Flächen - Bahnen - Knoten: Geocaching als Praktik der Raumerzeugung [1. Aufl.] 9783839429556

How do GPS and internet technology influence the creation of spaces in social practice? Paul Gebelein investigates this

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German Pages 280 Year 2015

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Table of contents :
Cover Flächen – Bahnen – Knoten
Inhalt
1. Einleitung: Was, warum und wie?
Perspektive: Praktiken – Infrastrukturen – Raum
Vorbemerkung
2. Praxissoziologische Ansätze
2.1 Begriffsklärung »Praxis« vs. »Praktik« contra »practice«
2.2 Praktik als soziologischer Grundbegriff
2.3 Praktiken und Materialität/Technik
3. Infrastrukturen: Von Steuerung zu Praxis
3.1 Klassische Infrastrukturkonzepte
3.2 Infrastrukturen und Praktiken
3.3 Infrastrukturelle Arrangements von Praktiken
4. Die räumliche Dimension von Praktiken
4.1 Raum – ein schillerndes Konzept
4.2 Raum aus soziologischer Perspektive
4.3 Raum als relationale (An)Ordnung
5. Resümee: Praktiken und ihre Räume
Raumerzeugung: Flächen – Bahnen – Knoten
Vorbemerkung
6. Die Forschungsmethode
7. Die Praktik »Geocaching«
7.1 Forschungsstand
7.2 Entstehungsgeschichte
7.3 Geocachen gehen, 2011/2012, Rhein-Main-Gebiet
7.4 Infrastrukturen des Geocachens
7.5 Das infrastrukturelle Arrangement des »Geocachings«
8. Ortsbestimmungen ...
8.1 ... aufgrund von Artefakten eines globalen Rasters: »The degree confluence project«
8.2 ... aufgrund eines Algorithmus: »Geodashing«
8.3 ... aufgrund sozialer Prozesse: »Geocaching«
8.4 GPS, WGS84 und Räume aus Flächen, Bahnen und Knoten
9. Aspekte der Raumerzeugung
9.1 Konfiguration: Einteilen
9.2 Markierungen: Platzieren
9.3 Orte/Wege/Gebiete: Auswählen
9.4 Statistiken: Zählen
9.5 Raumkonkurrenz: Abgrenzen
10. Resümee: Flächen, Bahnen, Knoten
11. Fazit: Praktiken, erzeugte Räume und soziale Koexistenz
Danksagung
Anhang
Literaturverzeichnis
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Flächen - Bahnen - Knoten: Geocaching als Praktik der Raumerzeugung [1. Aufl.]
 9783839429556

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Paul Gebelein Flächen – Bahnen – Knoten

Materialitäten Hg. von Gabriele Klein, Martina Löw und Michael Meuser | Band 22

Paul Gebelein (Dr. phil.) ist Soziologe an der TU Darmstadt. Seine Forschungsinteressen beinhalten den Zusammenhang von sozialer Praxis und Technik und die Interdisziplinarität von Soziologie und Technikwissenschaften.

Paul Gebelein

Flächen – Bahnen – Knoten Geocaching als Praktik der Raumerzeugung

Dissertation, TU Darmstadt Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft D 17

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Petair-Fotolia.com Lektorat & Satz: Paul Gebelein Korrektorat: Tanja Jentsch, 7Silben Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-2955-2 PDF-ISBN 978-3-8394-2955-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1. Einleitung: Was, warum und wie? | 7

Perspektive: Praktiken – Infrastrukturen – Raum 2. Praxissoziologische Ansätze | 23 2.1 Begriffsklärung »Praxis« vs. »Praktik« contra »practice« | 27 2.2 Praktik als soziologischer Grundbegriff | 30 2.3 Praktiken und Materialität/Technik | 45 3. Infrastrukturen: Von Steuerung zu Praxis | 53 3.1 Klassische Infrastrukturkonzepte | 54 3.2 Infrastrukturen und Praktiken | 57 3.3 Infrastrukturelle Arrangements von Praktiken | 64 4. Die räumliche Dimension von Praktiken | 69 4.1 Raum – ein schillerndes Konzept | 70 4.2 Raum aus soziologischer Perspektive | 71 4.3 Raum als relationale (An)Ordnung | 75 5. Resümee: Praktiken und ihre Räume | 83

Raumerzeugung: Flächen – Bahnen – Knoten 6. Die Forschungsmethode | 91

7. Die Praktik »Geocaching«| 103 7.1 Forschungsstand| 105 7.2 Entstehungsgeschichte | 110 7.3 Geocachen gehen, 2011/2012, Rhein-Main-Gebiet | 117 7.4 Infrastrukturen des Geocachens | 147 7.5 Das infrastrukturelle Arrangement des »Geocachings« | 151 8. Ortsbestimmungen ... | 159 8.1 ... aufgrund von Artefakten eines globalen Rasters: »The degree confluence project« | 160 8.2 ... aufgrund eines Algorithmus: »Geodashing« | 165 8.3 ... aufgrund sozialer Prozesse: »Geocaching« | 168 8.4 GPS, WGS84 und Räume aus Flächen, Bahnen und Knoten | 169 9. Aspekte der Raumerzeugung | 177 9.1 Konfiguration: Einteilen | 180 9.2 Markierungen: Platzieren | 195 9.3 Orte/Wege/Gebiete: Auswählen | 205 9.4 Statistiken: Zählen | 225 9.5 Raumkonkurrenz: Abgrenzen | 234 10. Resümee: Flächen, Bahnen, Knoten | 247 11. Fazit: Praktiken, erzeugte Räume und soziale Koexistenz | 249 Danksagung | 261 Anhang | 263 Literaturverzeichnis | 265

1. Einleitung: Was, warum und wie?

Der auf einen Bildschirm eines Gerätes in seiner Hand blickende Passant ist zu Beginn der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts zu einem geläufigen Anblick im Straßenbild geworden. Die direkte Umgebung scheint er nur selektiv wahrzunehmen. Gelegentlich wirkt er für einen Moment verunsichert. Er schaut sich um, scheint Personen und Dinge, die ihn umgeben, ordnen zu müssen. Ein schneller Abgleich der Ich-Umwelt-Relation, dann geht es zielstrebig weiter. Er erweckt den Eindruck, als wisse er genau, was sein Ziel ist. Zumindest lassen sich keine Anzeichen für eine Unsicherheit diesbezüglich erkennen. Er macht nicht den Eindruck einer Person, die sich verirrt hat oder nach Orientierung sucht, obwohl es gelegentlich vorkommt, dass er Haken schlägt, abbiegt oder stehen bleibt, ohne dass es die Situation erkennbar erfordern würde. Es drängt sich die Frage auf, an welchem Bezugssystem sich diese Person orientiert. Welche Gegebenheiten nutzt sie zur Navigation, also zur Bestimmung der eigenen Position und der einzuschlagenden Richtung? Der Bildschirm, den die Person in der Hand hält, scheint hier eine wichtige Rolle zu spielen. Zumindest ist dies der Gegenstand, dem in der Situation die größte Aufmerksamkeit zuteilwird. Die Frage nach der Orientierung verweist stets auf die Frage nach dem Raum, in dem Orientierung stattfindet. Der Zusammenhang zwischen verwendeter Technik und Raum rückt so in den Fokus. Das Global Positioning System (GPS), (mobiles) Internet und Smartphones mit einer unüberschaubaren Anzahl von sogenannten »Apps« haben die Art und Weise, wie Menschen miteinander interagieren, wie sie ihr alltägliches Leben und ihre Arbeit organisieren, wie sie Informationen suchen und finden und wie sie mit räumlichen Zusammenhängen umgehen, nachhaltig verändert. Dieser Befund korrespondiert mit einer lange zurückreichenden Forschungslinie, die den Einfluss bzw. die Rolle von Informatisierung/Technisierung auf bzw. bei der Transformation/Gestaltung gesell-

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schaftlicher Zusammenhänge untersucht.1 Zu dieser Linie lässt sich auch die technisierte Erschließung und Erzeugung von Räumen zählen, sowohl in Bezug auf Natur im territorialen Sinne von Feldern, Wald und Wiesen als auch in Bezug auf urbane Umgebungen. Die verwendete Technik konstituiert die Art und Weise, wie mit räumlichen Zusammenhängen umgegangen wird, ja die räumlichen Zusammenhänge selbst mit.2 Technik hat Einfluss darauf, wie Menschen Raum wahrnehmen, verstehen, konstruieren, sich auf ihn beziehen, sich in ihm bewegen und damit auch, wie sie sich in ihm orientieren. Die Art und Weise, wie sich Personen im Raum orientieren, gibt Aufschluss über die Verfasstheit des Raumes. In historischer Perspektive hat Wolfgang Schivelbusch an dem Beispiel der Eisenbahn und des Reisens im 19. Jahrhundert den Zusammenhang von Technik und Raum herausgearbeitet (Schivelbusch 1977). Schivelbusch argumentiert, dass die Eisenbahn gleichzeitig neue Räume erschließt, indem sie entfernte Destinationen verfügbar macht, und den Raum dazwischen, den sie überbrückt, zerstört. Wolfgang König zeigt wiederum, wie Eisenbahnen, Bergbahnen und Skilifte (»Aufstiegshilfen«) zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Praktik des alpinen Skifahrens mitkonstituieren (König 2000). Mit der Erleichterung des Aufstiegs durch solche technische Hilfen wird alpiner Skisport im großen Stil überhaupt erst möglich. In beiden Arbeiten wird deutlich, dass Technik die Ordnung von Zielen, verstanden als besuchenswerte und überhaupt besuchbare Orte, mitgestaltet.3 Zu der Konstitution von Räumen in Verbindung mit den genannten Technologien (GPS, [mobiles] Internet) zu Beginn des 21. Jahrhunderts liegen bisher keine ausführlichen Arbeiten vor. Neben der Neuheit der Technik lässt sich dies auf der einen

1 | Beispielhaft dazu: Linde 1972; Popitz 1976; Joerges 1988; Rammert 1993b; Schmiede 1996; Hörning et al. 1996. Neuere Untersuchungen auf dieser Linie sind z.B. bezüglich der Kommunikation und Interaktion Höflich und Gebhardt 2005; Ling und Pedersen 2005; Ito und Okabe 2005; Glotz et al. 2006; Schmidt 2009, bezüglich des Verhältnisses von Öffentlichkeit und Privatheit Seubert und Niesen 2010; Ochs und Löw 2012, bezüglich Social-NetworkSites/Online-Communities Lamla 2008; Stegbauer 2009; Leistert und Röhle 2011; Miller 2012, bezüglich der Organisation von Arbeit Baukrowitz et al. 2006 oder bezüglich der Veränderung von Wertschöpfungsketten Voß und Rieder 2005; Lamla 2010. 2 | Zu dem Zusammenhang von Kultur und Technik jenseits von kausaler Beeinflussung siehe ausführlich aus philosophischer Perspektive: Hubig 2006: 237 ff. 3 | Zu nennen sind hier auch die Arbeiten von Heike Weber, die eine Geschichte mobiler Techniknutzung anhand der drei Artefakte Kofferradio, Walkman und Handy schreibt (Weber 2008) und Lars Frers, der aus phänomenologischer Perspektive Bahnhöfe und Fährterminals im Spannungsfeld von Technik und Raum untersucht (Frers 2007).

1. Einleitung: Was, warum und wie? | 9

Seite mit einer allgemeinen Zurückhaltung in der Soziologie dem Thema Technik gegenüber (Rammert 1998), auf der anderen Seite mit einem lange etablierten Verständnis von Raum als »in Untersuchungen auszuschließende ›Umweltbedingung‹« (Löw 2001: 9) plausibilisieren. An dieser Stelle existiert folglich eine Forschungslücke, zu deren Schließung die vorliegende Arbeit beiträgt. In der eingangs beschriebenen Situation verweist der Bildschirm in der Hand des Passanten auf die in die Situation involvierte Technik. Allerdings lässt sich nicht ohne weiteres durch Beobachtung feststellen, welche Technik im Einzelnen in der Situation präsent ist. Es ist unklar, ob das Gerät ein Smartphone mit mobilem Internetzugang, ein E-Book-Reader, ein MP3-Player, ein GPS-Empfänger oder etwas anderes ist. Eine kurze Nachfrage ergibt, dass in der Gestalt dieses flachen Quaders mit leuchtender Oberfläche unüberschaubar viele verschiedene Programme oder Anwendungen verborgen sein können. Hinzu kommt, dass Geräte, die auf irgendeine Weise mit anderen Geräten verbunden werden können, über sich selbst hinaus auf größere und weiter vernetzte Anordnungen verweisen. Daraus folgt, dass die Bestimmung der Situation als eine, in der eine Person sich mit einem Bildschirm in der Hand auf diesen schauend bewegt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt beginnt und an einem anderen bestimmten Zeitpunkt endet, wesentlich zu unspezifisch ist. Die sich in dieser Situation stellende Frage, woran sich Personen orientieren, bleibt interessant, jedoch gibt es hier eine praktisch unüberschaubare Bandbreite von Möglichkeiten, die eine Präzisierung der Perspektive nötig machen. In der vorliegenden Arbeit geschieht diese Präzisierung, indem der Fokus von einer Situation auf eine Praktik verschoben wird. Unter einer Praktik wird dabei mit Bezug auf Theodore Schatzki (Schatzki 1996: 89) und Andreas Reckwitz (Reckwitz 2002: 249) das in bestimmter Weise organisierte Muster eines bestimmten, sich wiederholenden, personeninvarianten sozial geteilten Handlungsablaufs verstanden. Einzelnen Personen kommt dabei die Rolle von »Trägern« einer Praktik zu (ebd.: 250). Dieser methodologische Schritt beruhigt das unendliche Gewimmel verschiedener Handlungsweisen, die alle in der einen Situation, der sich mit Blick auf einen Bildschirm bewegenden Person, aufgehoben sind. Dieser Schritt öffnet zudem die Perspektive für Zusammenhänge jenseits der direkt visuell beobachtbaren Situation, die auch Teil der Organisation der zu erforschenden Praktik sind. Die in der vorliegenden Arbeit eingenommene Perspektive wird durch drei zentrale Begriffe bestimmt: Praktiken, Infrastruktur und Raum. Der zentrale Punkt dieser Perspektive ist, dass sie ein soziales Phänomen, verstanden als Praktik, in den Mittelpunkt des Interesses stellt. Das bedeutet alle Überlegungen beginnen bei dem Konzept der Praktik und enden auch wieder dort. Der Ansatz baut in Anschluss an Schatzki (Schatzki 1996; Schatzki 2002; vgl. Reckwitz 2003) auf einem Konzept von

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Praktik als Grundbegriff soziologischen Nachdenkens auf und betont dabei die Unterscheidung von »Praxis« und »Praktik«: Praxis wird als tatsächliches Geschehen von sozialen Zusammenhängen verstanden. Eine Praktik hingegen wird als eine relativ stabile Einheit verstanden, die – solange sie existiert – in der Praxis in hinreichend ähnlicher Weise reproduziert wird. Praktiken sind nicht direkt beobachtbar, sondern müssen erst beobachtbar gemacht werden. Dies ist möglich, weil sich zum einen die Praxis einer Praktik durch teilnehmende Beobachtung wahrnehmen lässt und zum anderen Praktiken Spuren hinterlassen, von denen auf die Verfassung/Organisation der Praktik zurückgeschlossen werden kann. Die zentrale heuristische Frage bei der Untersuchung einer Praktik lautet: Wie ist diese organisiert? Welche immer wiederkehrenden Elemente der Praktik lassen sich identifizieren und wie sind diese miteinander verzahnt? Neben den Dimensionen des Verstehens, der expliziten Regeln und der teleoaffektiven Struktur (Schatzki 2002: 77) wird in der vorliegenden Arbeit die in die Praktik integrierte Technik systematisch in die Beschreibung der Praktik eingebunden. Technik wird dabei nicht als Artefakt konzeptionalisiert, sondern als Infrastruktur der Praktik. Infrastruktur wird dabei mit Bezug auf Susan Leigh Stars relationaler Definition (Star 1999: 381 f.), als das verstanden, was relativ zu einer Praktik als Infrastruktur dient. Dadurch wird es möglich, die über einzelne Situationen hinausreichende Vernetzung als inhärenten Bestandteil der verwendeten Technik zu beschreiben. Artefakte bekommen so die Rolle von Schnittstellen bzw. Interfaces zu den jeweiligen Infrastrukturen, in die sie eingebunden sind. Ein solches Konzept von Infrastruktur ist eine Operationalisierung dessen, was Schatzki als »material arrangements« (Schatzki 2010a) bezeichnet. Auf diese Weise wird über Infrastrukturen eine Brücke von den Praktiken zu durch Praktiken erzeugten Räumen, die die territorialen Grenzen von Situationen überschreiten, geschlagen und deren Erzeugung durch Praktiken herausgearbeitet. Das Arrangement verschiedener Infrastrukturen durch eine Praktik bekommt so eine entscheidende Rolle bei der Beschreibung von durch die Praktik erzeugten Räumen. Das Argument an dieser Stelle lautet, dass es zu einem großen Teil Infrastrukturen sind, die die räumliche Dimension einer Praktik konfigurieren und die Einheit von durch Praktiken erzeugten Räumen ermöglichen, auch wenn die geografischen Positionen, die eine Praktik während ihres Vollzugs integriert, territorial versprengt sind. Raum wird in Anschluss an Martina Löws soziologische Konzeption von Raum (Löw 2001) als relationaler Raum verstanden, der ausschließlich in der Praxis konstituiert wird und nicht ein irgendwie verfasstes materielles Substrat jenseits sozialer Zusammenhänge darstellt. Im Unterschied zu Löws Ansatz wird Raum in der vorliegenden Arbeit jedoch nicht als in Handlungen, vor dem Hintergrund der Handlungstheorie von Anthony Giddens, konstituiert, sondern als durch Praktiken erzeugt

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verstanden. Im Konzept der Praktik ist dabei bereits der Dualismus von Handlung und Struktur aufgelöst. Personen, die sich auf einen Bildschirm in ihrer Hand schauend bewegen, können die unterschiedlichsten Dinge auf diesem sehen. Sie können E-Mails lesen, einem Fußgängernavigationsprogramm folgen, die Playlist ihres MP3-Players durchblättern, einen Film schauen oder mit Bekannten chatten etc. Es besteht auch die Möglichkeit, dass sie sich eine digitale Karte anschauen, die der klassischen papierenen Karte auf den ersten Blick ähnelt. An dieser Stelle wird bereits eine wichtige Eigenschaft solcher technischer Arrangements deutlich: die Dynamik. Digitale Karten können sich jederzeit und in Echtzeit verändern. Sie werden erstens automatisch den Bewegungen der Nutzer angepasst, was jedoch die Karte selbst nicht verändert. Zweitens kann sich die Menge an Informationen, die die Karte darstellt, durch die Synchronisation mit einer Datenbank verändern und z.B. auf die Anforderungen oder Handlungen des jeweiligen Nutzers und der Situation, in der er sich befindet angepasst werden. Drittens kann sich die Menge der Informationen, die in der Datenbank gespeichert sind, verändern. Beispielsweise kann dies durch das Einspeisen von Spuren der Nutzer, ob aktiv (Web 2.0) oder passiv (Monitoring, Überwachung), geschehen. Der empirische Fall einer Untersuchung, die den skizzierten Ansatz verfolgt, ist eine bestimmte Praktik. Die Idee der hier unternommenen Untersuchung besteht darin, eine Praktik zu untersuchen, die zugleich online und offline stattfindet, die nichtmetaphorisch verstandene Räume, also Räume, deren Bestandteile bzw. Elemente einen geografischen Index besitzen, erzeugt und die das Satellitennavigationssystem GPS integriert. Eine solche Praktik tangiert alle für die Frage nach der Erzeugung von Räumen unter den technologischen Bedingungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts relevanten Bereiche. Eine Praktik, die alle diese Bedingungen erfüllt, ist die Praktik »Geocaching«. Es handelt sich dabei um eine Art Schnitzeljagd, bei der Objekte, sogenannte »Geocaches«, versteckt und gesucht werden. Idealtypisch lässt sich diese Praktik wie folgt beschreiben: Eine idealtypische Beschreibung des Geocachings Geocaching besteht darin, einen durch Koordinaten bestimmten geografischen Ort aufzusuchen und dort einen Cache zu suchen und zu finden. In der Regel wird zum Auffinden des durch die Koordinaten bestimmten Ortes ein GPS-fähiges Gerät, sei es ein Mobiltelefon oder ein Spezialgerät, benutzt. Ein Cache ist in der einfachsten Ausführung ein kleiner Behälter, z.B. eine Filmdose, in der ein Logbuch enthalten ist.

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Der Finder trägt sich in dieses Logbuch ein und hinterlässt unter Umständen einen Gruß an denjenigen, der den Cache versteckt hat. Die Person, die den Cache an diesem bestimmten Ort versteckt, d.h. »gelegt« hat, wird »Owner« des Caches genannt. Der Owner eines Caches kontrolliert in regelmäßigen Abständen, ob der Cache noch wie beabsichtig zu finden ist, ob etwas auszubessern ist oder ob das Logbuch voll ist. Bei dieser Gelegenheit liest er das Logbuch. Einen Cache legen bedeutet, den Cache an einem bestimmten Ort zu verstecken und die Koordinaten des Ortes mit Hilfe eines GPS-Gerätes zu bestimmen. Diese Koordinaten werden dann zusammen mit einem Namen und einer Beschreibung des Caches in einer über das Internet grundsätzlich frei zugänglichen Datenbank veröffentlicht. Diese Datenbankeinträge sind es, mit denen die Suche nach einem Geocache beginnt und sie sind es auch, mit denen sie endet. Hier findet die Auswahl des Caches statt, der gesucht werden soll, und hier endet die Suche mit dem Eintrag in das digitale Logbuch des Caches. Zu den Aufgaben des Owners gehört es, die Einträge in dem digitalen Logbuch zur Kenntnis zu nehmen und diese mit den Einträgen im Logbuch, das sich im Cache befindet, abzugleichen. Der Beginn der Praktik »Geocaching« lässt sich auf den 3. Mai 2000 datieren. An diesem Tag schrieb Dave Ulmer eine Nachricht an eine Newsgroup (sci.geo.satellitenav), die sich mit Satellitennavigation beschäftigt, in der er die Idee für ein neues Spiel formulierte. Tags zuvor wurde auf Veranlassung der Clinton-Regierung die künstliche Ungenauigkeit (»Selective Availability« oder kurz »SA«) des GPS abgeschaltet, mit der sich bis dato das US-Militär einen Vorsprung gegenüber möglichen Feinden sicherte, die das weltweit verfügbare System parasitär nutzen könnten. Dies hatte zur Folge, dass sich die Genauigkeit der Positionsbestimmung via GPS von einen Tag auf den anderen von +/- 100 Metern auf wenige Meter verbesserte, ohne dass Nutzer in neue Empfänger investieren mussten. Ulmers Idee verbreitete sich rasch. Es entstanden eigene Kommunikationsplattformen für Interessierte und Websites, auf denen die Positionen von Geocaches gesammelt wurden. Der Name der ersten dieser Websites war www.geocaching.com. Sie stellte zum Zeitpunkt der Feldphase der Untersuchung (2011/2012) und den folgenden Jahren weltweit die mit Abstand größte Sammlung von Geocaches bereit und wird kommerziell von der Firma Groundspeak Inc. mit Sitz in Seattle betrieben. Für Deutschland sind im April 2013 ca. 284.000 Geocaches4 bei www.geocaching.com gelistet, was im Vergleich zu ca.

4 | Quelle: www.geocaching.com, eigene Abfrage.

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155.000 Geocaches5 im September 2010 einen Zuwachs von 83 % bedeutet. Es handelt sich also ohne Zweifel um eine zum Zeitpunkt der empirischen Untersuchung äußerst dynamische Praktik.6 Geocaching ist eine Freizeitpraktik, ein Spiel für Erwachsene und Familien gleichermaßen. Mit Bezug auf Spiele argumentiert Thomas Alkemeyer, dass Spiele eine Indikatorfunktion haben: »Wenn sich die Spielkultur einer Gesellschaft verändert und wenn neue Spiele emergieren, dann deutet das daraufhin, dass sich auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen etwas wandelt [...].« (Alkemeyer 2003: 177) Das Interessante an der Untersuchung von Spielen ist, dass in Spielen die Möglichkeit besteht, relativ frei auszuprobieren, was auf welche Weise kombiniert werden kann und was funktioniert. Spiele haben stets eine experimentelle Dimension. Wenn neue Spiele größere Verbreitung erfahren, ist das ein Hinweis darauf, dass sie gut mit anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen resonieren. Vor diesem Hintergrund erscheint die Praktik »Geocaching« als hochspannendes soziales Phänomen der Gegenwart. Der sozialwissenschaftliche Forschungsstand zum Thema »Geocaching« in Deutschland ist jedoch überschaubar.7 Es gibt vier Qualifikationsarbeiten und einen kürzeren Aufsatz, die sich mit dem Thema beschäftigen: Telaar 2007; Bauer 2010; Schütze 2010; Weihe 2011; Weber und Haug 2012. Aus dem englischen Sprachraum liegen weitere vereinzelte Aufsätze vor: z.B. Gram-Hansen 2009; O’Hara 2008; Sarvas n.n. Darüber hinaus gibt es zwei Aufsätze aus rechtswissenschaftlicher Perspektive, die sich mit juristischen Implikationen im deutschen Rechtsraum beschäftigen: Louis et al. 2011a; Louis et al. 2011b. Keine der Arbeiten geht jedoch der Erzeugung von Räumen, also der Organisation des Nebeneinanders im Zuge der Praktik »Geocaching« und der mit ihr verbundenen Technologien, nach. Fragestellung Die Praktik »Geocaching« verbindet geografische Zusammenhänge, Internettechnologie, GPS und Bildschirme, auf die Personen starren während sie sich bewegen, miteinander. Daher eignet sie sich in besonderer Weise dazu, der Frage nach der Orientierung und Navigation und der damit verbundenen Ordnung von räumlichen Zusammenhängen nachzugehen. Dieses Interesse lässt sich in drei heuristische Leitfragen übersetzen:

5 | Quelle: www.geocaching.com, eigene Abfrage. 6 | Dieser Trend setzt sich auch nach Abschluss der Untersuchung fort: Im August 2014 sind 334.000 gelistet. Quelle: www.geocaching.com, eigene Abfrage. 7 | Für eine ausführliche Diskussion des Forschungsstandes siehe Kapitel 3.2.1: Forschungsstand.

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- Wo halten sich Personen auf? - Auf welchen Wegen bewegen sie sich? - Welche Ziele haben sie und was macht ein Ziel überhaupt zu einem Ziel? Diese Fragen verweisen auf eine raumsoziologische Perspektive, welche nach der Organisation des Nebeneinanders und nach sozial erzeugten Raumzugängen fragt (vgl. Löw 2001: 12). Dieser Fragerichtungen wird in der vorliegenden Arbeit in einer synchronen Tiefenbohrung nachgegangen. Die Fragestellung lautet: Wie werden durch die Praktik »Geocaching« und den dabei verwendeten Technologien räumliche Zusammenhänge geordnet und Raum erzeugt? Daran schließt sich die folgende Hypothese an: Der Raum, der durch die Praktik »Geocaching« erzeugt wird, folgt einem anderen Idealtyp als z.B. der, der durch stationäre Praktiken, wie z.B. »Fußball spielen« oder »grillen«, oder mobile Praktiken, wie z.B. »Auto fahren« oder »Eisenbahn fahren«, erzeugt wird. Die verwendete Technik hat daran einen entscheidenden Anteil. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Praktik »Geocaching« dicht zu beschreiben (Geertz 1987), um dann mit Hilfe von »theoretischen Sehhilfen« (Schmidt und Volbers 2011: 36) den Raum, der durch diese erzeugt wird, für den Leser sichtbar zu machen. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob es sich hier um einen speziellen Typ von Raum handelt, der sich von anderen Typen unterscheiden lässt. In dieser Absicht werden Zusammenhänge der Raumerzeugung nachvollziehbar gemacht. Der Raum einer Praktik wird durch diese immer wieder erzeugt, d.h. fortlaufend reproduziert. Daher geht es darum, Muster, Regelmäßigkeiten und Logiken dieser Raumerzeugung durch die Praktik nachzuzeichnen. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es dabei nicht, eine Ethnografie der Praktik »Geocaching« im strengen Sinne zu sein. Vielmehr handelt es sich um eine Arbeit, die sowohl auf empirischer als auch theoretischer Ebene der Systematik von Raumerzeugung unter Bedingung von GPS und (mobilem) Internet nachgeht. Die Praktik des Geocachens spielt dabei die Rolle eines instruktiven empirischen Beispiels. Das empirische Vorgehen orientiert sich an einem enthnografischen Forschungsstil, insoweit es auf einem beobachtenden Paradigma (vgl. Schmidt 2012: 226 ff.) beruht. Die methodische Herausforderung bei der empirischen Erforschung der Praktik »Geocaching« liegt in der sowohl räumlichen wie zeitlichen Versprengtheit der Praktik: »Geocaching« beinhaltet eine unüberschaubare Anzahl verschiedener Orte, hier verstanden als geografische Positionen, und kann zudem jederzeit

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begonnen und auch wieder unterbrochen werden. Während der für die vorliegende Arbeit durchgeführten Feldforschung wurden verschiedene, dieser Organisation der Praktik Rechnung tragende Beobachtungsperspektiven eingenommen. Eine zentrale Rolle nimmt das Informantengespräch mit Praktikern in Form eines leitfadengestützten Interviews ein. Die zweite Perspektive ist die Perspektive der Praxis, die durch das Praktizieren der Praktik »Geocaching« eingenommen wird. Eine dritte Perspektive fokussiert auf die in die Praktik integrierte Infrastruktur, die letztendlich die räumliche und zeitliche Versprengtheit ermöglicht und entscheidend mitorganisiert. Eine letzte Perspektive richtete sich auf die Kommunikation von Praktikern auf Websites und in Foren, die ebenfalls zur Infrastruktur des Geocachens gezählt werden können. Die vorliegende Arbeit teilt sich in zwei aufeinander bezogene Teile auf: Im ersten Teil (Kap. 2-5) wird eine theoretische Perspektive, der Ansatz der Arbeit, entworfen, die es erlaubt, die räumlichen Zusammenhänge von Praktiken im Allgemeinen zu beschreiben. Zentrale Konzepte sind dabei Praktiken, Infrastruktur und Raum. Im zweiten Teil der Arbeit (Kap. 6-10) wird die im ersten Teil entwickelte theoretische Perspektive in einer empirischen Untersuchung der Praktik »Geocaching« zur Anwendung gebracht. Der Forschungsbericht der Untersuchung teilt sich in drei Teile auf. Er beginnt mit einer dichten Beschreibung der Praktik »Geocaching« (Kap. 7). Im zweiten Teil wird auf eine theoretischere Ebene gewechselt und anhand der Praktik, die mit dem »Degree Confluence Project« verbunden ist, der Praktiken »Geodashing« und »Geocaching« der formierenden und konfigurierenden Wirkung von GPS und dem damit verbundenen Koordinatensystem WGS84 bei der Bestimmung von Orten nachgegangen (Kap. 8). Die Leitfrage ist hier, wie es dazu kommt, dass ein Ort zu einem Ort wird, d.h. eine relevante Stelle in dem jeweiligen Raum einnimmt. Im Zuge dessen wird der Idealtyp des Knotenraums entwickelt. Der dritte Teil fokussiert wieder auf die Praktik »Geocaching« und arbeitet nun entlang von fünf Aspekten (Konfiguration: Einteilen, Markierungen: Platzieren, Orte/Wege/Gebiete: Auswählen, Statistiken: Zählen, Raumkonkurrenz: Abgrenzen) Eigenschaften des durch diese Praktik erzeugten Raumes heraus (Kap. 9). Kapitel 11 fasst abschließend die vorliegende Arbeit als Ganzes zusammen und öffnet den Blick für über den hier untersuchten Fall hinausgehende Zusammenhänge. Die These der Arbeit lautet, dass mit der Integration von GPS und Internet in Praktiken ein bisher marginal vorhandener Raumtyp in den Vordergrund tritt, den ich als Knotenraum bezeichne. Dieser ist von zwei anderen durch Praktiken erzeugten Raumtypen unterscheidbar: Flächenraum und Bahnraum. Dieses Hervortreten hat Implikation für das Zusammenleben und damit für Vergesellschaftungsprozesse oder – weniger voraussetzungsreich formuliert – für soziale Koexistenz.

Perspektive: Praktiken – Infrastrukturen – Raum

VORBEMERKUNG In diesem ersten Teil wird der theoretische Ansatz, d.h. die Perspektive der vorliegenden Arbeit entwickelt. In der Soziologie existiert eine Vielzahl von Ansätzen nebeneinander, die unterschiedliche Blickwinkel auf das gemeinsame Interesse der Disziplin an der Erforschung von sozialem Miteinander im weitesten Sinn bestimmen. Diese Ansätze sind nicht ohne weiteres ineinander übersetzbar.1 Sie erweisen ihren Wert darin, welche Fragen jeweils gestellt und beantwortet werden können und wie Untersuchungs- und Erkärungs- bzw. Beschreibungsstrategien funktionieren. Durch die Bestimmung des theoretischen Ansatzes werden also folgenreiche Entscheidungen darüber getroffen, was untersucht wird (untersucht werden kann), in welcher Weise dies untersucht wird und welche Gestalt das Forschungsergebnis annehmen wird. Die Theorie informiert folglich die Empirie. In soziologischen Theorien sind keine endgültigen Wahrheiten oder Gesetze niedergelegt. Vielmehr muss sich Theorie als Theorie sozialer Zusammenhänge mit ihrem Gegenstand weiterentwickeln bzw. verändern. Folglich informiert die Empirie auch die Theorie. Eine gerüttelte Portion Trägheit gegenüber kurzfristigen Moden und Hypes schadet dabei in keinem Fall. Auf der anderen Seite ist ein dogmatisches Beharren auf vorhandene Theorien genauso hinderlich, wie vorschnelles Verwerfen gefährlich. Dies gilt für beide Bewegungen, durch die Theorie und Empirie miteinander verzahnt sind: Die Entwicklung von Theorie aus dem empirischen Material und die Auswahl schon vorhandener Theorien, um das empirische Material fassen zu können. Bei genauerem Hinschauen entsteht das Bild eines sich unaufhörlich drehenden Kreisels zwischen Theorie, die Empirie informiert, und Empirie, die zur Auswahl

1 | Davon zeugt u.a. die »Theorievergleichsdebatte«, die Mitte der 1970er Jahre in der deutschsprachigen Soziologie geführt wurde (vgl. Greshoff 2010). Man könnte argumentieren, dass die Soziologie in sich bereits interdisziplinär ist, was auf der einen Seite verantwortlich für Konfliktlinien innerhalb der Disziplin ist, auf der anderen Seite als Stärke gesehen werden kann.

20 | Flächen – Bahnen – Knoten

und Weiterentwicklung der Theorie beiträgt. An irgendeinem Punkt ist es notwendig, diesen Kreisel zu stoppen, den entstandenen Zirkel zu durchbrechen und eine bestimmte Perspektive einzunehmen. Diese Entscheidung hat insofern Nachteile, als sie zu einer partiellen Blindheit führt; aber auch in jedem Fall den nicht auf andere Weise zu erlangenden Vorteil, dass sie überhaupt zu einer Perspektive führt. Die vorliegende Arbeit versteht sich vor diesem Hintergrund als gleichermaßen theoretisch informierte und theoriegenerierende empirische Arbeit. Eine Prämisse der vorliegenden Arbeit ist, dass Technik und soziale Zusammenhänge nicht voneinander zu trennen sind.2 Soziale Phänomene haben immer auch eine technische Dimension, die bei der Formung der Phänomene beteiligt ist. Das bedeutet nicht, dass Soziologie ohne die Berücksichtigung von Technik nicht sinnvoll ist. Es gibt eine Vielzahl von soziologischen Fragestellungen und Phänomenen, bei denen Technik nur sehr vermittelt eine Rolle spielt. Es bedeutet aber, dass eine Sensibilität für die technische Dimension von sozialen Zusammenhängen in jedem Fall, d.h. auch wenn es nicht explizit um Technik geht, angebracht ist. Für die hier verfolgte Fragestellung nach der Ordnung von Räumen ist die technische Dimension essentiell. Die vorliegende Arbeit steht grundsätzlich in der Linie praxissoziologischer Ansätze. Damit ist das Feld der Theorien bereits erheblich, jedoch nicht hinreichend, reduziert. Im ersten Kapitel dieses Abschnitts (Kap. 2) wird deshalb in Anschluss an Theodore Schatzki (Schatzki 1996; Schatzki 2002; Schatzki 2010a) eine an Praktiken orientierte Perspektive auf soziale Phänomene entwickelt, deren entscheidender Zug darin besteht, soziale Zusammenhänge konsequent als aus Praktiken entstehend zu verstehen. Andere mögliche Ausgangspunkte wären z.B. Konzepte wie Handlung, Interaktion, Sinn, System oder auch Kommunikation. Für die hier verfolgte Fragestellung ist die in Praktiken integrierte Technik von entscheidender Bedeutung. In der praxissoziologischen Diskussion gibt es eine große Sensibilität für materielle Bestandteile von Praxis. Technik wird in der Regel berücksichtigt, solange sie ihre Wirkung in der gegenwärtigen Situation entfaltet oder im Fall von Informations- und Kommunikationstechnologie diese Situation um entfernte Orte, Personen oder Informationen erweitert. Es lassen sich zwei Foki herauslesen: 1. Technik als Artefakt. 2. Technik als Kommunikationsmittel. In der vorliegenden Arbeit wird ein anderer Schwerpunkt gelegt: Praktiken referieren auf Infrastrukturen, um überhaupt geschehen zu können. So ist z.B. die Praktik des Duschens ohne ein

2 | Auf diese Verwobenheit von Technik und Sozialem haben prominent verschiedene Autoren hingewiesen, z.B. Bijker 1997; Callon 1986; Hughes 1988; Rammert 1993a; Rammert 1998; Rammert 2004; Latour 1996; Winner 1980; kritisch dazu: Joerges 1999.

Vorbemerkung | 21

ausgeklügeltes Arrangement aus Wasser/Abwasser-Versorgung, Stromnetz und gegebenenfalls Gas/Öl nicht vorstellbar. Infrastrukturen konfigurieren Räume. Duschen ist so z.B. nur da möglich, wo eine Schnittstelle zum Wassersystem vorhanden ist, wie auch Autofahren nur auf dafür geeigneten Straßen möglich ist. Mit Bezug auf Susan Leigh Star (Star 1999) wird im zweiten Abschnitt des Kapitels (Kap. 3) ein praxissoziologisches Konzept von Infrastruktur eingeführt. Dabei wird unterschieden zwischen Infrastrukturen, die mit einer bestimmten Praktik entstehen, und einem infrastrukturellen Arrangement, das die je eigene Kombination bezeichnet, in der eine Praktik bestehende Infrastrukturen integriert. Technik – verstanden als Infrastruktur prägt – Praktiken und konfiguriert die durch sie erzeugten Räume. Im dritten Teil dieses Kapitels (Kap. 4) folgt die Bestimmung des verwendeten Raumkonzepts. Dazu wird an das relationale Raumkonzept von Martina Löw (Löw 2001) angeschlossen, jedoch die von Löw mit Bezug auf Giddens in den Handlungen von Individuen »verortete« Konstitution von Räumen auf die Ebene von Praktiken verschoben. Das Ergebnis ist eine theoretische Perspektive auf Praktiken der Raumerzeugung, die vor dem Hintergrund bestimmter infrastruktureller Arrangements stattfinden, mit denen sie auf unterschiedliche Weise verzahnt sind.

2. Praxissoziologische Ansätze

Praxissoziologische Ansätze stellen ein ganzes Bündel von Ansätzen dar (vgl. Schatzki 2001; Reckwitz 2002; Reckwitz 2003), die gemeinsam haben, dass sie der sozialen Praxis bzw. den sozialen Praktiken einen sowohl empirisch als auch theoretisch herausragenden Stellenwert einräumen (Schmidt 2012: 23). Um ein Bündel handelt es sich deshalb, weil bei den verschiedenen Autoren jeweils die Praxis des Sozialen eine herausragende Stellung einnimmt, es sich jedoch nicht um gemeinsame Bemühungen oder eine mit einer Schulenbildung einhergehende Richtung der Soziologie handelt. Andreas Reckwitz spricht in Anschluss an den späten Wittgenstein von »familienähnlichen« Theorieprogrammen und Forschungsansätzen (Reckwitz 2003: 283). Beginnend Ende der 1990er Jahre summieren sich Bemühungen, diese lose verbundenen Ansätze zusammenzuführen und zu einem Ansatz zu verdichten. In diesem Zusammenhang taucht die Diagnose (oder Forderung?) eines »practice turn« auf (Schatzki et al. 2001), in dessen Folge »practice« zum zentralen Ansatzpunkt der Beschreibung und Erklärung sozialer Phänomene werden sollte. Der Anspruch, auf ein neues Paradigma soziologischer Reflexion hinzuarbeiten bzw. dies bereits anzubieten, ist nicht ohne Kritik geblieben.1 Tatsache ist jedoch, dass verschiedene einflussreiche neuere soziologische Theorien, wie die Theorie der Strukturierung von Anthony Giddens, die Actor-Network-Theory2 oder Theodore Schatzkis »site ontology« jener »practice« eine zentrale Stelle in ihrem Theoriegebäude einräumen. Auch gibt es Ansätze älteren Datums, die diese Richtung verfolgen. So werden zudem die Ethnomethodologie (Garfinkel), Erving Goffmans Interaktionsanalyse und die Soziologie Pierre

1 | Zum Beispiel Nassehi 2006: 228 ff; Bongaerts 2007; Schulz-Schaeffer 2010. 2 | Als deren exponiertesten Vertreter können Bruno Latour, Michel Callon, John Law und Madeleine Akriche gelten.

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Bourdieus zu den wichtigen Bezugspunkten der aktuellen deutschen Debatte gezählt. (Schmidt 2012: 25). Aus theoretischer Perspektive kann diese Fokussierung auf Praxis und Praktiken als Versuch der Lösung eines Grundproblems der Soziologie verstanden werden, nämlich der Spannung zwischen Handlungen auf der einen und sozialen Strukturen auf der anderen Seite: Ohne soziale Handlungen von Individuen gibt es keine soziale Wirklichkeit, jedoch erscheinen diese Handlungen geordnet. Sie sind nicht zufällig oder rein individuell erklärbar und wiederholen sich auch in voneinander getrennten Situationen zu stark, als dass eine Erklärung durch Koinzidenzen plausibel wäre. Um diese Beobachtung zu fassen, hat die Soziologie verschiedene Konzepte entwickelt, wie z.B. soziale Regeln, Normen, Systeme, Institutionen etc. Diese liegen auf einer theoretischen Ebene von sozialer Struktur, die die Möglichkeiten und Grenzen des sozialen Lebens ohne den Rekurs auf handelnde Individuen beschreibt. Soziale Strukturen spielen unbestritten eine wichtige Rolle. Allerdings würden sie nicht ohne Handlungen existieren und Ansätze, die auf soziale Strukturen fokussieren, haben Schwierigkeiten, diese an die Handlungen von Personen rückzukoppeln. Auf diese Problemstellung geben praxissoziologische Ansätze eine deutliche Antwort: Sie bestimmen den Ort des Sozialen in der Praxis (vgl. Reckwitz 2003: 289). Die Praxis ist der »Ort«, an dem Sozialität entsteht, und damit zugleich der Ursprung aller Strukturbildung und Handlung. Anthony Giddens bestimmt dieses Verhältnis von sozialer Praxis zu sozialer Struktur als fortlaufenden rekursiven Prozess der Strukturierung: »Gemäß dem Begriff der Dualität von Struktur sind Strukturmomente sowohl Medium wie Ergebnis der Praktiken, die sie rekursiv organisieren.« (Giddens 1997: 77)

Praxis oder Praktiken rangieren irgendwo auf dem halben Weg zwischen Handlungen und Strukturen. In ihnen fallen gewissermaßen beide Pole in der tatsächlichen Ausführung oder der »Performanz« zusammen: Praktiken sind sozusagen zugleich Ausdruck von Handlungen und Strukturen. Nach diesem Argument ergibt es keinen Sinn, die Opposition von Handlung und Struktur weiterhin aufrechtzuerhalten. Beides sind Aspekte desselben, nämlich der sozialen Praxis, die beidem vorgängig ist. Giddens verwendet, um dies zu verdeutlichen, den Begriff »Dualität« anstatt »Dualismus« (Giddens 1997: 77 ff.). Daraus ergibt sich bis zu einem gewissen Grad das Argument, soziologische Forschung stets auch als empirische Forschung zu begreifen, weil eben Praxis und Praktiken der privilegierte Zugangspunkt zu allen daraus abgeleiteten Zusammenhängen und Konzepten ist bzw. sind (vgl. Schmidt 2012: 13).

2. Praxissoziologische Ansätze | 25

Andreas Reckwitz unterscheidet idealtypisch vier grundsätzlich verschiedene Theorierichtungen in der Soziologie, die sich dadurch unterscheiden, wo sie das Soziale lokalisieren (vgl. Reckwitz 2003: 287 f.): 1. Strukturtheoretische Ansätze: in den für Akteure nicht sinnhaften subjektübergreifenden Strukturen 2. Ökonomisch-individualistische Ansätze: im Produkt individueller Akte 3. Normativistische Ansätze: in sozialen Regeln, die »individuelles« Handeln präformieren 4. Kulturtheoretische oder sozialkonstruktivistische Ansätze: in der Kollektivität von Wissensordnungen, Symbolsystemen, kulturellen Codes, Sinnhorizonten Reckwitz rechnet die praxistheoretischen Ansätze zu den kulturtheoretischen Ansätzen und unterscheidet hier wiederum zwischen Mentalismus, Textualismus und Theorie der sozialen Praktiken. Denn Praxistheorien seien zwar Kulturtheorien, jedoch Kulturtheorien nicht automatisch Praxistheorien (vgl. ebd.: 288). Mentalismus sei dabei die historisch älteste Form dieser Theorierichtung. Diese verorte das Soziale in den Köpfen von Individuen. Die Aufgabe von Forschung in diesem Sinne sei es, kognitiv-geistige Schemata herauszuarbeiten (ebd.). Der Textualismus wiederum sei bereits eine Reaktion auf diese so verstandene Verkürzung auf das Mentale als Ort des Sozialen. Hier würde das Soziale nach außen verlagert und in Texten, Diskursen und öffentlichen Symbolen lokalisiert (ebd.). Die Theorie der Praktiken setze sich nun noch einmal von beiden Richtungen ab. Es seien »die ›sozialen Praktiken‹, verstanden als know-how abhängige und von einem praktischen ›Verstehen‹ zusammengehaltene Verhaltensroutinen, deren Wissen einerseits in den Körpern der handelnden Subjekte ›inkorporiert‹ ist, die andererseits regelmäßig die Form von routinisierten Beziehungen zwischen Subjekten und von ihnen ›verwendeten‹ materialen Artefakten annehmen« (ebd.: 289).

Idealtypischen Einteilungen, wie das oben dargestellte Viererschema von Reckwitz, haben stets etwas Unbefriedigendes, weil es nicht wenige soziologischen Autoren gibt, die quer dazu liegen. Trotzdem ist dieses Schema hilfreich, um deutlich zu machen, wo der sozialtheoretische Strang der praxissoziologischen Ansätze im vielstimmigen Kanon der soziologischen Theorien zu finden ist. Ein Teil der Vertreter dieser Perspektive (z.B. Hirschauer 2004; Schmidt 2008) beabsichtigt durch die Fokussierung auf Praxis die aus ihrer Sicht in anderen Ansätzen vernachlässigten Kategorien der Körperlichkeit, des impliziten Wissens (»knowing

26 | Flächen – Bahnen – Knoten

how« im Unterschied zum propositional verfügbaren »knowing that«)3 und der Materialität, in die Beschreibung von sozialen Phänomenen einzubeziehen. Diese geht einher mit einem ethnografischen Forschungsstil. Der dabei in der Regel aufgebaute Gegenpol sind rationalistische Handlungstheorien, denen zugleich ein kognitiver und individualistischer Bias unterstellt wird. Nassehi weist darauf hin, dass die besondere Faszination im Beschreiben von Können darin liegt, dass »diesem fast reflexionsfreien Tun [...] alle Zweifel weggearbeitet werden können, die die intellektuelle Repräsentation von Gründen immer in sich trägt« (Nassehi 2006: 235). Es liegen jedoch auch Ansätze diskurstheoretischer Facon vor, die keine in diesem Sinne ethnografische Forschungsstrategie verfolgen können, jedoch zeigen, dass auch hier mit dem Konzept der Praktik produktiv gearbeitet werden kann, so beispielsweise Andreas Reckwitz’ Untersuchung über die Transformation der Subjektkonstituierung (Reckwitz 2006). Frank Hillebrandt unternimmt auf Basis von Bourdieus Theorieangebot den Versuch, eine soziologische Theorie der Praxis zu formulieren, die sich an zwei Stellen dezidiert von Bourdieu absetzt: »Zum einen will ich die einseitige Ausrichtung der Praxistheorie auf Herrschafts- und Machtverhältnisse überwinden, zum anderen will ich die Praxistheorie systematisieren, damit sie als allgemeine soziologische Theorie zur Untersuchung von Praxisformen genutzt werden kann.« (Hillebrandt 2009: 83) »Praxisformen« versteht Hillebrandt als Verknüpfungen von Praktiken (ebd.: 84). Abschließend soll nicht verschwiegen werden, dass an mehr als einer Stelle der Debatte der Verdacht entsteht, es handele sich zu einem nicht geringen Grad um Umetikettiertung von bereits Bekanntem mit einem frischen und »geländegängigen« Begriff. Gregor Bongaerts kritisiert zu Recht, dass für die Postulierung eines »practice turn« mehr als der Hinweis auf vernachlässigte Kategorien, wie z.B. »Körper«, »Materialität« oder »Praxis« in Opposition zu »Theorie« nötig ist (Bongaerts 2007). Er argumentiert mit Bezug auf den Praxisbegriff von Bourdieu, dass die Hinwendung zur »Praxis« nicht ausreiche, um ein neues Paradigma auszurufen, und weist nach, dass sich die Forderung, die »soziale Praxis« stärker zu betonen, mit vielen Klassikern der Soziologie vereinbaren lässt. Er übersieht dabei, dass der englische Begriff »practice« mehr bedeutet als »Praxis« und dass dies bei anderen maßgeblichen Autoren

3 | Maßgeblich auf diesen Unterschied hingewiesen haben Michael Polany (1985) und Gilbert Ryle (1969).

2. Praxissoziologische Ansätze | 27

wie Giddens und Schatzki eine entscheidende Rolle spielt.4 Und auch bei Bourdieu spielen Praktiken, verstanden als sich immer wieder wiederholende Handlungssequenzen, neben der Praxis, verstanden als tatsächliches Geschehen, eine Rolle. Sie hängen mit dem Habitus, der eine bestimmte Disposition von Verhaltens-, Denk- und Wahrnehmungsweisen bezeichnet, zusammen. Dieser Habitus wird wiederum durch die Milieuzugehörigkeit von Personen bestimmt. Als eines von vielen möglichen Beispielen können die Praktiken »Tennis spielen« und »Bodybuilding« dienen. Bourdieu erläutert an diesen die distinguierende Bedeutung und Rolle von Praktiken für die Lebensstile bestimmter Schichten bzw. Milieus (vgl. Bourdieu 1987: 332 ff.). So hätten Praktiken (oder auch Spiele), wie »Tennis spielen«, »golfen« oder »reiten« ein aristokratisches Image, während »Bodybuilding«, »boxen« oder »Motorrad fahren« einem proletarischen Milieu zugeordnet werden könnten (ebd.: 334, 339). Der Grund dafür ist bei Bourdieu eine habituell jeweils verschiedene Beziehung zum eigenen Körper. Während bei den unteren Klasse ein instrumentelles Verhältnis zum eigenen Körper festzustellen sei (ebd.) herrsche bei den »wohlhabenden Fraktionen der Mittelklasse und der herrschende Klasse« (ebd.: 341) der Aspekt einer durchaus abstrakten »Gesundheitsdienlichkeit« (ebd.) vor. Zunächst wird nun auf die Unterscheidung von »Praxis« und »Praktik« eingegangen und diese in Beziehung zu dem englischen Begriff »practice« gesetzt (Kap. 2.1). Dies ist angebracht, weil maßgebliche Texte der praxissoziologischen Diskussion in Englisch verfasst sind. Daran anschließend wird eine Perspektive auf soziologische Zusammenhänge dargestellt, die das Konzept der »Praktik« in den Mittelpunkt stellt (Kap. 2.2). Im dritten Teil des Kapitels wird dann der Zusammenhang von Praktiken und Materialität bzw. Technik beleuchtet (Kap. 2.3).

2.1 B EGRIFFSKLÄRUNG »P RAXIS « CONTRA » PRACTICE «

VS .

»P RAKTIK «

Hillebrandt argumentiert, dass der erste Schritt für eine soziologische Praxistheorie »die Differenzierung des Praxisbegriffs in Praktiken und Praxisformen« (Hillebrandt 2009: 83) sein müsse. Diese Forderung ist umso richtiger, als maßgebliche Texte in englischer Sprache verfasst sind und das Wort »practice« sich sowohl als »Praxis«

4 | Diese Diskussionslage scheint daher zu rühren, dass viele Protagonisten der praxissoziologischen Debatte diese an das Praxiskonzept Pierre Bourdieus anschließen, z.B. Hörning und Reuter 2004; Hillebrandt 2009; Schmidt 2012.

28 | Flächen – Bahnen – Knoten

als auch »Praktik« übersetzen lässt. In der deutschen Debatte, im Anschluss an einen »practice turn« (Schatzki et al. 2001), wird diese Unterscheidung jedoch bisher nicht systematisch genutzt. Stattdessen werden beide Vokabeln von wichtigen Autoren austauschbar verwendet: »Eine Handlung ist ein Atom, eine analytische Einheit, eine Praktik nur die empirische Spezifikation eines ›nexus of doings and sayings‹ (Schatzki 1996: 89). Eine Handlung muss in Gang gesetzt werden [...]. Eine Praxis dagegen läuft immer schon [...].« (Hirschauer 2004: 73)

Hier wird »Handlung« von »Praxis/Praktik« unterschieden. Zwei Dinge stechen ins Auge: Erstens die undifferenzierte Verwendung von »Praktik« und »Praxis«. Beide Begriffe werden in Richtung des Begriffs »Handlung« abgegrenzt, jedoch nicht gegeneinander, sondern im Gegenteil äquivok verwendet. Zweitens der verkürzte Bezug auf Schatzkis Bestimmung einer Praktik. Ähnlich argumentiert Schmidt, dass »[...] es sich bei sozialen Praktiken um ein konkretes Geschehen handelt [...]« (Schmidt 2012: 51). Hier wird ebenfalls die Unterscheidung von »Praktik« und »Praxis« kurzgeschlossen, womit jedoch analytisches Potential verschenkt wird. Vollständig bestimmt Schatzki eine Praktik als »temporally unfolding and spatially dispersed nexus of doings and sayings« (Schatzki 1996: 89). Diese Bestimmung grenzt er von dem Verständnis von »practice« als Gegenbegriff zu Theorie ab, die für jedes Verständnis von sozialen Zusammenhängen konstitutiv sei: »In any event, this third notion of practice is central to any analysis of human existence.« (Ebd.: 90)5 Hier handelt es sich um zwei sehr unterschiedliche Verwendungsweisen von Praktik/Praxis: Einmal einem tatsächlichen Ablaufen von sozialen Zusammenhängen und das andere Mal um eine sich zeitlich entfaltende und räumliche versprengte Verknüpfung von Taten und Gesagtem6 . So verstanden bilden Praktiken relativ stabile Einheiten, die zu unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten zu beobachten sind. Dies zu unterschlagen würde bedeuten, Schatzkis Ansatz seiner analytischen Schärfe zu berauben. Andreas Reckwitz nimmt diese Unterscheidung mit Bezug auf die deutschen Vokabeln »Praxis« und »Praktik« explizit vor. In dem Aufsatz »Toward a Theory of Social Practices« (Reckwitz 2002) unterscheidet Reckwitz zwischen »practice« (Sin-

5 | Die zweite, hier unterschlagene Bedeutung von »practice« ist die des Übens einer Sache z.B. eines Instruments und ist der englischen Sprache geschuldet, die dafür das gleiche Wort verwendet. 6 | »Doings« und »sayings« stehen im Plural. Dies signalisiert, dass es sich hier um substantivierte Verben in der grammatikalischen Form eines Gerundiums handelt.

2. Praxissoziologische Ansätze | 29

gular, übersetzt als »Praxis«) und »practices« (Plural, übersetzt als »Praktiken«), für die er auch die Verwendung im Singular vorschlägt: »›Practice‹ (Praxis) [...] represents merely an emphatic term to describe the whole of human action (in contrast to ›theory‹ and mere thinking). [...] A ›practice‹ (Praktik) is a routinized type of behaviour which consists of several elements, interconnected to one other [...].« (Reckwitz 2002: 249)

Oder an anderer Stelle: »[...], dass sich die soziale Welt aus sehr konkret benennbaren, einzelnen, dabei miteinander verflochtenen Praktiken (im Plural) zusammensetzt« (Reckwitz 2003: 289).

Diese Unterscheidung ist analytischer Art und nicht als eine Art Trick zu verstehen, um gewissermaßen durch die Hintertür wieder eine Form von Struktur einzuführen, die unabhängig von Praxis existiert und deren Ablehnung alle praxistheoretischen Ansätze grundsätzlich miteinander teilen.7 Es geht dabei vielmehr darum, jenen Aspekt von Praxis zu benennen, der Praktiken verteilt über verschiedene Orte und Zeiten als dieselbe Praktik verstehbar und (wieder-)erkennbar macht. Schatzki bemerkt diesbezüglich: »[A] general analysis of practices qua spatiotemporal entities must embrace an account of practice qua do-ing.« (Schatzki 1996: 90) Eine solche elaborierte Unterscheidung von »Praxis« und »Praktik« ermöglicht es, Praktiken als theoretische Entitäten analytisch entkoppelt von der sie reproduzierenden Praxis zu diskutieren. In der englischen Debatte wurde diese Unterscheidung von Shove, Warde und anderen mit Bezug auf Schatzki und Reckwitz aufgenommen. Warde unterscheidet zwischen »practice as a coordinated entity« und »practice as performance« (Warde 2005: 133). Erstere Formulierung korrespondiert mit dem Begriff »Praktik«, während letztere Formulierung dem deutschen Begriff »Praxis« entspricht. Auf der gleichen Linie unterscheiden Shove et al. zwischen »practice as entity« und »practice as performance« (Shove et al. 2007: 13; Shove und Pantzar 2007: 154; Shove et al. 2012: 7). Das Potential dieser heuristisch instruktiven Unterscheidung wird in der Debatte um eine »Praxissoziologie«, »Praxeologie« oder »Soziologie der Praktiken« in

7 | »Eine Praktik ist dabei nichts Zeitenthobenes, kein ›type‹ des Verhaltens, das sich in immer neuen ›tokens‹ vollkommen identisch aktualisiert, sondern hat eine zeitliche Struktur: eine Struktur der Wiederholung, der Reproduktion und Repetitivität [. . . ].« (Reckwitz 2006: 37)

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Deutschland nicht annähernd ausgeschöpft. Instruktiv ist diese Unterscheidung, weil sie Forschungsdesigns und Forschungsagenden möglich werden lässt, die interessante Fragestellungen mit sich bringen. So macht es dann Sinn, Praxis an unterschiedlichen Orten und zu verschiedenen Zeiten zu beobachten und diese als Reproduktion derselben Praktik zu verstehen. Das Forschungsdesign kann dann auf die fragliche Praktik ausgerichtet sein und nicht an Orten der Praxis oder an Personen, die diese Praxis ausüben. Shove et al. nutzen dies, um die Karrieren von Praktiken, die Zirkulation und den Austausch von Praktikenbestandteilen (Elementen) zwischen Praktiken und die Ressourcen von Praktiken zu beschreiben und danach zu fragen, wie sich Veränderungen von Praktiken induzieren lassen (Shove et al. 2012). In der vorliegenden Arbeit geht es um die räumliche Dimension von Praktiken, hier verstanden als die räumlichen Ordnungen, die durch Praktiken erzeugt werden. Es ist hilfreich, diese Frage auf der Ebene der Praktik und nicht der Praxis alleine zu untersuchen, da so Räume, die sowohl in ihrer Stabilität als auch in ihrer Ausdehnung über die Grenzen einzelner Situationen hinausreichen, in den Fokus gerückt werden können. Praktiken werden dabei im vorgestellten Sinn als analytische Entitäten verstanden, die eine gewisse relative Stabilität und eine bestimmte Organisation von Bestandteilen (Anordnung von Elementen) auszeichnet. Praxis hingegen wird im Folgenden als tatsächliches Ablaufen von Praktiken in konkreten Situationen verstanden, in denen Praktiken fortlaufend reproduziert werden. Ohne Praxis ist dabei die Existenz von Praktiken nicht vorstellbar.

2.2 P RAKTIK

ALS SOZIOLOGISCHER

G RUNDBEGRIFF

Wie dargestellt, handelt es sich bei praxissoziologischen Ansätzen um ein familienähnliches, loses Bündel von Theorieangeboten, die gemeinsam haben, dass sie »Praxis«, »Praktiken« bzw. »practices« als entscheidende Theoriebausteine verwenden. Giddens formuliert die grundlegende Rolle von Praktiken für das Verständnis von sozialen Sachverhalten wie folgt: »[S]oziale Praktiken, die in Raum und Zeit hineingreifen, [liegen] sowohl der Konstitution des Subjekts als auch der des sozialen Objekts zugrunde.« (Giddens 1997: 35)

Er bestimmt das Forschungsfeld der Soziologie in der Folge genau auf dieser Ebene zwischen Individuum und gesellschaftlichen Zusammenhängen:

2. Praxissoziologische Ansätze | 31

»Das zentrale Forschungsfeld der Sozialwissenschaften besteht [...] weder in der Erfahrung des individuellen Akteurs noch in der Existenz irgendeiner gesellschaftlichen Totalität, sondern in den über Zeit und Raum geregelten gesellschaftlichen Praktiken.« (Ebd.: 52)

Giddens fordert mehr als die Betonung der »sozialen Praxis« oder die Nutzung eines Konzepts von »Praktiken« als zusätzliche »theoretische Sehhilfe«. Die angeführten Textstellen enthalten die axiomatische These, dass Praktiken nicht nur ein weiteres soziologisches Konzept sind, sondern als die Grundlage aller anderen sozialen Phänomene verstanden werden müssen, d.h. diesen vorgängig sind. Praktiken konstituieren Subjekte wie auch soziale Objekte und damit Gesellschaft als Ganzes. Diese gesellschaftlichen Zusammenhänge werden ihrerseits in Praktiken reproduziert: »Das bedeutet, dass sie [Praktiken, PG] nicht durch die sozialen Akteure hervorgebracht werden, sondern von ihnen mit Hilfe eben jener Mittel fortwährend reproduziert werden, durch die sie sich als Akteure ausdrücken. In und durch ihre Handlungen reproduzieren die Handelnden die Bedingungen, die ihr Handeln ermöglichen.« (Ebd.)

Hier wird die bereits im Zusammenhang mit der Beziehung von Handlung und Struktur angesprochene, in der Gidden’schen Sozialtheorie zentrale Denkfigur der rekursiven Reproduktion von Gesellschaft deutlich. Schatzki formuliert auf einer ähnlichen Linie einen Ansatz, soziale Zusammenhänge oder Gesellschaft ausgehend von »Social Practices« zu verstehen. Schatzki verzichtet dabei auf ein explizites Konzept von Gesellschaft und führt stattdessen das Konzept der »human coexistence« (Schatzki 1996: 13 f.) ein, mit dem das Zusammenhängen von menschlichem Leben bezeichnet wird. Später (Schatzki 2002) modifiziert und erweitert Schatzki diesen Ansatz und führt das Konzept der »site«8 ein, an der Sozialität entsteht. »Sites« sind dabei ein Gewebe (»mesh«) aus Anordnungen (»orders«) von Entitäten (Menschen, Artefakte, Dinge) und Praktiken (»practices«) (vgl. ebd.: XI). Während im ersten Entwurf Materialitäten praktisch keine Erwähnung finden, spielen sie in der Konzeption der »site« eine entscheidende Rolle. Auf die Trennung

8 | Im Unterschied zu den anderen Termini technici von Schatzki übersetze ich »site« nicht, da es im Deutschen nach meinem Verständnis des Konzepts keinen adäquaten Begriff gibt, der die Bedeutungsdimensionen der »site« (Ort, Bauplatz, Platz, Lokalisation) einfangen würde. Jonas schlägt vor, »site« als »Stätte« zu übersetzen (Jonas 2009). Ich folge dem nicht, weil die Implikation eines benennbaren geografischen Ortes, die mit dem Begriff »Stätte« einhergeht, irreführend ist.

32 | Flächen – Bahnen – Knoten

von Praktiken/Praxis auf der einen und Anordnungen von Entitäten auf der anderen Seite werde ich zurückkommen. Grundannahme von Schatzki ist, und hier ist die Verbindung zu Giddens augenscheinlich, dass jegliche soziale Phänomene, wie immer sie auch im Einzelnen zu fassen sein mögen, als in Praktiken gegründet verstanden werden müssen. Praktiken sind allen anderen Phänomenen und Zusammenhängen, wie Geist (»mind«), Handlung (»action«) und Körper (»body«), vorgängig (vgl. Schatzki 1996: Kap. 2 und Kap. 3) und etablieren das komplex in sich verwobene Gewebe von Praktiken, das bei Schatzki Sozialität entstehen lässt: »All [. . . ] practices are social, above all because participating in them entails immersion in an extensive tissue of coexistence with indefinitely many other people.« (Ebd.: 105 auch 186 ff.)

Schatzki bestimmt eine Praktik als einen »temporally unfolding and spatially dispersed nexus of doings and sayings« (Schatzki 1996: 89).9 Es geht also um eine sowohl sich zeitlich entfaltende und räumlich versprengte Verbindung von Taten und Gesagtem. Eine Praktik ist also nicht wie etwa ein Ereignis auf einen Ort und einen Zeitpunkt beschränkt. Diese Bedeutung grenzt Schatzki von zwei anderen »Praxis/Praktik-Arten« ab. Erstens dem Üben von etwas (»to practice sth.«), und zweitens dem tatsächlichen Ausführen von Handlungen als Gegenbegriff zu »Theorie« (vgl. S. 28). Während die erste Abgrenzung der englischen Sprache geschuldet ist, ist die zweite interessant. Sie verweist auf das Problem, das im Rahmen der Begriffsklärung »Praxis« vs. »Praktik« contra »practice« (vgl. Kap. 2.1: »Praktik« als soziologischer Grundbegriff ) thematisiert worden ist. Solange »practice« in dieser Bedeutung verwendet wird, also als »Praxis« und nicht als »Praktik« im starken Sinn, verliert das Konzept an Schärfe. Denn wie Schatzki bemerkt, ist »practice« im Sinne von »Praxis« zentral für jegliche Analyse von menschlicher Existenz (ebd.: 90). Wenn Praktiken, und nicht etwa Individuen, der Ausgangspunkt soziologischer Reflexionen sind, dann stellt sich die Frage, wie das Verhältnis von Praktiken, Praxis und Personen verstanden werden kann. Reckwitz bestimmt dieses Verhältnis als eines, in dem Personen als »Träger« von Praktiken in Erscheinung treten: »The single individual – as a bodily and mental agent – then acts as the ›carrier‹ (Träger) of a practice – and, in fact, of many different practices which need to be coordinated with one another.« (Reckwitz 2002: 250; vgl. auch Reckwitz 2003: 289 ff.)

9 | An anderer Stelle heißt es, eine Praktik sei ein »spatiotemporal array of linked behavior« (Schatzki 1996: 133) und »practices are organized nexuses of actions« (Schatzki 2002: 77).

2. Praxissoziologische Ansätze | 33

Personen sind also Träger von Praktiken. Das bedeutet, Praktiken werden von Personen ausgeführt und durch diese bzw. in dieser Ausführung reproduziert.10 Bei dieser tatsächlichen Ausführung von Praktiken handelt es sich nun tatsächlich um die »Praxis«. Es macht also Sinn, von der Praxis einer Praktik zu sprechen. Diese Praxis ist es, an der die teilnehmende Beobachtung einer Praktik teilhat. Bezogen auf den Fokus der vorliegenden Arbeit, der auf der räumlichen Dimension der Praktik »Geocaching« liegt, bedeutet das, dass es möglich ist, an der Praxis der Praktik »Geocaching« teilzunehmen. Als Forscher kann man sie ausführen, also bei dieser mitmachen und die Praxis der Praktik »Geocaching« beobachten, indem man Zeuge derselben wird. So ist es möglich, nach Spuren der Praktik zu suchen, um auf diese zurückzuschließen und auf ihre räumliche Dimension zu befragen (vgl. Kap. 6: Die Forschungsmethode). Wie lassen sich Praktiken nun näher bestimmen und welche Aspekte müssen berücksichtigt werden, um diese angemessen zu beschreiben? Eine weitere Definition einer Praktik bei Schatzki lautet: »[A] practice is a temporally evolving, open-ended, set of doings and sayings linked by practical understandings, rules, teleoaffective structure, and general understandings.« (Schatzki 2002: 87)

Die Organisation von Praktiken hat also bei Schatzki vier Aspekte, die er die Organisation einer Praktik (vgl. ebd.: 77) nennt: 1. Praktisches Verstehen (»practical understanding«) 2. Explizite Regeln (»rules«) 3. Teleoaffektive Struktur (»teleoaffective structure«) 4. Allgemeines Verstehen (»general understanding«) Zur näheren Bestimmung des Praktikenkonzepts unterscheidet Schatzki zwischen zwei Arten von Praktiken: »dispersed practices« auf der einen Seite und »integrative practices« auf der anderen Seite. Beide Arten können als entgegengesetzte Pole eines Kontinuums verstanden werden, entlang dessen der Grad der Organisation der Praktik von »dispersed practices« zu »integrative practices« zunimmt.

10 | Vergleichbar argumentiert Hirschauer, indem er von »Partizipanden« von Praktiken spricht (Hirschauer 2004).

