein durch die dem Gemeinschaftsinteresse verpflichtete Kommission gewahrt werden.
2. Das Verfahren in der PJZ a) Überblick
Das Verfahren im Bereich der Dritten Säule ist in Art. 40 11 EGV geregelt und verläuft weitgehend ähnlich wie im EGV, jedoch nimmt der Rat entsprechend der intergouvemementalen Struktur der polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen eine zentrale Rolle ein. Ohne Kommissionsvorschlag erläßt er den Gründungsbeschluß auf Antrag der betreffenden Mitgliedstaaten. Die Stellung von Kommission 299 und Parlameneoo ist gegenüber der ersten Säule untergeordnet. Ebenso wie dort ist ein Vetorecht aus "wichtigen Gründen der nationalen Politik" normiert. 301 b) Antrag der Mitgliedstaaten
Gern. Art. 4011 EUV wird die Ermächtigung vom Rat "auf Antrag der betreffenden Mitgliedstaaten" erteilt. Darunter sind die Mitgliedstaaten zu verstehen, die eine verstärkte Zusammenarbeit gründen wollen. Dementsprechend ist hier, ebenso wie bei Art. 11 11 EGV, aus den dort genannten Gründen davon auszugehen, daß der Antrag von der Mehrheit der Mitgliedstaaten zu stellen ist.
c) Stellungnahme der Kommission, Stellung des Parlaments
An der Regelung in Art. 40 11 EUVerinnert nichts an die Schlüsselposition der Kommission in Art. 11 EGV Sie wird lediglich "ersucht", zu dem Antrag der Mitgliedstaaten Stellung zu nehmen. Eine negatives Votum der Kommission ist in diesem Bereich unbeachtlich. 302 Da die Kommission ein supranationales Organ ist, 297 Ehlennann, EuR 1997, S. 377; Becker, EuR 1998 - Beiheft 1, S. 50; Kortenberg, CMLR 1998, S. 850; Thun-Hohenstein, in: Hummer, Die Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 133; Gaja, CMLR 1998, S. 864. 298 Martenczuk, ZEuS 1998, S. 466. 299 Dies hat sich im Vertrag von Nizza geändert. Dazu Kapitel 2, Punkt VII. 300 In Art. 40 a 11 EUV-Nizza ist jedoch die Anhörung des EP vorgesehen. 301 Dieses wurde - wie in der ersten Säule - im Vertrag von Nizza ebenfalls gestrichen. 302 Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 123.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
würde eine Art. 11 EGV vergleichbare Stellung die Systematik der intergouvernementalen Dritten Säule durchbrechen. 303 Die Stellung des Parlaments ist ebenfalls schwächer als in Art. 11 EGY. Der Antrag wird ihm lediglich zugeleitet. Es hat somit kein Beteiligungs-, sondern lediglich ein Informationsrecht. 304
d) Ermächtigungsbeschluß des Rats
Der Beschluß des Rats ergeht gern. Art. 40 11 UA. 1 EUV wie in der ersten Säule mit qualifizierter Mehrheit. Nach Art. 4011 UA. 3 EUV ist die Stimmengewichtung nach Art. 205 11 EGV vorzunehmen. Es sind also derzeit wie in der ersten Säule 62 Stimmen nötig. Da jedoch kein Vorschlag der Kommission vorliegen muß, ist gern. Art. 40 11 UA. 3 S. 2 EUV, der Systematik des Art. 205 11 EGVentsprechend, die Zustimmung von mindestens zehn Mitgliedstaaten erforderlich. Dies verhindert, auch ohne Einfluß der Kommission, daß eine Gruppe von acht Mitgliedstaaten, wenn es sich dabei um die Mitgliedstaaten mit der höchsten Stimmengewichtung handelt, sich selbst zur Gründung verstärkter Zusammenarbeit ermächtigen kann, ohne die Zustimmung der anderen Mitgliedstaaten zu benötigen. Denn dies wäre mit Blick auf die Errichtung eines Kerneuropas bedenklich, wenn auch aufgrund der Vetomöglichkeit beinahe undenkbar. Der Ermächtigungsbeschluß muß hinsichtlich Inhalt und Umfang den gleichen Anforderungen entsprechen wie der Ermächtigungsbeschluß zu verstärkter Zusammenarbeit im EGY. e) Ausübung des Vetorechts
Das Verfahren bei Ausübung des Vetorechts durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten gern. Art. 40 11 UA. 2 EUVentspricht der Regelung des Art. 11 11 UA. 2 EUV mit dem einzigen Unterschied, daß die Frage nicht an den Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs verwiesen wird, sondern an den Europäischen Rat. Neben den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten ist gern. Art. 4 11 EUVauch der Präsident der Kommission Mitglied des Europäischen Rats. Da der Europäische Rat einstimmig entscheidet, hat dies die, in Anbetracht der sonst untergeordneten Stellung der Kommission, interessante Folge, daß dem Kommissionspräsidenten faktisch ein Vetorecht zusteht. 303 Im Vertrag von Nizza wurde der Kommission dennoch ein Vorschlagsrecht eingeräumt, Art. 40 a I, 11 UA. 1 EUV-Nizza. Die Kommission besitzt jedoch kein Initiativmonopol, sondern die betreffenden Mitgliedstaaten können ihre Initiative bei Ablehnung des Antrags durch die Kommission direkt dem Rat vorlegen. In dem Fall ist eine Initiative von mindestens acht Mitgliedstaaten erforderlich, Art. 40 a 11 UA. 1 EUV-Nizza. 304 In Art. 40 a 11 EUV-Nizza ist jedoch die Anhörung des EP vorgesehen.
VII. Das Verfahren im Vertrag von Nizza
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Gegen die Einführung des Vetorechts bestehen in der PIZ keine grundlegenden Bedenken. In der intergouvemementalen dritten Säule ist gern. Art. 34 EUV für gemeinsame Handlungen ein einstimmiger Ratsbeschluß erforderlich. Das gleiche gilt für die GASP nach Art. 23 EUV. Dort gibt es zwar die konstruktive Enthaltung, als Ausgleich ist jedoch ebenfalls ein Vetorecht aus wichtigen Gründen der nationalen Politik vorgesehen. In Bereichen, in denen Einstimmigkeit die Regel ist, bedeutet es keinen systematischen Widerspruch, in einem Fall, in dem ein Mehrheitsbeschluß stattfindet, einem Mitgliedstaat ein Vetorecht einzuräumen. 305 f) Fazit
Das Verfahren stimmt weitgehend mit dem des Art. 11 EGV überein. Auffällig ist, daß die Kommission kaum Einfluß nehmen kann und das Parlament bei der Gründung praktisch keine Bedeutung hat, was in Einklang mit der intergouvemementalen Struktur der PIZ steht. Das Vetorecht aus wichtigen Gründen der nationalen Politik stellt hier, wie erwähnt, keinen Systemwiderspruch dar. Eine Neuheit ist vielmehr, daß in der dritten Säule eine Mehrheitsentscheidung etabliert wird, wenn auch das Vetorecht für einen Ausgleich sorgt.
VII. Das Verfahren im Vertrag von Nizza 1. Das Verfahren im EGV
Das Verfahren zur Gründung verstärkter Zusammenarbeit im EGV ist im Vertrag von Nizza in Art. 11 I, 11 EGV-Nizza geregelt. 306 Die Reihenfolge der einzelnen Bestimmungen entspricht dem chronologischen Ablauf des Verfahrens, was die Verständlichkeit der Vorschrift erheblich verbessert. Die am Wortlaut vorgenommenen Modifikationen sind im wesentlichen auf diese systematische Änderung zurückzuführen. Neu ist ein Zustimmungserfordemis des Europäischen Parlaments für Fälle verstärkter Zusammenarbeit in Bereichen, in welchen das Verfahren des Art. 251 EGVanzuwenden ist. 307 Die Stellung des Europäischen Parlaments wird dadurch gestärkt und das Verfahren zur Gründung verstärkter Zusammenarbeit den allgemeinen Verfahrensbestimmungen des EGV besser angepaßt. 305 Durch den Vertrag von Nizza wurde das Vetorecht des einzelnen Mitgliedstaats gestrichen. Jedoch kann nach Art. 40 a II UA. 2 EUV-Nizza "ein Mitglied des Rates ... verlangen, dass der Europäische Rat befasst wird." Wie in Art. 11 EGV-Nizza hat diese Befassung des Europäsichen Rates keine rechtlichen Auswirkungen auf die Beschlußfassung im Rat. 306 Art. 11 III EGV-Nizza ist identisch mit Art. 11 IV EGV, welcher für die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit alle einschlägigen Bestimmungen des EGV vorbehaltlich der Art. 43 bis 45 EUV für anwendbar erklärt. 307 Art. 11 II UA. I EGV-Nizza.
8 Grieser
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Die bedeutendste Änderung des Verfahrens durch den Vertrag von Nizza ist die Abschaffung des Vetorechts aus wichtigen Gründen der nationalen Politik. Ein Mitgliedstaat kann gern. Art. 11 II UA. 2 EGV-Nizza lediglich verlangen, daß der Europäische Rat 308 befaßt wird. Danach beschließt der Rat jedoch ebenfalls mit qualifizierter Mehrheit. Die Frage wird somit auf höherer Ebene lediglich diskutiert und der Entscheidungsprozeß im Rat so lange unterbrochen. Diese Möglichkeit, die Diskussion, wenn auch nicht die Entscheidung, auf öffentliche Ebene zu verlagern, hat vor allem politische Bedeutung. 309 2. Das Verfahren in der PJZ
Art. 40 a EUV-Nizza, welcher das Verfahren zur Gründung verstärkter Zusammenarbeit in der P1Z regelt, entspricht in seinem Aufbau Art. 11 EGV-Nizza. 3IO Auch materiell wird das Verfahren an das der ersten Säule angeglichen. 311 Nach Art. 40 I EUV-Nizza richten die Mitgliedstaaten, die beabsichtigen, untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit nach Art. 40 zu begründen, einen Antrag an die Kommission, die dem Rat einen entsprechenden Vorschlag vorlegen kann. Dieses Vorschlagsrecht mißt der Kommission im Gründungsverfahren verstärkter Zusammenarbeit in der P1Z im Vergleich zur Regelung des Vertrags von Amsterdam 312 eine größere, für das Unionsrecht eher ungewöhnliche Bedeutung bei. Das Vorschlagsrecht der Kommission nach Art. 40 a I EUV-Nizza räumt ihr jedoch - anders als nach Art. 11 I EGV - keine MonopolsteIlung ein. Wenn die Kommission keinen Vorschlag vorlegt, muß sie den betroffenen Mitgliedstaaten ihre Gründe hierfür mitteilen. In diesem Fall können acht Mitgliedstaaten 313 dem Rat eine Initiative unterbreiten. Der Rat erläßt den Gründungsbeschluß gern. Art. 40 a II EUV-Nizza mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission oder Initiative von mindestens acht Mitgliedstaaten. Bei der Beschlußfassung werden die Stimmen nach Art. 205 II EGV gewogen. Das Parlament wird zuvor angehört, auch seine Rechte werden im Vergleich zum Verfahren des Vertrags von Amsterdam,314 wonach das 308 Im Vertrag von Amsterdam wird die Frage an den Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs verwiesen, Art. 11 11 UA. 2 EOY. 309 Epiney/Abt/Mosters, DVBI. 2001, S. 947. 310 Rodrigues, RMC 2001, S. 14, nennt das Verfahren deshalb "communitarisü". 311 Diesbezüglich entsprechen die Verfahrensvorschriften annähernd der Forderung des Europäischen Parlaments nach einer Harmonisierung der Verfahren nach dem Vorbild des Art. 11 III EOV a.F., s. Europäisches Parlament, Ausschuss für konstitutionelle Fragen, Bericht über die verstärkte Zusammenarbeit (2000/2162(INI)) v. 12. 10. 2000, A5-0288/ 2000, S. 8. 312 Nach Art. 40 11 EUV in der Amsterdamer Fassung wird die Kommission lediglich ersucht, zu dem Antrag der Mitgliedstaaten Stellung zu nehmen. 3I3 Vgl. Art. 40 a 11 EUV-Nizza. 314 Art. 40 11 EUY.
VII. Das Verfahren im Vertrag von Nizza
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Parlament lediglich informiert wird, gestärkt. Das Vetorecht aus wichtigen Gründen der nationalen Politik wird auch in der PJZ abgeschafft. Das Verfahren kann lediglich - wie im EGV - nach Art. 40 a 11 UA. 2 EUV-Nizza unterbrochen werden, damit sich der Europäische Rat mit der Frage befaßt. Die Entscheidung wird jedoch auch dann vom Rat mit qualifizierter Mehrheit getroffen.
3. Das Verfahren in der GASP Das Verfahren zur Gründung verstärkter Zusammenarbeit in der GASP ist in Art. 27 c EUV-Nizza geregelt. Danach richten die Mitgliedstaaten, die beabsichtigen, untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit zu gründen, einen Antrag an den Rat. Die Stellung der Kommission ist schwächer als in der PJZ. Der Antrag wird ihr zur Stellungnahme zugeleitet. Diese Stellungnahme bezieht sich insbesondere auf die Kohärenz der geplanten Kooperation mit der Unionspolitik. Dem Parlament wird der Antrag lediglich zur Unterrichtung übermittelt. Der Rat erläßt den Ermächtigungsbeschluß gern. Art. 23 11 UA. 2, 3 EUV. Danach beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit. Die Stimmen werden nach Art. 205 11 EGV gewogen. Die Mindeststimmenanzahl von 62 Stimmen muß die Zustimmung von mindestens 10 Mitgliedstaaten umfassen. 31S Art. 23 11 UA. 2 EUV gewährt jedem Mitgliedstaat ein Vetorecht aus wichtigen Gründen der nationalen Politik, welches eine Abstimmung verhindert. Der Rat kann jedoch mit qualifizierter Mehrheit verlangen, daß die Frage zur einstimmigen Beschlußfassung an den Europäischen Rat verwiesen wird. Diese Regelung des nationalen Veto entspricht exakt den entsprechenden Vorschriften des Vertrags von Amsterdam,316 welche durch den Vertrag von Nizza gestrichen werden. 4. Fazit Die Umstrukturierung der Vorschriften, wodurch dem Gründungsverfahren jeweils ein Artikel gewidmet wird, welcher nach dem chronologischen Ablauf des Verfahrens aufgebaut ist, verbessert die Übersichtlichkeit und Verständlichkeit des Verfahrens erheblich. Auch die Annäherung des Verfahrens der PJZ an das des EGV fördert die Transparenz der Bestimmungen. Darüber hinaus werden dadurch der Einfluß des Parlaments und der Kommission und damit die Beachtung der Belange der Union gestärkt. 315 Art. 23 11 UA 3 EUV. Zum 1. Januar 2005 wird dieser Unterabsatz durch Art. 3 I lit. b) Protokoll über die Erweiterung der Europäischen Union geändert. Danach kommen Beschlüsse mit einer Mindeststimmenzahl von 169 Stimmen zustande, welche die Zustimmung von mindestens zwei Dritteln der Mitglieder umfassen. Auf Antrag eines Mitglied des Rates müssen die Mitgliedstaaten, die diese qualifizierte Mehrheit bilden, mindestens 62% der Gesamtbevölkerung der Union repräsentieren. 316 Art. 11 11 UA. 2 EGV und Art. 40 11 UA. 2 EUV.
8*
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Die wichtigste Änderung ist zweifellos die Abschaffung des nationalen Vetos. Der Verzicht auf das faktische Einstimmigkeitserfordemis trägt wesentlich zur Vereinfachung des Verfahrens bei und stellt sicher, daß Integrationsfortschritte nicht durch einzelne Mitgliedstaaten völlig blockiert werden können. Um so bedauerlicher ist, daß sich im Gründungsverfahren des Art. 27 c EUV keine dieser Verbesserungen niedergeschlagen hat. Über die hohen materiellen Anforderungen hinaus ist somit auch das Verfahren durch das Vetorecht mit einer Hürde belastet, welche die Praktikabilität verstärkter Zusammenarbeit in der GASP erheblich einschränkt.
VIII. Die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit 1. Institutionelle Auswirkungen
Gern. Art. 43 I EUV können die an der verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten "die in diesem Vertrag und im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vorgesehenen Organe, Verfahren und Mechanismen in Anspruch nehmen ( ... )". Da jedoch nicht alle Mitgliedstaaten beteiligt sind, ergeben sich zum Teil Konsequenzen für die Zusammensetzung der Organe, wenn diese auch im Interesse der Wahrung des einheitlichen institutionellen Rahmens, Art. 3 EUV, so gering wie möglich zu halten sind. Die Auswirkungen auf die einzelnen Organe, die für den EGV und für Titel VI EUV 317 gleich sind, sollen im folgenden erläutert werden. Ebenso wie beim Protokoll zur Sozialpolitik könnte man annehmen, daß es sich bei der Ermächtigung zur Inanspruchnahme der Organe der Union um eine Organleihe handelt. 318 Organleihe liegt vor, wenn das Organ eines Rechtsträgers "ermächtigt und beauftragt wird, einen Aufgabenkomplex eines anderen Rechtsträgers wahrzunehmen, ( ... )".319 Fraglich ist für den Fall verstärkter Zusammenarbeit, ob es sich bei den in verstärkter Zusammenarbeit tätigen Mitgliedstaaten um ein anderes Zuordnungsobjekt als die Gemeinschaft bzw. die Union handelt. 32o Auch in Titel V gilt mit Inkrafttreten des Vertrags von Nizza nichts anderes. Die in Teilen der Literatur vertretene Ansicht, daß schon bei der Inanspruchnahme der Organe durch die Union eine Organleihe vorliege, hat für die vorliegende Frage höchstens begriffliche Auswirkungen. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Frage würde hier daher zu weit führen. Für eine Organleihe zugunsten der Unionsstaaten etwa Grabitzl Hilf-Hilf, Recht der EU (a.F.), Art. A EUV Rn. 30; Pechstein/ Koenig, Europäische Union, Rn. 181, 184 ff. (bezüglich Parlament und Kommission); Schweitzer / Hummer; EuR, Rn. 957, 966; a.A. Calliess I Ruffert- Wichard, EUV I EGV, Art. 5 EUV Rn. 7 ff.; Calliess I RuffertBlanke, EUV IEGV, Art. 3 EUV Rn. 12; GTE-Jacque, EUV IEGV, Art. C Rn. 2 ff.; Oppermann, Europarecht, Rn. 237. 319 BVerwG NJW 1976, 1468, 1469; Lerche in: Maunz-Dürig, GG, Art. 83 Rn. 26; ähnlich Maurer, Verwaltungsrecht, § 21 Rn. 54. 320 Vgl. Becker; EuR 1998 - Beiheft I, S. 47 Fn. 108. 317 318
VIII. Die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit
117
Der Wortlaut des Art. 43 I EUV, der davon spricht, daß die beteiligten Mitgliedstaaten die in den Verträgen vorgesehenen Organe, Verfahren, etc. in Anspruch nehmen können, deutet in diese Richtung. Aus einigen anderen Regelungen, wie etwa dem in Art. 43 11 EUVenthaltenen Obstruktionsverbot, den Beitrittsvorschriften oder der Regelung, daß alle Mitglieder des Rats an den Beratungen teilnehmen, sowie vor allem der Einbeziehung der Vorschriften in den Vertragstext ergibt sich jedoch, daß verstärkte Zusammenarbeit keine Vereinbarung zwischen den jeweiligen Mitgliedstaaten darstellt, sondern daß sie eine gemeinschaftsrechtliche Handlungsform und der Gemeinschaft als solche zuzurechnen ist. Wenn Kommission, Rat, Parlament und Gerichtshof im Rahmen verstärkter Zusammenarbeit tätig werden, handeln sie letztlich nicht für die beteiligten Mitgliedstaaten, sondern für die Union bzw. die Gemeinschaft. Aus diesem Grunde findet bei der Inanspruchnahme der Organe durch die beteiligten Mitgliedstaaten keine Organleihe statt. 321 a) Rat
aa) Beschlußfassung Für die Zusammensetzung des Rats bestimmt Art. 44 I S. 2 EUV, daß zwar alle Mitglieder an den Beratungen, jedoch nur die Vertreter der an der Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten an der Beschlußfassung teilnehmen. 322 Der Ausschluß des Stimmrechts für Vertreter der nicht beteiligten Mitgliedstaaten rechtfertigt sich dadurch, daß im Rat die jeweiligen nationalen Interessen vertreten werden, die Interessen der nicht beteiligten Mitgliedstaaten insofern jedoch nicht relevant sind, als diese durch die Beschlüsse nicht gebunden werden. Die eindeutige Formulierung, nach der die nicht beteiligten Mitgliedstaaten lediglich von der Entscheidung ausgeschlossen sind, entspricht dem Modell der WWU, in der nach Art 122 V EGV das Stimmrecht der Mitgliedstaaten ruht, für die eine Ausnahmeregelung gilt. Beim Abkommen zur Sozialpolitik hingegen waren die nicht beteiligten Mitgliedstaaten sogar von den Beratungen ausgeschlossen, wenn auch aufgrund der unscharfen Formulierung unklar war, ob dies den Ausschluß aktiver oder auch passiver Teilnahme beinhaltete. 323 Das für die verstärkte Zusammenarbeit gewählte Vorgehen weist gegenüber dem des Sozial abkommens einige Vorteile auf. Zum einen wird deutlich, daß es sich bei der Nichtbeteiligung mancher Mitgliedstaaten um einen vorübergehenden Zustand handelt. 324 Eine Spaltung soll weitestmöglich dadurch vermieden werden, daß die nicht beteiligten Mitgliedstaaten lediglich von der Beschlußfassung ausgeschlossen sind. Dies zeigt, 321 Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 43 EUV Rn. 26, geht von einem funktionell der Organleihe ähnlichen Rechtsverhältnis aus. 322 Daran hat sich durch Art. 44 I EUV-Nizza nichts geändert. 323 s. Kapitel 1, Punkt 11. 324 s. auch Hatje, in: EU-Kommentar, Art. 44 Rn. 3.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
daß verstärkte Zusammenarbeit keine Extraoption zugunsten einiger Mitgliedstaaten, sondern ein Mittel zur Förderung der europäischen Integration im Sinne aller Mitgliedstaaten sein soll?25 Die Stimmengewichtung der Stimmen der beteiligten Mitgliedstaaten erfolgt bei qualifiziertem Mehrheitsbeschluß gern. Art. 44 I S. 3 EUV entsprechend Art. 205 EGY. Die Stimmen der beteiligten Mitgliedstaaten werden nach Art. 205 11 EGV gewogen. Für die Annahme eines Beschlusses sind 71,26% der Stimmen erforderlich. 326 Wenn das einschlägige Verfahren keinen Vorschlag der Kommission erfordert, ist davon auszugehen, daß die Stimmen die Zustimmung von 2/3 der beteiligten Mitgliedstaaten 327 umfassen müssen. bb) Vorsitz Nicht geregelt ist der Fall, daß der Mitgliedstaat, der den Ratsvorsitz ausübt, an der verstärkten Zusammenarbeit nicht beteiligt ist. Beim Protokoll zur Sozialpolitik wurden verschiedene Vertretungsmöglichkeiten diskutiert. Die Situation war dort aber eine andere, denn der britische Vertreter war auch von den Beratungen ausgeschlossen, so daß er seinen Vorsitz nicht hätte wahrnehmen können. Bei der verstärkten Zusammenarbeit hingegen wird aufgrund der Teilnahme der Vertreter der nicht beteiligten Mitgliedstaaten an den Beratungen angenommen, daß sich keine Änderungen im Vorsitz ergeben. 328 Dies wird damit begründet, daß die nicht beteiligten Mitgliedstaaten ohnehin nur von der Beschlußfassung ausgeschlossen seien?29 Allerdings können sich daraus insofern Probleme ergeben, als der Vorsitzende keineswegs eine rein formelle Funktion ausübt. 33o So wird bei einer Blok325 Ähnlich Martenczuk, ZEuS 1998, S. 463; Grabitz/Hilf-Blanke, Recht der EU, Art. 44 EUVRn.2. 326 Zum 1. Januar 2005 wird Art. 205 11 EGV durch Art. 3 I lit. a) i) Protokoll über die Erweiterung der Europäischen Union geändert. Ab diesem Zeitpunkt werden die Stimmen der Mitgliedstaaten im Rat anders gewogen, so daß für die Annahme eines Beschlusses mit qualifizierter Mehrheit 71,31 % der gewogenen Stimmen erforderlich sein werden. 327 Dies wird durch Art. 44 I S. 3 EUV-Nizza grundsätzlich bestätigt, welcher für die Beschlußfassung ausdrücklich auch denselben "Anteil der Anzahl der betreffenden Mitglieder des Rates" verlangt. Ab dem 1. Januar 2005 wird Art. 205 11 EGV auch in diesem Punkt durch Art. 3 I lit. a) i) Protokoll über die Erweiterung der Europäischen Union geändert. Dann muß die Zustimmung in Fällen, in denen die Beschlußfassung auf Vorschlag der Kommission erfolgt, die Mehrheit und in allen anderen Fällen zwei Drittel der Mitglieder umfassen. Darüber hinaus müssen die Mitgliedstaaten, die diese qualifizierte Mehrheit bilden, auf Antrag eines Mitglieds des Rates mindestens 62% der Gesamtbevölkerung der Union repräsentieren. 328 Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 118; Edwardsl Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 17. 329 Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 118. 330 Vgl. die Antwort vom 18. 8. 1992 auf die schriftliche Anfrage Nr. 1157/92 von Lord O'Hagan (ED) an den Rat, ABI. Nr. 247 v. 24. 9.1992, S. 48, insbes. Punkt 2.
VIII. Die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit
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kade im Rat häufig ein Kompromiß auf der Grundlage eines Vorschlags des Vorsitzenden angenommen. 331 Ferner repräsentiert der Vorsitzende den Rat gegenüber dem Parlament332 und in auswärtigen Angelegenheiten. 333 Wenn der Vorsitzende Vertreter eines nicht beteiligten Mitgliedstaats ist, besteht die Gefahr, daß die Interessen der an der verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben nicht ausreichend berücksichtigt werden. 334 Dennoch ist eine andere Lösung in dieser Frage - denkbar wäre die Ablehnung der Vorsitzführung durch die beteiligten Mitgliedstaaten im Einzelfall oder ein automatischer Ausschluß - nicht möglich. Zum einen existiert trotz der detaillierten Festlegung anderer Fragen diesbezüglich keine Regelung, was jedoch in Anbetracht der Tatsache, daß diese Frage schon bei der Auslegung des Sozialabkommens umstritten war, erforderlich gewesen wäre. Zum anderen gibt es keine vergleichbare Fallkonstellation der Ablehnung oder des Ausschlusses des Vorsitzenden. In Situationen, in denen gegenüber dem Parlament ein Vorschlag bezüglich einer Maßnahme vertreten werden soll, die von dem Land, das den Vorsitz innehat, nicht unterstützt wird, kann z. B. ein vergleichbarer Interessenkonflikt auftreten, ohne daß es eine Alternative zur Ausübung des Vorsitzes durch den Vertreter dieses Mitgliedstaates gibt. 335 Darüber hinaus ist der Ratspräsident zur neutralen Wahrnehmung seines Amtes verpflichtet und sollte dieses "unparteiisch im Sinne der Willensbildung im Rat ausüben,,336. Insofern dürfte es eigentlich nicht zu den oben aufgeführten Interessenkollisionen kommen. Eine andere Regelung wäre außerdem unpraktikabel. Die Beratung und Abstimmung über Maßnahmen verstärkter Zusammenarbeit finden in regulären Ratssitzungen statt. Die Ausübung des Vorsitzes durch zwei verschiedene Personen würde den Organisationsaufwand deutlich erhöhen. Eine Konfliktsituation könnte deshalb lediglich dadurch gelöst werden, daß der Vorsitzende in solchen Fällen von sich aus auf die Ausübung des Vorsitzes verzichtet. Dann würde entsprechend der bisherigen Praxis337 der Vorsitz von dem Vertreter desjenigen Mitgliedstaats geführt, der den Vorsitz als nächster ausüben würde. b) Kommission
Anders als die Mitglieder des Rats sind die Mitglieder der Kommission keine weisungsgebundenen Vertreter ihrer Staaten. Sie üben ihre Tätigkeit unabhängig 331
332 333
334 335 336 337
GTE-Jacque, EUV /EGV, Art. 147 Rn. 33. Art. 25 GO des Rates, ABI. Nr. L 304 v. 10. 12. 1993, S. 1, 6. GTE-Jacque, EUV /EGV, Art. 146 Rn. 32. So auch Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 17 f. Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 118. Oppermann, EuR, Rn. 283. GTE-Jacque, EUV /EGV, Art. 146 Rn. 29.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
von den Interessen ihrer Regierungen aus, Art. 213 II EGV, und sind den Interessen und dem Wohl der Gemeinschaft verpflichtet. 338 Darüber hinaus ergeben sich aus Art. 44 I EUV keine Anhaltspunkte für organisatorische Auswirkungen auf die Kommission. Ebenso wie beim Sozialprotokoll 339 bleibt die Zusammensetzung der Kommission unverändert. c) Parlament
Bezüglich der Besetzung des Parlaments ist Art. 44 EUV eindeutig, der für das Parlament, anders als für den Rat, keine abweichende Regelung trifft. Entsprechend der Funktion des Parlaments als Repräsentant aller in der Europäische Union zusammengeschlossenen Vcilker 340 wird das Parlament in der regulären Besetzung tätig. Überraschenderweise wird dies in der Literatur häufig kritisiert oder zumindest als außergewöhnlich hervorgehoben. 341 Die - angeblich - fehlende Legitimation und mangelnde Neutralität der Abgeordneten nicht beteiligter Mitgliedstaaten wird als Argument dafür verwendet, daß die Beschränkung auf ein Anhörungsrecht dieser Abgeordneten sinnvoller gewesen wäre. 342 Dabei wird jedoch verkannt, daß die Abgeordneten des Parlaments gern. Art. 189 EGV als Vertreter der Völker in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten fungieren und unabhängig, nicht weisungsgebunden, von den Regierungen der Mitgliedstaaten sind. 343 Es entspricht deshalb der Funktion des Parlaments, daß dieses beim Erlaß von Maßnahmen verstärkter Zusammenarbeit in unveränderter Besetzung beteiligt wird. 344 Dies ist darüber hinaus mit Blick auf die Wahrung des einheitlichen institutionellen Rahmens nur zu begrüßen.
338 Grabitz/Hilf-Hummer, Recht der EU (a.F.), Vor Art. 155 EGV Rn. 23; Kapteyn/VerLoren van Themaat, The Law ofthe EC, S. 195 ff. 339 Siehe Kapitell, Punkt 11. 340 Vgl. hierzu ausführlicher zum Sozial abkommen Kapitel 2, Punkt 11. 341 So Hofmann, EuR 1999, S. 723; Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 18; Huber, EuR 1996, S. 360; Ehlermann, EuR 1997, S. 374; Hatje. in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 44 EUV Rn. 4. 342 Huber, EuR 1996, S. 360; ähnlich Edwards/Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 18; Hai/bronner, Immigration and Asylum Law, S. 62. 343 GTE-Haag/Bieber, EUV IEGV, Art. 137 Rn. 4; Calliess I Ruffert-Kluth, EUV IEGV, Art. 189 EGV Rn. 4. 344 Becker, Europarecht 1998 - Beiheft I, S. 52; Calliess I Ruffert-Ruffert, EUV IEGV, Art. 44 EUV Rn. 3; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 463; Gaja, CMLR 1998, S. 866; Constantinesco, RTDE 1997, S. 756; Dashwood, Reviewing Maastricht - Issues for the 1996 IGC, S.162.
VIII. Die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit
121
d)EuGH
Aufgrund der Unabhängigkeit der Richter des EuGH, Art. 223 EGV, ergeben sich für die Besetzung des Gerichtshofs durch die verstärkte Zusammenarbeit keine personellen Konsequenzen?45
e) Ausschüsse Eine ungeklärte und wenig beachtete Frage ist die Besetzung verschiedener Ausschüsse. Ein Beispiel ist der Vermittlungsausschuß nach Art. 251 IV EGY. Dieser besteht gewöhnlich aus den Vertretern des Rats und ebenso vielen Vertretern des Parlaments, d. h. aus je 15 Vertretern. An der Beteiligung der 15 Vertreter des Rats ändert sich bei verstärkter Zusammenarbeit nichts, da auch die Vertreter der nicht beteiligten Mitgliedstaaten nach Art. 44 I EUV bei Beratungen anwesend sind. Bei der Beschlußfassung sind aber nur die Vertreter der beteiligten Mitgliedstaaten stimmberechtigt. Deshalb stellt sich die Frage, woran die Anzahl der zu beteiligenden Vertreter des Parlaments zu bemessen ist. In der Literatur wird vorgeschlagen, es bei der Beteiligung von derzeit 15 Mitgliedern des Parlaments zu belassen. 346 Dafür spricht, daß eine Reduzierung der Parlamentsmitglieder auf die Anzahl der stimmberechtigten Ratsmitglieder dazu führen würde, daß das Parlament bei den Beratungen unterrepräsentiert wäre. Auch gibt es keine sinnvolle Möglichkeit, die Anzahl der abstimmenden Vertreter des Parlaments zu reduzieren. Dies führt nicht zu einer Ungleichgewichtung zwischen Parlament und Rat bei der Abstimmung, da die erforderliche Mehrheit unter den Mitgliedern des Rates und des Parlaments gesondert erzielt werden muß,347 und die höhere Anzahl von Vertretern des Parlaments nicht zu dessen stärkerer Gewichtung bei der Beschlußfassung führt. Anders gelagert ist die Frage der Zusammensetzung des Wirtschafts- und Sozialausschusses (WSA). Dieser besteht aus 222 Vertretern 348 verschiedener Interessengruppen aus den einzelnen Mitgliedstaaten, Art. 257 f. EGY. Der WSA wird in verschiedenen, im EGV vorgeschriebenen Fällen angehört, z. B. bei der Rechtsangleichung nach Art. 94 oder 95 EGY. Eine Änderung der Besetzung des WSA ist jedoch, auch wenn die Anhörung im Rahmen verstärkter Zusammenarbeit erfolgt, nicht angebracht. Zunächst gibt es keine derartige Regelung. Darüber hinaus sind die Mitglieder des WSA nach Art. 258 III EGV weisungsunabhängig, sie wer345 Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 44 EUV Rn. 4; Ehlennann, EuR 1997, S. 374; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 463. 346 Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam, S. 118. 347 Art. 251 IV S. I EOY. 348 Durch den Vertrag von Nizza erhält Finnland neun statt sechs Mitglieder, Art 258 11 EOV-Nizza. Dadurch erhöht sich die Anzahl der Vertreter im WSA zunächst auf 225, die Höchstzahl beträgt gern. Art. 258 I EOV-Nizza 350 Mitglieder.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
den "zum allgemeinen Wohl der Gemeinschaft" tätig. Das gleiche gilt für den Ausschuß der Regionen nach Art. 263 EGV. Für diese Ausschüsse ergeben sich deshalb keine institutionellen Konsequenzen.
2. Rechtsakte und Beschlüsse im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit
a)EGV Art. 44 I EUV bestimmt, daß für die Annahme der Maßnahmen zur Durchführung verstärkter Zusammenarbeit die einschlägigen institutionellen Bestimmungen des EUV und des EGV gelten. Art. 11 IV EGV 349 regelt, daß die Rechtsakte und Beschlüsse zur Durchführung verstärkter Zusammenarbeit in der ersten Säule allen einschlägigen Bestimmungen des EGV unterliegen. 35o Durchführungsbestimmungen verstärkter Zusammenarbeit können demgemäß in Form der in Art. 249 EGV genannten Akte erlassen werden. Das jeweilige Verfahren richtet sich nach den einschlägigen Rechtsgrundlagen. Einzige explizite Einschränkung ist die Änderung der Zusammensetzung des Rats nach Art. 44 I S. 2-4 EUV. Durch die Anwendung der allgemeinen Verfahrensvorschriften für Maßnahmen verstärkter Zusammenarbeit werden diese soweit wie möglich in das Gemeinschaftshandeln einbezogen und der Sonderstatus möglichst gering gehalten. Die unveränderte Beteiligung der Gemeinschaftsorgane - außer bei der Entscheidung im Rat - kann einer Abkapselung oder Parallelentwicklung der verstärkten Zusammenarbeit entgegenwirken. Insbesondere das in der Regel bestehende Initiativrecht der Kommission wird dafür sorgen, daß die Rechtsakte mit dem Gemeinschaftsinteresse in Einklang gebracht werden. 351 Dennoch stellen die Rechtsakten auf der Grundlage verstärkter Zusammenarbeit kein "normales" Gemeinschaftsrecht dar. Sie sind für die beteiligten Mitgliedstaaten gern. Art. 43 11 EUV 352 bindend, gelten jedoch nicht für die anderen Mitgliedstaaten. 353 Bei den Rechtsakten handelt es sich um partikulares Sekundärrecht. 354 An dem gemeinschaftsrechtlichen Charakter dieses Sekundärrechts besteht kein Zweifel, da durch die Einführung der Vorschriften über verstärkte Zusammenarbeit und den Verweis auf die Verfahrens vorschriften des EGV die entsprechende geArt. 11 III EGV-Nizza. Art. 11 IV EGV schließt das materielle Recht und die gerichtliche Kontrolle ein, Ehlermann, EuR 1997, S. 379. 351 Becker; EuR 1998 - Beiheft I, S. 51. 352 Art. 44 11 EUV-Nizza. 353 Dies wird durch Art. 44 11 S. 2 EUV-Nizza ausdrücklich klargestellt. 354 Becker; EuR 1998 - Beiheft 1, S. 53; Gaja, CMLR 1998, S. 866; Oppermann, EuR, Rn. 532; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 23, spricht von sekundärem Sonderrecht. 349
350
VIII. Die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit
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meinschaftsrechtliche Grundlage geschaffen wurde. Darüber hinaus ist die Zielsetzung der Vorschriften gerade die Ermöglichung von Flexibilität innerhalb des Gemeinschaftsrechts. aa) Geltung des partikularen Sekundärrechts Mit der Schaffung von Partikularrecht innerhalb des Gemeinschaftsrechts sind jedoch Schwierigkeiten verbunden. Die Problematik ist im wesentlichen die gleiche wie bei dem Sekundärrecht, das auf der Grundlage des Sozialabkommens 355 oder im Rahmen der WWU erlassen wurde. Fest steht, daß die Rechtsakte nur für die beteiligten Mitgliedstaaten bindend sind, d. h. sie entfalten die dem jeweiligen Rechtsakt entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Wirkungen. Für die anderen Mitgliedstaaten dürfen sie keine Auswirkungen haben. 356 Eine räumliche Einschränkung des Geltungsbereichs ist für Richtlinien, Entscheidungen und Stellungnahmen möglich, da diese nach Art. 249 EGV an bestimmte Mitgliedstaaten zu richten sind. Verordnungen gelten jedoch grundsätzlich in allen Mitgliedstaaten?57 Die Art. 43 f. EUV, 11 EGV modifizieren Art. 249 11 EGV in diesem Punkt. Eine derartige räumliche Begrenzung des Anwendungsbereichs von Verordnungen ist nicht neu. Die Verordnungen, die zur Verwirklichung der WWU erlassen wurden, gelten zum Beispiel "unmittelbar in jedem Mitgliedstaat" vorbehaltlich des Art. 109 k I EGV und der Protokolle Nr. 11 und 12, aus denen sich die Nichtbeteiligung einiger Mitgliedstaaten ergibt. 358 bb) Verhältnis des partikularen Sekundärrechts zum übrigen Gemeinschaftsrecht Die Schaffung einer neuen Teilrechtsordnung birgt weitere Probleme. Die Bedenken reichen von wachsender Intransparenz bis hin zu Fragmentierung des Gemeinschaftsrechts durch parallele bzw. kollidierende Rechtsnormen und durch unterschiedliche Entwicklung bzw. Auslegung gleicher Rechtsbegriffe. 359 In erster Linie geht es um Kollisionen zwischen gemeinsamem Sekundärrecht und auf der Grundlage verstärkter Zusammenarbeit erlassenem partikularem Sekundärrecht. s. Kapitell, Punkt II. Art. 43 I lit. f) EUV, Art 43 lit h) EUV-Nizza. 357 Vgl. EuGH Rs. 61/77 (KommissionIIrland), Slg. 1978, S. 417 Rn. 45/51. 358 VO (EG) Nr. 974/98 des Rates v. 3. 5. 1998 über die Einführung des Euro, ABI. Nr. L 139 v. 11. 5. 1998, S. 1; VO (EG) Nr. 975/98 des Rates v. 3. 5. 1998 über die Stückelungen und technischen Merkmale der für den Umlauf bestimmten Euro-Münzen, ABI. Nr. L 139 v. 11.5. 1998,S.6. 359 Gaja. CMLR 1998, S. 867; Becker; EuR 1998 - Beiheft 1, S. 53; zur Literatur bei der ähnlichen Problematik des Sozialabkommens vgl. Kapitel 3. 355
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Diese Frage wurde schon beim Sozial abkommen diskutiert, aber aufgrund der zurückhaltenden Rechtsetzung und der kurzen Geltungsdauer des Abkommens praktisch nicht geklärt. Darüber hinaus sind die Probleme bei der verstärkten Zusammenarbeit, wie sich aus dem folgenden ergeben wird, aus verschiedenen Gründen anders gelagert. Bei den für die WWU erlassenen Rechtsakten wiederum ist ein Konflikt mit allgemein gültigem Gemeinschaftsrecht unwahrscheinlich, denn die Verordnungen 360 behandeln Materien, die bislang nicht auf gemeinschaftlicher Ebene geregelt wurden. Verstärkte Zusammenarbeit soll demgegenüber nicht nur neue Bereiche erschließen, sondern auch bestehende Regelungen und Politiken vertiefen und erweitern. So kann die Situation auftreten, daß auf einen Sachverhalt eine für alle Mitgliedstaaten gültige Regelung und eine im Rahmen verstärkter Zusammenarbeit erlassene Regelung anwendbar sind. ( 1) Verhältnis des Partikularrechts zu schon bestehendem Gemeinschaftssekundärrecht
Bei Beachtung der Zulässigkeitsvoraussetzungen verstärkter Zusammenarbeit kann kein Konfliktfall auftreten, in dem das partikulare Recht früher erlassenem allgemeinem Gemeinschaftsrecht widerspricht. Sekundärrecht auf der Grundlage verstärkter Zusammenarbeit darf die Wirkung bestehenden Gemeinschaftsrechts nicht beeinträchtigen, es kann also in seiner Wirkung nicht dahinter zurückbleiben oder ein anderes Konzept verfolgen. 361 Es kann nur darüber hinausgehende Wirkungen entfalten. Auch eine Überschneidung mit anderen schon bestehenden Regelungen ist nach den Voraussetzungen der Art. 43 EUV und 11 EGV nicht zulässig. Eine Kollision mit früher erlassenem Sekundärrecht darf also nicht auftreten. Die beteiligten Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Normen der verstärkten Zusammenarbeit zusätzlich zu den für alle Mitgliedstaaten geltenden Regelungen anzuwenden. Falls dennoch ein Widerspruch zu bestehendem Gemeinschaftsrecht auftreten würde, müßte die Regelung der verstärkten Zusammenarbeit so ausgelegt werden, daß sie die Wirkung der Gemeinschaftsregelung nicht beeinträchtigt. Wenn eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist, könnte die betreffende Vorschrift im Rahmen einer Nichtigkeitsklage362 vor dem EuGH keinen Bestand haben. Weder die lex-posterior- noch die lex-specialis-Regel sind in dieser Konstellation anwendbar, da die fraglichen Regelungen nicht von den gleichen Organen 360 Vgl. VO (EG) Nr. 974/98 des Rates v. 3.5. 1998 über die Einführung des Euro, ABI. Nr. L 139 v. 11. 5. 1998, S. 1; VO (EG) Nr. 975/98 des Rates v. 3. 5. 1998 über die Stükkelungen und technischen Merkmale der für den Umlauf bestimmten Euro-Münzen, ABI. Nr. L 139 v. 11. 5. 1998, S. 6. 361 Ebenso Gaja, CMLR 1998, S. 866; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. II EGV Rn. 24. 362 Art. 230 EGY.
VIII. Die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit
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im gleichen Verfahren erlassen wurden?63 Zwar finden im Zweifel die gleichen Yerfahrensvorschriften Anwendung, aber der Rat entscheidet in geringerer Besetzung und kann deshalb nicht für alle Mitgliedstaaten verbindliche Rechtsakte erlassen. Rechtsakte, die von allen Mitgliedstaaten erlassen worden sind, können nicht durch einen Teil der Mitgliedstaaten modifiziert werden. Für die beteiligten Mitgliedstaaten sind die Rechtsakte der verstärkten Zusammenarbeit aufgrund von Art. 44 I EUY bindend. Der Anwendungsbefehl der gemeinsamen Rechtsakte kann dadurch aber nicht aufgehoben werden. Eine Bestimmung des partikularen Sekundärrechts, die bestehendem Gemeinschaftsrecht widerspricht und nicht gemeinschaftsrechtskonform auszulegen ist, verstößt gegen Art. 43 I lit. e) EUy 364 . Sie könnte im Wege der Nichtigkeitsklage gern. Art. 230 EGY angefochten werden. (2) Verhältnis des Partikularrechts zu später erlassenem Gemeinschaftssekundärrecht Neben dem Verhältnis von partikularem Sekundärrecht zu schon bestehendem allgemeinen Sekundärrecht sind jedoch Fallkonstellationen denkbar, in denen nach dem Inkrafttreten von partikularem Sekundärrecht gemeinsame Regelungen erlassen werden, die im Widerspruch zu diesem stehen. Hier sind wiederum zwei Fälle zu unterscheiden. Einerseits der Fall, daß eine gemeinsame Regelung einen Bereich betrifft, in dem schon eine Regelung verstärkter Zusammenarbeit existiert. Andererseits der Fall, daß eine Regelung, die einen anderen Bereiche betrifft, Auswirkungen hat, die mit einer Regelung verstärkter Zusammenarbeit im Widerspruch stehen. Die erst genannte Konstellation wird in der Praxis kaum eintreten. Denn wenn eine Regelung verstärkter Zusammenarbeit besteht, werden die Mitgliedstaaten, die daran interessiert oder dazu in der Lage sind, sich dieser verstärkten Zusammenarbeit anschließen. Die beteiligten Mitgliedstaaten werden in der Regel eher die betreffende Regelung ändern, als in einem neuen, allgemeinen Rechtsetzungsverfahren einer anderen Regelung zuzustimmen. Die Konstellation von Überlagerungen oder Überschneidungen ist hingegen tatsächlich problematisch. Eine eindeutige Lösung gibt es in den Fällen, in denen bereits zum Zeitpunkt der Gründung der verstärkten Zusammenarbeit konkrete Pläne für die allgemeine Regelung bestanden. Eine Norm verstärkter Zusammenarbeit, welche mit diesen Plänen in Widerspruch steht, ist als unzulässig anzusehen, weil ein Verstoß gegen Art. 11 I lit. b) EGy 365 vorliegt. 363 Becker, EuR - Beiheft 1, S. 53; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EOV Rn. 24; allgemein OTE-Schmidt, EUV I EOV, Art. 189 Rn. 23; Orabitz/Hilf-Blanke, Recht der EU, Art. 44 EUV Rn. 7. 364 Art. 43 lit. c) EUV-Nizza. 365 Art. 11 I lit. b) EOV wurde durch den Vertrag von Nizza gestrichen.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
In den anderen Fällen stellt sich die Frage, welche der Vorschriften von den beteiligten Mitgliedstaaten anzuwenden sind. Generell würde im Falle der Kollision zweier gleichrangiger Normen mit gleichem Geltungsbereich der Konflikt nach der lex-specialis- oder nach der lex-posterior-Regel gelöst. Zugunsten des für alle Mitgliedstaaten geltenden Sekundärrechts wirken diese Regeln auch gegenüber dem partikularen Recht verstärkter Zusammenarbeit. 366 Zwar handelt es sich auch hier um unterschiedliche Normgeber. Der Normgeber des gemeinsamen Sekundärrechts umfaßt aber den Normgeber des Sekundärrechts verstärkter Zusammenarbeit. Die für einen Teil der Mitgliedstaaten geltende Regelung wird durch eine für alle geltende Regelung abgelöst oder modifiziert. Das gilt auch dann, wenn nicht alle beteiligten Mitgliedstaaten für die gemeinsame Regelung stimmen. Da es sich um ein supranationales Verfahren handelt, kommt es lediglich darauf an, daß der Normgeber insgesamt an dem neuen Verfahren beteiligt ist. Auch im Falle der Kollision von partikularem Sekundärrecht mit später erlassenem allgemeinen Sekundärrecht sind deshalb zugunsten der allgemein gültigen Bestimmungen die lex-posterior- und die lex-specialis-Regel anwendbar. 367 Zunächst ist jedoch zu versuchen, mittels einer Auslegung des partikularen Sekundärrechts eine Kollision zu vermeiden. 368 Dieses Ergebnis entspricht auch dem Gedanken des Vorrangs gemeinsamen Vorgehens, welcher u. a. im ultima-ratio-Erfordernis deutlich wird. 369 Auch die Funktion verstärkter Zusammenarbeit als Zwischen schritt auf dem Weg zu einem einheitlichen Integrationsfortschritt spricht für die vorrangige Geltung allgemeinen Sekundärrechts. 37o Dies bedeutet jedoch, daß in manchen Kollisionsfallen Teile des Sekundärrechts verstärkter Zusammenarbeit unangewendet bleiben müssen, was zu Rechtsunsicherheit führen kann. cc) Auslegung gleichlautender Rechtsbegriffe Über die Problematik der Anwendung gemeinschaftlicher Normen durch mitgliedstaatliche Behörden oder Gerichte hinaus wird auch eine unterschiedliche Auslegung gleichlautender Rechtsbegriffe befürchtet. 371 Auf diese Fragen wird, da 366 A.A. Becker, EuR 1998 - Beiheft 1, S. 54; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 24 und Grabitz/Hilf-Blanke, Recht der EU, Art. 44 EUV Rn. 7, kommen unter Bezugnahme auf die Funktion der verstärkten Zusammenarbeit und ihrem Verhältnis zur einheitlichen Integration ebenfalls zu dem Ergebnis, daß gemeinsames Recht dem partikularen Recht im Kollisionsfall vorgeht. 367 Dabei ist sowohl die Konstellation denkbar, daß es sich bei dem später erlassenen Rechtsakt um einen spezielleren handelt, als auch daß die gleiche Materie durch das allgemein geltende Gesetz etwas anders oder für alle Mitgliedstaaten geregelt wird. 368 s. Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 25. 369 s. auch Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 25. 370 Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 25. 371 Gaja, CMLR 1998, S. 866; zum Sozialabkommen Koenig, EuR 1994, S. 183.
VIII. Die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit
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sie auf der doppelten Zuständigkeit des Gerichtshofs beruhen, im Zusammenhang mit der lustiziabilität der verstärkten Zusammenarbeit eingegangen. 372
b)P1Z Für die Annahme der Rechtsakte und Beschlüsse zur Durchführung verstärkter Zusammenarbeit in der P1Z finden gern. Art. 44 I EUVebenfallls die einschlägigen institutionellen Bestimmungen des EUV und des EGV Anwendung. Darüber hinaus bestimmt Art. 40 IV EUV,373 daß mit Ausnahme des Art. 42 EUV 374 die Bestimmungen des Titels VI EUV Anwendung finden, es sei denn die Art. 43, 44 EUV treffen davon abweichende Regelungen. Auch in der dritten Säule wird die verstärkte Zusammenarbeit also weitestmöglich in die Systematik des Unionsrechts einbezogen. Die räumliche Wirkung der Rechtsakte und Beschlüsse nach Art. 34 EUV wird durch Art. 40, 43 f. EUV auf das Gebiet der beteiligten Mitgliedstaaten beschränkt. Diese können nach Art. 34 11 S. 2 lit. a) gemeinsame Standpunkte annehmen, die, wenn eindeutig formuliert, für sie völkerrechtlich bindend sind. 375 Sie können des weiteren Rahmenbeschlüsse nach lit. b) zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen. Diese Rahmenbeschlüsse sind für die beteiligten Mitgliedstaaten hinsichtlich ihres Ziels verbindlich, überlassen ihnen aber die Wahl der Form und der Mittel. Sie sind daher mit der gemeinschaftsrechtlichen Richtlinie vergleichbar, können aber anders als diese keine unmittelbare Wirkung entfalten. Ein Rahmenbeschluß verpflichtet aber die beteiligten Mitgliedstaaten zur Umsetzung seines Inhalts durch Transformation in innerstaatliches Recht. 376 Ähnlich verhält es sich mit den nach Art. 3411 lit. c) EUV vorgesehenen sonstigen Beschlüssen. Die in Art. 34 11 lit. d) vorgesehenen Übereinkommen, die der Rat den Mitgliedstaaten empfiehlt, sind verpflichtend und innerhalb einer Frist die jeweiligen innerstaatlichen Verfahren einzuleiten. Für diese Übereinkommen ist eine spezielle Form von Flexibilität vorgesehen. Sie treten, sobald sie von mindestens der Hälfte der Mitgliedstaaten angenommen wurden, nach Art. 34 11 UA. 2 S. 1 EUV für diese in Kraft. Hier stellt sich die Frage, ob verstärkte Zusammenarbeit bei diesen Übereinkommen überhaupt eine zulässige oder sinnvolle Alternative darstellt. Dabei ist zu beachten, daß die speziell für die Übereinkommen vorgesehene DiffeKapitel 2, Punkt XIII. Art. 40 II EUV-Nizza. 374 Überführung von Maßnahmen in den EGV. 375 Vgl. Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 44; Hailbronner, Handkommentar, Art KRn. 77. 376 Vgl. Müller-Graff, in: Hummer, Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 272; Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 44. 372 373
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
renzierung nur vorläufig ist. Alle Mitgliedstaaten müssen ihren Verpflichtungen innerhalb der vom Rat gesetzten Frist nachkommen. Art. 34 11 UA. 2 S. 1 EUV beinhaltet lediglich eine Vorverlagerung des Inkrafttretens für einen Teil der Mitgliedstaaten. Insofern besteht daneben sowohl Raum als auch Bedarf für verstärkte Zusammenarbeit. Dafür spricht auch der Wortlaut des Art. 40 V EUV 377 , welcher das Schengen-Protokoll ausdrücklich unberührt läßt, aber keine Regelung für andere Formen von Flexibilität trifft. Somit können im Rahmen verstärkter Zusammenarbeit auch Übereinkommen nach Art. 34 11 lit. d) EUV beschlossen werden. Die Geltung der Differenzierung des Art. 3411 UA. 2 S. 1 EUV für diese Übereinkommen ist durch keine Regelung ausgeschlossen. Somit kann der Fall eintreten, daß etwa vom Rat in verstärkter Zusammenarbeit ein für 10 Mitgliedstaaten geltendes Übereinkommen beschlossen wird, das, sobald es von fünf dieser Mitgliedstaaten angenommen wurde, für diese in Kraft tritt. Im übrigen können die Mitgliedstaaten in den Übereinkommen abweichende Regelungen treffen. Das jeweilige Verfahren richtet sich ebenfalls nach Art. 34 EUV. Der Rat kann also einstimmig, d. h. unter Einbeziehung aller beteiligten Mitgliedstaaten 378 gemeinsame Standpunkte, Rahmenbeschlüsse, sonstige Beschlüsse nach lit. b) und Übereinkommen erlassen. Die zur Durchführung der sonstigen Beschlüsse und Übereinkommen erforderlichen Maßnahmen 379 werden mit qualifizierter, nach Art. 44 I S. 3 EUV zu berechnender Mehrheit unter Zustimmung von 2/3 der beteiligten Mitgliedstaaten angenommen. Das Initiativrecht für die Handlungen nach Art. 34 11 EUV liegt bei den Mitgliedstaaten und bei der Kommission, Art 34 11 S. 2 EUV. Anders als im EGV gibt es bei den Maßnahmen in der P1Z kein Initiativmonopol der Kommission. Die im EGV bestehende Bindung an das Gemeinschaftsinteresse ist in diesem Bereich deshalb nicht unbedingt gegeben. Hinsichtlich der Auswirkungen auf die Unionsrechtsordnung gilt im wesentlichen, was zur Problematik der Schaffung einer Teilrechtsordnung im EGVerörtert wurde. c) Vertrag von Nizza: GASP Durch den Vertrag von Nizza wird die verstärkte Zusammenarbeit auch in der GASP eingeführt. Auch hier gilt Art. 44 I EUV, wonach die einschlägigen institutionellen Bestimmungen des EUV und des EGV Anwendung finden. Des weiteren bestimmt Art. 27 all EUV-Nizza die Geltung der Art. 11 bis 27 und 27 b bis 28 EUV, soweit nicht in Art. 27 c, Art. 43 bis 45 EUVetwas anderes bestimmt ist. Grundsätzlich stehen in der GASP die in Art. 12 EUVaufgeführten Handlungsformen zur Verfügung. Die Grundlagen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheits-
378
Art. 43 1it. i) EUV-Nizza. Art. 44 I S. 4 EUV.
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Art. 3411 lit. c) bzw. UA. 2 S. 2 EUV.