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»Dispersed practices« sind solche Praktiken, die weit verteilt (»dispersed«) über ganz verschiedene Bereiche des Sozialen sind. Schatzki führt als Beispiele Praktiken wie »beschreiben«, »ordnen«, »Regeln folgen«, »erklären«, »fragen«, »berichten«, »untersuchen« und »sich etwas vorstellen« an (Schatzki 1996: 91). Aber auch »schreiben«, »tanzen«, »sitzen« oder »befehlen« würden sich hier einreihen lassen. Solche Praktiken sind nicht an bestimmte Situationen oder Zusammenhänge gebunden oder bestimmen diese, sondern haben eine gewisse Allgemeingültigkeit. Daher sind sie so in den unterschiedlichsten Zusammenhängen auffindbar. Was diese »dispersed practices« miteinander verbindet, was also z.B. die Praktik des Erklärens in der einen Situation mit der Praktik des Erklärens in einer anderen Situation verbindet und sie zu derselben Praktik macht, ist das Verstehen (»understanding«) der Praktik. Dieses Verstehen verbindet als Teil der Organisation »doings and sayings« einer Praktik miteinander: »The dispersed practice of X-ing is a set of doings and sayings linked primarily, usually exclusively, by the understanding of X-ing.« (Schatzki 1996: 91)

Schatzki bestimmt also das Verstehen (»understanding«) als zentralen Bestimmungspunkt einer Praktik und als entscheidende Organisationsdimension von »dispersed practices«. Die anderen Dimensionen spielten hier keine große Rolle bzw. seien nicht vorhanden, was tatsächlich überhaupt erst die Verteilung einer solchen Praktik über Raum und Zeit ermögliche (vgl. Schatzki 2002: 88). Praktisches Verstehen denkt Schatzki dabei in drei Dimensionen: Die Praktik ausführen zu können (1), sie als solche zu erkennen (2) und angemessen darauf reagieren zu können (3) (Schatzki 1996: 91). An dieser Stelle ist die Nähe zur Auffassung von Sprache offensichtlich, wie sie sich beim späten Wittgenstein findet. Dessen Gebrauchstheorie der Sprache macht die Bedeutung eines Wortes an dessen Gebrauch fest. Wittgenstein formuliert: »Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache« (Wittgenstein 2003: §43). Entscheidend sei zudem, dass solche »dispersed practices« nicht wie unveränderliche Atome an unterschiedlichen Stellen des sozialen Lebens auftauchen, sondern dass diese sich mit anderen zu dritten »dispersed practices« verbinden können und dabei ihrerseits abgewandelt werden können (Schatzki 1996: 91). Diese Abwandlung kann unter Umständen so weit gehen, dass eine Praktik nicht mehr als die ursprüngliche erkennbar bzw. verstehbar ist. Auf diese Weise können neue Praktiken entstehen. Diese Konzeption vermeidet jede Form von Substantialismus. Es ist nicht möglich zu sagen, was eine bestimmte Praktik, z.B. »berichten«, nun letztendlich im Kern

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ausmache, definiere oder bestimme. Hier wird deutlich, dass Schatzki die Vorstellung von Praktiken als unveränderliche Bausteine oder Elemente sozialen Lebens ablehnt (ebd.: 99). Durch die Bindung des Konzepts der Praktik an das Verstehen durch die ausführende(n) und sie zur Kenntnis nehmende(n) Person(en) wird die genaue Beschaffenheit der Praktik untrennbar an den sozialen Kontext gebunden, wobei es wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass diese Bindung über das Verstehen relativ schwach ist. Das bedeutet, »dispersed practices« sind zwar sozial verankert, die Reichweite des geteilten Verstehens ist aber hinreichend groß, dass es sinnvoll ist, von über verschiedene soziale Bereiche verteilte (»dispersed«) Praktiken zu sprechen. Man kann also etwa von der Praktik des Berichtens sprechen, ohne dabei an einen bestimmten sozialen Zusammenhang zu denken. Je schwächer die Bindung einer Praktik an einen sozialen Kontext ist, desto größer kann der Grad der Verteiltheit sein. Letztendlich muss die Definition von »verteilten Praktiken« als eine relative Bestimmung gedacht werden, relativ dazu, worüber die Praktik verteilt ist. Legt man hier einen globalen Maßstab an, gelangt man zu anderen Ergebnissen, als wenn man einen Maßstab anlegt, der sich auf den westeuropäischen Kulturkreis beschränkt. Diese Diskussion der kulturellen Reichweite von Praktiken soll hier jedoch nicht weiter verfolgt werden, da sie für die vorliegende Arbeit nicht zielführend ist. Deutlicher wird das Konzept der »dispersed practices« in der Gegenüberstellung zu der zweiten Art von Praktiken, die Schatzki einführt, den »integrative practices«. Alles, was für die Organisation von »dispersed practices« gilt, gilt auch für den zweiten Typ der »integrative practices«, jedoch kommen hier drei weitere Dimensionen hinzu, nämlich explizite Regeln, die teleoaffektive Struktur (»teleoaffective structure«) und das allgemeine Verstehen (»general understanding«). Unter »integrative practices« versteht Schatzki »a set of doings and sayings linked by understanding, explicit rules, and teleoaffective structure« (ebd.: 99). Als Beispiele für »integrative practices« führt Schatzki landwirtschaftliche Praktiken, geschäftliche Praktiken, Praktiken des Kochens, religiöse Praktiken, industrielle Praktiken oder Freizeitpraktiken an (ebd.: 198). Bei diesen Beispielen spielen Inhalte eine Rolle. Während »dispersed practices« wie »fragen«, »erklären«, »berichten« etc. unabhängig von weiteren inhaltlichen Bestimmungen denkbar und verstehbar sind, ist dies bei Freizeitpraktiken, religiösen Praktiken oder Praktiken des Kochens nicht vorstellbar. Hier geht es um etwas Bestimmtes, etwa um Fußball spielen, um die Anbetung eines Gottes oder die Zubereitung einer Mahlzeit in einer bestimmten Weise. Im Unterschied zu versprengten Praktiken erzeugen integrative Praktiken soziale Zusammenhänge/Bereiche. Die erste Dimension der Organisation von »integrative practices« ist bereits aus der vorangegangenen Diskussion des Typs der »dispersed practices« bekannt. Prak-

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tiken müssen wie beschrieben als solche erkannt werden können. Die Regeln ihrer Ausführung und des Reagierens auf sie, also die Regeln des Gebrauchs, müssen bekannt sein. Die Regeln, die nötig sind, damit eine Praktik verstehbar wird, sind impliziter Art. Die zweite Dimension ist neu. Hier geht es um explizite Regeln. Schatzki nennt als Beispiele Prinzipien, Grundsätze und Instruktionen (vgl. Schatzki 1996: 100; Schatzki 2002: 79 f.). Personen, die eine Praktik ausüben, akzeptieren diese Regeln als sinnvoll und achten darauf, sie zu befolgen. An dieser Stelle liegt der Einwand nahe, dass Praktiker in der Praxis ja gerade nicht immer explizite Regeln befolgten und sich darin z.B. die Widerständigkeit der Praxis dem Entwurf gegenüber zeige. Das Argument ist vollkommen richtig, geht aber an dieser Stelle ins Leere. Es gibt keine expliziten Regeln, die auf irgendeine nicht revidierbare Weise mit einer Praktik verbunden wären. Wenn es dazu kommt, dass Praktiker eine Regel systematisch unterlaufen, würde sich dadurch die Praktik verändern oder es würde eine neue veränderte Praktik entstehen, für die diese eine Regel eben nicht mehr oder in abgewandelter Form gilt. Die dritte Dimension kommt ebenfalls neu hinzu. Die teleoaffektive Struktur einer Praktik meint eine Rangordnung von Zielen, Aufgaben, Projekten, Überzeugungen, Emotionen, Stimmungen und Ähnlichem (Schatzki 1996: 101). Die Ausbuchstabierung dieser Dimension bindet eine Praktik an soziale Kontexte. Das bedeutet, eine solche Praktik kann nicht mehr so verteilt auftreten wie eine Praktik, die auf dieser Dimension nur wenige Merkmale hat. So ist z.B. die Praktik »kochen« oder »Speisen zubereiten« in dieser Allgemeinheit sehr verteilt, die Praktik Spaghetti in einer bestimmten Weise zu kochen aber nicht. Dies ist deshalb nicht der Fall, weil bei letzterer Teil der teleoaffektiven Struktur Überzeugungen sind, wie lange Spaghetti kochen müssen, bis sie gar sind, wie es richtig ist die Sauce zuzubereiten, damit sie schmeckt, in welcher Reihenfolge die Zutaten zu mischen sind und was es heißt, dass das Gericht gelungen ist. Mit der Dimension des »general understanding« zielt Schatzki auf eine weitere Ebene des Verstehens ab. Diese ist nicht direkt mit bestimmten Aktivitäten (»doings and sayings«) verbunden, sondern organisiert allgemeiner die Durchführung von Praktiken in einem Bereich des Sozialen mit. Schatzki beschreibt zur Verdeutlichung das Verständnis von Arbeit als Heiligung (»sanctification«) des Diesseits (»earthly sphere«) in der Glaubensgemeinschaft der Shaker, das sich in vielen ihrer Arbeitsund Interaktionspraktiken ausdrücke (vgl. Schatzki 2002: 86). Dadurch, dass im Fall der »integrative practices« im Gegensatz zu den »dispersed practices« viel mehr Bedingungen unter den Praktikern oder Trägern einer Praktik geteilt werden, ist der

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namensgebende Integrationsfaktor bei ersteren wesentlich höher. Sie lassen soziale Kontexte entstehen. Das Konzept der »teleoaffective structure« ist etwas sperrig. Auf der einen Seite setzen sich Ansätze, die auf Praktiken fokussieren, von jeder Form von Intentionalität ab, auf der anderen Seite taucht hier das Wort »Telos« (gr. Ziel) im Namen eines Konzepts auf. Ziele zu haben scheint aber stets mit Intentionen einherzugehen. Als nächstes fällt die Verbindung von »Telos« und »Affekt« auf, die erklärungsbedürftig ist. Aktivität und Passivität wird hier in einem Konzept zusammengezogen. Diesem scheinbaren Widerspruch soll nun nachgegangen werden, weil dies zur Verdeutlichung des Ansatzes beiträgt. Der Schlüssel zum Verständnis beider Irritationen liegt in dem ontologischen Status, dem Schatzki Praktiken zuweist: Praktiken sind die Grundlage aller anderen sozialen Phänomene. Selbst Handlungen, Körper, Geist, Intentionen oder Emotionen, von denen man annehmen könnte, dass sie ein Teil dessen sind, worauf Praktiken aufbauen, ordnet Schatzki diesen nach (vgl. Schatzki 1996: Kap. 2 und Kap. 3). Es ist daher keineswegs so, dass Schatzki die Existenz von Intentionen verneint. Es gibt sie nur nicht als Eigenschaft von Individuen, sondern nur als Teil von teleoaffektiven Strukturen von Praktiken. Ein Beispiel in diesem Sinne wäre z.B. die Praktik »Tennis spielen«. So ist es möglich, bei einem Tennisspieler die Intention herauszuarbeiten, den Ball erfolgreich über das Netz in das Spielfeld auf die gegnerische Hälfte spielen zu wollen. Schatzkis Argument an dieser Stelle wäre, dass diese Intention nicht dem Spieler, sondern vielmehr der Praktik »Tennis spielen« entspringt. Jeder, der diese Praktik ausübt, übernimmt automatisch diese und andere Intentionen, wie z.B. einen Punkt machen zu wollen, den Ball mit dem Tennisschläger zu schlagen usw. Damit ist die Intention »den Ball erfolgreich über das Netz in das Spielfeld in der gegnerischen Hälfte spielen zu wollen« Teil der teleoaffektiven Struktur der Praktik »Tennis spielen«. Ebenso verhält es sich mit Affekten: Tennisspieler ärgern sich in der Regel bei einem unnötigen Punktverlust und freuen sich im Falle eines Punktgewinns. Diese Affekte sind wiederum nicht abhängig von dem Individuum, das die Praktik ausübt, sondern sind Teil der Praktik. Das bedeutet, dass jedes Individuum, das die Praktik »Tennis spielen« praktiziert, also Träger dieser Praktik wird, von diesem Set an Zielen, Intentionen und Affekten durchdrungen wird. Dieser Umstand macht nicht selten, gerade im Freizeitbereich eigentlich immer, den Reiz aus, eine bestimmte Praktik auszuüben. Vor diesem Hintergrund verliert das Zusammenziehen von Aktivität in Form von Zielen und Intentionen und Passivität in Form von Emotionen und Affekten seine anfängliche Sperrigkeit. Es geht nicht darum, wie das Verhältnis von Aktivität und Passivität auf Ebene von Individuen bestimmt ist. Schatzkis Argument ist, dass es auf

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der Ebene von Praktiken, und das ist die alles entscheidende Ebene für die Beschreibung sozialer Zusammenhänge, zu festen, mit einer Praktik verbundenen Strukturen (Hierarchien) von Zielen und Affekten kommt, die ebenso wie das Verstehen und Regeln eine Praktik bestimmen und charakteristisch für diese sind. Das Verhältnis von »dispersed practices« und »integrative practices« Schatzkis Unterscheidung beider Arten von Praktiken scheint zu unterscheiden, was eigentlich nicht voneinander zu unterscheiden ist. Beide Typen von Praktiken sind Praktiken und bei sorgfältigerem Nachdenken wird es schwierig, sich »dispersed practices« vorzustellen, die eindeutig keine »integrative practices« sind. Selbst eine auf den ersten Blick einleuchtend zu den »dispersed practices« gehörende Praktik wie »erklären« ist bei genauerer Betrachtung nicht vom Kontext ihrer Ausübung zu trennen. So funktioniert »erklären« im Kontext einer militärischen Ausbildung erwartungsgemäß auf andere Weise als die Praktik des Erklärens im Kontext von Kindererziehung. Schatzkis Argument wäre an dieser Stelle, dass aber die Ähnlichkeit immer noch groß genug ist, um beide Praktiken verständlich mit dem gleichen Begriff benennen zu können. Mit dieser Strategie koppelt Schatzki das Unterscheiden von Praktiken an den Gebrauch von Sprache. Die Frage ist jedoch, für wen die Praktik verstehbar ist. Es ist ja durchaus möglich, dass Begriffe in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Praktiken bezeichnen. Deshalb ist nicht gewährleistet, dass jemand, der »erklären« im Kontext des Militärs versteht, es auch im Kontext der Erziehung von Kindern auf akzeptable Weise versteht. Auf diesem Weg scheint der Kontext auch bei »dispersed practices« eine Rolle zu spielen. Weil aber der Kontext bei diesen Praktiken per Definition keine Rolle spielen darf11 , stellt sich die Frage, inwieweit es überhaupt solche Praktiken gibt. Die Lösung für diese vermeintliche Sackgasse liegt darin, keine prinzipielle Unterscheidung zwischen beiden Arten von Praktiken anzunehmen, sondern eine graduelle. Es macht absolut Sinn für die Beschreibung von Praktiken solche wie »erklären« oder »fragen«, von solchen wie »Fußball spielen« oder »kochen«, zu unterscheiden und auch deutlich zu machen, worin dieser Unterschied besteht, auch wenn er sich nicht auf jeder Verallgemeinerungsstufe durchhalten lässt. Je weniger Kontext nötig ist, um eine Praktik sinnvoll beschreiben zu können, desto mehr ist sie »dispersed«, weil durch die geringere Kontextgebundenheit die Reichweite der Praktik größer ist. Schatzki argumentiert, dass es nicht möglich ist, »dispersed practices« separat auszuführen. Bei der Ausführung solcher Praktiken ist man stets auch in das Ausführen einer »integrative practice«

11 | »The dispersion of a practice actually requires the absence of the teleoaffective component of practice organization.« (Schatzki 1996: 92)

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involviert (Schatzki 1996: 99). An dieser Stelle wird die analytische Natur der Unterscheidung deutlich. Warum »dispersed practices« nicht auf Kontexte angewiesen sind, begründet Schatzki damit, dass sie das Verstehen in sich selbst tragen. Schatzkis Beispiel ist das Flötenspiel, was sich selbstständig erkläre, wenn man es ausübe, anderen dabei zuschaue oder mit Leuten, die Flöte spielen umgehe, also auf sie reagieren müsse (vgl. ebd.: 93). »Explicit rules« und »teleoaffective structures« werden hingegen nicht von den Praktiken selbst transportiert, deshalb bestimmen sie den Kontext. Natürlich müssen aber auch »integrative practices« einen selbsterklärenden Anteil mit sich führen, da diese erste Ebene der Organisation von Praktiken gleich ist. Das Konzept der »social site« bei Schatzki Das Konzept der »site« nimmt in »The Site of the Social« eine zentrale Rolle ein. Waren in »social practices« noch Praktiken der Dreh- und Angelpunkt der Beschreibung sozialer Zusammenhänge, so verschiebt sich der Fokus nun zu eben diesen »sites«. »The social site is a specific context of human coexistence: the place where, and as part of which, social life inherently occurs.« (Schatzki 2002: XI)

Diese »social sites« sind für Schatzki der »Ort«, an dem menschliche Koexistenz und damit Sozialität entsteht und reproduziert wird. »[A site] is composed of a mesh of orders and practices. Orders are arrangements of entities (e.g., people, artifacts, things), whereas practices are organized activities. Human coexistence thus transpires as and amit an elaborate, constantly evolving nexus of arranged things and organized activities.« (Ebd.)

Schatzki unterscheidet hier zwischen »orders« – Anordnungen (»arrangements«) von Entitäten – und Praktiken. Mit dieser Unterscheidung geht einher, dass sich der ontologische Status von Praktiken ändert. Denn tatsächlich handelt es sich um mehr als eine leichte Verschiebung des Fokus: Waren bisher Praktiken der Ausgangspunkt aller sozialen Phänomene und Zusammenhänge, mithin des menschlichen Zusammenlebens, sind es nun eben jene »sites«. Praktiken und Arrangements aus Personen, Artefakten und Dingen gehen untrennbar miteinander her und bilden eine fest verwobenes Gewebe (»mesh«). Das bedeutet, dass beide Seiten nur in Bezug auf die jeweils andere Seite bestehen. Sie sind zwar zu analytischen Zwecken unterscheidbar, aber nicht voneinander zu trennen. So sind keine Praktiken ohne Arrangements, die jene ermöglichen und mitbestimmen, möglich. Und ebenso keine Arrangements

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ohne Praktiken, da diese nicht zuletzt dafür verantwortlich sind, dass Arrangements ihre jeweilige Form haben (vgl. ebd.: 237). Wie eng die gegenseitige Verschränkung ist, wird durch den Umstand klar, dass Personen in beiden Konzepten involviert sind: Personen nehmen Positionen innerhalb der Anordnung von Entitäten ein, und zwar nicht nur als materielle Körper, sondern immer schon als in Praktiken involvierte. Mit dieser Bestimmung der »social site«, an dem soziale Phänomene nach Schatzki entstehen, ist nun klar, wo ein Forscher in dieser Perspektive seine Aufmerksamkeit hinwenden muss. Dieses Verständnis des Sozialen als Gewebe von Praktiken und Arrangements, das die »site of the social« bildet, wirft die Frage auf, wie solche »sites« konkret vorzustellen und wo sie zu finden seien. Letzteres ist eine entscheidende Frage, falls mit einem ethnografischen Forschungsdesign gearbeitet werden soll (vgl. Kap. 6: Die Forschungsmethode). Entscheidend ist, dass es sich bei diesen Stätten nicht um konkrete Orte auf der Erdoberfläche handelt, die man mit Hilfe von geografischen Koordinaten benennen könnte, obwohl dies durchaus der Fall sein kann, wie das von Schatzki angeführte Beispiel der Kräuterherstellung der Shaker zeigt, die an einem klar umgrenzbaren Ort vonstatten ging (ebd.: Kap. 1-3). Im zweiten Beispiel der Finanzmarktpraktiken, das Schatzki diskutiert (ebd.: Kap. 3) ist es hingegen so, dass die »social site« des »day trading« geografisch nicht eindeutig zu benennen ist. Es sind unzählige Orte, im Sinne von Positionen auf der Erdoberfläche, involviert. Es lässt sich kein Territorium abgrenzen, an dem dieses Gewebe von Anordnungen und Praktiken, also die »social site« platziert ist. Vielmehr handele es sich in diesem Fall um eine Art virtuelle »social site«: »All in all, the nexus that is composed of the bundles that are day trading and market making is the site where this competitive human coexistence transpires.« (Ebd.: 173)

Diese »social site« ist nicht als geografischer Ort vorstellbar, da »day trading« und alles was damit zusammenhängt, viel zu sehr über den gesamten Globus verteilt ist. Dennoch ist es sehr wohl eine »social site«, die mit soziologischem Instrumentarium untersucht werden kann. Der Ort des Sozialen muss daher als eine Art Zusammenfluss aller beteiligten Entitäten, Umstände, Praktiken, Anordnungen etc. gedacht werden. Wo sich diese Linien berühren, entsteht mit Schatzki Sozialität. Stabilität von Praktiken Die Frage, wer oder was bestimmt, wie Praktiken gestaltet sind, sich entwickeln und verändern ist falsch gestellt, weil dies nicht von einzelnen Personen oder Institutionen abhängig ist, sondern in der hier vorgestellten Perspektive stets aus der Praxis der

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Praktiken heraus geschieht. Und das nicht selten auf überraschende Weise. Wenn die Grundannahme, die allen Praxistheorien gemeinsam ist, lautet, dass alle Zusammenhänge permanent in Bewegung sind12 , besteht die zu klärende Frage, wie Stabilität erklärt werden kann. Angewandt auf den hiesigen Ansatz stellt sich die Frage, wie Praktiken Stabilität entwickeln. An dieser Stelle sind Zusammenhänge identifizierbar, die dazu beitragen, das Verstehen zu standardisieren, »explicit rules« festzuhalten, weiterzugeben oder zu verbreiten und gegen Veränderung abzusichern, und »teleoaffective structures« in bestimmter Weise zu reproduzieren und abweichendes Verhalten zu sanktionieren. Die Praxis, gedacht als tatsächliche Ausführung von Praktiken, öffnet jedoch immer Spielräume und reproduziert niemals eine Praktik als exakte Kopie (Token) eines Typs. Wenn man dies als gegeben akzeptiert, dann ist die interessante Frage bezüglich der Stabilisierung von Praktiken, wie – mit Schatzki – die Organisation der Praktik aussieht und wie diese reproduziert wird. In der vorliegenden Arbeit wird dazu das Zusammenspiel von sozialen Beziehungen und Interaktionen, sozialen Institutionalisierungen oder Normierungsprozessen, technologischem »blackboxing«, ermöglichenden Infrastrukturen und deren wechselseitiges Beeinflussungsverhältnis untersucht. Stabilität kann vor diesem Hintergrund immer nur als relative Stabilität gedacht werden. Also in der Form »A ist stabiler als B«. Praktiken erscheinen stabil, weil sie stabiler als andere Praktiken oder Einheiten sind, oder sie scheinen leicht veränderlich, weil sie es nicht sind. Hierbei kommt es auf die zum Vergleich herangezogenen Praktiken, Einheiten, Zusammenhänge und Entitäten an. Skalierbarkeit Praktiken in der hier vorgestellten Art sind ein skalierbares Konzept. Das bedeutet, es sind Praktiken auf unterschiedlichen Komplexitätsstufen denkbar. Zum Beispiel. stellt »Auto fahren« eine Praktik dar. Diese enthält aber andere Praktiken, die sie in einer bestimmten Weise miteinander verzahnt. So sind zum Beispiel die Praktiken »navigieren«, »sitzen«, »in den Rückspiegel schauen« oder auch »Radio hören« Teil der Praktik »Auto fahren«. Auf der anderen Seite kann die Praktik »Auto fahren« selbst als Bestandteil einer anderen Praktik verstanden werden: So können z.B. die Praktiken »einen Ausflug machen«, »einkaufen« oder »Geocaching« ihrerseits die Praktik »Auto fahren« beinhalten.

12 | Vergleiche dazu den Abschnitt »Endless Becoming« (Schatzki 2002: 233 ff.).

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Wie genau die Grenzen zwischen Praktiken verlaufen, ist eine empirische Frage und hängt von dem Forschungsinteresse ab. Steht die Praktik »einkaufen« oder »Auto fahren« im Mittelpunkt? Geht es um »Geocaching« oder »navigieren«? Ausgehend von dem Interesse lassen sich dann die Bezüge zwischen Praktiken untersuchen. Shove et al. führen zur Bearbeitung dieser Situation die Begriffe »bundles« und »complexes« ein. »Bundles« sind dabei »loose-knit patterns based on the co-location and co-existence of practices« (Shove et al. 2012: 81). Hier denkt man z.B. an ein Volksfest, auf dem die Praktiken »essen/trinken«, »Karussell fahren«, »miteinander reden« usw. gebündelt auftreten. »Complexes« sind hingegen »stickier and more integrated combinations, some so dense that they constitute new entities in their own right« (ebd.: 81). Hier würde man eher an das genannte Beispiel der Praktik »Auto fahren« denken, die ein »Complex« aus anderen Praktiken ist. Sozialität Auch wenn Praktiken, verstanden als Einheiten und nicht als performance (Praxis) (Shove), zunächst wie aus sich selbst heraus existierende »Blöcke« erscheinen mögen, ist genau das Gegenteil der Fall: »A practice is social, as it is a ›type‹ of behaving and understanding that appears at different locales and at different points of time and is carried out by different body/minds.« (Reckwitz 2002: 250)

Praktiken sind nicht an konkrete Situationen gebunden und werden von verschiedenen Personen zu unterschiedlichen Zeiten ausgeführt. Dafür ist keine Absprache zwischen den Praktikern notwendig. Es zeichnet eine Praktik aus, dass sie nicht auf die bewusste Weitergabe von einer Person zur nächsten angewiesen ist. Personen, die an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Zeiten dasselbe tun, dabei die gleichen Ziele verfolgen und gleichen Emotionen empfinden, befinden sich in einem gemeinsamen sozialen Feld, das durch die Praktik aufgespannt wird. Auf der feinsten Ebene entsteht sozialer Zusammenhang zwischen Personen dadurch, dass sie die gleichen Praktiken ausführen bzw. an den gleichen Praktiken teilhaben. Es ist, wie gesagt, dabei nicht nötig, dass diese Personen dabei voneinander wissen, dass sie sich aktiv koordinieren oder bewusst miteinander interagieren. Die sine qua non, um sinnvoll von einer Praktik zu sprechen, ist mit Schatzki das Vorhandensein eines von verschiedenen Personen geteilten (im Sinne von »share«) Verstehens der Praktik, d.h. die Möglichkeit diese als solche zu erkennen, sie ausführen zu können und angemessen und verstehbar für andere auf sie reagieren zu können. So verstanden gibt es z.B. eine feine Form der Sozialität zwischen allen Personen, die

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die Praktik des Fahrradfahrens ausüben. Dadurch, dass diese Personen das Verstehen der Praktik »Fahrrad fahren« teilen, entsteht eine Form der sozialen Beziehung zwischen ihnen, die zunächst nicht von Bedeutung ist, aber den Anfangspunkt von Intensivierungen darstellen kann, so etwa spontane und temporäre Solidarisierungen in Konflikten mit Autofahrern oder Fußgängern. Je spezieller das geteilte Verstehen und damit je exklusiver der Kreis der Personen ist, die das Verstehen einer Praktik teilen, desto enger müsste damit die Verstrickung in das soziale Gewebe an dieser Stelle sein und desto größer die potentiell herstellbare Solidarität. Ob dies jedoch tatsächlich der Fall ist, ist wiederum eine empirische Frage. Ich möchte die nächsten Ebenen der Intensivierung von sozialen Zusammenhängen entsprechend der von Schatzki vorgeschlagenen weiteren Organisationselemente von Praktiken diskutieren. Neben dem Verstehen, das grundlegend für alle Praktiken ist, führt Schatzki die Dimension der expliziten Regeln ein (Schatzki 1996: 99), also Prinzipien, Vorschriften oder Anweisungen. Im Unterschied zu impliziten Regeln, die ihren Platz auf der Ebene des Verstehens haben, sind diese Regeln explizit und sind auch in schriftlicher Form vorliegend denkbar, z.B. in Form von Katalogen, Regelwerken, Mission Statements, Manifesten etc. Solche Dokumente müssen verfasst werden. Dies wiederum setzt voraus, dass es (einen) Verfasser gibt. Solche Dokumente können als Schwerpunkt eines sozialen Zusammenhangs verstanden werden, auf den sich all jene, die die Praktik ausüben, beziehen und zu dem sie sich in Relation setzen und damit auch zu allen anderen, die eben dies auch tun. Explizite Regeln können natürlich auch in nicht verfasster Form tradiert bzw. weitergegeben werden. Dies führt tendenziell zu einer stärkeren Form von sozialem Zusammenhang, weil dafür persönliche Interaktion notwendig ist. In der schwächsten Form ist dies in Internetforen oder zufälligen Begegnungen denkbar, stärkere Formen sind alle Formen, die, um die Organisation solcher Interaktionen zu gewährleisten, in sozialen Gruppen ablaufen. Das dritte Organisationselement von Praktiken bei Schatzki ist die »teleoaffektive Struktur« (ebd.). Sie bezeichnet wie erläutert eine Hierarchie von Zielen, Aufgaben, Projekten, Überzeugungen, Gefühlen oder Stimmungen, die speziell mit einer Praktik verbunden sind. Wie bereits diskutiert ist dieses Organisationselement der hauptsächliche Ansatzpunkt für den Kontext einer Praktik: In welchem sozialen Kontext findet die Praktik statt? An welchem Ort in dem dichten Gewebe von Sozialität ist eine Praktik jeweils positioniert? Über das Teilen einer teleoafffektiven Struktur findet eine starke Form der sozialen Integration statt. Schatzki nennt die Praktiken, die über einen Kontext verfügen, nicht ohne Grund »integrative practices«. Durch das Teilen solcher teleoaffektiven

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Hierarchien entsteht eben nicht nur Kontakt oder Interaktion, sondern es synchronisieren sich auch in gewissem Maße Formen der Welterschließung bzw. des Weltverhältnisses.13 Für den Intensitätsgrad des sozialen Zusammenhangs ist es entscheidend, den Arten und Weisen nachzugehen, wie diese Hierarchien geteilt, aufrechterhalten und ausgehandelt werden. Theodore Schatzki spricht auch von einem »tissue« (Gewebe) von Praktiken, das das soziale Feld entstehen lässt. Praktiken sind immer auf vielfältige Weisen mit anderen Praktiken verbunden. Sei es, dass sie gleiche oder ähnliche Elemente integrieren, von denselben Trägern ausgeübt werden oder auf einer anderen Skalierungsebene in anderen Praktiken aufgehen. »All integrative and dispersed practices are social, above all because participating in them entails immersion in an extensive tissue of coexistence with indefinitely many other people.« (Ebd.: 105)

Damit behauptet Schatzki, dass die Ausübung einer Praktik, egal wie abstrakt bzw. »dispersed« sie auch sein mag, dazu führt, dass die sie ausübende Person in ein ausgedehntes soziales Gewebe verstrickt wird, das sie mit potentiell unendlich vielen anderen Personen teilt. Diese Form von Sozialität entfaltet sich zunächst unabhängig von Gruppengrenzen oder Lokalitäten. Tatsächlich wären Gruppen oder Communities als Folge von Verdichtungen in diesem Gewebe zu denken. Sozialität oder soziale Koexistenz beginnt in dieser Perspektive weit vor dem Auftreten von Interaktion oder Kommunikation. Es ist nicht nötig, dass Personen miteinander interagieren, ob vermittelt oder face-to-face. Bedingung ist, dass unterschiedliche Personen sich aneinander orientieren oder sich jeweils an gemeinsamen Bezugspunkten orientieren. Dies führt zu einer gewissen Ordnung der sozialen Koexistenz, die neben den Praktiken selbst die andere Säule bildet, auf der das Konzept der »social site« ruht. Dafür müssen Träger von Praktiken nicht einmal voneinander wissen. Natürlich sind Interaktionen aber auch nicht ausgeschlossen. Viele Praktiken beinhalten Interaktionen. Eine Stärke der vorgestellten Perspektive ist es jedoch, auch die Herstellung von sozialer Koexistenz unterhalb der Schwelle zur Interaktion beschreiben zu können. Insgesamt gilt also, dass auch Praktiken, die nicht qua ihrer Verfasstheit mit anderen gemeinsam ausgeübt werden müssen, auf verschiedene Weise Sozialität stiften. Gerade an dieser Stelle leistet moderne Informations- und Kommunikationstechno-

13 | Vgl. weiterführend hierzu z.B. Rosa 2012.

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logie entscheidende Beiträge: Denn selbstverständlich müssen die Regeln, das Was und das Wie (z.B. in Form von Erfahrungsberichten) auf irgendeine Weise zirkulieren können. Personen müssen von einer Praktik erfahren, sie müssen sich auf irgendeine Weise informieren können, wie die Praktik funktioniert, was deren Ziele sind, kurz: Worum es bei einer Praktik überhaupt geht. Durch die Möglichkeiten der asynchronen »Many-to-many«-Kommunikation des Internets in Foren, auf Websites oder Ähnlichem ist dies ohne erheblichen Aufwand anonym und unverbindlich möglich. Dieser Transformationsimpuls von Internettechnik für das Miteinander-Teilen von Praktiken und damit der Etablierung von sozialen Verstrickungen im sozialen Gewebe darf nicht unterschätzt werden. Damit ist die sozialtheoretische Basis des Ansatzes bzw. der Perspektive, mit der in der vorliegenden Arbeit soziale Zusammenhänge verstanden werden, expliziert worden. Nur angeklungen ist die Frage nach der Materialität und der Technik. Diese Frage wird im nächsten Abschnitt ausführlich thematisiert.

2.3 P RAKTIKEN

UND

M ATERIALITÄT /T ECHNIK

Es ist keine Praxis bzw. Praktik denkbar, die ohne die Integration von Materialität oder Technik abläuft. Es kann an dieser Stelle kein erschöpfender Überblick über die spätestens seit den 1990er Jahren und dem damit einhergehenden sogenannten »material turn«14 zahlreich verfassten Materialität berücksichtigenden Arbeiten gegeben werden. Größere Wirkung entfaltet haben z.B. Latours Untersuchungen zum gemeinsamen Handeln von Menschen und Nicht-Menschen. Beispielhaft sei die Untersuchung zum Handlungspotential eines Türschließers oder dem »Berliner Schlüssel« (Latour 1996) und die wegweisende Studie zur Erzeugung von wissenschaftlichen Fakten in Laboren (Latour und Woolgar 1979) genannt. Die Einbeziehung des Körpers handelnder Personen in soziologische Beschreibungen (z.B. Bourdieu 1987; Hirschauer 2001; Hirschauer 2004) kann ebenso als ein Strang der Betonung des Materiellen verstanden werden. Aber auch Foucaults Erweiterung des Diskurskonzepts zum Dispositiv, das unter anderem »architekturale Einrichtungen« beinhaltet (Foucault 1978: 119 f.), ist als Betonung materieller Zusammenhänge zu verstehen. Eine klassische Denkfigur im Umgang mit Materialität oder Technik besteht darin, von der Aneignung durch Nutzer oder der Aneignung in der Praxis zu sprechen. Der

14 | Zu verschiedenen »turns« und deren Einfluss vgl. Bachmann-Medick 2006.

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Gegenbegriff dazu ist die Determination von Nutzungsweisen oder Praxis durch Gegenstände oder Technik. Diese Begriffswahl legt ein Verständnis von Nutzern bzw. Praxis/Praktiken auf der einen und Materialität bzw. Technik auf der anderen Seite als voneinander getrennt nahe. Ohne ein grundlegendes Hier und dort kommt dieses Begriffspaar nicht aus. Beide Bereiche treten sich in einem Kampf um Deutungsoder Handlungshoheit gegenüber. Damit treten Machtfragen in einem prinzipiell hierarchischen Machtverständnis auf die Agenda, die Fragen nach Zwang, Widerstand, Subversion, Umdeutung etc. beinhalten. Die vorliegende Arbeit greift nicht auf dieses Vokabular zurück. Die Annahme ist vielmehr, dass Materialitäten und Technik immer schon Teil von Praktiken bzw. sozialen Phänomenen sind, d.h. sie sind in diese integriert. Durch ihre Integration verändern sie die Organisation der Praktik bzw. des sozialen Phänomens und damit die Praktik bzw. das soziale Phänomen selbst. In diesem an Schatzki anschließenden Verständnis fließt Macht eher im Foucault’schen Sinne durch Praktiken/Anordnungsgewebe, als dass sie sich um tatsächliche Personen zentriert und in Aushandlungen zwischen diesen in Erscheinung tritt. Personen sind mit Reckwitz auch hier »nur« Träger von Praktiken (vgl. Reckwitz 2002: 250) und Dinge, Artefakte oder Technik Teil derselben. In Schatzkis Entwurf des Sozialen in »Social practices« (Schatzki 1996) spielt Materialität keine Rolle. In späteren Veröffentlichungen reicht er diese Dimension sozialer Koexistenz nach. Schatzki arbeitet im Zuge dessen mit einem sehr weiten Begriff von Materialität, der sich nicht nur auf Gegenstände und physikalische Eigenschaften bezieht: »[...] I mean materiality in all the senses identified above: physicality, composition, bio-physicality, nature, and environment.« (Schatzki 2010a: 133)

Im Folgenden wird auf das Konzept der »social site« von Schatzki eingegangen und dargestellt, wie Schatzki Materialität und Technik in seinen Ansatz integriert. Anschließend werden diese sozialphilosophischen Überlegungen für das hier verfolgte raumsoziologische Interesse nutzbar gemacht. Wie beschrieben lokalisiert Schatzki soziale Phänomene an einer »site of the social«, die durch das Zusammenspiel von Praktiken und »arrangements of entities« bestimmt wird (vgl. Schatzki 2002: XI). Materialität und Technik verortet Schatzki in diesem »arrangement of entities«, das aus »people, artifacts, things« (ebd.) besteht. In dem 2010 erschienenen Aufsatz »Materiality and Social Life« (Schatzki 2010a) führt er diesen Teil der »social site« mit Fokus auf Materialität und Technik näher aus. Dieses Zusammenspiel von »material arrangements« und Praktiken bei der Konstitution

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der »social site« soll nun näher betrachtet werden. Dabei wird zur Verdeutlichung die Relation zu Akteur-Netzwerken der »Actor-network theory« (ANT) und Foucaults Dispositiv-Konzept erläutert. Relation von »material arrangements« und Praktiken Schatzki benennt vier Modi, in denen »material arrangements« und Praktiken, die gemeinsam die »site« des Sozialen konstituieren, aufeinander wirken: »causality«, »prefiguration«, »constitution« und »intelligibility« (ebd.: 139 ff.). »Causality« bezeichnet die ursächliche Wirkung von Aktivität auf materielle Entitäten, z.B. das Rearrangieren von Gegenständen im Zuge einer Praktik, aber auch umgekehrt das Reagieren auf materielle Entitäten, das zu bestimmten Aktivitäten innerhalb einer Praktik führt. Eine dritte Linie von »causality« gibt es zwischen materiellen Entitäten: Schatzkis Beispiel dafür ist das Erwärmen eines Hauses durch einen Verbrennungsmotor. »Prefiguration« zielt auf den Umstand, dass die soziale Gegenwart die im Werden begriffene soziale Zukunft formt (»shaping/influencing/affecting«). Dieser Zusammenhang kann als Feld/Raum von Möglichkeiten (»fields of possibilities«) verstanden werden. Schatzki wendet sich hier jedoch gegen ein zu einfaches Verständnis im Sinne von möglich/nicht-möglich. Stattdessen schlägt er die Qualifizierung von möglichen Handlungswegen entlang von Dimensionen wie leicht/schwer, offensichtlich/verborgen, ermüdend/stärkend oder kurz/lang vor: »Prefiguration is better understood as a qualification of possible paths of action on such registers as easy and hard, obvious and obscure, tiresome and invigorating, short and long, and so on.« (Ebd.: 140)

Schatzkis Beispiele dazu sind ein Teich, der es einfach macht, durstige Pferde zu tränken, es aber erschwert, die Pferde direkt zum Stall zu leiten, weil der kürzeste Weg durch den Teich führen würde, oder eine Heizung, die es im Winter vernünftig erscheinen lässt, die Zeitung im Haus zu lesen und nicht auf der Veranda, auf der Möbel aus Metall diese Praktik unter diesen Bedingungen unkomfortabel werden lassen (vgl. ebd.). Der Modus »constitution« bezeichnet den Umstand, dass materielle Arrangements nötig für die Existenz von Praktiken sind. Schatzki nennt das Beispiel der Praktik »reiten«: Ohne Pferd ist diese Praktik offensichtlich nicht möglich. Eine zweite Form besteht darin, dass bestimmte Praktiken in der ihr eigenen Form ohne bestimmte materielle Arrangements nicht möglich sind. So konstituieren verwendete Seile, Zaumzeug und Sättel eine bestimmte Praktik des Reitens von Pferden, die nicht zwin-

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gend so sein muss. Reiten von Pferden ist auch ohne Sattel möglich. Es würde sich dann jedoch um eine andere Praktik handeln. Personen, die die eine beherrschen, verstehen nicht notwendigerweise die andere. Umgekehrt konstituiert eine Praktik das materielle Arrangement mit, da für eine Praktik bestimmte Gegenstände entwickelt werden und miteinander in Verbindung gebracht werden. Das Verhältnis ist also ko-konstitutiv (vgl. ebd.). Die vierte Beziehung zwischen materiellen Arrangements und Praktiken ist bei Schatzki auf der Ebene von »intelligibility«, also Sinn bzw. Verstehbarkeit, zu finden. Materielle Entitäten in Schatzkis weitem Sinne haben für Menschen, die Praktiken ausüben, Bedeutung. Diese Bedeutung wird auf der Ebene der Praktik hergestellt und nicht auf individueller Ebene. Schatzki argumentiert: »[A]rrangements amid which humans proceed are intelligible to humans and [...] this intellitgibility is instituted in the practices they carry on.« (Ebd.: 141) Schatzki integriert in sein Konzept der »site of the social« wie beschrieben materielle Arrangements. Latour und Foucault bringen ihrerseits Arten von Arrangements in Anschlag, um ihre Perspektiven zu entwickeln. Im Folgenden werden AkteurNetzwerke und Dispositive in Hinblick auf deren Unterschied zu Schatzkis materiellen Arrangements diskutiert. Akteur-Netzwerke im Sinne der ANT sind flach. Diese Perspektive fokussiert auf Praxis und Handlungen. Handlung wird dabei sehr weit im Sinne von »einen Unterschied machen« verstanden. Rammert bemerkt, es handele sich dabei um eine semiotisch Definition: Wenn es möglich ist, einen Satz derart »X tut Y« zu bilden, dann handelt X (Rammert 2006: 185). In diesen Netzwerken verdichten sich Akteure als Knoten dieser Netzwerke. Der entscheidende Dreh ist, die Entscheidung, was eine Akteur sein kann, nicht a priori zu treffen, sondern deren Rekonstruktion im Feld selbst zum Teil der Forschungsstrategie zu machen. Das Ergebnis davon ist, dass solche Entitäten wie Türöffner, Fahrbahnschwellen, Bakterien oder Jakobsmuscheln zu Akteuren werden können. Die sich anschließende Forschungsfrage in dieser Perspektive ist, wie ein solches Akteur-Netzwerk Stabilität bekommt. Die Grundannahme ist ja gerade, dass in der Praxis alles im Fluss ist und keine Strukturen vorgegeben sind. Trotzdem kommt es offensichtlich zu Stabilität. Akteur-Netzwerke haben Bestand über die Zeit. Dies lässt sich empirisch beobachten. Der Grund dafür wird in der Struktur des Akteur-Netzwerks gesucht. Vor dem Hintergrund, dass alles in Bewegung ist, sind zwei Fälle von besonderem Interesse: 1. Fälle von Stabilität (z.B. Callon 1986), und 2. Fälle von gescheiterter Stabilität oder von Zusammenbruch (z.B. Latour 2006).

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Schatzki selbst sieht eine große Schnittmenge zwischen seinem Ansatz und Ideen der ANT. Zunächst hätten sie gemeinsam, dass sie beide auf die wichtige Rolle von Materialität für soziale Zusammenhänge hinweisen (Schatzki 2010a: 134). Des Weiteren schreibt Schatzki, dass »the networks of actor-network theory closely resemble what I call ›arrangements‹« (ebd.). Schatzkis »arrangements« bestehen aus Relationen von Dingen, Artefakten und Personen. Damit ähneln sie tatsächlich AkteurNetzwerken, jedoch nicht mehr. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass in diesen »arrangements« keine Handlungen oder Aktivitäten stattfinden. Dies ist der zweiten Dimension, die die »social site« bestimmt, vorbehalten: den Praktiken, also organisierten Formen menschlicher Aktivität. Diese wiederum funktionieren nur in Verbindung mit genannten »arrangements«. Daher wäre der Schluss vorschnell, dass bei Schatzki nur Menschen handeln könnten. Der Zusammenhang zwischen Menschen, Dingen und Aktivität wird hier jedoch grundlegend verschieden zur ANT konzeptualisiert (vgl. Schatzki 2002: 196-203). Praktiken im starken Sinn verstanden als Einheiten (»entities«) (vgl. Kap. 2.1: Begriffsklärung »Praxis« vs. »Praktik« contra »practice«) haben in der ANT keinen konzeptuellen Platz. Michel Foucaults Konzept des Dispositivs ist ein weiteres Konzept, das die Vorstellung eines Netzes oder Arrangements in Anschlag bringt. »Was ich unter diesem Titel [Dispositiv, PG] festzumachen versuche, ist erstens ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfasst. Soweit die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann.« (Foucault 1978: 119 f.)

Bei einem Dispositiv handelt es sich also um eine Anordnung, ein Ensemble oder Netz aus ganz verschiedenen Entitäten.15 Diese Anordnung ist nicht starr, sondern beweglich. Das Konzept des Dispositivs soll »die Natur der Verbindung deutlich machen, die zwischen diesen heterogenen Elementen sich herstellen kann. [...] Kurz gesagt gibt es zwischen diesen Elementen, ob diskursiv oder nicht, ein Spiel von Positionswechseln und Funktionsveränderungen [...].« (Ebd.: 120)

15 | An anderer Stelle interpretiert Foucault das Panopticon von Bentham als »architektonische Gestalt« eines Dispositivs (Foucault 1994: 256 ff.).

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Elemente verändern also ihre Position, verschieben sich gegeneinander und haben so unterschiedliche Konstellationen zur Folge. So kann z.B. ein Diskurs im selben Dispositiv mal in die Organisation von Protestpraktiken eingebunden sein und später die Existenz einer Institution begründen. Die entscheidende Frage danach, warum es dazu kommt, dass es ein bestimmtes Dispositiv gibt, beantwortet Foucault mit dem Vorhandensein eines »Notstands« (»urgence«): »Drittens verstehe ich unter Dispositiv eine Art von – sagen wir – Formation, deren Hauptfunktion zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt darin bestanden hat, auf einen Notstand (urgence) zu antworten. Das Dispositiv hat also eine vorwiegend strategische Funktion. Das hat zum Beispiel die Resorption einer freigesetzten Volksmasse sein können, die einer Gesellschaft mit einer Ökonomie wesentlich merkantilistischen Typs lästig erscheinen musste [...].« (Ebd.)

Welche Ursache letztendlich wiederum dieser Notstand hat, bleibt bei Foucault offen. Der Umstand, dass einer so beschriebenen Gesellschaft eine freigesetzte Volksmasse als »lästig« erscheinen musste, was dann zur Herausbildung eines bestimmten Dispositivs führte, müsste seinen Ursprung selbst in einem schon vorhandenen Dispositiv haben. Hiermit würde sich das Bild eines sich aus sich selbst heraus transformierendem Dispositiv zeichnen, gewissermaßen das eines Perpetuum mobile gesellschaftlicher Dispositivtransformationen, bei dem unklar bleibt, woher es seine transformierende Energie bezieht. Dies tut dem Analysepotential des Konzepts des Dispositivs keinen Abbruch, weist aber ziemlich präzise auf die Stelle, an der Schatzkis »arrangements« grundlegend verschieden funktionieren. Hier ist es die permanente Reproduktion von Praktiken in der Praxis und den damit verbundenen Arrangements, die Transformationen entstehen lassen. Während die Entfernung zu den Akteur-Netzwerken relativ klein ist, ist die Entfernung zu den Dispositiven um einiges größer. Schatzki bemerkt dazu: »[N]either Foucault’s apparatuses nor Deleuze and Guattari’s assemblage are composed of objects alone. Foucault’s apparatuses are composed, for example, of discourses, nondiscursive behaviours, and architectures.« (Schatzki 2002: 22)

Die »arrangements« von Schatzki hingegen bestehen aus Objekten (Dinge, Artefakten, Personen [sic!]) und beinhalten keine Diskurse, nichtdiskursives Verhalten oder ähnliches. Jegliche Aktivität rechnet Schatzki den Praktiken zu. »Arrangements« und Praktiken greifen ineinander bei der Konstitution der »site of the social«. Die konkrete Anordnung der Elemente von »arrangements« geschieht durch Praktiken, die

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ihrerseits auf die »arrangements« angewiesen sind, um überhaupt existieren zu können. Schatzkis Perspektive auf die »site of the social« bietet einen sozialphilosophischen Bezugspunkt, um in empirischen Untersuchungen soziale Praktiken, im Fall der vorliegenden Arbeit die Praktik »Geocaching«, als Untersuchungsgegenstand zu behandeln, diese in Verbindung mit ihren materiellen Anordnungen (hier operationalisiert als Infrastrukturen [vgl. Kap. 3: Infrastrukturen: Von Steuerung zu Praxis]) zusammenzudenken und dann im Hinblick auf soziale Phänomene hin (hier: Raumerzeugung) zu analysieren. Diese Anlage bringen andere Entwürfe zur Untersuchung von Praktiken in dieser Form nicht mit. Üblicherweise integrieren sie Materialität als zusätzliche Dimension von Praktiken in ihren Ansatz. So benennt Andreas Reckwitz folgende Dimensionen, die bei der Beschreibung von Praktiken berücksichtigt werden sollen: »[...] forms of bodily activities, forms of mental activities, ›things‹ and their use, a background knowledge in the form of understanding, know-how, states of emotion and motivational knowledge.« (Reckwitz 2002: 249)

Dinge (»things«) sind nur eine von sieben Dimensionen, die nicht weiter spezifiziert wird. Damit verbleibt die Berücksichtigung von Dingen auf der Ebene von einzelnen Dingen, ohne die Praktiken leicht einsehbar nicht praktiziert werden können. Shove et al. greifen diese Dimensionen auf und reduzieren sie auf drei: stuff/materials, competence/skills, image/meanings (Shove und Pantzar 2005: 45; Shove et al. 2007: 143). Wobei »stuff« Reckwitz’ »things« entspricht, »competence« »understanding« und »know-how« zusammenfasst und »Image« das Gleiche mit »states of emotion« und »motivational knowledge« tut. »Bodily and mental activities« klammern die Autoren aus. Die Begründung dafür müsste lauten, dass diese beiden Dimensionen keine Dimensionen einer Praktik im eigentlichen Sinne seien, sondern vielmehr Teil der Integration bzw. Reproduktion einer Praktik.16 Schatzkis Dimensionen von Praktiken würde sich dazu wie folgt verhalten: »Stuff« hätte zunächst keine Entsprechung. »general and practical understandings« würden der Dimension »compentence« entsprechen, »teleoaffective structure« der Dimensi-

16 | In neueren Veröffentlichungen bezeichnen Shove et al. diese drei Dimensionen als »materials« (»things, technologies, tangible physical entities, and the stuff of which objects are made«), »competence« (»skill, know-how and technique«) and »meanings« (»symbolic meanings, ideas, aspirations«) (Shove et al. 2012: 14).

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on »image«. Für die Dimension der expliziten Regeln gäbe es diesmal bei Shove et al. keine Entsprechung. Auch bei Schatzki gibt es wie bei Shove et al. im Gegensatz zu Reckwitz keine explizite Dimension für wie auch immer geartete Aktivitäten, obwohl Praktiken per Definition »organized activities« (Schatzki 2002: 77) sind. Wie bereits gesehen finden sich die Dinge, die Materialität, aber auch Netze von Objekten und Infrastrukturen, in dem Konzept der »arrangements« wieder, die gemeinsam mit Praktiken die »site of the social« konstituieren. Eine solche Konstruktion fehlt sowohl bei Reckwitz als auch bei Shove et al. Daher sind die beiden zuletzt genannten Ansätze nur sehr eingeschränkt in der Lage, objektifizierte Strukturen, die das Soziale zusammen mit Praktiken konstituieren, in ihre Beschreibungen einzubinden. Die alleinige Einbindung von Materialität als Aspekt von Praktiken würde für die hier verfolgte Frage nach der räumlichen Dimension von Praktiken nicht ausreichen. Bei dem Unterfangen, über eine bestimmte Situation hinauszugehen, in der einzelne Gegenstände selbstverständlich raumkonstituierende Wirkung entfalten, hilft der Fokus auf einzelne Dinge nicht weiter. Räume werden situationsübergreifend durch die Vernetzung von unterschiedlichen Objekten und durch die Einbeziehung von Technik konfiguriert. Diese Problemlage kann mit einem an Schatzki orientierten Ansatz angegangen werden. Im nächsten Kapitel wird es darum gehen, wie dieses Konzept der »arrangements« für die hier verfolgte Fragestellung operationalisiert werden kann. Ich werde argumentieren, dass ein praxeologisches Konzept von Infrastruktur sich hierfür eignet.

3. Infrastrukturen: Von Steuerung zu Praxis

In der praxissoziologischen Debatte ist Infrastrukturen bisher keine nennenswerte Beachtung geschenkt worden. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Zurückhaltung bei der Berücksichtigung von Technik jedweder Form in soziologischen Untersuchungen bzw. Theorien, die nicht explizit auf Technik fokussieren, ist dies nicht überraschend. Jenseits der praxissoziologischen Debatte gibt es Arbeiten, die soziologische bzw. politologische Perspektiven einnehmen und sich dezidiert mit der Entwicklung, Steuerung und den Folgen von Infrastrukturen/Infrastruktursystemen beschäftigen.1 Das in der vorliegenden Arbeit verfolgte Interesse fokussiert auf die räumliche Dimension von Praktiken, also auf Räume, die durch Praktiken erzeugt werden. Es ist unstrittig, dass Infrastrukturen räumliche Zusammenhänge beeinflussen. Die Idee der hier eingenommenen Perspektive ist, dass Praktiken sich einerseits ihre Infrastrukturen selbst schaffen und andererseits bestehende Infrastrukturen, die wesentlich älter sind und in anderen Zusammenhängen entstanden sind, in einer für sie je spezifischen Weise integrieren. Die Gesamtheit dieser Infrastrukturen konfiguriert, präformiert oder richtet durch ihre Vernetztheit und ihre Funktionalität die räumliche Dimension der jeweiligen Praktik zu, die diese Infrastrukturen integriert. Damit ergibt sich eine Perspektive, die in der Lage ist, Räume zu beschreiben, die nicht auf eine geografische Position beschränkt sind, an der die jeweilige Praktik abläuft, wie z.B. im Fall der Praktik »Fußball spielen«, sondern auch solche, die sich dadurch auszeichnen, dass die Praktik den Aufenthalt an verschiedenen Orten beinhaltet, wie z.B. im Fall der Praktik »Geocaching«, dem hier zu untersuchenden Fall. Um die Verbindung zwischen verschiedenen Orten zu beschreiben, an denen verschiedene Ak-

1 | Maßgeblich für diese Forschungsrichtung ist der an die Arbeiten von Thomas P. Hughes anschließende Ansatz von Renate Mayntz (vgl. Hughes und Mayntz 1988; Mayntz 1988; Mayntz und Schneider 1995; Mayntz 1997).

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tivitäten ein und derselben Praktik stattfinden, ist ein Verbindungsglied nötig. Diese Brücke zwischen Praktik und verteiltem Raum kann durch ein passendes Konzept von Infrastruktur hergestellt werden. Im Fall der Praktik »Fußball spielen« ist die Verbindung zwischen verschiedenen Aktivitäten der Praktik an verschiedenen Orten offensichtlich. Es ist das gemeinsame Spielfeld und daran angrenzende Flächen. Die hier eingenommene Perspektive auf Praktiken und Infrastrukturen soll diese Verbindung der Orte herstellen, die bei der Praktik »Fußball spielen« unmittelbar einleuchtet, bei in sich räumlich versprengten Praktiken jedoch herausgearbeitet werden muss. In diesem Kapitel wird ausgehend von verschiedenen Definitionen von Infrastruktur und prominenten Arbeiten, die Infrastrukturen thematisieren, ein Verständnis von Infrastruktur entwickelt, das für das hiesige Interesse instruktiv ist. Dirk van Laak beschreibt Infrastrukturen als zwischen »Herrschaft und Alltag« geschoben (van Laak 2001). Wenn die Steuerungsperspektive als Herrschaftsperspektive und Alltag als Praxis bzw. Gewebe von Praktiken verstehbar ist, dann wird hier eine Perspektive auf Infrastrukturen entwickelt, die vom Alltag und der Nutzung von Infrastrukturen ausgeht und nicht von der Entwicklung und Unterhaltung von Infrastruktursystemen. Im Zuge dessen wird das Konzept des infrastrukturellen Arrangements in Unterscheidung zur Infrastruktur einer Praktik entwickelt, das die spezielle Verknüpfung von vorhandenen Infrastrukturen miteinander durch eine Praktik bezeichnet.

3.1 K LASSISCHE I NFRASTRUKTURKONZEPTE Der »Duden« (23. Auflage) bestimmt »Infrastruktur« als »wirtschaftlich-organisatorischer Unterbau einer arbeitsteiligen Wirtschaft«. Das »Handwörterbuch der Raumordnung« bestimmt »Infrastruktur« allgemein als »öffentliches Kapital« und »Infrastrukturinvestitionen« als »öffentliche Investitionen« (Frey 2005: 469). Verbreitung in diesem Sinne fand der Begriff in den 1960er Jahren im Zusammenhang mit Engpässen im Zuge des Wirtschaftswachstums (ebd.). Der Begriff sei der Fachsprache der französischen Eisenbahnen entlehnt2 , die darunter »die erdgebundenen Einrichtungen mit langer Lebensdauer (Bahnkörper, Tunnel, Brücken, Sicherungsanlagen usw., nicht aber Fahrzeuge) versteht« (ebd.). Über das Militär (NATO), das an dem genannten Typ von Einrichtungen ein starkes Eigeninteresse hat, sei es bezüglich des Aufbaus oder der Zerstörung solcher Strukturen, sei der Begriff in wirtschaftsund regionalwissenschaftliches Vokabular übergegangen (ebd.). Aus wirtschaftswis-

2 | Ausführlich zur Geschichte des Begriffs »Infrastruktur« siehe van Laak 1999.

3. Infrastrukturen: Von Steuerung zu Praxis | 55

senschaftlicher Perspektive (z.B. Jochimsen 1966; Frey 1972; Buhr 2003) bestimmt Buhr »Infrastruktur« wie folgt: »Infrastructure of an area is the sum of all relevant economic data such as rules, stocks and measures with the function of mobilizing the economic potentialities of economic agents.« (Buhr 2003: 16)

Diese Definition präzisiert Buhr, indem er drei Arten von Infrastruktur unterscheidet: »institutional infrastructure«, »personal infrastructure« und »material infrastructure« (ebd.). Infrastruktur bezeichnet hier etwas, was unter dem liegt, was eigentlich im Interesse der wirtschaftswissenschaftlichen Perspektive ist, nämlich dem ökonomischen Handeln von Akteuren. Festzuhalten ist, dass Infrastrukturen hier mehr sind als technische Einrichtungen. Nämlich auch Institutionen und Menschen. Das »Oxford Dictionnary« definiert »infrastructure« allgemein wie folgt: »[T]he basic physical and organizational structures and facilities (e.g. buildings, roads, power supplies) needed for the operation of a society or enterprise.«3

Hier handelt es sich um eine funktionalistische Definition von Infrastruktur. Infrastrukturen sind materielle und organisatorische Strukturen, die für das Funktionieren von Gesellschaft oder Unternehmen nötig sind. Dies umfasst Straßen, Eisenbahn, Stromversorgung, Datennetze gleichermaßen wie organisatorische Strukturen. Diese Definition ist im Vergleich zu der vorher genannten offener, berücksichtigt sie doch neben Unternehmen auch explizit Gesellschaft, für deren Funktionieren Infrastruktur nötig ist. In erster Linie werden mit dem Konzept »Infrastruktur« materielle/technische Strukturen adressiert. Die vorgestellten Definitionen weisen jedoch darauf hin, dass auch organisatorische Strukturen und Regeln als Teil von Infrastrukturen berücksichtigt werden müssen. Obwohl Infrastrukturen laut Definition des Oxford Dictionary notwendig für das Funktionieren einer Gesellschaft sind, spielen sie in soziologischen Überlegungen und Theorien, die sich nicht explizit für Planungsfragen von Infrastruktursystemen interessieren, eine randständige Rolle. Ein Diskussionszusammenhang, in dem Infrastrukturen virulent sind und der in die Soziologie hineinreicht, richtet sich auf die Frage nach dem Umgang mit »kritischen

3 | Quelle: http://oxforddictionaries.com/definition/english/infrastructure, gesehen: 26.11.2012.

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Infrastrukturen« (vgl. Kaufmann 2010: 104 ff.). Nach der Definition des Bundesministerium des Inneren (BMI) sind kritische Infrastrukturen solche, »bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden« (Bundesministerium des Inneren 2009: 3).

Darunter fallen z.B. Energieversorgung, Transport und Verkehr, (Trink-)Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, das Gesundheitswesen, öffentliche Verwaltung (ebd.: 5). Auch hier wird nicht nur auf materielle Systeme Bezug genommen, sondern auch auf organisatorische Zusammenhänge (Gesundheitswesen und öffentliche Verwaltung). Selbst vornehmlich materiell/technische Infrastrukturen, wie z.B. das Stromnetz, können nur als System existieren und funktionieren, weil sie organisiert sind. Infrastrukturen haben also immer zwei Dimensionen: Materialität/Technizität und Organisation. Auch Kulturgüter werden vom BMI zu den kritischen Infrastrukturen gezählt. Spannend ist hier die Frage nach der »symbolischen Kritikalität«, die vorliegt, wenn »aufgrund ihrer kulturellen oder identitätsstiftenden Bedeutung ihre Zerstörung eine Gesellschaft emotional erschüttern und psychologisch nachhaltig aus dem Gleichgewicht bringen kann« (ebd.; vgl. dazu auch Kaufmann 2010: 106). Vor diesem Hintergrund kann argumentiert werden, dass die Türme des World Trade Centers eine sehr hohe »symbolische Kritikalität« besaßen, die jenseits der materiellen Zerstörung und der Zahl der getöteten Menschen dazu führte, dass die US-amerikanische Öffentlichkeit auf das Tiefste erschüttert wurde. Terroranschläge können so zum großen Teil als Anschläge auf eine symbolische Infrastruktur verstanden werden. Aus politologischer/soziologischer/historischer Perspektive stellen verschiedene Autoren die Frage nach dem Ineinandergreifen von Infrastrukturen und Gesellschaft, für die sie nach der Definition des Oxford Dictionaries so grundlegend sind: Welche gesellschaftliche Auswirkungen haben Infrastrukturen und wie korrespondieren gesellschaftliche Problemlagen mit dem Zustand und der (Weiter-)Entwicklung von bestimmten Infrastrukturen? Wegweisende Arbeiten in diese Richtung haben Thomas P. Hughes bezüglich der Elektrifizierung der westlichen Welt von 1880 bis 1930 (Hughes 1988; Hughes 2001) und Renate Mayntz bezüglich der Integration von makrosoziologischer Gesellschaftstheorie in die Entwicklung und Steuerung von Infrastruktursystemen vorgelegt (Hughes und Mayntz 1988; Mayntz 1988; Mayntz und Schneider 1995; Mayntz 1997). Hier werden Infrastrukturen zunächst als großtechnische Systeme gedacht, deren Entwicklung jedoch in ein vielschichtiges Gewebe von

3. Infrastrukturen: Von Steuerung zu Praxis | 57

sozialen und politischen Zusammenhängen eingebettet ist. Graham und Marvin haben gezeigt, wie das moderne Ideal großer integrierender Infrastruktursysteme zerfällt und die Entwicklung stattdessen bedingt durch Privatisierungs- und Liberalisierungsprozesse ehemaliger staatlicher bzw. staatsnaher Infrastruktursysteme in westlichen Staaten in Richtung einer Zersplitterung und Entbündelung von Infrastruktursystemen geht. Durch diese wirtschaftlichen und politischen Transformationen werden Städte zu verschachtelten netzwerkartigen Gebilden, deren Organisation des Nebeneinanders permanent im Fluss ist (Graham und Marvin 2001). Monstadt arbeitet auf dieser Linie Dimensionen »sozialräumlicher Rekonfiguration der Infrastrukturversorgung« heraus (Monstadt 2007). Gemein ist allen bisher vorgestellten Ansätzen, dass sie auf die klassischen großen Infrastrukturen wie Wasserversorgung, Strom, Verkehr, Gesundheitsversorgung etc. fokussieren und, das ist entscheidend, in ihren Überlegungen von diesen ausgehen. Im nächsten Abschnitt wird dieser Startpunkt der Überlegung von Infrastrukturen zu Praktiken verschoben und gefragt, welche Infrastrukturen als Teil einer Praktik verstanden werden können.

3.2 I NFRASTRUKTUREN

UND

P RAKTIKEN

Aus den vorgestellten Ansätzen zu Infrastrukturen kann gefolgert werden, dass Technik und Organisation, und damit einhergehend Beständigkeit, Persistenz bzw. Stabilität, grundlegende Dimensionen von Infrastrukturen sind. Zudem ist es angebracht, Infrastruktur nicht auf materielle Technik im engen Sinn zu beschränken, sondern mindestens zwischen materiellen und immateriellen Infrastrukturen zu unterscheiden, wie es heute üblicherweise auch geschieht (ebd.: 3). Infrastrukturen nehmen in dem hier vorgestellten Ansatz eine Brückenstellung zwischen Praktiken als Grundkategorie des Sozialen und deren räumlicher Dimension ein. Die räumliche Dimension einer Praktik kann durch die Berücksichtigung von in die Praktik integrierten Infrastrukturen beschrieben werden, sofern sie nicht auf einen Ort beschränkt ist, an dem Lebewesen und soziale Güter (vgl. Löw 2001: 160) durch eine Praktik in einer bestimmten Weise angeordnet und zu Räumen synthetisiert werden. Dafür ist es nötig, Infrastrukturen nicht als Infrastruktursysteme zu betrachten, wie dies in den bisher vorgestellten Arbeiten der Fall ist, sondern stattdessen von einer Praktik auszugehen und zu fragen, welche Infrastruktur die Praktik integriert und was darüber hinaus als dezidierte Infrastruktur für diese spezielle Praktik verstanden werden kann.

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Einen instruktiven Ansatz hierfür verfolgt Shove bei ihrer Analyse der Praktik »Wäsche waschen« (Shove 2003: Kap. 7). Shove geht von dieser alltäglichen Praktik aus und beschreibt sie als eingebettet in ein »system of systems«. Sie arbeitet auf diese Weise heraus, wie »Wäsche waschen« nur als System aus Waschmittel, Kleidung, Waschmaschinen etc. funktionieren kann, das seinerseits in Systeme (Waschmittel, Kleidung, Waschmaschinen etc.) eingebunden ist (ebd.: 137). Shove entwickelt ein Modell für den Wandel solcher Alltagspraktiken, das anschlussfähig an die Perspektive von »policy-makern« sein soll. Sie beschreibt verschiedene Systeme, die an ihren Berührungspunkten das Meta-System des Wäschewaschens konstituieren. Gebe es an irgendeiner Stelle dieses Zusammenhangs Veränderungen, z.B. durch neue Waschmittel, neue Materialien zur Bekleidungsherstellung oder andere Ideen davon, was es heißt gewaschen oder sauber zu sein, setzten sich diese fort und haben Auswirkungen auf die Praktik oder das Meta-System »Wäsche waschen«, wie sie in Privathaushalten praktiziert wird, und alle damit verbundenen Systeme. Instruktiv an Shoves Ansatz ist, dass sie eine Perspektive einnimmt, die bei der Beschreibung einer Alltagspraktik die Dimension der Verwobenheit dieser Praktik mit entfernten, nicht in der Praktik selbst präsenten Zusammenhängen, berücksichtigt. Im Hintergrund sind hier zweifelsfrei Ideen aus dem Umfeld der ANT identifizierbar, die dazu anhalten den Akteuren zu folgen, die Netzwerke und Aktanten zu rekonstruieren und Zusammenhänge nicht auf örtliche Kopräsenz zu beschränken. Die Perspektive der ANT verbietet allerdings, von Praktiken im starken Sinn zu sprechen, weshalb Shoves Perspektive nicht darauf reduzierbar ist. Auch bei Rammerts Konzept der »hybriden soziotechnischen Konstellation« ist der Einfluss von Ideen der ANT offensichtlich. Mit dem Fokus auf die Frage »Wer handelt?« erläutert Rammert dieses Konzept am Beispiel des Fliegens. »Das Fliegen als Technik findet in einer aus Maschinen, Menschen und Programmen vermischten Konstellation statt, wobei den menschlichen und nichtmenschlichen Instanzen des Handelns unterschiedliche und situativ wechselnde Grade von Handlungsträgerschaft (›agency‹) auf der einen Seite und unterschiedliche Grade von Technisierung (›technological fix‹) zukommen.« (Rammert 2004: 226)

Rammert macht deutlich, dass Fliegen eine Handlung ist, die in einem weitverzweigten Netzwerk aus »Maschinen, Menschen und Programmen« emergiert. Anhand der Leitfrage »Wer fliegt die Touristen nach Teneriffa?« (vgl. Rammert 2008: 78 ff.) lässt

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sich dieses Netzwerk aufdröseln.4 So wird man über verschiedene Personen vom Piloten über den Mechaniker bis hin zu der Person, die Flugtickets verkauft, sprechen müssen. Des Weiteren über das Flugzeug selbst und die Firmen, die es gebaut haben, Autopiloten und automatische Navigationssoftware, aber auch die Airline und den Flughafenbetreiber, die für den organisatorischen Rahmen sorgen, und das Netz aus Flugsicherungsstationen auf dem Boden des überflogenen Terrains. Im Gegensatz zu Latour führt Rammert verschiedene Grade der Handlungsträgerschaft ein (vgl. ebd.: 69). Diese sind hier jedoch nur von nebensächlichem Interesse. Interessant ist, dass die Frage, wer einen Touristenjet nach Teneriffa fliegt, umformuliert werden kann in die Frage, wie die Praktik, ebensolche Flugzeuge mit Touristen besetzt nach Teneriffa zu fliegen, plausibel zu beschreiben ist. An dieser Stelle, so das hier vertretene Argument, ist es hilfreich, mit einem Konzept von Infrastruktur zu arbeiten. Neben der zu beobachtenden Praxis im Cockpit integriert diese Praktik nämlich eine Vielzahl von Infrastrukturen in einer bestimmten Weise, von denen eine nicht geringe Anzahl ursächlich mit der Praktik »Passagierjets fliegen« verbunden sind, also sich gemeinsam mit dieser entwickelt haben, d.h. ko-konstitutiv mit dieser sind. Mit der Berücksichtigung von Infrastrukturen in diesem Sinn kommt die räumliche Dimension der Praktik »Touristen nach Teneriffa fliegen« in Sicht. Durch das Arrangement der beteiligten Infrastrukturen werden durch die Praktik erzeugte Räume in einer bestimmten Weise zugerichtet: Aus dem Zusammenspiel von Flughäfen, Flugsicherungsstationen, Wettervorhersagen, Flugplanmanagementsystemen etc. entstehen Bahnen möglicher Flugrouten. Institutionalisierte Informationsdienste, wie z.B. Wettervorhersagen, werden hier auch als Infrastruktur verstanden. Die Verschiebung des Ausgangspunktes der Überlegungen von Infrastrukturen zu Praktiken bringt mit sich, dass Infrastrukturen in den Blick rücken können, die nicht in den klassischen summarischen Definitionen auftauchen. Für eine solche Umkehrung der Definitionsrichtung haben Susan Leigh Star und Karen Ruhleder argumentiert: Anstatt zu fragen was (ein) Infrastruktur(-system) ist, fragen die Autorinnen wodurch und in welchen relationalen Gefügen etwas eine Infrastruktur wird: »[W]e hold that infrastructure is a fundamentally relational concept. It becomes infrastructure in relation to organized practices. [...] Thus we ask, when – not what – is an infrastructure.« (Star und Ruhleder 1996: 113)

4 | Latour geht diesem Zusammenhang an der Frage nach, ob Waffen töten und wer einen B-52-Bomber fliegt (Latour 2000: 213 ff.).

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Diese relationale Bestimmung orientiert sich an organisierten Praktiken. Dies zeigt, dass die Autoren nicht Praxis im Sinne eines »doing« im Auge haben, sondern vielmehr an eine mit relativer Stabilität ausgestattete Praktik im Sinne von Schatzkis Bestimmung einer Praktik als »temporal unfolded and spatial dispersed nexus of doings and sayings« denken (Schatzki 1996: 89). Infrastruktur (I.) im Sinne von Star/Ruhleder hat folgende Eigenschaften (vgl. Star 1999: 381 f.): 1. »Embeddedness« → I. ist in andere Strukturen »abgesunken«. Das heißt, sie wird normalerweise nicht von diesen unterschieden. 2. »Transparency« → I. unterstützt auf unsichtbare Weise bestimmte Aufgaben und muss nicht immer wieder neu erfunden werden. 3. »Reach or Scope« → I. reicht sowohl räumlich als auch zeitlich über spezifische Ereignisse hinaus. 4. »Learned as part of membership« → Der blinde Umgang mit I. (Artefakten und organisatorischen Strukturen) ist Teil dessen, was es heißt Mitglied einer »community of practice« zu sein. Für Außenseiter ist dies unverständlich. 5. »Links with conventions of practice« → I. wird von den Konventionen einer »community of practice«5 geformt und umgekehrt. 6. »Embodiement of standards« → I. schließen immer an andere I. und verwandte Hilfsmittel in standardisierter Weise an. 7. »Built on an installed base« → I. entsteht nicht aus dem Nichts. Sie muss mit der Trägheit des schon vorhandenen kämpfen. 8. »Becomes visible upon breakdown« → I. werden auch für den Unwissenden sichtbar, wenn sie ausfallen.

5 | Die Autoren entwickeln ihr Konzept von Infrastruktur an der empirischen Untersuchung einer global verteilten Gruppe von Biologen, die sie als »community of practice« konzeptualisieren.

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9. »Is fixed in modular increments, not all at once or globally« → Niemand hat die alleinige Verantwortung für I. Veränderung ist immer inkrementell und braucht Zeit und Aushandlung auf verschiedenen Ebenen. Diese relationale Bestimmung von Infrastruktur und deren Eigenschaften ist für das hier verfolgte Interesse instruktiv, da sie es ermöglicht, Infrastrukturen von Praktiken her zu denken und zu bestimmen. Die Eigenschaften »embeddedness« (1), »transparency« (2) und »reach or scope« (3) sind grundlegende Eigenschaften von Infrastrukturen, die sie von anderer Technik unterscheidet. »learned as part of membership« (4) und »becomes visible upon breakdown« (8) sind Eigenschaften, die auf mögliche Methoden der empirischen Untersuchung von Infrastrukturen verweisen. Die Tatsache, dass Infrastrukturen nicht aus dem Nichts entstehen (7), verweist auf die zeitliche Entwicklung und ist vor allem dann interessant, wenn es darum geht, Infrastruktur zu entwickeln. Eng damit verbunden ist die inkrementelle Weiterentwicklung von Infrastrukturen (9). Die »Verkörperung« von Standards (6) ist eine zentrale Eigenschaft von Infrastrukturen und ist zusammen mit »reach or scope« (3) der entscheidende Aspekt für die Diskussion der räumlichen Dimension von Praktiken, die bestimmte Infrastrukturen integrieren. Bevor jedoch der Fokus auf die räumliche Dimension von Praktiken, die Infrastrukturen integrieren, gelegt werden soll, bleibt zu klären, wie Infrastrukturen und Praktiken ineinandergreifen. Hierfür bietet die fünfte Eigenschaft »linked with conventions of practice« (5) einen brauchbaren Ansatzpunkt. Verzahnung von Infrastrukturen und Praktiken Praktiken unterscheiden sich von der bloßen Praxis dadurch, dass sie mit einer gewissen relativen Stabilität ausgestattet sind. Sie treten an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten in hinreichend ähnlicher Form auf und können dabei als ein und dieselbe Praktik identifiziert werden. Schatzki argumentiert, dass dies dadurch zu Stande kommt, dass Praktiken organisiert sind. Diese Organisation von Praktiken findet mit Schatzki auf drei Ebenen statt: »verstehen«, »explizite Regeln« und »teleoaffektive Strukturen« (vgl. Kap. 2.2: »Praktik« als soziologischer Grundbegriff ). Ebenso wie bei Infrastrukturen handelt es sich hierbei um stabilisierende Elemente von Praktiken. Infrastrukturen selbst lassen sich in Schatzkis Ansatz in der Kategorie »material arrangements« einordnen werden, die zusammen mit Praktiken die »social site« konstituieren. Die Verzahnung von »material arrangements« und mit diesen zusammenhängenden Praktiken erfolgt auf der Ebene der Organisation von Praktiken. Um dieser Verzahnung nachzugehen, lauten meine Leitfragen in Bezug auf Infrastrukturen:

62 | Flächen – Bahnen – Knoten

- Wie entfalten in eine Praktik integrierte Infrastrukturen auf den drei genannten Ebenen der Organisation einer Praktik Wirkung? - Lassen sich bestimmte mit der Praktik verbundene Interpretationen auf Eigenschaften von Infrastrukturen zurückführen? Hängt das, was im Rahmen der Praktik als erstrebenswert gilt, damit zusammen, was eine Infrastruktur zur Verfügung stellt? - Lassen sich Regeln der Praktik mit Zwängen der integrierten Infrastrukturen in Verbindung bringen? Schatzki führt vier Modi an, in denen »material arrangements« und Praktiken aufeinander wirken: »causality«, »prefiguration«, »constitution« und »intelligibility« (Schatzki 2010a: 139 ff.) (vgl. Kap. 2.3: Praktiken und Materialität/Technik). Obwohl Schatzki einen sehr weiten Begriff von Materialität verwendet, sind diese Modi instruktiv für die Frage, wie spezielle Infrastrukturen, die in Praktiken integriert sind, mit diesen verzahnt sind und Wirkung entfalten. Neben der bereits benannten Organisation einer Praktik (verstehen, explizite Regeln, teleoaffektive Struktur), die mit den in die Praktik integrierten Infrastrukturen wechselwirkt und hauptsächlich im Rahmen des vierten Modus, also »intelligibility«, Wirkung entfaltet, gehen die drei anderen Modi darüber hinaus und benennen Wirkungsmodi, die durch die alleinige Analyse von Bedeutung oder Verstehen nicht zu fassen sind. Im Rahmen von »causality« können ursächliche Zusammenhänge beschrieben werden. So führt z.B. das Anschalten eines GPS-Gerätes dazu, dass binnen kurzer Zeit von dem Gerät unter Rückgriff auf die GPS-Infrastruktur die aktuelle Position bestimmt wird. In umgekehrter Richtung führt das Mitführen eines mobilen Endgerätes dazu, dass in regelmäßigen Abständen auf den Bildschirm des Gerätes geschaut wird/werden muss. Auf technischer Ebene gibt es kausale Ketten, wenn z.B. die Neuberechnung der Position den Routingalgorithmus in Gang setzt und in der Folge davon eine angepasste Route berechnet wird, die wiederum auf einem Bildschirm angezeigt wird. Solche Kausalzusammenhänge sind relativ simpel, zeigen aber, in welcher Weise Infrastrukturen und Aktivitäten einer Praktik ineinandergreifen. So führt bei der Praktik »Geocaching« das Erreichen der Zielkoordinaten in der Regel kausal dazu, dass die Praktiker anfangen, den Geocache (einen versteckten Behälter) zu suchen. Bei anderen Praktiken, die GPS integrieren, tritt diese Kausalkette nicht auf. Dort setzt das Erreichen der Zielkoordinaten gänzlich andere weiterführende Aktivitäten in Gang. Ein weiteres Beispiel wäre das Markieren einer Position, um diese zu einem späteren Zeitpunkt wiederfinden zu können. Dies geschieht bei der Praktik »Geocaching« durch niederschreiben oder abspeichern der Koordinaten und nicht durch Beschreibung des Weges oder durch das Zeichen eines Kreuzes auf einer papierenen Landkarte.

3. Infrastrukturen: Von Steuerung zu Praxis | 63

Während kausale Zusammenhänge eindeutig sind, lässt der Modus »prefiguration« Spielraum. Hier kommen Zusammenhänge in den Blick, die bestimmte Handlungen nahelegen, diese aber nicht determinieren. Es liegt nahe, größere Strecken mit einem Auto zu überbrücken und nicht mit einem Fahrrad, obwohl dies nicht unmöglich ist. Mit einem Auto lassen sich solche Strecken am angenehmsten und schnellsten auf gut ausgebauten Straßen zurücklegen, obwohl eine Route über kleinere Straßen auch möglich wäre. Falls es sich um eine Praktik handelt, bei der Autofahren mit dem Ziel die schöne Landschaft zu bestaunen verbunden ist, verhält es sich umgekehrt: Die kleineren und kurvenreicheren Straßen werden bevorzugt. Die Frage ist, auf welche Weise eine Infrastruktur (hier Straßen) in eine Praktik integriert wird. Die präfigurierende Wirkung einer in eine Praktik integrierten Infrastruktur ist also nichts Absolutes, sondern eine empirische Frage, die jedoch eng mit den spezifischen Eigenschaften einer Infrastruktur verbunden ist. Denn auch dieser Spielraum hat eine Grenze: Die Praktik »Auto fahren«, wie auch immer sie im Detail gestaltet sein mag, wird immer auf Straßen stattfinden, die für das Befahren durch Autos geeignet sind. Der letze Modus (»constitution«) verweist darauf, dass bestimmte Praktiken ohne bestimmte Infrastrukturen schlicht nicht existieren können. Ohne GPS gäbe es kein Geocaching, ohne Elektrizität keine heimischen Filmabende und ohne Internet kein Online-Shopping etc. Es geht hier aber nicht nur um solche ausschließlichen Zusammenhänge. Die Praktik »Geocaching« wird sich z.B. mit Sicherheit verändern, wenn die Genauigkeit der Positionsbestimmung für Privatanwender steigen wird. Ebenso hat die Schnelligkeit und Verfügbarkeit einer Internetverbindung Auswirkungen auf Praktiken, die das Internet nutzen. Zwar gibt es diese Praktiken auch mit langsamen Verbindungen. Mit Hochgeschwindigkeitszugängen gestalten sie sich aber anders. Die Art der abrufbaren Inhalte ändert sich. In der entgegengesetzten Richtung konstituieren Praktiken Infrastrukturen mit. Dies ist zwar nicht in jedem Fall so, denn wenn die relative Stabilität einer Infrastruktur gegenüber einer Praktik zu hoch ist, ist keine Beeinflussung feststellbar. Jedoch gibt es immer auch sehr eng mit der Praktik verbundene Infrastrukturen, die beeinflusst werden. Es ist anzunehmen, dass im Fall der Praktik »Geocaching« das vom US-Militär betriebene GPS weitgehend immun gegenüber Einflüssen der Praktik ist. Dies gilt aber nicht für die mit der Praktik entstehende Datenbank, die eine sehr eng mit der Praktik verbundene Infrastruktur darstellt. Hier lassen sich Rückkoppelungen über die Zeit beobachten. Für alle Modi gilt: Wie die Zusammenhänge tatsächlich aussehen, ist immer eine empirische Frage. Diese lassen sich nicht aus der theoretischen Betrachtung einer Infrastruktur alleine vorhersagen. Die Integration einer Infrastruktur in eine Praktik kann in den vier vorgestellten Modi analysiert werden.

64 | Flächen – Bahnen – Knoten

Von Infrastrukturen ist der Weg nicht weit zu der Frage, wie die räumliche Dimension einer Praktik beschaffen ist. Infrastrukturen sind vernetzt und vernetzen, haben »reach/scope« (Star 1999: 381) und damit zeitliche Persistenz und territoriale Ausdehnung, was sie von einzelnen technischen Geräten oder Artefakten unterscheidet. Im Feld der Infrastruktur- und Raumforschung werden anhand dieser Eigenschaften Themen wie die Verkehrsanbindung von Räumen, die Versorgung mit Breitbandinternet in ländlichen Regionen und die unter Umständen damit verbundenen Bevölkerungswanderungen diskutiert. Es gibt keine Ausweisung eines Baugebiets ohne infrastrukturellen Erschließungsplan. Infrastrukturen bestimmen, wo Menschen wohnen und Industrie sich ansiedeln kann. Sie strukturieren Räume und verbinden und trennen Orte.6 Während in diesen Fällen Infrastrukturen und Raum zusammengedacht werden, interessiert in der vorliegenden Arbeit die räumliche Dimension von Praktiken. Infrastrukturen, die in die betreffenden Praktiken integriert sind, können hier, so das Argument, als Brücke von Praktiken zu Räumen dienen, die über einzelne Situationen hinausreichen. Bevor allerdings ausführlicher auf den Zusammenhang von Infrastrukturen, Praktiken und Räumen eingegangen werden kann, ist es nötig, den Begriff »Raum« präziser zu bestimmen. Nach einer kurzen Zusammenfassung dieses Abschnitts und der Einführung des Konzepts des »infrastrukturellen Arrangements« (Kap. 3.3) wird daher im nächsten Kapitel (Kap. 4) in Anschluss an Löws soziologisches Raumkonzept ein Verständnis für die räumliche Dimension von Praktiken entwickelt. Zum Abschluss dieses ersten Teils der Arbeit wird dann die Trias von Praktiken – Infrastruktur – Raum zu einer theoretischen Perspektive zusammengeführt (Kap. 5).

3.3 I NFRASTRUKTURELLE A RRANGEMENTS VON P RAKTIKEN Ausgehend von der Überlegung, dass Praktiken immer auch auf Infrastrukturen zurückgreifen, wurde eine Perspektive auf Infrastrukturen entwickelt, die ihren Ausgang von Praktiken nimmt und nicht von Infrastruktursystemen. Dazu wurden klassische Ansätze der Infrastrukturforschung beschrieben und dann mit Star/Ruhleder eine Wendung von summarischer (what?) zu praxisorientierter (when?) Bestimmung von Infrastrukturen vollzogen. Schatzkis theoretische Überlegungen zur Verzahnung von

6 | Graham und Marvin unterscheiden z.B. zwischen drei Typen von Verbindung und Umgehung (»bypass«) (Graham und Marvin 2001: 166 ff.).