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VIII. Die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit
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politik werden nach Art. 13 EUV-Nizza im Europäischen Rat durch die Staats- und Regierungschefs aller Mitgliedstaaten 380 in den Grundsätzen, allgemeinen Leitlinien und gemeinsamen Strategien einstimmig festgelegt. Die gemeinsamen Aktionen und Standpunkte nach Art. 14, 15 EUV dienen der Umsetzung und Durchführung dieser Vorgaben. 381 Nach Art. 27 a EUV-Nizza kann lediglich die Durchführung bzw. Umsetzung im Plenum angenommener Aktionen und Standpunkte in verstärkter Zusammenarbeit erfolgen. Weder die allgemeinen Grundsätze, Leitlinien und gemeinsamen Strategien nach Art. 13 EUV noch die Annahme von gemeinsamen Aktionen nach Art. 14 EUV bzw. gemeinsamen Standpunkten nach Art. 15 EUV stehen einem flexiblen Vorgehen offen. Für die Kooperation eines Teils der Mitgliedstaaten bleibt deshalb ein sehr geringer Spielraum, da in einer gemeinsamen Aktion nach Art. 14 I EUV bereits Ziel, Umfang, Mittel, nähere Bedingungen und gegebenenfalls der Zeitraum festgelegt werden. Auch ein gemeinsamer Standpunkt nach Art. 15 enthält ein konkretes Konzept. Verstärkte Zusammenarbeit, die lediglich deren Durchführung bzw. Umsetzung zum Gegenstand hat, muß sich innerhalb dieser Vorgaben bewegen. Die Beschlußfassung bei der Durchführung gemeinsamer Aktionen und Standpunkte erfolgt nach Art. 23 II EUV, abweichend vom Grundsatz der einstimmigen Beschlußfassung nach Art. 23 I EUV, mit qualifizierter Mehrheit. Diese erfordert gern. Art. 44 I S. 3 EUV i.Y.m. Art. 23 II UA. 3 i.Y.m. Art. 205 II EGV 71,26% der Stimmen 382 der beteiligten Mitgliedstaaten sowie die Zustimmung von 2/3 der beteiligten Mitgliedstaaten?83 Die kooperierenden Mitgliedstaaten sind gem. Art. 14 III EUVan den Beschluß zur Durchführung einer gemeinsamen Aktion völkerrechtlich gebunden. Bei der Umsetzung eines gemeinsamen Standpunktes in verstärkter Zusammenarbeit sind die beteiligten Mitgliedstaaten gem. Art. 15, S. 3 EUV dazu verpflichtet, daß ihre einzelstaatliche Politik mit den gemeinsamen Standpunkten in Einklang steht. Nicht beteiligte Mitgliedstaaten sind davon nicht betroffen, Art. 44 II S. 2 EUV-Nizza. Für die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit in der GASP regelt Art. 27 d EUV-Nizza, daß der Generalsekretär des Rates und Hohe Vertreter für die GASP dafür Sorge trägt, daß das Europäische Parlament und alle Mitglieder 380 Fraglich ist, ob dem Kommissionspräsidenten ein vollwertiges Stimmrecht zusteht, s. Calliess/Ruffert-Cremer, EUV IEGV, Art. 13 EUV Rn. I; gegen ein Stimmrecht Pechstein! Koenig, Europäische Union, Rn. 167 f. 381 Calliess I Ruffert-Cremer, EUV I EGV, Art. 13 EUV Rn. 2 f.; Pechstein! Koenig, Europäische Union, Rn. 264 ff. 382 Zum I. Januar 2005 wird Art. 205 11 EGV durch Art. 3 I 1it. a) i) Protokoll über die Erweiterung der Europäischen Union geändert. Ab diesem Zeitpunkt werden die Stimmen der Mitgliedstaaten im Rat anders gewogen, so daß für die Annahme eines Beschlusses mit qualifizierter Mehrheit 71,31 % der gewogenen Stimmen erforderlich sein werden. 383 Art. 44 I S. 3 i.Y.m. Art. 23 11 UA. 3 EUY.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
des Rates in vollem Umfang über die Durchführung jeder verstärkten Zusammenarbeit unterrichtet werden. Die Befugnisse des Vorsitzes und der Kommission werden dadurch nicht beeinträchtigt. d) Faktische Bindungswirkung der nicht beteiligten Mitgliedstaaten
Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt verstärkter Zusammenarbeit ist, daß die nicht beteiligten Mitgliedstaaten entgegen Art. 43 I lit. f) EUV 384 in gewisser Hinsicht doch durch den Erlaß von Rechtsakten in verstärkter Zusammenarbeit gebunden werden. Wie bereits kurz dargestellt wurde, ist in einem durch verstärkte Zusammenarbeit besetzten Bereich faktisch kaum eine andere gemeinsame Regelung denkbar. Die naheliegendere Lösung besteht in den meisten Fällen darin, daß sich die zunächst nicht beteiligten Mitgliedstaaten nach und nach anschließen. Das bedeutet für die nicht an der Gründung verstärkter Zusammenarbeit teilnehmenden Mitgliedstaaten, daß sie sich entweder an den von anderen Mitgliedstaaten erlassenen Rechtsakten beteiligen können oder aber ohne eine Regelung auskommen müssen. Insofern entsteht eine faktische Bindungswirkung an die in verstärkter Zusammenarbeit getroffenen Regelungen. Diese ist nur dadurch zu rechtfertigen, daß die Gründung verstärkter Zusammenarbeit durch die qualifizierte Mehrheit aller Mitgliedstaaten genehmigt wird. Der Gründungsbeschluß muß hinsichtlich des Gegenstands und der Zielsetzung der geplanten Regelungen bestimmt sein. Somit liegt eine von einer qualifizierten Mehrheit aller Mitgliedstaaten getragene Ermächtigung zum Erlaß dieser Rechtsakte und Beschlüsse vor. Zudem kann jeder Mitgliedstaat, um eine derartige Präklusion zu verhindern, ein Veto aus wichtigen Gründen der nationalen Politik einlegen. 385 Daß manche Mitgliedstaaten aufgrund einer Mehrheitsentscheidung übergangen werden, entspricht im Gemeinschaftsrecht der supranationalen Gestaltung des EGY. Im Unionsrecht handelt es sich dabei um ein Novum, welches jedoch als Zugeständnis an den Integrationsfortschritt hinzunehmen ist. e) Verstärkte Zusammenarbeit und acquis communautaire
Ein wesentlicher Punkt ist, daß - anders als der Schengen-Besitzstand 386 - das Sekundärrecht und die unionsrechtlichen Beschlüsse verstärkter Zusammenarbeit trotz der gemeinschaftsrechtlichen Natur nicht zu dem von allen BeitrittskandidaArt. 43 lit. h) EUV-Nizza. Da diese Möglichkeit durch den Vertrag von Nizza gestrichen wird, ist das Problem der faktischen Bindungswirkung nach der Regelung des Vertrags von Nizza als bedenklicher einzustufen. 386 Art. 8 Protokoll (Nr. 2) zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union. 384 385
VIII. Die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit
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ten zu übernehmenden acquis communautaire gehören. 387 Gerade die bevorstehende Erweiterung war einer der Hauptbeweggründe für verstärkte Zusammenarbeit. Der Beitritt würde jedoch erheblich erschwert, wenn die Beitrittskandidaten Rechtsakte und Beschlüsse übernehmen bzw. anwenden müßten, die nicht einmal von allen Mitgliedstaaten getragen werden. In Art. 44 I UA. 2 EUV-Nizza wird dies ausdrücklich klargestellt. 388 Bezüglich der Rechtsakte und Beschlüsse aus verstärkter Zusammenarbeit ist demgegenüber für jeden beitretenden Staat im Einzelfall zu bestimmen, an welcher bereits bestehenden verstärkten Zusammenarbeit er sich beteiligt. Erst wenn sich alle Mitgliedstaaten der verstärkten Zusammenarbeit angeschlossen haben, zählen die betreffenden Rechtsakte und Beschlüsse zum Besitzstand der Gemeinschaft bzw. Union. f) Verhältnis zu den Schengen-Protokollen Die Art. 11 EGV und 40 EUV berühren nach ihrem Absatz 5 die Bestimmungen des Protokolls zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union nicht. 389 Die Kooperation der am Schengener Übereinkommen beteiligten Mitgliedstaaten, die in den institutionellen und rechtlichen Rahmen der Union einbezogen werden soll, wird in Art. 1 des Protokolls auch als verstärkte Zusammenarbeit bezeichnet. Das Protokoll trifft aber eigene, auf die spezifische Situation zugeschnittene, Regelungen,390 etwa institutioneller Art über den Rat und die Tatigkeit des EuGH in Art. 2, die Beteiligung von Irland und dem Vereinigten Königreich in Art. 4 oder die Übernahme des Schengen-Besitzstandes durch neue Mitgliedstaaten in Art. 8. Wenn es jedoch um den Erlaß neuer Initiativen im Rahmen des Schengen-Besitzstandes oder um die Modifikation bestehender Vorschriften geht, finden nach Art. 5 I UA. 1 Schengen-Protokoll die einschlägigen Vertragsvorschriften, also auch die Bestimmungen über verstärkte Zusammenarbeit Anwendung. Die Ermächtigung durch den Rat kann jedoch nach Art. 5 I UA. 2 Schengen-Protokoll fingiert werden, was eine Erleichterung der Gründung verstärkter Zusammenarbeit bedeutet, insbesondere weil das Großbritannien und Irland im Rahmen des Art. 11 11 EGV bzw. des Art. 40 11 EUV zustehende Vetorecht391 dadurch ausgeschlossen wird. 387 Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 122; Ehlermann, EuR 1997, S. 385; Ca1liess/Ruffert-Blanke, EUV IEGV, Art. 2 EUV Rn. 16. 388 Der Fall des Schengen-Besitzstandes ist mit verstärkter Zusammenarbeit in diesem Punkt nicht vergleichbar, da es sich dort um ein opt-out einiger Mitgliedstaaten handelt: Für Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich gelten Sonderregelungen, der SchengenBesitzstand zählt jedoch zum Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht, Art 8 Schengen-Protokoll. 389 Art. 43 lit. i) EUV-Nizza. 390 Ausführlicher zur Schengener Kooperation Kapitel 4. 391 Das Vetorecht aus wichtigen Gründen der nationalen Politik wird durch den Vertrag von Nizza aufgehoben.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
3. Andere Durchführungsbestimmungen a) Obstruktionsverbot Art. 43 II S. 2 EUV 392 normiert, daß die an der verstärkten Zusammenarbeit nicht beteiligten Mitgliedstaaten der Durchführung nicht im Wege stehen dürfen. Diese Bestimmung ist eine spezielle Ausprägung 393 der Verpflichtung zur gegenseitigen Loyalität, wie sie in Art. 10 EGV normiert ist und korrespondiert mit Art. 43 I lit. f) EUV, wonach die Zuständigkeiten, Rechte, Pflichten und Interessen der nicht an der Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt werden. Die Einhaltung des Obstruktionsverbots ist nach Art. 46 lit. c) EUV vom EuGH überprüfbar, wobei anzunehmen ist, daß die Auslegung sich an der Interpretation des Art. 10 EGVorientiert. Manche Autoren gehen von einer extensiven Interpretation aus. 394 Ob daraus aber eine Verpflichtung abgeleitet werden kann, Wettbewerbsvorteile, die sich aus der Nichtbeteiligung an verstärkter Zusammenarbeit ergeben, nicht ungebührlich auszunutzen,395 scheint aufgrund der allgemeinen Formulierung äußerst zweifelhaft. b) Finanzierung verstärkter Zusammenarbeit Hinsichtlich der Finanzierung verstärkter Zusammenarbeit ist gern. Art. 44 II EUV 396 zwischen Verwaltungskosten und operativen Kosten zu unterscheiden. Die Kosten für die Verwaltung der Organe, die aus der Inanspruchnahme der Organe für den Gründungsbeschluß und die Durchführungsbeschlüsse entstehen, werden nach Art. 44 II EUV von der Union getragen. Sie sind nach Art. 268 EGV bzw. Art. 41 III EUV in den Haushalt der Gemeinschaft einzustellen. Die operativen Kosten der Durchführung verstärkter Zusammenarbeit übernehmen gern. Art. 44 II EUV die Mitgliedstaaten. Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht sind die operativen Kosten engerer Zusammenarbeit auf der Grundlage des EGV als Ausgaben der Gemeinschaft im Sinne von Art. 268 I EGV in den Haushalt einzustellen und diese Kosten mit Hilfe gesonderter Bestimmungen von den beteiligten Mitgliedstaaten zurückzufordern. 397 Dagegen ist jedoch einzuwenden, daß Art. 44 II EUVeine speziellere Regelung trifft, die gern. Art. 11 IV EGV 398 den Bestimmungen des EGV vorgeht. 392 Art. 44 11 S. 3 EUV-Nizza. Geändert wird durch den Vertrag von Nizza nur die Steilung, nicht aber Wortlaut oder Bedeutung des Obstruktionsverbots. 393 Ehlennann, EuR 1997, S. 373, und Kortenberg, CMLR 1998, S. 847, sprechen von einer Erstreckung der Prinzipien des Art. 10 EGV auf den Rahmen des EUV. 394 Shaw, EU 1998, S. 71. 395 Gaja. CMLR 1998, S. 868. 396 Art. 44 a EUV-Nizza. 397 Halje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 44 EUV Rn. 6. 398 Art. 11 III EGV-Nizza.
VIII. Die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit
133
Die beteiligten Mitgliedstaaten finanzieren die verstärkte Zusammenarbeit im EGY wie in der P1Z selbst, die Kosten werden in der Regel nicht in den gemeinsamen Haushalt eingestellt. In der dritten Säule erfolgt die Verteilung der Kosten zu Lasten der beteiligten Mitgliedstaaten nach dem BSP-Schlüssel gern. Art. 41 III S. 2 EUy399.400 Gern. Art. 44 11 2. HS EUy 401 kann der Rat jedoch einstimmig unter Beteiligung aller Mitgliedstaaten 402 eine andere Regelung treffen, nach welcher die Ausgaben nach Art. 268 11 S. 2 EGY bzw. Art. 41 III EUY in den Haushaltsplan der Gemeinschaft aufgenommen werden. Der Regelfall der Kostentragung durch die beteiligten Mitgliedstaaten ist nachvollziehbar, da sie allein von den Ausgaben profitieren. Allerdings birgt diese Entscheidung auch gewisse Probleme. Zum einen ist eine gerechte Aufteilung der Kosten bei verschiedenen Beitrittszeitpunkten wohl kaum möglich. Zum anderen sind Fälle denkbar, in denen in verstärkter Zusammenarbeit eine teure Einrichtung geschaffen wird, die in der Folgezeit von sich später anschließenden Mitgliedstaaten unter relativ geringem Kostenaufwand genutzt wird. 403
c) Regelmäßige Information des Parlaments
Nach Art. 45 EUy404 ist das Parlament von Rat und Kommission regelmäßig über die Entwicklung der verstärkten Zusammenarbeit zu unterrichten. Dieses Informationsrecht ist ein schmaler Ausgleich für die eingeschränkten Beteiligungsmöglichkeiten des Parlaments bei der Gründung verstärkter Zusammenarbeit. 405
d) Durch den Vertrag von Nizza bedingte Änderungen
Das Obstruktions verbot wird durch den Vertrag von Nizza inhaltlich nicht geändert. Es ist in Art. 44 11 S. 3 EUY-Nizza geregelt. Die Finanzierung ist in Art. 44 a EUY-Nizza normiert, welcher nur geringfügig geändert wird. So wird klargestellt, daß ein Beschluß, wonach die Kostentragung nicht durch die beteiligten Mitgliedstaaten erfolgt, von sämtlichen Ratsmitgliedem 399 Das gleiche gilt mit Inkrafttreten des Vertrags von Nizza für die zweite Säule nach Art. 28 III UA. 2 EUV. 400 Calliess I Ruffert-Rujfert, EUV IEGV, Art. 44 a EUV. 401 Art. 44 a, 2. HS EUV-Nizza. 402 Durch Art. 44 a EUV-Nizza wird dies klargestellt. 403 V gl. zum sog. jree-riding Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 16. 404 Dieses allgemeine Informationsrecht des EP wird durch den Vertrag von Nizza gestrichen. Dafür wurden dem EP konkret weitergehende Rechte eingeräumt. Dazu im folgenden Punkt. 405 s. auch Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 45 EUV.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
einstimmig gefaßt wird. Des weiteren muß vor einem derartigen Beschluß das Europäische Parlament angehört werden. Art. 45 EUV über die regelmäßige Unterrichtung des Europäischen Parlaments wird gestrichen. Informations- und Mitbestimmungsrechte des Europäischen Parlaments ergeben sich aus verschiedenen Bestimmungen. Art. 27 d EUV-Nizza sieht für die GASP vor, daß u. a. das Parlament vom Generalsekretär des Rates und Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in vollem Umfang über die Durchführung jeder verstärkten Zusammenarbeit unterrichtet wird. Ferner steht ihm in Art. 44 a EUV-Nizza ein Anhörungsrecht zu. Abgesehen von diesen bei den Fällen ist die Beteiligung des Parlaments durch die allgemeinen Verfahrensvorschriften in der ersten und in der dritten Säule sichergestellt. 406 Nach Art. 45 EUV-Nizza gewährleisten der Rat und die Kommission, daß die in verstärkter Zusammenarbeit durchgeführten Maßnahmen untereinander und mit den Politiken von Union und Gemeinschaft im Einklang stehen und arbeiten zu diesem Zweck zusammen.
4. Mehrfache verstärkte Zusammenarbeit Es ist denkbar, daß auf einem Gebiet eine engere Kooperation unter Beteiligung einer großen Anzahl von Mitgliedstaaten stattfindet, und ein Teil dieser Mitgliedstaaten weitere Maßnahmen treffen will, die vom Grundsatzbeschluß nicht umfaßt sind und für die kein neuer Beschluß unter Beteiligung aller ursprünglichen Mitglieder zustande kommt. 407 Die Gründung einer weiteren verstärkten Zusammenarbeit durch einen neuen Ermächtigungsbeschluß, der z. B. neun der ursprünglich zwölf beteiligten Mitgliedstaaten umfaßt, kann dazu führen, daß für drei Mitgliedstaaten in Bezug auf einen bestimmten Gegenstand keine Regelung existiert, für weitere drei Mitgliedstaaten die Regelungen der ursprünglichen verstärkten Zusammenarbeit bindend sind, und für neun Mitgliedstaaten zusätzlich zu diesen Regelungen Maßnahmen getroffen werden, die über diese hinaus gehen. Derartige Konstellationen sind zwar mit Blick auf die Transparenz des Gemeinschaftsrechts weniger wünschenswert. Es gibt jedoch aus den Bestimmungen über verstärkte Zusammenarbeit keine Einwände, so lange - neben der Beachtung aller übrigen Voraussetzungen - die zweite Zusammenarbeit die auf der Grundlage der ersten erlassenen Maßnahmen und Beschlüsse nicht beeinträchtigt. 408 Dieses Erfordernis ergibt sich aus Art. 43 I lit. e) EUV409 , wonach verstärkte Zusammens. etwa Art. 39 EUV, 251 f. EGY. Eine solche Konstellation wird nach einer Erweiterung durch die Herabsetzung des Mindestquorums wahrscheinlicher. 408 Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam, S. 127. 409 Art. 43 lit. c) EUV-Nizza 406 407
VIII. Die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit
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arbeit die nach den sonstigen Bestimmungen des EGV und des EUV getroffenen Maßnahmen, also auch die nach Art. II EGV bzw. 40 EUV41O , nicht beeinträchtigen darf. 411
s. Auswirkungen auf die Kompetenzverteilung im EGV Im EGV findet Rechtsetzung in verstärkter Zusammenarbeit nur in Bereichen nicht-ausschließlicher, also konkurrierender Kompetenzen statt. Die Rechtsetzung in diesem Bereich führt zu einer Sperrwirkung gegenüber den beteiligten Mitgliedstaaten. Diese dürfen keine nationalen Regelungen erlassen, welche die Wirkungsweise der gemeinschaftlichen Regelungen beeinträchtigen könnten. Es findet also ein Kompetenzzuwachs zugunsten der Gemeinschaft statt. 412 Dieser betrifft jedoch nicht die an verstärkter Zusammenarbeit nicht beteiligten Mitgliedstaaten. 413 Diese behalten weiterhin ihre Rechtsetzungskompetenz in diesem Bereich, so daß die Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten zukünftig nicht mehr einheitlich bestimmt werden kann, sondern von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat variiert. 414
6. Verstärkte Zusammenarbeit und Subsidiaritätsprinzip
Das Subsidiaritätsprinzip nach Art. 5 11 EGV ist als Kompetenzausübungsregel auf die verstärkte Zusammenarbeit im EGVanwendbar. Dies wird teilweise nicht als selbstverständlich angesehen. 415 Bei Maßnahmen verstärkter Zusammenarbeit handelt es sich jedoch um gemeinschaftsrechtliche Maßnahmen, auf welche die Vertragsvorschriften, also u. a. Subsidiaritätsprinzip, grundsätzlich Anwendung finden. 416 Auch im Bereich verstärkter Zusammenarbeit stellt sich das Problem der Kompetenzverteilung und -ausübung. Ferner sieht der Vertragstext keinen Vorbehalt vor, sondern unterwirft die Rechtsakte und Beschlüsse zur Durchführung verstärkter Zusammenarbeit im EGV den einschlägigen Bestimmungen des EGV, Art 11 IV EGV417 . Bzw. Art. 27 a EUV-Nizza. Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam, S. 127. 412 Becker; Europarecht 1998 - Beiheft I, S. 53; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 27. 413 Abgesehen von allgemeinen Erwägungen sind die Kompetenzen der nicht beteiligten Mitgliedstaaten durch Art. 43 I lit. f) EUV geschützt. 414 Becker; Europarecht 1998 - Beiheft I, S. 53. 415 Constantinesco, RTDE 1997, S. 755 Anm. 13; Gaja, CMLR 1998, S. 863. 416 Editorial Comments, CMLR 1997, S. 769; im Ergebnis ebenso: Gaja, CMLR 1998, S.863. 417 Art. 11 III EGV-Nizza. 410 411
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Die Anwendung des Art. 5 II EGV ist jedoch nicht unproblematisch. Verstärkte Zusammenarbeit ist Handeln auf Gemeinschaftsebene und findet wegen Art. 11 I lit. a) EGV418 nur in Bereichen nicht ausschließlicher Gemeinschaftskompetenz statt. Maßnahmen sind also nach dem Subsidiaritätsprinzip nur dann zulässig, wenn die angestrebten Ziele auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend bzw. auf Gemeinschaftsebene besser erreicht werden können. Hier stellt sich bei Maßnahmen in verstärkter Zusammenarbeit das Problem des Vergleichsgegenstandes. Auf der einen Seite steht die Wirkung von Maßnahmen auf der Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten, auf der anderen Seite gibt es zwei Vergleichsmaßstäbe. In Betracht kommt die Wirkung, die eine Maßnahme verstärkter Zusammenarbeit im Idealfall der Beteiligung (fast) aller Mitgliedstaaten entfaltet, oder die Wirkung einer Maßnahme bei Gründung der Kooperation, wenn sie z. B. nur acht Mitgliedstaaten betrifft. In den meisten Fällen dürften diese bei den Punkte zum gleichen Ergebnis führen. Es ist aber durchaus denkbar, daß die volle Wirkung einer Maßnahme erst dann eintritt, wenn sie für alle Mitgliedstaaten gültig ist. Für solche Fälle ist eine Klärung erforderlich, welche Situation als Vergleichsgegenstand relevant ist. Nachdem nicht gesichert ist, daß sich alle Mitgliedstaaten an verstärkter Zusammenarbeit beteiligen, ist eine Umsetzung der Rechtsakte durch alle Mitgliedstaaten ein hypothetischer Fall, der als Vergleichsmaßstab im Rahmen des Art. 5 II EGV nicht geeignet ist. 7. Auswirkungen auf die internationale Handlungsfähigkeit a)EGV
Schon im Vorfeld der Regierungskonferenz und in den Reaktionen der Literatur auf die Vorschriften der verstärkten Zusammenarbeit wurden Überlegungen angestellt, ob die AETR-Doktrin419 im Rahmen verstärkter Zusammenarbeit Anwendung finden könne. 42o Zweifel könnten mit Blick auf die internationale Glaubwürdigkeit der Europäischen Gemeinschaft angebracht sein. 421 In diesem Zusammenhang sind zwei Aspekte relevant. Zunächst stellt sich die Frage, ob sich interne Rechtsetzung in verstärkter Zusammenarbeit auf die Verteilung der Außenkompetenzen zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten auswirkt. Daran schließt sich die Frage an, ob bestehende Außenkompetenzen von der Gemeinschaft für eine Mehrheit der Mitgliedstaaten in verstärkter Zusammenarbeit in Anspruch genommen werden können. Art. 43 lit. d) EUV-Nizza. EuGH Rs. 22170 (AETR), Slg. 1971, S. 263 Rn. 81/90. 420 Vgl. Dashwood, Reviewing Maastricht, S. 163 f.; Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 16; Ehlermann, EuR 1997, S. 379 f.; Gaja, CMLR 1998, S. 868; Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 121. 421 So Dashwood, Reviewing Maastricht, S. 163 f.; Becker, EuR 1998 - Beiheft 1, S. 54. 418 419
VIII. Die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit
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aa) Begründung von Außenkompetenzen durch verstärkte Zusammenarbeit In den letzten Jahren hat der Gerichtshof seine im AETR-Fa1l422 entwickelte Rechtsprechung zu den impliziten Außenkompetenzen konkretisiert und klargestellt, daß für die Begründung von Außenkompetenzen ausschlaggebend ist, ob diese zur Verwirklichung der im EGV genannten Ziele erforderlich sind. 423 Interne Rechtsetzung der Gemeinschaft führt nicht zur Begründung, sondern zur Ausschließlichkeit bereits bestehender Außenkompetenzen der Gemeinschaft, wenn Abkommen einzelner Mitgliedstaaten die gemeinschaftliche Rechtsetzung in ihrer Wirkungsweise beeinträchtigen könnten. 424 Deshalb stellt sich beim Erlaß von Verordnungen oder Richtlinien in verstärkter Zusammenarbeit nicht die Frage der Begründung von Außenkompetenzen der Gemeinschaft, sondern deren Ausschließlichkeit. 425 Grundsätzlich sind die Auswirkungen auf die Kompetenzverteilung durch Rechtsetzung in verstärkter Zusammenarbeit genauso zu behandeln wie bei Rechtsetzung durch die gesamte Gemeinschaft. Auf die Ebene der Außenkompetenzen übertragen folgt daraus, daß die beteiligten Mitgliedstaaten mit der Verabschiedung internen Sekundärrechts in verstärkter Zusammenarbeit die Kompetenz verlieren, in diesem Bereich Abkommen mit Drittstaaten zu schließen oder anderweitig auf internationaler Ebene tätig zu werden, sofern dies die Wirksamkeit des bestehenden Sekundärrechts beeinträchtigen würde. 426 Die Befugnis, nach außen tätig zu werden, liegt im Verhältnis zu den beteiligten Mitgliedstaaten bei der Gemeinschaft. 427 Für die nicht beteiligten Mitgliedstaaten bleibt es bei der vorher bestehenden Kompetenzverteilung. 428 Sie sind also befugt, einzeln mit Drittstaaten Abkommen zu schließen, sofern sie die durch Art. 10 EGV und 43 11 S. 2 EUV429 aufgestellten Pflichten einhalten. Dabei ist zu beachten, daß der Abschluß von separaten Abkommen den späteren Beitritt dieser Mitgliedstaaten möglicherweise aufgrund der eingegangenen Verpflichtungen erschwert. 43o EuGH Rs. 22170 (AETR), Sig. 1971, S. 263 Rn. 81 /90. EuGH Gutachten 2/91 (ILO), Sig. 1993,1-1061, Rn. 7; Gutachten 1/94 (WTO), Sig. 1994,1-5267, Rn. 72 u. a. 424 EuGH Gutachten 2/91 (lLO), Sig. 1993,1-1061, Rn. 9; Gutachten 1/94 (WTO), Sig. 1994,1-5267, Rn. 77; Emiliou, ELR 1996, S. 307 f. 425 A.A. Becker; EuR 1998 - Beiheft I, S. 54; Hofmann, EuR 1999, S. 725; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art 11 EGV Rn. 28. 426 Ehlermann, EuR 1997, S. 380; Gaja, CMLR 1998, S. 868. 427 A.A. Grabitz / Hilf-Blanke, Recht der EU, vor Art. 43 - 45 EUV Rn. 20. 428 s. Art. 43 1 lit. f) EUV; Art. 43 lit. h) EUV-Nizza. 429 Art. 44 11 S. 2 EUV-Nizza. 430 Gaja, CMLR 1998, S. 868. 422 423
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
bb) Zulässigkeit der Ausübung von Außenkompetenzen in verstärkter Zusammenarbeit Wenn die Außenkompetenz in bezug auf eine bestimmte Materie im Verhältnis zu den beteiligten Mitgliedstaaten an die Gemeinschaft übergegangen ist, bleibt die Überlegung, ob diese von der Gemeinschaft im Rahmen verstärkter Zusammenarbeit wahrgenommen werden kann. Die gleiche Frage stellt sich generell bei der Ausübung von Außenkompetenzen der Gemeinschaft431 in verstärkter Zusammenarbeit. Die Vorschriften über verstärkte Zusammenarbeit sprechen grundsätzlich nicht gegen die Ausübung von Außenkompetenzen in verstärkter Zusammenarbeit. Dennoch wird die Möglichkeit der Gemeinschaft, Abkommen zu schließen, die lediglich einen Teil der Mitgliedstaaten betreffen, unter Verweis auf die internationale Glaubwürdigkeit der EG und die Schwierigkeiten eines nicht einheitlichen Auftretens der Gemeinschaft nach außen hin häufig verneint. 432 Ein Indiz für diese Ansicht war die Tatsache, daß sich die Vertreter der Mitgliedstaaten auf der Regierungskonferenz zum Vertrag von Amsterdam gegen die Einführung verstärkter Zusammenarbeit im Bereich der GASP entschieden haben. 433 Ein Vergleich mit Art. 111 EGV, der Abkommen der EG mit Drittstaaten vorsieht, obwohl diese nicht für alle Mitgliedstaaten gelten,434 zeigt jedoch, daß die einheitliche Geltung von Abkommen der Gemeinschaft für sämtliche Mitgliedstaaten nicht zwingend ist. Ähnlich verhält es sich mit dem Auftreten der Union nach außen. Zwar ist im Amsterdamer Vertrag in der GASP keine verstärkte Zusammenarbeit vorgesehen, Art. 23 EUV ermöglicht jedoch Differenzierungen durch konstruktive Enthaltung einzelner Mitgliedstaaten. Art. 23 EUV sowie Art. 24 S. 3,435 38 EUV und Art. 6 Protokoll (Nr. 5) über die Position Dänemarks, welcher Dänemark von den Beschlüssen, welche die Beziehungen zur WEU betreffen, ausnimmt, zeigen, daß Handlungen der Union auf der internationalen Ebene nicht zwangsläufig die Gesamtheit der Mitgliedstaaten binden. Grundsätzlich sprechen also gemeinschaftsrechtliche Erwägungen nicht gegen den Abschluß von Abkommen, die lediglich einen Teil der Mitgliedstaaten betreffen. 436 431 Hier geht es um Außenkompetenzen, die im Verhältnis zu allen Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft übergegangen sind. 432 Becker; EuR 1998 - Beiheft I, S. 5454; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art 11 EGV Rn. 28; Grabitz/Hilf-Blanke, Recht der EU, vor Art. 43-45 EUV Rn. 20; Dashwood, Reviewing Maastricht, S. 163, der statt dessen ein Ausweichen auf die Art. 13 und 14 EUV empfiehlt. 433 Neben den im folgenden genannten Argumenten spricht nunmehr auch die Einführung der verstärkten Zusammenarbeit in der GASP durch den Vertrag von Nizza für die Möglichkeit der Ausübung von Außenkompetenzen in verstärkter Zusammenarbeit. 434 Art. 111 EGV gilt nach Art. 122 III EGV nicht für Mitgliedstaaten mit einer Ausnahmeregelung und nach Ziffer 5 Protokoll (Nr. 25) über einige Bestimmungen betreffend das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland nicht für dieses. 435 Art. 24 V EUV-Nizza.
VIII. Die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit
139
Ausschließliche Außenkompetenzen der Gemeinschaft sind nach Art. 11 I lit. a) EGY von verstärkter Zusammenarbeit ausgenommen. Dies gilt nicht für die sogenannten nachträglichen ausschließlichen Kompetenzen, d. h. nicht für ausgeübte konkurrierende Kompetenzen. Allerdings greift Art. 11 I lit. b) EGY im Falle der Ausübung der internen Rechtsetzung durch die gesamte Gemeinschaft ein. Wenn die Kompetenz intern jedoch lediglich für die an verstärkter Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten ausgeübt wurde, stellt sich dieses Problem nicht. In diesen Fällen stehen weder lit. a) noch lit. b) dem Abschluß von Abkommen in verstärkter Zusammenarbeit entgegen. Die Gemeinschaft ist somit zum Abschluß von Abkommen mit Drittstaaten mit Wirkung für einen Teil der Mitgliedstaaten befugt, wenn eine Außenkompetenz besteht, diese nicht exklusiv ist (Art. 11 I lit. a) EGy437 ), die Ausübung der Außenkompetenz mit Wirkung für einen Teil der Mitgliedstaaten keine allgemeinen internen Gemeinschaftsrechtsakte oder gemeinschaftliche Rechtsetzungsvorhaben beeinträchtigt (Art. 11 I lit. b) EGy438 ), und das Subsidiaritätsprinzip beachtet wurde. Falls die Kompetenz zum Abschluß eines Abkommens zum Teil bei den Mitgliedstaaten liegt, oder nach Art. 5 I EGY von diesen ausgeübt werden sollte, sind gemischte Abkommen unter Einbeziehung der Gemeinschaft und der beteiligten Mitgliedstaaten zu schließen. cc) Konsequenzen für den Abschluß von Abkommen in verstärkter Zusammenarbeit An den Abschluß von Abkommen der Gemeinschaft mit Drittstaaten, die nur für einen Teil der Mitgliedstaaten verbindlich sind, sind einige Anforderungen zu stellen. Der Geltungsbereich eines Vertrags gehört zu den essentiellen Yertragsbestandteilen, er richtet sich in der Regel nach dem Willen der Yertragsparteien. 439 Wenn dieser nicht erkenntlich ist, wird bei Staaten vermutet, daß der Vertrag sich auf das gesamte Hoheitsgebiet der Yertragsparteien bezieht,440 eine vergleichbare Regelung für internationale Organisationen gibt es nicht. 44l Der Gedanke des Art. 29 WYK kann jedoch auf die Gemeinschaft übertragen werden, so daß grundsätzlich von der Geltung eines Vertrags für das Gebiet sämtlicher Mitgliedstaaten auszugehen ist. Im Rahmen der Yertragsfreiheit kann dieser Geltungsbereich ver436 Ehlermann, EuR 1997, S. 379 f.; Manenczuk, ZEuS 1998, S. 468; Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 121; Konenberg, CMLR 1998, S. 853. 437 Art. 43 1it. d) EUV-Nizza. 438 Durch den Vertrag von Nizza gestrichen. 439 Heintschel v. Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 12 Rn. 1. 440 Art. 29 WVK. 441 Art. 29 WVKIO (BGBI. 199011, S. 1414, noch nicht in Kraft getreten) gilt seinem Wortlaut nach lediglich für Staaten, vgl. Klein/ Pechstein, Vertragsrecht internationaler Organisationen, S. 18 f.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
traglich eingeschränkt werden. 442 Eine Einschränkung des territorialen Geltungsbereichs ist durch eine explizite Vertragsregelung oder durch einen Vorbehalt443 denkbar. Ohne ausdrückliche Vereinbarung oder Vorbehalt sind spätere Einwände der Gemeinschaft mit Verweis auf eine gemeinschaftsrechtliche Einschränkung des territorialen Geltungsbereichs des Vertrags für die Vertragspartner als res inter alias acta unerheblich. 444 Selbst wenn man den Art. 46 WVKIO zugrunde liegenden Gedanken der Offenkundigkeit auf diesen Sachverhalt anwendet,445 führt dies zu keinem anderen Ergebnis, denn von den Vertragspartnern kann die Kenntnis der Vorschriften verstärkter Zusammenarbeit nicht erwartet werden. In diesem Fall ist die Gemeinschaft nach außen völkerrechtlich als Ganze verpflichtet. Die Annahme einer räumlichen Beschränkung der Völkerrechtsfähigkeit der Gemeinschaft für diese konkreten Fälle ist nicht nur zu kompliziert,446 sondern im internationalen Verkehr im Interesse der Drittstaaten nicht möglich. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß völkerrechtlich durch Verträge, die von der Gemeinschaft abgeschlossen werden, nur Verpflichtungen der Gemeinschaft aber keine Pflichten der einzelnen Mitgliedstaaten gegenüber den Vertragspartnern entstehen. 44? Dazu wäre nach Art. 34, 35 WVKIO die Zustimmung der Mitgliedstaaten 448 erforderlich. Die innergemeinschaftliche Wirkung der Abkommen richtet sich nach dem EGY. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags 449 wird dieser nach Art. 300 VII EGV Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung. Die an verstärkter Zusammenarbeit nicht beteiligten Mitgliedstaaten dürfen jedoch durch das Abkommen weder direkt noch indirekt gebunden werden, vgl. Art. 43 I lit. f) EUV45o . In Fällen, in denen eine Vertragsbestimmung fehlt, welche die nicht beteiligten Mitgliedstaaten von Doehring, Völkerrecht, Rn. 335; Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 121. Art. 20 f. WVKlO. 444 Vgl. Art. 27 WVKlO. Die WVKlO ist noch nicht in Kraft getreten, sie wurde bislang von 25 Staaten ratifiziert, tritt jedoch gemäß Art. 85 WVKlO erst nach der Ratifikation durch 35 Staaten in Kraft. Die den Artikeln der Konvention zugrundeliegenden Gedanken entsprechen im wesentlichen der WVK und sind Ausdruck gewohnheitsrechtlicher Grundsätze. s. Heintschel v. Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, Vor § 9 Rn. 5. 445 So wohl Martenczuk, ZEuS 1998, S. 468. 446 So Martenczuk, ZEuS 1998, S. 468. 447 GTE-Tomuschat, EUV IEGV, Art. 228 Rn. 56. 448 Mitgliedstaaten sind Drittstaaten i. S. d. Art. 34 ff. WVKlO, Pernice, ZaöRV 1988, S. 237 f. Art. 36 des Entwurf ILC, der die Stellung der Mitgliedstaaten internationaler Organisationen regelte, wurde in die endgültige Fassung der WVKlO nicht aufgenommen, vgl. Schräder; AVR 1985, S. 403, und Klein/Pechstein, Vertragsrecht internationaler Organisationen, S. 34 ff. 449 GTE-Tomuschat, EUV IEGV, Art. 210 Rn. 48. 450 Art. 43 lit. h) EUV-Nizza. 442
443
VIII. Die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit
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der Anwendung des Abkommens auf ihr Staatsgebiet befreit, fallen die völkerrechtliche Verpflichtung der Gemeinschaft gegenüber den Drittstaaten oder -organisationen und die interne Befugnis der Gemeinschaft auseinander. dd) Fazit Gegen den Abschluß völkerrechtlicher Verträge durch die Gemeinschaft für einen Teil der Mitgliedstaaten bestehen somit zwar keine grundsätzlichen Einwände. Es sind jedoch einige Vorkehrungen zu treffen, um die angesprochenen Probleme zu vermeiden. Insofern wäre eine ausdrückliche Regelung in diesem Bereich wünschenswert.451 ee) Haftung Vertragsstaaten haben keine Ansprüche gegen die Mitgliedstaaten, sofern es sich nicht um gemischte Abkommen handelt. Nur die Gemeinschaft haftet. 452 Die Offenlegung der räumlichen Beschränkung hat keinen Einfluß auf die Haftung. Diese Einschränkung betrifft lediglich den Vertragsinhalt bzw. den räumlichen Anwendungsbereich des Vertrags. Die Gemeinschaft haftet nach außen für die eingegangenen Verbindlichkeiten. Die interne Beschränkung der Verpflichtungen auf die beteiligten Mitgliedstaaten ist allein Sache der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten. Im Innenverhältnis ist der der Gemeinschaft entstandene Schaden von den beteiligten Mitgliedstaaten auszugleichen, die nicht beteiligten Mitgliedstaaten sind von den Kosten freizustellen. 453 Auch solche Kosten fallen unter "Ausgaben" im Sinne des Art. 44 II EUV454 , da lediglich die Verwaltungskosten der Organe von allen Mitgliedstaaten getragen werden. Des weiteren bestimmt Art. 43 I lit. f) EUV, daß u. a. die Rechte und Interessen der nicht beteiligten Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt werden dürfen. Eine finanzielle Beteiligung an der Haftung der Gemeinschaft für in verstärkter Zusammenarbeit eingegangene Vertragsverpflichtungen wäre in den meisten Fällen eine erhebliche Beeinträchtigung der Interessen der nicht beteiligten Mitgliedstaaten. b) PiZ
In der PIZ treten die Fragen der Begründung und Ausübung von Außen kom petenzen im Rahmen verstärkter Zusammenarbeit nicht auf, denn die Union besitzt 451 Leider wird dieses Defizit auch durch den Vertrag von Nizza nicht behoben. s. auch Epiney/Abt/Mosters, DVBl. 2001, S. 948. 452 GTE-Tomuschat, EUV /EGV, Art. 210 Rn. 29; Grabitz/Hilf-Simma/Vedder, Recht der EU, Art. 281 EGV Rn. 28; Conze, Haftung der Europäischen Gemeinschaft, S. 71, 73. 453 Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 121. 454 Art. 44 a EUV-Nizza.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
keine Kompetenz zum Abschluß völkerrechtlicher Verträge oder zur Vertretung auf internationaler Ebene. Art. 37 EUV sieht vor, daß die Mitgliedstaaten in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen die nach Art. 34 EUVangenommenen gemeinsamen Standpunkte vertreten. Wenn ein gemeinsamer Standpunkt einer Mehrheit von Mitgliedstaaten in verstärkter Zusammenarbeit beschlossen wurde, kann Art. 37 EUV jedoch lediglich die daran beteiligten Mitgliedstaaten verpflichten, diesen Standpunkt nach außen zu vertreten. Das kann dazu führen, daß auf einer internationalen Konferenz von Mitgliedstaaten der Union bis zu acht verschiedene Standpunkte vertreten werden. Fraglich ist, ob die aus dem Obstruktionsverbot des Art. 43 II S. 2 EUV455 resultierenden Pflichten der nicht beteiligten Mitgliedstaaten so weit gehen, daß sie auf internationaler Ebene keine Standpunkte vertreten dürfen, welche ein Ergebnis fördern, das dem in verstärkter Zusammenarbeit beschlossenen gemeinsamen Standpunkt widerspricht. Jedenfalls dürfte es den nicht beteiligten Mitgliedstaaten nicht erlaubt sein, gemeinsam einen abweichenden Standpunkt vehement zu vertreten und auf ein abweichendes Ergebnis der Konferenz hinzuarbeiten. Nach Art. 38 EUV können zwar über Gegenstände der PJZ auch internationale Abkommen nach Art. 24 S. 3 EUV456 geschlossen werden. Dabei handelt es sich jedoch verfahrensrechtlich um GASP-Abkommen, auch wenn die Thematik nur die PJZ betrifft. 457 Dies ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 38 EUV, der "Übereinkünften nach Art. 24" einen weiteren materiellen Regelungsbereich, jedoch nicht dem Titel eine weitere formelle Handlungsmöglichkeit einräumt. Es gilt das GASP-Verfahren des Art. 24 EUV i.V.m. Art. 22 f. EUV. Demnach besteht beim Abschluß solcher Abkommen nicht die Möglichkeit zu verstärkter Zusammenarbeit nach Art. 40 EUV. Statt dessen besteht jedoch die Möglichkeit der konstruktiven Enthaltung nach Art. 23 I EUv. 458
c) Vertrag von Nizza: GASP
Verstärkte Zusammenarbeit in der GASP ist aufgrund ihrer Regelungsmaterie häufig mit Außenwirkung verbunden. Probleme, die durch ein differenziertes Auftreten nach außen auftreten könnten, sollen durch Art. 27 a EUV-Nizza, welcher die Wahrung der Kohärenz der Union in verschiedenen Aspekten vorsieht, verhindert werden. Der Abschluß internationaler Abkommen nach Art. 24 EUV in verstärkter Zusammenarbeit ist jedoch nicht möglich, da flexibles Vorgehen gern. Art. 44 II S. 3 EUV-Nizza. Art. 24 V EUV-Nizza. 457 Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 49; offen Böse in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 38 EUV Rn. 1; Calliess I Ruffert-Brechmann. EUV IEGV, Art. 38 EUY. 458 Auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Nizza, ist verstärkte Zusammenarbeit bei Abkommen nach Art. 24 V i.Y.m. 38 EUV-Nizza möglich, s. folgender Punkt. 455
456
IX. Anwendungsfe1der verstärkter Zusammenarbeit
143
Art. 27 b EUV-Nizza auf die Durchführung einer gemeinsamen Aktion und die Umsetzung eines gemeinsamen Standpunkts beschränkt ist.
IX. Anwendungsfelder verstärkter Zusammenarbeit Als Anwendungsfelder verstärkter Zusammenarbeit werden häufig nur Bereiche genannt, in denen eine Einstimmigkeitsentscheidung gefordert ist. 459 Sicherlich ist der Bedarf für flexible Regelungen dort höher als in Fällen, in denen ein Mehrheitsbeschluß ausreicht. Auch in Bereichen mit Mehrheitsentscheidung sind jedoch flexible Lösungen denkbar, wenn eine qualifizierte Mehrheit einer engeren Kooperation zustimmt, eine einheitliche Lösung jedoch ablehnt. Grundsätzlich kommen im EGV alle Politikfe1der in Betracht, die nicht in der ausschließlichen Kompetenz der Gemeinschaft liegen 460 und keine engen Berührungspunkte mit dem Handel zwischen den Mitgliedstaaten461 aufweisen. 462 In der Literatur werden die Handelspolitik nach Art. 133 EGV in bezug auf Belange des geistigen Eigentums und den Handel mit Dienstleistungen,463 die Koordination der Wirtschaftspolitik,464 indirekte Steuem,465 Erziehung und allgemeine und berufliche Bildung,466 Kultur,467 Forschung,468 Gesundheit,469 sozialpolitische Maßnahmen nach Art. 137 EGV470 und - mit Einschränkungen - die Umweltpolitik471 genannt.
Shaw, EU 1998, S. 74; Manenczuk, ZEuS 1998, S. 465 f. Art. 11 I lit. a) EGV, Art 43 lit. c) EUV-Nizza. 461 Art. 11 I Iit. e) EGV, Art. 43 lit. f) EUV-Nizza. Darüber hinaus darf nach Art. 43 Iit. e) EUV-Nizza der Binnenmarkt nicht beeinträchtigt werden. 462 Solange der Vertrag von Amsterdam gilt, ist auch die Unionsbürgerschaft verstärkter Zusammenarbeit verschlossen, Art. 11 I lit. c) EGY. 463 Shaw, EU 1998, S. 74 unter Bezugnahme auf ein nicht veröffentlichtes paper von Stubb, The Amsterdam Treaty and Flexible Integration: A Preliminary Assessment. 464 Manenczuk, ZEuS 1998, S. 465 f. 465 Shaw, EU 1998, S. 74 (unter Bezugnahme auf Stubb, vgl. vorhergehende Fußnote); Thun-Hohenstein, Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 135; Gieringl Janning, integration 2001, S. 149. 466 Kortenberg, CMLR 1998, S. 849; de La SerreI Wallace, Flexibility and Enhanced Cooperation, S. 27; Thun-Hohenstein, in: Hummer, Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 135. 467 Konenberg, CMLR 1998, S. 849; Thun-Hohenstein, in: Hummer, Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 135; de La SerrelWaliace, Flexibility and Enhanced Cooperation, S. 27. 468 de La SerrelWaliace, Flexibility and Enhanced Cooperation, S. 27. 469 Kortenberg, CMLR 1998, S. 849. 470 Shaw, EU 1998, S. 74; GieringlJanning, integration 2001, S. 149. 471 de La Serre IWaliace, Flexibility and Enhanced Cooperation, S. 27; Giering I Janning, integration 2001, S. 149; Müller-Brandeck-Bocquet, integration 1997, S. 302. 459
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Die gemeinsame Handelspolitik nach Art. 133 EGV steht verstärkter Zusammenarbeit jedoch nicht offen, denn weite Bereiche des Art. 133 EGV fallen in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft und sind deshalb nach Art. 11 I lit. a) EGV 472 ausgenommen. In Bereichen konkurrierender Kompetenz steht Art. 11 I lit. d) EGV 473 entgegen, denn es sind kaum handelspolitische Regelungen denkbar, die lediglich einen Teil der Mitgliedstaaten betreffen, aber keine Diskriminierung oder Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten beinhalten. Die Umweltpolitik stellt sicherlich ein Feld dar, in dem Flexibilität möglich und häufig auch sinnvoll wäre, um zu verhindern, daß die niedrigen Standards einzelner Mitgliedstaaten Maßstab für eine gemeinsame Umweltpolitik sind. Auch auf internationaler Ebene gibt es z. B. beim Klimaschutz flexible Mechanismen. 474 Störend ist dabei weniger, daß die Umweltstandards nicht für alle Mitgliedstaaten gelten und deshalb möglicherweise nicht den vollen umweltpolitischen Effekt erzielen können. 475 Vielmehr wird in den meisten Fällen ein so enger Bezug umweltpolitischer Regelungen zum Binnenmarkt gegeben sein, daß Beeinträchtigungen des innergemeinschaftlichen Handels oder des unverfälschten Wettbewerbs kaum auszuschließen sind. 476 In diesen Fällen kann eine gewisse Flexibilität weiterhin nur durch die Schaffung von Mindeststandards oder durch nationale Schutzklauseln erreicht werden. 477 Bereiche des Umweltschutzes, die nicht den Handel betreffen, sind aber ein geeigneter Anwendungsbereich für verstärkte Zusammenarbeit. Mit Inkrafttreten des Vertrags von Nizza stellt auch die Unionsbürgerschaft ein Anwendungsfeld für verstärkte Zusammenarbeit dar. 478 Durch die flexible Regelung unionsbürgerlicher Rechte dürfen Staatsangehörige nicht beteiligter Mitgliedstaaten aber nicht diskriminiert werden. 479 Der neue Titel IV des EGV, Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr48o ist aufgrund der stark divergierenden Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten481 und des Einstimmigkeitserfordernisses inArt. 43 lit. d) EUV-Nizza. Art. 43 lit. f) EUV-Nizza. 474 Vgl. dazu Missfeldt, RECIEL 1998, S. 128 ff. 475 So Thun-Hohenstein, in: Hummer, Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 133. 476 Müller-Brandeck-Bocquet, integration 1997, S. 302. 477 Zu Mindestregelungen und Schutzklauseln (Art. 95 IV, V, 176 EGV) siehe Kapitel 3. 478 Art. 11 I lit. c) EGV, der eine Bereichsausnahme für die Unionsbürgerschaft normiert, wird durch den Vertrag von Nizza gestrichen. 479 Art. 12 I EGV; so auch Grabitzl Hilf-Blanke, Recht der EU, Art. 43 EUV Rn. 2. 480 Art. 61 ff. EGV. 481 Die Schwierigkeit die verschiedenen nationalen Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten zu vereinbaren, zeigt sich am Beispiel der Schengener Übereinkommen, die zunächst nur von 5 Mitgliedstaaten vereinbart wurden. 472 473
IX. Anwendungsfelder verstärkter Zusammenarbeit
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nerhalb eines Übergangszeitraums von fünf Jahren 482 für verstärkte Zusammenarbeit prädestiniert. 483 Auch Art. II I Iit. a) EGV484 steht dem nicht im Wege, denn bei den durch Titel IV geschaffenen Gemeinschaftskompetenzen handelt es sich mangels einer Klausel, die auf die Ausschließlichkeit der Kompetenzen hindeutet, um konkurrierende Gemeinschaftskompetenz. 485 Fraglich ist allerdings, ob die diesem Titel zugrunde liegende Zielsetzung durch flexible Maßnahmen erreicht werden kann. Sicherlich wäre gerade in diesem Bereich einheitliches Vorgehen wünschenswert und sinnvol1. 486 Die Erfahrungen mit Schengen487 demonstrieren aber, daß flexible Regelungen auch hier selbst bei andauerndem opt-out einzelner Mitgliedstaaten praktikabel sein können. Andererseits zeigen die Schengener Übereinkommen, daß einige Mitgliedstaaten bereit sind, ihre nationalen Vorbehalte aufzugeben, um sich einer schon durch einige Mitgliedstaaten erprobten Regelung anzuschließen. Ein Punkt, der in diesem Zusammenhang Probleme aufwerfen könnte, ist die nach Art. 61 EGV für die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Realisierung des Binnenmarkts488 innerhalb 5 Jahren zu erfüllende Handlungsverpflichtung des Rats. Aufgrund dieser Handlungspflicht könnte man annehmen, daß verstärkte Zusammenarbeit nach Ablauf der Übergangsfrist des Art. 61 EGV nicht möglich ist, da der Rat verpflichtet ist, eine für alle Mitgliedstaaten - mit Ausnahme von Großbritannien, Irland und Dänemark489 - gültige Regelung zu treffen. Angesichts der Positionen einzelner Mitgliedstaaten ist jedoch trotz dieser Frist und trotz der Möglichkeit einer Untätigkeitsklage490 nicht einzuschätzen, ob die erforderlichen gemeinschaftsrechtlichen Maßnahmen erlassen werden. 491 Insofern ist verstärkte ZuArt. 67 EGY. Hailbronner, Immigration and Asylum Law, S. 59; Piepenschneider, Vertrag von Amsterdam, S. 11, 43; Kortenberg, CMLR 1998, S. 835, nennt die Ausweitung der Gemeinschaftskomptenzen sogar als einen Grund für die Aufnahme verstärkter Zusammenarbeit in den Vertrag von Amsterdam; Brok, in: Ehlermann, Der rechtliche Rahmen, S. 156, sieht dieses Kapitel sogar als einzigen möglichen Anwendungsbereich für Flexibilität im Gemeinschaftsrecht. 484 Art. 43 lit. d) EUV-Nizza. 485 Hailbronner/Thiery, EuR 1998, S. 586. 486 Hailbronner, Immigration and Asy1um Law, S. 59. 487 Dazu näher Kapitel 4. 488 Art. 14 EGY. 482
483
489 Protokoll (Nr. 4) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands und Protokoll (Nr. 5) über die Position Dänemarks. 490 Zur Statthaftigkeit einer Untätigkeitsklage gegen den Rat bei Vorliegen einer befristeten Handlungspflicht EuGH Rs. 13/83 (Parlament/Rat), Slg. 1986, S. 1513; zu deren Wirksamkeit EuGH Rs. 17 / 90 (Pinaud Wieger), Slg. 1991, 1-5253 - ein Grund für die Vorlagefrage des BVerwG war das fortbestehende Unterlassen des Rats, die Dienstleistungsfreiheit auf dem Gebiet des Verkehrs sicherzustellen. 491 Vgl. hierzu Hailbronner, in: Hummer, Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 182.
10 Grieser
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
sammenarbeit auch nach der Fünfjahresfrist zulässig, denn eine Regelung für einen Teil der Mitgliedstaaten entspricht den Erfordernissen des Art. 61 EGV besser als das Fehlen von Regelungen. Zu beachten ist ferner, daß die Vergemeinschaftung von Teilen des Schengen-Besitzstandes nach den besonderen Regeln des Protokolls (Nr. 2) zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union erfolgt ist. Verstärkte Zusammenarbeit ist in diesem Bereich nur beim Erlaß neuer Regelungen nach Art. 61 ff. EGV möglich. Für das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark gelten Sonderbestimmungen, die spezieller sind als die der verstärkten Zusammenarbeit. 492 Auch die Harmonisierung der indirekten Steuern, Art. 93 EGV, wird in der Literatur als geeignetes Feld für verstärkte Zusammenarbeit angesehen. Diese Thematik bietet sich wegen ihrer Sensibilität aufgrund der Berührung der nationalen Finanzhoheiten, der unterschiedlichen Struktur der nationalen Steuersysteme und des deshalb schwierig zu erfüllenden Einstimmigkeitserfordernisses an. Es ist auch denkbar, daß die Teilnehmerstaaten der WWU in diesem Bereich ergänzend zur Währungspolitik tätig werden. 493 Problematisch ist jedoch auch hier der Bezug zum Binnenmarkt und die potentielle Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels. Gerade Verbrauchsund Verkehrssteuern haben Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und die Wettbewerbsposition von Unternehmen,494 so daß die Vereinbarkeit mit Art. 11 I lit. e) EGV495 in vielen Fällen nicht gegeben sein dürfte. Sozialpolitische Maßnahmen nach Art. 137 EGV sind aufgrund unterschiedlicher Standards in den einzelnen Mitgliedstaaten ebenfalls ein potentielles Feld für verstärkte Zusammenarbeit. Dies zeigen schon die Erfahrungen mit Protokoll und Abkommen zur Sozialpolitik. 496 Die Bereiche Bildung,497 Kultur,498 Gesundheit,499 sowie gemeinsame Unternehmen im Bereich der Forschung5OO sind geeignete Anwendungsfelder für Flexibilität, weil nur selten Auswirkungen auf den Handel oder den Wettbewerb zu befürchten sind. Hier wird verstärkte Zusammenarbeit kaum systematisch, sondern 492 Protokoll (Nr. 4) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands und Protokoll (Nr. 5) über die Position Dänemarks. 493 Dazu Usher; Money and Financia1 Services in the EC, S. 199 f., 204. 494 Oppennann. EuR, Rn. 1182. 495 Art. 43 1it. f) EUV-Nizza. 496 Dazu Kapitel 3. 497 Art. 149 f. EGY. 498 Art. 151 EGY. 499 Art. 152 EGY. 500 Art. 172 EGV, für die Rahmenprogramme des Art. 166 EGV gibt es eine speziellere Vorschrift über Flexibilität, Art. 168 EGV, der die Möglichkeit von Zusatzabkommen, die nur bestimmte Mitgliedstaaten betreffen und von diesen auch finanziert werden, vorsieht.
X. Aufnahme zunächst nicht beteiligter Mitgliedstaaten
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eher punktue1l 501 stattfinden, was einerseits von Vorteil ist, denn die gemeinsame Integration wird durch Flexibilität in Randbereichen nicht gefährdet. Andererseits kann die verstärkte Zusammenarbeit in diesen eher untergeordneten Bereichen die in sie gesetzten Erwartungen als Triebfeder der Integration nicht erfüllen.
Im EUV steht die gesamte P1Z für verstärkte Zusammenarbeit offen. Es ist zu erwarten, daß hier häufiger davon Gebrauch gemacht werden wird. Zum einen sind die Voraussetzungen insgesamt weniger streng als in der ersten Säule. Zum anderen sind gerade in diesem Bereich die nationalen Vorbehalte relativ hoch, wie am Beispiel Schengen zu erkennen ist.
x. Aufnahme zunächst nicht beteiligter Mitgliedstaaten Im Interesse eines einheitlichen Integrationsfortschritts sind die Bestimmungen zur Aufnahme zunächst nicht beteiligter Mitgliedstaaten von zentraler Bedeutung. Durch die Möglichkeit des Einstiegs wird eine dauerhafte Spaltung vermieden. Dementsprechend ist die jeder Zeit bestehende Offenheit verstärkter Zusammenarbeit eine elementare Voraussetzung. Diese Offenheit ist jedoch an die Übernahme des für die beteiligten Mitgliedstaaten bestehenden Besitzstandes geknüpft. Art. 40 III EUV und II III EGV regeln das Verfahren, in dem über die Aufnahme bestimmt wird. 1. Voraussetzungen
Die Voraussetzungen, die ein Mitgliedstaat erfüllen muß, damit er sich einer Gruppe verstärkt zusammenarbeitender Staaten anschließen kann, sind in Art. 43 I lit. g) EUV 502 geregelt. Demnach ist ein Beitritt jederzeit möglich, sofern der betreffende Mitgliedstaat dem Gründungsbeschluß und den in verstärkter Zusammenarbeit angenommenen Beschlüssen nachkommt. Der Gründungsbeschluß enthält das Konzept der jeweiligen verstärkten Zusammenarbeit, jedoch keine Regelungen in der Sache selbst. Insofern ist davon auszugehen, daß ein Mitgliedstaat dem Gründungsbeschluß nachkommt, wenn er diesen übernimmt, d. h. für die Entwicklung der verstärkten Zusammenarbeit als maßgeblich akzeptiert. Neben der Übernahme des Gründungsbeschlusses ist er verpflichtet, die vor seinem Eintritt angenommenen Beschlüsse einzuhalten, anzuwenden bzw. umzusetzen. Dies hat zur Folge, daß der Beitritt schwieriger wird, je aktiver die beteiligten Mitgliedstaaten die verstärkte Zusammenarbeit vorangetrieben haben. Deshalb setzen an diesem Punkt schon einige kritische Stimmen an, welche die Aufnahme da501 Thun-Hohenstein, in: Hummer, Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 135 unterscheidet drei Hauptszenarien für den Gebrauch verstärkter Zusammenarbeit: den punktuellen, den logischen und den systematischen Gebrauch. 502 Art. 43 b, S. 2 EUV-Nizza.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
durch gefährdet sehen. 503 Ein Nachteil wird vor allem auch darin gesehen, daß nicht zwischen Staaten unterschieden wird, die sich ursprünglich nicht beteiligen wollten und denen, die dazu nicht in der Lage waren. 504 Gerade letztere dürften Schwierigkeiten haben, sich später anzuschließen. Insofern wären obligatorische Übergangsregelungen bzw. Solidaritätspflichten gegenüber Staaten, die durch objektive Schwierigkeiten an der anfänglichen Beteiligung gehindert sind, sinnvoll, um eine dauerhafte Spaltung zu verhindern. 505 Den beteiligten Mitgliedstaaten dürfen jedoch keine übermäßigen Verpflichtungen auferlegt werden, durch die verstärkte Zusammenarbeit uninteressant wird.
2. Verfahren a) Vertrag von Amsterdam
aa) Das Verfahren im EGV Art. 11 III EGV 506 sieht vor, daß der Mitgliedstaat, der sich verstärkter Zusammenarbeit anschließen will, dies dem Rat und der Kommission "mitteilt". Diese Formulierung verdeutlicht, daß die zunächst nicht beteiligten Mitgliedstaaten jederzeit das Recht haben, sich anzuschließen und ihre Absicht lediglich kundtun müssen. Dieses Recht steht ihnen aber nur unter Einhaltung der oben genannten Voraussetzungen und des entsprechenden Verfahrens zu. Das mag auf den ersten Blick als Beeinträchtigung oder Schmälerung des Offenheitsgrundsatzes erscheinen. Im Interesse des Funktionierens der verstärkten Zusammenarbeit ist eine Prüfung der Fähigkeit des betreffenden Mitgliedstaates, den bereits gefaßten Beschlüssen nachzukommen, unerläßlich. 507 Die Kommission überprüft das Vorliegen der Voraussetzungen und legt dem Rat spätestens nach drei Monaten eine Stellungnahme vor. Innerhalb von vier Monaten ab dem Tag der Mitteilung entscheidet die Kommission über den Antrag und beschließt gegebenenfalls spezifische Regelungen, d. h. sie kann Übergangsregelungen treffen, die eine Aufnahme des neuen Mitgliedstaats erleichtern. Die Abgabe einer Stellungnahme gegenüber dem Rat verwundert, da dieser keinerlei Entscheidungsbefugnis besitzt. Diese etwas eigenartige Regelung resultiert daher, daß zu503 Vgl. Edwards/Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 13 f.; Wessels in: Westlake, European Union beyond Amsterdam, S. 89. 504 Gaja, CMLR 1998, S. 860. 505 Der Vertrag von Nizza bestimmt, daß die Kommission und die an einer verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, daß eine möglichst große Zahl von Mitgliedstaaten zur Beteiligung angeregt wird, Art. 43 b, S. 3 EUV-Nizza. 506 Der Beteiligung weiterer Mitgliedstaaten wird durch den Vertrag von Nizza ein eigener Artikel gewidmet: Art. 11 a EGV-Nizza. Der Wortlaut ist jedoch - bis auf zwei sprachliche Änderungen, weIche jedoch keine inhaltlichen Konsequenzen haben - gleich geblieben. 507 Zu negativ daher Wessels, in: Westlake, European Union beyond Amsterdam, S. 90.
X. Aufnahme zunächst nicht beteiligter Mitgliedstaaten
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nächst eine Regelung geplant war, in der eine obligatorische Zustimmung des Rats vorgesehen war. 508 Davon wurde jedoch abgesehen, da dem Beschluß über die Teilnahme keine politische Entscheidung zugrunde liegen sollte. Statt dessen wurde die Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis an die Kommission beschlossen. Es liegt also wohl ein redaktionelles Versehen vor oder die Absicht, den Rat nicht völlig aus dem Verfahren auszuschließen. 509 Eine Gelegenheit zur Stellungnahme oder zur Meinungsäußerung durch den Rat ist jedoch nicht vorgesehen. 510 Anders als im Verfahren der P1Z liegt die Entscheidung allein bei der Kommission. Sie soll sicherstellen, daß eine objektive, am Gemeinschaftsinteresse orientierte Beurteilung der Umstände stattfindet. Nur so wird dem Grundsatz der Offenheit der verstärkten Zusammenarbeit Genüge getan. 51I Es wird verhindert, daß die schon weiter fortgeschrittenen Mitgliedstaaten über das Nachziehen der übrigen Mitgliedstaaten entscheiden. Andere Kriterien als die in Art. 43 I lit. g) EUV 512 genannten dürfen für die Teilnahme an verstärkter Zusammenarbeit keine Rolle spielen. Die von Art. II III S. 2 EGV 513 vorgesehenen Übergangsregeln können die Aufnahme der Mitgliedstaaten erleichtern, eröffnen aber andererseits einen beträchtlichen Ermessensspielraum bei der Frage, ob und welche Übergangsregelungen getroffen werden sollen, der die Objektivität des Verfahrens einschränken könnte. Anders als in der dritten Säule dürfte die Gefahr hier relativ gering sein, da die Kommission dem Gemeinschaftsinteresse verpflichtet ist. Der Beschluß der Kommission ist innerhalb von vier Monaten nach der Mitteilung des aufzunehmenden Mitgliedstaats zu treffen. Wenn die Kommission innerhalb dieser vier Monate keine Entscheidung fällt, besteht die Möglichkeit einer Untätigkeitsklage nach Art. 232 EGv. 514 Der Mitgliedstaat kann auch dann den Gerichtshof anrufen, wenn er die Ablehnung seines Antrags nicht für begründet hält. In diesem Falle wäre die Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EGV einschlägig.