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»material arrangements« und Praktiken über die vier Modi Kausalität, Prefiguration, Konstitution und Verstehen wurden abschließend dazu genutzt, den Zusammenhang zwischen einer Praktik und den in diese integrierten Infrastrukturen näher zu bestimmen. Das Argument besteht darin, dass jede Praktik auf eine Menge von vorhandenen Infrastrukturen zurückgreift. Keine Praktik schafft sich ihre Infrastruktur vollständig selbst. So benötigt die Praktik »Fahrrad fahren« ein Netz aus Straßen, Verkehrssicherungseinrichtungen, Werkstätten, eine Ersatzteillogistik usw. Dies alles sind Infrastrukturen, die aus der klassischen Perspektive als Infrastruktursysteme betrachtet werden und an die Fragen der Steuerung gestellt werden können. Während ausgewählte Infrastrukturen speziell für die Praktik »Fahrrad fahren« entstanden sind (z.B. Radwege), sind andere in anderen Zusammenhängen entstanden und werden durch die Integration in die Praktik »Fahrrad fahren« umgenutzt (Autostraßen).7 Eine Praktik integriert also in großem Maße bereits vorhandene Infrastrukturen und schafft sich in weitaus kleinerem Maße Infrastrukturen selbst. Infrastrukturen, ob komplexe Infrastruktursysteme, die mit unzähligen Praktiken assoziiert sind, oder speziell mit einer bestimmten Praktik entstandene Infrastrukturen, verursachen, präfigurieren und konstituieren diese Praktik(en) mit. Dies ist abhängig davon, auf welche Art und Weise sie in eine Praktik integriert sind. Es gibt unzählig viele Praktiken, die in der einen oder anderen Weise das Stromnetz integrieren. Wie die Wechselwirkung zwischen dem Stromnetz und der Praktik entlang der genannten Modi konkret aussieht, ist eine empirische Frage. Die Antwort fällt im Fall der Praktik »Elektroauto fahren« und »fernsehen« unterschiedlich aus. Umgekehrt findet diese Beeinflussung auch statt. Jedoch macht es Sinn, hier zu unterscheiden: Nicht jede Praktik hat einen beobachtbaren Einfluss auf jede Infrastruktur, die sie integriert. Es handelt sich dabei um eine empirische Frage, die durchaus verneint werden kann. So hat die Praktik »Geocaching« keinen Einfluss auf die Spezifikationen des GPS und die Praktik »Fahrrad fahren« keinen Einfluss auf die Struktur des Tankstellennetzes, obwohl man an letzteren auch Fahrradreifen an eigentlich für Autoreifen bestimmten Luftpumpen aufpumpen kann. In einem solchen Fall ist es wahrscheinlicher, dass sich eine Praktik an einer vorhandenen Infrastruktur ausrichtet. Zum Beispiel führen Fahrradwege auch an Tankstellen vorbei und meiden diese nicht. Wenn es auf einer Route genügend davon gibt, ist es möglich die Handluftpumpe zu Hause zu lassen. Im Fall der Praktik »Auto fahren« liegt der Fall anders. Die

7 | Dieser Vorgang könnte auch mit dem Konzept der »Aneignung« beschrieben werden. Dieses findet in der vorliegenden Arbeit jedoch keine Verwendung. Stattdessen ist hier die Idee von der Integration von Geräten oder Infrastrukturen in eine Praktik als Elemente leitend.

66 | Flächen – Bahnen – Knoten

meisten Straßen sind heute passend für die Befahrung durch PKWs gebaut und nicht für das Bereiten mit hufeisenbeschlagenen Pferden. Praktik und Infrastruktur haben sich parallel und aufeinander bezogen entwickelt. Ohne die Praktik »Auto fahren« würde das Straßennetz in dieser Form (Belag, Aufteilung, Abmessungen etc.) nicht existieren und umgekehrt würde die Praktik »Auto fahren« ohne das Straßennetz in der vorhandenen Form nicht existieren. »Auto fahren« hat also einen beschreibbaren Einfluss auf die Infrastruktur, die sie integriert. Im Fall von Geocaching lässt sich Vergleichbares beobachten: Während allerdings das GPS von der Praktik unberührt bleibt, entwickelt sich die extra für die Praktik aufgebaute Infrastruktur, also die Datenbank mit Geocaches und Kommunikationswege, in enger Verbindung mit der Praktik. Im Folgenden wird daher zwischen der Infrastruktur einer Praktik und dem infrastrukturellen Arrangement einer Praktik unterschieden. Ersteres ist eng mit der Praktik verbunden und befindet sich mit dieser in wechselseitiger Abhängigkeit. Letzteres besteht aus einer Anordnung von bestehenden, mit anderen Praktiken kokonstitutiven Infrastrukturen, die in eine Praktik integriert und von dieser Praktik in einer bestimmten Anordnung zueinander gebracht werden. Graham und Marvin beschreiben das Entbündeln (»unbundling«) von Infrastruktursystemen in verschiedene Richtungen (vertikal, horizontal, virtuell) (Graham und Marvin 2001: 138 ff.). Vertikale Entbündelung bezeichnet dabei die Entbündelung entlang der Produktionskette, horizontale Entbündelung jene an der gleichen Stelle der Produktionskette, also z.B. das Entstehen von verschiedenen Anbietern, die miteinander konkurrieren. Die Dimension der »virtuellen Entbündelung« ist für den hier diskutierten Fall instruktiv: Graham und Marvin haben damit das Anbieten von verschiedenen Diensten auf derselben Infrastruktur im Sinn, die auf diese aufgesetzt werden können. Dies geschehe durch das Installieren einer neuen Informationsinfrastruktur, die die Interaktionen zwischen Nutzern und Anbietern abwickeln könne (ebd.: 143). Im Fall der Praktik »Geocaching« geschieht etwas Vergleichbares. Die dezidierte Informationsinfrastruktur der Praktik, welche aus einer Datenbank für Geocaches und Kommunikationsstrukturen besteht (vgl. Kap. 7.2: Entstehungsgeschichte), ermöglicht zusammen mit dem Infrastruktursystem GPS alternative Nutzungsweisen für bestehende Infrastrukturen. Das Entbündeln funktioniert hier nicht über Marktregulierung bzw. Deregulierung, sondern über die Nutzbarmachung in alternativen Zusammenhängen. Ohne GPS und ohne eine Liste von Zielen sind Nutzer des Straßensystems weitgehend auf die diesem System inhärenten Leitfunktion angewiesen. Mit GPS und einer Liste von potentiellen Zielen, können sie sich diese Systeme zunutze machen, um Ziele möglichst effizient zu erreichen.

3. Infrastrukturen: Von Steuerung zu Praxis | 67

Die Infrastruktur und das infrastrukturelle Arrangement einer Praktik sind aufschlussreich, um die räumliche Dimension einer Praktik zu beschreiben. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Bereichen der Infrastruktur ist produktiv, weil Praktiken durchaus eigene Infrastrukturen erschaffen, mit denen sie sich in einer kokonstitutiven Relation befinden, zum überwiegenden Teil aber auf bestehende Infrastrukturen mit hoher zeitlicher Persistenz zurückgreifen und diese in einer bestimmten Weise miteinander verknüpfen.8 Das Differenzkriterium zwischen der Infrastruktur und dem infrastrukturellen Arrangement einer Praktik ist also der Grad der KoKonstitution. Die Infrastruktur einer Praktik ist ko-konstitutiv mit der Praktik. Infrastrukturen im infrastrukturellen Arrangement einer Praktik sind dies nur zu einem vernachlässigbaren Teil oder gar nicht. Im nächsten Kapitel wird ein dezidiert soziologisches Raumkonzept vorgestellt und so interpretiert, dass es sich zusammen mit der Infrastruktur/dem infrastrukturellen Arrangement dazu eignet, die räumliche Dimension von Praktiken zu beschreiben.

8 | Die gilt für alle Praktiken und nicht nur für Geocaching. Zum Beispiel auch bei der Frage nach nachhaltigen Mobilitätspraktiken, die in der Lage sind, den zunehmenden Zuzug in Städte zu bewältigen, kann ein solches Verständnis hilfreiche Perspektiven eröffnen.

4. Die räumliche Dimension von Praktiken

In den vorangegangenen beiden Abschnitten wurden die ersten beiden der drei Säulen vorgestellt, die die theoretische Perspektive der vorliegenden Arbeit bestimmen. Dies waren zunächst Praktiken als Grundbegriff sozialer Phänomene und dann Infrastrukturen ausgehend von Praktiken verstanden. Im folgenden Abschnitt wird nun diese theoretische Perspektive durch Überlegungen zur Kategorie vervollständigt. Die hier eingenommene Perspektive auf Raum wird in Anschluss an das relationale Raumkonzept von Martina Löw entwickelt. Weil für die hier verfolgte Fragestellung Technik, die über ein artefaktgebundenes Verständnis hinausgeht, wichtig ist, wird Löws Konzeption an zwei Stellen modifiziert: Zum einen wird der »Ort« der Raumkonstitution von Individuen zu Praktiken verschoben. Raumkonstitutionen von Individuen werden dabei zur Raumerzeugung durch Praktiken. Zum anderen wird Technik, die über die Präsenz von Artefakten, also einer bestimmten bedeutungsvollen Materialität hinausgeht, systematisch eingebunden. Technik kann dann als Bestandteil von Raumerzeugungsprozessen, integriert in Praktiken, gesehen werden. Eine solche Modifikation des Löw’schen Theorieangebots hat mit Bezug auf das hier verfolgte Interesse Vorteile, jedoch soll nicht verschwiegen werden, dass dadurch auch Bereiche aus dem Blick geraten, die vormals im Fokus standen. So verliert das Individuum in Opposition zu gesellschaftlichen Strukturen, mit denen es sich fortlaufend arrangieren muss, seine zentrale Rolle. Die Fragen danach, wer bestimmte Räume konstituiert, wer dabei mit wem um Deutungshoheit konkurriert und wie sich dies zu gesellschaftlich institutionalisierten Räumen verhält, sind so nicht weiter stellbar. Die Perspektive auf Praktiken nimmt eine ex post Perspektive ein. Interessen und Wünsche von Individuen kommen nur als abgeleitet von Praktiken vor, in die solche Individuen eingebunden sind. Konflikte zwischen Praktiken, zum Beispiel um knappe Ressourcen, lassen sich jedoch thematisieren. Praktiken, die dieselben knappen Materialitäten oder Infrastrukturen integrieren wie andere Praktiken, können Abgren-

70 | Flächen – Bahnen – Knoten

zungsbewegungen und Konflikten hervorrufen, in die die Praktiker involviert sind. Gerade in Bezug auf die räumliche Dimension ist dies interessant.

4.1 R AUM –

EIN SCHILLERNDES

KONZEPT

Raum ist – zusammen mit der Zeit – eine Grundkategorie menschlichen Daseins.1 Das bringt mit sich, dass Raum in vielen unterschiedlichen Zusammenhängen auf unterschiedliche Weise thematisiert wird. Mal metaphorisch, mal als objektive Größe oder eher intuitiv und dann wieder mit einer theoretisch anspruchsvollen Bestimmung, um nur kurz die Bandbreite möglicher Verwendungen aufzuzeigen. Während in den deutschen Geistes- und Sozialwissenschaften zunächst eine intensive Beschäftigung mit Raum lange Zeit nicht stattfand, Löw und Sturm führen als möglichen Grund dafür die politischen Entwicklungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an (Löw und Sturm 2005: 35), kam es im Rahmen des »spatial turns« (vgl. Döring und Thielmann 2008) zu einer machtvollen Renaissance. Unabhängig von den Konjunkturen der sozialwissenschaftlichen Raumdiskussion ist Raum eine relevante Kategorie für soziologische Fragestellungen und ein hilfreiches Konzept für die Darstellung bestimmter sozialer Zusammenhänge. Ein prominentes Bespiel für die Verwendung von Raum als Konzept für die Darstellung von soziologischen Zusammenhängen findet sich bei Pierre Bourdieus Konzeption des sozialen Raums. Entlang der drei Kapitalsorten (sozial, kulturell, ökonomisch), die die Achsen des Bourdieu’schen Sozialraums darstellen, entfaltet Bourdieu intuitiv nachvollziehbar die Ordnung der Gesellschaft (Bourdieu 1985; Bourdieu 1987; Bourdieu 2006). Dies ist ein Beispiel für eine höchst produktive Verwendung von Raum in einem metaphorischen Sinne. Metaphorisch deshalb, weil es hier nicht um die geografische Verankerung der Elemente geht, die in diesem Raum in eine Ordnung gebracht werden, sondern das Vokabular der Raumbeschreibung genutzt wird, um eine soziale Ordnung zu beschreiben. Der soziale Raum im Bourdieu’schen Sinne ist der gesellschaftliche Raum, in dem sich Mitglieder der Gesellschaft zueinander positionieren. Bourdieu verwendet Raum hier als ein Werkzeug, um diese Lagebeziehungen gesellschaftlicher Ordnung zu beschreiben, aufzuschlüsseln und zu erklären. In der vorliegenden Arbeit wird Raum im Gegensatz dazu ausschließlich nicht-metaphorisch verwendet. Das heißt, Elemente der hier diskutierten Räume

1 | Vgl. dazu z.B. den Abschnitt über Raum in der »Kritik der reinen Vernunft« (Kant 1974: B 37/A 22) und aus entwicklungspsychologischer Perspektive Piaget und Inhelders Arbeit »Die Entwicklung des räumlichen Denkens beim Kinde« (Piaget und Inhelder 1999).

4. Die räumliche Dimension von Praktiken | 71

haben immer einen geografischen Index. Zudem geht es in der vorliegenden Arbeit nicht um sozialhierarchische Lagebeziehungen, sondern um die Ordnung des Nebeneinanders von Personen in Gesellschaft oder »sozialer Koexistenz« (Schatzki 2002: 21 f.). Aus der Vielfalt der vorhandenen Anwendungsbereiche und damit verbundenen Raumverständnisse ergibt sich, dass die substantialistische Frage, was denn letztendlich Raum sei, zu einer endlos kreisenden selbst innerhalb von disziplinären Grenzen nicht zur Ruhe kommenden Diskussion führt. Wenn jedoch diese Frage schon nicht endgültig zu beantworten ist, dann ist es umso notwendiger klar zu definieren, wie Raum jeweils konzipiert ist. Dieses Kapitel leistet dies für die vorliegende Arbeit.

4.2 R AUM

AUS SOZIOLOGISCHER

P ERSPEKTIVE

Martina Löw bemerkt in ihrem 2001 erschienenen Buch »Raumsoziologie«, dass in der Soziologie mit einer großen Selbstverständlichkeit davon ausgegangen werde, dass es keine menschliche Existenz außerhalb von Raum und Zeit gebe. Wenn es jedoch dazu komme, Aussagen über den Raum zu treffen, dieser stets essentialistisch »als materielles Substrat, Territorium oder Ort entworfen wird« (Löw 2001: 9). Raum werde bestenfalls als »Umweltbedingung« für soziologische Phänomene verstanden (ebd.). Dieses Raumverständnis wird auch als »Containerraum« bezeichnet, weil es Raum als Container für soziale Prozesse konzipiert. Raum fungiert in diesem Verständnis als unabhängige Variable. Diesem sogenannten »Containerverständnis« von Raum setzt Löw ein »relationales« Raumverständnis entgegen. Bevor jedoch Löws Entwurf ausführlich diskutiert wird, wird zuvor kurz das Feld möglicher soziologischer Raumvorstellungen dargestellt. Von den soziologischen Klassikern haben sich insbesondere Emile Durkheim und Georg Simmel intensiv mit den räumlichen Dimensionen des Sozialen auseinandergesetzt. Beide teilen eine explizit soziologische Herangehensweise an die Thematik des Raums und setzen sich so von naturalistischen, d.h. raumdeterministischen Vorstellungen der zeitgenössischen Geografie ab. Durkheim (vor allem: Durkheim 2007) vertritt dabei die These, dass die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse ihren Ausdruck im Raum bzw. Territorium finden (Schroer 2006: 48 ff.). Jedoch dreht er dabei die Richtung des Raumdeterminisumus nahezu um (Löw und Sturm 2005: 33).

72 | Flächen – Bahnen – Knoten

Simmel setzt sich ausführlich und dezidiert mit der Raumthematik auseinander.2 Er dreht im Gegensatz zu Durkheim jedoch das Determinationsverhältnis zwischen Raum und sozialen Prozessen nicht einfach um, sondern konzipiert dieses Verhältnis als zirkuläres Konstitutionsverhältnis (ebd.: 34). Damit denkt Simmel die Beziehung zwischen sozialen Zusammenhängen und Raum in einer Weise, die bereits sehr nahe an der Weise ist, wie diese Beziehung in der gegenwärtigen Diskussion verstanden wird. Im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts fallen vor allem zwei der großen soziologischen Theoretiker dadurch auf, dass sie explizit eine Konzeption von Raum in ihre Erklärungen soziologischer Sachverhalte integrieren. Dies ist zum einen Pierre Bourdieu und zum anderen Anthony Giddens. Die metaphorische Verwendung von Raum bei Bourdieu zum Zweck der Darstellung gesellschaftlicher Lagebeziehungen wurde bereits dargestellt. Bei seiner Beschreibung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Kabylei geht Bourdieu dagegen auf andere Weise mit der Kategorie Raum um. Er beschreibt ausführlich die Einteilung eines typischen kabylischen Hauses und die soziale Bedeutung der in bestimmter Weise zueinander angeordneten Gegenstände. Bourdieus Argument ist, dass diese Ordnung nach »einem Gefüge homologer Gegensätze« wie z.B. Feuer - Wasser, gekocht - roh, oben - unten, Licht - Schatten, Tag - Nacht, männlich - weiblich etc. geordnet ist und dieses Gefüge nicht nur das Haus, sondern das Zusammenleben insgesamt auch außerhalb des Hauses ordnet (Bourdieu 1979: 53 f.). Im Raum würden sich gesellschaftliche Gegebenheiten zeigen. Somit könne der Raum mit dem Ziel des Verständnisses der Gesellschaft als Ganzes analysiert werden. Giddens interessiert sich in »Die Konstitution der Gesellschaft« (Giddens 1997) für die Grundfrage aller soziologischen Bemühungen: Wie entsteht soziale Ordnung? Und: Wie bleibt sie bestehen? Giddens geht diese Frage an, indem er sich entschieden gegen in der soziologischen Theorie etablierte Dualismen, wie Mikro – Makro, Handeln – Struktur oder Objektivismus – Subjektivismus, wendet. Gesellschaft analysiert Giddens als über Raum und Zeit stabilen Zusammenhang, der aus in Raum und Zeit hineingreifende gesellschaftlich geregelte Praktiken besteht (vgl. Kap. 2.2: Praktik als soziologischer Grundbegriff ). Um Raum näher zu bestimmten bezieht sich Giddens auf die Zeitgeografie von Hägerstrand (vgl. ebd.: Kap. 3). Raum spielt also eine zentrale Rolle in Giddens’ Gesellschaftstheorie. Löw und Sturm weisen

2 | Zu nennen sind der Aufsatz »Über räumliche Projektionen sozialer Formen« (Simmel 1995: 201-220) und das Kapitel »Der Raum und die räumliche Ordnungen der Gesellschaft« in der »Soziologie« (Simmel 1992: 687-790). Für einen ausführlichen Überblick über Simmels Position bezüglich Raum (vgl. Schroer 2006: 60 ff.).

4. Die räumliche Dimension von Praktiken | 73

jedoch darauf hin, dass das von Giddens verwendete Raumkonzept relativ stark einem Verständnis von Raum als Behälter für soziale Prozesse bzw. Praktiken verhaftet bleibt (Löw und Sturm 2005: 36). Es ist als territoriale Ausdehnung von sozialen Prozessen, das heißt von Gesellschaft, angelegt. Dies bedeutet, dass Giddens Auffassung von Raum nicht ernst macht mit der schon angelegten Konstitution von Raum durch die Praxis von Handlungen bzw. Praktiken.3 David Harvey argumentiert, dass sich postmoderne Wandlungsprozesse als »timespace-compression« beschreiben lassen (Harvey 1990: 240 ff.). »Zerstörung von Raum« ist eine andere Bezeichnung für diese Denkfigur mit der darauf hingewiesen wird, dass angesichts von immer schneller werdender Transport- und Kommunikationstechnologie Entfernungen zusammenschrumpfen und damit die Räume dazwischen »zerstört« werden. Eine einseitige Lesart der Zerstörung/Vernichtung von Raum ist nur aufrechtzuerhalten, wenn Raum als durch metrische Abstände definiert gedacht wird. Tatsächlich werden dann Räume, die mittels Technik schneller überbrückt werden können, zusammengestaucht, komprimiert und verschwinden letztendlich. Wolfgang Schivelbusch beschreibt diesen Effekt am historischen Beispiel der Einführung der Eisenbahn in der Mitte des 19. Jahrhunderts (Schivelbusch 1977). Jedoch fügt er der Zerstörung des Dazwischens das Moment der Eröffnung neuer Räume hinzu. Beide bezeichnet er als »widersprüchliche Momente«: »Auf der einen Seite schließt die Bahn neue Räume auf, die bisher nicht verfügbar waren, auf der anderen Seite geschieht dies, indem Raum vernichtet wird, nämlich der Raum dazwischen.« (Ebd.: 39) Entfernte Destinationen werden, obwohl weiterhin physisch getrennt, in den Raum des Ausgangspunktes einer Reise gezogen. Die Pariser Bahnhöfe würden zu Eingangsportalen zu Landschaften, die zwar physisch entfernt sind, jedoch einfach zu erreichen sind. Schivelbusch schreibt: »Die Reise in eine mit der Eisenbahn erreichbare Gegend erscheint als nichts anderes denn der Besuch eines Theaters oder einer Bibliothek. Der Kauf eines Eisenbahnbillets bedeutet dasselbe wie der Erwerb einer Theaterkarte.« (Ebd.: 40) Obwohl hier Raum durch Abstände definiert gedacht wird, ist Schivelbuschs Beschreibung in einer Weise lesbar, dass unterschiedliche Räume auf denselben Flächen möglich werden. Der Pariser Stadtraum verändert sich durch die Anbindung an andere Regionen, obwohl die Eisenbahn innerhalb der Stadt, auf der Fläche der Stadt, keine Entfernung »zerstört« oder in irgendeiner Weise transformiert. Der Stadtraum wird erweitert. Der nächste Schritt wäre konsequenterweise anzunehmen, dass die Existenz von Räumen nicht an de-

3 | Einen geografischen Ansatz, der Gesellschaft und Raum mit Bezug auf Giddens fasst hat Benno Werlen vorgelegt (Werlen 1999).

74 | Flächen – Bahnen – Knoten

ren erdoberflächliches Substrat gebunden ist, sondern in sozialer Praxis konstituiert wird. Eine solche Sichtweise ermöglicht es, auf denselben Flächen die Existenz von unterschiedlichen Räumen zu denken. So ist es wahrscheinlich, dass auch die Pariser Bahnhöfe des 19. Jahrhunderts nicht allen Einwohnern von Paris als »Theater« oder »Bibliotheken« erschienen, sondern beispielsweise als Arbeitsplatz, Ort um der Praxis der Praktik »eine Tasche stehlen« nachzugehen oder dieser Ort Ihnen einfach gar nichts bedeutete. Bevor jedoch ausführlich auf solch eine Konzeption von Raum eingegangen wird, soll aus dem Dargestellten noch ein anderer Punkt für die weitere Diskussion festgehalten werden: Der Fall der Eisenbahn zeigt, wie ein Infrastruktursystem räumliche Zusammenhänge transformiert. Auf der einen Seite dadurch, dass es die Bedeutung von Entfernungen verändert. Auf der anderen Seite dadurch, dass es an einem bestimmten Ort zusätzliche Elemente zur Verfügung stellt, die zur Raumkonstitution vor Ort verwendet werden können. So haben Infrastrukturen eine transformierende Wirkung auf Praktiken der Raumkonstitution und damit auch auf Räume. Vergleichbares findet in Bezug auf GPS und Raum zu Beginn des 21. Jahrhunderts statt. Auf die Rolle des GPS bei der Erzeugung von Räumen durch Praktiken, die das System integrieren, wird im zweiten Teil (II: Raumerzeugung: Flächen - Bahnen - Knoten) der vorliegenden Arbeit ausführlich eingegangen. Markus Schroer postulierte 2006, dass wir es offensichtlich, getrieben durch Internettechnik, mit einem umfassenden Wandel des Raumverständnisses zu tun hätten (vgl. Schroer 2006: 275). Laut Schroer vollzieht sich dieser Wandel auf zwei Linien: 1. vom vorgängigen zum erzeugten Raum und 2. vom exklusiven Raum zu der »Vorstellung, dass sich an ein und demselben Ort die verschiedensten Räume befinden können«4 (ebd.). Inwieweit die Vermutung zutrifft, dass Internettechnik die kausale Ursache für diesen Wandel ist, soll hier nicht weiter diskutiert werden. Tatsache ist, dass Schroers tentativ formulierte Vermutung heute bestätigt werden kann: Es macht Sinn, bestimmte Plätze nicht als fest verzahnt mit bestimmten Praktiken zu sehen und davon auszugehen, dass an bestimmten Plätzen durch das Praktizieren verschiedener Praktiken ganz unterschiedliche Räume – auch zur gleichen Zeit – existieren können. Dies scheint vielmehr geradezu notwendig, um zeitgenössischen raumverbundenen sozialen Phänomenen gerecht zu werden. Die Vorstellung, dass auf demselben Stück Erdoberfläche unterschiedliche Räume existieren können, funktioniert nur unter der Annahme, dass Räume nicht schon

4 | Schroer versteht »Ort« hier nicht als konstitutiven Bestandteil eines Raums, sondern als Position auf der Erdoberfläche.

4. Die räumliche Dimension von Praktiken | 75

existieren, sondern in sozialer Praxis konstituiert werden.5 Martina Löw hat einen Ansatz vorgelegt, in dem sie Raum in eben dieser Weise konzipiert. Eine Folge einer solchen Perspektive ist, dass die Rede von Raum empirisch durch den Plural ersetzt werden muss (Löw 2001: 131). Es geht also empirisch niemals um »den Raum«, sondern immer um Räume, die in der Praxis konstituiert werden. Auf einer konzeptuellen Ebene macht es natürlich weiterhin Sinn, von Raum im Singular zu sprechen und ein den verschiedenen empirischen Räumen gemeinsames theoretisches Raumkonzept zu bestimmen. Im nächsten Abschnitt wird Löws raumkonzeptioneller Entwurf vorgestellt und diskutiert.

4.3 R AUM

ALS RELATIONALE

(A N )O RDNUNG

Martina Löw stellt ein soziologisches Raumkonzept vor, das es ermöglicht, Lebewesen, Materialitäten und Symbole, also sozial geteilte Bedeutungen, in einem soziologischen Raumkonzept zu fassen. Alle drei Bestandteile sind an der Konstitution (Herstellung) von Räumen beteiligt. Die zentrale Definition von Raum lautet: »Raum ist eine relationale (An)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern [...]. Raum wird konstituiert durch zwei analytisch zu unterscheidende Prozesse, das Spacing und die Syntheseleistung.« (Löw 2001: 160)

»Soziale Güter« sind dabei für Löw mit Bezug auf Kreckel (1992: 77) »Produkte gegenwärtigen und vor allem vergangenen materiellen und symbolischen Handelns«, die sich nach »primär symbolisch« und »primär materiell« unterscheiden ließen (Löw 2001: 153). Löw betont ausdrücklich den materiellen Anteil (ebd.). Auch primär symbolische Güter, wie z.B. Zeichen im Straßenverkehr, würden nur angeordnet werden können, weil sie eine materielle Komponente besitzen (ebd.). »Spacing« und »Synthese« bezeichnen das Platzieren von sozialen Gütern oder auch Elementen eines Raumes (Spacing) und das Zusammenfassen dieser Elemente zu einem Raum (Synthese). Dass diese beiden Prozesse nur analytisch zu unterscheiden sind, bedeutet, dass sie empirisch immer zugleich und aufeinander bezogen ab-

5 | Schatzki entwirft in neueren Arbeiten (Schatzki 2009; Schatzki 2010b) anschließend an seine »site-ontology« das Konzept des »activity time-space«, das Zeit und Raum in Bezug auf soziales Leben (»social life«) bestimmt. Dieses Konzept weist in eine vergleichbare Richtung, wie sie hier in Anschluss an die raumsoziologische Konzeption von Löw verfolgt wird. Es wird jedoch in der vorliegenden Arbeit nicht weiter verfolgt.

76 | Flächen – Bahnen – Knoten

laufen. Es ist also nicht möglich, dass bestimmte soziale Güter platziert werden, ohne dass dabei gleichzeitig ein Raum synthetisiert wird und umgekehrt. Für Löw bestimmt sich also Raum aus Elementen und deren Relationen zueinander. Elemente und Relationen werden in sozialen Handlungen etabliert, d.h. in der Praxis. Um den Charakter dieser Konstitution von Raum durch soziale Handlungen zu bestimmen, schließt Löw an das Handlungskonzept von Anthony Giddens an, wobei dessen Raumverständnis von Löw zurückgewiesen wird. Löw betrachtet Raum stattdessen als ein Strukturmoment im Sinne Giddens. Giddens’ Theorie der Strukturierung Giddens unterläuft mit seiner Theorie der Strukturierung den Dualismus von Handeln und Struktur. Dieser Dualismus wirft die Frage auf, wie Handeln auf der einen Seite von handelnden Subjekten getragen und auf der anderen Seite von sozialen Strukturen bestimmt werden kann. »Das Besondere des Strukturierungsansatzes besteht darin, Handeln und Struktur nicht zu zertrennen, sondern als zwei Seiten derselben Medaille – als Dualität – zu betrachten.« (Lamla 2003: 45) In der Praxis werden Strukturen permanent in hinreichend ähnlicher Weise reproduziert und erlangen dadurch Stabilität. Auf diese Weise entstehen wiedererkennbare Praktiken. Durch die ständige Reproduktion besteht zugleich aber auch die Möglichkeit für Veränderung. »Gemäß dem Begriff der Dualität von Struktur sind die Strukturmomente sozialer Systeme sowohl Medium wie Ergebnis der Praktiken, die sie rekursiv organisieren.« (Giddens 1997: 77) Strukturmomente schränken dabei Handlungen ein, ermöglichen diese aber zugleich auch. Es wäre also falsch, sie lediglich als Zwang zu verstehen (vgl. ebd.: 78). Eine Schlüsselkategorie für das Verständnis des sich auf ähnliche Weise immer wieder rekursiv reproduzierenden Alltags sind für Giddens Routinen: »Routinen sind konstitutiv sowohl für die kontinuierliche Reproduktion der Persönlichkeitsstrukturen der Akteure in ihrem Alltagshandeln, wie auch für die sozialen Institutionen; Institutionen sind solche nämlich nur kraft ihrer fortwährenden Reproduktion.« (Ebd.: 111 f.) Damit wird der »Ort« deutlich, an dem Gesellschaft reproduziert wird. Es ist die Ebene der Individuen. Für die Erklärung routinisierter Handlungen von Individuen unterscheidet Giddens drei Bewusstseinsarten: diskursives Bewusstsein, praktisches Bewusstsein und das Unbewusste (ebd.: 91 ff.). Diskursiv sind dabei die Anteile, die verbalisiert werden können, praktisch jene, auf die in der Praxis nonverbal zurückgegriffen wird und unbewusst jene, die dem Individuum nicht zur Verfügung stehen und höchstens durch therapeutische Maßnahmen zu Tage gefördert werden können. Diese Konzeption der Dualität von Handlung und Struktur überträgt Löw auf die Konstitution von Raum. Raum wird dabei als ein Strukturmoment verstanden, das als Medium für Handlungen fungiert und in diesen fortwährend reproduziert wird. Sta-

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bile Raumkonstitutionen entstehen dadurch, dass diese in routinisierten Handlungen fortwährend reproduziert und so institutionalisiert werden (Löw 2001: 163). Solche routinisierten Handlungen finden auf der Ebene des praktischen Bewusstseins statt (ebd.: 161). Das bedeutet, Individuen müssen nicht darüber nachdenken oder sich mit anderen verständigen, wie sie Räume konstituieren, sondern tun dies intuitiv binnen Bruchteilen von Sekunden. Auf Nachfrage oder in reflexiven Kontexten können Teile dieses praktischen Wissens auf die Ebene des diskursiven Bewusstseins überführt werden (vgl. ebd.: 162). Dies bedeutet, »dass Menschen in der Lage sind zu verstehen und zu erklären, wie sie Räume schaffen« (ebd.). Solche routinisierten Handlungen von Individuen, die immer schon in die Dualität von Handeln und Struktur und damit in die Gesellschaft mit anderen Individuen verstrickt sind, werden dabei als »soziale Praktiken« verstanden. Eine relationale (An)Ordnung statt eines Behälters Mit der Bestimmung von Raum als relationale (An)Ordnung von Elementen setzt sich Löw grundsätzlich von einer Vorstellung von Raum als Behälter für soziale Prozesse ab. Soziale Praktiken haben also nicht nur eine Position im Raum, der schon vorher da war, sondern konstituieren diesen – im Sinne der Giddens’schen Reproduktion – stets mit. Die Betonung liegt dabei gleichermaßen auf den Beziehungen der Elemente zueinander, den Relationen, und dem Charakter der Elemente selbst. »Hergeleitet werden muss die soziale Dimension der Lageverhältnisse, und zwar sowohl die Relationen wie gleichermaßen die angeordneten Objekte.« (Ebd.: 134). Löw hat freilich ganz bestimmte Eigenschaften von Objekten im Sinn: Es geht ihr um »Atmosphären, Gerüche, Geräusche etc« (ebd.; Löw 2008b). Es geht ihr um die Bewegungen der Personen in den Räumen, z.B. in einer Disko, die über ihre reine Position hinaus auf die Beschaffenheit des konstituierten Raumes Einfluss nehmen (Löw 2001: 133). Entscheidend an Löws Anliegen ist, dass die Beschaffenheit von Räumen sich aus soziologischer Perspektive nicht in der Anordnung von Dingen oder auch Personen (für den Moment aber als Dinge verstanden) erschöpft. Vielmehr sind Relationen zwischen Raumelementen und die Verfasstheit dieser Elemente nicht voneinander zu trennen. Löw macht gewissermaßen mit der soziologischen Perspektive ernst und versteht nicht nur die Anordnung als sozial, sondern auch die Verfasstheit der Relationen und Lagebeziehungen: »Das bedeutet für das Verständnis von Raum als soziologischen Begriff, dass sowohl über die einzelnen Elemente als auch über die Herstellung von Beziehungen zwischen diesen Elementen Aussagen getroffen werden müssen.« (Ebd.: 155)

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In diesem Sinne möchte Löw ihren Raumbegriff als relational verstanden wissen und nicht als relativistisch. Letztere Raumbegriffe würden nämlich in der Regel ein Primat der Beziehungen behaupten (vgl. ebd.: 156). Nach dieser verdichteten Darstellung der Grundzüge des relationalen Raumkonzepts von Löw werden nun einige spezielle Aspekte dieses Konzepts herausgearbeitet, die für die vorliegende Arbeit von Bedeutung sind. Anschließend wird der Frage nachgegangen, welche Rolle Technik bei solchen Raumkonstitutionsprozessen spielt. Die Unterscheidung von Ort und Raum In der Raumkonzeption von Löw ist die Unterscheidung von Ort und Raum eine zentrale Grundannahme. Orte sind dabei nicht nur Plätze, an denen Räume lokalisiert sind. Es handelt sich vielmehr um Raumstellen, an denen Raumelemente platziert werden können. Das Platzieren (Spacing) stellt einen essentiellen Bestandteil der Konstitution von Räumen dar. Damit solche Platzierungen überhaupt stattfinden können, bedarf es Orte, an denen Lebewesen und soziale Güter platziert werden können (ebd.: 198). »Orte werden durch die Besetzung mit sozialen Gütern oder Menschen kenntlich gemacht, verschwinden aber nicht mit dem Objekt, sondern stehen dann für andere Besetzungen zur Verfügung.« (Ebd.: 198)

Orte sind nicht nur notwendig, damit Platzierungen stattfinden können, auch machen Platzierungen »Orte kenntlich«. Hier liegt ebenfalls der Gedanke der sich gegenseitig bedingenden Konstitution zugrunde: Platzierungen bestimmen Orte und Orte ermöglichen wiederum Platzierungen. Orte verschwinden nicht mit dem Objekt, das an ihnen platziert war, sondern bleiben erhalten und stehen für neue Platzierungen bereit. Orte haben eine gewisse Stabilität. Hier haben gewissermaßen vergangene Platzierungen Platz für aktuelle und zukünftige geschaffen und so den Raum konfiguriert. Orte selbst können nicht Gegenstand von Platzierungen werden, also selbst platziert werden. Sie sind stets »Ziel und Resultat der Platzierung« (ebd.). Da Platzieren Teil der Konstitution von Räumen ist, besteht auch zwischen Orten und Räumen ein sich gegenseitig bedingendes Verhältnis. Räume bringen systematisch Orte hervor und ohne Orte wäre die Konstitution von Räumen nicht möglich (ebd.). Nur an Orten können Elemente eines Raums platziert werden, deren Beziehungsgefüge zueinander zu einem Raum zusammengefasst wird (Synthese). In dieser Konzeption sind Orte Stellen – ob leer oder besetzt – im Raum. Der jeweilige Raum hat eine gewisse Konfiguration, die Auskunft darüber gibt, welche Positionen Bestandteile eines Raums einnehmen können. Diese Positionen sind Orte des

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Raums. Sie sind innerhalb des jeweiligen Raumes adressierbar. Bei einem Raumverständnis, wie es Löw vorschlägt, sind diese Stellen aber nicht notwendigerweise auf die Erdoberfläche beschränkt. Natürlich lassen sich alle Raumstellen auf eine Koordinate im euklidischen Sinne reduzieren. Bei Räumen, die aus soziologischer Perspektive interessant sind, sind dies aber nicht notwendigerweise die ausschlaggebenden Koordinaten. So ist z.B. die Konfiguration eines Raumes durch ein bestimmtes Muster von Nähe und Ferne zwischen Personen denkbar, das für soziale Zusammenhänge hochrelevant ist. Zudem könnte es sein, dass zwei Raumelemente übereinander angeordnet sind und so die gleiche Koordinate bezüglich der Erdoberfläche teilen würden. Für den hier interessierenden Fall von Räumen, die durch die Praktik »Geocaching« erzeugt werden, ist diese Bestimmung des Zusammenhangs von Raum und Ort instruktiv, weil sie die Frage nach der Konfiguration des untersuchten Raums stellbar macht: Sind Muster oder Regelhaftigkeiten erkennbar, nach denen Orte den Raum einteilen? Worauf beruhen solche Konfigurationen? So konfigurieren z.B. Sitzbänke oder Schalensitze den Raum auf einer Zuschauertribüne, indem sie Orte bestimmen, an denen Personen Platz nehmen können, um Teil der Praktik »ein Fußballspiel schauen« zu werden. Skalierbarkeit von Räumen Eine Eigenschaft von Konzepten, die im Kern Aussagen über Arten von Zusammenhängen machen, ist, dass diese Konzepte auf unterschiedlichen Ebenen angewandt werden können. In Löw 2001 spielt dies zunächst keine Rolle. Es ist jedoch in der relationalen Konzeption von Raum angelegt und Löw weist darauf hin: »Allerdings zeigen empirische Untersuchungen, dass nicht nur einzelne soziale Güter oder Menschen zu Räumen verknüpft werden, sondern auch Ensembles derselben zusammen wie ein Element wahrgenommen werden.« (Ebd.: 157)

In dieser Formulierung wird der Vorgang des Zusammenfassens (»blackboxing«) in Kurzform dargestellt: Einzelne soziale Güter und Menschen können zu Räumen verknüpft werden, aber auch zusammengefasst werden und als ein Raumelement fungieren. Darin ist eine Ebenenverschiebung der Raumanalyse hin zu einer höheren Ebene angelegt. Ein solcher Wechsel der Betrachtungsebene (»Zoomstufe«) heißt Skalierung. Soziale Güter und Menschen, die auf der ersten Ebene einen Raum konstituiert haben, werden nun auf einer höheren Ebene zu einem Element zusammengefasst, das seinerseits Teil einer Konstituierung von Raum auf dieser höheren Ebene ist. Es ist also möglich, in derselben empirischen Situation unterschiedliche Ebenen der Raumkonstitution zu unterscheiden: Ein Zimmer kann als ein Raum aufgefasst

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werden, der durch die aktuell anwesenden oder üblicherweise anwesenden Personen und Einrichtungsgegenstände und deren Bedeutung konstituiert wird. Es kann aber auch als ein Element im Raum eines Hauses oder, auf einer noch höherstufigen Ebene, als Element eines Raumes verstanden werden, in dem alltägliches Leben vollzogen wird und über die Stadt verteilte Orte eine Rolle spielen. Löw macht diesen Vorgang in umgekehrter Reihenfolge deutlich: »Eine Stadt, ein Zimmer, ein Schrank kann als ein soziales Gut für die Konstitution des Raums betrachtet werden, er/es kann aber auch selbst als Raum gesehen werden.« (Ebd.)

Welche Ebene für die Analyse angemessen, also welche Zoomstufe in der Analyse gewählt werden muss, hängt davon ab, welche Fragestellung verfolgt wird. Es bietet sich an, bewusst mit der Verschiebung von Ebenen und deren Vergleich zu arbeiten. Bezüglich der Erforschung sozialer Ungleichheit plädiert Löw für die Untersuchung auf unterschiedlichen Skalierungsebenen (lokal, national, global), die nicht gegeneinander ausgespielt werden dürften (Löw 2008a). Bezogen auf die Unterscheidung zwischen Ort und Raum bedeutet Skalierung: Orte sind Raumstellen, also Stellen im Raum, an denen Elemente platziert werden können. Mit der Veränderung der Raumebene verändert sich das Muster von Orten des betrachteten Raums. So kann ein Zimmer ein Raum sein, aber auch ein Ort. Eben auf einer höherstufigen Ebene. Es kann jedoch im analytischen Konzept nicht beides zur gleichen Zeit sein. Falls der Status unklar erscheint, liegt das daran, dass die »Zoomstufe« nicht hinreichend genau bestimmt worden ist. Raum und Technik? In Löws Konzeption der Konstitution von Räumen werden explizit auch Materialitäten eingebunden und bei der Analyse von Räumen berücksichtigt. Räume können demnach zwar nur verstanden werden, wenn die symbolischen Eigenschaften von sozialen Gütern entziffert werden, jedoch können soziale Güter ebenso nur qua ihrer materiellen Eigenschaft platziert (Spacing) werden (Löw 2001: 153). Dies liegt auf einer Linie mit einer in den letzten Jahren weiterhin hohen Sensibilität deutscher Soziologen für materielle Zusammenhänge.6 Technik spielt in Löws Ansatz keine über ihre Materialität als Artefakt hinausgehende Rolle. Sie findet daher nur insofern Eingang als sie entweder materielle oder

6 | Die Tagungen »Materialitäten – Herausforderung für die Kultur- und Sozialwissenschaften« (19.-10.10. 2011, Uni Mainz) und »Die Wirkung der Dinge als Problem empirischer Forschung« (GWTF-Jahrestagung, 26.-27.10.2010, TU Berlin) zeugen von der Aktualität.

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symbolische Eigenschaften hat. Eine systematische Einbeziehung in die Konstitution von Räumen findet nicht statt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Technik in ihrer Eigenschaft als Technik für die Konstitution von Räumen prinzipiell irrelevant wäre. Die Frage, wie Technik jenseits von ihrer materiell/symbolischen Wirkung als Artefakt in die Konstitution von Räumen eingreift, ist nicht erst seit der massiven Verwendung von Informations- und Kommunikationstechnologie im Alltag von höchstem Interesse. An welcher Stelle ließe sich Technik in Löws Konzept einfügen? Es bieten sich drei Optionen an: Als Lebewesen (1), als soziale Güter (2) oder als etwas, was die Prozesse des Spacings und Synthese beeinflusst (3). Technik als »Lebewesen« zu verstehen hieße im weitesten Sinn über die Handlungsfähigkeit von Technik nachzudenken. Technik als »soziale Güter« zu fassen legt nahe, Technik als Materialität oder in ihrer symbolischen Bedeutung zu verstehen. In beiden Fällen schließt sich die Frage nach der Genese an. Die moderierende Rolle von Technik auf den Raumkonstitutionsprozess öffnet eine Denkrichtung, die weg von einzelnen Artefakten führt. Es stellen sich dann die folgenden Fragen: - Welchen Einfluss hat vernetzte Technik oder Infrastruktur auf die Konfiguration von Räumen, also den Bildungsmustern von Orten in Räumen? - Welche situationsübergreifenden Räume werden mit Hilfe von vernetzter Technik oder Infrastruktur konstituiert? Um diese Fragen bearbeiten zu können, wird an dieser Stelle eine Anpassung von Löws Perspektive auf die Herstellung von Räumen vorgenommen: Anstatt die Konstitution von Raum in Handlungen von Individuen zu verorten und diese dann mit Bezug auf Giddens mit Praxis und sozialen Strukturen zu verknüpfen, wobei Raum als Strukturmoment in Erscheinung tritt, soll hier als konzeptueller »Ort« der Raumkonstitution die »site of the social« im Sinne Schatzkis (vgl. Kap. 2.2: »Praktik« als soziologischer Grundbegriff ) angenommen werden. Das bedeutet, dass der Prozess der Raumkonstitution nicht als etwas verstanden wird, dass sich aus der Handlung von Individuen ergibt, sondern als etwas, das eine Folge der Organisation einer Praktik ist. Mit einer Praktik geht eine bestimmte Art einher, Dinge zu tun, Situationen zu verstehen und Ziele zu verfolgen. Dies definiert eine Praktik als eben diese spezielle Praktik. Aus der bestimmten Art, Dinge zu tun, also zu Handeln, ergibt sich auch eine bestimmte Art von Raum, der von einer Praktik erzeugt wird. Räume werden von Praktiken erzeugt und nicht konstituiert, weil das Konzept der Praktik den Dualismus von Handlung und Struktur bereits unterläuft. In Löws Perspektive müssen Räume konstituiert werden, weil diese Perspektive genau an der Stelle ansetzt, an der dieser Dualismus im Sinne von Giddens aufgelöst wird.

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Eine Praktik erzeugt also qua ihrer Existenz als Praktik Räume. Ebenso wie eine Person, die an der Praktik »Tennis spielen« teilnimmt, sich auf eine bestimmte Weise bewegt, bestimmte Ziele verfolgt, auf Aktionen anderer Teilnehmer in bestimmter Weise reagiert und bestimmte materielle Dinge in einer bestimmten Weise benutzen wird und dies als eine Folge der Teilnahme an der Praktik »Tennis spielen« verstanden werden muss, nicht als individuelle Handlung; ebenso erzeugt eine Praktik einen bestimmten Raum, dessen Ursache nicht auf individueller Ebene liegt, auch wenn diese sozial dezentrierter gedacht wird, sondern als eine Eigenschaft der Praktik verstanden wird. Durch diese Ebenenverschiebung der Betrachtung von Raumentstehung von Individuen zu Praktiken wird es möglich, vernetzte Technik und Infrastrukturen systematisch bei der Untersuchung von Räumen in gleicher Weise wie bei der Untersuchung von Praktiken zu berücksichtigen (vgl. Kap. 2.3: Praktiken und Materialität/Technik).

5. Resümee: Praktiken und ihre Räume

Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit habe ich eine theoretische Perspektive entworfen, die es ermöglicht, Räume als durch Praktiken erzeugt zu beschreiben. Diese Perspektive setzt bei einem sozialen Phänomen oder einem sozialen Zusammenhang an. Dazu wurde zunächst mit Bezug auf den »social site approach« von Theodore Schatzki eine Perspektive auf soziale Phänomene unter Verwendung eines anspruchsvollen Konzepts von Praktiken vorgestellt. Neben dem Verständnis von Praktiken als Einheiten, die zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten in hinreichend ähnlicher Weise reproduziert werden, was es ermöglicht, Praktiken analytisch unterschieden von ihrer Reproduktion zu diskutieren, besteht der Clou von Schatzkis Perspektive darin, soziale Phänomene als Produkt von Praktiken und materiellen Arrangements zu verstehen. Diesen Vorschlag ernst zu nehmen erlaubt es, systematisch vernetzte Materialität, Technik und Infrastruktur in die Beschreibung von Praktiken einbinden zu können und nicht bei Artefakten, singulären Dingen oder Materialitäten stehen bleiben zu müssen. Um diese bei Schatzki sehr allgemein gehaltenen materiellen Arrangements für die hiesige empirische Untersuchung zu operationalisieren, wurde in Anschluss an Star und Ruhleder ein Konzept von Infrastruktur eingeführt, das Infrastruktur von der Praxis her konzipiert und das empirische Vorgehen nicht an a priori gemachten Definition von Infrastruktur ausrichtet. Der Fokus verschiebt sich so von steuerbaren Infrastruktursystemen zu Infrastrukturen, die auf eine bestimmte Weise in Praktiken integriert sind oder sogar mit diesen entstehen. An dieser Stelle wurde die Unterscheidung zwischen der Infrastruktur einer Praktik, die mit der Praktik entstanden und mit dieser ko-konstitutiv ist, auf der einen Seite und dem infrastrukturellen Arrangement auf der anderen Seite entwickelt, das bereits bestehende Infrastrukturen bezeichnet, die in eine Praktik in einer für diese Praktik spezifischen Weise integrierte sind.

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Alle Praktiken haben eine räumliche Dimension. In Anschluss an das relationale Raumkonzept von Löw wurde eine Perspektive auf die durch Praktiken erzeugten Räume entwickelt. Praktiken erzeugen durch ihren Vollzug einen Raum, der charakteristisch für sie ist, indem bei ihrer Reproduktion Raumelemente in einer bestimmten Weise angeordnet werden und Raumelemente in einer bestimmten Weise zu einem zusammenhängenden Raum synthetisiert werden. Durch die Einbeziehung von Infrastrukturen in die Beschreibung von Praktiken können diese auch in die Beschreibung von durch Praktiken erzeugten Räumen einbezogen werden. Daraus ergibt sich eine Perspektive, die auf Praktiken fokussiert und davon ausgehend fragt, welche Infrastrukturen in die Praktik integriert sind und welche Infrastruktur der Praktik eigen ist. Dadurch kann die konfigurierende Rolle der Infrastrukturen in die Beschreibung der Praktik und des durch die Praktik erzeugten Raumes einbezogen werden. Eine solche Perspektive erlaubt die Herstellung von Sichtbarkeit von nicht-metaphorischen Räumen, die über einzelne Orte, und so über das visuell erfassbare hinausreichen. Abbildung 1 illustriert diese Perspektive. Durch Praktiken erzeugte Räume können relativ Abb. 1: Die theoretische Perspektive

Quelle: Eigene Darstellung

einfach zu beobachten sein, wie z.B. in den Fällen der Praktiken »Tennis spielen« oder »Fußball spielen«, aber auch »gemeinsam Essen« oder »einen Vortrag halten«. Bei mobilen Praktiken, wie z.B. »U-Bahn fahren« oder »wandern« ist hingegen ein Abstraktionsschritt nötig, um den Raum, der durch die Praktik entsteht, sichtbar zu machen. Bezüglich des U-Bahnfahrens ist ein U-Bahn-Plan für dieses Unterfangen hilfreich. Im Fall der hier interessierenden Praktik »Geocaching« liegt die Beschreibung des durch die Praktik erzeugten Raumes ebenfalls nicht einfach auf der Hand

5. Resümee: Praktiken und ihre Räume | 85

und lässt sich zudem nicht analog zu einem U-Bahn-Plan lösen. Vielmehr müssen verschiedene Perspektiven eingenommen werden, um den durch die Praktik »Geocaching« erzeugten Raum sichtbar zu machen. Wie dies in der vorliegenden Arbeit bewerkstelligt wird, zeigt zu Beginn des zweiten Teils der vorliegenden Arbeit das Kapitel zur Forschungsmethode (Kap. 6).

Raumerzeugung: Flächen – Bahnen – Knoten

VORBEMERKUNG Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit wurde eine Perspektive auf durch Praktiken erzeugte Räume entwickelt. Im zweiten Teil wird nun mit Hilfe dieser Perspektive dem Raum, der durch die Praktik »Geocaching« erzeugt wird, empirisch nachgegangen und die Frage gestellt, ob dieser Raum typologisch von anderen Räumen unterschieden werden kann. Das Argument wird darin bestehen, dass der Raum, der durch die Praktik »Geocaching« erzeugt wird, als ein Raum aus Knoten, die mit bestimmten Eigenschaften ausgestattet sind, d.h. als Knotenraum, beschrieben werden kann. Dieser Raumtyp wird von dem Typ des Flächenraums und des Bahnraums unterschieden. Der zweite Teil ist in drei zentrale Kapitel untergliedert. Nach einem kurzen Kapitel zur Forschungsmethode (Kap. 6) wird zunächst Geocaching als Praktik beschrieben (Kap. 7). Dies beinhaltet eine Darstellung des überschaubaren sozialwissenschaftlichen Forschungsstandes zum Thema Geocaching (Kap. 7.1) und der Geschichte der Praktik (Kap. 7.2). Die Geschichte wird mit besonderem Augenmerk auf die Entstehung einer eigenen Infrastruktur für die Praktik »Geocaching« erzählt. Die Erstellung einer solchen Infrastruktur war von Anbeginn an ein zentraler Aspekt der Praktik und ist ko-konstitutiv mit dieser. Anschließend wird die Bandbreite des Geocachens, wie es den Gegenstand der für die Arbeit durchgeführten Feldforschung bildete, beschrieben (Kap. 7.3). Abschließend wird explizit auf die Infrastruktur und das infrastrukturelle Arrangement des Geocachings eingegangen (Kap. 7.4 und Kap. 7.5). Aufgabe dieses ersten Kapitels ist es, die Praktik und ihre Organisation herauszuarbeiten. Das zweite zentrale Kapitel (Kap. 8) geht der Frage nach, wie Orte durch Praktiken, die GPS integrieren, bestimmt werden können. An drei verschiedenen Praktiken (»The Degree Confluence Project«, »Geodashing«, »Geocaching«) wird diese Frage exemplarisch durchdacht und anschließend der Idealtyp des Knotenraums entwickelt. Das dritte zentrale Kapitel dieses Teils (Kap. 9) geht auf Basis der ersten beiden Kapitel verschiedenen Aspekten (einteilen, platzieren, auswählen, zählen, abgrenzen) der Raumerzeugung im Fall der Praktik »Geocaching« nach, um auf dieses Weise

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den Raum, der durch das »Geocaching« erzeugt wird, sichtbar zu machen. Zunächst geht es um die Konfiguration des Raumes, d.h. um die Frage, welchem Muster die Anordnung der Orte folgt (Kap. 9.1). Daran schließt sich die Frage an, welche dieser möglichen Orte tatsächlich besetzt, an welchen Orten also tatsächlich Geocaches versteckt werden (Kap. 9.2). Die Tätigkeit einen Geocache zu verstecken, beinhaltet die Idee, dass dieser gefunden wird. Daher geht der nächste Abschnitt der Tätigkeit des Auswählens von Geocaches nach (Kap. 9.3). Für den Raum, der durch das Geocaching erzeugt wird, ist diese Tätigkeit essentiell, da Geocaches, die nicht gesucht und gefunden werden, keine Knoten darstellen können. Bei dieser Auswahl von Geocaches spielt die Tätigkeit des Zählens und des Buchführens über gefundene Geocaches eine wichtige Rolle, da Statistiken nicht nur sichtbar machen, welche Geocaches mit welchen Eigenschaften gefunden wurden, sondern auch Lücken konstruieren, die ihrerseits die Auswahl beeinflussen können (Kap. 9.4). Abschließend wird die mit der Erzeugung von Räumen stets einhergehende Erzeugung von Grenzen beschrieben (Kap. 9.5).

6. Die Forschungsmethode

Im empirischen Teil der Arbeit geht es darum, den relationalen Raum, der durch die Praktik »Geocaching«1 unter Verwendung von verschiedenen Technologien erzeugt wird, zu beschreiben. Relevante Dimensionen der Beschreibung sind dabei Verstehen, explizite Regeln, teleoaffektive Struktur und Infrastrukturen (vgl. Kap. 2.2: »Praktik« als soziologischer Grundbegriff ). Es ist der Raum, in dem sich Praktiker von Geocache zu Geocache bewegen, sich unter Umständen über den Weg laufen und der nur für diejenigen betretbar ist, die wissen, was es bedeutet, die Praktik »Geocaching« zu praktizieren. »Geocaching« ist eine Praktik, die sowohl zeitlich als auch räumlich (im territorialen Sinne) versprengt stattfindet – im Unterschied etwa zu einer Demonstration oder einem Fußballspiel. Eine solche Form der Organisation ist möglich, weil bestimmte technische Infrastrukturen (GPS, [mobiles] Internet) eine zentrale Rolle spielen und zu Teilen des durch Geocaching erzeugten Raums werden. Diese Zusammenhänge bringen bezüglich der Frage nach der Beschreibung des erzeugten Raums der Praktik »Geocaching« verschiedene Herausforderungen für das Untersuchungsdesign mit sich. Für die Untersuchung von Praktiken/Praxis sind ethnografische Ansätze das Mittel der Wahl. Klassische Ethnografien, die im physikalischen Sinne sehr nahe an soziale Phänomene herangehen, haben den Vorteil, implizites Wissen, Körperlichkeit und Interaktionen zu beschreiben und sichtbar machen zu können. Demgegenüber steht der Nachteil, dass sie in der Regel auf einen Ort begrenzt sind. Dies hat seinen Grund in der Art der Forschungspraxis, bei der der Forscher als Person körperlich in die Si-

1 | Geocaching, wie es im Untersuchungszeitraum 2011-2012 in Deutschland im RheinMain-Gebiet zu beobachten war und mit Hilfe der Plattform www.geocaching.com praktiziert worden ist.

92 | Flächen – Bahnen – Knoten

tuation eintaucht, welche folglich also als eine »betretbare« Situation vorhanden sein muss. Dieses Vorgehen produziert klassischerweise Wissen/Beschreibungen, das/die ein lokales Phänomen in Relation zu einem globalen Rahmen beleuchtet/en. George Marcus stellt diese Beschränkung angesichts global versprengter Phänomene in Frage und plädiert für eine »multi-sited ethnography«, die verschiedene Stätten der Feldforschung in Beziehung zueinander setzt und so Phänomene, die über einen klar begrenzten (territorialen) Kontext hinausgehen, zu fassen versucht (Marcus 1995). Christine Hine formuliert auf einer ähnlichen Linie ihre methodologischen Überlegungen zur Untersuchung von internetverbundenen sozialen Phänomenen und verwendet hierfür den Term »virtual ethnography« (Hine 2000). Damit verweist sie nicht nur darauf, dass es hierbei um die Ethnografie von Phänomenen geht, die zum Teil in der »Virtualität« stattfinden, sondern auch darauf, dass es sich nicht um eine puristische Form der Ethnografie handelt. Der Begriff der »virtual ethnography« beschreibt eine »so gut wie« oder »nahezu« Ethnografie, die sich zwar an den kanonischen Versionen orientiert, aber dadurch, dass sie nicht beansprucht eine »echte Ethnografie« zu sein, Freiheiten bezüglich des Designs gewinnt (vgl. Hine 2007: 665 ff.). Soziale Praktiken sind »öffentliche ›Erscheinungen‹« (Schmidt und Volbers 2011: 25). Es gibt kein dahinter, daneben oder darunter. Alles, was eine Praktik ausmacht, ist prinzipiell öffentlich zugänglich und daher erlernbar, erfahrbar, beobachtbar, kurz: erforschbar. Daraus folgt eine »für das Konzept sozialer Praktiken typische Affinität zum Bobachtbaren sowie zu den empirischen Methoden der Beobachtung« (Schmidt und Volbers 2011: 25). Herbert Kalthoff argumentiert in dieselbe Richtung, wenn er schreibt, dass der Ethnograf nicht beobachtet, »was in den Köpfen der Individuen vor sich geht, da er am fremden Bewusstsein nicht teilhaben kann, sondern [er] bewegt sich immer nur auf der Ebene des Sichtbaren, Hörbaren, Spürbaren, also des mit allen Sinnen Wahrnehmbaren« (Kalthoff 2011: 152). Beobachtung mit Visualität zu verwechseln oder mit dem unmittelbar Wahrnehmbaren gleichzusetzen, wäre an dieser Stelle ein Fehler und führt zu einer unnötigen und nicht hilfreichen Beschränkung der Methode, die üblicherweise zu dem Vorwurf des »selbstgenügsamen Situationalismus« (Schmidt und Volbers 2011: 26) führt. Dieser meint die zwar äußerst detailreiche Beschreibung der Komplexität von Situationen und deren Regelhaftigkeiten und Bedeutungszusammenhängen, welche jedoch immer auf bestimmte Situationen beschränkt bleibt und so die Frage aufwirft, welcher – über eine gute Beschreibung

6. Die Forschungsmethode | 93

der Situation mit ihren Eigenheiten hinausgehender – Erkenntnisgewinn Ergebnis der Forschung sein könnte.2 Schmidt und Volbers definieren Öffentlichkeit nicht als gemeinsame Gegenwart in einer Situation, sondern als »geteilte Aufmerksamkeit der Teilnehmer, die durchaus auch medial vermittelt und zeitlich verschoben zu Wirkung kommen kann.« (ebd.: 28). Auf Beobachtung basierende Forschung, die in einer solchen Öffentlichkeit stattfindet, könne sich nicht auf das Beobachten erfahrbarer zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten ablaufender Situationen beschränken. Entscheidende Operation solcher Forschung sei vielmehr das Herstellen von Beobachtbarkeit durch geschickte Perspektivierungen (vgl. ebd.: 35). Beobachtung wird hier nun als alle sinnliche Wahrnehmungen mobilisierende Operation verstanden. Zugleich »handelt es sich dabei aber nicht um ›unmittelbare‹ perzeptive Vorgänge, sondern um Sinneswahrnehmungen, die in Prozesse des sozialen und analytischen Verstehens eingebunden sind« (Schmidt 2012: 253). Diese Überlegungen finden vor dem Hintergrund des grundsätzlich zirkulären Zusammenhangs von empirischer Forschung und theoretischen Konzepten statt.3 Schmidt und Volbers verwenden den Begriff der »theoretischen Sehhilfe« (Schmidt und Volbers 2011: 36), um den Status von theoretischen Konzepten zu bestimmen, die dabei helfen, bestimmte Zusammenhänge beobachtbar zu machen. Die Kehrseite davon, einen Zusammenhang oder eine Art von Zusammenhang beobachtbar zu machen ist, dass andere Arten von Zusammenhängen nicht mehr beobachtbar sind, also gewissermaßen ausgeblendet werden. Daher ist es wichtig, verschiedene Perspektiven einzunehmen und verschiedene »Sehhilfen« in Anschlag

2 | Schmidt weist darauf hin, dass solche Probleme eng mit dem jeweiligen Verständnis davon verbunden sind, was »Beobachtung« heißt. Beschränkt man Beobachtung auf das visuelle Erfassen von Situationen, dann ist die Reichweite der Methode tatsächlich auf einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit beschränkt (Schmidt 2012: 233 f.). Schmidts Argument ist, dass es jedoch selbst solche einfachen visuellen Beobachtungen tatsächlich gar nicht gibt, sondern stets theoretische Sehhilfen verwendet werden, um Zusammenhänge sichtbar und noch davor überhaupt erst beobachtbar zu machen. Dies werde durch eine clevere Erzeugung von Perspektiven auf das interessierende Phänomen erreicht, was wiederum verschiedene Materialarten mit sich bringt, und die Einnahme verschiedener Distanzen zum Phänomen erfordert bzw. ermöglicht (ebd.: 252 ff.). Auch Kalthoff argumentiert, dass das ethnografische Beobachten nicht nur über Visualität funktioniert, sondern alle Sinne beansprucht und zudem »eine Aktivierung des sozialen Sinns impliziert« (Kalthoff 2011: 152). So verstanden ist es möglich, dass Visualität ihre zentrale Position in ethnografischen Forschungsstrategien einbüßt. 3 | Beispielhaft Kalthoff et al. 2008. Die Methodologie der »Grounded Theory« versucht diesen Zusammenhang methodisch nutzbar zu machen (siehe: Strauss 1994; Strübing 2004).

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zu bringen, um eine gegenseitige Ergänzung und Validierung zu ermöglichen.4 Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Praktik letzten Endes vollkommen erfasst werden könnte. Auch die Kombination von Sehhilfen und Perspektiven kann die empirische Welt nicht vollständig wiedergeben. Aus diesem Grund ist es entscheidend, worin das Forschungsinteresse besteht. Aus der damit einhergehenden Fokussierung ergibt sich, was sichtbar gemacht werden muss und welche Zusammenhänge nachvollziehbar zu machen sind. Das methodische Vorgehen der vorliegenden Arbeit orientiert sich an einem ethnografischen Forschungsdesign und dem damit verbundenen dreigliedrigen Instrumentarium, bestehend aus teilnehmender Beobachtung, Gesprächen bzw. Interviews und der Sammlung von Dokumenten. Mit Kalthoff bewegen sich ethnografische Forschungsansätze auf einem Kontinuum zwischen den Polen »Prozedurale Ethnographie« auf der einen und »Informantenethnographie« auf der anderen Seite (Kalthoff 2011: 152 ff.). Die prozedurale Variante fokussiere dabei auf das Teilnehmen und Erleben von Praxis, auf die Kopräsenz mit den Praktikern. Dies ist die postMalinkowskische Ethnografie des Eintauchens in das Feld. Sie ist in der Lage Unausgesprochenes und Nichtformulierbares zu erfassen. Informantenethnografie fokussiere auf das Gespräch, daher sind solche Zusammenhänge mit dieser Strategie per se nicht einfangbar. Die Wirklichkeit stelle sich hier dem Forscher als erzählte Wirklichkeit dar (Kalthoff 2011: 153), der kein nichtverbalisiertes Korrektiv gegenübersteht. Auf der anderen Seite sei es aber auch so, »dass der Informantenethnograph etwas zu Gehör bekommt, was der prozedurale Ethnograph gar nicht beobachten kann« (ebd.). Anstatt beide Strategien gegeneinander auszuspielen, schlägt Kalthoff vor, sie als unterschiedliche Modi der Wissensgenerierung zu betrachten, die sich gegenseitig ergänzen und in der Lage sind Unterschiedliches zu Tage zu fördern (ebd.: 154). Operationalisierte ethnografische Forschungsdesigns bewegen sich stets irgendwo auf diesem Kontinuum zwischen prozeduraler Ethnografie und Informantenethnografie. Da Forschungsmethoden »keine neutralen Instrumente sind, sondern theoretisch induziert« (ebd.), sind sie an der Konstitution des Untersuchungsgegenstandes und des zu untersuchenden Phänomens beteiligt. In der für die vorliegende Arbeit durchgeführten empirischen Forschung wurde ethnografisch, also im Rahmen eines beobachtenden Paradigmas (vgl. Schmidt und Volbers 2011: 35), vorgegangen. Der Schwerpunkt des Forschungsdesigns befindet sich auf dem vorgestellten Kontinuum jenseits der Mitte auf der Seite der Informan-

4 | Hierbei handelt es sich um eine vergleichbare Bewegung wie bei der Triangulation (Flick 2011: 519 f.) von Datentypen.

6. Die Forschungsmethode | 95

tenethnografie, ohne dabei vollständig auf Elemente der prozeduralen Ethnografie zu verzichten. Eine Praktik ist ein theoretisches Konstrukt, dessen Ort im Sozialen liegt. Folglich ist eine Praktik nicht direkt zu beobachten oder zu befragen. Sie hinterlässt aber Spuren, die sehr wohl beobachtet werden können, weil sie grundsätzlich öffentlich sind. Von diesen Spuren kann auf die Praktik zurückgeschlossen werden. Solche Spuren sind z.B. materielle Anordnungen, Erzählungen von Praktikern, Handlungen, die durch die Praktik formiert werden, Erfahrungen bei der Teilnahme an der Praktik, Produkte, die während/durch eine(r) Praktik entstehen etc. Von diesen Spuren kann auf die Praktik und ihre Organisation zurückgeschlossen werden. Dies ist jedoch nicht in kausaler und zwingender Weise möglich. Durch die Verwendung unterschiedlicher Typen von Spuren, die unter unterschiedlichen Bedingungen zu Stande gekommen sind (z.B. Interviewsituation, Praxis, teilnehmende Beobachtung) ist es jedoch möglich, aus verschiedenen Perspektiven die Praktik gewissermaßen einzukreisen. Der theoretischen Ausrichtung der vorliegenden Arbeit folgend, die Praktiken und damit verbundene materielle Arrangements bzw. Infrastrukturen als grundlegende Untersuchungseinheit für soziale Phänomene annimmt, führt der Weg zur Beschreibung von Räumen über die Praktiken, die diese erzeugen. Der Frage, wie Räume, die von der Praktik »Geocaching« erzeugt werden, beschrieben werden können, geht also die Frage voran, wie die Praktik »Geocaching« methodisch zu fassen ist. Es wurde bereits dargelegt, dass für die Erforschung von Praktiken ethnografische Methoden in einem Beobachtungsparadigma das Mittel der Wahl sind. Im Falle der Praktik »Geocaching« bedeutet das, Praktiker bei der Ausübung der Praktik zu beobachten und als Forscher selbst diese Praktik auszuüben. Beide Wege wurden gegangen. Es wurde schnell klar, dass diese Art der Annäherung an die Praktik und die damit verbundenen Räume nicht ausreichend sein würde. Nun soll die Frage beantwortet werden, welche Perspektiven, d.h. welche Materialarten, sich in welcher Kombination eigenen, um die räumliche Dimension der Praktik »Geocaching« vor dem Hintergrund ihrer in sich räumlichen und zeitlichen Versprengtheit beobachtbar zu machen. Schatzki definiert Praktiken als »temporal unfolding and spatially dispersed nexus of doings and sayings« (Schatzki 1996: 89). Diese Definition ermöglicht es, Praktiken als zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten auftauchende Einheiten zu verstehen. »Geocaching« lässt sich aber nicht als Ganzes zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten beobachten, wie dies z.B. für die Praktik »Tennis spielen« gilt. »Geocaching« selbst ist mobil, d.h. die Praktik ist in ihrer Ausführung nicht an einen einzigen Ort oder an eine zusammenhängende Fläche gebunden. Zudem ist

96 | Flächen – Bahnen – Knoten

»Geocaching« zeitlich versprengt, d.h. die Praktik kann jederzeit begonnen, unterbrochen und fortgesetzt werden. Die hier vorgeschlagene Lösung für diese Problematik besteht darin, die Infrastruktur der Praktik systematisch in die Untersuchung miteinzubeziehen. Eine jederzeit verfügbare Website oder ein Satellitennavigationssystem sind nicht nur neutrale Werkzeuge, sondern spielen eine wichtige Rolle bei der Organisation der Praktik und helfen dabei, den Zusammenhang zwischen verschiedenen Orten der Praktik herzustellen. Der Raum, der von einer Praktik erzeugt wird, ist ebenso wie eine Praktik nicht direkt beobachtbar. Er ergibt sich ebenfalls aus der Organisation der Praktik. Was von einem Raum als Produkt einer Praktik beobachtbar ist, sind Platzierungen in diesem Raum (1); Wege und Ziele in diesem Raum und deren Auswahl (2); das Zusammenfassen von Entitäten zu einem Raum (3); und die an diesen Vorgängen in einer bestimmten Art beteiligten Technologien und Infrastrukturen (4). Zur Veranschaulichung in die Praktik »Fußball spielen« übersetzt bedeutet das: (1) Wo werden Spieler, Zuschauer, der Ball, die Tore, die Linien etc. platziert, bzw. können sich platzieren, und wo nicht. Wo ist das innerhalb der Praktik überhaupt möglich bzw. erlaubt? (2) Auf welchen Wegen bewegen sich Spieler (Praktiker)? Wie kommen diese Wege zu Stande und was sind valide Ziele? (3) Wie werden durch die Praktik »Fußball spielen« Elemente zu Räumen zusammengefasst? Wie werden also das Spielfeld, die Zuschauertribüne oder der Bereich für Trainer und Auswechselspieler durch die Organisation der Praktik erzeugt? (4) Auf welche Weise ist Technik und Infrastruktur in die Organisation der Praktik »Fußball spielen« integriert: Welche Rolle spielt der Ball? Welche Rolle bauliche Gegebenheiten etc.? (Bei der Praktik »Fußball spielen« geht Technik im Großen und Ganzen in der Kategorie Materialität auf.) Ein wichtiger Aspekt bei der Beschreibung des Raums, der durch die Praktik »Geocaching« erzeugt wird, ist die Frage, welche Geocaches von Praktikern zum Suchen ausgewählt werden (vgl. Kap. 9.3: Orte/Wege/Gebiete: Auswählen und Kap. 9.4: Statistiken: Zählen). Diese Frage kann mit dem hier verfolgten Ansatz nur auf der Ebene der Praktik beantwortet werden. Es liegt jedoch auf der Hand, dass an dieser Stelle im Einzelfall Zusammenhänge mit ins Spiel kommen, die jenseits der untersuchten Praktik liegen, wie z.B. biografisch gewachsene Präferenzen oder situationsbedingte Stimmungen. Diese können mit dem hier verfolgten theoretischen Ansatz und empirischen Vorgehen nicht eingefangen werden.

6. Die Forschungsmethode | 97

Verschiedene Perspektiven und ihre Materialarten 1. Perspektive der Praktiker: Interviews Die für die vorliegende Arbeit geführten Interviews folgen nicht einem hermeneutischen Paradigma, in dem das Interview als der privilegierte Zugang zum Untersuchungsgegenstand verstanden wird, sondern einem beobachtenden Paradigma. Ziel der Interviews ist es, Informationen über den Ablauf der Praktik, die dabei entstehenden Situationen und die beteiligten Elemente zu sammeln. Die Interviews wurden als offene Gespräche mit Unterstützung eines Interviewleitfadens geführt.5 Der Leitfaden diente dazu, in allen Interviews alle relevanten Themen anzusprechen. In der Auswertung der Interviews ging es darum, die durch die Praktik bestimmten Aktivitäten, Einstellungen/Motivationen und durch die Praktik bestimmte Deutungen zu identifizieren. Mit Hilfe von MAXQDA, einer Software zur qualitativen Daten- und Textanalyse, wurden die Interviewtranskripte nach diesen Dimensionen von Praktiken in Anlehnung an das Vorgehen der Grounded Theory codiert, im weiteren Auswertungsprozess raumrelevante Bestandteile bestimmt und theoretische Konzepte entwickelt. Dadurch ergab sich die Möglichkeit, über alle Interviews hinweg bestimmten Codes zugeordnete Stellen zu vergleichen und durch den jeweiligen Fall gefärbte Anteile der Erzählung herauszufiltern. 2. Beobachtung/Erfahrung der Praxis: Feldnotizen und Erfahrungswissen Im Anschluss an einige Interviews ergab sich die Möglichkeit, den Interviewpartner bei der Suche eines Geocaches im Umkreis des Interviewstandorts zu begleiten. Dabei handelt es sich um eine praktische Erweiterung des Interviews. Unabhängig davon wurden im Zuge der Forschung verschiedene Geocaches gesucht und (mit den üblichen [Anfangs-]Schwierigkeiten) 32 erfolgreich gefunden. 3. Infrastruktur: Websites, Leistungsspektrum von Infrastruktur Gegenstand dieser Materialsäule ist die spezielle Infrastruktur der Praktik, also in erster Linie die Website, auf der die Geocaches gelistet und abrufbar sind. Dazu kommen die weiter entfernten Infrastruktursysteme, die sich in dem infrastrukturellen Arrangement der Praktik »Geocaching« finden und raumkonfigurierende Wirkung haben. Von besonderem Interesse ist hier das Infrastruktursystem GPS und die damit verbundenen Kategorien und Standards.

5 | Interviewleitfaden siehe: Anhang.

98 | Flächen – Bahnen – Knoten

4. Kommunikation: Forenbeiträge, Logeinträge Diese Materialquelle trägt öffentliche Kommunikation über die Praktik in Abwesenheit des Forschers bei. Zu beachten ist allerdings, dass solche Beiträge für eine mehr oder weniger unbekannte Masse geschrieben werden und insofern nur eine bestimmte Perspektive wiedergeben. Dies wird verstärkt durch die Tatsache, dass sich nicht alle Personen, die Geocaching betreiben, auch an Diskussionen in Foren beteiligen oder Blogs schreiben. Anders ist die Situation im Fall der Logbucheinträge mit denen der Fund eines Geocaches auf der Website dokumentiert wird. Hieran beteiligen sich alle Praktiker. Sampling der Interviewpartner Die Auswahl der Interviewpartner wurde mit Hilfe einer Bestenliste für das RheinMain-Gebiet durchgeführt.6 In dieser Liste sind alle Accounts auf geocaching.com ab 54 Funden im Rhein-Main-Gebiet aufgelistet (n = 4984, Oktober 2011). Das Sampling über diese Liste hat den Vorteil, dass die Gefahr ausschließlich oder zumindest vermehrt einen bestimmten Typ Praktiker anzusprechen dadurch reduziert ist, dass die Auswahl unabhängig von sozialen Vernetzungen abläuft. Auch Personen, die Geocaching nur für sich betreiben, konnten so ihren Weg in das Sample finden. Es wurde darauf geachtet, Personen aus unterschiedlichen Fundzahlbereichen anzusprechen, sodass weder Anfänger noch erfahrene Praktiker im Sample überwiegen. Dieses Vorgehen hat allerdings die Schwäche, dass nur bestimmte Leute auf eine Interviewanfrage eines Forschers reagieren. Es fällt auf, dass Anfänger (Fundzahl < 100) praktisch nicht auf die Interviewanfrage reagiert haben. Insgesamt wurden 113 Personen angeschrieben von denen 22 auf die Anfrage reagierten und letztendlich 13 Interviews zu Stande kamen, darunter ein Doppelinterview (Vater/Sohn). Der Kontakt zu zwei weiteren Interviewpartnern gelang über ein Post im sogenannten »grünen Forum«7 . Ein Experteninterview wurde mit einem Journalisten geführt, der das Phänomen Geocaching seit einigen Jahren intensiv beobachtet und selbst aktiv ist. Ein zusätzliches Interview konnte aus einer vorangegangenen Exploration des Forschungsfelds zur Navigation in alltäglichen Situationen übernommen werden, bei dem der Interviewpartner aktiver Geocacher war. Insgesamt gehen also 17 im Schnitt ca. einstündige Leitfadeninterviews in die Untersuchung ein (vgl. Tabelle 1).

6 | www.gummiseele.de/index.php?tools-topcacher+rhein-main++ohnegrenze#liste, gesehen: 14.11.2012. 7 | http://forum.geoclub.de, gesehen: 25.03.2013.