508 Kotzias, in: Breuss / Griller, Flexible Integration in Europa, S. 25; Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 121. 509 Trotzdem wird dieses Verfahren durch den Vertrag von Nizza nicht geändert, vgl. Art 11 a EUV-Nizza. 510 A.A. Ehlermann, EuR 1997, S. 378. 511 Becker, Europarecht 1998 - Beheft 1, S. 55; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 467; Ehlermann, EuR 1997, S. 378. 512 Art. 43 b EUV-Nizza. 513 Art. 11 a, S. 2 EGV-Nizza. 514 Dazu ausführlicher unter Kapitel 2, Punkt XIII.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
bb) Das Verfahren in der PIZ Das Verfahren des Art. 40 III EUV 515 zur Beteiligung neuer Mitgliedstaaten an verstärkter Zusammenarbeit in der PIZ unterscheidet sich erheblich von dem des Art. 11 III EGV, da die Entscheidungsbefugnis beim Rat liegt. Rat und Kommission sind von der Absicht des Mitgliedstaats, sich der verstärkten Zusammenarbeit anzuschließen, in Kenntnis zu setzen. Die Kommission gibt gegenüber dem Rat innerhalb von drei Monaten eine Stellungnahme ab, die gegebenenfalls auch Empfehlungen für Übergangsregelungen enthält, Art. 40 III S. 1,2. HS EUV. Innerhalb von vier Monaten ab der Mitteilung durch den Mitgliedstaat muß der Rat über den Antrag und die zu treffenden Übergangsregelungen 516 entscheiden. Hier kommt somit dem Rat die maßgebliche Rolle zu, was einerseits der intergouvernementalen Struktur der PIZ entspricht, andererseits aber die Frage aufwirft, ob die Interessen der nicht beteiligten Mitgliedstaaten ausreichend gewahrt sind. Dazu kommt, daß in dieser Frage nicht alle Mitgliedstaaten an der Abstimmung teilnehmen, sondern der Rat gern. Art. 40 III S. 4 EUV 517 nach Maßgabe des Art. 44 EUV beschließt, was bedeutet, daß die nicht an verstärkter Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten zwar an den Beratungen teilnehmen, jedoch nicht abstimmen dürfen. Es entscheiden also lediglich die Vertreter der an der jeweiligen verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten über die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten. Abgeschwächt wird diese bedeutende Position des Rats durch die in S. 3 normierte Fiktion einer positiven Entscheidung, wenn der Rat die Entscheidung nicht mit qualifizierter Mehrheit 518 innerhalb der viermonatigen Frist zurückstellt. Der Zurückstellungsbeschluß ist zu begründen. Des weiteren setzt der Rat im Falle einer Zurückstellung eine Frist, innerhalb derer der Beschluß überprüft wird, d. h. erneut eine Entscheidung über die Aufnahme des Mitgliedstaats getroffen werden muß. 519 Ein Antrag eines Mitgliedstaats kann nicht zurückgewiesen, sondern lediglich - gegebenenfalls mehrfach - zurückgestellt werden. 52o Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut, der - wenn auch nicht völlig eindeutig 521 - nur die Möglichkeiten der positiven Entscheidung bzw. Fiktion oder der Zurückstellung erwähnt. Auch die Anlage und der Sinn und Zweck dieser Vorschrift weisen darauf hin, daß eine völlige Zurückweisung des Anliegens eines noch nicht beteiligten Mitgliedstaats Art. 40 III EUV wird durch den Vertrag von Nizza durch Art. 40 b EUV-Nizza ersetzt. Nach Art. 40 b EUV-Nizza entscheidet der Rat "über den Antrag", der Passus "und über die spezifischen Regelungen ... " wurde gestrichen. 517 Art. 40 b II EUV-Nizza. 518 Abstimmungsberechtigt sind nur die Vertreter der beteiligten Mitgliedstaaten, Art. 40 III S. 4 i.Y.m. Art. 44 I EUV. 519 Daran hat sich durch den Vertrag von Nizza nichts geändert. 520 Martenczuk, ZEuS 1998, S. 470. 521 Zweifelnd daher hinsichtlich des Wortlauts Constantinesco, RTDE 1997, S. 764. 515
516
X. Aufnahme zunächst nicht beteiligter Mitgliedstaaten
ISI
durch die beteiligten Mitgliedstaaten nicht möglich ist. Denn Art. 40 III EUV soll, mit den oben erwähnten Einschränkungen, gerade durch die Vermutung einer positiven Entscheidung die Erweiterung des Kreises der beteiligten Mitgliedstaaten erleichtern und nicht zu einem geschlossenen Kreis führen, was jedoch eine mögliche Konsequenz wäre, wenn eine Zurückweisung in die Hände der schon beteiligten Mitgliedstaaten gelegt würde. 522 Ebenso wenig wie eine Zurückweisung ist eine Zurückstellung auf unbegrenzte Zeit zulässig. Allerdings gibt Art. 40 III EUV keinen zeitlichen Rahmen vor, innerhalb dessen sich die Frist zur erneuten Prüfung bewegen muß. Die Vermutung zugunsten einer positiven Entscheidung und die Begründungspflicht bei Zurückstellen des Antrags wirken einem Mißbrauch der Entscheidungsbefugnis entgegen, dennoch ist nicht ausgeschlossen, daß die Vertreter der schon beteiligten Mitgliedstaaten ihre Entscheidung nach sachfremden Gesichtspunkten ausrichten. Gerade aufgrund der erforderlichen Begründung ist zwar eine Überprüfung durch den EuGH im Wege einer Nichtigkeitsklage möglich. Auch hier gilt, daß als Kriterien nur die oben genannten Voraussetzungen herangezogen werden dürfen. Aufgrund der Möglichkeit, Übergangsregelungen zu treffen, besteht jedoch ein Ermessensspie1raum, der gerichtlich nur begrenzt überprüfbar ist. Hinsichtlich der positiven Vermutung zugunsten der Aufnahme des neuen Mitgliedstaats stellt sich noch ein weiteres Problem. Wenn diese Vermutung eintritt, gibt es zwangsläufig keine Übergangsregelungen für diesen Staat. Es ist jedoch durchaus vorstellbar, daß derartige Regelungen erforderlich sind, um die Beteiligung praktisch überhaupt zu ermöglichen. Somit könnte der Fall eintreten, daß ein Mitgliedstaat als Teilnehmer an der verstärkten Zusammenarbeit anerkannt ist, dieses Recht aber nicht ausüben kann, weil erforderliche Übergangsmaßnahmen fehlen. Deshalb stellt sich die Frage, ob ein Mitgliedstaat, der sich an verstärkter Zusammenarbeit beteiligen möchte, ein gerichtlich durchsetzbares Recht auf Erlaß einer Übergangsbestimmung hat. Der Wortlaut des Art. 40 III EUV, der in diesem Punkt mit dem des Art. 11 III EGV identisch ist, spricht jedoch relativ eindeutig gegen diese Möglichkeit, da der Rat Übergangsregelungen treffen kann, "die er für notwendig hält".523 Eine in der Literatur vorgeschlagene Möglichkeit, diese Situation zu überbrücken, ist die Annahme, daß in der Stellungnahme der Kommission enthaltene Empfehlungen für Übergangsrege1ungen als von der Vermutung der Entscheidung miterfaßt gelten. 524 Weniger problematisch ist daran, daß der Kommission eine für die dritte Säule uncharakteristische Stellung eingeräumt wird,525 als vielmehr die Tatsache, daß die Vermutung einer positiven Entscheidung in keiner Weise an die Stellungnahme der Kommission geknüpft ist, sondern auch bei negativer Stellungnahme eintritt. 522
523 524 525
Constantinesco, RTDE 1997, S. 764. Dieser Passus wird durch den Vertrag von Nizza gestrichen. Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 124. Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 124.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Interessant ist im Zusammenhang mit Art. 40 III EUV noch die Frage, ob auch die positive Entscheidung mangels Zurückstellung durch den Rat vor dem EuGH überprüft werden kann. 526 Der Rat hat, wenn ihm eine entsprechende Mitteilung eines beitrittswilligen Mitgliedstaats zukommt, die Pflicht, nach den Kriterien des Art. 43 I g) EUV 527 zu überprüfen, ob der betreffende Mitgliedstaat die Voraussetzungen erfüllt und sich an der verstärkten Zusammenarbeit beteiligen kann. In Fällen, in denen diese Punkte von dem Mitgliedstaat nicht erfüllt werden, führt das Unterlassen einer Entscheidung zu einem vertragswidrigen Zustand, da die positive Vermutung dem Mitgliedstaat das Recht zur Teilnahme einräumt, obwohl es ihm vertraglich nicht zusteht. In diesem Fall liegt somit ein dem EGV widersprechendes Unterlassen des Rats vor, gegen das mit der Untätigkeitsklage nach Art. 232 EGV vorgegangen werden kann.
b) Vertrag von Nizza
aa) Das Verfahren im EGV Wie bereits erwähnt, ist das Verfahren zur Beteiligung neuer Mitgliedstaaten im Vertrag von Nizza in Art. II a EGV-Nizza geregelt, unterscheidet sich jedoch inhaltlich nicht von der Regelung des Vertrags von Amsterdam in Art. 11 III EGV bb) Das Verfahren in der PIZ Das Verfahren zur Aufnahme zunächst nicht beteiligter Mitgliedstaaten ist im Vertrag von Nizza für die PIZ in Art. 40 b EUV-Nizza geregelt. Die einzelnen Verfahrensschritte sind gleich geblieben. Im Unterschied zu der Regelung des Art. 40 III EUV entscheidet der Rat jedoch lediglich über den Antrag. Der Passus "und über die spezifischen Regelungen, die er für notwendig hält", ist weggefallen. Es scheint fraglich, ob daraus Rückschlüsse gezogen werden können, daß der Rat lediglich über den Antrag und die von der Kommission vorgeschlagenen Übergangsregelungen entscheiden, selbst aber keine Übergangsregelungen treffen kann. Einerseits ist nicht ersichtlich, aus welchen sonstigen Gründen die betreffende Formulierung in Art. 40 b EUV-Nizza gestrichen wird. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß die Übergangsregelungen den beitrittswilligen Mitgliedstaaten die Teilnahme erleichtern sollen und eine Einschränkung der Befugnis des Rats zum Erlaß solcher Regelungen dem Ziel verstärkter Zusammenarbeit, die Integration aller Mitgliedstaaten zu fördern, zuwider laufen würde. Darüber hinaus steht der Kommission in diesem Zusammenhang lediglich ein Recht zur Stellungnahme zu, so daß ein exklusives Vorschlagsrecht bezüglich Übergangsentschei526 527
So Thun-Hohenstein. Vertrag von Amsterdam, S. 124. Art. 43 b EUV-Nizza.
X. Aufnahme zunächst nicht beteiligter Mitgliedstaaten
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dungen verfehlt scheint. Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, daß sich aus dieser redaktionellen Änderung keine inhaltlichen Konsequenzen für das Verfahren ergeben. cc) Das Verfahren in der GASP Die Regelung des Art. 27 e EUV-Nizza für die Beteiligung eines Mitgliedstaats an verstärkter Zusammenarbeit in der GASP entspricht der Regelung in der dritten Säule. 528 Im Unterschied zu Art. 40 b EUV-Nizza sieht Art. 27 e EUV-Nizza jedoch ausdrücklich vor, daß der Rat über den Antrag und über eventuelle spezifische Regelungen, die er für notwendig hält, entscheidet. Im Zusammenhang mit der Stellungnahme der Kommission werden Übergangsregelungen in Art. 27 e EUV-Nizza demgegenüber nicht erwähnt. Der Begriff der Stellungnahme umfaßt jedoch nach seinem Sinngehalt eine umfassende Beurteilung, welche gegebenenfalls auch eventuell erforderliche Übergangsregelungen enthält. Darüber hinaus erfordert die Pflicht der Kommission zur Förderung der Beteiligung einer möglichst großen Zahl von Mitgliedstaaten nach Art. 43 b, S. 3 EUV-Nizza,529 Übergangsregelungen vorzusehen, falls die Teilnahme eines Mitgliedstaats sonst nicht möglich wäre. Das Verfahren ist deshalb trotz der Abweichungen im Wortlaut identisch mit dem Verfahren des Art. 40 b EUV-Nizza.
3. Solidaritätspflicht nach dem Vertrag von Nizza Der Vertrag von Nizza führt eine gewisse Solidaritätspflicht gegenüber den nicht beteiligten Mitgliedstaaten ein. So schreibt Art. 43 b, S. 3 EUV-Nizza vor, daß die Kommission und die an einer verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, daß eine möglichst große Zahl von Mitgliedstaaten zur Beteiligung angeregt wird. Diese Solidaritätspflicht, die gewissermaßen als Gegenstück zum Obstruktionsverbot des Art. 44 II EUV-Nizza530 anzusehen ist, ist weder besonders konkret noch weitreichend.531 Andererseits darf die Kooperation der voranschreitenden Mitgliedstaaten auch nicht über Gebühr belastet werden, da verstärkte Zusammenarbeit sonst an Attraktivität verlieren würde.
528 Dies stand schon während der Regierungskonferenz fest, vgl. Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Aufzeichnung des Vorsitzes, RK 2000 - Verstärkte Zusammenarbeit, Brüssel30. 8. 2000, CONFER 4766/00, S. 7. 529 Dazu sogleich. 530 Art. 43 II S. 2 EUVa.F. 531 So auch Epiney/ Abt/Masters, DVBI. 2001, S. 947.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
XI. Ausscheiden eines Mitgliedstaats Die Frage des Ausscheidens eines Mitgliedstaats ist in den Vorschriften über verstärkte Zusammenarbeit nicht vorgesehen. Nach einer Ansicht in der Literatur ist die Annahme der Unzulässigkeit eines Austritts einzelner Mitgliedstaaten jedoch nicht akzeptabel. 532 In Anbetracht des Art. 43 11 EUV 533 sei zwar eine analoge Anwendung des jeweiligen Beitrittsmechanismus nicht denkbar, der Auslösemechanismus zur Gründung verstärkter Zusammenarbeit nach Art. 11 11 EGV 534 bzw. 40 11 EUV 535 stelle aber ein passendes Verfahren dar. Denn bei Austritt eines Mitgliedstaats müsse die verstärkte Zusammenarbeit auf eine neue Grundlage gestellt werden, die zwar keinen neuen Gründungsbeschluß darstelle, aber eine Befreiung des betreffenden Mitgliedstaats von seinen Rechten und Pflichten aus der verstärkten Zusammenarbeit. 536 Es ist jedoch nicht ohne weiteres nachvollziehbar, weshalb einem Mitgliedstaat die - wie auch immer zu gestaltende - Möglichkeit des Ausstiegs aus der verstärkten Zusammenarbeit zustehen sollte. Nachdem die Frage des späteren Beitritts so detailliert geregelt worden ist, ist schwerlich vorstellbar, daß die Regelung des Ausscheidens eines Mitgliedstaats übersehen worden ist. Darüber hinaus besteht auch bei anderen, allgemein geltenden Gemeinschafts- oder Unions maßnahmen nicht die Möglichkeit, daß ein Mitgliedstaat nachträglich von der Anwendung der Vorschriften ausgenommen wird. Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten könnte man argumentieren, daß andere Mitgliedstaaten ebenfalls nicht gebunden sind. Diese bilden jedoch keinen geeigneten Vergleichsmaßstab, da sie nie einen Bindungswillen geäußert haben. Die partikulare Geltung der verstärkten Zusammenarbeit rechtfertigt also keine Sonderregelung hinsichtlich der Bindung der einzelnen Mitgliedstaaten. Auch der Vergleich mit anderen, schon vor dem Vertrag von Amsterdam existierenden Beispielen von Aexibilität, wie dem Sozialprotokoll, der WWU und dem Schengener Abkommen stützt diese Auslegung, denn in all diesen Fällen besteht keine Möglichkeit zum Ausstieg beteiligter Mitgliedstaaten. Ein Verfahren, in dem einzelne Mitgliedstaaten aus der verstärkten Zusammenarbeit entlassen werden können, gibt es daher nicht. Faktisch besteht aber die Möglichkeit, daß der Gründungsbeschluß aufgehoben 537 und ein neuer Gründungsbeschluß gefaßt wird, in dem eine verstärkte Zusammenarbeit gegründet wird, die 532 Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 126; ähnlich Grabitz/Hilf-Blanke, Recht der EU, Art. 43 b EUV Rn. 3. 533 Art. 44 11 EUV-Nizza. 534 Art. 11 EGV-Nizza. 535 Art. 40 a EUV-Nizza. 536 Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 127. 537 Die Aufhebung des Gründungsbeschlusses erfolgt analog Art. 11 11 EGV, 40 11 EUV, siehe Kapitel 2, Punkt XII.2.
XII. Beendigung der verstärkten Zusammenarbeit
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thematisch mit der vorherigen übereinstimmt, an der jedoch andere Mitgliedstaaten beteiligt sind. Allerdings muß es sich dabei tatsächlich um einen neuen Grundsatzbeschluß handeln, nicht nur um einen Beschluß über die Befreiung eines Mitgliedstaats aus seinen Rechten und Pflichten.
XII. Beendigung der verstärkten Zusammenarbeit Das Konzept der verstärkten Zusammenarbeit im Vertrag von Amsterdam unterliegt keiner zeitlichen Beschränkung und kann so zu einer dauerhaften Differenzierung zwischen den verstärkt zusammenarbeitenden und den restlichen Mitgliedstaaten führen. Die verstärkte Zusammenarbeit endet jedoch, wenn sich ihr alle Mitgliedstaaten nach dem oben erläuterten Verfahren angeschlossen haben, wenn ihre Nichtigkeit durch den EuGH festgestellt wird oder auch durch Beschluß. 1. Beteiligung aller Mitgliedstaaten
Wenn alle Mitgliedstaaten der verstärkten Zusammenarbeit beigetreten sind, endet sie automatisch. 538 Bei dem innerhalb der Kooperation erlassenen Sekundärrecht bzw. den Beschlüssen oder sonstigen Handlungen handelt es sich nicht mehr um partikulare Maßnahmen sondern um reguläre Gemeinschafts- bzw. Unionsmaßnahmen. Für künftige Handlungen gelten ab diesem Zeitpunkt nicht mehr die Art. 43 ff. EUV sondern die allgemeinen Vertragsvorschriften. 539 Die Beteiligung aller Mitgliedstaaten an der verstärkten Zusammenarbeit ist der Idealfall. In diesem Fall hat sich das Motiv, im kleinen Rahmen ein Vorbild zu schaffen und die anderen Mitgliedstaaten zum Nachziehen anzuregen, verwirklicht, und eine der gemeinsamen Integration abträgliche Spaltung des Gemeinschafts- bzw. Unionshandelns tritt nicht ein. 2. Beendigung durch Beschluß
Darüber hinaus ist eine Beendigung verstärkter Zusammenarbeit durch Beschluß denkbar. Da der Ermächtigungsbeschluß einen gemeinschafts- bzw. unionsrechtlichen Beschluß darstellt, ist in dieser Frage prinzipiell ebenso zu verfahren wie mit regulären Maßnahmen. Eine Änderung oder Aufhebung ist grundsätzlich möglich, sofern sie durch dasjenige Gemeinschaftsorgan erfolgt, das den ursprünglichen Rechtsakt erlassen hat, und das gleiche Verfahren angewendet wird. 54o Eine 538 Becker, EuR 1998 - Beiheft I, S. 55; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 34; Grabitz I Hilf-Blanke, Recht der EU, Art. 43 b EUV Rn. 4. 539 Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 127. 540 Oppermann, Europarecht, Rn. 700; GTE-Schmidt, EUV IEGV, Art. 189 Rn. 23.
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Verordnung kann zum Beispiel nicht im Rahmen einer Durchführungsverordnung abgeändert werden, auch wenn diese vom gleichen Normgeber erlassen wurde. 54 ! Der Gründungsbeschluß kann also nur durch einen actus contrarius, d. h. einen Beschluß nach dem Verfahren des Art. 11 11 EGy 542 bzw. 40 11 EUy 543 , aufgehoben werden. 544 Aus den oben genannten Gründen ist ein einvernehmlicher Beschluß der beteiligten Mitgliedstaaten nicht ausreichend. 545 Eine Aufhebung des Gründungsbeschlusses ist jedoch dann nicht ohne weiteres möglich, wenn auf dessen Grundlage bereits Maßnahmen in verstärkter Zusammenarbeit ergangen sind. Eine Aufhebung des Gründungsbeschlusses durch Ratsbeschluß analog Art. 11 11 EGy 546 bzw. 40 II EUy 547 darf nicht dazu führen, daß ein ",Torso' ... sekundären Sonderrechts,,548 zurückbleibt. Als Lösungsmöglichkeit wird die erneute Verabschiedung der Maßnahmen als für alle Mitgliedstaaten geltendes Gemeinschaftsrecht vorgeschlagen. 549 Dieser Lösungsweg ist jedoch nur in Fällen praktikabel, in denen ein gemeinsames Handeln der Kooperation einiger Mitgliedstaaten vorgezogen wird. 55o In allen anderen Fällen ist zu fordern, daß bereits existierendes Sondergemeinschaftsrecht im jeweiligen Erlaßverfahren von den beteiligten Mitgliedstaaten aufgehoben wird, bevor der Gründungsbeschluß beseitigt werden kann.
3. Nichtigkeit Der Fall der Nichtigerklärung des Gründungsbeschlusses durch den EuGH gern. Art. 231 EGY wegen Verletzung der Art. 43 ff., 40 EUY, II EGy 55 ! paßt zwar thematisch in den vorliegenden Zusammenhang, weil die verstärkte Zusammenarbeit nicht von Dauer ist. Eine Beendigung liegt aber nicht vor, denn die Feststellung der Nichtigkeit gilt ex tunc,552 d. h. der Gründungsbeschluß ist als nicht ergangen anzusehen. 541 EuGH Rs. 58/80 (Compagnie continentale), Slg. 1971, S. 163 Rn. 14/15; Oppennann, Europarecht, Rn. 700; GTE-Krück, EUV /EGV, Art. 173 Rn. 89. 542 Art. 11 EGV-Nizza. 543 Art. 40 a EUV-Nizza. 544 Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 127. 545 A.A. Becker, Europarecht 1998 - Beiheft 1, S. 55; Grabitz/Hilf-Blanke, Recht der EU, Art. 43 b EUV Rn. 4. 546 Art. 11 EGV-Nizza. 547 Art. 40 a EUV-Nizza. 548 Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 34. 549 Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11 EGV Rn. 34. 550 In diesen Fällen wird sich das Problem allerdings häufig gar nicht stellen, da nach einem sukzessiven Beitritt aller Mitgliedstaaten die verstärkte Zusammenarbeit ohnehin beendet wird. 551 Im Vertrag von Nizza sind dazu auch die Art. 27 a ff. EUV-Nizza zu zählen. 552 GTE-Krück, EUV /EGV, Art. 174 Rn. 2; Oppennann, Europarecht, Rn. 747.
XIII. lustiziabilität
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XIII. Justiziabilität 1. Zuständigkeit des EuGH Da die verstärkte Zusammenarbeit sowohl in der intergouvemementa1en dritten Säule mit eingeschränkter Rechtsprechungskompetenz des EuGH 553 als auch in der der regulären Jurisdiktion des EuGH unterliegenden ersten Säule stattfindet, die allgemeinen Voraussetzungen aber für beide Fälle im EUV geregelt sind, kann die Zuständigkeit des EuGH nicht einheitlich beurteilt werden. Darüber hinaus ist grundsätzlich zwischen den Voraussetzungen oder den Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit, deren gerichtliche Überprüfbarkeit gesondert geregelt ist, und den Durchführungsmaßnahmen, für die die allgemeinen Regelungen gelten, zu differenzieren. Es ist deshalb sinnvoll, die Zuständigkeit des EuGH in besondere Zuständigkeit bezüglich der verstärkten Zusammenarbeit und in Sachzuständigkeit bezüglich der konkreten Rechtsakte und Beschlüsse zu unterteilen. 554 a) Besondere Zuständigkeit bezüglich verstärkter Zusammenarbeit Für die Flexibilitätsvorschriften ist die Zuständigkeit des Gerichtshofs z.T. gesondert geregelt. In der P1Z gilt folgende Regelung: Die allgemeinen Voraussetzungen nach Art. 43 1555 , die aus Art. 43 n556 resultierenden Pflichten, die Zusammensetzung des Rats und Fragen der Finanzierung sind nach Art. 46 lit. c) EUV nach Maßgabe des Artikels 11 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Artikels 40 dieses Vertrags der Zuständigkeit des EuGH nach den Vorschriften des EGV unterstellt. Die spezifischen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 40 I EUV, das Verfahren zur Gründung der verstärkten Zusammenarbeit nach Art. 40 n EUV557 und das zur Aufnahme weiterer Mitgliedstaaten nach Art. 40 III EUV558 können ebenfalls gern. Art. 40 IV UA. 2 EUV 559 vom EuGH nach den Vorschriften der Art. 220 ff. EGV überprüft werden. Im EGV gilt für die allgemeinen Voraussetzungen ebenfalls Art. 43 ff. i.V.m.
Art. 461it. c) EUV. Die speziellen Voraussetzungen nach Art. 11 I EGV 560 und die Art. 35 EUV. So insbesondere Thun-Hohenstein, Gerichtshof nach Amsterdam, S. 208; ders., Vertrag von Amsterdam, S. 116 f. 555 Die Zulässigkeitsbedingungen des Art. 43 EUV-Nizza. 556 Art. 44 11 EUV-Nizza. 557 Art. 40 a EUV-Nizza. 558 Art. 40 b EUV-Nizza. 559 Art. 40 III EUV-Nizza. 560 Der Vertrag von Nizza hat die Unterscheidung von allgemeinen und speziellen Zulässigkeitsvoraussetzungen im EGV vollständig aufgehoben. Deshalb wird sich die Zuständig553
554
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Verfahrensbestimmungen unterliegen der für den gesamten EGV geltenden Gerichtsbarkeit des EuGH nach Art. 220 ff. EGY. Sowohl in der P1Z als auch im EGV sind somit alle Fragen, welche die verstärkte Zusammenarbeit betreffen, der uneingeschränkten Kontrollmöglichkeit durch den EuGH unterstellt. Dadurch wird eine umfassende Beurteilung verstärkter Zusammenarbeit durch den Gerichtshof ermöglicht, wodurch ein Mißbrauch der durch den Vertrag von Amsterdam eingeführten Flexibilität etwa in Richtung eines Europe a la carte verhindert werden SOIl.561
b) Sachzuständigkeit
Die Sachzuständigkeit ist nicht gesondert geregelt. Für die im Rahmen verstärkter Zusammenarbeit erlassenen Rechtsakte und Beschlüsse gelten die allgemeinen Grundsätze. Im Rahmen der P1Z richtet sich die Sachzuständigkeit des EuGH nach Art. 40 IV UA. 1562 i. V.m. 35 EUV, die gegenüber der gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeit stark eingeschränkt ist. So besteht anders als in Art. 234 EGV keine unionsrechtliche Vorlagepflicht mitgliedstaatlicher Gerichte, vielmehr kann die Zuständigkeit des EuGH für Vorabentscheidungen über die Gültigkeit von Handlungen gern. Art. 34 EUV 563 von den einzelnen Mitgliedstaaten nach Art. 35 II, III EUV fakultativ anerkannt werden. Hier besteht die Option zwischen einem Vorlagerecht aller nationalen Gerichte und einem Vorlagerecht lediglich der letztinstanzlichen Gerichte. Eine Vorlagepflicht ist nicht vorgesehen. 564 Keine Zuständigkeit besteht nach Art. 35 V EUV für die Überprüfung der Gültigkeit oder Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Polizei oder anderer Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten. Art. 35 VI EUV sieht die Nichtigkeitsklage zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen vor, und Art. 35 VII EUV regelt die Zuständigkeit des EuGH zur Entscheidung bei Streitigkeiten von Mitgliedstaaten über die Auslegung oder Anwendungen von Rechtsakten nach Art. 34 II EUY. Für die im Rahmen des EGVergangenen Maßnahmen verstärkter Zusammenarbeit gilt hingegen die uneingeschränkte lurisdiktion des EuGH nach den Art. 220 ff. EGV, mit Ausnahme des Art. 68 EGV für Rechtsakte und Beschlüsse im Bereich des Titels IV des EGY. Dieser schränkt das Vorabentscheidungsverfahkeit des EuGH für alle Zulässigkeitsfragen nach Art. 46 lit. c) i.Y.m. Art. 43 EUV richten. Daraus ergeben sich aber keine inhaltlichen Konsequenzen, da diese Zuständigkeit des EuGH umfassend ist. 561 Vgl. Thun-Hohenstein, Gerichtshof nach Amsterdam, S. 197. 562 Art. 40 III EUV-Nizza. 563 Mit Ausnahme der gemeinsamen Standpunkte nach Art. 34 11 lit. a) EUV. 564 Die Mitgliedstaaten können sich jedoch bei Anerkennung der Zuständigkeit des EuGH nach Art. 35 11 EUV vorbehalten, innerstaatlich eine Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte zu normieren, siehe Erklärung Nr. 10 zu Art. K.7 des Vertrags über die Europäische Union der Schlußakte zum Vertrag von Amsterdam.
XIII. Justiziabilität
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ren des Art. 234 EGV insofern ein, als er für den Titel IV EGV nur eine Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte normiert, wohingegen für untergeordnete Gerichte gar keine Vorlagemöglichkeit565 besteht. c) Fazit Zusammenfassend ergibt sich also folgendes Bild: Bei verstärkter Zusammenarbeit in der ersten Säule richten sich sowohl die besondere Zuständigkeit für verstärkte Zusammenarbeit als auch die Sachzuständigkeit nach den Art. 220 ff. EGV, mit der Ausnahme des Art. 68 EGV für Rechtsakte im Bereich des Titel IV EGV In der dritten Säule richtet sich die besondere Zuständigkeit zur Beurteilung von Fragen betreffend die verstärkte Zusammenarbeit nach den Art. 220 ff. EGV, die Sachzuständigkeit hingegen nach Art. 35 EUV 566 Die beiden Bereiche unterliegen also einer unterschiedlich dichten Kompetenz des Gerichtshofs. Bei verstärkter Zusammenarbeit in der dritten Säule kann die Situation auftreten, daß ein Mitgliedstaat, der die Zuständigkeit des EuGH für Vorabentscheidungen nicht anerkannt hat, verpflichtet ist, bei Zweifeln an der Gültigkeit des Gründungsbeschlusses oder der Vereinbarkeit von Durchführungsmaßnahmen mit dem Gründungsbeschluß an den EuGH vorzulegen, eine Vorlage über Fragen bezüglich des Inhalts von Durchführungsmaßnahmen jedoch nicht möglich ist. d) Vertrag von Nizza: lustiziabilität in der GASP In der GASP existiert keine Sachzuständigkeit des EuGH. Die besondere Zuständigkeit für verstärkte Zusammenarbeit richtet sich grundsätzlich nach Art. 46 lit. c) EUV-Nizza. Dieser unterstellt jedoch die Bestimmungen des Titels VII lediglich nach Maßgabe der Artikel 11 und 11 a des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Artikels 40 dieses Vertrags der Zuständigkeit des EuGH. Verstärkte Zusammenarbeit in der GASP 567 fällt nicht darunter. 568 Sie unterliegt also weder bei ihrer Gründung noch bei ihrer Durchführung der gerichtlichen Kontrolle des EuGH. Die Unterrichtung des Europäischen Parlaments und aller Ratsmitglieder durch den Generalsekretär des Rates über die Durchführung verstärkter Zusammenarbeit nach Art. 27 d EUV-Nizza gewinnt deshalb besondere Bedeutung. 565 Zur Frage der Anwendbarkeit der Foto-Frost-Judikatur auf Art. 68 EGV s. ThunHohenstein. Gerichtshof nach Amsterdam, S. 199 f. 566 Im Ergebnis ändert sich durch den Vertrag von Nizza daran nichts. 567 Art. 27 a EUV-Nizza. 568 So Pechstein, EuR 1999, S. 12 f., allerdings schon für die Rechtslage nach dem Vertrag von Amsterdam. Dort stellt sich die Frage jedoch nicht, da im Vertrag von Amsterdam keine verstärkte Zusammenarbeit in der zweiten Säule vorgesehen ist.
160
2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
2. Überprütbare Handlungen - Mögliche Klagekonstellationen Bei der Erläuterung der einzelnen Verfahrensbestimmungen und Zulässigkeitsvoraussetzungen für verstärkte Zusammenarbeit wurde bereits auf die Möglichkeit der Klageerhebung verwiesen. Im folgenden wird ausführlicher dargestellt werden, welche Handlungen im Zusammenhang mit der Gründung und Durchführung verstärkter Zusammenarbeit gerichtlich nachprüfbar sind und welche Klagekonstellationen sich dabei ergeben können.
a) Vertragsverletzungsverfahren
Eine Konstellation, in der das Vertragsverletzungsverfahren569 relevant wird, ist die Ablehnung des Gründungsbeschlusses verstärkter Zusammenarbeit durch einen Mitgliedstaat aus wichtigen Gründen der nationalen Politik nach Art. 11 11 DA. 2 EGV bzw. 40 11 DA. 2 EDV. 57o Wie bei der Darstellung des Gründungsverfahrens bereits erläutert wurde, unterliegen die Gründe für die Ausübung des Vetorechts durch einen Mitgliedstaat weder einer rein gemeinschaftlichen Beurteilung, noch steht die Ablehnung des Gründungsbeschlusses durch den betreffenden Mitgliedstaat völlig in dessen Ermessen. Der Mitgliedstaat hat vielmehr die Gründe für die Ablehnung zu nennen. Ob es sich dabei wirklich um wichtige Gründe der nationalen Politik handelt, steht im politischem Ermessen des Staates und ist einer gemeinschaftsrechtlichen Beurteilung entzogen. Diesem Ermessen sind jedoch Grenzen gesetzt. So kann die Kommission gern. Art. 226 EGVoder ein anderer Mitgliedstaat gern. Art. 227 EGV nach dem entsprechenden Vorverfahren eine Mißbrauchskontrolle durch den EuGH vornehmen lassen. In einem derartigen Vertragsverletzungsverfahren kann der Gerichtshof überprüfen, ob ein offensichtlicher Mißbrauch des nationalen Ermessens durch diesen Staat vorliegt, d. h. ob die genannten Gründe offensichtlich gar nicht vorliegen oder in keinem Zusammenhang mit der geplanten verstärkten Zusammenarbeit stehen. b) Nichtigkeitsklage
aa) Entscheidung der Kommission Eine Nichtigkeitsklage571 ist in verschiedenen Verfahrensstadien der Gründung verstärkter Zusammenarbeit denkbar. Als erstes ist der Fall zu nennen, daß die Kommission einen Antrag einer Mehrheit von Mitgliedstaaten, dem Rat einen VorArt. 226, 227 EGY. Diese Frage erledigt sich mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Nizza, da das nationale Veto aufgehoben wird. 571 Art. 230 EGY. 569 570
XIII.lustiziabilität
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schlag für einen Ermächtigungsbeschluß vorzulegen, ablehnt. Hier ist die Nichtigkeitsklage zum einen dann statthaft, wenn die Entscheidung der Kommission, einen Antrag abzulehnen, nicht die nach Art. 11 II DA. 3 EGy 572 bzw. Art. 40 II UA. 3 EUy 573 erforderliche Begründung enthält. Die Entscheidung der Kommission ist ein nach Art. 230 I EGY zulässiger Klagegegenstand. Das Unterlassen der Begründung stellt eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften dar und führt in der Regel zur Nichtigkeit des betreffenden Aktes 574, hier der Entscheidung der Kommission, keinen Vorschlag vorzulegen. Es handelt sich nicht um einen Nichtakt, denn ein Begründungsmangel ist kein besonders schwerer und offensichtlicher Fehler, der zur Nichtexistenz einer Handlung führt. 575 Insofern dürften Nichtigkeitsklagen gegen eine unbegründete Ablehnung des Antrags durch die Kommission Erfolg haben. Die Nichtigkeitsklage ist auch dann einschlägig, wenn die Gründung verstärkter Zusammenarbeit durch die Kommission mit einer fehlerhaften Begründung abgelehnt wird. So zum Beispiel, wenn die Kommission die Yereinbarkeit der fraglichen verstärkten Zusammenarbeit mit den allgemeinen und speziellen Yoraussetzungen der Art. 43, 40 EUY, 11 EGy 576 falsch beurteilt und mit dem Fehlen dieser Voraussetzungen die Ablehnung des Antrags der Mitgliedstaaten begründet. In solchen Fällen dürfte eine Verletzung des Vertrages oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnormen nach Art. 230 II EGY vorliegen. Schwieriger ist der Fall, in dem das der Kommission in dieser Frage zustehende politische Ermessen vom EuGH überprüft werden soll. Ein Ermessensmißbrauch nach Art. 230 II EGY, der zur Nichtigkeit der Entscheidung der Kommission führen würde, ist dann gegeben, wenn "aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien,,577 davon auszugehen ist, daß eine Entscheidung ausschließlich aus anderen als den angegebenen Gründen getroffen wurde. Ausschlaggebend ist, ob mit objektiven Mitteln ein subjektiv rechtswidriges Ziel verfolgt wird. Wenn die Entscheidung durch objektive Gründe gerechtfertigt ist, liegt kein Ermessensmißbrauch vor. 578 In solchen, in der Realität vermutlich seltenen und jedenfalls schwer nachweisbaren Fällen wäre die Entscheidung der Kommission vom EuGH für nichtig zu erklären. Art. 11 1 S. 2 EGV-Nizza. Art. 40 aIS. 2 EUV-Nizza. 574 Zur Begründungspflicht nach Art. 253 EGV Calliess/Ruffert-Cremer, EUV IEGV, Art. 230 EGV Rn. 75; GTE-Krück, EUV IEGV, Art 173 Rn. 84 f. 575 EuGH Verb. Rsen. 8-11/66 (Cimenteries), Sig. 1967, S. 100, 125; EuG Rs. T-67/91 (Torre), Sig. 1992,11-261 Rn. 25; Calliess/Ruffert-Cremer, EUV IEGV, Art. 230 EGV Rn. 8; s. auch GTE-Krück, EUV IEGV, Art. 173 Rn. 4. 576 Art. 43, 40 1 EUV-Nizza. 577 EuGH Rs. 69/83 (Lux), Sig. 1984, S. 2447 Rn. 30; Rs. 331/88 (Fedesa u. a.), Sig. 1990,1-4023 Rn. 24. 578 Calliess/Ruffert-Cremer, EUV IEGV, Art. 230 EGV Rn. 77; GTE-Krück, EUV IEGV, Art. 173 Rn. 90. 572 573
I1 Grieser
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
bb) Gründungsbeschluß und Durchführungsbestimmungen verstärkter Zusammenarbeit Eine weitere denkbare Klagekonstellation ist eine Klage nach Art. 230 EGV gegen den Grundungsbeschluß einer verstärkten Zusammenarbeit. Hier stellt sich vor allem die Frage, weIche möglichen Fehler zur Nichtigkeit des Grundungsbeschlusses führen. Entsprechend der von Art. 230 11 EGV vorgenommenen Einteilung lassen sich vier Nichtigkeitsgrunde unterscheiden. Der erstgenannte ist die Unzuständigkeit. In der Praxis verstärkter Zusammenarbeit dürfte dieser Nichtigkeitsgrund eher selten vorkommen. Denkbar wäre jedoch, daß die im Grundungsbeschluß vorgesehene Materie nicht in den Zuständigkeits bereich der Gemeinschaft fällt - ein Fall von Verbands- oder absoluter Unzuständigkeit - oder daß der Grundungsbeschluß nicht vom Rat erlassen wird - dann läge ein Fall von Organunzuständigkeit vor. 579 Der zweite, von Art. 230 EGV genannte Nichtigkeitsgrund ist die Verletzung wesentlicher Formvorschriften. Ob die Verletzung einer Formvorschrift wesentlich ist und somit zur Nichtigkeit führt, kann nicht abstrakt beurteilt werden, sondern hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab. 580 Hier sind zunächst die Beteiligungs- und Anhörungsrechte zu nennen. Nach Art. 11 11 EGV 581 ist die Anhörung des Parlaments vor Erlaß des Grundungsbeschlusses obligatorisch. Im Verfahren des Art. 40 11 EUV 582 ist der Kommission Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben. Ein Unterlassen dieser Verfahrens anforderungen wird in der Regel als wesentlich anzusehen sein, also zur Nichtigkeit des Grundungsbeschlusses führen, da nicht ausgeschlossen werden kann, daß der Beschluß bei Berucksichtigung der Stellungnahmen anders ausgefallen wäre. 583 Eine weitere Fehlerquelle sind die Anforderungen an das Beschlußverfahren. Ein Beschluß, der nicht die erforderliche Mehrheit von 62 Stimmen oder im Rahmen der PJZ nicht die nach Art. 40 11 UA. 3 EUVerforderliche Zustimmung von mindestens zehn Mitgliedstaaten584 umfaßt, ist nichtig. Ein Verstoß gegen die materiellen Vorschriften, die allgemeinen und speziellen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art. 43 I lit. a) bis g), 40 I Iit. a) und b) EUV, 579 s. GTE-Krück, EUV IEGV, Art. 173 Rn. 71 ff.; Calliess/Ruffert-Cremer, EUV IEGV, Art. 230 EGV Rn. 70. 580 GTE-Krück, EUV IEGV, Art. 173 Rn. 77; Calliess/Ruffert-Cremer. EUV IEGV, Art. 230 EGV Rn. 71. 581 Art. 11 11 EGV-Nizza sieht ebenfalls die Anhörung, unter Umständen sogar ein Zustimmungsrecht des EP vor. 582 Art. 40 a I EUV-Nizza sieht ein Vorschlagsrecht der Kommission vor. 583 GTE-Krück, EUV IEGV, Art. 173 Rn. 79. 584 In der P1Z ist nach Art. 40 a Ir EUV-Nizza die Zustimmung von mindestens zehn Mitgliedstaaten nicht mehr erforderlich. Wenn die Beschlußfassung nicht auf Vorschlag der Kommission erfolgt, ist allerdings eine Initiative von mindestens acht Mitgliedstaaten erforderlich.
XIII. JustiziabiJität
163
11 I lit. a) bis e) EGy 585 , führt zu einer Verletzung des Yertrags586 nach Art. 23011 EGV. Wenn der Gründungsbeschluß also nicht ultima ratio war, Bestimmungen enthält, die einen späteren Beitritt anderer Mitgliedstaaten erschweren, im EGY Materien betrifft, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fallen, oder etwa ein nach Art. 40 EUY ergangener Gründungsbeschluß Bereiche betrifft, die in den Regelungsbereich des EGY fallen, ist er vom EuGH gern. Art. 231 EGY für nichtig zu erklären. Einige der Voraussetzungen der Art. 43 I lit. a) bis g), 40 I lit. a) und b) EUY, 11 I lit. a) bis e) EGy 587 betreffen konkret den Gründungsbeschluß. Andere, wie etwa das Erfordernis der Wahrung der Zuständigkeiten, Rechte, Pflichten und Interessen der nicht beteiligten Mitgliedstaaten und das Offenheitsprinzip sind darüber hinaus auch für die Rechtmäßigkeit von Durchführungsbestimmungen relevant. Auf einen Verstoß gegen diese Vorschriften kann also auch eine Klage auf Nichtigerklärung einzelner Durchführungsmaßnahmen gestützt werden. Für diese Maßnahmen gelten bezüglich der Formvorschriften und Yerfahrensanforderungen die allgemeinen Regelungen mit Ausnahme der Sonderregelung des Art 44 I EUV. Eine Verletzung des Vertrages oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm kann u. a. dann vorliegen, wenn eine Durchführungsbestimmung eine der oben genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen oder den durch den Gründungsbeschluß gesteckten Rahmen nicht einhält. Im zuletzt genannten Fall ist die Schaffung partikularen Rechts nicht mehr von der Ermächtigung gedeckt. cc) Ablehnung bzw. Zurückstellung eines Beitrittsantrags Auch die Ablehnung bzw. Zurückstellung des Antrags eines Mitgliedstaats auf Teilnahme an der verstärkten Zusammenarbeit nach Art. 11 III EGy 588 bzw. Art. 40 III EUy 589 kann Gegenstand einer Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EGY sein. Die Nichtigkeit kann u. a. darauf beruhen, daß der Antrag abgelehnt wird, obwohl der Mitgliedstaat die Voraussetzungen für eine Teilnahme erfüllt. Die Möglichkeit für Kommission59o bzw. Rat59 1, in bestimmten Fällen Übergangsregelungen zu treffen, schafft einen gewissen Ermessensspielraum, der vom Gerichtshof dahingehend überprüft werden kann, ob die Entscheidung aus subjektiv rechtswidrigen Zwecken 592 abgelehnt wurde. Art. 43 lit. a) bis j), 40 I EUV-Nizza. Der Anwendungsbereich des Art. 230 EGV wird durch Art. 46 c) EUVerweitert. Insofern liegt eine "Verletzung dieses Vertrags" auch bei einem Verstoß gegen Vorschriften des Titels VII EUV vor. 587 Art. 43 lit. a) bis j), 40 I EUV-Nizza. 588 Art. 11 a EGV-Nizza. 589 Art. 40 b EUV-Nizza. 590 Art. 11 III EGV bzw. 11 a EGV-Nizza. 591 Art. 40 III EUV bzw. 40 b EUV-Nizza. 592 EuGH Rs. 266/82 (Turner), Slg. 1984, S. I Rn. 19. 585
586
11*
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Die genannten Beispiele beziehen sich vorwiegend auf speziell bei der Gründung und Durchführung verstärkter Zusammenarbeit mögliche Fehlerquellen. Darüber hinaus kann sich die Nichtigkeit des Gründungsbeschlusses und der Durchführungsmaßnahmen selbstverständlich auch aus allgemeinen Bestimmungen des Gemeinschafts- und Unionsrechts ergeben. 593 c) Untätigkeitsklage
Eine Untätigkeitsklage594 ist im Zusammenhang mit verstärkter Zusammenarbeit unter anderem denkbar, wenn die Kommission im Verfahren nach Art. 11 II EGy 595 oder der Rat im Verfahren nach Art. 40 II EUy 596 über den Antrag zur Gründung einer verstärkten Zusammenarbeit nicht entscheiden. Eine vertragswidrige Untätigkeit eines Gemeinschaftsorgans liegt auch dann vor, wenn die Kommission über den Beitrittsantrag eines Mitgliedstaats nach Art. 11 III EGy 597 innerhalb von vier Monaten keine Entscheidung trifft. Der betreffende Mitgliedstaat kann die Kommission nach Art. 232 II EGYauffordern, tätig zu werden und im Fall einer fehlenden Stellungnahme eine Untätigkeitsklage erheben. Ergeht eine negative Stellungnahme der Kommission, so ist gegen diese Stellungnahme die Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EGYeinschlägig. 598 Komplizierter ist die Lage bei einem angestrebten Beitritt zu verstärkter Zusammenarbeit in der PJZ. Wenn der Rat innerhalb von vier Monaten nicht über die Aufnahme des betreffenden Mitgliedstaats entscheidet, wird nach Art. 40 III EUy 599 eine positive Entscheidung fingiert. Ein Anspruch auf Erlaß von Übergangsregelungen besteht nicht, so daß für den antragstellenden Mitgliedstaat eine Untätigkeitsklage nicht relevant ist. Interessant ist aber die Frage, ob und wie andere Mitgliedstaaten gegen die Fiktion der positiven Ratsentscheidung vorgehen können. 6OO Wenn dem Rat ein entsprechender Antrag eines beitrittswilligen Mitgliedstaats zukommt, ist er verpflichtet, das Vorliegen der Beitrittsvoraussetzungen des Art. 43 I lit. g) EUy 601 zu überprüfen und eine entsprechende Entscheidung zu treffen. Aufgrund der Fiktion eines positiven Beschlusses bei fehlender Entscheidung durch den Rat entsteht in Fällen, in denen die Voraussetzungen bei dem Mitgliedstaat nicht vorliegen, ein vertragswidriger Zustand. Die Fiktion räumt dem Mitgliedstaat 593 Bei Durchführungsbestimmungen in der P1Z und in Titel IV EGV ist die eingeschränkte Zuständigkeit des EuGH zu beachten, Art. 35 EUV, 68 EGY. 594 Art. 232 EGV. 595 Art. 11 EGV-Nizza. 596
Art. 40 a EUV-Nizza.
597
Art. 11 a EGV-Nizza. GTE-Krück. EUV /EGV, Art. 175 Rn. 24. Art. 40 b EUV-Nizza.
598
599 600 601
Für diese Möglichkeit Thun-Hohenstein. Vertrag von Amsterdam, S. 124. Art. 43 b EUV-Nizza.
XIII. J ustiziabilität
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das Recht zur Teilnahme ein, obwohl es ihm nach den Bestimmungen der Art. 40, 43 EUV nicht zusteht. Deshalb liegt in solchen Fällen ein dem EGV widersprechendes Unterlassen des Rats vor, so daß die Untätigkeitsklage nach Art. 232 EGV einschlägig ist.
d) Vorabentscheidungsverfahren Der EuGH ist auch für Vorlagen nationaler Gerichte bezüglich der Auslegung von Durchführungsbestimmungen verstärkter Zusammenarbeit zuständig. 602 Bei Maßnahmen innerhalb der PJZ oder der Art. 61 ff. EGV sind die Einschränkungen der Art. 35 EUV und 68 EGV zu beachten.
3. Folgen der Zuständigkeit des EuGH für partikulares Gemeinschaftsrecht aus verstärkter Zusammenarbeit Wie dargestellt, umfaßt die Gerichtsbarkeit des EuGH auch die Sachzuständigkeit für in verstärkter Zusammenarbeit geregelte Materien. Dadurch erstreckt sich seine Jurisdiktion neben der Rechtsordnung der Gemeinschaft der 15 auf verschiedene Teilrechtsordnungen. Neben der Differenzierung der Rechtsprechung nach der Kontrolldichte und nach dem Ausmaß der Zuständigkeit, ergibt sich also auch eine räumliche Differenzierung entsprechend der Geltung des partikularen Sekundärrechts. Damit sind verschiedene Schwierigkeiten verbunden. Zu nennen sind hier der Umfang der Bindungswirkung von Urteilen des EuGH und die Klagebefugnis nicht beteiligter Staaten für mit dem partikularem Recht verbundene Fragen. Darüber hinaus stellt sich die Frage der Konkurrenz möglicherweise voneinander abweichender Regelungen, der schon in anderem Zusammenhang nachgegangen wurde,603 sowie das Problem unterschiedlicher Auslegungsmaßstäbe.
a) Klagebefugnis nicht beteiligter Mitgliedstaaten Verschiedene Klagekonstellationen wurden bereits dargestellt. In diesem Zusammenhang stellt sich das Problem der Klagebefugnis nicht beteiligter Mitgliedstaaten. 604 Für die Darstellung bietet es sich an, zwischen den verschiedenen Verfahrensarten zu differenzieren. Art. 234 EGY. Kapitel 2, Punkt VIII.2. 604 Diese Frage gab auch im Rahmen des Protokolls zur Sozialpolitik Anlaß zu verschiedenen Überlegungen. Vgl. nur Ringler, Sozialunion, S. 194; Fröhling, Maastrichter Vereinbarungen zur Sozialpolitik, S. 128 ff. 602 603
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
aa) Vertrags verletzungs verfahren Grundsätzlich ist jeder Mitgliedstaat nach Art. 227 EGV befugt, Klage gegen einen anderen Mitgliedstaat wegen Verletzung von Vertragspflichten zu erheben. Diese Klagebefugnis erfordert kein Rechtsschutzbedürfnis in Form einer unmittelbaren oder auch mittelbaren Betroffenheit, sondern beruht auf dem Interesse jedes Mitgliedstaats an der ordnungsgemäßen Anwendung des Vertrags durch alle Mitgliedstaaten. 605 Dieses Interesse ist grundsätzlich nicht schon deshalb auszuschließen, weil ein Mitgliedstaat selbst durch den betroffenen Rechtsakt nicht gebunden ist. 606 bb) Nichtigkeitsklage Ähnlich verhält es sich bei der Nichtigkeitsklage nach Art. 230 I EGY. Auch hier ist für die privilegierten Kläger, zu denen die Mitgliedstaaten nach Art. 230 II EGV gehören, kein Rechtsschutzbedürfnis erforderlich. 607 Ohne Zweifel können nicht beteiligte Mitgliedstaaten einen Gründungsbeschluß verstärkter Zusammenarbeit oder Organhandeln im Rahmen verstärkter Zusammenarbeit, das gegen Vertragsbestimmungen verstößt, mit einer Klage nach Art. 230 EGV angreifen. Das gleiche gilt für Fälle, in denen Handlungen der Institutionen gegen den Gründungsbeschluß verstoßen, denn jeder Mitgliedstaat ist an der Annahme dieses Beschlusses beteiligt gewesen und durfte davon ausgehen, daß die verstärkte Zusammenarbeit sich in diesem Rahmen bewegen würde. Die Nichtigkeitsklage durch natürliche oder juristische Personen eines nicht beteiligten Mitgiiedstaats608 ist hingegen wie folgt zu beurteilen: Wenn sich diese in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten bzw. dort eine Niederlassung haben und so Adressaten von Handlungen verstärkter Zusammenarbeit sind, sind sie bei Vorliegen einer unmittelbaren und individuellen Betroffenheit gern. Art. 230 IV EGV klagebefugt. 609 cc) Untätigkeitsklage Für die Untätigkeitsklage610 als Sonderfall der Nichtigkeitsklage gelten hinsichtlich der Klagebefugnis nicht beteiligter Mitgliedstaaten grundsätzlich die AusfühGTE-Krück, EUV / EGV, Art. 170 Rn. 1. So für das VK in bezug auf das Abkommen zur Sozialpolitik Kliemann, Sozialintegration, S. 187; a.A. Fröhling, Maastrichter Vereinbarungen zur Sozialpolitik, S. 128 f.; Ringler; Sozialunion, S. 194 sowie Hailbronner; in: GS Grabitz, S. 136, unter Hinweis auf den Einwand des venire contra factum proprium. 607 GTE-Krück, EUV / EGV, Art. 173 Rn. 30. 608 Art. 230 IV EGV. 609 Vgl. für das Abkommen zur Sozialpolitik, Fröhling, Maastrichter Vereinbarungen zur Sozialpolitik, S. 130 f. 610 Art. 232 EGY. 605
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XIII. Iustiziabilität
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rungen zur Nichtigkeitsklage. Allerdings ist wohl kaum eine Konstellation denkbar, in der ein nicht beteiligter Mitgliedstaat die Untätigkeit von Gemeinschaftsorganen bezüglich Rechtsakten verstärkter Zusammenarbeit rügt. dd) Vorlageverfahren Zulässigkeitserfordernis eines Vorabentscheidungsverfahrens ist nach Art. 234 11 EGV die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage. Ein Gericht aus einem nicht beteiligten Mitgliedstaat müßte also mit einer Frage befaßt sein, welche eine 'verbindliche Auslegung einer auf verstärkter Zusammenarbeit basierender Bestimmung erfordert. Dieser Fall dürfte zwar in der Praxis nicht häufig sein, ist aber denkbar. 611 In diesem Fall ist von einer Vorlageberechtigung auszugehen, um die Einheitlichkeit der Anwendung der betreffenden Regelungen zu gewährleisten. 612 Problematisch ist jedoch, daß die Klagebefugnis für das Vorabentscheidungsverfahren nicht nur die Vorlageberechtigung beinhaltet, sondern in bestimmten Fällen auch eine Vorlageverpflichtung, die wiederum dazu verpflichtet, die vom EuGH getroffene Auslegung als verbindlich anzuerkennen. Eine Vorlageverpflichtung, die zu einer rechtlichen Bindung führt, eine Norm verstärkter Zusammenarbeit in einer bestimmten Weise auszulegen, könnte jedoch im Widerspruch zu Art. 43 I lit. f) EUV stehen, wonach die Zuständigkeiten, Rechte, Pflichten und Interessen der nicht an der Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt werden dürfen. 613 Die Verpflichtung, eine Frage zur verbindlichen Entscheidung dem EuGH vorzulegen, beeinträchtigt grundsätzlich die Zuständigkeit der Gerichte der nicht beteiligten Mitgliedstaaten, die Frage nach ihrem Ermessen zu entscheiden. Gegen diese Argumentation könnte sprechen, daß dieser Fall der Anwendung der Rechtsakte verstärkter Zusammenarbeit durch Gerichte nicht beteiligter Mitgliedstaaten mit der Anwendung ausländischen Rechts durch nationale Gerichte vergleichbar ist. Diese sind aber nicht verpflichtet, zur Auslegung dieser Rechtsakte eine verbindliche Auslegung ausländischer Gerichte einzuholen oder diese zumindest zugrunde zu legen. Die vorliegende Frage ist aber insofern anders gelagert, als es sich hier um partikulares Gemeinschaftsrecht handelt, dessen Existenz, wie oben schon ausgeführt wurde, von allen Mitgliedstaaten akzeptiert wurde. Der Entscheidungskompetenz des EuGH für Fragen der Auslegung von Gemeinschaftsrecht haben sich alle Mitgliedstaaten unterworfen. Das gleiche gilt für die PIZ für die Mitgliedstaaten, welche die Zuständigkeit des Gerichtshofs nach Fröhling, Maastrichter Vereinbarungen zur Sozialpolitik, S. 131. Zu beachten sind die Einschränkungen für die PIZ durch Art. 35 EUV und für Titel IV EGV durch Art. 68 EUV. 613 Art. 43 lit. h) EUV-Nizza sieht vor, daß die verstärkte Zusammenarbeit die Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten der nicht beteiligten Mitgliedstaaten beachten muß. Durch diese Änderung ergeben sich aber keine Konsequenzen für die vorliegende Frage. 611
612
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Art. 35 II EUV anerkannt haben. 614 Darüber hinaus haben alle Mitgliedstaaten der Aufnahme flexibler Mechanismen in das Unions- bzw. Gemeinschaftsrecht zugestimmt. Der Gründungsbeschluß für jede einzelne verstärkte Zusammenarbeit wird von der qualifizierten Mehrheit der Mitgliedstaaten beschlossen. Insofern haben die Mitgliedstaaten der Schaffung der jeweiligen Rechtsakte, deren Verbindlichkeit für die beteiligten Mitgliedstaaten und dem Auslegungsmonopol des EuGH zugestimmt. Bezeichnend ist auch, daß von den Mitgliedstaaten keine Regelung vereinbart wurde, nach welcher die Zuständigkeit des EuGH gegenüber den nicht beteiligten Mitgliedstaaten eingeschränkt wäre. Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, daß Art. 234 EGV auch für Gerichte nicht beteiligter Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Auslegung von partikularem Sekundärrecht maßgeblich iSt. 615 b) Bindungswirkung von Urteilen des EuGH
Neben der Frage der Klagebefugnis nicht beteiligter Mitgliedstaaten stellt sich die Frage der Wirkung von Urteilen des EuGH für Behörden und Gerichte dieser Mitgliedstaaten. In den oben erwähnten Fällen der Verfahrensbeteiligung besteht eine Bindungswirkung aufgrund der inter-partes- Verbindlichkeit der jeweiligen Urteile. In anderen Fällen, in denen von Behörden oder Gerichten der nicht beteiligten Mitgliedstaaten Rechtsakte oder Maßnahmen verstärkter Zusammenarbeit angewendet werden, ist zu differenzieren. Wird eine Bestimmung verstärkter Zusammenarbeit nach Art. 231 EGV für nichtig erklärt, so tritt diesbezüglich eine rechtliche Bindungswirkung erga omnes ein. Eine vom EuGH im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 234 EGV vorgenommene Auslegung oder Ungültigkeitserklärung eines Rechtsakts entfaltet für die nicht beteiligten Mitgliedstaaten eine faktische Bindungswirkung, 616 eine erneute Vorlage ist jedoch möglich. Abgesehen von diesen Fällen der Anwendung von Durchführungsbestimmungen verstärkter Zusammenarbeit durch nicht beteiligte Mitgliedstaaten wird das Problem der Bindungswirkung relevant, wenn es um die Auslegung von Begriffen geht, die sowohl im partikularen Sekundärrecht als auch im regulären Sekundärrecht existieren. Die Interpretation eines Begriffes eines Rechtsaktes verstärkter Zusammenarbeit kann nicht auf gleichlautende Begriffe des allgemein geltenden 614 Zur gleich gelagerten Frage im Rahmen des Abkommens zur Sozialpolitik wurde vertreten, daß auch das Vereinigte Königreich das Auslegungsmonopol für Gemeinschaftsrecht anerkannt hätte und es sich bei der fraglichen Rechtsmaterie um Gemeinschaftsrecht handele. Auch wenn diese Normen lediglich für einen Teil der Mitgliedstaaten gültig seien, so hätten doch alle der Schaffung von partikularem Gemeinschaftsrecht zugestimmt. s. Fröhling, Maastrichter Vereinbarungen zur Sozialpolitik, S. 132. 615 Für das Abkommen zur Sozialpolitik haben eine Vorlageberechtigung bzw. -verpflichtung britischer Gerichte bejaht: Fröhling, Maastrichter Vereinbarungen zur Sozialpolitik, S. 132; Curtin, CMLR 1993, S. 60. 616 Vgl. EuGH Rs. 66/80 (International Chemical Cooperation), Slg. 1981, S. 1191 Rn. 13.