6. Die Forschungsmethode | 99

Tabelle 1: Interviewpartner (anonymisiert) Alias

Alter

m/w

Beruf

Familienstand

Funde

Böhm

41

m

Oberarzt (Krankenhaus)

verheiratet

1250

30

Hermann

35

m

Krankenpfleger

verheiratet

308

10

Berg

22

m

Student

ledig

-

-

Fantuzzi

59

m

IT-Consultant

Lebens-

1500

14

(selbstständig)

partnerschaft

Mank

34

m

Arzt (Pharmaindustrie)

ledig

443

1

Schmitz

39

w

Projektmanagerin

geschieden

414

0

HagerV

43

m

Kaufm. Angestellter

verpartnert

55

1

HagerS

16

m

Schüler

ledig

111

2

Wagner

53

m

Vermessungsingenieur

Lebens-

199

0

Wossen

65

m

Eisenbahn- und

verheiratet

849

0

verheiratet

1999

12

Lebens-

1043

0

gelegte GCs

partnerschaft Signaltechniker Stein

30

m

Kern

52

m

wiss. Mitarb. Fraunhofer Öffentliche Verwaltung

partnerschaft Otto

45

m

Arzt (niedergelassen)

verheiratet

1800

4

Balzer

31

w

Referentin

verheiratet

740

6

verheiratet

791

0

geschieden

325

5

verheiratet

943

0

Deutsche Bahn Hoppe

44

m

Fischer

39

w

Schadenregulierer (Versicherung) Krankenschwester (Krankenhaus)

Kötter Fink

48

w

Hausfrau

m

Journalist

Validität und Plausibilität Grundlegende Idee des hier verfolgten Ansatzes ist es, verschiedene Materialarten zu kombinieren und so Zusammenhänge sichtbar zu machen. Diese Triangulation verschiedener materialbedingter Perspektiven erzeugt Validität, weil sie sich nicht nur auf einen u.U. systematisch verzerrten Zugang verlässt. Jede Perspektive liefert Aussagen und Sinnzusammenhänge, die durch die Art der Perspektive mitgeprägt werden. Die Kombination verschiedener Perspektiven ermöglicht die Kontrolle einer

100 | Flächen – Bahnen – Knoten

Perspektive durch die jeweils anderen. So ist z.B. klar, dass die Aussagen in einer Interviewsituation gegenüber einem Forscher vor dem Hintergrund der Entstehung der Aussagen gesehen werden müssen. So kann es zu Übertreibungen, zur Wiederholung von Diskursfiguren oder zur Vermeidung von sensiblen Themen kommen. Letzteres steht bei dem hier untersuchten sozialen Phänomen nicht gleichermaßen im Vordergrund wie bei Forschungsfragen, die die Privatsphäre oder Identität von Interviewpartnern tangieren. Durch das Hinzuziehen von Forenbeiträgen oder Logbucheinträgen, die in Abwesenheit des Forschers entstanden sind, aber auch durch infrastrukturelle Gegebenheiten, die sich recherchieren lassen, sind Interviewaussagen zu kontrollieren. Das Gleiche gilt für die im Feld gemachten Erfahrungen des Forschers, die sich mit Hirschauer in den Forscher einschreiben (Hirschauer 2001: 448) und die Forschung informieren. Mit Susan Leigh Star geht es bei ethnografischen Untersuchungen darum, dem Feld und dem wie auch immer gearteten Material mit ethnografischer Sensibilität gegenüberzutreten (vgl. Star 1999: 383). In diesem Sinne können technische Gegebenheiten und standardisierte Kategorisierungen, z.B. auf einer Website, ebenso in dieser Weise verwendet werden. Neben den verschiedenen Materialquellen und dem Einschreiben des Feldes in den Forscher durch Erfahrung ist die dritte Ebene der Validierung von ethnografischen Texten jene durch den soziologisch gebildeten Leser des entstandenen Textes (Hirschauer 2001: 448). Im Unterschied zu ethnografischen Arbeiten über andere Gesellschaften sind die potentiellen Leser von Arbeiten über soziale Zusammenhänge der eigenen Gesellschaft selbst kompetente Mitglieder derselben und können somit ihre Rolle als Korrektiv plausibel wahrnehmen (vgl. ebd.). Unter Umständen haben sie sogar bereits selbst Erfahrungen mit dem fraglichen Phänomen gesammelt und können daher als Experten gelten. Und natürlich gehören auch die Untersuchten selbst zum potentiellen Leserkreis. Somit wird der Leser gewissermaßen zum »Koautor« des Textes, der ihn letztendlich vollendet, indem er ihn als plausibel akzeptiert (vgl. ebd.). Reichweite der Ergebnisse Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine explorative qualitative Untersuchung, deren Ziel es ist, den durch die Praktik »Geocaching« erzeugten Raum zu beschreiben. Gemessen an repräsentativen quantitativen Untersuchungen mit hohen Fallzahlen erscheint die Reichweite explorativer qualitativer Untersuchungen zunächst verschwindend gering. Dieser Vergleich geht jedoch in mehrfacher Hinsicht fehl. Die vorliegende Arbeit formuliert keine Aussagen über die Grundgesamtheit der Geoca-

6. Die Forschungsmethode | 101

ching betreibenden Personen.8 Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Zusammenhänge und Muster der Raumerzeugung durch die Praktik »Geocaching« plausibel zu beschreiben und dadurch nachvollziehbar zu machen. Diese werden aus den verwendeten Materialien herausgearbeitet. Im strengen Sinne gelten die Aussagen also nur für das, was tatsächlich untersucht worden ist. Jedoch ist die Annahme äußerst plausibel, dass eine Praktik, die das gleiche Verstehen und die gleichen Infrastrukturen integriert, auch in anderen Situationen hinreichend ähnlich abläuft. Daher beanspruchen die herausgearbeiteten Zusammenhänge ebenso für alle nicht untersuchten Zusammenhänge Geltung, solange sie in hinreichend ähnlicher Weise ablaufen. Ob dies der Fall ist, muss jeweils im Einzelfall geprüft werden. Auf diese Weise muss sich die erarbeitete Theorie immer wieder beweisen. Das hier gewählte Vorgehen ermöglicht es, im Rahmen einer explorativen Untersuchung unbekannter sozialer Zusammenhänge neue Kategorien zu entwickeln (vgl. Flick et al. 2008: 17). Eine zweite Linie der Reichweitenerhöhung über den untersuchten Fall hinaus kommt dadurch zu Stande, dass Praktiken immer auch andere Praktiken nachahmen und umgekehrt von anderen Praktiken nachgeahmt werden. Verschiedene Praktiken integrieren gleiche Elemente (Verstehen, Artefakte, Infrastruktur, explizite Regeln, teleoaffektive Struktur). An dieser Stelle verschiebt sich jedoch der Anspruch bezüglich der Reichweite vom Anspruch auf Geltung hin zu einem Anspruch auf Instruktivität. Das Argument ist nicht, dass die hier ausgearbeiteten Zusammenhänge sich eins zu eins auf andere Praktiken übertragen lassen, die bestimmte Elemente mit der Praktik »Geocaching« gemeinsam haben. Das Argument ist vielmehr, dass die am hiesigen Fall erarbeiteten Ergebnisse instruktiv für die Beschreibung solcher anderen Praktiken sind. Am deutlichsten leuchtet dies am Fall von Praktiken ein, die das GPS integrieren. Nicht bei allen geschieht dies auf die gleiche Weise wie im Fall von Geocaching. Jedoch können die an an der Untersuchung der Praktik »Geocaching« erarbeiteten theoretischen Konzepte instruktiv verwendet werden, indem sie als Ausgangspunkt dienen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen verwandten

8 | Eine solche Studie (Telaar 2007) liegt bereits vor (vgl. auch Kap. 7.1: Forschungsstand).

102 | Flächen – Bahnen – Knoten

Praktiken9 zu identifizieren und im Anschluss daran Fragen zum Verständnis solcher Praktiken zu generieren.

9 | Unter »verwandten Praktiken« werden hier Praktiken verstanden, die eines oder mehrere Elemente miteinander teilen. So sind z.B. die Praktiken »Briefmarken sammeln« und »Spielzeug sammeln«, aber auch »Plane spotting«, bei dem es darum geht, Verkehrsflugzeuge zu fotografieren, miteinander verwandt. Sie teilen das Element »sammeln«. »Plane spotting« ist verwandt mit anderen Praktiken, die die Aktivität Fotos zu machen integrieren, aber auch mit der Praktik »Birdwatching«, bei der es darum geht, Vögel zu beobachten. Hier wiederum gibt es Verwandtschaftsbeziehungen zum Wandern oder anderen Outdoorpraktiken. Einige solcher Outdoorpraktiken, wozu auch Geocaching gehört, integrieren GPS, was sie in eine Verwandtschaftsbeziehung zu der Nutzung von Autonavigationssystemen setzt usw. Auf diese Weise entsteht das Bild eines Gewebes von miteinander verbundenen Praktiken, die sich mehr oder weniger ähneln.

7. Die Praktik »Geocaching«

Geocaching wird in den populären Medien oftmals als »Schnitzeljagd für Erwachsene« oder als »moderne Schatzsuche« beschrieben. Beide Formulierungen weisen auf eine spielerische Praktik hin und deuten damit in die richtige Richtung. Auch Personen, die selbst Geocaching praktizieren, benutzen diese Phrasen, um kurz und bündig zu erklären, was sie da eigentlich tun:1 »B: Es ist ja nicht so schnell erklärt, ne. Die Leute interessiert dann das schon, wenn man da anfängt, man sucht da so eine Art Sch-. Also, wenn wir es schnell abhaken wollen, dann sagen wir einfach: ›Wir machen so eine moderne Schnitzeljagd.‹« (Kötter: 178)

Auf der Website www.geocaching.com wird Geocaching wie folgt bestimmt: »Geocaching ist eine reale Outdoor-Schatzsuche, bei der GPS-taugliche Geräte verwendet werden. Die Teilnehmer navigieren zu bestimmten Koordinaten und versuchen dort den Geocache, einen versteckten Behälter, zu finden.«2

Ein Blick in die Geschichte der Praktik »Geocaching« zeigt, dass es sich dabei um eine moderne Freizeitpraktik handelt, die im Jahr 2000 in den USA als Reaktion auf die Erhöhung der Genauigkeit für zivile GPS-Nutzung durch die US-Regierung entstanden ist. Seitdem hat sie sich stetig in der westlichen Welt ausgebreitet. Der erste Geocache in Deutschland wurde am 2. Oktober 2000 in der Nähe von Berlin

1 | Inwieweit es hier zu Rückkoppelungseffekten zwischen Praktikern und medialer Repräsentation kommt, soll hier nicht weiter untersucht werden und muss einer diskursanalytischen Untersuchung vorbehalten bleiben. 2 | Quelle: www.geocaching.com/guide/default.aspx, gesehen: 07.04.2012.

104 | Flächen – Bahnen – Knoten

versteckt.3 Ende Februar 2013 wurde die Marke von 2 Millionen gelegten, d.h. versteckten, Geocaches erreicht, die weltweit bei der weltgrößten Geocache-Datenbank (www.geocaching.com) registriert sind. In dem Pressematerial dieser Datenbank findet sich die Zahl von 4 Millionen Personen, die weltweit Geocaching betreiben.4 Unabhängig überprüfen lässt sich diese Zahl nicht. Daniel Telaar schätzt 2007 in seiner Diplomarbeit die Grundgesamtheit der Geocaching betreibenden Personen in Deutschland auf ca. 10.000 (Telaar 2007: 43). Zu diesem Zeitpunkt waren in Deutschland schätzungsweise ca. 50.000 Geocaches auf www.geocaching.com verzeichnet. Im Zeitraum von September 2010 bis September 2011 stieg die Zahl der verzeichneten Geocaches von 155.087 auf 210.545 (Weber und Haug 2012: 21). Das entspricht einem Zuwachs von 210 % im Zeitraum von 2007 zu 2010 und einem Zuwachs von 36 % von 2010 zu 2011. Im September 2012 finden sich in genannter Datenbank bereits rund 265.000 Geocaches5 , was einem weiteren Zuwachs von 26 % entspricht. Dies verdeutlicht das starke Wachstum, das die Praktik »Geocaching« in den letzten Jahren erfahren hat. Es muss bedacht werden, dass es nicht ohne weiteres möglich ist, aus dem Verhältnis der Geocaches auf die Zahl der geocachenden Personen in Deutschland im Jahre 2012 zurückzuschließen. Als weiteres Indiz für die Zahl der an der Praktik »Geocaching« teilnehmenden Personen kann die Zahl der angemeldeten Nutzer in dem größten deutschen Geocaching-Forum (http://forum.geoclub.de) von rund 32.500 dienen (Stand: September 2012). Diese Zahl unterschätzt auf der einen Seite die tatsächliche Zahl der Praktiker, weil nicht jeder, der diese Praktik betreibt, in diesem Forum angemeldet ist. Auf der einen Seite überschätzt sie diese aber auch leicht, weil anzunehmen ist, dass sich nur in den seltesten Fällen Personen abmelden, wenn sie aufhören, die Praktik zu betreiben. Es ist jedoch nicht zuletzt vor dem Hintergrund der hohen Medienpräsenz des Themas in den letzten Jahren plausibel anzunehmen, dass die Zahl der Geocaching betreibenden Personen in Deutschland ebenfalls stark angestiegen ist. Dies zeigt, dass es sich auch quantitativ um ein relevantes Phänomen handelt. Bei der Praktik »Geocaching« geht es darum einen von anderen versteckten Geocache, z.B. eine kleine Box, zu finden. Wo Geocaches zu finden sind, ist aus einer internetbasierten Datenbank ersichtlich, in der zu jedem Geocache mindestens die Koordinaten und eine Beschreibung zu finden sind. Es gibt verschiedene Typen von Geocaches: Zum Beispiel »Traditional Caches«, bei denen es darum

3 | Es handelt sich hierbei um den Geocache »First Germany«. Der Geocache ist unter dem Code »GC77« auf www.gecaching.com zu finden. 4 | Vgl. www.geocaching.com/articles/Brochures/footer/FAQ_Media.pdf, gesehen: 11.09.2012. 5 | Quelle: www.geocaching.com, eigene Abfrage.

7. Die Praktik »Geocaching« | 105

geht an einer bestimmten Position die besagte Box zu finden. »Mystery Caches«, bei denen zunächst ein Rätsel gelöst werden muss, um die tatsächlichen Koordinaten zu bekommen und »Multi Caches« bei denen verschiedene Stationen abgelaufen werden müssen, wobei sich an jeder Station die Koordinaten für die nächste finden.6 In diesem Kapitel geht es darum, die Praktik »Geocaching« vorzustellen. Es soll nachvollziehbar werden, wie die Praktik abläuft und aus welchen Elementen sie besteht. Dazu wird zunächst der aktuelle Forschungsstand in den Sozialwissenschaften zum Thema Geocaching besprochen (Kap. 7.1). Anschließend wird auf die Entstehungsgeschichte eingegangen, die in Kurzform in jeder längeren Arbeit zum Thema, in vielen populären Büchern und auch auf verschiedenen Internetseiten zu finden ist. Es ist hier nicht die Absicht schon Gesagtes ein weiteres Mal zu wiederholen, daher wird die Entstehungsgeschichte mit besonderem Augenmerk auf die Herausbildung einer eigenen Infrastruktur der Praktik erzählt, die für die Argumentation im weiteren Verlauf der Arbeit wichtig ist (Kap. 7.2). Das Kapitel 7.3: Geocachen gehen, 2011/2012, Rhein-Main-Gebiet, beginnt mit einer idealtypischen – also verdichteten und zugespitzten – Beschreibung der Praktik »Geocaching«, wie sie im Verlauf der für die vorliegende Arbeit durchgeführten Empirie beobachtet worden ist. Anschließend vollführt dieser Abschnitt die entgegengesetzte Bewegung und stellt das Spektrum der Arten und Weisen Geocaching zu praktizieren dar. Im darauf folgenden Abschnitt (Kap. 7.4) wird die Infrastruktur der Praktik Geocaching in der Gegenwart genauer beschrieben und abschließend das infrastrukturelle Arrangement der Praktik dargestellt (Kap. 7.5).

7.1 F ORSCHUNGSSTAND Die Zahl der sozialwissenschaftlichen Arbeiten, die sich explizit mit Geocaching befasst, ist überschaubar. Im deutschen Sprachraum liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwei Diplomarbeiten, eine Magisterarbeit, eine Dissertation und ein Aufsatz vor. Auf diese wird im Folgenden näher eingegangen. Darüber hinaus gibt es im englischen Sprachraum vereinzelte Veröffentlichungen und Arbeitspapiere, die sich mit Geocaching befassen: O’Hara 2008; Gram-Hansen 2009; Sarvas n.n.

6 | Die Anteile an der Gesamtzahl der Geocaches auf www.geocaching.com betragen: »Traditional Cache« 58,6 %, »Mystery Cache« 20,7 % und »Multi Cache« 18,7 % (Quelle: www.geocaching.de, gesehen: 04.06.2012).

106 | Flächen – Bahnen – Knoten

In der Diplomarbeit »Geocaching – Eine kontextuelle Untersuchung der deutschsprachigen Geocaching-Community« im Fach Geografie führt Telaar eine zweigleisige quantitative Untersuchung mittels Online-Fragebögen durch. Zum einen wurden Finder ausgewählter Geocaches (n = 310) (Telaar 2007: 41) im Raum Münster danach befragt, ob jeder Ort für Geocaching in gleicher Weise attraktiv ist und ob Geocaching Einfluss auf die Wahrnehmung oder Attraktivität einer Region hat (ebd.: 3, 45). Es zeigte sich, dass der Ort, an dem Geocaches liegen, für die Attraktivität entscheidend ist. Geocaches würden dadurch interessant, dass sie sich in »einer ansprechenden und natürlichen Landschaft oder an besonders einzigartigen Orten befinden« (ebd.: 86). Zudem sei es positiv, wenn in der Nähe weitere Geocaches zu finden seien, d.h. die Möglichkeit des Weitersuchens gegeben sei. Das Vorhandensein von Dienstleistungsangeboten, wie z.B. Gastronomie, werde zwar begrüßt, führe aber nicht zu einer positiveren Bewertung eines Geocaches. Ein weiteres wichtiges Kriterium sei die Erreichbarkeit per Fahrrad oder zu Fuß (vgl. ebd.). Der Studie zufolge ist die Verknüpfung von kulturellem und historischem Wissen mit einem Naturerlebnis das Erfolgsrezept für einen gelungenen Geocache (vgl. ebd.: 87). Inwieweit die Umgebung auf die Attraktivität eines Geocaches Einfluss hat hänge zudem von der Art des Geocaches ab: Im Gegensatz zu »Multi Caches« und »Mystery Caches« würde diese bei »Traditional Caches« eine untergeordnete Rolle spielen (vgl. ebd.: 92). Ob allerdings die Frage nach der Bedeutung der Umgebung für die Attraktivität eines Geocaches entlang von Cachetypen beantworten werden kann, muss kritisch gesehen werden. Unterschiedliche Varianten Geocaching zu praktizieren, greifen auf dieselben Cachetypen zurück. So spielt die weitere Umgebung beim »Einsammeln« von »Traditional Caches«, um die Statistik der gefundenen Caches zu steigern keine Rolle. Es zählen der Ort, an dem der Cache versteckt ist, und die schnelle Erreichbarkeit dieses Ortes. Während Traditional Caches, die durch ihre Platzierung in einem lokalen Zusammenhang an Attraktivität gewinnen, in hohem Maße von ihrer Umgebung abhängig sind. Zum anderen führt Telaar eine sehr informative, bundesweite, repräsentative, quantitative Untersuchung (n = 1982) mit dem Ziel durch, Geocaching praktizierende Personen in Deutschland mit Hilfe eines Online-Fragebogens demografisch einzuordnen. Im Ergebnis ist »der durchschnittliche Geocacher männlich und ca. 36 Jahre alt. Er lebt in einer festen Partnerschaft und hat ein Kind. Sein hohes Bildungsniveau in Form eines abgeschlossenen Studiums oder einer Hochschulreife ermöglicht ihm eine Festanstellung als Arbeiter oder als leitender Angestellter. Das Einkommen in Höhe von 3246,95 Euro (Brutto), das er bei seiner Anstellung

7. Die Praktik »Geocaching« | 107

im Bereich Informationstechnologie erhält, liegt leicht über dem Durchschnittseinkommen aller erwerbstätigen Deutschen.« (Ebd.: 51)7

Von den Befragten waren ca. 20 % weiblich und 80 % männlich (ebd.: 46). Die Altersspanne bewegte sich zwischen 10 und 77 Jahren, wobei der Median mit 39 Jahren leicht über dem arithmetischen Mittel lag. Dies spreche dafür, dass der größere Teil der Befragten das Durchschnittsalter bereits überschritten habe (ebd.). Ungefähr drei Viertel (76,7 %) der Befragten lebten in einer festen Partnerschaft und 41,2 % der Befragten hatten eines oder mehrere Kinder. 77,1 % der Befragten verfügten über die Hochschulreife und 41 % konnten einen Hochschulabschluss vorweisen (ebd.: 48). In festen Arbeitsverhältnissen befanden sich 82,2 % der Stichprobe, 11,3 % waren Studierende und 3,2 % Auszubildenden und Schüler. 3,1 % der Befragten gaben an in nicht fester Anstellung oder im Zivildienst zu sein (ebd.). Nur 1,2 % entfielen auf die Kategorie »Arbeitssuchend«, wobei »Arbeitslos« nicht abgefragt wurde (ebd.: 106). Mit 17,1 % war der Bereich Informationstechnologie das am häufigsten genannte Betätigungsfeld, wobei auch andere Bereiche wie »Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen« (7,3 %), »Telekommunikation« (3,3 %), »Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen« (3 %) und »Maschinenbau« (2,7 %) als techniknah eingestuft werden müssen. Die größte Gruppe, ohne explizite Verbindung zu Technik ist »Erziehung und Unterricht« (7,8 %) (ebd.: 50). Obwohl die Untersuchung bereits fünf Jahre zurück liegt, wurde sie zu einem Zeitpunkt durchgeführt, an dem Geocaching in Deutschland bereits sechs Jahre lang betrieben wurde. Daher ist es plausibel zum Zeitpunkt der Untersuchung von einer gewissen Setzung in der Gruppe der Träger der Praktik auszugehen. In den Anfängen einer Praktik, wenn Pioniere das Feld beherrschen und noch nicht alle interessierten Personenkreise über ausreichend Informationen über eine Praktik verfügen ist dies nicht gegeben. Vor dem Hintergrund der für die vorliegende Arbeit durchgeführten qualitativen Untersuchung können die Ergebnisse von Telaar unterstützt werden. Kristin Schützes Diplomarbeit »Geocaching – Untersuchung der deutschen Geocaching-Community und Darstellung des touristischen Potentials« im Fach Wirtschafts- und Sozialgeografie nimmt sich ebenfalls vor die deutsche GeocachingCommunity demografisch zu verorten, bleibt mit ihrer Untersuchung (n = 332) jedoch weit hinter der von Telaar zurück. Darüber hinaus stellt die Autorin die Frage nach dem touristischen Potential und arbeitet heraus, dass Tourismusorganisationen

7 | Es ist zu beachten, dass es sich hier um eine narrative Präsentation statistischer Durchschnittswerte handelt.

108 | Flächen – Bahnen – Knoten

das Prinzip Geocaching als Ersatz des Reiseleiters sehen würden (vgl. Schütze 2010: 103). Da die Perspektive privatwirtschaftlicher Akteure in der vorliegenden Arbeit keine Rolle spielt, ist die Arbeit für die hier zu untersuchenden Zusammenhänge uninteressant. Die Dissertation »Jugendkulturelle Szenen als Trendphänomene« von Katrin Bauer im Fach Volkskunde möchte einen Einblick in vier verschiedene jugendkulturelle Szenen geben. Es handelt sich dabei um Crossgolf, Parkour, Flashmobs und Geocaching. Diese vier »Trendphänomene« werden dabei als Reaktion auf eine »individualisierte und entgrenzte Gesellschaft« (Bauer 2010: 188) verstanden, die Jugendlichen keine Orientierung mehr bieten würde (ebd.: 189). Die untersuchten Szenen würden hier einspringen und eben diesen fehlenden Halt bieten: Hier »finden Jugendliche im ihrem Spielen ohne Grenzen Orientierung, Sicherheit und letztlich auch Identität« (ebd.). In Bezug auf Geocaching muss zunächst angemerkt werden, dass es sich bei den diese Praktik ausübenden Personen keinesfalls um Jugendliche handelt. Das Durchschnittsalter liegt wie bereits erwähnt bei 36 Jahren (Telaar 2007: 51). Des Weiteren befinden sich vier Fünftel in festen Arbeitsverhältnissen und zwei Fünftel haben ein oder mehrere Kinder (ebd.: 48), was die Notwendigkeit einer noch zu absolvierenden Rollenfindung, wie sie bei Jugendlichen besteht, relativiert. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie viel des sozialen Phänomens Geocaching mit dem Begriff der Szene eingefangen werden kann. Bestimmte Aspekte sind damit sicherlich griffig zu beschreiben, jedoch ab dem Punkt, an dem die Praktik »Geocaching« auch von Personen ohne Einschränkungen betrieben werden kann, die aktiv persönlichen Kontakt zu anderen geocachenden Personen vermeiden, wird dies fraglich. Lena Weihe stellt in ihrer Magisterarbeit »Geocaching. Analyse eines kulturellen Gegenwartsphänomens« im Fach Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft im Prinzip die Frage warum Personen diese Betätigung ausüben (vgl. Weihe 2011: 4). Im Anschluss an das soziologische Konzept der »Erlebnisgesellschaft« (Schulze 1993) versteht die Autorin Geocaching als Erlebnis und kommt zu dem Schluss, dass sich der Reiz von Geocaching in der Befriedigung multipler Erlebnisbedürfnisse begründe (Weihe 2011: 80 ff.). So tangiere Geocaching die Erlebnisbereiche Erkenntnis (Neues entdecken), Körperlichkeit (wandern, Spazieren gehen, klettern) und Gemeinschaft (reziproker Bezug auf andere Personen) und entspreche zudem dem Bedürfnis nach Unkonventionalität (infantiles und verrücktes Verhalten) (vgl. ebd.: 81 f.). Im Unterschied zu der Argumentation von Bauer stellt Weihe nicht nur auf die Entbettung von Personen im Zuge von Individualisierungsprozessen ab. Weihe argumentiert, dass

7. Die Praktik »Geocaching« | 109

»Geocaching [...] im Wesentlichen der Kompensation von durch den Prozess der Zivilisation hervorgerufenen Defiziten des Alltags- und Berufslebens [dient]« ebd.: 90). Weihes Argumentation öffnet eine interessante Perspektive auf die Praktik »Geocaching« als gesellschaftliches Phänomen. Die kompensatorische Funktion des Geocachings für in anderen Bereichen erzeugten Defiziten verweist auf die Einbettung der Praktik in größere gesellschaftliche Zusammenhänge. Es wäre weiter zu fragen, inwiefern nicht nur kompensatorische Momente nachweisbar sind, sondern auch innovative Effekte bezüglich der Organisation von Alltag, Naturerleben oder Sozialität unter sich verändernden Bedingungen der zur Verfügung stehenden Technik. Auf Konfliktherde, die beim Geocaching entstehen können, weisen Weber und Haug in ihrem Aufsatz »Geocaching und Raumnutzung. Freizeitbeschäftigung mit Konfliktpotenzial« hin (Weber und Haug 2012). Diese seien in den Bereichen Naturschutz, Jagd und Lost Places, also dem Suchen von Geocaches an verlassenen Orten (Industriebrachen, verlassene Häuser oder Kasernen etc.), zu finden. Die Autoren belassen es jedoch bei der Nennung und weisen auf den vorhandenen Forschungsbedarf hin (vgl. ebd.: 23). Die vorgestellten Arbeiten bieten insgesamt einen guten ersten Überblick über die Praktik »Geocaching«. Keine der vorgestellten Arbeiten adressiert allerdings die Erzeugung von Raum oder die Umordnung von räumlichen Anordnungen im Zusammenhang mit der Praktik »Geocaching«. Hier schlägt die vorliegende Arbeit mit der verfolgten Fragestellung nach der Erzeugung von Raum durch die Praktik »Geocaching« eine neue Richtung ein.

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7.2 E NTSTEHUNGSGESCHICHTE In diesem Abschnitt wird die Entstehungsgeschichte8 der Praktik Geocaching mit besonderen Fokus auf die sich dabei herausbildende, d.h. ko-konstituierende, Infrastruktur beschrieben. Als Gründungs- oder besser Initiierungsdokument der Praktik kann nachfolgendes Posting von Dave Ulmer vom 3. Mai 2000 in der Newsgroup »sci.geo.satellite-nav« gelten: »From: Dave ([email protected]) Subject: The Great American GPS Stash Hunt ! Newsgroups: sci.geo.satellite-nav Date: 2000/05/03 – The Great American GPS Stash Hunt !! – Now that SA [Selective Availability, PG] is off we can start a worldwide Stash Game!! With Non-SA accuracy it should be easy to find a stash from waypoint information. Waypoints of secret stashes could be shared on the Internet, people could navigate to the stashes and get some stuff. The only rule for stashes is: Get some Stuff, Leave some Stuff!! The more valuable the stuff the more stashes will be started. I’m thinking of half burying a five gallon plastic bucket with lid at the stash point. Putting in some stuff. Adding a logbook and pencil so visitors can record their find. The log should contain: Date, Time, What you got, and What you put in. Scanning the log book should give you a quick inventory of the stash.

8 | Eine geschichtswissenschaftliche Bearbeitung des Themas steht aus. Ich halte mich daher bei der Darstellung der Geschichte im Prinzip an die Darstellungen auf: - gpsgames.org ( http://geocaching.gpsgames.org/history/, gesehen: 24.05.2013), - Kimbo’s Geocache Page ( www.guysnamedkim.com/geocache/geocache_history.html, gesehen: 24.05.2013), - www.geocaching.com ( www.geocaching.com/about/history.aspx, gesehen: 24.05.2013), - Cacheopedia (www.cacheopedia.com, gesehen: 24.05.2013). Diese Quellen stimmen grundsätzlich bezüglich der hier darzustellenden Zusammenhänge miteinander überein. Darüber hinaus gibt es eine große Menge von Ratgeberliteratur zum Thema, die auch Kurzfassungen der Geschichte beinhaltet. Soweit ich dies beurteilen kann, weichen diese nicht von den hier genannten Quellen ab.

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I’ll look for a place near a road where few people would normally go... Put in some cash, an old digital camera, and some antique silverware!! I will come up with a cool name for my stash and post coordinates soon!!! Make your own stash in a unique location, put in some stuff and a log book. Post the location on the Internet. Soon we will have thousands of stashes all over the world to go searching for. Have Fun!! Dave...«9

In diesem ersten Vorschlag ist nahezu alles enthalten, was die Praktik »Geocaching« auch heute ausmacht, außer dem Namen »Geocaching« selbst. Die Diskussion um den richtigen Namen ist instruktiv für das Verständnis der Praktik. Doch zunächst zu den Bestandteilen der Praktik. Es geht darum, sogenannte »Stashes« einzurichten, - deren Koordinaten geheim sein und über das Internet miteinander geteilt werden sollen, - die ein Logbuch enthalten sollen, in dem sich der Finder eintragen kann, - die »coole« Namen haben, um Neugier zu wecken, - die sich an einzigartigen Orten befinden, an die normalerweise niemand geht. Die Praktik, in den Caches Gegenstände zu hinterlegen und dafür andere zu entnehmen ist auch heute noch präsent, auch wenn deren Stellenwert wesentlich kleiner ist und es in den seltensten Fällen um so wertvolle Gegenstände (Geld, Digitalkamera, antikes Silberbesteck) geht, wie in oben stehendem Posting angedeutet. Auf dieser Linie hinzugekommen ist jedoch die Praktik, sogenannte »Travelbugs« reisen zu lassen. Dies sind kleine Gegenstände, die eine eindeutige Nummer haben, durch Entnahme und Ablage in Caches durch die Welt reisen und über eine Website verfolgt werden können. Zu Beginn der Praktik im Jahr 2000 wurde der Name »Great American GPS Stash Hunt« verwendet. Dieser erschien jedoch einigen Beteiligten problematisch, da die Begriffe »stash« und »hunt« im amerikanischen Englisch einige negative Konnotationen mit sich führen. So bezeichnet z.B »stash« auch Drogen- und Waffenverstecke und »hunt« wirke aggressiv und rufe das Bild von Jägern und Sammlern ins Gedächtnis, was nicht im Sinne des Erfinders wäre. Dave Ulmer postete dazu am 26. Mai 2000:

9 | Quelle: http://geocaching.gpsgames.org/history/proposal.txt, gesehen: 21.05.2012.

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»I’ve been having some second thoughts about the GPS Stash Hunt project especially since things have slowed down a bit. I’m thinking we got the right game but the wrong name! [...] It appears that the word Stash has some negative connotations, maybe illegal, maybe subversive, maybe just too related to the hippies and drugs. Doesn’t seem to fit in todays spandex, natural, eco tourist world we now live in. Hunt also has problems, it takes us back to our hunter gather roots and certainly doesn’t relate to our environmentalist, pro-sumer consumer reality of today.«10

Um solchen möglichen Verwechslungen aus dem Weg zu gehen und einen unter den gesellschaftlichen Bedingungen nach der Jahrtausendwende funktionierenden Namen zu haben, einigten sich die beteiligten Personen letztendlich auf »Geocache«. Dieser Neologismus ist eine Kombination aus »Geo« als Präfix für Dinge, die in irgendeiner Weise mit dem Planeten Erde zu tun haben und »Cache« als neutraler Variante von »Versteck«. Ulmer erklärt am 31. Mai 2000 die Diskussion um den richtigen Namen für beendet: »The results of the Name the Game is wonderful, we now have a Formal name for the game! Stash and GPS Stash Hunt are informal names. Geocache and Geocaching can be the formal name.«11 Er weist des Weiteren daraufhin, dass weiterhin verschiedene Namen für die Praktik in Ordnung seien, zeigt aber bereits zu diesem frühen Zeitpunkt eine Sensibilität für offizielle und unternehmerische Zusammenhänge: »We can have various informal names for the game, whatever a webmaster wants is ok but we do need a formal name for the black-tie affairs. Formal names are usually boring but can be useful for getting financing and the like. There can now be both formal Geocache sites and informal Stash sites and it can all be fun.«12

Das Datum von Ulmers erstem Posting am 3. Mai im Jahr 2000 ist kein Zufall, denn die Praktik »Geocaching« ist auf das Engste mit der Entwicklungsgeschichte des Global Positioning Systems (GPS) verbunden. Unter optimalen Bedingungen und ohne zusätzliche Hilfsmittel ermöglicht GPS Positionsbestimmungen mit einer Abweichung von ungefähr drei Metern. Diese Genauigkeit war jedoch vor Mai 2000 zivilen Nutzern nicht zugänglich. GPS ist ein militärisches, von der U.S. Air Force be-

10 | http://tech.groups.yahoo.com/group/gpsstash/message/8, gesehen: 29.05.2012. 11 | http://tech.groups.yahoo.com/group/gpsstash/message/75, gesehen: 30.05.2012. 12 | Ebd.

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triebenes System. Die maximale Genauigkeit der Öffentlichkeit uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen hieße auch, sie gleichermaßen potentiellen Gegnern zugänglich zu machen. Aus Gründen, die hier nicht genauer analysiert werden sollen, wurde am 2. Mai 2000 diese künstliche Ungenauigkeit (»Selective Availability«) von der USRegierung unter Bill Clinton aufgegeben und so der zivilen Nutzung grundsätzlich die volle Genauigkeit zur Verfügung gestellt.13 Erst diese Maßnahme, bei der niemand an Geocaching dachte, machte die Praktik möglich. Ab diesem Tag war es für jedermann, der im Besitz eines GPS-Empfängers war, möglich ohne hohen Aufwand eine bestimmte Position auf der Erdoberfläche eindeutig mit einer Zahlenkombination zu bezeichnen und dadurch auch für Personen, die noch nie zuvor dort gewesen waren, ohne zusätzliche Beschreibung (wieder-)auffindbar zu machen. Ulmer sah die Möglichkeit, verfasste obiges Posting, versteckte den ersten Cache an den Koordinaten N45° 17.460 W122° 24.800 in der Nähe von Portland, Oregon, und veröffentlichte die Koordinaten in derselben Newsgroup: »From: Dave ([email protected]) Subject: GPS Stash Hunt... Stash #1 is there! Newsgroups: sci.geo.satellite-nav Date: 2000/05/03 Well, I did it, created the first stash hunt stash and here are the coordinates: N 45 17.460 W122 24.800 Lots of goodies for the finders. Look for a black plastic bucket buried most of the way in the round. Take some stuff, leave some stuff! Record it all in the log book. Have Fun! Stash contains: Delorme Topo USA software, videos, books, food, money, and a slingshot!«14

13 | Dies ist eine verkürzte, jedoch für die hiesigen Zwecke ausreichende Beschreibung. Das US-Militär hat weiterhin die Möglichkeit, die Genauigkeit in bestimmten Gebieten für bestimmte Weisen der Nutzung zu verschlechtern. Auf der anderen Seite ist es auch mit relativ geringem Aufwand möglich das GPS-Signal von außen zu stören (»Navigation Warfare«). Der prinzipielle Ausschluss von Nutzergruppen ist also einer flexiblen Handhabung gewichen. Ein Grund dafür ist nicht zuletzt, dass GPS zwar ein militärisches System ist, 95 % der Nutzung aber zivil sind (Dodel und Häupler 2004: 161). Wichtig für die Argumentation der vorliegenden Arbeit ist, dass die hohe Genauigkeit ab dem 3. Mai 2000 grundsätzlich auch zivilen Nutzern zugänglich war. 14 | http://geocaching.gpsgames.org/history/announcement.txt, gesehen: 21.05.2012.

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Die Idee fiel auf fruchtbaren Boden und fand Nachahmer, d.h. die Idee fand ihren Weg zu anderen interessierten Personen, die über die notwendige Ausrüstung (GPS-Gerät) verfügten, also als Träger der Praktik in Frage kamen. Diese Personen taten es Ulmer gleich. Neue Praktiken entstehen jedoch niemals aus dem Nichts. Sie arrangieren vielmehr schon Vorhandenes neu oder integrieren etwas neu Entstandenes bzw. Verfügbares in einer bestimmten Weise (Shove et al. 2012: 120). Im Fall von Geocaching werden Praktiken des Suchens, des Draußen- und Unterwegsseins, der Reziprozität und technischen Elementen (GPS, Mailinglisten, Datenbank) in die Praktik auf für diese spezifische Weise integriert. Neu – im strengen Sinne – war in diesem Fall nur das GPS mit einer erhöhten Genauigkeit in der zivilen Nutzung. Dieses neue Element wurde auf kreative Weise mit anderen Elementen von Praktiken verbunden. So entstand eine neue Praktik, die sich hinreichend von allen anderen verwandten Praktiken unterschied. Am 8. Mai 2000 gab Mike Teague bekannt, dass er eine Website zur Sammlung von Geocaches eingerichtet habe: »I put together a stash hunt page.. Still under development, but most everything you need to know is there.. http://www.triax.com/yng wie/gps.html.«15 Dies stellte einen entscheidenden Schritt dar: Auf diese Weise bekam das Spiel eine eigene Infrastruktur. Eine Website, die als eine Art Datenbank für Geocaches diente. Koordinaten von Geocaches mussten nun nicht mehr über eine Mailingliste getauscht werden, was bei zunehmender Menge nach und nach unübersichtlich geworden wäre und mit anderen Zwecken einer Mailingliste konfligiert hätte. Zudem löste sich damit die Praktik von der Mailingliste sci.geo.satellite-nav und deren Klientel, das aus Nutzern von Satellitennavigationsgeräten bestand, die alle in irgendeiner Form ein ernsthaftes Interesse an dem GPS hatten, jedoch nicht notwendigerweise an Geocaching interessiert waren. Im September desselben Jahres gab Jeremy Irish bekannt, dass er sich die Domain www.geocaching.com registrieren hat lassen und dort eine Website implementiert habe, auf der alle Geocaches zu finden seien und die zudem über zusätzliche Funktionen verfüge, die auf Teagues Website nicht vorhanden waren.16 In diesem Posting verleiht Irish seiner Hoffnung Ausdruck, dass dies helfen würde »[...] to take it [Geocaching, PG] to the next level and make it easier to grow«17 . Irish, ein ausgebildeter Webdesigner und heute CEO von Groundspeak Inc.18 , zeigte also bereits in der Anfangszeit

15 | http://geocaching.gpsgames.org/history/triax.txt, gesehen: 29.05.2012. 16 | http://geocaching.gpsgames.org/history/geocaching.com.txt, gesehen: 29.05.2012. 17 | Ebd. 18 | www.groundspeak.com/about.aspx#OurTeam, gesehen: 29.05.2012.

7. Die Praktik »Geocaching« | 115

unternehmerisches Denken.19 Mike Teague, der lediglich in der Lage war, eine Website auf Amateurniveau zu unterhalten, übergab gewissermaßen den Staffelstab am 6. September 2000 an Irish, indem er schrieb: »[J]eremy irish, owner of geocaching.com is in the process of taking over what my site has done up to this point.... it will have more functionality than I could ever build into mine.. hopefully it will make the whole game more enjoyable.. I dont really have time to keep a site up-to-date anymore, but I will remain involved in the game...after all, my site was originally intended only to be a _temporary_ home for the gps stash community... in the mean time, while jeremy gets geocaching.com all up to speed and operational, my site will remain up, (if my damned ISP [Internet Service Provider, PG] ever gets around to fixing the server) [...].«20

Die Postings bei denen es um die Übernahme des Geocache-Verzeichnisses von Teague durch Irish geht, ebenso wie die Diskussion um einen passenden Namen, stammen nicht mehr von der Mailingliste »sci.geo.satellite-nav«, sondern von der Liste »GPS STASH«. Am 15. Mai 2000 hatte James Coburn diese Mailingliste21 eingerichtet, die bis heute existiert: »I have created a GPS STASH e-group. It is a e-mail group. I just have a hard time looking for messages related to the topic so I created this list for all who are interested. http://www.egroups.com/group/gpsstash.«22 Damit war die zweite Säule der Infrastruktur der Praktik neben der Website, die die Kommunikation zwischen den Spielern gewährleistet, eingerichtet und die Praktik »Geocaching« hatte ihre eigene, spezielle Infrastruktur aus Datenbank und Kommunikationsplattform. In Bezug auf Fragen, welche die räumliche Dimension der Praktik betreffen, ist wichtig festzuhalten, dass diese spezielle Infrastruktur vollständig auf Internettechnik basiert. Das bedeutet, dass es grundsätzlich keine Rolle spielt, wo sich eine Person aufhält, um auf die der Praktik eigenen Infrastruktur zurückzugreifen. Dies gilt allerdings nur in den Bereichen, in denen der Zugang zum Internet für Praktiker

19 | Die Registrierung von www.geocaching.com fand am 03.07.2000 statt. Zwei Monate nach dem ersten Posting von Ulmer und wiederum zwei Monate vor der Bekanntgabe der Website. (Quelle: Whois-Abfrage auf www.whois.com). 20 | Quelle: http://geocaching.gpsgames.org/history/triax2.txt, gesehen: 29.05.2012. 21 | http://tech.groups.yahoo.com/group/gpsstash/, gesehen: 29.05.2012. 22 | http://groups.google.com/group/sci.geo.satellite-nav/browse_thread/thread/823b94da 902745e3/f92e4bce8a2ec7c9?fwc=1, gesehen: 28.05.2012.

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mit der benötigten Qualität problemlos möglich ist. Dem Eindruck der Entwurzelung diese Zugangs von geografischen Gegebenheiten, der in bestimmten Gegenden, z.B. Deutschland, in Bezug auf die Praktik »Geocaching« plausibel ist, steht also eine Topografie des Zugangs entgegen, die sich bei Erweiterung des Blickfeldes und Variierung des Anspruchs an die Qualität des Zugangs als äußerst diffizil erweist. Dieser Problembereich spielt jedoch für die hier verfolgte Frage nach der räumlichen Dimension des Geocachens nur am Rande eine Rolle und soll deshalb nicht weiter vertieft werden, da im Gebiet der Untersuchung davon ausgegangen werden kann, dass Internetzugang in hinreichender Weise gewährleistet ist. Mit beiden genannten Säulen haben Praktiker bis heute zu tun. Auch wenn sich die Kommunikationsplattformen diversifiziert haben und auch die Plattformtypen einem zeitlichen Wandel unterlegen sind. Für Deutschland ist das Forum www.f orum.geoclub.de mit ca. 31000 Mitgliedern (Stand: Mai 2012) einschlägig. Auf www.geocaching.com gibt es ein weiteres großes Forum, das jedoch englischsprachig ist. Auch die erste Säule der Infrastruktur, die Datenbank, hat sich weiterentwickelt. Wenn man heute (2012) einen Blick auf die Website www.geocaching.com wirft, ist festzustellen, dass es sich um eine professionell gestaltete und zeitgemäße Website handelt. Es ist nicht nur die älteste, sondern auch mit großem Abstand die größte in diesem Bereich23 (vgl. auch Kap. 7.4: Infrastrukturen des Geocachens). Wenig überraschend sind im Laufe der Zeit andere Websites entstanden, die als Archive für Geocaches fungier(t)en. Einige davon sind wieder verschwunden. Andere sind aktiv und werden auch genutzt, wie z.B. navicache.com, terracaching.com, opencaching.de oder geopeitus.ee. Bisher war die Rede von der Infrastruktur des Geocachens, die aus zwei Säulen (Datenbank und Mailingliste) besteht. Es liegt die Frage auf der Hand, welche Rolle das GPS spielt. Handelt es sich dabei nicht auch um eine Infrastruktur? Selbstverständlich handelt es sich bei GPS um ein bedeutendes Infrastruktursystem und als solches wird es auch in dieser Arbeit behandelt. Der Unterschied zu den vorge-

23 | Im Mai 2013 sind auf www.geocaching.com nach Angaben des Betreibers Groundspeak Inc. anlässlich des zweimillionsten versteckten Geocaches 882.101 Geocaches in den USA, 275.660 in Deutschland, 160.409 in Kannada 136.105 im UK, 53.020 in Frankreich und immerhin 16 in Pakistan gelistet. (Quelle: http://blog.geocaching.com/2013/02/celebrating-t wo-million-geocaches-list-by-country/, gesehen: 30.05.2013). Groundspeak Inc. schätzt die die Zahl der weltweit geocachenden Personen auf über 4 Millionen (vgl. http://www.geocaching.com/articles/Brochures/footer/FAQ_Media.pdf, gesehen: 13.04.2013).

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stellten Infrastrukturen besteht darin, dass die oben beschriebene Infrastruktur des Geocachens speziell auf die Praktik zugeschnitten ist, während das GPS als Black Box auftritt und von der Praktik lediglich in einer bestimmten Weise integriert wird. Diese Rolle teilt das GPS mit einer ganzen Liste von anderen Infrastrukturen, die zunächst nicht von der Praktik verändert werden, jedoch von ihr integriert werden: so z.B. Elektrizität, Straßen, Benzinversorgung oder Internet. Die Anordnung dieser vorhandenen Infrastrukturen wird in der vorliegenden Arbeit als das »infrastrukturelle Arrangement einer Praktik« bezeichnet (vgl. Kap. 3.3: Infrastrukturelle Arrangements von Praktiken). Seit den Anfängen im Jahr 2000 hat sich Geocaching global ausgebreitet, weiterentwickelt und im Detail an die jeweiligen lokalen Bedingungen angepasst. Gegenstand der für diese Arbeit durchgeführten Forschung ist das Geocaching, wie es in Deutschland ca. elf Jahre nach dem Legen des ersten Caches in den USA mit Hilfe der Plattform www.geocaching.com praktiziert wird.

7.3 G EOCACHEN GEHEN , 2011/2012, R HEIN -M AIN -G EBIET »[D]u wirst von fremden Leuten irgendwo hingeführt, die dir irgendwas zeigen. (I: Ja) Also das wäre die Idealvorstellung. Manche zeigen dir halt ne Leitplanke an ner Schnellstraße [...].« (Böhm: 28)

Die idealtypische Beschreibung der Praktik »Geocaching«, wie sie in der Einleitung zu lesen ist (S. 11), stellt die Minimalbedingung dar, die eine Kombination aus »doings and sayings« (Schatzki) zur Praktik »Geocaching« macht. Es gibt auch andere Aktivitäten, bei denen GPS-Empfänger zum Einsatz kommen, bei denen mit Hilfe solcher Geräte Orte markiert werden oder bei denen ein Kommentar über einen bestimmten Ort in einer grundsätzlich frei zugänglichen Datenbank veröffentlicht wird. Ebenso differenziert sich Geocaching in unterschiedliche Richtungen weiter aus. Es gibt verschiedene Varianten, die auf einer konkreteren Ebene als voneinander verschiedene Praktiken verstanden werden können, dabei jedoch auf einer weniger konkreten Ebene Geocaching bleiben. Dies ist vergleichbar mit der Praktik »Fahrradfahren«, die, wenn man sie auf einer konkreteren, d.h. materialreicheren, Ebene betrachtet, verschiedene Praktiken wie »eine Radtour machen«, »ein Radrennen fahren«, »mit dem Rad zur Arbeit fahren« oder »BMX fahren« umfasst. Das spezielle

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Arrangement von Elementen der Praktik (Infrastrukturen, Verstehen, teleoaffektiven Strukturen, explizite Regeln) (vgl. S. 33 ff.) machen diese zu einer von anderen Aktivitäten unterscheidbaren Praktik. Je konkreter die jeweilige Bestimmung dieses Arrangements, desto konkretere und vielfältigere Praktiken lassen sich erkennen, die jedoch weiterhin zu der allgemeineren Praktik (»Fahrrad fahren«) gezählt werden können. Das Argument ist hier, dass alle konkreteren Praktiken des Geocachens, so sehr sie sich im Detail auch unterscheiden, die Infrastruktur des Geocachens teilen. Solange dies erfüllt ist, handelt es sich um Geocaching. Die Bestimmung von einer Praktik als Geocaching liegt also auf derselben Skalierungsebene wie die dazugehörige Infrastruktur. Eine Möglichkeit, die Praktik »Geocaching« zu beginnen, besteht darin, die Website www.geocaching.com aufzurufen, den Menüpunkt »Spielen/Einen Cache suchen und verstecken« anzuklicken, den eigenen Standort einzugeben und den Button »Go« zu klicken. Der nächste Bildschirm zeigt nun eine Liste mit Geocaches, geordnet nach der Entfernung zur angegebenen Position mit verschiedenen Informationen über den Cache: Richtung, Favoritenpunkte, Name des Caches, Name des Besitzers (»Owner«), Geocode, Land, ein allgemeines Infofeld, Schwierigkeit und Geländewertung, Datum des Versteckens und wann der Cache das letzte Mal gefunden wurde. Wie bei solchen Listen üblich, kann sie anhand jeder Spalte geordnet angezeigt werden. Durch einen Klick auf den Namen des Caches gelangt der Nutzer zur Informationsseite des Caches. Hier finden sich verschiedene ausführlichere Informationen über den Cache. Zum Teil standardisiert, zum Teil von derjenigen Person, die den Cache eingestellt hat, frei erstellt. Am unteren Ende des Bildschirms befindet sich das Logbuch, in dem sich alle bisherigen Finder eingetragen haben. Interessant ist, was sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht findet: die Koordinaten des Caches. Die Orte, an denen Geocaches versteckt sind, werden mit WGS84-Koordinaten angegeben, die mit jedem GPS-Gerät kompatibel sind. An der Stelle, an der diese stehen sollten, erscheinen lediglich Fragezeichen. Die Bedingung, um diese Fragezeichen in Zahlen zu verwandeln, ist die Eröffnung eines Nutzerkontos auf www.geocaching.com. Dazu ist eine E-Mail-Adresse und ein Benutzername nötig.24 Eingeloggt zeigen sich die Koordinaten, die nun per Hand oder USB-Kabel auf ein GPS-Gerät übertragen werden können. Damit kann die Suche beginnen.

24 | Seit Mai 2012 ist es auch möglich, einen bestehenden Facebook-Account zu nutzen, um sich auf www.geocaching.com einzuloggen.

7. Die Praktik »Geocaching« | 119

Nachfolgend wird die Praktik »Geocaching« in ihrer Vielfalt beschrieben. Vom Suchen eines einzelnen leicht zu erreichenden Geocaches (»Traditional«) bis hin zum anspruchsvollen »T5er«-Geocache, der ohne zusätzliche Ausrüstung nicht zu erreichen ist; ob alleine nach der Arbeit, mit der Familie am Wochenende, während der Arbeit oder gemeinsam mit anderen Praktikern im Rahmen eines Events. Verschiedene Arten des Beginnens: die zeitliche Organisation Der zeitliche Ablauf der Praktik »Geocaching« ist sehr flexibel. Durch die Organisation der Praktik ist es möglich, zu jeder beliebigen Zeit Geocaches zu suchen. Aufgrund der Infrastruktur können zu jeder Zeit interessante Geocaches recherchiert und, wenn ein passendes GPS-Gerät vorhanden ist, auf dieses überspielt werden. Von dort sind sie permanent abrufbar. Falls ein Smartphone mit mobilem Internetzugang genutzt wird, kann zu jeder Zeit in den Datenbanken nach interessanten Geocaches gesucht werden. So starten Praktiker bewusst Ausflüge zu bestimmten Geocaches, was sich bis zu einer an Geocaches orientierten Urlaubsplanung ausdehnen kann, wie folgende Äußerung zeigt: »Das ist ein wichtiges Kriterium ›Gibts da Geocaches in der Gegend?‹ (I: Okay). Wenn also überhaupt keine Geocaches im Umkreis von was weiß ich 20 30 Kilometern sind, sage ich ›Können wir nicht woanders hinfahren? Es gibt doch noch andere Stellen.‹« (Fantuzzi: 194)

Oder aber sie suchen, falls etwas Zeit zur Verfügung steht, während der Arbeitszeit (z.B. im Außendienst), »B: [...] Oder halt wie gesagt, (.) man sieht die Arbeit ist gut gelaufen und man hat noch ein Dreiviertelstündchen, und dann fährt man schnell, äh auch wieder ein paar Parallelstraßen ab, und guckt was man vom Auto aus oder mit fünfzig Meter Fußweg irgendwie machen kann. Sobald man sieht aufwändig, (.) bleibt das da liegen.« (Wagner: 18)

lösen vorbereitend Rätsel, »B: (..) Also wir sind jetzt nicht so, dass wir jeden Tag gehen würden oder so, aber (..) es ist eigentlich schon so, dass wir uns eigentlich JEDEN Tag mit Geocachen auf die eine oder andere Weise beschäftigen. Also hier auf dem Tisch liegt zum Beispiel ein Rätsel rum, (.) dass wir angefangen hatten, da irgendwie musste man so ein Puzzle zusammen machen. (holt Luft) (.) Und morgens zum Kaffee lesen wir meistens Logs.« (Kötter: 552)

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suchen auf Dienstreisen, »I: Okay und äh vielleicht können Sie erzählen, wie das ablief? Also wie begann das // und wie lief das dann ab? // B: // Wie ich dann dazu // gekommen bin (.) gestern, gerade gestern cachen zu gehen? I: Ganz genau. B: Ja das hängt ein bisschen mit meiner beruflichen Tätigkeit zusammen. Ich bin Außendienstler und (.) bin da in ganz Süddeutschland unterwegs und verbinde dann immer wieder bei Dienstreisen damit, an, sage ich mal, interessanten Orten (.) dann in der Nacht den einen oder anderen Cache noch mal (.) noch zu machen. Meine Arbeitszeit leidet nicht drunter, als dass, was ich jetzt zwischen rein schiebe, muss ich dann zu Hause eh später nacharbeiten, deswegen wenn ich da mal eine halbe Stunde/Stunde irgendwie was mal rein schiebe, dann kann ich das also problemlos auch machen. Bin für meine eigene Zeit verantwortlich.« (Hoppe: 7)

oder starten, wenn die Benachrichtigung über einen neuen Cache reinkommt. Dabei geht es dann darum der erste zu sein, der einen Geocache findet (»First-to-Find«, abgekürzt: FTF): Abb. 2: FTF-Log-Kommentar

Quelle: www.geocaching.com

Geocaching kann also im Prinzip immer beginnen, wenn es passt und ebenso immer aufhören, wenn es nicht mehr passt. Zudem kann es zu jeder Zeit kurz unterbrochen werden. Es handelt sich um eine in sich sowohl räumlich wie auch zeitlich versprengte Praktik.25 Das bedeutet, die Praktik als Einheit findet nicht nur an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten statt, sondern das Ablaufen der Praktik selbst beinhaltet unterschiedliche Orte und Zeiten.

25 | Daraus ergeben sich besondere methodische Herausforderungen (vgl. Kap. 6: Forschungsmethode).

7. Die Praktik »Geocaching« | 121

Jeder Geocache hat eine eigene Website, auf der alle Informationen über ihn zu finden sind. Das beinhaltet die Koordinaten, die Beschreibung, die Logs, den Cachetyp, die Größe des Caches, den Schwierigkeitsgrad etc. Zudem gibt es die Möglichkeit die Daten als Datei herunterzuladen oder direkt auf ein GPS-Gerät oder Mobiltelefon zu überspielen. Abbildung 3 zeigt eine solche Website, Datenblatt, Karteikarte, »Listing« oder Eintrag eines Geocaches. Abb. 3: Eigenschaften des Geocaches »Verdammt wo ist mein Schlüssel« (3 Bilder)

[...]

122 | Flächen – Bahnen – Knoten

[...]

Quelle: www.geocaching.com

7. Die Praktik »Geocaching« | 123

Geocache-Typen Es gibt insgesamt zwölf verschiedene Cachearten, die auf www.geocaching.com unterschieden werden.26 - »Traditional Cache«: Ein Behälter (»Dose«) wird an einem bestimmten Ort versteckt. - »Multi Cache«: Es gibt mehrere Dosen. Die Koordinaten der nächsten Dose befinden sich in der vorherigen. Unter Umständen müssen zusätzliche Hinweise gesucht werden. - »Project A.P.E. Cache«: Hier handelt es sich um eine Aktion aus dem Jahre 2001. Es wurden zusammen mit Twentieth Century Fox 14 Geocaches mit Requisiten aus dem Film »Planet der Affen« versteckt. Heute existiert nur noch einer davon. Beim alltäglichen Cachen in Deutschland spielen diese Caches keine Rolle. - »Mystery or Puzzle Caches«: Hier handelt es sich um Caches, bei denen ein Rätsel gelöst werden muss, mit dessen Lösung sich dann die Koordinaten des Caches berechnen lassen. - »Letterbox Hybrid«: Hierbei handelt es sich streng genommen nicht um einen Geocache. Die Praktik »Letterboxen« ist wesentlich älter als »geocachen«. Es geht dabei darum einen Behälter mit Hilfe einer Beschreibung (Letter) und ohne GPS zu finden. - »Wherigo Cache«: Hierbei handelt es sich um einen technisch hoch entwickelte Form des Multi Caches, für den spezielle Geräte notwendig sind, die eine sogenannte »Wherigo-Catridge« abspielen können. Der Spieler wird von Ort zu Ort geführt, es gibt dabei Augmented-Reality-Elemente, bis schließlich ein klassischer Cachecontainer zu finden ist. Hier bestehen tatsächlich große Ähnlichkeiten zu einem Computerspiel, praktiziert jedoch in immersiver Weise unter freiem Himmel. - »Event Cache«: Auch hier handelt es sich eigentlich nicht um einen Geocache im engeren Sinne. Der Event Cache ist eine Kategorie, um über die Infrastruktur des Geocachens ein Treffen von Geocachern zu initiieren. Das Logbuch dient hier als Anmelde- und Feedbackliste. Aus diesem Grund hat dieser »Cache« etwas, was kein anderer hat: ein Datum und eine Uhrzeit. - »Mega Event Cache«: Dasselbe Prinzip, wie bei einem Event Cache, allerdings mit der Bedingung, dass mehr als 500 Personen das Event besuchen müssen. - »Cache in Trash out Event«: Im Prinzip handelt es sich hier um einen Event-Cache, bei dem es darum geht Müll in den Gebieten einzusammeln, in denen Geocaches liegen. - »Earth Cache«: Im Prinzip handelt es sich hier um einen Traditional Cache, der an

26 | Vgl. http://www.geocaching.com/about/cache_types.aspx, gesehen: 20.09.2012.

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einer herausragenden geologischen Formation liegt. Hier verbindet sich ein pädagogischer Gedanke mit der Praktik »Geocaching«, nämlich Wissen über den Planeten Erde zu vermitteln. Solche Geocaches können nicht von Jedermann gelegt werden. Die Liste der Geocaches wird von der »Geological Society of America« verwaltet.27 - »Groundspeak Headquarters Cache«: de facto keine eigene Cacheart, sondern ein einzelner Cache im Hauptquartier der Betreiberfirma von www.geocaching.com, Groundspeak Inc. Um diesen Cache finden zu können ist vorherige Anmeldung erforderlich. Es handelt sich also um einen Firmenbesuch im Gewand eines Geocaches, der einen Punkt in der Statistik der gefundenen Geocaches gibt. - »GPS Adventure Maze Exhibit«: Hier geht es um eine bestimmte Installation in zwölf verschiedenen US-amerikanischen Museen, mit denen der Umgang mit GPS vermittelt werden soll.28 Die Bedeutung der einzelnen Cacharten für die Praktik sind unterschiedlich, zudem ähneln sie sich wie gezeigt zum Teil sehr stark, was auf andere Unterscheidungskriterien als die Funktionsweise verweist29 . Die vorgestellten zwölf Arten lassen sich entlang ihrer Funktion auf vier Grundtypen reduzieren: »Traditional Caches«, »Multi Caches«, »Mystery or Puzzle Caches« und »Event Caches«. Mit Ausnahme des »Event Caches«30 stellen diese drei Typen die meistgenutzten Cachetypen dar (vgl. Abb. 4). Diese unterschiedlichen Cachearten determinieren jedoch nicht die Art und Weise, wie Personen diese Praktik praktizieren. Zwar können bestimmte Arten und Weisen nur in Verbindung mit bestimmten Cachearten ausgeübt werden, jedoch führen bestimmte Typen nicht notwendigerweise zu bestimmten Arten und Weisen des Geocachens. Was vielmehr geschieht ist, dass Cachearten auf der Ebene von Verstehen als Elemente in eine Praktik integriert werden und so zusammen mit und in Beziehung zu den anderen Elementen der Praktik diese bestimmen. Der am häufigsten verwendete Cachetyp »Traditional« spielt so eine Rolle in der Praktik »sehenswerte oder neue/unbekannte Orte zu besuchen«,

27 | Vgl. http://www.earthcache.org/. 28 | Vgl. http://www.gpsmaze.com/. 29 | Naheliegend sind hier Kriterien wie Marketing (»Project Ape Cache«, »GPS Adventure Maze Exhibit«), Community building (»Event Caches«), Public relations (»Cache in Trash out«), Bildung (»GPS Adventure Maze Exhibit«, »Earth Cache«) und neue Technologie (»Wherigo«). 30 | Die Anzahl der »Event Caches« ist nicht vergleichbar mit der anderer Cachtypen, weil es sich dabei immer um singuläre Ereignisse handelt, die, nachdem sie stattgefunden haben, archiviert werden.

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Abb. 4: Verteilung der Cachearten auf www.geocaching.com

Quelle: www.geocaching.de

»B: [...] Es ist (.) ich habe festgestellt, dass ich unglaublich viele Orte sehe, wo ich vorher nie hingekommen wäre. Selbst wenn die so in fünf Kilometer Umkreis vom Wohnort sind. Und dann (.) ja dann lass ich mich überraschen, was das jetzt wieder für ein Ort ist, ob das irgendwas besonderes Sehenswertes ist oder einfach nur so naja habe ich mal wieder einen gefunden.« (Schmitz: 11) »B: Dann die Tradis, also die einfach nur irgendwo eine Dose, die sind eigentlich meisten eher langweilig, außer, sie sind interessant zu suchen. Oder sie sind toll gemacht. Da gibt es eben auch in dem Raum, wo wir waren, jetzt am Wochenende, da gibt es jemanden, die haben HUNDERTE von Favoriten. Der Mann muss irgendwie Hobbybastler sein. Der sägt ihnen auch irgendwie einen Stein auseinander und klappt den auf.« (Kötter: 148) »I: Okay. Aber die Orte sind, (.) spielt auch eine Rolle. B: Ja sind mir auch wichtig. Also wie gesagt, äh einfach irgendwo im Wald ein paar Mal, die, die ganzen Waldwege umgraben, um dann irgendwo unter einer Wurzel was zu finden, jetzt gerade bei Herbst mit Laub und so. Das macht mir keinen Spaß. (I: Mhm. (bejahend)) Ich sage mal, dass ähm / Wenn es eine schöne Stelle ist, eine bestimmte Stelle ist, die sage ich mal,

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irgendwo auch, sage ich landschaftlich schön ist, schöne Aussichtspunkte oder so was, dann natürlich gerne.« (Hoppe: 583) »I: Okay. Also so die / Man lernt so die Nahumgebung besser kennen. B: Ja, genau da. Auch wenn man im Urlaub ist halt alles / Äh, äh, man kommt an Orte, bekommt ja die Orte da gezeigt im Prinzip, indem halt jemand meint, da lege ich jetzt ein Cache ab. Und das könnte für andere auch interessant sein, weil es eine schöne Aussicht hat oder einen historischen Hintergrund. Und äh da bekommt man schon Sachen gezeigt, die man sonst nicht sehen würde.« (Kern: 133)

in der Praktik entlang von verschiedenen Caches eine Wanderroute zurechtzulegen, »B: Also ich mache in erster Linie Tradis. (..) Das heißt, ähm (4) Also heißt, der Weg ist das Ziel. Ich tue gucken, damit ich eine möglichst lange Wanderung machen kann oder eine Fahrradtour (..) Und da hangele ich mich im Prinzip von Tradi zu Tradi (..) meine Strecke durch.« (Kern: 50)

in der Praktik zwischendurch schnell einen Cache zu machen, »B: Manche sind schnell zu finden, das sind einfach diese traditionellen, wo man die Koordinaten hat und dort das Versteck. Das ist wirklich was Schnelles für zwischendurch.« (Mank: 16) »B: Bis jetzt sind Tradis halt (.) die, die wir am meisten gemacht haben, weil es schnell geht.« (Wagner: 74)

in der Praktik möglichst viele Statistikpunkte (Funde) zu erreichen »B: Es gibt Leute, die äh sammeln für ihr Leben gerne – Anführungszeichen – diese sogenannten Tradis ein (I: Mhm. (bejahend)) die halt einfach in den Wald gehen, eine Dose nach der anderen sammeln, Hauptsache sie bekommen ihre Punkte, möglichst viele Punkte da dann in der Statistik, (..) hat jeder seinen Schwerpunkt.« (Hoppe: 204)

oder auf Bäume zu klettern eine Rolle. »B: Also ich habe jetzt auch schon mal einen (.) einen (..) T5er. Den (unv.) haben Sie ja bestimmt schon mal irgendwo gehört. (I: Mhm (bejahend)) Äh Den habe ich jetzt auch mal gemacht, einfach so mal, aus-/ zum Ausprobieren. Also diese Baumcaches.« (Wossen: 160)

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Dieser Typ »Traditional« hat eine Grenze dort, wo vor dem Suchen Rätsel gelöst werden müssen. Ab da hat man es mit dem Typ »Mystery« zu tun. Obwohl hier der Schwerpunkt auf dem Rätsel liegt, das gelöst werden muss und das Finden des Geocaches gewissermaßen die Bestätigung für die Richtigkeit der Lösung ist, bedeutet das nicht, dass der Cache nicht an einem sehenswerten oder neuen/unbekannten Ort liegen kann, dass man sich damit keine Wanderrouten zurechtlegen kann oder dass man damit nicht auch die Verbesserung einer bestimmten Statistik anstreben kann. Die andere Grenze des »Traditional Caches« ist dort, wo mehrere Caches zusammengefasst und hintereinander gefunden werden müssen, um an der letzten Station, dem »Final«, das Logbuch des Geocaches zu finden. Diese nun tatsächlich an eine Schnitzeljagd erinnernde Praktik läuft unter der Kategorie »Multi Cache«. Der Unterschied zum selbst erstellten quasi »Multi Cache«, der entsteht, wenn eine Wanderroute konzipiert wird, liegt darin, dass dies jemand anderes für den Sucher im Voraus gemacht hat und die Stationen aufeinander aufbauen. Ohne die vorherige Station gefunden zu haben ist die nächste Station nicht erreichbar. Auch hier gilt wiederum, dass sich Teile der Praktik überschneiden, obwohl sie anhand der Einteilung der Cachearten voneinander getrennt sind. So ist es eher die Regel, dass Multi Caches an interessanten und sehenswerten Orten versteckt sind, wie z.B. an sogenannten »lost places«. Das sind Orte, die ehemals stark genutzt wurden, die aber in Vergessenheit geraten sind. Ein gutes Beispiel hierfür sind Industriebrachen oder verlassene Militärstützpunkte: »B: Die ähm, ja, lost places, also wo eben der, der, der Rahmen, in dem man cached, was Besonderes ist, (.) wo dann vielleicht / Und die halt auch ein bisschen schwieriger oder ein bisschen höhere Terrainwertung haben oder nicht eben jeder hingeht mit seinem Handy, der in normalen Straßensachen oder Büroklamotten eben noch cachen geht. (.) Ja.« (Stein: 402)

Auf der anderen Seite gibt es diese Cacheart auch als »Nachtcache«, der häufig im Wald liegt und nur bei Dunkelheit gefunden werden kann: »Dies ist ein Nachtcache! Nicht bei Tag oder nach starkem Regen angehen. Festes Schuhwerk und lange Hosen sind Pflicht.« (Auszug aus einer Cachebeschreibung)

D(ifficulty)/T(errain)-Wertung Die am leichtesten zugänglichen Geocaches sind an Leitplanken oder Schildern befestigt oder liegen z.B. leicht für den Suchenden zu enttarnen am Fuß eines Baumes. Die am schwierigsten zugänglichen befinden sich in 20 Meter Höhe in einer Baumkrone oder mehrere Meter unter Wasser und sind ohne Kletter- bzw. Tauchausrüstung nicht zu erreichen. Dies lässt sich an der sogenannten »Terrain-Wertung« ablesen.

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Manche Geocaches liegen genau an jenen Koordinaten, die im »Listing« (Eintrag in der Datenbank) angegeben sind, für die endgültigen Koordinaten anderer müssen erst in der Schwierigkeit variierende Rätsel gelöst werden oder sie sind vor Ort sehr gut versteckt und es braucht einige Such- und Seherfahrung, um das Versteck als solches zu erkennen, was wiederum in der sogenannten »Difficulty-Wertung« festgehalten wird (vgl. Abb. 5.) Die Schwierigkeits-Wertung (D) gibt Auskunft darüber, wie schwer es tatsächlich ist, den Cache zu finden. Ist der Cache, wenn man die Zielkoordinaten erreicht hat, leicht zu erkennen bzw. binnen weniger Minuten zu finden (D = 1), ist das Finden des Caches auch für einen erfahrenen Geocacher herausfordernd und ist somit damit zu rechnen, dass das Suchen mehrere Stunden dauern wird, z.B. wenn der Cache aus mehreren Stationen besteht, die hintereinander gefunden werden müssen (D = 3) oder wird bestimmtes Expertenwissen benötigt, um z.B. den Cachebehälter zu öffnen oder die Koordinaten zu bestimmen (D = 5)? Die Gelände-Wertung (T) informiert darüber, wie schwer es ist zu einem Cache zu gelangen. Ist es möglich über normale Straßen und Wege mit Rollstuhl oder Kinderwagen das Versteck des Caches zu erreichen (T = 1), ist eine gewisse Trittsicherheit nötig, weil der Weg durch unwegsames Gelände führt (T = 3), oder ist sogar spezielle Ausrüstung nötig, um zum Cacheversteck zu gelangen, wie z.B. Kletterausrüstung, Taucherausrüstung oder ein Boot? Letzterer Fall würde unter die höchste GeländeWertung (T = 5) fallen. Diese beiden Wertungen haben jeweils eine Skala von eins bis fünf inklusive der Halbschritte. Dies ergibt, da alle Kombinationen möglich sind, eine Matrix mit 81 Kombinationen aus Gelände- und Schwierigkeitswertung. (Vgl. Abb. 9, S. 138)

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Abb. 5: Das GC-Wertungssystem

Quelle: www.geocaching.com

Die Grundausrüstung vieler Praktiker besteht neben dem obligatorischen GPS-Gerät und einem Stift, um sich in das Logbuch eintragen zu können, aus einer Pinzette, Taschenlampe, Handschuhen, Teleskopspiegel und einem Multitool (Zange, Schraubenzieher etc.). Dem Umfang dieser Ausrüstung sind keine Grenzen gesetzt und so wird sie in manchen Fällen dementsprechend erweitert.31 Im Extremfall füllt diese ein ganzes Auto und verbleibt dort permanent: »B: (..) Ja das gibt es auch, also (.) seitdem wir cachen gehen, haben wir auch Gummistiefel,

31 | Ein Interviewpartner äußerte die Vermutung, dass dies eine kulturell bedingte Eigenschaft sei: »[I]ch meine klar, wenn ich jetzt raus gehe in die Berge und (.) sehe Bergsteiger, ich kann ihnen sofort sagen, wer da deutsch ist. Weil der ist am besten ausgerüstet. Also wir übertreiben es immer gleich ein bisschen.« (Fink: 118)

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hat man ja eigentlich als Erwachsener nicht unbedingt, Gummistiefel (lacht) aber haben wir inzwischen auch, weil man wirklich manchmal halt auch ins Wasser gejagt wird. I: (..)Und die dann auch immer dabei? B: Ja unser Auto sieht inzwischen aus, wie ein, wirklich wie ein Cachemobil. Manche nennen ihr Auto / I: Ja? Tatsächlich? B: / ja Cachemobil. Ja. Wir haben so einen Berlingo, wo ja auch ordentlich was rein passt, ne. Und hinten sind dann Kisten mit Kletterzeug, (.) Gummistiefel, dann ist meistens auch der Rucksack dabei, wo irgendwelche Trackables und Coins, die man irgendwo eingesammelt hat, da drinnen sind. Und inzwischen haben wir sogar eine Big Shot32 .« (Kötter: 508)

Während viele Ausrüstungsgegenstände nicht in jedem Fall notwendig sind33 , aber den Zugang zum Cache erleichtern, besteht die Definition für die Stufe T5 darin, dass der Cache ohne zusätzliche Spezialausrüstung nicht erreichbar ist. Dies trifft für die schon genannten Caches zu, die in Baumkronen versteckt sind und für die Seil, Kletterausrüstung und die erwähnten »Big Shot« nötig sind. Ebenso aber für Caches, die mehrere Meter unter Wasser oder in Höhlen liegen. Im Fall der unkomplizierten »Traditional Caches« sagt die D-Wertung etwas darüber aus, wie schwer der Cache zu finden ist, d.h. wie gut er versteckt ist. Der zweite Aspekt, der sich auf die D-Wertung auswirkt, ist, wie schwer es ist die Koordinaten des Geocaches zu bestimmen. Diese Ebene spielt bei der Cacheart »Mystery« eine besondere Rolle und ist auch bei der Cacheart »Multi« wichtig. Die Koordinaten sind hier z.B. verschlüsselt, d.h. es muss ein Code geknackt werden; es müssen bestimmte Berechnungen durchgeführt werden vergleichbar zu Textaufgaben aus dem Schulunterricht im Fach Mathematik; oft ist Recherche via Internet oder auch an bestimmten Orten (z.B. Jahreszahlen von Denkmälern ablesen, irgendetwas abzählen usw.) notwendig. Sind einmal die Zielkoordinaten erreicht, ist das GPS keine Hilfe mehr. Das tatsächliche Versteck des Caches muss ohne technische Hilfe erkannt werden. Das Versteck erkennen bedeutet, Unregelmäßigkeiten und mögliche Plätze zum Verstecken

32 | Hierbei handelt es sich um eine Art Steinschleuder, mit der man vergleichbar einer Astgabel, mit Gummiband Gegenstände verschießen kann. So ist es möglich, ein Seil in einer Baumkrone zu verankern, die anders nicht zu erreichen wäre. 33 | So kann eine Taschenlampe unter bestimmten Bedingungen (Wetter, Tageszeit) absolut notwendig sein, zu einer anderen Tageszeit, bei optimaler Sonneneinstrahlung nicht.

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zu bemerken. Um dies zu können, bedarf es einiger Such- und Seherfahrung. So ist es nicht ungewöhnlich, dass Anfänger nur wenige der Caches, die sie angehen auch wirklich finden. Nach einiger Zeit lernen Praktiker jedoch die impliziten Regeln des Versteckens und entwickeln ein Verständnis für mögliche Verstecke. Da die Möglichkeiten einen Cache zu verstecken nicht beliebig sind und sich gute und praktikable Ideen ausbreiten, haben sich gewisse Standardverstecke etabliert. So z.B.: »B: Wenn irgendwo so ein Telefon in der Nähe ist und die Koordinate weist drauf hin, dann klemmt er da unten. Unter dieser, ja, Taschenablage oder was immer das darstellen soll.« (Fischer: 78) »B: Es gibt ja viele ziemlich einfache Caches, die einfach unter die Regenrinne oder an ein Straßenschild gemacht sind, wo (.) man sich fragt ähm, wo ist da die Idee hinter.« (Mank: 260)

Abb. 6: Versteck an der Wurzel eines Baumes

Quelle: eigene Fotografie

Ein weiteres Beispiel für einen Typ Versteck ist die Kombination von einer Schnur, z.B. einer durchsichtigen Angelschnur, an deren Ende der eigentliche Cache befestigt ist. Dadurch können Caches tief in Löchern oder Spalten versteckt werden, an deren Zugang das unauffällige Ende einer Schnur der einzige Hinweis ist. Ist das Prinzip

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bekannt, können mögliche Verstecke schnell identifiziert werden. Ist dies nicht der Fall, kann sich die Suche sehr in die Länge ziehen. In Abbildung 7 ist ein leerer Filzstift zu sehen, der als Container für das Logbuch fungiert und, mit einer Nylonschnur an einem Lüftungsgitter befestigt, unterhalb des Rosts zwischen den Blättern platziert wurde. Die Nylonschnur wurde an dem Gitter angeknotet. Auf der anderen Seite gibt es kreative Arten, Caches offen zu platzieren, sodass sie nur von Praktikern als solche identifizierbar sind, für Unbeteiligte jedoch in der Umgebung untergehen. Abb. 7: Versteckprinzip Schnur + Container

Quelle: eigene Fotografie

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Abb. 8: Geocache auf dem Vorplatz des Darmstädter Hauptbahnhofes

Quelle: eigene Fotografie

Ein so öffentlich platzierter Cache wie in Abbildung 8 bringt neben dem Reiz am Suchen und Finden noch zusätzlich die Herausforderung des unauffälligen Suchens und Findens mit sich. Der Geocache befindet sich hier in dem schwarzen Briefkasten neben der Tür. Grundsätzlich ist es nämlich wünschenswert, damit ein Cache lange bestehen kann, dass Unbeteiligte nichts von dessen Existenz wissen. Für den Fall, dass jemand einen Cache versehentlich findet, gibt es in der Regel Aufkleber auf diesen, die kurz erklären, was es mit dem Behälter auf sich hat. Nichtsdestotrotz scheint z.B. bei dem abgebildeten Cache das unauffällige »Heben« (Finden) einen Teil des Reizes auszumachen: »B: Wie gesagt, das ist halt immer das Thema, man (..) steht an manchen Stellen halt schon irgendwo in der Öffentlichkeit. (I: Mhm. (bejahend)) Und manche, ähm (..) die einen Cache legen, legen das auch gerade da drauf an (I: Mhm. (bejahend)) gibt es hier in A-Stadt auch welche, die halt ganz bewusst an solchen Stellen Caches legen, die dann damit natürlich auch die (.) Suchenden provozieren wollen. Die natürlich auch so ein bisschen, wie soll ich sagen, das als Herausforderung sehen, sich in der Öffentlichkeit dann praktisch ähm irgendwo zu besonderen (lacht) Aktionen hinreißen zu lassen. I: (..) Oder (..) sp-/ spezielle Maßnahmen der Tarnung oder so was sich auszudenken, oder?