XIII. lustiziabilität
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Sekundärrechts übertragen werden. Eine Übertragung der Rechtsprechung würde zu einer interpretatorischen Weiterentwicklung des Sekundärrechts durch die verstärkte Zusammenarbeit führen, was im Falle der nicht beteiligten Mitgliedstaaten einem Verstoß gegen Art. 43 I lit. f) EUV 617 gleichkäme. Außer in den im vorherigen Absatz genannten Fällen kann also keine Bindungswirkung eintreten. 618 Der Ausschluß der Bindungswirkung gilt für alle Mitgliedstaaten. Denn anderenfalls würde die Auslegung des Gemeinschaftsrechts innerhalb der Gemeinschaft variieren, was mit der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts nicht zu vereinbaren wäre. Dies hat die Konsequenz, daß gleichlautende Begriffe möglicherweise unterschiedlich zu interpretieren sind, je nachdem, ob der Begriff im Zusammenhang mit partikularem oder mit regulärem Recht verwendet wird. c) Relevanz verschiedener Auslegungsmaßstäbe
Je nachdem, ob eine Bestimmung Gegenstand verstärkter Zusammenarbeit oder für alle Mitgliedstaaten gültig ist, sind also unterschiedliche Auslegungsmaßstäbe heranzuziehen. Für die Auslegung einer Bestimmung sind entweder nur die Normen des allgemein gültigen Gemeinschaftsrechts oder zusätzlich die Normen der jeweiligen durch die verstärkte Zusammenarbeit entstandenen Teilrechtsordnung maßgeblich. Das gilt sowohl für den EuGH und die anderen Gemeinschaftsorgane als auch für die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten bei der Auslegung und Anwendung von Sekundärrecht. Diese parallele Entwicklung von Begriffen, die in der Gemeinschaftsrechtsordnung und in einer Teilrechtsordnung existieren, wurde vor allem auch in Folge des Sozialabkommens als Bedrohung für die Einheit der Rechtsordnung gesehen. 619 Ernsthafte Probleme wurden dort vor allem bei der Auslegung von allgemeinen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts befürchtet. Im Unterschied dazu geht es hier aber nicht um die Interpretation von primärem Gemeinschaftsrecht oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen, da die Differenzierung durch verstärkte Zusammenarbeit nur auf der Ebene des Sekundärrechts stattfindet und deshalb Primärrecht davon nicht beeinflußt wird, wohingegen das Sozial protokoll innerhalb des Primärrechts differenzierte, also allmählich auch zu einer unterschiedlichen Auslegung von Primärrecht führen konnte. Eine unterschiedliche Auslegung von Begriffen des Sekundärrechts, wie sie durch verstärkte Zusammenarbeit entstehen kann, kann sich zwar negativ auf die Transparenz der Rechtsordnung auswirken, stellt jedoch, anders als die gleiche Situation auf der Ebene des Primärrechts, keine Bedrohung für die Einheit der Gemeinschaftsrechtsordnung dar, da die Auswirkungen unterschiedlicher AusArt. 43 lit. h) EUV-Nizza. Für das Vereinigte Königreich beim Abkommen zur Sozialpolitik Schuster, EuZW 1992, S. 186; Whiteford, ELR 1993, S. 215. 619 Dazu im einzelnen näher Kapitel I, Punkt II. 617 618
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2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
legungsmaßstäbe bei der Interpretation von Begriffen des Sekundärrechts gering sind. Insofern sind hier keine besonderen Vorkehrungen erforderlich, um die Homogenität der Rechtsordnung zu schützen. 62o
XIV. Zusammenarbeit außerhalb der Verträge Mit den Regelungen über verstärkte Zusammenarbeit existiert ein vertraglicher Flexibilitätsmechanismus. Somit stellt sich die Frage, ob die Mitgliedstaaten weiterhin auf rein völkerrechtlicher Grundlage zusammenarbeiten können oder ob dies durch die vertraglich vorgesehenen Möglichkeiten ausgeschlossen ist. In der Literatur werden dazu verschiedene Ansichten vertreten. Im wesentlichen werden zwei Grundlinien der Argumentation verfolgt. Nach einer Ansicht soll die Einbeziehung verstärkter Zusammenarbeit in die Verträge eine abschließende Regelung flexibler Kooperationsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten darstellen. Im Gegenschluß soll sich daraus ein Verbot ergeben, außerhalb dieser Mechanismen tätig zu werden. 621 Nach anderer Ansicht berührt die verstärkte Zusammenarbeit nicht die Freiheit der Mitgliedstaaten als Herren der Verträge, außerhalb des Rahmens der Verträge völkerrechtlich zusammenzuarbeiten. Durch die vertragliche Regelung von Flexibilität hätten die Mitgliedstaaten, welche grundsätzlich den Umfang der Übertragung ihrer Hoheitsrechte bestimmen könnten, ihre Befugnis, sich anderer Mittel einer flexiblen Integration zu bedienen, nicht abgetreten. 622 Eine Ansicht geht sogar noch weiter und fordert, daß vertiefte Kooperation der Mitgliedstaaten außerhalb der Verträge durch die verstärkte Zusammenarbeit nicht geflihrdet werden dürfe. Dies wird damit begründet, daß gerade externe Kooperation erwiesenermaßen Zugkraft auf die nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten ausübe und außerdem internen Spannungen in geringerem Maße ausgesetzt sei. Darüber hinaus könne der Kooperationswillen der beteiligten Mitgliedstaaten voll ausgeschöpft werden. 623 Um die Frage der Zulässigkeit externer Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten beurteilen zu können, sind zunächst die Bereiche zu unterscheiden, die weder 620 Eine einheitliche Auslegung von Bestimmungen im Zusammenhang mit der Sozialunion und im Gemeinschaftsrecht durch den EuGH forderten Koenig, EuR 1994, S. 192 und Fröhling, Maastrichter Vereinbarungen zur Sozialpolitik, S. 138 ff.; 621 Meyring, EuR 1999, S. 314 f.; ähnlich Martenczuk, ZEuS 1998, S. 464; s. auch Ost, DÖV 1997, S. 502. 622 Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 13; Kortenberg, CMLR 1998, S. 845; Hofmann, EuR 1999, S. 728; Ehlermann, EuR 1997, S. 372; ThunHohenstein, in: Hummer, Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 127; Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 43 EUV Rn. 28; Grabitz/Hilf-Blanke, Recht der EU, vor Art. 43-45 EUV Rn. 15; Hall, in: Bergmann/Lenz, Der Amsterdamer Vertrag, Kap. 20 Rn. 37 f. 623 Deubner, in: Ehlermann, Der rechtliche Rahmen.
XlV. Zusammenarbeit außerhalb der Verträge
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unionsrechtlichen noch gemeinschaftsrechtlichen Regelungen unterworfen sind. Die verstärkte Zusammenarbeit ist eine gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Handlungsform, welche sich nicht auf die völkerrechtliche Handlungsfähigkeit der Mitgliedstaaten außerhalb des Gemeinschafts- und des Unionsvertrags auswirkt. 624 Auch aus allgemeinen Erwägungen ergeben sich keine Einschränkungen für völkerrechtliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten. 625 Eine Grenze bildet lediglich die Beachtung der Interessen der Europäischen Union und des acquis communautaire. 626 Abgesehen von diesen Fällen hängt die Beantwortung der Frage von der Überlegung ab, ob es sich bei den Vorschriften über verstärkte Zusammenarbeit um zwingende Normen handelt. Dies wäre dann der Fall, wenn die Mitgliedstaaten für die Frage flexiblen Vorgehens einvernehmlich ihre Hoheitsrechte abgegeben hätten und ihre völkerrechtliche Befugnis, untereinander Verträge abzuschließen, vertraglich auf die Option der verstärkten Zusammenarbeit beschränkt hätten. 627 Rückschlüsse über diese Frage ergeben sich aus dem Wortlaut der Bestimmungen über verstärkte Zusammenarbeit sowie aus den travaux preparatoires, welche Aufschluß über deren Zielsetzung geben. Gegen die Zu lässigkeit externer Kooperationen der Mitgliedstaaten spricht, daß die Einführung der verstärkten Zusammenarbeit gerade dazu dienen sollte, Kooperationen zwischen den Mitgliedstaaten in den Rahmen der Verträge einzubeziehen und damit bestimmten Voraussetzungen und der gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen. 628 Verträge wie die Schengener Abkommen sollten den vertraglichen Anforderungen unterstellt werden. Der Wortlaut des Art. 43 I EUV 629 stützt eine solche Auslegung jedoch nicht. Denn danach "können" die Mitgliedstaaten, die beabsichtigen, untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit zu begründen, die vertraglichen Organe, Verfahren und Mechanismen in Anspruch nehmen. Diese Formulierung spricht dafür, daß die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, nach den vertraglichen Vorschriften über die verstärkte Zusammenarbeit vorzugehen. 63o Zwar wäre es auch denkbar, diese Formulierung dahingehend zu interpretieren, daß "können" im Sinne von "dürfen" zu verstehen ist, d. h. als eine Ermächtigung, 624 Hall, in: Bergmann/Lenz, Der Amsterdamer Vertrag, Kap. 20 Rn. 37 f.; Konenberg, CMLR 1998, S. 845; Edwards!Philippan, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 13; ähnlich Manenczuk, ZEuS 1998, S. 464. 625 Vgl. Schwarze, EuR 1983, S. 5. 626 Vgl. Hall, in: Bergmann/Lenz, Der Amsterdamer Vertrag, Kap. 20 Rn. 37 f.; s. auch Grabitz/Hilf-v. Bogdandy, Recht der EU (a.F.), Art. 5 EGV Rn. 71. 627 Vgl. zur Frage der Zulässigkeit informeller Vertragsänderungen Pechstein! Koenig, Europäische Union, Rn. 376. 628 Meyring, EuR 1999, S. 314 f. 629 Art. 43 EUV-Nizza. 630 So Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 43 EUV Rn. 28; Hofmann, EuR 1999, S. 727; Gaja, CMLR 1998, S. 869 f.; Chaltiel, RMC 1998, S. 293; im Ergebnis auch Ehlermann, EuR 1997, S. 372.
172
2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
ausnahmsweise in einer kleineren Gruppe zusammenzuarbeiten. Auch eine solche Interpretation spricht aber nicht zwingend für einen abschließenden Charakter der Vorschriften. Darüber hinaus bietet der Wortlaut der Bestimmungen über verstärkte Zusammenarbeit keine Anhaltspunkte für die Beschränkung der Befugnisse der Mitgliedstaaten, außervertraglich zusammenzuarbeiten. Ein weiterer Aspekt ist die Tatsache, daß für den Ratsvorsitz und die Kommission u. a. das Ziel, ein Ausweichen auf außervertragliche Zusammenarbeit zu verhindern, Motivation für eine Lockerung der Zulässigkeitsvoraussetzungen bei der Regierungskonferenz 2000 war. 631 Diese Befürchtung wäre jedoch gegenstandslos, wenn externe Kooperation vertraglich ausgeschlossen wäre. Es gibt also keine hinreichenden Anhaltspunkte für den zwingenden Charakter der Vorschriften über verstärkte Zusammenarbeit. Die Befugnis der Mitgliedstaaten zu völkerrechtlicher Kooperation besteht demnach grundsätzlich weiterhin. Es sind jedoch Zweifel angebracht, ob derartige Kooperationen tatsächlich einen leichteren und besseren Vertiefungseffekt bewirken. 632 Die durch Flexibilität entstehenden Konflikte werden dadurch, daß sie sich in der externen Sphäre abspielen, nur vordergründig geringer. Eine externe Zusammenarbeit ist jedenfalls, vor allem im Bereich des Gemeinschaftsrechts, nicht uneingeschränkt zulässig. Zum einen existieren allgemeine vertragliche Grenzen. Die Mitgliedstaaten dürfen aufgrund ihrer Loyalitätspflicht gegenüber der Gemeinschaft633 gemeinschaftliches Handeln nicht behindern und den acquis communautaire nicht beeinträchtigen. 634 Zum anderen ergeben sich, auch wenn die verstärkte Zusammenarbeit nicht als abschließend anzusehen ist, aus deren Existenz dennoch Konsequenzen für außervertragliche Zusammenarbeit. Aus dem Loyalitätsgrundsatz folgt, daß den Vorschriften über verstärkte Zusammenarbeit der Vorrang vor außervertraglicher Kooperation zu geben ist. 635 Eine außervertragliche Kooperation bei Vorliegen der Grundvoraussetzungen der verstärkten Zusammenarbeit - auch etwa bei Scheitern aufgrund des Vetos eines Mitgliedstaats - wäre als mißbräuchlich anzusehen. Darüber hinaus konkretisieren einige der Bedingungen der Art. 43 EUV und 11 EGV lediglich die Solidaritätspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der 631 s. etwa Institutionelle Reform für eine erfolgreiche Erweiterung, Stellungnahme der Kommission nach Artikel 48 des Vertrags über die Europäische Union zur Einberufung einer Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Änderung der Verträge, COM (2000) 34, S. 36; Regierungskonferenz über die Insitutionelle Reform, Bericht des Vorsitzes an den Europäischen Rat (Feira), CONFER 4750100, S. 53. 632 So Deubner; in: Ehlermann, Der rechtliche Rahmen, S. 128 f. 633 Art. 10 EGY. 634 Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 43 EUV Rn. 28; Hofmann, EuR 1999, S. 728; Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 120; Grabitz/Hilf-Blanke, Recht der EU, vor Art. 43-45 EUV Rn. 15. 635 Hofmann, EuR 1999, S. 728; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 464; a.A. in diesem Punkt Thun-Hohenstein, in: Hummer Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 127, der davon ausgeht, daß außervertragliche Kooperation auch bei Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen zulässig wäre, jedoch aus Art. 10 EGV in etwa die gleichen Bedingungen ableitet.
XlV. Zusammenarbeit außerhalb der Verträge
173
Gemeinschaft und untereinander. 636 Hier sind vor allem Art. 43 I lit. a), c), d) und g) EUV sowie Art. 11 I lit. a), b) und d) EGV 637 zu nennen. Andere Zulässigkeitsbedingungen ergeben sich aus allgemein geltenden Vertragsvorschriften oder allgemeinen Grundsätzen. So ist eine außervertragliche Kooperation im Gemeinschaftsrecht auch ohne Berücksichtigung von Art. 11 I lit. a) und lit. d) EGV 638 lediglich im Bereich nicht ausgeübter konkurrierender Kompetenzen der Gemeinschaft denkbar. 639 Die Kernbereiche der Integration sind durch Art. 11 I lit. a), c) und e) EGV 640, die Homogenität der Rechtsordnung durch Art. 43 I lit. d) und e) EUV, 11 I lit. b) EGV64 I geschützt. Die hieraus resultierenden Anforderungen sind auch in anderen Fällen der Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten zu beachten. Insgesamt dürften sich für die Zulässigkeit deshalb kaum Unterschiede ergeben. Da das Erfordernis der Beteiligung einer Mehrheit der Mitgliedstaaten bzw. im Vertrag von Nizza von mindestens acht Mitgliedstaaten vor einer Zersplitterung der Union schützen soll, stellt sich die Frage, ob eine außervertragliche Kooperation von drei Mitgliedstaaten zulässig sein kann. Dies hängt grundsätzlich vom Einzelfall, insbesondere vom Gegenstand und Umfang der Zusammenarbeit, ab. An eine derartige Zusammenarbeit sind aber sehr hohe Anforderungen zu stellen. Für das Unionsrecht gelten im wesentlichen die gleichen Überlegungen. Wegen der Struktur des Unionsrechts ergeben sich hier grundsätzlich weniger Bedenken gegen außervertragliche Kooperationen. Aufgrund des allgemein geltenden Soli daritätsprinzips ist jedoch auch hier erforderlich, daß die Zusammenarbeit Bestimmungen des Unionsrechts nicht verletzt und mit den Handlungszielen der Union vereinbar ist. 642 Es ergeben sich für die PIZ also ähnliche Bedingungen wie durch Art. 40 I EUv. 643 In der GASP ist im Vertrag von Amsterdam644 ohnehin nur außervertragliche Zusammenarbeit möglich sowie gern. Art 17 IV EUV 645 auch ausdrücklich zulässig. 636 Art. 10 EGV. Der Solidaritäts grundsatz liegt als allgemeiner Grundsatz auch dem Unionsvertrag zugrunde, vgl. Calliess I Ruffert-Calliess, EUV IEGV, Art. 10 EGV Rn. 6; Grabitz I Hilf-von Bogdandy, Recht der EU (a.F.), Art. 5 EGV Rn. 6. 637 Art. 43 lit. a), b), c), d) und h), 43 a und 43 b EUV-Nizza. 638 Art. 43 lit. d) EUV-Nizza. 639 Vgl. Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 43 EUV Rn. 28; sowie zu den Bedenken der Zulässigkeit der Schengener Abkommen aufgrund der Berührung von Bereichen ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit GTE-Taschner. EUV IEGV, Schengener Übereinkommen Rn. 70 ff. 640 Art. 43 lit. e) und f) EUV-Nizza. 641 Art. 43 lit. c) und h) EUV-Nizza. 642 Hofmann, EuR 1999, S. 728; Ehlermann, EuR 1997, S. 372. 643 Art. 40 I EUV-Nizza. 644 Anders im Vertrag von Nizza, welcher auch in der GASP verstärkte Zusammenarbeit einführt. 645 Art. 17 IV EUV-Nizza.
174
2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Auch wenn außervertragliche Kooperationen gewissen Einschränkungen unterworfen sind, liegt ein erhebliches Problem doch darin, daß lediglich die Einhaltung der vertraglichen Grenzen durch den EuGH überprüft werden kann. Die externe Zusammenarbeit an sich unterliegt nicht der gerichtlichen Kontrolle.
xv. Fazit 1. Verstärkte Zusammenarbeit im Vertrag von Amsterdam Die Reaktionen der Literatur auf die verstärkte Zusammenarbeit im Vertrag von Amsterdam sind insgesamt eher skeptisch, die geäußerten Bedenken weit gefächert. So wird die fehlende Absicherung gegen die Etablierung verstärkter Zusammenarbeit als dauerhafte Einrichtung kritisiert. 646 In diesem Zusammenhang wird auch das Fehlen wirklicher Solidaritätspflichten angemahnt, die einem Auseinanderfallen der beiden Gruppen von Mitgliedstaaten entgegenwirken könnten. Erstrebenswert sei eine Pflicht zur - evtl. auch finanziellen - Unterstützung der nicht beteiligten Mitgliedstaaten. 647 Ferner werden negative Auswirkungen auf die Beschlußfassung in der Union durch eine abnehmende Kompromißbereitschaft der größeren Mitgliedstaaten zum Nachteil der kleineren Mitgliedstaaten befürchtet. Dies wirke dem Ziel der Verwirklichung der Mehrheitsentscheidung entgegen. 648 Auf Dauer führe dies in Richtung eines Kerneuropa649 bis hin zur Bildung zweier differenzierter Integrationsprozesse innerhalb der Europäischen Union. 65o Eine weitere Gefahr wird in der Zersplitterung der Rechtsordnung gesehen. 651 Die Existenz von Teilrechtsordnungen verkompliziere das rechtliche Bild. 652 Darunter leide die Effizienz des Gemeinschaftsrechts und dessen Akzeptanz bei den Bürgern. 653 Negativ wird in dieser Hinsicht auch der politische Charakter der Bestimmungen bewertet. Dadurch resultierende Auslegungsschwierigkeiten schlügen sich langfristig auf die Rechtsordnung nieder. 654 Andererseits wird kritisiert, daß die verstärkte Zusammenarbeit in mancher Hinsicht für integrationsfreudige Mitgliedstaaten unattraktiv sei. Ein in diesem ZusamBeckeT, EuR 1998 - Beiheft 1, S. 55. Ehlennann, EuR 1997, S. 379; BeckeT, EuR 1998 - Beiheft 1, S. 55; Edwards/Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 13 f. 648 s. Rodrigues, RMC 2001, S. 12. 649 Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 17; ähnlich Ehlermann, EuR 1997, S. 370. 650 Kotzias, in: Breuss I Griller, Flexible Integration in Europa, S. 14. 651 Gaja, CMLR 1998, S. 869; Ehlennann, EuR 1997, S. 369. 652 Gaja, CMLR 1998, S. 869; Grabitz/Hilf-Blanke, Recht der EU, vor Art. 43 -45 EUV Rn. 25. 653 Ehlermann, EuR 1997, S. 369. 654 Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 14. 646
647
xv. Fazit
175
menhang genannter Faktor ist das Offenheitsprinzip, das dazu führen könne, daß manche Mitgliedstaaten auf eine verstärkte Zusammenarbeit verzichteten, wenn sie davon ausgehen müßten, daß sich andere, in ihren Augen nicht geeignete Mitgliedstaaten jederzeit daran beteiligen könnten. 655 Der wesentliche Kritikpunkt sind aber die strengen, den Anwendungsbereich stark einschränkenden Bedingungen. 656 Die Inanspruchnahme verstärkter Zusammenarbeit werde dadurch erschwert oder beinahe unmöglich gemacht, was außervertragliche Kooperationen der Mitgliedstaaten fördere. 657 Die zuvor genannten Probleme würden dadurch keineswegs gelöst sondern eher verstärkt. 658 Auf die Einheitlichkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung habe außervertragliche Kooperation zwar keine Auswirkungen, die Struktur der Union könne jedoch insgesamt gefährdet werden. 659 Die in der Literatur geäußerte Kritik wirkt auf den ersten Blick besorgniserregend, bei genauerer Betrachtung relativieren sich diese Bedenken jedoch. Die Offenheit ist ein wesentliches Prinzip der verstärkten Zusammenarbeit, das durch die Ausgestaltung des Beitrittsmechanismus garantiert wird. Auch die Möglichkeit von Übergangsregelungen trägt den Interessen der zunächst nicht beteiligten Mitgliedstaaten Rechnung. Dies zeigt, daß die verstärkte Zusammenarbeit kein Mittel zur dauerhaften Elitenbildung ist, sondern ein Magnet für die zunächst nicht beteiligten Mitgliedstaaten. Zwar stellen die Voraussetzungen keine speziellen Solidaritätspflichten auf, aufgrund der einschränkenden Zulässigkeitsbedingungen ist verstärkte Zusammenarbeit jedoch auf wenige Politikfelder beschränkt, so daß bereichsübergreifende Zusammenarbeit einer einheitlichen Gruppe von Mitgliedstaaten undenkbar ist. Die Befürchtung, daß die verstärkte Zusammenarbeit zu einer dauerhaften Spaltung der Union führen könnte, ist deshalb unrealistisch. Die Sorge der nicht beteiligten Mitgliedstaaten, daß der Prozeß der Entscheidungsfindung, vor allem die Mehrheitsentscheidung, innerhalb der Union unter abnehmender Kompromißbereitschaft der stärkeren Mitgliedstaaten aufgrund der Möglichkeit zu verstärkter Zusammenarbeit leiden könnte, ist verständlich. Im Vertrag von Amsterdam wird die Verhandlungsposition jedes einzelnen Mitgliedstaats durch das Vetorecht gestärkt, und die Kompromißbereitschaft der stärkeren Mitgliedstaaten kann auf diese Weise erzwungen werden. Gaja, CMLR 1998, S. 869. Kortenberg, CMLR 1998, S. 852; Manin, CJEL 1998, S. 21; Peers, Justice and Horne Affairs, S. 54; Cloos, RMC 2000, S. 514. 657 Zur Frage, ob eine engere Zusammenarbeit zwischen einem Teil der Mitgliedstaaten außerhalb der Verträge auch nach der Einführung der verstärkten Zusammenarbeit möglich ist, siehe Kapitel 2, Punkt XIV. 658 Gaja, CMLR 1998, S. 869 f.; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 472; Ehlertnann, EuR 1997, S.394; 659 Gaja, CMLR 1998, S. 870. 655 656
176
2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
Der politische Charakter der Bestimmungen ist kaum zu leugnen. Viele der Vorschriften beinhalten weniger rechtliche Grenzen als vielmehr eine Charakterisierung des Konzepts der verstärkten Zusammenarbeit. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der Kontroversen zum Thema Flexibilität zu erklären. Unter Berücksichtigung der Zielsetzung verstärkter Zusammenarbeit und allgemeiner gemeinschaftsrechtlicher Grundsätze ist der Inhalt der Vorschriften relativ genau zu bestimmen. Ob tatsächlich Defizite in Bezug auf die rechtlichen Grenzen existieren, kann wohl erst anhand von praktischen Beispielen beurteilt werden. Ein schwerwiegender Kritikpunkt an der verstärkten Zusammenarbeit ist die Gefährdung der Rechtsordnung durch Zersplitterung und wachsende Intransparenz des Rechts. Die Differenzierung des Rechts ist eine notwendige Folge zunehmender Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten der Union, oder anders ausgedrückt, ,,[d]aß die Heterogenität einer größer werdenden EU auch zu größerer Heterogenität des EG lEU-Rechts führt, ist ... ein physiologischer Prozeß, der unvermeidbar ist. ,,660 Die anstehende Erweiterung der Union, das Vordringen der Integration in nationalpolitisch sensible Bereiche und der Mangel an identitätsstiftenden Faktoren führen zu einer wachsenden Heterogenität innerhalb der Union. Einheitsregelungen können, so bedauerlich das im Hinblick auf die Einheitlichkeit, Transparenz und Effizienz des Gemeinschaftsrechts scheinen mag, diesen Unterschieden nicht gerecht werden. Flexible Handlungsformen, die unvermeidlich zu Differenzierungen der Rechtsordnung führen, sind der einzige Weg, durch den ein Stagnieren der europäischen Integration verhindert werden kann. Eine realistische Bewertung der Vorschriften über verstärkte Zusammenarbeit kann nur vor diesem Hintergrund stattfinden. Es bleiben kleinere Kritikpunkte, wie das Fehlen von Solidaritätspflichten und die Möglichkeit des nationalen Vetos. Damit tatsächlich eine Verbesserung bewirkt wird, muß bei all diesen Punkten ein Ausgleich gefunden werden zwischen dem Bestreben, möglichst vielen Mitgliedstaaten den Zugang zu verstärkter Zusammenarbeit zu ermöglichen, und dem Erfordernis, verstärkte Zusammenarbeit als attraktive Möglichkeit für stärkere Mitgliedstaaten auszugestalten. Die meisten Bestimmungen des Vertrags von Amsterdam zur verstärkten Zusammenarbeit spiegeln dieses Spannungsfeld wider. An ihnen zeigt sich ein gelungener Kompromiß zwischen den Interessen der kleineren, verstärkter Zusammenarbeit skeptisch gegenüber stehenden Mitgliedstaaten und den Anliegen der Befürworter dieses flexiblen Mechanismus. 661 Ein wirkliches Problem liegt jedoch im eingeschränkten Anwendungsbereich der verstärkten Zusammenarbeit. Die Tatsache, daß dieser Mechanismus bislang noch nie zur Anwendung gelangte, verdeutlicht dieses Defizit. Dadurch besteht die 660 661
Ehlermann, EuR 1997, S. 395. Ehlermann, EuR 1997, S. 394.
xv. Fazit
177
Gefahr, daß die verstärkte Zusammenarbeit, über deren Notwendigkeit weitgehende Einigkeit bestand, ihre Funktion nicht erfüllen kann. Dann wäre aber der Schutz des aquis communautaire und der anderen Mitgliedstaaten erheblich schwerer zu gewährleisten als bei einer Zusammenarbeit innerhalb des unions- bzw. gemeinschaftsrechtlichen Rahmens. Das könnte die Konsequenz haben, daß ein Teil der Mitgliedstaaten bei Bedarf außerhalb des rechtlichen Rahmens der Union zusammenarbeitet. 662 Ein damit verbundenes Ausweichen auf außervertragliche Zusammenarbeit wird sich aber auf Transparenz und Effizienz des Gemeinschaftsrechts erheblich negativer auswirken als verstärkte Zusammenarbeit, nicht zuletzt aufgrund der fehlenden lustiziabilität externer Kooperationen.
2. Verstärkte Zusammenarbeit im Vertrag von Nizza Eine wesentliche Änderung des Vertrags von Nizza ist die Aufhebung der nationalen Vetomöglichkeit. Diese Entfernung der Blockademöglichkeit einzelner Mitgliedstaaten aus dem Verfahren ist von großer Bedeutung, da die verstärkte Zusammenarbeit gerade in umstrittenen und sensiblen Bereichen, in denen die Opposition einzelner Mitgliedstaaten wahrscheinlich ist, eine Option für Fortschritt bieten soll. Zwar wird die Verhandlungsposition der einzelnen Mitgliedstaaten dadurch geschwächt. Die Inanspruchnahme der verstärkten Zusammenarbeit wird aber erheblich erleichtert, um ein Ausweichen auf externe Kooperation zu verhindern. Zugunsten der nicht beteiligten Mitgliedstaaten normiert der Vertrag von Nizza Solidaritätspflichten. Diese sind sehr allgemein formuliert und sehen keine konkreten Verpflichtungen der Vorreitergruppe VOr. 663 Dennoch stellen sie ein wichtiges Signal gegen die Entwicklung eines Zwei-Klassen-Europa dar. Die Solidarität gegenüber den "schwächeren" Mitgliedstaaten ist im Interesse der Förderung der Integration der gesamten Union und des Zusammenhalts unter den Mitgliedstaaten von entscheidender Bedeutung. Bei der Beurteilung der allgemein gehaltenen Bestimmung des Art. 43 b, S. 3 EUV-Nizza ist zu bedenken, daß zu weit gehende Unterstützungspflichten der beteiligten Mitgliedstaaten kontraproduktiv sind. Zweck der Vorschriften über verstärkte Zusammenarbeit ist, ein Voranschreiten integrationsfreudiger und -fähiger Staaten zu ermöglichen. Darüber hinaus bieten auch weitreichende Solidaritätspflichten keine Absicherung, daß verstärkte Zusammenarbeit nicht zu einem dauerhaften Zustand wird, denn mangelnde politische Bereitschaft zur Teilnahme kann durch Solidaritätspflichten nicht überbrückt werden. Insgesamt wird der Anwendungsbereich verstärkter Zusammenarbeit vor allem im EGV durch die Änderungen des Vertrags von Nizza erweitert und das Erscheinungsbild durch die neue Systematisierung der Vorschriften vereinfacht. 664 Zwar 662 663 664
Dazu ausführlicher Kapitel 2, Punkt XlV. Epiney/Abt/Mosters, DVBI. 2001, S. 948. So auch Epiney/ Abt/ Mosters, DVBI. 2001, S. 948.
12 Grieser
178
2. Kap.: Die verstärkte Zusammenarbeit
bestehen nach wie vor Unklarheiten bei der Auslegung mancher Bestimmungen. Diese werden jedoch erst anhand praktischer Anwendungsfälle gelöst werden können. Es ist zu hoffen, daß die neue Struktur der Vorschriften und die Abschwächung einiger einschränkender Zulässigkeitsbedingungen die Inanspruchnahme erleichtern und außervertragliche Kooperationen bald der Vergangenheit angehören. Ein weniger positives Bild zeigt die verstärkte Zusammenarbeit in der GASP. Deren Einführung ist zwar zu begrüßen. Aufgrund des eingeschränkten Anwendungsbereichs wird aber außervertragliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zur Tagesordnung gehören.
Drittes Kapitel
Case-by-case-Flexibilität Neben der verstärkten Zusammenarbeit gibt es sowohl im EGV als auch im EUV Normen, weIche flexible Integration in kleinerem Umfang ermöglichen. Auch hier handelt es sich um Ermächtigungsklauseln, weIche sekundärechtliche Flexibiliät ermöglichen. Anders als die umfassend anwendbare Generalklausei für verstärkte Zusammenarbeit sind diese potentiellen Differenzierungen jeweils auf bestimmte, vertraglich festgelegte Anwendungsfälle beschränkt.
I. Konstruktive Enthaltung in der GASP Der Vertrag von Amsterdam sieht für die zweite Säule, Titel V EUV, noch keine verstärkte Zusammenarbeit vor. 1 Dennoch ist flexibles Vorgehen in der GASP nicht auf außervertragliche Zusammenarbeit beschränkt, sondern es ist ebenfalls ein neuer Flexibilitätsmodus eingeführt worden: das Verfahren der konstruktiven Enthaltung 2 nach Art. 23 11 EUV. 3 Die konstruktive Enthaltung ermöglicht es einzelnen Mitgliedstaaten, sich bei der Beschlußfassung im Rahmen des Titels V EUV ihrer Stimme zu enthalten, ohne dadurch die Annahme und Durchführung des Beschlusses durch die anderen Mitgliedstaaten zu behindern. Die sich ihrer Stimme enthaltenden Mitgliedstaaten werden durch den Beschluß nicht gebunden. 1. Möglichkeit der Stimmenthaltung
Art. 23 EUV regelt das Entscheidungsverfahren für die nach Art. 12 ff. EUV zu erlassenden Beschlüsse und fordert in Abs. 1 grundsätzlich Einstimmigkeit. Als Ausgleich für diese verfahrensrechtliche Hürde sieht Art. 23 I UA. 1 S. 2 EUV 1 Nach dem Vertrag von Nizza hingegen ist auch in der GASP verstärkte Zusammenarbeit möglich, allerdings in eingeschränktem Umfang. 2 Für Thun-Hohenstein ist die Bezeichnung "konstruktive Enthaltung" mißverständlich, da eine gewöhnliche Stimmenthaltung aus europäischer Sicht wesentlich konstruktiver sei, Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 71. 3 Das im folgenden dargestellte Verfahren der konstruktiven Enthaltung gilt sowohl nach dem Vertrag von Amsterdam als auch nach dem Vertrag von Nizza, da Art. 23 I EUV durch den Vertrag von Nizza nicht geändert wird.
12*
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3. Kap.: Case-by-case-Flexibilität
vor, daß die Stimmenthaltung von einzelnen Mitgliedstaaten keine negativen Auswirkungen auf die Beschlußfassung hat, vorausgesetzt diese Mitgliedstaaten sind anwesend oder vertreten. Bei Abwesenheit eines nicht vertretenen Mitgliedstaats ist keine Beschlußfassung möglich.
2. Abgabe einer förmlichen Erklärung - konstruktive Enthaltung Nach Art. 23 I UA. 2 EUV können die Ratsmitglieder, die sich enthalten, eine förmliche Erklärung abgeben, daß dieser Beschluß für sie nicht verpflichtend ist. Dies beinhaltet die Anerkennung, "daß der Beschluß für die Union bindend ist". Weiterhin werden allen Mitgliedstaaten in Art. 23 I UA. 2 S. 3 EUV gegenseitige Loyalitätspflichten auferlegt. Der oder die nicht beteiligten Mitgliedstaaten sind verpflichtet, alles zu unterlassen, was das Vorgehen der Union in diesem Punkt behindern könnte. Im Gegenzug müssen die anderen Mitgliedstaaten den Standpunkt des oder der opt-outs respektieren. 4 Dieses Obstruktionsverbot erinnert an Art. 43 11 EUV,5 ist jedoch etwas genauer, man könnte auch sagen strenger,6 formuliert. Darüber hinaus konkretisiert es die in Art. 11 11 EUV normierten Loyalitätspflichten hinsichtlich der Außen- und Sicherheitspolitik der Union. Aus der Formulierung dieses Obstruktionsverbots, in dem stets auf "die Union" und nicht auf die anderen Mitgliedstaaten abgestellt wird, ergibt sich, daß auch die im Verfahren der konstruktiven Enthaltung gefaßten Beschlüsse zum Besitzstand der Union gehören. 7 Das entspricht auch der Tatsache, daß es sich bei der konstruktiven Enthaltung - anders als bei der verstärkten Zusammenarbeit - nicht um ein opt-in mehrerer Mitgliedstaaten, sondern um ein opt-out der sich konstruktiv enthaltenden Mitgliedstaaten handelt. Art. 23 I UA. 2 S. 4 EUV normiert eine Grenze für die Möglichkeit der konstruktiven Enthaltung. Voraussetzung ist, daß die Mitgliedstaaten, die eine förmliche Erklärung über ihre Enthaltung abgegeben haben, höchstens über ein Drittel der nach Art. 205 11 EGV gewogenen Stimmen, d. h. 29 Stimmen,8 verfügen. Fraglich ist, ob eine konstruktive Enthaltung nur bei einstimmig zu fassenden Beschlüssen nach Art. 23 I EUV möglich ist oder auch bei Beschlüssen, die nach Art. 23 11 EUV mit qualifizierter Mehrheit gefaßt werden können. 9 In der Literatur 4 Diese Loyalitätspflicht geht nicht so weit wie eine Solidaritätspflicht, welche nicht nur ein Verbot der Behinderung sondern eine Verpflichtung zur Förderung enthält, vgl. etwa Art. 43 b, S. 3 EUV-Nizza. 5 Art. 44 II S. 3 EUV-Nizza. 6 So Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 125. 7 Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 125. 8 Ab I. Januar 2005 werden gern. Art. 3 I a) i) Protokoll über die Erweiterung der Europäischen Union (Vertrag von Nizza) die Stimmen verhältnisse im Rat geändert werden, so daß die Sperrminorität dann bei 79 Stimmen liegen wird. 9 Vgl. Ehlermann, EuR 1997, S. 388.
1. Konstruktive Enthaltung in der GASP
181
wird vereinzelt vertreten, daß nichts gegen die Anwendung des Art. 23 I UA 2 EUV auf die Beschlußfassung mit qualifizierter Mehrheit spräche. In dem Fall müßten die Stimmen der sich konstruktiv enthaltenden Mitgliedstaaten aber als Gegenstimmen gewertet werden. IO Der Wortlaut des Art. 23 EUV ist nicht eindeutig. Die systematische Stellung der Regelung der konstruktiven Enthaltung in Absatz 1 steht dem jedoch entgegen. Darüber hinaus widerspricht eine solche Auslegung dem Sinn und Zweck einer Mehrheitsentscheidung. Die Ausweitung der Mehrheitsentscheidung in der GASP dient dazu, ein Vorgehen der Union zu erleichtern und selbst dann zu ermöglichen, wenn nicht alle, sondern die qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten dies befürworten. In den Fällen des Art. 23 II EGV, also der Beschlußfassung auf der Grundlage oder zur Durchführung bereits gefaßter Beschlüsse, können auch dagegen stimmende Mitgliedstaaten verpflichtet werden. Anders als flexible Mechanismen zielen Mehrheitsentscheidungen darauf ab, ein Vorgehen aller Mitgliedstaaten zu erreichen. Ein opt-out im Rahmen einer Mehrheitsentscheidungen nach Art. 23 II EUV würde diese Unterschiede zwischen Einheits- und Mehrheitsentscheidungen ignorieren. Die konstruktive Enthaltung ist daher nur bei Einstimmigkeitsentscheidungen nach Art. 23 I EUV möglich. 11
3. Spezialproblem: Wirtschaftssanktionen nach Art. 301 EGV Im Bereich der GASP gibt es manche Überschneidungen mit dem EGY. Im Fall des Art. 301 EGV können im Zusammenhang mit der konstruktiven Enthaltung nach Art. 23 I EUV Widersprüche auftreten. Der Beschluß über die Notwendigkeit von Wirtschaftssanktionen gegenüber Drittstaaten wird als außenpolitische Maßnahme nach den Vorschriften der GASP in einem gemeinsamen Standpunkt oder einer gemeinsamen Aktion l2 beschlossen. Über die Form der Durchführung entscheidet jedoch gern. Art. 301 EGV der Rat auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit. D.h. der Grundbeschluß ergeht in einem intergouvernementalen, der Durchführungsbeschluß in einem supranationalen Verfahren. Dieses Verhältnis wirft die problematische Frage der Bindung der Gemeinschaftsorgane, insbesondere der Kommission, an die GASP-Maßnahme auf. \3 Interessant ist für den vorliegenden Zusammenhang vor allem die Situation, die entsteht, wenn sich Mitgliedstaaten im Wege der konstruktiven Enthaltung nicht an der Annahme eines gemeinsamen Standpunktes oder einer gemeinsamen Aktion beteiligen, so daß für sie keine Bindungswirkung entsteht. Diese Staaten sind nicht gern. Art. 14 III bzw. Ehlermann. EuR 1997, S. 388. So des Nerviens. RTDE 1997, S. 808; Kotzias. Die Regierungskonferenz. S. 32; Calliess/Ruffert-Cremer, EUV IEGV. Art. 23 EUV Rn. 1; Hafner, in: Liber amicorum Seid 1Hohenveldem. S. 279; Thun-Hohenstein. Vertrag von Amsterdam, S. 71; unklar Kortenberg. CMLR 1998, S. 853. 12 Art. 14 und 15 EUV. 13 Dazu Kugelmann. EuR 1998 - Beiheft 2. S. ll4 f. 10 11
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3. Kap.: Case-by-case-Flexibilität
15 EUV verpflichtet, im Rahmen der Beschlußfassung nach Art. 301 EGV für den Erlaß einer entsprechenden Verordnung zu stimmen. Im Rahmen des supranationalen Beschlußverfahrens des Art. 301 EGV reicht jedoch die qualifizierte Mehrheit zur Beschlußfassung. Die Gegenstimmen der sich konstruktiv enthaltenden Mitgliedstaaten wirken sich also nicht aus. Art. 249 EGV gilt für diese Mitgliedstaaten trotzdem. Dadurch entsteht die paradoxe Situation, daß sich einzelne Mitgliedstaaten gegen die Verhängung von Sanktionen aussprechen, der Grundbeschluß für sie nach Art. 23 I EUV keine Bindungswirkung entfaltet, sie aber trotzdem an die nach Art. 301 EGV beschlossenen Durchführungsmaßnahmen gebunden sind. In der Praxis wird dieses Problem dadurch entschärft, daß Sanktionen bislang auf der Umsetzung von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates beruhten, so daß jeder Mitgliedstaat zu deren Anwendung verpflichtet war. 14 In solchen Fällen wäre aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtung nach der UN-Charta eine konstruktive Enthaltung ausgeschlossen. Mit dem Ziel einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik vor Augen besteht jedoch in Zukunft auch die Möglichkeit originärer EUSanktionen. Dann ist mangels anderer Regelungen l5 davon auszugehen, daß die betroffenen Mitgliedstaaten ihren gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachkommen müssen, auch wenn dies im Widerspruch zu ihren außenpolitischen Vorstellungen steht. 16 Eine solche Vorgehensweise ist sicherlich keine befriedigende Lösung. Das Problem beruht jedoch nicht nur auf der durch Art. 23 I EUVermöglichten Flexibilität der GASP, sondern auch auf dem ungeklärten Verhältnis zwischen GASP und EGV,17 sowie der Tatsache, daß trotz Art. 3 EUV die Kohärenz der Union nicht in allen Bereichen gewährleistet ist. Dennoch werden an diesem Beispiel die Nachteile einer einzelfallbezogenen Gestaltung der Flexibilität oder case-by-case-Flexibilität gegenüber einer für alle Bereiche der Union geltenden Generalklausei deutlich. Durch eine säulenübergreifende verstärkte Zusammenarbeit würden derartige Probleme vermieden. Dieses Problem wird durch die Einführung verstärkter Zusammenarbeit in der GASP nicht behoben, da diese auf die Durchführung gemeinsamer Aktionen und die Umsetzung gemeinsamer Standpunkte beschränkt iSt. 18 Der Beschluß über Wirtschaftssanktionen erfolgt jedoch im Rahmen der Annahme gemeinsamer Aktionen oder Standpunkte, für welche das Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit keine Anwendung findet. 14 Caliiess/Ruffert-Crerner, EUV IEGV, Art. 301 EGV Rn. 3; Kugelmann, EuR 1998 Beiheft 2, S. 115. 15 Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 72, bemängelt insbesondere für den Fall der Embargobeschlüsse das Fehlen von Zulässigkeitskriterien für die konstruktive Enthaltung. 16 Kugelrnann, EuR 1998 - Beiheft 2, S. 116. 17 Dazu Calliess I Ruffert-Crerner, EUV IEGV, Art. 301 Rn. 1,8 ff.; Krück, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 11- 28 EUV Rn. 77 ff. 18 Art. 27 b EUV-Nizza.
I. Konstruktive Enthaltung in der GASP
183
4. Finanzierung Die Finanzierung von Beschlüssen, die mit konstruktiver Enthaltung ergehen, ist in Art. 23 EUV nicht explizit geregelt. Die Beschlüsse sind "für die Union bindend,,19 und gehören zum Besitzstand der Union. Daher werden die damit verbundenen Kosten grundsätzlich nach Art. 28 11, III EUV dem Haushalt der Europäischen Gemeinschaften angelastet. Die nicht beteiligten Mitgliedstaaten werden von der Kostentragung nicht ausgenommen,20 es sei denn der Rat bestimmt hinsichtlich der operativen Ausgaben nach Art. 28 III EUV einstimmig21 eine Umlagefinanzierung. Dann findet gern. Art. 28 III UA. 2 EUVeine Verteilung nach dem Bruttosozialprodukt-Schlüssel statt, je nach Beschluß zu Lasten aller oder nur der beteiligten Mitgliedstaaten. Eine Ausnahme von der Verteilung der operativen Kosten auf alle Mitgliedstaaten trifft Art. 28 III UA. 2 S. 2 EUV für Maßnahmen mit militärischem oder verteidigungspolitischem Bezug. Demnach sind Mitgliedstaaten, die sich nach Art. 23 I UA. 2 EUV konstruktiv enthalten, in diesen Fällen nicht verpflichtet, die Ausgaben zu tragen. Auch daraus folgt - im Gegenschluß - die Bestätigung des Grundsatzes der Kostentragung durch den EG-Haushalt und die Kostenverteilung auf alle Mitgliedstaaten. Ein bedeutender Nachteil dieser Regelung ist allerdings, daß derartige Maßnahmen z.T. mit einem erheblichen Kostenaufwand verbunden sind, so daß Mitgliedstaaten durch finanzielle Erwägungen dazu veranlaßt werden könnten, die konstruktive Enthaltung in Anspruch zu nehmen,z2
5. Beitritt Verwunderlich ist, daß eine nachträgliche Beteiligung eines Mitgliedstaats, der sich zunächst konstruktiv enthalten hat, nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Nachdem der Mechanismus so unkompliziert ausgestaltet ist und die Kosten im Regelfall von allen Mitgliedstaaten getragen werden, ist davon auszugehen, daß in der Praxis eine spätere Beteiligung eines Mitgliedstaats möglich sein wird. Anders verhält es sich allerdings in Fällen, in denen die Finanzierung lediglich von den beteiligten Mitgliedstaaten getragen wird. Dann könnte eine Beteiligung von einer Ausgleichszahlung, die aus der Loyalitätspflicht des Art. 23 I UA. Art. 23 I S. 2 EUV. Calliess/Ruffert-Cremer, EGV I EUV-Kommentar, Art. 23 EUV Rn. 4; a.A. ohne Begründung Missiroli, The International Spectator 1998, S. 111. 21 D.h. unter Beteiligung aller Mitgliedstaaten, vgl. Calliess/Ruffert-Cremer, EUV IEGV, Art. 23 EUV Rn. 4, 1. Für eine Beschlußfassung lediglich der beteiligten Mitgliedstaaten ergeben sich weder aus dem Wortlaut des Art. 28 III EUV noch aus dem sachlichen Zusammenhang Anhaltspunkte. AA Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam, S. 72. 22 s. Missiroli, The International Spectator 1998, S. 111, der von der Gefahr des "free riding" in der Außenpolitik spricht. 19
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3. Kap.: Case-by-case-Flexibilität
2 S. 2 EUV abgeleitet werden kann, abhängig gemacht werden, um zu verhindern, daß Mitgliedstaaten mit ihrer Beteiligung warten, bis die wesentlichen Kosten eines Projekts geleistet sind. 6. Justiziabilität Anders als in der dritten Säule besitzt der EuGH im Bereich der GASP keine Zuständigkeit. Die konstruktive Enthaltung, etwa die Einhaltung der gegenseitigen Loyalitätspflichten, kann deshalb gerichtlich nicht überprüft werden. 7. Fazit Im Vergleich mit der verstärkten Zusammenarbeit ist auffällig, daß das opt-out nach Art. 23 EUV, abgesehen von Fragen der Abstimmung, an keine Zulässigkeitsvoraussetzungen gebunden ist. Das Fehlen von Zulässigkeitskriterien wird in der Literatur im Hinblick auf Embargobeschlüsse kritisiert?3 Andererseits sind gerade durch das unkomplizierte Verfahren und das Fehlen von einschränkenden Bedingungen schnelle und effektive Reaktionen möglich?4 In der GASP sind häufig einzelne Strategien und Aktionen als Antwort auf internationale Geschehnisse zu beschließen. Die Reaktionsmöglichkeiten und die Handlungsfähigkeit der Union in diesem sensiblen Bereich werden durch die Öffnung für flexible Integration erhöht und Blockaden durch den Widerstand einzelner Mitgliedstaaten 25 verhindert. Zwar sollten solche Koalitionen nicht zur Regel werden, um die Identität und die internationale Glaubwürdigkeit26 der Union nicht zu beeinträchtigen. 27 Die Realität zeigt jedoch, daß eine gemeinsame, alle Mitgliedstaaten umfassende Außen- und Sicherheitspolitik derzeit nicht immer durchsetzbar ist. Um Reaktionsmöglichkeiten der Union nicht völlig auszuschließen, sind flexible Lösungen erforderlich. 23 Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 126, 72; GrillerlDroutsas u. a., The Treaty of Amsterdam, S. 412. 24 Petite, RMUE 1997, S. 49. 25 In der Jugoslawienkrise scheiterte die Entsendung einer europäischen Interposition Force durch EU und WEU am Widerstand Großbritanniens, vgl. Hochleitner; in: ders., Das europäische Sicherheitssystem, S. 188. 26 Die internationale Glaubwürdigkeit von Entscheidungen der Europäischen Union, die im Verfahren konstruktiver Enthaltung getroffen wurden, hängt maßgeblich davon ab, welche Mitgliedstaaten sich enthalten und auf welche Regionen sich die geplanten Maßnahmen beziehen. So ist die Glaubwürdigkeit einer Maßnahme, welche den baltischen Raum betrifft, gering, wenn sich die skandinavischen Staaten daran nicht beteiligen, vgl. Missiroli, The International Spectator 1998, S. 11 O. 27 Hochleitner; in: ders., Das europäische Sicherheitssystem, S. 188; Neuhold, in: Liber amicorum Seidl-Hohenveldern, S. 505; Edwardsl Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 32.
1. Konstruktive Enthaltung in der GASP
185
Deshalb stellt sich die Frage, ob die konstruktive Enthaltung im Vertrag von Amsterdam einen ausreichenden Ausgleich für das Fehlen verstärkter Zusammenarbeit in der GASP bietet. Nach einer Ansicht führt die konstruktive Enthaltung zum gleichen Ergebnis wie verstärkte Zusammenarbeit, ist jedoch in der Anwendung wesentlich einfacher und deshalb der verstärkten Zusammenarbeit in der zweiten Säule vorzuziehen,zs Anderer Ansicht zufolge ist die konstruktive Enthaltung zwar ein gewisser Ausgleich für den Verzicht auf verstärkte Zusammenarbeit in der zweiten Säule, aber kein vollwertiger Ersatz,z9 Aus einem Vergleich der den beiden Verfahren zugrunde liegenden Konzeptionen ergibt sich, daß die konstruktive Enthaltung ein Mechanismus ist, welcher im Einzelfall bezogen auf singuläre Maßnahmen flexibles Vorgehen zuläßt. Die verstärkte Zusammenarbeit hingegen ermöglicht flexible Integration in größerem Umfang, etwa im Rahmen von umfassenden Aktionen oder Programmen. Die konstruktive Enthaltung ist, anders als die verstärkte Zusammenarbeit, nicht darauf ausgelegt, als Integrationsmotor zu wirken 30 und so die Weiterentwicklung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu fördern. Aufgrund des auf Einzelfälle beschränkten Anwendungsbereichs der konstruktiven Enthaltung ist zu befürchten, daß engere Zusammenarbeit im Bereich der GASP unter dem Vertrag von Amsterdam trotz Art. 23 I EUVaußerhalb des rechtlichen Rahmens der Union stattfinden wird, mit allen nachteiligen Folgen für die Entwicklung einer gemeinsamen Sicherheitspolitik?1 Ein anderes Argument, das für die Einführung verstärkter Zusammenarbeit in der GASP spricht, ist die einheitliche Ausgestaltung flexibler Mechanismen. Dies würde die Kohärenz der Union fördern. Unstimmigkeiten wie im Bereich der Wirtschaftssanktionen können dadurch vermieden werden.
8. Vertrag von Nizza: Konsequenzen aus der Einführung der verstärkten Zusammenarbeit für die konstruktive Enthaltung Die durch den Vertrag von Nizza eingeführte verstärkte Zusammenarbeit in der GASP wird jedoch weder am Erfordernis, auf außervertragliche Zusammenarbeit auszuweichen, noch an durch verschiedene Flexibilitätsmechanismen auftretenden Unstimmigkeiten etwas ändern, da ihr Anwendungsbereich aufgrund einschränKortenberg, CMLR 1998, S. 853; Petite, RMUE 1997, S. 49. Fröhlich, Ausbau der europäischen Verteidigungsidentität, S. 8; Hofmann, EuR 1999, S. 727; Ehlennann, EuR 1997, S. 387; ähnlich auch Missiroli, The International Spectator 1998, S. 116. 30 Dies zeigt sich auch am Fehlen eines Beitrittsmechanismus. 31 Fröhlich, Ausbau der europäischen Verteidigungsidentität, S. 8; Hofmann, EuR 1999, S. 727; Ehlennann, EuR 1997, S. 387. Dies wird durch Art. 17 IV EUV explizit ermöglicht. 28
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3. Kap.: Case-by-case-Flexibilität
kender Bedingungen auf ein Minimum reduziert ist. 32 Dazu kommt, daß auch die verstärkte Zusammenarbeit in der zweiten Säule de facta auf Einzelfallflexibilität begrenzt ist, da lediglich die flexible Durchführung gemeinsamer Aktionen und Umsetzung gemeinsamer Standpunkte nicht militärischer oder verteidigungspolitischer Art möglich ist. Für flexibles Vorgehen im Einzelfall ist die konstruktive Enthaltung wesentlich einfacher konzipiert. Dieser Vorteil wird in der Praxis dazu führen, daß in der Regel allein das Verfahren der konstruktiven Enthaltung in Anspruch genommen wird. In Fragen mit militärischem oder verteidigungspolitischem Bezug sowie bei der Annahme von gemeinsamen Aktionen oder gemeinsamen Standpunkten bleibt den fortschrittswilligen Mitgliedstaaten ohnehin nur der Rückgriff auf die konstruktive Enthaltung.
11. Case-by-case-Flexibilität in der gemeinsamen Sicherheitsund Verteidigungspolitik Neben der konstruktiven Enthaltung stellt die engere Kooperation mit der WEU gern. Art. 17 EUVeinen weiteren Flexibilitätsfaktor33 in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik dar.
1. Die WEU als "integraler Bestandteil" der Union Ein wichtiges Ziel der GASP ist die Sicherheit der Union einschließlich der schrittweisen Entwicklung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik?4 Die Sicherheitspolitik umfaßt als Schwerpunkt u. a. die sogenannten Petersberg-Aufgaben 35 zur Friedenssicherung und Krisenbewältigung durch humanitäre Maßnahmen und Kampfeinsätze, die in Art. 17 11 EUV aufgezählt werden. Diese Aufgaben bilden die Grundlage für ein Krisenmanagement der Union. 36 Nachdem die gemeinsame Verteidigungspolitik noch nicht Realität ist, werden derzeit als Maßnahmen mit verteidigungspolitischem Bezug37 in einer weiten Auslegung alle Aktivitäten mit dem "Einsatz von Militär außerhalb der Abwehr bewaffneter Angriffe und / oder Dazu Kapitel 2, Punkt V.4.b). Daneben existiert in der GASP das opt-out Dänemarks in der Verteidigungspolitik (Teil II des Protokolls (Nr. 5) über die Position Dänemarks), und über Art. 17 IV EUV wird die externe Kooperation einzelner Mitgliedstaaten ermöglicht. 34 Art. 17 I UA. 1 EUV. 35 Benannt nach der Petersberger Erklärung des Ministerrats der WEU, abgedruckt in EA 1992, D 479. 36 Hochleitner; in: ders., Das europäische Sicherheitssystem, S. 182. 37 Art. 17 III EUV. 32 33
11. Case-by-case-F1exibilität in der Sicherheits-/Verteidigungspolitik
187
anderer Personen ( ... ), die Hoheitsgewalt ausüben,.38, verstanden. 39 Da die Europäische Union keine diesbezüglichen Kapazitäten besitzt, sollen nach dem Vertrag von Amsterdam die operativen Aufgaben von der WEU übernommen werden. 4o Die WEU ist gemäß Art. 17 I UA. 2 "integraler Bestandteil der Entwicklung der Union", was jedoch nicht bedeutet, daß sie bereits in die Union integriert iSt. 41 Vielmehr wird die "Möglichkeit einer Integration der WEU in die Union" gefördert. 42 Dies soll zum einen durch die Inanspruchnahme der operativen Kapazitäten der WEU und zum anderen durch engere institutionelle Beziehungen43 geschehen. Die WEU kann vollständig in die Europäische Union integriert und eine gemeinsame Verteidigungspolitik festgelegt werden, ohne daß hierfür eine erneute Vertragsrevision44 erforderlich wäre. 45 Die Frage des Verhältnisses von Europäischer Union und WEU ist äußerst komplex. Zwar können nur EU-Mitgliedstaaten aktive Mitglieder der WEU werden. Darüber hinaus besteht jedoch für andere europäische NATO-Staaten die Möglichkeit, einen Assoziiertenstatus mit beschränkten Rechten einzunehmen. Die Beitrittskandidaten unter den mitte1- und osteuropäischen Staaten wurden als sog. assoziierte Partner aufgenommen, ein Status, der sie vor ihrer Mitgliedschaft in die Arbeit der WEU einbinden soll. Einige EU-Mitgliedstaaten wiederum beteiligen sich nur in Form eines Beobachterstatus ohne Mitwirkungsrechte. 46 Auch wenn die tatsächliche Mitgliedschaft auf EU-Staaten beschränkt ist, so ist doch ein darüber hinausgehender Kreis an Staaten in unterschiedlicher Form an der Arbeit der WEU beteiligt, wohingegen selbst unter den Mitgliedstaaten der Union eine Differenzierung bezüglich der Mitwirkungsrechte besteht. Bei der Durchführung von Maßnahmen des Krisenmanagements bestimmt die Union unter Beteiligung aller Mitgliedstaaten 47 die Leitlinien für das Vorgehen der Münch, ZÖR 1997, S. 398. Zu dieser weiten Definition des Begriffes auch Calliess/Ruffert-Cremer, EUV IEGV, Art. 17 EUV Rn. 8 und Pechstein/ Koenig, Europäische Union, Rn. 297. 40 Art. 17 I UA. 2, III EUV. 41 Vgl. Thun-Hohenstein, Vertrag von Arnsterdam, S. 66 f.; Griller/ Droutsas u. a., The Treaty of Amsterdam, S. 422 f.; Schumann, in: Bergmann I Lenz, Der Amsterdamer Vertrag, Rn. 78 f. 42 Art. 17 I UA. 2 S. 3 EUV. 43 Vgl. Calliess/Ruffert-Cremer, EUV IEGV, Art. 17 EUV Rn. 3. 44 Art. 48 EUV. 45 Griller/Droutsas u. a., The Treaty of Amsterdam, S. 423 f.; Schumann, in: Bergmannl Lenz, Der Amsterdamer Vertrag, Rn. 53, 72 f. Von den dafür erforderlichen Ratsbeschlüssen nach Art. 17 I EUV, die auch eine Ratifikation durch die Mitgliedstaaten erfordern, ist die in Art. 17 V EUV vorgesehene formelle Vertragsrevision nach Art. 48 EUV zu unterscheiden. Vgl. Thun-Hohenstein, Vertrag von Amsterdam, S. 70. 46 Die sog. bündnisfreien Staaten: Österreich, Finnland, Irland und Schweden, sowie Dänemark, das seine Sicherheitsinteressen durch die Mitgliedschaft in der NATO ausreichend gedeckt sieht, s. Hochleitner, in: ders., Das europäische Sicherheitssystem, S. 171. 38 39
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3. Kap.: Case-by-case-Flexibilität
WEU, Art. 17 III UA. 2 EUV. Nicht alle Mitgliedstaaten nehmen ohne weiteres an der Durchführung der Aufgaben durch die WEU teil, da die neutralen Staaten lediglich einen Beobachterstatus haben. Gern. Art. 17 III UA. 3 EUV 48 besteht jedoch für alle Mitgliedstaaten die Möglichkeit, in vollem Umfang bei den betreffenden Aufgaben mitzuwirken. Die neutralen Staaten sind an der Beschlußfassung über die Durchführung einer Aufgabe durch Union und WEU beteiligt. Bei der Durchführung selbst haben sie jedoch die Wahl. 49 Sie können bei der Operation einen Status einnehmen, der denen der WEU-Staaten entspricht, sie können aber auch ihren Beobachterstatus behalten. 50 Aufgrund der Möglichkeit der Nichtteilnahme im Einzelfall handelt es sich bei dieser durch die Kooperation mit der WEU bedingten Flexibilität um ad-hoc Flexibilität innerhalb der Europäischen Union. Diese Situation ist relativ unübersichtlich und aufgrund ihrer Komplexität unbefriedigend. Dementsprechend wird für die nächsten Jahre der Schritt der Union zur vollen Verteidigungsunion gefordert, da diese einen einheitlichen Sicherheitsraum darstellen müsse. 51 Die Rechte und Pflichten aller Mitgliedstaaten sollten in diesem Bereich einheitlich sein, "denn das Auseinanderklaffen der Solidaritätsund Beistandspflichten ist auf Dauer äußerst problematisch und gefährdet das politische Projekt "Union". Eine Union ohne gemeinsame Verteidigung ist keine Union.,,52 Eine variable Geometrie auf dem Gebiet der Sicherheit hingegen schafft unterschiedliche Zonen der Sicherheit. 53 Aus diesem Grund kann man anzweifeln, ob auf der Basis des Vertrags von Amsterdam eine effektive und autonome Sicherheits- und Verteidigungspolitik etabliert werden kann. 54 Andererseits beinhaltet die Möglichkeit zum opt-out der neutralen Staaten, so nachteilig sie für die Entwicklung einer tatsächlich gemeinsamen Linie in der Außen- und Sicherheitspolitik sein mag, den Vorteil, daß in diesem nationalpolitisch sensiblen Bereich wichtige Aktionen eines europäischen Krisenmanagements immerhin von den willigen Staaten getragen und durchgeführt werden können. Als 47 Mit Ausnahme von Dänemark, das sich gern. Art. 6 Protokoll DK nicht an Maßnahmen mit verteidigungspolitischen, also militärischen Bezügen beteiligt. Darüber hinaus ist auch die konstruktive Enthaltung mancher Mitgliedstaaten nach Art. 23 I UA. 2 EUV denkbar. 48 Dazu auch Punkt A der Erklärung der Westeuropäischen Union zur Rolle der Westeuropäischen Union und zu ihren Beziehungen zur Europäischen Union und zur Atlantischen Allianz, Erklärung Nr. 3 der Schlußakte zum Vertrag von Amsterdam. 49 s. Beschluß des Rates v. 10. 5. 1999 über die praktischen Regelungen für die Beteiligung aller Mitgliedstaaten an Aufgaben nach Art. 17 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union, für welche die Union die WEU in Anspruch nimmt (1999/321/ GASP), ABI. Nr. 123v. 13.5. 1999,S. 14. 50 Neuhold, in: Liber amicorum Seidl-Hohenveldem, S. 499 charakterisiert die Position der neutralen Staaten deshalb folgendermaßen: "As a result, the neutral and "non-aligned" EU members find themselves in the best of all security worlds from their point of view." 51 Hochleitner, in: ders. Das europäische Sicherheitssystem, S. 6 f. 52 Hochleitner, in: ders. Das europäische Sicherheitssystem, S. 6 f. 53 Hochleitner, in: ders. Das europäische Sicherheitssystem, S. 6 f. 54 Griller/ Droutsas u. a., The Treaty of Amsterdam, S. 430 f.
11. Case-by-case-Flexibilität in der Sicherheits-/Verteidigungspolitik
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Beispiel für eine relativ erfolgreiche Koalition, wie sie nach Art. 17 EUV möglich ist, dient die Operation Alba. Dieser Einsatz wurde von Italien, Frankreich, Spanien, Griechenland, Rumänien, Slowenien, der Türkei und in geringerem Ausmaß von Dänemark, Österreich und Belgien in Albanien durchgeführt, nachdem die nach den GASP-Vorschriften des Maastricht-Vertrags erforderliche Einstimmigkeit nicht erzielt werden konnte. 55
2. Durch den Vertrag von Nizza vorgesehene Änderungen In der Literatur war die Annahme verbreitet, daß einige der genannten Befürchtungen sich dadurch erledigen oder aber einer klareren Lösung zugeführt würden, daß die WEU vollständig in die Europäische Union integriert würde, was zum Teil als zwingender Schritt angesehen wurde. 56 Der Europäische Rat entschied sich auf den Gipfeln in Köln und in Helsinki jedoch für einen anderen Weg in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. 57 So wurden konkrete Konzepte zum Aufbau einer eigenständigen Sicherheits- und Verteidigungspolitik entwickelt, welche die Einrichtung ständiger politischer und militärischer Strukturen umfaßt und so die Europäische Union zur autonomen, effektiven Krisenbewältigung militärischer und nichtmilitärischer Art befähigen soll. Dies beinhaltet auch die Schaffung operativer Kapazitäten der Europäischen Union. 58 Der Ausbau der Zusammenarbeit mit der WEU wurde deshalb aufgegeben. 59 In Art. 17 EGV-Nizza werden dementsprechend sämtliche Absätze, welche in der Amsterdamer Fassung die Integration der WEU, die Förderung der Zusammenarbeit mit der WEU sowie die Inanspruchnahme der WEU durch die Union betreffen, gestrichen. Die WEU hat aus diesem Grunde ihre Rolle als Akteur in der Krisenbewältigung aufgegeben, die Mechanismen zur Abstimmung und Beratung zwischen WEU und EU wurden, abgesehen von Übergangsmaßnahmen, aufgehoben. 6o Die durch die Kooperation mit der WEU in Amsterdam Missiroli, The International Spectator 1998, S. 115. Kugelmann, EuR 1998 - Beiheft 2, S. 111; Hochleitner, in: ders., Das europäische Sicherheitssystem, S. 193 ff. 57 s. Collester. in: Green Cowlesl Smith, State of the European Union, S. 377 ff. 58 Europäischer Rat (Santa Maria da Feira), 19./20. 6. 2000, Schlußfolgerungen des Vorsitzes, SN 200100, S. 1 f. und Anlage 1; Europäischer Rat (Helsinki), 10./11. 12. 1999, Schlußfolgerungen des Vorsitzes, Punkte 25 ff. der Anlagen; Europäischer Rat (Köln), 3.1 4. 6. 2000, Schlußfolgerungen des Vorsitzes, Anhang III. 59 Die WEU hat, nach Aussage des Europäischen Rates, als Organisation ihren Zweck erfüllt, wenn die Union ihre Verantwortung zur Krisenbewältigung eigenständig wahrnimmt. Europäischer Rat (Köln), 3./4. 6. 1999, Schlußfolgerungen des Vorsitzes, SN150/99, Anhang III, S. 68. 60 Ministertreffen der WEU vom 13. 11. 2000, Erklärung von Marseille, Punkte 3 und 5. Manche Einrichtungen der WEU sollen jedoch von der Europäischen Union übernommen werden, s. Punkte 6 und 8. 55
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3. Kap.: Case-by-case-Flexibilität
entstandene ad-hoc-Flexibilität wurde dadurch aufgegeben. Dies ist als Schritt zu einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der Europäischen Union zu begrüßen.
IH. Nationale Schutzklausein 1. Rechtsangleichung nach Art. 95 IV, V, X EG V
Art. 95 EGV 61 ermöglicht in verschiedener Form die Existenz nationaler Regelungen, welche vom gemeinschaftlichen Sekundärrecht zur Rechtsangleichung des Binnenmarktes zugunsten diverser Schutzgüter abweichen. Er enthält zum einen sogenannte Schutzkverstärkungs- oder opting-out-Klauseln 62 in den Absätzen IV bis IX, zum anderen ermöglicht Absatz X bei Harmonisierungsmaßnahmen sogenannte Schutz- oder sajeguard-Klauseln. 63 Diese Klauseln wurden durch die EEA eingeführt. 64 Die Ermöglichung des nationalen Alleingangs sollte den Übergang zur Mehrheitsentscheidung bei der Rechtsangleichung kompensieren. 65 Durch den Vertrag von Amsterdam wurden die betreffenden Klauseln modifiziert und die bei der Interpretation aufgetretenen Streitfragen geklärt. a) Die Schutzverstärkungsklauseln des Art. 95 IV-IX EGV
Art. 95 IV und V EGV unterscheiden zwischen der Beibehaltung und der Einführung nationaler Regelungen. Art. 95 IV EGVermöglicht die Beibehaltung einzelstaatlicher Bestimmungen, welche durch wichtige Erfordernisse i. S. d. Art. 30 EGVoder in bezug auf den Schutz der Arbeitsumwelt oder den Umweltschutz gerechtfertigt sind. Art. 95 V EGV sieht die Einführung auf wissenschaftliche Erkenntnisse gestützter einzelstaatlicher Bestimmungen zum Schutz der Umwelt oder der Arbeitsumwelt vor, wenn diese aufgrund eines spezifischen Problems eines Mitgliedstaats erforderlich werden, welches sich nach dem Erlaß der Harmonisierungsmaßnahme ergibt. Die Anforderungen sind im Vergleich zur Beibehaltung nationaler Regelungen erhöht. In Fällen, in denen ein Problem gemeinschafts weit auftritt, ist der Erlaß nationaler Bestimmungen nicht zulässig. 66 Die Bezugnahme auf spezifische Art. 95 EGV wird durch den Vertrag von Nizza nicht geändert. Calliess/Ruffert-Kahl, EUV IEGV, Art. 95 EGV Rn. 20. 63 Calliess/Ruffert-Kahl, EUV IEGV, Art. 95 EGV Rn. 43. 64 Ex-Art. 100 a IV und V EWGV; allerdings gab es in der Praxis schon zuvor in Richtlinien Ausnahmeregelungen zugunsten verschiedener Mitgliedstaaten, s. die Zusammenstellung und Auswertung bei de Burca, in: de Burca/Scott, Constitutional Change, S. 151 ff. 65 s. Hailbronner, Der nationale Alleingang, S. 24; Krämer; Rechtliche Aspekte, S. 39; Weatherill, Law and Integration, S. 150. 66 Calliess/Ruffert-Kahl, EUV IEGV, Art. 95 EGV Rn. 31. 61
62
111. Nationale Schutzklauseln
191
Probleme eines Mitgliedstaats setzt das Vorliegen objektiver Gründe bei einem Mitgliedstaat für ein opt-out voraus. Sowohl Absatz IV als auch Absatz V eröffnen den Mitgliedstaaten primärrechtlich eine unbefristete Derogationsmöglichkeit zur Schutzerhöhung gegenüber dem gemeinschaftlichen Standard. 67 Voraussetzungen für die Zulässigkeit sowohl der Beibehaltung als auch der Einführung nationaler Regelungen sind, daß sie verhältnismäßig sind,68 kein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung und keine verschleierte Beschränkung des Handels darstellen und das Funktionieren des Binnenmarktes nicht behindern. 69 Diese Punkte entsprechen den Anforderungen des Art. 30 EGV Das Verbot der Behinderung des Funktionierens des Binnenmarktes wurde erst durch den Vertrag von Amsterdam eingeführt. Seine Bedeutung ist insofern fraglich, als die Belange des Binnenmarktes bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme und dem Verbot der Diskriminierung und Beschränkung des Handels ohnehin ausreichend berücksichtigt werden. Eine strenge, wörtliche Auslegung, die über diese Anforderungen hinaus geht, würde die Existenz der Schutzergänzungsklauseln überflüssig machen, da nahezu jede nationale Schutzvorschrift das Funktionieren des Binnenmarktes behindert. 70 Das Verfahren für die Genehmigung der nationalen Schutzerhöhung ist für Absatz 4 und Absatz 5 gleich geregelt. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die betreffenden nationalen Bestimmungen mit der jeweiligen Begründung mit. Diese entscheidet innerhalb von 6 Monaten nach der Prüfung der Voraussetzungen über die Billigung oder Ablehnung der nationalen Bestimmungen. 71 Wenn sie innerhalb dieses Zeitraums, der jedoch bei schwierigem Sachverhalt gern. Art. 95 VI VA. 3 EGV verlängert werden kann, keine Entscheidung getroffen hat, gilt der nationale Sonderweg als gebilligt. Bei Genehmigung der Schutzerhöhung durch einen Mitgliedstaat prüft die Kommission, ob die gemeinschaftsrechtliche Regelung dahingehend angepaßt werden sollte. Eine Erhöhung des Schutzniveaus durch einen einzelnen Mitgliedstaat kann also Vorbild- und Impulsfunktion für eine gemeinschaftsweite Regelung haben.
Vgl. GTE-BardenhewerIPipkom, EUV /EGV, Art. 100 a Rn. 85. Calliess/Ruffert-Kahl, EUV /EGV, Art. 95 EGV Rn. 32; Grabitz/Hilf-Langeheine, Recht der EU (a.F.), Art 100 a Rn. 73. 69 Art. 95 VI EGY. 70 Calliess/Ruffert-Kahl, EUV /EGV, Art. 95 Rn. 34. 71 Art. 95 VI UA. 1 EGV sieht nunmehr die Billigung oder die Ablehnung durch die Kommission vor. Dadurch ist die Frage, ob die nach Art. 100 a IVa.F. EGVerforderliche "Bestätigung" durch die Kommission konstutive Wirkung hat (so EuGH Rs. C 41/93 (Frankreich/ Kommission), Sig. 1994,1-1829 Rn. 28 ff., 30), ausdrücklich entschieden. 67
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192
3. Kap.: Case-by-case-FlexibiJität
b) Die Schutzklauseln nach Art. 95 X EGV
Art. 95 X EVG sieht vor, daß die Hannonisierungsmaßnahmen in geeigneten Fällen mit einer Schutzklausel verbunden werden, welche die Mitgliedstaaten ermächtigt, vorläufige Maßnahmen zu treffen. Im Unterschied zu Art. 95 IV und V EGV werden in diesen Fällen die opt-outs einzelner Mitgliedstaaten sekundärrechtlich ermöglicht. Art. 95 X EGV bestimmt die Grenzen dieser senkundärrechtlichen Schutzklauseln. Sie müssen vorsehen, daß die nationalen Sonderregelungen aus einem der in Art. 30 EGV genannten Gründe nicht wirtschaftlicher Art 72 erfolgen und einem gemeinschaftlichen Kontrollverfahren unterliegen. Die Aufnahme von Schutzklausein in eine Maßnahme zur Harmonisierung des Binnenmarktes liegt im Ermessen des Gemeinschaftsgesetzgebers. 73 In der Praxis wurde, auch vor der Einführung dieser Bestimmung, sehr häufig in Richtlinien von solchen Schutzklausein Gebrauch gemacht. 74 2. Weitere Schutzverstärkungsklauseln
Neben Art. 95 IV und V EGV erlauben auch einige andere Vorschriften nationale Sonderwege. So sind verstärkte nationale Schutzmaßnahmen zugunsten der Umweltpolitik, Art. 176 EGV, des Arbeitnehmerschutzes, Art. 137 V EGV, des Verbraucherschutzes, Art. 153 V EGV und zugunsten der Gewährleistung der Gleichstellung von Männern und Frauen, Art. 141 IV EGV, möglich, sofern diese mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind. Auch diese Schutzverstärkungsklauseln zielen auf ein hohes Schutzniveau ab. 75 Zum Teil werden diese Klauseln nicht zu den Beispielsfällen differenzierter Integration gezählt, da es sich lediglich um die primärrechtliche Absicherung von Mindestnormen, nicht aber um eine Derogationsmöglichkeit handle. 76 Die Mitgliedstaaten, welche durch nationale Bestimmungen einen erhöhten Schutz einführen oder beibehalten, üben jedoch eine Vorbildfunktion für das Schutzniveau der übrigen Mitgliedstaaten und auch der Gemeinschaft aus. 77 Deshalb handelt es sich auch hier um Fälle 72 Es ist strittig, ob die zwingenden Erforderniss ebenfalls als zulässige Rechtfertigungsgründe anzusehen sind. Dagegen spricht wohl ein Umkehrschluß aus dem Wortlaut der Absätze IV und V. Vgl. Grabitzl Hilf-Langeheine, Recht der EU (a.F.), Art. 100 a EGV Rn. 89; Herrnfeld, in: Schwarze u. a., EU-Kommentar, Art. 95 EGV Rn. 44; Vandenneersch, ELR 1987, S. 427; a.A. Calliess I Ruffert-Kahl, EUV IEGV, Art. 95 EGV Rn. 44. 73 Herrnfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 95 EGV Rn. 44. 74 GTE-Bardenhewer / Pipkorn, EUV I EGV, Art. 100 a Rn. 80; Grabitz I Hilf-Langeheine, Europäische Union, Art. 100 a Rn. 88; Calliess I Ruffert-Kahl, EUV IEGV, Art. 95 EGV Rn. 43; s. auch Slot, ELR 1996, S. 394 f.; s. auch die Zusammenstellung bei de Burca, in: de Burca/Scott, Constitutional Change, S. 151 ff. 75 Für Art. 176 EGV s. etwa Jahns-Böhm, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 176 EGV Rn. 1; für Art. 153 V EGV s. Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 153 EGV Rn. 19. 76 Schauer; Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 79. 77 Vgl. Jahns-Böhm, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 176 EGV Rn. 1.
III. Nationale Schutzklauseln
193
flexibler Integration,78 auch wenn sie auf einen geringen Anwendungsbereich beschränkt sind.
3. Möglichkeit zur vorübergehenden Differenzierung bei der Verwirklichung des Binnenmarktes, Art. 15 EGV Art. 15 EGVennöglicht Differenzierungen des Programms zur Verwirklichung des Binnenmarktes zugunsten von Mitgliedstaaten, deren Volkswirtschaften nicht dem allgemeinen Stand in der Union entsprechen. 79 Diese Vorschrift wurde zusammen mit den in den vorhergehenden Abschnitten genannten Schutzklauseln eingeführt Sie sollte zum einen die wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten vor unzumutbaren Schwierigkeiten bei der Anpassung ihrer wirtschaftlichen Strukturen und zum anderen als Ausgleich für die Ausweitung des Mehrheitsprinzips vor einer Minorisierung dieser Mitgliedstaaten schützen. 8o Art. 15 EGV ennöglicht eine abgestufte Integration bei der Verwirklichung des Binnenmarktes. 81 Die Art der Differenzierung ist nicht vorgeschrieben. Die Vorschriften können potentielle Differenzierungen, die den Mitgliedstaaten einen Spielraum bei der Anwendung oder Umsetzung eröffnen, oder konkret auf einzelne Mitgliedstaaten begrenzte Ausnahmeregelungen vorsehen. 82 Letztere können auch auf einzelne Gebiete oder Wirtschaftsbereiche beschränkt sein. 83 Ausnahmeregelungen nach Art. 15 EGV müssen vorübergehender Art sein. Das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes darf durch solche Regelungen so wenig wie möglich gestört werden, die Ausnahmeregelungen müssen also verhältnismäßig sein. 84 Es ist eine Abwägung zwischen den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten und der Tragweite der Ausnahmeregelung vorzunehmen. 85 Die Annahme, daß Kembereiche des Gemeinsamen Marktes Dif78 s. auch Becker; EuR 1998 - Beiheft I, S. 38; Hofmann, EuR 1999, S. 717; wohl auch Weatherill, in: Usher, The State of the European Union, S. 3. 79 Art. 15 EGV gilt über die Frist des Art. 14 EGV hinaus. So wurden im Zusammenhang mit der deutschen Einigung zahlreiche, Z.T. bis 1995 geltende Ausnahmeregelungen gewährt, s. GTE-BardenhewerIPipkorn, EUV IEGV, Art. 7 c Rn. 27 ff.; Calliess I Ruffert-Kahl, EUV IEGV, Art. 15 EGV Rn. I. 80 GTE-BardenhewerIPipkorn, EUV IEGV, Art. 7 c Rn. 2, 5; Calliess/Ruffert-Kahl, EUV IEGV, Art. 15 EGV Rn. I. 81 Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 15 EGV Rn. I. 82 Vgl. Calliess/Ruffert-Kahl, EUV IEGV, Art. 15 EGV Rn. 3; Hatje, in: Schwarze, EUKommentar, Art. 15 EGV Rn. 4. 83 GTE-BardenhewerIPipkorn, EUV IEGV, Art. 7 c Rn. 4. 84 GTE-Bardenhewer I Pipkorn, EUV I EGV, Art. 7 c Rn. 14 f.; Calliess I Ruffert-Kahl, EUV IEGV, Art. 15 EGV Rn. 4. 85 GTE-BardenhewerIPipkorn, EUV IEGV, Art. 7 c Rn. 15.
13 Grieser
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3. Kap.: Case-by-case-Flexibilität
ferenzierungen nach Art. 15 EGV verschlossen sind,86 läßt sich mit dem Wortlaut der Norm nicht vereinbaren. 87
4. Fazit Insbesondere der durch die EEA eingeführte Art. 100 a IV EWGV, Vorläufer der Art. 95 IV und V EGV, wurde wegen der Gefahr, die für den einheitlichen Binnenmarkt gesehen wurde, in der Literatur heftig kritisiert. 88 Dabei wurde jedoch verkannt, daß die Möglichkeit des nationalen Alleingangs "nicht - oder zumindest nicht primär - ein Instrument zur Beförderung nationaler Sonderinteressen,,89 ist. Gerade die nationalen Schutzklauseln und Schutzverstärkungsvorschriften steigerten einerseits die Akzeptanz der Harmonisierungsmaßnahmen und ermöglichten andererseits einzelnen Mitgliedstaaten, wichtige Impulse 90 für die Umweltpolitik der Gemeinschaft zu setzen. 91 "Nur mit Hilfe eines nationalen Alleingangs, der auf die Beibehaltung oder Einführung nachweislich höherer Standards gerichtet ist, kann der Gefahr einer Verkrustung der EG-Rechtsordnung, ihrer systemimmanenten Unfähigkeit, auf veränderte Gefahrenlagen zu reagieren, wirksam begegnet werden.'m Aufgrund der Impulsfunktion 93 und der Möglichkeit, einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Ansprüchen und Fähigkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten zu schaffen, stellen diese Klauseln zur mitgliedstaatlichen Schutzverstärkung einen Weg zur flexiblen Förderung der Integration und einen wichtigen Schritt in der Entwicklung differenzierter Integration dar. 94 Diese Form der Mindestharmonisierung wird deshalb zu Recht als erstrebenswerte Möglichkeit eines graduellen, bedürfnis orientierten Harmonisierungsprozesses bewertet. 95 Allerdings sind die Impulse durch nationale Alleingänge in ihrem Umfang relativ begrenzt. Grabitzl Hilf-Grabitz, Recht der EU (a.F.), Art. 8 c EWGV Rn. 11. Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 15 EGV Rn. 6; Calliess I Ruffert-Kahl, EUV IEGV, Art. 15 EGV Rn. 4; GTE-BardenhewerIPipkom, EUV IEGV, Art. 7 c Rn. 16. 88 Vgl. nur Pescatore, CMLR 1978, S. 17, sowie den Überblick bei Grabitz/Hilf-Langeheine, Recht der EU (a.F.), Art. 100 a Rn. 56; Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, S. 264 ff. 89 Hailbronner, Der nationale Alleingang, S. 27. 90 Die Impulsfunktion zeigt sich u. a. an der Vorschrift des Art. 95 VII EGY. 91 Dazu ausführlich Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, S. 267 ff.; Becker, Gestaltungsspielraum der EG-Mitgliedstaaten, S. 108 f.; Scheuing, EuR 1989, S. 167 ff.; s. auch Krämer, Rechtliche Aspekte, S. 43; Müller-Brandeck-Bocquet, integration 1997, S. 298 f., sieht in diesen Möglichkeiten jedoch keine ausreichende Lösung der Defizite gemeinsamer Umweltpolitik. 92 Hailbronner, Der nationale Alleingang, S. 27. 93 Begriff nach Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, S. 268. 94 Ehlermann, EuR 1997, S. 365; Becker, EuR 1998 - Beiheft I, S. 37; Müller-BrandeckBocquet, integration 1997, S. 298; a.A. Martenczuk, EuR 2000, S. 354, der darin aufgrund der einheitlichen Geltung der Bestimmungen lediglich eine vertragliche Beschränkung des Harmonisierungsziels sieht. 95 Weatherill, in: Usher, The State ofthe European Union, S. 4. 86 87
V. Opt-in für gerichtliche Kontrolle in der PJZ
195
IV. Übereinkommen im Rahmen der PJZ Art. 34 II UA. 2 EUV 96 bestimmt, daß Übereinkommen nach Art. 34 II d) EUV, sobald sie von der Hälfte der Mitgliedstaaten ratifiziert wurden, für diese in Kraft treten. Diese Regelung gilt vorbehaltlich einer anderen Vereinbarung, die Mitgliedstaaten können in einem Übereinkommen also auch ein höheres Quorum vereinbaren. Die Festsetzung einer niedrigeren Mindestzahl von Mitgliedstaaten ist nach dem Wortlaut der Bestimmung unzulässig. Das Quorum der Hälfte der Mitgliedstaaten entspricht dem Mehrheitserfordernis des Art. 43 I d) EUV. Eine niedrigere Anzahl von Mitgliedstaaten wäre nicht zu vertreten, da es sich um eine interne Differenzierung handelt. Durch Art. 34 II UA. 2 EUV erfolgt eine zeitlich abgestufte Gültigkeit der Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten. Einige Mitgliedstaaten können bereits die Geltung eines Übereinkommens bestimmen, ohne auf die Ratifikation durch die restlichen Mitgliedstaaten angewiesen zu sein. Die Regelung hat weder ein opt-in noch ein opt-out zum Gegenstand, verhindert aber, daß das Vorgehen der Union von den "langsamsten" Mitgliedstaaten abhängt. Anders als bei der verstärkten Zusammenarbeit ist die Wirksamkeitsdifferenzierung aber zeitlich begrenzt, da letztendlich alle Mitgliedstaaten nach Art. 34 II d) EUV zur Ratifikation verpflichtet sind.
V. Opt-in für gerichtliche Kontrolle in der P JZ Art. 35 EUV 97 regelt die gerichtliche Kontrolle und Auslegung der Rechtsakte der PJZ. Absatz 2 sieht für das Vorlageverfahren eine fakultative Anerkennung der Zuständigkeit des EuGH vor. 98 Jeder Mitgliedstaat kann entscheiden, ob er die Zuständigkeit des Gerichtshofs für Vorabentscheidungen nach Art. 35 I EUV anerkennt. Im Falle einer Anerkennung stehen den Mitgliedstaaten wiederum zwei Optionen offen. Es besteht die Möglichkeit, lediglich für die letztinstanzlichen Gerichte ein Vorlagerecht zu bestimmen oder aber für alle nationalen Gerichte. Die Regelung einer Vorlagepflicht ist in Art. 35 II EUV nicht vorgesehen. Die Mitgliedstaaten können sich jedoch bei Anerkennung der Zuständigkeit des EuGH nach Art. 35 II EUV vorbehalten, innerstaatlich eine Vorlagepflicht letztinstanzlieher Gerichte zu normieren. 99 Art. 34 EUV wird durch den Vertrag von Nizza nicht geändert. Art. 35 11 EUV wird durch den Vertrag von Nizza nicht geändert. 98 Diese Regelung der fakultativen Anerkennung der Zuständigkeit des Gerichtshofs ist an eine Regelung des Europol-Abkornrnens angelehng, s. Peers, EU Justice and Horne Affairs Law, S. 46; den Boer, MJ 1997, S. 315; Gialdino, RMUE 1998, S. 113. 99 Erklärung Nr. 10 zu Art. K.7 des Vertrags über die Europäische Union der Schlußakte zum Vertrag von Arnsterdarn. 96 97
13*
196
3. Kap.: Case-by-case-Flexibilität
Durch diese fakultative Anerkennung der Zuständigkeit des Gerichtshofs mit verschiedenen Optionen bestehen in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Voraussetzungen für die Anrufung des Gerichtshofs in Vorlagefragen. Damit verbunden ist eine unterschiedliche Anwendung des Unionsrechts, da das Vorabentscheidungsverfahren der Einheitlichkeit der Anwendung des Rechts der PIZ dient. Zwar tritt durch ein Urteil in einem Vorlageverfahren keine rechtliche Bindungswirkung für andere Mitgliedstaaten ein,loo es besteht jedoch grundsätzlich eine faktische Bindungswirkung. Diese kann sich aber nur auf Mitgliedstaaten erstrecken, welche die Zuständigkeit des EuGH anerkannt haben. Die anderen Mitgliedstaaten können sich dennoch an der Rechtsprechung orientieren, verpflichtet sind sie dazu jedoch nicht. 101 Das Recht, über die Anerkennung der Zuständigkeit frei zu entscheiden, würde bei der Annahme einer Bindungswirkung leer laufen. 102 Die Auslegung und Anwendung des Unionsrechts kann also in der dritten Säule durch eine beträchtliche Heterogenität gekennzeichnet sein, ein Rechtsakt kann innerhalb der Union in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt werden. 103 Anders verhält es sich jedoch, wenn der EuGH die Ungültigkeit einer Maßnahme feststellt. In diesem Fall tritt eine erga-omnes Wirkung ein, unabhängig davon, welche Mitgliedstaaten die Zuständigkeit des Gerichtshofs anerkannt haben. 104 Durch Art. 35 11 EUV wird für das Vorlageverfahren betreffend die Auslegung von Unionsmaßnahmen eine competence a geometrie variable de la Cour de justice 105 geschaffen. Die Maßnahmen der PIZ gelten zwar in allen Mitgliedstaaten in gleichem Umfang, jedoch ist nur ein Teil der Mitgliedstaaten an die vom EuGH vorgegebene Auslegung gebunden. Auch die Iusitziabilität von Unions recht bedeutet einen Integrationsfortschritt. Dieser konnte in der dritten Säule für Vorlageverfahren lediglich auf fakultativer Basis verwirklicht werden. Insofern stellt auch Art. 35 11 EUVein Beispiel für flexible Integration dar. 106
100 Oppermann. Europarecht, Rn. 771; Calliess / Ruffert- Wegener, EUV / EGV, Art. 234 EGV Rn. 32. 101 s. Gialdino. RMUE 1998. S. 113; Labayle. RTDE 1997. S. 875. 102 A.A. ohne Begründung Pechstein. EuR 1999, S. 22. 103 s. Gialdino. RMUE 1998. S. 113. 104 Pechstein. EuR 1999, S. 22; Böse. in: Schwarze, EU-Kommentar. Art. 35 EUV Rn. 6. 105 Bribosia. RMUE 1998. S. 42. 106 Anders verhält es sich bei der eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle in Titel IV EGY. Das Vorabentscheidungsverfahren weicht zwar gern. Art. 68 EGV in diesem Bereich von Art. 234 EGVab, dabei wird aber nicht zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten differenziert.
Viertes Kapitel
Konkrete Flexibilität In EGV und EUV findet sich neben der Generalklausel für verstärkte Zusammenarbeit und der case-by-case- oder ad-hoc-Flexibilität auch die sogenannte konkrete oder predetermined Flexibilität. 1 Diese zeichnet sich dadurch aus, daß Gegenstand, Umfang und nähere Ausgestaltung des flexiblen Vorgehens wie etwa Beteiligungsoptionen bereits detailliert festgelegt sind. In den meisten Fällen handelt es sich bei dieser im Voraus geregelten Flexibilität um opt-outs einzelner Staaten für bestimmte Materien. Die Zahl der beteiligten Mitgliedstaaten ist hier genau bestimmt. Bei der Wirtschafts- und Währungsunion ist der Teilnehmerkreis nicht primärrechtlich festgeschrieben, er wird aber nach exakt festgelegten, objektiven Kriterien genau definiert. Auch die übrigen Modalitäten der Wirtschafts- und Währungsunion sind detailliert vertraglich vereinbart, weswegen es sich um eine Form konkreter Flexibilität handelt.
I. Die Wirtschafts- und Währungsunion, WWU 1. Einleitung
Die WWU 2 ist eines der prominentesten Beispiele für flexible Integration im Gemeinschaftsrecht? Kaum ein anderer Schritt in der Europäischen Integration fand in der Öffentlichkeit so viel Beachtung wie die Schaffung der WWU und die darin festgelegte Einführung des Euro. 4 Zweifellos ist dies ein Schritt mit spürba1 Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 33; Shaw, EU 1998, S. 68; Kortenberg, CMLR 1998, S. 835. Nach der Terminologie der Regierungskonferenz auch "Im voraus geregelte" verstärkte Zusammenarbeit, s. Regierungskonferenz über die institutionelle Reform, Bericht des Vorsitzes an den Europäischen Rat (Feira), Brüssel, 14.6.2000, CONFER 4750/00, S. 51. 2 Die Vorschriften über die WWU bleiben durch den Vertrag von Nizza - mit Ausnahme des Art. 123 IV EGV, welcher geringfügig geändert wird - unberührt. 3 So auch Cloos, RMC 2000, S. 513. 4 So wurden in einigen Mitgliedstaaten Referenden über die Einführung des MaastrichtVertrags abgehalten, s. Schmuck, integration 1992, S. 209. In Deutschland wurde mehrfach das Bundesverfassungsgericht angerufen: BVerfGE 89, 155 (Maastricht-Entscheidung); BVerfGE 97, 350; NJW 1998, S. 3187 (Zurückweisung von Euro-Verfassungsbeschwerden).
198
4. Kap.: Konkrete Flexibilität
ren Auswirkungen auf die Bürger der Europäischen Union. 5 Die Bezeichnung als Meilenstein in der Geschichte Europas 6 ist deshalb durchaus passend. Die Idee der Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion hat eine bis in die Anfänge der 70er Jahre zurückreichende Geschichte. Damals, in einer durch Euphorie und Aufbruchsstimmung gekennzeichneten Phase der Integration planten die Staats- und Regierungschefs der damaligen Mitgliedstaaten mit einer Wirtschafts- und Währungsunion in die Endphase des Gemeinsamen Marktes einzutreten und die Integration zu vertiefen. 7 Diese ehrgeizigen Ziele konnten jedoch nicht umgesetzt werden, und die optimistische Stimmungslage wich eher pragmatischen Vorschlägen. 8 So wurden die ersten Konzepte differenzierter Integration entwickelt, um eine Wirtschafts- und Währungsunion in kleinerem Rahmen zu verwirklichen. Schon Brandt sprach 1974 davon, daß mit Hilfe einer Abstufung der Integration die wirtschaftliche Integration durch die stärkeren Mitgliedstaaten vorangetrieben werden könne. 9 Tindemanns entwickelte sein Konzept einer differenzierten Integration lO konkret für die Verwirklichung einer gemeinsamen Wirtschafts- und WährungspolitikY Die flexible Ausgestaltung der WWU im Maastrichter Vertrag 12 kann man somit als Schlußpunkt einer nun schon länger als zwei Jahrzehnte andauernden Diskussion bezüglich einer flexiblen Integration in Währungsfragen ansehen.
2. Das EWS als Vorläufer der WWU a) Hintergründe
Die Wirtschafts- und Währungsunion, wie sie im Maastrichter Vertrag normiert wurde, stellt auch nicht den ersten praktischen Schritt in Richtung einer gemein5 Für Beaumont/Walker, in: dies., Single European Currency, S. 187, ist die Einführung des Euro "the most profound development of the Union to date, at least in term of its dayto-day impact upon the average citizen's life". 6 So Snyder; in: Craig/de Burca, Evolution ofEU Law, S. 418. 7 s. Scharrer; in: GS Sasse, S: 475 f. 8 s. Scharrer, in: GS Sasse, S: 476 f. 9 Rede des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Willy Brandt, vor der Organisation Fran"aise du Mouvement Europeen in Paris am 19.November 1974, in Auszügen abgedruckt in EA 1975 (30,2), D 33, D 36. s. auch Kapitell. !O Dazu Kapitell. 11 Die Europäische Union, Bericht von Leo Tindemans, Premierminister von Belgien, an den Europäischen Rat, EG-Bulletin, Beilage 1/76. 12 Die Vorschriften zur WWU wurden durch den Vertrag von Amsterdam nicht geändert. Im Vertrag von Nizza wurden kleinere Änderungen vorgesehen. So ist die Abschaffung des Einstimmigkeitserfordemisses des Art. III IV letzter HS EGV vorgesehen, und in Art. 123 IV EGV werden die Kommission (Vorschlagsrecht) und die EZB (Stellungnahme) am Verfahren zum Erlaß von Maßnahmen zur Einführung der einheitlichen Währung beteiligt.
I. Die Wirtschafts- und Wahrungsunion, WWU
199
samen Wirtschafts- und Währungspolitik dar. 13 Nach den erfolglosen Versuchen, zu Beginn der 70er Jahre eine Wirtschafts- und Währungsunion zu etablieren, 14 wurde im Jahr 1979 auf Initiative des französischen Präsidenten Giscard d'Estaing und des deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt durch eine Entschließung des Europäischen Rats 15 das Europäische Währungssystem (EWS) eingeführt. 16 Dieses zielte auf die Errichtung einer Zone der Währungsstabilität in Europa. 17 Das EWS 18 sollte die Konvergenz der wirtschaftlichen Entwicklung erleichtern, der europäischen Integration neue Impulse verleihen und eine stabilisierende Wirkung auf die internationalen Wirtschafts- und Währungs beziehungen ausüben. 19 b) Kernpunkte des EWS
Das EWS bestand aus Interventions-, Kredit- und Wechselkursmechanismen 20 und basierte auf dem ECU als Rechnungseinheit. 21 Sie diente als Bezugsgröße für den Wechselkursmechanismus, als Grundlage für einen Divergenzindikator, als Rechengröße für Operationen im Interventions- und im Kreditmechanismus und als Instrument für den Saldenausgleich zwischen den Währungsbehörden der 13 Eine umfassende Darstellung der Geschichte der WWU findet sich etwa bei GTE-BüngerlMolitor; EWGV, Vor Art. 102a bis 109 Rn. 25 ff.; KapteynlVerLoren van Themaat, The Law of the EC, S. 951 ff.; Snyder; in: Craig / de Burca, Evolution of EU Law, S. 421 ff.; Oppermann, Europarecht, Rn. 982 ff. 14 Dazu KapteynlVerLoren van Themaat, The Law of the EC, S. 952 ff.; GTE-Büngerl Molitor; EWGV, Vor Art. 102a bis 109 Rn. 25 ff.; Nicolaysen, Rechtsfragen der Währungsunion, S. 16. 15 Entschließung des Rats vom 5.12.1978, Bulletin EG 12-1978, Punkt 1. 1. 11. 16 Snyder; in: Craig / de Burca, Evolution of EU Law, S. 428; KapteynlVerLoren van Themaat, The Law of the EC, S. 957; Scharrer; in: GS Sasse, S. 481 f.; Taylor; EMU 2000, S. 15 f.; Oppermann, Europarecht, Rn. 991. 17 Der Europäische Rat in Brüsse1: Ergebnisse und Folgen, Bulletin EG 12-1978, Punkt 1.1.1. und l.1.6. 18 Die grundlegenden Elemente des EWS waren in der Entschließung des Rats von 1978 enthalten. Das EWS wurde in den folgenden Jahren weiterentwickelt und die Instrumente und Einflußmöglichkeiten der Gemeinschaft erweitert, vgl. Oppermann, Europarecht, Rn. 993; GTE-BüngerIMolitor; EWGV, Vor Art. 102a bis 109 Rn. 48; KapteynlVerLoren van Themaat, The Law of the EC, S. 959. 19 Der Europäische Rat in Brüssel: Ergebnisse und Folgen, Schlußfolgerungen des Vorsitzes, Bulletin EG 12-1978, Punkt 1. 1. 10.; s. auch Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europäische Wirtschaft: Dokumentation zum Europäischen Währungssystem, Nr. 12 - Juli 1982, S. 14 ff. 20 Der Europäische Rat in Brüsse1: Ergebnisse und Folgen, Bulletin EG 12-1978, Punkt 1.1.7. 21 Diese Rechnungseinheit entspricht der Summe der Gegenwerte aller in einem Währungskorb enthaltenen Währungen, s. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europäische Wirtschaft: Dokumentation zum Europäischen Währungssystem, Nr. 12 - Juli 1982, S.74.
200
4. Kap.: Konkrete Flexibilität
Europäischen Gemeinschaft. 22 Auch Solidannaßnahmen zugunsten weniger wohlhabender Mitgliedstaaten waren Gegenstand des Systems?3 Kern war jedoch der Wechselkurs- und Interventionsmechanismus. Die Wechselkurse zwischen den einzelnen Währungen wurden prinzipiell festgelegt und durften sich nur innerhalb einer festgelegten Bandbreite von ± 2,25% bzw. ± 6% bewegen. 24 Bei Überschreiten dieser Schwankungsgrenzen mußten die Wechselkurse durch Interventionen der Zentralbanken stabilisiert werden. 25 Die Leitkurse wurden allerdings im Laufe des Bestehens des EWS mehrfach neu festgesetzt. 26 In den 80er Jahren wurde das EWS, das von Anfang an als dynamisches System konzipiert war,27 durch verschiedene neue Elemente und Instrumente weiterentwickelt. 28 Insgesamt konnte es trotz einer Krise im Jahr 1992 zu einem relativ hohen Maß an Währungsstabilität beitragen?9
c) Flexibilität des EWS
Für den vorliegenden Zusammenhang sind vor allem zwei Aspekte des EWS von Bedeutung, welche das System den damaligen Gegebenheiten anpaßten. Die Währungspolitik der Mitgliedstaaten war durch große Unterschiede bezüglich der Stärke der Währungen sowie der währungspolitischen Vorstellungen gekennzeichnet. 30 Einer der flexiblen Punkte des EWS war deshalb die Möglichkeit, statt der 22 Der Europäische Rat in Brüssel: Ergebnisse und Folgen, Bulletin EG 12-1978, Punkt 1.1.7. 23 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europäische Wirtschaft, Nr. 3 - Juli 1979, S. 80 f. 24 Punkt A.3.1. der Entschließung des Rats vom 5.12.1978, Bulletin EG 12-1978, Punkt 1. 1. 11. 25 GTE-Bünger/Molitor, EWGV, Vor Art. 102a bis 109 Rn. 52; Oppermann, Europarecht, Rn. 997. 26 Snyder, in: Craig/de Burca, Evolution of EU Law, S. 429; Kapteyn/VerLoren van Themaat, The Law of the EC, S. 958; Oppermann, Europarecht, Rn. 998; s. auch Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europäische Wirtschaft: Dokumentation zum Europäischen Wahrungssystem, Nr. 12 - Juli 1982, S. 35 ff. 27 s. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europäische Wirtschaft: Dokumentation zum Europäischen Währungssystem, Nr. 12 - Juli 1982, S. 7. 28 Dazu GTE-Bünger/Molitor, EWGV, Vor Art. 102a bis 109 Rn. 55 ff.; Kapteyn/VerLoren van Themaat, The Law of the EC, S. 959. 29 Kapteyn/VerLoren van Themaat, The Law of the EC, S. 958; GTE-Bünger/Molitor, EWGV, Vor Art. 102a bis 109 Rn. 60; Oppennann, Europarecht, Rn. 998; Taylor, EMU 2000, S. 16. Für die ersten Jahre s. auch Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europäische Wirtschaft: Dokumentation zum Europäischen Währungssystem, Nr. 12 - Juli 1982, S. 40 ff. 30 V gl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europäische Wirtschaft: Dokumentation zum Europäischen Währungssystem, Nr. 12 - Juli 1982, S. 16 ff.
I. Die Wirtschafts- und Währungsunion, WWU
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Bandbreite von ± 2,25 %, innerhalb derer die Währungen schwanken konnten, eine größere Spanne von ± 6% zu wählen,3l so daß auch Länder mit stark floatenden Währungen am EWS teilnehmen konnten. Der Wert von ±6% sollte, abhängig von den wirtschaftlichen Gegebenheiten des Landes, nach und nach auf das allgemein gültige Maß reduziert werden. 32 Auf eine Verpflichtung zur Anpassung oder eine Beurteilung der Situation durch die Kommission oder den Rat wurde verzichtet. Vielmehr wurde darauf vertraut, daß die betreffenden Mitgliedstaaten, den Gesetzen des Marktes gehorchend, die Bandbreite entsprechend heruntersetzen würden. Dieser Sonderweg wurde bei der Einführung des EWS von Italien und später von einigen Beitrittskandidaten vorübergehend in Anspruch genommen. 33 Dadurch konnten sich selbst Mitgliedstaaten mit zunächst schwächeren Währungen am EWS beteiligen und diese Sonderstellung einnehmen, so lange es erforderlich war. Der zweite Aspekt ist die Tatsache, daß die Teilnahme freiwillig war, d. h. jeder Mitgliedstaat konnte wählen, ob und wann er durch die Regelungen gebunden sein und die Instrumente des EWS in Anspruch nehmen wollte. 34 So waren nie alle Mitgliedstaaten am EWS beteiligt. Schon zu Beginn entschied sich das Vereinigte Königreich gegen eine Teilnahme,35 Schweden beteiligte sich weder am Wechselkursmechanismus (WKM) des EWS noch am WKM 11, und einige andere Beitrittsländer schlossen sich dem WKM erst nach einer gewissen Zeit an. 36
d) Das EWS als Vorläufer differenzierter Integration
Das EWS ist somit der erste, umfangr~iche Beispielsfall für differenzierte Integration. Allerdings handelt es sich nicht um Differenzierung innerhalb des Gemeinschaftsrechts. Das EWS war nicht primärrechtlich verankert, sondern bestand aus Entschließungen des Rates, Vereinbarungen der Zentralbanken und z.T. aus Sekundärrecht und lag so in einer "Grauzone zwischen Gemeinschaftsrecht und Völkerrecht".37 3l Punkt A.3.1. der Entschließung des Rats vom 5.12.1978, Bulletin EG 12-1978, Punkt 1. 1. 11. 32 Punkt A.3.1. der Entschließung des Rats vom 5. 12. 1978, Bulletin EG 12 - 1978, Punkt 1. 1. 11. 33 GTE-Bünger / Molitor; EWGV, Vor Art. 102a bis 109 Rn. 53. 34 Usher; Money and Financial Services in the EC, S. 175; Snyder; in: Craig / de Burca, Evolution ofEU Law, S. 429. 35 s. Der Europäische Rat in Brüssel: Ergebnisse und Folgen, Bulletin EG 12-1978, Punkt 1.1.7. Das Vereinigte Königreich beteiligte sich jedoch an anderen Elementen des EWS, z. B. an der Hinterlegung von Währungsreserven, s. Scharrer, in: GS Sasse, S. 491. 36 So u. a. Spanien, GTE-Bünger/Molitor; EWGV, Vor Art. 102a bis 109 Rn. 53. 37 Weber; in: FS Hahn, S. 274; s. auch Hahn/Siebelt, in: Dauses, Handbuch EU-Wirtschaftsrecht, F.I Rn. 14, Rn. 25 ff.
202
4. Kap.: Konkrete Flexibilität
In vielen Punkten 38 entspricht die Konstruktion des EWS den Forderungen des Tindemans-Berichts. 39 Bemerkenswert ist die dem EWS zugrundeliegende gemeinsame Zielsetzung aller, auch der nicht beteiligten Mitgliedstaaten. Sie entspricht dem im Tindemanns-Bericht vorgesehenen gemeinsamem Aktionsplan und stellt ein wesentliches Merkmal des - später entwickelten - Konzepts der abgestuften Integration dar. Darüber hinaus waren die am WKM nicht beteiligten Mitgliedstaaten in andere Bereiche des EWS, z. B. die Hinterlegung von Währungsreserven und die Verwendung der Rechnungseinheit ECU, eingebunden,4o wodurch eine Spaltung so weit wie möglich vermieden werden sollte. Die durch das EWS weiterhin vorgesehenen Solidaritätsmaßnahmen41 galten jedoch nur gegenüber am WKM beteiligten, schwächeren Mitgliedstaaten,42 nicht gegenüber nicht beteiligten Mitgliedstaaten. Sie trugen nicht dazu bei, den Beitritt außenstehender Mitgliedstaaten zu fördem. 43 Dem EWS wird in der Literatur u. a. für die Entwicklung differenzierter Integration eine herausragende Bedeutung zugesprochen: 44 ,,(I)t can be seen as a forerunner, if not a precedent, for later forms of differentiation within the Community system,,45. Des weiteren soll es "die Abkehr von der traditionellen Integrationsmethode des ,Alle oder Keiner' zugunsten einer ,differenzierten', günstigstenfalls phasenverschobenen Vorgehensweise bei der Integrationspolitik in Europa" markieren. 46 Diese Beurteilung mißt dem EWS zwar einen erheblichen Stellenwert bei, zeigt aber auch die Befürchtungen, Flexibilität könne zu einem Prinzip der europäischen Integration werden. 3. Die Wirtschafts- und Währungsunion
Das EWS wurde von der WWU des Maastricht-Vertrags abgelöst, weil vielen wirtschaftspolitischen Problemen im Rahmen dieses Systems nicht effektiv begegnet werden konnte. Die Realisierung des Binnenmarktes erforderte neben der 38 Für eine eingehendere Analyse im Hinblick auf währungspolitische Details s. Scharrer; in: OS Sasse, S. 491. 39 Die Europäische Union, Bericht von Leo Tindemans, Premierminister von Belgien, an den Europäischen Rat, EO-Bulletin, Beilage 1/76. 40 s. auch Scharrer; in: OS Sasse, S. 490 f. 41 Teil B der Entschließung des Rats vom 5. 12. 1978, Bulletin EO 12-1978, Punkt 1. 1. 11. 42 Punkt B.3 der Entschließung des Rats vom 5. 12. 1978, Bulletin EO 12-1978, Punkt 1. 1. 11. 43 Auch das entspricht nicht dem Tindemans-Bericht, s. Scharrer; in: OS Sasse, S. 491. 44 Auch im Rahmen der generellen europapolitischen Entwicklung stellt das EWS einen wichtigen Schritt dar, vgl. Oppermann, Europarecht, Rn. 991. 45 Snyder; in: Craig/de Burca, Evolution ofEU Law, S. 429. 46 Scharrer; in: OS Sasse, S. 477.
I. Die Wirtschafts- und Währungsunion, WWU
203
Freiheit des Waren- und Personenverkehrs auch einen ungehinderten Zahlungsverkehr. 47 Beträchtliche Transaktionskosten führten zu erheblichen Nachteilen für gemeinschaftsweit operierende Unternehmen, die überdies durch Kursschwankungen, die durch das EWS nicht völlig beseitigt worden sind, weiteren Risiken ausgesetzt waren. 48 Auch die größere Bedeutung einer gemeinsamen Währung auf den internationalen Finanzmärkten sprach nach Ansicht der Befürworter für die Einführung einer WWU. 49 Abgesehen von diesen und anderen 50 ökonomischen Argumenten 51 spielten politische Faktoren eine erhebliche Rolle. 52 Der Integrationsprozeß sollte durch die WWU gekrönt 53 und die politische Einigung weiterentwickelt und stabilisiert werden, nicht zuletzt um das wiedervereinigte Deutschland in eine politisch stabile Europäische Union einzubinden. 54 Darüber hinaus erhoffte man sich durch die Vertiefung der Integration in wirtschafts- und währungspolitischer Hinsicht einen spill-over-Effekt auf weitere damit im Zusammenhang stehende Fragen. 55 47 Winterberg, Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, S. 53; Kapteyn/VerLoren van Themaat, The Law of the EC, S. 942; Oppermann, Europarecht, Rn. 1006. 48 s. Nicolaysen, Rechtsfragen der Währungsunion, S. 11 f.; kritisch unter Hinweis auf die Gewinne der Banken Winterberg, Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, S.54. 49 Nicolaysen, Rechtsfragen der Währungsunion, S. 14 f.; Winterberg, Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, S. 52. Dazu auch Detken/ Hartmann, ECB Working Paper No. 19, S. 13; Weinrichter. EIoP 2000, Nr. 10; Portes/ Rey, in: Begg/ v. Hagen, Prospects and Challenges for the Euro, S. 307 ff.; skeptisch lssing, in: Untemehmerverband, Chancen und Risiken des Euro, S. 53 ff. 50 Ausführlicher dazu Nicolaysen, Rechtsfragen der Währungsunion, S. 11 ff.; Winterberg, Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, S. 52 ff. 51 Viele Ökonomen waren demgegenüber der Ansicht, daß wirtschaftliche Gründe zum damaligen Zeitpunkt nicht eindeutig für die Einführung der WWU sprachen, vgl. Taylor. EMU 2000, S. 68 ff.; Tichy, in: Breuss/Griller, Flexible Integration in Europa, S. 108 ff.; Manifest von 60 Ökonomen gegen Maastricht, abgedruckt in: integration 1992, S. 229 f. 52 Horn, in: FS Mestmäcker, S. 394 f.; Snyder. in: Craig / de Burca, Evolution of EU Law, S. 436 wertet politische Faktoren sogar als Hauptmotiv für die Einführung der WWU: "EMU is primarily a political project, despite its fundamental economic importance and its significant legal characteristics." Er folgert dies aus dem seiner Meinung nach bestehenden Mangel an ausreichender wirtschaftlicher Begründung. 53 Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Umsetzung der WWU im Maastricht-Vertrag mit dem sogenannten Krönungs- oder ökonomischen Ansatz übereinstimmt, nachdem die Währungsunion den Abschluß oder die Krönung eines erfolgreichen Integrationsprozesses darstellt. Das Maastrichter Konzept beinhaltet vielmehr einen Mittelweg, in den auch Elemente des monetaristischen Ansatzes einfließen, wonach die Währungsunion ein Instrument zur Beschleunigung der Integration sein soll, s. Tichy, in: Breuss / Griller, Flexible Integration in Europa, S. 106 f., S. 112. 54 Oppermann, Europarecht, Rn. 1007; Winterberg, Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, S. 52; s. auch Tietmeyer; integration 1992, S. 24. 55 Mutimer. JEI 1989, S. 82; Edwards / Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 33.
204
4. Kap.: Konkrete Flexibilität
a) Die erste und die zweite Stufe der WWU Noch vor Inkrafttreten des Maastricht-Vertrags war durch Beschluß des Europäischen Rates von Madrid schon 1990 die erste Stufe eingeleitet worden. 56 Diese sollte durch eine Verstärkung der Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten und eine Überwachung der nationalen Haushaltspolitiken die Grundlagen für die WWU schaffen. 57 Am 1. I. 1994 erfolgte gern. Art. 116 EGV für alle Mitgliedstaaten der Übergang in die zweite Stufe,58 in der das Europäische Wirtschaftsinstitut (EWI)59 als Vorläufer der Europäischen Zentralbank (EZB) errichtet wurde. Ziel der Übergangsregelungen der zweiten Stufe war die Schaffung eines hohen Grades an dauerhafter Konvergenz 60 unter den Mitgliedstaaten, um diese auf die dritte Stufe vorzubereiten. 61
b) Die Konvergenzkriterien als objektive Teilnahmekriterien Die dritte Stufe der WWU begann trotz zahlreicher Bedenken62 am 1. 1. 1999. 63 Zu diesem Zeitpunkt wurde die Währungshoheit von den beteiligten Mitgliedstaaten auf die Europäische Gemeinschaft übertragen. 64 Um die Stabilität der Währungsunion zu gewährleisten,65 wurden mit den sogenannten Konvergenzkriterien des Art. 121 I EGVobjektive Kriterien für die Teilnahme an der dritten Stufe der WWU festgelegt. Dadurch wurde vertraglich ein flexibles Vorgehen vorgeschrieben, da nicht zu erwarten war, daß alle Mitgliedstaaten den erforderlichen Grad an dauerhafter Konvergenz aufweisen würden. 66 56 s. Entscheidung des Rates (90/141 1EWG) v. 12.3. 1990 zur Erreichung einer schrittweisen Konvergenz der Politiken und der wirtschaftlichen Ergebnisse während der ersten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, ABI. Nr. L 78 vom 24. 3. 1990, S. 23. 57 Oppermann, Europarecht, Rn. 1010. 58 Auch das opt-out des Vereinigten Königreichs und Dänemarks bezieht sich lediglich auf die dritte Stufe, s. Nr. 1 des Protokoll (Nr. 25) über einige Bestimmungen betreffend das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie Nr. 1 des Protokoll (Nr. 26) über einige Bestimmungen betreffend Dänemark. 59 Art. 117 EGY. 60 Art. 121 I EGY. 61 Usher; Money and Financial Services in the EC, S. 183; Taylor; EMU 2000, S. 6. 62 s. etwa die Darstellung verschiedener Untersuchungen bei Tichy, in: Breuss 1Griller, Flexible Integration in Europa, S. 108 ff.; dazu auch Winterberg, Die Europäische Wirtschafts- und Wahrungsunion, S. 60 ff.; Manifest von 60 Ökonomen, abgedruckt in: integration 1992, S. 229 f. 63 Art. 121 IV EGY. 64 Horn, in: FS Mestmäcker, S. 388. 65 Vgl. Beaumont/Walker; in: dies., Single European Currency, S. 172. 66 Oder nach Kapteyn/VerLoren van Themaat, The Law ofthe EC, S. 993: "This provision is legally interesting as it creates an obligation to integrate monetary policy at variable speeds." s. auch Weber; in: FS Hahn, S. 274.
I. Die Wirtschafts- und Währungsunion, WWU
205
Anhand der Konvergenzkriterien des Art. 121 I EGV sollte die Beitrittsfähigkeit der Mitgliedstaaten überprüft werden. Sie setzen als Voraussetzung für den Eintritt in die dritte Stufe Preisstabilität und Konvergenz der Inflationsraten,67 die Einhaltung bestimmter Referenzwerte für die Finanzlage der öffentlichen Hand,68 die Einhaltung der normalen Bandbreite des Wechselkursmechanismus, 69 sowie ein bestimmtes Niveau der langfristigen Zinssätze70 fest. Darüber hinaus stellt Art. 109 EGV Anforderungen an die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auf, welche die institutionelle und personelle Unabhängigkeit des ESZB und dessen Zielsetzung, die Realisierung von Preisstabilität, gewährleisten müssen. 71 Dieses Kriterium der Anpassung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen wird auch als rechtliche Konvergenz bezeichnet. 72 Über die Einhaltung dieser Kriterien durch die einzelnen Mitgliedstaaten verfaßten gern. Art. 121 I EGV das EWC 3 und Kommission 74 jeweils einen Bericht an den Rat. Der Rat beurteilte gern. Art. 121 IV EGV in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs 75 nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments 67 s. Art. 1 des Protokolls (Nr. 21) über die Konvergenzkriterien nach Art. 121 EGV, wonach ein Mitgliedstaat eine durchschnittliche Inflationsrate aufweisen muß, die nicht mehr als 1, 5 % über der durchschnittlichen Inflationsrate der drei besten Mitgliedstaaten liegt. Hier wurde ein Referenzwert von 2, 7% festgelegt, s. Europäische Kommission, Euro 1999, S. 88. 68 Dies richtete sich danach, ob eine Entscheidung des Rats nach Art. 104 VI EGV vorlag, nach der bei dem betreffenden Staat ein übermäßiges Defizit gegeben war, Art. 2 des Protokolls (Nr. 21) über die Konvergenzkriterien nach Art 121 EGV. Eine solche Entscheidung war dann gerechtfertigt, wenn die Referenzwerte von 3% für das öffentliche Defizit bzw. von 60% für den öffentlichen Schuldenstand, im Verhältnis zum BIP, überschritten wurden, Art. 1 Protokoll (Nr. 20) über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit, s. auch Europäische Kommission, Euro 1999, S. 116 f. 69 Nach Art. 3 des Protokolls (Nr. 21) über die Konvergenzkriterien nach Art. 121 EGV müssen die normalen Bandbreiten ohne starke Spannungen eingehalten worden sein, und der jeweilige Mitgliedstaat darf den bilateralen Leitkurs seiner Währung nicht von sich aus abgewertet haben. Hier wurde ein Wechselkursanstieg gegenüber der Meridian-Währung um über 2,25% als maßgeblich erachtet, s. Europäische Kommission, Euro 1999, S. 199. 70 Dieses gilt als Frühindikator, der die Einschätzung der fundamentalen Wirtschaftsbedingungen durch die Finanzmärkte widerspiegelt, einschließlich des dauerhaften Charakters der Inflationsentwicklung und der Finanzlage der öffentlichen Hand. Als Referenzwert wurde das einfache Mittel der langfristigen Zinssätze der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten plus 2% festgelegt. Dies ergab einen Wert von 7,8%. Dazu Europäische Kommission, Euro 1999, S. 229, S. 235, Art. 4 Protokoll (Nr. 21) über die Konvergenzkriterien nach Art. 121 EGY. 7\ s. Art. 105 I EGV, Art. 2 ESZB-Satzung. Dazu Europäische Kommission, Euro 1999, S. 43 ff.; Wahlig, in: FS Hahn, S. 266 ff.; Herdegen, CMLR 1998, S. 15 ff., 23 f.; Stadler, Der rechtliche Handlungsspielraum, S. 100 ff.; HahnlSiebelt, in: Dauses, Handbuch EU-Wirtschaftsrecht, F.I Rn. 69. 72 Wölker, Der Eintritt in die dritte Stufe, S. 18. 73 EWI, Konvergenzbericht. 74 Europäische Kommission, Euro 1999. 75 Dieser ist nicht mit dem Europäischen Rat gleichzusetzen. s. Martenczuk, EuR 1998, S.154.
206
4. Kap.: Konkrete Flexibilität
mit qualifizierter Mehrheit, welche Mitgliedstaaten die Kriterien erfüllten und damit an der Einführung des Euro teilnahmen. 76 In elf Mitgliedstaaten bewegte sich die wirtschaftliche Situation innerhalb des durch die Kriterien des Art. 121 I EGV gesetzten Rahmens. Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal und Finnland traten zum 1. 1. 1999 in die dritte Stufe der WWU ein. 77
c) Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt
aa) Die Mitgliedstaaten Dänemark, das Vereinigte Königreich, Schweden und Griechenland sind nicht zu Beginn in die dritte Stufe eingetreten. Weder bei Griechenland noch bei Schweden lagen nach den Konvergenzberichten von Kommission 78 und EWI 79 sowie nach der Entscheidung des Rates 80 die Voraussetzungen für die Einführung des Euro vor. Diese bei den Staaten waren zu diesem Zeitpunkt "Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt", Art. 122 I EGV Dänemark und das Vereinigte Königreich werden - mit geringen Abweichungen - im Ergebnis zwar wie Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt, behandelt. Sie nehmen jedoch eine Sonderstellung ein, da ihnen vertraglich eine Möglichkeit zum opt-out zugesichert wurde und sie diese in Anspruch genommen haben. Ihre Stellung wird im folgenden deshalb gesondert erörtert.
( 1) Schweden Die Teilnahme Schwedens an der dritten Stufe der WWU scheiterte an zwei Punkten. Zum einen war die erforderliche rechtliche Konvergenz, d. h. die Übereinstimmung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit den Art. 107 f. EGV sowie der ESZB-Satzung, nicht gegeben. 81 Zum anderen hat Schweden nach der Empfehlung der Kommission und der damit übereinstimmenden Entscheidung des Rates das Wechselkurskriterium des Art. 121 I S. 3, 3. Spstr. EGV nicht erfüllt. 76 Entscheidung 98 I 317 I EG des Rates vom 3. Mai 1998 gemäß Artikel 109j Absatz 4 des Vertrags, ABI. Nr. L 139 vom 11. 5. 1998, S. 30. 77 Entscheidung 98 I 317 I EG des Rates vom 3. Mai 1998 gemäß Artikel 109j Absatz 4 des Vertrags, ABI. Nr. L 139 vom 11. 5.1998, S. 30, 34. 78 Europäische Kommission, Euro 1999. 79 EWI, Konvergenzbericht, S. 101, S. 164 f. 80 Entscheidung 98 I 317 I EG des Rates vom 3. Mai 1998 gemäß Artikel 109j Absatz 4 des Vertrags, ABI. Nr. L 139 vom 11. 5. 1998, S. 30, 31, 34. 81 Europäische Kommission, Euro 1999, S. 40; Entscheidung 98/317 lEG des Rates vom 3. Mai 1998 gemäß Artikel 109j Absatz 4 des Vertrags, ABI. Nr. L 139 vom 11. 5. 1998, S. 30, 34.