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B: Oder so was, ja. Ja wobei, dann ist ja eher die Suche im Vordergrund, aber da gibt es in A-Stadt einen Cache-Leger, der hat sehr speziell, wie soll ich sagen, an öffentlichen Plätzen (..) wirklich an belebten Stellen, Caches an ganz besonderen Stationen legt. Und in denen man, was weiß ich, mitten an einer (..) absolut belebten Straße zum Beispiel Gerüste hochklettern muss. I: Ach ja? B: Ja, und egal wann sie es machen, Tag und Nacht, da sind immer Leute, da sind immer Autos, Taxifahrer, Busse unterwegs. Man kann es nicht unbeobachtet machen. Aber er sagt halt ganz bewusst, das ist der Kick an dieser Sache.« (Hoppe: 174)

Auch wenn nicht immer der hauptsächliche Reiz im verdeckten Agieren besteht, so wird in der Regel doch darauf geachtet, dass Unbeteiligte nicht auf den Cache aufmerksam werden: »I: Ähm, wie ist denn das Verhältnis zu Unbeteiligten? (..) Also die nicht cachen. B: (.) Man hüte sich vor Muggels. Also so heißen die ja. (I: Mhm (bejahend)) Äh (.) die sollten tunlichst mich nicht mitkriegen. Also deswegen. Gefühl ist eigentlich blöd, wenn man allein als Mann (.) im Stadtpark in Offenbach rumrennt und äh, die Mütter mit ihren Kindern füttern die Fische oder die Enten, und man selber steht da und möchte an dieses Geländer ran, weil man weiß (.) hier ist ein Cache, der ist magnetisch und (.) äh, was will der bei meinen Kindern vorbei, da zwischen meinen Kindern. Dann denkt man ›Komme ich mir hier doof vor‹. Oder in einer Fußgängerzone, wo alles hin und her, und andere sitzen da und beobachten einen. Man drückt sich an irgendwelchen Schildern rum und guckt da, und geht um die Ampeln rum und guckt, ob an der Ampel und fühlt in irgendwelche Ritzen, und fühlt mit einem Finger im Kanaldeckel. Da denkt man sich auch ›Was mögen die anderen denken?‹ Oh, ist mir das jetzt peinlich? Oder?« (Wagner: 77)

Als »Muggels« werden dabei in Anlehnung an die ebenso bezeichneten nicht magiefähigen Personen aus den Harry-Potter-Romanen von J.K. Rowling diejenigen bezeichnet, die nicht geocachen und aus anderen Gründen vor Ort sind. An dieser Stelle findet eine Innen/Außen-Trennung statt, die über Wissen funktioniert: »I: Wie ist eigentlich das Verhältnis zu Unbeteiligten? (..) Nicht-Cachern. B: Ja, also (..) man versucht, also ich zumindest versuche schon immer noch äh möglichst unauffällig und, und die nicht unbedingt darüber zu informieren. Also das führt dann dazu, dass man eben teilweise auch die Suche abbricht oder gar nicht erst anfängt, wenn jetzt eben da die sogenannten Muggel / (I: Hm (fragend)) B: / ähm an einer Stelle sitzen, was jetzt genau

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neben dem Cache ist. Dann komme ich entweder später noch mal wieder oder ich lasse es halt eben sein. Es geht halt manchmal nicht.« (Stein: 233)

Dieser Aspekt wird also durchaus ernst genommen und kann zum Abbruch der Suche führen. Teleoaffektive Struktur Herr Hoppe weist darauf hin, dass es für einige Praktiker offensichtlich einen Reiz beim Geocaching darstellt, sich unerkannt oder verdeckt an öffentlichen Plätzen zu bewegen. Dies trifft natürlich nicht auf alle Praktiker zu. Es handelt sich also um eine Variation in der teleoaffektiven Struktur (vgl. Kap. 2: Praxissoziologische Ansätze), also der Hierarchie von Zielen und Affekten, die mit der Praktik verbunden sind, der Praktik »Geocaching«, die zu leicht veränderten Arten und Weisen des Geocachings führt. Dies ist nicht die einzige Variation. Von diesen Variationen gibt es einige, welche die Praktik »Geocaching« nicht substantiell verändern, aber doch Unterschiede erzeugen: Ob vor Ort, also im näheren Umkreis des Cacheverstecks, die Möglichkeit bestimmte Aktivitäten, wie Klettern oder Tauchen, auszuführen, die Freude am Entdecken von kreativen Verstecken, der Reiz beim Suchen verdeckt zu handeln oder die besondere Lage des Ortes in der Umgebung im Vordergrund steht. An dem Grundprinzip des Geocachens verändert sich nichts. Das Ziel mag sein, unbekannte oder sehenswerte Orte zu besuchen: »B: Ich habe dann, ich hatte in München dienstlich zu tun und habe halt geschaut: Was ist denn da so in der Nähe an interessanten Caches? Also ich mache nicht jeden Cache, sondern ich schaue mir da schon an im Vorfeld, um was geht es denn da. Und das war jetzt einer an der (.) ähm Nymphenburg (I: Mhm. (bejahend) Schloss Nymphenburg. Und dann habe ich dort, war schon x-mal in München gewesen, in Schloss Nymphenburg war ich noch nie, ich schau mir das an und mache halt dabei den Cache mit. (Lachend).« (Hoppe: 14) »B: Wenn ich hier abends hier raus komme, und dann habe ich noch andere Vereinstätigkeiten und andere Freizeitaktionen. Ähm da habe ich nicht immer so die Zeit dazu. Ich muss mich ja dann auch zwingen, was zu tun, was außerhalb vom Haus und da ist halt Geocaching ist, sagen wir mal so, das Ding, (..) was da interessant ist. Früher als Kind ja, Du musst halt sonntags mit der / mit Spaziergang machen. Irgendwann hat es keinen Spaß mehr gemacht. (I: Mhm. (bejahend)) (..) Ja. Wo gehen wir denn hin? Wo müssen wir ja hin. Ah ja .schon wieder an die Stelle. (I: Mhm. (bejahend)) Ja? Langweilig. (I: (.) Ja.) B: Ja, und da sieht man laufend mal was

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anderes. Man entdeckt was, man kriegt einen Anreiz jetzt die Strecke, wo ich jetzt beschrieben habe, am Sonntag, da bin ich noch NIE entlang gelaufen.« (Kern: 124)

Es klang bereits an, dass es auch darum geht, einfach ein Ziel zu haben und so einfacher in Bewegung zu kommen. Durch ein konkretes Ziel hätte man somit einen Grund z.B. nach einem Arbeitstag noch mal vor die Tür zu gehen: »B: Ähm, (.) ich bin allein und äh, auch damals, als ich angefangen bin schon und äh, (.) dann war es halt manchmal immer so eine Sache so Motivationssache auch. (I: Mhm (bejahend)) Das Wetter ist schön, aber ähm geht man jetzt aufs Fahrrad und macht was, jetzt hat man ein Ziel. (I: Mhm (bejahend)) Jetzt kann man sagen okay, aber ich fahr da noch mal hin. Da sind noch so sechs Stück, die ich noch nicht kenne und äh so hat man halt immer noch so, / (I: Okay.) / es macht einfach mehr Spaß, zielgerichtet einfach (.) zu wandern oder Rad zu fahren.« (Mank: 206) »B: Ja es ist ja nicht nur die Natur. Es ist ja auch Stadt. Ja ich kann ja in der Stadt genauso cachen, aber ich komme raus (I: Ja okay) und habe eine Aufgabe und die muss ich lösen, ja. (1) Irgendjemand stellt mir eine Aufgabe und die muss ich lösen. Und das ist eigentlich so die Faszination. Ich habe ein Ziel. Wenn ich jetzt planlos irgendwo rumlaufe, dann macht es mir keinen Spaß. Also einfach so Spazierengehen ist zwar auch mal ganz schön, aber ich habe ein Ziel (.) bei der ganzen Geschichte (I: Ja). Und beispielsweise für meinen Sohn, der ist acht Jahre alt. Wenn ich zu dem sage (.) ›Hey wir gehen wandern‹ dann sagt ›Papa sonst noch, bist du noch gesund?‹ ja? (.) Wenn ich mit dem GPS-Gerät wackele, so schnell hat der die Schuhe nicht an. Letztendlich tut er nichts anderes (I: Ja stimmt) ja.« (Fink: 10)

Ziele spielen auch auf der Ebene der Statistik eine Rolle. Wo etwas gezählt wird, ist es möglich, Statistiken darüber anzufertigen: Wo, wann, welche Art und wie viel sind Standardfragen, die so gestellt werden können. Die Website www.geocaching.com bietet für jeden Premium-Nutzer ein Set von Grundstatistiken für die Profilseite des Accounts an.34 Bereits die Tatsache, dass Buch darüber geführt wird, wie viele Caches von einer Person gefunden wurden, führt dazu, dass ein Teil der Praktiker es als erstrebenswert ansieht, möglichst viele Funde verzeichnen zu können oder in einer bestimmten Zeit eine bestimmte Anzahl von Funden zu erreichen.

34 | Es gibt zudem externe Dienste, die komplexere Statistiken errechnen.

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»B: // Ja. // Also das hat schon, das hat schon ein bisschen motiviert am Anfang ziemlich viel. Dass man eben jetzt über hundert kommt oder die Matrix35 füllt sich so langsam. ähm Und dann ich bin jetzt / habe jetzt gerade die zweitausend Caches durchbrochen. (I: Okay.) Äh Und da sucht man sich dann jetzt so ein bisschen andere Ziele. Also am Anfang des Jahres hatte ich tausend (..) 1.300/1.400 Caches und habe dann halt eben mal gesagt ähm: Schaffe ich bis zum Ende des Jahres die 2000 zu machen?« (Stein: 472) »B: [...] Es ist auch im Grunde schöner, ähm wenn man Sonntagnachmittag sagt: ›Wir fahren jetzt zum Cache‹ als wenn man sagt: ›Wir machen jetzt nur eine Radtour‹ und wissen gar nicht, wohin.« (Fischer: 805)

Zudem ist aus den Logbüchern ersichtlich, in welcher Reihenfolge der Cache von wem gefunden worden ist. Als »Premium-Member« ist es möglich, über Neuveröffentlichungen von Caches in einem definierten Radius per E-Mail informiert zu werden. Um diese Funktion hat sich eine Art Wettbewerb entsponnen, bei dem es darum geht, der erste Finder zu sein (»First-to-Find« ): »B: Man kann das machen mit entsprechenden Funktionen, dass man da eine Email kriegt, sowie ein neuer Cache in einem bestimmten Umkreis auftaucht. Und da gibts welche, die sich wirklich Arbeitmachen, alles liegen lassen und dann, um den First-to-Find zu machen.« (Fantuzzi: 122) »B: [...] hier in der Gegend ist es oft so, dass montags oder dienstags äh die Sachen dann freigeschaltet werden. Und somit war ich also gestern um 12 Uhr (.) kam der erste raus und bin dann um 1 Uhr äh sogenannt auf die Jagd gegangen (Lachend), / (I: Mhm (bejahend)) / um natürlich – oh – den, den / äh die, die oder meine neuen / Ein bisschen mehr Anreiz ist, dass jungfräuliche, äh, äh, äh, äh Logbuch zu beschmutzen sozusagen (lachend) oder zubesch-/ seinen Namen dort reinzutragen, ja?« (Wossen: 8)

Hier scheint der Aspekt des Jagens durch, der sich ganz zu Beginn der Praktik in den USA im vorläufigen Namen »Great American Stash Hunt« spiegelte (vgl. Kap. 7.2: Entstehungsgeschichte). Die bereits erwähnte Matrix aus Schwierigkeits- und Terrain-Wertung mit 81 Feldern lädt dazu ein, für jedes mögliche Feld mindestens einen Geocache zu finden.

35 | Gemeint ist hier die Matrix aus D- und T-Wertung.

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Abb. 9: Die Matrix aus Schwierigkeit- und Geländewertung

Quelle: www.geocaching.com

Eine Aufschlüsselung nach Ländern oder Bundesländern macht es möglich, es als erstrebenswert anzusehen, in möglichst vielen Ländern mindestens einen Cache gefunden zu haben. Dies führt tatsächlich dazu, dass Praktiker extra eine Tour durch ein bestimmtes Land planen, um »den Länderpunkt mitzunehmen«: »B: Das andere, was ich gemacht habe, ich bin einen Tage einfach mal nach Luxemburg gefahren, weil ich ein paar Länderpunkte wollte und da gibt’s ein Souvenir fürs Saarland und dann habe ich noch Luxemburg und Frankreich, habe mir die Länderpunkte geholt und dann bin ich einfach nur in dieses Dreiländereck und habe mir da so zwei drei und dann wieder heim.« (Schmitz: 261)

Dieses Sammeln von Punkten aller Art kann sehr weit getrieben werden, da die reichhaltig vorhandenen Daten auf die unterschiedlichste Weise ausgewertet werden können. Ob nun Geocaches danach ausgewählt werden, um die 81-Matrix zu füllen, an jedem Tag des Jahres einen Geocache gefunden zu haben (vgl. Abb. 10), in allen Bundesländern Deutschlands einen Geocache gefunden zu haben oder Länderpunkte zu sammeln (vgl. Abb. 33, S. 228). Oder ob das Spiel eine Drehung weiter gedreht wird

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und Geocaches gesucht werden, die an bestimmten Tagen des Jahres gelegt wurden, um wiederum alle Tage des Jahres abzudecken und z.B. möglichst viele Geocaches zu finden, welche am 24. Dezember gelegt wurden (vgl. Abb. 11). Abb. 10: Funde nach Tagen

Quelle: www.geocaching.com

Abb. 11: Funde nach Tagen des Legens

Quelle: www.geocaching.com

Andere nutzen das Angebot aus Geocaches, also aus Orten, die als besonders ausgezeichnet sind dazu, sich einen Weg zurechtzulegen (vgl. Zitat Kern S. 126) oder dazu, entlang einer Route, die sie mit dem Auto fahren wollen, immer ein paar brauchbare Raststellen parat zu haben:

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»B: [...] Was ich auch mache bei langen Autobahnstrecken, dass ich dann die Pausen nach Möglichkeit so lege an Rastplätzen oder Autohöfen oder so was, wo auch Geocaches in der Nähe sind.« (Fantuzzi: 20)

Bei »Mystery Caches« und »Multi Caches« müssen Rätsel gelöst werden, bevor die tatsächlichen Koordinaten ermittelt werden können. Dies kann in den Vordergrund treten: »B: [...] Was ich häufig jetzt auch gerne mache, sind äh Rätselcaches. (I: Mhm (bejahend)) Einfach, die kann man hier mal lösen. Und dann habe ich ein, ein Google-Dokument da ähm Eintrag in so eine Tabelle, wo ich eben die ganzen Koordinaten vorhalte. (I: Mhm (bejahend)) Und dann / die von gelösten Caches. Und dann zusammen suche ich die. Und dann sind das unter anderem welche, die man eben an dem anderen Tag, wo man mal einen braucht, aufsammeln kann. Und dann fährt man dahin, / (I: Okay.) / und dann hat man dieses, dieses doppelte ›Ja, ich habe es geschafft-Gefühl‹. Also das ist halt, das ist halt ganz gut. Das macht auch Spaß.« (Stein: 744)

Begegnungen und Events Nicht alle Rätselcaches lassen sich ohne Probleme lösen. Daher ist manchmal Hilfe von Personen willkommen, die die Lösung bereits gefunden haben: »B: Und äh, das sind dann halt die ein bisschen aufwendigeren, / (I: Mhm (bejahend)) / wo man halt rechnen muss oder rätseln muss oder sonstiges und äh (.) dann ist man froh, wenn man jemanden hat, ›Ach den hast Du schon gemacht. Okay, gib mir doch mal einen Tipp, ich stecke hier und hier fest‹.« (Mank: 170)

Es wird deutlich, dass es auch zu direktem Kontakt zwischen Praktikern kommt. Es handelt sich also bei Geocaching nicht in erster Linie um eine Praktik für Einzelgänger, die – vermittelt durch die Infrastruktur und dem Legen von Geocaches – auf distanzierte Weise miteinander interagieren. Hier geht es darum, Tipps zu bekommen, also jemanden fragen zu können: »B: Computer-Aktivität und zwischenmenschliche Beziehungen auf ner (2) nonverbalen Ebene, das ist glaube ich noch mal das Entscheidende, miteinander verbinden, also mit Leuten schwätzen kann jeder oder kann man auch nicht oder ja? Aber man sollte nicht glauben, dass Geocachen (.) ne annonyme Sache ist. Also das habe ich am Anfang gedacht, da fällt man aber sehr schnell @auf die Nase@ wenn man also von den ersten irgendwelche E-Mails bekommt,

7. Die Praktik »Geocaching« | 141

was man für ein Depp ist, wenigstens dann weiß man, dass es nicht unpersönlich ist.« (Böhm: 143)

Begegnungen mit anderen Praktikern lassen sich praktisch nicht vermeiden. Selbst wenn keine First-to-find-Funde angestrebt werden, bei denen die Wahrscheinlichkeit am größten ist, andere mit dem gleichen Ansinnen zu treffen, geschieht es regelmäßig, dass sich die Wege von Praktikern an Geocaches kreuzen. In der Regel wird dann zusammen gesucht, sich kurz ausgetauscht über das gemeinsame Hobby, unter Umständen noch gemeinsam ein weiterer Geocache gesucht und ansonsten getrennten Weges weitergegangen. Geocaching-Stammtische, die regelmäßig von Praktikern organisiert werden und als »Event Cache« auf www.geocaching.com öffentlich gemacht werden, sind eine andere Möglichkeit, anderen Praktikern zu begegnen. Wobei erwähnt werden muss, dass viele Praktiker diese nicht besuchen. Beispielsweise weil sie die Ungebundenheit des Geocachens schätzen und nicht noch einen weiteren Termin haben wollen oder weil eben auch gerade keine Tipps zu noch nicht gefundenen Geocaches gewünscht sind. Es ist ein charakteristischer Aspekt an der Praktik »Geocaching«, dass von der gemeinsamen regelmäßigen Cachesuche bis hin zum minimalen Kommunizieren über Logbücher alle Stufen der Interaktionsnähe problemlos Teil der Praktik sein können. Neben den Stammtischen gibt es die unterschiedlichsten »Event Caches«. Das Spektrum reicht vom gemeinsamen Grillen bis hin zum Besteigen eines Berges im Morgengrauen. Durch solche Events findet im Rahmen von Geocaching eine Form von szenehaftigen Aktivitäten statt, die sich die Infrastruktur des Geocachens zunutze machen, um gemeinschaftliche Erlebnisse zu organisieren.

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Abb. 12: Event: »Fruchtsaft im Park«

Quelle: www.geocaching.com

Ein erwähnenswerter Aspekt in diesem Zusammenhang ist, dass geschätzte 25 % der Accounts auf www.geocaching.com nicht von Einzelpersonen genutzt werden, sondern de facto Gruppenaccounts sind. In der Regel verbergen sich dahinter Familien oder Lebenspartnerschaften, die sowohl gemeinsam als auch getrennt voneinander cachen, aber die Funde unter dem gleichen Account loggen. Geocaches »legen« Ohne dass jemand Geocaches versteckt (»legt«), kann sich niemand auf die Suche nach ihnen machen. Daher funktioniert die Praktik nur, wenn auch immer Praktiker nicht nur Geocaches suchen, sondern auch welche legen. Dies funktioniert, weil zwischen Suchen und Legen kein symmetrischer Zusammenhang besteht: Ein Geocache kann im Prinzip von beliebig vielen Personen in völliger Zeitsouveränität gesucht und gefunden werden. Das bedeutet, es müssen wesentlich weniger Geocaches versteckt werden, als gefunden werden können. Geocaches werden für den anonymen anderen Geocaching-Praktiker versteckt, der sich nach dem erfolgreichen Fund mit einem Kommentar ins Logbuch einträgt und dort gegebenenfalls einen Favoritenpunkt vergeben kann, falls ihm der Cache sehr gut gefallen hat. Die Möglichkeit

7. Die Praktik »Geocaching« | 143

einen solchen Favoritenpunkt zu vergeben gibt es für zehn gefundene Geocaches.36 Dieser Zusammenhang – zunächst eine gewisse Anzahl von Geocaches zu finden, bevor man andere Geocaches auszeichnen kann – stellt einen strukturellen Anreiz dar, mehr Geocaches zu finden. Es sind diese beiden Punkte, ein asymmetrisches Verhältnis und die Aussicht auf Anerkennung, die die soziale Organisationsform der Praktik erfolgreich machen. Abb. 13: Favoritenpunkte

Quelle: www.geocaching.com

Zugehörigkeit Es gibt eine bestimmte Anzahl von Personen, welche die Praktik »Geocaching« ausüben. Daran schließt sich die Frage an, in welchem Verhältnis diese Praktiker zueinander stehen. Auf die Frage nach dem Zugehörigkeitsgefühl zu »den Geocachern« antwortet eine Interviewpartnerin mit einem Vergleich zur Praktik »Fahrrad fahren«: »I: Gibt es so was wie (.), ja, Zugehörigkeitsgefühl zu DEN Geocachern? B: (4) Sehr abstrakt. Nee, eigentlich nicht. (...) Also genauso, wie ich mich als zugehörig zu DEN Radfahrern definieren würde.« (Balzer: 211)

Wenig später kommt das Thema Zugehörigkeit noch einmal im Zusammenhang mit dem Grund einen Geocache zu legen zur Sprache: »I: Warum legt man einen Cache? B: (.) Ja, es gibt schon sehr viel, sehr aufwändige Caches, wie ich schon erzählt habe, von dem Nachtcache, (.) wo dann zehn/zwölf Stationen, auch alle sehr aufwändig sind. Und dann hat /

36 | Es gibt zudem auch zusätzliche externe Bewertungssysteme für Geocaches auf www.geocaching.com: z.B. »gcvote« (www.gcvote.com).

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Möchte man ja auch irgendwas zurückgeben. Insofern ist es vielleicht doch Zugehörigkeitsgefühl. (I: Okay.) Also ich möchte, dass andere Leute schöne Caches legen und, äh, dann auch, welche legen, die für mein Verständnis interessant sind.« (Balzer: 239)

Hier zeigt sich deutlich die Reziprozitätsstruktur, die der Praktik »Geocaching« eigen ist und die sie von anderen Praktiken, wie z.B. »Fahrrad fahren«, unterscheidet. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass sich Geocaching nicht in erster Linie durch die Gemeinschaft einer Gruppe von Praktikern definieren lässt. In dieser Hinsicht ist Geocaching auf der anderen Seite nicht so weit vom Fahrradfahren entfernt: »I: Ja. Gibt es denn so was wie (räuspert sich) Zugehörigkeitsgefühl zu diesem Geocachern. Oder / B: Nö, auch nicht. (..) Man guckt zwar immer wieder, wenn man irgendwo lang fährt, wo man weiß, da haben wir doch vor (.) zwei drei Wochen auch einen gefunden. Da steht ein Auto. Da sitzt einer drin. (.) Der kann auf jemanden warten eventuell nur. Vielleicht wartet der auch nur bis die Luft rein ist / (I: Mhm. (bejahend)) /und der steigt dann aus und weiß hier ist irgendwo (.) an der Bushaltestelle oder äh wo immer da, dass er da loggen will. Dass man da sagt ›Na, ist das einer oder ist er das nicht?‹ Aber äh (.) man fühlt sich da nicht irgendwie zugehörig. (unv.) Also es ist anders als zum Beispiel bei den Entenfahrern. (.) Mein Auto. (.) ( I: Okay. Mhm (bejahend)) Die Entenfahrer sind eine große Gemeinde. Man grüßt sich und man freut sich, wenn man andere sieht. Und man fährt auf Ententreffen. Aber äh, (.) nee, beim Caching nicht.« (Wagner: 125)

Hier wird der Vergleich zu einer anderen Gemeinschaft, zu der sich der Interviewpartner zugehörig fühlt, gezogen: die der Entenfahrer, die als wesentlich enger beschrieben wird. »I: Okay. Gibt es denn so was, wie ein Zugehörigkeitsgefühl oder so zu DEN Geocachern? B: Na, ich persönlich stelle das nicht fest. I: Also bei Ihnen selbst nicht und / B: Nee, nee, nee. Was die anderen tun, kann ich, weiß ich nicht. I: Aber Sie fühlen sich da jetzt nicht irgendwie als Geocacher oder als // Teil dieser// B: //Das ist eines// Ich sage mal, für mich ist es ein Mittel zum Zweck, rauszukommen. I: Mhm. (bejahend). Und dass man dann // da Leute noch trifft oder so // B: // Mehr eigentlich nicht. //

7. Die Praktik »Geocaching« | 145

I: / das / B: Nee, da habe ich andere Kontaktmöglichkeiten.« (Kern: 239)

Der Interviewpartner verweist auf den Nutzen von Geocaching und bezüglich des Kontaktes zu anderen Personen auf »andere Kontaktmöglichkeiten«. Hier handelt es sich um eine extreme Position, die praktisch keinen Wert auf Reziprozität legt und so nicht verallgemeinert werden kann. Nichtsdestotrotz weist sie auf einen wichtigen Zusammenhang hin: Geocaching passt sich nicht nur zeitlich und räumlich sehr flexibel in bestehende Alltagsorganisationen ein, sondern auch sozial. Wenn Kontakt gewünscht ist, kann dieser über Events realisiert werden. Falls dies nicht der Fall ist, ist dies auch kein Problem und behindert nicht das Praktizieren der Praktik und Profitieren von deren Vorteilen: »I: (..) Ja. Ähm, wie sieht es denn mit dem, so mit Kontakt zu anderen CACHERN aus? (B: Mhm. (bejahend)) Kommt der zu Stande, oder? B: Äh, ja. Also zum einen trifft man sich manchmal an Caches, also dass man halt das Selbe sucht. Man merkt ja auch ziemlich schnell, wenn man irgendwo auf was zuläuft. Der hat auch dieses Gerät in der Hand, ne? (I: Ja.) Auch die Art, wie die Leute dann sich bewegen im Wald oder so, kann man ziemlich schnell die Pilzsucher (lachend) von den Cachern unterscheiden.« (Kötter: 196)

Die Grundlage der möglichen Gemeinschaft ist ein geteiltes Verstehen, das weit unter dem Level von personaler Interaktion beginnt. Und zwar auf der Ebene von hinreichend ähnlicher Praxis. Im folgenden Interviewausschnitt antwortet eine Praktikerin auf die Frage nach der Zugehörigkeit zu den Geocachern mit dem Verweis auf die Praxis: »I: Ja. (...) Okay. Ähm mal so eine Frage: Gibt es denn so was wie (..) ein, so ein Zugehörigkeitsgefühl oder so was zu DEN Geocachern? B: (4) Hm (überlegend) I: Also / B: (5) Würde ich nicht so sagen, weil ich einfach zu wenige da von denen jetzt so kenne. Direkt. I: Mhm (bejahend) B: (...) Also (..) hm (überlegt), Zugehörigkeit? I: (4) Bist du ein Geocacher?

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B: (...) Ich gehe Geocachen. (lacht).« (Fischer: 439)

Dadurch, dass sie die Praktik praktiziert, ist sie bereits in das feine Netz von Reziprozität, das dem Geocaching eigen ist, verstrickt. Dies reicht aber nicht aus, um sich als Teil einer Gruppe zu sehen. Der Hintergrund miteinander geteilter Praxis ist hinreichend, um im Falle eines Treffens ein gegenseitiges Erkennen zu gewährleisten und zugleich eine Brücke aufzubauen, die nach kurzer Zeit aber auch wieder abgebrochen werden kann: »I: Gibt es denn so was wie ein Zugehörigkeitsgefühl zu (.) den Geocachern oder was immer das auch ist? V: [...] (...) Hm (überlegt) (..) Es hat / Es hat schon so ein bisschen was Verschworenes, ja? Und das ist auch immer lustig, wenn man / wenn man dann Leute trifft, weil man hat sofort ein Thema. I: Okay. V: Und man (...) Es ist so, so: »Mhm, du auch hier?« und »Ach, du suchst auch?« und äh und dann irgendwie, bei dem Einen, wo wir Leute getroffen haben, haben wir dann zusammen nach gesucht. I: Mhm (bejahend). V: Und ähm (.) und ja, das hat schon was. Aber sonst, ma-/ man trifft sich. Hat einen netten Moment. Man fühlt sich schon zusammengehörig, aber geht dann halt auch sofort wieder auseinander.« (Hager: 289)

Ziel dieses Kapitels war es, das Spektrum der Praxis der Praktik »Geocaching« zu beschreiben. Für verschiedene Praktiker mag sich Geocaching sehr unterschiedlich darstellen. Da gibt es jene, die es für den Sonntagsspaziergang mit der Familie nutzen und jene, die ausschließlich Nachtcaches suchen und sich für Lost places interessieren, bei denen also der Aspekt des Abenteuers im Vordergrund steht. Aus der Perspektive der Praktik sind diese Varianten alle Teile des Geocachings. Auf diese Unterschiede, falls relevant für die hier verfolgte Fragestellung nach der räumlichen Dimension der Praktik »Geocaching«, wird in Kapitel 9: Aspekte der Raumerzeugung eingegangen.

7. Die Praktik »Geocaching« | 147

7.4 I NFRASTRUKTUREN

DES

G EOCACHENS

In diesem Abschnitt wird die Infrastruktur der Praktik »Geocaching« beschrieben. »Infrastruktur der Praktik ›Geocaching‹« bedeutet, dass es sich hier um den Teil des infrastrukturellen Arrangements handelt, der speziell in der und für die Praktik entstanden ist (vgl. Kap. 3.3: Infrastrukturelle Arrangements von Praktiken). Im Fall der Praktik »Geocaching« geht es dabei um folgende zwei Bereiche: die Datenbank für Geocaches und die Kommunikationsstrukturen. Wie in Kapitel 7.2: Entstehungsgeschichte gezeigt wurde, sind dies die beiden konstitutiven Säulen der Infrastruktur des Geocachens. Sie bestehen seit Beginn der Praktik und haben sich aus der anfänglich genutzten Newsgroup »sci.geo.satellite-nav«, in der Geocaching entstanden ist, zu der heutigen Form entwickelt. Bei der Infrastruktur des Geocachens handelt es sich um eine internetgestützte Infrastruktur. Das ist die Voraussetzung dafür, dass es hier zu einer massiven Beteiligung der Nutzer dieser Infrastruktur beim Aufbau derselben kommen kann. In welcher Weise und bis zu welchem Grad dies geschieht, ist eine empirische Frage. Grundsätzlich ist zwischen Anbietern von Strukturen und Produzenten von Inhalten zu unterscheiden. In der sozialwissenschaftlichen Diskussion um Konzepte wie Web 2.0, Social Web oder Prosument ist dieses Verhältnis ausführlich thematisiert worden.37 Festzuhalten ist hier, dass die Websites auf denen Geocaches verzeichnet werden, schon bevor O’Reilly im Jahr 2005 das Konzept Web 2.0 prägte (O’Reilly 2005), nach diesem Prinzip funktionierten. Alle Inhalte, also die Geocaches mit den dazugehörigen Beschreibungen und Logbucheinträgen, werden von Nutzern erstellt, während die Betreiber einer Website die technische und inhaltliche Struktur dafür zur Verfügung stellen –im Fall der Plattform www.geocaching.com, so ist anzunehmen, mit kommerziellem Erfolg. Für Geocaching in Deutschland sind fünf verschiedene Datenbanken relevant: 1. Die weltweit größte, älteste und wichtigste Datenbank ist www.geocaching.com. Für Deutschland sind dort im September 2012 265.000 Geocaches verzeichnet.38 Die Domain www.geocaching.com wurde bereits im Sommer 2000 von Jeremy Irish, einem Programmierer und Webdesigner, registriert und seit Anfang September desselben Jahres sind hier Geocaches zu finden. Heute wird die Website mit dieser Do-

37 | Vgl. dazu Voß und Rieder 2005; Schmidt 2009; Lamla 2010. 38 | Eigene Abfrage auf www.geocaching.com (September 2012).

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main von der Firma Groundspeak Inc. mit Sitz in Seattle, Washington (USA), betrieben, deren CEO der besagte Jeremy Irish ist (vgl. Kap. 7.2: Entstehungsgeschichte). Groundspeak Inc. stellt über diese Website den Zugriff auf die Geocache-Datenbank zur Verfügung und betreibt ein eigenes Forum. Der sprachliche Schwerpunkt des Forums liegt im englischen Sprachraum, auch wenn es ein kleines Unterforum in deutscher Sprache gibt. Die Beschreibungen der Geocaches sind dabei für jeden einsehbar. Um Zugriff auf die Koordinaten eines Geocaches zu bekommen, die notwendig sind, um den Geocache zu finden zu können, muss jedoch ein kostenloser Account erstellt werden. Für 30 US-Dollar im Jahr kann dieser Account zu einem PremiumAccount aufgewertet werden, der dann Zugang zu verbesserten Suchfunktionen, Statistiken, Premiumcaches (Geocaches die nur für Premium-Mitglieder sichtbar sind), der Möglichkeit Cachelisten runterzuladen oder E-Mail-Benachrichtigungen bei Veröffentlichung eines neuen Geocaches in einem vorher definierten Gebiet bietet. 2. Die Website www.opencaching.de ist Teil eines europäischen Verbundes von nationalen Cacheverzeichnissen.39 Auch dort gibt es eine Datenbank für Geocaches. Für Deutschland sind hier knapp 25.500 Geocaches verzeichnet,40 also ungefähr ein Zehntel der Anzahl auf www.geocaching.com. Die Website www.opencaching.de wurde Ende 2003 mit der Idee gegründet, eine alternative Datenbank für Geocaches zu etablieren, bei der die Nutzer mehr Mitspracherecht hätten und eine Betreiberfirma nicht nach ihrem Willen den Zugang zu hinterlegten Daten regulieren könne.41 Getragen wird die Website von dem Verein Opencaching Deutschland e.V. Allerdings zeigt der Vergleich der Anzahl von gelisteten Geocaches mit denen auf www.geocaching.com, dass www.opencaching.de für das Phänomen Geocaching in Deutschland eher eine vergleichsweise unbedeutende Rolle spielt. 3. Die Cache-Datenbank www.opencaching.com/de wird von der Firma Garmin Ltd. mit Sitz in Olathe, Kansas (USA), betrieben. Garmin Ltd. ist Weltmarktführer für GPS-Geräte im Outdoor- und Wanderbereich. Geräte dieses Herstellers werden sehr häufig zum Geocaching eingesetzt. Die Zahl der hinterlegten Geocaches lässt sich nicht genau bestimmen, liegt aber schätzungsweise in der Größenordnung zwischen 5.000-8.000. Die Motivation liegt nahe: Als Weltmarktführer der Geräte, mit denen

39 | Auch vorhanden für Tschechien, Spanien, Italien, Norwegen, Polen, Holland, Schweden, Großbritannien und die USA. 40 | Eigene Abfrage auf www.opencaching.de (September 2012). 41 | Quelle: http://www.cachewiki.de/wiki/Opencaching, gesehen: 18.09.2012.

7. Die Praktik »Geocaching« | 149

Geocaching betrieben wird, möchte Garmin auch direkt an dieser schnell wachsenden Praktik und damit an dem schnell wachsenden Markt teilhaben. 4. Das Alleinstellungsmerkmal von www.terracaching.com ist laut Selbstbeschreibung: »To provide the community with a unique list of caches, not listed elsewhere, that meet the community’s high standards of quality.«42 »The community« bezeichnet dabei die Mitglieder der Seite. Es ist jedoch nicht ohne weiteres möglich, Mitglied zu werden. Vielmehr ist es zunächst nötig einen sogenannten »Starteraccount« zu eröffnen. Um Vollmitglied zu werden, braucht man zwei bereits angemeldete Bürgen (»Sponsors«). Registriert wurde die Domain am 16. September 2004.43 Laut CacheWiki ist sie auch seit diesem Jahr aktiv und verzeichnet für Deutschland ca. 200, weltweit ca. 4.800 Geocaches (Stand 2009).44 Von Seiten des Layouts der Website lässt sich die Aussage über das Alter stützen, zudem verstärkt dieses den Eindruck, dass hier keine kommerziellen Interessen verfolgt werden. 5. Die Website www.navicache.com wurde am 9. Februar 2001 registriert und ist laut CacheWiki seit März desselben Jahres aktiv.45 Damit handelt es sich um die älteste Konkurrenzdatenbank zu www.geocaching.com, die heute noch existiert und von Relevanz für die Praktik »Geocaching« in Deutschland ist. Für Deutschland sind schätzungsweise ca. 3.400 Geocaches verzeichnet.46 Ein besonderes Alleinstellungsmerkmal ist nicht zu erkennen. Die Datenbank www.navicache.com ist jedoch die einzige Geocaching-Datenbank, die global mit www.geocaching.com konkurriert. Bei allen diesen Datenbanken besteht das Prinzip darin, dass eine Firma, ein Verein oder anderer Träger eine technische Infrastruktur zur Verfügung stellt, die es ermöglicht, Geocaches zu hinterlegen, abzurufen und deren Funde zu loggen. Die eigentlichen Inhalte werden von den Nutzern bzw. Praktikern produziert. Dieses Prinzip wird 2005 in erweiterter Form von Tim O’Reilly mit dem Label Web 2.0 versehen, einem Businesskonzept, das auf »user-generated-content« aufbaut (O’Reilly 2005).

42 | Quelle: www.terracaching.com/, gesehen: 18.09.2012. 43 | Whois-Abfrage auf www.whois.com, gesehen: 18.09.2012. 44 | Quelle: www.cachewiki.de/wiki/Terracaching.com, gesehen: 18.09.2012. In der Diplomarbeit von Daniel Telaar findet sich für Deutschland die Zahl 32 für das Jahr 2007 (Telaar 2007: 20). 45 | Quelle: www.cachewiki.de/wiki/Navicache.com, gesehen: 18.09.2012. 46 | Schätzung mittels einer Umkreissuche um den geografischen Mittelpunkt Deutschlands (N51° 9.8 E10° 26.867) mit r = 250 km (Stand: September 2012).

150 | Flächen – Bahnen – Knoten

Die verschiedenen Datenbanken unterscheiden sich darin, inwieweit sie ein kommerzielles Interesse verfolgen, wie sie ihre Nutzergemeinschaft organisieren und welche Regeln sie im Einzelnen für das Verstecken von Geocaches vorgeben. Geocaching.com bietet eine Application programming interface (API) an. Über diese Schnittstelle können externe Programmierer auf Daten, die auf www.geocaching.com hinterlegt sind, in von Groundspeak Inc. definierter Weise zugreifen. Dies führt zu Metaseiten, die keine eigenen Daten zur Verfügung stellen, sondern die von www.geocaching.com filtern. So bietet z.B. http://nachtcaches.de eine Deutschlandkarte an, die alle Nachtcaches verzeichnet, also Geocaches, die nur bei Dunkelheit zu finden sind. Neben den Foren, die auf den Websites der Geocaching-Datenbanken integriert sind, gibt es einige Foren, die in erster Linie der Kommunikation über die Praktik »Geocaching« dienen und keine eigenen Geocache-Datenbanken betreiben. Diese haben oftmals einen expliziten regionalen Bezug und werden von Privatpersonen betrieben. Mit gut 35.500 registrierten Nutzern (Stand: September 2012) ist das sogenannte »grüne Forum« (http://forum.geoclub.de/) das größte deutschsprachige Forum zum Thema Geocaching. Hier finden sich Bereiche für alle Themen, die das Geocaching betreffen. Darüber hinaus gibt es hier für jedes Bundesland Unterforen, die je nach Größe weiter in Regionen unterteilt sind.47 Ein bemerkenswerter Fall ist das »Hardcore-Caching Forum« (www.hardcorecaching.de). Mit 918 Mitgliedern (Stand: September 2012) ist es relativ klein, jedoch ist der Aufnahmeprozess selektiv. Man muss sich mit dem Benutzernamen, unter dem man seine gefundenen Geocaches auf www.geocaching.com loggt, anmelden. Dieser wird dann von den Administratoren überprüft und entschieden, ob die Mitgliedschaft gewährt wird.48 Ebenso wie im Fall von www.terracaching.com zeigt sich hier eine Tendenz zur Gruppen- bzw. Elitenbildung. Es gibt eine ganze Reihe von Blogs, die sich ausschließlich mit dem Thema Geocaching befassen. Das Portal http://portal.geoclub.de/ zählt unter dieser Kategorie 174 Nennungen (Stand September 2012). Auf diesen werden alle relevanten The-

47 | Einige Beispiele für eigenständige regionale Foren/Portale sind: www.gc-wetterau.de, www.geocaching-nrw.de, www.geocaching-franken.de, www.geocaching-dresden.de oder www.schwabencaching.de. 48 | Vgl. »Informationen zur Anmeldung« unter http://forum.hardcore-caching.de/, gesehen: 19.09.2012.

7. Die Praktik »Geocaching« | 151

men, wie technische Neuheiten, Veränderung des Geocachens, Probleme, Erlebnisse, persönliche Einschätzungen von Ereignissen etc. geäußert und kommentiert. Auf diese Weise geht mit der Praktik »Geocaching« auch eine eigene »Blogosphäre« also ein Netzwerk aus Blogs einher. Zudem gibt es seit September 2010 eine deutsche PrintZeitschrift mit dem Namen Geocaching Magazin.49

7.5 DAS

INFRASTRUKTURELLE DES »G EOCACHINGS «

A RRANGEMENT

Im vorangegangen Abschnitt wurden die Infrastrukturen des Geocachings beschrieben. Das bedeutet, es ging um technische Strukturen, die dezidiert für die Praktik »Geocaching« existieren, mit dieser entstanden und ausschließlich mit dieser assoziiert sind, also ko-konstitutiv sind mit der Praktik »Geocaching«. Wie jede andere Praktik auch greift »Geocaching« nicht nur auf diese eigenen Infrastrukturen zurück, sondern integriert zudem ein ganzes Bündel von bereits existierenden Infrastrukturen, die in anderen Zusammenhängen, zu anderen Zeiten und in Verbindung mit anderen Praktiken entstanden sind. Dieses Arrangement von Infrastrukturen nenne ich das infrastrukturelle Arrangement einer Praktik (vgl. Kap. 3.3: Infrastrukturelle Arrangements von Praktiken). Im Fall der Praktik »Geocaching« besteht das infrastrukturelle Arrangement neben der Infrastruktur der Praktik hauptsächlich aus drei Bereichen: (1) GPS (inkl. des Koordinatensystems WGS84), (2) Verkehrsinfrastruktur zum Erreichen der Geocaches und (3) Internet bzw. Internetzugang (Telefonnetz, Kabelnetz, Satellitennetz, Mobilfunknetz). Je detaillierter dieses infrastrukturelle Arrangement untersucht wird, desto mehr zusätzliche Infrastrukturen treten in Erscheinung. So ist eine funktionierende Stromversorgung für viele dieser Bereiche notwendig, ohne eine funktionierende Kraftstoffversorgung (Öl, Strom) funktionieren viele Verkehrsmittel (Auto, Bus, Bahn etc.) nicht und der ÖPNV wird von organisationalen Infrastrukturen organisiert. Die forschungspragmatische Frage ist hier, inwieweit das Aufzeigen von weiteren detaillierteren Verzweigungen dieses Arrangements der Beantwortung der Frage nach der räumlichen Dimension der Praktik »Geocaching« hilft. In diesem Abschnitt werden die drei genannten Hauptsäulen des infrastrukturellen Arrangements des Geocachings vorgestellt und deren Ineinandergreifen beschrieben.

49 | Online: www.geocaching-magazin.com/.

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Das Global Positioning System (GPS) ist ein Global Navigation Satellite System« (GNSS)50 . 1973 veranlasste das US-Verteidigungsministerium die Zusammenführung der unterschiedlichen bis dahin unternommenen Bemühungen seitens verschiedener Teilstreitkräfte und Universitäten um ein globales Satellitennavigationssystem zu dem Projekt NAVSTAR Global Positioning System unter der Obhut des der U.S. Air Force unterstellten Joint Program Office (JPO) (vgl. Dodel und Häupler 2004: 161). Die volle Funktionsfähigkeit wurde am 17. Juli 1995 erreicht (Hofmann-Wellenhof et al. 2007: 310). Es sollte ein System entwickelt werden, das weltraumgestützte Positionsbestimmung ermöglichen würde (vgl. ebd.: 309). W. Wooden gibt folgende detaillierte Definition: »The NAVSTAR Global Positioning System (GPS) is an all-weather, space-based navigation system under development by the Departement of Defense (DoD) to satisfy the requirements of the military forces to accurately determine their position, velocity, and time in a common reference system, anywhere on or near the earth on a continuous basis.« (Zitiert nach: ebd.)

Zu Beginn war die Zielsetzung des GPS also eindeutig eine militärische. HofmannWellenhof et al. weisen jedoch darauf hin, dass der US-Kongress mit Hilfe des USPräsidenten das Verteidigungsministerium anwies, die zivile Nutzung zu unterstützen. Tatsächlich sei die erste funktionierende Anwendung eine Anwendung zur geodätischen Vermessung gewesen (vgl. ebd.). Von Beginn an wurde die Integration des Systems in zivile Anwendungen vorangetrieben, was in der Abschaltung der künstlichen Verschlechterung des Signals (»Selective Availability« [SA]) am 2. Mai 2000 gipfelte.51 Dadurch verbesserte sich die Genauigkeit im zivilen Betrieb von +/- mehreren hundert Metern auf max. +/- 3 Meter. Dieses Datum kann als der Startpunkt für die breite Integration des GPS in die zivile Welt betrachtet werden (ebd.: 311). Die überwiegende Nutzung findet heute im zivilen Bereich statt, obwohl das System

50 | Weitere sind GLONASS (Russland), GALILEO (Europa) und Compass (VR China). Das russische System ist bisher das einzige, das neben GPS eine globale Abdeckung hat. Das europäische System soll Ende der Dekade einsatzbereit sein. Das chinesische System funktioniert bisher nur für die Region um China. Ein globaler Ausbau ist aber geplant. Darüber hinaus gibt es verschiedene auf bestimmte Regionen limitierte Systeme, die oftmals zu GPS kompatibel sind. Eine kurze Übersicht über die historische Entwicklung der Satellitennavigation gibt Ashkenazi 2006. 51 | Die Erklärung des US-Präsidenten zur Abschaltung der SA ist zu finden unter: www.g ps.gov/systems/gps/modernization/sa/, gesehen: 01.10.2012.

7. Die Praktik »Geocaching« | 153

weiterhin aus dem US-amerikanischen Militäretat bezahlt wird. So seien 2003 bereits 95 % der Nutzer zivil gewesen (Dodel und Häupler 2004: 161). Das GPS besteht aus 24 Satelliten, die in 20 Kilometern Höhe zweimal am Tag um die Erde kreisen und permanent ein schwaches Funksignal auf die Erde abstrahlen. Aus diesem Signal lässt sich die Entfernung des Empfängers zum Satelliten berechnen. Da die Positionen der Satelliten zu jedem Zeitpunkt bekannt sind, kann aus der Entfernung zwischen Satelliten und Empfänger auf die Position des Empfängers auf der Erdoberfläche geschlossen werden. Eine Position wird durch vier Parameter bestimmt: Länge, Breite, Höhe und der exakten Zeit.52 Um diese vier Unbekannten zu berechnen, werden die Signale von mindestens vier verschiedenen Satelliten benötigt (vgl. Hofmann-Wellenhof et al. 2007: 8). Die Zahl der mindestens nötigen Satelliten kann entweder reduziert werden, indem eine mit dem System synchronisierte Uhr in dem jeweiligen Empfänger vorhanden ist, oder dadurch, dass nur eine zweidimensionale Positionsbestimmung (Länge, Breite, Zeit) vorgenommen wird und auf die Höhe verzichtet wird (ebd.). Da der Anspruch an die Genauigkeit der Uhr dabei sehr hoch ist, ist diese sehr teuer und daher der erste Fall für Konsumentengeräte nicht geeignet. Der zweite Fall hingegen ist praktikabel, wenn bekannt ist, dass die Position auf der Erdoberfläche sein wird. In diesem Fall ist die Höhe zur Navigation vernachlässigbar (allerdings zu Lasten der Genauigkeit) oder lässt sich aus zusätzlich vorhandenem Kartenmaterial ableiten. Für Anwendungen wie Wandern oder Geocaching reicht also theoretisch bereits das Signal von drei Satelliten. Aufgrund vielfältiger Quellen für Ungenauigkeiten in der Berechnung der Position und der Dauer einer erfolgreichen Positionsbestimmung ist es in der Praxis von großem Vorteil, so viele Satelliten wie möglich zu empfangen. Aktuelle Geräte sind daher in der Lage, das Signal von unterschiedlichen Satelliten gleichzeitig zu verarbeiten. Zudem wird in der Praxis die Position nicht einmal berechnet, sondern ständig. Durch das Mitteln von Position lässt sich die Genauigkeit abermals verbessern. Das elektromagnetische Signal, das von den Satelliten abgestrahlt wird, ist sehr schwach und daher anfällig für Störungen und Abschattungen durch Berge, Gebäude, Bäume oder vergleichbarem (vgl. Dodel und Häupler 2004: 163). Daher ist es nicht möglich, innerhalb von Gebäuden ein GPS-Signal zu empfangen. Bereits Regen kann den Empfang des Signals erschweren (»Regendämpfung«) (ebd.: 109).53

52 | Die Zeit wird benötigt, um die Entfernung von Empfänger zu Satellit zu berechnen.

154 | Flächen – Bahnen – Knoten

Das GPS etabliert auf diese Weise gewissermaßen einen »künstlichen Sternenhimmel« (Sommer 2002: 301), der grundsätzlich unabhängig von Sichtverhältnissen permanent verfügbar ist und aus dessen Konstellation sich die eigene Position errechnen lässt. Diese Berechnungen sind in höchstem Maße geblackboxt. Das heißt, der Nutzer muss kein Verständnis für die zugrunde liegenden Zusammenhänge haben, um einen GPS-Empfänger zu bedienen. Das, was die Portugiesen der Analyse von John Law folgend im 15. und 16 Jahrhundert mit Hilfe einer klugen Organisation des Arrangements von Dokumenten, Geräten und der Ausbildung von Personen erreichten, nämlich ihre Schiffe zuverlässig und kontrolliert von Portugal nach Indien und wieder zurück zirkulieren zu lassen (Law 1986), ist im Fall des GPS vollständig in das System integriert. Damit das GPS global die Position eines Empfängers bestimmen kann, ist ein Koordinatensystem notwendig, mit dem jede Position auf der Erdoberfläche bezeichnet werden und zu anderen Positionen in Beziehung gesetzt werden kann. Diese Rolle nimmt das World Geodaedic System in der Version von 1984 (WGS84) ein. Diesem Standard ging eine lange Entwicklungsgeschichte von zunächst lokalen und immer globaler werdenden Bezugssystemen voraus. Navigieren beinhaltet immer das InBeziehung-Setzen der eigenen Position zu bekannten Strukturen auf dessen Basis, bei gegebenen Ziel, die einzuschlagende Richtung abgeleitet werden kann. Ob diese Bezugssysteme dabei aus Erzählungen, Gesängen und tradierten Sinneswahrnehmungen, wie es für Polynesien vor dem Import des Kompasses vermutet wird, aus detaillierten Streckenbeschreibungen, wie es aus der frühen Mittelmeerschifffahrt bekannt ist (Fleischer 2011: 37), oder aus Karten mit Koordinaten bestehen, ist für den grundlegenden Zusammenhang nicht von Bedeutung. Das Bemerkenswerte an dem WGS84 ist nicht nur, dass es global ist, sondern auch, dass es ohne die Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten auskommt. Es legt sich gewissermaßen wie ein neutrales Netz über die Oberfläche der Erde unabhängig davon, was es bedeckt. Dies hat zu

53 | Es gibt zwei Verfahren das GPS aktiv zu stören: Jamming - Dies bezeichnet das Aufstellen von Störsendern, die das Originalsignal mit Rauschen übertönen. Spoofing - Hier wird das originale Satellitensignal mit einem validen, jedoch falschen, Signal überspielt, was dazu führt, dass eine falsche Position errechnet wird (Dodel und Häupler 2004: 163). Die Sicherstellung der Möglichkeit zuverlässiger Positionsbestimmung stellt in Konflikten einen entscheidenden Faktor dar. Die US-Streitkräfte unterhalten daher eigens dafür das Joint Navigation Warfare Center (JNWC), www.stratcom.mil/factsheets/JFCC_-_Space/, gesehen 02.10.2012.

7. Die Praktik »Geocaching« | 155

Folge, dass Positionen bestimmbar sind ohne in irgendeiner Weise auf lokale Gegebenheiten Bezug nehmen zu müssen.54 Das heißt, Orte können frei von lokalen Gegebenheiten konstituiert werden. In Kapitel 8: Ortsbestimmungen ..., wird darauf am Beispiel von drei verschiedenen Praktiken eingegangen werden. In Bezug auf die Praktik »Geocaching« präfigurieren GPS und WGS84 die Konfiguration, also das Muster von Orten, des Raums der Praktik (vgl. Kap. 9.1: Konfiguration: Einteilen). Diese Infrastruktur sorgt zudem für die Möglichkeit der Orientierung, die bei anderen Praktiken auch von anderen Infrastrukturen, wie z.B. Straßen- oder Wanderwegsysteme gewährleistet wird. Straßen- oder Wegesysteme durchziehen ein Territorium wie ein Geflecht aus Adern und erschließen dieses. Sie ermöglichen Orientierung, indem sie Bahnen etablieren und die Nutzer entlang dieser Bahnen führen. Gebiete können so durchquert werden, ohne auf zusätzliche Infrastrukturen zur Orientierung zurückgreifen zu müssen. In dieser Perspektive gilt das Gleiche für den ÖPNV. Dieser bietet nicht nur Wege an, sondern die Durchquerung eines Gebietes als komplette Dienstleistung. Internet und Internetzugang sind wichtige Elemente im infrastrukturellen Arrangement der Praktik »Geocaching«. Allerdings wirkt sich dieses nur schwach auf die mit der Praktik verbundene Raumerzeugung aus. Ein Internetzugang ist notwendig, um Geocaching zu betreiben. In Gegenden, in denen es grundsätzlich kein Internet gibt, wird die Praktik »Geocaching« daher auch nicht praktiziert. Dies ist für das Untersuchungsgebiet der vorliegenden Arbeit irrelevant, da es diese Situation in Deutschland im Prinzip nicht gibt. Der Zugang zur Infrastruktur Internet schafft gleichzeitig den Zugang zu der dezidierten Infrastruktur der Praktik »Geocaching«. Die Art des Zugangs führt zu Varianten in der Praktik: Ist mobiler Internetzugang vorhanden, kann unterwegs auf die Datenbank mit Geocaches zugegriffen werden. Ansonsten muss dies im Vorfeld geschehen. Bei der für diese Arbeit durchgeführten Feldforschung war letzteres der Regelfall. In dem Maße, wie die Praxis des Cachens mit Mobiltelefonen zunehmen wird, wird die Verfügbarkeit von mobilem Internetzugang eine zunehmende Wirkung auf die Konfiguration des dadurch erzeugten Raums haben.55

54 | Solche Koordinaten haben z.B. folgende Gestalt: N 54° 00.704 W 002° 47.116. Hier handelt es sich um eine Darstellung in Grad und Bogenminuten mit dezimalen Nachkommastellen, die eine Position auf 54 Grad und 0.704 Minuten nördlicher Breite und 2 Grad und 47,116 Minuten westlicher Länge bezeichnet. Es sind auch andere Darstellungen in »Grad Dezimalstellen« und »Grad Bogenminuten und Bogensekunden« mit Dezimalstellen vorhanden, die sich eindeutig ineinander umrechnen lassen.

156 | Flächen – Bahnen – Knoten

Präfigurierendes Zusammenspiel von Infrastrukturen Neben der erst seit kürzerer Zeit verfügbaren Infrastruktur GPS integriert Geocaching also andere Infrastrukturen, die zum Teil schon sehr lange existieren. Geocaching ist eine mobile Praktik. Praktiker bewegen sich von Geocache zu Geocache und zurück zu ihrem Ausgangspunkt. Dies geht nicht ohne den Rückgriff auf bestehende Verkehrsinfrastruktur: Straßen, Schienen, Wege, Autos, Fahrräder, ÖPNV etc. werden genutzt, um zu dem jeweiligen Ziel zu gelangen. Diese Infrastrukturen existieren schon seit längerer Zeit und haben sich mit der sich verändernden Nutzung über die Zeit inkrementell weiterentwickelt bzw. wurden weiterentwickelt. Personen, die Geocaching praktizieren, nutzen diese Infrastrukturen abermals auf eine neue Art. Natürlich müssen sie sie auf eine Weise nutzen, die kompatibel zu deren jeweiliger Funktionalität ist. So ist es offensichtlich nicht oder nur unter großer Gefahr möglich, auf einer Autobahn Fahrrad zu fahren oder mit einem Auto einen schmalen Wanderweg zu nutzen. Für die Praktik »Wandern in einem Wandergebiet« ist das Netz aus Wanderwegen eine dezidierte Infrastruktur, die die Wege der Praktiker präfiguriert. Ein solches bestehendes Netz von Wanderwegen wird in das infrastrukturelle Arrangement der Praktik »Geocaching« neben anderen Wegesystemen integriert und verliert so bezüglich Geocaching seine dominante prägende Rolle. Zwar präfiguriert es immer noch die Wege von Geocaching Praktikern in einem bestimmten Gebiet, jedoch kann es sein, dass diese zwischendurch verlassen werden, um abseits des Weges einen Geocache zu suchen, dass auf dem Weg zum nächsten Geocache in ein anderes präfigurierendes Infrastruktursystem gewechselt wird, das ebenfalls in die Praktik integriert ist, wie z.B. Landstraßen, Autobahnen oder das System des ÖPNV. Solche Mobilitätsinfrastrukturen präfigurieren die Wege der Praktiker aber nicht alleine. Da die Infrastruktur GPS auch in das infrastrukturelle Arrangement der Praktik integriert ist, geschieht dies im Zusammenspiel. Falls ein Wegesystem die dominante Infrastruktur ist, die eine Praktik integriert, dann orientieren sich die Praktiker bei ihren Wegen daran. GPS ermöglicht nun eine alternative Art von Orientierung. Infrastrukturelle Wegesysteme verlieren daher ihre dominante präfigurierende Rolle. Jedoch verschwindet der Effekt nicht gänzlich: Praktiker bewegen sich weiterhin auf Wegen zu ihren Zielen, weil dies praktisch ist und naheliegt. Sie verlassen diese

55 | Die Nutzung von Mobiltelefonen mit integriertem GPS-Empfänger anstatt dezidierten GPS-Geräten erweitert das infrastrukturelle Arrangement zudem um Mobilfunknetze und WLAN-Knoten, die zusätzlich zur Positionsbestimmung verwendet werden können.

7. Die Praktik »Geocaching« | 157

jedoch wenn nötig oder springen von einem System ins nächste und gegebenenfalls wieder zurück. Die Bestandteile des infrastrukturellen Arrangements (GPS, Mobilitätsinfrastrukturen und die dezidierten Infrastrukturen aus Datenbanken mit Geocaches) haben also gemeinsam eine präfigurierende Wirkung auf den Raum, der durch die Praktik erzeugt wird. Keine der einzelnen Bestandteile ist für sich alleine dominant.

8. Ortsbestimmungen ...

Dieses Kapitel beschreibt den Zusammenhang zwischen der Bestimmung von Orten durch Praktiken, in deren infrastrukturellem Arrangement GPS, und damit verbunden das Koordinatensystem WGS84, integriert ist. GPS ermöglicht nicht nur, prä-GPS bekannte und bedeutungsvolle Orte bequem und zuverlässig auf- und wiederzufinden, sondern es stellt eine andere Art der Adressierung zur Verfügung und ermöglicht so eine andere Art der Bestimmung von Orten. Genau dies ist der Punkt, an dem der leichtere Zugang zu und die leichtere Orientierung im Raum aufgrund von Satellitennavigationstechnologie in die veränderte Erzeugung von Räumen in Verbindung mit dieser Technologie umschlägt. Es wird also nicht nur ein vorhandener Raum mit Hilfe einer bestimmten Technik (anders) angeeignet, sondern dieser Raum verändert sich dadurch, dass sich Personen mit anderen Mitteln in ihm bewegen und orientieren. So verstanden ist die verwendete Technik Teil des »Baumaterials« des jeweiligen Raumes. Sie prägt diesen mit. Durch den Wegfall bestimmter Technik, durch das Hinzukommen anderer oder durch die Verschiebung des Arrangements verwendeter Technik ändert sich der jeweils durch Praktiken erzeugte Raum zwangsläufig. Der Frage, wie Orte in Zusammenhang mit GPS und WGS84 bestimmt werden, wird in den folgenden drei Abschnitten an drei verschiedenen Praktiken exemplarisch nachgegangen. Es handelt sich dabei erstens um die Praktik, die sich um das »Degree Confluence Project« herausgebildet hat, bei dem es darum geht, ganzzahlige Schnittpunkte von Längen- und Breitengraden zu besuchen. Die zweite Praktik ist »Geodashing«. Hier geht es darum Orte aufzusuchen, deren Koordinaten durch einen Algorithmus berechnet werden. Drittens und zum Abschluss wird vor diesem Hintergrund die Erzeugung von Orten durch die Praktik »Geocaching« diskutiert.

160 | Flächen – Bahnen – Knoten

8.1 ... AUFGRUND VON A RTEFAKTEN EINES GLOBALEN R ASTERS : »T HE DEGREE CONFLUENCE PROJECT « Es existiert eine Praktik, bei der Personen mit Hilfe von GPS-Geräten bestimmte Orte aufsuchen, die sich dadurch auszeichnen, dass deren WGS84-Koordinaten ganzzahlig sind. Solche Punkte heißen »Confluence Points«. Ein Beispiel dafür ist der Ort, der durch die Koordinaten N 50°00.000 E 009°00.000 bestimmt ist (vgl. Abb. 14). Dieser Ort liegt in der Nähe von Mainhausen ziemlich nahe neben der A3 im Wald. Die Praktik besteht darin diesen Ort aufzusuchen, ein Foto zu machen und dieses zusammen mit einer Beschreibung, wie der Ort erreicht worden ist und was dabei Spannendes, Lustiges oder Überraschendes geschehen ist, auf einer Website zu posten. Die Website, die diese Praktik organisiert und als Infrastruktur derselben dient, trägt den Namen »The Degree Confluence Project« (www.confluence.org). »Degree confluences« sind eben diese ganzzahligen Schnittpunkte von Längen- und Breitengraden. Abb. 14: Confluence Point bei Mainhausen

Quelle: GoogleMaps

8. Ortsbestimmungen ... | 161

Auf dieser Website wird das Ziel des Projekts wie folgt beschrieben: »[...] to visit each of the latitude and longitude integer degree intersections in the world, and to take pictures at each location«.1

Das Projekt und damit die Praktik existiert seit 19962 . Gemäß der selbstverfassten Geschichte hatte Alex Jarret die Idee, mit einem GPS jene Punkte aufzusuchen, an denen das Gerät sowohl für Längen- als auch Breitengrad neben der jeweils zweistelligen ersten Zahl ausschließlich Nullen anzeigt. Dies geschieht an ganzzahligen Schnittpunkten von Längen- und Breitengraden. Für diese Praktik reichte die Genauigkeit aus, die vor der Abschaltung der »Selective Availability« (vgl. Kap. 7.5: Das infrastrukturelle Arrangement des »Geocachings«) zivilen Nutzern zur Verfügung stand. Jarret besuchte einige Punkte selbst und machte Fotos, um zu dokumentieren, wie es dort aussah, und setzte diese auf seine persönliche Website. Die Idee begann zu zirkulieren, andere Personen begannen dasselbe zu tun und steuerten die Fotos ihrer Besuche von Confluence Points bei. Die Praktik breitete sich aus, indem andere Personen »Träger« der Praktik wurden und ein bestimmtes Verstehen eines Zusammenhangs, nämlich, dass Degree Confluences besuchenswerte Orte seien, übernahmen. Mittlerweile sind 6.212 solcher Punkte von 12.488 Besuchern besucht worden.3 Bei einer Gesamtzahl von 16.345 bedeutet dies, dass noch gut 10.000 Punkte auf ihren ersten Besuch warten. Rein rechnerisch ergibt sich auf der gesamten Erde die wesentlich höhere Summe von 64.442 Punkten. Davon liegen jedoch die meisten unerreichbar und visuell nicht voneinander unterscheidbar auf dem Meer. Eine zusätzliche Bedingung für einen Confluence Point im Sinne des Projekts ist deshalb, dass Land an einem klaren Tag am Horizont auszumachen sein muss. Dies reduziert die Zahl der Punkte auf die genannte Zahl. Jarret gibt an selbst bisher 16 Confluencepoints besucht zu haben. Die Website des Projekts dient als Datenbank aller Confluence Points und deren Besuche und somit als Infrastruktur der Praktik. Ohne diesen zentralen Knoten wäre die Praktik nicht denkbar und praktizierbar. Obwohl 2008 zum letzten Mal überarbeitet, erweckt sie vom Erscheinungsbild den Eindruck einer Website der späten 1990er Jahre.

1 | Quelle: http://confluence.org, gesehen: 09.04.2013. 2 | Vgl. http://confluence.org/infodcp.php#history, gesehen: 14.03.2013. 3 | Vgl. http://confluence.org/projectstats.php,gesehen:14.03.2013.

162 | Flächen – Bahnen – Knoten

»Another reason was that my friend managed to convince me to buy a GPS and I had to come up with something to do with it.«4

Dies sei der Ausgangspunkt gewesen, so schreibt Alex Jarret auf der Website, diese Praktik zu beginnen. Es ist nicht nachvollziehbar, in die Ausübung welcher Praktiken Jarret zu diesem Zeitpunkt involviert war, bzw. mit welchen Elementen von anderen Praktiken er vertraut war. Sicher ist, dass durch den Erwerb eines GPS-Gerätes ein zusätzliches Element auf der Dimension Materialität/Infrastruktur in Form eines technischen Geräts hinzu kam, dass zudem als Brücke zu einer globalen Infrastruktur, nämlich dem GPS und dem Koordinatennetz WGS84, diente. Dies ermöglichte eine Neukombination von Elementen von Praktiken, die zu dieser neuen Praktik, dem Aufsuchen von ganzzahligen Schnittpunkten aus Längen- und Breitengraden, führte. Zur Motivation, diese Praktik zu beginnen, schreibt Jarret: »What would be there? Would other people have recognized this as a unique spot?«5

Diese Aussage verweist auf ein Element der Praktik auf der Dimension der teleoaffektiven Struktur: Neugier und daran anschließend die Frage, ob dieser Ort bereits von anderen Menschen als besonderer Ort wahrgenommen worden ist. Ein Ziel also, das mit bestimmten Affekten verbunden ist, wenn es erreicht oder auch nicht erreicht wird. Voraussetzung dafür, dass die Frage, was an einem »confluence point« los ist und ob andere Personen diesen bereits als besonderen Punkt wahrgenommen haben, in dieser Weise überhaupt stellbar geworden ist, ist, dass bekannte Räume mit Hilfe eines anderen Bezugsystems (WGS84) neu geordnet worden sind. Durch diesen Bruch zwischen neuem Bezugssystem und vorhandenen herkömmlichen (lokalen) Bezugssystemen, die andere Praktiken nutzen, um an dieser Position einen Ort zu erzeugen, resultiert die Notwendigkeit, diese Orte auch tatsächlich besuchen zu müssen, um herauszufinden, worin die lokalen Gegebenheiten bestehen. Diese neue, andere Ordnung ergibt sich im vorliegenden Fall aus einem Artefakt bzw. einer Besonderheit des Koordinatensystems, nämlich, dass zur Bezeichnung einer Position eine Kombination zweier Informationen (Länge, Breite), bestehend jeweils aus einem Buchstaben und einer Zahlenfolgen mit sieben Ziffern, benötigt wird, die an bestimmten Positionen eine Form annimmt, bei der jeweils die letzten fünf Ziffern »0« sind. Dies kommt relativ selten vor und es ist anzunehmen, dass dies die gleiche

4 | Quelle: http://confluence.org/infodcp.php, gesehen: 03.10.2012. 5 | Quelle: http://confluence.org/infodcp.php, gesehen: 03.10.2012.

8. Ortsbestimmungen ... | 163

Faszination ausstrahlt, wie den Kilometerzähler des eigenen Autos mit dem Stand von genau 100.000 oder 33.333 Kilometern zu sehen, den hundertsten oder tausendsten Geocache zu finden oder einen Berg höher als 2.000, 3.000 oder 4.000 Metern bestiegen zu haben. Es ist eine Art Magnetismus, der von bestimmten Zahlen auszugehen scheint und z.B. dazu führt, dass bei dem Fernsehquiz »Wer wird Millionär?« der Höchstgewinn bei genau 1.000.000 Euro liegt und nicht bei 1.010.482 Euro.6 Eingangs als Beispiel angeführter Confluence Point im Wald bei Mainhausen, nahe der A3, scheint zunächst ein eher uninteressanter und belangloser Ort irgendwo im Wald zu sein, der keine weitere Bedeutung hat. Nichtsdestotrotz ist er bereits 15 Mal im Rahmen dieser Praktik besucht worden. Nachfolgend drei beispielhafte Logbucheinträge von der Website: »This was my first confluence, it was a funny experience and I am on my way to visit 50N 12E then 50N 11E and then 50N 10E...«7 »Back home, we celebrated it with a glass of sparkling wine – we may wait for better weather and have a few more accessories with us the next time, but a next time there will be.«8 »We celebrated this our first successful CP with delicious Paella in a Spanish restaurant in the city of Darmstadt on our way back home, and decided to try an undiscovered CP soon.«9

Im Rahmen der Praktik bekommt dieser Ort also Bedeutung. Im Rahmen dieser Praktik wird dieser Ort überhaupt erst zum Ort. Ohne die Praktik ist diese Position auf der Erdoberfläche lediglich eine Position auf der Erdoberfläche, die in andere Zusammenhänge wie dem Waldstück, in dem es liegt, eingebunden ist, jedoch nicht als unterscheidbar herausragt.10 Diese Erzeugung eines Ortes durch die Praktik hat seinen Ursprung in einer Besonderheit eines infrastrukturellen Elements der Praktik und

6 | Warum es ausgerechnet Koordinaten mit jeweils fünf Nullen sein müssen und nicht etwa fünf Fünfen oder die Zahlenfolge »12345«, ist, wie auch bei den anderen Beispielen, intuitiv nachvollziehbar, gleichzeitig jedoch arbiträr. Die Beantwortung dieser Frage bleibt einer Psychologie der Zahlen vorbehalten. 7 | Quelle: http://confluence.org/confluence.php?visitid=14550, gesehen: 03.10.2012. 8 | Quelle: http://confluence.org/confluence.php?visitid=2361, gesehen: 03.10.2012. 9 | Quelle: http://confluence.org/confluence.php?visitid=15817, gesehen: 03.10.2012. 10 | Die Frage, inwiefern andere Praktiken diese Position ebenfalls zu einem Ort machen, kann hier nicht endgültig beantwortet werden. Es ist jedoch zu anzunehmen, dass Koinzidenzen unwahrscheinlich sind.

164 | Flächen – Bahnen – Knoten

zwar dem globalen Koordinatennetz WGS84, das über das Infrastruktursystem GPS in die Praktik integriert ist. An dieser Stelle ist es notwendig, noch einmal zu der Frage, was einen Ort zu einem Ort und zu einem interessanten Ort macht, zurückzukehren. Ihn adressieren zu können, ist dabei notwendig aber nicht hinreichend. Ein numerisches Kriterium zu haben, um interessante von uninteressanten Orten zu unterscheiden, ist ein Anfang, aber bei genauerem Hinschauen ebenfalls nicht ausreichend. Diese Frage kann nicht mit bloßem Rückgriff auf die technische Infrastruktur beantwortet werden. Die Frage nach interessanten Orten ist gleichzeitig auch immer die Frage nach der Beziehung von Orten zu anderen Orten. Welche Orte sind interessanter als andere? Wo lohnt es sich hinzugehen, wo nicht oder wo nur, wenn man schon in der Nähe ist? Wenn man diese sehr prinzipielle Ebene der Analyse verlässt und sich auf die Ebene der Praxis begibt, dann verschiebt sich das Bild an einigen entscheidenden Stellen. Obwohl alle ganzzahligen Schnittpunkte interessant sind, verlieren jene, die schon besucht worden sind, an Reiz. Es ist zwar auch gewollt, dass Schnittpunkte mehrmals besucht werden und sich so eine Dokumentation des Ortes über die Zeit ergibt, jedoch ist es plausibel anzunehmen, dass der Reiz des Neuen, des Ersten oder des Entdeckens in einer Welt, in der ja eigentlich schon alles entdeckt ist, Teil dieser Praktik ist. So sind die beiden Schnittpunkte, die am häufigsten besucht worden sind (52°N 0°, 1,1 km West of Barkway, Hertfordshire und 52°N 1°W, 1,1 km West of Buckingham, Buckinghamshire in England, UK) insgesamt lediglich 29 mal besucht worden. Das ist, verteilt auf elf Jahre seit den ersten Besuchen am 11. Dezember 2000 und am 27. Dezember 2000, eine überschaubare Anzahl. Es überrascht nicht, dass all jene Punkte, die in bewohnten und leicht zugänglichen Gegenden liegen, besucht worden sind, während Punkte, die weitab in dünn oder gar nicht besiedelten Gebieten liegen, noch auf ihren ersten Besuch warten.Es liegt die Vermutung nahe, dass der Einfluss von Verkehrsinfrastrukturen einen erheblichen Einfluss auf die Erreichbarkeit von Confluence Points hat. (Vgl. Abb. 15) Zudem spielt das Vorhandensein eines Internetzugangs und damit der Zugang zu der Website der Praktik eine Rolle. Ohne diesen ist es nicht möglich, von der Praktik zu erfahren. Daher muss die Erreichbarkeit dieser Orte, die durch Verkehrsinfrastrukturen geformt wird, relativ zu Regionen mit Internetzugang gedacht werden. Ziel dieses Abschnitts war es, an einem Extrembeispiel deutlich zu machen, welchen Einfluss technische Infrastrukturen auf die Erzeugung von Orten haben können. Im Fall des »Degree Confluence Projects« handelt es sich bei dem zentralen ortsbestimmenden Zusammenhang um ein Artefakt des verwendeten Koordinatensystems.

8. Ortsbestimmungen ... | 165

Abb. 15: Besuchte Confluence Points weltweit, März 2013

Quelle: www.degreeconfluence.org

8.2 ...

AUFGRUND EINES

A LGORITHMUS : »G EODASHING «

Die Möglichkeit, Orte durch eine Zahlenkombination zu adressieren, legt eine weitere Weise der Bestimmung von Orten nahe: die Bestimmung von Orten mit Hilfe eines Algorithmus wie beispielsweise eines Zufallsgenerators. Die Praktik »Geodashing« verfährt eben nach diesem Prinzip. Es handelt sich dabei um ein Spiel. »Geodashing is a game in which players use GPS receivers on a playing field that covers the entire planet. The waypoints, or dashpoints, to be reached are randomly selected. The win goes to who can get to the most dashpoints; that is, if you can get to them at all! Each game has a new set of dashpoints making each game completely different and unpredictable.«11

Es geht also um ein Spiel, dessen Spielfeld die Erde ist. Durch einen Zufallsgenerator werden Positionen bestimmt, die in dem Raum der Praktik zu Orten werden. Aufgabe ist es, möglichst viele dieser Orte innerhalb eines Monats zu erreichen. Abbildung

11 | Quelle: http://geodashing.gpsgames.org/, gesehen: 04.10.2012.

166 | Flächen – Bahnen – Knoten

16 zeigt eine Karte mit Geodashes für eine Runde für Deutschland und benachbarte Länder. Abb. 16: Karte mit Geodashes in Deutschland

Quelle: geodashing-gpsgames.org

Quantitativ, gemessen an der Anzahl ihrer Praktiker, ist diese Praktik unbedeutend. Das Prinzip der Ortsbestimmung ist jedoch für die in der vorliegenden Arbeit verfolgte Fragestellung nach der Erzeugung von Räumen durch Praktiken instruktiv. Vergleichbar der Bestimmung von Orten durch ein Artefakt des Koordinatensystems WGS84 werden in diesem Fall Orte bestimmt, indem Eigenschaften eines von lokalen Gegebenheiten entkoppelten Bezugssystems ausgenutzt werden. Diese Eigenschaft ist hier die Möglichkeit, Positionen auf der Erdoberfläche mit Zahlenkombinationen zu adressieren. Der so entstehende Bruch zwischen dem globalen Bezugssystem und den lokalen Gegebenheiten und Bezügen ermöglicht es, etwas Neues zu entdecken. Etwas Neues, das neu ist aufgrund der Art des Zugangs, der es erschließt. Ebenso wie im Fall der Confluence Points ist hier unklar, was vor Ort der Fall sein wird. Dieser Umstand wird im Gegensatz zum »Degree Confluence Project« noch verstärkt, weil jeden Monat neue Punkte berechnet werden, es also keine Erfahrungswerte durch vorherige Besuche, die gegebenenfalls auf einer Website einsehbar sind, geben kann.