I. Die Wirtschafts- und Währungsunion, WWU
207
Schweden hat am Wechselkursmechanismus nicht teilgenommen. Darüber hinaus hat die schwedische Krone nach Ansicht der Kommission unter anderem wegen eines fehlenden Wechselkursziels während des Berichtzeitraums gegenüber den WKM-Währungen geschwankt. 82 Aus dieser Beurteilung der Kommission wird nicht klar, ob die fehlende Teilnahme am WKM 83 oder die Schwankungen gegenüber dem WKM ausschlaggebend sind. Dies ist insofern von Bedeutung, als die Teilnahme am WKM freiwillig ist. Wenn die Teilnahme am WKM ausschlaggebend wäre, wäre die Einhaltung eines objektiven Kriteriums von subjektiven Entscheidungen abhängig. Gerade weil dieser Punkt vor allem in der Empfehlung der Kommission relativ knapp und ohne Angabe genauer Werte behandelt wurde, sehen kritische Stimmen 84 das Ergebnis als Zugeständnis an die schwedische Regierung. Diese hatte schon im Vorfeld erklärt, daß sie an der Einführung des Euro nicht teilnehmen würde,85 obwohl Schweden vertraglich kein Recht zum opt-out zustand. 86
(2) Griechenland
In Griechenland fand zwar die nötige Anpassung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften an die Art. 107, 108 EGV und die ESZB-Satzung statt. Griechenland konnte aber keines der wirtschaftlichen Konvergenzkriterien des Art. 121 I EGV erfüllen. 87 Sämtliche Werte lagen deutlich über den maßgeblichen Referenzwerten. 88 Europäische Kommission, Euro 1999, S. 41. Italien und Finnland haben zwar nicht während des gesamten Berichtzeitraums von zwei Jahren, aber immerhin während eines Zeitraums von 15 bzw. 16 Monaten am WKM teilgenommen, s. Europäische Kommission, Euro 1999, S. 210. 84 Usher, Money and Financial Services in the EC, S. 186 f.; Edwardsl Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 34; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 459; Usher, in: Beaumont/Walker, Single European Currency, S. 15. BeaumontlWalker, in: dies., Single European Currency, S. 177, sehen im Fehlen genauer Zahlen im Bericht der Kommission sogar "an attempt to force the Council's hand into deciding that the exchange rate criterion had not been met." A.A. Wölker. Der Eintritt in die dritte Stufe, S. 32 f.; Schauer, Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 120 ff. 85 s. Wölker, Der Eintritt in die dritte Stufe, S. 32. 86 Auch die Annahme, daß die Teilnahme am WKM lediglich als Indiz dient und nicht unmittelbar Voraussetzung für die Erfüllung des dritten Konvergenzkriteriums ist (so Schauer, Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 118), verbietet diesen Schluß nicht. 87 Europäische Kommission, Euro 1999, S. 27 f.; Entscheidung 98 I 317 I EG des Rates vom 3. Mai 1998 gemäß Artikel 109j Absatz 4 des Vertrags, ABI. Nr. L 139 vom 11. 5. 1998, S. 30, 31. 88 Die Inflationsrate lag bei 5,2% gegenüber dem Referenzwert von 2,7%; es lag eine gültige Entscheidung des Rates über das Bestehen eines übermäßigen Defizits vor; die Griechische Drachme war zeitweilig Spannungen ausgesetzt und erst im Mai 1998 dem WKM beigetreten; der durchschnittliche langfristige Zinssatz lag bei 9,8% und damit über dem Referenzwert von 7,8%, vgl. Entscheidung 98/317 lEG des Rates vom 3. Mai 1998 gemäß Artikell09j Absatz 4 des Vertrags, ABI. Nr. L 139 vom 11. 5. 1998, S. 30, 31. 82
83
208
4. Kap.: Konkrete Flexibilität
bb) Die Konsequenzen der Ausnahmeregelung Für Schweden und Griechenland galt somit eine Ausnahmeregelung nach Art. 122 I DA 2 EGv. 89 Diese Ausnahmeregelung hatte gern. Art. 122 III EGV zur Folge, daß zahlreiche Bestimmungen der dritten Stufe der WWD für diese Mitgliedstaaten nicht in Kraft traten. 90 So finden u. a. die folgenden Regelungen auf Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt, keine Anwendung: das Verfahren bei Bestehen eines übermäßigen öffentlichen Defizits,91 die Bestimmungen über die Zielsetzung des ESZB,92 die Ausgabe von Münzen und Banknoten,93 die Befugnisse der EZB,94 Wechselkursfestlegungen mit Drittstaaten95 sowie einige institutionelle Bestimmungen der EZB. 96 Die Vorschriften über Schwierigkeiten eines Mitgliedstaats bei Zahlungsbilanz gelten für diese Mitgliedstaaten weiter. 97 cc) Auswirkungen auf die Beschlußfassung im Rat Des weiteren wurde das Stimmrecht der betreffenden Mitgliedstaaten für Beschlüsse des Rates 98 nach den genannten Vorschriften ausgesetzt. 99 Die qualifizierte Mehrheit wird, abweichend von Art. 205 und 250 I EGV, mit zwei Dritteln der nach Art. 205 11 EGV gewogenen Stimmen der Vertreter der Mitgliedstaaten, die an der Einführung der einheitlichen Währung teilnehmen, berechnet. Es sind also 66,67% der Stimmen der beteiligten Mitgiiedstaaten 100 für das Zustandekommen eines Beschlusses mit qualifizierter Mehrheit erforderlich. Für einstimmige Beschlußfassung sind die Stimmen sämtlicher beteiligter Mitgliedstaaten nötig. Die Regelung für die Beschlußfassung mit qualifizierter Mehrheit weicht also von der 89 Die Konsequenzen des opt-out werden in einem gesonderten Punkt behandelt. Dabei handelt es sich um folgende Artikel: Art. 104 IX, XI, 105 I, 11, III, V, 106, 1l0, lll, 112 11 b EGY. 91 Art. 104 IX, XI EGY. 92 Art. 105 I, 11, III EGY. 93 Art. 106 EGY. 94 Art. 110 EGY. 95 Art. 111 EGY. 96 Art. 112 11 b) EGV sowie die in Art. 43 ff. ESZB-Satzung genannten Übergangsbestim90
mungen. 97 Art. 122 VI EGV, regulär endete die Geltungsdauer dieser Vorschriften gern. Art. 120 IV EGV mit Beginn der dritten Stufe. 98 Für die Formulierung und Verabschiedung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik ist der Ecofin-Rat zuständig, s. Europäischer Rat von Luxemburg, Schlußfolgerungen des Vorsitzes, 1.9., Bulletin EG 12-1997, S. 13. 99 Art. 122 V EGV. 100 Die Stimmengewichtung der Stimmen der Mitgliedstaaten im Rat wird ab 1. Januar 2005 durch Art. 3 I a) i) Protokoll über die Erweiterung der Europäischen Union geändert werden.
I. Die Wirtschafts- und Währungsunion, WWU
209
entsprechenden Vorschrift für die verstärkte Zusammenarbeit ab, nach der der in Art. 205 11 EGV festgelegte Anteil der gewogenen Stimmen, also 71,26% maßgeblich ist. 10 1 Die Vertreter der nicht beteiligten Mitgliedstaaten sind lediglich von der Beschlußfassung, nicht aber von den Beratungen im Rat ausgeschlossen. Jedoch können die Minister der dem Euro Währungsgebiet angehörenden Staaten "in informellem Rahmen Fragen erörtern, die im Zusammenhang mit ihrer gemeinsam getragenen, besonderen Verantwortung für die gemeinsame Währung stehen."I02 Zu diesen Treffen, dem sogenannten Euro-X-Rat, wird die Kommission und gegebenenfalls die EZB eingeladen. Über Fragen, die für alle Mitgliedstaaten von Interesse sind, wird in Anwesenheit aller Mitgliedstaaten beraten. 103 Dennoch wird die "Institutionalisierung eines eigenen Gremiums"l04 wegen ihrer Symbolkraft zu Recht kritisiert. !Os
d) Die Beziehungen zwischen beteiligten und nicht beteiligten Mitgliedstaaten aa) Der Wechselkursmechanismus 11 Der Vertrag enthält keine Regelungen über die Beziehungen zwischen den an der Einführung der einheitlichen Währung beteiligten und den nicht beteiligten Mitgliedstaaten. Gegenüber den Mitgliedstaaten, welche die Konvergenzkriterien nicht erreicht haben, bestehen keine Solidaritätspflichten. 106 Schwerwiegender ist jedoch, daß der Vertrag auch keine Aussagen über einen Wechselkursmechanismus zwischen den Euro-Staaten und den Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung trifft. 107 Der Wechselkursmechanismus des EWS verlor seine Funktion mit der Einführung des Euro, so daß fraglich war, an welchem Maßstab das Wechselkurskriterium des Art. 121 I EGV für die Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung lO8 zu Art. 44 I EGV. Europäischer Rat von Luxemburg, Schlußfolgerungen des Vorsitzes, 1.9., Bulletin EG 12-1997, S. 13; Entschließung (98/C 35101) des Europäischen Rates v. 13. 12. 1997 über die Koordinierung in der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, ABI. Nr. C 35 vom 2.2.1998, S. 1,2, Punkt 5. 103 Europäischer Rat von Luxemburg, Schlußfolgerungen des Vorsitzes, 1.9., Bulletin EG 12-1997, S. 13; Entschließung (98/C 35101) des Europäischen Rates v. 13. 12. 1997 über die Koordinierung in der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, ABI. Nr. C 35 vom 2.2. 1998, S. 1,2, Punkt 5. 104 Schauer, Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 125. 105 Schauer, Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 124 f.; Patterson, in: Ehlermann, Der rechtliche Rahmen, S. 112, sieht darin eine Quelle für zukünftige Spannungen. 106 Dies kritisiert Tichy, in: Breuss I Griller, Flexible Integration in Europa, S. 116. 107 Kritisch auch Schauer, Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 133. 108 s. Art. 122 II EGY. 101
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14 Grieser
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4. Kap.: Konkrete Flexibilität
messen sein sollte. \09 Darüber hinaus setzt Art. 124 II EGV das Bestehen eines Wechselkursmechanismus voraus. 110 Aus diesem Grunde wurde durch eine Entschließung des Europäischen Rates III der WKM 11 eingeführt, durch den eine Anbindung der Währungen der nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten an den Euro erfolgen SOll.112 Für jede am WKM II teilnehmende Währung wird ein Leitkurs gegenüber dem Euro festgelegt. 113 Für diese Leitkurse wurde eine Standardbandbreite von ± 15% oder, wie im Falle Dänemarks, eine engere Bandbreite von ± 2,25% festgelegt. 114 Ein wichtiges Merkmal stellt der flexible Einsatz der Zinssätze innerhalb dieses Mechanismus dar. 115 Weitere Einzelheiten werden durch ein Abkommen der EZB mit den nationalen Zentralbanken der nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten geregelt. 1l6 Problematisch an der Ausgestaltung dieses WKM 11 ist, daß er mit Beginn der dritten Stufe in Kraft trat, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Währungspolitik für elf Mitgliedstaaten in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft überging. 117 Für vier Mitgliedstaaten 118 lagen die Befugnisse jedoch noch in nationaler Kompetenz. Die gewählte Rechtsform einer Entschließung des Europäischen Rates wird dieser gespaltenen Kompetenzlage nicht gerecht. 119 109 Usher, Money and Financial Services in the EC, S. 175; ders., in: BeaumontiWalker, Single European Currency, S. 15; GTE-Smits, EGV 1EUV, Art. 109 Rn. 5 ff.; Häde, in: FS Hahn, S. 151; Manenczuk, EuR 1998, S. 172; Louis, CMLR 1998, S. 70. 110 Smits, European Central Bank, S. 465; GTE-Smits, EGV 1EUV, Art 109 m Rn. 25. 111 Art. 111 EGV regelt diese Frage nicht, denn er betrifft Wechse1kursfestlegungen im Verhältnis zu Drittstaaten und eine Analogie ist nicht möglich, Smits, European Central Bank, S. 469 ff.; Häde, in: FS Hahn, S. 154; a.A. Schauer, Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 132. ll2 Entschließung 97/C 236/03 des Europäischen Rates vom 16. 6. 1997 über die Einführung eines Wechse1kursmechanismus in der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, ABI. Nr. C 236 vom 2.8. 1997, S. 5. 113 Punkt 2.1 der Entschließung 971 C 236/03 des Europäischen Rates vom 16. 6. 1997 über die Einführung eines Wechselkursmechanismus in der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, ABI. Nr. C 236 vom 2.8.1997, S. 6. 114 Punkte 2.1 bis 2.5 der Entschließung 971 C 236/03 des Europäischen Rates vom 16.6.1997 über die Einführung eines Wechselkursmechanismus in der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, ABI. Nr. C 236 vom 2. 8. 1997, S. 6. 115 Punkt 2.2 der Entschließung 97/C 236/03 des Europäischen Rates vom 16. 6. 1997 über die Einführung eines Wechse1kursmechanismus in der dritten Stufe der Wirtschafts- und Wahrungsunion, ABI. Nr. C 236 vom 2.8. 1997, S. 6. 116 Abkommen 981 C 345/05 vom 1. 9. 1998 zwischen der Europäischen Zentralbank und den nationalen Zentralbanken der nicht dem Euro-Wahrungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten über die Funktionsweise eines Wechselkursmechanismus in der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, ABI. Nr. C 345 vom 13. 11. 1998, S. 6. 117 Manenczuk, EuR 1998, S. 174. 118 Schweden und Griechenland mit Ausnahmeregelung nach Art. 122 EGV und Dänemark und das Vereinigte Königreich mit opt-out.
I. Die Wirtschafts- und Währungsunion, WWU
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Vielmehr hätte zwischen der Gemeinschaft und den nicht beteiligten Mitgliedstaaten eine Vereinbarung getroffen werden müssen. Statt der am Euro-Währungsgebiet beteiligten Mitgliedstaaten wäre die Gemeinschaft, konkret die EZB,120 für den Abschluß dieser Vereinbarung zuständig gewesen. 121 In dem Beschluß des WKM II als Entschließung des Europäischen Rates liegt deshalb eine Mißachtung der ausschließlichen Gemeinschaftskompetenz 122 in Währungsfragen. 123 Der Europäische Rat besitzt keine Befugnis zur Einführung eines Wechselkursmechanismus. 124 Aus dem gleichen Grunde ist sein Tätigwerden auch im Hinblick auf die Unabhängigkeit der EZB bedenklich. 125 Deshalb ist die Entschließung lediglich eine informelle Vereinbarung, sie ist für die Organe der Union nicht rechtsverbindlich und bietet keine Rechtssicherheit. 126 Die Teilnahme am WKM II ist freiwillig. Zwar "kann von den Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt, erwartet werden, daß sie sich an dem Mechanismus beteiligen.'d27 Diese Aussage begründet aber keine rechtliche Verpflichtung. Schweden und das Vereinigte Königreich sind dem WKM II nicht beigetreten. 128 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß sich aus den vertraglichen Vorschriften für die Umsetzung der WWU implizit das Erfordernis eines Wechse1kursmechanismus zwischen den an der Einführung des Euro beteiligten und den Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung 129 ergibt. Die Verwirklichung der WWU ist wiederum ein gemeinschaftliches Ziel,13o so daß diese Offenheit des Systems bedenklich iSt. 131 119 Martenczuk, EuR 1998, S. 174; kritisch auch Smits, European Central Bank, S. 467 ff.; GTE-Smits, EGV 1EUV, Art. 109m Rn. 31 f. 120 Die Zuständigkeit der EZB läßt sich mangels konkreter Vorschriften im Vertrag nicht eindeutig bestimmen, erscheint aber im Zusammenhang der Vorschriften über die Währungspolitik sinnvoll, GTE-Smits, EGV 1EUV, Art. 109 m Rn. 33. 121 Smits, European Central Bank, S. 467. 122 Gegenüber elf Mitgliedstaaten. 123 Martenczuk, EuR 1998, S. 174; GTE-Smits, EGV 1EUV, Art. 109m Rn. 32; Louis, CMLR 1998, S. 70; a.A. Häde, in: FS Hahn, S. 156. 124 GTE-Smits, EGV 1EUV, Art. 109m Rn. 47; Usher, in: Beaumont/Walker, Single European Currency, S. 16. 125 Martenczuk, EuR 1998, S. 174; GTE-Smits, EGV 1EUV, Art. 109m Rn. 32. 126 GTE-Smits, EGV 1EUV, Art. 109m Rn. 31; Martenczuk, EuR 1998, S. 174; Oppermann, Europarecht, Rn. 586 f.; allgemein zu den Auswirkungen von Entschließungen auch Everling in: Bieber 1Ress, Dynamik des Gemeinschaftsrechts, S. 423 ff. 127 Punkt 1.6 der Entschließung 97/C 236/03 des Europäischen Rates vom 16. 6. 1997 über die Einführung eines Wechselkursmechanismus in der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, ABI. Nr. C 236 vom 2.8. 1997, S. 5. 128 Dies führt, wie Patterson, in: Ehlermann, Der rechtliche Rahmen, S. 108 f., feststellt, zu einer "three speed" monetary union. 129 Anders verhält es sich für das Vereinigte Königreich, das gern. Art. 5 Protokoll VKWWU (s. Fn. 159) von der Geltung des Art. 4 II EGV befreit ist, s. Smits, European Central Bank, S. 465. 130 Art. 2,4 II EGY.
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4. Kap.: Konkrete Flexibilität
bb) Die Beteiligung am ESZB Die Zentralbanken der Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt, behalten ihre währungspolitischen Befugnisse. 132 Des weiteren ergeben sich kaum Rechte oder Pflichten für die betreffenden Mitgliedstaaten und deren Zentralbanken im Rahmen des ESZB, da sich die Regelungen der ESZB-Satzung fast ausschließlich auf die am Euro-Währungs gebiet teilnehmenden Mitgliedstaaten beziehen. 133 Als drittes Beschlußorgan der EZB wird jedoch nach Art. 45 ESZB-Satzung der Erweiterte Rat der EZB eingesetzt. Dieser besteht aus dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten der EZB sowie den Präsidenten der nationalen Zentralbanken. Er existiert, so lange es einen Mitgliedstaat mit Ausnahmeregelung gibt,134 und übernimmt neben beratenden Funktionen l35 im wesentlichen die Aufgaben des EWI, die diesem aufgrund der noch bestehenden Ausnahmeregelungen verblieben sind. 136 Somit sind die Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung teilweise in das ESZB eingebunden. cc) Beitritt zur WWU (1) Allgemeines Der Status der Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt, soll nach dem Vertrag nur vorübergehend sein. 137 Nach Art. 12211 EGV wird alle zwei Jahre nach dem Verfahren des Art. 121 I EGVerneut ein Konvergenzbericht der Kommission und der EZB erstellt. Abgesehen von dieser regelmäßigen Überprüfung kann ein Mitgliedstaat, für den eine Ausnahmeregelung gilt, auch einen dahingehenden Antrag stellen. Nach Anhörung des Europäischen Parlaments und Diskus131 GTE-Smits, EGV /EUV, Art. 109m Rn. 49; Smits, European Central Bank, S. 465. Aufgrund der Freiwilligkeit kann Schweden möglicherweise erneut beeinflussen, ob für die Schwedische Krone die Voraussetzungen des Wechselkurskriteriums vorliegen. Ein Fortschritt im Sinne einer Verpflichtung, am WKM 11 teilzunehmen, konnte jedoch nicht erzielt werden, vgl. Louis, CMLR 1998, S. 71. A.A. Häde, in: FS Hahn, S. 156 f., der jedoch eine Verpflichtung bei Vorliegen entsprechender ökonomischer Voraussetzungen in Erwägung zieht, um zu verhindern, daß durch den einzelnen Mitgliedstaat eine Entscheidung gegen die Teilnahme an der WWU getroffen werden kann. 132 Art. 43.2 ESZB-Satzung. 133 Art. 43.1 ESZB-Satzung; s. auch Mehnert-Meland, Central Bank, S. 91 f.; Kapteyn/ VerLoren van Themaat, The Law of the EC, S. 996; Usher, Money and Financial Services in the EC, S. 201. 134 Art. 44 ESZB-Satzung. 135 Der Erweiterte Rat wirkt gern. Art. 47.1 ESZB-Satzung bei der Erfüllung der Beratungsfunktionen nach den Artikeln 4 und 25.1 ESZB-Satzung mit. 136 Art. 47.1 i.Y.m. 44 ESZB-Satzung; s. auch Mehnert-Meland, Central Bank, S. 92 ff.; Usher, Money and Financial Services in the EC, S. 201; Kapteyn/VerLoren van Themaat, The Law ofthe EC, S. 997; Louis, CMLR 1998, S. 69. 137 Louis, CMLR 1998, S. 64.
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sion im Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit, ob die betreffenden Mitgliedstaaten die in Art. 121 I EGV genannten Konvergenzkriterien erfüllen, und hebt gegebenenfalls die Ausnahmeregelung auf. 138 Anders als bei der Entscheidung über die anfänglich beteiligten Mitgliedstaaten entscheidet hier also nicht der Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs. Die Frage wird in diesem Gremium lediglich erörtert und dann im Rat entschieden. Maßgeblich für die spätere Teilnahme an der dritten Stufe der WWU ist das Vorliegen der in den Konvergenzkriterien genannten Voraussetzungen bei dem jeweiligen Mitgliedstaat. Der Entscheidungsspielraum der Ratsentscheidung ist, wie bei der Entscheidung über den anfänglichen Teilnehmerkreis, nach dem Wortlaut des Art. 122 11 S. 2 EGV beschränkt auf die Frage, ob der betreffende Mitgliedstaat die Anforderungen des Art. 121 I EGVerfüllt. Wenn dies der Fall ist, muß er die Ausnahmeregelung für diesen Staat aufheben. Wie bei der Frage der anfänglichen Teilnahme sollen also lediglich objektive Kriterien ausschlaggebend sein. Hebt der Rat die Ausnahmeregelung eines Mitgliedstaats auf, so wird nach dem Verfahren des Art. 123 V EGV durch den Rat der Kurs festgelegt, zu welchem die betreffende Währung durch den Euro ersetzt wird. Darüber hinaus kann der Rat weitere Maßnahmen treffen, die zur Einführung des Euro in diesem Mitgliedstaat erforderlich sind. 139 (2) Teilnahme Griechenlands seit 2001 Im Jahr 2000 wurde gern. Art. 12211 EGVein weiterer Konvergenzbericht der Kommission l4o und der EZB I41 verfaßt. Darin kam zum Ausdruck, daß Griechenland "eindrucksvolle Konvergenzschritte,,142 erzielt hat. Demnach konnte Griechenland seine durchschnittliche Inflationsrate unter das erforderliche Maß senken,143 die Ratsentscheidung über das Bestehen eines übermäßigen öffentlichen Defizits wurde nach Art. 104 XII EGV aufgehoben,l44 die griechische Drachme Art. 122 II S. 2 EGY. Art. 123 V EGY. 140 Europäische Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. 70, Konvergenzbericht 2000, S. 103 ff. 141 EZB, Konvergenzbericht 2000. 142 Europäische Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. 70, Konvergenzbericht 2000, S.106. 143 Die durchschnittliche Inflationsrate lag im Jahr vor Erscheinen des Berichts bei 2,0%, also unter dem Referenzwert von 2,4%, s. Europäische Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. 70, Konvergenzbericht 2000, S. 106. 144 Entscheidung 2000/33/ EG des Rates vom 17. 12. 1999 zur Aufhebung der Entscheidung über das Bestehen eines übermäßigen Defizits in Griechenland, ABl. Nr. L 12 vom 18. 1. 2000, S. 24. 138 139
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4. Kap.: Konkrete Flexibilität
erfüllte das Wechselkurskriterium, 145 und der Referenzwert für den durchschnittlichen langfristigen Zinssatz wurde ebenfalls eingehalten. 146 Nachdem Griechenland also ein hohes Maß an Konvergenz erreicht hatte, wurde die Ausnahmeregelung nach Art. 122 EGV zum 1. Januar 2001 aufgehoben. 147
(3) Schweden Schweden hingegen erfüllt nach dem Konvergenzbericht der Kommission auch nach dem Erlaß von Verfassungsnovellen und Gesetzen nicht das Kriterium der rechtlichen Konvergenz. Auch das Wechselkurskriterium wurde von Schweden nach wie vor nicht erfüllt, da Schweden niemals am WKM oder WKM II teilgenommen hat und die Schwedische Krone gegenüber den WKM-Währungen floatete. 148 Für Schweden gilt deshalb weiterhin eine Ausnahmeregelung gern. Art. 122 EGY. Auch hier drängt sich der Eindruck auf, daß Schweden dadurch, daß es nicht am WKM II teilnimmt, keinen Versuch unternimmt, die Kriterien zu erreichen, und so selbst über die Einführung des Euro entscheidet. 149 Zwar besteht grundsätzlich eine Pflicht zur Teilnahme an der dritten Stufe der WWU, ISO da die Teilnahme am WKM I und 11 jedoch in der Praxis freiwillig ist, steht den Mitgliedstaaten faktisch diese subjektive Ausstiegsmöglichkeit offen.
e) Sonderregelungen der Mitgliedstaaten mit opt-out aa) Das dänische opt-out Dänemark hat aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken l51 während der Vertragsverhandlungen von Maastricht eine Sonderstellung bezüglich der dritten Stufe der WWU ausgehandelt. 152 In Art. I Protokoll DK-WWU wurde für Dänemark 145 Die Griechische Drachme nahm am WKM 11 teil und war während des Berichtszeitraums keinen starken Spannungen ausgesetzt, s. Europäische Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. 70, Konvergenzbericht 2000, S. 106. 146 Der durchschnittliche langfristige Zinssatz lag im Jahr vor Erscheinen des Berichts in Griechenland bei 6,4%, also unter dem Referenzwert von 7,2%. 147 Entscheidung 2000/427/EG des Rates vorn 19. Juni 2000 gemäß Artikel 122 Absatz 2 des Vertrages über die Einführung der Einheitswährung durch Griechenland am 1. Januar 2001, ABI. Nr. L 167 vorn 7. 7. 2000, S. 19. 148 Europäische Kommission, Europäische Wirtschaft Nr. 70, Konvergenzbericht 2000, S.107. 149 Vgl. Calliess/Ruffert-Häde, EUV IEGV, Art. 124 EGV Rn. 12. 150 Calliess/Ruffert-Häde, EUV IEGV, Art. 121 EGV Rn. 19; Potacs in: Schwarze, EUKommentar, Art. 122 EGV Rn. 2 151 Nach den Erwägungsgründen des Protokolls (Nr. 26) über einige Bestimmungen betreffend Dänemark enthält die dänische Verfassung Bestimmungen, die vor der Teilnahme Dänemarks an der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion eine Volksabstimmung erfordern könnten.
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das Recht festgelegt, vor Beginn der dritten Stufe über seine Teilnahme zu entscheiden. 153 Dänemark hat dementsprechend notifiziert, daß es sich nicht an der Einführung der einheitlichen Währung beteiligen würde. 154 Aufgrund dessen gilt für Dänemark eine Freistellung nach Art. 2 Protokoll DK-WWU, welche zur Folge hat, daß Dänemark den gleichen Status hat wie ein Mitgliedstaat, für den eine Ausnahmeregelung nach Art. 122 I EGV gilt. Allerdings wird die Erfüllung der Konvergenzkriterien durch Dänemark abweichend von Art. 12211 EGV nur auf Antrag Dänemarks überprüft. 155 Eine Teilnahme Dänemarks ist nach einem solchen Antrag möglich, wenn Dänemark die Teilnahmekriterien des Art. 121 I EGV erfüllt. 156 In diesem Fall wird die Freistellung aufgehoben und das Protokoll bedeutungslos. 157 Die Modalitäten des dänischen opt-out sind somit sehr übersichtlich. Dänemark hat, abgesehen von Art. 122 11 EGV, den gleichen Status wie die Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gern. Art. 122 I EGV gilt, also Schweden und ehemals Griechenland. Dänemark partizipiert aber nach wie vor aus subjektiven Gründen nicht an der Einführung des Euro. bb) Das opt-out des Vereinigten Königreichs Auch das Vereinigte Königreich hat sich aus innenpolitischen Erwägungen 158 in einem Protokoll l59 die Möglichkeit ausbedungen, an der dritten Stufe der WWU nicht teilzunehmen. 160 Wie Dänemark hat es dem Rat die Inanspruchnahme dieser opt-out-Möglichkeit notifiziert. 161 Das britische opt-out geht jedoch in seinen Folgen und in seinem Umfang über das dänische opt-out hinaus. 162 Das Protokoll VK-WWU nimmt in seinem Art. 5 alle Regelungen von der Geltung für das Vereinigte Königreich aus, die gern. Art. 122 III EGV nicht für 152 Protokoll (Nr. 26) über einige Bestimmungen betreffend Dänemark, im folgenden Protokoll DK-WWU. 153 Art. 1 Protokoll DK-WWU. 154 ABI. Nr. C 348 vom 31. 12. 1992, B I. 155 Art. 4 Protokoll DK-WWU. 156 Davon ist auszugehen, denn schon nach dem Konvergenzbericht 1998 hätte Dänemark alle Kriterien erfüllt. s. Europäische Kommission, Euro 1999, S. 18 ff. 157 Art. 5 Protokoll DK-WWU. 158 s. Kapteyn/VerLoren van Themaat, The Law ofthe EC, S. 998. 159 Protokoll (Nr. 25) über einige Bestimmungen betreffend das Vereinigte Königreich und Nordirland, im folgenden Protokoll VK-WWU. 160 Art. 1 Protokoll VK-WWU. 161 s. Europäische Kommission, Euro 1999, S. 15, obwohl das VK nach dem Wortlaut von Art. 1 Protokoll VK-WWU nicht verpflichtet gewesen wäre, in die dritte Stufe überzugehen, es sei denn es hätte dem Rat seine Beteiligungsabsicht notifiziert. 162 s. auch Grabitz/Hilf-Blank, Recht der EU, vor Art. 43-45 EUV Rn. 12.
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4. Kap.: Konkrete Flexibilität
Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung anwendbar sind. Darüber hinaus trifft es noch einige Sonderregelungen, durch welche die Geltung bestimmter Normen gezielt ausgeschlossen wird. 163 Hier ist vor allem die Befreiung von der Geltung der Art. 108, 109 EGV zu nennen, die das Vereinigte Königreich von der Verpflichtung zur rechtlichen Konvergenz, also insbesondere zur Herstellung der Unabhängigkeit der Bank of England, freistellt. l64 Des weiteren ist es nicht verpflichtet, übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden,165 und in bestimmten Fällen die EZB anzuhören. 166 Diese Ausnahmen durchbrechen die dem Stufenplan der WWU zugrunde liegende Systematik. 167 Auch die Geltung der Vorschriften der ESZB-Satzung wird in Art. 8 Protokoll VK-WWU für das Vereinigte Königreich gesondert geregelt und geht in manchen Fällen über die Übergangsregelungen der Art. 43 ff. ESZB-Satzung hinaus. 168 Diese Regelungen betreffen weitgehend ebenfalls die Verpflichtung zur Anhörung der EZB und zur Unabhängigkeit der EZB. Die Aussetzung des Stimmrechts des Vereinigten Königreichs in Bezug auf Rechtsakte des Rates wird in Art. 7 Protokoll VK-WWU gesondert geregelt, entspricht jedoch im Ergebnis der Regelung des Art. 122 V EGY. Das Vereinigte Königreich kann nach Art. 10 Protokoll VK-WWU jederzeit bekanntgeben, daß es an der dritten Stufe der WWU teilnehmen möchte. Auf seinen Antrag entscheidet der Rat dann nach dem regulären Verfahren l69 , ob es die in den Konvergenzkriterien genannten Voraussetzungen erfüllt. 170 Auch im übrigen weist das in Art. 10 Protokoll VK-WWU vorgesehene Verfahren keine Besonderheiten auf. Im Gegensatz zum dänischen opt-out ist die Regelung des opt-out des Vereinigten Königreichs unübersichtlich. Dadurch, daß nicht auf die allgemeinen Vorschriften, insbesondere Art. 122 EGV, verwiesen wird, sondern alle Fragen gesondert normiert werden, ist die Stellung des Vereinigten Königreichs im Vergleich zu Schweden und Dänemark wenig transparent.
163 Zusätzlich zu den in Art. 122 III EGV ausgenommenen Vorschriften, gelten die Art. 104 I, 105 IV, 108, 109, 112 I und 123 IV, V EGV nicht für das Vereinigte Königreich. 164 Art. 5 Protokoll VK-WWU. Allerdings hat das VK schon entsprechende Schritte unternommen, s. Kapteyn/VerLoren van Themaat. The Law of the EC, S. 998. 165 Art. 5 Protokoll VK-WWU i.Y.m. Art. 104 I EGV; es muß sich aber um die Vermeidung öffentlicher Defizite bemühen, Art. 6 Protokoll VK-WWU i.V.m. Art. 116 IV EGY. 166 Art. 5 Protokoll VK-WWU i.Y.m. Art. 105 IV EGY. 167 Schauer; Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 122. 168 Zusätzlich zu den in Art. 43.1 genannten Vorschriften gelten für das Vereinigte Königreich folgende Bestimmungen der ESZB-Satzung nicht: Art. 4, 7, 10.1, 10.3, 11.2, sowie die gesamten Art. 14 und 26. 169 Art. 122 II EGY. 170 Art. 10 a) Protokoll VK-WWU.
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f) Auswirkungen auf die Außenkompetenzen aa) Kompetenzlage im Bereich der Wirtschaftspolitik Die Zuständigkeit für internationale Aspekte der WWU ist zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft aufgeteilt. 171 Zahlreiche wirtschaftspolitische Fragen liegen weiterhin in der Kompetenz der Mitgliedstaaten,l72 wenngleich sie als Angelegenheit von gemeinsamem Interesse behandelt werden müssen. 173 Dementsprechend können die Mitgliedstaaten in diesem Bereich international tätig werden. 174 Des weiteren haben sie die Befugnis, in allen Fällen, in denen die Gemeinschaft nicht die ausschließliche Außenkompetenz besitzt, in internationalen Gremien Verhandlungen zu führen und internationale Vereinbarungen zu treffen. 175 Art. 99 I EGV gilt für alle Mitgliedstaaten,176 unabhängig von ihrer Beteiligung an der Einführung des Euro. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Wirtschaftspolitik als Angelegenheit von gemeinsamem Interesse zu betrachten und dementsprechend zu koordinieren. Insofern ergeben sich hier keine Unterschiede zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten und den Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmerege1ung nach Art. 122 I EGVoder ein opt-out gilt. bb) Kompetenzlage im Bereich der Währungspolitik Von Interesse ist deshalb vor allem die Ausübung von Außenkompetenzen in Fragen der Währungspolitik. Die Zuständigkeit für den Abschluß förmlicher Vereinbarungen über ein Wechselkurssystem gegenüber DriUlandswährungen oder der Aufstellungen von allgemeinen Orientierungen im Rahmen flexibler Wechselkurse liegt gern. Art. 111 I bzw. 11 EGV bei der Gemeinschaft. 177 Auch die Vertretung in internationalen Organisationen l78 und die Festlegung eines Standpunktes auf inter17l Art. 111 IV, V EGV, s. GTE-Smits, EGV / EUV, Art. 109 Rn. 17; Slot, in: FS Schermers, S. 240 f.; a.A. Louis, in: FS Hahn, S. 211. 172 Die Aufteilung der Kompetenzen im Bereich der Wirtschaftspolitik ist äußerst komplex und wird hier nicht näher dargestellt, s. dazu GTE-Bünger / Molitor; EGV / EUV, Vorb. Art. 102 abis 109 m Rn. 11 ff. 173 Art. 99 I EGV; s. GTE-Bünger/Molitor; EGV /EUV, Vorb. Art. 102 abis 109 m Rn. 16 ff.; Hattenberger; in: Schwarze, EU-Kommentar, Art 99 EGV Rn. 4; Nicolaysen, Rechtsfragen der Währungsunion, S. 33. 174 Art. 111 IVi.V.m. Art. 99 EGV, s. GTE-Smits, EGV /EUV, Art. 109 Rn. 143 f. 175 Art. 111 V EGV, s. GTE-Smits, EGV /EUV, Art. 109 Rn. 148 ff. 176 Vgl. Art. 122111, IV EGY. Auch die Protokolle VK-WWU und DK-WWU treffen hier keine Ausnahmeregelung. 177 Die Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Gemeinschaft zwischen Rat und EZB ist sehr komplex, s. etwa Weinrichter; EloP 2000, Nr. 10, S. 12 ff.; Stadler; Der rechtliche Handlungsspielraum, S. 172 ff. Für die vorliegende Frage der Auswirkung differenzierter Integration auf die Außenkompetenzen kann diese Problematik aber außer Acht bleiben. 178 Konkret geht es hier um den IWF, die BIZ, sowie G7- oder GIO-Treffen. Allerdings stellen sich z. B. bei der Frage einer Mitgliedschaft der Gemeinschaft im IWF weitere
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4. Kap.: Konkrete Flexibilität
nationaler Ebene ist gern. Art. 111 IV S. I EGV Sache der Gemeinschaft. 179 Dazu kommen alle Bereiche, in denen die Gemeinschaft gemäß der AETR-Rechtsprechung des EuGH 180 ausschließliche Außenkompetenzen erlangt. Danach besitzt die Gemeinschaft Außenkompetenzen, wenn diese zur Verwirklichung der im EGV genannten Ziele erforderlich sind. Bei Ausübung der internen Zuständigkeiten werden diese Außenkompetenzen ausschließlich, wenn Abkommen einzelner Mitgliedstaaten die Wirksamkeit dieser Regelungen gefährden könnten. 181 Die gemeinschaftsinterne Zuständigkeit in Währungsfragen ist mit Beginn der dritten Stufe in Bezug auf elf Mitgliedstaaten 182 auf die Gemeinschaft übergegangen und wurde auch wahrgenommen. 183 In Fragen der Währungspolitik ist die Gefährdung der Wirksamkeit gemeinschaftlicher Regelungen durch mitgliedstaatliche Sonderwege meist zu bejahen, so daß auch in diesen Fällen die ausschließliche Außenkompetenz bei der Gemeinschaft liegt. 184 Dies gilt jedoch nur gegenüber den mittlerweile zwölf zum Euro-Währungs gebiet zählenden Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten, die nicht in die dritte Stufe der WWU eingetreten sind,185 besitzen weiterhin weitgehend die Zuständigkeit in Fragen der Währungspolitik. 186 Darüber hinaus gilt Art. 111 EGV gern. Art. 122 III EGV nicht für Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung. Der Ausdruck "Mitgliedstaaten" bezeichnet in Art. 111 EGV gern. Art. 122 IV EGV lediglich diejenigen Mitgliedstaaten, für die keine Ausnahmeregelung gilt. 187 Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung sind dementFragen, die jedoch nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der hier behandelten Frage des differenzierten Vorgehens steht. Zum IWF s. etwa GTE-Smits, EGV 1EUV, Art. 109 Rn. 179 ff.; Weinrichter, EloP 2000, Nr. 10, S. 21 ff.; Louis, in: FS Hahn, S. 203 ff. 179 s. dazu Europäischer Rat von Wien, Schlußfolgerungen des Vorsitzes, A.ii), Bulletin EU, 12-1998, S. 11, und Anlage 11, S. 25 sowie die Erklärung Nr. 7 zu Art. 111 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft der Schlußakte des Vertrags von Nizza. 180 EuGH Rs. 22/70 (AETR), Sig. 1971, S. 263 Rn. 81/90. 181 EuGH Gutachten 2/91 (lLO), Sig. 1993,1-1061, Rn. 9; Gutachten 1/94 (WTO), Slg. 1994,1-5267, Rn. 77. 182 Seit dem 1. 1. 2001 auch in bezug auf Griechenland, s. u. 183 s. etwa VO (EG) Nr. 974/98 des Rates vom 3. Mai 1998 über die Einführung des Euro, ABI. Nr. L 139 v. 11. 5.1998, S. 1; VO (EG) Nr. 2866/98 des Rates vom 31. Dezember 1998 über die Umrechnungskurse zwischen dem Euro und den Wahrungen der Mitgliedstaaten, die den Euro einführen; Entscheidung (2000/427/EG) des Rates vom 19. Juni 2000 gemäß Artikel 122 Absatz 2 des Vertrages über die Einführung der Einheitswährung durch Griechenland am 1. Januar 2001, ABI. Nr. L 167 vom 7. 7. 2000, S. 19; VO (EG) Nr. 1478/2000 des Rates vom 19. Juni 2000 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 28661 98 über die Umrechnungskurse zwischen dem Euro und den Währungen der Mitgliedstaaten, die den Euro einführen. 184 Im Ergebnis auch GTE-Smits, EGV 1EUV, Art. 109 Rn. 22; Kapteyn/VerLoren van Themaat, The Law of the EC, S. 1008. Zur Frage der Kompetenzverteilung im IWF Martha, CMLR 1998, S. 771. 185 Schweden, Dänemark und das Vereinigte Königreich. 186 Nach Art. 122 III EGV gelten die Art. 105 I, 11, III, V und 106 EGV nicht für diese Mitgliedstaaten.
I. Die Wirtschafts- und Währungsunion, WWU
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sprechend nicht an Abkommen der Gemeinschaft mit Drittstaaten oder Beschlüsse über die Vertretung der Gemeinschaft in internationalen Gremien gebunden. 188 Außen wirksame Handlungen der Gemeinschaft in währungspolitischen Fragen entfalten im Innenverhältnis also für Mitgliedstaaten, die sich an der dritten Stufe der Währungsunion nicht beteiligen, keine Wirkungen. Die Tatsache, daß sich der territoriale Geltungsbereich einer internationalen Vereinbarung der Gemeinschaft lediglich auf das Gebiet von zwölf Mitgliedstaaten bezieht, ist von der Gemeinschaft gegenüber den Vertragspartnern offenzulegen. 189 Grundsätzlich steht es den nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten offen, in internationalen Gremien einen eigenen Standpunkt zu vertreten sowie Vereinbarungen mit Drittstaaten zu treffen. Sie sind jedoch in ihren Handlungen nicht völlig frei. Denn für diese Mitgliedstaaten gilt weiterhin Art. 124 I EGV, 190 wonach die Wechselkurspolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse zu behandeln iSt. 191 Darüber hinaus dürfen auch Standpunkte oder Abkommen in anderen als währungspolitischen Fragen gern. Art. 10 11 EGV die Ziele des EGV nicht gefährden. 192 Zu diesen Zielen zählt gern. Art. 2 und 411 EGV die Errichtung der WWU mit dem Ziel der Preisstabilität. Der Ausübung der Außenkompetenz durch die Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung oder ein opt-out gilt, sind also Grenzen gesetzt, sobald durch ihr Handeln die Stabilität der WWU beeinträchtigt würde.
4. Fazit 193 Bei den Konvergenzkriterien des Art. 121 EGV handelt es sich um objektive Auswahlkriterien für den Teilnehmerkreis der WWU. Auch wenn bei der Beurteilung der einzelnen Mitgliedstaaten ein politischer Entscheidungsspielraum bleibt,194 ändert dies nichts an deren grundsätzlich objektivem Charakter. Die Auf187 Für Dänemark gelten die Bestimmungen des Art. 122 EGV über Art. 2 Protokoll DKWWU. Für das Vereinigte Königreich regelt Art. 5 Protokoll VK-WWU, daß Art. 111 EGV keine Anwendung findet. 188 GTE-Smits, EGV I EUV, Art. 109 Rn. 166; Usher, Money and Financial Services, S. 248; Potacs, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art 111 EGV Rn. I. 189 s. dazu ausführlicher Kapitel 2, Punkt VIII.7. 190 s. Art. 12411 EGV, sowie für das Vereinigte Königreich Art. 6 Protokoll VK-WWU. 191 GTE-Smits, EGV I EUV, Art. 109 Rn. 168, knüpft daran die Verpflichtung, vor einer Entscheidung die Kommission, die EZB und die anderen Mitgliedstaaten (im Rahmen des Rates) zu konsultieren. 192 s. GTE-Smits, EGV I EUV, Art. 109 Rn. 171; Smits, European Central Bank, S. 416 f. 193 Eine Berücksichtigung der äußerst zahlreichen Einschätzungen der WWU in der Literatur würde den vorliegenden Rahmen sprengen. Im folgenden werden deshalb lediglich die für flexible Integration relevanten Punkte angesprochen. 194 Horn, in: FS Mestmäcker, S. 389; Beaumont/Walker, in: dies., Single European Currency, S. 174; Herdegen, CMLR 1998, S. 27 f.; Nicolaysen, Rechtsfragen der Währungsunion, S. 36.
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stellung makroökonomischer Teilnahmekriterien gewährleistet die wirtschaftliche Stabilität der beteiligten Mitgliedstaaten, die für eine erfolgreiche WWU erforderlich ist. 195 Darüber hinaus wird dadurch die Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten 196 sichergestellt. Ferner dienen die Kriterien auch insofern der Objektivierung des Verfahrens, als die Entscheidung über die Teilnahme dem Rat obliegt, und nach den vertraglichen Regelungen keine Möglichkeit eines einzelnen Mitgliedstaats besteht, bei Vorliegen der Voraussetzungen auf die Teilnahme an der Einführung des Euro zu verzichten. 197 Die Pflicht zur Teilnahme an der dritten Stufe der WWU ist vor dem Hintergrund der vertraglichen Bestimmungen der Art. 2,411 198 EGV, welche die Errichtung einer WWU und die Einführung einer einheitlichen Währung als Ziel der Gemeinschaft vorsehen, 199 nur konsequent. Der Verzicht auf eine vertragliche, subjektive Ausstiegsmöglichkeit wird jedoch in der Praxis nicht konsequent verfolgt. Die opt-outs des Vereinigten Königreichs und Dänemarks zeigen, daß ein freiwilliger Verzicht auf die Beteiligung an den vertraglichen Bestimmungen für die WWU vorbei durchgesetzt werden konnte. Zwar ist dieser Verzicht, da er in den Protokollen primärrechtlich verankert ist, grundsätzlich vertragsgemäß. Dennoch steht dieser Ausstieg im Widerspruch dazu, daß die Verwirklichung der WWU ein Ziel der Gemeinschaft ist, welches nicht erst durch die Art. 112 ff. EGV normiert wurde, sondern bereits in Art. 2, 4 oo EGV vorgesehen ist. Die Möglichkeit, frei über die Teilnahme an der WWU zu entscheiden, gewährt Dänemark und dem Vereinigten Königreich überdies einen Sonderstatus gegenüber allen übrigen Mitgliedstaaten, der grundlegenden Prinzipien wie der Solidarität und Loyalität der Mitgliedstaaten widerspricht. 201
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Auch die Außenseiterrolle Schwedens beruht letztendlich auf subjektiven, nationalpolitischen Entscheidungen, durch die das Erreichen der Konvergenzkriterien verhindert wurde. Somit handelt es sich faktisch auch hier um ein opt-out, obwohl die Vorschriften über die WWU kein Recht zum Ausstieg vorsehen. Die FreiwilligBeaumont/Walker; in: dies., Single European Currency, S. 172. Wölker, Der Eintritt in die dritte Stufe, S. 33, betont, wie wichtig eine gleichförmige Anwendung der Kriterien auf alle Mitgliedstaaten ist. 197 s. Calliess/Ruffert-Häde, EUV IEGV, Art. 121 Rn. 19 f.; Potacs in: Schwarze, EUKommentar, Art. 122 EGV Rn. 2; Grabitz 1Hilf-Blanke, Recht der EU, vor Art. 43-45 EUV Rn.14. 198 Das Vereinigte Königreich ist von der Geltung des Art. 4 11 EGVausgenommen, Art. 5 Protokoll VK-WWU. 199 Der EuGH hat bereits 1991 die Verwirklichung einer WWU als Ziel der Gemeinschaft genannt, EuGH Gutachten 1/91 (EWR), Slg. 1991,1-6079 Rn. 50. 200 Das Vereinigte Königreich ist von der Geltung des Art. 4 11 EGVausgenommen, Art. 5 Protokoll VK-WWU. 201 Nach Vandamme, in: Manin/Louis, Vers une Europe differenciee, S. 84 stehen diese Sonderregelungen im Widerspruch zum System der Gemeinschaft. 195
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keit der Teilnahme am WKM eröffnet diese subjektive Ausstiegsmöglichkeit, durch die die vertraglichen Vorgaben umgangen werden können. Diese Praxis mag zwar auf der - wohl berechtigten - Annahme beruhen, daß eine funktionierende Währungsunion die Bereitschaft aller Mitgliedstaaten zur Teilnahme voraussetzt. 202 Es liegt aber auch die Vermutung nahe, daß ein Zwang zur Teilnahme aller übrigen Mitgliedstaaten in Anbetracht des britischen und des dänischen Sonderwegs nicht durchzusetzen war. Die Verwirklichung der WWU ist - entsprechend den vertraglichen Vorgaben trotz Ausnahmeregelungen grundsätzlich ein gemeinsames Ziel aller Mitgliedstaaten. Dementsprechend ist der Status der Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt, lediglich vorübergehender Natur. Auch wenn die Beteiligung aller Mitgliedstaaten aufgrund der objektiven Teilnahmekritierien rechtlich nicht abgesichert ist, so ist die Festlegung auf ein gemeinsames Ziel aus integrationspolitischer Sicht und vor dem Hintergrund der Solidarität der Mitgliedstaaten zu begrüßen. Die opt-outs Dänemarks und des Vereinigten Königreichs lassen sich hingegen nicht ohne weiteres als temporär bezeichnen. Diese beiden Staaten könnten dauerhaft einen Sonderweg in Fragen der Währungspolitik gehen, was in diesem für den Binnenmarkt zentralen Bereich bedenklich ist. Durch eine dauerhaft gespaltene Kompetenzlage ergeben sich insbesondere auch für das internationale Auftreten der Union in Währungsfragen komplizierte Situationen?03 Die durch die opt-outs bedingten Sonderregelungen führen darüber hinaus ebenso wie die durch Art. 122 EGV vorgesehenen Ausnahmeregelungen zu Intransparenz und Unübersichtlichkeit der für die einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Vorschriften. Insbesondere das Protokoll des Vereinigten Königreichs verstärkt diese Situation, da dessen Sondervorschriften über die allgemeinen Ausnahmeregelungen hinausgehen. Auf diese Weise existiert im Bereich der WWU ein dreifach abgestuftes Regelungssystem. Das Bild einer einheitlichen, kohärenten Währungspolitik wird dadurch getrübt. 204 In der Literatur werden die opt-outs deshalb als zweckoptimistische Elemente variabler Geometrie charakterisiert, welche in Kombination mit dem multi-speed-Element, das dem Konzept der Art. 121 f. EGV zugrunde liegt, zu einer unübersichtlichen Konstruktion führten. 205 Es ist jedoch nicht unbedingt weiterführend, die Kritik auf die Vermischung zweier Ansätze differenzierter Integration zu beziehen?06 Vielmehr resultieren die Schwierigkeiten aus der Tatsache, daß zwei Mitgliedstaaten ein eigenes, auf sie zugeschnittenes Sonderregime zugestanden wird, unabhängig davon, welches Konzept diesem zugrunde liegt. 202
203 204 205
Calliess/Ruffert-Häde, EUV IEGV, Art. 121 Rn. 21; s. auch BVerfGE 89,155,201. Louis, CMLR 1998, S. 76. s. Louis, CMLR 1998, S. 76. Schauer; Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 139; Martenczuk, ZEuS 1998,
S. 459 f. 206 So Schauer; Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 138 f.
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4. Kap.: Konkrete Flexibilität
In der Literatur wird auch das Fehlen von Solidaritätspflichten gegenüber den zunächst nicht zum Euro-Währungsgebiet zählenden Mitgliedstaaten angemahnt, da gerade in diesem Bereich ein Aufholen dieser Mitgliedstaaten schwierig und eine Spaltung zwischen den Mitgliedstaaten wahrscheinlich erscheint. 207 Darüber hinaus wurde befürchtet, eine negative Beurteilung der Wirtschaft eines Mitgliedstaats durch den Rat könnte negative Auswirkungen auf dessen Wirtschaftspolitik und auf den Markt nach sich ziehen. 208 Diese Befürchtungen erwiesen sich jedoch als gegenstandslos, da mittlerweile nur solche Mitgliedstaaten nicht an der dritten Stufe der WWU beteiligt sind, deren Status auf einem eigenen politischen Entschluß aus nationalen Gründen beruht. Der Beitritt Griechenlands ist vielmehr ein Beweis für den Erfolg des differenzierten Vorgehens, da auch ein - nach den Konvergenzkriterien - wirtschaftlich schwächerer Mitgliedstaat nachziehen konnte.
11. Der Schengen-Besitzstand 1. Hintergründe
Die Abkommen "Schengen I" und "Schengen II" stellten bislang einen der größten Anwendungsfälle von Flexibilität dar, allerdings außerhalb des rechtlichen Rahmens der Europäischen Union. Durch das dem Vertrag von Amsterdam beigefügte Protokoll (Nr. 2) zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union 209 wurde der Schengen-Besitzstand2IO in den institutionellen und rechtlichen Rahmen der Europäischen Union überführt211 und im Unions- und Gemeinschaftsrecht etabliert. 212 Das Schengen-Protokoll steht in engem Zusammenhang mit dem neuen Titel IV EGV und dem neuen Titel VI EUV. Diese beiden Titel enthalten die Kompetenzen für die Regelungen des Schengen-Besitzstandes. Um den durch die Schengener Übereinkommen und die damit zusammenhängenden Rechtsakte gewährleisteten Sicherheitsstandard aufrechtzuerhalten, wurde die Übernahme des gesamten Be207 Tichy. in: Breuss/Griller, Flexible Integration in Europa, S. 124; Schauer, SchengenMaastricht - Amsterdam, S. 138. 208 Taylor, EMU 2000, S. 138; s. auch Winterberg. Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, S. 72. 209 Im folgenden Schengen-Protokoll. 210 Nach dem Anhang zum Schengen-Protokoll zählen zum Schengen-Besitzstand das erste Schengen-Übereinkommen von 1985 (Schengen I), das zweite Schengen-Übereinkommen von 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von 1985 (Schengen 11 oder SDÜ), die Beitrittsprotokolle und -übereinkommen zu diesen Abkommen, sowie die Beschlüsse und Erklärungen des Exekutivausschusses und von Organen, denen der Exekutivausschuß Entscheidungsbefugnisse übertragen hat. 211 Art. I Schengen-Protokoll. 212 Auch hier ergeben sich durch den Vertrag von Nizza keine Änderungen.
11. Der Schengen-Besitzstand
223
sitzstands in den Rahmen der Europäischen Union beschlossen?13 Dadurch ergeben sich manche Überschneidungen, u. a. mit den Protokollen (Nr. 4) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands 214 und (Nr. 5) über die Position Dänemarks 215 . In Bezug auf die Bestimmungen des Schengen-Besitzstands geht das Schengen-Protokoll diesen Regelungen jedoch aufgrund seiner Spezialität vor?16
2. Die Einbeziehung des Schengen Besitzstands In Art. 1 Schengen-Protokoll werden die Vertragsstaaten der Schengener Übereinkommen zur Gründung einer verstärkten Zusammenarbeit im Rahmen des Schengen-Besitzstands ermächtigt. Diese verstärkte Zusammenarbeit findet "innerhalb des institutionellen und rechtlichen Rahmens der Europäischen Union,,217 und unter Beachtung der einschlägigen Bestimmungen des EGVund des EUV statt. 218 Art. 2 I UA. 1 Schengen-Protokoll erklärt den Schengen-Besitzstand für die beteiligten Mitgliedstaaten seit Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam sofort für anwendbar und ersetzt zum gleichen Zeitpunkt den Exekutivausschuß der Schengener Abkommen durch den Rat. Gern. Art. 2 I UA. 2 Schengen-Protokoll erfolgt die Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes durch den Rat. Dieser trifft durch einstimmigen Beschluß aller 13 in Art. 1 Schengen-Protokoll genannten Mitglieder219 die erforderlichen Maßnahmen, d. h. Maßnahmen zur Vorbereitung einer raschen Überführung des Schengen-Besitzstandes. 22o Die eigentliche Einbeziehung des Schengen-Besitzstand in den rechtlichen Rahmen der Verträge geschieht durch die Zuordnung der Schengen-Rechtsakte zu Rechtsgrundlagen des EGV und der PJZ. Dazu legt der Rat einstimmig unter Beteiligung aller Mitglieder für jeden zum Schengen-Besitzstand zählenden Beschluß die einschlägige Rechtsgrundlage des Titels VI EUV oder des Titels IV EGV fest. 221 Bis zur tatsächlichen Überführung der Bestimmungen und Beschlüsse durch die Festlegung der Rechtsgrundlagen durch den Rat gelten sie nach Art. 2 I UA. 4 Schengen-Protokoll als auf Titel VI EUV gestützte Rechtsakte?22 Dadurch HailbronnerlThiery, EuR 1998, S. 606. Im folgenden Protokoll VK/IRL. 215 Im folgenden Protokoll DK. 216 Die Spezialität des Schengen-Protokolls ist in Art. 7 Protokoll VK/IRL explizit geregelt; gegenüber dem Protokoll DK ergibt sich die Spezialität schon aus den Bestimmungen. 217 Art. I S. 2 Schengen-Protokoll. 218 Das Schengen-Protokoll erinnert insofern an das Protokoll zur Sozialpolitik, stellt jedoch ausdrücklich klar, daß die Zusammenarbeit innerhalb des Unionsrechts stattfindet, wohingegen dies beim Protokoll zur Sozialpolitik umstritten war. 219 Das sind alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und Irlands. 220 Art. 2 I UA. 2 S. I Schengen-Protokoll. 221 Art. 2 I UA. 2 S. 2 Schengen-Protokoll. 213
214
224
4. Kap.: Konkrete Flexibilität
wird die in Art. 2 I UA. 1 Schengen-Protokoll geforderte sofortige Anwendbarkeit des Schengen-Besitzstands gewährleistet. Unter "sofortiger Anwendbarkeit" ist also die Geltung der Vorschriften als Unionsrecht anstelle der Geltung aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarung zu verstehen. Der Rat hat dementsprechend bereits am 20.5. 1999 Durchführungsmaßnahmen nach Art. 2 I UA. 2 S. 1 Schengen-Protokoll in Form eines Beschlusses zur Bestimmung des Schengen-Besitzstands erlassen?23 Darin wird genau definiert, welche Rechtsakte zum Schengen-Besitzstand zählen 224 und für welche Bestimmungen eine Festlegung der Rechtsgrundlagen nicht erforderlich ist. 225 Eine Festlegung von Rechtsgrundlagen findet demgemäß nicht statt, wenn eine Bestimmung nicht rechtsverbindlich ist,226 wenn sie zeit- oder ereignisbedingt gegenstandslos geworden ist,227 wenn sie institutionelle Regelungen betrifft, die durch Verfahren des EUVoder EGVabgelöst werden,228 wenn sie durch EG- oder EU-Vorschriften abgelöst wurde,229 wenn sie durch das Abkommen mit Island oder Norwegen gegenstandslos geworden ist230 oder wenn sie Bereiche betrifft, für die sich die 222 Epiney. in: Breuss/Griller, Flexible Integration in Europa, S. 138; Thun-Hohenstein. Vertrag von Amsterdam, S. 52; A.A. Wiedmann. in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 61 EGV Rn. 21, der davon ausgeht, daß die Normen des Schengen-Besitzstands nicht schon durch die Zuordnung zu Rechtsgrundlagen des EGV zum Gemeinschaftsrecht zu zählen sind, sondern erst durch Verordnungen, Richtlinien oder Entscheidungen ersetzt werden müssen. Bis zu dieser Ersetzung gelten sie nach dieser Ansicht gern. Art. 2 I UA. 4 Schengen-Protokoll als auf Titel IV gestützte Rechtsakte. Eine solche Auslegung läßt sich jedoch nicht aus dem Wortlaut der Bestimmung ableiten und steht nicht im Einklang mit dem Zweck des Protokolls, die Bestimmungen, in das Gemeinschafts- und Unionsrecht einzubeziehen. Denn wenn jede Regelung des Schengen-Besitzstands neu erlassen werden müßte, wäre das Protokoll hinfällig. Darüberhinaus kann diese Interpretation mit anderen Bestimmungen des Protokolls, etwa Art. 3 Schengen-Protokoll, nicht in Einklang gebracht werden. 223 Beschluß des Rates vorn 10.5.1999 (1999/435 lEG) zur Bestimmung des SchengenBesitzstands zwecks Festlegung der Rechtsgrundlagen für jede Bestimmung und jeden Beschluß, die diesen Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union, ABI. L 176 vorn 10.7. 1999, S. 1. 224 Art. I und Anhang A Beschluß des Rates (1999 I 435 lEG). 225 Art. 2 und Anhang B Beschluß des Rates (1999/435 lEG). 226 Erwägungsgrund 4 a), Beschluß des Rates (1999 1435/EG). 227 Erwägungsgrund 4 b), Beschluß des Rates (1999/435 lEG). So z. B. Beitrittsprotokolle und einige Bestimmungen der Beitrittsübereinkommen mit Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Österreich, Dänemark, Finnland und Schweden. 228 Erwägungsgrund 4 c), Beschluß des Rates (1999 I 435 lEG). 229 Erwägungsgründe 4 d), Beschluß des Rates (1999 I 435 I EG). So wurde z. B. Art. 4 11 Schengen 11 hinsichtlich Gepäckkontrollen durch die Verordnung (EWG) des Rates Nr. 3925 I 91 vorn 19. 12. 1001 über die Abschaffung von Kontrollen und Förmlichkeiten für Handgepäck oder aufgegebenes Gepäck auf einern innergemeinschaftlichen Flug sowie für auf einer innergemeinschaftlichen Seereise mitgeführtes Gepäck (ABI. Nr. L 372 vorn 31. 12. 1991, S. 4) ersetzt. 230 Erwägungsgrund 4 e), Beschluß des Rates (1999 I 435 lEG).
11. Der Schengen-Besitzstand
225
Mitgliedstaaten Handlungsfreiheit vorbehalten haben. 231 Die Wirksamkeit dieser Bestimmungen soll davon jedoch unberührt bleiben?32 Sie gelten nach Art. 2 I UA. 4 Schengen-Protokoll als Rechtsakte des Titel VI EUv. 233 Mit einem weiteren Beschluß234 hat der Rat den Schengen-Besitzstand weitgehend in Titel IV EGV und Titel VI EUV überführt. Darin wird für jede Bestimmung und jeden Beschluß des Schengen-Besitzstandes die entsprechende Rechtsgrundlage festgelegt. Die meisten Regelungen wurden Art. 62/63 EGV oder Art. 31 /34 EUV zugeordnet, für einige wurde als Rechtsgrundlage aber auch Art. 95 EGV bestimmt. Für manche Bestimmungen, vorwiegend solche des Schengen-Informations-Systems (SIS) konnte keine Einigkeit über die richtige Rechtsgrundlage gefunden werden, da diese zum Teil unter Titel VI EUV und zum Teil unter Titel IV EGV hätten gefaßt werden müssen,235 eine Zuordnung zum EGV aber nicht von allen Mitgliedstaaten getragen wurde?36 Hier steht eine Entscheidung noch an. Bis dahin gilt Art. 2 I UA. 4 Schengen-Protokoll. Insofern kommt das Unterlassen der Festlegung in seinen Rechtswirkungen einer Zuordnung zu Titel VI EUV gleich 237 , hat demgegenüber aber den Vorteil, daß die Festlegung nicht vom EuGH überprüft und gegebenenfalls für nichtig erklärt werden kann, was insofern denkbar wäre, als Teile des SIS ihrem Inhalt nach der ersten Säule zuzuordnen wären?38 Allerdings stellt sich dann die Frage, ob der Rat nicht verpflichtet ist, innerhalb einer bestimmten Frist eine Entscheidung zu treffen, so daß ein Unterlassen mit einer Untätigkeitsklage geahndet werden könnte.
231 Erwägungsgrund 4 f.), Beschluß des Rates (1999/435/ EG). So z. B. das Abkommen zur Aufhebung der Visumpflicht (Art. 20 SDÜ) VISA, SCH / Com-ex (98) 24 vom 23. 6. 1998. 232 Erwägungsgrund 5 Beschluß des Rates (1999/435/ EG). 233 Unzutreffend daher Schauer; der davon spricht, daß diese Vorschriften "im Schattenreich eines intransparent entstandenen völkerrechtlichen Vertrags" weiter existierten; s. Schauer; Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 208. 234 Beschluß des Rates vom 20. 5.1999 (1999/436/EG) zur Festlegung der Rechtsgrundlagen für die einzelnen Bestimmungen und Beschlüsse, die den Schengen-Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union, ABI. Nr. L 176 vom 10.7.1999, S. 17. 235 Die Zuordnung von Bestimmungen des SIS ist insofern schwierig, als die einzelnen Datenkategorien z. B. sowohl Ausschreibungen zur Einreiseverweigerung von Drittausländern (Art. 96 SIS) als auch Ausschreibungen im Zusammenhang mit Strafverfahren (Art. 98 ff. SIS) zum Gegenstand haben, Oberleitner; Schengen und Europol, S. 75. Vgl. auch Heimann, Der neue Titel IV EGV, S. 64. 236 V gl. hierzu Kuijper; CMLR 2000, 349; schon vor den Verhandlungen im Rat zu diesem Thema wurden gerade in diesem Punkt Schwierigkeiten bei der Überführung in die Verträge gesehen, vgl. nur Corrado, RTDE 1999, S. 346. 237 Kuijper; CMLR 2000,349, spricht von "allocation by default". 238 So Kuijper; CMLR 2000, 349.
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Grieser
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4. Kap.: Konkrete Flexibilität
a) Die Beteiligung des Vereinigten Königreichs und Irlands
Irland und das Vereinigte Königreich waren an den Schengener Übereinkommen nicht beteiligt. Daran hat sich auch durch das Schengen-Protokoll nichts geändert. Diese beiden Mitgliedstaaten nehmen an der verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des Schengen-Besitzstands nicht teil und sind dementsprechend auch nicht dadurch gebunden. 239 Irland hat allerdings eine Erklärung zum Schengen-Protokoll abgegeben, in der es bekräftigt, daß es allen Maßnahmen des SchengenBesitzstands beitreten will, soweit es der einheitliche Reiseverkehr mit dem Vereinigten Königreich zuläßt. 24o Art. 4 Schengen-Protokoll eröffnet Großbritannien und Irland eine opt-in-Möglichkeit. Nach Art. 4 I Schengen-Protokoll können diese beiden Staaten "jederzeit beantragen, daß einzelne oder alle Bestimmungen dieses Besitzstands auch auf sie Anwendung finden sollen." Anders als in Art. 3 Protokoll VK/lRL, in dem das Vereinigte Königreich oder Irland ihren Teilnahmewillen bekunden können, heißt es in Art. 4 I Schengen-Protokoll, Irland und das Vereinigte Königreich können ihre Beteiligung beantragen. Dies könnte den Rückschluß erlauben, daß eine Beteiligung am Schengen-Besitzstand nur für beide Staaten zugleich möglich sein soll. Dagegen spricht aber die Formulierung des Art. 4 II Schengen-Protokoll, der die Beteiligung "des Vertreters der Regierung des betreffenden Staats" an der Entscheidung über den Antrag vorsieht. Daraus ergibt sich, daß es jedem einzelnen der beiden Staaten offen steht, die Teilnahme zu beantragen. Die Ungenauigkeit der Formulierung des Art. 4 I Schengen-Protokoll im Vergleich zu Art. 3 I Protokoll VK / IRL ergibt sich wohl aus dem Zeitdruck bei der Einigung über das SchengenProtokoll. Über den Antrag entscheidet der Rat einstimmig unter Beteiligung aller in Art. 1 Schengen-Protokoll genannten Mitglieder241 und desjenigen Staates, der die Teilnahme anstrebt. Je nachdem ob einer der bei den opt-out-Staaten oder alle beide den Schengen-Besitzstand ganz oder in Teilen übernehmen möchten, kommt der Beschluß mit 14 oder 15 Stimmen zustande. Anders als bei der Beteiligung eines "Nachzüglers" an verstärkter Zusammenarbeit in der Dritten Säule, in welcher der Rat nur mit den Stimmen der beteiligten Mitgliedstaaten entscheidet, sind hier die aufzunehmenden Staaten an der Entscheidung beteiligt. Das entspricht der vergleichsweisen Offenheit des Schengen-Protokolls, das den "Außenseitern" ja auch bei der Frage der Festlegung der Rechtsgrundlagen ein Stimmrecht gewährt. Es verwundert jedoch, daß auch über die Beteiligung an Bestimmungen, welche in den EGV inkorporiert wurden, der Rat entscheidet. Hier hätte eine EntscheidungsArt. 1 und 4 I Schengen-Protokoll. s. Calliess/Ruffert-Brechmann, EUV IEGV, Art. 69 EGV Rn. 4. Labayle, RTDE 1999, S.843. 241 Das sind alle derzeitigen Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und Irlands. 239
240
11. Der Schengen-Besitzstand
227
befugnis der Kommission wie in Art. 11 III EGV 242 für die verstärkte Zusammenarbeit der Systematik des EGV besser entsprochen. 243 Andererseits erfolgt eine nachträgliche Beteiligung meist zu einem ganzen Komplex innerhalb des Schengen-Besitzstands, bzw. muß sogar zu einem kohärenten Komplex von Maßnahmen erfolgen?44 Eine gesonderte Entscheidung über einzelne Bestimmungen dieses Komplexes durch den Rat und die Kommission wäre aber unpraktikabel. Deshalb ist eine einheitliche Regelung des Beteiligungsverfahrens sinnvoll. Durch die Übertragung der Entscheidung an den Rat zur einstimmigen Beschlußfassung, ist allerdings ein Anspruch auf Teilnahme faktisch ausgeschlossen. 245 Dies ist insofern problematisch, als die Offenheit der Schengen-Zusammenarbeit deshalb nicht gewährleistet ist, obwohl der Offenheit verstärkter Zusammenarbeit generell große Bedeutung beigemessen wird. Abgesehen von dem Erfordernis der einstimmigen Ratsentscheidung ist die nachträgliche Beteiligung für Irland und Großbritannien relativ großzügig und sehr flexibel ausgestaltet. 246 Diese beiden Staaten müssen nicht den gesamten Besitzstand übernehmen, sondern sie können auch einzelne Maßnahmen anwenden. Das Vereinigte Königreich und Irland haben von dieser Möglichkeit bereits Gebrauch gemacht und eine Beteiligung an den sogenannten Ausgleichsrnaßnahmen ohne Abschaffung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen beantragt. Der Antrag wurde dem Vereinigten Königreich 247 grundsätzlich bewilligt. 248 Die entsprechenden Bestimmungen des Schengen-Besitzstandes werden durch Beschluß des Rates für anwendbar erklärt, sobald in den betreffenden Mitgliedstaaten die Voraussetzungen vorliegen. 249 Hinter dieser Flexibilität bezüglich des Umfangs der Beteiligung steht der Gedanke, daß durch die Harmonisierung eines Teils der Bestimmungen eine Sogwirkung entstehen wird, die das Vereinigte Königreich und Irland veranlassen wird, den gesamten Schengen-Besitzstand umzusetzen. 250 Durch das durch Art. 4 Sehen gen-Protokoll ermöglichte opt-in für die bei den Inselstaaten wird der Schengen-Besitzstand also in zweierlei Hinsicht flexibilisiert, Auch in Art. 4 Protokoll VK / IRL ist das Verfahren nach Art. 11 III EGV vorgesehen. Gaja, CMLR 1998, S. 861 f.; Ehlennann, EuR 1997, S. 384. 244 So Kuijper, CMLR 2000, 355. 245 Vgl. Epiney, in: Breuss/Griller, Flexible Integration in Europa, S. 140; Langrish, ELR 1998, S. 11; Monar, ELR 1998, S. 333. 246 s. auch Curtin, in: Ehlermann, Der rechtliche Rahmen, S. 76. 247 Ein Beschluß des Rates über den Antrag Irlands liegt noch nicht vor. Die Kommission hat jedoch bereits eine positive Stellungnahme abgegeben, Stellungnahme der Kommission zum Antrag auf Anwendung einzelner Bestimmungen des Schengen-Besitzstands auf Irland, SEK (2000) 1439, endg. 248 Beschluß (2ooo/365/EG) des Rates vom 29. 5. 2000 zum Antrag des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, einzelne Bestimmungen des Schengen-Besitzstands auf sie anzuwenden, ABI. Nr. L 131 vom I. 6. 2000, S. 43. 249 Art. 6 des oben genannten Beschlusses. 250 HailbronnerlThiery, EuR 1998, S. 612. 242 243
IS'
228
4. Kap.: Konkrete Flexibilität
zum einen bezüglich der beteiligten Mitgliedstaaten und zum anderen bezüglich des Umfangs der Beteiligung. Damit wird zusätzlich zu einer Differenzierung nach Art eines Europas der variablen Geometrie für das Vereinigte Königreich und Irland für diesen Bereich eine Art Europe ala carte etabliert.
b) Die Beteiligung Dänemarks Art. 3 Schengen-Protokoll regelt die besondere Stellung Dänemarks bei der Übernahme des Schengen-Besitzstands in die Europäische Union. Dänemark ist ein Schengen-Staat, eine Sonderregelung mag deshalb ungewöhnlich erscheinen. Der Hintergrund für die Sonderrolle Dänemarks ist dementsprechend nicht in einer generellen Ablehnung der Anwendbarkeit des Schengen-Besitzstands zu sehen, sondern darin, daß sich Dänemark aufgrund nationaler Verfassungsprobleme im Zusammenhang mit dem Referendum zum Maastricht-Vertrag im Bereich des freien Personenverkehrs eine Sonderstellung vorbehalten hat. 251 Diese wird in Art. 3 Schengen-Protokoll und in Teil I des Protokolls DK näher geregelt. Art. 3 Schengen-Protokoll legt die Position Dänemarks bei der Einbeziehung des Schengen-Besitzstands fest. In den Fällen, in denen keine Einigung über eine Rechtsgrundlage erzielt werden konnte, und die betreffenden Bestimmungen des Schengen-Besitzstands gern. Art. 2 I UA. 4 Schengen-Protokoll als Rechtsakte nach Art. VI EUV gelten, bestehen für Dänemark keine Besonderheiten. Auch für die Bestimmungen, die den Art. 30 ff. EUV zugeordnet wurden, stellt Art. 3 II Schengen-Protokoll klar, daß Dänemarks Position deIjenigen der übrigen Schengen-Staaten entspricht. Eine Sonderregelung trifft Art. 3 I Schengen-Protokoll für die den Art. 61 ff. EGV zugewiesenen Beschlüsse und Rechtsakte. Demnach gelten diese Maßnahmen für Dänemark nicht als Rechtsakte der Gemeinschaft, sondern Dänemark behält "dieselben Rechte und Pflichten im Verhältnis zu den übrigen Unterzeichnern der Schengener Übereinkommen,,252 wie vor der Festlegung der Rechtsgrundlagen. Die Titel IV EGV zugewiesenen Bestimmungen sind für alle anderen beteiligten Mitgliedstaaten gemeinschaftliches Sekundärrecht, für Dänemark gelten sie jedoch als Maßnahmen nach Titel VI EUV. Die Rechtswirkungen dieser Bestimmungen differieren also innerhalb der beteiligten Mitgliedstaaten. Daraus ergeben sich auch Unterschiede bezüglich der Gerichtsbarkeit. In Bezug auf Dänemark sind die entsprechenden Regelungen den Einschränkungen des Art. 35 EUV unterworfen. Art. 3 Schengen-Protokoll läßt die Fälle, in denen eine andere Rechtsgrundlage im EGV festgelegt wurde, unberücksichtigt. Für einzelne Bestimmungen wurde Art. 95 EGV als maßgebliche Rechtsgrundlage gewählt, für Art. 76 SDÜ wurde für die Maßnahmen, die den legalen Handel mit erfaßten Drogen betreffen z. B. auch Art. 152 EGV herangezogen. In diesen Fällen 251 252
s. Labayle, RTDE 1997, S. 839; Petite, RMUE 1997, S. 30. Art. 3 I Schengen-Protokoll.
Ir. Der Schengen-Besitzstand
229
ist die Position Dänemarks nicht geregelt. Art. 3 Schengen-Protokoll erlaubt keine eindeutigen Rückschlüsse. Somit ist auf den Hintergrund dieser Bestimmung abzustellen. Die Sonderstellung Dänemarks hängt mit dessen Haltung in Bezug auf die Thematik des Titels IV EGV und der P1Z zusammen,253 die einer Vergemeinschaftung dieser Bereiche widerspricht. Dies rechtfertigt jedoch keine Besonderheiten bei der Anwendung von Bestimmungen, die auf andere Rechtsgrundlagen gestützt wurden. Dafür spricht auch, daß alle Sonderregelungen des Protokoll DK, das aufgrund seiner Regelungsmaterie in engem Zusammenhang mit dem Schengen-Protokoll steht,254 auf Maßnahmen nach Titel IV EGV beschränkt sind. Darüber hinaus handelt es sich bei Art. 3 I Schengen-Protokoll um eine Ausnahmeregelung, die grundsätzlich eng auszulegen ist. Rechtsakte, die auf Rechtsgrundlagen des EGV außerhalb Art. 62 ff. EGV gestützt wurden, gelten aus diesen Gründen auch für Dänemark als sekundäres Gemeinschaftsrecht. 255
3. Die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands
Die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands, d. h. der Beschluß von Rechtsakten und Maßnahmen auf der Grundlage der Schengen-Bestimmungen, unterliegt, wie Art. 5 I VA. I Schengen-Protokoll klarstellt, den einschlägigen Bestimmungen der Verträge. Die entsprechenden Regelungen werden nach den jeweils vorgesehenen Verfahren erlassen. Dies gilt auch in den Fällen, in denen solche Regelungen auf Bestimmungen des Schengen-Besitzstands beruhen, für die der Rat noch keine Rechtsgrundlage festgelegt hat, Art. 5 11 Schengen-Protokollo Sofern sich das Vereinigte Königreich und Irland nicht an Initiativen zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands beteiligen, handelt es sich um verstärkte Zusammenarbeit. Diese ist nicht mehr von der Ermächtigung des Art. I SchengenProtokoll gedeckt, da Art. I Schengen-Protokoll lediglich die Einbeziehung des Schengen-Besitzstands betrifft. Art. 5 I VA. 2 Schengen-Protokoll fingiert aber die Genehmigung zur Gründung verstärkter Zusammenarbeit bei der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Einwände der nicht beteiligten Mitgliedstaaten haben darauf keine Auswirkungen. Die Möglichkeit einzelner Mitgliedstaaten, aus wichtigen Gründen der nationalen Politik die verstärkte Zusammenarbeit nach Art. 4011 VA. 2 EVV bzw. 11 11 VA. 2 EGV zu verhindern, wird durch Art. 5 I VA. 2 Schengen-Protokoll ausgeschlossen. Das Vereinigte Königreich und Irland haben lediglich insofern eine Mitwirkungsmöglichkeit, als sie ihre Beteiligung mitteilen können. Abgesehen von dem Genehmigungserfordernis und den damit 253 254 255
Vgl. Teil I und die Erwägungsgründe des Protokoll DK. Vgl. nur Art. 5 Protokoll DK. So auch Schauer; Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 211.
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4. Kap.: Konkrete Flexibilität
zusammenhängenden Zulässigkeitsvoraussetzungen, zu denen Art. 5 I UA. 2 Schengen-Protokolliex specialis ist, finden die Bestimmungen über verstärkte Zusammenarbeit Anwendung. Insbesondere ist beim Erlaß der Bestimmungen die nach Art. 44 EUV zu ändernde Besetzung des Rats zu beachten. Auch die Finanzierung richtet sich mangels anderer Vorschriften nach Art. 44 II EUV. a) Die Beteiligung des Vereinigten Königreichs und Irlands
Für die Beteiligung des Vereinigten Königreichs und Irlands an der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands modifiziert Art. 5 I UA. 2 Schengen-Protokoll die Bestimmungen der Art. 40 III EUV und Art. 11 III EGv. 256 Die beiden Mitgliedstaaten können dem Präsidenten des Rats jeweils innerhalb eines vertretbaren Zeitraums gem. Art. 5 I UA. 2 S. 1 Schengen-Protokoll schriftlich mitteilen, daß sie sich an der Annahme von Rechtsakten, die den Schengen-Besitzstand fortführen, beteiligen möchten. In diesem Falle ist der betreffende Staat ohne jeden weiteren Beschluß von der durch Art. 5 I UA. 2 Schengen-Protokoll fingierten Ermächtigung zu verstärkter Zusammenarbeit erfaßt. Großbritannien und Irland haben nach Art. 5 I UA. 2 Schengen-Protokoll einen Anspruch auf die Teilnahme an der Annahme dieser Bestimmungen. Die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands ist also für die nicht beteiligten Mitgliedstaaten völlig offen. Dieser Beitrittsmodus geht deshalb weiter als die Regelung der späteren Teilnahme an verstärkter Zusammenarbeit. Dort ist die Aufnahme abhängig vom Vorliegen bestimmter Beitrittsvoraussetzungen. So muß der betreffende Mitgliedstaat nach Art. 43 I g) EUV dem Grundbeschluß und den im Rahmen verstärkter Zusammenarbeit gefaßten Beschlüssen nachkommen, damit sein Gesuch von der Kommission 257 oder vom Rat258 angenommen werden kann. Art. 5 Schengen-Protokoll kennt hingegen keine derartigen Beitrittsvoraussetzungen. Die Beteiligung an der zugrundeliegenden Bestimmung des Schengen-Besitzstands ist nicht Voraussetzung für die Beteiligung an deren Fortführung oder Modifikation. Das Vereinigte Königreich oder Irland können sich an der Annahme einzelner Initiativen beteiligen, auch wenn die zugrunde liegenden Beschlüsse für sie nicht wirksam sind. Die Praktikabilität einer Beteiligung an solchen Maßnahmen scheint sehr zweifelhaft. Problematisch ist dies um so mehr, als Art. 5 Schengen-Protokoll keinen Schutzmechanismus wie in Art. 3 II Protokoll VK / IRL 259 vorsieht, der bestimmt, daß nach einer bestimmten Frist erfolgloser Verhandlungen eine Bestimmung ohne Beteiligung jener Mitgliedstaaten erlassen werden kann. Das bedeutet aber, daß Irland und Großbritannien einstimmig zu treffende Maßnahmen dadurch 256 Dementsprechend sichern Art. 40 V EUV und Art. 11 V EGV den Vorrang des Schengen-Protokolls. 257 Art. 11 III EGV. 258 Art. 40 III EUV. 259 Dazu näher unter Kapitel 4.
II. Der Schengen-Besitzstand
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blockieren können, daß sie ihre Beteiligungsabsicht notifizieren und in den Verhandlungen einen ablehnenden Standpunkt einnehmen. Allerdings besteht hier wie auch bei der Blockade durch andere Mitgliedstaaten die Möglichkeit einer verstärkten Zusammenarbeit nach den Vorschriften der Art. 43 ff., 40 EUV, 11 EGv. 260 Denn Art. 5 I Schengen-Protokoll unterwirft Vorschläge und Initiativen zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands den einschlägigen Vertragsvorschriften, also auch gegebenenfalls dem Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit. Das ist jedoch gern. Art. 43 I c) EUV nur dann möglich, wenn eine einheitliche Lösung nach Art. 5 Schengen-Protokoll - mit oder ohne Irland und das Vereinigte Königreich - nicht möglich ist. In diesem Fall gilt die fingierte Ermächtigung nach Art. 5 I UA. 2 Schengen-Protokoll nicht. Vielmehr müssen alle Verfahrensvoraussetzungen und materiellen Voraussetzungen vorliegen.
b) Die Beteiligung Dänemarks
Die Position Dänemarks bei der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands ist nicht im Schengen-Protokoll geregelt. Sie richtet sich gern. Art. 5 I UA. 1 Schengen-Protokoll nach den einschlägigen Bestimmungen. Für Initiativen zur Ergänzung des Schengen-Besitzstands im Bereich der PIZ gelten deshalb keine Besonderheiten. Die Maßnahmen nach Titel IV EGV richten sich dagegen nach dem Protokoll über die Position Dänemarks, welches das optout Dänemarks für Maßnahmen der Art. 61 ff. EGV regelt. 261 Insofern entspricht die Position Dänemarks auch bei der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands der Systematik des Art. 3 Schengen-Protokoll. Nach Art. 5 Protokoll DK kann Dänemark innerhalb von 6 Monaten nach dem Ratsbeschluß über eine Maßnahme zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands entscheiden, ob es diese in innerstaatliches Recht umsetzen möchte?62 Wenn es sich gegen eine Umsetzung entscheidet, können die in Art. 1 SchengenProtokoll aufgeführten Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Solche Maßnahmen könnten etwa bis zu einer Wiedereinführung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen zu Dänemark führen. 263 Ein Beschluß Dänemarks für die Umsetzung einer Bestimmung begründet eine "Verpflichtung nach dem Völkerrecht,,264 gegenüber den an dieser Maßnahme beteiligten Mitgliedstaaten. In der Literatur ist umstritten, ob Art. 5 I S. 2 Protokoll DK eine völkerrechtliche Bindung Dänemarks oder eine intergouvernementale Verpflichtung nach dem 260 261 262
263
264
Bribosia, RMUE 1998, S. 45; Heimann, Der neue Titel IV, S. 68. Dazu ausführlicher unter Kapitel 4, Punkt III. Art. 5 I S. 1 Protokoll D K. Heimann, Der neue Titel IV, S. 69. Art. 5 I S. 2 Protokoll DK.
232
4. Kap.: Konkrete Flexibilität
EUV begründet. Nach einer Ansicht zeigt der Hintergrund der Sonderstellung Dänemarks im Hinblick auf Titel IV EGV, daß Dänemarks Vorbehalte auf der Vergemeinschaftung großer Teile des Schengen-Besitzstands beruhen, sich jedoch nicht auf die intergouvernementale Zusammenarbeit nach der Dritten Säule beziehen. 265 Darüber hinaus sei es systemwidrig, durch das EU-Recht begründete Verpflichtungen zwischen Mitgliedstaaten außerhalb des rechtlichen Rahmens der Europäischen Union anzusiedeln und auf eine rein völkerrechtliche Ebene zu stellen. Weiter wird argumentiert, daß auch der durch das Schengen-Protokoll übernommene Schengen-Besitzstand in Dänemark als intergouvernementales Recht gelte und Rechtsakte der Dritten Säule die Mitgliedstaaten lediglich völkerrechtlich verpflichteten und ebenfalls eine Transformation in das nationale Recht erforderlich sei?66 Deshalb gelten nach dieser Ansicht Rechtsakte des Titels IV EGV zur Weiterentwicklung des Sehen gen-Besitzstands für Dänemark als Rechtsakte der Dritten Säule?67 Dagegen wird der eindeutige Wortlaut des Art. 5 I S. 2 Protokoll Dänemark angeführt, der von einer "Verpflichtung nach dem Völkerrecht" spricht. 268 Des weiteren seien völkerrechtliche und intergouvernementale Verpflichtungen nicht identisch; die Anordnung einer völkerrechtlichen Bindung lege die Begründung anderer Rechtswirkungen als die der Dritten Säule nahe. 269 Für diese Auslegung spricht auch ein Vergleich mit dem Schengen-Protokoll, in dem nie von einer völkerrechtlichen Verpflichtung gesprochen wird. Darüber hinaus wäre die Begründung einer abstrakten Verpflichtung nach Titel VI EUVeher ungewöhnlich. Naheliegender wäre es dann gewesen, die entsprechenden Beschlüsse für Dänemark wie in Art. 2 I UA. 4 Schengen-Protokoll als auf Titel VI EUV gestützte Rechtsakte anzusehen. Diese Begründung einer dritten Art von Rechtswirkungen innerhalb der Beziehungen zwischen EU-Mitgliedstaaten verkompliziert die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands innerhalb des EGY. Die Position Dänemarks ist für die Einbeziehung des Schengen-Besitzstands und für dessen Weiterentwicklung unterschiedlich ausgestaltet, ohne daß dafür ein zwingender Grund ersichtlich wäre. Zwar sind die Bindungen innerhalb der Dritten Säule des EUV mit völkerrechtlichen Verpflichtungen vergleichbar, aber die Beziehungen innerhalb der Europäischen Union sind weitergehend. Insbesondere die mangelnde gerichtliche Kontrolle kann Auswirkungen auf die Umsetzung der entsprechenden Beschlüsse haben. Thun-Hohenstein. Vertrag von Amsterdam. S. 54 f. Thun-Hohenstein. Vertrag von Amsterdam, S. 54 f.; Heimann. Der neue Titel IV, S. 69. 267 Thun-Hohenstein. Vertrag von Amsterdam. S. 54 f.; Heimann. Der neue Titel IV, S. 69. 268 Epiney. in: Hummer: Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 119, insbesondere Anm. 53. 269 Epiney, in: Hummer: Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 119, insbesondere Anm. 53; für eine völkerrechtliche Bindung ohne gerichtliche Kontrolle auch Kuijper, CMLR 2000, S. 351; Langrish. ELR 1998, S. 10; wohl auch Hailbronner/Thiery. EuR 1998, S. 613. 265
266
II. Der Schengen-Besitzstand
233
Unklar ist, welche Fonn der Zusammenarbeit vorliegt, wenn sich sowohl Irland als auch das Vereinigte Königreich für die Beteiligung an einer Maßnahme des Titels IV EGV entschließen. Die Klassifizierung als verstärkte Zusammenarbeit würde insofern naheliegen, als Dänemark sich an solchen Bestimmungen nicht beteiligt. Die Zusammenarbeit der übrigen Mitgliedstaaten wäre in dem Fall von der Fiktion der Genehmigung nach Art. 5 I UA. 2 Schengen-Protokoll gedeckt. Dagegen spricht jedoch, daß sich die Position Dänemarks nach den Vorschriften des Protokolls DK richtet, welches das dänische opt-out für Maßnahmen nach Titel IV EGV betrifft. 4. Assoziierung Islands und Norwegens
Neben den Sonderregelungen für Dänemark, das Vereinigte Königreich und Irland regelt auch Art. 6 Schengen-Protokoll, der die Assoziierung Islands und Norwegens betrifft, einen Aspekt differenzierter Integration. Flexibilität nach außen ist zwar im einzelnen nicht Gegenstand dieser Arbeit. Im Zusammenhang mit dem Schengen-Protokoll soll darauf dennoch kurz eingegangen werden, da die Nichtbeteiligung von Mitgliedstaaten durch die Beteiligung von Nicht-Mitgliedstaaten an Brisanz gewinnt Art. 6 Schengen-Protokoll sieht vor, daß die Einzelheiten der Assoziierung Norwegens und Islands in Übereinkommen zwischen dem Rat in Zusammensetzung der Schengen-Staaten und den beiden Staaten festzulegen sind. Dieses Übereinkommen 27o regelt in Art. 2, daß alle Bestimmungen des Schengen-Besitzstands und Rechtsakte zur deren Änderung oder Weiterentwicklung von Island und Norwegen umgesetzt und angewendet werden. Zur Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten und den beiden assoziierten Staaten wird ein Gemischter Ausschuß eingesetzt. 271 Dieser ist mit Vertretern der Regierungen Islands und Norwegens, des Rates und der Kommission besetzt und tritt auf Antrag eines seiner Mitglieder oder auf Initiative des Vorsitzes zusammen. Darüber hinaus wurden in einem weiteren Abkommen 272 Vereinbarungen über die Beteiligung Islands und Großbritanniens an der Arbeit von Ausschüssen der Kommission getroffen. Im Gemischten 270 Übereinkommen zwischen dem Rat der Europäischen Union sowie der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Assoziierung der beiden letztgenannten Staaten bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, ABI. Nr. L 176 vom 10.7. 1999, S. 36; vgl. dazu auch den Beschluß des Rates (l999/437/EG) vom 17.5. 1999 zum Erlaß bestimmter Durchführungsvorschriften zu dem Übereinkommen zwischen dem Rat der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Assoziierung dieser beiden Staaten bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, ABI. Nr. L 176 vom 10. 7. 1999, S. 31. 271 Art. 3 des Übereinkommens. 272 Abkommen in Form eines Briefwechsels zwischen dem Rat der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Ausschüsse, die die Europäische Kommission bei der Ausübung ihrer Durchführungsbefugnisse unterstützen, ABI. Nr. L 176 vom 10.7.1999, S. 53.
234
4. Kap.: Konkrete Flexibilität
Ausschuß können die Vertreter Norwegens und Islands Schwierigkeiten bei der Durchführung des Abkommens darlegen und zu Fragen der Weiterentwicklung Stellung nehmen. Darüber hinaus verfolgt dieser Ausschuß die Rechtsprechung des EuGH sowie der norwegischen und isländischen Gerichte zu den einschlägigen Bestimmungen und sorgt für eine regelmäßige Übermittlung,273 um die Einheitlichkeit der Auslegung und Anwendung der betreffenden Regelungen zu gewährleisten. Zur Kontrolle dieser Einheitlichkeit legen Island und Norwegen dem Ausschuß einen Bericht über die Praxis der zuständigen Verwaltungs behörden vor. Die Annahme neuer Rechtsakte und Maßnahmen erfolgt nach Art. 8 des Übereinkommen allein durch die zuständigen Behörden der Europäischen Union. Die Rechtsakte treten für die Europäische Union sowie für Island und Norwegen gleichzeitig in Kraft, nachdem der Rat den bei den Staaten die Annahme der Bestimmungen notifiziert und diese sie akzeptiert haben. Wenn die Rechtsakte von Irland oder Norwegen nicht angenommen werden, gilt das Übereinkommen für den betreffenden Staat als beendet, es sei denn der Gemischte Ausschuß findet eine Lösung zur Weiterführung des Abkommens?74 Island und Norwegen beteiligen sich nach Art. 12 des Übereinkommens sowohl an den Verwaltungskosten als auch an den operativen Kosten. Das Übereinkommen trifft bezüglich der Beteiligung Islands und Norwegens sehr detaillierte Regelungen über die Anwendung der Vorschriften des SchengenBesitzstands und dessen Weiterentwicklung. Die Einbeziehung Islands und Norwegens in die Beratungen gelingt durch die Konstitution des Gemischten Ausschusses. Des weiteren wird die Einheitlichkeit der Anwendung der Vorschriften durch die gegenseitige Übermittlung der Rechtsprechung des EuGH und der zuständigen nationalen Gerichte sowie durch den Bericht über die Praxis der nationalen Verwaltungsbehörden gewahrt. Eine ähnliche Regelung wäre auch für andere Formen von Flexibilität nachahmenswert. Auch bei Differenzierungen innerhalb der Europäischen Union tritt die Situation auf, daß die Anwendung von Rechtsakten durch einen Mitgliedstaat der Kontrolle des EuGH entzogen ist, so z. B. die Sonderregelung für Dänemark nach Art. 3 I Schengen-Protokoll und Art. 5 Protokoll DK. In solchen Fällen wäre eine ähnliche Vorgehensweise erforderlich, um eine sinnvolle, einheitliche Anwendung der Vorschriften zu gewährleisten. Das Assoziierungsübereinkommen betrifft zwar aufgrund der Einbeziehung zweier Nicht-Mitgliedstaaten eine andere Interessenlage als Differenzierungen innerhalb der Union. Trotzdem sind die Auswirkungen der differenzierten Geltung von Rechtsakten vergleichbar und ähnliche Vorschriften sind für die Ausgestaltung manch anderer Fälle konkreter Flexibilität wünschenswert. Gerade anhand der Assoziierung Norwegens und Islands wird aber auch ein grundsätzliches Problem der Einbeziehung des Schengen-Besitzstand in der durch das Schengen-Protokoll gestalteten Form deutlich. Die Beteiligung Norwegens 273 274
Art. 9 des Übereinkommens. Art. 9 IV des Übereinkommens.
11. Der Schengen-Besitzstand
235
und Islands bezieht sich lediglich auf die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes. Das setzt voraus, daß innerhalb der Materien des Titels VI EUV und des Titels IV EGV in Zukunft immer unterschieden werden muß, ob ein Rechtsakt oder eine Maßnahme als Modifikation oder Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands anzusehen ist. 275 Darüber hinaus scheint es von einem integrationspolitischen Standpunkt aus fragwürdig, wenn Nicht-Mitgliedstaaten Gemeinschaftsrecht anwenden, das von Mitgliedstaaten nicht als solches akzeptiert oder gar nicht durchgeführt wird. Die Beteiligung Islands und Norwegens hängt mit der Mitgliedschaft Dänemarks und der Aufrechterhaltung der Nordischen Paß union zusammen. Darüber hinaus ist sie in Anbetracht der Mitgliedschaft der beiden Staaten im EWR nicht ungewöhnlich. Durch den EWR wurde bereits Flexibilität nach außen, in Art eines Europa der konzentrischen Kreise begründet, das jetzt mit der Assoziierung Norwegens und Islands für die Bereiche des Schengen-Besitzstands und dessen Weiterentwicklung fortgeführt wird. Bedenklich ist jedoch, daß diese Einbeziehung in einem Punkt stattfindet, der nicht von allen Mitgliedstaaten akzeptiert wird. 5. Übernahme des Schengen-Besitzstands durch Beitrittskandidaten Der Schengen-Besitzstand gehört durch die Einbeziehung in den rechtlichen Rahmen der Union zum aquis und ist nach Art. 8 Schengen-Protokoll von allen Staaten, die Beitrittskandidaten sind, vollständig zu übernehmen. Das ist eine logische Konsequenz der Einbeziehung und der damit verbundenen Geltung des Schengen-Rechts als Gemeinschafts- oder Unionsrecht und insofern eigentlich selbstverständlich?76 Daran wird noch einmal mehr deutlich, daß Schengen von einem opt-in einiger Mitgliedstaaten in ein Unionsprojekt mit opt-out einzelner Mitgliedstaaten umgewandelt wurde. Art. 8 Schengen-Protokoll schließt Sonderregelungen für neue Mitgliedstaaten aus. Angesichts der zahlreichen Sonderregelungen für Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich ist diese Regelung einerseits verständlich, da die Sonderregelungen sonst noch unübersichtlicher würden. Andererseits erscheint sie als Ungleichbehandlung oder zumindest Benachteiligung der Mitgliedstaaten in spe. Übergangsregelungen sind durch Art. 8 Schengen-Protokoll jedoch nicht ausgeschlossen,277 da diese für den gesamten aquis grundsätzlich möglich sind. Art. 8 275 Kuijper, CMLR 2000, S. 352, bringt diese Problematik auf den Punkt: "Is the Community forever ( ... ) going to have a special law ( ... ), the so-called "building-upon-Schengen" law?". 276 Insofern ist die Einschätzung dieser Vorschrift als besonders bemerkenswert durch Ehlermann, EuR 1997, S. 385, nicht nachvollziehbar. 277 So Gaja, CMLR 1998, S. 859; Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam, S. 56; Heimann, Der neue Titel IV, S. 70; in diese Richtung auch Labayle, RTDE 1997, S. 837.
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4. Kap.: Konkrete Flexibilität
Schengen-Protokoll regelt lediglich, daß der Schengen-Besitzstand zum aquis zählt, der grundsätzlich von allen zukünftigen Mitgliedstaaten übernommen werden muß. 6. Gerichtliche Kontrolle / Justiziabilität a) Bestimmungen des Schengen-Besitzstands Die gerichtliche Kontrolle bzw. Auslegung der Regelungen des SchengenBesitzstands erfolgt entsprechend dem Bereich, dem eine Bestimmung durch den Rat nach Art. 2 I UA. 2 Schengen-Protokoll zugewiesen wurde. 278 Für die Bestimmungen, denen eine Norm des EGV zugrunde gelegt wurde, gelten dementsprechend die Art. 220 ff. EGV mit der Einschränkung des Art. 68 EGY. Für alle Maßnahmen, für die eine Rechtsgrundlage des Titel VI EUV festgelegt wurde, sowie für diejenigen, die mangels Festlegung einer Rechtsgrundlage als Maßnahmen nach Titel VI EUV zählen, ist Art. 35 EUV anwendbar. Die Gerichtsbarkeit des EuGH ist jedoch gern. Art. 2 UA. 3 S. 2 Schengen-Protokoll in jedem Fall für Maßnahmen oder Beschlüsse ausgeschlossen, welche die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit betreffen?79 Die Jurisdiktion des EuGH umfaßt im Bereich des EGV u. a. Vertragsverletzungsverfahren, die Bestimmungen des Schengen-Besitzstands zum Gegenstand haben, und Vorabentscheidungsverfahren 28o über die Auslegung dieser Bestimmungen. Nachdem die Regelungen des Schengen-Besitzstands durch die vom Rat vorgenommene Einbeziehung in den EGV28 1 als gemeinschaftliches Sekundärrecht gelten, sollte nach Art. 234 I b) EGVauch ihre Gültigkeit vom EuGH im Rahmen eines Vorlageverfahrens überprüft werden können. Ebenso wäre eine Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EGV denkbar. Für die Bestimmungen, die durch den Beschluß des Rates vom 20. 6. 1999 in den EGV einbezogen wurden, ist jedoch die Klagefrist nach Art. 234 V EGV bereits abgelaufen. Art. 2 11 UA. 3 Schengen-Protokoll. Curtin, in: Ehlennann, Der rechtliche Rahmen, S. 79, sieht diese Klausel als Möglichkeit zum völligen Ausschluß der Gerichtsbarkeit durch den EuGH: "In my view this latter provision if generously interpreted by the Member States themselves, the interested parties, is a virtual catch-all provision enabling the systematic exclusion of the jurisdiction of the Court of Justice on matters falling under the Schengen acquis". Gegen diese pessimistische Interpretation der Klausel läßt sich jedoch einwenden, daß die Beurteilung, ob eine Maßnahme z. B. der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung dient, nicht gänzlich den Mitgliedstaaten überlassen ist. 280 Für das Vorlageverfahren bezüglich Bestimmungen des Titels IV EGV gilt die Einschränkung des Art. 68 I EGV. 281 Durch den Beschluß des Rates vom 20. 5. 1999 (1999/436/ EG) zur Festlegung der Rechtsgrundlagen für die einzelnen Bestimmungen und Beschlüsse, die den Schengen-Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union, ABI. Nr. L 176 vom 10.7.1999, S. 17. 278
279
H. Der Schengen-Besitzstand
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In der Literatur werden gleichwohl grundsätzliche Bedenken gegen die Ungültigerklärung einer ehemals zum Schengen-Besitzstand zählenden Regelung durch den EuGH erhoben. Die volle Anwendung des Schengen-Besitzstands auf die Mitgliedstaaten sei durch das Schengen-Protokoll primärrechtlich angeordnet und eine Überprüfung der Bestimmungen durch den EuGH aus diesem Grund systemwidrig?82 Diese Begründung wird auch mit der Auffassung gestützt, daß die Bestimmungen des Schengen-Besitzstands als Bestandteil des Schengen-Protokolls zu qualifizieren seien, weshalb sie nach der Rechtsprechung des EuGH 283 nicht als Rechtsakte im Sinne von Art. 230 EGV gelten könnten und eine Rechtmäßigkeitsüberprüfung durch den EuGH ausgeschlossen sei. 284 Nach Art. 2 I UA. 3 Schengen-Protokoll nimmt der EuGH jedoch hinsichtlich der übernommenen Bestimmungen und Beschlüsse des Schengen-Besitzstands die ihm nach den einschlägigen Vertragsbestimmungen zukommenden Zuständigkeiten wahr, im Bereich des EGV also gemäß Art. 220 ff. i.Y.m. Art. 68 EGY. Eine Ausnahme bezüglich der Prüfung der Gültigkeit der Bestimmungen ist aus dem Protokoll nicht ersichtlich. Darüber hinaus werden die Bestimmungen durch die Zuordnung vertraglicher Rechtsgrundlagen als Sekundärrecht verankert bzw. gelten mangels Zuordnung als Rechtsakte der PJZ, d. h. sie sind nicht Bestandteil des Protokolls, sondern sekundäres Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht. Zum anderen können die Bestimmungen auch durch von den Gemeinschaftsorganen erlassenes Sekundärrecht im Rahmen der Fortentwicklung des Schengen-Besitzstands285 modifiziert werden. Insofern ist nicht ersichtlich, weshalb diese Bestimmungen für den EuGH nicht justiziabel sein sollen. Vor allem aber widerspräche eine solche Schlußfolgerung der im Schengen-Protoko1l 286 geäußerten Bekräftigung, daß die Normen des Schengen-Besitzstands nur in dem Maße anwendbar sein sollen, in dem sie mit den Rechtsvorschriften der Europäischen Union und der Gemeinschaft vereinbar sind. 287 Die Vereinbarkeit der Bestimmungen mit dem Unions- und 282 Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam, S. 53; Epiney, in: Hummer, Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 112; ähnlich Schauer, Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 216. 283 Schauer, Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 216, zieht folgendes Urteil heran: EuGH verb. RSen. 31 u. 35/86 (LAISA), Sig. 1988, 2285 Rn. 18. In diesem Fall lehnte der Gerichtshof die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Bestimmungen, welche unmittelbar Bestandteil einer Beitrittsakte waren, ab. Da die Bestimmungen des Schengen-Besitzstands nicht unmittelbar Bestandteil des Schengen-Protokolls sind, sondern über dieses, gestützt auf Rechtsgrundlagen, in das Gemeinschafts- und Unionsrecht inkorporiert werden, ist die Argumentation nicht übertragbar. 284 Schauer, Schengen - Maastricht - Amsterdam, S. 216. 285 Art. 5 Schengen-Protokoll; vgl. Epiney, in: Hummer, Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 114. 286 Erwägungsgründe des Schengen-Protokolls. 287 Auch Epiney, in: Breuss / Griller, Flexible Integration in Europa, S. 133, spricht von einem auf primärrechtlicher Ebene festgeschriebenen" Vorrang des EU-und EG-Vertrages in bezug auf den Schengen-Besitzstand".
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4. Kap.: Konkrete Flexibilität
Gemeinschaftsrecht kann verbindlich nur vom Gerichtshof festgestellt werden. 288 Die Bestimmungen des Schengen-Besitzstands können vom EuGH also durchaus auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden können. Im Bereich der PJZ entscheidet der Gerichtshof im Vorlageverfahren unter den Voraussetzungen der Art. 35 I - III EUV 289 über die Auslegung und Gültigkeit der Bestimmungen, die in die PJZ einbezogen wurden. Regelungen, die als Rahmenbeschlüsse oder Beschlüsse übernommen wurden, können nach Art. 35 VI EUV auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Des weiteren ist der EuGH für Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten bezüglich der Auslegung und der Anwendung der Maßnahmen nach Art. 35 VII EUV zuständig. Keine Kompetenz besitzt er für die Überprüfung der Gültigkeit oder Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen von Strafverfolgungsbehörden oder Maßnahmen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit dienen. 29o Ferner kann der EuGH im Rahmen der Art. 220 ff. EGV die Einhaltung der vertraglichen Vorschriften, also auch der Bestimmungen des Protokolls, überprüfen. Das Schengen-Protokoll wurde durch Vereinbarung aller Mitgliedstaaten dem EUV und dem EGV beigefügt. Demnach ist es gern. Art. 311 EGV Bestandteil des EGV und die Anwendung der Vorschriften des Protokolls grundsätzlich gern. Art. 220 EGV gerichtlich überprüfbar. 291 Die Festlegung der Rechtsgrundlagen durch den Rat ist also justiziabe1. 292 Nachdem jedoch das Protokoll sowohl dem EUV als auch dem EGV beigefügt wurde, ist fraglich, nach welchen Bestimmungen die Anwendung des Art. 2 I UA. 2 Schengen-Protokoll im Einzelfall vom Gerichtshof zu überprüfen ist. Eine Möglichkeit wäre, die Art. 220 EGV ff. zur Anwendung gelangen zu lassen, wenn als Rechtsgrundlage eine Norm des EGV festgelegt wurde, und andernfalls nach Art. 46 i. Y.m. 35 EUV vorzugehen?93 Dabei ist jedoch zu beachten, daß die an die Nichtigkeitsklage angelehnte Klage nach Art. 35 VI EUV lediglich für Rahmenbeschlüsse und Beschlüsse nach Art. 34 11 EUV statthaft ist. Der Beschluß des Rats zur Festlegung der Rechtsgrundlagen nach Art. 2 I UA. 2 Schengen-Protokoll ist jedoch kein solcher Beschluß und somit nicht nach Art. 35 VI EUV gerichtlich überprüfbar. Insofern wäre bei dieser Zuordnung die Einordnung von Beschlüssen in die PJZ nicht nachprüfbar. Indes ist für die Frage, nach welchen Normen sich die Zuständigkeit des EuGH richtet, nicht entscheidend, welche Rechtsgrundlage vom Rat gewählt wurde, sondern welche Norm des Unions- oder Gemeinschaftsprimärrechts als verletzt angesehen Art. 220 EGV Art. 35 EUV wird durch de Vertrag von Nizza nicht geändert. 290 Art. 35 V EUV. 291 Heimann, Der neue Titel IV EGV, S. 65. 292 Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam, S. 53; Heimann, Der neue Titel IV EGV, S. 65; Epiney, in: Hummer, Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 120; a.A. Hailbronner; Immigration and Asylum Law, S. 55, unter Bezugnahme auf die Formulierung "in accordance with that determination". 293 So Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam, S. 53. 288
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H. Der Schengen-Besitzstand
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wird. So kann etwa die Festlegung einer Rechtsgrundlage der PJZ mit der Begründung angegriffen werden, daß für die betreffende Bestimmung des Schengen-Besitzstands eine Rechtsgrundlage des EGV einschlägig und deshalb der Beschluß des Rates wegen Verletzung von Vorschriften des EGV i.Y.m. Art. 2 I UA. 2 Schengen-Protokoll nichtig sei. In solchen Fällen ist Art. 230 EGV maßgeblich. Auch hier gilt aber, daß die Klagefrist nach Art. 230 V EGV bereits abgelaufen ist, weil für den Großteil der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands diese Festlegung schon im Mai 1999 294 erfolgt ist. b) Bestimmungen der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands Für Rechtsakte und Maßnahmen der Modifikation und Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands gelten nach Art. 5 I Schengen-Protokoll die einschlägigen Bestimmungen der Verträge, also auch je nach Zugehörigkeit der Bestimmungen die Art. 220 ff. EGV mit der Einschränkung des Art. 68 EGVoder Art. 35 EUV. Art. 35 V EUV und Art. 68 11 EGV 295 regeln eine mit Art. 2 I UA 3 SchengenProtokoll vergleichbare Ausnahme für Beschlüsse, welche die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit betreffen. Ein beträchtlicher Teil der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands und dessen Weiterentwicklung ist somit der Rechtsprechung des EuGH entzogen. c) Sonderfall Dänemark
Für Dänemark gelten alle Bestimmungen des Schengen-Besitzstands als Maßnahmen des Titels VI EUV, so daß sich die Relevanz von Urteilen des Gerichtshofs für Dänemark nach Art. 35 EUV richtet. Die Bindung Dänemarks an vom EuGH im Rahmen eines Vorlageverfahrens getroffene Entscheidungen hängt davon ab, ob Dänemark die Zuständigkeit des EuGH nach Art. 35 11 EUVanerkannt hat. Die Nichtigerklärung einer Vorschrift hat lediglich inter partes-Wirkung. Dies gilt auch für die Bestimmungen des Titels VI EUV zur Weiterentwicklung des SchengenBesitzstand gilt. Problematisch sind jedoch Beschlüsse, die für Dänemark nach Art. 5 Protokoll DK völkerrechtlich bindend sind. Die Gerichtsbarkeit des EuGH erstreckt sich nicht auf völkerrechtliche Verbindlichkeiten. So sind dänische Behörden oder Ge294 Durch den Beschluß des Rates vom 20. 5. 1999 (l999/436/EG) zur Festlegung der Rechtsgrundlagen für die einzelnen Bestimmungen und Beschlüsse, die den Schengen-Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union, ABI. Nr. L 176 vom 10.7. 1999, S. 17. 295 Die Ausnahme des Art. 68 H EGV betrifft jedoch nicht den gesamten Titel IV EGV, sondern nur Maßnahmen nach Art. 62 Nr. 1 EGV, also solche zur Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen.
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4. Kap.: Konkrete Flexibilität
richte völkerrechtlich nicht verpflichtet, eine Norm zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands, die in dänisches Recht umgesetzt wurde, entsprechend einer vom EuGH vorgenommenen Auslegung anzuwenden. Die Einheitlichkeit der Anwendung einer solchen Bestimmung wäre dadurch gefährdet. Eine Verpflichtung Dänemarks zur Beachtung der Auslegung der Rechtsprechung des EuGH läßt sich aber aus dem allgemeinen Solidaritätsprinzip des Art. 10 EGV ableiten. Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gern. Art. 10 EGV dient durch die Sicherung der effektiven und einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft. 296 Ein konkretes Handlungsgebot bestimmt Art. 10 EGV nur, wenn dieses innerhalb des Anwendungsbereichs des EGV die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft sichert, hinreichend bestimmbar ist und die Grenzen der innergemeinschaftlichen Funktionsverteilung einhält?97 Zwar ist die Verpflichtung Dänemarks zur Anwendung der betreffenden Rechtsakte völkerrechtlicher Natur, ihren Ursprung hat sie jedoch in einem gern. Art. 311 EGV zum Gemeinschaftsrecht zählenden Protokoll. Durch das Gebot, die Rechtsprechung des EuGH in diesem Bereich anzuerkennen, wird die einheitliche Anwendung gemeinschaftlicher Rechtsakte des Titels IV EGV gesichert. Über die Art. 220 ff. EGV ist diese Verpflichtung hinreichend bestimmt. Dänemark ist also durch das allgemeine Solidaritätsprinzip an die Auslegung der betreffenden Beschlüsse durch den EuGH gebunden.
7. Fazit Bei Betrachtung der Vorschriften zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den rechtlichen und institutionellen Rahmen der Union fällt insbesondere die Verschiedenartigkeit der Regelungen auf. Es handelt sich nicht um eine einheitliche Differenzierung, sondern um unterschiedliche flexible Techniken, die den diversen Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten entgegenkommen. So erfolgt die Einbeziehung des Schengen-Besitzstand etwa nach dem Vorbild eines Europas der variablen Geometrie: die Schengen-Staaten begründen eine verstärkte Zusammenarbeit, an der sich Großbritannien und Irland nicht beteiligen. Eine weitere Abstufung erfolgt zugunsten Dänemarks, das sich grundsätzlich beteiligt, sich den Rechtswirkungen mancher Beschlüsse aber nicht voll unterwirft. Darüber hinaus wird eine Differenzierung nach außen zugunsten zweier Nichtmitgliedstaaten, Island und Norwegen, geschaffen, die sich an der Zusammenarbeit beteiligen, nicht aufgrund gemeinschaftsrechtlicher, sondern aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtung. Den nicht beteiligten Mitgliedstaaten, Irland und dem Vereinigten Königreich, wird die Möglichkeit zugestanden, Teile der Bestimmungen anzuwenden bzw. sich an der Annahme einzelner Bestimmungen zu beteiligen, 296 297
Grabitz/Hilf-Bearbeiter, Recht der EU (a.F.), Art. 5 EGV Rn. 7. Grabitz / Hilf-Bearbeiter, Recht der EU (a.F.), Art. 5 EGV Rn. 12.
11. Der Schengen-Besitzstand
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was einer Differenzierung nach Art eines Europe a La carte entspricht. Diese verschiedenen Regelungen führen zu einer vierfachen Differenzierung der Rechtswirkung einzelner Bestimmungen sowie zu einer dreifachen Differenzierung der Kompetenzen des EuGH bei der Anwendung und Auslegung dieser Bestimmungen. Die daraus resultierende Unübersichtlichkeit und Komplexität dieses Bereichs liegt auf der Hand. Die zahlreichen Einzelfallregelungen gehen zu Lasten der Rechtssicherheit und der Effizienz der Regelungen. 298 Die unterschiedliche Ausgestaltung der Sonderregelungen für Maßnahmen des Schengen-Besitzstands, für Maßnahmen zu dessen Weiterentwicklung und für Maßnahmen des Titels IV EGVohne Schengen-Bezug je nachdem, ob es um die Position Großbritanniens / Irlands, Dänemarks oder Norwegens IIslands geht, erfordert auf Dauer eine Abgrenzung des Schengen-Besitzstands von anderen Regelungen zur Verwirklichung des freien Personenverkehrs. 299 Weil somit aufgrund der verschiedenen Regime immer eine gesonderte Kategorie "Schengen-Recht,,300 existieren muß, stellt sich die Frage, ob die Schengen-Thematik jemals völlig in die Union integriert werden kann. Auf Dauer wird die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts dadurch gefährdet. 301 Art. 1 des Ratsbeschlusses zur Durchführung des Assoziierungsübereinkommens 302 beinhaltet zwar eine Aufzählung der bezüglich des Schengen-Besitzstands relevanten Bereiche. Angesichts der Thematik des Titels IV EGV kann eine Abgrenzung im Einzelfall dennoch schwierig sein. Möglicherweise tritt die Situation auf, daß eine Maßnahme, die nicht unter einen der in der Liste aufgeführten Bereiche zu fassen ist, dennoch mit der Entwicklung des Schengen-Besitzstands zusammenhängt. 303 Erschwert wird eine Abgrenzung durch die Tatsache, daß die einzelnen Bestimmungen durch die Methode der Festlegung der einschlägigen Rechtsgrundlagen über verschiedene Bereiche der Verträge verstreut sind. 304 In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, daß diese verstärkte Zusammenarbeit nicht als vorübergehender Zustand geplant ist,305 da für keinen der drei Staaten mit Ausnahmeregelung eine Möglichkeit vorgesehen ist, die Geltung des 298 Die zu hohe Komplexität der Regelungen des Protokolls bemängelt Epiney, in: Breuss I Griller, S. 145; sowie Ehlermann, EuR 1997, S. 385, der deshalb eine baldige Reform der Vorschriften anmahnt 299 VgI. Heimann, Der neue Titel IV EGV, S. 71. 300 s. Kuijper, CMLR 2000, S. 352. 301 Heimann, Der neue Titel IV EGV, S. 71. 302 Beschluß des Rates (1999/437 lEG) vom 17.5. 1999 zum Erlaß bestimmter Durchführungsvorschriften zu dem Übereinkommen zwischen dem Rat der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Assoziierung dieser bei den Staaten bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, ABI. Nr. L 176 vom 10.7.1999, S. 31. 303 So Kuijper, CMLR 2000, S. 353. 304 Monar; ELR 1998, S. 333. 305 Curtin, in: Ehlermann, Der rechtliche Rahmen, S. 77.
16 Grie,er
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4. Kap.: Konkrete Flexibilität
Protokolls ZU beenden. Für eine Aufhebung des Protokolls, und somit für eine Aufhebung der Sonderstellung der betreffenden Staaten, ist eine Vertragsänderung erforderlich, was vor dem Ziel einer gemeinsamen Visa-, Asyl- und Einwanderungspolitik wenig verständlich ist. 306 Auch wenn das unmittelbare Ziel dieser flexiblen Konstruktion darin bestand, ein Vorgehen trotz mangelnder Teilnahmebereitschaft mancher Mitgliedstaaten zu ermöglichen, und die verstärkte Zusammenarbeit im konkreten Fall nicht als Vorbild oder Zugpferd gedacht war, sollte die Beteiligung sämtlicher Mitgliedstaaten doch immerhin eine Option sein. Die Bedenken wegen der Unbegrenztheit des opt-outs der bei den Staaten gewinnen noch an Bedeutung vor dem Aspekt, daß die Schengen-Materie zum Kembereich der Verwirklichung des gemeinsamen Binnenmarktes zählt. 307 In der Literatur wird deshalb von einem ernst zu nehmenden, noch nie dagewesenen Bruch des acquis communautaire gesprochen. 308 Nachdem der freie Binnenmarkt bislang noch nicht vollständig verwirklicht ist und der Schengen-Besitzstand nicht auf gemeinschaftlicher, sondern auf völkerrechtlicher Ebene verwirklicht wurde, handelt es sich zwar nicht unmittelbar um einen Bruch des gemeinschaftlichen Besitzstandes. Dennoch ist es äußerst bedenklich, daß zwei Staaten ohne zeitliche Begrenzung aus der Verwirklichung eines zentralen Ziels der europäischen Integration aussteigen. Nicht zu vernachlässigen ist auch der Gesichtspunkt, daß die Ausgestaltung der Ausnahmeregelung für die einzelnen Mitgliedstaaten von ihrer Verhandlungsposition abhängig ist. So konnten Dänemark und insbesondere das Vereinigte Königreich und Irland umfassende Sonderregelungen aushandeln, wohingegen für die Beitrittskandidaten höchstens Übergangsregelungen möglich sind. 309 Weitere, in der Literatur häufig geäußerte Kritikpunkte hängen mit den Bestimmungen des Schengen-Besitzstands an sich zusammen. Diese Bestimmungen waren inhaltlich zunächst auf die Bedürfnisse weniger Unterzeichnerstaaten zugeschnitten und wurden unverändert in das Unions- und Gemeinschaftsrecht übernommen? \0 Schwerwiegender als dieser inhaltliche Aspekt sind in diesem Zusammenhang jedoch die formalen Umstände. Die Übernahme der Bestimmungen durch den Rat in der durch Art. 2 Schengen-Protokoll vorgesehenen Form ist zwar unter Praktikabilitätsgesichtspunkten begrüßenswert. Eine beträchtliche Anzahl von Regelungen wird dadurch aber unter Umgehung der vorgeschriebenen demokratischen Verfahren zu gemeinschaftlichem Sekundärrecht. 311 Das Ergebnis Petite, RMUE 1997, S. 46. Vgl. Curtin, in: Ehlennann, Der rechtliche Rahmen, S. 77: "the key problem I perceive in the chosen model of flexibility is that it in effect allows (in part) "variable geometry" to take place with regard to the substantive "hard core" of the internal market." 308 Curtin, in: Ehlennann, Der rechtliche Rahmen, S. 77. 309 Art. 8 Schengen-Protokoll. 310 EdwardslPhilippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 26; KapteynlVanThemaat, Law ofthe EC, S. 697. 311 Edwards I Philippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 26; Epiney, in: Breuss/Griller, Der Vertrag von Amsterdam, S. 144 f.; dies., in: Hummer, Europäische Union 306
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H. Der Schengen-Besitzstand
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außervertraglicher Kooperation wurde ohne Beachtung der gemeinschaftlichen Gesetzgebungsverfahren in den acquis des Gemeinschaftsrechts übernommen. Die Kritik an der Einbeziehung des Schengen-Besitzstands durch das SchengenProtokoll kann abschließend folgendermaßen zusammengefaßt werden. Zum einen bestehen grundsätzliche Bedenken gegen diese Art der Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den rechtlichen und institutionellen Rahmen der Union. Dazu zählen u. a. die Gefahr der Fragmentierung dieses Rechtsgebietes durch die verschiedenen Einzelfallregelungen, die "Sonderbehandlung" der Mitgliedstaaten, die eigens auf sie zugeschnittene Ausnahmeregelungen für sich in Anspruch nehmen können und die Umgehung der gemeinschaftlichen Beschlußverfahren, insbesondere die mangelnde Beteiligung des Europäischen Parlaments. Zum anderen wird die Praktikabilität der Vorschriften angezweifelt, vor allem aufgrund des Erfordernisses, eine eigene Kategorie "Schengen-Recht" aufrechtzuerhalten, obwohl die einzelnen Bestimmungen jetzt über die Verträge verteilt sind. Dies ist sicherlich berechtigt. Trotzdem darf jedoch nicht übersehen werden, daß das Schengen-Protokoll bislang der größte Beweis für den Erfolg differenzierten Vorgehens ist. Die außervertragliche Zusammenarbeit von fünf Mitgliedstaaten 312 hat nach und nach mehrere Mitgliedstaaten zur gemeinsamen Regelung dieses für die Verwirklichung des Binnenmarktes bedeutenden Bereichs angezogen und schließlich zur Einbeziehung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Union, ja sogar zum Teil zu deren Vergemeinschaftung geführt. Der "Preis für die Vergemeinschaftung und für die Einbeziehung der Schengener Abkommen in den institutionellen und rechtlichen Rahmen der Union,,313 sind die Sonderregelungen für das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark. Nur aufgrund dieser Ausnahmeregelungen ist es gelungen, diese für die Verwirklichung des Binnenmarktes erforderlichen Maßnahmen in den aquis einzubeziehen. Die opt-in Möglichkeiten für das Vereinigte Königreich und Irland lassen darauf hoffen, daß sich letztendlich auch diese bei den Staaten an der Abschaffung der Binnengrenzkontrollen beteiligen. Natürlich beinhaltet diese umfassende Sonderstellung der beiden Inselstaaten, die nicht unbedingt auf deren geographische Lage zurückzuführen ist,314 eine ungerechtfertigte Bevorzugung. Aber nur durch die nach dem Vertrag von Amsterdam, S. 122 f.; Kapteyn/VanThemaat, Law of the EC, S. 697; den Boer, MJ 1997, S. 314. Dieser Aspekt veranlaßt Curtin, in: Ehlermann, Der rechtliche Rahmen, S. 80, zu einer drastischen Beurteilung: "my conc1usion is ( ... ) that the authoritarian and undemocratic Schengen virus has been absorbed wholesale into the body of the Union structure". 312 An Schengen I waren zunächst die Beneluxstaaten, Frankreich und Deutschland beteiligt. 313 Hailbronner, EuR 1998, S. 615; so auch den Boer, MJ 1997, S. 313; vgl. auch Monar, ELR 1998, S. 320; Meyring, EuR 1999, S. 311. 314 Vgl. Wiener, WP 00/1,2, die darlegt, daß im Zeitalter des Luftverkehrs und des Eurotunnels die geographische Lage nicht länger große Auswirkungen auf die britischen Sicherheitsinteressen im Vergleich zu denen anderer Staaten hat. Die Tradition strenger Kontrollen 16*
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4. Kap.: Konkrete Flexibilität
Konstruktion dieser Sonderrolle war die Überwindung der nationalen Souveränitätsvorbehalte zugunsten einer gemeinsamen Regelung der Asyl- und Einwanderungspolitik und einer engeren Zusammenarbeit der Polizei- und lustizbehörden möglich. Die großzügige Beteiligungsoption nach Art eines Europe Cl la carte verbessert die Chancen einer unionsweiten Abschaffung der Binnengrenzkontrollen und somit letztendlich der Verwirklichung des Binnenmarktes. Entgegen vielfach in der Literatur vertretener negativer Beurteilung jeglicher Flexibilität, die an ein Europe Cl la carte erinnert,315 kann diese Form der Differenzierung dem Integrationsprozeß durchaus förderlich sein, zumal wenn sie thematisch begrenzt ist. Überdies hat die Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Union den vielfach als unbefriedigend empfundenen Zustand der rechtlichen Zersplitterung der Schengen-Thematik in Unionsrecht und Völkerrecht beendet. 316 Zwischen den Schengener Übereinkommen und Unions- und Gemeinschaftsrecht gab es zahlreiche Verknüpfungen und Funktionszusammenhänge, die durch die außervertragliche, völkerrechtliche Zusammenarbeit nicht einheitlich behandelt werden konnten und zu Rechtsunsicherheit führten. 317 Darüber hinaus sind die Bedenken hinsichtlich der Gemeinschaftsrechtmäßigkeit des Schengen-Abkommens aufgrund der Nähe der Materie zum Binnenmarkr3 18 durch die Einbeziehung in den gemeinschafts- und unionsrechtlichen Rahmen überholt. 319 Außerdem hat die Einbeziehung den entscheidenden Vorteil, daß die Zusammenarbeit immerhin weitgehend der gerichtlichen Kontrolle des EuGH unterworfen ist und zumindest beim Erlaß neuer Bestimmungen das Parlament entsprechend der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften beteiligt wird. 32o Zusammenfassend kann man festhalten, daß die im Schengen-Protokoll gefundene Lösung zwar in Anbetracht der zahlreichen, nicht zu widerlegenden Kritikpunkte nicht optimal sein mag. Dennoch handelt es sich aber um einen entscheian den Außengrenzen gebe es nicht nur in Großbritannien, sondern auch in anderen Mitgliedstaaten und hinge deshalb nicht allein von der speziellen geographischen Lage ab. Die Beteiligung an Schengen würde für die britischen Sicherheitsinteressen nicht unbedingt einen Nachteil gegenüber der aktuellen Lage bedeuten. 315 Vgl. zum Schengen-Protokoll nur EdwardslPhilippart, Flexibility and the Treaty of Amsterdam, S. 26; Martenczuk, ZEuS 1998, S. 472. 316 Heimann, Der neue Titel IV EGV, S. 61. Dieser Punkt wird auch von den Boer; EIPASCOPE 1997/2.1, hervorgehoben, die allerdings den dadurch bewirkten Vorteil erheblich geschmälert sieht: " ... we should not overlook the fact that renewed flexibility reenters the stage through the backdoor by means of opt-in and opt-out protocols, ... ". 317 Vgl. Di Fabio, DÖV 1997, S. 93. 318 Vgl. Gialdino, RMUE 1998, S. 89 f., 92 f.; Wiedmann, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 61 EGV Rn. 16. 319 Meyring, EuR 1999, S. 314. 320 Curtin, in: Ehlermann, Der rechtliche Rahmen, S. 75. Die mangelnde gerichtliche und parlamentarische Kontrolle aufgrund des völkerrechtlichen Vorgehens war einer der Hauptkritikpunkte am Schengener Übereinkommen, vgl. Wiedmann, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 61 EGV Rn. 16.