8. Ortsbestimmungen ... | 167

Erwartungsgemäß befinden sich die Punkte irgendwo und nicht an Stellen, die man allgemein als interessant und besuchenswert bezeichnen würde. Das heißt, die Orte in dem Raum der Praktik sind zwar für die Praktik interessant, vor Ort verlieren sie diese Eigenschaft jedoch schnell. Die Praktik besteht im Finden dieser Orte und nicht in dem dort Aufhalten. »Getting There Is All The Fun«12 lautet folgerichtig ein Slogan auf der die Infrastruktur gewährleistenden Website. Eine Möglichkeit, persönlich bedeutsamere Orte zu errechnen, zeigt der Cartoon in der folgenden Abbildung 17. Der Abb. 17: »Nerdrezeption«

Quelle: xkcd.com/201/

Raum der Praktik wird also bestimmt durch eine Menge von Orten, die per Zufall auf der Erdoberfläche verteilt sind. Diese Orte legen die Topologie des Raumes fest und sind dabei Ergebnis eines Algorithmus zur Erzeugung von Zufallszahlen. Die Wege zwischen diesen Orten sind unbestimmt und es obliegt den Praktikern, die diese Praktik ausüben, sie zu finden. Die so errechneten Orte können als Knoten verstanden werden, die den Raum der Praktik bestimmen, deren Verbindungen untereinander in der Praxis immer wieder aufs Neue geknüpft werden. Ein weiteres Beispiel für eine Idee zur Berechnung eines Ortes aus einem Algorithmus ist Geohashing (Abb. 18) Hier wird eine Hashfunktion (hier md5) in Form eines Algorithmus zur Berechnung von Koordinaten eingesetzt. So ergeben sich aus den Startkoordinaten und dem aktuellen Kurs des Dow Jones Index die Zielkoordinaten.

12 | Quelle: http://geodashing.gpsgames.org/, gesehen: 04.10.2012.

168 | Flächen – Bahnen – Knoten

Abb. 18: Geohashing

Quelle: xkcd.com/geohashing

8.3 ...

AUFGRUND SOZIALER

P ROZESSE : »G EOCACHING «

Die Praktik »Confluence Points aufsuchen« (The Degree Confluence Project) leitet die Konstitution von Orten aus einem Artefakt des Koordinatennetzes, das bei der Satellitennavigation zum Einsatz kommt, ab: ganzzahlige Schnittpunkte von Längenund Breitengraden. Die Praktik »Geodashing« nutzt die Möglichkeit, einen Ort durch eine Zahlenkombination zu bezeichnen, indem diese Zahlenkombination per Zufallsgenerator (einem Algorithmus) errechnet wird und so Orte bestimmt werden. Die Praktik »Geocaching« nutzt ebenfalls die beiden infrastrukturellen Elemente GPS und WGS84, leitet jedoch weder daraus direkt Orte ab, noch werden Positionen von Orten mit Hilfe eines Algorithmus berechnet. Im Fall von Geocaching ist die Bestimmung von Orten das Ergebnis eines sozialen Prozesses. Das Konzept eines Geocaches beinhaltet die Idee, dass er gefunden wird. Das bedeutet, dass hier, obwohl derjenige, der einen Geocache versteckt und derjenige, der ihn später findet sich nicht notwendigerweise persönlich kennen, eine Reziprozitätsbeziehung vorliegt: der Geocacheleger auf der einen Seite und die Menge der potentiellen Finder, zu der der Geocacheleger im Prinzip auch gehört, auf der anderen Seite. Daraus folgt, dass die Auswahl von Orten an den erwarteten Erwartungen der anderen, der potentiellen Finder, ausgerichtet ist.

8. Ortsbestimmungen ... | 169

Währenddessen es sich im Fall der Praktik im Zusammenhang mit dem »Degree Confluence Project« und der Praktik »Geodashing« um virtuelle Markierungen von Orten handelt, also vor Ort keine materielle Markierung zu finden ist, liegt der Fall beim Geocaching anders. Hier muss vor Ort ein Gegenstand deponiert werden. Damit stellt sich die praktische Frage, an welchen Orten das überhaupt möglich ist. Die Frage, wie Orte bei der Praktik »Geocaching« bestimmt werden, muss also zweistufig beantwortet werden: 1. An welchen Orten ist es möglich einen Geocache zu hinterlegen? Dies bezieht sich sowohl auf die technische Seite (wo funktioniert GPS?), wie auch auf die soziale Seite (Besitzverhältnisse, Dauerhaftigkeit eines Verstecks) (vgl. Kap. 9.1: Konfiguration: Einteilen). 2. An welchen dieser möglichen Orte werden tatsächlich Geocaches deponiert und damit zu aktiven, d.h. besetzten, Orten im Raum der Praktik »Geocaching« gemacht? Dies bezieht sich auf das Verstecken und Auswählen von Geocaches und die damit verbundene sozial erzeugte Topologie des Raumes (vgl. Kap. 9.2: Markierungen: Platzieren und Kap. 9.3: Orte/Wege/Gebiete: Auswählen).

8.4 GPS, WGS84 UND R ÄUME BAHNEN UND K NOTEN

AUS

F LÄCHEN ,

GPS und WGS84 sind in das infrastrukturelle Arrangement der beschriebenen Praktiken integriert, daher entfalten sie Wirkung in der Organisation der Praktik und damit auch bei der Erzeugung des mit der Praktik verbundenen Raumes. Im Fall der hier beschriebenen Praktiken hängt deren Existenz von diesen beiden Systemen ab. Ohne diese würde es die Praktiken nicht geben. Sie eignen sich daher gut um zu zeigen, welche präfigurierende Wirkung (vgl. Kap. 3.2: Infrastrukturen und Praktiken) das GPS und das damit verbundenen WGS84 auf die Gestaltung der räumlichen Dimension einer Praktik haben kann. Es wurde deutlich, auf welche Weise in den drei Praktiken (»Degree Confluence Project«, »Geodashing«, »Geocashing«) Orte bestimmt werden. Das Muster der Orte oder auch die Konfiguration des Raums einer Praktik ist ein wichtiger Hinweis auf die räumliche Dimension einer Praktik. Der Zusammenhang zwischen den Orten besteht zunächst auf der Ebene des Koordinatensystems, das alle möglichen Positionen auf der Erdoberfläche unabhängig von den dort vorhandenen lokalen Gegebenheiten gleichwertig behandelt. Dies hat eine Sammlung von Orten als Menge von Punkten zur Folge, die, wenn sie nacheinander angesteuert werden, zu Knoten in einem Netzwerk von Wegen werden. Diese Knoten haben Eigenschaften, die sich in Relation zu der Situation und Position des

170 | Flächen – Bahnen – Knoten

Praktikers bestimmen. Solche Eigenschaften sind z.B. »weniger/mehr interessant« oder »leicht/schwer zu erreichen«. Im Fall des »Degree Confluence Projects« und der Praktik »Geodashing« sind solche Knoten ausschließlich interessant, weil sie als Knoten existieren. Die Orte des Geodashings werden per Zufallsgenerator generiert. Degree confluence points entstammen einem Artefakt des Koordinatensystems (ganzzahlige Schnittpunkte). Beide haben sonst keine bekannten Eigenschaften, die sie mehr oder weniger interessant machen würden. Die einzige Eigenschaft, die bekannt ist, ist die Entfernung zu jedem anderen Punkt, also auch zu dem Punkt, an dem sich ein beliebiger Praktiker befindet. Durch die Projektion auf eine Landkarte würden diese Knoten weitere Eigenschaften bekommen, weil es dann z.B. möglich wäre abzuschätzen, ob und wie der Ort zu erreichen ist. Im Fall der Praktik »Geocaching« haben diese Knoten weit mehr solcher Eigenschaften, die sie mehr oder weniger interessant machen. Zu jedem Geocache gibt es eine ausführliche Beschreibung auf der dazugehörigen Website. Es gibt verschiedene Typen von Geocaches und verschiedene Schwierigkeitsgrade. Zudem gibt es Feedbacks und Bewertungen zu den Geocaches von Praktikern, die den jeweiligen Geocache bereits angesteuert und gefunden haben. Eigenschaften von Knoten sind also nicht nur technisch bedingt, sondern auch Ergebnis von sozialen Prozessen. Räume, die vornehmlich Orte als Knoten beinhalten, die also keine festgelegte Verbindung zueinander haben, sondern mit ihren jeweiligen Eigenschaften lose nebeneinander stehen und die zudem, projiziert auf eine territoriale Karte, versprengt sind, nenne ich Knotenräume. Das Argument ist, dass solche Knotenräume idealtypisch als ein Typ von Raum, der durch Praktiken erzeugt wird, verstanden werden können: dem Knotenraum. An die Bestimmung des Raumtyps Knotenraum schließt sich die Frage an, welche weiteren Raumtypen sich beschreiben lassen. Diese Frage ist in der Architektur bereits mit dem für die Architektur relevanten Fokus auf die Funktion von Flächen gestellt worden. Gerhard Vinken unterscheidet diesbezüglich zwei paradigmatische Raumfiguren der modernen Stadt: Ort und Bahn (Vinken 2008). Orte bezeichnen dabei Flächen, die zum Wohnen, verweilen oder der Begegnung dienen, während Bahnen die Zonen des Verkehrs, der freien Zu- und Durchfahrt und des störungsfreien »Fließens« meinen (vgl. ebd.: 147). Vinkens architekturhistorische Perspektive bleibt dabei jedoch der Fläche verhaftet. Sie fragt ausgehend von der Fläche, welche Funktion mit ihr einhergehen kann, ob sie entweder Ort oder Bahn ist, und analysiert exemplarische am Beispiel der Architekten Le Corbusier und Schwarz, wie dieser Konflikt zwischen Ort und Bahn Städtebaukonzepte im 20. Jahrhundert geprägt hat. Die Unterscheidung von Ort und Bahn lässt sich soziologisch instruktiv wenden, indem nicht die Fläche (Territorium), sondern eine Praktik als Ausgangspunkt genommen

8. Ortsbestimmungen ... | 171

wird. So verstanden ist die Unterscheidung von Ort und Bahn ein brauchbarer Ausgangspunkt für eine Typisierung von Räumen, die durch Praktiken erzeugt werden. In diesem Sinne ergeben sich zwei weitere Raumtypen: Der erste Raumtyp wird durch Praktiken erzeugt, die an einem Platz ablaufen, der nicht notwendigerweise, aber doch sehr oft, überschaubar ist. An der Praktik »Fußball spielen« ist der Erzeugungsprozess dieses Raumtyps anschaulich zu beschreiben: Egal in welcher Form Fußball gespielt wird, ob auf der Straße in einer kleinen Gruppe und mit provisorischen Toren gebildet aus in diesem Moment verfügbaren Gegenständen, ob auf einem Bolzplatz, auf dem die Praktik »Fußball spielen« in einer festen Anordnung von Materialitäten zu einem gewissen Grad institutionalisiert ist, oder auf professionellem Niveau auf ausschließlich dafür verwendeten Plätzen mit hochausgebildeten Schiedsrichtern und exakt vermessenen Linien: Die Praktik »Fußball spielen« lässt in ihrem Vollzug einen Raum entstehen, in dem sie stattfindet (vgl. Abb. 19). Es werden Grenzen des Spielfeldes definiert, mal ungefähr und temporär, mal mit maximaler Präzision und für längere Zeit gültig; es werden Tore benannt und mit Materialitäten markiert; Personen, die als Zuschauer an der Praktik teilnehmen wollen, haben bestimmte Plätze einzunehmen (mindestens außerhalb des Spielfeldes) etc. Die Koordination aller Beteiligten funktioniert, weil alle Beteiligten in diesem Moment an derselben Praktik teilnehmen, d.h. »carrier« (Reckwitz 2002: 250) derselben Praktik sind und daher die Integration verschiedener Elemente der Praktik (Verstehen, Materialitäten/Infrastrukturen, teleoaffektive Strukturen und explizite Regeln) teilen. Auf eine geografische Karte projiziert, die keine soziologischen Zusammenhänge oder soziologischen Räume darstellt, sondern metrischen Dimensionen folgt, stellt sich der Raum, der durch die Praktik »Fußball spielen« erzeugt wird, als kontinuierlicher zusammenhängender Raum mit klaren Außengrenzen dar. Das Gleiche gilt auch für viele andere Praktiken wie z.B. »ein Seminar geben«, »kochen«, »gemeinsam essen«, »einen Vortrag halten« oder »Golf spielen«. Wenn Praktiken Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) integrieren, hat dies Folgen für die durch sie erzeugten Räume: So können z.B. Personen an entfernten Orten durch Telefon- oder Videoschaltungen in den kontinuierlichen Raum der Praktik vor Ort eingebunden werden. Der Raum wird auf diese Weise erweitert: Entfernte Orte werden integriert als wären sie nebenan, Distanz verliert an Bedeutung und die Topologie verändert sich. Diese Integration ist jedoch durch ihre technische Vermittlung konfiguriert. Aus diesem Grund verliert Distanz bei genauerem Blick nur in Bezug auf bestimmte Aspekte an Bedeutung. Solche Aspekte sind Sprache und das zweidimensionale Bild, jedoch nicht Gerüche oder Atmosphären. Ebenso hat der Umstand, dass Millionen Zuschauer im Fernsehen ein Champions-League-

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Abb. 19: Bild eines Fußballplatzes

Quelle: © iStock.com/fredrocko

Finale verfolgen, obwohl dieser Umstand für Anwesende im Stadion nicht direkt13 wahrnehmbar ist, Auswirkungen auf die Praktik »Fußball spielen« in diesem Kontext. In jedem Fall lässt sich hier der erzeugte Raum aus einer territorialen Perspektive als eine zusammenhängende Fläche, d.h. als ein abgrenzbares Territorium, beschreiben. Diesen Raumtyp nenne ich daher Flächenraum. Flächenräume können durch Mobiltelefonie, Fernsehübertragungen, Skype etc. erweitert werden, jedoch bleibt der Raum der Praktik im nichtmetaphorischen Sinne territorial begrenzt. Der zweite Raumtyp orientiert sich an Vinkens Bahnen und wird durch Praktiken erzeugt, die Mobilität integrieren. In solchen Praktiken bewegen sich Personen auf Bahnen von einem Ort zum nächsten und legen dabei unter Umständen größere Distanzen zurück. Das Differenzkriterium zum Flächenraum ist, dass sich keine territoriale Abgrenzung benennen lässt. Vor einem territorialen Hintergrund gedacht

13 | Indirekt ist dieser Umstand natürlich wahrnehmbar: So gibt es eine Anzahl von Fernsehkameras am Spielfeldrand, Werbung, die offensichtlich auf die Perspektive der Kameras ausgerichtet ist, und nicht für die im Stadion Anwesenden. Oder Fernsehjournalisten, die in der Halbzeit und nach dem Spiel am Spielfeldrand Interviews führen. Ebenso beeinflusst das Wissen von unsichtbaren Beobachtern verfolgt zu werden natürlich das Verhalten der Beobachteten.

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durchzieht dieser Raumtyp ein gegebenes Territorium wie ein Geflecht von Adern. Zwischen diesen Bahnen liegt jedoch unendlich viel, für Praktiker nicht zugängliches Territorium, weshalb es unplausibel wäre, die ganze Fläche des Territoriums als Raum solcher Praktiken zu verstehen. Es sind vielmehr lediglich die Bahnen, die Teil von Räumen dieses Raumtyps sind. Ein anschauliches Beispiel für eine Praktik, die einen solchen Raumtyp erzeugt, ist die Praktik »mit der U-Bahn zum Arbeitsplatz zu pendeln«14 . Diese Praktik integriert viele geografische Orte, die sich zum Raum der Praktik verbinden. Der potentielle Raum für diese Praktik ist bestimmt durch das U-Bahn-Netz der jeweiligen Stadt. Mögliche Ein- und Austrittspunkte und Wege sind dabei eindeutig bestimmt. Die tatsächlichen Wege einzelner Praktiker bzw. Träger der Praktik greifen nur auf einen kleinen Ausschnitt dieses Raumes zu. Insofern konstituieren sie einen konkreten, ggf. routinisierten, individuellen Weg innerhalb des Raumes der Praktik »mit der U-Bahn zum Arbeitsplatz zu pendeln«. Der Raum auf Ebene der Praktik ist jedoch bestimmt durch das gesamte U-Bahn-Netz. Gleiches gilt für andere Verkehrsnetze und den damit verbundenen Praktiken. Abb. 20: U-Bahn-Plan Frankfurt am Main

Quelle: © Rhein-Main-Verkehrsverbund Gmbh

14 | Ein weiteres Beispiel wäre die Praktik »in einem Wanderwegesystem wandern«.

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Bei diesem Raum handelt es sich um den potentiellen Bewegungsraum, den einzelne Träger der Praktik »mit der U-Bahn zum Arbeitsplatz pendeln« nutzen können. Dieser Raum geht über eine einzelne visuell erfassbare Situation hinaus. Personen, die sich in ihm aufhalten, sind mobil. Der Raum ist deshalb im Gegensatz zu einem Fußballfeld nicht visuell wahrnehmbar, sondern muss erst mit Hilfe einer abstrahierenden Darstellung (z.B. Pläne oder Karten) sichtbar gemacht werden (vgl. Abb. 20). Die Form dieses Raums wird in diesem Fall bestimmt von Systemplanern. Kein Praktiker kann sich eine eigenen U-Bahn-Station als Ein- und Austrittspunkt in das U-Bahn-System erfolgreich wünschen oder selbst erstellen. Es gibt Feedbackschleifen, über die durch das behavioristische Überwachen von Auslastungen der Züge und Stationen und durch politische Aushandlungsprozesse Transformation induziert wird. Diese sind jedoch aufgrund der Natur der Sache langwierig, wenig flexibel und einigermaßen undurchsichtig. Weitere Beispiele für Praktiken, die diesen Raumtyp konstituieren, sind »mit Verkehrsflugzeugen fliegen«, »Auto fahren« etc. Diesen Raumtyp nenne ich Bahnraum. Es darf an dieser Stelle nicht irritieren, dass auch bei der Praktik »U-Bahn fahren« als Flächenräume beschreibbare Räume auftauchen. Die Erklärung hierfür ist, dass Praktiken stets weitere Praktiken beinhalten. So gehören zu der Praktik »U-Bahn fahren« die Praktiken »auf eine U-Bahn warten« und »in der U-Bahn sitzen«, die beide einen Flächenraum erzeugen. Es ergeben sich also drei Idealtypen von Raum, denen Räume, die durch Praktiken erzeugt werden, folgen: Flächenraum, Bahnraum, Knotenraum.15 Eine neuropsychologische Studie von Maguire et al. (2006) hat gezeigt, dass die Art der praktizierten Orientierung sich in der Verteilung von »grey matter« im Gehirn der Probanden niederschlägt. Die Autoren verglichen Taxi- und Busfahrer aus London, die sich durch grundlegend unterschiedliche Modi der Orientierung auszeichnen, währenddessen das Stresslevel praktisch das Gleiche ist. Während Busfahrer vorgegebenen Bahnen folgen, müssen Taxifahrer immer wieder aufs Neue eine Strecke zu dem gewünschten Fahrtziel des Kunden finden. Frankenstein et al. (2012) haben gezeigt, dass sich die Orientierung in einer Stadt an einem nach Norden ausgerichteten Stadtplan orientiert, auch wenn dieser gerade nicht benutzt wird. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Fähigkeit zur Orientierung von der Praxis und damit auch von der darin verwendeten Technik abhängt und sich physiologisch messbar niederschlägt.

15 | Das Argument ist hier nicht, dass dies die einzigen drei Typen sind. Es ist denkbar, dass sich ein vierter oder fünfter Typ beschreiben lässt.

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Die Idee von Navigationsgeräten besteht darin, dem Nutzer Hilfestellung bei dem Finden des Weges zu einem gewünschten Ziel zu geben. Das bedeutet, dass das Gerät dem Nutzer kognitive Operationen, wie das Bestimmen des Standorts in Relation zum Ziel und das Entwickeln von möglichen Wegen dahin, abnimmt. Dies hat zur Folge, dass bestimmte kognitive Operationen nicht gelernt bzw. nicht aktualisiert werden – so z.B. die Orientierung an einem nach Norden ausgerichteten Stadtplan, wenn Raum als Liste von Zielen vorgestellt wird. Nimwegen und Oostendorp (2009) weisen im Zusammenhang mit »guided and non-guided interfaces« darauf hin, dass der Einsatz von »guided interfaces« die Effizienz der Aufgabenbewältigung nicht erhöhe, während der Wechsel von einem »guided interface« zu einem »non-guided interface« zu einem signifikanten Absinken der Effizienz führe. Die Autoren raten daher zur Vorsicht, dem Nutzer bezüglich sicherheitskritischer Aufgaben zu viel Hilfestellung anzubieten. Die beschriebenen Effekte mögen zum Teil an der Auswahl der Probanden liegen, die unter Umständen qua ihres Könnens die geforderten Aufgaben relativ gut bewältigen bzw. lernen konnten. Für alltägliche Navigationsaufgaben könnten hier andere Vorzeichen gelten. Personen, die allein durch Lernen niemals auf ein bestimmtes Level der Bewältigung von Navigationsproblemen gekommen wären, können dies mit Hilfe von Navigationsgeräten durchaus. Das Argument bezüglich des umgekehrten Falls hat jedoch Bestand: Wenn plötzlich eine gewohnte Hilfestellung wegfällt, wird es nur in Ausnahmefällen gelingen, das Effizienzlevel zu halten. Die Zusammenhänge, die diese Ergebnisse zeigen, unterstützen die Eigenschaft des hier vorgestellten Raumtyps Knotenraum, eine Ansammlung von geografisch voneinander losgelösten Orten zu sein, der durch die Integration von GPS in eine Praktik entsteht.16 Im Fall der Eisenbahn wird, durch die Möglichkeit, Distanzen schneller zu überwinden, der Raum dazwischen zerstört und gleichzeitig neuer Raum erschlossen (Schivelbusch 1977). Informations- und Kommunikationstechnologie dreht diese Entwicklung weiter und Harvey diagnostiziert in seiner Analyse postmoderner Kulturformen und Kapitalakkumulationsmodi eine »neue Runde« der Kompression von Raum und Zeit (Harvey 1990) (vgl. Kap. 4.1: Raum – ein schillerndes Konzept). Navigations-

16 | Dies hängt natürlich auch von der Nutzungspraktik eines GPS-Gerätes ab. Das hier formulierte Argument gilt ausschließlich für die Verwendung von routingfähigen Navigationsgeräten. Wird ein GPS-Empfänger, der lediglich die eigene Position und Richtung und Entfernung zum Ziel anzeigt, eine Kombination aus GPS und externer Karte, die sich nicht automatisch ausrichtet, genutzt oder bestehen einschlägige Vorkenntnisse auf Seiten des Praktikers, dann liegt der Fall anders.

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geräte komprimieren Raum und Zeit nicht weiter. Abgesehen von vielleicht möglichen Optimierungseffekten von Strecken, sind Entfernungen mit GPS-Navigation nicht schneller zu bewältigen als ohne. GPS verschärft ganz dezidiert einen anderen Effekt, der bereits im Fall der Eisenbahn beteiligt war: Es blendet den Raum dazwischen aus. Das Mittel der Ausblendung ist jedoch nicht die Geschwindigkeit, sondern vielmehr eines kognitiver Natur. Die Wege selbst werden unwichtig. Weil die GPSInfrastruktur nicht an materielle Infrastrukturen gebunden ist, die Bahnen definieren, um zu funktionieren, wie dies im Fall von Eisenbahn oder Automobil der Fall ist, tendieren Praktiken, die diese Technik integrieren dazu, Räume zu erzeugen, die sich nicht als Bahnräume beschreiben lassen, sondern dem Idealtyp Knotenraum folgen.

9. Aspekte der Raumerzeugung

Praktiken erzeugen stets Räume, in denen sie stattfinden. Durch soziale Praktiken, charakterisiert durch ihre Organisation, werden raumrelevanten Elementen wie »sozialen Güter und Lebewesen« Plätze zugewiesen (»Spacing«) und in Relationen zueinander gebracht, d.h. als Raum zusammengefasst (»Synthese«) (Löw 2001) (Kap. 4.3: Raum als relationale (An)Ordnung). Auf diese Weise wird die räumliche Dimension einer Praktik erzeugt. In Kapitel 8: Ortsbestimmungen ..., wurde der Zusammenhang zwischen der Bestimmung von Orten und einem globalen Koordinatennetz, dem WGS84, herausgearbeitet. Es wurde gezeigt, dass Orte direkt aus Artefakten eines Koordinatennetzes abgeleitet werden können, dass die Adressierung von Orten durch eine Zahlenkombination die Möglichkeit bietet, ja nahelegt, Orte durch einen Algorithmus zu bestimmen und dass Geocaching sich von diesen Praktiken dadurch unterscheidet, dass es zusätzlich einen sozialen Prozess integriert, der zu der Bestimmung von Orten führt. Für die aus solchen Bestimmungsweisen resultierenden Orte wurde die Bezeichnung »Knoten« eingeführt. Für Räume, die überwiegend aus solchen Knoten bestehen, die Bezeichnung Knotenräume. Zusammen mit den beiden Typen Flächenraum und Bahnraum, die in Kapitel 8.4: GPS, WGS84 und Räume aus Flächen, Bahnen und Knoten, entwickelt worden sind, ergibt sich eine idealtypische Trias für Räume, die durch Praktiken erzeugt werden. In diesem Kapitel wird dem Raum, der durch die Praktik »Geocaching« erzeugt wird, nachgegangen und dessen Ausformung sichtbar gemacht. Die Praktik »Geocaching« findet nicht an einem einzelnen Ort statt. Dies unterscheidet sie von Praktiken wie »Fußball spielen«, »Tennis spielen«, »gemeinsam Essen« oder »ein Konzert geben/besuchen«, die alle Flächenräume erzeugen, d.h. Räume, die sich durch das Beschreiben einer Außengrenze charakterisieren lassen. Geocaching

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hingegen ist mobil. Praktiker bewegen sich während der Teilnahme an der Praktik und verweilen nicht am gleichen Ort. Es sind verschiedene geografische Positionen Teil der Praktik. Der Raum, der durch die Praktik »Geocaching« erzeugt wird, gehört also nicht zum Typ der Flächenräume, obwohl es vor Ort bei der Suche nach einem bestimmten Geocache auch zu einer Erzeugung von nicht-exklusiven Flächenräumen kommt. Hier handelt es sich jedoch um zwei verschiedene Skalierungsebenen. Für mobile Praktiken liegt es nahe zu prüfen, ob der durch sie erzeugte Raum vom Typ Bahnraum sein kann. Sich bewegende Personen konstituieren Wege und Bahnen. Wenn diese Bewegungen im Rahmen einer Praktik stabilisiert werden und sozial mit anderen, die an der gleichen Praktik teilnehmen, geteilt werden, dann kommt es zu stabilen Räumen, erzeugt durch eben diese Praktik, die aus Bahnen bestehen. Als paradigmatisches Beispiel für den Raumtyp Bahnraum wurde der Raum, der durch die Praktik »U-Bahn fahren« erzeugt wird, angeführt. Im Fall der Praktik »Geocaching« ist die Lage auf der einen Seite vergleichbar, auf der anderen Seite sehr verschieden. Gemeinsam ist dem »U-Bahn fahren« und dem »Geocaching«, dass es sich um mobile Praktiken handelt, deren Raum nicht visuell zu überschauen ist. Während jedoch im Fall der Praktik »U-Bahn fahren« der Raum der Praktik stark von den materiellen Gegebenheiten abhängt, auf die Personen, die die Praktik ausüben, keinen Einfluss haben, spielen solche materiellen Einschränkungen beim Geocaching eine weniger entscheidende Rolle. Wege sind hier in Bezug auf ihre Materialität zu einem hohen Grad frei wählbar. Ziele (Orte) werden durch die Praktik bestimmt. Einzelne Praktiker können durch das Legen eines Geocaches einen neuen Ort zur Menge möglicher Ziele hinzufügen. Dies ist im Fall der Praktik »U-Bahn fahren« nicht möglich. Kein Praktiker kann eine neue Haltestelle bestimmen. Der Unterschied liegt also darin, was (welche Elemente) mit welchem Grad von Stabilität ausgestattet ist. Bei Bahnräumen sind es die Bahnen, die durch die Praktik und in diese integrierte Materialitäten, Infrastrukturen und Arten und Weisen etwas zu tun mit hoher Stabilität ausgestattet sind. Beim Geocaching sind diese Bahnen vom Gesichtspunkt der Praktik her relativ frei wählbar. Es sind nur die Geocaches (Knoten), die überdauern und durch die Praktik stabilisiert werden. Daher handelt es sich in diesem Fall um einen Knotenraum. Der Raum, der durch die Praktik »Geocaching« erzeugt wird, folgt daher eher dem Muster eines Knotenraums. Ein solcher Typ von Raum zeichnet sich dadurch aus, dass er eine Menge von Lokationen (Knoten) umfasst, die mit bestimmten Eigenschaften ausgestattet sind und die durch die Praktiker in der Praxis in Relation zueinander gebracht werden. Projiziert auf eine territoriale Karte ist diese Menge von Konten versprengt und unzusammenhängend. Aus der Perspektive der Praktiker trifft dies nicht zu. Der Raum stellt sich wohlgeordnet und nachvollziehbar dar. Wie dies im Einzelnen, geschieht wird in diesem Kapitel beschrieben.

9. Aspekte der Raumerzeugung | 179

Idealtypisch lassen sich die drei genannten Raumtypen (Flächen-, Bahn- und Knotenraum) voneinander unterscheiden. Empirisch ist dies – wie bei Idealtypen üblich –nicht in jedem Fall möglich. Werden bei der Praktik »U-Bahn fahren« nicht auch Flächenräume in den Waggons und auf den Bahnsteigen erzeugt? Lässt sich der Raum, der durch die Praktik »Fußball spielen« erzeugt wird, nicht auch als Knotenraum verstehen, in dem die Spieler, das Tor oder der Ball Knoten darstellen? Die Antwort auf diese Fragen liegt in der Skalierbarkeit von relationalen Raumkonzepten (vgl. Kap. 4.3: Raum als relationale (An)Ordnung). Das bedeutet, dass diese auf unterschiedlichen Ebenen anwendbar sind. Im Fall von Geocaching lassen sich zwei Ebenen voneinander unterscheiden: Zum einen die Ebene, auf der die Positionen, an denen Geocaches versteckt sind, als Orte erscheinen und deren Relationen zueinander den Raum bestimmen. Der Prozess der Raumerzeugung besteht darin, diese Orte (Geocaches) zu legen und so einen Bewegungs-/Orientierungsraum zu konstituieren. Hier haben wir es mit einem Raum zu tun, der dem Idealtyp des Knotenraums folgt und der nur sichtbar wird, wenn Geocaching auf der Ebene einer Praktik untersucht wird. Zum anderen eine zweite Ebene, die sich auf einer höheren Zoomstufe befindet, d.h. die Bestandteile sind kleinteiliger: Orte der ersten Ebene erscheinen hier als Räume. Ein solcher Raum ist z.B. die Umgebung eines Geocaches, bestehend aus Elementen wie »sozialen Gütern und Lebewesen« (Löw 2001) und nicht zuletzt des Geocaches selbst, der sich an Orten in diesem Raum aufhält oder platziert wurde. Der Raum, der beim Suchen des Geocaches vor Ort konstituiert wird, ist als Flächenraum beschreibbar. Ebenso wie der Raum, der während der Anfahrt mit dem Auto innerhalb desselben konstituiert wird. Diese zweite Ebene wird sowohl auf der Ebene der Praktik (Raumerzeugung) als auch auf der Ebene der Praxis (Raumkonstitution) sichtbar. Im folgenden Kapitel wird einzelnen Aspekten der Praktik »Geocaching« im Detail nachgegangen, die in Bezug auf die räumliche Dimension der Praktik relevant sind. Die Aktivitäten »einteilen«, »platzieren«, »auswählen«, »zählen« und »abgrenzen« bezeichnen fünf Modi des Tuns, die Teil der Praktik sind und an der Erzeugung der räumlichen Dimension der Praktik beteiligt sind. Diese fünf Modi des Tuns gliedern das Kapitel in fünf Abschnitte, in denen das jeweilige Tun mit Bezug auf seine räumliche Relevanz beschrieben wird.

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9.1 KONFIGURATION : E INTEILEN »B: Mit den Koordinaten (1) gibts halt das Problem, dass du nicht überall Empfang hast @klingt blöd ist aber ein großes Problem ja also@.« (Böhm: 55)

Orte eines Raumes werden mit Martina Löw durch »die Besetzung mit sozialen Gütern oder Menschen kenntlich gemacht« (Löw 2001: 198). Jedoch ist nicht nur Ort, was in dieser Weise besetzt ist, denn Orte »verschwinden [...] nicht mit dem Objekt, sondern stehen dann [nach Entfernung des Objekts, PG] für andere Besetzungen zur Verfügung« (ebd.). So verstanden sind Orte Raumstellen, Slots oder Fächer, die entweder mit Elementen des Raums besetzt sind oder, wenn sie es nicht sind, besetzt werden können. Räume, die durch Praktiken erzeugt werden, haben eine gewisse Stabilität, die sich aus der Stabilität der erzeugenden Praktik ergibt. Mit einer immer wieder auf hinreichend ähnliche Weise reproduzierten, d.h. institutionalisierten, Praktik und damit einem immer wieder auf hinreichend ähnliche Weise erzeugten Raum, geht also eine ebenso stabile Einteilung in Raumstellen einher. Diese Einteilung ist ein zentraler Aspekt des Raums und wird in der vorliegenden Arbeit als dessen Konfiguration bezeichnet (vgl. Kap. 4.3: Raum als relationale (An)Ordnung). Veranschaulichen lässt sich die Konfiguration eines Raumes am Beispiel eines Schachbretts. Auf einem solchen Brett wird durch die Praktik »Schach spielen« ein Raum erzeugt. Die Konfiguration dieses Raums zeigt sich in der Anordnung der Felder als 8 x 8 Quadrate. Diese insgesamt 64 Quadrate stellen die Orte dieses Raums dar. Streng genommen handelt es sich hierbei nicht um die einzigen Orte des Raumes, der durch die Praktik »Schach spielen« erzeugt wird. Denn in diesem Raum sind nicht nur die Spielfiguren anwesend, sondern mindestens noch die Spieler. Der Raum der Praktik erstreckt sich also über das Spielfeld hinaus. Schachfelder können mit Spielfiguren nach bestimmten Regeln besetzt werden oder bleiben frei, der Raum behält jedoch stets sein Konfiguration bei, weil die Praktik »Schach spielen« äußerst stabil ist. Im Folgenden soll nun die Konfiguration des Raums sichtbar gemacht werden, der durch die Praktik »Geocaching« erzeugt wird. Die Argumentationsstrategie besteht darin, zunächst anzunehmen, dass es das GPS zusammen mit dem WGS84 ermöglicht, die Koordinaten jeder Position auf der Erdoberfläche zu bestimmen, also diese markieren und wiederfinden zu können. Dies führt zu einer schier unüberschaubaren Menge von möglichen Orten. Aus verschiedenen Gründen wird diese schier unglaubliche Menge numerisch reduziert und strukturell zugerichtet bzw. konfiguriert, wobei

9. Aspekte der Raumerzeugung | 181

die Menge der möglichen Positionen weiterhin sehr groß bleibt. Die Gründe für diese Reduktion und Zurichtung werden der Reihe nach herausgearbeitet. So entsteht ein Bild von der Konfiguration des Raums der Praktik »Geocaching«. Trotz des hier verwendeten heuristischen Fokusses auf Einschränkungen darf nicht vergessen werden, dass dem GPS ganz im Gegenteil eine primär ermöglichende Funktion zukommt. Es macht Orte möglich, die in Praktiken, die kein GPS integrieren, nicht in vergleichbarer Weise verfügbar wären. Die im Folgenden diskutierten Einschränkungen zeichnen die Zurichtung der Menge aller Punkte der Erde zu der Menge aller Orte, die in der Praktik »Geocaching« Orte sind, nach. In Kapitel 7.5: Das infrastrukturelle Arrangement des »Geocachings«, sind die technischen Möglichkeiten, aber auch die technisch bedingten Einschränkungen, die die Positionsbestimmung mit Hilfe von GPS und handelsüblichen Empfängern mit sich bringt, beschrieben worden: Obwohl es das GPS prinzipiell ermöglicht, überall auf der Erdoberfläche die Position mit einer Abweichung von wenigen Metern zu bestimmen, ist dies in der Praxis nicht in jedem Fall möglich. Ist der direkte Blick zum Himmel verstellt, kommt es zu Problemen bei der Positionsbestimmung (die Ungenauigkeit steigt, die Position fängt an zu springen) oder diese ist sogar gänzlich unmöglich (z.B. in Gebäuden). Damit ist die Menge der möglichen Positionen für das Platzieren von Geocaches bereits von technischer Seite her weit mehr eingeschränkt, als auf den ersten Blick anzunehmen ist. Für diese Art von technischen Einschränkungen und Problemen gibt es jedoch Umgehungsstrategien wie das Triangulieren oder die Nutzung von Hinweisen, um letztendlich doch Geocaches an »unmöglichen« Orten zu platzieren. »B: Mit den Koordinaten (1) gibts halt das Problem, dass du nicht überall Empfang hast @klingt blöd ist aber ein großes Problem ja also@. Es gibt total tolle Locations da kannste aber kein Cache platzieren, weil einfach (I: Okay) Bäume oder auch so Hochhäuser (.) ja also in der Stadt, da bin ich mal, da gibts so, da bei diesem Äpplerglas da in Frankfurt da gibt’s doch so an der schräg gegenüber von der Uniklinik so ein Hochhaus, sieht aus wie ein Äpplerglas. Ist ganz bekannt. I: Achso das das ist aber ziemlich groß dann oder? (B: jaja) Das sieht man auch von weiterB: Von weitem genau und da ist auch ein Cache versteckt, den findest du nur sehr schwer, weil halt durch diese ganze Fassaden, ich weiß jetzt (.) die Koordinaten immer so springen. Ich kanns jetzt nicht technisch nicht erklären, aber also da hast du halt schlechten fix und wenn du da stehst, obwohl du dich nicht bewegst sagt dein Gerät du läufst die ganze Zeit im @Kreis@

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und so kann man natürlich die Dose nicht finden, wenn die so groß ist wie ein Fingerhut [...].« (Böhm 55)

Triangulation ist ein bekanntes Vorgehen aus der Navigation. Hierbei wird die eigene Position aus ihrer Lage relativ zu anderen Orten errechnet, deren Position bekannt ist (z.B. Landmarken). Bei Geocaches, die z.B. in Schluchten oder an Hochhäusern versteckt sind, sodass der Blick zum Himmel durch steil aufragende Wände verdeckt ist, muss in dieser Art vorgegangen werden. Ein Praktiker beschreibt diese Situation wie folgt: »B: [...] Und das kann auch passieren, wenn man irgendwo in einer Schlucht ist oder so, dass da hat man auch wenig Satelliten und dann kommt es zu Koordinatensprüngen. Dann ist man auf einmal bei den und den Koordinaten und im nächsten Moment hundert Meter weit entfernt. I: Und das passiert auch? B: Das passiert halt, wenn man irgendwo eng in Schluchten oder so ist, weil die Caches sind an den unmöglichsten (sch) halt platziert (I: Mhm) das kommt schon mal vor, aber ja. I: Und was macht man dann? Wie geht man damit um? B: Ja dann sucht man, dann geht man aus der Schlucht raus, guckt, dass man irgendwo einen genaueren (.) Empfang nochmal hat und dann muss man quasi auf die konventionelle Methode suchen. Da stellt man sich (.) dann geht man ein Stück bleibt stehen und dann hat man, weil das Gerät keinen integrierten Kompass hat. Also die Kompassnadel wird quasi anhand des GPSSignals ausgerichtet. Dann bleibt man stehen und dann hat man eine Entfernung, wie weit das noch entfernt ist (I: Mhm) und eine Richtung und dann muss man quasi ungefähr schätzen, wo das dann (.) wo dieser Punkt dann ist (I: Okay) und kommt dann relativ genau an diese Stelle, wo das dann auch versteckt ist. Allerdings halt ist es schon ein bisschen umständlich, aber es ist machbar.« (Kamps: 126)

Bei dieser Lösung wird die Funktion von GPS-Empfängern ausgenutzt, Entfernung und Richtung vom aktuellen Standpunkt zu einer bestimmten Koordinate anzuzeigen. Wenn eine Position gefunden werden soll, an der der Empfang umgebungsbedingt schlecht ist, bewegt man sich zu einer nahegelegenen Position, an der der Empfang gut ist, und bewegt sich von dort für die angegebene Distanz in die angegebene Richtung. Die zitierte Erzählung macht dabei nicht den Anschein einer exakten Vorgehensweise. Die Beschreibung erweckt eher den Eindruck eines improvisierenden Vorgehens. Ob dies der Erzählung oder dem tatsächlichen Vorgehen der Person geschuldet

9. Aspekte der Raumerzeugung | 183

ist, bleibt an dieser Stelle ungeklärt. Auf diesem Detailgrad sind für diese Problemstellung verschiedene Vorgehensweisen zu beobachten. Entscheidend für die hiesige Diskussionsebene der Praktik ist, dass das Problem in der Praxis lösbar ist. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Position mit Hilfe der Koordinaten des Geocaches auf einer Karte genau zu bestimmen und dann die Position im Gelände anhand der Lage zu bekannten materiellen Gegebenheiten (Wegen, Kreuzungen, Bachläufen etc.) abzuschätzen. Dies funktioniert allerdings nicht in Umgebungen, in denen es an markanten Landschaftsmerkmalen fehlt (Wald, Wiese, Feld etc.).1 Auch derjenige, der einen Geocache platziert, kann bereits auf die Situation reagieren, indem er die Koordinaten des Caches an einen Ort in der Nähe verlegt, der gut zu bestimmen ist, und von da aus den Suchenden per Hinweis zum letztendlichen Versteck lotst. Folgendes Zitat aus einem Forum verdeutlicht diese Vorgehensweise. »[...] Eigentlich hätte es ja ein ganz einfacher Tradi werden sollen. Da aber vor Ort der Empfang recht schlecht war, hab ich kurzerhand die Koordinaten am Waldrand genommen und einen kleinen ›Kreuzweg‹ zum Friedhof gebaut. [...]«2

Der Empfang an dem Platz, an dem der Geocache eigentlich versteckt werden sollte, ist an der eigentlich anvisierten Stelle so schlecht, dass sich die Person dafür entscheidet, an einer Position mit gutem Empfang zu starten und von da aus den Weg kenntlich zu machen. Es existieren also funktionierende Umgehungsstrategien für eine technische Einschränkung des GPS. Für die hier interessierende Frage nach den Orten eines Raumes, der durch die Praktik »Geocaching« erzeugt wird, bedeutet das, dass das Koordinatennetz WGS84 auch über die zunächst technische Nutzbarkeit durch GPS hinaus diesen konfigurieren kann. Es handelt sich hierbei gewissermaßen um eine Optimierung von Nutzerseite. Die Menge aller möglichen Plätze, und damit die Konfiguration des Raums, wird aber nicht durch technische Bedingungen allein zugerichtet, sondern auch durch geltendes Recht, von expliziten Regeln der Praktik und Besonderheiten der Praktik.

1 | Tatsächlich ist diese Bestimmung der Position des Gecaches mit einer Landkarte in einem Gebiet, in dem es viele Orientierungspunkte wie Straßenecken, Grünstreifen, Hausecken etc. gibt, die auf Karten verzeichnet sind, eine Möglichkeit, auch ohne GPS-Gerät Geocaches zu finden. Allerdings ist diese Methode nur bei bestimmten Geocaches anwendbar, deren Position dies zulässt. 2 | Quelle: http://www.abzumcachen.de/friedhof-der-kuscheltiere-gc24vb6.html, gesehen: 22.04.2013.

184 | Flächen – Bahnen – Knoten

Wer die Plattform www.geocaching.com nutzt, ist verpflichtet, sich an folgende Regeln für das Platzieren von Geocaches zu halten: »Fundamental Placement Guidelines 1. All local laws and documented land management policies apply. 2. You assure us that you have the landowner’s and/or land manager’s permission before you hide any geocache, whether placed on private or public property. 3. Geocaches are never buried. 4. Geocache placements do not deface or destroy public or private property. 5. Wildlife is not harmed in the pursuit of geocaching. 6. Geocaches are not placed on school property or military bases. 7. Geocaches should generally be at least 0.10 miles or 161 meters apart. 8. Geocaches are allowed in space, other planets and spacecraft.«3

Dieser Regelkatalog hat mindestens zwei Zwecke: Zum einen konfiguriert er tatsächlich die Struktur des Raums, der von der Praktik »Geocaching« erzeugt wird, indem er bestimmte Platzierungen verbietet und andere an Bedingungen knüpft. Gerade die Regel, dass alle Teile eines Geocaches mindestens 161 Meter von Teilen anderer Geocaches entfernt sein müssen (»Abstandsregel«), hat in der Praxis eine hohe Relevanz. Zum anderen dienen die Regeln dazu, die Verantwortung für die Platzierungen auf die vor Ort involvierten Personen zu übertragen. Der erste Punkt fordert, dass alle örtlichen Gesetze eingehalten werden. Faktisch ist die Gesetzeslage bezüglich Geocaching in Deutschland, weil das Phänomen relativ neu ist und ganz unterschiedliche Bereiche potentiell berührt werden, nicht eindeutig, sondern Gegenstand von andauernden juristischen und politischen Aushandlungen auf niedrigem Level (vgl. Kap. 9.5: Raumkonkurrenz: Abgrenzen), aus denen sich Groundspeak Inc. als Betreiber von www.geocaching.com und damit als Betreiber einer globalen Infrastruktur geschickt heraushält. Der folgende Abschnitt gibt einen Überblick über die juristische Situation in Deutschland. Juristische Konfiguration Positionen, an denen Geocaches platziert werden können, werden auch durch gesetzliche Regelungen, die z.B. Privateigentum schützen, mitbestimmt und auf diese Weise die Menge der technisch möglichen Positionen reduziert. In diesem Abschnitt wird daher die juristische Perspektive auf die Praktik »Geocaching« nachvollzogen. Dies geschieht mit Rückgriff auf Louis et al. (2011a) »Zivilrechtliche Probleme des

3 | Quelle: http://www.geocaching.com/about/guidelines.aspx, gesehen: 23.04.2012.

9. Aspekte der Raumerzeugung | 185

Geocachings« und Louis et al. (2011b) »Öffentlich-rechtliche und strafrechtliche Probleme des Geocaching«. Diese beiden Publikationen sind nach Recherche des Autors zum Zeitpunkt der Verschriftlichung der Untersuchungsergebnisse (3/2013) die einzigen, die sich im deutschen Rechtsraum explizit mit der Problematik Geocaching aus juristischer Perspektive beschäftigen. Darüber hinaus findet sich in den einschlägigen Urteilsdatenbanken für den deutschen Rechtsraum (Juris, beck-online) allein ein Urteil des Landgerichts Heidelberg.4 Dies mag daran liegen, dass Geocaching relativ unbemerkt stattfindet. Dies ist durch das Moment des Versteckens der Praktik gewissermaßen von Beginn an eingeschrieben. Dies mag aber auch daran liegen, dass ebenso wie Praktiken ineinander fließen und miteinander verwandt sind auch in erwartbarer Weise die Probleme, die mit ihnen verbunden sind, Ähnlichkeiten haben. Dies hätte zur Folge, dass Geocaching relevante Probleme nicht notwendigerweise unter dem Stichwort Geocaching verhandelt würden. Die grundlegende Fragestellung, die sich juristisch bezüglich der Praktik »Geocaching« stellt, lautet, wer welche Flächen betreten darf und gegebenenfalls befugt ist, dort Gegenstände (Geocaches) zu hinterlassen. Privateigentum genießt in Deutschland einen besonderen Schutz. Der Eigentümer von Grundstücken habe nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG und §903 S. 1 BGB »die Befugnis, mit der ihm gehörenden Sache beliebig zu verfahren und andere von jeglicher Einwirkung auszuschließen« (Louis et al. 2011a: 533). Dies bedeute, der Eigentümer müsse bei der Platzierung eines Geocaches auf seinem Eigentum dem im Vorfeld zustimmen. Wird dieses Recht verletzt, habe der Eigentümer einen Abwehranspruch, der jedoch an drei gleichzeitig zu erfüllende Bedingungen geknüpft sei: 1. Die Beeinträchtigung des Eigentums, welche im Fall des Platzieren eines Geocaches gegeben sei (ebd.: 534). 2. Die Zurechenbarkeit der Beeinträchtigung, welche ebenso gegeben sei (ebd.).5

4 | In diesem wird geurteilt, dass »[w]er einen außerhalb des ursprünglich vorgesehenen Verstecks befindlichen, deshalb besitzlosen Geocache an sich nimmt und weg bringt, hat als Finder die Pflicht zur Verwahrung. Diese Pflicht wird verletzt, wenn stattdessen der Geocache an einem beliebigen, vom Finder als geeignet angesehenen Ort wieder abgelegt und seinem Schicksal überlassen wird.« (LG Heidelberg, Urteil vom 04.03.2013 - 5 S 61/12, juris) Dem Besitzer des fraglichen, relativ aufwendigen, Geocache wird ein Schadensersatz von gut 1.000,- Euro zugesprochen. 5 | Um einen Geocache auf www.geocaching.com und auch auf anderen Plattformen einzutragen, ist es notwendig einen Account anzulegen.

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3. Die Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung. Hier sei die Lage uneindeutig, da Eigentümer von Grundstücken auf der anderen Seite zur Duldung verpflichtet seien, falls eine Störung als »sozialadäquat« einzustufen sei. »Als sozialadäquat eingestuft wurde beispielsweise im Rahmen des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses der Fall, dass ab und zu ein Ball in den Garten des Nachbarn fliegt.« (Ebd.) Bezüglich freier Landschaft und Wald, der von Spaziergängern, Wanderern und Radfahrern regelmäßig genutzt wird, »könnten auch das Betreten durch Geocacher und das Legen kleiner Caches bereits als sozialadäquates Verhalten hinzunehmen sein« (ebd.: 535). Jedoch wäre dies nicht mehr zumutbar, »sobald größere Gruppen oder eine Vielzahl einzelner Geocacher regelmäßig das Versteck des Caches aufsuchen« (ebd.). Zusätzlich zu dieser privatrechtlichen Lage gibt es in Deutschland Regelungen, die das Betreten von Wald und Flur »traditionell jedermann gestatten und durch bundes- und landesrechtliche Regelungen gewährleiste[n]« (ebd.). Obwohl es Unterschiede zwischen den Regelungen der verschiedenen Länder gibt, seien diese in Bezug auf das Betreten zu Fuß weitgehend identisch. Das Betretungsrecht decke jedoch nicht das Verstecken und Lagern von Geocaches (ebd.). Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass das Suchen eines Geocaches als Betreten eingestuft werden könne, das Legen allerdings nicht. In der Regel sei davon auszugehen, dass der Eigentümer jedoch Geocaches adäquater Größe als sozialadäquat einstufen und somit dulden würde (ebd.: 536). Dieser Zusammenhang stellt genau den kritischen Punkt dar, an dem es in der Praxis auf eine respektvolle Koexistenz von Geocachern und Grundstücksbesitzern ankommt. Über diese grundsätzlichen Erwägungen hinaus kommen beim Geocachen Naturschutz- und jagdrechtliche Zusammenhänge zum Tragen (vgl. Louis et al. 2011b). Während nach Auffassung der Autoren Landschaftsschutzgebiete kein Problem für das Geocachen darstellten, sei die Lage im Fall von Naturschutzgebieten und Nationalparks eindeutig gegen Geocaching zu werten, da erstere einem »absolutem Veränderungsverbot« unterlägen und letztere in der Regel ein strenges Wegegebot hätten (ebd.: 619 f.). Aus strafrechtlicher Perspektive ist für die hier verfolgte Frage nach der Konfiguration des Raumes der Tatbestand des Hausfriedensbruchs relevant, weil auch dieser das Betreten von Flächen regelt. Ein solcher Tatbestand liegt dann vor, wenn »widerrechtlich fremdes befriedetes Besitztum betreten bzw. dort unbefugt verweil[t wird]« (ebd.: 624). Eingefriedet sei ein Grundstück dann, »wenn es der berechtigte Inhaber in äußerlich erkennbarer Weise mittels zusammenhängender Schutzwehren gegen das beliebige Betreten durch andere gesichert hat, z.B. durch Mauern, Zäune oder Hecken. Weder ist eine vollständige Abschließung noch eine tatsächliche Erschwerung des Zugangs erforderlich.« (Ebd.) Die Autoren kommen zu dem Schluss,

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dass Geocacher sich in diesen Fällen auf »das naturschutzrechtliche Betretensrecht berufen könnten. Dieses schließt die Rechtswidrigkeit aus, sodass Strafbarkeit wegen Hausfriedensbruchs in diesen Fällen nicht in Betracht kommt.« (Ebd.) Geht es nicht um Wald und Flur, sondern um bebaute Grundstücke, kann sich der Fall durchaus anders darstellen. So machte sich ein Richter die Auffassung zu eigen, dass es sich bei dem Betreten eines verlassenen Fernmeldeturms durchaus um einen Hausfriedensbruch handele. Das Verfahren wurde jedoch wegen Geringfügigkeit eingestellt (vgl. Schlüchtermann 2010). Louis et al. konzentrieren sich in ihrer Analyse auf Wald und Flur. Geocaching findet aber auch zum großen Teil in Städten statt. Im Grunde greifen die dargestellten Zusammenhänge bezüglich Grundstücken auch in diesem Fall. Jedoch gibt es kein allgemeines Betretungsrecht zu Erholungszwecken für Flächen in Städten vergleichbar dem im Fall von Wald und Flur. Die rechtliche Lage ist in Städten aufgrund der Vielfältigkeit der Nutzung und der Typen von Besitzverhältnissen wesentlich komplexer und bedürfte im Einzelfall der juristischen Klärung. Es ist offensichtlich, dass hier neben dem Schutz von Privateigentum, Regelungen wie die Straßenverkehrsordnung oder Hausordnungen, z.B. in Bahnhöfen oder Parks, relevant werden. Diese Bedingungen werden beim Platzieren von Geocaches von Praktikern in der Regel vorausschauend beachtet und auf diese Weise die Menge der möglichen Positionen weiter zugerichtet, d.h. das Muster der Orte konfiguriert. Ebenso wie es bei den besprochenen technischen Zurichtungen Umgehungsstrategien gibt, gibt es auch in diesem Fall Umstände, die die Ausschließlichkeit solcher juristischen Bedingungen relativieren.6 Bereits der Begriff der »sozialen Adäquatheit«, der im juristischen Diskurs verwendet wird, verweist auf soziale Aushandlun-

6 | Im Unterschied zu technischen Schwierigkeiten schlagen juristische Einschränkungen nicht unmittelbar auf eine Praktik durch. Das bedeutet während eine ungenaue Positionsangabe aufgrund von Reflexionen des Satellitensignals eine Gegebenheit ist, die eine genaue Positionsangabe verhindert, verhindert das Verbot Gegenstände in Naturschutzgebieten zu hinterlassen nicht unmittelbar dies trotzdem zu tun. Erst die Verfolgung und Durchsetzung des Verbots oder die vorausschauende Beachtung, die das Wissen um das Verbot voraussetzt, verhelfen diesem zur Geltung und damit zur tatsächlichen Konfiguration des Raumes, der durch die Praktik »Geocaching« erzeugt wird. »B: Bei Wiesbaden gibts das. Eltville hat einen. Wo man dann vom Rhein in die Kanalisation rein muss. I: Ok. Und ist das, ist das öffentlich dann oder darf man das? B: Da steht kein Betreten verboten. Ich meine wer läuft vom Rhein schon in die Kanalisation (.) @« (Schmitz: 31).

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gen, die nur anhand von Fällen entschieden werden können. Hinzu kommt, dass das, was als »sozial adäquat« akzeptiert wird, ebenso wie gesellschaftliche Zusammenhänge im Allgemeinen, Veränderungen unterworfen ist. Es ist möglich, sich Geocaching als Praktik vorzustellen, deren Bestandteil es ist, aggressiv Raumgrenzen oder Raumdeutungen zu testen und in Frage zu stellen, eine Praktik also, die sich in erster Linie um eine subversive Idee herum konstituiert.7 Dies ist jedoch nicht zutreffend.8 Das Betreten von Orten, die sonst nicht oder nicht in dieser Weise betreten werden, spielt zweifellos eine zentrale Rolle. Jedoch berührt dieses Erweitern oder Umdeuten von Räumen nur selten – und wenn in der Regel unbeabsichtigt – juristische Sachverhalte. Diese Hypothese lässt sich durch zwei Argumente stützen: 1. Geocaching ist keine anonyme Praktik. Um Geocaches zu legen und ihren Fund zu loggen, braucht man einen Account und ist damit identifizierbar. 2. Geocaching.com fordert, wie erwähnt, die Einhaltung der geltenden Gesetze. Falls ein Grundstücksbesitzer nicht mit der Platzierung eines Geocaches auf seinem Grund einverstanden ist, kann er sich direkt an Groundspeak Inc. wenden.9 Der Geocache wird dann überprüft und der Besitzer (»Owner«) zum Entfernen aufgefordert. In jedem Fall wird der Geocache aber in der Datenbank archiviert. Das hat zur Folge, dass ein trotzdem gemachter Fund nicht mehr geloggt werden kann. Eine solche virtuelle (Online-)Löschung kommt praktisch der physikalischen (Offline-)Entfernung gleich, da niemand einen Geocache suchen wird, den er nicht auch online loggen kann. Ein weiterer interessanter Aspekt in diesem Zusammenhang ist, dass die Praktik »Geocaching« grundsätzlich davon lebt, dass nur »Eingeweihte« (Praktiker) wissen, wo sich ein Geocache befindet. Geocaches sollten so versteckt sein, dass sie nicht durch Zufall von Unbeteiligten gefunden werden (vgl. Kap. 9.5: Raumkonkurrenz: Abgrenzen). Juristische Regelungen werden aber erst dann relevant, wenn es einen Kläger gibt. Die Praktik »Geocaching« bewegt sich also hinsichtlich der juristischen Konfiguration des Raums, der durch sie erzeugt wird, gewissermaßen latent unter der gesellschaftlichen Wahrnehmungsschwelle. So gab bzw. gibt es Geocaches in Na-

7 | Dies ist z.B. zutreffend bei »guerilla gardening« (heimliches Säen von Pflanzen im öffentlichen Raum), »guerilla knitting« (Verändern von Gegenständen im öffentlichen Raum durch [Um-]Stricken) oder auch der Sportart »Parkour« bei der es darum geht mit Hilfe von athletischer Körperbeherrschung alternative Wege durch urbane Landschaften zu finden. 8 | Vgl. dazu die Diskussion um einen angemessenen Namen in Kap. 7.2: Entstehungsgeschichte. 9 | Auf geocaching.com geht dies über die Site »Landverwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden« (www.geocaching.com/parksandpolice/default.aspx, gesehen 11.03.2013).

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turschutzgebieten, was nach Darstellung von Louis et al. aus juristischer Perspektive unzulässig ist (Louis et al. 2011b: 619 f.). Dies wurde und wird entweder aus Unwissenheit oder wegen einer Einstufung als unbedenklich geduldet. Dies verweist wiederum auf Aushandlungen auf niedrigem Niveau, die jedoch auch mit explizitem Verbot enden können. In der »Ordnungsbehördlichen Verordnung zur Festsetzung des Naturschutzgebietes ›Bilstein / Rosenberg‹ im Regierungsbezirk Arnsberg vom 3.11.2011« findet sich so z.B. in §3 Abs. 1 S. 15 folgende Formulierung: »Es ist verboten [. . . ] Sport- und Kulturveranstaltungen aller Art durchzuführen sowie Einrichtungen für den Wasser-, Eis-, Motor-, Ball-, Luft und Schießsport sowie für entsprechenden Modellsport bereitzustellen, anzulegen oder zu ändern und diese sowie vergleichbare Sportarten (Geocaching) zu betreiben bzw. auszuüben.« (Bezirksregierung Arnsberg als höhere Landschaftsbehörde 2011)

Festzuhalten ist, dass die Menge der Positionen, an denen Geocaches platziert werden können, nicht nur durch technische Bedingungen, sondern auch durch juristische Bedingungen und damit gesellschaftliche Umstände zugerichtet und damit reduziert wird auch wenn letztere erst im Laufe der Zeit durch Aushandlungsprozesse in die beobachtbare Praktik eingearbeitet werden.10 Während juristische Bedingungen in einem Rechtsraum und technische Bedingungen von Technologien, die von einer Praktik integriert werden, allgemein geltende Bedingungen darstellen, gilt es für die Frage nach der Konfiguration von Orten des Raumes, der von der Praktik »Geocaching« erzeugt wird, zudem explizite Regeln zu beachten, die nur für diese bestimmte Praktik gelten. Konfiguration durch explizite Regeln der Praktik Der eingangs dieses Abschnitts zitierte Regelkatalog ist zum Teil redundant und pointiert in einzelnen Regeln nur, was bereits in anderen enthalten ist. So sind die Regeln Nummer vier (»Geocache placements do not deface or destroy public or private property«) und sechs (»Geocaches are not placed on school property or military bases«) zumindestens für Deutschland in der ersten Regel enthalten, in der darauf hingewiesen wird, dass alle lokalen Gesetze eingehalten werden müssen. Diese Dopplung mag zum einen daran liegen, dass die Rechtslage in verschiedenen Ländern in denen Geo-

10 | Sammlungen von relevanten Regelungen auf Bundes- und Länderebene sind hier zu finden: - https://wiki.groundspeak.com/display/GEO/Germany, gesehen: 24.10.2012 und - http://www.gc-reviewer.de/spezielle-regelungen/, gesehen: 24.10.2012.

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caching praktiziert wird, unterschiedlich ist, zum anderen, dass auf bestimmte Punkte explizit hingewiesen wird und so zum Teil des allgemeinen Verständnisses der Praktik gemacht werden soll.11 Letzteres gilt für Regel Nummer fünf (»Wildlife is not harmed in the pursuit of geocaching«). Regel Nummer drei (»Geocaches are never buried«) bezieht sich auf die Art des Verstecks, aber nicht auf die geografische Position und ist deshalb für die hier verfolgte Frage nicht relevant.12 Regel Nummer sieben, die sogenannte »Abstandsregel«, hat hingegen einen massiven Einfluss auf die Konfiguration des Raumes, der durch die Praktik »Geocaching« erzeugt wird. Die Regel besagt, dass jedes physikalische Element eines Caches einen Mindestabstand von 161 Meter zu jedem anderen physikalischen Element eines anderen Geocaches einhalten muss. Auf www.geocaching.com wird dies illustriert, wie in Abbildung 21 zu sehen. Im Unterschied zu den technischen Einschränkungen, die durch materielle Gegebenheiten bedingt sind, und juristischen Einschränkungen, die abhängig von Besitzverhältnissen und festgeschriebenen Nutzungsweisen für bestimmte Flächen bestimmt sind, ist die Abstandsregel ein abstraktes Kriterium, das die maximale Dichte von Geocaches festlegt. Sie ist kein prinzipielles, sondern ein relatives Kriterium. Relativ ist dieses Kriterium deshalb, weil es die Eignung von Gebieten für das Legen von Geocaches von der Lage anderer Geocaches abhängig macht. Technische oder juristische Bedingungen und explizite Regeln der Praktik sind aber nicht die einzigen Einflüsse, die die zunächst so unendlich groß erscheinende Menge von potentiellen Positionen an denen Geocaches versteckt werden können, zurichtet und reduziert. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels wird es deshalb um die weitere Zurichtung dieser Menge gehen, die durch Besonderheiten der Praktik »Geocaching« selbst bedingt ist.

11 | In diesem Sinne würde es sich dann bei dem Regelkatalog auch um eine Form von Öffentlichkeitsarbeit handeln. 12 | Interessanterweise war der erste jemals gelegte Geocache vergraben (vgl. Kap. 7.2: Entstehungsgeschichte).

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Abb. 21: Beispiele für erlaubte/nicht erlaubte Abstände von Geocaches

Quelle: www.geocaching.com

Konfiguration durch Besonderheiten der Praktik Geocaching ist eine Praktik, bei der es darum geht, Behälter unterschiedlicher Größe (Geocaches), die andere Personen zuvor versteckt haben, zu finden. Die Information, wo solche Geocaches versteckt sind, erhält man aus einer Datenbank, die über das Internet zugänglich ist und so rund um die Uhr abgerufen werden kann. Die Suche kann jederzeit beginnen. Es ist dazu keine vorherige Verabredung mit anderen Personen nötig. Das bedeutet, dass Geocaches an Orten versteckt sein müssen, an denen sie über einen langen Zeitraum verbleiben können ohne kaputt zu gehen, versehentlich oder unwissentlich entfernt oder von Nicht-Praktikern gefunden zu werden. Es geht also nicht nur um ein neutrales »Legen«, sondern tatsächlich um ein »Verstecken« des Geocaches. Aus diesem Umstand lässt sich erahnen, was tatsächlich ein wichtiger Aspekt der Praktik ist: Geocaches werden in der Regel an Orten versteckt, die

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sonst nur selten besucht werden, oder sie werden in einer Weise versteckt, dass die Verstecke in den Räumen, die durch die Praktik erzeugt werden, in den Räumen die sonst an diesen Plätzen stattfinden, nicht als Orte existieren. Falls diese Punkte nicht beachtet werden, ist im harmlosen Fall der Geocache zerstört oder verschwunden, in weniger harmlosen Fällen führt dies zu Missverständnissen: »Oft werden alte Munitionskisten, Metallmunitionskisten verwendet. Dass man die nicht an Punkten versteckt, die mit dem Transport zu tun haben, also nicht an Brücken, nicht an Autobahnen (.), nicht an militärischen Einrichtungen oder Einrichtung der öffentlichen Versorgung Stromversorgung usw. Weil es gab auch hier in Deutschland schon einige Fälle, wo es dann zu Polizeieinsätzen kam, weil irgendein aufmerksamer Bürger jemand gesehen hat, der sich verdächtig an einem Papierkorb hat zu schaffen gemacht hat oder Extremfall weil, so sage ichs, irgendein Idiot an einer Schleuse am Mittellandkanal (.) hundert Millimeter Durchmesser Abwasserrohr hingehängt hat. Und da liegt es natürlich nahe, wenn da irgendwo ein Stück Rohr hängt mit Drähten festgemacht und so, dass da auch nicht ganz paranoide anfangen nachzudenken, was das sein könnte. (I: Ja klar) Und dann gibt es halt Polizeieinsätze, dann wird halt werden Straßen gesperrt, sind auch schon Bahnhöfe gesperrt worden (I: Ach ja) und das ist dann natürlich negativ fürs Image.« (Fantuzzi: 62)

Das Anbringen bzw. Hinterlegen von Gegenständen an bestimmten Plätzen ist nicht unproblematisch, wie der Interviewausschnitt zeigt. Und tatsächlich gab es aufgrund von missverstandenen Geocaches schon Probleme, wie folgende Zeitungsartikel dokumentieren: »›Bombenfund‹ auf der Autobahn – Der Schatz einer Schnitzeljagd hielt die Polizei in Atem« (Erlanger Nachrichten, 29.04.2008)13 »Karlsruher Hauptbahnhof: GPS-Schnitzeljagd löst Bombenalarm aus« (SPIEGELOnline, 25.09.2009)14 Solche Ereignisse führen wiederum zu einer erhöhten Sensibilität auf Seite der Praktiker, die nicht wollen, dass ihre Geocaches entdeckt werden bzw. kostspielige Polizeioder Feuerwehreinsätze verursachen.

13 | Online: http://www.nordbayern.de/region/erlangen/bombenfund-auf-der-autobahn-1. 975397, gesehen: 23.06.2012. 14 | Online: http://www.spiegel.de/reise/aktuell/karlsruher-hauptbahnhof-gps-schnitzeljagdloest-bombenalarm-aus-a-651399.html, gesehen: 23.06.2012.

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»Und angefangen habe ich mit einem ganz einfachen (unv.) hier, hier im Bahnhof. Den gibt es aber nicht mehr, weil es mir zu heikel ist mit der Polizei (lacht).« (Balzer: 244)

Auf das Risiko, dass der Geocache nicht doch irgendwann einmal missverstanden wird, soll hier nicht weiter eingegangen werden, obwohl die Praxis selbst zunächst keinen Anlass dazu gibt: »Also hier am Bahnhof zum Beispiel ist der einmal raus gefallen aus dieser Hülle. (.) Und dann hat ihn wohl jemand zum Servicepoint getragen. Und die Frau vom Servicepoint hat es hier in diesem Buch [Logbuch des Geocaches, PG], in diesem Buch eingetragen und es dann wieder zurückgebracht.« (Balzer: 432)

Über das quantitative Auftreten von solchen Fällen kann hier keine Aussage getroffen werden. Festzuhalten ist, dass sie auftreten und dass die Verwechslung eines Geocaches mit einer Bombe ein Motiv ist, das es nicht schwer hat, breit im Diskurs zu zirkulieren und auf diese Weise Wirkung zu entfalten. Es verbieten sich also Platzierungen, die in ihrem Zustand temporär sind oder nur bestimmten Personengruppen zugänglich sind, sowie Platzierungen an Orten, die auch in Räumen, die von anderen Praktiken erzeugt werden, eine Rolle spielen. Ein anderer Aspekt ist, dass an bestimmten Plätzen, an denen der Aufenthalt unter Umständen als unangenehm empfunden wird, Geocaches zwar sehr gut versteckt wären, aber niemand der anderen Praktiker sich bei der Suche danach wohl fühlen würde. »B: [...] Also ich war gestern z.B. bei einer Dose, die hängt unter einem Mülleimer. In so einem Park, wo die ganzen Penner alkoholtrinkend um den Mülleimer rumsitzen. @Ist in Bornheim gewesen. Ist eine schöne Location und ich war (1) wohne jetzt schon zehn mehr als zehn Jahre im Rhein-Main-Gebiet, da war ich noch nie in Bornheim. Fand ich gut das zu sehen. Da stehen ganz tolle alte Wohnblocks, fand’ ich nicht schlecht da hin zu fahren (.) und dann habe ich gedacht na gut, also ich wusst schon, dass er am Mülleimer ist und hab die Penner da sitzen sehen und hab gesehen es sind noch zehn Meter, bin mit dem Fahrrad gefahren und dann hab ich gedacht, okay jetzt hack’s ab, die Dose machst du nicht (.) dann war aber die Dose herausgefallen aus dem Mülleimer. Die war unten mit einem Magneten so dran und weil natürlich gegen einen Mülleimer Leute treten oder der geleert wird, fällt die Dose halt runter. Das Versteck ist total blöde. Wer sucht auch schon gerne an Mülleimern, ja? [...].« (Böhm: 147)

Dies verweist auf die reziproke Komponente bei der Wahl eines Verstecks für einen Geocache, die im nächsten Kapitel ausführlicher beschrieben wird.

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Wie gesehen ermöglicht das GPS zunächst praktisch jeden Punkt auf der Erdoberfläche zu adressieren. Es wurde gezeigt, welche Grenzen diese prinzipielle Möglichkeit hat, indem technische Konfigurationen, juristische Konfigurationen, Konfigurationen durch explizite Regeln und durch die Besonderheiten der Praktik beschrieben wurden. Es wurde deutlich, dass Konfigurationen formaler Art, die nicht der Praktik eigen sind, niemals absolut sind, sondern Umgehungs- bzw. Optimierungsstrategien bereits Teil der Praktik sind. Darüber hinaus wurde herausgearbeitet, dass juristische Beugungen des Raumes nicht automatisch greifen, sondern erst durchgesetzt werden müssen, was im Fall von Geocaching aufgrund seiner latenten Unsichtbarkeit ein langsamer Prozess ist. Abschließend wurde auf Besonderheiten der Praktik eingegangen, die die Menge möglicher Plätze für Geocaches weiter zurichten. Bei der Verwendung von Raumkonzepten lässt sich festhalten, dass sich Fragen bezüglich der Betretungsrechte von bestimmten Gebieten vor dem Hintergrund einer absoluten bzw. territorialen Konzeption von Raum diskutieren lassen. Der juristische Begriff der »sozialen Adäquatheit« markiert jedoch bereits hier die begrenzte Reichweite solcher Konzeptionen: Die Bestimmung »sozialer Adäquatheit« ist das Ergebnis sozialer Aushandlungen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Akzeptanz und somit kein absolutes Merkmal von Raum. Spätestens bei der »Abstandsregel« werden Konzepte, die Raum als Territorium und Container für soziale Prozesse konzipieren, nutzlos. Die Frage, ob ein Geocache an eine bestimmte Position gelegt werden kann oder nicht, kann dann nicht mehr mit Bezug auf die Art des Gebietes beantwortet werden, sondern es müssen die Lagen anderer Geocaches einbezogen werden, die so den Charakter des Gebiets relativ zu dieser Frage bestimmen. So fordern die Zusammenhänge der Praktik an dieser Stelle Relationalität bezüglich der Analyse der räumlichen Dimension. Obwohl eine Argumentationsstrategie gewählt wurde, deren Grundlinie, ausgehend von einer zunächst gleichmäßig verteilten Menge an möglichen Orten, in der Zurichtung bzw. Konfiguration dieser Menge von Orten besteht, hat die Integration des GPS in die Praktik »Geocaching« im Vergleich zu anderen Praktiken und deren Räumen eine ermöglichende Funktion. Das Konzept eines Geocaches beinhaltet die Idee, dass er gefunden wird. Daher gibt es kein Legen von Geocaches, ohne an das Finden durch andere Praktiker zu denken. Das bedeutet, dass Geocaching nicht nur einen Raum erzeugt, der von außen von sozialen Sachverhalten begrenzt wird, sondern, dass für die Ausformung des Raums, der durch die Praktik »Geocaching« erzeugt wird, soziale Beziehungen zwischen Praktikern und (institutionalisierte) Reziprozitätsformen eine wichtige Rolle spielen.

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9.2 M ARKIERUNGEN : P LATZIEREN »B: Und ich werde jetzt diesen Sektkorken in einen Baum einbauen.« (Wossen: 63)

Die Infrastruktur der Praktik »Geocaching« besteht aus Websites, die als Datenbanken für Geocaches fungieren, und Kommunikationsstrukturen in Form von Foren, Blogs und Mailinglisten, über die sich Praktiker miteinander austauschen, sowie den Logs auf der jeweiligen Website eines Geocaches (vgl. Kap. 7.4: Infrastrukturen des Geocachens). Neben den zu erwartenden Informations- und Kommunikationsstrukturen, wie Foren, Blogs und Mailinglisten, die sich nach Prinzipien des Web 2.0 internetgestützt um eine Praktik herum herausbilden (vgl. Schmidt 2009: Kap. 2), sind die Datenbanken für Geocaches eine Form von Infrastruktur, die in dieser Form nur im Zusammenhang mit der Praktik »Geocaching« existiert. Wie beschrieben gibt es verschiedene Datenbanken mit unterschiedlichen Schwerpunkten und mit unterschiedlichen Bedeutungen für bestimmte Regionen (vgl. Kap. 7.4: Infrastrukturen des Geocachens). Die weltweit größte, älteste und für Deutschland mit großem Abstand bedeutendste ist www.geocaching.com auf die sich die hier durchgeführte Forschung konzentriert (vgl. Kap. 6: Forschungsmethode). Bis ein Geocache tatsächlich öffentlich abrufbar auf einer Website zu finden ist, muss ein formaler Prozess durchlaufen werden: Der zukünftige Besitzer (»Owner«) entscheidet sich für einen Ort und die Gestaltung seines Geocaches. Das heißt, er bestimmt ein Versteck und dessen WGS84-Koordinaten mit einem GPS-Gerät, an dem der Geocache liegen soll. Dann fertigt er eine Beschreibung zu dem Geocache an (ggf. mit Rätsel oder Hinweisen), die auf der Website des Geocaches erscheint und versteckt den Geocache am vorgesehenen Platz. Anschließend lädt er alles zusammen auf die Website hoch, d.h. er speichert es in der Datenbank. Der Geocache wird jedoch nicht sofort veröffentlicht, sodass ihn jeder abrufen kann, sondern zunächst als »zu überprüfend« in eine Warteschleife eingereiht. Diese Überprüfung wird von sogenannten »Reviewern« vorgenommen und ist vollständig virtuell. Die Platzierung des Geocaches wird von den Reviewern nicht in Augenschein genommen, sondern ausschließlich die Angaben zum Geocache überprüft. Diese Überprüfung beinhaltet, ob der Geocache mit den Richtlinien von www.geocaching.com übereinstimmt, also den expliziten Regeln der Praktik (Abstandsregel, Werbeverbot etc.) folgt. Falls dies der Fall ist, wird der Geocache freigeschaltet und ist für jeden Praktiker abrufbar, damit findbar und logbar.

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Personen, die die Funktion eines Reviewer ausüben, tun dies freiwillig und ehrenamtlich. Es handelt sich dabei um erfahrene Praktiker aus der betreffenden Gegend, die für eine bestimmte Zeit diese Funktion ausüben.15 Dadurch ist es möglich, dass informelles und lokales Wissen in die Bewertung mit einfließt. Die Position des Reviewers gibt es in Deutschland in Verbindung mit www.geocaching.com seit dem 19. April 2004. Aktuell gibt es 59 Reviewer in Deutschland.16 Um Geocaching zu praktizieren ist es nicht nötig, selbst einen Geocache zu verstecken (»legen«). Es gibt auch keine explizite Regel, die etwa besagen würde, dass man ab oder pro einer gewissen Anzahl von gefundenen Geocaches selbst einen Cache legen müsste. Praktiker können also theoretisch vollständig darauf verzichten. Die Mehrheit entwickelt allerdings nach einer gewissen Zeit die Idee, selbst einen Geocache legen zu wollen. An welchem Punkt dieser Fall eintritt ist sehr unterschiedlich. Jedoch bedarf es eines gewissen Maßes an praktischem Verständnis davon, wie ein funktionierendes Versteck für einen Geocache aussieht, das über das Suchen von Geocaches erworben wird. Durch das Suchen von Geocaches lernen Praktiker, zu Beginn oftmals mit Frustration verbunden17 , welche Standardverstecke (z.B. an Telefonzellen, Baumwurzeln, Straßenschildern, Bänken etc.) es gibt und mit welchen Prinzipien (Magnete, Schnüre, Tarnung etc.) sich Cachebehälter platzieren lassen. Das Legen eines Geocaches kommt also notwendigerweise nach dem Finden von Geocaches. So berichtet ein Praktiker, dass er bei der Einschätzung der Attraktivität eines Geocaches auf die Erfahrung, also die Fundzahlen, des Besitzers achtet: »B: Das merken sie unheimlich, wenn jemand ähm ganz frisch dabei ist, sieben Funde hat, zehn Funde hat, zwölf Funde hat, 15, 20, 40. Das sind die einfachsten Dinge, die er meint, dass es für ihn was Besonderes ist. Jemand der (..) viele Caches schon gemacht hat, hat genau das schon, was weiß ich, wie viele Male gesehen.« (Hoppe: 540)

15 | Eine Übersicht über die aktuellen Reviewer in Deutschland und Antworten auf Fragen, die beim Verstecken eines Geocaches auftauchen, sind zu finden unter: http://www.gcreviewer.de/. 16 | http://www.gc-reviewer.de/reviewer/historie/, gesehen: 02.02.2013. 17 | So ist es durchaus üblich, dass sich zu Beginn die gefundenen und nicht gefundenen Geocaches die Waage halten, bevor die Suche nach einigen Erfolgen zunehmend leichter von der Hand geht.