III. Sonderregelungen in Titel IV EGV
245
denden Fortschritt gegenüber der vorher bestehenden Rechtslage. Darüber hinaus darf man nicht übersehen, daß angesichts der nationalen Sensibilitäten und Befürchtungen der Öffentlichkeit bezüglich gesteigerter Sicherheitsrisiken eine einheitliche und klare Regelung dieser Materien nicht zu erwarten war. 321 Ein weiterer positiver Effekt des britischen und irischen opt-outs ist die durch diese Verhandlungsschwierigkeiten bewirkte erhöhte Bereitschaft der anderen Mitgliedstaaten, die verstärkte Zusammenarbeit im EUV und EGV zu verankern. 322 Man könnte sogar so weit gehen, daß das britische "Nein" zu Schengen die Flexibilität erst akzeptabel gemacht und die Integration dadurch letztendlich gefördert hat. 323 Auf jeden Fall wurde die Methode des flexiblen Vorgehens durch diesen weiteren, umfassenden und insgesamt erfolgversprechenden Anwendungsfall zur politischen Realität innerhalb der Union.
111. Sonderregelungen in Titel IV EG V 1. Der neue Titel IV EG V Durch den Vertrag von Amsterdam wurde die Materie Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr aus der früheren intergouvernementalen Zusammenarbeit der Bereiche Justiz und Inneres des EUV in den neuen Titel IV EGV übernommen und vergemeinschaftet. 324 Die neuen Art. 61 ff. EGV umfassen Maßnahmen zur Gewährleistung des freien Personenverkehrs nach Art. 14 EGV und zur Kriminalitätsbekämpfung. 325 Konkret sind Visamaßnahmen nach Art. 62 EGV sowie Asylmaßnahmen und andere einwanderungspolitische Maßnahmen nach Art. 63 EGV vorgesehen. Hinsichtlich der justitiellen Zusammenarbeit in Zivilsachen regelt Art. 65 EGV die Verbesserung und Vereinfachung der Behandlung grenzüberschreitender Sachverhalte, Art. 66 EGV betrifft Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit der Verwaltungen. In Anbetracht der Bedeutung dieser Thematik für die Verwirklichung des Binnenmarkts, die eigentlich seit 31. 12. 1992 abgeschlossen sein sollte,326 war diese Regelung überfällig. Dennoch konnte für diesen Bereich keine für alle Mitgliedstaaten akzeptable Lösung gefunden werden. Das Vereinigte Königreich und Irland sowie 321 Vgl. Monar, CMLR 1998, S. 321 f.; Manin, CJEL 1998, S. 5; Meyring, EuR 1999, S. 321 f. 322 Monar, ELR 1998, S. 332. 323 Wiener, Arena WP 00/ I, 3. Das europafreundlichere Auftreten der Blair-Regierung im Vereinigten Königreich führte dementsprechend nach Ansicht Missirolis dazu, daß das Bedürfnis für Flexibilität niedriger eingestuft wurde und die Bedingungen im Vertrag von Amsterdam streng gehalten wurden, s. Missiroli, The International Spectator 1998, S. 107. 324 Abgesehen von Art. 67 EGV, dem ein neuer Absatz hinzugefügt wird, ergeben sich für die Vorschriften des Titels IV EGV durch den Vertrag von Nizza keine Änderungen. 325 Art. 61 EGY. 326 Art. 14 EGY.
246
4. Kap.: Konkrete Flexibilität
Dänemark haben sich in gesonderten Protokollen die Anwendung der auf Titel IV EGV beruhenden Vorschriften vorbehalten. Art. 69 EGV stellt die Geltung dieser Protokolle für die Art. 61 ff. EGV klar.
2. Die Sonderregelungen für das Vereinigte Königreich und Irland Für das Vereinigte Königreich und Irland existieren zwei Protokolle, die sich auf die Thematik des Titels IV EGV beziehen. Das Protokoll über die Anwendung bestimmter Aspekte des Artikels 14327 betrifft die Binnengrenzkontrollen zwischen Irland, dem Vereinigten Königreich und den übrigen Mitgliedstaaten. Die durch das Protokoll begründete Sonderstellung beruht auf der zwischen den beiden Inselstaaten bestehenden common travei area. 328 Art. 1 und 3 des Protokolls zu Art. 14 regeln, daß ungeachtet des nach Art. 14 EGV zu verwirklichenden freien Personenverkehrs an den betreffenden Grenzen weiterhin beiderseits Einreisekontrollen durchgeführt werden können, um das Recht auf Einreise von Bürgern des EWR und deren Familienangehörigen nachzuprüfen und um bei anderen Personen eine Entscheidung über die Einreise treffen zu können. Das Protokoll zu Art. 14 ist für Titel IV EGV insofern von Bedeutung, als die Verwirklichung des freien Personenverkehrs durch Maßnahmen nach Art. 61 a) EGV stattfinden soll. Die genauen Modalitäten der Beteiligung des Vereinigten Königreichs und Irlands an den betreffenden Maßnahmen richten sich nach dem Protokoll (Nr. 4) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands. 329
a) Opt-out mit Beteiligungsoption
Das Protokoll VKIIRL bestimmt in Art. 1, daß das Vereinigte Königreich und Irland sich grundsätzlich nicht an Maßnahmen nach Titel IV EGV beteiligen. Wie in Art. 2 des Protokolls noch einmal ausdrücklich festgestellt wird, sind diese Regelungen sowie Entscheidungen des EuGH zur Auslegung der Vorschriften des Titels IV EGV und darauf beruhender Rechtsakte für diese bei den Staaten nicht bindend und berühren nicht deren Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten. Diese Konsequenzen der Nichtbeteiligung sind selbstverständlich und hätten an sich keiner gesonderten Niederlegung bedurft. 330 327 Protokoll (Nr. 3) über die Anwendung bestimmter Aspekte des Artikels 14 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft auf das Vereinigte Königreich und auf Irland; im folgenden Protokoll zu Art. 14. 328 s. Meyring, EuR 1999, S. 313. 329 Im folgenden Protokoll VK IIRL 330 Vgl. Kortenberg, CMLR 1998, S. 837; Ehlennann, EuR 1997, S. 382 schreibt Art. 2 Protokoll VKIIRL dem Stil britischer Juristen zu.
III. Sonderregelungen in Titel IV EGV
247
Das opt-out ist nicht unwiderruflich. Die beiden Staaten behalten sich in Art. 3 Protokoll VK / IRL eine Möglichkeit zum opt-in vor. Das Vereinigte Königreich oder Irland kann dem Ratspräsidenten innerhalb von 3 Monaten nach Vorlage eines Vorschlags gern. Titel IV EGV mitteilen, daß es sich an der Annahme und Anwendung einer Maßnahme beteiligen möchte. Über diese Mitteilung findet kein Beschluß statt, die Beteiligung wird in jedem Fall gestattet, Art. 3 I S. I Protokoll VKIIRL. Nach Art. 3 II Protokoll VKIIRL kann der Rat eine Maßnahme, wenn sie nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums mit Beteiligung Großbritanniens oder Irlands zustande kommt, auch ohne die Beteiligung des betreffenden Staats annehmen. Anders als im Schengen-Protokoll wird dadurch dem Vereinigten Königreich und Irland die Möglichkeit genommen, eine Initiative zu blockieren. Neben der opt-in-Möglichkeit bei der Annahme der Maßnahme nach Art. 3 Protokoll VK / IRL gibt es auch die Möglichkeit des nachträglichen Beitritts nach Art. 4 des Protokolls. Darauf besteht jedoch kein Anspruch. Es findet das Verfahren des Art. 11 III EGV sinngemäß Anwendung, d. h. die Kommission entscheidet innerhalb von vier Monaten über den Antrag. Das der verminderten Anzahl der beteiligten Mitgliedstaaten angepaßte Beschluß verfahren richtet sich, anders als im Schengen-Protokoll, nicht nach den Vorschriften der verstärkten Zusammenarbeit, sondern nach Art. I, S. 2 und 3, bzw. bei einem opt-in eines der beiden Staaten nach Art. 3 I VA. I Protokoll VK/ IRL. Die Regelung entspricht jedoch jener des Art. 44 EVV. Als qualifizierte Mehrheit gilt ebenfalls der in Art. 205 II EGV festgelegte Anteil der gewogenen Stimmen der Mitglieder des Rates, also 71,26%331 der Stimmen. 332 Bei einstimmig zu fassenden Beschlüssen müssen nach Art. I, S. 3 bzw. Art. 3 VA. 2 Protokoll VKIIRL alle beteiligten Mitgliedstaaten zustimmen. Ein solcher Beschluß kommt derzeit mit einer Stimmenanzahl von 12, 13 oder 14 Stimmen zusammen. 333 Nachdem die allgemeinen Verfahrensbestimmungen nur für die Annahme der Rechtsakte modifiziert werden, ist davon auszugehen, daß der britische und der irische Vertreter in jedem Fall an den Beratungen teilnehmen und nur von der Abstimmung ausgeschlossen sind. 331 Zum I. Januar 2005 wird Art. 205 11 EGC durch Art. 3 I lit. a) i) Protokoll über die Erweiterung der Europäischen Union geändert. Ab diesem Zeitpunkt werden die Stimmen der Mitgliedstaaten im Rat anders gewogen, so daß für die Annahme eines Beschlusses mit qualifizierter Mehrheit 71,31 % der gewogenen Stimmen erforderlich sein werden. 332 Anders als bei der verstärkten Zusammenarbeit stellt sich hier nicht die Frage, wie viele Mitglieder die Zustimmung gegebenenfalls umfassen muß, da alle Maßnahmen nach Titel IV EGV auf Vorschlag der Kommission angenommen werden, so daß immer Art. 205 11, I. Alt. EGVeinschlägig ist. 333 Dänemark beteiligt sich nie an Maßnahmen nach Titel IV EGV (dazu sogleich im folgenden Punkt), außer es handelt sich um die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Dann gilt aber für die Beteiligung des Vereinigten Königreichs und Irlands gern. Art. 7 Protokoll VKIIRL nicht dieses Protokoll, sondern das Schengen-Protokoll.
248
4. Kap.: Konkrete Flexibilität
Die finanziellen Folgen für die nicht beteiligten Mitgliedstaaten richten sich nach Art. 5 Protokoll VKIIRL, wonach sie außer den Verwaltungskosten für die Organe keine Kosten übernehmen müssen. Auch diese Regelung entspricht der Finanzierung der verstärkten Zusammenarbeit nach Art. 44 II EUV.
b) Beitrittsmöglichkeit Irlands Irland hat sich in Art. 8 Protokoll VK / IRL die Möglichkeit vorbehalten, durch einseitige Verzichtserklärung die Geltung des Protokolls für Irland endgültig aufzuheben. Nach einer diesbezüglichen schriftlichen Mitteilung gelten für diesen Staat die üblichen Vertragsbestimmungen der Art. 61 ff. EGV. Die Möglichkeit zur einseitigen Kündigung besteht für Großbritannien nicht. Der Sonderstatus dieses Mitgliedstaats könnte nur durch eine Vertragsrevision nach Art. 48 EUV aufgehoben werden. 334 Art. 8 Protokoll VKIIRL wird Z.T. als Fortschritt gegenüber dem Sozial protokoll gewertet, das keine Beitrittsmöglichkeit vorsah, weswegen eine Beteiligung nur im Rahmen einer Vertragsrevision denkbar war?35 Das Instrument der einseitigen Verzichtserklärung ist in jedem Fall positiv zu bewerten. Eine engere Zusammenarbeit zwischen einem Teil der Mitgliedstaaten, die hier, auch wenn es sich formal gesehen um ein opt-out handelt, im Ergebnis vorliegt, sollte den Außenseitern jederzeit offenstehen. Die Regelung des Art. 8 Protokoll VK IIRL ist ein wichtiges Signal in diese Richtung. 336 Dieser positive Eindruck wird allerdings dadurch getrübt, daß für das Vereinigte Königreich keine vergleichbare Regelung existiert. Dieser Mitgliedstaat scheint sich der Dauerhaftigkeit seiner Außenseiterrolle sicher zu sein. Dann stellt sich aber die Frage, wie ein Verzicht Irlands möglich sein kann, wenn das Vereinigte Königreich die common travel area nicht aufgeben möchte, oder aber wie die Sonderstellung des Vereinigten Königreichs zu rechtfertigen wäre, wenn mit Irland keine common travel area bestünde, was Voraussetzung für den Verzicht Irlands auf das Protokoll wäre.
3. Die Sonderregelungen Dänemarks Der Sonderstatus Dänemarks richtet sich nach Teil I des Protokolls über die Position Dänemarks 337 . Im Unterschied zu Irland und dem Vereinigten Königreich liegen die Ursachen für die Außenseiterrolle Dänemarks nicht an objektiven Gegebenheiten oder Verpflichtungen gegenüber Drittstaaten, sondern an der dänischen Verfassungslage. Diese läßt eine Vergemeinschaftung der Bereiche Visa, Asyl und Thun-Hohenstein. Der Vertrag von Amsterdam, S. 59. Kortenberg. CMLR 1998, S. 838; Petite, RMUE 1997, S. 47. 336 Zumal trotz den Lehren des Sozialprotokolls auch das Schengen-Protokoll keine vergleichbare Regelung enthält. 337 Protokoll (Nr. 5) über die Position Dänemarks, im folgenden Protokoll DK. 334
335
III. Sonderregelungen in Titel IV EGV
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andere den freien Personenverkehr betreffende Politiken und die darin liegende Kompetenzübertragung an die Gemeinschaft nicht ZU. 338
a) Opt-out ohne Beteiligungsoption
Art. I und 2 Protokoll DK entsprechen hinsichtlich opt-out, mangelnder Bindungswirkung und Anwendbarkeit der Vorschriften und des Verfahrens exakt den Art I und 2 Protokoll VKIIRL. Hier kann also auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Das gleiche gilt für die Finanzierung, denn Art. 3 Protokoll DK hat den gleichen Wortlaut wie Art. 5 Protokoll VK / IRL. Bemerkenswert ist, daß im Gegensatz zu dem Protokoll VKIIRL für Dänemark, abgesehen von Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands nach Art. 5 Protokoll DK, keine Möglichkeit zum opt-in oder zur nachträglichen Beteiligung an einzelnen Maßnahmen geschaffen wurde. An Maßnahmen des Titels IV, die nicht mit der Weiterentwicklung oder Modifikation des SchengenBesitzstands zusammenhängen, ist keine Beteiligung Dänemarks möglich.
b) Beitrittsmäglichkeit Dänemarks
Dänemark kann jedoch, ähnlich wie Irland, nach Art. 7 Protokoll DK jederzeit ganz oder teilweise auf das Protokoll verzichten. Hierfür bedarf es lediglich einer Mitteilung an die übrigen Mitgliedstaaten. Zu beachten ist aber, daß ein Verzicht auf Teile des Protokolls möglich ist, d. h. Dänemark kann z. B. auf die Art. I - 3 oder auf Art. 6 Protokoll DK, also auf den Sonderstatus für einen bestimmten Bereich, verzichten. 339 Die Möglichkeit des Teilverzichts bezieht sich auf die im Protokoll enthaltenen unterschiedlichen Regelungsmaterien des Titels IV EGV und der Verteidigungspolitik im Rahmen der GASP. Die Anwendung des Protokolls auf einzelne Maßnahmen des Titels IV ist hingegen nicht disponibel. So kann Dänemark sich nicht an einzelnen Maßnahmen beteiligen, sondern nur den gesamten Besitzstand des Titels IV EGV unwiderruflich übernehmen. 4. Fazit Vergleicht man die Protokolle zu Titel IV EGV mit dem Schengen-Protokoll, so fallen wiederum besonders die stark differierenden Beteiligungsmöglichkeiten der Außenseiterstaaten auf. So ist sowohl bei Dänemark als auch bei den beiden Inselstaaten schon innerhalb des Schengen-Protokolls zwischen verschiedenen opt-in338
Ehlermann, EuR 1997, S. 384; Kortenberg, CMLR 1998, S. 836; Meyring, EuR 1999,
339
Vgl. Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam, S. 60.
313.
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4. Kap.: Konkrete Flexibilität
Möglichkeiten zu differenzieren. Diese Vielfalt wird durch die Protokolle zu Titel IV EGV, die wiederum andere Regelungen treffen, noch multipliziert. Während es sich bei Irland und dem Vereinigten Königreich nur um formelle Fragen handelt, ist für Dänemark gar keine Beitrittsmöglichkeit zu Maßnahmen des Titels IV EGV vorgesehen, die sich nicht auf die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands beziehen. Dadurch wird die Abgrenzung zwischen Bestimmungen zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands und regulären Maßnahmen nach Art. 61 ff. EGVessentiell. Anders als die Schengen-Zusammenarbeit werden die Handlungen innerhalb des Titels IV nicht als verstärkte Zusammenarbeit bezeichnet. Dementsprechend verweisen die Protokolle VK/IRL und DK auch nicht auf die Vorschriften der Art. 43 ff. EUV, sondern treffen eigene Regelungen. Faktisch handelt es sich aber um eine primärrechtlich konkret verankerte Form verstärkter Zusammenarbeit, denn die Art. 61 ff. EGV schaffen die Grundlage für die Zusammenarbeit von 12 Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Regelung des freien Personenverkehrs, auch wenn nominell mit den Protokollen ein opt-out der drei übrigen Mitgliedstaaten vorliegt. Die institutionellen und finanziellen Regelungen entsprechen inhaltlich den betreffenden Vorschriften der verstärkten Zusammenarbeit. Deshalb ist wenig verständlich, daß die Protokolle zu Titel IV EGV gar keinen Bezug auf die verstärkte Zusammenarbeit nehmen. Dies ist möglicherweise auf den Zeitdruck der Vertragsverhandlungen zurückzuführen. Es zeigt, daß durch die ad-hoc-Regelung von Flexibilität häufig ein Flickwerk an Bestimmungen entsteht, die sich zum Teil ähneln, zum Teil jedoch wieder voneinander abweichen. Dadurch ergibt sich ein hochgradig komplexes, unübersichtliches Normengefüge, das wenig zur Akzeptanz und Praktikabilität flexibler Vorschriften beitragen kann. Die dauerhafte Außenseiterrolle Großbritanniens ist besonders bedenklich, da die Art. 61 ff. EGV der Verwirklichung des freien Personenverkehrs des Binnenmarktes gern. Art. 14 EGV dienen. Die Herstellung eines Raums ohne Binnengrenzen wird durch nationale Zugangspolitiken erheblich gestört. 340 In der Literatur wird deshalb bemängelt, diese Ausnahmeregelungen führten nicht nur zu einem Stillstand, sondern sogar zu einem Rückschritt der Integration, da Ausnahmen vom Prinzip des freien Personenverkehrs im Binnenmarkt begründet würden. 341 Nachdem der freie Binnenmarkt bislang noch nicht vollständig verwirklicht ist, handelt es sich zwar nicht um einen Rückschritt in der Sache. In integrationspolitischer Hinsicht muß man aber von einem Rückschritt sprechen, da zwei Mitgliedstaaten aus der Verwirklichung eines zentralen gemeinsamen Ziels aussteigen.
340 341
Müller-Graf!, integration 1997, S. 273. Meyring, EuR 1999, S. 313; Müller-Graf!, integration 1997, S. 275.
IV. Das opt-out Dänemarks in der Verteidigungspolitik
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IV. Das opt-out Dänemarks in der Verteidigungspolitik 1. Opt-out ohne Beteiligungsoption In dem im vorigen Punkt behandelten Protokoll DK behält sich Dänemark über die Sonderregelungen zu Titel IV EGV hinaus einen Sonderstatus für die Ausarbeitung und Durchführung von Beschlüssen und Maßnahmen der Union mit verteidigungspolitischem Bezug vor?42 Das bedeutet, daß sich Dänemark nicht an Aktivitäten beteiligt, die den Einsatz militärischen Personals vorsehen. 343 Es nimmt nicht an der Annahme solcher Beschlüsse teil und wird dadurch weder rechtlich noch finanziell gebunden. 344 Dänemark hat in einer Erklärung auf die Ausübung des Vorsitzes gern. Art. 18 EUV verzichtet. 345 Als Spezialfall zu Art. 11 11 EUV normiert Art. 6, S. 1, 2. HS Protokoll DK ein dem Art. 44 11 S. 2 EUVentsprechendes Obstruktionsverbot, d. h. Dänemark verpflichtet sich, die anderen Mitgliedstaaten nicht an der Entwicklung einer engeren Zusammenarbeit zu hindern. Eine Beteiligung Dänemarks an einzelnen Maßnahmen, also ein opt-in, wie es etwa in Art. 5 Schengen-Protokoll für das Vereinigte Königreich und Irland normiert ist, ist nicht vorgesehen.
2. Beitritt durch einseitige Verzichtserklärung Dänemark kann jedoch nach Art. 7 Protokoll DK auf das gesamte Protokoll oder auf Teile davon verzichten. Es könnte z. B. die in Art. 6 Protokoll DK enthaltenen Sonderrechte aufgeben und seine Außenseiterrolle dadurch auf das Gebiet des Titel IV EGV beschränken.
Art. 6, S. 1 Protokoll DK. Wie schon in Kapitel 3, Punkt 11., erwähnt wurde, sind unter Maßnahmen mit verteidigungspolitischem Bezug in einer weiten Auslegung alle Aktivitäten mit der Beteiligung militärischen Personals verstanden. 344 Art. 6, S. 2-3 Protokoll DK. 345 Dänemark und der Vertrag über die Europäische Union, Europäischer Rat in Edinburgh am 11. und 12. 12. 1992. Schlußfolgerungen des Vorsitzes, Teil B. ABI. Nr. C 348/1 vom 31. 12. 1992, S. 3, Anlage 2; s. auch Münch, ZÖR 1997, S. 404. 342
343
Fünftes Kapitel
Flexible Integration - eine Abkehr von der Einheitlichkeit der Rechtsordnung? Flexible Integration spielt in den Verträgen von Amsterdam und Nizza sowohl hinsichtlich ihrer Quantität als auch hinsichtlich ihrer Anwendungsfelder eine erhebliche Rolle im Gesamtkonzept der Verträge der Europäischen Union. Insofern liegt die Überlegung nahe, ob darin generell eine Abkehr von bewährten Grundlagen der europäischen Zusammenarbeit, namentlich der Einheitlichkeit der Rechtsordnung zu sehen ist, und ob Flexibilität von Uniformität zu Diversität in der Europäischen Union führt. Des weiteren stellt sich die Frage, ob sich die verschiedenen Formen flexibler Integration in diesem Punkt unterscheiden und welche Art der Differenzierung vor diesem Hintergrund vorzuziehen ist.
I. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung Die europäische Gemeinschaft ist eine "Rechtsgemeinschaft".\ Das Recht sichert die Ordnung und den Bestand der Union. 2 Es schafft den Rahmen für die wirtschaftlichen und politischen Zielsetzungen der Europäischen Union. Dieser einheitliche Rahmen bildet die Grundlage des europäischen Zusammenschlusses und gibt Instrumente für die Durchsetzung der Ziele zur Hand. 3 In engem Zusammenhang damit steht die Einheitlichkeit des institutionellen Rahmens gern. Art. 3 I EUV. Die Schaffung und Aufrechterhaltung einer einheitlichen Rechtsordnung ist ohne eine einheitliche institutionelle Struktur nicht denkbar. 4 Auch die Entwicklung einer politischen Öffentlichkeit ist in hohem Maße davon abhängig. 5 \ Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 51 ff.; ders., in: ders., Europäische Reden, Stuttgart 1979, S. 341. 2 Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 51 ff.; Everling, Das Vorabentscheidungsverfahren, S. 81. 3 Hatje, EuR 1998 - Beiheft 1, S. 7; Fiedler, JZ 1996, S. 63; Becker, EU-Erweiterung und differenzierte Integration, S. 73; EuGH Rs. 6/64 (Costa/E.N.E.L.), Slg. 1964, S. 1251, 1269 ff.; s. hierzu auch: Everling, in: ders., Gemeinschaftsrecht im Spannungsfeld von Politik und Wirtschaft, S. 60 ff., 70 ff. 4 Martenczuk, EuR 2000, S. 359. 5 Martenczuk, EuR 2000, S. 359.
I. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung
253
Die Einheitlichkeit der Rechtsordnung ist also kein Selbstzweck. 6 Sie dient der Gewährleistung der Gleichheit aller Unionsbürger sowie der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten7, denn ohne Solidarität ist ein Zusammenschluß von Staaten nicht denkbar. 8 Dementsprechend wird die Einheit der Rechtsordnung auch als "Garant des Zusammenhalts,,9 bezeichnet. Abgesehen von grundsätzlichen Überlegungen sind die Mitgliedstaaten in der Praxis nur bereit, in bestimmten Bereichen Zugeständnisse zu machen, wenn sie davon ausgehen können, daß dies in der Regel auch für andere Mitgliedstaaten gilt. 1O Die Gleichbehandlung aller Wirtschaftsteilnehmer und Unionsbürger kann ebenfalls nur durch eine einheitliche Geltung und Anwendung des Rechts erreicht werden. Überdies sichert Rechtseinheit die Transparenz der Rechtsordnung I I und trägt somit zur Stärkung des Vertrauens der Bürger in diese Rechtsordnung bei,12 ein Aspekt, dem immer mehr Bedeutung beigemessen wird. 13 Aus alledem wird die grundlegende Bedeutung der Rechtseinheit deutlich. Das Postulat der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts gilt dennoch nicht absolut. 14 Von jeher existieren, abgesehen von Beispielen differenzierter Integration, Ausnahmen von diesem Grundsatz. Ein Beispiel ist die Richtiinie. ls Sie ist gern. Art. 249 III EGV lediglich hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, die Mitgliedstaaten haben jedoch ein Ermessen bezüglich der Form der umsetzenden Rechtsakte und der Mittel zur Durchsetzung des Ziels. Außerdem gewährt die Richtlinie den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist und ermöglicht so eine zeitlich verzögerte Rechtsangleichung. Der Spielraum der Mitgliedstaaten dient unter anderem dazu, das nationale Recht in Bereichen, in denen dies nicht unbedingt erforderlich oder auch aufgrund mangelnder Kompetenz der Gemeinschaft nicht umfassend möglich ist, nicht übermäßig zu vereinheitlichen, sondern ein flexibles Rechtsangleichungsinstrument zu wählen. 16 6 Vgl. Scharpf, JMWP 07/01, Punkt 6.2: " ... centralization and uniforrnity are not values in themselves ... ". 7 Hatje, EuR 1998 - Beiheft I, S. 7; Becker; EU-Erweiterung und differenzierte Integration, S. 74f.; Oppermann, EuR, Rn. 534; EuGH verb. RSen. 146, 192 u. 193/81 (BayWa/ BALM), Slg. 1982, S. 1503 Rn. 30; (zur Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer). Rs. 39/72 (Kommission/Italien), Sig. 1973, S. 101 Rn. 24f. (zur Gleichbehandlung der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten). 8 Martenczuk, EuR 2000, S. 363. 9 Zuleeg, NJW 1994, S. 548. 10 Zu dieser "Zweckrationalität" der einheitlichen Wirkung des Gemeinschaftsrechts vgl. Nettesheim, in: GS: Grabitz, S. 451. 11 Kadelbach, EuR 1998 - Beiheft 2, S. 55. 12 Zuleeg, ZEuP 1994, S. 488. 13 Vgl. nur Dehaenelv. WeizsäckerlSimon, Institutional Implications of Enlargement, Punkt 1.4. 14 Vgl. Calliess/Ruffert-Wegener; EUV /EGV-Kommentar, Art. 220 EGV Rn. 18. IS Vgl. GajalHaylRotunda, in: Cappelletti/Seccombe/Weiler, Integration Through Law, vol.l, book 2, S. 128 ff.
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5. Kap.: Flexible Integration
Des weiteren gibt es etwa im Bereich der Grundfreiheiten Ausnahmeregelungen, nach denen die Mitgliedstaaten aufgrund zwingender nationaler Erfordernisse oder zum Schutz der in den Art. 30, 39 IV, 46, 55 i.Y.m. 46 und 58 EGV genannten Rechtsgüter von den unmittelbar geltenden Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten abweichen können. Zwar sind diese Vorschriften als Ausnahmevorschriften eng auszulegen,17 und es handelt sich jeweils um relativ bedeutende nationale Schutzgüter. Dennoch ist hier in zentralen Bereichen der Integration die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung in der Gemeinschaft durchbrochen. 18
11. Die Erscheinungsformen flexibler Integration vor dem Hintergrund der Einheitlichkeit der Rechtsordnung Die Rechtseinheit ist ein Ideal, welches in der Praxis nicht konsequent durchgehalten wird. 19 Allein die Tatsache, daß sich durch Flexibilität für die Mitgliedstaaten Unterschiede im Umfang des anzuwendenden Rechts ergeben, läßt also nicht auf eine Aufgabe des sogenannten traditionellen Integrationskonzepts schließen. Dennoch stellt sich die Frage, ob Regelungen, die nicht für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen gelten, überhaupt mit dem bisherigen System des Gemeinschaftsrecht in Einklang zu bringen sind, oder ob das Prinzip der Einheit durch ein Prinzip der Flexibilität abgelöst wird. 1. Konkrete Flexibilität
Beispiele für konkrete Flexibilität sind die Bestimmungen der WWU, die optouts für die Schengen-Zusammenarbeit, für Titel IV EGV sowie das opt-out Dänemarks in der Verteidigungspolitik. Abgesehen von den Ausnahmeregelungen für die dritte Stufe der WWU 20 handelt es sich jeweils um in Protokollen festgelegte Sonderregelungen für einzelne Mitgliedstaaten. Ein maßgeblicher Vorteil dieser auf Vertragsebene vorgesehenen konkreten Flexibilitätsregelungen ist die Möglichkeit der exakten Abstimmung auf die jeweiligen Bedürfnisse und Interessen. Die Kehrseite ist die Existenz zahlreicher, unterschiedlicher Einzelvorschriften. Innerhalb einer Thematik gibt es differierende Sondervorschriften, so daß ein äußerst komplexes, mehrfach abgestuftes Rege16 Vgl. zu ähnlichen Rechtsformen im US-Recht Gaja/Hay/Rotunda, in: Cappelletti/ Seccombe/Weiler, Integration Through Law, voLl, book 2, S. 126 f. 17 EuGH Rs. 29/72 (Marimex), Slg. 1972, S. 1309 Rn. 4; Rs. 46/76 (Bauhuis), Sig. 1977, S. 1 Rn. 12/15; Rs. 113/80 (Kommission/Irland), Sig. 1981, S. 1625 Rn. 7; Rs. 205/89 (Kommission/Griechenland), Sig. 1991,1-1361 Rn. 9, für Art. 30 bzw. 36 a.F. EGY. 18 s. de Burca, in: de Burca/ Scott, Constitutional Change, S. 140. 19 Walker, EU 1998, S. 286; Kadelbach, EuR 1998 - Beiheft 2, S. 51 f. 20 Art. 122 EGY.
11. Die Erscheinungsfonnen flexibler Integration
255
lungssystem entsteht. Schon die Vielzahl der Normen, die jeweils auf konkrete Situationen abgestimmt sind, führt zu Unklarheiten in der Rechtsanwendung. Dazu kommt, daß die Vorschriften oft mangelhaft koordiniert sind, da über die Sonderpositionen der einzelnen Mitgliedstaaten im Rahmen der Regierungskonferenz häufig unter Zeitdruck verhandelt werden muß. Insgesamt ergibt sich ein sehr uneinheitliches und damit intransparentes Normengefüge. Unter dieser Intransparenz leidet zum einen eine effiziente Anwendung der Vorschriften, zum anderen sinkt aufgrund der mangelnden Verständlichkeit die Akzeptanz unter den Wirtschaftsteilnehmern und Bürgern. 21 Im Hinblick auf das Ziel eines Europas der Bürger ist daher die Tendenz, Differenzen durch Sonderregelungen beizulegen, äußerst bedenklich. Ein weiterer Gesichtspunkt ist, daß das Schengen-Protokoll und die Protokolle zu Titel IV EGV Kernbereiche der Integration betreffen, und eine Differenzierung in Bereichen stattfindet, die aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für den Binnenmarkt grundsätzlich einheitlichen Regelungen vorbehalten sein sollten. Zwar ergibt sich aus den vertraglichen Ausnahmeregelungen für die Wirtschafts- und Währungsunion, daß es sich bei der Aufspaltung zwischen beteiligten und nicht beteiligten Mitgliedstaaten um einen vorübergehenden Zustand handeln soll. Bei den einzelnen opt-outs ist dies jedoch nicht der Fall. Die Sonderregelungen für den Schengen-Besitzstand sehen nicht einmal eine Beitrittsmöglichkeit vor. Die explizite Anerkennung dauerhafter Sonderstellungen einzelner Mitgliedstaaten ist mit dem Ziel einer grundsätzlich einheitlichen Integration nicht zu vereinbaren. Auch aus institutioneller Sicht ergeben sich Einwände. Zwar wird die Besetzung der Organe nur für den Rat geändert. Der Rat kommt aber aufgrund der verschiedenen Beteiligungsformen in unterschiedlicher Besetzung zusammen. Innerhalb der Schengen-Zusammenarbeit tagt der Rat unter Umständen in vier verschiedenen Zusammensetzungen. 22 In diesem Fall kann nicht mehr von einem einheitlichen institutionellen Rahmen gesprochen werden. Schließlich ist zu bedenken, daß die Reichweite und die Existenz des jeweiligen Sonderstatus maßgeblich von der Verhandlungsposition der betreffenden Mitgliedstaaten abhängt. Darüber hinaus ist etwa der Schengen-Besitzstand von den Beitrittskandidaten vollständig zu übernehmen, wohingegen für aktuelle Mitgliedstaaten ein dauerhaftes opt-out besteht. Derartige Sonderregelungen, die einzelnen Mitgliedstaaten das Recht einräumen, über ihre Teilnahme an der Verwirklichung gemeinsamer Politiken, ja sogar über die Anwendung einzelner Vorschriften, frei zu entscheiden, stehen in eklatantem Widerspruch zu dem Gedanken der Gleichbehandlung und Solidarität aller Mitgliedstaaten. Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß konkrete Flexibilität, wie sie derzeit im Gemeinschafts- und Unionsrecht besteht, für die Einheitlichkeit und 21 22
s. Curtin, in: Ehlennann, Der rechtliche Rahmen, S. 81; Martenczuk, EuR 2000, S. 359. Curtin, in: Ehlennann, Der rechtliche Rahmen, S. 80.
256
5. Kap.: Flexible Integration
Transparenz der Rechtsordnung erhebliche Risiken birgt. Wenn der Umfang solcher Regelungen zunimmt, entsteht eine Union Cl la carte, weIche in der Tat eine Abkehr vom Grundsatz der Einheitlichkeit und der Solidarität unter den Mitgliedstaaten beinhalten würde. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß gerade die Fälle konkreter Flexibilität, wie etwa die Schengen-Zusammenarbeit, die WWU oder auch das Protokoll zur Sozialpolitik, in der Vergangenheit zur Überwindung nationaler Vorbehalte und zu einem signifikanten Integrationsfortschritt geführt haben. Der Gemeinschaft wurden dadurch im Bereich der Währungsunion und der Visa- und Asylpolitik Kompetenzen zugewiesen, die zwar durch die Ziele und Aufgaben bereits angelegt, aber bis dahin nicht realisierbar waren.
2. Case-by-case- Flexibilität Als Beispiele für case-by-case- oder ad-hoc-Flexibilität sind die konstruktive Enthaltung, die Schutzklauseln bei der Rechtsangleichung und - im Vertrag von Amsterdarn - die Möglichkeit für Mitgliedstaaten, die nicht Vollmitglieder der WEU sind, bei der Durchführung von Maßnahmen der gemeinsamen Sicherheitsund Verteidigungspolitik durch die WEU über ihre Teilnahme zu entscheiden, zu nennen. Case-by-case-Flexibilität ennöglicht in Einzelfällen Abweichungen vom allgemeinen geltenden Integrationsniveau für einzelne Mitgliedstaaten. Diese Option steht im Gegensatz zur konkret ausgestalteten Flexibilität allen Mitgliedstaaten offen. Die Rahmenbedingungen sind vertraglich festgelegt und damit für alle Anwendungsfälle, insbesondere für alle Mitgliedstaaten einheitlich geregelt. Darüber hinaus betrifft diese Möglichkeit in der Regel lediglich einzelne Maßnahmen oder Rechtsakte, so daß eine starre Gruppenbildung nicht zu befürchten ist.
Abgesehen von diesen Aspekten, sind die Beispiele für ad-hoc-Flexibilität sehr unterschiedlich, bezogen auf die einschlägige Materie, ausgestaltet, so daß eine einheitliche Beurteilung schwierig ist. Insgesamt betrachtet ennöglicht case-bycase-Flexibilität trotz unterschiedlicher Standpunkte in kleinem Umfang Fortschritte Sie bietet deshalb eine Möglichkeit, angemessen und ohne Beeinträchtigung für die einheitliche Entwicklung auf die unterschiedlichen Ansprüche und Funktionen einer heterogenen Union zu reagieren. 23 Allerdings kommt etwa bei der Inanspruchnahme nationaler Schutzverstärkungsklauseln lediglich einzelnen Mitgliedstaaten eine Vorreiterrolle zu. Von einer Gruppe von Mitgliedstaaten gehen demgegenüber viel stärkere Impulse für gemeinsame Fortschritte aus. Überdies sind nationale Alleingänge einzelner Staaten, weIche z. B. im Bereich des Umweltschutzes höhere Kosten verursachen, gegen23
s. Weatherill, in: Usher, Flexibility or Fragmentation, S. 5.
11. Die Erscheinungsformen tlexibler Integration
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über der heimischen Industrie kaum zu rechtfertigen. 24 Diese Form der tlexiblen Integration entfaltet deshalb, wenn überhaupt, nur in kleinem Umfang Impulsfunktion. Sie ist überdies begritfsnotwendig auf Einzelfälle beschränkt und ist zur Bewältigung komplexer Materien nicht geeignet.
3. Die Generalklausel der verstärkten Zusammenarbeit Die Generalklausel der verstärkten Zusammenarbeit ermöglicht anders als die case-by-case-Flexibilität ein Voranschreiten einer Gruppe von Mitgliedstaaten in größerem Umfang. Dies kann sich durch Vorbild- und Impulsfunktion positiv auf die Integration aller Mitgliedstaaten auswirken. Ebenso erhöht sich dadurch grundsätzlich auch die Gefahr einer Kerngruppenbildung und einer dauerhaften Fragmentierung der Union. Um dies zu verhindern, enthalten die Vorschriften der verstärkten Zusammenarbeit zahlreiche Schutzbestimmungen. Der bestehende Besitzstand bleibt durch Flexibilität unangetastet. 25 Überdies sichern die Vorschriften über verstärkte Zusammenarbeit u. a. durch den Ausschluß der Bereiche ausschließlicher Gemeinschaftszuständigkeit26 und den Schutz vor Beeinträchtigungen des Binnenmarkts 27 und des ungestörten Wettbewerbs 2H die Einheitlichkeit des Rechts in den zentralen Politikfeldern. Die Stimmengewichtung im Rat wird zwar für die Beschlüsse in verstärkter Zusammenarbeit der Anzahl der beteiligten Mitgliedstaaten angepaßt, davon abgesehen ergeben sich aber für die anderen Organe keine institutionellen Veränderungen. Überdies darf die Zusammensetzung der Organe auch innerhalb der engeren Kooperation nicht modifiziert werden,29 so daß der einheitliche institutionelle Rahmen weitgehend gewahrt bleibt. Die Abspaltung einer Kerngruppe, die sich aus dem institutionellen und materiellen Rahmen der Union löst, wird dadurch verhütet. Einer dauerhaften Spaltung wird insbesondere auch durch den Grundsatz der Offenheit 30 und durch die objektive Ausgestaltung des Beitrittsmechanismus vorgebeugt. Im Rahmen verstärkter Zusammenarbeit stehen grundsätzlich allen Mitgliedstaaten die gleichen Rechte zu. Eine generell gültige Flexibilitätsklausel hat gegenüber konkreter Flexibilität den Vorteil, daß alle Fälle, in denen Mitgliedstaaten sich nicht beteiligen können oder wollen, gleich behandelt werden und ihr Sonderstatus nicht von der jeweiligen Verhandlungposition abhängig ist. Darüber Müller-Brandeck-Bocquet. integration 1997, S. 299. Art. 43 I lit. e) EUV, Art. 43 lit. c) EUV-Nizza. 26 Art. 11 I lit. a) EGV, Art. 43 lit. d) EUV-Nizza. 27 Art. 43 lit. e) EUV-Nizza. 2H Art. 11 I lit. e) EGV, Art. 43 lit. f) EUV-Nizza. 29 Art. 43 I lit. b) EUV, Art. 43 lit. b) EUV-Nizza. ,0 Art. 43 I lit. g) EUV, Art. 43 lit. g) i.V.m. 43 b EUV-Nizza.
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5. Kap.: Flexible Integration
hinaus wird durch einige Vorschriften, wie etwa das Obstruktionsverbot31 oder das Gebot der Förderung der Teilnahme der zunächst nicht beteiligten Mitgliedstaaten,32 die Loyalität und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten unterstrichen. Diese Aspekte betonen eine gemeinsame Weiterentwicklung als Endziel verstärkter Zusammenarbeit. Das ultima-ratio-Prinzip sichert den Vorrang des einheitlichen Vorgehens. Neben allen anderen Vorschriften, welche den Anwendungsbereich der verstärkten Zusammenarbeit einschränken, wird vor allem an diesem Grundsatz deutlich, daß es sich bei Flexibilität nach den Vorschriften der Art. 43 ff. EUV nicht um ein neues Strukturprinzip handelt.
III. Fazit Aufgrund der Vielfalt der politischen Vorstellungen und der tatsächlichen Gegebenheiten in den verschiedenen Mitgliedstaaten ist für das Funktionieren der Rechtsgemeinschaft in vielen Bereichen ein gewisses Maß an Flexibilität erforderlich, wie sich nicht zuletzt an den verschiedenen opt-out-Regelungen zugunsten einzelner Mitgliedstaaten zeigt. Rechtseinheit kann nur realisiert werden, wenn den Mitgliedstaaten ein gewisser Handlungsspie\raum verbleibt. Zwar ist die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts eine Grundvoraussetzung für die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, weil diese nur dann bereit sind, Souveränitätsvorbehalte aufzugeben, wenn diese Verpflichtung alle Mitgliedstaaten gleichermaßen trifft. Andererseits setzt dies auch voraus, daß manche nationale Besonderheiten berücksichtigt werden können. Es ist nicht Ziel des europäischen Zusammenschlusses, völlige Uniformität zu schaffen und alle nationalen Eigenheiten zu beseitigen. Die Möglichkeit zu flexiblem Vorgehen in manchen Bereichen steigert die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, einheitlich geltendes Gemeinschaftsrecht tatsächlich einheitlich anzuwenden. 33 Vor diesem Bedürfnis nach Flexibilität darf die Bedeutung der Einheitlichkeit der Rechtsordnung nicht vergessen werden. Nicht jede Form flexibler Integration, welche zur Überwindung nationaler Blockaden und Vorbehalte und damit zur Bewältigung der wachsenden Heterogenität der Union geeignet ist, ist in Anbetracht der durch eine Zersplitterung und Intransparenz der Rechtsordnung drohenden Gefahren hinzunehmen. Differenzierungen nach dem Muster der konkreten Flexibilität führen schon jetzt zu einer Abkehr von maßgeblichen Grundlagen der Union und der Gemeinschaft. Bereichsumfassende Sonderregelungen für verschiedene Mitgliedstaaten bewirken Art. 43 11 EUV, Art. 44 11 EUV-Nizza. Art. 43 b, S. 3 EUV-Nizza. 33 Zu den Problemen im mitgliedstaatlichen Vollzug des Gemeinschaftsrechts s. Hatje, Europarecht 1998 - Beiheft I, S. 10 ff. 31
32
IV. Ausblick
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eine Zersplitterung des Rechts, die Sonderpositionen gefährden die Solidarität unter den Mitgliedstaaten und die Gleichbehandlung der Unionsbürger. Eine Zunahme solcher opt-outs würde zu einem Paradigmenwechsel in der Europäischen Union führen, durch den Flexibilität nach Art eines Europe La carte etabliert würde.
a
Die case-by-case-Flexibilität stellt in ihrer gegenwärtigen Erscheinungsform keine Bedrohung für die Einheit der Rechtsordnung dar, weil sie auf Einzelfälle beschränkt ist. In großem Umfang könnte freilich auch diese Art von Flexibilität zu einer Zersplitterung des Rechts beitragen. In einem gewissen Maß bietet sie jedoch die Möglichkeit, den Anforderungen einer heterogenen Union gerecht zu werden. Die Frage, ob diese case-by-case-Flexibilität in allen Fällen, etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik, politisch wünschenswert ist, hängt stark von der Regelungsmaterie ab. Anders als bei den verschiedenen Erscheinungsformen der konkreten Flexibilität ist bei der verstärkten Zusammenarbeit durch die Zulässigkeitsbedingungen die Einheitlichkeit des Rechts und des institutionellen Rahmens so weit als möglich gesichert. Die Aufnahme der verstärkten Zusammenarbeit in das Rechtssystem der Europäischen Union bedeutet ohne Zweifel die Akzeptanz flexibler Integration als legitime Handlungsoption zur Überwindung von Blockadesituationen. Die europäische Zusammenarbeit wird in Zukunft ohne Flexibilität nicht funktionieren und sich deshalb noch einen Schritt weiter vom Ideal der Rechtseinheit entfernen. Ein Paradigmenwechsel 34 im Sinne eines Wandels von Uniformität zu Flexibiliät und einer dadurch bedingten Abkehr vom Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung wird durch die verstärkte Zusammenarbeit in den Verträgen von Amsterdam und Nizza jedoch nicht vollzogen.
IV. Ausblick Die verstärkte Zusammenarbeit ist als umfassend anwendbare Generalklausel Einzelfallregelungen konkreter Flexibilität vorzuziehen. In Spezialfällen, wie z. B. der Wirtschafts- und Währungsunion, kann eine auf die konkreten Bedürfnisse angepaßte flexible Regelung zwar durchaus sinnvoll sein. Dies sollte jedoch auf Ausnahmefälle beschränkt werden und statt dessen so weit wie möglich auf das Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit zurückgegriffen werden. Die einheitliche Behandlung flexibler Kooperationen minimiert deren· Komplexität und hält sie in einem relativ transparenten Rahmen. Überdies wird dadurch die Einhaltung der erforderlichen Grenzen sichergestellt. Vor allem aber sollte in Zukunft auf opt-out-Regelungen zugunsten einzelner Mitgliedstaaten verzichtet werden, da neben erheblicher Intransparenz den betref34 In diesem Sinne de Burea/ Seat!, in: dies., Constitutional Change, S. I; Giering, integration 1997, S. 82.
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5. Kap.: Flexible Integration
fenden Mitgliedstaaten Sonderrechte eingeräumt werden, welche im wesentlichen auf eine starke Verhandlungsposition zurückzuführen sind. Derartige Sonderpositionen können im Einzelfall im Rahmen von Kompromißlösungen sinnvoll sein, widersprechen aber grundsätzlich der Solidarität aller Mitgliedstaaten. Flexibilität wird insbesondere nach der bevorstehenden Erweiterung aufgrund der zunehmenden Heterogenität der Union ein dauerhaftes Phänomen der europäischen Integration bleiben. Ohne flexible Lösungen können Blockaden einzelner Mitgliedstaaten und eine damit verbundene Stagnation des Integrationsprozesses nicht verhindert werden. Flexibilität muß jedoch immer als Kompromiß und als subsidiäre Option angesehen werden. Auch wenn das Spannungsfeld zwischen Erweiterung und Vertiefung durch flexible Integration scheinbar zu einem Ausgleich gebracht werden kann, darf Flexibilität nicht zu einem Strukturprinzip in der Europäischen Union werden. Eine Anerkennung flexibler Integration als gleichrangige Handlungsform oder gar eine Ausweitung würde die bestehenden Grundlagen der Europäischen Union bedrohen. Der Konflikt zwischen Erweiterung und Vertiefung kann durch Flexibilität nicht dauerhaft gelöst werden. Hier sind tatsächliche Strukturreformen erforderlich. Um das Handeln in der Union wieder auf einen breiteren Konsens zu stellen, bedarf es vor allem einer Einigung über die Form der Weiterentwicklung der Union sowie einer klaren Definition der Ziele des europäischen Zusammenschlusses.
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Stichwortverzeichnis Abkommen zur Sozialpolitik - Rechtsnatur 40 acquis communautaire 64, 86, 130 AETR-Doktrin 136 Asylpolitik 245 Auslegung 48, 126, 169 Auslegungsmaßstab 169 Auslösemechanismus 100 Ausscheiden eines Mitgliedstaats 154 ausschließliche Zuständigkeit 69,87 Ausschüsse 121 Außenkompetenz 75, 137 - Ausübung 138 Austritt - vZA 154 Beeinträchtigungsverbot 77 Beendigung - durch Beschluß 155 - vZA 155 Befugnisse der Gemeinschaft 81 begrenzte Kompetenzzuweisung 82 Beitritt - Verfahren 150 - Verfahren bei vZA 148 Beitritt nicht beteiligter Mitgliedstaaten 147 Belange anderer Mitgliedstaaten 89 Bereichsausnahmen 69, 91 Besitzstand 64,86, 130 Bildung 143, 146 Bindungswirkung 130 (siehe EuGH) Binnenmarkt 72,91 - Differenzierung 193 Brandt, Willy 33 Dassonville-Formel 78, 92 differenzierte Integration 25 Differenzierung - externe 27 Diskriminierungsverbot 76, 78, 92
Durchführung der vZA 122 ECU 199 EEA 194 einheitlicher institutioneller Rahmen 86 Einheitlichkeit der Rechtsordnung 252 Einwanderungspolitik 245 Ermächtigungsbeschluß 105, 108, 112, 115 Ermächtigungsklauseln 31 EuGH 121 - Bindungswirkung 168 - Zuständigkeit 157 - Zuständigkeit GASP 159 Europäischer Rat 112 Europe la carte 36 EWS 198 externe Kooperation 170
a
Finanzierung 132 Flexibilität 24 - ad-hoc (siehe case-by-case) - case-by-case 31, 32, 179, 256 - externe 27 - Generalklausei 257 - justitielle 24 - konkrete 31, 197,254 - Konzepte 32 - strukturelle 24 flexible Integration - Erscheinungsformen 254 - Hintergründe 21 - Konzepte 32 - Systematisierung 28 Forschung 143 freier Personenverkehr 144 GASP94,128 - Abkommen 142 - allgemeine Leitlinien 95 - Anwendungsbereich vZA 95
Stichwortverzeichnis - gemeinsame Aktion 95 - gemeinsame Strategie 95 - gemeinsamer Standpunkt 95 - Grundsätze 95 - vZA54 geistiges Eigentum 143 Gemeinschaftsaktion 97 Gemeinschaftsaktionen 80 Gemeinschaftspolitik 80, 97 Gemeinschaftsprogramrne 80, 97 Generalklausel 31, 93, 257 Gesundheitspolitik 143, 146 Grundfreiheiten 254 Grundsätze der Verträge 57 Gründungsbeschluß (siehe Ermächtigungsbeschluß) Handelsbeeinträchtigung 77, 92 Handelspolitik 144 Hintergründe 21 Integration - abgestufte 34 - differenzierte 25 Integrationsprozeß, Stärkung 85 Integrationstheorien 25 Interessen, nationale 107 Kernbereich 69 Kerneuropa 37 Klagebefugnis nicht beteiligter Mitgliedstaaten 165 Kohärenz der Union 94 Kommission 101, 111, 119 Kommissionsvorschlag 58, 104 Kompetenzverteilung 70, 135 Kompetenzzuweisung, ausdrückliche 81 konkurrierende Kompetenz 73 konstruktive Enthaltung 99,179 - Anwendungsbereich 184 - Beitritt 183 - Finanzierung 183 - I ustiziabilität 184 - Verfahren 180 - Vertrag von Nizza 185 Kultur 143, 146
lex-posterior-Regel 124, 126 lex-specialis-Regel 124, 126 Loyalitätspflicht 65 Luxemburger Kompromiß 109 mehrfache vZA 134 Mehrheitsklause1 88 Mehrheitsprinzip 63 Mindestquorum 88 Negativbedingungen 69 nicht beteiligte Mitgliedstaaten 130 Nichtigkeitsklage 160 Obstruktionsverbot 132 Offenheitsprinzip 66, 90, 93 operative Kosten 132 opt-out 197 Organleihe 116 Osterweiterung 22 Parlament 120 Partikularrecht 123 - 125 - Überprüfung durch EuGH 165 PIZ 147 - Abkommen 141 - gerichtliche Kontrolle 195 - opt-in 195 - Übereinkommen 195 - verstärkte Zusammenarbeit 111 Protokoll DK 249, 251 Protokoll VK IIRL 246 Protokoll zur Sozialpolitik 38 - Hintergründe 38 - Kritik 49 - Organleihe 43 - Parlament 45 - Rat44 - Rechtsetzung 46 - Rechtsnatur 40 - Rechtsprechung des EuGH 48 - Wettbewerb 79 Rat 117 - Vorsitz 118 Rat der Staats- und Regierungschefs 108 Rechtsangleichung 190 Rechtseinheit 253
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278
Stichwortverzeichnis
Regierungskonferenz 1996 24, 52 Regierungskonferenz 2000 53, 87 Richtlinien 253 Schengen I 222 Schengen 11 222 Schengen-Besitzstand 223 - Einbeziehung 223 - Weiterentwicklung 229 Schengen-Infonnations-System 225 Schengen-Protokoll 222 - Beitrittskandidaten 235 - Dänemark 228, 231 - Island und Norwegen 233 - I ustiziabilität 236 - Kritik 241 - opt-in 226 - opt-out 226 - Sonderregelungen 241 - Vereinigtes Königreich und Irland 226, 230 - Verhältnis zur vZA 131 - verstärkte Zusammenarbeit 90 Schutzverstärkungsklausel 91, 190, 192 Sicherheits- und Verteidigungspolitik 99 Solidaritätspflicht 65 - Vertrag von Nizza 153 Solidaritätsprinzip 253 Sozialpolitik - vZA 143, 146 Steuern 143, 146 Subsidiaritätsprinzip 135 Systematisierung 28 - bereichs bezogen 30 - einzelfallbezogen 30 - Gesamtkonzept 30 - Integrationsmechanismus 30 - Primärrecht 31 - Sekundärrecht31 - time, space, matter 29 Teilrechtsordnung 48, 123, 169 Tindemans-Bericht 34 Titel IV EGV 245 - Dänemark 248 - Irland 248 - opt-out 246, 249 - Vereinigtes Königreich und Irland 246
Übereinkommen 127 ultima-ratio-Prinzip 58, 92 Umweltpolitik 143 Unionsbürgerschaft 76, 144 - Vertrag von Nizza 97 Untätigkeitsklage 164 variable Geometrie 35 Verfahren - Anhörung des Parlaments 105 - Antrag 100, 111 - EGV 100, 113 - Ennächtigungsbeschluß 105, 108, 112, 115 - GASP 115 - Kommission 111 - Kommissionsvorschlag 101 - PIZ lll, 114 - Vertrag von Nizza 113, 115 - Vetorecht 107, 112 Verfahren der vZA - PIZ III Vennittlungsausschuß (siehe Ausschüsse) verstärkte Zusammenarbeit 52 - Abkommen 137, 139 - Allgemeine Voraussetzungen 56, 57, 59, 61,63,65,67 - Anwendungsfelder 143 - Ausscheiden 154 - Außenkompetenz 136 - Austritt 154 - Beendigung 155 - Beitritt 147,149,151,153 - Beschlüsse 122 - Besitzstand 130 - Durchführung 116, 117, 119, 121, 122, 123, 125, 127, 129, 131, 133, 135, 137, 139, 141 - EGV 68,122 - Finanzierung 132 - GASP 54, 94, 128 - Geltungsbereich 53 - Haftung 141 - Hintergründe 52 - institutionelle Auswirkungen 116 - Iustiziabilität 157 - Kommission 119 - Kritik 174
Stichwortverzeichnis -
Nichtigkeit 156 Organleihe 116 Parlament 120, 133 PIZ 82, 94, 127 Rat 117 Rechtsakte 122 Schengen-Protokoll 131 Systematik 55 Verfahren 100, 113, 115 Vertrag von Amsterdam 53 Vertrag von Nizza 54, 85, 87, 89, 91, 93, 95,97,99,133,152,177 - Voraussetzungen 67 - Vorrang des Schengen-Protokolls 90 - Zulässigkeitsbedingungen 67, 97, 85 Verteidigungspolitik 186 - Dänemark 251 Vertragsverletzungsverfahren 160 Verwaltungskosten 132 Vetorecht 107, 112 Visapolitik 245 Vorabentscheidungsverfahren 165 Weiterentwicklung der Union 84 Wettbewerbsverzerrung 77 WEU 186 - Vertrag von Amsterdam 186 - Vertrag von Nizza 189
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wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt 91 Wirtschaftspolitik 143 Wirtschaftssanktionen 18 I WSA (siehe Ausschüsse) WWU 197 - Außenkompetenz 217 - Ausnahmeregelung 206 - Beitritt 2 I 2 - Beschlußfassung 208 - Dänemark 214 - dritte Stufe 204 - erste Stufe 204 - ESZB 212 - Griechenland 207, 213 - Konvergenzkriterien 204 - opt-out214 - Schweden 206, 214 - Teilnahmekriterien 204 - Vereinigtes Königreich 215 - Währungspolitik 217 - Wechselkursmechanismus 11 209 - Wirtschaftspolitik 2 I 7 - zweite Stufe 204 Ziele der Union 56 Zusammenarbeit außerhalb der Verträge 170