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Andersherum hilft die Frage, wo man selbst an einem Platz einen Geocache verstecken würde, beim Suchen: »B: Ja. Man guckt ja sowieso rum dann, wenigstens mache ich es, wo würde ich hier einen Cache verstecken, wie würde ich ihn verstecken. Und mit einer Ausnahme, die habe ich neulich gehabt, wird der nicht einfach irgendwo ins Gras geschmissen. Sondern er soll ja vor zufälligem Fund geschützt sein, soll auch so ein bisschen vor Witterung und Beschädigung geschützt sein und schon reduziert sich das. (1) Wenn dann irgendwo ein Acker ist und mittendrin steht ein Baum (.) und der das GPS-Gerät zeigt auf diesen Baum und sagt dann halt noch 50 Meter und das passt. Dann weiß ich es ist im Umkreis des Baumes. Entweder an der Wurzel irgendwo oder irgendwo an den Ästen und das kriegt man aus der Beschreibung und dem Schwierigkeitsgrad raus.« (Fantuzzi: 152) »Aber je mehr man gemacht hat, desto eher kriegt man die Idee wo könnte was sein. Kommt auch wieder hin, wenn man quasi so durch die Gegend fährt ›Hm das wäre ein schöner Punkt, wo man was hinlegen würde‹. Oder ›Genau da würde ich meinen Cache hinlegen‹.« (Hermann: 190)

Es gibt also ein Element des Verstehens der Praktik »Geocaching«, dass jenseits von expliziten Regeln in der Praxis erarbeitet bzw. erlernt werden muss. Dieses praktische Verstehen korreliert mit der Erfahrung der Praktiker, die sich in Form der Anzahl gefundener Geocaches näherungsweise quantifizieren lässt. Ob es darum geht, dieses praktische Verstehen unter Beweis zu stellen und dafür Anerkennung zu bekommen oder darum, der vorgestellten Gemeinschaft der Geocacher von der man als suchender Praktiker bisher profitiert hat etwas zurückzugeben, es gibt auf der Dimension der teleoaffektiven Struktur der Praktik einen Moment der Reziprozität zwischen Praktikern. Geocaches werden gelegt, damit andere sie finden. Dieser Zusammenhang ist ein essentieller Bestandteil der Praktik und wirkt sich auf die Konfiguration des Raums der Praktik aus. Zu Beginn sind diese »anderen« als Personen unbekannt und sind lediglich als Accounts auf einer Website wahrnehmbar. Da die Anzahl der Praktiker in der eigenen Region relativ überschaubar ist, kommt es dazu, dass die Anonymität der anderen zunehmend verschwindet: Das Lesen der Logbucheinträge der anderen lässt ein Bild entstehen, vielleicht trifft man sich zufällig auf der Suche bis hin zu der Begegnung auf einem Geocaching-Stammtisch. Dieser Prozess hin zu näherem Kontakt ist nicht zwangsläufig und kann aus der Perspektive eines einzelnen Praktikers auf jeder Stufe gestoppt werden. Unabhängig davon wie intensiv im jeweiligen Fall das Hineinwachsen in die abstrakte Gemeinschaft der Geocacher verfolgt wird, spüren selbst Personen, die kein Interesse an näherem Kon-

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takt zu anderen Praktikern haben, die Möglichkeit Anerkennung zu bekommen (man gibt sie auch selbst in Form von freundlichen Logbucheinträgen). Daraus ergibt sich die Verpflichtung etwas zurückzugeben, da man ja selbst viel vom dem, was andere in der Vergangenheit gegeben haben, profitiert hat (vgl. dazu auch Kap. 7.3: Geocachen gehen, 2011/2012, Rhein-Main-Gebiet). Sei es, man hat eine gute Idee, »B: [...] ein Freund von mir, also ein Arbeitskollege, interessanter- der Arbeitskollege mit ich, der mir sozusagen, mit dem ich hier in der Klinik das zum ersten Mal gemacht habe, mit dem habe ich vor zwei Jahren einen Cache zusammen gemacht, da haben wir lange drüber nachgedacht (.) was wir machen und der ist (.) gar nicht so schlecht. Also da kommen jetzt Leute aus dem Ruhrgebiet und aus Baden-Württemberg gefahren, um den Cache zu machen, ja? (I: Ach ja) Also das ist so was, gut der Martin ist ein begnadeter Bastler und der hat dann so ein Pulsoxymeter nachgebaut und verschiedene also das is soI: Was ist ein Pulsoxymeter? B: Misst die Sauerstoffsättigung im Blut, also misst den Puls, eigentlich, und ist halt so ein Krankenhaus, der Cache spiel so eine Notaufnahmesituation nach und (.) die ganzen Leute sind halt begeistert, die nicht im Krankenhaus arbeiten, was man so alles machen kann, wenn man (.) wenn man hier in der Materie drin ist und wenn der der Martin halt Löten kann, naja [...].« (Böhm: 28)

möchte einen Ort zeigen, »B: Also ich finde es wichtig, (.) so mache ich meine Caches. Man hat die Idee / (I: Mhm (bejahend)) / (..) und ähm (.) man bekommt die Idee und legt dann den Cache. Manche haben die Dose und laufen damit durch die Gegend und schauen sich praktisch / Es gibt ja viele ziemlich einfache Caches, die einfach unter die Regenrinne oder an ein Straßenschild gemacht sind, wo (.) man sich fragt ähm, wo ist da die Idee hinter. (I: Mhm (bejahend)) Und das war mir einfach wichtig, ich kam, ich fand den Ort toll, da bin ich öfters mal (.) hingegangen und da gibt es einen schönen Rundgang, einen Lehrpfad. Es gibt eine nette äh (..) so eine Bar oben, auch richtig schön, ein bisschen höher gelegen, wo man ein bisschen rausschauen kann, eine Aussichtsplattform. Also sehr nett gemacht dort der Ort und das hat mir gefallen und da sich dann dieses Versteck angeboten hat, habe ich gedacht, gut, da lege ich was hin, ja.« (Mank: 259)

oder etwas zurückgeben.

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»I: (..) Okay. Und was, also (.) wie kam das dazu? Warum legt man einen Cache? B: (.) Ja, es gibt schon sehr viel, sehr aufwändige Caches, wie ich schon erzählt habe, von dem Nachtcache, (.) wo dann zehn/zwölf Stationen, auch alle sehr aufwändig sind. Und dann hat / Möchte man ja auch irgendwas zurückgeben. insofern ist es vielleicht doch Zugehörigkeitsgefühl.« (Balzer: 239)

Offiziell äußert sich dies in folgender Bemerkung, die sich in den Guidelines auf www.geocaching.com findet: »Denke darüber nach, warum Du Leute an einen Ort führst, wenn Du einen Geocache versteckst. Wenn der Geocache der einzige Grund ist, finde einen besseren Ort. – briansnat« [Original: »When you go to hide a geocache, think of the reason you are bringing people to that spot. If the only reason is for the geocache, then find a better spot. – briansnat«]18

Auf der Ebene der Infrastruktur wird dies sichtbar durch die Möglichkeit, gefundene Geocaches zu bewerten und Kommentare zu verfassen. Dieser Auszug aus einem Abb. 22: Log mit Ortsbezug

Quelle: www.geocaching.com

Logbuch (Abb. 22) weist aber noch auf etwas anderes hin: Nach dem globalen Verständnis von Geocaching geht es darum, einen interessanten Ort – hier ein sehenswertes Haus – zu markieren und der Geocache selbst ist nur Mittel zum Zweck. In diesem Fall liegt eine relativ feste Verbindung von den Gegebenheiten des Platzes und dem Geocache vor. Im Rahmen der durchgeführten Untersuchung war jedoch zu beobachten, dass es eine ganze Reihe von Geocaches gibt, die nicht in erster Linie wegen der Umgebung interessant sind, sondern, weil der Geocache selbst spannend ist oder aufwendig gemacht ist. So z.B. der oben erwähnte Cache, der eine Notfallsituation im Krankenhaus simuliert, oder Caches, die handwerklich herausragend gemacht sind.

18 | Quelle: http://www.geocaching.com/about/guidelines.aspx, gesehen: 24.10.2012.

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»B: [...] Die haben HUNDERTE von Favoriten. Der Mann muss irgendwie Hobbybastler sein. Der sägt ihnen auch irgendwie einen Stein auseinander und klappt den auf. (.) Also da gibt es unglaubliche Sachen (lacht), da kommen sie irgendwo hin, und da steht dann eine Säule. Und sie ziehen eine Schublade raus. Und dann kommt was hoch. Und es ist also voll die technische (lacht) Sache. Da bastelt einer unglaubliche Sachen. Und die Leute pilgern wirklich hunderte von Kilometern dahin, um sich das abzugucken, ne, also (lachend) (..) Da ist dann allerdings weniger der Suchfaktor. Man sieht es schon von weitem, also wenn man Cacher ist. Ich denke dann immer, Leute, die kein Cacher sind, die fragen sich wahrscheinlich: ›Was steht da?‹« (Kötter: 148)

Solche Geocaches finden sich an eher beliebigen Orten, wie z.B. in einem unauffälligen Wald. In diesem Fall ist die Verankerung des Geocaches mit den Gegebenheiten am Platz reduziert. Anstatt von den Gegebenheiten inhaltlich zu profitieren, ist es entscheidend, dass die Gegebenheiten vor Ort nicht stören. Im Fall des erwähnten Geocaches ist zudem wichtig, dass nicht zu viel Unwissende per Zufall vorbei kommen, da dieser, wie beschrieben, nicht besonders gut getarnt ist. Dieser Umstand entkoppelt den Raum der Praktik »Geocaching« von Zusammenhängen die in anderen Räumen, die auf dem gleichen Terrain von anderen Praktiken erzeugt werden, eine Rolle spielen. Der Raum des Geocachings gewinnt so an Ungewöhnlichkeit und liegt zunehmend quer zu anderen Räumen. So kommt es auf diese Weise dazu, dass Personen an Orte gehen, die sonst eher nicht besucht werden bzw. ansonsten gar nicht für den Besuch vorgesehen sind. Nicht in dem Sinne, dass es untersagt wäre dort hinzugehen, sondern vielmehr dass es keinen Sinn machen würde, dort hinzugehen. Wie beschrieben ist eine wichtige explizite Regel der Praktik »Geocaching« die sogenannte »Abstandsregel«, die die maximale Cachedichte auf einem Territorium definiert (vgl. Abb. 21, S. 191). Auf manchen Flächen ist diese maximale Dichte erreicht und daher dürfen keine weiteren Geocaches platziert werden, bevor nicht andere archiviert worden sind und auf diese Weise wieder Platz frei geworden ist. Das Erreichen der maximalen Cachedichte bedeutet jedoch nicht, dass in diesem Bereich keine weiteren guten Verstecke für Geocaches möglich wären. Gerade in Städten ist die Landschaft derart verdichtet, dass ohne Probleme mehr Geocaches gelegt werden könnten als erlaubt sind. Eine Strategie, um in einer solchen Situation trotzdem regelkonform einen bestimmten Ort zum Teil des Raums des Geocaching zu machen, geht folgendermaßen: Statt einem »Traditional Cache«, also einer einfachen Dose an dem fraglichen Ort, wird die einfachste Form eines »Multi Caches« gewählt. Dieser wird so konstruiert, dass an dem fraglichen Ort eine bestimmte Information aufgesammelt werden muss, mit der dann die Koordinaten des eigentlichen Behälters (»Final«) bestimmt werden können. Diese liegen irgendwo in einiger Entfernung an einem Ort an

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dem die maximale Cachedichte noch nicht erreicht ist. Ein Beispiel für ein solches Vorgehen ist der Geocache GC47MME, in dessen Beschreibung sich folgender Satz findet: »Eigentlich sollte es ein Tradi werden, aber die Abstandsregel hat einen Kurzmulti mit Stage 1 und Final daraus gemacht.« Ein solcher »Multi Cache« besteht also ebenso wie ein »Traditional Cache« aus einem einzigen Behälter plus der Aufgabe, eine bestimmte Information am eigentlichen Ort des Interesses einzusammeln. Auf diese Weise wird regelkonform ein Ort dem Raum des Geocachings hinzugefügt, der eigentlich nach den Regeln der Einteilung zu diesem Zeitpunkt nicht Ort im Raum des Geocachings sein könnte. Es ist bereits angeklungen, dass es beim Suchen eines Geocaches auch darum geht, einen besuchenswerten Ort aufzusuchen. Auch wenn dies nicht der einzige Grund ist, so ist dies doch ein sehr wichtiger, der unmittelbar mit der Grundidee der Praktik »Geocaching« zusammenhängt. So werden also Geocaches an Orten versteckt, die sehenswert sind, aber auch an solchen zu denen sich eine interessante Geschichte, z.B. über historische Hintergründe, erzählen lässt. Eine andere Art des Geschichtenerzählens im Zusammenhang mit dem Legen eines Geocaches besteht darin, eine vollkommen neue Geschichte zu erfinden, die dann als Rahmenhandlung für die Suche nach dem einen oder mehreren (»Multi Cache«) Geocaches dient. In Frage kommt unter anderem jede Art von Heldengeschichte (Agentengeschichte, Kriminalfall etc.), bei der der Suchende eine Rolle in der Geschichte übernimmt und durch das Recherchieren von Informationen und dem Lösen von Aufgaben eine bestimmte Storyline durchläuft. Hier lassen sich Ähnlichkeiten zu Praktiken des Rollenspielens oder zu Geländespielen feststellen. Was hier geschieht ist, dass eine alternative oder erweiterte Realität an bestimmten Orten geschaffen wird, in die der Suchende eintauchen kann, bis er erfolgreich den Geocache gefunden hat und auf diese Weise seinen Handlungen ein anderer Sinn gegeben wurde. Nachfolgend ein Beispiel aus der Beschreibung eines Geocaches: »Wir sind häufig in den Wäldern Dreieichenhains unterwegs. Im Januar haben wir an einer Stelle etwas sehr Ungewöhnliches bemerkt. Einige Tage lang kamen große schwere Lastwagen, ein Bohrturm wurde errichtet und jede Menge schweres Gerät herbei geschafft. Wir haben das Treiben über einen längeren Zeitraum heimlich beobachtet. Offenbar hat die Stadt Dreieich eine Geothermie Probebohrung durchführen lassen. Ihr habt ja vielleicht von der Überschwemmung der Wiesbadener Innenstadt gehört. Entstanden war diese bei einer Probebohrung zur Gewinnung von Erdwärme unter dem Parkplatz des Finanzministeriums. In einer Tiefe von rund 130 Metern traf der Bohrer einen natürlichen

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Grundwasserspeicher. Dieser stand unter einem so hohen Druck, dass Fontänen aus dem Boden schossen, die zum Teil mehrere Meter hoch waren. Und auch hier in Dreieichenhain gab es Probleme. Die Bohrung war bis in eine Tiefe von 1130 Metern möglich, leider traf der Bohrer dann auf eine unüberwindbare Gesteinsschicht. Es entwich jede Menge heißer Dampf und auch hin und wieder eine Fontäne heißen Wassers, aber es war nicht lohnenswert genug zur Wärme- oder Stromgewinnung. Das Projekt wurde nach nur 5 Tagen abgebrochen, das Bohrloch notdürftig versiegelt und der Zugang getarnt. Wir konnten uns nicht erklären warum diese Bohrung geheim gehalten worden war. Offenbar wollte die Stadt mit dieser Maßnahme ihren arg gebeutelten Stadtsäckel wieder auffüllen und das warme Wasser nach Langen oder Offenbach verkaufen. Wir gehen davon aus, dass die Probebohrung nie an die Öffentlichkeit gelangen sollte und deshalb in geheimer Mission stattfand. Die Steuerzahler der Stadt Dreieich würden es sicherlich nicht gutheißen, wenn sie davon erführen, dass für solche Unternehmungen Geld ausgegeben wird. Nach einiger Zeit des Abwartens haben wir nun beschlossen, diese Stelle zumindest der Cachergemeinde zugänglich zu machen.«19

Tatsächlich befindet sich der Geocache in einem ziemlich tiefen Loch, dass durchaus ein Bohrloch sein kann, und muss an einer Kette herausgezogen werden. Es ist also möglich, dass sich in diesem Fall Erzählung und Fakten vermischen. In anderen Fällen handelt es sich um offensichtlich frei erfundene Rahmenerzählungen. Die Website www.geocaching.com bietet die Möglichkeit, Geocaches gemäß ihrer Position vor dem Hintergrund einer Karte anzuzeigen. Es erscheinen in diesem Fall die Symbole der jeweiligen Cacheart an der jeweiligen Stelle. Bereits gefundene Geocaches werden als Smiley dargestellt oder lassen sich ausblenden. Diese Funktion hat die naheliegende Folge, dass Geocaches auf eine Weise platziert werden, sodass sie auf der Karte ein bestimmtes Muster bilden. Eine prominente Anordnung stellte die Serie »Geocaching forever« aus 286 Geocaches dar (Abb. 23). Seit Mitte 2012 sind die Geocaches der Serie jedoch nicht mehr zu finden, da die örtliche Stadtverwaltung dies unterbunden hat. Der Grund bestand hier in Befürchtungen, dass die Natur langfristig durch die Besucher der Geocaches Schaden nehmen könnte: »›Die Sache läuft aus dem Ruder‹, stellte Karl Otto Polster (CDU) fest. Unter anderem seien Caches an Salzlecken und Hochsitzen angebracht worden, ›und nach kurzer Zeit braucht man auch kein GPS-Gerät mehr, weil richtige Pfade in den Wald getrampelt worden sind‹. Bür-

19 | www.geocaching.com, Geocache GC2F1F3.

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germeister Gerhard Feeß fürchtete, dass die eigentliche Überreaktion noch bevorsteht: ›Wenn man da nicht schnell einen Riegel vorschiebt, kann sein, dass das allgemeine Betretungsrecht eingeschränkt wird, und dann müssen alle drunter leiden.‹«20 Abb. 23: Geocaching forever

Quelle: www.geocaching.com

Ein anderes Beispiel, das ebenso funktioniert, ist eine Serie, die ein Flugzeug auf dem Gebiet des Frankfurter Flughafens zeichnet. In beiden Fällen handelt es sich um den Cachetyp »Mystery«. Das bedeutet, dass die Geocaches nicht an dem angezeigten Ort liegen, sondern zunächst die wirklichen Koordinaten berechnet werden müssen. Denn es ist natürlich nicht möglich, auf dem Gelände des Frankfurter Flughafens tatsächlich einen materiellen Geocache zu deponieren (Abb. 24). Hier wird eine weitere Ebene von Markierungen sichtbar. Die erste Ebene lag auf Höhe der Plätze: Es ging dabei um schöne Plätze, um besuchenswerte Plätze, um leicht zu erreichende Plätze, um Plätze, an denen man irgendetwas besonders gut machen kann oder wo sich etwas Ausgefallenes gut deponieren lässt. Die zweite Ebene richtet sich nach der Darstellung der Geocaches auf einer Karte. Nur weil dort mehrere Geocaches zusammengenommen als ein zweidimensionales Symbol wahrgenommen werden können, das vielleicht witzig ist (Smiley-Symbol) oder in einem Zusammenhang zu der Gegend steht (Flugzeug und Flughafen Frankfurt), werden die Geocaches in der Gegend aus-

20 | Quelle: »Rat verbannt Geocaches aus dem Stadtgebiet«, Schwarzwälder Bote, 23.05.2012.

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Abb. 24: Serie am Flughafen Frankfurt

Quelle: www.geocaching.com

gelegt. Ohne die Karte als Instrument der Sichtbarmachung des Zusammenhangs der Geocaches würde es sich lediglich um eine wahllose Ansammlung von Geocaches handeln, die andere Eigenschaften bräuchte, um herauszustechen. Das Verhältnis von angezeigter und tatsächlicher geografischer Position der Geocaches ist virtualisiert. Die Geocaches liegen nicht da, wo sie auf der Karte angezeigt werden. Dadurch wird das Symbol auf der Karte zu einer bloßen Eigenschaft der Cacheserie, die sie interessant macht und von anderen unterscheidet. Derjenige, der einen Geocache oder mehrere Geocaches legt, kann entweder Material für einen Ort, einen Weg oder einen Raum kreieren: Für einen Ort, indem er den Geocache an einer bestimmten Stelle auf eine bestimmte Weise versteckt; für einen Weg, indem er mehrere Geocaches, die zusammenhängen, oder, was üblicher ist, mehrere Stationen eines Geocaches in einer bestimmten Weise verteilt; für einen Raum, indem er verschiedene zusammenhängende Geocaches in einer Gegend so verteilt, dass der Suchende die Wege zwischen diesen frei wählen kann. Der Fall »Geocaching forever« ist ein Beispiel für einen auf diese Weise bestimmten Raum. Es gab 286 Geocaches, die in beliebiger Reihenfolge abgegangen werden konnten. Dies ist jedoch eine Seltenheit. In der Regel fügen Personen, die einen Geocache legen, einzelne Geocaches zu der Gesamtmenge hinzu, die dann auf der Ebene der Praktik den Raum der Praktik »Geoaching« erzeugt.

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Durch das Auswählen aus dieser Gesamtmenge von Geocaches durch den suchenden Praktiker werden Orte bestätigt und durch positive Rückmeldungen, die für andere Praktiker sichtbar sind, gewichtiger; werden Wege konstituiert und, wenn z.B. alle Geocaches mit bestimmten Eigenschaften für ein bestimmtes Gebiet gespeichert werden, ein Raum konstituiert. Wie das im Einzelnen abläuft, wird im nächsten Abschnitt beschrieben.

9.3 O RTE /W EGE /G EBIETE : AUSWÄHLEN »B: Ja man kommt in Gegenden, wo man sonst nie wäre. (I: Okay) Insbesonders bei uns im Taunus gibt es ein paar Täler, die halt keine Straße haben oder nur einen gesperrten Forstweg und da würde man niemals hinkommen sonst.« (Berg: 198)

Die Suche nach einem Geocache beginnt mit der Auswahl eines oder mehrerer Geocaches, die gesucht werden sollen. Diese Auswahl ist ein entscheidender Schritt hinsichtlich der Erzeugung von Räumen. Während das Legen oder Platzieren von Geocaches Orte besetzt und gewissermaßen das Baumaterial zur Verfügung stellt, aus dem der Raum entsteht, den die Praktik »Geocaching« erzeugt, stellt Auswählen die komplementäre Aktivität dazu dar. Diese Aktivität des Auswählens von zu suchenden Geocaches ist ein zentraler Bestandteil der Praktik und wird auf unterschiedliche Arten praktiziert. Gemeinsam ist allen Arten, dass es darum geht, Geocaches aus einer Datenbank zu extrahieren. Verschieden ist, ob einer oder mehrere Geocaches extrahiert werden und welcher Weg dabei eingeschlagen wird, also welcher Zugang, d.h. welches Interface, genutzt wird. Das Auswählen von zu besuchenden Orten funktioniert immer auf der Basis von Wissen über in Frage kommende Orte. Auch jenseits von Geocaching gehen Personen zu Orten, weil sie etwas über sie gehört oder gelesen haben oder weil sie ihnen empfohlen worden sind. Ebenso teilen Personen ihre Erfahrungen mit anderen. Daran ist nichts Neues. Das Interessante an diesen Aktivitäten im Zusammenhang mit Internettechnik ist die Frage, mit wem geteilt wird. Waren es vor den technischen Entwicklungen im Zusammenhang mit Web 2.0 Personen, die persönlich miteinander bekannt waren21 , handelt es sich nun um eine im Umfang unbestimmte Masse von

21 | Professionelle Distributionswege werden hier bewusst ausgeklammert.

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zunächst Unbekannten. Zudem wird nun die Schrift das primäre Medium für diese Form von privater22 Kommunikation. Im Fall der Praktik »Geocaching« funktioniert dieses miteinander Teilen von Erfahrungen mit Orten über das Kommentieren eines besuchten Geocaches (Eintrag ins Logbuch) und das Vergeben von Favoritenpunkten für besonders gelungene Geocaches.23 Diese Spuren, die im Digitalen von Besuchern hinterlassen werden, schlagen sich in der Topologie des Raums, der durch Geocaching erzeugt wird, nieder, indem sie Orte mit zusätzlichen Eigenschaften (Kommentaren, Bewertungen) ausstatten. Im nächsten Schritt spielen diese Eigenschaften wiederum eine Rolle bei der Aktivität des Auswählens. So schließt sich der Kreis an dieser Stelle. Um der Aktivität »auswählen« nachzugehen, ist es hilfreich, zwischen zwei Ausgangspunkten des Auswählens in der Praxis zu unterscheiden: Zum einen der Fall, bei dem die Auswahl auf der Ebene von territorialen Kategorien startet und zum anderen der Fall, bei dem die Auswahl mit den Eigenschaften eines Geocaches (Cachebeschreibung, Schwierigkeitsgrad, Lage, Erreichbarkeit, Bewertungen etc.) beginnt. Beginnt die Auswahl auf der Ebene von territorialen Kategorien, also ausgehend von einem Ort (hier verstanden als geografische Position, als Weg oder als Gebiet), dann heißt das, dass diese Positionen, Wege und Gebiete bekannt sind und dazu passende Geocaches ausgewählt werden. In Anlehnung an das Konzept »augmented reality«, bei dem es um die Erweiterung der audiovisuellen Wahrnehmung einer Situation in Echtzeit mit zusätzlichen Informationen geht, handelt es sich hier um eine Erweiterung (»Augmentierung«) von geografischen Positionen.24 Geografische Positionen/Orte Auf die jeweils erste Frage der Interviews, wann der Befragte das letzte Mal nach einem Geocache gesucht habe, antwortet ein Interviewpartner wie folgt: »B: Vor zehn Minuten, //bevor ich hier// hingekommen bin. I: //Vor zehn Minuten //, okay.

22 | »Privat« wird hier in Abgrenzung zu (ver-)öffentlicher Kommunikation z.B. in Büchern, Zeitungen, Websites etc. verstanden. 23 | Dies wird ergänzt durch die Kommunikation in Foren, externe Bewertungssysteme und zusätzlich nicht digitale Kommunikation bei Face-to-face-Treffen. 24 | Zum technischen Konzept »augmented reality« aus soziologischer Perspektive vgl. Gebelein 2012.

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B: War hier in der Nähe, da ist ein Cache, der nennt sich (.) Bauchladen. Das A in Klammern, B(a)uchladen, bei dieser offenen Bibliothek. (I: Mhm. (bejahend)) Ich habe gedacht, wenn ich hier schon bin, da habe ich mal geguckt gestern, was gibt es in der Nähe. I: Mhm (bejahend). Genau. Das / Also (...) Wie, wie, wie / Vielleicht beschreiben Sie mal, wie das abgelaufen ist. Also dieses Cachen gehen quasi, also diesen Cache finden, jetzt gerade vor zehn Minuten [...] wann fängt das an? (.) B: Also angefangen ist es gestern nachdem (.) sie Kontakt aufgenommen haben und Termine angeboten haben und die Adresse auch genannt haben, dann habe ich einfach geschaut, wo ist das, was gibt es in der Nähe? (..) Gibt es mehrere in der Nähe? Und dann habe ich mir einfach mal die angeschaut und äh welcher auch interessant ist. Das war der, an dem (.) Buchladen und äh ja, den habe ich mir dann auf mein GPS-Gerät noch geladen gestern und habe gedacht dann, (.) kommen wir eine Viertelstunde eher und mache den schnell mit (lachend).« (Mank: 4)

Der Interviewpartner beschreibt, dass er direkt vor dem Interview das letzte Mal einen Geocache gesucht und erfolgreich gefunden hat. Ausgehend von der Adresse, an dem das Interview stattfinden würde, schaute er die vorhandenen Geocaches durch und kopierte interessante auf sein mobiles GPS-Gerät. Dadurch hatte er die Möglichkeit, vor dem Interview im Umkreis des Ortes, an dem das Interview zu einer bestimmten Zeit stattfinden würde, einen Ort in dem Raum, der von der Praktik »Geocaching« erzeugt wird, an dem ein Geocache versteckt ist, zu besuchen. Die Auswahl des zu suchenden Geocaches fand also im ersten Schritt ausgehend von einem Ort statt, der nicht Teil des Geocachingraums ist. Von diesem Ort war die Adresse bekannt, sodass hiervon ausgehend eine Umkreissuche in der Datenbank gestartet werden konnte. Ein anderer Interviewpartner berichtet über ein ähnliches Vorgehen: »[I]ch mache es so wie hier [Interviewtermin, PG], dass ich irgendwo hinfahre und dann gucke ich vorher, was ist denn da in der Nähe, was kann ich denn mitnehmen. (I: Mhm). So dann versuche ich das immer zu verbinden. Egal wo man so hinfährt (.) zu irgendwelchen Verabredungen oder auch rund um die Arbeit oder Arzttermin oder was auch immer, dann versuche ich da in der Gegend irgendwie was zu suchen. Ob das jetzt einer ist oder fünf oder zehn das ist dann Tageslaune.« (Schmitz: 5)

Hier wird die gleiche Aktivität noch einmal von einer anderen Person beschrieben: Wenn bekannt ist, dass ein bestimmter Ort aufgesucht werden wird (Verabredungen, Arbeit, Arzttermin), wird im Umkreis dieses Ortes nach Geocaches gesucht. Eine solche Umkreissuche um eine bekannten Position ist auf www.geocaching.com auf zwei Arten möglich: Erstens über eine Suchmaske (Abb. 25), die die Ergebnisse

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in einer Liste ausgibt (Abb. 26), oder zweitens über eine Karte, auf der alle Geocaches in dem angezeigten Gebiet dargestellt werden (Abb. 27). Abb. 25: Suchmaske

Quelle: www.geocaching.com

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Abb. 26: Ergebnisliste

Quelle: www.geocaching.com

Die Suchergebnisse wurden dann daraufhin bewertet, welcher Geocache für die jeweilige Situation interessant ist. Als Grundlage dafür kann im ersten Schritt die Liste bzw. Karte dienen, der bestimmte Grundinformationen zu entnehmen sind. Die Liste gibt Aufschluss darüber, - wie weit der Geocache von der Ausgangsposition entfernt ist und in welcher Richtung er liegt; - wie viele Favoritenpunkte der Geocache erhalten hat, ob man ihn selbst schon geloggt (also gefunden) hat; - wie der Name lautet und wie der Besitzer heißt; - welche D/T-Wertung der Geocache hat und wie groß der Container ist; - wann er versteckt worden ist und wann er zum letzten Mal gefunden worden ist. Die Karte gibt auf den ersten Blick wesentlich weniger Informationen preis. So lassen sich nur die Position und der Typ des Geocaches aus dem auf der Karte platzierten

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Abb. 27: Karte als Suchinterface

Quelle: www.geocaching.com

Symbol ablesen. Bei einem Klick auf dieses Symbol erscheint jedoch eine Box, die weitere Informationen anbietet (Abb. 28). Abb. 28: Informationsbox

Quelle: www.geocaching.com

In beiden Fällen gelangt man durch einen Klick auf den Namen zu der Website des jeweiligen Geocaches. Dort finden sich dann alle verfügbaren Informationen in aus-

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führlicher Form inklusive des Logbuchs. Dies ist der zweite Schritt. Abbildung 29 zeigt die Beschreibung von erwähntem Geocache mit dem Namen »B(a)uchladen«. Abb. 29: B(a)uchladen Beschreibung

Quelle: www.geocaching.com

Es handelt sich dabei um einen öffentlich zugänglichen Schrank für Bücher (siehe Abb. 30). Die Idee besteht darin, diesen wetterfesten Schrank als Lager zum Tauschen von Büchern zu benutzen. Von solchen Lagerstätten gibt es mehrere und diese sind unabhängig von der Praktik »Geocaching«. Der Trick besteht hier darin, diesen schon existierenden Schrank in einen sehr großen Geocache (»large«) umzudeuten, indem ein sehr kleiner Geocache in ihm versteckt wird. Die Aufforderung »bitte einen eigenen Stift mitbringen« weist daraufhin, dass der Cachebehälter zu klein für einen Stift ist. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Cache um einen Behälter vergleichbar mit der halben Größe eines Kugelschreibers, der an einer Schnur befestigt in einen Hohlraum versenkt ist.25

25 | Für dieses Versteckprinzip vgl. Abbildung 7, S. 132.

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Abb. 30: Foto des Büchertauschschranks

Quelle: eigene Fotografie

Ein anderer Interviewpartner berichtet, wie er ausgehend von Städten, die er auf Dienstreisen besuchen muss, Geocaches auswählt: »B: Ich habe dann, ich hatte in München dienstlich zu tun und habe halt geschaut: Was ist denn da so in der Nähe an interessanten Caches? Also ich mache nicht jeden Cache, sondern ich schaue mir da schon an im Vorfeld, um was geht es denn da. Und das war jetzt einer an der (.) ähm Nymphenburg. (I: Mhm (bejahend)) Schloss Nymphenburg. Und dann habe ich dort, war schon x-mal in München gewesen, in Schloss Nymphenburg war ich noch nie, ich schau mir das an und mache halt dabei den Cache mit. (lachend). (I: Okay) Und so läuft es eigentlich auch häufig ab. I: Okay. B: Dass ich dann praktisch dann, wenn ich irgendwo (.) in Städten bin, schaue ich immer mal auf der Karte, was da an interessanten Caches in der näheren Region ist. Freitag war ich in der Nähe von Regensburg, da war ich Walhalla, da lagen so drei/vier interessante Caches. War ich auch noch nie an der Walhalla gewesen, habe ich das natürlich genutzt und habe das wieder miteinander verbunden.« (Hoppe: 14)

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Wege Sind Wege bekannt, die in nächster Zeit zurückgelegt werden sollen, so können auch diese mit Geocaches erweitert werden. »I: Wann waren Sie denn das letzte Mal geocachen? B: Gestern. I: Gestern. Vielleicht wie / vielleicht erzählen Sie einfach mal, wie war das? Wie ist das abgelaufen? B: Wie ist das abgelaufen? Ja ich war am Vormittag zwischen zwei Außendienstterminen, (I: Aha) / habe ich am Straßenrand angehalten und habe noch einen Cache gefunden. (I: Okay) (..) Weil ich noch fünf Minuten Zeit hatte und das kann man ja im Vorfeld mal gucken, (räuspert sich) wo das so, wo die so sind. Und äh ich war in Viernheim. Und, ja, ich sage mal auf dem Weg nach Heppenheim ist eine direkt am Straßenrand gewesen. Bin ich vorbeigefahren. Das habe ich vorhin eruiert. Und aus dem Auto raus. Und gesucht und gefunden.« (Kern: 3)

Die Auswahl hat zuvor zusammen mit der Routenplanung für die Außendiensttermine stattgefunden. Als dann tatsächlich ein ausreichendes Zeitfenster vorhanden war, nutzte der Interviewpartner dieses und suchte erfolgreich den betreffenden Geocache. Der Geocache darf dabei nicht zu schwierig zu finden sein. Dasselbe gilt für den Fall einer Dienstreise. Die Unterscheidung von Ort und Weg fließt hier ineinander. Ob eine einzelne Position oder die Verbindung zwischen zwei Positionen erweitert wird, macht in der Praxis keinen qualitativen Unterschied. Was bezüglich der Ausgangspraktik, hier »Außentermine besuchen« oder »eine Dienstreise machen«, Ort oder Ziel bzw. Weg zwischen diesen ist, wird bezüglich der Praktik »Geocaching« zweitrangig: Es findet eine Verschiebung vom Raum der Arbeit zum Raum des Geocachens statt. Ein anderer Interviewpartner berichtet über das gleiche Vorgehen im Freizeitbereich: »I: Okay. Also du musstest / hattest ein ganz anderes Ziel. Also irgendwie / B: Ich hatte // ein Ziel // I: // Verabredung oder so was? // B: Genau. Eine Verabredung. I: Und dann nachher / B: Und dann bin ich / habe ich auf dem Weg noch einen Cache gemacht.« (Stein: 21)

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Infrastrukturell unterstützt wird die Auswahl ausgehend von einem bekannten Weg, indem auf www.geocaching.com eine Filterung der Geocache-Datenbank anhand einer bekannten Route durchgeführt werden kann. Dazu muss die Abfrage über eine sogenannte »Pocket Query« erfolgen, also im Wortsinn: eine Abfrage, die man in die Tasche stecken kann.

– Einschub: Pocket Queries – Eine »Pocket Query« filtert die Menge aller verfügbaren Geocaches nach bestimmten Kriterien. Es handelt sich also im Prinzip um eine Suchabfrage. Das System schickt das Ergebnis nach Abschluss der Abfrage des Ergebnisses in Form einer .loc- oder .gpx-Datei an die E-Mail-Adresse des Nutzers. Das .loc-Format ist dabei ein relativ einfaches Dateiformat, das die Koordinaten, den Namen und den Cachecode beinhaltet. Das .gpx-Format ist in der Lage, wesentlich reichhaltigere Informationen zu transportieren. So beinhaltet es zusätzlich die Beschreibung des Geocaches und die letzten fünf Logeinträge. Diese Ergebnislisten können dann mit verschiedener Software auf einem PC, auf einem mobilen Gerät (Mobiltelefon, Tablet etc.) verwaltet oder auf einen GPS-Empfänger, dessen Software zum »paperless caching«26 fähig ist, übertragen werden. Groundspeak Inc. hat aus nachvollziehbaren Gründen kein Interesse daran, dass auf diese Weise die gesamte oder auch nur große Teile der Datenbank ausgelesen werden. Die Abfrage ist daher auf 500 Suchergebnisse beschränkt. Zudem können nur fünf Abfragen pro Tag und Account durchgeführt werden.27 Die Filterung der Geocaches funktioniert in höchstem Maße standardisiert. Im Gegensatz zu einer Abfrage bei einer Suchmaschine wie Google oder einem Bibliothekskatalog ist es hier nicht möglich, nach Stichwörtern zu suchen. Daher handelt es

26 | »Paperless caching« bedeutet ohne Ausdrucke von Cachebeschreibungen zu cachen. Diese werden auf dem GPS-Empfänger gespeichert und können dort gelesen werden. Zudem können Funde direkt auf dem GPS-Empfänger geloggt werden und werden später über einen Computer an www.geocaching.com übertragen. 27 | Das Geschäftskonzept von Groundspeak, Inc. beruht auf dem exklusiven Zugang zu der Datenbank und dem Verkauf von Zugang zu aufbereiteten Daten. Damit reiht sich Groundspeak, Inc. in die Liste von erfolgreichen Firmen ein, deren Businessmodell ganz oder teilweise auf dem Besitz, d.h. dem Zugriff, auf Daten beruht. Firmen wie Facebook, Google und Amazon sind prominente Namen, die diese Liste anführen.

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sich tatsächlich um eine Filterung und nicht um eine Suche. Die Gesamtmenge der Geocaches kann nach folgenden Kriterien gefiltert werden: - Cachetyp - Behältergröße - D/T-Wertung - Länder/Bundesländer - Umkreis eines Geocaches, einer Koordinate, einer Postleitzahl - Wann der Geocache versteckt worden ist (alle Geocaches in einer bestimmten Zeitspanne). - Einschluss und Ausschluss von Attributen - verschiedene logische Kriterien (vgl. Abb. 31) Abb. 31: Pocket Queries: Logische Kriterien

Quelle: www.geocaching.com

Es ist möglich, solche Abfragen zu terminieren, d.h. sie an einem bestimmten Wochentag oder jeden Tag automatisiert zu wiederholen. Auf diese Weise kann erreicht werden, dass man über die Menge aller Geocaches, die bestimmte Kriterien erfüllen, stets auf dem neuesten Stand ist. Dies stellt einen Teil der Informationsinfrastruktur (Bowker und Star 1999) der Praktik »Geocaching« dar. Sie ist eine Suchmaschine auf der Basis eines Klassifikationssystems für Geocaches. November et al. (2010) unterscheiden in ihrem Aufsatz »Entering a risky territory: space in the age of digital navigation« zwischen einem mimetischen (»mimetic«), also einem nachahmenden, und einem navigatorischen (»navigational«) Nutzungsmodus von Karten, der es ermöglicht, in Bewegung immer wieder Wegweiser zu identifizieren. Der mimetische Modus sei assoziiert mit der Idee einer »base-map«, auf die weitere Eigenschaften geplottet werden könnten. Der navigatorische Modus

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überwinde diese Fixierung auf eine zugrundeliegende Karte und integriere stattdessen Eigenschaften, wie Erwartungen, Teilhabe, Reflexivität, Feedback und Risiko. Die Idee der Autoren besteht darin, das Orientierungswissen, das auf einer Karte verzeichnet ist, von dieser zu lösen und als sich in Echtzeit verändernde Datenmenge zu verstehen: »[T]his piece of paper is only a printout from a tiny fraction of a computerized databank, a frozen image that will be thrown away after it has been used.« (November et al. 2010: 583) Ausdrucke von Routenplanungen mit GoogleMaps fallen in diese Kategorie. Die Autoren haben sich die Aufgabe gestellt, die Kategorie Risiko in die Geografie zu integrieren. Obwohl Risiko für die vorliegende Arbeit keine zentrale Rolle spielt, ist die Idee der navigatorischen Perspektive auf Karten instruktiv. Auf den ersten Blick handelt es sich bei der Anzeige von Geocaches auf einer Karte auch nur um einen Plot auf eine »base-map« und kann auch mit diesem Verständnis genutzt werden. Bei einer »Pocket Query« wird jedoch klar, dass dies etwas anderes ist als eine Karte mit Sehenswürdigkeiten, die man in einem Laden kaufen kann und dass sich ein zweiter Blick lohnt. Die angezeigten Geocaches hängen von der Position der Person ab (sowohl geografisch als auch bezüglich der Interessen und der bereits gefundenen Geocaches), die die »Pocket Query« ausführt. Zudem hängen sie vom jeweiligen Zeitpunkt ab, denn es kommen laufend neue Geocaches hinzu und andere werden archiviert, d.h. sie verschwinden. Auch verändern sich die Punkte (Geocaches) auf der Karte: Sie werden kommentiert und erhalten unter Umständen Favoritenpunkte. Um solche »Karten« weiter in die aufgezeigte Richtung zu entwickeln, wäre es nötig, die Eigenschaften von Geocaches nicht nur als Liste an geografische Positionen anzuhängen, sondern in die Gestaltung der Karte einzuarbeiten. Die Integration von mobiler Internettechnik in die Praktik verschärft diese Zusammenhänge, weil der jeweils aktuelle Zustand der Geocache-Datenbank permanent zugänglich ist. Durch die Regeln zur Ausführung komplexerer Abfragen (»Pocket Queries«) wird dieser Effekt allerdings in diesem Fall (noch) ausgebremst. Jedoch ist es möglich, über einen mobilen Internetzugang den eigenen Fund in Echtzeit zu loggen und so die Topologie der Geocaches zu verändern. – Ende des Einschubs –

Im Fall einer »Pocket Query« für einen bestimmten Weg müssen die Route und eine Entfernung zur Route angegeben werden, innerhalb der Geocaches berücksichtigt werden sollen. Es entsteht eine Art »Schlauch« um die Route, für den relevante Geocaches angezeigt werden (vgl. Abb. 32). Hier handelt es sich um einen Grenzfall

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zur Auswahl entlang eines Gebietes, denn der dadurch entstehende »Schlauch« kann auch als ein langgezogenes Gebiet verstanden werden. Abb. 32: Pocket Query entlang der Route Darmstadt-Worms

Quelle: www.geocaching.com

Wege sind in Bezug auf die Praktik »Geocaching« zum einen nicht gänzlich von Orten zu trennen und zum anderen ebenso nicht gänzlich von Gebieten: Sie nehmen eine Zwischenposition ein. »Ja ich habe halt immer das Gerät dabei und (.) dann gucke, wo ich gerade bin und ob ich da in der Nähe welche habe, die (2) die gerade einfach sind oder interessant sind oder wenn ich länger Zeit habe, ob da mehrere an einem Weg entlang sind, wo man mal spazieren gehen kann oder so was [...].« (Schmitz: 5).

Hier wird beschrieben, dass die Person immer das GPS-Gerät dabei hat und bei Bedarf nachschaut, wo sie gerade ist und ob Geocaches in der Nähe liegen. Dies ist möglich, weil www.geocaching.com anbietet, nicht nur einzeln per Hand ausgewähl-

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te Geocaches, sondern auch ganze Ergebnislisten von Suchabfragen mittels einer »Pocket Query« auf einem mobilen GPS-Gerät zu speichern.28 Wenn eine Person, wie in obigem Interviewausschnitt zu lesen, schaut, wo sie sich gerade befindet und ob in der Nähe interessante Geocaches liegen, dann ist es wahrscheinlich, dass sie mit Hilfe einer solchen »Pocket Query« alle relevanten Geocaches (Erfüllung von bestimmten Kriterien), die in der Gegend (z.B. der Heimatstadt) liegen, auf ihrem Gerät gespeichert hat. Dies führt dazu, dass sie in der Situation ad hoc entscheiden kann, ob es sich lohnt, eine Suche zu starten oder nicht. Das direkte Starten einer Geocachesuche aus einer Situation heraus ist auch möglich, wenn ein Gerät mit mobilem Internetzugang mitgeführt wird. Jedoch versetzt das den Praktiker an den Anfang des Auswahlprozesses. »B: [...] Das GPS war zur Autonavigation dabei, ja, und dann haben wir irgendwie ne Pause gemacht, die Kinder kein Bock mehr zum Autofahren und dann pack ich halt mein Handy aus und guck mal wo liegt denn hier ein Cache und dann gehe ich halt einmal schnell hin, weil der halt 200 Meter neben der Raststätte da. I: Und Handy auspacken heißt, darüber ins Internet gehen? B: Darüber ins Internet gehen, gucken, wo ist der Cache in der Nähe und dann machst du den halt. Und das ist mir deshalb noch so in Erinnerung, weil vorher planst du, also, bis bevor ich jetzt mein neues Android-Handy hatte war das mit dem Internet gehen nicht so einfach, ja, und da hast du natürlich zu Hause am PC immer alles geplant und jetzt kannst du im Prinzip in jede Stadt gehen oder überall hingehen, machst das Ding an, wählst dich ins Internet ein, guckst, gibts ja auch die entsprechenden Apps, die das dann so sehr komfortabel machen ohne das viel Datenverkehr entsteht und das beim schlechten Handynetz noch geht.« (Böhm: 81)

Im Fall von »Pocket Queries« oder per Hand ausgewählten Geocaches handelt es sich um eine bereits zugeschnittene Datenbasis, die dann als Ausgangspunkt der Raumkonstitution dient. Die Aktivität »schauen, was da interessant ist« kann, wenn bekannt ist, dass ein bestimmter Ort besucht werden wird, also auf verschiedene Arten ablaufen: Es wird im Vorhinein geschaut, welche Geocaches dort im Umkreis liegen und interessant sein könnten (1), es wird, falls der Ort in dem Bereich liegt, für den bereits Geocaches auf dem GPS-Gerät gespeichert sind, spontan geschaut, welcher Geocache

28 | Diese können auf GPS-Geräten oder in einschlägigen Programmen kombiniert werden. Auf diese Weise entstehen persönliche Sammlungen von Geocaches.

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jetzt gerade passen würde (2) oder es wird ein mobiler Internetzugang genutzt, um erreichbare Geocaches zu recherchieren (3). Gebiete In gleicher Weise, wie geografische Positionen oder Wege mit Geocaches erweitert werden können, gilt dies auch für Gebiete. Diese bekommen durch diese zusätzlichen Informationen mehr Tiefe und Vielfalt.29 »Ja man geht raus und hat eben schon ein Ziel und dadurch, dass es jedes Mal ein etwas anderes Ziel ist (.) macht es einem auch nicht soviel aus, dass man dann doch häufiger dieselbe Gegend (.) begeht. Also man geht dann eben irgendwelche kleinen Wege, die man sonst nicht gegangen wäre, und dadurch kann man aus so ein paar Quadratkilometern Wald doch viel mehr rausholen an Zeitvertreib als wenn man jetzt, wie man es vermutlich als normaler Wanderer machen würde, nur die großen Wege einmal im Kreis gehen würde.« (Berg: 242)

Der Interviewpartner berichtet hier, dass ein bestimmtes Gebiet sich durch das Wissen um die darin liegenden Geocaches auf viele unterschiedliche Weisen darstellt. Die Wege, die ansonsten schnell durch Routinisierung oder Führung durch infrastrukturelle Gegebenheiten, wie gut ausgebaute Wege und Beschilderung, oder immer gleiche Ziele auf die immer gleiche Weise begangen würden, werden abgelöst durch stets leicht veränderte Wegführungen, die sich notwendigerweise aus den variierenden Zielen ergeben. Diese Ziele liegen zudem nicht notwendigerweise an Positionen, die durch die herkömmliche, in diesem Gebiet vorhandene Infrastruktur als Ziele nahegelegt werden. In einem Gebiet werden die Karten dadurch gewissermaßen neu gemischt. Da sich für ganze Bereiche, Umkreise um einen Punkt, alle Geocaches mit bestimmten Eigenschaften als »Pocket Query« speichern lassen und auch mehrere »Pocket Queries« miteinander kombiniert werden können, ist für das spontane Starten einer Cachesuche nicht notwendigerweise ein bekannter Ort oder ein im Vorhinein bekannter Weg nötig, den man aufsuchen oder gehen wird. Ein bestimmter Bereich als Ausgangspunkt für die Filterung muss nur aus pragmatischen Gründen gewählt werden, weil sonst die Menge der Geocaches zu groß wäre. Wäre ausreichend Speicherplatz vorhanden und würde Groundspeak Inc. es erlauben, könnte auch die gesamte Datenbank ohne territoriale Begrenzung gefiltert werden.

29 | Zunächst bekommen sie eine andere Bedeutung, was zusammen mit der bisherigen Bedeutung, die bestehen bleibt, zu einem Mehr an Bedeutung und damit zu Vielfalt wird.

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»I: Ja, und vielleicht fangen wir am besten so an, also ich frage mal, wann waren Sie denn das letzte Mal geocachen? B: Äh (.) um Viertel nach Drei. I: Heute? B: Ja. I: Und wie lief das ab? Also vielleicht einfach beschreiben. B: Ich bin beruflich im Außendienst unterwegs, mit dem Wagen, und einem Kollegen. Der ist genauso Cacherfreund. Und äh (.) wenn wir dann Arbeit fertig haben und haben noch Zeit, dann sagen wir ›Komm machen wir schnell ein, zwei Stück, die auf der Strecke liegen‹. Und da wir halt im ganzen Großkreis Rhein/Main arbeiten, bis hoch nach Gießen oder (.) manchmal bis nach Heppenheim runter, haben wir halt einen Rieseneinzugsbereich (.), wo man immer mal gucken kann, was liegt an der Strecke /.« (Wagner: 5)

Der Interviewpartner kennt das Gebiet, in dem er sich qua seiner Arbeit als Vermessungsingenieur tagtäglich bewegt und führt daher eine Sammlung von Geocaches für dieses Gebiet mit. Dies ermöglicht ihm und seinem Arbeitskollegen bei Bedarf, wenn ein Zeitfenster vorhanden ist, das Gebiet, das bisher durch die Arbeit Arbeitsraum war, in einen Raum umzudeuten, in dem Geocaches relevante Orte darstellen. Auswahl aufgrund von Eigenschaften eines Geocaches Die zweite Art Geocaches auszuwählen, beginnt nicht mit einer territorialen Bestimmung, sondern auf der Ebene der Eigenschaften von Geocaches. Unabhängig von ihrer geografischen Lage haben Geocaches Eigenschaften, die sie näher beschreiben: - Die Beschreibung des Geocaches (Worum geht es?) - Der Name: Oftmals ist dieser sprechend (z.B. »Eine Reise um die Welt«, »Immergrün«, »Langer Schatten«, »Bauminselcache«) - Der Schwierigkeitsgrad und die Terrainwertung: Wie viel Zeit muss man einplanen, ist er eine Herausforderung oder eher leicht zu lösen/finden - Nur zu bestimmten Zeiten zu finden: z.B. nachts - Wird bestimmtes Equipment benötigt: Schraubenzieher, UV-Lampe, Seil, Leiter, Boot etc.? - Wie wurde der Geocache von anderen, die diesen schon gefunden haben, bewertet und wer hat ihn gelegt: Wie ist die zu erwartende Qualität? - Wann wurde er veröffentlicht?

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Auf die Besonderheiten, die sich für die Aktivität des Auswählens dadurch ergeben, dass einige Eigenschaften von Geocaches zählbar und in Statistiken darstellbar sind, wird im nächsten Abschnitt (Kap. 9.4: Statistiken: Zählen) eingegangen. Im Folgenden geht es ausschließlich um qualitative Eigenschaften, bzw. um die qualitative Interpretation von Eigenschaften. Eine solche qualitativ interpretierbare Eigenschaft ist der Veröffentlichungszeitpunkt eines Geocaches. Frisch veröffentlichten Geocaches haftet in der Praktik »Geocaching« eine besondere Qualität an: Es gilt als etwas Besonderes, einen Geocache als erster, zweiter oder dritter zu finden (vgl. Abb. 2, S. 120). Gelegentlich werden für diese ersten Finder sogar Urkunden oder Ähnliches im Cache deponiert. »B: Richtig. Ach und was bei der Vorbereitung NOCH wichtig ist, ähm (..) man freut sich ja, ich hab schon erzählt, wenn neue Caches gelegt sind, man freut sich, wenn man der Erstfinder ist. Es gehört also immer eine Urkunde rein für den Erstfinder. Also / (I:// Ach ja?//) // bastelt man // eine Urkunde: ›Herzlichen Glückwunsch, Du hast meinen Cache Stadtwaldhaus als erster // gefunden‹, und dann // (I: // Ach ja, okay. //) / kann man die zu Hause sammeln (lacht).« (Mank: 342)

Im Rhein-Main-Gebiet, dem Forschungsgebiet der vorliegenden Arbeit, vergehen unabhängig von der Tages- oder Nachtzeit in der Regel nicht mehr als 60 Minuten, bis der erste Praktiker sich am Ort des Geschehens einfindet. Daraus ergibt sich neben der Ehre unter den ersten Findern zu sein, der Umstand, dass es ziemlich wahrscheinlich ist, bei einem neu veröffentlichten Geocache andere Praktiker zu treffen. Die Suche nach einem ganz neuen Geocache hat also einen anderen Charakter als die Suche nach schon älteren: Man wird andere Praktiker treffen, man muss den Cache ohne Hinweise aus den Logs finden, weil es die noch nicht gibt, und man kann der Erste sein. Die Auswahl erfolgt also nach dem Kriterium der Neuheit. Dieses Kriterium ist unabhängig von geografischen Zusammenhängen und führt den suchenden Praktiker an unvorhergesehene Orte innerhalb des Bereiches, der für ihn erreichbar ist.30 Geocaches, bei denen zunächst ein Rätsel gelöst werden muss, um die endgültigen Koordinaten zu bekommen, an denen der Cachebehälter versteckt ist, laufen unter der Kategorie »Mystery Cache«. Das eigentliche Finden des Geocaches kann gewissermaßen als Bestätigung verstanden werden, dass die Lösung richtig ist. Oftmals können diese Rätsel mit Hilfe eines Internetzugangs gelöst werden, ohne dass

30 | Dieser erreichbare Bereich ist kein einfacher Radius um den Ausgangspunkt, sondern hängt von der vorhandenen und nutzbaren Mobilitätsinfrastruktur ab.

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es nötig ist, ins Gelände zu gehen. In solchen Fällen findet die Auswahl nach der Art des Rätsels statt. Die Suche vor Ort an der Position des Geocaches ist bezüglich der Auswahl nachgeordnet. Dies führt ebenfalls dazu, dass Orte besucht werden, die nicht aufgrund ihrer Lage ausgewählt worden sind. Selbst wenn es beabsichtigt wäre, wäre dies nicht möglich, da sich die tatsächlichen Koordinaten erst nach dem Lösen des Rätsels erkennen lassen.31 Andere Geocaches beinhalten mehrere Stationen, die während des Lösens eines solchen Geocaches angesteuert werden müssen (»Multi Caches«). Diese werden aufgrund ihrer Beschreibung ausgewählt. Über den Verlauf des Weges ist zu diesem Zeitpunkt nichts weiter bekannt. Im Verlauf der Suche wird dann ein Weg innerhalb des Raums der Praktik »Geocaching« von Station zu Station des Caches konstituiert. Dieser Weg wurde vom Besitzer des Geocaches im Voraus geplant. Ähnlich wie bei Geocaches, bei denen zunächst die Koordinaten unbekannt sind, ist hier der Weg, der beschritten werden muss, unbekannt. Aus den Geocaches ergeben sich also Orte und Wege, die vorher nicht zu antizipieren sind. Dieser Sachverhalt trägt einen großen Teil zu der breit akzeptierten Faszination bei, durch Geocaching immer wieder an neue Orte zu gelangen.32 Ein Geocache, der beispielsweise im Rahmen einer Dienstreise gefunden werden soll, soll nicht nur auf der Strecke liegen, sondern auch von den Anforderungen (Zeit, Ausrüstung etc.) her machbar sein. Zudem muss die Position eines wegen seiner Eigenschaften noch so interessanten Geocaches mit den zur Verfügung stehenden Transportmitteln auch realistisch zu erreichen sein. Bei der Auswahl, ausgehend von territorialen Bestimmungen, geht es also auch um Eigenschaften und ebenso ist bei der Auswahl aufgrund von Eigenschaften die territoriale Dimension nicht irrelevant. Die beiden Modi des Auswählens lassen sich also nicht so eindeutig trennen, wie zu Beginn des Kapitels suggeriert wurde. Folgender Interviewausschnitt verdeutlicht dies anschaulich: »I: Okay. (..) Also noch mal zu der Auswahl. Also entweder, wenn man an einem Ort ist. Gucken, was da so im Umkreis ist. B: Genau.

31 | Die provisorischen Koordinaten liegen allerdings in der Nähe, sodass zumindest grob damit gerechnet werden kann, wo der Geocache lokalisiert sein wird. Auch hier muss natürlich die prinzipielle Erreichbarkeit gewährleistet sein. 32 | Der andere große Beitrag zu dieser Faszination ist der infrastrukturell bedingte Umstand, dass Geocaches unabhängig von der Einbettung in bekannte Bezugssysteme adressiert werden können (vgl. Kap. 8: Ortsbestimmungen ...).

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I: Oder wenn man irgendwie lang läuft, ein Wanderweg oder so, links/rechts. (B: Mhm (bejahend)) Oder, ähm / B: Ja. (.) Wobei sich häufig der Wanderweg auch nach den Caches richtet. Also das ist halt auch so, dass man eben sagt: Was ist realistisch zu erreichen? Wie viel Zeit habe ich? (I: Mhm (bejahend)) Und dann eben schaut: Kann ich jetzt da noch langgehen oder nicht? Und teilweise wird es dann eben auch im Wald entschieden. Okay, jetzt haben wir solange gebraucht, jetzt können wir // die nicht mehr machen //.« (Stein: 115)

Auf der einen Seite werden territoriale Bestimmungen erweitert, auf der anderen Seite richten sich Wege, die gegangen werden, und damit auch Orte, die besucht werden, nach den Geocaches, die gesucht werden. Dies kann in gemischter Form während einer Tour geschehen (siehe Interviewausschnitt). Aber auch bei der Wahl der zu suchenden Geocaches vor einer Tour sind beide Modi nicht voneinander zu trennen: Werden Geocaches im Umkreis eines Ortes oder in einem bestimmten Gebiet gesucht, werden diese anschließend auch noch nach ihren Eigenschaften gefiltert. Werden Geocaches nach Eigenschaften ausgewählt, spielt im nächsten Schritt die territoriale Erreichbarkeit eine entscheidende Rolle, ob der Geocache angegangen werden wird oder nicht. Geocaches als Knoten Es wurde deutlich, dass beide Weisen des Auswählens, ausgehend von einer territorialen Angabe und ausgehend von den Eigenschaften der Geocaches, in der Praxis ineinander fließen und nur analytisch voneinander zu unterscheiden sind. Die These lautet hier, dass dieser Widerspruch nur scheinbar ist und sich auflösen lässt, indem territorialen Zusammenhängen der Status einer besonderen, von anderen Eigenschaften getrennten Ebene aberkannt wird und stattdessen die geografische Position eines Geocaches als eine Eigenschaft unter anderen verstanden wird. Diese Eigenschaft bestimmt die Relation (Entfernung, Erreichbarkeit) zur jeweiligen Position des Praktikers und zu anderen Geocaches. Wenn jemand abends noch schnell einen Geocache sucht, um noch einmal »vor die Tür zu kommen«, stellt dies besondere Anforderungen an die Eigenschaften eines Geocaches. Neben der wahrscheinlichen Anforderung, dass der Cache nicht allzu schwer zu finden sein und nicht zu lange dauern sollte, ist anzunehmen, dass er zudem angemessen leicht zu erreichen sein sollte. An dieser Stelle spielt die geografische Position des Geocaches als Eigenschaft eine Rolle, weil sich aus dieser die Erreichbarkeit ergibt. Erreichbarkeit ist keine quantitative Eigenschaft, kann also nicht auf die Entfernung zum Ausgangsort reduziert werden. Es spielt eine Rolle, über welche

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Wege die Position des Geocaches zu erreichen ist. Relevant sind Fragen wie: Liegt er an einem Weg oder muss man querfeldein laufen? Kann man in der Nähe parken oder nicht? Macht es Sinn, mit dem Fahrrad zu fahren? Ist ein Auto nötig? Diese Fragen verweisen auf das infrastrukturelle Arrangement, also die Infrastrukturen, die in die Praktik »Geocaching« integriert werden (vgl. Kap. 3.3: Infrastrukturelle Arrangements von Praktiken). In diesem Beispiel beginnt die Auswahl des passenden Geocaches zwar mit der Position (die Erreichbarkeit muss gegeben sein), aber genauso wichtig sind andere Eigenschaften, wie der Schwierigkeitsgrad und die Geländewertung, denn diese Eigenschaften müssen ebenso zur Situation passen. Ein solcher Zugriff auf Raum lässt sich mit den ersten beiden vorgestellten Raumtypen (Fläche und Bahn) nicht schlüssig fassen. Der dritte, in Kapitel 8: Ortsbestimmungen ..., entwickelte, Idealtyp des Knotenraums fängt diese Situation jedoch angemessen ein. Geocaches fungieren als Knoten in einem Raum, der durch die Praktik »Geocaching« erzeugt wird. Praktiker bewegen sich zu Knoten und von da weiter zu anderen Knoten und durchqueren so den erzeugten Raum und sind an dessen Reproduktion beteiligt. Eine große Menge der Eigenschaften von Geocaches sind quantifizierbar. Das gilt jedoch nicht für den Inhalt von Kommentaren oder die Beschreibungen der Geocaches. Zählbar ist jedoch, wie oft ein Geocache gefunden wurde, welche Größe er hat, welchen Schwierigkeitsgrad etc. Solche zählbaren Eigenschaften können bei der Auswahl von zu suchenden Geocaches eine entscheidende Rolle spielen. Im nächsten Abschnitt wird daher der Aktivität »zählen« als Teil der Praktik »Geocaching« nachgegangen.

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9.4 S TATISTIKEN : Z ÄHLEN »B: // Ja. // Also das hat schon, das hat schon ein bisschen motiviert am Anfang. Dass man eben jetzt über hundert kommt oder die Matrix füllt sich so langsam. Ähm und dann ich bin jetzt / habe jetzt gerade die zweitausend Caches durchbrochen.« (Stein: 472)

In diesem Abschnitt geht es um die Aktivität »zählen« für die Praktik »Geocaching«. Diese Aktivität ist eng mit dem zuvor thematisierten Auswählen von Geocaches verbunden, nimmt jedoch eine so herausragende Stellung ein, dass es angebracht ist, gesondert auf sie einzugehen. Spuren des Auswählens schreiben sich in der Datenbank der Geocaches als Kommentare und Favoritenpunkte ein. Lässt man die Dimension der Bedeutung/des Sinns von Kommentaren für den Moment beiseite, ergeben sich zwei quantifizierbare Kennziffern: Anzahl der Funde (entspricht der Anzahl der Kommentare bzw. Logs) und Anzahl der besonderen Empfehlungen (Favoritenpunkte). Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe weiterer Parameter, die quantifizierbar sind und daher in Statistiken dargestellt werden können. Im folgenden Abschnitt geht es um die Rolle solcher Parameter in dem sich fortwährend drehenden Kreislauf von Auswahl und Rückmeldung. »Zählen« beginnt damit, dass Praktiker ihren ersten Geocache finden, dann den zweiten, den dritten; anschließend kommt der zehnte, zwanzigste und schließlich der hundertste; irgendwann unter Umständen der tausendste und so weiter und so fort. Jeder gefundene Geocache wird auf der zugehörigen Website geloggt, um zu dokumentieren, dass die Suche erfolgreich beendet wurde und um dem Besitzer des Geocaches eine kurze Rückmeldung zu geben. Diese Rückmeldung und die damit verbundene Anerkennung ist, wie in Kapitel 9.2: Markierungen: Platzieren, gesehen, ein entscheidender Grund dafür, warum Geocaches gelegt werden und damit ein Grund, warum die Praktik »Geocaching« überhaupt funktioniert. Durch dieses Loggen entsteht automatisch eine Form der Buchführung über alle gefundenen Geocaches. Nicht nur die Anzahl wird festgehalten, sondern auch alle weiteren Daten, die mit dem Geocache zusammenhängen: Die wichtigsten darunter sind Ort, Schwierigkeitsgrad und Terrainwertung, Datum des Fundes, Größe des Cachebehälters und Cachetyp. Diese Daten lassen sich in Statistiken zusammenfassen und visuell aufbereiten. Die Plattform geocaching.com bietet dafür ein Set von Standarddarstellungen an. Zudem gibt es Drittanbieter, die viele weitere Darstellungen der eigenen Funde

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ermöglichen.33 Die folgenden Beschreibungen beschränken sich im Wesentlichen auf die Standarddarstellungen von geocaching.com. Um die Rolle von Statistiken in der Praktik »Geocaching« zu verdeutlichen, ist dies ausreichend, da weitere detailliertere Aufbereitungen der Zahlen nichts an dem grundlegendem Zusammenhang ändern. Die Anzahl der Funde ist in der Praktik mit einem bestimmten Verstehen verknüpft. Im Großen und Ganzen gilt: Je höher die Anzahl von Funden, desto mehr Erfahrung und Wissen wird der betreffenden Person unterstellt. Die Anzahl der Funde spielt hier die Rolle einer näherungsweisen Quantifizierung von Erfahrung. Dies ist z.B. relevant bei der Einschätzung von Geocaches daraufhin, ob diese interessant zu suchen sind (vgl. S. 196 f.). Unter den Personen, die Geocaching praktizieren und organisierten Face-to-face-Treffen nicht abgeneigt sind, spielt die Zahl der Funde neben den anderen Statistiken zudem eine Rolle von Anerkennung. Personen, die viele Geocaches gefunden haben, werden für ihre Leistung respektiert. Personen mit extrem hohen Fundzahlen können durchaus so etwas wie Prominente in der Gruppe der Personen werden, die die Praktik praktizieren. Jedoch ist die Anzahl der Funde kein linearer Indikator: Zum einen kommt es auch auf die Art von Geocaches an. Zum anderen gibt es unterschiedliche Ansichten zu dem exzessiven Suchen/Finden von Geocaches unter den Praktikern.34 Unabhängig in welcher Weise, diese Zahlen spielen eine wichtige Rolle für die Praktik.35 Für die hier verfolgte Fragestellung nach dem Raum, der durch Geocaching erzeugt wird, ist entscheidend, ob es eine Verbindung zwischen der Aktivität »zählen« und dem erzeugten Raum gibt und wie diese gegebenenfalls beschreibbar ist. »Zählen« ist auch Teil vieler anderer Praktiken, wie »Briefmarken sammeln«, »Rollenspiele spielen«, »Plane spotting«36 oder der Buchführung über Körperfunktionen (»quantified self«), Zeiten und Strecken im Sport und ist dabei nicht in jedem Fall

33 | Zum Beispiel das Programm Geocaching Swiss Army Knive (GSAK). Zu finden unter http://gsak.net/, gesehen: 02.05.2013. 34 | Dies ist ein Hinweis darauf, dass sich an dieser Stelle die Praktik weiter ausdifferenziert. 35 | Interessant ist an dieser Stelle, dass der »Erfinder« des Geocachings sich dieser Faszination der Zahlen sehr gut entziehen kann. Dave Ulmer hat auf www.geocaching.com 17 geloggte Funde bei gleichzeitiger Selbstbeschreibung als »Inventor of Geocaching« und, soweit sich dies nachvollziehen lässt, regelmäßigen Besuchen der Website. Dies verweist auf den Entwicklungsweg der Praktik von dem ersten Auftreten im Nordwesten der USA im Jahr 2000 bis zum Gegenstand der Untersuchung im Rhein-Main-Gebiet im Jahr 2011/2012. 36 | Es geht dabei darum, möglichst viele oder auch bestimmte Flugzeuge auf Flughäfen zu fotografieren. Die Praktik ist verwandt mit dem »Spotten« anderer Dinge wie Vögel oder Schiffe.

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an der Raumerzeugung der jeweiligen Praktik beteiligt. Im Fall der Praktik »Geocaching« spielen Zahlen und Statistiken eine Rolle in der teleoaffektiven Struktur der Praktik. Auf der einen Seite dienen Statistiken über Funde als Motivation: Das Erreichen bestimmter quantitativer Meilensteine gehört zu dem Set möglicher Ziele, deren Erreichen positiv konnotiert ist. Auf der anderen Seite wirkt sich das Zählen von gefundenen Geocaches, das Verteilen von Favoritenpunkten und das Identifizieren von Lücken in einer Statistik, um die wissend zu suchende Geocaches ausgewählt werden, auf die Topologie des Raums aus, der durch die Praktik erzeugt wird. Diesen Zusammenhängen wird nun an ausgewählten Beispielen nachgegangen. Die »Homezone« Die »Homezone«37 ist ein Bereich, der durch einen wählbaren Radius um eine angegebene Heimatposition entsteht. Für diesen Bereich ist es möglich, per E-Mail eine Benachrichtigung zu erhalten, falls ein neuer Geocache in diesem Bereich veröffentlicht wird. Aus dieser infrastrukturell ermöglichten Gebietsbestimmung entsteht die Praktik, diese Homezone »freizuhalten«, also alle Geocaches in diesem Gebiet gefunden zu haben (d.h. auf der Karte zum Verschwinden zu bringen). »B: Die [gefundene Caches, PG] werden als Smiley dargestellt. // Und als Premium-Member // I: // Nee, das ist mir noch nicht // B: / Kann man die Smileys auch wegklicken. (I: Okay.) Das heißt, wenn ich jetzt unseren Ort eingebe, dann ist da quasi überhaupt nichts mehr zu sehen. I: (..) Ach so! Weil die verschwinden dann, die // Caches. Okay. Ja, ja. // B: // Genau, also man kann die dann auch ausblenden. // Man kann sie also als normale Member ähm / (I: Mhm (bejahend)) / hast du Smileys und ich kann sie ausblenden. (I: Okay. (..) Okay.) Und das ist dann so, wenn direkt bei uns jetzt was erscheint, dann guckt man, dass man das auch da WEGKRIEGT. Es ist (I: Okay.) / die HOMEZONE.« (Fischer: 140)

Hier wird auf Seiten der Praktiker ein Flächenraum konstituiert, der so etwas wie der eigene Hinterhof ist und der sozusagen frei gehalten und kontrolliert werden muss. Länderpunkte (Souvenirs) und Karten Teil der zu einem Account gehörigen Statistik sind Karten, die anzeigen, wo auf der Welt mit dem Account bereits Funde geloggt worden sind. Es gibt diese Karten für

37 | Dieser Begriff erscheint nicht auf der Website, sondern entstammt der Praxis.

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Deutschland (unterschieden nach Bundesländern), für Europa (unterschieden nach Staaten) (Abb. 33) oder andere Regionen (Afrika, Nordamerika, Asien, Ozeanien etc.) und für die gesamte Welt. Abb. 33: Europakarte

Quelle: www.geocaching.com

Zudem gibt es Souvenirs für bestimmte Gegenden, z.B. für Hessen, die als Icons auf der Website des jeweiligen Accounts angezeigt werden. (Vgl. Abb. 34) »Souvenirs are virtual pieces of art that you can discover and display on your profile page. They are associated with a particular location and may also be bound by time.«38

Dieses Prinzip ist von Wanderzielen bekannt (vgl. Abb. 35). Es handelt sich dabei dann um Aufkleber, Anstecker für den Hut oder Plaketten für den Wanderstock. Geocaching integriert diese Idee auf eigene digitale Weise.

38 | Quelle: http://www.geocaching.com/about/souvenirs.aspx, gesehen: 21.02.2013.

9. Aspekte der Raumerzeugung | 229

Abb. 34: Bilder von GC-Souvenirs

Quelle: www.geocaching.com

Abb. 35: Stockschilder

Quelle: www.ebay.de

Grafische Darstellungen in Form von Karten definieren Lücken, die füllbar sind. Damit geht ein gewisser Aufforderungscharakter einher. Ohne die Visualisierung in Form einer Karte würden bestimmte Lücken unter Umständen nicht sichtbar, fielen daher nicht auf und könnten auch nicht Anknüpfungspunkt für weitere Aktivitäten

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sein. Souvenirs für bestimmte Gebiete erfüllen dieselbe Funktion, indem sie den Besuch einer Gegend dokumentierbar machen. Die offensichtlichste Lücke in der eigenen Fundstatistik resultiert aus einer als zu niedrig empfundenen Fundzahl. Wie der eingangs zitierte (S. 225) und der folgende Interviewausschnitt verdeutlichen, kann das Anhäufen von Funden einen gewissen Reiz ausüben. »B: Äh und da sucht man sich dann jetzt so ein bisschen andere Ziele. Also am Anfang des Jahres hatte ich tausend (..) 1.300/1.400 Caches und habe dann halt eben mal gesagt ähm: Schaffe ich bis zum Ende des Jahres die zweitausend zu machen?« (Stein: 474)

Die Zahl der Funde kann z.B. als Beweis den »innere[n] Schweinehund« überwunden zu haben verstanden werden: »I: Spielt das eine Rolle, wie viel man gefunden hat oder diese Statistik? B: Die Statistik macht natürlich schon. Das ist ja so ein Anreiz, klar. (.) Also ich (habe?) früher jetzt erst die Tausend gemacht. Und das war schon ein Anreiz, das wollte ich jetzt noch so schnell wie möglich schaffen, dass ich drüber wegkomme. (..) Das ist klar. (.) So der innere Schweinehund, das musst Du jetzt noch machen, Du musst jetzt mehr wie fünf machen am Tag oder so. Das ist (.) schon da. I: (...) Und Sie haben jetzt knapp über Tausend, oder? B: Ja.« (Kern: 115)

Dies passt zu dem wiederkehrenden Motiv, dass Geocaches ein Ziel zur Verfügung stellen, aufgrund dessen es sich z.B. lohnt, noch einmal am Abend oder auch überhaupt vor die Tür zu gehen. »B: / Und bevor ich mit dem Cachen angefangen bin, habe ich das eh immer gemacht. Ich war draußen Wandern, ich bin Rad gefahren. (I: Mhm (bejahend)) Ähm, (.) ich bin allein und äh, auch damals, als ich angefangen bin schon und äh, (.) dann war es halt manchmal immer so eine Sache so Motivationssache auch. (I: Mhm (bejahend)) Das Wetter ist schön, aber ähm geht man jetzt aufs Fahrrad und macht was, jetzt hat man ein Ziel. (I: Mhm (bejahend)) Jetzt kann man sagen okay, aber ich fahr da noch mal hin. Da sind noch so sechs Stück, die ich noch nicht kenne und äh so hat man halt immer noch so, / (I: Okay) / es macht einfach mehr Spaß, zielgerichtet einfach (.) zu wandern oder Rad zu fahren.« (Mank: 204)

9. Aspekte der Raumerzeugung | 231

Jedoch differenziert sich hier die Praktik aus. Es gibt ebenso Praktiker, die auf das Erhöhen der Fundzahlen von Geocaches nicht so viel Wert legen. »B: / die halt einfach in den Wald gehen, eine Dose nach der anderen sammeln, Hauptsache sie bekommen ihre Punkte, möglichst viele Punkte da dann in der Statistik, (..) hat jeder seinen Schwerpunkt. Also wie gesagt, mein Ding ist das nicht (lacht).« (Hoppe: 206)

Die Möglichkeit, dass der Interviewpartner auch auf die Statistik schaut, nur eben nicht losgeht und leichte Geocaches »einsammelt«, um die Fundstatistik nach oben zu treiben, bleibt jedoch bestehen. So sind andere Ziele denkbar, wie Länderpunkte, das Füllen der D/T-Matrix oder des Fundkalenders (vgl. S. 137 ff.), um die am meisten verbreiteten zu nennen. Das Prinzip bei der Aktivität »zählen« ist stets, einen bestimmten Parameter zu identifizieren und dann die Lücke zum nächsten Meilenstein zu schließen. Sei es das Füllen einer Landkarte oder das »Freihalten der Homezone«, sei es eine bestimmte Anzahl von einer speziellen Cacheart oder das Füllen der D/T-Matrix oder des Fundkalenders. Bei der Konstruktion von weiteren Lücken und Meilensteinen helfen sogenannte »Badges«. Es gibt sie für praktisch alles, was im Zusammenhang mit Geocaching zählbar ist. Für das Erreichen bestimmter Zahlen kann man verschiedenfarbige Abzeichen erhalten. Abb. 36: Badges

Quelle: www.badgegen.com/badges.html, gesehen 06.05.2013

Frau Schmitz berichtet von der Motivation, die von sogenannten »Badges« ausgeht: »B: Es ist wirklich total unterschiedlich. Es ist manchmal auch es so ein bisschen so eine Art Wettbewerb auch mit sich selber, weil man kann dann ja seine Funde auswerten (I: Mhm). Da gibts so Programme und dann kann man sich da so Orden erarbeiten. Na ja für drei Webcams gibts einen. Und dann gibts bei fünf wieder einen und bei zehn (I: Okay). Oder (.) über die Anzahl der Länder und über die Anzahl der, also über alles kann man sich da so sag ich jetzt mal.« (Schmitz: 39)

232 | Flächen – Bahnen – Knoten

Solche Badges werden von einem Drittanbieter mit Erlaubnis von Groundspeak, Inc. für Premiummember zur Verfügung gestellt. So gibt es Badges für das Finden von bestimmten Zahlen bestimmter Cachetypen, für das Vollenden der 81-Matrix (D/TMatrix), für First-to-find-Caches, für Caches mit der D/T-Höchstwertung (5/5), für bestimmte Cachegrößen etc. Es gibt im Prinzip für alles eine »Badge«, was zählbar ist. Einen Überblick über mögliche Parameter gibt folgende Liste mit 42 Einträgen: »The Traditional Cacher (awarded for finding Traditional caches) The Multi Cacher (awarded for finding Multi caches) The Mysterious Cacher (awarded for finding Mystery/Unknown caches) The Virtual Cacher (awarded for finding Virtual caches) The Earth Cacher (awarded for finding Earthcaches) The Letterboxer (awarded for finding Letterbox caches) The Wherigo Cacher (awarded for finding Wherigo caches) The Mega Social Cacher (awarded for attending Mega Event caches) The Environmental Cacher (awarded for attending CITO Event caches) The Lost & Found Cacher (awarded for attending Lost & Found Ten Year! Event caches) The Benchmarker (awarded for finding benchmarks) The Waymarker (awarded for visiting Waymarks) The Photogenic Cacher (awarded for finding Webcam caches) The Ape Cacher (awarded for finding Project A.P.E. caches) The Micro Cacher (awarded for finding micro size caches) The Small Cacher (awarded for finding small size caches) The Regular Cacher (awarded for finding regular size caches) The Large Cacher (awarded for finding large size caches) The Adventurous Cacher (awarded for finding caches with a 5/5 Difficulty/Terrain rating) The Brainiac (awarded for finding Difficulty 5 caches) The Rugged Cacher (awarded for finding Terrain 5 caches) The FTF Addict (awarded for being First-to-Find) The Travelling Cacher (awarded for finding caches in different countries)v The Cache Owner (awarded for hiding caches) The Favorite Cacher (awarded based on total number of favorite points received on owned caches) The Author (awarded based on average found log word count) The Shutterbug (awarded based on number of photos uploaded to found logs) The Head-In-The-Clouds Award (awarded for finding a cache at high elevations)

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The Head-In-The-Gound Award (awarded for finding a cache at low elevations) The Busy Cacher (awarded for finding many caches on a single date) The Daily Cacher (awarded based on the maximum number of consecutive days with a find) The Calendar Cacher (awarded for finding caches on different calendar days) The Caching Veteran (awarded for finding caches in different years) The Night-Owl (awarded for finding night caches) The Scuba-Cacher (awarded for finding caches underwater) The Event Host (awarded for hosting any type of event caches) The Geocacher (awarded based on total find count) The Long-Distance Cacher (awarded for finding a cache far from home) The Matrix Cacher (awarded based on completion of the 81 D/T rating combination matrix) The Travel Bug (awarded for moving/discovering TravelBugs) The Coin Collector (awarded for moving/discovering Geocoins) State Badges (awarded for finding caches in a percentage of states in various country)«39

Der Umstand, dass bestimmte Fundzahlen ausgezeichnet werden können, führt im Umkehrschluss dazu, dass Geocaches gezielt nach solchen Kriterien ausgewählt werden, um bestimmte Statistikziele zu erreichen. »I: Mhm. Dann sind wahrscheinlich auch die, oder vermute ich jetzt, diese Leute, die so wahnsinnige Caches machen, die haben das ganz schön gut raus, wie man da sehr effektiv (B: Mhm) so Caches bearbeitet, muss man ja sagen. (3) B: Ja. (1) Ja damit [zusätzliche Software zum Verwalten von Geocaches, PG] kann man dann halt auch sehr gut filtern. Wenn die sagen mir fehlen noch die 17 Matrixpunkte (.) und (.) zeig mir die jetzt mal im Umkreis von 500 Kilometern oder so, dann fahren die auch dahin. Das ist schon, dass man teilweise hört ›Ja wir waren gerade mal wieder in Luxemburg in einer Höhle‹ oder wir haben das gemacht oder (.) (I: Ach ja okay.) (3)« (Schmitz: 162)

Dieses Beispiel ist in seinem Ausmaß quantitativ nicht repräsentativ für die Praktik im Allgemeinen. Es ist anzunehmen, dass die Regel abgeschwächte Varianten davon sind. Darüber sind nur auf Basis einer quantitativen Untersuchung belastbare Aussagen zu machen. Ziel der vorliegenden Darstellung ist es, die Extrema der Praktik auszuloten, um in Bezug auf die Praktik als Ganzes, Eigenschaften und Zusammenhänge sichtbar zu machen.

39 | Quelle: http://www.badgegen.com/badges.html, gesehen: 25.02.2013.

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Bestimmte Eigenschaften von Geocaches sind quantifizierbar und daher zählbar. Dies ermöglicht eine quantitative Analyse der Funde eines Accounts. Die Art der Darstellung schlägt hier zurück auf die Generierung dessen, was dargestellt wird. Damit verliert die Darstellung den Status der einfachen Darstellung von etwas und entfaltet ihrerseits Wirkung auf das Dargestellte.40 In Bezug auf den Raum, der durch Geocaching erzeugt wird, bedeutet diese Ausrichtung des Auswählens von Geocaches an zählbaren und statistisch auswertbaren Eigenschaften, dass die Erzeugung dieses Raums als Knotenraum unterstützt wird, ja auf die Spitze getrieben wird.

9.5 R AUMKONKURRENZ : A BGRENZEN »B: Ja zur Not muss sich halt mal hinknien und Schuhe binden oder so. Irgendwas halt machen. Manche ziehen sich die Tarnwesten an, also nicht Tarnwesten diese Bauarbeiterwesten. So von wegen dann um da so ein bisschen öffentlich irgendwas machen zu können.« (Schmitz: 79)

Für die Grenzen von Räumen, die durch Praktiken erzeugt werden, gilt, dass sie nicht notwendigerweise identisch mit Dingen oder Grenzziehungen im Feld sind. Die Auslinie eines Fußballfeldes ist beispielsweise nicht die Grenze des Raums, der durch die Praktik »Fuß ballspielen« erzeugt wird. Es ist eine Grenze, die für die Praktik bedeutet, dass der Ball, wenn er sie überquert, aus ist und als nächstes ein Einwurf, Eckball oder Abstoß folgen muss, dessen Ausführung regelmäßig Platz jenseits dieser Grenze beansprucht. Eine solche Grenze ist ein soziales Gut im Sinne von Löw

40 | Diese Figur ist dem zirkulären Zusammenhang von Mitteln und Zwecken vergleichbar: Mittel dienen dazu, bestimmte Zwecke zu erreichen. Stehen bestimmte Mittel einmal zur Verfügung, haben sie Auswirkungen auf die Bestimmung von Zielen, weil sie bestimmte Ziele erreichbar, ja sogar überhaupt erst vorstellbar machen. Eine oft zitierte Formulierung dieses Zusammenhangs findet sich bei Abraham Maslow: »I suppose it is tempting, if the only tool you have is a hammer, to treat everything as if it were a nail.« (Maslow 1966: 15 f.) Eine ausführlich Diskussion dieses Zusammenhangs aus philosophischer Perspektive findet sich in Hubig 2006: Kap. 4.2.

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(vgl. Kap. 4.3: Raum als relationale (An)Ordnung). Grenzen von Räumen, die durch Praktiken erzeugt werden, müssen als solche erst sichtbar gemacht werden. Ein anschauliches Beispiel für eine solche Grenze, die kein soziales Gut ist, sondern permanent in der Praxis erzeugt wird, ist die Abseitsgrenze im Fußball. Es handelt sich dabei zwar nicht um eine Innen-/Außengrenze der Praktik, trotzdem ist der Fall instruktiv, weil deutlich wird, wie bewegliche Grenzen erzeugt werden. Die Abseitsgrenze verläuft auf Höhe des letzten Feldspielers der verteidigenden Mannschaft. Bewegt sich ein Spieler der angreifenden Mannschaft ohne Ball über diese Linie hinaus, betritt also den Bereich zwischen dem letzten Feldspieler und dem Tor, liegt eine Abseitssituation vor. Diese Linie ist nicht fest, sondern vielmehr permanent in Abhängigkeit von den Positionen der Feldspieler in Bewegung und wechselt mit dem Ballbesitz die Seiten. Eine hilfreiche Frage, um der Gestalt von Grenzen nachzugehen, lautet: Wie ist es möglich, eine Grenze zu überqueren? Bei Räumen, die durch Praktiken erzeugt werden, führt der Weg in den Raum über die Praxis der Praktik. Sobald eine Person eine bestimmte Praktik praktiziert, befindet sie sich in dem Raum, den die Praktik erzeugt und ist an dessen Erzeugung und Reproduktion beteiligt. Die Grenze ist also eine, die in der Praxis liegt, und keine, die es mögliche wäre, im wörtlichen Sinne zu überschreiten. Wenn verschiedene Praktiken auf die gleichen, nur begrenzt vorhandenen, materiellen Ressourcen (z.B. Gegenstände oder Raum im metrischen Sinne, also Territorium) zur selben Zeit zurückgreifen, kommt es zu Raumkonflikten. Muggles Während des Suchen eines Geocaches teilen sich die anwesenden Personen in zwei Gruppen auf: die Wissenden und die Unwissenden; die Praktiker und die NichtPraktiker; die Geocacher und die »Muggles«. »Muggles« werden in Anlehnung an Joanne K. Rowlings Romanreihe »Harry Potter« Personen genannt, die keine Kenntnis von der Praktik »Geocaching« haben. In den Harry-Potter-Romanen bezeichnet dieser Name Menschen, die nicht magiebegabt sind. Um das Spiel nicht zu gefährden, sollen diese »Muggles« möglichst nicht erfahren, was vor sich geht. Daraus resultiert die Notwendigkeit einer unauffälligen Vorgehensweise beim Suchen von Geocaches. Es folgen drei Interviewausschnitte, die das Verhältnis zu Nicht-Praktikern thematisieren. »I: Also, wie ist das jetzt, weil es schon angesprochen wurde. So mit den Muggels. V: Ja. I: Mit den Leuten, die NICHT Geocachen. Wie ist das? (..) Also, wie ist das, so Verhält-/ das Verhältnis? (..) Zwischen, zwischen diesen Leuten und // (unv. Überlappung) //

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V: // Gar kein Verhältnis. // Man muss nur aufpassen, dass man nicht gesehen wird.« (Hager: 228) »I: (5) Ähm, wie ist denn das Verhältnis zu Unbeteiligten? (..) Also die nicht cachen. B: Äh (.) im Bekanntenkreis? //Oder //? I: //Gibt es da // Nein, ich mein während dem Cachen. B: Ach so. (.) Nö, man hüte sich vor Muggels. Also so heißen die ja. (I: Mhm (bejahend)) Äh (.) die sollten tunlichst mich nicht mitkriegen.« (Wagner: 80) »B: Oh ich finde das lustig. Ich meine, die heißen ja so wie die Menschen bei Harry Potter, ne? Von daher (.) ich finde das ok, dass die das nicht mitbekommen sollen, weil teilweise die Leute, die die Schätze verstecken da extrem viel Zeit und Gedanken und manchmal auch Geld investieren um da richtig schöne Sachen zu verstecken und ich glaube, wenn das ein Unbeteiligter sieht und sagt dann nur dreimal ›Ach guck mal da is was‹ dann ist das Ding sofort weg. (I: Mhm). Das passiert ja oft genug, dass die weg sind. I: Ja? Tatsächlich? B: Ja ja. Das steht da ganz oft ›Ist gemuggelt worden‹. I: Ok. Das heißt dann ist geklaut worden, ist zerstört worden oder? B: Ist geklaut worden ja.« (Schmitz: 65)

An dieser Stelle der Praktik findet eine Abgrenzung statt, die zudem Teil der Praktik ist und mit der gespielt werden kann. Für Anwesende (Praktiker) im Raum, der durch Geocaching erzeugt wird, ist diese Grenze eindeutig spürbar. Alles, was zum Geocachen benötigt wird, und alle Personen, die davon wissen, sind Elemente dieses Raums und werden zu einem zusammenhängenden Ganzen synthetisiert (Löw 2001). Alle und alles andere ist auf der anderen Seite der Grenze. In einer territorialen Perspektive ist der Grenzverlauf jedoch unklar und schillernd. Er ist beständig im Fluss und bewegt sich mit den Personen mit. Das Außen dieses Raums beinhaltet alle Lebewesen und sozialen Güter, die nichts mit Geocaching in der jeweiligen Situation zu tun haben oder davon keine Kenntnis haben. Als das Andere, das NichtDazugehörige hat dieser Bereich, obwohl nicht zum Raum des Geocachings gehörig, für diesen Bedeutung. Es hängt von den vor Ort, also im Umkreis eines Geocaches, praktizierten Praktiken ab, welche Elemente auf welche Weise in das Geocaching einbezogen werden

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können. Falls bestimmte Elemente auch in Räumen anderer Praktiken eine Bedeutung haben, sind diese unter Umständen nicht verfügbar. »B: Oder man findet den einfach nicht, weil z.B. in Frankfurt auf der Zeil. Ähm bisher war ich immer nur tagsüber da, da braucht man gar nicht probieren, da irgendwie die Laterne hochzuklettern.« (Mank: 454)

Zwar ist es unwahrscheinlich, dass auf der zentralen Einkaufsstraße in Frankfurt am Main (»die Zeil«) viele Praktiken zu beobachten sind, die das Erklettern von Laternen integrieren. Laternen spielen jedoch in Praktiken wie »Einkaufen gehen« oder »über die Zeil schlendern« eine bestimmte Rolle, d.h. sie sind mit einem bestimmten Verstehen verbunden. Dies reicht aus, um einen Konflikt entstehen zu lassen, wenn ein Praktiker auf der Suche nach einem Geocache eine solche Laterne erklimmen würde und damit eine etablierte Deutung herausfordern würde. Es kommt zu Konflikten, deren offene Austragung Geocachingpraktiker in der Regel aus dem Weg gehen, um die Existenz des Geocaches nicht zu gefährden. B: [...] (2) Naja, das ist schon, ich nehme das schon so ernst, dass ich Zweifelsfalle dann halt wieder weggehe, weil ich sage ich weiß zwar, wo das Ding ist, so auch aus einem Meter Entfernung, aber (.) ich kann das da gerade nicht rausholen. Das kriegen zu viele Leute mit. Dann geht man wieder. Dann kommt man nachts.« (Schmitz: 69)

Trotz solcher Vorsichtsmaßnahmen ist es nicht immer möglich, unentdeckt zu bleiben. Sei es, dass eben doch jemand gerade im falschen Moment hinschaut und bemerkt, wie der Geocache aus dem Versteck gezogen wird. Sei es, dass Personen, die den fraglichen Ort länger oder regelmäßig im Auge haben, weil sie z.B. in der Nähe wohnen oder ihn von ihrem Arbeitsplatz aus sehen können, bemerken, dass dieser Ort erstaunlicher Weise vermehrt von Personen aufgesucht wird, die wirken, als ob sie etwas suchten, obwohl dort doch eigentlich nichts ist. Eine mögliche Vermutung ist dann z.B., dass es »etwas mit Drogen« zu tun habe oder es sich zumindest um etwas Verdächtiges handeln müsse. »I: Und wie ist das eigentlich? Geben die sich damit zufrieden oder Verständnis oder (.) bekommt man da Probleme? B: Unterschiedlich. Es gibt einmal Leute, die sagen ›Ah Geocaching, Geocaching habe ich auch schon irgendwo mal gehört gelesen und sonst was‹ und gehen da positiv mit um und andere,

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die halt dann ein bisschen feindselig damit umgehen nach dem Motto ›Die schnüffeln hier rum, was machen die eigentlich hier?‹« (Fantuzzi: 51) »B: Gab aber auch schon so (..) Situationen, dass ich, (..) wo gesucht habe, viertel Stunde/zwanzig Minuten, mich nach der Suche ins Auto gesetzt habe und dann ist mir unmittelbar danach das Polizeiauto vorgefahren, und die Polizei ist genau an der Stelle ausgestiegen und ähm (.) hat auch geschaut. Also ich vermute, / (I: Tatsächlich?) B: / dass dann äh irgendwie ein Einwohner, war auch wieder so ein, (.) sage ich mal eine Stelle mitten in einem Wohngebiet, dass da ein Anwohner eventuell auch misstrauisch geworden ist und gesagt hat: ›Ja (.) da ist irgendwas.‹ Könnte ja genauso gut ein Drogenversteck oder sonst was sein?!« (Hoppe: 166)

Solche Vorbehalte lassen sich gegebenenfalls jedoch im Gespräch pragmatisch ausräumen. »B: Ja. Es ist auch meistens eine Zeitfrage. Es ist ja nicht so schnell erklärt, ne. Die Leute interessiert dann das schon, wenn man da anfängt, man sucht da so eine Art Sch-. Also, wenn wir es schnell abhaken wollen, dann sagen wir einfach: ›Wir machen so eine moderne Schnitzeljagd.‹ (I: Mhm (bejahend)) (..) Und damit sind die Leute meistens dann auch zufrieden (haut auf den Tisch) und (..) wenn man nicht will, muss man da nicht weiter erklären. @« (Kötter: 178) »I: Okay. Und gibt es da manchmal Konflikte, zwischen Leuten die NICHT geocachen und Geocachern? B: (lacht) Eigentlich nicht, wenn man es halt geschickt macht. Aber einmal wurde ich auch von der Polizei (..) äh angehalten. Aber das war äh auch richtig schön im Wald, da gibt es so einen Funkturm in der Nähe vom Flughafen. Das für die Funküberwachung des Flugraums wichtig ist und da (.) fährt wohl regelmäßig eine Polizeistreife mal auch den Waldwege entlang. Und ganz in der Nähe lag ein Geocache und (.) äh ich war mit dem Rad da. Das Rad war am Rand und äh, ich war dann im Unterholz und ich kam dann zu meinem Rad zurück, dann stand da auf einmal die (.) äh die Polizeistreife, ›Was machen Sie denn da?‹ und äh (lacht) schon so mit den Händen so am, am Griff und so. Dann, ich habe nur geo-gecached. ›Bitte was?‹ und dann wussten Sie nicht was es ist, dann habe ich es denen erklärt und dann äh (.) dann war alles gut.« (Mank: 472)

Unter Umständen liegt der Fall auch derart, dass anwesende Nicht-Praktiker bereits Bescheid wissen. »I: Ja. (.) Kommt es da dann zum Kontakt oder so, ist es schon mal gewesen, also (.) zu Leuten, die gesagt haben vielleicht: (..) ›Was machen sie da?‹

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B: Gab es auch schon, (.) gab es auch schon, ähm, je nach Situation sage ich ganz offen, ja Geocachen und so. (I: Mhm (bejahend)) Und der eine oder andere kennt das. (.) Andere wissen es nicht, gab es schon so, dass mir Leute gesagt haben: (..) ›Da drüben musst du gucken.‹ I: Ah okay, die wussten schon, // worum es geht? // B: // Die wussten schon, um was es geht. //.« (Hoppe: 59)

Obwohl Geocaches so versteckt sein sollten, dass sie von nichtwissenden Personen nicht zufällig gefunden werden, kommt dies hin und wieder vor: Sei es durch spielende Kinder, bei Bau- oder Wartungsarbeiten oder durch Beobachter, die nachschauen, was da denn nun zu finden ist. Es handelt sich hierbei um eine Notwendigkeit, die sich aus der Praxis ergibt, Geocaches über eine lange Zeit (>1 Jahr) an einem Ort zu belassen. Für den Fall des zufälligen Fundes tragen viele Geocaches einen Aufkleber, der kurz erläutert, um was es sich bei dem gefundenen Behälter handelt (Abb. 37). Abb. 37: Geocache-Aufkleber

Quelle: www.geocaching.bxf.de

Tarnung Auf der anderen Seite bieten solche Situation besondere Herausforderungen, die darin bestehen, andere Personen in anderen Räumen die eigene Raumkonstitutionspraxis nicht bemerken zu lassen bzw. nicht nachvollziehbar zu machen. Solche Herausforderungen können aktiv angegangen werden. »I: Aber sonst wird immer probiert oder probieren sie dann irgendwie Unbeteiligte das nicht wissen zu lassen (B: Ja) und so ein bisschen geheimoperierenB: Ja zur Not muss sich halt mal hinknien und Schuhe binden oder so. Irgendwas halt machen. Manche ziehen sich die Tarnwesten an, also nicht Tarnwesten diese Bauarbeiterwesten. So von

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wegen dann um da so ein bisschen öffentlich irgendwas machen zu können (I: Okay. Ja). Ja schon @.« (Schmitz: 78)

Oder: »B: Und äh, also das macht man dann nichts tagsüber, dass muss man irgendwann nachts machen oder so oder frühmorgens. Oder als ich in Hamburg war äh, da haben wir auch einfach uns wie ganz doofe Touristen benommen und einfach äh gefakte Fotos gemacht. Dass man einfach drauf auf die Mauer und dann sich an der Laterne festgehalten hat, oben schon immer gegriffen hat, dass nach unten gegeben und dann einfach doofe Fotos gemacht hat. @ (I: @ Okay) B: Und als Tourist darf man sich ja so blöd benehmen wie man will und (..) dann geht das schon.« (Mank: 460)

Dieses bewusste Operieren im Unerkannten kann sowohl als abschreckend als auch als besonderer Reiz wahrgenommen werden. »B: [...] da gibt es in A-Stadt einen Cache-Leger, der hat sehr speziell, wie soll ich sagen, an öffentlichen Plätzen (..) wirklich an belebten Stellen, Caches an ganz besondere Stationen gelegt. Und an denen man, was weiß ich, mitten an einer (..) absolut belebten Straße zum Beispiel Gerüste hochklettern muss. I: Ach ja (..) // tatsächlich?// B: // Und da dann // (I: Okay) Ja, und egal wann sie es machen, Tag und Nacht, da sind immer Leute, da sind immer Autos, Taxifahrer, Busse unterwegs. Man kann es nicht unbeobachtet machen. Aber er sagt halt ganz bewusst, das ist der Kick an dieser Sache.« (Hoppe: 180)

Was hier geschieht, ist, dass Praktiker versuchen, ihre eigene temporäre Raumkonstitution harmonisch an andere Raumerzeugungen auf dem gleichen Territorium anzuschließen, sodass diese nicht auffällt, ohne dass der Kern der eigenen Raumkonstitution verloren geht. Solange die Übergänge zwischen verschiedenen Räumen plausibel und harmonisch sind, wird sich niemand daran stören und es wird vielleicht nicht einmal erkannt, dass hier ein zusätzlicher Raum konstituiert wird. Das Erklimmen einer Laterne auf einer belebten Einkaufsstraße ist hingegen nicht einfach mit anderen dort existierenden Räumen zu harmonisieren. Vor allem dann nicht, wenn diese Aktivität wiederholt vorkommt, der Zusammenhang in dem es geschieht, jedoch verborgen bleibt. Der Sinn der Aktivität muss allen verborgen bleiben, die zwar in Bezug auf die metrische Entfernung nah, jedoch von der in die Praktik integrierten Infrastruktur

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ausgeschlossen sind. Der Zugang zu diesem Raum liegt nicht im Territorium, sondern in der digitalen Infrastruktur der Praktik. Nicht jede Koexistenz von Räumen lässt sich vollständig miteinander vereinbaren. Dies kann einen Reiz ausmachen, der darin besteht, ein bestimmtes Maß an Dissonanz für eine bestimmte Zeit aushalten zu müssen. Ein Beispiel dafür ist ein Geocache am Darmstädter Hauptbahnhof (vgl. Abb. 8, S. 133). Der Cache befindet sich in dem Briefkasten, der neben der Holztür an die Wand geschraubt ist. Die direkte Umgebung besteht aus Bushaltestellen, Taxiständen und dem Bahnhof selbst. Es ist hier praktisch unmöglich, den Geocache ungesehen zu finden und einen Eintrag im Logbuch zu hinterlassen. Die Herausforderung besteht darin, obwohl man gesehen wird, dies unbemerkt zu vollbringen. Grenzen und Abgrenzungen Praktiken erzeugen durch das Anordnen von Lebewesen und sozialen Gütern und durch die gleichzeitige Synthese dieser Elemente ihren je eigenen Raum. Dessen Grenze verläuft zwischen Elementen, die in dem Raum Bedeutung haben, d.h. einen Ort, und Elementen, die nicht in die Praktik integriert sind. Um diese Grenze wahrnehmen zu können, muss ein Beobachter kompetenter Praktiker der Praktik sein. Mit verschiedenen Typen von Räumen sind auch verschiedene Typen von Grenzen verbunden. Im Fall des Typs Flächenraum erscheint die Außengrenze, projiziert auf eine Karte, näherungsweise als Linie, die den Raum der Praktik nach außen hin abgrenzt. Der Raum der Praktik erscheint dabei als zusammenhängendes Territorium bzw. Fläche. Diese Eigenschaft ist das Erkennungsmerkmal dieses Raumtyps. Die Außengrenzen des Raumtyps Bahnraum gestalten sich anders. Sie folgen den Bahnen und grenzen diese von der Umwelt ab, die für den in einem solchen Fall erzeugten Raum keine Bedeutung hat. Projiziert auf eine Karte durchzieht ein Raum dieses Typs ein Territorium wie ein Geflecht aus Adern (vgl. Kap. 8.4: GPS, WGS84 und Räume aus Flächen, Bahnen und Knoten). Theoretisch zu verorten sind diese Art von Grenzen in Löws Konzept auf der Ebene von Orten: Sie entstehen durch die Praxis der Platzierung und Synthese, d.h. durch die Praxis der Raumkonstitution, können selbst nicht platziert werden und werden durch fortlaufend ähnliche Reproduktion institutionalisiert bzw. mit relativer Stabilität gegenüber anderen Elementen des Raums ausgestattet. Sind es die Knoten, im Gegensatz zu Flächen oder Bahnen, die das Hauptmerkmal eines Raumes darstellen, also Orte, die mit bestimmten Eigenschaften ausgestattet sind, deren Verbindung untereinander aber flexibel ist, dann hat dies zur Folge, dass projiziert auf eine Karte keine territoriale Außengrenze erkennbar ist.

242 | Flächen – Bahnen – Knoten

Es stellt sich die Frage, wo und wie man die Außengrenze zu einem Raum von diesem Typ überschreitet und sich anschließend in seinem Inneren befindet oder mit diesen in Konflikt gerät. Es gibt zwei Arten, die Außengrenze eines Raums zu überschreiten. Dies gilt für alle Räume: 1. Indem die den Raum erzeugende Praktik ausgeübt wird. Beispielsweise wird eine Person zum Träger der Praktik »Tennis spielen« und befindet sich, wenn sie diese praktiziert, in dem Raum, der durch diese Praktik erzeugt wird. Das Gleiche gilt für Geocaching. Die Grenze verläuft hier entlang des Könnens der Praktik und des Zugangs zu nötigen Raumelementen und in die Praktik integrierten Infrastrukturen. 2. Indem eine andere Praktik ausgeübt wird, die auf dieselben Raumelemente wie die erste auf eine mit dieser nicht zu vereinbarenden Weise zurückgreift. Beispielsweise übertritt eine Person die Grenze zum Raum der Praktik »Tennis spielen« in nicht zu vereinbarender Weise, wenn sie beginnt, der Praktik »joggen« auf dem Tennisplatz nachzugehen. Für Geocaching wäre das z.B der Fall, wenn andere Personen das Versteck des Geocaches (z.B. einen Baum) für die Raumerzeugung einer anderen Praktik gebrauchen. Dieser Fall liegt auch im oben beschriebenen Beispiel eines Geocaches vor, der auf einer Laterne in einer Einkaufsstraße versteckt ist. Die Räume der Praktik »Geocaching« sind zunächst unsichtbar. Eine sehr kleine Menge von Artefakten schlummert an Orten, die in Räumen anderer Praktiken keine Rolle spielen, unbemerkt vor sich hin. Durch Teilnehmer der Praktik, die um diese Artefakte und deren Bedeutung im Zusammenhang der Praktik wissen, werden in der Praxis der Praktik Räume erzeugt. Anschließend verschwinden diese Räume wieder, sind jedoch so stabil, dass sie jederzeit wieder in hinreichend ähnlicher Weise erzeugt werden können. Für die Beständigkeit sorgt die Persistenz der Artefakte, die Dauerhaftigkeit der Infrastruktur, also der Datenbank inklusive der Beschreibungen der Geocaches, und die Stabilität der Praktik selbst (Geocaching läuft heute hinreichend ähnlich ab wie vor sechs Monaten und es ist erwartbar, dass dies auch in sechs Monaten noch der Fall ist). Die oben beschriebene Situation der Abgrenzung vor Ort in bestimmten Situationen verweist auf die erste Skalierungsebene der Raumerzeugung, die im Fall von Geocaching relevant ist: die Räume, die während der Suche eines bestimmten Geocaches entstehen. Es handelt sich dabei um Räume des Typs Flächenraum in einer nichtexklusiven Variante. Das bedeutet, die Praktik findet auf einer mit Außengrenzen beschreibbaren Fläche statt, jedoch kann dort bis zu einem gewissen Grad auch anderes stattfinden, ohne dass die Praktik gestört würde. Dies ist ein Unterschied zu der Praktik »Tennis spielen«.

9. Aspekte der Raumerzeugung | 243

Auf der zweiten für Geocaching relevanten Raumebene sind diese Geocaches und ihre Umgebung selbst Orte. Das Muster dieser Orte wurde in Kapitel 9.1: Konfiguration: Einteilen beschrieben, die Auswahl aufgrund von Eigenschaften in Kapitel 9.3: Orte/Wege/Gebiete: Auswählen und Kapitel 9.4: Statistiken: Zählen. Hier handelt es sich um einen Knotenraum, dessen Außengrenze nicht territorial beschrieben werden kann. Mit der fehlenden territorialen Außengrenze geht einher, dass sich Knoten sehr locker unter die Elemente anderer Räume mischen können, weil sie einzeln auftreten und nicht auf feste Verbindungen mit anderen Elementen angewiesen sind. Entweder es ist vollkommen unerheblich, was um Knoten herum ist, oder aber das, was in ihrer metrischen Nähe liegt, wird im Zuge der Praktik umgedeutet. Knotenräume mischen/schieben sich unter/zwischen andere Räume, ohne dabei im Einzelnen kompakt sein zu müssen. Ihre Grenzen sind schillernd und temporär, da sie nur in der Praxis aktualisiert werden und sonst verschwinden. Die Praktik »Geocaching« macht sich die territoriale Unbestimmtheit des durch sie erzeugten Raums explizit zunutze, indem sie davon lebt, dass sie latent unter der Wahrnehmungsschwelle Unbeteiligter bleibt. Dies findet seine Begrenzung allerdings dort, wo eine große Zahl von Personen nacheinander denselben Geocache besucht. Jede Handlung hinterlässt Spuren. Wenn eine größere Anzahl von Personen an derselben Stelle das Gleiche tut, dann werden diese Spuren von Mal zu Mal deutlicher. So sind z.B. Geocaches im Wald oder auf dem Feld bei Schnee besonders leicht zu finden, falls der Geocache kurz vorher schon einmal gefunden wurde. Es reicht aus, den Fuß- und Griffspuren im Schnee zu folgen. Ein anderes Szenario wäre ein Geocache, der unter Moos versteckt ist. Hier kommt es vor, dass Praktiker, weil sie den Cache nicht sofort finden können, den gesamten Bereich durchsuchen. Dies führt dazu, dass der Bereich ziemlich verwüstet aussehen kann. In diesem Fall entsteht etwas, das man durchaus als Schaden bezeichnen kann. Die Frage der Schuld soll hier nicht aufgegriffen werden. Jedoch ist klar, dass jeder, der einen Geocache legt, nicht nur damit rechnen muss bzw. darf, dass er von anderen gefunden wird, sondern auch, dass es sich um eine größere Anzahl von Personen handeln könnte, die an eine bestimmte Stelle vielleicht auch über einen bestimmten, immer gleichen Weg geleitet wird. Die Zahl der Funde ist also indirekt auch ein Faktor, der sich neben der direkten visuellen Tarnung des Geocaches darauf auswirkt, ob der Geocache im Verborgenen verbleiben kann oder nicht. »Oder wenn Caches halt auf Äckern oder Obstwiesen oder sonst was sind, gibts schon Eigentümer, die sich dann ärgern, weil wie man sagt gibt es sogenannte Grobmotoriker unter den Cachern, die dann also auch einen gewissen Flurschaden anrichten (I: Okay). Die dann halt

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Luftlinie diagonal über eine Wiese laufen, obwohl man eigentlich hätte übers Eck auch laufen können.« (Fantuzzi: 52) »[...] wenn du eine kleine Dose suchst und hast so’ne Ungenauigkeit von 10 Metern, dann wird der Suchradius schon groß (.) und dann ist halt das Problem, dass eben manche Leute es überhaupt nicht ertragen können, den Cache nicht zu finden, ja, und dann fangen die an zu suchen und dann (.) war da jetzt ein (1) bei Grafenbruch in der Nähe war ein Cache im Wald, der war zwei Tage da oder drei Tage draußen und ich bin hingekommen-gangen, hab gedacht oh irgendwie hat sich so ergeben (.) und der war total umgepflügt und ich habe ihn aber auch nicht gefunden @ und hab dann gesagt so ein Mist und das ist aber (.) da gibts dann Probleme z.B. mit Förstern, ja?, wenn mehrere Cacher im Wald sind und der Cacher an sich gräbt den Wald so um, das finden die nicht gut, [...].« (Böhm: 59). »B: Das ist zum Beispiel was, was ich, was wir auch nicht leiden können (lachend) unter Moos. I: Hm-hm (fragend). B: Weil die Leute dann anfangen alles auszureißen. I: (..) Ach so. Okay. B: Also die Umgebung von Caches, die unter Moos sind, sieht meistens schwer verwüstet aus. (I: Ach ja?) Und, ja. Ja. I: Tatsächlich. (..) Sieht man dann wahrscheinlich auch oder, so schon, wo der Cache so liegt, weil man die Suchspuren von anderen Leuten sieht. B: Ja, so die //Umgebung, ja.// I: //Könnte ich mir vorstellen// B: / Aber je mehr dann gesucht haben, dann sieht man es irgendwann halt nicht mehr, weil es wirklich dann aussieht, als ob die Wildschweine dort gewühlt hätten. Also / Sie müssen sich dann vorstellen, da liegt dann überall so Moosfetzen rum und unter einem von diesen hundert Fetzen ist dann irgendwie ein guter Cache. Und (holt Luft) (.) das ist eigentlich das, was wir dann nicht so mögen.« (Kötter: 350)

Trotz dieser Anlage wäre es falsch, Geocaching als latent illegale Praktik zu beschreiben. An den Stellen, wo Konflikte mit anderen Räumen entstehen, wird in der Regel wie beschrieben der Ausgleich gesucht oder sich zurückgezogen. Auf der Website www.geocaching.com gibt es eine eigene Site für »Land-Verwaltung und Strafverfol-

9. Aspekte der Raumerzeugung | 245

gungsbehörden«.41 Seit dem 13. September 2012 hat z.B. das Regierungspräsidium Darmstadt einen Account (»RP Darmstadt«) bei www.geocaching.com und spricht »Owner« von Geocaches gezielt an, falls es Klärungsbedarf bezüglich Naturschutzgebieten oder Ähnlichem gibt. Dies wird unter den Praktikern sehr positiv aufgenommen. Folgende Stellungnahme in dem »grünen Forum« kann als typisch verstanden werden: »Moin, klasse! Das ist doch eine tolle und nette Reaktion! So könnte die Überschrift auch lauten »Darmstadt: Geocaching-freundlich und unkompliziert« Hier vor Ort bin ich den umgekehrten Weg gegangen und habe von mir aus die Gemeinde kontaktiert. Ergebnis: Sehr offen und freundlich. So habe ich hier jetzt Möglichkeiten, von denen ich vorher nicht geträumt hatte....«42

Der Thread verweist darauf, dass es positive Erfahrungen mit offiziellen Stellen auch in anderen Gegenden gibt. Dies ist jedoch von Mal zu Mal Aushandlungssache. Das Beispiel »Geocaching forever« zeigt, dass diese Aushandlung auch unerfreulich für die Seite der Praktiker enden kann (vgl. Kap. 9.2: Markierungen: Platzieren). Der Grund war hier nicht ein Naturschutzgebiet, sondern es gab Befürchtungen, die Natur könne langfristig durch die Besucher der 286 versteckten Geocaches Schaden nehmen. Das RP Darmstadt hat sich durch das Anlegen eines Accounts Zugang zu einem entscheidenden Teil der Raumerzeugung durch die Praktik »Geocaching« verschafft, nämlich der Infrastruktur. Tauchten vorher aus Sicht des RPs eher zufällig Geocaches an unterschiedlichen Stellen auf, wenn sie denn überhaupt bemerkt wurden, können sich nun die Mitarbeiter des RPs alle Geocaches auf einer Karte anzeigen lassen und gegebenenfalls den Besitzer über dessen Account kontaktieren. Die Grenzen auf der Ebene der Praktik sind schwieriger zu fassen als die Grenzen auf der situativen Ebene der Praxis der Praktik, bei der es um Anordnungen von Lebewesen und sozialen Gütern in der jeweiligen Situation geht. Es geht hier um den Zugang zu der Infrastruktur der Praktik, darum auf welche Art und Weise Infrastrukturen in das infrastrukturelle Arrangement der Praktik integriert werden und wo vor diesem Hintergrund Hindernisse, Schwellen oder Konflikte vorliegen und entstehen.

41 | www.geocaching.com/parksandpolice/, gesehen: 17.02.2013. 42 | Quelle: http://forum.geoclub.de/viewtopic.php?f=23&t=66622, gesehen: 17.02.2013.

10. Resümee: Flächen, Bahnen, Knoten

In diesem zweiten Teil der Arbeit wurde zunächst die Bandbreite der Praktik »Geocaching« unter Berücksichtigung ihrer Geschichte und der in sie integrierten Infrastruktur beschrieben. Vor diesem Hintergrund wurde dann der Frage nach der Art des Raums nachgegangen, der durch Geocaching erzeugt wird. Mit Hilfe der Analyse der Bestimmung von Orten durch die Praktiken »Degree Confluence Project«, »Geodashing« und »Geocaching« wurde der Idealtyp des Knotenraums entwickelt und mit Bezug auf Vinkens Unterscheidung von Fläche und Bahn von den Typen Flächenraum und Bahnraum unterschieden. Im letzten Abschnitt wurde schließlich aus fünf verschiedenen Richtungen der Raum, der durch die Praktik »Geocaching« erzeugt wird, sichtbar gemacht. Auf Ebene der Praktik »Geocaching« wird ein Raum vom Typ eines Knotenraums erzeugt. Auf der Ebene von Praktiken, die Teil der Praktik »Geocaching« sind, werden hingegen auch Räume der anderen beiden vorgestellten Raumtypen erzeugt. Ebenso wie Praktiken auf verschiedenen Ebenen ineinanderfließen, gilt dies auch für durch sie erzeugte Räume. So werden z.B. durch das Suchen eines Geocaches an den Zielkoordinaten Flächenräume erzeugt. Das Gleiche gilt für das Sitzen in einem Auto auf der Fahrt zu einem Geocache. Die Praktik »Auto fahren« erzeugt wiederum einen Bahnraum, bestehend aus den Bahnen (geeignete Straßen, Verkehrsführung etc.), auf denen Autos fahren können. Das Besondere an dem Knotenraum, der durch die Praktik »Geocaching« erzeugt wird, ist, dass hier auf kollaborative Weise ein Bezugssystem erstellt wird, an dem sich Praktiker orientieren können und dadurch gleichzeitig wiederum das Bezugssystem stabilisieren (Logbucheinträge, Favoritenpunkte). Dieses Bezugssystem und damit der Raum des Geocachings ist permanent in Veränderung begriffen: Es kommen neue Geocaches hinzu und andere werden archiviert. Die Topologie des Raums verändert sich durch geloggte Funde und Kommentare. Entscheidende Teile der In-

248 | Flächen – Bahnen – Knoten

frastruktur dieses Bezugssystems sind das globale Satellitennavigationssystem GPS und die über das Internet zugängliche Datenbank. Diese infrastrukturellen Bestandteile sind dafür verantwortlich, dass im Fall der Praktik »Geocaching« der Typ des Knotenraums so deutlich hervortreten kann. Orte dieses Raums werden nicht über Flächen oder Bahnen verbunden, sondern durch eine Datenbank. Aufgrund der Anlage der vorliegenden Arbeit als explorative Untersuchung einer Praktik, die Vinkens Unterscheidung zwischen Fläche und Bahn praxissoziologisch wendet, sind die drei Raumtypen nicht in exklusiver Weise zu verstehen. Es ist denkbar, dass es einen vierten oder fünften zu unterscheidenden Raumtyp gibt, der durch andere Praktiken schwerpunktmäßig erzeugt würde und unter Umständen in schwacher Form bereits in der hier untersuchten Praktik zu identifizieren wäre. Diese zu identifizieren bleibt weiteren Forschungen vorbehalten.

11. Fazit: Praktiken, erzeugte Räume und soziale Koexistenz

Ausgehend von einem aus Alltagsbeobachtung gewonnenen soziologischen Forschungsinteresse wurde für die vorliegende Arbeit ein geeignetes Forschungsfeld identifiziert und korrespondierend damit eine geeignete Forschungsperspektive und Fragestellung entwickelt.1 Vor diesem Hintergrund teilte sich die Organisation der vorliegende Arbeit in zwei Teile auf: Einen ersten theoretischen Teil, in dem ich entlang der drei Konzepte Praktiken, Infrastruktur und Raum die Forschungsperspektive entwickelt habe. Und einen zweiten empirischen Teil, in dem ich mit Hilfe dieser Perspektive die Praktik »Geocaching« auf ihre räumliche Dimension hin untersucht habe und drei voneinander unterscheidbare Idealtypen von durch Praktiken erzeugten Räumen entwickelt habe. Der Ausgangspunkt für die unternommene Untersuchung war die Beobachtung des zu Beginn des 21. Jahrhunderts zum alltäglichen Anblick gewordenen Passanten, der auf einen Bildschirm blickt, den er in seiner Hand trägt. Daran anschließend habe ich die Frage gestellt, an was sich solche Personen orientieren bzw. wie sie navigieren. Diese Frage habe ich in die Frage nach dem Raum übersetzt, in dem sich solche Personen bewegen und der immer ein bestimmtes Bezugssystem zur Verfügung stellt, das Orientierung ermöglicht. Da die Antworten auf diese Frage, ausgehend von der Situation, in der sich eine Person auf einen Bildschirm in ihrer Hand schauend bewegt, äußerst vielfältig sind, habe ich den Fokus von der Situation auf eine bestimmte Praktik verschoben, also auf eine sich stabil reproduzierende Weise des Sagens und Tuns.

1 | Zum Verhältnis von Theorie und Empirie vgl. S. 19.

250 | Flächen – Bahnen – Knoten

Die Forschungsperspektive (vgl. Abb. 1: Die theoretische Perspektive, S. 84) nimmt neuere Entwicklungen in der deutschen und englischen Praxissoziologie auf (Reckwitz 2002; Hillebrandt 2009; Schatzki 2010a; Schmidt 2012; Shove et al. 2012) und betont im Besonderen das Konzept der Praktik in Abgrenzung von Praxis. Letztere verstanden als Reproduktion von Praktiken, erstere als analytische Einheit. In die Beschreibung der Organisation solcher Praktiken habe ich ein praxeologisches Konzept von Infrastruktur eingebunden. Dabei unterscheide ich zwischen der Infrastruktur einer Praktik, die mit dieser ko-konstitutiv ist, und dem infrastrukturellen Arrangement einer Praktik, das Infrastrukturen umfasst, die in anderen Zusammenhängen entstanden sind und auf eine spezielle Weise in eine Praktik integriert werden. Dieser Schritt ermöglicht es, in sich räumlich und zeitlich versprengte Praktiken zu beobachten und die durch diese erzeugten relationalen Räume sichtbar zu machen. Der empirische Fall der vorliegenden Untersuchung ist die Praktik »Geocaching«. Sie eignet sich hervorragend für die explorative Untersuchung der Fragerichtung, woran sich Personen, die sich auf Bildschirme in ihren Händen schauend orientieren. Geocaching integriert neben der schon länger bekannten Technik und Infrastruktur, die für die Konstitution alltäglicher Bewegung zu Beginn des 21. Jahrhunderts relevante Technik GPS und (mobiles) Internet. Zudem hat die Praktik »Geocaching« eine explizit soziale Komponente: Praktiker verstecken Geocaches für andere Praktiker. Eine raumsoziologische Untersuchung des Geocachings lag bisher nicht vor. Darüber hinausgehend war auch die raumsoziologische Untersuchung von GPS und internetgestützter Praxis bisher ein Forschungsdesiderat. An dieser Stelle hat die vorliegende Arbeit neues Terrain erschlossen. Die empirische Untersuchung der Praktik »Geocaching« hat gezeigt, dass es einhergehend mit der Integration von GPS und einer internetgestützten Datenbank zu der Betonung des Raumtyps »Knotenraum« kommt. Das Konzept des Knotenraumes wurde in Kapitel 8: Ortsbestimmungen ... anhand der Praktik, die in Verbindung mit dem »Degree Confluence Project« stattfindet, der Praktik »Geodashing« und der Praktik »Geocaching« entlang der Frage entwickelt, was einen Ort zu einem Ort in dem durch die jeweilige Praktik erzeugten Raum macht. Orte werden hier aus den Artefakten eines Koordinatensystems, mit Hilfe eines Algorithmus’ und aufgrund eines sozialen Prozesses bestimmt. Ich habe den Typ des Knotenraumes von zwei anderen Raumtypen – Flächenraum und Bahnraum – abgegrenzt. Während Räume vom Typ Flächenraum sich durch ein eindeutiges territoriales Innen/Außen definieren, sind Bahnräume durch stabile Bahnen charakterisierbar. Der Typ des Knotenraums zeichnet sich dadurch aus, dass er aus Orten (Knoten) besteht, die bestimmte

11. Fazit: Praktiken, erzeugte Räume und soziale Koexistenz | 251

Eigenschaften haben, stabil sind und die auf beliebige Weise miteinander verbunden werden können. Im Folgenden werden die zentralen Aspekte der Raumerzeugung (Kap. 9) durch die Praktik »Geocaching« zusammengefasst: In Kapitel 9.1: Konfiguration: Einteilen wurde die für den durch Geocaching erzeugten Raum eigene Konfiguration von Orten herausgearbeitet. Die Argumentationsstrategie bestand darin zunächst anzunehmen, dass alle Orte, die mit einem GPS-Gerät auffindbar sind, auch Teil des Raums des Geocachings sind. Diese trifft jedoch nicht zu. Es gibt verschiedene Dimensionen, die per GPS adressierbare Orte aus der Menge der Orte in diesem Raum entfernen (explizite Regeln der Praktik, juristische Einschränkungen, Einschränkungen aufgrund von Eigenschaften der Praktik). Zum anderen wurde klar, dass es zudem Umgehungsstrategien gibt, bei denen Positionen gepeilt werden oder Beschreibungen angefertigt werden, um Geocaches an eigentlich zunächst unmöglichen Orten zu platzieren. Insgesamt erhöht die Nutzung von Satellitennavigation die Anzahl möglicher Orte gegenüber anderen Bezugsystemen, weil durch sie ein universales Bezugsystem zur Verfügung steht, welches das Territorium, auf dem die Praktik stattfindet, zunächst unabhängig von lokalen Gegebenheiten erschließt. Der Zugang (Empfang des Signals) zu diesem Bezugsystem kann jedoch durch örtliche Umstände (ob permanent oder temporär) eingeschränkt sein. Kapitel 9.2: Markierungen: Platzieren ging im Anschluss daran der Frage nach welche der möglichen Orte des Raumes tatsächlich besetzt werden. Es wurde deutlich, dass es zum einen mit dem Platz, an dem der Geocache liegt, zu tun hat. Dieser kann aus irgendeinem Grund als interessant oder besuchenswert wahrgenommen werden. Beispielsweise wenn der Ort eine bestimmte Geschichte hat, irgendwie besonders ist oder sich dort eine Tätigkeit besonders gut ausführen lässt. Zudem beinhaltet die Idee einen Geocache zu verstecken immer die Vorstellung, dass dieser von anderen gefunden wird. Damit gibt es hier eine originär soziale Komponente des auf andere bezogenen Handelns. Zudem kommen hier auch aufmerksamkeitsökonomische Faktoren zum Tragen. In Kapitel 9.3: Orte/Wege/Gebiete: Auswählen wurde dann die andere Seite der im vorangegangenen Kapitel beschriebenen reziproken Beziehung zwischen demjenigen, der einen Geocache legt und demjenigen, der ihn sucht und findet beschrieben. Wichtig zu betonen ist dabei, dass jedem Praktiker beide Rollen zur gleichen Zeit zur Verfügung stehen. Der Kreislauf aus »Platzieren« und »Auswählen« formt die Topologie des Knotenraumes, der durch die Praktik »Geocaching« erzeugt wird. Kapitel 9.4: Statistiken: Zählen ergänzt den Abschnitt über das Auswählen mit besonderem Augenmerk auf die Auswahl auf der Basis von Statistiken über die eigenen Funde. Das Führen von Statistiken ermöglicht es auf vielfältige Weise Lücken zu

252 | Flächen – Bahnen – Knoten

konstruieren, die durch das Finden bestimmter Geocaches geschlossen werden können. Dies ist eine Art, die einen Geocache für eine Person interessant werden lässt und auf diesem Weg die Topologie des erzeugten Raumes mitgestaltet. Abschließend wurde in Kapitel 9.5: Raumkonkurrenz: Abgrenzen die Erzeugung von Grenzen beschrieben, die mit der Erzeugung von Räumen untrennbar einhergeht. Im Fall von Knotenräumen sind diese nicht durch ein territorial homogenes Innen/Außen, wie bei einem Flächenraum beschreibbar, sondern liegen auf der Ebene des Verstehens und des Zugangs zu den in die Praktik integrierten Infrastrukturen. Dies ist im Grunde mit der Situation einer Praktik vergleichbar, die einen Bahnraum erzeugt. Auch hier geht es um ein bestimmtes Verstehen und damit zusammenhängend dem Zugang zu der diesen Raum konfigurierenden Infrastruktur. Der qualitative Unterschied liegt jedoch in der Art der integrierten Infrastruktur: GPS, WGS84 und eine Datenbank konfigurieren Raum in einer knotenähnlichen Weise, während z.B. Straßen, Schienen oder auch Routingalgorithmen Raum in bahnförmiger Weise zurichten. Das eine Mal sind Bahnen stabil, das andere Mal Knoten. Insgesamt ergibt sich ein Bild des durch die Praktik »Geocaching« erzeugten Raumes, der sich zwischen andere Räume drängt und sich untermischt. Ein Raum, der keine territoriale Exklusivität erzeugt oder fordert. Ein Raum, der den Zugriff auf Territorien entlang von Punkten organisiert. Dieser Raum ist nicht bereits da, sondern wird erzeugt. Das Konzept des Knotenraums ermöglicht die kohärente Beschreibung solcher Räume. Ein Ziel haben Knotenräume können als Räume verstanden werden, die sich durch eine Ansammlung von Zielen definieren. In der vorliegenden Arbeit wurde deutlich, dass das Element »ein Ziel zu haben« ein wichtiger Bestandteil der Praktik »Geocaching« ist. Die einen brauchen ein Ziel, um abends noch einmal vor die Tür zu gehen, die anderen nutzen Geocaches, um in fremden, ihnen unbekannten Gegenden Ziele zu haben. In der teleoaffektiven Struktur der Praktik findet sich also das Element »ein Ziele haben und erfolgreich auffinden« verbunden mit einem positiven Affekt. Der Knotenraum ist ein durch eine Sammlung von Zielen (Knoten) bestimmter Raumtyp. Bei dieser starken Betonung von Zielen stellt sich die Frage nach der Rolle von zufälligen Entdeckungen. Diese sind zwar nicht explizit Teil der Praktik, jedoch sind sie auch nicht ausgeschlossen. Da sich Personen auch in Knotenräumen von Knoten zu Knoten in irgendeiner Form bewegen müssen, kann es durchaus sein, dass sie dabei über unvorhergesehene Dinge »stolpern«. In gewisser Weise kann das Bewegen in einem Knotenraum solche zufälligen Entdeckungen auch fördern, da es dazu zwingt, das Gelände auf immer neue Weisen von Knoten zu Knoten zu durchqueren. Die Rolle

11. Fazit: Praktiken, erzeugte Räume und soziale Koexistenz | 253

des Zufalls ist also durch den Raumtyp nicht hinreichend bestimmt. Im Fall der Praktik »Geocaching« hat die Untersuchung gezeigt, dass er eine eher untergeordnete Rolle spielt. Im Unterschied zum Flanieren2 oder dem Laufen nach einem Algorithmus (Ziewitz 2011), bei dem die nächsten anzusteuernden Ziele, wenn man von solchen sprechen möchte, aus der Situation heraus generiert werden, spielt dies beim Geocaching keine Rolle. Hier werden Ziele höchstens situativ ausgewählt, jedoch niemals generiert. Dies ist wiederum eng mit dem Typ des Knotenraums verbunden, da dieser nur entstehen kann, wenn die Knoten stabil sind und nicht von situativen Entscheidungen abhängen. Organisation des Nebeneinanders Die Kernfrage raumsoziologischer Reflexionen ist jene nach der sozialen Organisation des Nebeneinanders (vgl. Löw 2001: 12). Wie stellt sich dieses Nebeneinander also in Knotenräumen dar? Geocaching erzeugt ein überregionales sozial geteiltes Bezugssystem, an dem sich Teilnehmer der Praktik orientieren können. Entscheidend ist, dass es eine Infrastruktur gibt, die gewährleistet, dass das Wissen um die Knoten geteilt werden kann. Im Fall von Geocaching ist dies eine Datenbank der Geocaches, die über eine Website abrufbar ist, und der Zugang zum GPS. Es sind aber auch andere Möglichkeiten denkbar, um das Wissen um die Knoten zugänglich zu machen. Bereits im Fall von Listen von Sehenswürdigkeiten (z.B. in Reiseführern oder Stadtmagazinen) ist dies angelegt. Jedoch fehlt hier das reziproke Element zwischen Nutzern. Praktiken, die Knotenräume erzeugen, führen zu ganz anderen Koexistenzmustern zwischen Menschen als Praktiken, die Flächen- oder Bahnräume erzeugen. Bei Flächenräumen kommt es zum gemeinsamen Aufhalten in einem Gebiet. Im Fall von Bahnräumen kommt es dazu, dass mit anderen Praktikern Teile der Strecken gemeinsam überwunden werden: Es gibt Mitreisende. In Knotenräumen gibt es beides nicht. Praktiker begegnen sich an Knoten. Dies sind die Orte, an denen sich das soziale Nebeneinander zur Begegnung und Interaktion verdichten kann. Lassen sie die Knoten hinter sich, entfernen sie sich auch wieder von anderen Trägern der Praktik. Es leuchtet ein, dass Praktiken, die Flächenräume erzeugen, miteinander in Konflikt geraten, wenn diese auf dem gleichen Territorium praktiziert werden sollen. »Grillen« und »Fußball spielen« ist nicht auf demselben Territorium zur gleichen Zeit möglich. Hier müssen territoriale Grenzen ausgehandelt werden, die ein ungestörtes Ablaufen beider Praktiken ermöglichen. Treffen zwei Praktiken aufeinander,

2 | Vgl. die Figur des Flaneurs, prominent im Werk Walter Benjamins. Ausführlich dazu: Neumeyer 1999.

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die einmal einen Flächenraum, das andere Mal einen Bahnraum erzeugen, also zum Beispiel »Fußball spielen« und »Auto fahren«, dann liegt der Fall anders. Bahnen müssen nicht notwendigerweise durchgängig besetzt sein. Es muss nur die Möglichkeit der Aktualisierung gegeben sein. Da »Fußball spielen«, so wie es auf Straßen gespielt wird, bei Bedarf kurz unterbrochen werden kann, um ein fahrendes Auto passieren zu lassen, ist es hier möglich, einen Modus der Koexistenz zu finden. Vergleichbares wäre zwischen den Praktiken »grillen« und »Auto fahren« nicht denkbar. Die zeitliche Organisation der Praktik »Fußball spielen« in diesem Beispiel bietet die Möglichkeit Lücken zu eröffnen, in denen Autos passieren können. Hier gibt es allerdings eine Grenze in Bezug auf die Häufigkeit und Schnelligkeit passierender Autos. Die erfolgreiche Koexistenz beider Praktiken entscheidet sich also nicht an einer territorialen Grenze. Praktiken, die Knotenräume erzeugen, mischen im doppelten Wortsinne die Karten quer dazu neu. Dies ist bei der Praktik »Geocaching« der Fall. An den jeweiligen Knoten entstehen kleine lokale Flächenräume, für die die Möglichkeit zur Aktualisierung bestehen muss. Auf dieser Ebene werden Aushandlungsfragen vor Ort relevant, wie ich sie beschrieben habe. Die Entscheidende Ebene des Knotenraums befindet sich jedoch auf Ebene der Auswahl und Bestimmung von Knoten. Der Raum bricht nicht zusammen, falls ein Knoten temporär nicht verfügbar ist oder endgültig verschwinden muss. Er verändert sich. Zur zeitlichen Flexibilität solcher Praktiken kommt also auch eine territoriale Flexibilität. Deren Grad, vergleichbar der Praktik »Fußball spielen«, durch die Organisation der jeweiligen Praktik bestimmt wird. Auf einem gegebenen Territorium können sich also viele verschiedene Knoten ganz unterschiedlicher Räume befinden. Diese sind nicht territorial gegeneinander abgegrenzt, sondern fließen im territorialen Sinne ineinander. Die Grenzen sind auf der Ebene von Infrastruktur zu suchen, die die Erzeugung solcher Räume überhaupt erst ermöglicht. Die systematische Untersuchung des Zusammenspiels der verschiedenen Raumtypen für den Fall, dass sie auf dem gleichen Territorium erzeugt werden, bleibt ein Desiderat für weitere empirische Forschung: An welchen Stellen entstehen Konkurrenzverhältnisse bedingt durch die Konkurrenz um knappen Ressourcen, wie zum Beispiel Fläche, Treppen, Bänken, Licht oder Bandbreite? Auf welchen Ebenen sind überhaupt Berührungspunkte zwischen den einzelnen Raumtypen möglich? Die Beschreibung der Praktik »Geocaching« hat gezeigt, dass Räume vom Typ Knotenraum die Eigenschaft besitzen, sich zwischen andere Räume zu schieben und so relativ gut mit erzeugten Flächenräumen koexistieren können, weil sie gewissermaßen in den Fugen dieser Räume verschwinden.

11. Fazit: Praktiken, erzeugte Räume und soziale Koexistenz | 255

Die Bedeutung der Ergebnisse über den untersuchten Fall hinaus Die Organisation der Praktik »Geocaching«, also Verstehen oder Vorstellungen, explizite Regeln, teleoaffektive Struktur (vgl. S. 33 ff.) und Infrastrukturen, sind in genau dieser Zusammensetzung zwar typisch für eben diese Praktik, jedoch finden sich viele Elemente auch in anderen Praktiken. So wie Praktiken einander dadurch ähneln, dass sie Elemente miteinander teilen, so ist auch anzunehmen, dass die jeweils erzeugten Räume ähnlich sind. Es ist daher plausibel anzunehmen, dass das hier erarbeitete Konzept des Knotenraums nicht nur für die Beschreibung der Praktik »Geocaching« instruktiv ist. Verschiedene Autoren haben auf die Ähnlichkeit von Praktiken hingewiesen: Gunter Gebauer und Christoph Wulf machen z.B. das ästhetische Konzept der Mimesis, also der Nachahmung, für soziologische Fragen fruchtbar und zeigen in verschiedenen Bereichen (Gesten, Ritual, Gabe, Spiel) dessen Instruktivität (Gebauer und Wulf 1998). Hier liegt der Schwerpunkt allerdings auf der Kategorie der Körperlichkeit, die in der vorliegenden Arbeit nicht im Fokus des Interesses stand. Das Nachahmen von Handlungsweisen ist natürlich nicht auf körperliche Aspekte beschränkt. Shove et al. sprechen in diesem Zusammenhang von der »Zirkulation von Elementen« und meinen damit das Wandern von Elementen von Praktiken zu anderen Praktiken (Shove et al. 2012: Kap. 3). Dieser Gedanke schließt praktisch nahtlos an Schatzkis Vorstellung von dem Sozialen als dichtes Gewebe von Praktiken an. Praktiken ahmen andere Praktiken nach, spiegeln sich (teilweise) gegenseitig und tauschen Elemente aus. Elemente von Praktiken setzen sich auf diese Weise in diesem sozialen Gewebe fort. Für Schatzki folgt daraus, dass »individuals coexist not only with those who participate in the same practices as they, but also those who participate in practices connected with theirs« (Schatzki 1996: 198). Praktiken werden notwendigerweise von Personen ausgeführt bzw. reproduziert. Reckwitz bezeichnet Personen, die eine Praktik ausführen, als »Träger« der jeweiligen Praktik (Reckwitz 2002: 250). Keine Person ist nur in eine einzige Praktik involviert, sondern führt in ihrem Alltag und auf ihrem Lebensweg viele verschiedene Praktiken aus.3 Daraus ergibt sich ein Weg, wie Elemente von Praktiken zu anderen Praktiken wandern können. Wer das GPS, ebenso wie Websites und Foren, aus einem bestimmten, z.B. beruflichen, Zusammenhang

3 | Über die verschiedenen Praktiken, an denen eine Person in ihrem Alltag und während ihres Lebens partizipiert, läßt sich eine Brücke zu den wichtigen soziologischen Konzepten von Subjektivierung und Identität schlagen. Praktiken prägen das Wissen, die Sprache, das Denken, das Körperverhältnis, das Selbstverhältnis und die Beziehung zu anderen, den Habitus etc. von Personen, die sie ausüben, d.h. Träger dieser Praktiken sind.

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kennt, dem wird es leicht fallen und es wird für ihn naheliegen, es in ähnlicher Weise auch in anderen Zusammenhängen, z.B. Freizeitzusammenhängen, zu benutzen.4 Vor diesem Hintergrund ist es plausibel, die Zusammenhänge, die an der Praktik »Geocaching« herausgearbeitet worden sind, in einen größeren Zusammenhang der Reflexion über soziale Koexistenz zu stellen. Für die Beschreibung welcher soziologischer Phänomene kann das Konzept des Knotenraums instruktiv sein? Dieser Frage wird im Folgenden exemplarisch am Beispiel von Büros, von Wohnungen und der Erschließung von Territorien nachgegangen. Verteilte Büros und Wohnungen Im Zuge der Flexibilisierung und Informatisierung von Arbeit (vgl. z.B. Schmiede 1996) sind neue Bürokonzepte entwickelt worden, die das klassische Zellenbüro oder das Großraumbüro ablösen sollen (vgl. z.B. Spath und Kern 2003). Solche Konzepte fördern und reagieren auf die sich verändernde Organisation von Arbeit und Zusammenarbeit mit Kollegen und Kunden. Sie sind nur vor dem Hintergrund informatisierter Arbeitsumgebungen denkbar. Solange ein funktionierender Arbeitsplatz von der physikalischen Nähe zu analog vorhandenen Ressourcen (Akten, Vordrucke, Hängeregister etc.) abhängt, ist dieser an eine bestimmte Position gebunden und kann nicht nach Belieben verlegt werden. Sobald auf diese Dinge in digitaler Form über ein Netzwerk zugegriffen werden kann, verwandelt sich die Bedingung »in Griffweite« in »Zugriff gewährleistet«. Nun kann ein Arbeitsplatz grundsätzlich überall da funktionieren, wo diese Bedingung erfüllt ist.5 Die Menge der möglichen Plätze erweitert sich folglich extrem. Es ist nicht nur denkbar, dass an den unterschiedlichsten Orten Arbeitsplätze eingerichtet werden können, ein weiterer Effekt ist, dass das Konzept eines »Büros« verschiedene Plätze umfassen kann. Übersetzt man nun die substantialistische Frage, was ein Büro ist oder die sinnrekonstruktivistische Frage, was ein Arbeitnehmer unter seinem Büro versteht, in die praxissoziologische Frage, welcher Raum durch die jeweiligen Praktiken des Arbeitens erzeugt wird, dann ergibt sich das Bild eines verteilten Raumes, dessen territoriale Einheit aufgebrochen ist. Verschie-

4 | Die Verschiebung des Forschungsfokus von der Praktik selbst auf einen bestimmten Bestandteil einer Praktik, der aber in verschiedenen Praktiken auf unterschiedliche Weise zu beobachten wäre, verspricht ein spannende Forschungsperspektive zu sein, die unerwartete Nähen und Distanzen sichtbar machen könnte, die zumindest teilweise quer zu klassischen soziologischen Kategorien liegen könnten. 5 | Es ist klar, dass es sich dabei nicht um die einzige Bedingung für einen funktionierenden Arbeitsplatz handelt. Es handelt sich hier jedoch um eine zulässige Vereinfachung im Sinne des gedankenexperimentellen Arguments.

11. Fazit: Praktiken, erzeugte Räume und soziale Koexistenz | 257

dene Aufgaben werden an unterschiedlichen Plätzen, die sich besonders gut für die jeweilige Aufgabe eignen, wahrgenommen.6 Dies führt zu einer Auflösung der territorialen Einheit des Konzepts »Büro«. Es entsteht das Bild eines verteilten Büros. Die Orte dieses Büros, verstanden als Raum im Sinne der vorliegenden Arbeit, werden durch Wissen und Infrastruktur miteinander verbunden. Selbstverständlich existieren auch territoriale Verbindungen zwischen den Orten des Raums, wie z.B. Flure, falls jene in demselben Gebäude liegen. Solche Verbindungen sind jedoch nicht zwingend und werden als materielle Infrastruktur in die Arbeitspraktiken auf eine bestimmte Weise integriert. Sie präfigurieren den Raum, bestimmen ihn jedoch nicht in kausaler Weise. Beschrieben mit den in der vorliegenden Arbeit entwickelten Konzepten handelt es sich dabei um die Transformation eines Flächenraumes in einen Knotenraum. Das Büro kann nicht mehr über seine territoriale Ausdehnung beschrieben werden, sondern muss als Menge von Orten (»Arbeitsplätze« oder »Tätigkeitsplätze«) mit bestimmten Eigenschaften beschrieben werden, die zusammen den Raum (»Büro«), der durch die Arbeitspraktiken erzeugt wird, darstellen. Ebenso wie die Praktik »Geocaching« einen verteilten Raum erzeugt, erzeugen informatisierte Arbeitspraktiken verteilte Büros.7 In welchem Maße dies geschieht ist eine empirische Frage und abhängig von den Tätigkeiten, die Arbeitnehmer ausüben, also von der Organisation der Arbeitspraktiken. Eine mit diesen Überlegungen einhergehende Konsequenz ist, dass die Einheit des Gebäudes als Grenzen definierende Instanz an Bedeutung verliert. Orte des Büroraums können neben dem Gebäude des Arbeitgebers in verschiedenen anderen Gebäuden oder Einrichtungen liegen (z.B. zu Hause, beim Kunden, im Hotel, in der U-Bahn oder auch im Auto). Die am Beispiel des Geocachings herausgearbeitete und auf das Konzept des Büros angewendete Auflösung des territorialen Zusammenhangs eines Raumes bezüglich seiner Fläche und seiner Grenzen lässt sich auf weitere Konzepte übertragen. Ein weiteres Beispiel auf dieser Linie ist das der Wohnung. Bourdieu interpretiert die räumliche Anordnung in einem Haus der traditionalen kabylischen Gesellschaft als Spiegel der Gesellschaft als Ganzes (vgl. S. 72). Es gibt hier durch die Mauern des Hauses eine klare Trennung zwischen innen und außen. Der Gedankengang ist instruktiv. Es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit dieses Spiegelungsverhältnis auf eine die Moderne hinter sich gelassen habende Gesellschaft angepasst werden muss.

6 | An dieser Stelle zeigt sich, dass der so erzeugte Büroraum nicht unabhängig von lokalen Gegebenheiten ist. 7 | Im Extremfall kann dies die Idee eines Büros ad absurdum führen.

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Vor dem Hintergrund der vorliegenden Arbeit bestünde die Herangehensweise darin, Praktiken zu identifizieren, die das Wohnen bestimmen und eine Wohnung durch deren Reproduktion in dieser zu einer Wohnung werden lassen. Dies ist eine empirische Frage und keine normative, deren Erkenntnisinteresse jedoch nicht durch die mögliche Antwort alle Praktiken, die in einer Wohnung stattfinden gehören zur Praktik »wohnen«, kurzgeschlossen werden darf. So ist es denkbar, dass Wohnpraktiken an unterschiedlichen Orten reproduziert werden und nicht nur in dem abgegrenzten Bereich, der üblicherweise als »Wohnung« bezeichnet wird. Personen frühstücken in der U-Bahn, lesen im Zug Zeitung, sprechen und streiten unterwegs per Telefon mit Familienangehörigen oder schlafen verbunden über Skype mit dem Partner/der Partnerin gemeinsam ein. Es ist nichts Neues, dass Technik an der Herstellung und Transformation von Wohnverhältnissen beteiligt ist. Der Architekt Aldo Rossi spricht daher von einer »künstlicher Heimat«, die so alt sei, wie der Mensch selbst. Denn schon »die Menschen der Bronzezeit veränderten die Landschaft, entsprechend ihren sozialen Bedürfnissen, durch die Errichtung von Ziegelbauten und die Anlage von Brunnen, Abzugskanälen und Wasserleitungen. Die ersten Häuser schirmten ihre Bewohner von der Außenwelt ab und schufen ein vom Menschen kontrolliertes Klima. Durch die Entwicklung von Stadtkernen dehnt sich diese Kontrolle auf deren Mikroklima aus. Schon die neolithischen Dörfer stellen eine erste Anverwandlung der Natur an die Bedürfnisse des Menschen dar.« (Rossi 1973: 26)

Selbstverständlich hat die Entwicklung neuer Baumaterialien und neuer Arten des Bauens hier einen Einfluss, aber auch solche Dinge wie Zentralheizungen, die den zentralen Ofen als wärmste Stelle des Hauses, und damit als Treffpunkt, dezentrieren oder die Verfügbarkeit von elektrischer Beleuchtung sowohl in als auch vor und zwischen Häusern. Letztere ermöglichte zusammen mit Verkehrssystemen »ein ausdrücklich ›großstädtisches‹ Nachtleben, Halböffentlichkeit und Mobilität [...], [neigte] aber auch dazu, die natürlichen und kreatürlichen Lebensäußerungen weitgehend in die Unterwelt und hinter Fassaden zu verbannen« (van Laak 2001: 375). So gesehen ermöglicht Technik nicht nur das Bauen bestimmter Wohnungstypen, sondern ist selbst auch »Baumaterial«. Welche Rolle spielt hier Informationstechnologie, wenn man die offensichtliche Automatisierung von bestehenden Funktionen für den Moment beiseite lässt? Vor dem Hintergrund der in der vorliegenden Arbeit entwickelten Raumtypen wäre zu fragen, ob sich die Einheit der Wohnung auf verschiedene Orte verteilt. Ansatzpunkte für die Untersuchung solcher Wohnpraktiken wären z.B. WG-Zimmer, die zwar physikalisch getrennt vom Elternhaus sind, jedoch finanziell und vor allem aber auch emotional vollständig in dieses integriert sind. Oder Partner-

11. Fazit: Praktiken, erzeugte Räume und soziale Koexistenz | 259

schaften, die aufgrund von beruflichem Pendeln eines oder beider Partner mehrere physikalisch getrennte Orte zu einer »Wohneinheit« integrieren. In Anschluss an das »verteilte Büro« könnte die »verteilte Wohnung« einen spannenden Suchbegriff für weitere empirische Forschungen abgeben. Die generelle Strategie ist hierbei, soziologisch relevante Konzepte praxissoziologisch zu rekonstruieren. Erschließung von Territorien Eine zweite Fragerichtung, die vor dem Hintergrund der vorliegenden Arbeit angegangen werden kann, ist die die Frage, wie Territorien durch Praktiken angeeignet werden. Es gibt ganz unterschiedliche Gründe, warum es sinnvoll sein kann, ein bestimmtes Territorium als Ausgangspunkt einer Untersuchung zu wählen. Zum Beispiel wäre dies der Fall, wenn ein bestimmtes Gebiet als eine organisationale oder sinnhafte Einheit für die Fragestellung relevant ist. Dies ist der Fall, falls beispielsweise eine Stadt, ein bestimmter Platz oder ein Firmengelände im Fokus des Interesses steht. Vor dem Hintergrund der in der vorliegenden Arbeit erarbeiteten Konzepte ging es dann darum, die Frage zu beantworten, welche Praktiken auf dieser Fläche ausgeübt werden. Sind es tatsächlich Praktiken, die in erster Linie Flächenräume erzeugen und so die gewählte Untersuchungseinheit affirmieren? Zerschneiden sie gewissermaßen das zu untersuchende Gebiet in Bahnen oder stabilisieren sie eine Menge von Knoten, die Praktiker immer wieder ansteuern? Für diese Frage ist relevant, an welchem Bezugssystem sich Praktiker orientieren. Sind es in erster Linie Straßenverläufe, Stadtpläne, eine Sammlung von Sehenswürdigkeiten aus einem Reiseführer, eine digitale Datenbank oder Sinneseindrücke und situative Umstände, wie z.B. bei den Praktiken »schlendern« oder »flanieren«? Das Gewebe von Praktiken, die auf einer bestimmen Fläche zu beobachten sind und die alle in einer bestimmten Weise Raum erzeugen, formen letztendlich in ihrer Verwobenheit die räumlichen Verhältnisse auf dem jeweiligen Territorium. Ob nun im Fall von Büros, des Wohnens, der Erschließung von Territorien oder des Geocachings, die Typologie von durch Praktiken erzeugten Räumen (Flächen, Bahnen, Knoten) öffnet den Blick für innovative Arten der sozialen Reproduktion von Raum. Die Fokussierung auf die Ebene der Praktiken ermöglicht einen detaillierten Blick auf das Wie der Raumerzeugung und dessen Organisation, d.h. der Stabilisierung dieses Ablaufs. Es wurde herausgearbeitet, inwiefern Infrastrukturen, neben anderen sozialen Dimensionen, wie Verstehen, teleoaffektiver Struktur und Regeln bei der Ermöglichung und Stabilisierung von Praktiken und damit der Konfiguration von Räumen – dem sozialem Nebeneinander – beteiligt sind.

Danksagung

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation am FB 2 »Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften« der TU Darmstadt. Die ersten Ideen zu dieser Arbeit datieren zurück an den Anfang des Jahres 2009. Es war zu dieser Zeit klar, dass durch neue, den Alltag zunehmend durchdringende, digitale Technologien eine ganze Bandbreite von sozial relevanten Transformationen bereits angestoßen worden waren und weitere folgen würden. In der Soziologie war jedoch unklar – auch heute ist diese Diskussion keineswegs beendet – wie diese Entwicklungen einzuschätzen, zu interpretieren und in Relation zu den klassischen Themen der Soziologie zu setzen seien. Für die Etablierung und Schärfung meines soziologischen Blicks auf dieses Themenfeld verdanke ich Jörn Lamla sehr viel. In den fortlaufenden Diskussionen in Lehrveranstaltungen, Kolloquien und Forschungswerkstätten während meines Studiums an der Universität Gießen habe ich unendlich viel gelernt. Ab November 2009 hatte ich das Glück mein Forschungsinteresse mit einem Doktorandenstipendium des DFG-Graduiertenkolleges »Topologie der Technik« an der TU Darmstadt weiterverfolgen zu können. Die damit verbundene Freiheit habe ich als großes Privileg empfunden. Den Betreuern meiner Dissertation, Martina Löw und Rudi Schmiede, danke ich sehr für ihre zielführende Unterstützung in entscheidenden Momenten. Die Oberseminare der beiden Lehrstühle waren ein sehr wichtiges fachliches Gegengewicht zu den interdisziplinären Zusammenhängen des Graduiertenkollegs. Das Graduiertenkolleg habe ich als einen einmaligen und äußerst inspirierenden Denk- und Diskussionszusammenhang erlebt, getragen und ermöglicht von allen beteiligten Professoren, Post-docs, Stipendiaten und Assoziierten. Stellvertretend möchte ich Petra Gehring und Mikael Hård, den Sprechern des Graduiertenkollegs, danken, die dieses Umfeld maßgeblich geprägt haben.

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In den Jahren meiner Arbeit an dem Forschungsprojekt haben viele verschiedene Personen wissentlich und unwissentlich bei den unterschiedlichsten Anlässen Feedback, Anregungen und Denkanstöße gegeben. Ihnen allen sei gedankt. Für intensive Diskussionen, Anregungen und hilfreiche Tipps während der verschiedenen Phasen einer solchen Arbeit, ohne die ich einige Umwege mehr gegangen wäre und andere gangbare Wege niemals gefunden hätte, bedanke ich mich im Besonderen bei Suzana Alpsancar, Lukas Breitwieser, Torsten Cress, Sebastian Haumann, Andreas Kaminski, Christian Mettke, Carsten Ochs, Brigitte Petendra, Benjamin Seibel, Cornelius Schubert, Susanne Schregel, Gunter Weidenhaus, Mascha Will-Zocholl und Christian Zumbrägel. Anfang des Jahres 2012 hatte ich die Gelegenheit für drei Monate zu Gast bei Elizabeth Shove am Department of Sociology der Lancaster University (UK) zu sein. Dieser Aufenthalt war für mich eine wunderbar inspirierende Zeit, während der ich Gast in einem herausragenden intellektuellen Umfeld sein durfte. Das Schreiben einer Dissertation verlangt einiges von deren Autor. Ohne die ausdauernde Unterstützung und dem Verständnis von Freunden für diese manchmal durchaus seltsam anmutende Tätigkeit, deren Ergebnis im Prozess des Tuns so schwer zu fassen ist, wäre der Weg wesentlich steiniger gewesen. Meinen Eltern bin ich dankbar für ihre vorbehaltlose Unterstützung. Johanna Köster danke ich für alles.

Anhang

Interviewleitfaden 1. Wann waren Sie das letzte Mal cachen? Wie lief das ab? (Ziel: Beschreibung der Praktiken!) - Wie/wann geht es los? Gelegenheiten? - Wie wählen Sie den Cache aus, den Sie dann suchen gehen? - Wie kommen Sie zum Cache? - Lieblingscachesorten? - Wie ist eigentlich das Verhältnis zu Unbeteiligten? 2. Gibt es Kontakt zu anderen Cachern? - Bei welchen Gelegenheiten kommt es dazu? – Events? - Worum geht es dabei? Welche Themen besprechen Sie? - Zugehörigkeitsgefühl? 3. Wie läuft das ab, wenn Sie einen Cache legen? - Erzählen Sie doch mal, wie Sie den letzten Cache gelegt haben! - Wie läuft das formale Prozedere ab? - Wie kommt es dazu? 4. Welche Technik nutzen Sie beim Cachen? - Welche Geräte? - Welche Software bzw. Programme? - Welche Internetseiten/Foren?

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5. Gibt es Probleme beim Cachen? - Technik - Personen (Cacher/Nicht-Cacher) - Umgebung 6. Wie sieht das in Ihrem Umfeld aus? - Cachen Ihre Bekannten auch? - Wie läuft das da ab? Unterschiede/Gemeinsamkeiten zu Ihnen? 7. Was bedeutet Geocachen für Sie? - Hat das Cachen in Ihrem Alltag etwas verändert? Mobiler? - Hat sich Ihre Orientierung verändert (verbessert/verschlechtert)? 8. Ist irgendetwas noch nicht zur Sprache gekommen?

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2011, 396 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1622-4

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